Skip to main content

Full text of "Magazin für die Naturkunde Helvetiens"

See other formats


one; 


ar 
e 
0 


Ragaz in 


für die 
= 


Naturkunde 
Helvetiens. 


Herausgegeben 


— 


von 


D. Albrecht Hoͤpfner, 


Stadt-Apotheker in Biel, 


der Churfuͤrſtl. Mainziſchen Akademie der Wiſſenſchaften; der Natur⸗ 
forſchenden Geſellſchaft in Zuͤrich; der phyſikaliſch⸗ oͤkonomiſchen in 
Bern; der mediziniſchen, phyſikaliſch-botaniſchen in Baſel; der 
Naturforſchenden in Halle; und der Geſellſchaft der Berg⸗ 
baukunde Mitglied , der Koͤniglichen Geſellſchaft der 
Wiſſenſchaften in Goͤttingen Korreſpondenten. 


Dritter Band. 


— 


Zuͤrich, bey Orell, Geßner „Fuͤßli und Comp. 1788, 


* ir 


FAN 7 2 


vr 7 } 8 8 5 
2 75 15 an a 


E vi 


N N 4 
n ze 
ven r 

. & \ 


ne 


29 5 dns si 10 1 Fr 


„ 1 R 
“Äh A „ieee 


n Y 
8 5 RR 


' Der 
Preis würdigen 
Naturforſchenden 


Geſelſchaft 


den 


3uͤr ich. 


274 
5 


* 


Wohlgeborner Herr Praͤſtdent! 
Hoch Edelgebohrne, 
Sochgeehrteſte Herren! 


Waun unſere vaterlaͤndiſche Naturforſchende Privat- 
Geſellſchaft in Bern — noch vor ihrer nähern Vers 
bindung — durch Mithilfe, Beytraͤge und freunds 
ſchaftliche Unterſtuͤtzung geholfen hat, den keimenden 
Stoff meiner Arbeit zur Reife zu bringen; ſo bekenne 
ich hingegen gerne, und mit dem waͤrmſten Dank, 
daß Sie, verehrungswuͤrdigſte Herren! 
die erſten geweſen ſind, welche mich durch eine oͤffent— 
liche Beehrung und Aufmunterung in der Fortſetzung 
dieſer muͤhſamen Sammlung beſtaͤrket haben. 


Ruere weiſen Nähe, Euere gütigen Beur⸗ 
theilungen meiner Verſuchen, und die herablaſſende 
Art, womit verſchiedene Gelehrte aus Euerm Krei⸗ 
ſe und Mittel dieſe Sammlung ihrer Beytraͤge ge⸗ 
wuͤrdiget haben, legen davon den treffendſten Beweis 
ab, und verſichern mich nun der angenehmen Gewiß⸗ 


heit, dieſe Arbeit nicht in der Zeit der Bluͤthe er: 
ſticken zu ſehen. 2 


Durch meinen Eifer und Beſorgniß, Euere vi: 
terliche Erfahrungsreiche Anleitungen zu befolgen, 
und durch meine Bemuͤhung dieſer Anſtalt immer mehr 
Vollkommenheit und Gemeinnuͤtzigkeit zu verſchaffen, 
werde ich zu zeigen ſuchen, wie ſehr ich die Aufmun— 
terung und den Beyfall einer fo allgemein anerfann: 
ten Gelehrten Patriotiſchen Verſammlung zu ſchaͤ⸗ 
zen weiß. 


Ich verharte in aller ehrfurchtsvollen Hoch⸗ 
achtung | 
Ew. Wohl: und Hoch Edelgebohrnen 


Bern, den 10. Mer; 1788. 


Ergebenſter 
Diener und Mitglied, 
Doct. Albrecht Zoͤpfner. 


Bio, e ee e 


0 | 

Och ſchmeichle mir durch die geſchwinde Erſcheinung 
dieſes dritten Bandes, und durch ſeinen Inhalt auf 
eine angenehme Weiſe darthun zu koͤnnen, daß der 
Nutzen dieſer Sammlung und meine Abſicht mit der⸗ 
ſelben nicht verkannt worden iſt. Im Gegentheil 
kann ich auch hier nicht vorbeygehen, mit Vergnuͤgen 
die wahrhaft vaterlaͤndiſche, edle, uneigennuͤtzige und 
eifrige Art zu ruͤhmen, mit welcher man mich, for 
wohl öffentlich als bey andern Gelegenheiten aufmuns 
tert und mit lehrreichen Beytraͤgen unterſtuͤtzet. 

Bey der zunehmenden Vermehrung der Anzahl mei; 
ner Unterſtuͤtzer und Mitarbeiter wird mein Muth 
und mein Eifer in feiner erſten thaͤtigen Richtung er: 
halten, die Auswahl wird ſtrenger und fuͤr den Kaͤu— 
fer zutraͤglicher, die Mannigfaltigkeit unterhaltender, 
nnd der Genuß angenehmer. 

Außer dem Verſuche einer Beantwortung der Preis— 
frage uͤber den Buttermangel — enthaͤlt dieſer Band 
nichts von meiner eigenen Arbeit; und dieſes erfreuet 
mich nicht wenig, indem es mich der unangenehmen 
Lage entlediget, zu oft ſelbſt auftreten zu muͤſſen, 
und mich beſſern Aufſaͤtzen Platz machen laͤßt. 

Ich beziehe mich auch hier, und wiederhole es 
Wort fuͤr Wort, was ich in einer Note bey meiner 
Butter⸗Abhandlung angefuͤhret habe, nemlich: Daß 
dieſelbe ſchon einige Monate war vorgeleſen und dem 
Herrn Praͤſidenten der Lobl. Oekonomiſchen Geſell— 
ſchaft, Herrn Landvogt von Tſcharner, zur Durch— 
ſicht mitgetheilt worden, ehe mir eine einzige uͤber 
dieſen Gegenſtand eingelaufene Preisſchrift zu Geſicht 
gekommen iſt; daß ich alſo dieſe Arbeiten (einige ein⸗ 
zelne mit Unterſchrift eingelaufene Briefe — die allge⸗ 
meine Klagen und keine Data enthielten, ausgenom⸗ 
men) weder benutzt habe, noch haͤtte benutzen koͤnnen. 
Ich verſpreche aber, daß alle die Berichtigungen, 


VIII 8 Vorrede. 


Ergaͤnzungen, Data, und begründete Widerlegungen, 
welche mir einkommen ſollten, oder ich mir ſelbſt zu 
ſammeln das Gluͤck habe, hier nach und nach ſollen 
eingeruͤckt werden, um mit der Zeit ein Ganzes uͤber 
dieſen Gegenſtand zuſammen zu bringen. | 

Mit den beyden lehrreichen von bewährten Kennern 
verfaßten Preisſchriften über den Thonſchiefer, Horn 
ſchiefer ꝛe. glaube ich allen wahren Mineralogen kein 
unangenehmes Geſchenk zu machen. Schon ſeit vie⸗ 
len Jahren trage ich Materialien zu einer kuͤnftigen 
Mineralogie und Oryktognoſie unſers Helvetiens zu: 
ſammen, um ſolche entweder einſtens mit Gelegenheit 
und bey beſſerer Erfahrung auszuarbeiten, oder bey 
Mangel von Muße und bey Zweifeln an meinem Ver⸗ 
moͤgen ſolches auszufuͤhren, Gelehrtern zum wenig⸗ 
ſten zuverlaͤßige Data in die Hände zu liefern. 

Die Gebirge Helvetiens enthalten einen faſt um 
uͤberſehbaren Schatz von Stein und Gebirgsarten, — 
nicht in bloßen Abaͤnderungen von ſchon bekannten Ger 
birgsarten, wie manche gerne behaupten wollten, ſon⸗ 
dern in beſtimmten beſondern Gattungen oder Arten, je 
nachdem man ſich ein Syſtem bildet oder annimmt. 
— Wer auf unſer Wort und unſere Beſchreibung 
nicht gehen will, nun der reiſe ſelbſt hin, oder heſe⸗ 
he zum wenigſten die Cabineter eines von Sauſſuͤre 
und Tollot in Genf, und des Hrn. Freyherrn von 
Erlach von Spietz, itzt regierenden Landvogts zu Lau⸗ 
ſanne, des Herrn Generalkommißarius von Manuel, 
des Hrn. Pfarrh. Wytenbach und das meinige in Die 
ſem Fache. — Wahrheit wird ihn denn ſchon uͤberzeugen. 

Bey den meiſten Gebirgsarten konnte ich mich 
ſchwerer oder leichter herausfinden; allein bey den 
ſogenannten Schiefern, Hornſchiefern, Wacken 
u. dgl. wußte ich nicht weiter zu kommen, und zwar 
nicht ſowohl aus Mangel eigenen Gefuͤhls, als aus 
Furcht dieſem vielleicht zu viel zu trauen. Ich durch 
gieng meine ganze mineralogiſche und oryktologiſche 
Bibliothek, und fand Widerſpruͤche, Unbeſtimmtheit 


Vorrede. 1X 


und ſchwankende Willkuͤrlichkeit, hin und wieder aber, 
einige meiner Grundſaͤtze und Begriffe erlaͤutert und 
beſtaͤtiget. Meiner Sache gewiß zu ſeyn, verſchrieb 
ich mir aus Sachſen, ab dem Harz, ſo gar aus 
Schweden obgenannte Gebirgsarten. Allein die gleich 
benennten Geſteine waren einander ganz unaͤhnlich; 
und um meine Ungewißheit vollkommner zu machen, 
erhielt ich von meinem verehrungswuͤrdigen Freunde 
von Sauſſuͤre, eine Suite von Gebirgsarten, und 
fand unter ſeinen Pierres de Corne, Rocher de 
Corne neue Geſteinarten, die noch nirgends beſchrie— 
ben waren. Was nun anfangen in dieſer Verlegen: 
heit? Meine ganze Arbeit liegen laſſen? oder Luͤ— 
ken darinn offen ſtehen laſſen? oder durch Unbeſtimmt—⸗ 
heit, Trivialitaͤt und eigenſuͤchtige Autorität die Ver⸗ 
wirrung vermehren ? Keines dieſer Alternativen — 
das letzte am wenigſten — gefiel mir. Aus dieſer 
Verlegenheit wußte ich mich nicht anders herauszuhel— 
fen, als durch eine kleine Preisfrage einige erfahrne 
Mineralogen, welche ſich in der Lage und in Verhaͤlt— 
nißen befinden, hieruͤber wahre und richtige Auskunft 
zu geben — aufzufordern und anzureitzen, dieſen ver⸗ 
wirrten aber wichtigen Gegenſtand vollkommen zu ers 
oͤrtern und ins Reine zu bringen. Ich glaubte richtig 
zu urtheilen, wann ich annahm, daß nur die Ehre 
und das Bewußtſeyn, einen lehrreichen Beytrag zur 
Vervollkommnung der Mineralogie und Oryktognoſie 
abzugeben, einige verdienſtvolle Männer bewegen koͤnn⸗ 
te, uͤber dieſe Fragen nachzudenken und zu arbeiten, 
und daß nur derjenige ſiech mit einer Beantwortung 
abgeben werde, welchem es mehr um Aufhellung der 
falſchen Begriffe und Ausbreitung richtiger Grund⸗ 
füge, als um Erhaltung eines ſehr geringen Prei⸗ 
ſes zu thun wäre, Ein Preis, der mehr zur Be 
leg meiner guten Abſicht, als zu einer Beloh—⸗ 
nung, welche nicht in den Kraͤften eines arbeitenden 
und von ſeinem Berufe ſich ernaͤhrenden Mannes 
iſt,, und ſeyn kaun — dienen ſollte. | 


x Vorrede. 


Und mein Urtheil hat mich auch nicht betrogen. 
Zwey verdienſtvolle Gelehrte, Herr Berg: Sekreta⸗ 
rius Voigt in Weimar, und Herr Bergkadet Kar⸗ 
ſten in Halle, haben dieſe Preisfrage aus gedach⸗ 
tem lobenswuͤrdigen Geſichtspunkte angeſehen, und 
auf eine Art beantwortet, daß ich mir ſchmeicheln 
und mit der groͤßeſten Zuverſicht hoffen kann, dieſe 
mineralogiſche Streitfrage nun ſo viel als an ihrem 
Orte zu wiſſen. | 

Allein ein Umſtand bekuͤmmert mich noch ſehr, 
und wird noch Schwierigkeiten verurſachen. 

Werden auch alle Mineralogen dieſe Auseinander⸗ 
ſetzungen und Beſtimmungen annehmen? Wenn es 
eigentlich und wahrhaftig darum zu thun iſt, die Fof 
ſilien eben ſo ſyſtematiſch und gruͤndlich eingetheil 
und beſchrieben zu wiſſen, als das Thier⸗ und 
Pflanzenreich wirklich iſt. — Wer ohne Vorurtheil 
einfieht , daß es nach itziger allgemeiner Lehrart un: 
moͤglich iſt, richtige auf unveraͤnderlichen Grundſaͤtzen 
beruhende Begriffe von allen Foßilien zu erhalten; — 
wer die Erfahrung gemacht hat, wie die vielen unbe⸗ 
ſtimmten willkuͤrlichen Beſchreibungen der Foßilien ſo 
truͤglich ſind, daß fie oft genug das gar nicht ausdruͤ⸗ 
ken und beſtimmen, was man durch dieſelben verſte⸗ 
hen zu geben vermeynet, und bey den Originalen folg⸗ 
lich unanwendbar werden. — Wer ferner geſehen hat, 
wie oft Foßilien vielfach und verſchieden benennet ſind, 
welchen doch nur ein Name gehoͤret, und hinge: 
gen, wie viele Foßilien gar nicht mit Benennun⸗ 
gen belegt ſind, welche doch, gewiß beſtimmte Namen 
verdienen. — Wer von, dieſem allem uͤberzeuget iſt, 
der wird gewiß gerne ſeine Haͤnde bieten, eine rich⸗ 
tige, beſtimmte Terminologie einfuͤhren und un⸗ 
terſtuͤtzen zu helfen. Was nuͤtzen Namen, mit welchen 
man keinen ſichern Begriff verbinden, was nuͤtzen 
Beſchreibungen, wenn man ſie ihrer Unbeſtimmtheit 
und Willkuͤrlichkeit wegen nicht anwenden kann? Was 
nuͤtzen Eintheilungen, wenn ſie nicht nach richtigen 


Vorrede. XI 


unwandelbaren Grundſaͤtzen und einer dem Gegenſtand 
angemeſſenen gefunden Logik klaßificirt ſind? 

So lange man alſo uͤber dieſe Punkte und weſent⸗ 
liche Nothwendigkeiten nicht einſtimmig handeln und 
denken wird, ſo lange muß die Mineralogie immer 
ein ſchwankendes Studium bleiben: Jeglicher Lehrer 
wird nach feiner eigenen beſondern Lehrart eigene be: 
ſondere Schüler bilden, deren Begriffe von den Fof 
filien , folglich von den Begriffen anderer Lehrer 
und anderer Schuͤler unterſchieden ſeyn wird, und alſo 
Unterſchiedenheit fortgepflanzet werden muß, bis man 
endlich doch ſich gezwungen ſehen wird, ſolche Grund: 
ſaͤtze anzunehmen, welche einer ſonſt unvermeidlichen 
und gewiß ſchaͤdlichen Verwirrung vorbeugen koͤnnen. 

Oder wer ſieht bey dem itzigen allgemeinen Fort 
gang nicht taͤglich Proben und Beyſpiele von Mißkennt⸗ 
niß und Unkenntniß in dieſer Wiſſenſchaft? 

Ich geſtehe aufrichtig — niemand hätte leichtere Ge: 
legenheit und vermittelſt vieler in der That noch unbe: 
kannter Gebirgs⸗ und Steinarten einigermaßen ein 
Recht Foßilien neue Namen anzuhaͤngen, als der hel— 
vetiſche Oryktolog. Allein ich zum wenigſten habe mich 
vor aller Neuerung allezeit ſo in Acht genommen, als 
werde ich die groͤßte Ketzerey begehen; und nur nach 
langem Kämpfen und Ueberlegen wagte ich es in ei⸗ 
nem bloßen Verſuche und Anfrage, die Granitarten 
u. ſ. w. ſo auszudehnen, wie ſolche in meinen Tabellen 
im erſten Bande dieſes Magazins eingetheilet ſind, und 
wie — zum wenigſten nach meinem Begriffe — die Be⸗ 
nennung unmoͤglich anders angewendet werden kann, 
als ich verſucht habe zu beſtimmen. 

Verſchiedene neuere Schriftſtellen Gerhard und 
von Sauſſuͤre ausgenommen, unter anderm Wer⸗ 
ner in ſeiner Klaßifikation der Gebirgsarten, nehmen 
noch immer diejenige gemengte und zuſammengeſetzte 
Gebirgsart, welche aus Quarz, Feldſpat und Glim⸗ 
mer beſteht, blos allein unter dem Namen Granit 
an; und benennen alle, auf ähnliche Weiſe zuſammen 


XII Vorrede. 


geſetzte Gebirgsarten, welche in nichts als in der Ven 
ſchiedenheit der eingemengten Beſtandtheile von eins 
ander abweichen — jegliche auf eine Art, als wenn ſie 
gar nicht zu den Granitarten gehoͤren, wie Gruͤn⸗ 
ſtein c. Man glaubt, jene in Ruͤckſicht des Gehalts 
ihrer eingemengten Beſtandtheilen ſo verſchiedene, 
in Ruͤckſicht ihrer Bildung und Zuſammenſetzung aber 
vollkommen gleiche Granitarten ſeyen bloße Abaͤnde⸗ 
rungen, Ueſter, Baͤnder u. ſ. w. von der einzig 
als Granit angenommenen Granitart. r 
Allein hier betriegt man ſich am meiſten. Jene 
von mir in meinem Verſuch angefuͤhrte Menge von 
Granitarten, und noch mehrere von mir und von 
Sauffure ſeither neu entdeckte — find Gebirgsarten 
im wahren eigentlichen Sinne, machen den Stoff von 
großen Gebirgsſtrecken, Felſen, Baͤnken und Lagern 
aus, ſind nicht bloße Baͤnder oder Neſter in jener ein⸗ 
zig als Granit angenommenen Gebirgsart, fondern als 
fuͤr ſich beſtehende Arten anzuſehen. Ich weiß zwar 
gar wohl, daß es viele Gegenden giebt, welche keine 
andere Granitart enthalten, als die aus Quarz, Feld; 
ſpat und Glimmer beſtehende gewoͤhnliche Granitart. 
Allein dieſes beweiſet fuͤr das Ganze nichts; — 
und doch haben Charpentier (in ſeiner Mineralogi⸗ 
ſchen Geographie) Gerhard (in ſeinem Grundriſſe), 
Gmelin (in der deutſchen Ueberſetzung von Linné), 
von Sauſſuͤre (in feinen Alpen: Reifen), fo viel 
verſchiedene granitartige Gebirgsarten angezeiget, mel: 
che von jenem gewoͤhnlichen Granite, in Ruͤckſicht der 
abwechſelnden beygemengten Beſtandtheile abgehen, 
und alle dem ohngeachtet ihre Stelle, Beſchreibung 
und Namen verlangen. 1 
Ich glaube daher, es noch immer vertheidigen 
koͤnnen, dem Granit diejenige Beſtimmung gegeben, 
und den gewoͤhnlichen Granit als eine Unterabtheilung 
und beſondere Art der Granitarten eingeordnet zu ha⸗ 
ben. Oder, da alle andere Granitarten in dem Be⸗ 
griffe (unter welchem man den gewoͤhnlichen Granit 


Vorrede. XIII 


beſchreibt und kennet) mit demſelben uͤbereinkommen, 
wie kann man anders das groſſe Heer der jetzt bekann⸗ 
ten (und der vielleicht noch nicht entdeckten) Granitar⸗ 
ten eintheilen und beſchreiben, als daß man die Unter⸗ 
ſcheidungs⸗ und Eintheilungszeichen von den abwech— 
ſelnden Beſtandtheilen — aus welchem die Granitar⸗ 
ten zuſammengeſetzt ſind — annimmt? 

Nehme ich aber die Granitarten unter dem allgemei: 
nen Begriffe an, welchen ich bey meiner Klaßifikation 
zum Grunde geleget habe, — fo kann auch bey der aus: 
gedehnteſten Menge dieſer Gebirgsarten nicht die ge 
ringſte Unordnung oder Ungewißheit entſtehen, ſondern 
jeder Mineralog (wenn man anders nicht gar ein Idiot 
in der Kenntniß der Beſtandtheilen der Granitarten, 
als Quarz, Feldſpat, Glimmer, Schoͤrl, Hornblen— 
de, Granaten, Jade, Speckſtein, Chlorit u. dgl. iſt) 
ſich bey jeglicher Granitart alſobald zu finden wiſſen, 
und ſagen koͤnnen: Dieſe, jene Granitart iſt ein ein⸗ 
facher Granit, der aus Quarz und Schoͤrl, ein 
gemeiner Granit, der aus Quarz, Feldſpath und 
SHornblende, ein vielfacher Granit, der aus 
Quarz, Schoͤrl, Glimmer und Jade zufammen: 
geſetzt iſt. Wer wird alsdann nicht auch ohne Origi⸗ 
nal das Geſtein ſich vorſtellen koͤnnen; und das ſoll ja 
das Ver dienſt und der Nutzen einer richtigen deutlichen 
Beſchreibung eines Foßils ſeyn, daß man auch in den 
entfernteſten Gegenden von einem Foßil eben das den⸗ 
ken und begreifen koͤnne, was der Schriftfteller in ſei— 
ner Beſchreibung gedacht und begriffen, — und daß 
man vermoͤg genau beſtimmter Ausdruͤcken in der Spra⸗ 
che der Kennzeichen das Geſagte allemal ſo verſtehe, 
wie man es verſtanden haben will. 

Allein wahrlich ohne eine aͤuſſerſt beſtimmte allgemein 
angenommene Kunſtſprache und Terminologie wird in 
der Mineralogie nie weit vorgeruͤckt werden, ſondern 
das meiſte leider noch Empirie bleiben. Moͤchte daher 
doch endlich der ſo gruͤndliche und ſo erfahrne Minera⸗ 
log, Herr Prof. Werner, durch feine verfprochene 


XIV Vorrede. 


Schriften fortfahren, dieſem ſo willkuͤrlichen Mineralo⸗ 
giſiren ein Ende zu machen, und moͤchten doch die mei⸗ 
ſten, oder wo möglich alle Nachfolger und kuͤnftige Mir 
neralogen, ſeinen Fußſtapfen folgen, und ſo beſtimmt 
und deutlich beſchreiben, daß man von ihren mi: 
neralogiſchen Werken wahren Nutzen ſchoͤpfen koͤnne; 
alsdann, und alsdann erſt kann man den ausgezeichneten 
Vortheil von dieſer Wiſſenſchaft erwarten, der nicht 
anders gehoffet werden kann und ſoll. 

Dieſes hab ich noͤthig gefunden vorauszuſchicken, 
um den Leſern und Liebhabern der Mineralogie die Aus⸗ 
arbeitung einzelner Gattungen und Arten von Foßilien 
zu Gemuͤth zu führen und zu empfehlen, und fie zu bit: 
ten, auf die Folge kuͤnftiger Preisfragen aufmerkſam 
zu ſeyn, wozu ich den kleinen Ueberſchuß meines Schrift⸗ 
ſtellerverdienſts anzuwenden gedenke. 

Von den beyden erſten Abhandlungen in dieſem 
Bande darf und will ich nichts ſagen; der Inhalt und 
der Ruhm ihrer Verfaſſer redet genug. Eine Bitte aber 
wage ich an dieſe verehrungswuͤrdige Patrioten im Na⸗ 
men des Publikums, — naͤmlich dieſe Anſtalt noch fer⸗ 
ner mit aͤhnlichen vortreflichen Aufſaͤtzen zu unterſtuͤtzen; 
fallen wird ſie gewiß nicht. 

Damit die zu einem Bande beſtimmte Bogenzahl 
nicht uͤberſchritten werde, habe ich ein und andere 
Briefe an mich, welche wegen ihrem wichtigen Syn: 
halte bekannt gemacht zu werden verdienen; unter an⸗ 
dern ein Schreiben von Herrn Bergrath Charpentier, 
der viele Zweifel gegen meine Klaßifikation der Gebirgs⸗ 
arten enthaͤlt, auf den vierten Band ausgeſetzt. 

Dieſer vierte Band wird aber erſt Ends dieſes Jah⸗ 
res erſcheinen, indem die meiſten meiner Mitarbeiter 
und ich den kuͤnftigen Sommer wie gewoͤhnlich auf 
Gebirgsreiſen zubringen werden. Vielleicht aber er 
ſcheint ein fünfter zur Oſtermeſſe 1789. 25 


Bern, den 1. Merz 1788. 


Dr. Zoͤpfner. f 


eh "a ie 
des 
dritten Bandes. 


7 


I. Ueber die Perfektibilitaͤt des Menſchengeſchlechts. 
Von J. Ith, Profeſſor in Bern. Seite 1 
II. Beantwortung der Frage: Iſt die Handelſchaft, 
wie ſolche bey uns beſchaffen, unſerm Lande 
ſchaͤdlich oder nuͤtzlich, in Abſicht auf den Feld⸗ 
bau und die Sitten des Volks? Von Herrn Dokt. 
Rathsherr und Stadtarzt Sirzel. ; 53 


III. Chemiſche Unterſuchung des helvetiſchen Topfſteins. 
Von Herrn Wiegleb in Langenſalza. 157 
IV. D. C. Guſtav Karſtens gekroͤnte Preisſchrift 
uͤber den Thonſchiefer, Hornſchiefer und Wacken. 167 
V. Herrn Voigts gekroͤnte Preisſchrift über die 
naͤmliche Aufgabe. f s ; 237 
VI. Herrn 3. K. Nuͤſcheler, Beantwortung einer 
Preisfrage uͤber die Urſachen von dem Mangel 


und dem hohen Preiſe des Butters im Canton 
Bern ꝛc. 5 3 ; 269 


* 


Inhalt des dritten Bandes. 


VII. Anhang zu vorhergehender Beantwortung. Von 


dem Herausgeber. ? „ Sciite 281 


VIII. Beſchreibung des Pfefferſer Geſundbrunnen. Von 
Herrn Doktor Hirzel, dem jgrn. in Zuͤrich. 333 
IX. Zuſchrift der Lobl. Phyſikal. Oekonomiſchen Ge 
ſellſchaft in Zuͤrich, an die ehrſame Gemeinde 
Altſtaͤtten bey Zürich. WER; 369 
X. Vorſchlag verſchiedene Erze vorzüglich die Kupfer⸗ 
erze auf eine neue Weiſe zu probiren. Von Hrn. 
Direktor Exſchaauet zu Servoz im Faucigny. ‚389 
XI. Neue Verſuche den Stahl zuzubereiten und das 
Gold zu reinigen und von ſeiner Sprödigkeit zu 


befteyen. Von ebendemſelben. 13 
XII. Recenſionen. * u 1500 e 413 
XIII. Nachrichten. 108 2 „4337 

— 
Ueber 


| le die 
Perfectibilitaͤtrt 
des 


Menſchengeſchlechts. 


Von 
J. Ith, Profeſſor der Philoſophie 


in Bern. 


Si vero iisdem imperiis & poteſtatibus parent, multo etiam ma- 
gis parent huic cæleſti defcriptioni mentique divinæ & præpo- 


tenti Deo. 
Cicero de Legg. T. 1. e. 7. 


— = — 2 — — - 7 


Magaz. f. d. Naturk. Zelvetlens. ULB: 2 


— 


2 Ueber die Perfectibilitaͤt 


Were i 
des 
Verfaſſers an den Herausgeber, 
über die 
F 0 
Ob und wie ſich die Perfectibilitaͤt der Menſch⸗ 
heit aus der Geſchichte derſelben erweiſen laſſe? 


Wein Herr! 


Sie glauben, die Gelegenheitsreden, die ich waͤhrend 
meinem Rectoramt an dem jaͤhrlichen Schulfeſte uͤber die 
Perfectibilitaͤt der Menſchheit gehalten habe, koͤnnten 
wohl eine Stelle in ihrem Magazine finden. Daß ich 
Ihnen dieſelben Preiß gebe, iſt eine Folge meiner Ach⸗ 
tung fuͤr Ihr Urtheil, und wirkliche Zuruͤckſetzung meines 
eigenen. Ich hatte nie die Abſicht ſie drucken zu laſſen, 
folglich gab ich mir auch nicht die Mühe, weniger bes 
kannte Thatſachen zu ſammeln; ich hatte nicht das 
Publikum, ſondern bloß meine Zuhoͤrer im Auge. 
Eigentlich find dieſer Reden drey. Ich ſchloß alſo: 
Wenn ein wirklicher Fortſchritt in der Menſchheit Platz 
findet: fo muß derſelbe in dem Gemälde der groͤſſern Welt 
begebenheiten ſichtbar ſeyn: ſo muß die Erde, an deren 
Beſchaffenheit die Vorſicht das Schickſal des Menfchens 


* 


des Menſchengeſchlechts. E 


geſchlechts geknuͤpft hat, allmaͤhlich vollkommener wer⸗ 
den; und dann muͤſſen zugleich auch ſchon in der phyſi— 
ſiſchen Anlage der menſchlichen Organiſation die Keime 
dieſer Beſtimmung verborgen liegen. Dergeſtalt lag ein 
dreyfaches Feld vor mir offen. Die erſte Unterſuchung 
mußte aus der Geſchichte der Menſchheit, die zweite aus 
der Phyſik der Erde, die dritte aus der Naturgeſchichte 
des Menſchen geſchoͤpft werden. Die Reſultate dieſer 
Unterſuchungen nun trug ich in jenen drey Reden vor. 

Wegen ihres hiſtoriſchen Inhalts iſt die erſte in den 
Zweck Ihres Magazins nicht einſchlagend; und ich uns 
terdruͤcke fie deſto lieber, da Herder ſeither eben dieſelben 
Reſultate herausgebracht hat, ) und wahrſcheinlich noch 
weiter ausfuͤhren wird. 

Daß ein Mann, für deſſen Kenntniß und Scharfſinn ich 
ſo viel Hochachtung fuͤhle, gerade auf demſelben Weg zu 
den nemlichen Schluͤſſen kam, das hat meine Zweifel 
nicht wenig vermindert. Sonſt, ich will es frey geſtehn, 
hielt ich meinen Beweis an ſich kaum fuͤr etwas mehr, 
als fuͤr eine wuͤnſchenswerthe Wahrſcheinlichkeit. 

Denn die Frage, ob ſich die Perfectibilitaͤt der Menſch— 
heit aus der Geſchichte derſelben erweiſen laſſe? iſt bey 
den Philoſophen nichts weniger als entſchieden. Selbſt 
Maͤnnern von tiefer Einſicht fehlet oft der Muth in dies 
ſer Geſchichte einen feſten Plan und Gang zu ahnden. 
Noch in einer feiner lezten Schriften trat der philofophis 
ſche Iſraelite dieſer furchtſamen Menge bey, und behaup— 
tete, die Menſchheit ſchwanke beſtaͤndig zwiſchen ſeſtge⸗ 
ſetzten Schranken auf und nieder.“) 


*) Herders Ideen zur Philoſophie der Geſchichte der Menfchheit: 
Th. 3. B. 15. 

) Mendelſohns Jeruſalem, oder über religioſe Macht und Ju⸗ 
dentum. Abſchn. 2 S. 36. Indeß iſt auch dieſe Meinung ſchon 

ein Schritt vorwaͤrts, wenn fie mit der weit aͤltern Heſiod. O⸗ 


| 4 Ueber die Perfectibilität 


Mehr als dieſes untroͤſtliche Schwanken ſah hier doch 
ein Dan der Monde, *) ein Verdier, ) ein Chateau⸗ 
züc; *) allein der Geſichtspunkt der beyden erſtern iſt 
von dem unſrigen verſchieden; der letzte hingegen nimmt 
zwar an, das die Summe der oͤffentlichen Gluͤckſeligkeit 
jetzt groͤſſer, daß der Aufklaͤrung, der Freyheit, der 
Sicherheit, des Genuſſes mehr ſey, als jemals vorher 
war, und die Quelle dieſer gluͤcklichen Revolution glaubt 
er in der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften gefunden 
zu haben; aber an einen abgemeſſenen, durch alle Voͤlker 
und Zeiten langſam und unaufhaltſam fortſchreitenden 
Gang der Gottheit hat von ihnen allen keiner gedacht. 

Von dieſem Plane giebt der gruͤndliche Tetens doch 
die Moͤglichkeit zu. Er glaubt, die Anlage dazu in der 
Natur und die Anſtalten in der Geſchichte zu finden; *) 
zugleich aber ſcheinen ihm die Hinterniſſe ſo groß, daß 
er beynahe fuͤrchtet, dieſes ganze Syſtem ſey bloß eine 
angenehme Taͤuſchung edler Herzen, welche vor andern 
ſo leicht das Gute hoffen, was ſie ſelbſt zu leiſten wil⸗ 
lig find. +) 

Gleichwohl ſcheint es, daß derjenige, welcher eine 
natuͤrliche Entwicklungskraft im Menſchen, welcher An— 
ſtalten und Mittel, hiemit die ganze Moͤglichkeit zu⸗ 
giebt, ſie unter der Vorausſetzung einer hoͤhern Vorſicht 
und eines weiſen Geſetzes der Sparſamkeit zugiebt, das 


& D. 109. S. und verbreiteiern Horat, Od. 3. 6. zuſammen⸗ 
gehalten wird, welche in dem Menſchengeſchlecht eine allgemeine 
Tendenz zu einer fortgeſetzt uͤberhandnehmenden Verſchlimmerung 
ann mmt 

*) Sur la maniere de perfectionner l&spege humaine. Paris, 1756. 

% Receuils de Memoires & d’Obfervations fur la perfectibilits 
de I' Homme. Paris, 1772. 

] De la felicite publique. Bouillon, 1776. 

) Fhiloſophiſche Verſuche uber den Menſchen. 14. Verſ. S. 770. 

+) chem. S 784 


des Menſchengeſchlechts. 5 


uͤbrige alles zugeben muͤſſe. So urtheilte wenigſtens auch 
Mercier in der beßten ſeiner Schriften.“) Ihm ſcheint 
dasjenige Syſtem das annehmenswertheſte, in welchem 
die menſchliche Natur am vortreflichſten erſcheint; er 
kann ſich nicht vorſtellen, daß Begriffe, die fuͤr Gottes 
Geſchoͤpfe ehrenvoll ſind, falſch ſeyn koͤnnen: wenn es 
möglich wäre, daß wir uns hier betroͤgen; fo ware es 


auch moͤglich, daß der Menſch eine ſchoͤnere Ordnung 
der Dinge ausdaͤchte, als die, welche wirklich vorhan— 


den iſt. Das aber hieße der Macht, hieße beynahe den 
Guͤte des oberſten Weſens Schranken ſetzen. 


Unſer unvergeßlicher Iſelin hat, fo viel ich weiß, 
der erſte eine Menſchengeſchichte auf dieſen Entwurf ana 
gelegt, und ſein beſtaͤndiges Augenmerk auf dieſe groſſe 
Wahrheit gerichtet.) Man kann ihm zwar vorwerfen, 
daß er der wahren Methode verfehlt habe, und daß 
aus dieſem Grunde dieſe Wahrheit in ſeinem Werk mehr 
wie Hypotheſe, als in dem Licht eines ungezwungenen 
Reſultats erſcheine. Allein nach einer ſolchen Vorarbeit 
haͤtte die Wiſſenſchaft doch groͤſſere Fortſchritte haben 
ſollen. Ich weiß nicht wie; aber viele der folgenden 
Schriftſteller haben, zufrieden mit dem Ruhm einer fleiß 
ſigern Compilation, nach und nach alle die groffen Rück 
ſichten vergeſſen, ohne welche die Menſchengeſchichte als 
Wiſſenſchaft nicht einmal gedacht werden kann. Man 
möchte den mehreſten derſelben eben die Vorwuͤrfe mas 
chen, die Schloͤzer der altern Univerſalgeſchichte mit ſo 
vielem Recht gemacht hat. *) 


) L’An deux mille quatre cent quarante, Londres, 1776, 
p. 109, 110. 

) Iſelins Geſchichte der Menfchheit, beſonders B. 2. Hk 
39, 1772 

%) Schlosses Univerſalgeſchichte, 1765. Einl. 


6 Ueber die Perfectibilitaͤt 


Meines Beduͤnkens hat dies ganze Studium drey ver— 
ſchiedene Geſichtspunkte, welche man nicht genau genug 
getrennet hat. Sie ſind: Geſchichte der Menſchheit, 
philoſophiſche Geſchichte der Menſchheit und Philoſo⸗ 
phie der Geſchichte der Menſchheit. 

Jene, die Geſchichte der Menſchheit hat die geſammte 
Menſchheit zum Gegenſtand; ſie ſchildert ſie im Ganzen 
nach ihren allgemeinern Merkmalen und Varietaͤten; ſie 
ordnet alle diejenige Thatſachen und Beobachtungen, wel⸗ 
che dieſes Ganze hinlaͤnglich und deutlich kennbar machen. *) 

Die philoſophiſche Menſchengeſchichte iſt von jener 
nur darinn unterſchieden, daß ſie zugleich in die Urſachen 
und Folgen jener Thatſachen eindringt, und ſich bemuͤht, 
die Geſchichte nicht nur als ein dem Auge anſchauliches 
Gemaͤlde, ſondern als ein Ganzes darzuſtellen, welches 
auch fuͤr den Verſtand erklaͤrbar iſt. 

Die Philoſophie der Menſchengeſchichte endlich trägt 
die Reſultate zuſammen, die jene heraus gebracht hat; 
fie führe dieſelben fo viel moͤglich, ins allgemeine; fie 
zeigt die Menſchheit in der groſſen Verbindung mit der 
umringenden Natur, und in dem noch groͤſſern Plane 
der ewigen Weisheit. Indeſſen bleibt auch hier die Phi— 
loſophie von der Geſchichte unzertrennlich, und immer 
bleibt es wahr, was Serder ſagt, daß metaphyſiſche 
Spekulation, abgetrennt von Erfahrungen und Analogien 
der Natur, eine Luftfahrt iſt, die ſelten zum Ziele führe, 
Aber dabey iſt denn doch der Unterſchied, daß die Facta 
von der Geſchichte die Materie ſelbſt, von der, Philofos 
phie aber nur die Belege find; ungefähr fo, wie die Vers 


) In wie einem ſchwankenden Sinn dieſer Modeausdruck, Ges 
ſchichte der Menſchheit, ſonſt gebraucht werde, hat Tetens a. g. o. 
bemerkt, S. 370. Und auch Meiners hat ſich in der Vorrede zum 
Grundriß der Geſchichte der Menſchheit bemuͤht, venfelben 
zu figiren, oder doch einzugraͤnzen. | 


des Menſchengeſchlechts. 7 


ſuche in der Experimentalphyſik die Hauptſache, von der 
theoretiſchen Phyſik nur die Unterlage, und gleichſam das 
Geruͤſte des Gebäudes ausmachen.) 

Sie ſehen, mein Freund! wie ſich eine dieſer Wiffens 
ſchaften aus der andern heraus wickelt, ſich über fie er 
hebt, ſie vervollkommnet. So ſteht der Baum vollendet 
da! So zieht der Stamm den Nahrungsſaft aus der 
Wurzel, arbeitet ihn fort, fuͤhrt ihn weiter, bis ſich oben 
uͤber demſelben die Krone von gruͤnenden Aeſten und 
Zweigen geſchlungen, von Bluͤthen und Früchten 9% 
ſchmuͤckt aus einander breitet. 

Hier iſt dem Philoſophen ſein eigenes Geſchaͤft ange— 
wieſen. Der Compilator ſammelt, der Geſchichtſchreiber 
waͤhlt und ordnet; aber der Philoſoph haucht den bele— 
benden Athem in das Werk von beyden. Denn ſo wenig 
gewiſſe Köpfe es auch begreifen koͤnnen, wozu die Mes 
taphyſik der Menſchheit nuͤtzen ſoll; ſo iſt ſie es gleich— 
wohl, welche das, was andere Wiſſenſchaften lehren, 
ins Allgemeine hinauflaͤutert, zu wirkſamen Grundſaͤtzen 
adelt, und das rohe Metall zu einem, Aufklaͤrung und 
Moralitaͤt befoͤrdernden, Umlauf ſtempelt. 

Vergleichen Sie nun die zahlreichen Syſteme und Grund⸗ 
riſſe der Geſchichte der Menſchheit mit dieſen Begriffen, 
und ihr Werth oder Unwerth wird bald bey Ihnen ent— 
ſchieden ſeyn. 

Wer an dieſe Wiſſenſchaft ſich wagen will, der muß 
neben der unentbehrlichen Gelehrſamkeit noch ganz beſon— 


) Oder ſollte wohl die Ph ſik des Phi oſophen und des Erperimentes 
machers ſo ganz einerley ſeyn, daß dieſelben trennen, eine Un⸗ 
gereimtheit waͤre, die zu Wolfs Zeiten mehr Nachſicht als 
in den unſrigen verdiente? wie ich irgendwo geleſen habe, 
Wer dieß behauptet, der hat gewiß der Sache nie nachgedacht, 
und eben fo wenig die metaphyſiſche Anfangsgruͤnde der Nn 
turwiſſenſchaft von Irn. Kant, Riga 1786. erwogen. 


5 Ueber die Perfeetibilitaͤt 


dere Eigenſchaften mitbringen. Eine aus fuͤhrliche Zer- 
gliederung derſelben würde die Mühe wohl lohnen. Mir 
ſey es wenigſtens erlaubt einige Winke zu geben. 


1. Unſere Umſtaͤnde, unſere Gemuͤthsſtimmung, unſer 
Temperament gleichen einem dioptriſchen Spiegel, in 
welchem die durchfallende Strahlen ſich faͤrben, und durch 
welchen das Univerſum ſich allemal in einem taͤuſchenden 
Scheine darſtellt. Ein jeder urtheilt von der Welt nicht 
nach dem, was ſie in ſich iſt, ſondern nach dem, was 
ſie in der einſeitigen Beziehung auf ihn ſelbſt zu ſeyn 
ſcheint. Allein der Philoſoph darf die Gegenſtaͤnde ſeines 
Forſchens nicht im Spiegel, nicht im taͤuſchenden Scheis 
ne ſehen. Er muß alſo aus ſeiner individuellen Lage her— 
aus gehen koͤnnen; er muß die von derſelben zuruͤckge⸗ 
bliebenen Eindruͤcke wie Feſſeln abſchuͤtteln, und etwas 
von dem empfinden, was der erſte Luftſchiffer fuͤhlte, 
als die Erde unter ſeinen Fuͤſſen ſank, als er ſich uͤber die 
Menſchheit erhoben fat. 


2. Das Menſchengeſchlecht iſt noch ſo neu; 550 Ge⸗ 
ſchichte iſt es noch mehr, und in dieſer Geſchichte iſt der 
Faden fo oft abgeriſſen, daß es ſchwer faͤllt, aus dieſen 
Bruchſtuͤcken auf den Plan des Ganzen, wie ein Baus 
meiſter aus den zerfallenen Gemaͤuern auf den ehemaligen 
Aufriß eines Tempels, zu ſchließen. Wenn Sie von eis 
nigen kalten oder warmen, truͤben oder hellen Stunden 
und Tagen auf das ganze Jahr ſchließen wollten, wuͤr⸗ 
den Sie ſich da wohl einen richtigen Begriff von dein⸗ 
ſelben machen koͤnnen? Aber nehmen Sie nur einige 
Fruͤhlingswochen zuſammen; fo werden Sie aller Regel- 
loſigkeit der meterologiſchen Abwechslung ungeachtet fin— 
den, daß das Jahr im Ganzen fortſchreitet, und mit 
demſelben zugleich alles, worauf dieſer Fortſchritt Einfluß 
haben kann. Der Philoſoph der Menſchengeſchichte muß 


des Menſchengeſchlechts. 9 


ſich alſo groſſe vielumfaſſende Zeitabſchnitte und Aus— 
ſichten abſtecken. N 

3. Auch unſere Begriffe von menſchlicher Vollkommen— 
heit, Freyheit, Aufklärung, Zufriedenheit, Gluͤckſelig— 
keit u. ſ. w. ſind insgemein individuel und einſeitig. Ein 
habituelles Gefuͤhl iſt es, was dieſe Begriffe uͤberhaupt 
feſt ſetzt; und da dieſes Gefuͤhl ganz verſchieden und ent— 
gegengeſetzt ſeyn kann; ſo iſt unſer Urtheil von andern 
beynahe allemal irrig, wenn es allein nach jenem Ge— 
fuͤhle beſtimmt wird. Alle dieſe Begriffe muͤſſen hiemit 
aus der Betrachtung des Menſchen im Großen abgezo— 
gen werden, wenn von dem ſteigenden Gluͤck der Menſch— 
heit die Rede iſt. 

4. Der Mann, von welchem wir reden, muß ein Phis 
loſoph ſeyn, d. h. er muß gewiſſe Wahrheiten nicht erſt 
ſuchen duͤrfen, ſondern fie ſchon bey ſich ſelbſt ausge— 
macht haben, Wahrheiten, die ihm wie leitende Sterne 
im dunkeln Labyrinthe des Zweifels vorleuchten fünnen, 
Ein Beyſpiel wird zur Erlaͤuterung dieſes Satzes genug 
ſeyn. Der Poͤbel ſieht die Pflanze welken, und glaubt 
fie dahin; er ſieht den Wind ihre Theile zerſtreuen, und 
er glaubt ſie verloren. Aber der Philoſoph weiß, daß 
keine Kraft in der Natur ſtirbt, daß der anſcheinende 
Tod nichts anders als Veraͤnderung der Wirkungsart und 
Entwickelung eines neuen Organs iſt. Der Geſchicht— 
ſchreiber zeigt, wie Voͤlker entſtehen, aufbluͤhen, ſinken, 
verſchwinden. Er zeigt in der Geſchichte eben das, was 
der Poͤbel in der Natur ſieht. Aber der Philoſoph ſoll 
weiter ſehen, wie die Erfindungen, die Wahrheiten, das 
Gute, das ein Volk, welches nicht mehr iſt, heraus 
brachte, fuͤr die Menſchheit fortwaͤhren; wie der Sturm, 
der Staaten verwuͤſtet, nur die Saamen weiter traͤgt, 
die in andern Jahrhunderten oder Welttheilen vielleicht 
deſto glücklicher gedeihen. So iſt in der That von ab 


0: Ueber die Perfectibilität 


lem dem nichts verloren, was die Vorwelt geleiſtet hat. 
Noch dauert die Wiſſenſchaft in Egypten gepflanzt, das 
Beyſpiel buͤrgerlicher Freyheit und einer ſyſtematiſchen 
Legislation in Griechenland gegeben, die nähere Vereini⸗ 
gung der Voͤlker unter der roͤmiſchen Herrſchaft bewerk⸗ 
ſtelligt, und noch bluͤhen die Geſinnungen der Menſchlich⸗ 
keit durch das Chriſtenthum verbreitet. Selbſt der lange 
Winter der Barbarey toͤdtete dieſe Keime nicht. Sie 
ſchlummerten nur, bis die Fruͤhlingsſonne ſie wieder 
weckte, und der verſchloſſenen Kraft einen befruchten⸗ 
den Stoß gab. 

5. Endlich muß unſer Philoſoph ein Verehrer der Gott 
heit ſeyn. Die Menſchheit iſt mit dem ganzen Gewebe 
ihrer Handlungen und Schickſale das Werk der Vorſicht; 
und wie iſt es moͤglich ohne einen Blick auf den Urheber 
richtig von der Beſchaffenheit ſeines Werkes zu urtheilen? 
Der traurigen Weisheit, wenn der Verſtand von dem 
groſſen Gedanke der Gottheit unerleuchtet, wenn das 
Herz von dieſer frohen Empfindung kalt iſt! ) Ohne 
Vorſehung ſehe ich in der Welt freylich Cauſalverbindung 
ein; aber kein Aug, das dieß Ganze uͤberſchaut; keine 
Hand, die es zuſammenhaͤlt; keine Weisheit, die es ſei⸗ 
nen Zwecken unterordnet. Bey der Vorausſetzung einer 
Vorſehung hingegen wird alles Mittel und Zweck, An⸗ 
ſtalt und Abſicht, und ich kann mit der voͤlligſten Zu⸗ 
verſicht gradezu oder umgekehrt von der ” auf die 
andere hin⸗ und herſchließen. 

Sie denken vielleicht, mein Freund! daß das Platoni⸗ 
ſche Geſetze ſind. “) Doch nein, eine Menſchengeſchichte 


*) Infaniens ſapientia. Horatius. 

Man hat bekanntlich den Platouiſchen Geſetzen den 
gemacht, daß ſie nicht fuͤr Menſchen, wie die Natur ſie g 
eingerichtet ſexen. So ſagt Platens ſtrengſter Tadler: — 


des Menſchengeſchlechts. 11 


nach dieſen Forderungen eingerichtet iſt kein Traum; ich 
glaube vielmehr, daß ſie wirklich exiſtirt. Ihr Verfaſſer 
war von der Wichtigkeit und Erhabenheit ſeiner Wiſſen— 
ſchaft ſo uͤberwaͤltigt und gedemuͤthigt, daß er mit einer 
Beſcheidenheit, die die ſchoͤnſte Lobrednerin feiner tiefen 
Einſicht iſt, ſein Werk als eine Schuͤlerarbeit ankuͤndigt. 
Als den exoteriſchen Verſuch eines Fremdlings legt er 
daſſelbe zu den Fuͤſſen des Genius unſers Geſchlechts, 
als das unvollkommenſte Werk, das je ein Sterbli— 
cher ſchrieb. 

Sie ſehen, daß von Herdern die Rede if, Wir wol— 
len ihn nicht von allen Fehlern des. Details, zumal im 
phyſikaliſchen Fache, losſprechen 5 aber feine Vorgaͤnger 
hat er unſtreitig alle uͤbertroffen, und ſeinen Nachfolgern 
eine breite Bahn geöffnet. Er hat die Graͤnzen feiner 
Wiſſenſchaft genau abgeſteckt; der ganze Reichthum des 
Gegenſtands lag vor ihm da; jede Huͤlfswiſſenſchaft, 
die Naturgeſchichte, die Naturlehre, die Geologie, An— 
thropologie, Geſchichte, Kritik, Philoſophie wetteiferten 
in ſeinem Dienſte; beſonders hat er auch den Gott nicht 
vergeſſen, deſſen enge Beziehung auf die Welt er ſeither 
in ein fo wahres Licht geſetzt hat.“) Und denn, wie frucht— 
bar alles an weit ausſehenden Aufſchluͤſſen fuͤr den Ver— 
ſtand des Denkers und fuͤr das Herz der Menſcheufreundes 
iſt! Was fuͤr ein ſtilles Vergnuͤgen muß ſich des von 


o IIc un Tos ovsıy ayIpwmois yon. yoMovs , E N 
role un uro dsamAarromeyvoss. Athenæus Deipn. I. 16. & 
Polybius, I. 6. Andere haben, wie man weiß, den philoſophi⸗ 
ſchen Geſetzgeber in Schutz genommen. 

) In dem Geſpraͤche mit der Aufſchrift Gött. 1787. Mein urtheil 
uͤber das Herderſche Syſtem uͤberhaupt wird vielen zu vortheilhaft 
vorkommen, gleich wie mir das in verſchiedenen Recenſionen zu 

nachtheilig ſcheint. Allein es muß einem jeden erlaubt ſeyn nach 
ſeiner eigenen Empfindung zu ſchreiben. Hane veniam petimus. 


12 Ueb. d. Perfectibilität d. Menſchengeſchlechts. 


Partheygeiſt unverblendeten Leſers bemaͤchtigen, wenn 
er ſich fo unvermerkt an die begluͤckende Wahrheit gelei— 
tet ſieht! „Es waltet eine weiſe Guͤte im Schickſal der 
Menſchen; daher es keine ſchoͤnere Würde, kein dauer 
hafteres und ſchoͤners Gluͤck giebt, als im Rath derſel— 
ben mitzuwirken. „ 

Auf dieſem Wege bin ich verſichert, wird der Beweis 
von der Perfectibilitaͤt des geſammten Menſchengeſchlechts 
nach und nach einleuchtender werden. Wenn demſelben 
indeſſen noch etwas zur voͤlligſten Befriedigung fehlen 
ſollte: fo kann dieſer Mangel durch die uͤbereinſtimmen⸗ 
de Reſultate der natuͤrlichen Geſchichte der Erde und des 
Menſchen am beßten ‚ergänzt werden. Aus dieſer Bes 
trachtung find die beyden hier eingeſchloſſenen Reden ents 
ſtanden, von welchen die erſtere ganz nach den Deluͤc⸗ 
ſchen Grundſaͤtzen eingerichtet iſt. Ihre Unvollkommen⸗ 
heiten fühle niemand beſſer, als ich ſelbſt. Meine Abs 
ſicht war, fie in ausfuͤhrliche Abhandlungen umzuarbeis 
ten; denn fuͤr einen ſo weitſchichtigen und unbiegſamen 
Gegenſtand iſt die gegenwaͤrtige Form grade die unſchick⸗— 
lichſte. Allein Arbeiten, die mir wichtiger ſeyn muͤſſen, 
weil fie Pflicht find, find der Vollfuͤhrung dieſes Ents 
ſchluſſes im Wege geſtanden. Folglich erhalten Sie dies 
ſelben unverändert fo, wie fie in den Jahren 1784. 1785. 
oͤffentlich gehalten worden ſind. An meiner Arbeit ſelbſt 
iſt nichts gelegen, wofern nur die darinn vorgetragene 
Wahrheit gangbarer, fuͤr die Ehre und das Gluͤck der 
Menſchheit nach und nach ſiegender wird. 


Ich bin ac. 


r 


über die 
Perfectibilitaͤt 
der 
Men ſchheit, 
aus der 


allmählichen Verbeſſerung der Erde. 


14 Erſte Rede über die Perfectibilität 


Tit. 


Der Beweis, von einer allmaͤhlichen Veredlung des 
Menſchengeſchlechts, den ich vor einem Jahr aus der 
Geſchichte der Menſchheit zu fuͤhren verſucht habe, iſt an 
ſich nicht ſo beſchaffen, daß ich ſeine Unvollſtaͤndigkeit 
nicht ſelbſt gefühlt haben ſollte. Ein jeder liest die Ges 
ſchichte mit ſeinen eignen Vorurtheilen; und wie er die— 
ſe oder jene Zuͤge willkuͤrlich zuſammenſtellt, ſo zwingt 
er dieſe oder jene Reſultate heraus. 

Aber außer dieſem freylich allemal unzuverlaͤßigen Weg 
giebt es noch einen andern fuͤr unſere Unterſuchung. 
Die Schickſale des Menſchen ſtehen mit den Veraͤnderun⸗ 
gen der Erde in der genaueſten Beziehung. Wenn es 
alſo erweislich waͤre, daß der Zuſtand der Erde immer 
beſſer werde: ſo wuͤrde dieſer phyſikaliſche Beweis mit 
jenem hiſtoriſchen verbunden dem Syſtem, welches eis 
ne fortſchreitende Vervollkommnung der Menſchheit an— 
nimmt, einen Grad von Wahrſcheinlichkeit geben, wo— 
gegen ſchon weniger Einwendungen von Erheblichkeit ges 
macht werden koͤnnten. 

An keinem andern Orte wuͤrde ich es gewagt haben, 
einen Gegenſtand dieſer Natur in einer öffentlichen Res 
de zu behandeln; aber in dieſem verehrenswuͤrdigen Kreis 
ſe der aufgeklaͤrteſten Befoͤrderer der Wiſſenſchaft trage ich 
deſto weniger Bedenken, da ich auf dem vor mir liegens 
den Pfad oft Gelegenheit zu angenehmen Seitenblicken 
auf unſer merkwuͤrdiges Helvetien finden, und zuletzt auf 
Schluͤſſe kommen werde, die fuͤr jeden Vaterlands und 
Menſchenfreund aͤußerſt erwuͤnſcht ſeyn muͤſſen. 


* 


der Menſchheit. 15 


ES * 5 

Die Analogie zwiſchen der Erde und dem Menſchen iſt 
zu auffallend, zu wahr, als daß fie nicht allgemein ans 
erkannt ſeyn ſollte. Die Elemente, woraus unſre Kugel 
gebauet iſt, ihre Figur und Groͤſſe, ihr Abſtand von der 
Sonne, die Geſchwindigkeit ihrer Bewegung um dieſe 
und ihrer Umwaͤlzung um ſich ſelbſt, die Neigung ihrer 
Axe, der Grad des Winkels ſogar, unter welchem der 
Lichtſtral ihre Flache trift, das alles hat Einfluß auf uns 
ſern aͤußern und innern Bau, unſere Organiſation und 
von da weiter, auf die ganze intellectuelle und moralis 
ſche Natur des Menſchen. a 

Wer daran zweifelt, der ſtelle nur Bewohner von vers 
ſchiedenen Weltgegenden neben einander; den Groͤnlaͤn— 
der neben den Franzoſen, den Neger neben den Perſianer, 
den Karaiben neben den Griechen, den elenden Feuer— 
laͤnder neben den begluͤcktern Tahitaner — und er wird 
es mit Augen ſehen, was die Beſchaffenheit des Bodens, 
des Klimats und der durch beyde beſtimmten Lebensart 
auf Menſchenkoͤrper und Menſchenſeelen wirken kann. 

Eine und dieſelbige Nation aͤndert ſo gar mit ihrem 
Lande, verfeinert ſich oder verwildert mit demſelben zu⸗ 
gleich.) Die Geſchichte, der Charakter, die Thaten, 


Sent giebt man zwey Urſachen der Veredlung oder Ausartung 
einer Nation an, Verpflanzung und Vermiſchung. An den 
Perſern findet man Beyſpiele von beyden. Aus Furcht einer 
Ausartung hinderte Cyrus die Verſetzung der Nation. Die 
Stelle beym Plutarch, der dieſe Nachricht aufbehalten hat, vers 
dient angefühit zu werden. Bovxo uv de robe Iagccs, 
Gyr rue Eaurwv d von oe Ku monxeas, iSd Ne 
A Xwoav Außer, oun be,, dımwv Om: Kas re 
Hure Ta , , Na r avjgwnwy 0, BI raise Kwoaus 
aur c . Plut. Apopht. ed. Barbou, Paris, 1775. 
Es if bekannt, daß fie fich nachher durch Vermiſchung mit Cir⸗ 
kaßiſchem Blute veredelt und verſchönert haben. (IVoyages de 


16 Erſte Rede über die Berfectibilität eg 
ſelbſt die Ueberbleibſel von Waffenruͤſtungen, alles zeuget, 
daß die Helvetier zu den Zeiten, da ihr Land noch groͤß⸗ 
tentheils von Waͤldern bedeckt war, ein ganz anderer 
Menſchenſchlag geweſen ſeyn muͤſſen, als fie gegenwaͤr⸗ 
tig ſind. 
und in der That, was iſt natuͤrlicher, als daß mit 
der Natur des Bodens und des Himmels auch die Pros 
dukte aͤndern? Unter dieſe Produkte gehoͤrt denn auch 
der Menſch. Wenn alſo die Natur den Zuſtand der Er— 
de nach und nach ins Vollkommnere bildet: ſo iſt, duͤnkt 
mich / auch die allmaͤhliche Veredlung ihrer Söhne, der 
Menſchen, außer Zweifel geſetzt. 

Bey einer fluͤchtigen Ueberſicht unſers Planeten iſt zwar 
nichts unwahrſcheinlicher als dieſe Voraus ſetzung. Vom 
dichteriſchen Ovid bis auf den mahleriſchen Buͤffon fer 
hen alle in dem Bau und den Veraͤnderungen deſſelben 
nichts, als Ungefehr und Regelloſigkeit. Hier in die 
Wolken ragende Felſenmaßen und nebenher ſchwindliche 
Tiefen; dort Moraͤſte, Meere, Schruͤnde, feuerfpeyens 
de Berge. Gleichwohl iſt die Verwirrung größer , wenn 
man durch die obere Rinde in die innern Eingeweide 
hinabblickt. Da ſehen wir Metalle, Mineralien, Steis 
ne, Sand, Erde, Waſſer, verſteinerte Land, und See⸗ 
produkte ohne Ordnung vermengt; ſehen Schichten von 
ſchwererem Stoff über leichtere hingeſtreckt“ ), trockne, 
feuchte, feſte, lockere Theilchen dergeſtalt durch einander 
geworfen, daß nichts natuͤrlicher als die Vermuthung 
iſt, die Erde ſey ohne Abſicht aus den Ruinen eines aͤl⸗ 
tern Weltkoͤrpers zuſammengeſchuͤttet. Wirk⸗ 


Chard. T. 2. Die alten erſer batten den Ruhm der Schoͤn⸗ 
heit nicht, (Ammianus ri. der den heutigen er⸗ 
theilt wird. 

) Die dieſer entgegengeſetzte Behauptung des berühmten Bur nels 
gehoͤrt nun unter die Maͤrchen der Altern Naturlehre. 


1 2 der Menſchheit. 17 


Wirklich iſt dieſe Vermuthung die Grundlage von allen 
Theorien der Geogenie, das heißt, von allen phyfifas 
liſchen Romanen uͤber die Entſtehung der Erde. Selbſt 
in der Hypotheſe des fcharffinnig beobachtenden Des 
lüc ) ſieht man über einander gebaute unterirdiſche 
Gewoͤlber, die nach und nach zuſammenfallen, ſo daß 
die Oberflaͤche der alten Kugel geniedrigt werden mußte, 
bis der Ocean uͤber die Erde daher gieng, und ſo der 
Grund des alten Meers in neues Land, gleichwie das 
alte Land in neuen Meersgrund verwandelt wurde. 

Dieſe Theorien koͤnnten uns uͤbrigens ſehr gleichguͤltig 
ſeyn, wofern ſie ſich nur nicht auch auf das kuͤnftige 
Schickſal der Erde erſtreckten. Aber das iſt ein ſehr be⸗ 
merkenswerther Umſtand dabey, daß in denſelben die Urs 
ſachen der Bildung unſers Planeten allemal auch die 
Urfachen feiner bevorſtehenden Zerſtoͤrung abgeben. 

Der eine ruft einen Kometen herauf, der die Erde ent— 
zuͤnden, ſie aus ihrer Bahn verdraͤngen, und in die 
Gefilde des unermeßlichen Raums hinſchleudern ſoll. Ein 
anderer läßt fie in einer ſpiralſoͤrmigen Bewegung der 
Sonne naͤher kommen, bis ſie von ihr verſchlungen ſeyn 
wird. Ein dritter behauptet, die ſich ſtets mehr neigen⸗ 
de Erdaxe werde endlich den Arquator unter die Pole 
ruͤcken; und fo muß der Zuſtand unfrer Kugel, da fie 
eine zuſammengedrückte Sphaͤroide vorſtellt, nothwendig 
ſchlimmer werden. Wieder ein andrer laͤßt die Stroͤme 
endlich das ganze feſte Land in den Grund des Meers 
wegſchwemmen, oder die Meersflaͤche durch die Verdüns 
ſtung ſo lang abnehmen, bis unſer Ball zu einer un⸗ 
wirthbaren Einoͤde ausgetrocknet, oder durch die Vers 
fluͤchtigung des Feuerprincipiums zu einer Eismaße vers 


) De Luc, Lettres phyſiques & morales fur l’Hifteire de la 
terre & de homme. T. 5. 1 


Magaz. f. d. Waturk. Zelvetiens. III. B. B 


* 


18 Erſte Rede uͤber die Perfeetibilitaͤt 

kaͤltet ſeyn wird. Mit einem Worte, wenn man den Eng⸗ 
länder Ray *) unter den aͤltern, und einige, die auf dem 
Deluͤcſchen Syſtem fortarbeiten, unter den neueſten Theo⸗ 
riſten ausnimmt: ſo iſt die kuͤnftige Erwartung unſrer Er⸗ 
de allemal entweder zunehmende Verſchlimmerung, oder 
ſchnelle, fuͤr alle lebende Weſen ſchauervolle Kataſtrophe. 

Auf ſolche Reſultate wird das Studium der Natur ims 
mer fuͤhren, wenn ſie ohne Ruͤckſicht auf ihren Urheber 
und Endzweck als ein für ſich beſtehendes Ganzes be— 
trachtet wird. Wer die Geſchichte der Erde gehörig bes 
handeln will, der darf den Gedanken nie aus dem Auge 
verlieren, daß alle ihre Veraͤnderungen unter der Fuͤgniß 
einer hoͤhern Hand ſtehen, die auf beſtimmte Zwecke arbei⸗ 
tet, und alles Einzelne mit Bezug auf das Ganze verans 
ſtaltet. Dann muß er in dem Buche der Natur die 
Thatſachen, die groſſen Begegniſſe nachſchlagen, die al⸗ 
lein ihn auf die Spur des Schoͤpfers und ſeiner Abſich⸗ 
ten leiten koͤnnen. 

Da die uns angewieſene Zeit und der beynahe un⸗ 
uͤberſehbare Umfang unſers Gegenſtandes, eine aus fuͤhr⸗ 
liche Behandlung unmöglich machen: fo wollen wir wenig, 
ſtens einen allgemeinen Blick auf die groſſen Beftands 
theile unſrer Kugel werfen; der wird ſchon genug ſeyn, 
uns theils mit der Abſicht des Urhebers bey ihrer erſten 
Aülage, theils mit ihren kuͤnftigen Erwartungen und 
Schickſalen einigermaſſen bekannt zu machen. 

Die hoͤchſten Gebirge beſtehen ohne Ausnahme alle aus 
einem außerordentlich dauerhaften Granit, der weder in 
Schiefern geblaͤttert, noch von Schichten unterlegt, eine 
dichte Maße vorſtellt, und gleichſam das Skelet des gan⸗ 
zen Erdkoͤrpers ausmacht. Daher bemerkt man unter al⸗ 


%) Three phyſico- theological Diſcourſes en the primitiye 
Chaos and Creation. &. 1721. 


der Menſchheit. 19 


len dieſen Gebirgen eine durchgaͤngige Verkettung, die 
nicht allein auf dem feſten Lande ſichtbar iſt, ſondern 
ſelbſt unter der Meersfiaͤche von einem Welttheil zun ans 
dern fortlaͤuft, ſo daß die helvetiſchen Alpen, der Aſia— 
tiſche Ararat und die Cordilleras in Amerika als Fortſez⸗ 
zungen eines Ruͤckens, oder doch als Zweige deſſelben 
anzuſehen find. “) Dieſer allgemeine Zuſammenhang ers 
fordert nothwendig eine gemeinſchaftliche Baſis, einen 
gemeinſchaftlichen Kern, der im Mittelpunkt ſelbſt ſitzt, 
und jene Firſten durch ſeine Hervorragungen bildet. Daß 
das der innere Zuſtand der Erde ſeyn muͤſſe, laͤßt ſich 
nicht allein aus vielen Vermuthungsgruͤnden abnehmen, 
ſondern der Koͤnigl. Aſtronom der Sternwarte zu Green⸗ 
wich ſcheint die Sache beynahe außer Zweifel geſetzt zu 
haben.“) So wahrſcheinlich das nun iſt: fo wahrſchein⸗ 
lich iſt es auch, daß dieſer Grundſtof, der weder durchs 
Waſſer, noch durchs Feuer entſtanden ſeyn kann, die ur. 
ſpruͤngliche Materie ſelbſt ſey, wie fie aus der Hand des 
Schoͤpfers bervorkam. * 


NE 

*) Den Zuſammenhang der europaͤiſchen Alpen haben auch ſchon 
die Alten zum Theil geſehen. Pomponius Mela. 1. 2. & 3. 
Unter den Neuern ſehe man außer dem, was Pallas, und an⸗ 
dere bemerkt haben, Busche, Mem. de l’Acad. des Sc. 175% 
und Bergmann Cosmogr. P. 2. c. 4. S. 31. 

) Dieſer Sternwarte ſteht ſeit 1768. Hr. Dr. Maſkelyne vor. 
Lichtenbergs Magazin, Band 4. St. 2. Seine Abhandlung 
ſtebt Tranf; Philoſ. 1775. Man vergleiche de Lue. Part. 2 
Let. 22. 2 

er) Mir find Gerhards Vers. einer Geſch. des Minerale, und 
anderer Hypotheſen über die Entſtehung des Granit nicht un⸗ 
bekannt; auch weiß ich, wie ſehr von einigen Neuern die Urs 
ſpruͤnglichkeit dieſes Geſteins beſtritten wird. Vielleicht wuͤr⸗ 
de ich dieſe und die bald folgende Stelle jetzt anders aus⸗ 
drücken. Allein da fie groſſe Männer für ſich hat, und nicht 
weſentlich für meinen Beweis iſt, ſo mag fie immer ſtehen 
bleiben. 


N 


20 Erfſte Rede über die Perfeetibilitaͤt 


Dieſe erſte Bemerkung iſt fuͤr unſere Abſicht entfcheis 
dend; ſie beweist es unlaͤugbar, daß die Erde gleich in 
ihrer erſten Anlage zu einer unbeſtimmbar langen J 
gegruͤndet worden iſt. 

Und wie lehrreich, wie ehrwuͤrdig werden mir nun 
nicht jene erhabene Gebirge, welche die Natur als Zeus 
gen der ſchaffenden und erhaltenden Gottheit rund um uns 
ſer Vaterland aufgethuͤrmt hat! In ihnen ſehe ich das 
unmittelbare Werk des Schoͤpfers. Da ſtehen ſie von 
dem Augenblicke, der, der erſte des Daſeyns des Weltalls 
war, von dem Augenblicke, da ein Befehl der Allmacht 
die Materie aus der Tiefe des Nichts heraufrief, und un— 
begreiflich das Nichts in Wirklichkeit umſchuf. Menſchen⸗ 
gedanken reichen an die duͤſtere Ferne ihrer verfloſſenen 
ſo wenig, als ihrer kuͤnftigen Jahre hin. Ihr Burnete 
und Woodwarde, ihr Whiſtons und Leibnitze, ihr 
Buͤffons und Moros! Wenn die Spinnegewebe euerer 
Hypotheſen lange vernichtet, vergeſſen ſeyn werden: ſo 
wird ſie noch dauern und ſchoͤner glaͤnzen, dieſe Tochter 
des Himmels, unſere Erde, die ihr wie ein Kindergebaͤud 
von Karten aufſtelltet, und durch einen unverſehnen 
Hauch zuſammenſtuͤrzen ließet. 

‚Der andere Beſtandtheil unſers Planeten iſt die Be 
kleidung, womit jener Grundſtof bis gegen ſeine hoͤheſten 
Erhebungen hin ſchichtenweiſe belegt iſt. Hier ſcheint 
denn freylich die groͤßte Verwirrung zu herrſchen, man 
mag auf die Materie, die Aufeinanderfolge oder die Ent⸗ 
ſtehungsart dieſer Erdlagen Ruͤckſicht nehmen. Aber auch 
hier entdecken wir wohlthaͤtige Weisheit, ſo bald wir 
ihren Nutzen als Zweck, und die Naturbegebenheiten 
ſelbſt, wodurch ſie entſtunden, als Mittel betrachten. 

In dieſen Schichten werden alle Mineralien erzeugt, 
in ihnen die Waſſer zu ſpringenden Quellen belebt, durch 
ſie die oberſte vegetabiliſche Rinde gebildet, und ſo die 


* 


7 


der Menſchheit. 27 


Erde von tauſend Pflanzen verſchoͤnert, von tauſend ver— 
ſchiedenen Thierarten bevoͤlkert. 

Gleichwie alſo jener Granitſtof, der, wie wir geſehen 
haben, den Kern der Erde ausmacht, ihre Dauerhaftig— 
keit, ſo hat dieſe lagenweiſe Bekleidung ihre Fruchtbar⸗ 
keit und Bewohnbarkeit zur Abſicht. 

In der Oekonomie der Natur nun mußten freylich ſehr 
viele, zum Theil gewaltſame, zum Theil langſam wir— 
kende Urſachen zuſammentreffen, um dieſen Zweck zu era 
reichen. Hier ſtuͤrzt ein wildes Waldwaſſer vom Berge 
herab, und führt eine Menge von Materialien an beques 
mere Stellen fort. Dort brennt ein Vulkan, und übers 
ſchuͤttet die nahen Gegenden mit kuͤnftig fruchtbaren 
Schichten, die er aus dem innern Schooß der Erde her— 
aufgeholt hatte. Da greift die langſame Verwitterung 
die feſteſten Körper an, loͤſet ihre Oberflaͤche in einen 
feinen Staub auf, der von den ſalzichten Lufttheilchen 
geſchwaͤngert, fruchtbare Erde wird. *) Indeſſen graͤbt 
der Regen und das rieſelnde Waſſer ſich Rinnen durch 
die haͤrteſten Felſen. So werden die unfoͤrmigen Berg 
hoͤrner nach und nach abgelöst, und rollen zuletzt von 
ihrer eignen Schwere uͤberwaͤltigt in die Tiefen herunter. 
Dergeſtalt werden die urſpruͤnglichen Berge in ihrer 
Figur immer regelmaͤßiger, ihr Fuß durch urbare Buͤ— 
ſchungen erweitert, ) die vegetabiliſche Rinde mit der 
Zeit im gleichfoͤrmigen Verhaͤltniſſe vermehrt, die übers 
ſchuͤtteten Thäler in den anmuthsvollſten Aufenthalt vers 
wandelt, und der Zuſtand der Erde durch die fortwähs 


) Ueber die Entſtehung und allmaͤhliche Vermehrung der vegeta⸗ 
biliſchen Rinde findet man aͤußerſt intereſſante Bemerkungen 
beym Deluͤc. P. 4. L. 2932 

*) Leſenswerth find die Beobachtungen über die Gebirge auf 
einer Alpenreiſe geſammelt von Hrn. Butini, in den Schrife 
ten der Berliniſchen Geſellſchaft n. Fr. B. 5. 


22 Erſte Rede über die Perfectibilitaͤ e 
rende Wirkung eben der Urſachen, die ihn Deren 
brachten, unaufhoͤrlich verbeſſert. 

Es iſt zwar an dem, daß Ueberſchwemmungen, Erd⸗ 
erſchuͤtterungen, vulkaniſche Ausbruͤche u. dgl. gewalt⸗ 
ſame Mittel ſind, und den Zweck des Ganzen nicht an⸗ 
ders, als durch ſchreckenvolle Revolutionen im Einzelnen 
befördern koͤnnen. Aber auch dieſe natürliche Verheerun— 
gen muͤſſen in dem Maaße abnehmen, in welchem ihre 
Abſicht erreicht wird; und daß ſie abnehmen, beweiſet 
ſchon die Geſchichte. So wie die ſteilen Abſaͤtze, die ſchrof— 
fen Felſenſpitzen ſich zuſehends der ſchoͤnen Pyramidal⸗ 
geſtalt naͤhern: ſo wird ihr Einſtuͤrzen mehr und mehr 
gehindert; fo wie die Fluͤſſe ihr Bett ſich durch die regels 
maͤßiger geneigte Flaͤche nach und nach tiefer graben: 
ſo werden allgemeine Fluthen unmoͤglich und beſondere 
Ueberſchwemmungen ſeltener; die Vulkane erſchoͤpfeu ſich 
endlich, und gegen einen, der noch brennt, koͤnnen wir 
allemal zehn nennen, die bereits ausgeſtorben ſind. 

Mit einem Worte, ſelbſt in dieſen ſo geſetzlos ſcheinen⸗ 
den Naturbegebenheiten, leuchtet der Plan des Schoͤpfers 
durch. Hier herrſcht eben die allmaͤhliche Entwickelung, 
die fortgehende Naͤherung zu einem beſtimmten Zweck, 
die wir in allen andern Naturveraͤnderungen wieder fin— 
den. Fortwirkende Kraͤfte, durch welche die Erde nicht 
allein gebildet wurde, ſondern unaufhoͤrlich ins Vollkomm⸗ 
nere fortgebildet wird. Auch hier geht das groſſe Augen⸗ 
merk vorzuͤglich auf das Ganze, dem das Einzelne ſo oft 
aufgeopfert werden muß: doch ſo, daß mit der zuneh⸗ 
menden Vollkommenheit des Ganzen auch die Ruhe, das 
Gluͤck des Einzelnen ſicherer, und jene entzuͤckende, nur 
der Allmacht moͤgliche Harmonie zwiſchen allgemeiner 
Vollkommenheit und beſonderer Gluͤckſeligkeit durchgängig 
herrſchender wird. 

So beruhigend iſt eine Philoſophie, deren Blicke nicht 


a 


der Menſchheit. 23 


bloß am aͤußern Kleid der Dinge ſchweben bleiben: fons 
dern die es wagt, durch den geheimnisreichen Schleyer 
des Sichtbaren ins Heiligthum des Unſichtbaren hinein 
zu blicken. Dieſer Weiſe iſt der Liebling der Natur; 
zutraulich lehnt er ſich an ihren Buſen hin; ſieht in allen 
ihren Bewegungen lauter Wohlthaten fuͤrs Einzelne und 
fürs Ganze. Wenn er den Donner von Wolke zu Wols 
ken rollen hört, wenn unter feinen Fuͤſſen die Erde wan⸗ 
ket, wenn Stroͤme daher ſtuͤrzen und Berge ihre Einge— 
weide ausleeren; wenn alles zagt, und Tod und Unters 
gang des Erdkreiſes ahndet: ſo ſtaunt er nachdenkend 
hinauf zum Gebieter der Natur, bewundert in dieſen 
Auftritten ſeiner Majeſtaͤt die Wirkungen ſeiner Weisheit, 
ſieht mitten aus dieſen Schreckniſſen neue Ordnung / fchös 
nere Verbindung hervorgehen, und glaubt, daß ſelbſt im 
Nachdruck des zoͤrnenden Gottes hoͤchſte abſichtliche Güs 
te wirket. 

und was ſind nun alle die fuͤrchterlichen Theorien der 
Erde? Sie ſind ſchon alle widerlegt, weil ſie alle dem 
Gang und der Abſicht der Natur widerſprechen. Es iſt 
nicht wahr, daß je ein Komet unſerm Planet zu nahe 
kommen koͤnnte: die aſtronomiſchen Annalen haben kein 
einziges Beyſpiel von einem ſolchen Zuſammenſtoß der 
himmliſchen Koͤrper aufzuweiſen. Nicht wahr, daß durch 
die Verduͤnſtung das irdiſche Waſſer vermindert werde: 
denn Städte und Fanaͤle ſtehen noch! grade da, und fo 
am Ufer des Meers, wie und wo ſie vor Jahrtauſenden 
erbauet worden. ) Nicht wahr, daß die Erdare ſich uns 
vermerkt neige: die egyptiſchen Pyramiden ſind noch aufs 
genaueſte, wie bey ihrer Erbauung, gegen die vier Haupt 


) Freylich ſetzt das Meer an dem einen Orte ab, was es an dem 


andern weggenommen hatte. Aber es giebt Stellen, wo keines 
Von beyden geſchehen iſt. Von dieſen iR bier die Rede⸗ 


— 


1 * 
2. 
— 


24 Erſte Rede uͤber die Berfectibilität 


punkte zugefehrt. *) Nicht wahr, daß das feſte Land 
endlich ins Meer geſchwemmt werde: daſſelbe wird viel— 
mehr immer regelmaͤßiger. Zudem wachet auch hier eine 
hoͤhere Weisheit, die eben darum einen Theil der Gebirge 
in die Eisregion der Athmosphaͤre hinauf zog, um ihre 
Haͤupter durch ewige Lagen von Schnee und Eis gegen 
Verwitterung und Verſchwemmung zu ſchuͤtzen. ) 

Doch laſſet uns lieber auf unſern Gegenſtand zuruck 
kommen. 

Neben jenen angeführten allgemeinern Urſachen muͤſſen 
denn noch tauſend beſondere Mittel die ſtuffenweiſe Vers 
beſſerung der Erde befoͤrdern helfen. Auch des Menſchen 
bedient der Schoͤpfer ſich, ungefehr fo, wie des Sins 
ſekts, welches im Holze nagt, um den Uebergang der 
abgeſtorbenen Materie zur neuen Organiſation zu be— 
ſchleunigen. | 

Denn freylid muß die Wirkung des Menfchen auf die 
Erdmaſſe allemal unbetraͤchtlich bleiben. Allein in dem 
er bald dem eindringenden Meer Damme entgegenſetzt, 
bald Fluͤſſe in ihre natuͤrliche oder kuͤnſtliche Geſtade ein⸗ 
zwingt, bald Wälder: ſtuͤrzt, oder Moraͤſte austrocknet; 
ſo verbeſſert er die Erde da, wo ſie in unmittelbarer 
Berührung mit der umgebenden Luft ſteht. Und wer 
kennet den Einfluß der Cultur auf die Beſchaffenheit des 
Klimas nicht? Schon Columella fuͤhrt die Bemerkung 
aus dem weit aͤltern Saſerna an, daß dieſelbe mehr 
von dieſer Urſache, als ſelbſt von der Entfernung des 
Aequators abhange. ) Wie waͤre es ſonſt auch begreifs 
) Don Chazelles hat dieſe ſeither beſtaͤtigte Bemerkung ſchon 
gemacht. 

) Beobachtung und Tradition bekraͤftigen das in unſern Gletſchern. 
sr) Columella de re ruſtica, Lib. I, wo die Meinung des Sa⸗ 


ſerna dahin erklart wird, quod quæ regiones antea propter hiemis 
aſſiduam violentiam nullam ſtirpem vitis aut oleæ depolitam 


der Menſchheit. 25 


lich, was der Zr. von Pauw doch erwieſen hat, ) daß 
alle Gegenden in Amerika einen weit ſtrengern Himmel 
haben, als die zwiſchen einerley Parallelzirkeln gelegenen 
Länder in Europa? Wie ließe ſich der lange kalte Winter 
von Canada erklaͤren, da Quebek mit Paris ungefaͤhr 
eine Breite hat.) 

Aber ohne mich hier weiter einzulaſſen, berufe ich mich 
bloß auf das Zeugniß der Geſchichte. Was war der ehs 
malige Zuſtand von Europa, und was iſt er jetzt? Was 
waren dieſe ſchoͤnen, gluͤcklichen Reiche, uͤber welchen jetzt 
eine ſanfte Sonne ſcheinet, in welchen die Natur in ihs 
rem ausgeſuchteſten Schmucke glaͤnzt? Was war das al— 
te Iberien , das heutige Spanien? Ein duͤrrer, rauher 
Boden, wie Strabo verſichert, von Bergen und Wäldern 
bedeckt, und von wilden Menſchen bewohnt. Dubos und 
Zume haben in ihren Unterſuchungen uͤber das alte Kli— 
ma von Rom gefunden, daß es aͤußerſt ſtrenge geweſen 
ſeyn muͤſſe, und noch haben wir eine Nachricht aus dem 
fuͤnften Jahrhundert dieſer Stadt, daß die Tiber feſte 
zugefroren, und ein tieſer Schnee uͤber vierzig Tage ge— 
dauert habe. Was war Gallien? man leſe was Caͤſar 
von dem Umfang der Arduenſchen, Menapiſchen, Mo⸗ 
riniſchen Waldungen ſchreibt. Das Gemaͤlde, welches 
Diodor von dieſem Land entwirft, ſcheint eine der nords 


cuſtodire potuerint, nunc mitigato jam & tepescente primo 
frigore, largiſſimis oli vatibus liberisque vindemiis exuberent. 
Beym Strabo kommen aͤhnliche Bemerkungen vor. Auch er 
unterſcheidet das, was die Natur thut, von dem, was der 
Menſch bewerkſtelliget. Aer & Ns apsras Ku Harıds, 
was de Dose, Jas de S naraswsuns, Geogr, I. 2. 

*) Recherches philoſophiques fur les Americains , par Mr. de P. 
Londres 1774. T. I. p. 1. du climat de l’Amerique, pag. 9. s. 

un) Ebend. Man leſe auch die Beſchreibung von Kamtſchaka in 
Cooks letzter Reiſe; man vergleiche dieſes Land mit England? 
Sie haben einerley Breite. 


26 Erſte Rede über die Perfectibilität 


lichſten Gegenden des heutigen Europa zu ſchildern. Was 
war Deutſchland? die abgeſonderten Wohnplaͤtze waren 
ſo traurig von unermeßlichen Suͤmpfen und Waldungen 
eingefchloßen , daß Tacitus ausruft, mer. möchte in 
Germanien leben, wenn es nicht ſchon ſein Vaterland 
waͤre! Dio und Caͤſar beſchreiben Brittannien als ein 
undankbares, oͤdes Land. ) Und um nicht weiter zu 
gehen, was war unfer Helvetien? Alles beweiſet, daß 
das Land rauher, der Himmelſtrich trauriger geweſen 
ſey. Das beweiſen ſelbſt die verdaͤchtigen und ohne allen 
Zweifel uͤbertriebenen Bevoͤlkerunasverzeichniſſe der ältern 
Zeiten; die bey einer ſo geringen Volksmenge verſuchte 
Aus wanderung der ganzen Nation; das beweiſet der Zus 
ſtand der alten Topographie *) unſers Landes, die har⸗ 
te Lebensart feiner Einwohner, die ſchlechte Beſchaffen- 
heit ſeiner Produkte; das beweiſen die Nachrichten von 
grauſamen Wintern, Theurungen, Ueberſchwemmungen, 
Epidemien, die ſelbſt bey der duͤrftigen Beſchaffenheit 
unſerer altern Geſchichte fo haufig vorkommen. 
Schade, daß die Zeit es nicht erlaubt, nun auch die 
Geſchichte der Produkte unfe8 Landes zu durchgehen. 
In dem bekannten Werke des de la Mare“) finden ſich 
viele intereſſante Bemerkungen hieruͤber. Was muß man 
überhaupt von den Hervorbringungen der alten Schweiz 
denken, wenn man weiß, daß ſo gar unſere gemeinſten 


) Einen ausfuͤhrlichen Cemmentar über dieſe ganze Stelle findet 
man beym Reimarus, vornehmſte Wahrheiten der natürlichen 
Religion, p. 42. folg. 

*) Einige hieher gehoͤrende Bemerkungen in den Celtiſchen Als 
terthuͤmern zur Erlaͤuterung der aͤlteſten Geſchichte und 
Derfaffung Helvetiens. Bern 1733. Der Verfaſſer Hr. Pr. 
Walther hat eine Karte vom alten Helverien entworfen; aber 
wie leer iſt fie! Was der Eremus Helvetiæ beym Ptolemæus if, 
weiß ich for ht noch nicht. N 

Kk) Traité de la police, Paris, 1705. 


der Menſchheit. 227 
Fruͤchte, die Kirſchen, die Pflaumen, die Birnen, die 


Aepfel aus Aſten herſtammen, von wo fie nach Gries 


— 
— m 
8 


chenland, nach Afrika, Italien, Spanien, Gallien ver— 
pflanzt am ſpaͤteſten zu uns gekommen find. I Wie groß 
müßte denn nicht die Verwunderung unſrer fruͤhern Abs 
nen ſeyn, wenn ſie nunmehr ganze Weinberge von Pa— 
läftinifchen Reben bedeckt, *) wenn ſie die edle Perſt— 
ſche Frucht in freyer Luft gedeihen, den Carthaginenſi⸗ 
ſchen Granatapfel zeitigen, wenn ſie in unſern Gaͤrten 
die zaͤrteſten Gemuͤßkraͤuter aus allen Welttheilen fort— 
kommen; wie, wenn fie den aflatifchen Maulbeerbaum an 
öffentlichen Straſſen blühen , und ihre feinern Enkel und 
liebenswuͤrdigen Enkelinnen unter dem Schatten des orien⸗ 
taliſchen Platanus ſehen koͤnnten. 

Doch es iſt ja bis zur Evidenz erwieſen, *), und nur 
die Unwiſſenheit, ſie, die alles darf, wird es laͤugnen, 
daß unſere Erde an Regelmaͤßigkeit und Schoͤnheit, an 
Sicherheit und Feſtigkeit, an Fruchtbarkeit, Milde des 
Klimas, und Veredlung der Produkte unaufhoͤrlich ge— 
winne. Der Schoͤpfer und der Menſch wirken hier jeder 
an ſeinem Theil zu einem Zwecke zuſammen. Eine Wohl— 
that reichet der andern die Hand. Die Natur ſelbſt iſt 
eine unermeßliche Kette, deren erſter Ring am Thron, 
des Ewigen befeſtigt iſt; von da haͤngt ſie bis zur Erde 
hinab. So wie dieſe verbeſſert wird: ſo lachet die Son— 


*) Die Kirſchen von Ceraſunt im Pontus, die Pflaumen ans 
Armenien und Syrien, die Aepfel und Birnen aus Syrien, 
Griechenland, Afrika. 

zen) Journal helvetique, Octobre, 1738. 

RR) Mein Beweis iſt freyl ich nur partiel; aber das mußte er ſeyn, 
um auffallend zu werden. Der Zuſtand von Europa iſt verbeſ⸗ 
ſert; aber wo iſt er im Ganzen ſchlimmer! In den großen Rei⸗ 
chen Aſiens! in Afrika! in Amerika! in den ehmals unbewohn⸗ 
ten, jetzt bevölkerten Inſeln! Ich denke die Allgemeinmachung 


dieſes Beweiſes iſt leicht. 


* 


28 Erſte Rede uͤber die Perfectibilitaͤt | 


ne lieblicher; fo glänzt der umwoͤlbende Himmel fanfter ; 
fo werden die Einfluͤſſe der gemilderten Luft wohlthaͤti⸗ 
ger. Himmel und Eede, kurz alles, alles vereinigt ſich 
zur ſteigenden Begluͤckung des Menſchengeſchlechts. 

Da ſehen wir uns nun auf einem ganz andern Weg 
wieder an eben dem Ziel, auf welches die Geſchichte der 
Menſchheit uns geleitet hatte; ſehen alle die frohen er- 
hebenden Ausſichten in das kuͤnftige Schickſal der Erde 
und ihrer Bewohner aufs neue eroͤffnet. 

Zwar, daß es in der Welt beſſer gehe, und immer 
beſſer gehen werde, das wird der Menſch, der unzu— 
friedene, kurzſichtige Menſch am lebe begreifen koͤnnen, 
und glauben wollen. 

Eingeſchraͤnkt in ein kurzes een das in der Dauer 


der Zeiten ein Augenblick, und auf einen Wirkungskreis, 


der im groſſen Raum einen Punkt ausmacht, ſchließt er 
von dieſem Punkt, dieſem Augenblick auf den Inbegrif 
aller Weſen und Zeiten, von den Menſchen, die er ſieht, 
auf die Maſſe des ganzen Geſchlechts, von den Unvolls 
kommenheiten, die ihn druͤcken, auf die Unvollkommen— 
heit des Weltalls, und von dem, was er ſeine Erfah— 
rung nennt, auf den Gang und Plan der ewigen Weiss 
heit ſelbſt. 

Zudem, wie leicht iſt es, wenn man nur die vom Sonnen⸗ 
licht abgekehrte Seite, ich will ſagen, wenn man nur 
das Boͤſe in der Welt ſehen will, einen Candid, einen 
Fauſtin zu dichten, und die Vorſehung in witzigen Pas⸗ 
quillen zu laͤſtern. 

Ihr Lobredner des groͤßern Uebels in der Welt! wir 
koͤnnen euch alle eure Klagen einraͤumen, und doch im 
Ganzen einen ungeſtoͤrten Fortgang zu mehrerer Voll 
kommenheit annehmen. Zergliedert die Beſchaffenheit der 
Erde, die Natur des Menſchen, zeiget uns das Mangel⸗ 
hafte in beyden: wir fagen ja nicht, daß dieſe oder jene 


/ 


der Menſchheit. 29 


vollkommen ſey, nur daß ſie es nach und nach mehr 
werden. Zaͤhlet uns im langen Verzeichniſſe die herr 
ſchenden Laſter des Jahrhunderts mit ihren traurigen 
Gefaͤhrten her: wie der Luxus, die Sinnlichkeit, der 
Muͤßiggang, der Leichtſinn, die Verblendung alle phy— 
ſiſche und moraliſche Energie unterdruͤcken, und ihre uns 
feligen Opfer tief unter ſtch ſelbſt herabwuͤrdigen; aber 
wir reden ja auch nicht von jenen entnervten Halbmen— 
ſchen in den großen Staͤdten verdorbener Nationen, ſon— 
dern vom Menſchengeſchlechte reden wir. Bemerket es, 
daß Tugend und Aufklaͤrung nicht gleichen Schritt halten; 
daß der frecheſte Aberglauben auch jetzt fein Haupt nes 
ben der beſcheidenen Wiſſenſchaft emporhebt, und daß 
die unter allen erſinnlichen Geſtalten wiederkommende 
Schwaͤrmerey, unter einem unbegreiflichen Zulauf, ihre 
hoffnungsvollen Zauberſcenen wieder eroͤffnet; aber wir 
ſagen ja auch nicht, daß der Menſch wirklich da ſey, 
wo er unbenebelt die Wahrheit ſehen kann, wo im Ge— 
ſichtkreiſe ſeines Verſtandes keine Meteore mehr erfcheis - 
nen werden. | 

Laſſet uns aus dem, was die Geſchichte der Erde übers 
einſtimmend mit der Geſchichte der Menſchheit lehrt, 
bedaͤchtlich nur ſo viel ſchließen, als ſich ungezwungen 
daraus ſchließen laͤßt. 

Daß nemlich in dem allumfaſſenden Plan der oberſten 
Weisheit das Menſchengeſchlecht nach und nach hoͤher 
ſteigen ſolle — daß hiemit zunehmende Vollkommenheit 
nicht allein die Beſtimmung des Einzelnen, ſondern des 
Menſchen uͤberhaupt, und folglich aller beſondern Staaten 
und Geſellſchaften ſey — daß wenn dieſer Fortgang ſchon 
nicht uͤberall ſichtbar, oder auch nicht einmal wirklich iſt, 
er dennoch moͤglich ſey und wirklich werden koͤnne — 
daß alſo der Wunſch, die Hoffnung des Patrioten, ſein 
Vaterland noch gluͤcklicher, ſeine Mitbuͤrger noch beſſer zu 


— 


30 Erſte Rede über die Perfectibilitaͤt 


ſehen, kein Traum, und die thaͤtig mitwirkende Bemuͤ⸗ 
hung dahin nicht Thorheit fen ; *) ſondern daß der erſt 
dem erhabenen Auftrag als Menſch und Buͤrger genug 
thue, der an ſeinem Theil das gemeine Beßte befoͤrdert, 
der bey verkennten oder verfehlten guten Abſichten den 
Muth nicht ſinken laͤßt, der in der Welt zum Beßten der 
Welt lebt, und von Herzen in jenen allgemeinen Ent 
wurf der Vollkommenheit einſtimmt, der die Grundlage 
der ganzen Natur, und das oberſte Geſetz der Gottheit 
ſelber ift. 9) 


* 


Gnaͤdige Landesvaͤter! in einer Welt, wo alles voll⸗ 
kommener werden kann und ſoll, iſt keine eurer beſſeren 


Einrichtungen verloren. Indem Ihr uͤberall mehr Ord— 


nung und Gluͤck zu verbreiten, und die Wohlfart jedes 
Standes und Buͤrgers immer tiefer in das Syſtem eu⸗ 
rer Regierung hineinzuziehen ſuchet: fo wirket Ihr gleich⸗ 
foͤrmig mit der in der ganzen Natur wirkſamen Vorſicht, 
deren Bild Ihr traget. — In einer Welt, wo alles voll⸗ 


*) Das Gute, was man kann, nicht befördern wollen, iſt un⸗ 
verantwortlich; aber das Gute hindern, was andere befoͤrdern 
moͤchten, wie ſoll man das nennen? geſchaͤhe es auch nur durch 
kuͤnſtlich verbreitete Bezweiflung des moͤglichen Erfolgs, tan⸗ 
quam ſiniſtra cava ab ilice cornix ! So blieb denn freylich 
nichts, als jener niederſchlagende Grundſatz des misvergnuͤgten 
Roͤmers uͤbrig: Fruſtra niti, neque aliud fatigando, niſi odium, 
quærere, extremæ dementiæ eſt. Salluſtius in Jugurtu. 


) Dieſer Plan iſt der eigentliche groſſe Gegenſtand der wahren Phi⸗ 
loſophie, Moral und Religion; und ich hoffe es, daß er es immer 
mehr werden wird. Mit welchem Vergnuͤgen habe ich ihn ſeit her 
bey Herdern wieder gefunden! Wie er, ſo ſollte jeder Philo⸗ 
ſoph empfinden: „Ich beuge mich vor dieſem hohen Entwurf 
der allgemeinen Naturweisheit uͤber das Ganze meines Geſchlechts, 
um ſo williger, da ich ſehe, daß er der Plan der geſammten 
Natur if.» Th. 3, p. 364. 


der Menſchheit. 31 


kommener werden kann, iſt gewiß auch der heutige Tag 
keine leere Feyerlichkeit. Die großen Quellen der bürgers 
lichen Gluͤckſeligkeit ſind und bleiben der Ackerbau und 
der Anbau der Geiſter. Durch jenen wird der Boden 
gezaͤhmt, bereichert, bevoͤlkert, die Produkte vervielfaͤl— 
tigt, veredelt, die Luft gemildert. — Aber durch dieſen 
wird das animaliſche Wohlſeyn zur vernünftigen Glücks 
ſeligkeit hinaufgelaͤutert. Von Eurer Sorgfalt für jes 
nen zeugt der Anblick, der Segen des ganzen Lands, 
von Eurer ſorgfaͤltigen Wachſamkeit fuͤr dieſen, unſere 
Akademie, dieſe zahlreiche Jugend und der gegenwaͤr— 
tige Tag. 

Erlaubet mir dann, Gnaͤdige Obern, bey dieſer Ges 
legenheit unter dem Ausdrucke des waͤrmſten Dankes eu— 
rem Vaterauge und Vaterherzen nicht allein unſere Aka— 
demie und Schulen, ſondern die Aufnahme aller wahren 
Wiſſenſchaft und Aufklaͤrung uͤberhaupt aufs neue zu 
empfehlen. 

Hochgeehrte, woblehrwürdige⸗ viel Geehrte Zer⸗ 
ren Lehrer in der Akademie, der Kirche, den Schulen — 
Heil uns, die wir beſtimmt find, Werkzeuge zu dieſem 
großen Zwecke zu ſeyn! Möchte unſer Mutb unferer 
Geſinnung ſtets gleich bleiben! Moͤchte das Maaß un— 
ſerer thaͤtigen Kraͤfte den Umfang unſerer Pflichten ganz 
ausfuͤllen. 

Fuͤr euch, meine theure liebenswuͤrdige Schüler, muͤſſe 
dieſer Tag ein Tag der Zufriedenheit, der Dankbarkeit, 
der Freude ſeyn; aber einer Freude, die Belohnung eus 
res Fleiſſes iſt, und neue rege Aufmunterung zu ene 
regem . ſeyn lie 


r 


32 Zweyte Rede über die Perfectibilität 


3 we y i r 
uͤber die 


Perfectibilitaͤt des Men ſihen 


aus den 


phyſiſchen Anlagen deſſelben. 


(Tit.) 


Die beyden Verſuche uͤber die Beſtimmung des Menſchen 
zur fortſchreitenden Vollkommenheit und Gluͤckſeligkeit, 
die ich bereits vorgetragen habe, ſetzen ſchon in der Nas 
tur des Menſchen eine phyſiſche Anlage und Entwicke⸗ 
lungskraft zu dieſer Beſtimmung voraus. Man wird al⸗ 
ſo vermuthlich noch eine eigene Behandlung dieſes beſon⸗ 
dern Satzes erwarten, da auf denſelben doch am Ende 
alles das zuruͤckgefuͤhrt werden muß, was ich aus der 
Geſchichte der Menſchheit und ihrer Naͤhrerin der Erde 
angemerkt habe. 

Schon die Pſychologie leitet uns auf die Vermuthung 
eines vortreflichern Mechanismus in der koͤrperlichen Bil⸗ 
dung des Menſchen. Aus derſelben iſt es gewiß, daß 
ſich fuͤr unſere Vernunft und Moralitaͤt keine eigentliche 
Grͤnzen angeben laſſen; und eben fo gewiß iſt es, daß 
ſich dieſe, wie alle andere Geiſtesfaͤhigkeiten zuletzt auf 
die Sinne ſtuͤtzen, und von der mehr oder weniger voll⸗ 
kommenen Beſchaffenheit ihrer Organe abhangen. „Die 
Seele iſt, wie ſich ein ſinnreicher Schriftſteller ausdruͤckt, 

ein 


* 
1 


N 


der Menſchheit. 33 
ein göttliches Licht, deſſen Glanz deſto reiner oder duͤſte⸗ 
rer ſcheint, je duͤnner oder groͤber der Nebel der Sinne 
iſt, durch welchen es fallen muß. „ ”) 

Und ſo ſchließen wir oft und richtig von gluͤcklichen 
Organen auf vorzuͤgliche Geiſtesanlagen; warum ſollte 
der Schluß denn nicht auch umgekehrt gelten, daß nems 
lich die unbegrenzte Entwicklungsfaͤhigkeit der Seele hin 
wieder in der Organiſation des Koͤrpers eine ganz eigene 
Bildſamkeit vorausſetze. ) f | 

So natürlich indeſſen dieſer Schluß ſcheint, fd ſchwer 
bleibt dennoch der Beweis der Sache ſelber. Wir kennen 
unfere eigene Struktur nicht Sobald die Zergliederungs⸗ 
kunde **) fich tiefer in das innere Gebilde hineintwagt : 
ſo wird das Gewebe fuͤr unſere Beobachtung ſchon zu 
Fünftlich , die fluͤßigen, geiſtigen Theile zu aͤtheriſch, zu 
wirkſam. Die beſcheidene Natur hat ſich der Luͤſternheit 
unſerer Blicke entzogen, und gleichſam ein Vergnügen 
darinn gefunden, den Menſchen fuͤr den Menſchen zum 
unaufloͤsl ichen Raͤthſel zu machen. 

Nur ein unendlicher Verſtand ſieht die Wirkungen in 
ihrem Grunde; ſieht, wie von der allgemeinſten Urſache ‚ 
wie vom erſten Ring, die ganze Kette der Folgen bis 
ins Individuelle hinablaͤuft. Wir Sterbliche klettern mühs 
kü an an der Leiter der Wahrheiten von der unterſten Stuffe 


”) Eſſai fur la maniere de perfectionner Pefpece humaine pr. Mr, 
Vandermonde, 

) S. Erfahrungen und Unterſuchungen über den Menſchen 
von Hrn. von Irwing, Th. I. Abtheil. 5. 

em) Weber die unzulaͤnglichkeit unſter Kenntnife hierin leſe man 
auch Tetens philoſ. Derf. Th. 2. ©. 448. Eigentlich exiſtirt 

noch gar keine Anatomie fuͤr den Philoſophen. Man will Nerven⸗ 
zweige beobachtet haben, die 32000 mal feiner als ein Haar 
ſind. Wie weit iſt die Wiſſenſchaft noch zuruͤck, und wie wenig 
ruͤckte bisher die mechaniſche Pſychologie auf dieſem Wege fort? 


Magaz. f. d. Naturk. Selvetlens, III. B. € 


Zweyte Rede uͤber die Perfectibilitaͤt 


der ſinnlichen Wahrnehmung, und ahnden aus der Na— 
tur der bekannten Wirkungen dunkel nur die Beſchaffen⸗ 
heit ihrer verborgenen und verborgen bleibenden Urſachen. 

Dieſen Umweg, dieſen ſteilern Pfad muͤſſen wir uns 
hier auch gefallen laſſen. Wohlan denn, wir wollen mit 
der natuͤrlichen Geſchichte des Menſchen in der Hand, aus 
der großen merkwuͤrdigen Verſchiedenheit deſſelben, auf 
die außerordentliche Bildſamkeit und Geſchmeidigkeit ſei⸗ 
nes koͤrperlichen Baues, aus ſeiner Vergleichung mit den 
Thieren, auf ſeine Vorzuͤge vor denſelben, ſchließen; 
und ſo endlich ſeine phyſiſche Anlage zur Perfectibilitaͤt 
zu beweiſen ſuchen. 


Das nehme ich ohne Beweis an, daß die geſammte 
Menſchheit nicht nur ein Geſchlecht, ſondern eine einzelne 
Gattung ſey, die ſich zwar bey der großen Mannigfal⸗ 
tigkeit der äußerlich wirkenden Umſtaͤnde in viele Varietaͤ⸗ 
ten geſondert hat, keineswegs aber in ſpecifiſch getrenn⸗ 
te Arten oder Racen theilen läßt. ) Das nehme ich nicht 
bloß auf das Anſehen der Offenbarung an, wiewohl daſ⸗ 
ſelbe auch beym Philoſophen, beſonders in Thatſachen, 
die in die aͤlteſte Schoͤpfungsgeſchichte einſchlagen, wich⸗ 
tig und ehrwuͤrdig ſeyn muß. Nein, die Sache iſt ana; 
tomiſch erwieſen, und der Menſch, auf welcher Stelle, 
in welchem Winkel der Erde er lebe, iſt noch überall fo 


*) Es ſoll doch, hoffe ich, keine andere Meinung haben, wenn Hr. 
Meiners ſeine zween Hauptſtaͤmme, den Mongoliſchen und 
Kaukaſiſchen, beynahe weſentlich unterſcheidet, und dabey ver⸗ 
muthet, man werde dereinſt eben ſo große innere Unterſchiede 
unter ihnen entdecken, als die angegebene aͤußere in die Augen 
fallende Merkmale find. Grundr. d G. d. M. p. 63. Ueber 
die Einartigkeit der Menſchheit bey der Verſchiedenheit ihrer Racen. 
©. Kants Abhandlungen in Engels Philoſ. fuͤrddie Welt, Th. 2. 
S. 125. und Berl. Monatſchrift, Nov. 1785. 


der Menſchheit. 35 


ganz Menſch, daß weder die Zeit, noch das Klima, 
noch die Sitte und die Lebensweiſe vermoͤgend find, die 
Zuͤge feiner allgemeinen Verbruͤderung mit dem übrigen 
Menſchengeſchlecht auszuloͤſchen. 

Zome, Keinald, und andere, welche das Gegen— 
theil behaupteten, haben faſt durchgehends die Wirkun— 
gen der Kunſt⸗ mit den Wirkungen der Natur verwechſelt; 
fie haben es nicht bedacht, daß die groͤßten und auffals 
lendſten Verſchiedenheiten der Menſchen ihr eigenes Wer— 
ke ſind. Gleichwohl giebt es ganze Nationen, die ihren 
Körper mit aͤtzenden Farben bemahlen, und unaustilg; 
bare Figuren in die Haut taͤttoviren. Andere, die ihre 
ſchneeweiſſen Zaͤhne mit einem glaͤnzenden Schwarz uͤber— 
ziehen, oder ihre gewoͤlbten Augen in eine widrige Laͤnge 
zwingen. Da fällt ihre Tollkuͤhnheit die feſteſten Theile 
des Koͤrpers an; daher die plattgedraͤngte Stirne der 
Baraiben, die breiten Schädel der Omaduas die ge⸗ 
vierten der Japaneſen, die Fonifchen der Sineſen. ) 
Dort hindern fie gewiſſe Glieder im Wachs thum bis zur 
Unbrauchbarkeit, oder ſtuͤmmeln ſie gar weg, indem ſie 
andere über alle Verhaͤltniſſe zu vergroͤſſern ſuchen. ) 


) In der Geſchichte der Menſchheit muß der Unterſchied zwiſchen 
den Wirkungen der Natur und Kunſt aufs ſorgfaͤltigſte angemerkt 
werden. Viele der letztern haben oft bloß zufaͤllige Veranlaſſun⸗ 
gen gehabt, und beweiſen nichts fuͤr den Urſprung dieſer Voͤlker. 
Die Karaiben z. B. drückten die Stirne platt, um ſich als ein 
freyes Volk von den Afrikaniſchen Negerſklaven zu unterſcheiden. 
Rainald, hift. phil. T. 5. p. 269. ad 1776. Ruͤckſicht auf Spra⸗ 
che iſt bey dieſer Unterſuchung wichtiger, und in einem Syſtem 
der Menſchengeſchichte weſentlich. Auf dieſem Wege hat man ge⸗ 
funden, daß die Suͤdſeeinſulaner, ihrer merkwuͤrdigen Unter⸗ 
ſchiede ungeachtet Malayiſchen Urſprungs find. Cook, Voya- 
ge to the pacific. Ocean, 1784. Introd. II. U. f. 

„) Z. B. die kleinen Fuͤſſe der Japaneſinnen und Chineſinnen. 
Der Geſchmack ſo vieler, und beynahe aller orientaliſchen Voͤlker 
an großen Ohren. Die unngtuͤrliche Verlängerung eines gewiſ⸗ 


36 Zweyte Rede uͤber die Perfeetibilitaͤt 


Viele dieſer Angewoͤhnungen durch lange Jahrhunderke 
geuͤbt, machen zuletzt einen Eindruck, der in die Natur 
ſelbſt uͤber, 25 von einem Geſchlechte zum andern erbs 
lich fortgeht.“ 

Allein wenn "ir natürliche Unterfchied der Menſchen 
nicht groß genug iſt, um eine Mehrheit der Gattungen, 
fo iſt er es hergegen, um die außerordentlichſte Geſchmei⸗ 
digkeit ihres Koͤrperbaues zu beweiſen. Man durchziehe 
die bewohnte Kugel von Samoſcythien bis Vandie⸗ 
mensland , von Baffinsbay bis über die Magellaniſche 
Meerenge, welche Uebergaͤnge, welche Abſtaͤnde werden 
nicht hier in der Groͤſſe, der Staͤrke, der Bildung, der 
Farbe, der Gemuͤthsart ſichtbar! Welch ein buntes uns 
beſchreiblich reiches Gemälde ſtellt die einzelne Menfchens 
familie in den vielfachen Zweigen ihrer Ausbreitung nicht 
dar! Buffon ) hat es verſucht, dieſes Gemälde nach als 
len feinen Schattirungen zu entwerfen, und Herder hat 
das belebende Colorit ae blüthereichen Einbildung 
daruͤber gegoſſen. 

Nunmehr glauben wir es gleichſam zu ſehen, wie beym 
Lappen, Samojeden, Borandier und Peſcheraͤh die 


fen Theils bey den Männern gewiſſer Suͤdſeeinſeln. Hawkes⸗ 
worth und Forſter. Meiners ſammelt in dem Goͤtting. hiſt. 
Magazin die Data zu dieſen und ähnlichen Gebraͤuchen. 

5) &, Vandermonde I. c. ch. 6. De la reſſemblance des enfans 
a leurs pere & mere. Einige Beyſpiele, die aber ſehr ver⸗ 
mehrt werden koͤnnten, beſonders aus der Geſchichte der Thiere, 
der Pferde, der Hunde u. ſ. w., bey Steeb über den Wien. 
(hen, Th. 1. S. 44. In der oben S. 34 angefuͤhrten Abhand⸗ 
lung laͤugnet Herr Kant alle dieſe Facta, weil er „gar keinen 
in das Zeugungsgeſchaͤft hineinpfuſchenden Einfluß, zugeben mag. 
Eine kritiſche Pruͤfung der hieher gehoͤrenden Nachrichten würde 
Stoff zu einem nüglichen Auffage geben. In Engels Philoſ. 
für die Welt, Th. 2. S. 125, über die verſchiednen Rasen 
der Menſchen von Kant. 

*) Oeuvres compl. de Mr, de Buffon, T. 5, Paris, 1774. 


der Menſchheit. 37 


Polarkaͤlte die ganze Bildung zuſammendraͤngt, indem 
die von innen herauswirkende Kraft nur kurze Arme nnd 
ſchwache Fuͤſſe treiben kann, uͤber welchen ein zu großer 
Kopf mit allzubreiten Achſeln verbunden ruht. — Wie 
hingegen unter der ſenkrechten Sonne die ſchwammich⸗ 
ten Theile in den Lippen und der Naſe aufſchwellen; wie 
nicht allein beym Neger am Senegaſtrom, und in 
Nubien, ſondern beym Papu und Neuguineer die 
Galle ins Malpighiſche Netze tritt, und die Haut entwe— 
der glaͤnzendſchwarz, oder einmal dunkelſchwarz faͤrbet; 
indeſſen das Haar unter dem ſengenden Stral zur Wolle 
ſich kraͤuſelt. — Wie endlich in dem gemaͤßigſten Erds 
guͤrtel vom zwanzigſten bis uͤber den vierzigſten Grad 
der Breite, in den gluͤcklichſten Gegenden Europens 
und Aſiens, in Tſchirkaßien und Kaſchemir, aber mehr 
noch in dem beguͤnſtigten Griechenland, die menſch⸗ 
liche Wohlgeſtalt eine Stelle findet, wo ſie ſich mit dem 
Geiſte vermahlen, und in allen Reitzen irdiſcher und 
himmliſcher Schoͤnheit nicht nur dem Auge, ſondern auch 
der Seele ſichtbar werden konnte. „) | 
Welch ein Gefchöpf iſt der Menſch! Er lebet in Gegen— 
den, wo die ferne Sonne ohne Wechſel des Auf und 
Niedergangs parallel im Horizonte ſchwimmt; er lebet 
da, wo ſie ihre ſenkrechten Stralen mit fuͤrchterlicher Kraft 
aus dem Zenith herabſchießt; er lebt in Gruͤnden, wo 
die über ihm ruhende Luftſaͤule mit einem Gewicht von 
zween und dreißig Zentner druckt, und auf Anhöhens 
wo eben dieſer Druck um tauſend ſechshundert Pfund ge⸗ 
ringer iſt. Hier iſt das Pflanzenreich ſeine Nahrung, 
da ein Wald, dort das Meer; und wenn alle dieſe Quel⸗ 
len verſiegen: ſo naͤhrt er ſich, wie in den Sandwuͤſten 
Nigritiens, von den Heuſchrecken, die der Wind her⸗ 
*) Herders Ideen zur Philoſ. d. G. d. M. Th. 2. B. 6, 


H. 3. S. 20. 


38 Zweyte Rede uͤber die Berfectibilität 


führt, ) oder er ſpeißt ſogarf den Boden, worauf er 
er ſteht, wie Steller von den Kamtſchadalen verſichert. ) 

Ich werde aus dieſer erſten Bemerkung nicht alle die 
Folgen ziehen, die man daraus geleitet hat; aber ſo viel, 
duͤnkt mich, fließt doch ohne Widerrede daraus, daß ei— 
nerſeits die menſchliche Organiſation eine ganz eigenthuͤm⸗ 
liche, vortrefliche Einrichtung habe; und andererſeits, daß 
ſie einer großen Veraͤnderung und Ausbildung faͤhig ſey. 

Der Menſch iſt das einzige Geſchoͤpf, welches von al— 
lem leben, uͤberall ſich ausbreiten und klimatiſiren kann. 
Er allein iſt fuͤr die ganze Erde, die ganze Erde iſt fuͤr 
ihn allein geſchaffen. Durch die außerordentliche Ges 
ſchmeidigkeit und Dauerhaftigkeit des Koͤrpers, die die⸗ 
ſe Abſicht erforderte, kann er, freylich ohne eigentliche 
Ausartung, ungemein tief ſinken; aber eben das macht 
ihn denn auch einer deſto groͤßern phyſiſchen Vervoll— 
kommnung faͤhig. Und auf dieſen Zweck arbeitet die Na⸗ 
tur augenſcheinlich uͤberall, wo ſie nur kann. Nicht al⸗ 
lein wohnen ſchon neben den Lappen die wohlgebildeten 
Schweden, und neben den Feuerlaͤndern der edlere 
Stamm der Patagonen: ſondern in jeder menſchlichen 
Varietaͤt geht die Schoͤnheit mit der Milde des Himmel⸗ 
ſtrichs in gleichen Schritten fort; der Amerikaner iſt 
nicht durchaus fo blöde, wie von Daum ihn mahlet. 
In der Olivenfarben Gattung haben uns Otaheiti, und 
das auf immer beruͤchtigte Owaihi Ideale im hoͤhern 
Geſchmacke geliefert; ſelbſt die Neger und Kefern haben 
ihr Georgien und Mingrelien. In Natal, in Sofala 
und Monomotapa iſt der Wuchs fo regelmäßig und 
edel, die Zuͤge ſo ſanft und ausdruckvoll, daß die Far⸗ 


) Die Exiſtenz dieſer vom Adm. Drak erwaͤhnten, von andern 
bezweifelten Akridophagen, ſcheint dem Grafen von Buͤffon 
nicht unwahrſcheinlich. T. 5. p. 120. 

*) Steller von Kamtſchaka. Ueber die Mannigfaltigkeit der 


— 


der Menſchheit. 39 


be vielleicht) abgerechnet, dieſe Voͤlker mit jedem Welts 
theil um den Vorrang der Schoͤnheit eifern duͤrfen. 


Die menſchliche Organiſation hat hiemit eine eigens 
thuͤmliche Vortreflichkelt, die fo bey keinem Thiere ge 
funden wird. Laſſet uns jetzt ſie beyde naͤher zuſammen⸗ 
halten, um dieſe Vorzuͤge deſto deutlicher zu beſtimmen. 

Die ſchon oft angeſtellte Vergleichung zwiſchen dem 
Menſchen und dem Thier iſt nicht allemal zum Vortheil 
des erſtern ausgefallen. Viele behaupten, der Menſch 
ſey blos ein etwas vollkommneres Thier; ſie beyde ſeyen 
zwey zu einem Geſchlecht gehoͤrende Gattungen; auch 
hier gehe die Natur ſo unvermerkt aus der einen in die 
andere uͤber, daß man unmoͤglich die Graͤnzlinie zien 
Thierheit und Menſchheit ziehen koͤnne. 

Von da war der Schluß auf die innere na 
ſchaft leicht. So ſagt Plattner, „ der unterſte Grad 
einer menſchlichen Geiſteskraft graͤnzt an die oberſte moͤg⸗ 
liche der Thiere, und die unterſte moͤgliche der Thiere an 
die materiellen Kraͤfte. ) Und nun geht Zermann ſchon 
einen Schritt weiter. Er behauptet, vom guten Genie 
zum dummen Menſchen waͤre der Abſtand groͤßer, als 
von da zum Thier; er vermuthet ſogar, viele Thierſeelen, 
in unſere Organen verſetzt, würden uns weit uͤbertreffen. ) 


Nahrungsmittel, ſiehe auch Meiners Grundriß, Cap. 4. 
Aber den eckeln Leſer warnen wir, lieber nicht zu leſen. 

„) Ob unſere europaͤiſche oder die ſchwarze Farbe die ſchoͤnere fen? 
iſt eine Frage, woruͤber geſtritteu wird. Unſer durch Gewohn⸗ 
heit entſchiedenes Gefuͤhl ſtimmt fuͤr jene: aber fuͤr dieſe vielleicht 
die Naturgeſchichte der Thiere. 

*) Dlatners Anthropologie für Aerzte und Weltweiſe, $. 177. 
So erklärt fich auch Condillac in feinem gegen Buffon gerichteten 
Traite des Animaux. Amft. 1766, und Bonnet a. m. O. 

% Hermanni Tabula affinitatum animalium, C. 2. Argent. 178% 


40 Zweyte Rede uͤber die Perfectibilitaͤt 


Und wirklich die unter den Thieren in der Wildheit 
aufgewachſene Kinder, wovon man ſchon mehrere Bey— 
ſpiele geſammelt hat, wie niedrig, wie . 
zeigen fie uns die Menſchheit. “) | 

Und wie koͤnnen wir unſere Aehnlichkeit mit den Afs 
fen laͤugnen! Ihr innerer Bau, ſelbſt die Sprachwerk— 
zeuge *) nicht ausgenommen, iſt ſo auffallend der nemli⸗ 
che, daß Galen ſeine mehreſten anatomiſchen Verſuche 
auf Affen machte, und auf Menſchen anwandte; *) und 
Linne verſichert, daß weder das Angeſicht, **) noch 
die Fuͤſſe,, noch der aufrechte Gang, noch irgend etwas 
anders in der aͤußern Struktur des Menſchen von den 
ſaͤmmtlichen Affengattungen verſchieden ſey. J) 

Doch um mich kur; zu faſſen, giebt es nicht Thiere, 
welche die geuͤbteſten Naturaliſten fuͤr Menſchen hielten, 
wie der Prang-Outang und der Homo-Lar des Sins 
naͤus? Giebt es nicht hingegen Menſchen, die man lies 
ber fur Thiere nehmen moͤchte, wie die Quimos auf 
Madagasgar die Manghier auf Mindoro und Formoſa, 


*) Außer den bekanntern IRr-fen hieruͤber ſehe man auch Schwei ⸗ 
kards Diſſert. de Statu animæ hominis inter feras adolescentis. 
Argent. 17597. 

) Das Daſeyn der Sprachorgane beweiſet die Sprachfaͤhigkeit noch 
nicht. Von jenem kann der Zergliederer zeugen; aber dieſes 
Zeugniß beweiſet dem Philoſophen nichts. Nehmen wir nur die 
Zunge, wel le Modiſteationen derſelben werden nicht zur Artiecu⸗ 
lation erfordert! S. Ammanni Differt. de loquela. Amſt. 1700, 
Daß der Menſch allein der Sprache faͤhig ſey, hat Camper in 
den Tranſ. philoſ. p. 1. 1779. anatomiſch erwieſen. 

* Mayers kurze Nachricht von der Geſchichte der Anatomie und den 
vorzüglichſten Anatomiſten. Im I. Th. d. Beſchr. d. M. R. S. 36,37. 

=), Lavater laͤugnete jede Uebereinkunft zwiſchen den Zuͤgen im Af⸗ 
fen⸗ und Menſchengeſichte. Hermann raͤth ihm, die Zeichnung 
des Petauriſta beym Schreber mit Sorfters Beſchreibung der 
Malicoleſen zu vergleichen. Man vergleiche, und man wd 
finden, daß Lavater recht hat. 

7) Linnæi amtenitates. Vol. 6. Antlıropomorphia , p. 76. 


der Menſchheit. 41 


die Peniten auf Borneo / welche Plinius, Pauſanias, 
Ptolemaͤus gekannt, unter den aͤltern Reiſenden Zer— 
bort und Kutſchkow beſchrieben, und deren Daſeyn 
erſt neulich Sonnerat verſichert hat.“) 

So waͤre alſo dein Stolz gebeugt, o Menſch! So 
waͤreſt du von dem Throne eines Koͤniges der Erde ge— 
ſtuͤrzt, und zur Zunft deiner Sklaven der Thiere geſun— 
ken! — Doch nein, du bleibſt dennoch das erſte, das 
edelſte der Geſchoͤpfe der Erde, die Krone der irdiſchen 
Schoͤpfung! Selbſt da, wo die Vorkehrungen der Na— 
tur zu deinem Nachtheil getroffen ſcheinen, in deiner 
Wehrloſigkeit und Inſtinktloſigkeit, in dem langſamen 
Wachsthum, in der Zartheit und Zerſtoͤrbarkeit deines 
Koͤrpers, leuchtet noch deine Hoheit durch. 

Die Natur, das heißt, die ewige in der Natur ſicht— 
bare Weisheit hat muͤtterlich fuͤr die Thiere geſorget, ſie 
zum Angrif und zur Vertheidigung bewaffnet, ihnen den 
ſichern Inſtinkt zum Fuͤhrer gegeben, und in der Art, 
wie fie das gethan hat, herrſcht eine unbeſchreiblich finns 
reiche Vorſicht, eine unerſchoͤpflich erfinderiſche Zaͤrtlich— 
keit.“) Aber ihren Liebling den Menſchen umhuͤllet fie 
kaum mit dem durchſichtigen Gewand dieſer empfindli- 
chen Haut, und giebt ihn ſo der Hitze, der Kaͤlte und 


) Aller dieſer Yutoritäten Ingenchtet blanke Kin aufgeklärter Na⸗ 
turaliſt an ihr Daſeyn. Sonnerat, Voyage aux Indes Orien- 
tales & à la Chine, T. z. p. 102, hat fie nicht geſehen; und 
Blumenbach, de Ae humani nativa varietate S§. 92. feq. 
hat das ganze Märchen widerlegt; Vergl. auch Herders Vor⸗ 
rede zu Monboddo's Werk von dem Urſprunge und Sort⸗ 
gang der Sprache. Kiga, 1784. 

7˙) Die Schriften der Zoologen und Entomologen find voll der aufs 
fallendſten Beyſpiele; aber eine Bemerkung, die ich bey Blu⸗ 
menbach las, frappirte mich vorzuͤglich. Das wehrloſeſte aller 
Inſecte iſt der Polyp. Warum das? Jede Verletzung iſt für ihn 
Vervielfachung des Lebens, und der Cod ſelbſt, neues Leben. 


42 Zbweyte Rede über die Perfectibilitaͤt 


jedem Ungeſtuͤm des veraͤnderlichen Himmels preiß. 
Allein da er hoͤhere Kraͤfte beſaß: ſo mußte er ja auch 
in die Nothwendigkeit geſetzt werden, dieſelben aus eins 
ander zu wickeln. So konnte er das fuͤr ſich ſelbſt 
thun, was die Natur fuͤr die Thiere that, und gelangs 
te zu Fertigkeiten, zu Erfindungen, zu Bequemlich⸗ 
keiten, die fuͤr den thieriſchen Kunſttrieb ewig unerreich⸗ 
bar ſind. 8 

Eben dieſe Bewandtniß hat es in allen uͤbrigen Ruͤck⸗ 
ſichten mit dem Menſchen. Da in der Welt die goͤttlis 
chen Anſtalten und Abſichten überall im Verhaͤltniß fies | 
hen: fo beweiſet feine Tangfame Entwickelung eine ſorg⸗ 
faͤltigere Vorbereitung; folglich eine hoͤhere Beſtimmung. 
Die geſchmeidigere Struktur ſeines Koͤrpers befoͤrdert 
ſeine Dauerhaftigkeit und Staͤrke. Seine Lebenszeit iſt 
dreymal groͤßer, als die der haltbarſten Thiere, und feis 
ne Staͤrke! O, der Menſch kennt ſeine eigenen Kraͤfte 
nicht. Bekanntlich beſitzt oft ein einzelner Muskel eine 
Kraft, die das doppelte Gewicht des ganzen Koͤrpers 
nicht uͤberwaͤltigt. Wie ungeheuer muͤßte nicht die Sum⸗ 
me einer gleichfoͤrmigen Anſtrengung aller dieſer Kraͤfte 
ſeyn! Deſaguiliers hat das gewiſſermaßen durch einen 
Verſuch erlaͤutert. Er hat eine Art von Bekleidung er⸗ 
funden, vermittelſt welcher er ein gegebenes Gewicht vers 
haͤltnismaͤßig über den ganzen Körper vertheilen konnte: 
ſo fand es ſich, daß ein einzelner Mann, ohne beſondere 
Ermuͤdung, zwanzig Zentner zu tragen faͤhig ſey.) Nun⸗ 
mehr wird es begreiflicher, wie der Menſch in jedem 
Klima ausdauert, die haͤrteſte Lebensart vertraͤgt, und 


*) Ich führe dieſes Experiment aus dem Buͤffon an, T. 4. p. 392. 
Deſaguliers erwaͤhnt noch eines andern Verſuchs, in welchem 
ein einzelner Mann die vereinigte Kraft von zehn Menſchen, 
oder zwey Pferden überwältigt. Deſſelben Phyſico - mechanical 
Leckures, London, 1717. L. VIII, 8, 12. 


der Menſchheit. 10 


Dinge verrichtet, die in der That Werke eines Herrſchers 
der irdiſchen Schoͤpfung ſind. 

Die Zeit erlaubet es nicht, dieſen angenehmen Gegen, 
ſtand zu verfolgen. Ich uͤbergehe fo gar die merkwürdige Bez 
trachtung der menſchlichen Hand, und der Sprachfaͤhigkeit, 
um nur noch einige allgemeine Anmerkungen einzuſtreuen. 

Die eine betrift die aufgerichtete Stellung, worinn die 
Alten ſchon einen Wink der Gottheit und des Himmels 
Buͤrgerrecht erkannten. Dieſe Stellung, die ein Rouſſeau 
und Moſcati dem Menſchen abgefprochen,*) die andere dem 
Orang⸗Outang und Longimanus zugeeignet, iſt ein 
unterſcheidendes Kennzeichen, ein erhabenes Vorrecht, 
das nach den ſorgfaͤltigſten Unterſuchungen eines Coiter, 
Tyfon, Blumenbach der Menſchheit ausſchließlich ange— 
hoͤrt. Und ſie wollen wir uns auch nicht rauben laſſen, 
denn ſie iſt die Grundlage unſrer ganzen koͤrperlichen 
Vortreflichkeit; ſie hat Einfluß in die Lage, die Form, 
die Ausbildung aller Theile, iu das freyere und ſchoͤnere 
Spiel aller Bewegungen, in die Harmonie des Ganzen; 
und, um mit Herdern zu reden, in die Organiſation 
zur Zumanitaͤt und Vernunft. „Das Thier, ſchreibt 
dieſer leſenswerthe Weltweiſe, ) iſt nur ein gebuͤckter 
Sklave, wenn gleich einige edlere derſelben ihr Haupt 
emporheben, oder mit vorgerecktem Halſe ſich nach Frey⸗ 
heit ſehnen. Der Menſch iſt der erſte Freygelaſſene der 
Schöpfung, der Baum feines Ruͤckens! ſproßt gerade, 
die Bruſt hat ſich gewoͤlbet, die Huͤften geſchloßen, 
der Hals erhoben; die Sinne ſind ſchoͤner geordnet und 


Y Diefen widerlegt Mayers Beſchreibung des ganzen M. A. Th. I. 
S. 120. u. f. 

) Th. I. S. 231. Man weiß, wie vieles er auf dieſen Umſtand 
baut. Man hat ihm widerſprochen; aber eigentliche Wider⸗ 

legung hab' ich nicht gefunden. In dieſer Behauptung iſt doch 
in der That viel wahres. 


44  Zwente Rede uͤber die Berfectibilität 


ſtralen zuſammen ins hellere Bewußtſeyn. Und das alles, 
wodurch anders, als durch ein Machtwort der Schoͤpfung 
— Geſchoͤpf ſteh' auf von der Erde! 

Allein nichts, duͤnkt mich, verraͤth die Veredlung der 
Materie in der menſchlichen Organiſation ſchoͤner, als 
jene bewundernswuͤrdige Zuſammenſtimmung der Veraͤn⸗ 
derungen des Koͤrpers mit den Bewegungen der Seele. 
Beym Thier funkelt nur der wildere Affekt aus dem grim⸗ 
migen Auge. Aber im kmenſchlichen Körper wird jeder 
Gemuͤthszuſtand, jede leiſere Empfindniß, jeder Gedan— 
ke gleichſam ſichtbar. Hier iſt alles Charakteriſtik und 
Sprache. Der Blick, der Ton, die Stellung, die Fars 
be, die Gebehrde, ſogar, das Stillſchweigen hat feine 
Beredſamkeit. Wir leſen ſein Herz in der Miene, ſeinen 
Verſtand auf der Stirne, die Erhabenheit und Reinheit 
der Geſinnungen in der Heiterkeit des Auges, und 
in einem gewiſſen, zaͤrtlichen unnennbaren Ausdrucke 
des Ganzen, das zur Wärme der Freundſchaft wallen— 
de Gefühl, ) | 

Wer ſieht hier nicht, wie die Materie zur aͤußerſten 
Feinheit bereitet, zur Empfaͤnglichkeit der Eindrücke des 
Geiſtes gelaͤutert, bis zum ſichtbaren Abglanze ihrer 
unſterblichen Bewohnerinn geadelt iſt! 


Wer ſich alſo jetzt nur ſo ganz uͤberhaupt einen Be⸗ 
griff von der Vortreflichkeit des menſchlichen Organis- 
mus machen kann, dem wird die Behauptung, daß 


*) Theorie des fentimens agreables, par Mr. de Pouilly, 1774. 
Dieſer Schriftſteller drückt ſich (Ch. 5. p. 148.) mit folgenden 
Worten aus: Un air fin eft comme l’etincelle de lesprit; un 
air doux promet des egards flatteurs; un air noble marque 
lelevation des ſentimens; un air tendre ſemble £tre le garant 
d'un retour d’amitie. 


= 


der Menſchheit. 45 
derſelbe einer immer weitern Auseinanderwickelung und 
Fortbildung faͤhig ſey, vielleicht nicht mehr ungereimt 
vorkommen. | | 

Was ſage ich ungereimt! Diefe Wahrheit iſt ein Ers 
fahrungsſatz, wozu faſt alle Kuͤnſte, bey welchen der 
eine, oder der andere Sinn vorzüglich geuͤbet wird, eis 
gene Belege liefern. Das Auge des Mahlers faßt mit 
einem Blick eine unzaͤhlbare Menge von Eindruͤcken; es 
iſt ſelbſt gleichſam ein lebendes Gemaͤlde, auf welchem 
der Finger der Natur mit dem zaͤrteſten Pinſelzug jede 
ſchwache Schattirung nachahmt. Der Muſikverſtaͤndige 
unterſcheidet in tauſend durch einander zitternden Toͤnen 
jeden Uebergang, jedes Verhaͤltniß; ſein Ohr iſt ſelbſt 
gleichſam ein Inſtrument, von welchem jeder Wohlklang, 


jeder Mislaut wiedertoͤnt.“) So urtheilen alle aͤchte 


Kuͤnſtler nach dem Sinne ihrer Kunſt. Der Bildhauer 
von den ſchoͤnen Verhaͤltniſſen, der Meßkuͤnſtler von 
Entfernungen und Größen, der Aſtronom von den klein- 
ſten Zeitabſchnitten. | 

Was bey diefen die Uebung der Kunſt, das traͤgt bey 
andern vielleicht ein Beduͤrfniß zur erhoͤheten Wirkſam⸗ 
keit der Organe bey. Wer hat nicht Beyſpiele von Blin— 
den gehoͤrt, die den Mangel des Geſichts durch eine ſol— 
che Verfeinerung des Gefuͤhls erſetzten, daß ſie durch die 
bloſſe Berührung die Verſchiedenheit der Farben und Mes 


tallen angeben konnten? *) Oft wird bey ganzen Voͤlkern 


durch Lokalveranlaßungen ein Sinn vorzüglich entwickelt. 
Man kennt den geſchaͤrften, weitfliegenden Blick des 


* 

%*) Buffon, Oeuvres compl. T. s. p. 282. 

8%) Zu den vielen merkwuͤrdigen Beyſpielen, welche Hennings, 
von den Traͤumen und Nachtwandlern, Weimar, 1784. 
S. 433. u. f. geſammelt hat, ſetze ich auch die Vorrede zu den 
Additions aux 9. Voll. des Recueils de Medailles, des Rois & 
Yilles, par Mr. Pellerin, 


45 Zbweyte Rede uͤber die Perfectibilitaͤt 
Zottentoten und Abiponers; man weiß, daß der Ame⸗ 


rikaner nicht allein die dunſtende Spur, ſondern in | 


derfelben die Nation riecht, deren Fuß fie eingedruckt 
hatte, und von den Bewohnern Nicariens berichtet 
Daper, daß ſie ſich bisweilen in ſtundenweiten Entfer⸗ 
nungen zu unterreden pflegen.. 

Aber Buͤffon glaubt, *) dieſe erhoͤheten Sinne 5 
nicht eine Folge der verbeſſerten Organe, ſondern das 
Werk der Vernunft und des geuͤbtern Urtheils. 


Und es iſt wahr, durch die geſammelte Aufmerkſam⸗ 
keit wirkt die Seele auf die Sinne, und erhebet ihre Bils 
der zur Deutlichkeit.“) Ich bin daher auch ſehr geneigt 
zu glauben, daß die vollkommenſte Organiſation in Ver⸗ 
bindung mit einer vernunftloſen Seele ſich nie über eis 
nen gewiſſen Grad verbeſſern wuͤrde. Bey dem allem iſt 
es dennoch unlaͤugbar, daß der Verſtand ſeine ſinnlichen 
Vorſtellungen allein durch die Organe erhalten kann; 
wenn jene alſo vollkommener werden ſollen: fo muͤſſen es 
dieſe werden koͤnnen. Dergeſtalt wirken ſim Menſchen 
die geiſtigen und koͤrperlichen Kraͤfte wechſelweiſe in ein⸗ 
ander; ſie hangen von einander ab; die Entwickelungs⸗ 
fähigkeit des Geiſtes ſetzt eine aͤhnliche Kraft im Körper 
voraus. Beyde ſind fuͤr einander eingerichtet. Auf der 
Wage der Weisheit hat der Schoͤpfer die Anlagen von 
beyden ins Gleichgewicht gelegt, den Körper zur Vers 
nunft organiſirt, und die geiſtige Subſtanz mit dieſer 


dc) Ueber die Feinheit der Sinne bey gewiſſen Nationen. Mei⸗ 
ners Grundriß. 8. 23. Ich will nicht entſcheiden, ob die Be⸗ 
hauptung, daß die Mongoliſchen Voͤlker feinere Sinne haben, aus 
der Geſchichte gezogenes Faetum, oder in die Geſchichte getragene 
Hypotheſe iſt. 


*) Difcours fur la nature des Anim aux. 
un) Sennebier, Art d’obferver, T. 1. Chap. 6, fir, 


N 


** 
der Menſchheit. 47 
vollkommenſten Organiſation in ein harmoniſches Ganzes 
zuſammengeſchaffen. ) 

Nichts ſetzt die Sache mehr außer Zweifel, als die be— 
kannte Erfahrung, daß unſere erworbene Fertigkeiten 
auch im Koͤrper gewiſſe Eindruͤcke verurſachen; ſo daß 
ſich oft beyde phyſiſch fortpflanzen. Daher n nicht 
nur die verſchiedenen Voͤlker, ſondern in einem Volk die 
verſchiedenen Staͤnde, in einem Stand die verſchiedenen 
Familien ihre kennbaren Zuͤge, ihre Tugenden und Laſter. 

Gleichwie ſich in den ſpaͤteſten Enkeln die Miene der 
Ahnen wiederfindet: ſo findet ſich oft ihr ganzer Geiſt 
wieder. Wir kennen gelehrte, kennen mathematiſche, 
muſikaliſche, Kuͤnſtlerfamilien, und ſehen, daß die 
Eigenheiten der Seele ſo gut als die des Koͤrpers 
erblich ſind. 

Darf ich jetzt den Schluß machen, daß der Menſch 
eine phyſiſche Anlage zur Perfectibilitaͤt beſitze, und daß 
ſich auch hier ein ſteter Fortſchritt gedenken laſſe! 

„Ja, o Menſch! ſo ſpricht das Orakel beym Mendel— 


5) Die Philoſophen verſetzen fo leicht Thierſeelen in menschliche, 
und Menſchenſeelen in thieriſche Organen, und ſprechen dreiſt 
uͤber die Folgen dieſer Verſetzung ab. Eine Seele in ein frem⸗ 
des Organon verſetzt, iſt ein Samkorn in einen fremden Boden, 

wo es ſich nicht enthuͤllen kann, verpflanzt. „Es giebt auf allen 
Seiten des Weltalls, die wir kennen, vielleicht nur eine ein⸗ 
zige Organiſation, mit welcher fie ſich dergeſtalt vereinen kann, 

daß ſie auf dieſe Organiſation zu wirken vermag; aber wenn ſie 
einmal mit dieſen Organen verbunden iſt: fo wird alles, was 
mit dieſen Organen homogen iſt, Organ fuͤr ſie. Sie iſt mit al⸗ 
len Seiten des Weltalls, welche ſie kennt, verbunden; ſie wirkt 
auf alle Seiten eben ſo, wie auf ihren Koͤrper, nach dem Ver⸗ 

haͤltniß, das die Intenfität der Wirkung, die ſich aus ihrer Wil⸗ 
lenskraft ergiebt, zu der Kraft der Geſetze der Natur hat, die von 
den Ausfluͤſſen der hoͤchſten Willenskraft herſtammen. „ Semſter⸗ 

huis vermiſchte philoſophiſche Schriften, I. Ch. Ueber den 
Menſchen und die Beziehungen deſſelben. S. 185. u, f. 


* - 


7 


48 Zweyte Rede uͤber die Berfectibilität 


ſohn, du beſitzeſt auch etwas eigenthuͤmliches, wodurch 
du Menſch biſt. Du kannſt durch Uebung vollkommener 
werden, und du wirſt es. Dein Leben iſt eine beſtaͤn— 
dige Bemuͤhung, die in dir eingewickelten Faͤhigkeiten 
abzuwinden. Deine Kräfte arbeiten unaufhoͤrlich an ih⸗ 
rer eigenen Berbeſſerung. Du magſt als Saͤugling oder 
als Greiß ſterben: fo geheſt du ausgebildeter von binnen, 
als du hergekommen biſt. „) 

Auf dieſem Grunde beruhet die Wuͤrde des Menſchen; 
feine Erhabenheit über die Thiere; feine hoͤhern Eigen⸗ 
ſchaften; ſeine ganze Beſtimmung. l 

Man ſehe ſich um im Reiche der Thiere! Sie bleiben 
ewig inner den Schranken ihres Inſtinkts; die Uebun⸗ 
gen der Vorwelt dienen den ſpaͤtern Geſchlechtern zu feis 
ner Belehrung. Noch iſt die koniſche Grube des For⸗ 
micaleo / das raͤuberiſche Netz der Spinne, die Bauart 
des Kaſtors — alles iſt noch, wie es von jeher war: 
In dieſem Theil der Schoͤpfung ſteht alles ſtille, oder 
Abe ſich kreisfoͤrmig in den einmal vorgezeichneten 
Zirkeln herum. 

Hingegen der Menſch, wo die Vorſicht ihn auch hin⸗ 
ſtellt, da ſtrebt er aufwaͤrts. Sein Uebergang aus dem 
Gegeuwaͤrtigen in die Zukunft iſt allemal Fortſchritt zur 
wahren oder eingebildeten Vollkommenheit. Auf den 
untern Stuffen der Wildheit und Barbarey, oder der 
Armuth und Unterwuͤrfigkeit werden durch die Lebensart 
oder die Noth die Kraͤfte ſeines Koͤrpers geuͤbt. Hier 
eilet der muthige Kafer dem behenden Loͤwen vor, und 
der Laͤufer von Iſpaham legt zwey und dreißig Stunden 


Wegs in einem Tage zurück; da uͤbet er ſich im Schwim⸗ 
men, und der Juͤngling von Samos freyet nicht, bis 


er zwanzig Klafter tief ins Waſſer tauchen kann; dort 


Bi? 


) Abts vermiſchte Schriften, 3. Th. S. 21% ä 


— 


7 
42 


der Menſchheit. 40 


iſt er Jaͤger, trift mit dem toͤdtlichen Bley den Punkt 
ſeines Ziels, und klettert an Felſenwaͤnden, wo kaum 
die Breite der Sohle eine Unterlage findet. 

Im Schooße der Cultur wird die phyſiſche Kraft 
durchwaͤrmt, erweicht, zur Feinheit und Kunſtfertigkeit 
gezeitigt. Hier ſproſſen tauſend zauberiſche Kuͤnſte uns 
ter ſeiner Hand; ſein Einfluß in alle Elemente wird 
ſichtbar. Er faͤngt an ſich als Geiſt zu fuͤhlen, und hebt 
von ben Banden des Aberglaubens und der Eklaberey 
freyer, fein Haupt über die materielle Welt empor. So 
ſieht er ſich im Reiche hoͤherer Wahrheiten um, und 
ſteiget von Satz zu Satz, von Schluß zu: Schluß bis 
zum Gedanke der Gottheit, zur Empfindung der Tugend, 
zur Hoffnung der Unſterblichkeit. 

Ja, das iſt des Menſchen glaͤnzende Beſtimmung: 
ihr folgen wir alle mit ungleichen Schritten, und kom⸗ 
men ihr von verſchiedenen Seiten naͤher, bis das Schick— 
ſal die Fakel des Lebens umſtuͤrzt, und Scenen eroͤffnet, 
über welche für dieſes Auge noch ein mitternaͤchtlicher 
Vorhang gezogen iſt. 


Aus dieſer natuͤrlichen Entwicklungskraft des Menſchen 
ließe ſich vieles fuͤr die Erziehung ſchließen. Die erſten 
Gründe derſelben gehen fo gar weiter zuruͤck, als der. 
Einfluß und die Bemuͤhung des Erziehers reichen kann. 
Sie liegen in der Moral und Diaͤtetik der Eltern ſelbſt. 
Welch ein Wink iſt das fuͤr ſie! Ja die Geſundheit, die 
Munterkeit, die ihr euern Kindern wuͤnſchet, muͤſſet ihr 
erſt ſelbſt beſitzen, eben wie die Fertigkeiten in allem 
Guten, wozu ihr ihnen die Anlagen geben muͤſſet. 

Wäre eine Geſellſchaft möglich, deren Glieder fih uns 
ter einander zur Maͤßigung, zur Tugend, zu lauter edeln 


Magaz. f. d. Naturk. Zelvetiens III. 5. D 


3e Zweyte Rede über die Perfectibilitaͤt 


Beſchaͤftigungen verbuͤndeten, wenn ſie ungeſtoͤrt und uns 
vermiſcht einige Jahrhunderte hindurch fortdauern koͤnnte: 
ſo wuͤrden wir in ihr die Menſchheit von einem Geſchlechte 
zum andern an Schönheit, an Vollkommenheit des Koͤr⸗ 
pers und der Seele ſteigen ſehen. Sollte dieſer Gedan—⸗ 
ke der Aufmerkſamkeit eines weiſen Fuͤrſten ſo ganz un— 
werth ſeyn? In unſerm Helvetien inſonderheit, wo die 
Vorſicht durch die Natur ſchon fo vieles für die Menſch⸗ 
heit gethan hat! ö 

Gluͤckliches Vaterland, möchte jeder deiner Bürger 
deinen ganzen Werth zu ſchaͤtzen im Stande ſeyn! Es 
liegt nach Buͤffons Angabe in der gemaͤßigſten Zone, 
wenigſtens grenzt es unmittelbar an dieſelbe. “) Es genießt 
einer drocken, kalten und warmen Luft, die fuͤr die 
menſchliche Bildung überall die zutraͤglichſte iſt. .) Seine 
hohe Lage ſteigt in die reinere Atmosphaͤre hinauf, und 
feine” bergichte Oberfläche iſt Urſache, daß es die Pros 
dukte von faſt allen Himmelsgegenden in einem engen 
Bezirke vereinigt.) Nun giebt die Mannigfaltigkeit 
der Lebensmittel den Menſchen uͤberall einen Vorzug vor 
denen, die auf eine weniger abwechſelnde Nahrung ein⸗ 
geſchraͤnkt ſind. 

Bey ganzen Voͤlkern ſind dieſe aͤußeren Vorzuͤge allemal 
die Vorboten großer Talente. Und finden ſich dieſe beym 
Schweizer nicht allgemeiner, als faſt bey keinem andern 
Volke ? O, wie viele edle Anlagen liegen hier verbor— 
gen, und erwarten nur ein Aug, das ſie bemerken kann, 
eine Hand, die ſie unterſtuͤtzen will. Denn freylich ohne 
Ermunterung, und ohne den ſuͤſſen Reitz einer rechts 


) Oeuvres compl. T. 5. p, 234. 

**) Wilſon über den Eiufluß des Klima. 

%%) Helvetia pene omnes Europæ regiones repræſentat ab he. 
Laponia, etiam a Spitzbergia, ad ipfam usque Hifpani 
Halleri Enumeratio ſtirp. ind, præf. 9. 


2 


u; 
*. 
7 


der Menſchheit. 7 u 
mäßigen Achtung werden die Talente ſich entweder gar 
nicht entwickeln, oder ſie bluͤhen und welken unbemerkt 
jenen Schattenliebenden Blumen gleich, die geſucht und 
unterſucht werden wollen, um ſich in ihrer ganzen Schöns 
heit zu zeigen. Wenn der Gelehrte als Gelehrter geachtet 
ſeyn wird, wenn er zubverſichtlich hoffen kann, durch 
feinen Fleiß außer die Sorgen der erſten Nothwendig⸗ 


keit geſetzt zu werden, wenn er ſich unter dem Schutz 


edeldenkender Maͤchtiger aus dem Dunſt der Eiferſucht in 
ſein wahres Licht durcharbeiten kann: dann werden wir 
in dem Schooſſe unſers Vaterlands Maͤnner ſehen, wie 
wir ſie außer demſelben geſehen haben. Und welchen 
Schwung nahm nicht der Zelvetiſche Genius von mittel⸗ 
mäßiger Fuͤrſtengunſt geweckt in einem Saller und Eu⸗ 
ler, einem Lambert und Sulzer, ) und fo vielen ans 
dern, welche die Verbeſſerer ihres Zeitalters, die Befoͤr— 
derer ihrer Wiſſenſchaft, und die Lehrer der aufgeklaͤrte⸗ 
ſten Voͤlker geweſen ſind. 


Der Vorſicht ſey es gedankt, daß wir dieſem Zeitpunkt 
naͤher ſind, als viele denken und einige ſchreiben. Nur in 
den drey letzten Jahren, in welchen ich der Akademie und 
den Schulen vorzuſtehen die Ehre hatte, wie oft bin ich 
nicht Augenzeuge von dem Eifer geweſen, womit unauf— 
hoͤrlich an der Vervollkommung dieſer Anſtalten gearbeitet 
wird! Wie oft habe ich nicht Beyſpiele von der Bereit— 


willigkeit geſehen, womit unſere Gnaͤdige Obern jede 


Gelegenheit ergreifen, Verdienſte zu belohnen, gemeinnuͤtzi⸗ 
ge Entwürfe zu beguͤnſtigen, und neue Erkenntnißquellen 
zu eroͤffnen! Und wie viele ſchoͤne Anſtalten reifen nicht 
jetzt auch ihrer nahen Wirklichkeit entgegen 


9 Blankenburg wollte oder konnte ihn als Philoſeph nicht wuͤrdi⸗ 


gen. S. Sulzers Leben im zweyten Band feiner vermiſchten 


* 


i Schriften. 


52 Zweyte Rede üb. d. Perfettibil. d. Menſchheit. 


Das alles verdanken wir Ihnen, Gnaͤdige Zerren 
und Obern, Ihrem Gefuͤhl von der Wichtigkeit der 
wahren Wiſſenſchaft in einem geſitteten Staate. Moͤch⸗ 
ten dieſe und alle uͤbrigen Abſichten Ihrer glaͤnzenden Re⸗ 
gierung in dem ganzen Maaße ibrer Gemeinnuͤtzigkeit er⸗ 
fuͤllt werden! 

Ihnen Wohlgeborne Hochgeehrte Zerren Schulraͤthe / 
ſey für das Wohlwollen, die Nachſicht, die Unterſtuͤtzun⸗ 
gen gedankt, womit ich bey unbedeutenden Kraͤften mein 
wichtiges Amt ohne die geringſte Kraͤnkung bis zu dieſem 
Ziel geführt habe. Der Gedanke, Ihres Gutheiſſens nicht 
ganz unwerth geweſen zu ſeyn, gehört unter die fuͤſſeſten 
Gluͤckſeligkeiten meines Lebens. 

Euch, Wuͤrdige Lehrer und Freunde! müſſe die be⸗ 
lohnende Vorſicht fuͤr Eure Unverdroſſenheit ſegnen, und 
Euch und Uns alle den Segen Eurer Arbeit in dem ſtei⸗ 
genden Gluͤcke dieſer geliebteſten Soͤhne des Staates, und 
des Staates ſelbſt ſehen laſſen. 


Beantwortung 


Der 


adde: 

Iſt die Handelſchaft, wie ſolche bey uns be⸗ 
ſchaffen, unſerm Lande ſchadlich oder nuͤtzlich, 
in Abſicht auf den Feldbau und die Sitten 
des Volks? 


Der 
Naturforſchenden Geſellſchaft in Zuͤrich 


vorgeleſen von 


Hrn. Doktor Rathsherr und Stadtarzt Hirzel. 


Il me femble en effet que la connoiſſance exacte de fon pays eſt 
une feience, qui pour Putilité ne le cede a nulle autre, que 
tous Pappliquent donc a remplir avee Zele les devoirs de cet 
emploi, quelque nom qu'on juge a propos de leur donner, 

loit Cryptes, ſoit viſiteurs de campagnes, s'ils veulent un jour 
contribuer efficacement a la conſervation de leur patrie. 

Loix de Platon L. VI. 


2000 00000 TU ——————— 


54 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


Es bat ſeit einiger Zeit ſehr oft Gelegenheit gegeben, in 
Öffentlichen Geſellſchaſten über dieſen Gegenſtand zu reden; 
allein öffentliche Geſellſchaften find nicht der Ort, wo die 
Gegenſtaͤnde mit der Genauheit und Richtigkeit beurtheilt 
werden, welche nöthig ſind, wenn man die reine Wahr⸗ 
heit finden, oder ſich ſolcher wenigſtens nähern fol. Hie⸗ 
zu erfodert es unumgänglich eine kalte Erwägung aller 
Umſtaͤnden einer Sache, die man alſo vorher muß ge⸗ 
ſammlet und ſich bekannt gemacht haben, und die Anwen⸗ 
dung der Regeln einer gefunden Logik, um aus den vor⸗ 
habenden Umſtaͤnden richtige Schlüffe zu ziehen. 


Dieſes geſchiehet aber ſelten in Geſellſchaften; der Um⸗ 
gang iſt gemeinlich allzulebhaft dazu. Gedaͤchtnis, Witz 
und Laune behaupten hier den Vorzug. Der Beobachtungs⸗ 
geiſt und ruhige Feten finden ſich nur im geſchloßenen 
der Geſellſchaſt PR gemacht. Eine Frage wird wie ein 
Ball hingeworfen, jeder haſcht nach ſolcher mit Hitze und Eis 
fer; man holt aus dem Gedaͤchtniſſe meiſtens nur unreife Be⸗ 
obachtungen, oder fluͤchtiggeſammelte Nachrichten aus Buͤ⸗ 
chern her, liefert einige mangelhafte Vorkenntniſſe, und 
der Witz flicht fie ſchnell in einen Zuſammenhang ein, 
den man fuͤr einen Vernunftſchluß ausgiebt. Shen fo fchnelf 
erfolgen Widerſpruͤche, die fi ch nicht auf feſtere Säulen 
gruͤnden; der Eifer wird wechſelſeitig rege, die Stimmen 
erhoͤhen ſich, und meiſtens entſteht ein verwirrtes Ge⸗ 
ſchwaͤtz, da jeder nur darauf denkt, feinen Satz zu bes 
haupten, oder den Gegner durch Witz zu verwirren, am 
wenigſten zu lernen und ſeine Begriffe zu berichtigen. Zu⸗ 
weilen erhitzen ſich die Gemuͤther ſo ſehr, daß es ein Gluͤck 


für Feldbau und Sitten des Volks. sy 


iſt, wenn durch launichten Witz eines Spaßmachers der 
Friede wieder hergeſtellt, und ein allgemeines Gelächter er⸗ 
weckt wird, wenn ein ſolcher die Sache von der laͤcherlichen 
Seite vorſtellt. 


Es geſchieht zwar zuweilen die Unterredung in einem 
anftändigern Tone, wenn Männer zugegen ſind, die durch ihr 
Anſehen Ehrfurcht einfloͤſſen. Schade, daß nicht allemal 
dem Anſehen richtige Einſichten und Grundlichkeit beyge⸗ 
ſellt ſind; daß ſolches ſo oft durch eine wohlgeloͤste Zunge, 
und die Kunſt uͤber alles mit einem Anſchein von Ordnung 
und Zierlichkeit zu ſchwatzen, erhalten wird, wo man ſei⸗ 
nen Ruhm darinn ſucht, von ſchnurſtracks entgegengeſetzten 
Gegenſtaͤnden mit gleicher Staͤrke und Nachdruck zu reden, 
und wo man die Seite auswaͤhlt, welche die ſchicklichſte 
ſcheint, Beyfall zu erhalten, oder einen beneideten, vernuͤnf— 
tigen Mann oft nur durch Frechheit, in Behauptung 
der ausſchweifendſten Meinungen, ſtumm zu machen, 
oder wo Reichthum und Rang das Anſehen geben, und 
die Machtſpruͤche der Angeſehenen mit ſchuͤchternem Still⸗ 
ſchweigen der einen, oder mit niedrigen Schmeicheleyen. 
der andern, aufgenommen werden. 


Hier iſt alſo nicht der Ort richtige Einſichten zu erlangen. 
Dieſe find eine Belohnung ſtiller und ſorgfaͤltiger Webers 
legung in der Einſamkeit, und eines fleißigen Umgangs 
mit den Todten, welche durch ihre Schriften ohne Geraͤu⸗ 
ſche ihre geſammelten Schaͤtze von Weisheit zur Pruͤfung, 
und nutzlicher Anwendung darlegen. 


Dieſes hat mich bewogen, in einigen Ruheſtunden ein 
Problem in Erwägung zu ziehen, deſſen richtige Aufoͤſung 
meinem lieben Vaterlande wichtig ſeyn kann; und zu wel⸗ 
cher ich mich durch das Zutrauen dieſer Geſellſchaft, mir 
die Leitung der landwirthſchaftlichen Sachen zu überlaffen, 
berufen finde; wozu noch kommt / daß ich von UGu H Hrn. 


e Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaſt 


eine außerordentliche Gelegenheit erhalten habe, von der 


Beſchaffenheit unſers Handlungsweſen mehrere Kenntniſſe 


zu erlangen. 


Ich habe die Frage nur auf unſer Land eingeſchraͤnkt, 
weil dieses uns am meiſten intereßiren ſoll, und weil ich 
auch von der Beſchoffenheit deſſelben, in Abſicht auf Land» 
wirth und Handelſchaft allein einiger Kenntniſſe mich ruͤh⸗ 
men kann. 


Man erwarte aber nicht von mir, daß ich die Aufloͤſung 


dieſer Aufgabe zu gaͤnzlicher Befriedigung werde vorlegen 


* 


koͤnnen. Ich erkenne die Schwaͤche meiner Einſichten; zu⸗ 
dem mangelt es noch immer bey uns an hinlaͤnglicher Kennt⸗ 
nis unſers Landes in allen feinen Beziehungen auf Land— 
bau und Gewerbe, ungeachtet der vielen Bemuͤhungen, 
die man ſich ſeit einigen Jahren gegeben hat, unſer Land 
von allen Seiten her kennen zu lernen. Wir muͤſſen z. B. 
noch immer bedauren, daß man noch nicht von allen Or⸗ 
ten her die Ausfuͤllung der Tabellen zur Kenntniß der Bes 
voͤlkerung, und des Vermögens an liegenden Gründen und 
des Viehſtands hat erhalten koͤnnen, geſchweige, daß 
man ſolche wiederholt Hätte, woraus man eine Verglei⸗ 
chung von verſchiedenen Dezennien haͤtte anſtellen koͤnnen, 
welches nothwendig iſt, wenn die Urſachen des Forts 
gangs oder Krebsgangs entdeckt werden ſollten. Wir ken⸗ 
nen auch nur von wenigen Orten die Ertragenheit der 
Güter aus richtigen Beobachtungen; alles beſteht noch 
in Fragmenten. 

Hier ſollten wir aber das noͤthige Licht fhönfen , wenn 
wir von dem Einfluß der Fabriken auf den Feldbau uns 
einen vollkommnen Begriff erwerben ſollten. ü 

Indeſſen wollen wir, ſo viel wir bis dahin unſer Land 
kennen gelernt, deſſen verſchiedene Gegenden durchgehen, 
und die Beſchaffenheit des Feldbaues vor Augen legen, 


für Feldbau und Sitten des Volks. 57 


und zugleich einen Blick auf die in gleichen Gegenden herr, 
ſchenden Fabrickarbeiten werfen. Gluͤcklich genug, wenn wir 
dadurch Dero Aufmerkſamkeit rege machen, und Ihnen Ans 
laß geben, uns zu belehren, oder andere, die mehr Talente 
und mehr Muße haben, aufwecken, einen fo wichtigen Ge 
genſtand in ein helleres Licht zu ſetzen. 

Unſer Land kann in Abſicht auf die Landwirthſchaft in 
folgende Bezirke eingetheilt werden. 


1. Die Gemeinden um die Stadt, die vier Wachten 
und Wiedikon, wozu noch Altſtaͤdten koͤmmt. 

2. Die Hftfeite des Züricherfees. 

3. Die Weſtſeite des Zuͤricherſees. 

4. Der Hoͤnggerberg. 

5. Das Gelände jenſeits dem Albis, das Knonaueramt, 
Wetſchweil, Bonnſtaͤtten und Birmenſtorf. 

6. Der gebirgigte Theil von dem Gruͤnningeramt, von 
Bubikon an bis Wald, und Fiſchenthal, ſamt dem gebir— 
gichten Theil von dem Enneramt der Grafſchaft Kyburg, 
der Toͤß nach bis nach Elgg / Baumen, und Turben⸗ 
thal ꝛc. N 

7. Die Herrſchaft Greifenſee, der daran ſtoſſende ebnere 
Theil der Herrſchaft Grüningen, und der gegen Zürich 
liegende Theil der Grafſchaft Kyburg, bis Kloten, ſamt 
der Vogtey Duͤbendorf. 

8. Die Vogteyen Regenſtorf und Regenſperg, von der 
Nordſeite des Hoͤnggerbergs bis und mit der Nordſeite des 
Laͤgerbergs, an welchem das Wenthal liegt. 

9. Die Vogtey Ruͤmlang mit dem Neuamt. 

10. Die Herrſchaft Egliſau. 

11. Der Bezirk von dem oͤſtlichen Ufer der Toͤß bis an 


die Thur. 
12. Das Außeramt zwiſchen der Thur und dem Rhein. 


58 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


9. 1. Die Gemeinden um die Stadt enthalten eine 
ſchoͤne Ebne von einer halben Stunde im Durchſchnitt, 
an welche auf der Weſtſeite der Uetliberg, und an der Oſt⸗ 
feite der Suſenberg und Geißberg graͤnzen. In der Ebne 
liegen bie ſchoͤnſten Felder, das Seefeld, Sihlfeld und 
Altftätterfeld , um die vielen Haͤuſer, die ſich ringsum fols 
che befinden, liegen Baumgaͤrten, und an den Huͤgeln 
der Oſtſeite Weinberge. 


Alle dieſe Guͤter ſind wohlgebauet, die Felder tragen 
alle Jahre Fruͤchte; wenigſtens in drey Jahren viererley, 
Korn, Roggen, Ruͤben, und Bohnen, oder Erbſen, oder 
Oelſaamen, auch Fornugrek. Das Korn giebt oft das 8te 
auch zehente Korn. Bohnen zuweilen 12. Muͤtt, auf die 
Juchart von 36000. Wo die Felder mit dem Karſt gebauet 
werden, ziehet man ungleich mehr, als wo ſie mit dem Pflug 
gebauet werden; und an vielen Orten werden häufige Gar⸗ 
tengewaͤchſe gepflanzet. Dieſe Felder koͤnnen zu einem Benz 
ſpiel eines vollkom̃nen Getraidbaues dienen; und ich habe oft 
von hollaͤndiſchen Offiziers gehoͤrt, daß ſie auf ihren Rei— 
ſen von Holland aus, kein Feld beſſer beſtellt geſehen haben, 
als das Sihlfeld. Dieſes wird mit dem Pflug gebaut; 
da hingegen das Seefeld und der Hottingerboden meiſt mit 
dem Karſt gebauet werden. Daher auch dieſe ehender ei⸗ 
nem Garten , als einem Kornfelde gleichen. 


Die Guͤter ſind auch in hohem Werthe; im Sihlfeld 
werden die Aecker mit 2.400 fl. bezahlt; im Seefeld gel⸗ 
ten fie 1000, 1200 fl. Es iſt aber auch daſelbſt eine wah⸗ 
re Gartenerde zu fehen. Der Boden iſt Sand» und 
Haſelgrund. 

Auch das Sihlfeld iſt fruchtbar, obgleich deſſen Grund 
ganz kieſig iſt; den oberen Theil gegen dem Albis 9 
nommen wo er letticht iſt. 


Zu der außerordentlichen Fruchtbarkeit des Seefelds ragt 


für Feldbau und Sitten des Volks. 50 


die Naͤhe der Stadt bey, indem die hier gepflanzte Kuchen» 
gewaͤchſe in ziemlich hohem Preiſe in die Stadt verkauft wer⸗ 
den können. Hierzu koͤmmt, daß das Feld in kleine Bes 
ſitzungen getheilt wird, die mit dem Karſt und Schaufel 
gartenmaͤßig gebaut werden. Sodenn haben Sie mit dem 
- Sihlfeld die Bequemlichkeit gemein, aus der Stadt den 
beſten Dünger zu ziehen, da bie Bauren aus dieſen Ge 
genden die Kloaken in Beſtand nehmen, in welche fie 
von Zeit zu Zeit ihr Stroh bringen. Sie ſammeln al⸗ 
fo hier ſowohl feſten als fluͤßigen Dünger (Lachen) in 
Menge. 

Die Wieſen find meiſtens mit Obsbaͤumen wohl b& 
ſetzt, und liefern von allen Arten, auch feinerem Obs, in 
die Stadt; Meiſt herrſchet hier die Stallfuͤtterung. Wie⸗ 
dikon hat allein zwar eigne Allmenten, und einige Hoͤfe in 
der Enge und Hard, haben aus Gnaden Antheil an der 
Burgerallment, im Hard. An der Obernſtraſſe hat man 
vor 10. Jahren die Allment vertheilt, welche nun an al⸗ 
lem Getreide, Bohnen, Erbſen, Erdaͤpfeln und Klee alle 
Jahre reiche Fruͤchte traͤgt; ſo wie die vertheilte Stuͤcke 
auf dem Ried, und im Hard, die mit Gartengewaͤchſen 
bepflanzt werden. 


Albisrieden nimmt ſich durch einen reichen Obswachs in 
ſeinen Kornfeldern aus. — 

Der Weinwachs iſt an den Gebirgen, die an die Oſt⸗ 
ſeite der Limmat graͤnzen, in gutem Stande; die Reben 
geben im Mittel 1112. Eimer; der Wein iſt in der Quali⸗ 
taͤt von geringerm Werthe, weil ſich das Gebirg ein wenig 
Nordwerts ziehet. Doch in den Landguͤtern der Herren, 
wo man ſich eines edlen Gewaͤchſes befeiſſet, waͤchst noch 
ziemlich guter Wein. 

Die Milch wird mit Vortheil in die Stadt getragen. 

In allen dieſen Gegenden iſt der Feldbau vortreflich wohl 


‘ 


so Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


beſtellt, und bezahlt dem Arbeiter feine Mühe reichlich, 
wenu er mit eignen Leuten arbeiten kann; aber wer die 
Arbeiten durch Tagloͤhner verrichten muß, kann wegen der 
Groͤße des Taglohns, und dem Uebermaſſe von Wein, das 
man bis auf 2. Maaß getrieben hat, nicht beſtehen. Hier⸗ 
zu mag der Fabrikverdienſt, der, wo nicht vortheilhafter, 
doch bequemer iſt, nicht wenig beytragen. 


Sonſt kann ein Bauer mit wenig Jucharten Landes 
ſich nicht nur wohl fortbringen, ſondern noch alle Jah⸗ 
re ein betraͤchtliches vorſchlagen, wie dieſes viele Bey— 
ſpiele von wohlhabenden Bauren in dieſen Gegenden be⸗ 
weiſen. | 

In dieſen Gegenden halten fich ſehr viele Menſchen auf, 
welche die Nähe der Stadt herbeylockt, die theils in der 
Stadt die Schreib und Fergſtuben beſuchen, theils zu 
Hauſe mit Spinnen und Weben ſich ernaͤhren. Es befin⸗ 
den ſich auch hier viele Handwerker, vorzuͤglich Schneider 
und Schuſter, die aus der Stadt durch Kontrebande Geld 
ziehen. Hier kann man alſo keinen Schaden von den Fabri⸗ 
ken bemerken, vielmehr giebt der leichte Geldverdienſt allen 
einen ungemeinen Trieb, und hilft, aus dem Oberlande, 
was an Heu und Stroh mangelt, erſetzen. Reichere Fabrik⸗ 
arbeiter ſuchen eine Ehre darinn, eigene Guͤter zu beſiz⸗ 
zen, und dieſen allen moͤglichen Grad der Fruchtbarkeit 
mitzutheilen, indem ſie mit den Herrenguͤtern hierinn um 
den Vorzug ſtreiten, inur die unnuͤtze Pracht an unfrucht⸗ 
baren Hecken ausgenommen. 


Nur Altſtaͤtten ſcheint eine Ausnahme zu machen, deſ⸗ 
ſen großer Umfang an Wieſen und Feldern, wegen Mangel 
genugſamer Bearbeitung weit hinter den angraͤnzenden zu⸗ 
ruͤckbleibt, da von dieſem Dorf die groͤßere Zahl der 
Einwohner ſich dem Dienſt in den Fabriken widmet. 
Glücklich wurde es ſeyn, wenn Altſtaͤtten Wiedikon nach⸗ 


für Feldbau und Sitten des Volks. 6 


ahmte wo die Einwohner entweder ganz ſich dem Feld. 
bau, oder ganz der Fabrikarbeit wiedmen. 


Ein Ungluͤck iſt für Altſtaͤtten, daß die Haͤuſer alle bey 
einander ſtehen. Wenn der große Umfang der Guͤter in 
kleine Hoͤfe, wie im Hard, eingetheilt waͤre, wurden ſie 
ungleich beſſer bebaut werden. Hier kann man its 
deſſen ſagen, daß der Feldbau durch die Fabrikarbei— 
ten leide. 


Doch ſcheinen auch hier die Ermunterungen der Geſell⸗ 
ſchaft nicht ohne Nutzen, da man den Kleebau merklich 
uͤberhand nehmen ſieht. Auch zeigen die Weberiſchen Güs - 
ter in Unter-Altſtaͤtten, daß der Fabrikverdienſt von den 
gluͤcklichſten Fabrikardeitern zur Aeufnung des Feldbaues 
angewandt werde. 


Noch muß ich bemerken, daß, wenn man im Sommer 
von Baden nach Zürich reiſet, Altſtaͤdten nicht eher bez 
ſchaͤmt werde, bis man zu den Fargiteen und dem Sihl⸗ 
feld koͤmmt. 


Was die Sitten anſieht, ſo trift man freylich bey dem 
arbeitſamen Bauer mehr Sparſamkeit und Eingezogen⸗ 
heit an, als bey den geringern Fabrikarbeitern. Unter den 
groͤßern, die die Schreib, und Fergſtuben der Stadt beſu⸗ 
chen, finden ſich hingegen viele rechtſchaffene Maͤnner von 
nicht geringen Einſichten, und einer gutmuͤthigen Denkungs⸗ 
art gegen die Armen. Viele tragen zu dem Gluͤcke ihrer 
Handelsherren das meiſte bey, ſonderlich bey der Nachah⸗ 
mung vortheilhafter Fabrikarbeiten, auch ſelbſt durch eigne 
Erfindungen. Ich kenne Maͤnner, die, wenn ſie von ihren 
Geſchaͤften nach Hauſe kommen, ihr Vergnuͤgen entweder 
in Beſorgung ihrer kleinen Guͤter, oder auch im Leſen 
guter Buͤcher ſuchen, und als Vorgeſetzte der Gemeinden zu 
vielen nuͤtzlichen Einrichtungen mithelfen: ſo verdankt Wie⸗ 
dikon ſeine ſchoͤne ſteinerne Bruͤnnen einem Sekelmeiſter 


W 
62 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


Bachmann, und Wipkingen feine Kaſſa zur Entſchaͤdigung 
des Viehverlurſts einem Untervogt Rupert. Ich kann nicht 
vergeſſen , zwey Beyſpiele von der guten Denkungsart zweyer 
getreuer, alter Kaufmannsbedienten zu gedenken, die letz⸗ 
tern Jahrs einer Wittfrau und Mutter vieler Waiſen, wel⸗ 
che der Mann durch einen fruͤhzeitigen Tod in klemmen Um⸗ 
ſtaͤnden verlaſſen hat, der eine eine Obligation von 80, fl. 
der andere eine von 20. fl. entkraͤftet zugeſchickt haben, um 
die Ehre des Verſtorbnen zu retten. 


$. 2. Die Oſtſeite des Zuͤricherſees erſtreckt ſich von 
dem Rieſpach bis nach Humbrechtikon, beſteht aus der 
Sommerſeite einer 3. Stundenlangen Gebirgskette; die 
Berge laufen gegen den See in breitere und ſchmaͤlere 
Striche ebenen Landes aus, uͤber ſolche erheben ſich in 
groͤßerer und geringrer Jaͤhe, in Form von Teraſſen Huͤgel, 
die oben wieder breitere und ſchmaͤlere Striche von flachem 
Boden haben, bis auf die Graͤthe des Gebirgs. Die Graͤ⸗ 
the iſt mit Waldungen bedeckt, die aber auch, wo der Ruͤ⸗ 
ken breit iſt, mit gebauten Guͤtern unterbrochen werden, 
wie bey Zumiken, Wezweil, und Humbrechtikon. An den 
jaͤhen Abſchuͤſſen ſind meiſtens Weinreben gepflanzet; die 
Flaͤchen am Bord der See und auf den Teraſſen ſind in 
kleine Feldſtuͤcke und Baumgaͤrten abgetheilt, in welchen 
eine unzaͤhliche Menge meiſt wohlgebauter Haͤuſer zerſtreut 
ſind, wo es von Menſchen wimmelt. 

Die Wieſen ſind aller Orten mit Waͤldern von Obs⸗ 
baͤumen beſetzt, und wegen haͤufiger Begießung mit La⸗ 
che, und Beſtreuung mit Torfaſche grasreich. Das Vieh 
wird meiſtens im Stalle gefuͤttert, und von demſelben mit⸗ 
telſt der Kuhgraben haͤufiger feſter Dung und Guͤllen bezogen. 

Auch die Allmenten, wo noch dergleichen ſind, find z. B. 
in Zolliken, mit Obsbaͤumen wohl beſetzt. 

Die Feldſtuͤcke werden meiſt nur mit dem Karſt und des 


für Feldbau und Sitten des Volks. 63 


Schaufel angebaut, und ſind deswegen ungemein ergiebig. 
Man pflanzet darinn Korn, Noggen, mit Rüben, oder 
Gerſte, mit gelben Rüben, oder Erdapfel mit gelben Rüs 
ben, Felbbohnen, und fo abwechfelnd , ohne das Feld 
ruhen zu laſſen. 


Die Weinreben ſind wohl gebaut, geben im Mittel 12, 
14—18. Eimer, auf die Juchart von 35006. Die erſtern 
Verhaͤltniſſe in Herrenguͤtern, in welchen nämlich viel Klev— 
ner und Zuͤrichtrauben gepflanzt werden; die letztern in den 
Bauren⸗Reben, wo mehr auf die Menge geſehen, und ne— 
ben Welſchen viele Kurzſtieler, und rothe große Ehrlibacher - 
gepflanzt werden. Der Wein wird gut, dauerhaft, und ver— 
beſſert ſich mit dem Alter; er iſt deswegen allezeit in hoͤherm 
Werthe, als auf der Weſtſeite des Sees. 

Viel ſchwarzes Stroh und Heu wird aus dem Ober— 
lande erkauft, beynahe ſo viel, als am Ort ſelbſt an Heu 
geſammelt wird. Die Milch wird meiſt in den Haushal— 
tungen verbraucht, oder an die Kaffeetrinker verkauft. 
Mittelſt deſſen kann der Nutzen von einer guten Milchs 
kuh, die täglich 5 6. Maaß Milch liefern kann, auf 100. ff. 
gebracht werden. 


Viel Brennholz, ja das meiſte muß erkauft werden. 
Mehr, der zunehmende Holzmangel, als Mangel an 
Cultur, iſt Urfache, daß entfernte Aecker in dem Gebirge zu 
Holz liegen gelaſſen, auch hin und wieder mit Holz anges 
bluͤmt worden. In Ehrlibach iſt ſchon vor Mannsgeden⸗ 
ken die Vertheilung einer Gemeinweide vorgenommen wor— 
den, an deren Statt nun wohlgebaute Güter, Reben, Wis 
fen und Aecker ſtehen. Durch die Warnungen der Hungers 
Jahre ſind in dieſen Gegenden mehrere Vertheilungen 
vorgenommen worden. 

In den untern Theilen des Gelaͤndes, wo die Doͤrfer 
liegen, iſt 373 Haushaltungen ohne Guͤter, wenn man 


* 


64 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


den Garten ausnimmt. Hier herrſcht alfo vorzüglich die 
Fabrikarbeit, und veranlaßt eine immer anwachſende Be⸗ 
voͤlkerung. 

Der See ernaͤhrt auch viele Schiffer durch die Fuhr⸗ 
loͤhne von Heu, Stroh, Holz, und Fabrickwaaren, die 
nach der Stadt gefuͤhrt, oder von dort geholt werden, oder 
die man aus dem Oberlande abholt. Auch viele Fiſcher 
finden auf dem See ihre Nahrung. Dieſes giebt Gelegen⸗ 
heit zu einer innlaͤndiſchen Handlung, weswegen auch vie⸗ 
le Kraͤmerey getrieben wird. 5 

In Abſicht auf die Sitten, machen Arbeitſamkeit und 
Erfindung in mancherley Kuͤnſten und Fabrickarbeiten, auch 
Sparſamkeit in dem gewohnten Eſſen und Trinken die gute 
Seite aus, vorzuͤglich iſt der Guͤtermann ungemein arbeitſam; 
er iſt gewohnt ſchwere Lafie Bergan in feine Güter zu tra⸗ 
gen. In Kleidern herrſcht an den Werktagen Beſcheiden⸗ 
heit, aber an den Sonntagen glaͤnzt man gerne in Kleidern, 
und liebt den Trunk. Das Kaffeetrinken iſt beynahe zur alls 
gemeinen Morgenfpeife worden, vorzüglich bey den Fabrick⸗ 
arbeitern. Dieſe ſind auch zum Pracht und Verſchwendung 
geneigter, als die Guͤterleute, welche meiſt eingezogner 
und haushaͤlteriſcher ſind. Das Volk hat daneben einen 
gewiſſen Stolz, und iſt zur Froͤhlichkeit geneigt. Man 
ſiehet im Sommer an den Sonntagen ganze Schiffe voll 
junger Leute, die mit Geſang von muſtkaliſchen Inſtrumenten 
begleitet ſich ergoͤtzen. Sie finden auch ein beſondres Vers 
gnuͤgen an Militairübungen ; unter den aͤrmern Fabrik⸗ 
arbeitern herrſcht ſtarker Hang zur Untreu, Betrug, Leichts 
finsigfeit und Unkeuſchheit. 

Wenn man die natürliche Unfruchtbarkeit des Bodens, 
da an vielen Orten Sandfelſen und Nagelfluhe zu Tage 
ausgehen, alſo nur eine dünne Rinde einer des Anbaues 
fähigen Erde anzutreffen iſt, mit dem Anbau der Güter 

ver⸗ 


+ 
fuͤr Feldbau und Sitten des Volks. 65 


vergleicht, welche einem irdiſchen Paradies gleichen, fo 
muß man die Geſchicklichkeit und Fleiß in dem Feld⸗ 
bau noch mehr bewundern, und man kann nicht ſagen, 
daß der Fabrikverdienſt dem Feldbau ſchade: vielmehr 
muß man glaubeu, daß ſolcher zur Vervollkommnung mit⸗ 
hilft, indem er viel baar Geld zu Anſchaffung des mans 
gelnden Futters und Strohes liefert. Dieſem ſind auch 
die Menge wohlgebauter, gemaurter Haͤuſer, und allge 
mein eingefuͤhrte Ziegeldaͤcher zu verdanken. 

Einen merkwürdigen Beweis des Wohlſtands und der 
Betriebſamkeit in Verbeſſerung der Guͤter, gab das ungluͤck— 
liche 1778. Jahr; in welchem in Kuͤßnacht ſo viele Haͤu⸗ 
ſer weggeſchwem̃t, und die ſchoͤnſten Guͤter unter Kieſelſteine 
vergraben worden, welches in mehrern und miudern 
Grad auch an andern Bergbaͤchen geſchehen, indem innert 
4. Jahren die Guͤter wieder vollkommen hergeſtellt worden. 

Der Kleebau hat in dieſen Gegenden viele Liebhaber 
gefunden, und beweist neben andern die Aufmerkſamkeit 
dieſes Volks auf alles, was den Feldbau vervollkom̃nen kann. 

$. 3. Die Weſtfeite des Sees ziehet ſich von der Engi 
dem See nach hinauf, wird gegen Abend von der Bergkette 
des Albisgebirges begraͤnzt. Ohngekaͤhr in der Mitte bey 
Oberrieden kruͤmmt ſich das Geſtade mit dem See gegen 
Suͤdoſt, entfernt ſich von dem Albisgebirge, und lehnt ſich an 
dem Gebirge an, das den Canton Schweiz, Zürich, und 
Zug, mit einander vereinigt. Auf der Roßweid liegt 
eine March zwiſchen den 3. Cantonen, welche der Laͤnder⸗ 
ſtein genennt wird. Von der Brandſchenki an ſoͤndert 
ein entſtehender Huͤgel das Gelaͤnde zwiſchen dem See und 
dem Albisgebirge in 2. Gelaͤnde ab, deren das hintere von 
ber Sihl durchſtroͤmt wird. Dieſes iſt roher und un⸗ 
fruchtbarer, als das Gelaͤnde gegen dem See, und ſchließt 
viele abgeſoͤnderte Waldungen in ſich, die ſich endlich ob 
Langnau vereinigen, zwey große Forſte zu bilden, die 

Magazs. f. d. Naturk. Helvetiens. III. B. E 


66 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


durch die Sihl abgeſoͤndert werden, den Forſt des Frau⸗ 
muͤnſteramts, der ganz mit Tannen bewachſen, und den 
Sihlwald, der meiſteus aus Buchen beſteht. 

Die vordere Seite dieſes Gelaͤndes von dem See an 
bis auf die Hoͤhe des Huͤgels, iſt in Abſicht auf den Feld⸗ 
bau der beſchriebnen oͤſtlichen Seite des Sees aͤhnlich. 
Wieſen, Feldſtucke und Reben wechſeln mit einander ab. 
Je mehr man den Graͤnzen des Cantons naͤhert, je hoͤ— 
her wird das Gebirge, und die gegen den See ſich fens 
kende Seite theilt ſich in Teraſſen ab. Ob Horgen nimmt 
die oberſte Teraſſe die Natur der niedrigen Alpgebirge an, 
und hier entſteht eine ganz andere Art von Wirthſchaft, 
nemlich die Sennen ⸗Wirthſchaft, da in dieſem Theil über 
so. Sennhütten ſich befinden, in welchen die Milch zum 
Butter und Kaͤſemachen verwendet wird. Es befinden 
ſich 42. in der Herrſchaft Waͤden ſchweil, in welchen von 
1084. Stuͤck Kuͤhen, 992. Zentner Butter, und gegen 2000. 
Zentner Kaͤſe verfertigt werden. 

Die untern Teraſſen nehmen ſich an der Fruchtbarkeit 
vor der Oſtſeite des Seebezirkes aus. Der Mittelertrag der 
Reben beziehet ſich auf 20, und mehr Eimer von der 
Juchart. Man hat Beyſpiele, daß in den beſten Jahren 
100. Eimer aus einer Juchart gewimmelt worden. Da⸗ 
gegen iſt der Wein ſaͤurer und weniger dauerhaft, und 
deswegen in niedrigerm Werthe, doch nicht fo, daß nicht 
hier mehr an Geld bezogen wird, als dort. Die Cultur 
der Reben iſt vortreflich, fo daß ſie einem der größten 
Kenner ber Landwirthſchaft, Herrn Hofrath Buͤtrs, einem 


würdigen Freund des berühmten Francois Quesnoy, Urhe⸗ 


ber des phyſiokratiſchen Syſtems, das Geſtaͤndnis abge 
lockt, daß hier die Cultur der Weinberge zum höchften 
Grade der Vollkommenheit gebracht ſeye. 

Der Boden iſt meiſtens ſchwerer, lettichter Art, und 
enthaͤlt ſehr viele Waſſeradern, welches den Abzug deſſel⸗ 


für Feldbau und Sitten des Volks. 67 


ben durch Tholen noͤthig macht, dergleichen vorzuͤglich in 
der Mitte dieſes Geländes in Oberrieden, unzaͤhlich viele 
ſind, die von der anhaltendeſten Arbeitſamkeit und Vers 
beſſerungsbegierde der Einwohner dieſes Landes zeugen. 
Dieſe Art Boden aber vermehrt die Fruchtbarkeit des Ge 
laͤndes auferordentlich. Die Obsbaͤume, welche die Wies 
ſen in Waͤlder verwandeln, wachſen hier vorzuͤglich groß, 
und geben ehr viel Obs; die Wieſen find auch ergiebig, 
und koͤnnen hin und wieder gewaͤſſert werden An dem 
See befinden ſich viele Streuilaͤnder. Die Feldſtucke wers 
den, wie auf der andern Seite des Sees, alle Jahr bes 
nutzt, und mit dem Karſt und Schaufel gebauet, und 
darinn an Korn, Roggen, Gerſte, Bohnen, Erdapfeln, 
gelben Ruͤben, weiſſen Ruͤben, und Oelſaamen, auch 
Kuchengewaͤchſen, ein großer Vorrath geſammlet. 

Auch hier trift man die Behandlung des Duͤngers und 
der Guͤllen, in der groͤßten Vollkommenheit an; ſo daß 
auch dieſes Gelaͤnde einem irdiſchen Paradies gleichet, und 
voll von wohlhabenden Bauren iſt. 

In dem Bezirke gegen der Sihl befinden ſich zwiſchen 
den Waldungen viele ſumpfichte Wieſen und Torfrieder; 
und in einem ſolchen bey dem Ruͤſchliker⸗ oder Neidelbad 
iſt im Anfange dieſes Jahrhunderts der erſte Torf ges 
graben worden, welches einen großen Segen fuͤr Stadt 
und Land erzeugt hat; auch hat man bey Kaͤpfnach die 
erſten Spuren von Steinkohlen entdeckt. 

Auch in dieſem kalten Bezirke find die ſonnenreichen Huͤ— 
gel mit Reben bepflanzet, die aber den ſchlechteſten Wein 
geben, und nur deswegen geſtattet werden koͤnnen, weil 
ſie ein Mittel ſind, dem Bauer den Feldbau zu erleich⸗ 
tern, der, wie wir ſchon gemeldet, ſehr viele Unkoͤſten ers 
heiſcht, die Tagloͤhner zu befriedigen, und faſt unmöglich 
wird, wenn der Bauer nicht eignen Wein pflanzen kann. 

Neben den Guͤtersleuten befinden ſich auch in dieſer Ge⸗ 


es Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


gend außerordentlich viele Fabrikarbeiter. In der Herr⸗ 
schaft Waͤdenſchweil befinden ſich 559. Haushaltungen ohne 
Guͤter, und 786. mit Guͤtern, unter welchen aber viele 
ſind, die nicht uͤber eine Juchart beſitzen; ſo daß man 
wenigſtens die Hälfte der Einwohner, welche Ao. 1772. 
aus 8277. Seelen beſtand, ganz vom Fabrikverdienſte 
oder Handwerken leben muß. 

In Abſicht anf die Sitten ſind die Einwohner dieſer 
Seite des Sees, denen von der andern Seite ganz aͤhn⸗ 
lich, nur das Kaffeetrinken und Fleiſcheſſen iſt vorzuͤglich 
bey der Klaſſe der Fabrikarbeiter ſehr gemein. 

Einen Nahrungszweig macht in dem obern Theile die 
Nachziehung des Viehes, und der Verkauf der Kuͤhen, nach 
Italien aus. Dieſes und die groͤßere Fruchtbarkeit giebt 
dieſem Bezirke vor dem andern einen merklichen Vorzug 
an dem Vermoͤgen der Einwohner. Dieſe ſind auch von 
einem groͤßern Wuchſe, welches bey den Hauptmuſterun— 
gen in die Augen faͤllt. Auch hier nimmt die Bevoͤlkerung 
noch immer merklich zu, und das Volk hat ſich an dem 
See innert 100. Jahren, um 3, vermehrt. Ungeachtet das 
mals ſchon und von Jahrhunderten her hier die Bevoͤlke— 
rung vorzuͤglich merkwuͤrdig war. 

Noch muß ich anmerken, daß in dieſer Gegend die Forſt⸗ 
wirthſchaft am beſten betrieben wird, und von dort aus, 
durch den ſel. Bötfchi, und den Landrichter Zoz, ſich auch 
uͤber die andern Gegenden des See ausgebrei⸗ 
tet hat. 

Der Zuͤrichſee hat alſo neben den gerettet und hats 
figften Fabrikarbeitern, zugleich die geſchickteſten und Reif 
ſigſten Landwirthe erzeugt, die dieſes Gelaͤnde zu einem 
wahren Luſtgarten Gottes gemacht; und dieſes beweiſet, 
daß der Feldbau neben dem Fleiß in den Fabriken gar 
wohl beſtehen, und aus dieſen noch Beyhilfe ziehen kann. 

Die Guͤter ſind an beyden Seiten des Sees in hohem 


* 


für Feldbau und Sitten des Volks. 69 


Werthe, die Reben von looo. bis 2000. fl.; die Wieſen 
von 500. bis 1000. fl., und fo auch die Felder, nemlich in 
denen untern Teraſſen des Gelaͤndes. * 

§. 4. Der Hoͤnggerberg unten an dem Stadtbezirk, 
hat viele Aehnlichkeit mit der oͤſtlichen Seite des Zuͤrich⸗ 
feed, das Gelände ziehet ſich von dem rechten Ufer der Lim⸗ 
mat fogleich in die Höhe; und nur hie und da liegt ein fla⸗ 
ches Stuͤck Landes, welches in den aͤlteſten Zeiten von der 
Limmat angelegt zu ſeyn ſcheint. Durch die Mitte des 
Bergs ziehet ſich die Straſſe nach Baden, an deren ſich 
hinter dem Dorf eine Fläche ausbreitet. Der Rücken des 
Bergs iſt ſehr breit, und enthaͤlt neben vielen Waldungen 
und einer Gemeinweide auch noch viele gebaute Guͤter, 
Wieſen und Felder. 

Der Berg iſt an derjenigen Seite, die ſich bis an die Lim⸗ 
mat ſenkt, bald durchgehends mit Weinreben bepflanzt, 
deren viele zu den Herrenguͤtern gehoͤren, die meiſtens an der 
Straffe fi) befinden. Der Wein koͤmmt mit dem von der 
Oſtſeite des Sees meiſt uͤberein, nur daß er fruͤher milde 
wird, und hat deswegen guten Abgang an die Burgerſchaft 
der Stadt. Die Wieſenſtucke ſind mit Obsbaͤumen wohl 
beſetzt, die Aeckerſtucke werden meiſt mit dem Karſte gebaut, 
und ſind ſehr fruchtbar, werden auch ohne Stillſtand be⸗ 
nutzt, nur die ausgenommen, die auf dem Bergrucken 
liegen. Dieſe werden mit dem Pfluge gebaut, und zwar 
Zelgenweiſe. Oft bleiben Aecker etliche Jahre ungebaut, 
wo von den angraͤnzenden Waldungen gar leicht Forren au— 
fliegen. Sie haben alſo das Schickſal aller entfernt ges 
legnen Aecker, daß ſie weit weniger beſorgt werden, als 
die Güter in der Nähe der Haͤuſer. Etliche zerſtreute Haus 
ſer auf dieſem flachen Bergrucken wuͤrden demſelben zu 
mehrerer Fruchtbarkeit verhelfen. a 


Indeſſen muß man geſtehen, daß bey jetzigem Holzman⸗ 
gel dergleichen Grundſtucke wohl koͤnnen zu Holzboden aus 


70 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


guten Gründen beſtimmt werden. Man trift auch hin und 
wieder ſchoͤne junge Waͤldgen an, die man dem Holjanfug 
- überlaffen’ auch derley die mit Fleiß angebluͤmt worden. 
Schade, daß dieſe mit den anſtoſſenden Gemeindhoͤlzern eis 
nen fuͤr den letzten beſchaͤmenden Gegenſtand ausmachen, 
da die Hoͤlzer der Gemeinde ſehr vernachlaͤßigt ſind. Man 
darf aber hoffen, daß die neue Forſtordnung geſegnete Wir⸗ 
kung haben werde. Auf der Allment ſind den Armen Gar⸗ 
tenſtucke abgetheilt worden, die wohl unterhalten ſind, und 
Bohnen, Erdapfel, Gerſte ꝛc. tragen. 

Auch in dieſer Gegend ſind jederzeit viele Fabrikarbei⸗ 
tergeweſen, weiche den Ort volkreich gemacht, obgleich 
feit Ao 1771. 1986. in dieſer Gemeinde mehr verſtorbne 
als getaufte gezählt werden, welches um fo mehr zu vers 
wundern, da der Ueberſchuß der verſtorbnen in den Jah⸗ 
ren 1771. und 1772. geringer, als an andern Orten 
geweſen , Ao. 1779. war er weit größer 

1771. mehr geſtorben, als geboren 13. 

1772. & ; ; 8 2 

1779. # 0 3 D 36, 
Dieſe 36 wurden durch die übrigen Jahre erſetzt. Der 
ganze Verlurſt blieb 20. Alſo was in den Hungerjahren 
verlohren gegangen. In 12. Jahren zeigten ſich 7. mal 
Verlurſt, und nur 5. Gewinnſte. Hieraus ließ ſich auf 
ungeſunde Beſchaffenheit der Gegend ſchließen. 

Daß indeſſen die Fabrikarbeiten auch hier dem Feldbau 
nicht nachtheilig geweſen, zeiget die Fruchtbarkeit der ges 
bauten Stucken. (Der Wein iſt 12. Eimer auf die Juchart, 
die Frucht 10 — 12. Muͤtt); und neben dieſem, daß 
die Guͤter immer wohl bezahlt werden, da verſchiedne 
Herrenguͤter, auch Spithallehen um einen ziemlich hohen 
Preis an Landleute verkauft worden. Das erloͤste Geld 
war 6. bis 800. fl. aus der Juchart von 285 32006. Da die 
erſten wohl an Schönheit und Aus zierung der Gärten, aber 


für Feldbau und Sitten des Volks. 71 


nicht an Furchtbarkeit und Nutzbarkeit abgenommen 
haben. 

Die Sitten verhalten ſich hier wie an den Seiten des 
Zuͤricherſees, mit welchem der ganze Bezirk ſehr viel Weite 
lichkeit hat. 

$. 5. Das Gelände jenſeits der Kette des Albisgebirges. 

Dieſes ziehet ſich von der Sihlbruck an bis an die Reuß, 
und von da dem Berg nach bis nach Urdorf. Alſo von 
Suͤdoſt und Suͤd nach Nord. Das Gelaͤnde hat zweyerley 
Senkungen, die eine von Ebertſchweil bis an den un⸗ 
terſten Theil an der Reuß, die andere von Morgen gegen 
Abend, der Albisbergkette bis an die Graͤnzen des Zuger⸗ 
gebiets und an die Reuß. 

Je tiefer die Lage, deſto waͤrmer iſt das Gelaͤnde, und 
alle Früchte gerathen früher zur Zeitigung, wie Sulzer in 
ſeiner Beſchreibung einiger Merkwuͤrdigkeiten einer Berg⸗ 
reife A0. 1742. angemerkt hat. 

In dieſem Gelaͤnde hat die Landwirthſchaft verſchied⸗ 
ne Aeſte. 

1. Die Viehzucht, welche ſtaͤrker in den hoͤher geleg⸗ 
nen Gegenden iſt. 

2. Der Getreidbau, welcher in den tieferen Gegenden 
vorzuͤglich herrſchet. 

3. Der Weinbau, der aber nicht betraͤchtlich iſt, dieſer 
faͤngt in der Mitte an, und vermehrt ſich nach und nach: 
in Birmenſtoff wird ſolcher am betraͤchtlichſten. 


4. Der Obswachs, der durch das ganze Gelände fehe 


betraͤchtlich iſt, und eine große Menge Birrenmoſt zum 
Hausbruch, neben einer betraͤchtlichen Menge von gedoͤrr⸗ 
tem Obs liefert, davon viele 100. Mütt ausgeführt werden. 
Zur Viehzucht dienen haͤuſig eingeſchlagne Weiden, wel⸗ 

che aber meiſtens nach mit Obsbaͤumen beſetzt find; fo 
wie die Gemeinweiden, in welchen jede Dorfgerechtigkeit die 
Nutzung von zwanzig, an einigen Orten von vierzig Baͤu⸗ 


A er 1 


72 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


men beziehen kann. Die Weiden werden auch zu 6, 10. 
Jahren aufgebrochen. Mit der Viehzucht hat das Land 
durch den italieniſchen Handel innert 60. Jahren außer⸗ 
ordentlich viel gewonnen, welches die Verminderung der 
Schulden in den Protekollen anzeigt. Neben dem Nutzen 
von dem verkauften Vieh wird die Viehzucht auch zu der 
Verfertigung von Butter und Kaͤſen in einigen Sennhuͤtten 
mit Vortheil angewendet. Die abhangende Lage des Ge⸗ 
laͤndes giebt Gelegenheit, daß in den tiefer liegenden, 
fumpfibten Gründen, Waͤſſerungen koͤnnen zuwegegebracht 
werden, wodurch eine große Menge ſchwarzen Strohes 
erzeugt wird. Auf dieſe Art von Landbau iſt ſehr viel 
Aufmerkſamkeit verwendet worden, weil der aufmerkſame 
Bauer den großen Nutzen von Vermehrung des Duͤngers 
wahrnahm; daher auch dieſe Art von Wieſen ſo theuer be⸗ 
zahlt wird, als die Futterwieſen. Gegen Ende des drit⸗ 
ten Jahrzehends in dem gegenwaͤrtigen Jahrhundert, gab 
die Gemeind Haufen ein vortrefliches Beyſpiel, Torfrieder, 
nach dem der Torf benutzt worden, in die ſchoͤnſte Stroh⸗ 
wieſen zu verwandeln. Der Getreidbau iſt iu dieſem Ge; 
laͤnde auch betraͤchtlich. Sulzer hat 1. c. bemerkt, daß 
er aus vielen Berechnungen der Zehenden gefunden, daß 
nur in dem Knonaueramt im Mittel wenigſtens 12000 Mütt 
Getreide wachſen. Es haben zwar ſeit der Zeit die Zehen⸗ 
den um etwas abgenommen, ohngefaͤhr 5, wovon die Ur⸗ 
ſache ſeyn mag, daß man den Dung meiſt den Wieſen ge⸗ 
geben, wegen dem vorzuͤglichen Nutzen der Viehzucht, 
und Vermehrung der Obsbaͤumen; auch daß man die ein⸗ 
geſchlagnen Weiden wegen dem Nachziehen des Viehes, we⸗ 
niger als ehedem, aufgebrochen. 13. 
Die Bevoͤlkerung hat ſeit einigen Jahren zugenommen; 
ich finde aus den Verzeichniſſen der getauften und verſtorb⸗ 
nen in den 5. letzten Jahren einen Vorſchuß von 23. auf 
sooo. Stelen; man kann es auch daraus ſchließen, daß 


* 


für Feldbau und Sitten des Volks. 73 


von Jahr zu Jahr Bittſchriften an MGn H Hrn. kommen, 
Vierteloͤfen zu Vermehrung der Stuben zugeſtatten. 
Mit dem Feldbau wird auch der Fabrikverdienſt verbun⸗ 
den, da in dieſem Gelände von dem Anfang dieſes Jahr— 
hunderts an die Baumwollenſpinnerey aus nehmend betrieben 
worden, und ſich bis dahin immer vermehrt hat. Hin und 
wieder iſt eine Vertheilung der Gemeinweiden, oder eines 
theils derſelben zu Stande gekommen, und man fieng im; 
mer mehr an in die Brach zu pflanzen. 
Die Sitten des Volks ſind viel einfacher als in den vor⸗ 
her beſchriebnen Gegenden. Das weibliche Geſchlecht be. 
haͤlt ſeine alte Landtracht, die aus halbwollenem Zeuge 
verfertigt iſt; und man kennt keinen andern Pracht, als in 
den Banden, die auf die Juͤppen genaͤhet ſind, und vor 
das Bruſttuch geflochten werden. Die Männer haben eiz 
nen guten Wuchs, und ſind ſtark von Knochen. Indeſſen 
iſt der Hang zur Unzucht ſehr ſtark, wozu die Einfchräns 
kung der Ofen auf die Gerechtigkeiten nicht wenig beytraͤgt, 
da oft Anverwandte im zweyten und dritten Grade in eine 
Stube eingeſperrt ſind; daher mag auch kommen, daß 
Verſprochene die Vollziehung der Ehe bey Jahren auf— 
ziehen, und die Schwangerſchaft ſie dazu noͤthigen muß. 
Uebrigens iſt zu bemerken, daß, je mehr man ſich von 
den Gebirgen entfernt, der Fleiß in dem Feldbau ges 
ringer wird, und mit ſolchem die Sparſamkeit abnimmt. 
$. 6. Die ſechste Abtheilung unſers Lands enthält den 
gebirgigten Theil des Gruͤningeramts, neben dem gebir⸗ 
gigten Theil des Ennert⸗Amts der Grafſchaft Kyburg, wel⸗ 
che an das Land Uznach, Toggenburg und Thurgaͤu graͤn⸗ 
zen. Sie beſtehen aus zweyen Gebirgketten, eine innere 
von Ruͤti aus durch Hinweil, Baͤretſchweil, Wildberg; 
die aͤußere von der Scheidegg, Hoͤrndli, Sternenberg, Brei⸗ 
tenlandenberg, bis an den Schauberg ob Elg. Zwiſchen 
dieſen beyden Bergketten befinden ſich die Gemeinden Wald, 


35 


74 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


Fiſchenthal, Baumen und Turbenthal, und durch einen 
großen Theil fließt die wilde Toͤß, welche aus dem ober⸗ 
ſten Theile zur Seite der Scheidegg an den Graͤnzen der 
Uznachergebirgen ihren Urſprung nimmt. Alles dieſes iſt 
wahres Alpgelaͤnde. Die großen Gemeinden beſtehen meiſt 
aus zerſtreuten Hoͤfen, und nur um die Kirchen draͤngen 
ſich die Haͤuſer näher zuſammen , und bilden kleine Doͤr⸗ 
fer. Hin und wieder ſind bey den ſtarken Zunahmen der 
Bevoͤlkerung aus einzelnen Höfen kleine Doͤrfgen entſtan⸗ 
den. So zaͤhlet Sternenberg 38. Oerter von verſchiednen 
Namen; Fiſchenthal 111; Baumen 47, u. ſ. f. . 

Von Wald nach Fiſchenthal ziehet ſich das Thal zwiſchen 
beyden Ketten immer mehr in die Hoͤhe, und von dort 
ſenkt es ſich immer tiefer bis nach Turbenthal. Es iſt 
aber meiſtens ſehr ſchmal, fo daß die Höfe, wie im Tog⸗ 
genburg und Appenzellerlande an den Seiten des Gebirges 
zerſtreut liegen · 

Das Gebirg beſteht meiſtens aus feſtern oder muͤrbern 
Nagelfluhe, zwiſchen welchem Gefloͤze von murben Sand⸗ 
ſteinen und zuweilen Leimadern liegen. Das Land iſt al⸗ 
ſo an ſich unfruchtbar, wie es auch ſeine Weiden zeigen, 
die in Abſicht auf die Fette des Graſes weit hinter dem 
Gebirge der Herrſchaft Waͤdenſchweil ſtehen. Die Wald⸗ 
baͤche haben auch in dieſen Gebirgen hin und wieder enge 
Tobel ausgehoͤlt, die einen foͤrchterlichen Anblick geben. 
An vielen Orten ſind die Seiten der Berge ungemein ſteil, 
ſo daß fie zu nichts taugen, als Tannen, Forren 
und Buchen hervorzubringen. Dieſes macht, daß noch 
immer in dieſen Gegenden genug Brenn- und Bauholz in 
leidenlichen Preiſen zu haben iſt. In der Gemeind Baumen 
bezahlt man fuͤr das Klafter Tannholz 2. fl., fuͤr Buchen⸗ 
holz 2 2. fl. Es werden auch in dieſen Gegenden vie 
le Kohlen zum Ausführen gebrennt, und viel Sagholz 
- ausgeführt: Dieſes erweckt viele Einwohner zu ver⸗ 


für Feldbau und Sitten des Volks. 75 


ſchiednen Handwerken für Arbeiten im Holze: Drechsler, 
Kübler , Kellenmacher, Körbfiechter, u. ſ. f., fo daß 
aus dieſen Gegenden unſer Land und Stadt, und an⸗ 
graͤnzende Gegenden mit hoͤlzernen Geſchirren, Zaͤpfen, 
Hahnen, Seſtern, Kellen, Wannen⸗Zeinen, Tanſen, Gelten, 
und hoͤlzernem Werkzeuge fuͤr den Feldbau verſehen werden; 
daher auch dieſes Gelaͤnde den Namen des Kellenlands 
erhalten hat. Indeſſen hinderte die wilde Beſchaffenheit 
des Lands die Einwohner nicht, immer mehr Land urbar 
zu machen, ausgeſtockte Waͤlder in Aecker, und ſchlechte 
Weiden in Wieſen zu verwandeln, wobey der Viehſtand 
merklich zugenommen hat. Der ſel Herr Decan Meyer 
von Wald, bezeugte bey einer Unterredung mit Landleuten 
aus ſeiner Gemeinde, daß der Viehſtand ſich bey Manns⸗ 
gedenken verdoppelt habe. Wo ſich das Thal erweitert, 
kommen ſchoͤne Kornzelgen vor, an vielen Orten ſiehet man 
auch ſehr gaͤhe Sonneſeiten des Gebirges mit Getreide bes 
pflanzt, ſelbſt auf der Spitze des Hoͤrnli und Allmanns. 
Auf den hoheſten Bergen unſers Lands wird zuweilen Ges 
treide gepflanzet. In den ſonnenreichen Gegenden ſieht 
man auch ſchoͤnen Obswachs, worinn ſich vorzüglich Wald 
ausnimmt. An den Ufern der Toͤß findet man in den un⸗ 
tern Gegenden Wyla, Turbenthal, Zell, das beſte Land 
durch Geſchicklichkeit im Wuhren dem Toͤßbeth entriſſen, 
und in Wieſen, Hanfpuͤndten und Gartenplaͤtze verwandelt. 
Hierinnen hat der bekannte Grafſchaftsvogt Egg in Ryken, 
ſich als ein Meiſter erwieſen. Auch die Kleepflanzung hat 
in dieſem gebirgigten Lande ſich allgemach einzuſchmeichlen 
angefangen. 

Indeſſen beſtehen die meiſten Güter in Weiden, die von 
Zeit zu Zeit aufgebrochen, und mit Korn, Haber, Boh⸗ 
nen, vorzüglich aber mit Erdapfeln bepflanzet werden. 
Dieſe ſind hier gleichſam zu Hauſe, und machen den 
wichtigſten Gegenſtand des Feldbaues aus. Deswegen auch 


„ 


76 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


hier die erſten Verordnungen uͤber das Verzehnden der Erd⸗ 
apfeln im Jahr 1750. fuͤr Fiſchenthal, und 1754. fuͤr Wald 
gemacht werden mußten. 

Die naſſen Weiden werden auch hier durch Graͤben 
zu Waͤſſerungen tuͤchtig gemacht, und in Strohwieſen 
verwandelt. 

Neben dieſem macht der Viehſtand den wichtigſten Theil 
des Reichthums des Landes aus, wodurch die vielen Weis 
den benutzt werden. Man findet zwar bey weitem nicht ſo 
ſchoͤnes Vieh in dieſen Gegenden, wie in der Herrſchaft 
Waͤdenſchweil, und dem Knonaueramt. Es wird auch wes 
nig ſelbſt nachgepflanzt, ſondern das junge Vieh meiſtens 
aus dem Toggenburg angekauft. Sennhuͤtten fludet man 
ſehr wenig, und die wichtigſten gehoͤren dem Amt Ruͤti, 
und der Stadt Winterthur. Hingegen wird viel Butter 
gemacht, der auf die Markte von Baumen und Wald ges 
bracht wird. Neben dieſem wird ein guter Theil ber Milch 
zum Abſaͤugen der Kälber für die Mezger verwendet, wel⸗ 
ches dieſen Gegenden ganz eigen iſt. Viele, die keine eigene 
Kühe haben, kaufen Kaͤlber und Milch, und geben ſich mit 
dieſem Abſaͤugen ab, womit ſie ſich in 6:8. Wochen eis 
nige Gulden verdienen koͤnnen. 

Neben dieſen verſchiednen Zweigen des Landbaues herrſcht 
von vielen Jahren her ein großer Verdienſt in den Fabri⸗ 
ken, ſo daß in dieſen Gebirgen alles von Baumwollen⸗ 
ſpinnern wimmelt; und wenn man einen jaͤhen Berg kuͤm⸗ 
merlich beſtiegen, ſiehet man ſich oft mit einmal bey Haͤu⸗ 
ſern, vor welchen 10 20. Baumwollenboͤcke in voller 
Bewegung ſind, und von einem mutbhwilligen Voͤlkgen 
behandelt werden. 

Hier ſiehet man alſo den meiſten Fabrikverdienſt mit eis 
nem immer fich ausbreitenden Feldbau und Urbarmachung 
bisher ungebauter Guͤter vereinigt, welches eine Menge 
neuer Haͤuſer beweiſet, die man in dieſen Gegenden antrift. 


fuͤr Feldbau und Sitten des Volks. 7 


Meiſt alle dieſe Haͤuſer ſind von Holz und mit Schindlen 
bedeckt, die neuen Haͤuſer in dem Fiſchenthal ahmen die 
Toggenburgiſche Bauart nach, indem die Haͤuſer von ge⸗ 
wettetem Holz aufgebaut und mit feſtgenagelten Schindlen 
bedeckt werden, da man vorher die Daͤcher mit großen 
Schindlen bedeckte, die man mit . von Steinen 
beſchwert, befeſtigt. 

Man kann nun leicht ſchließen, woher es komme, daß 
dieſes Gelaͤnde, vor allen Gegenden unſers Landes aus, 
am meiſten an Volk zunimmt. Zum Beyſpiel hievon 
diene die Gemeind Fiſchenthal. In dieſer wurden in der 
letzten Helfte des vorigen Jahrhunderts 320. Ehen eins 
geſegnet, und 1503. Kinder getauft; und von Ao. 1670. 
an zeigte ſich ſchon eine fiarfe Vermehruug, indem 
in den 3. letzten Jahrzehenden 245. Ehen u. e e 
In den vorhergehend. Jahrzehnd. 127.— — 773. gezaͤhlt 
das Mittel d. Ehen in d. 3. letzt. J. 8 1.— — 331 ? 

Ba b. z Urſt. eng 2470 worden. 

In der erſten Helfte des gegenwaͤrtigen Jahrhun⸗ 
derts wurden 565. Ehen und 2305. Getaufte gezählt. 
Das Mittel 1123. — — 461. — auf 1. Jahrzehent. 

Mittel der Jahrzehenten. Verhaͤltniſſe der Ehen 


Jahrzehente. Ehen. Getaufte. zu den Getauften. 
1641 — 1670, 42. 207, 1,000 zu 6,119. 


1671 — 1700, 81. 331. 15000 — 4/086. 
1701 — 1750. 113. 463. 1000 — 4,168, 
1750 — 1760. 165. 656. 1000 — 3975. 


Dieſem nach hat ſich die Bevoͤlkerung innert 100. Jahren 
mehr als verdoppelt. Die Ehen ſind vierfach worden, 
und die Getauften, wie 51: 131. p. q. 10: 24. Es zeigt 
ſich aber hieraus, daß die Fruchtbarkeit der Ehen abge 
nommen habe. Es moͤchte aber ſeyn, daß die Ehen ehedem 
nicht alle verzeichnet worden. Vielleicht nur diejenigen, wel—⸗ 
che in der Kirche des Orts eingeweihet worden. Von der im⸗ 


78 Weber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


mer fortdaurenden Vermehrung will ich noch von dem letz⸗ 
ten Jahrzehend die Zahl der Getauften und Verſtorbnen 
aus dem Wezikomer⸗ Kapitel anführen: 

Von 17771786. Getaufte 10151. Verſtorbne 6856. 

| Alſo Vorſchuß 3235. 
Nach Angabe des ſel. Hrn. Decan Meyers, in den 
Spynodalacten Ao. 1780. von 17661777. Alſo Vorſchuf 1531. 

Alſo von 1766 — 1786. in 21. Jahren 4766. 

Eine Vermehrung von F. 
Ein ſolcher Vorſchuß iſt in keiner andern Gegend unſers 
Lands bemerkt worden, 

Die Sitten dieſes Volks ſollen ſich durch den großen 
Fabrikverdienſt ſehr verſchlimmert haben. Es gehen große 
Summen fuͤr Wein und gebrannte Waſſer aus dem Lande; 
auch iſt das Kaffeetrinken ſehr gemein worden. Der Raſt 
hat die Kinderzucht an vielen Orten verdorben. Die 
Fabrikarbeiter ſind auch wegen Untreu bey der Arbeit in 
uͤblem Rufe. Hingegen ſahe man auch viele Beyſpiele von 
Uneigennuͤtzigkeit und Gutthaͤtigkeit gegen die Armen. Ein 
merkwuͤrdiges Beyſpiel ſahen wir neulich an dem Wirth 
von Baumen, der durch die Brunſt einen Schaden von viel 
1000. fl. erlitten, und doch keine Steuer verlangte, ſon⸗ 
dern ſich vergnuͤgte, die armen Miibeſchaͤdigten zu deſto 
milderer Beyſteuer zu empfehlen. Dieſer Karakter zeigte 
ſich auch dadurch, daß in dieſen Gegenden ſich die ober⸗ 
keitliche Verordnung, die Anſaͤſſen, die ſich in den Gemein: 
den ein Eigenthum erworben, an ihrem Geburtsort aber 
kein Eigenthum beſaſſen zu Burgern aufzunehmen, leich. 
ter als in andern Gegenden eingefuͤhrt worden, obgleich 
die Zahl ſolcher Anſaͤſſen nirgends ſo groß war. Hier 
finden ſich auch die meiſten Separatiſten, welche fo ſchaͤd⸗ 
lich ihr Irrthum einem Freyſtaate werden kann, doch 
immer einen Hang für, Tugend und Frömmigkeit ver⸗ 
rathen. 


für Feldbau und Sitten des Volks. 79 


Man fieht alſo auch hier den Fleiß in dem Feldbau 
neben dem haͤufigen Fabrikverdienſt fortfchreiten ; daher 
auch die Guͤter in hohem Werthe ſind. In dem Fiſchen⸗ 
thal wird für ein Mannwerk Wieſen von soo. auf 1000. fl. 
bezahlt, und in Baumen fuͤr einen Acker bis auf 180. fl. 
F. 7. Zu dem ten Bezirke unſers Landes zähle ich 
den flaͤchern Theil der Herrſchaft Gruͤningen, die Herr. 
ſchaft Greifenſee, und das Amt der Grafſchaft Kyburg, 
ſo von Kyburg nach Zuͤrich hinliegt. Von Hinweil, We— 
zikon, Kyburg an bis nach Kloten; alſo das ganze Unter— 
amt, und endlich die Obervogtey Duͤbendorf. In dieſen 
Gegenden liegen 2. Seen, der Pfaͤffiker⸗ und der Greifenſee, 
welche durch einen Bach zuſammenhaͤngen; letzterer erzeu⸗ 
get den Glattfluß, welcher den übrigen Theil durchſtroͤmt. 
Dieſe Gegenden kommen darinn mit einander uͤberein, daß 
nur kleine Berge und Huͤgel ſich darinn befinden; zwiſchen 
und an ſolchen große Kornfelder, und um die Seen, und 
an der Glatt viele naſſe Riedter, in welchen viel Torf 
land angetroffen wird, zwiſchen Hinweil und Wezikon, 
unter dem Pfeffikomerſee; auf der Duͤbendorfer⸗Allment, 
vorzüglich auf der Seite von Wangen, u. ſ. f. Die Wieſen 
beſtehen theils aus Baumgaͤrten in und um die Doͤrfer, und 
aus naſſen Wieſen, die an die Riedter zuſammenſtoſſen. 
Die Guͤter ſind in geringerm Werthe, die beſſern Wieſen 
von 2 » 300, fl. Der Ertrag des Feldes iſt geringer wegen 
Mangel genugſamen Düngerd. In allen dieſen Gegenden 
ſind viele Waldungen, auf welche aber wenig Aufmerkſam⸗ 
keit verwandt wird. Die Einwohner wohnen in großen 
Doͤrfern, die meiſten Haͤuſer ſind von Holz, und dieſe in 
den obern Gegenden meiſt mit großen Schindlen bedeckt, 
die mit Stangen feſtgehalten, und dieſe mit großen Stei⸗ 
nen beſchwert werden, welches ein unangenehmes Anſehen 
giebt. Die Haͤuſer ſind meiſtens nahe zuſammen gereihet, 
zu nicht geringer Gefahr bey entſtehenden Feuersbruͤnſten. 


30 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


Ueberhaupt iſt der Feldbau in dieſen Gegenden ſchlecht, 
und hier iſt es, wo man den Schaden der Fabrikarbeiten 
auf den Feldbau vorzuͤglich wahrnehmen kann, da die 
merkliche Abnahme der Zehenden von dem wirklichen Ver⸗ 
falle des Feldbaues zeuget, welches vorzuͤglich in dem Theil 
dieſer Gegenden, der zu dem Gruͤningeramt, und dem 
Amt Greifenſee gehoͤrt, zu verſtehen iſt, indem die untern 
Gegenden weniger Fabrikarbeiter haben. Es ſcheint, als 
ob dieſe von den Bergen heruntergeſtiegen waͤren; je naͤher 
ſolche, je mehr Fabrikarbeiter giebt es. 

Indeſſen zeigen ſich doch auch hin und wieder Spuren 
von vermehrter Aufmerkſamkeit auf den Feldbau. In die⸗ 
ſen Gegenden hat ein Kleinjogg ſich entwickelt, ein Walder 
ſeine Mitburger in Wezikon, auf den Gebrauch der Guͤllen 
(Lache) aufmerkſam gemacht, und dadurch beynahe eine 
Verdopplung des Viehſtandes bewirkt. Man findet hin 
und wieder ſchoͤne Waͤſſerungen um Wezikon, Fehraltorf, 
Wangen, u. ſ. f. Letzterer Ort nimmt ſich durch die ſorg⸗ 
fältige Herſtellung feiner Wieſen, nach dem Ausgraben der 
Turben, da kaum Platz genug gelaſſen wird, die Turben 
abzuſtechen, alles abgeſtochne wieder verebnet, mit Waſen 
dedeckt und gewaͤſſert wird, ſo daß auf gleichem Platz 
Torf gegraben und getrocknet, und Heu gemacht wird. 
In den Gemeinden hinter der Gebirgkette des oͤſtlichen 
Ufers vom Zuͤrichſee, findet man ſchoͤnen Obswachs, und 
Moͤnchaltorf nimmt ſich durch Pflanzung des Haufſaamens 
vor allen Gegenden des Lands aus. Man ſieht auch hin 
und wieder von den bemittletern Fabrikarbeitern, daß fie ih⸗ 
ren Ruhm in wohlgebauten Guͤtern ſuchen; und dieſen iſt 
auch der Kleebau bekannt. In den Hungerjahren fieng 
man an haͤuſig Erdapfel zu pflanzen; aber nachdem das 
Brod wohlfeiler worden, fieng der Eifer zu erkalten an. Die 
Fabrikarbeiter eſſen lieber weiſſes Brod, Kaffee und Fleiſch, 


als Erdapfel, und ſetzen ſich lieber der Gefahr, in verdienſt⸗ 
loſen 


fuͤr Feldbau und Sitten des Volks. 81 


loſen Tagen Hungers zu ſterben, aus, als daß ſie ſich in 
guten Tagen durch Spaͤrſamkeit etwas auf die magern 
Tage zuruͤcklegten. Einen Begrif von der Anzahl der 
Fabrikarbeitern zu geben, will ich einige Beyſpiele anführen: 
Moͤnchaltorf zählte Ao. 1773. unter 515. Einwohnern 203. 
Fabrikarbeiter und 107. Weberſtuͤhle, 30. Haushaltungen 
beynahe 3. guͤterloſe. Gruͤningen zählt 153. Weber, ohne 
die Spinner, 2. Wollenweber , 2. Linnewäber , und 
149. Baumwollenweber „ 41. Haushaltungen 5. waren 
guͤterlos. Die Gemeind Eag zählte unter 327. Haushal— 
tungen 100, güterlofe, alſo beynahe 3. 

Ao. 1787. bey der Abzaͤhlung aller Muſſeline und 
Baumwollentuchwaͤber und Spinner finden ſich in 


Moͤnchaltorf bee e . en 
Grüningen 110. 42. 448. 
Egg 195. 200. 123. 
Gruͤninger - Amt 965. 403. 9032. 
Greifenfeer = Anit 259 766. 1400. 
Kyburger-Amt — 7. 320. 


Die Viehzucht beſteht meiſtens aus Zugſtieren zum 
Feldbau, und kleinen Kuͤhen zum Hausgebrauch, welche 
man meiſt von andern Orten einkauft; daher in dieſen 
Gegenden die Lungenſeuche vorzüglich herrſchet, wovon Die 
bendorf, Faͤllanden und Wangen traurige Beyſpiele find, 

Wein wird wenig gepflanzet, ſeit einigen Jahren aber iſt 
eine große Begierde darnach entſtanden, fo wenig das Land 
wegen den vielen Suͤmpfen und Kleine der Huͤgeln taugt; 
ſie geben aber den nicht zu wiederlegenden Grund an, daß 
ihnen bey der Seltenheit der Tagloͤhner und ihren ſtarken 
Foderungen an Speiſe und Trank eigen gepflanzter Wein 
unentbehrlich werde, wenn ſie ihre Guͤter ohne Schaden 
bey dem hohen Werth des Weins bauen wollen. 

Magaz. f. d. Naturk. Zelvetiens. III. 5. 5 

\ t 


2 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


Seit den Hungerjahren ſind in dieſen Gegenden viele 
Vertheilungen der Gemeindguͤter vorgenommen worden; 
man theilte ſolche meiſtens auf die Gerechtigkeiten aus, 
und man erhielte nicht geringe Vortheile am Futter fuͤr das 
Vieh an Heu und Emd, Streui; allerley Sommerfruͤchten, 
Hanf, Erdapfeln; und an Torf. Moͤnchaltorf genießt laut 
eines ſpeziſicirlichen Verzeichniſſes jährlich einen Nutzen 
von 3434. fl. 23. f. und eine merkliche Vermehrung des 
Viehſtandes. 


1.) 6. Viertel Hanfſaamen, a 2. fl. 10. f. 8 
auf 67 2. Gerechtigkeiten.“ 897. 30. 

2.) 1. Centner Werch, à 4. f. 6. hl. das Pf. 748. 5. 

3.) 3. Roͤhrli Erdapfel à 3. fl. 598. 20. 


4.) Heu und Emd 12. Centner a 24. f. 477. 32. 
5.) Heuv. unvertheiltem Lande, 79. Schochen 47. 16. 
6.) An Gemeindſtreui à 1. fl. 6. ß. 399. — 
7.) 1. Fuder Torf. a 4. fl. 2556. age 
fl. 3434. 6. 23. 

Vor allem aus aber ward die Herrſchaft Greifenſee, wo 
vorher die ſchlechteſte Wirthſchaft zu Hauſe war, zum Bey⸗ 
ſpiel, wie viel Wohlſtand durch Vertheilung der Gemeind⸗ 
guͤter, Freyheit in Bearbeitung ſeiner Felder, durch Auf⸗ 
hebung der fo ſchaͤdlichen Brach und Stoppelweiden, und 
Pflanzung vom Klee; des Eſpers in den entfernten, ſchlech⸗ 
ten Aeckern, die an gaͤhen Huͤgeln liegen, und des ro⸗ 
then Wieſenklees, in der zweyten Frucht der Zelgen, zu⸗ 
wegegebracht werden kann; da HHr. Landvogt Lan⸗ 
dolt, in dem Lauf ſeiner Regierungsjahren die Aufhebung 
der ſchaͤdlichen Weidgaͤngen auf den Feldern, und die Ver⸗ 
theilung der Gemeinriedter mit allem Nachdruck empfohlen 
und befoͤrdert hat, und ſelbſt durch die Verbeſſerung der 
Schloßguͤter ein ermunterndes Beyſpiel gab, wie die Güs 
ter am beſten benutzt werden koͤnnen. Man erſtaunt über 
den Wohlſtand, den Greifenſee, Faͤllanden, und andere 


* 


* N 5, 


fuͤr Feldbau und Sitten des Volks. 83 


Oerter dadurch erhalten. Greifenſee maͤſtet ſeither viele 
Ochſen, welches vorher unerhoͤrt war. 

Er fand zwar vielen Widerftand in den Sitten eines 
Volks, bey welchem Prozeßſucht herrſchet, wo wenig rei— 
che Bauren die armen Tauner drucken, und aus Neid ſol— 
chen einen Zuwachs von Guͤtern durch Vertheilung der 
Gemeindguͤter zu verwehren ſuchten, weil fie es für fich 
fuͤr einen Raub anſehen, daß ſie in Verhaͤltnis gegen die 
Tauner weniger Nutzen nach der Vertheilung bezogen, als 
ſie bey dem Beſitz des Weidgangs hatten, wenn ſie ſchon 
geſtehen mußten, daß auch fie nach der angerathenen Mies 
thode ihren Wohlſtand merklich vermehren wurden. 

Dieſer Druck veranlaßte bey den Taunern Traͤgheit, 
Dummheit und Aberwillen gegen den Feldbau, der des— 
wegen in dieſen Gegenden immer nachläßiger betrieben wor— 
den, und zu einem ſchaͤdlichen Hang fuͤr die Spinnerey 
Gelegenheit gegeben, bey welchem ſie gemaͤchlich ar vers 
ſchwenderiſch worden. 

Indeſſen hat auch in dieſen Gegenden die Bevölkerung 
zugenommen, das Kyburger-Kapitel zahlt von 1781,86, 
einen Vorſchuß von 641. Getauften, vor den Verſtorb— 
nen, und blieb unter den Kapiteln eins der gluͤcklichſten, 
obgleich es bey weitem nicht an das Wezilomer » Kapitel 
gelangte. 

$. 8. Zur achten Abtheilung zaͤhle ich die beyden Vog⸗ 
teyen Regenſtorf und Regenſperg, welche zu beyden Seiten 
des Laͤgerbergs liegen, und ſuͤdwaͤrts an dem Hoͤngger— 
berg anſtoſſen. 

Dieſe Gegenden haben mit einander gemein , daß in 
denſelben der Landbau beynahe die einzige Beſchaͤftigung 
der Einwohner ausmacht. Nur ſeit wenig Jahren hat 
ſich hier das Baumwollenſpinnen, und dieſes nicht in allen 
Gemeinden, eingeſchlichen, auf 5000. Einwohner in der 
Herrſchaft Regenſperg, zaͤhlte man letzthin 2. Muſſelinen⸗ 


/ F 
N * 


— 


34 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


wäber, und 130 Baumwollenſpinner; alſo beynahe 35. In der 
Herrſchaſt Regenſtorf hat ſich von 4. Gemeinden nur in 
Affoltern die Spinnerey eingeſchlichen. 

In beyden Vogteyen herrſcht vorzuͤglich der Getreid— 
bau und Weinwachs. Auf der Suͤdſeite des Laͤgerbergs 
liegt zwiſchen den Doͤrfern -der beyden Vogteyen ein ſum⸗ 
pfigt Gelaͤnde, welches zu Gemeinweiden dient, und 
zum Stof einer merklichen Verbeſſerung des Wohlſtands 
dienen koͤnnte. | 

Den reichſten Stof zu befonderem Wohlſtand lie 
fert die Nordſeite des Laͤgerbergs den Gemeinden im 
Wehnthal, an dem Mergel oder Mieth, wie er dort 
genennt wird, durch welchen ſchlechte Egerten in die 
ſchoͤnſten Kleewieſen verwandelt werden, die durch die 
Viehmaͤſtung einen großen Nutzen abwerfen. HHr. 
Zunftmeiſter Scheuchzer, gab ſich waͤhrend ſeiner Regie⸗ 
rung alle Muͤhe den Zuſtand ſeiner Herrſchaft genau zu 
kennen, und legte Darüber Ao. 1764. eine vortrefliche Ab⸗ 
handlung vor. Er fand , daß jaͤhrlich 400. Maſt⸗ 
ochſen aus dieſer Herrſchaft verkauft worden, 5000, Mütt 
Korn, und 4000. Saum Wein. Die Riedter geben auch 
Gelegenheit zur Pferdzucht. 

Innert Ioo. Jahren bemerkt man in Abſicht auf die 
Bevoͤlkerung keine Veraͤnderung. Die Sitten ſind einfach, 
baͤuriſch, verliebt in die anererbten Gewohnheiten, und 
hartnaͤckig abgeneigt gegen jede Neuerung. Es ſind viele 
Vorſchlaͤge gethan worden zu beßrer Benutzung der Ried⸗ 
tern, aber man fand wenig Eingang. In Affoltern 
gab Herr Meyer beym rothen Ochſen, das Beyſpiel zur 
Kleepflanzung, der endlich einige Nachfolger gefunden 
hat. Der Muͤller verwandelte einen ſumpfichten Grund, 
der nur ſchlechte Forren hervorbrachte in einen ſehr frucht⸗ 
baren Boden, in welchem Getreide und Klee in der drey— 
jährigen Zelgenordnung ſehr wohl gedeyen. Auch der 


m 


fuͤr Feldbau und Sitten des Volks. 85 


Untervogt Zollinger in Watt, gab das Beyſpiel vom Klee— 
bau; doch fehlt noch vieles, bis dieſer allgemein wird. 
So wie man die Nachahmung des ſel. Kleinjoggs, durch 
Vermiſchung der Erdarten, die Felder zu verbeſſern, 
auch in der naͤchſten Nachbarſchaft nur langſam zur Hand 
nimmt. Indeſſen kann man nicht ſagen, daß die Guͤter 
nicht nach der alten Methode ziemlich gut gebaut werden. 
Die Guͤter ſind in mittelmaͤßigem Werthe. Die beſten 
Wieſen ſteigen ſelten über 400. fl. das Mannwerk, und die 
Juchart Reben ſteigt auch hoͤchſtſelten auf 500. fl., der 
Ertrag derſelben if aber auch nur mittelmäßig. Eigents 
lich kann ſolcher nicht beſtimmt werden. | 

Daß die Güter einen betraͤchtlichen Nutzen liefern muͤſ— 
ſen, kann man aus dem jaͤhrlich zuverzinſenden Kapital 
ſchließen, welches ſich nach Hrn. Zunftmeiſter Scheuch⸗ 
zers Berechnung auf ddoooo. fl. beläuft, fo an jaͤhrli— 
chen Zinſen à 4. p. 8. 32000, fl. betragt. Es find zwar in 
dieſem Bezirke auch noch viele Bauren, die ihre 
Güter ſchuldenfrey beſttzen. 

Buchs giebt ein merkwuͤrdiges Beyſpiel von dem Ein— 
fluß eines klugen und ordentlichen Vorgeſetzten auf den 
Wohlſtand des Lands. Nach der Mitte des laufenden 
Jahrhunderts befand ſich dieſe Gemeinde durch den Schul— 
denlaſt ſehr gedruͤckt, und verlor allen Credit. Dieſes 
ſchlug den Muth der Einwohner gänzlich nieder, die Güs 
ter wurden immer ſchlechter. Dieſes erweckte den ſeligen 
Sekelmeiſter Meyer der Gemeinde den Vorſchlag zu thun, 
bey jedem Auffalle den Zug zu thun, die Guͤter unter ſich zu 
vertheilen, und die verſicherten Schulden, wo nicht baar 
zu bezahlen, doch zu verzinſen. Von dieſer Zeit an er— 
holte ſich die Gemeinde wieder, der vermehrte Credit 
brachte neuen Eifer zur Arbeit, die Guͤter wurden beſſer 
gebaut, und die Auffaͤlle wurden immer ſeltner, weil 
jeder Uebelhauſer das Aufſehen feiner Mitburger erwecket 


86 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


$. 9. Die Vogtey Ruͤmlang und Neuamt, liegen 
in einer Ebne zu beyden Seiten des Glattfluſſes. Unter 
der Glattbruck in dieſer Ebne erheben ſich hin und wie— 
der fanfte Hügel, welche an der Sonnenſeite mit Reben 
bepflanzt ſind. Der wichtigſte Theil der Guͤter beſteht in 
großen Zelgen. Hin und wieder vertieft ſich das Land, 
und daſelbſt befinden ſich Wieſenplaͤtze, die neben den 
Wieſen und Baumgaͤrten naͤchſt um die Haͤuſer zur Nah— 
rung des Viehes dienen, das in dieſen Gegenden von ge— 
ringer Art iſt Das Gelaͤnde fallt angenehm in die Auz 
gen, iſt auch durchgehends nach dem gemeinen Schrott 
wohl gebaut, vorzüglich in der Naͤhe der Dörfer; allein 
man trift in den entfernten Feldern ſehr viel ſchlechtes 
Ackerland an, das entweder ungebaut liegen bleibt, oder 
doch ſehr wenig traͤgt. Die Viehweiden ſind entweder 
Riedter, die in trocknem Sommer duͤrre ſind, oder in 
naſſen Jahrgängen allzufeucht, oder auf den Brachen 
und in den Stoppelweiden. 

Der Boden iſt nicht unfruchtbar, allein die Lage des 
Gelaͤndes zwiſchen hohen Bergen und an dem Glattfluß 
ſetzen ſolches dem Winterfroſt und den Hagelwettern 
mehr aus, als keine Gegend unſers Lands, und erzeu— 


gen ſehr viele Fehljahre, welche das Volk arm machen; 


wenige reiche Dorfjuden ausgenommen, die den armen 
Landmann druͤcken. | | 

Von Fabrikverdienſten hat man bis auf wenige Jahre 
nicht viel gewußt; nur im Winter ſpannen die Weiber 
Wollengarn. Dermalen aber hat ſich auch die Baumwol⸗ 
lenſpinnerey dahin gezogen, doch bleiben Oberglatt, Hof⸗ 
ſtaͤtten, Daͤlicken, die Haslidörfgen und Niederglatt noch 
faſt ganz davon befreyt; in den untern Theilen von Sta⸗ 
del, Hochfelden, Wejach iſt er etwas ſtaͤrker, ob mit 
Vortheil oder Nachtheil des Feldbaues iſt dermalen noch 
nicht zu beſtimmen. 


für Feldbau und Sitten des Volks. 87 


In Ruͤmlingen herrſcht von undenklichen Jahren eis 
ne eigne Fabrik von Strumpfſtricken, welche wirklich 
dem Feldbau nachtheilig worden, und das Volk traͤge 
macht. Doch hat ſeit einigen Jahren ſich mehr Betrieb— 
ſamkeit in dem Feldbau gezeiget, welche man vorzüglich 
der Vorſorge Ihro Gnaden Kilchſperger zu danken hat, 
welche die Ruͤmlinger zum Torfgraben und zur Anwen— 
dung des Heues und Strohes durch ein Verbot der Aus— 
fuhr gezwungen haben. 

Herr Wolf hat ein ſchoͤnes Beyſpiel gegeben, vom 
Dorf abgelegne und deswegen ganz vernachlaͤßigte Guͤ— 
ter in einen Hof zuſammlen, in deſſen Mitte er ein ſchoͤ⸗ 
nes Haus gebaut. Erſt kuͤrzlich hat er dieſen Hof an die 
Söhne des fel. Kleinjoggs verkauft. 

Kleinjogg hat aus einem Huͤgel, der den Ruͤmlingern 
gehoͤrt, feinen Sand ausgegraben, mit dem er den 
Katzenruͤtihof ſehr verbeſſert hat, und einen ganz ver— 
nachlaͤßigten Acker hat er in die ſchoͤnſte Eſperwieſe ver— 
wandelt, aber noch keine Nachfolger erweckt. 

Indeſſen ſieht man auch in dem Neuamt gluͤckliche 
Verſuche mit dem Kleebau, der allgemach emporzukom⸗ 
men ſcheint. 

Die Bevoͤlkerung hat in dieſem Jahrhundert merklich 
abgenommen, doch dermalen ſcheint fie ſich in etwas erho⸗ 
len zu wollen. In den letzten 3. Jahren zeigte ſich ein 
geringer Vorſchuß der Gebohrnen, in Vergleichung 
mit den Verſtorbnen. ö | 

Von den Viehſeuchen hat diefe Gegend von Zeit zu 
Zeit auch viel gelitten. 

Alles macht die Einwohner arm und demüthig. An vie⸗ 
len Orten hat die Noth den Mißbrauch erzeugt, Stein— 
wicken unter das Getreide zu ſaͤen, weil ſolche in ſchlech— 
tem Feld noch am beſten fortkommen. Indeſſen entwickeln 
ſich auch hier tugendhafte Geſinnungen, wie wir vor eis 


88 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft | 


nem Jahr ein Beyſpiel ſahen an einem Juͤngling aus 
Oberglatt, der mit eigner Lebensgefahr einen Knaben 
aus dem Waſſer gezogen, und ihm das Leben gerettet hat, 
dem eine große Anzahl muͤßig zuſahe, bis der Held kam, 
der für ſeine Muͤhe von den Eltern des Knaben keine 
Belohnung annehmen wollte, als die Hoffnung, wenn 
ihm ein Unglück begegnen ſollte, auch bey andern Mit— 
leiden zu finden. Auch hier zeigte ſich, wie nahe die 
Sittlichkeit und Tugend mit Arbeitſamkeit und Fleiß in 
dem Feldbau, verbunden ſey, indem unſte Geſellſchaft in 
dieſem gutdenkenden Juͤngling auch einen aufmerkſamen 
Landwirth gefunden hat, von deſſen Beyſpiel die dorti— 
gen Gegenden viel Gutes erwarten koͤnnen. 5 
F. Io. Die Herrfchaft Egliſau, welche an dem nord— 
lichen Ende des Zürichergebierg zu beyden Ufern des Rheins 
liegt, beſteht aus einer weit ausgebreiteten Flaͤche, wel— 
che der Rhein fo durchſchneidet, daß 3. oſtwaͤrts und z. 
weſtwaͤrts liegt. Jene begreift das Rafzerfeld; dieſe 
die zuſammenſtoſſende Felder von der Kirchhoͤri Egliſau 
und Glattfelden. Beyde werden durch Huͤgel umkraͤnzt, 
deren Sonnenſeiten mit Weinreben bepflanzt, die Höhe 
aber mit Waldungen beſetzt ſind, mit denen dieſes Gelaͤn— 
de wohl verſehen iſt, und davon durch die Ausfuhr eini— 
gen Nutzen ziehet, der durch eine verbeſſerte Forſtord— 
nung noch vergroͤßert werden koͤnnte, da man itzt von 
Ferne Holzmangel beſorget. | 
Durch den weſtlichen Theil fließt der Glattfluß in den 
Rhein uͤber ein kieſigtes Beth, klar wie Quellwaſſer. 
Er bietet ſich alſo von ſelbſt zur Waͤſſerung der flachlies 
genden Wieſen an, die auf feinem ehmaligen Bethe ange— 
legt ſind. Nur ſchade, daß er von Zeit zu Zeit ſein Werk 
wieder zerſtoͤrt, und bald da bald dort einen Theil der 
Wieſen uͤberſchwemmt/ durchſchneidet und wegſpuͤlt. Doch 
hinterlaͤßt er immer den Troſt, daß er an andern Stellen 


Ar 


. 


* 


für Feldbau und Sitten des Volks. 39 


ſein Beth verlaͤßt, nachdem ſie mit Kies angefuͤllt wor— 
den, und dem fleißigen Anſtoͤſſer einen neuen Bezirk 
ſchenkt, der durch eine wohlgeleitete Waͤſſerung in we— 
nig Jahren wieder einen ſchoͤnen Graswuchs erzeuget. 

Die übrigen Flächen find durchgehends kiesartig, und 
gleichen einem trocken gelaßnen Beth eines Waldſtroms, 
und zum Ungluͤck herrſcht darinn eine große Troͤckne, 
indem auch die umgraͤnzenden Huͤgel ſehr wenig Waſſer— 
quellen zeigen. Ihr Grund iſt ein an der Luft verwit— 
terter Sandfelſen, in welchem viel Eiſen-Bohnerzt ent— 

halten iſt. N ‘ 

Dieſes verhindert, daß der Gedanke, zerſtreute Höfe zu 
errichten hier uicht Statt hat, weil es ihnen an Waſſer 
mangeln wurde. 

Eben daher koͤmmt es auch, daß die Aecker wenig er— 
tragen, und ein guter Theil ungebaut liegen bleibt. Der 
Dung koͤmmt meiſtens in die Reben. Die Wieſen ſind 
in geringer Zahl an dem Ende des Gebirges. Sie ge— 
ben auch wenig Futter. Alles dieſes macht die Einwoh— 
ner arm und niedergeſchlagen. Die Bevoͤlkerung hat 
auch in dieſem Jahrhunderte merklich abgenommen; und 
geht auch itzt noch langſam fort, obgleich ſie ſich um et— 
was zu erholen ſcheint. 

Fabrikverdienſt iſt eigentlich hier keiner; nur ſeit 2, Jah—⸗ 
ren hat man angefangen Baumwollen zu ſpinnen, ſo daß 
man den Mangel in dem Feldbau gar nicht den Fabrik— 
arbeiten zuſchreiben kann. 5 

Indeſſen herrſcht in dieſen Gegenden eine ſchaͤdliche 
Art von Fabrik, das Schinnhuthflechten, welches den 
Nutzen der Seiden, Wollen und Baumwollenfabriken 
nicht leiſtet, Reichthum ins Land zu ziehen, da ich von 
keinem reichen Schinnhuthfabrikanten gehoͤrt. Hingegen 
entziehet dieſe ſchlechte Arbeit, wie das Stricken in Ruͤm— 
lingen, dem Feldbau viele Haͤnde, und macht die Leute 


90 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


traͤge, die in dem Sitzen Behaglichkeit finden, und den 
Hunger weniger empfinden. 

Hier waͤre der Ort, wo durch die N oder 
Verbindung der Pflanzung der Futterkraͤuter mit dem 
Getreidbau, eine augenſcheinliche Verbeſſerung des Wohl- 
ſtands koͤnnte zuwegegebracht werden. Die Geſellſchaft 
gab ſich auch viele Muͤhe, die Leute dazu aufzumuntern, 
aber vergebens. Die wenigen Reichen begnuͤgen ſich, 
durch Wucher, der den Armen ſehr druckt, ihren Reich— 
thum zu vermehren, anſtatt dem Armen das Beyſpiel zu 
geben, wie er feinen Wohlſtand durch eine dem Lande ans 
gemeſſene Abaͤnderung in der Landwirthſchaft verbeſſern 
koͤnnte. 

Egliſau allein ſcheint ſich auszunehmen, wo man ſchon 
Verſuche von der Koppelwirthſchaft antrift, die ver⸗ 
hoffentlich auch andere zur Nachahmung reitzen, und 
durch die Ausbreitung dem Lande einen neuen Flor 
geben werden. 

§. 11. Es bleiben nur noch zwey Bezüke unſers Lan⸗ 
des zu betrachten uͤbrig, in welchen der Weinwachs, we⸗ 
gen Guͤte des Weins, in vorzuͤglichem Anſehen iſt, und 
deswegen allerdings unſere Aufmerkſamteit verdienen; fie 
ſind aber in Abſicht auf die Fruchtbarkeit ſehr verſchieden. 

Der Bezirk zwiſchen dem oͤſtlichen Ufer der Toͤß und der 
Thur, in welchem die Stadt Winterthur liegt, liefert 
ohne Zweifel den beſten Wein unſers Landes, vorzuͤg⸗ 
lich aus den Landguͤtern der Herren von Winterthur, 
und einiger Herren von Zuͤrich, welche ihre Reben faſt 
gänzlich mit Klevnertrauben bepflanzen, welche den beſten 
rothen Wein liefern, wenn man ſie am Traͤſt gaͤhren laͤßt: 
Wenn fie aber ſogleich nach dem Wim̃len abgedruckt wer— 
den, einen weiſſen Wein von ſehr viel Annehmlichkeit 
und Staͤrke geben, der ſich auch auf viele Jahre erhalten 
laͤßt, und unter guter Beſorgung immer an Geiſt und 


7 


für Feldbau und Sitten des Volks. 9 


Annehmlichkeit zunimmt. Ich habe in Winterthur der— 
gleichen alten Wein getrunken, der mit dem la Cote 
Wein um den Vorzug hätte ſtreiten doͤrfen. Die Bauren ma, 
chen hingegen ihren Weinwachs von Jahr zu Jahr ſchlech— 
ter, indem ſie immer mehr weiſſes Gewaͤchs, und zwar 
Kurzſtieler, und Welſche pflanzen, weil fie ſich bey vers 
mehrter Menge des Weins, den ſie von der Troten weg 
verkaufen muͤſſen, beſſer befinden, als bey der vorzuͤg— 
lichen Guͤte des Weins. 

In dieſem Gelaͤnde wird alles dem Rebberge zugeeig— 
net; aller Dung koͤmmt dahin, und die Wieſen muͤſſen 
noch ihren guten Grund hergeben, den weggeſpuͤhlten 
Grund der Reben zu erſetzen. Dem ungeachtet iſt der 
Ertrag der Reben ſehr geringe, welches ſowohl einer na— 
tuͤrlichen Unfruchtbarkeit des Bodens, als den oͤftern 
Fehljahren und dem Schaden vom Winterfroſt zuzuſchrei— 
ben, denen dieſes Gelaͤnde ſehr ausgeſetzt iſt. 

Eine Berechnung des zehenden Ertrags von Embrach 
und Luffingen, zeigt, daß auf eine Juchart im Durch— 
ſchnitt, nicht mehr als 4. Saum 2. Eimer geſammlet wors 
den , welches 63. Zuͤrichereimern gleich iſt. 

Eine ſolche Berechnung von 20. Jahrgaͤngen 1764 83. 
aus der Gemeinde Berg am Irchel, zeigte fuͤr dieſen Ort 
einen Ertrag auf die Juchart 5 3. Saum; alſo 8 2. Eimer 
Zuͤrichermaͤß. 

Welch ein Unterſcheid in Vergleichung mit dem En 
der Reben an dem Zuͤricherſee! 

Die Ueberſchwemmungen und Wegfreſſungen der ſo ie 
in Wuth gerathenden Toͤß, verurſachen hin und wieder, 
vorzüglich bey Pfungen, großen Schaden. ü 

Es iſt ſich alſo nicht zu verwundern, wenn die Bevoͤl— 
kerung in dieſen Gegenden mittelmaͤßig bleibt, und der 
Landmann aͤrmer, zugleich aber auch eingezogner lebt, 
als in andern Gegenden des Landes, die Guͤter auch in 


& Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


niedrigem Werthe bleiben. Die befte Juchart Reben übers 
ſteigt ſelten den Werth von 500, fl., und die geringern 
fallen bis auf 300. 

Indeſſen fehlt es hier nicht ganz weder am Fleiß noch 
Geſchicklichkeit in dem Feldbau, welche durch das Bey— 
ſpiel der Herren von Winterthur nicht wenig ermuntert 
werden. Man ſieht in der Naͤhe dieſer Stadt die ſchoͤn— 
ſten Waͤſſerungen in den Wiefen’, und die weiſeſte An. 
wendung der Euͤlach. Die Wieſen find wohl mit Baus 
men beſetzt, die freylich an Groͤße und Ertragenheit nicht 
an die um unſere Stadt und an dem See gelangen. 
Hier find auch die vortheilhafteſten Lebzaͤune von Weiß 
dorn eingefuͤhrt worden, und machen neben der Be— 
ſchirmung der Guͤter eine wahre Zierde dieſer Gegen— 
den aus. 

In den Feldern iſt der Kleebau hin und leder ge⸗ 
mein, und der Erdapfelbau iſt allgemein worden. 

Es zeichnen ſich auch viele Landwirthe durch ihre Ge⸗ 
ſchicklichkeit und Eifer aus. Unter dieſen verdient vor al⸗ 
len genennt zu werden, der ſo weiſe als gutdenkende Ge⸗ 
richtsvogt Egg von Ellikon. Ich kenne keinen Landmann 
der mehr nachdaͤchte, wodurch feine Gemeinde in Aufs 
nemmen gebracht werden koͤnnte, als dieſen. Er muntert 
zu allerley Unternehmungen auf, und geht in der Aus⸗ 
führung voran. Ihm hat man die erſte Idee von Samm⸗ 
lung eines Fruchtvorraths zum Nutzen der Gemeinden in 
theuren Zeiten und Fehljahren durch Aufbruͤche in den 
Gemeindguͤtern zu verdanken. Er hat das beſte Beyſpiel 
vom Pflanzen des rothen Klees und Eſper gegeben, eine 
beſſere Eindaͤmmung des wilden Dorfbachs ausgefunden 
und eingefuͤhrt. 

Reben den Herren von Winterthur haben ſich in die⸗ 
ſen Gegenden verſchiedne Herren Pfarrer, Herr Kitt von 
Rickenbach, Herr Wieſer von Wieſedangen, Herr Meyer 


für Feldbau und Sitten des Volks. 93 


von Pfungen, um die Ermunterung des Feldbaues fehr 
verdient gemacht. 5 

Die Fabrikverdienſte haben erſt ſeit wenig Jahren 
hier ihren Eingang gefunden, und werden noch immer 
maͤßig betrieben, indem die Arbeit in den Rebbergen die 
meiſte Zeit in den Sommermonaten den Aermern Arbeits 

genug verſchaffet, welche aber nicht anders, als ſehr ges 
ringe bezahlt wird. 

Ign denen von den Fluͤſſen entfernten Orten dieſes 

Bezirks finden ſich große Ebenen, die zum Getreidbau 

ſehr bequem liegen, um Flach, Dorf, Hetlingen u. ſ. f. 
Hier faͤngt man an auf das wahre Mittel dem Feldbau 
aufzuhelfen, den Kleebau immer aufmerkſamer zu werden. 
Herr Biedermann giebt in ſeinem Landgut Goldenberg 
hierinn ein vortrefliches Beyſpiel. Dieſes iſt aber um ſo 
noͤthiger, da allenthalben Mangel an Wies wachs iſt, 
und dieſer auch nur mittelmaͤßig bleiben muß, ſo lange 
man den meiſten Dung den Reben giebt. 
F. 12. Endlich bleibt uns noch ein anders Weingelaͤnde 
an dem oſtlichen Ende unſers Cantons übrig, das außere 
Amt, welches zwiſchen den beyden Fluͤſſen Thur und 
Rhein eingeſchloſſen iſt. 

Dieſes Gelaͤnde iſt von Natur das fruchtbarſte des 
Cantons, indem alle Arten von Gewaͤchſen in fol 
chem vortreflich fortkommen, und reiche Fruͤchte tragen. 

Weinberge, Obswachs, Feldfruͤchte, Futterkraͤuter, 
alles gedeyet hier wohl. Auch die Waͤlder ſind hier ſehr 
erträglich, vorzüglich für die Eichen, wovon die Haͤuſer 
der ſchoͤnen Doͤrfer, die meiſt von eichernen Riegelwaͤn⸗ 
den beſtehen, zeugen. 

Ueberhaupt iſt wenig Wieswachs; auch find die Wie— 
ſen in hohem Werthe. Die Baumgaͤrten werden mit 
1000, fl. auf das Mannwerk bezahlt. Mittelmaͤßige Wie— 
fen gelten 5— 600, fl. Dieſes iſt die Urſache, daß im 


94 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


Sommer doppelt ſo viel Vieh gehalten wird, als im Win— 
ter, und ein eigner Kunſtterm hier zu Hauſe iſt, nemlich 
die Sommerkuͤhe, welche mit dem Gras aus den Kam; 
merwegen und dem Reblaub gefuͤttert werden. 

Dieſes hat auch den Empfehlungen der Futterkraͤuter 
mehr Eingang verſchaffet, als an andern Orten. Es 
wird viel Eſper und rother Wieſenklee gepflanzet. So 
fanden auch die Empfehlungen von den Befreyungen der 
Brachwieſen an einigen Orten einen ſtarken Eingang 
mit geſegnetem Erfolge. Schade, daß an andern Orten 
das Vorurtheil wieder geſieget hat. 

Dieſes kann nach und nach auch mehr und beſſer 
Vieh in dieſen Gegenden zuwegebringen, als man bis— 
her beſeſſen. 

Die Waͤſſerungen der Wieſen ſind hier, wo immer moͤg— 
lich, wohl angebracht, und Marthalen prangt mit einem 
Wieſenthal, wo der Muͤllebach, nachdem er ſeine Dien⸗ 
ſte dem Muͤller geleiſtet, ſehr geſchickt in Kanaͤlen herum 
gefuͤhrt wird, bis der letzte Tropfen verſeiget, ſo daß 
man ſich in das Bernergebiet verſetzt glaubt, wo unſtrei⸗ 
tig die Kunſt, die Wieſen zu waͤſſern, auf den hoͤchſten 
Grad gebracht iſt. 

Die Felder tragen wenig Getreide, weil ihnen kein 
Duͤnger zugelegt werden kann, welchen die Reben ganz 
verſchlingen. Es befinden ſich in dem außern Amt 986. 
Mannwerk Wieſen, 5018. Jucharten Ackerland, 1809 4 
Jucharten Reben. Eine erſtaunliche Menge Reben, welche 
die Anzahl der Jucharten der Wieſen weit uͤbertrift. Daß 
aber, die natuͤrliche Fruchtbarkeit der Aecker groß ſeye, zeu⸗ 
gen die Menge von Obs baͤumen, welche in ſolchen Alleen— 
weiſe gepflanzet ſind, die einen reichen Ertrag an Obs ge⸗ 
ben, und zwar an ſehr gutem Obs. In den entfernten ſchlech⸗ 
ten Aeckern ſind auf dieſe Weiſe auch Nußbaͤume gepflan⸗ 
zet, welches aber ein ſehr ſchaͤdlicher Gebrauch iſt, da 


fuͤr Feldbau und Sitten des Volks. 95 


dadurch die Felder ausgeſogen werden, und der Ertrag 
an Nuſſen ſehr geringe iſt. 

Die Hausaͤcker gelten 250. fl.; entfernte 50. fl. der beß⸗ 
te Acker. | 

Indeſſen zeigt ſich hier, wie wichtig die Einführung 
des rothen Wieſenklees in der Brach dieſem Lande wer— 
den muͤßte, wenn die Knechtſchaft der Brach- und Stop⸗ 
pelweiden gaͤnzlich abgeſchafft wuͤrde. 

Von Viehweiden befinden ſich hier 1630. Jucharten 
Unter dieſen ſind auch Torfriedter befindlich, welche auf 
Empfehlung der Geſellſchaft in dieſen Gegenden zuerſt 
ſind benuzt worden, wovon vorzuͤglich Benken großen 
Nutzen bezogen. 

Erdapfel werden für den Hausbrauch genug gepflanzet, 
da ſeit Ao. 1771. ein jeder Burger von dieſem geſegneten 
Gewaͤchſe, das gegen Hungersnoth ſichert, pflanzet. 

Indeſſen bleibt der wichtigſte Gegenſtand, der Wein— 
wachs, welcher hier vorzuͤglich gut gedeyet, ſowohl in 
der Annehmlichkeit und Kraft des Weins, als in der 
Menge. Hier findet man das edelſte; rothe Klevner— 
trauben ſind beynahe das einzige. Hin und wieder 
werden Farbreben geſehen, dem Wein eine ſtaͤrkere 
Farbe zu geben. Es werden auch Kurzſtieler, wel— 
che dort Burgauer genannt werden, gepflanzet; aber 
dieſe machen kaum 2 des Gewaͤchſes aus. 

Der Ertrag iſt im Mittel von den beiten Reben To, 
Saum, oder 15. Eimer, im mittelmaͤßigen 8. Saum, 
oder 12. Eimer. So befindet es ſich auch in Stamm; 
heim, wo auf die Juchart von 32006. 12. Eimer in ei 
nem Durchſchnitte von 10. Jahren geſammlet worden. 

Der Wein wird meiſtens roth abgedruckt, und wird 
im Herbſt ſeit vielen Jahren nie unter 12. fl. verkauft, 
oft ſteigt er auf 20. fl. Dieſem außerordentlichen Ertrag 
entſpricht auch der Preis der Reben, die entlegenſte, 


9 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 
ſchlechteſte Juchart wird mit 800. fl., die beſte mit 1600, fl. 
bezahlt. Man ſieht aus allem, daß hier der Boden vor— 
znuͤglich zum Rebbau tauge. Er beſteht aus einem leichs 
ten, trocknen und magern Sande. Die Reben wachſen 
ſo ſtark, daß man auch an rothen Reben 2. Bogen und 
2. Knechte ſchneiden kann. Kein Wunder, daß dieſes 
Land nur eg, das Weinland genennt wird. 
Indeſſen iſt die Bevoͤlkerung in keinem ſtarken Wache; 
thum, und man ſieht keine neue Haͤuſer entſtehen. Das 
Volk iſt uͤberhaupt haͤushaͤltriſch und arbeitſam. Wer die 
Wirthshaͤuſer beſucht, wird verſchreyt; es giebt wenig 
Reiche, und die Familien, die ehedem Reichthuͤmer beſeſ⸗ 
fen, verlieren ſolche immer mehr durch Weichlichkeit und 
Wohlleben, indeſſen find immer noch wenige Allmoſengenoͤſ⸗ 
ſige. Die Sitten find zahm; die Einwohner find ſehr ehren 
bietig gegen ibre Obern, und uͤberhaupt hoͤflicher als in Feis 
nem andern Orte unſers Landes. In der Nachbarſchaft von 
Schaffhauſen find die Sitten etwas lockerer als tiefer ins 
Lande. In Kleidern herrſcht Feine Hoffahrt. Sehr viele 
gehen in Kriegs dienſte; auch treten viele in Herrendienſte, 
die meiſten nach Holland, dieſes macht ihnen ihre Frem⸗ 
de aus. | | 
Dieſes Volk zeigt auch eine befondere Aufmerkſamkeit 
auf das Wiſſenſchaftliche in dem Feldbau. Vor 12. Jah⸗ 
ren entſtand auf eine hier gehaltne Unterredung eine 
korreſpondierende Geſellſchaft, unter dem Vorſitz eines 
ſehr aufgeklaͤrten redlichen Landmanns, Herrn Haupt⸗ 
mann Toggenburgers, von dem die Geſellſchaft ſehr 
wohl durchdachte, wohlgeſchriebne Preisſchriften und 
alle Jahr einen landwirthſchaftlichen Kalender erhielt, 
darinn mit Genauheit die Witterung und der Einfluß derz 
ſelben auf die Gewaͤchſe verzeichnet worden. An dem 
Baumeiſter Heinrich Müller von Rudolfingen, beſitzen 
wir einen der einſichtvolleſten kandwirthen, der aus einem 
| Tau⸗ 


für Feldbau und Sitten des Volks. 97 


Taunerhauſe entſproſſen, und mit Dienen ſein Brod 


ſuchen muͤſſen. 

Der Untervogt Wipf hat ſich um ſein Vaterland ſehr 
verdient gemacht, da er den Fruchtzehenden von Mar— 
thelen vom Kloſter Rheinau fuͤr die Gemeinde erkauft hat, 
wo zur Erleichterung des Kaufs UGnHHrn. groß— 
muͤthig durch einen Geldvorſchuß beygetragen haben. 
Fabrikarbeiten waren hier ganz unbekannt. Der Tau— 
ner hilft dem Bauren ſeine Guͤter um beſcheidnen Taglohn 
von 2.3. Batzen bauen, im Winter begnuͤgt er ſich mit 
4. Schillinge. j 

Das Verzeichnis der Baumwollenſpinner zeigt zwar an, 
daß ſeit ein paar Jahren auch die Spinnerey ſich da 
eingeſchlichen; doch finden ſich bis dato nicht mehr als 
38. Spinner und 3. Weber, in 12. Gemeinden, die zu— 
ſammen aus 4000. Seelen beſtehen. 

Die Schuldenlaſt iſt groß, doch fallen wenig Auf— 
fälle vor. 

Die Reichen handeln mit Wein, und druͤcken ihre aͤr— 
mern Mitburger durch Darleihen auf den Herbſtſegen, 
der ihnen auf die Weinrechnung gegeben wird. Doch 
nimmt dieſe Art von Wucher von Jahr zu Jahren ab. 
Die meiſten verkaufen den Wein auf Schaffhauſen, oder 
an Toggenburger Saumer, die ſolchen im Herbſt bey den 
Trotten abholen. 

Oßingen liegt auch in blem Bezirke. Hier wird weiſ— 
ſer Wein gemacht, wo die Menge den Mangel der Guͤte 
erſetzen muß. Vor Jahren nahmen die Oßinger einen 
Anlauf, die Herbſtweide aufzuheben, aber das Vorur— 
theil ſiegte wieder, weil der Eifer und Arbeitſamkeit fehlte, 
ſich der Aufhebung des Weidgangs durch beſſere Aeuf— 
nung der Wieſen, wie es ſeyn ſollte, zu Nutze zu machen. 

Nun ſollte ich aus dieſem Schattenriffe von der Bes 
ſchaffenheit der verſchiednen Bezirken unſers Landes, in 
Magas. f. d. Naturk. Zelvetiens, III. B. G 


— 


98 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


Abſicht auf die Cultur des Landes, der Fabrikarbeiten, 
und den Zuſtand der Bevoͤlkerung und Sitten, die Schluͤſſe 
herausziehen, die zur Beantwortung der vorgelegten Fra— 
gen dienen ſollten, ob nemlich die Fabrikarbeiten, in Abs 
ſicht auf den Feldbau und die Sitten des Volkes, dem 
Lande Nutzen oder Schaden bringen. 

Allein ich habe die Geduld MHHrn. nur gar zu lan⸗ 
ge mißbraucht, und ich finde die Sache von ſolcher Wich⸗ 
tigkeit, auf allen Seiten wohl uͤberlegt zu werden, daß 
ich mir vorbehalte, bey einer andern Gelegenheit dieſes 
ausfuͤhrlicher abzuhandeln. 

Dermalen begnuͤge ich mich nur einige wenige in die 
Augenfallende Bemerkungen beyzufuͤgen. 

Es zeigt ſich nemlich, 1ſtens daß eine vorzuͤgliche Cultur 
des Landes ſich an denjenigen Orten zeige, wo auch der 
Fabrikverdienſt von vielen Jahren her am ſtaͤrkſten war; in 
den Gegendenkum die Stadt, am See, in dem gebirgigten 
Theil der Herrſchaft Gruͤningen, und des obern Amts 
der Graſſchaft Kyburg, fo wie auch im Knonaueramt. 
Eine allgemeine Bemerkung iſt, daß Gott Lob! in uns 
ſerm ganzen Lande es nirgend an Fleiß und Eifer im 
Feldbau, und zur Befoͤrderung des Wohlſtands fehle, 
und daß aller Orten ſich merkliche Spuren von Entwick⸗ 
lungen der Seelenkraͤfte, ſowohl von Seite des Geiſtes, 
als des Herzens zeigen. 

Dann aber bieten ſich beſondren Bemerkungen in den 
verſchiednen Bezirken des Landes an. 

Daß ꝛtens auch an allen dieſen Orten eine vorzuͤgliche 
Bevoͤlkerung angetroffen werde. | 

Daß ztens auch an diefen Orten die größten Spuren 
des Wohlſtands, an vielen neuen Gebäuden, und Reich⸗ 
thum vieler Partikularen augetroffen werden. 

Daß aber 4tens zugleich auch an dieſem Ort am mei 


5 — 
7 


für Feldbau und Sitten des Volks. 9 


ſten Hang zum Pracht und Verſchwendung in Speiſe 
und Getraͤnke herrſche. 

Daß hingegen rtens in Gegenden, wo keine Fabriken 
zu finden, die Bevoͤlkerung in Abnahm und der Landbau 
ſchlecht betrieben werde, vorzuͤglich im Neuamt und der 
Herrſchaft Egliſau. 

Daß ötens an den Orten, die zum Feldbau vorzuͤg⸗ 
lich gut ſeyen, wie im Wehnthal und außern Amt, die 
Bevoͤlkerung und der Wohlſtand von vielen Jahren her 
ohngefaͤhr in unveraͤndertem Zuſtand bleiben. 

Daß aber 7tens in einigen Gegenden, wo in juͤngern 
Jahren der Fabrickverdienſt uͤberhand genommen, der 
Feldbau ins Abnemmen gerathen, wo er nicht durch bes 
ſondere Ermunterungen einen neuen Schwung erhalten. 
In der Herrſchaft Greifenſee, dem vordern Amt der 
Grafſchaft Kyburg, und dem flachliegenden Theil von 
Gruͤningen. 

Daß tens einige Gegenden durch ihre Lage einer meh— 
rern Bevoͤlkerung und Verbindung der Fabrikarbeiten mit 
dem Feldbau faͤhiger ſeyen. Die Bezirke um die Stadt, 
wegen ihrer Verbindung mit der Stadt; das Seegelaͤnde, 
wegen der Verbindung mit der Stadt, und dem Oberlan— 
de durch den See, die ihnen die Anſchaffung der Ma— 
terialien zur Verbeſſerung des Landes erleichtert. Der 
gebirgigte Theil von Gruͤningen durch die vielen Weiden, 
die zu neuen Aufbruchen dienen koͤnnen. 

Daß gtens durch Einführung von neuen Methoden das 
Feld zu bauen, auch andre Gegenden wichtiger Verbeſſe— 
rung faͤhig, wozu ein mehrerer Verdienſt an bac Geld 
beytragen koͤnnte. 

Alle dieſe Betrachtungen verdienen eine bei Ueber⸗ 
legung. Denn verdient ferner in Erwägung gezogen zu 
werden, ob eine mehrere Bevoͤlkerung nicht im Allgemei— 
nen ſchaͤdlich werden koͤnnte, wegen Vertheurung der 


7 


100 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelfchaft 


Nothwendigkeiten, ja wohl gar wegen Unmöglichkeit fie 
zu bekommen. 

Ob Regeln feſtzuſetzen, wie weit die Bevoͤlkerung doͤrre 
ohne Schaden befoͤrdert werden. 

Durch was fuͤr Mittel die noͤthigen Modificationen 
bewirkt werden koͤnnen. Was Geſetze hierbey wirken 
konnen, was moraliſche Einfluͤſſe durch Ermunterungen 
in der oder dieſer Lebensart? 

Endlich iſt zu unterſuchen, was ein vermehrter Kreis— 
lauf des Gelds auf die Sitten wirke, ob Mittel vorhan— 
den dem Schaden vorzubauen, und welches dieſe Mit⸗ 
tel ſeyen. 

Alles dieſes wird mir Stof zu einer zweyten Vorle⸗ 
ſung geben, wenn mich Gott erhaͤlt, und mir die dazu 
noͤthige Muße verſchaffet. 

Dermalen bitte ich, meine ſchwache Arbeit guͤtig zu bez 
urtheilen, und mir durch Dero beleuchtende Reflexionen 
Gelegenheit zur Verbeſſerung derſelbeu zu geben. 


für Feldbau und Sitten des Volks. ror 


Von dem Einfluß der Fabrikarbeiten und der 
Handlung, auf den Feldbau und die Sitten 
des Volks. ‘ 


Sweyter Theil. 


Ich habe in dem erſten Theil ein fluͤchtiges Gemaͤhlde 
entworfen, das den Zuſtand unſers Landes, in Abſicht 
auf den Feldbau, die Fabrikarbeiten und herrſchende 
Sitten, in 12. Bezirken, in welchen ich in dieſer Abſicht 
eine auffallende Ungleichheit bemerkte, vor Augen legte. 
Aus Ueberſicht deſſelben iſt es nicht ſchwer, die Beziehun— 
gen, die Feldbau, Handelſchaft und Sitten auf einander 
haben, zu beurtheilen. Indeſſen iſt dieſe Materie ſo 
wichtig und ſo fruchtbar an Bemerkungen, die uns auf 
den Weg leiten, die weiſeſten Maßregeln zu entdecken, 
den groͤſtmoͤglichen Wohlſtand des Vaterlandes zu erzieh— 
len, daß ich mir ſchmeicheln darf, daß ſie mir auch bey 
einer mehrern Betrachtung dieſer Gegenſtaͤnden ihre Auf— 
merkſamkeit ſchenken werden. 

Vor allem muß ich bemerken, daß es, Gott Lob! in 
unſerm ganzen Lande nirgends an Fleiß und Eifer zur 
Arbeit, ſey es in dem Feldbau, oder in den Fabrikarbei⸗ 
ten, fehlet, und daß die Folgen davon aller Orten deut⸗ 
lich in die Augen fallen, nemlich, ein nicht geringer 
Wohlſtand und Bevoͤlkerung. Kein Menſch kann ſich 
beklagen, wenn er Talente beſitzt, und Arbeitsliebe, fols 
che wohl anzuwenden, daß er nicht ſein gutes Auskom— 
men finden koͤnne; und wenn Ungluͤck oder Krankheit ihn 
in Noth und Armuth ſtuͤrzen, ſolcher nicht in der Mens 


102 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


ſchenliebe ſeiner Mitburger, voraus aber in den oͤffent— 
lichen Anſtalten, den Fruͤchten der vaͤterlichen Vorſorge 
der Landesvater, und in der geſegneten Harmonie, die 
zwiſchen den Burgern der Hauptſtadt und den Einwoh— 
nern des Landes herrfchen , vor ſich finde. 

Man forget für den Unterricht“ des Volkes uͤberhaupt, 
und vorzüglich für den Unterricht der Jugend in der Reli— 
gion auf eine Weiſe, daß dabey die Vernunft nicht unter⸗ 
druͤckt, ſondern entwickelt, und aufgeklaͤrt wird, ſolche auch 
mit deſto mehr Segen in den Geſchaͤften des Lebens ans 
zuwenden. Man erleichtert dieſes durch Anleitungen und 
Ermunterungen in allen Arten von Geſchaften. Kein Ta; 
lent bleibt unbemerkt und unbelohnt. Es wird hervor— 
gezogen und ihm ſein Platz angewieſen, wo es auf den 
Wohlſtand des Landes mit groͤßerm Vortheil wirken kann, 
und zugleich ſeine Belohnung findet. Nicht wenige ſind 
in dieſer Geſellſchaft entdeckt, ermuntert und in den beß⸗ 
ten Wirkungskreis verſetzt worden. ö 

Dieſes iſt aber nicht von heute oder geſtern her. Schon 
Jahrhunderte herrſchte dieſe Betriebſamkeit, und brachte 
unſer Land in den Flor, in dem wir es fanden, und zu 
deſſen Erhaltung wir ermuntert wurden. Die Abzaͤhlungen 
der Volksmenge, die in verſchiednen Jahrhunderten ge— 
macht worden, belehren uns von einem beftandigen An⸗ 
wachs der Bevoͤlkerung, wovon ich nur die General— 
ſummen vorzulegen, nicht umhin kann, die ich aus den 
Waſeriſchen Tabellen ausgezogen. 


Im Jahr Summa. 
1467. 51892. 
1529. 76229. 
1588. 110073. 
1610, 143990, 
1634. 87621. 


1671. 128158. 


* 


fuͤr Feldbau und Sitten des Volks. 


Im Jahr Summa. 
1678. 139146. 
1700. 119442. 
1748. 143433. 
1762. 172220. 
1771. 158205. 
1773. 152201. 

1785. 167564. 


Wir ſehen zwar aus dieſer Tabelle, daß der Fortſchrikt 

der Bevoͤlkerung einigemal gehemmt, uud rucfgangig wor— 
den, wenn nemlich Theurung und Hungersnoth, oder 
die Peſtſeuche geherrſchet. Von 161031634, herrſchte die 
Peſtſeuche zweymal, davon gieng fie beynahe 3. zurück, 
Von 1678-1700, verminderte die herrſchende Theurung 
in den bekannten goger Jahren um 5 die Bevoͤlkerung; 
von 1762 1773. die letzte Theurung um 20000, alſo 
beynahe F. Allemal aber ſehen wir auf ſolche Verminde— 
rungen wieder einen neuen Fortſchritt. Freylich geſchieht 
ſolches nicht mehr in gleichem Verhaͤltnis, wie ehedem, 
nachdem das Land fo ſehr vertheilt worden. Aug einzel 
nen Hoͤfen ſind kleine Doͤrfer, und Doͤrfgen zu Doͤrfern 
angewachſen, fo daß ſchon lange in einigen Gegenden 
die Einſchraͤnkung der Haͤuſer und Stuben nothwendig 
worden. 

An vielen Orten mußte man in ſpaͤtern Zeiten den Gurt 
weiter machen, und die Dorfgerechtigkeiten verdoppeln, 
wie z. B. in Wezikon, Hinweil, u. ſ. f. Die Einſicht 
der Bevoͤlkerung und Vermoͤgenstabellen, die ur ſre Ges 
ſellſchaft geſammlet hat, belehrt uns auch, daß in jedem 
Dorf wenige Geſchlechter den groͤßten Theil der Einwoh— 
ner ausmachen, welches beweiſet, daß ehedem nur wenis 
ge Haus vaͤter große Höfe an dieſen Orten beſeſſen, uns 
ter deren Nachkommen dieſelben vertheilt worden. Erſt 
in dieſem Jahr lernten wir einen wackern Landwirth ken⸗ 


. 
104 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


nen, der nur 5. von dem Hof ſeines ſel. Großvaters bauet, 

und dabey gluͤcklich und zufrieden lebt; zugleich auch ein 
Beyſpiel eines guten Landwirths giebt. Daher koͤmmt 
es auch, daß ſelbſt in den Gegenden, wo der Getreid— 
bau das Hauvptgeſchaͤfte des Landmanns ausmacht, die 
ganzen Ochſenzuͤge von Jahr zu Jahr ſeltner werden. 


Nirgends im Lande ſieht man nur einen Fleck Landes 
uͤbrig, der nicht ſeinen Beſitzer habe; auch in den groͤß— 
ten Wildniſſen iſt kein Baum, keine Staude, die nicht 
ihren Eigenthümer habe, fo daß der Begriff von Hoch— 
und Frohnwaͤldern, die niemanden als dem Landesherrn 
zugehoͤren, bey uns eine unbekannte Sache worden. 

Es nimmt ſich auch unſer Land hierinn von andern 
in den Augen jedes Durchreiſenden aus. Er; 


La bonne culture s’etend dans tout le Canton de Zurich: 
elle eft foignce en tout point & on n'y voit accunne terre en 
non valeur, ſchreibt Beflon in feinem Manuel pour les fca- 
vants & curieux qui voyagent en Suiſſe. Ein Mann, 
der gewiß ein zuverlaͤßiger Richter iſt, da ich unter allen 

Neiſebeſchreibern noch keinen ſcharfſichtigern und richtis 
gern Beobachter gefunden habe. N 


Man darf ſich aber nur auf den Graͤnzen unſers Lanz 
des auf einen hohen Berg ſtellen, von welchem man auf 
beyden Seiten eine freye Ausſicht hat, um davon uͤber⸗ 
zeugt zu werden. Man beſteige z. Beyſpiel die Roßweid, 
oder oberſten Gipfel der Richterſchweiler-Egg, und ſe— 
he von dem Ort, wo der 3. Laͤnderſtein die Cantone 
Zuͤrich, Schweiz und Zug von einander ſcheidet. Welch 
ein Paradies oͤffnet ſich vor den Augen, wenn man die 
beyden Ufer des Zuͤrichſees vor ſich liegen ſtehet? Wie oͤde 
hingegen ſiehet es in dem Thale des Canton Schweiz 
aus, durch welches die Biber flieſſet, das doch einen 
guten Grasboden und beſtes Torfland enthalt, Der bes 


9 


für Feldbau und Sitten des Volks. 105 


kannte Herr von Buttre ſchrieb mir von feiner Reiſe nach 
Einſiedlen unterm 12. May 1781. En quittant votre Vil- 
le je ſuivis les bords du lac juspu’a Richtſchweil (Richten. 
ſchweil) & je fus enchantè de Pexcellent & admirable cul, 
ture, qui yregne, je fis ce chemin tout lentement, tou- 
jours admirant un ſi fertile cotteau, & ſi parfoitement cul- 
tive, Je puis bien vous aflurer, n’avoir vu aucun vignoble 
auſſi bien tenù & arrange, cela joint a la charmante perfpec- 
tive du lac, & de fes environs, me fit paffer la plus delicieu- 
fe mattinee donc j'ai joui il y a longtems. Il n’en fut pas 
de meme P'apres midi, quand j’entrai dans le Canton de 
Schweiz, le contruſte etoit de plus frappants, on ne voyoit 
que des chapelets, de la mifere & des deferts. Einen gleis 
chen Anblick findet man auf dem Hoͤrndli und auf der 
Scheidegg. 

Wenn wir aber auf den Grund und Urſprung dieſes 
bluͤhenden Wohlſtands zuruͤckgehen wollen, ſo muͤſſen 
wir bey der ſeligen Reformation ſtehen bleiben, und in 
dem Reformator Zwingli, den Stifter und Urheber deſ— 
ſelben verehren. Er war es, der dem Penſionenbrief eine 
fortdaurende Feſtigkeit gab, durch den das Kreislaufen 
verbotten worden, welches waͤhrend den italieniſchen 
Kriegen, die Schweiz auf eine traurige Weiſe entvoͤlkert 
hatte. Er hielt uns von den Verbindungen mit fremden 
Fuͤrſten und Herren zuruͤck. Er befreyte uns von den 
Feſſeln der Hierarchie; er laͤuterte unſere Religionsbegrif- 
fe, und weckte die entſchlaffnen Seelenkraͤfte auf, die 
uns zu einem bisher unbekannten Wohlſtand führen fol; 
ten. Die falſchen Vortheile von Herrendienſten, Kloſter— 
dienſten, und von dem frommen Muͤßiggang in den Klös 
ſtern fielen weg, das Land gewann an den von Kloſter⸗ 
zwang, und von dem Verbot der Prieſterehe befreyten, 
geſunden und ſtarken Menſchen beyderley Geſchlechts, 
neue Beyhilfe zur Bevoͤlkerung, und der Verlurſt der 


108 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


Scheinvortheilen, neben dem Haß der Eidsgenoſſen, wel⸗ 
che Fuͤrſtengunſt und Papſtſegen der edlen Freyheit vor— 
zogen, zwangen uns, in uns ſelbſt und in dem Umkreis 
unſers Landes die Quellen der Unterhaltung und des 
Gluͤcks aufzuſuchen, indem wir die entbundene Vernunft, 
und die Leibeskraͤfte, die von den Banden der Bigotterie 
ledig worden, darauf verwendeten; und wir entdeckten 
ſolch reiche Quellen, die den Neid unſrer Feinden reitzen 
mußten. Es fiel zwar der Pracht und Ueppigkeit weg, die 
vorher in unſrer Stadt geherrſchet, dagegen aber wuchs 
innerer Friede, Geſundheit und Staͤrke der Seele und des 
Leibes, und dieſe zeugten das bängliche Gluͤck, den beß⸗ 
ten Segen der Gottheit. 

Hier fand alſo ein beſſerer Anbau unſers Landes, und 
der Fleiß in Kuͤnſten, Handwerken, und Gewerben ih⸗ 
ren Urſprung, die nach und nach den Flor erzeuzten, 
den wir vor uns fanden, und die außerordentliche Be— 
voͤlkerung, welche allemal der Maßſtab des Wohlſtands 
eines Landes iſt und bleibt, die Philoſophiſten unſrer 
Zeit moͤgen darwider wizlen und ſchwatzen, was ſie 
wollen; und hier faͤllt deutlich in die Augen, welches die 
Grundpfeiler ſeyen, auf welchen der wahre Wohlſtand 
eines Landes ruhet. Ein freyer Gebrauch einer aufge⸗ 
klaͤrten Vernunft, Arbeitſamkeit, Sparſamkeit und gu⸗ 
te Sitten. 

Daß ich hier die reine Wahrheit rede, kann ſich jeder 
überzeugen, der nur mit etwas Aufmerkſamkeit die Schweiz 
durchreiſet. Aller Orten bemerkt man einen großen Un— 
terſcheid zwiſchen den Laͤndern der Reformirten und Gas 
tholiken. In jenen findet man allenthalben Spuren 
von Betriebſamkeit, Fleiß und Nachdenken; das Land iſt 
volkreicher und belebter; die Guͤter beſſer bebaut, der 
Einwohuer reinlicher und beſſer bekleidet; die Haͤuſer 
durchgehends ſolider und geſchmackvoller gebaut, wenn 


für Feldbau und Sitten des Volks. 107 


man die wenige Kloͤſter und Wohnhaͤuſer der im Kriegs— 
dienſt emporgehobenen Familien ausnimmt. Auf Voͤgelis 
Egg in Appenzell Außer Rhoden, hat man einen Stand— 
punkt, der demjenigen aͤhnlich iſt, den ich auf der Roß— 
weide beſchrieben. Auf der einen Seite ſieht man in das 
Thurgaͤu, am weſtlichen Geſtade des Bodenſees, das an 
Bevoͤlkerung und Anbau der Güter dem Bezirk am Zuͤ— 
richſee aͤhnlich iſt. Auf der andern Seite in das Appen⸗ 
zelliſche Alpgelaͤnde, das von Natur nicht beſſer iſt, als 
die Gegend des Cantons Schweiz an der Biber. Aber 
hier lebt alles, das ganze Gelaͤnde iſt in Grundſtuͤcke 
von mehr oder minderm, doch meiſt nur maͤßigem Um— 
fange durch Zaͤune abgetheilt, in deren jedem ein wohl— 
gebautes hoͤlzernes Haus ſtehet; und alle Jahre entdeckt 
man neue Haͤuſer in friſchen Anfbruͤchen, bis auf die 
Gipfel der Berge. Ein großer Unterſchied faͤllt in die 
Augen, wenn man aus Appenzell Außer Rhoden, in den 
Innern Rhoden eintrittet, oder aus dem Uznerland ins 
Toggenburg, oder aus der Mark ins Glarnerland koͤmmt. 
So wie wir es aber in der Eidgenoßſchaft im Kleinen be— 
merken, ſo augenſcheinlich iſt es, wenn wir unfere Be 
obachtung auf die große Oeconomie von Europa richten, 
Engeland, Holland, und die proteſtantiſchen Staa— 
ten in Deutſchland, geben die Muſter der vollkommen— 
ſten Cultur, fo wie des Fleiſſes und der Geſchicklichkeit 
in der Handlung und den Fabriken. Auch in Frank— 
reich bluͤhete die Induſtrie nirgends ſchoͤner, als bey 
den Hugenoten, bey denen noch itzt die meiſten Fabriken 
betrieben werden. Und in den Seehaͤfen der uͤbrigen ka— 
tholiſchen Staaten, iſt der meiſte Handel in den Haͤnden 
von Proteſtanten, wodurch unſer angenommene Grundſatz 
ſich noch mehr beſtaͤttiget, daß ein freyer Gebrauch ei— 
ner aufgeklaͤrten Vernunft, Arbeitſamkeit, Sparſamkeit, 
und gute Sitten, Wohlſtand und Bevoͤlkerung erzeugen. 


108 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


Hierinnen ſtimmen auch die aufgeklaͤrten Catholiken mit 
uns uͤberein, die uns immer wegen dem vorzuͤglichen 
Wohlſtande unſers Landes beneidet haben, und die des— 
wegen immer mehr ſich bemühen uns darinnen nachzus 
ahmen. Ich will hiervon nur einen Zeugen aus unſern Eids⸗ 
genoſſen anfuͤhren, den patriotiſchdenkenden Hrn. Ammann 
Kollin von Zug, in feinem Neujahrsgeſchenke an die Zugeris 
ſche Jugend von 1785. und 1786., nachdem er ſeinen 
Neujahrswunſch in 2. Reime zuſammengedraͤngt: 


Chriſtenthum und Arbeitsluſt 
Pflanzt euch fruͤh in eure Bruſt! 


Und ſolchen durch einen vortreflichen Commentar zu be 
leuchten angefangen, wieſe er ſie auf das Beyſpiel der 
Nachbaren. „Seht, wie gluͤcklich machen arbeitſame Eins 
„wohner ein Land! Werfet nur eure Blicke, wenn ihr 
„ein lebendiges Gemaͤhlde ſehen wollt, auf benachbarte 
„Staaten! Woher ihr Gluͤck, ihr Reichthum, ihre Macht? 
„Geht in ihre Kinderſtuben, ſeht, die kleinſten Kinder 
„ gewoͤhnt man ſchon an einige Arbeit, was immer fuͤr 
„Arbeit, nur daß ſelbe nie einen Hang zum Nichtsthun 
„bekommen moͤgen. Geht in ihre Schulen (hier beſchreibt 
„er unbenannt unſere Kunſtſchulen) geht in ihre Kunſt— 
„und Arbeitszimmer! Geht in ihre Handlungsplaͤtze! 
„Seht ihre Geſchaͤftigkeit, ihren Fleiß, ihre unverdroſ— 
„ ſene Arbeitsluſt! Woher kommen itzt ihre Reichthuͤmer, 
„ Anſehen und Macht? Wenn alle fleißige Arbeitsbienen 
„find, muß nicht der Bienenkorb reich an Honig ſeyn. » 
Dieſer ſcharfſichtige Mann bemerkt auch die wahre Quelle 
in einem reinen Religionsbegriff, und Gebrauch der Frey— 
heit. Er redet deswegen die Eltern ſo an: „Eltern faͤngt 
„an eure Kinder wahr rechtſchaffen aufzuziehen! Lehret 
„fie die chriſtliche und bürgerliche Pflichten! Lehret fie die 
„heil, Religion in reiner göttlichen Einfalt. Lehrer fie 


fir Feldbau und Sitten des Volks. 109 


„wahres Chriſtenthum in Gottes und Bruderliebe, eis 
vs get ihnen das Gluͤck der Freyheit! Lehret ſie ſelbe, ohne 
„ ſtolz darauf zu ſeyn, recht gebrauchen! Lehret fie frühe 
„arbeiten ꝛc. „ Schade, daß dieſer vortrefliche Mann 
ſich nicht deutlicher erklären dörfen. Der um die deutſche 
Geſchichte ſo hochverdiente Hofrath Schmid, geht in ſei— 
ner neuen Geſchichte der Deutſchen I. B. Cap. 22. noch 
deutlicher zu Werke; auch da, wo er ſich alle Muͤhe 
gab, den geſegneten Einfluß, den die Reformation auf 
theoretiſche und praktiſche Religion gehabt, zu verklei— 
nern, druͤckt ihm doch die ſo hellleuchtende Wahrheit fol— 
gendes Geſtaͤndnis ab: »In einem Stucke haben jedoch 
„ die Sitten der Proteſtanten, beſonders in Deutſchland, 
„eine Wndung genommen, die! mau anfangs gar nicht 
„ vermuthet hätte; nämlich in Anſehung einer gewiſſen 
„ Sparſamkeit, Nuͤchternheit und Induſtrie, die man faſt 
„als etwas unterſcheidendes in ihrem Charakter anſehen 
5 kann. „ Er will zwar dieſen Satz in Anſehung andrer 
Nationen nicht gelten laſſen, welches aber nur daher 
koͤmmt, weil er fie nicht fo gut kannte, ais die Deuts 
ſchen, und es deswegen ſeinem gefaßten Vorurtheile leich— 
ter war, uͤber ſeine ſonſt tiefe Einſichten zu ſiegen, und 
durch ſeine Sophiſmen Staub in die Augen zu werfen. 
Es iſt aber hier nicht der Ort ſeine Sophiſmen weitlaͤufig 
zu widerlegen. Indeſſen kann uns die Bemerkung, die 
wir über die allgemeine Haushaltungen von Europa ge. 
macht, hinlaͤnglich ſeyn, ihren Ungrund zu zeigen. 

Es find aber dieſe Folgen der Freypheit zu denken und 
die Arbeitſamkeit nicht durch ein Wunderwerk bewuͤrket 
worden; fanft und langſam wuͤrkten die Einfüffe der Reli⸗ 
gion auf die Sitten und das Gluͤck unſers Lands. Der 
von den bisherigen falſchen Huͤlfsmitteln entbloͤßte Burger 
unſrer Stadt, fuͤhlte bey der beſeeligenden Empfindung ſei⸗ 
ner Gewiſſensfreyheit, die Nothwendigkeit, für feinen Un⸗ 


110 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


terhalt zu ſorgen; er lernte eine Kunſt oder Handwerk, 
baute mit eigner Hand feinen Garten oder Landgütgen, 
ſchraͤnkte ſich in feinen Ausgaben ein, und lernte mit Wes 
nigem zufrieden ſeyn. Auch Gelehrte glaubten ein Hand⸗ 
werk verſtehen zu muͤſſen, um im Fall der Roth mit feiner 
Händen Arbeit fein Brod zu verdienen Wen ruͤhrt nicht 
die Erzählung eines Thomas Blatter von feinem Entfchluf, 
das Seilerhandwerk zu erlernen, und die Beyſpiele von Cepo⸗— 
rinen, Kollinen und andern? Wen rührt nicht die Les 
bensart der beruͤhmteſten Maͤnner damaliger Zeit, die bey 
eigner Armuth ſo viel Gutes ihren noch aͤrmeren Glau⸗ 
bensgenoſſen erwieſen, und ihre Verbindungen mit den an⸗ 
geſehenſten Maͤnnern im Staate, von denen die meiſten Hand⸗ 
werker geweſen? wie ſolche uns von unſerm fleißigen G% 
ſchichtforſcher Simler in feiner Rede von der druͤderlichen 
Liebe mit den Gliedern der Kirche des ıöten Jahrhunderts 
geſchildert worden. Erſt in ſpätern Zeiten ſpann fich nach 
und nach der Fleiß in Fabriken und Handelſchaft heraus, 
der unſre Stadt und Land ſo ſehr bereichert hat. Dieſes 
in das Licht zu ſetzen, lege ich einen Barometer vor, 
auf den man ſicher gehen kann, einen Auszug aus den 
Seckelamts⸗Rechnungen, von dem Fabrikzoll und Kauf⸗ 
hauszoll, den wir dem unermuͤdeten Fleiſſe des ſeligen 
Herrn Rechenſchreiber Scheuchzers verdanken. Dieſer Herr 
legte Ao. 1773. der Seckelamtsrechnung einen Etat uͤber die 
Einnahmen und Ausgaben des Seckelamts von der Refor⸗ 
mation an bey. Er nahm alle 20. Jahr eine Rechnung 
vor ſich und brachte ihre Titel in eine Tabelle. 


Jahrgang. Fabrikzoll. Rauf haus zoll. 
1531, 35. 15. 237. Ib. 
1551. * 346. 

1571. 1 633. 


1591. — — 1115. 


für Feldbau und Sitten des Volks. 111 


Jahrgang. Cabriksoll. Rauf hauszoll. 
1611. 763. Ib. 816. 15. 
1631. 3759. 196. 
1651. 6925. 1915. 
1671. 13756. 2469. 

1691. 34498. 5313. 

r ĩ—̃— V- ͤ — —. — . —ů—˙ — —- — 
1711. 38794. 3061. 
1731. 51923. 3976. 
1751. 82773. 6213. 
1771. 114455. 7599. 
1775. 127822. 10248 
1785. * 156983. 14221. 


1786. 159117. 14185. 


Welch eine Pyramide von wachſendem Reichthum ſtellt 
ſich hier dar! Wie ſchwach — wie langſam wirkten die 
beſeeligenden Grundſaͤtze in dem Reformations-Jahrhundert, 
auf die Handlungen und Fabriken! Wie ſehr nahm ſie in 
dem folgenden Jahrhunderte zu. Beynahe in geometriſchem 
Verhaͤltniß. Wir bemerken alſo hier die gleiche Regeln von 
den Triebkraͤften moraliſcher Grundfäße , die Gott den 
Triebkraͤften der Natur vorgeſchrieben hat. Aus einem bey— 
nahe erſterbenden Keim ſehen wir zuerſt eine ſchwache Pflanze 
entſtehen, welche endlich in einen maͤchtigen, weit umfchatz 
tenden Baum aufgewachſen. 


Daß zuerſt die Induͤſtrie auf Handwerke und Feldbau ges 
fallen, belehrt mich unter anderm das Hardbuͤchli, oder 
Ordnung in Abſicht auf den Weidgang im Hard, nach wel 
cher durch die ganze Stadt Kühe gehalten worden. „Der 
Hirt war verbunden auf Dorf, vor dem Thor, bis aufhin 
z zum Kreutz, item im Niederdorf unz an das Thor und 
os darvor gar nuͤt anzunehmen. Item von Hottingen war der 
v Hirt nicht verbunden, einich Vieh zu nehmen, er thuͤe es 
v denn gern und doch nicht ferner als ung das Kreutz. Item 


112 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


„vom Neumarkter « Thor wird nuͤt hereingetrieben, er ſeye 
„denn ein Burger und in der Stadt haushaͤblich geſeſſen. 
„Item von der Bleiki an unz zum h. 3. König , bis zum 
„neuen Capelin.„ Alle Hinterſaͤſſen waren von dem Weyd—⸗ 
recht ausgeſchloſſen. Wie groß aber damals die Viehzucht 
bey der Burgerſchaft geweſen ſeyn muͤſſe, läßt ſich aus fols 
gendem Einſchraͤnkungsgeſetz ſchlieſſen: »Es ſoll niemand 
„mehr denn dritthalb Haupt, d. i. zwo Kuͤhe und ein Kalb 

„für den Hirten ſchlagen, und wo in einem Haus mehr 
ber ein Ehegemaͤcht iff, die nur einen Rauch führen und 
„alſo mit einander haufen, denen wird auch nicht mehr, denn 
„ob es nur eine Haushaltung waͤre, als dritthalb Haupt 


5 zugelaſſen. » 


Wir ſehen alſo hieraus, daß gerade nach der Reforma— 
tion und durch deren Jahrhundert der Feldbau einen der 
wichtigſten Nahrungszweigen vorgeſtellt habe, da die mei— 
ſten Verordnungen für die Bürgeralment ſich von 1542 — 
1574. datiren. 

Dieſes wird noch mehr ins Licht geſett; wenn wir die 
Geſchichte des Sihlfelds in Erwägung ziehen, deſſen Frucht, 
barkeit bey einer nie unterbrochenen Benutzung jedem Reiſen⸗ 
den in die Augen fallt. Wir finden in einem uralten Band. 
von Rathserkenntniſſen noch ein Original einer Ordnung 
des Sihlfelds der Nutzung halber, die Ao. 1410. von den 
Zweyhunderten feſtgeſetzt worden. Nach dieſer ward die 
Brach und Stoppelweid denen von Wiedikon und den Bur⸗ 
gern der Stadt fuͤr ihre Pferd und Zugviehe zugeeignet. 
Wer Einſchlaͤge im Sihlfeld hatte, mußte, wenn das Feld 
Brach lag / und nach der Erndte, wenn der Helm geſchnellt, 
ſolche dem weidenden Vieh oͤfnen. 

Hieraus hat ſich nach und nach das Kreuelbuͤchli ent⸗ 
wickelt, welches mit Ausgang des roten Jahrhunderts und 
in der erſten Haͤlfte des vorhergehenden Jahrhunderts noch 
in voller Kraft war, und einem eigenen Kreuelvogt aus 


* 


fuͤr Feldbau und Sitten des Volks. 113 


Man Hrrn. Ehrenmittel zur Aufſicht übergeben worden. 
Nach ſolchem ſollte der Weydgang im Kreuel, wozu auch 
der Platz gehoͤrte, gemeinen Burgern in der Stadt Zuͤrich 
und denen in der Gemeind Wiedikon zudienen. Keine Kuͤhe 
noch Kaͤlber ſollten dort zur Weyd gehen, ſonder dieſe von 
Seite der Burger ins Hard, von Seite Wiedikon auf die Alls 
ment verwieſen ſeyn. Den Schweinen ward ſie bey hoher 
Strafe verboten; hingegen ſoll ſie den Pferden und Zugvieh 
ſamt Schaaf und Geiſſen zur Weyd dienen. Aus druͤcklich ward 
auch die Stroffelweyd im Sihlfeld dazu gezehlt, man durfte 
aber auf die Kornzelg kein Vieh laſſen, bis alles Korn ads 
geſchnitten und die Zehendengarben nach Hauſe gebracht 
waren. Auf die Haberzelg, „auch wenn es joch Roggen 
oder anders Getreyt,„ durfte man nur bey Tage mit einem 
Hirten darauf weyden. 

Es entſtanden aber ſchon von Anfang des ı7ten Jahr⸗ 
hunderts viele neue Einſchlaͤge in dem Sihlfeld, ſo wohl 
von Burgern der Stadt, als denen von Wiedikon, gegen 
welche aber damals allemal die Urtheilſpruͤche zu Gunſten 
des Weydrechts ausfielen. Ad. 1606. wurde das Einſchlagen 
denen von Wiedikon auf Vorſtellung der Meiſterſchaft der 
Metzger aus der Stadt verboten; Ao. 1610. wurde über Ver⸗ 
änderungen der Scheunen in Wohnhaͤuſer geklagt, und dies 
ſes oberkeitlich abgekennt. Ao. 1622. ward einigen Burge⸗ 
ren das Einſchlagen im Sihlfeld verboten, und ein gleiches 
Verbot gegeu die Einwohner von Wiedikon wiederholt. 
Ao. 1628. ward einem Vollmar ein Einſchlag bewilligt, 
doch mit dem ausdruͤcklichen Vorbehalt, ſeine Wieſe mit 
einem Gatter zu verſehen, der zur Zeit der Stroffelweyde 
offen ſeyn ſolle. 

Es wurden zwar ſchon Ao. 1623. 1629. 1630. 1634. 
und 1637. wegen theuren Zeiten und Mangel an Fruͤchten 
den Beſitzeren der Güter im Sihlfeld vergünftigt, ihre Gi 
ter nach ihrem beßten Nutzen und Gefallen anzuſaͤen, its 

Magaz. f. d. Naturk. Helvetiens III. B. 2 


114 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft | 


doch Brief und Siegel deren von Wiedikon, wegen dor⸗ 
tiger Stroffelweyd nicht aufgehebt. Wodurch MGn H Hrn. 
hohe Standesvorfahren erwieſen , daß es der Landes, 
Obrigkeit immer zuſtehe, die Gemeinweyden nach Noth⸗ 
durft einzuſchraͤnken , wie fie dann auch Ao. 1640, er⸗ 
kannten, daß das untere Sihlfeld dießmal und auf koͤnf⸗ 
tige Zeit Brach liegen und unangebluͤmt bleiben ſoll, 
doch mit Vorbehalt Einwendungen dagegen anzuhoͤren. 


Man ſieht hieraus, wie von der Reformation an ein be⸗ 
ſtaͤndiges Beſtreben geherrſchet, die Landguͤter in Aufnahme 
zu bringen, und zu dem Ende feine beſitzende Aecker im 
Sihlfeld einzuſchlagen, wogegen aber die Beſitzer der Weyd⸗ 
rechten immer kaͤmpften und ſiegten. Nur zun Zeiten der 
Theurung ward der Feldbau beſonders beguͤnſtigt, und der 
geſegnete Erfolg ſcheint nach und nach die gaͤnzliche Abs 
ſchaffung der Brach⸗ und Stroffelweyd bewuͤrket zu haben. 
Roch Ao. 1692. ward vom Rechenrath unterm 28ſten Juni 
folgende Erkanntniß gemacht: die Beſitzere des mittlern Sihl⸗ 
felds ſupplicirten: daß dieſe Zelg, die bisdahin Brach ge⸗ 
legen, und auf welcher die Mſtr. Metzger und die Gemeind 
Wiedikon das Weydrecht haben, gleich dem oberen und un⸗ 
teren Sihlfeld, beſſer benutzt werde, dergeſtalt, daß nach 
der Ernde Ruͤben, die Brach aber mit Bohnen beſaͤet wurde. 
Ward erkennt, MuGnHHrrn. hoffen, die Beſitzer dies 
ſer Guͤter werden dieſelben dermaſſen in Ehren legen, daß 
dieſe ertheilte Gnade zu Anfnahme und nicht zu Schaden 
des Zehenden gereichen werde. Auch auf den gefallnen Be⸗ 
richt, daß die Mſtr. Metzger, ihrer allda gehabten Strof⸗ 
felweyd wegen, keinen Eintrag thun wollen, ſo ward die 
Bitt willfahrt und angezeigt, daß das mittlere Sihlfeld 
gleich dem oberen und unteren benutzt und beworben wers 
den möge, Anbey aber ſtehe denen von Wiedikon freyr 
fo je wider Verhoffen einige waͤren, welche ſich wegen 


für Feldbau und Sitten des Volks. 175 


ihrer Stroffelweyd beſchweren wollten, ſich vor Rechenſtuben 
deswegen zu melden. 


Dieſes ſcheint alſo die Epoche geweſen zu ſeyn, von wel⸗ 
cher das ganze Sihlfeld von der Brach» und Stroffelweid 
befreyt, und alle die Güter im untern und obern Hard eins 
geſchlagen worden, daß alſo die groſſe Theurung zu der 
Vervollkommnung des Feldbaues hat beytragen muͤſſen. 
Wiedikon begnuͤgte ſich von den Einſchlaͤgen Stroffelweyd⸗ 
zinſe zu beziehen, und in neueren Zeiten dieſelbe mit einem 
kleinen Eapitälgen auskauffen zu laſſen. In einer Gemeind⸗ 
rechnung von 1766. fande ich von 65. Einſchlaͤgen im Sihl⸗ 
feld 166. Pf. 5. f. Stroff lweydzinſe verrechnet, in einer 
Spielung von 10. Pf. bis auf 10. 6. Wenn man 15. ß. 
pr. Juchart rechnet, wie ich aus der Beſtimmung der Strofs 
felweydzinſen, die nur alle 3 Jahr entrichtet werden ſchlieſ— 
ſen muß, ſo beloffen ſich damals die Einſchlaͤge auf 200. 
und ıf2. Jucharten, die ſeither noch mehr vermehrt wor⸗ 
den. Ein groſſer Theil hievon blieb zu Wieſen liegen. Dem 
unermuͤdeten Fleiß Herrn Amtmann Zeideggers in Erfor⸗ 
ſchung alles deſſen, was zu Beleuchtung ſeines Amts 
dienen kann, habe ich zu verdanken, daß ich von 3 De⸗ 
zennien den Mittelertrag der Zehenden des Sihlfelds vor⸗ 
legen kann. 

Ao. 1601. = Io, 435,5. Stuck an Winter⸗ und Sommer, 
fruͤchten. 

— 3 $ 85. 461,5. Winterfrucht, in dieſem Dezen⸗ 
nio ward der Bohnenzehenden 
beſonders berlichen im Durchs 
ſchnitt 98. 2. Stuck, e ee. 

Stuck. 

— 1776. 85. 437,0. Winterfrucht. Bohnen. 141. 2 
Stud, Summa 578. 75. 

Hier zeiget ſich alſo eine merkliche Verbeſſerung der Kul⸗ 


116 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


tur, wenn man hierzu den Nutzen der Wieſen in Abſicht 
auf die Milch und den Gewinnſt an Obſt in Erwaͤgung 
ziehet, ſo zeigt ſich eine noch groͤſſere Vermehrung, wenn 
wir annemmen, daß 1oo. Jucharten Feld in Wieſen vers 
wandelt worden, von welchen, wenn wir im Mittel 2. 
Mütt Zehenden annemmen, 50. Muͤtt Zehenden heraus⸗ 
kommen wurden. Dieſes iſt zwar ein Verluſt fuͤr den Ze⸗ 
henden ⸗Herren, da aber dieſer der Landesvater ſelbſt iſt, 
muß es ihn freuen, den Wohlſtand ſeiner Kinder erhöhet 
zu ſehen, wenn ſolcher ſchon mit einigem Berluft feiner 
Einkünften erkauft wird. 

Aus der Ueberſicht deſſen, was bisher geſagt worden, ’ 
laͤßt ſich ſchlieſſen, daß der durch die Reformation anges 
ſpannte Fleiß und vermehrte Kraͤfte im Nachdenken zuerſt 
auf den Feldbau gefallen, welcher immer mehr gebeſſert 
worden, eine Menge Einſchlaͤge erzeuget, und den Kreuel 
und Hard mit Haͤuſern geziert, welche endlich, nachdem ſie 
durch den Lauf der Zeit an Fremde verkauft worden, die Ers 
richtung einer anſehnlichen neuen Gemeinde nothwendig 
gemacht. 

Was wir hier von dem Sihlfeld bemerkt haben, mag 
auch auf den anderen Seiten der Stadt geſchehen ſeyn; 5 
es beweiſen dieſes ſo viel Guͤter, die noch dieſen Tag in 
den Haͤnden unſrer Mitburger geblieben, und viel 
mehrere, von denen man weiß, daß ſie in dieſem Jahr⸗ 
hundert aus den Haͤnden der Verburgerten an Landleute 
durch Kauf uͤbergegangen ſind. Dieſes geſchah nicht nur 
in den Gemeinden um die Stadt und an den beyden Geis 
ten des Sees, ſonder auch in den entfernteſten Gegens 
den, die ſich durch den Weinwachs ausnemmen. Es laͤßt 
ſich auch leicht begreiffen, daß die Landguͤter damals mit 
Nutzen konnten beworben werden, da die Guͤter bey we— 
niger Bevoͤlkerung annoch in geringem Werthe waren, und 
der Tagloͤhner mit einem geringern Lohn vergnuͤgt, auch 


für Feldbau und Sitten des Volks. 117 


um ſo leichter zu bekommen war, da weder Kriegsdien— 
ſte, denen man ſich ſeit der Errichtung des Penfionens 
briefs gaͤnzlich entſagt, noch die Fabrikarbeiten, die noch 
beynahe ein ganzes Jahrhundert ganz unbetraͤchtlich ge— 
blieben, dem Feldbau Haͤnde entzogen. Ein Tauner 
oder auch ein Bauer, der viel Soͤhne hatte, mußte ſich 
glücklich ſchaͤtzen, wenn er im Dienſt der Gutsherren eis 
nen Nebenverdienſt fand, da er durch die Reformation in 
Abſchaffung der Feyertagen eine merkliche Vermehrung 
der Zeit zu ſeinen Arbeiten gewonnen hatte. 

Aus einem Theilbrief zwiſchen den Erben Hans und Ni— 
klaus den Hofmeifteren von Ao. 1594. ſehe ich, daß zwey 
Juchart Reben ſamt Trotten zu Neftenbach um 500. Pf. 
angeſchlagen worden. Ein Juchart daſelbſt im Steig ledig, 
bis 1. Vrtl. Kernen und ein Huhn, um 200. Pf. 2. Juchart 
Reben zu Meilen an der Halden ledig um 180. Pf. Haus 
und Hofſtatt, Scheur, Trotten, 4. Juchart Reben, 8. 
Mannwerk Wieſen, 1. Theil Holz, ſamt Keller unter eis 
nes andern Haus, zu Kuͤßnacht, darab 4. Pf. 13. fl. 8. hlr. 
den alten Wirzinnen auf Dorf; 5. Pf. dem Spithal; 
6. Pf. dem Rlofter Muri; item 4. Pf. an Partikularen 
4100. Pf. Ein Hofſtatt Reben in Wipkingen, Haus, 
Scheur, Trotten, 2. Mannwerk Wieſen, 3. Juchart Res 
ben, 1. Juchart Acker, 3. Muͤtt Holz, darab 4. Muͤtt Kers 
nen in den Oetenbach; 10 Pf. Gelds den armen Sommer— 
ſiechen an der Spanweid; 10. Pf. Gelds an Partikularen abs 
giengen, 1700. Pf. Anſchlag nach Abzug des Bevorſtehen— 
den. Merkwuͤrdig iſt der geringe Unterſchied in dem 
Werth der Guͤter in Neftenbach, Meilen, Kuͤßnacht und 
Wipkingen in Vergleichung mit dem heut zu Tag gewoͤhn— 
lichen Werth. In Neftenbach wird die beßte Juchart ſel⸗ 
ten mit 500. fl. bezahlt; da hingegen in Meilen die beßte 
Juchart nicht unter 1500, fl. verkauft wird, welches eis 
nen 3 mal hoͤheren Werth ausmacht; da gegen dem Ende 


118 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


des 16ten Jahrhunderts der Werth war, wie 20. zu 36. 
alſo nicht das Doppelte. 

Bey dieſen Umſtaͤnden konnte ein Mann bey Be⸗ 
werbung der Guͤter, auch wenn er ſolche mit Fremden 
bearbeiten mußte, fuͤr ſich kommen, und die Reichen ihre 
Capitalien wohl angewendet ſehen, wenn ſie ſich mehrere 
Landguͤter verſchaften, wie das angeführte Beyſpiel zeiget, 
dergleichen ich noch viele anfuͤhren konnte. So hinterließ 
am Ende des 17ten Jahrhunderts Herr Burgermeiſter Ca⸗ 
ſpar Hirzel bey einem Vermoͤgen von 209296, fl. an Zins 
fen und Landguͤtern 63000. fl., alſo mehr als 3. Auf dieſe 
Weiſe mußte der Feldbau in Aufnahm kommen; daher ſe⸗ 
hen wir auch den Ertrag der Zehenden gegen dem Ende 
des Reformations-Sekulum in dem hoͤchſten Grad, ja 
meiſtens hoͤher, als in den Zeiten, in welchen wir leben. 
Zur Beleuchtung will ich aus der mir guͤtigſt mitgetheilten 
Tabelle HHrn. Amtmann Heideggers die wichtigſten Mit⸗ 
telertrage von den Dezennien 
1576 » 85, 1676. » 85. 177685. herſetzen. 


88. 2. 56. % 31. 2. Aeſch. 

75 f. 75.8. 28. 3. Ermatingen. 
124. 5 116. 3. 74. . Maur. 

61. 5. 110. 18. 70. 18. Seebach. 


In dem folgenden Jahrhundert vermehrten ſich von Des 
zennium zu Dezennium die Fabrikarbeiten, fuͤr welche die 
Fluͤchtlinge, die im Anfange dieſes Jahrhunderts aus den 
italieniſchen Vogteyen, und gegen dem Ende aus Frank⸗ 
reich zu uns gekommen, uns ihre Geſchicklichkeit in ver⸗ 
ſchiedenen Fabriken mitgetheilt haben. So machte die 
Vorſehung den Religonshaß und Verfolgungsgeiſt der Ca⸗ 
tholiken zu einem Segen der Reformirten. 


Ich ſehe es fuͤr ein Glück unſerer Stadt und andes 
an, daß man auf den Gebrauch gefallen, die Fabrikarbei⸗ 


für Feldbau und Sitten des Volks. 119 


ten nicht in der Stadt zu behalten, welches eine fuͤr die 
kuͤnftigen Zeiten gefaͤhrliche Vermehrung der Einwohner 
der Stadt wurde erzeugt haben, wie wir dieſes in den 
beruͤhmten Fabrikſtaͤdten in Frankreich, Holland und 
Deutſchland ſehen, wo bey dem Sinken der Fabriken al— 
ſobald Hunger, anſteckende Krankheiten und Aufruhren 
leicht entſtehen. Bey uns vertheilte ſich ſo der Nutzen der 
Fabriken unter die Buͤrger der Stadt und die Einwohner 
des Landes; jene beziehen den, obwohl mit Gefahr be— 
gleiteten, Nutzen der Handlung, dieſe aber den Arbeitslohn, 
ohne Gefahr eines Verlurſts, welcher ſich auf groſſe Sum⸗ 
men belauft, wie es die praͤchtigen Gebaͤude, der durch 
ihre Kunſt im Fabriziren reich gewordenen Landleute be— 
zeugen, die unſer Land vorzuͤglich zu beyden Seiten des 
Sees zieren, und ſo manchem Fremden Bewunderung 
abgelockt haben. 

Dieſe Arbeiten konnten im Anfang neben dem Feldbau, 
ohne deſſen Abbruch vorgenommen werden, da man die 
muͤßigen Wintertage, und einen Theil der langen Winter— 
naͤchte demſelbigen wiedmen konnte. Ja dieſes mußte 
vielmehr den Feldbau erleichtern, indem man ſich die zur 
Beſſerung des Landes dienliche Mittel, oder ein beſſeres 
Stuck Vieh aus dem vorgeſchlagenen baaren Gelde an— 
ſchaffen konnte. Dieſes geſchahe aber vorzuͤglich in den 
Gegenden, wo der Ankauf des zum Feldbau dienenden 
leichter war, und in ſolchen Gegenden mußte nothwendig 
der Werth der Guͤter immer ſteigen, da bey der anwach— 
ſenden Bevoͤlkerung die Beſitzungen durch die Vertheilun— 
gen immer kleiner, und bey der Leichtigkeit des Gelderwerbs 
auch immer begehrter wurden. 

In andern Gegenden, und zwar in den Berggegenden, 
mußte aus gleichen Gruͤnden immer mehr ungebautes Land 
urbar gemacht werden, da der Anwachs der Bevoͤlkerung 
die Begierde nach mehreren gebauten Guͤtern immer mehr 


120 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


rege machte, und der Verdienſt an baarem Geld die zur 
Urbarmachung erforderlichen Unkoſten beſtreiten half: über 
dieſes ward das Entlehnen von Geld-Capitalien bey Ans 
haͤuſung des Reichthums leichter, und die Verzinſung 
machte weniger bange, weil der Verdienſt von Fabriken 
baar Geld genug verſchafte, und bey der vermehrten Zahl 
der Geldanleiheren, von Zeit zu Zeit die Zinſe geringer 
wurden. | 

Dieſes ift der Fall in der Herrſchaft Waͤdenſchweil, dem 
gebuͤrgigten Theil der Herrſchaft Gruͤningen und des En⸗ 
neramts der Grafſchaft Kyburg, wo vermehrter Anbau 
der Guͤter mit dem Anwachs der Bevoͤlkerung und dem 
Verdienſt bey Fabrikarbeiten immer in gleichem Schritte 
fortgiengen, und darinnen auch die beßten Gegenden uns 
ſers Lands, z. B. das auſſere Amt der Grafſchaft Kyburg 
und die Herrſchaft Regenſperg uͤbertreffen. 

Es iſt allerdings wohl der Muͤhe werth, dieſes naͤher 
zu unterſuchen und in das Licht zu ſtellen. Die Ausfuͤl— 
lung der Tabellen, welche unſre Geſellſchaft zur genauen 
Kenntniß der Bevoͤlkerung und des Vermoͤgenszuſtands an 
liegenden Guͤteren hat verfertigen laſſen, geben mir hiezu 
den beßten Stoff, da Ao. 1764. der ſel. HHr. Zunftmeiſter 
Scheuchzer, während feiner Regierung in Regenſperg, die⸗ 
ſelbige ſehr vollſtaͤndig hat ausfüllen laſſen, und da ein 
gleiches Ao. 1772. von der Herrſchaft Waͤdenſchweil unter der 
Regierung HHrn. Statthalter Otten vorgenom̃en worden. 
Die Herrſch. Waͤdenſchweil zaͤlt an Einwohnern 7227. Seelen. 


Tr ige — an Guͤteren 9156. 4. Juch. 
Die Herrſch. Regenſperg zaͤlt an Einwohnern 3980. Seelen. 
— — — — — — an Guͤtern⸗ 138414. Juch. 


Unter den Guͤteren wurden gebaute und ungebaute, Wie— 
fen, Aecker, Reben, Weyden und Holz auch die Gemeind⸗ 
guͤter mitgerechnet. Auffallend aber iſt der Unterſchied in 
der Population. Waͤdenſchweil hatte in der Haͤlfte von 


für Feldbau und Sitten des Volks. 121 


Grund und Boden, beynahe 2 mal ſo viel Einwohner, 

naͤmlich wie 24. zu 13. Die Bevoͤlkerung war alſo vier 

fach. Die Groͤſſe des Fabrikverdienſts laͤßt ſich aus 

den Verzeichniſſen der Baumwollſpinner und Waͤber, die 

voriges Jahr gemacht worden, ſchlieſſen. 
Waͤdenſchweil zaͤhlte 1965. Arbeiter, 


in — — — machte es nicht voͤllig 1. 
Regenſperg 176. wovon 44. ſeit 2. Jahren entſtanden, 
in — nicht vollig Z. der Einwohner aus. 


In Abſicht auf die Fruchtbarkeit dieſer beyden Gegen⸗ 
den. Waͤdenſchweil ernährt mit 2882 3. Mannwerk Wie— 
ſen und 3655. Mannwerk Weyden 1704. Stuck Hornvieh, 
namlich 23. Stieren, 1260. Kühe und 421. Kälber, ſamt 
101. Pferdten, 59. Mönchen, 31. Stutten, 11. Füllen, in 
allem 1805. Stuck Hornvieh und Pferde. 

Regenſperg in 3180. 2. Mannwerk Wieſen und 1301. 
Juchart Weyden 1700. Stuck Hornvieh und 346. Stuck 
Pferde, alſo in allem 2046.; 567. Stieren, 810. Kuͤhe, 
323. Kälber, 174. Mönchen, 128. Stutten und 44. Fuͤllen. 

In Waͤdenſchweil kommt an Wieſen auf 1. Stuck Vieh 

1. Mannwerk 2 3. Vrlg. 
In Regenſperg kommt an Wieſen auf 1. Stuck Vieh 

I. Mannwerk 2 3. Vrlg. 
Es iſt aber bekannt, daß die Kühe in der Herrſchaft 
Waͤdenſchweil viel ſchwerer und doppelt koſtbar find, ges 
gen der Herrſchaft Regenſperg. Dieſem nach muͤſſen die 
Wieſen noch weit beſſer ſeyn, als in der Herrſchaft Regen⸗ 
ſperg. An Aeckeren zaͤlte Waͤdenſchweil 1182. 2. Juchart, 
Regenſperg 6936. Waͤdenſchweil hat alſo nicht 8. in Vers 
gleichung mit Regenſperg. So hat auch Waͤdenſchweil 
nicht die Haͤlfte an Reben wie Regenſperg 279. zu 627. 
und an Holz 1157. gegen 5420. Wir ſehen hieraus, wie 
ſehr der Wohlſtand der Herrſchaft Waͤdenſchweil durch 


F 
f 


122 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


die Fabrikarbeiten erhöbet worden, welches die anfehnlis 
chen Haͤuſer und das Anſehen der Leuten, noch mehr ans 
zeigen. Wahr iſt es, daß Waͤdenſchweil die Bequemlich⸗ 
keit hat, durch den See aus dem Oberland das man⸗ 
gelnde Futter und Stroh anzuſchaffen; hingegen genieſſet 
Regenſperg den ihm eigenen Vortheil des an der Nord— 
ſeite des Laͤgerbergs gegrabenen Mergels, wodurch es in 
den Stand geſetzt worden 400, Maftochfen alljährlich zu vers 
kaufen, und Waͤdenſchweil pranget mit dem ſchoͤnſten 
Obswchs des ganzen Lands. So daß wir den Schluß 
machen muͤſſen, daß in Waͤdenſchweil dem Sitz der ftärks 
ſten Fabrikarbeiten der Feldbau wenigſtens in eben fo voll— 
kom̃nem Stand ſeye, als in derjenigen Gegend des Landes, 
wo bey beſonderen Vortheilen der ganze Fleiß der Eins 
wohner auf den Feldbau gewendet worden, und im Vers 
haͤltniß viermal ſo viel Einwohner ernaͤhre. Den Fort— 
gang der Bevoͤlkerung in den beyden Herrſchaften Waͤden⸗ 
ſchweil und Regenſperg vor Augen zu legen, ſetze ich hier 
den Auszug einer Tabelle von der Volksmenge des Can⸗ 
tons Zuͤrich in verſchiedenen Zeitaltern, die wir der ley— 
der fo ſehr mißbrauchten Thaͤtigkeit unſers a e 
Waſers zu danken haben. 


Volks menge. 


Jahr. Waͤdenſchw. Regenſperg. Jahr. Waͤdenſchw. Regenſperg. 
1467, 431. 599. 1678. 4730. 4090. 
1529. 1526. 2890. 1700. 3997 42890, 
1588. 3060. 3360. 1748. 5931. 3609. 

1610. 4039. 4290. 1762. 6474. 5031. 
1634. 2829. 2840. 1771. 7675. 4057. 
1671. 4421. 4064. 11773. 7415. 3949. 


Man ſiehet, daß bis gegen die Mitte des 17ten Jahr- 
hunderts Regenſperg mehr Volks beſaß, als Waͤdenſchweil, 
ſeither aber, und vorzüglich ſeit dem Anfang dieſes Seku⸗ 


\ 
fuͤr Feldbau und Sitten des Volks. 123 


lums, in welcher Zeit die Baumwollfabriken uͤberhand 
nahmen, und in die Haͤnde der Tüchler groͤßtentheils ge 
fallen, entdeckt man einen erſtaunlichen Zuwachs in 
Waͤdenſchweil, welcher unſtreitig die Befoͤrderung der 
Bevoͤlkerung durch die Fabriken er weiſet. 


Die ſtarke Verminderung von 1610 1634. um 4. 
ruͤhrt von 2. Peſtjahren her, fo wie die von 1678. bis 
1700. von den theuren Zeiten gegen dem Ende des vori— 
gen Jahrhunderts. Die folgende Zaͤhlungen zeigen, wie 
auf ſtarke Verminderungen eine neue Betriebſamkeit ent— 
ſtehe, weil die uͤberlebenden wenigeren ihren Verdienſt 
leichter finden mußten, als vorher, deswegen nimmt alle⸗ 
mal auf ſolche die Bevoͤlkerung wieder merklich zu. 
Einen andern Beweis, wie der Fleiß in dem Feldbau 
neben dem Fleiß in den Fabriken fortdauren und ſtch 
vermehren koͤnne, giebt mir die Tabelle von den Horger— 
Zehenden ins Frau⸗Muͤuſter - Amt. 

Horgen pflanzte Ao. 1676-1685. 3770. Stuck aus 814. Juch. 
1776-1785. 3930. — — 756. — 

Auf einer Juch. wuchs alſo Ao. 1676 1685. 4. Muͤtt 2. 2. Vrtl. 
Ao. 1776-1785. 5. — — 4. — 

Hieraus erſcheint ſich, daß der Feldbau ſich verbeſſert 
habe, ungeachtet in dieſer Zeit die Reben von 135. us 
charten auf 220. geſtiegen, alſo um 85. Jucharten ſich 
vermehrt haben. 

Oberrieden pflanzte 1676.85. 2330. Muͤtt in 511. Jucharten, 
1776-85. 2880. — — 637. — — 

alfo in beyden Jahrgaͤngen auf 1. Juchart 4. Muͤtt 2. Vrtl. 

Auch hier waren Ae. 1691. 86. Juch. Reben A. 1785. 116. Juch. 

alſo vermehrten ſie ſich um 30. Jucharten. 

Der Ertrag wird wohl zu klein ſeyn, da er aus dem 

Ertrag der Zehenden berechnet worden, der an dem See 


/ 
124 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


niemals geſtellt, ſondern den Gemeinden überhaupt vers 
liehen wird, welche ſolchen auf die angebluͤmten Stucke 
verlegen, wobey der Bauer nicht geringen Vortheil hat, 
obgleich den Gemeinden noch ein betraͤchtliches vorſchießt. 

Was ich hier von Horgen angefuͤhrt, erweiſet, daß 
bey vermehrter Volksmenge viele neue Aufbruͤche gemacht 
worden. Dieſes geſchah aber vorzuͤglich in dem gebirgig⸗ 
ten Theil von Gruͤningen und Enner-Amt der Grafſchaft 
Kyburg, wo alſo noch Land zum Urbarmachen uͤbrig iſt; 
und wo Gelegenheit herrſchet, die noͤthigen Materialien zur 
Beſſerung des Landes um Geld anzuſchaffen, wird der 
Feldbau von den Fabrikarbeiten nicht nur nicht leiden, 
ſondern ſich noch betraͤchtlich vermehren. Hierzu aber 
wird erfodert, daß die Haͤuſer doͤrfen vermehrt und in 
die Guͤter geſetzt werden, welches an allen dieſen Orten, 
ſo wie in den Gemeinden um die Stadt Platz hat. 

Wo hingegen die Haͤuſer in Doͤrfern enge beyſammen 
ſtehen, und ihre Zahl auf Gerechtigkeiten eingeſchraͤnkt iſt, 
kann auch bey aller Betriebſamkeit und Verdienſt die Be⸗ 
voͤlkerung nicht ſo ſehr zunehmen, und der Feldbau muß 
leiden, wenn die Guͤter allzuſehr vertheilt werden, und 
die Fabrikarbeiten uͤberhand nehmen. Dieſem muͤſſen wir 
es zuſchreiben, daß das Knonaueramt bey gleicher Bes 
triebſamkeit, wie in der Herrſchaft Waͤdenſchweil, in der 
Bevoͤlkerung zuruͤckgeblieben, und die Zehenden in den 
ſpaͤtern Zeiten daſelbſt geſunken ſind. 

Daher rührt auch die Abnahme der Zehenden in den 
niedrigen Gegenden des Gruͤningeramts, und dem Ill⸗ 
nauertheil der Grafſchaft Kyburg. In ſolchen Gegenden, 
wo der Getreidbau den wichtigſten Theil des Feldbaues 
ausmacht, muͤſſen wirklich Fabrikverdienſte ſchaͤdlich wer⸗ 
den. Man zieht die ſitzende Arbeit der muͤheſamen Ars 
beit im Felde vor, der Bauer hat es ſchwer Arbeiter 
zu finden, er muß alſo ſeine Felder ſchlechter bauen, 


\ 
für Feldbau und Sitten des Volks. 12 


und die Entfernten werden ganz verabſaͤumt, und dem 
Anflug von Holz uͤberlaſſen. 

Ein trauriges hell in die Augen; fallendes Beyſpiel 
giebt uns Ruͤmlingen, wo die Zehenden von dem An— 
fang des vorhergehenden Jahrhunderts bis auf jetzt nach 
und nach immer mehr — beynahe — auf die Halte ge⸗ 
ſunken ſind. 

Ao. 1601 — 10. bezog das Amt Fr. Muͤnſter 410,8. Stück im Mittel. 


E 
— 1701 —- 10 — — — — 322,9. — —— 


Hier hat ſich von undenklichen Jahren eine eigne Art 
Fabrik eingeſchlichen, das Stricken leinerner Struͤmpfe, 
welches alte und junge, maͤnnlichen und weiblichen Ge— 
ſchlechts beſchaͤftigt, und von den Feldarbeiten abziehet, 
darunter muß nothwendig der Feldbau leiden, und die 
entfernten Güter, fo öde liegen, daß fie für voͤllig uns 
fruchtbar und des Anbaues unwuͤrdig geſchaͤtzt worden, 
bis ein Kleinjogg einen ſolchen verworffenen Acker in 
die ſchoͤnſte Eſperwieſe verwandelt hat, und ein Zuͤriche— 
riſcher Bürger Here Wolf, gegen 80. Jucharten ſolch 
verworfenen Landes, an ſich gekauft, und in einen Hof 
umgeſchaffen, der nun aber, auch an Kleinjoggs Soͤhne 
übergegangen, unter deren Bewerbung er in wenig Jah⸗ 
ren dem Katzenruͤthihof gleichen kann, der unter Kleins 
joggs Bewerbung unter allen an das Fraus Mäünfters 
Amt zehendbaren Orten, der einzige war, in welchem 
der Ertrag des letzten Dezennium, den Ertrag aller vor— 
hergehenden Dezennien uͤbertroffen hat. 
Ad. 1576 — 85. gab er Zehenden 286. Stuck. 


— 1601 — 10. — — 318. 
— 1676 — 85. — — 292.ñꝑ;!X 
— 170 —10.— — 278. — 
2 177685. == — 2331» e 


126 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 
Dieſe zwey Beyſpiele zeigen an, daß auch an ſolchen 
Orten, wo der Feldbau unter der oder dieſer Urſache zu 
leiden ſcheint, Fleiß und Nachdenken, Mittel zur Verbeſ⸗ 
ſerung entdecken koͤnnen. Dieſe Eigenſchaften allein, 
wann ſie zu Volksſitten werden, ſind die wahren Mittel, 
ein Land in Flor zu bringen, und wann dieſer geſunken, 
denſelben wieder zu erheben. * 
Aus dem vorhergehenden ſcheint zu folgen, daß unter 
beſondern Umſtaͤnden der Verdienſt in den Fabriken den 
Feldbau beguͤnſtige, unter andern aber demſelbigen nach⸗ 


theilig ſeye. 2 


[3 


Beguͤnſtigende Umſtaͤnde find; 
1.) Wo die Haͤuſer zerſtreut ſtehen. r 
2.) Wo noch viel Land urbar zu machen uͤbrig bleibt. 
3.) Wo man Gemeinſchaft mit Laͤndern haben kann, die 
das Noͤthige zur Beſſerung der Guͤter um Geld liefern. 
4.) Wo Viehzucht der Haupterwerb der Güter ausmacht. 
5.) Wo genugſam Brenn und Baumaterialien vorhan⸗ 
den ſind, oder leicht angeſchaffet werden koͤnnen. 


Zingegen ſcheint ſte nachtheilig: 


1.) Wo die Haͤuſer enge beyſammen fieben, und groß 
fe Dörfer ausmachen. 

2.) Wo Einſchraͤnkungen der Haͤuſer nach der Zahl von 
Gerechtigkeiten herrſchen. 

3.) Wo die großen Zelgen vorhanden, die mit dem 
Pflug muͤſſen gebaut werden. 

4.) Wo hingegen wenig Futter waͤchst, den zum beß 
ſern noͤthigen Stoff vom Vieh zuziehen. 

5.) Wo viele Reben vorhanden, welche die Haͤnde der 
Einwohner den ganzen Sommer durch beſchaͤftigen. 

6.) Wo Mangel an Brenn- und Baumaterialien. 

7) Wo man nicht aus der Nähe das Noͤthige zur 


für Feldbau und Sitten des Volks. 127 


Nahrung und Kleidung, Bewohnung und Erwaͤrmung 
finden kann. | 

Es fragt ſich aber, ob nicht durch gefchärftes Nach⸗ 
denken und Anſtrengung des Fleiſſes die nachtheilige 
Umftände ſich heben laſſen. Wir wollen nun auch Denn 
näher erforſchen. 

1. Unter den erſten Umſtand, unter welchem Fabritver⸗ 
dienſt ſchaͤdlich ſcheint, zaͤhlten wir das nahe beyſammen 
ſtehen der Haͤuſer in großen Doͤrfern. Dieſer Umſtand iſt 
ſchon an ſich der Vervollkommnung des Feldbaues nach⸗ 
theilig; auch an den Orten, wo der Feldbau allein die 
Einwohner beſchaͤftigt und ernaͤhrt. Man wird allemal 
finden, daß die Güter, die in der Nähe der Dörfer lie— 
gen, weit beſſer bebaut ſind, als die entfernten; dieſes 
hat feinen natürlichen Grund. Man wendet am liebſten 
die Arbeit da an, wo fie am bequemſteu verrichtet werden 
kann. In die nahen Güter koͤmmt man mit vollen Kraͤf— 
ten gar geſchwinde, und alle Zeit kann auf die Arbeit ver— 
wendet werden; da man hingegen auf die entfernten Guͤ— 
ter muͤde koͤmmt, und mit dem hin und hergehen viele 
Zeit verliert, weiches auch von dem Viehe gilt, das 
daſelbſt arbeiten, oder die Beſſerungsmittel zufuͤhren und 
daſelbſt abholen fol. Dieſes benimmt die Liebe zu den 
entlegnen Guͤtern, man giebt ihnen weniger Duͤnger und 
arbeitet fie nur ſchlecht, eder man läßt fie vollends lie 
gen, wie in Ruͤmlingen, dem Rafzerfeld, in Altſtaͤtten ic. 
zu bemerken iſt. 

Man ſollte deswegen bey allen Anlaͤſen trachten, die 
Haͤuſer auf den Guͤtern einer Gemeinde zu zerſtreuen, 
weil auf ſolche Weiſe alle Guͤter zu Hauswieſen und 
Hausaͤckern gemacht werden: dadurch gewinnt der Bauer 
viele Zeit, die er dem Fabrikverdienſt ohne Schaden wids 
men kann, da das baare Geld ihme hilft Unternemmungen 
in wagen, an die er ohne dieſes nicht haͤtte denken doͤr⸗ 


* 


128 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 
fen. Wie mancher Tauner und Bauer wird durch den 
Koſten des Kleeſaamen abgeſchreckt, Klee zu pflanzen, 
wenn ihn nicht der Fabrikverdienſt baar Geld oerſchafft. 

Dieſes kann am beſten erzielt werden, wenn die Obrig⸗ 
keit Hand bietet, und bey Feuersbrunſten, welche in 
großen Doͤrfern leider nur zu oft vorkommen, indem ſich 
die Feuergefahren nach der Zahl und Naͤhe beyſammen⸗ 
ſtehender Haͤuſer vermehren, ihren Gewalt anwendet, 
die Brandbeſchaͤdigte zur Zerſtreuung der Haͤuſer zu zwin⸗ 
gen, wie neulich MGnHHrn. in Bonſtaͤtten und Bauma 
die weiſeſten Verordnungen gemacht haben. 

2. Der zweyte Umſtand, unter welchem Fabrikverdienſte 
ſchaden, iſt die Einſchraͤnkung der Haͤuſer und Stuben 
auf eine gewiſſe Anzahl von Gerechtigkeiten. Hierdurch 
wird die Vermehrung der Bevoͤlkerung verhindert, oder 
wenn ſolche fortgehet, werden die Sitten verſchlimmert. 
Man ſiehet oft in einer Stube 3:4. Haushaltungen zus 
ſammengedraͤngt, die im 2ten und zten, oder noch ent⸗ 
ferntern Graden der Verwandſchaft ſtehen. Bey der Un⸗ 
behaglichkeit, die ſie empfinden muͤſſen, entſtehen viele 
Zaͤnkereyen, die oft zu gefaͤhrlichen Schlaghaͤndlen Ge 
legenheit geben, und da oft junge und alte in einer 
Kammer beyſammen ſchlafen, giebt es Gelegenheit zu ge⸗ 
faͤhrlichen Ausbruͤchen fruͤhzeitiger Geilheit u. ſ. f. Von 
daher entſtand im Knonaueramt die allgemeine Sitte 
unter Verlobten, ſo lange im ledigen Eheſtande zu leben, 
bis eine nicht mehr zu verhindernde Schwangerſchaft zum 
heurathen zwingt. 

Dieſe Art von Polizeyzwang ſcheint von der Sorge 
den Urſprung genommen zu haben, daß eine allzuſtarke 
Population ſchaͤdlich, und eine allzuſtarke Vertheilung der 
Guͤter dem Feldbau ſelbſt und dem daraus zuziehenden 
Nutzen nachtheilig ſeyn moͤchte. In den barbariſchen Zei⸗ 
ten. des mitlern Alters, waren beynahe alle Güter En 

thum 


fuͤr Feldbau und Sitten des Volks. 129 
thum von Gutsherren, aus dem Adel, oder der Kirche, 
davon zeugen noch die uͤbergebliebnen Namen gewiſſer Guͤ— 


ter, Weidumhoͤfe, Kehlhoͤfe, Schuppishoͤfe, an welche 


auch nach der Vertheilung in die kleinſten Stuͤcke noch ge— 
wiſſe Seroituten hangen blieben, einen Wucherſtier, 
Hengſt, Eber anzuſchaffen. Bey allen Polizeyordnungen 
ward alſo vorzuͤglich auf den Nutzen des Gutsherren geſe— 
hen. Dieſe wollten die Höfe nicht verſtucken laſſen, bis 
ſich nach und nach die Bauren loskauften, und Eigen- 
thuͤmer der Grundſtuͤcken wurden. Aber auch damals 
blieb die alte Maxime uͤbrig, der allzuſtarken Zerſtuckung 
zu wehren, weil wirklich bey der gewohnten Art das 
Feld zu bauen, die Zuͤge unentbehrlich waren, die durch 
das Zerſtucken nach und nach vermindert worden. Es 
ward alſo Sitte, die Guͤter bey einander und allein den 
Soͤhnen zu uͤberlaſſen; und auch dieſe ſchraͤnkten ſich im 
Heurathen ein, daß der Hof immer hinlaͤnglich blieb, 
die Haushaltung durchzubringen. Allein oft ſtegte die 


Natur, es verheuratheten ſich mehrere Soͤhne, und die 
Höfe wnrden vertheilt. Dieſes mag anf die Polizeyord 


nung einer beſtimmten Zahl der Dorfsgerechtigkeiten ges 
leitet haben, die einer Vermehrung der Haͤuſer wehren 


ſollte, in Hoffnung, daß ſich auch die Zahl der Haus. 


haltungen darnach richten werde. Dieſes geſchahe auch 
in verſchiedenen Gegenden unſers Landes, wo der Feld— 
bau allein betrieben wird. Daher ſehen wir, daß das 
fruchtbare Wehnthal, in Abſicht auf die Bevoͤlkerung, nur 
ſchwach zugenommen. Ein Bauer calculirte ſo: Mein 
Hof mag nicht mehr als einen, hoͤchſtens zwey Soͤhne 
ernaͤhren, die andern moͤgen ledig bleiben, oder anders⸗ 
wo ihr Gluͤck ſuchen. Wo man von dieſer Regel abwich, 
und ſich Fabrikverdienſt einſchliche, aͤnderte ſich der Calcul 
dahin ab: Ich habe 374. Söhne, jeder bekoͤmmt etwas 
an Wieswachs, wenigſtens zu einer Kuhe, etwas Acker 
Magaz. f. d. Naturk. HZelvetiens. III. B. J 


130 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


u. ſ. f. Dieſes mag ſchon ein ſchoͤnes zum Durchbringen 
der Haushaltung abwerfen, und die Bearbeitung dieſes 
kleinen Guͤtgens laͤßt Zeit genug uͤbrig, ſich durch Fabrik⸗ 
verdkenſt das uͤbrige zu erwerben. Zuletzt fand man auch 
dieſen hinlaͤnglich, wenn man nur einen Winkel im Hauſe 
hatte, ſein Spinnrad oder den Webſtuhl zuſtellen, und 
Platz zu einem Garten, ſich Gemuͤß zu pflanzen; fo füls 
ten ſich die Stuben an, man dachte auf Mittel, die Pos 
lizeygeſetze auszuweichen, die Stuben und Oefen murs 
den vergroͤßert, und unterſchlagen, und ſo wurden die 
Haͤuſer mit Menſchen uͤberladen. Hievon haben wir ein 
Veyſpiel am Knonaueramt. Oſt noͤthigte man die Obrig⸗ 
keit, den Gurt zu erweitern, und die Zahl der Gerechtig⸗ 
keiten zu vermehren, wie davon Wetzikon ein Beyſpiel 
ſeyn kann. 

Wurde dieſe Polizeyordnung nie geherrſcht haben, man 
haͤtte hingegen geſorget, daß die Haͤuſer in den Guͤtern 
zerſtreut wurden, ſo waͤren die entfernten Guͤter auch 
nach der ſtaͤrkſten Vertheilung beſſer bebauet, und das 
Land in Gartenplaͤtze, ſo wie an dem See, und in den 
Gruͤningiſchen Gebirgen verwandelt worden; die Noth 
hätte ſchon lange gelehrt nachdenken, wie man die Guͤß⸗ 
ter auf die vortheilhafteſte Weiſe benutzen koͤnnte. So 
iſt zum Beyſpiel bey der Zunahme der Fabriken die 
Pflanzung der Erdapfel, dieſes nicht genug erkannte und 
verehrte Geſchenk der Vorſehung zur Vorbauung der Hun⸗ 
gersnoth, zuerſt in den Gemeinden Wald und Fiſchen⸗ 
thal allgemein eingefuͤhrt worden. Keine Weisheit des 
Geſetzgebers ſiehet tief genug, um ſich allen Nutzen vor⸗ 
zuſtellen, den ein durch Noth und Hunger gereizter Fleiß 
und Nachdenken, bey einem Volke, wo letzte Eigenſchaf⸗ 
ten ſtch finden, zuwegebringen kann. Gewoͤhne iman 
das Volk von Jugend an zur Arbeitſamkeit, Sparſam⸗ 
keit, und guter Anwendung der Vernunft, ſo wird man 


für Feldbau und Sitten des Volks. 13: 


Wunder entſtehen ſehen; berechne man die Menge der 
Menſchen am See, den Werth ihrer Guͤter, und daher 
entſtandene Schulden, der groͤßte Calculator wird die 
Moͤglichkeit nie einſehen, wie die Einwohner leben und 
beſtehen koͤnnen, und doch leben ſie, ihr Hausweſen be— 
ſtehet, und Muth und Froͤhlichkeit herrſchet unter ihnen. 

3. Der Fabrikverdienſt ſcheint dem Feldbau nachthei— 
lig, wo große Kornzelgen angetroffen werden, die den 
Pflug noͤthig haben. Dieſes geſtehe ich, ſo lang man 
nicht die Haͤuſer in dieſe Zelgen zerſtreut. 

Es herrſcht bey uns, bey der Zertheilung der Felder 
die ſchlimme Gewohnheit, daß ein jedes Stuck Acker, 
es mag an ſich noch ſo klein ſeyn, immer wieder unter 
die Bruͤdern gleich vertheilt werden muß, weil keiner 
dem andern, einen ſeiner Meinung nach beſſern Acker 
goͤnnt; daher entſtand in dem unermeßlichen Rafzerfeld 
eine ſolche Zerſtuͤckung, daß auch das Roggenfeld, wel— 
ches nur zu gewiſſen Jahren um mit Roggen angefäet 
wird, in Maͤßli oder 18. von einer Juchart vertheilt wor⸗ 
den. Dieſe Zerſtuͤckuug muß dem Feldbau unendlich fchas 
den, auch wo die Bevoͤlkerung geringe, ja wirklich in 
Abnahme iſt, weil fie denſelben allzumuͤhſam macht; ein 
jedes Feldſtuͤckgen muß beſonders bepflugt werden, es 
fordert Zeit zum hin- und herfahren, und hat fein eigen 
An- oder Fuͤrhaupt, welches ungebaut liegt, wenn ihm 
nicht mit dem Karſt nachgeholfen wird. Das Anbauen 
wird deswegen verabſaͤumt, der Tauner vermag den 
Ackerlohn nicht zu bezahlen, und ſo bleibt der Acker eine 
Aegert. Gluͤcks genug, wenn in der Naͤhe ein Tann— 
wald iſt, und ſich von da Forren oder Tannen anflies 
gen koͤnnen. Wurde hingegen jeder ſein beſitzendes Feld 
beyſam̃en haben, es moͤchte groͤßer oder kleiner ſeyn, ſo 
wurde es beſſer benutzt werden, der Bauer wurde ſein 
Feld ungleich ſorgfaͤltiger beſtellen, der Tauner leichter 


132 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


den Ackerlohn bezahlen, und dem aͤrmſten, der nur ein 
kleines Stück zu bauen haͤtte, wurde es Muth machen, 
ſolches mit Schaufel und Karſt zu beſtellen, auch wenn 
es von feinen Haufe entlegen wäre; dann eigen gepflangs 
tes Brod ſchmeckt immer beſſer, als das erfaufte. Man 
erlaube mir alſo zu ſagen, daß hier die ſchlechte Polizey 
mehr Urſache von dem Verfall des Feldbaues, als Fabrik— 
verdienſt ſeyße. Das Rafzerfeld mag hievon zeugen, wo 
nie kein Fabrikverdienſt geweſen; aber eben die elende Zer⸗ 
ſtuͤckung der Felder hat daſelbſt die lumpichte Schinnhuth⸗ 
flechterey eingeführt, wodurch das Volk träge gemacht, 
und weniger Nahrungsmittel gepflanzt werden; wozu 
noch koͤmmt, daß ein Theil derſelben zerſtoͤrt wird, in— 
dem man den Roggen gruͤn abſchneidet und izu dem Flech⸗ 
ten misbraucht. 

Man wird mir zwar einwerfen, daß die Zerſtuͤcklung 
nur von allzuftarfem Anwachs der Bevoͤlkerung herruͤhre; 
auch dieſer Einwurf faͤllt groͤßtentheils weg, wenn man 
den Fortgang der menſchlichen Fruchtbarkeit bey ſchmach⸗ 
tender Bevoͤlkerung anſiehet. Eine wohlhabende Haus— 
haltung wird meiſt mit Kindern geſegnet, dieſes veranz 
laßet Vertheilung, und gehet fo fort, fo lange der Wohl— 
ſtand bluͤhet. Es entſtehen ſo aus Bauren, die einen 
eignen Zug haben, Halbbauren, die ihre Ochſen zufams 
men ſetzen; aus dieſen Tauner, die kaum eine Kuhe ers 
naͤhren koͤnnen, und die Guͤter werden verftückelt. In⸗ 
zwiſchen kann ſich ein armer Tauner erholen, der irgend 
durch einen Handel, oder durch Dienſt an fremden Du 
ten ſich Geld gewonnen, neue Vortheile im Feldbau ers 
lernt, oder ſich ein Capitaͤlgen erworben. Ein ſolcher 
will ſich Guͤter erwerben; er kauft ſich nach und nach 
von den; zertheilten Stucken mehrere an, die Summe 
derſelben macht ihn zum Halbbauer, und wenn der vers 
mehrte Trieb ſich auf feine Nachkommen fortpflanzt, ent⸗ 


für Feldbau und Sitten des Volks. 133 


ſtehen neue Bauren, welche aber ihren Hof nur an zer— 
ſtreuten Stucken haben, welches die Arbeit immer ſchwe— 
rer macht, als in unvertheilten Hoͤfen. Geſetzt, daß 
bey abnemmender Bevoͤlkerung alle Guͤter ſich wieder in 
die Hände weniger Bauren ſammleten, fo wird doch dies 
ſes Uebel fortdauren, wenn nicht die Obrigkeit Mittel 
ausfinden kann, eine Austauſchung gegen einander zu 
bewirken. Kann aber dieß nicht leichter bewirkt werden, 
wenn durch Fabrikverdienſte viel baar Geld im Umlauf 
iſt, den Ueberſchuß baar zu bezahlen? 

4. Der vierte Umſtand, unter welchem Fabrikverdienſt 
dem Feldbau nachtheilig ſcheinen, macht der Mangel an 
Wieſen aus, zur Unterhaltung des noͤthigen Viehes, und 
zu der Erhaltung des beſten Duͤngmittels, das von dems 
ſelben bezogen wird. Dieſer Umſtand erheiſchet deſto 
mehr Arbeit, den Futtermangel zu erſetzen, durch das 
Sammlen des Jets aus den Feldern, des Graſes an 
den gaͤhen Borten der Aecker, und den Straſſen und 
Zaͤunen nach. Wer wird aber dieſe Arbeit, ſo noͤthig ſol— 
che iſt, uͤbernemmen, wenn er mehr in der Stube bey 
einer gemaͤchlichen Arbeit verdienen kann, als das Erbeus 
tete ertragen mag. 

Allein auch hier kann FR Umlauf des baaren Gelds 
die beſte Hilfe leiſten, wenn ſolcher zur Aeufnung der 
Guͤter verwandt wird: durch ſolchen werden die Bauren 
in den Stand geſtellt, ſich Kleeſaamen anzuſchaffen, mit— 
telſt deſſen auch in den Getreidfeldern reichlich Futter fuͤr 
das Vieh gepflanzet werden kann, ohne daß der Anbau 
des Getreides darunter zu leiden haͤtte, welcher viel— 
mehr dadurch erleichtert werden kann. Wo dieſes allge 
mein herrſcht, und die Kleepflanzung in die Zelgenord— 
nung einverwebt iſt, vermehrt ſich der Viehſtand außer— 
ordentlich, und darbey wird ungleich weniger Arbeit er— 
fodert, als bey dem aͤngſtlichen Zuſammenſuchen des 


* 


134 Ueber Vorth. u Schaden d. Handelſchaft 


Jets und zerſtreuten Graſes an Borden, Zaͤunen und 
Straſſen. Zum groͤßten Gluͤck ſchickt ſich der rothe Klee 
in die Zelgenordnung ſo gut, daß er von der Natur zum 
Hilfsmittel des Bauren beſtimmt ſcheint. Dieſe Pflanze 
lebt für ſich nur 3. Jahre, und im zten Jahre find ihte 
Wurzeln noch ſaftig und zart, daß ſie leicht faulen und 
demnach ſelbſt ein Beſſerungsmittel abgeben, wenn im 
Herbſt des zten Jahrs der Klee, nachdem man ihn vom 
letzten Schnitt an, noch 23 Wochen hat wachſen laſſen, 
untergeackert wird, wobey nur dieſes einzige umackern 
noͤthig iſt, da vorher 3. Aaren erfodert wurden, und 
doch braucht es nur die Haͤlfte des gewohnten Dungs, 
den Acker fett zu machen. Hierzu koͤmmt, daß vielerley 
Arten von Futterkräutern bekannt find, welche verfchieds 
ner Natur, und von längerer und fürzerer Dauer find; 
den Eiper der 20330. Jahr auch in ſchlechterem Boden, 
wenn er nur für ihre immer tiefergehende Wurzeln durch. 
dringbar iſt, dauren kann. Von gleicher Eigenſchaft iſt 
auch das Raygras, eine Art der ſo nuͤtzlichen ſchmalen 
Graſer; dieſe koͤnnen in den entfernteſten Aeckern, die 
ſo gerne ungebaut liegen bleiben, gepflanzt werden, und 
fo den Mangel der koſtbarſten Grundſtucke der Futterwie⸗ 
ſen erſetzen. Die Luzerne, oder Sainfoin dauert 8. 
Jahr, und iſt, wenn ſie in fettem Boden gepflanzt wird, 
von reichem Ertrag. So koͤnnen auch Weißkohl oder 
Kabis, die ſtarken Turnips oder gelbe Mangoldruͤben, 
u. ſ. f. zum Futter fuͤr das Vieh gebraucht werden, wie 
unſere weiſſen Rüben mit ihrem Kraut, u. ſ. f. Alles 
dieſes hat man der Betriebſamkeit und dem in allen Un⸗ 
ternehmungen angewandten Unterſuchungsgeiſt der freyen 
Engellaͤnder zu danken, bey welchen die Kuͤnſte des Feld⸗ 
baues mit der Handlung und allen andern Kuͤnſten im⸗ 
mer in gleicher Staͤrke bluͤhen, und allen andern Völtern 
das lehrreichſte Beyſpiel * 


für Feldbau und Sitten des Volks. 135 


Auch die Beſſerungsmittel laffen ſich durch Nachdenken, 
Fleiß und baar Geld erwerben, Mergel, Gips, Sand, 
und andere Erdarten, kluge Anwendung des Waſſers, 
von Baͤchen, Fluͤſſen, Bruͤnnen u. ſ. f., bieten uns ders 
gleichen an. Man darf nur feinen Boden tiefer durchs 
wuͤhlen, ſo finden ſich unendlich verſchiedene Mittel zur 
Beſſerung, welches die Weisheit des ſterbenden, weiſen 
Landmanns erweiſet, welcher in feinem Teſtament feinen 
Soͤhnen einen Schatz im Acker verhieß, aber ihnen den 
Ort verhehlte. Sie durchwuͤhlten ihn ganz, und der 
Schatz entdeckte ſich ihnen zuletzt in dem Reichthum der 
Erndte, nach vielem vergeblichen Durchwuͤhlen der Erde 
den gehofften Schatz an Gold und Silber zu finden. 

Aber auch hier muß der Landesvater zu Hilfe kommen, 
die Ketten aufzuloͤſen, welche eine allzuvorwitzige Polizey 
geſchmiedet hat, die Gemeinweide auf der Brach und in 
den Stoppeln, bey deren Beybehaltung alle Verbeſſerung 
unmoͤglich iſt; und die Zerſtreuung der Haͤuſer, bey wel— 
chem ſolche erſt mit dem noͤthigen Luft und Eifer geſche⸗ 
hen kann. 

5. Ein fuͤnfter Umſtand, bey welchem der Fabrikver⸗ 
dienſt ſchaͤdlich ſcheint, iſt die Menge der Weinreben eis 
nes Orts, welche den ganzen Sommer durch alle Haͤnde 
beſchaͤftigt. Alleiu in einem ſolchen Ort wird der Fabrik— 
verdienſt nicht ſo leicht allgemein werden. Das Rebwerk 
hat an ſich fuͤr den Landmann ſehr viel Reitz. Es iſt 

nicht ſo muͤhſam, als andere Baurenarbeiten; es kann 
immer in Geſellſchaft anderer verrichtet werden, und ge— 
ſtattet dem freundfchaftlichen Geſpraͤche und muntern 
Scherze freyeu Zugang. Ueberdieß iſt der Wechſel von 
verſchiedenen Arbeiten ein ſicheres Mittel gegen den Eckel, 
den immer gleiche Arbeit mit ſich fuͤhret, und daher ent; 
ſtehende lange Weile. Ferner macht die Beobachtung 
des Fortſchrittes in dem Hervorkeimen, wachſen, bluͤ— 


# 


Er 
we _ 
. 


136 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


ben, und zeitigen der Trauben, dem Arbeiter viel Ver— 
gnuͤgen, und uͤbet feine Divinationskraft. Der Reich⸗ 
thum eines guten Jahrs macht auch ſchon in der Hoff⸗ 
nung ſelig und unterſtuͤtzt den Muth in den Fehljahren. 
Daher koͤmmt es, daß der Weinbau mit einem vorzuͤg— 
lichen Enthuſtaſmus betrieben wird, welcher oft eine Zu⸗ 
ruͤckhaltung von der Polizey noͤthig hat, wenn er nicht 
zum Schaden der uͤbrigen Theilen der Landwirthſchaft 
betrieben werden fol. Ihm widmet man am liebſten ſeine 
Zeit und Arbeit, und alle Beſſerungsmittel. Kleinjogg 
bemerkte es an ſeinen Soͤhnen, daß ſie weit lieber dieſe 
Herrenarbeit (wie er ſie nannte) verrichteten, als andere 
Feldarbeiten, die ihnen doch von Jugend an ae un 
kannt waren. 

Dieſes macht, daß man von Einfuͤhrung der Fabrik, i 
arbeiten an folchen Orten weniger die Verſaͤumniß des 
Feldbaues zu beſorgen hat, als an den Orten, wo der 
Getreidbau vorzuͤglich zu betreiben iſt. Man ſiehet auch 
zu beyden Seiten des Zuͤrichſees, daß die Fabrikarbeiten 
die beſte Bebauung der Weinreben nicht verhindern. Es 
ſcheint wahrſcheinlicher, daß ein Fabrikverdienſt hier 
vorzüglich zu wuͤnſchen waͤre, den Leuten in den Winter- 
tagen einen Verdienſt zu verſchaffen, welcher in den 
Fehljahren dem Mangel an Nahrung vorbeugen koͤnnte. 
Nirgend ſtehet man in unſerm Lande mehr Elend, als 
in dem Weingelaͤnde an der Toͤß, in Fehljahren. Ein 
maͤßiger Fabrikverdienſt wurde dieſen Leuten ſehr vor⸗ 
theilhaft ſeyhn, und deu Muth erhöhen, bey Beige 
alle Arbeit beffer gelingt. 5 

6. Ein ſechster Umſtand, der die Fabrikarbeiten zu ver⸗ * 
bieten ſcheint, iſt der Mangel an Brenn- und Bauholz, 
welcher bey zunemmender Bevoͤlkerung immer groͤßer wer. u: 
den muß. Dieſer Umſtand ift fo wichtig, daß, ich geſteh 93 
es, derſelbe mir oft ſehr bange gemacht, nachdem ich 


. 


2.5 


+ iR 
# er 


für Feldbau und Sitten des Volks. 137 


Anlaß gehabt, und mir es zur Berufspflicht worden, 
die Waldungen genauer zu beobachten. Allein eben dieſer 
belehrte mich auch, wie ſchlecht die Waldungen beſorgt 
werden, und daß wir einen Ueberfluß an Holzboden haͤt— 
ten, der uns auch einen Ueberfluß von Holz liefern koͤnn— 
te, wenn derſelbige wohl beſorgt wurde. 

Ich habe bey meinem Leben die ſchoͤnſten Waldungen 
ſich in Viehweiden verwandeln geſehen, weil man mehr 
fuͤr den Weidgang als fuͤr die Waldung beſorgt war. 
Der Bruͤtner Wald, an der Landſtraſſe nach Winterthur, 
kann einen jeden, der Augen hat, und ſehen will, das 
von deutlich belehren, wo man bey Mannsgedenken das 
ſchoͤnſte Bauholz fällen ſahe, an deſſen Platz ſich jetzt 
eine Viehweide zeigt, in welcher hin und wieder eine 
einzelne ſtruppichte Tanne emporgewachſen. Wer muß 

nicht hierbey den großen Schaden des Vorurtheils be- 

ſeufzen, daß die Weide für das Vieh mehr Aufmerffams 
keit verdiene, als der Nachwachs des Holzes. Dieſes ſoll. 
te darauf führen, eine beſſere Forſtordnung, oder viel 
mehr eine beſſere Ausuͤbung der vorhandenen guten Ord— 
nungen, einzufuͤhren. Doch auch hier hat der Maugel 
Nachdenken erweckt. Man faͤngt an allen Orten an, auf 
dieſen wichtigen Theil der Landoͤkonomie aufmerkſamer zu 

werden, ſeit die Geſellſchaft die erſten Preißfragen uͤber 
dieſe wichtige Materie vorgelegt hat. In der Mitte des 
sten Dezennium unſers Jahrhunderts, alfo vor 50. Jahren 
ließ unſer große Blaarer in dem Forſt den erſten Ver⸗ 


— 


ſuch mit der Holzſaat machen, und er ward von den Lands 


leuten mit dem Schimpfnamen des Holzſaͤers bezeichnet. 
Sein Herr Sohn machte ungefaͤhr vor 25. Jahren den 
zweyten Verſuch, beyde geriethen wohl, doch blieb es 
dabey, bis ein Goͤtſchi durch die Preißfragen aufgeweckt 
> worden, allen wahren Verbeſſerungen für den Forſt nachs 
zudenken, durch anfaen , durch nachſetzen in leeren mit 


138 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


Waſen bedeckten Plaͤtzen u. ſ. f., welches nachher auch 
den Bannwart Hotz aufweckte, der damit einen Scharf 
ſinn in Beſchaͤtzung des Alters und der Ertragenheit der 
Hoͤlzer verband, und dieſe wackern Maͤnner gebraucht 
worden, unter Aufſicht der Forſt- und Waldungs⸗Commiſ⸗ 
ſion, alle Oberkeitl. Waldungen zu beſichtigen, um die 
nöthigen Verbeſſerungsanſtalten vorzuzeichnen. Erſt feit? 
her ſieht man dieſe lange verſaͤumte und verachtete Kunſt 
gemeiner werden. Aber auch hierzu werden Unkoſten ers 
fordert, zu deren Beſtreitung der baar Geldverdienſt in 
Fabtiken die Hand bietet. Neben dieſem hat der Holz 
mangel die Aufmerkſamkeit rege gemacht, auch andere 
Brennmaterialien aufzuſuchen, die im Schooße der Erde 
mehr und weniger tief verwahrt gelegen. Ich meyne die 
Turben und Steinkohlen. Ich erinnere mich noch gar 
wohl, wie in der Mitte des 4ten Dezennium ein ges 
wiſſer Wachtmeiſter Ringger in Hauſen, in Geſellſchaft 
eines Naͤfen, der dem Separatiſmus hold, und alfo 
fü ſich ſelbſt zu denken gewohnt war, die erſten Verſu⸗ 
che vom Turbengraben auf der Heiſcher Allment gemacht. 
Jedermann redte mit Eckel, Verachtung und Spott da⸗ 
von, Jungens und Maͤdchens verſtopften die Naſe, wenn 
ſie vor den Haͤuſern dieſer garſtigen Leute vorbey giengen. 
In der Stadt gieng es nicht beſſer, die meiſten bezeug⸗ 
ten einen Abſcheu dagegen, der uns jetzt bey dem allge⸗ 
mein anerkannten Nutzen derſelben faſt unbegreiflich ſcheint. 
Den gleichen Widerwillen erweckten die erſten Verſuche 
von Steinkohlen, der ſich aber G. L. immer mehr verliert. 

Alles dieſes erweiſet, daß Fleiß und Nachdenken im⸗ 
mer neue Hilfsmittel entdecken, wenn ſie von reichen 
Particularen, oder durch die Landesobrigkeit unterftügt 
werden; und daß man nicht ſo leicht erſchrecken muß, 
wenn bey zunemmender Bevoͤlkerung ein Uebelbehagen ent 
ſtehet. Es reizt dieſes nur zum Nachdenken an. Allein 


| fir Feldbau und Sitten des Volks. 139 


allemal wird zugleich der Nerve zu allen wichtigen Unter— 
nehmungen — das Geld — erfordert, welches Handel 
ſchaft und Fabriken ſowohl dem Partikular als dem Lan— 
desvater verſchaffen. Wie viel Gutes iſt in den 2. letzten 
Dezennien, in allen Theilen der Staatswirthſchaft be; 
wirkt worden, welches ohne die immer ſteigenden Fabrik— 
und Kaufhauszoͤlle nicht haͤtte unternommen werden koͤn— 
nen, und wie viel koͤnnte noch unternommen werden? 
Wir ſind noch nicht tief in die Eingeweide der Erde ein— 
gedrungen; wir haben nur die Oberflaͤche aufzukratzen 
angefangen! Was fuͤr Schaͤtze muͤſſen noch verborgen lie» 
gen, die den fortgeſetzten Fleiß und Nachdenken unſrer 
Enkel einſt lohnen werden. 


7. Ein ſiebender Umſtand, der den Fabrikverdienſt wegen 
ſeiner Folge einer mehreren Bevoͤlkerung bedenklich macht, 
iſt der Mangel einer leichten Zufuhr der uns mangeln⸗ 
den Beduͤrfniſſen. Dieſe ſind in der That groß, Brod, 
Butter, Fleiſch, Bau- und Brennholz. Alles zur Kleidung 
noͤthige Leinen- und Wolleuzeug, und die zur Rothwen⸗ 
digkeit gewordenen Erquickungswaaren, Tabak, Thee, 
Kaffee, Zucker, auch die den Handwerkern und Kuͤnſt— 
lern noͤthige rohe Matrie an Eiſen, Stahl, Zinn, Meſ⸗ 
fing, Blech, Drath u. ſ. f., kommen uns meiſtens von 
andern Orten her, und erfordern große Summen an Geld, 
die wir nirgendswo her bekommen koͤnnen, als durch 
Fabrikverdienſte und Anleihung des Erſparten in der 
Fremde. Wir liefern hingegen von rohen Produkten nichts 
an Fremde, den einzigen Wein ausgenommen, von wels 
chem jaͤhrlich 12000. Eimer aus dem Lande gehen; aber 
wenn wir den Eimer auf 10. fl. ſetzen, welches im Mittel 
nicht angeſetzt werden kann, ſo macht es nicht mehr als 
eine Summe von I20000, fl. aus. Hingegen brauchen 
wir jährlich 


DR 


140 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 
Iooooo, Muͤtt fremde Frucht „ à Focooo. fl. 
1200. Ochſen, à 6. Zentner! à 60. fl. 72000, — 
an Kaͤlbern und Schaafen 3). „ 48000, — 
3000. Zentner Butter, a 25. fl. # 75000, — 
Faſſel⸗ Schwein A 2 2000. — 
8000, Klafter Brennholz, a 6. fl. 48000. — 

Sum. 263000, fl. 
Wenn wir denn noch in Calcul ziehen: 


Bauholz, Kaffee, Thee, Zucker, Tabak, Gewuͤrze, 


Leinenzeug, Wollenzeug, Laͤder, Eiſen und Stahl, 
Meßing, Kupfer, Zinn, Metaldrath, Blech, ꝛc. 
werden dieſe zuſammen wenigſtens mit dem obigen 12. 
Million ausmachen. Man erſchrickt, wenn man dieſes 
uͤberdenkt, und zugleich die Zufälligfeit des Fabrikver⸗ 
dienſts in Erwaͤgung ziehet. Kein Wunder, wenn man 
zuweilen dieſen fuͤr ein wirkliches Uebel anſiehet, und 
die vergangnen Zeiten zuruͤckwuͤnſchet, wo die Menge 
des Volks nach dem Erwerb aus dem Feldbau, und den 
Handwerksgewerben, mit denen mau einander das Noͤ— 
thige verſchaffte, ſich modifizirte, wo man mit wenigem 
zufrieden war, und Sparſamkeit unter die Haupttugen⸗ 
den gezaͤhlt worden. Kein Wunder, wenn man uͤber die 
Abhaͤnglichkeit von unſern Nachbarn, in deren Haͤnden 
unſer Brodforb liegt, erſchrickt. Allein wenn wir un. 
ſern Geſichtskreis erweitern, wenn wir die Welt als eine 
Stadt Gottes anſehen, die durch die weiſeſten Geſetze 
des unendlichen, beßten Beherrſchers, beherrſchet wird, 
der voll Menſchenliebe ſich zum Endzweck ſeiner Geſetze 
machte, das menſchliche Geſchlecht unter ſich zu verbin⸗ 
den, durch eine allgemeine Betriebſamkeit, bey deren jes 
der zuerſt fuͤr ſich ſorget, die Entwicklung der Kraͤfte, 
die feine vaͤterliche Güte in die Menſchen gelegt hat, zu 
bewirken, das Menſchengeſchlecht zu veredlen, und in 


* 


fuͤr Feldbau und Sitten des Volks. 141 


eine Haushaltung zu verwandeln wo ein Theil dem 
andern das leihet, was er vorzuͤglich beſitzt, um das 
ihm mangelnde dagegen zu ertauſchen, fo wird ſich uns 
ſere Forcht nach und nach verlieren, und wir werden in 
ſeiner gnaͤdigen Vorſehung, welche allemal angeſtrengtes 
Nachdenken, und unermuͤdeten Fleiß mit Seegen belohnt, 
unfere Beruhigung finden. Je mehr unſere Beduͤrfniſſe 
zunemmen, je mehr wird der Fleiß unſrer Nachbaren ge— 
ſpornt werden,, uns ſolche zu verſchaffen, fo lange ſich Ges 
legenheit dazu findet, und darau wird es nie ſo leicht 
mangeln. Die großen Felder Schwabens werden noch 
lange nicht ſo zerſtuckt werden, wie die unſrigen, und 
ſie ſind auch, wenn bey zunemmender Bevoͤlkerung eine 
mehrere Vertheilung noͤthig werden ſollte, noch vieler 
Verbeſſerung fähig, und wenn bey ihnen die Bevölkerung 
zunemmen wurde, ſo werden immer entferntere Laͤnder 
übrig bleiben, die ihre Naturproduk ausliefern wer⸗ 
den, haben wir doch in den Zeiten der Theurung und ei⸗ 
nes faſt allgemeinen Brodmangels in Europa, Afrika und 
Amerika, ihre Schweſter und Mutter ſpeiſen geſehen. Erz 
halte man Eifer im Nachdenken durch einen freyen Ge— 
brauch unſerer Vernunft, die ſich durch keine Vorurtheile 
und Leichtglaͤubigkeit, oder ſklaviſchen Aberglauben bie— 
gen laſſe; behalten wir Liebe zur Arbeitſamkeit und Spar⸗ 
ſamkeit, fo wird es uns nie an dem Noͤthigen fehlen. 
Daß dieſes keine bloße philoſophiſche Traͤume ſeyen, 
wird uns die Beobachtung unſers Landes in verſchiedenen 
Zeiten lehren. Wenn wir unſere Bevoͤlkerungs⸗ Tabellen 
betrachten, ſo werden wir ſehen, daß in jedem Jahr— 
hundert ſolche ein bis zwepmal einen harten Stoß erlits 
ten, aber allemal ſich bald wieder erholt habe. In der 
erſten Hälfte des 17ten Jahrhunderts wuͤthete die Peſt 
zweymal, und in der letzten die Hungersnoth, beydemal 
nahm die Bevoͤlkerung merklich ab, durch die Peſt 


142 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelfchaft 


beynahe 3, in der Hungersnoth 5. In dem gegenwaͤrti⸗ 
gen Jahrhundert erlitten wir eine Hungersnoth, die 
uns um 8. in der Bevoͤlkerung zuruͤckbrachte, die bald 
wieder merklich zunahm, daß in Zeit von 12. Jahren 
der Schade beynahe erſetzt worden. Schwaben bemerk— 
te ben der letzten Theurung unſere Abhaͤnglichkeit, und 
wollte uns zwingen, die Frucht bey ihm abzuholen, und 
auf ſeinen Maͤrkten zu kaufen. Allein das Geſetz der 
Natur wirkte ftarfer, als ein voreiliges menſchliches Ge⸗ 
ſetz. Der Particular in Schwaben fand ſich beſſer das 
bey, ſeine Fruͤchte auf die Schweizermaͤrkte zu bringen, 
und keine Macht konnte ihn davon abhalten. Es er⸗ 
gienge dem Geſetz, wie dem voreiligen Verbot fremder 
Mouſſeline in Frankreich. 

Noch vor 20. Jahren hatten wir alles noͤthige Mafts 
vieh von unſern Eidsgenoſſen im Canton Bern, Luzern, 
und Solothurn. Damals haͤtte man geglaubt, daß wir 
das Fleiſch gaͤnzlich ermangeln muͤßten, wenn dieſe Zu— 
fuhr aufhören ſollte. Sie hörte auf, und Schwaben lies 
ferte uns das Noͤthige in gleichem Preis, bis die Fehl⸗ 
jahre im Viehfutter allenthalben Mangel an Vieh er⸗ 
zeugten. Indeſſen erhielten wir das Noͤthige um einen 
nicht völlig 3. erhoͤheten Preis. Nun arbeitet das Ges 
ſetz der Natur, uach welchem Unbehaglichkeit zum Nach⸗ 
denken reizt; fie zwingt unſere Viehhaͤndler das Maſt⸗ 
vieh theurer zu bezahlen; dieſe Erhoͤhung des Preiſes 
reitzt die Nachbarn durch Verkauf des Entbehrlichen ſich 
einen Gewinn zu verſchaffen, und auf Vermehrung des 
Viehes zu denken; anfangs kauft ſie ſolches in benach⸗ 
barten Gegenden, wo es noch im Ueberfluß zu finden. 
Dieſe bemerken den Vortheil, und führen ſelbſt die Pros 
dukte dorthin, wo der meiſte Gewinn zu erhalten. So 
find uns bey dem Fleiſchmangel eine bisher ganz unbes 
kannte Art von Schweinen zugefuͤhrt worden, und der⸗ 


fir Feldbau und Sitten des Volks. 143 


malen ſehen wir ganze Heerden von Ungariſchen Ochſen 
vor den Thoren unſrer Stadt weiden. Ueberdieſes ars 
beitet auch zu Hauſe jedermann an baldiger Herſtellung 
des Ueberfluſſes, da bey 2. fruchtbaren Futter jahren uns 
zaͤhlich viel Vieh nachgezogen wird. 

Wem die ſtarke Bevoͤlkerung unſers Landes bange 
macht, vergleiche unſern Zuſtand mit unſern benachbarten 
Eidsgenoſſen in den katholiſchen Cantons. Sind fie bey 
geringerer Bevoͤlkerung überhaupt in einem größern Wohl 
ſtand, als wir? Sehen wir doch, daß ſie ſich immer 
mehr bemuͤhen, auch bey ihnen mehr Induſtrie und Geld— 
verdienſt von Fabrikarbeiten einzufuͤhren, wozu ſie ſich 
unſerer Handelshaͤuſer bedienen, und fich glücklich ſchaͤz⸗ 
zen, wenn ſolche ihrem Volke zu verdienen verſchaffen. 

Um den Nutzen der Fabriken deutlicher zu zeigen, wol⸗ 
len wir annemmen, daß von den 50000. Fabrikarbeitern, 
ein jeder im Durchſchnitt wochentlich 1. fl. verdiene, 
welches wir wohl annemmen doͤrfen, da Spinner und 
Weber ſich befinden, welche 2. bis 4. fl. wochentlich vers 
dienen koͤnnen. Nach dieſer Annahme wurden wochent— 
lich 50000, fl. an baarem Geld in dem Lande zerſtreut, 
welches in einem Jahre 2,600, ooo. fl. beträgt, wodurch 
das fuͤr Nothwendigkeiten ausgehende reichlich erſetzt wird, 
wobey der Gewinn des Handelsmanns noch nicht berech— 
net iſt, der ſich auch auf ein betraͤchtliches belaufen muß. 

Aber nun hoͤre ich mir einwerfen, daß dieſer Ueberfluß 
an Geld, zur Verſchwendungreitze, Zuͤgelloſigkeit und 
ſchlimme Sitten erzeuge, Hang zum Wohlleben, zur Wols 
luſt und Sinnlichkeit, Uebermuth und Weichlichkeit, wel⸗ 
ches alles ein Volk entnerve, und die Vaterlandsliebe 
ſchwaͤche, daß bey dem allem der ſcheinbare Wohlſtand 
ſich ſchnell verlieren koͤnne, und daß gegenwaͤrtig wirk⸗ 
lich Gefahr vorhanden, daß alle Handlungen und Fabri⸗ 
ken gaͤnzlich zu Grunde gerichtet werden koͤnnten, nach» 


144 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


dem alle Monarchen von Europa zu Friedenszeit ihre gan⸗ 
ze Aufmerkſamkeit darauf richten, die Fabriken in ihre 
Staaten zuziehen, und die Einfuhr fremder Waaren gang 
lich zu verſperrrn. 

Was die Sitten anſiehet, ſo iſt nicht zu laͤugnen, daß 
angehaͤufter Reichthum den Luſt zum Genuß derſelben er⸗ 
zeuge, und daß es dem ſchwachen Menſchen ſchwer ſeye, 
dabey die Mittelſtraſſe zu halten. Je mehr man den Sin⸗ 
nen ſchmeichelt, je mehr vermehrt ſich die Sinnlichkeit, 
und bey den Vergnuͤgungen der Sinnen verliert ſich das 
ernſthafte Nachdenken, und die Arheitſamkeit. Man 
faͤngt an den Muͤßiggang lieb zu gewinnen, und fo merz 
den nach und nach die Triebfedern ſchlaf, die Kraͤfte der 
Seelen und des Leibes nemmen ab, und in gleichem Maſſe 
nemmen die Leidenſchaften die Oberhand, und fordern 
immer neuen Stof, ſie zu befriedigen. Dieſes Gift ſchleicht 
durch alle Claſſen der Menſchen, die obern Claſſen dev, 
ſelben verfallen auf Pracht, in Kleidungen, an Haͤuſern, 
in Meublen, ſie ſuchen die Ergoͤtzungen der großen Welt, 
große Geſellſchafken, darinn zu glaͤnzen, Concerte, Baͤlle 
und Schauſpiele, die weniger reichen ahmen ſie nach, 
ſie wollen nicht geringer ſeyn, als die Reichern; indeſſen 
zerſchmelzen ſie dadurch ihr Vermoͤgen, und nun ſuchen 
ſie im Spiel oder in Lotterien ihr Gluͤck zu machen, 
und befoͤrdern ſo ihren Ruin. Aber auch die Reichern 
ſelbſt gerathen in Gefahr den Reichthum zu verlieren: 
wer den Giſt der Sinnlichkeit geſchmeckt hat, dem wird 
die Arbeit, welche die Mittel verſchafft hat, ſolche zu 
befriedigen, nach und nach unangenehm und veraͤchtlich: 
die Empfindung, welche fleißige Anwendung ſeiner Talente 
in ſeinem Bernfe erzeuget, wann der thaͤtige Mann den 
Segen ſeiner Arbeit vor ſich ſiehet, die ihn noch mehr 
anfeuret ſolche mit vermehrtem Eifer und Anſtrengung 

anzuwenden, und ihm die Arbeit ſelbſt zum Vergnuͤgen 

2 macht, 


fuͤr Feldbau und Sitten des Volks. 145 


macht, verliert ſich allgemach, und immer ſtaͤrker in den 
abſteigenden Generationen. Nur erhaͤlt ſich Liebe zum 
Gewinn, weil er die Mittel zur Vergnuͤgung der Sinne 
verſchafft; dieſen zu erhalten bezalt man reichlich ge— 
ſchickte Bediente, und entzieht ſich ſelbſt immer mehr der 
Arbeit; ſo verliert ſich die Schaͤrfe des Nachdenkens bey 
dem Herren, die auch der fleißigſte Bediente felten erſetzt; 
denn wenn er redlich handelt, ſo foͤrchtet er ſich große 
Unternemmungen zu wagen, und um ſo mehr, da im 
Falle eines ſchlimmen Erfolgs der Patron deſto eher alle 
Schuld ihm beymißt, je weniger er ſich den Zuſammen— 
hang aller Umſtaͤnde vorſtellen, und die Wahrſcheinlich— 
keit abwegen kann. Ueber dieſes ſteckt die Arbeitsſcheue 
und Sinnlichkeit des Patronen auch die Bedienten an. 
Die Geſchaͤfte werden alſo ſchlechter verrichtet, der Ge— 
winn nimmt ab, ſo wie die Ausgaben zunemmen; zuletzt 
gehet auch das groͤßte Haus zu Grunde. Man will ſich 
nun, durch die großen Hazardſpiele, im Lotto, Wechſel und 
Agiotage helfen, und befördert oft deſto ſchneller den 
Untergang. Auch iſt nicht zu laͤugnen, daß in kleinen 
Republiken die Liebe zum Vaterlande weichet: der kleine 
Ort und die Nachahmungen der großen Welt im Kleinen 
werden zum Eckel, und man ſchaͤtzet nur das groß, was 
einen großen Glanz um ſich wirft. Die Größe, die die 
Tugend giebt, und in der Einſamkeit, unter getreuer 
Arbeit im Berufe am leichteſten emporwaͤchst, bleibt ver⸗ 
kennt, verachtet und verſchmaͤhet. 

Die niedrigen Claſſen, je aͤrmer ſolche ſind, deſto be— 
gieriger ſind ſie bey einem vermehrten Geldverdienſte 


ſich wohl zu thun. Wein, Kaffee, ſchmackhaftere Speis 


ſen neben ſchoͤnen Kleidern verzehren den Verdienſt, 
und reitzen zur Untreu in der Arbeit, den Gewinn zu 


vergrößern, um deſto mehr glaͤnzen und wohlleben zu koͤn⸗ 


nen. Die harten Arbeiten werden verſaumt, und da man 
Magaz. f. d. Naturk. Zelvetiens. III. B. K 


146 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


vorher vor und nach dem Feyerabend gern in den Guͤ— 
tern arbeitete, widmet man dieſe Zeit lieber dem Muͤßig⸗ 
gange und Wohlleben. An einen Spaarpfenning auf die 
Zeit der Noth, wenn der Verdienſt verringert wird, oder 
theure Zeiten einfallen, wird nicht gedacht, und wenn fols 
che einbrechen, zerfallen ſie in das groͤßte Elend. Die 
Verführung iſt deſto leichter, da bey den Fabrifarbeis 
ten, die weder viele Seelen noch Leibeskraͤfte erheiſchen, 
die alfo bey dem gemeinen Volke, als ein Muͤßiggang ans 
zuſehen ſind, ſolche nach meiſt in großen Geſellſchaften, 
in Weberſtuben, Truckerſtuben, auf Spinnplägen vers 
richtet werden, wo alſo muthwilligere durch ihre Reden 
und Beyſpiele, die andern leicht verfuͤhren. Zum Un— 
glück befinden ſich auch in ſolchen Geſellſchaften minderz 
jährige Kinder armer Eltern, welche fruͤhzeitig die Las 
ſter der Erwachsnen kennen lernen, und fuͤr ſolche Nei— 
gung ſchoͤpfen, die um ſo mehr uͤberhand nimmt, und 
das Gemuͤth verderbt, als fie den Unterricht in den Schus 
len verſaͤumen, und der Aufſicht und Sorge der Eltern 
entzogen werden. Dieſes Uebel vermehrt ſich, wo der 
Raſt eingefuͤhrt, wo die Kinder den Eltern von ihrem 
Geldverdienſte ein gewiſſes wochentlich in die Hausbaltung 
geben, und ſich dadurch eine gaͤnzliche Unabhaͤnglichkeit 
zu erkaufen glauben. Dieſes kann freylich in einem Lan⸗ 
de ſehr verdorbene Sitten erzeugen, und einem wohlden— 
kenden Manne oft Seufzer uͤber eine ſolche Bevoͤlkerung 
abdrucken, bey deren man die Quellen des Reichthums 
und haͤufigen Verdienſts mehr als einen Schaden, als aber 
Vortheil fuͤr das Vaterland anſiehet, weil ſie eine Menge 
Volks erzeugen, das ſo leicht durch jeden Zufall in die 
aͤußerſte Armuth verſinkt, und den Allmoſenanſtalten, und 
durch ſie dem Staate ſelbſt zur groͤßten Beſchwerde wird, 
wobey man die Staaten ſelig preißt, welche nicht mehr Ein⸗ 
wohner enthalten, als das Land wohl ernaͤhren kann. 


für Feldbau und Sitten des Volks. 147 


So wahr dieſes alles iſt, ſo iſt es doch nur von dem 
Mißbrauch des Reichthums und vom haͤufigem Umlauf von 
baarem Gelde wahr. Dieſem Misbrauch iſt aller Reich⸗ 
thum ausgeſetzt; hoͤrten wir doch unſern vortreflichen 
Junker Sekelmeiſter Wyß, bey der Vorleſung des Ge 
maͤhlds unſers Landes bemerken, daß auch in dem außern 
Amt der reichere Ertrag der Weinreben Wolluſt und 
Verſchwendung erzeuget, wodurch die bemitteltſten Haͤu— 
fer nach und nach geſunken, und in Schulden verfallen 
ſeyen. Hören wir doch vou den katholiſchen Eidsgenoſ— 
ſen aus Staͤdten, wo keine Handlung bluͤhet, klagen, 
wie ſehr die alte Schweizer-Einfalt verſchwunden, und 
dem Pracht und Verſchwendung Platz gemacht, und mit 
einem edeln Neid unſere Arbeitſamkeit und Eingezogen⸗ 
or ruͤhmen. 

Indeſſen, da kein Misbrauch den vernünftigen Gebrauch 
aufhebt, ſo duͤrfen wir auch hier hoffen, daß der gute 
nutzliche Gebrauch auch neben dem Mißbrauch fortwirke. 
Es kann ſeyn, daß die angeſehenſten Haͤuſer durch Pracht 
und Verſchwendung zu Grunde gehen, und da niemals 
kein großer Baum faͤllt, daß nicht viele kleine mit in den 
Fall gezogen, oder doch beſchaͤdiget werden, auch viele 
kleinere Fortunen zugleich zerſtoͤrt werden, und ein merk— 
liches Sinken des Wohlſtands des Landes verurſachen; 
allein nie wird es alles mit ſich hinreiſſen. Es werden im⸗ 
mer viele uͤbrig bleiben, die durch angeſtrengtes Nach⸗ 
denken, Arbeitſamkeit und Sparſamkeit ſich emporſchwin⸗ 
gen, und neue bisher ganz unbekannte, oder nicht be⸗ 
nutzte Quellen entdecken und benutzen werden. Selbſt 
die unglücklichen Folgen, von der Abweichung der Grunds 
ſaͤtze, daß nur freyer Gebrauch der Vernunft, Arbeits 
ſamkeit und Sparſamkeit, einzelne Menſchen und Haufer 
gluͤcklich und ein Land bluͤhend machen, kann zu einem 
neuen Antrieb dienen, dieſe Tugenden in Ausuͤbung zu 


148 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaſt 


bringen. Es werden neue Haͤuſer in den Flor kommen, 
die die alten zerſtoͤrten in Vergeſſenheit bringen; dieſe 
werden durch auszeichnende Talente neue menſchliche 
Bienenkoͤrbe anſetzen, in denen das zahlreiche Volk Ars 
beit und Nahrung finden kann. Die Vermehrung ihres 
Reichthums wird durch einen vernuͤnftigen Aufwand an 
nuͤtzliche Gebaͤude, an Mobilien die Geſchmack, Anſtand 
und Sparſamkeit mit einander verbinden, manchem red— 
lichen Handwerker emporhelfen. Es wird auch dienen, 
die geſegnete Sitte unſerer Stadt und Landes in Gut— 
thaͤtigkeit gegen Arme und Nothleidende zu unterhalten, 
und zu gemeinnuͤtzigen Anſtalten Beytraͤge zu leiſten. 
Eltern werden den Kindern Bepſpiel von Cultur der Ta 
lente, angeſtrengtem Fleiß und Beſcheidenheit geben, und 
ſie ermuntern, bey vermehrten Gluͤcksguͤtern ihre Talente 
und Fleiß auf ſchoͤne Kuͤnſte und Wiſſenſchaften zu verwen—⸗ 
den, welche die beſte Zierde eines Landes ſind, in wel— 
chem Wohlſtand herrſchet. Auch auf dem Lande werden 
nicht alle den reichen Verdienſt misbrauchen. Man wird 
immer arme Haushaltungen ſich emporſchwingen ſehen, 
die einen Nothpfenning auf die Seite legen, das Erfparte 
an den Ankauf von Guͤtern wenden, die ſie in den Ruhe— 
ſtunden bauen koͤnnen. Dieſes wird deſto haͤufiger ge— 
ſchehen, wenn die Stadt dem Lande das Beyſpiel giebt. 
Sollte es unmoͤglich ſeyn, daß ein Enthuſiaſmus fuͤr das 
Gute eben ſo allgemein werden koͤnnte, als der Enthu— 
ſiaſmus fuͤr das Boͤſe; die innere Zufriedenheit, welche 
die Tugend ſchenket, wenn ſie einmal geſchmeckt worden, 
iſt unendlich reitzender, als alle Beluſtigung der Sinne, 
und das Gefuͤhl von ſeinen Bruͤdern, die man herzlich 
ſchaͤſt und liebet, als ein Vater und Wohlthaͤter geliebt 
und verehrt zu werden, uͤbertrift unendlich das Selbſt⸗ 
gefühl eingebildeter Vorzüge an Reichthum und Pracht. 
Dieſes iſt leerer Schein, jenes Licht und Waͤrme. Sollte 


für Feldbau und Sitten des Volks. 149 


es nicht moͤglich ſeyn, Druckerſtuben, Waͤberſtuben, 
Spinnplaͤtze zu Tugendſchulen zu machen, wenn darinnen 
von dem Patron Geſetze vorgeſchrieben wurden, deren jede 
Abweichung mit einer zwar gelinden Strafe, die wieder— 
holten aber mit der Verjagung aus dem Hauſe beſtraft 
wurden. Wenn bey Anfang und Ende eine Bettſtunde 
gehalten wurde; wenn auf Schwoͤren, verfuͤhreriſche Re— 
den, und laſterhafte Scherze Buſſen angeſetzt wurden; 
wenn hingegen die Zeitungen, oder gute moraliſche Ge— 
ſchichten, oder geographiſche Nachrichten unter der Arbeit 
zuweilen vorgeleſen, und zum Stof der Unterredung ge— 
macht wurden; wenn dieſes zuweilen mit Abſingung eis 
nes Pſalms, oder geiſtlichen Lieds, oder eines Schweizer 
lieds unterbrochen wurde. Ein menſchenfreundlicher Ges 
lehrter wurde für ſolche Geſellſchaften eigne Leſebuͤcher zus 
ſammenſchreiben, welche Geſchichte der Kuͤnſte und Hands 
lung, Kuͤnſtler und Handelsleuten, denen es wohl, und 
denen es uͤbel gegangen, vorzuͤglich enthalten ſollten. 
Koͤnnte nicht ein geſchickter Arbeiter, der im Leſen und 
Schreiben geuͤbt wäre, alle Wochen einige Stunden an; 
wenden, die minderjährigen Mitarbeiter im Leſen und 
Schreiben zu uͤben? Sollte alles dieſes nicht eben ſo moͤg⸗ 
lich ſeyn, als es einem tugendhaften Commandanten bey 
einem Regiment Soldaten, chriſtliche Sitten allgemein zu 
machen, möglich iſt. Ich habe ſelbſt ein ſolches Regi—⸗ 
ment in Berlin geſehen, welches man fuͤr eine Bruder— 
gemeine haͤtte anſehen koͤnnen, da immer geiſtliche Uebun⸗ 
gen mit den Arbeiten, und uͤbrigen Berufe abwechs— 
leten. So war auch das Donaiſche Regiment beſchaf— 
fen, deſſen Ruhm ich aus Briefen von einem enthu— 
ſiaſtiſchen Feind der Preuſſen, waͤhrend dem ſiebenjaͤhrigen 
Krieg verleſen gehoͤrt. Wenn ein Anfuͤhrer recht will, 
ſagte mir einſt der beruͤhmte General von Salis, ſo 
kann er aus ſeinen Leuten machen, was er will; 


150 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


ſo kann man es auch von einem Patron einer Hand— 
lung ſagen. 

Einen ſolch gluͤcklichen Enthuſtaſmus zu erleichtern, 
koͤnnten von Zeit zu Zeit oͤffentliche Unterredungen mit 
Fabrikarbeitern gehalten werden, denen aͤhnlich, welche 
unſere Geſellſchaft mit den Bauren uͤber den Feldbau hal⸗ 
ten läßt, um gute Grundſaͤtze und Maximen neben nuͤtz— 
lichen Kenntniſſen unter das Volk auszuſtreuen; bald 
koͤnnte man von der, bald von dieſer Claſſe von Arbeitern 
kommen laſſen, um ſich mit ihnen uͤber ihre Arbeiten, 
uͤber den beſten Nutzen, der daraus zu ziehen, uͤber die 
Folgen des Fleiſſes, der Sparſamkeit, der guten Sitten, 
die in Vermehrung des häuslichen Glücks beſtehen, uns 
terreden. Man koͤnnte hingegen den Schaden der Untreu, 
der Verſchwendung, der Unſittlichkeit, der Hinlaͤßigkeit 
und Sorgloſigkeit, in Abſicht auf ſchlimme Zeiten vor 
Augen legen. Hier faͤnde man die beſte Gelegenheit, den 
Landmann fuͤhlen zu laſſen, daß er bey dem Flor der 
Fabriken nicht weniger beguͤnſtiget ſeye, als der Burger; 
daß ihm fein Arbeitslohn, und die Vortheile, welche ders 
ſelbe, beym Anruͤſten, beym Abholen der rohen Stoffen, 
und bey Zuruͤckbringung der verarbeiteten nach und aus 
der Stadt beziehen kann, eben ſo viel und oft noch mehr 
Gewinn abwerfe, als dem Handelsmann in der Stadt, 
der mit großem Riſque und weit groͤßern Unkoſten einen 
Gewinn aus der Fremde ſuchen muß, da der Land— 
mann alle Wochen ſeinen Gewinn an baarem Gelde ſicher 
nach Haufe nemmen kann. Man koͤnnte ihm den Bor 
theil fuͤhlbar machen, auf dem Lande zu wohnen, und 
neben dem Fabrikverdienſt auch Güter zu beſitzen, die eis 
nen guten Beytrag an die Ernaͤhrung der Haushaltung 
leiſten koͤnnen: Man koͤnnte es fuͤhlbar machen, daß es 
eine wahre Ehre ſeye, ein Beſitzer eines eigenthuͤmlichen 
Guts zu ſeyn: Man koͤnnte hier Thraͤnen der Liebe und 


für Feldbau und Sitten des Volks. 151 


des Zutrauens hervorlocken, und Buͤrger und Landleute 
in ihrer wahren Beziehung gegen einander ſich kennen leh— 
ren, ſo wie man bey Baurengeſpraͤchen ſo oft von bey— 
den Seiten Thraͤnen der Ruͤhrung und gegenſeitiger Liebe 
hat flieſſen geſehen. Auf dieſe Weiſe koͤnnte man unend— 
lich mehr ausrichten, als mit allen Strafgeſetzen, welche, 
wenn fie allzugenau ausgeuͤbt werden, Haß und Rache 
ſucht, und wenn fie nicht ausgeuͤbt werden, Verachtung 
und Spott erzeugen. Hiermit will ich aber gute Policeys 
geſetze fuͤr die Fabriken nicht ausſchlieſſen. Auch dieſe 
ſehe ich als wichtige Mittel an, den Wohlſtand zu be— 
foͤrdern, und Schaden vorzubauen. Allein als Mittel, 
die erſt alsdann wirkſam find, wann gute Sitten gepflan⸗ 
zet worden, wo man die Verachtung, in welche der Ue— 
bertreter gemeinnuͤtziger Geſetze fish ſtuͤtzet, mehr fürchtet, 
als die Strafen. 

Man wird mir vielleicht einwenden, daß dieſes ein ſchoͤ— 
ner Traum ſeye, deſſen Erfuͤllung zwar zu wuͤnſchen, aber 
ſchwerlich zu erwarten ſeye. Indeſſen, weun er auch wirk— 
lich ſollte in Erfüllung kommen, fo würde dadurch das 
Land ſo ſehr bevoͤlkert werden, daß die Nothwendigkeiten 
zuletzt um keinen Preis mehr zu erhalten waͤren, und das 
Land wurde vor lauter Gluͤcke zu Grunde gehen muͤſſen. 
Es ſeye leere Einbildung, daß die Population ein Land 
bluͤhend mache. Eine übertriebene Bevölkerung müffe alles 
mal zuletzt ſchaͤdlich werden. Hierauf antworte ich, uns 
ſtreitig iſt und bleibt die Bevoͤlkerung immer der Maas 
ſtab von dem Wohlſtand eines Lands. In der Unbehag— 
lichkeit und Mangel an den noͤthigen Beduͤrfniſſen nimmt 
ſie von ſelbſt ab; es iſt ein altes Sprichwort, ſine Baccho 
& Cerere friget Venus. Der Hungrige zeuget keine Kins 
der, das belehrten uns die Abnahm der Geburten in den 
Hungerjahren, die aller Orten ſo merklich waren. Ueber 
dieſes treibt der Mangel und Elend an, anderswo ſein 


* 
. 
1 


152 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaſt 


Gluͤck zu ſuchen. Die alten Griechen ſchickten ihren Ueber 
fluß in entfernte leere Plaͤtze, und pflanzten Colonien, die 
dem Mutterſtaat oft die wichtigſten Dienſte leiſteten. Sollte 
dieſer Weg nicht auch uns offen ſtehen? Haben wir doch 
in unſern Tagen einen neuen Staat aus Koloniſten ert⸗ 
ſtehen ſehen, der einen der ſchwerſten und koſtbarſten Kris 
ge gegen ſeinen Mutterſtaat fuͤhren koͤnnen und am Ende 
geſieget, und ſich ganz unabhaͤngig gemacht hat. Wird es 
aber einem an Nachdenken, Arbeitſamkeit, Sparſamkeit 
und gute Sitten gewohnten Volk nicht viel leichter ſeyn, 
anderswo unterzukommen, als einem vernunftloſen, lie⸗ 
derlichen, verdorbenen Volke? Wie willkommen ſind nicht 
redliche Schweitzer in allen Arten von Dienſten, in Solda⸗ 
ten: Herren » und Bauerndienſten, und neuen Kolonien. 
Die Tugend macht zu Hauſe und in der Fremde gluͤcklich, 
ſorge man nur fuͤr dieſe, ſo wird die Fuͤrſehung für alles 
uͤbrige ſorgen. 

Wie kann man Abneigung gegen die Bevoͤlkerung haben? 
Calculire man die Bevoͤlkerung unſers Lands ſeit der ſel. 
Lgeformation. In dieſen 2 2. Jahrhunderten haben einige 
hunderttauſend Menſchen mehr gelebt, als ohne die In— 
duͤſtrie, die ſie uns erworben, nicht geſchehen waͤre. Iſt 
es aber nicht ein wahrer Seegen, daß fo viele Tauſende 
der Freuden des irdiſchen Lebens genoſſen, die aus ſolchem 
in die Stadt Gottes uͤbergegangen? Man verehrt die 
weiſen Geſetzgeber, die fuͤr das Leben der Menſchen ſor— 
gen, wie viel ehrwuͤrdiger find die, welche fuͤr die Vers 
mehrung lebender Menſchen ſorgen. 8 

Mir bleibt es alſo immer ein unzweifelhafter Grundſatz, 
daß die Bevoͤlkerung den inneren Zuſtand verrathe, und 
daß die Abnahm immer einen Fehler in dem Inneren ans 
zeige, den die Landesvaͤter zu entdecken und zu verbeſſern 
ſich bemühen ſollten. Es wäre denn, daß es von natuͤr⸗ 
lichen Urſachen, von anſteckenden Krankheiten, von Un⸗ 


* 


— 


. 


fuͤr Feldbau und Sitten des Volks. 153 


fruchtbarkeit der Jahren, von Krieg und Theurung her— 
ruͤhrte; aber dergleichen Urſachen dauern nur für kurze. 
Zeit, und es folget bald darauf ein neuer Zuwachs von 
Wohlſtand und Bevoͤlkerung, wie wir oben durch unſere 
von Zeit zu Zeit vorgenommene Zaͤhlungen der Volksmen— 
ge geſehen haben. Hier koͤnnen wir uns mit David beru— 
higen, daß es gut ſeye, in die Haͤnde des Herrn zu fal— 
len, beſſer als in der Menſchenhaͤnde; feine vaͤterlichen Heim— 
ſuchungen fuͤhren zu den heilſamſten Endzwecken; der ge— 
demuͤthigte Menſch denkt mit neuem Eifer auf die Erfuͤl— 
lung feiner Pflichten, er ſuchet Kraͤfte nnd Mittel auf, 
ſich zu helfen, und ſie fehlen ihm niemal. Daher zeigen 
uns die Verzeichniſſe, wie allemal auf die Landplagen die 
Bevoͤlkerung einen neuen Schwung genommen. 

Noch iſt zu erwaͤgen, ob wir wirklich in Gefahr ſeyen, 
unſre Handelſchaft zu verlieren, ich glaube, nein; fo lan— 
ge die Triebfedern, Anſtrengung der Vernunft, Arbeit— 
ſamkeit und Sparſamkeit fortdauern. Dieſe kann uns nies 
mand rauben, als wir ſelbſt, wenn wir uns der Weich— 
lichkeit, dem Muͤßiggange, dem Aberglaube alles vom 
Gluͤck und Zufall zu erwarten, uͤberlaſſen, nur dieſe koͤn— 
nen die Handelſchaft toͤdten, aber keine Anſtalten der Mens 
ſchen, auch keine Concurrenz. 

Unſere Fabriken ſind alle von fremden Orten und durch 
Fremde zu uns gebracht worden, wir koͤnnen uns keiner 
anderen Erfindung hierin ruͤhmen, als der geſchickten Nach— 
ahmung in wohlfeilerem Preiſe. Dieſes führte oft auf 
Erfindungen leichterer Stoffen, die dem Modegeſchmack 
gefielen, daß man ſie begieriger ſuchte und beſſer bezahlte, 
als die beſſern Originalwaaren. 

Wir muͤſſen uns aber nicht ſchmeicheln, dergleichen Ar⸗ 
tickel beybehalten zu koͤnnen, alles iſt der Abaͤnderung uns 
terworfen. Wer kennet nicht den Modegeiſt? der ſo ver— 
aͤnderlich und caprizios dem Handelsmanne Geſetze vor— 


154 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſchaft 


ſchreibt! Ein ſehr geſchickter und fleißiger Fabrikant aus 
unſern Mitburgern vergliech ihn mit dem Winde, von dem 
wir nicht wiſſen, woher er kommt und wohin er faͤhrt. 
Wenn eine Waare den beßten Abgang hat, ſo iſts ein 
Wind, der ihn mit einmal wegblaſet. Wer die Handlung 
anſiehet, als ein Mittel ſeine groſſe Kapitalien ſicher auf 
einen groſſen Zins zu bringen, der betriegt ſich. Die eins 
zige Sicherheit des Handels manns beſtehet in feiner Aufs 
merffamfeit , in feinem Scharfblick und eiſernen Fleiß. 
Wie der Steuermann, der immer wachſam ſeyn, auf den 
Wind ſehen und die Segel nach ſolchem richten muß. Der 
geſchickte Fabrikant, den ich kurz vorhin angefuͤhrt, er⸗ 
zählte die Geſchichte feiner Fabrik, er, noch kein alter 
Mann hat wol zehnmal ſeine Artickel abaͤndern muͤſſen. 
Wohl dem Lande, wo die Handlung und Fabriken jeder⸗ 
mann frey ſtehen, wo viele wachtbare Steuermaͤnner ſind, 
die jede Abaͤnderung ſogleich entdecken und ſich darnach 
richten. In einem ſolcheu Lande kann die Handlung zwar 
krank werden, aber ſie wird ſich bald wieder erholen, und 
niemals ſterben. 

Wo hingegen die Induͤſtrie nicht herrſchet, dort iſt es 
ſchwer, Fabriken einzufuͤhren. Es zeiget ſich doch ein 
gewiſſes Gleichgewicht, zwiſchen dem Erwerb und dem 
Verbrauch, bey dem jedermann ſeine Behaglichkeit findet, 
und von deren man ſich nicht gerne abbringen laͤßt. Jede 
neue Arbeit iſt dem Cinwohner eckelhaft, und lange, ſehr 
lange dauert es, bis dieſer Eckel uͤberwunden iſt. Meis 


ſtens gerathet der Verſuch druͤber in's Stecken. Groſſe 


Herren wollen ſich durch Monopolien und Koloniſten hels 
fen, dieſes aber erfodert gerade im Anfange groſſe Unko— 
ſten; man baut Fabrikhaͤuſer, man muß mit groſſen Kos 
ſten Arbeiter von andern Orten herkommen laſſen, hiezu 
laͤßt ſich niemand uͤberreden, der an ſeinem Geburtsort 
fein gutes Auskommen findet. Nur ſchlechte Haushaͤlter, 


Ph 


für Feldbau und Sitten des Volks. 155 


oder liederliche Arbeiter laſſen ſich verfuͤhren; dieſe werden 
aber einem Monopoliſten ſchlechte Dienſte leiſten. Schlechte 
Arbeit in theurem Lohn iſt allemal bey Errichtung neuer 
Fabriken zu erwarten. Dieſes alles ſtuͤrzt den Unternems 
mer in Schulden, und der Herr, der ihn unterſtuͤtzen ſollte, 
wird uͤberdruͤßig, und läßt ihn ohne Huͤlfe, und ſo loͤſcht 
das Werk, das im Anfange ſo viel Glanz von ſich warf, 
wieder aus. Wer ein wenig aufmerkſam iſt, wird haͤufi— 
ge Originale zu dieſem Gemaͤlde finden. 

Konkurrenz iſt weit weniger ſchaͤdlich als man glaubt, 
vielmehr hat fie groſſen Nutzen, fie reitzt Aufmerſamkeit 
und Fleiß, und es entſtehen daraus verſchiedene Sorten 
eines Artickels, die deſto mehr Kaͤufer zuziehen; dieſer 
gehet am liebſten dahin, wo er mancherley Sorten finden 
kann, die unteren Handelsleute zu reitzen. Eine jede Haus— 
mutter ziehet den Kraͤmer vor, der vielerley Waaren zur 
Auswahl vorlegen kann. Genf ſahe mit Eiferſucht die 
Uhrenfabriken in den Neuenburgiſchen Gebirgen, aber bis 
zu der ungluͤcklichen Epoche ſeiner Burgerhaͤndel, verlor 
es nichts dabey, vielmehr bemerkte man fortſchreitende 
Vermehrung der Fabrik. 

Noch einen Vortheil haben wir in unden Vaterlan⸗ 
de, daß die Fabrikarbeiter im Lande zerſtreut ſind. In 
den Staͤdten iſt alles theurer, der Einwohner einer 
Stadt iſt auch weichlicher und der Verfuͤhrung zum Muͤſ⸗ 
ſiggange mehr ausgeſetzt, als der Landmann. Neue Fa⸗ 
briken aber laſſen ſich nirgend anlegen, als in Staͤdten, 
weil alle Arbeiter unter beſtaͤndiger Aufficht ſtehen muͤſ— 
ſen, um ſie im Zaum zu halten. Hingegen iſt der Land— 
mann arbeitſamer und ſparſamer, dabey genießt er den 
Vortheil, ſich Nahrung wenigſtens in einem Gartenbette 
oder Erdapfelplatz zu pflanzen. Er kann alſo die Arbeit 
in geringem Preiſe verrichten. 

Es verſichert uns auch das Bleiben der Handlung der 


156 Ueber Vorth. u. Schaden d. Handelſch. ꝛe. 


liebe Friede, den wir ſo lange genoſſen, und den wir 
G. G. ferner genieſſen werden, wenn wir die Staats— 
grundſaͤtze beybehalten, uns in keine fremde Haͤndel zu 
miſchen, und als gute Eidsgenoſſen mit unſern Eidsge⸗ 
noſſen, und als Vaͤter, Bruͤder und Hausgenoſſen in 
unſerm engern Staate zu leben, unſer Gluͤck in der Frey— 
heit und unſere Groͤſſe in der Tugend zu ſuchen. Da 
hingegen in groſſen Staaten der Krieg von Zeit zu Zeit 
unausweichlich iſt, und man dort mehr fuͤr die Erhaltung 
der Kriegsmacht, als fuͤr die Pflanzung der Induͤſtrie 
zu ſorgen hat, welche bey jedem Kriege in Gefahr ff, 
zerſtoͤrt zu werden. 

Uebrigens vertrauen wir auf Gottes Vorſehung, wel— 
che die moraliſche und phyſiſche Welt mit gleicher Weis⸗ 
heit regieret, und zum allgemeinen Geſetze gemacht, daß 
Wohlſtand immer Belohnung von Weisheit und Tugend 
bleibt. Dieſes kann uns die Geſchichte der Fabriken uns 
ſers Lands auf die einleuchtendeſte Weiſe belehren, da ſie 
Folge war, des durch die Glaubensverbeſſerung erzeugten 
beſſeren Nationalcharakters, der ſich durch freye Anwen—⸗ 
dung der Vernunft, Arbeitſamkeit, Sparſamkeit und 
Sittlichkeit auszeichnete. Behalten wir dieſe bey, ſo 
wird Feldbau und Fabrikarbeit neben einander fortbluͤ— 
hen, und ein zahlreiches Volk wird ſich eines geſegneten 
Wohlſtands zu erfreuen haben. Es geſchehe alſo! 


N 


Chemiſche Unterſuchung 
des 


Helvetiſchen Topfſteins. 


N Von 
Herrn Oberkaͤmmerer Wiegleb. 
in 


gangenfal;a 


158 Chemiſche Unterſuchung des Topfſteins. 


§. I. 


Dieſe Steinart fuͤhrt Wallerius in ſeiner Mineralogie 
unter dem Namen Lapis Ollaris, oder Comenſis Plinii, 
oder Lebethum auf. Herr Werner nennt ihn, in der 
neuen Ausgabe von Cronſtedts Mineralogie, verhaͤrte⸗ 
ten Talk. Der beßte bricht bey Como in Italien, inglei⸗ 
chem bey Chiavenna in Graubuͤndten, und wird daſelbſt 
Lavezzo, auf deutſch Lebetſtein genennet. In Grau⸗ 
buͤndten werden allerhand feuerfefte Töpfe daraus gedrech⸗ 
ſelt. Der zur gegenwaͤrtigen Unterſuchung gebrauchte, 
war aus der letztern Gegend. 


$. 2. Eine Unze dieſes Steins, zu zartem Pulver zer; 
rieben, wurde mit 3. Unzen ſtarker rektifizirter Salzſaͤure 
in einer kleinen Retorte uͤbergoſſen. Man bemerkte da— 
bey eine ziemliche Einwirkung dieſer Säure auf das Stein⸗ 
pulver, welche ſich durch eine betraͤchtliche Aufſchaͤumung 
zu erkennen gab. Die Retorte wurde darauf in den Sand 
gelegt, und alle Feuchtigkeit bis zur Trockne uͤbergezogen. 
Die abdeſtillirte Fluͤßigkeit hatte zwar noch einen ſauren 
Geſchmack, doch bey weitem nicht mehr ſo ſtark als zu⸗ 
vor. Dabey ſchien mir merkwuͤrdig zu ſeyn, daß letztere 
auf der Oberflaͤche mit einem ganz duͤnnen, wiewohl nicht 
zuſammenhaͤngenden, Haͤutchen bedeckt war, das alſo 
nur in einzelnen Fleckgen darauf herumſchwamm. Als ich 
darauf dieſe Säure mit 2. Unzen deſtillirtem Waſſer ver; 
duͤnnt, und mit aufgeloͤstem fixem Alcali geſaͤttigt hatte, 
ſo erfolgte ein zarter Niederſchlag, der aus einer wirkli⸗ 
chen Rieſelerde beſtund, die nach der Ausſuͤſſung und 
Trocknung 2. Graue wog. Aus dieſer letzten Erſcheinung 


Von Hrn. Oberkaͤmmerer Wiegleb. 159 


ift ſehr wahrſcheinlich die Gegenwart einer kleinen Portion 
verſteckter Flußſpatſaͤure zu erkennen.“) 

§. 3. Auf den in der Retorte befindlichen Ruͤckſtand 
ſchuͤttete ich 6. Unzen deſtillirtes Waſſer, und brachte ihn, 
nachdem er damit ganz aufgeweichet war, auf ein Filtrum 
von Druckpapier, um die klare Lauge von den unaufge— 
loͤsten Theilen abzuſcheiden. Ich ſchuͤttete auch noch ſo 
oft deſtillirtes Waſſer auf das Filtrum, bis alle Salzig— 
keit aus dem Ruͤckſtande gelauget worden war. 

§. 4. Die abfiltrirte Fluͤßigkeit (§. 3.) ſchlug ich dar⸗ 
auf mit Blutlauge ſo lange nieder, als noch ein blauer 
Praͤcipitat erſchien, und ſonderte ihn durch ein Filtrum 
von der uͤbrigen Fluͤßigkeit ab. Nachdem ich darauf den 
Niederſchlag mit deſtillirtem Waſſer ſo lange ausgeſuͤßt 
hatte, bis alle Schaͤrfe ausgezogen worden war, ließ ich 
ihn abtrocknen. Er beſtund aus einem ſchoͤnen dunkeln 
Berlinerblau, und wog 58. Grane. 


§. S. Die übrige Fluͤßigkeit, woraus das vorerwaͤhnte 
Berlinerblau niedergeſchlagen worden war, wurde durch 
Vitriolſaͤure nicht getruͤbet. Es ſchien alſo als wenn keine 
Kalkerde darin vorhanden ſey. Ich ſchlug ſie darauf mit 
fixem Alcali nieder, und erhielt dadurch, ohne die gering⸗ 
ſte ſich dabey ereignete Aufbrauſung einen weiſſen Praͤci— 
pitat. Als ſich ſolcher zu Boden geſetzt hatte, ſchied ich 
ihn durch ein Filtrum ab, und ſuͤßte ihn mit ſattſamem 
Waſſer vollkommen aus. Nach erfolgter Abtrocknung wog 
ſolcher 32. Grane. Wegen der eben erwaͤhnten Erſchei— 
nungen hielt ich ihn fuͤr bloſſe Bitterſalzerde. Als ich ihn 
aber zur ſichern Pruͤfung in verdunnter Vitriolſaͤure auf, 
loͤſen wollte, blieb ein ganz weiſſer Ruͤckſtand uͤbrig, der 
nichts anders als Gips war, und ohngefaͤhr 3. Grane 


*) Dieſe Kieſelerde ruͤhrte wahrſcheinlich aus dem Steine ſelbſt ber, 
denn an den gläfernen Gefaͤſſen war keine Anfreſſung zu bemerken. 


160 Chemiſche Unterſuchung des Topfſteins. 


betragen mogte. Um auch darin gewiß zu gehen, ſpuͤhlte 
ich ſolchen in ein kleines Toͤpfgen, goß 3. Unzen deſtillir⸗ 
tes Waſſer, nebſt etwas aufgeloͤstem fixem Alcali hinzu, 
ſetzte das Gefaͤß auf Kohlen und ließ es etliche Minuten 
lang zuſammen kochen; dann ſchuͤttete ich alles zuſammen 
auf ein Filtrum von Druckpapier. Darauf blieb jetzt eine 
weiſſe Erde liegen, welche 2. Grane am Gewichte betrug, 
ſich in Salpeterſaͤure mit Brauſen auflöfete, und ſich dar— 
aus mit Vitriolſaͤure wieder als Gips niederſchlug, mithin 
dadurch deutlich bewies, daß fie aus Kalkerde *) beſtund. 
Das uͤbrige Gewicht der Bitterſalzerde betrug alſo nicht 
mehr als 30. Grane. 
§. 6. Weil es mir aber bekannt war, daß bey Nieder— 
ſchlagung der Bitterſalzerde ein guter Theil derſelben noch 
in der Salzlauge zuruͤckbleibt, und ich dieß im gegen— 
waͤrtigen Falle um ſo mehr vermuthete, weil die nieder— 
zuſchlagende Lauge vorher ſich ſtark verduͤnnet befand, ſo 
wurde die von dem vorigen Niederſchlage (F. 5.) abfil, 
trirte Salzlauge eine Viertelſtunde lang gekocht, und ein 
Theil davon abgedunſtet, wobey ſie ſich auch wirklich ſehr 
truͤbte, und noch eine betraͤchtliche Menge Erde abſetzte. 
Ich ſchied ſolche durch ein Filtrum ab, und fand nach der 
Ausſuͤſſung und Abtrocknung, daß fie noch 1. Drachma 
und 28. Grane wog. Sie loͤste ſich hernach wieder in 
verduͤnnter Vitriolſaͤure mit Aufbrauſung ganz auf, und 
zeigte ſowohl dadurch, als auch durch den Geſchmack der 
Aufloͤſung, daß fie nichts anders, als reine Bitterſalz⸗ 
erde war. 
§. 7. Da mir aber der Ruͤckſtand (F. 3.) noch zu ſtark 
gefaͤrbt vorkam, und er alſo noch nicht genug ausgezogen zu 
ſeyn 


*) Vermuthlich iſt dieſe Kalkerde mit der vorhin erwähnten Fluß ſpat⸗ 
ſaͤure verbunden geweſen, und bey der Auflöfung in Vitriolſaͤure 
erſt zu Gips gemacht worden. 


/ 


Von Hrn. Oberkaͤmmerer Wiegleb. 161 


ſeyn ſchien, ſo brachte ich ihn nochmals in ein Koͤlb— 
gen, uͤbergoß ihn wieder mit 2. Unzen Salßſaͤure, ſetzte 
das Glas in den Sand, erhielt es etliche Stunden lang 
in ſtarker Digeſtion, und ließ zuletzt die Saͤure noch eine 
Stunde lang darinn kochen. Am folgenden Tage wurde 
alles mit 6. Unzen deſtillirtem Waſſer verduͤnnt und auf 
ein Filtrum gebracht. Die durchgelaufene Fluͤßigkeit war 
noch ſtark gelb gefaͤrbt, der auf dem Filtrirpapier vers 
bliebene Ruͤckſtand ſahe hingegen jetzt ganz weißlicht aus, 
und beſtund ſichtbarlich aus einem ſilberfarbigten Glim— 
mer, der nach der Trocknung noch 5. Drachmen 36 Gra— 
ne wog. 

§. 8. Die hierbey erhaltene Extraktion ſchmeckte noch 
ſtark zuſammenziehend und martialiſch, wurde auch von 
der Blutlauge noch ſtark blau niedergeſchlagen. Ich troͤ— 
pfelte daher ſolche ſo lange hinein, als noch ein blauer 
Praͤcipitat erlangt wurde. Als ich darauf ſolchen von 
der Lauge abgeſchieden, ausgeſuͤßt und abgetrockuet hat— 
te, beſtund er ebenfalls aus einem ſchoͤnen Berlinerblau, 
und wog 42. Grane. 

$. 9. Die davon abfiltrirte Salzlauge ſahe ganz Waſſer— 
hell aus, ſchmeckte aber offenbar alaunigt, und als ich 
eine Aufloͤſung des fixen Alkali hineintroͤpfelte, fiel eine 
weiſſe Erde nieder, die ich nach dem aͤußerlichen Anſehen 
wegen ihrer Zarte und Durchſcheinbarkeit für Alaunerde 
anſehen mußte. Weil es aber bey chemiſchen Unterſuchun⸗ 
gen nicht erlaubt iſt, nach dem aͤußerlichen Anſchein al— 
lein zu urtheilen, fo mußte ich fie erſt einer nähern Pruͤ⸗ 
fung unterwerfen. Ich fuchte deshalb dieſen Niederſchlag 
aus, und ließ ihn abtrocknen, da er dann 44. Grane 
wog. Dieſe weiſſe Erde, welche bey der Trocknung et— 
was hart geworden war, zerrieb ich zart, ſchuͤttete eine 
Unze verduͤnnte Vitriolſaͤure in einem Koͤlbgen darauf, 
und ſetzte es etliche Stunden einer ſtarken Digeſtions— 

Magaz. f. d. Waturk. Zelvetiens. III. B. L 


162 Chemiſche Unterſuchung des Topfſteins. 


waͤrme aus. Die Saͤure wirkte nur mit ſchwacher Auf⸗ 
brauſung darauf; und endlich erſchien alles einer Gal⸗ 
lerte ähnlich geronnen. Deswegen ſchuͤttete ich noch 2. 
Unzen deſtillirtes Waſſer darauf, ſchuͤttelte alles ſehr 
durcheinander, und goß es zuſammen auf ein Filtrum. 
Hierbey verblieb auf dem Papier ein gallertaͤhnlicher Rück, 
ſtand, der nach der Ausſuͤſſung und Trocknung 6. Grane 
wog, und aus purer Rieſelerde beſtund. Die davon 
durchgelaufene Fluͤßigkeit vermiſchte ich mit aufgeloͤstem 
fixen Alkali, wobey eine weiſſe Erde niedergeſchlagen 
wurde, von welcher man aus dem aͤußerlichen Anſchein 
ſchon urtheilen konnte, daß ſie Alaunerde war. Dies 
beſtaͤttigte ſich auch dadurch / daß ſich ſolche, als die 
Fluͤßigkeit davon abfiltrirt worden war, jetzt gänzlich 
in verduͤnnter Vitriolſaͤure mit einer kaum merklichen Auf— 
brauſung aufloͤſete, und daß die Aufloͤſung einen offen⸗ 
baren alaunigten Geſchmack hatte. Das Gewicht dieſer 
Alaunerde betrug, aus dem angeführten, nach Abrech⸗ 
nung der davon abgeſchiedenen 6. Graͤnen Kieſelerde, 
38. Grane. N | 
Anmerkung. Merkwuͤrdig iſt es hierbey, daß etwas 
Kieſelerde, in Verbindung mit der Alaunerde, durch Salz— 
ſaͤure aufgeloͤſet worden war. Daß mein gebrauchtes 
fixes Alkali nicht etwa kieſelhaltig geweſen ſey, das kann 
man meiner Vorſicht zutrauen. Ueberdies habe ich bey 
dieſer Niederſchlagung kein anders Mittel gebraucht, als 
zu den vorherigen und nachfolgenden, wobey dennoch 
dergleichen Erſcheinung nicht vorgekommen iſt. Sollte 
vielleicht noch etwas ruͤckſtaͤndig geweſene Flußſpatſaͤure 
davon Urſache ſeyn? | 
$. 10. Hierauf nahm ich den noch vorhandenen Ruͤck⸗ 
ſtand (F. 7.) zu fernerer Prüfung vor, vermiſchte ihn, 
da die Saͤuren nichts mehr darauf zu wirken ſchienen, 
mit einer Unze gereinigten Alkali, und ließ das Pulver 
in einem eiſernen Loͤffel eine halbe Stunde lang ſtark 


Von Hrn. Oberkaͤmmerer Wiegleb. 163 


durchgluͤhen, wobey es zwar zuſammenpakte, aber nicht 
zur Schmelzung kam. Nach der Erkaltung zerrieb ich 
die Maſſe zu Pulver, und uͤbergoß ſie mit deſtillirtem 
Waſſer, um das Alkali von den erdigten Theilen wieder 
abzuſoͤndern, befreyete auch ſolche durch wiederholtes 
Aufgießen friſchen Waſſers gaͤnzlich von aller Salzigkeit, 
und ließ ſie endlich wieder abtrocknen. 

$. 11. Die eben erwaͤhnte verduͤnnte alkaliſche Lauge 
muͤßte nunmehro auch gepruͤft werden, ob nicht waͤhren— 
der Kalzination von dem erdigten Ruͤckſtande etwas aus— 
gezogen und in die Auflöfung mit uͤbergefuͤhrt worden ſey. 
In dieſer Abſicht ſaͤttigte ich fie mit Vitriolſaͤure, erhielt 
aber dabey keinen Niederſchlag; endlich ſetzte ich auch noch 
etwas uͤberfluͤßige Saͤure zu, aber ohne Erfolg. In— 
zwiſchen beruhigte ich mich dabey nicht, ſondern fieng 
an, der geſaͤuerten Salzlauge aufgeloͤstes fixes Alkali 
zuzuſetzen. Es wurde dies mit einer ſtarken Aufbrauſung 
begleitet, und beym eingetrettenen Saͤttigungspunkte ers 
hielt ich einen ſehr feinen durchſcheinenden Niederſchlag, 
der nach erfolgter Ausſcheidung, Ausfüffung und Trock⸗ 
nung für nichts anders als Kieſelerde erkannt werden 
konnte, und 9. Grane wog. Es konnte dieſer Nieders 
ſchlag weder in Salz-, Salpeter-, noch Vitriolſaͤure wies 
der aufgelöst werden. Daß ſich die Kieſelerde unter an— 
gefuͤhrten Umſtaͤnden in der Aufloͤſung erhalten koͤnne, 
iſt von ihr bekannt genug. 

$. 12. Nach der vorhin beſchriebenen Vorbereitung 
der uͤbergebliebenen erdigten Theile durch fixes Alkali (§. 10) 
wurde die damit kalzinirte Maſſe zerrieben, in eine kleine 
Retorte geſchuͤttet, und mit anderthalb Unzen konzentrir— 
ter Vitriolſaͤure, nebſt eben ſo viel deſtillirtem Waſſer 
uͤbergoſſen, dieſe in den Sand gelegt, und alle Fluͤßigkeit 
bis zur Troͤckne wieder davon abdeſtillirt. Der Ruͤckſtand 
in der Retorte wurde alsdann mit deſtillirtem Waſſer 


3 


164 Chemiſche unterſuchung des Topfſteins. 


aufgeweicht, alles Salzige dadurch ausgezogen und abs 
filtrirt. Auf dem Papier verblieb jetzt eine ganz weiſſe 
Erde, die nach vollkommener Ausſuͤſſung und Trocknung 
3. Drachmen, 30. Grane wog. 

$. 13. Die abfiltrirte ſalzige Lauge (S. 12.) ſchmeckte 
ſtark vitrioliſch, deswegen ich wieder Blutlauge hinein⸗ 
tröpfelte, und fo lange damit fortfuhr, als noch dadurch 
ein blauer Niederſchlag ausgeſchieden werden konnte. Ich 
erhielt auf ſolche Art abermals, nach Abfiltrirung, Aus⸗ 
ſuͤſung und Trocknung, ein ſchoͤnes Berlinerblau, am 
Gewichte 48. Grane. 

$. 14. Nunmehro ſchmeckte die durchs Filtrum 1 
geſchiedene Fluͤßigkeit (S. 13.) rein bitterlich, wie eine 
reine Bitterſalzaufloͤſung zu ſchmecken pflegt, gab auch 
bey der Niederſchlagung mit fixen Alkali, ohne die ge⸗ 
ringſte Aufbrauſung, einen weiſſen Praͤcipitat, der ſchon 
nach dem aͤußerlichen Anſehen für Bitterſalzerde erkannt 
werden konnte. Ich brachte alles zuſammen auf ein 
Filtrum, und ließ ſogleich, wie die helle Lauge durch: 
gelaufen war, aus dem vorhin (F. 6.) ſchon angeführten 
Grunde, ſolche uͤber dem Feuer bis zur Haͤlfte abdunſten, 
wobey ſie ſich ſtark truͤbte, und auch noch eine gute 
Portion Erde abſetzte, die ſogleich zu voriger auf das 
Filtrum gebracht wurde. Darauf ſuͤßte ich ſolche zuſam⸗ 
men vollig aus, und ließ fie. endlich abtrocknen. Sie wog 
2. Drachmen 14. Grane, loͤste ſich wieder in verduͤnnter 
Vitriolſaͤure mit ſtarker Aufbrauſung gaͤnzlich auf, ſchmeck⸗ 
te dann bitterlich, und bewies dadurch, daß ſie aus rei⸗ 
ner Bitterſalzerde beſtund. 

$. 15. Endlich wurde nun noch der letztere unaufgez 
löste Rückſtand (6. 12.) abermals unterſucht, ob er noch 
weiter zu ſcheiden ſey, oder aus einer einfachen Erde bes 
ſtehe, und von welcher Art ſolche ſey? In dieſer Abſicht 
wurde derſelbe mit einer Unze gereinigten fixen Alkali 


** 


Von Hrn. Oberkaͤmmerer Wiegleb. 165 


vermiſcht, und in einem eiſernen Loͤffel nochmals eine 
halbe Stunde lang durchgegluͤhet „„ ſo lange bis das 
Pulver zuſammengebacken war, und weich zu werden ans 
fieng. Nach der Erkaltung zerrieb ich es, und ſchuͤttete 
deſtillirtes Waſſer darauf. Binnen 24. Stunden war das 
ganze Pulver bis auf einige Grane eines grauen Eiſen— 
pulvers, das ohnſtreitig vom eiſernen Löffel herruͤhrte, 
aufgeloͤſet. Dieſe filtrirte klare Aufloͤſung wurde durch 
eingetroͤpfelte verduͤnnte Vitriolſaͤure in einen halbdurch— 
ſichtigen gallertaͤhnlichen Zuſtand gebracht. Es iſt alſo 
ſowohl durch die gaͤnzliche Aufloͤſung in Alkali, als durch 
das eigenthümliche Anſehen dieſer Niederſchlagung bewies 
ſen, daß der aus 3. Drachmen, 30. Granen beſtehende 
Ruͤckſtand nichts anders als Kieſelerde war. 
Anmerk. Aus der letztern Prüfung des von den vori 
gen Extraktionen uͤbergebliebenen Glimmers ($, 7.) von 
$. 10715, erkennt man beylaͤufig, daß nicht aller Glim⸗ 
mer aus thonigter Grundmiſchung beſtehe, ſondern daß 
auch Glimmerarten in der Natur vorhanden ſeyn koͤn— 
nen, welche die Talk- oder Bitterſalzerde reichlich enthalß 
ten, und von der thonigten Erde ganz entbloͤßt find. 
Der beſchriebene Topfſtein ſcheint gerade aus einem ſol— 
chen talkartigen Glimmer zu beſtehen, der durch eine ge— 
ringe Portion Thon zuſammengebacken und zu Stein vers 
haͤrtet worden; dann der Glimmer blieb noch uͤbrig, da 
ſchon vorher die Alaunerde ausgezogen worden war. 

$. 16. Hierauf wurde noch, zur richtigen Beſtimmung 
des reinen Eiſengehalts, das F. 4. 8. und 13. erhaltene 
Berlinerblau, welches zuſammen 2. Drachmen 28. Grane 
wog, in einem Schmelztiegel ausgegluͤhet. Es blieb 
davon ein ſchwarzbraunes Eiſenpulver übrig, das voll⸗ 
kommen vom Magnet angezogen wurde, und am Ge— 
wichte 1. Drachme 15. Grane betrug. 

9 17. Rechnet man nun die erhaltenen Produkte zus 
ſammen, ſo findet ſich ein ſtaͤrkeres Gewicht, als ans 


„ 4 


W 


166 Chemiſche Unterſuchung des Topfſteins ꝛc. 


fänglich der zur Unterſuchung genommene Topfftein betra— 
gen hat. Ich habe nemlich von einer Unze deſſelben erlangt: 


An Bitterfalzerde, $. 85. — 30. Grane 
$. 6 1. Dr. 28. — +4, Dr. 12. Gr. 

— — F. 14. 2. — 14. — 
— Bieglerde, 5 2. — 8 Ra +. 
„ 
— — — F. 15. 3. Dr. 30. — k 

— Alaunerde, 94. — — ——338.— 

— Raͤlcherde, §. 5. — — — 2.— 
— Eiſen, $. 16. — — 1. — 15.— 


9. Dr. 54. Ur. 
Folglich ergiebt ſich hierbey ein Uebergewicht von 1. Drach⸗ 
ma, 54. Grane, ohne Ruͤckſicht auf den Betrag der Flußſpat⸗ 
ſaͤure ( $. 2.), die doch auch wohl etliche Grane betragen, 
haben kann. Zur Erläuterung dieſes Umſtandes muß man 
aber bedenken, daß die Bitterſalzerde, ſowohl als die 
Alaunerde, nach der Aus ziehung und Niederſchlagung alle; 
mal mehr wiegen, als fie in der natuͤrlichen Zufammens 
ſetzung einer Steinart betragen, weil ſich unter der Nie— 
derſchlagung eine ſtarke Portion Luft und Waſſer damit 


verbindet. Ich glaube demnach, daß man das wahre Ver- 


haͤltnis der Beſtandtheile von einer Unze Topfftein am rich⸗ 


tigſten folgender Maßen beſtimmen koͤnne, wenn das Ge⸗ 


wicht der ausgegluͤheten Kieſelerde und des Eiſens zum 
Grunde gelegt wird. Demnach fiel die Proportion fol 
gender Maßen aus: 


Ausgegl. Rieſelerde, nach einer andern Vergleichung, betrug 
8 Dr achmen 4. Grane. 


Eiſen⸗ 4 . 1 
Alaunerde — — 32. — 
Kaldyerde, J — — * 
Flußſpatſaͤure — 7 2. un 
Bitter ſalzerde 3. 8 3 

8. Drachmen — — 


Es muß alſo der Topfſtein mit allem Rechte unter bie Talk 5 | 


oder Speckſteinarten im Mineralſyſtem geordnet werden. 


Wiegleb. 


getrönte 


Breisigrite 


— 


2 über den 


aaa, Sornfäisfer und Waken z. N 


— er ä . 
* . 
* n 4 9 


„ 
2 


168 D. L. Guſt. Karſten, gekrönte Preisſchrift 


—.. MRBERIER - — 


Einleitung. 


* 2 u; N 
— | 


Da die Preißaufgabe dahin zielet, „eine richtig be. 


„ſtimmte, der Natur der Steinarten angemeſſene Ein⸗ 
„richtung, Benennung und Beſchreibung aller derjeni⸗ 
„gen Gebirgsarten , die jetzt unter den Namen von 
„Hornfehiefer, Tonſchiefer und Wade bekannt find, 
„und allen in dieſe Klaſſe einſchlagenden Gebirgsarten 
zu verfertigen — ſolche durch deutſche und lateini⸗ 
„ ſche Trivialnamen genau zu beftimmen , und Ge 
„burtsort und Lokalbenennung anzufuͤhren: „ So wird 
es nothwendig ſeyn, daß ich zuerſt meine Meinung 
über die Natur, und einer ihr entſprechenden Ein⸗ 
theilung der Steinarten uͤberhaupt eröffne, ehe ich zu 
der Eintheilung der obgenannten insbeſondere ſchreite. 
Wir mögen alle Foßilien, die man nur in unſern 
Welttheilen irgend entdeckt, ſo genau betrachten, als 
wir wollen, ſo laͤßt ſich doch an allen von folgenden 


2. Haupfeigenfchaften bemerken. Hiernaͤchſt find fie nem⸗ 


lich — ſolche, die, 
1.) Entweder nur in ihrer ganzen Maſſe einerley 
Gattung einfacher “) Steinarten enthalten, daher das 


*) Einfach: aber nicht in dem Sinn genommen, wie Herr 
Haidinger es annimmt; denn iu dieſem iſt es ein Unding. Er 
ſagt: (Syſtemat. Eintheil. der Gebirgsarten. Wien 1786. gleich 
vorne in der Einleitung): „Die Steinarten, aus denen die Ge⸗ 
„birge entſtehen, find entweder ihrer Zuſammenſetzung nach ganz 
„ leichfoͤrmig, das iſt, der ze Stoff des Geſteins iſt eine 
„der einfachen Erden, wie 3. Beyſp. Kalchgebirge aus ſchuͤp⸗ 
„pigen oder dichten Kalchſtein, aus reinem Tonſchiefer ze. oder fie 
„find gemiſcht u. ( w. „ Allein weiß denn Herr Haidinger 


ui. RE * : a 17 
Auer den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. 169 
A Auge nichts ungleichartiges mehr in ihnen wahrnemmen, 
ch der Analytiker, ohne chemiſche Hilfsmittel, Beſtand— 
theile derſelben darſtellen kann; und ſolche Foßilien 
A nenne ich mineralogiſch⸗ einfach, oder 
| 2.) Es laffen fich in einem Foßil zwey oder mehrere von 
einander verſchiedene Beſtandtheile nicht nur mit den Aus 
gen bemerken, ſondern auch durch blos mechaniſche 
Mittel ſchon von einander trennen, und dieſe find zu: 
ſammen gehaͤuft. Die Verbindung der unter einander 
vereinigten nähern Beſtandtheilen eines Foßils der er; 
ſten Art iſt eine Miſchung (Mixtio) und zu ihrer Wirk— 
lichkeit gehört eine chemiſche Verwandſchaft der Beſtand— 
theilen. Aber die Verbindung der naͤhern Beſtandtheilen 
eines Foßil's der letztern Art unter ſich, iſt eine Zus 
ſammenhaͤufung oder Gemenge (Aggregatio, accumu- 
atio). Es iſt alſo klar, daß ein großer Unterſchied uns 
ter einem Gemenge und einem Gemiſche obwaltet, und 
daß diejenigen Mineralogen, welche ihn nicht gehoͤrig in 
Acht nehmen, eine ſehr fehlerhafte Sprache reden, die 
ſie damit zu bemaͤnteln glauben, wenn ſie Herrn Wer— 
ners, und anderer Praͤziſion im Ausdruck fuͤr Mikrologie 
erklären. An ihren Fruͤchten find fie zu erkennen. 

Mit den Erd⸗ und Steinarten hat es noch eine ganz 
eigene Bewandtniß. Es giebt manche darunter, die nur 
unbetraͤchtliche Theile unſers feſten Erdkoͤrpers ausma— 

chen, ohne ganze Lagerſtaͤdte zu bilden, und in ſo 
fern ſie nur einfach ſind, ſind ſie der Gegenſtand der 
Oriktognoſie, die von den mehreſten (ſchlechthin) Mi— 
neralogie genannt wird, und dtieſe allein giebt ſich mit 
ihrer Klaßifizierung ab. Andere hingegen machen auch 


nicht, daß in beyden Arten des Kalkſteins außer der Kalcherde 
noch Luftſaͤure und Cryſtalliſations⸗Waſſer, oder in dem reinſten 
5 Tonſchiefer, Kieſelerde mit reiner Tonerde, ja ſelbſt wohl mit 
Bitterſalz und ein wenig Eiſenerde gemiſcht If? 


N 


170 D. L. Guſt. Karſten / gekrönte Preisſchrift 


ganze Lagerſtaͤtte einzelner Berge, oder gar ganzer Ge— 

birge aus. Begreifen die Namen der Foßilien dieſer Art 
nur ſolche, die einfach, alſo kein Gemenge ſind, ſo 
muͤſſen felbige ihrer Natur nach auf zweyfache Art klaßi⸗ 

fiziert werden; einmal, nemlich von den Oriktognoſten⸗ 

Mineralogen in mehrerem Verſtande; und zweytens von 

den Geognoſten — Gebirgskundigen. Werden hingegen 

ſchon Gemenge darunter verſtanden, fo find ihre näs 

hern Beſtandtheile, — die einfachen Gattungen nemlich, 

welche zuſammen genommen das Gemenge ausmachen, 

ſchon ein Gegenſtand der Oriktognoſie, fie ſelbſt aber 

bleiben blos den Geognoſten unterworfen. 

Da der Oriktognoſt ſich blos mit mineralogiſch⸗einfa⸗ 
chen Foßilien ahgiebt, fo koͤnnen nur die chemiſchen Be 
ſtandtheile ſeine Wegweiſer ſeyn, wornach er die Foßi⸗ 
lien in Klaſſen, (Claſſes) Ordnungen, (Ordines) *) Fa⸗ 
milien (Familias) und Gattungen (Genera) eintheilen ſoll. 
Die fernere Eintheilung in Arten und Abaͤnderungen 
werden durch aͤußere Kennzeichen beſtimmt; und auch 
hier ſollte man Herrn Werners feſtgeſetzte Annahme be⸗ 
folgen, daß man Foßilien von einerley Gattung — (die 
alſo einerley chemiſche Beſtandtheile haben), nur denn in 
mehrere Arten theilen ſoll, wenn es ſolche unter ihnen 
giebt, die in mehr als drey aͤußerlichen Kennzeichen 
von einander abweichen. Nur durch ſolche genaue Be⸗ 
ſtimmungen laͤßt ſich das Willkuͤrliche und Schwanken⸗ 
de des groͤßten Theils der heutigen Oriktognoſten, 
vermeiden. 

Anders verhaͤlt es ſich mit dem Gebirgskundigen; er 
bekuͤmmert ſich nur um die Beſtandtheile der gemengten 
Foßilien; und auch nur in ſo fern „als die Verſchieden⸗ 
heit der Lagerſtaͤtten der Gebirge ihn dazu auffordert — 


*) Dieſe Abtheilung ſcheint, jedoch nicht durchgehends nothwendig b 
zu ſeyn, die andern drey ſind es hingegen beſtaͤndig. 


über den Tonſchiefer, Hornfchiefer ꝛe. 171 


wenn er ein guter Gebirgskundiger iſt. Weder bey den 
Haupteintheilungen, noch bey Betrachtung der Gattun— 
gen, darf er Aufſchluͤſſe der chemiſchen Zergliederer er— 
warten. Bey jenen muß ihm die Natur im Großen, 
bey dieſen ihre Theile an die Hand gehen. Den Beweis 
dieſes Satzes wird jeder finden koͤnnen, der auch nur 
wenig Beobachtungen im Innern der Gebirge anzuſtellen 
thaͤtige Gelegenheit gehabt hat. Ein ſolcher wird mir 
zugeben, daß das Verhalten der verſchiedenen Lagerſtaͤtte 
ſich nicht daran kehrt, ob das Foßil, woraus ſie befte; 
hen, einfach, oder ob es gemengt ſey. 


— 


Ich kann daher Herr Zaidingers ) Haupteintheilung 


nicht beytreten, da ſie von einem falſchen Geſichtspunkte 
ausgeht; und das iſt in der That um ſo mehr zu ver— 
wundern, weil er ſich an einer andern Stelle ) ziem— 
lich richtig über den Unterſchied feiner oriktognoſtiſchen 
und geognoſtiſchen Klaßifizierung erklaͤrt, und Lage 
im Verhaͤltniß mit den anliegenden Gebirgsarten, 
Entſtehung und wahrſcheinliches Alter bey letzterer 
empfiehlt. 

Daß die Ruͤckſicht, welche einige bey den Gattungen 
der gemengten Gebirgsarten auf ihre chimiſchen Beſtand— 
theile nehmen, ganz zweckwidrig ſeye, laßt ſich ebens 
falls ſehr leicht darthun, ſo fern dieſe nemlich zu chimi— 
ſchen Analyſierungen gemengter Foßilien auffordert; 
denn ein Foßilg das z. B. aus drey einfachen Foßſlien 
gemengt iſt, bleibt immer daſſelbe, (als Gattung betrach— 
tet, und nicht als Abänderung) einer feiner Beſtand-. 
theile mag mit den andern beyden zu gleichen Theilen, 
oder drey, vier, fuͤnf ꝛc. mal haͤufiger darinne ſeyn, als 


die beyden andern, die ebenfalls wieder zu gleichen oder 


) An angefuͤhrtem Orte, S. 2. 


17) A. A. 3. S. 3. 4. 


2 


72 D. L. Guſt.Karſten, gekrönte Preisſchrift 


ſehr ungleichen Verhaͤltniſſen mit einander verbunden ſeyn 
koͤnnen; wann ſich ſonſt in den Lagerſtaͤtten, ſelbſt in 
Ruͤckſicht ihrer Lage, der Merkmale ihres Urſprungs und 
Alters nichts aͤndert; ſo bleibt Granit immer Granit, er 
mag Glimmer, Feldſpat und Quarz zu gleichen Theilen 
haben, oder der Glimmer mag 6. mal haͤufiger darinne 
ſeyn, als Quarz und Feldſpat zuſammen genommen, 
oder der Quarz mag 6. mal haͤufiger ſeyn, als der 
Glimmer und Feldſpat ꝛc. Bey chemiſcher Unterſuchung 
eines Stucks Granits der letztern Abaͤnderung aber, wird 
man offenbar, wenigſtens 6. mal mehr Kieſelerde er⸗ 
halten, als bey einer mit Stuͤcken beyder erſten Abaͤn⸗ 
derungen; denn die Beſtandtheile des Ganzen muͤſſen doch 
wohl der Summe der Beſtandtheilen der Theilen gleich 
ſeyn? Und wer hiernach klaßifizieren wollte, wurde alle 
3. Abaͤnderungen zu 3. beſondern Gattungen zu machen 
genoͤthiget ſeyn, gleichwohl haͤlt kein vernuͤnftiger Mine⸗ 
ralog ſelbige im Weſentlichen fuͤr verſchieden. Und ver⸗ 
folgen wir dieſes nur einen Schritt weiter, ſo iſt klar, 
daß, wer die Gattungen der Gebirgsarten nach chemi⸗ 
ſcher Analyſie beſtimmen wollte, aus jedem Individuo 
eine beſondere Gattung machen muͤßte, da ſchlechter⸗ 
dings kein einziger gemengter Stein mit einem andern 
völlig in dem Verhaͤltniß der Beſtandtheile des Gemenges 
uͤbereinkoͤmmt, es alſo doch nie nach den Chimiſchen ein; 
theilen kann, da dieſe von jenen abhaͤngen. Nun darf ich 
doch wohl hoffentlich jedem Leſer den Schluß auf die 
Zweckwidrigkeit einer ſolchen Klaßifikation uͤberlaſſen, 
die uns noͤthigt jedes Individuum zu analyſieren, wenn 
jedes eine eigene Gattung iſt. 

Dem bisher vorgetragenen iſt es alſo ganz gemaͤß, 


wenn die Oriktognoſten und Geognoſten zwey ganz ver- 


ſchiedene Wege einſchlagen; jener, den der Bunſt vereint MH 
mit dem der Natur, und dieſer den letzten allein, nem⸗ 


* 


uͤber den Tonſchiefer, Hornſchiefer ie. 173 


lich den Weg der Natur. Und es iſt daher nur ein Schein, 

widerſpruch, wenn die, Geognoſie Foßilien unter einer; 
ley Gattung begreift, die die Oriktognoſie von einander 
abſoͤndert / wie aus dem folgenden noch deutlicher erhel⸗ 
len wird. Dem, der beyder Zweck kennt, ſchwindet 
auch jeglicher Gedanke des Widerſpruchs hierdey. Aber 
er weiß auch, daß der Geognoſt ſich auf Oriktognoſie 

fügen muß, wenn er ein geſunder Gebirgskundiger 

ſeyn will. 

Dieß vorausgeſchickte wird nun hoffentlich meinen vor— 
habenden Zweck ſehr erleichtern. Denn es dient erſtlich 
die Methode zu rechtfertigen, welche ich bey Unterſuchung 
der vorgelegten Frage zum Grund legen, und uͤber wel— 
che ich mich gleich noch etwas mehr auslaſſen werde; ſo 
dann hoffe ich auch daß man dadurch in den Stand ge— 
ſetzt wird, mich leichter zu verſtehen, und meine wahre 

- Meinung zu faſſen. Ich brauche mich auch nicht mehr 
ſo ſehr bey den Kleinigkeiten aufzuhalten, und kann mich 
alſo etwas kuͤrzer faffen, als ohne ſelbige; und zuletzt 
iſt es eine unmittelbare Vorbereitung zu Beantwortung 
der Frage, die ein Theil der ganzen Aufgabe iſt: Worinn 
beſtehet die Natur unſerer 3. angefuͤhrten Foßilien, und 
wie muß nun die ihr angemeſſene Klaßifikazion derſel⸗ 
ben beſchaffen ſeyn? 

So viel kann ich ſchon vorlaͤufig ſagen, da man die 
Beſtaͤtigung in dem Einzelnen in der Folge finden wird, 
daß dieſe 3. Foßilien die 2. Eigenſchaften miteinander 
gemein haben, nach welchen ſie 

Itens. Ganze Lagerſtaͤtte, theils der Berge, theils der 
Gebirge ausmachen, und N 

ztens. Einfach im mineralogiſchen Sinn — find, weil 

die Foßilien, die man nicht ſelten in ihnen eingemengt 
findet, nicht zu ihrem Weſen gehoͤren, ſondern ganz zu— 

fähig in dieſer Ruͤckſicht find, 


. 
FR 


174 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchriſt 


Hieraus entſpringen, (wenn ich bey jedem . ge⸗ 
zeigt haben, welches das wahre Foßil dieſes Namens 
unter den fo mannigfaltig angeführten Falſchen ſey) / 
die zwo Pflichten fuͤr mich, jedes dieſer Foßilien erſt 
oriktognoſtiſch, denn aber geognoſtiſch zu betrachten. 

Daß ich, was die Driftognofie betrift, Hen. Werners 
ſchon als vortreflich anerkannte Methode befolgen werde, 
bedarf wohl erſt keiner Erwaͤhnung; allein auch da, wo 
es auf Gebirgskunde ankoͤmmt, werde ich die Hauptein—⸗ 
theilung befolgen, welche dieſer große Gelehrte in ſeiner, 
in dieſen Jahren bekannt gemachten Abhandlung uͤber 
die Gebirgsarten ) zum Grunde gelegt hat. Ich theile 
daher mit Hrn. Werner alle bekannte Gebirgsarten in 4. 
Klaſſen, in Uranfaͤngliche, Floͤz, Vulkaniſche, und auf⸗ 8 
geſchwemmte Gebirgsarten, nachdem die Gebirge, in des 
nen ſie brechen, die Merkmale der aͤlteſten Entſtehung, 
einer juͤngern auf naſſen Wege, der auf trockenen We⸗ 
ge / und der juͤngſten aus naſſen Wege, an ſich haben. 
Ich befolge dieſe Eintheilung um ſo lieber, da ich nicht 
nur das Anſehen zwey *) unſerer größten Mineralogen 
vor mir habe, ſondern meiner Meinüng nach hat auch 


* Kurze Klaßification und Beſchreibung der verſchiedenen Gebirgs⸗ 
arten von A. G. Werner, Dresden, 1787. Jeder patriotiſche 
Liebhaber der Wiſſenſchaft wuͤnſcht Herrn Werner hinlaͤnglich 
Muße zu einer baldigen vollſtaͤndig ausfuͤhrlichen Egoanofie, die 
wir aͤußerſt bedürfen. 


*) Auch Herr Voigt in Weimar tritt in der Hauptſache dieſer 
Eintheilung bey, wie man fich aus feinen 3. Briefen über die 
Gebirgslehre, (Weimar 1788; es it die zte Auflage) in dt; 
ren eine Gedraͤngtheit im Ausdruck herrſcht, der fich wenige un⸗ 
ſerer gleichzeitigen mineralogiſchen Schriftſtellern ruͤhmen koͤnnen, 


überzeugen kann. Er rechnet zwar die aufgeſchwemmten Ge⸗ 


birgsarten mit zu den Floͤzgebuͤrgen; allein der Unterſchied die⸗ 

fer beyden Gebirge iſt auch in ver That oft ſo unmerklich, daß 

ich faſt geneigt waͤre, ihm hierinn zu folgen. 4 5 
0 5 


* 


über den Tonſchiefer/ Hornſchiefer ꝛc. 175 


dieſe Eintheilung am wenigſten Gewagtes; Herr Zai⸗ 
dingers Eintheilung hat im Gegentheile deſto mehr Ge 
wagtes, er haͤlt Granit fuͤr das Grundgebirge aller 
übrigen „und traͤgt dieſe Meinung viel zu entſchieden 
vor, wann er ſagt: Haller, von Born, Ferber, Char⸗ 
pentier, Pallas, Tilas bekraͤftigen es, und mehrere 
andere ). Pallas fand gerade das Gegentheil. Nach 

feinen Beobachtungen) war auf dem Altaiſchen Gebirge, 
bey dem Dorf Schemanaicha, Granit auf Tonfchiefer 
aufgefegt: Und doch hat Herr Zaidinger nirgends ges 
gen die Aechtheit dieſer Beobachtung was eingewendt. 
Diejenige Art des Granits, welchel ſtatt des Glimmers 
Zornblende enthaͤlt, hat Herr Haidinger ebenfalls als 
Abert des Granits, der als Grundgebirgsart jeder an. 
dern Gebirgsart anzuſehen ſey, angefuͤhrt; und doch 
findet ſich, wie ſchon Herr Werner angezeigt hat, an 
mehrern Orten des ſaͤchſiſchen Erzgebirges dieſer Gra— 
nit auf Tonſchiefer, Glimmerſchiefer, Gneiß ꝛc. auf 
geſetzt. Auch eigene Betrachtungen haben mich von die— 
fer Wahrheit, beſonders zwiſchen Meiſſen und Freyberg, 
uͤberzeugt, wo man dieſes in großen Strecken beobach— 

ten kann. 


Wir wollen nun von dem Allgemeinen zum Beſondern 

ſchreiten, und in dreyen Abſchnitten die drey kritiſchen 
Foßilien ſo behandlen, als ich glaube, daß man es 
thun muß, um der Aufgabe, wo moͤglich, ein Genuͤ— 
gen zu leiſten. Der Tonſchiefer fol den Anfang ma⸗ 
chen, ihm wird der Zornſchiefer und zuletzt die Was 
ke folgen. 


W.) A. d. O. S. 7. 


**) Pallas Reiſe durch ve rſchiedene Provinzen des Roͤm. Reichs, 
2. N 2. B. S. 317. 520. 


4 
176 D D. L. Guſt. Karſten, n a 


Iſter Ab chunt. 
Vom Thonſchiefer. 


en 
| Oogleich der Thonfchiefer (Argilla- Schiftus Wern. ) eine 
der gemeinſten Steinarten iſt, fo iſt es ihm doch wie meh— 
rern feiner Bruͤder darinn ergangen, daß er vielfaͤltig 
verkannt, ſonderbar abgetheilt und aus bloß zufaͤlligen 
Urfachen verſchiedentlich benannt if, Herr Wallerius 
nennt dieſe Gattung uͤberhaupt Schiefer (Schiſti, Lapides 
Fiſſiles) und theilt ſelbige in Io. Arten ein.) Was dieſe 
Nennung uͤberhaupt anbetrift, ſo iſt ſie zu unbeſtimmt, 
indem ſie nur eine gewiſſe Art des breitblaͤttrigen Bruchs 
anzeigte, der mehrern Foßilien von ſehr verſchiedenen Bez 
ſtandtheilen zukommt. Daher entſtehen dann auch die Fehr 
ler, daß ſolche ſehr von einander verſchiedene Foßilien als 
Arten von viererley Gattung betrachtet worden. 

Herrn Wallerius Eintheilung in Io, Arten iſt ganz un⸗ 
brauchbar, denn dieſe ſind alle von der Beſchaffenheit, 
daß man ſelbige entweder als bloſſe Abaͤnderungen, eis 
nerley Gattung und Art betrachten muß ), oder fie find 
in den Beſtandtheilen fo verſchieden, daß fie nach heu⸗ 
tigen Claßifications-Grundſaͤtzen kaum mit dem eigentli⸗ 
chen Thonſchiefer unter einerley Familie, geſchweige 
denn unter einerley Gattung gerechnet werden fünnen, 

Walleri Thonſchiefer (Schiſtus menſalis, Spec. 156. ); 
Dachſchiefer (Ardeſia tegularis, Sp. 157.); Fetter Schie⸗ 
fer (Sch. pinguis, Sp. 189.); Weicher Schiefer (Sch. fra. 
gilis, Sp. 160.); Grober Schiefer (Sch. durus, Sp. 161.) 

bewei⸗ 


* 


) Syftema mineralogicum à Jo. G. Wallerius, T. 1 pag. 329. 
** Man erinnere ſich hiebey deſſen, was ich oben uͤber die ion 
. der Arten in der Oriſtognoſie geſagt habe. 


- 
7 


\ 


über den Thonſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. 177 


beweiſen den erſten. Sein Probierſtein (Lapis Lõydius, 
Sp. 157.) Wetzſtein (Coticula, Sp. 158.); Die ſchwarze 
Kreide (Schiftus Nigrica, Sp. 162,); und der Bohlſtein 
(Sch. Carbonarius, Sp. 163.) 


Die Namen Tafel- und Dachſchiefer ſind bloß von dem 
Gebrauch einiger Abaͤnderungen hergenommen. Und der 
letztere iſt um fo uͤbler angebracht, da mau auch zuweilen 
den Glimmerſchiefer (der aus Glimmer und Quarz in 
ſchiefrigem Gemenge beſteht) wenn er ſich gut ſpaltet, hie 
oder da dazu braucht. Und das mochte auch wol Hrn. 
Waller veranlaffen, Kronſtedts Saxum compofitum mica 
quarzo, & forſan argilla martiali Y, welches ſchlechterdings 
nicht zum reinen Thonſchiefer ( und ein folcher muß der 
wahre Dachſchiefer ſeyn) gerechnet werden darf, hiebey 
aufzuführen. Die Namen fetter, weicher und grober 
Schiefer ſind bloß von den aͤuſſern Kennzeichen des An— 
fuͤhlens, der Haͤrte und des Bruchs hergenommen, die 
keine beſondere Art beſtimmen koͤnnen, da ſie nur einzeln 
darzu veranlaßt haben. Bey der in der Folge zugeben— 
den aͤuſſeren Beſchreibung des Thonſchiefers wird man 
auch ſehen, daß dieſe voͤllig darin enthalten ſind. N 

Der Probierſtein gehoͤrt nicht zu dieſer Gattung, wie 
ich mich bemuͤhen werde im folgenden Abſchnitt darzu⸗ 
thun, wo ich auch beſtimmter von ſeinem Platze in einem 
oriktognoſtiſchen Syſteme reden kann. 

Sein Wetzſtein ſcheint nicht der wahre zu ſeyn, wel— 
chen man aus der Levante erhaͤlt, ſondern theils zu dem 


Probierſtein, theils zu dem Tafelſchiefer zu rechnen und 


bloß in Ruͤckſicht des Gebrauchs, der mit dem des eis 
gentlichen Wetzſteins — den Wall. weiter vorne unter 
den Sandſteinen anfuͤhrt — uͤbereinkommt — dieſen Nas 


) Wallerins a. a. O. S. 352. 
Magaz. f. d. Naturk. Belvetiens III. B. M 


N 
ge 


4 


* 


. 


178 D. L. Guſt. Karſten, gekrönte Preisſchrift 


men von Arbeitsleuten erhalten zu haben, und deswegen 
beſonders mit aufgefuͤhrt zu ſeyn. 

Die Schwarze Kreide, welche auch ſonſt unter dem 

Namen Zeichenſchiefer vorkommt, iſt zwar noch nicht hin⸗ 
laͤnglich genau unterſucht, allein ihr Aeuſſeres verraͤth ſchon 
zu ſehr das Daſeyn anderer Beſtandtheile, als der wah— 
re Thonſchiefer enthalt, z. B. das Brennbare ꝛc. ꝛc. als 
daß ſie in der Oriktognoſie dieſen untergeordnet werden 
koͤnnte. 
Noch weniger kann dieß der Fall mit dem Kohlſtein, 
der auch unter dem Namen Brandſchiefer bekannt iſt, 
ſeyn, da er ſchon ſo viel Erdoͤhl enthaͤlt, daß er zwiſchen 
gluͤhenden Kohlen mit einer Schwefelflamme brennet. 

Die letzte Art, die er unter den Namen Schiefer-Niere 
(Sch. reniformis, Sp. 164. *) auffuͤhrt, ſcheint eine Abaͤn⸗ 
derung des bituminoͤſen Mergelſchiefers zu ſeyn, theils 
gehoͤrt ſie wol zum Alaunſchiefer, wie die kugliche, deren 
Geburtsort Andrarum ſeyn ſoll. 

Der Hr. Geh. Oberfinanzrath Gerhard bedient ſich an | 
des allgemeinen Namens Schiefer für Thonſchiefer “). 
Es iſt fein zoſtes Geſchlecht, da er hierunter das gewoͤhn⸗ 
lich verſteht, was Waller und Werner Gattung nennen, 
daher denn Gerhards Gattung gewoͤhnlich Werners 
Art iſt. * 

Er theilt fie ““) in 6. Gattungen: den Schreibſchiefer 
(Schiſtus Scriptorius); dicker Schiefer (Sch. craflus); Roh- 
lenſchiefer (Sch. carbonarius); weichen Schiefer (Sch. 
mollis); Wuͤrfelſchiefer (Sch. Rombeus ), und Zorn⸗ 
ſchiefer (Sch. Corneus.) 

Der Schreibſchiefer (Iſte Gattung) enthaͤlt wieder den 


*) A. a O. p. 360. 

zeit) Gerhards Grundriß des Mineralſyſtems, Berl. 1786. Bepkr. 
zur Chymie und Geſchichte des Mineralreichs I. Th. S. 335. 

AR) In den angef. Beytr. von S. 335. — 345. 


über den Thonſchiefer, Hornſchiefer x. 179 


Tafel⸗ und Dachſchiefer; die 2te Gattung, den Drobiers 
ſtein, Wetzſtein, das Todt liegende und die (mansfeldi⸗ 
ſche) Oberberge; die 4te Gattung, den eigentlich weichen 
Schiefer und den Zeichenſchieſer. 

In wie fern dieſe Eintheilung mit den Grundſaͤtzen der 
Oriktognoſie uͤbereinſtimme, brauche ich nicht mehr weit— 
laͤufig zu ſagen, da man vieles davon aus der Beleuch— 
tung der Walleriſchen Eintheilung ſchon weiß, alſo nur 
wenige Bemerkungen uͤber die Abweichungen von Wal⸗ 
lerius. 

Das ſogenannte Rothe Todt-Liegende iſt dasjenige 
Geſtein, welches in den Steinkohlenwerken des Saalkrei⸗ 
ſes im Herzogthum Magdeburg ſich unter den Steinfohs 
lenfloͤtzen befindet, und die Anzeige iſt, daß in weiterer 
Tiefe, keine Kohlen mehr zu hoffen find, Es iſt ein Sands 
ſtein, der auſſer den Quarzkoͤrnern, die im thonigen 
Brandmittel liegen, noch einen gemengten Glimmer enthaͤlt; 
das Ganze hat ein ſchiefriges Anſehen, (ſo daß es leicht 
für eine Art Thonſchiefer zu halten iſt, wenn man nicht 
ſehr genau das Gemenge unterſucht) und eine rothe Farbe— 

Oberberge iſt der Trivialname, den die Bergleute auf 
Kupfer⸗Schieferfloͤtzen, der angeführten Art des Schie— 
fers an mehrern Orten zu geben pflegen. Namentlich in 
der Grafſchaft Mansfeld und Hohenſtein. 

In dem erſt neulich erſchienenen Grundriſſe des Herrn 
Gerhards iſt dieſe Eintheilung etwas abgeaͤndert *) der 
Hornſchiefer iſt hiebey mit Recht gar nicht unter den Ars 
ten des Schiefers erwaͤhnt, da der in den Beytraͤgen eine 
bloſſe Abaͤnderung des Thonſchiefers war, der jener Na 
me nicht zukommt, und der eigentliche Zornſchiefer in 
allen Faͤllen, an einen beſondern Ort e wie man in 
dem folgenden Abſchnitte ſehen wird 1 


) S. 103. daſelbſt. * 


180 D. L. Guſt. Karſten, gekrönte Preisſchrift 


N Hingegen wird hier das Wort Thonſchiefer zu ſehr 
eingeſchraͤnkt, wenn es den Schiefer bedeuten ſoll, der 
einen weiſſen Strich giebt) und denn mit dem Tafel⸗ 
ſchiefer ſynonimiſch genommen wird. Der Probierſtein 
und Brandſchiefer ſtehen noch als Arten des Schiefers 
da. Ferner findet ſich eine andere Art unter dem Namen 
Erzſchiefer. Er giebt als Karakter an, daß er ſich nicht 
in Tafeln ſpalten lieſſe; es wird alſo der damit gemeint 
ſeyn, welcher in langſplittrige Bruchſtuͤcke ſpringt, ohne 
daß die uͤbrigen aͤuſſern Kennzeichen verſchieden waͤren, 
daß er Erz⸗fuͤhrend iſt, qualificirt ihn nicht zu einer eis 
genen Art, da die Oriktognoſie hierauf gar nicht Rück 
ſicht zu nehmen, und anderer Thonſchiefer une; Eigen⸗ 
ſchaft hat. 

Mit der groͤſſeſten Verwunderung findet man den Trapp 
als eine Art des Schiefers mit angefuͤhrt, hiezu kann wol 
nichts als die Namen Schiftus trapezius, oder Saxum tra- 
pezum Anlaß gegeben haben, worunter im erſten Falle 
der ſogenannte Wuͤrfelſchiefer, im letztern aber freylich die 
eigentliche Trapp verſtanden zu werden pfleget, deſſen 
Verhalten aber viel zu weit entfernt iſt von dem des Thon— 
ſchiefers, als daß er mit hierzu gerechnet werden duͤrfte. 
Sindeffen mag Herr Gerhard vielleicht des Wallerius 
Corneus trapezius (Sp. 172.) der bey dieſen jedoch unter 
den Hornſteinarten ſtehet “) auf dieſe Idee gebracht has 
ben. Auf ähnliche Art iſt fein Schieferfelsſtein * (Sa- 
xum Schiftofum mica mixtum [ adgregatum ]) nicht hierzu, 
ſondern zu der Gebirgsart zu rechnen, die den Glimmer⸗ 
ſchiefer fuͤhrt, wie ſchon die lateiniſche Benennung des 
Herrn Verfaſſers erlaͤutert. 

Bey Herrn Fibig iſt die Eintheilung des Schiefers der 


) A. a. O. S. 103. 
*) Wall. Syſtem. T. I. p. 375. 
*) Gerhards Gruͤnde. S. 147. 


über den Thonſchiefer, Hornſchiefer ie. 181 


des Hrn. Gerhards, die ich zuletzt anführte, ſehr aͤhn, 
lich.) Der Trapp, der Brandſchiefer ꝛc. find z. B. 
ebenfalls Arten deſſelben. | 

Hr. Gmelin bedient fich zwar in dem feinem Buche h 
vorgeſetzten Syſteme des Namens Thonſchiefer, bey der 
Gattung der Steine, bey denen die Alaunerde den groͤß— 
ten Antheil hat; allein in denen den 191 —207. findet 
man doch die Namen: Dachſchiefer, Tafelſchiefer, Ro⸗ 
thes Liegendes, Wuͤrfelſchiefer , Kohlenſchiefer, Brands 
ſchiefer, weiſſer Schiefer, grober Schiefer, feſter Schie— 
fer, Floͤtzerz, ſchwarze Kreide, Probierſtein, Schleif— 
ſtein und Hornſchiefer fo angebracht, daß man ſchlechter⸗ 
dings ungewiß iſt, ob Er alle davon, als Arten des 
Thonſchiefers, oder als eigene Gattungen, oder bald 
als dieſes bald als jenes betrachtet. Daß dieſe Zuſam— 
menſtellung ſehr fehlerhaft ſey, weiß man ſchon aus dem 
Vorigen, da ich es bey Eintheilung des Wallerius gezeigt 
habe, und ich will nur noch bemerken, daß Gmelins gro— 
ber Schiefer mit zu Gerhards Erzſchiefer, fein feſter 
Schiefer zum Zornſchiefer und fein Slögerz zu des Wol⸗ 
lertus Schieferniere zu rechnen iſt. 

Auch in Herrn Rirwans Mineralogie findet man von 
Thonſchiefer wenig Beſtimmtes, wenn man es nicht ſehr 
aͤngſtlich herausſucht, fo viel laͤßt fich indeſſen erſehen, daß 
die öte Gattung feines Thongeſchlechts, welche er Dach— 
ſchiefer *) nennet, mit dem wahren Thonſchiefer übers 
einkommt, denn er theilt ihn in folgende 4 Arten“) ein. 


Blaulicher Purpurſchiefer, Blaſſer ſchwachpurpurfar⸗ 


) Joh. Fibigs Handb. der Mineralogie, Frankfurt am Mayn 1787. 

*) Siehe Fr. Gmelins Einl. in die Mineralogie, Nürnberg 1780. 

%) Anfangsgr. der Mineralogie von R. Kirwan. Aus dem Engl. 
überſ. Herausgegeben von D. L. Crell, Berl. 1785. 

**) Hrn. Kirw. Abaͤnderungen kommen mit Hrn. Werners und ans 
derer Arten uͤberein. 


182 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrift 


bener oder blaͤulicher Schiefer, blauer Schiefer, dun: 
felblauer Schiefer (Schiſtus Scriptorius) die groͤßtentheils 
nur in der Farbe oder einem andern aͤuſſerlichen Kennzei⸗ 
chen von einander abweichen. Zwar findet ſich noch die 
Iſte Art der gten Gattung bey ihm unter dem Namen des 
thauigten Schiefers, welchen man dem Namen nach fuͤr 
den wahren Thonfchiefer halten koͤnnte. Allein aus der Be 
ſchreibung ficht man, daß dieſer zu keiner beſondern 
Gattung gehoͤrt, da er theils zu den vorigen zu rechnen, 
theils in ſolcher, und nur mit Sand vermengt iſt, oder 
wohl gar mit Hrn. Gerhards rothem todt- liegenden — 
die Farbe ausgenommen — uͤbereinkommt. . 

Der Name Dachſchiefer iſt für die Gattung allerdings 
ſehr unſchicklich, da er eigentlich nur wenigen Abaͤnde⸗ 
rungen des Thonſchiefers zukommt, die gerade zum Des 
cken der Gebaͤuden gut zu gebrauchen ſind, wenn man 
ihn in eigentuchem Verſtande nimmt; allein Mineralogen, 
denen es gerade nicht auf richtige Beſtimmung und Bedeu— 
tung der Worte ankommt, brauchen diefen Ausdruck weis 
er fuͤr manche andere Steinart, die von Dachſchiefer ſehr 
verſchieden iſt, wie ich ſchon weiter oben des Glimmer— 
ſchiefers als eines Beyſpiels Erwaͤhnung gethan habe, das 
giebt denn zu ſolchen Veraͤnderungen und Unrichtigkeiten 
Anlaß, wovon manche mineralogiſche Schriften noch 
wimmeln, 

Unter dem kritiſchen Namen Rillas kommt in Kirwans 
Mineralogie ) noch ein Foßil vor, welches nach Hrn. 
Hawkins Nachrichten *) ein grauer Thonſchiefer iſt. 
Der Name, welchen die Kornwalliſchen Bergleute dieſer 
Steinart geben, mochte wol Hrn. K. verleiten, fie für et⸗ 
was anders als Thonſchiefer zu halten, und unter den 
Hornblenden aufzuführen, womit aber ihre Beſtandtheile 


*) S. 103. 
*) Krells Beytr. zu der chem. Annal. 1786. St. 2. f 


über den Thonſchiefer, Hornſchiefer ꝛe. 183 


— wenn man vorausſieht, daß Hr. K. etwa ein Gemen— 
ge unterſucht hat — ſeinen eigenen enen zufolge kei⸗ 
neswegs uͤbereinkommen. 

Manche erkennen den Unterſchied des Schieferthons 
(auch Kraͤuterſchiefer) vom Thonſchiefer, und Hr. Walle⸗ 
rius hat ihn doch ſchon unter dieſen Namen angeführt ) 
und recht gut beſchrieben. Daß er allerdings mit dieſen 
verwechſelt worden, davon will ich nur ein paar deutli— 
che Beyſpiele anfuͤhren. Hr. Gmelin fagt vom Thonſchie— 
fer *); ſehr oft findet man Verſteinerungen von Kraͤut ern 
und Fiſchen darinnen, und hiebey ſchließt er die Worte 
in Klammern, Arauterfihiefer, Fiſchſchiefer. Jenes iſt 
offenbar kein anderer als der Schieferthon. Freylich iſt 
es noch uͤbler, daß erifogar den bituminoͤſen Mergelſchie⸗ 
fer mit hieher rechnet, denn ſonſt wuͤßte ich nicht, was 
ſein Fiſchſchiefer ſeyn ſollte? 

So auch Hr. Ferber an einigen Stellen ſeiner Schrif— 
ten: bey Whithaven ſagt er *) ſey das Gebirge gruͤn— 
gelblichter Schiefer mit Steinkohlen. Die letztern zeigen 
aber ſchon, daß es kein anderer als Schieferthon ſeyn 
kann; an einem andern Orte ****) redet er von ſchwar— 
zem Thonſchiefer mit vielen Abdrücken auf Steinkohlen, 
welches wieder Schieferthon iſt, der aber aus ſeiner ſchwar— 
zen Farbe zu erkennen giebt, daß er ſich fhon dem Brands 
ſchiefer ſehr nähert. Und der Schieferthon ſcheint mir 
doch nicht nur ſehr leicht von jenem — ſchon dem aͤuſſeren 
nach — unterſcheiden werden zu koͤnnen, ſondern ſo viel 
wir jetzt wiſſen, verhaͤlt er ſich auch in den Beſtandthei— 
len völlig anders als der Thonſchiefer, da er hienach 


*) Syſtem mineralog. p. 47. T. I. er hat den lateiniſchen Namen 
Argilla ſiſſilis hier. a 

105 Im 192. F. feiner angefuͤhrten Mineralogie. 
) Mineralog. Reiſe durch Schottland. S. 404, 

Kun) Oriktographie von Derbiſchire. S. 23. 


a 


184 D. L. Guſt. Karſten, gekrönte Preisſchrift 


nichts als ein gemeiner Thon iſt, und daher auch unr als 
eine Art des gemeinen Thons aufgefuͤhrt zu werden ver— 
dient, nicht zu gedenken, daß er ſi m als Gebirgsart fehr 
vor jenen auszeichnet. 

Wer aus Cavallos Mineralogie Tafeln ben Thon⸗ 
ſchiefer kennen lernen wollte, wuͤrde auch ſeine Kenntniß 
uͤbel bereichern. Denn unter dieſem Namen iſt ein Foßil 
als 2te Art der sten Gattung feiner Aten Ordnung auf 
der erſten Tafel zu finden, wo der reine Glimmer als 
erſte Art darunter gerechnet worden iſt, und der Dach— 
ſchiefer macht eine eigene Gattung aus, die in 3. Arten 
eingetheilt iſt. Man hat alſo eine bloſſe Abaͤnderung zu 
einer eigenen Gattung befoͤrdert, und die Gattung, 
worunter jene Abaͤnderung gehoͤrt, zu einer Art eines 
ganz andern Soßiis erniedrigt. Dieſes kann doch ohn— 
moͤglich Nachahmung verdienen. — Derſelbe Fall findet 
ſich nur etwas anders angewandt, noch in ſehr vielen 
Grundriſſen der Mineralogie und mineralogiſchen Tafeln. 

Es mag genuͤgen, daß ich auch von der Arbeit eines 
Mannes rede, deſſen Name nie aus dem Mund eines 
Kunſtrichters geht, ohne ein groſſes Compliment uͤber feis 
ne groſſen Verdienſte für die Mineralogie zu erhalten. Hr. 
Berghauptmann von Veltheim naͤmlich ſetzt *) unter die 
fünfte Ordnung feiner zweyartigen Erden der Schwerſpat, 
Mergel und Mergelſchiefer, und den unreinen Dachſchie⸗ 
fer, und zu Beſtandtheilen giebt er Alaun, und Kalcherde 
an. Ungerechnet daß jetzt der Schwerſpat als ein Foßil 
mit einer eigenen Grunderde ) bekannt iſt, koͤnnte der 
Dachſchiefer niemals mit ihm und den beyden Steinarten 
zu einerley Ordnung gerechnet werden, da ZKiefel und 
Alaunerde feine Hauptbeſtandtheile find. Wie kann man 
ſich aber durch Hrn. von Veltheims Eintheilung belehrt 


*) Grundriß einer Mineralogie. 1781. | 
Er) Nach Scheelens wichtiger Entdeckung. 


— 


uͤber den Thonſchiefer, Hornſchiefer ꝛce. 185 


finden, wenn unter der ıflen und zten Ordnung, ſeiner 
dreyartigen Erden beydemal widerſteht, einige Schiefer, 
und bey der 4ten Ordnung es wieder heißt: die Schie- 
fer der Harzgebuͤrge; kann man wol hieraus erſehen, 
was das alles fuͤr Arten von Schiefer ſind, wie ſie ſich 
von einander unterſcheiden? ob ſie an richtigen Plaͤtzen 
geordnet find ? ꝛc. ꝛc. gehört vielmehr auch der Dachſchie⸗ 
fer nicht zu dem Schiefer der Ganggebirge ? oder kann 
Hr. von Veltheim erweiſen, daß dieſer nur in Floͤtzgebir— 
gen bricht? Schwerlich. — 

Bis jetzt hab ich faſt nichts gethan, als gezeigt, wie 
man den Thonſchiefer recht eintheilen muͤſſe, und was 
keine Thonfchiefer find. Doch verlangte dieß die Aufgabe 
fo gut), als fie nun fodert, daß ich durch eine genaue 
und richtige Beſchreibung den wahren Thonſchiefer Fennt; 
lich mache. Ich weiß nur drey mineralogiſche Schriftftel; 
ler, die den Thonſchiefer wirklich (feiner Natur nach) ken— 
nen, und es durch ihre Schriften zu erkennen geben; 
dieſe find die Herren Werner — der unter allen der erſte 
war — Leoke und Voigt. Hrn. Werners aͤuſſere Beſchrei— 
bung *) davon, lege ich zum Grunde, und ich müßte nicht 
was ich weiter thun koͤnnte, als ſie an wenigen Stellen 
ergänzen. Die Angabe der Geburtsoͤrter wird dann fols 
gen, wenn ich ihn werde geognoſtiſch betrachtet haben, 
weil ſonſt Wiederholungen unvermeidenlich ſeyn wuͤrden, 
die immer unangenehm ſind, und nur uͤble Weitſchweifig⸗ 
keit veranlaſſen. 

Man findet ihn gewohnlich von einer graͤulich— 
ſchwarzen-ſchwaͤrzlichen⸗gruͤnlichsblaͤulich⸗ 
und roͤthlich-grauen und feltener von einer dunkel- 
karmeſtnrothen Farbe“). Ziemlich ſelten kommt er 
) Kronſtedts Mineralog. überf. v. Werner, Leipz. 1780. S. 203. 204. 


*) Es verficht ſich, daß Hrn. Werners Abhandl. über die aͤuſſerli⸗ 
chen Kennzeichen der Foßilien, Leipzig 1774., hier porausgeſetzt iſt, 


186 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrift 


mit runden oder laͤnglichen Flecken von einer dunkeln 
Farbe vor, von denen es mir aber noch zweifelhaft iſt, 
ob ſie wirklich zu dieſem Foßile zu rechnen ſind, oder aus 
etwas fremdartigen ihm beygemengten beſtehen. 

Er wird derb und eingeſprengt gefunden; auch in Ge— 
ſchieben. 

Sein aͤuſſerer Glanz iſt zufaͤllig. 

Inwendig iſt er bisweilen wenig glaͤnzend, am gewoͤhn⸗ 
lichſten ſchimmernd und ſeltener matt, uͤbrigens von 
einem gemeinen Glanz, der zuweilen etwas ſeidenartig 
ausfaͤllt, und ſich nicht ſelten dem metalliſchen ſehr naͤhert. 

Im Bruche iſt er am gewoͤhnlichſten gerade, oft auch 
krumm und wellenfoͤrmig, ſchiefrig; einige Ab⸗ 
aͤnderungen naͤheren ſich doch mehr oder weniger dem 
Dichten, andere dem Blaͤttrigen. 

Seine Bruchſtuͤcke find mehrentheils ſcheibenfoͤr— 
mig, ſeltener lang -ſplitterig, eben fo ſelten trapezoi⸗ 
diſch und am ſeltenſten rautenfoͤrmig. 

Er zeigt, jedoch ſehr ſelten, grobkoͤrnige, . 
derte Stuͤcke, die gewoͤhnlich etwas undeutlich ſind. 
Er iſt weich, doch ſo, daß ſich einige Abaͤnderungen 
der halbharten, andere den ſehr weichen naͤhern. 

Giebt einen blaßgraͤulich-weiſſen, zuweilen licht⸗ 
grauen Strich. 

Fuͤhlt ſich nicht ſonderlich kalt und ſelten e fe t⸗ 
tig an, und iſt nicht ſonderlich ſchwec. 

Der Thonſchiefer mit runden Flecken, führt den Tri— 
vial- Namen Gukukſtein, der mit laͤnglichten hingegen 
Rockenſtein, auch wol Fruoͤchtſtein. 

Zu dem karmeſinrothen Thonſchiefer gehoͤrt Kirwans 
Purpurſch hiefer und ſchwach⸗purpurfarbener Schiefer. 

Der mit gradfchiefrigem Bruch wird als Tafel z und 


denn ein fo klaßiſches Buch wird doch wol ein jeder Mineralog ge 
leſen haben. 


über den Thonſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. 187 


Dachſchiefer benutzt, und hieher gehoͤrt alſo Kirwans 
blauer und dunkelblauer Schiefer, ſo wie Wallers und 
Gmelins ꝛc. ꝛc. Dach- und Tafelſchiefer, auch Hrn. Ger⸗ 
hards Schreibſchiefer. Dieſer gradfchiefrige pflegt auch 
zugleich in ſcheibenfoͤrmige Bruchſtuͤcke zu ſpringen, die 
ihn eben zu dem genannten Gebrauch geſchickt machen. 

Zu dem mit einem mehrblaͤttrigem Bruch, welcher ge— 
wohnlich anbey weniger Härte beſitzt, und ſich zuweilen 
ein wenig fettig anfuͤhlen laͤßt, gehoͤrt der fette und wei— 
che Schiefer der Hrrn. Waller, Gerhard, Gmelin ꝛc. 

Der mit rautenfoͤmigen und trapezoidiſchen Bruchſtuͤcken 
iſt Gerhards Wuͤrfelſchiefer. 

Zu dem mit mehr dichten Bruche, welcher zugleich ei— 
nen groͤſſern Grad von Haͤrte beſitzt, gehoͤrt Wallers 
und Gmelins grober Schiefer, des letztern feſter Schie⸗ 
fer, Gerhards dicker Schiefer und auch hoͤchſtwahrſchein, 
lich ſein Erzſchiefer. 

Man ſi ieht alſo, daß die Arten von wirklichem Thon 
ſchiefer, welche die Mineralogen nennen, alle zu der jetzt 
beygebrachten Beſchreibung paſſen, über die von den übris 
gen mit Unrecht mit dazu gerechneten Steinarten, habe 
ich ſchon oben das Noͤthige geſagt; dieß muß alſo eine 
richtige aͤuſſere Beſchreibung des wahren Thonſchie⸗ 
fers ſeyn. 

Eine recht zuverlaͤßige chemiſche untersuchung fehlt 
uns freylich noch daruͤber, indeſſen muͤſſen wir uns ſchon 
mit Hrn. Kirwans Zerlegung begnügen. Er fand in 
100, Theilen feines Purpurſchiefers ) 46. Theile Kieſel— 
26. Th. Alaunerde (reine Thonerde) 8. Th. Bitterſalzerde, 

4. Th. Kalkerde und 14. Th. Eiſen. 


Da dieſe Abaͤnderung des Thonſchiefers ziemlich rein 
vorzukommen pflegt, ſo iſt es vielleicht zu erwarten, daß 


*) Kirwan Mineralogie, S. 97. 


188 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrift 


fernere Verſuche dieſe Angabe der Beſtandtheile beſtaͤtigen. 
Und das Eiſen ſcheint etwas reichlich angegeben zu ſeyn, 
indeſſen kann dieſer rothe vielleicht mehr davon nn 
als die andern Abaͤnderungen. 

Wer die Foßilien genau nach ihren vorwaltenden Be⸗ 
ſtandtheilen ordnen wollte, würde dem Thonſchiefer alſo 
einen Platz unter den Kiefelarten anweiſen. Da er aber 
im aͤuſſerlichen ſehr mit den Foßilien uͤbereinkommt, die 
die reine Thonerde (Argilla pura Bergmanni, oder wie fie 
gewoͤhnlich genannt wird, Alaunerde) karakteriſirt, und 
letztere mit einer ſeiner Hauptbeſtandtheilen iſt, ſo fuͤhret 
ihn Herr Werner und mehrere Mineralogen unter den 
Thonarten auf. 

Daß der Thouſchiefer zuweilen mit andern Foßilien g. ge⸗ 
mengt vorkommt, iſt gewiß, beſonders mit Quarz und 
auch wohl mit Glimmer; dieß berechtigt uns aber deswe⸗ 
gen nicht mit Hrn. Haidinger zwey Arten deſſelben her; 
auszuzwingen; deun dieſe beygemengten Foßilien ſind ja 
bloß zufaͤllig und gehoͤren ſo wenig zum Weſen des Thon⸗ 
ſchiefers, als der Degen zum Weſen des Bergmanns: 
Hr. Haidinger ſieht dieß auch recht gut ein, und gleich⸗ 
wol beſtimmt er feine 2. Arten folgender Geſtalten “): 

1. Thonſchiefer mit Glimmer gemiſcht. 

2. Reiner Thonſchiefer, bey dem manchmal Quarz in 
Lagen durchſaͤet. 

Wann Hr. Saidinger mir jemals darthun kann, daß 
in irgend einem Welttheile, ja felbfti auf irgend einem Plas 
neten, irgend eines Sonnenſyſtems Thonſchiefer mit Glim⸗ 
mer vermiſcht vorkommt, ſo erkenne ich ihn für den Meis 
ſter der ganzen Wiſſenſchaft, und ich will jedermann ra⸗ 
then, in dieſem Falle Reſpekt fuͤr dieſe Eintheilung zu ha⸗ 
ben. Allein ſo lange es noch eine Chemie geben wird, 


*) Syſtemat. Eintheil. S. 29. 


über den Thonſchiefer, Hornſchiefer ꝛe. 189 


deren Grundſaͤtzen es geradezu widerſpricht, daß ein 
ſchon fo zuſammengeſetzter Koͤrper als der Glimmer ift, 
mit einem andern aͤhnlicher Art, als ſolcher, gemiſcht 
ſeyn koͤnnte, ſo lange werde ich noch ganz daran zwei— 
feln, und vielmehr glauben, daß eine bloſſe Verwechſe— 
lung des Gemengten und Gemiſchten hieran Schuld ſeye, 
da Glimmer allerdings dem Thonſchiefer zuweilen beyge— 
menat iſt. Daß Hr. Saidinger hierin fo ſehr fehlte, 
wird jeden um ſo mehr wundern, der aufmerkſam genug 
geweſen iſt, den für Hrn. Haidinger ſehr vortheilhaften 
Unterſchied zu bemerken, welcher zwiſchen ihm und den 
gleichzeitigen Mineralogen feines Vaterlands obwaltet: 
Und doch verfällt er noch gar zu haufig in ſolche mineralogis 
ſche Schnitzer ). Auch in Ruͤckſicht des geognoſtiſchen 
Verhaltens des Thonſchiefers herrſcht ebenfalls ein Zwie— 
ſpalt unter den Mineralogen. Manche wollen ihn nicht uns 
ter den uranfaͤnglichen Gebirgen leiden, andere nicht unter 
den Floͤtzgebirgen, und wieder andere ſprechen ihm beyder 
Bruͤderſchaft zu. Das Sonderbarſte iſt, wenn ſich bey 
dergleichen Meynung, zwey Mineralogen zu gleicher Zeit 
geradezu widerſprechen. Dieß war 1780. der Fall mit 
Hen. Gmelin und Hrn. Werner, da jener feine Mineralos 
gie, und dieſer den erſten Theil des uͤberſetzten Kronſtedt 
herausgab. Jener nämlich ſagte *): man findet ihn (den 


*) Auffallende Beweiſe, daß dieß Wahrheit ſey, finden ſich in ſeiner 
erwaͤhnten Schrift in Menge. Folgende Stellen ſtoſſen jedem ohne 
langes Suchen auf. S. 3. werden dieſe Granitart andern Stein; 
arten beygemiſcht ꝛc. Weiterhin iſt die Rede von Einmiſchung 
des Schoͤrls S. 14. bey dem sten Artickel. Dieſe beyden Arten 
haben auch manchmal Schörl mit eingemiſcht. S. 28. dem Thon⸗ 
ſchiefer Glimmer beygemifcht. S. 29. wieder ſo. S. 36. die 
Unterarten des Hornſchiefers beſtimmen die Miſchungen ſeiner 
Beſtandtheilen. (Er redet offenbar von einem gemengten Zorn 
ſchiefer). S. 37. die Beſtandtheile des Geſtellſteines. — Der 
Quarz und Glimmer namlich find bald fo eingemiſcht ꝛc. ꝛc. 

in) g. 192. feiner Mineralogie. 


190 D. L. Guſt. Karften, gekroͤnte Preisſchrift 


Thonſchiefer) nur in Floͤtzgebirgen. Hingegen dieſer „: 
„der wahre Thonſchiefer wird, fo viel mir bekannt iſt, 
„nur allein in einfachen (uranfaͤnglichen) Gebirgen ges 
„ funden, und iſt die gewoͤhnlichſte Bergart derſelben ꝛc. , 

Herr Werner konnte allerdings damals ſeine Meinung 
noch rechtfertigen, indem der Thonſchiefer, den er bes 
trachtet hatte, in der That meiſt zu den uranfaͤnglichen 
gehoͤrte, wohin beſonders der des Ober-Erz-Gebirges 
zu rechnen iſt, und er in andern Nachrichten von entferns 
ten Gegenden, oft gewiß mit vielem Recht einiches Mißs 
trauen ſetzt, da ſie ſelten mit der Genauigkeit beobachte⸗ 
ten, mit der Hr. Werner es zu thun gewohnt iſt. Jetzt 
haben wir doch einiche Schriftſteller, die ihm hierin naͤher 
kommen. 

Bey Hrn. Gmelin kann hingegen kein ſolches Mißtrauen 
ſtatt finden „ denn feine Beſtimmungen find nichts be⸗ 
ſtimmter, als die anderer Mineralogen, und daher wun⸗ 
dert es mich, daß ihn nicht wenigſtens Hrn. Charpen⸗ 
tiers Beobachtung über die Gebirge bey Schneeberg, Zo⸗ 
henſtein ꝛc. eines beſſern belehrten, wo der Thonſchiefer 
mit Gneuß und Glimmerſchiefer abwechſelt *), ohne daß 
nur eine Spur von Floͤtzgebirgen zu bemerken waͤre. 

Hr. Werner ſchlaͤgt jetzt einen etwas andern Weg ein. 
Er laͤßt jetzt Thonſchiefer in uranfaͤnglichen und Floͤtzge⸗ 
birgen gelten als uranfaͤnglicher und Floͤtzthonſchiefer “). 

Hr. Voigt hingegen behauptet noch ſetzt Hrn. Werners 
vorige Meinung. Er ſetzt den Thonſchiefer bloß unter die 
Grundgebirge; indeſſen ſiehet er doch ſelbſt die Schwie— 
rigkeiten feiner Theorie ein, denn er ſagt, ““) etwas zwei⸗ 


*) Kronſtedt, S. 204. 
dt) In feiner mineralog. Geographie, S. 288 — 292. auch 297. 
eit) In der kurzen Klaßifikation ꝛc. S. 11. 


— 


iert) In feinen 3. Briefen. S. 10. 


über den Thonſchiefer, Hornſchiefer . 15 


felhaft ſcheint dieſer, (der Thonſchiefer) einen Platz unter 
den Grundgebirgen zu behaupten. 

Die mittlere Meinung glaube ich am beßten nur durch 
folgende zwey Vorderſaͤtze vertheidigen zu koͤnnen. 


Iſtens. Iſt eine Gebirgsart ſo beſchaffen, daß in ihr 
die Merkmahle der gleichzeitigen Entſtehung mit den urz 
anfaͤnglichen Gebirgen unverkennbar ſind, ſo gehoͤrt ſie 
ſelbſt zu dieſen. 

atens. Wird fie hingegen gewiß zu den Floͤtzgebirgar⸗ 
ten gerechnet werden muͤſſen, ſo bald ſie in dergleichen 
Gebirgen die Merkmale einer entweder aus ihren gleich— 
zeitigen / oder wol noch gar fruͤhern Entſtehung trägt. 

Daß der Thonſchiefer die zu 1.) erfoderlichen Merkmale 
habe, wird niemand laugnen, der die Gebirgsarten des 
Altaiſchen Gebuͤrges, des Koͤnigreichs Ungarn, des Hund— 
ruͤcks und Weſterwalds, und des ſaͤchſiſchen Erzgebirges, 
auch der Beſchreibung nach kennt ). 


Allein auch die zu 2.) erfoderlichen Kennzeichen kann 
man an einigen andern Orten dem Thonſchiefer nicht ab— 
ſprechen, wovon ich nun gleich das Zarzgebirge, einige 
Gegenden der Schweitz und Ungarns als Beyſpiele an— 
fuͤhren will; auf dem Harze bricht, wie bekannt, der 
Thonſchiefer mit einer Geſteinart, die dort den Namen 
Grauwacke führt, welches ein wahrer Sandſtein, mit 
bald mehr kieſeliger, bald mehr thonartiger Kittmaße iſt, 
und nicht nur Schilfabdruͤcke, ſondern auch ſogar andere 
Verſteinerungen enthaͤlt. Auch iſt er dort zum Theil auf 
Kalkſtein aufgeſetzt, wenn er gleich anderwaͤrts an Gra— 
nit graͤnzt. In der Schweitz fand Gruner **) eine Stun, 
de von Meyringen an der Aar ſchwarze Dachſchiefer mit 


*) Pallas, von Born, Voigt, Charpeutiers. 
5) Die Eisgebirge des Schweitzerlands. S. 137. 


192 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchriſt 


Amonshoͤrneru. Und in Ungarn bricht unſer Foßil in den 
Steinſalzwerken bey Tordan und Marmaros ). 

Dieſe waren nun nur bloß einige karakteriſtiſche Faͤlle, 
die mich beſonders davon überzeugt haben, daß der Thon⸗ 
ſchiefer ſowol den uranfaͤnglichen, als auch den 
Floͤtz⸗ Gebirgen eigen ſey, ob ich gleich nicht laͤugnen 
kann, daß es oͤfters ſchwer fallen wuͤrde, zu beſtimmen, 
zu welcher von dieſen beyden Gebirgsklaſſen, dieſer oder 
jener Thonſchiefer gehoͤrt, da beſonders die mineralogi— 
ſchen Geographen hierauf zu wenig Ruͤckſicht in ihren 
Beſchreibungen genommen haben, daher ſie nicht ſelten 
zu einer ſolchen genauen Beſtimmung unzulaͤßig ſind. 

Ob der Thonſchiefer in der Gebirgskunde noch mehrere 
Arten habe 2 d. i. ob es Bergarten giebt, die man in 
Ruͤckſicht ihres Verhaltens, als Gebirgsarten betrachten 
muͤſſe, die dem Thonſchiefer in dieſer Abſicht untergeords 
net find? wollen wir in der Folge unterſuchen, wenn ich 
vorher die unbekannten Geburtsoͤrter des Thonſchiefers 
im ſtrengen Verſtand genauer werde angefuͤhrt haben. 

Deutſchland iſt in der That reichlich mit einer Steinart 
von der guͤtigen Hand der Natur beſchenkt worden, die 
den Menſchen, auch wenn ſie nicht Erz in ihrem Schoſſe 
aufbewahrt, oft realen Nutzen ſchaft. 

Das ſaͤchſiſche Erzgebirge halt einen nicht geringen Ans 
theil daran. Herr Ferber hat die meiſten Berge zwiſchen 
Breitenbrunn, Schwarzenberg, Johanngeorgenſtadt, 
nach Joachimsthal für Thonſchiefer und fogar über 
Bevefeld hinaus nach Gruͤnchen, Zwaniz und Stollberg 
zu, giebt es ſolcher, der zu Dachſchiefer zu gebrauchen 
iſt *). Der des vorderen und mittleren Faßenbergs zu 
Johanngeorgenſtadt, welchen er ſehr zart glimmerich bes 

ſchreibt 


„) V. Borns Briefe an Ferber. S. 137. 
5) Ferbers neue Beytraͤge. S. 39. 252, 219, 


5 * a 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛe. 193 


ſchreibt, koͤnnte vielleicht Glimmerſchiefer (Geſtellſtein) 
ſeyn. Hingegen laͤßt ſich gegen den, welchen er bey der 
Catharina-Grub zu Kaſchau erwahnt, wol kein Zweifel 
wegen feiner Aechtheit vorbringen. Um Schneeberg *) 
brechen die ſchoͤnſten Abaͤnderungen deſſelben. Von da 
zieht er ſich auf der einen Seite über Zartenſtein, Tſcho⸗ 
pau, Loͤßniz, Floͤhn und Gickelsberg) Reichenbach, 
Gersdorf bis Muͤnzig; er koͤmmt an mehrern Gegenden 
des Freyberger Gneußgebirges, das ſich ziemlich weit in 
das Gevierte erſtreckt, zum Vorſchein, z. B. bey Braͤuns⸗ 
dorf, wo auch Glimmerſchiefer und Grauwacke dabey vor⸗ 
kommt, und bey Mohorn zwiſchen Freyberg und Dress 
den, den Hr. Charpentier dort unter dem Namen Letten— 
ſchiefer angeführt hat *). Auf der andern Seite erſtreckt 
er ſich über Zirſchfeld, Brikma, Wildenfels und Zar⸗ 
tenſtein, bis an die Voigtlaͤndiſche Graͤnze, und nimmt 
einen groſſen Theil des ganzen Voigtlandes ein. Ein duns 
kelgrauer Thonfchiefer zieht ſich von Oelsmitz *) nach 
Mitternacht: Abend in die Gegend von Roͤſchau, Unter— 
maxrgrim, Oberloſa, Unterloſa, zwiſchen Tolliz und 
Kirbiz bey Planſchwiz, Nigwiz, Gritsdorf und Roͤ⸗ 
dersdorf, zwiſchen Straßberg und Plauen hin, und 
geht ſelbſt uber Plauen gegen Mitternacht herauf, bis 
in die Gegend von Pohl. Aus dem Thale der Elſter ers 
hebt ſich das Thonſchiefergebirge im Neuſtaͤdtiſchen, be— 
ſonders gegen Morgen +) und nimmt einen groſſen Theil 
des daſigen Waldreviers ein. Der Thonſchiefer von Groß 
und Klein Rammsdorf hat keine Flöge mehr unter ſich; 
ſondern fo wie man ihn trift, haben dieſe ihre völlige 
Endſchaft erreicht T). Er wird zuletzt ſehr feſt, und führe 
dann dort den (unſchicklichen) Namen Wade Ff). 

5 Se a. a. O. S. 28 dei) A. a. O. S. 8 

* .S. 308. Ey Ebner a. a. O. S. 3 


+) Voigt mineral. Reiſe durch das Herzogth. Weimar ꝛc. © er 
m) Voigt a. a. O. Charpentier. S. 37. 


Magaz. f. d. Naturk. Zelvetiens III. 5B. N 


— 
er 


194 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrift 


Den Diſtrikt des Voigtlandes abgerechnet, iſt der groͤßte 
Theil des bis jetzt angeführten Thonſchiefers zum uran⸗ 
faͤnglichen zu zaͤhlen und ſelbſt den zuletzt genannten des 
Neuſtaͤdtiſchen Kreiſes, bin ich geneigt mit Hrn. Voigt 
als uranfaͤnglich anzuſehen, da die Floͤtze, wie ich ſchon 
erwaͤhnt habe, alle auf ihn aufgeſetzt ſind; er war alſo 
ſchon in der Periode ihrer Entſtehung vorhanden. 

Bey Allendorf, unweit Schwarzburg fand Herr 
Voigt ') den Thonſchiefer in der Gegend des Sandſteins, 
Gipſes und anderer Kalkfloͤtzen. Nach ihm beſtehen hier⸗ 
aus alle Lagen in Schwarzburg, und ſo wie er nach ſei⸗ 
nen Nachrichten, bey Toͤſchniz im dichten Kalkſtein fich ſin⸗ 
den ſoll, muß ich dieſen für Floͤtz- Thonſchiefer erklaͤren, 
da hingegen die Thonſchiefer der Grafſchaft Stollberg 
wieder uranfaͤnglich zu ſeyn ſcheinen **), 

Ein groſſer Theil des Harzes beſteht aus Thonſchiefer, 
der ſich hier ſehr ergiebig erzeigt. Er macht mit der Grau⸗ 
wacke das dortige Hauptgebirge aus *). Der Andreas 
berger Bergbau wird ganz darin gefuͤhrt. Indeſſen iſt 
nicht jeder ihrer dortigen Schiefer wahrer Thonſchiefer; 
z. B. der des Rammelsbergs, welcher mit Schwefelkies 
gemengt und leicht in Brand gerathen ſoll J), daher 
man ſich mit dem Feuer ſehr dabey in Acht zu nemmen 
hat, iſt ohne Zweifel Werners Brandſchiefer ft). Ich 
wiederhole es hier, daß ich dieſes Thonſchiefergebirge zu 
den Floͤtzgebirgen rechnen muß; und wie kann man dieſes 
anders, da die Grauwacke, deren neuere Entſtehung, nach 
den ſchon oben angeführten Merkmalen gar keinem Zwei⸗ 
fel unterworfen iſt, zuweilen ohne alle Ordnung mit 


*) A. a. O. S. 20. 7 
*) Charpentier a. a. O. S. 376. Er 

*) Trobas Erfahr. über das Innere des Gebirgs. S. 69. 
) Troba a. a. O. ©. 102. 

tr) Kronſtedt durch Werner uͤberſetzt. S. 206. 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer e. 195 


dem Thonſchiefer gemengt iſt. Wer mir zum Gegenargu— 
ment die dortigen Gaͤnge anfuͤhren wollte, dem antworte 
ich, daß ſich Gaͤnge ſo gut in Floͤtz- als in uranfaͤnglichen 
Gebirgen finden, und daß es gar nicht unmoͤglich iſt 
daß wir vielleicht kuͤnftig ſelbſt in aufgeſchwemmten Ge— 
birgen dergleichen antreffen. Mir kommt es wenigſtens 
ſo vor, als wenn ich die Natur zur Vorbereitung einer ſol— 
chen Arbeit nicht ungeſchickt gefunden habe, indem ich 
auf einer kleinen mineralogiſchen Reiſe zwiſchen Halle und 
Eisleben, in einem wohl 20. Fuß maͤchtigen Lehmlager 
eine ungefaͤhr 10. Zoll weite Gaͤngkluft bemerkt habe, die 
ſo viel ich ſie verfolgen konnte, ganz durchſetzte, und bey⸗ 
nahe unter einem rechten Winkel die Lager ſchritt. — 
Laͤngſt dem Rheine finden wir eines der anſehnlichſten 
Thonſchiefergebirge, welches den Hundsruͤck, die Eifel 7 
den Weſterwald und das Hoͤhngebirge begreift. Zwiſchen 
Gberweſel und Bingen nämlich iſt das Bette des Rheins 
Thonſchiefer ) und ob er gleich hier ſo ergiebig bricht, 
und fo gut benuͤtzt wird, daß Zanau, Frankfurt, Mainz, 
Worms, Coblenz und Coͤlln damit verſorget werden, 
ſo kennt man doch hier das Wort Schiefer im geringſten 
nicht, ſondern man nennet ihn Leyenſtein daſelbſt. Im 
Heſſenrheinfelſiſchen ſteht das Grubengebaͤude Ronffans 
tius Erzluſt in Thonſchiefer. Von Mont Repos *) zieht 
er ſich uͤber den Rhein nach dem Schloß Friedrichsſtein. 
Am linken Ufer des Rheins hat Andernach und Weiß 
ſenthurm Thonſchieferfelſen *); bey Benndorf und 
Bergbau darinn verfuͤhrt, und unweit der Ems iſt der 
Limbacher Bergbau, auf Kupfer, Eiſen und Bley dar— 
in getrieben J). Endlich findet man ihn noch in der 
Strecke zwiſchen Schwalbach und Wißbaden. +) 


* Voigts mineral. Beſchreibung des Hochfafts Fulda. S. 198. 
**) Voigt a. a. O. S. 215. % Poigt a. a. O. S. 230, 326, 
» A. g. O. S. 237. 240, + A. g. O. S. 243. 


* 


196 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preioſchrift 


Es giebt noch auſſerdem manche ſchoͤne Niederlage von 
Thonſchiefer in Deutſchland, den man zu Dach- und Tas 
felſchiefer benutzt, wovon ich nur 3. Orte anfuͤhren will, 
Wuͤrzbach im Graͤfl. Reußiſchen, Lehſtein im Bayreuthi⸗ 
ſchen *) und Haßerode im Halberſtaͤdtiſchen.“) 

Auch auſſerhalb Deutſchland iſt dieß Foßil als Gebirgs⸗ 
art in den Laͤndern unſerer Nachbarn und entfernten Voͤl— 
kern zu Haufe. Den Anfang des Böͤmiſchen und Schle⸗ 
ſiſchen Thonſchiefers kann man ſchon gewiſſermaſſen in 
der Ober-Lauſitz finden. So beſtehet der Geyersberg *) 
auf dem Rengersdorfer Vorgebirge aus urſpruͤnglichem 
Thonſchiefer. Von hier zieht er ſich nach Kummersdorf 
und Ebersbach fort, bis an die Neiſſe. Auch ein Theil 
des Heidebergs ““) bey Rengersdorf beſteht aus unſerm 
Thonſchiefer, und zwiſchen Hemmersdorf und Goͤrlitz +) 
bricht er in Porphir und Hornſchiefer, deſſen naͤhere Be, 
ſtimmung in folgendem Abſchnitte erfolgen wird. Zu Joa⸗ 
chimsthal in Boͤhmen macht der Thonfchiefer die Haupt; 
gebirgsart aus +7), in obern Tiefen hat er dort mehr Fer 
ſtigkeit, als in groͤſſern, wo er blaͤttriger, thoniger und 
milder wird. Der Irrgang — ein beruͤhmter Hauptgang 
dieſes Koͤnigreichs, ſtreift ſo in dem Gebirge, daß ſein 
Liegendes Granit, ſein Hangendes aber, nach Hrn. Fer⸗ 
bers Nachricht, Thonſchiefer iſt. Ueberdies aber ſoll er 
auch im Saazer Kreiſe bey Graͤſeliz im Zeideberge , fo 
dann bey Kladrau um Pilfen und Prag vorkommen, 
an welchem Orte er anfehnlich hohe Berge ausmacht Ht}); 


) Werners Ueberſetz. Kronſtedt. S. 204. Anm. 

**) Gerhards Grundr. des Mineralſyſtems. S. 103. 

**) Leskens Reiſe durch Sachſen. S. 221. 

e Leske a. a. O. S. 232. 

) A. a. O. S. a8. 

++) Ferbers Beytrag zur Wee en von Böhmen. S. 55. 
Fit) Ferber a. a. O. S. 119. 122. 129. 


über den Touſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. 197 


allein ob jener bey Kladrau nicht vielleicht ſchon Glin;; 
merſchiefer (Geſtellſtein) ſey, moͤchte ich nicht geradezu 
laͤugnen, da Hr. Ferber ihn als quarzig und glimmerig 
zugleich beſchreibt, und noch die Gegenwart der Grana— 
ten darin erzaͤhlt, welche ſehr karakteriſtiſch für den Glim⸗ 
merſchiefer find. Auch fand er bey Kalioborzig, unweit 
Tabor grauen und blaulichen Thonfchiefer. *) 

Das Herzogthum Schleſien iſt nicht ganz von Thonfchies 
fer entbloͤßt: zu Riedelſtadt, Kupferberg und Altenberg 
kommt er als Gerhards Erzſchiefer vor ). Er macht 
mit dem Gneuß im Fuͤrſtenthum Jauer die Hauptgebirgs— 
art aus““), und zu Ziegenhals ““) ſowol, als auch in 
der Gegend von Schönau P) hat er Dachſchieferbruͤche 
veranlaßt. 

In Ungarn und Siebenbuͤrgen, wie auch in dem 
Bannat iſt der Thonſchiefer ſehr ausgebreitet. Er findet 
ſich zwiſchen Saska und Drawizza im Temeswarer 
Bannat, in Gneußgebirge * der Maria Thereſia-Gru⸗ 
be im Benediktiner Gebiet. Zu Neu Maldona macht er 
das Liegende der dortigen Gaͤnge aus, die uͤbrigens in 
Gneuß ſtreichen PT). Er erſtreckt ſich weiter von Dras 
wizza bis nach Dognozka und Bogſchan uͤber Dobra 

nach Siebenbürgen, wo er unweit Dora, Facebay, 365 
lothua und Offembanya vorkommt; an allen dieſen Orten 
iſt er urſpruͤnglich, bey Zalatha ausgenommen ). Doch 
zweifle ich faſt, daß dieſes Thonſchiefer ſey; die Queck— 
ſilber⸗Bergwerke bey Dumbrera ſollen meiſt hierin betrie⸗ 


=) A. a. O. S. 140. * 
) Gerhards Grundriß. S. 105. 

*) Abhandlung über die Produkte des Mineralr. der Koͤn. Preuß 

aaten. S. 43. N * 

***) Gerhards Grundriß. S. 107 x 
7) Ueber die Produkte der Mineral, der K. Pr. Staaten. S. 69. 
TD V. Borns Briefe, uͤber mineral. Gegenſtaͤnde. S. 31. 42. 
TH V. Borns Briefe. S. 44. 60. 94. 68. 177. 


’ 


» 


168 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrift 


ben werden, und der Beſchreibung nach hat der ſich hier 
vorgeblich findende Thonfchiefer mit dem Schiefer, der 
in Idrien fo ergiebliche Queckſilberwerke führt, viel Aehn— 
lichkeit; letzterer pflegt faſt allgemein für Thonſchiefer ges 
halten zu werden, und iſt doch vielmehr ein Brandſchie— 
fer, der ſich hier und da dem Schieferthon etwas naͤ— 
hert, fuͤr ſolchen halte ich daher auch den Schiefer bey 
Dumbrara. 

Das Krapipeler Gebirge “ beftehet aus Thonſchiefer, 
der wol uranfaͤnglich zu nennen iſt; die Stadt Karisburg 


iſt mit kleinen Bergen von Thonſchiefer und Kalkſtein um⸗ 


geben, fo wie auch bey Clauſenburg, ein höherer Berg 
bloß aus Thonſchiefer beſteht. Bey Tordan und Mar⸗ 
mars hingegen, wo die Siebenbuͤrgiſchen Salzwerke ſind, 
leidet es keinen Zweifel, daß der Thonſchiefer zu dem 
Floͤtzgebirge gehöre *). * 

Unweit Schmolniz ***) in Oberungarn beſtehen die Ge 
birge aus einem blaulichten Thonſchiefer, und der Zinno— 
ber ſoll zu Topſchau in eben der Gebirgsart brechen 5). 


Bey Schemnitz in Niederungarn liegt, gegen Norden, 


ein Huͤgel, der ganz aus Thonfchiefer beſteht +4), auf 
welchem man aber Turbiniten und Chamiten in Menge 
antrift, er kann alſo nicht fuͤglich zu dem Thonſchiefer der 
uranfänglichen Gebirge gerechnet werden. Im Roßgrun⸗ 
derthal von Schemnitz gegen Abend, findet man Eiſen⸗ 
ſteine, ja ſogar Magnete in dem daſigen Thonſchiefer, 
nach Hrn. von Borns Berichte Tt). Ich vermuthe daher, 
daß dieſer mit dem uͤbereinſtimmt, welchen Hr. Ferber 
hinter der Zedritz fand, da ebenfalls Eiſenſtein enthalten, 


) V. Born a. a. O. S. 1. 
*) V. Born a. a. O. © 
Kun) V. Born a. a O. G . 
5 Collini in feiner Reiſe. S. 4. 
1) V. Born a. a. O. S. 180 


1 * ka 1. 
142. 137. 


1m A. g. SD. S. 192. 


über den Tonſchiefer, Hornſchieſer e. 199 


und worin man verſchiedene Verſteinerungen als Ammo⸗ 
niten und dergleichen finden ſoll “). Auch dieſer wird als 
ſo zu den der Floͤtzgebirge gerechnet werden muͤſſen. So 
wie er an mehrern Orten, wo er nur eine Gebirgsart 
ausmacht, in den Gaͤngen, die darin ſtreichen, ſich eben— 
falls mit hereinzieht, ſo fand ihn auch Herr Ferber zu 
Neuſahl in Oberungarn aus Gängen. **) 

In Norwegen kommt er unter anderen zu Tolemark 
und Selka vor *), wo er mit Unrecht für Wetzſtein 
(Schiftus coticul. Wallerii) gehalten wird, auch in Schwes 
den iſt er nicht ſelten. Man findet ihn daſelbſt zu Kelter⸗ 
pet, Kinnekille, zu Stolberg, Nerike, Krußnaſelo 
in Ingermannland und Osmundsburg in Dalakar⸗ 
lien 5). 

Die Kaiſerin aller Reuſſen hat in ihrem unermeßlichen 
Gebiete wenigſtens ein ſehr weit ſich erſtreckendes Gebir—⸗ 
ge, das groͤßtentheils aus Thonfchiefer beſtehet, und dies 
iſt das Altaiſche, worauf Siberien ſtolz zu ſeyn Urſache 
hat. Hier zeigt ſich am Irrtiſch bey Semipalatnoja und 
Schulbika an der Uba bey Krasnajarskaja und dem 
Dorf Schnanoifa. Der ſteile Kosmaroja Berg ſoll aus 
grauen und braunen, die Gebirgsart bem Dorf Runas— 
koja hingegen aus roͤthlichtem Thonſchiefer beſtehen; die 
alte Kupfergrube Mußiuskaj und faſt der ganze Bergbau 
des Schlangenbergs iſt in dergleichen Gebirgsart betrie— 
ben 1). Hrn. Pallas Beſchreibung nach zu urtheilen, ſcheint 
dieſes ein groſſes uranfaͤngliches Gebirge zu ſeyn, wie 
auch ſeine groſſe Ausdehnung ſchon vermuthen laͤßt. 


25) Ferber über die Gebirge und Bergreiſe in Ungarn. 

ker) F. a. a. O. S. 11. 22 

*) Kronſtedts Mineral. durch Bruͤnnich uͤberſetzt. S. 269, 

+) Wallerii Syftema mineralog. p. 354. 355. 

tr) Pallas Reiſen durch verſchiedene Provinzen des Rußiſch. Reichs, 
2. Theil, 2. Buch. S. 500, 507. 517, 520, 530. 629. 500. 594. 


200 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrit 


In Derbiſchire in England, bricht ein ſchwarzer Thon⸗ 
ſchiefer, der zu Tafelſchiefer tauglich iſt, bey Chatestoop 
unweit Winſter “), wo er als eine 140 — 150, engliſche El⸗ 
len dicke Schicht zwiſchen Sandſtein und ſchwarzem Kalk. 
ſtein inne liegt. Jener ſowol der uͤber, als auch dieſer 
der unter ihm liegt, zeigt ihn uns als Thonſchiefer. Bey 
Sterlung ) hingegen in Schottland iſt die Gebirgsart 
ein Thonſchiefer, worin Kupferbergbau aus Gängen ger 
fuͤhrt wird. 

Wahrſcheinlich iſt es alſo uranfaͤnglicher Thonſchiefer 
daſelbſt. 5 | 

Obgleich ich nicht alles, was Hr. Ferber in feinen Brie 
fen aus Welſchland Schiefer nennet, fuͤr Thonſchiefer hal- 
ten kann), fo iſt es doch gewiß ein groſſer Theil das 
von. Die Berge hinter Genua, welche Bochetta heiſſen, 
beſtehen aus ſchwarzem Tafelſchiefer *); nicht weniger 
findet er ſich bey Lavagna ſelbſt, wo er auch den Namen 
Lavagna fuͤhrt, welcher zum Decken der Haͤuſer in Genua 
und zur innwendigen Auskaͤfelung der Ziſternen in Lucca 
gebraucht wird +). 2. Meilen von Florenz bey Bebra, 
beſteht ein ganzer Berg aus Thonſchiefer, und weiter 
nach den Apenninen zu bleibt dieſelbe Gebirgsart, nur 
daß fie in groͤſſerer Tieffe immer reiner wird +. Mit 
weiſſem Marmor findet er ſich theils vermengt, theils bes 


) Ferbers Oriktographie von Derbiſchir. S. 42. 

zen) Minerals Reife durch England und Schottland. S. 457. N 

=) Hieher gehört z. B. der Schiefer zu Hidria, worin die Queck⸗ 
ſüber⸗Erze brechen und die ich für Brandſchiefer halten muß; der 


im Vicentiniſchen und Veroneſiſchen — welcher der Beſchreibung 


nach — Glimmerſchiefer zu ſeyn ſcheint. Vielleicht iſt dieß auch 

der in der Montogenola preſſo la Villa Cetterali unweit Siena Mi ; 

dem Thale Fafcia und anderer? a 
di) Ferber Briefe im Welſchland. S. 367. 
1 Ferber a. a. O. S. 362. 388. 
I) g. a. O. S. 337. 3,2. = 


— 


uͤber den Tonſblekr, Hornſchiefer ꝛc. 


deckt bey Waasen und Prata, im Anfang der Marenna 
Saneſe, wo es nur nicht ganz einleuchtend iſt, ob er hier 
als uranfaͤnglicher oder Floͤtz-Thonſchiefer vorkommt, da 
ich nicht weiß, ob es koͤrniger oder dichter Kalkſtein iſt. 
Von dem Thonſchiefer des Unterſteyers und des Her— 
zogthum Krains in Oeſterreich ), wuͤrde ich nun zu 
einer eben ſo ausfuͤhrlichen und genauen Angabe der vers 
ſchiedenen Thonſchiefer in der Schweiz ſchreiten, als ich 
von mehrern Laͤndern mich ſchon zu geben bemuͤhet habe, 
wenn man hiervon nur viel gewiſſes wuͤßte. Unſer neue— 
ſter Mineraloge, der dieß Land bereist hat *), führt 
keinen, wenigſtens unter keinem kenntlichen Namen, 
oder einer kenntlichen Beſchreibung auf. Iſt alſo unter 
einem ſo uͤbel angebrachten, wie Quarzwacke, Schirl⸗ 


wacke ic. welcher verſteckt, fo liegt die Schuld an Hrn. 
Storr, daß ihn hier niemand heraus finden wird. Es 


bleibt mir daher blos übrig, hier den wieder anzufuͤh⸗ 
ren, welcher einer Stunde von Meiringen an der Aar mit 
Ammonshoͤrnern angetroffen wird, und die Landſchaft 
Aelen, worinn unterhalb Bex ſich ebenfalls ein guter 
Dachſchiefer finden ſoll. ““) Herr Gruner ſpricht zwar 
auch an einem andern Orte t) von einem ſchwarzen 
Schiefer, der auf dem Blattenberge im Eisthale des 


Glarnerlandes gefunden und in großen Blatten verſchickt | 


würde; allein die Inſekten und Fiſche, welche darinn 


verſteinert, ſo dann der Quarz, welcher darinn vermengt, 


und die weiſſe Kreidenerde, welche nicht weit davon ſeyn 


ſoll, kontraſtieren ſo erſtaunt gegen einander, daß ich 


mich alles Urtheils daruͤber enthalten muß; und nur in 
den Magazinen für die Naturkund. Zelvetiens hierüber 


Eroͤrterung von einem ſachverſtaͤndigen Mann erwarten 


N : 8 
2) A. a. O. S. 4. it) Herr Prof. Storr in Tuͤbingen. 


RER) Die Eisgebirge des Schweizerlandes, 1. Ch. S. 10. 180. 
+) Deſſelben Buchs 2. Th. S. 144. 


202 D. L. Guſt. Karſten, gekrönte Preisſchrift 


darf, der dieſes Raͤthſel durch eigene gehaltene Beſich⸗ 
tigung des ſtreitigen Punktens loͤſen muß. Selbſt Hr. 
von Sauffüre *) ift, fo vortreflich auch fonft feine Nach⸗ 
richten find, wenigſtens in dem erften Theile feines Werks 
zu unbeſtimmt, als daß ich hier von ihm Bemerkungen 
anführen koͤnnte, da es auf wahre Beſtimmungen ans 
koͤmmt; denn ſehr oft nennt er eine ſchiefrige Gebirgsart 
blos Ardoife, alſo kann dieſes Gneuß Glimmerſchiefer, 
Thonſchiefer, Hornblendeſchiefer, und wer weiß was, 
ſeyn, ohne daß man daruͤber naͤhere Aufſchluͤſſe bekoͤmmt. 
Wer mir nicht glauben will, der kann die Stelle, wo er 
vom Thonſchiefer ſpricht, der mit Feldſpat und Quarz 
gemengt iſt ), und andern, die dieſen aͤhnlich ſind, 
nachleſen. 

Aus dem bisher erwaͤhnten uͤber das Verhalten, und 
über die Geburtsörter des Tonſchiefers folgt alſo kuͤrzlich 
folgendes: 

Dieſes Foßil macht eine eigene Gattung der urfprüngs 
lichen Gebirgen aus; es bildet zum Theil eigene Berge, 
und findet ſich auch in den Floͤtzgebirgen nemlich auf dop⸗ 
pelte Art. Es iſt theils das Grundgebirge, auf wel⸗ 
chem die Floͤtze aufgeſetzt ſind; theils giebt er ſelbſt Floͤtz⸗ 
lager ab. Dem ungeachtet aber macht der Tonſchiefer 
ſelten oder gar nicht das karakteriſierende Floͤtz aus; 
und daher kann man ihn nicht als eine beſondere Gat⸗ 
tung det Floͤtzgebirgen betrachten; vielmehr muß er 
wohl nur den Kalk- und Sandſtein-⸗Floͤtzen als Art uns 
tergeordnet ſeyn. 

Noch iſt in Ruͤckſicht des Tonſchiefers zu bemerken, 
daß ſich in den Tonſchiefergebirgen, und zuweilen an 
feiner ſtatt, Wezſchiefer und Alaunfchiefer findet. Dieſe 


) Voyages dans les Alpes. 
*) Voyages &c. T. 1. p. 431. ’ 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. 203 


find alſo in geognoſtiſcher Ruͤckſicht als Arten des Ton; 
ſchiefers zu betrachten, wenn fie gleich in oriktognoſti— 
ſcher verſchiedene Gattungen unter einander, und von 
jenen ausmachen, ungeachtet der Alaunſchiefer auch 
wirklich durch Tonſchiefer erzeugt wird, in dem nemlich 
der Schwefelkieß, welcher ſich entweder uͤber ein ſolches 
Lager befindet, oder dermit ihm ſchon gemengt iſt, ver— 
wittert, und die Vitriolſaͤure, welche nun frey gerade an 
den reinen thonigten Gr undbeſtandtheil des Tonſchiefers 
geht, mit welchem ſie den Alaun erzeugt. Um die Sache 
alſo vermoͤglich zu erſchoͤpfen, will ich von beyden noch 
eine aͤußere Beſchreibung mittheilen, und einige Nachrich⸗ 
ten von ihren Geburtsoͤrtern beyfuͤgen. Alſo: 


A. Der Wezſchiefer. 
(Argilla coticula Werneri, Schiſtus coticula Wallerii.) 


Man trift ihn von einer gruͤnlich- grauen, 
oliven - gruͤnen, und mehr oder weniger Lauch— 
gruͤnen Farbe, ſehr ſelten buntgefleckt an. 

Er bricht derb in ganzen Lagern, innwendig iſt er ge— 
woͤhnlich ſchimmernd von gemeinem Glanze. 

Im Bruche iſt er ſchiefrig und nähert ſi ch dem 
ſplittrigen etwas. 

Er ſpringt in ſcheibenfoͤrmige Bruchſtuͤcke. 

Iſt an den Kanten mehr oder weniger 
d urchſcheinend. 

Halbhart, das oft dem harten ſehr nahe koͤmmt. 

Er giebt einen graulich weiſſen Strich. 

Haͤngt nicht an der Zunge. 

Fuͤhlt ſich ſehr wenig fett und etwas kalt an. 

Iſt nicht ſonderlich ſchwer. 

Zuweilen pflegt er auch Wezſtein genannt zu werden, 
aber nicht alles, was Wezſtein von Mineralogen und Nicht 
mineralogen genannt wird, iſt wirklich welcher, ſondern 


* 


204 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrift 


ſie pflegen gerne mancherley Steine ſo zu nennen, die 
die Eigenſchaft beſitzen, daß ſich ſtaͤhlerne Waaren darauf 
fchleifen laſſen; daher wird oft feſter Tonſchiefer und Sands 
ſteine dafuͤr ausgegeben, welches ſelbſt Wallerius thut. 
Der wahre Wezſchiefer findet ſich in der Levante ) in 
Siberien an Tom, und in der Kirgiſiſchen Steppe am 
Bache Graͤsmunha *) bey Lauenſtein im Bayeris 
ſchen **), und unweit Freyberg im Saͤchſiſchen Erz 
gebirge bey dem Dorf Waltersdorf. Andere hie und da 
noch vorkommende angebliche Geburtsoͤrter find zu vers 
daͤchtig, als daß man nicht lieber erſt weitere Nachricht 
davon erwarten ſollte, ehe man ſie auch anfuͤhrt. 


B. Alaunſchiefer. 


(Argilla aluminaris Schiſtoſa Wern. Arg. Schiſtus 
aluminaris Walleri.) 


Es laſſen ſich nach den in der Einleitung beygebrachten 
Klaßifikations⸗Grundſaͤtzen fuͤglich hiebey 2. Arten in 
oriktognoſtiſcher Ruͤckſicht unterſcheiden. 

1. Gemeiner Alaunſchiefer. 

Seine Farbe it graulich ſchwarz. 
Man findet ihn derb und in Kugeln. 

Er iſt innwendig theils ſchimmernd, theils matt 
von gemeinem Glanze. 

Hat einen ſchiefrigen Bruch. 

Springt in trapezoidiſche Bruchſtuͤcke. 

Er fuͤhlt ſich mager und nicht ſonderlich kalt an. 

Iſt ſehr weich. 

Hat einen ſuͤß lichten, eckelhaften Geſchmack, 
und iſt nicht ſonderlich ſchwer. 


) Kronſtedts Mineral. durch Bruͤnnich Ueberſ. S. 269. 
) Bruͤnnichs Mineral. Ueberſ. von Georgi, S. 98. 
9 Kronſtedts Mineral. durch Werners uͤberſ. S. 208. 


> 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ie. 205 
2. Glaͤnzender Alaunſchiefer. 


Man findet ihn von einer theils blaulicht, theils 
d unkelſchwarzen Farbe. 

Derb in ganzen Lagern. 

Er iſt theils glänzend, theils ſtark glaͤnzend 
von einem gemeinen Glanz, der ſich ſchon ein wenig 
dem Metalliſchen nähert. 

Sein Bruch iſt ſchieferig. 

Er ſpringt in un beſt immte, nicht ſonderlich 
ſcharfkantige Bruch ſtuͤcke. 

Er fühle ſich etwas fettig / und nur wenig fett an, 
und iſt theils weich, theils hart. 

Uebrigens koͤmmt er mit der erſten Art uͤberein. 


Der Alaunſchiefer iſt doch noch in einigen Gegenden 
ziemlich haͤufig zu finden, wenn er gleich gegen dem ei— 
gentlichen Dachſchiefer ſehr ſelten vorkoͤmmt. Er findet 
ſich in der Mark zu Freyenwalde; im Thuͤringiſchen zu 
Scherenſal; im Voigtland zu Reichenbach; in Kurkreiſe 
bey Belgern, und bey Muſkau in der Oberlauſiz Y); 
Schweden iſt ſehr reich daran. Dort bricht er zu Andra— 
rum in Schonen, Markelli in Oeland; Vaͤſfireloſen, 
Dumba und Baͤllingen in Weſtgothland; Thiſ lingen 
in Narizien, und Nos im Jeniſeland ). In Kriſtiania 
in Norwegen, findet er ſich auch. 9). Rußland hat 
Alaunſchiefer im Waldaiſchen Gebirge; im nordlichen 
Kaukaſus und Ural an dem Fluſſe Ai, Jurguſa ꝛc.; 
in Siberien an Jeniſey, Mana Schikka ꝛc. T), und 
ſelbſt im Altaiſchen Gebirge am Trifluß bey der Stadt 


*) Charpentier a. a. O. S. 324. 10. 

Nei) Wallerii Syftem. mineral. T. 4. p. 36. 

den, Le skens Ueber. des Wallerius, S. 14. des 2ten Th. 
+) Brunichs Mineral. des Georgi Ueberſ. S. 159. 


206 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrift 


Tamſk ). So auch bey Jeſk in Engelland; Marbu— 
rucht und Proſtan in Schottland t). Und bey Haſel— 
wangen am Fuß des Gelters und Sirſchbergs, und der 
Schweiz tt). Es bedarf wohl kaum einer Erwähnung‘, 
daß nur dann, wann von Schiefergebirgen im Allge⸗ 
meinen die Rede iſt; auch der Wez- und Alaunſchiefer 
mit darunter verſtanden werden, ſonſt aber blos der Ton⸗ 
ſchiefer in engerm ( oriftognoftifchen ) Verſtande. 

Zum Schluß dieſes Abſchnittes will ich nur noch be⸗ 
merken, daß der Tonſchiefer nicht ſelten gute und ers 
giebige Lagerſtaͤtte von Silber, Kupfer, Bley, Eiſen, 
und Spießglaserzen enthaͤlt. 


* 


ne Ab ſchnitt. 
Vom Hornſchiefer. 
(Silex Schiftofüs Werneri, Corneus Fiſſil Wallerii.) 


Die Mineralogen ſind ſeither ſo unbarmherzig mit dem 
Worte Sornſchiefer umgegangen, daß man es in der 
That kuͤnftig mit in die Litaney ſollte ſetzen laſſen, da⸗ 
mit wenigſtens neuere Mineralogen bey ihren Beobach- 
tungen geſtaͤrkt wurden, daß fie nicht in dergleichen An; 
fechtungen geriethen. Um, wo moͤglich, die Verwirrung 
einigermaßen zu hemmen, welche unter den Hornſchie⸗ 
fern der Mineralogen herrſcht; ſo bemerke man, daß die 
jenigen, welche noch wenigſtens einen beſtimmten Begrif 
damit verbinden, 4. ganz von einander verſchiedene 


*) Pallas Reiſen, 2. Th. 2. B. S. 656. 
7) Mineralog. Reiſe durch Schottland, S. 410, 
+?) Storrs Alpeureiſe, 1. Th. S. 14. 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛe. 207 


Foßilien darunter verſtehen. Andere folgen entweder 
dieſen, oder ſie mengen gar das hundertſte durchs tauſend— 
ſte, und wie waͤre es da moͤglich jedesmal genau heraus 
zu bekommen, was ſie eigentlich wollen? Wer nur im 
Stande iſt zu beurtheilen, ob ihr Hornſchiefer mit dem, 
von welchem ich darzuthun bemuͤhet ſeyn werde, daß er 
mit Recht dieſen Namen fuͤhrt, uͤbereinkoͤmmt oder nicht, 
hat denn alle Data, die er zu ihrer Beurtheilung braucht, 
und ich darf vielleicht hoffen, durch dieſe Unterſuchung 
denen dieſe Data zu verſchaffen, welche ſie noch nicht 
beſitzen. Wir wollen 4 

Erſtens des Herrn Wallerius Sornſchiefer näher ken⸗ 
nen lernen. Es iſt dies bey ihm die zweyte Gattung der 
Steine, die er überhaupt Cornet genannt hat; und das 
her giebt er ihm den Namen Corneus fiſſilis. Sein Aeuſ⸗ 
ſeres beſchreibt er im Allgemeinen ſo: 

„ Rigidus, non nitens, apparenter lamellis paralellis, 
„ Colore eſt diverfo fed femper obfcuro, nigro, fufco, 
„rubente aut viridefcente , attactu rigidus & durus, 
„lamellaris ſed raro in lamellas divifibilis ,, 

Er theilt ihn ferner in vier Arten ein, die ich ebenfalls 

herſetzen muß, um allem Zweifel und Scheinwiderſpruͤchen 

um ſo beſſer zuvorkommen zu koͤnnen. Sie ſind: 

a. Corneus fiſſilis, durior. 
Hic frequentius in fodinis reperitur attactu & viſu 
rigidus & durus, absque omni nitore, Gepiusn in lamel- 
las non divifibilis &c, 

b. Corneus fiſſilis, mollior. ee. 
Ea interdum mollitie, ut cultro ante feifhlis 8 
non confundendus cum mica fiſili, quæ ſua ſuperficie 
polita nitente, & nitore in igne micaceo, ab hoc 
Corneo fiſſili facile diftinguitur &c, 

c. Corneus fiſſilis, fbroſut. 
Fibris craſſioribus primo adſpectu conſtare videtur, con- 
ſiſtentia parum molliori, difficilius pulveriſabilis, facilius 


208 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchriſt 


cultro raſilis, asbeflo rudi immaturo fere fimilis ; 
plerumque vero flexuoſus & fimul apparenter lamellofus, 
d. Corneus fiſſilis micatus. 41 5 
Corneus mollior ſuperficialis contortus, Colore eſt 
diverfo imprimis obfcure grifeo vel fuſco, ungulis vel 
cornubus animalium ſimilis inſtar tunicæ alios lapides 
contegens, interdum venam inter & faxum inter jacens, 
unde Saalband vocatur. 
Dieſes vergleiche man nun erſt mit ſeiner Beſchreibung 
der Hornblende (Corneus Spathofus Walleri), die gleich 
hinter dem Horuſchiefer folgt, mit der Beſchreibung des 
Herrn Werner, von der Hornblende ), und wer eines 
beſitzt mit wirklicher Sornblende: fo dann denke man 
ſich dieſem Foßile Quarz, auf ſolche Art beygemengt, 
daß er der Hornblende ein mehr ſchiefriges Anſehen giebt; 
und man wird ſich eine ganz klare Vorſtellung von Wal⸗ 
lers Hornſchiefer machen koͤnnen. Eine kurze Bergleis 
chung ſeiner 4. angegebenen Arten wird dieß beſtaͤtigen. 
Bey der erſten Art iſt die Zornblende mit vielem 
Quarz gemengt; daher iſt er hart und rauh anzufuͤhlen; 
daher iſt faft kein Glanz an ſelbigem zu bemerken, und 
deswegen laͤßt er ſich nicht ſpalten. Bey der zweyten Art 
iſt weniger Quarz in ſeinem Gemenge; daher laͤßt er 
ſich ſchon mit dem Meſſer etwas ſchaben. An der dritten 
Art hat die Horublende fo die Oberhand, daß ſich noch 
ihr ſtrahliges Gewebe bemerken laͤßt; daher das Bey⸗ 
wort Fibroſus; darum laßt er ſich auch fo leicht mit dem 
Meſſer ſchaben; und daher findet Herr Wallerius ohne 
Zweifel die Aehnlichkeit mit! dem Asbeſt, ſelbſt dadurch 
bekoͤmmt meine Behauptung einen hoͤhern Grad der Ge— 
wißheit, indem Herr Wallerius auch bey feiner Horn; 
blende die Aehnlichkeit mit dem Asbeſt bemerkt.“) Die 
Horn⸗ 


*) In feinem Kronſtedt, S. 195. 
7) A. g. O. S. 375. Dh. 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ie. 209 


Hornblende feiner vierten Art hat einen krumm » fehiefri: 
gen Bruch; und da dieſe Art das Saalbad der Gänge 
an mehrern Orten in Schweden ausmacht, ſo kann ſie 
ſonſt noch einige Verfchiedenheiten zeigen, die eben da— 
her ruͤhren, weil das Geſtein nahe an den Gaͤngen zu— 
weilen ſehr merklich veraͤndert wird. 

Außer Schweden bricht dieß Foßil auch unter anderm 
zu Dorf Chemnitz, unweit Ehrenfriedersdorf, und bey 
Miltiz zwiſchen Freyberg und Meiſſen in Sachſen. Herr 
Werner giebt ihm den Namen Sornblendſchiefer, wel— 
cher, wie aus dem vorigen erhellet, unſtreitig weit paſ— 
ſender dafuͤr iſt, in dem er zugleich an einen ſeiner Haupt— 
beſtandtheilen erinnert. Indeſſen wurde ich doch dieſer 
Richtigkeit ohngeachtet lieber anrathen, des Waller Na⸗ 
men Sornſchiefer dieſem Foßil ferner zu geben, weil es 
dieſen Namen länger fuͤhrt, als den des Hrn. Werner. 
Allein ich würde blos deswegen dieſen Namen in der Bes 
deutung beybehalten, um den andern Mineralogen kei— 
nen Anſtoß zu geben, die nun einmal wiſſen, was Walle⸗ 
rius Zornſchiefer ſey, wenn dieſer Srund nicht ſchon 
lange uͤber den Zaufen geworfen waͤre, da man, 
wie wir gleich ſehen werden, nicht bey dieſer Bedeu— 
tung des Wortes Hornſchiefer ſtehen geblieben iſt, ſon— 
dern ganz andere untergeſchoben hat. Hierdurch gewinnt 
freylich die Sache ein ganz anderes Anſehen; und daher 
ſteht man, daß es beſſer ſey, des Wallerius Zorn— 
ſchiefer kuͤnftig richtiger mit Herrn Werner Zornblend⸗ 
ſchiefer zu nennen. 

2.) Wollen wir ſehen, was Herr Ferber, und die ihm 
folgen, unter Zornſchiefer verſteht. Ich behaupte, daß 
er theils einige Abaͤnderungen des Tonſchiefers, theils 
den Blimmerfchiefer “) hierunter verſteht, beſonders 


*) Glimmerſchiefer oder Geſtellſtein. Ich bediene mich immer je⸗ 
nes Namens, der auch ſchon durch die Herrn Werner, Leske 
Magaz. f. d. Waturk. Helvetiend. III. B. O | 


210 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Prelsſchriſt 


wann letztere ſehr duͤnnſchiefrig iſt. Dieſes fönnte ich 
zwar mit ſehr vielen Stellen aus ſeinen lehrreichen Schrif⸗ 
ten belegen; es ſollen mir aber ſtatt aller zwey genügen, 
die es aufs deutlichſte darthun. In ſeinen Beytraͤgen 
nemlich zur Mineralgeſchichte von Boͤhmen lieſet man 
folgendes: *) 

„Wenn viel Quarz mit dem Tonſchiefer innigſt ver 
„bunden iſt, findet er ſich ſehr hart im Bruche, nach 
„der Laͤnge faſerig, und iſt mit einem Wort ein wahrer 
» Hornſchiefer. „ 

Hieraus erhellet alſo die erſte Haͤlfte meines Satzes; 
zugleich aber ſchließet Herr Ferber den Gattungsnamen 
des Wallerius Corneus fiſſilis, und die Stelle, wo er 
beſchrieben iſt, gleich hintenher in Klammern, und will 
alſo wahrſcheinlich dadurch zu erkennen geben, dieſer ſey 
mit ſeinem Hornſchiefer einerley; aber hier wird mir der 
Herr Profeſſor verzeihen, wann ich ihm widerſpreche, 
indem ich nur auf das vorige zuruͤckweiſen darf, wo ich 
gezeigt zu haben glaube, daß des Wallerius Corneus 
fiſſilis Hornblendſchiefer alſo kein harter Tonſchie⸗ 
fer ſey. 

Ferner ſagt Herr Ferber an einem andern Orte ): 
„Hornſchiefer ſollte keine andere, als die Steinart ge 
„nannt werden, worinn der Quarz mit dem Glimmer 
„innigſt verbunden iſt, fo daß fie beyde mit den Augen 
„nicht von einander unterſcheiden werden koͤnnen. „ 


und Voigt authoriſiert iſt, obgleich letzterer mit Unrecht ſagt, 
er beſtaͤnde aus bloßem Glimmer, indem der Quarz zu ſeinem 
Gemenge weſentlich, nur bald mehr, bald weniger davon ihm 
zugehoͤrt — lieber, als des letztern — davon der Gebrauch her⸗ 
genommen iſt, und ſchon zu Verwechslungen Anlaß gegeben hat, 
da jeder Stein zum Geſtellſtein tauglich iſt, der in der Hitze des 
hohen Ofens unſchmelzbar if, 

) S. 122. in der Anmerkung. 

1) Briefe aus Welſchland, S. 204. in der Anmerkung. 


uͤber den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. arı 


Weil dieſe innige Verbindung nie eine Miſchung mwers 
den kann, ſondern immer ein Gemenge bleiben muß, 
ſo lange Quarz mit Glimmer in Subſtanz, alſo nicht 
mit blos einzelnen Beſtandtheilen des Glimmers vereinigt 
ſeyn ſoll, wie die Elemente der Chemie lehren, ſo 
wird dieſer Hornfchiefer des Herrn Ferbers nichts als 
Glimmerſchiefer, oder wer gar zu gerne ſolche Namen 
fuͤhrt, die Zweydeutigkeiten enthalten, Geſtellſtein ſeyn, 
und damit hätte ich den zweyten Theil meiner Behaups 
tung bewieſen. Herr Ferbers Hornſchiefer iſt alſo nichts 
anders als gewiſſe Abaͤnderungen zweyer Gebirgsarten, 
die ſchon andere beſtimmte Namen fuͤhren und lange 
gefuͤhrt haben ). Wann alſo gleich Herr von Born, 
und andere in ihren Angaben des Hornſchiefers mit Herrn 
Ferber uͤbereinſtimmend verfahren, ſo muͤßte es doch 
jeder unpartheyiſche Mineralog nach dieſer Darſtellung 
gewiß ſehr misbilligen, wenn man noch fortfahren woll— 
te, dieſen Hornſchiefer fuͤr eine eigene Steinart gelten zu 
laſſen. Denn auf dieſe Weiſe vervielfaͤltigte man mit 
Fleiß die Namen der Dinge um das Drittel, ohne daß 
ſich dieſe vervielfaͤltigten; und um 20. Foßilien gehoͤrig 
zu bezeichnen, waͤren 30. Namen erforderlich? — Berg— 


*) Daher ſiehet man Herrn Baidinger bey Beſtimmung des Horn⸗ 
ſchiefers (S. 33. feiner ſyſtem. Eintheil.) ſehr guͤt die Verlegen⸗ 
heit an, in welcher er ſich befunden haben mag, weil er nirs 
gends Ueberzeugung antraf. Er will ſich durch Serbers zuerſt 
angefuͤhrte Bemerkung heraushelfen, haͤlt alſo den Hornſchie⸗ 
fer fuͤr eine Abaͤnderung des Tonſchiefers, und ſtellt ihn gleich⸗ 
wohl als ein eigenes Geſchlecht neben dieſen auf. Weiter S. 37. 
hier nennt er auch den Geſtellſtein eine Abaͤnderung des Horn⸗ 
ſchiefers, deſſen Veſtandtheile er hingegen richtig angiebt. Er 
wuͤrde alſo auch offenbar nur eine untere Abaͤnderung des Ton⸗ 
ſchiefers ſeyn; und doch ſetzt er ihn auch neben den Tonſchiefer 
und Hornſchiefer, als beſonders Geſchlecht. Solche Wider⸗ 
ſpruͤche koͤnnte doch eine geſunde Logik im Augenblick aufdecken. 


212 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrift 


mann mochte auch ohngefaͤhr uͤber den Hornſchiefer ſo 


denken, wie Herr Ferber; denn er ſpricht von Zornſchie⸗ 
fer mit Granaten, der ſich auf der Landzunge zwiſchen 


Quedlin Wasdachswaſſer finden ſoll ). Von Horn⸗ 


blendſchiefer aber iſt mir kein Beyſpiel bekannt, daß er 


Granaten führte, der Glimmerſchiefer thut dieß ſehr haͤu. 


fig, und darum glaube ich auch, daß das Foßil jener 
Landzunge Glimmerſchiefer iſt. 

3.) Herr Charpentiers Hornſchiefer iſt wieder von ganz 
anderer Beſchaffenheit. Er nannte ein Foßil ſo, welches 
in der Oberlauſtz ſehr haufig vorkoͤmmt: Bey Olbers⸗ 
dorf, unweit Zittau, iſt dieß die Gebirgsart. Der Zoch⸗ 
wald, der Johannsberg, der Spitzberg, der od’ 
ſtein ꝛc. ſind einzelne Berge, die ganz oder groͤßtentheils 
daraus beſtehen ), und feine Beſchreibung davon lau⸗ 
tet ſo: 

„Er iſt (der Hornſchiefer) von Waun en Farbe 
„oder Hanfartig, auf dem Bruche uneben, ſplittrich, 
v etwas blaͤttericht, und von feinem faſt unſichtbarem 
»Korne. Hin und wieder ſollte man dem erſten Anſehen 
» nach etwas Glimmer zu ſehen glauben, bey genauerer 
„Betrachtung aber findet man, daß es nur feine auf 
„einander liegende Blaͤttchen eben dieſes Geſteins ſind; 
„ doch habe ich auch hier und da durch ein gutes Vergroͤſ⸗ 
„ ſerungsglas ganz kleine Blaͤttchen gefunden, die mir 
„wirklich Glimmer zu ſeyn ſcheinen.,, (Das find kleine 
Bruchſtuͤcke von Feldſpat, deren eine ſtarkglaͤnzende Geis 


Der 


tenflaͤche frey iſt, und ihrer gelblich smeiffen Farbe we; - 


gen, von den mehreſten mit Unrecht fuͤr Glimmer ge⸗ 
halten werden, die die Unterſuchung nicht aͤußerſt genau 
wahrnehmen. Dieſer Feldſpat findet ſich immer in jener 


*) Bergmanns phyſ. Erdbeſchreib. ꝛte Aufl. S. 140. d. ıflen Bands. 
**) Charpentiers mineral. Geographie 21. 24, 25. 28. 


* 
7 


A 
DEN 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer 26, 213 


beſchriebenen Hauptmaſſe ſparſam eingeſtreuet, und die 
Vertiefungen, womit dieſe zuweilen einzeln durchzogen 

iſt, ruͤhren von dem Feldſpat her, der darinn lag und 
verwittert iſt). „Mit dem Stahle giebt er einige Funken, 
„doch lange nicht in ſo großer Menge, als der Horn— 
„ſtein. Die Theile find übrigens feſte, und fo zu füs 
„ gen zaͤhe mit einander verbunden. Mit dem Scheids 
„ waſſer brauſet er nirgends: wann man ihn zerſchlaͤgt, 
„ ſo zerſpringt er in blaͤtterigen Stuͤcken, die aber wegen 
„ihrer unregelmaͤßigen Geſtalt von denen, ſo man von 
„andern Schieferarten erhaͤlt, ganz verſchieden ſind; 
„ ſchlaͤgt man darauf, fo giebt er einen hellen Klang. » *) 

Hieraus erhellet, daß Herrn Charpentiers Hornſchie— 
fer ein ganz anderes Foßil ſey, als der des Wallerius 
und Ferber. Er begeht alſo auf ſonderbare Art einen 
ähnlichen Irrthum, als Herr Ferber, da er kurz vor 
der Beſchreibung die Meinung aͤußert, daß ſein Horn— 
ſchiefer mit dem des Herrn Ferber vollkommen uͤberein⸗ 
ſtimmt. Der Feldſpat, welcher gar keinen Beſtandtheil 
von Ferbers **) Hornſchiefer ausmacht, wäre ſchon als 
lein hinlaͤnglich, beyde ſehr gut von einander zu unter— 
ſcheiden; allein auch die ganze uͤbrige Beſchaffenheit des 
Foßils, die durch Charpentiers Beſchreibung klar wird, 
zeigt dieſe Verſchiedenheit vollkommen, und wer des 
letztern Hornſchiefer zu ſehen Gelegenheit gehabt hat, 
wird ſich feſt davon uͤberzeugt halten muͤſſen. Dieſe 
Steinart war aber auch vor Herrn Charpentiers Reiſe 
noch von niemandem beſchrieben, noch von jemandem be⸗ 
nannt worden. Herr Charpentier hatte alſo allerdings 


*) Charpentier a. a. O. S. 21. 22. 

*) Ferber nennt Charpentiers Hornſchiefer ein Mittelding 
zwiſchen Tonſchiefer und Granit. Man ſehe die Beſchrei⸗ 
bung, welche er in ſeinen Beytraͤgen S. 124. von den um 
Kladrau in Böhmen liegenden Saͤulenfoͤrmigen Bergarten giebt. 


£ 


214 D. L. Guſt. Karſten, gekrönte Preisſchrift 


das Recht ihr jeden Namen beyzulegen, der noch keinem 
andern Foßil gegeben war. Iſt das nun mit dem Na 
men Sornſchiefer der Fall? fo muͤſſen wir hiebey ſtehen 
bleiben, und kuͤnftig kein anders Foßil darunter begrei— 
fen, als das mit dem, was Herr Charpentier fo nann⸗ 
te, uͤbereinkoͤmmt, die völlige Beantwortung dieſer 
Frage ſoll bald erfolgen. | 

Herr Voigt folgt diefer Benennung“); daher nennt er 
die Gebirgsart des Stellbergs, der Milzeburg, des 
Slukloſerbergs, der Maullippe, des Teufelſteins ꝛc. ), 
welche damit uͤbereinkoͤmmt, ebenfalls Zornſchiefer. Eben 
ſo der ſeel. Leske in ſeiner Ueberſetzung des Wallerius. 
Allein er hat gewiß die babyloniſche Verwirrung, die in 
Ruͤckſicht des Hornſchiefers unter den Mineralogen herr— 
ſchend iſt, dadurch vermehrt, daß er die Beſchreibung 
von Charpentiers Hornſchiefer *) des Walleris Horn⸗ 
ſchiefer beyfuͤgte, ohne ihre Verſchiedenheit dabey zu bes 
merken. Er kannte ſie aber wahrſcheinlich ſelber nicht, 
welches ich daraus ſchließe, weil es ihm merkwuͤrdig 
vorkoͤmmt, daß der Saͤchſiſche Hornſchiefer — Charpen⸗ 
tiers Hornſchiefer, keine Erz-fuͤhrende Bergart ſey, 
da er doch an andern Grten gute Erze führe. Allein 


hätte Herr Leske den wahren Unterſchied der verſchie⸗ 


denen Hornſchiefer gekaunt, fo koͤnnte ihm dieſes im ges 
ringſten nicht merkwuͤrdiger ſeyn, als es iſt, daß Gneiß 
gewöhnlich, Porphir hingegen ſehr ſelten reich⸗ 
haltige Lagerſtaͤdte fuͤhrt. Herr Zaidinger hat auch un⸗ 
ſtreitig dieſe Verwirrung noch vermehrt, da er die hier 
genannte Foßilien, die Wallerius, Ferber und Charpen⸗ 


* in feinen 3, Briefen und in feiner Beſchreibung des Hochs 
ſtifts Fulda. 

) Beſchreibung des Hochſtifts Fulda 32. 34. 37. 44. 54 

zan) Ueberſetzung des Wallerius, ıfler Th. S. 338. 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. 215 


tier Hornſchiefer nennen, fo aufgeführt hat, als wenn 

dieſes wirklich nur eine einzige Gattung von Foßilien 

ſeye. Wie ſehr fie ſich von einander unterſcheiden, hof— 
fe ich dargethan zu haben. 

4.) Herr Werner verſteht unter Zornſchiefer, den er 
in feiner kurzen Klaßifikation der Gebirgsarten *) blos 
namentlich beruͤhrt, diejenige Steinart, welche ſich ſehr 
haͤufig in den Betten der Fluͤſſe und im ebenen Lande, 
in Geſtalt ſchwarzer ſehr harter Geſchiebe, die haͤufig 
mit weiſſen Quarzadern durchzogen find, findet, wo— 
zu er auch den ſogenannten Probierftein rechnet, und 
die Gebirgsarten, welche hiermit uͤbereinſtimmen. Sein 
Zornſchiefer iſt alſo der Stein, welcher bey den Griechen 
Ai TAvdy hieß, und zu des Theophraſts Zeiten mit 
dem x IIęνα] ,, der ein magnetiſcher Eiſenſtein war, 
ſehr oft verwechſelt ward *), der beym Plinius unter 
dem Namen Coticula, den er von ſeiner Geſtalt erhielt, 
weil man ihn zur Bequemlichkeit in Geſtalt eines Wez— 
ſteins ſchleifen zu laſſen pflegte, Lapis lydius, und 
Heracleus ***), die er alle drey zu des Plinius Zeiten 
führte, und bey dem Agricola t) unter eben dieſen Na⸗ 
men vorkoͤmmt. Da Herr Werner hierinn von allen 
neuen Mineralogen abgeht; fo iſt um fo noͤthiger zu uns 
terſuchen, ob er hierzu berechtiget ſey? Dieß zu ent— 
ſcheiden, glaube ich, muͤſſen wir erſt folgende 2. Fra— 
gen beantworten: 

I. Warum rechnet Herr Werner dieſe Soßilien nicht 
unter diejenigen Gattungen und Arten, wohin ſi e 
andere Mineralogen legen? 

2. Wann er auch hiezu wirklich nun Recht hat, warum 


5) S. 11. ) Theophraſt von d. Steinen, S. 10. d. Hillſch. Ausgabe, 
*I Plinii H. N. Lib. XXXVI. Cap. 22. Lib. 1 0 C. 10. 
+) Agricola de Natura foſſilium Lib, X. Baſil, 1540, pag. 272, 


216 D. L. Guſt. Karſten, gekrönte Preisſchrift 


begreift er ſie nun gerade unter den Gattungs⸗ 
namen Sornſchiefer, der auch andern Foßilien Ach | 
gelegt iſt? 
Was das erſte anlangt, ſo wollen wir hiebey — 
Anfang mit den erwahnten Geſchieben machen. Dieſe 
werden gewöhnlich unter folgenden 2. Namen vorfom; 
men; fie heiſſen entweder ſchwarzer Jaſpis, oder auch 
wohl nur ſchwarzer Rieſel. Ware jener Name für dieſe 
in Geſchiebe ſich findende Steinart paſſend, fo muͤſſen fie 
zur Gattung des Jaſpis gehoͤren. Das iſt aber nicht 
der Fall, da ſie ſich in den aͤußern Kennzeichen zu ſehr 
darinn unterſcheiden, wie man ſich hernach ganz wird 
uͤberzeugen koͤnnen, wenn ich die aͤußere Beſchreibung 
dieſes Hornſchiefers beyfuͤgen werde. Allein der zweyte 
Name druͤckt gar keine beſtimmte Gattung der Foßilten 
aus. Denn Bieſel heißt bey einigen, eine jede harte 
Steinart, die ſich in den Betten der Fluͤſſe, oder an der— 
gleichen Orten findet, und bey andern eine jede Steinart, 
die unter die Familie, welche die Kiefelerde karakteriſtert, 
gerechnet werden muß. In beyden Faͤllen iſt es alſo 
ſehr etwas allgemeines, da auch ſchwarzer Quarz, 
ſchwarzer Seuerjtein, und aͤhnliche Steine, die ſich doch 
ſehr von dieſen, von welchen jetzt die Rede iſt, unter 
ſcheiden, mit Recht ſo genannt werden koͤnnen. 
Den Lydiſchen Stein, der von ſeiner Vortreflichkeit 
beym Gebrauche des Goldes Feuer zu zeigen den Namen 
Drobierftein ausſchließungsweiſe bekommen hat, ken— 
nen die wenigſten heutigen Mineralogen wirklich. Sie 
fuͤhren nemlich bey den Arten des Thonſchiefers immer 
den Probierſtein mit auf. Ihr ODrobierſtein iſt aber 
zum Theil ſehr verſchieden von dem der Alten — dem lydi— 
ſchen Steine — dann ſie nennen ein jedes Foßil ſo, 
das ſich zur Gold» und Silberprobe, auf die bekannte 
Art, gebiauchen laͤßt. Weil nun manche reine Thons 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛe. 217 


ſchtefer dieſe Eigenſchaft beſitzen, fo hat man dieſe mit 
dem Titel Probierſtein beehrt, und daher jeden Probier— 
ſtein überhaupt — alſo auch den aus Lydien zu dem Thons 
ſchiefer gerechnet. Dieß iſt aber mit großem Unrecht ge— 
ſchehen; denn daraus, weil einige Thonſchiefer mit dem 
lydiſchen Stein eine Eigenſchaft, und doch nur im ge— 
ringern Grade gemein haben, ja ſelbſt, daß ſie zuwei— 
len einige entfernte Aehnlichkeit im Aeußern mit ihm ha— 
ben, folgt noch nicht, daß ſie voͤllig einerley Arten 
oder Gattungen ſind: man wird vielmehr auf der wei— 
terhin zugebenden aͤußern Beſchreibung ohne Schwierig— 
keit die große Verſchiedenheit des lydiſchen Steins vom 
eigentlichen Thonſchiefer erſehen koͤnnen; hiermit waͤre 
alſo die erſte Frage ſo zu beantworten. 

Herr Werner mußte, wenn er nicht zugeben wollte, 
daß ferner Foßilien, die ganz von einander verſchieden 
ſind, fuͤr einerley, und ſolche, die in der That einerley 
ſind, fuͤr verſchieden gehalten wurden, dieſe Aenderung 
vornehmen. Er war alſo voͤllig berechtiget dazu. 

Zur Beantwortung der zweyten Frage aber bemerke 
man, daß 

a. Eine Benennung noͤthig war, die die ſchwarzen 
Geſchiebe in unſern Flußbetten, ſowohl als den lydi— 
ſchen Steinbegrif, da beyde völlig mit einander übers 
einkommen. 

b. Daß, wenn eine ſolche ſchon vorhanden, ſelbige 
einer neuen einzufuͤhrenden, dann allemal vorzuziehen 
war, ſo bald ſie nicht zugleich ein Foßil ausdruͤckte, das 
vorher ſchon eben dieſen Namen erhalten hatte, und 
doch von dieſem Foßil voͤllig verſchieden war. 

c. Daß dieſer Fall in der That ſtatt hatte; denn 
Herr Werner war nicht der erſte, welcher unſerm Foßile 
den Namen Sornſchiefer gab, ſondern er war nur der 
erſte / der dem Publikum dieſe Benennung mittheilte. 


218 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrift 


Sie rührt vielmehr von einigen aͤltern ſaͤchſiſchen Mine 
ralogen her, die zu ihrer Zeit mit Recht zu den erſten 
Mineralogen gerechnet wurden, ob ſie ſich gleich eben 
nicht durch dergleichen Schriften bekannt gemacht haben. 
Das iſt nemlich der verſtorbene Churſaͤchſiſche Berghaupt— 
mann Pabſt von Ohain, und Bergmeiſter Lammer, 
welcher zuerſt Hrn. Werners jetzige Stelle, als Inſpek— 
tor bey der Bergakademie zu Freyberg bekleidete. Dies 
fen beyden iſt Herrn Werner in dieſer Benennung ges 
folgt ), die um fo paſſender iſt, da das Foßil, wel⸗ 
ches ſie bezeichnet, doch in der That einige Aehnlichkeit 
mit dem Zornſtein hat, wovon die Benennung genoms 
men, und zugleich einfach, wie dieſer iſt. Hrn. Werners 
Bornſchiefer iſt alſo bey weitem länger, als der des Hrn. 
Charpentiers ſo benannt. Herr Charpentier hat daher 
hierinn gefehlt, daß er eine ältere Benennung eines 
gewiſſen Foßils, dieſem gewiſſer Maßen rauben wollte, 
um ſie auf eine andere Steinart zu verpflanzen, die von 
jener ganz verſchieden iſt. Dadurch hoffe ich auch in 
Ruͤckſicht der zweyten Frage ſattſam dargethan zu ha— 
ben, daß Hrn. Werner allerdings befuͤgt war unſere 
Steinart Sornſchiefer zu nennen, da ſelbſt das Foßil, 
welches von Hrn. Charpentier auf die Weiſe benannt 
iſt, und wie ich vorhin gezeigt habe, ſich noch allein 
unter dem Hornſchiefer der andern Mineralogen, dadurch 
auszeichnete, daß es noch auf keine andere Art beſtimmt 
war, nur durch Mißbrauch dieſen Namen erhalten, und 
keineswegs das Vorrecht des Alters vor ſich hat. 
Weil ich alſo hierdurch von ſelbſt bewieſen habe, daß 
man nun anfangen ſollte, blos Irn. Werners Zornſchie⸗ 
fer, als ſolchen aufzufuͤhren, und jeder andern davon 
w. ̃ . 


) Wegen der Wahrheit diefer liſtoriſchen Nachricht, brauche ich 
mich bloß auf Herrn Werner zu berufen, der ſelbſt fo guͤtig ge⸗ 
weſen iſt, mir fie mitzuthellen. J 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ie. 219 


verſchiedenen Steinart auch ihren rechten Namen beyzule— 
gen; ſo will ich nur, ehe ich noch zur oriktognoſtiſchen 
Betrachtung jenes Steins komme, vorher einem Zweifel 
begegnen, der manchem aufſtoſſen koͤnnte, wenn er nun 
einſieht, daß Hrn. Charpentiers Zornſchiefer dieſen Nas 
men nicht mehr fuͤhren darf, und alſo unſchluͤßig iſt, 
wie er dieß Foßil nun richtig benennen ſoll. Allein Herr 
Werner hat uns auch hier ſchon die Bahn gebrochen. 
Es iſt nemlich bekannt, daß man jetzt einer jeden gemein⸗ 
ſten Steinart, die aus einer dichten gleichartigen Haupt— 
maße beſteht, welche thoniger oder kieſeliger Natur ſeyn 
kann, und in der ſich Feldſpatkoͤrner mit oder ohne an— 
dern mehr zufällig beygemengten Foßilien finden, Por— 
phir nennt, und dieſes kann man um ſo eher gut heiſ— 
fen, da der Porphir der Alten uͤbrigens eben fo befchafs 
fen war, und nur Jaſpis zur Hauptmaße erheiſchte, ab 
fo in einem etwas engern Begriffe enthalten war. Char- 
pentiers ſogenannter Hornſchiefer aber iſt ein gemengtes 
Foßil, deſſen Hauptmaße kieſelartig zu ſeyn ſcheint, 
und einzeln zerſtreute Stuͤcke Feldſpat, den auch zuweilen 
Hornblende begleitet, enthält. Es waͤre alſo Porphir 
zu nennen, wann die Hauptmaße dichten Bruch haͤtte. 
Dieſer aber iſt ſchiefrig, und daher hat Herr Werner 
dieß Foßil Porphir-Schiefer getauft *). Paſſender und 
analoger iſt wohl ſelten ein Foßil benannt worden. 

Die aͤußere Beſchreibung unſers Zornſchiefers wird 
nun ſo lauten: 

Er findet ſich von einer dunkeln und graulich 
ſchwarzen, ſchwaͤrzlich- grauen, wie auch 
dunkel ⸗gruͤnlich⸗grauen Farbe. 

Derb in ganzen Lagern, eingeſprengt und in 
Geſchieben: Innwendig iſt er ganz matt; ſein 


*) In feiner kurzen Klaßifik. der Gebirgsarten, S. 8. 


220 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrift 


aͤußerer Glanz iſt zufällig; fein Bruch iſt ſchiefrig, 
jedoch naͤhert er ſich zuweilen den blaͤtterigen, zuwei⸗ 
len den dichten etwas. Seine Bruchſtuͤcke find unbe⸗ 
ſtimmt, ſehr ſcharfkantig. 

Er iſt hart, meiſt in einem hohen Grade. 
Fuͤhlt ſich ziemlich kalt an, und iſt nicht ſonder⸗— 
lich ſchwer. 

Man vergleiche dieſe Beſchreibung mit den Beſchreibun⸗ 
gen, die die Mineralogen von Jaſpis und Thonſchiefer 
geliefert haben, und mit den gewöhnlich ſogenannten 
Probierſteinen, ſo wird ſich die weiter oben erwaͤhnte 
Verſchiedenheit dieſer Dingen vom Zornſchiefer ſehr deut⸗ 
lich zeigen, und die Uebereinſtimmung mit dem wahren 
lydiſchen Steine, oder auch mit den ſchwarzen harten 
Geſchieben in dem platten Lande und in den Fluͤſſen. 

Als ein ſehr auszeichnendes empiriſches Kennzeichen 
dient auch, daß den, welcher ſich in Geſchieben findet, 
gewoͤhnlich weiſſe Quarzadern durchſetzen, die ſich zuwei— 
len als erſtaunt kleine Truͤmmerchen vielfaltig durchſchnei— 
den, und dem Auge in dem ſonſt ſchwarzen Geſteine eine 


ſehr angenehme Abwechslung gewaͤhren. Doch iſt freys 


lich dieſer zu dem Gebrauch als Probierſtein nicht ſon— 
derlich geſchickt, ſondern hierzu muß man den reinſten 
nehmen, der es nur giebt. 

Es iſt Schade, daß wir noch keine eigene chemiſche 


Zerlegung dieſes Steins haben; die Urſache davon iſt 


freylich , daß man ihn in den Schriften der Mineralogen 
immer verkannt hat. Mit Gewißheit kann ich ihm das 
her den Platz in der Driftognofie noch nicht beſtimmen, 
aber ſein Aeußeres entſpricht zu ſehr dem der uͤbrigen 
Kieſelarten, als daß es nicht hoͤchſtwahrſcheinlich ſeyn 
ſollte, daß er zu dieſer Familie der Erd⸗ und Steinarten 
feines vorwaltenden Beſtandtheils wegen gerechnet wer⸗ 
den muͤſſe. 


— 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. 221 


Es haͤlt zwar ſehr ſchwer, jetzt ſchon von ſeinem 
geognoſtiſchen Verhalten zu handeln, da er noch fo mes 
nig bekannt iſt; allein ich will doch verſuchen, wenig⸗ 
ſtens etwas daruͤber zu ſagen. Herr Werner iſt zwar 
in der angeführten Stelle feiner kurzen Klaßifikation der 
Gebirgsarten der Meinung, man muͤſſe den Zornſchie— 
fer, als eine dem Thonſchiefer untergeordnete Bergart 
betrachten; allein ich weiß nicht, ob ich ihm hier ganz 
beyſtimmen ſoll? denn wenn es gleich nicht zu laͤugnen 
iſt, daß der Hornſchiefer, welchen wir bisher kennen, 
meiſt in Tonſchiefergebirgen bricht, und dann oft darinn 
einige Lagerſtatt des Thonſchiefers ausmacht, fo kennen 
wir doch nicht nur ſchon einen Berg in der Oberlauſtz, 
der ganz aus dieſem Hornſchiefer beſteht, wie ich bald 
zeigen werde, ſondern ich habe auch Grund zu vermuthen, 
daß wir noch kuͤnftig vielleicht ganze Gebirge davon an⸗ 
treffen werden, wovon wir jetzt entweder deswegen noch 
nichts wiſſen, weil ſie noch nicht gehoͤrig unterſucht ſind, 
oder weil man den Hornſchiefer ſelbſt nicht recht gekannt 
hat; denn ſonſt iſt mirs unerklaͤrbar, woher die vielen 
Geſchiebe davon zu uns kommen ſollten, die ſchon eine 
weite Reife gemacht haben muͤſſen, da fie ihrer großen 
Haͤrte ungeachtet, ſich ſehr abgerindet finden. Dieß 
macht es mir wahrſcheinlich, daß der Hornſchiefer viel— 
leicht eine eigene Gattung der uranfaͤnglichen Gebirge 
ausmacht, oder vielleicht, wie der Thonſchiefer ſich ſowohl 
in uranfaͤnglichen, als in Floͤzgebirgen finden kann. 
Wer ihn indeſſen nicht als eine eigene Gebirgsart anſe— 
hen will — nun der folge Hrn. Werner, und dieſe Vers 
ſchiedenheit unſerer Meinung wird von keiner ſonderlichen 
Wichtigkeit ſeyn. 

Es wird niemand laͤugnen, daß es bey ſo bewannten 
AUmſtaͤnden etwas ſchwer halten ſollte viele Geburts, 
oͤrter anzufuͤhren, da die bisherigen Beobachtungen der 


222 D. L. Guſt. Karſten, gekrönte Breisfchrift 


Geognoſten und mineralogiſchen Geographen eigentlich 
auf das Foßil noch nicht gerichtet geweſen find; ich kann 
alſo auch hier nur in den wenigſten Faͤllen ſtrenge Ge⸗ 
wißheit verſprechen, dafür werde ich mich aber bemuͤ— 
hen, auch da, wo ich nur der Wahrſcheinlichkeit folgen 
muß, meinen Leſern die Gruͤnde, wornach ich urtheile, 
ſo darzulegen, daß es ihnen nicht ſchwer fallen ſolle, ſie 
entweder zu billigen oder zu verwerfen. . 

Zu des Theophraſts Zeiten glaubte man dieſer Horns 
ſchiefer fande ſich bloß in dem Fluſſe Tmalus 9. Und 
er muß ſich ſehr haͤufig in dieſem gefunden haben, da 
ihn ſchon die Griechen ſehr gut kannten, alſo wahrſchein— 
lich haͤufig brauchten und daher holten. Dieſer Schrift? 
ſteller merkt von ihm an, daß ſich ein großer Unterſcheid 
dabey in Ruͤckſicht des Gebrauches beym Probieren des 
Goldes einfaͤnde, je nach dem man die Seite eines 
Steins, welcher der Sonne zugekehrt geweſen waͤre, da— 
zu brauchte, oder die entgegengeſetzte. Jene ſey weit 
beſſer dazu, weil ſie trockener ſey, und die Feuchtigkeit 
ſey an der andern Schuld, daß das Metall vom Steine 
nicht fo gerne angenommen würde *). Auf aͤhnliche Art 
redet er davon, daß er ſich ebenfalls nicht in der Hitze 
zum Probieren gebrauchen ließe. 

Plinius erwahnt ſchon, daß er ſich an mehrern Or⸗ 
ten als bloß in dem Tmalus Fluſſe faͤnde; und Agricola 
ſagt, daß man ihn uͤberdieß in den Goslariſchen und 
Zildesheimifchen Fluͤſſen anträfe P. Zu feiner Zeit führte 


) Die Analogie kann alſo hier ſchon dienen, dem freylich fehr 
ſchwachen Zweifel zu begegnen, weichen einige in der Abſicht Auf- 
ſern koͤnnten, daß doch der lydiſche Stein in einem ganz andern 
Lande ſich gefunden haͤtte, als die Geſchiebe in Deutſchland und 
anderer Orten, da der Tmalus fo gut ein Fluß it, als die Sagle⸗ 

**) Teophraſt. a. a. O. S. 80. 

7) De natura foſſilium, p. 272. 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛe. 223 


dieß Foßil den deutſchen Namen Goldſtein, welches man 
aus der Interpretation, die ſeinen Schriften uͤber einige 
Theile der Naturlehre und Naturgeſchichte (de ortu & 
cauſis fubterraneorum ; de natura eorum, quæ effluunt ex 
Terra; de natura Foſſilium: de veteribus & novis metallis) 
der Benennungen wegen, in alphabetiſcher Ordnung 
angehängt iſt, bey dem Wort Coricula er ſieht: Der Grund 
davon mochte wohl ſeine Wirkung auf das Gold bey 
den Griechen ſeyn, da er auch deswegen den griechiſchen 
Namen No xevssrns, und weil er überhaupt zur Metall— 
probe diente, auch den Basavısns führte, 

Jetzt werden wohl wenig Fluͤſſe ſeyn, worinn man 
ihn nicht als Geſchiebe antreffen ſollte; und ich kann aus 
eigener Erfahrung anfuͤhren, daß er ſich im Erzgebirge 
haͤufig in der Mulde, und in dieſer Gegend um Zalle, 
ſehr haͤufig in der Saale findet. 

Von der Oberlauſiz kann ich mich am gewiſſeſten an— 
fuͤhren, daß dieſer Hornſchiefer ſich da findet. Denn Herr 
Leske ſpricht von einem blaulich⸗ſchwarzen Jaſpis, 
der ſich in der Gegend um Koͤnigsbruͤck finden ſoll „); 
und ich habe ſchon vorher angefuͤhrt, daß man eben hier— 
unter dieſe Steinart gewöhnlich begriffen hat. Auch hier 
iſt der Ort, auf den ich mich vorher berief, wo er ei— 
nen ganzen Berg ausmacht, dann aus deſſelben Schrift— 
ſtellers Nachricht wiſſen wir, daß der Ochſenberg, der 
unweit Rohrbach liegt, aus eben dieſem Geſteine be— 
ſteht , daß er ſich noch uͤberdieß in der Gegend um 
Bummersdorf findet, iſt eben fo gewiß; denn er ſagt 
ſelbſt: 

„In Anſehung der Farbe findet ſich außer obgedach⸗ 
zs ten Abaͤnderungen auch hier der ganz dunkelblaulicht⸗ 


*) In ſeiner Reife durch Sachſen, S. 60. 
) Leske a. g. O. S. 68. 


224 D. L. Guſt. Karſten, gefrönte Preisſchriſt 


„ſchwarze Hornſchiefer, welches der wahre Lapis Lydius 
„der Alten geweſen zu ſeyn ſcheint, wenigſtens als Pros 
„bierſtein ſehr gut gebraucht werden kann ). „ 

Ob der Hornſchiefer, welcher zwiſchen Semmersdorf 
und Goͤrliz, nach ihm mit Porphir und mit Thonſchiefer 
vorkoͤmmt ), auch derſelbe ſey, oder mit Charpentiers 
Hornſchiefer uͤbereinkomme, den er vorher ebenfalls größ- 
tentheils unter dieſem Namen auffuͤhrt, kann ich nicht 
mit Gewißheit entſcheiden; allein ſo viel wohl anfuͤhren, 
daß mir das erſte deswegen wahrſcheinlich iſt, weil ſich 
Gaͤnge in dem daſigen Thonſchiefer finden: Ich ſtelle mir 
daher die Beſchaffenheit des Geſteins dort ungefaͤhr ſo 
vor, wie zu Gersdorf, unweit Freyberg im Erzgebir— 
ge / wo ſich auf der Grube Seegen Gottes auch unſer 
Hornſchiefer mit dem Thonſchiefer in Geſellſchaft findet, 
und wo mehrere fuͤndige Gaͤnge durchſetzen. 

Ich muͤßte mich ſehr irren, wenn der Rammelsberg 
nicht dieſen Hornſchiefer enthielte. Ich wuͤßte in der 
That ſonſt nicht, wie ein Thonſchiefer ſo feſt ſeyn koͤnnte, 
daß zu einem einzigen Lachter Gewinnung oft 6000. 
Bohrloͤcher erfordert würden, wie Herr V. Trebra be 
richtet *). Dieſe meine Muthmaßung waͤchst lauch das 
durch zu einer ziemlich großen Wahrſcheinlichkeit, faſt 
moͤchte ich ſagen, zur Gewißheit an, daß dieſer Schrift— 

ſteller 


*) A. a. O. S. 227. Hier koͤnnte es ſcheinen, als wenn Hrn. Les⸗ 
ke der Erſte geweſen waͤre, welcher die Uebereinſtimmung unſe⸗ 
rer ſchwarzen Flußgeſchiebe in der mit ihnen uͤbereinkommenden 
Steinart entdeckt hätte; allein man beliebe nur zu bemerken, 
daß der ſeel. Leske ſchon von Hrn. Werner vorher davon be⸗ 
nachrichtiget war, ehe er dieſes ſchrieb, ſo wie dann uͤber⸗ 
haupt manches durch andere Perſonen ins Publikum kommt, das 
eigentlich von dieſem Mineraloge entdeckt iſt, ohne daß man ihm 
oft die Gerechtigkeit wiederfahren läßt, es wenigſtens daben anzu⸗ 
merken. **) A. a. O. S. 448. 

Ken) Erfahrungen über das Innere der Gebirge S. 102. 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer Kt. 225 


ſteller dieß Foßil kurz zuvor ſchwarzen Jaſpis nennt, 
welcher Name, wie ich ſchon oͤſters erwaͤhnt habe, dem 
eigentlichen Hornſchiefer mehrmals gegeben wird. Seit 
mehrern Jahrhunderten erzeigt ſich dieſe Steinart hier 
ſchon ſehr ergiebig, und ihre Erzfuͤhrende Lagerſtaͤtte lie— 
fern nicht nur ein betraͤchtliches an Bley, reichen Kupfer 
und Silbererzen, ſondern dieß iſt ſogar der einzige Punkt 
des Harzes, wo man es der Mühe werth achtet, das in 
den Erzen enthaltene Gold auszuſcheiden. 

Der graue Schiefer, in welchem der Brigadierſchaft 
in Siberien ſteht *), ſcheint mir ebenfalls dieſer Zorn— 
ſchiefer zu ſeyn, da Herr Pallas verſichert, daß man 
der großen Weitung dieſer Grube ohngeachtet nur wenig 
Zimmerung dabey noͤthig habe: Wenigſtens kann es ein 
Uebergang aus dem Thonſchiefer in den Hornfchiefer 
ſeyn. Unter den Gebirgen in Ungarn kann ich zwar bis 
jetzt ſelbſt nicht einmal mit Wahrſcheinlichkeit eins anfuͤh— 
ren, deſſen Geſtein Zornſchiefer wäre; allein in Geſchie— 
ben koͤmmt er auch dort z. B. bey Leſkowitz in Nieder— 
Ungarn vor *). 

Da Hrn. Storr ein gewiſſes Foßil Sornſteinſchiefer 
benannt hat, welches nach feiner Erklaͤrung * gebläts 
terter Zornſtein ſeyn fol, fo iſt es mir nicht unwahr— 
ſcheinlich, daß dieß vielleicht mit unſerm Zornſchiefer 
uͤbereinkommen kann: Iſt dieß gegruͤndet, ſo findet er 


*) Pallas Reiſen, 2. Th. 2 B. S. 531 

ak) Ferber uͤber die Gebirge und Bergwerke in Ungarn (erzählt 
S. 113. in der Anmerkung) daß er dort ſchwarze Kieſel in 
Geſchieben gefunden habe. 

det) Alpenreiſe, Einleitung S. 65. Anbey erklaͤrt er ſich über den 
Hornſchiefer ſo: Es ſey allgemein anerkannt, daß alle mit 
Quarz oder Feldſpat verſetzte blaͤttrige Tonwacken in dem vers 
jaͤhrten Beſitz dieſes Namens ſeyen. Aber ich muß dagegen er- 
klaͤren, daß die ſymboliſchen Buͤcher, worinn dieſe mineraliſche 
Glaubensartikel ſtehen ſoll, voͤllig unbekannt ſind. 
Magaz., f. d. Naturk. Zelvetiens. III. B. P 


226 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrift 


ſich auch in der Schwetz an mehrern Orten. Unter die⸗ 
fer Vorausſetzuug liegt er gewöhnlich zwiſchen den Kalk 
lagern und Storrs Glaswacke ). Es befindet ſich 


der Grindelwalder Marmor AR „ und der Schei⸗ 


dekberg, welcher zwiſchen Grindelwald und Meiringen 
liegt, beſteht daraus ). 

Allein dieſe Vorausſetzung bedarf noch einer genauern 
Pruͤfung von dortigen ſachverſtaͤndigen Mineralogen, 
die Hrn. Storrs Sornſteinſchiefer mit der aͤußern Bes 
ſchreibung zuſammenhalten moͤgen, die ich vorhin vom 
Hornſchiefer gegeben habe. Es koͤmmt mir vor, als 
wenn Hrn. Storr ſich vielleicht auch in dieſer Benennung 
nicht gleich geblieben waͤre; denn er führt weiterhin Ges 


ſchiebe unter dem andern Namen Zornflint an, welche 


am Knuckelsgebirge vorkommen, und wie mir, des em; 
piriſchen Kennzeichens wegen, das er anfuͤhrt, unbezwei—⸗ 


felt zu ſeyn ſcheint, in der That Hornſchiefer ⸗Geſchiebe 
ſeyn muͤſſen **), 


IIIter Abſchnitt. 


Von der War 
Argilla Wacca Verneri. 


Es war allerdings der Muͤhe werth in einer gemein⸗ 
nuͤtzigen mineralogiſchen Preisaufgabe auch dieſes Foßil 
der nähern Beſtimmung mit zu unterwerfen, da man lei⸗ 
der bekennen muß, daß dieſes Wort von manchen zu eis 
nem mineralogiſchen Scherwenzol gebraucht worden iſt, 


*) A. a. O. der Einl. S. 93. 

*) Im 2ten Th. S. 4. 11. 

) A. 2. Th. S. 132. Er ſagt hier, fie (die Gefchiebe) be 
ſtehen aus Hornflint mit weiſſen Quarzadern durchzogen ic. 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. 227 


worunter man eine Gebirgsart begreifen konnte, die 
man nicht kannte, wie Herr Voigt dieß auf aͤhnliche 
Art vom Schoͤrl ſehr paſſend angemerkt hat *), dem in 
der Oriktognoſie dieſelbe Ehre wiederfaͤhrt. Die wenigſten 
von unſern neuen Syſtematikern erwaͤhnen die Wade ) 
einmal, und die, welche es thun, verbinden oft ſonder— 
bare Begriffe damit; es iſt daher am beßten, daß ich erſt 
zeige, was von den Dingen, die in den geognoſtiſchen 
und mineralogifch » geograpbifchen Schriften als ſolche 
bekannt oder auch nur angefuͤhrt werden koͤnnen, Wacke 
iſt, und daß ich fo dann die wahre Wade abhaͤndle. 
Um hier gleich beſſer verſtanden zu werden, muß ich 
voraus einen Umſtand beruͤhren, der wirklich hiebey von 
Einfluß iſt. Es iſt nemlich ein großer Unterſchied, ob 
von Wacken (in der mehrern Zahl,) oder von Wacke 
(in der einfachen) die Rede iſt. Im erſten Fall fol die 


ſes Wort nach der Meinung der Mineralogen, eine jeg- 


liche Gebirgsart andeuten, die man uͤber der Erde in 
ziemlich groſten Stuͤcken liegen ſieht; in dieſem Sinne 
koͤmmt es faft mit dem Wort Geſchiebe überein, nur 
daß der Begrif der letztern weiter iſt, da er ſich auch 
bis auf kleine ſtumpfeckige Stuͤcke von Foßilien erſtreckt. 
Es bedeutet denn alſo einen bloßen Zuſtand der Foßilien, 
in Ruͤckſicht ihres Ortes, und ihrer aͤußern Geſtalt. 
Da nun aber dieſe beyde Dinge nicht hinreichen, um die 
Mineralien von einander zu unterſcheiden, ſo bezeichnet 
auch der Ausdruck Wacken niemals ein oder das an— 
dere Foßil, ſondern es giebt Wacken von Quarz, Ba⸗ 
ſalt, Granit, Gneuß ꝛc. Hievon kann alſo die Rede 
bey der Aufgabe nicht ſeyn: Wacke hingegen (in der 
rn . . 


) In feinen 3. Briefen, S. 44. 
*) Weder Waller, noch Kronſtadt, Gerhardt, Bergmann, 
Kirmann, Figig. 


/ 


228 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrift | 


einfachen Zahl) ift ein Wort, welches einer gewiſſen 

Gattung der Foßilien zukoͤmmt. Alſo zielt die Frage 

dahin, daß man die Beſchaffenheit dieſer Gattung von 

Foßilien ſo genau und deutlich angiebt, daß ſie darnach 

überall zu kennen iſt, wo fie einem Sachverſtaͤndigen auf; 

ſtoͤßt. Ich will nur drey Axiomen feſtſetzen, woran ſich 
dieſe Unterſuchung anreihen ſoll. 

1. Diejenigen Foßilien werden den Namen wack nicht 
länger führen doͤrfen , die ſchon unter andern Na- 
men zur Zeit bekannt ſind. 

2. Diejenige Gattung der Foßilien wird ihn nur mit 
Recht fuͤhren koͤnnen, welche weder 

a Vor dem einen andern ſchon bekannten Namen 
führten, ehe fie dieſen erhielt, noch eine ſolche iſt, die 
b zu einer andern Gattung oder Art der Foßilien, 
als bloße Abaͤnderung gehoͤrt , die ebenfalls ſchon 

einen andern beſtimmten Namen hat. F 

3. Sollten ſich mehrere Gattungen unter den Foßi⸗ 
lien finden, die nach dem zweyten Ariom den Na⸗ 
men Wade mit Recht führen dörften, fo müßte er 
doch nur dem ausſchließungsweiſe gegeben wer⸗ 
den, welches ihn am laͤngſten führt, und die uͤbri⸗ 
gen muͤßte man anderſt benennen. 

Ich habe dieſe 3. Saͤtze Axiomen genannt, da ich fie theils 
fuͤr ſo leicht halte, daß jeder Anfaͤnger ſie ohne Schwierigkeit 
faſſen kañ; weil ich fie aber auch anderntheils für fo uͤberzeu⸗ 
gend halte, daß mir vielleicht niemand eine Einwendung 
dargegen machen kann, die nur irgend etwas gegruͤndet iſt. 

Nach meinem erſten Grundſatze iſt alſo ſchon die Poch⸗ 
Wacke, woraus die Abendſeite der ſogenannten Zwitter⸗ 
muͤhle, unweit Platten im Saazer⸗Kreiſe des Königs 
reichs Böhmen beſteht ), auf keine Weiſe Wade zu 


) Ferbers Beytrag zur Mineralgeſchichte von Böhmen, S. 94. : 


/ 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛe. 229 


nennen, da dieſe Pochwacke aus Quarz und Glimmer 
beſteht, die innig mit! einander gemengt ſind, und eine 
ſchiefrige Textur haben, alfo zu der Gebirgsart gehören, 
die man Glimmerſchiefer benennt hat, und deren ich 
ſchon vorher mehrmals gedacht habe. Sie fuͤhrt auch 
dort bloß den Namen Pochwacke, weil ſie ihrer Feſtig⸗ 
keit wegen in der Gegend, ſtatt der Pocheiſen, gebraucht 
wird. Allein daran braucht ſich der Mineraloge nicht zu 
kehren. Eben dieſes findet zu Kammersdorf im Weu⸗ 
ſtaͤdtiſchen ſtatt; denn die dafige Wade iſt nichts als 
theils graͤulich-weiſſer, theils dunkel- rother Thonſchie⸗ 
fer ), und auch bey Bingen im Fuldiſchen, wo ſogar 
der Quarz nur unter dem Namen Wade bekannt iſt ). 
Das Foßil, welches fo haufig auf dem Harze mit dem 
Thonſchiefer vorkoͤmmt, und hier den Namen Grau— 
Wacke erhalten hat, das aber auch um Koblenz und 
Braunsdorf ), in der Gegend von Freyberg im Erz— 
gebirge entdeckt iſt, iſt zwar nur eine Sandſteinart, wie 
Herr Werner +) gezeigt hat, und auch aus Herr Samens 
ſchmidts ſehr genauen Beſchreibung ++) erhellet; und fie 
gehoͤrt, wie man weiter hinſehen wird, im geringſten 
nicht zu der Wacke, die wir ſo nennen werden; allein 
ſie hat niemals einen andern Namen erhalten, als den 
ſie noch jetzt fuͤhrt, und er wuͤrde ihr ohne viele Schwie— 
rigkeiten nicht gut wieder genommen werden koͤnnen; das 
her muß man ihr ihn laſſen, und nur darauf bedacht 
ſeyn, dieſem unvermeidlichen Uebel (inſofern nemlich iſt 


*) Charpentiers mineralog. Geographie, S. 327. Voigts mineral. 
Reiſe durch das Herzogthum Weimar und Eiſenach, S. 54. 

**) Voigts mineralogiſche Beſchreib. des Hochſtifts Fulda, S. 212. 

*) Beylage zu der chimiſchen Analogie, 2. St. 1787. 

pr) In feiner kurzen Klaßifikation, S. 18. | 

Tr) A. a. O. der Crellſchen Veytraͤge, worinn er eben das Daſeyn 

der Grauwacke um Braunsdorf am erſten bekannt gemacht hat. 


— 


230 D. L. Guſt. Karſten, gekrönte Preisſchriſt 


die Benennung dieſer Art des Sandſteins ein Uebel zu 
nennen, als ſie doch manchen nicht genug von der Ur⸗ 
ſache unterrichteten dazu verleiten kann, daß er denkt, 
man will hiedurch eine Art der eigentlichen Wacke aus⸗ 
druͤcken) ſeine Wirkung, ſo viel als moͤglich, zu beneh— 
men, welches durch eine gewiſſe allgemeine Obſervanz in 
der Rechtſchreibung dieſes Worts ziemlich gut wird er— 
langt werden koͤnnen. Schreibt man nemlich graue Wa⸗ 
ke, ſo heißt dieß (in 2. Woͤrtern) Wacke, die eine 
graue Farbe hat, und denn iſt bey vielen gewiß die 
Verwechſelung unvermeidlich; ſchreibt man hingegen 
Grauwacke (als ein Wort), ſo denkt man es ſich weit 
eher, als ein urſpruͤngliches Wort, und die Aufmerk 
ſamkeit wird dann um vieles weniger darauf gerichtet 
werden, daß die beyden letzten Silben, ſchon ein Foßil 
fuͤr ſich bezeichnen. Dieſe Schreibart iſt alſo der erſten 
ſehr vorzuziehen. 

Es thut mir ſehr leid, daß ich es ſagen muß; allein 
ich bin es der Wahrheit ſchuldig. Herr Storr iſt einer 
unſrer neueſten mineralogiſchen Schriftſteller, der es ſich 
ordentlich angelegen ſeyn zu laffen ſcheint, mit dem Nas 
men Wacke noch mehr Mißbrauch zu treiben, als alle 
andere. Er nennt jede gemengte Steinart und jede Be 
birgsart eine Wade, und verbindet dieſes Wort bey je— 
der Steinart mit einem andern, wodurch er die Gattung 
bezeichnen will. So hat er z. B. Glaswacke, Quarz⸗ 
wacke, Kalchgeſchiebwacke, Schoͤrlwacke, Tropfſtein⸗ 
wacke, Schwerſpatſchieferwacke ic. Und wozu ſoll dieſe 
Neuerung hier dienen? Sonſt pflegt man nur dann Foßi⸗ 
lien, neue Namen beyzulegen, wann die aͤltern ihrer 
Natur entgegen ſind, und dadurch zu Verwechslung 
der Gattungen, Arten und Abaͤnderungen unter einander 
Anlaß geben. Aber dieß iſt ja hier der Fall gar nicht. 

Herr Storr ſpricht unter dieſem Symbolum, von lauter 


f 


— 


uͤber den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. 231 


ſonſt ſchon gut benannten Steinarten, und noch dazu 
auf eine folche Weiſe / daß man nur mit großer Muͤhe 
ſeine Sprache ins allgemein verſtaͤndlich uͤberſetzen kann; 
denn was iſt dieß fuͤr eine Erklaͤrung der Glaswacke? 
Es iſt eine Wade, deren Zauptbeſtandtheil, Kieſel⸗ 
erde; eine Gebirgsart, die aus Quarz und Feldſpat 
mit Granaten, Glimmer, Schoͤrl ꝛc. gemengt, bes 
ſteht ). Folgende Stelle ſcheint Herr Storr zur Ent 
ſchuldigung ſeiner wunderbaren Namen geſchrieben zu 
haben ). 

„Zu Vermeidung einer Ungleichheit im Ausdrucke, die 
„bey Gegenſtaͤnden dieſer Art leicht anftößig werden kann, 
„mußte ich daher auf die zwar gangbaren, aber nicht 
„immer in der Anwendung genug beſtimmte Namen, 
„Granit, Gneiß ꝛc. Verzicht thun. Die Ungleichheit 
in Ausdrücken befürchtete alſo der Herr Storr, wann 
er die Worte Granit, Gneiß, Glimmerſchiefer ꝛc. 
brauchte. Ich muß geſtehen, daß mir dieſe Folge nicht 
einleuchtet; denn daß die Mineralogen ſich freylich zus 
weilen unbeſtimmt genug ausdruͤcken, iſt gewiß; allein 
wer wird deswegen das Kind mit dem Bad ausſchuͤt— 
ten? Herr Charpentier ſchrieb 6. Jahr vor Hrn. Storr, 
fein mineralogiſch-geographiſches Buch; es herrſchte alſo 
gewiß damals noch mehr Unbeſtimmtheit, als jetzt unter 
den Mineralogen, und doch blieb er bey den gewoͤhnli⸗ 
chen Benennungen, wenn ſie nur nicht unrichtig waren; 
weil er aber Sachkenntnis genug hatte, ſo herrſcht ſehr 
viel Beſtimmtheit und Deutlichkeit darinn. Daß nicht 
einige Fehler darinn vorkommen ſollten, wird niemand 
laͤugnen, aber ubi plura nitent, da uͤberſieht man ja 
dieſe gerne. Des Herr Voigts mineraliſch-geographi⸗ 
25) Storrs Alpenreiſe, S. V. der Vorbereitung. 
un) S. 32. des zten Theils in der Anmerkung. 


A 


232 D. L. Guſt. Karſten, gekroͤnte Preisſchrift 75 


ſche Schriften koͤnnten ebenfalls Hrn. Storr beweiſen, 
daß ſich mit richtiger Bemerkung der gewoͤhnlichen Na⸗ 
men, ſich ſehr beſtimmt ſchreiben ließe. Nicht weniger 


Leske, der feine Reiſe durch Sachſen, ungefähr zu eben 


der Zeit ſchrieb, da Herr Storr mit ſeiner beſchaͤftiget 
war. Sein Buch enthält in den mineralogiſchen Beſtim⸗ 
mungen keine Undeutlichkeit, keinen Miſchmaſch, und er 
iſt ganz ohne Glaswacke, Quarzwacke, und wie fie 
weiter heiſſen, durchgekommen. Die ganze Kunſt beruht 
bey Schriften dieſer Art darauf, daß man keine falſche 
Anwendungen mit vorhandenen Namen zu Schulden 
kommen laffe, und daß man da, wo die Mineralogen 
von einander abweichen, angiebt, wem man folgt; 
mehr Beſtimmtheit im Ausdrucke erwartet gewiß nie 
mand bey Hrn. Storr feinen gemachten Veraͤnderungen 
zu gefallen. Vielmehr kann es leicht ſeyn, daß eben da— 
durch manche veranlaßet werden, ihm weniger Kenntniß 
zuzutrauen, als er wirklich beſitzt, da die Erfahrung 
taͤglich lehrt, daß eine ſolche ohne Grund vorgenommene 
Veraͤnderung des Ausdrucks, gewöhnlich nur darzu die, 
nen muß, um die Unkunde der Leute, die auch davon 
ſchreiben wollen, etwas zu uͤbertuͤnchen. Faͤllt der Kalk 
ab, ſo ſieht man freylich die loͤcherige Wand dahinter. 
Des Hrn. Stores Anwendung des Namens Wade, iſt 
alſo nicht fo unumgaͤnglich, als die Behbehaltung des 
Wortes Grauwacke war. Und wenn Herr Storr das 
Publikum durch mineraliſche Schriften belehren will, ſo 
muß er dergleichen zuweit getriebene Aenderungen kuͤnftig 
voͤllig meiden. Wer wird denn nicht lieber beym Pi; 
ni “) leſen, daß die Hauptgebirgsart des Gotthards 
Granit ſey; und noch dazu, wenn dieſes mit einer ſo 
guten Beſchreibung ſeiner dortigen Abaͤnderung verbun⸗ 


*) Mineralogiſche Bemerkungen des St. Gotthardts, S. 41. 


4 
* 


\ 959 
uͤber den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. 233 


den iſt, die Pini beygefuͤgt hat, als erſt lange nach vie— 
lem Gruͤbeln, womit man ohne Noth die edle Zeit ver— 
derben muß, heraus zu bringen ſuchen, was denn die 
manchartig gemiſchte Quarzwacke wohl ſeyn koͤnnte, 
die nach Herr Storr auf dem Gotthardt anzutreffen 
ſeyn fol *). Bey neuentdeckten Foßilien, oder bey 
wahren Berichtigungen falſcher Eintheilungen der Foſ— 
ſilien, hat Herr Storr allerdings, wie jeder andere, 
das Recht neue Namen zu machen, wenn er ſie nur 
deutlich erklart. Bey Foßilien aber, die ſchon richtige 

Namen haben, iſt es nicht nur unnuͤtze, ſondern auch 

ſchädlich fuͤr die Wiſſenſchaft. 

Das bisberige betraf alſo bloß Foßilien, die aus den 
angeführten Gründen keine wahre Wade find, alſo auch 
nicht mit Recht dieſen Namen fuͤhren koͤnnen: Hingegen 
wird von Hrn. Charpentier *) uns unter dem Namen 
Wacke eine Steinart beſchrieben, die ſich auf dem Fich— 
telberge in Sachſen findet, und welche 
1. Zur Zeit noch von keinen andern Mineralogen! an⸗ 

ders benannt iſt, 

2. Die, fo viel man weiß, nie einen andern Wamen 
hatte. 

3. Zu keiner andern Gattung oder Art der Foßilien, 

als bloße Abaͤnderung zu rechnen iſt, wie man aus 
der bald davon zugebenden aͤußerlichen Beſchreibung 
erſehen kann. 

4. Giebt es nicht mehrere von einander verſchiedene 
Gattungen unter den Foßilien, die fo, wie das ob— 
genannte Foßil den Wamen Wade mit Recht fuͤh— 
ren, ſondern was die Herren Charpentier und Ferber 
noch davon anfuͤhren, ſind bloße Abaͤnderungen die⸗ 


*) Alpenreiſe, S. 19. des ꝛ2ten Cheils. 
* Mineralogiſche Geographie, S. 231. 


* 
AR 


234 D. L. Guſt. Karften, gekroͤnte Preisſchrift 


ſer, welche ſich am Fichtelberge findet; fie gehören 

alſo mit ihr zu einerley Gattung der Foßilien, und 

zwar zu derjenigen, welcher der Gattungsname Wacke 
mit Recht zukoͤmmt, und fie find alle unter folgender 
aͤußerer Beſchreibung derſelben enthalten: 

Die Farbe der Wacke iſt ſtets mehr grau, als 
ſchwarz, theils gruͤnlich, theils gelblich-roͤth— 
lich und ſchwaͤrzlich-grau. | 

Sie findet ſich derb in ganzen Lagern. 

Iſt inn wendig matt, fehr ſelten ſchwach ſchimmernd. 

Ihr Bruch iſt gewoͤhnlich eben, ſelten un⸗ 
eben, und zwar von feinem Korne. 

Sie ſpringt in unbeſtimmteckige, nicht ſonderlich 
ſtumpf kantige Bruchſtuͤcke. 

Iſt ohne abgeſonderte Stuͤcke undurchſi tig, theils 
halb- hart, theils weich, jenes aber immer in keinem 
ſehr hohen Grade, und nicht ſonderlich ſchwer. 

Hieraus ſieht man alſo, daß Wacke in Sachſen nicht 
mit Hornblende einerley iſt, wie Hrn. Gmelin “ meint, 
ſondern ſich ganz davon unterſcheidet; auch irrt ſich 
Herr Brinnerich, wenn er glaubt, die Wacke der Deut⸗ 
ſchen ſey mit dem Trapp einerley *), und mit ihm 
Herr Zaidinger *). Es iſt allerdings wahr, daß die 
Wacke zuweilen ſehr viele Aehnlichkeit mit dem Trapp 
oder Baſalt hat, welches auch Hrn. Charpentier bemerkt, 
indem ſich zuweilen Kalkſpat und Hornblende, wie bey 
dem Baſalt, als in einer Hauptmaße eingemengt befin⸗ 
det, und ihr Anſehen ſelbſt dem des Baſalts nicht ſelten 
nahe kömmt. Im ganzen genommen find fie aber 
auch noch verſchieden genug von einander; denn die 
Farbe des Baſalts iſt immer mehr ſchwarz / als grau; 


) Gmelins Mineralogie, S. 213. 
) Brinnerichs Mineralogie, S. 45. 
*r) Syſtematiſche Eintheilung, S. 54. 


fiber den Tonſchiefer, Hornſchiefer ie. 235 


ſein Bruch uneben, ſplitterig und erdig; er hat abge⸗ 
ſonderte Stuͤcke, die der Wacke ganz fehlen, und ein 
größeres eigentliches Gewicht, als dieſe. Und folgt denn 
hieraus, daß zwey Steinarten einerley ſind, wenn ſie 
einander nahe kommen, oder auch wol bisweilen in ein— 
ander uͤbergehen? Dann waͤre auch Weißguͤldigerz und 
Fahlerz; Glaserz und Weißguͤldigerz; Rothguͤldig⸗ 
erz und Glaserz; grauer Speiß⸗Robold, und weißer 
Speiß⸗Robold; Quarz und Sornſtein; Hornſtein und 
Feuerſtein; Jaſpis und Zornſtein ꝛc. einerley, welches 
niemand behaupten wird. 

Da uns aber noch eine chemiſche Zergliederung dieſer Wa— 
ke fehlt, ſo kann ich von ihren Beſtandtheilen nichts anfuͤh— 
ren. Indeſſen ſcheint es doch, als wenn ſie wohl unter die 
Familie der Thonarten ihren Platz erhalten wuͤrde. Die 
Hauptmaße des Mandelſteins koͤmmt dem Aeußerlichen 
nach mit der Wacke auch im Ganzen ſo uͤberein, daß eine 
chemiſche Analiſe beyder Steinarten uns vielleicht darthut, 
daß ſie zu derſelben Gattung gehoͤren. Bis dahin bleibt 
es indeſſen nur Muthmaßung. 

Noch iſt mir übrig von den Beburtsörtern der Wacke 
und ihrem geognoſtiſchen Verhalten zu handeln. Fol— 
gendes laßt ſich wohl von beyden mit ziemlicher Zuver⸗ 
laͤßigkeit ſagen. | 

Sie bricht zu Joachimsthal in Böhmen auf mehrern 
Gruben z. B. am Kuͤchgange, bey der Einigkeit ); hier 
ſtreicht ſie ſehr regelmaͤßig, und macht einen Gang aus, 
der von einigen Zollen bis auf 40. Lachter maͤchtig wird; 
die dortigen Bergleute nennen dieſe Gänge auch RKaͤmme. 
Auf den Saͤchſiſchen Edelleuteſtollen findet ſich gediegen 
Silber in der Wacke ). 


Die ſogenannten Kalkgaͤnge, welche zu Marienberg 


5) Ferbers Beytrag, S. 69. *r) Ferber a. a. O. S. 48. 


\ 7 


236 D. L. Guſt. Karſten / gekroͤnte Preisſchrift ze. 


(im Saͤchſiſchen Erzgebirge), am Marters und Wildsberg 
vorkommen, ſind, wie man ſich aus Hrn. Charpentiers 
Beſchreibung davon überzeugen kann *), nichts als dieſe 
ade, welche dort in unordentlichen Lagern ſich im 
Gneuß befindet. Auf dieſelbe Art koͤmmt ſie auch auf dem 
Sauberge, bey Ehrenfriedersdorf vor *); und hier iſt 
es, wo die Bergleute fie ſelbſt ſchwarze Wade nennen. 


Und im Glimmerſchiefer liegt fie ebenfalls in ſolchen La⸗ 


gern, auf den Gruben Aaron, Neu-Oberhaus⸗Sach⸗ 
m ıc. zu Johann Georgenſtadt. 
Die Wade befindet ſich alſo: 

1. Als Lager zwiſchen den Geſteinlagern der anfaͤng⸗ 

lichen Gebirge; 
2. Aber auch in eigenen Gaͤngen in dieſen Gebirgen. 

Das erſtere beweiſen die Gebirge bey Martenberg, Eh⸗ 
renfriedersdorf und Joh. Georgenſtadt; und das zweyte 
nicht nur die angeführten Gruben zu Joachimsthal in Boͤh⸗ 
men, ſondern auch vorzüglich der Fuſtelberg bey Wieſen⸗ 
thal in Sachſen, wo Hrn. Charpentier an der Grube Kreuz 
Jahr die Wacke an den Seiten des Stolles, als Lager 
und Vorort, einen Gang fand, der 678. Zoll maͤchtig 
ward *). Eigene Erfahrungen haben auch mich an einem 
andern Orte von dem zweyten überzeugt, dann ich fand, 
daß die ziemlich maͤchtigen Gaͤnge, welche im Plauiſchen 
Grunde bey Dresden, nicht weit von dem Eingang zu 
Tage ausſtreichen, aus nichts als dieſer Wacke beſtanden. 
Sie ſtreichen daſelbſt in Werners Gruͤnſtein f), und man 
hatte, da ich dieſes beobachtet, einen Verſuchbau darauf 
angelegt, der aber, ſo viel ich weiß, nicht vortheilhaft 
ausgefallen iſt. 


) Mineralogiſche Geographie, S. 186. 187. 
a. s. 2..08., 182 ker) A. a. O. 
+) Kurze Klaßifikation der Gebirgsgrten, S. Ss. 5. 7. 


3:0. Le 


gefrönte 


en 


uͤber den 
Tonſchiefer, Hornſchiefer, und Waken ꝛc. 


Von 
Herren Bergſekretarius Voigt 


in Weimar. 


* 


2 


238 Hrn. Bergſekr. Voigt gekrönte Preisſchrift | 


Beytrag zu Berichtigung der Nomenklatur 
in der Mineralogie. | 


Die von dem Herrn Dock. Höpfner in Bern ausgeſetzte 
Preis aufgabe, dieſen Gegenſtand betreffend, veranlaßt 
mich, einiges aufzuſetzen, was etwa zu Entwickelung eis 
ner Verwirrung beytragen koͤnnte, die durch unaͤchte, 
zweydeutige und falſche Benennung verſchiedener Foßilien 
entſtanden iſt. Eine Arbeit, die ſich in unſern Tagen um 
ſo nothwendiger macht, da ſich wirklich darthun laͤßt, 
daß man vor dieſem von verſchiedenen Foßilien weit hel⸗ 
lere und beſtimmtere Begriffe hatte, als gegenwaͤrtig, wo 
jeder mineralogiſcher Irrthum nachtheiliger iſt, und ſich 
mehr ausbreitet, weil die Mineralogie ſo viele Freunde 
findet. Der Grund der entſtandenen Verwirrung liegt 
vorzuͤglich darin, daß Maͤnner die Mineralogie lehrten 
und daruͤber ſchrieben, nicht einverſtanden genug waren, 
die Gegenſtaͤnde, die ſie vor ſich hatten, nicht mit hin⸗ 
laͤnglicher Behutſamkeit benennten, nicht aufmerkſam genug 
auf Schriften waren, die gewiſſe Foßilien ſchon hinlaͤng⸗ 
lich beſtimmt hatten, zur Unzeit Namen abänderten und 
erfanden, und enblich eitel genug waren, andern nicht 
nachfolgen zu wollen. Eben ſo viel Schuld an dieſer 
ſchaͤdlichen Verwirrung haben auch die mehreſten Ueber⸗ 
ſetzer. Nur aͤuſſerſt wenige waren ſelbſt mit der Wiffene 
ſchaft bekannt genug, um Arbeiten dieſer Art uͤbernem⸗ 
men zu koͤnnen, und den Sinn ihrer Originale allezeit 
richtig zu treffen. Endlich hat auch das Beſtreben ver— 
ſchiedener Mineralogen Irrthum veranlaßt, jedes Foßil 
beſtimmt zu benennen, wo es beſſer geweſen ſeyn würde, 


ä 


über den Tonſchieſer, Hornſchiefer e. 239 


daſſelbe beſtimmt zu beſchreiben, und lieber gar nicht zu 
benennen. 

Es würde leicht ſeyn , von allem dieſem Beweiſe bey— 
zubringen , die aber auch für alle diejenigen uͤberflußig 
ſeyn wuͤrden, welche nur ſeit wenigen Jahren aufmerk— 
ſam auf das geweſen ſind, was uͤber dergleichen Gegen— 
ſtaͤnde geſchrieben worden iſt. Es ſcheint auch vielen das 
Talent abzugehen, ein Foßil fo zu karakteriſiren, daß der, 
welchem es nur dem Namen nach bekannt wird, ſich eine 
deutliche Vorſtellung davon machen kann. Haͤtten nicht 
zu viele Werners aͤuſſere Kennzeichen der Foßilien aus eis 
nem ganz verkehrten Geſichtspunkte angeſehen, und ſie ſo 
ſehr vernachlaͤßiget, ſo wuͤrde man kaum dieſe Klage noch 
fuͤhren duͤrfen, und weniger elende Beſchreibungen von 
Foßilien zu Geſichte bekommen. 

Ich uͤbergehe noch manches, was uͤber entſtandene Vers 
wirrung in der Nomenklatur mineraliſcher Koͤrper zu ſagen 
waͤre, und bearbeite den kleinen Beytrag, den ich zu ih⸗ 
rer Berichtigung zu liefern im Stande bin. 


§. I. Die Aufgabe iſt: 
„Eine richtige, beſtimmte, der Natur der Steinarten 
dvs angemeſſene Eintheilung, Benennung und Beſchreibung 
„ aller derjenigen Gebirgsarten, die jetzt unter dem Nas 
„men von Hornſchiefer, Thonfchiefer, Wacken und allen 
„in dieſe Claſſe einſchlagenden Gebirgsarten, zu verfer— 
„tigen, ſolche durch deutſche und lateiniſche Trivialnas 
„men genau zu beſtimmen, und Geburtsort und locale 
„Benennung anzufuͤhren. » 

Ich werde im Nachſtehenden verſuchen, in wie weit es 
mir gelingt, dieſer Aufgabe Genuͤge zu leiſten, ſo viel 
Schwierigkeiten ſich mir auch entgegenſtellen, und ſo gern 
ich den Schein vermeiden moͤchte, mich in einigen Faͤllen 
als competent aufwerfen zu wollen. Es iſt aber ſchwer, 


240 Hrn. Bergſekr. Voigt gekroͤnte Preisſchrift 


von einer Sache beſtimmt zu handeln, ohne durch einen 
feſtgeſetzten Namen ſie von einer aͤhnlichen unterſcheiden 
zu koͤnnen, und daher bin ich genoͤthiget, in einigen Faͤl⸗ 
len Namen als aͤcht anzunemmen, die noch nicht allge— 
mein recipirt zu ſeyn ſcheinen, aber wenn ſie dieſes mas 
ren, ſo beduͤrfte es auch keiner Auseinanderſetzung! 


§. 2. Bornſchiefer, aͤuſſere Kennzeichen und chemiſch 

Verhalten deſſelben. | 

Der Hornſchiefer ift von einer grauen Farbe, die fich 

aus dem Aſchgrauen bis ins Schwarzgraue verlaͤuft, und 
ſich bisweilen ſchwach in's Olivengruͤne ziehet. Er iſt al— 
lezeit derb, von unebenem, ſplitterigem Bruch, der ſich 
bisweilen dem Muſcheligen naͤhert, und ſpringt in grob— 
ſchieferige Bruchſtuͤcke, die feiner Textur angemeſſen find, 
Er iſt von feinem Korn, an den Kanten durchſcheinend, 
giebt einen weißlichtgrauen Strich, iſt in einem hohen Graz 
de halbhart und zaͤhe. Bisweilen fuͤhrt er Feldſpath und 
hoͤchſtſelten ſchwarze Hornblende-Cryſtallen. Er wird 
ſchwach vom Magnet gezogen, und Platten davon haben 
einen Klang, der ſich dem metalliſchen naͤhert. Erſt neuers 
lich hat dieſen Hornſchiefer Herr Senator Wiegleb chemiſch 
zerlegt“) und gefunden, daß eine Unze deſſelben 

5. Drachm. 41. Gran Kieſelerde, 

1. — — 55. — Alaunerde und 

— — — 17. — Eiſen 
enthalten hat. Vor ſich fließt er noch leichter und duͤn⸗ 
ner, als der Baſalt. 


F. 3. Kennzeichen der Sornſchieferberge. 
Man hat ſie bisher 
1.) nur in vulkaniſchen Gegenden oder in der Nachbar; 
ſchaft alter Vulkane gefunden, und zwar in der Ober⸗ 
lauſitz, 


*) Chem. Annalen. Jahrg. 1787. St. 4. 


uͤber den Tonſchiefer, Hornſchiefer te. 241 


lauſitz, im Fuldaiſchen, bey Carlsbad und Toͤplitz in 
Boͤhmen. | | 

2.) Nie als ein Gebirg, fondern immer nur in einzel⸗ 
nen Klippen und iſolirten Bergen, in dem Baſalt, mit 
ihm abwechſelnd, in Laven verwebt; er macht bisweilen 
die Spitzen vulkaniſcher Berge aus, ja er zeigt ſich ſogar 
als ein Uebergang in Baſalt, und ſcheint auch von vielen 
dafür angeſehen worden zu ſeyn. (S. F. 5.) 

3.) Er widerſtehet der Witterung, als es irgend eine 
Gebirgsart faͤhig iſt, und nur bisweilen findet man Klip— 
pen, die durch dieſelbe eine tonige weiſſe Rinde bekom— 
men haben. An Ruinen von alten Schloͤſſern, die davon 
aufgebauet geweſen, und wol tauſend Jahr alt ſind, be— 
merkt man noch nicht die Wirkungen deſſelben, und ihre 
Steine ſcheinen noch einen ganz neuerlichen friſchen Bruch 
zu haben. - 

4.) Die Hornfchieferfelfen haben ein grotteskes zackiges 
Anſehen, und verticale Spaltungen, die ſie in Saͤulen, 
Tafeln und ſtarke Baͤnke theilen, doch findet man auch 
ganze dergleichen Maſſen. 

5.) Er wird in ſo fern allezeit rein gefunden, daß nie 
eine erzt- oder ſteinfuͤhrende Kluft, oder irgend eine fremd 
artige Schicht in ihm angetroffen wird. Auſſer biswei— 
len Feldſpath und Hornblende, verunreiniget nichts ſeine 
Miſchung. 


$. 4. Schriftſteller, die dieſe Gebirgsart aufgeführt 
haben. 

1.) Charpentier min. Geograph. der Churfächfifchen Lan— 
de. S. 21. bis 32. Der Herr Verfaſſer fand ihn in der 
Oberlauſitz unter allen im $. 2. und 3. angeführten Um⸗ 
fanden, und nennt ihn Hornſchiefer. N 

2.) Leipziger Magazin zur Naturgeſchichte und Oeco— 
nomie. B. I. S. 11. Voigt uͤberſchickte mit einem Aufſatze 
Magaz. f. d. Naturk. Helvetiens III. B. Q 


* 


\ 


242 Hrn. Bergſekr. Voigt gekroͤnte Preisſchrift 


von den Rhoͤnbergen einige Stufen Hornſchiefer an Leske, 
und dieſer bezeugt in einer untergeſetzten Note, daß es 
eben der Hornſchiefer fey, wovon er aus der Lauſitz wel⸗ 
chen erhalten habe. 

3.) Wallerii Mineralogie durch Leske uͤberſetzt, S. 334. in 
der Note. Leske fand noͤthig, in dieſer weitlaͤuftigen Note 
anzuzeigen, daß das Foßil, welches in Sachſen Hornſchie⸗ 
fer benennt würde, ein ganz anderes ſey, als das, welches 
Waller aufführte. Er karakteriſirt es fo genau, daß man 
leicht ſehen kann, daß er eben den Hornſchiefer vor ſich 
hatte, deſſen Charpentier a. a. O. erwaͤhnt. 

4.) Voigts min. Beſchr. des Hochſtifts Fulda, S. 32 
bis 38. 54 bis 56. 131 bis 140. Man findet hier alles das 
von Hornſchiefer, was §. 2. und 3. dasz ihm angefuͤhrt 
worden iſt. 

8.) Deſſen drey Briefe über die Gebirgslehre, S. 46. 
und in den dazu gehörigen Cabinets von Gebirgsarten 
ſub Nro. 55. 

6.) Leskens Reiſe durch Sachſen in Ruͤckſicht der Defos 
nomie und Naturgeſchichte, S. 496. bis ans Ende. Ob⸗ 
gleich dieſer Schriftſteller in ſeinen aͤltern Schriften dies 
Foßil Hornſchiefer genennet hatte; fo bedient er ſich doch 
in dieſem Werke der Benennung, Hornartiger Porphyr, 
wozu ihn die darinne befindlichen Sippen und 
Lamellen moͤgen bewogen haben. x 

7.) Kurze Claßification und Beſchreibung der verfchies 
denen Gebirgsarten von Werner, S. 11. Hr. Inſpektor 
Werner fuͤhrt hier dieſe Steinart unter dem Namen Por⸗ 
phyrſchiefer auf, mit der Bemerkung, daß ſie andere 
Schriftſteller Hornſchiefer benennten. In den 1770ger 
Jahren bediente er ſich jedoch noch der letztern Benen⸗ 
nung, und verſicherte einem ſeiner damaligen Zuhoͤrer, 
der ihm eine Stufe davon vom Schloßberge bey Toͤplitz 
mitbrachte, es ſey Hornſchiefer. 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ic. 243 


8.) Ferbers Beyträge zu der Mineralgeſchichte von Boͤh⸗ 
men, S. 122. Hier wird der wahre Hornſchiefer unter 
dem Namen dunkelgrauer, etwas blaͤulichter Tonfchiefer ꝛc. 
ſehr genau und richtig beſchrieben. Er fand ſich ſaͤuleufoͤr— 
mig bey Kladnau in Boͤhmen. 


§. 5. Schriftſteller, die unter dem Namen, Zornſchirsd 
fer, ein anderes Foßil verſtehen. 

Auſſer angezeigten Schriften findet man noch die Be— 
nennung, Sornſchiefer, in nachſtehenden, wo jedoch an— 
dere Foßilien damit belegt werden, wieſaus den Beſchrei— 
bungen und andern Umſtaͤnden leicht zu erkennen iſt. 

1.) Wallerii Mineralogie, von Denſo uͤberſetzt, S. 185. 
und in der Leskiſchen Ueberſetzung S. 334. Hier wird 
Hornſchiefer, Corneus fiſſilis lamellis parallelis, Roche de 
corne feuilletèe, aufgefuͤhrt, aber ſchon der Umſtand, daß 
oft Metalle, beſonders haͤufig Gold- und Kupfererzte 
darinne brechen ſollen, zeigt nach §. 3. ſattſam, daß er 
nicht der Hornſchiefer iſt, von dem hier die Rede iſt Es 
laͤßt ſich auch nicht wol ſchlieſſen, was fuͤr eine Steinart 
Wallerius eigentlich darunter verſtehen mag, als etwann 
Abaͤnderungen des Tonſchiefers; doch bemerkt er unter 
andern Umſtaͤnden, daß er andere Steinarten wie eine 
Haut bedecke, und wie koͤnnte dieſes beym Tonſchiefer 
Statt finden? 

2.) Brüning führe den Zornſchiefer in feiner Minera— 
logie S. 93. ebenfalls als Erztmutter und Ganggeſtein 
auf, welche Eigenſchaften ihm aber nach denen abgehen, 
die den eigentlichen Hornſchiefer beſchrieben haben. 

3.) Der Herr Oberbergrath Ferber braucht die Benen— 
nung, Hornſchiefer a.) von einer Steinart, die in Unter— 
ſteyer und Krain haͤufig gefunden wird, und aus Quarz 
und Glimmer beſtehet. (Briefe aus Waͤlſchland, S. 4.) 
b.) Von einem Granit, der nach ſeiner ganzen Miſchung 


244 Hrn. Bergſekr. Voigt gekroͤnte Preisſchrift 


in Ton aufgelöst iſt; (Beytr. zur Min. Geſchichte in Boͤh⸗ 
men, S. 25.) und c.) von einer innigſten Verbindung 
des Quarzes mit dem Tonſchiefer, (ebendaſ. S. 122. in 
der Note). Daß letzteres der ſchiefrige Hornſtein ſey, von 
dem $. 10. gehandelt werden ſoll, iſt ſehr wahrſcheinlich. 


1 4.) Herr Adjunkt Haidinger (deſſen Entwurf einer ſyſte— 
matiſchen Eintheilung der Gebirgsarten, S. 33.) pflich⸗ 
tet Herr Ferbern bey und bedient ſich ſeiner eigenen Worte 
zur Beſchreibung ſeines Hornſchiefers. Das uͤbrige beſtaͤ⸗ 
tigt meine obenangefuͤhrte Vermuthung, daß fein Gegen 
ſtand eigentlich der ſchiefrige Hornſtein, und daß Waller 
Hornſchiefer eine Abaͤnderung des Tonſchiefers ſey. Daß 
Hornſchiefer auch eine der gemeinſten erztfuͤhrenden Ge 
birgsarten des Harzes ſeyn ſoll, iſt nicht gegruͤndet, und 
unter dieſer Benennung kennt man auch nicht einmal eine 
Gebirgsart des Harzes. 


5.) Von Leyſſers mineralogiſche Tabellen. Die Gruͤnde 
find hier nicht angegeben, warum der Herr Kriegsrath 
fuͤr Hornſtein allemal die Benennung Hornſchiefer gewaͤhlt 
hat. In der deutſchen Ueberſetzung von Kirwans Mine; 
ralogie, die hier in Tabellen gebracht iſt, kommt die Bes 
nennung Hornſchiefer, nicht ein einziges mal vor, ſondern 
durchgehends findet man die Engliſchen Worte Hornſtone 
und Chert Hornſtein uͤberſetzt, ob Kirwan wol eigentlich 
unter Hornftone Hornblende verſtanden hat. 

6.) In der angezogenen Note in Wallerii Min. S. 385. 
ſagt Herr Prof. Leske: „In de Sauſſure Voyage dans les 
Alpes findet man auch Nachrichten vom Hornſchiefer in 
Savoyen ꝛc. „ Aber in der deutſchen Ueberſetzung dieſes 
Werks findet ſich ebenfalls dieſe Benennung nicht, und 
Herr Wyttenbach hat Pierre de corne ſo wol als Roche de 
corne allemal Hornſtein uͤberſetzt. Im §. 672. dieſer Reiſe 
ſcheint die Rede von ſchiefrigem Hornſtein zu ſeyn, und 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. 245 


hoͤchſtwahrſcheinlich iſt der Baſalt von la Cour, den Herr 
Saußuͤre $. 183. beſchreibt, der aͤchte Hornſchiefer. 

7.) Der Hornſchiefer, der in Gerhards Verſuch einer 
Geſchichte des Mineralreichs vorkoͤmmt, iſt ebenfalls uns 
ſer Hornſchiefer nicht, denn es heißt unter andern von 
ihm: „Dieſer wahre Hornſchiefer oder Tonſtein iſt eine 
bloſſe Fortſetzung des Gneuſſes. » 


$. 6. Claßification des Zornſchiefers. 

Der Hornſchiefer iſt nicht von allen, die ihn anfuͤhren, 
von dieſer Seite beurtheilt worden, und bey der Unge— 
wißheit, mit welcher er bisher gekannt wurde, war dies 
allerdings auch mit Schwierigkeiten verbunden. 

Kuͤrzlich muß ich hier anfuͤhren, daß viele Mineralo— 
gen den Baſalt und einige ähnliche Gebirgsarten für vul— 
kaniſche Ausgeburten halten; einige aber das Gegentheil 
glauben. Werner, der ſich in ſeiner Claßification der Ge— 
birgsarten ganz wider die Meinung der erſtern erklaͤrt, 
und ſeine Gruͤnde hieruͤber bekannt zu machen verſprochen 
hat, fuͤhrt daher dieſe Gebirgsart ſo wie den Baſalt un— 
ter den uranfaͤnglichen Gebirgsarten mit auf. Voigt hin— 
gegen , dem ich beypflichte, haͤlt ihn für vulkaniſch , und 
zwar aus folgenden Gruͤnden, die ich aus ſeiner Reiſe 
von Weimar uͤber den Thuͤringer Wald, die Rhoͤnberge 
bis Biber und Hanau, S. 39. wörtlich hier einſchalte: 

„Ich fand eine neue Urſache, den Hornſchiefer, der in 
„ Leskens Reiſe durch Sachſen hornartiger Porphyr, von 
„ Hrn. Werner aber Porphyrſchiefer genennt wird, für 
„ein Feuerprodukt zu halten. Die Gründe, die ich bis⸗ 
„her hiezu hatte, waren kuͤrzlich: 1.) er wird nur in der 
„Nachbarſchaft alter Vulkane, oder gar in ihnen ſelbſt 
„gefunden : 2.) haben feine Felſen mit den vulkaniſchen 
» einerley Beſchaffenheit und Anſehen: 3.) iſt er eben fo 
» leichtfluͤßig wie Lava: 4.) bewegt er den Magnet, wie 


* 


246 Hrn. Bergſekr. Voigt gekroͤnte Preisſchrift 


sdiefe: 5.) finden ſich Arten deſſelben, wo man zweifel⸗ 
ss haft bleibt, ob man fie Baſalt oder Hornſchiefer benen; 
„nen foll : 6.) beſchreibt Faujas de St. Fond S. 48. 
„ſeiner Mineralogie der Vulkane eine graue compacte La— 
„va mit Feldſpat, die alle Eigenſchaften deſſelben hat. 
„Der ſiebende Grund iſt nun folgender, und gewiß von 
„dem mehreſten Grwicht. Der Rand des Craters, der 
„der Pferdskopf genennt wird, und unerſteiglich jaͤh iſt, 
„ beſtehet halb aus Lava, und halb aus Hornſchiefer nes 
„ben einander geſtellt. Die Lava iſt faſt durchgehends fu; 
„ gelfoͤrmig, und wenn man das Anſehen des Ganzen mit 
„etwas ganz Kleinem vergleichen duͤrfte, ſo waͤre das 
„Anſehen des Carlsbader Erbsſteins das paſſendſte. So 
5 wie dieſer aus ſchaligen Kuͤgelchen zuſammengeſetzt iſt, 
„fo find hier kugelfoͤrmige ungeheure ſchalige Ballen in 
„einander gedruckt, die meiſtens aus braunrother poroͤ— 
„fer Lava mit Hornblende, Zeolith, auch leeren Blaſen— 
„ loͤchern, die zum Theil blaulicht angelaufen find beſte— 
hen, hin und wieder aber auch Partieen von Baſalt und 
„andern Laven enthalten. Niemand wird dieſe fuͤrchter⸗ 
„liche Klippe ohne Staunen anſehen koͤnnen. Die Wit 
„terung wirkt ſehr ſichtbar auf ſie, und an ihrer Wurzel 
„liegen anſehnliche Zonhügel , die Regen herabge— 
„ſchwemmt hat. Nach und nach ſtuͤrzen auch Lavaku⸗ 
„ geln herab, und kollern fo weit fort, bis fie von jenen 
„ aufgehalten werden, die früher dieſes Schickſal hatten. 

„Da, wo der Hornſchiefer an dieſe Lava anſtoͤßt, bez 
„deckt Ton und Geſtraͤuch die Graͤnzlinie; doch nicht weit 
„über derſelben iſt erſterer eben fo kugelfoͤrmig, nähert 
ſich der weiſſen Farbe, und man bemerkt in ihm, doch 
„ aͤuſſerſt ſelten, Hornblende. Je entfernter von dieſer 
„Graͤnzlinie, je feſter wird er, je dunkler wird ſeine graue 
„Farbe, und ſein Gewebe wird grobſchiefrig, und oben 
„ auf dem hoͤchſten Punkte zieht er ſich über die Lava hin, 


* 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛe. 247 


„und iſt da, wenigſtens von auſſen, duͤnnſchieferig, und 
„ zum Theil in eine graue leichte Erde aufgelöst. 

„Was einem Gegner hierbey zuerſt in den Sinn kom⸗ 
„men koͤnnte, waͤre, daß vulkaniſche Kraft den ganzen 
„Fels aus dem Innern empor gehoben, und ihn da beſchaͤ— 
„ digt haben koͤnnte, wo er an die gluͤhende Lava anſtieß. 
„Aber welche Wirkung koͤnnte ihn da kugelfoͤrmig gebil— 
„det haben? Geſetzt, man wollte dies als etwas uner— 
„ klaͤrbares und eigenes anſehen, fo wuͤßte ich auch nicht, 
5 wo der Hornſchiefer vor Erſcheinung der Vulkane ſollte 
„ gelegen haben. Die Vulkane brachen entweder aus dem 
„Floͤtzgebirge, oder noch tiefer aus dem darin befindlis 
schen Grundgebirge hervor, und letzteres wol zuverlaͤßig. 
„ Fuͤr eine Floͤtzſchicht wird wol niemand den Hornſchiefer 
halten, und ich am allerwenigſten, da ich das Innere 
„ dieſer Gegenden fo genau kenne, als es bis jetzt mögs 
„ lich iſt. Aus dem Floͤtzgebirge konnte ihn alſo ein Vul— 
„kan wol nicht hervorſtoſſen. Wollte man ihn fuͤr eine 
2 Art des Grundgebirgs halten, das in dieſem Lande wol 
„mehr als ein tauſend Lachter tief liegen moͤchte, ſo 
„müßte vulkaniſche Kraft auf eine unbegreifliche Weiſe 
„in ihrem Schooſſe erſtlich dieſe Berge vom Ganzen abs 
5 geſoͤndert, und fie durch die Roͤhre, die fie ſich ge 
„brannt hatte, hindurch getrieben haben, ſo wie man 
„durch Pulver eine Kugel aus dem Geſchuͤtz treiben kann. 
„Mag dieſe Vergleichung fo klein und laͤcherlich ſcheinen, 
„als fie immer will, fo iſt fie gewiß die paſſendſte, und 
„im Verhaͤltniß iſt die Kugel noch immer zu groß, oder 
„die Berge zu klein. 

„Wenn man ſich aber auch noch über dieſe Schwierig 
„ keit hinausſetzen wollte, fo wäre es doch hoͤchſt verwun— 
„ dernswuͤrdig, daß die Vulkane in der Lauſitz, in Böhs 
„men und im Fuldiſchen, wo ſie Hornſchiefer zum Ge— 
v fahrten haben, juſt Hornſchiefer, und nicht auch Gras 


248 Hrn. Bergſekr. Voigt gefrönte Preisſchrift 


„nit, Porphyr, Tonſchiefer und andere Grundgebirgs— 
„arten aus ihrem Schooſſe mit hervorgebracht und 1 
„ihre Gipfel geſtellt haben ſollten. 

„Ich mag die Sache von ſo vielen Seiten betrachten, 
„als ſich nur immer herbeyziehen laſſen, ſo bleibt mir im⸗ 
„mer das Reſultat, Hornſchiefer muß ein Feuerprodukt 
„ ſeyn, ꝛc. ꝛc. „ 

Hierbey wiederhole ich aus §. 5. daß der in de Sauſſure 
Voyages &c. $. 182. angeführte ſaͤulenfoͤrmige, graue und 
dichte Baſalt und Feldſpath hoͤchſtwahrſcheinlich auch uns 
fer Hornſchiefer iſt. Ueberhaupt iſt die Aehnlichkeit zwi⸗ 
ſchen beyden Gebirgsarten ſo groß, daß Leske (Reiſe durch 
Sachſen S. 523. davon ſagt: „Für das Geſtein (des 
„Ungluͤcksſteins) ſelbſt weiß ich noch keinen Namen, der 
„ mir Genugthuung leiſtete, es ſcheint mir ein Mittelding 
„zwiſchen hornartigem Porphyr, (Hornſchiefer) und Bas 
„ ſalt; und (S. 514.) Er, (der Hornſchiefer) hat nach 
„allen Kennzeichen eine groſſe Aehnlichkeit mit dem Ba: 
„ſalt; welche Vermuthung jedoch nur durch eine naͤhere 
„chemiſche Unterſuchung vergewiſſert werden kann. „ 

Voigt (Min. Beſchr. des Hochſtifts Fuld. S. 133.) ſagt 
vom Ruͤckersberge: „Ich getraue mir jetzt noch nicht, 
„mehr davon zu ſagen, als daß es ein Mittel zwiſchen 
5 Hornſchiefer und Baſalt iſt. » 

Charpentier (Min. Geogr, der Churſaͤchſiſchen Lande, 
S. 22.) führt einige Unterſcheidungszeichen zwiſchen Horns 
ſchiefer und Baſalt an, und ſetzt hinzu: „Dieſe Eigen— 
„o [haften unterſcheiden ihn von dem Baſalt, mit dem er 
„ auſſerdem, zumal wenn er von groͤberm Korn iſt, bey 
„dem erſten Anſehen Aehnlichkeit zu haben ſcheint, und 
„auch von verſchiedenen dafür gehalten worden iſt. „ 

Dieſes mit den faſt gleichen Beſtandtheilen, der beſtaͤn⸗ 
digen Nachbarſchaft ꝛc. zuſammengenommen, muß wenig⸗ 
ſtens fo viel wirken, dem Horaſchiefer und dem Baſalt eis 


* 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛce. 249 


ne aͤhnliche Entſtehungsart zuzuſprechen, die bey den Des 
muͤhungen fo vieler Kenner gewiß nicht lange mehr unent⸗ 
ſchieden bleiben wird. 


§. 7. Vorſchlag wegen einer beſtimmten Benennung. 


Aus dem, was im Obigen von der Benennung Horn— 
ſchiefer, angefuͤhrt worden iſt, wird klar, daß die Ver— 
wirrung zwiſchen Namen und Gegenſtand bisher gewiß 
noch weit groͤſſer geweſen iſt, als man geglaubt hat. Es 
laͤßt ſich oft nicht einmal errathen, was der oder jener 
durch die Benennung, Hornſchiefer, hat ſagen wollen; 
zum Theil haben wir auch ſchon paſſendere und gewoͤhn— 
lichere Namen fuͤr Foßilen, die aus Irrthum damit belegt 
worden find. Einem Gegenſtande aber, der ſich fo we— 
ſentlich von ſo vielerley andern unterſcheidet, gebuͤhrt wol 
auch eine eigenthuͤmliche Benennung, und es kommt nun 
nur darauf an, welcher Name, und welches Foßil aus dem 
angeführten Wirrwarr zuſammengegeben werden ſollen. 
Duͤrfte ich einen Vorſchlag thun, fo wäre es der, demje— 
nigen Foßil den Namen Hornſchiefer zu laſſen, das oben 
§. 2. u. 3. unter demſelben karakteriſirt worden iſt. Nicht 
als ob ich die Eitelkeit haͤtte, etwas Geſchaffenem einen 
Namen beylegen oder ihm dazu verhelfen zu wollen. Um 
dieſen Gewinn waͤre mir Genauigkeit in der Mineralogie 
nicht feil. Meine Gruͤnde hiezu ſind vielmehr folgende: 
Herr Bergrath von Charpentier war der erſte deutſche Mi— 
neralog, der dieſe Gebirgsart beſchrieb, und ihr dieſen 
Namen beylegte. Seine min. Geographie der Churſaͤchſi— 
ſchen Lande iſt gewiß ſo viel geleſen worden, als es ein 
Werk von ſo groſſem innerm Werthe verdiente, und es iſt 
ſonderbar genug, daß juſt ſeine Landsleute ſich bemuͤheten, 
immer beſſere Namen vor ein Foßil zu erfinden, das nun 
ſchon hinlaͤnglich beſtimmt und benennt war. Es duͤrften 

noch wenige Foßilien ein aͤhnliches Schickſal haben, um 


250 Hrn. Bergſekr. Voigt gekrönte Preisfchrift - 


die Mineralogie in ein unzertheilbares Chaos zu vers 
wirren. 

Die Benennung, Hornſchiefer, iſt auch für dieſe Ges 
birgsart in ſo fern die paſſendſte, weil kein Foßil von 
ſchiefrigem Gewebe dem aͤuſſern Anſehen nach fo viel Aehn⸗ 
lichkeit mit grauem Horn und den Grad der Durchſichtig— 
keit deſſelben hat, auch an Zaͤhigkeit ihm beykaͤme. 

Durch das Leskiſche Magazin und viele Zuhoͤrer dieſes 
verſtorbenen Gelehrten, auch durch einige Zoͤglinge der 
Freyberger Bergakademie, die in den 7oger Jahren da 
zugegen geweſen, iſt die Benennung, Hornſchiefer, eben— 
falls ſehr ausgebreitet worden, und zuletzt noch durch die 
Voigtiſchen Schriften und deſſen Cabinets von Gebirgsar— 
ten. Aus den mehreſten uͤbrigen angefuͤhrten Schriften 
iſt den wenigſten klar geworden, was man eigentlich un⸗ 
ter ihrem Hornſchiefer zu verſtehen habe, und Leske ſo— 
wol als Werner ſind ſo behutſam geweſen, nachdem ſie 

ſich ſelbſt abgeändert, jener bey der Benennung hornarti— 
ger Porphyr, und dieſer bey der Benennung Porphyr⸗ 
ſchiefer, anzumerken, daß dies Foßil von andern Horn⸗ 
ſchiefer genennt wuͤrde. 

Wollte man die Benennung, Hornſchiefer, dem ohn⸗ 
geachtet lieber gar nicht mehr dulden; ſo waͤre noch die 
Benennung, Porphyr-La ha, nach Faujas de St. Fond die 
paſſendſte, doch nur den Theil von Gebirgskundigen, 
der weiß und glaubt, daß Baſalt eine vultaniſche Ge⸗ 
birgsart iſt. 

Provinzialbenennungen des Hornſchiefers find mir nur 
zwey bekannt geworden, naͤmlich Blauſtein nach Charpen⸗ 
tier, der dies in der Oberlauſitz bemerkt hat, und Schie— 
ferwacke nach Voigts min. Beſchr. von Fuld, wo man ihn 
zum Unterſchied von Baſalt, den man ſchlechtweg Wacke 
nennt, damit belegt. 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer c. 251 


§. 8. Hornſtein. Deſſen Benennung. 

Die deutſchen Mineralogen ſind ziemlich decidirt, was 
fie unter der Benennung, Sornſtein, zu verſtehen ha— 
ben. Nur den Ueberſetzern auslaͤndiſcher Werke iſt es oft 
mißlungen, den Sinn ihrer Originale allemal ganz zu tref, 
fen, ſo wie auch denen, die mineralogiſche Werke aus dem 
Deutſchen in andere Sprachen uͤberſetzen. Hieraus iſt eine 
merkliche Verwechſelung zwiſchen Hornſtein, Feuerſtein, 
Hornſchiefer, Agath, Quarz, Jaſpis, u. ſ. w. entſtan⸗ 
den, die ich auseinanderzuſetzen gegenwaͤrtig verſuchen 
will. um nicht zu weitlaͤuftig zu werden, will ich nur die 
Schriften durchgehen, die mir zu meiner Abſicht den mei— 
ſten Stoff geben. Eine Reihe lateiniſcher und anderer 
fremder Benennungen des Hornſteins ſollen vorangehen. 
Sie ſind: Silex corneus intrinſece æqualis, duriſſimus. Si- 
lex igniarius. Petroſilex. Lapis corneus. Corallium Foſſile 
Büttneri. Saxum cornutum Eucelii. Pyromachus. Silex cre- 
taceus, Lapis aceroſus Morandi. Franzoͤſiſch Roche de corne. 
Pierre de corne. Engliſch Hornſtone. Chert. Schwediſch 
Hälleflinta. Daß nicht alle dieſe Benennungen unſern 
Hornſtein bezeichnen, iſt ausgemacht, und wird im Nach— 
ſtehenden zum Theil erwieſen werden, indeſſen hat man 
ſich ihrer doch oft ohne Auswahl bedienet. 

$. 9. Aeuſſere Kennzeichen des Sornſteins. 

Ich nemme dieſe aus Werners Ausgabe von Kronſtedts 
Mineralogie, S. 139. Hornſtein (Bergkieſel, Petroſilex; 
Lap. corneus; Hælleffinta.) Dieſer Stein wird insgemein 
von dunkel- blaulicht⸗ auch licht- rauch- und gelblich 
grauer ꝛc. Farbe gefunden. Oft find auch in einem Stuͤcke 
mehrere dieſer Farben fleckweiſe vorhanden. Man hat ihn 
nur allein derb ). Er iſt jederzeit matt. Sein Bruch iſt 


*) Man mag das Wort derb dem cryſtalliſirten, eingeſprengten, oder 
ſchiefrigen entgegen ſetzen, fo bezeichnet es nicht ganz genau, weil 
der Hornſtein auch in dieſen Geſtalten gefunden wird. 


252 Hrn. Bergſekr. Voigt gekroͤnte Preisſchrift 


kleinſplitterig und naͤhert ſich bisweilen dem Muſchelichten. 
Seine Bruchſtuͤcke find unbeſtimmteckig , und ziemlich 
ſcharfkantig. Am gewoͤhnlichſten findet man ihn bloß an 
den Kanten durchſcheinend, doch kommt er auch (je nach— 
dem das Stuͤck ſtark oder ſchwach iſt) ganz durchfcheis 
nend vor. Er iſt hart, aber in geringerm Grade als der 
Quarz, ja bisweilen nur halbhart. Er fuͤhlt ſich kalt an 
und iſt nicht ſonderlich ſchwer. Er iſt auf dem Bruche 
von groͤberm Korn, als der Feuerſtein, auch von gerins 
gerer Härte ıc. 


§. 10. Natuͤrliche Geſchichte des Hornfteins. 

Man hat hauptſaͤchlich zwey Abaͤnderungen vom Horn— 
ſtein. Die eine iſt ſplitterig auf dem Bruche, der ſich 
dem Muſcheligen naͤhert, die andere eben, und meiſt von 
ſchiefrigem Gewebe. Die erſte nenne ich gemeinen Zorn— 
ſtein, die zweyte aber ſchiefrigen Hornitein. Der ge 
meine Hornſtein kommt eigentlich nur in Gaͤngen und 
Kluͤften der einfachen Gebirge vor, wo er ſehr oft mit Erz 
ten und Metallen auch ganz rein und von verſchiedenen 
Farben, als roth, gruͤn, ſchwarz, grau u. ſ. w. gefun⸗ 
den wird. Beſonders bricht zu Johanngeorgenſtadt Glas— 
erzt, gediegen Silber, Wis muth, Schwefelkies ꝛc. in 
demſelben mit ein, und auch in den Schneeberger- und 
und Marienberger-Gruben iſt er nicht ſelten. Auch findet 
er ſich an beyden erſten Orten bisweilen in Cryſtallen. 

Der ſchiefrige Hornſtein kommt vorzuͤglich in Tonfchies 
fergebirgen von dunkelſchwarzgrauer Farbe vor, und zwar 
theils in Parthieen, die in Tonſchiefer gleichſam eingewebt 
ſind, und mit ſeinen Blaͤttern einerley Richtung haben, 
theils auch in ſchmalen Gebirgslagern des Tonſchiefers, 
wo mehrentheils die Blätter des Hornſteins mit den Schies 
ferblättern einen rechten Winkel machen. In beyden Faͤl⸗ 
len gehet die Maſſe des Tonſchiefers ſo unmerklich und 


* 


über den Tonſchiefer, Hornſchieſer e. 253 


durch fo unendliche Nuͤangen in den Hornſtein über, wie 
man mit Duſche einen Uebergang aus der weiſſen in die 
ſchwarze Farbe hervorbringen kann, und daher die vielen 
Uebergaͤnge zwiſchen beyden Steinarten, wo kaum eine 
Graͤnze geſetzt werden kann, wenn man den Grad der 
Härte, der am Stahl Funken bewirkt, nicht dafür ans 
nemmen will. Wenn man Gelegenheit hat, dergleichen 
Parthieen und Gebirgslager in Tonſchiefergebirgen ſelbſt 
zu fehen, fo kann man ſich leicht überzeugen, daß ſich bey 
ſeiner Entſtehung an ſolchen Punkten die Kieſelerde in zu 
ſtarker Portion den Beſtandtheilen des Tonſchiefers bey— 
miſchte, und der Herr Oberbergrath Ferber druͤckt ſich 
daruͤber a. a. O. am richtigſten aus, wenn er ſagt: Der 
Hornſchiefer (ſchiefrige Hornſtein) ſey eine innigſte Ver— 
bindung von Ton- und Kieſelerde. 


9. 11. Zornſtein im Schieferton. 

Noch findet ſich ein ſchwarzer Hornſtein in dem Schie— 
ferton, der die Steinkohlenfloͤtze bedeckt. Man trift ihn 
in geringerer Menge, oder vielmehr nur neſterweiſe in die— 
ſer Steinart an, und zwar eben ſo aus Ton in Kieſel 
uͤbergehend, wie von dem Hornſtein des Tonſchiefers ans 
gefuͤhrt worden iſt. Doch iſt er hier eben ſo haͤufig ſchie— 
ferig als ſplitterig und in beyden Faͤllen naͤhert er ſich dem 
muſcheligen, und iſt von feinem Korn. Weil der Schie— 
ferton ſo ganz unvermerkt in den Hornſtein uͤbergehet; ſo 
hängt er ihm auch fo feſt an, daß Stuͤcke davon ſehr lan⸗ 
ge an der Luft liegen muͤſſen, ehe man die Oberflaͤche rein 
beobachten kann, und nur erſt nach dem Zerſchlagen wird 
er recht ſichtbar. Der Tonſchiefer iſt gemeiniglich an fol: 
chen Punkten, wo er in Hornſtein uͤbergehet, ſehr mit 
Quarz durchkluͤftet, und da am mehreſten, wo man ihn 
ſchon mit Recht Hornſtein nennen kann. Beym Schiefer— 
ton bemerkt man dieſes zwar ebenfalls, aber nur ſind die 


254 Hrn. Bergſekr. Voigt gekroͤnte Breisfehrift 
Materien, die ihn in ſo haͤufigen Kluͤftgen durchſetzen, 
weit mannichfaltiger. In einem groſſen Stuͤck, das ich 
zerſchlug, fand ich Kluͤfte mit Quarz, blaulichten Chal— 
cedon, Kalkſpaͤth, Bleyglanz und Kupferkies, und in den 
kleinſten Hoͤlungen Cryſtallen von dieſen Minern. 

Das verſteinte Holz (welches einige kuͤrzer und beſſer 
Holzſtein nennen) iſt auch mehrentheils ein wahrer Hornz 
ſtein, und zwar ein ſchiefriger, weil er ſich meiſtens nach 
den Faſern des ehmaligen Holzes, das zu ſeiner Bildung 
Gelegenheit gab, trennen laͤßt. Mancher Hornſtein wird 
auch ſonderlich angeſchliffen dafuͤr ausgegeben, und wol 
gar noch mit dem Beyſatz, Kirſchbaum, Eichen, Bir— 
ken, u. ſ. w. | 


9. 12. Hornfteingefchiebe. 

Man hat bemerkt, daß der Hornſtein, fo wie die uͤbri— 
gen Kieſelarten, der Verwitterung ungemein widerſtehen. 
Man findet daher in Tonſchiefergebirgen oft ganze Klip— 
pen davon, die von dem weichern Tonſchiefer entkleidet 
wurden, der ſie zuvor in ſich geſchloͤſſen hatte. Mit loſen 
Hornſteingeſchieben findet man ganze Gegenden, Flußbet— 
ten, und einige Breccien und Conglomerats dergeſtalt an⸗ 
gefuͤllt, daß vielleicht ganze Schiefergebirge verwittern 
mußten, ehe ſo eine Menge Hornſtein frey gemacht und 
ausgeſtreuet werden konnte. Vielen hat es freylich wol 
etwas paradox geſchienen, beym Anblick einer Menge von 
Hornſteingeſchieben die Vernichtung ganzer Gebirgsmaſſen 
vorauszuſetzen, die ihr Daſeyn bewirken mußte, und da— 
her kamen einige auf die weit ſchwerere Idee, daß ſich 
ſolche Geſchiebe in loſen, ganz freyen, kugeligen Stuͤcken 
im Waſſer haͤtten koͤnnen erzeugt haben, und ſelbſt Kron— 
ſtedt iſt noch geneigt geweſen, von den bekannten Agatz 
kugeln dieſes zu glauben. (Verſuch einer Mineralogie $. 62.) 
Das urſpruͤngliche Zuſammenhaͤngen des Hornſteins mit 


N 


uͤber den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. 255 


dem Tonſchiefer und Schieferton aber macht, daß viele 
Jahre dazu gehoͤren, denſelben ganz davon zu befreyen, 
und daher findet man ihn, je entfernter von ſeinem Ent⸗ 
ſtehungsorte, deſto reiner. | 

Schon aus dem bisher Angefuͤhrten iſt leicht zu erfe, 
hen, daß es nicht ſchwer iſt, Hornſtein richtig zu unter, 
ſcheiden, nur ein Fall iſt uͤbrig, wo es ſchwer bleiben 
wird, und den auch Kronſtedt (S. 140. u. 144.) bemerkt, 
— allemal zwiſchen weichern Hornſtein-und haͤrtern Ja— 
ſpisarten richtig zu unterſcheiden. 


§. 13. Schriften über den Sornſtein. 

Wie ſchon bemerkt, werde ich nicht alle daruͤber nach—⸗ 
ſchlagen, ſondern nur die neueſten und beliebteſten, als: 

I.) Kronſtedts Mineralogie von Werner uͤberſetzt, S. 139. 
Da ich die Werneriſche Beſchreibung hieraus genommen 
und ſchon angezeigt, auch zum Maaßſtabe genommen ha— 
be, um den Hornſtein anderer Syſtems und Schriften 
darnach zu meſſen; fo iſt an ſich ſchon klar, daß in die 
ſem Buche nichts vorkoͤmmt, was unrichtig fuͤr Hornſtein 
angenommen werden koͤnnte. 

2.) Kirwans Anfangsgründe der Mineralogie. Den 
ſchwarzen Hornſtein, Corneus nitens Wallerii, der hier S. 
102. u. 103. beſchrieben worden ‚führt Hr. Kirwan als 
Abaͤnderungen der zehnten Art des Tongeſchlechts auf, 
die er folgendermaſſen uͤberſchrieben hat: „ Hornſtein, 
Hornblende nach Kronſtedt, und talcum ſtriatum nach Nins 
mann,» Aus dieſer Ueberſchrift iſt nur das Wort Hornz 
ſtein wegzuſtreichen, um Kirwans Sinn zu finden und 
ſich zu überzeugen, daß hier von nichts weniger als uns 
ſerm Hornſtein, fondern von Hornblende und Hornblende⸗ 
Gemengen die Rede iſt. Eben fo wenig iſt es der glim— 
merige Hornſtein S. 112. und die Abaͤnderungen S. 115. 
Auf der 122. Seite wird Feuerſtein und Hornſtein, die 


— 


256 Hrn. Bergſekr. Voigt gekrönte Breisfcprift 


doch leicht zu unterſcheiden ſind, verwechſelt, und bey⸗ 
laͤufig anzumerken, wird auch der bekannte Egyptiſche 
Kieſel hier zu dem Feuerſtein gerechnet, der doch der ei— 
gentlichſte und ausgemachteſte Jaſpis iſt. 


Der Hornſtein endlich, der S. 124. als die dritte Art 
des Kieſelgeſchlechts unter dem Namen Bergkieſel, Horn— 
ſtein, Petrofilex, Chert, aufgeführt wird, iſt der wahre 
Hornſtein, und wird fo vollkommen karakteriſirt, daß die 
Benennung Hornſtein gar nicht daruͤber zu ſtehen brauchte, 
um zu wiſſen, daß er es ware, Seine Beſtandtheile fols 
len ſeyn: Kieſelerde, innigft gemiſcht mit 3. bis 3. ihres 
Gewichts an Ton- und 75. bis 5. an Kalkerde. Es iſt 
hier der Fall, wo der Ueberſetzer an der Verwirrung 
Schuld hat. Kirwan kannte den eigentlichen Hornſtein, 
wie man ſieht, ſehr genau, und unterſchied ihn durch das 
Wort Chert (Hornſtein) genau von Hornftone (Hornblende) 
welches Herr Kriegsrath Leyſſer verbeſſern wollte, und 
Hornſchiefer daraus machte. pr 

3.) Wallerii Mineralſyſtem durch Leske uͤberſetzt S. 332. 
bis 339. Es ſcheinet, als ob hier vielmehr Abaͤnderungen 
von Hornblende verſtanden würden, und wie ſchon ange⸗ 
merkt, unter dem Namen Hornſchiefer, Abaͤnderungen des 
Tonſchiefers. Er merkt auch an, daß die Schwediſchen 
Bergleute alle dieſe Abaͤnderungen, Hornarten, benenn— 
ten. S. 261. findet ſich aber unſer Hornſtein unter dem 
Namen Petroſilex, Pierre de corne opaque, ganz diſtinkt, 
und viele Abaͤnderungen deſſelben, unter welchen aber nur 
der Rheinlaͤndiſche Muͤhlſtein nicht ſtehen ſollte, der aneız 
kannte Lava iſt. 0 

4.) Gerhards Grundriß des Mineralſyſtems S. 21. und 
ebendeſſelben Verſuch einer Geſchichte des Mineralreichs 
Th. II. S. 128. In dem erſtern Werke begreift der Herr 
Verfaſſer Hornſtein und Feuerſtein mit allen ihren Abans 

derungen 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛe. 277 


derungen unter dem Namen Hornſtein, in der zweyten aber 
unter dem Namen Feuerſtein, obgleich die mehreſten Mine— 
ralogen mit Recht beyde diſtinguirt haben. Als Beſtand— 
theile werden nur Kieſel- und Alaunerde angegeben. So: 
wol im Tontiegel als im Kohlentiegel wurde er nach S. 
Io. II. undurchſichtig milchfarbig und zeigte keinen Anſatz 
zum Fluſſe, im Kreidentiegel hingegen zeigte ſich allenthal— 
ben Schmelzung, wo ihn der Stein beruͤhrt hatte. 

5.) Von Juſti (Grundriß des Mineralreichs S. 214.) 
unterſcheidet ihn recht gut, und merkt vorzuͤglich an, daß 
er nicht mit dem Feuerſtein verwechſelt werden muͤſſe. 


6.) Scopoli (Anfangsgruͤnde der Mineralogie S. 46.) 
redet eigentlich vom Feuerſtein. 


7.) Woltersdorf (Mineralſyſt. S. 14.) unterſcheidet ihn 
von andern Kieſelarten durch die Benennung, gemeiner 
Hornſtein. Ich glaube durch dieſe Genauigkeit uͤbertraf 
er und Juſti mehrere neuere Schriftſteller. 


8.) Haidinger (Syſtematiſche Eintheilung der Gebirgs— 
arten S. 68.) fuͤhrt ihn unter den Gebirgsarten, und der 
Benennung Kieſelfels, Hornfels, Petrofilex und Saxum fi. 
liceum auf, und giebt fuͤnf Arten davon an, die aber doch 
nicht eigentliche Abaͤnderungen find, als: ein Gemenge 
von Hornſtein, Feldſpath und Quarz. Unter dieſer Art 
begreift er den Porphyrit von Joachimsthal, von dem 
ich ſelbſt eine Stuffe beſitze, deſſen Geundmaſſe aber nicht 
Hornſtein, ſondern braunrother Jaſpis iſt. Bey den vier 
übrigen Arten lieſſen ſich auch noch Einwendungen machen. 


9.) De Sauflure (Voyages dans les Alpes) hat nur 8. 70. 
unſern Hornſtein unter der Benennung Petroſilex. Da er 
ſich dieſes lateiniſchen Worts bedient, um ihn hinlaͤnglich 
zu bezeichnen, ſo iſt dieſes ein Beweis, daß das franzoͤſi⸗ 
ſche Pierre de corne und Roche de corne eine andere Be— 

Magaz. f. d. Naturk. Zelvetiens III. 5. R 


258 Hrn. Bergſekr. Voigt gekroͤnte Preisſchrift 


deutung haben, und zwar, wie ſchon angefuͤhrt, durch 
Hornblende uͤberſetzt werden müffe. 

10.) Henkels kleine mineralogiſche und chemiſche Schrif⸗ 
ten, S. 322. Der Herr Verfaſſer ſagt hier, daß man 
nicht einerley Hornſtein habe, ſondern eine Art, die auf 
Gängen braͤche und eine andere, den man als Geſchiebe 
in den Feldern uud in der Kreide faͤnde. Der letzte Hätte 
aber wol den Namen Feuerſtein ausſchließlich verdient. 


$. 14. Claßification des Zornſteins. 

Der eigentliche Hornſtein iſt durchgehends richtig claßifi⸗ 
cirt, und zu den Kieſelarten gezaͤhlt worden. Findet man 
ihn aber nicht unter denſelben, ſo iſt zu ſchlieſſeu, daß man 
unter ſeinem ihm eigenthuͤmlichen Namen etwas anders 
verſtanden habe, wie zum Beyſpiel in Wallerii und in der 
deutſchen Ueberſetzung von Kirwans Syſtem. Locale Be⸗ 
nengungen ſind mir von ihm nicht bekannt worden, und 
überhaupt wuͤßte ich auch nichts von Wichtigkeit zu Berich⸗ 
tigung der Benennung Hornſtein mehr beyzutragen. 


$. 15. Von dem Tonſchiefer. 

Bey einer Gebirgsart, die mit am haͤufigſten auf der 
Erdoberflaͤche gefunden wird, die man in Europa faſt in 
jedem Orte, und ſollte es auf dem Kirchthurm ſeyn, ans 
trift, und die ſich gar nicht verkennen laͤßt — muß man 
ſich wirklich wundern, daß Schriftſteller ihren eigenen ans 
erkannten und rechtmaͤßigen Namen Foßilien beylegen konn⸗ 
ten, die ſich in Anſehung ihrer Beſtandtheile, ihrer natuͤr⸗ 
lichen Lagerſtaͤtte, ihrer Eigenſchaften und ihres oͤksnomi⸗ 
ſchen Nutzens ſo ſehr von ihr unterſcheiden. Sie verwech⸗ 
ſelten hauptſaͤchlich Touſchiefer , Schieferton, verhaͤrteten 
Ton⸗ und Kupferſchiefer, oder beſſer, bituminoͤſen Mergel⸗ 
ſchiefer mit einander. Ich uͤbergehe noch einige Steinar⸗ 
ten, wo man bloß durch Textur und Bruch bewogen wurde, 


9. 


über den Tonſchieſer, Hornſchiefer ꝛe. 259 


fie Schiefer oder gar Tonſchiefer zu nennen; denn nur mes 
nige find fo vorſichtig geweſen, ihre Hauptbeſtandtheile, 
als Kalk, Sand u. ſ. w. vorauszuſetzen, und haͤtten doch 
immer beſſer gethan, wenn ſie ſtatt Kalkſchiefer und Sand⸗ 
ſchiefer ſchieferiger Kalkſtein und ſchieferiger 0 ge⸗ 
ſagt haͤtten. 


$. 16. Aeuſſere Kennzeichen des Tonſchiefers. 

Tonſchiefer, Schiftus, Lapis fiſſilis, Ardeſia; Flagſtone, 
Schiſte, Ardoiſe. Man hat ihn von weißlichtgrauer Farbe, 
die ſich bis in die dunkelblaͤulicht⸗ Schwarze verläuft, und 
ſich bey lichtern Nüangen bisweilen ſchwach ins gruͤnlichte 
und roͤthlichte ziehet. Er wird jederzeit derb gefunden. In⸗ 
wendig iſt er zuweilen wenig glaͤnzend, am gewoͤhnlichſten 
ſchimmernd und auch matt. Sein Gewebe iſt theils gerad, 
theils wellenfoͤrmig ſchieferig, ſein Bruch iſt erdig. Er 
ſpringt in ſcheibenfoͤrmige, ſelten in trapezoidiſche und noch 
ſeltener in langſplitterige Bruchſtuͤcke. Er giebt faſt durchs 
gaͤngig einen lichtgrauen Strich, iſt in einem geringen Gra⸗ 
de halbhart und nicht ſonderlich ſchwer. Er iſt eine der g& 
meinſten Gebirgsarten, wo er meiſtens in etwas geneigten 
Schichten angetroffen wird, in welchen feine Blätter vertis 
cal ſtehen, oder einen ſtumpfen Winkel mit der Richtung 
dieſer Schichten machen. Bisweilen liegen zwiſchen denſel⸗ 
ben Gebirgslager von urſpruͤnglichem Kalkſtein, und Quarz 
durchlaͤuft ihn in Gaͤngen und Kluͤften nach allen nur er⸗ 
ſinnlichen Richtungen. Auch werden Erzt sführende Gänge 
in ihm angetroffen. Von feiner Miſchung, die (nach $. 10.) 
in einem und ebendemſelben Gebirge nicht allemal einerley 
iſt, und von der Geſtalt feiner Bruchſtuͤcke haͤngt es ab, zu 
was er gebraucht werden kann, als zu Schieferſtiften, Ab⸗ 
ziehſteinen, Wetzſteinen, zu Schiefertafeln u. ſ. w. Doch 
iſt er im Ganzen genommen, nur ſelten von der Beſchaffen⸗ 
heit, zu irgend einem von dieſen gebraucht zu werden. 


260 Hrn. Bergſekr. Voigt gekrönte Preisſchrift 


„F. 17. Einige Schriften über den Tonſchiefer. 

Wallerius giebt S. 318. folgende Abänderungen von Tons 
ſchiefer an: 

1.) Tafelſchiefer. 2.) Dachſchiefer. Dieſe haͤtten ſehr 
fuͤglich unter eine Nummer gebracht werden koͤnnen, da ſie 
ſich in gar nichts unter ſcheiden, und es von dem Eigenthüs 
mer abhaͤngt, ob er ſeine Schieferblatte auf das Dach na⸗ 
geln laſſen, oder darauf rechnen will. 3.) Probterſtein. 
Hierzu wird nicht allemal Tonſchiefer genommen. 4.) Wetz⸗ 
ſtein. F.) Brandſchiefer. Dieſen rechnet Werner zu den 
Abaͤnderungen des Schiefertons. 6.) Weicher Schiefer. 
In der Note hierzu fuͤhrt Leske an, es ſcheine, als ob 
Wallerius hierunter den bituminoͤſen Mergelſchiefer verſtuͤn⸗ 
de. 7.) Grober Schiefer. 8.) Zeichenſchiefer. 9.) Koh⸗ 
lenſchiefer (Brand ſchiefer). Eine Abaͤnderung des Brands 
ſchiefers, den Werner oben nach 5. zu den Abaͤnderungen 
des Schieferthons rechnet, und endlich 10.) Schieferniere. 
Da S. 326. angemerkt iſt, daß dieſe eyfoͤrmig zu Ilmenau 
im Hennebergiſchen gefunden würden, und ich einige Stücke 
von daher beſitze; ſo kann ich mit Zuverlaͤßigkeit ſagen, daß 
ſie nicht zu dem Tonſchiefer, ſondern zu dem bituminoͤſen 
Mergelſchiefer gehoͤren. 


Kirwans Abaͤnderungen des Tonſchiefers betreffen vor 
zuͤglich nur die Farben deſſelben. Nach ſeinen Verſuchen 
ſind die Beſtandtheile des blaͤulichten Purpurſchiefers: Alaun⸗ 
erde, innigſt gemiſcht mit 1, 77. ihres Gewichts an Kieſel⸗ 
der, o/ 3. Bitterſalzerde, o, 15. Kalkerde, ſehet ©. 96. 


F. 18. verwechſelung des Conſchiefers mit Gattungen 
des Tongeſchlechts. 


Ich finde in Haidingers ſyſtematiſcher Eintheilung der 
Gebirgsarten S. 28 ſeqq. daß dieſer Schriftfteller , für 
deſſen. Kenntniſſe ich übrigens alle Achtung habe, ſich hier 


uber den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛe. 261 


auſſerordentlich confundirt hat. Ich uͤbergehe einige Stel. 
len, die den Tonſchiefer uͤberhaupt betreffen, und ziehe nur 
folgende hier aus, als: A 

„Tonſchiefer mit Glimmer gemiſcht (gemengt). In 
„ dieſem veraͤndert ſich das Verhaͤltniß der Beſtandtheile fo, 
„daß man oft bloß Glimmer zu ſehen glaubt., 

In dieſem Falle daͤchte ich, koͤnnte man ihn ganz ſicher 
Glimmerſchiefer nennen. 

„Abarten des Tonſchiefers giebt es in zufälligen Gebtr⸗ 
v gen unendliche. » 

unter zufaͤlligen Gebirgen verſtehet der Herr Verfaſſer 
Floͤtzgebirge, und es iſt bekannt, daß Floͤtzgebirge keinen 
Tonſchiefer haben, und daß dieſer bisher durchgehends und 
mit allem Grunde zu den einfachen Gebirgen gezählt wor⸗ 
den iſt. Gattungen des Tongeſchlechts haben Floͤtzgebirge, 
aber nie Tonſchiefer. 

„ So gehören die fetten ſchwarzen Tonſchiefer, die meiſten 
» Dachſchiefer, die Kohlenſchiefer ꝛc. ꝛc. alle unter die zu⸗ 
„fälligen Gebirgsarten. » 

Wenn unter dem fetten ſchwarzen Tonſchiefer, wie ich 
Urſach zu vermuthen habe, der bituminoͤſe Mergelſchiefer 
verſtanden wird, ſo ſind dieſes juſt drey ganz verſchiedene 
Schieferarten. 

„Wo der Tonſchieſer in Floͤtzlager aufgeſetzt iſt, enthalt 
„er Kupfer, wie z. B. im Mansfeldiſchen, und dient in 
2 dieſem Fall den Erzten zugleich als Gangart ꝛc. ꝛc. „ 


Alles ganz unrichtig. Im Mansfeldiſchen hat man kei⸗ 
nen Tonſchiefer, ſondern eine ſchwache Schichte bituminoͤ⸗ 
ſen Mergelſchiefer, von etwann 18. Zoll Hoͤhe, ziehet ſich 
faſt unter dieſer ganzen Landſchaft hin. Dieſer Schiefer 
iſt / da er ein Floͤtz ausmacht, keineswegs als eine Gang⸗ 
art zu betrachten, und kein Erzt, ſondern ein ſchieferiger 


262 Hrn. Bergſekr. Voigt gekrönte Preisſchrift 


Kalkſtein mit Ton, Bitumen und metalliſchen Theilchen ge 
miſcht. Schon vor beynahe einem halben Jahrhundert dis 
ſtinguirte man richtig zwiſchen dieſem bitumindfen Mergel⸗ 
ſchiefer und dem Tonſchiefer, und jetzt kann man anfangen 
irre zu werden! 


„Oefters aber iſt er mit Kies oder Erdpech durchzogen, 
„und wird daher bald Alaun- bald Vitriol- bald Brand, 
>» ſchiefer. 55 

Dieſes ſcheinen wieder Abaͤnderungen des aͤchten Tonſchie⸗ 


fers zu ſeyn, wenn man den Brandſchiefer nicht ſtreng 
nimmt. 


»Die Entſtehung dieſer unter ſich fo aͤhnlichen Tonſchiefer 
» iſt eben fo verſchieden, als die Umſtaͤnde, unter denen fie 
2 gefunden werden, von einander abweichen., 


Deſto mehr ſollte man ſich auch bemuͤhen, ſie von ein⸗ 
ander zu unterſcheiden, und die mehreſten haben dies auch 
beobachtet, nur Haidinger wurde irre, und in dieſem Irr— 
thum übergab er feine ſyſtematiſche Eintheilung zum Druck. 
Die Kenntniß der Beſtandtheile mineraliſcher Koͤrper iſt 
Goldes werth und unentbehrlich bey der Claßification nach 
ihren Beſtandtheilen. Wer aber Gebirgsarten claßiſiciren 
will, darf ſich ihrer allein, ohne Ruͤckſicht auf ihre Entſte⸗ 
hungsart, gewiß nicht bedienen, und wie ſehr Haidinger 
ſelbſt davon uͤberzeugt war, beweiſet folgende Stelle (S. 3.) 
„In einem mineraliſchen Syſteme, wo es darauf ankoͤmmt, 
„ alle bekannte Stein- und Erdarten anzufuͤhren, und nach 
„» der Identitaͤt ihrer Beſtandtheile in Claſſen und Ordnun⸗ 
„gen zu bringen, ohne dabey auf ihre Entſtehungsart zu ſe⸗ 
„ben, muß es freylich oft geſchehen, daß die Kunſt mit der 
„ Natur nicht Hand in Hand gehen kann, ihre Ordnungen 
„getrennt und Koͤrper neben einander geſetzt werden, die 
„in Ruͤckſicht ihrer Entſtehungsart und der Umſtaͤnde, uns 
z ter denen ſie exiſtiren, himmelweit von einander abſtehen. 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛe. 263 


„So wird z. E. der Kalkſtein, der die Appenninen auds 
„macht, mit dem Bodenſatze der Bagui di St. Filippo in eis 
„ne Claſſe und der reinere Tonſchiefer der Ganggebirge mit 
„dem Tonſchiefer, der ſich taͤglich noch in ſtehenden Waſ⸗ 
„fern erzeugt, in ein Geſchlecht geſetzt werden. Ob nun 
„ gleich dieſe Körper für phuficalifche Geographie weit von 
„einander abſtehen; ſo kann ſie doch der Syſtematiker, deſ— 
„fen Endzweck ganz ein andrer iſt, als der, den die Natur 
2 bey Erzeugung der Gebirgsarten hatte, nicht trennen ꝛc. „ 

Es iſt hieraus klar, daß Herr Haidinger wirklich anfaͤng⸗ 
lich nicht ſchreiben wollte, was er ſchrieb, und daß ihn ir⸗ 
gend ein Irrthum aus der phyſikaliſchen Geographie in Ein⸗ 
theilung bloß nach den Beſtandtheilen fuͤhrte. 

Vom Tonſchiefer heißt es ferner: 

„Auf dieſe Art entſtehet noch heut zu Tage in Suͤmpfen 
„Tonſchiefer, wozu die in dieſen Suͤmpfen und Meeren 
„ wachſenden Pflanzen nicht wenig beytragen. „ 

Wer hat Tonſchiefer geſehen, der in Moraͤſten entſtan⸗ 
den iſt? Sumpfeiſenſtein, Kalktuff, Torf und Schlamm 
ſind wol die einzigen Produkte ſolcher Orte. 

„»Alle dieſe Umſtaͤnde aber genau zu beſtimmen, iſt aus 
„dem Anſehen eines Tonſchiefers in einer Mineralienſamm⸗ 
„ lung nur ſelten möglich. » 

Da muß ich ſagen, muͤßte einer ſehr ſchwach in der Mine⸗ 
ralogie und Gebirgskunde ſeyn, der nicht Tonſchiefer, Schie⸗ 
ferton, bituminoͤſen Mergelſchiefer und Sumpfſchlamm woll. 
te von einander unterſcheiden koͤnnen, ob ich uͤbrigens wol 
zugebe, daß ein bloſſes Cabinet bey weitem nicht hinrei⸗ 
chend iſt, einem eine vollſtaͤndige Kenntniß in dieſer Wiſ⸗ 
ſenſchaft zu verſchaffen. 


$. 19. Schieferton. 
Ich finde dieſe Gebirgsart eigentlich in keinem Mineral⸗ 


A 
u \ 


264 Hrn. Bergſekr. Voigt gekroͤnte Preisſchrift 


ſyſtem, als in Kronſtedts Mineralogie S. 201. als eine eis 
gene Gattung des Tongeſchlechts aufgefuͤhrt, welches ſie 
in aller Ruͤckſicht verdient. Der Schieferthon koͤmmt von 
Farbe eigentlich allemal dunkel blaulicht grau vor. Seine 
Textur iſt ſchieferig. Er iſt ganz undurchſichtig, weich, 
haͤngt, wenn er recht trocken iſt, etwas an der Zunge. 
Er hat einigen Schimmer bisweilen auch Glanz auf der 
breiten Flache feiner Blätter, im Bruch aber iſt er erdig. 
Unter und zwiſchen ſeinen Schichten werden an vielen Or⸗ 
ten Steinkohlen angetroffen, und zwiſchen ſeinen Blaͤttern 
finden ſich oft Kräuter, und Schilfabdruͤcke. Er zerfaͤllt 
leicht an der Luft, beſonders wenn er vorher recht ausge 
trocknet geweſen iſt und feucht wird. Seine gemeinſten Be 
nennungen find : Schiftus carbonarius, Kraͤuter ſchiefer, Koh⸗ 
lenſchiefer, Schieferton und auch Steinkohlengebirge. Daß 
er bisweilen viel Kieſelerde in ſeiner Miſchung hat, und in 
Hornſtein uͤbergehet, iſt $. 11. angezeigt worden, und nicht 
ſelten findet man ihn auch ſo ſtark mit Bitumen durchdrun⸗ 
gen, daß er auf gluͤhenden Kohlen eine Flamme giebt, und 
in dem Falle Brandſchiefer genennt wird. Er kommt an 
allen Orten vor, wo Steinkohlen gefunden werden, und 
hat einen ſtarken Alaungehalt, wozu er auch auf der Land⸗ 
grube im Saarbruͤckiſchen benutzt wird. Viele Schriftſtel⸗ 
ler fuͤhren ihn ſeiner Kraͤuterabdruͤcke wegen unter den Ver⸗ 
ſteinerungen auf, weswegen er auch in fo vielen Minerals 
ſyſtemen vermißt wird. 


9. 20. Bituminoͤſer Mergelſchiefer. 

In Kronſtedts Mineralogie S. 73. wo er unter den Kalk⸗ 
arten aufgeführt wird, wird er folgendermaſſen beſchrieben: 
Er iſt von einer graulicht ſchwarzen Farbe, derb und in⸗ 
wendig insgemein ſchimmernd, einiger auch wol auf den 
Kluͤften wenig glaͤnzend, uͤberhaupt aber von gemeinem 
Glanze. Er iſt theils gerad, theils wellenfoͤrmig⸗ſchieferig. 


. 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛe. 265 


Erſterer hat dabey eine rauhe, letzterer aber eine glatte 
Bruchflaͤche. Er ſpringt gewoͤhnlich in ſcheibenfoͤrmige 
Bruchſtuͤcke, iſt undurchſichtig / weich, etwas milde, fühlt ſich 
ziemlich mager auch nicht ſonderlich kalt an ‚| und iſt nicht 
ſonderlich ſchwer. b 

Von Juſti (5. 92.) und Wallerius (S. 282.) rechnen 
ihn zwar noch zu den Kupfererzten, merken aber an, daß 
nicht er ſelbſt, ſondern die in ihn eingeſprengten Erzte den 
Kupfergehalt ausmachten. Er macht eine eigene, aber kaum 
18 bis 20. Zoll hohe Schicht in einigen Floͤtzgebirgen aus, 
und dieſe wird von den Bergleuten theils nach dem Ver— 
haͤltniſſe ihres Metallgehalts „ theils auch ihrer mehrern 
und wenigern Haͤrte, auch ihrer Lage wiederum Oberberg, 
Noberg, Mittelberg, Lochberg, Kammſchale, Streb u. 
ſ. w. genennt. Der Kupfergehalt deſſelben ſteigt gewoͤhn— 
lich von o bis zu 4. Procent. Koͤmmt er höher ſo iſt ge— 
wiß ſchon Kupferglas ſichtbar. Bekanntermaſſen befinden 
ſich Häufig Fiſchabdruͤcke in demſelben, die zwiſchen feinen 
Blättern liegen. Das Ilmenauer Schieferfloͤtz aber hat das 
Beſondere, daß jeder Fiſchabdruck in einem gedruckt kuge⸗ 
ligen Klumpen, der weniger Vitumen als der uͤbrige Schie— 
fer hat, gefunden wird. In Schinks Bergmaͤnniſchem 
Woͤrterbuche ſtehen folgende lateiniſche und franzoͤſiſche Ber 
nennungen von ihm: Sciſſilis aeroſus; Lapis aerofus Agrie; 
Ardoife melce de Cuivre; Mine de Cuivre en Ardoiſe. 


$. 21. Verhaͤrteter Ton. 

Auch dieſe Tonart bin ich genoͤthigt, hier mit anzufühs 
ren, da aus obigem erhellet, daß ſie mit Tonſchiefer verwech⸗ 
ſelt worden iſt, und ich auch ſelbſt ungedruckte Beweiſe da⸗ 
von in Haͤnden habe. In Kronſtedts Mineralogie wird ſie 
S. 201. folgendermaſſen karakteriſirt: Der verhaͤrtete Ton 
wird von gelblicht⸗blaulicht und grünlichtgrauer Farbe ge⸗ 
funden. Er iſt jederzeit derb, matt und von einem erdigen 


266 Hrn. Bergſekr. Voigt gekroͤnte Preisſchrift 


Bruche, der ſich aber bald dem ſplitterigen, bald dem ebe⸗ 
nen nähert, zuweilen hat er auch ein ziemlich ſchieferiges 
Anſehen. Seine Bruchſtuͤcke find unbeſtimmteckig, etwas 
ſtumpfkantig. Er iſt undurchſichtig, weich, haͤngt wenig 
an der Zunge, fühlt ſich etwas fett, auch etwas kalt an, 
und iſt nicht ſonderlich ſchwer. 

Man findet ihn gemeiniglich in Floͤtzgebirgen, und beſon⸗ 
ders in kalkigten Gegenden. Er iſt eigentlich in keinem 
Syſtem als eine eigene Abaͤnderung des Tongeſchlechts 
aufgefuͤhrt, und koͤnnte auch, nach ſeinen Beſtandtheilen 
beurtheilet, unter dem gemeinen Ton mitſtehen, wenn 
ſein oft ſchieferiges Gewebe nicht ſo leicht irre fuͤhrte. 


$. 22. Baſalt. 4 

Die Benennung Baſalt gehoͤrt ebenfalls unter diejeni⸗ 
gen, die zu ſehr extendirt worden ſind, und daher oft 
mißverſtanden werden. Die Haupturſache dieſer Mißver⸗ 
ſtaͤndniſſe liegt vorzüglich darinne, daß man in lateiniſch 
geſchriebenen mineralogiſchen Werken das Wort, Schoͤrl, 
Baſaltes üͤberſetzte, und dadurch veranlaßte, daß Schoͤrl 
und Baſalt für eins gehalten wurden, da doch beyde, ges 
nau genommen, auch gar nichts, nicht einmal die Farbe mit 
einander gemein haben. Auch haben der ſel. Leske und Faujas 
de St. Fond den Fehler begangen, in ihren oben ſchon an⸗ 
gefuͤhrten Werken, die mehreſten Abaͤnderungen von Lava 
mit dem Namen Baſalt zu belegen, woher ſo viele Abaͤn⸗ 
derungen dieſer Gebirgsart entſtanden find, die keine Abaͤn⸗ 
derungen von ihr ſind. Ich bin ganz uͤberzeugt, daß aller 
Baſalt Lava iſt, aber nicht umgekehrt. Um ihn genauer 
zu bezeichnen, und zu einem beſtimmtern Begriffe von ihm 
beyzutragen, gebe ich folgende Kennzeichen von ihm an. 
Er iſt eine vulkaniſche Gebirgsart von dunkel, ſchwarz⸗ 
grauer Farbe, die ſich dem volkommnen Schwarzen oft 
naͤhert. Im Bruche iſt er uneben und ſplitterig. Er iſt 


über den Tonſchiefer, Hornſchiefer ꝛc. 267 


ſchimmernd, hat bisweilen auch einen gemeinen Glanz, 
und iſt meiſt von feinem Korn, doch bisweilen auch et⸗ 
was grobkoͤrnig. Er iſt ganz undurchſichtig und im hoͤch⸗ 
ſten Grade halbhart, auch geben platte Stuͤcke von ihm 
einen Klang, der ſich dem metalliſchen naͤhert. Er iſt ſehr 
leichtfluͤßig, und bewegt allemal den Magnet. Man findet 
ihn meiſt in hervorſtehenden Klippen alter verloſchener Vul⸗ 
kane, oſt zieren auch coniſche Spitzen dieſer Lava Grund⸗ 
und Floͤtzgebirge. In beyden Faͤllen trift man ihn theils 
in Maſſen, die unregelmaͤßig zerſprungen ſind, theils auch 
in regelmaͤßigen Saͤulen an, welcher Unterſchied aber nicht 
ſeinen Beſtandtheilen, ſondern andern Umſtaͤnden zuzu⸗ 
ſchreiben zu ſeyn ſcheint. Ich halte für überfüfig, Schrif⸗ 
ten von ihm hier anzufuͤhren, da dieſer Gegenſtand wol 
allen Freunden der Mineralogie in friſchem Andenken iſt. 
Nur Hamiltons Briefe über die nördliche Kuͤſte der Grafs 
ſchaft Antrim empfehle ich vorzuͤglich zum Nachleſen uͤber 
den Baſalt. Man kann annemmen, daß er allgemein fuͤr 
eine Lava erkannt wird, und von neuern Schriftſtellern 


haben ſich nur Werner und Schroͤter oͤffentlich darwider 
erklaͤrt. 


§. 23. Wade. 


Das Wort, Wacke, bezeichnet in der deutſchen Spras 
che keineswegs eine Gattung irgend einer Steinart, ſon⸗ 
dern ein zufaͤllig vorhandenes Stuͤck Stein; es mag zu 
den Ton; Kiefel» Kalfarten u. ſ. w. gehören. Man fins 
det es dem ohngeachtet ziemlich häufig in mineralogiſchen 
Schriften, aber mehrentheils bey Beſchreibung ſolcher Ges 
birgsarten, die man nicht gleich zu benennen wußte, und 
daher iſt es auch nirgends klar, was man darunter zu 
verſtehen habe. Setzt man aber hinzu, aus was eine 
Wacke, oder ein zufaͤllig vorhandenes Stuͤck Stein beſte⸗ 
het, ſo kann man z. B. ganz richig ſagen, Granit⸗Wacke, 


268 H. Bergſ. Voigt gekroͤnte Preisſchrift ze. ꝛc. 


Porphyr-Wacke, Baſalt-Wacke u. ſ. w. und dies Wort 
in dieſem Sinn genommen, ſo kann es freylich nicht feh⸗ 
len, daß man ſo vielerley Wacken finden kann, als es 
Steinarten giebt. In einem einzigen Fall iſt dieſes Wort 
mit dem Zuſatz, grau, recipirt, und da bezeichnet es die 
Grauwacke, eine Gebirgsart, auf welche man am Harz 
zuerſt aufmerkſam wurde. Sie erfuͤllet in dieſem Gebirge 
ganze weitlaͤuftige Reviere, wechſelt oft mit Tonſchiefer ab 
und ſcheint daher eine gleichzeitige Entſtehung mit ihm zu 
haben. Sie iſt ein feinkoͤrniges Conglomerat don gelb⸗ 
licht⸗ und blaulichtgrauer Farbe, worinn bisweilen Koͤr⸗ 
nerchen von Quarz und Hornſtein mit bloſſen Augen be— 
merkt werden koͤnnen, und das Bindemittel iſt thonig. 


Herrn H. K. Nuͤſcheler, 


Sekretarius der L. Oekonomiſchen Kommißion in Zuͤrich, 


Beantwortung der Preisfrage 


der 


Landwirthſchaftlichen Geſellſchaft 
des 
H. Lobl. Cantons Bern: 


Welches ſind die vornehmſten Urſachen von dem 
Mangel und dem hohen Preis des Butters im 
Canton Bern, und durch was fuͤr Mittel kann 

man ohne Nachtheil des Kaͤſehandels die Quan⸗ 
tität dieſer fo nothwendigen Waare vermehren? 


270 Hrn. H. K. Nuͤſcheler Beantw. d. Preisfrage 


Die Urſachen von der diesmaligen Theure des Butters 
ſind zweyerley; 

I. Die, fo von der Natur abhangen, 

2. Die, ſo von den Menſchen abhangen. 

I. a. Unter die erſtern gehoͤrt vornemlich — die dermali⸗ 
ge Theure des Viehs, welche beſonders von dem ſchneerei⸗ 
chen, harten und langen Winter von 1784. zu 1785. her⸗ 
kam, wo ſich ein ſolcher Futtermangel zeigte, daß man 
an einigen Orten dem Vieh Tannkreis, Haber, Roggen 
und andere fuͤr das Vieh ungewohnte Nahrungsmittel ge— 
ben mußte, da der Centner Heu von 2. bis 3. fl. galt. 

b. Dies war die Urſach, daß ſehr wenig Kälber abge, 
ſaugt, und junges Vieh nachgezogen wurde; hingegen 
ſehr viel Vieh aus der Schweitz nach Italien verkauft, 
auch ſehr viel junges und altes Vieh aus Mangel an 
Futter geſchlachtet wurde. 

Dieſe ſtarke Verminderung des Viehs mußte den Preis 
des Butters ſehr erhoͤhen. 

c. Jetzt Ao. 87. wird ſehr viel Vieh nachgezogen — alfo 
viele Milch, die ſonſt zu Butter und zu Kaͤſe konnte ge⸗ 
macht werden, zum Abſaugen gebraucht, welches eben— 
falls den Preis des Butters für einmal um etwas erhoͤ⸗ 
hen muß. 

d. Iſt eine Urſache der Theurung des Biehs und Butters 
der ſeit 3. Jahren uͤberhandgenommene Viehmangel an 
entfernten Orten; indem vergangenes Jahr Viehhaͤndler 
aus Paris kamen, und im Brißgaͤu, Schwaben Witten⸗ 
berger⸗ und Frankenland Vieh kauften, woher ſonſt ſo 
viel Vieh in die Schweitz, beſonders ins Ache ge⸗ 
zogen wird. 1 


über den hohen Preis des Butters, ꝛc. 271 


Hr. Pfr. Meyer von Kupferzell berichtet unterm 21. 
Auguſt 1787. daß Frankreich jährlich aus dortigen Gegen— 
den für 2. Millionen Gulden Maſtvieh ziehe. 

e. Die Verminderung des Viehs in der ganzen Eidgnoß— 
ſchaft. Da vor 1. und 2. Jahren da und dort, beſondens 
im Schweitzer- Glarner und Appenzellerland die Sommers 
weiden und Alpen nicht, wie gewohnt, haben benutzt wer⸗ 
den koͤnnen. 

II. Unter den Urſachen, die von den Menſchen abhan— 
gen, ſind vornehmlich folgende: 

1. Die ſtarke Vermehrung der Bevoͤlkerung in verſchie— 
denen Cantonen der Schweitz, welche von Vermehrung 
der Handelfchaft und der Fabriken herkommt. 

2. Der groſſe Gelderwerb, den eben dieſe Fabriken und 
Handelſchaft verſchaffen, welcher den Leuten, ſowol zu 
Stadt, als beſonders auf der Landſchaft Hang zu mehres 
rern Beduͤrfniſſen beybrachte, ſo daß ſie beſſer leben, und 
weit mehr Fleiſch und Fleiſchſpeiſen eſſen, auch ihr Ge— 
muͤß beſſer zeugen, und mehr Backwerk, ſo viel Butter 
erfodert, genieſſen wollen, als ehedem. 

Dieſer vermehrte Gelderwerb verringerte auch den Werth 
vom Geld, fo daß, was man vordem um Io, fl. kaufte, 
man jetzt 11. bis 12. dafuͤr bezahlen muß. 

3. Das in der ganzen Schweitz zur Gewohnheit gewor— 
dene und uͤbertriebene Caffeetrinken, wozu ſo viele Milch, 
und beſonders im Berngebiet und in den kleinen Cantonen, 
bis auf die hoͤchſten Alpen ſo viel Nidel gebraucht wird. 
Da ehdem viele Leute nur eine trockne Morgenſpeiſe, oder 
Muͤſer und Koſt genoſſen, welche weniger Butter koſteten, 
als aus der Milch, die jetzt zum Caffeetrinken gebraucht 
wird, koͤnnte gezogen werden. 

4. Der ſeit einigen Jahren ſich gegen ehdem faſt um die 
Haͤlfte vermehrt habende Vieh verkauf nach Italien. Da 
im vorigen Jahr 1786. zu Bellenz an Hornvieh und Kins 


272 Hrn. H K. Nuͤſcheler Beantw. d. Preisfrage 


dern, von Puͤndtnern, Salezeren, Schweitzern, Urnern 
und Unterwaldnern 11829. Stuck verzollet worden, wel⸗ 
che aus obigen Cantonen nach Italien gegangen. 

Da das Vieh, ſo nach Italien getrieben wird, meiſtens 
ſchoͤnes und junges Vieh iſt, ſo iſt der Verluſt in Abſicht 
auf den Butter doppelt. 

a. Weil zu deſſen Erziehung ſehr viel Milch verbraucht 
wird. 

b. Weil die Kuͤhe, juſt wenn man den groͤßten Nutzen 
von ihnen ziehn koͤnnte, aus dem Land verkauft werden; 
alſo das Futter gleich verbraucht, aber viel weniger But⸗ 
ter und Kaͤs, Suffi, Schotten und Ziger davon gezogen 
wird, als wenn das Vieh im Land bliebe. 

Ein Beweis, wie ſehr dieſer ſtarke Vieh verkauf nach Ita—⸗ 
lien der Erzeugung des Butters nachtheilig ſey, iſt, daß 
die Schweitzer und Glarner, ungeachtet ihrer ſtarken 
Viehzucht, fuͤr ihr Land doch nicht genug Butter haben, 
ſondern noch einen Theil bey ihren Nachbarn kaufen muͤſſen. 

Unter dieſem allzuſtarken Viehverkauf leidet auch die 
Schweinszucht, deren Schmalz viel Butter erſpart, weil 
die Schweine am beßten mit Milch und dem Abgang der— 
ſelben erzogen und gemaͤſtet werden. 

5. Das zu frühe Wegkaufen der jungen Kälber von den 
Metzgern — aus Mangel an Vieh. 

6. Das uͤberhandgenommene Fettkaͤſen, und Vermeh—⸗ 
rung dieſes Handels mit fetten Kaͤſen in verſchiedenen Can⸗ 
tonen der Schweitz. 

7. Die Aufhebung vieler Feyertaͤge, und Erlaubung von 
Fleiſcheſſen an Faſttagen in den benachbarten Cathol. 
Orten. 

8. Der ſtark uͤberhandgenommene guxus im Eſſen des 
Kalbfleiſches, da ſogar Leute auf dem Land, ſtundenweit 
Kalbfleiſch kommen laſſen, und ſolches in hohem Preis 
bezahlen. 15 
Dieſes 


über den hohen Preis des Butters, ꝛc. 273 


Dieſes find die Haupturſachen des hohen Preiſes des 
Viehs, Butter und Kaſes. 

Dieſem abzuhelfen ſind zweyerley Mittel. 

a. Die, ſo von der Obrigkeit und | 

b. Die, fo von dem Fleiß, Induͤſtrie und guten Eins 
richtungen des Volks abhangen. 

Unter die erſten gehoͤren: 

1. Oberkeitliche Verbote, die das Schlachten des Viehs 
einſchraͤnken; z. B. keine tragende Kuͤhe und Rinder, wie 
auch Kaͤlber unter 3. Wochen alt abzuſchlachten, u. d. gl. 

2. Einſchraͤnkung des Metzgens auf der Landſchaft; z. B. 
daß in einem Dorf nach Proportion der Groͤſſe nur 1. bis 
2. Metzger der Woche nur I. oder 2. Mal eine beſtimmte 
Anzahl Vieh ſchlachten dürfen. 

2 Betraͤchtliche Herabſetzung des Preiſes des Kalb; und 
Kuͤhfleiſches unter den gewohnten Preis, wodurch der 
Bauer weniger Luſt bekommt, ſein Vieh zu verkaufen. 

4. Gebot, daß jeder Bauer, fo 3. bis 4. Kühe habe, 
verbunden ſeyn ſolle, jaͤhrlich ein Kalb abzuſaugen und 
nachzuziehn — Einer, der 6. bis 8. Kühe habe, 2. Kaͤl— 
ber, und ſo nach Proportion. d 

5. Verbote, daß einer, ſo 4. Kuͤhe beſitze, nicht mehr 
als eine davon nach Italien verkaufen dürfe; einer, fo 8. 
Kuͤhe habe, 2. und ſo nach Proportion, worauf die Vor— 
geſetzten in jedem Dorf gefliſſen Acht zu haben verbun— 
den ſeyn ſollten. 

Vortheilhaft waͤre es auch, wenn anſtatt, daß das Vieh 
von den Schweitzern mit groſſem Riſque in allweg, und 
oft mit betraͤchtlichem Schaden nach Italien getrieben wird, 
die Italiener genoͤthiget wuͤrden, das Vieh auf den Schwei— 
zer⸗Maͤrkten ſelbſt zu kaufen. 

Oder wenn auch dieſes nicht ſeyn koͤnnte; daß die Vieh⸗ 
maͤrkte in der Schweitz verfruͤheret wuͤrden, naͤmlich, daß 
ſie vor der Zeit gehalten wuͤrden, eh man gewoͤhnlich das 

Magaz, f. d. Naturk, Zelvetlens. III. B. S 


274 Hrn. H. K. Nuͤſcheler Beantw. d. Preisfrage 
Vieh nach Italien verkauft, damit unfre Landleute deſto 
ſchoͤneres Vieh fuͤr ſich auswaͤhlen koͤnnten; da hingegen, 
weil die Viehmaͤrkte jetzt nach dem Viehverkauf nach Ita— 
lien gehalten werden, ſie nur von dem uͤbergebliebenen 
ſchlechtern zu kaufen bekommen. 

Man koͤnnte allenfalls dergleichen Verordnungen nur 
auf eine gewiſſe Zeit feſtſetzen, um ſich in Zukonft nach 
5 Erfolg richten zu koͤnnen. 

6. Aufhebung der Brach- und Stoppelweiden zur Aeuf⸗ 
nung des Kleebaues; oder des Zelgenrechts, wo es noch 
herrſcht; vermittelſt deſſen einer gezwungen iſt, ſein Feld 
im 3ten Jahr brach liegen zu laſſen; wie auch des Wei⸗ 
dens auf den Emdwieſen. 

Unter den Mitteln, fo von dem Fleiß und Induͤſtrie des 
Volks abhangen, ſind vornehmlich folgende: 

1. Die Vermehrung des Futters, dieſe kann befoͤrdert 
werden: 

a. Vorzuͤglich durch den Kleebau, beſonders durch das 
Saͤen des Hollaͤndiſchen Klees in die Zelgen, und Benus 
zung deſſelben im Brachjahr. 

b. Durch Aufbrechung der Weiden, und Verbrennung 
des Waſens, worein die erſten 2. Jahre Haber und Korn 
geſaͤet wird, und im aten Jahr holland. Klee darein; im 
sten Jahr ſaͤet man in dieſen letztern Heublumen, laßt 
dieſen Bezirk ſodann 6. Jahre, oder wie es am beßten 
dient, zu Wieſen und Weid liegen, und fahrt mit dem 
Aufbrechen fort, bis man nach 8. Jahren damit wieder 
von vornen anfangt. 

c. Durch Pflanzung des Eſperklees an rauche Orte, 
die aber tiefen Grund haben. 

Die Unkoſten der Kleepflanzung koͤnnen al wer⸗ 
den durch Selbſtziehung des Saamens. 

d. Durch Pflanzung anderer Futterkraͤuter, 1 B. des 
Raygraſes oder der Schmalen, welches an feuchten Or⸗ 


‚über den hohen Preis des Butters, ꝛc. 275 


ten wohl fortkoͤmmt, da hingegen der Klee die trocknen 
liebet. 

e. Durch vermehrte Pflanzung der Erdapfel, indem ſo⸗ 
wol die Wurzel als das Kraut dem Vieh zu einer guten 
Nahrung dient. 

Durch Verbeſſerung des Erdapfelbaues; durch die aus 
dem Bluſtſaamen gezogenen Erdapfel. 

f. Durch Einſchlagung überflüßiger Weiden zu Wieſen. 
g. Durch die vortheilhafteſte Einrichtung der Guͤllen⸗ 
graͤben und Kaͤſten und Bauſtoͤcke. 

Durch beßte Benutzung der Turbenaſche, zerriebene Stein— 
kohlen und Steinkohlenaſche, wie auch des Mergels auf den 
Wieſen, und Vermiſchung der Erdarten auf den Aeckern. 

h. Durch wohleingerichtete Benutzung der zum Waͤſſern 
der Wieſen dienlichen Waſſer. 

i. Durch Austrocknung fumpfichter Rieder und Weiden, 
ſowol durch Abzuggraͤben, als durch Pflanzung von Pap 
pelbaͤumen, Saarbachen, Anhoruen, Eſchen und Weiden. 

k. Durch dergleichen Mittel, und beſonders durch gute 
Benutzung des Locale, da jedes Ort feine beſondern Vor— 
theile hat, kann das Futter und alſo auch das Vieh und 
Butter und Kaͤs vermehrt werden. 

2. Kann bey dem Nachziehen des Viehs viel Milch er— 
ſpart werden, durch Vermiſchung derſelben beym Abſau— 
gen der Kälber, mit ſuͤſſer Sauffi oder Schotten, wie auch 
mit Haber oder anderm Mehl, und vornemlich durch 
Vermiſchung mit Heublumenwaſſer, nach mitkommender 
Anleitung. 

3. Durch Errichtung von Senten und Zuſammentragen 
der Milch in den Doͤrfern oder auf Baurenhoͤfen, wie ſol— 
ches im Zuͤrich⸗ und Zugergebiet geſchieht, wo nämlich 
die Bauren die Milch dem Senn verkaufen, und alle Abend 
und Morgen in die Milchhuͤtten tragen; es giebt darun⸗ 
ter Bauren, die nur 2. Kuͤhe haben. Durch dieſe Ein⸗ 


4 


— 


276 Hrn. H. K. Nuͤſcheler Beantw. d. Preisfrage 


richtung wird die Milch beſſer benutzt, kann reinlicher be— 
ſorgt und mehr Butter und Kaͤs daraus gezogen werden, 
als wenn jeder Baur für ſich ſelbſt Butter und Kaͤs ma; 
chen wuͤrde. 

4. Wuͤrde ſehr vortheilhaft ſeyn, wenn der Gebrauch 
des Caffee eingeſchraͤnkt wuͤrde, und auf dem Land we— 
nigſtens, Koſt und Muͤſer geeſſen, oder wenigſtens wie an 
andern Orten zum Caffee nur gewohnte Milch, anſtatt Nid— 
len genommen; auch zu dem End hin das Verkaufen der 
abgenommenen Milch eingeſchraͤnkt oder verboten wuͤrde. 

5. Die Einführung der magern und halbfetten Kaͤſen, 
ſowol zur Nahrung im Land, als nach und nach zum aus⸗ 
waͤrtigen Handel. 

Im Zuͤrichgebiet darf laut oberkeitlichem Verbot, um 
mehr Butter zu erhalten, gar nicht fett gekaͤſet werden; 
da aber im Berngebiet der Handel mit fetten Kaͤſen ſtark 
iſt, fo dürfte man das Fettkaͤſen nicht ganz verbieten, wol 
aber einfchranfen. 

3. B. man wuͤrde das Land in 3. Theil eintheilen — 
der erſte Theil dürfte vom Mayen bis End Augſtmonat 
fettkaͤſen, die 4. folgenden halbfett, und die 4 letzten mager. 

Der 2te Theil wuͤrde Anfangs Herbſtm. fettkaͤſen, und 
der zte Anfangs Jenners u. ſ. f. 

Wahrſcheinlich waͤre der halbfette Kaͤs nicht ſchwer im 
Handel einzuführen, und der magere Kaͤs koͤnnte im Land 
genoſſen werden, und die Leute ſich dabey wohl befinden, 
ſo wie die im Zuͤrichgebiet und an andern Orten. 

Bis aber die Leute daran gewoͤhnt waͤren, koͤnnte man 
die Haͤlfte des Jahrs fettkaͤſen laſſen, 104. halbfett und J. 
mager, oder fo nach Proportion — ſtuffenweiſe, das Fett⸗ 
kaͤſen vermindern, und das Halbfett- und Magerkaͤſen 
vermehren; auf dieſe Weiſe wuͤrde der Butter im Land nach 
und nach vermehrt werden koͤnnen, indem bey dem Fett⸗ 
kaͤſen nur 4 Pf. Butter, beym Halbfett hingegen 8. Pf, 


tiber den hohen Preis des Butters, ꝛc. 277 


und beym Magerkaͤſen 14. Pf. Butter aus 100. Maaß 
Milch koͤnnen gezogen werden. 

Durch den Gebrauch dieſer Mittel koͤnnte dem Man— 
gel und dem hohen Preis des Butters in dem Canton 
Bern und in der ganzen Schweitz ohne Nachtheil des 
Kaͤshandels nicht wenig geſteuert werden; es waren meh— 
rere — aber obige ſchienen mir die natuͤrlichſten, anwend— 
barſten und nuͤtzlichſten zu ſeyn. 

Indeſſen wird auch aus dieſer Theurung des Viehs und 
Butters im Ganzen Gutes erfolgen, wie aus allem was 
den Menſchen druͤckt, und ſo ſeine Leibes- und Seelen— 
kraͤfte fpannt und entwickelt; — wir werden ihr vielleicht 
eben ſo viel zu danken haben, als der Theurung des 
Brods Ao. 1771. welche fo viele gute Einrichtungen und 
beſſere Bebauung des Landes hervorbrachte; und ſchon zei— 
gen ſich genug Spuren, welche dieſe Vorahndung beſtaͤtigen. 

Wie ſehr wird nicht der Kleebau befoͤrdert, wie viel Vieh 
dieſes Jahr nachgezogen, wie viel gute Einſchraͤnkungen 
des Viehverkaufs und Schlachtens deſſelben von den Obrig— 
keiten unſers Landes nicht getroffen? 

Und ſollte auch dieſes nicht in dem Grad ſeyn, wie es 
ſeyn koͤnnte, ſo liegts in der Natur der Dinge, daß je 
mehr Mangel an einem Beduͤrfniß iſt, deſto mehr fließt 
von andern Orten her davon zu, oder ſolches wird durch 
einen andern Nahrungszweig erſetzt; und ſo im Ganzen 
das geſtoͤrte Gleichgewicht wieder hergeſtellt; ſo daß wir 
nie zu ſtark unſern Muth ſinken laſſen, und zu ſehr fuͤr 
den morndrigen Tag ſorgen duͤrfen — wol aber trachten 
ſollen, alles was an uns liegt zum Beßten des Ganzen 
fuͤr jeden heutigen Tag zu vollbringen. 


N 


278 


| Zehenden-Ordnung wegen dem Kleebau. 


Unſere Bnädige Zerren beobachten mit Sans 
des vaͤterlicher Zufriedenheit und Vernuͤgen, wie ihre lies 
ben Landleute, je laͤnger je mehr uͤberzeugt, daß von 
Vermehrung des Futters die Aeufnung der Viehzucht und 
des ganzen Guͤterbaues einig und allein abhange, und 
darum theils auf Anlegung neuer Wieſen, theils auf das 
heilſame Anpflanzen, verſchiedener Gattung Klees immer 
eifriger bedacht ſeyen; welche lobwuͤrdige Triebe Zoch; 
dieſelben jederzeit mit Oberkeitlicher Beguͤnſtigung zu 
unterſtuͤtzen wohl geneigt, zugleich aber einerſeits bedacht 
ſind, die, etwann aus nicht genugſamer Kenntniß oder 
übertriebener Sparſamkeit bey ſolcherley Unternemmungen 
zweckwidrige Verfahrungsart zu beſſerer Vereinigung mit 
dem Getreidbau weislich zu leiten — und anderſeits ho— 
her Pflicht gemäß die dem Staat ſchuldigen Zehenden; 
Gefälle vor unbilliger Schweinerung und Abbruch zu ver: 
wahren; Dem zufolge ergehet Hoch dero gnaͤdige mil 
de Verordnung erneuert dahin: | 

A. Als vorderſt in Anſehung des eigentlichen Wieſenan⸗ 
legens aus zehendbaren Aeckern, in- und auſſert den Zelgen. 

So ſolle weiterhin von einer Juchart, zu 36000. Schuh 
gerechnet, guten Lands, 1. Vril. — Mittelmaͤßigen 2. 
Vrlg. — und geringen 1. Vrlg. Kernen in Natur oder an 
Geld, nach dem Martini-Fruchtſchlag Zehend-Erſatz er; 
ſtattet werden. 

B. Betreffend demnach das Kleepflanzen, in- und auſ⸗ 
ſert den Zelgen: 

iſtens. So wird, wo Wechſel⸗Klee, oder ſogenannter 
Holländiſcher Klee, im Frühjahr in die Sommerfrüchte , 
— oder auch in Roggen, Winter-Gerſten, Oelſaamen 
und dergleichen, nach dem geſegneten Beyſpiel anderer 
Laͤnder geſaͤet, und das folgende Jahr im Herbſt wieder 
untergeackeret, folglich nur von der Erndte des erſten 
Jahrs an, und dann das folgende oder ſogenannte Brach⸗ 


= . 


Zehenden⸗Ordnung wegen dem Kleebau. 279 


jahr durch bis zum Saat⸗Ehret benutzet wird, kein Ze— 
henden gefordert werden. Bleibt aber ſolcher Klee im 
dritten oder mehrern Jahren noch ſtehen, wodurch die 
Beſtellung des Ackers zur Hauptfrucht behindert wird, 
ſo iſt der Beſitzer 1. Vrtl. Kernen in Natur, oder deſſen 
Werth an Geld zu Erſatz davon ſchuldig. 

ztens. Würde hingegen benannte Kleeart ganz ohne 
Getreid, oder auch Luzerne, eine Gattung immerwaͤhren— 
den Klees, wozu um feiner Natur willen gewoͤhnlich aus 
tes und nahe gelegenes Feld genommen wird, gepflanzt, 
fo iſt davon alljährlich 1. Vrtl. Kernen in Natur, oder 
Geld, von 1. Jucharten Zehend-Erſatz zu entrichten. 

ztens. Von Eſper, ſo auch eine langdauernde Klee— 
pflanze iſt in entlegenen ſchlechten Guͤtern, auf Rekhol— 
derbuͤcken, und entfernten rohen Weidboden angelegt, 
ſoll erſt vom gten Jahr an 1. Vrlg. Kernen in Natur, 
oder deſſen Werth an Geld als Zehend, Erſatz bezahlt 
werden; wurde er aber in zehlbarem und beſſerem Land 
gepflanzt, fo iſt davon jährlich auch 1. Vrtl. Kernen in 
Natur, oder das Geld dafuͤr zu geben. a 

Ehe aber jemand oberwaͤhnter Weiſe aus irgend einem 
zehendbaren Acker Wieſen anlegen, oder ihne mit Klee 
beſtellen, oder das ſchon Beſtehende erweitern darf, iſt 
er pflichtig, ſein Vorhaben bey dem jeden Orts hierzu 
verordneten Unterbeamteten getreulich anzuzeigen, das 
Stuck Gut in eigenen Koͤſten ausmeſſen zu laſſen, und 
die Taxirung des Zehenden-Erſatzes von Seite des Ze— 
henden-Herren zu gewaͤrtigen. Wer dieſe Obliegenheit uns 
terlaßt, wird nach Maaßgab des Fehlers geſtraft werden. 

Uebrigens berührt dieſe Verordnung diejenigen Gegen⸗ 
den und Stuͤcke Landes nicht, derenthalber ſchon vor 
1769. etwas beſonders und eigens Oberkeitlich beſtimmt 
und angeſehen worden, maſſen es dabey ſein weiteres 
Verbleiben haben mag; auch hat dieſelbe keinen Bezug 
auf die Rechte und Uebungen fremder — und Privat, De⸗ 
cimatoren. Actum Zuͤrich, Dienſtags den 14. Juni 1785. 


Coram Rechenrath. Rechenfchreiber sCansley. 


280 Ueber die Erziehung junger Kälber, 


Wie junge Kälber, die man erziehen will mit Milch 
und geublumen: Waſſer mit wenig Boſten und ſehr 
Sean erfolg konnen abgefsuat werden. Von der 

konomiſchen Geſellſchaft in Zuͤrich ihren alljaͤhrigen 
reis fragen beygefüͤgt. 


1.) Laßt man das junge Kalb drey Tag nach einandern 
an der Muster faugen. 

2.) Giebt man dem Kalb drey Tag nach einandern, des 
Morgens und Abends jedesmal I. Maaß kuͤhwarme Milch 
aus dem Kübel zu trinken. 

3) Drey Tag nach einandern Morgens und Abends 3/4 
kuͤhwarme und 1/4 Maaß abgenommene ſuͤſſe Milch, mit 
1/4 Maaß Heuͤblumen Waſſer vermiſcht. 

4.) Vier Tag lang Morgens und Abends 12 Maaß kuͤh⸗ 
warme, und eben ſo viel abgenommene ſuͤſſe Milch, mit 
1/2 Maaß Heublumen-Waſſer vermiſcht. 

5.) Vier Tag Morgens und Abends 1½ Maaß kuͤhwar⸗ 
me, und 3/4 Maaß abgenommene ſuͤſſe Milch, und 3/4 
Maaß Heublumen-Waſſer. 

6.) Von dieſer Zeit an giebt man dem Kalb 10 — 12. 
oder mehrere Wochen, je nachdem man uberflußige Milch 
hat, Morgens und Abends t. Maaß abgenommene ſuͤſſe 
Milch, und eben fo viel Heublumen-Waſſer mit ein we; 
nig Salz vermiſcht, zu trinken. 

Ueberhaupt iſt zu gewahren, daß man allemal dem Heu⸗ 
blumen Waſſer einen ſolchen Grad von Warme beybringe, 
damit das ganze Getraͤnk immerhin die Warme von kuͤh⸗ 
warmer Milch bekomme. 

Wann das Kalb das Alter von drey Wochen erreicht 
hat, fo kann man anfangen ihm zum Zeitvertreib ein we—⸗ 
nig Heu vorzulegen. 

Die Zubereitung des Heublumen Waſſers iſt ſehr einfach. 
Man nimmt naͤmlich 1. Pfund ſchoͤne wohlgereinigte und ge⸗ 
ſunde Heublumen, bindet ſolche in ein Stuͤck Leinentuch, 
leget ſelbiges in ein ſauberes und nicht neues hoͤlzernes Ges 
ſchirr, und begießt ſelbige mit ſtark ſiedendem Waſſer. | 

Noch ift anzumerken, daß die auf obbeſtimmte Art abge 
ſaugte Kaͤlber niemalen ſo ſchoͤn und glatt aus ſehen, als die 
mit Milch abgeſaugten; allein eine bald 20jaͤhrige Erfah⸗ 
rung hat gezeiget, daß alsdenn dieſe Kalber, wann fie an 
das trockne Futter kommen, viel geſchwinder zunemmen 
als die andern, und gewiß immerhin geſuͤnder bleiben als 
die and ern Abſaͤuglinge. 


Ver ſuſch 


einer 


Beantwortung der Preisfrage 


der 
phyſikaliſch⸗oͤkonomiſchen 


Geſellſchaft in Bern. 


Welches ſind die vornehmſten Urſachen von dem 
Mangel und hohen Preiſe des Butters im 
Canton Bern, und durch was fuͤr Mittel kann 

man ohne Nachtheil des Kaͤſehandels die Quan⸗ 
titaͤt dieſer ſo nothwendigen Waare vermehren? 


Als Anhang zu vorhergehender Abhandlung. 


Vo m 
Herausgeber. 


282 Anhang zu vorig. Beautw. d. Preisfr. ꝛc. 


An hang“) 
zu vorhergehender Beantwortung in genauerer 
Aucfihr auf den Canton Bern. 


Von dem Herausgeber. 


Wenn bey dieſer fuͤr unſer Vaterland ſo wichtigen 
Preisfrage auf eine genaue und beſtimmte Beantwortung 
gerechnet wird, ſo fuͤrchte ich ſehr, man werde den Vor— 
geſetzten loͤblichen Zweck kaum oder niemals erhalten, und 
dieſes aus Gruͤnden, die mit den Schwierigkeiten, ſich die 
dazu unentbehrlichen Thatſachen und Rechnungen zu ver- 
ſchaffen, zu genau verknuͤpft ſind, und die in gewiſſen 
politiſchen Grundmaximen liegen. 


*) Gegenwaͤrtige Abhandlung iſt eine Frucht eigener Sammlung 
und Arbeit; ſie iſt ſchon im letzten Jahre (1787.) in unſerer 
Privat⸗Naturforſchenden Geſellſchaft allhier in Bern, und gleich 
nachher in der Hochlöbl. Oekonomiſchen Commißion in Zürich 
vorgeleſen, und auf geſammelte Berichtigungen hin, welche 
dieſe gelehrten Verſammlungen mir mitzutheilen die Gewogen⸗ 
heit hatten, noch verbeſſert worden. Darauf hin uͤbergab ich 
ſolche unſerm verehrungswuͤrdigen Praͤſidenten der hieſigen Hoch⸗ 
loͤbl. oͤkonomiſchen Geſellſchaft ebenfalls zur Durchſicht, welcher 
ſolche einer genauen Unterſuchung wuͤrdigte, und dieſelbe mit 
ſeinem Beyfalle beehrte. Dieſes finde ich aus folgenden Gruͤn⸗ 
den nothwendig bekannt zu machen. 

Gleich nach dem Neujahre wurden in der Hochloͤbl. zkonomiſchen 
Geſellſchaft allhier die eingegangenen Wettſchriften uͤber obige Preis⸗ 
frage einer der Gegenſtaͤnden der Berathſchlagungen der Lobl. Ver⸗ 
ſam̃lung; man waͤhlte eine Commißion, die eingegangenen Wett⸗ 
ſchriften zu unterſuchen, und ich hatte die Ehre, als Mitglied 
dieſer Commißion mit ernennet zu werden. Damit nun weder 


Von dem Herausgeber. 283 


Vorausgeſetzt alſo, ein Freund des allgemeinen Beſten 
wolle gern einen Theil ſeiner Zeit und ſeiner geſammelten 
Kenntniſſe dazu anwenden, um der vortreflichen Abſicht 
der Preisfrage zu entſprechen; wenn er nun recht zuwege 
gehen ſollte, wie muͤßte er es vornehmen, und welches 
waͤren die nothwendigen Materialien und Hilfsmittel 
um zu feinem Zweck zu gelangen ? Keine andere als 
folgende: 

I.) Muͤßte er ein genaues Verzeichniß und Berechnung 
des Viehſtandes im Canton beſitzen. 

2.) Eine genaue Rechnung der Benutzung in Molken 
des Viehſtandes. 

3) Eine genaue Rechnung der Alpen und Güter ‚und 
deren Nutzung an Ruͤckſicht des Viehſtandes. 

J.) Eine genaue Rechnung der Ausfuhr des Melk- und 
Maſtviehes. 

5.) Eine genaue Rechnung des Viehes zum Schlachten 

im Lande, und deſſen Conſumtion. 


1 


die HHrn. Mitbewerber, noch der Leſer in den mir unguͤnſti⸗ 
gen Irrwahn verſetzt werden, als haͤtte ich das geringſte obiger 
Abhandlungen benutzt, ausgezogen und meiner Abhandlung ein: 
verleibet; fo uͤbergebe ich dieſelbe itzt dem Kenner, dem Vater⸗ 
lande und dem Richter, wie ſolche gleich von Anfang nach mei. 
nen Begriffen iſt aufgeſetzt worden, ehe ich nur die ſeither 
eingelaufenen Wettſchriften weder geſehen, noch weniger unters 
ſucht habe. 

Da ferner die gekroͤnte und beſſern Preisſchriften, und aus den 
minder⸗beſſern das Zweckmaͤßigſte auezug weiſe an feinem Orte 
abgedruckt werden wird, ſo kann alsdenn das Publikum ſelbſt 
noch beſſer urtheilen, ob ein Plagiat hier ſtatt gefunden habe, 
wo hingegen alle diejenigen Perſonen, welche meine Abhand⸗ 
lungen vor einem halben Jahre geſehen, und vorleſen gehoͤrt 
haben, mir das Zeugniß geben müſſen, und gerne geben werden, 
daß hier kein Plagiat hat ſtatt finden koͤnnen. Dieſes zu mei⸗ 
ner und der Mitbewerber Beruhigung. 


Bern, den 20. Januar 1788. f SBoͤpfner. 


284 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 


6.) Eine genaue Bevoͤlkerungsliſte aller Einwohner im 
Lande, um die Fleiſch-Conſumtion mit der Volksmenge 
in Vergleichung zu ſetzen. 

7.) Ein genaues Verzeichniß der Menge von Fett und 
magern Kaͤſen, die im Lande verbraucht und außer Lan⸗ 
des verfuͤhrt werden. 

8.) Ein genaues Tabellare uͤber die Butterfabrikatur im 
Lande, deren Verkauf, Profit und allfaͤlliger Contrebande. 

9.) Eine genaue Rechnung über den Milch- und Nydel⸗ 
Handel im Canton Bern. | 

Wer nun den Canton Bern nur einigermaßen kennet, 
wird im erſten Augenblick einſehen, daß es eine Unmögs 
lichkeit iſt, nur eine dieſer neun nothwendigen Bedingniſ— 
ſen, viel weniger alle zu erhalten; und da ohne Verbin— 
dung der erhaltenen Reſultaten von dieſen neun Beding⸗ 
niſſen nichts vollſtaͤndiges geliefert werden kann, fo iſt 
die bis zur Evidenz erwieſene Unmoͤglichkeit obiger Preis⸗ 
frage Genuͤge zu leiſten, nur zu ſehr beſtaͤtiget, und die 
Hoffnung etwas Genugthuͤendes zu liefern und zu erhals 
ten, dahin. 

Indeſſen waͤre es doch traurig und aͤußerſt nieder— 
ſchlagend, wenn man uͤber dieſen wichtigen Gegenſtand 
auch nicht das geringſte Befriedigende einſammeln ſollte. 

Dieſe Betrachtung hat daher einige Freunde und mich 
bewogen, unſere geſammelten Beobachtungen uͤber dieſen 
ſo allgemein wichtigen Gegenſtand zu ſammeln, und als 
Bruchſtuͤcke, Beytraͤge und Schärflein zu einer vollkomm⸗ 
nern Abhandlung hier zuſammen zu tragen, und die Be⸗ 
nutzung derſelben denjenigen zu uͤberlaſſen, welche ſol— 
che einer naͤhern Betrachtung und Ausfuͤhrung wuͤrdigen. 

Natuͤrlich iſt daher auch der Grund, daß wir in dieſer 
Beantwortung den Preis der Frage nicht vor Augen ha— 
ben, und daß wir uns unfaͤhig fühlen zu deſſen Erhal⸗ 
kung etwas beyzutragen. 


Von dem Herausgeber. 285 


Da in obiger Abhandlung fo viel gutes und treffendes, 
welches auf alle Weiſe beherziget zu werden verdient, 
geſagt iſt; und der Herr Verfaſſer an den meiſten Stel— 
len gleichſam aus meiner Seele geredet hat, ſo waͤre es 
hoͤchſt unnoͤthig alles wieder anzufuͤhren, welches ich et 
wa in einer andern Eintheilung und Verbindung uͤber 
dieſen Gegenſtand aufgeſetzt hatte. Ich bleibe daher nur 
bey demjenigen ſtehen, welches den Canton Bern und 
ſeine Alpen naͤher betrift, und wozu ich und mehrere 
hohe Goͤnner und uneigennuͤtzige Freunde die Materialien 
und Thatſachen aufgetrieben und geſammelt haben; und 
fuͤge denn meine geringe Meinung und Vorſchlaͤge bey, 
wie der Seltenheit des Butters und der Theurung des 
Fleiſches ohne Beeintraͤchtigung des Kaͤſehandels auf Zu— 
kunft vorgebauet, ein mit allen andern Lebensmitteln 
Verhaͤltnißmaͤßiger Preis dieſer Nahrungsmittel feſtgeſez⸗ 
zet, und das Vaterland von dieſer Seite her in Sicher— 
heit geſtellt werden koͤnnte. 

Um den Leſer nicht in eine neue Gedankenordnung 5 
folglich leicht in Verwirrung zu ſetzen, hebe ich aus mei— 
ner ſchon fertig geweſenen Abhandlung nur dasjenige aus, 
was noch naͤhere Aufklaͤrung verſchaffen kann, und folge 
der Ordnung der vorhergehenden Abhandlung von Punkt 
zu Punkte. f 

Die Theure des Butters, heißt es, komme her: 

I.) Von Urſachen, die von der Natur abhangen, und 
darunter gehoͤren: 

a) Die jetzige Seltenheit des Viehes. Nicht allein der 
ſchwere Winter von 1784.85, blos als langer Winter 
betrachtet, hat die Menge des Viehes wegen dem Futter 
mangel vermindert, ſondern es traten noch verſchiedene 
umſtaͤnde bey, die obiges Uebel vermehrten. Dieſes was 
ren die Zuſammenziehung der franzoͤſiſchen und öfferreichis 
ſchen Truppen dem Rhein nach hinunter, und die Auf 


286 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 


kaufung einer großen Menge Fourrage in dieſer ſchweren 
Zeit. Viele Leute in jenen Rheingegenden verkauften ihr 
Vieh, weil ſie nicht vorſehen konnten, daſſelbe den gan⸗ 
zen Winter hindurch durchzufuͤttern, und der Reſt der 
Fourrage wurde fuͤr die genannten Truppen aufgekauft. 

Der traurige Eisgang in den tiefern Gegenden des 
Rheins, Nekars, Donau, u. f w. verwuͤſtete eine ers 
ſtaunliche Menge Landes, welches das Jahr darauf we— 
nig oder nichts an Frucht und Vieh-Nahrung abwarf; 
folglich mußte dieſer allgemeine Verkauf des Viehes, des 
Futters und Mangel vom Nachwachs in einer großen 
Strecke Landes das Gleichgewicht in den benachbarten 
Gegenden ſtoͤren. Ein Gluͤck, ein großes Gluͤck war es 
fuͤr die meiſten Gegenden Helvetiens, daß eben zu dieſer 
beſchwerlichen Zeit, Frankreich in Helvetien eine große 
Menge Remonte Pferdte aufkaufen ließe, von welchen 
bey 12000. Stuͤcke aus dem Canton Bern und benachbar⸗ 
ten Gegenden ausgeführt, und das Stuͤck im Durch— 
ſchnitt mit 8. Louisd'or bezahlt wurde. 

Ware dieſes nicht geſchehen, fo hätten entweder die 
aͤrmern Bauren zulezt ihre Pferdie wegjagen, ſchlagen, 
um den niedrigſten Preis verkaufen, oder verhungern 
laſſen muͤſſen; die Reichern hingegen haͤtten ohne Zweifel 
dasjenige Vieh zum erſten abgethan, bey deſſen Abſchaf⸗ 
fung einiger und mehrerer Gewinnſt zu erhalten war, 
und dieſes war natuͤrlicher Weiſe das Hornvieh. Jene 
politiſche Kataſtrophe verſchaffte dahero gluͤcklicher Weiſe 
dem Bauren Gelegenheit fuͤr eine ſchoͤne Summe ſeine 
Pferdte abzuſchaffen, und mit dem gewonnenen Geld ei⸗ 
ner beſſern Zeit entgegen zu ſehen. 

Im Sommer Ao. 1785 , und im letzten Jahre Yo. 1786. 
war alſo die Rhein- und Donau-Gegend von Vieh ent⸗ 
bloͤßet; man ſuchte daher, ſo viel als moͤglich, ſich neue 
Viehzuchten anzuſchaffen; man kaufte daher, und das um 


Von dem Herausgeber. 287 


einen ſehr hohen Preis Schweizer-Vieh und meiſtens Kuͤ⸗ 
he, auch leider fuͤr uns meiſtens tragende Kuͤhe auf, ſo 
daß Ao. 1785. nur aus gewiſſen Gegenden des Berner 
Cantons über 8000. Kühe ausgefuͤhrt wurden. Ferner 
ſind an dieſer Veraͤußerung, auch die an unſern Graͤnzen, 
vorzuͤglich in der Lombardie ſeit verſchiedenen Jahren 
fortdaurenden Viehſeuchen, Schuld. 

b) Nicht allein in den ſogenannten deutſchen und franzoͤſt⸗ 
ſchen Laͤndern war der Futtermangel groß, ſondern auch 
auf den Alpen. Der lange Winter verzehrte das duͤrre 
Futter eher, als die Kuͤhe auf die Alpen konnten. Der 
Hirt oder Bauer mußte daher, um einen Theil ſeines 
Viehes vollends durchwintern zu koͤnnen, und damit 
nicht alle gegen das Ende aus Mangel der Nahrung 
verderben, den andern Theil de ſelben abſtoſſen, und als 
Schlachtvieh verkaufen; daher in den oͤffentlichen Schaa— 
len niemals mehr Kuͤhfleiſch, und weniger Ochſen- und 
Kalbfleiſch verkauft wurde, als ſeit einigen Jahren. 

Im Jahr 1786 und 87. waren die Heuerndten meiſtens 
gut, und in Ruͤckſicht der geringern Menge von Vieh 
mehr als gut ausgefallen, indem man aller Orten mehr 
Futter machte, als das wenigere Vieh verzehrte, ſo daß 
auch die Alpen nicht gehoͤrig abgeaͤtzet werden konnten. 

Die natuͤrlichſte Folge davon war alſo, daß: 

c) Jeglicher Bauer oder Hirt junges Vieh nachzoge, mit 
Milch abſaͤugte, und ſich folglich ſo viel als er thun 
konnte, die ehemalige Zucht anſchaffte. Man durchgehe 
Die Berg-Seyungs, und Bergbeſatzungs-Tabellen von 
1784. bis jetzt, ſo wird man die Thatſachen genug dazu 
ſammeln koͤnnen. Nur ein Exempel: Die Landſchaft Ober— 
Hasle hat 54. Alpen. Dieſe ſind zu 4438. Kuͤhe geſeyet. 
Ao. 1787. aber waren alle dieſe Alpen nur mit 3317. Kuͤ⸗ 
ben beſetzt; hingegen waren noch darauf 598. Kalben 
(Guſteli) und 778. Kälber, ein Kalben hat ein halbes 


288 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 


Kuhrecht, oder iſt auf eine halbe Kuh geſeyet, ein Kalb 
aber auf 4. Kuh, folglich haben 2. Kalben und 4. Kaͤlber 
1. Kuhrecht. 


Kuͤhe 6 „ 332317 
Kalben 898. + 299 Kuͤhrecht. 
Kaͤlber 778. 149 
3765. 
Alſo waren die Alpen um 673 Kühe 
4438. 


weniger beſetzt, als fie geſeyet find, und befest ſeyn 
ſollten. Man nehme noch dazu (wenn man ja alles an⸗ 
rechnen will), 
331 Kuͤhe, die auf den Allmenten in den Thaͤ— 
lern den Sommer hindurch waren, und 
139 Zeitkuͤhe, ſo bringen dieſe 
470. Kühe zu obigen 3765. nur 4235. Kühe alles 
in allem, und fehlen doch noch 203. Kühe, obgleich 
nach den Seyungs- Rechten obige Alpen immer mit ih⸗ 
ren 4438. Kuͤhen beſetzt ſeyn koͤnnten, ohne daß es auf 
die Allment⸗ und Zeitkuͤhe Einfluß haben ſoll, indem 
dieſe immer darein gerechnet werden. 

Klar und deutlich iſt alſo, daß der harte Winter 
1784785, vermittelſt des dadurch erlittenen Futterman⸗ 
gels, die Menge des Melkviehes vermindert, den Auf— 
kauf nach der Fremde vermehret, und dadurch die Milch⸗ 
fabrikaturen geſchwaͤcht hat. 

Klar und deutlich iſt alſo, daß bey vermehrtem Fut⸗ 
ter, und daher folgender ſtarker Nachzucht die Milch— 
fabrikation ſo lange zuruͤck bleiben mußte, bis daß un⸗ 
ſere Viehgegenden mit der gehoͤrigen Menge Melkvieh 
wieber verſeben ſind. Es folgt daraus, daß der Preis 
des Butters und des Schlachtviehes mit deſſen Menge 
und Preis ziemlich das Verhaͤltniß behalten hat, und 


Von dem Herausgeber. 289 


daß mit der ſteigenden Menge von Melkvieh, unter ges 
hoͤrigen klugen Einrichtungen, die Menge der Milchs 
Produkten ſich vermehren muͤſſen, folglich der Preis von 
beyden bey wieder erhaltenem Gleichgewicht von Futter 
und Vieh wieder fallen ſollte. 

2. Hat die Theurung des Butters ihren Urſprung 
von Urſachen, die von den Menſchen ſelbſt herkommen, 
und da iſt 

a) Die immer zunehmende Bevoͤlkerung kein geringer 
Grund. Man kann nach gewiſſen Kalkuln annehmen, 
daß im Canton Bern ein Jahr ins andere von 9. bis 
10,000. *) Menſchen mehr geboren werden, als ſterben. 
Dieſe Zunahme von Bevoͤlkerung muß nothwendiger Wei— 
fe eine Vermehrung der Butter -Conſumtion nach ſich zie— 
hen; allein da die Milch und Butterfabrikation ſich nicht 
in demjenigen Verhaͤltniß, wie die Menſchen-Menge vers 
mehret, fo muß ganz natuͤrlicher Weiſe bey ſtaͤrkerer 
Nachfrage von Kaͤufern und minderer Menge Waare letz— 
tere noch mehr im Preiſe ſteigen, als es ſonſt bey Vers 
haͤltnißmaͤßig gleicher Progreßion geſchehen ſollte Eine 
Zunahme von 9000, oder 5, d Menſchen jährlich in 
einem Lande, wie der Canton Bern iſt, muß auf jene 
Butter » Confumtion einen Einfluß haben. Allein dieſe 
Menſchenvermehrung vermehret nicht allein auch deshalb 
die Butter Conſumtion, weil die Anzahl der zehrenden 
Menſchenklaſſe größer iſt als vormals, ſondern weil durch 
die Bank weg alle Einwohner jetzt beſſer, koſtbarer und 
gleichſam naſchhafter leben und effen als vor Zeiten. Mit— 
hin hat es ſeine große Richtigkeit, daß auch 

b) Die Vermehrung des Vermoͤgens, die durch verſtaͤrk— 


) Andere Kalkul ſagen 36000; allein da ſich immer mehr Frem⸗ 
de im Lande ſetzen, ſo ſcheint obiger Kalkul der Wahrheit naͤher 
zu kommen. 


Magaz. f. d. Naturk. Zelvetlens. III. B. 


4 


| ago Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ic. 


te Handelſchaft und Fabriken bewirkte leichtere Art ſich 
Geld zu erwerben, und die allgemeine Zunahme des 
Wohlſtandes im Canton — nach dem natuͤrlichen Gang 
aller Dingen auf dieſer Erde, nothwendiger Weiſe, den 
immer mehr um ſich freſſenden, gleichſam Krebsartigen 
Hang zu mehrern Bequemlichkeiten, (die zuerſt in Bez 
duͤrfniſſe und endlich in Nothwendigkeiten ausarten) er⸗ 
wecken und immer mehr vermehren muß. — Dieſes iſt 
auch fo ſehr in Ruͤckſicht des Butters wahr; daß auch 
dem geringſten und aͤrmſten Bauer im Canton keine Suppe 
ohne mit Butter geſchmalzt zu ſeyn, ſchmeckt. N 


e) Allein eine der wichtigſten Urſachen der Theurung 
oder vielmehr groͤßern Seltenheit des Butters iſt der ſo 
erſtaunliche und über allen Begrif übermäßige Nydel⸗ 
Gebrauch zu Stadt und zu Land. Haͤtte ich nicht durch 
das Wohlwollen einiger hoher Gönner, durch eigene Er— 
fahrung, und durch das einmuͤthige Einſtimmen vieler 
meiner Freunden Thatſachen und Beyſpiele geſammelt, 
fo würde es mir, wie jetzt vielleicht noch manchem Aug, 
länder, ergehen; ich würde dem anzufuͤhrenden keinen 
Glauben beymeſſen. 


Setzen wir fuͤr's erſte die Data feſt, und berechnen 
wir dann die nothwendige Folge. Im Julio Ao. 1780. 
ließ man zu Bern alle Milch und Nydlen meſſen, ſo 
in einem Tag in die Stadt zum Verkauf gebracht wurde. 
Da fand ſich folgende Menge 


much. Maaß. 


Obere Thor s 258 

Aarberger s Thor # 7 180 

Aarzihle Thor 2 A „ 09 
Untere Thor s 448 ae 
In einem Tagge ⸗  — 


9og. Maaß Milch. 


a 


Nydlen. Maaß. 


Von dem Herausgeber. 291 


Obere „ Thor s 3 135 
Aarberger » Thor 3 5 115 

Aarzihle Thor + ; 32 

Uutere „ Thor 2 5 318 

In einem Tage 2 600, Maaß Nydlen. 


Dieſes war im Julio, zur Zeit, wo die wenigſten 
Leute in der Stadt und einige Kuͤher auf den Alpen ſind. 


Thut an Geld im Jahr: 


Milch 329960. Maaß, à 4. kr. 13198. Kron. 10. Batzen. 
Nydlen 219000. Maaß, à 16. kr. 3500 — — — 

48238. Kron. Io. Batzen. 
NB. Ohne Innbegrif der Burger⸗Kuͤhen auf den Stadt⸗ 
Allmenten. 

Halten wir uns jetzt aber blos an der Nydlen. 

Eine Maaß Nydlen giebt gut T. Pfund Butter, alſo 
werden jaͤhrlich nach obiger Rechnung in der Stadt 2190. 
Zentner Butter in der Nydlen genoſſen ). 

Die Stadt Bern enthält ungefähr 1000. Haͤuſer, und 
13000, Einwohner. 

Man ſchaͤtzt die Einwohner des ganzen Cantons weit 
über 400,000, Menſchen. Laſſet uns nur Ioo,ooo. anneh⸗ 
men, die eben fo viel Nydlen verbrauchen, wie die Eins 
wohner von Bern, und das iſt nicht zuviel angeſetzt; 
denn eben auf dem Lande wird die beſte, die meiſte Nyd⸗ 


*) Hier finde ich noch eine Erinnerung noͤthig — die Nydlen, wel⸗ 
che in die Stadt gebracht wird, iſt bey weitem nicht ſo gut, 
daß aus einer Maaſ 1. Pfund Butter gemacht werden koͤnnte. 

Hingegen iſt dieſe Rechnung zu einer Zeit gemacht worden, 
wo man weit aus am wenigſten Nydlen in die Stadt bringt; 
und da auch das Produkt der Buͤrger⸗Kuͤhen nicht angefuͤhrt iſt, 

fo kann man obige Ni dlen dafür, in Ruͤckſicht der Rechnung, 
als Acht annehmen, und die Maaß a 1. Pfund Butter ſchaͤtzen. 


® 


292 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preiofr. de. 


len zum Caffee verbraucht und vertrunken, wenn ſich in 
der Stadt Bern kaum ein Waſcherweib, Gartenweib, 
Kellermagd, keine Hausmagd befindet, die nicht des 
Morgens ihre paar Taſſen Caffee, und notabene mit Nydlen 
trinkt, fo befindet ſich im ganzen Canton kaum ein Baus 
renweib „welches nicht feinen Caffee, und das immer 
mit der beſten Nydlen verſetzt zu ſeinem r 
genießt. 

Der größte. Misbrauch aber geht in den hoͤchſten Als 
pen vor, in den entfernteſten Alphuͤtten, wo kein Frem⸗ 
der, kein Stadtbewohner jemals hinkoͤmmt. In Oeſche⸗ 
nen, Gaſteren, auf Roſenlaui haben ich und meine Freun⸗ 
de immer den vortreflichſten Caffee mit der füffeften Nyd— 
len trinken helfen. Dieſes Getraͤnke diente uns faſt zur 
einzigen Nahrung waͤhrend unſerm Aufenthalt in jenen 
unbereiſeten Alphuͤtten, und iſt, laut Uebereinſtimmung 
aller Alpenbewohner, die wir befragt haben, ein herz 
liebes Getraͤnke derſelben. Man rechne nur nach der ein⸗ 
fachen Regel Detribus 13000. Menſchen verzehren jaͤhr⸗ 
lich 219,000. Maaß Nydlen, wie viel verzehren Ioo,ooo, 
Menſchen, fo koͤmmt die erſchreckliche Summe von 
1,6584615 Maaß Nydlen heraus, die in einem Jahr im 
Canton vertrunken oder verzehret wird. 

Man wird ſich gleich wider dieſe unbegreifliche Summe 
aufwerfen; allein keine Rechnung iſt leichter und billiger: 
In der Zahl von 13000. ſind gewiß mehrere Menſchen 
mitbegriffen, die faft keine Nydlen verbrauchen; hinge⸗ 
gen nehme ich auf das Landvolk nur den vierten Theil 
der Landeinwohner, da doch ein Kuͤher oder Bauer 
mehr und beſſere Nydel vertrinkt, als ein Stadtbewoh⸗ 
ner. Man nehme auch nur an, daß 50000. Menſchen 
im Lande Nydlen bertrinfen ‚ fo kommen nach obiger Rech⸗ 
nung doch noch 842307 3. Maaß heraus. 

Immer eine große Summe. 


Von dem Herausgeber. 293 


Wer aber mit einem unbefangenen Auge und nur mit 
einiger Aufmerkſamkeit die Lebensart auf dem Lande und 
in den Staͤdten beobachtet, und ſeine hieraus gezogenen 
Folgerungen berechnet, wird alſo bald einſtimmen, daß 
gewiß von 400,00. Menſchen im Lande Too, ooo. obige 
Menge von Nydlen verbrauchen. 

Iſt es ſo weit gekommen, daß eine mittelmaͤßige Dienits 
magd bey Dingung des Lohns ſich den Caffee mit Nyd— 
len uͤber den Lohn ausdingt, daß Herrſchaften auf dem 
Lande bey mittelmaͤßiger Haushaltung ein Tag in den 
andern 68. Maaß Nydlen verbrauchen, daß alle Kuͤher— 
Familien im Lande ihr Fruͤhſtuͤcke im Caffee mit Nydlen 
nehmen, ſo iſt obige Rechnung noch leichter zu begrei— 
fen. Ein Hausvater berechne die jährlichen Ausgaben 
fuͤr Nydlen, zaͤhle ſeine Kinder und Hausgenoſſen, und 
ziehe dann ſein Reſultat daraus. Die Regierung laſſe 
eine genaue Rechnung von dem Caffee aufnehmen, der 
im Lande Fonfumirt wird, fo werden fie obigen Auf; 
wand zu gut beſtaͤtiget finden. In den Sitzungen der 
loͤbl. oͤconomiſchen Geſellſchaft in Bern, welchen ich 
beywohnte, ſind alle Antworten, die ohne Konkurrenz 
eingeſendet und abgelefen worden, von Herren, Bauren, 
und Kuͤhern doch im Allgemeinen dahin ausgelaufen, daß 
das Caffee- und Nydeltrinken eine der erſten Urſachen des 
Buttermangels ſeyen. Der Augenſchein lehret deutlich 
genug, daß wenn 1684615. Maaß Nydlen im Jahr vers 
braucht werden, 16846 5. Zentner weniger Anken oder 
Butter gemacht werden, und daß dieſes nothwendiger 
Weiſe eine Stockung in der Butter: Fabrifation verurfas 
chen muß, und das um ſo viel mehr, wenn noch oben— 
drein der Hirt und Aelpler, wie wir unten ſehen werden, 
mehr in der Kaͤſefabrikation, als im Buttermachen ſeinen 
Profit machet oder findet. 

dh) Eine vierte Haupiurſache des Buttermangels if, 


294 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 


das Fettkaͤſen in den Alpen, und der beſſere und groͤß 
fere Profit, welchen der Aelpler von den fetten Kaͤſen 
ziehet. Folgende Rechnungen find zu wichtig, um uͤber⸗ 
gangen zu werden, und koͤnnen den beſten Aufſchluß uͤber 
dieſen Punkt geben. Sie ſind aus dem Oberland, vom 
keherbers „und aus dem Pais de Vaud. 


Im Oberland 


1. Weinmaaß Milch wiegt 3. Pfund, das Pf. hat 34. Loth. 

I. Milchmaß wiegt 4. Pfund. 

50. Milchmaaß, oder 200. Pfund Milch geben 20. Pf. 
fetten Kaͤs. | | 

Io. Pf. abgenommene Milch geben r. Pf. magern Kaͤs. 

I. Milchmaaß Nydlen giebt 1. Pfund Anken. 

Iooo. Maaß Bergmilch geben zum allerwenigſten 200. 
Maaß Nydlen. 

130. Pfund fette Kaͤſe werden übel im Durchſchnitt 
als Produkt einer Kuhe im Oberland gerechnet. K 
Ein Kuͤher machte Ao. 1786, von 22600. Maaß Milch 
85. Zentner fetten Kaͤs. 7 

Zu 1. Pf. Kaͤs haͤtte er alſo ungefahr 10 f. Pf. Milch 
gebraucht. Auf dieſe allgemeine Ausſage der Oberländer 
wollen wir folgende Rechnung bauen: 

1000. Maaß Bergmilch geben alſo 400. Pfund 
fetten Käs *). Dieſer angeſchlagen zu 4. Batzen. 
Vom Staffel weg machen s 1600 — 
Der Zieger 30540. Pfund a6. kr. 6 — 

8 1660. Ba Badge 


*) Im Sanenland und Greyerd galt ER der Zentner 20. 
Kronen; hiemit 5. Batzen das Pfund. Im Emmenthal 
16. Kronen, alſo 4. Batzen das Pfund. Im Oberland 4. Batzen 
2. Kreutzer, oder 18. Kronen. Ich nehme nur die kleinſte Sum⸗ 
me der 4. Batzen an. 5 


Von dem Herausgeber. 205 


1000, Maaß Bergmilch geben 200. Maaß Nydlen, und 
folglich 200. Pf. Anken a 4. Batz. 2. Kreutzer ) 900. Batzen. 
Von dieſen 1000. Maaß abgezogen 200 Maaß Nydlen. 


bleiben s ; 800, Maaß. 
Abgenommene Milch geben 30. Pfund magern Kaͤs 
à 2. Batzen, 2. Kreutzer. N 200 Batzen. 


25. Pf. Zieger a 1. Batzen r 
1125 1125 Batzen. 
Fett gekaͤſet wirft alſo ab „ „ 10660 Batzen. 
Mager s : 1 9 3 1125 — 
535. Batzen. 
Gewinnt alſo der Kuͤher mit Fettkaͤſen von ooo. Maaß 
Milch im Oberland 535. Batzen mehr als beym Ma— 
gerkaͤſen und Buttermachen. Die Schotten wird zur 
Schweinsmaſtung benutzet. Dieſes hat fo ſehr feine Bas 
wandtniß, daß die Oberlaͤnder ſelbſt fuͤr ihren Haus— 
gebrauch ihren Butter nicht ſelbſt verfertigen , ſondern 
von ihren Nachbarn kaufen, und daß die Oberhasler 
von Unterwalden, die Grindelwalder von Lauterbrunn, 
die andern Oberlaͤnder zu Thun auf dem Markt, wohin 
er von den kleinen Bauren gebracht wird. 


Leberberg, Oberkeitliche Bergmeffungs Rechnung von 
Biel. | 

1000, Maaß Milch geben 400. Pfund fetten Kaͤs. Die 
ſer gilt dort auf der Alpe nicht mehr als 14. Kronen, 
weil der fette Kaͤs vom Leberberg nicht ſo geſchaͤßt if, 
als der Oberlaͤnder. 


*) In Zürich galt der Zentner Butter Ad 1727, 32. fl. Zuͤricher⸗ 
Valuta, der Louisd’or zu 10. fl.; hiemit das Pfund ungefähr 
5. Batzen 1. Kreutzer Bern Geld. In Biel galt er ohnerachtet 
der guten Buttereinrichtung 5. Batzen; im Neuenburgiſchen 
6. Batzen; in Luzern 6. Batzen; in Fryburg 6. Batzen, 
2. Kreutzer. 


296 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ve 


Alſo 400. Pfund 23. Batz. 2. Kreutzer das Pf. 1400. Batzen. 
40. Pfund Zieger a 5. Kreutzer . 50 — 
f Sum. 1450. Batzen. 
1000. Maaß Bergmilch geben 225. (einige ſagten 250. 
Maaß Nydlen, die ſes iſt aber gewiß zuviel angegeben; 
wir erwaͤhlen daher die Mittelſtraſſe) folglich 225. Pfund 
Butter à 4. Batzen 2. Kreutzer : 1012. Batzen. 
Es bleiben zuruͤck 775. Maaß abgenommene Milch, 
dieſe geben ungefähr 75. Pf. magern Kaͤs 29 Kreutzer, 
ungefaͤhr 4 „„ 168 Batzen. 
25. Pfund Zieger à 4. Kreutzer. 235 — 
1205. Batzen. 
Fett gekaͤſet gewinnt alſo der Apler von 1ooo Maaß auf 
dem Jura fett ⸗ 1450 Batzen. 
. mager gekaͤſet 125 — 
die Summe der 245. Batzen. 


245. Batzen mehr im Fettkaͤſen, als im Magerkaͤſen 
und Buttermachen. 


Die uͤbriggebliebene Schotten wird ae im Oberland 


zur Schweinsmaſtung verwendet. 
Aus dem von der Schweinsmaſtung erhaltenen Profit 
bezahlt der Senn feine Dienſtenloͤhne. 


Die Weide fuͤr eine Kuhe wird auf dem Jura fuͤr 18. 
Wochen von dem Senn, dem Eigenthuͤmer der Alpe mit 
J. à 6. Kronen bezahlt; wenn der Senn nicht eigene Kühe 
hat, ſondern Fremde eindinget, fo zahlt er dem Bauer 
fuͤr die Abnutzung einer Kuhe 778. Kronen an Geld, 
oder 50. Pfund Butter, welches gleich iſt. 

Die Weid koſtet alſo s 150 Batzen. 

Die Nutzung einer Ruhe 5 # 200 er 

| 350. Batzen. 


Mithin muß der Senn dieſe 14. Kronen durch und 


Vou dem Herausgeber. 297 


durch 18. Wochen von einer Kuhe ziehen, ehe er eis 
nen Profit und Erſtattung für Mühe und Riſiko has 
ben kann. 

Man kann die Abnutzung einer guten geſunden Kuhe, 
die erſt im Merz oder April das Kalb geworfen, auf 16. 
bis 17. Kronen rechnen. Obige 14. Kronen davon abge— 
zogen, bleiben dem Senn fuͤr ſeine Muͤhe und Riſiko 
nur 2. 3. Kronen von einer Kuhe reiner Profit. 

Die Alpen auf dem Jura tragen im Kapital nur 
3. pro to. ab. Deswegen fie nur begüterte Partikularen oder 
Gemeinen anſchaffen koͤnnen, wenn ſie betraͤchtlich ſind. 
Hingegen iſt der Preis derſelben ſeit 30. Jahren mehr als 
das doppelte geſtiegen, und wird wahrſcheinlicher Weiſe 
noch mehr, mithin der Preis der Milchprodukten noch 
mehr ſteigen ). 

Aus dem Pays de Vaud lauten die Nachrichten folgen⸗ 
der Weiſe: 

13. Pfund und 13. Unzen, oder 221. Unzen Bergmilch 
von 50. oder 100. Kuͤhen, wie fie im Kaͤſekeſſel gemis 
ſchet find, geben 1. Pfund oder 16. Unzen fetten verkauf— 
baren Kaͤs. Das Pfund fetter Kaͤs iſt im Großen dieſes 
Jahr fuͤr 3. Batzen 1. Kreutzer, oder 13. Kreutzer vers 
kauft worden. 


Wenn aber ein Landwirth vor 40. Jahren (wie ich deren kenne), 
eine Alp um 60. Kronen gekauſt hat, und nun baare 60. Kro⸗ 
nen Pachtzins zieht, ſo tragen dieſe Alpen hiemit mehr als 
3. pro Cent. ab. Vor 40. Jahren haben 60. Kronen in Renten oder 
Guͤltbriefen à 4. pro Cent. nicht mehr als 60. Batzen Zins abgetra⸗ 
gen. Dieſes Geld aber damals in Grundguͤter geſteckt hat bey 
50. pro Cent, gewonuen. Man muß daher hier einen Unterſchied 
machen, wann das Grundſtuͤck, und um welchen Preis es gekauft 
worden. Kauf ich itzt nach dem Werth der Dinge ein Grund⸗ 
ſtuͤck, fo wird es nicht mehr als 3. proCent. abtragen, in 5. Jahren 
aber ſchon das doppelte Intereſſe meines vor 5. Jahren ausge⸗ 
legten Capitals, und ſo progreß ive. 


298 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 


Die nemliche Quantitaͤt Milch giebt aber nur 7. oder 
8. Unzen Butter. Dieſer Butter wurde zu Morſee im 
May 1787. das Pfund zu 4. Batzen, im Winter zu 4. Batzen 
2. Kreutzer verkauft. Folglich war der Profit beym Butters 
machen von oben angefuͤhrter Menge Milch nur 728. 

„ 9. Kreutzer, da er beym Fettkaͤſen 13. Kreutzer iſt. 
Der Correſpondent hat hier aber keine Ruͤckſicht auf den 
magern Kaͤs genommen. 

Da der fette Kaͤs dort nicht mehr als 13. Kreutzer galt, 
ſo iſt daher der Butter auch nur 4. Batzen im Preis, 
weil ſich der Profit beym Buttermachen und Mager⸗Kaͤ— 
ſen gegen dem Profit beym Fettkaͤſen ziemlich das Gleich⸗ 
gewicht haͤlt. 

Klar iſt es alſo, daß auch das Fettkaͤſen eine der ers 
ſten Urſachen der Seltenheit und der Theurung des But⸗ 
ters iſt. 

e) Ein fuͤnfter Grund dieſer Butterſeltenheit liegt auch, 
wie der Verfaſſer obiger Abhandlung ſagt, in dem übers 
handnehmenden Kalbfleiſcheſſen, insbeſonders bey Kuͤhern 
und Aelplern. Vor Zeiten erhielten ſich die Aelpler blos 
von ihrem Sauffi, Kaͤſemilch und Zieger. Jetzt an vie⸗ 
len Orten vom Caffee mit Nydlen und Kaͤlberfleiſch. 

Dieſe vermehrte Kalbfleiſch-Conſumtion verbunden mit 
den erleichterten und verminderten Faſttagen in den ka⸗ 
tholifchen Landen muß nothwendiger Weiſe bis zur vers 
mehrten Nachzucht das Gleichgewicht ſtoͤren. 

) Auf einen ſechsten Grund wurde in obiger Abhand⸗ 
lung nicht Ruͤckſicht genommen, weil folgende ſchaͤdliche 
Einrichtung vermuthlich in jenen Gegenden noch nicht 
eingeriſſen iſt. Dieſe beſtehet in der Verwandlung vieler 
Sennereyen und Alpen in Maſtweiden, wo vor Zeiten 
jährlich fo viele 100, Zentner Kaͤſe und Butter gezeuget 
wurden, da wird heut zu Tage inſonderheit in dem Bis 
ſchof⸗Basleriſchen und Graͤflich⸗ Neuenburgiſchen Landen 


Von dem Herausgeber. 299 


kein Pfund mehr gezeuget, ſondern nur Schlacht-Ochſen 5 
fett gemaͤſtet, die meiſtens in Frankreich verkauft werden, 
was nicht vorher durch Genfer oder Straßburger Metzger 
ausgehoben wird. Dieſe Umaͤnderung der Sennereyen 
in Maſtviehweiden ſchadet dreyfach: 

Erſtlich wird eine große Menge Butter und Kaͤs we— 
niger gemacht, als nach der Menge der Alpen und Vieh— 
weiden gemacht werden ſollten. Butter muͤſſen die Ein— 
wohner haben, alſo erholen fie ſich bey der Nachbars 
ſchaft, und ſo werden viele 100. Zentner aus dem Canton 
Bern nach dem Neuenburgiſchen ins la Chaux de Fond, 
und Locle par Contrebande geführt. Vermehrte Nachfrage 
vermehrt den Preis, und das Gleichgewicht wird geſtoͤret. 

Zweytens ſchaden dieſe Maſtweiden, weil dadurch die 
Nachzucht vermindert wird. Je mehr ähnliche Maſt— 
weiden im Lande aufkommen wuͤrden, deſto mehr wuͤrde 
das Vieh, wegen Mangel von Nachzucht, abnehmen, 
und die groͤßte und erſte Quelle vom vaterlaͤndiſchen Wohl 
und Vermoͤgen in Nichts verſiegen. 

Drittens ſchaden ſolche Maſtweiden, weil fie der Ba 
voͤlkerung, vermehrten Nahrungszweigen und Arbeitfams 
keit ſchaden. Ein reicher Ochſen-Magnat koͤnnte 5. ; 6. 
Berge beſitzen, ſolche mit Maſtochſen beſetzen, und weil 
dieſe keine Beſorgung und Wartung verlangen, auf jeden 
Berg nur einen Baurenbub zur Hut anſtellen. Alſo waͤ⸗— 
ren 5. oder 6. Berge, welche eben ſo viel Kuͤher-Fami⸗ 
lien ernaͤhren koͤnnten, mit 6. Baurenbuben beſetzt, die 
Milchfabrikation und mit ihr der Nahrungszweig von vie⸗ 
len Familien wuͤrde ſtocken, und ein einziger Haͤndler 
auf Unkoſten vieler thaͤtiger Menſchen ſich bereichern. 

g) Ferner ſchaden der Viehzucht im Lande und der zu 
erzielenden Milchprodukten, die immerſteigende Pferd⸗ 
Menge im Lande, und das ſowohl ſolche, die zur 
Gemaͤchlichkeit, zum Staat und Luxus, als die zur Noth⸗ 


300 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 


{ durft dienen. Wenn vor Zeiten Stadtbewohner Lands 
güter, oder nur einige Grundſtuͤcke zu ihrem Vergnügen 
beſaſſen, ſo ließen ſie dieſelben entweder mit Zugochſen 
bearbeiten, oder hielten ſich eine Kuhe, um fuͤr ihren 
Hausgebrauch einigen Nutzen von der Milch und Butter 
zu ziehen. Jetzt aber iſt die allgemeine Meinung: Ich 
habe Futter genug fuͤr ein Pferd zu halten, und dann 
haͤlt man ſich eine kleine Chaiſe fuͤr ſeine Freude. Auch 
unter den Bauren hat das Pferdhalten fo uͤberhand ges 
nommen, daß in dem ganzen Emmenthal nicht leicht ein 
beguͤterter Bauer ſich finden wird, der nicht ſein Pferd 
und niedliches Waͤgelein hat, um auf die Maͤrkte zu 
fahren; ja es giebt 3 +4. Bauren, die zuſammenſtehen, 
und gemeinſchaftlich 1. Pferd und ein niedliches Waͤgelein 
halten, mit welchem ſie auf die Maͤrkte kommen. Es iſt 
hier nicht die Rede, ob die Leute es alle vermoͤgen, 
Pferde zu halten. Ich mag es allen herzlich gern goͤnnen 
ſich wohl ſeyn zu laſſen, und fuͤr ihre Bequemlichkeit ſich 
Pferde, Chaiſen und Waͤgelein zu halten. Allein die Fra⸗ 
ge iſt, ob dieſe Pferdevermehrung nicht eine Hornvieh— 
verminderung nach ſich ziehe. Ohne nur zu erwaͤgen, 
daß ein Pferd mehr Futter verzehrt als eine Kuhe, ſo 
wird alles das Futter, welches die Pferde verzehren, 
den Kuͤhen entzogen, im ganzen Lande fo viel weniger 
Kuͤhe gehalten, als Pferde ſind; folglich muß man 10 
im Ganzen weniger Milchprodukten erhalten. 

Auch die zur Nothdurft vermehrte Menge von Pier. 
ten ſchadet der Viehzucht. 

Verſtaͤrkte Handelſchaft und vermehrte gabrifen, wels 
che mit einer zunehmenden Bevoͤlkerung im Verhaͤltniß ſte⸗ 
hen, verurſachen eine Vermehrung von Fuhr⸗-, Saum⸗, 
Kutſchen- und Transport- Pferden. Dieſe nehmen den 
Kuͤhen wieder Futter weg, und ſind Schuld, daß von 
dieſen weniger gehalten werden koͤnnen. 


Von dem Herausgeber. 301 


h) Und zuletzt ſchaden der Vermehrung der Viehzucht 
und der Milchprodukten, die Allmenden und Zelgen 
augenſcheinlich. 

Die Volksmenge vermehrt ſich, und lebt von Tag zu 
Tag beſſer, aber die Grundſtuͤcke vermehren und verbeſ— 
ſern ſich gar nicht in dem nemlichen Verhaͤltniß; mithin 
muͤſſen die Lebensmietel in eben dem Verhaͤltniß ſeltener 
werden, und folglich im Preis ſteigen. Nun aber ſind 
nicht alle Grundſtuͤcke ſo angebauet, und liefern nicht 
dasjenige, was ſie nach ihrer Anlage liefern koͤnnten. 
Oder, wer kann ſagen: Die Allmenten und Gemeinwei— 
den werfen das ab, was ſie unter gehoͤriger Bearbeitung 
abwerfen ſollten. Wenn 30000. Jucharten Zelgen ſind, 
und alle Jahr Loooo. Brachfelder ungenutzt, oder fo viel 
als ungenutzt liegen, iſt es nicht ein Schaden fuͤr das 
Land, und hat es keinen Einfluß auf die Menge und 
den Preis der Nahrungsmittel, wenn man von loooo. 
Jucharten blos aus Vorurtheil nichts zieht? Auch der Oel- 
mangel und die Oeltheurung hatte einen Einfluß auf die 
Butterſeltenheit. Im Oberland wird jaͤhrlich eine große 
Menge Butter, anſtatt Brennöl zu Lichtern in den Lampen, 
verbraucht. | 

Ferner, der Schleichhandel: In allen benachbarten 
Cantons iſt der Butter theurer. — Iſt der Schleichhandel 
hier nicht natürlich ? 

Dieſes ſind nun die büuptſchlichſten Gruͤnde und Ur⸗ 
ſachen der Seltenheit und Theurung des Butters, wo— 
bey aber wohl zu merken iſt, daß dieſe Theurung mit 
dem Viehmangel und andern druͤckenden Urſachen das ge⸗ 
naue Verhaͤltniß behalten hat, und daß man ſich in Rück 
ſicht obgenannter Urſachen nicht ſo ſehr uͤber die Theu— 
rung des Butters zu beklagen habe. 

Was die Mittel, dieſer Theurung abzuhelfen und dem 
Lande mehrern Butter zu verſchaffen, anbetrift, ſo ſind 


’ 7 


8 
302 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 
in der vorhergehenden Abbandlung ſo viele gute Raͤthe 
und Vorſchlaͤge angegeben worden, daß es unnoͤthig iſt 
ſich daruͤber weiters auszudehnen. Ich will daher auch 
hier meinem Zweck getreu bleiben, und nur das anfuͤh— 
ten, welches ſich auf den Canton Bern genauer bezieht. 

Ich betrachte vorzuſchlagende Mittel obigen Maͤngeln 
abzuhelfen, unter zweyen Geſichtspunkten: Und das erſt⸗ 
lich, als palliative oder behelfliche Mittel, oder ſolche Mit, 
tel, die fuͤr einen gewiſſen Zeitraum von Jahren von dem 
groͤßten Nutzen fuͤr das Land ſeyn wuͤrden, nachher aber 
nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnden abgeändert oder vers 
mehret werden koͤnnten. Und zweytens, als abhelfliche 
Mittel, die fuͤr immerhin dem Lande den auszeichnende⸗ 
ſten Vortheil verſchaffen wuͤrden. Erſtere waͤren leichter 
einzufuͤhren, letztere deſto nothwendiger. 

Zu den erſtern gehören die ſub No. 1. 2. 3. in der 
vorhergehenden Abhandlung angefuͤhrte Vorſchlaͤge, zu 
welchen ich folgenden beyfuͤge, in dem Wahne, daß er 
vielleicht zur Zeit der einzige ſeye, welcher ausgefuhrt 
werden kann, und welcher ohne dem Kuͤher, noch dem 
Kaͤſehandel zu ſchaden, und ohne die Perſonal-Freyheit 
anzutaſten, von unzweifelbarem Nutzen waͤre. | 

Vorerſt ſollte die Regierung von Bern in allen Fands 
vogteyen von allen Alpen, ſeyen ſie geſeyet oder nicht, 
einen neuen Kataſter verfertigen, und nach dieſem ſich 
ein genaues Verzeichnis des Alpen -Viehſtandes vorlegen 
laſſen: Eben ſo ſollte mit allen Kuͤhereyen in den tiefern 
Gegenden und ebenen Lande vorgenommen werden, ſo daß 
man von allem dem Vieh, welches zur Milchprodukten— 
Fabrikation im Großen dienet, (denn auf die einzelnen 
Bauren oder Hauskuͤhe iſt es nicht noͤthig Ruͤckſicht zu 
nehmen), die beſtimmte Menge verzeichnet erhielte. Auf 
dieſes wuͤrde ein Verzeichnis aller Sennereyen und Kuͤhe⸗ 

reyen, die blos fett kaͤſen, oder blos Nydlen verkaufen, 


9 — 
„ 7 


Von dem Herausgeber. 303 


ausgezogen, und alſo das Verhaͤltnis herausgebracht, 
wie viel Sennen oder Kuͤher Butter machen, und wie ſich 
die Menge des im Lande im Großen fabrizirten Butters zur 
Volksmenge, und hingegen auch zum Fettkaͤſen und zum 
Nydlenverbrauch verhalte. Alsdenn waͤre mein Rath: 
Allen Aelplern und Sennen aufzulegen, von einer jeden 
Kuhe, waͤhrend ihrer Sennzeit auf den Alpen, 1. 2. 3. 
oder 4. Pfund Butter zu machen, und ſolchen Butter in 
zu beſtimmenden Staͤdten abzulegen, wo ſolche, wie Kauf 
und Lauf iſt, zum gemeinen Beſten verkauft werden koͤnnten. 
Das geloͤſete Geld gehoͤrte, wie natuͤrlich, dem Senne eigen. 

Von einer Kuhe waͤhrend dem Sommer 24. Pfund 
Butter zu verlangen, iſt nicht viel gefordert. Im Ganzen 
wird es aber eine große Summe hervorbringen. Dem 
Kaͤſehandel wuͤrde es aus folgenden Gruͤnden nichts ſcha⸗ 
den. Da alle Aelpler im ganzen Canton mit dieſer Ord— 
nung belegt wuͤrden, ſo koͤnnte ſich keiner eines Vorzugs 
ruͤhmen, alfo keiner dem andern ſchaden. Die fetten Kaͤ— 
ſe wuͤrden um 5. à 10. pro Cto. aufſchlagen, und die Aus⸗ 
laͤnder muͤßten dieſe Auflage allein bezahlen, welches 
von keinem Einfluß im Ganzen waͤre, in dem ſolche in 
10. Jahren ohnedem um dieſe Summe aufſchlagen werden. 

Um dieſen Vorſchlag noch naͤher zu erlaͤutern, ſo laßt 
uns wieder die Landſchaft Hasle zum Exempel nehmen, weil 
ich Gelegeuheit hatte, waͤhrend meinem letzten Aufenthalk 
in dieſer Gegend beſondere Nachrichten zu ſammeln. 

In der Landſchaft Hasle befinden ſich 54. folgende 
Alpen mit ihren Seyungen ). 


*) Sayung oder Seyung bedeutet im Bergland folgendes: Wenn 
ein Bergbewohner eine Kuh auf die Alp treiben will, fo muß er 
fo viel Güter im Thal haben, daß er dieſe Kuhe durchwintern 
kann, ſonſt kann er kein Kuhrecht haben, die Kuhrechte auf 
den Alpen werden daher mit den Guͤtern im Thal verkauft: 
Hat einer fo viel Güter im Thal, daß er 6. Kühe überwintern 


304 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ıc. 
Seyung zu einem Vuhrecht. 


1. Breitenboden 2243 Fuͤhe. 
2. Schwarzwald » * 36 — 
3. Grindel s „ „„ 
4. Schoͤnenbuͤehl 1 30 — 
5. Roſenlaui : 2 3 30 — 
6. Großen Rychenbach 23 35 — 
7. Brogs Rychenbach . 17 
3. Moors Rychenbach $ 1 — 
9. Kaltenbrunn 237 1 
10. Wandel 2323 Et 
II. Wuͤrzen 2 E i 
12. Bruͤniger Aelpli s 68 


Sum. 1266. 3. Obige 


kann, ſo hat er ſo viel Kuhrecht auf den Alpen, weil die ge⸗ 
feneten Alpen von den Gütern im Thal unvertheilbar fi nd und 
immer mit einander verkauft werden. 

Eine Alp zu 30. Kuͤhen geſeyet, beſitzt folglich 30. Kubrechte 
Doch giebt es auch Alpen, die nicht geſeyet ſind, und dieſe 


habe ich hier mit einem Sternlein bezeichnet. Dieſe bezeichne⸗ 


ten Alpen gehoͤren verſchiedenen Gemeinden im Thal, und koͤn⸗ 


nen nach Willkuͤhr beſetzt werden. Will einer nun auf eine Aly 


treiben, ſo muß er beweiſen, daß er ſein Vieh bey ſeinem Fut⸗ 


ter durchwintert hat. | 
Da muß er haben Bergrecht für ein 3. jaͤhriges oder Alters 


Pferdt . . 3. Kuͤhe. 

NB. Im Engſtlen und Genthal s 4 — 
Ein 2. jaͤhriges Pferd 2 Ein Kalb D * 
Ein 1. jährige - I Ein Schwein 3538 
Ein Fuͤllen „ 2. Ein Ferkel . — 
Eine Kuh . 1. Ein Geiß od. ein Schaaf 3. — 
Ein Zeitkalbe - 1. Ein Gizi oder Lamm r 
Ein Kalbe . 1, 


Die Wucherſtieren find aller Orten frey. 
Wenn einer aber eine Kube auf Ueberſatz treibet, d. i. eine 
Kuh mehr auf den Berg läßt, als er an ſolchem Recht hat, fo 


iſt die Strafe (wenn er ein Bergantheiler iſt), daß er den 


in der daſigen Alp⸗-Einung beſtimmten Bergzins und noch 30. 
Batzen bezahlen muß: Iſt er aber kein Berggenoß, ſo zahlt er 
noch 30. Batzen mehr zuhanden aller Antheilhabern. 


) 


Von dem Herausgeber. 305 


Obige 12. Alpen werden von den Doͤrfern Meyringen, 
Eiſenbalgen, Hauſen, Bruͤnigen, Unterhayd, Unterbach, 
Zaun, Falcheren, Lugen, Schwaͤndi, Willigen, Stein, 
Geißholz und ihren Nebenbezirken beſetzt. 

Außer No, 12. liegen obige Alpen zwiſchen dem Hasle 
Thal und Grindelwald-Thal, und werden in dem hohen 
Bergthal von dem Rychenbach durchſtroͤmmt. 

13. Bahlis- Up „ 250 Huͤhrecht. 


14. Maͤgis⸗Alvb⸗ 2230 

15. Gummen e — 

16. Arni 3 — 

17. Unterbalm „ 36 — 

18. Baumgarten⸗ 107 — 
Sum. 973 


Dieſe 13. bis 18. werden von den Gemeinden am 
Hasleberg als Hochfluh, Unterfluh, Waſſerwaͤndi, Gols 
dern, Reuthi, Wyſſenfluh und ihren Bezirken beſetzt. 

Alle dieſe 6. Berge außer * 18. werden mit Kuͤhen, Zie⸗ 
gen und Schweinen, (welche zwey letztere hier keine 
Seyung wegnehmen) No, 18, aber außer 22. Kuͤhen mit 


Rindern beſetzt. 
Dieſe Berge graͤnzen an Unterwalden ob dem Kernwalb. 


19. Engſtlen „ 4350 Ruͤhrecht. 
20. Genthal ; P 311 — 
21. Schicherberrg 9 ; 64 — 
22. Birchlaui . . 89 2 — 
23. Rudſeri 1 8 > 
24. Schafftenlui ss 3 20 — 
25. Kalberweid 1 14 — 
26 Buͤhlenweid - 15 2 — 
27. Trift Sonnſeiten. 83 5 
28. Wenden 3 1086 — 
29. Gygli s 20 — 
30. Vorbetli z : 2 492 — 
31. Stein an 86 = 
13104, 


Magaz. f. d. Naturk. Zelvetiens. III. B. N 


306 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfe. te. 


Transp. 13104, 
10 Ruͤhrecht. 


— 


32. Wang er 


* 


33. Laub 8 12 — 
34.“ Wendenſchafberg e = 
35. Triften⸗Schattſeiten⸗ ” 76 — 

36. Hochwang s : 14 — 

37. Blindlaui „„ > 

38. Schrotwang - „ =. 

39. Blatten⸗ : 18 — — 

40. Steinhaus 8s 63 7 

41. Guͤntener . 25 ns 

42. Kunzendenlen - 17 I.. 

33. Grimſel „ 1 Br 

44. Handegg ? ie. 3 4 
45. Aerlenn j 13 . 

46.“ Wyſſenbacch⸗ 322 — 

47. Fellen „ ) TEE — 

48. Gygli im Boch : 20 * 

49.“ Hochberg ut 572 — 

50. Heuſtein 9 3 s 14 — 

5I. Gaulii „ 55 ze 

52. Een: ri 31 — 

53. Ilmenſtein 3 * 31 — f 
54. Burg „ 15 — 2 


Sum. Ruͤhrecht. 2078 4. 

No. 20. 21. 39. 51. 52. und 53. werden von den Doͤr⸗ 
fern Winkel, Grund, Bruͤgg, Unterſtock, Aepigen, Hof, 
Bottigen, Wyler und Muͤhlithal beſetzt. 

No. 19. Engſtlen gehoͤrt theils der Landſchaft, den 
Pfruͤnden, Gemeinden, und theils ſehr vielen Partifularen. 

No. 22:38. nutzen die Dorfbeſitzer von Hopflauenen, 
Schwendi, Neſſenthal, Muͤhliſtalden, Twuͤrgi, Schaf. 
telen, an der Fuhren, am Buͤehl und Obermaad. 

No. 40. 41. 42. 45:50, beſetzen die Dörfer Re 
Aelperſtein und Gutdannen. 

No. 43. u. 44. ein jeglicher Spithalmeiſter vom Grimſelberg. 


Von dem Herausgeber. 307 


Dieſes vorausgeſetzt, wird man alſo die Anzahl der 
Kuͤhen auf den Bergen in der Landſchaft Hasle nach ihren 
Seyungen und Beſatzungen auf 4418. annehmen koͤnnen. 

Allein die wirkliche Bergbeſatzung Ao. 1787. war nur 
folgender Maaßen beſtellt: 


Wucherſtieren - 5 : 81. 
Auf den Allmenten 5 7. 
Kuͤhe ? . 3317. 
Allment : 3 „ 331. 
Zeitkuͤhe ⸗ ; „139. 
Kalben e s 5098. 
Kaͤlber ; : 778. 
chweine ; : 6 997. 
Allment ⸗ : ⸗ 6. 
Ferkel ; s 6 70 
Allment s 1 38 
Schaafe ) 4292. 
Geiſſen (Ziegen) s „ 13858. 
Allment : ⸗ „ 712 
Gizi 3 + 31173 
Allment s gs . 31. 
Boͤcke s : 164. F 
3. und mehrjährige Pferde. 134. 
2. jährige ; ⸗ f 24. 
Jaͤbrige : 54. 


Ich habe aber die Gruͤnde angegeben, warum die Ber— 
ge dieſes und das letzte Jahr nicht nach ihren Seyungen 
beſetzt waren, und nehme daher zur Grundlage meiner 
Rechnung die Mittelzahl von 4000. Kuͤhen in der Lands. 
ſchaft Hasle an. Wuͤrde nun eine jede Kuhe mit 2 Pfund 
Butter belegt, fo kaͤme die Summe von So Zentner herz 


*) Auf die Berge No. 27. 34. 38. 37. 41. 46. 47. 49. und 51. kann 
jeder Landmann fo viel Schaafe, Seifen und Boͤck auftreiben, als 
er will; nur muß er jedem Hirte für jedes Stud 2. Batzen 
Hirtenlohn zahlen. 


4 


308 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 


aus. Zwey Pfund Butter auf eine Kuhe durch den Som— 
mer koͤnnte keine große Revolution in dem Kaͤſehandel 
machen; eine jede Alp wuͤrde einen einzigen, oder aufs 
boͤchſt zwey fette Kaͤſe, waͤhrend der Alpzeit weniger 
macheu, und doch waͤren 80. Zentner Butter von einem 
Bezirk Land mehr in Umlauf gebracht, woher zuvor 
keiner kame. 

Damit aber ſowohl kein Misbrauch, Unterſchleif, und 
Vervortheilung geſchaͤhe, als auch damit nicht zu einer 
Zeit viel Butter, zur andern wenig oder keiner vorhanden 
waͤre; fo koͤnnte folgende Einrichtung getroffen werden. 

Bey der Bergauffahrt des Viehs, wo dieſes ohnedem 
von beeydigten Maͤnnern in Nückficht feiner Geſundheit 
unterſucht wird — muͤßten auch von eben dieſen beeydigten 
Vorgeſetzten die Seyungen und dießmaligen Bergbeſatzun⸗ 
gen aufgeſchrieben, und ein jeglicher Senn nach der Ans 
zahl ſeiner Kühe, oder nach feinen Kuhrechten mit der 
zu beſtimmenden Menge von Butter auf die Kuhe be— 
legt werden. f 

Da ferner die Auffahrt gewoͤhnlich in den erſten Tagen 
Juniis, die Abfahrt in den erſten Tagen Octobers ge 
ſchieht, mithin die Kuͤhe 4. Monate oder 120. Tage auf 
den Alpen zubringen; ſo koͤnnten die 54. Seyungen oder 

Alpen in zwey Theile getheilt werden. Davon 26. in den 
erſten 6, Wochen, und 26. in den letzten 6. Wochen 
Butter machen wuͤrden. 

Dieſe 54. Alpen aber muͤßten unter einander ferner 
das Loos ziehen, welchen Tag nach der Auffahrt, oder 
vor der Abfahrt eine jegliche Butter machen ſollte, und 
dieſe Tage muͤßten mit der Abfahrt der Marktſchiffen 
nach Thun im Verhaͤltnis ſtehen, damit der Butter nicht 
zu lange liegen bleiben muͤßte. Dieſe Eintheilung haͤtte 
den Nutzen, daß an jeglichem Markttage Anfangs und 
Ends des Sommers eine gewiſſe Menge Butter ſicher 


Von dem Herausgeber. 309 


zum Verkauf da waͤre. In Thun aber muͤßte ein recht— 
ſchaffener beeydigter Mann angeſtellt werden, der den 
Butter in Empfang naͤhme, den Senn beſcheinigte, und 
den Verkauf beſorgte. Dieſes geſchaͤhe auf folgende Art: 
So bald die Seyungs- und Butter-Aulagstabellen und 
die Tagsverzeichniſſe der Lieferungen verfertigt, und in 
der Landſchreiberey von Hasle niedergelegt worden waͤ— 
ren, müßten von dieſen Tabellen gleich zwey Copien gez 
nommen, und davon eine an MnGnHHrn. nach Bern, 
die andere nach Thun geſendet werden. Der Vorgeſetzte 
von Thun wuͤrde nach der Seinigen einſehen: „Mit dem 
„ Marftfchiff von dieſem oder jenem Tage muß die Butter— 
„lieferung von dieſer oder jener Alp, die in fo viel vi 
„ beſtehet, anlangen. » 

Der Senn der Alpe weiß die Zeit der een auf 
den Tag ſoll er gehalten ſeyn zu buttern, und ſich mit 
dem Butter bey der Landſchreiberey einfinden, wo dann 
der Butter befichtiget, gewogen, und ihm bey Recht— 
befinden ungefaͤhr folgendes Schreiben ausgeſtellet wird: 

„Alp Breitenboden, Seyung oder Beſatzung von 253. 
„Kuͤhen. Senn N. N. liefern hiemit das angelegte Duans 
„tum von 486. Pfund Butter, welches geliebe in Ems 
„ pfang zu nehmen, nach beßtem Kauf und Lauf zu fchäs 
„zen, und nach Guterfinden Trägern dieß, den gewohn⸗ 
„ten Revers auszuſtellen., Datum f 
Sign. Candſchreiber. 

Dieſes Schreiben überliefert der Senn, mit dem But 
ter, den Vorgeſetzten in Thun, der Vorgeſetzte nimmt 
den Butter ab, wiegt, beſichtiget denſelben, zahlt das 
Quantum nach Kauf und Lauf aus, behält das Schrei 
ben, und bringt ſolches ad Protocollum, ſtellt aber dem 
Senn ungefaͤhr folgenden Revers aus: 

„Daß Alp Breitenboden Seyung von 243. Kuͤhen. 
»Senn N. N. das angelegte Quantum von 486. Pfund 


310 Anhang zu vorig. Beantw. d. Breisfr. ꝛc. 


„Butter richtig und zu ſeiner Zeit uͤberliefert hat, und 

»ihme ſolches nach beſtem Kauf und Lauf das Pfund zu — 

„mit Kronen, Batzen, Kreutzer ausbezahlt worden iſt. 
Beſcheint e. Datum Vorgeſetzter. 


Ich ſagte oben, der Vorgeſetzte zahle dem Senn den 
angelegten Butter nach Kauf und Lauf aus. Dieſes iſt 
nicht mehr als billig. Dieſe Aelpler bringen ihren But— 
ter nicht um des Gewinnſtes willen, ſondern weil fie da— 
zu verbunden werden; ſie muͤſſen oft einen weiten Weg 
machen; vielleicht etwas Geld verthun; ſollten ſie nun 
den Verkauf des Butters abwarten, und ſich den zufälli⸗ 
gen Chikanen der Kaͤufer, die ſich einbilden, daß der 
Butter nun da ſeye, daß die Aelpler ſeiner gern los und 
bald daheim ſeyn wollen, daß man ſie alſo mit dem Preiſe 
ſo zu ſagen, klemmen koͤnne, ausſetzen, ſo waͤten dieſe 
guten Leute zu bedauren. Wuͤrde man aber die Einrich⸗ 
tung treffen, daß in jeglicher Stadt, in welcher eine Alps 
Butter-Ablage ware, den Vorgeſetzten eine kleine Summe 
baares Geld aus der Stadtcaſſa vorgeſtreckt würde, von 
welcher Summe man allemal den aufgelegten Butter 
der Aelpler nach dem beſten Kauf und Lauf baar aus⸗ 
bezahlte, und den Aelpler wieder heimlaſſen koͤnnte, ſo 
waͤre allen geholfen. 

Damit aber die Stadtcaffa nicht auf aͤhnlichen Fuß ans 
geführt werde, fo koͤnnte man einführen , daß kein andes 
rer Butter auf dem Markt ſo lange verkauft werden ſoll, 
bis der Bergbutter verkauft waͤre, welches alsdenn kaum 
eine Stunde dauren wird. ; 

Laßt uns dieſes Beyſpiel von Hasle und Thun auf den 
ganzen Canton anwenden. Alle Alpen, wo fett gekaͤſet 
wird, würden im ganzen Lande alſo behandelt: Nach den 
verſchiedenen Diſtrikten des Cantons wuͤrden verſchiedene 
Ablagsorter oder Städte beſtimmt, und das etwa in fol— 
gender Ordnung. Die Alpen in den Landvogteyen Thun, 


Von dem Herausgeber. art 


Oberhofen, Unterſeen und Interlaken haͤtten ihre Ab⸗ 
lage in Thun. 

Frutigen, Zweyſimmen, Wimmis, die 4. Landgericht, 
und ein Theil des Emmenthals zu Bern. Der andere 
Theil des Emmenthals zu Burgdorf; die im Aergoͤw zu 
Arburg, Arau oder Lenzburg; Der kleine Antheil des 
deutſchen Jura an Bern zu Buͤren. Der franzoͤſiſche 
Jura zu Iverdon und Mon; Sanen zu Vivis, 

Hat die Regierung nun ein genaues Verzeichniß der 
Alpen des Viehſtandes, der Fett- und Magerkaͤſen, 
und hinwieder der Conſumtion des Butters im Lande, 
fo kann der Kalkul nun auf das Land gemacht werden, 
wie weit obige Einrichtung nügen koͤnnte. Die Alpen, 
wo jetzt magerkaͤſen, werden immer Butter liefern, und 
die kleinen Bauren, welche bis dahin den Pfuͤnderanken, 
ſowohl den Ankentraͤgern beym Hauſe verkauft, als in 
die Stadt in kleinen Baͤllelein gebracht haben, werden 
deshalb nicht aufhoͤren Butter zu machen; alfo würde auf 
gedachte Weiſe die Buttermenge vermehrt werden koͤn⸗ 
nen, ohne daß dem Settkäfen, dieſem fo vortreflichen 
Zandelszweig von der Schweiz, geſchadet wuͤrde. 
Da die Aelpler, nur im Sommer, und dieſes wegen 
dem vortreflichen Grasbutter, gehalten wären, ſich obi⸗ 
ger Butteranlage zu unterziehen, hingegen im Winter 
frey bleiben koͤnnten, ſo ſollte man hingegen waͤhrend 
dem Winter und das vom 1. Ockober bis den 1. Junii 
alle Nydlenkuͤher im ganzen Lande auf jede Kuhe mit 
doppelt ſo viel Butterlieferung und mit der nemlichen 
Einrichtung belegen, als die Aelpler. Wenn alſo die 
Aelpler pr. Kuhe 2. Pfund Butter liefern, ſo ſollten die 
Nydlenkuͤher pr. Kuhe durch den Winter 4. Pfund liefern⸗ 
und das aus folgenden Gruͤnden. 

Iſtens. Dient Nydlen meiſtens bloß zum Luxus, und 
zur innern Conſumtion; kann alſo leichter etwas mehr zur 


312 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 


nothwendigen Beduͤrfniß abgeben, als der fette Kaͤs, der 
ein wichtiger Handelszweig fuͤr den Canton iſt. 

ztens. Da 1. Maaß aͤchte Nydlen auf 1. Pfund But⸗ 
ter gerechnet wird, und die Maaß Nydlen 4. Batzen, 
das Pfund Butter 4 2. Batzen verkauft werden, fo vers 
loͤre der Nydlerkuͤher nichts, wenn er anders aͤchte 
Nydlen verkaufte. Da aber 

stens: Die Nydlenkuͤher insgeſamt, niemals diejeni⸗ 
ge gute Nydlen liefern, die ſie liefern ſollten, ſondern 
gemeiniglich ſchlechtere, ſo verdienen ſie alſo desfalls 
nicht ſo viel Nachſicht als die Aelpler. 

Dieſes find nun die 2. Haupt- (und wie ich glaube, 
einzige behelfliche) Mittel, die jetzt dem Buttermangel, 
ohne dem Kaͤſehandel zu ſchaden, ſteuren koͤnnen. In⸗ 
deſſen koͤnnen folgende Hilfs- und Beymittel immer von 
Nutzen ſeyn, und das Ganze ſehr erleichtern, als wie in 
erſterer Abhandlung angefuͤhrt worden iſt. 


Verbot 


1.) Keine tragende Kuͤhe, und keine Kälber unter 3. 
Wochen abzuſchlachten. 

2.) Die beſſere Einrichtung und Polizey über die Mez⸗ 
ger auf dem Lande. 

3.) Sollte die vorgeſchlagene Herabſetzung des Kühe 
und Kalbfleiſches unter den gewohnten Preis bewirkt 
werden koͤnnen, ſo waͤre es ein vortrefliches Mittel; al⸗ 
lein ich fürchte, es werden der Schwierigkeiten, es durch, 
zuſetzen, zu viel ſeyn. 

4.) Das Gebot, daß jeder Bauer, welcher 3.4. 
Kühe beſitzt, jährlich ein Kalb abſauge und nachziehe; 
einer der 6. bis 8. Kuͤhe beſitzt, 2. Kaͤlber; und alſo 
nach Verhaͤltnis waͤre es ausnehmend vortheilhaft, aber 
ſchwer, ohne Misbraͤuche einzufuͤhren. 

5.) Ohnſtreitig waͤre es fuͤr alle Schweitzer von 


Von dem Herausgeber. 313 


dem wichtigſten Nutzen, wenn es allgemein eingeführt wer⸗ 
den koͤnnte, daß kein Schweizer mit feinen Kuͤhen auf frem⸗ 
de / auslaͤndiſche Maͤrkte reifen ſoll und doͤrfe, daß hiermit 
der Fremde gezwungen waͤre, ſolche im Lande aufzukaufen. 

So lang und weit der Verkaͤufer, oder der Bauer ſein 
Vieh fuͤhrt, ſo lange iſt es in ſeinem Riſiko, und wieder— 
faͤhrt dem Vieh etwas, ſo iſt der Schaden auf des Schwei— 
zers Seite. Je weiter er gehet, je laͤnger muß er daſſel— 
be, und ſich, auf ſeine Koſten ernaͤhren, und ſo auch die 
Heimreiſe. Oft muß er ſich des Viehes am entlegenen 
Orte um einen geringen Preis entſchlagen, nur damit 
er wieder heim kommen koͤnne. Dem Vaterlande wird 
hiedurch Geld entzogen. 3 

Muß aber der Fremde das Vieh in dem Lande auf 
kaufen, fo verzehrt er Geld im Lande, hat beym Weg— 
fuͤhren das Vieh auf ſeinem Riſiko, der Bauer iſt Mei— 
ſter ſein Vieh zu geben oder nicht, hat nicht weit heim, 
und andere Schweizerbauren koͤnnen auch Theil an dem 
Markt und Handel, hiemit an der Aus wahl haben. 

6.) Das Kaffee und Nydeltrinken aufzuheben und 
zu verbieten, iſt unmoͤglich, nicht einmal waͤren Mittel 
da, ſolches einzuſchraͤnken, und gar keine, die Einwohner 
davon abzuhalten. 

7.) Hingegen koͤnnte in den Städten eingeführt 
werden, was ſchon in andern Staͤdten mit Nutzen be— 
obachtet wird, und das iſt, daß jeder, der Kaͤs im Kleis 
nen verkauft, zu gleicher Zeit eine gewiſſe Menge Butter 
zum Verkauf auf ſeinem Stand haben muß. In Biel z. Ex. 
zahlt der Kaͤſehaͤndler jaͤhrlich 30. Kronen Pfund, Zoll, 
und alle Markttage muß ein jeglicher 20. Pfund friſchen 
Butter zum freyen Verkauf nach Kauf und Lauf dabey 
haben, welchen er für ſeine Rechnung einkaufen kann, 
wo er will; aber fo viel Butter muß er allezeit zum all⸗ 
gemeinen Kauf bereit haben. 


314 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 


stens. Noch zu Ende muß ich noch einer Sache erwaͤh⸗ 


nen, welche einen ſehr großen Einfluß auf den Preis al— 
ler Lebensmittel, hiemit und hier hauptſaͤchlich auch auf 
den Butterverkauf Einfluß hat; und dieſes iſt die beſtaͤn⸗ 
dige Steigerung und Erhöhung der Paͤchtungen und 
Cehenguͤter. 

Es iſt mißlich ſich uͤber diesen Gegenſtand ſo auszulaſ⸗ 
ſen, wie er es verdient. Wahr iſt es, daß mit der Ver⸗ 
ringerung des Geldwerths, mit der Vermehrung aller 
andern Ausgaben, und mit der zunehmenden Theurung 
in allen Dingen, der Werth der Grundſtuͤcke, hiemit 
der Pachtzins ſteigen muß. Allein das Steigen der Pacht⸗ 
zinſen bleibt nicht in der langſamen und allmaͤhligen 
Progreßion, ſondern ſteiget zum wenigſten von 20. bis 
25. Prozent, und dieſes aus folgenden Urſachen: 

Man weiß, daß es fehr viele Kuͤher giebt, und darun—⸗ 
ter gehören die meiſten Milch, und Nydlenkuͤher, die 50. 
30. bis 100. Stuͤck Vieh, und hingegen keinen Fuß breit 
eigenen Grund und Boden beſitzen. Dieſe ziehen Goms 
mer und Winter pachtweis, oder wie man hier ſagt, Les 
hensweiſe auf die Azung, von einem Gut zum andern. 

Den Bau (Dünger) muß der Kuͤher am Orte laſſen, das 
gegen wird ihm das Stroh geliefert. Dieſe werden am mei— 
ſten durch beſtaͤndiges Steigern der Pachtungen gedrans 
get. Sollte es nicht moͤglich ſeyn hierinn einige weiſe 
Vorkehrungen zu treffen. 

Ich wiederhole es: die Pachtungen muͤſſen ſteigern, 
weil alles ſteigert, aber doch ſollte man nicht vorſprin⸗ 
gen. Koͤnnte nicht eine Einrichtung getroffen werden, 
daß binnen einer gewiſſen Zeit, als von 5. zu 5. Jahren 
vom Akkordtage an, kein Pachtzins, ſondern erſt nach 
5. Jahren wieder friſch geſteigert werden koͤnne. 

Dieſes wuͤrde und ſollte nur die Akkorde betreffen, 
den Lehenmann und Lehenherr nicht; dieſe wären frey 


Von dem Herausgeber. "3% 


einander alle Jahre zu quittieren, allein wenn ein andes 
rer Lehenmann im folgenden Jahre einſtehen wuͤrde, fo 
ſollte er nicht mehr geben muͤſſen, als obiger Akkord noch 
für 3.4. Jahre ausweiſet. Dieſes hatte für Herr und 
Beſteher ſeinen Nutzen. Ein Lehenmann wuͤrde den Bo— 
den nicht ſo ausſaugen, und der Lehenherr koͤnnte auch 
hier noch feinen Zins auf alle 5. Jahre hinaus kalkulieren, 
daß er doch das Mittel zwiſchen allzuhohen Zinſen und den 
niedrigern heraus braͤchte. Der Beſteher hingegen waͤre 
eines beſtaͤndig gleichen Pachtzin es 5. Jahre hinter einan— 
der verſichert, koͤnnte feine Produkten darnach ſchaͤtzen, 
und muͤßte ſelbſt nicht mit dem Preiſe ſeiner Waare ſteigen. 
Ein Kuͤher rechnet im Jahr auf falgende Art: Ich habe 
fo viel Stuͤck Vieh, dafür muß ich fo viel Jucharten 
Soͤmmerung, fo viel Klafter Heu Winterung haben. Ich 
habe gepachtet bis auf 50. Klafter Heu Winterung; dieſe 
weiß ich noch nicht aufzutreiben: Endlich findet er 40. bis 
50. Klafter. Der Lehenherr weiß und kennt die Verlegen— 
heit des Kuͤhers, beſtimmt daher den Pachtzins hoch ge— 
nug, und viel hoͤher, als die Zinſen zu dieſer Zeit ſeyn 
ſollten. Der Kuͤher, will er fein Vieh durchwintern, 
muß nachgeben, vertheilt dieſes aber auf die wohlfeilern 
Pachtungen. Die andern Lehenherren vernehmen, daß 
dieſer oder jener mehr Pachtzins erhalten, ſteigern nun 
auch auf die aͤhnliche Art, und ſo werden den Kuͤhern, 
die keinen eigenen Grund haben, jedes Jahr der Zins 
hoͤher getrieben, als daß nach der natuͤrlichen Progreſ— 
ſion des ſteigenden Preiſes aller Dingen geſchehen ſollte. 

Die Folge iſt: daß die Kuͤher alle ihre Milchwaare 
immer theurer und immer ſchlechter geben. 

Die Maaß Nydlen, wie ſolche in der Stadt verkauft 
wird, enthaͤlt nicht ein halb Maaß aͤchte wahre Nydlen, 
und anſtatt ganze Milch, erhält man immer zum wenig; 
ſten halb abgenommene Milch, Verdiente dieſes nicht 


; 


316 Anhang zu vorig. Beantw d. Preisfr. ꝛc. 


zum wenigſten eine naͤhere Polizey? Wenn der Kuͤher al, 
ſo aus ſchlechter Milch, noch ſchlechtern Nydlen noch ein— 
mal ſo viel zieht, ais wenn er Butter machte, warum 
ſollte er Butter machen? Etwa pro bono publico? Allein 
dann ſollte das Bonum publicum auch Ruͤckſicht auf die 
theuren Pachtungen nehmen. 

Ich gehe nun zu denjenigen Mitteln uͤber, welche von 
immerwaͤhrendem Vortheil und Nutzen, in Ruͤckſicht der 
Viehzucht, für das Vaterland wären, durch deren ge 
naue Beherzigung und wirkſame Ausfuͤhrung fuͤr alle— 
zeit hinaus dem Buttermangel geſteuret, der Viehzucht 
aufgeholfen, dieſelbe erhalten, und kuͤnftig aͤhnlichen Ver— 
legenheiten vorgebauet werden koͤnnte. Sie erfordern 
zwar Kraft, Anſtrengung, Muth, Ueberzeugung und 
Entſchloſſenheit; da ſie aber weder der perſoͤnlichen, noch 
allgemeinen Freyheit, weder dem Partikular, noch allge— 
meinem Intereſſe ſchaden, ſo waͤre von denſelben mehr 
gluͤcklicher Erfolg zu erwarten und zu verſichern, als 
man ſich immer einbilden mag. 

Die Volksmenge nimmt zu im Lande, alſo nimmt die 
Conſumtion zu. ! 

Die Einwohner leben alle Tage behaglicher, und wenn 
ſie ſchon nicht mehr eſſen, als vor Zeiten, ſo iſt doch die 
Auswahl der Lebensmittel in Betracht zu ziehen, und 
dieſe vermehrt alſo auch die Conſumtion. Wenn man 
vor Zeiten mit 2. Gerichten auf der Tafel vorlieb nahm, 
und wenn jetzt 4:6. verſchiedene ſeyn muͤſſen, und wo 
man von einem jeglichen Gericht nur die Haͤlfte ißt, da 
muß bey der nemlichen Menge von Menfchen die ons 
ſumtion zunehmen. 

Wann in den katholiſchen Landen Feyer⸗ und Faſttage 
je länger je mehr abnehmen, fo muß die Conſumtion 
an Fleiſch zunehmen. 

Wann der Vieh- und Milchprodukt-Handel nach dem 


Von dem Herausgeber. | 317 


Auslande immer zunimmt, ſo iſt bewieſen, daß die Con— 
ſumtion (im Ausland) in Ruͤckſicht auf das Matteland 
auch zunehme. 

Aber nehmen die Grundſtuͤcke auch zu? Nehmen ſie 
zu an Verbeſſerung? Nehmen ſie zu an Vermehrung? 
Leider nein! Im erſtern Falle wenig im Verhaͤltniß ges 
gen das Ganze; im letztern gar nicht. Wenn alſo die 
Menge und der Gehalt der Grundſtuͤcken mit der Mens 
ge der Viehzucht in genauem Verhaͤltniß ſteht, oder 
um mich deutlicher auszudruͤcken: wenn man alſo 
nicht mehr Vieh halten kann, als man Wieſen, Zeu 
und Embd hat, die Kaͤufer des Viehes aber und der 
Milchprodukten ſich vermehren, folglich zu der vermehr— 
ten Menſchenmenge das Vieh ſich vermindert, ſo muß 
natuͤrlich das Vieh als Schlacht, oder Milchvieh entwe— 
der immer an Anzahl abnehmen, wenn es mit der Nach— 
frage gleichen Schrittes gehen will, oder es muß am 
Kaufpreis zunehmen, wenn es ſich nach den Mitteln ſich 
zu ernaͤhren richten will. 

Ein Land kann nicht mehr Vieh beſitzen, als es 
Mittel hat ſolches zu ernaͤhren und zu erhalten, und 
ſeye die Conſumtion und der Verkauf deſſelben noch ſo 
groß: Iſt daher die Conſumtion groͤßer und der Verkauf 
ſtaͤrker, als die Nachzucht liefern kann, ſo muß entweder 
der Preis der Waare immer hoͤher werden, und folglich 
den Unvermoͤgenden von der Conſumtion ausſchließen, 
oder die Waare muß eroͤden, weil mehr verkauft und 
genoſſen wird, als die Nachzucht liefern kann; ein an— 
deres Alternative giebt es nicht. 

Vermehrt daher die Mittel den Viehſtand zu ernaͤh⸗ 
ren und zu erhalten, ſo werdet ihr auch den Vieh⸗ 
ſtand ſelbſt vermehren. Dieſes iſt nun der Hauptgrund 
ſatz, von welchem ich ausgehe, und von welchem ich alle 
Folgerungen ausziehen werde. 


318 Anhang zu vorig Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 


Unſer Land iſt nicht ſo angebauet, wie es ſeyn koͤnnte, 
und einiger Maaßen iſt es für jetzigen Zeitpunkt ein Gluͤck, 
daß es nicht bis zur letzten Vollkommenheit angebauet iſt, 
weil ſonſt, wie wir ſehen werden, folgende Vorſchlaͤge 
unnuͤtz waͤren. Unſer Land iſt nicht ſo angebaut, wie es 
angebaut ſeyn koͤnnte; und hat daher diejenigen Mittel 
nicht denjenigen Viehſtand zu ernähren, zu erhalten und 
aufzuziehen, den der Handel und die Conſumtion im 
Lande-an Schlacht- und Melchprodukten-Waare verlangt. 

Erſtlich. Wegen den Allmenten. 

Die alte Klage! höre ich rufen, wir wiſſen das ſchon 
lange; es iſt aber nicht zu helfen? Warum nicht? 

Tragen die Allmenten dasjenige ab, was ſie unter 
der Partikular- Aufſicht eines Eigenthümess; oder Paͤch⸗ 
ters abtragen wuͤrden? — Nein! 


Wenn man ſolche alſo unter gewiſſen dethwemthen 


Vorſichtsregeln einſchlagen, erblehens oder pachtweiſe, 
oder auf eine zubeſtimmende Zeit von Jahren unter Bau— 
ren vertheilen wuͤrde, waͤre der Abtrag groͤßer? — Ja! 
Die eingeſchlagenen und angraͤnzenden Grundſtücke be⸗ 
weiſen es an allen Orten. 

Warum thut man es aber nicht? — Weil es Gemeind—⸗ 
guͤter ſind. 

Das hindert nichts: kann eine Gemeind ſolche nicht 
unter ſich vertheilen? — Mein! Es iſt zugleich Ar⸗ 
mengut. 

Alſo genießen die Armen der Gemeinden Allmenten; 
ſollten daher nicht arm ſeyn, und noch weniger, wenn 


jeglicher Arme ſeinen Theil einſchlagen wuͤrde, und er alſo 


bey vermehrter Bearbeitung des Bodens mehr . 
daraus ziehen kann. 


Warum find. dann im Lande bey den ſchoͤnſten Als 


menten, doch ſo viele Arme, und ſo arme Arme? — 
Ja. Sie verſtehen mich unrecht, die Gemeinallmente 


Von dem Herausgeber. 319 


ſind freylich auch zugleich Armenguͤter, aber wer nicht 
eigenes Vieh hat, und es nicht bey feinem Futter durch, 
wintert hat, der darf nicht auf die Allment treiben. 
So! So! Wer nichts hat, der darf nichts darauf 
treiben; zieht daher nichts von der Allment, und bleibt 


daher freylich arm. Hat ein Bauer 20. eigene Kuͤhe, 


— 


und hat dieſe mit eigenem Futter genaͤhret, ſo kann er 
alſo 20. Kühe auf die Allment treiben? — Ja! Aber 
er muß denn auch für 20. Haupt (Stuͤck) Vieh ges 
meindwerken (frohnen zum Beſten der Allment). 


Wie geht das zu, geht er und ſeine Leute ſelbſten? — 
Nein! er ſchickt die Armen aus der Gemeind um einen 
kleinen Taglohn. 

Warum kleine Tagloͤhne? — Weil diejenigen, ſo Tag⸗ 
loͤhn zahlen, meiſtens Vorgeſetzte im Dorfe ſind. 

Dieſes iſt ungefaͤhr die allgemeine Antwort, ſo ich bey 
den allermeiſten Gelegenheiten und bey meinem vielen 


und oͤftern Umgang mit Bauren, reichen und armen, 
erhalten habe. 


Das Reſultat iſt leicht daraus zu ziehen, und beſtaͤti— 
get ſich auch aller Orten durch die taͤgliche Erfahrung. 

Die Allmenten find alſo Gemeindguͤter, und gehören 
ganzen Gemeinen: Nach der Abſicht der Stiftungen nnd 
ihres Urſprungs zu urtheilen ſollten ſie dazu dienen, dem 
Hilfsbeduͤrftigen zur Unterſtuͤtzung, und der Gemeinde zur 
unverſiegbaren Quelle von Unterhalt und Mittel, niemals 
zu verarmen, dienen. Die Reichen oder beguͤterten Bau, 
ren in einem Dorfe beduͤrfen des Unterhalts des Gemeind⸗ 
guts nicht, dann ſie ſind wohlhabend, alſo gehoͤrte es 
den Armen auch von dieſer Seite. Da aber faſt allge— 


mein die Einrichtung (welche in andern Ruͤckſichten, die 


wir an feinem Orte erörtern werden, vortreflich iſt), 
angenommen iſt, daß niemand, der kein eigenes Vieh 


320 Anhang zu vorig. Weantw. d. Preisfr. ꝛc. 


und ſolches nicht bey ſeinem Futter durchwintert 
hat, an dieſen Sommerweiden Theil nehmen kann, ſo 
folgt daraus, erſtlich: Daß die Weiden nicht fo abge, 
nutzt werden, wie fie ſollten, indem es ſich oft trift, 
daß es Dorfſchaften giebt, die nicht fo viel Vieh durch⸗ 
wintern koͤnnen, als die Weiden im Sommer abtragen; 
und zweytens: Da nur derjenige Recht auf die Weiden 
und Allmenten hat, welcher eigenes Vieh bey ſeinem Fut⸗ 
ter durchwintert, der Arme ſehr wenig und der ſehr 
Arme gar kein Vieh hat, daß die Reichen Dorfbauren 
allein die Allmenten benutzen. Ferners die erſten Urfas 
chen ſind, warum ſich die Gemeinden wehren, die All⸗ 
menten zu vertheilen, weil ſie wohl vorſehen koͤnnen, 
daß bey der Theilung ihnen nicht fo wird zugetheilet wer— 
den, wie den Armen, und eben weil die Reichen auch 
die Vorgeſetzten der Dorfſchaften ſind, und das Wort 
Namens derſelben fuͤhren, die Armen zum Fuͤrwort 
brauchen werden, welche nichts ſagen doͤrfen: warum? 
ſie ſind arm, und jene, die Vorgeſetzten. Wem iſt 
unbekannt, daß diejenigen Dorfſchaften die aͤrmſten 
find, wo ein oder zwey außer Verhaͤltniß reiche Dorf⸗ 
Magnaten, Bauren, Muͤller, oder Haͤndler den Ton 
angeben? 

Wer weiß nicht, wie an ſolchen Orten die Allmenten 
benutzt werden? Ich will niemand nennen, dann fuͤr die 
wandelbare und ungewiſſe Ehre — aufs hoͤchſte Beyfall 
zu erhalten — mir unnoͤthiger Weiſe Feinde zu machen, 
waͤre zuviel gefordert: Aber wer ſich nur eine kleine 
Koͤrperbewegung durch das Land geben und einiger Maſ— 
ſen aufmerkſam ſeyn will, der kann ſi ich Exempel und 
Thatſachen genug dazu ſammlen. 

Wenn alſo die Allmenten niemand zu Nutze kommen, 
als denjenigen, welche ſolche unmittelbar gar nicht von⸗ 


noͤthen haben — Wenn die Allmenten nicht den 4ten Theil 
ab⸗ 


N 2 


* 


Von dem Herausgeber. N 321 


abtragen, was ſie unter beſſern eigenen Bearbeitung ab⸗ 
tragen koͤnnten. Wenn die Armen in jeder Stadt, Ge— 
meind und Dorf, ohnerachtet der ſchoͤnſten Gemeindguͤ— 
ter, dennoch arm ſind und bleiben, und der Regierung, 
dieſer ſo guͤtigen, gewiß ſo vaͤterlich und fuͤr die Armen 
fo gnaͤdigen Regierung mittel: oder unmittelbar zur Laſt 
fallen — Verdiente dieſes keine naͤhere Eroͤrterung und 
Unterſuchung, und (wenn es moͤglich waͤre) einer Verbeſ— 
ſerung; wo allen, den Reichen, den Armen, dem Vater— 
lande geholfen wuͤrde? Dem Hohnlaͤcheln Vieler werde 
ich mich ausſetzen, wenn ich es wage, einige Gedanken 
von einer moͤglichen Verbeſſerung dieſer uͤbeln Gewohn— 
heiten anzubringen, aber eben dieſes Hohnlaͤcheln iſt das, 
was mich am wenigſten abhaͤlt, und meiner guten Abſicht 
bewußt, mich aufmuntert den Verſuch zu machen. 


Ich ſetze gleich zum Anfang voraus feſt, und verwahre 
mich, daß ich niemalen der Meinung ware, alle die Ge 
meind-Allmenten in der Ebene, welche jetzo vorhanden 
find, weder kaufweiſe noch ſchenkungsweiſe an Parti 
kularen abgehen zu laſſen, ſondern ſolche ſollen in ihrer 
ganzen Marchung der Gemeind als Gemeindgut bleiben, 
und fie, die Gemeind fol den Zins der Gemeindguͤter gez 
nieſſen, und aus dieſem Zins die eine Klaſſe der Armen, 
die zu arbeiten unvermoͤgend ſind — unterhalten, wenn 
es hinreichend iſt. 


Ich ſtelle mir dieſes alſo vor. Jede Gemeinde hat Ar— 
me, viele haben Armengut, einige beſitzen groſſes Armen— 
gut, andere haben kein Armengut. — (Dieſes Gut aber 
beſtehet in Capitalien und nicht in den Allmenten) aber 
nicht alle Arme ſind gleich arm, einige ſind am Koͤrper, 
Leib und Seele arm, und andere (und dieſe ſind die mei⸗ 
ſten) nur weil ſie nichts haben, d. i. die Mittel nicht be⸗ 
ſitzen, ſich aus der Armuth zu erheben, arbeiten koͤnnen, 

Magaz. f. d. Naturk. Helvetiens III. B. * 


322 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 


aber mit aller ihrer Tagloͤhnerarbeit kaum fo viel erwerz 
ben, von einem Tag zum andern ihr Brod verdienen zu 
koͤnnen. 

Dieſe zwey Klaſſen ſoll man billig unterſcheiden; die 
erſtern verdienen auf alle Weiſe die Unterſtuͤtzung ihrer 
gluͤcklichern Mitbürger , die andern aber haben eben fo 
viel Recht auf unſere Unterſtuͤtzung, wollen ſie anders 
arbeiten, und alsdenn kann man denſelben keine groͤſſere 
Unterſtuͤtzung gewähren, als man ſetze fie in den Stand, 
ſich durch Arbeit aus der Armuth herauszuſchwingen; 
dann vermehrt man eine Klaſſe nuͤtzlicher Einwohner, ver. 
mehrt den Wohlſtand des Landes, und vermindert die La— 
ſten der Gemeinden. Aönnen fie arbeiten, und wollen 
fie nicht, fo verdienen fie keine Unterſtuͤtzung; denn nur 
der, welcher arbeitet, verdient Achtung und Unterſtuͤtzung 
vom Vaterland, und hat Recht an daſſelbe, weil er mit⸗ 
telbar an deſſen Wohl mitarbeitet. 

Dazu zeigen ſich zwey Wege, die durch Huͤlfe, Aufſicht 
und Anordnung von Seiten der Regierung leicht koͤnnen 
eingeführt werden. 

Der ıfte ſtehet ausführlich vorgeſtellet in (Klaproths) 
Ueber die Bildung der Jugend zur Induͤſtrie. Goͤttingen 
1785. und in Campes Fragmenten. 

Der 2te betrift die beſſere Benutzung der Allmenten, 
fowol zum Heften der armen Arbeitſamen, als zum 
Beßten des ganzen Landes. 

A. Die beſſere Benutzung der Allmenten zum Beßten 
der armen Arbeitſamen koͤnnte alſo bewerkſtelliget werden: 
Ein jeglicher Pfarrer auf dem Land gaͤbe ein Verzeich⸗ 
niß der Armen ſeiner Gemeinde ein, mit den Unterſchei⸗ 
dungszeichen, welcher körperlich unvermoͤgend, und 
welcher arm, aber geſund ſeye, unter letztern, welcher ar⸗ 
beitſam und fleißig und welcher ein Tagdieb ſey. 

Ferner ſuche man einen Kataſter von den Allmenten al⸗ 


Von dem Herausgeber, 323 


ler Gemeinden zu verfertigen. Nach dieſem Kataſter vers 
theile man nun die Allmenten folgender Weiſe. 

Dem Aermſten, oder den Aermſten aber fleißigſten 
Bauern uͤbergebe man einen groͤſſern Einſchlag, dem Ar— 
men einen kleinern, dem weniger Armen den kleinſten, 
allein nicht ſchenkungsweiſe, auch nicht kaufsweiſe auf 
kuͤnftige Zeiten, daß er es naͤmlich abbezahlen koͤnne mit 
der Zeit, ſondern ungefaͤhr nach dieſer Methode. 

Man ſchaͤtze das eingeſchlagene Stück Fand um einen 
Mittelpreis, und gebe es auf 20, — 25. Jahre dem Baus 
ren und ſeinen Kindern auf folgende Weiſe und nach fol— 
genden Bedingniſſen in Pacht. 

1.) Die eingeſchlagenen Stuͤcke ſollen alle der Gemeind 
Bodenzins pflichtig ſeyn, und dieſer Bodenzins dem Ge— 
meind- und Armengut heimfallen. 

2.) Der Baur zahlt den Zins a 3. pr, Cent. von dem 
im Mittelpreis angeſchlagenen Capital und Werth des cin, 
geſchlagenen Grundſtuͤcks in Geld der Gemeind. 

3.) Nach 25. Jahren wird das Grundſtuͤck dem Bauern 
abgenommen (indem er in dieſen 25. Jahren ſich doch et— 
was hat erwerben und als eigen ankaufen koͤnnen), nach 
den laufenden Zeiten friſcherdings — aber immer in einem 
Mittelpreiſe geſchaͤtzt, und einem dießmaligen Armen auf 
aͤhnliche Bedingniſſe auf Pacht gegeben. 

e 4.) In dem erſten Jahre der Pacht zahlte der Arme 
weder Bodenzins, Zehenden noch Pachtzins. 

5.) Im 2ten nur Bodenzins und keinen Pachtzins. 

6.) Im zten und folgenden Jahren aber zahlte er Bo— 
den: und Pachtzins. 

7.) Im erſten Jahre wuͤrde man den Armen mit Saa⸗ 
men, Werkzeug und etwas Geld unterftügen und vorſtre⸗ 
ken. Im aten müßte er das Vorgeſtreckte erſetzen. 

8.) Keine Schuld dörfte er auf das Gut aufnemmen, 
indem ſolche nie guͤltig waͤren; 855 er Ungluͤck, ſo kann 


324 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 


er ſich bey der Gemeind Raths erholen, die nach Be⸗ 
ſchaffenheit der Umſtaͤnden, und nach feinem Laͤumden und 
Aufführung ihn unterſtuͤtzen darf. 

9.) Fuͤhrt ein ſolcher Paͤchter oder ſeine Kinder eine lie⸗ 
derliche Lebensart, ſo koͤnnte man ihm die Pachtung vor 
der Zeit wegnemmen, und des Gemeindrechts für ver⸗ 
luſtig erklaͤren. 

10.) Haͤtte er mehrere Kinder, ſo koͤnnen ſolche nach 
Abſterben des Vaters gemeinſchaftlich die Pachtung zu End 
fuͤhren. 

11.) Hätte er eine Tochter, und dieſe heyrathete einen 
beguͤterten oder andern Dorfsgenoſſen, ſo verliert ſie mit 
dem kuͤnftigen Jahr die Pachtung; heyrathet ſie auch ei⸗ 
nen Armen, ſo genießt ſie den Reſt der Pachtungszeit. 

Auf dieſe Civilpunkten haͤtten die Vorgeſetzten genau zu 
ſehen, und jaͤhrlich davon Bericht abzuſtatten. In Ruͤck⸗ 
ſicht des Oekonomiſchen aber und beſonders des Gegen⸗ 
ſtands dieſer Abhandlung / naͤmlich der Viehzucht, ſo rech⸗ 
ne ich folgendermaſſen. 

Es iſt bekannt, und durch die bis jetzt hin und wieder 
erlaubten Einſchlaͤge bewieſen, daß Allmentboden, nach 
richtigen Grundſaͤtzen bearbeitet, 2 drittel mehr abwerfen, 
als bloß als Allment, laßt uns aber nur die Haͤlfte 
angeben. 

Geſetzt alſo eine Allment gewähre 50. Stuck Vieh, oder 
Kuͤhen Soͤmmerung, ſo wuͤrde ſicher und gewiß der naͤm⸗ 
liche Boden 100, Stuͤcke unter obgenannten Bedingniſſen 
ernaͤhren. Waͤre dieſes keine Vermehrung durch das ganze 
Land, haͤtte dieſes keinen Einfluß auf die ſo nothwendige 
Verſtaͤrkung der Viehzucht? N 

Damit man aber dazu gelange , fo müßte und ſollte 
durch eine Art von oͤkonomiſcher Policey dahin geſehen 
werden, daß dieſe in verbeſſerten Zuſtand geſetzte Arme 
auf ihrem Boden nicht pflanzen koͤnnen und moͤgen was 


Von dem Herausgeber. 325 


fie wollen, ſondern jeglicher fol dann gehalten ſeyn, al 
lezeit nach der Anzahl ſeiner Jucharten immer eine gewiſſe 
verhaͤltnißmaͤßige Anzahl Kuͤhe zu halten, dieſe niemalen 
ausgehen zu laſſen und nach der Anzahl der Kuͤhe eine 
gehoͤrige Nachzucht aufzuziehen u. ſ. w. 

Auf dieſe nur ſo kurz angegebene Weiſe, wuͤrden in ei— 
ner Gemeinde 

1.) der Armen weniger; 

2.) die Armen befliſſen ſich dieſer Wohlthaten Theil zu 
werden, und wuͤrden arbeitſamer und fleißiger; 

3.) die Ausgaben fuͤr die Armen wuͤrden ſich folglich 
vermindern; 

4., die Gemeind, oder Armen; Güter würden reicher, 
koͤnnten 

5.) hiermit die wahren Koͤrperlichunvermoͤgenden und 

6.) die unehelichen Waiſen und andere Kinder beſſer un⸗ 
terſtuͤtzen und erhalten; 

7.) die Allmenten wuͤrden ihrem Zwecke gemaͤß beſſer 
und nach Recht benutzt, und 
8.) der Viehſtand im Lande zunemmen, weil die Mit⸗ 
tel , ſolchen zu erhalten, ſich vermehrt haben. 


Verdienen dieſe wenige aber wichtige Näthe nicht zum 
wenigſten bey einigen Gemeinden verſucht zu werden? Die 
Dorf- Vorgeſetzten, die Reichen werden ſich dawider ſetzen, 
das weiß ich, aber eben dieſe ſollten am wenigſten darzu 
reden, weil ſie zu ſehr dabey intereßirt ſind. 


Auch die Stadt⸗Allmente koͤnnte und ſollte man nach 
den Umſtaͤnden umaͤndern, und in allen Aemtern nur ſo 
viel Allment laſſen, als zu der Muſterung der Truppen— 
Terrains vonnoͤthen iſt. Dieſes waͤre nun das erſte Mit— 
tel den Viehſtand, folglich die Milchprodukte und ih⸗ 
ren Handel zu vermehren, weil man die Mittel ver⸗ 
mehrte / denſelben zu ernähren und aufzuziehen. 


326 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. ꝛe. 


Das 2te Mittel der Viehzucht im Lande aufzuhelſen, 
beſtehet in der Abſchaffung des Zelgenrechts, naͤmlich der 
Auih, Trift, Brach⸗ und Stoppeiweiden. So viel, 
Zelgenrecht in dem Lande find, um ſo viel Drittel weni⸗ 


ger Nutzen wird jahrlich von den Grundſtuͤcken gezogen, 


und ſo viel Schaden fuͤr das Land. 

Wie viel reiche Gutsbeſitzer, wie viel ſcharfſinnige und 
kluge Oekonomen im Lande haben auf ihren Particular⸗ 
guͤtern die Brache abgeſchaft, den Kleebau eingefuͤhrt, 
und befinden ſich wohl dabey, oder man befrage ſie, ob 
ſie die Brache wieder einfuͤhren wollen? 

Schon viele Bauern ſind dieſem Beyſpiele gefolget, 
und ruͤhmen es an; waͤre kein Nutzen dabey, der Bauer, 


aus angebohrnem Haß gegen alles Neue, ware gewiß 


von Ur-Großvaters Sitte nicht abgegangen. 
Da die Erfahrung den Nutzen der Abſchaffung der Zels 
gen und Einfuͤhrung der Kleefuͤtterung bis zur mathema⸗ 
tiſchen Gewißheit erwieſen hat; ſo will ich mich hier dar— 
uͤber nicht laͤnger aufhalten, als nur bitten, zu erwaͤgen, 
was es fuͤr einen Einfluß und vortreflichen Nutzen zum Beß⸗ 
ten des Landbaues und vorzuͤglich des Viehſtandes waͤre, 
den Ertrag eines jeglichen Zelgen-Grundſtuͤcks jaͤhrlich 
um einen Drittheil zu vermehren; und nicht allein um 
dieſen Drittheil vermehrt die Einfuͤhrung des Kleebaues 
den Ertrag der Zelgen-Grundſtuͤcken, ſondern der Land— 
wirth gewinnt noch mehr auf folgende Art. 

Es giebt ſehr viele Bauern, deren meiſten Guͤter in Zel— 


gen beſtehen; die magere Stoppel⸗ und Brach weide erlaubt 
ihnen nicht oder nur ſehr wenig Vieh zu halten. Die 


Folge iſt, daß fie entweder den Dünger halb kaufen muͤſ— 
ſen, oder ihr Feld ſchlecht beduͤngen, hiemit auch nicht 
viel Frucht und Staub erwarten koͤnnen. Pflanzt man 
die Zelg oder Brachfelder aber mit Klee an, ſo hat man 
nicht allein den Nutzen, daß man mit dem dreyfachen 


Von dem Herausgeber. 55 327 


Raub im Jahr 3 bis 4. mal mehr Vieh ernähren kann 
als zuvor; ſondern man duͤnget das Feld noch auf das 
kuͤnftige Jahr mit dem untergepfluͤgten aten jährlichen Klee— 
raub, gebraucht hiemit keinen oder wenig Duͤnger auf das 
kuͤnftige Jahr. 

Das vermehrte Vieh aber vermehrt den Duͤnger, und 
nun kann er ſeine dritte Zelg vollkommen duͤngen, und ge— 
winnt folglich doppelt. Ich bin mir der angenehmen Hof⸗ 
nung ſo viel als gewiß, daß es nicht lange mehr dauern 
wird, ſo werden die Zelgen im Land allmaͤlig abgeſchaft 
ſeyn. So bald der Bauer anfaͤngt uͤberzeugt zu werden, 
gehet es gut, und der Erfolg bleibet nicht aus, obgleich 
er nur langſam ſich naͤhert. Ich kenne einen Handels— 
mann, der letzten Fruͤhling nur in die vier Grafſchaften, 
Buͤren, Aarberg, Nydau und Erlach uͤber 160. Zentner 
Kleeſaamen verkauft hat. 

Dieſes ate Mittel den Viehſtand zu vermehren, indem 
man die Mittel zu deſſen Ernaͤhrung vermehrt, iſt alſo 
ſeiner Benutzung und Anwendung ſicher, und von einem 
Jahr zum andern wird man den allgemein nuͤtzlichen Erz 
folg nicht mehr verkennen. 

Das zte Mittel, den Viehſtand zu eee indem 
man die Mittel zu deſſen Ernaͤhrung vermehrt, beſteht 
in der Urbarmachung ſo vieler groſſer Strecken Landes, 
welche noch ſo viel als nichts abtragen und oͤde ſind. 
Darunter gehoͤren die ſo vielen Moͤſer, Moraͤſte, Suͤm— 
pfe und ſogenanntes Seeland. Was wuͤrde das groſſe 
Moos, zwiſchen Murten, Erlach und den drey Seen, 
dem Murter Bieler- und Neuenburger-See, die Strecke 
Land von Murten uͤber Kerzerz, Kollnach, Aarberg bis 
Buͤren abtragen, welch vortreflichen Boden gaͤbe dieſes 
Land ab, wenn man ſich ein wenig anſtrengen wuͤrde, 
denſelben zu bearbeiten, und wie viel, mehr als man ſich 
bey den landwirthſchaftlichen Einſichten fo vieler Männer 


328 Anhang zu vorig. Beantw. d. Breisfr. ꝛc. 


bey den fo väterlichen Geſinnungen der gnaͤdigen Landes⸗ 
regierung, die ſo gerne zu nuͤtzlichen Unternemmungen ihre 
Haͤnde und Unterſtuͤtzung anbeut, vorſtellen kann; wie 
viel ſolcher elenden Mooswieſen giebt es durch das Land, 
welche um ſo viel unfruchtbarer ſind, wenn ſie zu Ge⸗ 
meindguͤtern beſtimmt werden, da ſich denn niemand die 
Mühe nimmt, ſolche in Ordnung zu halten und zu bear— 
beiten. ö 


Es herrſchet ein allgemeines Vorurtheil, man koͤnne 


viele Suͤmpfe, unter andern das groſſe Moos unmoͤg⸗ 
lich urbar machen. Warum nicht? Alles was durch Men⸗ 
ſchen⸗Hande kann verfertiget oder bearbeitet werden, iſt 
möglich; aber das, es iſt nicht möglich, es geht nicht 
an, iſt fo ein gewohntes Polſter der Indolenz, auf wels 
chem der unentſchloßne, ſchlaffe Menſch ſich einwiegen, 
und alles was etwa Anſtrengung der Geiſtes- und Koͤr⸗ 
perkraͤften erfordert, von fich entfernen kann; daß man 
ſich abſchrecken und manchmal gern abſchrecken laͤßt. Ich 
hingegen behaupte es zuverſichtlich, daß alle Mooſer und 
Moraſte in Helvetien und vorzuͤglich das groſſe Moos, 
dieſe ſo herrlich, wohlgelegene zum Gluͤck vieler tauſend 
Menſchen gleichſam geſchaffene Strecke Landes koͤnnen 
urbar gemacht, und zum beßten Lande umgeſchaffen 
werden. ö 

Es ſind nur zwey Wege, einen Moraſt oder eine 
Sumpfwieſe urbar zu machen, und dieſe beſtehen darin, 
daß man entweder dem Waſſer Abzug verſchaffe, oder den 
Boden hoͤher ſetze; alſo beruhet die ganze Handlung ei⸗ 
gentlich nur darauf, daß das Erdreich bis auf einen ges 
wiſſen Grad uͤber das Waſſer erhoͤhet werde, und hat 
man den Grad dieſer Hoͤhe uͤber das Waſſer erhalten, ſo 
wird dieſes Erdreich eines der fruchtbarſten auf dem Erd— 


boden. Die Urſache iſt leicht zu finden. Ein Moos iſt 


nur darum unfruchtar, weil es zu tief in der Feuchtigkeit 


nn. nr 


Von dem Herausgeber. 329 


und im Waſſer liegt, daher die Wurzeln der zaͤrtern Pflan⸗ 
zen verfaulen, und nur zaͤhe Waſſerpflanzen naͤhren kann. 
Erhoͤhet man aber die Erde (die gemeiniglich vortreflich iſt) 
fo benehmt ihr derſelben das uͤberfluͤßige Waſſer, die zars 
ten Pflanzenwurzeln liegen im Trocknen oder in einer ih⸗ 
nen angemeſſnern und zutraͤglichern Feuchtigkeit und die 
Erde an ſich ſelbſten hat als Mooserde jene ſo vortrefliche 
Miſchung von verfaulten Subſtanzen, die man ihr allemal 
im Duͤnger erſt beybringen muß. 
Nur diejenigen Suͤmpfe ſind faſt unmoͤglich auszutrock⸗ 
nen, wo das Waſſer höher oder in dem naͤmlichen Ni— 
veau mit dem Lande iſt, oder wo die Materialien zur Erz 
hoͤhung des Erdreichs fehlen, und doch zeigen die nörds 
lichen Kuͤſten in Europa von Danzig an bis in die Nieder— 
lande, daß der Kunſtfleiß der Menſchen auch dem fürchs 
terlichen Meere Land abgewinnen kann. Allgemein iſt es 
bekannt, daß groſſe Strecken Landes in Holland und Gew; 
land, tiefer als das Meer liegen, daß koſtbare Holzdaͤm⸗ 
me den Seefluthen gebieten, und daß man vermittelſt der 
Windmuͤhlen durch kuͤnſtliche Schöpfräder das Waſſer aus 
dem tiefer liegenden Lande in die hoͤhern Kanaͤle und See 
herauszwingt. Der Danziger Werder, dieſer ſo frucht— 
reiche, herrliche gruͤne Anger liegt tief unter der Weichſel 
und der See. Wären die jetzt fo landwirthſchaftlichen 
Preuſſen, Sachſen, Hanoveraner, die Englaͤnder, die 
Hollaͤnder ſo gluͤcklich, unſer fuͤr dieſen Gegenſtand ſo nuͤtz⸗ 
liches Kiesſand (Graud, kleine Geſchiebe, Seiffenwerk) 
zu beſitzen; fie würden gewiß alle unſre Moräfte bald in 
lachende Wieſen und Meyereyen umgeſchaffen haben. 
Unfere größten Suͤmpfe liegen, wie geſagt, in den Ges 
genden der Seen, die immer mehr Land anlegen und ſich 
zurück ziehen. Die gute Mutter Natur zeigt uns ſelbſt den 
Weg; wem iſt es unbekannt, daß eben dieſes von den 
Seen hinterlaſſene Land die beßten Wieſen, Fruchtgaͤrten 


330 Anhang zu vorig. Beantw. d. Preisfr. x. 


und ſchoͤnſten Strecken Landes find. Man ſehe die Ges 
genden zwiſchen Unterſeen, Interlacken und Gſteig; die 
Gegend von Roche uͤber Aelen nach Bex, die Gegend von 
Biel gegen Gottſtadt und Nydau, die Gegend von Altorf, 
Lucern, Zuͤrich, das Rheinthal, die Thun-Allment u. dgl. 

So wie die Natur hier nur langſam gehet, ſo koͤnnten 
die Einwohner durch Kunſt derſelben zu Huͤlfe kommen. 
Kein See in Helvetien liegt hoͤher als das Land, nur liegt 
das Land an einigen Orten zu tief, um fruchtbar zu ſeyn, 
und erhoͤhet, waͤre es gewiß von der eee Ergies 
bigfeit und Abtrag. 

Aber die Koſten? Die Anordnung? Die Ausführung 
Dieſes ſind die Schwierigkeiten und Hinderniſſe. Gottlob 
— haben unſte Voreltern nicht fo kalkulirt, ſonſt wäre uns 
fer Land noch Felſen, Wälder, Fluß’ und Seen. Haͤt— 
ten die ehemaligen Bewohner des Nyfthals mehr kalkulirt 
und weniger für die Nachkommenſchaft gearbeitet, ſo haͤt⸗ 
ten ſie gewiß nicht mit unſaͤglicher Muͤhe, mit manchen 
ſauren Schweißtropfen die nackten Felſen mit Erdrich be— 
decket, und ein halb Dutzend Weinreben mit Mauern un— 
terſtuͤtzet, ſo wuͤrden wir, und viele tauſend Menſchen 
jetzt nicht den Nutzen und Gewinnſt aus jenen oͤden Fel⸗ 
ſen ziehen, den jene Weinreben nun liefern. Ehrwuͤrdig 
und theuer iſt jedem Menſchenfreund ein Greis mit kahlem 
Haupt und ſilbernem Barte, welcher in den Tagen des 
Alters, der Kraftloſigkeit und der Beſchwerden mit zit 
ternder Hand junge Baͤume pflanzt, beſchneidet und be⸗ 
ſorget, er kann die Fruͤchte derſelben nicht mehr genieſſen, 
aber er freuet ſich in dem Genuß feiner Kinder. Ehrwuͤr— 
dig iſt dieſer Mann, aber tauſend Menſchen gehen vorbey, 
und empfinden nichts. Denn die Handlung iſt nicht neu; 


man iſt es gewohnt. Der wackere Schweitzer-Bauer ar 


beitet ja bis an ſein ſanftes Ende. 
Geſegnet ſey mir der Mann, der feine Sumpfwieſe mit 


Von dem Herausgeber. 331 


Gräben durchſchneidet, ſolche mit Grund ausfuͤllet, mit 
Moosherd uͤberdeckt. Du haſt viele Koſten, lieber Mann! 
du zieheſt wenig — oder kein Intereſſe aus deinem Gelde. 
„ Sie haben recht — aber der Boden wird beffer. » Ver⸗ 
lachet aber wirſt du werden von unſerm Zeitalter, wo das 
Syſtem herrſcht, viel zu ziehen, und wenig zu hinterlaſſen. 

Und du, liebes, theures Vaterland! ſegne auch mit mir 
jene Bemuͤhungen, Verſuche und Aufwand — mit wel. 
chem die von allen edeln Herzen verehrte Landwirthe ge 
trachtet haben, richtigere, beſſere Grundſaͤtze in dieſer ers 
fien, nothwendigſten, unentbehrlichſten Wiſſenſchaft aus; 
zubreiten. Laut geben euch treffende Zeugniſſe die nuͤtzli— 
chen Waͤſſerungen der Wieſen, die bereichernde Stallfuͤt— 
terung, die Einfuͤhrung der Futterkraͤuter, und des Klee— 
bau's, die Ausbreitung der Erdaͤpfeln, die Vermehrung 
des eintraglichen Leinwandhandels, die Einfuͤhrung des 
Seidenbau's, die naͤhere Kenntniß des Landes durch die 
topographiſch-oͤkonomiſchen Beſchreibungen vieler Diſtrik, 
ten, und ſo viele andere nuͤtzliche Anſtalten. Viele, die 
Euch und Euere manigfaltige Verſuche vor Zeiten verla⸗ 
chet, oder kalt angeſehen, und ſich mit dem unedeln aber 
hochklugen: Wir wollen ſehen, wie es ablaͤuft, weis⸗ 
lich wider unnoͤthige Koſten verwahret haben; folgen nun 
Euern Raͤthen und Vorſchlaͤgen, und fühlen ſich ſanft und 
wohl dabey. 5 

Ihr habet dem Vaterlande Millionen genuͤtzet, und je 
mehr man Ruͤckſicht auf euere vortreflichen Vorſchlaͤge und 
Grundſaͤtze nemmen wird, deſto gluͤcklicher wird das theure 
Vaterland ſich dabey befinden. Tauſende genieſſen jetzt 
Wohlſeyn, Gewinnſt und Gluͤck in der Befolgung und 
Anwendung Euerer Vorſchlaͤgen, und erkeñen Euch nicht, 
danken Euch nicht, aber Wenige kennen Euch, und die⸗ 
ſer Wenigen Segen ſeye ein kleiner Erſatz fuͤr alle Euere 
unbelohnte Wohlthaten zum Beßten des Vaterlands. 


332 Anhang zu orig. Beantw. d. Preisfr. ꝛc. 


So wird auch die Zeit kommen, wo man froh ſeyn wird, 
Euch Moraſte auszutrocknen, Euch Suͤmpfe urbar zu 
machen, Euch ſo zu benutzen, wie ihr ſchon laͤngſten ſolltet 
benutzet werden. Ich ſchlieſſe mich ehrfurchtsvoll an den 
edeln Reihen von ferne an, und wiederhole Euere Stimme: 

Machet Moraͤſte und Suͤmpfe urbar, ſo werdet ihr 
den Viehſtand vermehren, weil ihr die Mittel, ſolchen zu 
ernähren, vermehret. 

Das Wie urbar zu machen, auf welchen Koſten, durch 
wen, und zu weſſen unmittelbarer Benutzung wird ein⸗ 
ſtens der Gegenſtand einer eigenen Abhandlung ee 
Stoff giebt es genug. 

Dieſes ſind nun die Mittel, dem Buttermangel fuͤr jetzt 
und in die Zukunft vorzubeugen. — Andere oder zum wer 
nigſten weniger gewaltſame kenne ich nicht, und pflichte 
gerne annoch und mit ganzer Seele den dieſen 3. Haupt: 
mitteln untergeordneten Raͤthen des Verfaſſers obiger 

Beantwortung bey, naͤmlich: Vermehrung und Einfuͤh⸗ 
rung der beſſern Futterkraͤuter, worunter der vortrefliche 
Alpenklee, Trifolium Halleri, No. 369.; Trifolium alpinum 
Linnæi; (Trifolium alpeſtre Jacquini), noch beyzufuͤgen 
waͤre, der in unſern tiefern Gegenden ſehr gut fortkoͤmmt, 
und wegen ſeinem zaͤrtern Bau zur trocknen oder duͤrren 
Fuͤtterung noch nuͤtzlicher ausfallen wuͤrde — Verbeſſerte 
Urbarmachung des Landes, Zuſammentragung der 
milch in den Dörfern, u. ſ. w. 

Koͤnnten nun dieſe zuſammengetragene Bruchſtuͤcke et⸗ 
was zur naͤhern Beantwortung jener wichtigen Preisfrage 
beytragen, ſo waͤre unſer Zweck erfuͤllt. Wir wollen in⸗ 
deſſen nicht muͤde werden, immer Materialien zuſammen 
zu tragen, um mit der Zeit einem groͤſſern Werke entge⸗ 
gen ſehen zu koͤnnen, und wollen unſerm Looſungsworte, 
das Beßte des Vaterlandes, getreu bleiben und Ehre 
machen. | 


Sefdhreibung 
des 


Pfefferſer Geſundbrunnen. 


Von N 
Hrn. Doktor Hirzel jünger, 


in Zürich. 
Erſtes S tuͤck. 


Reiſe von Zurich auf Pfeffers. 


— 


334 Beſchreibung d. Pfefferſer Geſundbrunnen. 


Einleitung. 


An der Spitze der merkwuͤrdigſten Naturbegebenheiten 
ſtehen unftreitig, mit dem größten: Rechte, die warmen 
und kalten Waſſerquellen, die Geſundbrunnen und Baͤ⸗ 
der, welche dem Menſchengeſchlechte ſchon ſehr große Dien⸗ 
ſte geleiſtet haben. Durch Jahrhunderte ſind dieſe Ge⸗ 
ſchenke der Natur allgemein geſchaͤtzt. Die Aerzte rietheu 
fie , und rathen heut zu Tage noch, obgleich bisweilen ein 
wenig empiriſch ihren Kranken an; wann die Hartnaͤckig⸗ 
keit der Krankheiten ihnen Langeweile, oder dang zu ma⸗ 
chen, anfieng , oder auch, wenn ſie zu kurzſichtig waren, 
die wahren Urſachen des Uebels zu entdecken, und darum 
hin und her probierten, bis endlich die erfahrnere Natur, 
oder der Tod ein Ende machten. Solche verzweifelte 
Krankheiten waren es, was den Geſundbrunnen und Bäs 
dern meiſtentheils den Ruhm von Wunderkuren erwarbe, 
die ſich nicht ſelten in der theoretiſchen Pruͤfung wider⸗ 
ſprachen, und alſo weniger zur Ehre der Arzneygelehrtheit, 
als zu ihrem eignen, jedoch ſchwankenden Ruhme beytrugen. 
Man ſchrieb dieſe Beobachtungen zur Ehre der guͤtigen 
Natur, aus Menſchenliebe, aber auch zugleich zum Ruhme 
ſolcher geſegneten Oerter zuſammen, und ſammelte deren 
ſo viele, bis man im Stande war, der Welt aus allen 
Klaſſen, Gattungen, Geſchlechtern, Arten, Unter und 
Abarten, von innerlichen und aͤußerlichen Krankheiten ein 
ſonderbares Gemiſche von Krankheits- Geſchichten in die 
Hände zu geben, in welchen dieſe Waſſer Wunder ver⸗ 
richtet haben. Daher die ſchoͤne Menge von Beſchreibun⸗ 
gen der Bäder und Brunnen, der Trink- und Badbuͤchel⸗ 
gen, u. ſ. w., welche, obgleich in ſehr ungleichem Se 


at * „ 


Von Hrn. Doktor Hirzel jünger. 335 


das Lob derſelben, oft mit gewaltig dicken Backen aus— 
poſauneten. Nicht ſelten ſuchen die Beſchreiber, je nach 
dem ſie mehr der Chemie oder Alchemie opfern, dieſem 
oder jenem Syſtematiker Cour machen und auch ſelbſt Loor— 
beern ſammlen wollen, Beſtandtheile aus dieſen Waſſern 
herauszutreiben, welche himmelweit davon entfernt was 
ren. Daher tragen auch dieſe Schriften das Gepraͤge ihres 
Jahrhunderts oder Jahrzehends ſo auffallend deutlich an 
der Stirne. | 

Der allgemein erwachende Geſchmack der Aerzte, zu 
Vereinfachung der Arzneykunſt, befonders im chemiſchen 
und pharmazeutiſchen Fache, gab dann auch in Ruͤckſicht der 
chemiſchen Zergliederung der Mineralwaſſer, dem lächer, 
lichen den Stoß. Dieſer Revoluzion verdanken wir die 
neuern Diſſertazionen, Nachrichten und ausgedehntere Bes 
ſchreibungen dieſer Naturprodukte, unterrichtend fuͤr die 
Kranken ſelbſt und anwendbar für den wahren Arzt, 0ds 
gleich noch jetzt von Empirikern ſehr misbraucht. Dieſen 
neuen Unter ſuchern der Geſundbrunnen gelang es ſo gar, 
daß fie zur ſicherſten Probe der Richtigkeit und Genau— 
heit ihrer Unterſuchungen, die Waſſer kuͤnſtlich e 
chen konnten. 

Ich wage mich nun auch auf dieſe Bahn, aufgefodert, 
aber nicht gedungen, dies ſoll die Unpartheilichkeit zeigen, 
welche die Hauptzierde meines Werkgens ſeyn ſoll: und 
liefre hier die Geſchichte eines ſchon ſehr beruͤhmten Ge⸗ 
ſundbrunnens. Ich verſpreche zwar keine ganz vollſtaͤndige 
Arbeit zu liefern, die Ach Markards vortreficher Beſchrei⸗ 
bung von Pirmont an die Seite ſtellen ließe. Ich beob⸗ 
achtete dieſen Geſundbrunnen nur während einem Trinkkurs 
Termin, ſelbſt der Kur unterworfen, nur in wenigen fluͤch⸗ 
tigen Augenblicken und ohne die nöthige Subſidien, die 
ich beſonders auch von den beſtimmten Brunnenaͤrzten vers 

gebens erwartet habe. Ich mache mich aber gern an⸗ 


336 Beſchreibung d. Pfefferſer Geſundbrunnen. 
heiſchig meiner Arbeit durch Zuſaͤtze mehrere Vollkommen⸗ 
heit zu geben wenn ich in die hierzu noͤthige, mir ſehr ers 
wünſchte, Lage kommen ſollte. ö 


Ich erlaube mir einen etwas weitläufigen Detail, weil ich 


große Verſchiedenheit der Brunnengaͤſte in Pfeffers antraf, 
ſelbſt die Kranke, welche ich dahin zu begleiten die Ehre 
hatte, iſt ein Beyſpiel, daß Kranke aus den entfernteſten 
Zonen hieher zu reiſen genoͤthigt ſeyn koͤnnen. Solchen 
kann es doch nicht ganz gleichguͤltig ſeyn, ob ſie auch ſelbſt 
bis auf die geringſten Gegenſtaͤnde, Kenntniſſe des Orts, 
der Reiſe u. ſ. f. zu ihren noͤthigen Einrichtungen Auleitung 
finden oder nicht. Es iſt alſo wenigſtens eine gute Abſicht, 
welche mich zu Weitlaͤuftigkeiten führer, die vielleicht einem 
andern Theil meiner Leſer entbehrlich ſcheinen möchten. Ans 
ſtatt einer Reiſeroute, auf die ich mich anfangs einzu⸗ 
ſchraͤnken gedachte, fuͤge ich aus eben angezeigten Grunden 
eine zwar nur kurze Reiſebeſchreibung bey, welche das 
erſte Stuck meines Werks ausmacht. 


Reife nach Pfeffers über Waſſer. 


Ich laſſe meine Leſer ihre Reiſeroute bis Zuͤrich ſelbſt 
ſuchen, und fuͤhre ſie nur von da aus noch Pfeffers, und 
dies kann ich durch mehrere Wege thun. Der erfte führe 
über Waſſer — Man vertraut ſich nemlich in Zürich dem 
freundlichen See, der nie als bey gar ſtuͤrmiſchem Wetter, 
und dann nur unter Leitung ungeſchickter Schiffleute ge⸗ 
faͤhrlich iſt. Ich darf ohne ruhmredig zu ſcheinen, das 
Publikum verſichern, daß Schiff, Geſchirr und Leute be⸗ 
quem und gut genug find, ſich ihnen freudig zu uͤberlaſſen. 


Nur mangelt der Pracht, der ſich bey uns und zwar noch 


in ſehr geringem Grade und zu unbedeutendem Vortheil 
der Reiſenden auf 2. Schiffe einſchraͤnkt, die mit Brettern 
eingeſchloſſen eine etwelche Geſtalt von Zimmergen haben, 


* 


und 


N 
1 
| 
j 
Ä 
1 


Von Hrn. Doktor Hirzel jünger. 337 


und ſo den Reiſenden gegen die Unbillen der Witterung 


ſichern. Da hingegen die übrigen Schiffe nur mit über Bös 
gen geſpannten Wachstuͤchern, obgleich auch genugſam, be⸗ 
deckt find. Ichemuß geſtehen, daß die letztere Art von Bede— 
kung mehr fur meinen G'eſchmack iſt, indem fie den Reis 
ſenden genugſam ſichert und ihm dabey doch das Entzuͤcken⸗ 
de der Ausſicht und die friſche Luft freyer als jene ge⸗ 
ſtattet. 

Die nahen Ufer faffen von Morgen und Abend den See 
fo enge ein, daß das unbewaffnete Aug jeden Gegenſtand 
erkennen kann. Und ſo entgeht ihm vom Fuß bis an den 
in die Laͤnge ſich erſtreckenden, ſanft ſich erhebenden, ſcharf 
zugeſpitzten Rüden der Berge, welche dieſe Ufer bezeichnen, 
keine Art wohl zubereiteten Landes, welches mit vielen 
wohlgebauten, meiſt Staͤdtiſchen Haͤuſern, die ſich an ei— 
nigen Drten in fiundenlange Dörfer zuſammen reiben, 
durchſpickt iſt, kein Haus kein Baum: Die Fußſteige 
ziehen ſich dem Ufer entlang, fo daß man im Stande iſt 
jede Perſon auf denſelben zu unterſcheiden. Die höher ges 
legene Landſtraſſe entziehet ſich zuweilen dem Auge; allein 
wo ſie ſich wieder ſehen laͤßt, erkennt man ebenfalls jeden 
Gegenſtand. Gegen Mitternacht vereinigt die Stadt die 
beyden Ufer, und hinter dieſer machen wieder mehrere 


angebaute kleine Berge, die ſich nach und nach in eine 


ins Weite fi ausdehnende Entfernung verlieren, den Hin⸗ 
tergrund. Suͤdwaͤrts ſetzen die ſtolzen Eisgebirge der weis 
tern Ausſicht die angenehmſten Grenzen: Ein bezaubernder 
Anblick, beſonders wenn die untergehende Sonne ihren 
ewigen Schnee mit brillantner Vergoldung ziert. 

Eine betraͤchtliche Anzahl Schiffe von verſchiedenem Ran⸗ 


ge, welche auf dem Ruͤcken des ſtillen Sees froͤliche Men⸗ 


ſchen, wenn fie den Erwerb ihrer wöchentlichen Arbeit, 

oder Getreide, und andere Lebensmittel ſingend und jauch⸗ 

zend aus der mütterlichen Stadt nach Haufe bringen, ſanft 
Magaz. f. d. Klatsch, Zelvetiens. III. 9 


— 


ö 


338 Beschreibung d. Pſefferſer Geſundbrunnen. 


und froh in ihre laͤndliche Hütten fuͤhren, durchzogen mit 
kleinern, in denen die Fiſcher bald in einſamer Stille mit 
dem Angel, oder kleinen Netzen, oder in Geſell ſchaft von 
mehrern mit großen Netzen, den Ueberfluß der den See bes 
lebenden Fiſche zum Umtauſch fuͤr andere Beduͤrfniſſe ſamm⸗ 


len, bedecken den See mit anmuthiger Mannigfaltigkeit: 


So wird das Ohr durch das Gelaͤute fo vieler Glocken ent, 
zuͤckt, deren Ton ſich auf der Oberflaͤche des Sees vereint, 


wenn fie dem fleißigen Landmann auf feine entferntere Guͤ. 


ter die Ruheſtunden anzeigen. Ergoͤtzend iſt fuͤr das Auge 
die romantiſche Lage einiger kleiner Inſeln, Halbinſeln, 
und die ſonderbar lange Bruͤcke, welche die Breite det 
Sees durchſchneidet, und durch Erſparung der koſtbaren 
Fahrt uͤber denſelben vielen Reiſenden einen kommlichen 
Fußſteig gegen Einſiedlen zu giebt: Gegenſtaͤnde, die das 
einfoͤrmige des Seebetts ſelbſt ſo angenehm unterbrechen. 
Dieſe anmuthig abwechſelnde Reiſe bis Lachen, einem Fle⸗ 

ken, der dem Canton Schweiz gehoͤrt, dauert 7 Stunden, 
die ein guͤnſtiger Wind in kuͤrzerer Zeit, und in dieſem Falle 
ganz entzuͤckend zuruͤcklegen macht, weil die Gegenſtaͤnde 
dann dem Auge gleichſam entfliegen, fo daß man nicht ge⸗ 
nug Aug ſeyn kann. 

In Lachen findet man leidliche Bewirthung, welche 
durch mehrere Reinlichkeit viel gewinnen wuͤrde. Von 
hier bis Weſen durchreist man 7. kleinere und groͤßere 
Dorfſchaften, deren aͤußeres eben ſo wenig, als der nach⸗ 
laͤßige Bau der liegenden Gruͤnde von großem Fleiſſe zeu⸗ 
get. Die dahin fuͤhrende Straſſe geſtattet wohl den Ge⸗ 
brauch nur nicht gar großer Reiſewagen, fuͤr die ſie bis⸗ 
weilen zu enge und meiſt zu rohe iſt. Fuͤglich läßt ſich's zu 
Pferdte, oder in kleinen Chaiſen machen, welche man in 
Lachen, beſonders wenn man ſie vorher beſtellen wuͤrde, 
haben kann. Solche Beſtellungen beſorget der alle Sonn⸗ 
abende von Zürich abreiſende Churerbote, welcher, wenn 


* 


Von Hrn. Doktor Hirzel jünger: 339 


man mit ihm reiſet und ihm dazu Vollmacht giebt, alles 
für Reiſende beforget. 

Die Ausficht bleibt immer durch die viele Abwechſelung 
reitzend und unterhaltend, da ſie aus den niedern Berg— 
gegenden, welche annoch gedehnte Ausſicht geſtatten, in 
den Alpgebirgen naͤher zuſammengedraͤngt wird. Unweit 
Weſen koͤmmt man an die Linth, einen ſehr oft ungeſtuͤm⸗ 
men Bergſtrom, der ſich durch das Glarnerland zieht, und 
in den Zuͤrichſee ergießt. Ueber dieſen fuͤhrt eine Bruͤcke, 
und man bleibt bis Weſen immer von dieſem Strome 
oder Sandhuͤgeln, die er bald da bald dort aufhaͤuft, 
und zur Linken von Bergen zum ungehinderten Durchpaß 
weit genug eingezaͤunt. 

Reiſende, welche der Ungemaͤchlichkeit trotz zu bieten 
keck genug ſind, machen dieſe Reiſe ſehr geſchwind mit 
dem Churerboten ſelbſt. So habe ich fie auch einmal 
gemacht. 


Man ſteigt Samſtags um 2. Uhr Nachmittags in Zuͤe n 
rich zu Schiffe, und kommt Abends um 10. Uhr in Maͤnne⸗ 


dorf, einem Dorf am Zuͤrichſee an, wo man ſehr gute 
Tafel bereit findet. Noch einem Aufenthalt von ein paar 
Stunden ſchiffte man ſich wieder ein, um bey anbrechendem 


Tage in Lachen zu ſeyn. Wem der Schlaf eine uneutbehr⸗ 


liche Sache iſt, legt ſich auf Stroh, unter eine Bede 
kung von Brettern; eben nicht das angenehmſte Lager, 
wobey man auch ſelten im Fall iſt, die erwuͤnſchte Geſell— 
ſchaft vorzufinden. Darf man es aber wagen, gegen die 


Kaͤlte, ſelbſt in der warmen Jahrszeit und bey ſchönem 
Wetter, genugſam geſichert, den Schlaf zu miſſen ſo 


hat die Reiſe gewiß auch wieder ihr einnemmendes, 
Bote beforget Pferde und die Fortbringung des 5 


fo daß man deswegen ruhig das Vergnügen der Reife ge, 


nießen, oder von den Beſchwerlichkeiten derſelben aus⸗ 
ruhen kann. 


% 


340 Beſchreibung d. Pfefferſer Geſundbrunnen. 


Vor Zeiten hat man ſich von dem Anfang des Oberſees 

an, (ſo nennt man denjenigen Theil des Zuͤrichſees, der 
oberhalb der großen Rapperſchweiler-Bruͤcke liegt, in den 
ſich die Linth ergießt) durch Menſchen und Pferde ziehen 
(recken) laſſen: Allein die Wildheit des Stroms, die ſei— 
nen Lauf oft abaͤndert, macht dieſe Fahrt zum Theil ge 
faͤhrlich und uͤberbieß fo langſam als unbequem; daher 
bedient man ſich derſelben nicht mehr. 
Dieſe Reiſe laͤßt ſich dann laͤngſt dem weſtlichen Ufer 
des Sees über Thalweil, Horgen Waͤdenſchweil und Rich⸗ 
terſchweil bis auf Lachen, und von da nach Weſen, mit 
eignen Pferden und einem leichten nicht gar großen Reiſe⸗ 
wagen ganz gut machen. In Zuͤrich findet man Pferde 
und Wagen genug und ſo, wie ſie ſich fuͤr dieſe Straſſe, 
welche den Zuͤricher Fuhrleuten ſehr wol bekannt iſt, ſchi⸗ 
ken. Aim beſten wuͤrde dieſe Reiſe ſo eingerichtet, daß man 
in Richterſchweil uͤbernachtet, um auf den Mittag in Weſen 
einzutreffen, weil man Nachmittags meiſtens guten Wind 
fuͤr die Reiſe uͤber den Wallenſtatterſee antrift. 

Weſen iſt ein an einem felſichten Bergfuffe angebautes 
Staͤdtchen, deſſen untere Haͤuſer ganz nahe an dem See 
liegen, ſo daß ſie derſelbe bisweilen, beſonders wenn die 
Linth, worein der See ſich ergießt, ihm den erforderlichen 
Ausfluß nicht geſtattet, ganz unter Waſſer geſetzt werden. 
Die Lage an dem meiſtens unruhigen See, deſſen Ufer ſtei⸗ 
le, ſehr hohe Berge find, iſt ſehr pittoreſk. Man findet 
hier zur Noth gute, oder beſſer zu ſagen, leidliche Bewir⸗ 
thung. Bisweilen wird man durch den widrigen Wind 
daſelbſt aufgehalten. Es iſt ſehr wol gethan, wenn man 
ſich ſogleich bey der Ankunft um Schiffe umſieht, indem 
die Sch Fleute den eriten Augenblick günfligen Windes zu 
dieſer Fahrt über den See nuͤtzen. 

Gewoͤhnlich ſtellt ſich Nachmittags der Weſtwind ein, 
mit deſſen Beyhilfe man die Fahrt, die bey ſtillem Wetter 


Von Hrn. Doktor Hirzel dinger. 34r 


4. Stunden lang dauert, in 5. Viertelſtunden zuruͤcklegt. 
So wie der Wind Nachmittags zur Fahrt von Weſen nach 
Wallenſtadt bequem iſt, ſo iſt es umgekehrt des Morgens 
guter Wind von Wallenſtadt nach Weſen zu fahren, indem 
nur der Oſt⸗ und Weſtwind dieſen See beſtreichen koͤnnen. 
Auch hier kann es ſich fügen, daß man Halt machen, auch 
wohl ſich einen ganzen Tag oder Nacht aufhalten muß: 
In welchem Falle dann leicht begegnet, daß man mitten 
in der Nacht durch die Schiff leute aus dem Schlafe geweckt 
und in das Schiff gerufen wird: Welchem Rufe man ohne 
Anſtand gehorchet, weil man ſonſt Gefahr läuft, auf der 
Haͤlfte der Fahrt Gegenwind zu bekommen. 

Bey widrigem Wind iſt die Fahrt faſt unmöglich, aͤuſ⸗ 
ſerſt langſam und beſchwerlich; und uͤberdies geſtattet die 
Lage des Sees nur bey zwey Stellen ans Land zu kommen. 
Bey Gewittern wagt man ſiſch gar nicht auf den See. 
Reiſende koͤnnen und muͤſſen ihre Gefaͤhrte und Pferdte 
ebenfalls uͤber den See fuͤhren laſſen, indem ſie zu Wallen⸗ 
ſtadt hoͤchſtens Reitpferde finden. 

Die Schiffe ſind hier nicht ſo bequem, als auf 900 
Zuͤrichſee, wenigſtens nicht bedeckt. Eine öffentlich ans 
geſchlagene Verordnung beſtimmt den Lohn der Schiff⸗ 
leute, und ſichert den Reiſenden, wenn er nach Anlei⸗ 
tung derſelbigen das Schiff unterſuchen laͤft. Die Schiff⸗ 
leute ſind etwas roh und dulden weder Widerſpruch noch 
Aufmunterung. Sie zwangen, damit ich ein warnendes 
Beyſpiel gebe, einen Reiſenden, der mit der Piſtole ſeine 
Meinung gegen dieſelbe behaupten wollte, fie fo fachte wies 
der einzuſtecken, als haſtig er ſie herausgezogen hatte, mit 
der Verſicherung, wenn er noch ein Wort ſpreche, fo wer⸗ 
fen fie ibn über Bord. Man thut alſo beſſer, ſich dieſen 
Leuten, welche dann übrigens, ihre Geſchaͤfte gehoͤrig ver⸗ 
richten, ganz und ruhig zu überlaſſen. Ich habe dieſ 
Reiſe in Zeit von 5, Biertelſtunden ohne Gefahr und ohn 


* 


342 Beſchreibung d. Pfeſſerſer Geſundbrunnen. 


etwas unangenehmes erlitten zu haben, gemacht, und mich 
an dem pittoreſquen der Natur ſehr erquickt.) 

Der See liegt zwiſchen hohen ſteilen Bergen, deren Fels 
ſenwaͤnde ſich in den See verſenken, von beyden Seiten 
eingeſchloſſen. Nach einigen Regentagen ſtuͤrzen ſich von 
denſelben mehrere Waſſerfaͤlle von ungleich betraͤchtlichen 


*) um meinem Leſer ruͤckſichtlich auf dieſe Schiffahrt beſtmoͤglich 
zu unterrichten und ſicher zu ſtellen, fuͤge ich hier den Auszug 
eines vertrauten freundſchaftlichen Schreibens von einem der Sa⸗ 
che kundigen Freunde aus Weſen ber. „Das Oberkeitliche Man⸗ 
„dat enthält eine Ordnung für die Schiffleute und Fahrzeuge, 
„ zum Beyſpiel: Daß kein Schiffer auf einem großen Schiffe fah⸗ 
„ ren darf, der nicht zuerſt wenigſtens 3. Jahre lang auf einem 

v kleinen Schiffe die Seefahrten mitgemacht hat: Daß die Ober⸗ 
„ keitlichen Seevoͤgte Obacht neinmen, daß man auf einem klei⸗ 

v nen Schiffe kein Pferd, oder anderes großes Vieh uͤberfuͤhre. 
„Daß eben dieſe jahrlich zweymal, nemlich am jeweiligen St. 
„Johannestage, alle Fahrzeuge ſamt Zugehoͤrde beſichtigen ſol⸗ 
„len. Bey dieſer Gelegenheit bekoͤmmt jedes neue Schiff ſein 
„Zeichen, wie tief es darf geladen werden. Eben ſo werden 
„die Schiffe auch nach Zeit und lömſtaͤnden für e er⸗ 
5 klaͤret. „ 

Die Taxe iſt Oberkeitlich beſtimmt, nemlich: x. Für ein ‚groß 
ſes Schiff von Weſen auf Wallenfindt 4. fl. Von Lachen weg wird 
auf der ganzen Reiſe der Louisd'or zu 11. fl. gerechnet. Wer ein 
oder mehrere Pferde hat, iſt gezwungen, ſich der großen Schiffe 
zu bed enen. 

2. Ein kleineres Schiff 2. fl. Wer ein ſolches fuͤr ſich dinget⸗ 
kann fodern, daß die Schiff leute ihn allein fuͤhren; er kann 
aber auch mitnehmen wen und wie viel Perſonen er will, und 
ſich dann mit dieſen uͤber die Bezahlung abfinden, er iſt Herr 
des Schiffes. 

3. Die Schiff leute fodern uͤber dieſe Taxe ein Trinkgeld, man 
iſt ihnen aber de Jure keines fchuldig. 

Was man auf feinem Ruͤcken tragen mag, iſt Zollfrey — 
die andern Waaren alle werden in Weſen verzollt. 

Man thut uͤbrigens wohl „ehe man allein oder mit dem 
Churerboten, mit dem man ebenfalls vor der Abreiſe fuͤr alles 
gecordirt, das Schiff beſteigt, die Bezahlung zu beſtimmen. 


— 


* * 


Von Hrn. Doktor Hirzel juͤnger. 343 


Höhen in den See. Bisweilen plaͤtſchern fie durch teraf 
ſierte Bergſtrecken in kleinere Waſſerfaͤlle getheilt, nach und 
nach hinunter; und beydes giebt der Ausſicht ein ſchauer⸗ 
liches Großes. Beſonders ausgezeichnet ſtroͤmmt ein ſol⸗ 
cher an der noͤrdlichen Seite des Sees aus Bergklippen 
hervor. Die Berge ſo ſteil und graus ſind anbey meiſt mit 
Baͤumen bewachſen, welche dem ſchauerlichen einige Ver— 
aͤnderung geben. Dann aber wird die Einbildungskraft 
wieder in ſanftere, ruhigere Stimmung geſetzt, wann ſich 
hie und da dem furchtfam > forfchenden Auge eine Hütte, 
ein Doͤrfgen mit Kirche verſehen, Wieſen, Aecker, und 
Weinberge darbieten. Dieſe liegen meiſtens ſo ſteil, daß 
es angeſtrengte Einbildungskraft erfordert, ſich einen Weg 
von da aus nach andern Orten zu denken. Bewohnern 
ebener Gegenden, auch nur niedern Bergbewohnern wird 
es Muͤhe machen, zu begreifen, wie man den Ertrag dieſer 
Grunde einſammlen, geſchweige dann, wie man ſſie bauen 
koͤnne. Eine Stelle dieſer ſonderbaren Bergkette, wo ſich 
der ſchroffe ganz pflanzenloſe Felſen ſenkrecht in den See 
verliert, wird die Reiherwand genannt. Das Zu- und Weg⸗ 
fliegen der Reiher, deren ſicherer Aufenthalt an dieſem Or— 
te ihm dieſen Namen erwarb, beſonders wenn fie durch 
Schuͤſſe deren Donnerſtimme der vervielfachte Echo fürchs 
terlich wiederhallt, geſtoͤrt werden, verſchafft dem Auge, 
ſo wie das Getoͤſe dem Ohr eine ſchauervolle, doch ſchoͤne 
Unterhaltung. So fliegt man die meiſtenmale zu ſchnell 
uͤber einen Bergſee, deſſen ſeltne Naturſpiele dem beobach⸗ 
tenden Auge nur zu geſchwind entßiehen. Der Reiſende 
vergißt die Gefahr, und das Wunderbare der Reiſe verwan⸗ 
delt ſeine Angſt in frohes Erſtaunen. 

Kaum kann ſich die Seele bey Ueberſehung des durch 
reisten Sees, und der wilden Berggegend beym Auslan⸗ 
den von dem Gewirre der Gemuͤthsbewegungen ein wenig 
erholen, ſo erwarten ihn beym Eintritt in das Staͤdtgen 


* A 
7 
6 


344 Beſchreibung d. Pfeffer ſer Geſundbrunnen. 
Wallenſtatt, welches am Anfang des Sees in ſumpfich⸗ 


tem Bergthale am Fuſſe roher Berge liegt, Szenen, 


welche ihn mit Schauer und Mitleiden erfuͤllen. Ein 
Grupp elender, baufaͤlliger, mehr Huͤtten als Haͤuſer, 
welche jedes fuͤr ſich eine Inſel oder wenigſtens Halbinſel 
vorſtellen, indem ſie mit faulem Waſſer umgeben ſind, 
den traurigen Ueberbleibſeln von Anſchwellung des Sees, 
die beynahe alle Jahre dem groͤßten Theil des Staͤdtchens 
den Einſturz drohet, enthält eine geringe Anzahl Bes 
wohner, deren blaßes, fieberhaftes , melancholiſches 
Ausſehen auch den gleichguͤltigſten Fremden ruͤhren muß. 
Wer wird an dieſem Orte Fleiß, Ordnung, Thaͤtigkeit 
erwarten? Mich trieb der Anblick dieſes Elendes, da ich 
genoͤthigt war hier zu uͤbernachten, (wo ich doch zu 
meinem Erſtaunen gute Bewirthung und Wohnung an⸗ 
traf), ins freye, wo ich über mein Erwarten wohlge⸗ 
ordnete Gaͤrtchen, muͤhſam gebaute N e und an⸗ 
dere liegende Grunde fand. 

Ich habe meine Leſer ſchon erinnert, falls ſie nicht Luſt 


haben einen Theil der Reiſe zu Fuſſe zu machen, ihren 


Reiſewagen mitzubringen; und mit dieſem muß ich ſie 
noch 4. Stunden lang, durch eine ziemlich verbeſſerte Berg⸗ 
ſtraſſe bis nach Ragaz fuͤhren. Ich machte dieſe Reiſe auf 
einem zwar etwas ungewohnten Reiſewagen, welche hier 
Reiſenden, die nicht gerne reiten, angebotten werden. 
Es ſind nemlich gewohnte Heuwagen, welche in dieſen 
Gegenden ganz klein ſind. Dieſe uͤberſpannt man mit 
ſehr dichtem, feſtem, großem Tuch, das auf allen 4. Sei⸗ 
ten mit Stricken, die in den 4. Enden ſich verlaͤngern, 
eingefaßt iſt. Vermittelſt dieſen wird das Tuch aufge 
ſpannt, feſtgemacht und mit Heu belegt, in welches ſich 
der Reiſende nach Belieben ſetzen oder legen kann. Unter 
dieſem Sitz wird das Gepaͤck verſorget. Bey gutem Wet⸗ 
ter iſt dieſer Reiſewagen nicht ganz unangenehm; hinge⸗ 


* 
* 


gm 
u a ee 


Ss 
eh 


= 


Von Hrn. Doktor Hirzel jünger. 345 
gen muß man ſich bey widriger Witterung wohl verwah— 
ren, weil der Wagen unbedeckt iſt. 

Bey Sargans oͤffnet ſich die enge Berggegend wieder 
ein wenig, beſonders verſchafft die hohe Lage von Sar— 
gans eine angenehme Ausſicht uͤber ein etwas breiteres, 
aber bis auf Ragaz ganz einſames, Thal. 

In Ragaz laß ich nun meine Rekſende ausruhen, bis 
ich eine andere Partey durch einen bequemern Weg auch 
dahin gebracht habe. 

Ich darf mir nicht ſchmeichlen, daß meine bisherige 
Beſchreibung mir ſtarkes Gefolge zuziehen werde. Die Er— 
zaͤhlung ſo vieler Beſchwerlichkeiten und wenigſtens an— 
ſcheinender Gefahren wird wahrſcheinlich dem kleinſten 
Theile der Reiſenden, wenigſtens des ſchoͤnen Geſchlech— 
tes, große Luſt erwecken, dieſer Reiſroute ſich zu unter, 
ziehen. Indeſſen muß ich ſie deswegen bedauren, indem 
ſie die Betrachtung und Bewunderung der ſonderbarſten 
Natur miſſen muͤſſen. Gegenſtaͤnde, die eine geuͤbtere 
Feder, als die meinige, erforderten, um auch nur den 
Schatten zu zeichnen, von dem, was wilde Natur die 
fuͤhlende Seele genießen laͤßt. 

Hyvochondriſche Kranke, wenn ihre Umſtaͤnde anders, 
das muͤhſame dieſer Reiſe noch ertragen mögen, wuͤrde 
ich dazu zwingen, indem der gebahnteſte Weg immer 
mehr Nahrung fuͤr ihr Uebel iſt, als aller Kummer und 
Angſt, ſo ſie hier erwarten. Dieſer Kummer und Angſt, 
zum Theil gegruͤndet, fließt aus dem ſeltnen der Natur 
her, welches durch ſeine Eigenheit und Mannigfaltigkeit 
ihrer Einbildungskraft die unerwartetſte zerſtreuendſte 
Beſchaͤftigung giebt. Den Nutzen koͤrperlicher Bewegung 
bringe ich nicht einmal in Anſchlag. | 

Noch muß ich einen Rath beyfuͤgen, den ich ſchon 
oben, zwar nur mit wenigem berührt habe: Daß nem; 
lich Reiſende, beſonders kraͤnkelnde Perſonen, auch wenn 


— 


/ 


346 Befchreibnng d. Pfefferſer Geſundbrunnen. 


ſie die Reiſe zur waͤrmſten Jahrszeit machen, ſehr wohl 
thun, ſich mit warmen Kleidern, wenigſtens Ueberklei⸗ 


dern zu verſehen, um ſich nicht bey jeder in unſern Berg⸗ 


gegenden ſehr gewohnten ſtarken Abwechslung der Waͤr— 
me und Kaͤlte, wichtigen Verkaͤltungen auszuſetzen. 


Reife nach Pfeffers über Land. 


Ich kann meine Leſer von Zürich aus über Land nach 
Ragaz, durch einen Weg führen, der keine andere Gefah— 
ren darbeut, als die jedem Reiſenden zuſtoſſen koͤnnen. 


Durch Koͤnigl. Chaußeen fuͤhre ich ſie nicht, ſie muͤſſen noch 


froh ſeyn durch bergichte Gegenden fo gute Straſſen zu fin⸗ 
den, als zu erwarten ſind, wo der Bauer, der neben 
dem Feldbau und anderm muͤhevollem Broderwerb dieſel— 
ben annoch in Frohndienſten anzulegen und zu unterhal⸗ 
ten gezwungen werden muß. So karg die Natur gewiſ⸗ 
ſen Bezirken der Schweiz fruchtbaren Boden zugemeſſen 
hat, den nur der angeſtrengteſte Fleiß des Bauers 
fruchttragend macht, ſo ſehr hat ſie die zum Straſſenbau 
noͤthigſten Beduͤrfniſſe in geringer Menge ausgetheilt. 
Aus dieſem Grunde verdient ein Land, welches die Natur 
mehr zur Abhaͤrtung der Bewohner und ihrer Hausthie⸗ 
re, als zur Weichlichkeit und Bequemlichkeit beſonders 
ſparſam begabt hat, Nachſicht. Der Weg von Zürich) 
nach Winterthur, wird dieſe Entſchuldigung rechtfertigen, 
wenn der Reiſende jedes kleinſte roheſte Stuͤckgen Feldes, 
auf welchem, ehe es fo fleißig angebaut worden, ein Graf 
gen kaum genugſame Nahrung gefunden haͤtte, nun mit 
verſchiedenen Produkten bepflenzet findet. Dieſe Be 


trachtung giebt Stof zu froher Reiſe, fo wie überdies 


die abwechſelnden ſchoͤnen Ausſichten und der Wechſel 
der Gegenſtaͤnde, indem die Straſſe anfangs laͤngſt dem 
Fuſſe eines meiſt mit Holz und untenher mit Wein be⸗ 


pflanzten Berges von der einen Seite, und von der an⸗ 


* 


f 


Von Hrn. Doktor Hirzel juͤnger. 347 


dern von einer ſich zur weiten Ausſicht verbreitenden Flaͤ— 
che begraͤnzt iſt; dann abwechſelnd mitten durch ſchoͤn— 
gebaute Felder, Dörfer und Waldungen, bald durch an— 
genehme Ebenen; dann wieder eine Strecke Bergan fuͤhrt, 
welches den Weg unſtreitig beſchwerlicher und langwieri⸗ 
ger macht, wofür man aber durch abaͤndernde ſchoͤne Aug, 
fichten belohnt wird. Eine Reiſe von 4. Stunden 
bringt den Reiſenden nach Winterthur, wo man meiſt 
das Mittagmahl genießt; oft geht man aber noch ein 
Paar Stunden weiter auf Elgg, um da den erſten Halt 
zu machen. 

Winterthur iſt eine anmuthig gelegene lebhafte und 
wohlgebaute kleine Munizipal: Stadt. Glücklich durch die 
Simplizitaͤt, welche den Ausſchweifungen entnervenden 
und toͤdtenden Luxus noch nicht die Thore ganz geöffnet 
hat; glücklich durch den Beſitz vieler wackerer und groß 
ſer Maͤnner, welche innert und außert den Graͤnzen ihres 
Vaterlandes ihm Ruhm erwarben und den Aufenthalt 
in dieſer Stadt ſo angenehm als wichtig machen. Meine 
Leſer werden, wie ich nicht zweifle, hieraus eine Einla— 
dung, dieſen Ort ihrer Aufmerkſamkeit zu wuͤrdigen, 
erklaͤren. 

Von da aug führt N Weg bald durch das Thurgaͤu; 
einen von der Natur mehr beguͤnſtigten Erdftrich, Auch 
hier giebt Bevoͤlkerung, fleißiger Feldbau und Abwechs— 
lung bergichter Gegenden viele Gegenſtaͤnde zu angeneh⸗ 
mer Zerſtreuung, bis auf Weil einem Thurgaͤuiſchen 
Staͤdtchen, welches dem fuͤrſtlichen Kloſter St. Gallen 
zugehoͤrt. Meiſtens nimmt man hier Nachtquartier, wel— 
ches eben nicht in die Klaſſe der vorzuͤglichſten gehoͤrt, 
doch ruhet man hier gerne von einer fuͤnfſtuͤndigen Reife 
durch beſchwerliche Wege aus. 

Die Reiſe von Weil auf St. Gallen iſt anfangs in 
Ruͤckſi icht auf Ausſicht angenehm, bald aber zieht ſich 


\ 
348 Beſchreibung d. Pfefferſer Geſundbrunnen. 


die Straſſe in eine gleichfoͤrmige; meiſt ganz naſſes Torf⸗ 
land enthaltende Ebne; auch trift man in Zeit von fuͤnf 
und einer halben Stunde bis St. Gallen, nur bey Buͤ— 
ren ein Haus, bey einer ſchoͤnen, hoͤlzernen, geſpreng⸗ 
ten Brücke an, welche der Abt von St. Gallen über eis 
nen oft ſtark aufſchwellenden und graͤulich uͤberſchwem— 
menden Strom (die Thur genannt) hat machen laſſen, 
welche niemand ohne dieſen Gedanken zu ſegnen, paßieren 
ſollte. Von da aus durchreist man noch ein großes und 
ein kleines Dorf. Je mehr man ſich der Stadt St. 
Gallen und dem daran ſtoſſenden Appenzellerland naͤ— 
hert, je bergichter wird die Gegend, und ſo genießt 
man auf der ganzen Reiſe das angenehme, der im— 
mer mehr Erſtaunen erweckenden Wige der 
Natur. 

St. Gallen iſt eine wohlgebaute Stadt; die um Dies 
ſelbige liegende Wieſen find mit Leinwand und Baum⸗ 
wollentuͤchern ganz uͤberdeckt: Das ſicherſte Zeichen von 
hauptſaͤchlich kaufmaͤnniſcher Induſtrie, welche auch wirk— 
lich die Seele dieſer Stadt iſt. Dieſer Fleiß und die 
Schuͤchternheit der Bewohner berauben den Durchreifen; 


den des Vergnuͤgens ſie kennen zu lernen. Man muß 


wirklich ſchon Bekanntſchaft haben, um den Weg in die 
Geſellſchaften zu finden, aber dann zeichnen ſie ſich durch 
Hoſpitalitaͤt und freundſchaftliches Betragen aus. Hier 


find die Prachtgeſetze noch im Stande das ſchoͤne Ga 


ſchlecht, doch eben nicht bey der niedlichſten Nationals 
tracht, zu erhalten. Einiche entreiſſen ſich dieſem Zwan⸗ 


ge, indem fie der franzoͤſiſchen Tracht durch eine jaͤhrlich 


zu entrichtende Geldbuſſe den Zutritt erkaufen. Da ich 
es bisher nicht gethan habe, und es mich zu weit von mei⸗ 


nem eigentlichen Zweck abfuͤhren wuͤrde, laſſe ich mich 


nicht ein, meinen Leſern das Verzeichnis der Merkwuͤrdig⸗ 


* 
7 9 
7 


BE 


| 


keiten dieſer Stadt und des Kloſters W da 


5 


Von Herrn Doktor Hirzel jünger. 349 


man dieſe in eigentlichen Reiſebeſchreibungen und andern 
Schriften angezeiget findet. 

Von St. Gallen kann ich meine Leſer wieder durch 
drey verſchiedene Wege fuͤhren. Zwey trennen ſich erſt 
bey Rheinegg, von welchen der naͤhere auf Alſtaͤtten, 
der zweyte binnen einer Stunde uͤber Rhein fuͤhrt. 

Beyde Wege, ſo lang ſie durch das Rheinthal fuͤhren, 
ſind ſehr anmuthig, ſie bringen den Reiſenden bald auf 
Anhoͤhen, welche ihm die Ausſicht uͤber den Bodenſee 
und hinter dieſem eine Strecke Landes, welche ſich in 
dem Auge unuͤberſehbare Flächen ausdehnen, darbieten; 
bald fuͤhren ſie ihn in dem Thale durch die ergiebigſten 
Aecker mit Alleen von Fruchtbaͤumen durchſchnitten; bald 
durch Dörfer; bald dem Rhein nach durch Gegenden, 
welche nicht nur dem Kenner der Landwirthſchaft und 
dem Naturforſcher, ſondern auch jedem, der die Schoͤn— 
heiten der Natur gerne aufſucht, entzuͤckende Freude vers 
ſchaffen. O! wie gerne moͤchte ich meinen Leſern, durch 
Darſtellung der Empfindungen, welche dieſe Gegenden 
in mir erweckten, Freude machen, wenn ich nicht meine 
Einbildungskraft, in einem dermalen kraͤnkelnden Koͤrper, 
auch ſelbſt geſchwaͤcht fühlte, — Doch ich beſchreibe die 
merkwuͤrdigen Gegenden, durch die ich fie nun führe, fo 
gut als es mir moͤglich iſt. Es iſt ja doch nicht darum 
zu thun, ein poetiſches Gemaͤhlde zu liefern; meine Abs 
ſicht iſt nur ihnen den Weg zu zeigen und zu ſagen, daß 
dieſe Reiſe bey vielen Beſchwerlichkeiten, auch viele An— 
muth gewaͤhre. 

Zwey Stunden, verlaͤngert durch eine beſchwerliche 
Bergſtraſſe, verſetzen den Reiſenden, nach dem ihm die 
erſtrittene Anhöhe den Blick auf den nahen Bodenſee zum 
Troſt geſpiegelt hat, nach Rorſchach einem Rheinthali— 
ſchen Flecken, deſſen unterſte Haͤuſer der Bodenſee lieb⸗ 
reich beſpuͤhlt. Seine Anmuth lockte eine Reihe Haͤuſer 


Ta 


350 Beſchreibung d. Pfefferſer Geſundbrunnen. 


dicht an ſein Geſtad, das dem freyen Auge bey ruhigem 
See ringsum denſelben die jenſeitigen Ufer in weiter Ent 
fernung darſtellt, nie ganz entzieht. Von da aus fuͤhrt 
die Straſſe noch eine kleile Weile auf einiger Erhoͤhung 
laͤngſt dem bergichten Ufer des Sees nach, dann aber 
verliert ſich bald dieſe herrliche Szene, und wird nicht 
wieder erſetzt, ausgenommen man finde Schoͤnheiten der 
Natur, nicht nur in großen, ſondern auch in kleinern 
Parthehen, bis man ſich in Rheinegg dem großen, ſanft 
dahin fließenden Rhein zur Seite ſieht. 

Reiſender, wenn du im gemaͤchlichen Reiſewagen ſo 
ſorgenlos und gleichguͤltig dahin rollſt durch die Welt, 
fo muͤßig du in deinem prachtvollen Zimmer keinen an: 
dern Gedanken zu verfolgen haſt, als die Sorge, wie 
du deine Zeit toͤdten wolleſt: Und du Reiſender, den Truͤb— 
ſinn oder Tiefſinn aus phyſiſchen oder moraliſchen Urſa— 
chen entſprungen, fuͤr die Natur, wie ſie auch ſeye, 
groß oder klein, ſchauerlich oder arkadiſch, wenigſtens in 
unguten Stunden dir es gleichguͤltig macht, um dich zu 
ſehen, reiſet nicht ohne Voriks empfindſame Reiſen, oder 
Zimmermanns Buch der Weisheit, das er unter dem 
Titel: „Ueber die Einſamkeit, „Kals ein Labſal für die 
Welt ſchrieb. Leſet, wenn Langeweile oder Unmuth euere 
Augen beneblen, oder laßt euch leſen, bis der Nebel vers 
ſchwindet, dann ſehet um euch, genießet die Natur und 
empfindet, daß Gemaͤchlichkeit Ungluͤck, und Unmuth, 
Chimaͤre ſey. Dann findet der Geiſt neuen Schwung 
und Staͤrke, indem ſich das Aug mit Betrachtung der 
mannigfaltigen Gegenſtaͤnde ermuͤdet; und die Einbils 
dungskraft ſchwingt ſich auf die Stuffe der Begeiſterung, 
wenn man nach ruhigem Anblick gewohnter Gegenſtaͤnde 
in Gegenden verſetzt wird, da man ſich in Arkadien hin⸗ 
gezaubert glaubt. Solche Oerter wechslen laͤngſt dem 
Geſtade des Rheins ab. Bald durchſchneidet die ſanfte 


Von Hrn. Doktor Hirzel juͤnger. 351 


fandreiche Straſſe Garten - ähnlich gebaute Gruͤnde; bald 
geht ſie naͤher dem Fluſſe durch Weiden, wo zahlreiche 
Heerden im Schatten filber»glängender Weyden weiden; 
bald fuͤhrt ſie in Waͤlder von fruchttragenden Baͤumen, 
in deren Schatten glückliche Bewohner ſich zerſtreute Hutz 
ten bauten, nieder und klein, aber bedeckt von herabhan⸗ 
genden Aeſten, welche zur Zeit der wieder erwachenden 
Natur mit der Zierde der Bluͤthen geſchmuͤckt, Ambra 
dem Geruche duften, indem zugleich das Aug entzuͤckt 
wird; oder wenn die Natur nach ihrer Ruhe ſich ſehnend 
ihre treuen Diener mit dem Segen der Früchte lohnt, die 
alle Sinnen zu voller Befriedigung einladen, von ihrem 
Gewichte gebeugt, auf den freundlichen Daͤchern ruhen; 
bald bey Weinbergen vorbey, welche den kuͤhnen Fleiß 
des Bauers mit Nektar lohnen. Elende Pracht engli— 
ſcher Gaͤrten, großer Meiſterſtuͤcke menſchlicher Schwaͤche, 
die zweymal durchwandert die Pein der Langenweile vers 
vielfachen, wie beſchaͤmt euch die liebe Natur! — Wie 
lebhaft ruft dieſe der menſchlichen Kunſt zu, daß alle 
ihre Arbeit nur entfernte Nachahmung ſeye! 

Diefe arkadiſche Gegend, welche 2. Stunden lang am 
genehmer Erſatz des widrigen der erſten Haͤlfte dieſer hal— 
ben Tagsreiſe iſt, wird unterbrochen durch das ſchoͤne 
Staͤdtchen Rheinegg, wo man meiſtens uͤbernachtet. 
Seine Lage am Rhein giebt dieſem Ort vorzuͤgliche Ans 
muth, das aͤußere der Gebäude zeugt von Wohlſtand'; 
und Pallaſt; aͤhnliche Haͤuſer find auch hier Zeichen kauf- 
maͤnniſcher Induſtrie. Sattſam bequeme Wohnung und 
Bewirthung ſtoͤren die Entzuͤckung nicht, in die man ſich 
durch die gemachte Reiſe verſetzt fuͤhlt. 

Hier trennt ſich nun der Weg zum letztenmale. Doch 
ehe ich meine Leſer weiter fuͤhre, muß ich diejenige, wel— 
che Muße genug haben, die Reiſe um einen Tag zu ver— 
laͤngern, wieder auf St. Gallen zuruͤckſetzen und fie auf 


6 N * 
* 6 
nr 4 


* 


N 


352 Beſchreibung d. Pfefferſer Geſundbru vr 


munteru ihr Reiſegefaͤhrt von St. Gallen nach Altſtaͤtten 
oder Rheinegg abgehen, oder in St. Gallen bis auf 
ihre Zuruͤckkunft ausruhen zu laſſen, um entweder zu 
Pferde, oder in der Senfte eine untergeſchobene Neben; 
reiſe, oder kleinen Umweg in das angraͤnzende Appenzel— 
lerland zu machen. Meine Leſer werden ſich wundern, 
warum ich fie von einem fo angenehmen Weg abfuͤhren 
wolle, oder wenn meine Schilderung dieſer zwey Reiſen 
ſie in Verlegenheit der Auswahl ſetzt uͤber mich boͤſe wer— 
den. Nein, das waͤre meine Muͤhe uͤbel belohnt. Sie rei⸗ 
fen ja wieder auf St. Gallen zuruck, und ſetzen erſt 
dann ihre Reiſe nach Rheinegg fort, oder gehen ſie uͤber 
den Berg nach Altſtaͤtten, ſo machen fi fie dieſen Weg auf 
der Ruͤckreiſe von Pfeffers. 

Auf Trogen fuͤhrt der Weg bald 9 St. Gallen 


einen mäßig ſteilen Berg an, hie und da über betraͤcht? 


liche Stellen des oͤdeſten, drockneſten Nagelfluͤhe, welche 
dann aber zu wahrer Erquickung mit Strecken Weges 


abwechslen, welche von beyden Seiten von den ſchoͤn⸗ 


ſten Wieſen eingefaßt ſind. So weit die Straſſe durch 


Fuͤrſtl. St. Galliſches Land gehet, iſt ſie ſehr rohe. Je⸗ 


der Durchreiſende wird wuͤnſchen, ſie ſo verbeſſert zu fe 
hen, als ſie es von den Appenzelleriſchen Graͤnzen bis 
Trogen iſt, wo man ſelbſt mit kleinern Wagen ohne Ges 
fahr fahren kann. Ich kann aber auch meinen Leſern zum 
Troſt ſagen, daß der Fuͤrſt von St. Gallen ſich geäuf 
ſert hat, dieſe Verbeſſerung vorzunehmen. Bald koͤmmt 
man durch Stuͤckgen Waldungen oder nahe bey ſolchen 
vorbey, welche durch das dunkle Gruͤn bejahrter Fichten 
fuͤrchterlich ſind, dann aber wieder angenehm durch das 
mildere Gruͤne des Lercheubaums zu fanfter Ruhe einladen, 
Jeder muͤhſame Schritt des Bergſteigens lohnt ſich über 
allen Wunſch und alle Erwartung mit immer mehr aus 


gebreiteter Ausſicht in die benachbarten Gebirge, welche 
gegen 


1 


| 


3 * 


Von Hrn. Doktor Hirzel juͤnger. 353 


gegen Morgen und Norden ſich in die ausgedehnteſte 
Ebene verlieren, in welcher der Bodenſee, der Rhein, 
und einige kleinere Fluͤſſe in ihrem Silberglanze ſich pie 
geln. Den Vorgrund ziert die Stadt und Kloſter St. 
Gallen mit ihren umliegenden Landhaͤuſern, Bleichen und 
Fabriken, an welche die ſich da vereinigende fruchtbare 
Gegenden des Thurgaͤues und Rheinthales graͤnzen und 
ſich von da bis an den Bodenſee erſtrecken. Wenn die 
Schilderung dieſer Ausſichten mit Geſiners Stärke ges 
mahlt meinen Leſern die herrlichſte Natur darſtellen koͤnn— 
te und ich ſo gluͤcklich wäre, fie in enthuſtaſtiſches Mits 
gefuͤhl dieſer Schoͤnheiten hinzureiſſen, ſo darf ich ſie 
doch mit der groͤßten Zuverſicht darauf vertroͤſten, auf 
dem erhabneſten Theil dieſes Weges nahe bey Speicher, 
dem erſten Appenzelleriſchen Dorfe, auf einer Anhoͤhe 
Voͤgelisegg genannt, eine Ausſicht zu finden, welche nicht 
nur erquickend iſt, ſondern jeden fuͤhlbaren Menſchen, be— 
rauſcht von den Herrlichkeiten der Natur, zur waͤrmſten 
Anbetung des Schoͤpfers auf ſeine Knie hinwirft: Ich 
wage nicht einen Zug an dieſem Gemaͤhlde, es iſt nicht 
zu mahlen, nicht zu beſchreiben, kaum iſt die menſchliche 
Bruſt weit genug, fuͤr das Gewirr der himmliſchen Em— 
pfindungen, welche ſich hier in einen Wirbel ſammeln. 
Hier ſteige man aus, gehe zu dem auf dieſer Anhoͤhe ein— 
zeln ſtehenden Haufe, der an daſſelbe anſtoſſenden Wieſe 
nach bis an den Abhang des Berges, laſſe ſich, wenn 
ber betaͤubende Sturm der Ueberrafchung dieſer Ausſicht 
ein wenig geſtillet iſt, von den freundſchaftlichen Bewoh— 
nern dieſes Hauſes die Lage und Gegenden beſchreiben, 
und er wird mir dieſe Epiſode Dank wiſſen. 

Dieß iſt der Eingang ins Appenzellerland: In ein 
Land durch mildthaͤtige Berge gegen phyſiſche und mora— 
liſche Feinde verſchanzt; ein Land, wo jeder Fuß breit 
Erde und jedes Haͤusgen Induſtrie und Liebe zur Ord— 

Magaz. f. d. Naturk. Helvetiens. III. B. 3 


354 Beschreibung d. Pfefferſer Gelundbrunnen. 05 


nung zeigt; ein Land, wo der Aermſte und der Reichſte | 
gleich frey, gleich Herr, gleich Theilhaber an der Regie⸗ 
rung iſt, wo der Obere nur auf dem Richterſtuhl und 
in dem Audienzzimmer, das bisweilen nur in einem eins 
gegitterten Winkel feiner Wohnſtube beſtehet, Oberer iſt, 
dem aber doch von dem Mitbürger mit mehr Ehrerbie, 
tung begegnet wird, als ſelten die Großen der Welt, 


ſelbſt von ihren Schmeichlern genießen; außer dieſem 


aber ſich als Bürger neben Buͤrger, als Freund neben 
Freund ſtellt. — In das Land, wo das erſte Haupt der 
Regierung zu Fuß einige Stunden Wegs macht, um dem 
Rath beyzuwohnen, und, wenn er zu Hauſe iſt, im Kittel 
der übrigen feiner Mitbürger vor feinem Haufe Bauholz 
zimmert und fo feine Stunden zwiſchen dem Brodkrwerb 9 
für Weib und Kinder und der Sorge für das Beſte des 14 
Vaterlandes theilend, ehender jene als dieſe nach Hilfe 2 
ſeufzen laͤßt, aber dann auch deſto maͤnnlicher und ge⸗ 
ſegneter beyden hilft, und mit der durch Handarbeit abs 
gehaͤrteten Haus die Waage der Gerechtigkeit nur deſto 
fefter hält. — In ein Land, das die Natur, beſonders als 
ihren Liebling, beguͤnſtigt, und geſchül macht fuͤr jede 
Art der Induſtrie, den Feldbau, die die Handlung, die 
Fabriken, die Sennereyen. — Ein Land/ das in allen 
Fächern große Maͤnner erzeuget, nicht fo groß an öffent: 
lichem Ruhme, der oft geringern Verdienſten zufällt, als 
groß zum Segen des Landes. 

Die eigne Geſtalt der Berge dieſes Landen Welches 
gegen Mittag durch die hoͤchſten Schweizergebirge einge; 
ſchloſſen iſt, und die beſondere niedliche Bauart der Haus 
ſer geben ihm ein anmuthiges Ausſehen, das ich nicht 
beſſer ausdrucken kann, als mit den eigenſten Worten, 
womit Frau General von Bauer, welche ich als Arzt 
auf der Reiſe nach Pfeffers und zuruͤck zu begleiten das 
Gluͤck genoſſe, ihre beſondere ane 1 : 


1 ** | 
Vaon Hrn. Doktor Hirzel jünger. 305 


. Land (fagte fie) it ein wahres großes Puppen 
ſpiel. Nur muß man zum Unterſchied von dem, was 
man ſonſt das große Puppenſpiel der Welt nennt, jenes 
Puppenſpiel der Natur, dieſes hingegen Puppenſpiel 
menſchlicher Kunſt nennen. Das Land iſt gan; aus Fleis 
nern und groͤßern Bergen, auf denen allen man verge— 
bens ein Fleckgen unbebauten Bodens ſuchte, zuſammen— 
geſetzt und dieſe im eigentlichen Verſtand genommen, mit 
hohen hoͤlzernen Gebaͤuden, welche ſich hie und da in 
Doͤrfer zuſammenreihen, uͤberſaͤet. Dieß iſt es, was 
obigen Ausdruck von Puppenſpiel, mit Recht veranlaßte. 
Auch hier hat die Prachtliebe großer Kaufleute ſteinerne 
gemauerte Gebaͤude errichtet, welche kleinen Pallaͤſten 
ahnlich ſind, deren innere fo geſchmackvolle als koſtbare 
Aus zierung dem aͤußern völlig entſpricht. Neben dieſen 
ſtellte dann der ſimplere, laͤndliche, aber gleichwohl oft 
ſehr reiche Mann hoͤlzerne Haͤuſer, die im Verhaͤltniß des 
Geſchmacks gleichen Hang zu Pracht und Koſtbarkeit 
mit laͤndlicher Simplizitaͤt verbunden ſpiegeln. Ich könn— 
te meine Leſer durch Beſchreibung des beſondern National— 
karakters dieſes Volks nach dieſer Reiſe lüfterner machen, 
wenn es mich nicht zu weit abfuͤhren wuͤrde. 

Speicher und das eine halbe Stunde davon entfernte 
Dorf Trogen ſind die zwey einzigen Oerter des Cantons 
Appenzell, durch welche der Weg nach Altfiätten führt, 
oder wohin ich meine Leſer zu reiſen berede. Dieſe zwey 
Doͤrfer geben indeß allen Anlaß, die Beſchaffenheit des 
Landes und feiner Bewohner kennen zu lernen, da beydes 
in dem proteſtantiſchen Theile des Cantons, den man 
Außer⸗Rhoden nennt, ſehr gleich iſt. Von Trogen aus 
beſteigt man ohne große Muͤhe durch einen hie und da 
ſehr unſanften Weg, der aber durch Abwechslung und 
Ausficht angenehm wird, den Gipfel des Altſtaͤtterberges, 
an deſſen Fuſſe auf der ſuͤdlichen Seite die Rheinthaliſche 


4 TR 
f * 01 


358 Beſchreibung d. Pfefferſer Geſundbrunnen. 


Stadt Altſtaͤtten liegt. Muͤhſamer und fuͤrchterlicher iſt 
der Weg, den ſteilen Berg gegen Altſtaͤtten hinunter zu ö 
ſteigen, ein meiſt vertiefter, übel unterhaltener, in Zick N 
zack geleiteter, gepflaſterter Weg führe über dieſen beyna⸗ 
he ſenkrecht ſtehenden Berg ab, ein Weg, der nur zu Pferd 
oder zu Fuß gemachet werden kann. Der Gipfel dieſes 
Berges troͤſtet den Reiſenden mit einer gedehnten Ausſicht, 
einer betraͤchtlichen Strecke des Rheins nach, bis an den 
Bodenſee. Diesſeits deſſelben macht die Stadt Altſtaͤtten 
und einige Dörfer den Vorgrund, jenfeits Rheins liegen 
verſchiedene Kaiſerliche Doͤrfer, hinter welchen Gebirge 
und zu hinterſt die hohen Tirolerberge der weiten ſchoͤnen 
Aus icht die Graͤnzen ſetzen. Von St Gallen bis Trogen 
rechnet man zwey Stunden Wegs und ſo viel von da bis 
nach Altſtaͤtten. In Trogen darf ich meinen Leſern einen 
laͤndlichen aber reinlichen Gaſthof und eben fo gute Be⸗ 
wirthung, welche durch die Produkte der Alpen, Milch, 
Butter, Honig und das ſchoͤnſte weiſſeſte Weitzenbrod, 
das nach meinem Geſchmack einen groſſen Vorzug verdient, 
verſprechen. 4 
Von Rheinegg, wohin meine Reisende, welche fich des 
Wagens bedienen, uͤber St. Gallen zuruͤck reiſen muͤſſen, 
fuͤhrt eine und eine halbe Stunden lang eine gute Straſſe, 
durch eben ſo romantiſche Gegenden dem Rhein nach, bis 
nach Mondſtein einem Rheinthaliſchen Doͤrfgen am Fuſſe 
eines Berges, auf dem ein Schloͤßgen und ein ſchoͤnes 
Landhaus bey Ruinen eines alten Schſoſſes ſehr mahles 
riſch angebracht ſind. Hier trennt ſich der Weg, indem 
man entweder uͤber Rhein oder auf Altſtaͤtten zu reiſt. 
Ueber Altſtaͤtten hat man bis Ragaz vierzehen Stunden; 
da hingegen uͤber Feldkirch man fuͤnfzehen zu machen hat. 
Die Reiſe über Altftätten iſt viel muͤhſamer; an einigen 
Orten fuͤrchterlich und bey ſtarken Regenguͤſſen gefaͤhrlich, 
indem man einen Waldſtrom, der oft austritt, paßiren 


N 
7 


Von Hrn. Doktor Hirzel juͤnger. 357 
muß. Eine Strecke Wegs uͤber den Schollenberg geſtat— 
tet groſſen Wagen den Paß nicht, die Straſſe iſt in eis 
nen Felſen eingehauen, der ſie alſo von der einen Seite 
einfaßt, da auf der andern Seite ein Maͤuergen die Land— 
veſte gegen dem Rhein, der in einer fuͤrchterlichen Tiefe 
am Fuſſe des ſteilen Berges hinſtroͤmt, machen muß. An 
einigen Stellen deckt der Felſen die Straſſe in Form eines 
niedern Gewoͤlbes. Auch beym Hirſchenſprung fuͤhrt die 
Straſſe 100. Schritte lang, durch ein Berggewoͤlb. Selt— 
ſam wechſelt auf dieſem Weg die ſanfte und wilde Natur 
ab und zwoͤlf Oerter, die man durchreiſt, tragen ebenfalls 
bey, die Reiſe angenehm zu machen. Doch werden mei— 
ne Leſer lieber von Moßſtein über den Rhein, durch eine 


ſehr ſchoͤne Straſſe reifen. 


Im Moßſtein wird man durch ein ziemlich unhoͤfliches 
und ungeſtuͤmmes Gekreiſch (ſo nenn' ich den ſonderbaren 
Dialekt, den dieſe Leute aus vollem Halſe muͤhſam her— 
ausſtoſſen) der ſogleich ſich anbietenden Schiffleute, ein 
bisgen unſanft aus der anmuthvollen Begeiſterung, in 
welche die bisherige Reiſe verſetzt hat, geriſſen. Dieſe 
Leute ſind ſogleich beſchaͤftigt die Pferde loszuſpannen und 
- fie mit den Wagen auf ein Schiff zu bringen, in welchem 
ſich dann die Reiſende im Wagen ſitzend, oder auſſert dem— 
ſelben im gleichen Schiffe ſtehend, in wenigen Minuten 
in einem ganz freyen Schiff doch ſicher uͤber den Rhein 
fuͤhren laſſen. Ich weiß nicht, iſt es Traͤgheit oder Stolz, 
daß die Schiffleute nicht Pferd und Wagen in beſondern 
Schiffen überführen wollen; genug, ich war Augenzeuge, 
daß ſie ſelbſt gegen eine Zierde des ſchoͤnen Geſchlechts, 
auf deren Geſichte ſich Furcht und Angſt nur zu lebhaft 
gezeichnet hatten, ſo wie gegen ihren ſanft bittenden Ton 
ganz unerbittlich waren. Meine Leſer moͤgen daraus leicht 
abnemmen , daß ſich mit dieſen Leuten nicht viel Worte, 
wenigſtens nicht in Güte wechſeln laſſen und was Strenge 


358 Beſchreibung d. Pfefferſer Geſundbrunnen. 


wirkte, habe ich nicht erfahren. Die Leute ſahen mir ſo 


entſchloſſen aus, daß ich allenfalls das Endurtheil haͤtte 
erwarten muͤſſen, ich ſollte ohne fie über den Rhein fah⸗ 
ren: Auch kann man ſich's gefallen laſſen, daß ein wohl; 
denkender Pater aus Erziehungstrieb dem zwoͤlffaͤhrigen 
Jungen das Steuerruder um ſich zu uͤben in die Hand 


giebt. Doch verſichere ich aus eigenſter Erfahrung, daß 


die Seelenruhe, welche dieſe Leute in Minen und Geber; 
den aͤuſſern, die Furchtſamkeit der Reiſenden in ruhige Er⸗ 
gebung verſetzt. Meine Leſer werden ſich ſo gerne als ich, 
auf den Reiſen willig unter die Befehle aller Menſchen 


von deren Hilfe fie abhangen, ſchmiegen. Muß doch der 


Kranke ſich der Treue und Sorgfalt des Arztes, der Be— 
draͤngte dem Schutz des Rechtsgelehrten und ſo jeder 


Menſch dem andern ſorgenlos anvertrauen, denke ich und 


bin ruhig. 


Von dem Ufer des Rheins an, hat man noch fuͤnf 


Stunden bis auf Feldkirch zu reiſen. Auch dieſe Reiſe 
iſt durch oͤftere Abwechſelung der Gegend und Ausſicht 


anmuthig. Bald fuͤhrt der Weg durch Doͤrfer, welche 


eben nicht immer von dem groͤßten baͤuriſchen Wohlſtand 
zeugen, bald durch Torfried, bald uͤber Anhoͤhen, durch 


Heiden und Waldungen. Je mehr man ſich Feldkirch naͤ 


hert, je bergichter wird die Gegend. Dieſe Stadt ſelbſt 
liegt in einem Thale, zwiſchen Bergen, welche obgleich 
ſehr ſteil, dennoch auf eine beträchtliche Anhöhe mit Wein⸗ 
reben beſetzt ſind. Ich uͤbertreibe es nicht, wenn ich ſchon 
ſage, daß an ganz perpendikular laufenden Felſenwaͤnden 
Weinberge hingepflanzt find, deren Bepflanzung aͤuſſerſt 


muͤhſam ſeyn muß, da ſie faſt unmoͤglich ſcheint. Das 


Schloß iſt auf einem wilden Felſen, aber fuͤr die Aus ſicht 
ſehr vortheilhaft gelegen. Am Fuſſe dieſes Berges zwingt 
ſich der Illfluß zwiſchen nackten Felſen in betraͤchtlicher 


Tiefe ungeſtuͤm durch, zur Seite der Stadt vorbey, fo 


2 — 1 
r 


15 


Von Hrn. Doktor Hirzel jünger. 389 
daß er dieſelbe von der Vorſtadt trennt. Wenige Schritte 
fuͤhren unterhalb der Bruͤcke, ſo uͤber die Ill gehet, auf 
Felſen, welche dieſen Fluß in ein fo enges Bette einſchlieſ⸗ 
ſen, daß man ihn zwiſchen zwey Felſen, auf die man 
ſicher ſtehen kann, unter und zwiſchen feinen Fuͤſſen durchs 
laufen ſieht. Es wird nur eine kleine halbe Tagreiſe er— 
fodert, um von Feldkirch auf Faduz zu kommen. Da der 
Reiſende durch Verlaͤngerung dieſer halben Tagreiſe keinen 
groſſen Vortheil erreicht und hingegen in Ruͤckſicht auf die 
Bewirthung hier beſſer gehalten wird, als in Balzers, 
wohin man noch zwey Stunden zu fahren hat, ſo muß 
ich ihm Faduz zum Nachtquartier empfehlen, weil er gleichs 
wol am naͤchſten Morgen bey guter Zeit in Ragaz ankommt 
und wenn er einiges Gepaͤck mitbringt, doch nicht vor 
Abend bis nach Pfeffers kommen kann, indem die Zuruͤ⸗ 
ſtungen zum Tragen der Reiſenden und ihrer Waaren eis 
was langſam gehen. 

Sobald man von Feldkirch abreiſt, erweitert ſich die 
Aus ſicht ſehr angenehm, indem die Straſſe laͤngſt einem 
Berge fortgehet, von da aus man zur Seite und vor ſich 
hin die geoͤffnete Ausſicht bis an den Rhein und uͤber 
dem Rhein in die Herrſchaft Sax, Werdenberg u. ſ. f. 
und gegen verſchiedene Schweitzergebirge hat. 

Ein Abend, den ich in der angenehmen Geſellſchaft mei 
ner beobachtenden und theilnemmenden Reiſenden in Fa- 
duz zubrachte, hat mir zu viel Vergnuͤgen verſchaft, als 
daß ich es mir verſagen koͤnnte, hier eine zwar ſchwache 
und kalte Schilderung deſſen, was ich da ſahe und empfand, 
beyzufuͤgen. Ein Spaziergang lieſſe mich die anmuthige 
Lage dieſes Orts betrachten. Das haͤuſerreiche Dorf iſt 
an einem ganz bebauten amphitheatraliſchen Berge ſo zer— 
ſtreut, daß es dadurch ein ſehr ſchmeichelhaftes Aeuſſeres 
bekommt; eine freye Ausſicht gegen Buͤndten und die an— 
graͤnzenden Schweitzeriſchen Bezuke und Berge und zus 


Eu 


360 Beſchreibung d. Pfefferſer Gefimdbrumnnen. 


gleich eine fuͤr die Geſundheit vortheilhafte Lage genießt. 

In einicher Entfernung verſpricht das ſchoͤne Ausſehen 
dieſer Haͤuſer fo viel, daß man bey naͤherer Beſichtigung, 
welche dann mehr Armuth als Wohlſtand zeiget, nicht obs | 
ne Ruͤhrung ſich getaͤuſcht fühlen muß. Dann aber wird 
man wieder durch das geſunde Ausſehen der Einwohner 

und ihre gute Kleidung getroͤſtet. Meine Leſer werden 

hier zum Theil etwas Widerſprechendes finden, welches | 
ſich aber wohl erklaͤren läßt, wenn man weiß, daß ge. 
wiſſe Doͤrfer, Gegenden, ja ſogar Staͤdte und Laͤnder in 
der Bauart ſo viel Nachlaͤßiges haben, daß man mehr 
Acmuth erwartet, als ſich bey genauer Unterſuchung zei— ö 
get, und umgekehrt. Dieſe Leute ſchienen mir beym er— 

ſten Anblicke ſo froſtig, trocken und grob, allein der Zu— 
fall, der mich ihnen ein wenig naͤher brachte, lehrte mich 

zu meiner größten Freude, daß ſuperfizielle Beobachtuns 

gen ſehr leicht verfuͤhren. Sie wurden bald vertraulich 

und geſpraͤchig, ſo daß ich uͤber mediziniſche und land⸗ 
wirthſchaftliche Gegenſtaͤnde die ordentlichſten Berichte er— 

hielt und dabey bemerkte, daß dieſe Leute arbeitſame und N 
vernuͤnftige Bauren ſeyen. Sehr viel Freude verſchafte 
uns das groſſe Gefolg meiſt wohlgewachsner artiger Kin⸗ 

der von der niederſten bis auf die hoͤchſte Stuffe des Fin, 
deralters. Ich weiß nicht, ob die ihnen ungewohnte Klei⸗ 
Dertracht ihre Neugierde gereitzt haben mag, fie verfolgten 

uns mit unſchuldigem Gelaͤchter, wichen aber zuruͤck, ſo⸗ 

bald wir mit ihnen ſprechen wollten. Doch auch dieſe wur⸗ 

den beredt und fo traulich, daß fie, nach einer langen Erz 
oͤrterung, ob es wol thunlich ſeye oder nicht, uns friſche 
Erdbeeren, fo fie heute (es war Feyertag) für ihre Freu⸗ 

de geſammelt hatten, anboten und nachdem ſie zu ihrer 
beſtuͤrzenden Freude eine überaus groſſe Bezahlung em; 
pfangen hatten, ung freundlich zwangen, fie wenigſtens 
auch zu koſten, dann aſſen ſie den Ueberreſt zu unſerm 


* 


Von Hrn. Doktor Hirzel jünger. 381 


größten Vergnügen in unſchuldiger Freude munter und 
vergnuͤgt gemeinſchaftlich auf. Dieſe kleine Geſchichte war 
mir ein phyſiognomiſches Fragment, das mir dieſe Kin— 
der lieb machte und meine Karakteriſtik der aͤltern Be— 
wohner dieſes Orts rechtfertigte. 

Neben der Freude, welche mir die gemachte Bekannt— 
ſchaft und Beobachtung der Natur in dem Menſchen ver— 
ſchafte, erquickte mich auch das uͤbrige Anmuthige der 
Natur dieſes Orts. Kaum hundert Schritte auſſer dem 
Dorfe, an deſſen Ende Kirche und Pfarrhaus ſtehen, ſetzt 
man ſich ſehr gerne in den Schatten eines kleinen Eich— 
waͤldchens, ſieht bald den mit Haͤuſern beſaͤeten Berg, 
bald deſſelben rohern Theil, von dem ſich uͤber eine 
Stelle ſchroffen, mit Baͤumen und Geſtraͤuch umgebenen 
Felſens ein Waſſerfall von betraͤchtlicher Höhe herabſtuͤrzt; 
oder man läßt fein Auge gierig mehr Phantomen als er; 
kennbare Gegenſtaͤnde auf den entfernten hohen Buͤndtner— 
gebirgen ſuchen; dann wieder in dem etwas naͤher gelege— 
nen obgleich meiſt oͤden Bette des Rheins, beſonders aber 
auf den wenigen Stellen, welche der eiſerne Fleiß dem— 
ſelben entriſſen und fruchttragend gemachet hat, ausru— 
hen und genießt zum Beſchluß das unbeſchreibliche Schoͤ— 
ne, ſo die untergehende Sonne in dieſen Berggegenden in 
reichem Maaſſe darbeut. 

Nun iſt es noch um eine halbe Tagreiſe zu thun, ſo 
ſtoſſen wir in dem Mittelpunkt der drey vorgezeichneten 
Reiſen zuſammen. Auch dieſer Weg muß denen angenehm 
ſeyn, welchen die Freuden über die Schönheit der Natur 
den Verdruß uͤber langſame und beſchwerliche Reiſe ſo 
uͤberwiegend macht, als fie bey mir immer auf allen meis 
nen Reiſen waren, und ſeyn werden. Hoffentlich wird 
ſich niemand durch dieſe kleine Beſchwerlichkeiten abſchre— 
ken laſſen, dieſe herrlichen Schaͤtze der Natur, welche der 
Schöpfer unſerm ſonſt in allem eingeſchraͤnkten Schweigens 


\ 


362 Beſchreibung d. Pfefferſer Geſundbrunnen. 


laͤndchen geſchenkt hat, zu beſehen und anzuſtaunen. Darf 
ich mir ſchmeicheln, durch meine Beſchreibung Luſt erweckt, 
oder den noͤthigen Muth ermannt zu haben, ſo bin ich es 
der Wahrheit ſchuldig zu ſagen, daß alle dieſe Beſchrei— 
bung nur matte Skizze eines Gemaͤhldes ſeye, das die 
Kunſt des groͤßten Meiſters zuruͤckſchrecken wuͤrde. | 

Kranke, die ihr dieſe Reiſe zu Wiederholung und Bes 
feſtigung der Geſundheit machen muͤſſet, unternemmet ſie b 
mit Vergnuͤgen, das Entzuͤckende der Natur, das euch 
erwartet, wird in euere Seelen Wonne gieſſen. Die fri— 
ſche Luft und die Bewegung, dieſe wohlthaͤtige Arzney, 
welche man euch oft ſo vergeblich empfiehlt, die ihr da 
gezwungen gebrauchen muͤſſet, muß euere Natur ſtaͤhlen. 

Von Faduz weg hat die Straſſe noch eine und eine 
halbe Stunde lang bis auf Balzers, wo man Vorſpann 
nemmen muß, um bis auf Luzienſteig einen beträchtlichen 
Berg zu beſteigen, die gleiche Lage. Bald auſſer Balzers 
wird man in ein engeres Bergthal eingeſchloſſen, auf deſſen 
pflanzenreichen Wieſen, wo ſie an den Berg ſtoſſen, man 
beträchtliche Stücke losgeriſſener Felſen ſieht, welche von 
Zeit zu Zeit herabfallen. Da das aber ſelten und nur im 
Anfang des Fruͤhjahrs geſchiehet, da die Felſen durch Näffe 
und Kaͤlte verwittert ſich losmachen, ſo darf man gleich⸗ 
wol ohne Furcht hier durchreiſen. Obgleich die Straſſe 
über einen beträchtlich hohen Berg führt, ſo hat fie doch 
den Vortheil, daß ſie wohl gebaut iſt, wenigſtens hab ich 
ſie ſanft ſchlafend durchreiſet, bis mich der een zu 
Bezahlung des Vorſpanns geweckt hat. f 

Auf dieſer Hoͤhe, St. Luziſteig genannt, hat die Natur 
zwiſchen Deutſchland und dem Buͤndtnerland. Graͤnzen ge⸗ 
ſetzt, welche dieſes mit einer Art von Schanze und Ring- 
mauern noch mehr befeſtigt hat. Eine Fallbruͤcke fuͤhrt 5 
durch ein Thor in die Feſtung, durch welche die Rande 
ſtraſſe fortgeht. Gar feindſelig ſieht uͤbrigens dieſe Seſung 


Von Hrn. Doktor Hirzel finger: 36z 


nicht aus, da ein einziger Zollbedienter, der von den Durch⸗ 
reiſenden die Gebuͤhr einzieht, die ganze Beſatzung Pr 
macht. 


Von St. uziſteig fuͤhrt eine ganz neue Straſſe eben 0 


ſteilen Berg ab, als man ihn auf der andern Seite beſtie— 
gen hatte, auf Meyenfeld, ein Buͤndtneriſches Staͤdtchen, 
wo man auf der Ruͤckreiſe ebenfalls Vorſpann nemmen 
muß. Auf der Höhe bey Meyenfeld, wo die Bergſtraſſe 
wieder an Tag tritt, genießt man eine ſchoͤne Ausſicht, 
über ein wohlkultiviertes Thal, welches der Rhein durch 
ſchneidet, oft aber groſſe Bezirke deſſelben uͤberſchwemmt 
und fo ſich ein weites Bette macht, durch welches man fah— 
ren muß, ehe man an die Zollbruͤcke kommt. Sehr willkom⸗ 
men iſt den Reiſenden die Anblick des Kloſters Pfeffers, ob- 
gleich noch in betraͤchtlicher Entfernung. Seine Lage auf 
einem hohen und wilden Berg macht dem mit Bergen noch 
nicht bekannten Reiſenden bange, dient aber zu einer Vor 
bereitung, welche den Eintritt in dieſe Berggegend erleich— 
trert, da man dies ſonderbar liegende Gebaͤude binnen 
zwey Stunden nicht aus dem Geſichte verliert. Von der 
Zollbruͤcke an faͤhrt man noch einige Zeit dem Geſtade des 
Rheins nach und genießt die Ausſicht gegen einige Buͤndt— 
neriſche Oerter, bald aber zieht ſich die Straffe gegen Ra: 
gaz, den Ort, von wo aus ich meine Leſer alle durch den 
gleichen Weg in das Pfefferſer-Bad fuͤhre. 


Reife von Ragaz ins Pfefferſer⸗Bad. 


Da man ſich in Ragaz aufhalten muß, ſo kann ich 
nicht unterlaffen, dieſen Ort mit wenigen Worten zu ſchil- 
dern, obgleich ich es nur mit inniger Wehmuth thun kann. 
Die Schuld des Elendes, das hier, ich nemme zwey eins 

zige Haͤuſer aus, unter allen Daͤchern hervorblickt, iſt 
nicht ganz der Natur zuzuſchreiben. Der Ort iſt mit GW 
tern aller Art umgeben, ſogar mit Weinbergen; die Lage 


* 


364 Beſchreibung d. Pfefferſer Geſundbrunnen. 


am Fuß eines dicht mit Waldungen beſetzten Berges, in 
einem nicht gar engen Bergthal, welches gegen Morgen 
an den Rhein und einen Theil des Buͤndtnerlandes, ge— 


94 


gen Norden und Weiten in die etwas entfernte verfchiedes 
ne Schweizeriſche Berge eine anmuthige Aus ſicht hat, find 
unſtreitig groſſe Vortheile. Der Tamin, ein Bergſtrom, 


der ſich mit groſſem Ungeſtuͤm durch ſein ſehr gedraͤngtes 


Felſenbett hinter dem Doͤrfgen herabſtuͤrzt, giebt einen der 


ſchoͤnſten Anblicke, aber ſeine Wildheit, da er ſehr oft 
groſſe Felſenſtucke, Geſtraͤuche und Baͤume mitreißt, die, 
wenn ſie ſich in dem engen Bette ſtecken, ein Anſchwellen 
des Waſſers verurſachen, wird dieſem Orte nicht ſelten 


zur größten Gefahr, indem er ihn unter Waſſer ſetzt und 


mit Steinen und Sand aufhaͤuft. Daher der fuͤrchterli— 


che Anblick einiger Haͤuſer, deren erſtes Stockwerk, wel- 


ches vorher auf der Oberflaͤche ſtand, nun ganz fouterz 
rain iſt. 
So wie das Waſſer zu Entſtellung, oder vielmehr Verben 


rung dieſes £ Orts beytraͤgt; fo litte es auch zu verſchiedenen 


Malen Verheerungen des Feuers, deren traurige Ueberbleib— 
ſel dieſen Ort noch trauriger darſtellen. So elend das Aeuſ— 
ſere dieſes Orts iſt, ſo elend erſcheinen die Bewohner deſſelben. 
Sie ſind nicht nur ſchlecht, ſonder wirklich in Lumpen geklei⸗ 
det; ein Zeichen von aͤuſſerſter Nachlaͤßigkeit, welche die: 
ſen Leuten um ſo weniger zu verzeihen iſt, da ſie den Som— 
mer uͤber, beynahe alle Tage, neben ihrem Guͤterbau, oder 
anderem häuslichen Verdienſt, durch das Tragen der Rei⸗ 
ſenden und ihres Gepaͤcks auf Pfeffers einen ſchoͤnen Lohn 
erwerben. Wenn man ſie aber im Wirthshauſe den zum 
Geldlohn akordirten Wein, von dem fie richtig die Hälfte 


den Ihrigen bringen koͤnnten und vielleicht noch eine Por- 


tion zu dieſem fuͤr ihr verdientes Geld wegtrinken ſieht, 


fo empfindet man gar bald, daß hier nicht viel von In- 


duͤſtrie und Wirthſchaft zu erwarten iſt. Das Wirthshaus 


Von Hrn. Doktor Hirzel jünger. 365 
wo man abſteigen muß, litte in Ruͤckſicht auf Bewirthung 
und beſonders Reinlichkeit noch betraͤchtliche Verbeſſerung. 
Daher verſehen ſich Reiſende, welche uͤber dieſen Artickel 
empfindlich ſind, in Faduz, wo ſie uͤbernachten, gerne 
mit kalter Kuͤche. 

Sobald Fremde hier abſteigen, ſo finden ſie ſich um— 
ringt von Leuten, welche in einiger Rangordnung, die ſie 
nicht unterbrechen doͤrfen, ihre Dienſte anbieten. Alles 
Gepaͤcke wird gewogen und ſo gut als moͤglich auf die 
Trager vertheilt. Man bezalt fuͤr hundert Pfund einen 
Gulden (den Louisd'or zu eilf Gulden) und eine Maaß 
Wein mit Brod, welches man ihnen in Pfeffers ausbe— 
zalt und geben laͤßt. Eine Perſon zu tragen braucht man 
vier Maͤnner (bisweilen ſchmiegen ſich auch Weiber unter 
dieſes Joch) und dafuͤr bezalt man zwey Gulden und auf 
den Trager eine und eine halbe Maaß Wein. Dies iſt der 
von dem Fuͤrſt zu Pfeffers geſetzte Preis. Zu Beſorgung 
der Reiſewagen, muß man ſich ſelbſt eine Remiſe auf- 
ſuchen. 5 

Ehe ich meine Leſer abreiſen laſſe, muß ich fie noch bit⸗ 
ten, an den Tamin, der nur wenige Schritte von dem 
Wirthshauſe entfernt iſt, zu gehen. Er ſtuͤrzt ſich mit 
lautem Getoͤße uͤber verſchiedene Felſenſtuͤcke hin und giebt 
zugleich einem in den Felſen kuͤnſtlich eingegrabenen Kanal 
überflüßig Waſſer, eine Mühle zu treiben; läuft dann zur 
Seite des ſchoͤnen Gebaͤudes, worein das Fuͤrſtliche Klo— 
ſter Pfeffers einen ſeiner Konventualen als Statthalter 
ſetzt, vorbey, und ergießt ſich in den Rhein. 

Nun muß ich noch zum Beſchluß die eigene Art von 
Reiſegefaͤrth beſchreiben, deſſen man ſich bedienen muß, 
wenn man nicht den zweyſtuͤndigen Bergweg entweders 
zu Fuß, oder Pferde, welches aber ſehr muͤhſam iſt, mas 
chen will. Maͤnner, auch ſelbſt der robuͤſtere Theil des 
ſchoͤnen Geſchlechtes machen dieſen Weg am beßten zu Fuß. 

* 


366 Beſchreibung d. Pfefferſer Geſundbrunnen. 
Man hat von zwey Stunden zwey Fuͤnftheile zu ſteigen, 
einen Fuͤnftheil beynahe eben und zwey Fuͤnftheil Berg ab 
zu machen. Doch thut man, beſonders zaͤrtliche oder 
kraͤnkliche Perſonen wohl, fuͤr alle Fälle fi zu fichern, 
einen Seſſel nachtragen zu laſſen. Waͤhrend dem die e 
nen der vorhin geſchilderten Maͤnner und Weiber mit Pa⸗ 

cken und Aufladen beſchaͤftigt find und ſachte Mann für 

Mann bergan ſteigen, ruͤſten die andern die Seſſel, auf 
denen man getragen wird. Dieſes find alte ſimple Lehn⸗ 

ſeſſel, deren Sitze entweder ein Brett, oder von Stroh 
geflochten ſind; an dieſen befeſtigen ſie auf jeder Seite, 
alſo immer an zwey Beinen des Stuhls eine lange feſte 
Stange, welche den Mittelpunkt des Seſſels einſchlieſſen, 
in dieſen ſetzt man ſich und laͤßt ſich die Fuͤſſe aufzuſtellen 
queer uͤber ein Stuͤckgen Holz nach ſeiner Bequemlichkeit 
durch Stricke fo befeſtigen, daß dieſe Fußſchemel ſchwe⸗ 
bend hangen. Dann ſchwingen bier Kerls den Stuhl mit 
dem Reiſenden gar geſchickt auf ihre Schultern und reiſen | 
fort. Dieſe Burſche an dieſe Arbeit gewoͤhnt, haben den 
gleichen Schritt und tragen alſo ganz ſanft. Ich habe die 
Probe ſelbſt gemacht und mich nicht uͤbel dabey befunden, 

obgleich ich auch ſehr gerne zur Abwechslung gieng. Uns 
terhaltend iſt es, feine Trager zu beobachten, bald wech- 
ſeln ſie im Gehen, ohne Halt zu machen, ab, ſo daß der 
Rechte auf die linke Seite zu ſtehen kommt, oder daß die 

Hintere der Vorderen Stelle einnemmen. Bisweilen tras 

gen die Vorderen die Stange hoch auf den Haͤnden und | 
die Hinteren nieder, oder umgekehrt, nachdem es bergan 

oder ſteil abwärts gehet. Oft heben fie den Stuhl in en⸗ 
gen Bezirken über eine Hecke, oder ein groſſes Felſenſtuͤck, 
oft reihen ſie ſich, da ſie ſonſt zwey und zwey neben ein- 
ander gehen, hinter einander, und dies alles mit bewun⸗ 
derungswuͤrdiger Fertigkeit. Ueberdies ſind ſie ſehr ge⸗ 

ſpraͤchig unter ſich und mit dem Reiſenden, wenn man 


WM” 


* 33 
a Von Hrn. Doktor Hirzel juͤnger. 367 
; 
ſich mit ihnen einlaͤßt. Man gewöhnt ſich in der erſten 
Viertelſtunde an die neue, eigene, im Anfang fuͤrchterliche 
Art zu reiſen, ſo daß man alle Furcht verliert. Frau von 
Bauer trieb die Herzhaftigkeit, zwar durch ſtarken Regen, 
der uns auf der Ruͤckreiſe vom Kloſter Pfeffers ins Bad 
unerwartet uͤberraſchte, gezwungen, ſich durch eine in den 
faſt ſenkrechten, ſchieferichten Felſen eingehauene Bergtrep— 
pe hinuntertragen zu laſſen. Sie hatte nicht die mindeſte 
Furcht, aber mir grauete ſo vor der Gefahr, da ein Miß— 
tritt einer der vier Trager ſie ohne anders ihres Lebens 
beraubt haͤtte, daß ich ihr in Pfeffers das Compliment 
uͤber ihren Heldenmuth vor der geſammten Trinkgeſell— 
ſchaft zu jedermanns Warnung mit der beſtrafenden Bitte 
wuͤrzen mußte, ſich nie mehr ſolcher Gefahr bloß zu fels 
len. Dies heroiſche Beyſpiel zeigt indeſſen meinen Leſern, 
wie leicht man ſich an alles gewoͤhnt. 

Der Weg ſelbſt von Ragaz auf Pfeffers war fuͤr mein 
Gefuͤhl einer der anmuthigſten und merkwuͤrdigſten. Man 
kommt neben einigen Haͤuſern vorbey, in einem anfangs 
ziemlich breiten Fußſteig, der dann oft durch Felſenmaſ— 
ſen, welche in dem Wege liegen, oder durch welche viel; 
mehr der Weg ſich gebahnet hat, enger gemacht wird. 
Anfangs führt er durch eine Strecke anmuthigen Laub— 
holzes, dann wieder uͤber oͤde felſichte Stellen, welche 
dann wieder mit dem ernſteren Tannwalde abwechſeln. 
Waͤhrend der erſten Haͤlfte des Wegs hoͤrt man faſt im— 
mer das Geraͤuſche des Tamins mehr oder weniger enk— 
fernt. Bisweilen zeigt er ſich zur angenehmſten Abwechs— 
lung des Schauſpiels, zwar nur in kleinen Stuͤcken erſt 
parallel mit dem Weg, in weiterem Verfolg immer in 
tieferem, engerem Thale. Bis man die Hoͤhe des Berges, 
welche aber nie ganz eben wird, erſtiegen hat, iſt die Aus 
ſicht auf den dem zu erſteigenden jenſeits des Tamins im— 
mer zur Seite laufenden gleich hohen Berg eingeſchraͤnkt, 


! 


368 Beſchreibung d. Pfefferſer Sefundbeumnen. . 


welcher aber durch die Abwechslung verſchiedener Wal⸗ 


dungen, Wieſen, einiger Aecker und der nackten Felſen, 


welche Gegenſtaͤnde durch die Beleuchtung und Schatti⸗ 
rung ſich bey jeder Wendung des Weges zur Bewunde— 
rung veraͤndern, ſehr viel Anmuth erhält. Je naher der 
Gipfel des Berges, um fo deutlicher zeigen fich erſt eini⸗ 
che Nebengebaͤude des Kloſters Pfeffers ſelbſt. Hat man 
den Berg beſtiegen, ſo befindet man ſich von noch hoͤhe— 
ren Gebirgen, da man erſt ein wenig uͤber den Fuß des 
Galanda erhaben iſt, umgeben, doch oͤfnet ſich auf die 
Gegend des Rheins, die man paßirt hat, eine reitzende 
Ausſicht. Die rohe waldichte Berggegend aͤndert fich in 
eine mit ſchoͤnen Bergwieſen, Wenden und Aeckern bes 
pflanzte bergichte Ebene lieblich ab, und bald iſt man in 
dem Doͤrfgen Valens, deſſen Ganzes Duͤrftigkeit verraͤth. 
Die Einwohner ernaͤhren ſich durch ihren wenigen Feld— 
bau, groͤßtentheils aber, durch den ergiebigeren Verdienſt 
bey den Brunnengaͤſten in Pfeffers, die ſie bedienen, und 
durch das Tragen von Pfeffers auf Ragaz zuruͤck. 


(Die Fortſetzung kuͤnftig.) 


un 


Zur meift 
Der 
Lobl. Phyſikal. Oekonomiſchen 
Gee nch 
f in 5 0 
Züͤri ch 
an die ehrſame Gemeinde 
Altſtetten bey Zuͤr ich. 
ı 75% 


S — 2 


Wer fein Feld bauer, der hat Brods genug: Wer aber 
verdorbenen Leuten nachahmet, der iſt ein Thor und eilet zur 
Armuth; nur wer gutem Rathe gehorchet, der iſt weiſe. 
W. Spruͤchen Salomons: Cap. XII. XVIII. 


Magaz. f. d. Naturk. Zelvetiens. III. B. Aa 


9 


370 Juſchrift d. phyſik. Geſellſchaft in Zürich 


Das Nachſtehende iſt die Zuſchrift einer Lobl. naturfor⸗ 
ſchendenden Geſellſchaft in Zuͤrich an die Gemeind Alt— 
ſtetten, als eine Folge der zwiſchen jener und dieſer 
vorgegangenen freundſchaftlichen Beſprachung uͤber den 
Zuſtand dieſer Gemeind in Anſehung des Feldbaues und 
Bauernweſens, und hat keine andere Abſicht, als das, 
was man hierüber allerſeits hat gutbefinden und anerfens 


5 
& 
23 


nen muͤſſen, als einen wohlgemeinten Rath jedem Buͤr- | 


ger von Altſtaͤtten ans Herz zu legen, und zur Befolgung 
nachdruckſam zu empfehlen. 

Dieſe Zuſchrift iſt die gewohnte Art, mit welcher vor— 
erwaͤhnte Geſellſchaft allemal nach einem ſolch gehaltenen 
Geſpraͤch, diejenigen Gemeinden, mit welchen man ſich 
fo freundlich beſprochen hat, auf ihre eigenen Fehler und 
Mängel, und die beßten Mittel aufmerkſam macht, mel 
che am ſicherſten zu Beförderung des Wohls einer Lande; 
gegend und jedes Einwohners fuͤhren koͤnnen. Man laͤßt 
dergleichen Zuſchriften jeweilen in der Gemeindsverſamm— 
lung durch einen Vorgeſetzten ableſen. Dies that, um der 
Sache mehr Nachdruck und Anſehn zu geben, dermal der 
hochgeehrte Herr Landſchreiber dieſer Obervogtey. Weil 


man aber dabey wahrgenommen zu haben glaubte, dag 


der Innhalt dieſer Zuſchrift von den meiſten mit beſonderm 
Luſt ſeye aufgenommen, und aller Ueberlegung wuͤrdig 
geachtet worden; fo entſchloſſen ſich einiche für das Beßte 
der Gemeind eiferig gefinnte Männer, dieſe nuͤtzlichen Raͤ— 


the und ſorgfaͤltige Anleitung zu beſſerer Befoͤrderung des 


Wohlſtands der Gemeind „ einem jeden Einwohner ins 
Haus zu geben, und zu dem End hin auf ihre eigene Kos 
ſten drucken zu lafſen; in der zuverſichtlichen Hofnung 


an die ehrf. Gemeind Altftetten. 371 


und mit dem herzlichen Wunſch, daß alle, auch die den heil⸗ 
ſamen Neuerungen ſonſt abgeneigte, die Grundlichkeit dies 
ſer vorgeſchlagenen Verbeſſerung mit Zeit und Weile pruͤ— 
fen, daruͤber nachſinnen, und zu derſelben Ausfuͤhrung 
willige Hand bieten, und ſo dadurch die ſo lang gewuͤnſch— 
te eifrige Befoͤrderung des gemeinſamen Wohlſtands be— 
treiben helfen moͤgen. 


Die wackeren verſtaͤndigen Maͤnner, naͤmlich: 

Seckelmeiſter Jakob Appenzeller. 

Richter Hs. Conrad Weber. 

Hs. Jakob Stauder. 

Hs. Heinrich Fuͤgli. 

Geſchworner Hs. Rudolf Muͤller. 

Richter Johannes Neeſer. 

Hs. Rudolf Naͤgeli. 
welche von der Gemeind Altſtetten der obgedachten unter⸗ 
redung beywohnten, ſind wenigſtens lebhaft uͤberzeugt wor— 
den, wie noͤthig und nuͤtzlich dieſe und andere Verbeſſerungen 
und heilſame neue Anſtalten waͤren, und muͤſſen ſehr wuͤn— 
ſchen, daß ihr eigenes vorleuchtendes Beyſpiel viele Nachs 
folger habe, daß die alten ungegruͤndeten Meinungen der 
beſſeren Ueberzeugung weichen, und dieſe Schrift ein ges 
ſegnetes Mittel zu vermehrter Wohlfahrt des Bauern und 
des Tauners werde, damit jeder in ſeinem Stand ſo gluͤck— 
lich als moͤglich werde, damit mit dem wahren Wohlſtand 
tugenhafte Sitten und Eintracht die Oberhand gewinnen, 
eine weiſe Oberkeit ihrer verſtaͤndigen Untergebnen, und 
jene fo wohlmeinende Geſellſchaft der Befolgung ihrer beß— 
ten Abſichten ſich freuen koͤnne. 


——— 


372 Zuſchrift d. phyſik. Geſellſchaft in Zurich 


Ehrende Liebe Vorgeſetzte! 


und ſaͤmtliche Maͤnner der E. Gemeind 
Altftetten ! 


Wir haben eine Geſellſchaft in Zuͤrich von verſtaͤndigen 
weiſen Maͤnnern, welche ihre Freude daran haben, alles 
was in der Natur vorgeht, kennen zu lernen, und alles 
was man darin neues und nuͤtzliches in der Naͤhe und Fer— 
ne entdeckt, in unſerm Land bekannt zu machen und zum 
allgemeinen Nutzen anzuwenden; man nennt uns darum 
die naturforſchende Geſellſchaft; wir laſſen uns vornemlich 
auch angelegen ſeyn, dem Bauern-Stand nutzlich zu wer⸗ 
den, und mit unſern L. Landleuten von Zeit zu Zeit zu be— 
rathen, wie der Feldbau geaͤufnet, aus den Guͤtern viel 
Nutzen gewonnen, und immer mehr Lebensmittel im wer— 
then Vaterland ſelbſt koͤnnen gepflanzt werden. 

Wir berufen zu dem End hin, bald von dieſer, bald 
von einer andern Gegend des Landes, wohlgeſinnte und 
im Landbau erfahrne Männer zu uns, daß fie uns anzeis 
gen, wie es in allen Theilen des Bauernweſens bey ihnen 
ſtehe, damit die Mängel entdeckt, und durch Rath und 
That ſolchen moͤglichſt abgeholfen werden moͤge. 

Unlängſt haben wir auch in euerer E. Gemeind allem 
Nachfragen, die Zahl der Leuten, die Menge des Viehes, 
und den Zuſtand euerer Guͤter verzeichnen laſſen. Wir ha⸗ 
ben daraufhin euch vermittelſt euers Wohlehrwuͤrdigen 
HHerrn Pfarrers zu vernehmen gegeben, daß wir wuͤn— 
ſchen, auf den Zten März aus euerer Gemeind etliche 
wackere Maͤnner als Abgeordnete bey uns zu ſehen, mit 
denen wir uns über alles freundlich erfprachen, und zum 
Beßten euerer Gemeind rathen koͤnnten. — Das hat euch 
wunder genohmen, viele haben nicht gewußt, was etwann 
dahinter ſeyn moͤchte; — Aber die verſtaͤndigeu Maͤnner, 


an die ehrſ. Gemeind Altſtetten. 373 


die es gewaget haben in unſere Geſellſchaft zu kommen, 
ſind alle zufriedner heimgegangen, und haben euch mund— 
lich erzählen koͤnnen, wie es gemeint ſeye. — Sie werden 
euch ſagen koͤnnen, wie da etliche von den vornehmſten 
Oberkeitlichen Perſonen, ſelbſt Ihr Gnaden der Herr 
Burgermeiſter, und die Herren alle ſo liebreich den Zu— 
ſtand euerer Gemeind beherziget, und bey allem nichts an— 
ders geſucht haben, als euer allerſeitiges wahre Beßte zu 
befoͤrdern. 


Es zeigte ſich aus dem Bericht, den wir von dem Zu 
ſtand euerer Gemeind vernohmen, daß zwar viel Begierd 
bey euch ſeye, zu euerem beßten Nutzen zu arbeiten, aber 
daß viele nicht erkennen, was zu ihrem Wohlſtand dient, 
daß in allen Theilen vieles zu verbeſſern waͤre; — und 
damit ihr alle wiſſet, was unſer Rath und Meinung hier— 
uͤber waͤre, ſo geben wir euch, das ſo wir mit euern zu— 
getommenen Vorgeſetzten und ſonſt wackeren Maͤnnern 
befunden, hiemit ſchriftlich zu verſtehen, mit dem Wunſch, 
daß ihr es wohl bedenken, und wo moͤglich, um ſo mehr 
zu bewerkſtelligen trachten wollet, als euere Herren 
Obervögte und alſo die Oberkeit ſelbſt dahin mit ihren 
Verordnungen zielen, und euch in allen näßlichen und 
ſchicklichen Unternehmungen, wie ihr aus Ihrem Mund 
gehoͤrt, hilfreiche Hand bieten werden. 


Ihr muͤſſet es vorderſt L. und ehrende Maͤnner! Alle 
ſelbſt bekennen, wann ihr euere Güter mit den Gütern ans 
derer in der Naͤhe der Stadt gelegenen Gemeinden verglei— 
chet, daß ſie gar nicht im beßten Zuſtand ſeyen, daß eue— 
re Aecker und Wieſen und Matten noch lang nicht ſo viel 
euch geben, als ſie geben koͤnnten, wann ihnen mehr Rath 
angethan, und ſie beſſer bearbeitet wurden. 


Wie ihr aber alle dieſes empfindet, eben ſo werdet ibr 
auch einſtimmig darauf fallen, daß hieran einzig Schuld 


374 Zuſchrift d. phyſik. Geſellſchaft in Zürich 


ſeye, daß zu viel Leute aus euerer Gemeind taͤglich in die 


Stadt ihrem Verdienſt nachlaufen, und daß man die Guͤ⸗ 
ter aus Mangel der Arbeiter nicht gehoͤrig baue und aͤufne. 


Die wenigſten Stadtgaͤnger bauen die Guͤter ſelbſt, ſie laſ. 
ſen ſte durch die wenigen Bauern bauen, und viel Land 


liegt gar vernachlaͤßigt. Da ſchauet einmal natuͤrlich der 
Bauer zuerſt, daß ſeine eigene Guͤter zu rechter Zeit und 
gut gebauet werden, und erſt hernach kommts an die 
Zauner: und Stadtgänger, Güter, deren Eigenthuͤmer den 
Bauern in ihren harten Arbeiten, ſelbſt in den groͤßten 
ſchlechte Hilf leiſten, und alſo von den Bauern auch nicht 
mehrere Sorgfalt fordern koͤnnen. 

Dieſem Uebel abzuhelfen iſt freylich, wie ihr ſelbſt mer; 


ket, kein anderes Mittel, als daß mehr Leute daheim blei⸗ 


ben und wenigere in die Stadt laufen wurden, und da 
ſollte doch ein jeder wohldenkende Haus vater, der Güter 
hat, zu allererſt trachten dieſe zu beſorgen, und von ſei⸗ 
nen Hausgenoſſen nur ſo viel in die Stadt gehen laſſen, 


als er beym Guͤterwerk wohl entbehren koͤnnte. Da kann 


* 


keine oberkeitliche Verordnung helfen, ihr muͤſſet felbft bes 


fen, ihr muͤſſet und ſolltet bedenken, daß es freylich eine 


ſchoͤne Sach ſeye, ſo wochentlich ſeinen baaren Lohn aus 


der Stadt heim zu bringen, und daß die Kaufherren in 


der Stadt euch nicht wohl entbehren koͤnnen, aber ihr 
ſolltet noch mehr bedenken, wie ein unſicheres Brodt 
ihr auf ſolche Art gewinnet, wie der Wochenlohn im 
mer gleich, aber der Preis der Lebensmitteln, die ihr 


kaufen muͤſſet, ungleich feye , wie in theuren Zeiten 
der Gutermann allezeit etwas zu eſſen habe, aber der 
Stadtgaͤnger alsdann mit feinem baaren Geld wenig aus⸗ 
richten koͤnne. Wie es viel beſſer ſeye, Wein und Brod 
und Milch und Lebensmittel ſelbſt zu pflanzen, als aus der 
Fremde von der dritten Hand zu kaufen — freylich iſt es 
leichter in der Stadt mit aufrechtem Rucken ſein Geld zu 


an die ehrſ. Gemeind Altſteten. 375 


gewinnen, und am Schatten ſtehen, oder in der war⸗ 
men Stube ſitzen koͤnnen, als entweder in der Sommers— 
hitz auf dem Feld faſt verbraten, oder im Schnee beym 
Holzen und Schlitten faſt verfrieren zu muͤſſen, welches 
vom Guͤterwerken unzertrennlich iſt. Aber wann ihr dann 
euere Lebensart mit der Bauern » Lebensart vergleichet, fo 
muͤſſet ihr doch die groſſe Ungelegenheit auch empfinden, 
ſo alle Tag fruͤhe und ſpaͤt als arme Muͤdlinge bey Wind 
und Wetter, bey Regen und Schnee und Kaͤlte nach der 
Stadt hin- und herzugehen, in naſſen Kleidern oft den 
ganzen Tag zu bleiben, in feuchten Gemaͤcheren zu frieren, 
oder in der Stadt herumzupoſten, und ſo wie Knechte oft 
bey wunderlichen und ſelzenen Herren euere Tage zuzu— 
bringen, wenig Warmes zu eſſen, euere Geſundheit zu 
ſchwaͤchen, und zuletzt nichts weiter herfuͤrzubringen, als 
daß ihr weiſſeres Brod eſſen, und mit dem ſo beliebten 
Caffee Getraͤnke, mit ſcheinigeren und hoffaͤrtigeren Kleis 
dern den Wochenlohn wieder durchbringen, den Wirthen 
den beßten Profit geben, und am End nichts vorſchlagen 
koͤnnet. Knechte und Dienſtleute, ſind ſolche Stadtgaͤn— 


ger, die ſich um ihre Guͤter nicht bekuͤmmern, und nur auf 


beſſer Eſſen und Trinken ſehen, Knechte ſind ſie und nicht 
freye Landleute. Da hergegen die Bauern ihre eigenen 
Herren und Meiſter ſind, ſich von niemandem als der 
Oberkeit befehlen laſſen muͤſſen, keinen ſelzenen Herren zu 
Gebot ſtehen; ihr eigen gwachſenes Brod eſſen — in der 
Zeit der Noth Vorrath haben, allezeit genug Speiſe finden; 
nicht in Haͤuſern von Händen gemacht, in ſtinkenden Geis 
denrädern , Truckerſtuben, naſſen Farbhaͤuſern, ſondern 
auf Gottes freyer Erde, in geſunder Luft ihre Tage zubrin⸗ 


gen, bey Weib und Kindern bleiben, und bey mäßiger Ars 


beit und kluger Abtheilung jaͤhrlich fuͤrſchlagen, ihre Guͤter 
auf einen höheren Werth bringen und ihre Kinder auf und 
mit denſelben wieder verſorgen konnen; weil ſie die Verſu⸗ 


* 


* 


376 Zuſchrift d. phyſſk. Geſellſchaft in Zürich 


chung der Stadtgaͤnger, alles den Schenkhaͤuſern zuzubrin— 


gen, nicht haben. 

Wann aber L. ehrſame Maͤnner! die Sachen nicht auf 
einmal zu aͤndern ſind, und ihr nur nach und nach meh— 
rere Leute zu dem Guͤterweſen wiedmen koͤnnet; und wir 
wohl geſpuͤren, daß unſere Stadtgewerbe euere Gewerbs— 
leute auch nicht uͤberall mangeln koͤnnten, ſo waͤret ihr 
doch mit Beybehaltung des Stadtverdienſts im Stand, 
euere Guͤter beſſer zu aͤufnen, wenn ihr nur wolltet. — 
Es koͤnnten namlich die Gewerbsleute von ihrem Wochen; 
lohn, anſtatt ſolchen meiſt zur Hoffarth und beſſer Eſſen 
und Trinken anzuwenden, auch etwas davon auf die Ver— 
beſſerung ihrer Guͤter wenden: Sie koͤnnten Aſche, Lumpen, 
Guͤllen (Jauche), auch ſelbſt Miſt und andern Abgang aus 
der Stadt kaufen, — und auf Wieſen und Aecker thun, da 
wir dann noch allezeit der Meinung find, daß es ſich bes 
ſonders im Winter gar wohl erleiden, und die Koͤſten 
austragen moͤchte, den Dung aus der Stadt in euere 
Gemeind zu führen. — Wenn man den Geldverdienſt aus 


den Gewerben wohl anwendet, ſo koͤnnen damit die Guͤ⸗ 
ter in den ſchoͤnſten Stand, und in eine verwunderungs- 


wuͤrdige Fruchtbarkeit geſetzt werden. Wo wird mehr aus 
den Gewerben verdient als in den Gemeinden Zuͤrich-See, 
und wo ſind die Guͤter in einem ſchoͤneren und vollkomm— 
neren Stand und Werth? — Ihr werdet ſagen, dieſe koͤn— 
nen auf dem See mit leichter Muͤhe allen Abgang aus der 
Stadt holen und damit baͤunen — aber euere benachbarte 
Gemeind Wiedikon kann's ja auch, und die um die Stadt 
gelegenen Gemeinden alle, welche auf der Achs aller Ars 
ten Dung durch die Stadt ins unterſte Sihlfeld und alſo 
ſo weit fuͤhren als ihr aus der Stadt in euere Guͤter zu 
fuͤhren haͤttet, und jene koͤnnen ja doch alle wohl dabey be; 
ſtehen, und bey dieſer groſſen Muͤhe giebts aus Taunern 


nicht ſelten wohlhabende Bauern. — Erſt wann ihr Pros 


an die ehrſ. Gemeind Altſtetten. 377 


ben daruͤber gemacht, dann koͤnnet ihr wiſſen, ob es ſich 
erleiden moͤge oder nicht; — und je mehr der Abgang aus 


der Stadt geſucht und aufgekauft wurde, je mehr wurde f 


es geben „ denn die Burger wurden Sorge dazu tragen 
und ihn fleißiger zuſammenhalten. 

Indeſſen koͤnntet ihr euere Guͤter in beſſere Aufnahm 
bringen, auch ohne daß ihr noͤthig haͤttet, aus der benach— 
barten Stadt Dung zu kaufen. Wann ihr vorderſt eueren 
Wieſen und Matten auch mehr Bemuͤhung zuwenden wur— 
det, die der Beſchaffenheit des Lands angemeſſen waͤre. 

Wann ihr demnach die Verordnung der HHerren Ober— 
voͤgten über das unbedingte Weidrecht, und die Befchliefe 
ſung der Zelgen allſeitig mit Willen und klüͤglich befolget, 
von deren Nutzen mit der Zeit auch gewiß die dieſer guten 
Neuerung abgeneigteſten, noch uͤberzeugt werden. — 

Euer Viehſtand koͤnnte drittens verbeſſert und durch den 
daher erhaltenden mehreren Miſt aller Arten Guͤter geaͤuf— 
net werden, wann ihr ſaͤmtlich, ſo viel an euch ſtehet, die 
fo ſchaͤdliche Ausfuhr des Zeues und Strohes, hindern, 
und die ganze Gemeinde, die ſchon oft ergangene Verord— 
nung der Oberkeit zu halten ſich angelegen ſeyn, und kei— 
nen euerer Buͤrger unter keinerley Vorwand mehr dawi— 
der handeln lieſſet. 

Es iſt auch ein Hinderniß der Verbeſſerung in euerer 
Gemeind darin, daß das Waſſer zur Waͤſſerung der Wie— 
ſen nicht auf Tag und Stunden richtig vertheilt iſt; allein 
da kommt es nur auf euch an, daß ihr eine billiche und 
nach der Groͤſſe der daran ſtoſſenden Wieſenſtuͤcken eingez 
richtete Vertheilung des zum Waͤſſern bequemen Waſſers 
unter euch friedlich und mit Ausweichung aller Parthey— 
lichkeit und alles deſſen, was Eifer erwecken koͤnnte, ver— 
abredet , da dann nicht zu zweifeln iſt, euere HHerren 
Obervoͤgte wurde eine ſo billiche Verabredung mit Ober— 
keitlichem Anſehen beſtaͤtigen. 


378 Zuſchrift d. phyſtk. Geſellſchaft in Zuͤrich 


Wit wollen euch aber zur Aeufnung euers Guͤterweſens 
überhaupt anrathen, daß ihr doch je mehr und mehr trach⸗ 
tet die abgelegnen Weiden, und dann beſonders das Wei— 
den auf den Zelgen und ſonſt an mageren Orten, abgehen 
zu laſſen, indem ihr alle uͤberzeugt ſeyn muͤſſet, daß mit 
dem Weiden auf magerem Boden der Miſt verſchleickt 
werde, das Vieh wenig Nahrung finde, und nie auf der 
Weid ſo geſaͤttiget werde, daß man es nicht noch hirten 
muͤſſe, wann es ab der Weid heimgeholt wird. 

Aber woher und woraus dann dem Vieh Futter zuthun, 
wenn wir es im Stall behalten ſollen, werdet ihr denken? 
Hierauf werden die Verſtaͤndigen aus euch ſelbſt am beß⸗ 
ten zu antworten wiſſen. Sie werden euch ſagen, pflan⸗ 
zet brav hollaͤndiſchen rothen Klee, ſo werdet ihr dem Vieh 
genug Futter, dabey ſtaͤrkeres Vieh, beſſere Milch und 
groͤſſere Miſtſtoͤcke bekommen. Und eben das iſts, was 
wir euch auch mit voller Ueberzeugung anrathen, und wor— 
über wir euch bitten wollen, doch nicht bey den erſten klei⸗ 
nen, und freylich im vergangenen auſſerordentlich trock, 
nen Sommer gar nicht gutgerathenen Proben ſtill zu ſtehen. 

Der Klee iſt eines der allernuͤtzlichſten und ergiebigſten 
Kraͤutern, mit deſſen Anbau das Margrafen-Land, das 
Elſaß und ſo viele geſegnete Laͤnder ihr Gluͤck machen, 
und womit auch ſchon ſo mancher in unſerm Land ſein 
Glück gemacht hat. Goͤnnet uns eine Weile Aufmerkſam⸗ 
keit, wir wollen euch den Nutzen des Klees und die Art, 
wie er am vortheilhafteſten gepflanzt wird, anzeigen. 

a. Der rothe hollaͤndiſche Wiefens Klee giebt ein ſehr ges 
ſundes für Stieren und Kälber ſehr nahrs und ſchmackhaf⸗ 
tes, fuͤr die Kuͤhe milchreiches Futter. Der Klee giebt 
ein uͤberſchwenglich geſegnetes Futter — er dient den Schwei 
nen in der groſſen Sommerhitz zur Abkuhlung — er ruͤchet 
und nuͤtzet das Land nicht aus, wie andere fette Pflan⸗ 
zen, er vertreibt das Gras in den Aeckern — er giebt eine 


* 


an die ehrſ. Gemeind Altſtetten. 379 


halbe Baͤunung dem Feld — (Kein Halm weiſſes Stroh 
ſoll durch den Kleebau verlohren gehen) — und erſpart 
zwey Ackerwerke. Wie fo? Wollen wir's euch jetzt auch 
melden. 

b. Im getten + Boden kommt er nicht wohl fort, er wird 
gelb, wann die Hitz kommt — aber im Grieen, im Sand, 
im leichten Boden, im Haſſelgrund, und natuͤrlich auch 
im fetten guten Buͤndtenland kommt er am beßten. Aber 
wann er alle vorerzehlten Vortheile bringen fol, muß er 
nicht auf abgelegne Aecker, nicht auf abgeſonderte Ein— 
faͤnge, und ja wohl nicht in der Abſicht geſaͤet werden, 
daß man aus einem Acker deſto eher eine Wieſe bekomme 
— ſondern der Klee muß in die Zelgen geſaͤet werden, wo 
ſolche beſchloſſen, und vom Weidrecht befreyet ſind. Er 
muß jeweilen in die andere, in die Roggen- oder Haber⸗ 
zelg geſaͤet werden; am ſchoͤnſten kommt er fort im Ha— 
ber — dann auch in der Gerſte, und im Roggen. 

Will man ihn im Roggen haben, ſo ſaͤet man ihn an- 
fangs Aprills, wann der Boden ahbar und keine ſcharfe 
Kaͤlten mehr zu befürchten find — allezeit aber im Fruͤh— 
ling, man ſaͤet ihn uͤber den Roggen-Saamen hin, noch 
ehe er in Halmen zu treiben anfangt — auf eine halbe 
Juchart braucht man 8 Pfund Saamen — und wenn man 
ihn gut machen will, ſtreut man bey feuchtem Wetter ein 
halbes Roͤhrli Gyps daruͤber. — 

Auf gleiche Weiſe ſaͤet man ihn in die Gerſte — will man 
den Klee in Haber ſaͤen, ſo miſchet man den Klee unter 
den angefeuchteten Haberſaamen, oder wann der Haber 
ſchon geſaͤet, oder ſchon aus dem Boden herfuͤr iſt: ſo 
ſaͤet man alsdann den Klee, und faͤhrt etwann mit einer 
Buſchel Doͤrn (anſtatt der Eggen) daruͤber. — 

Alsdann laßt man die Frucht, ſey's Roggen, Gerſten 
oder Haber reif werden, und 8 Tag nachdem die Frucht 
geſchnitten und aus dem Acker weg iſt, ſpaͤtſtens im Aus⸗ 


* 


380 Zuſchrift d. phyſik. Geſellſchaft in Zuͤrich 

gang Heumonats, ſollte man dann den Klee noch einmal 
abmaͤhen koͤnnen, (verſteht ſich, daß ehe man ihn ſaͤet, 
die groͤbſten Steine abgeleſen werden.) Giebts ein guter 


Herbſt, ſo ſollte man, beſonders wo man den Klee fett 


haltet, in ſelbigem Jahr das andere mal eingraſen koͤnnen. 
In des Ackers Brachjahr, wo man ſonſt nichts daraus 
ziehen wurde, giebt der Klee den größten Nutzen. — Als— 


dann kann man ihn dreymal abmaͤhen, ſo daß wenn man 


mit dem in Kripf-maͤhen nach und nach zu Ende iſt, der 
zuerſt abgemaͤhete ſchon ſo viel nachgeſchoſſen, daß man 
ihn ſogleich wieder zu maͤhen anfangen kann. — Weil der 
Klee alles uͤberſchlagt, und den Boden deckt, ſo kann kein 
Gras oder Unkraut im Acker aufkommen — und weil er 
alles mit geraden Wurzeln durchwurzelt, und aus der Luft 
vieles in die Erde fuͤhrt, ſo macht er den Boden ſo locker, 


daß es nicht noͤthig iſt zu brachen und zu wenden, (oder 


Falgen kehren,) ſondern man es kecklich blos bey dem 
Saͤet⸗Ackern gelten laſſen darf. — Da muß man dann 
aber mit dem Klee nicht geitzen, und alles noch abſcha—⸗ 
ben wollen, bis auf den Boden; ſondern man muß ſich 
nicht reuen laſſen, noch einen ſchoͤnen Schuß unterzuackern, 
nachdem man vorher den Miſt darauf verzettelt hat. — 
Dann auf ſolche Weiſe giebt der untergeackerte mit dem 
Miſt verfaulende Klee eine halbe Baͤunung, und man er⸗ 


ſpart zwey Ackerwerk — und ſo gewinnt man ſein Korn, 


feinen Roggen oder Haber oder Gerſten, wie fonft und nes 
ben ein nach, und im Brachjahr den vollen Klee Nutzen, 
da dann aus einer halben Juchart Kleeland im Brach jahr 
füglich die größte Kuhe, ja man darf kecklich ſagen, zwo 
geſoͤmmert werden mögen. — Wir dürften auch beynahe 
verſichern, daß wann der Klee, auf ſolche Weiſe Ordnungs⸗ 
maͤßig geſaͤet, und nicht bis in's dritte Jahr ſtehen gelaſ⸗ 
fen, ſondern im andern untergeackert wird, der Landmann 


vor Auflegung eines Zehenden⸗Erſatzes, welches er ſonſt 


1 


an die ehrſ. Gemeind Altſtetten. 381 


fuͤrchtet, ſicher ſehe. Wie dannethin der Klee zum Eins 
graſen in die Kripfe und grün fuͤtteren ſehr gut iſt, fo kann 
man denſelben auch gar wohl doͤrren, und wie das Heu 
und Emd anf den Winter zum Futter aufbehalten, wie 
an andern Orten mit Nutzen geuͤbet wird. — Auch iſt zu 
erweiſen, daß auf ſolche Weiſe nicht nur das fuͤr Saa— 
men und Gyps ausgelegte Geld (ſo ſich fuͤr eine halbe 
Juchart auf 5 fl. belauft) vollkommen am Klee erfegt, ſon— 
dern noch ein ſchoͤnes dabey zum Profit gemacht werde. 

Dieſe Nutzbarkeiten, die wir aus vielfaͤltiger Erfahrung 
kennen, ſind ſo viele Gruͤnde, um derenwillen, wir euch 
die Kleeſaat in die Zelgen beßtens empfehlen, mit der Ue— 
berzeugung, daß es keinen, der dieſen guten Rath, mit 
Klugheit befolgt, deſſen gereuen werde. 

Sollte dem ein oder andern diesfalls noch etwas zwei— 
felhaft ſeyn, der kann nur diejenigen Kleeäcker in Augen— 
ſchein nehmen, die allernaͤchſt um die Stadt zu ſehen ſind, 
und derſelben Meiſter werden ihn noch vollends von dem 
groſſen Nutzen deſſen uͤberzeugen — und wer noch weite— 
ren Bericht über das Pflanzen, oder die gewahrſamliche 
Verfuͤtterung des Klees mit dem Viehe verlangte, dem 
ſind wir allen guten Rath daruͤber zu ertheilen erbietig. 

Und da ihr E. L. Landleute in euerem Gemeinds-Be— 
zirk viel naſſe, mooſigte und unter Waſſer liegende Wieſen 
habet, da der Dung nicht einmal anſchlaͤgt, und welche 
nur geheuet nicht aber geemdet werden koͤnnen — fo geben 
wir euch zu bedenken, ob ihr nicht dieſe leimigten Wieſen 
mit Ueberfuͤhrung grienichter Erde, ja mit bloſſem Grien 
aus den Baͤchen verbeſſern koͤnntet, weil das Grien dem 
Waſſer einen Abzug giebt, und nach und nach in den Bo— 
den ſich verſenkt. — Wie ſolches anderſtwo mit dem befs 
ten Erfolg vorgenommen worden iſt — auch koͤnntet ihr 
dieſe naſſen Wieſen mit Bandſtoͤcken beſetzen, oder mit 
Saarbachen-Aeſten reihenweiſe beſtecken, welche leicht ans 


382 Zufchrift d. phyſtk. Geſellſchaft in Zuͤrich 


wachſen, durch ihre Wurzel das Land austrocknen, durch 
ihre Blätter bald einen heilſamen Schatten geben, und in 
wenig Jahren ſchon geſtuͤckt und abgeholzet werden moͤ— 
gen, alſo daß dadurch die Wieſen getrocknet, die Gras— 
arten verbeſſert, aus den Banden ein Geld- und aus den 
Stauden der Saarbachen ein Holzgewinnſt gezogen wer— 
den koͤnnte, der nicht unbetraͤchtlich iſt. — Auch hiervon 
koͤnntet ihr belehrendes Exempel auf einer ſumpfichten Wie 
ſen an dem Binzbach bey Oehrliken ſehen. 


Wenn das Alte nicht mehr gut iſt, weil Zeiten, Um— 
ſtaͤnde und Lebensart der Leuten ſich abgeaͤnder haben, ſo 
muß man auf neue und nuͤtzliche Erfindungen denken, und 
darinn den Gewerbsherren in der Stadt es ablernen, die, 
wenn die einte Art von Gewerb nicht gehen will, nur mit 
deſto mehr Luſt und Fleiß eine andere betreiben, und ſo 
immer auf Nutzen und Gewinn, auf Arbeit und Verdienſt 
denken. 


Ueber den Ackerbau haben wir euch nicht viel zu rathen, 
auſſer, daß wir glaubten, daß wo die Aecker gar naß und 
ſumpficht find, und die vielen Waſſergraͤben nicht hinrei— 
chen dem Waſſer Abzug genug zu verſchaffen, man doch 
auch probieren ſollte, das Land ſtrangenweiſe zu bauen, 
wie im Schwabenland uͤblich iſt, da in die Vertiefungen 
das Waſſer ſich hineinzieht, und die erhoͤhten Furchen 
trocken bleiben. 


In Betreff des Obſtwachſes koͤnnen wir nicht glauben, 
daß die Lage euerer Gemeind weniger gut zur Baumzucht 
ſeye, als euerer Nachbaren — wir glauben darum euch 
wohl zu rathen, wann wir euch anſinnen, auf Setzung 
mehrerer Obſtbaͤumen bedacht zu ſeyn, aber dann auch zu 
Saͤuberung derſelben von dem Ungeziefer mehr Fleiß an— 
zuwenden, da nicht der Foͤhn, der in das Bluſt wehet, 
ſondern das Ungeziefer, das bey dem Foͤhn deſto leichter 


* 


an die ehrſ. Gemeind Altſtetten. 383 


aus feinem Geſchmeiß auskriechet, an Verderbung deſſel⸗ 
ben Schuld zu ſeyn ſcheint. 

Mit Verwunderung haben wir bemerkt, daß ihr ſo nahe 
bey der Stadt, und ſo in der Naͤhe von Hoͤngg und ſo in 
einem guten Weinberg, noch die Schleickreben beybehal— 
tet, da doch bey der Art des Weinrebenbaues, wie ihr ihn 
zu Hoͤngg vor Augen habt, gewiß eben ſo viel Wein, und 
dazu noch viel beſſerer und edlerer gepflanzt werden kann, 
als auf die alte und ungeſchickte Weiſe — auch dieſes wol— 
len wir euerer naͤheren Ueberlegung angeſinnet haben. 

Ein groſſer Segen iſt es fuͤr eine Gemeind, wenn ſie 
mit Waldung und Holz wohl verſehen iſt — und daran 
habt ihr, wie wir mit Freuden vernohmen, keinen Mans 
gel. Aber damit dieſer von der Natur euch beſcherte, von 
der Sparſamkeit und Sorgfalt der Alten euch hinterlaſſene 
Schatz nicht abnehme, ſondern eher wachſe, erinnern wir 
euch doch allen Fleiß auf die kluge Beſorgung und Beſchir— 
mung euerer Waldungen zu wenden. 

Allermeiſt ſollte man ſich angelegen ſeyn laſſen, die jun— 
gen Anfluͤge des Tann- und Forrenholzes beſſer zu ſcho— 
nen, man ſollte das Vieh nie darein laufen und weiden 
laſſen — nicht nur 8 ſondern 10 und 15 Jahre ſollte alles 
junge Holz dem Weidviehe verſchloſſen ſehn — denn der 
Schaden, den das Vieh mit Zerſtampfen der jungen Foͤrli 
und Taͤnnlinen, und mit Abfreſſen der Schoffen verurſacht, 
iſt beträchtlicher als man glaubt. 

Die Vorgeſetzten ſollten es auch nicht dabey bewenden 
laſſen, daß ſie die Haͤue zeigen, und ausgeben, wie ſie 
dem Kehr nach folgen, ſollten dabey noch nicht ihre Pflicht 
erfuͤllt glauben, wann ſie nur ſorgen, daß man mit den 
Haͤuen nicht zu fruͤhe herumkomme, ſondern ſie ſollten ſich 
auch befleiſſen zu wiſſen, wie groß ein jeder Jahrhau am 
Maͤß des Landes und der Weite ſeye, wie viel Klafter Holz 
ein Jahrshau gebe — und vornemlich ſollten fie darauf Acht 


* 


7 


334 Zuſchriſt d. phyſik. Geſellſchaft in Zürich 


haben, was fuͤr Arten von Holz in jedem Hau ſeyen. Sie 
ſollten das ſchlechtere Holz, als Aſpen, Wyden nach und 
nach ſuchen abgehen zu laſſen und darauf bedacht ſeyn, 
haͤrteres und beſſeres Holz, vornemlich das Buchene in 
den Laubhaͤuen zu befoͤrdern, und ihm herfuͤrzuhelfen. Denn 
die Afpen und Wyden wachſen wol ſchneller als das harte 
Holz, find aber nicht halb fo viel werth. — Die Vorgeſetz— 
te ſollten jahrlich alle Holzungen der Gemeind umgehen 
und beſchauen, und wo ſie leere Plaͤtze antreffen, ſollten 
fie ſolche im Tannholz mit jungen Taͤnnlinen beſetzen, im 
Laubholz im Fruͤhling mit Buchnuͤßlenen beſtreuen, um ſo 
dem beſſeren Holz aufzuhelfen. a 

Es iſt zwar gut, daß ihr in den Haͤuen die Eichen uͤber— 
ſtehen laſſet, aber euere Sorgfalt ſollte noch weiter gehen, 
ihr ſolltet die Aeſte aufſtutzen und abſchneiden, theils das 
mit ihr hohe und gerade Staͤmme bekaͤmet, theils damit 
der junge Hau, durch das Abtropfen von den Aeſten der 
Eichen, und durch die Vorenthaltung des Thaues nicht am 
Wachsthum gehindert werde. — Und obgleich euere bey 
unſerer Geſellſchaft geweſene Maͤnner die Vorſtellung zwar 
gruͤndlich befunden, daß es gut und nuͤtzlich waͤre, wenn 
man in den Gemeinden lauter duͤrres Holz brennen und 
zu dem End hin allezeit einen Jahrgang und Hau voraus 
haben und aufgemacht im Holz ſtehen laſſen koͤnnte, ſie 
aber uns gezeiget, wie ſchwerlich ſolches zu erhalten waͤre, 
da entweder das aufgemachte Holz geſtohlen wuͤrde, oder 
die Weiber dann nur mehr Holz verbrennen wurden, wenn 
ſie mehr vorraͤthiges hatten, fo koͤnnen wir doch nicht ums 
hin, euch zu erinnern, daß ihr trachtet ſo viel moͤglich 
nur durres Holz zu brennen, weil man beym gruͤnen Holz 
mehr braucht, und doch nicht ſo warme Stuben damit 
machen kann, wie von dem duͤrren. } 

Wir haben auch bey euern zu uns gekommenen Maͤn⸗ 
nern nachgefraget, ob ihr kein Turbenland in euerer Ges 

meind 


. 


* 


an die ehrſ. Gemeind Altſtaͤtten. 385 


meind habet, und obſchon wie von ihnen berichtet worden, 
daß nur weniges unten an dem Kirchenbuͤhl zu finden ſeye; 
ſollte es ſich doch wohl erleiden moͤgen, den Turben nach— 
zuforſchen, da man dem Waſſer allzeit fo viel Abzug ges 
ben koͤnnte, als zum Graben noͤthig, hernach gaͤben die 
ausgegrabenen Plaͤtze, in denen ſich das faule Waſſer wie— 
der ſammelt, entweder Streuiland, oder mit der Zeit wur— 
den wieder Turben da wachſen. — Indeſſen iſt es freylich 
auch nicht uͤbel gethan, wenn man dieſen Schatz, der al— 
lenfalls unter der Erde liegen moͤchte, auf kuͤnftige Zeiten, 
wo das Holz noch geſuchter werden koͤnnte, ruhen laßt. 

Wir haben uns nicht minder ab dem Bericht verwun— 
dert, daß ihr in eueren Staͤllen noch keine fogenannte Kuͤ— 
hegraͤben habet, da doch die Gemeinden ob der Stadt, 
wo ſo viele reiche Bauern wohnen, die ſo koſtliches Vieh 
haben, die Einrichtung in allen Staͤllen gemacht. Ver— 
gebliche Sorge habet ihr, daß das Vieh ſich in dieſen 
Graͤben mißtrette, man weiß hievon aus denen Orten, 
wo die Kuͤhegraͤben uͤblich, faſt keine Exempel von Ungluͤ— 
cken, die daher gekommen, wol aber gewinnen die Leute 
mit dieſen Graͤben viel mehr Guͤllen, und der Miſtſtock 
faulet geſchwinder, verbruͤnnt nie, und wird auch der 
Miſt weniger taub. — 

Wegen den Vieh-Ungluͤcken haben etliche Freywillige 
bey euch eine gute Verordnung gemacht, nach welcher bey 
etwann ſich ereignenden Ungluͤcken (die Gott abwende) den 
Schaden mehrere einander tragen helfen. — Aber wir 
wuͤnſchten, daß dieſe Einrichtung allgemein bey euch waͤre, 
und ihr ſie darin verbeſſern wurdet, daß ein jeder der Viehe 
haltet, von jedem Stuck jaͤhrlich ein gewiſſes ſteuerte, es 
möchte ein Unglück vorfallen oder nicht, damit fo daraus 
ein Guͤtlein entſtehen wurde, woraus im Nothfall geholfen 
werden koͤnnte, ohne daß man dann im Fall ſelbſt erſt 
ſteuern und zuſammen legen muͤßte. 

jagaz. f. d. Naturk. Selvetiens III. 5. Bb 


386 Zuſchrift d. phyſik. Geſellſchaft in Zurich _ 


Endlich, da wir vernommen haben, daß das Erdapfel, 
Pflanzen von Jahr zu Jahr bey euch abnehme; ſo koͤn⸗ 
nen wir euch unſere Wehmuth und Unzufriedenheit hieruͤ— 
ber nicht genugſam ausdruͤcken. Wir wiſſen die Schwie⸗ 
rigkeiten wohl, um deretwillen man die Erdapfel nicht ſo 
gern in die Zelgen ſaͤet, wiſſen auch, daß der ſchwere und 
zaͤhe Boden nicht ſo tauglich dazu iſt — aber man hat ja 
noch viel Land, das nicht in den Zelgen liegt, — hin und 
wieder koͤnnte man aus ſo vielen Weiden, die ihr habt, 
neue Aufbruͤche machen, wo die Erdaͤpfel ja am beßten ge 
deihen — oder es hat bald ein jeder ein Aeckerlein oder allein 
gelegenes Stuͤcklein Land, welches zu den Erdaͤpfeln gut 
waͤre, und das man damit bepflanzen koͤnnte, die Erdaͤpfel 
ſchaden dem Kornbau nichts — man muß auch dem Korn. 
land keinen Miſt entziehen und den Erdaͤpfeln geben — 
da der Scharmiſt, halbfaules Holz und Sagſpaͤn und an— 
dere kurze Waar, zuletzt auch bloffe neue Erde, ein gutes 
Dungmittel dazu ſind, und alles zu den Erdapfeln taugt, 
was nur immer den Boden locker machen kann. Die Muͤ— 
he und Arbeit, die man darauf verwenden muß, iſt auch 
ſo groß nicht, und andere Feldarbeit leidet nichts dabey. — 
Die Erdapfel ſind ja eine Frucht, die doch faſt alle Jahr 
mehr und minder gerathet, die vom Hochgewitter und der 
Gefroͤrne nichts leidet, und fuͤr Menſchen und Vieh eine 
ſchmack⸗ und nahrhafte, geſunde und wolfeile Speiſe iſt, 
die gut eſſen iſt, auch ohne Schmalz, und wann fie gezeu⸗ 
get wird, eine delicate Speiſe abgiebt. 

Wir haben gemeint, die theuren Jahre ſollten nicht ſo 
vergeſſen ſeyn, wo Gott unſer Land mittelſt der Ecdapfeln 
vor Hunger bewahret, den andere Laͤnder erlitten haben, 
in denen man wenig Erdapfel hatte — und wir glauben und 
hoffen auch, daß der Futtermangel dieſes verwichenen lang— 
wierigen Winters manchen werde an die Erdapfel erinnert 
haben — hatte ein jeder dergleichen im vergangnen Jahr 


N. an die ehrſ. Gemeind Altſtaͤtten. 387 


gepflanzt, ſo haͤtte man gewiß nicht den Centner Heu mit 
3 fl. bezahlen oder zu dem aͤuſſerſten ſchreiten und Frucht 
und gedoͤrrtes Obſt dem Vieh geben muͤſſen. Dergleichen 
Jahre ſollten doch die Menſchen lehren eine ſo groſſe Gut— 
that Gottes, wie die Erdaͤpfel ſind, beſſer ſchaͤtzen, und 
mit mehr Dankbarkeit pflanzen. Wir ſind auch der guten 
Zuverſicht, daß es geſchehen werde, und wollen euch beßt— 
gemeint anſinnen, dahin in euerer Gemeind zu trachten, 
daß eine Haushaltung Tauner und Bauer etwann auch 
ein halben Vierling Land mit Erdapfeln bepflanze, damit 
Menſchen und Viehe, doch auch im Boden Speiſe und 
Futter und Winter-Vorrath haben, der Jahrgang mag 
dann wegen dem Korn in Gottes Namen kommen wie es 
will, dieſer bedenkliche Winter mag dann ein Vorbott ſeyn, 
wovon er will, und die fremde Zufuhr mag dann mehr 
oder weniger nuͤtzlich ſeyn. 

Es iſt ein fündlicher Hochmuth an den Bauern, und ein 
ſuͤndlicher Uebermuth und Meiſterloſigkeit an den Taunern, 
wann ſie die Erdaͤpfel verachten, geringſchaͤtzen und ihre 
Pflanzung vernachlaͤßigen; wer den Armen verachtet, ver— 
achtet ſeinen Schoͤpfer — und wer dieſen fuͤr Arme und 
Reiche in der Zeit der Noth und des Gluͤcks ſo wichtigen 
von Gott uns angewieſenen Erdſchatz verachtet, der ver— 
achtet auch die Vorſehung, die ihn unſerem Land hat be— 
kannt werden laſſen, und womit ſie uns ſchon einmal aus 
der Hungersnoth geholfen hat. N 

Aber das ſind eben die leidigen Folgen von dem taͤg⸗ 
lich in der Stadt verdienenden baaren Geld, daß man ſich 
deſſen nicht begnuͤgt, was Gottes Vorſehung einem jeden 
nach feinem Stand beſtimmt hat. Der Ringſinn und Hof 
farth, und die Begierd nur gut eſſen und trinken wollen, 
ohne auf die Guͤter, und auf einen Vorrath etwas zu ver— 
wenden und zu ſparen. — Da verachtet der Stadtgaͤnger 
das ſelbſt gebackene Bauern-Brodt, und will alle Tag nur 


388 Zuſchrift d. phyſ. Geſellſchaft in Zürich ꝛe. 


unbeſchuͤßiges Beckenbrodt eſſen, und die Erdaͤpfel, dieſe 
auf den vornehmſten Herren-Tiſchen geſchaͤtzte Speiſe, ſind 
ihm nicht mehr gut genug — Selbſtgepflanzte Wein und 
Milch und Gemuͤß verachtet er, weil er ſich und feine Kin⸗ 
der an das aus fremden Ländern uͤber's Meer gekommene 
Caffee⸗Getraͤnk gewoͤhnt hat. — 

Dieſes ſagtet ihr uns ſelbſt von euerer Gemeind, und 
muͤſſet die Wahrheit davon erkennnen, wann ihr die ke, 
bensart der meiſten euerer Leuten bedenket. — Wie wehe 
uns dieſes thut, koͤnnet ihr auch wohl denken, da dieſes 
alles die Beſſerung euerer Guͤter, und die Vermehrung 
euers Wohlſtands ſo ſehr hindert, der uns doch ſo ſehr 
am Herzen liegt, und woruͤber wir euch ſo gerne rathen 
und helfen wurden. — 

Schlaget dieſe gutgemeinten Einnerungen nicht in Wind, 
verachtet unſere treuen Raͤthe nicht — dann euere Landes» 
väter, euere Obrigkeit iſt hieruͤber mit uns eines Sinnes, 
und euere bey uns geweſene Mitbürger koͤnnen euch erzeh⸗ 
len wie Ihro Gnaden Herr Burgermeiſter — wie die 
Zochgeachten Zerren Seckelmeiſter, euere Zerren 
Obervoͤgte euch verſichert, daß eben dieſes auch ihre Mei⸗ 
nung und Wunſch ſeye. — 

Schließlich wuͤnſchen wir euerer Gemeind zu allen guten 
Anſtalten, und euer einem jeden zu feinen nutzlichen Ums 
ternehmungen Gottes-Segen — anerbieten euch unſere 
beßtgemeinten Käthe und Zuneigung, indem wir euers 
Zutrauens und euerer Folgſamkeit gewaͤrtig find, 


— 


Vd er alas 


verſchiedene 
E r 5 e 
vorzüglich die 
e, 
auf eine neue Weiſe zu probieren. 


Von 


Hrn. Direktor Exſchaquet zu Servoz 
im Faucigny. 


* 


390 Kupfererze auf eine neue Weiſe zu probiren. 


Von einer neuen Manier, allerhand Arten 
von Erzten auf dem trocknen Wege 
zu probiren. 


Die neue Probierart, die ich hier vorſchlage, hat 'fol⸗ 
gende beträchtliche Vorzuͤge vor allen andern in Rück 
ſicht auf die Behandlung verſchiedener Arten von Erzten. 
1.) Das Verkalchen und Verfluͤchtigen des Schwefels er; 
folgen dabey zu gleicher Zeit, wo die Erze ſelber in Fluß 
gerathen, ſie geſchehen mit der groͤßten Genauigkeit und 
faft in einem Augenblick. 2.) Die Verſuche koſten wenig’, 
und ſind in kuͤrzerer Zeit vollendet. 3.) Das Produkt von 
einer jeden Art Bley oder Kupfererz iſt großer, wenn 
dieſelben Schwefel, Blende, Eiſenkies, Spießglas — 
und zwar alle dieſe Materien zuſammen, oder jede der— 
ſelben beſonders und einzeln mit ſich fuͤhren. 4.) Die 
Probierung der ſogenannten rebelliſchen oder ſtrengfluͤßi— 
gen Erzen iſt völlig, oder beynahe eben fo leicht, als die 
gewoͤhnliche Behandlung der leichtfluͤßigen; ja, je ſtreng⸗ 
flüßiger dieſelben find, deſto größer iſt der Produkt, in 
Vergleichung mit demjenigen, der bey der gewoͤhnlichen 
Probierart von ihnen erhalten wird. Es giebt ſogar gewiſſe 
Gattungen von Erzen, von denen ich faſt gar einen doppel⸗ 
ten Gehalt an Metall bekomme. Auch der kleinſte Antheil 
Kupfer, der in einem Bleyerz befindlich iſt, geht bey die— 
ſem Verfahren nicht zu Grunde, da doch die uͤbrigen Ma⸗ 
terien, fo darinn enthalten find, alle zerſtoͤrt und kver⸗ 
ſchlackt werden. 

Der Salpeter ſpielt die Hauptrolle bey dieſer meiner 
Verfahrungsart. Die große Leichtigkeit, mit welcher er 


. 


Von Herrn Direktor Exſchaquet. 391. 


den Schwefel in den Erzen, und das Brennbare in vie 
len Metallen zerſtöͤrt, fo wie auch die Eigenſchaft, die er 
beſitzt, verſchiedene metalliſche Subſtanzen in einem ſol— 
chen Grad zu verkalchen, daß ihre Erden fich nicht wies 
der herſtellen laſſen, ſondern durch das Hinzufuͤgen ſol— 
cher Salze, die beym Schmelzen als Fluͤſſe gebraucht 
werden, ſich verſchlacken. Dieſe Eigenſchaft, ſage ich, 
leiteten mich ganz natuͤrlich auf die Gedanken, daß wahr— 
ſcheinlich, wenn man gewiſſe Erzarten auf eine angemeſ— 
fene Art durch Salpeter ihres Schwefels berauben und kal—⸗ 
ziniren, und nachher durch ein wirkſames Hilfsmittel wies 
der herſtellen wuͤrde, man ſich ein weit groͤßeres Gehalt 
an Metall auf dieſe Weiſe zu bekommen, verſprechen 
duͤrfte, als auf die gewoͤhnliche Manier, bey welcher 
das Verkalchen langſam und ein anders als hoͤchſt uns 
vollkommen von ſtatten geht, wo alſo auch die fremd— 
artigen mit dem Metalle verbundenen Materien, die fluͤch— 
tiger als es ſelber ſind, bey einer langſamen Schmelzung 
einen Theil des Metalls, das ſich mit ihnen verflüchtis 
get, zu Grunde richten, wie es die Erfahrung genugſam 
lehrt. Die Eigenſchaft, die der Salpeter beſitzt, die Me— 
talle uͤberhaupt zu verkalchen, und die Grunderden von 
einigen der Wiederherſtellung unfaͤhig zu machen, war 


ſchon ſeit langer Zeit bekannt; ich glaube aber nicht, daß 


bey der Probierung der Erze ein Metallurge jemals einen 
andern Gebrauch von dem Salpeter uͤberhaupt gemacht 
habe, als inſofern man ſich ſeiner als eines Fluſſes und 
Hilfsmittels bediente, inſonderheit wenn man ihn mit 
Weinſtein hatte detoniren laſſen, um den ſogenannten 
ſchwarzen Fluß daraus zu bereiten. 

Ich habe eine große Menge von Verſuchen, tba 
heit mit verſchiedenen Bley, und Kupfererzarten, anges 
ſtellt, bey denen ich mich des Salpeters bedient ha— 
be , und allemal mit größerer Leichtigkeit mehr Me 


€ 


* a % 


392 Kupfererze auf eine neue Weiſe zu probiren. 


tall als durch die gewoͤhnliche Probierart von ihnen 
erhalten. 

Zur Probierung eines grobkoͤrnigen oder ſehr reichen 
Bleyglanzes nimmt man eine Unze nicht kalzinirten Bley 
glanzes, thut anderthalb Unzen Salpeter dazu, zerſtoßt 
alles mit einander, macht einen Schmelztiegel von ge— 
nugſamer Groͤße leicht gluͤhend, thut die Miſchung nach 
und nach iu verſchiedenen Theilen, oder auch alles zu— 
ſammen darein, wofern nemlich der Tiegel groß genug 
iſt, fo daß die Materie bey der Verpuffung des Salpe⸗ 
ters nicht uͤberlaufen kann, und nimmt ſich zugleich in 
Acht, baß nicht etwa Kohlen in den Tiegel fallen. Nach 
der Detonation der Miſchung faͤhrt man fort, die Ma— 
terie noch einige Minuten lang gluͤhend zu erhalten, da— 
mit der Ueberſchuß des Salpeters Zeit genug habe, die 
letzten Portionen des Schwefels zu zerftören. Man muß 
aber Sorge tragen, daß der Grad der Hitze niemals zu 
ſtark werde, weil ſonſt das verkalchte Bley leicht ſchmel— 
zen, und zu einem Bleyglas werden koͤnnte, das den 


Tiegel angriefe, und überhaupt die Reduktion des Mes 


talls langſamer und ſchwerer machen würde. 

Nach der Verkalchung des Erzes muß man das Me⸗ 
tall aus demſelben wieder herſtellen. Dieß geſchieht vers 
mittelſt eines Fluſſes, der aus einer Unze rohen Wein⸗ 
ſteins und einer Viertel Unze gemeinen Kochſalzes zuſam— 
mengeſetzt wird. Man zerſtoßt nemlich beydes mit ein; 
ander, und thut es, auch nur nach und nach und in un⸗ 
terſchiedlichen Portionen, in den Tiegel, damit die Ma⸗ 
terie nicht uͤberlaufe, weil jedesmal ein betraͤchtliches 
Aufwallen entſteht, das aber bald wieder nachlaͤßt. Hat 
man allen Fluß hineingethan, fo muß man den Tiegel zus 
decken, und das Feuer noch ein wenig verſtaͤrken, um 
die ganze Miſchung wohl in Fluß zu bringen, unterhaltet 
fie dann in dieſem Zuſtand ungefähr eine halbe Viertel— 


Von Herrn Direktor Exſchaquet. 393 


ſtunde lang, um den Bleykuͤgelchen Zeit zu laſſen, 
ſich zu ſammlen, worauf man endlich den Tiegel weg— 
nehmen kann. 

Die Verſuche mit ſtrengfluͤßigen Bleyerzen erfordern zu 
ihrer Behandlung bis auf zwey und ſelber drey Theile Sal— 
peter gegen einen Theil Erz; auch muß man nach der Ver— 
puffung die Materie ein wenig laͤnger gluͤhend erhalten, 
nachher das Feuer verſtaͤrken, und wohl gerade einen 
Drittel oder den halben Theil mehr Fluß zum reduciren, 
als bey einem leichtfluͤßigen Erz vonnöthen iſt, — doch nie 
auf einmal, ſondern immer nur nach und nach — hinzu— 
thun, auch uͤberhaupt die Materie ein wenig laͤnger wohl 
in Fluß erhalten. 

Die Verſuche mit Bleyerzen, welche mit einiger Gang- 
art vermiſcht find, erfordern dem Verhaͤltnis nach weni— 
ger Salpeter zu ihrer Verkalchung; hingegen muß man 
eine deſto groͤßere Menge des oben beſchriebenen Fluſſes 
hinzuthun, die hinlaͤnglich ſeye, um die Gangart gut in 
Fluß zu bringen. Und ſo verhaͤlt es ſich auch mit der 
Probierung der Kupfererzen; auch ſie erfordern zu ihrer 
Verkalchung mehr oder weniger Salpeter, je nachdem ſie 
mit mehr oder weniger Gangart vermiſcht find, 


Probierung eines mit sEifenties vermiſchten 
Kupfertieſes. 


Man nehme ein halbes Loth dieſes rohen Erzes, und 
eine Unze Salpeter, zerſtoſſe beydes zuſammen und laſſe 
dieſe Miſchung in einem gluͤhenden Tiegel verpuffen: 
Nach der Verpuffung wird ſich die Materie verhaͤrten, 
worauf man das Feuer ein wenig verſtaͤrken, und den 
Tiegel laͤnger gluͤhend erhalten muß, als beym Verſuch 
mit Bleyerz, weil die Verfluͤchtigung des Schwefels hier 

ſchwerer zu bewerkſtelligen iſt. Iſt dieſes geſchehen, ſo 


394 Kupfererze auf eine neue Weiſe zu probiren. 


muß man das Feuer noch mehr verſtaͤrken, bis daß das 
Er; anfaͤngt zu ſchmelzen, worauf man zu wiederholten 
malen eine Miſchung von einer halben Unze Weinſtein 
und einem halben Loth Kochſalz, nebſt einem Antheil 
von Kohlen darein thun muß: Auch hier wird jedesmal 
ein Aufbrauſen erfolgen. Iſt aber endlich aller Fluß in 
dem Tiegel, ſo thut man noch eine Unze Schlacken, 
die kein Erz enthalten, oder Glas dazu; denn dies Hins 
zufuͤgen iſt beym Probieren eines jeden eiſenhaltigen Er⸗ 
zes vonnoͤthen, weil ohne daſſelbe das verſchlackte Eiſen 
den Tiegel angreifen, und bald zu Grunde richten wuͤrde. 
Sind die Schlacken in dem Tiegel, fo deckt man denfel; 
ben zu, verſtaͤrkt das Feuer, und unterhaltet daſſelbe 
ungefaͤhr eine halbe Stunde lang in ziemlicher Staͤrke, 
um das Kupfer dabey wohl in Fluß zu bringen. End— 
lich nimmt man den Tiegel aus dem Feuer, und findt, 
nach Zerſchlagung deſſelben, ein rothes, ſehr geſchmeidi⸗ 
ges Kupferkorn unter den Scherben. Die antimonialiſchen 
Kupfererze, (Kupferfahlerzt) welche ſich nach der ges 
woͤhnlichen Manier, ſo zu ſagen, faſt gar nicht behandeln 
laſſen, geben bey ihrer Probierung mit Salpeter eben ſo 
leicht ein rothes Kupferkorn, als die Kupferkieſe, fie md; 
gen nun viel oder wenig Eiſen beygemiſcht enthalten. 
Man befolget fuͤr die einten wie für die andern die gleis 
che Behandlung, die ich oben beym Verſuch mit Kupfer⸗ 
kieſen angezeigt habe. 

Vier Theile Salpeter auf einen Theil Kupfererz ſcheinen 
mir zur Probterung aller dieſer verſchiedenen Erzarten 
ſtets zureichend zu ſeyn: Nur muß man, wenn dieſel⸗ 
ben von der Gangart beygemiſcht enthalten, die Menge 
des Salpeters jedesmal im Verhaͤltniß mit jener vermins 
dern, weil dieſer im entgegengeſetzten Fall doch nur ver⸗ 
loren waͤre, und man dazu noch ſtets eine deſto größere 
Menge des wiederherſtellenden Fluſſes anwenden muͤßte, 


Von Herrn Direktor Exſchaguet. 395 


ſowohl um den Ueberſchuß des Salpeters damit zu ver— 
puffen, als um das Metall ſelber zu reduciren. 


Es iſt nothwendig, bey der Probierung von allen Erg 
arten, daß man allezeit einen Ueberſchuß von Salpeter 
dazu nehme, und iſt auch leicht zu erkennen, ob die Ver— 
haͤltniſſe beyder gegen einander richtig geweſen ſeyen, oder 
nicht; denn wenn man die erſte Portion des reduciren— 
den Fluſſes in den Tiegel thut, ſo ſoll er den Ueber— 
reſt des Salpeters zuerſt verpuffen und aufzehren, 
in der Folge aber beym fortgeſetzten Hinzuthun nichts 
weiters als ein Aufkochen der geſchmolzenen Materie 
bewirken. 


Es ſcheint mir nicht unmoͤglich zu ſeyn, dieß Verfah⸗ 
ren noch weiters auszudehnen, und auch auf die Probie— 
rung von andern Erzarten mehr, z. B. auf die Scheidung 
des Eiſens von einem Kobolterz anzuwenden. Leuten, die 
die Kunſt verſtehen, kann es nicht unbekannt ſeyn, wie 
ſchwer es iſt, durch das gewoͤhnliche chemiſche Verfahren 
das Eiſen von einem Kobolterz zu ſcheiden. Da nun 
aber der Salpeter die Eigenſchaft nicht hat, auch dem 
Kobolt durch die Verpuffung die Wiederherſtellungsfaͤhig— 
keit zu benehmen, ſo ſcheint daraus zu folgen, daß, wenn 
man ein eiſenhaltiges Kobolterz verkalchen, nach ſeiner 
Verkalchung daſſelbe, um den Arſenik zu zerſtoͤren, mit 
einer gewiſſen Menge Salpeters vermiſchen, und alſo in 
Fluß wuͤrde kommen laſſen, hierdurch die Grunderde 
des beygemiſchten Eiſens der Wiederherſtellung unfaͤ— 
hig werden wuͤrde. Wuͤrde man hierauf noch von dem 
rebucirenden Fluß hinzuthun, fo bekaͤme man wahr, 
ſcheinlich nach einem genugſamen Schmelzen einen Ko— 
boltkoͤnig, der von dem in dem Erz enthalten gewe— 
ſenen Eiſen rein ſeyn wuͤrde. Dieß Verfahren wuͤrde 
weitaus weniger weitlauftig ſeyn, als die gewoͤhuliche 


396 Kupfererze auf eine neue Weiſe zu probir. ꝛc. 


Sublimation des Kobolts mit Salmiak, oder die Be— 
handlung deſſelben auf dem naſſen Weg. Die Probie⸗ 
rung der Erze mit Salpeter beweist unter anderm auch, 
wie viel Metall, inſonderheit bey ihrer Ausſchmelzung 
im Großen, gemeiniglich verlohren gehe. Es waͤre 
zu wuͤnſchen, man koͤnnte eine Materie ausfuͤndig mas 
chen, die ſo wohlfeil waͤre, daß ſie bey ſolchen Schmel— 
zungen, anſtatt des Salpeters gebraucht werden koͤnnte. 
Man mürde dadurch auch ein wenig mehr Silber und 
Gold erhalten. 


e D—õR 


Neue Verſuche 


den 


eee eee ee 


ere, it aun 
und das 


eee e ee 


zu reinigen und von feiner Sproͤdigkeit 
zu befreyen. 


Vo n 
Herrn Hütten: Direktor Exſchaquet 
zu Servoz im Faucigny. 


398 Neue Verſuche d. Stahl zuzubereiten :c. 


Handwerkern „ die auf Eiſen arbeiten, kann es nicht 
unbekannt ſeyn, daß es viele Abaͤnderungen in den Ei— 
genſchaften dieſes Metalls gebe, und daß man beynahe 
fo viele Gattungen deſſelben unterſcheiden koͤnne, als es 
Eiſenhuͤtten giebt, oder Haͤmmer, von welchen daſſelbe 
verarbeitet und zum Verkauf zugeruͤſtet wird. Im Stahl 
bemerkt man eine faſt eben ſo große Verſchiedenheit, als 
im Eiſen, und es waͤre allerdings zum Vortheil des 
Publikums zu wuͤnſchen, daß die Unternehmer dieſer Fabri— 
ken fich größere Mühe geben möchten, um dieſe bepden 
Metalle recht zu laͤutern und zu reinigen, als gewoͤhn— 
lich geſchieht. Man kann nemlich aus dem geringſten Ei⸗ 
fen ſehr gutes, und aus dem ſchlechteſten Stahl den bes 
ſten Stahl verfertigen; ja es ſcheint ſogar, daß man 
es mit ihnen beyden zu einem noch hoͤbern Grad von 
Vollkommenheit wuͤrde bringen koͤnnen, und daß bisher 
in unſere Eiſenhandlungen noch uͤberall kein vollkommen 
reines Eiſen zum Vorſchein gekommen ſeye, ſo wie man 
auch den Stahl bey weitem nicht ſo gut macht, als es 
moͤglich waͤre, ihn zu machen. 

Es ſind aber die Mittel, durch welche man dieſe bey— 
den Metalle zu einem fo hohen Grad von Vollkommen— 
heit und Reinigkeit erheben kann, in der That etwas 
weitlaͤuftig und koſtbar; und ich zweifle ſelber daran, 
daß man von Eiſen, das in jenem Grad gereiniget wor— 
den waͤre, einen Nutzen haben würde, der der Mühe | 
und den Unkoͤſten, die man darauf verwendet, und feis 
nem daraus entſtandenen hohen Preis das Gleichgewicht 
hielte. Nicht ſo verhaͤlt es ſich hingegen mit moͤglichſt 
vollkommenem Stahl, geſetzt auch, daß derſelbe ſehr 
theuer zu ſtehen kaͤme: Die laͤngere Dauer der daraus 


Von Hrn. Hütten- Direktor Exſchaquet. 399 


verfertigten Werkzeuge, nebſt dem Umſtand, daß man 
beſſer mit denſelben arbeiten, und geſchwinder in der Ar— 
beit fortkommen kann, wuͤrden ſich gewiß immer gegen 
den niedrigen Preis eines ſchlechten Werkzeuges heraus— 
nehmen, mit dem man in der Arbeit faſt gar nicht fortz 
koͤmmt, das auch noͤthig hat, oͤfters ausgebeſſert zu 
werden, und das endlich im Gebrauch der Arbeiter auch 
eher ermuͤdet. 

Wenn es einem gelingen fol, Stahl in dem hoͤchſten 
Grade von Vol kommenheit zu verfertigen, fo muß man 
fuͤr's erſte völlig reines Eiſen dazu auswaͤhlen. Es hält 
aber ſchwer, und iſt auch koſtbar, ein ſolches zu erhals 
ten, groͤßtentheils wegen der nahen Verwandſchaft und 
der innigen Anhaͤnglichkeit, die gewiſſe fremdartige Thei— 
le, welche in groͤßerer oder kleinerer Menge ſich in allen 
Eiſenerzten vorfinden, zum Eiſen ſelbſt haben, von wel— 
chem ſie ſich zuweilen auch aͤußerſt ſchwer trennen laſſen. 
Die Guͤte der Kohlen, die Einrichtung der Oefen und die 
Leitung oder Fuͤhrung des Geblaͤſes beym Friſchfeuer, 
ſpielen aber eine nicht minder weſentliche Rolle dabey, 
und ſind ſchwer, gehoͤrig angeordnet zu werden. Ich 
ſetze, zum Beyſpiel, man laſſe bey vollem Wind und 
ſtarkem Feuer ein Stück faſerichtes und ſehr geſchmeidi— 
ges Eiſen ſchleunig einſchmelzen, und der Arbeiter halte 
daſſelbe waͤhrend der Arbeit unter den Luftzug vor der 
Form hingeſtreckt, ſo wird er ein bruͤchiges, koͤrniges 
Eiſen, ſtatt des Faſerichten und Geſchmeidigen, das es 
vor dieſer Arbeit geweſen war, bekommen; dieß koͤr— 
nichte Eiſen wird indeſſen leichter warm zu ſchmieden, 
und weicher unter dem Hammer, dagegen aber kaltbruͤ— 
chig und haͤrter ſeyn, und geſchickter zum zuſammen— 
wellen, (plus tendre à ſonder), als das faſerichte Eiſen. 
Mich duͤnkt hier, man koͤnne eine ſolche Verwandlung 
des faſerichten in ein koͤrnichtes Eiſen keiner andern Urs 


400 Neue Verſuche d. Stahl zuzubereiten ꝛc. 


ſache, als der Kryſtalliſation ſeiner Theile, zuſchreiben, 
die ſich beym Erkalten, wegen dem ungleichen Verhaͤlt— 
niß des Brennbaren, auf eine ungleiche Weiſe zuſammen 
fügen. Beyde dieſer Gattungen find aber gleich geſchickt, 
um Stahl daraus zu machen, ſeys durch Schmelzen oder 
durch Brennen (cementiren.) Laßt man hingegen das 
gleiche faſerichte Eiſen abſchmelzen, und haͤlt daſſelbe 
waͤhrend der Arbeit dem Luftzug vor der Form zu ſehr 
ausgeſetzt, ſo wird daſſelbe mehr Abgang erleiden, und 
das Eiſen wird weich, aber ungeſchmeidiger und weni— 
ger zaͤh werden, als es vorher geweſen war, weil es 
nemlich zu viel von ſeinem Brennbaren verlohren hat, 
wodurch ein Theil ſeines Gewebes, oder der Faſern, 
die ſich dabey merklich verkuͤrzen, zerſtoͤrt wurde. Es 
wird in den Eiſenhuͤtten von den Arbeitern mageres oder 
verbranntes Eiſen genennt. In dieſem Zuſtande naͤhert 
es ſich dem verkalchten Eiſen, und iſt dann haͤrter zu 
ſchmieden und zuſammen zuwellen, als es vorher gewe— 
ſen war. Laͤßt mau endlich bey einem maͤßigen Feuer 
koͤrnichtes Eiſen wieder einſchmelzen, inſonderheit mit 
Kohlen von weichem Holz, und haͤlt daſſelbe waͤhrend 
der Arbeit weder dem Luftzug vor der Form zu ſehr aus— 
geſetzt, noch aber zu tief unter die Form niedergeſenkt, 
ſo bekoͤmmt es ſein Gewebe wieder, wie zuvor, ja es wird 
noch faſerichter dabey. Und ſo verhaͤlt es ſich nun auch 
mit gewiſſen Stahlarten, die ebenfalls, wenn man ſte 
bricht, ehe fie gehaͤrtet find, ein ſolches faſerichtes Gez 
webe auf dem Bruche zeigen, welches man in ein koͤr— 
nichtes Gewebe verwandeln kann, wenn man den Stahl 
in ſtarkem Feuer verarbeitet. 

Ich habe mehrere Unterſuchungen angeſtellt 5 um, wo 
möglich, die fremdartigen Materien ausfindig zu machen, 
welche die Natur der im Commerz befindlichen gemeinen 
Stahl: und Eiſenarten veraͤndern. Ich werde mich aber 

vor 


* 


Von Hrn. Huͤtten⸗Direktor Exſchaquet. 401 


vor jetzt nicht bey der umſtaͤndlichen Beſchreibung diefer 
meiner Verſuchen aufhalten, ſondern nur die verſchiede— 
nen, jene Metalle veraͤndernden, Materien ganz kurz 
anzeigen. Erſtlich und gemeiniglich iſt es der Schwefel, 
welcher das gemeine im Commerz befindliche Eiſen dem 
bloſſen Roh- oder Gußeiſen mehr oder weniger aͤhnlich 
macht. Dieſem folgt der Arſenik; dieſem, wie ich glaus 
be, das Siderum oder Waſſereiſen, dieſem das Kupfer, 
vielleicht zuweilen auch der Nickel, und das Reißbley, 
(plombagine) (der Verfaſſer meynte wohl eher den 
Braunſtein), manchmal if es nur eine, manchmal aber 
mehrere dieſer Materien zugleich, die in groͤßerer oder 
geringerer Menge die Natur des Eiſens veraͤndern, und 
ſeine Guͤte vermindern, ſo daß ſich nothwendig eine un— 
endliche Verſchiedenheit in den Eigenſchaften dieſes Des 
talls vorfinden muß. Ich will einige derſelben anfuͤhren: 
Erſtlich, das Geſchwefelte oder durch Schwefel verun— 
reinigte Eiſen. Es zeigt in ſeinem Bruch ein Korn mit 
größern oder kleinern und ſehr glaͤnzenden Flaͤchen, iſt 
ſehr kaltbruͤchig, (ſoll wahrſcheinlich heiſſen, rothbruͤchig), 
(denn gemeiniglich halt man ja den Schwefel, oder beſ— 
ſer die Schwefelſaͤure, fuͤr die vornehmſte Urſache des 
Rothbruchs) laͤßt ſich aͤußerſt ſchwer zuſammen wellen, 
und ſpruͤhet im Feuer viel große und ſehr glaͤnzende Fun⸗ 
ken; es iſt leicht fluͤßig. Die zweyte Gattung, oder das 
arſenikaliſche Eiſen, zeigt auf dem Bruch ein feineres 
und minder glaͤnzendes Korn, als das mit Schwefel ver— 
miſchte, iſt aber eben ſo bruͤchig, und ſchweißt ſehr ſchwer 
zuſammen; auch es iſt leicht in Fluß zu bringen. Die 
dritte Gattung Eiſen, ſo wahrſcheinlich mit Waſſereiſen 
vermiſcht iſt, iſt oft, je nach den Verhaͤltniſſen dieſer 
Vermiſchung, im Bruch faſericht, d. i. fie zeigt ſchwaͤrz⸗ 
liche oder dunkelgraue Faͤden. Dieſe Gattung laͤßt ſich 
kalt und warm ſchmieden und gut zuſammen wellen; 
Magaz. f. d. Naturk. Helvetiens III. B. Ce. 


402 Neue Vorſchlaͤge d. Stahl zuzubereiten ze. 


aber eben dieſelbe zeigt zuweilen, wenn ſie nemlich, wie 
ich ſchon angemerkt habe, anders war bearbeitet worden, 


auf dem Bruche auch ein graulichtes Korn von einem mat⸗ 


tern Anſehen, als das geſchwefelte Eiſen; in dieſem Falle 
laͤßt fie ſich dann bey einem geringern Grad von Hitze, als 
das faferichte, aber auch noch gut zuſammen wellen und 
ſchmieden; fie iſt aber kaltbruͤchig. Die vierte Gattung von 
Eiſen, ſo mit Kupfer vermiſcht iſt, zeigt auf dem Bruch 
ein faſerichtes Gefuͤge, gleicht beym erſten Anblick der vor⸗ 
hergehenden Gattung Eiſen, laͤßt ſich gut ſchmieden; aber 
hingegen nur aͤußerſt ſchwer und ſchlecht zuſammen wellen. 
Die letzte oder fünfte Eiſengattung, welche die beßte von 
den gewoͤhnlichen iſt, hat ein faſerichtes und hellgraueres 
Gewebe, als die andern Gattungen, zeigt auf dem Bru⸗ 


* 


che weiſſe und gleichſam verzinnte Fäden, koͤmmt groͤßten⸗ 


theils aus urſpruͤnglichen Eiſenerzten oder Eiſenſteinen, 
die von dem Magnet angezogen werden, iſt kalt und warm, 
unter allen die geſchmeidigſte, aber hingegen haͤrter zu 
ſchmieden, zu ſchweißen und zu ſchmelzen, als alle uͤbri⸗ 
gen Gattungen. Dem ungeachtet laͤßt ſie ſich vollkommen 


gut verarbeiten, leidet beym Schmieden auch weniger Ab⸗ 


gang, und ſpruͤht beym Schweißen nur kleine Funken ins 
Feuer. Ein Eiſenblech von dieſer Gattung iſt kalt, und 
ſaſt gar nicht zu brechen. 


Es giebt aber außer dieſen noch andere Eiſengattungen „ 


welche von mehrern dieſer fremdartigen Materien zugleich 
in größerer oder kleinerer Menge verunreiniget ſind; allein 
ſie ſind zu ſehr unter einander verſchieden, als daß man eine 
jede derſelben genau beſchreiben und beſtimmen koͤnnte. 
Ueberhaupt kann man fie zu den ſchlimmſten Eiſengattun⸗ 
gen zählen: Ja man darf, wie gefagt , ſogar ſicher anneh⸗ 
chen, daß man überall kein gewoͤhnliches Eiſen antreffe , 
das nicht in geringer Menge eine oder mehrere dieſer Ma⸗ 
terien enthalte. Dieſe fremdartigen Beſtandtheile haben 


Von Hrn. Hütten» Direktor Exſchaquet. 403 


übrigens einen noch nachtheiligern Einfluß auf die ſchlim⸗ 
me Beſchaffenheit des Stahls, als aber des Eiſens. 

Ich will nun weiters anzeigen, was dieſe verſchiedenen 
Eiſengattungen fuͤr Eigenſchaften annehmen, wenn man 
ſie in Stahl verwandelt, und zwar durchs Brennen oder 
Cementiren, welches mir die vorzuͤglichſte Verfahrungsart 
zu ſeyn ſcheint, um Stahl zu machen; doch muß das Eis 
ſen, ſo man zu Stahl brennen will, allemal vorher bis 
zu einem gewiſſen Grad gereiniget worden ſeyn. 

Ehe wir aber zu dieſer umſtaͤndlichen Beſchreibung übers 
gehen, iſt es noͤthig anzumerken, daß der Grad der Hitze, 
bey der Verwandlung des Eiſens im Stahl, einen großen 
Einfluß auf ſeine Eigenſchaften habe. Ich will drey ſolcher 
Grade bey dieſem Verſuche unterſcheiden. Erſtlich, den 
kleinſten Feuersgrad, bey dem es moͤglich iſt, von allen Ei⸗ 
ſengattungen durchs Brennen Stahl zu erhalten. Der 
zweyte Grad iſt derjenige, wann das Eiſen bey einem ſo 
heftigen Feuer, als es aushalten kann, ohne zu ſchmelzen, 
zu Stahl verwandelt wird. Bey dieſem Grad iſt wenig 
gewoͤhnliches Eiſen geſchickt, einen Stahl zu geben, der ſich 
ſchweißen oder zuſammenwellen ließe. Der dritte Grad 
beym Stahlmachen iſt derjenige, wo man das Feuer ſo 
weit getrieben hat, daß das Eiſen im beygelegten Zuſatz 
ſchmelzt. Bey dieſem Grad iſt kein gemeines Eiſen geſchickt 
einen Stahl zu geben, den man ſchweißen und ſchmieden 
koͤnnte, wenn man ihm nicht zuvor ſeine Wildheit und 
Sproͤdigkeit zu benehmen geſucht hat. Verwandelt man 
nun geſchwefeltes Eiſen beym erſten dieſer Feuersgrade, in 
Stahl, fo erhält derſelbe die Eigenſchaft, ſehr leichtflͤͤßig 
zu ſeyn; waͤrmt man ihn bis zum Weißgluͤhen, ſo ſpritzt 
er große weiſſe und ſehr glaͤnzende Funken in die Luft; 
ſchmiedet man ihn in dieſer Hitze mit dem Hammer, ſo 
ſchleudert er ihrer eine noch groͤßere Menge von ſich; auch 
nur unter leichten Hammerſchlaͤgen zerfällt er in kleine Stüs 


404 Neue Vorſchlaͤge d. Stahl zuzubereiten ꝛc. 


ke, ohne daß es moͤglich waͤre, nur den mindeſten Theil 
derſelben wieder zu einem Ganzen zu vereinigen oder zu⸗ 
ſammen zu ſchweißen. Etwas weniger erwärmt, laͤßt er 
ſich beſſer ſchmieden. Beym Haͤrten wird er ziemlich ſproͤ⸗ 
de, und bleibt überhaupt ſtets bruͤchig. Er laßt ſich nicht 
biegen, als wenn er gaͤnzlich, oder doch beynahe ganz wie⸗ 
der gewaͤrmt wird; und wenn man das gleiche Eiſen beym 
zweyten Grad der Hitze in Stahl verwandelt, ſo wird er 
noch ſchlechter dabey, und läßt ſich dann nicht mehr als 
äußerft ſchwer ſchmieden. Die zweyte Stahlgattung, fe 
beym erſten Feuersgrad aus arſenikaliſchem Eiſen erhalten 
wird, iſt auch von ſchlechter Beſchaffenheit; man kann 
ſie nicht wohl ſchweißen, und nur mit großer Muͤhe 
ſchmieden. 

Die dritte Gattung von entſchwefeltem aber mit Waſſer⸗ 
eiſen vermiſchtem Eiſen, das ein faſerichtes Gewebe hat, 
und warm und kalt geſchmeidig iſt, oder auch auf dem 
Bruche ein mattes Korn zeigt. — Dieſe Eiſengattungen 
geben beym erſten Feuersgrad einen gewoͤhnlichen Stahl, 
der den Hammer ziemlich gut vertraͤgt; lichtroth oder weiß⸗ 
warm geglühet läßt er ſich auch mittelmäßig gut zuſammen⸗ 
wellen; in der Schweißbige ſpruͤht er kleinere und minder 
blendende Funken, als die vorhergehenden Stahlgattungen. 
Nach der Ablöfchung muß man ihn durch Wärme wieder 
graͤulichblau, oder grau werden laſſen, ehe man ihn, ohne 
zu brechen, biegen kann: Und wenn man die gleichen Eis 
ſengattungen beym zweyten Grad der Hitze in Stahl 
verwandelt, ſo kann man ſie uͤberall nicht mehr, oder 
doch nur aͤußerſt ſchwer zuſammen wellen; ſie ſind dann 
ſehr ſproͤde nach der Haͤrtung, und ſehr leicht zu 
ſchmelzen, und haben auch nur wenig Leib oder Fe⸗ 
ſtigkeit, 

Die vierte, mit Kupfer Gerichte Eifengattung giebt 
ſchon beym erſten Grad der Hitze einen Stahl, den man 


Von Hrn. Hütten» Direktor Exſchaquet. 407 


nicht mehr zuſammen wellen, und ſelbſt nicht anders als 
mit Muͤhe ſchmieden kann. 

Die fuͤnfte, oder beſte von den gewöhnlichen Eifengats 
tungen, ſo auf dem Bruche weiſſe Faſern zeigt, giebt 
hingegen ſchon beym erſten Grad der Hitze einen ſehr feſten 
und guten Stahl, der ſich vollkommen gut ſchweißen und 
ſchmieden laͤßt; er gewinnt beym Abloͤſchen auch eine ziem⸗ 
liche Haͤrte, und laͤßt ſich, ſo bald er durch Waͤrme wieder 
blau geworden, ſchoͤn biegen, erduldet auch weniger Ads 
gang beym Schmieden, als die uͤbrigen Stahlgattungen. 
Wird das gleiche Eiſen beym zweyten Grad von Hitze zu 
Stahl gemacht, ſo laͤßt ſich dieſer ebenfalls gut ſchweißen 
und ſchmieden; es erfordert aber bey dieſer Arbeit ſchon 
mehr Sorgfalt. Lichtroth gegluͤhet, faͤngt er an zu ſchweiſ⸗ 
ſen, ohne Funken zu ſpruͤhen, und weißwarm gemacht, 
wellt er ſich ſehr gut zuſammen, doch muß man im An⸗ 
fang nur ſanft auf ihn ſchlagen. Bey dieſem Grad von Hiz— 
ze ſpruͤht er kleine blaͤuliche Funken. Durch's Abloͤſchen ge⸗ 
winnt er eine große Haͤrte, und ſchmelzt leicht. Das glei⸗ 
che Eiſen beym dritten Grad von Hitze, bey dem es mit 
dem Zuſatz zuſammen ſchmelzt, giebt einen ſo ſproͤden und 
empfindlichen Stahl, daß man ihn überall nicht ſchweißen 
und ſelbſt nicht ſchmieden kann. Auch nur mäßig geglüs 
het, bricht er faſt wie Glas unter dem Hammer, es ſeye 
dann, daß man ihm durchs Anlaufen ſeine Sproͤdigkeit 
zuerſt etwas vermindere. Dieſe fuͤnfte Eiſengattung findt 
ſich in einem mehr und weniger vollkommenen Zuftande, 
Es iſt diejenige, aus welcher man den Stahl in England 
macht, und zwar bey einem Grad von Hitze, bey welchem 
er nach dem Abloͤſchen die hoͤchſte moͤgliche Haͤrte anneh⸗ 
men kann. Man kann dieſe Stahlarten oft faſt gar nicht, 
oder doch nur aͤuferſt ſchwer zuſammen ſchweißen. Die 
Art des Zuſatzes, fo wie der Grad der Hitze, und die Vers 
arbeitung derſelben unterm Kleinhammer tragen ungemein 


—— 


406 Neue Vorſchlaͤge d. Stahl zuzubereiten ꝛc. 


viel zu ihrer mehrern oder mindern Guͤte bey. Das Ei⸗ 

ſen, welches bey dem zweyten Grad von Hitze zu Stahl 
gemacht wird, nimmt nach dem Abloͤſchen gemeiniglich 
die groͤßte Haͤrte an. N 

Es iſt mir gelungen, aus dem moͤglichſt gereinigten Ei⸗ 
ſen einen Stahl zu verfertigen, der nach dem Abloͤſchen 
eine ungemeine Haͤrte annimmt. Er leidet beym Schmie⸗ 
den faſt gar keinen Abgang; wird er beym Rothgluͤhen im 
Waſſer ar gekühlt, fo erkaltet er langſamer als andere Stahl⸗ 
arten; dem Feuer widerſteht er beſſer als das beſte gewoͤhn⸗ 
liche Eiſen; ein ſehr dünnes Stuͤckgen davon läßt ſich voll⸗ 
kommen gut zuſammen wellen, und eben ſo gut ſchmleden; 
auch kalt iſt er ſehr geſchmeidig, und vertraͤgt die Schlaͤge 
des Hammers ſehr gut, ohne zu brechen oder Riſſe zu be⸗ 
kommen. Mit groͤßter Schnelligkeit ins Waſſer getaucht, 
und nur blos bis zur gelben Farbe wieder gewaͤrmt, 
laͤßt er ſich durch heftige Hammerſtreiche ausdehnen, und 
biegen. 

Die gleiche Ablöfchung macht ihn faſt zu allen Arten 
von Gebrauch dienlich; er iſt hart genug, um Gußeiſen 
und geſchmiedetes Eiſen, ſelbſt mit ſehe duͤnnen Meißeln, 
zu ſchneiden, und fchleift- man ſie ſo ſcharf, als ein Scheer⸗ 
meſſer, fo ſchneiden fie das Holz ohne ſich abzunutzen. 
Ueberhaupt laſſen ſich die gewoͤhnlichen Stahlarten nach 
ihrer Härtung nicht biegen, als bis ſie durch neues Waͤr⸗ 
men die graue Farbe wieder angenommen haben, und die 
beſten, ſo ich kenne, erfordern, daß man ſie aufs wenigſte 
bis zur blauen Farbe erwaͤrme, wenn man fie, ohne daß 
fie ſi brechen, biegen will. 

Alle Eiſengattungen, die man durchs Brennen zu Stahl 
macht, blaͤhen ſich mehr oder weniger auf, das reinſte Ei⸗ 
ſen iſt dasjenige, ſo ſich am wenigſten blaͤhet; Stahl, der 
am eigentlichſten Stahl iſt, zeigt in ſeinem Zuſatz keine 
Spuren von Blaͤhungen. 


— 


> 


Von Hrn. Huͤtten⸗D Direktor Erfhanue: 40 


Ich habe auch Stahl gemacht, den man in Formen gie® 
ſen kann; er ſchmelzt beynahe eben ſo leicht, als rothes 


Kupfer. Im Bruche zeigt er ein ſehr feines Korn; im 
kalten Waſſer abgeloͤſcht wird er ſo hart, daß er ſo gar 
das Glas ſchneidet; er ſcheint vom Roſt nicht angegriffen 
zu werden, und nimmt eine ſchoͤne Politur an: Gegen die 
Feile iſt er aber ſehr hart, und nutzt ſie gar bald ab, 
ſelbſt wenn er wieder gewaͤrmt worden iſt. Salpeterſaͤure, 
oder wenigſtens gemeines Scheidwaſſer, löst ihn nicht 
auf, nicht einmal, wenn man das Menſtruum in die Wäts 
me ſetzt: Mit concentrirter Salpeterſaͤure habe ich keine 
Verſuche angeſtellt; hingegen loͤst er ſich in Koͤnigswaſſer 
und Vitrioloͤl, fo mit Waſſer verdünnt worden, leicht auf. 
Ich will das Verfahren befchreiben , das ich bey der Ver⸗ 
fertigung deſſelben befolget habe. 

Ich nahm Stahl, der in einem gewöhnlichen verfchloffes 
nen und feuerfeſten Cementgefaͤße bey einem heftigen Feuer 
geſchmelzt worden war, ließ ihn in einem Tiegel, in dem 
er von einem Cementſatz bedeckt war, der aus zwey Theis 
len Holzkohlen, und einem Theil gemeinem Koch. oder 
Seeſalz beſtund, bey heftigem Feuer einige Minuten lang 
zum zweytenmal in Fluß gerathen: Denn es iſt, wenn 
der Verſuch gelingen ſoll, unumgaͤnglich nothwendig ihn 
mit einem ſolchen wirkſamen Zuſatz zu bedecken, weil er 
ohne denſelben wahrend dem Schmelzen von feinen brenn⸗ 
baren Beſtandtheilen verlieren, und eben dadurch ſtreng⸗ 
fluͤfiger werden wuͤrde; nicht zu gedenken, daß der Stahl 
ſich ſehr leicht verſchlackt, und die Tiegel ſehr geſchwind 
zu durchfreſſen pffegt. Wird nun ein fo zubereiteter Stahl 
mit einem kleinen Antheil Zinn zum drittenmal in Fluß 
gebracht, und mit dem Zuſatz bedeckt, ſo ſchmelzt er noch 
leichter, und behaͤlt doch dabey ſeine andere Eigenſchaften. 
Dieſer Stahl iſt uͤbrigens, fo wie der vorhergehende, kalt⸗ 
bruͤchig ı ungefähr wie das gewoͤhnliche Roheiſen, und 


408 Neue Vorſchlaͤge d. Stahl zuzubereiten ic. 


9 
* 


= 


wenn man fie beyde nur rothalühet, fo vertragen hie dich 


Schlaͤge des Hammers faſt gar nicht. 

Will man Stahl in einem Tiegel ſchmelzen, ſo muß 
man ihn ſtets mit einer brennbaren Materie bedecken, 
um ihm mehr Phlogiſton mitzutheilen, weil dieß a 
befördert , das Verkalchen hindert, und dem Durchfreffen 
der Tiegel vorbaut. Bey dieſer Vorſicht kann man Stahl 
in einem verlutirten Tiegel ſehr lang im Fluſſe erhalten, 
ohne daß dieſer beſchaͤdiget wuͤrde: Da hingegen ein Zoll⸗ 
dicker, und von der Feuer beſtaͤndigſten Erde verfertigter 
Tiegel in weniger als zwey Stunden durchfreffen wird, 
wenn man Stahl darinn ſchmelzt, ohne Kohlen, oder an⸗ 
dere dergleichen brennbare Materien beyzufuͤgen. 

Ehe ich dieſe Abhandlung ſchließe, muß ich doch noch 
melden, daß ich verſchiedene Mittel verſucht habe, Eiſen 
aus mehrern Huͤtten ſowohl zu reinigen, als auch nach 
feinen Beſtandtheilen zu unterſuchen. Die Verſuche, die 
ich dabey gemacht, um ihre Eigenſchaften zu verbeſſern, 
haben mich überzeugt, daß es einem immer damit gelingen 
koͤnne, freylich mit mehr oder weniger Muͤhe, und Auf⸗ 
wand. Ich habe ſelbſt einige dieſer am wenigſten koſtba⸗ 
ren Verfahrungsarten in Eiſenhuͤtten, wo auf Umkoͤſten 
des Staats gearbeitet wird, im Großen anwenden laſſen; 
und es fand ſich, daß das alſo erzielete Eiſen merklich beſ⸗ 
ſere Eigenſchaften erhielt, als es vorher gehabt hatte; es 


wurde geſchmeidiger, zaͤher, hatte weniger Fehler, und 


wurde folglich auch tauglicher befunden, um Stahl daraus 
zu verfertigen. Was aber die Mittel betrift, deren ich 
mich bediente, um auch durch die Zerlegung die fremd⸗ 
artigen Theile kennen zu lernen, durch welche das gemeine 
Eiſen fo oft verunreiniget iſt; fo muß ich geſtehen, daß 
ich mich öfters nicht anders, als auf eine etwas zweifel⸗ 
hafte Manier von den Urſachen dieſer ihrer ſchlimmen Eis 
genſchaften habe verſichern koͤnnen; und fand ich dann, daß 


* 


„ 


Von Hrn. Huͤtten⸗Direktor Erſchaquet. 409 


ein Mittel nicht hinlaͤnglich und nicht entſcheidend genug 

war, fo verſuchte ich ein zweytes. Ich wählte zu dieſem 

Endzweck von dem geläuterteften Eiſen, fo mir möglich 
war, aus, ließ einige Stangen deſſelben mit Schwefel, 
Arſenik, Nikel oder rothem Kupfer in verſchiedenen Ver. 
haͤltniſſen wieder abſchmelzen, unterſuchte nachher die Eis 
genſchaften der alſo verunreinigten Eiſen, und fand, daß 
bey gewiſſen Proportionen dieſelben in allen Abſichten von 
gleicher Beschaffenheit, wie bie gemeinen Eiſengattungen, 
waren. Ich machte ſie nachher zu Stahl, und unterſuchte 
auch alsdann ihre Eigenſchaften. Waren die Verhaͤltniſſe 
der beygemiſchten fremden Materien zu ſtark, ſo erhielt ich 
ein geringeres Eiſen, als das gewoͤhnliche iſt, brachte es 
aber doch durch ſtuffenweiſſes Laͤutern nach und nach wies 
der zu ſeinem erſten Zuſtand von gereinigtem Eiſen zuruͤck. 
Jedoch, ich will mich vor jetzt in keine umſtaͤndlichere Bes 
ſchreibungen über dieſen Gegenſtand einlaſſen, der allem 
dings Stof zu einer ſehr weitlaͤuftigen Abhandlung herge 
ben koͤnnte. 


Verfahrungsart, um das Gold zu reinigen und 
von ſeiner Svrs digkeit zu befreyen. 


Ich will zuerſt die Bereitungsart des Fluſſes beſchreiben 
deſſen man ſich zur Zerſtoͤrung der fremden Materien bes 
dienen muß, die das Gold ſproͤde machen. Er beſteht aus 
einer Miſchung von unreiner Phoſphorſaͤure, die halb mit 
firem, mineraliſchem Laugenſalz geſaͤttigt iſt, fo daß die 
Saͤure noch eine gewiſſe Menge von Selenit aus Knochen 
aufnehmen und aufgelöst erhalten kann. Man nehme alſo 
zwey oder drey Theile kalzinirter und zerſtoſſener Knochen, 
zwey Theile Vitrioloͤl, die man mit zwey und dreymal fo 
viel reinen Waſſers vermiſchen kann, thue die Knochen, 
und die verduͤnnte Saͤure in eine Kolbe, ſchuͤttle die Mi⸗ 


410 Neue Vorſchlaͤge d. Stahl zuzubereiten e. 


ſchung, um die irdiſchen Theile zu verhindern, ſich an ein⸗ 
ander zu haͤngen und zu verhaͤrten, laſſe ſie 2. bis 3. Tage 
in der Kolbe ſtehen, um der Vitriolſaͤure Zeit zu laſſen, 
die Knochen aufzuloͤſen, ſich mit der darinn enthaltenen 
Kalkerde zu vereinigen, und einen Gyps zu bilden. Als⸗ 
dann verſuͤſſe man dieſe Erde mit reinem Waſſer, bis daß 
ſie nur noch einen leicht ſaͤuerlichen Geſchmack uͤbrig behaͤlt, 
richte die Miſchung durch ein Filtrum, wenn ſie nemlich 
ſehr truͤb und milchigt iſt; denn wenn ſie dieß nicht ſon⸗ 
derlich iſt, ſo kann man ſich der Muͤhe des Filtrirens 
uͤberheben. Nun laſſe man dieſelbe in einem glaͤſernen Kol⸗ 
ben, oder einem andern glaͤſernen, ſteinernen oder porcel⸗ 
laͤnenen Gefaͤß abdunſten, und iſt ſie zum Theil, und zwar 
ſo weit abgedunſtet, daß ſie einen Theil des Selenits, den 
ſie aufgeloͤst hielt, fallen laͤßt, ſo thue man ſixes, minera⸗ 
liſches Laugenſalz dazu, doch nur bis zur halben Saͤttigung, 
und ſo, daß noch ein ziemlich ſtark ſaͤuerlicher Geſchmack 
übrig bleibe. Jetzt laſſe man alles bis zum Trocknen ab; 
dunſten, thue das uͤbrig gebliebene in ein glaͤſernes Gefaͤß, 
das man wohl verſtopfen muß, um die Feuchtigkeit der 
Luft abzuhalten, welche es begierig einſaugt und leicht da⸗ 
von zerfließt. Will man nun zur Reinigung des Golds Ge, 
brauch davon machen , fo thut man in den Tiegel, in 
welchem das Gold wirklich im Fluß iſt, eine geößere Den 
ge deſſelben, als das Gold ſelber ſchwer iſt; die eigentlich 
dazu erforderliche Menge iſt nicht wohl moͤglich, beſtimmt 
anzugeben, weil ſolche von der Unreinigkeit des Golds ab⸗ 
haͤngt. Hat man es alſo eine halbe oder ganze Viertel⸗ 
ſtunde im Fluß erhalten, ſo verſucht man, ob es ſeine 
Sprödigkeit nun völlig verlohren habe. Ich habe in weni⸗ 
ger als einer Viertelſtunde Zeit, auf dieſe Weiſe Gold ge⸗ 
reiniget, das ich mit halb ſo ſchwer Zinn im Feuer ver⸗ 
miſcht, und nachher mit einer gewiſſen Menge dieſes Phos⸗ 
phorſalzes hatte ſchmelzen laſſen. Auch bin ich voͤllig ver⸗ 


r 


Von Hru. Hütten» Direktor Exſchaquet. 411 


ſichert, daß man dieß Salz — mit gleichem Erfolg bey ſei⸗ 
nem Gebrauch — nur blos aus firem, vegetabiliſchem Lau⸗ 
genſalz / ſtatt des mineraliſchen, um die Phosphorſaͤure 
halb damit zu fättigen , ver fertigen koͤnn te; es kaͤme fo 
viel wohlfeiler zu ſtehen. Von einem Pfund Knochen ev 
haͤlt man ungefaͤhr ein halbes Pfund von dieſem Salz; es 
koͤmmt alſo, wenn man es leicht in einiger Menge verfer⸗ 
tiget, nicht fo theuer, als wenn man es aus dem Bo⸗ 
rax zieht. 


Die Phosphorſaͤure in dieſem Salz hat die Eigenſchaft, 
auf verſchiedene Metalle zu wirken, und ſie zu verkalchen, 
ihre metalliſchen Erden zur Reduktion unfaͤhig, und mit 
dem Alkali, nebſt dem Selenit, von welchem dieß Salz 
mit zuſammen geſetzt iſt, gefaͤrbte metalliſche Glaͤſer zu 
machen. Das Kupfer widerſteht der Wirkung dieſes faus 
ren Salzes am laͤngſten. Man thut am beßten, wenn man 
daſſelbe durch einen Chemiſt bereiten laͤßt, obſchon eigent— 
lich die ganze hier vorgeſchriebene Bereitungsmanier leicht 
zu befolgen iſt. 


Schmelzt man dieß Phosphorſalz in gewiſſer Propor⸗ 
tion mit Meßing oder gelbem Kupfer, fo erhält dieß letz— 
tere die ſchoͤne Facbe des ſogenannten Semilor. Dieſe 
Wirkung rührt von der Phosphorſaͤure her, die die Eis 
genſchaft hat, den Zink, der dem Mefßing bekanntlich 
beygemiſcht iſt, mit großer Leichtigkeit zu verkalchen. 
Miſcht man alſo dem Meßing, wenn er im Fluß iſt, auch 
eine ſo geringe Menge dieſes Phosphorſauren Salzes bey, 
daß ſie nicht zureichend iſt, allen Zink zu verkalchen, ſo 
erhält man nothwendig ein Semilor: Oder geſetzt, die 
Doſis waͤre mehr als hinlaͤnglich, um jenes zu bewirken, 
ſo darf man nur den Tiegel von dem Feuer nehmen, ehe 
die Saͤure genugſam Zeit gehabt hat, um allen Zink zu 


a, ö 


412 Neue Vorschlage d. Stahl susube 


verkalchen; laͤßt man 0 länger , fo bannt Be ro⸗ 
thes Kupfer. u 


Dieb Phosphorſaͤure⸗ Salz wirkt nur ſchwach auf das 
Kupfer, wenn es im Fluß iſt; hingegen ſtark und ſchnell 
auf den Zink, das Zinn, das Bley, und noch ziemlich 
ſtark auf einige andere metalliſche Materien. 


Ich habe mich in dieſer Abhandlung immer der Be⸗ 
nennung des Brennbaren oder Phlogiſton bedient, 
weil mich duͤnkte, daß ſie die Sache eben ſo gut aus⸗ 
drucke, als die in der neuern Chemie angenommenen Be⸗ 
nennungen. 5 


. ˙ w w 


Eu 4 
4 


. N e gen N 


0 6e 


2 N 
. 


1 | ; 


414 Recenfionen 


Vertrauliche 


Erzählung einer Schweitzerreiſe 
im Jahre 1786, in e, 


Von 
D. Ploucquet. 


Tuͤbingen 1787. kl. 8. ohne Vorrede. S. 180. 


Von einem Manne wie Hr. Dr. Ploucquet ſieſſe ſich nichts 1 
Mittelmaͤßiges erwarten und doch wuͤnſchten wir dieſe ver? 
trauliche Erzählung waͤre niemals bekannt gemacht worden; 
denn fie wird neben den beſſern Reiſebeſchreibungen durch 
die Schweitz kaum ihr Gluͤck machen. 

Aus dem erſten Briefe zu ſchlieſſen, war dieſe Erzählung 
vielleicht eher zu einem Handbuche fur die allgemeine Klafe 
von Reiſenden, welche keinen beſtimmten Zweck fuͤr ihre 
Reiſe vorhatten, beſtimmt, als zu einer Bekanntmachung 
von noch unbemerkten und neuen Thatſachen, die zu einen 
naͤhern Kenntniß der Schweitz dienen koͤnnten. Dieſes letze 
tere würde man alſo vergeblich ſuchen, deſto mehr para⸗ 
doxe Widerſpruͤche und Angriffe gegen innlaͤndiſche Natur⸗ 
forſcher von bekanntem Werthe. 

Der erſte Brief S. 1 — 10. handelt von nichts als dem 
Fuhr⸗ und Poſtweſen, aber ziemlich fehlerhaft und einſeitig.— 95 

Man muß in Ruͤckſicht der Straſſen und der Poſten die 8 
gebirgigte und in allem theure Schweitz nicht mit dem meiſt 0 
ebenen und wolfeilern Deutſchland verwechſeln. Es ſi d ir er 
Deutſchland viele Stationen, die kleiner find, als die in der 

Schweiz: wo man aber hingegen nicht ſo weit koͤmmt, als auf * 
2. ben Schweitzerſtationen. Wenn eine Staten gebingiat 0 


A 


Recenſtonen. 415 


iſt, ſo muß ſie kleiner ſeyn, um die Pferde — welche auch in 
dieſen gebirgigten Stationen faſt gleich ſtreng laufen muͤſſen, 
wie in den ebenen — nicht zu ſehr zu treiben. — Ferner 
iſt eine Schweitzerſtunde in Beziehung der Straſſen weit 
ſtaͤrker als eine deutſche ıf2 deutſche Meile, fo daß 20 
Schweitzerſtunden Wegs 12 bis 14 deutſche Poſtmeilen aus— 
machen. Und zuletzt iſt es ein Irrthum, den Weg von Bern 
auf Lauſanne in 12 ıf2 Poſten einzutheilen, da er nur 
10 1/2 macht. Uebrigens ſteht es jedermann frey, die theus 
rere aber geſchwindere Extrapoſt — die der Fremden halber 
iſt etablirt worden — zu gebrauchen, oder ſich Mietkutſchen 
zu bedienen; theuer iſt es immer in der Schweiß zu reifen, *) 

Der zweyte Brief S. 10. enthaͤlt die Beſchreibung des 
Reiſegeraͤths zweckmaͤßig — nur hat uns befremdet zu ver 
nehmen, daß in der Schweitz ſchlechterdings keine Regen⸗ 
ſchirme zu bekommen wären); da wären wir wohl übel dar⸗ 
an, dann kaum iſt ein Staͤdtebewohner in der Schweitz oh⸗ 
ne dieſes nothwendige Hausmeuble. 

Der zie Brief von S. 11 — 24. enthält die Reife von 
Tuͤbingen bis Tuttlingen, welche uns nichts weiters angeht, 
als daß wir uns an einigen artigen Bemerkungen uͤber das 
Landvolk und deſſen Gewerb in dieſer Gegend ſehr vergnuͤgt 
haben. Haͤtte der Verfaſſer die Schweitz doch auch eines 

aͤhnlichen Beobachtungsgeiſtes gewuͤrdiget! 
Der ate Brief enthält über Schaffhauſen nichts neues, 
aber auch nichts fehlerhaftes. | 

Der ste der Rheinfall. Nach der herrlichen Meinerſi⸗ 
ſchen Beſchreibung iſt dieſe noch gut ausgefallen. Daß er 
ſich aber ob den weiſſen Waſſerblaſen des ſtuͤrzenden Waſ⸗ 

ſers aufhaͤlt, um zu beweiſen, daß ſolche nicht Schaum 


) Wir koͤnnen aber Hrn. Ploucquet beruhigen, die Extrapoſten find 
wieder eingegangen, weil die Erfahrung gezeigt hat, daß in unſe⸗ 
rer theuren, Gebirg⸗ und See⸗ reichen Schweiß dieſelben ohn⸗ 
möglich gluͤcklichen Fortgang haben konnen. 


N 


ee. 


* 


416 Recenſtonen. 


ſeyen, iſt etwas zu minutios. Das Waſſer in aͤuſſerſt klei. 


ne Theile zerſtaͤubt, erſcheint immer weiß, fo auch die Waſ. 


ſerblaſen — eine alte phyſiſche Erfahrung. 

Der ste Brief. Reife von Schaffhauſen nach Bern iſt 
gut ausgefallen. Die Beſchreibung der Bauernhaͤuſer im 
Aergaͤu S. 38. ſind nach der Natur; der Ausfall auf die 
Kauchfaͤnge in dieſen Haͤuſern iſt aber nur halb gegründet, 
Allerdings ſind Rauchfaͤnge in den Bauernhaͤuſern, aber 
nur von Holz, breit, ohne Wahl und Zweck, und gehen 
nur durch ein kleines Loch zum Dach hinaus. Weder Ar⸗ 
muth noch Indolenz ſind Urſache von dieſer zweckwidrigen 
Bauart, ſondern Vorurtheil und alter Gebrauch. Reiche 
Bauern bauen eben ſo in vielen Gegenden, und indolent iſt 
der Schweitzerbauer gewiß nicht, was ſeine Haus und 
Landwirthſchaft betrift. S. 42. iſt ein grundloſer Ausfall 
auf die Wirthshaͤuſer, „als wenn dieſe nicht allenthalben 
das Eigenthum der Wirthen, ſondern reichen Part kularen 
u. dgl. gehoͤren und verpachtet wuͤrden, wo denn der Pacht⸗ 
wirth die Reiſende ſchroͤpfe, ſo lange er ſeine Pacht halte, 
und gegen Klagen ſchou gedeckt ſeye. „ Dieſes alles iſt falſch. 
Es giebt Wirthshaͤuſer wie in Zürich, Lauſanne, Solo⸗ 
thurn, Genf, Biel dergleichen, welche den Wirthen ſelb⸗ 
ſten zugehoͤren, und wo man theurer iſt, als in Pachtwirths⸗ 
haͤuſern wie in Bern, Thun u. ſ. w. Wenn der Verfaſſer 
hätte die Mühe nehmen wollen, ſich etwas um den hohen 
Preis von allem dem zu erkundigen, was zum Lebensunter⸗ 
halt in der Schweitz nothwendig iſt: als Brodt, Fleiſch, 


m 


Butter, Wein, Holz, Fiſch, Geflügel, Fuiter für Pferde 


u. ſ. w. und alsdann die gute reinliche Bewirthung ſelbſt 
in einzelnen an der Landſtraſſe gelegenen Wirthshaͤuſern in 


Erwägung gezogen hätte, fo würde er eher den Schluß ger 


zogen haben, welchen jeder uneingenommene Reiſende un⸗ 
aufgefordert gern ſelbſt eingeſtehet, daß verhaͤltnißmaͤßig 
gegen die theure Lebensart in der Schweitz, die Wirthshaͤu⸗ 


ſer 


Recenſtſonen. 417 


fer noch wolfeil find, und daß man hoͤchſiſelten Wirthshau⸗ 
ſer antrift / wo man geſchroͤpft wird, welches, weil ſie oft 
ſo nah auf einander liegen, noch den Schroͤpfenden ſchaͤd⸗ 
lich wäre, indem man fie vorbeygehen und ı oder 2 Stund 
weiters ein anderes Wirthshaus auswaͤhlen kann. Im Ge⸗ 
gentheil halten die Wirthe auſſer den Staͤdten oft einen gleis 
chen Preis mit einander. 

Auch iſt fehlerhaft, was er mit den Strohhuͤten ſagt. 
Wol freylich giebt es leyder viele Vaͤuerinnen, die aus eis 
nem uͤberfluͤßigen Luxus fo theure Strohhuͤte tragen. Wenn 
aber Herr Ploucquet nichts glaubt, als was er ſieht, da koͤn⸗ 
nen freylich die Strohhuͤtchen nichts dafuͤr. 

S. 44. „Ein ſonderbarer Gebrauch in der Kleidung fällt 
„ auch auf, daß nämlich die Weibsperſonen ihre Schürze 
„hinten mit einem Haken zuſammenheften, und alſo den 
„Zugang in die Taſchen erſchweren. » 

Wie kann ſich doch ein reiſender Gelehrter an ſo einfaͤlti⸗ 
gen Gegenſtaͤnden aufhalten? Wenn alſo eine Magd oder 
Weibsperſon bey ihrer Arbeit ihre Kleider ſchuͤrzt, ſo ſoll 
dieſes gleich eine Nationalkleidung ſeyn, gerad als wenn 
man in Deutſchland den Schuhſtern ihre Lederſchuͤrze zur 
Nationalkleidung machen wollte. 

S. 45. Kein groͤſſeres Kompliment haͤtte der Verfaſſer 
wol dem Nahliſchen Meiſterſtuͤcke in Hindelbank machen koͤn⸗ 
nen, als da er behaupten wollte, „der Kuͤnſtler habe feinen 
Vs Grabſtein ſamt den Aufſchriften ganz und unzerbrochen 
„ verfertiget , ihn alsdann wirklich zerbrochen, die Bruch⸗ 
s ſtuͤcke auf das Grab, in welchem die Figur liegt, geſtellt, 
„ und alſo die Natur nicht nachgeahmt, ſondern ganz eins 
„fach benutzet. » 

Hätte der Verf. den Bruch des Steins genau unterſu— 
chet, und alsdann den Sandſtein im Bruche dagegen ge 
halten, fo würde er das Unſchickliche feiner Aeuſſerung ſchon 
eingeſehen haben; ferner braucht man nur das ganze Grabs 

Magaz. f. d. Naturk. Selvetiens. III. B. D d 


418 Recenſtonen. 


mahl etwas genau zu betrachten, fo wird man auch als— 
dann den irrigen Schluß des Verfaſſers leicht entziefern koͤn⸗ 
nen; und zuletzt leben noch Zeugen genug, welche bey der 
Verarbeitung zugegen waren, die das vollkommene Gegen⸗ 
theil einmuͤthig bezeugen. 

Was der Verfaſſer S. 47 vom Schweitzer⸗Hornvieh ſagt, 
iſt ſehr unbeſtimmt; daß die Schweiger» Küh zu den beßten 
Racen gehören, iſt albekannt. Rec. ware lange Zeit im 
Wuͤrtenbergiſchen, bemerkte aber niemalen ſo ſchoͤnes Vieh 
als in der Schweitz. — Aber auch die Groͤſſe beſtimmt nicht 


alles. In Hohenheim ſelbſt lieferte das beßte und praͤchtig⸗ 


fie Vieh unter der fleißigften Wartung nicht das, was es 
in der Schweitz geliefert hatte. Es haͤngt alſo mehr von 
dem Clima und den Alpen als von dem aͤuſſerlichen Aue 
hen des Viehs ab, daß es eintraͤglicher ſeye. 


Was der Verf. von Bern ſagt, iſt kurz wenig und gut, 


auch ſeine Meinung uͤber die geharniſchten Maͤnner im Zeug⸗ 
haus gegen Hrn. Prof. Meiners gegründet, Daß ſich die 
Frauenzimmer in Bern aber auſſer die Arcaden nicht aufs 
Steinpflaſter hinauswagen, wird doch nur ſcherzweis vers 
ſtanden ſeyn. 

S. 56. u. f. Die Reiſe auf dein Thunerſee; nichts neues, 
als eine Ahndung gegen die Schiffahrt und Schiffleute, und 
der gewöhnliche Fehler, den riefen als einen Kegelberg zu 
beſchreiben. 

S. 61., nicht Tralligen, ſondern Ralligen. 

S. 63. Hr. Ploucquet muß doch in der That ein Rleſe ſeyn, 
wenn im ganzen Oberlande kein Mann ſich mit ihm und 
keine Weibsperſon mit feiner Gemahlin haͤtte maͤſſen koͤnnen; 
allein der Verf. kann uns es nicht fuͤr uͤbel aufnehmen, 
wenn wir aufrichtig bekennen, daß dieſe Aeuſſerung ziem— 
lich nach den Ufern der Zeronne ſchmecke. Hätte er geſagt, 
er haͤtte keinen Mann angetroffen, der ſo groß ſeye als 
er, fo haͤtt' es noch mögen angehen, obgleich wir daran 


Recenſtonen. 419 


noch immer zweifeln wuͤrden; aber im ganzen Oberlande, 
das allbekannt in der Schweiz die groͤßten Maͤnner liefert, 
ſey keiner ſo groß als er. — Wahrlich Herr Plouquet 
muß ein Rieſe ſeyn. 

Bis S. 71. nichts interreſſantes. — Nur wuͤnſchten wir 
den Ausdruck prezioͤſe Metze aus dieſer Erzaͤhlung weg. 

Mit ſchweizeriſchen Ausdruͤcken, wie S. 72. und an an⸗ 
dern Orten haͤtte der Verfaſſer ſich nicht einlaſſen ſollen; 
denn fie find alle unrecht abgeraft. 

Bis S. 84. iſt ſo eine ziemlich natuͤrliche, aber auch 
wenig interreſſantbeſchriebene Reiſe durchs Lauterbrunnen⸗ 
und Lütſchinenthal nach dem Grindelwald, wenig unrich- 
tiges, aber auch keine erhebliche Bemerkungen. 

Itzt kommen wir aber auf einen Punkt zu ſprechen, wel⸗ 
chen wir lieber gaͤnzlich ausgewichen waͤren; allein da er 
eigentlich das interreſſanteſte des ganzen Buͤchleins aus— 
macht, und in Deutſchland an ein und andern Orten als 
begruͤndet und wahrſcheinlich ſchien aufgenommen worden 
zu ſeyn, ſo hat der Herausgeber weder ſich ſelbſt, noch mir 
Recenſenten, diejenige Erfahrungen, welche nur durch 
Jahre- langen Aufenthalt und durch beſondere gluͤckliche 
Verhaͤltniſſe koͤnnen erworben werden, zugetrauet, und mit 

Recht nicht zugetrauet, ſondern einen Gelehrten, welchem 
das Schickſal bey einem 20 jahrigen Aufenthalt in den 
Eis⸗ und Gletſchergegenden genugſame Gelegenheit vers 
ſchafft hat, ſeine Faͤhigkeiten und Kenntniſſe mit den Natur— 
erſcheinungen dieſer ſonderbaren Gegenden zu verbinden — 
dieſen wichtigen Theil der Rezenſion auf ſich zu neh⸗ 
men, erſucht. | 

( Vide Nachtrag ic. p. 427.) 


S. 117. Br. XIII. Einige Unrichtigkeiten bey Benen⸗ 
nung der Bergen ausgenommen, iſt die Wanderung durch 
das Grindelwaldthal und zuruͤck bis auf Thun, nicht unfein 


420 Recenſſonen. 


fuͤr eine Erzaͤhlung; wenig befriedigend aber fuͤr den Natur⸗ 
forſcher und Lernbegierigen. 

S. 125. Will der Verfaſſer einen unſern beſten helveti, 
ſchen Reiſebeſchreiber zurecht weiſen; und giebt ſich dagegen 
auf eine ſolche Art blos, wo jeder Bauer ihn eines beſ— 
fern belehren koͤnnte. Der von Hrn. Plouquet getadelte 
Reiſende bemerkt folgendes uͤber die helvetiſchen Seen: 
„Ohne ſolche Waſſerbehaͤlter, als der Thuner⸗ und die 
„übrigen Seen in der Schweiz find, würden die faaͤchern 
„Theile des Landes bald gänzlich verwuͤſtet und unbewohn⸗ 
„bar gemacht werden. Die Natur ſelbſt hoͤhlte dieſe tiefen 
„ und vielfaſſende Becken an den Fuͤſſen der hoͤchſten Gebirge 
„aus, damit ſie die wilden Bergwaſſer, die ſich bey dem 
„plötzlichen Schmelzen des Schnees von den boͤchſten 
„Gebirgen herunterwaͤlzen, bald aufnehmen und ihre zer⸗ 
„ſtoͤrende Wuth bald brechen möchten. „ Dieſtes iſt ſchon 
theoretiſch ſo wahr und nach allen mechaniſchen und 
hydrauliſchen Grundbegriffen über den Druck der Fluͤßig⸗ 
keiten auf ſchiefen Flaͤchen in verſchiedenen Winkeln mit 
dem Horizonte ſo allgemein als beſtimmt, angenommen, 
daß wir nicht begreifen, wie ein Gelehrter, wie Herr 
plouquet hier etwas irriges hat finden koͤnnen. Herr 
Dlouquet will diefe allen Helvetiern bekannte Wahrheittauf 
folgende Art widerlegen: »Wenn auch überall keine Seen 
„wären, fo würde darum das Schneewaſſer, das jeden 
5 See voll» (wie voll ? doch nur beziehungsweis ?) 
„antrift, keine größere Verwuͤſtung anrichten., — Ey! 
Ey! wie falſch geſchloſſen! Der Herr Verfaſſer iſt von 
Bern uͤber den Thunerſee ins Lauterbrunnenthal in Grindel⸗ 
wald und wieder zuruͤck gereiſet, und bey dieſer fuͤr einen 
Reiſenden beurtheilenden Naturforſcher ſo unbedeutenden 
Reiſe hat er es gewagt, Erfahrungen und Wahrheiten 
abzulaͤugnen, welche jedem Bergthalbewohner oft traurig 
und fuͤrchterlich genug werden. Haͤtte er im Haslithal 


Kecenfionen 421 


die Verwuͤſtungen der Aare; in Wallis, die der Rhone; 
von Altorf bis an Staͤg, die der Reuß und des Schaͤchen⸗ 
fluſſes; ob dem Zuͤrichſee, die der Limmat und Lint; zwi— 
ſchen Sallenche und Carroupe, die der Aare; des Rheins, 
ehe er in Bodenſee faͤllt, der Thur u. ſ. w. geſehen, und 
unterſuchet, fo hätte ihm der Unterſchied der Wirkungen 
eines Bergſtroms, ehe er durch die Gegenwirkung eines 


viele Meilen langen Sees in ſeinem heftigen Druck ge— 


hemmt wird; und wenn er ſanft, hell und klar aus dem 
See herausfließt, auffallen muͤſſen. — Aber fo hat er von 
dieſem allem nichts geſehen, ſpricht Darüber ab, und wis 
derlegt einen Schriftſteller, der Augenzeuge von obigen 
Thatſachen geweſen ware. Und doch — haͤtte er ſich bey 
Thun die Muͤhe nehmen wollen, eine halbe Stund weit 
zu gehen, um zu ſehen, was ehemals die Kander fuͤr große 
Verwuͤſtungen angerichtet hat, wie dieſes verwuͤſtete Land 
nun nach und nach angebauet wird, und wie keine Gegend 
ringsherum dadurch leidet, obgleich die Kander nun in 
die See fließt. Glaubt der Verfaſſer dann, daß die Re— 
gierung von Bern, die außerordentliche Koſten gewagt ha— 
ben wuͤrde, einen Berg durchgraben zu laſſen, um der Kan— 


der einen andern Ausfluß in den See zu verſchaffen und 


den Gewalt des wilden Stroms in dem ſanft widerſtreben— 
den Waſſer des Sees zu hemmen, wenn man nicht ſchon 
vorher uͤberzeugt geweſen waͤre, daß der Nutzen einer ſonſt 
nur Römern und Englaͤndern möglichen Unternehmung uns 
bezweifelt ſeyn wuͤrde. Die Kander verwuͤſtete ſonſt die Ges 
genden von Thun; und obgleich dieſe in den See, und der 
See wieder bey Thun herausfließt, fo leiden doch die nem— 
lichen Gegenden von Thun itzt nichts von dem Waſſer , 
da doch nach dem Syſtem des Verfaſſers, welcher nur auf 
die menge, und nicht auf den Druck und den plöglis 
chen Anwachs des Waſſers Ruͤckſicht nimmt, dieſe Gegen» 
den von Thun beſtaͤndig leiden muͤßten, um ſo mehr, da 


422 Recenſſonen. 


nun ein Strom in den See hineinfaͤllt, der zuvor nicht in 
denſelben, ſondern neben vorbey durch die ſchoͤnen Gefilde 
von Thun floſſe, und alſo nach eben dieſem Syſtem die Ober⸗ 
fläche des Sees erhöhen, und die umliegenden Gegenden 
mit Ueberſchwemmung bedrohen ſollten. Der Verfaſſer 
faͤhrt fort: „Denn obſchon das weite Baßin eines ſolchen 
„Sees vorher durchaus höher angefuͤllt werden muß, ehe 
„der aus ihm flieffende Strom oder Fluß mehr Waſſer 
„bekommt / und ſtaͤrker anlaufen kann, ſo muß doch, wenn 
„ ſchon etwas ſpaͤter, alles Bergwaſſer, was ſich in den 
„See ergoſſen hat, das wenige, was ausduͤnſtet, abges 
„rechnet, z. Beyſp. aus dem Thunerſee in die Aare heraus— 
zo fließen; und dieſe bringt es weiters, 5 055 mehr einen 
» See zu berühren, „ 
Sehr ſcheindar! aber doch fehr unwahr und einſeitig. 
Erſtlich. Bringt der Verfaſſer keinen Kalkul zum Vor⸗ 
ſchein, der dieſe Hypotheſe unterſtuͤtzen foll; wie viel Ku⸗ 
bikfußwaſſer meynt Herr Plouquet wohl, muß in einen 
7. Stunden lang, eine Stund breiten und (die Mittels 
ſumme genommen) 80. Klafter tiefen See fließen, ehe def 
fen Oberfläche um einen Zoll ich erhoͤhet; und was iſt eine 
Zollhoͤhe von Bedeutung bey dem Ufer eines Sees? | 
Zweytens. Nimmt er die Ausbdünſtung als ſehr unbe⸗ 
traͤchtlich an, da ſie doch zu Sommerszeit (wenn eben die 
Bergſtroͤme am groͤßten find), wegen den erhitzten Felſen⸗ 
Ufern gewiß alle ſeine Begriffe weit uͤberſteigt. | 
Drittens. Nimmt Herr Plouquet beſtaͤndig nur auf die 
Menge des Waſſers Ruͤckſicht, und hingegen gar nicht auf 
den Fall deſſelben, den Winkel, in dem es faͤllt, noch auf 
den Druck des fallenden Waſſers; und dieſe find doch die 
Haupturſachen der Waſſerverwuͤſtungen. Der Herr Verfaſ⸗ 
ſer wird nach der Mathematik die Geſetze der Schwere, 
der Verhaͤltniſſen und der Zeiten der fallenden Koͤrper ken— 


Recenſtonen. 423 


nen; er wird doch wohl wiſſen, daß ſich die Gewalt des 
Waſſers nicht ſowohl nach ſeiner Menge, ſondern nach 
dem Winkel richtet, in welchem es faͤllt, daß alſo ein 
Stromm, der in einer Stunde mit einem Winkel von 
5. Graden fließt, diejenige Gewalt nicht hat, wie einer, 
welcher in gleicher Zeit mit einem Winkel von 15. 20. bis 30. 
Graden faͤllt. Er wird doch die Berechnung kennen, wie 
ſich die Geſchwindigkeit und die Gewalt des Falls eines Koͤr— 
pers zu den Zeiten ſeines Falls verhalten? Wie ſtark meynt 
nun der Herr Verfaſſer, daß der Winkel des Falls der Aare 
von ihrem Urſprunge auf dem Grimſel bis in das Haslis 
thal ſeye? Wie ſtark des Falls des Rheins vom Rheinwald— 
gletſcher bis ins Rheinthal; der Rhone von der Furka bis 
in das Untere⸗ Wallis u. ſ. w. ſeye? 

Ein jeglicher Muͤller oder Waſſerbaumeiſter kann dem 
Verfaſſer uͤber die Gewalt des Falls eines Waſſers auf 
ſchiefer Fläche Lehren geben, und dann wird er den unbe⸗ 
ſchreiblichen und geſegneten Nutzen der Seen an dem Fuſſe 
der Alpen nicht mehr verlaͤugnen koͤnnen. 

Und zuletzt nimmt der Verfaſſer gar keine Acht auf die 
Art, wie die Bergſtroͤmme in den Alpen entſtehen. Von 
Sauffüre hat in feinen Reifen einige wichtige Beyſpiele 
angefuͤhrt; ieder Alpenbewohner und Alpenreiſende kennt 
fie. Wenn im Sommer ein ſtiller heiſſer Tag, ein ſchwuͤ⸗ 
ler Suͤdwind, ein warmer Regen auf den Schneegebirgen 
eine außer verhaͤltnismaͤßige große Menge Schnee und Eis 
wegſchmilzt, ſo wachſen die Bergſtroͤmme ſo ſchnell und ſo 
gewaltſam zu einer Höhe oft von 3.4. Fuß (welches bey 
der ſchiefen Flaͤche ihres Falles deſto fuͤrchterlicher iſt), 
und dieſes binnen 2. bis 4. Stunden, daß man denſelben 
zu wehren, ganze Dorfſchaften aufbieten und fluͤchten muß. 
Bern erinnert ſich einer ähnlichen ploͤtzlichen Auwachſung 
der Aare. Er verreiſete des Morgens früh bey einem ſchoͤ— 
nen heitern Himmel von der Prieuͤrie im Chamouny, mit 


424 Reecenſtonen. 


einigen Freunden auf dem Gletſcher des Montanwerts. 
Gleich vor dem Dorfe muß man durch eine hoͤlzerne Bruͤ— 
ke, die Aare, die ſehr klein war, paßiren. Es war einer 
der herrlichſten aber auch heiſſeſten Tagen im Auguſt. Nach— 
dem wir den ganzen Tag auf eine angenehme und lehrreiche 
Art dieſes Eisfeld betrachtet hatten, kamen wir Abends 
gegen 10. Uhr wieder bey gedachter Brucke an. Die Aare 
war aber ſo angewachſen, daß ſie ſchon einige Zoll uͤber 
den Boden der Brücke ausfuhre, große Felsbloͤcke und Eis⸗ 
ſtuͤcke von mehrern Kubikſchuhen daher waͤlzte, und alle 
Augenblicke die Bruͤcke wegzuſchwemmen drohte. Die 
Einwohner jenſeits der Aare jammerten um ihre Bruͤcke, 
die einen ſchrien, wir ſollten geſchwind geſchwind kommen, 
die andern baten und riethen uns, es nicht zu wagen. 
Endlich wagten wir es doch; uͤber die Knoͤchel gieng uns 
das eiskalte Waſſer auf der Brücke; der Mauleſel zitterte 
nicht weniger als die Bruͤcke, welche von den anprellenden 
Eis und Felsſtuͤcken in Truͤmmern zu gehen ſchien; wir ka⸗ 
men glücklich hinuͤber, danketen Gott; eine kurze Zeit nach⸗ 
her war die Bruͤcke weg, und des Morgens darauf die 
Aare ſo klein als zuvor. Wer kennt die traurige Geſchichte 
jenes Geiſtlichen von Vivis nicht? In einer Viertelſtunde 
war die Vewayſe noch trocken, in der andern ſpuͤhlte und 
waͤlzte fie einen Garten mit einem Luſtcabinet, (in wel⸗ 
chem ein Geiſtlicher an einer Predigt ſtudierte) ganz in den 
See hinaus, und verſchlang alles, ſo daß von dieſem al⸗ 
lem nichts mehr zu ſehen war. 

Waͤre der Verfaſſer nur ins Haslithal gewandert, ſo 
haͤtte ihm die bey Meyringen gegen die ſo geringſcheinende 
Dorf: und Alpbaͤche aufgeführte lange Klafter-dicke Mauer 
zur Schuͤtzung des Dorfs, und das große Bett dieſer klei⸗ 
nen Bächlein ſeine falſche Idee leicht benehmen koͤnnen. 
Es koͤmmt alſo hier nicht auf die Menge des Waſſers an, 
als wenn blos dieſe allein ohne Nebenumſtaͤnde jene fuͤrch⸗ 


NKecenfionen 425 


terlichen, ſchauervolle Verwuͤſtungen in den Berglaͤndern 
anrichtete, ſondern dieſe Nebenumſtaͤnde, als das urploͤtz⸗ 
lich geſchwinde Anſchwellen der Bergwaſſer, und die 
durch die ſchiefe Flaͤche der Berghalden verſtaͤrkte Gewalt 
und unwiderſtehbar- werdende Druck des fallenden Waſſers⸗ 
werden zur Haupturſache. Tauſend Kubikfuß Waſſer ploͤtz— 
lich in einem ſchiefen Winkel von einer Felſenhoͤhe in ein 
Thal hinabſtuͤrzen und ſich mit allen ſeinen großen Geſchie— 
ben fortwaͤlzen, richtet dort traurige Verwuͤſtungen an, 
da ſie in einer Ebene von weniger Bedeutung ſind, und 
einen 6. Stund langen See, kaum einen halben Zoll hoch 
ſanft erhoͤhen. 

Man nehme an, es wären keine Brienzer und Thuners 
Seen, und dieſe Gegend eine fruchtbare Ebene; wenn nun 
die Wildſtroͤme den Aare, Loͤtſcheue, Lambach, Rats 
der u. a. m. plotzlich vom Schneewaſſer anſchwellen ſollten, 
fo würde dieſes Land das traurige Gegenſtuͤck zu dem von 
der Rhone durchwuͤhlten Unter-Wallis abgeben. Der Druck 
von oben bey dem ſchiefen Fall des Waſſers wuͤrde alle 
Sommer die Gefilde zerreiſſen, uͤberfuͤhren und zuletzt zu 
mooſichten oder ſteinigten armſeeligen Weiden umſchaffen; 
da hingegen das ſtille ebene Seewaſſer die ſtuͤrmiſchen trüben 
Wellen der Waldwaſſer aufnimmt; ihre Gewalt bricht; 
ihre Geſchiebe verſchlingt und ſanft und klar wieder von 
ſich giebt. 

Geſegnet ſeyen daher uns dieſe fo nützlichen Seen. Es 
werden noch manche Jahrhunderte vergehen, ehe fie von 
Geſchieben werden ausgefuͤllt ſeyn, indem ſie beynahe eben 
ſo viel dem Weltmeere in Syrten und Sandbaͤnken bey 
den Ausfloͤſſen des Rheins, der Donau, der Rhone und 
des Po's abgeben, als ſie von den Hochgebirgen empfangen. 
Und ſollten dieſe Seen einſten doch nach einer langen Zeit 
ausgefuͤllt werden; ſo wird ſolches auf eine Art geſche— 
ben, daß das beßte des Ganzen nach dem weiſen Dias 


426 Recenſionen. 


ne der Vorſehung dadurch eben ſo bewirkt werden wird, 
wie es itzt bey der wohlthaͤtigen Abſicht in den hel— 
vetiſchen Seen zum Gluͤcke vieler tauſend Seelen erfullt 
Ade 2 f N 


S. 130. Sollte ih doch der Ka in feinen Aus⸗ 
druͤcken mehr in Acht nehmen, und nicht rechtſchaffene 
Männer, die laut ihrer Ordnung ihre Kleidung tragen und 
ihr Amt verrichten, mit dem Worte Buͤttel zum Gelächter 
und zur Schande darſtellen. Weiß der Verfaſſer dann nicht, 
welchen Begriff man in Deutfchland mit dem Worte Buͤt⸗ 
tel verbindet? Wir koͤnnten ihm hiermit ein treffendes 
Gegenſtuͤcke vergelten, wenn wir es nicht unter der Wuͤrde 
eines geſitteten Mannes hielten ſeinen Witz auf ſolche Wei⸗ 
ſe ſpielen zu laſſen. Sonderbar iſt es immer, daß die⸗ 
ſem beobachtenden Gelehrten auf einer Reiſe von Murs 
ten nach Lauſanne, wo Sulzer, Meiners, Ruͤttner, 
Reichard fo viel angenehmes und lehrreiches zu finden 
wußten — nichts bemerkungswuͤrdiges auffiel, als ein he 


bigter Stock! 


Von Lauſanne nichts erhebliches, als eine gerechte Rüge 
gegen die allen geſunddenkenden und vernünftigen Menſchen 
zum Eckel gewordene Magnetiſations-Geſchichte. Obgleich 
unſere Sammlung niemalen etwas dieſe Thorheiten betref⸗ 
fendes — weder enthalten noch behandeln ſoll, ſo koͤnnen wir 
doch nicht umhin, hier dem Verfaſſer öffentlich zu danken, 
daß auch er mit ſeinem Kredit, das moͤglichſte gethan hat, 
um das laͤcherliche und unſer philoſophiſches Jahrhundert 
beſchaͤmende dieſer Thorheiten darzuſtellen. Gott Lob hat 
dieſe Mode in Helvetien, ohnerachtet vieler Bemuͤhungen 
bis itzt noch wenig Eingang gefunden. — Der wuͤrdige Herr 
Prof. Rahn in Zuͤrich hat ganz neulich dieſen Gegenſtand 
in einer Differtat, de Cauflis Phyſicis Sympathie, Turiei 
1788. vortreſſich behandelt. 


Recenſonen. 427 


Auf der ganzen Reiſe von Lauſanne zuruͤck uͤber Milden, 
Peterlingen, Murten, Nidau, Biel, Solothurn, ſahe 
der Verfaſſer nichts. Von Solothurn fagt er viel ange— 
nehmes und wahres. — Die unterhaltende Reiſe von So⸗ 
lothurn nach Baſel iſt kurz und oberfaͤchlich. 

Wenn es nun darum zu thun iſt, zu wiſſen, wie Herr 
Prof. Plouquet gereiſet iſt, der leſe dieſe vertrauliche Er 
zaͤhlung und ſeine Belehrung uͤber dieſen Punkt wird nicht 
zweydeutig ſeyn. 5 


Nachtrag 
zu dem Verſuche uber den Mechaniſmus 
der Gletſcher im erſten Bande dieſes 
Magazins. 


Herr Doktor Plouquet hat in ſeiner vertraulichen Erzaͤh— 
lung einer Reiſe durch die Schweiz den Verſuch gewagt, 
das daſelbſt faſt allgemein geglaubte Fortruͤcken der Glet— 
ſcher zu beſtreiten, und auf die Truͤmmer dieſes Syſtems 
feine eigene Hypotheſe auffuſtellen. Für uns Schweizer 
war es in der That nicht wenig befremdend, daß er nach 
einem Beſag ſeiner eigenen Briefe kaum zweyſtuͤndigen 
Aufenthalt bey den Grindelwaldgletſchern, Maͤnnern den 
Handſchue zuwarf, die ſeit mehr als zwanzig Jahren Glet— 
ſcher beſucht und ſtudirt Hatten , und daß er fie belehren 
wollte, alle ihre mit fo vieler Muͤhſeligkeit und Gefahr ge 
ſammelten Beobachtungen haͤtten ſie der Wahrheit um kein 
Haar breit naͤher gefuͤhrt. 

Indeſſen koͤnnen freylich bey der Beurtheilung der Lehre 
von dem Fortruͤcken der Gletſcher, weder die Anzahl, noch 
die Namen ihrer Auhaͤnger, ſondern bloß ihre Grundfäge 
in Betrachtung kommen; und daher wuͤrde dem Herr Dokt. 


428 Recenſionen. 


Plouquet niemand feinen Schritt verübelt haben, wenn er 
ſich nur mit der noͤthigen Sachkenntnis auf eine ſolche Un; 
terſuchung eingelaſſen haͤtte. Allein dieſes iſt eben, woran 
es ihm vorzuͤglich fehlt; auf jeder Seite ſeines Buches 
blickt die Unbekanntſchaft mit dem Gegenſtand hervor, 
uͤber welchen er ſchreibt, und beynahe alle ſeine vorgetrag— 
nen Saͤtze verrathen einen Mann, der keine einzige von 
jenen wichtigen Erſcheinungen beobachtet hat, welche die 
noͤthigen Aufſchluͤſſe über den Mechaniſmus der Gletſcher 
zwar geben koͤnnen, aber der Natur mit unermuͤdeter Aufs 
merkſamkeit abgelauſcht werden muͤſſen. 


Herr Doktor Soͤpfner, deſſen Abſicht es iſt, dem immer 
mehr uͤberhandnemmenden Unfug der Reiſebeſchreiber durch 
eine Öffentliche Rüge in feinem Magazin zu ſteuren, erſuchte 
mich, bald nach dem Herr DPlouquets Buch die Preſſe 
verlaſſen hatte, denjenigen Theil deſſelben zu rezenſtren, 
welcher auf die Gletſcher Beziehung hat. Als ich aber dieſe 
Arbeit zur Hand nahm, ſo entſtand anſtatt einer bloßen 
Rezenſion folgender Nachtrag zu meinem Verſuch uͤber den 
Mechaniſmus der Gletſcher, worüber mir die Beurtheiluns 
gen der Naturforſcher um ſo viel angenehmer ſeyn wuͤr— 
ben, weil ich dieſe Abhandlung nunmehr nach ihrem gan⸗ 
zen Umfange arbeite, und ſie, nebſt meiner Beſchreibung 
des Grindelwaldthales, wovon auch ſchon einige Fragmen⸗ 
te zu Anfange des erſten Bandes dieſes Magazins erſchienen 


find, und andern kleinen Aufſaͤtzen dieſer Art herauszugeben 


gedenke. 


Herr Doktor Plouquet hat ſeinen Unterſuchungen an der 
83. u. ſ. f. Seiten eine Beſchreibung der Anſicht des Untern⸗ 
Grindelwaldgletſchers vorangehen laſſen, welche in ſo weit 
ziemlich richtig iſt, als ſie ſich auf die damalige aͤußere 
Geſtalt der Gletſcher bezieht, Wenn er aber die Eiskegel 


Recenſionen. 429 


und Eispyramiden bloß deswegen gänzlich aus der Natur 
verweiſen will, weil er ſie bey ſeiner Gletſcherreiſe nicht 
vorfand, ſo thut er zuviel an die Sache. Die aͤußere Form 
der Gletſcher iſt ſich nicht beſtaͤndig gleich, ſondern den bes 
traͤchtlichſten Veraͤnderungen unterworfen. Vielleicht paßt 
die Beſchreibung des Hrn. Plouquet jetzt eben fo wenig 
auf den Zuſtand der Gletſcher, als die Vorſtellung derfels 
ben in jenen Kupferſtichen, uͤber welche er mit ſeinem Tadel 
herfaͤllt, bey ſeinem dortigen Aufenthalte mit ihrer Geſtalt 
uͤbereinkam. Wenn die Gletſcher ſtark abnemmen, fo zer⸗ 
fallt ihre Maſſe in Stuͤcken, welche durch den Einfluß der 
Sonne, des Regens und der aͤußern Luft nach und nach in 
Pyramiden und Eiskegel umgeformt werden. 


Die abgeſtumpften Eiswuͤrfel, aus welchen der Behaup⸗ 
tung des Herrn Plouquets zufolge, die ganze Maſſe des 
Gletſchers zuſammen geſetzt ſeyn ſoll, ſind nichts anders, 
als eine bloße von den Wirkungen der Waͤrme herruͤhrende 
Modifikation des Gletſchereiſes auf feiner Oberflaͤche, wels 
che gleichſam den erſten Schritt zu feiner allmaͤligen Auf 
loͤſung ausmacht. Innwendig hingegen beſtehen die Glet— 
ſchermaßen aus einem dichten zuſammenhaͤngenden Stoffe, 
der das Aug in den Spalten, wo er zu Tage liegt, durch 
das angenehme Spiel ſeiner Meergruͤnen Farbe ergoͤtzt. Die— 
ſe letztere verliert ſich aber, ſo wie der Uebergang von dem 
dichten Eiſe zu jenen wuͤrfelartigen Geſtalten merklicher wird. 
Sie iſt eine Eigenſchaft der Beſtandtheile des Eiſes, die 
ſich aus optiſchen Gründen im Verhaͤltniſſe feiner Dichtig⸗ 
keit aͤußert. Weit entfernt alſo, daß die Brechung des 
Lichts an dieſen Eiswuͤrfeln die meergruͤne Farbe in den 
Gletſcherſchluͤnden hervorbringen ſollte, iſt das Auseinan⸗ 
dergehen des Eiſes in jene kubiſche Formen vielmehr die 
nächſte Urſache, warum ſich dieſelbe auf der Oberſſaͤche 
der Gletſcher gaͤnzlich verliert. 


430 Reecenſtonen. 


Nach dem Herr Plouquet an der 88. u. ſ. f. S. die 
Bildung des Gletſchereiſes aus Schnee (nach Sauſſuͤre) 
richtig dargeſtellt hat, ſo faͤngt er ſich nunmehr an zu 
wundern, warum wir Schweizer uns an dieſer Wahrheit 
allein nicht begnuͤgt haͤtten, ſondern auf das ihm fo abens 
theuerlich vorkommende Fortruͤcken der Gletſcher gefallen 
ſeyen? Die Urſache davon liegt aber ganz in der Naͤhe. 
Wer mit den Gletſchern nur ein wenig bekannt iſt, der 
wird ſich auf die von ihm beſchriebene Art zwar wohl die 
Entſtehung des Eiſes in den hoͤhern Gegenden der Alpen, 
keineswegs aber das Daſeyn der Gletſcher in den han 
Thaͤlern erklaͤren können. 

Zu der Verwandlung des Schnees in Gletſchereis wird 
ein ſo kaltes Klima erfordert, daß er darinn perenniren, 
und ſich nach und nach zu der ordentlichen Höhe der Glet— 
ſcher anhaͤufen koͤnne. Hiezu iſt aber der Luftkreis um 
die bis an den Fuß der Alpen hinabſteigenden Gletſcher, 
und ſelbſt in den noch etwas hoͤher liegenden Eisthaͤlern 
viel zu gemaͤßigt. Aufmerkſame und viele Jahre hindurch 
wiederholte Beobachtungen haben gelehrt, daß der Schnee, 
der den Winter uͤber auf dieſe Eismaßen faͤllt, alle Jah⸗ 
re wegthauet, und daß der Sand und die Steine, welche 
man im Herbſt zuvor auf ihrer Oberfläche geſehen hatte, 
im Fruͤhling allemal wieder zum Vorſchein kommen. Aus 
dieſer Erfahrung nun ſchloß man ganz richtig, daß der im 
Winter auf die tiefer liegenden Gletſcher fallende Schnee, 
weder den Abgang, den ſie den Sommer uͤber leiden, er⸗ 


ſetzen, noch zu den betraͤchtlichen Vergroͤßerungen etwas 


beytragen koͤnne, welche man oͤfters auch wohl mitten im 
Sommer an denſeiben wahrgenommen hat. 

Dieſe letztere Wahrheit legte ein großes Intereſſe 10 
die Unterſuchung der Frage: Wie ſich das Eis der niedris 
gern Gletſcher gebildet habe, und in feine jetzige Lage ver» 


ſetzt worden ſey? Einige aͤltere Naturforſcher zerbrachen 


Recenſtonen. 431 


ſich uͤber ihrer Auföfung beynahe den Kopf „und verfielen 
auf die ſonderbarſten Spekulationen. Einige behaupteten 
in allem Ernſte, die Gletſcher wuͤchſen von unten aus der 
Erde, wie die Schwaͤmme; andre ſchrieben das Daſeyn 
des Eiſes dem Zufrieren des Schmelzwaſſers beam Her⸗ 
unterlaufen aus den obern Thaͤlern zu. 

Die Anwohner der Alpen erkannten ohne Zweifel zuerſt 
die Wahrheit des Satzes, daß das Gletſchereis ſich nicht 
unten in den tiefern Thaͤlern, ſondern oben in den hoͤ⸗ 
hern und kaͤltern Regionen bilde, und aus ſeinem Zeu— 
gungsorte hinweg in abwechſelnden Geſchwindigkeiten uͤber 
die Halden der Gebirge gegen ihren Fuß hinabruͤcke. Sie 
hatten im Laufe des ſechszehnten und ſiebenzehnten Jahr— 
hunderts Auftritte vor Augen gehabt, welche alle Zweifel 
daruͤber zerſtoͤren mußten. Die Gletſcher waren damals 
verſchiedene male mitten im Sommer in ihre Wieſen herz 
ausgetreten, hatten auf ihrem Wege die ſtaͤrkſten Baͤume 
mit der Wurzel ausgeriſſen, große Baͤnke von Sand und 
Steinen vor ſich hergewaͤlzt, und ſich viele hundert Schrit⸗ 
te weit uͤber ihre vorherigen Graͤnzen ausgebreitet. Hits 
gegen iſt es fü gar lange noch nicht, daß unſre vaterlaͤndi— 
ſchen Naturforſcher ihre Stimmen uͤber den Punkt vereinigt 
haben, daß die Gletſcher als wirkliches Eis aus den obern 
Thaͤlern zwiſchen den Gebirgen herausgeſchoben wuͤrden. 
Altmann war der erſte, der dieſe Lehre oͤffentlich be— 
hauptete; ihm folgten die meiſten unter den neuern Schrift 
ſtellern. 

Noch war es aber darum zu thun, das Principium der 
Bewegung des Eiſes zu finden; und auch hier war Alt— 
mann der erſte, der im Namen des Publikums daruͤber 
nachzudenken anſieng. Allein fein Schickſal verſchlug ihn 
auf die Traͤumereyen des Doktor Chriſten, der den nur eis 
nes Adepten nicht ganz unwuͤrdigen Einfall gehabt hatte, 
ein Eismeer in die Alpen hinein zu phantaſiren. Aus dies 


432 Recenſionen. 


ſem abentheuerlichen Begriffe ſpann nachher Herr Prof. 
Altmann die Saͤtze heraus, daß der Grund der Eisthaͤler 
ganze Seen enthalte, auf deren Oberflaͤche das Eis herums 
treibe, und durch das abfließende oder durch die Winde in 


Bewegung geſetzte Waſſer nach und nach zwiſchen den Ber 


gen hinausgeſtoſſen wuͤrde. Es bedoͤrfte nur eines einzigen 
Blickes auf die Natur, um die Ungereimtheit dieſer Hypo⸗ 
theſe in ihrer ganzen Bloͤſſe aufzudecken. 


Auch ſcheint man nunmehr faſt durchgaͤngig eingeſehen 
zu haben, daß die Gletſchermaßen durch ihr eigenes Ge⸗ 
wicht aus den hoͤhern Alpenthaͤlern in die niedrigern hin⸗ 
abgefuͤhrt, und hiemit das Fortruͤcken derſelben aus der 
Lehre von dem Falle der Körper auf ſchiefen Flächen ers 
klaͤrt werden muͤſſe. Hiebey iſt es aber unmoͤglich, die 
Nothwendigkeit zu uͤberſehen, daß das Eis, vermoͤge 
feiner eigenen Schwere, feſt auf der, Erde aufliegt, alles 
mal vorher durch eine von ſeinem Gewicht ganz unab⸗ 
haͤngige Kraft von dem Boden losgemacht werden muͤſſe, 
ehe es fortruͤcken kann. Dieſe Urſache nun liegt zu⸗ 
verlaͤßig in der allmaͤligen Abſchmelzung der Unterflaͤ— 
chen des Eiſes, welche man überall bey den Glet— 
ſchern wahrgenommen hat. Aus was fuͤr einem Grun⸗ 
de aber dieſe letztere zu erklaͤren ſey, daruͤber ſind die 
neuern Schriftſteller in ihren Meinungen noch immer 
getheilt. i 


Herr de Luc ſchrieb die Abſchmelzung der unterflaͤchen 
der Gletſcher der innern Wärme der Erdkugel zu, wel 


che ſeiner Behauptung nach groͤßer ſeyn ſoll, als 


die Temperatur, in welcher ſich das Eis halten kann. 
Herr von Sauſſuͤre ſcheint zwar dieſe Erklaͤrung nicht 
ganz wegzuwerfen; doch legt er dem unter dem Eis 


fe durchlaufenden Waſſer den größten Antheil das 


von bey, 


In 


— 
2 


er 


Recenſtonen. 433 


In Ruͤckſicht auf die Vorausſetzung einer innern Wärs 
me der Erdkugel muß ich aufrichtig geſtehen, daß alle 
bisher daruͤber angeſtellten Beobachtungen mir zu zwey— 
deutig ſcheinen, um mich von der Wirklichkeit derſelben 
zu uͤberzeugen. Geſetzt aber, dieſe Waͤrme faͤnde ſich 
wirklich in unſerm Erdballe, was ich hier itzt nicht weit— 
laͤuftiger unterſuchen kann, ſo ließe es ſich doch viel— 
leicht noch erweiſen, daß der Antheil, den unſre Ges 
birge daran nemmen koͤnnen, zu gering ſeyn muß, um 
jene Abſchmelzung der Gletſcher an ihren Unterflaͤchen zu 
bewirken, zumal, da die Kaͤlte des Eiſes ſich dem Boden, 
auf welchem es nun ganze Jahrtauſende uͤber beſtaͤndig 
gelegen hat, eben ſo gut hat mittheilen muͤſſen, als der 
es umgebenden Athmoſphaͤre, welche den Einwirkungen 
der Sonne, und den Strömungen einer waͤrmern Luft 
ununterbrochen ausgeſetzt iſt. 

Wenn ich aus dieſen Gruͤnden auf der einen Seite 
der Meinung des Hrn. de Luc nicht beypflichten kann, 
ſo ſcheint mir auch auf der andern diejenige des Herrn 
von Sauffüre nicht voͤllig befriedigend. Das Waſſer, 
das ſeiner Behauptung nach die Losmachung des Eiſes 
von der Erde bewirken ſoll, ſucht ſich auch unter den 
Gletſchern die tiefſten Stellen, und graͤbt ſich an den— 
ſelben ſein Bett aus; es laͤuft alſo auch nur unter ei— 
nem ſehr unbetraͤchtlichen Theile ihrer Unterflaͤchen vor⸗ 
bey, und die Abſchmelzung, die es verurſachen kann, 
iſt viel zu lokal, um das Fortſchreiten der ganzen Maſ— 
fe allmälig herbeyzufuͤhren. Ich kann alſo nicht umhin, 
des Hrn. Dokt. e Widerlegung in dieſem Stuͤcke 
zu billigen. 

Die meiner Empfindung nach erwieſene Unzulaͤnglich⸗ 
keit der beyden vorgedachten Erklaͤrungen veranlaßte mich, 
der Urſache, welche die Unterhoͤlung des Eiſes verurfas 

Magaz. f. d. Naturk. Helvetiens III. B. Ee 


® 


434 Recenſſoneu. 


chen koͤnnte, ſelbſt nachzuſpuͤren. Ich machte bey bie 
fer Gelegenheit folgende Beobachtungen: 


An den Unterflaͤchen der Gletſcher haͤngen allemal vie, 
le erdigte Theile, welche ſich dem davon abtriefenden 
Waſſer mittheilen, und ihm, nebſt andern gleichartigen 
Subſtanzen, die es auf feinem Wege beym Ablaufen 
nach den groͤßern ausgeſchlemmten Kuͤſten mit ſich fort— 
fuͤhrt, eine weißlicht-truͤbe Farbe geben. Nun iſt aber 
das Waſſer, das im Winter von den Gletſchern abs 
fließt, allezeit ganz hell von Farbe, und ohne die gering— 
ſte merkliche Verſetzung mit Schlamme. Dieſer Umſtand 
laßt ſchon vermuthen, daß es eher das Produkt unter 
den Gletſchern befindlicher Quellen, als dasjenige von 
aufgethautem Eiſen ſeyn muͤſſe. Dieſe Vermuthung ſcheint 
aber durch die Beobachtung zur vollſtaͤndigſten Gewiß⸗ 
heit zu reifen, daß die Unterflaͤchen der Gletſcher im 
Winter genau auf die Erde anſchließen, und daß ſich 
uͤberhaupt in dieſer Jahrszeit alle die haͤufigen Anzei⸗ 
gen einer unterirdiſchen Abſchmelzung des Eiſes verlie— 
ren, welche im Sommer uͤberall um die Gletſcher ſo 
haͤufig ſind. Dahin gehoͤrt unter andern die gaͤnzliche 
Nerfiegung der Maybrunnen, und andrer periodiſcher 
Quellen, welche ihren Zufluß von dem Schmelzwaſſer 
der Gletſcher erhalten. 


Nach allen dieſen Erfahrungen kann es nunmehr wohl 
nicht weiter zweifelhaft ſeyn, daß die Urſache der Ab— 
ſchmelzung der Gletſcher von unten, mit der Tempera— 
tur der Luft in ihrer Nachbarſchaft im Verhaͤltnis ſtehen; 
iſt aber dieſes richtig, ſo bleibt uns nichts weiter uͤbrig, 
als dieſelbe theils in der Erhitzung des umliegenden Bos 
dens und der Fortpflanzung der Feuermaterie unter die 
Gletſchermaßen, theils in den Einwirkungen der waͤr— 
mern Luft zu ſuchen, welche oben auf den Gebirgen 


Necenfionen 435 
durch die tiefen Spalten des Eiſes hinabfaͤllt, und 
unter demſelben bis an den Auslauf der Gletſcher fort 
ſtreicht. 4 


Doch ſcheint dieſe letztere Urſache nur unter gewiſſen 
Bedingungen, die von der Beſchaffeuheit der Glet— 
ſcher ſowol als von dem Striche der Winde und ih— 
rer Heftigkeit abhaͤngen, wirkſam zu ſeyn, da hinge— 
gen jene es bey allen Gletſchern und unter allen Umſtaͤn⸗ 
den iſt. 7 


Wenn nun die Gletſcher durch die Wirkſamkeit die— 
ſer Urſachen an den meiſten Stellen abgeſchmelzt und 
alſo ihrer vornehmſten Stuͤtzen beraubt ſind, ſo muͤſſen 
ſie nothwendig zuſammenſtuͤrzen, und ſo lange über die 
ſchiefen Flaͤchen, auf welchen fie liegen, hinabgleiten, 
bis die Anzahl der Beruͤhrungspunkte wieder groß ges 
nug iſt, um der Kraft des fallenden Koͤrpers zu wider— 
ſtehen. Die Geſetze der Mechanik beweiſen, daß die 
Bewegung der Gletſcher nicht anders als momentan 
ſeyn kann; und die Erfahrungen, die ich ſelbſt daruͤ— 
ber zu machen Gelegenheit gehabt hatte, treffen mit den 
theoretiſchen Grundſaͤtzen, die ſich darüber angeben laß 
ſen, genau zuſammen. 


Es koͤmmt mir hiebey wirklich unbegreiflich vor, wie 
der Herr von Sauffüre auf die Hypotheſe von einer 
langſamen und ſtetigen Bewegung der Gletſcher (Glüiſſe— 
ment lent & continu des glaces ) hat verfallen koͤnnen, 
welche er in dem 335. F. des IIten Theils feiner Alpen⸗ 
reiſen vorgetragen hat. Es iſt eine Wahrheit, die je— 
der Naturforſcher wiſſen muß, daß ſich die Geſchwindig⸗ 
keiten der auf einer ſchieſen Flaͤche fallenden Koͤrper nicht 
wie die Zeiten, ſondern wie die Quadrate derſelben ver— 
halten. Eine langſame und ſtetige Bewegung laßt fich 


a 


436 Kecenfionen. 


alfo bey den Gletſchern nicht anders denken, als unter 
der Vorausſetzung eines verhaͤltnismaͤßig zunehmenden 
Widerſtandes, welche aber, andrer Gründe zu gefchmeis 
gen, ſchon aus der Urſache unmoͤglich ſtatt finden kann, 
weil dabey eine Menge zufaͤlliger Umftände des Verhaͤlt; 
niſſes der ſich entgegenwirkenden Kräfte bey jedem Glet⸗ 
ſcher anders beſtimmen muß. 


Bernh. Friedr. Kuhn. 
8 


Na ch r i ch t e © 


! 


438 Nachrichten. 


ee er Fu Ze 


Herr Huͤttendirektor Exſchaquet im Faußigny hat den 
Befehl und Auftrag erhalten, die Gebirgskette, welche 
den Kanton Bern von der Republik Wallis ſcheidet, eben 
fo en Bas relief aufzunehmen, wie Herr General- Lieute⸗ 
nant von Pfyffer die kleinen Kantone aufgenommen hat. 
Ein Quadratfuß wird eine Quadratſtunde enthalten; er 
befindet ſich wirklich in Bex, wo er bey dem Gouverne⸗ 
ment Aelen den Anfang machen wird. 
* * 
* 

Der berühmte Handelsmann und Bandfabrikant Herr 
Meyer in Aarau arbeitet in eigenen Unkoſten an einem 
ähnlichen Bas relief — als an einer Fortſetzung des ges 
dachten Pfyfferſchen Originalwerks — unterhält einen eis 
genen Meßkuͤnſtler — und hat eine Art von Preſſe ers 
funden, vermittelſt welcher man dieſes Bas relief verviel⸗ 
faͤltigen und mittheilen kann. 

% * 
* 

Der Graf Gregor von Razoumovsky, dieſer enthuſia— 
ſtiſche fleißige Mineralog arbeitet wirklich an einer Natur— 
geſchichte des Jorat, einem intereſſanten Mittelgebirge, 
zwiſchen dem Jura, dem Genferſee und den Alpen. Folk 
gende Nachrichten von neuentdeckten Mineralien hab ich 
von ihm erhalten. 

„In dem verfloſſenen Jahre (1787) hat man 3 Stund 
»ohnweit St. Bracehier gegen Mittag zu, zwiſchen dem 
„Wallis und dem Vald'aoſte eine Schmiergel⸗Mipe 
„oder Grube entdeckt, ein Foßil, von deſſen natürlichen 
Exiſtenz man bis jetzt keine Spur in Helvetien gehabt hat. 

„Man ſchickte eine Probe dieſes Minerals unter dem 
„Namen Braunſtein an Herrn Doktor Lewade nach 
„Vivis, welcher mir daſſelbe zum Unterſuchen einſendete. 
„Ich erkannte es gleich für Schmirgel von der beßten 
„Qualität; er iſt grau gleich dem deutſchen Schmirgel, 


2 


Nachrichten. 439 


„aber von einem viel feinern Korne. Mit Salzen oder 
„ den Glasfluͤſſen, gab er nach Verhaͤltniß der Miſchung 
„ein ſchwarzes oder grünes. Glas. — Dieſes Glas, ſelbſt 
„ wenn man es weiß erhielt, beſitzt eine weit groͤſſere 
„Härte, als das gewoͤhnliche Glas. — Könnte man das 
„her dieſes Mineral nicht verſuchen mit Vortheil bey den 
»Glashütten zu gebrauchen. 2 


Den 8. Hornung dieſes Jahrs 1788. wurde von Herrn 
Klardon von Vallorbe eine neue Asphaltgrube in der 
Nachbarſchaft von Lauſanne entdecket; dieſer Asphalt 
(oder vielmehr Bergpech) iſt dem Asphalt von Val tra- 
vers in der Grafſchaft Neuenburg vollkommen aͤhnlich. 

* 


a *. 

Mit Vergnuͤgen hab ich von verſchiedenen wuͤrdigen 
Herren Pfarrherren auf dem Lande vernommen, daß ſich 
ihre Gattinnen und Familien mit Nachahmung und Ver— 

ſuchen uͤber die Neſſelfabrikation beſchaͤftigen. 

Die Reſultate bekannt zu machen, mach' ich mir eine 
Freude. ” 4 * 

Auf den Vortrag und unter der Direktion des Herrn 
Berghauptmann Wild wird der ſchoͤne gediegene Schwe—⸗ 
fel von Suͤblin, ohnweit Bex, nun Bergmaͤnniſch aus⸗ 
gefoͤrdert, wozu ſich eine kleine Gewerbſchaft verbunden hat. 

x ** 


* 
Die Populationen von 1786. und 1787. erfcheinen im 
Aten Bande, fo viel ich deren erhalten kann. 


Fragen. 
Sind in keiner Alpen: oder Gletſchergegend Dokumente 
oder alte Urkunde von vergletſcherten Grundſtuͤcken oder 


2 
Alpen zu erhalten? 1 3 


Wo wird im Kanton das meifte Bauren⸗Strichli⸗Zeug 
gemacht? Wie wird es gemacht? 


440 N rte 
Fe mineralogiſche 
1 e 5 8 ta ang e. 


Da es uns mit 128 ehen eidfrage über Si dtn, 
Beſchreibung und Eintheilung der Hornſchiefer, bon 
ſchiefer und Wacken, durch die eingegangenen gef roͤnt 
Preisſchriften der Hrn. Hrn. Bergſecret. Voigt in wei⸗ 
mar und Zen. Bergkadet Karſten in Halle über unſere 
Erwartung gelungen iſt; uͤber dieſe wichtige, aber bis 
jetzt fo unbeſtimmt geweſene Geſteinarten Deutlichkeit, Be 
ſtimmtheit und Licht zu verbreiten; ſo muntert uns dieſer 
glückliche Erfolg zur fernern Aufklaͤrung in dem mineralos 
giſchen und oriktognoſtiſchen Fache folgende zweyte mine⸗ 
ralogiſche Dreisfrage unter den naͤmlichen Beding⸗ 
niſſen wie die erſte auszuſchreiben. | 2. 

„Was iſt der Baſalt? Iſt er vulkaniſch; oder iſt er 
„nicht vulkaniſch 2 | 

Der Preis auf den beßten Beweis des ein oder andern 
iſt fünf und zwanzig Reichsthaler ſaͤchſiſch. 

Alle nur ertraͤgliche Abhandlungen erhalten Platz im 
Magazin nebſt verdientem Honorario. 

Die Ahandlungen muͤſſen vor dem letzten Tag October 
1788. an den Herausger des Magazins fuͤr die Natur⸗ 
kunde Selvetiens mit verfiegglten Denkſpruͤchen und Nas 
men eingelaufen ſeyn. 

In dem November 1788. bee 0 ſolche in den Bae 
lungen der Naturforſchenden Privatgeſellſchaft, in Bern 
geleſen, beurtheilt und gekroͤnt — die Beurtheilung in oͤf— 
fentlichen Blaͤttern, die Abhandlungen aber in dem Maga⸗ 
zine ſelbſt bekannt gemacht werden. N 

Bern deu 1. October 1787. 

| Herausg eber | 
des Magazins für die Naturkunde Helvetiens. 
UbgS————;v—̃— 


9 


3 via 


7 DIE 2 


New York Botanical Gard