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Full text of "Max von Pettenkofer zum Gedächtniss: Rede im Auftrag der mathematisch-physikalischen Classe der ..."

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ÄIAX YON PETTENKOFER 



ZUM GEDÄCHTNISS. 



Rede 

im Auftrag der mathematisch -physikalischen Glasse 
der kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften in München 

in der öffentlichen Sitzung am 16. November 1901 



gehalten 

von 

Carl V. Voit. 



Mfinchen 1902. 

Verlag der k. b. Akademie 
in Commission des G. Franz*8chen Verlags (J. Roth). 



': i. 



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In der Nacht vom 9. auf den 10. Februar dieses Jahres ist 
der frühere Präsident unserer Akademie und Senior der mathe- 
matisch-physikalischen Classe, Max v. Pettenkofer, reich an 
Verdiensten und Ehren, im Alter von 83 Jahren plötzlich aus dem 
Leben geschieden. Die sich schnell in unserer Stadt verbreitende 
Kunde erregte allenthalben tiefe Trauer über den Verlust des Mit- 
bürgers, den wir seit Langem mit Stolz als den unsrigen betrach- 
teten; und besonders die grosse und innige Theilnahme bei dem 
Begräbnisse zeigte, welche Verehrung und Liebe ihm aus allen 
Schichten der Bevölkerung entgegen gebracht wurde. Die ergrei- 
fende Feier Hess erkennen, dass ein Mann in das Grab gelegt wurde, 
der ein Gewaltiger im Reiche der Wissenschaft war, aber auch 
durch die Anwendung seiner wissenschaftlichen Arbeit auf das Leben 
das Wohl seiner Mitmenschen wie selten einer gefördert hat. Wir 
Alle, die das Grab umstanden, hatten das Gefühl, dass noch Un- 
zählige aus unserem Vater lande, ja aus der ganzen gebildeten Welt 
im Geiste bei uns waren. 

Pettenkofers Lebensgang ist bei mancherlei Gelegenheiten schon 
so oft beschrieben worden, dass er im Allgemeinen wohl den Meisten 
in diesem Saale bekannt sein wird. Es ist mir, dem seinem um- 
fangreichen Forschungsgebiete am nächsten Stehenden, daher eine 
sehr schwierige, wenn auch ehrenvolle Aufgabe geworden, die Ge- 
dächtnissrede auf den grossen Gelehrten in einer Festsitzung der 
Akademie zu halten. Meine Aufgabe ist jedoch eine andere als die 
der meisten Nekrologe, in denen seine Verdienste so wahr und 
schön gefeiert worden sind; ich habe darzuthun, wie seine Arbeiten 

1* 



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entstanden aind und wie er es gemacht hat, um seine denkwürdigen 
Ergebnisse zu erhalten; ich mum einen Einblick in seine geistige 
Werkstätte und in die Art seines Schaffens geben, und nicht nur 
das aufzählen, was aus ihr hervorgegangen ist. Es hat aber für 
naicb einen besonderen Reiz gehabt, seine wissenschaftliche Entwick- 
lung noch einmal im Einzelnen zu verfolgen und zu acliildern, der 
ich schon im Jahre 1852 als Schüler mit ihm bekannt geworden 
bin und später das Glück hatte, während 10 Jahren gemeinschaftlich 
mit ihm zu arbeiten und ihui als Freund nahe zu stehen. Ea ist 
eine wahre Erquickung und Erhebung, das Leben des edlen Mannes, 
das ein ganz eigenartiges, an geistiger Thätigkeit ungemein mannig- 
faltiges und reiches sowie auch ein äusserlich sehr bewegtes war, 
zu betrachten. Vielfach wurde er in der ersten Zeit zu seinen Ar- 
beiten nur durch zufällige äussere Veranlassungen bestimmt und es 
währte ein Dezennium vom Beginn seines Eintretens in die Wissen- 
schaft, bis er auf den Weg gelangte, auf dem er das grosse Ziel 
erkannte, das er von da an als seine Lebensaufgabe mit aller Kraft 
erstrebte. So ist es gekommen, das seine wissenschaftlichen Leistungen 
sich auf den verschiedensten Gebieten: der Chemie, der Physik, der 
Physiologie, der Hygiene und der Technik bewegen. 

Max Pettenkofer wurde am 13. Dezember 1818 zu Lichtenheini, 
einer Einöde bei Neuburg an der Donau, geboren. Das väterliche 
Haus war früher eine Zollstätte zwischen dem Kurfurstenthum 
Bayern und dem Herzogthum Neuburg, und der Grosavater Petten- 
kofers war Mauthbeamter daselbst. Ala das Mauthamt nach der 
Vereinigung von Neuburg mit Bayern aufgehoben wurde, erwarb 
der Grossvater das Anwesen, um sich ala Landwirth bei der Urbar- 
machung des angrenzenden Donaumooaes zu betheiligen. Drei seiner 
Söhne studirten und wurden tüchtige Beamte, der Jüngste, Petten- 
kofera Vater, übernahm das elterliche Anwesen. Aber die Kultur 
des Donaumooses hatte nicht den erhofften Erfolg, so daaa es den 
Eltern Pettenkofera, trotz allen Fleisses recht schwer fiel ihre acht 
Kinder zu erziehen. Dieselben wären wohl auf dem Lande sesshaft 



geblieben, wenn nicht von einem älteren Bruder des Vatere, dem 
Apotheker Dr. Franz Xaver Pettenkofer , Hilfe gekommen wäre. 
Derselbe hatte sich im russischen Feldzuge als Militärapo theker 
durch seine Energie und Tapferkeit grosse Verdienste erworben 
und wurde später (1823) zum königlichen Hof- und Leibapotheker 
ernannt; da er kinderlos war, nahm er sich der Kinder seines 
Bruders an , von denen er nach und nach vier in sein Haus auf- 
nahm. Für den aufgeweckten und talentvollen Neffen Max hatte 
er eine besondere Vorliebe gefasst; er berief den achtjährigen 
Knaben im Herbste 1827 zu sich nach München, wo er die Dienst- 
wohnung in der königlichen Residenz inne hatte, in welcher der 
junge Pettenkofer von da an sein ganzes Leben lang verbleiben 
sollte. Das Vaterhaus im Donaumoos behielt aber fortwirkende 
Bedeutung für seine Sinnesart; an einfachste Verhältnisse gewöhnt, 
bewahrte er sich bis zuletzt die kindliche Zufriedenheit und die 
Freude auch am Kleinsten. In München wurde die Volksschule, 
dann die Lateinschute und das humanistische Gymnasium — das 
jetzige Wilhelms-Gymnasium — besucht und letzteres im August 
1837 mit Auszeichnung absolvirt. Es fiel ihm jedoch anfangs recht 
schwer, sich an das Treiben der geräuschvollen Stadt zu gewöhnen; es 
erfasste ihn eine unendliche Sehnsucht nach dem ungebundenen Leben 
auf dem Lande, wo er in der Haide barfuss sich getummelt hatte, 
und nach den Schönheiten der freien Natur, die er in dem weiten 
Moose mit seinen mannigfaltigen Beleuchtungen mit feinem Blicke 
erkannte. Diese Eindrücke der frühesten Jugendzeit sind aus seinem 
empfänglichen Herzen nie gewichen, das beglückende Gefühl im 
Verkehr mit der Natur ist ihm zeitlebens geblieben; Haidelieder 
voll Poesie geben davon Zeugniss. Gläubig erzogen in den Ge- 
bräuchen der Kirche, deren tieferen Sinn er verstand — hatte er 
doch in der Heimath oft den Dienst des Ministranten bei der Messe 
versehen — betete er an den Altären der Frauenkirche inbrünstig, 
die Mutter Gottes möchte ein Wunder thun und ihn wieder nach 
dem geliebten Lande versetzen. Auch that er sich anfangs nach 



dem mangelhaften Unterricht in der Dorfschule zu Lichtenau, einem 
kleinen Pfarrdorfe, hart, mit den Kameraden in der Stadt Schritt 
zu halten; bald aber waren diese Schwierigkeiten überwunden, und 
mit dem g^össten Eifer und Erfolg suchte er sich Kenntnisse zu 
erwerben, so dass er jährlich, wenn es in die Ferien nach Lichten- 
heim gieng, erste Preise mitbringen konnte. 

Nach Absolvirung des Gymnasiums bezog er (1837) die Uni- 
versität München, ohne sich bis dahin für ein bestimmtes Fach ent- 
schieden zu haben. Angeregt durch seinen Gymnasiallehrer, den 
verdienten Philologen Leonhard Spengel, später sein College an der 
Universität, der es wie Wenige verstand, die Jugend für die alten 
Sprachen zu begeistern, hätte er sich am liebsten der Philologie 
zugewandt; Spengel wies den strebsamen Schüler, der ihn auf dem 
Nachhausewege häufig begleitete, auch auf die Schätze der deutschen 
Literatur z. B. auf Lessings Laokoon hin. Noch in späten Jahren 
las er die alten lateinischen und griechischen Klassiker und er hat 
öfter erzählt, wie der geistvolle Chemiker Schönbein in Basel ihm 
Abends zur geistigen Erfrischung die Oden des Horaz auf den Tisch 
legte; so manche ausgezeichnete Naturforscher haben sich die Liebe 
für die alten Klassiker bewahrt, einer der g^össten Chemiker, Robert 
Bunsen, erfreute sich bis in sein Alter an den lateinischen Schrift- 
stellern, an Ciceros Reden und Sueton. Pettenkofer hat seine An- 
schauungen über die Ausbildung des Geistes durch die antiken 
Sprachen in seiner vortreflFlichen Rektoratsrede: „Wodurch die hu- 
manistischen Gymnasien für die Universität vorbereiten" ausge- 
sprochen; dieselben sollen die Befähigung zu richtigem Denken 
erziehen imd die Lust zur geistigen Arbeit erwecken, so dass der 
jugendliche Geist geschickt ist sich in jedem Fache auszubilden. 
In der That, es kommt nicht so sehr auf den Gegenstand, durch 
welchen dies geschieht, an als auf den anregenden Lehrer; die 
frühzeitige Beschäftigung mit den Naturwissenschaften ist nur von 
Uebel, da die Wenigsten schon reif dafür sind und den Geist der 
Sache nicht erfassen; man vergisst häufig, dass die so viel gepriesene 



Entwicklung der Naturwissenschaften zum gröasten Theil von an 
den humanistischen Gymnasien Vorgebildeten hervorgebracht worden 
ist. Pettenkofer hätte sich daher bei dem Uebert ritte an die Uni- 
versität ebensogut die Philologie wie die Naturwissenschaft als 
Lebensaufgabe erwählen können und darin Hervorragendes geleistet. 
Sein Wohlthäter und Erzieher wünschte jedoch, er möchte sich zu- 
nächst de» Naturwissenschaften und dann der Pharmazie zuwenden, 
um ihm im Aller in seinem Berufe eine Stütze zu sein. So betrieb 
er während des damals für jeden Studirenden vorgeschriebenen 
philosophischen Jahres und das Jahr darauf philosophische and 
naturwissenschaftliche Studien, besonders Mineralogie bei Fuchs und 
technische Chemie bei Kaiser, um darnach (1Ö39) als Lehrling in 
die königl, Hofapotheke einzutreten; da er durch die üniversitäts- 
jahre und durch den Umgang mit seinem Onkel in ungewöhnlichem 
Maasse für die Chemie und Pharmazie vorbereitet war. wurden ihm 
von den drei Lehrjahren zwei erlassen und er schon nach einem 
Jahre zum Gehilfen in der Hofapotheke mit einem Guldeu Taggeld 
befördert. In der trefflich geleiteten Hofapotheke bot sich ihm 
reichlich Gelegenheit zur Uebung in chemischen Untersuchungen 
sowie zur Reindarstellung vieler chemischer Präparate, von Alkaloiden 
und anderen Arzneimitteln. 

Aber es sollte zu diesem Zeitpunkte die wissenschaftliche Aus- 
bildung Pettenkofers eine jähe Unterbrechung erleiden, die ihn fast 
auf ganz andere Bahnen geworfen hätte. Sein Pflegevater, nur der 
Herr Onkel genannt, war wohl ein gütiger und gerechter, aber ein 
äusserst strenger Mann, welcher Ehrfurcht, peinlichste Ordnung und 
pünktlichste Pflichterfüllung verlangte; er wollte seinen Neffen, den 
Universitäts-Studenten, nicht anders, ja sogar noch strenger behandeln 
wie jeden anderen Lehrling der Apotheke. Da geschah es eines 
Tages, dass er seinen Neffen vor den viel jüngeren Genossen wegen 
eines geringfügigen Versehens mit einem Backenstreich bestrafte; 
■lies glaubte derselbe nicht mehr mit seiner Ehre vereinen zu können 
und verliess augenblicklich des Onkels Haus. Er fand momentan 



8 

keinen anderen Weg sich ein Auskommen zu verschaffen als Schau- 
spieler zu werden; voll Begeisterung für die Werke der schönen 
Literatur hatte er sich ein tiefes Verständniss für dieselben erworben, 
und so nimmt es nicht Wunder, wenn der ideal angelegte 20 jährige 
Jüngling in seiner Noth auf den Einfall kam, die Darstellung dieser 
Werke zu versuchen. Er war eine kurze Zeit als Statist am Theater 
zu Regensburg thätig und debütirte dann am Stadttheater in Augs- 
burg unter dem Künstlernamen „Tenkof" als Brackenburg in Göthes 
„Egmont", auch hatte er noch den Astolf in Calderons „Leben ein 
Traum" und einige andere Rollen einstudirt. Aber dem ungeübten 
Anfänger blieb der Erfolg aus, und die Augsburger Zeitungen sprachen 
sich über seine dramatischen Leistungen sehr reservirt aus. Und 
doch Hess er sich trotz des Zuredens einiger Freunde, die der Onkel 
Xaver geschickt hatte, nicht von seinem Entschluss abbringen. Dies 
gelang jedoch den Bitten seiner Cousine Helene Pettenkofer, deren 
Vater Joseph Pettenkofer Rentamtmann in dem nahen Städtchen 
Friedberg war; sie versprach ihm die Seinige werden zu wollen, 
wenn er wieder ein ordentlicher Mensch würde und zu den Studien 
zurückkehrte. Der Geliebten, seiner späteren Gattin, gab er nach, 
und der über die Eünstlerlaufbahn des Neffen höchst ungehaltene 
Onkel liess sich versöhnen und nahm den Rückkehrenden mit 
offenen Armen wieder in sein Haus auf. 

Nach dieser Unterbrechung im Winter 1840/41 und im Sommer 
1841 wurden im Herbst 1841 die Studien an der Universität mit 
eiserner Energie und Ernst wieder aufgenommen und zwar zugleich 
als Mediziner und als Pharmazeut. Von seinen Lehrern, die ihm 
Gelegenheit zur Ausbildung gaben, sprach er nur von dem berühmten 
Mineralogen Johann Nepomuk von Fuchs, mit dem er durch seinen 
Onkel näher bekannt geworden war und in dessen mineralogisch- 
chemischen Laboratorium in der Akademie er arbeitete, und auch 
von dem Chemiker an der polytechnischen Schule Cajetan Kaiser, 
dem früheren Assistenten von Fuchs. Fuchs erkannte das unge- 
wöhnliche Talent seines Schülers und war ihm Berather, Förderer 



nnd väterlicher Freund, was aein Gunetling durch unbegrenzte 
rührende Dankbarkeit zeitlebens vergalt. Gerne hätte sich Potten- 
kofer schon damals ausschliesBlich der Chemie zugewendet, zu der 
er durch seine pharmazeutischen Studien und den Einfluas von Fuchs 
besondere Vorliebe gefasst hatte, jedoch drängte der Onkel darauf, 
das» er das Fach der Medizin ergreife, um sich zunächst ein ge- 
sichertes Auskommen zu erwerben; die pharmazeutische Laufbahn 
in der Hofapotheke habe er verscherzt, denn einen Menschen, der 
Komödiant geworden sei , könne man für eine Anstellung in der 
königl. Leib- und Hofapotheke nicht mehr empfehlen, ein solcher 
eigne sich höchstens noch zum Mediziner. Der gute Onkel ahnte 
nicht, dass der ehemalige Schauspieler neun Jahre später sein Nach- 
folger werden würde. Die Chemie galt damals noch nicht für ein 
Fach, von dem allein man leben könnte, und an eine akademische 
Laufbahn wagte der Mittellose nicht zu denken. Schweren Herzens 
entschloss er sich daher zur Medizin; Fucha tröstete ihn jedoch, 
dass er selbst sowie andere berühmte Chemiker wie Wöhler, Scherer etc. 
vorerst Mediziner waren. Schon nach zwei Jahren wurde (im 
März 1843j die Approbations-Prüfuug als Apotheker und wenige 
Monate später die damalige schriftliche und mündliche medizinische 
Staatsprüfung, beide mit der Note ausgezeichnet, bestanden. Letz- 
terer folgte die Promotion zum Doktor der Medizin. 

Zu diesem Zwecke schrieb Pettenkofer (1844) als Dissertation, 
nicht wie die meisten seiner Couimilitonen eine praktisch-medizinische 
Abhandlung, sondern eine benierkenswerthe Studie über Micania Guaco, 
eine in Columbien und Mexiko heimische, zu den Compositen ge- 
hörige, dem Eupatorium nahe stehende Pflanze, deren Saft gegen 
Seh langen biss. den Biss toller Hunde, auch gegen Cholera angewendet 
wurde. Die Pflanze wird in ihrem Heimathlaude Vejuco del Guaco 
d. i. Kahrung des Guaco, einer vorzüglich von Schlangen sich näh- 
renden Falkenart, genannt. Pettenkofer gewann aus den Blättern, 
welche der Droguist Jobst in Stuttgart an Professor Buchner aen. 
gesandt hatte, das zuerst von Faure in Mexiko dargestellte Guacin 



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und zwar nach Entfernung des Chlorophylls durch Thierkohle als 
hellbraunes in Alkohol lösliches Harz, das sehr bitter schmeckt und 
mit Säuren einen eigenthümlichen durchdringenden Geruch zeigt. 
Die getrocknete Pflanze liefert nach ihm nur geringe Ausbeute; es 
muss die frische Pflanze ausgepresst und der Saft in Alkohol prä- 
servirt werden. Ein an sich selbst damit angestellter Versuch ergab 
eine starke Wirkung: es erfolgte Erbrechen, Vermehrung der Puls- 
schläge und profuse Schweissbildung. 

Schon als Candidat der Medizin veröfifentlichte der strebsame 
Jüngling seine ersten wissenschaftlichen Arbeiten, welche darthun, 
dass er sich frühe eine seltene üebung in chemischen Versuchen und 
eine überraschende Selbständigkeit im chemischen Denken angeeignet 
hatte. Im Jahre 1842 machte er eine sichere und einfache Methode 
bekannt, in forensen Fällen „den mittelst des Marsh'schen Apparates 
entwickelten Arsenik von allen anderen ähnlichen Stofifen augenfällig 
zu unterscheiden". Die Veranlassung dazu gaben ihm Fuchs, sein 
Onkel und Kaiser, welche die Trüglichkeit des bisherigen Nachweises 
erfahren hatten. Das erste Neue an seiner Methode war die Iso- 
lirung des Arseniks von den den Nachweis hindernden organischen 
Substanzen, zu deren Auflösung und Entfernung er Alkalilauge und 
Ausfällen der Lösung mit Salzsäure und Gerbsäure anwendete. Otto 
in Braunschweig, die erste Autorität in solchen Untersuchungen, 
äusserte später begründete Bedenken wegen der Bildung von Schwefel- 
alkali und der möglichen Ausfällung des Arsens als Schwefelarsen; 
aber obwohl Pettenkofer bei erneuten Versuchen dies in Folge der 
raschen Oxydation des Schwefelalkalis nicht eintreten sah und auch 
empfahl den Schwefel vorher durch Bleioxyd zu entfernen, so wurde 
doch sein Verfahren durch ein besseres verdrängt. — Das zweite Neue 
war seine Unterscheidung des Arseniks vom Antimon; er fand, dass, 
wenn man über den im Reduktionsröhrchen des Marsh'schen Appa- 
rates durch Erwärmen erhaltenen Metallspiegel Schwefelwasserstofl*- 
gas leitet, bei Arsenik gelbes, in Ammoniak lösliches Schwefelarsen, 
bei Antimon orangefarbenes Schwefelantimon entsteht. Diese schöne 



11 



Reaktion ißt noch immer in Gebrauch. Die neue Methode sollte 
sich zu seiner grossen Freuile bald in einem Hchwierigen gerichtliehen 
Falle, bei dem vorher die chemische Untersuchung ein negatives 
Besiiltat ergeben hatte, bewähren. 

Zum ausübenden prakti8chen Arzte beeasa Pettenkofer keine 
Neigung und wohl auch nicht das Talent. Er durfte sich jetzt 
seinem Lieblingsfache, der Chemie, hingeben. Fuchs glaubte, ee müsste 
in Bälde an der Universität München für die sogenannte medizinische 
Chemie gesorgt werden, wie sie schon in Würzburg bestand, und 
rieth ihm, sich diesem Zweig der Chemie zuzuwenden. Das Studium 
der Medizin war jedoch für Pettenkofer kein verlorenes, denn er 
hätte ohne dasselbe kaum seine späteren hygienischen und epidemio- 
logischen Arbeiten durchführen können. In München waren damals keine 
Anstalten vorhanden sich in der Chemie auszubilden und ' wissen- 
schaftlich zu arbeiten; auch die Physik und die Physiologie, welche 
letztere der Minister Fürst Wallerstein seinem alten, von Wallerstein 
mitgebrachten Leibarzte übertragen hatte, lagen an der Universität 
darnieder; der frische Zug, der nach dem unheilvollen Einflüsse der 
Naturphilosophie andere Universitäten Deutschlands durchwehte, war 
noch nicht nach München gedrungen. Zu dieser Zeit richteten sich 
die Augen aller Chemiker nach der kleinen Universität Giessen, wo- 
selbst Liebig seine berühmte chemische Schule errichtet und seine 
die organische Chemie begründenden Arbeiten begonnen hatte. Aber es 
war bei dem Andränge der jungen Chemiker kein Platz mehr da 
und so gieng Pettenkofer zunächst mit Empfehlungen \'on Fuchs, der 
ihm durch seine Verwendung beim Obermedizinal-Ausschuss ein medi- 
zinisches lieisestipendium, mit der Instruktion, sich vorzüglich in der 
organischen Chemie umzathun, verschafft hatte, nach Würzburg, um 
ein Semester (Winter 1843/44) bei dem verdienstvollen Josef Scherer, 
welcher auch aus der Medizin hervorgegangen und bei Liebig in 
medizinisch-chemischer Richtung thätig gewesen war, zu arbeiten. 
Scherer war an die in glänzendem Aufblühen begriffene medizinische 
Fakultät der Alma Julia berufen und ihm ein klimsch-cheraisches 



12 

Laboratorium eingeräumt worden; man hatte dort rechtzeitig ein- 
gesehen, welche Bedeutung die Chemie für die Untersuchung der 
Vorgänge im normalen und kranken Organismus erlangen werde. 
Man hoffte früher von der Chemie, namentlich durch Ermittlung 
der Bestandtheile der Säfte des Körpers, nur durch chemische Ana- 
lysen, ohne eigentlich physiologische Untersuchungen am Thier, über 
die Ursachen der Krankheiten Näheres zu erfahren, sah sich jedoch 
in dieser Hoffnung vielfach getäuscht, weil man von der Chemie 
etwas verlangte, was sie nicht leisten konnte. Die Physiologie benützt 
jetzt die Chemie in weitem Umfange, um über die physiologischen 
Vorgänge im lebenden Organismus Aufschlüsse zu erhalten und man 
kann ja diese Anwendung der Chemie „physiologische Chemie" nennen; 
aber letztere lässt sich nicht von der übrigen Physiologie als be- 
sondere Wissenschaft loslösen, da Methoden der Untersuchung keine 
Fächer abgrenzen und man für die Erklärung fast jedes physio- 
logischen Vorgangs alle möglichen Hilfsmittel: die Physik, die Chemie, 
die Anatomie etc. nöthig hat. Wer die Chemie zur Ermittlung der 
Lebenserscheinungen gebrauchen will, darf nicht nur Chemiker, er 
muss auch Physiologe sein; der letztere hat es nur mit dem Ver- 
halten der Stoffe im Körper zu thun, das Studium der Zersetzungen 
dieser Stoffe im chemischen Laboratorium, ihrer "Constitution, ihrer 
synthetischen Darstellung ist eine rein chemische Aufgabe und Sache 
des Chemikers. Die für die Physiologie so ungemein wichtige Syn- 
these der Zuckerarten durch Emil Fischer ist keine physiologische, 
auch keine physiologisch-chemische, sondern eine chemische Ent- 
deckung; so fallen auch die chemischen Untersuchungen der Art 
über das Eiweiss dem Chemiker zu. 

In Würzburg führte der junge Doktor der Medizin Pettenkofer 
mehrere chemische Arbeiten aus, welche seinen chemischen und 
medizinischen Kenntnissen entsprachen und alsbald die Aufmerksam- 
keit auf ihn lenkten. 

Er bekam aus der Klinik den Harn eines an Veitstanz leiden- 
den Mädchens zur Untersuchung und erhielt in dem eingedampften 



13 



alkoboliacheu Gxtrukt durch Zusatz von Salpetersäure ausser ealpeter- 
ßaurem Harnstoff beträclitliche Mengen feiner Nadeln von Hippur- 
säure, welche stickstoffhaltige Säure man bis dahin in erheblicher 
Quantität nur im Harn der pflanzenfressenden Säugethiere, beim 
Menschen blos in Spuren bei gemischter Kost gefunden hatte. Es 
zeigte sich, dass die Hippursäure-Ausscheidung bei dem kranken 
Kinde nichts mit der Erkrankung zu thun hatte, sondern mit der 
rein vegetabilischen Nahrung, welche blos aus Aepfeln, Brod und 
Wasser bestand, zusammenhieng. Es war dies eines der ersten Bei- 
spiele des bestimmenden Einflusses der Nahrung auf die Zusammen- 
setzung des Harns uud ea war damit der Nachweis der Abstammung 
der Hippursäure aus einem Bestandtheil der Pflanzen erkannt. Das 
Kind hatte, wie mir Pettenkofer mittheilte, eine besondere Vorliebe 
für die Aepfelschalen, was mit der späteren Erkenntniss, dass die 
Cutikula der Pflanzen den Stoff liefert, der sich in der Niere mit 
dem im Organismus entstehenden GiykokoU zu Hippui-säure vereiniget, 
in Verbindung steht. 

Darauf folgte in Würzburg die Entdeckung seiner bekannten 
Reaktion auf Gallensäuren, welche als wichtiges Erkennungsmiftel 
für letztere und auf Galle iumier noch angewendet wird. Man 
glaubt gewöhnlich, diese Reaktion wäre von ihm durch irgend einen 
Zufall aufgefunden worden; dies ißt jedoch nicht so. Es war damals 
von Liebig die Ansicht ausgesprochen worden, das Fett im Thier- 
körper entstehe aus den Kolilehydraten der Nahrung und diesen 
Vorgang wollte Pettenkofer im Laboratorium nachahmen; er nahm 
zu diesem Zwecke als lösliches Kohlehydrat den wohlfeilen Rohr- 
zucker, behandelte ihn mit concentrirter Schwefelsäure, um durch 
Wasserentziehung aus dem Zucker einen an Kohlenstoff reichen Stoff, 
ähnlich dem Fett, zu erzeugen, und fügte achliesalich Galle hinzu, 
weil man meinte, die Leber oder die Galle habe mit dem Prozess 
etwas zu thun. Auf solche Weise erhielt er zwar kein Fett, dessen 
Entstehen aus Kohlehydrat im Thier erst viel später durch Versuche 
nachgewiesen wurde, wohl aber die schöne violette Farbe seiner 



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Reaktion; er bemühte sich jedoch vergebene das rothe Zersetzungs- 
produkt zu isoliren. Die Erkennung der Gallensäuren war vorher 
eine sehr unsichere; mit der Reaktion Pettenkofers lassen sich die 
kleinsten Mengen derselben leicht darthun. Er zeigte mit ihr, dass 
in den Gallen aller Thiere dieselbe organische Substanz vorkömmt; 
dass im normalen Kothe des Menschen keine Gallensauren aufzu- 
finden sind, wohl aber in flussigen Darmentleerungen. Auch machte 
er darauf aufmerksam, dass weder die Gallensäuren für sich noch 
der Zucker für sich die Reaktion geben, sondern nur beide mit- 
einander; dass also eine merkwürdige Aenderung der Metamorphose 
eintritt, wenn zwei organische Substanzen neben einander zersetzt 
werden. 

Noch wichtiger ist der Nachweis eines neuen stickstoffhaltigen 
Stoffes im menschlichen Harn, der von den bedeutendsten Chemikern 
übersehen worden war, geworden; er isolirte ihn als Chlorzink-Ver- 
bindung und stellte seine Formel fest. Diese schwierige Untersuchung 
wurde noch in Würzburg begonnen und dann im Giessener Labora- 
torium, in welchem er im Sommersemester 1844 Aufnahme fand, 
fortgesetzt. Liebig zeigte einige Jahre später, dass dieser merk- 
würdige Stoff identisch ist mit dem aus dem Kreatin des Muskel- 
fleisches durch Behandlung mit einer Säure entstehenden Kreatinin. 
Man vermag sich heut zu Tage kaum mehr vorzustellen, welchen 
Eindruck diese Entdeckung auf Liebig und seinen Schüler machte; 
sie war einer der ersten Befunde über das Schicksal der Zersetzungs- 
produkte der Organe sowie der Bedeutung der Harnbestandtheile, 
und Liebig ist zum Theil durch sie zu seiner berühmten im Jahre 
1847 veröffentlichten „chemischen Untersuchung über das Fleisch* 
veranlasst worden. Pettenkofer erzählte öfter in launiger Weise, 
wie ihm beim Trocknen ein zur Elementar- Analyse bestimmter Vor- 
rath der Substanz verbrannte, zum grossen Verdruss Liebigs, der 
darüber bei einer Naturforscherversammlung in England berichten 
wollte, und wie dann halb Giessen zusammenhelfen musste, um recht- 
zeitig das Material für eine neue Portion zu gewinnen. 



1& 



Der Aufenthalt in Giessen gehörte, wie für Jeden, der in diesen 
Kreis der etrebaamen und durch Liebig begeiötertFon jungen Cbeiiiiker 
aus allen Ländern eingetreten war, zu den anregendsten und glück- 
lichsten. Mit schönen und wahren Worten schilderte der dankbare 
Schüler Pettenkofer in seiner meisterhaften Gedächtuissrede auf 
Liebig die emsige Thätigkeit und das Treiben in diesem Labora- 
torium, dem chemischen Bienenkörbe auf dem Selterser Berge, wo 
Liebig den Anseprucli des Mephisto: „Das Bewte, was du wissen 
kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen" ins Gegentheil um- 
drehte: Alles, was ich nmchen kann, das müssen auch die Buben 
machen lernen. Durch die gemeinsamen Bestrebungen wurden manche 
Freunde auf Lebenszeit gewonnen, wie Will, Bardeleben, Kopp, Fre- 
senius, Hof'maun. 

Durch den mächtigen Einfluss von Liebig war Pettenkofer zum 
fertigen Natiu-forscher herangereift und sein Name hafte unter den 
Chemikera einen guten Klang bekommen. 

Genie hätte er noch längere Zeit in Giessen zugebracht; er 
wollte zunächst nach Darstellung grösserer Quantitäten von Kreatinin 
dessen Vorkommen und ZersetKungen etudiren; da er jedoch die 
dazu nöthigeu Mittel nicht aufzutreiben vermochte, kehrte er im 
Herbst 1844 nach München zurück, woselbst er ohne Stelle war 
und auch keine Gelegenheit besass chemisch weiter zu arbeiten. Auf 
Einladung des Klinikers Gietl machte er zwar im Krankenhaus die 
chemischen Untersuchungen für die Klinik während eines halben 
Jahres ohne Remuneration; aber es fehlte ihm auch hier vollständig 
an Mitteln und er nmsste seine Zeit vielfach auf höchst gleichgiltige 
und unwichtige Dinge verwenden, um sich den zum Leben unent- 
behrlichen Bissen Brod zu erwerben. Von wirklichen Nahrungs- 
sorgen gedrungen, bat er (1845) in einer Eingabe an den Ober- 
medizinalausachuas um eine Stelle an medizinischen Anstalten der 
Universität, in welcher er in physiologischer und pathalogischer 
Chemie seine Kräfte weiter aufwenden könne. In der damaligen 
trüben Zeit entstanden auch seine prächtigen chemischen Sonette, 



16 

voll Begeisterung für die Errungenschaften der Chemie und die 
grossen Chemiker. Der Obermedizinalausschuss stellte auf Veran- 
lassung seiner Mitglieder Walther und Fuchs an das königl. Staats- 
ministerium den Antrag, dem Dr. Pettenkofer eine Stellung an der 
Universität zu geben, wie sie Scherer in Würzburg für medizinische 
Chemie inne hatte, aber das Ministerium Abel besass für solche 
Dinge kein Verständniss und legte die Sache zu den Akten. 

Nun trat an Pettenkofer abermals die Frage heran, welchem 
Belauf er sich widmen solle, denn die chemische und akademische 
Laufbahn schien ihm, wenigstens vorläufig, verschlossen; er besass 
nicht die Mittel sich an der Universität zu habilitiren und längere 
Zeit zuzuwarten, auch wollte er sich baldigst einen Lebensunterhalt 
verschaffen, um seine Braut heimzuführen. 

Da wurde glücklicher Weise die Stelle eines Assistenten bei 
dem königl. Hauptmünzamte in München mit einem Tagesgehalt 
von IV2 Gulden frei (1845); er bewarb sich um dieselbe in der* 
Hoffnung in der grossen Gold- und Silberscheideanstalt daselbst 
chemisch weiter arbeiten zu können^ was ihm mehr zusagte als die 
ärztliche oder pharmazeutische Thätigkeit. Allerdings waren anfangs 
die Münzbeamten über den neuen Collegen sehr erstaunt, denn sie 
konnten nicht verstehen, was ein Doktor der Medizin, Chirurgie und 
Geburtshilfe in der Münze zu thun habe; und als einmal der be- 
rühmte Chemiker Wöhler den Assistenten in der Münze besuchte, 
glaubte man, er müsse die Thüre des Direktors verfehlt haben. 
Aber bald zeigte es sich, welche brauchbare Kraft man für die 
Gold- und Silberscheideanstalt an dem jungen Chemiker gewonnen 
hatte, der sich rasch in die neue Thätigkeit einlebte. Es gieng 
damals sehr lebhaft in der Münze zu; es waren alle im Verkehr 
befindlichen sogenannten Brabanter- oder Kronenthaler eingezogen 
worden, um sie in den deutschen Münzfuss umzuprägen; auch das 
Haus Rothschild in Frankfurt beschäftigte die Anstalt jährlich mit 
einigen Millionen. Da gelang es dem Assistenten (1846 und 1847) 
durch seine chemischen Kenntnisse manche Schwierigkeiten in der 



17 



Scheidung des aus jenen Münzen gewonnenen Goldes und Silbers 
zu beseitigen und den Gebalt derselben an Platin zu entdecken. 
Man hatte beim Probireu süber- und goldhaltiger Kieee mit Blei- 
Ifktte schwankende Resultate erhalten , ja sogar Silber und Gold 
Innden in Kiesen, welche ganz frei davon waren; die dazu ver- 
wendete käufliche Bleiglätte enthält nämlich, wie Pettenkofer fand, 
schon jene edlen Metalle in wechselnder Menge; durch Anwendung 
von reinem Bleizucker beseitigte er die Unsicherheit der Probe und 
leistete dadurch der praktischen Scheiderei einen grossen Dienst. — 
Von grösserer Tragweite für die Scheidung des Golds vom Silber 
war die Auftinilung der weiten Verbreitung des Platins, das er als 
einen constanten Begleiter des in der Natur vorkommenden Silbers 
erkannte. Die Thaler enthielten nämlich stets auch ein Paar pro 
mille Gold, das bei der Scheidung abfiel, sich aber nicht zu Fein- 
gold, wie ea die Goldschläger brauchen, machen Hess, weil es zu 
spröde war. Früher benützte man zur Trennung des Golds vom 
Silber die theure Salpetersäure, bei deren Anwendung es sich nicht 
verlohnte, alles Gold vom Silber abzuscheiden, wesshalb die älteren 
Silbermünzeu alle goldhaltig waren; als nun statt der Salpetersäure 
die billigere Schwefelsäure gebraucht wurde, konnte man dieses Gold 
noch mit Vortheil gewinnen. Als daher die süddeutschen Staaten 
die Kronenthaler in Münzen feineren Gehalts umprägen mussten, 
deckte das daraus ausgeschiedene Gold nahezu die Umprägungskosten, 
denn es wurden aus 150 Millionen Kronenthalern für 1.8 Millionen 
Gold gewonnen. Aber man vermochte merkwürdiger Weise dieses 
Gold nicht auf einen höheren Feingehalt zu bringen, es blieben trotz 
noch so öfter Behandlung mit der Schwefelsäure immer noch gegen 
3 Prozent Silber ungelöst darin; kein praktischer Scheider konnte 
die Ursache dafür angeben, die wissenschaftliche Untersuchung Petten- 
kofers löste alsbald das Käthsel und die Aufgabe der völligen Rein- 
darstellung des Goldes. Er zeigte, dass die Unmöglichkeit das aus 
den Thalern erhaltene Gold frei von Silber herzustellen sowie die 
Sprödigkeit des so gewonnenen Goldes von dem Gehalt an Platin 



18 

bis zu 0.2 Prozent herrührt; dieses schon im Bergsilber enthaltene 
Platin wurde früher nicht beachtet, weil man keine Anwendung dafür 
hatte. Durch das Platin wird ein Theil des Silbers in dem noch 
silberhaltigen Gold in seinen Eigenschaften der Art verändert, dass 
es der Salpetersäure und der Schwefelsäure widersteht Um die letzten 
Antheile des Silbers vom Gold wegzubringen, schmolz Pettenkofer 
die Masse mit saurem schwefelsauren Natron, wodurch das Silber 
in schwefelsaures Salz verwandelt wird, das sich durch Kochen mit 
Schwefelsäure auflöst, während das Gold mit dem Platin zurückbleibt, 
die man dann durch Schmelzen mit Salpeter trennt, wodurch das 
Gold nicht angegriflfen wird. Auf solche Weise gewann man in der 
Münze jährlich einige Kilo des werthvoUen Platins. In den Schlacken 
nach dem Schmelzen mit Salpeter fand er ausser dem Gold und 
Platin noch Palladium und Osmiumsäure. — Diese Arbeiten Petten- 
kofers über die Zusammensetzung und Benützung der Goldschmelz- 
schlacken ist nicht nur für die Theorie und das Verständniss des 
Scheideprozesses sehr wichtig und aufklärend geworden, sie haben 
auch einen einfacheren und gewinnreicheren Betrieb unmittelbar 
nach sich gezogen. — Liebig schrieb ihm darüber: „Die Entdeckung 
des Platins in den Rückständen des Silberaffinirungsprozesses gehört 
zu den interessantesten, welche die Chemie darbietet, und kam um 
so unerwarteter, da so viele, namentlich französische Chemiker, denen 
man Geschicklichkeit und Erfahrung nicht absprechen kann, darüber 
gearbeitet, haben. Ihre einfache und elegante Methode der Auf- 
schliessung, welche alle Unannehmlichkeiten der Scheidung des Silbers 
und des Feinmachens des Goldes beiseitigt, ist eine wahre Bereicherung 
der analytischen Chemie, ganz abgesehen von dem praktischen Nutzen, 
den sie der Markscheidekunst gewährt." — 

Als Assistent an der Münze führte Pettenkofer noch einige nicht 
zu seiner Aufgabe daselbst gehörige Untersuchungen aus. 

Die eine handelt über den Gehalt des Speichels an Schwefel- 
blausäure. Einige Chemiker glaubten diesen giftigen Stoff im Speichel 
gefunden zu haben, Andere meinten, es wäre Essigsäure oder 



19 



AmeisenBäure, welche mit Eiaenchlorid eine ähnliche rotlie Färbung 
gebeu wie die Schwefelblausäure. Pettenkofer that durch schöne 
Versuche mit Sicherheit dar, daas es sich wirklich um Schwefelblau- 
säure oder Schwefelcyaueäure handelt; er machte auch quantitative 
Bestimmungen derselben und suchte ihre Herkunft zu erklären, indem 
er sie vom Harnstoff ableitete, der isomer mit dem cyanaauren Am- 
moniak ist, in welchem er innerhalb der Speicheldrüsen '2 Aeq. 
Sauerstoff durch 2 Aeq. aus Eiwelas entstandenem Schwefel ersetzt 
werden läset; dem entsprechend erhielt er bei der Behandlung von 
Harnstofi' mit Schwefelalkalimetallen eine Schwefelcyanverbindung. 

In den Gelehrten Anzeigen der Akademie gab er eine Notiz 
über einen neuen Körper, welcher im sogenannten Hamextraktiv- 
stofF enthalten ist und durch Quecksilberchlorid gefällt wird; der- 
selbe ist möglicher Weise identisch mit dem neuerdings als Oxypro- 
teinsäure beschriebenen Stoff. 

Eine dritte höchst bomerkenswerthe Arbeit (1847) ist die über 
das Hämatinon, einen antiken rothen Glasfluss. Von dem kunst- 
sinnigen König Ludwig I. war (1844) eine Commisaion von Künstlern 
und Gelehrten nach Pompeji entsendet worden, um »her die künst- 
lerische Technik der Alten Erfahrungen zu sammeln. Der Architekt 
Gärtner brachte dabei ein Stück eines undurchsichtigen prächtig 
rothen GlasHuases, unter dem Namen antikes Porporino, mit, welches 
polirt einen hohen Glanz mit metallglänzenden Punkten zeigt und 
offenbar das von Plinius secundus in seiner Naturgeschichte als 
Hämatinon oder Blutroth beschriebene Glas ist. Der König hatte 
den Wunach, die Herstell unga weise dieses Hämatinona, welche im 
Laufe der Zeiten in Vergessenheit gerathen und trotz mannigfacher 
Bemühungen nicht wieder gelungen war, zu erfahren, um dasselbe 
bei seinen Bauten zu verwenden. Professor Schaf häutl erhielt zu 
diesem Zwecke ein Stück zur chemischen Analyse, wobei sich ergab, 
daaa ea ein Bleioxyd- und Kupferoxydul haltiger Glasfluss sei, aber 
die Verauche zur Wiederherstellung dessell>eu lieferten immer ein 
grünachwarzes Glaa, Pettenkofer fand die Analyse von Schafbäutl 



20 

qualitativ und quantitativ ganz richtig; als er jedoch die Bestand- 
theile zusammenschmolz, erhielt auch er kein rothes, sondern ein 
grünschwarzes Glas. Da fiel ihm ein, es könnte das kieselsaure 
Kupferoxydul eine grünschwarze oder eine purpurrothe Farbe haben, 
je nachdem es in amorphem oder krystallinischem Zustande sich 
befindet. Und in der That zeigte der geschmolzene antike Glasfluss 
eine leberbraune Farbe, nach dem langsamen Abkühlen aber wieder 
die rothe. So war es nun auch mit dem künstlich zusammengesetzten 
Glasfluss, nur bedurfte es hier noch vieler Anstrengungen Petten- 
kofers bis seinem Scharfsinn die jedesmalige Herstellung der rothen 
Farbe und die wissenschaftliche Erklärung der dabei stattfindenden 
verwickelten Vorgänge gelang. 

Die Ereignisse des Jahres 1848 und der Rücktritt Königs 
Ludwig I. machten den Versuchen vorläufig ein Ende; erst im 
Jahre 1853 erhielt Pettenkofer durch die bei der Akademie von 
König Max IL eingesetzte technische Commission die Mittel zu Ver- 
suchen in grösserem Maassstabe, wobei er schliesslich Platten von 
5 — 8 Zoll Durchmesser bekam. 

Der Vorgang beim Entstehen der schönen rothen Farbe ist 
also der Uebergang des grünen amorphen kieselsauren Kupferoxyduls 
beim langsamen Abkühlen der geschmolzenen Masse in die rothe 
krystallinische Verbindung; auf die Bildung der Krystalle ist von 
bestimmendem Einfluss die geeignete Temperatur und die Zusammen- 
setzung des Glasflusses, denn sie entstehen nur bei langsamem Ab- 
kühlen und bei Zusatz von Eisenfeile oder Kohle. Es treten zunächst 
feine Punkte regulinischen Kupfers auf, welche die Ansatzpunkte 
bilden für die in prächtigen Büscheln anschiessenden nadelförmigen 
Krystalle des rothen kieselsauren Kupferoxyduls. 

Beim Ersatz der Kieselsäure durch Borsäure glückten ihm 
Krystallisationen von vorzüglicher Schönheit mit tief dunkler, bei 
auffallendem Sonnenlichte rother Farbe; an gewissen Stellen zeigten 
sich zahllose neben einander gereihte Krystalle, andere Stellen hatten 
einen lebhaften Schimmer bläulichen Lichtes auf dem tief dunkeln 



21 



Grunde, ähnlich dem Schimmer der Sterne auf dem nächtlichen 
Hintergrunde, wesahalb er der boraxhaltigen Masse den Namen 
„Astralit" gab. Die Astralite erinnerten ihn an das in Murano 
seit ältester Zeit hergestellte venetianische Avenfuringlas mit seinen 
flimmernden Kupferkrystäilchen, dessen Herstellung von manchen 
Fabrikanten noch als Geheiiimiss betrachtet wird; Pettenkofer ge- 
wann das Aventuringlas aus Hämatinon durch Zumischung von 
Eisenfeile in bestimmter Menge und langsames Abkühlen. 

Bei der allgemeinen deutschen Industrie -Ausstellung im Jahre 
1854 in München waren Proben der künstlichen Glasflüsse als Glas- 
porphyre ausgestellt und mit einer Medaille ausgezeichnet worden; 
jedoch ist der Wunsch Pettenkofers, es möchte durch industrielle 
Männer die Sache weitere Ausbildung und Anwendung iu der Technik 
erfahren, bis jetzt nicht erfüllt worden. — 

Pettenkofer war durch die 'fbätigkeit in der Münze voll be- 
friediget und er erklärte später häufig diese Zeit zusagender erspriess- 
licher Arbeit für die glücklichste seines Lebens. Sein Wirken an 
derselben fand allseitig Anerkennung und er hatte Aussicht bald Münz- 
scheider mit einem pragmatischen Jahresgehalte von 2000 Gulden 
und freier Wohnung zu werden; er wäre wohl mit der Zeit der 
Vorstand der angesehenen Anstalt geworden. Da trat nach zwei- 
jähriger Amtsdauer an derselben eine unerwartete Wendung seines 
Geschickes ein; durch den Sturz des Ministeriums Abel im Jahre 
1847 kam der frühere Antrag des Obermedizinal -Ausschusses, an 
der Universität München eine ausserordentliche Professur für medi- 
zinische Chemie zu errichten, wieder in Fluss; das Ministerium 
forderte den Akademischen Senat auf, darüber zu berichten und so 
wurde Pettenkofer gefragt, ob er eine solche Stelle noch annehmen 
würde. Auf das dringende Zureden von Fuchs, der den talentvollen 
jungen Gelehrten schon immer gerne der akademischen Laufbahn 
zugewendet hätte, entschloss er sich zögernd zuzusagen, es fiel ihm 
recht schwer, sich von der liebgewordenen Thätigkeit an der Münze 
zu trennen. Der Senat schlug ihn zum ausserordentlichen Professor 



22 

für medizinische Chemie vor, zugleich aber auch, einem Antrage 
der staatswirthschaftlichen Fakultät entsprechend, den Privatdozenten 
Dr. August Vogel, dessen Vater damals Professor der Chemie war, 
für Agrikulturchemie, mit dem Bemerken, dass die Mittel der Uni- 
versität nur für eine Professur vorhanden wären, dem Ministerium 
die Wahl überlassend, welche Professur zu besetzen sei. König 
Ludwig I. entschied sich für die medizinische Chemie; die den 
König höchlich erfreuende Herstellung des Porporino antico ver- 
schaffte Pettenkofer die ausserordentliche Professur an der medizi- 
nischen Fakultät, vorzugsweise für pathalogisch - chemische Unter- 
suchungen an den Kliniken, mit einem Jahresgehalt von 700 Gulden 
in Geld und einem Naturalbezuge von zwei Schäffeln Weizen und 
sieben Schäffeln Korn. 

In dem Universitätsgebäude in der Ludwigstrasse erhielt er zu 
ebener Erde drei Räume, von denen eines als chemisches Labora- 
torium diente. Schüler zu wissenschaftlichen Arbeiten und praktischen 
Uebungen meldeten sich, bei dem damaligen Zustande der Natur- 
wissenschaften an der Universität, nur einzelne und auch dies waren 
keine Mediziner, ja es erschien Pettenkofer bei seinen sonstigen 
Bestrebungen nicht einmal angenehm ein Laboratorium zu leiten, 
denn als ich mich nach dem theoretisch-medizinischen Examen (1852) 
sehnte, mich in der Chemie auszubilden und ihn bat, mich als Schüler 
aufzunehmen, wies er mich anfangs wegen Mangel an Zeit ab und 
er wurde nur durch meine Bestürzung über seinen abschlägigen Be- 
scheid bewogen, es mit mir zu versuchen. Er begann jedoch vor 
wenigen Zuhörern Vorlesungen zu halten, nicht über sogenannte 
medizinische Chemie, wie sie Scherer in Würzburg mit so grossem 
Erfolge betrieb, sondern zunächst mehrmals über organische Chemie 
in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie im Liebig'schen 
Sinne, auch einmal über allgemeine und organische Chemie; im 
Sommersemester 1853 taucht zuerst der absonderliche Titel »Vor- 
träge über diätetisch -physikalische Chemie" auf, nachdem von ihm 
im Jahre 1851 die Anfänge seiner hygienischen Untersuchungen 



23 



gemacht worden waren. Der Name deutete schon auf die Anwen- 
dung der Lehren der Chemie für die Gesundheit des Menschen hin, 
und er brachte darin die Zusammensetzung der uns umgebenden 
Luft, des Wassers, auch der gebräuchlichen Nahrungsmittel wie des 
Fleisches, der Milch, des Brodes etc. Wir erkannten aUbald, dasa 
uns hieriuit etwas Anderes geboten wurde, als in den gewöhnlichen 
Vorlesungen, etwas ganz Eigenartiges, und wir nahmen, obwohl 
damals der Vortrag etwas Schleppendes und Eintöniges hatte, an 
dem fesselnden Inhalt das grösste Interesse. Diese Vorlesung wieder- 
holte sich jedes Jahr, aber unter beständiger Aenderung des Titels, 
wie wenn sein Geist nach einer besonderen Gestaltung und nach 
etwas Neuem ringen würde. Da heiast ea: über die physikalischen 
und chemischen Grundsätze der Diätetik und der Öffentlichen Ge- 
sundheitspflege, physikalische und chemische Grundsätze der Diätetik 
als Theil der Medizinalpolizei, medizinische Polizei, Medizinalpoüzei 
mit Berücksichtigung der physikalischen und chemischen Grundlagen 
der Gesundheitslehre, Öffentliche Gesundheitspflege mit besonderer 
Berücksichtigung der Medizinal polizei , öffentliche Gesundheitspflege 
für Aerzte, Architekten und Ingenieure, dann öffentliche Gesundheits- 
pflege und Medizinalpolizei, bis vom Sommersemester 1865 an end- 
gültig der Name: „Vorträge über Hygiene" auftritt. 

Es ist auffallend und charakteristisch für Petteiikofer, dass er 
nach seiner Rückkehr von Giessen, zu einer Zeit, in der fast alle 
Chemiker sicli mit der damaligen Hauptaufgabe der Chemie, der 
Ermittelung der näheren Constitution der Kohlenstoff-Verbindungen 
zu beschäftigen begannen, und in der in dieser Richtung die glänzend- 
sten Entdeckungen gemacht wurden, sich an diesem Wettkampfe 
nicht betheiligte, obwohl er doch bei Liebig das volle Verständoiss 
hiefür erlangt hatte; ja es wurden nicht einmal seine physiologisch- 
chemischen Untersuchungen fortgesetzt. In ähnlicher Weise kümmerte 
sich auch Robert Buneen, nachdem er durch seine denkwürdige 
Untersuchung über das Kakodyl die heutige Chemie der Kohlen- 
stoffverbindungen mit begründet hatte, sich um die weitere Ent- 



24 

Wicklung derselben nicht mehr. So hat auch Pettenkofer keine 
einzige Arbeit in dieser Richtung ausgeführt, zunächst fast aus- 
schliesslich nur Untersuchungen, welche eine praktische Anwendung 
brachten und wie die meisten früheren durch einen zufälligen An- 
lass an ihn herangetreten waren. 

Nur einmal befasste er sich noch mit einer Aufgabe der reinen 
Chemie und auch da nur mit einer theoretischen Frage ohne einen 
chemischen Versuch anzustellen. Am 12. Januar 1850 las er in einer 
Sitzung der mathematisch-physikalischen Klasse der Akademie, in 
welche er (1846) noch als Münzassistent auf den Vorschlag von 
Fuchs, zugleich mit August Vogel und Ludwig Andreas Buchner, als 
ausserordentliches Mitglied aufgenommen worden war, seine gedanken- 
reiche Abhandlung „über die regelmässigen Abstände der Aequivalent- 
zahlen der sogenannten einfachen Radikale". Von Döbereiner war 
schon 1829 auf die sogenannten Triaden aufmerksam gemacht worden, 
auf Gruppen von drei analogen Elementen, deren Atomgewichte so 
beschaffen sind, dass das eine als das arithmetische Mittel aus dem 
der beiden anderen betrachtet werden kann. Nach Pettenkofers 
Beobachtung finden sich regelmässige Abstände der Aequivalent- 
zahlen zwischen den Gliedern einzelner natürlicher Gruppen der 
Elemente; seine Abhandlung hat die wichtigste Anregung zur Auf- 
stellung des sogenannten periodischen Systems der Elemente gegeben 
und eine dauernde Bedeutung in der Geschichte der Chemie erlangt. 
Es lag ihm klar vor Augen, dass der nächste Schritt der sein müsse, 
genaueste Bestimmungen der Aequivalentzahlen zu machen, und so 
stellte er in der folgenden Februarsitzung das schriftliche Ansuchen 
an das Präsidium der Akademie, ihm zur Bestreitung der für eine 
nähere Untersuchung nöthigen Ausgaben 200 Gulden zu gewähren, 
welches Gesuch von Fuchs als nützlich und zeitgemäss unterstützt wurde, 
worauf die Klasse beschloss, dasselbe empfehlend dem Präsidium zu 
übergeben; aber dieses vermochte der Bitte nicht zu willfahren, da 
hiefür keine Mittel vorhanden waren ; Dank der hochherzigen Stiftung 
von Bürgern Münchens und anderen edlen Freunden der Wissen- 



25 

Schaft, welche später Pettenkofer als Präsident der Akademie ver- 
mittelte, wäre eine solche Absage heut zu Tage nicht mehr möglich. 
Die Sache fand anfangs bei den Chemikern keine besondere Be- 
achtung, zum guten Theil wohl desshalb weil sie in den wenig zu- 
gänglichen „Gelehrten Anzeigen" der Akademie versteckt war; erst 
viel später erkannte man ihren grundlegenden Werth. Acht Jahre 
darnach veröflFentlichte nämlich der berühmte französische Chemiker 
J. Dumas eine Abhandlung, in welcher er genau die gleichen Gedanken 
aussprach wie Pettenkofer, der dagegen reklamirte, indem er seine 
Abhandlung erneut in Liebigs Annalen der Chemie abdrucken liess. 
Jetzt erst fand er die allgemeine Würdigung und wurde es allseitig 
anerkannt, dass er sich damit ein unvergängliches Verdienst für alle 
Zeiten um die Chemie erworben hat; sie würde allein hinreichen, 
seinem Namen einen ehrenvollen Platz in der Geschichte der Chemie 
zu sichern. Die deutsche chemische Gesellschaft liess (1899) zum 
50 jährigen Gedächtniss an die einflussreichen Betrachtungen ihres 
Ehrenmitgliedes über die Atomgewichte eine Medaille prägen und 
durch die Herren v. Baeyer, E. Fischer, van't Hoff und Königs feier- 
lich überreichen; in Ostwalds Klassikern der exakten Wissenschaften 
wurde die wunderbar schön und klar geschriebene Abhandlung aber- 
mals abgedruckt. Ihre Wirkung sollte sich noch weiter erstrecken, 
als sich zeigte, dass auch die Eigenschaften der Elemente peri- 
odische Funktionen ihrer Atomgewichte sind, besonders als Mendelejeff 
solche Betrachtungen zur Bestimmung oder Correktion der Atom- 
gewichte ungenügend bekannter Elemente und sogar zur Prognose 
der Eigenschaften noch unbekannter Elemente anwandte; man hat 
diese Vorausbestimmung fehlender und dann wirklich aufgefundener 
Elemente mit Leverriers Vorausberechnung des noch unentdeckten 
Planeten Neptun verglichen. Es ist übrigens ein Glück, dass Petten- 
kofer verhindert wurde sich mit den zeitraubenden Atomgewichts- 
bestimmungen zu befassen, er wäre wohl dann nicht zu den Unter- 
suchungen, welche nur von ihm ausgeführt werden konnten, gekommen, 
während der belgische Chemiker Jean Servais Stas den grössten 

4 



26 

Theil seines langen Lebens die Atomgewichte mit bewunderungs- 
werther Ausdauer und unübertroffener Sorgfalt ermittelte. 

In die erste Zeit von Pettenkofers Professur für medizinische 
Chemie fielen zwei technische Untersuchungen. 

Der Arcliitekt Leo von Klenze, der ihm seine Erfahrungen 
über die grösseren Vorzüge der englischen hydraulischen Kalke, 
besonders des Portland-Cements , vor den deutschen mitgetheilt und 
ihm auch eine Probe echten Portland-Cements aus England mitgebracht 
hatte, forderte ilm (1849) im Interesse seiner Bauten auf nach den 
Gründen dieser Verschiedenheit zu suchen. In der That zeigten der 
englische Portland-Cement und der gewöhnliche deutsche hydraulische 
Kalk gewisse Unterschiede, indem der erst^re in Wasser in sehr 
kurzer Zeit zu einer gleichmässig harten Masse erhärtet, letzterer 
nur langsam, so dass er noch nach Monaten im Innern weich bleibt. 
Pettenkofer gieng um so lieber darauf ein, da von seinem Lehrer 
Fuchs schon 1830 durch eine Arbeit über Kalk und Mörtel die 
ersten Aufschlüsse über die Bedingungen des Festwerdens des Cements 
unter Wasser gebracht worden waren. Pettenkofer betraute zuerst 
seinen Schüler, den Studirenden Anton IIo[)fgiirten aus Wien, mit der 
Untersuchung, welche die erste Arbeit eines Schülei^s aus einem 
naturwissenschaftlichen Laboratorium der Universität München in der 
damaligen Zeit war. Dann machte er sich selbst an die Aufgabe 
und löste das Problem der Darstellung guten hydraulischen Kalkes. 
Es ergab sich aus den Analysen, dass nicht der sogenannte Thon- 
gehalt des thonhaltigen Kalksteins oder des Mergels, aus dem man 
den hydraulischen Kalk brennt, die wesentliche Bedingung guten 
Cements ist, sondern vielmehr die chemische Zusammensetzung des- 
selben. Durch das Brennen des Mergels geht, wie schon Fuchs 
zeigte, der kohlensaure Kalk in Aetzkalk über und durch letzteren 
wird der Thon aufgeschlossen, d. h. die im Thon enthaltene Kiesel- 
säure verbindet sich mit den Alkalien, zu welchen sie in der höheren 
Temperatur beim Brennen eine grössere Affinität als zum Kalk be- 
sitzt. Die Kieselsäure darf nicht schon während des Brennens an 



27 

den Kalk treten, sondern erst nachher bei der Behandlung mit 
Wasser theilweise oder ganz mit dem Kalk zu Kalksilikat sich ver- 
binden. Die Hitze soll eben ausreichend sein, den kohlensauren 
Kalk in Aetzkalk zu verwandeln und den thonigen Bestandtheil des 
Mergels zu schmelzen; bei zu hoher Hitze verbindet sich der Kalk 
schon während des Brennens mit der Kieselsäure und man erhält 
einen schlechten Cement. Darauf hin konnte Pettenkofer genaue 
Angaben über die Zeit des Brennens und den Hitzegrad bei den 
verschiedenen Mergeln machen, so dass er die Theorie dieses wich- 
tigen Baumaterials zum völligen Abschluss gebracht hat und man 
jetzt aus den deutschen Mergeln mit grösster Sicherheit Produkte 
wie der kostspielige englische Portland -Cement erhalten kann. — 

Daran reihte sich eine zweite technische Untersuchung über die 
wichtigsten Grundsätze der Bereitung und Benützung des Holzleucht- 
gases. Es war schon früher versucht worden Leuchtgas aus Holz 
herzustellen und namentlich hatte der Franzose Lebon einen kleinen 
Apparat zur Bereitung von Holzgas als Hausgeräth angegeben, der 
in holzreichen Gegenden, wo die Steinkohlen damals schwer zu be- 
schaffen waren, die Aufmerksamkeit auf sich zog. Es vermochte 
sich jedoch diese Beleuchtungsart nirgends zu behaupten, vorzüglich 
desshalb, weil die Leuchtkraft des Holzgases allzugering war und 
mit dem Steinkohlengas nicht entfernt in Conkurrenz treten konnte. 
Der Baurath Ruland in München kam nun auf die Idee, dass harz- 
reiches Holz vielleicht ein leuchtendes Gas geben könnte und ver- 
anlasste Pettenkofer (im Winter 1848/49) Versuche darüber anzu- 
stellen; aber auch das Holz der Zwergföhre (Pinus Pumilio) mit 
25 Prozent Harz lieferte noch kein leuchtendes Gas. Da war Petten- 
kofer vor die Aufgabe gestellt, die Ursache zu suchen, warum das 
Holz kein gutes Leuchtgas giebt. Bald hatte er sie gefunden, was 
wohl Wenigen geglückt wäre. Es zeigte sich durch die grössten- 
theils von seinem talentvollen, leider zu früh verstorbenen Assistenten 
Dr. August Pauli, der später Robert Bunsen bei den Absorptions- 
versuchen der Gase Hilfe leistete, ausgeführten Gasanalysen, dass 



28 

bei der niederen Temperatur, bei welcher das Holz verkohlt und 
in Dämpfe zerfallt, nur Gase sich bilden, welche beim Verbrennen 
nicht leuchten, nur Kohlensäure, Kohlenoxydgas und Sumpfgas, jedoch 
keine schweren Doppelkohlenwasserstoffe. Die Steinkohle dagegen 
wird erst bei höherer Temperatur zersetzt und liefert dabei Gase 
von hohem Kohlenstoffgehalt. Wenn man also die bei der Ver- 
kohlung des Holzes entstehenden Dämpfe höher erhitzt, so erhält 
man mehr Gas und es treten schwere Kohlenwasserstoffe in solcher 
Menge und von so bedeutendem Kohlenstoffgehalt auf, dass das 
Holzgas sogar reicher daran ist als das Steinkohlengas. Dadurch 
war mit einem Schlage das Holzgas in die Reihe der leuchtfähigen 
Stoffe eingetreten; man hat nur noch die die Leuchtkraft beein- 
trächtigende Kohlensäure durch trockenes Kalkhydrat zu entfernen. 
Es trat dabei noch eine eigenthümliche Schwierigkeit auf, welche 
Pettenkofer einmal in die grösste Verlegenheit brachte. Als die 
Stadt Basel die Holzgasbeleuchtung einführte, war er eingeladen 
worden, der feierlichen Eröffnung der Anstalt und der Probebeleuch- 
tung beizuwohnen. Aber als Alles versammelt war und das Gas 
entzündet wurde, leuchtete es nur ganz schwach, so dass der Akt 
unterbrochen werden musste. Pettenkofer verliess tief beschämt 
und voll schwerer Sorgen thränenden Auges die Fabrik und die 
Stadt. In München angekommen, eilte er vom Bahnhof ins Labora- 
torium, wo er noch vor 48 Stunden die Holzgasflamme zum Leuchten 
brachte. In Folge des höheren spezifischen Gewichtes des Holzgases 
ist nämlich bei ihm das Aufsteigen und Ausströmen im Brenner 
träger als beim Steinkohlengas , wesshalb man bei ersterem nicht 
einen gewöhnlichen Steinkohlen gasbrenner, sondern einen Brenner 
mit breiterer Ausströmungsöffnung nehmen muss. Das Holzgas kam 
nach den lokalen Verhältnissen billiger als das Steinkohlengas und 
ist frei von Schwefel und Ammoniak, so dass beim Verbrennen keine 
schweflige Säure und keine Salpetersäure entsteht und es für zarte 
Farben, z. B. auf Seide, sowie für Metalle unschädlich ist. Nachdem 
die Sache nach den ersten Versuchen mit einem kleinen Laboratoriums- 



29 

Apparat, in dem höchstens 100 Gramm Holz auf ein Mal destillirt 
werden konnten, prinzipiell geordnet war, sollten die für die Aus- 
führung im Grossen nöthigen Erfahrungen gewonnen werden; der 
Baurath Ruland und der Baudirektor v. Pauli bewarben sich mit 
Pettenkofer darum, in dem neuen Bahnhof in München auf ihre 
Kosten die Beleuchtung mit Holzgas einrichten zu dürfen, mit der 
Verpflichtung, das Gas bei gleicher Leuchtkraft noch billiger zu 
liefern, als man es aus der grossen für die Stadt München be- 
stehenden Steinkohlengasfabrik bezogen hätte; von 1851 an wurde 
der Bahnhof mit Holzgas beleuchtet. Als die Durchführung im 
Grossen noch mehr Kapitalien erheischte, schlössen sich die Fabrik- 
besitzer Anton Riemerschmid in München und L. A. Riedinger in 
Augsburg an, und so wurde das Holzgas gegenüber dem Vorurtheile 
der gesammten wissenschaftlichen und industriellen Welt ins Leben 
eingeführt und ist seine Bereitung ein bedeutender brauchbarer 
Industriezweig geworden. Besonders durch die Mithilfe und Thätig- 
keit des technisch und industriell ungewöhnlich begabten Riedinger 
kam das Holzgas in vielen Anstalten, Fabriken und Städten zur An- 
wendung. Vor 40 Jahren war eine grosse Anzahl von Städten in 
Süddeutschland und Oesterreich-Ungarn noch mit diesem Holzgas 
beleuchtet. Wenn die meisten dieser Orte wieder mit Steinkohlen- 
gas beleuchtet werden, so war zu diesem Wechsel nicht etwa eine 
Mangelhaftigkeit des Holzgases oder ein sachlicher Vorzug des Stein- 
kohlengases Veranlassung, sondern lediglich der im Laufe der Zeit 
eingetretene Wechsel im Preise des Rohmaterials. Erst als das Holz 
theurer und die HerbeischafiFung der Steinkohlen nach Süddeutsch- 
durch die Entwicklung der Eisenbahnen leichter wurde, musste das 
Holzgas weichen. Wo die Steinkohlen mehr kosten als das gleiche Ge- 
wicht Holz, ist es immer noch lohnender mit Holzgas zu beleuchten. — 
Zu dieser Zeit stand der nun 33 Jahre alte Forscher schon in 
hohem Ansehen da, er hatte sich in der Chemie, der physiologischen 
Chemie sowie durch seine technischen Untersuchungen über das 
Platin, das Hämatinon, den Cement und das Holzgas einen überall 



30 

geachteten Namen in der Wissenschaft und Technik erworben und 
doch war er noch nicht zu seiner eigentlichen Lebensaufgabe ge- 
kommen; er hatte in einer Anzahl von Gebieten durch glückliche 
Lösung von zufällig an ihn herangetretenen Fragen Hervorragendes 
geleistet, aber er war noch nicht zu consequent^r , sich weiter ent- 
wickelnder Forschung in einer bestimmten Richtung gelangt. Da 
kam 1851 eine merkwürdige Untersuchung, welche Pettenkofers 
Bestrebungen eine neue, bleibende Richtung geben sollte und welche 
der Ausgangspunkt für seine hygienischen Arbeiten geworden ist, 
das ist die über den Unterschied zwischen Luftheizung und Ofen- 
heizung in ihrer Einwirkung auf die Zusammensetzung der Luft der 
geheizten Räume. Sie entstand durch eine Anfrage von König 
Max IL an den Obermedizinalausschuss ; der König fühlte sich in 
den durch Luftheizung erwärmten Räumen der Residenz unbehaglich 
und er wollte erfahren, ob die Heizung mit heisser Luft ein andere 
Einwirkung auf die Luft der beheizten Räume äussere als die ge- 
wöhnliche Ofenheizung. Man konnte dies nicht ohne Weiteres ent- 
scheiden, man musste vorerst eingehende Erfahrungen darüber machen; 
der wissenschaftlich und technisch so bewanderte Pettenkofer, welcher 
im Jahre 1849 als chemisches Mitglied in den Ausschuss an die 
Stelle von Fuchs berufen worden war, war der richtige Mann dazu; 
ein Anderer hätte wahrscheinlich in Bälde ein gewöhnliches Gut- 
achten darüber geschrieben, aber für ihn gab es den Anlass zu ge- 
nauester experimenteller Prüfung und zu den interessantesten, all- 
gemein wichtigen Resultaten. Er sagte sich alsbald, dass es an und 
für sich doch unmöglich einen Unterschied in der Zusammensetzung 
der Luft eines Zimmers machen könne, ob die Wärmequelle im 
Zimmer sich befindet oder die Wärme von ausserhalb zugeleitet 
wird: das erhitzte Eisen des Calorifers kann aus der Luft keinen 
Sauerstoff wegnehmen, auch nicht den Wasserdampf derselben zer- 
legen und dadurch den Wohnräumen zu trockene Luft zuführen, 
worüber man in den mit heisser Luft erwärmten Räumen gewöhnlich 
klagt. Er untersuchte zunächst den Gehalt der Luft der durch 



31 

Luftheizung erwärmten Räume an Kohlensäure und Wasser; dabei 
stellte sich im Gegentheil heraus, dass die aus den gemauerten 
Hauptkanälen in das Zimmer eintretende heisse Luft sogar wasser- 
reicher ist wie die damit erwärmte Zimmerluft und letztere wasser- 
reicher wie die in den Heizkanal aus dem Freien eintretende Luft. 
Wenn nämlich die heisse Luft die gemauerten Kanäle durchzieht, 
nimmt sie von den Ziegelsteinen und dem Mörtel derselben Wasser 
weg und so wird auch die Zimmerluft durch die Luftheizung reicher 
an Wasser, was man schon an dem Schwitzen der kalten Fenster- 
scheiben wahrnimmt. Auch von den Wänden des Zimmers verdunstet 
durch die Erwärmung der Luft Wasser; dieses von den hygro- 
scopischen Wandungen abgedunstete Wasser wird vneder aus der 
äusseren Luft ersetzt und die Gebäude führen dieses condensirte 
Wasser wie die Gebirge nach abwärts, wesshalb die Mauer oberhalb 
einer Asphaltschicht feucht wird. Darum nimmt man zur Verkleidung 
der Wohnungen hygroscopische Substanzen, z. B. Mörtel; das in den 
Wänden aufgespeicherte Wasser ist nothwendig, es muss beim Ein- 
heizen an die wasserarme kalte Winterluft abgegeben werden, sonst 
kommt der Organismus in eine unnatürliche zu trockene Atmosphäre. 
Die Luftheizung macht jedoch die Zimmerluft in anderer Weise 
trockener, sie bedingt nämlich einen fast fünfmal grösseren Luft- 
wechsel in den Räumen als die Ofenheizung, wenn der Ofen ausser- 
halb des Zimmers gefeuert wird; sie trocknet daher in der That 
mehr aus, so dass die Klage über grössere Trockenheit der Luft- 
heizung eine begründete ist, wogegen man sich durch Verdampfung 
von Wasser aus einer grossen Oberfläche schützen kann. — Dabei 
wurde Pettenkofer auf eine andere wichtige Eigenschaft der Wände 
unserer Wohnungen zum ersten Male aufmerksam, nämlich auf ihre 
Durchlässigkeit für Luft; bis dahin beschränkte man, wenn keine 
künstliche Ventilation stattfand, den Ort des Austausches der Luft 
in einem Wohnraum nur auf die Oeffnungen an den Fenstern und 
Thüren; nun erkannte er, dass auch durch die Wände ein Luft- 
wechsel vor sich geht wie nach den schönen Versuchen von Graham 



32 

bei der Diffusion der Gase durch eine trockene Gypsplatte, die 
durch Befeuchten mit Wasser luftdicht wird. Desshalb hat der Mensch, 
durch sein Gefühl geleitet, zur Erbauung der Wohnungen für Luft 
durchdringlichen Mörtel und poröse Ziegelsteine gewählt, eiserne 
Wandungen wären ihm unbehaglich wie Kleidungsstücke aus Gummi ; 
darum sind auch die Neubauten mit ihren nassen, luftdicht schliessen- 
den Wandungen ungesund, nicht allein wegen des W^assers und der 
Feuchtigkeit, sondern auch wegen des luftdichten Verschlusses; auch 
das Kalkhydrat des Mörtels der neuen Wohnungen ist eine Quelle 
von Wasser, bis es soviel Kohlensäure aus der Luft der Räume auf- 
genommen hat, dass es zu Kalkcarbonat geworden ist. Die Poren 
der Wände werden von ihm mit denen unserer Oberhaut oder mit 
denen der Kalkschalen des Vogeleies, in dem durch Firnissen oder 
Oelen der junge Vogel erstickt, verglichen. Wie die Wände unserer 
Wohnungen müssen auch unsere Kleider für Luft durchgängig sein. 
Das wichtige Ergebniss dieser ersten Erkenntnisse ist für ihn die 
Hoffnung durch mehrere ähnliche Arbeiten den unbestimmten Aus- 
druck: „Salubrität der Wohnungen" in bestimmte wissenschaftliche 
Vorstellungen aufzulösen. 

Es war durch diese zufällig angeregton Untersuchungen eine 
grosse Anzahl von weiteren Fragen in ihm erweckt worden, welche 
die Umstände, unter denen der Mensch lebt und sich gesund erhält, 
betreffen: zunächst über das hygroscopische Verhalten der Stoffe, 
welche zur Erbauung und Verkleidung der Wohnungen angewendet 
werden und über die Durchlässigkeit dieser Stoffe für Luft. Die 
Beantwortung dieser Fragen, welche zu immer neuen Fragen führten, 
nahmen ihn von da an ganz in Anspruch, so dass sich daraus all- 
mählich ein neues Wissensgebiet, das der experimentellen Hygiene, 
entwickelte. 

Aus der Zeit seines Aufenthaltes im Laboratorium an der Uni- 
versität stammen noch einige kleinere, aber bemerkenswerthe Arbeiten, 
welche seine Meisterschaft in der chemischen Analyse sowie im 
chemischen Denken erneut darthun. 



33 



Von theoretischer Bedeutung ist eine Untersuchung über den 
amorphen und krystallinischen Zustand eines Kupferainalgams. An 
einem von den Pariser Zahnärzten zur Ausfüllung cariöser Zähne 
gebrauchten Kupferamalgam fand er, doss dasselbe beim Erkalten 
nach dem Erhitzen in der ersten Zeit noch weich, plastisch und 
amorph ist, nach 8 — 10 Stunden aber hart und spröde wird und 
dann kryetallinisch ist. Die Ämalgamo sind nach ihm keine chemi- 
schen Verbindungen, sondern nur Metalllegirungen, da kein stöchio- 
metrisches Verhältniss zwischen dem Quecksilber und dem Metall 
besteht. Das Kupferamalgam ist ein merkwürdiges Beispiel der 
Uebertragung des Aggregatzustandes von einem Körper auf einen 
anderen, denn das flüssige Quecksilber wird dabei mit dem Kupfer 
fest und kryatalHnisch. Er weist auch auf die Wichtigkeit dieses 
Vorgangs für die allgemeine Chemie hin als erstes und bis dahin 
einziges Beispiel von Amorphismus und Krystallismus schwerer Me- 
talle bei ein und derselben Temperatur. 

Pettenkofer hatte ferner (1851) eine genaue Analyse der jod- 
und bromhaltigen Adelheidsquelle zu Heilbronn in Oberbayern aus- 
geführt, lu den benachbarten Heilquellen zu Krankenheil bei Tölz 
waren von den verschiedenen Forschern über den Jodgehalt sehr 
widersprechende Angaben gemacht worden; Pettenkofer wurde dess- 
halb (1857) als Mitglied des Obermedizinal- Ausschusses vom Ministerium 
beauftragt die Sache zu untersuchen. Er löste das Räthsel, indem 
er zeigte, dass die Differenzen nicht von einem wechselnden Gehalt 
des Wassers an Jod herrühren, sondern von der als Keagens ange- 
wendeten Salpetersäure, welche schon Jod als Jodsäure enthalten 
kann, wenn sie aus Chilisalpeter dargestellt wird. In der Quelle ist 
nämlich auch Schwefel wasserstofTgas vorhanden; dasselbe reduzirt 
aus der jodsäurehaltigen Salpetersäure Jod, das dann die Stärke 
bläut. Nach längerem Lagern des Wassers verschwindet das Schwefel- 
wasserstoffgas und man erhält keine Jodreaktion mehr. 

Im rohen Holzessig, der bei der Holzgasbereitung anfällt, ist in 
nicht unbeträchtlicher Menge ein mit Eisensalzen sich blau färbender 



34 

Stoff vorhanden, den er anfangs für Pyrogallussaure hielt, der sich 
aber dann als Brenzkatechusäure erwies (1854). Diese Substanz bildet 
sich beim Verkohlen des Holzes aus der Gerbsaure und findet sich 
im Destillationsrückstande des Holzessigs neben harzartigen Stoffen; 
man trennt sie von den letzteren durch Kochsalzlösung, welche die 
Säure löst; durch Schütteln der Salzlösung mit Aether löst sich die 
Säure auf, die man nach dem Verdampfen des Aethers durch Subli- 
mation ganz rein in schönen Erystallen bekömmt. Nun ist es von 
physiologischem Interesse, dass man die Brenzkatechusäure durch 
trockene Destillation der Rinde und des Holzes aus der Gerbsäure 
gewinnen kann, aber auch nach dem Ausziehen des zerkleinerten 
Holzes mit Wasser, Alkohol und Alkalien aus einem Stoff, der zu 
der Gerbsäure in Beziehung steht. Aus dem trockenen Destillat von 
Stroh oder Papier erhält man keine Spur der Substanz, es ist also 
der die Säure liefernde Bestandtheil des Holzes in den inkrustirenden 
Holzsubstanzen zu suchen und steht in enger Beziehung zur Holz- 
bildung. — 

Mittlerweile war eine wichtige Aenderung in der äusseren 
Stellung Pettenkofers eingetreten. Nach dem im Jahre 1850 erfolgten 
Tode seines verehrten Onkels und Erziehers berief ihn König Max II. 
auf den Wunsch der Leibärzte v. Breslau und v. Gietl zum Nach- 
folger als Vorstand der Hofapotheke, wobei er die Dienstwohnung 
erhielt, in der er seine Jugendjahre zugebracht. In der Pharmazie 
durchgebildet, hoffte er, dass die neue Stelle ihn in seiner Thätigkeit 
als Lehrer und Forscher nicht hindern werde; es gelang ihm auch, 
die Hofapotheke zu einer Musteranstalt zu erheben und ihren Um- 
satz auf eine beträchtliche Höhe zu bringen. 

König Max IL, der die Wissenschaft liebte und ihre Bedeutung 
für sein Volk klar erkannte, suchte gleich nach Antritt seiner Re- 
gierung (1848) durch die Berufung hervorragender Gelehrter seine 
Hauptstadt München zu einer Stätte für die wissenschaftliche Forschung^ 
zu machen; er hatte auch die chemischen Briefe von Liebig gelesen 
und wünschte sehr diesen berühmtesten und geistreichsten Chemiker 



35 



Beiner Zeit zu gewinnen. Es schien jedoch keine Aussicht dazu zu 
bestehen, da Liebig an dem Orte seiner grossen Wirksamkeit in 
Gieasen bleiben wollte und wiederholt Berufungen abgelehnt hatte. 
Pettenkofer war mit Liebig in brieflichem Verkehr geblieben und 
glaubt© Ursache zu haben, dass jetzt vielleicht die Gewinnung Liebigs 
gelingen könnte. Der König sandte (1852) Pettenkofer sofort nach 
GiesBen, um mit Liebig zu verhandeln; er verstand die Aussichten 
in München und die Persönlichkeit seines Herrn so zu schildern, dass 
er wenigstens die Zusage Liebigs erhielt nach München zu kommen, 
um dem Könige persönlich zu danken; Liebig vermochte bei einer 
Audienz in Berg am Starnbergersee dem Zureden des Königs und 
der anmuthigen Königin nicht zu widerstehen und entschloss sich 
die Professur der Cheuiie in München anzunehmen. Pettenkofer 
schilderte später in anziehender Weise den Hergang: „wie Justus 
V. Liebig nach München kam". Dem damaligen Cultusminister war 
es unbegreiflich, warum der ausserordentliche Professor Pettenkofer 
das Ordinariat für Chemie nicht für sich nahm und frug ihn, was er 
denn nun thun wolle. Pettenkofer hat dem nach seiner Üefaerzeugung 
für die Stelle Beseeren in seltener üneigennützigkeit Platz gemacht und 
antwortete dem Minister auf seine Frage, er werde sich schon ein 
Fach zu schaffen wissen; durch die Gewinnung Liebigs erwarb er 
sich ein grosses Verdienst um unsere Universität und um das wissen- 
schaftliche Leben in unserer Stadt. 

Ein Jahr darnach (1853) wurde Pettenkofer ordentlicher Pro- 
fessor für medizinische Chemie in der medizinischen Fakultät, und 
als das neue physiologische Institut im Jahre 1855 fertig gestellt 
war, bot ihm der damalige Vorstand, Professor v. Siebold, vier Käume 
in demselben als Laboratorium an, wo er mit Siebold, Bischoff, 
Harleas und mir wirkte, bis er eine eigene würdige Arbeitsstätte 
erhielt. Aber wie oft hat man schon die Erfahrung gemacht, daas 
gerade aus den kümmerlichst eingerichteten Laboratorien unsterbliche 
Arbeiten hervorgegangen sind. 

In die erste Zeit seines Aufenthaltes im physiologischen Institut 



36 



(1857) fallt noch eine durch Baudirektor Pauli angeregte feine Unter- 
suchung über das Verhalten des Zinks an der Luft and über die 
Frage, bis zu welcher Stärke eine Zinkdecke dem Eisenblech aufzu- 
legen ist, am letzteres nachhaltig gegen Oxydation zu schützen, undj 
eine zweite über ein einfaches höchst sinnreiches Verfahren, dioj 
Dicke einer Verzinkung an eisernen Telegrapliendrähten zu schMzen. ' 

Unterdess war er damit beschäftigt, sich sein eigenes Fach 
zu schaäen. 

Die Physiologen hatten wohl die physiologischen Vorgänge im 
Organismus, z. B. die Bedingungen der Säuerst oö'aufn ah nie und der 
Kohlensäureabgabe in der Lunge und ihre Grösse untersucht, auch. ' 
den Wasserverlust durch Haut und Lunge, sowie die Verhältnis»! 
der Wärmeabgabe vom Körper; aber auf die auf ihn wirkendes | 
Dinge ausserhalb des Organisnms, auf die äusseren Umstände, onter 
denen die Menschen leben, achtete man so gut wie nicht: alao aaf ■ 
die gehörige Zufahr frischer Luft im Hause, den Einfluaa der Woh- J 
Dung, der Kleidung, des Bodens; es erschienen diese Dinge als all- 
täglich, bedeutungslos und selbstverständlich. 

Nachdem Pettenkofer durch seine frühere UntersHcliung (1851)1 
auf die grosse Bedeutung des Luftwechsels in den WohnräutneaJ 
aufmerksam geworden war, gieng er (1857) daran, denselben einem! 
eingehenderen Studium zu unterwerfen. Als ein Maass für denBelben'a 
erschien ihm die Zeit, in welcher der Kohlensäuregehalt in Zimmern] 
zu- und abnimmt. Zu diesem Zwecke musst« er in kurzen Zeit>* 1 
räumen, alle 15 Minuten, den Kohlensäuregehalt der Zimnierluftl 
bestimmen; dies war aber mit den bisherigen Methoden, die wohl'J 
genau genug waren, jedoch viel Zeit in Anspruch nahmen, nicht! 
möglich. Er musste daher vorerst ein Verfahren ersinnen, welcheaj 
rasch und ohne grosse Hilfsmittel auszuführen ist und doch genau 
Resultate giebt. So entstand seine bekannte Methode der Kohlen-^ 
Bäurebestimmung in der Luft, welche allgemeinen Eingang fandüfl 
und zu unzähligen Versuchen verwendet wurde, und später aucbJ 
zur Ermittlung der von Menschen und Thieren bei den ItespirationB-'l 



37 



versuchen ausgebauchten Kohlensäure diente. Die Luft wird dabei 
in geaichten Flaschen von etwa 5 Liter Rauminhalt gesainnielt. die 
Kohlensäure durch Barytwasspr absorbirt und durch Neutralisation 
desselben mit einer Oxalsäurelöaung von bekanntem Gehalt vor und 
nach der Einwirkung der Kohlensäure der Gehalt der Luft an 
letzterer erhalten. 

Mit diesem neuen Hilfsmittel ausgerüßtet, zu welchem später 
noch ein zur Messung der Intensität der Luftströme dienendes vom 
Mechanikus Neuniann in Paris erhaltenes Combes'scbes Anemometer, 
das aus höchst empfindlichen WindÜügeln besteht, deren Umdrehungen 
durch ein Uhrwerk gezählt werden, hinzukam, schritt er nun (1857) 
zu der Prüfung der Ventilation der Wohnungen; auch diese Unter- 
suchung ist noch durch einen besonderen äusseren Anlass hervor- 
gerufen worden. In dem alten im Jahre 1813 erbauten allgemeinen 
Krankenhause war durch den verdienten Erbauer und früheren 
Direktor Häberl eine von den Praktikern als ungemein wirksam 
gepriesene Ventilationseinrichtung eingeführt worden, welche auch 
in der neuen Gebäranstalt Verwendung fand. Eine CommisBion. aus 
den Herren Jolly, Alexander, Kaiser und Pettenkofer l)e8tehend, 
erhielt die Aufgabe, dieselbe einer Prüfung zu unterziehen, welche 
ausschliesslich Pettenkofer zufiel. Die Ventilation sollte dabei durch 
die Tempera turdifferenz der Luft im Freien und im Inneren des 
Hauses bewirkt werden; die verdorbene Luft soll aus den Säälen 
durch AbzugsöEFnungen in die Oefen und Kamine gehen und dafür 
frische Luft aus dem Freien durch sogenannte Luftarterien zugeführt 
werden. Bei der Untersuchung dieser Einrichtung mittelst Kerzen- 
flanmien zeigte sich die Luftbewegung äusserst unregelmässig, hie 
und da im gewünschten Sinne, aber auch Null und nicht selten 
sogar in verkehrter Richtung, so dass die ganze kostspielige B^inrichtung 
als eine gänzlich unbrauchbare bezeichnet werden musst« und ab- 
gesperrt wurde. Ganz köstlich wird daa Verhalten des dirigirenden 
Arztes der Anstalt geschildert, der von seiner Ventilation die besten 
Erfolge gesellen haben wollte und sie im Prinzip für vortrefflich 



hielt; mit allerlei verworrenen Vorstellangen eich tragend, wollte 
er die Oefen im ganzen Hause abändern, indem er dieses technische 
Objekt wie einen Patienten behandelte, dem man jedenfalls etwas 
verschreiben müsse, und so verordnete er die Abänderung der Oefea 
als kostbare Arznei; Peftenkofer sagte nach seinen Beobachtungan, 
voraus, dass dieses theure Rezept nicht den mindesten Nutzen habea 
werde und die Connnission überzeugte sich auch von der Erfolg- 
losigkeit der Kur. Nicht leicht zeigt sich der Unterschied zwischen ' 
dem früher in solchen Dingen zumeist geübten Handeln nach prak-J 
tischen! Gutdünken und dem nach der wissenschaftlichen Erkenntnisa.'! 

Bei diesen ersten genaueren wissenschaftlichen UntersuchungeaJ 
einer Ventilationseinrichtutig wurde die Ueberzeugung gewonneiiy] 
dass die Bewegung der Luft in einem Hause ein höchst complizirteoif <^ 
erst durch fortgesetzte Studien zugängliches Phänomen seL Pettan- 
kofer wurde daher auf Veranlassung des Klinikers Pfeufer nadl , 
Paris zum Studium der dortigen Veutilationseinrichtungen gesandtj 
(1856). Im Anfang der vierziger Jahre war in Kngland und-J 
Frankreich der Anfang gemacht worden, an Stelle der KensteivJ 
lüftung für gesclilossene Räume die künstliche Luftzufuhr zu setzen,! 
Bei dem Bau des Zellengefängnisaes von Mazas (1843) machten dial 
Naturforscher Andral, Bousaingault, Duaiaa und Peclet den Versudl'« 
durch einen Ventil ationskanal reine Luft zuzuführen, namentliclifl 
war in dem 1848 erbauten grossen Spitale La Riboisiere zu Pai 
zum ersten Male eine durch mechanische Kraft erzeugte känatlicfa< 
Ventilation mit grossem Aufwand von Mitteln durchgeführt worden, 
auch im Spital Beaujon. und Dr. Grassi hatte daselbst als Era 
die für die Hygiene so wichtige Aufgabe der Ventilation im Sir 
der objektiven Naturforschung in Angriö" genommen. Pettenkof^ 
nahm die Gelegenheit in Paris wahr, die Wirkung einer Anzt 
solcher Einrichtungen ebenfalls zu prüfen. 

Die Beobachtungen in München und Paris führten Pettenkofei 
zu einer wichtigen grundlegenden Besprechung (1858) der allgemeir 
Fragen über den natürlichen Luftwechsel in den Gebäuden und dal 



39 



Grundsätze der künstlichen Ventilation; es ist eine ganz gewaltige 
Darlegung, voll von neuen Gedanken, in der die quantitative Be- 
stimmung der Grösse der Ventilation eingeführt und die Prinzipien 
derselben für alle Zeiten festgestellt wurden. 

Man versteht bekanntlich unter natürlicher oder unter künst- 
licher Ventilation den nötbigen Luftwechsel in einem geschlossenen 
Raum, wobei wir Windstille über unseren ganzen Körper haben 
d. i. bei einer Geschwindigkeit der Luft nicht über '/a Meter in der 
Sekunde. Ventilation ist nicht Zug; Zug ist eine einseitige ver- 
mehrte Abkühlung des Körpers durch einseitiges Anblasen der Luft. 

Ueber und um uns eilt im Freien ununterbrochen ein Luftstroiii 
dahin, dessen Geschwindigkeit den reissendsten Gebirgabach weit 
überholt; für gewöhnlieh sehen wir ihn nicht, kaum dass wir ihn 
fühlen. Wir leben in diesem Strom Luft wie die Fische im Wasser; 
mit nichts auf der Erde steht unser Organismus in so beständigem 
Verkehr. Bei völliger Windstille beträgt seine Geschwindigkeit immer 
noch 0.7 Meter in der Sekunde, erst bei L3 Meter empfinden es die 
Nerven, die mittlere Geschwindigkeit in München ist 3 Meter; die 
Luftmenge, welche an einem aufrecht stehenden Manne im Freien 
heranströmt, ist 36000 mal grösser als die von ihm ausgeathmete Luft, 

Unsere Wohnung darf uns von diesem Strom der äusseren Luft 
nicht abschliessen, die Wände sollen die Strömung nur verlangsamen 
und die Wirkung der äusseren Luft massigen und zwar um das 
3000 fache. Ks darf durch die Mauern kein Zug fühlbar sein, was 
eintritt, wenn die Bewegung der Luft einen halben Meter in der 
Sekunde übersteigt. 

Das nächste Bedürfnisa war, einen Maassstab für die Verun- 
reinigung der Luft in bewohnten Räumen zu gewinnen. 

Pettenkofer fragt zuerst, wann wii- die Luft eines Wohnzimmers 
gut und rein heissen und antwortet darauf, wir heissen sie dann 
gut, wenn bei Handhabung der grössten Reinlichkeit die durch das 
Athmen von Menschen erzeugte Kohlensäure nicht mehr als 1 pro 
mille, d. h. auf 1000 Volum Luft 1 Volum Kohlensäure, beträgt. Die 



40 



Kohlensäure ist für iba nicht das Schädliche, sie ist ihm nur ein 
MaaBsstab für die übrigen durch die Bewohner abgegebenen liüchtigea 
organischen Stoffe, die uns die Luft nicht mehr behaglich machen, 
für die man aber kein einfaches Mittel der Beetiraiimng besitzt. Dia . 
Ventilation soll also nur gegen die Folgen der von dem Menschen | 
durch Lunge und Haut gelieferten Produkte gerichtet sein und nicht 
gegen andere Unreinlich keiten. Das einfache und genaue VerfahreQ 
Pettenkofers ist fast ausschliesslich in Gebrauch geblieben trotz mancher 
Versuche in anderer Weise den Grad der Verunreinigung der Luft 
in Wohnräumen zu bestimmen. 

In den bewohnten Räumen findet sich in Folge der von ihm 
erkannten Porosität der Wände und anderer Spalten eine natürliche 
Ventilation oder ein freiwilliger Luftwechsel. Indem er zusieht, wie 
in einer Zimmerluft bei geschlossenen Thüren und Fenstern und j 
Verschluss der zufälligen Oeffnungen mit geleimtem Papier und ' 
Kleister, die durch Verbrennung von Holzkohle oder besser aus doppel- 
kohlensaurem Natron mittelst Schwefelsäure entwickelte Kohlensäure 
allmählich abnimmt, erhielt er die Elemente der Rechnung für die 
GröBBe des in dem Zimmer stattgefundeoen Luftwechsels, nach derl 
von seinem Freunde, dem Mathematiker Ludwig Seidel angegebenen J 
Formel, zu 22 — 95 Cubikmeter = GO Cubikmeter im Mittel in 1 Stunde,-J 
Wenn aber die Luft in einem Raum beim Athmen von Menschen I 
gut bleiben soll, muss man das 200 fache Volum der von einem 
Menschen in jedem Zeitmomente ausgeathmeten Luft an frischer 
Luft zuführen; da nun ein Mensch in 1 Stunde etwa 300 Litep 
Luft mit 12 Liter Kohlensäure ausatbmet, so bedarf man zu obigemfl 
Zweck in 1 Stunde 60 Cubikmeter (= 60000 Liter) frische Lafti"* 
in Frankreich ist man auf anderem Wege zu der gleich hohen Zahl 
gelangt. Die freiwillige Ventilation deckt demnach einen betrachte 
liehen Theil, ja unter Umständen den ganzen Bedarf an Luft in einem 
bewohnten Raum; sie geschieht nicht durch einen Austausch der GasaJ 
Innen und Aussen, nicht durch sogenannte Diffusion, sondern stets durcbj 
eine Ortsveränderung der Luftmassen durch einen einseitigen Druclc 



41 



Efi ißt wichtig alle Umstünde kennen zu lernen, welche auf den 
natürlichen Luftwechsel in den Wohnräumen durch die Mauern ver- 
mehrend oder vermindernd einwirken. 

Von dem grösaten Einfluss darauf ist die TemperaturdifFerenz 
im Zimmer und im Freien. Durch einen im Winter von Innen 
geheizten Ofen wird der natürliche Luftwechsel grösser; dieser Zug 
iflt zwar für einen einzelnen Menschen noch von wesentlicher Be- 
deutung, 80 dasa für gewöhnlich dabei eine künstliche Kraft zur 
Bewegung der Luft so gut wie entbehrlich ist; für eine grössere 
Anzahl von Menschen sinkt jedoch sein Werth zur Bedeutungs- 
losigkeit herab. Der Arme, der an den kalten Wintertagen kein 
Holz zum Einheizen besitzt, friert daher nicht nur, sondern lebt auch 
wegen des Mangels der Temperaturdifferenz in einem schlecht ventilirten 
Wohnraum mit verderbter Luft. Im Sonnner können wir leicht 
durch OefFnen eines Fensters helfen, aber es ist zu dieser Jahreszeit 
das Oeffnen während eines halben Tages wegen der geringen Tempe- 
raturdifferenz Innen und Aussen erst so wirksam wie im Winter 
während einer halben Stunde. 

Ferner ist die Geschwindigkeit der Luft im Freien von Einfluss 
auf die natürliche Ventilation; es ist bekannt, daas wir bei kaltem 
und windigem Wetter mehr einheizen müssen. 

Dann ist der Grad der Porosität des Baumateriales von Einfluss, 
worauf er schon früher (1851) aufuierksam geworden war und worüber 
er nun die sinnreichsten Versuche anstellte. Er zeigte die Durch- 
lässigkeit von Mörtel, Ziegelsteinen und Holz für Luft auf das 
Augenfälligste; wenn er dieselben an vier Seiten mit Wachs über- 
zog und an den zwei freigebliebenen Flächen Metall platten, die in 
der Mitte ein Rohrstück tragen, luftdicht ansetzte, so war es ihm 
zur üeberraschung Aller leicht, Luft mittelst des einen Rohrs durch 
den Ziegelstein, ja durch die ganze Mauer zu blasen, ein Kerzenlicht 
auszulöschen oder die Luftblasen durch das zweite in Wasser ge- 
steckte llohr austreten zu sehen. Diese Porosität, welche den natür- 
lichen Luftwechsel in unseren Wohnräumen bedingt, ist so bedeutend, 



42 

dass jeder leichte Windstoss durch die Mauer hindurch nachweisbar 
ist und dass bei grösserer Intensit&t empfindliche Leute den Zug 
durch die Wand spüren. Jede Benetzung mit Wasser hemmt durch 
die Verschliessung der Poren den Durchtritt der Luft, wodurch sich 
zum Theil, wie vorher schon erwähnt wurde, die schlimme Wirkung 
nasser Wände erklärt; aber auch bei sorgfaltigem Bestreichen der 
Mauer mit Wachs gehen immer noch 40 Prozent der eingeblasenen 
Luft durch das Wachs hindurch, was darthut, dass auch ein Oel- 
anstrich keinen Verschluss der Wand hervorbringt 

In welchen Fällen wird nun eine kunstliche Ventilation neben 
der natürlichen nothwendig? Dann, sagt Pettenkofer, wenn trotz 
der natürlichen Ventilation, also im Winter in geheizten Zimmern 
bei geschlossenen Fenstern und Thüren und im Sommer bei nach 
Bedürfniss geöffneten Fenstern, der Kohlensäuregehalt durch das 
Athmen von Menschen auf 1 pro mille steigt Er hat zu diesem 
Zwecke eine Unzahl von Bestimmungen des Kohlensäuregehalts be- 
wohnter Räume gemacht: in Räumen, wo mehrere Personen athmeten, 
ohne dass die Luft beengend gefühlt wurde, in der übelriechenden 
Luft eines Saales des Gebärhauses, in dem gefüllten Hörsaale Liebigs^ 
in Bierkneipen mit Tabacksqualm etc. In Wohnräumen mit starker 
Bevölkerung wird die Grenze öfters erreicht und überschritten, so 
dass die natürliche Ventilation nicht ausreicht. Es kommt also 
wesentlich darauf an, ob die Räume nur kürzere oder längere Zeit 
bewohnt werden; für kürzere Zeit wird ja wohl der schädliche 
Einfluss einer Luft selbst mit 2 bis 5 pro mille nicht gross sein, 
aber ein längerer Aufenthalt in schlechter Zimmerluft — in Wohn- 
und Schlafsäälen , Krankensäälen , Kasernen, Gefangnissen — wird 
ebenso nachtheilig sein, wie ein Aufenthalt in guter reiner Luft 
zuträglich ist Besonders der Luft in den Schulen schenkte er seine 
Aufmerksamkeit: es zeigte sich z. B., dass in den nicht ventilirten 
Zimmern des neuen Schulhauses am Glockenbach bis zu 4 pro mille 
Kohlensäure waren, in den ventilirten Zimmern nur 1.5 pro mille. 
In eindringlichen, beredten Worten wird der Werth einer guten 



Luft in den Wohnräumen geschildert; eine Luft, in der sich grössere 
Mengen von Ausdünstungsst offen durch den Geruch verrathen, und 
die uns anwidert., könne nicht gesund sein ; die Erziehung und Aus- 
bildung des leiblichen Gemeingefühls der Völker wäre für das 
körperliche Wohl ebenfalls von Wichtigkeit, Er ist auf das Leben- 
digste überzeugt, dass die Gesundheit der Jugend wesentlich gestärkt 
würde, wenn die Luft in den Schulen, in lienen die Kinder fast den 
fünften Theil des Tages verbringen , nicht mehr als 1 pro mille 
Kohlensäure enthielte. Dienen die Räume zu längerem Aufenthalt 
und werden sie von vielen Menschen bewohnt, dann tritt der Nach- 
theil hervor; die Verminderung der Anzahl der Bewohner eines 
Hauses ist ihm äquivalent einer Raum Vermehrung oder Lüftung; 
daraus ergiebt sich auch der hygienische Werth einer geräumigen 
Wohnung. Er ist nicht der Meinung, dasa die schlechte Luft direkt 
krank macht wie Gift, sondern die Widerstandsfähigkeit des Körpers 
gegen jede Art von krankmachenden Agentien herabßtimmt und 
schwächt, und so zur Quelle vieler chronischer Leiden wird. In 
solchen Fällen also, wo die natürliche Ventilation nicht ausreicht, 
muss die künstliche eintreten; noch immer wird gegen diese klaren 
Grundsätze gefehlt, die künstliche Ventilation unterlassen, wo sie 
nöthig ist, und eingeführt, wo sie entbehrt werden kann. 

Es mag hier noch bemerkt werden, dass Pettenkofer sich viel- 
fach mit der Luftverderbniss durch Heizungs- und Beleuchtungs- 
anlagen beschäftigte, sowie mehrere setner Schüler zu Arbeiten in 
dieser Richtung bestimmte; auch wurde von einer Anzahl seiner 
Schüler die Wirkung von hygieniscli und technisch wichtigen Gasen, 
z. B. der schwefligen Säure, des Schwefelwasserstoffgases etc. untersucht. 

Nun werden noch eingehend die bisherigen Methoden der künst- 
lichen Ventilation besprochen und auf die vielen irrigen Vorst^el- 
lungen hingewiesen, denen die Praktiker ohne die theoretischen 
Kenntnisse sich häufig über den Luftwechsel bei Anlagen von Venti- 
lationsapparaten, Luftzügen und Feuerungen hingaben und dadurch 
Fehler verursachten, so dass sich die meisten dieser Anlagen bei 



44 



näberer Prüfung als ungenügend und onwirksam erwiesen. Petten- 
kofer war es, der zuerst durch sorgfaltige Versuche die Bedingungen 
erforschte, welche mit dem Luftwechsel und der Ventilation ziisammen- 
h&ngen, und die Grundlage für das VerstÄndnisB dieser Vorg&nge legte. 
Man gieng früher von der irrigen Meinung au», die Wohnungen 
schlössen uns bei geschlossenen Thüren und Fenstern von der At- 
mosphäre ab, da man die freiwillige Ventilation nicht kannte. Die 
eingehende Untersuchung künstlicher Ventilationeeinrichtungen zeigte, 
wie häu6g auf den zufälligen Wegen sich viel mehr Luft bewegt^ 
al» auf den durch die künstliche Ventilation vorgeschriebenen; nicbt 
selten kömmt die Luft durch die zur Wegföhrung bestimmten Kanäle 
herein, ohne dass ein anderer Abtluss vorhanden ist, als durch die 
Poren der Wand und durch die Fensterspalten; er konnte in Paris 
dem Dr. Grassi zu dessen Erstaunen darthun, daes manchmal anf 
den bestimmten Zuström ungswegen viel weniger Luft hereintritt, 
als durch die Abzugsöifnungen austritt. Wegen der Porosität der 
Wandungen braucht nicht ein bestimmtes Verhältniss in den OefFnungen 
für die Zuströmung und Abströnmng der Luft zu sein; man kann 
durch mechanische Kraft die nothwendige Menge frischer Luft ein- 
treiben, ohne dass für die Wegführung der verbrauchten Luft be- 
sondere Kanäle da sind, es genügt für letztere jede ins Freie mün- 
dende Oeffnung. — Um zu entscheiden, wo man am besten die Luft 
aus einem Raum wegnimmt, wird von ihm geprüft, ob die schlechte 
Luft sich an bestimmten Stellen eines Zimmers befindet und ent- 
gegen der gewöhnlichen Vorstellung, nach der die schwerere Kohlen- 
säure am Boden sich ansammeln soll, erfahren, dass die Luft in dea 
Zimmern durch die Wärme rasch gleichmässig gemischt wird. In 
einer besonderen Untersuchung (1873) wird dies bestätiget an der 
Marienquelle in Marienbad. wo trotz der reichlichsten Entwicklung 
von Kohlensüuregas schon 145 Centimeter über dem Wasserspiegel 
in Folge der enormen Geschwindigkeit der Diffusion eich nicht - 
'/3 Prozent Kohlensäure in der Luft findet. Die Respirationsgaee , 
des Menschen vermischen sich also alsbald mit der Luft des Zimraors 



45 



und würden in Verdünnung wieder eingeatlimet, wenn dem Zimmer 
nicht beetändig auf irgend welche Weise frische Luft zugeführt wurde; 
im Freien wird die ausgeathmete Luft durch die Luftbewegung rasch 
fortgeführt. — üeber die Ursache des Zugs in den Essen und Ka- 
minen haben die Praktiker ebenfalls ganz falsche Vorstellungen 
gehabt: Die Kamine saugen die Luft nicht, wie man gewöhnlich 
meint, wie ein Vakuum an und die warme Luft steigt in ihnen 
nicht als leichtere auf, es wird vielmehr umgekehrt eine Säule 
leichterer warmer Luft von der auf ihr lastenden schweren kälteren 
Luft im Freien in die Höhe getrieben wie Oel durch Wasser. Ge- 
wisse Kamine ziehen nicht mehr, wenn von oben die Sonne hinein- 
scheint, weil über der warmen Rauchsäule im Kamin eine noch 
wärmere Luftschicht liegt. 

Als Motor für die künstliche Ventilation ist demnach die 
TemperaturdifFerenz der äusseren Luft und der Luft der Wohnräume, 
wie beim Häberlsjstem, wegen seiner un regelmässigen Leistung völlig 
überflüssig; derselbe besitzt keinen höheren Werth wie die freiwillige 
Ventilation. Zugkamine von gehöriger Höhe und Weite mit Feuerung 
wirken auch nicht regelmässig, denn sie wechseln mit jeder Schwankung 
der inneren und äusseren Temperatur und man hat es bei ihnen 
uicht in der Gewalt, auf welchen Wegen man die frische Luft zu- 
führen will; sie eignen sich daher für Räume bei fortgesetztem 
Aufenthalt wie Krankenhäusern, Geföngnissen, Kasernen etc. nur 
wenig und sie sind wegen der beständigen Feuerung theuer. Die 
Feuerung und die Ventilation müssen von einander getrennt werden, 
sie haben nichts mit einander zu thun. Pettenkofer hielt daher 
schon damals die mechanische Kraft einer Maschine zum Eintreiben 
oder Ansaugen eines Luftstronis für das vollkommenste und auch 
billigste Mittel der künstlichen Ventilation, namentlich bei weiterer Aus- 
bildung der Technik; er gab dem Eintreiben der Luft den Vorzug vor 
dem Ansaugen, wobei keine eigenen Kanäle für den Abzug der Luft 
nötbig sind; jetzt gebraucht man neben dem Drücken ein schwächeres 
Saugen, um der Luftbewegung eine bestimmte Richtung zu geben. — 



Die Untersuchungen über den Luftwechsel in den Wohnungen 
führten ihn zu weiteren Beobachtungen und Befrachtungen über die 
hygienischen Funktionen des Hauses, mit dem wir uns umgeben, daa 
er wie eine Glocke über ein Stück Erde gestürzt ansieht 

In hohem Grade wichtig dafür ist daa eigenthümliche Verhalten 
der Mauer zum Wasser und dessen Einflusa auf die Gesundheit. 
Die nassen Wände beeinträchtigen nicht nur die Ventilation, sondern 
sie bedingen auch Störungen in der Wärmeöbonomie unserea Körpers 
und veranlassen Erkältungokrankfaeiten, indem sie einseitig abkühlend 
wirken durch grössere Wärnieleitung und durch VerdunstungskaltÄ. 
Das in beträchtlicher Menge in einem Neubau vorhandene Wasser 
muss verdunsten; beim Bau eines gewöhnlichen Hauses kommen 
allein zum Benetzen der Steine und zum Anmachen des Mörtels 
83500 Liter Wasser zur Verwendung, zu deren Verdunstung ini 
Mittel 34 Millionen Cubikmet«r Luft nöthig sind. — Scheinbar trockene 
Keubauten werden beim Beziehen wieder feucht, es entstehen an den- 
Wänden feuchte dunkle Flecken. Man meinte fälschlich, dieses sieht- | 
bare Wasser werde aus den Wänden durch das Bewohnen erst frei | 
gemacht und zwar durch die Wirkung der Kohlensäure deä Athetns i 
auf das in dem Mörtel der Wand vorhandene Kalkhjdrat, dessen j 
Hydratwasser bei der Verbindung zu kohlensaurem Kalk frei werde;.! 
aber Kalkhydrat wird durch Liegen in koLlensaurehaltiger Zimmer- 1 
luft und Uebergang in kohlensauren Kalk niemals sichtbar feucht,.! 
denn das Freiwerden des Hydratwassers ändert das Volum nicht und! 
füllt also auch nicht die mit Luft erfüllten Poren der Waud i 
Die nassen Flecken entstehen vielmehr durch Niederschlagen von.l 
Wasser aus der mit Wasserdampf gesättigten Luft des Zimmers anj 
der kalten Wand, namentlich beim Einheizen, so dasa die vorhetj 
mit Luft gefüllten Poren der trockenen Wandfläche sich wieder mi(^ 
Wasser füllen, wodurch die Stellen in Folge der Aenderuug dft 
Lichtbrechung dunkel erecheinen. Darum sind nach Norden gelegeno^J 
nicht von der Sonne beschienene kältere Lokalitäten feuchter, besonderftfl 
wenn sie nicht geheizt werden. Nur poröses Bauuiaterial kaai|,l 



47 



trockene Wohnungen geben, da nur eine poröse Wand Wasser auch 
nach Aoeaen ins Freie verdunstet. 

Um den Grad der Feuchtigkeit einer Wohnung zu ermitteln, 
d. h. ob sie ohne Schädigung der Gesundheit zu beziehen Bei, reicht 
man mit dem sogenannten praktischen Blick und mit subjektivem 
Ermessen nicht aus; das Fehlen von nassen Flecken entscheidet auch 
nicht, denn die Inneren Wände können an der Oberfläche trocken 
erscheinen und die Mauer doch noch viel Wasser enthalten; auch 
das Befühlen der Wände, ob sie unserer Hand kälter oder wärmer 
erscheinen, ist nur eine ungewisse Schätzung; selbst die Ermittlung 
des Wassergehaltes eines Mörtelstückchens ist nicht sicher, weil dieser 
an verschiedenen Stellen verschieden ist, Das Sicherste schien ihm 
zu sein, zu sehen, wieviel Wasser in einer bestimmten Zeit an eine 
noch nicht mit Waeserdauipf gesättigte Luft abgegeben wird, durch 
Untersuchung mit dem Hygrometer vor und nach dem Einheizen. 

Das Aastrocknen einer Wohnung kann nur durch Heizen und 
Lüften geschehen; Entwicklung von Kohlensäure durch Verbrennen 
von Kohle nützt nach dem Gesagten nur wenig. Schüler Petten- 
kofers haben seine Untersuch ungen über die sanitäre Bedeutung der 
Baumaterialien fortgesetzt und erweitert. 

So hat die n^üss und liebenswerthe" Wand ihr eigenes Leben, 
eine besondere complizirte Physiologie wie unsere Haat. — 

Von der uns umgebenden Wohnung kam Pettenkofer zu der 
genaueren Prüfung der Bedeutung der uns näher umschliessenden 
Kleidung, von der er schon in seiner ersten Abhandlung über Luft- 
und Ofenheizung (1851) die Durchlässigkeit für Luft ebenso wie für 
die Mauern der Wohnung verlangt hatte. In zwei weiteren gedanken- 
reichen Abhandlungen vom Jahre 1857 und 1865 sind seine Experi- 
mente und Anschauungen hierüber niedergelegt. 

Die Kleidung ist wohl bis dahin vielfach Gegenstand sittlicher, 
kulturhistorischer, nationalökouomischer, industrieller und merkantiler 
Betrachtungen gewesen, aber mit ihrem Hauptzweck, iUrer natur- 
wissenschaftlichen Funktion, hat man sich fast gar nicht beschäftiget, 



48 



obwohl wir uns Alle derselben bedienen. Zwar sind am Ende des 
18. Jahrhundert von unserem früheren Mitgliede, Benjamin ThomBon 
Grafen von Rumford, dem man viele grundlegende phytiikalische 
Arbeiten und Anregungen verdankt, auch einzelne Versuche über die 
Wärmeleituugsfähigkeit der Kleider mit eeiuem Thermoacüii augestellt 
worden, aber Pettenkofer hat doch zuerst consequente Versuche 
über das i)hy8ikalische Verhalten der Kleider überhaupt vorgenommen. 

Wie die Wohnung mässiget die Kleidung den EiiiHuss der At- 
mosphäre und macht es dem Menschen möglich in den verschiedensten 
Breitegraden der Erde, in kalten und heissen Zonen, zu leben. Die 
Kleider haben, wie man längst weiss, die physiologische Funktion, 
den Abfluss der Wärme von unserem Körper xa regeln, aber man 
wusste so gut wie nichts über die Wärmeleitungsfahigkeit, das 
Wärmeatrahlungsvermögen, über die Luftdurchlässigkeit, die hygro- 
Bcopische Beschaffenheit und die Wasserabgabe der verschiedenen 
' KietdungästofFe: der Schafwolle, der Seide, der Leinwand, der Baum- 
wolle, des Leders. Durch die Bedeckung der nerven- und gef^ss- 
reichen Haut mit Kleidern hindern wir die direkte Abgabe der 
Wärme und verringern den Luftwechsel über die ganze Körper- 
oberfläche; es wird also durch sie ein geringerer Wärnieverlust 
durch Leitung, Strahlung und Wasserverdunstung hervorgerufen. 

Die Wärme, welche von der nackten Körperobertlacho nicht 
weiter benutzt abgegeben wird, wird von den meist aus schlechten 
Wärmeleitern bestehenden Kleid ungsatoffen aufgenoinuieu, und geht 
dann erst von diesen nach Aussen weg. Je nach der Beschaffenheit 
der Zeuge, je nach ihrer Wärmeleitungsfähigkeit und Masse, wandert 
die Wärme scheller oder langsamer durch und verweilt also kürzere 
oder längere Zeit in der Luftschicht an unserer Haut; schon der 
dünnste Schleier hält wärmer, ähnlich wie ein Wolkenschleier durch 
Verminderung der Ausstrahlung die Keifbildung hindert. Auch die 
Form und das Volum eines Stoffes bestimmt den Wärmeverlust vom 
Körper: platt gedrückte Watte steigert die Abgabe der Wärme durch 
die Verkleinerung des Volums; die gleichen Mengen der Stoffe kleiden 



49 



uns sehr verschieden warm, je imchdem sie gespannter oder lockerer 
sind; wir frieren im Winter in engen Schuhen und Handechuhen. 
Mit der von den Kleidern aufgenomoienen und zurückgehaltenen 
Wärme heizen wir die durch die Zeuge hindurch wechselnde, unsere 
Haut unmittelbar umgebende Luft auf 24 — 30". Wollen wir die 
Wärme recht langsam aus der Nähe unserer Körpertheile entlassen, 
dann decken wir nocli weitere Kleiderschichten, Mäntel etc. auf. 
Das mittlere Gewicht der Kleidung eines Mannes beträgt im Winter 
6 — 7 Kilo, im Sommer nur 2.5 — 3 Kilo. 

Die Kleider sind also wie ein Ofen, der durch die Abhitze 
unseres Körpers geheizt wird , damit er die über unsere Körper- 
oberfläche sich bewegende Luft bmzt. Wir haben von dieser Wärnie- 
entziehung auch in der Winterkälte keine Empfindung von Frost, 
weil sich die Nerven unserer Haut nicht in die Kleider fortsetzen; 
wir verlegen durch die Bekleidung den Ort der Ausgleichung von 
Wärme und Kälte von unserer empfindsamen Haut weg in ein föhl- 
loses Stück Zeug; die Kleider werden kalt, sie frieren für uns. 

Wie die Kleider wirken die Haare und Federn der Tbiere. Dar 
Pelz des Thieres nimmt die Wärme ebenfalls von der ilaut auf und 
giebt sie an die zwischen den feinen Härchen strömende Luft ab; 
eine stärkere äussere Kälte dringt bei Windstille niclit weit in den 
Pelz ein, nur bei Wind wird die Kälte .empfindlich. Die Haare 
strahlen keine Wärme aus, sobald ihre Spitzen die gleiche Temperatur 
wie die äussere Umgebung haben; auch die Verdunstung sinkt auf 
ein Miniraum herab, da bei — 20*' die Bildung von Wasserdampf 
aufhört. Die äussere wechselnde Temperatur ändert daher bei einem 
Thier mit dichtem Pelz nur die Breite der warmen und kalten 
Zonen der Luft im Pelz, es wird nur der Ort des Ausgleiches ver- 
rückt zwischen den Wurzeln und den Spitzen der Haare, und das 
Thier wird im Sommer trotz des Pelzes nicht wärmer wie im Winter. 

Pettenkofer erörtert auch die Frage, wie weit wir die Heguli- 
rung des Wärmeabflusses durch die Kleidung vornehmen lassen 
sollen und wie weit wir sie den Einrichtungen unseres Körpers 



50 

überlassen, uns also gegen die Kälte abhärten sollen; er überlässt 
die Beantwortung dieser verwickelten Frage der Zukunft und meint 
nur, man solle die Körpereinrichtungen nicht zu stark in Anspruch 
nehmen. 

Die Wärmeabgabe von den Kleidern wird complizirt durch die 
eigenthümlichen hygroscopischen Eigenschaften der Kleidungsstofie, 
wodurch sie Wasser aus der Luft condensiren und bald mehr bald 
weniger Wasser enthalten, womit sich dann die Wärmeleitung und 
die Wärmecapazität ändert. Jedermann weiss, dass die Kleider bei 
kalter und feuchter Luft die Wärme besser leiten und uns kälter 
erscheinen, wie bei bei kalter und trockener Luft und dass wir in 
nassen Kleidern frieren und uns leicht erkälten. Die Zeuge verhalten 
sich in dieser Beziehung sehr verschieden. Pettenkofer brachte zwei 
gleich grosse Stücke getrockneter Leinwand und Flanell in verschieden 
temperirte Luft und entnahm aus der Aenderung des Gewichts das 
von ihnen hygroscopisch aufgenommene Wasser; es zeigte sich, dass 
die Schafwolle dabei nochmal so viel Wasser aufnimmt als die Lein- 
wand; die letztere nimmt das hygroscopische Wasser aber rascher 
auf imd verliert es schneller wieder; auch nach dem Benetzen der 
Zeuge mit Wasser trocknet die Leinwand schneller als die Wolle, 
wesshalb man sich in nasser Leinwand leichter erkältet als in nasser 
Wolle; Leinwand und Seide erhalten den Körper kühl und trocken 
und nehmen Wärme und Wasser besser von der Haut weg als Wolle. 
Er konnte durch ein einfaches Experiment nachweisen, dass die 
Leinwand dabei nicht nur wegen der besseren Wärmeleitung kälter 
erscheint, sondern wirklich kälter ist; wenn man ein horizontales 
Glasrohr, von welchem vertikal eine enge, in eine geförbte Flüssig- 
keit eintauchende Röhre abgeht, mit nasser Leinwand oder Flanell 
umhüllt, so steigt die Flüssigkeit in der Röhre bei ersterer schneller 
und höher als bei letzterem. 

Die Zeuge müssen wie die Mauern Luft durchlassen; sie ver- 
halten sich jedoch in dieser Beziehung sehr verschieden. Luftdichte 
Zeuge sind, namentlich bei körperlicher Bewegung, auf die Dauer 



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unerträglich. Unser Leib muss von einer beständig wechselnden 
Luftschicht umgeben sein, es könnte sonst kein Wasser von der 
Haut verdunsten. Schon die Abgabe der Wärme von dem Körper 
veranlasst einen aussen an ihm aufsteigenden Luftstroni wie an einem 
geheizten Ofen: dieser Luftstrom läast sich leicht durch ein zwischen 
Oberrock und Weste gehaltenes Anemometer erkennen. Die in den 
Kleidern und auf der Oberfläche unseres Körpers befindliche Luft 
nimmt aber auch an der äusseren Luftbewegung Antheil. Die ge- 
wöhnliche Vorstellung von ruhenden warm haltenden Luftschichten 
in den Maschen der Kleider ist ein Irrthum. Die Kleider sollen 
wie die Wohnung den über uns hinziehenden Luftstrom nur so weit 
verlangsamen und massigen , dass unsere Nerven die Luftbewegung 
nicht mehr empfinden. Wir befinden uns in unseren Kleidern, wie 
wenn wir nackt in windstiller freier Atmosphäre von einer Temperatur 
von 24 — 30" wären. 

Bezüglich des Wannhaltens kommt es durchaus nicht auf das 
Abhalten der Luft, wie man gewöhnlich meint, sondern auf andere 
Eigenschaften der Zeuge, ihre Wärmeleitungsfähigkeit etc. an. Um 
dies darzuthun, ermittelte Pettenkofer die Durchlässigkeit verfichiedener 
Zeuge für Luft, indem er über (»lasröhrchen von gleichem Quer- 
schnitt die Zeuge zog und zusah, wieviel Luft, durch eine Gasuhr 
gemessen, in gleichen Zeiten und bei dem gleichen Druck eines 
(lasonieterB durch dieselben entweicht; da zeigte sich die höchst 
überraschende Thatsache, dass gerade jene Stoffe, in die wir uns am 
wärmsten kleiden, der Luft am leichtesten den Durchgang gestatten; 
■i. B. lässt der so warmhaltende Flanell fast nochmal so viel Luft 
durch als die kühlere mittelfeine Leinwand. Ein Kleid kann also 
luftig und doch warm sein; nasse Leinwand schlieest fast luftdicht 
ab und ist kalt. 

Das Bett ist ihiu nicht nur ein Lager, sondern ein Kleidungsstück, 
unser Schlafkleid; es muss also auch luftig und warm sein; wir 
wärmen mit unserem Körper zunächst das Bett und dieses wärmt 
die in ihm von unten nach oben strömende Luft. Die Schichten des 



52 

Bettes müssen mächtiger sein als die der Kleider, weil im Schlaf 
weniger Wärme erzeugt wird und beim horizontalen Liegen mehr 
Wärme durch den aufsteigenden Luftstrom verloren geht. 

Die Schüler Pettenkofers haben in mancher Beziehung seine 
Arbeiten über die Eigenschaften der Kleider fortgesetzt, insbesondere 
ist es dem talentvollen Rubner gelungen durch ausgezeichnete Ver- 
suche die Lehren Pettenkofers zu ergänzen und zu erweitem. 

Die Kleider haben nach Allem dem im Wesentlichen eine 
physiologische Bedeutung: sie sind wie die Wohnung die Waffen, mit 
denen der Mensch gegen die Atmosphäre ankämpft; die Form der 
Kleidung oder die Mode darf nie die Herrschaft über den Zweck 
derselben erringen. Es steht zu hoffen, dass bei noch besserer Ein- 
sicht in die physiologische Funktion sich allmählich auch die rich- 
tigen äusseren Formen entwickeln werden. — 

Bei der Betrachtung der Funktion der Wohnung und der Kleidung 
kam Pettenkofer vielfach auch auf den für unser Wohlergehen so 
ungemein wichtigen Prozess der Entwärmung des Körpers zu sprechen. 
Während in der Physiologie im Allgemeinen die Wärmeabgabe durch 
Leitung, Strahlung und Wasserverdunstung nach den bekannten physi- 
kalischen Gesetzen erörtert wird, bringt der Hygieniker Pettenkofer 
den Einfluss von allerlei äusseren Bedingungen auf diesen Vorgang, 
wobei Dinge, welche Jeder tausend Mal erlebt, aber nur wenig be- 
achtet hat, in ihrer Bedeutung zur Sprache kommen und erklärt 
werden. Nicht nur der gebildete Laie, sondern auch der mit der 
Physiologie Vertraute wird diesen Darlegungen mit dem grössten 
Interesse folgen und zu neuen Gedanken über die Modalitäten des 
Abflusses der Körperwärme angeregt werden. Wir erfahren, dass 
es uns in einem noch nicht ausgeheizten Zimmer trotz richtiger 
Temperatur der Zimmerluft fröstelt, und zwar wegen der beträcht- 
lichen Wärmeabgabe von unserem Körper an die noch nicht er- 
wärmten kalten Mauern; dass es uns in einem gedrängt vollen Saal 
bei normaler Temperatur der Luft doch heiss wird in Folge der 
Beschränkung der Wärmeabgabe von unserem Körper durch die 



53 



wariiiün Naclibarn. Wir hören ferner von der Wirkung iler Be- 
wegung der Luft; im Freien wird mehr Wärme als im Zimmer von 
uns weggenommen, namentlich durch Leitung, weil im Freien die 
Luft im Mittel sich mit einer Geschwindigkeit von 3 Metern in der 
Sekunde über una hinbewegt; das Fächeln mit einem Fächer wirkt 
bei ruhiger und warmer Luft durch die Bewegung der Luft and 
den dadurch hervorgerufenen grösseren Wärmeverlust durch Leitung 
und Wasserverdunstung; vor einem Gewitter erscheint uns die warme 
ruhige Luft schwül, beim ersten Wjndatoss wird es uns trotz un- 
veränderter Temperatur erträglicher, Der Schatten ist kühl, nicht 
nur dadurch, dass die durch ihn bedeckte Fläche nicht so hoch 
erwärmt wird, sondern auch weil die Luft durch die Temperatur- 
differenz gegenüber den von der Sonne beschienenen Stellen in Be- 
wegung sich befindet. Im heissen Klima verliert man zur heissen 
und feuchten Jahreszeit nur wenig Wärme und es bleibt ausser den 
Bädern, welche bei gleicher Temperatur wie in der Luft wegen der 
besseren Wärmeleitungsfähigkeit des Wassers, trotz der dabei herabge- 
setzten Strahlmig und Verdunstung, den Körper abkühlen, nur die Wir- 
kung des Schattens und der Luftbewegung durch den Fächer übrig, — 
Die Beobachtungen über die Bedeutung des Bodens bei der 
Choleraepidemie des Jahres 1804 veranlassten Pettenkofer auch die 
Verhältnisse des Bodens, namentlich in seinen Beziehungen zur Luft 
näher zu untersuchen. Man stellt sich für gewöhnlich vor, die Luft 
höre an dem festen Erdboden, auf dem wir stehen, auf. Wie in die 
Wohnung und in die Kleider dringt jedoch auch in den Boden die 
Luft ein durch die Porosität der Erdoberfläche; der Boden ist eine 
Mischung von Erde, Luft und Wasser, Um den Luftgehalt des 
Bodens zu demonatriren, machte er die sinnreichsten Versuche: er 
füllte in ein ein Liter hakiges Gefäss Kies ein und verdrängte dann 
durch Eingiesaen von Wasser aus einem Litergofäss die Luft bis die 
Kiesschicht mit Wasser gefüllt war; der Kies enthält mehr als ein 
Drittel seines Voluma Luft; in gleicher Weise wurden zusammen- 
hängende Steine, die wir Felsen nennen, geprüft: der Sandstein des 



54 



Felsens von Malta, den man aucli als Filter zum Filtriren von 
Waeeer f^^ebraucht. besteht ilarnaeb zur Hftlfte aus Luft Auch 
feuchter Boden ist für Luft iinnier noch durchgängig, erat an der 
Grenzlinie des Grundwassers hört der Luftgebalt auf; selbst gefrorener 
Boden ist nicht undurchdringlich för Luft, da durch das Eis die 
Poren nicht enger werden als durch das flüssige Wasser. 

Die Luft im Boden läast ebenfalls einen Wechsel zu: in einem 
unten und oben durch eine Kiesschicbt abgeschlosseoen einen Liter 
Luft enthaltenden Glaacylinder lebt ein kleiner Vogel fort.. Die 
Luft im Boden nimmt auch an der Bewegung der äusseren Luft 
Theil; füllt man einen hohen Glaacylinder mit Kies, senkt bis an 
den Boden desselben eine Glasrölire, an welcher oben ein mit einag 
gefärbten Flüssigkeit beschicktes Manometer angebracht ist, so sieht 
man bei jedem Blasen auf die Kiesoberfläche eine Bewegung der 
Fltissigkeitssäule des Manometers. Es wird also die Luft im Boden 
durch Windetösse, durch Temperatunlifferenzen und durch Diffusia 
in Bewegung versetzt. 

Diese Luftdurchlässigkeit des Bodens bedingt die Verweeunj 
organischer Substanzen in demselben, was sich besonders bei de 
Begräbnissplätzen deutlich zeigt. Ueber dieselben hat Petteakofea 
(1865) höchst interessante und wichtige Beobachtungen gemaohtj 
er unterschied scliärfer, als dies früher geschehen war, die Vet 
weaungö- und die Faul niss Vorgänge. Die Verwesung ist ein lai^ 
sanier oder schneller Uebergang der Organismen in unorgsotM 
Stoffe durch den Sauerstoff der Bodenluft; die Fäulniss ist ein don 
niedere Organismen veranlasster Zersetzungsprozess organischer Sut> 
stanzen auch bei Abachluss der Luft oder des Sauerstoffs. All 
schnellsten werden die Leichen verzehrt bei Zutritt von Luft 
Wasser; in einem porösen Geröllboden geht daher die Verwesuq 
schnell vor sich, in compaktem Lehmboden nur langHam. E^ gidb 
Begräbnissplätze, in denen die Leichen in 6 — 7 Jahren verwest na 
in anderen währt es 25 — 30 Jahre; darnach richtet sich der I 
gräbnifisturnus. Pettenkofer suchte die Ansicht zu begrQnden, 



95 



ein richtig angelegter Friedhof, bei ausreichender Drainage und 
Ventilation des Bodens und bei entsprechendem Botrieb, keine Ge- 
fahren für die Gesundheit der Anwohner hervorruft, was allerdings 
mit Beinen sonstigen Anschauungen von der möglichsten Reinhaltung 
des Bodens in Widerspruch zu stehen scheint. Er hat aber berech- 
net, dass die Menge der Leichensubstanz, auf ein bestimnitea Areal 
und bei einer gewissen Zeit des Betriebs sowie bei einer ange- 
nommenen Quantität des Grundwassers, ao gering ist. dass dadurch 
weder der Boden noch das Grundwasser oder die Bodenluft ver- 
unreiniget wird. 

Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass der wechselnde 
Luft- und Wassergehalt der verschiedenen Bodenarten auf das Leben 
der niederen Organismen in ihm, auch auf die krank machenden, 
von Eintluss ist. 

Die Permeabilität des Bodens und der Grundmauern der Häuser 
wird durch die merkwürdigen von Pettenkofer genau untersuchten 
Bewegungen des ausgeströmten Leuchtgases im Boden illustrirt. 
Wenn auch in den Häusern keine Gasleitungen sich befinden, kann 
doch das aus einem Rohrriss ausströmende Gas durch den Strassen- 
körper, die Grundmauern, die Kellergewölbe und die Zimmerböden 
hindurchdringen und Leuchtgas Vergiftungen hervorbringen. Solche 
Unglückslalle ereignen sich fast nur im Winter und es geht das 
Gas vorzuglich in die geheizten warmen Wohnzimmer, die wie gut 
ziehende Schornsteine wirken; es ist nicht der gefrorene Boden, 
welcher das Gas nicht aus dem Strassenboden, sondern in den nicht 
gefrorenen Grund der Hiiuser entweichen lässt, da der gefrorene 
Boden,. wie schon bemerkt, nicht luftdicht abschliesat. 

Pettenkofer entnahm aus seinen Beobachtungen über die Cholera, 
dass im Boden eine der Bedingungen dieser Krankheit steckt. Um 
über solche Prozesse etwas zu erfahren, untersuchte er seit 1871 
die Grundluft in München auf ihren Gehalt an Kohlensäure, indem 
er aus verschiedenen Tiefen über dem Grundwasser (^a bis 4 Meter) 
durch in den Boden versenkte Bleiröhren mittelst eines Aspirators 



56 

die Luft aufsaugte und durch Barytwasser die Kohlensäure derselben 
wegnahm. Dabei ergaben sich ganz merkwürdige Resultate. Zu- 
nächst ersah man, dass das Aufsaugen der Luft aus dem Boden 
keinen grösseren Widerstand setzt wie aus freier Luft, die Luft im 
Boden ist also äusserst beweglich. In einem vegetationslosen Geröll- 
boden wächst mit der Entfernung von der Oberfläche die Menge 
der Kohlensäure und es findet sich darin mehr wie in den schlechtest 
ventilirten Wohnräumen; in der Tiefe von l^/i Meter ist fast das 
ganze Jahr hindurch weniger Kohlensäure wie in der Tiefe von 
4 Metern, und nur im Juni und Juli kehrt sich das Verhältniss für 
kurze Zeit um, indem hier in den oberen Schichten mehr Kohlen- 
säure wie in den unteren enthalten ist; vom Juli an beginnt in den 
unteren Schichten, offenbar unter dem Einfluss der Wärme, ein 
bedeutendes Steigen der Kohlensäure, im September und Oktober 
nimmt sie in beiden Schichten beträchtlich ab. Bei der Erörterung* 
der Ursachen dieser auffallenden Erscheinungen, welche auf lebhafte 
organische Prozesse im Boden hinweisen, wird gezeigt, dass die 
Kohlensäure nicht von der Humusschicht an der Oberfläche herrähren 
kann, weil oben dieses Gas gewöhnlich in geringster Menge ange- 
troffen wird; die Kohlensäure nimmt mit dem Annähern an das 
Grundwasser zu und könnte also von letzterem abgedunstet sein, 
was aber nicht möglich ist, da an zwei Monaten die oberen, vom 
Grundwasser entfernteren Schichten mehr Kohlensäure enthalten und 
der Kohlensäuregehalt der Grundluft viel höher ist als der des 
Grundwassers; es blieb daher nichts anderes übrig, als anzunehmen, 
dass die Kohlensäure aus Zersetzungs- oder Lebensprozessen orga- 
nischer Substanzen im Boden abstammt, die dann der Grundluft 
und in geringer Menge dem Grundwasser mitgetheilt wird. Das 
Verhalten des Bodens zu Luft und Wasser wurde von einigen 
Schülern Pettenkofers noch weiter verfolgt. 

Wenn die Kohlensäure der Grundluft wirklich von verwesenden 
organischen Stoffen herrührt, dann darf die Luft eines vegetations- 
losen Bodens nicht mehr Kohlensäure als die atmosphärische Luft 



57 



an; Pettenkofer ergriff daher gerne die Gelegenheit, Herrn 
V. Zittel, der (1874) die Rohlfe'sche Expedition in die Libysche 
WüBte niitinachte, zu bitten, ihm Proben der Luft ober und unter 
der Bodenoberfläche m itzu bringe» ; Herr v. Zittel entsprach der 
Bitte und da stellte sich bei der Analyse der Luftproben heraus, 
das3 es wirklich so war wie vorausgesetzt wurde. 

Leider läast sich der Kohlenaäuregehalt der Grundhlft nicht 
ais ein ztiverliissiger MaaHSstab ffir die Bodenverunreinigung ansehen; 
derselbe wird nämlich noch von anderen Umstfinden beeinflusst. 

Das dem Boden entstammende Trinkwasser erregte selbstver- 
ständlich die Aufmerksamkeit Pettenkofors. Kr lieas von seinen 
Scbfilern A. Wagner und L. Aubry fortlaufende Analysen des früheren 
Münchener Trinkwassers auf seinen Gehalt an festen Theilen, an 
organischen Stoffen und an Stickstoff ausführen, um seine Ver- 
unreinigung zu verfolgen, wovon nachher noch die Rede sein wird, 
liier soll nur erwähnt werden, dass Pettenkofer (1860) eine Methode 
der Bestimmung der Kohlensäure im Trinkwasser mittelst Kalkwasüer 
ersann, und auch nachwies, dass in dein aus der Katkformation 
stammenden Münchener Trinkwasser trotz seines Wohlgeschmacks 
gar keine freie Kohlensäure, sondern nur doppelkohlensaurer Kalk 
vorkömmt. Er gab ferner (1875) ein einfaches Reagens zur Unter- 
scheidung der freien Kohlensäure im Trinkwasser von der an Basen 
gebundenen an; die durch Einwirkung von Schwefelsäure auf Oarbol- 
siiure und Oxalsäure entstehende Rosolsäure wird durch kohlensaure 
und doppelkohlensaure Alkalien und alkaliwche Erden intensiv roth 
geßlrbt, die durch Aetzbaryt bis zur eben beginnenden Röthung 
gefärbte Säure aber durch freie Kohlensäure entfärbt. — 

Jetzt habe ich über zwei höchst bedeutsame, nicht dmn hygie- 
nischen Gebiet zugehörige Untersuchungen Pettenkofers zu berichten. 
Die erste ist die über den Gaswechsel an Hunden und Menschen 
mit seinem Reepirationsap parate. Durch die Erfindung dieses Appa- 
rates hat er der Physiologie ein ganz besonders werthvolles Geschenk 
gemacht. Nachdem ich nachgewiesen hatte, dass der Stickstoff der 



58 

im Tbierkörper zersetzten stickstoffhaltigen Stoffe aasscbliesslich im 
Harn und Koth ausgeschieden wird, war es durch Bestimmung 
dieses Stickstoffs möglich den Umsatz des stickstoffhaltigen Eiweisses 
festzustellen, und ich habe dies unter den verschiedensten Umständen 
gethan. Da erschien es von höchstem Werthe auch den Umsatz 
der stickstofffreien Stoffe, des Fettes und der Kohlehydrate, zu er- 
fahren, wozu die durch die Lunge und die Haut entfernten gas- 
förmigen Stoffe, die Kohlensäure und das Wasser, gewogen werden 
mussten. Die zur damaligen Zeit vorliegenden Respirationsversuche 
an Thieren giengen ausschliesslich darauf hinaus, die Gesetze des 
Gaswechsels kennen zu lernen, speciell die Aufnahme des Sauer- 
stoffs und die Abgabe der Kohlensäure; diese Bestimmungen haben 
ja für den angegebenen Zweck die wichtigsten Resultate ergeben, 
besonders die berühmten Untersuchungen der französischen Forscher 
Kegnault und Reiset, aber Niemand wusste, aus welchen Stoffen 
des Organismus die Kohlensäure stammte und welche Stoffe durch 
den Sauerstoff oxydirt wurden. Ich sprach häufig mit meinem 
Freunde Pettenkofer, dessen Laboratorium damals im physiologischen 
Institut sich befand, darüber, und seinem technischen Talent gelang 
es, einen dazu geeigneten Apparat zu ersinnen und herzustellen. 
Es können nur Thiere dazu dienen, an welchen auch der Eiweiss- 
umsatz zu ermitteln ist; ich glaubte nach meinen damaligen Erfah- 
rungen, es seien nur grössere Thiere, namentlich Hunde von 
25 — 30 Kilo Gewicht, dazu tauglich; Pettenkofer wünschte seiner 
hygienischen Bestrebungen halber, den Apparat auch für den 
Menschen eingerichtet zu sehen. So entstand der grosse Apparat, 
für dessen Herstellung Seine Majestät der König Max IL, auf ein 
Gutachten Liebigs hin, 7000 Gulden aus eigenen Mitteln gross- 
müthigst anwies. 

Anscheinend unüberwindliche Schwierigkeiten mussten besiegt 
die sinnreichsten Vorrichtungen erfunden werden, um schliesslich 
allen Anforderungen zu genügen. Der Versuch soll 24 Stunden und 
länger vor sich gehen können; die Thiere und Menschen sollten 



59 

unter den gewohnten natürlichen Verhältnissen athmen, in einem 
gut ventilirten grösseren Räume, aus welchem die durch das Athmen 
verdorbene Luft entfernt und dem frische Luft zugeführt wird. 
Dazu war für grössere Thiere und den Menschen eine Ventilation 
von 200 000 bis 500 000 Liter Luft im Tag nothwendig. Es erwies 
sich bald als unmöglich, solche Luftmengen auf ihre Bestandtheile 
genau zu untersuchen und so kam Pettenkofer darauf, nur einen 
allzeit gleich bleibenden kleinen Bruchtheil zu prüfen und aus diesem 
auf die ganze Menge zu rechnen, so wie er es in der Münzanstalt 
gelernt hatte, in welcher von den jährlich vielen Zehntausenden 
von Kilogrammen legierten Silbers und Goldes kaum ein Hundert- 
tausendstel untersucht oder probirt wird und trotzdem im Ganzen 
nicht um ^/\o Prozent fehlen. Eine Dampfmaschine besorgt die 
Ventilation, kleine in Quecksilber gehende Saugpumpen mit selbst- 
thätigen Quecksilberventilen nehmen den aliquoten Theil zur Unter- 
suchung heraus; eine grosse Gasuhr misst den Hauptluftstrom, 
kleine Gasuhren die Luftmenge der Proben. In der in den Athem- 
raum eintretenden und in der aus ihm austretenden Luft werden 
Kohlensäure und Wasser bestimmt; es sind also Differenzbestimmungen, 
durch welche die constanten Fehler sich ausgleichen; der Sauerstoff- 
verbrauch wird wie bei der Elementaranalyse gerechnet. Zum 
ersten Male bei solchen Versuchen wurden Controlbestimmungen 
über den Grad der Genauigkeit der Angaben gemacht und zwar 
mit brennenden Kerzen von bekannter Zusammensetzung, welche so 
viel Kohlensäure und Wasser liefern wie ein Thier oder ein Mensch 
beim Athmen; daraus ergab sich die Genauigkeit der Angaben des 
complicirten Apparates für Kohlensäure und Wasser, die auf weniger 
als 1 Prozent wieder erhalten wurden. Von besonderer Tragweite 
war die Einführung der nassen Gasuhr des genialen Engländers 
Samuel Clegg zu genauen Messungen grosser Gasvolumina für wissen- 
schaftliche Zwecke; auch klärte er die vorher wenig verstandene 
Ursache der Bewegung der Messtrommel auf und gab eine genaue 
Aichung des Instruments an. Ich habe später als es gelang auch 

8* 



60 

an kleineren Thieren (kleinen Hunden, Katzen und Kaninchen) den 
Harn zur Ermittelung des Eiweissumsatzes vollständig zu sammeln, 
einen Apparat der Art in kleinerem Maassstabe gebaut. Zur Be- 
stimmung der Gesammtzersetzung während längerer Zeit ist der 
Pettenkofer'sche Apparat von keinem anderen erreicht; die meisten 
nach anderem Prinzip eingerichteten, so brauchbar für gewisse Zwecke 
sie auch sind, lassen nur während kurzer Zeit den Gaswechsel 
untersuchen und erlauben also keine kontinuirliche Bestimmung 
während 24 Stunden, auch athmen dabei die Thiere zumeist in 
störenden Kautschukmasken mit Ventilen. Wir bewundern bei jedem 
Versuche erneut die üebereinstimmung der mit dem Apparat unter 
gleichen Bedingungen erhaltenen Resultate. 

Pettenkofer und ich haben uns zu den Untersuchungen mit dem 
Apparate verbunden und zehn Jahre intensiver freudiger Arbeit mit 
einander verlebt. Unsere Versuche an Hunden und an Menschen 
waren die ersten, bei welchen der Gesammtumsatz im thierischen 
Organisnms ermittelt wurde. Es ist unmöglich auf die erhaltenen Re- 
sultate näher einzugehen; es sollen nur die hauptsächlichsten erwähnt 
werden. Man kann sich aber wohl denken, welche Empfindungen 
wir hatten, als sich nach und nach vor unserem Auge ein Bild der 
merkwürdigen Stoffwechsel Vorgänge im Körper enthüllte und eine 
Fülle von neuen Thatsachen uns bekannt wurden. Wir fanden, dass 
beim Hunger im Wesentlichen nur Eiweiss und Fett zerstört wird, 
denn es wird dabei ebensoviel Sauerstoff in den Körper aufgenommen 
als zur Verbrennung des aus der Stickstoff- und Kohlenstoff-Aus- 
scheidung berechneten Eiweiss- und Fett-Umsatzes nöthig ist. Der 
fleischfressende Hund vermag sich ausschliesslich mit Eiweiss auf 
seinem stofflichen Bestände an Eiweiss und Fett zu erhalten, indem 
bei diesem Bilanz- Versuch sich alle Elemente der Einnahmen genau 
in den Ausgaben wieder vorfinden. Ueber die Bedeutung der stick- 
stofffreien Stoffe der Nahrung, nämlich des Fettes und der Kohlehydrate, 
erhielten wir mannigfache Aufschlüsse: mit Fett und Kohlehydraten 
allein wird der Verlust von Fett vom Körper aufgehoben, jedoch 



61 



braucht man zu diesem Zweck von den Kohleliydrateu wesentlich 
mehr wie von dem Fett; wenn der Körper bei mittleren Mengen 
von Eiweiss allein noch Eiweiss und Fett abgiebt, so erhält sich das 
Thier bei Zusatz von Fett oder Kohlehydraten auf seiner Zusammen- 
setzung, während es ohne die stickstofffreien Stoffe zu dem gleichen 
Erfolg sehr beträchtliche Mengen von Eiweiss braucht. Giebt man 
zu der grossen Quantität von PMweiss, welche den Körper auf seinem 
stofflichen Bestand völlig erhält, noch Fett dazu, dann wird dieses 
Fett nicht zersetzt, sondern alles am Körper abgelagert. Die Muskel- 
arbeit des Menschen bedingt, wenn die Nahrung eine ausreichende 
ist, keinen grösseren Verbrauch au Eiweiss, wohl aber an stickstoff- 
freien Stoffen; bei der Ruhe, besondei^s im tiefen Schlafe nach einem 
Tage anstrengender Tbätigkeit. wird weniger Fett zerstört. Bei sehr 
grossen Gaben von Eiweiss haben wir in zwei Versuchen an den 
beiden ersten Tagen zwar allen Stickstoff des Eiweiaees in den Aus- 
Bclieidungen wieder aufgefunden, aber nicht allen Kohlenstoff, es 
fehlten täglich 42 Gramm, die im Körper zurückgeblieben sind; wir 
deuteten diesen Befund so, dass dieser Kohlenstoff in aus dem Eiweiss 
entstandenen Fett aufgespeichert worden ist; aucti bei Berücksich- 
tigung des Fettgehaltes des verfütterten Fleisches bleibt unsere Deu- 
tung bestehen. Die für die Sauer stoffauf nähme erhaltenen Zahlen 
führten uns zu der Vorstellung, dass der Sauerstoff nicht die nächste 
Ursache für die Zersetzungen im Körper ist, wie man bis dahin seit 
Luvoieier und Liebig altgemein angenonnnen hatte; wäre dies so 
gewesen, dann hätten die Stoffe im Organismus wie ausserhalb des- 
selben nach ihrer Verwandtschaft zum Sauerstoff verbrennen müssen 
d. h. am leichtesten das Fett, dann die Kohlehydrate und am schwie- 
rigsten das Eiweiss, während im Organismus am leichtesten und in 
grösster Menge das Eiweiss in seine nächsten Componenten gespalten 
wird, dann die Kohlehydrate und am schwierigsten das Fett. Unter 
sonst gleichen äusseren Verhältnissen ist der Sauerstuffverbrauch in 
den weitesten Grenzen schwankend, nur durch die verschiedene 
Qualität und Quantität der zugeführten Nahrungsstoffe bedingt: reich- 



62 

liehe Eiweisszufuhr bewirkt eine grössere Sauerstoffaufnahme ohne 
dass dabei mehr Fett im Körper angegriffen wird, die Zufuhr des 
ausserhalb so leicht verbrennlichen Fettes ändert jedoch an der 
Sauerstoffaufnahme nichts. Der Kiweissumsatz ist nicht direkt vom 
Sauerstoff abhängig, da dieser Umsatz durch die Muskelarbeit nicht 
beeinflusst wird, obwohl dabei die doppelte Menge Sauerstoff zur 
Verbrennung von Fett aufgenommen wird. Die Fette und Kohle- 
hydrate ersetzen sich nicht in den Mengen, in denen sie gleiche 
Mengen von Sauerstoff zur Verbrennung brauchen, sondern, wie später 
durch die Versuche Rubners bewiesen wurde, in bestimmten Fällen 
in den Mengen, in welchen sie gleiche Mengen von Wärme liefern. 

Auch an kranken Menschen, bei welchen wir Aenderungen der 
Zeraetzungen voraussetzen durften, haben wir die ersten Versuche 
über den Gesammtstoffwechsel* angestellt. Aus den bei einem an 
hochgradiger Zuckerharnruhr Leidenden erhaltenen Zahlen habe ich 
später geschlossen, dass alle Veränderungen der Stoffzersetzung bei 
dieser Krankheit erklärt werden können aus der Ausscheidung der 
grossen Zuckermenge im Harn; in Folge derselben wird mehr Eiweiss 
zerstört und auch mehr Fett, da dieses für den durch die Zucker- 
ausscheidung erlittenen Ausfall eintreten muss; die Sauerstoffaufnahme 
und die Kohlensäure-Ausscheidung des Diabetikers ist desshalb die 
gleiche wie die eines Gesunden von dem nämlichen Körpergewicht — 
Bei einem an Leukämie Erkrankten, bei welchem die Zahl der weissen 
Blutkörperchen enorm vermehrt und die der rothen, den Sauerstoff 
aufnehmenden Blutkörperchen in gleichem Grade vermindert war, 
zeigte sich keine geringere Aufnahme von Sauerstoff und keine g^ 
ringere Zersetzung wie bei einem normalen Menschen bei der näm« 
liehen Nahrung, woraus wir entnahmen, dass auch eine abnorm 
kleine Zahl der rothen Blutkörperchen durch compensirende Ein- 
richtungen ebensoviel Sauerstoff in den Körper zu befördern vermag 
als eine normale Menge derselben. 

Mit dem grossen Pettenkofer'schen Respirations-Apparate und 
dem nach dessen Muster von mir hergestellten kleineren wurden 



63 



später noch viele Versuche gemacht; sie gaben di» Grundlage, auf 
welcher der Ausbau der Lehre von der Ernährung weiter geführt 
werden konnte. — 

Ein erhebliclies Verdienst hat sich Pettenkofer erworben durch 
seine Betheiügung bei der Herstellung des Fleischextraktes im Grossen. 
DuB Fleiachextrakt ist schon längst bekannt und in Anwendung, wie 
namentlich Dr. II. Bremer in einer Studie nachgewiesen hat, besonders 
aber durch die Eni])feblung von Proust und Pannentier (1821) für 
Kranke und Verwundete. Liebig war es dann, der in seiner be- 
rühmten Abhandlung über die Bestandtheile des Fleisches (1847) auf 
die Rinderheerden von Südamerika zur wohlfeilen Gewinnung des 
Extraktes aufmerksam inachte. Pettenkofer rioth damals seinem Onkel 
an, das Extrakt in der Hofapotheke zu bereiten und »eine Aufnahme 
in die bayerische Pharmakopoe zu bewirken. Daraufhin wurde in 
der Hofaputheke jahrelang da» Extrakt für den pharmazeutischen 
Kleinbetrieb hergestellt und mannigfache Erfahrungen dabei ge- 
sammelt. Nach der Uebersiedlung Liebigs nach München machte ihn 
Pettenkofer mit der Sache bekannt und bat ilm in Dankbarkeit ihm 
zu erlauben das Produkt (ler llofapotheke „Liehigs Fleischextrakt" 
nennen zu dürfen. Im Jahre 1862 kam der thatkraftige Ingenieur 
Giebert aus Brasilien, der Liebigs chemische Briefe gelesen hatte, 
nach München zu Liebig, um mit ihm über seinen Plan, in Fray 
BentOB in Südamerika eine FI eiechextrakt- Fabrik zu errichten, zu 
sprechen. Liebig verwies ihn an Pettenkofer, welcher Giebert mit der 
Herstellung in der Hofapotheke bekannt machte, woraufhin Giebert 
das Unternehmen wagte. Liebig und Pettenkofer besprachen bis ins 
Einzelnste die zweck massigste Darstellungs weise im Grossen und Hessen 
der Sache jede Förderung angedeihen; so hat sich die Liebigs Fleiech- 
extrakt-Compagnie (1864) entwickelt, die zuerst das Extrakt in 
grösstem Maassstabe, nach den von Liebig und Pettenkofer gi^gebenen 
Vorschriften, darstellte und jetzt täglich 1500 Kinder durchschnitt- 
lich schlachtet. Liebig lieh der Fabrik, wie früher der Hofapotheke, 
seinen Namen unter der Bedingung, dass das Extrakt unter seiner 



64 

und Pettenkofers fortwährender Controle stehe, wozu er eine Methode 
zur Prüfung der richtigen Zusammensetzung und Bereitung angab. 
Das Fleischextrakt ist nichts Anderes als zur Syrupsconsistenz ein- 
gedickte reinste Fleischbrühe; diese ist ein uraltes, längst und viel 
gebrauchtes Mittel und ihre guten Wirkungen bei der Ernährung 
des Menschen aus tausendjähriger Erfahrung bekannt und erprobt, 
so dass man nicht versteht, wie irgend Jemand an seinem hohen 
Werthe zu zweifeln vermag. In einer schön geschriebenen Abhand- 
lung „über Nahrung und Fleischextrakt" sprach sich Pettenkofer 
über die Bedeutung des Fleischextrakts aus. — 

Während der intensiven Beschäftigung mit den Stoffwechsel- 
arbeiten im Anfang der sechziger Jahre fiel Pettenkofer eine davon 
völlig verschiedene Aufgabe zu, nämlich die der Auffindung der 
Ursachen des Verderbens der Oelbilder und der Mittel zu ihrer 
Wiederherstellung; er löste sie, wie Alles was er in seine Hand nahm, 
in kurzer Zeit mit unübertroffenem Geschick und grösstem Scharf- 
sinn. Diese Leistung der Regeneration der Oelgemälde ist wohl eine 
seiner glänzendsten und folgenreichsten Thaten. 

Bekanntlich hatte der Kunst^chriftsteller Friedrich Pecht (1863) 
in Zeitungen ein ebenso strenges als gerechtes Strafgericht gegen 
die Conservirung und die Conservatoren unserer Gemäldesammlungen 
gehalten. Diese Anklagen konnten nicht unbeachtet hingenommen 
werden; das Kultusministerium setzte daher eine Kommission aus 
Künstlern und den Naturforschern Pettenkofer und Kadlkofer zur 
Prüfung der Angelegenheit ein: dieselbe sollte untersuchen, woher 
der sogenannte Schimmel auf den Oelgemälden in den Galerien 
komme und wie ihm abzuhelfen sei. Pettenkofer war anfangs gar 
nicht geneigt in die Kommission einzutreten, denn er hielt sich für 
ein ganz überflüssiges Mitglied, da er vom Schimmel und ähnlichen 
Dingen gar nichts verstehe; er meinte die Jahrhunderte alte Praxis 
müsste längst festgestellt haben, was in einer so einfachen Sache 
überhaupt festzustellen sei. Aber man Hess ihn nicht los und zwar 
mit Recht, hatte man ja doch schon zu oft erfahren, wie findig er 



sei. Und als der Botaniker Radlkofer erklärte, es wären an dem 
weissen Ueberzug der Gemälde keine Schimmelpflanzen zu entdecken, 
da fieng Pettenkofer an eich dafür zu interessiren, wobei er alsbald 
erkannte, dass die gesainmte hier in Betracht kommende Technik 
auf roher Einpirio und vielfach auf falschen Voraussetzungen beruht. 
Die Bilderärzte hatten eich nämlich nach dem äusseren Anschein 
allerlei Vorstellungen gemacht ohne die Sache näher zu untersuchen; 
sie waren in der naturwissenschaftlichen Lösung von Fragen der Art 
völlig unbewandert, trauten sich aber nichtsdestoweniger ein cotn- 
petentes Urtheil zu; sie meinten, es läge auf den Bildern eine ab- 
gestorbene, ganz veränderte Masse, und es gäbe verschiedene Bilder- 
krankheiten , eine Ultramarinkrankheit und andere Fälle von Er- 
krankungen, die man kuriren müsse. Pettenkofer glaubte anfangs, 
die Substanz der Farbstoffe habe durch ungünstige Einflüsse der 
Witterung und der Lokale Veränderungen erlitten. Er untersuchte 
daher die „abgestorbene Masse" an trüb gewordenen werthlosen 
Bildern; er kratzte den trüben Firniss ab und da zeigte sich die 
darunter liegende Substanz in den meisten Fällen nicht abgestorben, 
ja eie enthielt, ebenso wie der Firniss, noch die nämlichen Stoflfe wie 
die frischen Farben und Firnisse. Es waren nur physikalische Ver- 
änderungen, zumeist nur in dem Firnissüberzug über den Farben der 
Gemälde vor sich gegangen, wodurch die Lichtstrahlen nicht mehr 
durchgelassen wurden. 

Er studirte nun genau die Oelfarben und ihre Veränderungen. 
Man nimmt als Bindemittel für die Farbstoffe trocknende Oele, welche 
unter Aufnahme von Sauerstoff aus der Luft trocknen ohne ihr 
Volumen zu ändern; die so getrocknete Oelfarbe geht nun mit der 
Zeit weitere Veränderungen ein, weniger am Farbstoff als am Oel. 
Die Farben, welche zum Anmachen wenig Oel bedürfen, halten sich 
länger. Die Veränderung besteht in einer Verminderung des Volums 
unter fortwährender Sauerstoffaufnahme aus der Luft, wodurch die 
Farbmasse hart und spröde wird; die Theile verlieren ihren physika- 
lischen Zusammenhang, sie bekommen Risse und werden dunkel. 



Um nach Auftragung- der Oelfarbe die Zwischenräume zwischen 
den Farbstofftheilchen auszufüllen, trägt man einen Fimi» auf, ge- 
wöhnlich einen Harzfirniss. Derselbe verändert pich auch mit der 
Zeit, er wird undurchsichtig oder blind; anfang» kann man durch 
erneutes Firnissen die Trübung wieder beheben, zuletzt aber aicht 
mehr und die Restauratoren waren genöthiget den trüben Firniss 
abzunehmen. 

Es fr&gt sich, was ist die Ursache dieser Veränderung? Die 
Beobachtung, dass die Gemälde in der alten Pinakothek besser con- 
servirt waren wie die in der Schleisslieimer Galerie, lieas ihn bald 
die wesentlichste Ursache der Trübung erkennen, namüch in der 
Einwirkung des Wa^ergehalts der atmosphärischen Luft auf die 
Oberfläche der Bilder. Sind die Bilder kälter als die Luft, dann 
achlägt sich auf ihnen Wasser aus der Luft in Tröpfchen nieder, so 
dasB das Wasser herunterläuft und sogar Eiskrusten bildet. Ver- 
dunstet dieses Wasser wieder, so tritt eine Molekular Veränderung in 
den FirnisRen ein und sie verlieren aUuiählich ihren physikalischen 
Zusammenhang; die dadurch entstehenden feinen Risse füllen sich 
mit Luft, wodurch die Theile undurchsichtig werden wie bei fein 
gepulvertem Glas. Da wo kein Wasser sich ansetzt z. B. unter dem 
Rahmen sind die Bilder noch wie neu, ebenso an Stellen, wo auf der 
Rückseite Papier aufgeklebt ist. Durch öfteres Bescblagtmlassen mit 
Wasser vermochte er dein entsprechend ganz neue Bilder in kurzer 
Zeit so trübe zu machen wie alte; es ist dieselbe Veränderung, die 
man an gefirnissten Tischplatten wahrnimmt, wenn Wasser auf 
ihnen verdunstet, wo auch weisse undurchsichtige Flecken entstehen. 

Pettenkofer glaubte jetzt seine Aufgabe als naturwissenschaft- 
liebes Mitglied der Commission durch das Auffmden der Ursache 
der Veränderung der Bilder erfüllt zu haben; aber als er in freu- 
digster Stimmung der Commission seinen Erfolg zeigte, machte dien 
auf sie gar keinen Eindruck: sie wollte, dass er die trüben Geiuftlde 
wieder klar mache, so wie einen Patienten, der geheilt sein will, 
die beste Diagnose nicht befriediget. 



67 



Um dem Schaden abzuhelfen, mussten die Continuitätsstörungen 
des Firnisaes wieder ausgeglichen und der unterbrochene Zusammen- 
hang wieder hergestellt werden. Er fand, dasa dies möglich ist 
und der undurchsichtig gewordene Fimissüberzug wieder klar wird 
durch Anwendung von Alkoholdämpfe haltiger Luft: die trüben 
Harzfirnisse über den Bildern nehmen aus dieser Luft Weingeist auf, 
werden weich und die zuvor getrennten Theilchen verbinden sich 
wieder, der Firniss wird klar. Damit war sein Itegenerationaver- 
fahren im Gegensatz zur Restauration gefunden. Die trübsten Bilder 
wurden wieder so leuchtend als ob sie eben aus dem Pinsel des 
Malers hervorgegangen wären. 

Es muss noch bemerkt werden, dass das Verfahren nur bei 
trüben Harzfimiesen Erfolg hat, nicht bei Oelfirniasen, bei welchen 
er als Heilmittel die Ammoniakseife des Copaivabalsams fand, welche 
an der Luft unter Verflüchtigung des Ammoniaks zu klarem Copaiva- 
balsam wird. Diesen langsam trocknenden Balsam wendete er dann 
auch zur Conservirung der Oelgemälde an, da er die molekulare 
Trennung sehr verzögert. 

Durch seine Beobachtungen war auch zugleich das Mittel 
gefunden, die Krankheit möglichst zu verhüten: man muss das 
Niederschlagen von Wasser auf den Bildern unmöglich machen, was 
am besten durch riclitiges Heizen der Galerien geschieht. 

Manchmal ist allerdings am Bild durch die Zeit so viel ver-' 
dorben, dass die Veränderungen auch den Farbkörper in den tieferen 
Scliichten ergriffen haben und nicht nur das Medium, durch welches 
wir die Farben sehen; dann hilft das Regenerationsverfahren nicht. 
Aber es werden dabei durch die völlig gefahrlose Regeneration 
häufig die unglaublichen unreparirbaren Schäden und Urkunden- 
fälschungen aufgedeckt, welche die Bilderärzte angerichtet haben, 
sowie die vielfachen, oft sinnlosen Uebermalungen, so dass wir nicht 
mehr die Bildwerke der grossen Meister, sondern die Einbildungen 
und Willkürcopien der pfuschenden Restauratoren vor uns haben, 
die schon die werth vollsten Schätze der Kunat verdorben haben. 



68 

Nach dem Ausspruche von Pecht haben die Restauratoren mehr 
alte Meisterwerke zu Grunde gerichtet als die Zeit 

Das Regenerationsverfahren ist die Wiederherstellung des mole- 
kularen Zusammenhangs ohne Firnissabnahme, ohne Putzen, bei 
prinzipiellem Ausschluss aller fetten Oele zum Nähren, ja ohne Be- 
rührung des Gemäldes. Die Trennung der Begriffe: Regeneration 
und Restauration ist zu einem Markstein geworden, von dem an 
die Originalität der Kunstwerke nicht weiter alterirt zu werden 
braucht. Die Regeneration ist mehr eine hygienische Maassregel als 
eine klinische, sie ist die Grundlage jeder Restauration und hat bei 
richtiger Anwendung der Kunst unendlich genützt und schon viele 
werth volle Bilder vor dem völligen Verderben gerettet. 

Trotz der so klar liegenden Bedeutung der Regeneration erfuhr 
Pettenkofer doch viele Anfeindungen von solchen, welche sein Ver- 
fahren nicht genau kannten, hauptsächlich von Restauratoren, aber auch 
von Künstlern und Kunstschriftstellem ; die Einwände waren leicht 
zu widerlegen und als Pecht, der anfangs auf Seite der Opposition 
war, sich von der guten Sache überzeugt hatte und energisch dafür 
eintrat, war der Widerstand besiegt. Die bayerische Staatsregierung, 
welche früher für jedes in den Staatssammlungen regenerirte Bild 
20 Mark entrichtete, erwarb mit Zustimmung der Landesvertretong 
das Recht der Anwendung für ihre Galerien um 40 000 Gulden, in 
16 Jahresraten zahlbar. — 

Wir kommen nun zu einem letzten gewaltigen Abschnitt der 
wissenschaftlichen Thätigkeit Pettenkofers, zu seinen epidemiologischen 
Forschungen, welchen er einen grossen Theil seines Lebens und den 
grössten Theil seiner Arbeitskraft gewidmet hat. Er musste die 
neuen Vorstellungen, zu denen er durch die Beobachtung der Ver- 
breitung der epidemischen Krankheiten über deren Ursachen ge- 
kommen war, in den heftigsten Kämpfen vertheidigen und wir 
bewundern gerade hierin seine unermüdliche Ausdauer in dem Ein- 
treten für seine üeberzeugung und seinen Scharfsinn, durch den er 
immer neue Argumente für seine Anschauung beizubringen wosste. 



«9 



Die Veranlassung dazu gab die heftige Cholera- Epidemie vom 
Jahre 1854 in München; es war die zweite Heimsuchung Münchens 
seit 1836 durch die bekanntlich in einigen Bezirken Ostindiens ent- 
stehende und von dort über den Erdball sich verbreitende Seuche; 
dieselbe ist in Niederbengalen sicher seit dem Jahre 1817 bekannt, 
in Europa war sie vor dem Jahre 1830 unbekannt. 

Als der Schrecken und das Unglück der Seuche so plötzlich 
und mit solcher Macht die Bevölkerung unserer Stadt überfiel, da 
vereinigten sich Alle, welche irgendwie zur Linderung der Noth 
beizutragen vermochten, um zu helfen, wo es möglich war. Die 
Staatsregierung, die Polizei und die Stadtvertretung trafen nach den 
Erfahrungen von 1836 alsbald alle als nützlich erscheinenden 
Maasaregeln zur Bekämpfung des Uebels und zur Hilfe für die 
Nothleidenden; die vermögenden Bürger der Stadt thaten in ge- 
wohnter GroBsmuth Alles um das Elend zu lindern; die alterprobten 
und die jungen eben geprüften Aerzte wetteiferten in Aufopferung 
und Muth, sie versammelten sich zwei Mal wöchentlich zu gemein- 
samen Besprechungen über ihre Erfahrungen und Beobachtungen 
und holten eich neue Kraft zur Ausdauer in ihrem schweren Berufe. 
So war es trotz allen Jammers eine erhebende Zeit, in welcher der 
hilfreiche und gute Mensch dem Mitmenschen näher trat. 

Man muss Pettenkofera so mitfühlendes Gemüth gekannt haben, 
um zu verstehen, dass er mit Feuereifer in den Kampf gegen den 
Würgengel eintrat. 

Als im Jahre 1849 die Cholera unsere Grenzen bedrohte, wurde 
vom Ministerium auf den Vorschlag des berühmten Arztes und 
Gelehrten Philipp v. Walther eine Commission niedergesetzt für wissen- 
schaftliche Untersuchungen über die indische Cholera, zu der auch der 
Chemiker Professor Pettenkofer gehörte; bei dem Auftreten der 
Krankheit im Jahre 1854 trat die Commission in erneute Thätig- 
keit: Pettenkofer übernahm die Untei-suchungen über die Ver- 
breitungsart der Epidemie in Bayern, Buhl sollte über die pathologisch- 
anatomischen Befunde an der Leiche berichten; ich begann als des 



70 

Letzteren Äseistent meioe ErBtlingsarbeiten Über die chemischen 
Veränderungen im Organismus bei der Cholera. Man suchte da- 
durch einen Einblick in das Wesen und die Ursachen der Krank- 
heit zu bekommen, um für spätere Zeiten zu nützen. E^ wurde 
beschlossen, die in Bayern gemachten Beobachtungen in einem Haapt- 
berichte herauszugeben, der auch 1857 mit Hilfe der von dem 
Könige Max 11. aus seiner Cabinetskasse der uaturwissenschaftlich- 
techDischen Commission an unserer Akademie hochherzig gewährten 
Mittel zur Veröffentlichung kam. 

Es war ein günstiger Umstand, dass Pettenkofer nicht als Arzt 
der Sache gegenüber trat, sondern als Naturforscher; sein durch- 
dringender Verstand machte sich gleich darüber klar, dass die ge- 
wöhnlichen Maassregeln keine Mittel speciell gegen die Cholera sind, 
sondern nur Mittel wie bei jeder anderen Krankheit auch; ihm war 
es nicht um das Heilen der Krankheit, sondern um ihr Wesen und 
ihre Ursachen zu thun. Er wusete von Anfang an, was er wollte 
und an welcher Stelle er anzugreifen habe. Er muaate vor Allem 
den Verlauf der Epidemie in Bayern und in München übersehen; 
zu diesem Zwecke bezeichnete er in der grossen Generalstabskarte 
des Landes alle Orte mit Choleraerkrankungen und zwar mit rother 
Farbe die epidemisch ergriffenen, mit grüner die mit sporadischen 
Fällen und mit blauer die, wo sich nur in einem oder zwei Häusern 
Fälle zeigten; für München legte er sich ein Grundbuch an, in 
welchem alle in den amtlichen Todesscheinen verzeichneten Cholera- 
todesfälle (fast 2000), geordnet nach Strassen, Häusern und Stock- 
werken, eingetragen waren. Damit war von ihm ein neuer erfolg- 
reicher Weg betreten worden und für alle Zeiten die Epidemie 
fixirt, so dass sie auch zu späteren, von anderen Gesichtspunkten 
ausgehenden Forschungen dienen kann. Diese Karte und das Grund- 
buch waren nun das Objekt seines Nachdenkens; er suchte, ob sich 
daraus mit irgend etwas ein Zusammenhang herausbringen liees. 

Die Karte ergab auf den ersten Blick, dass die Krankheit eine 
örtliche, oft ganz auffallend scharfe Begrenzung zeigt und ihre 



Verbreitung sich durchaus nicht mit Vorliebe an die Hauptverkehrs- 
wege, an die Eisenbahnen nnd die Landstrassen hält; sie verläuft 
vielmehr längs den Flüssen und Bächen, denn nur die Thäler und 
Ebenen der Flüsse und Bäche lassen bestimmte Gruppen von epi- 
demisch ergriffenen Ortschaften erkennen; hat ein Thal vom Ursprung 
seines Flusses bis zu dessen Mündung eine ziemlich gleiche Be- 
schaffenheit des Untergrundes wie der Oberfläche, so sind die Ort- 
schaften am oberen Theil des Flusses zumeist frei, erst in einer 
grösseren Entfernung vom Ursprung zeigen sich die Epidemien; die 
Orte um und an den Wasserscheiden sind in der Regel verschont, 
die Epidemien begrenzen sich mit dem die Flussebene einschltessen- 
den Hügellande und erscheinen erst jenseits der Hügel wieder in 
den nächsten Flussthälern. Die epidemische Ausbreitung der Cholera 
steht also offenbar mit den Wasserverhältnissen einer Gegend in 
Zusammenhang; dadurch wurde er auf die mächtigen unterirdischen 
Wassermassen aufmerksam, die in einer Tiefe von 5 — 6 Metern 
unter unseren Füssen dahin ziehen, von denen wir oberflächlich 
betrachtet keine Ahnung haben ; dies war der Ausgangspunkt für 
die Grundwassertheorie, welche epäter eine so grosse Rolle spielte. 

Diese auffallenden, vorher nicht beachteten Thatsachen der 
Choleraverbreitung in einem Lande lassen sich nicht blos durch den 
Verkehr erklären; es müssen noch andere Hilfsursaclien mitwirken 
und da weisen die Beobachtungen auf örtliche Bedingungen, auf 
eine gewisse Bodenbeschaffenheit mid Terrainformation hin; tiefe 
und feuchte in Mulden gelegene Ortschaften und Häuser werden im 
Allgemeinen intensiver ergriffen als trockene und hochsituirte. 

Dem entsprechend nahm er an, daes der Kranke nicht ohne 
Weiteres direkt auf den Gesunden die Krankheit überträgt; selbst 
ilie frischen Entleerungen des Kranken schienen ihm nicht gefährlich, 
sie sollen es erat ausserlialb des menschlichen Organismus und zwar 
im Boden werden. Indem er sich nun Vorstellungen über die Wirkung 
des Bodens machte, schwankte er längere Zeit, ob dieser Einfluss 
den Menschen nur individuell dieponirt die Cholera zu bekommen. 



72 



oder ob er mit der wirklichen Entstehung des Giftee in Zusaiiimen- 
bang steht Er entschied sich nach seinen Beobachtungen fQr die 
letztere Anschauung und dachte sich damals alü beste Hypothese, 
dass der an Cholera erkrankte Mensch einen in seinen Ausleerungen 
enthaltenen Keim, unter dem er sich von Anfang an einen Mikro- 
organismus oder ein Ferment vorstellte, durch den persönlichen 
Verkehr auf Gesunde und an gesunde Orte verschleppt und vor- 
breitet, in deren Erdreich dann erst das schädliche Choleramiasma 
entsteht, das er ursprünglich für ein Gas hielt Endlich gehört 
noch eine individuelle Empfänglichkeit oder Disposition der Menschen 
für die Erkrankung dazu, da ja nicht alle unter sonst gleichen 
Bedingungen Lebenden befallen werden. 

Nicht die geologische Formation des Bodens soll dabei aus- 
schlaggebend sein, sondern eine bestimmte physikalische Boden^ ] 
beschaffenheit, gewisse Zustände des Bodens, bei denen Zersetzungen 
leicht vor sich gehen, also ein lockeres, von Wasser und Luft durcb- 
dringbares, stark verunreinigtes Erdreich, in dem man in einer 
nicht zu grossen Tiefe auf Wasser gelangt. Wo sich demnach im 
Boden keine Zersetz ungaprozesse finden, das ist auf felsigem und 
compaktem, für Waeaer nicht durchdringbarem Gestein, kann dar- 
nach keine Ortsepidemie entstehen; Pettenkofer sprach es daher 
alsbald mit aller Bestimmtheit aus. man werde in der ganzen Welt 
keinen Ort auffinden, dessen Häuser auf Felsen gebaut sind, 
in welchem die Cholera als Epidemie aufgetreten wäre; ala ' 
schlagendes Beispiel liiefür bezeichnete er die Stadt Nürnberg, wo 
trotz allen Verkehre auf der auf einem Sandlager liegenden Lorenzer- 
Seite fünfmal mehr Menschen an der Cholera gestorben sind als auf 
der auf Fels ruhenden Sebalder-Seite. 

Da nach ihm kein direkt ansteckendes Gift vom Kranken auf den 
Gesunden übertragen wii-d, so hielt er von Anfang an die Quarant&nen 
für nutzlos; allerdings glaubte er damals noch an den Nutzen der Deain-4 
fektion durch Zerstörung der in den Exkrementen enthaltenen Keima,.] 

Noch ein weiteres wichtiges Moment tritt schon im Haupt- J 



73 



berichte hervor, nämlich der Einfluss i3er Schwankungen des Wasser- 
standes im Boden, des sogenannten Grundwassers. Man hat wohl 
schon vorher auf diesen unterirdischen "Wasserspiegel geachtet und 
auch sogar Messungen der Schwankungen desselben angestellt; unsere 
Akademie gab im Jahre 1762 eine Preisaufgabe Über diese Zu- 
und Abnahme im Interesse der Land wir thschaft, wobei der Bergrath 
Scheidt in Salzungen den Preis erhielt; leider sind seine Beobach- 
tungen verloren gegangen. Ea war zu der Erklärung der Thatsache, 
daas die Cholera trotz Einschleppuiig des Keims nur zu gewiesen 
Zeiten einen Ort befällt, ein bewegliches, wechselndes oder zeitliches 
Moment nöthig und dies konnte Pettenkofer nur im Wechsel des 
Standes des Grundwassers finden. Er begann daher die Bewegungen 
dieses Grund wassera an verschiedenen Brunnen Münchens syste- 
matisch zu messen und es zeigte sich sowohl im Cholerajahr 1836 
als auch in dem von 1854 ein Absinken von einem auffallend hohen 
Stand desselben, so dasa er den Satz aussprach: Da wo diese Schwan- 
kungen auftreten, ist vorwaltend der Schauplatz der Cholera. Die 
Schwankungen betragen zu verschiedenen Jahrgängen und Jahres- 
zeiten mehr als 20 Fuss; im Allgemeinen findet sich zwischen dem 
Stand der Isar oder der Menge der atmosphärischen Niederschläge 
und dem der Brunnen kein direkter näherer Zusammenhang; die 
Isar wirkt nur durch Stauung des Abflusses auf das Grundwasser ein. 

Diese ersten Anschauungen Pettenkofers vom Jahre 1S54 haben 
durch Vermehrung der Thatsachen und genauere Würdigung der- 
selben im Laufe der Zeit manche Veränderung, Berichtigung und 
Erweiterung erfahren, aber der Grundgedanke, dasa das Wasser im 
Boden ein zeitliches Moment der lokalen Disposition sei, ist von 
Anfang an unverändert geblieben. 

Bei der Frage, wie der Infektionsstotf in den Menschen gelangt 
und sich verbreitet, lag es am nächsten das Trinkwasser damit in 
Beziehung zu bringen, besonders da die Wasserverhältnisse einer 
Gegend so auffallend mit der Verbreitung der Epidemie in Zu- 
sammenhang stehen. Auch Pettenkofer war anfangs ein Anhänger 



74 

dieser Lehre, aber er wurde durch seine Untersuchungen immer 
mehr davon abgebracht. Die Verhältnisse lagen zur Entscheidung 
des Einflusses des Trinkwassers in München damals besonders günstig 
und wie für ein Experiment im Grossen geschaflfen, da mehrere 
verschiedene Wasserversorgungsanstalten gleichzeitig neben einander 
funktionirten ; aber es liess sich, obwohl er die Bezugsquellen von 
Haus zu Haus auf das Sorgfältigste verfolgte, kein Unterschied 
in dem Verlauf der Erkrankungen im Bereich der einzelnen 
Leitungen erkennen; er schloss daher, dass im Trinkwasser kein 
ursächliches Moment für die Cholera gesucht werden könne. Dieses 
Ergebniss war von grosser Bedeutung für seine weiteren Forschungen, 
indem es ihn auf eine bestimmte Bahn drängte. Er glaubte da- 
durch die Angelegenheit mit dem Trinkwasser ein für alle Mal ab- 
gethan zu haben und doch sollte er gerade hierüber noch die 
heftigsten Widersprüche erfahren. 

Durch diese denkwürdigen ersten Untersuchungen waren an die 
Stelle der früheren vagen Meinungen bestimmte greifbare, der 
Forschung zugängliche Vorstellungen und Thatsachen, die auf keinem 
anderen Wege hätten gewonnen werden können, getreten. Es hat 
vordem nichts gegeben, was nicht schon als Ursache der Cholera 
angesehen worden wäre, die verschiedenartigsten Dinge ohne irgend 
einen Beweis: Wind und Wetter, Armuth, schlechte Ernährung, 
schlechtes Trinkwasser, unreine Abtritte etc. etc. ; Jeder hatte seine 
eigenen und besonderen Einfälle, deren es gar viele giebt. Alles ist 
vor Pettenkofer schon einmal gesagt worden, er aber hat zuerst 
die wissenschaftliche Forschung in diese verwickelten Vorgänge ge- 
tragen und sie auf Punkte geführt, welche einer genauen natur- 
wissenschaftlichen Beobachtung und Messung zugänglich waren. Am 
Schlüsse seiner ersten Auseinandersetzungen sagt er in aller Be- 
scheidenheit und strengen Wissenschaftlichkeit, er verzichte sehr gerne 
auf alle Ansprüche alltäglicher Priorität und begnüge sich voll- 
kommen damit, wenn seine Arbeit dazu beitrage, dass aus den vielen 
ausgesprochenen und sich widersprechenden Ansichten weniger, viel- 



75 



leicht nur eine einzige Ansicht wird, und wenn zuletzt an die Stelle 
von taueend geistreichen Vermuthungen die anapruchslose Erkennt- 
nisB einer einfachen und alltäglichen Thatsache gelangt, welche 
praktische Folgen nach sich zieht. Er wünscht zugleich, sein Buch 
möge viel Kampf erregen, dem er sein Tagewerk nicht entziehen 
werde, denn es sei ein Kampf für unser aller Wohl; er werde eich 
beugen vor gründlich und ehrlich untersuchten Thatsachen. 

Pettenkofer war wie ersichtlich weit entfernt davon seine 
ersten Vorstellungen schon als bewiesen oder abschliessend zu be- 
trachten, aber er war fest überzeugt sich mit seinen Untersuchungen 
und Gedanken auf dem rechten Wege zu befinden. Er drang, und 
darauf kam es ihm zunächst vor Allem an, auf genaue, systematisch 
angestellte Untersuchungen über alle diese Verhältnisse im Sinne der 
exakten Naturforschung. Er verlangt in einem 1859 aufgestellten 
Programm ein getreues Bild der örtlichen Verbreitung der Cholera 
und des Typhus zu verschiedenen Zeiten in den einzelnen 
Ländern, Orten und Wohnhäusern durch Eintragen der Todesfälle 
nach den amtlichen Todesscheinen in ein einfaches Schema als un- 
erlässliche Grundlage für alle vergleichend ätiologischen Studien; 
dann die Festatellung der Beschaffenheit des Untergrundes der epi- 
demisch ergriffenen Orte bis zu einer Tiefe, wo sich Grundwasser 
findet; ferner die regelmässige Messung des Standes des Grund- 
wassers in gegrabenen Brunnen; weiterhin die Prüfung der Beschaffen- 
heit des Untergrundes und des Standes des Grundwassers in von 
der Cholera verschonten Ortschaften und Ortstheilen; und endlich die 
Analyse des Trinkwassers der sowohl von der Cholera ergriffenen 
als auch der davon verschonten Orte. Er erhoffte von solchen 
Untersuchungen die Gewinnung vieler und zur Beurtheilung der 
Aetiologie der Seuchen w^erthvoUster Thatsachen. 

Pettenkofer hat in der Folge Alles gethan, um zu diesem Ziel 
zu gelangen; er hat Thatsachen auf Thatsachen gesammelt und 
untersucht, und dabei alle Fälle berücksichtiget, nicht nur solche, 
in welchen die Cholera sich verbreitete, sondern auch solche, in 



76 

welchen sie sich nicht verbreitete; er glaubt, stets die Erscheinung 
als Ganzes aufgefasst zu haben unter Beachtung aller Thatsachen. 

Das bedeutsamste Resultat seiner ersten Untersuchung war ihm 
die Thatsache von dem nachweisbaren Einfluss der Bodenbeschaffen- 
heit auf die epidemische Ausbreitung der Cholera; es blieb daher 
von da an sein Augenmerk vor Allem auf das Verhalten des Bodens 
und auf die in ihm stattfindenden Vorgänge gerichtet: es wurden die 
früher erwähnten Untersuchungen über den Gehalt des Bodens an 
Luft und Wasser angestellt, die Zersetzungsprozesse in demselben 
durch die Bestimmung der Kohlensäure ermittelt und die seit März 
1856 an verschiedenen Brunnen Münchens begonnenen Messungen 
der Grundwasserschwankungen fortgesetzt. Dadurch befestigte sich 
in ihm immer mehr die Ueberzeugung, dass zwar eine specifische, 
durch den Verkehr verbreitbare Ursache der Krankheit existire, 
dass aber örtliche und zeitliche Hilfsursachen im Boden wesentlich 
dazu gehören. 

Eine wichtige seit dem Erscheinen der Cholera und des Typhus 
viel umstrittene Frage ist die, ob diese Krankheiten ansteckend 
d. h. contagiös wären oder nicht. Die meisten Aerzte hielten die 
Cholera für ansteckend, wenn auch die bayerische Staatsregierung 
im Jahre 1836 auf den Rath des Klinikers Philipp v. Walther er- 
klärt hatte, dass „Ansteckung von Cholerakranken, auch wenn man 
sich mitten unter ihnen befindet, sie anfasst und pflegt, nicht zu 
fürchten sei". 

Man dachte sich, bei einer ansteckenden Krankheit werde die 
Ursache, der InfektionsstofiF oder das Contagium i m Kranken erzeugt 
und vermehrt und werde von ihm direkt auf Gesunde durch Be- 
rührung übertragen wie z. B. bei den Blattern; miasmatische Er- 
krankungen nannte man, wenn die Ursache ausserhalb des Kranken 
in seiner Umgebung, in einer dazu geeigneten Lokalität entsteht 
und vom Kranken nicht auf einen Gesunden übergeht wie man es 
für das Wechselfieber annahm. In diesem Sinne hielten die Einen 
Cholera und Typhus für contagiös, indem sie voraussetzten, die 



77 

Ursache dafür bilde sich im kranken Organismus und werde ohne 
Weiteres infektionstüchtig mit den Darmentleerungen ausgeschieden; 
die Anderen, welche die Uebertragung von Mensch zu Mensch leug- 
neten, hielten sie für miasmatisch und suchten das specifische Gift 
ausserhalb des Kranken. Jede der Parteien stützte sich auf ge- 
wichtige und zahlreiche Thatsachen und sie ergiengen sich Jahre 
lang in fruchtlosen Streitereien. Die Contagionisten konnten für 
ihre Anschauung angeben, dass der Verkehr einen unleugbaren 
Einfluss auf die Verbreitung der Krankheit erkennen lasse; die 
Miasmatiker führten dagegen an, dass es Umstände gäbe, wo trotz 
lebhaftesten Verkehrs und trotz aller Einschleppung einzelne Orte 
und Länder frei bleiben oder nur zu gewissen Zeiten ergriflfen 
werden. Manche kamen desshalb schliesslich zu dem unglücklichen 
Ausweg, die Epidemien könnten auf beide Weisen innerhalb und 
ausserhalb des Organismus entstehen, d. h. contagiös und miasmatisch 
sein; diese Verschwommenheit der Begriffe war die Quelle einer 
heillosen Verwirrung. 

Hierin scharf geschieden zu haben, ist ein Verdienst Petten- 
kofers. Er hielt die Cholera und den Typhus anfangs auch für 
anstekend durch den Kranken, also für contagiös, denn diese Theorie 
ist die einfachste und scheint bei oberflächlicher Betrachtung die 
Thatsachen leicht zu erklären; aber er musste im Laufe seiner Er- 
fahrungen seine Ansicht ändern und erkennen, dass dieselben weder 
contagiös noch miasmatisch nach den angegebenen Definitionen sind. 
Der Fehler war nach ihm der, dass man contagiös, d. i. von Mensch 
zu Mensch ansteckend, und verschleppbar für identisch hielt, und 
das transportfähige ausserhalb des Menschen in einer bestimmten 
Lokalität entstandene Miasma mit dem im Kranken erzeugten Con- 
tagium verwechselte. Der Cholera- und Typhuskeim ist nach ihm 
wohl durch den Verkehr von einer Lokalität aus verschleppbar, 
aber nicht im Kranken entstanden und nicht von ihm auf den Ge- 
sunden übertragbar. Er drang daher darauf, die abgenützten Worte 
Contagium und Miasma, mit denen man nicht mehr die alten Be- 



78 

griffe verbindet, zu streichen und neue Bezeichnungen zu wählen; 
er schlug vor, entogene Krankheiten, bei denen der Infektionsstoff 
innerhalb des Kranken entsteht, und ektogene Krankheiten, bei 
denen er ausserhalb des Körpers entsteht, zu unterscheiden; die 
ektogenen theilte er in durch den menschlichen Verkehr nicht ver- 
breitbare wie die Malaria und in örtlich entstehende, aber ver- 
schleppbare wie die Cholera. Jede Choleratheorie musste darnach 
nach seiner Ansicht der Yerschleppbarkeit des Infektionsstoffs durch 
den Verkehr sowie der Abhängigkeit von gewissen örtlichen und 
zeitlichen Vorgängen im Boden Rechnung tragen, und dies thut die 
von Pettenkofer aufgestellte sogenannte lokalistische Theorie. In 
der Cholera-Conferenz zu Weimar (1867), die er mit Griesinger und 
Wunderlich einberufen hatte, fand die Lehre vom begünstigenden 
Einfluss örtlicher und zeitlicher Momente zuerst öffentliche Aner- 
kennung und Zustimmung; die Mitwirkung des Bodens war ihm 
seitdem in keinem einzigen Falle etwas Gleichgiltiges, auch war er 
schon damals überzeugt, dass die Cholera nur ektogen aufzufassen 
sei und gab die entogene Uebertragung nicht mehr zu. 

Die alte contagiöse Anschauung, welche einfach eine Infektion 
Gesunder durch Cholera- oder Typhuskranke annimmt, lässt sich 
nach ihm nicht mehr halten; denn sie steht mit sicher festgestellten 
epidemiologischen Thatsachen in Widerspruch. Pettenkofer brachte 
viele Beweise dafür bei, dass Cholera und Typhus nicht contagiös 
nach der alten Definition sein können, denn dann wären zu ihrer 
Verbreitung ausser dem Keim nur disponirte Menschen nöthig und 
die Erkrankungen dürften nicht von etwas Anderem, z. B. von ge- 
wissen Lokalitäten oder Zeiten abhängig sein. Cholerakranke stecken 
andere Kranke in einem Spitale nicht an, nur dann wenn das 
Spital wie die umliegenden Häuser zu einem Cboleraherd geworden 
ist, kommen Hausepidemien vor, die auch gekommen wären, wenn 
kein Cholerakranker eingebracht worden wäre; das grosse allgemeine 
Krankenhaus in Calkutta ist trotz der Aufnahme vieler Cholera- 
kranker noch nie ein Infektionsherd für Cholera geworden. — Bei 



79 

• 

den entogenen Infektionskrankheiten wie den Blattern werden be- 
kanntlich nichtgeimpfte Aerzte, Kranken- und Leichenwärter häu- 
figer ergriffen; bei der Cholera und dem Typhus haben aber die- 
selben nach unzähligen Erfahrungen in Europa und in Indien nicht 
mehr zu leiden als andere Personen, die mit Cholerakranken gar 
nicht in Berührung gekommen sind; der Verkehr mit Cholera- 
kranken und Choleraleichen bringt an und für sich keine Gefahr. 
Bei der mörderischen Epidemie in der Gefangenanstalt Laufen (1873) 
wurde trotz sonst vollkommen gleichen Bedingungen und ununter- 
brochenen Verkehrs nur die eine Seite der Anstalt befallen, auch 
die Aerzte, das Wartepersonal und die 67 bewachenden Soldaten 
blieben verschont; solche Fälle sind noch viele beobachtet worden 
und es sollen später noch einige derselben angegeben werden. — 
Nach der contagionistischen Ansicht ist der Darmkanal des Kranken 
der Hauptschauplatz des Krankheitsprozesses und also auch der Sitz 
des Infektionsstoffes, wesshalb auch nach ihr die Choleradiarrhöen 
den giftigen Keim enthalten, reproduziren und verbreiten sollen. 
Auch Pettenkofer war, wie gesagt, 1856 noch ein wenn auch nicht 
unbedingter Contagionist und hielt die Darmentleerungen ebenfalls 
für die Träger des Cholerakeims und er glaubte desshalb noch im 
Jahre 1865, die Desinfektion der Entleerungen wäre eine souveräne 
prophylaktische Maassregel und erst durch die Choleraepidemie von 
1867 gewann er die üeberzeugung, dass die frischen Entleerungen 
an und für sich nicht giftig sind, denn es werden nicht selten 
Wärter mit den Dejektionen förmlich übergössen, die dann an ihnen 
eintrocknen ohne dass sie die Cholera bekommen; ja es sind Fälle 
bekannt, wo die Reiswasserdiarrhöen in den Magen von Menschen 
gelangt sind ohne Schaden anzurichten. — Cholerakranke verbreiten 
auf der Reise vielfach ihre Ausleerungen ohne Choleraepidemien an 
einem immunen Orte zu veranlassen; ein ganz eklatanter Fall der 
Art ist der aus dem Gefängniss zu Laufen entlassene Sträfling, der 
viele Ortschaften berührte und dennoch in denselben keinen einzigen 
Fall von Cholera erzeugte. Wenn der Kranke und seine Aus- 



80 

leerungen das Gift nicht enthalten, dann dient auch seine beschmutzte 
Wäsche, die nach der Meinung vieler Contagionisten der Hauptträger 
des Infektionsstoflfes sein soll, nicht ohne Weiteres als Infektions- 
quelle; es wird nachher hiervon noch die Rede sein. — Vor Allem 
müsste bei einer contagiösen Verbreitung der Krankheit, bei der 
Aussaat des Keims durch Cholerakranke, die Ausbreitung eine ganz 
andere sein als sie in Wirklichkeit ist, sie müsste sich von einem 
Mittelpunkte aus allmählich ausdehnen und den Hauptverkehrswegen, 
den Eisenbahnen, den Land- und Wasserstrassen gleichmässig folgen 
und mit der Entwicklung derselben z. B. des Eisenbahnnetzes rascher 
vorschreiten. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn sie wird, wie 
gemeldet, durch gewisse Wasserverhältnisse der Gegenden bestimmt 
und in auffallender Weise örtlich begrenzt, so dass sie wesentlich 
immer nur gewisse Bezirke und Orte belallt und andere stets ver- 
schont; es dürfte also keine für Cholera immune Orte geben, wohin 
trotz aller Einschleppung des Infektionsstoflfs noch nie die Cholera 
gekommen ist, und auch keine immunen Zeiten an den sonst für 
Cholera empfänglichen Orten. Der Gang der Cholera zeigt dem- 
nach auf das Deutlichste, dass noch etwas Besonderes dafür be- 
stimmend ist. Die Erfahrungen in Indien, welche von dem kenntniss- 
reichen Cuningham berichtet werden, lehren, dass daselbst grosse 
Bezirke trotz der beständigen Einschleppung verschont bleiben und 
dass die Krankheit seit Bestehen des Eisenbahnnetzes nicht rascher 
sich verbreitet; Truppenzüge mit Cholerakranken inficiren auf ihren 
weiten Märschen nur gewisse disponirte Orte, die anderen nicht; 
die grossen Pilgerzüge in Indien üben, ebenso wie die Kriegszüge 
bei uns, keinen Einfluss auf die Ausbreitung der Cholera aus, nur 
treten in den vorher schon inficirten Orten in Folge der grösseren 
Menschenansammlung mehr Krankheitsfälle auf; in der heiligen Stadt 
Hardwar kommen im April Millionen Pilger aus allen Theilen 
Indiens zusammen und doch kommt es daselbst nur selten zum 
Ausbruch einer Epidemie. Die 94 aus der so stark inficirten Ge- 
fangenanstalt zu Laufen entlassenen Sträflinge haben keine Cholerafälle 



81 

an den von ihnen berührten Orten veranlasst. Nach den sorg- 
fältigen Erhebungen von Port giengen von den Tausenden im Jahre 
1870/71 nach ganz Deutschland evakuirten typhus- und ruhr- 
kranken Soldaten nirgends Epidemien aus. 

Dafür dass der Cholerakeim für sich allein nicht genügt und 
noch etwas vom Boden dazu kommen muss, hat Pettenkofer un- 
zählige Beispiele beigebracht; es war ihm immer unbegreiflich, dass 
die hierüber ermittelten Thatsachen nicht überall alsbald Anklang 
fanden. Man müsste förmlich blind sein, so rief er aus, wenn man 
leugnen wollte, dass es nicht viel mehr darauf ankommt, wohin 
und wann aus einem Typhus- oder Choleraorte Typhus- und 
Cholerakeime gelangen als dass sie überhaupt dahin gelangen. 

Der Einfluss des Grundes und Bodens macht sich nach seinen 
Beobachtungen überall in erster Reihe bemerkbar. Nur auf einem 
porösen, für Luft und Wasser durchdringbarem, mit faulenden 
organischen Substanzen verunreinigtem Boden gedeiht die Cholera, 
nicht auf compaktem Felsen oder auf einer für Luft und Wasser 
undurchdringbaren Lehmschwarte. Gegen diesen Theil seiner Lehre 
erhoben sich zuerst sachliche Einwände, nachdem die Gegner vor- 
her mehr gegen seine theoretischen Anschauungen und Hypothesen, 
auf die er vor der Hand keinen grossen Werth legte, sich gerichtet 
hatten. Sie gaben nämlich Orte an, welche auf Fels gegründet sein 
sollen und doch von der Cholera stark heimgesucht wurden. So 
hatte Professor Dr. Anton Dräsche in Wien (1860) auf solche Orte 
in Krain und dem Karstgebirge hingewiesen, Andere auf den. Felsen 
von Gibraltar und auf die Insel Malta. Da zeigte es sich, wie 
ernst es Pettenkofer mit der Sache nahm und wie es ihm nur um 
die Aufdeckung der Wahrheit zu thun war; er antwortete nicht 
mit theoretischen Darlegungen, sondern wie es der Naturforscher 
auch bei solchen verwickelten Prozessen allein thun muss, er begab 
sich an die bezeichneten Orte, um sich die Felsen näher zu be- 
trachten, und siehe da, jeder Einwurf iiat sich bei näherer Prüfung 
als ein Irrthum erwiesen. Die Einwände waren ohne irgend eine 

11 



82 

Untersuchung, nur auf oberflächliche Berichte und Eindrücke hin, 
ohne Anwendung der Methoden der Naturforschung, nur vom Stand- 
punkte des Literaten, dem die Wege der Forschung unbekannt sind, 
gemacht worden. Das Ministerium des Innern sandte ihn auf An- 
trag des Obermedizinalraths v. Pfeufer, der anfangs den Unter- 
suchungen über die Aetiologie der Cholera die lebhafteste Theilnahme 
und Ermunterung sowie jede ihm mögliche Hilfe zuwendete, (1861) 
nach Krain, wo er besonders drei Bezirke (Neustadl, Laibach und 
Adelsberg) mit Ortschaften auf angeblich compaktem Felsen ein- 
gehend besah. Aber überall, wo die Seuche gehaust hatte, fand 
sich eine hochgradige Zerklüftung und Porosität des Untergrundes, 
so dass die Spalten mit verwesenden organischen Stoffen erfüllt 
waren und Unrathsflüssigkeiten hindurchdringen Hessen; so ist ins- 
besondere das Karstgebirge geradezu eine Stütze für den Einfluss 
der BodenbeschaflFenheit geworden. 

Ebenso ergieng es mit Gibraltar und Malta, welche er 1868 
mit eigenen Mitteln aufsuchte. In Gibraltar war die poröse Be- 
schaffenheit des Alluvialbodens zu sehen; das Terrain oberhalb der 
Stadt wies wie das Karstgebirge sehr zerklüftete und zerbrochene Felsen 
auf; da in der Stadt sich mehr als 200 gegrabene Brunnen befinden, 
so ist Grundwasser vorhanden und es müssen auch zeitweise Schwan- 
kungen desselben vorkommen, denn der heftigen Choleraepidemie 
von 1865 gieng eine abnorme Steigerung der Durchfeuchtung des 
Bodens voraus, wie sie in dem Jahrhundert noch nicht dagewesen 
war. — Man glaubte besonders in Malta könnte poröser Boden 
und Grundwasser keine Rolle spielen, weil die ganze Insel aus com- 
paktem Gestein bestehe. Aber was ergab sich? Ueber dem unteren 
Felsen aus hartem krystallinischen Sandstein liegt ein weicher poröser 
Sandstein mit 28 Prozent Poren, der leicht zu bearbeiten, ja mit 
dem Messer zu schneiden ist und viel Wasser schluckt, so dass 
man in ihm die Kanäle aushaut und, wie schon berichtet, Wasser- 
filtersteine aus ihm herstellt. Pettenkofer zeigte in der Vorlesung 
einen solchen Filterstein, der in kürzester Zeit Wasser durchlaufen 



lässt. Auf seine bestiinmteu und wiederholten Fragen versicherte 
ihn der CoinptroMer of Charities Inglott, der Boden von Malta wäre 
kein Fels, sondern ein Schwamm, getränkt und gesättiget mit jeder 
Art von Jauche. Noch im Jahre 1885 sind bei der zweiten Cholera- 
conferenz in Berlin von Robert Koch die Felsen von Genua und 
von Bombay genannt worden; aber auch er brachte, als ob die vor- 
bildlichen Untersuchungen Pettenkofers nie gemacht worden wären, 
nur papierene Karten vor und keine genauen, an Ort und Stelle 
gemachten Beobachtungen; dagegen berichtete der Ingenieur Settiraio 
Monti auf Befragen Pettenkofers, der Untergrund des alten Genua 
wäre im höchsten Grade verunreiniget. 

Auf wirklichem coinpakteni, von Wasser nicht durchdrungenem 
Fels oder auf einer undurchlässigen Thonschichte liegende Orte sind 
frei von der Cholera; viele Fälle lassen sich dafür anführen z, B. in 
Bayern gewisse Theile von Nürnberg oder Traunstein. 

Die eingehenden geologischen Darlegungen Pettenkofers sind 
Muster eines wissenschaftlichen Studiums und sie erscheinen uns als 
etwas ganz eigenartiges und als der Anfang einer neuen Richtung 
in der medizinischen Literatur. — 

Eine ganz besonders feste Stütze erhielten die Lehren Petten- 
kofers von dem Einfluss des Bodens und des Grundwassers auf die 
Entstehung epidemischer Krankheiten durch die merkwürdigen Beob- 
achtungen von Ludwig Buhl im Jahre 1865 über den Zusammen- 
bang der Todesfälle an Typhus im Münchener Krankenhause 1. L 
und den Schwankungen des Grundwassers. Es war schon längst 
aufgefallen, daas in München die Typhusepidemien in den verschie- 
denen Jahren einen höchst verschiedenen Grad der Intensität zeigen, 
ee wechselten Jahre mit grösster Sterblichkeit mit solchen von 
wesentlich geringerer Sterblichkeit ab; es musste die specifische 
Ursache analoge Fluktuationen machen, bald gehindert werden wie 
zumeist im Frühling und Sommer, und bald gefördert werden wie 
im Herbat und Winter. Da lag es nahe, nachdem Pettenkofer schon 
im Cholerajahre 1854 auf die Beziehung der Schwankungen des 



84 

Grundwassers zum Auftreten der Cholera aufmerksam geworden war, 
die von ihm seitdem an den Brunnen gemachten Beobachtungen des 
Grundwasserstandes mit dem wechselnden Stande dos Typhus im 
genannten Krankenhause zu vergleichen. Buhl verfügte dabei in der 
Zeit vom 1. Januar 1855 bis Ende Juli 1865 über 900 von ihm 
secirter Typhusleichen. Da ergab sich beim üeberblicken der Curven 
mit überraschender Regelmässigkeit, dass die Zahl der Typhustodten 
abnimmt, so lange das Grundwasser steigt, dass sie dagegen zunimmt, 
so lange das Grundwasser fällt. Es war also die gleiche Erscheinung 
bei dem in München damals ständig herrschenden Typhus erkannt 
worden, wie sie von Pettenkofer bei den zwei Choleraepidemien 
vermuthet worden war. Das war allerdings ein Triumph für Petten- 
kofer und eine Leuchte in der Dunkelheit der epidemischen Vorgänge. 
Er fand zwar damit anfangs keinen besonderen Anklang bei Aerzten 
und Naturforschern, weil man sich gar nicht vorzustellen vermochte, 
wie das Grundwasser die Cholera und den Typhus machen könnte 
und worin dieser Zusammenhang bestehen sollte; man verstand ihn 
sowie die neue Lehre nicht und hielt es für etwas Unmögliches und 
Mystisches, ja man ergieng sich sogar in gewissen exakten natur- 
wissenschaftlichen Kreisen in schlechten Witzen und suchte die Sache 
lächerlich zu machen. Als jedoch das Resultat in den folgenden 
Jahren das gleiche blieb, und sein Freund, der scharfsinnige Mathe- 
matiker Ludwig Seidel, in zwei Abhandlungen : „numerischer Zusammen- 
hang zwischen der Häufigkeit der Typhuserkrankungen und dem 
Stande des Grundwassers in München " und „ Vergleichung der Schwan- 
kungen der Regenmengen mit den Schwankungen in der Häufigkeit 
des Typhus in München" mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung 
darthat, dass dieser gesetzmässige Zusammenhang mit einer Wahr- 
scheinlichkeit von 36000 zu 1 sich berechnet, da konnte auch für 
den Kurzsichtigsten kein Zweifel mehr an der Thatsache sein. Die 
im Besitze des hygienischen Instituts befindliche grosse Curventafel, 
welche der treffliche Polizei-Ingenieur Wagus nach den amtlichen 
Aufzeichnungen über die Typhusmortalität der ganzen Stadt, die 



85 

Regenmengen und die Grund wassersch wankungen von 1850 bis 1867 
hergestellt hat, ist ein unschätzbares Dokument für alle Zeiten in 
der vorliegenden Frage. Auch noch später bis zu Beginn der achziger 
Jahre, also während mehr als 30 Jahre währte dieses Verhältniss an; 
erst mit der Abnahme und dem Verschwinden des Typhus in München 
hörte die Coincidenz auf, da ein dazu nöthiger Faktor nicht mehr 
existirte, nämlich die Verunreinigung des Bodens, in Folge der Durch- 
führung sanitärer Maassregeln. An die durch diese Karte erwiesenen 
Thatsachen belieben die jetzigen Gegner von dem Einflüsse des Bodens 
nicht mehr zu denken. 

lieber die Deutung der festgestellten Erscheinung musste sich 
Pettenkofer in vielen Abhandlungen und in Vorträgen, namentlich 
im ärztlichen Verein „über die Aetiologie des Typhus" aussprechen 
und vertheidigen. Man meinte, es müsste nach Pettenkofers Lehre 
überall, wo es Grundwasser gäbe, auch Typhus da sein; man begriff 
nicht, warum in München der Typhus verschwinden konnte trotz 
fortdauernder Schwankungen des Grundwassers, und man bildete sich 
ein, es wäre jetzt mit der ganzen Sache nichts mehr. 

Pettenkofer dachte sich zuerst, dass durch den hohen Stand des 
Grundwassers zeitweise Bodenschichten unter Wasser gesetzt und für 
die Entwicklung des Keims günstige Fäulnissprozesse unterbrochen 
werden, während das Sinken umgekehrt sie fördere. Bald fasste er 
jedoch die Sache anders auf. Unablässig setzte er den fortwährenden 
Miss Verständnissen gegenüber auseinander, was ihm das Grundwasser 
ist, dass dasselbe an und für sich das unschädlichste Ding von der 
Welt ist, dass auch seine Schwankungen für sich allein, so wenig 
wie der Schmutz für sich, nicht die Ursache von Erkrankungen sein 
können. Der wechselnde Stand des Grundwassers ist für ihn unter 
gewissen Umständen nur ein Zeiger, ein Index für den wechselnden 
Wassergehalt der darüber befindlichen porösen Bodenschichten, für 
den Grad ihrer Durchfeuchtung; und er stellt sich vor, dass die 
Erfüllung der Poren des Bodens mit wechselnden Mengen von Luft 
und Wasser begünstigend oder erschwerend auf die Zersetzungs- 



86 

prozesse organischer StofiFe im Boden einwirkt, welche mit der 
Bildung der specifischen Typhusursache in noch unbekannter Weise 
zusammenhängen; es ist nach ihm ein bestimmter Wassergehalt des 
Bodens eine nothwendige Bedingung der Erzeugung des giftigen 
Infektionsstoffes. Er glaubt also nicht, dass das Grundwasser der 
Träger des Giftes sei, auch nicht, dass das letztere nahe der Ober- 
fläche des Bodens hafte, was kaum möglich ist, da selbst im Winter 
bei gefrorenem Boden Epidemien vorkommen; er weiss überhaupt 
nicht anzugeben, in welchen Schichten die fraglichen Vorgänge sich 
abspielen; er war nicht im Stande bestimmte und untrügliche Kenn- 
zeichen für einen Choleraboden aufzustellen und genauer jenen Grund- 
wasserstand anzugeben, wann ein bestimmter Boden die für Epidemien 
gerade nöthige Wassermenge besitzt, wann er zu trocken und wann 
er zu feucht ist und wann nicht. Einige z. B. Buchanan suchten den 
Zusammenhang darin, dass beim Sinken des Brunnenspiegels in 
trockenen Zeiten die Unreinheit des Grund- und Trinkwassers 
zunehme und dass es reiner werde beim Steigen des Wasserspiegels ; 
aber die Untersuchungen von Aug. Wagner und L. Aubry, der Assi- 
stenten Pettenkofers, ergaben das Gegentheil, das Grundwasser war 
am reinsten mit wenig Rückstand bei tiefstem Stande und am 
unreinsten beim höchsten Stande. 

Pettenkofer warnte davor, die Verhältnisse in München als 
Schablone für andere Boden- und Grundwasser Verhältnisse anzusehen, 
die gefundenen Thatsachen gälten vorläufig nur für das Münchener 
Terrain; auch wären die Beobachtungen des Wasserstandes in ge- 
grabenen Brunnen nur dann verwerthbar, wenn derselbe einen rich- 
tigen Index für den Wechsel der Feuchtigkeit der über dem Grund- 
wasser liegenden Bodenschichten ist, was z. B. nicht der Fall ist, 
wenn der Brunnen innerhalb der Stauhöhe des Flusses liegt. Man 
müsse den Geist der Aufgabe erfassen und nicht gleich bei einem 
Falle Widerspruch sehen, wenn es beim ersten oberflächlichen Anblick 
nicht genau so ist, wie im Musterfalle. Stets erneut hob er hervor, 
wie er das grösste Gewicht auf die Thatsachen des Grundwassers 



lege und zunächst nichts auf die Vorstellung, wie es bei seiner 
Wirkung des Näheren zugehe. 

Bei den unbefangen Denkenden schlugen die ßeobachtungea 
Pettenkofers schlieeslich Wurzel; sie sahen ein, dass die Verfolgung 
der GrundwasserbewBgung von hoher Bedeutung ist für die Aetiologie 
gewisser Epidemien, und man begann auch an anderen Orten mit 
den Messungen desselben. So hat die wissenschaftliche Deputation 
für das Medizinal wesen im Ministerium in Berlin auf den Antrag 
Virchows (1873) den Wunsch ausgesprochen, es möchten recht bald 
auch in Berlin vergleichende Beobachtungen über die Höhe des 
Grundwassers und über den Gang der Morbilität und Mortalität der 
Bevölkerung angestellt werden; es müsse durch diis grosse Projekt 
der Kanalisation der ganzen Stadt Berlin nicht nur eine Abfuhr des 
Haus- und Regenwassers, sondern zugleich auch eine llegulirung des 
Grundwassers angestrebt und erzielt werden, weil man schon längst 
zur Ansicht gelangt sei, dass nicht nur W^echselfieber, Typhus und 
Cholera, sondern auch Ruhr durch gewisse Grundwasserverhältnisse 
begünstiget werden. Die Messungen in Berlin ergaben das nämliche 
Resultat wie die in München; ebenso die Bestimmungen von Soyka 
in Frankfurt a. M. und Bremen und von Anderen in anderen Städten. 
Die dadurch erlangten Kenntnisse haben noch einen weiteren Werth, 
indem man aus dem Stande des Grundwassers zu erschliessen vermag, 
ob beim Herannahen der Cholera und bei Kinschleppung des Keims 
für einen Ort die Gefahr einer Epidemie besteht. Der einsichtige 
Chef des Medizinalwesens in England John Simon erklärte, dass kein 
Medizinalbeamter mehr auf der Höhe seiner wissenschaftlichen Pflichten 
stehen werde, ohne die Schichtungen des Bodens und die Grund- 
wasser Verhältnisse in seinem Distrikte aufs Genaueste zu ermitteln 
und zu verfolgen. 

Immer mehr wurden durch weitere Beobachtungen von Cholera- 
Epidemien von Pettenkofer und auch von Anderen Thatsachen dafür 
beigebracht, dass ein poröser, für Luft und Wasser durchgängiger, 
mit faulenden Stoffen verunreinigter Boden von einem gewissen 



88 

Feuchtigkeitsgehalte unumgänglich nöthig ist zum Entstehen und 
zur Ausbreitung einer Epidemie und zwar in Ländern, Ortschaften 
und Häusern. So war es bei der von Pettenkofer untersuchten eigen- 
thümlichen Epidemie des Jahres 1865 in Sachsen (in Altenburg und 
Werdau), die an einem schmalen und kurzen Streifen am Abhang 
des Erzgebirges verlief; ebenso in Lübeck (1868 Cordes), in Halle 
(1868 Delbrück), in Mannheim (Zeroni), in Thüringen (1867 Pfeiffer), 
in Königslutter (1867Griepenkerl), in Sachsen (Reinhard und Günther), 
in Hildesheim (Wilbrand), in Kiel (Jessen und Jürgensen), in Leipzig 
(Thomas). 

Von den Verschiedenheiten der Bodenbeschaffenheit rührt es also 
her, dass die Cholera trotz Einschleppung des Keims nicht an allen 
Orten und nicht zu allen Zeiten entsteht, d. h. das sich zeigt, was 
der Lokalist örtliche und zeitliche Disposition nennt. 

Die Nothwendigkeit einer örtlichen Bedingung oder Disposition, 
d. i. einer bestimmten Bodenbeschaffenheit zum Auftreten einer Cholera- 
epidemie wird, wie schon erwähnt, dadurch erwiesen, dass die Epi- 
demien trotz lebhaften Verkehrs auffallend örtlich begrenzt sind. 
Namentlich die Beobachtungen der Epidemien in Indien, denen Petten- 
kofer von Anfang an die grösste Bedeutung beimass, haben ihn in 
seiner Auffassung wesentlich bestärkt; durch die jungen Doktoren 
Douglas Cuningham und Thimoty Lewis, welche von ihrer Regierung 
nach Indien zum Studium der Cholera gesandt wurden und ihn in 
München besuchten, war er auf die werthvoUen Jahresberichte von 
James Cuningham und auf die Schriften des von Bryden geleiteten 
statistischen Bureaus von Indien aufmerksam gemacht worden. 
Darnach verläuft die Seuche in Indien wie bei uns, sie gedeiht in 
verschiedenen Gegenden äusserst ungleich ; sie entsteht nur in gewissen 
Bezirken, wo sie endemisch und verheerend ist, in anderen tritt sie 
trotz regsten Verkehrs niemals auf. Auch in Europa, wohin der Keim 
durch den Verkehr verschleppt wird, ist sie von gewissen örtlichen 
Bedingungen abhängig: in Preussen wurden während der Epidemien 
von 1848 bis 1859 in Posen 26 mal mehr Personen ergriffen als in 



Westphalen; Aehnliches war in Sacbseii und iu Bayern zu beobachten. 
Die Epidemien sind ferner, wie schon erwähnt, in höchst auffallender 
Weise nach FIusb- und Drainage-Gebieten begrenzt. In grossen Mooren 
z. B. denen südlich der Donau in Bayern werden die Dörfer nicht 
oder nur wenig heimgesucht. — Es finden sich die grössten Unter- 
schiede in der Zahl der Erkrankungen in benachbarten Ortschaften; 
in Mulden gelegene Orte werden häufiger und stärker ergriffen als 
die auf der Höhe Hegenden, wie schon aus den ersten Beobachtungen 
Pettenkofers hervorgieng; die nahe an einem Steilrand in einer Mulde 
befindlichen Orte sind schlimmer daran als die davon entfernteren; 
die Mulde an und für sich ist nicht das Schädliche, sondern die 
zumeist schlechte Entwässerung in ihr. Die sogenannte Grube in der 
Vorstadt Haidhausen in München war 1836 und 1854 einer der 
schlimmsten Choleraherde, sie blieb aber 1873/74 nahezu verschont, 
nachdem vorher die Versitz- und Schüttgruben entfernt und wasser- 
dichte Gruben sowie Drainagen und Kanäle nach der Isar eingerichtet 
worden waren. Auch nicht die hohe und tiefe Lage an und für sich 
bedingt die Unterschiede; höher gelegene Orte haben allerdings im 
Allgemeinen weniger zu leiden und wir sehen, dass die Krankheit 
gegen das Gebirge zu gewöhnlich weniger auftritt, so daas der eng- 
lische Statistiker Farr sogar eine Formel für die Cholerasterblichkeit 
von 1848/49 in London aufstellte, in welcher Weise die Krankheit 
mit der höheren Lage der Stadttheile sich ändert; aber die Formel 
stimmte für die späteren Epidemien Londons immer weniger. Denn 
nicht die Elevation eines Ortes über dem Meeres- oder Flussspiegel 
ist maassgebend, sondern die Aenderung der Bodenbeschaffenheit, der 
Regenmenge etc. etc. mit der Erhebung. In der Civilstadt Gibraltar 
waren wegen der ungesunden Bodenverhältniaae die höchst gelegenen 
Theile am heftigsten ergriflfen; umgekehrt lassen sich Beispiele bei- 
bringen für die Immunität in relativ tiefen Lagen wie das des tiefst 
gelegenen, schmutzigen und feuchten Manderaggio in Malta, der ganz 
frei von Cholera blieb. 

Man kann ferner beobachten, dass verschiedene Theile ein und 



90 

desselben Ortes bei ungleicher Bodenbeschaflfenheit eine ungleiche 
Empfänglichkeit darbieten. Gewisse Theile der Stadt Traunstein, 
welche auf Felsen erbaut sind, waren frei von Cholera; in Nürnberg 
beschränkte sich, wie schon angegeben, die Seuche auf die Lorenzer- 
Seite, während die davon nur durch die Pegnitz getrennte, auf Fels 
gegründete Sebalder-Seite nur wenig ergriffen war. Ein wichtiges 
Beispiel für den Einfluss des Bodens sind die merkwürdigen Erfah- 
rungen, welche von den Engländern bei der Belagerung von Seba- 
stopol gemacht worden sind; in gewissen tief gelegenen Baracken 
bekamen die Regimenter stets die Cholera, sie hörte aber auf, 
als die Baracken in höherer Lage auf anderem Erdreich auf- 
geschlagen wurden. 

Noch auffallender ist die lokale Verbreitung und Begrenzung 
der Krankheit sogar in einzelnen Theilen eines Gebäudes bei Haus- 
epidemien. Ein schlagendes Beispiel dafür ist die schon citirte, von 
Pettenkofer genau studirte Epidemie in der Gefangenanstalt Laufen ; 
diese in die Berichte der Cholera-Commission für das deutsche Reich 
aufgenommene grosse Arbeit (1873) ist ein unerreichtes Muster für 
Untersuchungen der Art; bei dem schrecklichen Ausbruche starben 
von 500 Gefangenen mehr als 80 und doch trat die Krankheit nicht 
gleichmässig in der Anstalt auf, sondern an der östlichen Seite viel 
heftiger als an der westlichen. Aehnliches berichtete Delbrück von 
der Irrenanstalt in Halle, woselbst trotz gleich leichter Einschleppung 
nur die Männerabtheilung befallen ward und die Weiber ab theilung 
frei blieb. Nach den Beobachtungen von Buxbaum war von den zwei 
Abtheilungen einer Kaserne in Freising die eine vom Typhus ver- 
schont, während die andere heftig ergriffen wurde ; bei einer folgen- 
den Epidemie trat umgekehrt die Krankheit in der ersteren auf und 
war die zweite frei. Man könnte daran denken, ob hier nicht die 
Abtritte die lokalen Infektionsherde bilden; aber man war nicht im 
Stande etwas der Art darzuthun z. B. Port in den sieben Münchener 
Kasernen. Es müssen auch in den Häusern bestimmte Stellen vor- 
handen sein, an denen der giftige Keim sich findet. 



91 



Ein Hauptbeweis für den EinSuss einer bestim raten Beschaffeti- 
heit dea Bodens und für die lokalietiBche Anschauung sind die 
choleraimtniinen Orte, in welchen trotz des lebhaftesten Verkehrs 
Cholera und Typhus nie epidemisch werden; diese Orte sind mit der 
contagionistischen Ansicht durchaus nicht in Einklang zu bringen. 
Mau kennt solche von der Cholera noch nicht oder nur wenig und 
selten heimgesuchte Orte seit dem Auftreten der Seuche in grosser 
Zahl; in Indien weiss man es z. B. von der Stadt Multan im Peud- 
schab und bei uns nennt man Stuttgart, Würzburg, Frankfurt a. M., 
Salzburg, Innsbruck, Freiberg in Sachsen, Theile von Nürnberg und 
Traunstein. Das auffallendste Beispiel ist aber Lyon, Diese volkreiche, 
zwischen den zwei grossen Infektionsherden Marseille und Paris 
gelegene Handelsstadt blieb fast bei allen Choleraepidemien ver- 
schont; dies war der Fall bei der ersten Epidemie der Jahre 1831 
bis 1836, auch bei der zweiten im Jahre 1849, wo in Paris und 
Marseille die Krankheit wüthete, das aufständische Lyon von cholera- 
inficirten Regimentern belagert, erobert und besetzt worden war, 
ebenso bei den Epidemien von 1865 bis 1866 und von 1834; nur 
im Jahre 1854 hatte Lyon nicht nur eingeschleppte oder sporadische 
Cholorafälle, sondern in drei Theilen der Stadt eine wirkliche massige 
Epidemie. Man hatte alle möglichen Hypothesen bereit, nm diese 
absonderliche Widerstandsfähigkeit Lyons zu erklären. Der Cholera- 
keim war sicherlich in Lyon ebenso vorhanden wie in Marseille und 
Paris, auch die Fähigkeit der Menschen zu erkranken, die indivi- 
duelle Disposition; das Trinkwasser ist daselbst nicht reiner wie in 
anderen Städten, der Boden nicht weniger beschmutzt, es besitzt 
ebenfalls Abtrittgrubeu und unterirdische, den flüssigen Inhalt auf- 
nehmende Kanäle; auch die Reinigung der Wäsche in Kähnen am 
Ufer der Rhone und Saone und das rasche Fortschwemmen des Keims 
kann nicht wohl, wie Robert Koch bei der zweiten Cholera-Conferenz 
in Berlin meinte, die Ursache sein so wenig wie die rasche Luft- 
bewegung zwischen den zwei grossen Strömen. Nur die Bodenver- 
hältnisse sind in einigen Stadttheilen der Art, dass die Unempfäng- 



92 

lichkeit für die Cholera davon abzuleiten ist, nicht so dass alle 
Häuser hoch oder auf compaktem Gestein oder auf Lehnischichten 
stehen, denn diese Momente fehlen für die tiefliegenden, im Inun- 
dationsgebiet auf Alluvium stehenden Theile von Lyon ; es sind viel- 
mehr die besonderen hydrologischen Zustände des Ortes. Der Stand 
des Grundwassers und der Feuchtigkeitsgrad des Bodens wird nämlich 
hier wesentlich von dem Stand der Rhone bestimmt und von letz- 
terem genährt, so dass der Boden für gewöhnlich nicht den für die 
Entwicklung des Cholerakeims nöthigen Grad der Trockenheit erhält. 
Nur im Jahre 1854 war der Wasserstand der Rhone abnorm niedrig 
sowie die Regenmenge gering, wesshalb der Boden den für die Cholera 
nöthigen Grad der Trockenheit erreichen konnte. Die Immunität für 
Cholera und Typhus lässt sich nur lokalistisch erklären; für wirklich 
ansteckende, ektogene Krankheiten wie Blattern oder Masern giebt 
es keine immunen Orte. Ebenso wie für Lyon suchte Pettenkofer 
die Immunität anderer Städte ebenfalls in besonderen Grund wasser- 
verhältnissen derselben, z. B. für Würzburg, während Virchow meinte, 
sie rühre davon her, dass in Folge der Trinkwasserleitung die Be- 
ziehungen zu dem durchseuchten Boden aufgehoben worden wären. — 
Beispiele für die Immunität auf einer Thonschicht liegender Orte 
sind die auf dem Lehmboden befindlichen Häuser der Vorstadt Haid- 
hausen, während die auf Kies gebauten heftig ergriffen waren ; ebenso 
war es in Berg am Laim und in Aubing; ähnliche Beobachtungen 
hat Günther in Sachsen gemacht. 

Von hohem Interesse ist noch das Verhalten der Schiffe gegen 
die Cholera, welches Pettenkofer eingehend verfolgte und als einen 
wesentlichen Beweis für seine lokalistische Anschauung und als 
Widerlegung der Lehre von der Ansteckung von Person zu Person 
betrachtete. Man hatte ihn gefragt, wo denn in den Schiffen, auf 
denen doch auch Choleraerkrankungen vorkommen, der Grund und 
Boden sei? Die Schiffe verhalten sich nach ihm wie immune Orte 
auf dem Lande, denen die Bedingung des Bodens fehlt, denn nie 
bricht auf Schiffen, welche Choleraorten fern bleiben, spontan die 



93 

Seuche aus und wenn Choleraerkrankungen auf Schiffen auftreten, 
sind sie von dem inficirten Lande geholt worden; auch verbreitet 
sich trotz der Einschleppung vom Lande die Krankheit auf den 
Schiffen für gewöhnlich nicht weiter auf Gesunde, sondern sie bleibt 
auf die auf dem Lande inficirten Personen beschränkt und sie er- 
lischt in 12 — 16 Tagen, sobald die Schiffe auf die hohe See gehen. 
Man kann gegen diese Grundthatsachen nicht blind bleiben, wenn 
man bedenkt, dass von den 400 Schiffen, welche im Jahre 1873 
mit über 152 000 Auswanderern von inficirten Häfen Europas nach 
New- York kamen, nur vier einzelne Cholerafälle an Bord hatten, da- 
runter zwei nur einen Fall, eines nur drei und eines vier Fälle. Das ge- 
schilderte Verhalten ist die Regel; nur in seltenen Fällen als Aus- 
nahme kömmt es vor, dass die Krankheit von den am Lande 
Inficirten sich auf Gesunde des Schiffes überträgt und eine Schiffs- 
epidemie entsteht. Diese Ausnahmen von der Regel haben nun die 
Contagionisten als Beweis der Ansteckungsfäkigkeit der Cholera vom 
Kranken auf Gesunde ausgegeben; Pettenkofer hat jedoch alle ge- 
nauer bekannt gewordenen Fälle der Art sorgfältig untersucht und 
anders gedeutet. Er erklärt sich dieselben so, dass hier der am 
Lande Inficirte so viel von dem unter dem Einflüsse des Bodens 
entstandenen giftigen Infektionsstoff mitbringt, dass es nicht nur zu 
seiner Krankmachung, sondern auch noch zu der einer kleinen An- 
zahl von Gesunden auf dem Schiffe hinreicht, oder auch so, dass auf 
dem schmutzigen Schiffe sich manchmal der fruchtbare Boden für 
die Vermehrung oder Virulenz des Keims findet und daraus dann 
eine Epidemie entsteht. — 

An den Orten mit örtlicher Disposition für die Cholera tritt 
die Krankheit nicht immer und nicht gleich heftig auf, sondern sie 
ist an gewisse Zeiten gebunden; es giebt auch eine zeitliche Dis- 
position, welche von dem wechselnden Stande des Grundwassers ab- 
hängig ist. 

Die wichtigsten Beweise für die zeitliche Disposition bot ihm 
das Studium der Cholera in Indien. Es zeigen sich daselbst ge- 



94 

waltige zeitliche Unterschiede in der Intensität der Krankheit, welche 
offenbar mit den nach der Jahreszeit verschiedenen Regenmengen 
und dem Feuchtigkeitsgrade des Bodens zusammenhängen. Die 
Regenmengen wirken an den einzelnen Orten ungleich je nach 
ihrer Intensität und der dadurch bedingten Befeuchtung des Bodens. 
Im endemischen Gebiete, wo die Cholera nie erlischt, in Calkutta 
und in Bombay, ist bei gleich bleibenden örtlichen Verhältnissen 
die Zahl der Choleratodesfalle in den trockenen Monaten drei Mal 
grösser als in den nassen Monaten; es findet sich darnach ein 
merkwürdiger Parallelismus zwischen der Regenmenge und der 
Cholerafrequenz, indem die höchste Regenmenge im August stets mit 
der geringsten Cholerafrequenz zusammenfällt und mit dem Auf- 
hören der Regen die Zahl der Erkrankungen zunimmt; die massen- 
haften Niederschläge machen den Boden zu feucht für die Entwick- 
lung der Cholera und erst bei allmählicher Austrocknung in der 
trockenen und heissen Jahreszeit wird er dazu geeignet. Ganz 
anders ist es im nicht endemischen Gebiet, wo die Krankheit nur 
zeitweise auftritt, in Labore im Pendschab; da bringt in der Regel 
der Regen die Cholera und sie verschwindet nach dem Aufhören 
der Regenzeit, so dass in den August zugleich das Regen- und das 
Choleramaximum fällt. Aber in Labore ist die Regenmenge über 
drei Mal geringer wie in Calkutta, so dass der Boden in der 
trockenen Jahreszeit für eine Epidemie zu trocken wird und der 
nöthige Feuchtigkeitsgrad vorübergehend erst während der Regen- 
zeit, in Calkutta umgekehrt erst nach derselben, erreicht wird. In 
Madras findet sich jährlich ein doppelter Rhythmus, eine Frühlings- 
und eine Sommercholera in Folge einer eigenthümlichen Vertheilung 
und Menge des Regens. 

Auch in Europa zeigt sich wie in Indien die Cholra von einem 
an gewisse Zeiten gebundenen Moment abhängig. In Preussen hat 
im Mittel von 12 Jahren (1848 — 1859) der April die wenigsten 
Todesfälle an Cholera, die Zahl derselben steigt um das 620 fache 
bis zur ersten Hälfte des September und nimmt von da an wieder 



95 



allmählich ab bis zur zweiten Hälfte des März. Daa Gleiche wie 
in ganz Preussen findet sich im Regierungsbezirk Oppeln sowie in 
Sachsen und in Bayern. 

Nicht nur in ganzen Ländern tritt eine solche zeitliche Be- 
grenzung hervor, sondern auch in einzelnen Städten. In Genua zum 
Beispiel beschränken sich alle Epidemien auf fünf Monate (Juli bis 
September) trotz fortwährender Einschleppung des Keims, ebenfalls 
veranlasst durch die besonderen Regenverhältnisse. In München 
fÄUt in den September, wo der Boden am trockensten ist, das 
Choleramaximum; die Cholerajahre 1836, 1854 und 1873 waren 
besonders trockene Jahre mit geringen Regenmengen. Ganz merk- 
würdig und lehrreich verhielt sich die Epidemie von 1878 — 1874, 
da sie in zwei zeitlich getrennte Epidemien zerföllt; die Sommer- 
epidemie von 1873 nahm in der Mitte August schon ab, ward im 
September klein und im Oktober und Anfang November ereigneten 
sich nur mehr vereinzelte Fälle, so dasa die Seuche offiziell für 
erloschen erklärt wurde; aber in der Mitte November begann sie 
von Neuem und die Winterepidemie von 1874 wurde grösser 
als die vorausgehende Sommerepidemie. Hier tbat Pettenkofer in 
überraschender Weise dar, dass das zeitliche Moment dafür, wie in 
Indien und anderweit, die Regenmenge in ihrer Wirkung auf die 
Durchfeuchtung des Bodeus ist; im Jahre 1873 zeigte nämlich das 
Grundwasser einen ganz abnormen Gang; während für gewöhnlich 
dsis Grundwasser in München den höchsten Stand im Juni erreicht, 
von wo an es bis zum Januar oder Februar auf seinen tiefsten 
Punkt herabsinkt, trat 1873, nachdem es wie gewöhnlich bis Ende 
Juni gestiegen und bis Ende Juli abgesunken war, in Folge von 
abnorm grossen Niederschlägen bis Mitte August ein ganz unge- 
wöhnliches Ansteigen ein, wodurch die Cholera fast ganz ausgelöscht 
wurde, um dann durch die nachfolgende andauernde Trockenheit 
zum zweiten Male erweckt zu werden. Es sind dies ganz ähnliche 
"Wirkungen, wie man sie bei der Entwicklung der Pilze im Walde 
beobachtet, die auch nur bei einem ganz bestimmten Feuchtigkeits- 



96 

grad des Bodens hervorspriessen ; oder wie das Faulen von Holz- 
pfählen zunächst nur an der Grenze der Luft und des Wassers 
stattfindet. 

Aus den Thatsachen der örtlichen und zeitlichen Disposition 
gieng für Pettenkofer hervor, dass nicht der Kranke uns die Krank- 
heit bringt, sondern die Choleralokalität unter bestimmten zeitlichen 
Bedingungen ; die Contagionisten haben umsonst versucht, die örtliche 
und zeitliche Disposition zu erklären. — 

Nach allen diesen Erfahrungen, die er in einem aus Abhand- 
lungen des Archivs für Hygiene aus den Jahren 1885 — 1887 
zusammengestellten Buche „zum gegenwärtigen Stande der Cholera- 
frage" zusammenfasste, konnte sich Pettenkofer bestimmtere Vor- 
stellungen darüber machen, wie denn die Cholera entsteht, d. h. sich 
eine Choleratheorie bilden. 

Wie die Contagionisten nimmt er von Anfang an einen Mikro- 
organismus, einen specifischen Keim an, der unter den besonderen 
Verhältnissen in dem endemischen Gebiete Indiens, der Heimath 
der asiatischen Cholera, beständig entsteht und von diesen Orten 
durch den Verkehr über die ganze Erde weiter verbreitet wird. 
Schon in dem Jahre 1869 hat er in seiner Arbeit „über Boden 
und Grundwasser" sich dahin geäussert, dass die Erreger für Cholera 
und Typhus specifische Organismen sein müssen, zu einer Zeit wo die 
Arbeiten von Pasteur, Nägeli und Koch über pathogene Spaltpilze 
noch nicht erschienen waren und die meisten Aerzte anderer Ansicht 
waren, so dass er sogar desshalb von mancher Seite verspottet 
wurde. Allerdings giebt es eine Theorie, nach welcher die Cholera 
nicht nur in dem endemischen Gebiet in Indien entstehen soll, 
sondern zeitweise überall, wo sie vorkommt, also auch bei uns, und 
zwar durch imbekannte atmosphärische Ursachen; es ist dies die 
autochtonistische Theorie, welche namentlich von dem erfahrenen 
James Cuningham in Calkutta ausgedacht worden ist und viel Be- 
achtung gefunden hat, aber seit dem Nachweis von dem Einfluss 
des Verkehrs und der Entdeckung der Mikroorganismen als Träger 



und Erreger der Infektion nicht mehr haltbar ist. Der über die 
Länder ausgesäete Keim stirbt nach einiger Zeit ab und wird dann 
von Neuem wieder aus Indien eingeschleppt. Die ContagioniBten 
lassen diesen Keim ausschliesslich im Darmkanal des Cholerakranken 
erzeugt werden und glauben, wie gesagt, der kranke Mensch über- 
nehme ausserhalb des endemischen Gebietes von Niederbengalen 
die Verbreitung, er stecke den Gesunden an, indem der vorzüg- 
lich durch das Trinkwasser in ihn gelangte Keim sich im Darm- 
kanal ins Ungemesaene vermehrt und in den Diarrhöen wieder aus- 
geachieden wird. In solcher Weise wäre der ganze Vorgang ja 
ausserordentlich einfach, aber ea stehen dieser contagionistischen 
Auffassung alle die achon früher iiufgeführten Thatsachen entgegen. 
Der Keim, welchen Pettenkofer das damals noch unbekannte x 
nennt, ist nach ihm als solcher gar nicht ansteckend, wesshalb für 
gewöhnlich der Kranke oder seine Entleerungen und was von ihm 
kommt, die Gesunden nicht krank zu machen vermögen. Dieser 
Keim wird zwar durch den Verkehr verbreitet, aber nicht nur durch 
den Kranken, sondern auch durch von Choleraorten kommende 
Gesunde und andere Gegenstände, an denen er haftet. Pettenkofer 
giebt nach seinen Erfahrungen in keinem Falle, wie schon erwähnt, 
die direkte entogene üebertragung dieses Keims vom Kranken auf 
Gesunde zu. Der specifische Keim x ist der jetzt durch Robert 
Kochs glänzende Entdeckung bekannte Kommabazillus, der also nach 
Pettenkofora Vorstellung als solcher nicht der wirkliche Erreger 
der Cholera ist, weil er noch nicht infektionstüchtig oder virulent 
ist und es erst durch gewisse weitere Einwirkungen wird. Der un- 
schuldige Keim x kann in einem unreifen, nicht giftigen Zustand 
längere Zeit vorher z, B. von Gesunden an einem Orte eingeschleppt 
sein, ohne dass er eine schädliche Wirkung entfaltet, denn die Zeit 
des Ausbruchs einer Epidemie ist nicht die Zeit der Einschleppung 
des Keims; deashalb ist es so fehlerhaft und giebt ea zu so grossen 
irrthümem Veranlassung, den ersten vor Ausbruch einer Epidemie 
in einen Ort gekommenen Cholerakranketi als den Giftbringer an- 



98 

zusehen. Man ist dadurch zu der irrigen Vorstellung verleitet 
worden, dass ein von einem Kranken mitgebrachter Keim sich in 
wenigen Tagen an einem Orte gewaltig vermehren und eine Epi- 
demie hervorbringen könne. Es wird sich wohl kaum je feststellen 
lassen, wann und wodurch die erste Einschleppung des Keims statt- 
gefunden hat. 

Ausser dem Keim x gehört aber nach der lokalistischen An- 
schauung zum Entstehen einer Choleraepidemie noch etwas Weiteres, 
ein y, was nach den von Pettenkofer beigebrachten Thatsachen vom 
Boden abstammt, mit dem der Keim x in Beziehung gelangen muss; 
es sind dies die schon betrachteten örtlichen und zeitlichen Hilfs- 
ursachen, welche gleich wesentlich wie der Keim x sind und durch 
einen bestimmten Grad der Durchfeuchtung eines porösen, mit 
faulenden Stoffen durchsetzten Bodens gegeben ist; das y ist also 
nicht überall und nicht immer zugegen. Wie will man sich nun 
die Wirkung eines solchen Bodens, des y, denken? Pettenkofer 
stellte sich zuletzt vor, dass durch die genannten Bodenverhältnisse 
stellen- und zeitenweise ein chemisch und physikalisch geeigneter 
Nährboden für den durch den Verkehr verbreiteten unschädlichen 
Keim x geschaffen wird oder vielleicht ein organisirter Wirth ent- 
steht, auf oder in welchem sich die inficirende Form des Keims 
entwickelt, welche dann erst den Menschen krank macht, y hat 
demnach Pettenkofer die Summe örtlicher und zeitlicher theils be- 
kannter theils unbekannter Bedingungen im Boden genannt, welche 
dazu noth wendig sind, den durch den Verkehr verbreiteten Keim x 
ausserhalb des Organismus im Boden so zu vermehren oder ihm 
auch die Giftigkeit zu ertheilen, um infectionsfähig zu werden; es 
wäre also eine Art Reifungsvorgang im Boden oder wie man jetzt 
sagen würde, eine Erzeugung von Dauerformen des Keims oder die 
Erweckung und Steigerung von toxischen Eigenschaften. Durch 
diese Einwirkung von y auf x ents^teht nach der monoblastischen 
Theorie Pettenkofers erst der giftige Keim z. Man könnte sich die 
Sache allerdings noch anders vorstellen; das verstorbene Mitglied 



99 



unserer Akademie, der geistreiche Botaniker Nägeli, denkt sich 
nämlich, daas zur Erzeugung des giftigen Infektionsstoffes zwei 
organisirte Keime oder Pilze nöthig sind: der eine transportable 
kommt vom Kranken auf den Gesunden (Contagium); er wirkt aber 
eret, wenn der Mensch durch einen andern nicht transportabeln 
Pilz, der aus einem siechbaren Boden herrührt, individuell disponirt 
worden ist (Miasma); diese diblastische Theorie Nägelis ist Petten- 
kofer ganz sympathisch, weil auch bei ihr, wie bei seiner mono- 
blastischen, etwas von der Lokalität Ausgehendes als nothwendig 
angenommen wird; aber es ist ihm seine Theorie für gewisse Fälle 
wahrscheinlicher z. B. für die Cholera auf Schiffen. 

Diese Wirkung des y des Bodens auf das x ist zum Zustande- 
kommen einer Epidemie unerlässlicb. Es kommen zwar seltene Fälle 
vor, wo ohne vorherige Einwirkung des Bodens direkte Ansteckungen 
von einem Cholerakranken oder von seinen Entleerungen oder seiner 
verunreinigten Wäsche durch den Keim j; stattzufinden scheinen. 
Diese seltenen Fälle, für welche Pettenkofer selbst Beispiele bei- 
gebracht hat und bei denen es zumeist bei einzelnen Erkrankungen 
bleibt und bei Fehlen der lokalen Disposition keine Epidemien sich 
entwickeln, hält er für nicht gehörig analysirt und ebenfalls für 
ektogen entstanden. Nach seiner Meinung steckt auch hier nicht der 
Keim x an, sondern das giftige im Boden entstandene z, welches für 
gewöhnlich in so geringer Menge aufgenommen wird, dass ea eben 
zur Ansteckung einer einzigen Person zureicht, jedoch in gewissen 
Fällen in grösserer Quantität in irgend einer Verpackung verschleppt 
wird, so dass mehrere Personen davon erkranken können; oder es 
hat das X etwas gefunden, was ausnahmsweise die Rolle des Bodens 
übernimmt, in was es sich zu einer für einige Infektionen genügen- 
den Menge von giftigem 3 entwickelt z. B. in unreiner Wäsche oder 
Lumpen, Papier und Packeten oder weiteren dazu geeigneten Orten 
auf Schiöen, Zwischendecken sowie anderen Stellen der Wohnungen. 
Alle diese Raritäten hat Pettenkofer verfolgt und soweit es möglich 
war, in seinem Sinne zu erklären gesucht. Es ist ja richtig, die 



100 

lokalistische Theorie ist nicht so einfach wie die contagionistische und 
muss mit mehreren theilweise noch unbekannten Grössen rechnen, 
wesshalb für den nicht tiefer in die Sache Eindringenden die letztere 
Lehre st^ts plausibler erscheinen wird. — 

Endlich bedarf es noch einer Disposition der Individuen zu 
erkranken, einer Bedingung, deren Ursachen noch recht dunkel sind. 
Man kann nur sagen, dass die verschiedenen Personen der krank 
machenden Ursache einen grösseren oder geringeren Widerstand ent- 
gegensetzen, und Alles was die normalen physiologischen Zustände 
stört oder die Gesundheit schwächt, zur Cholera disponirt Petten- 
kofer hat sich bemuht, auch hierüber Klarheit zu bringen, aber es 
nicht viel weiter gebracht als zur Aufzählung einiger möglichen Ein- 
flüsse: höheres Lebensalter, Armuth, Schwächlichkeit, abnormer Wasser- 
gehalt des Körpers, dann schlechte Luft, unreines Wasser, mangel- 
hafte Ernährung, Diätfehler, schlechte Nahrung, unzweckmässige 
Bekleidung, Unreinlichkeit, körperliche und geistige Ueberanstrengung, 
Ausschweifungen und Exzesse jeder Art, psychische Affekte, depri- 
mirende Gemüthsstimmung, Furcht, alles was Diarrhöen hervorruft 
etc. etc. Es wird noch recht vieler Arbeit bedürfen, um dieses Gebiet 
aufzuhellen. Nach Hueppe und Flügge soll die Krankheitsanlage, die 
Disposition, durch die örtlichen Verhältnisse so beeinflusst werden, 
dass der Krankheitserreger wirksam werden kann; sie nehmen also 
nicht einen Reifungsvorgang des letzteren an, aber ebenfalls einen 
Einfluss der Oertlichkeit. — 

Bei der Untersuchung der Verbreitungsart der Cholera und des 
Typhus tritt noch die wichtige, viel besprochene Frage auf, wie der 
giftige Infektionsstoff, der Bazillus der Contagionisten oder das z der 
Lokalisten in den Körper des Menschen gelangt; es könnte dies 
durch die Nahrung geschehen oder durch das Trinkwasser oder 
durch die Luft. Durch die Nahrung wird die Aufnahme in der Regel 
nicht stattfinden, die gewöhnlichen Erfahrungen lassen sich damit 
nicht in Einklang bringen. Aber der Weg durch das Trinkwasser, 
welches Alle geniessen, schien das plötzliche Aufflammen und die 



102 

sehr heftig. Als aber die Lambeth-Gesellschaft im Jahre 1853 — 1854 
weiter aufwärts der Themse, wo noch keine Siele einmündeten, ihr 
Wasser entnahm, trat in ihrem Bezirke die Cholera in viel geringerem 
Grade auf, so dass in ihm über dreimal weniger Todes&Ue vorkamen 
als im Yauxhall-Bezirk. Die Thatsache ist ja gewiss vollkommen 
richtig, aber Pettenkofer machte später gegen die Erklärung, nach 
der das getrunkene Wasser der Uebelthäter sein soll, geltend, dass 
das unreine Yauxhall -Wasser ja auch als Nutzwasser den Untergrund 
der Häuser verunreinigt haben könne, woraus sich dann das ört- 
liche Moment entwickelte, während der Boden des Lambeth-Bezirkes 
sich reinigte. 

Pettenkofer wurde durch den Verlauf der Cholera in München 
im Jahre 1854, wo, wie schon angegeben, die Verhältnisse zur Ent- 
scheidung der Frage besonders günstig lagen, dazu geführt, bestimmtest 
auszusprechen, dass dabei das Trinkwasser auch nicht einmal eine 
untergeordnete Rolle gespielt haben könne und in ihm kein ursäch- 
liches Moment für die epidemische Cholera zu suchen sei; auch später 
gelang es ihm nicht trotz eifrigen und vorurtheilsfreien Suchens für 
München und andere Orte einen Einfluss des Trinkwassers auf die 
Cholera oder den Typhus zu entdecken, obwohl gerade in München 
für den Typhus Alles eine solche Wirkung annahm und namentlich 
die Fremden vor dem Genuss des Wassers gewarnt wurden. 

Es erhob sich darüber ein langwieriger, hartnäckig geführter 
Streit, bei dem Pettenkofer wohl die meisten Gegner gefunden hat. 
Aber er vertheidigte seine Ansichten bis zuletzt, indem er immer 
wieder treffende Thatsachen dafür beizubringen und die Gegenreden 
zu widerlegen suchte, gewiss nicht aus Rechthaberei, sondern aus 
innerster Ueberzeugung und in dem Drang die Wahrheit heraus- 
zubringen. 

Solche Fälle, wo trotz heftiger Choleraausbrüche das Trinkwasser 
nicht betheiliget sein konnte, mehrten sich, und viele Fälle, welche 
einen solchen Einfluss beweisen sollten, wurden von ihm als falsche 
Beobachtungen und Behauptungen oder als unrichtige Deutungen 



103 



erkannt. So oft er ein angebliches Beweisstück näher untersuchte, 
zerfiel es für ihn in unbrauchbare Stücke. 

In dem vorher angegebenen von Buxbaum beschriebenen Falle 
in der Kaserne zu Freising tranken die Soldaten der beiden Abthei- 
lungen das nämliche Wasser und doch wurde bei zwei Epidemien 
nur die eine Abtheilung vom Typhus ergriffen. Der fürchterliche 
Cboleraausbruch in der Gefangenanstalt zu Laufen hat nicht« mit 
dem Essen oder dem Trinkwasser zu thun, denn bei dem gleichen 
Essen und Trinkwasser vertheilte sich die Krankheit unter den Ge- 
fangenen äusserst ungleich und die Wachmannschaft blieb ganz frei. 
Ebenso wurde in dem Strafarbeitshaus zu Rebdorf sowie in den 
Kasernen zu München die Annahme einer ßetlieiligung des Trink- 
wassers durch die sorgfältigsten Erhebungen als unmöglich erwiesen. 
Auch aus anderen Orten kamen die gleichen Meldungen: nach den 
Berichten des Ingenieurs Settimio Monti kann man Genua, das nach 
dem Verlauf der Cholera vom Jahr 1884 als ein Bollwerk für die 
Trink Wasser theo rie galt, nicht mehr als Beweis dafür angeben, ebenso 
nicht Neapel nach Spatuzzis Beobachtungen; auch auf Malta ist die 
Trink Wasserhypothese keiner Anwendung fähig. Und von Indien sagt 
James Cuniaghani in seinem Berichte von 1Ö72, dass von da kein 
Fall je beigebracht worden sei, in welchem guter Grund liegt zu 
glauben, dass mit Choleraausleerungen verunreinigtes Wasser wirklich 
Cholera hervorgerufen habe; die Trinkwassertheorie werde durch die 
ganze Geschichte der Cholera in Indien verneint. 

Es ist von grossem Interesse für die zukünftige Forschung einige 
Beispiele kennen zu lernen, welche die Gegner als Beweise für ihre 
Annahme vom Einfluss des Trinkwassers vorgebracht haben. 

In der Stadt Roveredo sollte nach Einführung einer neuen Trink- 
wasserleitung (1845) aus der Spino-Quelle der Typhus verschwunden 
sein; aber Dr. Ruggero Cobelli, an welchen Pettenkofer sich wendete, 
schrieb, dass nach der Einführung noch der Typhus epidemisch vorkam 
und überhaupt durch das neue Trinkwasser keine wahrnehmbare 
Aenderung in der Sterblichkeit an Typhus eingetreten sei. 



104 

In der sächsischen Stadt Elsterberg wurden Cholera- und Typhus- 
erkrankungen nur an einem kleinen Theile, an einer bestimmten Ecke 
beobachtet, wo ein gegrabener Brunnen mit unreinem Wasser sich 
befand, während die übrige Stadt mit zugeleitetem gutem Wasser 
versorgt wurde. Da musste nun das Wasser dieses Brunnens den Schaden 
angerichtet haben, obwohl, wie Günther darthat. Niemand Wasser aus 
demselben trank, weil es ungeniessbar war. 

Als in München (1865) der Typhus abnahm, da hiess es alsbald, 
dies günstige Resultat käme von der Einführung der neuen Petten- 
kofer- Wasserleitung aus Thalkirchen her, und doch versorgte die- 
selbe nur einen kleinen Theil der Stadt und bestanden die übrigen 
Leitungen noch fort, ja es fiel unmittelbar nach Einführung der 
neuen Leitung die grösste Typhus -Epidemie im Zeitraum von 
30 Jahren. 

Das Fort William bei Calkutta war sehr ungesund und erlebte 
heftige Gholeraepidemien ; da entschloss man sich (1885) zu den in 
England gebräuchlichen sanitären Maassregeln: es wurde die Drainage 
der Festung eingeführt, die Abtritteinrichtungen verbessert, reines 
Trinkwasser zugeleitet etc. etc., und siehe da, die Cholera trat nicht 
mehr auf. Die Anhänger der Trinkwassertheorie versäumten nicht, 
den Erfolg einseitig vom Trinkwasser abzuleiten, ohne zu bedenken, 
dass ja noch andere Verbesserungen getroffen wurden und die Cholera 
schon abzunehmen begann vor der Aenderung des etwas später ein- 
geführten Trinkwassers. 

Der berühmteste Fall ist wohl der in Golden-Square, einem 
Stadttheil in London, mit dem Brunnen in Broad-Street, der die Wiege 
der bekannten Trinkwasserhypothese von Snow ward. Während der 
heftigen Choleraepidemie in Golden-Square (1854) starben zu Hamp- 
stead im Westende von London zwei Damen, welche von der Broad- 
Street-Purape getrunken hatten, deren beliebtes Wasser der Sohn der 
einen Dame gebracht hatte, an der Cholera; also musste das Wasser 
den Tod herbeigeführt haben. Man erfuhr jedoch, dass der bei seiner 
Mutter wohnende Sohn den Tag über in seiner Fabrik zubrachte. 



105 

die heftig von der Cholera heimgesucht war, und daher doch viel 
leichter von daher die Krankheit verschleppt haben konnte. 

Endlich wäre noch die von Netten Radcliff beschriebene Cholera- 
epidemie vom Jahre 1866 in Ostlondon zu erwähnen, wo man eben- 
falls das Trinkwasser beschuldigte. Pettenkofer hat in einer Kritik 
dargelegt, dass diese Annahme nicht gerechtfertiget ist und der Fall 
ebenfalls aus örtlichen Ursachen erklärt werden müsse; namentlich 
that dann der Medical Officer der City Dr. Letheby (1868) auf das 
Klarste dar, dass die Angaben von Radcliff vollständig unbe- 
rechtigt waren. 

Es ist richtig, dass in England in den letzten Jahrzehnten der 
Typhus ganz erheblich abgenommen hat; aber dies braucht nicht 
ausschliesslich durch die Einführung eines reinen Trinkwassers erfolgt 
zu sein, wie man in England ohne Weiteres annimmt, denn neben 
der reichlichen Versorgung mit reinem Wasser wurden, wie im Fort 
William, noch andere grossartige Sanitätswerke durchgeführt, wodurch 
nicht nur das Wasser, sondern auch der Boden und die Luft rein 
gemacht wurden. Niemand vermag anzugeben, wieviel von dem Erfolg 
auf die grössere Reinheit des Trinkwassers zu setzen ist. 

Alle seine Beobachtungen führten Pettenkofer dazu, sich an 
andere Abkömmlinge des Bodens zu wenden als an das Trinkwasser. 
Er sagte sich: ist in einem einzigen Falle das Trinkwasser ohne Ein- 
fluss, dann wird sein Einfluss auch in den übrigen Fällen zweifelhaft; 
er hielt daher die vereinzelten Epidemien, welche auf den ersten 
Blick für die Trinkwassertheorie sprechen, für zufällige Coinci- 
denzen, bei denen man bei sorgfältigerer Prüfung einen anderen 
Grund gefunden hätte. 

Wenn sich für gewöhnlich bei genauer Beobachtung kein Ein- 
fluss des Trinkwassers nachweisen lässt und es Fälle giebt, wo trotz 
des besten Trinkwassers die heftigsten Cholera- und Typhus-Aus- 
brüche stattgefunden haben wie z. B. in Basel, so erkennen die Gegner 
nach Pettenkofer die Regel nicht, sie bringen die seltenen schein- 
baren Ausnahmen als positive Fälle, welche allein beweisen sollen, 

14 



106 

und nennen negativ die gewöhnlichen Fälle, wo man keinen Einfluss 
wahrnimmt, welche aber nichts beweisen sollen. 

Pettenkofer hält schlechtes Trinkwasser auch für schädlich und 
er nennt sich sogar einen Trinkwasserfanatiker, der die Versorgung 
mit reinem Wasser noch in viel höherem Grade verlangt als die 
Trinkwassertheoretiker; nur konnte er sich nicht entschliessen zuzu- 
geben, dass nach Einführung reinsten Trinkwassers die Cholera und 
der Typhus aufhören werden, da er fürchtete alsbald durch die That- 
sachen widerlegt zu werden. Er erklärte sich die Wirkung unreinen 
Wassers in anderer Weise; das unreine Wasser wird ja nicht blos 
getrunken, sondern es dient auch zu vielen Verrichtungen im Hause, 
zum Kochen, zum Waschen, zum Reinigen der Fussböden etc. etc.; 
das Trinken unreinen Wassers ist nicht nachweislich schädlich, wie 
das Trinken des Cysternenwassers, des Schwarzwassers in der Umgegend 
von Eichstätt, beweist. Das unreine Wasser kann gesundheitsschäd- 
liche Wirkungen haben dadurch, dass es als Nutzwasser Nährstoffe 
für pathogene Mikroorganismen führt, welche Nährstoffe sich durch 
Verdunsten des Wassers im Haus und auf dem Erdboden allmählich 
concentriren und so Brutstätten für die schon im Boden vorhandenen 
pathogenen Keime bilden, oder auch dadurch, dass das Wasser die 
Rolle des menschlichen Verkehrs übernimmt und pathogene Keime 
mit sich führt, die sich auf einem günstigen Nährboden in oder am 
Hause vermehren und dann aus dem Boden auf den Menschen über- 
gehen und ihn inficiren. 

Die reichliche Versorgung der Strassen sowie die Häuser in allen 
Stockwerken mit reinem Wasser besorgt die Fortschaffung alles 
schwemmbaren Unrathes und stört die Fäulnissprozesse. Die Trink- 
wassertheorie ist grösseren Sanitätswerken wenig günstig, man braucht 
für nichts weiter zu sorgen als für dieses unfehlbare Universalmittel, 
während die lokalistische Theorie die Versorgung mit grossen Mengen 
reinsten Wassers zur allgemeinen Reinlichkeit verlangt. 

Pettenkofer betrachtete die Trinkwasserfrage, namentlich für 
den Typhus, durchaus nicht für erlediget, nur befürchtete er, dass. 



107 

wenn man sie schon für abgemacht hält, wie es vielfach geschieht, 
jede weitere Forschung aufhört; er wünschte, dass bei der Beweis- 
führung mehr Strenge und Genauigkeit angewendet werde, und er 
wollte durch seine Darlegungen eine Anleitung geben, wie man da- 
bei verfahren müsse, sowie auf die Fehler aufmerksam machen, die 
begangen worden sind. 

Bricht irgendwo eine Epidemie aus, so ist häufig gleich, ohne 
eine genauere Prüfung und epidemiologische Kritik nach dem Vor- 
bilde Pettenkofers und ohne den Zusammenhang mit anderen 
gleichwerthigen lokalen Einflüssen zu beachten, das unreine Trink- 
wasser die Ursache. Der Trinkwasserglauben ist so bequem und 
man hat nicht nöthig, umständliche Untersuchungen zu machen, da 
man Unreinlichkeit überall finden wird. Man braucht nur anzu- 
nehmen, dass etwas von einer Choleradiarrhöe in einem Fluss und 
von da in die Wasserleitung gelangt ist, von der aus durch den 
Genuss des Wassers Tausende von Menschen inficirt worden sind; 
aber man bedenkt gewöhnlich nicht, um welch' geringe Spuren von 
Substanz es sich bei der enormen Verdünnung handelt, sowie dass 
es noch nicht mit Sicherheit gelungen ist, in solchen Trinkwassern 
den schädlichen Bazillus nachzuweisen, ja dass in demselben die 
pathogenen Mikroorganismen in kurzer Zeit zu Grunde gehen. Mir 
will scheinen, als ob man z. B. bei der Choleraepidemie in Hamburg 
1892, die man als sicheren Beweis für die Trinkwassertheorie an- 
gesehen hat, doch nicht genügend die durch den für Fäulnissprozesse 
günstigen Stand des Grundwassers gesetzten Bodenverhältnisse be- 
achtet habe. 

Es handelt sich hier um äusserst verwickelte Vorgänge, deren 
Aufhellung schwierig ist und eine besondere Beobachtungsgabe und 
Uebung voraussetzt, um das Wesentliche von dem Unwesentlichen 
zu trennen oder aus dem Zufälligen das Gesetzmässige auszulesen. 
Nicht Jeder ist von vorn herein dafür befähiget, Pettenkofer war 
es in seltenem Maasse; es ist nur zu befürchten, dass in Zukunft 
sein Scharfblick vielfach fehlen wird und ungenügende Beobachtungen 

14* 



108 

als die Wahrheit ausgegeben werden. Sehr beherzigenswerthe Worte 
spricht James Cuningham aus, wenn er sagt : „ es ist fast unglaublich, 
dass in einer wissenschaftlichen Frage von so grosser Bedeutung 
blosse Behauptungen ohne alle thatsächliche Unterlage, blosse Be- 
hauptungen — so wie sie von keinem Gerichtshofe, selbst in der 
unbedeutendsten Sache, die vor ihn käme, hingenommen würden — 
nicht allein vorgebracht, sondern als entscheidend angesehen worden 
sind". Trotz alledem ist Pettenkofer mit seiner Auffassung über 
das Trinkwasser nicht durchgedrungen und er hatte hierin zuletzt 
nur mehr wenige Anhänger; er wäre jedoch, dies weiss ich gewiss, 
der Erste gewesen, einen Einfluss der Art zuzugeben, wenn be- 
stimmte Fälle, in seiner Weise untersucht, sicher gegen ihn ent- 
schieden hätten: so blieb er dabei, man könnte die Thatsachen der 
örtlichen und zeitlichen Disposition nicht mit dem Trinkwasser ver- 
binden. Darum nahm er an, dass der pathogene Keim z sich vom 
Boden aus im Wesentlichen durch die Luft verbreitet; auch diese 
üebertragung wird jetzt von Vielen für unmöglich gehalten. — 

Schliesslich ist noch der von Pettenkofer empfohlenen Maass- 
regeln zur Verhütung und Bekämpfung der Epidemien zu gedenken. 
Dieselben entwickelten sich folgerichtig aus seinen jeweiligen An- 
schauungen über die Ursachen und die Verbreitung der Seuchen 
und änderten sich demgemäss. 

Gewöhnlich meint man, das Handeln in der praktischen Medizin 
wäre der Erfahrung entsprungen; dieses Thun gründet sich jedoch 
zu einem grossen Theil auf theoretische Anschauungen, die sich im 
Laufe der Zeit als unrichtig erweisen können, womit dann auch 
die darauf aufgebaute Praxis fallen muss; wie oft hat die Medizin 
solche Wandlungen erlebt und das vorher als das Beste gepriesene 
verdammt. So ruht auch die Praxis zur Verhütung der Epidemien 
auf den herrschenden Theorien. Noch zuletzt vermochte Pettenkofer 
nichts Besseres hierüber zu sagen, als das, was er schon im Jahre 
1873 in seiner ausgezeichneten Schrift: „was man gegen die 
Cholera thun kann" zusammengefasst hat; dieselbe war im Auftrage 



109 

und Einverständniss des Gesundheitsrathes der Stadt München als 
populäre Ansprache zur Belehrung und Beruhigung des Publikums 
verfasst worden. 

Die ersten Maassnahmen gegen die Seuchen waren unter dem 
Eindrucke der contagionistischen Theorie getroffen worden; was 
hätte man da Besseres thun können, als die von Osten her kommende 
Krankheit abzusperren und in ihrem Vordringen aufzuhalten durch 
Cordone und Quarantänen? Schon im Jahre 1854 hielt jedoch 
Pettenkofer die Cordone und Quarantänen, die 40 Tage der Con- 
tumaz in Hafenplätzen, für nutzlos, obwohl die Krankheit durch den 
menschlichen Verkehr verbreitet wird, entsprechend seiner An- 
sicht, dass der Kranke nicht direkt ansteckt. Die Maassregeln zur 
Verhinderung der Einschleppung in Länder und Orte können keinen 
Erfolg haben, denn sie kommen gewöhnlich zu spät, weil der Keim 
nicht nur von Kranken, sondern auch von Gesunden aus der Lo- 
kalität verschleppt wird und Monate und Jahre latent bleiben kann. 
Auch durch die penibelste Absperrung ist man nicht im Stande, 
das Eindringen der Keime zu verhindern oder eine Sperre pilzdicht 
zu machen, die Absperrenden können die Uebertragung ja ebenso 
gut bewirken. Ohne jede Isolirung und bei völlig ungehindertem 
Verkehr ist die Cholera an gewissen Orten nie aufgetreten; der 
persische Meerbusen z. B. erwies sich ohne Quarantäne stets immun 
trotz des unaufhörlichen Seeverkehrs mit grossen Choleraherden. 
Andererseits war die so leicht zu überwachende Insel Malta auch 
durch die sorgfältigste Quarantäne nicht zu schützen. Die Quaran- 
tänen haben niemals die Cholera in ihrem Vordringen aufgehalten 
oder beschränkt; wo man genauer prüfte, hat sich die gleiche Nutz- 
losigkeit derselben herausgestellt; sie schützen nur scheinbar da, wo 
keine örtliche und zeitliche Disposition besteht. Pettenkofer hat 
sich nicht leichtsinnig zu seiner Verdammung der Quarantänen ent- 
schlossen, nicht nur wegen ihrer Erfolglosigkeit, sondern auch weil 
sie den Verkehr und Handel nutzlos schädigen und enorme Summen 
verschlingen. Man würde heut zu Tage lieber das Unglück einer 



110 

Seuche ertragen als eine grössere und längere Hemmung des Ver- 
kehrs. Es wäre besser gewesen, das viele Geld, welches die Quaran- 
tänen schon gekostet haben, für andere heilsame sanitäre Zwecke 
zu verwenden. Die Engländer waren darum nie zu bewegen, bei 
sich die Quarantänen einzuführen, nicht aus Habsucht, sondern weil 
dieselben vollständig zwecklos sind und mehr schaden als nützen. 
Douglas Cuningham sagt nach seinen Erfahrungen in Indien: bei 
jeder Gelegenheit, wo Quarantänen oder ähnliche Maassregeln er- 
zwungen werden, müssen die eifrigsten Verfechter solcher Maass- 
regeln zugeben, dass eine läppische Verschwendung an Geld und 
Mühe stattgefunden hat. Trotzdem vermochte sich die internationale 
sanitäre Conferenz zu Rom (1885) noch nicht ganz von der con- 
tagionistischen Theorie loszumachen, indem die Majorität sich noch 
für die Quarantänen aussprach. In unbegreiflicher Weise hat bei 
uns die rein contagionistische Lehre neuerdings unter dem Einfluss 
der Bakteriologie wieder ihr Haupt erhoben und wird abermals die 
Absperrung als Mittel im Kampf um die Cholera und den Typhus 
empfohlen. Ist kein Pettenkofer da? 

Auch weitere Beschränkungen zu Lande hindern nicht die 
Verbreitung des Cholerakeims; an einem einmal ergriffenen Orte ist 
mit Verkehrsbeschränkungen wenig mehr zu machen wie z. B. mit 
der Ueberwachung des Eisenbahnverkehrs an der Grenze, die nur 
eine Plackerei des Publikums ist. Man hat die grossen Pilgerzüge 
in Indien als Träger der Cholera beschuldiget und verbieten 
wollen; dies hat sich jedoch, wie vorher schon angegeben 
worden ist, durch die Beobachtungen der indischen Choleraforscher 
Bryden, James Cuningham und Bellew als irrthümlich erwiesen: 
die Verbreitung der Seuche wäre ohne die Pilger die gleiche ge- 
wesen. Ebenso ist es mit der Kriegscholera in Europa; die Kriegs- 
züge ändern nichts an der geographischen Verbreitung der Cholera, 
sie wird stets an die örtlich und zeitlich disponirten Orte gelangen 
auch ohne Soldaten; allerdings sterben in Folge der ungünstigen 
Bedingungen im Felde von den ergriffenen Soldaten mehr als im 



111 

Frieden, aber man darf nach der lokal istischen Theorie ungescheut 
die erkrankten Soldaten von einem inficirten Kriegsschauplatz in 
ein cholerafreies, nicht disponirtes Hinterland evakuiren. Nach diesen 
Prinzipien bringt auch die Choleraflucht aus einem von der Krank- 
heit ergriffenen Ort nach einem nicht disponirten Orte keine be- 
sondere Gefahr; es können vielleicht einzelne Ansteckungen, aber 
keine Epidemien erfolgen; man wird dabei nach als immun be- 
kannten Orten ziehen, sowie man in Indien bei Hausepidemien die 
inficirten Kasernen oder Gefängnisse oder Spitäler verlässt und einen 
siechfreien Platz aufsucht, oder auch für Lagerplätze einen un- 
empfänglichen Boden wählt. 

Jahrmärkte und andere Volksversammlungen in einem von 
Cholera ergriffenen Orte könnte man, besonders im Interesse der 
Ankömmlinge untersagen, wenn nicht grosse Interessen davon ab- 
hängen; aus diesem Grunde duldete man (1866) die Abhaltung der 
besuchten Messe in dem heftig ergriffenen Leipzig und doch fiel 
gerade in die Zeit derselben der rapide Abfall der Krankheit 

Nach dem früher Gesagten ist auch die Isolirung der Cholera- 
kranken in besonderen Choleraspitälern nutzlos und die zwangs- 
weise Entfernung der Kranken aus der Familie und dem Haus eine 
geradezu barbarische Maassnahme. 

Ausser durch solche Absperrungsm aassregeln suchte man die 
Verbreitung der Cholera und des Typhus zu verhindern durch 
Tödtung des Keims mit Hilfe der Desinfektion, namentlich in den 
Exkrementen, und man erblickte darin ein souveränes Mittel. 
Pettenkofer war in der ersten Zeit (1854), wie schon berichtet wurde, 
auch noch der Meinung, es wäre der Infektionsstoff in den frischen 
Entleerungen der Kranken enthalten, und er sprach sich daher für 
die Desinfektion derselben sowie der Abtritte aus, um den Keim 
durch Hinderung der Fäulniss und Gährung wirkungslos zu machen. 
Noch im Jahre 1865 äusserte er sich dahin, man habe noch kein Recht, 
die Desinfektion für bedeutungslos zu halten, und es schien ihm 
eine möglichst sorgfältige allgemeine und fortgesetzte Desinfektion 



112 

der Exkremente mit schwefliger Säure und Eisenvitriol, die jedoch 
nach den neueren bakteriologischen Untersuchungen den Komma- 
bazillus nicht tödten, den meisten Erfolg zu versprechen. In dem 
Cholera-Regulativ von Griesinger, Wunderlich und Pettenkofer vom 
Jahre 1866 stand die Desinfektion noch an der Spitze der Maass- 
regeln gegen die Cholera; als er 1873 im Auftrage des Gesundheits- 
raths seine Ansprache an das Publikum schrieb, gab er schon nichts 
mehr auf die Desinfektion, aber die Majorität des Gesund heitsraths 
war noch dafür und empfahl sie, so dass bei der Epidemie von 
1873/74, besonders in der zweiten Winterepidemie, noch fleissig 
desinficirt wurde, sicherlich ohne jeden Erfolg. Die Cholera von 
1866 hatte seinen Desinfektionsglauben erschüttert und er kam in 
der Folge immer mehr davon ab, nachdem er erkannte, dass die 
frischen und alten Exkremente den giftigen Keim gar nicht ent- 
halten und also unschädlich sind; selbst wenn man den in den Aus- 
leerungen befindlichen Keim x vollständig zerstören könnte, würde 
dies doch einen zeitlich disponirten Ort nicht schützen, weil man 
den sonstigen Verkehr nicht verhindern hann und der Keim ander- 
weit wohl schon längst eingeschleppt ist. Die Desinfektion beruht 
nach ihm auf unerwiesenen theoretischen Vorstellungen und kein 
Mensch weiss vorläufig etwas darüber anzugeben, ob die Heftigkeit 
einer Epidemie durch die bisherigen Bestrebungen in dieser Richtung 
auch nur im Geringsten beeinflusst worden ist. Die von den Bak- 
teriologen angegebene Desinfektion der Gegenstände mit strömendem 
Wasserdampf und öprozentiger Karbolsäure, der Stubenböden und 
Fehlböden mit 1 pro mille Sublimatlösung ist wohl auf den Bacillus 
wirksam, aber man wird damit bei Epidemien wahrscheinlich zumeist 
zu spät kommen. Man giebt sich gerne der Meinung hin, man 
habe durch energische Desinfektion die Cholera lokalisirt und zum 
Erlöschen gebracht, z. B. bei der letzten Epidemie in Hamburg; man 
kann dies nicht nachweisen, wenigstens ist die Epidemie von 1854 
in München ohne eine solche Maassregel ebenso verlaufen wie 
die in Hamburg; wahrscheinlich hat Hamburg der theoretischen 



113 

Ansicht über die Verbreitungsart der Cholera viele Millionen 
geopfert. 

Jede contagionistische Maassregel belästiget und beunruhiget das 
Publikum und bewirkt nur, dass Jeder den Anderen flieht, statt ihm 
zu helfen; die Erklärung der bayerischen Regierung im Jahre 1836, 
dass die Cholera keine ansteckende Krankheit sei und dass man den 
Verkehr ganz ungehindert lassen dürfe, hat das Publikum ungemein 
beruhiget. 

Die Hauptaufgabe ist jedoch nach der lokalistischen Anschauung, 
schon in der epidemiefreien Zeit, bevor die Seuche erscheint, ihre 
Entstehung zu verhüten durch die geeigneten Maassregeln gegen die 
unentbehrlichen Bedingungen für dieselbe, gegen die örtliche und 
zeitliche Disposition, und zwar durch möglichste Reinhaltung des 
Bodens und Verminderung der Fäulnissprozesse in demselben. Da 
sind es vor Allem die Exkremente des Menschen und der Thiere, 
welche den Boden einer Stadt verunreinigen können. Man hat 
früher vielfach gar nicht darauf geachtet, sondern alle diese Abfalle 
ohne jede Vorsicht in Versitz- oder Schwindgruben gesammelt, aus 
denen sie in den Erdboden sickerten und den Boden sowie die Luft 
im Hause verunreinigten; man kann sich vorstellen, in welch' er- 
schrecklichem Grade der Grund einer Stadt durch das fortwährende 
Eindringen von Jauche beschmutzt wird, besonders an Orten, wo 
der Untergrund leicht Flüssigkeit aufnimmt wie z. B. der poröse 
Kies in München. 

Pettenkofer dachte anfangs, man könnte dem Uebelstand ab- 
helfen, wenn man die Gruben durch Cementirung wasserdicht anlegt, 
so dass aus ihnen nichts mehr in das Erdreich einzudringen vermag. 
Es ist dies gewiss eine wesentliche Besserung des früheren ganz 
entsetzlichen Zustandes gewesen, aber es ist schwierig, die Gruben 
wirklich wasserdicht herzustellen, und man ist genöthigt, dieselben 
häufig zu entleeren, da der flüssige Inhalt nicht mehr versickert. 
Auch musste man daneben zur Fortschaffung des Regenwassers und 
Schmutzwassers besondere Kanäle anlegen, und ausserdem war die 

15 



114 

Spülung der Abtritte nicht einzuführen wegen der grossen Wasser- 
menge, welche die Gruben zu bald gefüllt hätte. Den Uebertritt 
der übelriechenden Gase aus den Gruben in das Haus, deren Menge 
einer seiner Schüler, Erismann (1873), bestimmte, suchte er in Er- 
mangelung des so wirksamen Wasserklosets zu verhüten durch 
weite oberhalb des Dachs mündende Rohre, in welchen er durch 
eine Gasflamme einen Zug herstellte. 

Die Aufsammlung der Exkremente in Tonnen hat sich nicht 
besonders bewährt. Vor Allem weiss man dabei nicht, wohin man 
den Inhalt der häufig zu entleerenden Fässer bringen sollte; die 
Landwirthschaft kann denselben nur während eines kleinen Theils 
des Jahres verwerthen und man entleerte daher häufig in der 
übrigen Zeit widerrechtlich Nachts die Fässer in einen Fluss, wie 
es z. B. in Graz geschah, oder man suchte die Masse zu verarbeiten 
und aufzuspeichern, was theuer zu stehen kommt. 

In einem Gutachten über die Kanalisirung der Stadt Basel 
(1867) vermochte Pettenkofer sich daher noch nicht für die Be- 
seitigung der Fäkalmassen durch Fortschwemmung derselben in 
Kanälen zu entscheiden. Er befürchtete durch die Undichtigkeit 
der weit verzweigten Kanäle eine Verunreinigung des Bodens durch 
die ganze Stadt; auch glaubte er den Bedürfnissen der Landwirth- 
schaft im Sinne der Liebig'schen Lehren noch Rechenschaft tragen 
zu müssen. Ebensowenig war er noch mit sich im Reinen, was 
man mit dem Inhalt der Kanäle, die auch die grossen Massen des 
Regen- und Schmutzwassers aufzunehmen haben, anfangen solle. 

Er wollte desshalb anfangs die Abzugskanäle nur für das Regen- 
wasser und die Abwasser der Brunnen benützt wissen, nicht einmal für die 
unreinen Abwässer aus Waschküchen, die Spülwasser der Küche und 
das zur Reinigung der Zimmerböden dienende Wasser; die flüssigen 
Abfalle der Gewerbe nur dann, wenn sie die Abzugswässer nicht zu 
sehr verunreinigen und genügend Wasser zur Spülung vorhanden ist. 

Die Einleitung in die Flüsse schien ihm noch gefährlich zu sein 
wegen der Verunreinigung des Wassers derselben durch die Jauche. 



115 



London hatte ja hierin ein warnendes Beispiel gegeben, als die Siele 
der Riesenstadt ihren schmutzigen Inhalt noch in die Themse er- 
gossen und das Wasser derselben so sehr verpesteten, dass im 
Sommer wegen des unerträglichen Gestanks sogar einmal die 
Parlamentsaitzungen vertagt werden mussten; damals constatirte 
der grosse Naturforscher Faraday auf einer Themsefahrt an sieben 
Stationen, dass ganz weisse Körper, die er in den Fluss warf, schon 
einen Zoll unter der Oberüäche nicht mehr sichtbar waren; er hielt 
diese Entdeckung für wichtig genug, um sie dem Herausgeber der 
Times zur Veröffentlichung mitzutheilen. Dies machte solches Auf- 
sehen, dass eine weitere Einleitung der Cloaken in den Fluss un- 
möglich wurde, und die Ableitung in das Meer erfolgte. Ausserdem 
ist durch die Kanalisierung wegen der grossen Wassermengen jede 
Art der Düngung der Felder, bis auf das Berieseln derselben, aus- 
geschlossen. 

Nach und nach befreundete er sich jedoch für bestimmte Fälle 
mit der Abfuhr des Unraths durch Kanäle. Nicht in allen Fällen, 
so sagte er sich, darf man die Flüsse als Abzugswege für die Ab- 
fälle benützen, wohl aber dann, wenn dieselben so viel Wasser 
führen, dass stets die Exkrete und der andere Schmutz dadurch so 
verdünnt werden, dass daraus der Gesundheit kein Schaden mehr 
erwächst. Man muss also von Fall zu Fall entscheiden; das Aus- 
schlaggebende ist die Menge und die Geschwindigkeit des Wassers 
und die Menge des dem Flusa bei niederstem Wasserstand zur Fort- 
führung übergebenen Schwemmbaren. Das Schwemmsystem hat eine 
ganz bestimmte Grenze, wie früher London gelehrt hat, als die 
Themse nicht mehr für die Fortachaffung des Unraths von mehreren 
Millionen Menschen ausreichte. 

Bestärkt durch das Beispiel der englischen Städte and durch 
die Besichtigung der Kanalanlagen in London sowie durch die 
Untersuchungen seiner Schüler Feichtinger und Wolffhügel über den 
geringen Grad der Verunreinigung des Bodens unter den Kanälen 
kam er schliesslich zu der Ueberzeugung, dass von gut angelegten, 

15* 



116 

genägend gespülten Kanälen bei richtigem Gefäll eine Verunreinigung 
des Untergrundes nicht zu befürchten ist In einem für die Stadt 
Frankfurt a. M. (1870) verfassten Gutachten beantwortete Pettenkofer 
die an ihn gestellte Frage: ,ob nach Maassgabe der Frankfurter 
Lokalverhältnisse der Einführung der Abtrittstoffe in die neu ge- 
bauten Kanäle vom sanitären Standpunkte aus Bedenken entgegen- 
stehen?'' dahin, dass bei richtig angelegten und gespülten Wasser- 
kloseten keine Bedenken entgegen stehen, und im Jahre 1875/76 
trat er in seinen allgemeines Aufsehen erregenden, im Münchener 
ärztlichen Verein gehaltenen 16 Vorträgen „über Kanalisation und 
Abfuhr'' für München entschieden für die Abschwemmung alles 
Schwemmbaren durch die Kanäle ein, während der Kehricht und 
die Küchenabfölle in besonderen dichten Behältern gesammelt werden 
sollen. 

Nun drängte er auf die energischsten Maassregeln, um in den 
Boden und das Haus nichts Schmutziges mehr gelangen zu lassen 
und auf die rascheste Fortschaffung aller Abfälle des menschlichen 
Haushalts von der Wohnung und ihrer unmittelbaren Umgebung; 
ferner auf reichliche Zufuhr reinen Wassers, nicht nur um gutes 
Trinkwasser zu schaffen, sondern auch um die grösste Reinlichkeit 
im Hause zu erhalten. 

Durch alle diese Maassregeln gelingt es den mit Unrath im- 
prägnirten Boden einer Stadt allmählich nach Jahren von faulenden 
Stoffen zu säubern. Alles wirkt nach Pettenkofer mit einander; 
nicht durch unreines Trinkwasser für sich allein, oder durch Un- 
reinlichkeit für sich, z. B. in Folge mangelhaften Zustands der 
Aborte oder der Kanalisation entstehen die Erkrankungen, sondern 
nur im Zusammenhang mit der Bodenbeschaffenheit und den Schwan- 
kungen des Grundwassers, welche die lokale und zeitliche Disposition 
liefern. Eine von dem Staatssekretär Indiens (1885) zu einer Gbolera- 
Conferenz in London einberufene Gommission aus 14 Mitgliedern 
äusserte sich nach den Erfahrungen in Indien einstimmig dahin, 
dass sanitäre Maassregeln das einzig sichere Mittel sind, um Aus- 



brüchen der Cholera vorzubeugen und Uira Verbreitung einzu- 
Bchränken und ihre Strenge zu mildern; Cordone, Quarantänen seien 
nicht bloB unnütz, sondern positiv schädlich durch unvermeidlicho 
Härten, Beunruhigung des Publikums und Ablenkung von der Er- 
greifung sanitärer Maasaregeln, welche das Auftreten jeder Art von 
Krankheit mildern. 

Allein durch solche Assanirungswerke ist es in England ge- 
lungen, die Gesundheitsverhältnisse der Städte zu bessern; es ist 
dadurch gelungen, das vorher so ungesunde Fort William bei Cal- 
kutta gesund zu machen; und auch in Deutschland sind die früheren 
schlimmen Gesundheitsverhältniase ganzer Städte wie München, Danzig, 
Prankfurt a. M., Berlin etc. sowie mancher Stadttheile wie der erwähn- 
ten Grube in Haidhausen bei München wesentlich gebessert worden. 

Diese grossen Erfolge sind nur möglich gewesen und erreicht 
worden durch die auf den lokalistischen Lehren aufgebauten Maass- 
regeln, und sie sind desshalb auch als Beweise für die Richtigkeit 
dieser Lehren zu betrachten. Pettenkofer glaubte aus der Geschichte 
und dem thatsächlichen Verhalten der Choleraepidemien unwider- 
leglich nachweisen zu können, dass die auf contagionistischen Grund- 
lagen ruhenden, oft sehr kostspieligen und doch nie vollständig 
durchführbaren Maassregeln bisher nichts gefruchtet haben und 
auch in Zukunft nichts fruchten werden, dass es aber Orte und 
Gegenden und Zeiten giebt, welche für eine epidemische Entwicklung 
des durch den menschlichen Verkehr unvermeidlich verbreiteten 
Cholerakeims unempföngHch oder immun sind, und dass es möglich 
ist, auch Orte, welche nicht schon von Natur aus immun sind, 
durch verhältnissmässig einfache und überall durchführbare Mittel 
der hygienischen Kunst immun zu machen. Der Verkehr mit Gholera- 
orten und Cholerakranken trägt nach ihm höchstens die Gefahr 
eines Zünders oder einer Lunte, aber die Gewalt der Epidemie 
hängt vom lokal angehäuften Zündstoff ab, von dem Pulver, womit 
die Mine zuvor geladen sein muss, Man thut klüger, den Minen 
und dem örtlichen Pulver in denselben nachzuspüren, als allen von 



118 

den durcheinander wirbelnden Winden des Verkehrs getragenen 
einzelnen Funken nachzujagen und diese alle einzeln zu löschen zu 
versuchen; die brennende Lunte auf einem Geschütz ohne Pulver 
ist ein ganz harmloses Ding. — 

So war am Ende der siebenziger Jahre eine auf neuen Ideen 
beruhende und auf neue Thatsachen consequent aufgebaute Lehre, 
die Epidemiologie, herangewachsen, welche schon herrliche Früchte 
für die Erhaltung der Gesundheit gezeitiget hatte; man kann auch 
sagen, dass es zu dieser Zeit Pettenkofer gelungen war, allerdings 
nach hartem Ringen, seinen Anschauungen weithin Anerkennung 
und Geltung zu verschaffen. Man hätte bei dem damaligen Stande 
der Sache glauben können, dass nach und nach seine Schüler und 
Anhänger die ihm wohl bewussten Lücken seiner Lehre mit den 
von ihm angegebenen Methoden in seinem Sinne ausfüllen würden. 
Und doch trat eine Wendung ein, welche ihm noch die schwersten 
Kämpfe bereitete. Die Lehre von den niedersten Organismen, den 
Bakterien, als Krankheitserreger, die bei ihrem ersten Auftreten von 
dem Chemiker Liebig dem Anatomen Henle gegenüber so sehr ver- 
spottet worden war, wurde durch die Auffindung bestimmter Lebewesen 
bei bestimmten Erkrankungen immer mehr befestiget. Da kam die für 
die Medizin so ausserordentlich bedeutsame Entdeckung eines solchen 
niederen Organismus, des Kommabazillus, in den Darmentleerungen 
Cholerakranker durch Robert Koch (1883). Nach der Lehre von 
Pettenkofer war damit der Cholerakeim, das Xy den er sich von 
jeher als belebtes Wesen vorgestellt hatte, wirklich gefunden. Aber 
so manche der Bakteriologen glaubten, geblendet durch den Glanz 
der Entdeckung, es wäre jetzt mit dem Auffinden des Keims die 
ganze Cholerafrage gelöst; sie sahen nichts Anderes mehr als den 
Keim und stellten sich wieder auf den alten längst als überwunden 
angesehenen rein contagionistischen Standpunkt, dem doch so viele 
Beobachtungen entgegenstehen, wie wenn es gar keine durch Petten- 
kofer gefundenen Thatsachen der Epidemiologie gäbe. Jetzt sollte 
auf einmal die Krankheit wieder durch den Kranken und seine 



11» 

Entleerungen ohne Weiteres ansteckend sein und der Keim im 
Menschen sich vermehren; es sollte vorzüglich das Trinkwasser, in 
welches Choleraentleerungen gerathen sind, der Verbreiter des Krank- 
heitskeimes sein, und es wurde dagegen der ganze schon verlassene 
contagionistische Apparat, Cordone, Quarantänen, Isolirung der Kranken^ 
Verbot von Massenversammlungen, Desinfektion der Entleerungen so- 
wie der Wäsche und der Krankenzimmer, Abkochen des Trinkwassers etc. 
wieder hervorgeholt. Die lokalistische Ansicht galt diesen Con- 
tagionisten einfach als widerlegt; man brauchte keine Rücksicht 
mehr darauf zu nehmen. 

Aber es war durch die Bekanntschaft mit dem Kommabazillus 
doch nichts Anderes geschehen als in ihm der Keim x erkannt, 
welchen auch Pettenkofer zwar nicht als den eigentlichen giftigen 
Erreger der Cholera, aber als nöthige Bedingung dafür von Anfang 
an angenommen hatte; die Entdeckung des Kommabazillus kann 
doch an den epidemiologischen Thatsachen nicht das Geringste 
ändern; es war auch dadurch kein Widerspruch mit den letzteren 
vorhanden und diese gar nicht berührt. Längst vor Auffindung des 
Bazillus äusserte sich Pettenkofer dahin: „gesetzt, der Pathologe 
fände in einem Typhus- oder in einem Cholerakranken wirklich den 
sogenannten Typhus- oder Cholerakeim, so wäre dies wohl eine 
wichtige und schätzenswerthe Entdeckung, aber es wäre dadurch 
die für die Menschheit wichtigste Frage noch lange nicht erledigt, 
nämlich was einen Ort zu gewissen Zeiten zu einem Typhus- oder 
Choleraorte macht und was geschehen muss, um einem solchen Ort 
diese Eigenschaft zu benehmen". 

Durch die völlige Ignorirung der epidemiologischen Thatsachen 
und die Wiederaufnahme des rein contagionistischen Standpunkts 
entstand der Widerspruch und die unausfüUbare Kluft zwischen 
Pettenkofer und der Koch'schen Schule, soweit sie den rein con- 
tagionistischen Standpunkt einnahm. 

Es war für Pettenkofer unmöglich, zu diesen Anschauungen, 
die den grössten Theil seiner wissenschaftlichen Arbeit ignorirten 



120 

und bekämpften, still zu schweigen und dadurch sich scheinbar für 
besiegt zu erklären. Man hatte ihm in der Siegeszuversicht sogar 
nachgesagt, er habe bei der zweiten Berliner Cholera-Conferenz seinen 
lokalistischen Standpunkt aufgegeben; er ist aber den Behauptungen 
der contagionistischen Bakteriologen bis an sein Lebensende ent- 
schieden entgegengetreten, namentlich noch in seinem schon er- 
wähnten Werke: „zum gegenwärtigen Stande der Cholerafrage" 
(1885 — 1887), worin er seine Lehren ein letztes Mal zusammen- 
fasste; es ist sein wissenschaftliches Vermächtniss, in dem er Alles 
nochmals auf das Gewissenhafteste prüfte; öfters hat er sich ge- 
äussert, er wäre nach wie vor durch die Thatsachen der Epidemiologie 
überzeugt, dass sein Standpunkt der richtige und der der Gegner 
der unrichtige sei. 

Seine Ueberzeugung war so stark und tief, dass er beschloss, 
«in Experimentum crucis an seiner eigenen Person zu machen, 
nämlich den Cholerabazillus zu verschlucken. Wenn der Komma- 
bazillus wirklich für sich allein durch reine Contagion die Cholera 
zu erzeugen vermag und zur Giftwirkung nicht noch besondere im 
Boden sich abspielende Einflüsse nöthig sind, dann muss er nach 
der contagionistischen Lehre bei Aufnahme in den Verdauungskanal 
die Cholera hervorbringen. Hätte man damals vorher die einseitigen 
Bakteriologen gefragt, sie hätten gewiss gesagt, es werde eine tödt- 
lich verlaufende Erkrankung darnach eintreten. Pettenkofer machte 
den Versuch am 7. Oktober 1892 im Alter von 74 Jahren; durch 
die Güte von Professor Gaflfky hatte er aus Hamburg, wo zu dieser 
Zeit die Cholera herrschte, eine frische Agar-Reinkultur des Komma- 
bazillus erhalten, von der er eine Bouillonkultur herstellte; von 
derselben, die sich noch nicht ganz 24 Stunden im Brutschrank 
befand, nahm er einen Cubikcentimeter mit wohl einer Milliarde 
der gefürchteten Pilze in den leeren Magen, dessen Säure zuvor 
durch kohlensaures Natron abgestumpft worden war. Die Zahl der 
verzehrten Bakterien war weit grösser als jemals bei einer Infektion 
auf gewöhnlichem Wege in den Körper gelangen. Man kann sich 



122 

Uebrigens war damals bei den Bakteriologen noch nicht die Rede 
davon, dass die Kommabazillen nicht immer die gleiche Giftigkeit 
besitzen und andere Formen annehmen könnten, ja man widerstritt 
es; jetzt ist es, namentlich durch die Beobachtungen von Hans 
Buchner, dem Schüler Pettenkofers, festgestellt und allgemein an- 
erkannt, dass die pathogenen Bakterien verschiedene Wuchsformen 
annehmen und wechselnde Verschiedenheit der Virulenz haben; nun 
soll aber gerade der Versuch Pettenkofers darthun, dass die Komma- 
bazillen an und für sich die Cholera nicht hervorrufen, d. h. nicht 
virulent sind, sondern noch einer besonderen Einwirkung bedürfen, 
um virulent zu werden. 

Man stellte Pettenkofer als einen Feind der Bakteriologie hin 
und erweiterte dadurch die scheinbare Kluft zwischen den beiden 
Lehren noch mehr. Pettenkofer hat niemals die Bakteriologie be- 
kämpft oder gering geachtet. Er schrieb vielmehr der bakterio- 
logischen Forschung die wichtigste Rolle zu, indem er sie für die 
weitere Erkennung des Wesens der Cholera und des Typhus für 
nothwendig hielt. Denn er sah sehr wohl ein, dass er mit seiner 
Methode der epidemiologischen Beobachtung nicht mehr weiter 
kommen könne und dass die Bakteriologie es ist, welche jetzt zur 
Aufhellung der örtlichen und zeitlichen Disposition die Methode des 
Experiments zu bringen habe durch die Untersuchung der Ueberführung 
des unschuldigen Kommabazillus x in den giftigen Keim z im Boden. 
Zu dem Zweck müsse sich jedoch die Bakteriologie, so meinte er, 
zuerst auf den lokalistischen Standpunkt stellen, denn mit Bakterien 
allein wären die epidemiologischen Thatsachen nicht zu erklären. 
Man hat über die Verbreitungsart und das Wesen der Cholera durch 
die epidemiologischen Erfahrungen schon sehr bestimmte Anhalts- 
punkte gewonnen und grosse praktische Erfolge erzielt, ohne den 
specifischen Cholerapilz zu kennen; der weitere Fortschritt wird 
durch die Bakteriologie geschehen, die aber noch unendlich viel zu 
thun haben wird, um alle diese verwickelten Verhältnisse zu ent- 
wirren. So wird schliesslich die Bakteriologie wieder zu der loka- 



124 

Gebiete anregend und befruchtend gewirkt wie Niemand vor ihm. 
Für Typhus und Cholera ist die „unglückselige Grundwassertheorie* 
noch lange nicht beseitiget. — 

Durch die im Vorstehenden geschilderte im Jahre 1851 be- 
gonnene wissenschaftliche Thätigkeit Pettenkofers, durch die con- 
sequente Untersuchung der vielen die Gesundheit schädigenden, sie 
erhaltenden und stärkenden Einflüsse der Umgebung hat sich all- 
mählich ein ganz neuer Zweig der Medizin, ein grosses und frucht- 
bares Gebiet des Wissens und Könnens, herausgebildet, die auf die 
exakten Methoden der Naturforschung gegründete experimentelle 
Hygiene. Es ist selten vorgekommen, dass ein Mann eine ganze 
Wissenschaft fast ohne Vorläufer geschaffen hat. 

Es hat zwar schon immer eine Hygiene gegeben, denn schon 
in frühester Zeit hat der Mensch werthvoUe Erfahrungen über das, 
was ihm wohl thut und ihm schlecht bekommt, gemacht und daraus 
allgemeine Gesundheitsregeln und gewisse Vorschriften abgeleitet. 
Aus den Papyrus-Inschriften kennt man zahlreiche Regeln der öffent- 
lichen Gesundheitspflege im alten Aegypten; in den mosaischen Ge- 
setzen sind weise hygienische Vorschriften enthalten; auch im alten 
Rom musste man viele Erfahrungen hierin gesammelt haben, bis es 
zu den grossartigen Aquädukten ans den Albaner Bergen und zu 
der Erbauung der Cloaca maxima kam, welche den Unrath der 
grossen Stadt in die Tiber führte; erst nach einem langen Zeitraum 
ist England das Geburtsland der praktischen Hygiene geworden. 
Nicht minder sind die späteren Bestrebungen von Johann Peter Frank, 
die er in seinem grossen Werke: „System einer vollständigen medi- 
zinischen Polizei" (1779 — 1789) niedergelegt hat oder die von 
Hufeland in seiner Makrobio tik enthaltenen Lehren Anläufe, die Ur- 
sachen der Erhaltung der Gesundheit zu erfahren. Auch sind vor 
1851 schon allerlei Abhandlungen über Armenernährung, über 
Nahrungsmittel und ihre Verfälschung, über Verbesserungen in 
Krankenhäusern und Gefängnissen, über Heizung, Beleuchtung und 
Ventilation, über den gesundheitlichen Einfluss gewisser Gewerbe etc. 



125 

erschienen, aber dies waren nur Bruchstücke und keine einheitliche 
Lehre. Es war Pettenkofer, der die Hygiene aus dem Stadium der 
Empirie und blosser Vermuthungen in den Bereich der experimen- 
tellen Forschung gehoben hat. 

Er nannte die von ihm geschaffene Hygiene gerne eine Phy- 
siologie der Umgebung. Die Physiologie verfolgt gewöhnlich, wie 
erwähnt, nur die im Organismus sich abspielenden Vorgänge, aber 
Pettenkofer sah ein, dass unser Befinden von so Vielem abhängt, 
was ausserhalb des Organismus liegt und was wir noch nicht näher 
kennen. Es handelt sich dabei zumeist um Dinge, deren sich Jeder 
im täglichen Leben bedient, an denen aber die Meisten achtlos 
vorüber gehen, da man glaubt, es wäre nichts mehr darüber zu 
sagen und man verstehe sie vollständig. 

Diese äusseren Einflüsse hat Pettenkofer mit dem grössten 
Scharfblick beobachtet und durch mit ungewöhnlichem Geschick 
angestellte Versuche gedeutet: seine Untersuchungen über die Ein- 
wirkung der uns umgebenden Luft, des Wassers, welches wir trinken 
und im Haushalt benützen, der Kleidung, die man bis dahin nur 
als Schutz gegen die Unbilden der Witterung und allenfalls als 
Schmuck des Leibe» ansah, dann der unseres weiteren Kleides, der 
Wohnung mit allen ihren Besonderheiten, der Heizung, der Beleuch- 
tung und der Ventilation, des Bodens, auf dem wir wohnen etc. 
brachten zum ersten Male ein richtiges Verständniss der Bedeutung 
dieser Faktoren für das Leben des Menschen. 

Obwohl man vielfach schon Gebrauch von Dingen machen 
kann, die man in ihrem Wesen noch nicht versteht, so war es doch 
für Pettenkofer klar, dass man in solcher Praxis nicht aus wirk- 
licher Einsicht, sondern nur nach einem gewissen Instinkt und nach 
Traditionen handelt und dass wir erst dann, wenn wir durch die 
Wissenschaft das Verständniss davon gewonnen haben, die richtige 
Anwendung von ihnen machen, wir uns besser kleiden und besser 
wohnen werden. 

Es findet jedoch nur derjenige die Ursachen der Dinge, der 



126 

die richtigen Methoden gelernt hat und übt und naturwissenschaft- 
lich denkt. Ein solcher Forscher war Pettenkofer: seine Ausbildung 
in der Chemie, welche er in vollendeter Weise beherrschte und die 
er als seine Mutter liebte, gab ihm die Schulung für die natur- 
wissenschaftliche Forschung; öfter hob er hervor, er habe frühzeitig 
chemisch denken gelernt, und in der Chemie denke man nicht blos 
qualitativ, sondern auch quantitativ und zwar ziemlich gleichmässig 
nach beiden Richtungen; dabei kam ihm zu Statten, dass er auch 
in der Physik, der Medizin und namentlich auch in der Technik in 
hohem Grade bewandert war. Nur so vielseitig ausgerüstet war es 
ihm möglich, die Forschungsmethoden der Naturwissenschaft auf 
jene alltäglichen Vorgänge anzuwenden und die Hygiene als experi- 
mentelle Naturwissenschaft zu begründen. 

Als echter Naturforscher hatte er stets das Bestreben, von den Vor- 
gängen quantitative Vorstellungen zu bekommen und sie messend zu 
verfolgen. Er war ein Pionier, der ein nur wenig bekanntes Gebiet 
betreten und den Nachfolgern gangbar gemacht hat; er hat da- 
durch eine Bewegung eingeleitet, deren Verlauf unübersehbar ist. Er 
wollte möglichst allgemein und weit verbreitet der Ueberzeugung 
Bahn brechen, dass wir noch so unendlich wenig von vielen Theilen 
der Hygiene wissen und dass diese für das Wohlergehen der Menschen 
80 ungemein wichtige Wissenschaft bisher wissenschaftlich und praktisch 
allzusehr vernachlässiget worden ist. 

Aus den Lehren der wissenschaftlichen Hygiene ergiebt sich 
die Kenntniss von der Verhütung der Krankheiten. Von England 
aus kam zuerst der Gedanke, dass das Verhüten der Krankheiten 
ein höheres Ziel sei als das Heilen derselben; aber niemals vorher 
ist es so bestimmt und so nachdrücklich, auf wissenschaftliche Er- 
fahrungen gestützt, ausgesprochen worden wie von Pettenkofer, dass 
die Verhütung der Krankheiten die grosse Aufgabe Aller und jedes 
Einzelnen sei. 

Die Hygiene ist ihm nicht nur die Lehre von den Bedingungen 
der Erhaltung der normalen Lebensvorgänge oder der Gesundheit, 



197 



d. h. nicht nur ilie Lehre von der Aetiologie und Prophyllaxe der 
Krankheiten, wobei er anheimgiebt, ob die erstere nicht zum 
Theil durch andere Kräfte erforscht werden könnte, sondern auch 
die Wissenschaft von der Stärkung und Vermehrung der Gesundheit. 
In letzterer Beziehung bezeichnete er mit Vorliebe die Hygiene als 
die Wirthschaftslehre der Gesundheit, welche die Werthigbeit 
aller Einflüsse der natürlichen und künstlichen Umgebung des 
Organismus zu untersuchen und festzustellen hat zur Förderung des 
Wohlbefindens des letzteren. 

Wie er diese Gesundheitslehre verstanden wissen wollte, das 
hat er in zwei im Verein für Volksbildung in München 1873 ge- 
haltenen populären Vorträgen: „über den Werth der Gesundheit für 
eine Stadt" in charakteristischer und beredter Weise geschildert. 
„Wer da lebt auf Erden," so beginnt er, „will gesund sein, denn 
ein Leben ohne Gesundheit ist eine Qual, eine Marter, von der 
Jeder Erlösung wünscht und wenns nicht mehr anders sein kann 
— selbst mit Verzichtung auf dieses Leben, durch den Tod." Er 
thut nun dar, wie der Einzelne Vortheil nicht nur von der eigenen 
Gesundheit zieht, sondern fast noch mehr von der Gesundheit seiner 
Mitmenschen. Eine Stadt schafft durch die Sorge für die Gesund- 
heit ein Kapital, welches hohe Zinsen trägt; darum haben alle 
Kulturnationen auf die Gesundheit geachtet und Einrichtungen da- 
für getroffen: er stellt als immer noch leuchtendes Beispiel für uns 
die grossartigen Sanitätawerke der alten Römer hin, welche für 
Reinhaltung ihrer Wohnplätze, für Aquädukte, für Bäder, für Ab- 
Bchwemmung des Unraths in die Tiber durch die Cloaca maxima 
sorgten; auch die Engländer, die hierin den Römern folgten, sind 
uns in sanitären Einrichtungen noch voran und schätzen den Werth 
der Gesundheit höher wie wir. Er berechnet darnach den realen 
Werth der Gesundheit für eine grössere Gemeinde, indem er als 
Maassstab dafür die Zeit nimmt, welche das Kranksein den Geschäften 
entzieht und welchen pekuniären Nachtheil wir dadurch erleiden; 
er erhält dabei für München bei 170000 Einwohnern 3.4 Millionen 



128 

Gulden jährlich; wenn die Stadt München durch Verbesserung ihrer 
sanitären Einrichtungen einmal so gesund wie London würde, das 
von 42 Todesfällen auf 1000 Einwohner seit 1681 auf nur 22 im 
Jahre 1856 gesunken ist, so würde sich ein Kapital von 25 Millionen 
Gulden noch gut verzinsen. Es ist Mode geworden, den Gesundheits- 
zustand einer Stadt sich wesentlich nur von einer guten Kanalisation, 
von richtiger Wasserversorgung und guten Abtrittanlagen mit Wasser- 
klosets abhängig zu denken; Pettenkofer schätzt zwar diese Dinge 
sehr hoch, aber er verlangt noch mehr, denn die öffentliche Ge- 
sundheitspflege im weitesten Sinne hängt nach ihm mit Allem zu- 
sammen, was auf das Wohlbefinden der Menschen nur irgendwie 
von Einfluss ist. Es ist ein reichlicher Zusammenfluss von mannig- 
fachen Ursachen und Wirkungen. In dieser Hinsicht kommt in 
Betracht : gute Nahrung, für Luftgenuss und Wärmeökonomie günstige 
Wohnungsverhältnisse, ausreichende Ventilation der Wohnungen wie 
in England, wo man sich vor Zug weniger fürchtet als bei uns, 
Vermeidung der UeberfüUung der Wohnräume, äusserste Reinlichkeit 
in Allem, besonders auch in Kleidung, Bett und Wäsche sowie in 
der Hautpflege. Nirgends darf Schmutz geduldet werden; es ist 
zwar nicht so einfach zu sagen, was Schmutz ist; vielleicht ist die 
Definition, welche Lord Palmerston gegeben haben soll, die richtige: 
Schmutz ist Alles, was nicht am richtigen Orte sich befindet 

Auch die Gebräuche und Sitten der Völker greifen nach ihm 
in die Gesundheit ein : er will festgestellt haben, wieviel von einem 
bestimmten Einkommen durchschnittlich auf Nahrung, Getränke, 
Wohnung, Kleidung und andere Zwecke und Genüsse des Lebens 
verwendet werden dürfen. Die schlechten Kneiplokale und die Sitte 
des freiwilligen Wirthshauszwanges schaden der Gesundheit; nicht 
minder der bei den Deutschen leider noch immer unmässige Genuss 
alkoholischer Getränke; Pettenkofer sah bekümmerten Herzens den 
unseligen Einfluss des Alkohols auf unser ganzes Volksleben und 
schloss sich daher aus Ueberzeugung der guten Sache der Mässig- 
keitsbewegung und dem Verein gegen den Missbrauch alkoholischer 



130 

vor Allem keinen wesentlichen Einfluss auf die Zusammensetzung 
der atmosphärischen Luft in einer Stadt oder in einem Zimmer 
aus; der Kohlensäuregehalt im Freien ist nicht anders als in guter 
Zimmerluft, in volkreichen Städten, wie z. B. in Manchester, trotz 
der Tausende von Kaminen nicht grösser wie auf dem Lande, in 
einer vegetationslosen Fläche oder in der Wüste nicht anders wie 
im grünen Wald; denn die Kohlensäure wird in der Luft alsbald 
enorm verdünnt und durch ihre Strömung fortgeführt. — Auch der 
Sauerstoffgehalt der Luft wird durch die Athmung der Pflanzen 
nicht grösser, in der gepriesenen Waldluft oder in der Luft eines 
Zimmers, in dem wir Blumen ziehen, befindet sich nicht mehr 
Sauerstoff wie in einem bewohnten Zimmer ohne Pflanzen. Selbst 
wenn etwas mehr Sauerstoff durch die Pflanzen in die Zimmer- 
oder Waldluft käme, so würde dies für das Athmen des Menschen 
keine Bedeutung haben, da wir die gleiche Menge von Sauerstoff 
in unser Blut aufnehmen, ob die Luft den gewöhnlichen Sauerstoff- 
gehalt besitzt oder einen viel grösseren. Noch weniger hat das 
Ozon, von dem so viel gefabelt wird, einen sanitären Werth; in der 
guten Luft, welche wir in unseren gelüfteten Wohnräumen athmen, 
ist gar keines enthalten. Und doch haben die Pflanzungen einen 
hygienischen Werth für uns und soll man nicht unterlassen, eine 
Stadt oder ein Zimmer damit zu versehen. Abgesehen davon, dass 
der Wald einen Einfluss auf den Boden ausübt, indem er durch 
langsameren Abfluss des Wassers das Versiegen der Quellen und 
Brunnen hintanhält, dass die Vegetation den Boden reiniget, dass 
die Anlagen von Pflanzungen in einer Stadt Schatten machen, der 
uns vor den Sonnenstrahlen schützt und wie ein Fächer einen küh- 
lenden Luftstrom hervorbringt, dass durch die Pflanzungen weniger 
Staub aufgewirbelt wird etc., üben die Pflanzen noch einen anderen 
wichtigen und wohlthätigen Einfluss aus: wir erfreuen uns an ihrer 
Schönheit, sie geben uns Empfindungen der Lust und Aufheiterung; 
sie sind uns Genussmittel, die wir in dem hastenden Treiben des 
Lebens der Stadt so sehr bedürfen. 



131 

Pettenkofer wünscht endlich durch die Hygiene nicht nur die 
Gesundheit des Leibes, sondern auch die der Seele zu stärken; er 
preist den Werth eines geordneten und soliden Familienlebens, die 
sittliche Reinheit und Moral, die ihm reale Güter für diese Welt 
sind; der puritanische Zug, der durch die englische Nation geht, 
trägt nach ihm auch zur Stärkung der Volksgesundheit bei. 

Durch alle diese hygienischen Bestrebungen wirken wir zur 
Kräftigung unserer Generation mit und schaffen unseren Nach- 
kommen eine fruchtbare Quelle nicht nur des physischen, sondern 
auch des moralischen und geistigen Wohles. Wir Alle sind ver- 
pflichtet, an der Lösung dieser grossen Kulturaufgaben mitzuwirken. 
Er hat uns dieses ideale Ziel gesteckt durch die richtige und weite 
Auffassung der Hygiene. — 

Wenn diese hohe Bedeutung der Hygiene in weiten Schichten 
der Bevölkerung eindringen und durch ihre Anwendung der Menschheit 
Nutzen schaffen soll, so muss sie vor Allem den Aerzten gelehrt 
werden. Pettenkofer sprach sich daher schon frühe, namentlich in 
einem Vortrag bei der Frankfurter Naturforscherversammlung (1867) 
und in einer Abhandlung über die Mittel zur Förderung der Theorie 
und Praxis der öffentlichen Gesundheitspflege (1871) dringend und 
überzeugend für einen geordneten Unterricht der Mediziner, auch 
der Arcliitekten, Ingenieure und Verwaltungsbeamten, in der Hygiene 
sowie für Errichtung von Laboratorien, in welchen wissenschaftliche 
Arbeiten zu ihrer Förderung angestellt werden können, aus; es 
wäre die Aufgabe der Hygiene als untersuchende, forschende und 
experimentirende Wissenschaft an diesen Grundlagen zu arbeiten 
und sie immer mehr und mehr auszubilden, womit noch Viele 
lange Zeit zu thun haben würden. 

Pettenkofers Vorträge über öffentliche Gesundheitspflege waren 
nach dem Umzug in das physiologische Institut (1855) anfangs nur 
von wenigen Medizinern besucht, aber sie fanden immer mehr An- 
klang, so dass der grosse Hörsaal des Instituts gefüllt war, obwohl 
die Vorlesung nicht obligat war. Das Studium der Medizin war 

17» 



132 

damals noch nicht so mit Wissen und Können überladen wie jetzt 
und die Studirenden fühlten heraus, dass ihnen hier etwas darge- 
bracht wurde, was sie in ihrer ärztlichen Laufbahn gut verwerthen 
konnten. 

Durch diesen Erfolg ermuthiget und von der guten Sache 
überzeugt, beantragte Pettenkofer in der Fakultät, die Hygiene zu 
einem obligatorischen Fach zu machen und in die Prüfung aufzu- 
nehmen. Der Vorschlag blieb jedoch in der Minorität, was nicht 
verwunderlich ist, da die Fakultäten ein neues Fach nur nach ganz 
sicherer Erprobung aufnehmen dürfen, auch ein einseitiges Vorgehen 
in München gefahrlich erschien. Im Jahre 1862, wo über die Be- 
deutung des Fachs kein Zweifel mehr bestehen konnte, erlangte ein 
erneuter Antrag die Majorität in der Fakultät, welche denselben 
dringend dem akademischen Senat und dem Ministerium zur Ge- 
nehmigung empfahl; letzteres gab aber einen abschlägigen Bescheid. 
Als Pettenkofer im Jahre 1864/65 zum ersten Male Rektor der 
Universität war, fragte ihn der jugendliche König Ludwig IL bei 
einer Audienz in liebenswürdiger Weise, ob er nicht für sich per- 
sönlich einen Wunsch hätte; da brachte Pettenkofer seinen hygie- 
nischen Wunsch vor, worauf der König ihn ermächtigte, mit dem 
Kultusminister darüber zu sprechen. Dieser theilte ihm mit, dass 
sein Gesuch an dem Widerstand des Ministerialreferenten im Mini- 
sterium des Innern gescheitert sei, nun aber kein Hinderniss mehr 
entgegenstehe. Das Resultat war die Verordnung von 1865, dass 
an den drei bayerischen Universitäten die Hygiene einzuführen sei 
und ein Fach für die ärztliche Prüfung werden solle. Pettenkofer 
wurde zugleich zum ersten ordentlichen Professor für Hygiene er- 
nannt, welche er vom Sommersemester 1865 an regelmässig las; mit 
ihm wurde an der Universität Würzburg der Chemiker Jos. Scherer 
und an der Universität Erlangen der Chemiker Gorup-Besanez als 
ordentliche Professoren der Hygiene eingesetzt. 

Als Pettenkofer sich bestrebte, die Hygiene als ordentliches 
Fach in die medizinische Fakultät einzuführen, standen noch manche 



133 

weitere Hindemisse entgegen; man meinte, das Gebiet der Hygiene 
wäre doch zu klein, so dass es keine besondere Vorlesung ausfülle 
und leicht neben einem anderen Fache gelehrt werden könne. Die 
Hygiene, wie sie Pettenkofer verstand, war noch zu neu und nur 
Wenige hatten ihre Entwicklung verfolgt; man vermochte sich gar 
nicht zu denken, was da alles getrieben werden sollte. Das, was 
man früher als Hygiene vortrug, war im Wesentlichen nichts weiter 
als eine Zusammentragung von Vorschriften und Meinungen über 
allerlei auf den Menschen einwirkende Schädlichkeiten, und sie war 
an der Universität auch kein eigenes Fach, sondern gewöhnlich ein 
Appendix der gerichtlichen Medizin oder der sogenannten Staats- 
arzneikunde, mit denen die neuere Hygiene gar keinen Zusammen- 
hang hat. Von dem, was man vor Pettenkofer darunter verstand, 
ist fast nichts übrig geblieben; die frühere Hygiene war keine 
Naturwissenschaft, sie hatte kein Laboratorium nöthig und besass 
keine Forschung. 

Hätte Pettenkofer sich rechtzeitig bestimmen lassen, wie es 
seine Freunde riethen, seine Vorlesungen zu veröffentlichen, so hätte 
man die Bedeutung der Sache wohl früher allgemein anerkannt 
und er wäre bälder mit seinen Wünschen durchgedrungen; er 
machte aber nur gelegentlich das Programm seiner Vorlesungen 
bekannt, um zu zeigen, was Alles der Mediziner und Arzt aus den- 
selben lernen könne. Es ist von allgemeinerem Interesse, dieses erste 
Programm kennen zu lernen; es möge daher hier seinen Platz finden: 

1) die Atmosphäre, ihre Zusammensetzung; 

2) physikalische und chemische Veränderungen der Atmosphäre; 
atmosphärisches Klima; 

3) Bekleidung und Hautpflege; Leibesübungen, Turnen; 

4) Verhalten der Baumaterialien gegen Luft, Wasser und Wärme; 

5) Ventilation; 

6) Beheizung; 

7) Beleuchtung; 



134 

8) Bauplätze und Baugrund; 

9) Grundluft und Grundwasser; 

10) Einfluss der Bodenverhältnisse auf das Vorkommen und die 
Verbreitung gewisser Krankheiten sowie Schutzmittel da- 
gegen; Lokalklima; 

11) Trinkwasser und Versorgung menschlicher Wohnorte damit; 

12) Nahrung und ihre wesentlichen Bestandtheile ; 

13) Milch; Fleisch; Brod; 

Gemüse, Obst und andere vegetabilische Nahrungsmittel; 
weingeistige Getränke und Essig; 

Genussmittel (Salz, Zucker, Gewürze, Thee, Kaffee, Tabak etc.) 
(Alles mit Rücksicht auf die Viktualienpolizei) ; 

14) Ernährung und Verpflegung verschiedener Menschenklassen 
unter verschiedenen Umständen, Verpflegungsregulative; 

15) Sammlung und Fortschaffung der Exkremente und sonstiger 
Abfälle des Haushalts und der Gewerbe; Kanalisation; 

16) Desinfektion; 

17) Leichenschau und Beerdigungswesen; 

18) der Gesundheit schädliche Gewerbe und Fabriken; 

19) Schulen, Kasernen, Pflegeanstalten, Krankenhäuser, Kranken- 
pflege, Gefängnisse; 

20) Gifte und Vorsichtsmaassregeln beim Verkehr und Handel 
mit denselben; 

21) medizinische Statistik, Biostatik. 

Wie ersichtlich, handelt es sich dabei im Wesentlichen um das, 
was Pettenkofer geschaffen hat; nach ihm ist ja noch Manches hin- 
zugekommen, namentlich in Beziehung der jetzt so wichtig ge- 
wordenen Bakterien und anderer Organismen als Krankheitserreger. 

In der ersten Zeit waren die Lehren des jungen Faches noch 
nicht in einem Lehrbuch zusammengefasst, auch besass dasselbe 
keine Zeitschrift für die wissenschaftlichen Arbeiten, so dass Petten- 
kofer seine hygienischen Abhandlungen in schwer zugänglichen Zeit- 



*j. 



135 



Schriften wie in Dinglers polytechnischem Journal, in den Abhand- 
lungen der naturwissenBchaftlich-techniHchen Kommisson, im Kunst* 
und Gewerbeblatt, in den Sitzungsberichten oder den Gelehrten 
Anzeigen der Akademie, im ärztlichen Intelligenzblatt etc. unterbringen 
musste; die grossen rein phygikalischen oder chemischen oder phy- 
siologischen Journale hätten wohl kaum Beiträge von so besonderer 
Natur aufgenommen. Darum sind auch seine ersten hygienischen 
Arbeiten nur Wenigen bekaunt geworden; erst im Jahre 1865 
gründete er mit mir, als wir für unsere Arbeiten nach einer Unterkunft 
suchten, die Zeitschrift für Biologie, in der seine Arbeiten der 
nächsten 18 Jahre gesammelt sind; mit der Entwicklung der Hygiene 
und der Gründung besonderer Lehrstühle und Laboratorien für die- 
selbe an den deutschen Universitäten erschien es nötbig, für die 
neue Wissenschaft auch eine eigene Zeitschrift zu besitzen und so 
vereinigte er sich mit mehreren seiner Schüler zur Herausgabe des 
ersten und angesehenen Journals für Hygiene, des Archivs der 
Hygiene. 

Die experimentelle Hygiene ist in ihren Haupttheilen eine an- 
gewandte Physiologie und ein Vertreter des Fachs niuss auch in 
der Physiologie, der Physik und Chemie theoretisch und praktisch 
geschult sein. Es waren daher, da es noch keine eigentlichen Hy- 
gieniker gab, Chemiker und Physiologen, welche nach Pettenkofer 
anfiengen, Interesse an der Sache zu nehmen und in Pettenkofers 
Sinn Vorlesungen über Hygiene zu halten: die physiologischen 
Chemiker Scherer in Würzburg und Gorup-Besanez in Erlangen, 
dann die Physiologen Meissner in Göttingen und Rosenthal in 
Erlangen. Es wird stets ein Ruhmestitel der bayerischen Staats- 
regierung bleiben, dass Bayern der erste und längere Zeit der 
einzige Staat war, in welchem diese für die Ausbildung der Aerzte 
30 wichtigen Einrichtungen geti-offen wurden. Nach und nach folgte 
man anderwärts dem guten Beispiele, und so entstanden an fast 
allen deutschen und österreichischen und auch an vielen ausser- 
deutschen Universitäten ordentliche Professuren für Hygiene; 1883 



136 

wurde die Hygiene als Prüfungsgegenstand in die ärztliche Appro- 
bations-Prüfung für das deutsche Reich eingesetzt 

Aber noch mangelte es, auch in München, an den zu einer 
ausgiebigen wissenschaftlichen Thätigkeit in der Hygiene eingerich- 
teten Arbeitsräumen, denn das kümmerUche Laboratorium im physiolo- 
gischen Institut bot nur wenigen Schülern Raum. Im Jahre 1872 
erhielt Pettenkofer einen höchst ehrenvollen Ruf an die Universität 
Wien, wo man richtig eingesehen hatte, was eine solche Kraft für 
die dortige Hochschule werth gewesen wäre und wo man ihm, auch 
in Würdigung des Bedürfnisses, die Erbauung eines hygienischen 
Instituts nach seinen Wünschen versprach. Er hätte sich ja nur 
recht schwer von München getrennt, mit welchem er durch ein langes 
Leben aufs Engste verwachsen war, aber die Aussicht, ein Labo- 
ratorium zu erhalten, in dem er mit seinen Schülern arbeiten und 
seine Wissenschaft fördern konnte, war für ihn ausschliesslich maass- 
gebend. Als einzige Bedingung seines Bleibens in München stellte 
er daher die Erbauung eines eigenen hygienischen Instituts, welche 
auch in dankenswerther Weise von der bayerischen Staatsregierung 
erfüllt wurde. Er hätte sich auch kaum in andere ungewohnte 
Verhältnisse eingelebt; unsere Universität durfte sich glücklich 
schätzen, dass diese erste Grösse ihr erhalten blieb und nicht 
weniger die Stadt, die ihm noch die wichtigsten Dienste ver- 
danken sollte. 

Das neue, mit allen Hilfsmitteln versehene Institut wurde im 
Jahre 1878 eröffnet; es war das erste hygienische Laboratorium in 
seiner Art und diente als Musterbild für die späteren Institute. Es 
muss zwar bemerkt werden, dass in England die Aerzte schon seit 
längerer Zeit einen Unterricht in der Hygiene erhalten haben und 
dass für die Ausbildung der Militärärzte auch ein Laboratorium 
bestand, welches namentlich unter der Leitung des vortreflFlichen, 
auf dem experimentirenden Standpunkt stehenden Parkes gutes 
leistete; aber die Auffassung der Hygiene von Seiten Pettenkofers 
war doch eine viel weitere und tiefere. 



137 

Nun fanden sich in dem Hause viele Schüler aus allen Ländern 
ein und es begann eine emsige Thätigkeit; so wie die jungen 
Chemiker zu Liebig nach Giessen wanderten, so suchte lange Zeit 
fast Jeder, der sich in der Hygiene ausbilden wollte, das Institut 
in der Findlingstrasse auf; seine Jünger finden sich jetzt auf den 
Lehrstühlen für Hygiene an vielen Universitäten oder in angesehenen 
staatlichen Stellungen. 

Von den Schülern wurde in der Richtung des Lehrers fort- 
gearbeitet und sein Werk ausgebaut; zahlreiche weitere Unter- 
suchungen sind von ihnen über die uns umgebende Luft, über das 
Wasser, den Boden, die Kleidung, die Wände der Wohnungen, über 
Ventilation, Kanalisation, Desinfektion, giftige Gase etc. auf seine 
Anregung gemacht worden. 

Die weitere Entwicklung der Hygiene war zum Theil nicht so, 
wie er sie sich gedacht hatte; die Bakteriologie, von welcher wichtige 
Aufschlüsse zu erwarten waren, nahm die Geister und Kräfte so 
sehr in Anspruch, dass die experimentelle Hygiene etwas in den 
Hintergrund trat. Es wird diese zeitweise Verschiebung der Arbeit 
sicherlich schliesslich der gesammten Hygiene zu Gute kommen und 
auch der experimentellen Hygiene neue Aufgaben zu gemeinsamem 
Wirken zuführen. 

Im Jahre 1876 bekam Pettenkofer abermals eine Berufung 
nach auswärts; er sollte an die Spitze des neu errichteten deutschen 
Reichsgesundheitsamtes treten; es war ein Zeichen, dass man ihn 
als den ersten Vertreter der öffentlichen Gesundheitspflege in 
Deutschland ansah. Er lehnte auch diesen Ruf ab, obwohl er in 
der Errichtung des Gesundheitsamtes einen grossen Fortschritt für 
die praktische Hygiene erblickte. Sein Entschluss war auch hier 
wohl der richtige, denn er wäre dadurch aus einer ihm völlig zu- 
sagenden erspriesslichen Lehr- und Forscher -Thätigkeit gerissen 
worden, und er hätte sich längere Zeit überwiegend mit administra- 
tiven Angelegenheiten zu befassen gehabt. Er nahm aber als wissen- 
schaftliches Mitglied des Amts an den Berathungen lebhaften Antheil. 

18 



138 



Zu diesem Zeitpunkte war Pettenkofer zum gröasten Ansehen 
in der Wissenschaft gelangt: er galt als der Vater der Hygiene und 
als der erste in seinem Fache. Wenn ich mir ein Urtheil erlauben 
darf, 80 stelle ich am höchsten seine Leistungen in der experimen- 
tellen Hygiene, die an Feinheit der Beobachtung der Erscheinungen 
und an Gewandtheit in der Auffindung der Ursachen durch das 
Experiment geradezu unübertroffen dastehen. Aber sein Name 
wurde doch erst allgemein auch ausserhalb der Kreise der Wissen- 
schaft bekannt durch die Anwendung, welche er von seinen Lehren 
für das Leben zu machen wuaste. Von Anfang an hat Pettenkofer 
in fast allen seinen Arbeiten einen praktischen Zweck im Auge 
gehabt oder wenigstens schliesslich einen solchen erkannt; ea war 
dies ein charakteristischer Zug seines Geistes. In einer höchst 
beachtenswerthen akademischen Festrede: „Die Chemie in ihrem 
VerhältnisB zur Physiologie und Pathologie", welche er im Jahre 
1848 im Alter von 29 Jahren hielt und in der er eingehende! 
Kenntnisse in der Geschichte der Chemie zeigte, sagt er wörtlicha 
„ein Mann der ächten Wissenschaft kümmert sich jederzeit zuerst ' 
um Wahrheiten; aber wer ist so durch und durch Philosoph, daw 
er nicht als Bürger eines Staates, als Haupt oder Glied einer 
Familie zu dem Gedanken gezwungen werden könnte: Was lässCJ 
sich aus dem Schatze meiner Erfahrungen und von den ilesultatenV 
meines angestrengten Nachdenkens dazu verwenden , denen , 
welchen wir so kurz auf Erden zusammen sind, das Herz zu er-<-| 
freuen, ihre Leiden zu stillen, oder ihnen dankbar zu sein für aoti 
Vieles, was wir von ihnen empfangen? Als Mensch ist der Gelehrl 
sogar hiezu verpflichtet, und er ist entweder ein Schwächling oder.] 
ein herzloser Unmensch, wenn er anders denkt oder handelt." lal 
den meisten seiner Arbeiten ist dieser praktische Zug des Nutzens! 
und ein ungewöhnliches technisches Geschick hervorgetreten: 
seinen metallurgisclien Untersuchungen in der Münze, der Nach- 
bildung des Hämatinon, der Prüfung des Verhaltens der Zinkdecke 
auf einem Eisenblechdach und der Schätzung der Dicke einer Ver-,_ 



139 

zinkung an Drähten, der Auffindung der Ursachen des Festwerdens 
des Cements, der Herstellung des Holzgases, der Regeneration der 
Gemälde und vor Allem bei seinen experimentell hygienischen 
Untersuchungen und zuletzt bei den epidemiologischen Fragen für 
die Gesundheit. Es war ein Lieblingsthema von ihm, über die Be- 
ziehungen der Theorie zur Praxis nachzudenken, und er huldigte 
hierin dem Spruche seines Lehrers Fuchs: „die Wissenschaft ist der 
Leitstern der Praktik, und diese verirrt sich ohne jene leicht im 
düstern und unbegrenzten Reiche der Möglichkeiten." Man hört 
so oft, die reine Wissenschaft habe ausschliesslich nach der Wahr- 
heit zu suchen und nicht nach dem Nutzen, nach der Verwerthung 
für praktische Zwecke zu fragen ; gewiss muss dies so sein während 
der Forschung, aber warum sollte man nicht darauf aufmerksam 
machen, wenn sich aus den gefundenen Wahrheiten etwas Nützliches 
für die Menschheit ergiebt. Die grössten Naturforscher und Denker 
haben sich nicht gescheut Nutzen zu stiften; ich will nur zwei 
nennen, welche aus ihren wissenschaftlichen Thaten Folgerungen 
gezogen haben zum Wohle ihrer Mitmenschen und zwar auf dem 
gleichen Gebiete wie Pettenkofer. Der eine ist der unsterbliche 
Lavoisier, das Opfer der französischen Revolution, der nach seinen 
Entdeckungen über die Rolle des Sauerstoffs bei dem Verbrennungs- 
prozess und der Athnmng sich um die Wohlfahrtseinrichtungen in 
den Spitälern und Gefängnissen kümmerte, besonders darum, wie 
man in ihnen eine frische Luft erhalten könne; der Andere ist der 
schon erwähnte Benjamin Thomson Graf von Rumford, der geist- 
volle Physiker, welcher hier in München sich um die Heizung, Be- 
leuchtung und Ventilation von Gebäuden, um Verbesserungen in 
Spitälern und Arbeitshäusern sowie insbesondere um die Ernährung 
der Armen durch seine Suppe angenommen und hierin wahrhaft 
Grosses geleistet hat. 

In solcher Gesinnung stellte Pettenkofer seine ganze Kraft zur 
Förderung der Gesundheit der Menschen zur Verfügung; er glaubte 
fest an den praktischen Nutzen der Hygiene, wenn man sie nur 

18* 



140 

recht wissenschaftlich bearbeite. Darum schuf er zuerst eine 
sichere theoretische Grundlage und suchte dann auf diesem festen 
Grund die Maassregeln für die öflFentliche Gesundheitspflege, für die 
Verhütung der Krankheiten und die Verbesserung der Gesundheit. 
Er machte öfter darauf aufmerksam, dass eine grosse Gefahr darin 
bestehe, auf unsichere Meinungen und Einbildungen hin im Interesse 
der Gesundheit Anordnungen zu empfehlen, bei denen man sich 
auf angebliche Anforderungen der Hygiene stützt, welche jedoch in 
der Wissenschaft noch nicht genügend bereift sind; solche Maass- 
nahmen schneiden zumeist sehr tief in das Leben und in den 
Säckel der Gemeinde und des Staates ein. 

Er war sich von vorn herein klar, welche weittragende Be- 
deutung seine hygienischen Bestrebungen haben; schon im Jahre 
1854 sagte er in der Vorrede zu seinem Cholerabericht: „Wenn es 
die Regierungen für ihre vornehmste Aufgabe halten, über Besitz 
und Eigenthum der Angehörigen mit aller Strenge zu wachen, so 
können sie nicht gleichgiltig bleiben für das theuerste Gut, für die 
Gesundheit ihrer Völker! Jede Einrichtung, welche Kranheiten ver- 
hindert, hebt den nationalen Wohlstand ebenso als sie die Streitkraft 
eines Heeres vermehrt, und nicht minder häufig, als Kriegsheere 
durch Krankheit Verluste und Niederlagen erleiden, untergräbt und 
vernichtet Krankheit den Wohlstand von ganzen Familien. Alle 
Anstrengungen, den Nationalwohlstand zu heben, werden theilweise 
wieder vergeblich gemacht werden, wenn die Gesundheitspflege mit 
den übrigen Fortschritten nicht gleichen Schritt hält." 

Man hat ihn vielfach, seiner Erfahrung und seiner Weisheit 
vertrauend, zu Hilfe gezogen und stets den den Verhältnissen ent- 
sprechenden richtigen Rath erhalten. Die Stadt Basel frug bei ihm 
(1867) an, als es sich um die Fortschwemmung der Fäkalien han- 
delte; ebenso (1870) die Stadt Frankfurt a. M. in der gleichen 
Frage. Vor Allem war er der Stadt München ein immer bereiter 
Helfer in der Noth. Mehrere Choleraepidemien hatten die Stadt 
schwer heimgesucht, und der Typhus war endemisch geworden, so 



141 

dass man wohl mit Recht München ein Typhusnest nennen konnte 
und sich scheute es zu besuchen; viele Studirende aus Franken 
und der Rheinpfalz, viele Fremde, welche die schöne Stadt mit 
ihren Sehenswürdigkeiten aufsuchten, viele Einheimische sind der 
schlimmen Seuche zum Opfer gefallen. Es war eine Lebensfrage für 
die Stadt geworden, diese bösen Zustände zu bessern oder zu beseitigen. 
Aus seinen Untersuchungen hatte er entnommen, worin die 
Hauptursache des Uebels liegt, an der Verunreinigung des Bodens. 
Als erstes Erforderniss sanitärer Reformen stellte sich also die 
äusserste Reinhaltung und Reinigung des Bodens mit zwingender 
Nothwendigkeit heraus, und damit war der Weg der Assanirung 
von München gegeben. Und wie sah es in dieser Beziehung in dem 
alten München aus: in jedem Hause bestanden seit vielen Jahren 
die undichten Versitzgruben, die zum Theil zwanzig Jahre lang 
nicht geräumt wurden und von denen aus der flüssige Theil der 
Exkrete und die Abwässer des Haushalts in den porösen Kiesboden 
versickerten, ihn in hohem Grade verunreinigten und zu einer 
Brutstätte für Erkrankungen machten. In den Höfen befanden sich 
ausserdem noch undichte stinkende Gruben für den Hausunrath; in 
einer beträchtlichen Anzahl von Häusern der Stadt waren Räume 
zum Schlachten von Thieren, wodurch eine weitere ergiebige Quelle 
für die Beschmutzung des Bodens gegeben war; besondere, richtig 
eingerichtete Kanäle waren nicht vorhanden, aus einem Theile der 
Häuser der Altstadt gelangte der Inhalt der Abtritte direkt in die 
theilweise offenen Stadtbäche. Das aus mehreren Leitungen stam- 
mende Trinkwasser war zwar im Allgemeinen nicht schlecht zu 
nennen, es war aber in viel zu geringer Menge vorhanden und 
musste zumeist aus dem Grundwasser gepumpt und mit Mühe in 
die einzelnen Stockwerke getragen werden, wodurch die Reinhaltung 
der Wohnungen sehr erschwert wurde. In den Häusern war durch- 
gängig ein übler Geruch nach den Abtritten wahrzunehmen, zum 
Entsetzen der an andere Verhältnisse gewohnten Fremden, nament- 
lich der Engländer. 



142 

Hier griflf nun Pettenkofer durch seine überzeugenden Dar- 
stellungen des Uebels und mit der Siegesgewissheit , dass seine 
Theorie sich in der Praxis bewähren werde, ein. Es mussten jedoch 
auch die Männer vorhanden sein, welche ihm unerschütterlich ver- 
trauten und sich durch ihn überzeugen Hessen, dass durch die von 
ihm empfohlenen Maassregeln geholfen werden könne; die Verant- 
wortung, die sie übernahmen, war eine sehr grosse, denn es handelte 
sich um eine Ausgabe von vielen Millionen. Er hatte das Glück 
solche Männer zu finden, besonders in dem weisen Bürgermeister 
Alois V. Erhardt und dem energischen städtischen Baurath Arnold 
V. Zenetti. Er hob es stets dankend hervor, dass ohne diese 
Männer das grosse Werk nicht geglückt wäre. Als er dem Bürger- 
meister die Typhuskarte von Wagus und die beiden Abhandlungen 
von Seidel vorlegen konnte, da war derselbe bereit, alle Opfer zu 
bringen für das, was er jetzt als richtig erkannt hatte. 

Das erste grosse Unternehmen, welches in Angriff genommen 
wurde, war die Beschaffung laufenden reinsten Quellwassers in aus- 
reichendem Maasse und in allen Stockwerken der Häuser; unter 
der Beihilfe unseres verstorbenen Mitgliedes, des Geologen Wilhelm 
V. Gümbel, gelang die Auffindung für alle Zeiten genügender reiner 
Quellen aus dem Gebirge, so dass München in dieser Beziehung von 
keiner Stadt übertroffen wird. Im Jahre 1883 war die segensreiche 
Einrichtung vollendet. 

Daran schloss sich (1878) die Errichtung des grossartigen 
Centralschlachthauses, wodurch die vielen unkontrollirbaren Schlacht- 
stätten aus den Häusern an einem Ort vereiniget wurden. 

Die grössten Schwierigkeiten und Widerstände waren jedoch 
zu überwinden bei den Maassregeln zur Unschädlichmachung der 
Exkrete und des übrigen Unrathes. Die interessante Geschichte 
dieser Bestrebungen findet sich in der Darstellung, welche Professor 
Hans Buchner über die Assanirung Münchens in der von der 
Stadt München gewidmeten Festschrift für die Naturforscherver- 
sammlung in München (1899) gegeben hat. Schon im Jahre 1856 



I 



, auf den Antrag des GeBundlieitsratbea unter dem Bürger- 
meister V. Steinsdorff die ersten Anläufe, durch Kanalisation allen 
Unrath aus der Stadt fortzuschaffen, um dadurch die so schädlichen 
Versitzgniben zu beseitigen ; es wurden zu diesem Zweck in ein- 
zelnen Strassen schon Kanäle gebaut; aber als man 1862 auf Ver- 
anlassung des Polizeidirektors v. Pfeutfer den Inhalt der Versitz- 
gruben und die Abwässer in diese Kanäle einleiten wollte, da siegte 
die Opposition, so dass eine schon erlassene, mühsam erkämpfte 
ortspolizeiliche Vorschrift wieder aufgehoben werden musste. Petten- 
kofer, der die Saclie wissenschaftlich noch nicht für reif hielt, 
wagte damals vorsichtiger Weise noch nicht die Verantwortung für 
allenfallsige Gefahren durch das Einleiten der Exkrete in die Kanäle 
zu übernehmen ; in einem von der Stadt hierüber erbetenen Gut- 
achten sprach er sich daher noch dagegen aus, insbesondere wegen 
des mangelhaften Zustandes eines grossen Theils der Kanäle; aber 
er empfahl das strenge Verbot der Versitzgruben und die wasser- 
dichte Herstellung der Gruben durch Auskleidung mit Cenient sowie 
das Fortführen weiter Abtrittrohre über das Dach des Hausee; 
diese vorläufigen Maaesnahmen, deren Durchführung anfangs heftigen 
Widerstand von Seiten der Hausbesitzer fand, haben gewiss schon 
zur Besserung der Gesund heits Verhältnisse der Stadt beigetragen. 

Im Jahre I8G9 erfolgte jedoch die prinzipielle Aenderung 
seiner theoretischen Anschauungen hierüber, als die Analysen 
zeigten, dass der Boden unter den Kanälen nur in geringem Grade 
verunreiniget war, die Kanäle also genügend dicht schlössen. Da 
veranlasste er eine genaue chemische Untersuchung des Isarwassers 
auf seinem Laufe durch die Stadt durch seine Schüler Brunner und 
Emmerich (1878), aus der hervorgieng, dass das Isarwasser nach 
seinem Austritt aus München rein geblieben war, obwohl eine 
Anzahl von Anwesen die Fäkalien in die Stadtbäche entleerten. Die 
rasch fliessende Isar führt nach seiner Berechnung auch beim 
niedersten Wasserstand genügend Wasser, dass auch bei völliger 
Einleitung der Fäkalien die zulässige Grenze der Verunreinigung 



144 

nicht überschritten wird; als er Harn und Koth im Verhältniss ihrer 
Erzeugung mit der entsprechenden minimalsten Wassermenge 
mischte, war keine Veränderung des Wassers und kein übler Geruch 
desselben wahrzunehmen. 

Diese Resultate der wissenschaftlichen Untersuchung gaben ihm 
endlich die volle Sicherheit von der Unschädlichkeit der Einleitung 
der Exkrete in die Kanäle und in die Isar, die er dann auch mit 
unermüdlicher Ausdauer verfocht. Nach heissen Kämpfen wurde 
1890 die Abschwemmung in die seit 1881 erbauten Kanäle für 
den grösseren links der Isar liegenden Stadttheil gestattet und 1892 
auf ein einstimmig abgegebenes Gutachten des Obermedizinal-Aus- 
schusses die Erlaubniss zur provisorischen Einleitung aller Ab- 
wässer in die Isar erwirkt, womit es endlich möglich war, auch 
die Wasserklosets in München einzuführen, ohne welche die Eng- 
länder schon längst glauben nicht mehr leben zu können. Die 
unterhalb München liegenden Städte, Freising und Landshut, setzten 
zwar noch den grössten Widerstand entgegen; aber trotz aller 
schlimmen Voraussagungen und Befürchtungen und aller genauen 
Prüfungen hat sich bis jetzt nicht der mindeste Nachtheil gezeigt; 
das Isarwasser ist in Freising ganz rein von den zahlreichen Ab- 
fällen der volkreichen Stadt München geblieben; auch ist bei der 
grossen Geschwindigkeit des Flusses keine Sedimentirung einge- 
treten. Die starke Verdünnung bewirkt, dass eine Verunreinigung 
nicht sichtbar ist; dazu kommt noch der eigenthümliche, schon 
längst bekannte Vorgang der Selbstreinigung der Flüsse, der theil- 
weise auf der Sedimentirung der festen Theile, aber auch auf der 
Oxydation der organischen Stoffe durch den Sauerstoff des Wassers 
und auf der Wirkung niederer Pflanzen beruht. Nach den chemi- 
schen und bakteriologischen Untersuchungen von Wilhelm Prausnitz 
geht im Isarwasser dieser Prozess schon in kurzer Zeit vor sich, 
80 dass 30 Kilometer unterhalb der Einleitestelle der Siele das 
Wasser wieder so rein ist wie oberhalb der Stadt. 

Damit begann die allmähliche Reinigung des Bodens und die 



145 

Assanirung Münchens, deren Folge war, dass die Sterblichkeit von 
40 pro mille im Jahre 1870 auf 30 pro mille im Jahre 1890 sank 
und die Zahl der Typhustodesfälle auf 100000 Einwohner von 72 
im Jahre 1880 auf 14 im Jahre 1898 herabgieng. Manchen ist 
jetzt eine der tjphusfreiesten Städte des Erdballs geworden, wie 
kürzlich in einer medizinischen Zeitschrift Englands stand, und sie 
hat ein unschätzbares Kleinod, den Ruf als eine gesunde Stadt erhalten. 

Was diese Thatsachen zu bedeuten haben, kann Jeder ermessen; 
die Stadt hat seitdem nicht nur in der Reinigung des Bodens Fort- 
schritte gemacht, sie hat sich auch in den übrigen sanitären Ein- 
richtungen der Wohnhäuser, der Schulen, der Bureaus, der Ver- 
pflegungsanstalten etc., wo alles früher auf das Kümmerlichste 
bestellt war, zu ihrem Vortheil geändert; die Bürger haben dadurch 
Freude an ihrer Stadt bekommen und Alles aufgewendet, sie auch 
zu einer schönen Stadt zu machen, indem gemeinnützige Schöpfungen 
entstanden sind, an die man früher nicht hat denken können. Jetzt erst 
nach der Gesundung der Stadt konnte der Ausspruch des kunstsinnigen 
Königs Ludwig I. wahr werden: er wolle seine Hauptstadt so gestalten, 
dass Niemand Deutschland kennt, der München nicht gesehen habe. 

Die Stadtgemeinde zeigte sich auch ihrem Mitbürger dankbar, 
wie es nicht übertroffen werden kann; man war sich bewusst, dass 
er, der seine ganze Kraft für die Wohlfahrt und das Gedeihen der 
Stadt einsetzte, einer ihrer edelsten und hilfreichsten Freunde und 
Wohlthäter war, die sie je besessen. Pettenkofer war der populärste 
Mann der Stadt, geehrt und geliebt von Allen. Er liebte sie aber 
auch die Stadt, in der er seinen Geist hat entfalten können; er 
wünschte, dass es ihr nie an weisen Männern fehlen möge, die sie 
immer mehr entwickeln helfen, damit sie wie in ihren ersten Anfängen 
eine Salzstätte bleibe in fruchtbarem Wissen sowie in jedem Schönen 
und Guten und ihre Bürger gesund und glücklich leben. Im Jahre 
1872 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt ernannt und (1893) bei 
seinem 50jährigen Doktorjubiläum erhielt er die goldene Bürger- 
medaille, das höchste Ehrenzeichen, welches der Stadt zu Gebote 

19 



146 

steht: „als Beweis der unendlichen Liebe und Verehrung der 
Münchener Bürgerschaft für ihren Führer auf dem Wege des ge- 
sundheitlichen Fortschritts.** Eine Vereinigung Münchener Bürger 
überreichte ihm an seinem 81. Geburtstag eine goldene Denkmünze 
mit seinem Bildnisse und der Inschrift: „dem Hohenpriester der 
Hygiene, dem Verscheucher Verderben bringender Krankheiten vom 
heimathlichen Boden, dem um das Wohl der Vaterstadt höchst ver- 
dienten Max V. Pettenkofer widmen diese goldene Denkmünze als 
Zeichen unbegrenzter Verehrung, Dankbarkeit und Liebe Münchener 
Bürger.'' Und nun nach seinem Heimgange soll die Findlingstrasse, 
in welcher er seine grossen Arbeiten ausführte und das hygienische 
Institut steht, seinen Namen erhalten, und ein grösseres Denkmal 
auf einem der schönsten Plätze der Stadt sein Andenken auf ferne 
Geschlechter übertragen. 

Der Einfluss Pettenkofers beschränkte sich jedoch nicht auf 
München, seine Leistungen über die Städtereinigung kommen auch 
anderen Städten und Gemeinwesen ebenso zu Gute; er ist auch 
ihnen ein sicherer Wegweiser geworden für alle Bestrebungen auf 
dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege; namentlich in 
Deutschland ist durch ihn seit den sechziger Jahren in sanitärer 
Hinsicht sehr viel geschehen. Der I. Bürgermeister der Stadt München, 
Herr v. Borscht, äusserte bei der Feier des 50jährigen Doktor- 
jubiläums Pettenkofers: „der Quell, der vor fünf Dezennien voll 
Lebendigkeit aus der Tiefe wissenschaftlicher Gründlichkeit ent- 
sprungen, hat seine befruchtende Kraft nicht ausschliesslich seiner 
nächsten Umgebung mitgetheilt, er ist zum mächtigen Strom angewachsen, 
dessen Segnungen sich weit über das engere und weitere Vaterland 
hinaus über die ganze civilisirte Welt verbreiteten; es giebt heute 
keine aufstrebende Stadt, welche nicht die Pettenkofer'schen Gesund- 
heitslehren in die praktische Wirklichkeit zu übersetzen bemüht 
wäre, es giebt keinen Kulturstaat, der nicht die öffentliche Gesund- 
heitspflege im Sinne Pettenkofers als eine seiner wichtigsten Auf- 
gaben betrachtete." Es wäre ein grosser Irrthum, wollte man bei 



147 



solchen Erfolgen die Bestrebungen für Verbesserung der Gesundheit 
der Städte als abgeschlossen betrachten; die Wissenschaft und die 
Praxis dürfen nicht erlahmen und sie müssen sich bewusst sein, daea 
hierin noch unendlich viel zu thun ist, worauf gerade Pettenkofer 
häuSg hinwies. 

In mehreren amtlichen Kreisen wirkte Pettenkofer für die 
Verbreitung und Anwendung seiner Lehren und bekämpfte uner- 
müdlich die ihm falsch erscheinenden Anschauungen. — Als das 
deutsche Reich (1873) die erste Aktion in Gesundheitsfragen von 
Reichswegen machte und die Ueicha-Cholera-Commission einsetzte, 
war er Vorsitzender und geschickter Leiter der Verhandlungen; im 
späteren Reichsgesundheitsamt trat er, wie schon erwähnt, als 
ausserordentliches Mitglied ein. — In den bayerischen Obermedizinal- 
Ausschusa war er als junger Mann von 30 Jahren berufen worden 
und darin von 1849 bis 1901, also über 50 Jahre, längere Zeit 
als Vorstand, thätig. Er benützte dieaea Organ, welches zwischen 
der wisaensehaftliclien Medizin und der praktischen Medizin alpolizei 
zu vermitteln hat, um die Ergebnisse seiner Forschungen durch 
Verordnungen, Vorschriften und Institutionen in der Praxis lebendig 
zu machen; seine Gutachten waren von nahezu unfehlbarer Bedeu- 
tung. — Auch im Gesundheitarathe der Stadt München war er seit 
seinem Bestehen ein äusserst wirksames Mitglied. 

Ganz besonders innig und fruchtbai- gestaltete sich sein Ver- 
hältniss zu den Aerzten und zu dem Münchener ärztUchen Verein, 
in den er schon im Jahre 1850 eingetreten war. Die Aerzte 
konnten in ihrer praktischen Thätigkeit den Nutzen seiner Lehren 
vielfach erproben und sie fühlten, dass ihnen durch dieselben eine 
neue wirksame Waffe im Kampfe gegen die Krankheit durch Ver- 
hütung derselben geworden und daaa dadurch die Bedeutung des 
ärztlichen Standes ganz ungemein gehoben wurde. Auaaerdem hat 
Niemand ao vielfältige Gelegenheit als der gute Arzt io seinem 
dornenvollen und doch so segensreichen Berufe, die Lehren der 
Hygiene als befruchtenden Samen unter das Volk »UHZuatreuen. 



148 

Pettenkofer trennte jedoch hierin scharf die Aufgabe des Arztes 
und der wissenschaftlichen Hygiene; der Arzt soll die Lehren 
der letzteren kennen und im Leben anwenden, jedoch als solcher 
über hygienische Fragen nicht entscheiden, wozu er nicht befähiget 
ist; dies ist ausschliesslich Aufgabe der hygienischen Forschung. 
Der Arzt, so sagt er, wäre gewohnt, in der Praxis seinen Kranken 
zu befehlen und bindende Verordnungen zu erlassen; in der öffent- 
lichen Gesundheitspflege wäre jedoch der autokratische Standpunkt 
der ärztlichen Praxis unhaltbar; dem Staat und der Stadtgemeinde 
könne der Arzt keine Verordnungen schreiben, nur die Hygiene habe 
als untersuchende, forschende, experimentelle Wissenschaft die sicheren 
Grundlagen für die Anwendung zu schaffen und auszubilden, die 
dann der Arzt unter Hinweis auf dieselben benützt. Pettenkofer 
brachte daher dem ärztlichen Verein gerne und mit Vorliebe die 
Resultate seiner Forschungen in Vorträgen entgegen, die ihm warme 
Anhänger, eifrige Verbreiter und Anwender seiner Ideen warben. 
Er war den Aerzten für ihre Unterstützung stets herzlich zugethan 
und sie brachten ihm auch ihre besondere Dankbarkeit entgegen. 
Der ärztliche Verein wollte ihm einen sichtbaren Beweis dafür geben, 
indem er ihm an seinem 81. Geburtstage eine von Künstlerhand 
geformte werthvolle silberne Tafel überreichte, wobei Pettenkofer 
in rührender Weise dankte und vom Verein für immer Abschied nahm. 

Am Gipfel seines Ruhmes angelangt, erhielt Pettenkofer von 
überall her Zeichen der höchsten Anerkennung von Seiten des 
Staates und gelehrter Gesellschaften. Vier bayerische Herrscher 
erwiesen dem grossen Gelehrten ihre Gunst und Gnade; es wurde 
ihm der persönliche Adel und dann der erbliche Adel und zuletzt 
(1896) der Titel „Excellenz« verliehen. 

Im Jahre 1897 bekam er die goldene Harben-Medaille des 
British Institute of public health; es war eine besondere Ehrung, 
dass das Wirken und die Bedeutung Pettenkofers gerade in England 
gewürdiget wurde, von dem Lande aus, in welchem die öffentliche 
Gesundheitspflege ihren Ursprung nahm und auf dessen Einrichtungen 



149 

und Erfolge er vielfach sein Urtheil in den Fragen der Städte- 
reinigung gegründet hatte. Das Journal of State Medicine bezeich- 
nete es bei dieser Gelegenheit als seinen grössten Ruhmestitel, dass 
es ihm gelang, die Welt von der Noth wendigkeit und dem 
Werth exakter, systematischer und beständiger Beobachtungen und 
Messungen auf dem Gebiete der Hygiene und von der Verpflichtung 
zu deren Förderung zu überzeugen. 

Der Medaille der deutschen chemischen Gesellschaft zum Ge- 
dächtniss seiner Abhandlung über die Atomgewichte (1899) wurde 
vorher schon gedacht. 

Von der allgemeinen Theilnahme getragen waren die Kund- 
gebungen bei seinem 70. Geburtstag und seinem 50 jährigen Doktor- 
jubiläum. An seinem 70. Geburtstag (1888) versammelten sich seine 
Schüler von Nah und Fem, um ihm seine aus der Meisterhand 
W. V. Rümanns hervorgegangene Marmorbüste, welche nach seinem 
Tode im Hörsaal des hygienischen Instituts Aufstellung finden sollte, 
zu überreichen; die Stadt München trug 10000 Mark zu einer 
Pettenkofer-Stiftung bei, aus welcher hygienische Untersuchungen 
unterstützt oder für die öffentliche Gesundheitspflege bedeutsame 
Arbeiten belohnt werden; die Stadt Leipzig betheiligte sich mit 
5000 Mark an derselben. — Bei dem 50jährigen Doktorjubiläum 
(1893) fand Vormittags im ehrwürdigen alten Rathhaussaale eine 
grossartige Feier statt, bei welcher zur Beglückwünschung zahlreiche 
Deputationen erschienen: von dem Reichsgesundheitsamt, der Uni- 
versität und medizinischen Fakultät, dem Obermedizinal-Ausschuss, 
dem Gesundheitsrath, der Stadtgemeinde, der Akademie, dem von 
ihm besuchten Gymnasium, dem ärztlichen Verein und den Schülern, 
die ihm einen Jubelband des Archivs für Hygiene mit vielen werth- 
voUen Abhandlungen widmeten; auch waren zahllose Adressen von 
Universitäten und wissenschaftlichen Gesellschaften sowie andere 
Gratulationsschreiben eingetroffen. Ein Festmahl im alten Rathhaus- 
saale vereinigte Abends Alle, welche dem noch in voller Rüstigkeit 
befindlichen Jubilar ihre Verehrung und Liebe bezeigen wollten. 



150 

Bei Gelegenheit einer Conferenz des Kartells der deutschen 
Akademien in München (1899) wurde dem greisen Gelehrten, der 
als damaliger Präsident unserer Akademie die Theilnehmer zu einer 
zwanglosen abendlichen Zusammenkunft eingeladen hatte, eine über- 
aus herzliche spontane Huldigung der Vertreter der auswärtigen 
Akademien durch den beredten Mund des Chemikers Joh. Wislicenus in 
Leipzig zu Theil, die allen beiwohnenden unvergesslich bleiben wird. — 

Es ist vorher schon erwähnt worden, wie die Vorlesung 
Pettenkofers über Hygiene allmählich sich entwickelte. In der 
Vorlesung für die Mediziner war sein Vortrag durchaus kein 
rhetorisch glänzender, er war einfach wie eine persönliche Be- 
sprechung, hie und da aussetzend, jedoch ausserordentlich ver- 
ständlich und seines bedeutsamen Inhaltes wegen in hohem Grade 
fesselnd; hatte er ja doch fast nur von dem zu berichten, wozu er 
sich durch eigene Kraft durchgerungen hatte; er brachte dem 
Hörer neue ungewohnte Vorstellungen bei, die ihn zum Denken 
zwangen und nachhaltig auf ihn einwirkten, indem sie ihn zur 
wissenschaftlichen Beobachtung aneiferten. — Wenn er in anderen 
Vorträgen vor einem sachkundigen Publikum z. B. im ärztlichen 
Verein die Resultate seiner jeweiligen Untersuchungen sowie seine 
von den bisherigen Ansichten abweichenden Lehren darlegte und 
sie gegen die vielen Angriffe vertheidigte, da konnte er stets seines 
Erfolges sicher sein; der Eindruck seiner schön gefügten, mit 
äusserst wohlklingender Stimme gesprochenen Worte war, besonders 
wenn er in Eifer gerieth, ein so hinreissender, dass Niemand sich 
demselben zu entziehen vermochte. Und doch war er kein eigent- 
licher Redner, denn er schrieb seine grösseren Vorträge und Reden, 
weil es ihm auf eine ganz bestimmte Fassung ankam, stets auf und 
las sie ab; jedoch hatte der Hörer auch da den Eindruck, als ob 
er vor ihm erst seine Gedanken concipire und frei vortrüge. Sollte 
er unvorbereitet sprechen, dann stockte er öfters in der Rede und 
räusperte sich und man sah es ihm an, wie schwer es ihm manch- 
mal wurde, für das, was er sagen wollte, das richtige Wort zu 



161 



fiDden; jedoch waren auch diese seine frei gesprochenen Reden 
Btets von Bedeutung, voll von Ideen und oft von köstlichem Humor. 

Ganz anders war es beim Schreiben. Er schrieb seine Ab- 
handlungen in unglaublich kurzer Zeit nahezu druckfertig nieder; 
hatte er einmal Aeusserungen von seiner Seite für nöthig gehalten, 
dann konnte er Tage und halbe Nächte lang in einem Zuge 
schreiben; noch Anfangs der neunziger Jahre kam es vor, dass er 
Nacht um Nacht bis Morgens gegen 3 Uhr bei der Lampe sasa. In 
solchen Lagen zeigte sich seine ganze Energie und Arbeitskraft: 
die grosse Untersachimg über die Verbreitungsart der Cholera von 
1854, in der seine neue Lehre schon im Wesentlichen enthalten 
war, lag drei Monate nach Ablauf der Seuche vollendet vor; sein 
letztes 50 Bogen starkes Werk über den jetzigen Stand der Cholera- 
frage schrieb er in seinem 70. Lebensjahre (1885 — 1887) in nicht 
ganz einem Jahre; die wunderbare akademische Gedächtnissrede auf 
Liebig war in wenigen Wochen fertig. 

Er war ein Meister einer schönen und klaren Darstellung, 
belebt durch eine Fülle glänzender Gedanken und gewürzt durch 
einen feinen Humor; seine Schreibweise, von einem ganz eigenen 
Reiz, kann geradezu klassisch genannt werden; er hatte sie als Ge- 
winn des Studiums der alten und neuen Klassiker erworben. Durch 
zahlreiche Gleichnisse und Bilder kam er dem Verständniss bei 
schwierigen Auseinandersetzungen zu Hilfe und treffende Beispiele 
aus dem Leben und aus der täglichen Erfahrung machten die Vor- 
gänge anschaulich. Ich habe seine Abhandlungen erneut mit dem 
grössten Vergnügen und dem reinsten Genüsse gelesen; während 
sonst wissenschaftlichen Darstellungen oft und mit Recht der Vor- 
wurf gemacht wird, dass sie für das gebildete Publikum ungeniess- 
bsr und nur für die Sachverständigen lesbar und verständlich seien, 
lesen sich die Schriften Pettenkofers trotz strengster Wissenschaft- 
Hchkeit flüssig und leicht, theilweise, besonders seine populären 
Vorträge, wie ein Roman. Er war gezwungen, gemeinverständlich 
zu schreiben, um seine Lehren und Anschauungen allgemein bekannt 



152 

zu machen und für ihre Einführung zu wirken. Liebig, ebenfalls 
ein Meister populärer Darstellung, hat kurz vor seinem Tode der 
(1873) zur Belehrung und Beruhigung des . Publikums geschriebenen 
Abhandlung Pettenkof ers : „was man gegen die Cholera thun kann^ 
den höchsten Preis ertheilt, den er für populäre Schriften zu ver- 
geben hatte; er drückte seinen Beifall in folgenden Worten aus: 
»Ihre Schrift ist im Styl ganz vortrefflich gehalten und in Be- 
ziehung auf Einfachheit und Klarheit der Sprache ein wahres 
Meisterstück; sie mag den meisten Lesern vorkommen wie aus dem 
Aermel geschüttelt, was man auch von mehreren meiner chemischen 
Briefe gesagt hat; aber ich bin gewiss, dass Sie sehr viel Aufmerk- 
samkeit und Sorgfalt auf die Abfassung derselben verwendet haben, 
wie dies bei den chemischen Briefen von mir geschah; das Einfache 
und Frische in der Diktion ist Sache der Kunst, die man aber 
dabei nicht merken muss.^ 

Pettenkofer hat, wie wir erfahren haben, harte Kämpfe für 
seine epidemiologischen Lehren durchgeführt und das, was er für 
unrichtig hielt, scharf angegriffen, er war kampfesmuthig und 
kampfeslustig bis ans Ende; immer und immer wieder brachte er 
die Gründe, die ihn bestimmten anderer Ansicht zu sein, vor, weil 
er durch die von ihm gefundenen Thatsachen zu einer unumstöss- 
lichen üeberzeugung gelangt war und hoffte, die Anderen endlich 
auch zu überzeugen und zu Untersuchungen in seiner Art anzu- 
spornen. Dabei war er jedoch sachlich und maassvoll, allerdings 
ab und zu witzig und ironisch, aber niemals hat er, wie es heut 
zu Tage leider nicht selten geschieht, eine persönliche Polemik 
geführt oder ein unedles und unwahres Treiben in Bekämpfung 
der Gegner angewendet; nur dann konnte er gewaltig aufbäumen 
und geradezu furchtbar werden, wenn er sah, dass die ihm heilige 
Wissenschaft zu unredlichem Thun missbraucht wurde, wie z. B. als 
Jemand eine von ihm aufgefundene Thatsache ins Lächerliche zog 
und meinte, man könnte beim Vergleich der Frankfurter Kurse 
ebenfalls einen Zusammenhang mit den Typhustodesfallen heraus- 



153 

finden wie mit den Schwankungen des Grundwassers; da brach er 
in die Worte aus: „wer die Rolle des Clowns mit Erfolg spielen 
will, der darf von den Spässen und Sprüngen, die er etwa machen 
zu können meint, nicht blos reden, sondern er muss sie mit über- 
raschender Schnelligkeit und Leichtigkeit sofort exekutiren, und 
erst wenn er dabei keinen Aufsatz prästirt, wird das lachlustige 
Publikum ihm Beifall klatschen.** 

Am glücklichsten war Pettenkofer im Laboratorium unter 
seinen, wissenschaftliche Aufgaben bearbeitenden Schülern, die er 
zur Arbeit anregte und denen er den richtigen Weg des Findens 
der Wahrheit beizubringen und seinen Geist einzuhauchen suchte. 
Das Verhältniss eines bedeutenden Lehrers zu seinen für die Wissen- 
schaft begeisterten Schülern wird ja immer als eines der schönsten 
und edelsten auf dieser Erde angesehen ; Pettenkofers Verhältniss zu 
seinen Schülern war ein besonders herzliches. Er trat ihnen nicht 
als der überlegene Gelehrte gegenüber, sondern wie der Strebende 
den Mitstrebenden. Was aber den Schülern noch mehr werth war 
als der eifrige Lehrer, zu dem sie in Ehrfurcht emporsahen, das 
war, dass er ihnen ein väterlicher Freund war, der mit warmem 
Interesse ihre Entwicklui^g und ihren ferneren Lebensgang verfolgte. 
Darum waren und blieben sie ihm auch Alle in nie erlöschender 
Liebe und Dankbarkeit zugethan. Dies zeigte sich in besonders 
rührender Weise bei der Feier des 50jährigen Doktorjubiläums, wo 
die von allen Seiten gekommenen Schüler nach den rauschenden 
offiziellen Festlichkeiten sich in dem lieblichen Feldafing am Starn- 
berger See mit dem geliebten Lehrer zusammenfanden, um noch 
einige Stunden in traulichem Kreise zu verbringen. Alles war 
erfreut, den Meister trotz seiner 75 Jahre noch so rüstig zu treffen; 
man erinnerte sich der einstigen frohen Stunden der Arbeit im 
Laboratorium und Dank kam ihm von allen Seiten entgegen. Und 
doch konnte man eine wehmüthige Stimmung nicht unterdrücken, 
denn es war voraussichtlich das letzte Mal, dass man sich im Leben 
um den theuren Mann versammelte. Als nun Pettenkofer sich 

20 



154 

erhob, um einen Rückblick über sein Streben und Wirken zu geben, 
betonend, dass er viel Glück auf Erden gehabt habe, und als er 
schliesslich in den herzlichsten Worten seinen Schülern für ihre 
Liebe und für die Unterstützung seiner Bestrebungen dankte und 
für das Leben von ihnen Abschied nahm und ihnen Lebewohl 
sagte, da vermochte er vor Rührung kaum mehr zu sprechen und 
es blieb in diesem feierlichen Augenblick kein Auge trocken. — 

Werfen wir noch einen Blick auf die Eigenschaften des 
Forschers Pettenkofer, dessen Werke wir kennen gelernt haben, so 
tritt hervor, dass er ein äusserst feiner Beobachter der Natur- 
erscheinungen war; er beachtete dabei Dinge, an denen, wie schon 
erwähnt, die Anderen bis dahin achtlos vorüber gegangen waren. 
Bei den verwickeltsten Vorgängen erkannte er alsbald mit seltenem 
Scharfblick, auf was es dabei ankam; indem seine Aufmerksamkeit 
stets auf das Grosse und Ganze sowie auf die quantitativen Ver- 
hältnisse gerichtet war, wurde er davor behütet, Nebendinge als 
Hauptsache und als wirksame Ursache anzusehen. Mit einem 
Geschick ohne Gleichen fand er die Ursachen der Dinge und vorher 
dunkele Prozesse erschlossen sich durch ihn so vollständig, dass sie 
uns als höchst einfache, fast selbstverständliche erscheinen; nament- 
lich war es die chemische Kunst, die er wie nicht leicht ein Anderer 
meisterte. Es sind wahrlich Forschungen ganz besonderer Art, zu 
denen grössere Gaben gehören als für die gewöhnlichen chemischen, 
physikalischen und physiologischen Untersuchungen. 

Mit einer seltenen Virtuosität bediente er sich des Experiments 
und mit erstaunlicher Gewandtheit wusste er die dazu nöthigen 
Apparate zu erfinden. Oft habe ich ihn hierin bewundern können, 
wie er mit den einfachsten Mitteln den Zweck zu erreichen wusste, 
namentlich bei dem Bau des grossen Respirations-Apparates, den 
Manche für seine grösste That halten. Wie rasch überwand er da 
die Schwierigkeiten, als Alles zu stocken drohte und bange Augen- 
blicke eintraten, als z. B. bei der Untersuchung eines Bruchtheiles 
der Luft die gewöhnlichen Aspiratoren versagten und die Gontrol- 



155 

versuche die grössten Fehler in der Bestimmung der Kohlensäure 
und des Wassers ergaben, die er dann durch einen, stets gleich- 
bleibende Bruchtheile der Luft entnehmenden Mechanismus besei- 
tigte, oder als er statt der gewöhnlichen Quecksilberventile, die ihren 
Dienst nicht thaten, die schief gestellten Kugelröhren erfand oder als er 
zum ersten Male die unerlässlichen Control-Bestimmungen versuchte. — 

So wie sein Talent und sein Geist als Gelehrter, waren auch in 
seltener Harmonie seine Charaktereigenschaften entwickelt; man 
wusste nicht, wen man höher stellen sollte, den grossen Gelehrten 
oder den edlen Menschen. Für alles Schöne und Gute zeigte er 
sich in hohem Maasse empfönglich; er war ein feiner Kenner der 
Schönheiten der Natur sowie der Werke der bildenden Kunst, der 
Musik und der schönen Literatur; er ist es auch gewesen, der den 
Anfangs nur wenig beachteten Dichter Lingg durch seelenvolles 
Vorlesen seiner Werke in gebildeten Kreisen bekannt machte; hat er 
ja doch selbst seinen Stimmungen poetischen Ausdruck zu geben gewusst 
in den schon erwähnten chemischen Sonetten sowie in den ergreifen- 
den Haideliedern in Erinnerung an seine Heimath im Donaumoos. 

Pettenkofer war eine ideal angelegte Natur, der Alles Gemeine 
fern stand, ein reiner makelloser Charakter und von tiefem, wahr- 
haft kindlichem Gemüthe. Ich habe Niemand gekannt, bei dem 
die Schwächen, welche jeder Mensch besitzt, so zurückgetreten 
wären wie bei ihm. 

Man hätte denken sollen, ein Mann, der so gewaltige Thaten 
vollbrachte, müsste auch in seinem Wesen etwas Imponirendes und 
Selbstbewusstes angenommen haben. Aber trotz der höchsten Ehren 
und Auszeichnungen blieb er natürlich und schlicht; alles gespreizte 
und dünkelhafte Wesen war ihm fremd; auch in seinen Bedürf- 
nissen war er von der grössten Einfachheit und Genügsamkeit. 
Sein ganzes Dasein war dem Dienste der Wissenschaft geweiht. 
Man würde darum in seiner Erscheinung nicht gleich den berühmten 
Gelehrten, noch weniger einen Geheimrath oder eine Excellenz ver- 
muthet haben. Von einer unendlichen, im tiefsten Inneren begrün- 

20* 



156 

deten Bescheidenheit lehnte er sein Verdienst ab; er sagte gewöhn- 
lich, er habe viel Glück gehabt und es habe viel mitgewirkt, was 
man nicht auf seine Rechnung schieben dürfe, aber die Selbstkritik 
habe ihn gesund erhalten. 

Allerdings kannte er seine wahre Bedeutung und fehlte es 
ihm zu rechter Zeit nicht an Selbstbewusstsein; auch war er nicht 
gleichgiltig gegen äussere Ehren und Anerkennung, denn er freute 
sich derselben, jedoch nicht für seine Person, sondern der Sache 
halber, die er vertrat Er vermochte sehr wohl seine Würde 
geltend zu machen und das Gewicht seiner Persönlichkeit für gute 
Zwecke einzusetzen; ja er konnte gewaltsam sein, wenn er einmal 
etwas als richtig ansah. Muthig pflegte er Schäden und Gebrechen 
im Staate und in der Gesellschaft zu kennzeichnen, um zu ihrer 
Beiseitigung beizutragen. In selbstloser Liebe zur Wahrheit erfreute 
er sich neidlos an den Fortschritten und Errungenschaften der 
Wissenschaft und immer war er voll gerechter Anerkennung der 
Verdienste Anderer. 

Wenn man über irgend welche Dinge in ein Gespräch mit ihm 
kam, dann merkte man an der bedeutenden Rede bald, dass man 
einen aussergewöhnlichen Menschen vor sich habe. In dem auf 
einem kräftigen, wohlgebildeten Körper ruhenden prächtigen Haupt, 
im Alter wie das eines altgriechischen Weisen anzusehen, war der 
Ernst der geistigen Arbeit, aber auch das Wohlwollen des Menschen- 
freundes ausgeprägt; von besonderer Schönheit war das unter 
buschigen Brauen hervorleuchtende feurige Auge, das, wenn er 
seine Gedanken lebhaft aussprach oder seine Freude und Theilnahme 
äusserte, in wunderbarem Glänze strahlte; diesen Blick vermochte 
kein Bild wiederzugeben, wesshalb man bei allen sich sagte, der 
ganze Pettenkofer, wie wir ihn kannten, ist es doch nicht. 

Ein hervorstechender Zug seines Wesens war seine ausserordent- 
liche Herzensgüte und gewinnende Liebenswürdigkeit. Seine Güte 
gegen Alle, auch den Geringsten war unerschöpflich; Jeder konnte 
an ihn kommen mit irgend einem Anliegen, stets war er bereit, zu 



157 

rathen und durch persönliches Eingreifen zu helfen, wo es möglich 
war. Er nahm den herzlichsten Antheil an den Freuden und Leiden 
der Mitmenschen und besonders den ihm näher Stehenden war er 
ein allzeit treuer mitfühlender Freund; jedes Mal hatte man das 
Gefühl, von ihm wieder etwas Gutes und Schönes empfangen zu 
haben. Von mildem, versöhnlichem Sinn suchte er Differenzen und 
Meinungsverschiedenheiten möglichst auszugleichen. Durch diese 
seine Güte, die Niemand etwas zu Leid thun konnte, und seinen 
empfänglichen Sinn Hess er sich allerdings manchmal zu Ent- 
schlüssen bestimmen, welche Andere nicht gut hiessen. — 

Nach dem Tode von Ignaz DöUinger wurde Pettenkofer (1890) 
zum Präsidenten unserer Akademie und zum Generalconservator der 
wissenschaftlichen Sammlungen des Staates ernannt; er hat dieses 
Amt 9 Jahre lang in würdiger Weise zum Nutzen und Ansehen 
unserer Gesellschaft bekleidet. Die Akademien wurden längere Zeit 
als Vereinigungen angesehen, deren Bedeutung für die Wissenschaft 
zum grossen Theil abgelaufen und an die Arbeitsstätten der Uni- 
versitäten übergegangen sei. Aber es kamen doch wieder neue für 
die Wissenschaft höchst fruchtbare Aufgaben hinzu. Es erwies sich 
nämlich für die Entwicklung der Wissenschaft als nothwendig, ein- 
zelne Arbeiten, welche sonst nicht möglich wären, zu unterstützen 
und weiter gewisse grosse wissenschaftliche Unternehmungen ins 
Leben zu rufen, welche nur durch die Vereinigung der Akademien 
durchzuführen sind. Zu einer solchen Wirksamkeit gehören jedoch 
ausreichende Mittel, welche die meisten Akademien, wie auch die 
unsrige, nicht besitzen. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, 
wandte sich Pettenkofer, den Zeitpunkt richtig erkennend, an die 
private Grossmuth, und es gelang seinem hohen Ansehen, der Aka- 
demie Mittel zu den genannten Zwecken zu verschaffen. Edle 
Münchener Bürger von echtem Gemeinsinn, wie sie unserer Stadt 
nie fehlten, haben in Dankbarkeit für die Verdienste Pettenkofers 
um die Stadt und in Erkennung des Nutzens der Wissenschaft eine 
Bürgerstiftung bei der Akademie gegründet ; der Reichsrath v. Gramer- 



158 

Clett und andere Wohlthäter steuerten beträchtliche Summen bei, 
80 dass unsere Akademie jetzt in der Lage ist, in den angegebenen. 
Richtungen die Wissenschaft zu fördern. . Pettenkofer erwarb sich 
dadurch ein unvergängliches Verdienst um unsere Akademie; möchte 
es der, Akademie und unseren Sammlungen, im Andenken an Petten- 
kofers Wirksamkeit, auch weiterhin an Gönnern der Wissenschaft 
nicht fehlen. 

Im Jahre 1894 trat Pettenkofer von seinem Lehramte an der 
Universität zurück und gab allmählich alle seine Stellen und Aemter 
auf: 1896 die Vorstandschaft der Hofapotheke, 1899 das Präsidium 
der Akademie und im vorigen Jahre kurz vor seinem Tode die 
Stelle im Obermedizinal-Ausschuss. Bei den grossen Ansprüchen, die 
er an sich und seine Pflichten zu machen pflegte, ertrug er es nicht, 
sich sagen zu müssen, dass er nicht mehr ganz und voll wie einst 
seine Stellen ausfülle. Er zog sich nun ganz zurück und lebte still, 
im Winter in München, den Verkehr mit seinen Freunden unter- 
haltend, im Sommer auf seinem geliebten Landsitz in Seeshaupt am 
Starnberger See, wo er vom frühen Morgen an im Garten oder am 
Seestrande thätig war, ohne jede Hilfe die Bäume und Sträucher 
beschnitt, die Wege säuberte und das angefallene Holz spaltete. 
Sein einziger Genuss in diesen letzten Jahren war die Freude an 
dem Gedeihen seiner Anpflanzungen und der innige Verkehr mit der 
Natur. An der weiteren Ausbildung der Hygiene, welche er ge- 
schaffen, nahm er von da an nur mehr geringen Antheil und er 
war nicht zu bewegen, der liebenswürdigen Bitte seines Schülers 
und Nachfolgers entsprechend, an der Stätte seiner grossen Wirk- 
samkeit einen Raum anzunehmen und an den Arbeiten des Instituts 
noch mitzuwirken; nur in erquickenden Briefen an seine früheren 
Schüler zeigte er noch das Interesse und die Freude an ihren Arbeiten. 

Er war müde geworden, obwohl man ihm keine Spur des 
Greisenalters anmerkte und er sich noch einer ganz ungewöhnlichen 
körperlichen und geistigen Rüstigkeit erfreute; erhebliche Krank- 
heiten, die ihn an Ausübung seiner enormen Arbeitskraft gehindert 



159 

hätten, kannte er nicht und würde sie wohl auch nicht ruhig er- 
tragen haben. Man hätte ihm daher noch eine längere Lebenszeit 
zugetraut. Als 8 2 jähriger Greis gieng er ungebeugt einher, stieg 
öfters des Tags die 122 Stufen zu seiner Wohnung in der könig- 
lichen Residenz empor oder ruderte mit kräftigem Arm sein oft schwer 
beladenes Boot durch den See oder schwamm in demselben umher. 

Obwohl er sonst zumeist heiteren Sinnes war, fieng er schon 
seit bald 30 Jahren an zu klagen, dass sein Gedächtniss abnehme 
und dass er nicht mehr so leicht wie früher arbeite, was aber bei 
seinem Alter ganz natürlich schien. Diese Klagen nahmen immer 
mehr zu und fast jedes Mal als er mich aufsuchte, hörte ich ihn 
sagen, dass ihm nichts mehr einfalle und er zu nichts mehr nütze 
wäre, dass er des Lebens müde sei und gerne sterben würde. Wäh- 
rend seines langen Lebens kannte er keinen anderen Zweck und 
Genuss als den, rastlos zu arbeiten und da erschien ihm das Dasein 
ohne die Arbeit schaal und nutzlos, wenn er hie und da auch im 
Scherze meinte, er habe im Alter doch noch etwas gelernt, nämlich 
faul zu sein. Dazu kam noch, dass er in seiner Familie schwere 
Schicksalsschläge erlitten hatte; seine Gattin war im Jahre 1890 
gestorben, sowie zwei Söhne und eine Tochter ihm in der Blüthe 
der Jahre entrissen worden; den Verlust des älteren hoffnungsvollen 
Sohnes, der als junger Mediziner starb, hat er nie überwunden; so 
fühlte er sich trotz der Liebe der Ueberlebenden doch vereinsamt. 
Es war ihm unmöglich, den Vorstellungen seiner Freunde nachzu- 
kommen und auszuruhen von seinem reichen Lebenswerke und sich 
an der Verehrung der Mitwelt zu erfreuen. Die düsteren Stimmungen 
wechselten aber wieder mit solchen, wo er heiterer sein konnte 
und sich auf den herannahenden Frühling am Starnberger See freute. 

Da befiel ihn Ende Januar eine ernste infectiöse Halsentzündung, 
die ihm viel Schmerzen bereitete und den gewohnten Schlaf und 
Appetit nahm. In der dadurch gesteigerten Schwermuth legte er 
Hand an sich. Bei der Sektion fand sich hochgradige chronische 
Entzündung der harten Hirnhaut mit bedeutender Verdickung und 



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Verwachsung derselben; starke Verkalkung der mittleren und 
grösseren Schlagadern des Gehirns, wodurch Ernährungsstörungen 
des Organs bedingt waren. 

Im Jahre 1889 äusserte sich Pettenkofer, als sein früherer 
Schüler und Assistent, Professor Isidor Soyka in Prag, in tiefer 
Melancholie um den im Irrenhause gestorbenen Bruder, seinem 
Leben ein Ende machte, in einem Nachrufe auf denselben: „Selbst- 
mord ist kein Heldentod, und nur zu entschuldigen, wenn er ein Opfer 
für geliebte Wesen oder eine ideale Sache ist, oder wenn er einen Unzu- 
rechnungsfähigen trifft: in diesem Falle ist er ein tragisches Geschick.* 

Es ist das Loos des Menschen, dass er den Gesetzen der 
Materie wie alle Dinge auf der Erde unterworfen ist. Das Instru- 
ment, das verwickeltste und feinste, was es giebt, durch das so 
Herrliches vollbracht wird, kann durch geringfügige Einflüsse ge- 
ändert werden, so dass fremdartige Vorgänge in ihm stattfinden 
und Gedanken ausgelöst werden, unter deren Gewalt vorher für 
Unrecht Gehaltenes gethan wird. Wir beklagen, dass ihm und uns 
dieses Geschick nicht erspart wurde. 

Wenn uns auch jetzt noch das Ende des sonst so wunderbar 
schönen, harmonischen Lebens als eine Dissonanz erscheint, so wird 
doch sein Bild in verklärtem Lichte rein dastehen in Anschauung 
des Unvergänglichen, was er erstrebt und errungen. Sein Andenken 
wird ein gesegnetes bleiben als das eines der hervorragendsten und 
eigenartigsten Naturforscher, der die Gesetze gefunden hat, wie man 
das hohe Gut der Gesundheit erhält und stärkt, und dadurch die 
Wohlfahrt des Volkes gefördert hat wie nur Wenige. 

So wie Pettenkofer es so schön von Liebig gesagt hat, liegt 
auch er jetzt vor uns, geläutert von den Schlacken auf dem heissen 
Treibbeerde eines rastlos thätigen, glorreichen Lebens, als ein mäch- 
tiger Silberblick von ungewohnter Grösse, den kommende Geschlechter 
noch bewundernd schauen werden. — 



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