Google
This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world’s books discoverable online.
It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover.
Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
‘We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.
About Google Book Search
Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web
alkttp: /7books. google. com/]
Google
Über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen.
au + & 6
Auszüge
aus Auffchreibungen ber fahre 1811 bis 1861
zufammengeftellt
von
Stanz Sreiherrn von Indlaw.
Erfter Band.
Frankfurt am Main.
J. D. Sauerlänber’s Berlag.
1862.
Drud von % D. Gauerlänber.
DDsor
RBısAs
Einleitung.
Ars ih vor einigen Jahren in den „Erinnerungsblättern
aus den Papieren eines Diplomaten.” Frankfurt am Main
% D. Sauerländer 1857" einen Theil meiner Erfahrungen,
geſammelt auf einer ungemein bewegten Laufbahn, niederlegte,
als ich Erlebtes erzählte, manche interejjante Berfönlichkeit ffizzirte,
einige merkwürdige Begebenheiten fchilderte, deren Augenzeuge ich
war, fand jenes anfpruchslofe Wert im Kreife von Belannten
und Gleichgefinnten vielfachen Anklang und auch die litterarifche
Kritit hob die Vorzüge hervor, während fie es freilich nicht
unterließ, ebenfo deſſen Schattenfeiten anzudenten. Der Haupt:
borwurf, den man der Zufammenftellung machte, bejtand darin,
daß fie nicht vollftändig, erjchöpfend genug fei, iiber Manches
nur bingleite, vieles Wiffenswerthe verfchweige, und gerade oft
da abbredje, wo man mehr zu erfahren mwünjche u. dgl. m. —
Ich Habe zum Theil in dem Vorworte und an verfchiedenen
Stellen jener Blätter felbft die Gründe angeführt, welche mich
873
vI
beftimmten, den Stoff in manchen Füllen nicht einläßlicher zu
behandeln, Einmal legte mir meine dienftliche Stellung ge-
wiſſe Rüdfichten auf, über die ich mid) nie hinausfegen werde,
und dann fand id) e8 immer tadelnswerth und vorlaut, über
Perfonen und Thatſachen abzufprechen, welche noch nicht der
Gefchichte angehören, oder Familien», politiihe wie andere
Geheimniſſe gewiffenlos zu enthüllen. Wollte ich die mir felbit in
diefer Hinficht eng gezogene Grenze überfchreiten, fo hätte ich
mein Buch freilich „pilanter“ machen, vielleicht auch etwas
Scandal verurjachen können, auf den es bei einer gewiſſen Klaſſe
von Leſern, nehmen fie Werke diefer Art zur Hand, immer ab-
gefehen if. Börne fagt irgendwo, daß Jeder geiftreich und
intereffant fchreiben könne, wenn er es nur wage, Alles aus-
zufprechen, was ihm gerade einfalle. Ohne diefen Satz unbe-
dingt zu unterfchreiben, da man eben, um anziehend und unter-
haltend, auch vor allem geiftvoll und wigig fein muß, fo ift
doch gewiß, daß wer der Zunge wie der Feder rückſichtslos und
unbefümmert um Religion, chriftlihe Nächftenliebe, Sittlichkeit
und Anftand, freien Lauf Täßt, immerhin pifante Bücher fchreiben
fann, und andere, welche nicht in diefen Ton einftimmen, matt,
farblos, unbedeutend dagegen erjcheinen: Mephiftophiles iſt
immer geijtreich !
Dem eben entwidelten Grundfage getreu, habe ich daher
nicht alle gefammelten Notizen jest ſchon benügen fünnen. Die
Beröffentlihung einiger Charakter - Schilderungen, die Aufdeckung
mancher Thatfachen muß einer fpäteren Zeit vorbehalten bleiben,
Anderes ift jet abgeblaßt, nur noch von untergeordnnetem Intereſſe.
vo
Unfer Jahrhundert tft mit Ereigniffen fo überrafchender Art
angefüllt, e8 drängt, jchlägt eine Erfcheinung fo fehr die andere,
alles ift ftets in fo fieberhafter Erregtheit, daß man bei ber
erdrüdenden Maſſe des in fi) Aufzunehmenden, feien es auch
nur bie politifchen QTagesberichte, faum mehr Zeit für die An-
Hänge der Vergangenheit findet. Wenn ich e8 demnach unter-
nehme, wiederholt Zeitgenoffen und Begebenheiten zu fchildern,
fo leitet mich der Wunfch, auch hiermit weitere Beiträge für
die Gefdhichte der Gegenwart in dem befcheibenen Maße. zu
liefern, wie es meine Verhältniffe und Fähigkeiten geftatteten.
Es wurde mir die Genngthuung zu Theil, Stellen aus ben
„Erinnerungsblättern“ in Büchern und Zeitfchriften als Quelle
für Zhatfachen, als Widerlegung unrichtig aufgefaßter oder ab⸗
fichtlich verbrehter Darftellungen citirt zu finden. Mögen aud
die nachftehenden Seiten, einfach und wahrheitsgetreu, VBorurtheile
beflegen, Irrthumer berichtigen helfen !
In welcher Form jedoch follte diefe neue Folge erjcheinen?
Dem früheren Werke nad) fo langer Unterbrechung einen zweiten
Theil zu geben, war nicht wohl möglih, und „Selbitichau,
Autobiographie, aus meinem Leben u. dgl. m.“ find gar zu
abgenützte Titel. Auch ift es mit ſolchen Ergüffen eine ganz
eigene Sache: ſelbſt 3. 3. Rouſſeau, der doch feine „Confes-
sions“ fchrieb, fagt darüber: „Nul ne peut &crire la vie d’un
homme, que lui-m&me; sa manière d’&tre interieure, sa
veritable vie n’est connue que de lui. Mais!? en l’Ecrivant,
il la d&eguisera; sous le nom de sa vie il fait son Apo-
logie; il se montre comme il voudrait &tre, mais pas du
VIII
tout, comme il est. Les plus sincères sont tout au plus
vrais dans ce qu'ils disent, mais ils mentent par leurs
reticences, et ce qu’ils taisent, change tellement ce qu’ils
feignent d’avouer, qu’en ne disant qu’une partie de la
verite, ils ne disent rien du tout. Je mets Montaigne à
la t&te de ces faux sinceres, qui veulent tromper en disant
vrai; il se montre avec des defauts, mais il n’en avoue que
d’aimables; il n’y a pas d’homme, qui s’en trouvät d’odieux;
Montaigne se peint ressemblant, mais de profil. Qui sait,
si quelque balafre & la joue, ou un oil crevé du cot&, qu’il
nous cache, n’eut pas totalement change la physionomie! “
. Diefe, eine tiefe Menſchenkenntniß athmenden Worte, diefe
geiftreihe Warnung beachtend, wagte ich es nicht, mich auf ein
fo fchwieriges Terrain zu begeben. In der That können folche
Schriften nur dann wahrhafte, nachhaltige Theilnahme erweden,
wenn der Erzählende, wie etwa Göthe, ſelbſt eine hervorragende
Perfönlichkeit ift, oder wenn die Erlebniffe dejjelben wie feine
nahen Beziehungen zu berühmten Männern dem Buche einen
bejonderen Reiz verleihen, Ich habe es nun Hier verfucht, die
Mitte zwifchen einer Selbftbiographie und rein objeftiv gefärbten
Bemerkungen haltend, eine Art von Memoiren zu fchreiben, welche
in gefälliger Form, verfchiedene Abfchnitte meines Lebens, chrono-
logiſch geordnet, umfaffen follen. Ich nannte diefe Aufzeich-
nungen: „Mein Tagebuch,“ weil fie wirklich abgekürzt, das
Weſentliche deifen enthalten, was ich feit nun 50 Jahren in
mein Journal eingetragen. Anfangs nur für meine Verwandten
und einen engeren Kreis von Freunden beftimmt, erjcheinen fie
num gedrucdt. Ich aber wünſchte, alle meine Belannten, hätten
jie Luft und Geſchick dazu, ſchrieben Bücher diefer Art; fie
würden, je nad) ihrer individuellen Anſchauung und ihrem Stand-
punkte, das Erlebte beleuchten, und aus der Zufammenftellung,
IX
wie bei der DVergleihung diejer verjchiedenartigen Auffaffungen
ließe fi) ein anziehendes Zeitbild entwerfen.
Lejer, welche zwifchen den Zeilen zu errathen wiſſen, werden
manche fcheinbare Lücken ausfüllen können. Lefern aber, welche
etwa finden, daß ich zu viel des Verfchiedenartigen angehäuft,
antworte ich mit Göthe's Worten:
„Wer Vieles bringt, wird Jedem etwas bringen,
Es fuche Jeder fi das Seine ans.’
Baden-Baden, Mär; 1862. ’
Ber verſaſer.
Inhalts - Verzeichniß.
Seite
Einleitung - > 2 2 nn V
Erſter Abſchnitt (1799—1810) - - - - >» > 2220 nen 1
Geburt. Erſte Augendzeit und Cimbrilde, Erziehung.
Doctor Ball. Nervenfieber. Erfte Pariſerreiſe. Gtraß:
burger Abenteuer. Bermählung Napoleons. Regierungs:
wehfel im Breisgau. Mebergabe von Modena an Baden.
Beſondere Umftände babe. Bolttifhe Zuſtände unb gefel:
Tige8 Leben in Freiburg. Meine Eltern. Der Dichter
Auffenberg.
Zweiter Abſchnitt (1810 — 1813) - - - » - > 2220. 15
Karlsruhe Neue Verhältniſſe. Hof⸗ und geſellſchaftliches
Leben. Die weiße Frau. Der Großherzog Karl Fried rich.
Sein Charakter und fein Tob. Großherzog Karl unb Großherzogin
Stephanie Feſte unb diplomatiſches Corps. Salonfiguren.
Hof⸗ und Cabinetsintriguen. Dr. Dereſer. Prälat Hebel.
Der große Comet und ber gute 1811* Wein. Die beiden Erb:
pringen. Der ruffifhe Feldzug. Der Brand von Moskau,
Iffland und Efflair. Die Hofbaltung der Markgräfin Amalie.
Die beiden Markgrafen Friebrih und Lubwig von Baben.
. Die Grafen von Hochberg. Abſchied von Karlsruhe.
FU
Dritter Abſchnitt (1813 — 1815) - - -» 2 2 2220.
Freiburg. Schlachten und Friedensverhandlungen während bes
Sommers. WVölkerſchlacht von Leipzig. Rüdzug ber Franzofen.
Durchmarſch ber alliirten Truppen. Aufenthalt ber brei Mo:
narhen in Freiburg. Kaifer Alerander in unferem Haufe.
Die Fürften Metternid und Schwarzenberg Ein Gebdicht
J. ©. Zacobi’s. Einquartierungen. Rheinübergang bei
Baſel. Mein Bater Gouverneur. Lostrennung bed Fürſten⸗
thums Pruntrutt von Frankreich. Ginzug und Friebensſchluß in
Paris. Auftritte und Exceſſe in Freiburg. Der ruſſiſche
Fürſt Mammoloff. Der Freiburger Prauenverein unb meine
Mutter. Die deutfhe Tracht. Rückkehr ber Truppen. Wiener
Congreß. Flucht von Elba. Neue Rüftungen unb Truppen⸗
märſche. Erzherzog Johann. Hüningen. Die badiſchen
Truppen. Die Schlacht von Waterloo. St. Helena. Ein
brüde. Erinnerungen.
Bierter Abſchnitt (1815 — 1824) . -» -» - 22220.
Lehr: und Wanderjahre. Untverfitätsleben in Frei—
burg, Skizzen von Profefforen. Prüfungen. Meine Mitihüler.
Die Draifine, Frau v. Krübener. Univerfität Landshut. Leben
und Treiben allda. Sailer, WMittermayer u. a. WBrofefioren.
Stubien, Reibungen, Duelle, Landmannfhaften. Betrachtungen
fiber das Studentenleben. Donaureife nah Wien. Kleine Aus:
flüge nad Regensburg und Münden (König Mar). Univerfität
Heidelberg. Profeſſoren. Glänzende Frequenz. Corps und
Burſchenſchaft. Exrceſſe. Gefelliged Leben in Mannheim unb
Heidelberg. Die Umgebungen. Kleine Reifen. Hinrichtung Karl
Sand's. Demagogiſche Umtriebe. Schluß ber akademiſchen Studien.
Kückkehr nah Freiburg. Staatsprüfung. Zeit des Praktizirens.
Reifen: Ausflüge an ben Rhein, in bie Schweiz u. f. w.
Größere Reife nah Italien. Skizze im Vogelfluge. Mais
land. Florenz (bie Theaterloge). Rom (Mubienz bei Pius VII
52
AU
Conſalvi)j. Neapel (ber König Ferdinand), Venedig. Drei
Reifenbenteur. Paris. Lubwig XVIH. Sein Hof Die
Kammern. GSehenswürbigkeiten, Umgebungen. London. (in:
drüde. Parlamentsſchluß durch Georg IV. Feſte und Bälle,
Merkwürdige Perſoͤnlichkeiten. Windſor. Orxford. Inſel Wigbt.
Seeſturm. Rückkehr. Abſchied vom väterlichen Hauſe.
Fünfter Abſchnitt (11824 — 1826)3.. ......
Berufsthätigkeit in Karlsruhe. Hiſtoriſch-politiſche RU d:-
blicke. Die zwblfjährige Regierung des Großherzogs
Ludwig. Seine Wirkſamkeit. Sein Charakter. Der Hof.
Die Miniſter. Major von Hennenhofer. Di Stände
verfammlungen von 1825 und 1828. Betradtungen
über das conftitutionelle Syftem. Die Markgräfin Umalie unb
bie Königin Krieberite von Schweden. Gefellige Zu:
flände und Theater in Karlsruhe. Bier Wochen auf bem
Johannisberge. Füf Metternich unb feine Familie,
Deutihe Fürften unb Diplomaten. Die heilige Allan. Poli⸗
tische Ereignifiee Tod bes Kaifers Aleranber Ubfchieb
von Karlsruhe,
Sechster Abſchnitt (1826 — 1830) - - - - 22200.
Wien Ueberſicht. General v. Tettenborn. Der Kaifer
Stanz und der Wiener Hof. Salons. Silhouette bes Fürſten
Metternid. Seine Geſchwiſter unb Kinder Die Familie
Leykam. Tod ber Gräfn v. Beilftein und Bictors,
Diplomatifhes Corps. Wiener Boll: und Öffentliches
Leben. «Der ruffifhstürtifhe Krieg. Die griechiſche
Frage. Badiſche Ungelegenheiten. Streit um bie Pfalz.
Der Herzog Karl von Braunfhweig Drei Belfen.
Todesfälle. Die große Ueberſchwemmung In Wien,
Tod des Großherzogs Lubwig. Veränderungen. Abberufung
von Wien.
98
AN
Siebenter Abſchnitt (1830 — 1832)... -- - 2. 222.2 ..
Karlörube. Der neue großberzoglihe Hof. Veränderungen
und Einbrüde Reife nah Paris. Abenteuer. Julitage-Anblick
von Baris. MWerlegenbeiten. Marmont. Gt. Cloud und Ram:
bouillet. Der König Ludwig Philipp und bie Kammern.
Tagesbegebenbeiten und Meinungen. Ber Herzog von Chartres.
Der letgte Condé und fein geheimnikvoller Tod. Das biple-
matifhe Corps und feine Haltung. Der Bailli v. Ferretie.
Politiſche Betrachungen. Salons und ber Gerrle. Straßen:
fcenen unb Theater. Die Minifter und ihr Prozeß. Die Männer
bes Tages. Rückkehr nah Karlörube Fürftlihe Ver⸗
mählungen. Zuſtand Deutſchlands, polnifche Revolution,
Das Jahr 1881. Meberfiht. Vorgänge in Italien. Neun:
monatlide Stänbeverfammlung in Baden. Die Markgräfin
Amalie und bie Prinzeffin Augufte von Naſſau. Der Herzog
Karl von Braunfhweig und fein Kammerbiener Bitter. Die
Polen in Freiburg. Börne in Karlerube. Aufenthalt in
Mannheim, Der Salon ber Großherzogin Stephanie Die
Königin Hortenfe und Louis Napoleon. Meberblid ber
politiſchen Ereigniſſe. Blaye. Die Schweiz. Das Hambader
Feſt. Die Bundes8beſchlüſſe. Rückreiſe nah Wien.
Achter Abſchnitt (1832 — 1835).......... 3
Wien. Freiherr v. Falkenſtein. Politiſche Rückblicke. Die
Cholera. Tod von Gentz. Ableben des Herzogs v. Reihftadt
und ber Markgräfin Amalie von Baden. Die jüngere Königin
von Ungarn Ein Uktentat, Ein Gedicht Grillparzer's. Die
zehnte Berfammlung der Geſellſchaft deutſcher Naturforſcher.
Die Bourbonen Älterer Linie. Die Großberzogin Stephanie in
Wien, Rozzo bi Borgo. Das Jahr 1888. Ueberſicht. Schrift:
ſteller. Volkaleben. Theater und Faſching. Die Grippe. Graf
Polier. Politiſche Bewegungen. Fürftencongrek in
Mündengräg. Drei Todesfälle Dipfomatifhe Corps und
XV
Salons. Drei Damen aus ber Geſellſchaft. Die deutſchen
Minifterialconferenzen. Porträt. Die Schweiz. Feſte und
Liebhabertheater in Schönbrunn. Ein Pasquill. Fremde
und Bekannte in Wien. Fürſt v. Kürftenderg Varnhagen
von Enfe. Graf Ferd. Balffy,. Neuftabt und Gifenftabt, Gine
Snftellation. Zwei Lager. VBermählungen unb Teſtamente.
Saphir. Wiener Kritil. Holtey und Raimund. Trauung bes
Grafen Sanbor. Tod des Kaifers Franz Dligardie,
Botfhaften und hohe Beſuche. Trau erfeierlichkeiten und Hul-
bigung. Die erfte Anbuftrieausficliung Auswärtige
Greigniffe._ Zuſammenkunft bee Monarchen in Töplig unb
Brag. Kalfer Nikolaus in Wien. Meine Abreife.
Srfler Abſchnitt.
(1799 — 1810.)
Inhalt: Geburt Erfie Jugendzeit und Eindrüde. Erziehung.
Doctor Ball. Nervenfieber. Erfte Pariferreife. Straßburger
Abenteuer, Bermählung Napoleons Regierungswechſel im
Breisgau. Uebergabe von Modena an Baden. Befondere Umftänbe
dabei. Politiſche Zuftände und gefelliges Leben in Freiburg.
Meine Eltern. Der Dichter Auffenberg.
Geboren den 6. Oktober 1799 zu Freiburg im Breisgau unter
den günftigften Conftellationen, brachte ich die Kindheit im elterlichen
Haufe jener Stadt zu. Aus der Zeit, in welder die Begriffe
Harer werden, und das Erlebte fi, wenn auch nicht in ununter:
brochener Folge, doch in den wichtigeren Momenten dem Gedächtniffe
einprägt, erinnere ich mich meiner guten mütterlihen Großmutter,
bei der ich beinahe den ganzen Tag über fpielte, die mich erzog
und nad) großmütterlicher Weife wohl auch — verzog. Noch jehe
ih im Geiſte die zahlreichen franzöfifchen Truppen 1805 in daB
Feld nad) Oefterreih und von da wieder zurüd ziehen, und freute
mich nad Kinder Art der fortmährenden Einquartierungen in
unferem Haufe, eine Freude, welche wohl Wenige mit mir theilten,
Im Wohnzimmer der Großmutter Hatte ich felbft ein Kleines,
bleierned Heer aufgeftellt, das ich commandirte, und noch weiß ich,
daß ein franzöſiſcher Oberft mir zeigte, wie ich die verfchiedene
Gch. v. Andlaw. Wein Tagebud. I, "1
2
Waffengattungen in der Schlacht oder auf dem Marfche zu ordnen
hätte. Die Namen: Erzherzog Karl und Napoleon, Wien und
Um, fpäter Tyrol und Andreas Hofer ertönten ftet3 in meinen
Ohren, und bei den fidh täglich überftürzenden Kriegsnachrichten
und dem beitändigen Waffenlärm in unmittelbarer Nähe vermochte
mein jugendliches Gemüth Perſonen und Ereigniſſe weder gehörig
zu trennen nody zu beurtbeilen. Den erften wahren Schmerz
lernte ich bei dem 1806 erfolgten Tode der geliebten Großmutter
fennen: man brachte ung Kinder auf3 Land, und als ich zurüd:
fehrte und fie nicht mehr traf, die ſich beinahe ausſchließend mit
mir befhäftigt, brach ich in unaufhaltfames Weinen aud. Der
Hofmeifter, welchem ich damald zur eriten Erziehung übergeben
wurde, führte mic) am bald darauffolgenden Allerfeelentage an
dad Grab der theuern Verblichenen, wo eine arme Frau, von ihr
vielfach unterftügt, mit mir betete! Der würdige Lehrer diktirte
mir fpäter einige rührende Worte über diefen Vorgang in das
Tagebuch, und ich ahnte damals nicht, daß ich 24 Jahre nachher
den Sinn jener Eindrüde erit tiefer und lebhafter erfaſſen follte.
Im Juni 1830 ſtand ich abermals an einem Grabe, aber dieß-
mal an dem Grabe meiner eigenen Mutter, und zufällig wieder:
bolte ſich da derſelbe Auftritt, wie eine dürftige Wittwe ihre
Thränen und dankbaren Gebete mit den meinigen vereinigend, mir
ftillfchweigend das geweihte Waller reichte! — Seit jener Zeit
befuchte ich oft und bei verichiedenen Anläffen den ſchönen Kirchhof
von Freiburg, nie ohne jener Gefühle zu gedenken, ja! in ben
letzteren Jahren erichien es mir, ala ob ich in diefer Stabt mehr
Bekannte unter der Erde, als Lebende zähle, fo fehr bat fidh
der Kreis meiner Verwandten und Freunde gelichtet, fo viele
befannte Namen traten mir aus den: Grabmälern entgegen!
Ungemein frob, glücklich und forgenfrei verfloß diefe Kinder:
zeit für meine Gefchmwifter und mid. Im Winter zu Freiburg,
.ı.n mm 43A/\V(V ⏑⏑1⏑. X —⏑⏑ ⏑ —
8
im Sommer auf den herrlich gelegenen Gütern meines Vaters.
Der Sinn für die Reize der ſchönen Natur, auf dieſe Art früh
ſchon eingeprägt, blieb. mir für das Leben. Mit zärtlicher Liebe
hingen wir an unferer vortrefflihen Mutter, die, die Seele bed
Haufes, ernft und milde, unfere religiöfe, fittliche und mwiffenfchaftliche
Erziehung überwachte. Ihr immer thätiged Bemühen trug mefentlich
dazu bei, unfere Beobachtungsgabe zu fchärfen, und uns ftetz,
ſelbſt fpielend, geiftig anzuregen. Gar viele Abende — die
glücklichſten unfered Jugendlebens — brachte fie mit uns zu,
erzählte ſelbſt Erlehtes, Gefchichten oder Mährchen, oder ließ uns
vorlefen, Gedichte herſagen u. del. m. War ihre Rüdficht für
unfer körperliches Gedeihen vielleicht aud etwas zu ängftlich, fo
verdankten wir doch auch wieder dieſer oft zu weit getriebenen
Sorgfalt, dag wir Kinder von den erften in Freiburg waren, an
denen unfere gute, vorurtheilsfreie Mutter, ungeachtet vieler Wider:
ſprüche und heftiger Anfeindungen, die DBlatternimpfung vollziehen
ließ. Später waren wir Geſchwiſter ſehr erftaunt, und einem
frenıden Manne vorgeftellt zu fehen, der aufmerffam und forgfältig
unfere Meinen Köpfe befab und betaftete. Wir erfuhren, daß er
der damals fo berühmte Schäbellehrer Dr. Gall war; ich erinnere
mid noch, daß er mir drei Sinne zuerkannte: den Ort, den
Zahlen, den Muſikſinn. Den erfteren Ausſpruch laſſe ich
gelten, won den beiden anderen habe ich nie viel in mir verfpürt;
ich bin weder ein Dafe noch ein Mozart geworden.
Ein braver, gebildeter Priefter ertheilte uns im Dereine mit
Fachmännern den erften Unterricht. Wir bejuchten nie die unteren
Öffentlichen Schulen. So Fam unter guten, heiteren, Geiſt und
Körper wohltuend anregenden Einwirkungen dad Jahr 1809
heran. Mein Bater, oft auf Reifen oder in Dienftgefchäften
abweſend, war damals in Wien. Da befiel mich ylößlich ein
Nervenfieber; es batte diefe fürchterliche Krankheit anftedend einen
Theil der Bevölkerung ergriffen; auch einer meiner Sugendgefährten,
1 n
4
Graf Oktav Kagenek, war derfelben erlegen. Xroftlos, nur noch
auf Gott vertrauend, faß meine arme Mutter an meinem Bette,
mich mit aufopfernder Liebe pflegend; da brachte mir nach Tangen,
angftvollen Tagen ein heftiges Nafenbluten zuerſt Erleichterung,
dann Geneſung. Doch nur langſam erholte id) mich, verlor alle
Haare und eine Perrüde — eine feltene Bededung in dieſem
Alter — ſchützte meinen jungen, kahlen Schädel.
Nah einigen Monaten hatte ich wieder fo viele Kräfte er-
alten, um meine Mutter im März 1810 auf einer Reife nad)
Paris begleiten zu können, wo mein Pater damals badifcher
Sefandter war. Hier eröffnete fih nun meinem jugendlichen,
empfänglichen Gemüthe eine neue Welt. Unvergeßlich für’3 ganze
Leben blieben mir diefe kaum zu bewältigenden Eindrüde. Als ich
aber vollends Napoleon und Maria Louife, unmittelbar nad) ihrer
Trauung in der ©allerie des Louvre, auf einen Balcon ber
Tuilerien beraustreten ſah, das Kaiferpaar von einer Million,
in Jubel ertönender Kehlen begrüßen hörte, fühlte ich, daß diefer
alle Anweſenden mächtig ergreifende Augenblid für immer als
einzig und denfwürdig in der Geſchichte bezeichnet werden würde.
Ich übergehe die weiteren Details Ddiefer meiner erften größeren
Reife, al3 zu unbedeutend für den vorliegenden Zweck; nur eine?
will ich noch erwähnen. Auf der Rückkehr wurde meine Mutter
in Straßburg unter dem Borwande aufgehalten, daß unfer Paß
nit en regle fei; vergebens waren ihre BVerficherungen, daß fie
die Frau des badiſchen Gefandten fei und man fie doch nicht
bindern Fönne, über den Rhein zu geben u. dal. m. Es halfen
jedoch Teine Vorſtellungen; meine gute Mutter, welche aus Sehn⸗
fuht nad ihren Kindern in Freiburg den Parifer Beſuch abgekürzt
hatte, mußte acht lange Tage in Straßburg wie gefangen aus:
barren, bis der nah Paris geichiete Paß mit, ich weiß nicht,
5
welchem Bifa wieder zurüdgelangt war. In unferer Zeit würde
man ſolche Anftände für unmöglich halten; der Telegraph hätte
fie in einer Stunde erledigt.
Mit naiv-Findlichen Bemerkungen füllte ich ein kleines Reiſe⸗
journal über jenen Pariſer Aufenthalt an, und Iernte fo das
Geſehene leichter in meinem Gebächtniffe ordnen. Seit jener Zeit
nun führte ich ein regelmäßige® Tagebuch dur fünfzig Jahre
ununterbrochen bis zur heutigen Stunde fort — feierte daher ein
Tagebuch-Jubiläum! Im diefen Blättern ziehen die Geftalten
und Thatſachen, je nad meiner Auffafjungsweife und Stimmung
gefärbt, in langer Reihe vorüber, und menn ich fie nun wieder
durchgehe, müßte mir gar Manches wie ein Traum bald mülter,
bald erhebender Art erſcheinen, ftünden diefe Erlebniffe nicht von
meiner eigenen, fich feit dem halben Sahrhunderte unzählige Dale
ändernden Handſchrift aufgezeichnet. Doc genug von mir und
meinem jugendlichen Treiben! Wenden wir und einen Wugenblid
ernftern Dingen zu.
Während meiner erften fieben Lebensjahre hatte meine Vater:
ftadt dreimal ihren Monarchen gewechſelt. rüber unter Oeſter⸗
reichs Scepter, fiel das Breisgau 1802 an das Herzogthum
Modena, um dann nad vorübergebender Herrſchaft dieſes Erz:
hauſes 1806 im Preßburger Frieden dem, aus einem Kurfürften-
thum in ein Oroßherzogthum verwanbelten Baden zuerfannt zu
werden. Wäre dad Breisgau öſterreichiſches Vorland geblieben,
fo hätte e8 von 1800 bis 1835 nur einen Regenten — den
Kaiſer Franz — gehabt; fo geſchah es aber, daß Freiburg während
jener Epoche nad) der Reihe ſechs Herren — einem Kaifer, einem
Herzoge, und vier badifhen Großherzogen — unterworfen mar.
Die Stadt felhit fand fih damals aus verjchiedenen Ele⸗
menten zufammengefebt. Eine väterliche Regierung ebenſowohl
6
als Tangjährige Gewohnheit und treue Anhänglichkeit verbanden
die Einwohner mit dem Kaiſerhauſe. Adel und Geiſtlichkeit, bie
Bürgerfchaft wie die übernommenen Beamten konnten fi
unmöglih alſogleich von hundertjährigen Xraditionen losſagen.
Bar manches feftgefchlungene Band murde da gewaltſam zerriffen,
weſentliche Intereſſen vielfach verletzt; manches Herz blutete. Doch
dieß war nun einmal nicht zu ändern; die Natur der Dinge
brachte es in einer ungemein bewegten Zeit ſo mit ſich; auch
andere Theile Deutſchlands litten an den Folgen dieſer alle Ver⸗
haältniſſe ergreifenden Umwälzungen. Mit den erzherzoglichen
Beamten vermiſchten ſich nun neue, badiſche, und was man früher
da nicht kannte — das proteſtantiſche Element drang in die bis⸗
her rein katholiſche Stadt. Der Adel, zahlreih, größtentheils
begütert und unabhängig, um fo mehr an Oefterreih hängend,
als er eben durch die eingetretene Nenderung gar manche feiner
früheren Vortheile eingebüßt Hatte, bildete eine eigene, von den
anderen Klaſſen ftreng geionderte Geſellſchaft. Ihr ſchloſſen ſich
viele ausgewanderte Familien an, welche die Stürme der Zeit
gezwungen hatten ein ruhiges Aſyl zu ſuchen. So ſah man denn
da Trümmer des Condé'ſchen Heeres, emigrirte ariſtokratiſche
Geſchlechter und Prieſter, ſah da Herren und Damen, die früher
eine hervorragende Rolle an den Höfen geiftliher Kurfürſten
geipielt, in der heiteren, gaftfreien Stadt vereinigt. Ihre Sitten,
ihre Anfichten, ihre auffallende, veraltete Tracht, erinnerte an die
Zeiten vor 1789; ihr ercentrifches, leidenſchaftliches Weſen, ihre
Klagen wie ihre Gefinnungen gaben das Marfte Zeugniß von dem
überrafchend fchnellen Umſchwunge der Dinge; in völliger Ber:
fennung der Weltlage gaben fie fi dem trügeriihen Wahne bin,
dieß Ungemach gehe vorüber, und bald Tomme wieder alles in
das gute, alte Geleife! Viele vornehme Damen, Stift3- und
Klofterfrauen ernährten fi) von ihrer Hände Arbeit, andere wurden
von Familien des Landes unterftübt; ehemalige Domherren, Pfarrer,
7
Profefioren u. dgl. gaben franzöfiichen Unterricht, oder halfen gegen
dürftiges Entgelt in der Seelforge aud. Mean verfehlte nicht,
ung Kinder auf diefe betrübenden Erſcheinungen hinzuweiſen und
und aufzumuntern, dur Fleiß und Ermwerbung von Kenntniſſen
fi gegen die Launen bed Geſchickes ficher zu ftellen.
Mitten unter diefem Treiben hatte fich die mehrmals bedrohte
Albertiniſche Univerfität erhalten und verdantte damals, wie Ipäter,
die Stiftung ihre Eriftenz wohl nur dem Beſitze zahlreicher, außer:
halb des Großherzogihums gelegener Güter. — Die gewohnten
weißen Uniformen mußten den blauen weichen, und ein Theil
der neuen Treiburger Garniſon wurde bald darauf auserfehen,
blutige Lorbeeren auf dem heißen ſpaniſchen Boden zu fammeln.
Anziehende Schilderungen ſprechen von jener Epiſode aus der
badiſchen Kriegsgeſchiche. Wie fehr damals die Maffen der
Völker untereinander geworfen wurden, beweiſt, daß zu jener Zeit
aud ein portugieſiſches Armeecorps, von Napoleon zu irgend
einen Zwecke, 1809 zum Kampfe gegen Oefterreich, wie ich glaube,
beitimmt, zum Eritaunen der guten Freiburger durch die Stadt
309. Sie follten in kurzer Zeit noch ganz andere fremde Heere
aus allen Weltgegenden Tennen lernen!
Die Geſelligkeit mar damals von der angenehmiten Art,
und felbft litterariſche Beitrebungen blieben ihr nicht fremd. v. Ittner,
Jakobi, Dr. Eder unterhielten die Freude an Poefie und fchönen
Wiffenfchaften, und mächtig angeregt durch die ſich immer mehr
fteigernde Verehrung für Schiller, bildete ſich ein Kreis feinfühlender
Männer und Frauen, welche den Geſchmack für Kunft und Dichtung
förderten, eine gehobenere Stimmung in die gefelligen Zirkel
brachten. Es fanden da mehr oder minder gelungene Verſuche von
Gedichten, fchriftlihen Aufſätzen, von den damals fo beliebten
Charaden, Rätbieln, Nebus u. dgl. um die Wette flatt, es gab
gelebrte und äſthetiſche Vorleſungen, man fchrieb Tritifche Artikel
in Zeitungen, errichtete Lefezirkel u. dgl. m. Eine andere, gewiß
8
ſtets empfehlenswerthe Unterhaltung der Gefellfchaft beftand in
der gemeinfamen Lectüre dramatifher Werke. Diefe Bor:
leſungen wurden abwechſelnd in den Häufern der Theilnehmenden
gehalten. Die Hausfrau behielt fich jeweils die Wahl des Stüdes,
wie die Vertheilung der Rollen vor; jeder verjah fich dabei mit
einem Buche. Bald waren es ernite, klaſſiſche Werke von Göthe,
Schiller und anderen, bald Ifflandiſche Rührftüde oder die erheiternden
Scherz: und Karikaturfpiele von Kotzebue, und eine lange Reihe
genufßreiher Abende eröffnete fich den Mitgliedern dieſes Vereines.
Fand eine folde Verſammlung im elterlichen Haufe ftatt, war
dieß ein Feſtabend für ums Kinder; wie laufchten wir da den
ihönen Berfen, und wie lebhaft nahmen wir an den Tragen Theil,
wer diefe oder jene Lieblingsrolle lefen werde! Wie zürnten wir
endlich der ungewöhnlichen Länge eine? Dramas, 3. B. des Don
Carlos, wenn und bie geregelte Hausordnung vor dem lebten
Alte zu Bette rief. Auch das Stabitheater, wenn meift nur
mittelmäßig, befuchten wir fleißig, und wie beimifch fühlten wir
und in diefen fcheunenartigen Räumen, welche man fpäter ungern
gegen eine größere Schaubühne vertaufchte, die in vielen Gemüthern
nur peinlihe Erinnerungen hervorrufen Tonnte.
Auch ein philbarmonischer Verein wurde gegründet, der nicht
nur Concerte gab, Kirchenmuſik und Quartetten aufführte, fondern
fih jogar an Opern wagte. Selten war wohl eine Vorftellung
von Don Yuan fo gelungen, als die der Freiburger Dilettanten.
Mozart theilte damals mit Schiller die allgemeine ausſchließliche
Borliebe. Später wurden auch unter der kunſtſinnigen Leitung
des Maltejer-Somthurd v. Reinach italieniſche Opern von Cimarofa,
Pazfiello u. a. aufgeführt.
Bei ung zu Haufe wechfelten dann Meine Diastenbälle, Kinder:
und Puppentheater mit allen jenen heiteren Jugendſpielen, welche
die mütterliche Liebe und Sorgfalt fo finnig auszudenfen wußte
zum Lohne oder ald Erholung nad felten Tange unterbrochenen,
9
nicht immer leichten Studien. Der fromme Sinn unferer Eltern,
eined ausgezeichneten Lehrers Tieß aber auch das Höhere, allein
Wichtige nie vergefen, und außer einem gründlichen, wahrhaft
chriſtkatholiſchen Unterrichte verging felten ein Tag, an dem mir
nicht die Kirche befuchten.
Mein Bater (geb. 1766, geit. 1839) mar durch eigen:
thümliche Schickſale und feine Stellung vielfah in die bunten
Ereigniffe des Tages gezogen, ja es fchienen ſich in feiner 73:
jährigen Lebenzzeit diefelben gleichſam wieder zu fpiegeln, jo lebhaft
nahm er an all diefen Phafen Theil. Sohn eines Landvogt2 des
unferer Familie verwandten Testen Fürftbifchofs von Bafel brachte
mein Bater in dem Amtfibe Birfel feine Jugend zu. Bon jenem
Schloſſe nahm diefer Zweig Andlaw den Beinamen. Später auf
Univerfitäten und Reifen, Lehrte mein Vater wieder zurüd, um
fein Vaterland auch von den Wellen der franzöftfchen Revolution
ergriffen zu fehen. Mein Großvater ftarb gerade an dem Tage,
als 1792 die republifanifhen Truppen das Bisthumsgebiet
bejegten. Mit Mutter und Gefchwiftern zog er fih in die
Schweiz zurüd, und unftet, beinahe flüchtig, fand er endlich
im Breisgau eine gaftfreundliche Aufnahme und trat als Regierungs⸗
rath in Vorderöfterreichifche Dienfte. Nach Wiedererlangung eines
Theiles der verlorenen Güter hatte er auch noch dad weitere
Glück, mit dem Treifräulein Sophie von Schalmin, der einzigen
Tochter eined feiner Rathscollegen, eine in jeder Beziehung
vortheilhafte Ehe einzugehen. Sie war ihm duch 32 Jahre
eine liebende, treue Lebendgefährtin, eine ebenfo fein gebildete als
edle Frau.
Den Geſchicken des Breisgau’ folgend war mein Vater aus
einem öfterreichiichen ein modenefifcher Staatödiener geworden, und
trat dann endlich auch, mie fo viele andere, zur badifchen Bureaufratie
10
über. Gier muß ih eines Vorgangs erwähnen, der von ihm
oft erzäplt, wohl weniger allgemein befannt fein dürfte. Modena
batte meinen Vater zum Webergab3:Commiffär ernannt; Staats-
rath dv. Drais follte von Seiten Baden? da3 Land übernehmen.
Der Tag der Feierlichfeit war erfchienen, alle Vorbereitungen
getroffen, der Gottesdienft im Münfter angeordnet, die Tribüne
zum Huldigungsalte vor der Kiche errichtet. Da traf imenige
Stunden zuvor eine GStaffete vom Militärcommandanten aus
Straßburg ein, weldye meinen Vater aufforderte mit der Uebergabe
noch zurüdzubalten, da Napoleon dem Breidgau eine andere
Beſtimmung zugedadht. Die durch fo unerwartete Aenderung ber:
vorgerufene Verlegenheit war groß, der gewünſchte Auffchub ohne
die verdrieglichiten Verwickelungen kaum möglid. Die beiden
Commiffäre beſprachen fih daher und kamen dahin überein, die
Straßburger Depeiche bis nach dem Vollzuge der Mebergabsceremonie
zu ignoriren. Dieſe ging daher ungeftört vor fi und es ift mir
nicht befannt, daß meinem Vater deßhalb fpäter Unannehmlichkeiten
bereitet wurden. Wofür er fi aber auch entichieden hätte, in
beiden Yällen war feine PVerantwortlichfeit keine geringe, Er
zählte auf das Gewicht eines fait accompli, und dabei blieb es
denn auch. Entweder war jener Befehl Napoleon nur Folge
einer augenblidlichen Laune, oder wollte er, war die Sache einmal
geichehen, nicht mehr darauf zurädtommen, genug, dad Breisgau
blieb und ift heut zu Tag noch badiſch.
Bon dem ehrmürdigen Neftor der deutichen Fürſten, dem vor:
trefflihen Karl Friedrich, ausgezeichnet und mit vollem Vertrauen
beehrt, war 1809 mein Vater in Wien, zur Zeit des Schön-
brunner Friedens⸗Abſchluſſes bemüht, die Rechte des Großherzogthums
zu wahren. Im näditen Jahre eröffnete fi für ihn noch ein
Teld erfolgreicherer Thätigkeit, da er nach langen, verwidelten
Berhandlungen fo glüdlich war, unter Vermittelung des franzöfiichen
Hofes, die wichtige Grafichaft Nellenburg, auf welche Württemberg
11
Anſpruch machte, dem Lande zu erhalten.) &8 fchien als 0b
die Perſönlichkeit meines Vaters den mächtigen Kaifer befonders
angeſprochen hätte, wenigſtens zeichnete er ihn bei jedem Anlaſſe
aus und verfuhr mit ihm weniger barſch, ala mit anderen Geſandten.
Dod eined Tages fuhr Napoleon in der Audienz ihn hart mit
der Frage an: „Was haben fie denn in Freiburg für ein elendes
Blatt, deffen Redakteur einen Namen bat, den ich nicht ausſprechen
kann? (Er hieß nämlich: „Schnezler”.) Cette gazette cessera
de paraitre!“ Mein Vater wußte ſich den Grund des kaiſerlichen
Zornes über die fonft fo harmloſe Zeitung nicht zu erflären.
Später erfuhr er, daß fie ein angebliches Schulzeugniß aus Brienne
aufgenommen, in welchem der Zögling Bonaparte als: „mittelmäßig
befähigt” bezeichnet murde. Diefe eine Aneftote mag als ein
weiterer Beitrag zur Geichichte der Bedrückungen gelten, welche
ſich Napoleon I. in Deutſchland anmaßte.
Sn jene Zeit fiel auch der verhängnißvolle Ball bei dem
Fürften Karl von Schwarzenberg mit der von fo vielen Augen:
zeugen beichriebenen furdhtbaren Kataſtrophe. Das Teuer brach
ganz in der Nähe meines Vaters aus; ein Wachslicht hatte Die
leichte Draperie in der für das Feſt erbauten Gallerie ergriffen.
Mehrere Perfonen Tiefen mit ihm Hülfe rufend dem Ausgange
zu, und als fie nach menigen Sekunden mit den Pompiers in
den Saal zurüdkehren wollten, mar alles fhon in Flammen,
Raub und Dualm eingehült. Lange begleitete noch mein Vater
den verzweiflungzvoll feine verbrannte Gattin juchenden Yürften
Joſeph. Alle Anmefenden behaupteten ftet3 übereinftimmend, daß
*) Der betreffende Staats- und Orenzvertrag zwifchen Baden und
Württemberg wurbe den 2. Dfteber 1810 zu Paris abgefchloffen. Nach⸗
dem fich mein Vater mit ben früheren württembergiſchen Bevollinädhtigten,
Grafen Taube, nicht hatte verftändigen Fönnen, und es fogar bis zur
gegenfeitigen Herausforberung fam, wurbe Graf Winzingerode vom König
abgeſchickt und biefer unterzeichnete den Vertrag.
12
nur einem unglüdlihen Zufalle, Feiner Abſichtlichkeit ein fo ent:
jegliches Ereigniß zugufchreiben geweſen, eine Anficht, welche Napoleon
ſelbſt laut und miederholt beftätigte.
Im Herbſte 1810 vertaufchte mein Vater die glänzende
Mifften in Paris mit der wenig beneidenswerthen Stellung eines
Staatsminifterd de3 Innern in Karlsruhe.
Meine Mutter (1779 geb. und 1830 geft. zu Freiburg)
ſtammte aus jener lothringifhen Familie von Schalmin, welche
dieß Land mit Franz Stephan verlaffen und ſich in Defterreich
angefiebelt hatte. Ihr Vater, Regierungsrath in Freiburg, ftarb
1802, ihre Mutter war eine geborene Gräfin von Leberader.
Der General der Kavallerie von Schafmin aber, Obeim meiner
Mutter, erfreute fich der befonderen Gunft jenes Kaiferd und der
großen Maria Thereſia.
Zu den Gefährten unferer jugendlichen Spiele gehörte, außer
unferen Bettern Rink und den Söhnen anderer verwandten Häufer,
der junge Auffenberg, melder fpäter eine ebenfo raſch auf:
blühende, als bald wieder verfchwindende Berühmtheit erlangen
follte. Er war als Kind, was er fein Leben hindurch blieb,
ungelenf, verlegen, wortlarg; nicht? verfündete in diefem linkiſchen,
beinahe blöden Jungen den Fünftigen Dichter. Die poetifche Ader
erwachte erit, als er, im 15. Jahre von einem unbeziwingbaren
Hange zu Abenteuern ergriffen, aus dem väterlichen Haufe
beimlich entflob, und Italien, das tägliche Brod mit feiner Guitarre
als Minnefänger ermwerbend, durchzog. Doc bald von Hunger
und Enttäufchung getrieben, trat er in öſterreichiſche Kriegsdienfte
und nahm fpäter eine Lientenant3-Stelle in der badifchen Garde
du corps an. Nun folgten raſch Gedichte, und da Auffenberg
auch Dramen fchrieb, übertrug man ibm die Leitung des Hof:
theaterd in Karlsruhe. In diefem neuen Wirkungsfreis fund er
13
fih vielfach beengt; die Kabalen auf der Bühne, der Tabel der
Geſellſchaft wie des Hofed machten ihn menfchenfcheu, verdrießlich.
Sein dichterifcher Geift führte ihn aus diefen unbehaglichen Ber:
hältniffen 1832 nach Spanien. Die dortigen zum Theile höchſt
tragifchen Erlebniffe beichrieb er jelbft in launiger Weife. Die
vielen Wunden, aus denen er unter den Dolden andalufifcher
Räuber blutete, und deren Heilung er nur der ausdauernden
Pflege frommer Kloſterſchweſtern verdanfte, mögen ala mohlthuender
Aderlaß auf fein Nervenſyſtem gewirkt, ihn emüchtert haben.
Auffenberg kehrte wieder zu dem früheren, ihm verhaßten Hofleben
zurüd, welches er in dem verhängnißvollen Jahre 1848, das fo
viele Masten Tüjtete, auf wenig mwürdige Art verließ, um in feiner
Baterftadt Freiburg vergeffen und Wiyfanthrop wie immer 1858
eine Laufbahn zu vollenden, weldye bei feiner anerfannten Befähigung
hätte beifer angewandt werden können.) — Wenn man jebt
unbefangen die Werke, beſonders die auf den meiften deutfchen
Bühnen aufgeführten XTrauerfpiele Auffenberg’3 Tieft, fo begreift
man kaum, wie er je diefen Erfolg damit erzielen Fonnte. Es
it da alles jo gemacht; es find Feine wirklichen Menſchen, nur
deflamirende Puppen, welche und entgegen treten; ein hohler Pathos
für warmes Gefühl oder Leidenfchaftlichkeit; Leine Spur von ge
Ihichtliher Auffaffung und richtiger Charakteriftit der Perſonen.
Weiß man aber, wie diefe poetifchen Ergüſſe entftanden find, fo
hört das Erftaunen über deren Ergebniß auf. Und dennod finden
fih in diefem Mecre von Verſen manche Perlen vom reinften
Maffer, Stellen die an die beiten deutichen Dichter, an Schiller,
Kleift, Körner, Houwald und andere erinnern; fie gehen aber
eben unter in jenem See von Dinte, und können nur mühſam
*) Auffenberg hatte fein Vermögen jenem Klofter barınberziger rauen
in Spanien vermacht, welche ihm ba8 Leben durch anfopfernde Pflege
gerettet. Die Verwandten fochten das Teſtament an, der Streit enbete
jedoch mit einem Vergleich.
14
gefucht, noch jeltener entdedt werden. Als unfer Dichter fein
befanntes „Alhambra“ fchrieb, umgab er ſich in einem halbdunklen
Gemache mit Deforationen maurifcher Architektur, kleidete fich
türkiſch, und hing rings an den Wänden muſelmänniſche Waffen
und Trophäen auf; dabei begeifterte er ſich fiet an einer
dampfenden Punſchbowle. Und in demfelben Alhambra, welches
feine dichterifche Phantafie fo fehr erhitzte, war er fpäter nahe
daran, fein Leben unter — wie er fagt — gedungenen Mörder:
händen zu laſſen! In allen Lagen des Lebens feinem Schwarz
wälder Dialefte und gewillen ungehobelten Manieren treu, hatte
Auffenberg, außer dem Dichter: auch noch ein anderes entſchiedenes
Talent, Belaunte in Ton und Sprache nadjzuahmen, Die einzige
Art, mit der er bei feiner fonft trodenen Weile unterhalten Tonnte.
Dabei grundfaglos, ſchwach von Charakter, bald ausgelaffen Tuftig,
dann wieder fich düſterer Schwermuth bingebend, die er in Tonnen
Champagnerd zu erfäufen ſuchte, war Auffenberg immerhin ein
merfwürdiger Menſch, deffen beilere Eigenichaften und unläugbare
Fähigkeiten in einer falihen Richtung untergingen. Friede
feiner Aſche!
15
Zweiter Abſchnitt.
(1810 — 1813.)
Sunhalt: Karlsruhe. Neue Verhältniſſe. Hof- und gefellihaftlihes
Leben. Die weiße Frau, Ber Großherzog Karl Kriedrid. Sein
Charakter und fein Tod. Grokherzog Karl unb Großherzogin Stephanie.
Feſte und diplomatifhes Korps. Salonfiguren. Hof: und Gabinets-
intriguen. Dr. Derefer. Prälat Hebel. Der große Comet und ber gute
1811® Wein, Die beiden Erbpringen. Der ruſſiſche Feldzug. Der
Brand von Moskau. Affland und Efflair. Die Hofhaltung ber
Markgräfin Amalle. Die beiden Markgrafen Friedrich und Ludwig
von Baden. Die Grafen von Hochberg. Abſchied von Karlsruhe.
Gegen Ende des Jahres 1810 fiebelten wir fomit nach der
Refidenzftadt über. Ich begleitete meinen Vater allein. dahin;
die Mutter mit den Gefhwiftern und dem übrigen Hausftand
folgte fpäter. Wir bezogen die gemiethete Wohnung (Adler:
firaße 20), und bier überfiel mich zum erftenmale das Gefühl
des Heimweh's! Ich fand mich fo einfam in dem fremden Haufe,
fo verlaffen in den breiten, dden Straßen, den ungewohnten Ver:
bältniffen! Ich ließ meinen Thränen freien Lauf, tröftete mich
aber bald nah Kinderart. Nur noch einmal, aber in viel
ſchmerzlicherer Weife, follte fich bei mir jene bittere Empfindung °
wiederholen, als ich 14 Jahre nachher das elterlidhe Haus für
immer verließ !
Es umgaben und nun neue Gegenftände, neue Menfchen;
eine Fülle überrafchender Beobachtungen, reiche Gelegenheit, unfere
16
Erfahrung mie unjere Kenntniffe zu erweitern, war und geboten.
Aber auch hier war es wieder die waltende, muütterliche Sand,
welche unfere Erziehung leitete; es waren diefelben regelmäßig
fortgefeßten häuslichen Studien, die gleiche forgfältige Auswahl
der Gefpielen unfered Alters, die balbjährigen Prüfungen u. |. w.
Seven Tag las unfer Hofmeifter in dem Haufe des mittleren
Zirkels, in welchem fi damals die Tatholifche Kapelle befand, die
heilige Meſſe, wohin wir ihn gewöhnlich begleiteten.
Diefe ernften Beihäftigungen wurden nur durch Mufit;,
Zeichnen: und Tanzftunden oder Spradyunterriht unterbrochen.
Dabei ließen wir keine Fabrik, feine Induftrieanftalt, feine Kunſt-⸗,
naturhiftorifche oder andere Sammlungen unbeſucht und Iernten
auch ſtets die vorübergehenden Sehendwürdigfeiten aller Art Tennen,
Abends gönnte man ung öfters die Freude, den ganz guten Vor:
ftelungen im Hoftheater beizumohnen, und diefe Erholung wedjfelte
dann wieder mit der Neubelehbung jener genußreichen Zirkel, in
welchen Muſik gemacht, deflamirt, vorgelefen, oder felbjt manchmal
auf einer Heinen Hausbühne geipielt wurde. Im Sommer waren
e3 dann größere Spaziergänge oder Ausflüge in die benachbarten
Städte und Bäder, welche unferen Gefichtöfreis erweiterten, die nie
rubende Reifeluft weckten. Raſch, ebenſo nützlich als angenehm,
verflogen uns daher die drei Jahre des Karlsruher Aufenthalts.
Die Stellung meines Vaters brachte uns aber auch dem
Hofleben, ſelbſt dem politiſchen Treiben näher; wir hörten da viel
von Feſten, wichtigen Ereigniſſen und den ſich täglich drohender
und unerbörter geſtaltenden Weltbegebenheiten. Bälle in dem von
meinem Vater angelauften Haufe (nun das W. von Seldenekiſche),
bei denen nicht jelten der großberzoglihe Hof erichien, durften
auch wir Kinder befuchen, und wie wir und an all diefen früher
ungewohnten Herrlichfeiten ergößten, erfreute und auch die freund-
lihe Art, mit der man und allenthalben begegnete. — Ganz
beſonders intereffirte und die ehrwürdige Ericheinung des 82 jährigen
17
Großherzogs. Bald fahen wir ihn an der Seite der Reichsgräfin
in der Hoftheaterloge, bald begegneten wir ihm auf einen Roll
wagen im Schloßgarten, wo er immer einige gütige Worte an
und richtete. So wie der vortreffliche Fürſt noch jebt im dank:
baren Andenken lebt, wenn fich gleich nur wenige der Zeitgenoffen
mehr erinnern, ihn gefehen zu haben, fo bleiben mir auch Diele
wohlmollenden Züge, diefe einfache, wahrhaft landesväterliche
Art unvergeklih! Wie oft erzählte mein Vater von den Unter:
redungen, welche er mit dem edlen Greife hatte, und die ihn nicht
felten bis zu Thränen rührten. In feiner ichlichten Weife mar
ihm ſtets der Wunſch nad Vergrößerung feine® Landes fremd
geblieben: früher nur Herr der Durlachiſchen Befißungen, ſah er
die Markgraffhaft dur den Anfall der Baden-Badenſchen Lande
1771 bedeutend vermehrt; mit dem Titel eined Kurfürften erhielt
er wieder einen großen Zuwachs an reichen Städten, Abteien und
Dörfern, und als er vollendd 1806 Großherzog und dadurch
Herr eines Heinen Königreichs geworden war, fchmwindelte ihm!
Er hatte fein beicheidened Markgrafenthum leicht überfehen können,
feit 50 Jahren alle feine Kräfte dem Wohle der ihm anver-
trauten Unterthanen gewidmet; nun mußte er int hohen Alter fein
patriarchalifhes Regiment mit einem Aufwande von Hof⸗ und
Militärftaat, mit ungewohnten Laſten vertaufchen. Seine Gewiſſen⸗
baftigkeit fträubte fich gegen eine für fo weit ausgedehntere Pflichten
zu übernehmende Verantwortlihfeit, und als nun gar fremde
Kriegsſchaaren das Land verheerten, unerfhwingliche Contributionen
und neue Steuern die Bewohner drüdten, Hungersnoth, Theuerung,
Krankheiten, Verarmung die fonft fo blühenden Gefilde, viele
friedlichen Gauen heimfuchten, da brad dem menfchenfreundlichen
Fürften da3 Harz, da lag er oft ganze Nächte im Schloffe zu
Ettlingen betend auf den Knieen, und fein frommer, mildtbätiger
Sinn kounte faum den leifen Wunſch unterdrüden, daß er von
einem Heinen, aber glüdlihen, Markgrafen nie ein reicher, weit
FIrh. v. Andlaw. Ben Tagtbuch. 1. 2
18
gebietender Großherzog geworden wäre. In der Iebten Zeit
nahmen feine Geiftesfräfte fihtbar ab, und als er (10. Juni
1811) fanft und ſchmerzlos entſchlummerte, farb er gewiß den
Tod des Gerehten! Seine Leiche wurde mit großem Gepränge
nach der Yamiliengruft in Pforzheim abgeführt. Er ruhe da im
ewigen Frieden, mohl einer der Würdigften in der Iangen Reihe
feiner erlaudten Ahnen! —
Mit dieſem Tängft erwarteten, aber auch in weiteren Kreiſen
fchmerzlih berührenden, Trauerfalle tauchten denn wieder die
Gerüchte von Gefpenftern auf. Unſere jugendliche Phantafie be
häftigte fi nicht wenig mit diefen Sagen, und wir glaubten
immer in den dunflen Gängen des Schloffes oder in den düfteren
Gebüſchen des Hofgartens der weißen Frau begegnen zu müffen.
Man erzählte und, daß, als Karl Friedrich geftorben, ſich eine
lange, hagere — dießmal aber ſchwarze — Geftalt den Gemächern
des neuen Herrn genähert habe und in denfelben verſchwunden fei.
Später erfuhr man, daß eine alte, beinahe 90jährige Hofdame
von Wercüll, welche fchon lange Jahre ihr Zimmer, beinahe ihr
Bett, nicht mehr verlaffen, fi plößlich in tiefe Trauerkleider ge
hüllt, um den Großherzog Karl einen ebenfo unerwarteten, als
geipenftigen Condolenzbeſuch zu machen.
Doch auch abgejehen von der Hofgeifterwelt, gab es damals
noch Vorgänge und Sllatfchereien genug in Karlsruhe, die freie
Zeit Hinreihend damit auszufüllen. Es fehlte da nicht an poli-
tiihen, Büreau⸗ und anderen Intriguen, deren Zuſammenhang wir
nur ahnen Fonnten, und von denen und mehr die Namen der
Perſonen blieben, weldhe fi daran Inüpfen, ala der eigentliche
Sachverhalt. Nur eines ſolchen Vorgangs will ich deßhalb er:
wähnen, mweil er erft neulich gelegentlich des Kirchenftreites mieder
aufgewärmt wurde. Ich folge hier auch mieder aus dem Gedächtniß
den früheren mündlihen Mittheilungen meines Vaters. Der Groß:
herzog Karl hatte gewünſcht, den Trauerfeierlichleiten für feinen
19
fürftfichen Großvater in der Tatholifhen Kapelle beizuwohnen.
Mein Bater feste den geiftlichen Rath Dr. Derefer hiervon im
Kenntnig und wünſchte Einfiht von der dabei zu haltenden
Gedächtnifgrede zu nehmen. Der Stadtpfarrer euntſchuldigte fich
damit, daß er nie eine Predigt vorher niederichreibe, jedoch nichts
Anftößiges zu fagen verſprach. Wie groß aber war meines Vaters
und aller anweſenden Katholiken Erflaunen und Berlegenheit, als
der Kanzefredner in Gegenwart des großherzoglichen Hofe und
der erften Staatöbeamten bezüglich confeffioneller Fragen, wie der
Perfonalien und Gefinnungen des hbochfeeligen Herrn einen ebenfo
taftlofen als albernen Bortrag bie. Für meinen Vater war
diefer Vorfall” um fo verdrießlider, ala der Juſtizminiſter
v. Hövel und er die einzigen Katholifen im Rathe der Krone und
überdieg wegen diefer Kigenfchaft vielfach angefeindet waren.
Dr. Derefer mußte daher jeine Pfarre mit einer Profeffur in
Raftatt vertaufchen und ftarb viele Jahre nachher als Domherr
in Breslau, mie ih glaube. Sein Benehmen bei diefem Anlaſſe
mar um fo weniger zu erflären, als Dereſer allgemein für einen
Mann von Geift und Bildung galt, feine theologifchen Werke und
Erbauungsſchriften ihm einen vortheilhaften Ruf verſchafft hatten.
Das Gehäſſige des Ganzen wurde aber gegen meinen Vater
gehörig ausgebeutet, und ed mar ein neuer Faden gefunden, das
Gewebe der Kabalen weiter andzufpinnen.
Funf Tage vor dem Tode Karl Friedrichs (5. Juni 1811)
wurbe die Großherzogin Stephanie zum erftenmale, und zwar bon
einer Prinzeſfin (Louife Amalie Stephanie) entbunden. Die tiefe
Landedtrauer geftuttete Feine lauten Freudenbezengungen bei der
Taufe der Neugebornen. Dieſe Niederfunft aber war von einer
mehr als gemöhnlihen Bedeutung. Im jahre 1806 Hatte fich
der damalige Erbprinz Karl auf den Wunſch — damals gleichlautend
9 *
20
mit Befehl — des Kaiferd Napoleon zu Paris mit deffen
Moptivtochter: Adrienne Louife Stephanie von Bauharnais
vermählt. Die 16jährige Braut hatte kaum die Erziehungs:
anftalt verlaffen, und der Erbgroßherzog verhehlte nicht die Ab⸗
neigung, welche ihm die erziwungene Verbindung einflößte Die
jungen Ehegatten waren daher anfangs getrennt: Er in Karla:
ruhe, fie in Mannheim. Hier umgab fi die lebensfrohe Prin-
zeffin mit jugendlichen Gefpielinnen und verbrachte harmlos heitere
Tage. Tod lange konnte es nicht jo bleiben, und ungeachtet
aller entgegengejegten Intriguen wurde eine gegenfeitige Annähe:
rung des fürftlihen Paares vorbereitet, wobei — ich darf es jebt
wohl fagen — mein Vater einer der eifrigften war. Seiner fort-
gefebten Thätigkeit gelang es endlich, eine völlige VBerföhnung her:
beizuführen; die Erbgroßherzogin Stephanie zog nad) Karlörube,
und jubelnd begrüßte man allda nicht nur die anmuthige, in vol:
lem Glanze der Schönheit und Jugend ftrahlende Yürftin: ein
Jahr fpäter erfhien dann auch die Peine Prinzeffin Louife als
Pfand einer glüclicheren Zeit. ALS nun die junge Großherzogin
im Sommer 1811 einen Theil des Landes bejuchte, wollten die
begeifterten Huldigungen fein Ende nehmen, und befonderd in -
Freiburg, Badenweiler u. a. DO. waren die Feſte, denen ich bei:
wohnte, ebenfo glänzend als herzlich. Jene Freude zu erhöhen,
trug der herrliche fruchtbare Sommer vom Sabre 1811 viel bei.
Dom März bis November war unausgefebt ſchöne Witterung,
dennoch die Hitze nie läftig, gemildert durch erquidende Lüfte oder
erfrifchende Gewitter. Am Johannistage hatte man ſchon neues
Brod, im Juli reife Trauben, im Auguft neuen Wein. Man
brachte diefe außerordentlihen Erſcheinungen mit dem prachtvollen
Cometen zufammen, deffen mächtiger Schweif fi, über einen großen
Theil des Horizonts erftredte; alle anderen Cometen des Jahr:
hundert3 waren mit jenem Himmeldriefen nicht zu vergleichen, nur
der vom Jahre 1858 kam ihn an Glanz und Größe nahe. Hatte
21
je die Volksmeinung Anfpruch auf Berechtigung, fo war dieß bei
dem Cometen 1811 der Fall, denn er deutete finnbildlih den
Höhepunkt im Leben Napoleon an; fo wie er verſchwand, er
bleichte auch fichtbar des gewaltigen Cäſars Glücksſtern!
Ein regered, heiterered Leben gab ſich im darauf folgenden
Winter am Karlsruher Hofe Fund. Feſte jeder Art, Bälle, finn-
reihe lebende Bilder, Maskeraden, franzöfiihe Liebhabertheater,
Schlittenfahrten u. dgl. m. drängten fi), und das Ddiplomatifche
Corps, wie die Gefellihaft blieben dabei nicht zurüd. Die Natur
der Verhältniſſe brachte es mit fi, daß der Faiferlid, franzöfiiche
Sefandte — früher Bignon, dann Moustier, endlicd) Graf Nicolai —
dag glänzendfte Haus machte. Lebterer mißbrauchte jedoch feinen
überwiegenden Einfluß nie, war ein wohlwollender, felbft anſpruchs⸗
lofer. Mann. Die beliebtefte Perſönlichkeit blieb aber immer der
öfterreichifche Gefandte, Graf Apponyl, der, unterftügt von feiner
jungen, liebenswürdigen Gemahlin, der Gräfin Therefe Nogarolla,
den angiehendften Mittelpunkt für die Gefellichaft bildete.
Aus jener Zeit erinnere ich mich noch einiger ftehender
Salonfiguren, wie fie eben durch eine eigenthümliche äußere Ge⸗
ftalt auffielen, oder fi) beſonders wohlwollend gegen und Kinder
bewiefen. Ein ganzes Heer von Hofleuten, Diplomaten, Offizieren,
Fremden — unter diefen die von ihren Sitzen vertriebenen Bi⸗
ihöfe von Bafel und Mecheln — viele geiftreiche, ſchöne, auch
franzöfiihe Damen trieben fi damals in den Zirkeln umber,
und meine Eltern verfammelten oft einen Theil der Geſellſchaft
Abends oder zu größeren Dinerd. Sonntag Iuden fie dann ge
wöhnlih Beamte, Gelehrte oder Künftler zu Tiſche; nicht felten
war der Prälat Hebel unfer Gaft, welcher und bald mit einer
wisigen Erzählung aus feinem Hausfreunde, bald mit einem hübſchen
allemannifchen Gedichte oder den fo beliebten Doppelcharaden erfreute,
Die einfache, jelbft trodene Art dieſes genialen und gemüth:
lichen Mannes z0g ung mie inſtinktmäßig an; erft ſpäter erfannten
22
wir feinen vollen Werth. Der Generalfetretir des Miniſteriums,
Moßdorf, den mein Bater vor allen der ihm untergebenen Ge:
ſchäftsleute fchäßte, war auch ſtets willlommen in unferem Haufe.
Mitten unter Dielen abwechſelnden Kunft: und gefelligen
SGenüffen kam der Sommer 1812 heran. Europa erfreute ſich
nah langen Kriegen eines Friedensjahres; nur mit Spanien und
England Tag Napoleon im offenen Kampfe. Da erichredte plöß:
ih das Gerücht von einem Bruce mit Rußland. Ein ftolger
Heeredzug, wie man ihn an Schönheit, Kriegsluſt und ungebeuerer
Anzahl der Truppen nie zuvor gefehen, wälzte fi dem Norden
zu. Noch gab man fi der Hoffnung bin, daß es nicht, menig-
ftend zu einem längeren, verheerenden Kriege fommen werde, als
uns aud ſchon die Nachrichten von dem Mebergange über den
Niemen, von den Schlachten bei Wilna, Smolensf u. a. über:
rafchten. Die Schlacht an der Moskowa eröffnete dem triumphi⸗
venden Kaiſer und feinem Heere die Thore der uralten Metropole
Rußlands. Napoleon flug fein Hauptquartier im Kreml auf,
ein unerhoörtes Ereigniß, das die Einen mit Stolz; und Freude,
die Anderen mit zitternder Angft und unbeilvoller Ahnung kom⸗
mender tragifcher Geſchicke erfüllte! Schon waren in vielen Kirchen
auf dem weiten Erdenrunde feierliche Tedeums angeftellt; auch in
Karlsruhe ertönte dad „Herr Dich Toben wir!” weil die dreifar-
bige Fahne von den Zinnen der Ezarenburg flatterte!
So ſehr auch ſolche melterfchütternde Begebenheiten jeden
anderen &indrud verwiſchen mußten, ſchenkte man doch einem
längeren Gaſtſpiele Iffland's einige Aufmerkſamkeit. Schon nicht
mehr in der vollen Kraft, da er auch im darauf folgenden Jahre
ftarb, blieb diefer ausgezeichnete Mime doch in einigen Rollen fich
immer gleih. Helden und Partien, melde größere Anftrengung
erforderten, gelangen ihm nicht mehr; auch reichten Geftalt wie
23
Organ ſchon früher hierzu nicht aus; unübertroffen war er aber
immer in Sharafter= und höheren komiſchen Rollen, in polternden
oder originellen Alten, und unter diefen ercellirte er natürlich wie
der in jenen, welche er für fich felbft gejchrieben. Wer hat fidh
nit an feinem: „Schewa, Lorenz Stark, armen Poeten, deutfchen
Hausvater“ u. a. erfreut? während Lear, Wallenitein, felbft der
Geizige weniger anfpraden. Bald nachher wurde Efflair in
Karlärube engagirt, und eine bier fo nabe liegende Vergleichung
mit Iffland war nicht ohne Intereſſe. Sein Spiel, von über:
wältigender Wirkung, war fo natürlich, dabei von einem jo impo⸗
fanten Aeußeren, einem fo überaus wohlflingenden Organe unter:
ftügt, daß ihm Fein anderer tragifcher Künſtler an die Seite geftellt
werden Tonnte, fo fehr überragte er fie alle. Ein geborener Hel-
denfpieler verfuchte fih Efflair auch glücklich im Schau: und Luft:
fpiele; eine rührend einfache Leiftung war fein: „Eſſighändler.“
An den vielen Rollen, in denen ih Eiflair — noch zum lepten-
mal 1836 zu Bafel — ſah, fand ich ihn immer unnachahmlich,
und fand eine Tages zufällig, nicht ohne Wehmutb, an feinem
einfamen Grabe auf dem vomantifch gelegenen Kirchhofe von
Mühlau bei Innsbruck.
Im Herbſte 1812 traf, wenn auch nur vorübergehend, ein
Lichtftrahl der Freude die großherzogliche Familie. Den 25. Sep:
tember gebar die Großherzogin Stephanie einen Prinzen, der ju⸗
beind mit dem Namen eines Erbgroßherzogs Karl Friedrich begrüßt
wurde. Man ſchwamm in einem Meere von Freuden; Kirchen⸗
feier, Paraden, Gala: und Freitheater, Hoffefte und öffentliche
Bollöbeluftigungen kamen da an die Reihe. Alle diefe ungewohnten,
lärnenden Bergnügen befchäftigten uns lebhaft und aus einer Loge
fahen wir das mit Menfchen vollgepfropfte Hoftheater, worin als
Gratisvorſtellung Mozart’3 „Titus“ gegeben wurde; Geſchrei,
24
Drüden und Unruhe unterbrachen vielfach die Oper. Ebenfo unter:
hielt ung der Freimarkt, der öffentliche Ball, dad Stangenklettern,
das Austbeilen von Fleiid und Wein u. dgl. m. Doc Dieler
Jubel war leider nicht nachhaltig. Wir befanden ung den 16. Of:
tober gerade im Theater, wo Sffland den Geizigen von Molidre
gab, als das Schaufpiel dur die Nachricht von einem erniten
Unmohlfein des Kleinen Erbprinzen unterbroden wurde. Gegen
8 Uhr mwar er eine Leiche; wenige Stunden zuvor hatte das Kind
noch lächelnd auf dem Schooße feiner Mutter gelegen! Ich felbit
batte den Prinzen einige Tage zuvor gefehen, und in meinem
Tagebuch notirt: „Es ift ein großes ſtarkes Kind, das 11 Pfund
wiegt.” Damals fiel diefer Tod, fo allgemein er aud) bedauert
wurde, nicht auf; man fand es nicht feltfam, daß ein Kind von
3 Wochen an einer in diefem Alter fo häufigen akuten Krankheit
plötzlich ſtarb. Erft, als auch der zweite im Jahre 1816 geborene
Prinz bald nad) der Geburt verfchied, während die 1811 und
1813 zur Welt gekommenen beiden Prinzeffinnen und fpäter aud)
Prinzeffin Marie (geb. 1817) am Leben blieben, gab man fich
allerlei Vermuthungen bin, welche jedoch jeder thatfächlichen Be⸗
grüändung entbehrten. Dieſe auffallenden Gerüchte tauchten erſt
im Jahre 1828 wieder mit mehr Intenfität auf, waren der Gegen:
ftand zahlreicher Berichtigungen und Flugſchriften, als da3 geheim:
nißvolle, bis jett noch nicht aufgeflärte Erfcheinen Kaspar Haufer’3
in Nürnberg mit jenen beiden Todesfällen in Berbindung zu
bringen gejucht wurde. Meine Erinnerungen aus jener Epoche
reichen nicht fo weit, um mir eine feflgegründete Ueberzeugung von
dem Werthe jene Geredes bilden zu Tönnen. Die edle Großher⸗
zogin Stephanie, deren Mutterherz am meiften unter diefen wie⸗
derholten fürchterlihen Schlägen Ieiden mußte, drüdte nie eine
Bermuthung oder ein bittere Wort darüber aus, welches man als
Andeutung eines Verdachtes hätte nehmen Finnen. So ift &
wohl beſſer, die einjtige Löſung des Hauferifchen Räthſels der
25
Zukunft zu überlaffen, ftatt durch müfteriöfes Achſelzucken und unbe:
rufene Muthmaßungen falfchen Argmohn zu nähren. Iſt ein Ber:
breden dabei im Spiele, wird der Thäter Gottes firafender
Gerechtigkeit gewiß nicht entgehen!
Der officielle Jubel über die Siege der Franzofen in Rup-
land war noch nicht verhallt, als eine Schreckenskunde alle Länder
Europa’3 durhdrang: Moskau brenne an allen Eden, und Na:
poleon ſehe düfter von den Fenſtern des Kremls in das nicht zu
löſchende Flammenmeer! — Obwohl ih mich damald wenig um
Politit befümmerte, fo fehrieb ich doch, von der folgenreihen Wich⸗
tigkeit de3 Augenblicks ergriffen, folgende Kurze Bemerkung nieder:
„Die Ruffen brannten Moskau mit allen Kranken! und
Gefangenen! felbft ab!”
Man wollte daher gleich damals das Gehäffige des Brandes
und die Berantwortlichleit für die dabei angeblih begangenen
Grauſamkeiten dem Feinde zufchieben. Ich fügte weiter bei:
„Immer mehr Truppen werden nad Rußland gejchidt; bald
ift mit Ausnahme der in Spanien befindlichen, fein badifcher Sol:
dat, der nicht nach dem Norden marfdyiren mußte; nur ein Fleiner
Theil blieb zur Befabung Karlsruhs zurüd; täglich neue Opfer,
neue Rekrutenaushebungen; manches Herz bridt, manche Thräne
fließt; was das Schwert auf jenen falten Gefilden verfchonte,
ftirbt vor Elend, Hunger oder Froſt in diefem fo mörderifhen
Kriege! Möge er doch bald enden!”
Und in der That ganze Helatomben von Menfchen wurden
dem Chrgeize, wohl auch dem Eigenfinne eines Einzigen geichlachtet,
und nur zu wahr deuteten die deutfchen Soldaten die 4 N, welche
fich auf den Rockſchößen der franzöſiſchen Uniformen geftidt fanden,
mit den Worten: — Nur Nicht Nach Norden!
Der Winter von 1812 auf 1813 verfloß daher unter diefen
Umftänden traurig in Karlsruhe. Mit jedem Tage häuften ſich
26
die Hiobspoften vom rufftihen Kriegsſchauplatz, alles mit Schau:
der und Angft erfüllend; die Schreden und das Jammergeſchrei
an der Berefina, der hochtragiſche Untergang einer halben Million
Krieger, welche mit bunderttaufend Pferden unter den weißen
Schneefeldern wie in einen weiten Grabe lagen! Bon Moskau
bis an die polnifhe Grenze waren die Straßen mit Leichen von
Erfrornen und Verhungerten wie befät, und die paar Taufende
vielleicht, welche, wie dur ein Wunder, dem ficheren Tod ent:
gingen, waren Krüppel geworden, hatten einzelne Glieder erfroren,
oder fiechten das ganze Leben hindurch. Als nun vollends das
verzweiflung3volfe, ewig dentwürdige 29. Bulletin diefe gräßlichen
Vorgänge beftätigte, ald man die Flucht Napoleon? auf einem
Schlitten und feine unerwartete Rückkehr in Paris erfuhr, da er:
griff ftummes Entfegen alle Gemüther. Die Anhänger des Kai:
jerd ließen zwar fcheinbar den Muth noch nicht finfen, mährend
feine Gegner die innere Befriedigung über diefe vajhe Wendung
der Dinge nicht zu zeigen wagten. Es fand ſich beinahe feine
Familie im Lande, die nicht ſchon ein Mitglied in diefem entſetz⸗
lihen Doppelfampfe mit dem Feinde und den Elementen verloren
batte, oder für das Leben von Theuern zittern mußte. Unter den
Glücklichen, welche dem gräßlichen Verbängniffe entgingen, befand
ſich Markgraf Wilhelm (damals noch Graf Hochberg), Gottes Hand,
wie feine Jugendkraft hatten ihn gerettet. &benfo laufchten wir
am trauliden Kamine den fchlichten Erzählungen, melde un der
ehrliche, tapfere General von Lingg von der nordifchen Kampagne
machte, er war mit einigen erfrorenen Fingern und Zehen davon.
gelommen. Am merfwürdigften blieb aber immer die von beinabe
fabelhaften Umfländen begleitete Rückkehr des Grafen Bismark,
des nachherigen befannten württembergijchen Reitergenerals, welcher
nicht nur unzählige, jtündlihe Gefahren, die grimmige Kälte, der
auch noch ein heftiges Nervenfieber überftand! Verhältnißmäßig
beffer trafen es viele Offiziere, welche in die Gefangenfchaft nach
27
Sibirien gefchleppt wurden, und erft nad Jahren wieder zurüd-
kehrten. Deßhalb hingen viele Familien immer an der Hofinung
feft, daß auch fie ihre Dermißten wieder einmal ſehen würden. Ich
babe Mütter gelannt, welche fi) mit diefem ſchwachen Schimmer
bi3 zu ihrem Tode tröfteten. Nur mer jene unerhörte Kataſtrophe,
wenn auch noch jung wie id), durchgelebt, kann ſich einen Begriff
von dem gewaltigen Eindrude machen, den fie zurückließ. Die
bald darauf folgenden, ebenfo außerordentlihen Ereignifje drängten
jedod, das Andenken daran wieder mehr in ten Hintergrund.
Zur Vervollitändigung der vorftehenden Skizzen muß id
nod erwähnen, daß fi) außer der jungen Hofhaltung im Schloffe
damals auc noch mehrere andere fürftliche Perfonen in Karlsruhe
befanden. Den eigentlihen Mittelpunft des Hofes und der höheren
Geſellſchaft aber bildete die allgemein verehrte Markgräfin Amalie,
Wittwe des Erbprinzen Karl Ludwig. Sie bewohnte ein De:
fheidenes, mit „Palais“ bezeichnetes Haus in der langen Straße.
Diefe Räume und ihre einfache Einrichtung, mit denen ſich heut
zu Tage kaum ein mittlerer Beamter begnügen würde, fahen viele
Fahre Hindurd eine Reihe glänzender Feſte, bei denen ſich fait
alle europäifchen Größen einfanden: es hatten dieſe fchlichten
Zimmer hiftorifhe Bedeutung erhalten.
Die Markgräfin Amalie war die dritte Tochter des Land⸗
grafen Ludwig IX. von Heffen-Darmitadt (Pirmafend) und jener
geiftoollen BPfalzgräfin Karoline, der Freundin Friedrichs des
Großen. Zwei ihrer Schweſtern, die eine in Heſſen-Homburg,
die andere in Sadyjen- Weimar vermählt, feierten ihre goldene
Hochzeit und jtarben beide im Jahr 1828. Eine dritte Schweiter
war die Gemahlin Frietrih Wilhelms II. von Preußen, Stamm:
mutter einer blühenden Nachkommenſchaft in dem bohenzollerifchen
Königshaufe. Eine vierte Schwefter endlich ftarb fchon früh ala
die erfte Gemahlin des Großfürſten Paul von Rußland. Nicht
minder glänzend geflalteten ſich die Yamilienbeziehungen der hoben
28
Frau dur die Vermählungen ihrer, ihr an Geift, Törperlichen
Borzügen, feiner Bildung und fürftlihem Anftande ähnlichen
Töchter. Im Jahre 1801 zierten drei derjelben die Throne von
Rußland, Schweden und Bayern; zwei andere Prinzeffinnen waren
mit dem Großherzog Ludwig II. von Heffen und dem Herzog
von Braunfchweig verbunden, welder letztere den Heldentod bei
Waterloo fand. Mit Ausnahme der Kaiferin Elifabeth Hinter:
Viegen alle diefe Schweftern mieder zahlreiche Nacdtommen. ‘Die
Markgräfin Amalie war daher dur ihre anziehende Perjönlichkeit
wie durch ihre verwandtfchaftlihen Berhältniffe gleich merfwürdig.
Gar oft dachte ich mir, welche Fülle von Beobadytungen, meld’
reihen Stoff für die Gefchichte der Sitten und Höfe ihrer Zeit,
der Briefwechfel der Markgräfin mit ihren Schweitern und Töchtern
geboten haben möge! Großfürftin Paul am Hofe Katharina’ I.,
die Königin Friederike Louife an der Seite ihres jo vielfachen
Eindrüden bingegebenen Gemahls in Berlin, dann die Herzogin
Louife Augufte in Weimar, umgeben von der Elite der deutſchen
Gelehrten und Dichterwelt während der Haffifchen Periode unferer
vaterländiihen Literatur, endlich die vielfuchen Erlebniffe der fürft-
lihen Töchter der erlauchten Frau! Als fie während eines Be
fuches in Stodholm 1801 ihren Gemahl durch einen unglüdlichen
Sturz aus dem Wagen verlor, Tieß fie ihm, dieſen fehmerzlichen
Todesfall 30 Sabre Lang tief betrauernd, daß noch beftehende
Manfoleum in Karlsruhe errichten und bewohnte fortan dieſe
Stadt oder im Sommer das ihr zum MWittwenfite angewieſene
Schloß in Brudfal, In Karlzruhe war ed, wo die vortreffliche
Markgräfin, gleidy ihrer Schweiter in Weimar, dem fiegreichen
Machthaber Frankreichs mit der vollen Würde einer deutjchen
Fürftin entgegentrat. Hier ungaben fie durch ein Menjchenalter
viele Kinder und Enkel mit liebevoller Aufmerkjamleit, eine unver:
mählt gebliebene Prinzeffin, Amalie, mit treuer Anhänglichleit.
Es ift jet ſchwer, zumal in einer Zeit, bei deren raſch und
29
unaufhaltſam zerftörendem Rade man fo leicht und ſchnell vergißt,
fih eine richtige Vorfiellung von diefen fürftlichen Tamilienleben
zu maden, in da3 jo vielfache, felbft welthiftoriihe Momente
eingriffen.
Damals wohnte mit ihrer Mutter die Königin Friederike
von Schweden (biß fie das von meinem Vater erfaufte Haus
auf dem Linfenheimer-Plate 1813 bezog). Die fchöne, geiftuolle,
eines befferen Looſes würdige Frau war befanntlich ihrem könig⸗
lichen Gemahl, Guſtav IV., gefolgt, als ihn eine Palaftrevolution,
ähnlich jenen, wie fie der St. Peteröburger Hof gefeben, doch ohne
fo tragifchen Ausgang, von Stodholm vertrieben. In Karlsruhe
lebte fie nun, aud bald von ihrem, einem unerllärharen Hange
zu Ercentricitäten folgenden Gatten verlafien, ſtill, zurüdgezogen,
nur der mütterlihen Pflege und forgfältigen Erziehung ihres
einzigen Sohnes, Guſtav, und der drei noch jungen Prinzefjinnen-
Züchter.
Zwei Söhne des Großherzogs Karl Friedrih, die Mark:
grafen Friedrih und Ludwig, bewohnten damals gleichfallg
ihre Häufer an den beiden Enden des vorderen Zirkel. Mark—⸗
graf Friedrih war ein guter, leutfeliger alter Herr, der ſich wenig
um Hof und Stadtgeichichten, noch meniger um Staatsgeichäfte
befümmerte und in zufriedener, jedoch Finderlofer Ehe mit einer
Prinzeffin von Naffau-Saarbrüden lebte. — Markgraf Ludwig,
welcher fpäter Großherzog werden follte, war längere Zeit auf
feinen Gütern am Bodenfee, Tehrte aber gegen 1812 wieder nad)
Karlsruhe zurüd und lebte da, ſich mit felbft gewählten Gefolge
umgebend, von den Außendingen ſcheinbar unberührt.
Im f. g. Palais endlich, welches auf dem Nondelplag für
die Reihsgräfin Louife von Hochberg und ihre Kinder
erbaut worden war, lebte dieſe fürftliche MWittme bis zu ihrem
Tode (1820). Ahr ältefter Sohn, Graf Leopold, war damals
meiſt auf Univerfitäten oder Reifen abweſend, der zweite aber,
80
Graf Wilhelm, machte ſchon im zarteften Sünglingsalter dem von
ihm ermählten Berufe Ehre, zeichnete fi 1809 in dem Teldzuge
gegen Oeſterreich aus und bewies in der furdhtbaren ruffifchen
Campagne, wo es Weniger auf perfönlihe Tapferkeit, als auf
Gottvertrauen und Charakterftärle ankam, eine ungewöhnliche Aus-
dauer und Geiftesgegenwart. Ein jüngerer Sohn, Marimilian,
und Gräfin Amalie waren nody bei der Mutter.
In folder Weife geftalteten fi die Hof: und anderen Be
ziehungen der großherzoglichen Yamilie zu jener Zeit.
Das Frühjahr 1813 machte der minifteriellen Thätigkeit
meined Baterd ein Ende Wie er diefen Poften nur mit Wider:
ftreben angetreten, verließ er ihm mit freude und übernahm, um
dem Staate nicht durdy eine Penfion zur Laft zu fallen, die
frühere Hofrichterftelle zu Freiburg. Schmerzlich fiel und der
Abſchied von Karlsruhe im Rückblick auf fo viele frohe Stunden;
auch meine Eltern trennten fi von mandyen ihnen theuer ge
wordenen Verhältniffen ſchwer, und ala fie ſich bei der für jie fo
wohlmwollenden Markgräftn Amalie beurlaubten, floffen Thränen
von beiden Seiten.
Wenige Tage vor unferem Wegzuge empfing ich allein und
ohne befondere Feierlichfeit die erite heilige Kommunion durch den
geiftlihen Rath Biechele. Diefer würdige Stadtpfarrer, auch durch
theologiſche Schriften vortheilhaft bekannt, bereitete mich auf jene
ernite Handlung vor, welche, wenn fie auch mit fpäter felten mehr
gefühlten frommen, erhebenden Gedanken und Vorſätzen erfüllt,
dennodh in empfänglihen Gemüthern Eindrüce zurüdläßt, welche
durch das ganze Leben nachflingen.
81
Dritler Abfhnitt,
(1813 — 1815.)
Buhalt: Freiburg Shlachten und Kriebensverhandfungen während des
Sommers. Völkerſchlacht von Leipzig. Rückzug ber Franzoſen. Durch⸗
marſch der alliirten Truppen. Aufenthalt der drei Monarchen In Freiburg.
Kaifer Alexander in unſerem Haufe. Die Fürſten Metternich und
Schwarzenberg. Ein Gedicht J. G. Jacobi's. Einquartierungen.
Rheinübergang bei Baſel. Mein Vater Gouverneur. Kostrennng
bes Fürſtenthums Pruntrutt von Franfreid. Einzug und Friedensſchluß
in Paris. Auftritte und Ercejfe in Freiburg. Der ruffiihe Fürſt
Mammoloff. Der Freiburger Frauenverein unb meine Mutter, Die
deutſche Tracht. Rückkehr der Truppen Diener Congreß. Flucht von
Elba. Neue Rüſtungen und Truppenmärſche. Erzherzog Johann.
Häningen. Die badiſchen Truppen. Die Schlacht von Waterloo.
St. Helena. CEindrũcke. Erinnerungen.
Den Sommer 1813 brachten wir auf dem Lande bei Frei⸗
burg zu; täglich gab es da Beſuche aus der Stadt, und zwiſchen
Furcht und Hoffnung getheilt, vernahmen wir mit abwechjelnden
Gefühlen bald die unerwarteten Siege Napoleons, meldyer wie
durch eine Zauberruthe ein neues, Träftiged Heer hervorgerufen,
bald folgten wir mit geipannter Theilnahme den Yriedensverhand-
lungen in Prag. — Urn diefe Zeit ſah Freiburg den aus feinem
bedrohten Großherzogthum Frankfurt nah dem Bodenſee zurüd:
fehrenden Fürften-Primas von Dalberg einziehen. Mit Glocken⸗
geläute empfangen, ertheilte der deutſche Erzbifchof im Münfter
den Segen, wobei man zum Erſtaunen der ganzen guten Stadt
auf dem Rüden feines violetten, feidenen Gewandes einen großen
32
Taiferlich franzöfifchen Adler in Gold geftict erblictte! — immer
drobender zogen ſich die Kriegsgewitterwolken über den Ebenen
Leipzigs zufammen. Die blutige Völlerfhlaht vom 15, bi8
18. Oktober entjchied über die Fünftige politifhe Weltlage. —
Wir zogen nun in die Stadt, und mit den Erinnerungen an
eine ebenfo lebrreich ald angenehm verbrachte, durdy feinen Schmerz
oder Unfall getrübte Jugendzeit ſollte fih nun jene Fülle von
Erlebniflen verbinden, welche wie in einer magiſchen Laterne an
unferen erftaunten Augen vorüberzogen. Seit 1809 von dem
Kriegsgetümmel unberührt, fahen wir nun viele Qunderttaufende
von Truppen aller Länder und Waffengattungen durch unfere
Heine Baterftadt marjchiren. Man erlebte damals jo Außer:
ordentliches, Ueberrafchendes, daß felbft jugendliche, nur alltäglichen
Eindrüden zugewandte Gemüther darüber die Heinlihen Rückſichten
des Tages vergaßen. Treilih wurde die gewohnte Lebensweiſe
dadurch vielfach geitört, freilich litten die bisher fo regelmäßigen
Lehrftunden und nie konnte das Wohnzimmer bei den in jeder
Minute aufgerifienen Fenftern erwärmen. Sollte man aber wegen
einer lateiniſchen Weberjegung aus Cäſar dieß lebendige Drama
verfäumen? Ertönte daher die fehmetternde Fanfare eines Kavallerie:
regimentd, oder Tieß fi die harmoniſche Regimentsmuſik der
Defterreicher hören, erdröhnte der Boden unter dem Gewichte einer
unabfehbaren Reihe von Kanonen, wie flogen da die Schulbücher
in die Ede, wie freudig ſchlugen da unfere jungen Derzen den
fiegreihen Truppen Leipzigs entgegen! Es war am 19. November,
als die erften Freilhaaren, darunter auh Kofaden! unter Mens:
dorf einrüdten. Man ftritt fi darum, diefe feltenen Säfte in
das Quartier zu nehmen, ein Gefchmad, welcher fid) freilich bei
den Bewohnern der Stadt nur allzubald verlor. Bon jener Zeit
an zogen nun beinahe unausgeſetzt viele Wochen hindurch Truppen
vorüber; zuerft eine ftarfe Abtheilung der E. k. Armee, Generale
mit bekannten wohlklingenden Namen an der Spike, dann das
33
bayeriſche Korps unter Marſchall Wrede, badifche und andere
deutſche Landestruppen, endlih die preußifchen und ruſſiſchen
Garden. Mit großer Sehnſucht ſah man der angefündeten An-
Tunft des Kaiſers Franz entgegen, über welchen wichtigen Moment
ih eine beredtere Feder Iprechen laffe: — „Den 15. Dezember
1813 rüdte Vormittags die ſchöne ungarilche Grenadiergarde ein,
berrliche, kriegeriſch ausſehende Leute. Später traf die prachtvolle
ungarifche Nobelgarde zu Pferde, fowie die Ehrengarde böhmifcher
Edelleute ein. Ihnen folgten in langer Reihe andere Truppen,
Hofgarde und Equipagen. Gegen 4 Uhr erfolgte der höchſt er-
freulihe Einzug des Kaiferd franz I. von Oeſterreich. “Der
Großherzog Ferdinand von Würzburg ımd unfer Durdhlauchtigfter
Landesfürſt begleiteten Se. Taiferlihe Majeftät, als höchſt deren
erhabene Alliirte. Die Kürze der Zeit und der Drang der Um
fände erlaubten feine Anftalten zum feierlihen Empfange, und
die ſtille Würde des jeden Prunk verichmähenden Monarchen,
ſowie die Herzlichleit des Volles machten fie entbehrlih. Durch
Beides erhielt das Feſt eine eigene Weihe, einen Charakter, der
beffer gefühlt ala beichrieben werden Tann. Nichts von Triumph:
pforten, Ehrenfäulen und Infchriften, welche Schmeichelei und
Furcht ebenfo gut errichten mögen als Liebe, nichts künſtlich Vor⸗
bereiteted, mühlam Einftudirtes bei'm Empfange des menfchen:
freundlichiten Fürften: nur freier Erguß des vollen Stromes der
Liebe! Und wo hätte er reiner, mächtiger fließen können, als
bier, wo nicht nur der allgemeine Jubel des durch Oefterreich
befreiten Deutfchlands ertönt, fondern allenthalben in Stadt und
Land die unverwiſchten Spuren, die lebenden Erinnerungen des
väterlichen Segen? empfangener Wohlthaten blühen! So wie der
gute Vater von liebenden Kindern, jo wurde Kaifer Franz von
feinen ehemaligen Unterthanen empfangen. In den Xaufenden,
die ihm entgegenftrömten, nur eine Empfindung, nur eine
Seele. Unaufhörlihes Lebehoch! erfüllte die Lüfte “und übertönte
Ich. v. Andlaw. Wen Tagebud. I. 3
34
der Glocke fefllichen Klang. Männer und Weiber, Kinder und
Greiſe meinten, Unbekannte umarmten fi wie Freunde, Fremde
wurden Brüder! — Bon dem Thore, wo die ftädtifchen Behörden
den Monarchen empfingen, durch die lange Kaiferfiraße und weiter
bis zu dem Regierungsgebäude, bei Staatsrath von Roggenbach,
wo Se. k. k. apoft. Majeltät abfliegen, nur eine Maſſe jubelnder
Menfhen, auf der Straße wogend und in den Zenftern zufammen-
gedrängt... .. Der Kaifer zu Pferde grüßte mit Huld und
ſichtbarer Rührung miederbolt die Menge und wurde in feiner
Wohnung feierlid von den Behörden und meißgekleideten Mädchen
begrüßt, welche Kränze, von Lorbeern und anderen bedeutungsvollen
Blumen gewunden, überreichten. Das freiwillige Bürgercorps ließ
feine Fahne wehen, die wit einer in denkwürdiger Zeit (1796)
erhaltenen öfterreichifchen Ehrenmedaille geihmüdt war. Run
ertönte aus reinen Keblen — vom Serzen Tommend und zum
Herzen gehend — das erhebende Lied: „Gott erhalte unfern Kaiſer!“
Und als er auf dem Balcon erſchien, jauchzten ihm abermal3 und
unaufpörlih die entzüdten Bürger zu. Bei den Aufwartungen
wurde alle ängftlihe Geremoniel vergeffen, «3 fprach nur die
Liebe. Mit Recht mochte Einer für Alle ſagen: „Nicht Worte,
nur Gefühle, nur Thränen vermögen wir heute zu geben, und
diefe Huldigung ift des väterlichen Herzens Euerer Majeftät nicht
unwerth. Mag die Geſcichte Allerhöchſtdieſelbe nach ihren Thaten
den Großen nennen, die Zeitgenoffen werden deu Namen deö
VBielgeliebten in ihrem Herzen tragen!” Der erhabene Monarch,
welder die Gelchide Europa’3 in feinen Händen wiegt, nahm die
Huldigungen einer Kleinen Stadt mit Teutfeliger Güte auf und
vertraute die Bewachung feiner geheiligten Berjon für diefen Tag
ausschließlich dem Bürgercorps Freiburgs. ine allgemeine Be:
leuchtung, ein Fackelzug der Univerfität beichloflen ein Feſt, deſſen
Andenken immer in den Gemüthern fortleben wird.” —
Ich babe diefen Bericht feinem vollen Inhalte nach wiedergegeben,
35
einmal wegen feined hiſtoriſchen Interefſes, dann auch, weil
er die Stimmung des Tages bezeichnet; fretlich iſt ſie in den
Jahren 1830, 1848 und 1860 eine andere geworden! Aber
man verſetze ſich in jene Epoche zurück; noch waren nicht zwei
Monate ſeit dem heiligen Augenblicke auf dem Schlachtfelde von
Leipzig verfloffen; mit den Erinnerungen an die glückliche bſtet⸗
reichiſche Zeit verwiſchte fidh bei den Einwohnern Freiburgs die
Begeifterımg für den nach fo vieler ſchweren Pruͤfungen ſiegreichen
Kaifer! Damit man aber etwe sticht wähne, daß vorftehende Ergüſſe
damals ũbertrieben oder erheuchelt waren, habe ich abſichtlich dieſe
Beſchreibung der gewiß nicht der Gerdilitäͤt verdächtigen Feder
Rotteck's entnommen.
Em ungemein reges Leben zog nun In die Straßen Brei:
burgs em. Außer den nie amsfebenden Truppenmaͤtſchen fahen
wie nım noch dad Hauptquartier des Fürſten Schwarzenberg,
im Gefolge von einer Menge von Generälen und Adjutanten, unter
ihnen Gynlai, Wimpfen, Radetzky, Paar, Prokeſch u. a. m. it
dem Fürſten Metternich trafen die, das Taiferliche Hoflager be
glettenden Diplomaten em, darunter die Engländer Aberdeen und
Catheart. Noch weiß ich wicht, tie fo viele Größen m den ba:
mals noch wiel mehr als jetzt beichränften Ramnen der guten Stadt
untergebracht merden Tonnten. Freilich war fle von der gewöhn⸗
lichen Einquatierung befreit. Fürſt Metternich, bewohnte mit feiner
Kanzlei das altkagenek ſche Haus. Es Maren dieß diefelben Zin-
mer, in welchen einft ſeine Mutter geboren wurde, baflelbe Haus,
in dem Marie Antoinette vor dem unheilvollen Betreten des fran:
zöfffchen Bodens die lezten froben Tage in Deutfchland (Mai
1770) zubrachte!
Immer lebhafter, immer anziehender wurde das tägliche Treiben.
Ich laſſe auch hier wieder den bekannten Geſchichtſchreiber ſprechen:
„Herrliche Tage — hei allem Drucke der Zeit — find den
Bürgern Freiburgs geworden, Tage des Jubels und der behren
8 *
86 °
Feier! Schon eine Woche erfreuen wir uns des Glücks, Se. k.k.
Majeſtät — die Liebe und Wonne der Völker — in unferen
Mauern zu befigen. Den 22. Dezember, Nachmittags gegen
4 Uhr, zog Se. Maj. der Raifer aller Reußen, der weitgebietende,
ruhmgekrönte Monarch Alerander in diefelben ein. Sehnſuchtsvoll
wandten die Blicke fich ihm entgegen! Er kömmt — fo tönte es
von eines Jeden Munde — Er kümmt, der glorreiche Sieger, der
dabei großmüthig und voll Güte ift, des Friedens und der Menſch⸗
heit Freund, Freund unfered Vaterlandes, Schwager unjered Für:
ften! Se. Maj. der Kaifer Franz war ihrem erhabenen Alliirten
mit einer glänzenden Suite bis in dad Dorf Zähringen entgegen
geritten. Der Kaifer Alexander, nad der Bewilllommmung, flieg
gleichfalls zu Pferde, und beide Monarchen, von dem Yreubenrufe
und dem weithin tönenden Hurrah des dicht gedrängten Volles
begleitet, ritten langfam, wiederholt freundlich grüßend, unter dem
Geläute aller Gloden durd die Kaiferftraße bis zu dem Hauſe
des Staatsminiſters Freiherrn von Andlaw, wofelbft das Abſteig⸗
quartier für den Czaren bereitet war. Der Magiftrat hatte am
Stadtthore, die Behörden in der Wohnung Sr. k. rufflihen Ma:
jeftät ihre Huldigungen dargebracht. Den ganzen Tag über war
ein frobed Gewühl vor der Bebaufung bes Kaiſers, und Abends
allgemeine Beleuchtung der Stadt.” So weit Rotted!
Da gab ed nun zu fchauen, zu beobadten; bald war es eine
Truppenrevue, der die hohen Monardyen beimohnten, bald waren
es Diner, glänzende Paraden oder andere Teftlichleiten, welche
ſich täglich folgten. Eines Tages zog der Hettman Platow mit
feinem Kofadencorpg ein; eine ganze Mufterfarte von Truppen
aller Nationen und Waffengattungen zog an uns vorüber. So
fam allmälig das Ende des Jahres 1813 heran, und nie hatte
Freiburg merkwürdigere Tage gejehen, und wird Ähnliche wohl
nicht jobald wieder erleben. Dennoch waren alle dieſe erhebenden
Scenen und raſch fi drängenden Emotionen nicht ganz ohne
37
bitteren Beigefhmad. Yu einer unerhörten Tiheuerung und der
faum zu erſchwingenden Einguartierungslaft, zu diefem allgemeinen
Nothſtande gefellten fich anftedende Krankheiten — darunter der
Spitaltuphuß als die verheerendfte. — Auch die durchziehenden
Truppen, fo mufterhaft im Ganzen ihre Haltung war, begingen
doch hie und da arge Erceffe, und gerade während der Kaiſer
Alerander unfer Haus bewohnte, und der Großfürſt Konftantin
fein Hauptquartier in Umkirch aufgefchlagen hatte, plünderten und
brandfchatten die ruffiihen Barden die nahegelegene Grundherr⸗
haft meines Vaters, Schloß und Dorf Hugftätten. Es kam
darüber zwiſchen den beiden Taiferlihen Brüdern zu einer heftigen
Scene, welde, da fie fi) am Tenfter zutrug, wir von dem gegen:
über Tiegenden Haufe aus fehen fonnten, das ftet3 mit Neugierigen
angefüllt war.
Am Neuiahrötage 1814 gab der engliihe Gefandte den
Monarchen einen glänzenden Feſtball auf dem Kaufhaufe.
An demfelben Tage erfchien von dem alten, für alles Gute
und Schöne jo empfängliden 3. ©. Jacobi ein Gedicht, das ich,
weil es, jo viel ich meiß, wenig befannt, feiner vührenden Einfach:
heit wegen, wenigitend in feinen gelungenfien Stellen, bier an:
fügen will. Vier Tage nachher ftarh der edle Greis mit 76 Jahren.
„Der Abenbfonne gleich, wenn fie bie Wetterwollke
Zerfireut und dann vol Majeſtät
Dem furchtbefreiten Schnitter untergeht,
Ihr gleich entwich dem biebern, beutfchen Bolfe
Das alte Torbeerreihe Jahr.
Noch ſcheidend hob's im Siegestanze
Zur Tilgung unſerer langen Schmach
Empor die Ketten, die es brach,
Und ſchlug mit tapferem Schwert und Lanze
Den kühn geſchwungenen Adler, der zerſtückt,
Nicht drohend mehr auf unſere Heere blickt!
a. 08H 8 8 ou ®
38
Es ruft das neue Jahr zu Fünft’ger Siegesfeier,
Zu neuen Kämpfen ruft es die Befreier!
Hal ung! Durd Freiburg Thore zogen
Die Cäſarn brüserlich verbünbet ein,
Denn Ahnen foll der bald erfocht'ne Rhein
Trophäen, Säulen, Ehrenbogen
An feinen beiden Ufern weig'n!
Kr Deutfhen auf! Der Deutſche barf,
Wenn er bie lebten Legionen niederwarf,
Laut feine Herrmannd Ruhm verkünden,
Und heil'ges Eichenlaub um feine Schläfe winden!
Auch fah ich fehon bie nie bezwungene Schaar
Der Reußen ihren Blick mit Zuverficht erheben
Zu jenem thatenreichen Gzar,
Dem mehr als Kalferfron und Leben
Der Länder neue Schöpfung war!
Und Du, Du Boll der muthigen Brennen,
Mit altem Stolze wirb’3 ben großen Friedrich nennen,
Bei Habsburgs Name — doch was vermag ein Saitenfpiel,
Das oft fchon meiner Hand entfiel,
Wenn fie zu Liedern zitternd es befpannte,
Weil fih im reife noch ber Patriot ermanntel
Dem alten Sänger fei’8 genug,
Wollt’, unter neuen Gieged - Ehren,
Ahr, die ein zweite Vaterland
Durch manches füße, fe gefnüpfte Band
Mit mir vereinte, noch bie leiſe Stimme bören,
Die zur fchüchternen, gebämpften Harfe fingt,
Und meinen legten Gegen bringt!
Den 4. Januar 1814, Nachmittags 2 Uhr, traf der preußifche
König Friedrich Wilhelm IH. ein. Derfelbe Yubel, dieſelben
Feierlichkeiten! Die beiden Kaiſer eilten dem Könige entgegen, und
jo ſah Freiburg das fürftliche Kleeblatt der Tünftigen hl. Allianz
in feiner Mitte!
Der König von Preußen ftteg im Haufe meines Oheims,
89
des geheimen Raths, Freiherrn von Rind-Baldenftein ab und ver:
weilte daſelbſt 8 Tage.
Während ung folhe Äußere Vorfallenheiten beitändig in An:
ſpruch nahmen, waren wir nicht weniger mit dem bunten Treiben
beichäftigt,, da3 im eigenen Haufe vorging. Türften, Gefandte,
®eneräle, unter den ruffiihen Barclay de Tolly, Platow, Tolſtol
u. a. ließen die Treppen, die Vorzimmer nie leer werden. Kaiſer
Aerander lebte fehr einfach, ſah, wenn er nicht bei Kaiſer Franz
fpeifte, nur wenige Perfonen zu Tifche, und fehlief auf einem Feld:
bette; ein Koſack Hatte vor der Thüre des k. Schlafgemachs fein
Lager aufgefchlagen. An Sonn: und ruffifchen Feiertagen begab
fih der Czar in die griechifche Kapelle, welche in dem gegenüber
Negenden Haufe des Apothekers Schmidt eingerichtet war. Ein
berrlicher Männergefang begleitete den Gottesdienft. Eines Tages
warteten meine Mutter, meine jüngere, jährige Schweiter, mein
Bruder und ih dem Kaiſer Alerander in feinem Kabinette auf.
Er mar fehr freundlich, küßte meiner Mutter, fogar meiner Meinen
Schweſter, die Hand, und und Knaben auf die Wangen.
In der eriten Hälfte des Januar verließen die Monarchen
Freiburg, mo Kaifer Franz 4 Wochen, Alerander 14, der König
von Preußen 3 Tage zugebracht hatten. Man erfchöpfte fi in
Muthmaßungen über diefen verhältnißmäßig langen Aufenthalt in
einer ſo kleinen Stadt. Waren es wie in Frankfurt Friedens⸗
unterhandlungen, welche die Monarchen beſchäftigten? entwarf man
Feldzugspläne und wollte die Truppen Tonzentriren? Genug! Die
Allirten zogen am ruffiihen Neujahrstag — den 18. Januar an
drei verfchiedenen Punkten über den Rhein. Von Seiten der
Monarchen erfolgte diefer Uebergang in Baſel. Nun trat wieder
einige Ruhe ein, es marſchirten zmar Immer noch viele Truppen;
eine Stadtrommandantſchaft, ein Depot für Vetwundete, Kranke
und etwaige Gefangene wurde errichtet, Nachhut einquarttert.
Eouriere von allen Selten ellten durch die Stadt, auch befannte
40
und höhere Perfönlichkeiten — unter ihnen Graf Artois und die
noch fehr jungen Großfürften Nikolaus und Michael — fahen mir
durchreiſen.
Bald nachdem und Kaiſer Alerander verlaſſen, bekamen mir
den Feldmarſchall⸗Lieutenant, Grafen Civalart, in's Quartier. Er
war als öſterreichiſcher Commiſſaär für die Auswechſelung der Ge⸗
fangenen beſtimmt, und dieſe Anſtellung, welche ihn von der Ar-
mee entfernte, verſetzte ihn nicht in die beſte Laune. Dennoch
war uns Civalart, ungeachtet einiger hageſtolzen Eigenheiten, ſehr
angenehm; er gehörte bald wie zu unſerer Familie, gab Bälle,
machte Fleine Reifen mit und u. dgl. und befreite ung überdieß
durch fein viermonatliches DVerbleiben von einem öfteren läftigen,
Einquartierungswechſel. Der General feierte in unferem Haufe
(Mai 1814) feinen 48. Geburtstag, ift demnach, da er beute noch
lebt, mit 95 Jahren wohl der ältefte Soldat in der k. k. Armee.
Während diefer Zeit folgten wir mit gefpannter Aufmerkſam⸗
feit den Bewegungen der allürten Truppen in Frankreich, den
vielen Schladhtberichten und Friedensunterhandlungen. Wie er:
wachte da auch in mir der Drang mit den fi dahin wälzenden
Colonnen in die Ferne zu ziehen, wie bemeidete ich meine Vettern
und andere, welche kaum einige Jahre mehr zählten, ala ih, um
das Glück, ſich in patriotifch-jugendlicher Begeifterung an jenen
Kämpfen und Siegen betheiligen zu können! — Wie ein Löwe in
feiner Höhle, mit Anftrengung der lebten Kräfte, mit dem ganzen
Gewichte feine Alle überragenden Feldherrn-Genie's vertheidigte
fi) Napoleon auf franzöfifchem Boden. Größer, als je in der
Schlacht, aber unglüdlich, verblendet und eigenfinnig bei den diplo-
matifchen Berhandlungen ſuchte er immer mit der Spike de
Schwertes zu erhalten, was ihm die Feder zu entziehen drobte.
Als aber die Nachricht von dem Einzug der verbündeten
Armeen in Paris erfholl, als die Monarchen Napoleons Beſuche
zu Wien, Berlin und Moskau in der Hauptſtadt Frankreichs felbft
41
zurüdgegeben, da war Anfangs April des Jubels Tein Ende, und
man ſah einer froben, zufunftsreichen Zeit entgegen. In der That
war es kaum möglich fich jo hinreißenden Eindrüden zu entziehen.
Greiſe und Zünglinge, gleihgültige oder fonft der Politit fremde
Männer wie Frauen waren lebhaft von den überrafchenden Tags⸗
begebenheiten ergriffen! War ja doch in gar kurzer Zeit fo ganz
Unglaubliches gefcheben! Die been, welche in ftiller Begeifterung
und zäher Ausdauer den Umfturz der Fremdherrſchaft vorbereitet,
den Sinn für Deutfchlands Freiheit und Unabhängigkeit erweckt,
waren nun plößlich zu fiegreihen Thaten geworden, und ala mit
dem Erfolge — immer ein Zauberwort — Zuſtände wiederfehrten,
die man ſich Furz vorher kaum ala möglich geträumt hätte, ftellten
fih auch bei den Verzagteſten Muth und Hoffnung wieder ein.
Doch auch gar viele politiiche Belehrungen fanden unbegreiflich
ſchnell ftatt; wer vor Monaten noch Napoleon und feinen Satrapen
zu Füßen gelegen, fluchte nun ihrem Treiben am lauteften; wer
in Wort und That die Macht, den Rubm und die Herrlichfeit
franzöfiiher Waffen und Staatäweisheit nicht genug preifen Tonnte,
fiel jebt um fo eifriger mit Schmähfchriften und widerlichen Kari⸗
faturen über den geftürzten Kolofien ber. Frankreich und das
füdliche Deutfchland waren aber zu ſolchen ‘Demonftrationen am
wenigften befugt; fie hatten fich wie Italien, fo lange Napoleons
Stüdftern Teuchtete, unter das eiferne Joch gebeugt, ſelbſt Vortheile
aus jener Uebermacht erlangt. Oeſterreich, Rußland, Preußen mit
einem Theile Norddeutichlands dagegen hatten ihr Mißgeſchick in
flummer Refignation, obne dem Steger zu ſchmeicheln, ertragen,
England endlich mit Aufopferung aller feiner Kräfte die Allein:
herrſchaft des Corſen bekämpft. Der Jubel über deflen Fall war
daher von Seiten diefer Staaten ein völlig berechtigter.
Mein Vater mar mährend diefer ganzen welthiftorifchen Zeit
nicht in unferer Mitte. Er hatte ſich im Gefolge des äfterreichifchen
42
Hauptquartierd mit dem Yürften Metternich nad) Frankreich begeben,
und war von dieſem als Generalgoubernenr mehrerer von der
Taiferlihen Armee eroberter Gebietätheile in Veſoul zurücgelafien
worden. Diefe umfaßten die Departement3 der oberen Saonne,
de3 Jura und des Doubs. Es verwaltete num mein Vater biefe
Provinzen als Civilcommiſſär (au nom des hautes puimances
allies, wie die Formel lautete) bis nach dem eriten Pariſer Yrieden,
und diefer kurze Zeitraum wurde dur drei Epiloden ganz eiguer
Art bezeichnet. — Die Eine derfelben beitand in der, meinem
Bater nicht ganz willlonnmenen plößlichen Ericheinung des Grafen
von Artois — fpäter als Karl X. abermald vertrieben — in
Veſoul. Er war über Deutfchland und Bafel ganz unerwartet
nad Frankreich gekommen, mo damals von einer Wiedereinſetzung
der Bourbonen auf den Thron noch durchaus feine Rede war.
Die Verhandlungen von Chatillon ließen vielmehr vermuthen, daß
Napoleon, von allen Seiten gıdrängt, auf die ihm dort geftellten
Bedingungen eingeben und fi halten werde. Die Reife des
franzöſiſchen Bringen mit feinen Sonde und Eoblenzer Erinnerungen
war daher mindeftens eine verfrübte, und fo wenig Sumpathien
auch für die beinahe vergeffene Königsfamilie im Volke Leben
mochten, jo Tonnte doch ein Verſuch, fie zur Unzeit zu werden,
große Berlegenbeiten bereiten. Der Tünftige König verſchwand
jedoch wieder unbemerkt mie er gekommen.
Ein zweiter Zwiſchenakt war von einer mehr bedenflichen
Natur. Belanntlih hatte ed Napoleon während den Frieden
befprechungen verfucht, denfelben durch eine raſche Diverfion eine
ihm günftigere Wendung zu geben, fih dem Rheine und den
öftlichen Feſtungen zu nähern. Vefoul war durch dieß unerivartete
Manöver ganz befonders bedroht und von dem wahrſcheinlich über:
triebenen Gerüchte des Herannahens Napoleons erichredt, fand
mein Vater es gerathen, mit feinem durch feine wilitäriiche
Bedeckung hinlänglich geſchützten Gouvernement nach Mömpelgard
43
zu überfiedeln. Doch ſchon nad einigen Tagen Tehrte er wieder
surüd. Es beweift aber auch dieſer an fich unerhebliche Umſtand,
weiten man ſich damals noch von dem verwendeten Adler verfah!
Endlich die dritte und merkwürdigſte diefer Epiſoden hatte
für Die politiiche Welt wie für meinen Vater wichtigere Folgen.
Als nämlich Yürft Metternich von Paris zurüdtehrte und das
Sonvernement in Veſoul auflöfte, follten die biöher beſetzt gehaltenen
Landestheile der neuen Dynaftie übergeben werden. Rückfichtlich
der Freigrafſchaft Hochburgund (Franche-Comt6) und der Herrſchaft
Montbeillard beftanden feine Zweifel, wegen des ehemaligen Fürſt⸗
biathums Baſel (Porentruy) aber ftellte mein Bater an den
Staatskanzler die Trage: ob diefes frühere deutſche Reichsland
ebenfall3 in der Uebergabe an Frankreich einbegriffen ſei? Im
Auftrag des Fürften fchlug nun Hofrath von Floret die betreffenden
Paragrapben des Barifer Friedensſchluſſes nach, und da fand es
ſich, daß das fogenannte Fürſtenthum Pruntrut, melches feit 1792
franzöſiſch, in jener Urkunde nicht ausdrüdlih erwähnt war. Der
Fürſt ermächtigte daher meinen Vater, jened Juragebiet als herrn⸗
loſes, Ddiöponibled Land vorläufig im Namen der verbündeten
Mächte zu verwalten und weiterer Befehle gemärtig zu fein.
Mein Vater begab fi nun in Begleitung des öſterreichiſchen
Generalmajors Hirſch unverzüglich nad Pruntrut, und traf gerade
mit feinem proviforiicden Gouvernementsperſonale in jener Stabt
ein, ald eine Compagnie franzöfifcher Truppen durch da3 entgegen:
geſetzte Thor einzog, um Stadt und Land wieder zu behaupten.
Nur den ernften und felbft wegen des Gewicht? der Berantwort-
Tichkeit drobenden Vorftellungen meine? Vater gelang es, den
franzöfifchen Commandanten zu bewegen ſich zurüdzuziehen. That
ſächlicher Widerftand wäre von beiden Seiten bier fait unmöglich
geivefen.
Diefe anfänglich nur als vorübergehend bezeichnete Verwaltung
des kleinen Landes dauerte aber beinahe 3 Jahre. Der Wiener
44
Congreß erkannte den größten Theil des vormals bifchöflichen
Gebiet dem Kanton. Bern als Entfhädigung zu. Es war dieß
die franzöſiſch fprechende Bevölkerung von Pruntrut, Delsberg,
Biel, der Vallde de moutiers (das felſenreiche Münſterthal mit
dem römifchen pierre pertuis), während die deutichen Bezirke
Lieſtal, Birfet u. a. dem Kanton Bafel einverleibt wurden (dieſe
Theile riffen fich befanntlih 1833 von der Stadt los, und bilden
nun den Halbkanton Bafel-Landihafl. Mein Bater wurde mit
mehreren Orden und mit Verleihung der Ehrenbürgerrechte der
Kantone Bern und Bafel ausgezeihnet. Er ſelbſt aber Tehrte
nad Beendigung feiner nicht immer angenehmen Yunktionen mit
dem frohen Bemwußtfein nach Freiburg zurüd, ein früheres Reichs⸗
land, feine Wiege, wenn auch nicht dem deutichen Vaterlande
wiedergegeben, doch Frankreich entriffen zu haben.) Dort nahm
er nun wieder feine frühere Stellung ald Hofricäter ein, wo er
fih nur feinen Berufapflichten, wie der Verwaltung feiner ausge⸗
dehnten Güter widmete, und nad einem fo ftürmifchen Leben bis
1830 eine ruhige, zufriedene Zeit zubrachte.
Die jubelnde Begeifterung, mit welcher man den Einzug der
verbündeten Heere zu Paris in Deutichland begrüßte, wirkte auch
auf Freiburg zurück. Es wurden in den Kirchen Tedeums gefungen
und ein feierliche Hochamt für die Befreiung des Papftes Pius VII.
aus der Gefangenfchaft von Fontainebleau gehalten. Damit fanden
*) Der hierauf bezügliche Theil des Artitels 76 ber Wiener Congreß⸗
afte lautet:
„L’eveche de Bäle, et la ville et le territoire de Bienne, seront
reunis & la confederation helvetique, et feront partie du Canton de
Berne. Sont exceptes cependant de cette derniere disposition les
districts suivants:
I. Un district d’environ trois lieues carrees d’etendue, renfermant
les communes d’Altschweiler, Schönbuch, Oberweiler, Terweiler,
Ettingen, Fürstenstein, Plotten, Pfeffingen, Aesch, Bruck, Reinach,
Arlesheim, lequel district sera r&uni au Canton de Bäle“ u. f. w.
45
dann Stadtbeleuhhtungen, Paraden, Dinerd mit Toaften, Feſt⸗
theater in Verbindnng, und dazwiſchen ertönte wieder nach langer
Zeit der Donner friedliher Kanonen. Auch die Truppen:
märſche nahmen noch immer Fein Ende. Regimenter aller Waffen:
gattungen Tehrten ald Sieger bejubelnd zurüd, andere zogen nad)
verfchiedenen Richtungen bin und ber. Bald waren e3 öfterreichifche,
bald ruffiihe Generale und Oberoffiziere, welche wir beherbergen
mußten. Unter diefen kriegeriſchen Gäſten erinnere ich mich noch
des berühmten Feldzeugmeiſters H. Colloredo. Da gab es nun
wieder Mancherlei zu fchauen, zu beobachten, und faft täglich
ergögten wir uns an den trefflihen Mufitproduktionen, melde die
Oeſterreicher vor unjerem Haufe oder vor irgend einem anderen,
das ein General bewohnte, gewöhnlich Abends aufführten.
Auch fehlte es nicht an Nachzüglern, Abenteurern, und jenem
Troffe, welcher fid, jeder großen Armee anbängt und nicht gerade
zu den Annehmlichleiten des Kriegs gehört. Unter anderen flieg
eines Tages ein ruſſiſcher General, von einer Schwadron Uhlanen
begleitet, im Zähringer Hofe ab. Er gab fich für einen Adjutanten
des Kaiſers Alerander aus, und nannte fih Fürſt Mamuloff, fo
viel ih mid; erinnere. Verwundete Soldaten waren während
eines Gewitterregens nicht gleich untergebradjt worden, daher der
erfte Anlaß zu Ausbrüchen feines Zornes, wobei der angebliche
ruffifche Fürft die Stadt anzünden zu laffen drohte. Einige Tage
nachher Fam es in dem Wirthszimmer zu einem blutigen Streite,
weil fih Mamuloff im Gaſthofe nad) 9 Uhr jeden Lärm der
Gäſte verbeten hatte. Die öfterreichifchen und bayerifchen Offiziere
wollten auf die unverfhämte Aufforderung, zu jener Stunde meg-
zugeben, nicht weichen, da ftürzten die. Ruffen mit blanken Waffen
über fie her und tödteten den Lieutenant Kors von einem bayerifchen
Ehevenurlegerd: Regiment. Diefe Greuelthat brachte die ganze
Stadt in Aufruhr. Mamuloff verfchanzte fih, doch die Bürger
wollten die Wohnung erjlürmen und widerfebten ſich feiner Flucht.
46 .
Der öſterreichiſche Stadteommandant Stahl, alt und ſchwach, gebot
über Leine binreihende Macht, den beraufziehenden Sturm zu
beichwören. Vergebens unterhandelte man; die Aufregung wurde
immer größer, man läutete Sturm, fchloß Thüren und Läden,
und ala Bürger einige Kofaden, die fi fredy benommen hatten,
durschprügelten, ſchworen die Ruffen Rache zu nehme. Alles
ihrie nad Waffen, es kam zum Straßenlampfe — da verdanfte
man der befonnenen Haltung des preußiſchen Commandanten, Grafen
Luſi (ipäter Geſandter in Griechenland), endlich Ruhe, und weiteres
Blutvergießen wurde verbindet. Dem Mamuloff wurde freier
Abzug bervilligt. Als er fich jedoch nachher auf dem Balcon zeigte,
jebte ihu die drobende Haltung der ver dem Haufe verfammelten
erhitzten Bürger jo ſehr in Schrecken, daß er krank wurde, fid, zwr
Ader ließ und dann in einen Mantel gehällt, in einem verfchlefienen
Wagen Hingeftreft, von veitender Bürgerwehr und Kofaden um⸗
geben, Abend? zur Stadt hinaus fuhr. In Emmendingen, wo
er die Nacht zubringen wollte, wurde ihm der Eingang verweigert.
Mehrere Tage blieb jedoh Treiburg in Angſt, daß die Ruffen
zurüdtehren und die oft angedrohte Anzündung der Stadt an allen
vier Eden wirklich ausführen würden. Mehrere Nächte hindurch
durchſtreiften Patrouillen die Straßen, und ein zufällig ausge:
fommenes Teuer brachte alles in Bermegung. Der Enthuſtasmus
bei dem Erſcheinen der eriten Kofaden hatte ſich nach ſechs
Monaten bei dem Abzuge diefer lebten bedeutend abgekühlt.
Der aus Baſel berbeigeeilte ruffiihe Geweral Oertel unterfuchte
die ganze Sache; das Ergebniß der Verhöre wurde jedoch je
wenig bekannt, al3 die genaueren Berfonulien jenes muthmaßlichen
Abenteurerd. Der unglüdlihe Kors aber, Sohn de Münchner
Hoftunzmeiiters, wurde den 12. Mai unter allgemeiner Theilnahme
feierlich begraben. Erſt einige Tage zuvor Hatte ihm feine Mutter,
erfreut über defjen glückliche Rücklehr aus dem Feldzuge, viel Geld
gefchicht und ihn der Aufficht feines Better und Rittmeifterd Gruber
41
empfohlen. Anch diefer war bei dem Wirthähausfampfe am
Kopfe verimundet worden.
Wie viele folder wicht näher bekannt gemwordener Dramen
mögen fid, wohl während diefer langen Teldzüge abgejpielt haben!
Lange Halten die Eindrüde fo großer, außerordentliche
Begebenheiten in ‘Deutichland nad; es war für Alle, welche fie
erlebten, eine fchöne, erhebende Epoche, und am 18. Oktober —
dem Jahrestag der Leipziger Schlacht — flammten Freudenfewer
auf den Oebirgshöhen aller deutſchen Gasen. Auch in Freiburg
gab fich dieſe Stimmung nad) verfchiedenen Richtungen fund. Man
überbot fid, in Ausbrüden patriotiſcher Gefinnungen, und lief dabei
auch mandye Liebertreibung und Auafchreitung unter, fo ſtanden
diefe Ergüffe in einem zu erfreulichen Gontrafte zu ber früheren
Stumpfheit der Gemüther, um fie nicht lebhaft zu begrüßen. So
hatten fi die Damen verabredet, ſich aller franzöfiichen Moden
enthalten, nur deutjche Stoffe tragen zu wollen, ja ſogar eine
deutfche Tracht, welche für Ehefrauen ſchwarz, für Mädchen weiß
fein follte, wurde angenommen. Ebenſo verfudyten junge Männer
fid, einförmig ſchwarz mit einigen deutichen Abzeichen zu Fleiden.
Solche Vorhaben, jo gut fie auch immer gemeint find, können nie
nachhaltig durchgeführt werben. Der dadurch auferlegte Zwang
erſchien bald läftig, und man beichloß daher den weiblichen Mit:
gliedern des Vereins zu überlaffen, die vorgefchriebene Tracht bei:
zubehalten oder nicht, vorausgeieht, Daß die Xoilettegegenftände
nicht jenfeit8 des Rheined angelauft würden. Die Blüthe patrio:
tifcher Begeifterung hatte aber bald andere, fchönere Früchte
getrieben. Der urſprüngliche Wohlthätigfeitöverein zur Unter:
ftügung der während der Feldzüge verarmten Familien, oder zur
Dilege verwundeter Krieger, verwandelte fih nun in eine fefte,
fortdauernde Verbindung von Frauen für edle Zwecke. Ueberbot
48
man fi früher in löblihem Eifer, in thätiger Hülfe, in Dar-
bringung von Liebesgaben, die berben Leiden der Zeit möglichft
zu mildern, fo wurde nun ein förmlidher Verein gegründet, in
welchem die weibliche Einwohnerſchaft Freiburgs einen ungemein
regen Sinn für Ausübung jeder Art barmherziger Werke ent:
widelte. An Berbindung mit Karlsruhe und anderen Städten
des Landes war der Verein doppelt thätig, ald dad Jahr 1817
(in peinlihem Wortipiele mit Recht das der — disette genannt)
jene Noth, jenen Hungertyphus bejonderd in den Bebirgögegenden
brachte, welche alle Kräfte zur Abwehr fo furdtbaren Elends
erforderten. In der Nefidenz war es die menfchenfreundblihe Mark:
gräfin Friedrich, bei und meine gute, vortrefflihe Mutter, weldye
an die Spike diefer Segen bringenden Anftalten traten. Yünf-
zehn Jahre lang bis zu ihrem leider allzufrühen Tode verwaltete
fie dieß Amt mit Umſicht, Opferfreudigleit und dem günftigiten
Erfolge. Jahre zuvor hatte fie ſchon ihre Vaterſtadt mit frommen
und wohlthätigen Stiftungen, an denen Freiburg überreich ift, bedacht,
und erwarb fi fo nach allen Seiten Dank und Gotteslohn!
Der Winter 1814 bis 1815 verging für uns fill in Freiburg;
wir waren wieder zu gewohnten Beihäftigungen und Studien,
zu unjerer früheren Lebensweiſe zurüdgelehrt; ernfte Lehrftunden
wechfelten mit litterarifchen Genüffen, Spaziergäingen, Abendunter:
haltungen. Unter den lesteren nahmen die Haus: und Liebhaber:
theater eine hervorragende Stelle ein, und dadurch entitand wahr:
ſcheinlich meine ftet3 entſchiedene Vorliebe für dramatifche Vor:
ſtellungen. Es tragen folche Uebungen gar fehr zur Ausbildung,
zu einem ungezwungenen Auftreten bei, doch geht auch viele Zeit
dabei verloren, und die Proben, welche Manche für das Angenehmfte
an der Sache halten, erfchienen mir immer ermüdend und lang-
weilig. Da ih in dad Schuljahr getreten war, welches man das
„der Poefie” nennt, fo verjuchte ih mich auch in Verien. Außer
49
einigen Meinen Gedichten und metrifchen Ueberjeßungen, auf die ich
mir damal3 nicht wenig einbildete, fchrieb ich auch Theaterſtücke,
fogar ein größeres Schaufpiel, zu dem mich die Sage der „Weiber
von Weinsberg‘ begeiftert hatte. Eines diefer kindiſchen Produkte
erhielt jogar die Ehre der Aufführung, verfteht fi) nur im engeren
Familienkreiſe.
So verflog uns die Zeit raſch, nur vorübergehend durch den
Ausbruch der Fleckenkrankheit getrübt, welche uns damals, ſowie
eine Menge anderer jungen Leute ergriffen hatte. Da wurden
wir eines Tages (10. März 1815) plötzlich durch die Nachricht
erſchreckt, daß Napoleon die Inſel Elba verlaffen und den fran-
zöfifchen Boden betreten habe. Den 20. erfolgte ſchon fein Einzug
in Paris. Es war mir damals unerflärlih und wurde mir
fpäter mit jedem fahre unbegreiflicher, weßhalb man dem ent-
thronten Kaiſer gerade jene Anfel zum Aufenthaltöorte angemwiefen.
Elba, zwiſchen den franzöfifchen und italienifhen Küften gelegen,
bot dem Gefangenen die größte Leichtigkeit, Verbindungen mit
feinem Anhange zu erhalten, und jederzeit einen Fluchtverſuch an-
zuſtellen. Wollten die Mächte ihm etwa in gegebenen Fällen die
Rückkehr erleichtern? Dennoch Tag, wie es ſchien, den in Wien
verfammelten Monarchen diefe Abfiht fern; in feltener Ueberein⸗
fiimmung betrieben fie alfobald die neuen Kriegärüftungen, melden
die Völker mit gleicher Begeifterung und Opferwilligkeit entgegen
famen. Hatte die Rückkehr von Elba auf die Eongreßverhandlungen
wie eine plößlih platzende Bombe gewirkt, jo Tehrten auch gleich
Fürften und Generale, die Wiener Fefte fliehend, und den Diplo-
maten am grünen Tifche die Löſung der fo vermorrenen Streit:
fragen überlaffend, zu den Waffen, zu dem leider fo unvorfidhtig
heraufbeſchworenen neuen Kampfe zurüd. In unglaublicher Schnellig-
keit fammelten fich wieder die zerftreuten Geere. In Baden z. B.
waren in einer Woche Truppen und Landwehr einberufen, und
über 25000 Mann auf den Kriegsfuß geſetzt. . Viele Freiwillige
Sch. v. Andlaw. Mein Tagebuch. I, 4
50
fhloffen fich wiederholt an. Auch in Treiburg begannen auf's
Neue die Truppendurchzüge, zuerft daB badiſche Armeecorpd. Die
Grafen Wilhelm und Marimilian von Hochberg, die Generale
v. Stockhorn und v. Schäfer wohnten nad) der Reihe in unſerem
Haufe. Anfänglich zum Marſche in das innere Frankreich beſtimmt,
wurde jenes Corps ſpäter abermals zur Belagerung Straßburgs
beordert, wobei ſich die Grafen Wilhelm und Max von Hochberg,
ſowie viele Offiziere bei den häufigen Ausfällen der Garniſon
durch Tapferkeit und Geiſtesgegenwart auszeichneten. Dieſen ein⸗
heimiſchen Truppen folgte dann wieder ein Theil der dſterreichiſchen
Armee, eine Diviſion verdrängte die andere. Den 25. Juni ſtieg
Erzherzog Johann bei uns ab, und begab fidh dann mit feinem
Generalftabe nad Baſel. Er follte von da aus die Belagerung
der Feſtung Hüningen leiten, welche ſich aucd nad) bereits
geichloffenem Frieden hielt. Den 21. und 22. Auguft über dauerte
dad Bombardement, viele Freiburger wohnten dem impofanten
Scaufpiele bei. Am 28. übergab, nach ehrenvoller Kapitulation,
der Commandant Barbenegre dem Erzherzog die Schlüffel. Große
Feſte folgten dem Falle diefer, Baſel ſtets gefährlichen Feſtung,
welche befanntlich fpäter geichleift wurde.
Mit der zweiten Abdanfung Napoleond und dem ziveiten
Pariſer Frieden fchloß ein denkwürdiger Abfchnitt der Geſchichte.
Nach zwanzigjährigen verheerenden Kriegen war endlich die längſt
erfehnte Ruhe, Erholung nach fo fortgefeßten Opfern und An:
ftrengungen eingetreten; ungehindert Tonnte man ſich diefer reinen,
durch feinen Rückhalt getrübten Freude überlafieen! Man hatte
ja nur für den eignen Herd, für das Wohl, die Freiheit eines
theuren Baterlandes, hatte gegen den Ehrgeiz, die Tyrannei, den
Drud eines Einzigen gefämpft; es mar nit ein Wüthen im
eigenen Fleiſche, Fein Bürgerkrieg, in dem die errungenen Vortheile
oft ebenjo ſchmerzlich berühren als die Niederlagen, ſelbſt gegen
die Franzoſen als ſolche ftritt man nicht!
51
Nun entftand aber auch eine neue Ordnung der Dinge; es
galt das geftörte Gleichgewicht wieder zu finden, und als mit dem
lebten Kanonenſchuße bei Waterloo der eigentliche Zweck des Riefen-
kampfes erfüllt war, begann da3 noch ungleich mühjamere Werk,
den völferrechtlichen und politiichen Zuftand ber europätfchen Staaten
auf dauerhaften Grundlagen berzuftellen. Ob, oder in mie weit
dieß den tonangebenten Mächten gelungen, die zuerft, acht an der
Zahl, die Wiener Congreßakte unterfchrieben, fpäter ſich zu einer
Pentarchie berangebildet hatten, werde ich im Laufe diefer Blätter
noch öfters zu unterjuchen Gelegenheit haben.
Am Oftober 1815 ſah ich endlich noch den feierlichen Einzug
der Raifer Yranz und Alerauder auf ihrer Rüdkehr in Baſel.
Der Kronprinz von Württemberg, die Erzherzoge Ludwig. und
Johann, Feldmarſchall Schwarzenberg, und eine Menge anderer
dſterreichiſcher und ruffifcher Generale belebten damald unter nie
aufhörenden Truppenmärichen die engen Straßen der Schweizer⸗
ftadt, welche wie feine ihrer Schweftern Zeugin ftet? unvergeßlicher
Tage war!
4*
52
Derter Abſchnitt.
—— — —⸗
(1815 — 1824.)
Inhalt: Lehr: und Wanberjahre Univerſitätsleben in Frei:
burg. Skizzen von Profefforen. Prüfungen. Meine Mitfhüler. Die
Draifine. Frau dv. Krübener. Univerfität Landshut. Leben und Treiben
allda. Sailer, Mittermayer u. a. Profefforen. Studien, Reibungen, Duelle,
Landmannſchaften. Betrachtungen über das Stubentenleben. Donaureife
nah Bien. Kleine Ausflüge nad Regensburg und Münden (König
Mar). Univerfität Heibelberg. Profeſſoren. Glänzende Frequenz.
Corps und Burſchenſchaft. Exceſſe. Gejellige® Leben in Mannheim und
Heidelberg. Die Umgebungen. Kleine Reifen. Hinrihtung Karl Sand's.
Demagogiſche Umtriehe. Schluß der alabemifhen Stubien. Rückkehr nad
Freiburg. Staatsprüfung. Zeit des Praktizirend. Meifen: Ausflüge
an den Rhein, in die Schweiz u. f. w. Größere Reife nah Italien.
Skizze im Vogelfluge. Mailand. Florenz (die Theaterloge). Rom
(Aubienz bei Pius VII. Eonfalvi), Neapel (der König Ferdinand).
Venedig. Drei Reifeabenteuer. Baris. Lubwig XVIII. Sein Hof.
Die Kammern. Sehenswürdigkeiten. Umgebungen. London. Einbrüde.
Parlamentsſchluß burh Georg IV. Feſte und Bälle Merkwürbige Ber:
ſönlichkeiten. Windfor. Oxford. Inſel Wight. Seeſturm. Rückkehr.
Abſchied vom väterlichen Hauſe.
Is jo vielen überrafhenden Erlebniffen, melde in ihrer
bunten Mannigfaltigfeit wie Traumbilder an unferem Gedächtniß
vorüberzogen, mußte die Profa des Alltaglebend um jo einförmiger
erfcheinen. Gar Manches wurde nun an den verfäumten Studien
nachgeholt, und die freien Stunden mit den gewohnten, immer
auch den Geiſt beichäftigenden Unterhaltungen zugebracdht, dazwi⸗
fhen Spaziergänge in der berrlihen, an entzüdenden Ausflügen
jo reihen ©ebirgägegend. Aber aud) für mich bildete jene Epoche
53
einen Lebensabſchnitt; ich follte den bisher zu Haufe genoffenen
Schulunterriht mit der Univerfität vertaufhen. Freilih war
diefe erfte Periode meines fogenannten alademifchen Lebens nur ein
beinahe unmerklicher Uebergang, ein leifer Vorgeſchmack der Erfah⸗
rungen, welche ich fpäter machen ſollte. Ich war hier zu Haufe,
bielt mich von allen Studentenverbindungen ferne, und widmete
mich während zwei Jahren ausſchließlich dem philofophifchen Lehr:
kurſe. Dennoch erſchloß fi mir in diefer kurzen, durch feine
außerordentlihen Vorfälle bezeichneten Zeit eine neue Eriftenz.
Ich ſaß mit mir völlig Fremden zum erftenmale auf ber öffent:
lichen Schulbank; ich hörte die Vorträge mir früher kaum dem
Namen nach befannter Profefforen, ging mit einer gewiſſen Selbft-
befriedigung in das Collegium, und trug da3 dort Aufgenommene
beruhigt „in der Mappe‘ wieder heim. Es waren fchöne, harm⸗
loſe Stunden, getbeilt zwiſchen der liebevollen Behandlung im
väterlichen Haufe, ftet3 begleitet von gefelligen, Kunft: und Natur:
genüffen, und dem gewillen Gefühle einer größeren, wenn auch noch
vielfach beſchränkten Unabhängigkeit. Ein bitterer Wermuthstropfen
in diefen fchäumenden Kelch akademiſcher Freuden waren ftet3 die
fi) von Zeit zu Zeit wiederholenden Examina. Schon zu Haufe
waren wir regelmäßig dieſen Prüfungen unterworfen, und wenn
wir fie auch ala nothiwendiges Nebel hinnahmen, fo war ihr Nutzen,
ihr Ergebniß gewiß nicht die Angft, fowie die Sorgen und Mühe
werth, mit welchen wir uns wochenlang darauf vorbereiteten. Bei
meiner reizbaren Empfindlichfeit wurden mir diefe Fleiß⸗ und Ge:
dädıtnig-exhibitions — wie id) fie nennen möchte — doppelt zur
Dual. Nod fo tüchtig, wie ich wähnte, ausgerüftet, verfehlte ich
gerade aus übergroßem Eifer das eigentliche Ziel, und über dem
lebhaften Wunfche, es recht gut zu machen, gingen mir oft die
richtigen Gedanfen aus. Wenn ich jebt auf die fehriftlichen Aus:
arbeitungen, welche ich aufbehalten, zurückſehe, jo ſchäme ich mid
diefer unbebeutenden, Tindiihen Arbeiten, und darf wohl annehmen,
54
daß ich auch in den mündlichen Prüfungen, bei denen befanntlich
noch mehr Befangenbeit bericht, nicht viel beiler beftanden. Glück⸗
licherweife tragen denn auch billige Profefforen meiſtens dieſen
Uebelftänden gebührende Rechnung, ſehen mehr auf die Ausbildung,
den Grad der Kenntniffe, den guten Willen der Schüler im Allge⸗
meinen, als auf das eigentliche Nefultat der Prüfung, das oft
nur zu fehr von zufälligen Einwirkungen abhängt. Das gegen:
feitige Verhältniß der Brofefloren und Eraminirten, ihre Stimmung
oder Berftimmung, die Natur der Aufgaben, wie die Art der
Tragenftellung felbft, hundert andere Umftände entfcheiden hier in
günftiger oder nachtheiliger Weiſe. So 3. B. wird ein leder
Burſche, dem zur guten Stunde gerade in feinem Gedächtniffe
frifchhaftende Gegenftände vorkommen, glüdli und triumphirend
den Saal verlaffen, während ein fleißiger, ſchüchterner Zögling, der
fi) Tag und Naht mit der Vorbereitung abgequält, zufällig ver
‚wirt, Antworten fchuldig bleiben, oder aus der immenfen Schab:
grube menſchlichen Willen? unglücklicherweiſe vielleicht gerade über
Dinge audgefragt wird, deren er ſich nicht mehr erinnert. Ans
al’ diefem möchte ich daher den Schluß ziehen, daß in der Regel
die Ergebnifle der öffentlichen Prüfungen nicht untrüglich bemeifen,
und ich ſelbſt fand oft zur eigenen Beſchämung, daß die Jeugniſſe
nicht immer ganz übereinflimmten mit dem innern Bewußtſein
meiner Leiftungen.
Wenn ich nun die Lifte der ungefähr hundert Jünglinge durch:
gehe, welche damals — alfo vor mehr ala 45 Jahren — die
Philoſophie mit mir fiudirten, wie wenige finde ich davon noch
unter den Lebenden! Die Mehrzahl gehörte der Geburt nach dem
Lande an und widmete ſich fpäter der Theologie; unter diefen wurde
nur Baron Reichlin-Meldegg durch die außergemöhnliche Richtung,
welche er genommen, in weiteren reifen bekannt. Bon den nad:
maligen Juriſten zeichneten ſich einige Advolaten, unter ihnen vor
Allen Belt aus, den als Stantörath die „Bewegung in Baden“
55
unfanft aus doftrinären Träumen weckte, und der feined edlen
Charakters, feines ausgedehnten Willen? wegen, ein befferes Loos
verdient hätte. Schwörer, Werber und Walchner wurden in der
gelehrten Welt als Schriftiteller und Profefloven befannt. Erfterer
zumal war aus einem muthwilligen Studenten, aus einem himmel:
anftürmenden Demagogen ein geſchickter Arzt, ein liebenswürdiger
Menſchenfreund, ein guter Chriſt geworden. Zu den begabteren
Diefer meiner Jugendgefährten gehört wohl noch der als politifcher
und nationaldkonomiſcher Schriftfteller rühmlich befannte Karl Bader.
Endlich gingen aus jenen Schulbänfen geiftliche, geheime, Staats,
Minifterials, Legations⸗, Regierungs⸗, Kreis⸗, Hofgerichts:, Finanz⸗,
Zoll⸗, Steuer, Hof⸗, Baus, Berg⸗, Poſt⸗, Schul, Medizinal⸗,
Ranzleis, Handels⸗, Rechnungs⸗, Domänen: und noch viele andere
Räthe hervor, wie man fie fi denn in unferem, des Raths fo
fehr bedürftigen Zeitalter beranzieht.
Soll ih nun noch von den damaligen Profeſſoren Frei⸗
burgs Iprechen? Sie find jetzt alle todt, die Namen vieler ver:
ſchollen und das Andenlen der menigften iſt für die Mitwelt mehr
von Intereſſe. Dennoch wäre von denfelben eine Gallerie aufzu-
ftellen, des Pinfel3 eines Hogarth würdig. In ber theologi⸗
fen Fakultät begegnen wir dem als Philologen jo berühmten
Hug, der mit einer ſtaunenswerthen Gelehriamkeit und gemefjener
Haltung dennoch eine gewiffe Geichmeidigkeit im Umgang zu ver:
binden mußte. Neben dem: zierlihen Wert nahmen fid) die beiden
alten, verdienfivollen Profefſoren Wänker und Sauter beinabe
wie Mumien aus. Die Auriften waren größtentheil®, wie
Mertens, von Weifened u. a., noh aus der öſterreichiſchen
Zeit und Schule, und nur mit Mühe Fonnten fidy die neuen badi-
ſchen Rechtslehrer, vor ohnedieß meift leeren Bänfen, einbürgern,
Unter den Aerzten glänzte Doktor v. Eder, auch als Schön:
geilt, dann der originelle Schmiederer mit feiner geläufigen Zunge
und poffirlichen Beweglichkeit. Doch auch in der mir angewiefenen
56
Sphäre des philofophifhen Wiffend fehlte es nicht an auffallenden
Erfheinungen unter den Lehren. Manche derfelben gehörten den
früheren Klöſtern an. Der ercentrifchfte war geiftlicher Rath
Schmitt, der Logik, Metaphifit und Anthropologie in einer Weife
vortrug, welche heute ganz unglaublich erfchiene, ja gar nicht mehr
möglih wäre. Dabei war er launenbaft, beftig, um nicht zu
fagen grob, und hatte unter den Zuhörern feine Lieblinge, während
er andere, ihm unangenehm, rückſichtslos behandelte. In beftän-
digem Streite mit dem Confiftorium oder einzelnen feiner Collegen
brachte es Schmitt eines Tages zu einem förmlichen Scandal. Er
machte beftändig Jagd auf Körfüle, welche fchon andere Profefloren
beſetzt hatten und vertrieb einmal den alten, gutmüthigen Lugo.
Als er es nun aber auf den Saal, in dem Sauter Kirchenrecht
las, abgefehen Hatte, ftellte fih Schmitt an die Spige feiner Zu:
börer, und mit dem Rufe: „mir nah!” wollte er die Lehrkanzel
erobern, was ihm jedoch nicht gelang. In Folge diefer beftändigen
Neibungen wurde Schmitt entfernt und ftarb bald nachher in
Mannheim. Wir Schüler hatten dabei nicht? gewonnen, denn ein
junger, faum dem Seminarium entmwachjener Priefter hielt über
jene trodenen Wiffenfchaften beinahe ungenießbare Vorträge. Weber:
dieß hatte ich an Diefen, mie an den mathematifchen Lehrgegen-
ftänden nie großes Behagen, vernachläffigte fie daher, und mandte
meine Zeit den mid) mehr anfprechenden Hiftorifchen und anderen
Studien zu. Die Methode wie Seipel und Rinderle jene ab-
ſtrakten Wiffenfchaften (Algebra, Geometrie, Optik, Aftronomie
u. dgl. m.) behandelten, mußte aber auch Jeden mit töbtlicher
Langeweile erfüllen.
Seipel, an Geſtalt und Charakter ein nicht erreichter Typus,
war im Zuſtande beftändiger Abwehr gegen den Muthwillen
feiner Zuhörer, bei denen er fid durchaus nicht in Reſpekt zu
feßen mußte. Im höchſten Grade ängftlih und mißtrauifch, ſchlich
er immer, von Studenten unbemerkt, in da3 Univerfität3-Gehäube,
57
wo er fi dann auf dem Katheder förmlich verfhanztee Man
trieb es aber auch mit dem armen Manne gar zu arg! Eine
Generation von Schülern vererbte der anderen eine Dienge jchlechter
Wie, mit denen man ihn quälte; felten verging ein Tag, an dem
er auf feiner fchwarzen Tafel nicht irgend eine Karikatur gezeichnet
fand, oder mit Brodfugeln geworfen wurde, dabei in Worten und
Geberden Drohungen, welche den Gedrängten vollend3 verwirrten.
Der Ernft der Borlefungen war daher nicht groß, und fie wurden
nur zu oft unterbrochen.
Ausgezeichnet war Wucherer ald BProfeflor der Phyſik, bei:
nahe der Einzige, der feine Bildung mit einem anziehenden Vor:
trage verband.
Unter allen damaligen Eollegien waren jene von Rotted
über Gefchichte, Geographie und Statiftit wohl die intereffanteften;
dennoch wirkten fie nicht begeifternd auf die Zuhörer — es fehlte
ibm die Gabe der Mittheilung. Mit einer monotonen, beikeren
Stimme, oft unverftändlich durch eine fchmere Zunge, las ung
Rotted feine Vorträge, dadurch ging das Belebende derjelben ver:
Ioren, und in gewiffer Beziehung war die vielleicht gut. Noch)
fehe ich im Geiſte den Fleinen Mann, wie er, in einen Mäntel:
fragen gehüllt, mie theilnahmlos die Lehrkanzel beftieg, ohne mit
feinen geſchwächten Augen nur aufzufehen, eintönig feine Sefte
berablad und, wenn die ihm anfcheinend läſtige Stunde vorüber
war, wieder verfchwand.
Fleiß, Freude und Fortfchritte während meiner philofophifchen
Lehrjahre waren daher, wie wir gefeben, nicht übermäßig, auch)
bewegte ich mich meiftend in, dem Univerfitätätreiben fremden
Kreifen, ſchloß mid Verwandten, Offizieren an, ritt, fpielte mit
ihnen, befuchte Bälle, Eoncerte und Gefellfchaften, rauchte nicht!
So wie früher gab es auch zu jener Zeit in Freiburg Figuren,
einer näheren Skizze werth, wenngleich ſolche Originale in ihrer
vom Alltäglichen grelf abftechenden Haltung immer mehr im Strome
58
der Alles nivellirenden Zeit verfchwanden. So erregte damals der
allbekannte Forſtmeiſter Carl v. Drais einiges Auffehen. Der einzige
Sohn des Oberhofrichters, deſſen ich oben erwähnte, verband der
gute harmloſe Mann mit einem auffallenden Aeußern einen nur
der Mathematik und mechaniſchen Erfindungen zugewandten Ver⸗
fand, entbehrte dagegen jeden Takt im Umgang, aller Menſchen⸗
kenntniß. So ſah man ihn denn auch ſich täglid im Schweiße
feined Angeficgtes auf der von ihm erfundenen, gleichfalls unprak⸗
tiihen, Geh: und Fahrmaſchine — Draifine — abmühen. Bei
feiner gemütlichen Lnerfahrenheit war Drais VBetrügern tie
muthwilligen Spaßmachern eine willkommene Beute, und führte
im Grunde bei aller Berühmtheit bis zu feinem frühen Tode eine
höchſt unerquicliche Eriftenz.
Eine vorübergehende, aber deßhalb nicht minder merkwürdige
Erſcheinung war Julie von Bietinghofi, Gemahlin de3 Treibern
von Krüdener. Biele Jahre lang hatte man fchon von ihren
Schickſalen ımd Abenteuern, von ihrem lebhaften Geifte, ihrer
politiſchen wie religiöfen Schwärmerei geſprochen; nun verlor fie
fih auf ihren Kreuz⸗ und Querzügen auch nach Freiburg (Oftober
1817). Die Neugierde verleitete und, fie im Zähringer Hoſe,
wo fie abgefliegen war, zu befuchen, obne gerade aufgelegt zu
fein, eine der vielen Bets und Erbauungsitunden, die fie bei
offenen Thuren hielt, mitzumaden. Wir fanden ba eine Meine,
ſchmächtige, alternde Frau, ohne eine Spur jener einft fo jehr
an ihr gerühmten Schönheit. Sie empfing uns förmlich, ſprach
wenig und mochte wohl in und feine Anhänger ihrer Lehre erfennen.
Wir verließen fie daher bald und nur wenig befriedigt von ihrer
Perſönlichkeit. Später trieb file fih im Oberlande und Baſel
umber, wo fie ein günfligered Feld für ihre myſtiſche Thätigkeit
fand; doch als fie au da durch angebliches Krankenheilen, Weis-
fagungen und Almofen einen großen Zufammenlauf von Müßig-
gängern, Beitlern u. dgl. veranlaßte, war ihre Wirkſamkeit nicht
59
immer vom Gefdymade einer profaifchen Polizei. Frau von Krüdener
wurde daher an mehreren Orten audgewiefen und endete 1824
ein ruheloſes Leben in der Krimm. —
Es lag früher im Plane, daß ih meine Studien auf ber
Ritteralademie — Therefinnum — in Wien fortießen und fpäter
in Öfterreichifche Dienfte treten ſollte. Es iſt mir nicht befannt,
aus welden Gründen dieß unterblieben, und im Spätjabr 1817
befhloß mein Vater, in wohlgemeinter Borforge für und Brüder,
dag wir die Univerfität Landshut in Bayern befuchen follten.
Nur mit innerem Widerftreben trat ich diefe Reife an; die Wahl
jener Stadt war nicht nach meinem Geſchmack, und nur ungern
vertaufchte ich die biöherigen fo überaus angenehmen Verhältnifſe
gegen ungewiſſe in der Ferne. Diefe Ahnungen betrogen mich
nicht; ich fand mich in Landshut nie behaglich, wenn der dortige
Aufenthalt vielleiht auch mir in mancher Beziehung näblih fein
mochte. Anfangs November trafen wir, begleitet von unferem
Hofmeifter, in der freundlich gelegenen Iſarſtadt ein. Gie lag in
vollem Sonnenfcheine des Spätherbfte vor und. Erwartungsvoll
ſchweiften unfere Blicke über diefem Bilde, von dem dahinraufchenden
Fluſſe zu den ſich fanft erhebenden Hügeln, von dem riefigen
St. Martinsthurme zur alten fattlihen Burg „Trausnig“. Go
waren wir weit von den heimathliden Bergen und follten jest
erft das eigentlihe Leben und Treiben der „Studios“ kennen
lernen.
Dir hatten eine Privatmohnung bezogen, die Koft aber bei
zwei geiftlichen Näthen genommen, welche an ihrem Xifche unge⸗
fübr zwölf junge Leute — Söhne adeliger Familien aus Bayern,
Schwaben und Weftpbalen, Mulhens aus Frankfurt ꝛc. — um
fih verfommelten. Jene beiden alten ehrwürdigen Herren bildeten
in ihrem Aeußeren wie im &haralter und Benehmen den auf
fallendften Contraſt. Der eine, Profeffor der Theologie und fpäter
Biſchof von Regensburg, der berühmte DVerfaffer der chriſtlichen
60
Moral und vieler anderer gefhäßter Werke, Dr. J. M. Sailer,
verband mit einer hohen Geftalt eine gewiffe Würde, melde ein
ungemein freundliched Wohlmollen nicht ausfhloß. Der andere,
Profeflor der Dogmatit, Zimmer, mar eine Beine, ſtämmige
Figur, heiter, oft heftig und polternd, aber fo natürlich, offen,
von einer fo gemwinnenden Herzlichleit, daß wir jüngere Leute uns
weit mehr an diefen reizbaren, aber immer gutmütbigen Greiz
anfchloffen, als an den ernften, gemeffeneren Sailer. Beide edle
Freunde lebten feit Jahren in ungetrübter Eintracht zufammen,
fich an der munteren, oft muthwilligen Laune ihrer Tiſchgeſellſchaft
erfreuend. Auf diefen Heinen Zirkel waren wir denn aud) eigentlich
beſchränkt; wir fanden in Landshut nit? von den früher ge
wohnten gejelligen Freuden, feine Bälle, kein Theater u. f. w.
An langen Winterabenden ein kleines Kartenipiel oder das beliebte
Billard, im Sommer größere Spaziergänge in die hübſchen Um:
gebungen: dieß waren alle unfere Zerftreuungen; um fo eifriger
fonnten wir und den Studien widmen, welche für mid hier in
der Rechtäwiflenichaft begannen. Dabei hielten wir ung fern von
Studentenverbindungen. Die Landmannſchaften ftanden damals
zu Landshut in voller Blüthe, und noch trat ihnen dort nicht,
wie an anderen Univerfitäten, die Burfchenfchaft feindfelig entgegen.
Defto mehr rieben fi) die Corps an den ſ. g. Renoncen, d. 6.
Jenen, welche Feiner ſolchen Geſellſchaft angehörten. Wir maren
daher Ausgeichloffene, welche, eine Art von Parias bildend, mit
noch ganz anderen beleidigenden Spottnamen beehrt wurden. Wir
bejuchten, um jeden Conflict zu vermeiden, Teinen öffentlichen Ort
und nur ein Kaffeehaus, in welches, außer und Teine anderen
Studenten, Tediglih Offiziere und Bürger kamen. Im erften
Winter blieb es, einige Peine Vorgefechte abgerechnet, ruhig; nur
die Landmannfhäftler „pauften“ unter fih, und der „Schläger“
(das alademifhe Hauinſtrument) verjegte mandyen Hieb über das
Geſicht („Schmiß“ nach dem eleganten Ausdrude der ftudirenden
61
Jugend). Don unſeren Mitjchülern waren natürlih die Bayern
in der Mehrzahl, und man traf da auf befannte Namen, wie
Fugger, Yrſch, Leoprechting, Fraunberg, Laroſée, Nothhaft, Pfetten,
Junker ꝛc. Es waren über 600 Studirende immatriculirt.
Die Univerfität, ein ſchönes, großes, freundliches Gebäude,
wurde von uns täglich bejudht, und wenn mir fleißiger waren,
als in unferer, an Vergnügen reicheren Baterftadt, jo Tam dieß
auch auf Rechnung der Profefforen, deren Vorträge und mehr
anfpradyen, als dort. Unter diefen felbft war es Mittermaper,
deflen gediegene Vorlefungen am meiften feffelten. So hatte ich
mir immer die wahre, eigentlihe Aufgabe eine afademifchen
Lehrers gedacht! Frei, ohne Hülfe von Eompendien, diefe nur
erläuternd, wenig, nur das Mothwendigfte in die Feder diktirend,
febte er fihb in unmittelbaren, lebendigen Rapport mit feinen
Zubörern, welche vol Theilnahme an feinen beredten, oft be-
geifterten Worten hingen, das Colleg mit Freude und fleigendem
Eifer befuchten. Es fand ſich damals in feinen Vorleſungen nod)
nicht jener polemifirende Geift, welcher Mittermayer fpäter, zumal
in Heidelberg, zum gefeierten Mittelpunfte einer Partei machte
und ihn in den Strudel politiicher Tagsleidenſchaften, endlofer
Kammerverhandlungen trieb. Der praktiſche Staatsmann und
Geſetzgeber erſetzte da durch fein Wirken nicht, was er feinem
eigentlichen, ebenjo erfolgreihen als ebrenvollen Berufe an fo
tüchtigen Kräften entzog. Ich ſelbſt aber werde ſtets diefem aus⸗
gezeichneten Lehrer ein dankbar wohlwollendes Andenten bewahren.
An ihn ſchloß fich der fein gebildete Wening an, deilen Pandelten
mir genießbarer erjchienen, als ſpäter jene eined weit berühntteren
Profefford. Die Yuriftenfacultät zählte damals nicht wie früher
(Savigny, Gönner u. a.) Lehrer von europäifchen Rufe in ihrer
Mitte. Siebenkäs, Mosham, Aft, Schulteß, Köppen u. a. m.
gehörten anderen Fächern an. Unter den Medizinern glängzte
Walther ald Augenarzt, Röſchlaub u. f. w. Dabei jehlte es
62
auch bier nicht an Originalen. Jh darf nur an Mannert
erinnern, welcher die Gefchichte mehr zur Unterhaltung, ala Be
lehrung der Schüler vortrug. Ein altes, ſchmächtiges Männlein,
ftand er mit einem ironifchen Lächeln und fortwährend ſchnupfend
auf der Lehrkanzel und machte da ganze Generationen von Studenten
lachen, welche ſich zu feinen Borlefungen drängten. Hatte er die
Lebensgeſchichte irgend eines Königs vollendet, fo ſagte er regel:
“mäßig: „Der wär nu weg!” und begleitete diefe Worte mit einer
Prife Tabak. In jeden Jahre kamen bei gewiffen Stellen immer
diefelben alten befannten, oft nicht fehr anftändigen Witze vor.
War Rottel’3 Behandlung zu troden und einfeitig, jo erichien
Mannert wieder zu humoriſtiſch und vergriff fih durch unpaflende
Späfle an der Würde der Geſchichte.
Die Einförmigfeit unſeres alademifchen Lebens wurde öfters
durch Ausflüge unterbrochen; fo bejuchten wir nach der Weihe
Augsburg, Regensburg, Münden, feloft Wien. Wir faben diefe
Städte ald Touriſten, und zwar als junge, überaus wißbegierige
Touriſten, welche gewiſſenhaft alle geiehenen Merkwürdigkeiten
in ihr Tagebuch eintragen, fich ftreng an den gedrudten Fremden⸗
führer halten und feine Kirche, Feine Gallerie unbeſucht, Leinen
alten Stein oder feltenen Baum unbefehen laſſen. So nahm id
denn in meinem Gedächtuiffe kaum etwas Anderes auf, als bie
Eindrücke, welde diefe Außendinge in mir zurüdließen. In
Münden beiuchten wir einige und befannte und verwandte
Häufer, durften fogar den Königl. Majeltäten unſere Aufwartung
machen. Dieß geſchah nach beendigter Hoftafel in den Tleinen,
manfardenortigen Appartements der Reſidenz gegen den Garten.
In aller Eile murde den Landshuter Studenten eine ziemlich
lädherliche Hoftracht angepaßt, und in meiner Verlegenheit ſprach
ih den König Dear Joſeph mit „Excellenz“ an, ein Berfehen,
das ich wir lange nicht verzeihen konnte. Bei dieſem Anlaſſe
aber, wie in fpäterer Zeit, fand ich bei dem jovialen, menfchen:
63
freundlichen König immer dieſelbe huldvolle Aufnahme und wohl⸗
wollende Erinnerung an feine früheren Beziehungen zu unferer
Familie. Mit Vergnügen fab man damals auf den im Eräftigften
Mannesalter ftehenden Herzog Eugen von Leucdhtenberg. Seine
ritterliche Erfcheinung, gewöhnlich von dem jugendlich blühenden -
Prinzen Karl von Bayern begleitet, feflelte die Menge auf Bällen
oder im englifchen Garten. Raum waren einige Sabre verfloflen,
ala auch ſchon der erſt 4Ajährige PVicelönig in's Grab fanf, eine
troftlofe Wittwe und ſechs Hoffnungsvolle Kinder zurüdlaffend.
Sein Andenten verewigt eim nicht fehr gelungene® Monument
(von Ganova) in der Michaelskirche. Mir erfchien immer dieſe
nah antifer Art nur dürftig gededte Marmorftatue wie jene
Belifar’3, welde, den Lorbeerkranz in der Hand, diefe wie zum
Empfonge eined Almoſens ausitredt.
Runftgegenftände, Theater, Wastenbälle u. dgl. m. ergößten
und in Münden und Megensburg über alle Maßen, um fo
monotoner geftaltete fih dann wieder unſer Yufenthalt in der
Mufenftadt an der Iſar.
Bei unferer erften ſechswöchentlichen Anweſenheit in Wien
befuchten wir denn aud wieder nur Öffentliche Orte, die nächiten
Umgebungen. Wir fahen den Herzog von Reichsſtadt, ein ſchönes,
blondgelodies Kind in Schönbrunn, und wohnten ebenfo deu Pre
digten des bekannten Pater Job, wie den Gerbftübungen der
Garniſon bei. Am meilten zogen und die Theater, und unter
diefen wieder zwei bejonderd an. Berühmte Namen wie Lange, .
Krüger, Ochſenheimer, die Korn, die Koberwein u. a. traten im
der Burg auf. Sie find num alle verſchwunden, größtentheild
vergeſſen; nur die alte Sophie Schröder, die deutſche Georges,
bat fie fänmtlich überlebt! Im ſ. 9. Kasperl ergöbte und der
unübertrefflihe Ignaz Schuſter; es begann damald gerade die
Laufbahn Ferdinand Raimund’3, welcher jedody erft ſpäter in den
felbit geichriebenen Stüden durchdringen Tonnte.
64
Nur zur Gefchichte der Art zu reifen, will ich noch bemerken,
daß mir von Straubing bis Wien auf einem f. g. Marktichiffe
der Donau ſechs volle Tage brauchten, für die Rückkehr aber ung
mit einem Lohnkutſcher einließen, der, cin wahrhafter „Zauberer“,
gleichfalls bis Landshut acht Tage mit und auf der Straße zu⸗
brachte und uns ſogar einmal acht Stunden weit irre führte.
Bedenkt man, daß die Strecke von Regensburg nach Wien mit
Dampfihiffen in anderthalb Tagen zurückgelegt wird, jetzt die
Eifenbahn von Wien nah Münden in zwölf Stunden fährt, fo
glaubt man fi Bei jener Reifebefhreibung in die Zeit der deut-
hen Poſtſchnecke verſetzt, welche Börne fo humoriſtiſch fchildert.
Weniger ruhig ald das erfte geftaltete fih das zweite Schul:
jahr in Landöhut. Zu den früheren Nenoncen waren in diefem
MWinterfemeiter 1818 bis 1819 nun nod zwei Fürften rede,
Graf Karl Reiſach (der fpätere Erzbifhof und Cardinal), von
May (der NRechtölehrer), ſowie mehrere bayerifhe Offiziere, unter
ihnen Graf Saporta, gefommen, welde ihre Studien während der
Friedenszeit fortjeßen wollten. Obwohl alle diefe Herren nur
rubig dieſem Zwecke zu leben geſonnen waren, fo ermedte doch
die große Zahl der Unabhängigen die Eiferfuht der Landmann:
ſchaft. Ich übergehe Hier einige Heine Scharmütel, melde in
jeder Univerfitätäftadt mit Garnifon regelmäßig wiederkehren. Das
Ungewitter, welches ſich aber nun vorbereitete, trug einen ernfteren
Charakter, und entlud fi, nach einigen Zudungen, bei dem eriten
zündenden Anlaſſe. Es jollte nämlich der Stadtmagiftrat den
Eid auf die neue Verfaffung ſchwören. Die Studentenfhaft, zu
diefer Teierlichkeit geladen, war Dabei nur duch die (gejeblich
nicht anerkannten, bloß geduldeten) Landmannfchaft vertreten, da-
ber Murren unter den anderen, zu jener Auszeichnung glei)
Berechtigten. Es fam zu Unterredungen, heftigen Auftritten, endlich zu
[4
65
„Scandalen” (Duellen). Die Renoncen festen ſich dadurch bei den
Corps in den gehörigen Refpekt, und bildeten num unter fi, einen
Berein, welcher fie vor weiteren Unbilden und Reibungen bewahrte.
Eine förmliche, fchriftliche Uebereinkunft betimmte die Bedingungen
diefed Waffenſtillſtands. Denke ih nun an alle diefe Vorgänge
zurüd, fo erſcheinen fie mir freilich in dem Grade läppiſch und
unbedeutend, als mir damals die größte Wichtigkeit darauf legten.
Es ift eben das Eigentbümliche des Univerfitätslebens, daß man
mit vollem Ernfte und fefter Meberzeugung an diefen Formen, an
diefer ſcheinbaren Freiheit, an diefen falſch verftandenen und aus:
gelegten Ehren: und anderen Fragen hängt. Mit ftolzer Ber:
achtung ſieht man da auf die Außenwelt und die Bilder der
Dergangenbeit, wie die Ausfiht in die Zukunft verfchwinden vor
den augenblidlihen, überwältigenden Eindrücken. Es ift eine
glüdliche, wenn auch nur kurze, trügerifche Zeit! Nur den deutfchen
Univerfitäten ift diefe Lebendweife eigen, und es ift gewiß eine
auffallende Thatſache, daß, mährend wir um uns alle Berge
brachte verachten, verichwinden, durch neuere Anfichten, Sitten
und Moden verdrängt fehen, bundertiährige Traditionen ſich auf
deutihen MWniverfitäten erhalten, und die Landmannfchaften mit
ihren Töblihen Einrichtungen, wie ihren Auswüchſen und Webel-
ftänden fortbeftehen. Wir begegnen da noch immer den unter:
fheidenden Farben der Bänder, den hohen Stiefeln, den Tangen
Pfeifen, den barofen Mützen, den Schleppfäbeln; wir fehen immer
noch feierlide oder groteste Aufzüge aller Art, Tärmende „Com:
merce”, Straßen: und anderen Unfug; der „Comment“ (das
Geſetzbuch der Corps) fteht noch immer in voller Blüthe und
der Techtboden wird nie leer; noch hören wir die den nicht Ein-
geweibten kaum verftändliche Sprache und vernehmen won einer
ganzen Lifte |. g. „Touche“ (perfönliche, ein Duell herausfordernde
Beleidigung) u, ſ. w. ragt nun ein Unbefangener, weßhalb all
diefer Apparat, der doch zunächſt mit den Studien in feiner
Irh. dv. Andlaw. Mein Tagebuch 1. 5
66
Verbindung ſteht, fo erhält man, wie bei fo vielen anderen Miß⸗
bräuchen, die Antwort: e8 ſei von jeher fo geivefen, eine Aenderung
könne üble Folgen nach fich ziehen, die Schüler zu weniger un⸗
ſchuldigen Beichäftigungen verleiten u. dgl m. Ich Tann und
will diefe allerdings beachtensmwertben ragen feiner näheren Prü-
fung unterwerfen, doch zeigt fchon die Erfahrung, daß alle dieſe
an fich harmloſen Jugendſtreiche ebenfo zu argen Ausſchreitungen
führen können. Gar viele Studirende, welche ſich aus Neigung
oder gezwungen den Ton angebenden Corps anfchlieken, entziehen
fih oft ihrem wahren Beruf, werden mindeſtens zerftreut und ver
wenden das zu anderen Zwecken beftimmte Geld auf Vereins⸗
audgaben; daher Zerwürfniſſe mit den Profeſſoren, mit den Eltern,
mit Philiftern (Bürgern), welche bergen, Wer fi ftundenlang
mit Fechtübungen ermrüdet, wer ganze Nächte hindurch gefungen
und getrunfen, ift freilich nicht aufgelegt, die Gollegien zu beiuchen,
und wer fich täglih mit Iandmannfchaftlichen Angelegenheiten be-
ſchäftigt, felbft dabei eine wichtige und thätige Rolle Ipielt, findet
zulegt wenig Geſchmack mehr an trodenen Studien. Am verwerf⸗
lichften ift aber wohl der dur ſolche Verbindungen anderen,
befonder? neu angelommenen Studenten (den |. g. Füchſen) auf:
erlegte Zwang; man quält, edit, verfolgt fie fo lange, bis fie in
irgend ein Corps eintreten, und da müffen fie denn allerlei euer,
Wafler:, Wein: und Säbelflingenproben beſtehen. Wo bleibt da
die fo fehr gerähmte individuelle Freiheit auf Univerfitäten? IR
fo kindiſches Treiben eine mwürdige Borbereitung auf das praftifche
Leben, und welche Mbfühlung muß nad einer fo beraujchenden
Burſchenexiſtenz in den profaifchen Kanzleiftuben folgen? &3 Tiegt
mir der Gedanke ferne, jebt, nad 40 Jahren, pedantiſch über
eine auch für mich fo frohe Zeit, die nie wiederfehrt, den Stab
su brechen und die frifche, oft überfprubelnde Lebensluſt mit ftrenger
Miene zu tadeln. Nur von ihren Erceffen wollte ich fprechen:
von dem wilden, dem Geiſte wie der Geſundheit gleich verderblichen
67
Treiben, von der ungezügelten Raufluft, weicher fo frühe viele
junge bedauerungawürdige Opfer, die Freude ihrer Eltern, fielen,
von der Rohheit, die fich in der Kleidung, im Benehmen, wie in
einem gemeinen Jargon gefällt, von der Tyrannei endlich, mit
welcher ſchũchterne, wohlerzogene, fleißige Sjünglinge von den
„bemooften Häuptern“ behandelt werden. Am meiften find aber
jene älteren Herren zu beflagen, welche Söhne fürftliher oder
abeliger Familien auf Uniwerfitäten begleiten. Schon das Epithet,
welche man ihnen in der Corpsſprache beilegt und das ich bier
nicht niederzufchreiben wage, bezeichnet die Achtung, in ber fie in
ben Augen der Burſchen ſtehen. Sind dieſe fi mufopfernden
Hofmeiſter Dffigiere oder Cipiliſten mit impofantem Weußern, fo
werden fie, wenn aud nicht beliebt, doch geichent, find es aber
Brieiter, jo perfolgt man fie nicht felten mit rückſichtsloſem Spotte,
weil man bei ihuen mehr Ernſt unb Strenge voraudfeht, der
eiwaigen Ungebundenheit ihrer Böglinge gewiffe Schranfen gu
schen.
Die Bemeunungen ſolcher Corps find unzäblig und wechſeln
nach Ort und Umfländen; gewöhnlich werden fie den beutichen
Stämmen entnommen, wie Bavaria, Suevia, Sachſonia, Fraukonia,
Weſtphalia, Boruſſia u. a. m.
Oſtern 1819 verließen wir Landéhut; der Abſchied fiel ung
nicht ſchwer. Bald nachher wurde die früher von Ingolftadt dahin
verſetzte Univerjität nach Münden verpflaugt, wo fie feither ent:
ſchieden gedeiht. Bon allen damaligen Profeſſoren lebt jet (1861)
nur noch Mittermaher. Im vorigen Sommer gaben ſich Die
früheren Studenten Landahnts in dieſer num ziemlich verödeten
Stadt ein Stelldichein! Viele kamen auf den Ruf, dem mein
Bruder und ih nicht folgen konnten. Mit melden mehmüthigen
web wohl nud zum Theil erfraulicden Rückblicken mögen fie jener
Bergangeukeit gedacht haben! Der jüngfe der gegen hundert Au⸗
weienden zählte 55 Jahre!
5 *
68
Am fchmwerften trennten wir uns von den beiden würdigen
geiftlichen Räthen. Wir ſahen fie nie wieder! Nach vielen Jahren
ftand ih einft voll Rührung an dem Grabe de vortrefflichen
Biſchofs Sailer in dem berrlihen Regensburger Dome! Meine
ſchwache Stimme trägt hier nur noch eine Schuld perfönlicher
Dankbarkeit ab; fie vermag bei des Theologen unvergänglichen
Schriften, bei feinen anerfannten wahrhaft apoftolifchen Tugenden,
einem fo feit begründeten Nachruhme nicht? beizufügen!
Nach einem wieder in Treiburg zugebrachten Semefter bezog
id im Herbſte 1819 die dritte füddeutfche Univerfität: Heidel-
berg, dießmal allein. Gier empfing ich wieder ganz andere,
zun Theile neue, Eindrüde: denn nicht nur ift Heidelberg eine
beinahe Eosmopolitifche Univerfität mit in aller Welt bekannten
Profefforen: der Ort ift auch fo ſchön und günftig gelegen, im
reizenden Nedarthale, überragt von Deutfchlands malerifchfter Schloß:
ruine, am &ingange der herrlich blühenden Bergftraße, in der
Nachbarſchaft freundlicher Städte. Bon den Lehrern Lernte id) vor:
zugsweiſe nur die juridifchen kennen, doch traf ich mit Creuzer
zufammen, hörte Borlefungen bei Schloffer, Xeonhardt u. a.
Die Namen: Chelius, Tiedemann, Gmelin, Mone u. a. m. find
in Sedermannd Gedächtniß. in weiterer Gefichtöfreiß, der Um:
gang mit Gelehrten und Sünglingen aus aller Herren Ländern
ließ bei den Heildelberger Profefforen die Eigenthümlichkeiten mehr
abftreifen, man begegnete da, mit wenigen Ausnahmen, nicht fo
vielen auffallenden Figuren, als andermwärts.
Welcher Rechtsbefliſſene wäre nach Heidelberg gelommen, ohne
die Pandelten bei Thibaut zu befuhhen! Trat man in den großen,
mit Hunderten von Zuhörern angefüllten Hörfaal, fo ſah man auf
der Lehrkanzel einen ſchon bejahrten, doch immer noch rüjtigen
Mann mit regelmäßigen, geiftreihen Geſichtszügen: fein ſchönes,
69
blaued Auge, die grauen, den Kopf ummallenden Loden machten
feine Erſcheinung zu einer vortheilfaften. Hier lad nun Thibaut
durch eine lange Reihe von Jahren fein ihm mit fchwerem Golde
bezahltes, römifches Necht, und diktirte Zuſätze zu dem gedruckten
Lehrbuche. Art zu fprechen, Organ waren deutlih und angenehm;
dennoch machte feine Lehrmethode Leinen günftigen Eindrud auf
mih: Es Tangmeilte dieß trockene, abgemeflene Behandeln eines
ungemein trodenen, oft ganz unverftändlichen Gegenftanded. Ich
geitehe daher zu meiner Beihämung, daß ich nur wenig praftifchen
Nuten aus dieſem etwas pedantiſch vorgetragenen College zog.
Dazu fam, daß bei Thibaut feine, mit jedem Jahr zunchmende
leidenſchaftliche Liebhaberei für alte Kirchenmufit den Hang für
ernfte Studien verdrängte, und er feine. Vorlefungen beinahe nur
noch mechaniſch betrieb. Am Schluffe derjelben wurde ihm ftet3
ein donnerndes Vivat gebracht. Mehr Anziehungstraft übten die
Borträge Zachariä's und Roßhirt's auf mich, beionderd letz⸗
terer mit feiner gemwinnenden Perfönlichkeit. Im Yeußeren, wie im
ganzen Welen, an Charakter und Gefinnung bildete Zachariä den
entichiedenften Eontraft mit Thibaut. Eine hagere Geſtalt, wie
das Borbid für Moliere3 Harpagon, mit Boltairiich = cynifch-
ſpöttiſchem Ausdrude, diktirte er langfam, die Zifchlaute ungewöhn⸗
lich betonend, die Hefte über Natur:, Staats: und Völkerrecht, ein
Mann von großem, auch praktiſch zu verwendendem Wilfen, ein
an's Driginelle ftreifender Charakter! — Im eigenen Haufe hielt
ein gänzlich verwachſenes Männchen auf einem Hohen Lehnfeflel,
jenem der Beinen Kinder ähnlich, gediegene Borlefungen über Cri⸗
minal- und Civilrecht, Prozeßverjahren u. |. m. Es war ber
tüchtige Juriſt Gensler.
Da ich nun im letzten Jahre die Rechte ſtudirte, ſo hielt ich
mich ſelbſwerſtändlich, mehr als ſonſt, von Studentenverbindungen
ferne, und machte alle jene „Suiten“ (ein unüberſetzbarer Ausdruck
für all das, was er bezeichnen ſoll) nicht mit, welche beſonders
70
in Hetdelberg an der Tagesordnung find. Ebenſo erſchien ich
nicht auf dem Fechtboden in der berühmten Hirfchgaffe, wohnte
feinem Commerce bei, betrank mi nicht in Wein oder Bier, kam
nicht mit den weltbekannten Pedellen Krings in nähere Berührung,
fang endlich nicht alle die albernen Burfchenlieder mit u. f. w.
(Nur einige diefer Gefänge zeichnen fi) durch poetifchen Schwung,
Wis oder Gemüthlichkeit aus.)
Auch in Heidelberg fehlte es nidht an periodiſch wiederkehren⸗
den Duellen, an Conflikten mit der Polizei, und Straßenraufereien
mit „Knoten“ (Handwerksburfhen) oder Philiitern. Eines Abends
wurde fogar, um ſich an einem groben Bierwirthe zu rächen, defien
Haus erftürmt, alle darin zeritört und im Triumphe durch die
Straßen gezogen. Bei folden Anläffen ertönt dann immer das
auffordernde: „Burfch heraus!” mit Sübelgellirre. Es kam num
in mehreren allgemeinen Studentenverfammlungen zu fehr heftigen
Discuffionen: man verlangte ungeftüm die Yreilaffung ber Ver⸗
bafteten, ein förmlicher Auszug nad Frankenthal wurde in Bor:
ſchlag gebracht, doc, nicht ausgeführt, und nur der Beſonnenheit
des Unterſuchungs⸗Commiſſärs von Hohenhorft gelang es, die erbitten
Gemüther wieder zur Ruhe zu bringen. Einige Studirende wurden
relegirt, andere eingefperrt, zum Schadenerfag verurtheilt u. dgl. m.
Wie brauft, gährt, bemegt, vegt fi) da Alles auf, und weßhalb?
Mie viel Lärm um nichts!
Die vielen Sollegien, welche ich bejuchte, ernftes Studium zu
Haufe füllten meine Stunden hinreichend aus. Zu Winteräzeit
begab ich mich öfters in einige ftet3 gaftfrei geöffnete Häufer
(Leiningen, Zyllenhardt, Leoprehting, Seniffon, Malchus u. a.),
wo Kartenfpiel und Tanz mit dramatiſchen oder anderen Vorlefungen
abwechſelten; im Sommer aber beitieg ich der Reihe nad jene
reigenden Gebirge, welche das romantifche Thal umgeben, Dazu
kam der auderwählte Umgang mit einer Schaar mir befreundeter
Sünglinge. Nicht nur fand ich in den Waldburg-Zeil, in 2. Fugger,
71
Reiſach, Mülhens frühere, werthe Belannte wieder, auch den
keiden Stollberg, Alfred und Leopold, mwürdigen Söhnen eines
vortrefflichen Vaters, den Brüdern Galen u. a. ſchloß ih mi an.
Es ftudirten damals junge Männer, welche fchon die Befreiungs⸗
kriege als Freiwillige mitgemadt hatten, andere, die ſich Tpäter
in der Diplomatie oder höherem Gtuantädienfte bervorthaten, ſo
die nachmaligen Minister ded Aeußeren, Dönhof und Heinrich
v. Amim in Preußen, v. Rüdt und Wechmar in Baden, die Ge:
fandten Medem, Vrints, Koönigsmark, Galen, Reventlov, Log,
Holzhauſen u. a. Eine ſehr beliebte Perſönlichkeit war der Erb⸗
prinz von Sachſen⸗Meiningen, ein ſchöner Mann, welcher den wohl:
wollenden Charakter, die würdevolle Einfachheit feines Weſens
fpäter auch auf feine Regententhätigkeit übertrug. Mit ihm wohnte
der ebenſo anfpruchslofe, fanfte Herzog Georg von Sachſen⸗Alten⸗
burg. Beide Prinzen waren in Begleitung von Offizieren und
Hofherren. Auch die Fürſten H. Neuß LXII., Bentheim und
Eduard Carolath waren unter meinen Mitfchülern, und dem leb-
teren befonders, einem in jeder Beziehung edlen Menſchen, bewahrte
ih bi zu feinem leider fo frühen Tode warnte, freundfchaftliche
Selinnungen. Eine Menge Studirende aus allen deutſchen Bun⸗
deaftanten ließ beinahe die wenigen Snländer verichwinden, und
Ausländer, welche ein eigened Corps bildeten, Liefländer, Polen,
ſelhſt Engländer und Amerikaner vermehrten diefen bunten Geſell⸗
ſchaftakreis.
Die Landmannſchaften waren gu jener Zeit ſehr zahlreich
und kamen nicht felten in wenig freundliche Berührung mit der
f. 89. Burſchenſchaft. Diefer Verein verdantte zunächſt
feine Entftehung dem patriotiihen Aufſchwunge der Jahre 1818
und 1814. Gleichgefinnte Jünglinge, welche fi au den Geſängen
Nleiſt's, Körner's u. a. vaterländiſcher Dichter begeiftert, trugen
diefe Gefühle auch nach dem Prieden auf andere über, und jo
hatten fich ſolche Traditionen denn mit einer gewiſſen politiidyen
72
Färbung auf den deutichen Univerfttäten fortgepflanzt. Der Auf:
regung jener Jahre war Enttäufchung gefolgt, man fah die fo hoch
geipannten Erwartungen nicht erfüllt und bezeigte ſich mit den
Zuftänden in dem Grade unzufrieden, al3 Ständeverfammlungen,
Preffe, Vollöredner u. dgl. m. das Teuer fhürten. Es war be
greiflich, daß fich diefer Geift des Mißmuths auch den jungen,
unerfahrenen Gliedern der Burfchenichaft mittheilte und in Ber:
fammlungen, wie der auf der Wartburg, folhen Beftrebungen und
Anſichten einen beftimmten Ausorud gab. Dazu kam, daß die
allenthalben und zu jeder Zeit thätige Umfturzpartet die filr höbere
Ideale ſchwärmenden Jünglinge zu ihren verbrecheriihen Plänen
benüßte und mißbraudte. So geſchah es, daß einige Burfchen-
ichäftler freilich ſpäter Fanatiker, offene Empörer, gemeine Ber
brecder wurden, aber die Gefellichaft felbft hatte gewiß, wenigfteng
uriprünglich, keine bochverrätherifche Tendenz. Dabei wäre es
unbillig, zu verfennen, daß die Mitglieder dieſes Vereins gefitteter,
ruhiger und fleißiger waren und fi weniger mit Nebendingen
beichäftigten, al3 die Corp3-Studenten, daß fie mit löblichem Eifer
dem rohen Unfuge, der Gemeinheit zu fteuern, dem Vebermutbe
der Landmannſchaften entgegenzutreten fuchten. Bei ernfterer
Haltung kleideten fie fi in ſchwarze, ſ. g. deutihe Tracht, und
hatten ein ſchwarz⸗-rothes Band als Abzeihen. Dagegen fielen
fie in ein andere® Extrem, wiegten ſich in Xräumen einer
goldenen Zukunft; zu unreif, fih mit Staats- und politifchen
Fragen zu befafien, Iegten fie ihrem Streben wie ihrer Berbin-
dung eine viel zu große Wichtigkeit bei. Zugleich umgaben fie
ihr Treiben mit einer Geheimthuerei, welche den Verdacht der Ka⸗
binette wedte.
Zu jenen beklagenswerthen, dur) einen geheimen Bund
Berführten gehörte auh Karl Sand aus Wunfiedel. Er hatte
am 25. März 1819 in Mannheim den ruſſiſchen Staatzrath
von Kobebue ermordet. Mehrere Perfonen, unter ihnen auch eine
73
mir verwandte Yamilie, maren zu jenem geiftuollen Schriftiteller,
welcher nabe beim Theater wohnte, Abends 5 Uhr zu Tiſch
gebeten. Kurz vorher rief man Koßebue aud dem Salon, weil
ihn ein junger Menſch ſprechen wolle. Während nun diefer dem
Herrn vom Haufe eine Schrift zu leſen übergab, ftieß er ihm den
Dolh in's Herz, und auf den Hülferuf des Opfers entflichend,
verfebte fih Sand ſelbſt auf der Straße noch einige gefährliche,
doch nicht tödtlihe Stiche in Bruft und Hal. Kobebue erlag
bald darauf der Wunde und Sand wurde nah 14monatlicher
Unterfugung am 20. Mai 1820 auf einer Wiefe bei Mannheim
vom Scharfrichter Widmann aus Heidelberg öffentlich enthauptet.
Eine Maffe Volks ſtrömte zu dem traurigen Schaufpiele; mohl
zwei Dritttheile der Studenten wohnten demjelben bei. Alle fehrten
in der düfterften Stimmung zurüd! Ich felbft Tonnte mich un⸗
möglich entichließen, Zeuge eines Vorgangs zu fein, der damals
ganz Deutichland im fieberifche Bewegung verfegte. Manche Thräne
flog auf Sand’3 Grab; überfpannte Frauen und fanatifhe Männer
tauchten ihre Tücher in des Gerichteten Blut. In der Chat war
der Fall von fo ungewöhnlicher Art, daß ich es heute noch nicht
begreife, wie man nicht Gnade für Recht ergehen lief. Ohne
Zweifel hatte Sand als vorjegliher Meuchelmörder den Tod nad
den Gefeben verdient, aber mar er auch völlig zurechnungsfähig?
Schon der Bahn, dur die Ermordung Kotzebue's Deutſchland
retten zu wollen, deutet auf eine feltfame Verwirrung der Begriffe.
Alle Handlungen und Schriften Kobebue’3 tragen das Gepräge
der Frivolität und Charakterlofigfeit; die Einen ſahen in ihm nur
den liebenswürdigen Gefellihafter, den witzigen Luftfpieldichter, er
erfchien ihnen keineswegs gefährlih; Andern galt er für einen
rufftihen Spion, Berräther an feinem Vaterlande u. ſ. w. War
er nun auch all dieß, welchen Bortheil Tonnte fein Tod der von
der Burfchenfchaft verfochtenen Sache bringen? Aber auch bie
Umftände, welche die ganze Unterfuhung wie Hinrihtung Sand's
714
‘begleiteten, waren fo betrübend und erfchitternd als möglich.
Kann man fi wohl ein peinlicheres Gefühl denken, als einen
tungen, nur langjam von feinen Wunden genefenden Mann mit
aller nur denkbaren Pflege umgeben zu ſehen, um ibn — ein
Jahr nad der That — geſund auf das Schaffot führen zu
tönnen? Dabei war Sand fill, fanft, in ſich gekehrt, mit religiös⸗
politiihen Ideen befchäftigt, litt moraliih und phyſiſch unendlich
viel. Wäre es da wohl nicht beſſer geweſen, ihn ala Geiftes-
kranken zu behandeln und der Zeit den Sieg feiner befferen Eigen-
ſchaften über fire Ideen zu überlafien? Man fteınpelte Sand
dadurch) zum Märtyrer, während er doch nur ein unglücklicher,
perblendeter Junge war. Lunge hallte der peinliche Eindruck
dieſes Blutgericht3 in ganz Europa wider; jener unfelige Mord
gab aber auch noch überdieß den Anlaß zu einer allgemein ver-
breiteten Demagogenriecherei und rief die ganz unndthige Main⸗
zer Unterfuhungscommiffion wegen flaatögefährlicher Umtriehe in's
Reben.
Ich hatte nicht verfäumt, von Heidelberg aus Schwebingen,
Weinheim, die lieblichen Ufer des Nedars und andere Umgebungen
zu beſuchen. Eines Tages begleitete ich Ed. Carolath nach dem
freundlihen Rheinbayern. Hier war ich Zeuge eines der vielen
Ihönen unbekannt gebliebenen Züge aus dem ſtill in fih abge
ſchloſſenen Leben dieſes vortrefflicgen Yürften. Als wir auf unferer
Rundfahrt nach Neuftadt kamen, zeigte und ein 14jähriger Knabe
den Weg zu dem nachher fo berüdytigt geivordenen Schloffe Ham:
bach. Carolath gefiel das offene, muntere Weſen des Jungen;
er nahm ihn fogleih mit fi und forgte für die elternlofe Waiſe.
Später foll es der Burſche ihm mit Undank vergolten haben. —
Aber auch weitere Ausflüge machte ih, befuhr den herrlichen Rhein,
fah den wundervollen Dom in Köln, beſuchte Mainz, Frankfurt
und Darmitadt, in letzterer Stadt die treffliche Oper. Doch die
meilte Anziehungskraft übte immer Mannheim auf die Studentenivelt,
75
Mannheim mit feinen vielen gefelligen Freuden, feinen Bällen,
dem guten Theater, in dem und die Komiler Wurm und Karl
ergösten, Wild, Romberg, Mofcheled und andere Tonkünftler ent:
züdten. Mannheim war damals die Nefidenz der Großherzogin
Stephanie, der Sitz eine zahlreichen, reich begüterten Adels und
vreler vornehmen Fremden; da gab es denn andy der Einladungen
in Fülle. — Jene vortreffliche Fürftin ſah ich bier zum erften-
male ald Wittwe; das anädige Wohlmwollen während unferer Kinder:
zeit trug fle auch auf die fpäteren Jahre übers ich werde ihr
noch oft in diefen Blättern begegnen! Nur ungern verließ ich
Ende Auguſt den heiteren Mufenfig und mit ihm da3 alademifche
Leben — uneigentlih fo genannt, denn Studirende find feine
Akademiker. — Es ließ in mir den Eindrud zurüd, daß die
deutfhen Studenten, wenn auch manchmal etwas unbändig, unge:
fhliffen, dennoh im Ganzen gntmüthig, befferen Einwirkungen
zugänglich find und im Vergleich mit anderen, 3. B. den Pariſer
Hochſchülern, vollends gewinnen müflen. Die vielen Conflikte
endlich, welche mit Behörden entſtehen, kommen nicht ſelten auf
Rechnung taktloſer Beamten. Solche Händel zu ſchlichten, dazu
gehört freilich viel Ruhe, Gebuld und Geſchick. Jugend muß
austoben — und nur zu oft überſchäumt der Becher —, fie will
daher in anderer Weiſe behandelt fein, als die übrigen Sterblichen.
Mit feltenen Ausnahmen haben fi überdieß die Landmannfchaften
durch ihren Ioyalen Sinn ausgezeichnet, fich nie in Verſchwörungen
oder offenen Anfrubr eingelafien. Befaßte fi in neuerer Zeit
ein Verein mehr mit Politit und ließen fid einzelne Mitglieder
beffelben zu ungefeblihen Handlungen verleiten, fo bereute die
übergroße Mehrzahl ſpäter ihre jugendlichen Verirrungen und bildete
fh zu nützlichen Staatdbürgern and. — Wenn aber da3 Wort
„Freundſchaft“ noch irgend Sinn und Bedeutung hat, fo ift fie
in dem offenen, rüchaltlofen Anſchließen jugendlicher Gemüther zu
finden. Diele ſolcher Verbindungen bilden fi für das Xeben,
76
gar mandhe aber, wohl die meilten, geben unter in veränderten
Anfichten, Verhältnifien, Beziehungen aller Art!
Nun Tehrte ich wieder nach meiner Vateritadt, in die alten,
früher mir fo Tieb gewordenen, lange vermißten Verhältniffe zurüd.
Die drei Jahre (1821 bis 1824) wurden auf die Vorbereitung
zur Staatöprüfung und dann auf Die meitere Ausbildung im
praftifchen Geſchäftsleben verwendet. Auch größere Reifen fielen
in diefe Zeit. — Eine Staatöprüfung ift immer eine ernjte Sache,
der ſelbſt fleißige Studenten ängſtlich entgegenfehen. Wer aber
feine Univerfitätzzeit nicht gehörig benüßt, fängt nun zu „ochſen“
an (au ein zierlicher, oft ganz paflender Auzdrud), und um
nicht dem Hafen in der Fabel zu gleichen, der ſchlief, während
die langſam fortfchreitende Schnede das Ziel erreichte, ſtrengt er
nun alle feine Kräfte an, das Verſäumte nachzuholen. Gelingt
es einem begabten Kopfe, bierbei oft glänzende Beweiſe von ort:
fchritten zu geben, fo ift das Ergebniß folder Studien doch mehr
mit Treibhauspflanzen zu vergleichen; fie prägen fi nur dem
Gedächtniffe ein, verflüchtigen fi aber fo bald und fo ſchnell, als
man fie in fi aufgenommen. — Wenn ich aud nur wenig
Gewicht auf die Schulprüfungen Tege, fo glaube ih, daß die
Megierungen mit vollem Recht die Aufnahme in den Staatsdienft
nur an die Bedingung tüchtiger Befähigung Tnüpfen follten. Ein:
mal wird dadurd der Zudrang zu den öffentlichen Aenitern er:
ſchwert und nur den befferen Kräften gefichert, dann wird aber
auch weniger fähigen Kandidaten noch rechtzeitig die Möglichkeit
eröffnet, fi einen, ihren Talenten mehr zufagenden Beruf zu
wählen. Auch mar es mohl eine weiſe Einrichtung der Regierung,
daß fie bald nad jener Zeit die Staatöprüfungen in Karlöruhe
bei dem großherzoglichen Juſtizminiſterium felbft vornehmen ließ;
denn nicht nur wurden dadurch die ſich Meldenden gewiflen, oft
77
unvermeidlichen Einflüffen ihrer Heimath entzogen, es bot dieſe
Anordnung aber auch noch den weiteren Vortheil, daß die Mechts:
candibaten de3 ganzen Landes hier zufammenfamen und ein
größerer Wetteifer ſowohl geweckt, al3 auch eine leichtere Weberficht
ihrer Leiftungen gewonnen werden konnte.
So ſah ich denn nicht ohne innere Bewegung jenem wid
tigen — glüdlicherweife letzten — Examen entgegen und unter:
309g mid ihm mit ſechs anderen Mitbewerbern zu Freiburg im
Vebruar 1821. Nah drei fhriftlihen größeren Ausarbeitungen
zu Haufe wurden wir mündlich, Dann au in fremden Sprachen
geprüft, endlih mußten wir gemeinfchaftlih, in einem Zimmer
eingefhloffen, ohne andere als Geſetzbücher, verfchiedene Fragen
aus allen Theilen der Rechtswiſſenſchaft fchriftlih beantworten.
Drei Hofgerihtäräthe waren die Prüfungscommifläre. Obwohl
ih mit den beiten Noten daraus hervorging, fo hatte ich doc
auch bier wieder nicht das Gefühl innerer, volllommener Befrie
digung mit meinen Leiftungen.
Ich war nun wohlbeftallter Rechtspraktikant, zuerſt bei
dem großherzoglichen Landamte, dann an dem Gerichtähof zu Frei⸗
burg. So wie ih auf der Univerfität, de damit verbundenen
pſychologiſchen Intereſſes wegen, mehr Geſchmack am Eriminalrecht
und Prozeß fand, als an civilrehtlihen Fragen, fo zogen mich
auh bier peinliche Unterfuchungen mehr an, als bürgerliche
Streitigkeiten.
Diefes praktiſche Gefhäftsleben wurde häufig durch die Neifen
unterbrochen, welche man, um eine gute Erziehung zu vollenden,
nun einmal für unerläßlih hält. In dem Wanderjahre 1821 big
1822 befuchte ich Italien vom St. Gotthardt bis Pompeji, war
zweimal in Parid und von da in England, legte demnach 800
Meilen zurüd. Mit fortichreitendem Alter verändert man jedoch
immer mehr die Anfichten Über Art, Zweck und eigentlichen Nutzen
178
des Reiſens. Ein flüchtiges Durcheilen von Stäbten und Gegenden
läßt nur ein fehr unvollkommenes Bild in und zurüd. Nur ein
längerer Aufenthalt, ein tiefere Eindringen in jo viel geitaltete
Verhältniffe, in die Sitten, Gebräuche und nationalen Eigenthüm⸗
lichkeiten und andere dharakteriftifhe Merkmale geftattet eine richtige
Beurtheilung. Es kann Niemand einfallen ein Bol! mit den
Hötelbefibern, Zoll und Polizeibehörden, Lohnbedienten und al
den Klaffen zufammenzuierfen, mit welchen der Reifeude gewöhnlich
in Berührung kommt. Leſe ich jebt wieder meinen damals nieder
geichriebenen Reiſebericht aus Italien, wie nidisfogend, den Gegen⸗
Rand durchaus nicht erihöpfend kommt er wir vor! Ich gewaunn
die Ueberzeugung, daß eme ſolche Reifebeichreibung nur die indi-
viduellen Eindrüde, die perjönlichen Erlebniſſe ſchildern, daher vor-
zugsweiſe ſubjektiv gehalten werden ſollte. Der deicriptive Theil
kaun dann fügli den zabllofen „Guide's“ überlaffen, dort nach⸗
gelefen werden. Seit Göthe bis auf den heutigen Tag iſt doch,
zumal in Italien, ein jeder Stein jo oft und umſtändlich befchrieben,
daß alles Weitere ermüdend und überflüffig erfcheint. In einer
folden großen, intereffanten Reife war ich auch nicht gehörig vor⸗
bereitet, überdieg noch viel zu jung. Die liebevolle Güte meines
Vaters, eine günftige Gelegenheit benügend, Hatte mid) eine? Tage
plöglich mit dem Vorſchlag überraſcht, in Geſellſchaft des Kreis:
direftord (nachmaligen Staatöminifterd) ». Türkheim Italien zu
befuchen. In aller Eile nahm ich nun ein damals belichtes Neife
handbuch — das von Triedländer — vor, und hielt mich fo
pünktlich an feine Ungaben, daß felbit em Theil feines Urtheils,
feines Kunftfinnes, ja ſelbſt feiner Begeifterung in die Ergüſſe
meine® Tagebuchs überging. Ich las, ſah, fchrieb nieder, was viel
zu raſch während diefer dreimonatlicden Fahrt in überwältigenden
Bildern au mir vorüberzog! Doc wurden fo vielfüche Genüſſe auf
gar manche Weife verbittert. Schon der Augenblid war damals
zu einer Reife nach Stalien nicht der günftigfte. Die an allen
79
Orten und Enden audgebrochene Revolution war faum unterdrüdt;
es gährte und glimmte überall, und die Fremden waren daher
mehr ala gewöhnlich, befonders bei dem rafchen Wechfel der Gren:
zen, den allerläftigften Pak: und Mauthvifitationen unterworfen.
Wurde dadurch unfere Geduld auf eine harte Probe geftellt, fo
fehlte es auch nicht an anderen Webelftänden. Das beitindige
Betteln, bald in der Form der ſich ſtets ernewernden buona man’,
bald von Ekel erregenden oder Näuber ähnlichen Geſtalten geübt,
der nie aufhörende Streit mit Wirthen und Ciceronen, ihre immer⸗
wäßrenden Weberliftungen und kleinen Raiffe, dad Gezänte mit
Laſtträgern und Vetturini (einer derfelben fpannte die Maulthiere
mitten auf dem Platze in Bologna aus und ließ und mit dem
Wagen ftehen), dad betäubende Geſchrei, bie unverſchämte Zudring:
lichkeit, die Unreinlichleit, all dieß fteigert den Unmuth bis zu einer
gewilfen nervöſen Reisbarfeit, und läßt des Gefühls, im fchönen
Stalien zu fein, nicht recht froh werden. Freilich treten in ber
Erinnerung folde ärgerliche Auftritte zuräd, um ben lohnenden
Eindrüden gu weichen. Ich Tann diefen lebteren hier nur flüch⸗
tig — gleihjam im Bogelfluge — folgen! Wenn man von den
eomantifchen Ufern des Vierwaldſtädter⸗See's über die Teufelsbrücke,
aus der troftlofen Einöde des Hoſpiz nach dem Teſſin berabfteigt,
wie rein, wie dunkelblau ift der Himmel, wie verbindet fi da
die üppigfte Natıır der Alpen mit den milderen Lüften des Südens,
wie heiter glängen da die lieblichen See'n in der Nähe ber Eis:
gebirge! Dann die lombardiſche Ebene, unabfegbar, nur im ferwen
Süden von eimem blauen Streiien — den Appeninnen — be
grenzt! Welch geſegnetes Erdreich, von unzähligen Städten und
Dörfern bedeckt, von Kanälen durdfchnitten, von Nebgeländen und
Südfrüdhten durchzogen! Und das folge Mailand mit feinem
fetngefehnigten, weißen Marmorberge fi erhebend über dieſem
wogenden Meere von Saaten und grünem Guirlanden! Mailınd
voll herrlicher Kirchen mit feinen Erinnerungen an die zwei großen
80
Heiligen, Ambrofius und Karl Boromeo, wie an Luini und
da Binci! und dann wieder in Tebendigem Treiben mit feiner Scala
und feinen Paläſten Paris zu vergleihen! Bon da fchmweifen
unfere Blide über Piacenza, Parma mit feinen Correggio's,
und Modena nad dem „gelehrten” Bologna. In reizender
Umgebung birgt diefe Stadt mit ihren beiden fenderbaren Thürmen
io viele Meifterwerfe der Baukunſt und Malerei, unter letzteren
Raphael Cäcilia! Weberfchreiten wir nun die Appeninnen, auf
deren Höhe man die beiden, durch Stalien getrennten Meere zu:
gleich fieht, und fleigen in das romantische Arnothal, wie fühlen
fih da nicht Geift und Sinne gleihmächtig angezogen von Flo:
renz, der immerblühenden Stadt der Blumen! Hier ſahen wir
nun das prachtvolle, italienifhe Pantheon, Santa croce, bewun⸗
derten die reihen Kunſtſchätze in der unvergleichen Gallerie, wie
in dem feftungartigen Balaft Pitti, und mit Entzüden Bingen
unfere Augen, von den Gärten Boboli aus, an den hiſtoriſchen
Höhen, welche die reizende Stadt ringd umgeben! Und vollends
Rom! Rom, der Inbegriff alles deffen, was wir und fchon von
frühefter Jugend an als geichichtlih merkwürdig, groß und heilig
gedacht; einjt die Beherricherin der Welt, nun die Metropole der
Chriftenheit! Es war an dem mir unvergeklichen Abende meines
22. Geburtätages, ald mein Auge zum erftennale auf St. Peter
ruhte, binter deſſen Kuppel die Sonne unterging! Bald hatten
wir Ponté molle, die Piazza del popolo erreicht; doch unfer Ent-
thuftagmus wurde nur zu bald abgekühlt, denn man führte uns
ftatt in den Gaſthof glei zur Dogana, die fich freilich bier,
weniger profaifch als gewöhnlich, in ein altes, zerfallendes Ge-
mäuer mit fchönen Corinthiſchen Säulen eingeniftet hatte. Aber:
mals Paß⸗, Gepäck⸗ u. dgl. Verationen, dann endlich) Ruhe in einer
Locanda auf den fpanifhen Plate, um mit dem befeligenden Ge⸗
fühle einzufchlafen: in Rom zu fein!
Es gibt wohl feine Stadt, welche in fo verjchiedenartiger
81
Weiſe aufgefaßt und beichrieben wurde, wie Rom. Die Einen er:
geben ſich in überjchwenglichen Lobeserhebungen und begeifterter
Bewunderung, die Anderen tadeln wieder in ungebührlicher Weife,
und die Wahrheit liegt wohl auch hier in der Mitte. ben weil
die „ewige” Stadt fo verfchiedene Geſichtspunkte bietet, geben die
Urtbeile über fie jo fehr und oft in fo leidenfchaftlicher Weile aus⸗
einander. Nach drei Hauptrichtungen gleich anziehend, läßt Rom
dem wißbegierigen Touriften die Wahl, fih mehr mit der einen
oder anderen zu beichäftigen; wir unterfcheiden das heilige, das
Rom der Kunftgallerieen, das antike Rom! Der Künitler, der
Archäologe, jeder Gebildete erfreut fi an den reihen Sammlungen
und unfhätbaren Alterthümern; der Geſchichtsfreund findet hier
auf jedem Schritte Erinnerungen, welche ihm Jahrtaufende über: _
lieferten, ja felbjt der Boden, den fein Fuß betritt, verbirgt uner:
meßliche Schäte Nur dem „heiligen“ Rom mollen gar. viele
Reifende nicht gerecht werden; fie kommen da mit eingewwurzelten
Vorurtheilen an und bemwaffnen fich felbft gegen eine befjere Weber:
zeugung mit Dellamationen über Priefterherrichaft, mittelalterlichen
Aberglauben, Mifbräude u.dgl.m. Mit böhnifchen Spotte oder
puritanifcher Entrüftung ſchmähen fie Erfcheinungen und Gebräuche,
deren Sinn und Bedeutung fie nicht verftehen. Nur in neuefter
Zeit find Kardinal Wifeman, Maguire und andere geiftvolle Schrift:
fteller fo oberflächlichen, gleißnerifchen oder böswilligen Auffaſſungen
entfchieden entgegen getreten. Rom mird aber diefen VBerfolgungen
nie entgehen, eben weil es der Fels ift, auf dem Chriſtus feine
Kirche gegründet. Das weltliche Regiment des Papfted, wie jede
menſchliche Anftalt Mängeln unterworfen, theilt diefe Lebelftände
mit den anderen italtenifchen Staaten; fie werden in Rom aber
reichlich aufgewogen durch eine wahrhaft väterliche Leitung und
flegreich murden alle die Verläundungen der Gegner der Kirche
duch nicht zu läugnende Thatfachen widerlegt.
Sp wenig Zeit und auch zu einer gründlichen, oder auch nur
Irh. v. Andlaw. Wen Tagebuch. I. 6
genußreichen Beſchauung fo mannigfaltiger Gegenſtände blieb, fo
ließen wir doch keinen unbejucht, dehnten unfere Forſchungen auch
auf die Campagna, auf Tivoli, Albano u. f. w. ans. Meinem
Plan getreu, fpreche ich Hier nur von perfönlicdhen Erlebniſſen und
Begegnungen; Überdieg find Peterskirche, Batican, Lateran, Capi⸗
tol, Pantheon, Collifeum, Engeldburg, Corſo, Katalomben, die
fießen Hügel mit ihren Villen Worte von fo gewaltigem Jubalte,
von fo welthiftorifcher Bedeutung, daß meine fchwache Weder nichts
zu ihrer Verherrlichung beizutragen vermag.
Nie wird aber in meinem Gedächtniß das Andenten an die
halbe Stunde erlöfchen, weldye ih bei Sr. Heiligfeit dem Papfte
Pius VII. im Quirinal zubradite. Treffend fagt Cardinal Wifeman
-in feinen „vier Päpften‘ Seite 16: „Für jeden Katholiken muß
eine folhe Vorftellung ein Ereigniß für’3 Leben fein; fie ruft ein
Doppelgefühl hervor, beftebend aus der Verehrung, melde man
dem Fürften zollt, und der Huldigung, die dem Oberhaupte unferer
Religion gebührt. Von dem Monarchen empfangen wir mit Be
friedigung ein herablaffende® Wort, von dem Papſte nehmen wir
dieß Wort als einen Segen entgegen.”
Hr. v. Türfheim und ich hatten und in Uniform eingefunden,
und gegen die beitchende Etiquette wurde und geftattet, die Degen
zu behalten. Pius VII faß, als wir eintraten, Hinter einem
großen Schreibtiſch, und trat und dann als ein Meiner, unter ber
Laſt des Alters gebeugter Mann in einer einfachen, weißen Sou⸗
tane entgegen. Als Katholik machte ic die üblichen Kniebeugungen,
. und freundlich reichte uns der ehrwürdige Greis die Hand zum
ſtuſſe. Als ich diefe Huldigung mit tiefer innerer Erregung brachte,
rief der Papft heiter fcherzend aus: Che galant-uomol Die
Freude, melde ich damals über diefe freundlichen Worte empfand,
wäre wohl getrübt worden, hätte ich ahnen können, wer in fpäs
terer Zeit diefen Beinamen erhalten mürde. Der heilige Vater
Bi u
ſprach italienifch mit ung, denn feit feiner Rückkehr von Fontainebleau
vermied er wo möglich jedes franzöftiche Geſpräch. Nach einigen
allgemeinen Fragen und Bemerlungen über Rom und die Zeit
verhäftniffe, nachdem er bei Hrn. v. Türkheim fich nach deſſen
Vater erkundigt, den er in Rom Tennen und ſchätzen gelernt, ging
der Papft auf die Sarbonaria, und die unbeilvollen Folgen jeder
Revolution über. „Gott,“ fügte er bei, „ftraft nicht immer alle
Verbrechen auf diefer Erde, felten aber entgeht, wer fi) gegen
die göttlihen Rechte und menſchlichen Staatseinrichtungen empört,
and, einer zeitlihen Züchtigung; wer durd die Mebolution fteigt,
muß und wird durch fie wieder fallen!” Wie oft im Leben dachte
ih an diefe Worte des vielgeprüften Kirchenfürften! Pius VII
ſtand damald im 82. Lebensjahre; das Haar, wie die ſtarken
Augenbrauen waren beinahe noch gang ſchwarz. Mit inniger
Kührung und Theilnahme hingen wir an dem Anblide dieſes
Mannes, der „alteräfhwadh” dem Mächtigiten diefer Erde muthig
widerfiand, ja fogar feinen Sturz, wie deffen Tod erlebtel Später
begegneten wir ben Papſte noch einigemale, ohne ihn zu fpredhen;
einmal ließen wir durch feine Hand Roſenkränze meiben, und dann
trafen wir ihn auf der Straße im Wagen, bei welcher Gelegenheit
die Selbſtfahrenden immer ausſteigen.
Zwei Jahre fpäter endete einer der merkwürdigſten Päpfte
ein vielbemegtes Leben, auf welches die für ihn feit Jahrhunderten
vorhergefagte Deviſe: „Aquila rapax“ ganz anwendbar erſchien.
In den oberen Räumen der Bafilifa des heiligen Paul waren bie
Bildniffe aller Nachfolger Petri gemalt. Das Porträt Pius VII.
nahm die lebte Niihe ein; bald nach deflen Tode brannte das
wundervolle Gotteshaus ab. — Während unferes Aufenthaltes
fanden feine größeren Rirchenfeierlichleiten flatt, auch Volks⸗ und
andere Feſte fielen nicht in diefe Zeit. Nur die Weinlefe ver-
anlaßt im Oftober eine Art von Carnaval im rein; man
lagert da in der Gegend des „Scherbenberg’3,” tanzt, trinkt, jubelt
6 »
84
und malerif nehmen fich die Trachten der Landleute aus. Die
Beſichtigung der zahlreichen Kirchen, Paläfte, Denkmale und Anti:
quitäten ließen und nur wenig Zeit für Beſuche und Gejellichaften.
Kölle, der bekannte württembergifche Diplomat, bot fih ung ge-
fällig als Führer an. Mit Freuden fuchten wir den Grafen
Appony auf, der als öfterreichifcher Botichafter den venetianiſchen
Palaft beimohnte. Diefe und von Karlärube bekannte liebenswür⸗
dige Familie wurde damals durch die Geburt der erften und ein-
zigen Tochter, Marie, vermehrt. Die beiden Söhne, Rudolf (jebt
Botiafter in London) und Julius, waren zu Karlsruhe und
Florenz geboren. inige Abende brachten wir bei dem preußifchen
Sefandten, dem berühmten Niebuhr zu, um den fich gewöhnlich
die Elite der römiſchen Gelehrten und Künftlerwelt verjammelte.
Ich war damals noch zu jung, um näher mit diefen Gelebritäten
befannt zu merden. Overbek, Cornelius, Bartholdy jtanden in
erfter Linie. Noch fchwebt mir aber die ebenjo impofante als ein-
nehmende Erſcheinung des Cardinals Conſalvi vor, deſſen fein
geſchnittenes Profil eine, nach ſeinem Tode (1824) geprägte Me⸗
daille verewigte. — Die Theater zogen uns in Rom wenig an,
fie gehören nicht zu den beſſeren Italiens.
Bon Rom nah Neapel hatten wir Pläke mit dem Courier
genommen, welchen einige Carabinieri mit gezogenen Säbeln be
gleiteten. Wir machten auf diefem Wege die unwillkommene
Belanntichaft mit den pontinifhen Sünpfen, welche geipenftige
Poſtillone mit Blibesfchnelle durchfahren, fahen dann die beiden
Räubernefter Iſtri und Fondi, Gaëta, Terracina (furze Zeit zuvor
war der öfterreichiiche Graf Coudenhove von Räubern angefallen,
in die Gebirge geichleppt und erft gegen Löfegeld frei gegeben
worden). Ueber Capua und Averfa trafen wir endlich in jener
alten Barthenope ein, melde man ein von Teufeln bewohntes
Paradies nennt. Es ſteht jedoch damit wicht fo fhlimm, und es
hieße jedenfalls die Kinder jenes vulkaniſchen Bodens verläumben,
85
wollte man nur gerade fie als Teufel in Menfchengeftalt bezeichnen.
Es iſt ein genußſüchtiges, unrubiges, charakterloſes Völkchen, das
viele Fehler mit den anderen Italienern tbeilt, doch auch wieder
manchen guten Zug vor Dielen voraus hat. Ich geflehe, daß
Neapel mir vor allen anderen Städten der Halbinfel gefiel, und
wenn id auch dem Sprüchworte nicht beiftimme — Veder Napoli
& poi morir! — will ich lieber leben, um midy immer freuen
zu können, es geieben zu haben! Keine Stadt ift wohl fo oft
beichrieben und gezeichnet worden, ald Neapel! Aber auch weld
ein bezaubernder Golf mit den Inſeln und Küften, den durch⸗
fihtigen, blauen Wellen des Meeres, welch ein buntes Treiben,
welche Farbentöne! Wie verſchwinden da alle Kunft: und Alter:
thumsſchätze vor den verführeriichen Reizen einer ewig jungen
Natur! Und in diefer Zeit von acht Tagen follten wir alle diefe
lieblihen Bilder in und aufnehmen? Ein Beſuch in Pompeji ift
ja allein fchon eine Reife nach dem Süden werth! Wie fchmweiften
unfere Gedanken jehnjühtig vom Veſuv zum Aetna! Wie gerne
hätten wir Paeftum und fo viele andere anziehende Punkte befucht;
nicht einmal den Feuerkegel konnten wir beiteigen, wenn er uns
auch gleich jede Nacht mit kleinen auffteigenden Flammen dazu
einlud! — Denkwürdig blieb mir immer die Erfcheinung des alten
Königd Ferdinand I. Welche Ereigniffe waren über diefem greifen
Haupte vorübergegangen, da er ſchon 1759 den Thron beitiegen!
Beinahe jeden Morgen fahen wir ibn mit feinen ſtark marfirten
Zügen, bei denen eine ungeheuere Naſe bervorragte, in einem
offenen Wagen auf die Jagd fahren, deren Ergebniffe er dann
feinen Belannten zuſchickte. Bei einem Diner des öſterreichiſchen
Generals Frimont aß ich von einem, von Föniglicher Hand erlegten
Rehe. Das Theater zog und wegen Roſſini an, der damals in
Neapel war, wo auch feine Tünftige Frau — die Colbran —
fang. Dennoch wohnten wir einer ganz mittelmäßigen Vorſtel⸗
lung der Gazza ladra bei. Oper und Ballet bilden bekanntlich
86
in Italien den bauptfächlichften Theil der Unterhaltung; es ift
dad Theater daB allgemeine Rendezvous aller Stände. Jede
noch fo Heine Stadt hat daher ihr oft überrafchend ſchönes Schau:
fpielhaus; impofant ift der Anblid der Scala in Mailand, von
San Carlo in Neapel; in beiden find befonders die Ballette voll
ergreifender Wirkung; nirgends findet man berrlichere Dekorationen
und eine blendendere In: Sc mefetung. Sängern von ausgezeidh-
netenn Ruf begegneten wir nicht, die einen waren ſchon zu alt,
wie Tadinardi, die anderen Anfänger, wie Lablache, der aber
{don mit feiner wundervollen Stimme entzüdte. Da die Künftler
auf italienifhen Bühnen immer wechſeln und die beften Truppen
meiftend nur im Carnaval vereinigt find, fo ift e8 Zufall, wenn
man gerade irgendwo ausgezeichnete Darftellungen trifft. Für
Fremde zumal ift aber der Beſuch italienifcher Theater mit gar
manden Unbequemlichleiten verbunden; fihon die ungebührliche
Länge der Borftellungen, die tägliche Wiederholung derfelben Oper,
der beftändige, unerträglihe Lärm, der nur bei Lieblingsftellen
“aufhört, all dieß ermüdet und wird beſonders im Parterre zu einer
wahren Dual. Dennoch läßt ſich mit dem Teuer der lebendigen
Auffaffung der italieniſchen Sänger nichts vergleichen, und wenn
der Vortrag vielleicht auch weniger ſchulgerecht, die Muſik nicht
immer gediegen, mehr für die Sinne berechnet tft, fo kann man
fi doch eines Gefühls Hoher Befriedigung, ja felbft der Begeifte:
rung bei diefen mufllalifhen Genüflen kaum ermwehren.
Nach dem Allerfeelentag, deſſen eigenthümlicher Gedächtniß⸗
feler wir noch beimohnten, traten wir unfere Rückreiſe, und zwar
der vorgerückten Jahreszeit wegen, in größter Eile an. In Rom
und Florenz bielten wir und nur noch einige Tage auf, und in
erfterer Stadt hatten wir das Glüd, in der Kirche des heiligen Karl
am 4. November den Papft dad Hochamt Halten und dann in
feierlicher Prozeffion herumtragen zu fehen. An demfelben Tage
entlud fi ein fo furchtbares Gewitter über Ron, wie ich felten
87
eined erlebt: Schlag folgte auf Schlag, und nicht in Tropfen,
aber in Fäden ergoß fih der Regen. — In der Pergola zu
Florenz wohnten wir einer Borftellung bei, worin und die Hof:
loge mehr intereffirte, als das Bühnenfpiel. Es befanden fi
nämlich zufällig an jenem Abend dort verfammelt: der Großherzog
Ferdinand und der Erbprinz Leopold von Toscana, beide mit
ihren Frauen, füchlifchen Prinzeifinnen und Schweſtern; ala ihre
- Säfte, die Herzogin Maria Lonife von Parma, faum erft Wittwe
Napoleons geivorden, und Karl Albert von Savoyen; Carignan,
deffen hohe, hagere Geftalt im Hintergrund hervorragte und der
damald nad) dem Turiuer Aufruhr auf Reifen geſchickt wurde!
Welch feltiame Begegnung!
Ueber Ferrara und Padua gelangten wir nah Venedig.
Ich enthalte mid, jeder Bemerkung über dieſe Stadt, in der wir
nur einen flüchtigen Blid auf den Markusplatz mit’ feinen welt:
berüämten limgebungen werfen Fonnten. Wir fahen nichts von
al den Reizen, melde die Stadt der Lagunen jedem Befuchenden
unvergeßlidh machen. * Der düftere Novembernebel, die zerfallenden
Paläfte, die engen Straßen, die fiinfenden Kanäle, die traurigen
Sonden, aU dieß konnte nur einen trüben Eindrud in uns zurüds
lafſen. Ebenſo raſch ging es Über die herrlichen Städte Vicenza,
Berona, Brescia nach Mailand zurüd. Don dort nahm uns der
Eomer See auf, bei glänzend flimmerndem Schneelichte überjtiegen
wir den Splügen und eilten dur das Rheinthal der Heimath
zu. — So genufreidy diefe Reife, fo kurz mar fie au, und in
diefen zehn Wochen mußte gar Manches verfäumt werden. Gie
ließ daher den lebhaften Wunſch in und zurüd, einft länger und
mit mehr Befriedigung dort zu verweilen, ein Wunfch, der leider
nit erfüllt werden ſollte. — Ohne Meine Abenteuer läuft. eine
italienische Reife nicht leicht ab. Unter einigen auffallenden Be
gegnungen will ich Bier nur Skizzen von drei Reifegeführten ent:
werfen, die an ſich fo unendlich verſchieden, dennoch in ihrer
I)
88
Charakteriſtik zugleich einen Einblid in die damaligen Sitten und
politischen Zuftände jenes Landes gewähren.
Bon Florenz bis Rom befanden wir und in Gefellichaft
eined 80jährigen Marchele aus Parma, in Tracht und Benehmen
ein höchſt merfmürdiges Original. Tamiltengeichäfte führten ihn
nah Rom, und es fchien, ald ob er während feines langen Lebens
die Vaterftadt nur höchſt felten verlafien hätte. Aus einer früheren
Zeit hatte er alle Anfichten, Vorurtheile und eine fouveräne Ver:
achtung für jene bewahrt, die er nicht für feines Gleichen hielt.
Mit der alten italienifhen Familien eigenen Sparfamfeit verband
er eine völlige Ungewohntheit des Reiſens. Brei Schredbilder
quälten ihn beftändig: die Furdt, in Gafthöfen übernommen zu
werden, die Angſt vor NRäubern und der etwaige Ausbruch eines
Vulkans. Um fih möglichſt ölonomifd einzurichten, führte er
feinen Mundvorrath in einer blechernen Büchfe mit fih und trank
Waſſer am Brunnen; nur Nachts betrat er das Albergo, wo er,
der alte Mann, ſich aber weigerte, in's Bett zu Tiegen, und in
der Hoffnung, das Zimmergeld zu erfparen, in einem Lehnſtuhl
fchlief, daher jedesmal heftiger Streit mit dem Wirthe. Gegen
räuberifhe Anfälle Hatte fich der ſtolze Marchefe mit einer unge
beueren Tabaksdoſe verjehen. Bor Vulkanen wußte er fich jedoch
nicht zu ſchützen; er fah deren allenthalben, und bei jedem Teuer
auf dem Felde bemerkte er fill vor fih hin: Ecco un’ altro
volcano! Später ſahen wir ihn, eine Yeibhaftige Nococofigur, in
geftictem Rode mit Degen und Manchetten majeftätifh in der
Billa Borghefe zu Nom fpazieren gehen; er würdigte und feines
Blickes! Wie viele folder Karikaturen mögen wohl früher die
unzugänglichen Paläfte Italiens verborgen haben! — Ein zweites
Zufammentreffen mar weniger komiſch. Es war ſchon dunkel, als
wir und in Rom in den Wagen febten, welcher nur drei Plätze
für Neifende hatte. Außer dem päpftlichen Courier fand fi nur
noch ein Paſſagier ein, Nun ift es zu jeder Zeit unheimlich,
89
Nachts in einen Öffentlichen Wagen zu fleigen; in Stalien mar
es aber damals doppelt erwünſcht, feine Gefährten zu Tennen.
Es ging und zwar nicht wie jenem MWeifenden, der bei Tagesan:
bruch mit Entſetzen bemerkte, daß ein Tanzbär neben ihm fike;
unfere Entdedung war, wenngleich verfchiedener Art, doch nicht
minder unangenehm; diefer dritte Mann nämlich fließ von Zeit
zu Zeit anfangs unvernehmliche Töne, dann immer lauter ſtets
diefelben Worte aus: „Carbonaria, maledetti carbonari! ohime!
misero mio!“ u. f. w. Diefe Klagen wurden ohne Unterbrechung
fortgefest, ließen ung nicht fchlafen, und auf alle unfere Fragen,
auf unfer Rütteln und Schütteln gab und der Unglüdliche immer
die gleihe Iamentable Antwort. An der neapolitanifchen Grenze
diefelbe Geſchichte, ſo daß die Beamten glaubten, er wolle fi
über fie luflig machen, und ihn verbaften ließen. Man durch⸗
ſuchte nun feine Taſchen, fand den Paß und die Schlüffel zum
Gepäde, das man fireng vifltirte. Der Aermſte ließ dieß Alles
mechanifch gefchehen, und man gab ihn wieder frei. Der menfchens
freundliche Sonducteur aber nahm fich feiner bis Neapel wie eines
Kindes an, und wir vermutheten, daß er ein feinen Wärtern
entfprungener Dann war, dem, wie fo vielen Andern, die Revo⸗
Intion den Kopf verrüdt hatte. — Unfer drittes Abenteuer
endlih fand an der römifch-wenetianifchen Grenze zu Ponte
lag’ oscuro (ein omindfer Name!) ftatt. Mein Reifegefährte hatte
eine Kleine Madonna von Barofalo gekauft, und die Mauthbeamten
widerfeßten ſich der zollfreien Einfuhr des Gemäldes; auch follte
e3 zuvor noch zur Cenſur! nad Wien gefchictt werden! Dieß vers
febte nun begreiflicher MWeife den Herru v. QTürkheim in ebenfo
großes Eritaunen, als üble Laune. Es Tam daher zu Tebhaften
Zwiſchengeſprächen; da nahte fi ein Fremder mit dem leife er:
theilten Rathe, die Sache nicht auf's Aeußerſte zu treiben; der
„dunkle See” fei audy von Dunkelmännern bewohnt, welche ihn
bier ſchon acht Tage lang aufhielten. Wir gaben daher nad, das
Bild wanderte nach Wien und gelangte erft nach langer Zeit zu
Herrn v. Türfheim zurüd. Doch hatte und der Streit aufge:
halten, wir mußten in dem traurigen Orte übernachten und brachten
den Abend mit unferer warnenden Stimme zu. Sie ftellte fi
uns al3 einen polnifchen Obriften vor, der, früher in franzöfiihen
Dienften, Napoleon aus Anhänglichkeit auf der Inſel St. Helena
beſucht und von ihm Briefe an feine Familie mitgenommen. Nah
de3 Polen Angabe war er jedoch megen diejer verhängnißvollen
Papiere mehrere Jahre unterwegd, Tängere Zeit in der Feſtung
Aleſſandria gejeffen, und jebt, nachdem die Schriften in Nom,
Turin und fhon zmeimal in Wien geweſen und ihm immer
wieder zurüdgegeben worden feien, habe man fie abermald vorge
funden und beanftandet, er müffe daher bier die Rüdantwort vor
Wien abwarten. Wahricheinlid, ferien ihm die Briefe hier wieder
deßhalb als verdächtig mengenommen worden, weil er, dur
jene Vorgänge gewarnt, fie in den gepolfterten Seitenwänden
feines Wagens verborgen; nur durch Berrath hätten fie entdedt
werden können. Was an der ganzen Geſchichte wahr, konnten
wir nicht beurtbeilen; kurz, wir veiften des anderen Tages mit
Zurücklaſſung Carofalo's nad) Benedig und wünſchten dem Polen
baldige Erlöfung. Erſt fpäter erfuhren wir feinen Namen, den
er und felbjt nicht nennen wollte. Er bieß Jecmanuszki, ſo viel
ich mich zu erinnern glaube.
Im darauffolgenden Jahre (1822) war ich dreimal in Paris.
Hier traten mir nun mit jedem Schritte die Erinnerungen aus
ber Kindheit entgegen, doch wie jehr hatte fich alles verändert!
Lilien ſtatt der Bienen und Veilchen, weiße Lappen fiatt der
Xricolore! Den Napoleoniden waren die Bourbonen, dem Triege-
riſchen Treiben eine Friedendzeit gefolgt, mit ihr zog das Reich
der Börfe, der Induftrie, der Spekulationen ein; es war mit einem
Wort die Zeit der f. g. Reftanration, in der man frühere Frevel
zu fühnen, tief gefchlagene Wunden zu heilen fuchte, weniger eine
91
Zeit des Uebergangs, als des Umſchwungs der Dinge in entgegen:
gefeßte Extreme, wobei man ſich wieder ebenio vielen Täufchungen
und Berirrungen hingab. Man befuchte mehr die Kirhen, war
äußerlich frommer, ohne dem fleptiihen Sinne, der Yrivolität ver-
gangener Tage zu entfagen; man benübte die Charte zu Hof: und
Kabinetsintriguen, und grollte dem Auslande ob der erlittenen
Demüthigungen. Damals leitete der ſtaatskluge Ludwig XVII. —
deux fois neuf, wie man ihn nannte — nod alles mit ficherer
Hand. Nichelieu, Damas, Decaze und andere Minifter fanden
ihm zur Seite. Jeden Sonntag fand bei diefem Monarchen eine
diplomatifche Cour flat. Wir wohnten einer derielben bei, und
in der That waren fie fo ungewöhnlicher Art, daß ich fie kurz
befchreiben will. Die Gefandten fiellten ſich nach ihrem Range
in einem großen Halbzirkel auf, hinter ihnen die Legationsfelretäre,
fowie die vorzuftellenden Fremden. Nun murde ber unförmliche
König, in voller Uniform, auf einem Rolftuhle bereingeführt. Der
geiftreiche Monarch wußte aber bei ſolchen Anläffen nicht? anderes
zu jagen, als ſich regelmäßig, von feinem Site au, nad, dem
Befinden der Fürften zu erkundigen, die da vertreten waren. Nur
bei dem Schweizer Gefchäftäträger machte er eine, durch die Um:
flände gebotene Ausnahme, und fragte außer nach anderen gleich:
gültigen Dingen: Les montagnes de la Suisse ont-elles toujours
beaucoup de neige? Wie der Rollſtuhl fidy drehte, machte auch
dad diplomatiiche Korps eine rüdgängige Bewegung nad der
Thüre, wobei nicht felten die Dreifpige, die Degen und die Beine
im Conflikt geriethen. Aehnliche Audienzen fanden auch bei den
übrigen Mitgliedern der Töniglihen Familie flatt. Der fchöne
Greis, Monsieur, überrafchte durch rüftiges Ausjehen und eine
edle, freundliche Haltung. Weniger ſprach die Perfünlichkeit des
berzoglichen Ehepaare Angouldme an. Sie empfingen Talt, ohne
einnehbmende Formen. Endlich jahen wir die lebensfrohe Wittme
M. Karoline von Berry, deren Kinder ſorglos um ſie fpielten.
92
Nach dem Hofe war es die Chambre des Döputes und ihre
ſtürmiſchen Sigungen, welche die Neugierde der Fremden weckte.
Der feftgegliederten royaliſtiſchen Partei mit ihren mehr leidenſchaft⸗
lichen als Mugen Wortführern an der Spite ftanden kühne Redner
gegenüber, welche ſich, nur fünf oder ſechs an der Zahl, ungeſcheut
rühmen durften, daß hinter ihnen 30 Millionen Gleichgefinnte
ftehen! Da gab es denn lebhafte Discuffionen, ſelbſt blutige Duelle.
Noch erinnere ih mich der Fräftigen Geſtalt Foy's, des hinfälligen
Benjamin onftant, wie der imponirenden Erſcheinung Caſimir
Perrier’d. Auch hieß es im Lager der Linken: pour &tre bon
patriote il faut s’habiller en Casimir, boir du Lafitte,
lire son Manuel, y ajouter Foy, et lui rester Constant!
Wer gedentt jebt noch jener erbitterten, parlamentariihen Kämpfe!
Einen anderen ergreifenden Beſuch machten wir im Taub:
ſtummen-Inſtitute. Schon 1810 hatte ih mich als Kind der
Lehrmethode des Abbe Siccard erfreut, und ich wollte den vor:
trefflichen Freund der armen, des Gehörs und der Sprache Be
raubten wiederfehen. Man führte und in fein Zimmer, doch wie
erftaunten wir, als wir den ehrwürdigen SOjährigen Lehrer todt
im Bette faben; er mar den Tag zuvor geftorben. Da lag der
verdienftoolle Nachfolger des unvergeklihen Abbe de l'Epée mit
dem milden Ausdrud in den Zügen, worin ſich das lohnende Be
wußtfein eines redlich vollbrachten ſchönen Tagwerkes wiederſpiegelte.
Tiefer Schmerz zeigte ſich auf den Geſichtern der Zöglinge.
Außer dem unvermeidlichen Beſichtigen von Merkwürdigkeiten
nahmen unſere Zeit auch viele Beſuche in Anſpruch. Da mein
Bruder und ich auf dieſer Reiſe unſeren Vater begleitet hatten,
ſo lernten wir in Geſellſchaften, wie bei häufigen Diners manche
intereſſante Perſönlichkeit kennen, fo: Pozzo di Borgo, den Duc
de Gramont, Röderer, Segur, Belderbuſch u. a., auch mit dem
ebenſo charakterloſen als geiſtreichen Staatimanne Dalberg trafen
wir zuſammen; ſein ſchöner, deutſcher Name paßte ebenſo wenig
93
zu feiner Stellung, ald zu dem franzöfiihen Duc-Titel. Unſer
Geſandte felbft aber, der alte Ichmächtige Bailli von Ferrette, war
eine in Paris fo allgemein befannte Figur, daß er der Gegenftand
beftändiger Witze und Wortfpiele wurde.
Unter den Genüffen, welche Paris unferem jugendlichen Sinne
bot, nahmen die Theater wieder den erften Rang ein. Doc, dieß
find fo raſch vworüberziehende, fo bald erbleichte Bilder, daß fich
jebt nur nod .die trodene Kunftgefchichte mit ihnen befchäftigt.
Diefe Künftlernamen Haben jet allein für Jene Bedeutung,
welche die unnachahmliche Grazie einer „Mars ,"” das Organ und
die Würde „Talma's“ Tannten; Die niedliche Leontine Fay entzückte
damals ald Kind, und die ergreifenden Töne einer Fodor, einer
Einti find nun längft verklungen. Wie früher Brunet, ergößten
nun Botier, Perlet u. a. mit ihren unvergleichlichen Späßen.
Au jener Zeit wurde auch auf der Place notre Dame des
Victoires die Reiterftatue Ludwig XIV. feierlih enthält, wobei
Heine filberne Dentmünzen ausgeworfen wurden.
Bon Baris aus befuchten wir England. Was fol ih nun
von den Eindrüden fagen, welche fo viel Neues und Veberrafchen:
de in mir zurüdließen? Wie man den engliihen Boden" betritt,
ericheint Alles fo fremdartig, es findet nicht wie bei anderen Grenzen
ein Uebergang ftatt, und man follte glauben, daß die beiden durch
eine jo fchmale Meerenge getrennten Küften hundert Meilen von
einander entfernt liegen. Wir zogen nun in die von Rauch und
Nebel umhüllte Weltſtadt ein, und pfeilſchnell verflogen uns in
Gefelichaft der beiden „Galen“ die paar Wochen unſeres Aufent:
haltes. Die merfvürdige Geſchichte Englands trat uns in den
Hallen Weltminfters, wie in dem Tower entgegen, die Handels:
größe und den Weltverlehr Englands lernten wir in den Doks
kennen, die, felbft eine unabfehbare Stadt, Schiffe aus allen
94
befannten Theilen des Erdballs aufnehmen. Die reizenden Square’s,
die grünenden Parks enifalteten die üppigfte DBegetation und wie
auf den Straßen unzählige Wagen aller Art, durchkreuzten die
nieblichften ‚Schiffe die wogenden Wellen der Themſe.
Einige Almaksbälle zeigten und den Glanz der faſhionablen
Belt; die ſchöne Tochter des nachmaligen Miniſters Canning war
die gefeiertfte Tänzerin. Ihr berühmter Vater, damals nicht mehr
jung, hatte eble, ausdrudsvolle Züge. Unter den Bornehmen, den
Ton angebenden ‘Damen des diplomatiſchen Corps that fi) Die
Fürftin Lieven hervor. Zuweilen befuchten wir aud den QBaur-
ball und andere öffentliche Gärten mit ihren wirklich überrafchen-
den Beleuchtungen und abmechfelnden Unterhaltungen. Weniger
ſprachen und die Theater an, wohl der ſchwächſte Theil der Lon⸗
doner Freuden. War uns ein Beſuch in den beiden Häufern des
Parlaments fon von hohem Intereſſe, jo erregte der feierliche
Schluß der Situng durch Georg IV. unfere Neugierde in nicht
geringem, Grade! Wie erftaunten wir über das halb prachtuolle,
halb feltfame und veraltete Gepränge bei der Auffahrt! Der dicke
König erfchien in dem alten Haufe der Lords, und lad vom Throne
und im SKönigsornate den Speech ziemlich unverftändlich berab,
dazu die altherkömmlichen Ceremonien, die nur noch hier gebräuch⸗
lichen Xradten und Perüden, das beſcheidene Erfcheinen des
Unterhaufes vor den Schranken, dad Ausrufen des franzöfiichen:
Le roi le veut! bei Verkündigung der Gefete, all’ diefe Dinge
überrafchen den fremden. Einige Tage nachher fchiffte ſich der
König auch mit vielen Teierlichleiten nach Schottland ein. — Zu
den lebten Feſten der Seafon gehörte ein militärifches Frühſtück,
weiches der Herzog von Wellington in Greenwi gab. Mittags
begonnen, endete es erſt nah Mitternacht. — Kurz vor unferer
Abreife wurden wir eines Morgen? durch die Nachricht erfchredt,
daß fi der erite Miniſter, Lord Caſtleragh (12. Auguft) den Hals
abgefchnitten — Folge eines politifchen Spleens.
And) die reizenden Umgebungen, welche die Hauptſtadt wie
eine Perlenſchnur zieren, ließen wir nicht unbeſucht. Hamptoncourt
mit feinen berrlihen Cartons und berühmten Bäumen — der
Eiche Heinrichs VID. und dem Weinftode, der in jenem Sommer
gegen 800 Trauben trug, — dann Brighton mit der fantaflifchen
Billa, das liebliche Richmond, Kenfington, vor allen aber das mit
einem Schloffe zu vergleichende Windfor! Wir fehten unſere
Rundreife fort, beſuchten Blenheim mit feinen Keunſtſchätzen, Orforb,
die Stadt voll wunderlicger, alterthümlicher Gebäude und Einrich⸗
tungen, und ſchifften und nach einem Ausflug nad Portsmouth
und der Tieblichen Inſel Whigt in Brighton ein. Leider war dad
Dampfihiff beihädigt, und wir mußten und dem gewöhnlichen
Paquetboote anvertrauen. Anfangs ging es vortrefflich, und wäh⸗
rend der Nacht fchwellte eine leichte Brife die Segel. Doch mit
Tagesanbruch trat eine völlige Windftille ein, und wenn wir ung
gleich des herrlichen Anblidd von Luft und Meer ringsum bei dem
Harften Sonnenlichte erfreuten, fo plagten uns doch bald Lange
weile und Hitze, und da wir gar nicht vorwärts kamen, blickten
wir ſehnſuchtsvoll nad den Küften der Normandie, die in blauer
Ferne vor und lagen; damit und Teinerlei Emotion entgehe, thürmten
fih im Weiten Gewitterwollen auf; die Vögel ftreiften über die
mehr und mehr fi Eräufelnden Wellen; Finſterniß bededite bald
das Meer; einige unferer Neifegefährten beflel Die leidige Sees
krankheit; da erfchien, trügerifch ein Netter in der Noth, ein Fiſcher⸗
kahn. GHoffend, mit ihm und feinen Rudern ſchneller dad Land
zu erreichen, flürzten wir und in ungeduldiger Haft in das Tleine
Fahrzeug, das bald überfült war. Die Schiffleute konnten deß⸗
halb die Barke nicht gehörig leiten; dad Segel riß uns bin umd
her. So wurden wir nun während ſechs qualvoller Stunden von
Sturm und Wellen gepeitſcht, und kamen erft nah Mitternacht
krank und durchnäßt in Dieppe an, mo das größere Schiff, das
wir verlafien, bereit3 ungefährdet eingetroffen war.
96
Ueber Baris, Burgund und die Schweiz Tehrten wir nad
Haufe zurüd.
Außer diefen großen Reifen machte ich öfter Ausflüge nad
verichiedenen Städten des Großherzogthums, oder an den Rhein
und brachte einige, mir unvergeßliche Wochen bei Tieben Verwandten
in Bern zu. Immer mehr rüdte jedod der Augenblid heran,
wo ich das väterlihe Haus verlaffen, und es Ipäter nie mehr auf
längere Zeit, immer nur ala Gaft, bewohnen ſollte. Es war am
Iehten Tage des Jahres 1823, ald mich mein Vater zu einer
neuen Beftimmung nad) Karlsruhe begleitete. Ein herzzerreißender
Schmerz durchdrang mid, bei'm Abſchiede. Es lag eine fo unend-
lich glüdlihe Kindheit Hinter mir; forgfältig geleitete Studien
mechfelten mit den angemefjenften Unterhaltungen und lehrreichen
Reifen. Empfänglich für die Kunftgenüffe, wie für die Meize der
Ihönen Natur fand ih auch überall eine freundliche, wohlmollende
Aufnahme; felten nur kam ih mit rohen oder böfen Menſchen
in Berührung, hielt fie daher im Allgemeinen auch für befier, als
fie in der Regel find. Noch hatte mich das Leben mit feiner
rauben Wirklichkeit nicht erfaßt. Alles erichien mir im roſenfar⸗
benen Lichte Mit reinem, beinahe kindlichem Vertrauen überließ
ih mic den Eindrüden des Tages, und glaubte diefelbe Nachficht,
den gleihen Optimismus, mit dem ich die Außenwelt betrachtete,
auch für mich anfpredhen zu können. Dabei bewahrte mich die
unferer Erziehung zu Grund gelegte religiös-fittliche Richtung vor
mancher jugendlihen Berirrung, und ich gab mich deßhalb um fo
frober und ungehinderter der Gegenwart und ihren Einwirkungen
bin, als kein Hauch den Spiegel der Vergangenheit trübte. — Bol
der dankbariten Gefühle gegen die göttliche Vorfehung, mit den
beiten Vorſätzen auögerüftet, trat id) daher meine neue Laufbahn,
von Segendwünfchen begleitet, an! Ich hatte bie meiften Schriften
gelefen, welche als Leitfaden in den Jrrgängen des menſchlichen
97
Treibens dienen follen, viele foldher Regeln felkit in mein Tage
buch eingetragen. Doch mie felten werden dieſe wohlgemeinten
Winke im praftifchen Leben beachtet! Es gehört zumal bei Ieb-
hafter Einbildungskraft, bei vegem Hange zur Xhätigfeit viel
Charakterftärke, ein fefter Wille, e8 gehören unerfchütterliche Grund⸗
füge dazu, um mit Gottes Gnade gegen die und umbraufenden
Wogen der Welt und Sinnesluft, gegen die ermachenden Leiden:
ſchaften anzufämpfen! und wie wahr ift Talleygrand’3 Ausſpruch,
daß fremde Erfahrung ein leeres Wort ohne Bedeutung fei, Jeder
für ſich ſelbſt feine eigenen Erfahrungen machen wolle und müffe!
Ehe ich diefen Abfchnitt ſchließe, bin ich es dem Andenten
meiner unvergeflichen Eltern ſchuldig, bier laut und offen auszu⸗
ſprechen, daß ich ihrer Liebe und zärtlichen Sorgfalt die fchönften
Stunden meiner Jugendzeit verdanke. Ein gleihed Band inniger
Freundſchaft und Eintracht umfchlang uns Geſchwiſter, wie der
frohe Umgang mit theuren Verwandten ung erfreute. Endlich fei
noch ein Wort dankbarer Erinnerung dem würdigen Erzieher ge
weiht, der durch Lehre und Beifpiel, felbft mit Aufopferung für
und wirkte!
Frh. v. Andlaw. Wein Tagebuch. 1. 7
58
Fünfter Abſchnitt.
(1824 — 1826.)
Inhalt: BerufstHätigleit in Karlsruhe. Hiſtoriſch-politiſche Rückblicke.
Die gwölfjährige Regierung des Oroßherzogt Luöwig. Geim Wirkſam⸗
keit, Sein Charakter. Der Hof. Die Minifter. Major von Hennen-
hofer. Die Ständeverfammlungen pen 1825 unb 1828.
Vetrachtungen Über das conſtitutionelle Syſtem. Die Markgräfin AUualie
unb die Königin Friederike von Schweden. Geſellige Zuftände und
Theater in Karlsruhe. Bier Wochen auf dem Rohannisberge
Fuͤrſt Metternih und feine Familie Deutſche Fürſten und Diplo
maten. Die beilige Allianz. Politische Ereigniſſe. Tod bes Kaiſers
Alerander. Abſchied von Karlsruhe.
Die fo jchiwierige und zugleid, wichtige Wahl eines Standes
hängt oft mehr vom Zufall und befonderen Verhältniffen ab, als
fie Folge einer perfönlichen Vorliebe für einen gewiflen Beruf ift.
Nicht fo bei mir! Ih follte als Juriſt die richterliche oder
Aminiftratio-Beamtenlaufbahn betreten, fühlte mid, aber mehr durch
dad diplomatifche Fach angezogen, weil es mir größeren Spielraum
zur Befriedigung meines Wiflensdranges bot, meinem Wanderfinn
zufagte, und mir Anlaß verichaffte, Verbindungen mit audgezeich-
neten Perfönlichleiten anzufnüpfen. Ob aber diefe Vortheile im
Verbältnig ftanden zu den Opfern und trüben Stunden, die mir
diefer felbft gewählte Beruf gebracht, ob ich meine Kräfte und
Anlagen für mich und Andere nicht nußbringender, beffer und
9
. nachhaltiger Hätte verwenden Können, wenn ich in georbneten Lebens:
verhäitnifien der Landwirthſchaft gepflegt, oder im ruhlgen, gewöhn⸗
lichen Geſchaftskreiſe des Vaterlandes mid; bewegt haben würde? —
Dieß find jet zum mindeften mäßige ragen — folgen wir doch
alle, wenngleich millendfrei, einer höheren, unfidytbaren Leitung !
Thomme s’agite, Dien le m£&ne! fagt Féͤnoͤllon. — So trat Ich
nun in meinen neuen Wirkungskreis bei dem Minifterium des
großherzoglichen Haufes und der auswärtigen Angelegenheiten ein,
wurde verpflichtet, zu Gecretariatögeichäften verwendet, und blieb
tn diefer Stellung bis März 1826 zu Karlsruhe. Doc ehe Ich
Hefe Periode meines Lebens näher zu beleuchten fuche, muß ich
neh einige Mädblide auf vie politifhe Geftaltung der Dinge
werfen, welche ich auf Yntverfitäten und Reifen fo ziemlich aus
den Augen verloren halte.
Die Erſchopfung, welche den 20 jährigen riefenhaften Kämpfen
folgte, war eine naturgemäße, doch nur allzubald zeigte ſich mit
mehr oder minder Berechtigung in verichiedenen Ländern ein Geift
der Unzufriedenheit und bed Widerftandes gegen die Regierung.
Während man in Frankreich die erlittenen Niederlagen, die ver:
Fürsten Grenzen, die läftigen Verträge nicht verſchmerzen konnte,
und fortwährend gegen die Bourbomen confpirirte, wurden in
Deutſchland täglich die Klagen lauter, daß die im Augenblide der
Gefahr den Völkern ertheitten Verſprechungen von den Zärften
nit gebatten würden u. dgl. m. In Italien, dem ſtets murrenden
mb anfrährerifhen, gab es Bündftoff germg, um ihn bald zur
vollen Flamme anzufachen. An diefe Symptome allgemeinen Miß⸗
behagens Hing fi die Partei der Revolution mit ihrem Bleige⸗
wichte. Durch die Kriegsjahre in ihren Wilhlereien gehemmt,
äußerte fie jebt ungehindert einen um fo verderblicheren Einfluß.
Dennoch wäre es unbillig zu verlennen, daß nicht aud andere
Urſachen auf die Bffentliche Stiinmung einwirkten. Das Wert bes
Wiener Congrefſes, Überftürzt, Tieß die gerechten Anſprüche vieler
7°
100
Länder unbefriedigt; in feiner lückenhaften Unvollftändigfeit, in der
unklaren Yaffung mander feiner Artikel, in der eilig, oft wie aus
Zufall, zufammengemwürfelten Eintheilung neuer Staaten lag der
Keim zu endlofen künftigen Zerwürfniffen. Dieſen Uebeln zu be
gegnen, wurden von Zeit zu Zeit Congreffe gehalten. Wir ſahen
die Vertreter der acht Mächte, welche die Wiener Schlußafte unter:
zeichnet, 1818 in Aachen, 1821 in Troppau und Laibach, 1823
in Verona tagen, und je mehr ſich die Grundjäße der heiligen
Allianz durch Repreifivmaßregeln geltend machten, deito mehr ftählte
fih der Geift der Widerſetzlichkeit. Die Ermordung des Herzogs
von Berry in der Oper zu Paris (Februar 1820) war nur das
Borfpiel einer Reihe blutiger Thaten. Verſchwörungen, bald
unterdrüdt, folgten in Franfreih. In der Yombardei, in Piemont
fan es zum offenen Aufruhr; aus Neapel floh der alte König
(1821). Hier ftellten die öſterreichiſchen Waffen die geſetzliche
Drdnung wieder ber. Endlih kam e8 auch in Spanien zum
Bürgerkrieg. König Terdinand begab ſich, ein Gefangener auf dem
Throne, nad) Eadir, und wurde nur dur die Hülfe einer fran-
zöfifchen, von dem Herzoge von Angoul&me befehligten Armee bei
Trocadero wieder befreit.
Die |. g. Legitimität hatte einen augenblidlicdyen Sieg über
die Revolution erfodhten, doch da er nur ein durch materielle
Waffen erfämpfter war, fo konnte man nicht Yänger auf Rube
rechnen, als eben die zur Unterdrüdung der unruhigen Bewegungen
thätigen Kräfte diefelben, und einig bleiben würden. Dieß war
nun freilidy nicht mehr lange der Tal. Es bereitete ſich demnach
immer mehr ein entjchiedener Prinzipienlampf vor, der von einer
Seite nicht richtig erkannt, nicht mit zmedmäßigen Mitteln behandelt,
von der angreifenden Partei mit eiferner Conjequenz und einer
erbitterten Hartnädigkeit fortgeführt wurde, welche vor Nicht? zurück⸗
ſchreckte. Napoleon war unterdeffen (5. Mai 1821) auf St. Helena
geftorben, und es ſchien fi das ihm zugefchriebene prophetifche
101
Wort verwirklichen zu mollen, daß in 50 Jahren die Welt ent:
weder republikaniſch oder Tofadiich fein werde.
So geftaltete ſich die politifche Lage, als ich die diplomatifche
Carrière ergriff. Staatäminifter v. Berftett war mein Chef;
er hatte fich, nachdem er den öſterreichiſchen Deilitärdienft verlaffen,
von einiger Hof-Chargen, die er in Karlsruhe befleidet, zu diefer
erften Stelle im Lande emporgeſchwungen. Zu ſolch auffallender
Beförderung trugen nicht nur zufällige Umftände, die Gunſt ber
beiden Großherzoge, Karl und Ludwig, es trugen dazu auch feine
eigenen, unleugbaren Berdienfte bei. Berftett hatte für das Wohl
der Dynaftie, wie ded Landes in Wien, wie in Aachen und nody
fpäter mit Eifer und Erfolg gewirkt. Ohne eigentlihe Schulbil-
dung und gediegenere Gefchäftäfenntnilfe verband er doch eine klare
Anfhauung der Dinge mit richtigem Takte, Gemandtbeit und
rechtlichem Sinne. Mit den meiften Machthabern jener Zeit
befannt, mit vielen Staatömännern eng befreundet, verlieh diejer
Minifter durch perfönliche Beziehungen feinem beftimmten Auftreten
im Lande noch ein größeres Gewicht. Noch vor feiner Ernennung
zum Staats: und Kabinetäminifter hatten in Baden wichtige Er:
eigniffe ſtattgefunden. Am Auguſt 1818 unterfchrieb der Groß:
berzog Kurl zu Griesbach die neue Verfaſſung, nachdem er fchon
den 4. Dftober 1817 die biöherigen Grafen Hochberg, fie zu
Markgrafen erbebend, zur eventuellen Nachfolge im Großherzogthume
berufen hatte. Den 8. Dezember 1818 endete jener Fürſt zu
Raftatt im kaum vollendeten 33. Lebensjahre eine in der lebten
Zeit durch anhaltende, ſchmerzhafte Krankheit qualvoll gemordene
Eriftenz. Sein Obeim, Markgraf Ludwig, folgte, der nächſte
Agnat, als Großherzog. Unter ihm waren außer Berftett noch
Berfheim, General Schäffer, Bökh, Gulat, Ipäter Winter, Nebenius,
Jolly und andere Minifter oder Näthe der Krone, fühige, ehrenwerthe
102
Männer, weldhe dad Streben des nicht mehr jungen, aber that⸗
Fräftigen, neuen Herrn, Ordnung in die vielfach verwickelten Ver⸗
bältniffe zu bringen, unterftüsten. Das Augenmerk diefes klugen
Türften war zunächft auf die inneren Staats- und Yinanzfragen,
dann auf Regelung der kirchlichen Ungelegenheiten, ſowie des
Ständewelend gerichtet. Als alter Soldat an Pünktlichleit und
Gehorfam gemohnt, fuhte er vor Allem den Staatshaushalt
zu ordnen, den geſunkenen Eredit zu heben, und wirklich wurde
bald in diefer Beziehung Unglaubliches geleiftet. Strenge Beaufs
fihtigung der Beamten, Entfernung unzuverläffiger Individuen,
feſteres Anziehen der erichlafften Bande büreaukratiſchet Disciplin,
ein alle Zweige der Staatsverwaltung durhdringender Geift der
Sparfamkeit und des Ernſtes brachten bald entichieden günitige
Deränderungen hervor. —
Gleichen Werth legte Großherzog Lubtvig, dabei feinen Jugend»
erinnerungen aus der Zeit des großen Preußenkönigs folgend, auf
die Äußere Haltung, wie die innere Tüchtigkeit des badiſchen
Armeecorps, und auch in diefer Richtung war ſeine Wirkfam:-
keit nicht ohne nachhaltige Folgen.
Unter Ludwigs Regierung kamen endlich auch die durch Jahre
mit Rom ſchwebenden Verhandlungen zum Abichluffe Die katho⸗
liſch-kirchlichen Zuſtände, feit der Revolution in kläglicher Vers
wirrung, wurden in zwei Bullen des Papſtes in einer Baden
günftigen Weile geordnet. Der frühere Biſchofſiz zu Conftanz
wurde nad) Freiburg verlegt, deffen herrlicher Müniter zur Metros
pole erhoben, und dem neuen Erzbisthume vier Suffraganbiichöfe,
ſelbſt das uralte Mainz, untergeordnet. — Gleich rafche, beinaße
überraihende Erledigung fand, ungeachtet vieler Hinderniſſe und
Widerſprüche, die f. g. Union, nämlich die Verſchmelzung der
beiden — der Tutheriihen und reformirten — Confeffionen in
eine — die evangeliſche Landeskirche nach einem ähnlichen
Vorgange in Preußen. — Wie fehr aber auch der Großherzog
108
Ludwig jede Tirchenfeindliche Tendenz mißbilligte, beweilt folgender
merfwärdiger, an den Kirchenratb Dr. Paulus in Heidelberg er:
lafjener Brief:
„Sshre Mittheilung der neueften Hefte des „Sophronizon“
feßt mich in die unangenehme Nothwendigfeit, Ihnen eröffnen zu
müffen, wie die eifernde Polemik mandyer Aufjäbe diefer Zeitichrift
meinen Wünfchen und Anſichten durchaus nicht entipriht. Ins⸗
befondere wird darin öfter das Streben des römifchen Hofes ala
böchft bedenklich gefchildert, wirflie oder vermeintliche Anforde
rungen in das mißlichſte Licht geftellt und die Regierung gewarnt,
auf ihre mehr oder minder gefährdete Unabhängigkeit bedacht zu
fein. Solche Darftelungen und Aeußerungen Tönnen nad) meiner
feften Weberzeugung niemal® zum Guten führen, fie müfjen viel:
mehr von der einen Seite die Gemüther erbittern, während fie
auf der anderen zu begründeten Beforgniffen Anlaß geben. Ich
wünſche darum gar ſehr, daß Sie ſich ausſchließend Ihrem uns
mittelbaren Berufe widmen, und den Regierungen überlaffen, das
wohlverftandene Intereſſe ihrer katholiſchen Untertbanen mit der
Erhaltung der erforderlichen Selbftftändigfeit zu vereinigen. So
wie ich eine Gefahr für den ewangelifchen Glauben nicht zu erkennen
vermag, und nur mit Mißbilligung von Angehörigen meiner Uni-
verfität verkündet fehe, jo iſt mir überdieß die Divergenz theo:
logifcher Belebrungen, Anſichten und Beftrebungen mit denen der
übrigen Lehrer in Heidelberg fehr unangenehm, und ich bedauere,
daß ſich ſolche in unangemefienen Streitichriften, welche eine nach⸗
theilige Wirkung auf die Ruhe und Würde der Univerfität äußern,
der Welt Fund getan hat. Dur religiöſe Streitigkeiten wird
die Welt an Glauben nicht reicher. Ich verlange von meinen
Dienern eine treue Pflichterfülung; die Ihrige ift es zunächſt, die
Lehren der pfoteftantifchen Kirche denjenigen Mar zu machen, welche
als Fünftige Lehrer des Volkes für deren Erbaltung zu jorgen
baben. Dieß geichieht, unter Vermeidung aller Vernünfteleien, am
104
beiten durch Teithalten an dem beftehenden Worte Gottes; ein
ſolches Beftreben ift meinem Willen gemäß, und fichert ftet3 An⸗
ſprüche auf meine wohlmollende Achtung u. f. w.“
Karlsruhe, 25. Febr. 1826. (Gez.) Ludwig.
&3 bleibt nun noch übrig, die ftändifche Frage zu berühren,
die hochwichtige, welche feit 70 Jahren Halb Europa beivegt, und
noch mächtig in der Gegenwart nachklingt. Man wollte in ihrer
Löſung bald eine Abwehr gegen Willtürberrichaft erkennen, bald
glaubte man durch diefeg Ausfunftsmittel den Abgrund- der Re:
volution fchließen zu können. Um jedem Mißverftändnig vorzu⸗
beugen, muß ih vorausſchicken, daß ich nie einer patriotichen
Geſellſchaft, einem politifchen Vereine, irgend einer Partei ange:
hörte, mir daher immer eine möglichjt unbefangene Anficht, einen
Standpunft, frei von Vorurtbeilen, zu wahren wußte, jo aud in
den fo vielfach aufgemorfenen, fo überaus leidenſchaftlich behandelten
ſ. g. Berfaffungsfragen. Sch ging dabei von der feften Weber:
zeugung aus, daß auch die beftausgedadyten Theorieen, die geift-
vollften Spiteme, die auf dem Papiere glänzendften Doltrinen im
praftifhen Leben nur felten anmendbar find, und bielt es ftet3
mit dem Ausfpruche Pope's: „let fools on form’s of govern-
ments contest” u. |. w.
Keine Form ift unbedingt zu verwerfen, jede Berfaffung, heiße
fie, mie fie wolle — abfolute, monarchiſche, ariftofratifhe, parla-
mentarifche, ftändifche, vepublifanifche, demokratiſche, oligarchifche
u. f. w. — kann gut fein, wenn fie nur den Sitten des Bolfes,
den Bedürfniſſen der Zeit, den wahren, wohl verftandenen Intereſſen
eines Staates entſpricht. Erfüllt fie zunächſt diefen Zweck, jo
wird fie auch mit der Zeit, fo viel nöthig, ſich gehörig entwideln,
oder wenn man lieber will, fortſchreiten. — Das alte, morjche
Gebäude des heiligen römischen Reichs deutfcher Nation war krachend
in ſich ſelbſt zufammengefallen, und die furdhtbaren, politifchen
Orkane hatten auch die lebte Spur ftändifcher Formen verwiſcht.
105
Was follte nun an ihre Stelle treten? Vergebens jah man ſich
nad Baufteinen um, aus den Trümmern neue PVerfaffungen zu
gründen, dennody mußte ein Webergang, eine Brüde gefucht und
gefunden werden, um über die weite Kluft hinauszukommen. Der
Artifel 13 der Wiener deutfhen Bundesafte ſpricht in verzmeifelt
Ialonifchen Morten aus: „Sn allen Bundesftaaten wird eine
Tandesftändifche Verfaſſung ftattfinden.” Jahre vergingen,
ehe es zum Vollzuge diefer Beitimmung kam; man ftritt über Die
Auslegung, den eigentlidhen Sinn jenes Paragraphen. Die Einen
deuteten ihn in freifinniger Weife, mollten den Berfaffungen eine
mehr demofratifhe Färbung geben, und jelbit das Zweikammer⸗
foftem entfernt wiffen, Andere hielten an gefchichtlichen Traditionen
feft, und warnten im Hinblid auf 1789 vor allzu Fühnen Neue:
rungen. Je länger man jedody zögerte, je lauter wurde der Ruf,
daß wenigſtens Etwas geihehe. Das Geſchrei nah Kon-
ftitutionen wurde das Loſungswort des Tages; man wollte
in ihrer Ertheilung einen Rettungsanker für die Yürften, eine
Bürgſchaft Fünftiger Ruhe, Ordnung und Eintradht für die Völker
erfennen. Bayern machte in Süddeutichland den Anfang, Baden
folgte mit einer Verfaffung, welche fchon mehr den fortichreitenden
Ideen zu Huldigen fchien, endlih trat auch Württeniberg mit einer
folden Urkunde auf. Die meiften derfelben waren der Charte
Ludwig? XVII. nachgebildet, welcher ihrerjeit3 wieder die englifche
. zur Orundlage dient. Weber 40 Jahre liegen nun zwiſchen jener
Epoche und der Nebtzeitz gar viele Erfahrungen konnten gefammelt,
Manches aufgeflärt, berichtigt, verändert werden. Ich bin kein
prinzipieller Gegner irgend einer DVerfaffung, aber nicht verfennen
läßt fih, daß, mährend die ummälzende Partei diefe modernen
Einrihtungen für ihre eigenen Zwecke mißbraucht, fich der doktri⸗
näre Wahn der Hoffnung hingab, alle Gefahren befchwören, alle
politiichen Webel der Zeit damit heilen zu können. Ueber Nacht
wurde mancher deutfcher Staat mit folchen nach gleichem Zufchnitte
106
verfertigten Konftitutionen beglüdt, ohne daß man vorher geprüft
bätte, ob das fchwere, faltenreiche Kleid auf den oft ſchwächlichen
Körper paſſe, ihn nicht vielmehr erdrücke? Aller Uebelftinde un:
geachtet, wäre es aber ebenfo gefährlich ala unklug, fi an dieſen
einmal gegebenen und beſchworenen Berfaffungen zu vergreifen;
man muß fie eben hinnehmen, weil man nichts Beſſeres an ihre
Stelle zu ſetzen weiß, und der Weisheit der Regierung, wie dem
gefunden Sinne der Bevölkerung überlaffen, mit Befeitigung der
Auswüchſe, fih wo möglih in diefe Formen völlig bineinzuleben.
Obwohl ih nie Mitglied irgend einer Ständeverfammlung war,
ip babe ih dody in Paris und London, in Brüffel und Preburg,
in Münden und Karlörube, in Dresden und Stuttgart, felbft
1848 in der Reitichule zu Wien, jo umfafjende, parlamentarifche
Studien gemacht, daß ich darüber aus Langjähriger Erfahrung
iprechen Tann. — Wenn ih nun zunächſt zu dem Ergebniſſe der
Beobachtungen in meinem engeren Baterlande: Baden übergebe,
fo gefchieht e8, weil man diefem Großherzogthume die Ehre zuge:
dacht hatte, in Deutichland ala konſtitutioneller Muſterſtaat zu
gelten, und allerdings find die in diefem Sinne durchlaufenen
Phaſen, wenn auch nicht ftets erjreulich, doch immerhin bemerlens:
werth. — Der von dem jterbenden Großherzog Karl verliebenen
Berfafjung waren zwei Verordnungen gefolgt, welche, während fie
biefelbe ergänzen jollten, vielmehr mit ihr in Widerfprud zu ftehen
ihienen. Das Adelsedikt murde auch aljobald von der zweiten
Kammer für verfaffungsmidrig erflärt. Die ſ. g. Staat3diener-
pragmatif verlieh den Beamten ald Abgeordneten eine unab-
hängige Stellung, weldye fi mit ihrer Eigenichaft von Organen
ber Regierung nicht immer vertrug.
Die Verfaffung ſelbſt, Iange erſehnt, voraus verfündet, wurde
denn auch von Vielen mit künſtlich vorbereitetem Jubel, von
Manchen aufrichtig begrüßt. Die Einen fahen darin dus Mittel,
der heilloſen Sinanzwirtäichaft ein Ende zu machen, das Büdget
307
unter eine getviffenhaftere Eontrole zu ftellen; Andere bofften im
Stillen, dadurch befannt und befördert zu werden, und mit dem
wohlthuenden Gefühle ein Stück von Souveränetät in ſich ſelbſt
zu tragen, ald Deputirte eine politiſche Rolle zu fpielen. Wieder
Andere reizte diefer neue Berfudh, das Unbefannte, während gar
Biele fi) trüben Ahnungen hingaben; die große Mehrzahl jedoch
ließ die Verfaſſung gleichgültig.
Der Großherzog Ludwig nahm dieß politiiche Vermächtniß
an, ohne fich eigentlich der Tragweite deſſelben Mar bemußt zu
fein, anfangs erfchien ihm die Sache fremdartig, feinen Anſichten
widerftrebend, fpäter unbequem, felbft gefahrdrohend. Er hatte
wenig Luft, feine vorausſichtlich nicht allzulange Megierungszeit
mit parlamentarifhen Zänfereien zu trüben. Die Minifter, mit
wenigen Ausnahmen, ſchwärmten ohnehin nicht für conftitutionelle
Ken. — Die Wahlen fanden ungeitört, ohne bejondere Einwire
fung ftatt, und die erſte Ständeverfammlung trat am 22. April
1819 im großherzoglichen Schloffe zufammen.
In der erften Kammer faßen außer den Bringen des Hanies,
den Standesherren, den Abgeordneten bed Adels, und den vom
Großherzoge ernannten Mitgliedern: der Generalvicar von Weffenberg
neben dem Prälaten Hebel, Motte neben Thibaut. Die bobe
Kammer fand wenig Anlaß fih auszuzeichnen, doch ragte damals
ſchon an Intelligenz und TChätigkeit der noch junge Fürft v. Fürftenberg
hervor, welder fih ein Jahr früher mit der Prinzeffin Amalie
von Baden vermählt Hatte.
Die Zufammenfekung der zweiten Kammer mar eine überaus
bunte; es fanden fi) da Staatäbeamte mit Land: und Gaftwirthen,
Profefforen mit Kauf: und Gewerbäleuten, Adelige und Bauern,
Prieiter und Advokaten, Breidgauer und Pfälzer, Seeländer und
Ddenwälder, Alt: und Neubadener, Katbolifen und Proteftanten.
Man war gegenfeitig erflaunt, fich in fo gemifchter Geſellſchaft
zu finden, man beobachtete, prüfte die Kräfte, und alsbald trat
108
ein Haufe Gleihgefinnter mit ausgeſprochenen Oppofitiondgelüften
zufammen. Liebenſtein, Duttlinger, Kern, die beiden Winter,
Buhl, Fecht, Baffermann, Föhrendah u. A. thaten fih durch
Rednertalent umd einen Geift der Ungebundenheit hervor, welchem
ältere, erfahrene Staatädiener nicht entgegenzutreten vermochten.
Doch Namen thun bier nicht zur Sache; es war die Neubeit
des Schaufpiels, welche die Handelnden wie die Zuhörer beraufihte,
der erite Aufichrei einer noch jungen, längſt erträumten Nedefrei-
heit. Man machte den Herzen, wenn aud in etwas maßlofer
Weile, Luft; es mar eine Hochſchule oratorifcher Uebungen; die
Eitelfeit, der Ehrgeiz Einzelner that das Uebrige. Auch fehlte
es diefem Lundtage nicht an Schmeichleru; Liebenitein erichien
Bielen als ein zmeiter Mirabeau, und es erſcholl der Ruf diefer
„beredten, mutbigen, unabhängigen, freien Volksvertreter“ meit
Über die Gauen des Schwarzwaldes. Doch dieß Tebhafte Treiben
war nit nad dem Geſchmacke des ernften Großherzogs und
feiner Miniſter — vielleiht trafen auch Winfe von Außen ein —
der Landtag wurde vertagt und fpäter ganz aufgelöft.
AS im Jahre 1824 neue Wahlen ausgefchrieben und die
Stände im März 1825 wieder zufammengetreten waren, zeigte
fi) nur allzu bald ein anderer Geift. Augenfcheinlidy folgten bier
Wahlen, wie die Stimmung der Kammern den Strömungen der
Zeit. Es tönten Hier im Situngsfaale nicht mehr die politifchen
Leidenſchaften wieder, welche 1819 Europa bewegten. Ruhig wie
damals die Außenwelt, war auch der Gang der ftändifchen Der:
handlungen. Man nannte jene Kammer eine „reaftionäre”, die
Ehrenmänner, welche leidenſchaftslos die Angelegenheiten des Landes
beriethen, wurden als fervil verfchrieen; der Ständelaal glich nicht
mehr einer Schaubühne, es erfchallten Leine Bravo's von den
Tribfinen, es gab Feine Bürgerfronen und Opvationen mehr.
Doch fehlte es auch bier nicht an unerquidlichen Scenen; der
Heinen Anzahl Deputirter auf der Linken jtanden einige Hiblöpfe
109
entgegen, welche durch übergroßen Eifer eher fchateten. “Der
originelle Zachariä galt: für den Luftigmacher der Kammer, während
fi) einige Nedner von Talent auszeichneten. in entichiedener
und wohl auch beredtigter Widerftand fand nur gegen die über:
mäßige Laft des Militärbudgets ftatt, welches in Teinerlei Ber:
hältnig zur Größe wie zu den Kräften des Landes ſtand. Es
gab da Karte Kämpfe, heftige Auftritte, welche auch das größere
Publikum elektrifirten. — Diefe Kammer trat noch einmal — im
Jahr 1828 — zufammen.
Der Großherzog Ludwig wird in der Gefchichte jenen
Fürſten beigezählt werden, welche mehr gefürdjtet, als belicht find.
Schon feine äußere Erſcheinung, eher einſchüchternd, ala Ehrfurcht
gebietend, nahm nicht ein. Man vermißte aber an ihm vor Allem
jened alle Herzen gewinnende Wohlwollen, jene Menfchenfreund:
Yichleit, den hoben fittlihen Werth feines unvergeklichen Vaters!
Mehr jchlau ala geiftreih, wußte er doch, wenngleich mißtrauifch
und zurüchaltend, meiltens feinen fcharf ausgeprägten Willen
durchzufegen. Richt wiſſenſchaftlich gebildet, nahm er ed mit Styl
und Orthographie nicht fehr genau. in ordnnungsliebender
Monarch, ein guter Wirth, fehlte es dem Großherzog Ludwig nicht
an den Eigenfhaften eines tüchtigen Negenten, doch Tonnten die
wirklichen Verdienſte des ftrengen Herm nie völlig zur Geltung
fommen. — Der Hofhalt zu jener Zeit war, wie es unter einem
alten fürftlichen Hageſtolzen wohl nicht anders fein konnte, Teines-
weg3 glänzend. Nur bei befonderen feierlichen Anläfien, bei hoben
Beiuhen fanden größere Dinerd oder Feſte ſtatt. Hofbälle und
Concerte waren felten und von möglichſt kurzer Dauer. Nur
das Theater befuchte der Großherzog regelmäßig in feiner Parterre-
Ioge, aber fein Freund der Gefelligkeit, erfchien er nur felten und
auf Viertelſtunden an den anderen Kleinen Karlsruher Höfen oder
110
in den Däufern der Miniſter und Gefandten. Die gewöhnliche
Tiſchgeſellſchaft bildeten einige Huserwählte: ein alter Jugendfreund
und Maffengefährte, ein pflichtvergeſſener katholiſcher Prieſter, ein
halb militäͤriſcher, halb diplematiſcher Guuſtling, ein dichtender,
trockner Spaßmacher, einige mehr mit ſcharfer Zunge, als gebildetem
Geiſte unlerhaltende Höflinge, mehrere fruͤhere nicht hoffähige
Bekannte u. a. m. Aus dieſer Gallerie hebe ih nur Einen
befonder3 hervor, theils weil er in derjelben bie anziehendfle
Perfönlichleit war, theild weil ih mit ihm am meiſten in Be
rührung kam.
Heinrich Hennenhofer, der feine Laufbahn als Commis
in einer Buchhandlung begann, wurde dem Mintfter von Berftett
zufällig bekannt, durch ihn zuerft als Feldjäger, dann als Kabineis⸗
Courier verwendet. Bald zug er Militäruniform an, flieg nad
einigen Jahren bis zum Major und Tlägelabjutanten des Groß—⸗
herzogs und wurde zugleich im auswärtigen ‘Departement ange:
ftellt, in weicher doppelten Eigenfchaft er eine ungemeine Riuͤhrig⸗
beit entwidelte. Viebling des Türften, defien volles Vertrauen er
genoß, die rechte Hand im Kabinette des Minifterd, vermittelmd,
ausgleigend, im beitindigem Verdehre mit den Diplomaten unb
der Gefellihaft der Reſidenz — fo fand Ih ihn! Die dunklen
Wege, welche Hennenhofer früher betreten haben foll, die ihm sur
Zaft gelegte allzu gefällige Thaätigkeit berühre Ich nicht; einmal
lsegen mir hierfür keine Beweiſe wor und danı ſpreche ich audı
inmmer nur gerne won Dingen, welche ich ſelbſt geliehen und edlebt.
Eine oberflählige Schulbiltung erſetzte Hennenhofer durch Tlaven
Verſtand und einen gewiften Takt, welcher im, gewandt wie er
war, tm Öffentligen Leben felten verließ. Mehr durch Zufall, als
eigenes Zuthun gu einer verhälinigmäßig ſchwindelnden Höhe ges
langt, führte er eben durch 10 Jahre die Exiſtenz eines Empor:
kommlings an einem Tleinen Hofe nicht ohne Geſchick fort. Ich
kenne wenige Falle, in Denen er feinen großen Ginfiuß mißbraucht
111
hätte; er verwendete ihn vielmehr nicht felten zum Guten ober
Binderte manches Schlimme. Seine ausnahmsweiſe Stellung z09
im felhfiverftändlih nur wenige Freunde, um fo mehr Reiber
und erbitterte Gegner zu; er vergalt ihre Angriffe mit Gleich⸗
gültigkeit, und eine gewiſſe natärliche Bonhommie, welche freilich
auch of nur Maske war, Ueß Teine Gehäſſigkeit in ihm auf:
tommen. WMebr eitel ald ehrgeizig, Tab er fih wider Erwarten
in eimen Strubel von Geſchäften und Ränten, in Hof: und andere
Kreife gezogen, welche feinen Jugendeindrücken wie feiner Erziehung
freund waren. Er Tomte fich nie ganz von dem Tone der Karls:
ruber „Waldgaffe losſagen. Seine Schere waren nicht immer
von der feinften Art, und nur mit einigem Zwange eignete er
Ad die Formen der beſſeren Gefelichaft an. Andere fanden ihn
wieder unzuverläffig, falſch; es war dieß jedoch eine beinahe noth⸗
wendige Waffe in feiner eigenthümlichen Lage. Man Hat nicht
nme Hennenhofer's ſchöne Bandfhrit — Den erfien Orund gu
feiner Befdrderung — men hat anch feinen Styl beivundert. Es
it wahr, feine Schreibart hatte einen gewiſſen Schwung; friſche
Gedanten, geſchickke Wendungen wit pafſenden Gitafionen et:
Ardımten in Fülle feiner Feder, dagegen finden wir im feinen
Roten und Briefen gar viele Gemeinplaͤtze und geſuchte oder hoch⸗
trabende Phrafen, mie fie die gemähnliche Kabinetsſprache in ihrer
Sätte und Abrundung nicht kennt. Gennenbofer war «ber amd
viel zu unflät, zu gerftreut, zu ſehr von allen Seiten in Anfpruch
genommen, fein Kopf war mit emer zu großen Menge von Hof⸗
amd polittichen Intriguen angefülkt, als daß er mehr als Die
flüchtige Korrefpondenz des Tages Hätte beforgen Finnen. So
viel über Diefe Hätfte ſeines Lebens. Dem oft berechtigten Tadel,
den er fand, den Anfeindungen und Borwürfen kann man billiger:
weile auch ehrenvolle Züge entgegenitellen.
112
Die Hofbaltungen der drei Markgräfinnen und der
Königin Friederike von Schweden brachten mehr Leben in die
Geſellſchaft, als das ftile großherzogliche Schloß. Es fehlte da
nicht an gefelligen Unterhaltungen aller Art in den, wenngleich
meift beichränften Räumen jener fürftlihden Wohnungen. Die
Markgräfin Amalie war noch immer der Wittelpunft dieſer
gefelligen Hoffreuden; fie ſah täglih Mittags und Abends Leute
bei fi), und an Sonntagen, an denen noch die |. g. Nachmittags-
couren gebräuchlich waren, konnte man ganze Schaaren von Offi-
zieren und Hofherren in Uniform — in einer für naßfaltes Wetter
nicht berechneten Tracht — von einem Palaid zum anderen durch
die Straßen ziehen ſehen.
Die Markgräfin Friedrich war Wittme geworden und be
wohnte mit ihrer Schweſter, der Prinzeffin Augufte von Raffau,
ihr eigenes Haus. Die Marlgräfin, durch ihre Herzensgüte und
unbegrenzten Wohlthätigkeitäfinn, mehr aber noch durch ihre auf:
fallende Erſcheinung bekannt, lebte zurüdgezogen im Familienkreiſe,
welchen der Graf Bismark, württembergifcher General und Geſandter,
der geiftreichen Prinzeſſin Auguste morganatiſch angetraut, vermehrte.
Jeden Sonntag waren da Gäfte zu Tifche geladen und fand nachher
Empfang ftatt. Diefe Cerclis gehörten nicht zu den erheiterndften.
Markgraf Leopold, welder fih 1819 mit der äÄlteften
ſchwediſchen Brinzeifin Sophie vermäplt hatte, bewohnte mit feinen
beiden Brüdern ein ſchönes Palais; auch da gab es zumeilen Tefte.
An einem anderen Drt*) babe ich erwähnt, daß ich mich auf einem
folhen Balle des feltenen Anblicks erfreute, vier Generationen
von Fürftinnen neben einander zu fehen!**)
Die Königin Briederife war damals noch eine fchöne,
ftattlihe Frau; bis zu ihrem bald darauf (25. September 1826
*) Die Frauen in ber Geſchichte II. ©. 854.
**) Die verwittwete Markgräfin Amalie, die Königin Friederike von
Schweden, die Markgräfin Sophie von Baden, die Prinzeffin Alerandrine,
113
zu Lauſanne) erfolgten Tode behielt fie jene anmuthsvolle Würde
bei, die, ein Erbtheil ihrer erlaudten Mutter, fie auch auf ihre
Töchter übertrug. Prinz Guſtav, in ein öfterreichifches Uhlanen⸗
regiment eingetreten, war damals in Mailand.
Ein zu jener Zeit erjchienener Nachruf an die Verklärte
ſchildert in kurzen, rührenden Umriffen ihre denkwürdige Laufbahn;
zuerft ihre Reife mit der fpäteren Raiferin Elifabeth, ihrer Schweſter,
nah St. Peterdburg, dann ihre Verlobung mit König Guſtav IV.
von Schweden, der ihr entgegen eilte und fie zuerft, von ihr nicht
gekannt, zu Erfurt begrüßte, endlih den Beſuch ihrer fürftlichen
Eltern zu Stodholm 1801, der mit dem unerwarteten Tode des
Erbpringen, ihres Vaters, fchmerzlih endete. Dann geht die
Lebensbeichreibung auf der Königin häusliches Glück über, die,
umringt von blühend heranwachſenden Kindern, allgemein beliebt
und verehrt war, und fährt dann fort: „Doc bald zeigte fich in
den Frampfhaften Bewegungen der Gegenwart die drohliche Ge
ftaltung der Zukunft. Die göttliche Vorjehung ließ es in ihrem
unerforfhlihen Gange gefhehen, daß der Boden alter nordifcher
Treue erfchüttert und die Königin 12 Jahre nady ihrer Ber:
mäblung Zeuge einer jener fchredensvollen Kataſtrophen werden
follte, welche die Vergänglichfeit aller irdifhen Dinge jo recht an-
ſchaulich machen. Dod fo groß mar die Anhänglichleit des
ſchwediſchen Volkes, die ſchützende Stärke wohlverdienter öffentlicher
Meinung, daß mitten im Sturme politifcher Leidenfchaften, bei der
Lockerung der heiligiten Bande Niemand die Königin perfönlidh zu
bedrohen wagte. Der Adel ihrer Seele, die farte Gewiffenhaftig-
teit, der Gattin beiliger Eid ließen fie in ihrem Entfchluffe keinen
Augenblick ſchwanken. Gottergeben wie immer nahm fie die Krone
von ihrem gefalbten Haupte und vertaufchte die Gemächer ber
Königäburg mit der Gefangenfhaft zu Gripsholm. Ein Jahr
nachher verließ fie mit dem König und ihren Kindern das Reich,
der Welt ein erhabenes Beifpiel muthiger Entfagung und wahrer
Ich. v. Andlaw. Wein Tagebug, I. 8
114
Seelengröße. Ihr Gottvertrauen, ihr reines Bewußtſein erhob
fie aber auch über noch weit fchmerzlichere Schickſalsſchläge und
berbe Erfahrungen. Doc zogen allmälig, im Anblide ihrer
Kinder, deren Erziehung fie mit zärtlicher Dlutterliebe leitete, an
der Seite theuerer Verwandten die Bilder der Vergangenheit in
milderem Lichte an ihr vorüber; eine heiterere Zukunft fchien ihr
beihieden — da raffte fie im 46. Lebensjahre eine fchmerzliche
Krankheit dahin! Wenige Monate zuvor mar ihr Die ruffiiche
Kaiferin-Wittwe vorangegangen, und das Schweiterpaar, das 30
Sabre früher, im Glanze der Jugend und Scyönheit, zweien Nady-
barreihen zur Freude und Bier, nordiſche Throne beitiegen, feierte
nun ihre Wiedervereinigung im Senfeit3! ” *)
Viele verwandtichaftliche Beziehungen, ſowie die geographifche
Lage des Landes brachten immer eine große Zahl fürftlicher Beſuche
nad Karlsruhe, Mannheim, Baden und Brudfal. So erſchien
unter anderen 1817 zur nicht geringen Berlegenheit des Hofes
die ertranagante Queen Karoline, welche auch Karlörube zum Schau:
plate ihrer ſeltſamen Abenteuer auserfehen wollte. Doch blieb fie
nicht lange, und ich fah fie Leider nie. Eine andere, willfommenere
Eriheinung war die Landgräfin Friedrich von Heffen:
Homburg, melde öfter ihre Tante, die Markgräfin Amalie,
befuchte. Dieſe Tochter Georg? III. hatte ſich erft nach gefchloffenem
Trieden, ſchon ziemlich bejahrt, vermählt, eine Dame von ganz
ungewöhnlihdem Umfang, an Körperfülle nur mit der Markgräfin
Friedrich zu vergleichen. Dabei war fie mit Federn, Ketten, Ringen,
Juwelen und anderem Schmude bededt, und wäre bei ihren eigenen
Manieren lächerlich geweſen, wüßte man nicht, daß fie die
*) Vergl. die Königin Friederike von Schweden. Bon einer Hofbame.
Frankfurt. Sauerländer. 1857.
115
Borfehung ihres Meinen Landes war, und ihre mohlwollende Güte
wahrhaft königliche Großmuth übte.
Die Karlsruher Gefellfhaft bewegte fi damals in gewiſſen,
eng beichränften Kreifen. Politische Geſpräche fanden keinen gün-
fligen Boden; mit um fo größerem Eifer warf man fi auf Hof:
und Stadillatichereien, melde jelbit daB gemöhnlihe Map Hein:
refidenzliher Commerage überfchritten. Das diplomatifhe Corps
flimmte, mehr mit der Zunge als der Feder thätig, denn auch in
diefen Ton ein, und erwarb ſich dadurd die Benennung eines
„Corps diabolique.“ Wa3 die Intrigue erfonnen, die Läfter:
fhule zu Tage gefördert, trugen einige gefhäftige Hofherren mit
mehr oder minder Geift von Haus zu Haus; das Geſchlecht der
Ifflandiſchen und Kobebueilhen Kammerjunker war nody nicht aus:
geftorben! Wie wichtig erfchien damals mitten in diefem Treiben,
diefen Empfindlichkeiten und Pleinlichen Neibungen — was jetzt
faum mehr der Erwähnung werth — une temp£te dans un
verre d’eau, wie e8 der preußifche Geſandte nannte. Doch gab
es in den Ungebungen des Hofes auch Ehrenmänner, auf die ich
zurüdtommen werde, einige ältere Herren, die, wie Geheimerath
v. Stetten und Graf Benzel, in ihrer originellen Weife nicht ge:
rade Medisance oder unanftändige Wite zu Hlilfe nehmen mußten,
um zu unterhalten. Unter der großen Anzahl von Generalen
zeichneten fi) v. Schäfer, dv. Freyſtedt, dv. Laffolaye, v. Gailing,
v. Stodhorn u. a. durch Talent oder treue Ergebenheit aus.
Schäfer, mit feiner einnehmenden Perjönlichleit und dem fchönen,
norddeutfchen Dialekte vertheidigte mit Erfolg und Würde die
Rechte der Krone in den Kammern, und war im Kabinette, mie
bei der Armee an feinem late.
Das Theater war im Ganzen gut, doch wie feine Leiftungen
den Hauptgegenſtand des Stadtgeſprächs bildeten, jo wurden fie
denn audy fortwährend mit beißenden Tadel überfchüttet, was den
„finſteren“ Intendanten Auffenberg noch menſchenſcheuer ſtimmte.
8*
116
Gaftipiele berühmter, fremder Künftler waren nicht felten, während
einige gute einheimifche zweckmäßig verwendet werden Tonnten; Doch
die mahre Perle der Hofbühne blieb immer Amalie Neumann:
Morftadtt. Im Jahre 1810 hatte ich fie in ihrem 11. Jahre
zum erftenmale al3 Oberon auftreten fehen. Nun fand ich fie als
junge, ſchöne Wittwe wieder, meldhe fih bald darauf mit dem
befannten Tenoriften Haizinger vermählte. 50 Jahre ſpäter erfreute
fie ſich noch in frifcher Kraft ihres unvergleichlichen Talentes auf
der Wiener Hofburgbühne eines feltenen Feſtes (1860).
Meine Amtzthätigkeit im Minifterium konnte damals ihrer
Natur nach jedenfalls nur fehr untergeordneter Art fein; doch war
für mid; während derfelben ein Moment von großer Wichtigkeit.
Ich befuchte nämlih im Sommer 1824 mit dem Staatöminifter
v. Berftett den Fürften Metternih auf dem Johannisberge,
ein intereffanter Aufenthalt, der fi durh Wochen hinzog. Wir
hatten die niedliche Billa de Herrn von Quaita am Fuße des
berühmten Weinberges bezogen, und da die gaftfreundlichite Auf:
nahme gefunden.
Don der Familie des Fürften Metternih war damals deſſen
erſte Gemahlin, Eleonore geb. Fürſtin v. Kaunitz mit ihren beiden
noch ſehr jungen Töchtern, Leontine und Hermine, ſodann ſein
einziger Sohn Victor anweſend. Die Fürſtin Eleonore hatte bei
einer überaus ſchwächlichen Geſundheit, welche ihr die Erfüllung
der Pflichten ihres Standes doppelt läſtig machte, das 50. Jahr
erreicht. Alle, welche ſie früher und näher kannten, rühmten ihren
gebildeten Geiſt, ihre vortrefflichen Eigenfhaften. Eine zunehmende
Kränklichkeit hielt fie aber immer mehr von der Gefellihaft zurüd,
und aud) auf dem Johannisberge erſchien fie nicht regelmäßig bei
Tifhe oder im Salon. Sie ftarb ein Jahr nachher (März 1825)
zu Paris, wo fie in der lebten Zeit gelebt hatte. — Victor, der
117
Botſchaft in Paris beigegeben, war ein ſchöner Jüngling von edler
Haltung und den feinften Manieren.
Der Fürft Metternich felbft, damal3 51 Jahr, war noch
rüftig und heiter, Teutjelig wie immer, doppelt froh aber, ſich auf
feinem Lieblingsfig zu befinden. Es iſt ſchwer, fich jet, mar man
nicht felbft Zeuge, eine Borftelung von dem bewegten Leben zu
wachen, welches die jeweilige Anweſenheit des Fürſten begleitete.
Die Vereinigung von großen Herren und Diplomaten, welche man
auch während diefer Sommerzeit auf dem herrlich gelegenen Schloffe
des Rheingaues fah, war eine ungemein glänzende. Deutſche Bundes:
fürften — der Großherzog von Sachſen-Weimar, der Herzog von
Naffau, der Landgraf von Heſſen-Homburg, Fürft von Reuß-Greiz
— dann Prinz Friedrih von Sachſen, Prinz Emil von Hefien,
die Minifter beinahe aller deutfchen Höfe, Botichafter, Bundestag:
gefandte, Generale, der benachbarte Adel, Freunde und Belannte
von Nah und Fern verfammelten ſich bier, und die Tafel in dem
großen Saale mit der prachtvollen Ausfiht auf den Rhein enthielt
täglich über 30 Gäſte. Unter ihnen gab ed Namen von gutem,
altem Klange, bewährter, ftaat3männifcher Berühmtheit, Andere,
welche fpäter eine hervorragende Rolle fpielen follten, wie Münd-
Bekinghaufen. Caraman vertrat Frankreich, Tatifiheff Rußland,
Hatzfeld Preußen, Graf Münfter Hannover. Die Yürften Paul
Eſterhazy und A. Schönburg mit einer ganzen Schaar öfterreichifcher
Diplomaten — Spiegel, Hruby, Binder, Mercy, Kreß u. a.
ſchloſſen fi ihnen an, und Frankfurt ſchickte ung beinahe jeden
Tag einige Herren aus dem Bundespalafte: Goltz, Nagler, Grüne,
Beuft, Gruben, Handel, Blitterdorf u. a. m. Much der rufjifche
Anftett, der engliihe Sir Hamilton Seymour erfchienen öfters,
Maucler, du Thil, Rivalier, Marfhall u. a. endlih verhandelten
und befprachen fi mit dem Yürften im Namen und Auftrage der
füddeutfchen Regierungen. Couriere gingen tägli ab und zu, und
felten wurde es vor zwei Uhr früh ftile auf dem gaftlichen Schloffe.
118
Ach entnehme obigem langen DVerzeichniffe zwei Namen zu
einer näheren Belprechung.
Tatiftheff, durch fo viele Jahre der Repräfentant Ruß:
lands am k. f. Hofe, deſſen volle Vertrauen er fo gut wie Die
Gunſt feiner beiden Kaifer Alerander und Nikolaus befaß, war ein
feiner, begabter Diplomat. In Außerft ſchwierigen Verhältniffen
wußte er Gemandtheit mit einem fich ftet3 als rechtlich erwieſenen
Sinne zu verbinden. In Wien bielt er, gaftfrei und prachtliebend,
ein wahrhaft fürftliches Hans. Stolz auf Geburt und Rang,
weigerte er ſich einen Titel anzunehmen, da nah dem Wahlſpruche
feineg Wappend? — pas donne — feine Familie älter fei, als
alle verliehenen Titel. Mandye fanden fein Wefen abftoßend, wozu
feine Peine, gedrungene Geftalt, eine Falte, vornehme Haltung, ein
gewiffes Nafenrümpfen beitragen modten. Auch ein durchaus nicht
angenehmes Geſicht, welches feine Abkunft von Rurik nicht ver:
leugnen konnte, fchredte Viele ab, während eine nähere Belannt-
Ihaft, die Würdigung feiner warhaft guten Eigenfchaften für ihn
einnahmen. Im Gegenfab zu Tatiſtcheff's äußerer Erſcheinung
ftand feine Frau, noch in vorgerüdten Jahren von überrafchender
Schönheit und wohlmollendem Welen. Auf einer Reife nach Ruß—
land brach ihr Wagen auf dem Eife eines Fluffes durch unb fie
ftarb bald darauf in Folge der Erkältung. Mit dem Glanze
feine Poſtens erbleihte aber auch der Stern des Tangjährigen
Botſchafters. Als Privatmann, erblindet, ſchloß er fein Leben in
keineswegs glänzenden Verhältniffen 1845 zu Wien.
Mit ZTatiftcheff zugleih auf dem Johannisberg befand ſich
Fürft Hapfeld, der preußifhe Gefandte. Sein Name war in
früherer Zeit oft genannt; von Napoleon zum Tode verurtheilt,
wurde er durch feine Gemahlin, eine geb. Gräfin Schulenburg
gerettet, weldhe 1806 in Weimar die Gnade de3 mächtigen Cäſar
auf den Knieen erflebt hatte. Und ein Sohn diefer Ehe mar
119
merfwürdiger Weife jpäter Gefandter Preußens am Hofe Napoleons IIT.,
mo er 1858 ftarb.
Die alten Habfeld aber lebten lange Zeit in Wien im fchönen
Frieſiſchen Haufe, mo fie bei einer zahlreichen, beionders mit
Töchtern gefegneten Familie täglich Leute faben. Der Yürft mar
ein harmlofer, in der Geſellſchaft beliebter Greis gemorden; gaft:
freundlich, nicht ohne Eigenthümlichkeiten, nahm er gern an allen
gefelligen Vergnügen Theil; doch nicht felten fah man ihn auch
auf dem Markte einkaufen und große Fiſche oder andere Vorräthe
unter dem Mantel nad Haufe tragen. Die Yürftin unterftübte
ihn bei diefen häuslichen Freuden, und verleugnete auch im Alter
ihren entſchiedenen Charakter, fowie den mit vielem Geifte verbun:
denen Ordnungsſinn nicht. Hatzfeld ftarb 1827 hochbejahrt zu Wien.
Es war aber jene Epoche der Sohannisberger Zukunft auch
deßhalb fo merfwirdig, weil man fie ala den Höhe: und Glanz:
punkt der Volitik bezeichnen kann, welche man jene der heiligen
Allianz zu nennen pflegte. Dieſes auf religiös-fittlicher, nur zu
idealer -Bafld gegründete Bündniß verdankte feine Entitehung einer
ſchweren Prüfungszeit, aus der Europa glüdlich hervor gegangen
war. 3 follten die damit aufgeftellten Grundſätze dem göttlichen
Nechte wieder Geltung verichaffen, und den überjchäumenden Wellen
der Revolution einen Damm ſetzen; fie follten ferner die Welt
vor den Greueln der 1790er Jahre bewahren, die Völker aber
zugleich vor dem Drude der Eroberer oder Fünftiger Tyrannei ber
Militärbeipoten, wie der Demagogen ſchützen. Ziel und Abfichten
dieſes Heiligen Bundes waren daher die edeliten, reinjten, uneigen-
nüßigften, und ein mehr der liberalen Anfchauung zuneigender
Scähriftfteller *) bemerkt darüber: „Durch Kaiſer Alerander ſah die
Melt zum erftenmale die Stiftung eines Bundes, der in der Politik
anzig nur die Grundſätze der Religioſität, des Friedens, der
*) Varnhagen: Denkw. I. 201.
120
allgemeinen Wohlfahrt anerkennt, und bei aller Unvollkommenheit,
welche den menſchlichen Abfichten in ihrer Anwendung beigegeben
ift, für immer das ehrenvollfte Denkmal fein wird, mo Sieg und
Macht den reinften Zwecken Huldigtn. Die Möglichkeit eines
folchen Bundes konnte fidy nur auf die gleiche Gefinnung der Mit-
verbündeten gründen, auf ihre gleich religiöfe, menjchenfreundliche,
friedliebende Denkart. Diefe erkannt und gewürdigt, fie vereint
zu haben in gemeinfam ausgeſprochener Verpflichtung wird immer
das hohe Verdienft Aleranders bleiben.”
Aber eben die folgerichtige Durchführung war eine, menjch:
liche Kräfte beinahe überfteigende, und ſchon die theoſophiſch-philan⸗
thropiſche Richtung ded Bundes kam vielfah in Widerfprud mit
den Mitten, melde er zur Vollziehung feiner Pläne und Be:
ichlüffe zu ergreifen gezwungen war, meßhalb feine Wirffamteit
anfangs gelähmt, dann gehemmt, zulegt unmöglich wurde. Weber:
dieß war jedoch auch voraudzufehen, daß drei Monarden, von
welchen jeder eine andere hriftliche Konfeflion befannte, auf die
Länge ebenfo wenig einer entfchieden gleichen religiöfen Richtung
folgen würden, als fie diefelbe politiiche Tendenz einhalten Tonnten.
Dabei flürmten von allen Seiten erbitterte Feinde auf die heilige
Allianz ein; doftrinäre Verfechter der ihr feindfeligen Theorieen,
wie die fanatifchen Männer de Umſturzes griffen fie mit ver:
einten Waffen des Spottes und der Lüge an. Man verjchrie die
Grundfäte wie die Maßregeln des TFürftenbundes, legte ihm fremd:
artige Zwecke unter und beflagte heuchleriſch oder unverftändig die
Periode feiner Thätigkeit ald eine Völker unterdrüdende, unheil⸗
volle, troſtloſe. Es find jedoch nicht dieſe Vorwürfe, welche
unbefangene Geihichtsfreunde gegen die heilige Allianz zu erheben
wiffen; eine dem Parteitreiben der Gegenwart entrüdte Zukunft
wird jenen gutgemeinten Abfichten und zeitgemäßen Beichlüffen
gerecht fein. Das Bündniß genügte den Anſprüchen, dem Geifte
der Epoche feiner Entftehung und hatte feine Aufgabe erfüllt.
121
Allein darin ſtimme ih völlig der Anficht vieler Staatsmänner
bei: daß, traten andere Zeitverhältniffe ein, mit ihnen auch, nach
den jeweiligen Erforderniffen, die europäiſche Politik hätte modifizirt
werden müflen. Es fcheiterte das Syitem an dem ſtarren eilt:
halten feiner Grundfäße bei gänzlich veränderten Umftänden. Von
jener Zeit (1824) an quälte man fit dur 24 Jahre ab, die
immer mehr durchlöcherten Pergamente der geichriebenen, nicht
mehr befolgten Staatöverträge zu fliden, die alten, unpaffenden
Artikel dur neue zu erfeßen. Mit dem Tode des Kaiſers
Alerander (Dezember 1825) war die Hauptitüge der Allianz ge
broden, und an den Machthabern war e8 nun, auf neue, zeit
gemäßere Bahnen einzulenten. Immer aber ſchwebte die Furcht
vor einem allgemeinen, verheerenden Kriege, vor dem Ueberhand⸗
nehmen der revolutionären Umtriebe zurüd, und jo zog ſich denn
der Bund, ein vorübergehendes Uebereinfommen mit den Ereigniffen
des Jahres 1830 treffend, bis zur verhängnißvollen Rataftrophe
von 1848 fort. Einen AOjährigen Frieden, immerhin beffer als
der 3Ojährige Krieg des 17. Jahrhunderts, müſſen wir nun
freifih mit einer alle Begriffe überjteigenden Verwirrung und
Prinzipienlofigkeit bügen! Und dennoch! nenne man nun jene Zeit
die des Druds, der Verfinfterung, des Stillſtands, der Reaktion,
wie man immer wolle, fie mar wentgftend eine Epoche des allent-
halben zunehmenden Wohlitandes, wichtiger Erfindungen, einer
ungetrübten Ruhe. Werden die PVerächter, Verläumder und
Gegner jenes politischen Syſtems ung mährend einer ebenfo langen
Zeit auch nur annähernd befriedigende Zuftände verfchaffen, das
Glück, das fie immer geträumt, aber nie erreicht, berbeizaubern,
fo wollen wir unbedingt in ihren Tadel einftimmen. Fürſt
Metternich aber, einer der erften Träger jener Congreßpolitil,
fonnte damals mit einigem Wohlgefallen auf fein 15jähriges
minifterielled Wirken zurückſehen, wenn er die Lage Oefterreichs,
ja die Lage Europa’3 von 1810 mit jener 1824 verglih. Ich
122
laſſe über jene Zeit wieder VBarnhagen fpreden: „Die merk-
würdige Thatſache, daß bisher dur alle Veröffentlihungen nur
immer beller und heller das Berdienft, nur immer ftrahlender der
Ruhm des Fürften Metternich hervorgegangen, beftätigt fih auch
bier; gerade durch die bekannt gewordenen Aktenſtücke muß jeder
Unbefangene ſich überzeugen, daß die damalige Politik Oeſterreichs,
fowie die mit ihr einftimmende Preußens, die einſichtsvollſte, be⸗
fonnenfte, mäßigfte geweſen u. ſ. mw.“
Die vielen diplomatiihen Beiprechungen und Schreibereien
auf dem Johannisberge wurden häufig durch Feſte oder Ausflüge
in die reizende Umgebung unterbrochen; Mainz, Wiesbaden, Bingen,
der Niederwald, alle die berühmten Weinorte längs dem Rhein⸗
ufer, Marienthal, Schlangenbad u. a. m. wurden der Reihe nad
beſucht. Kine Einladung eigenthümliher Art ließ der Herzog
von Naffau an und ergehen. Es war ein Yrühftüd, das in dem
‚fürftlichen Keller zu Eberbach ftattfand. Die Säfte verfuchten
da über dreißig verfchiedene Sorten der beiten Rheinweine: Hoc:
heimer, Steinberger, Markbrunner u. a. Dieß wiederholte Nippen,
die Atmofpbäre in den glänzend erleuchteten Kellergewölben bemirkte
bei dem SHeraustreten an dad Tageslicht einigen Schwindel.
Auf der Hin⸗ und Herreife hielten wir und aud einige Tage
in Frankfurt auf. Diefe Stadt, ſchon anziehend an ſich, wurde
es noch mehr durch die Geſellſchaft, mit der ich fie damals fah.
Man bemühte fih um die Wette, die diplomatifchen Gäfte einzu-
laden, und war es denn, außer den Gefandten, zunächit die Familie
Rothſchild, melde ſich, wie gewöhnlich, diefe Ehre nicht nehmen
lief. Ih wurde Bier zuerft mit dieſem gewichtigen Gefchlechte
befannt und begegnete fpäter gar vielen feiner Mitglieder an ver:
fhiedenen Orten. Die Zeitverhältniffe waren damals Iſrael nicht
günftig; noch ertönte das kaum verflungene widerliche, Hepp⸗Hepp“⸗
Geſchrei in vielen Ohren, und beinahe täglich ergößte man fich
auf irgend einem Theater an der wißigen, aber boshaften Poſſe:
123
„Unfer Verkehr”. Die Rothſchild fanden fi) weniger al3 Andere
von diejfem tollen Treiben berührt; ihre Macht war fchon zu feit
gegründet, und in der That ift es ein eigened, nur unferem Jahr:
hundert vorbehaltened Schaufpiel, eine jüdiihe Yamilie fo großen
politifchen Einfluß üben, den Geldmarkt in folcher Weife beherrfchen
zu ſehen. Sedenfall3 ift die zähe Beharrlichkeit zu bewundern,
mit der die Rothſchild ihrem Ziele nachgeftrebt und es in Turzer
Zeit erreicht hatten. Ihr mit feiner Berechnungsgabe nur auf
Erwerb gerichteter Sinn ließ fie feinen Tag ruhen. Mit dem
Glück im Bunde verlieh ihnen dieje Rührigkeit einen Reichthum,
eine Stellung, um die fie Viele beneiden, welche fie aber meniger
als manche andere Geldgrößen mißbrauchen. Viele edle Züge,
mahrhaft großmütbige Handlungen, freilich nicht immer frei von
einer gewiljen Oftentation, erzählt man fih von einzelnen Gliedern
dieſer Familie, während wieder andere ihr Geſchäft mit einer klein⸗
lichen Aengftlichfeit, einer Engherzigkeit betreiben, die nur ihrer
Taktlofigfeit im gejelligen Leben gleihlommt. Die Vorjehung bat
die Rothſchild nicht, wie mit Geld, aud mit Törperlichen Reizen
bedacht. Die aus bekannten Gründen angenommene Gewohnheit,
die Ehen meiſtens nur unter ſich abzufchließen, Tann jenen Uebel:
ftand nur erhöhen, und wirflih wird dieſe Familie mit jeder
Generation Kleiner und fehmächtiger. Aus Weberzeugung, vielleicht
auch in der Abficht, das Glück an ihre Unternehmungen zu fefleln,
find die Rothſchild ihren religiöfen Traditionen treu geblieben,
und muß auch ihr früheres patriarchalifchseinfaches Weſen einem
fteigenden Lurus, einer eleganten Gaftfreundfchaft immer mehr
weichen, fo halten fie doch, einig unter fi, an gewiſſen Lebens:
regeln und Grundfäben feſt. Zu jener Zeit nun faßen noch
Mapyer-Anfelm und feine Frau wie Fremde an einer Ede ihrer
eigenen Tafel, ohne die den Gäſten vorgefeßten Speifen zu be:
rühren. Er hatte den Fürften Metternich zu einem Diner ein-
geladen, einigen jüngeren Diplomaten und mir aber mit Bedauern
124
bemerft, daß er Feinen Plab mehr für ung babe, es ihn jedoch
freuen würde, wenn wir bei'm Deffert ericheinen mollten. Wir
machten jedody von diefer, gemöhnlih nur Kindern ertheilten Er:
laubniß Teinen Gebrauch. Zu jener Zeit fand in Yrankfurt die
Vermählung des Parifer Rothſchild, James, mit feiner Nichte, der
Tochter Salomons, ftatt: große Weterlichkeit, bei der die ganze
Tamilte zugegen war! In dem alten Rothſchild'ſchen Haufe in
der Judengaſſe lebte aber noch immer, von der liebenden Sorgfalt
ihrer Kinder umgeben, die alte Stammmutter diefer neuen Dynaftie,
eine zweite Lätitia, welche dad Alter von beinahe 100 Jahren
erreichen follte.
Vom Rheingau zurückgekehrt, verlebte ih in Karlsruhe noch
zwei Sabre, angenehm umgeben, in abmechfelnder, intereffanter
Beſchäftigung. Größere Ausflüge unternahm ich nad der ftets
theuern Vaterftadt, nach dem freundlihen Mannheim, dem immer
mehr aufblühenden Baden-Baden. Während ded Sommeraufent-
halts der Marfgräfin Amalie fanden öfter auf dem niedlichen
Schloßtheater in Bruchſal dramatifche Vorftelungen ftatt, an denen
ih Theil nahm. Im UWebrigen war jene Epoche eine politifch
ruhige, ohne melthiftoriihe Begebenheiten. Das Ableben Lud⸗
wig3 XVIH. wie Ferdinands von Neapel ging faft ſpurlos vorüber,
und der Tod des Königs von Bayern war zunädft nur für
Baden von größerer Bedeutung. Das Sterbelager in Taganrog
aber war ein Ereigniß von fo hochwichtigen Folgen, daß ed als
der Anfang eined neuen europäifchen Staatenſyſtems betrachtet
werden Tann.
Nachdem 1820 die Prinzeffin Mlerandrine, jekige Herzogin
von Sachſen⸗-Coburg⸗-Gotha, geboren, wurde das großherzogliche
Haus am 15. Auguft 1824 durd die Niederfunft der Mark:
gräfin Sophie mit einem Erbprinzen erfreut. Glänzende Hof:
feierlichfeiten, öffentliche Beluftigungen folgten.
125
Im Februar 1826 trat ich die eigentliche dipfomatifche Lauf:
bahn an, da ich zur großherzoglihen Gefandtihaft nah Wien
verjegt wurde, zuerft in der Eigenjchaft eines Attuche’3, dann als
Legationsſekretär, ſpäter ala Gefandtfchaftsrath und Gefchäftsträger.
Dreißig Jahre — big zum Jahre 1856 — widmete ich
mih nun diefem Berufe, und brachte diefelben an folgenden
Orten zu:
Dom März 1826 bis uni 1830 in Wien.
Dom Juli bis Oltober 1830 in Paris.
1831 in Karlsruhe.
Vom Mai 1832 bis November 1835 in Wien.
1836 und 1837 in Karlsruhe: als Math bei dem Großh.
Minift. d. a. 4. |
Bom April 1838 bis Juni 1843 in Münden: als Ge-
ſchäftsträger und Minifter-Refident.
Bom Juni 1843 bis Juni 1846 in Paris: in letzterer
Eigenſchaft.
Vom Juli 1846 bis Juli 1856 (mit Unterbrechung der
Revolutionsjahre) in Wien: als außerordentlicher Ge:
ſandter und bevollmächtigter Miniſter. |
Einen Theil der während diefer Tangen Zeit in Wien, München
und Paris gefammelten Erfahrungen babe ich, wie fchon erwähnt,
in den „Erinnerungsblättern” niedergelegt. Die folgenden Auf:
zeichnungen fügen fi) nun jenen Bemerkungen, fie ergänzend oder
berichtigend, an. Ich werde darin mehr die perjünlichen Begeg⸗
nungen und Eindrüde hervorheben, und hoffe, daß dieſe Darftellung
weder fühlbare Lücken noch Wiederholungen enthalten foll.
—— — — a un
126
Sechster Abſchnitt.
—i LEI —
(1826 — 1830.)
Snhalt: Wien. Ueberfiht. General v. Tettenborn. Der Kaifer Franz
und der Wiener Hof, Salons Silhouette des Fürften Metternid.
Seine Geihwifter und Kinder, Die Familie Leyfam. Xob ber Gräfin
v. Beilftein und Victors. Diplomatifhes Korps. Wiener Volke:
und Öffentliches Xeben. Der ruſſiſch-türkiſche Krieg. Die griechiſche
Frage. Badische Angelegenheiten. Streit um bie Pfalz. Der Herzog
Karl von Braunfhmweig. Drei Reifen. KXobesfälle. Die große
Meberfhmemmung in Wien. Tob, des Großherzogs Ludwig. Ber:
Änderungen. Wbberufung von Wien, “
Wien erfchien mir in einem ganz anderen Lichte ald vor
acht Jahren, wo ich es als reifender Student befuchte. Ach follte
nun in das Öffentliche Geſchäfts- wie in das gefellige Leben ein-
geführt werden. Iſt ein folder Einftand in jeder großen Stadt
ſchwer, fo war er es doppelt in Wien, das eben nicht im Rufe
ftand, den Tremden die erfte Schritte zu erleichtern. Die diplo-
matifhe Zurückhaltung, wie die Ausjchließlichleit der Geſellſchaft
waren dort größer als irgendiwo. Nähere Beziehungen, in melchen
id) fchon früher zu einigen Wiener Häufern geftanden, ſowie die
verwandtichaftlichen Verhältniffe zu dem Fürften Metternich kamen
mir dabei vielfah zu gut. Meberdieß fand ich aber in der
Perſönlichkeit meine® Chefd, des Generallieutenants Treiherrn
v. Tettenborn, einen fo überaus willlommenen Anhaltspunkt, in
feinem gaftfreien, mir unvergeßlichen Familienkreiſe eine jo freundlicye
127
Aufnahme, daß ih mi bald heimiſch fühlte. Kettenborn hatte
damals das 50. Jahr noch nicht erreicht, eine ritterlihe Geſtalt,
einer jener Charaktere, wie fie bie und da in der Geſchichte auf
tauchen, zu großherzig für gewöhnliche Abenteuer, zu unftät, un:
geftüm und kriegsluſtig, um fi den alltäglichen Anforderungen
des Lebens zu fügen. Dieß war der Mann, zu dem mid) mein
Geſchick durch beinahe 20 Jahre in fo nahe Berührung gebracht.
Seine in halb Europa bekannte Erfcheinung, die faſt beifpiellofen
Wechfelfälle feines Lebens, feine heldenmüthige Tapferkeit, welche
mit der Liebenswürdigkeit feined Umgangs gleichen Schritt hielt,
al dieß find oft gefchilderte Wahrnehmungen! Kine eigentliche,
erihöpfende Biographie dieſes immerhin denfwürdigen Mannes
fehlt aber noch. Was biöher über ihn gefchrieben, bezieht ſich
meiftend nur auf die militärifche Thätigkeit des Tühnen Reiter⸗
generald. Mit heißem Blute, mit hochanſtrebendem, nicht leicht zu
bändigendem Sinne trat Tettenborn, noch im jugendlichen Alter, in
die öfterreichifche Armee, wo er ſich bald durch feltenen Unter:
nehmungsgeiſt und einen Muth auszeichnete, der vor feiner Gefahr
zurüdichredte. Er war Kriegsmann mit Leib und Seele, und
verwendete, Maren und lebhaften Geiftes, feine nicht gemöhnlichen
Gaben weniger zu einer gehörigen Ausbildung als zur Beiriedigung
eine? nad Thaten dürftenden Ehrgeizes. Zwanzig Jahre feine?
Leben? gehören daher der neueren Kriegdgeichichte an. rn vielen
Schlachten, mit Scharfblid und Geiſtesgegenwart thätig, erwarb er
fih bald den Therefienerden. Als Adjutant dem Fürften Karl
Schwarzenberg, während defien Botihaft in Paris, beigegeben, ent-
faltete Tettenborn nun bier auch feine geſellige Gemwandtheit,
ſchwelgte in den Freuden der Hauptſtadt, und zog fi den Haß
Napoleon’3 zu, den er ihm aus ganzer Seele zurüdgab. Hier
wohnte er dem unglüdlihen Brande bei dem Ballfeſte bei, und
unternahm 1811 jene merkwürdige Courierreife, um die Nachricht
der Geburt de3 Königs von Rom nad Wien zu überbringen.
128
Er Tegte den Weg von Paris nad Straßburg zu Pferde zurüd,
holte den franzöfiichen Boten, welcher die letztere Stadt 24 Stunden
früher mit der telegraphifchen Depefche verlaffen hatte, im Wagen
noch vor den Thoren von Wien ein, und übergab dem Kaiſer
Franz ein paar eigenhändig von feiner Tochter gejchriebene Worte.
Doch war Tettenborn wegen Verlegenheiten manderlei Art
genöthigt, bald Parid gegen eine Heine Garnifon zu vertaufchen,
und den öfterreichiihen Dienft fpäter ganz zu verlaſſen. Er trat
mit einigen anderen Kameraden zur ruffiihen Armee über, und
bier war ed nun, wo er 1812 den welthiftorifchen Feldzug mit:
machte, dann ein Freicorps bildete, Berlin überrafchte, mit feinen
Kofaden Hamburg befreite, Bremen einnahm, fiegreih, wohl auch
Schreden verbreitend, die franzöfiihen Truppen allenthalben ſchlug,
und endlich nach vielen glorreihen Waffenthaten mit den Alliirten
in Baris einzog. Gleiche Thätigkeit entwidelte er im fahre 1815.
Solche außerordentliche Begebenheiten fagten dem Triegerifchen Geifte
Tettenborn’3, wie feinem abenteuerlihen Sinne zu; dabei machte
er unermeßlihe Beute. Doch nun, da er gerade mit 38 Jahren
in voller Manneökraft jtand, war auch feine glänzende Feldherrn⸗
laufbahn abgeſchloſſen. ZTettenborn lebte fortın in großen Städten
oder Bädern, freigebig wie ein Fürſt, mit verfchwenderifcher Pracht.
In Baden ſchloß fi Großherzog Karl an Tettenborn an, und
beitimmte ihn, der in Raftatt geboren, eigentlich dem Lande ange-
hörte, den ruffifchen Dienft zu verlaffen. Tettenborn nahm nun
lebhaften Antheil an den für Baden fo wichtigen ftaatzrechtlichen
Tragen, und blieb in treuer Anhänglichfeit jenem Yürften ein un:
zertrennlicher Gefährte bis zu deffen 1818 erfolgten Tod. Nun
trat Tettenborn den ihm ſchon früher beftimmten Gefandtichaftz-
poften in Wien an, eine neue Lebenöperiode, weniger brillant,
weniger glüdlich, als die erfte, dennod nicht ohne anziehende Mo:
mente. Tettenborn war ſchon 7 Jahre in dieſen Verbältniffen, als
ih in Wien eintraf. Er bewohnte das Meine Batthyanifche Haus
129
am Franzensthor, deflen befchränften Räume felten von Befuchenden
und Gäften leer waren. ch Könnte ganze Seiten mur mit den
Namen anfüllen der vielen FYürften, Grafen, Generale, Staats-
männer, Gelehrten, Künftler, welche das gaftliche Haus bemirthete;
mit den Trägern der edelften Geſchlechtsnamen wie mit feinen
alten Waffengefährten eng befreundet, verfammelte er fie lieber um
fi, und vermied, wo er e3 immer konnte, größere Zirkel.
Tettenborn war Gewohnheitsmenſch geworden, machte nach den
Geſchäftsſtunden jeden Morgen regelmäßig einige Befuche und
brachte dann am liebiten Mittag und Abend unter Bekannten zu,
wenn er nit das ihm angenehme Burgtheater befuhte. Kine
Ehe, unter feltjamen Umftänden eingegangen, fiel glüdliher aus,
ala man erwarten Tonnte; feine Trau, ihm von ganzer Seele er:
geben, theilte mit ibm die Zärtlichkeit für einen einzigen Sohn,
Alexander, einen lieblihen Knaben, daB fefte Band, welches Ddiefe
Che umſchlang. Nichts gli dem Reize feined Umganges, dem
woblmollenden Weſen, mit dem er die außgezeichnetften, wie die
unbedeutendften feiner Gäfte behandelte. Gleichweit entfernt von
foldatifcher Anmaßung und gedifcher Gefallfucht wußte er die Mitte
zu balten zwifchen einem ſtolzen, fi feiner Siege bewußten Be
nehmen und einer fi der Höflingsart nähernden Zuvorkommen⸗
beit. Sein Auftreten war feit, männlich, aber tabei doch fo ge-
winnend, daß fi) gar wohl der Zauber erklären Tieß, welchen
Tettenborn, befonderd auf Srauen, ausübte. Bon einer ungewöhn-
lihen Körperftärfe, einer unverwüftlichen Gefundheit, welche Erceffen
aller Art, Kriegsſtrapatzen und nie ganz völlig gebeilten Wunden
widerftand, war er auch gewandt in allen Leibesübungen, ein aus:
gezeichneter Reiter und die Fama wußte zu jeder Zeit von den
Romanen zu erzählen, die er nicht gedichtet, bei denen er ſich felbft
aber mit der Hauptrolle bedachte. Tettenborn beſaß überdieß eine
weniger befannte, eigenthümliche Gabe, die des Ausſtrömens eines
magnetifhen Fluidums, das er nicht felten mit Glück bei Kranken,
Ich, v. Andlam. Wein Tacebuqh. I. 9
130
aber immer in der edeliten aufopfernften Weiſe, anwandte. Dabei
war er meift heiter; felbft in den peinlichiten Augenbliden verließ
ihn feine gute Laune nicht; er wußte fi in unglaublicher Weiſe
zu beherrſchen, fo beftig auch feine Leidenfchaften waren. Den
Sommer brachte Tettenborn gemöhnlih auf dem Lande, in dem
freundlichen Hütteldorf, fpäter in dem reizenden Felſenthale der
Brühl, zu. Nur in den letzten 10 Jahren machte Tettenborn
öfters, feiner angegriffenen Geſundheit wegen, Reifen in Bäder.
Es war für ihn wohl ein Unftern eigener Art, von ihm gar oft
beflagt, daß fich ſpäter nie mehr Gelegenheit bot, fein erprobte,
tapfered Schwert — Ylammberg, wie er ed nannte, — zu ſchwingen.
Schmerzlihd war es ihm, nur auf, wenn aud nicht verwelkten,
doch alten Lorbeern zu ruhen, und frühere, begeifternde Erinne-
rungen nicht mit frifcheren zu vertaufhen. Dad Handhaben der
Teder, das fißende, das Salonleben behagten ihm nicht, und immer
hoffte er, fo lange ihn nicht Törperliche Leiden Tampfunfähig
machten, den lange vermißten Schauplab ruhmreicher Thaten wieder
betreten, Kanonendonner vernehmen, Pulver riechen zu Tönnen.
Tettenborn follte es nicht erleben, und fo ging eine Fräftige Natur,
ein wie zum Helden gejchaffener Charakter, bei der ihm eigenen
leidenfchaftlichen Erregbarkeit, in den Eleinlichen Fragen des Tages,
in häuslichen Sorgen, in einer ungewohnten, aber um fo verzeb-
venderen Thätigfeit unter. Er war bequem geworden, felbit die
Jagd konnte ihn nicht erfreuen; er umgab ſich gern mit befannten
Geſichtern und im Kreife feiner Familie, und unter den vielen ihm
bi8 zum Ende treu gebliebenen Freunden befand er ſich am bebag-
lichiten, feine Pfeife ſchmauchend, die er der Cigarre zu lieb nicht
befeitigte.. Ich felbit aber bewahre diefem merkwürdigen Manne
Zeitlebend ein dankbares Andenken, es mar, felbft bei den in
unferer gegenfeitigen Stellung beinahe unvermeidlichen Zerwürfnifien,
mir nicht möglich, ihm zu grollen; folde Störungen waren immer
nur vorübergehend, denn nur allzu oft bewies ſich Tettenborn mir
— — —
als väterlicher Freund, und einen Freund, an deſſen Tiſch man
etwa tauſendmal ſaß, vergißt man nicht ſo leicht!
Der großherzoglichen Geſandtſchaft war außer einem früheren
Adjutanten, Philippsborn, auch noch ein alter Legationsrath,
v. Fabrice, beigegeben, welcher einen Theil der Kanzleigeſchäfte
beſorgte. Fabrice gehörte jener Klaſſe von Beamten in Wien an)
welche früher unter dem Namen von Reichshofrathsagenten gelaunt,
die Rechte kleiner deutſcher Fürſten bei jener Stelle vertraten.
Nah Auflöfung des Neichöverbandes wurden einige von ihnen
als Gefchäjtsträger angeftellt, ohne deßhalb von den übrigen Mit:
gliedern des diplomatiſchen Corps für ebenbürtig angefehen zu
werden. Dieje Kategorie von Diplomaten in Wien ift nun aus:
geitorben, Yabrice war unter ihnen einer der originellften. Der
philoſophiſchen Richtung der Joſephiniſchen Zeit angehörend, Tebte
er, unbefümmert um Politik, gejelichaftlihe Zuftände und andere
Außendinge, nur feinen Ideen. Ohne praftiihen Sinn, ohne die
geringfte Menſchenkenntniß erfüllte er mit gewiffenhafter Treue
feine Berufspflichten, verband aber mit einer bis an Naivität
grenzenden Gutmüthigkeit eine im gewöhnlichen Umgange jeltene
Unbeholfenbeit. Dabei umgab er fidy mit vielen Büchern, die er
fih nur mit pefuniären Opfern anſchaffen konnte, und begeifterte
fid) an dem Anblid berühmter Männer, deren Torträte — feine
Meiſterwerke — feine Wände zierten. Sein in ſich abgejchloffenes
Gemüth ließ jeder an ſich noch jo unbedeutenden Begebenheit jeines
Lebens die größte Wichtigkeit beilegen. Er jchrieb eine Selbit-
biographie, an Offenheit und Heinlicher Auffaffung nur mit jener
Jung-Stilling's zu vergleihen. Ebenſo tragen feine Gedichte
immer nur den wahrften Ausdrud feiner innerften Gefühle, und
eben in diefer Urfprünglichkeit liegt der eigentlihe Weiz feiner
Werke. Ich widme diefe Worte dem mir in unveränderter An:
bänglichleit ergebenen guten alten Dann, weil ich nicht glauben
fonn, daß feine, nur auf einen Meinen Leſerkreis befchränkten
9 »
132
Schriften ihn aus dem Dunkel treten Iaffen werden, in das ſich
feine Harmlofe Eriftenz hüllte. Er ftarb mitten in den Bewegungen
des Jahres 1848, deren eigentliche Bedeutung er, wie fo viele
Andere, nicht zu erfaffen vermochte. Freilih mußte dem 83jährigen
Manne Wien in einem anderen Lichte erfcheinen, ald zu der Zeit,
wo er ald Kind der ihm Tieblofenden Maria Therefia vorge-
ſtellt wurde!
Drei Dinge waren es vorzüglich, welche in den neuen Ver⸗
hältniffen meine Aufmerkſamkeit feffelten: die dDiplomatifche Welt
mit den mir zum Theil noch fremden Formen; dann das Hof:
und ariftofratifche Leben, der Geift, die Sitten wie der äußere
Anſtrich der höheren Geſellſchaft; endlich das öffentliche,
das Volkstreiben, die Sehenswürdigkeiten, Kunſtgegenſtände, Theater,
Umgebungen u. ſ. w. Sobald ich mich mit dieſen Dingen bekannt
gemacht, Terrain gewonnen hatte, ging es dann zu ernſteren,
gründlicheren Beobachtungen, galt es, näher in die politiſchen
Fragen des Tages, in die Zuſtände der Monarchie mit ihren viel⸗
fach verzweigten und heterogenen Beſtandtheilen einzudringen. Das
Heerweſen, die Finanzen, die internationalen und volkswirthſchaft⸗
lichen wie die Handelbeziehungen waren ebenfo viele Gegenftände
anziehender Studien; ich nahm mir mit einem Worte vor, Zeit
und Kräfte unausgefegt der felbitgewählten Berufsthätigfeit zu
widmen und an mir wenigſtens die oft gehörte Anficht zu wider:
legen, daß angehende Diplomaten nur geihäftige und genußjüchtige
Müfiggänger jeien!
Kaum war ich vierzehn Tage in Wien, als Kaifer Franz
im März 1826 lebensgefährlich erkrankte. Ich zeichnete damals
die friihen Eindrüde dieſes Ereigniffes mit folgenden Worten auf:
„Es war in der Nacht vom 11. auf den 12. März, als der
Kaifer plößlih von einem entzündlichen Yieber ergriffen wurde,
welches bald einen jo bedenklihen Charakter annahm, daß man
1383
am 14. ſchon beinahe jeder Hoffnung zur Genefung entfagte und
die heiligen Sterbfaframente gereicht wurden. Der gewöhnliche
Leibarzt (Doktor Stift) magte e3 nicht, dem erfchöpften Kranken
einen wiederholten Aderlaß zu verordnen. Fürft Metternich, von
der Kaiſerin unterftüßt, drang auf Zuziehung eines zmeiten Arztes,
des Dr. Staudenheimer. Dieſer alte erfahrene Mann ließ dem
Kaiſer ſogleich und reihlicdy zur Ader, und fo unerwartet fchnell
zeigte fi der Erfolg, daß fhon am 16. alle Gefahr vorüber
war und fein Bulletin mehr auögegeben wurde. Was mid bei
diefer vorübergehenden Epifode am meiften ergriff, war das feltene
Schauſpiel, welches eine ganze große Bevölkerung in ihrer rührenden
Theilnahme zeigte. Tauſende ftrömten in die Kirche, um vom
Himmel das Leben ded wahrhaft populären Fürften zu erfleben.
Zahllos wogte die Menge um die, Hofburg, ängftlich jeder Nach
richt harrend, die von Zeit zu Zeit den fi) zur Treppe des
Schweizerhofed Drängenden verfündet wurde. War fie günftig,
erwecte fie nur einen Strahl der Hoffnung, fo flog fie von Mund
zu Mund, von Haus zu Haus, lautete fie beunruhigend, jo konnte
man, ohne zu fragen, an den düfteren Zügen der Hörenden er:
fennen, daß noch Gefahr vorhanden fe. Alles fchten zu ruben,
jeder andere Wunfd und Gedanfe nur dem einen zu weichen: den
Kaiſer feinem Volke erhalten zu willen! Ungeheuchelt wie diefe
Beforgniffe war auch der Jubel über die beinahe wunderbare
Miederberitellung; er ſprach fih in den rührendften Demonftra-
tionen bei der erften Ausfahrt und im Theater au. Es ertönte
bei ſolchen Anläſſen mit Begeifterung das einfache, fo beliebte
Boltslied, welches ich gleichjam identifch mit der Erfcheinung des
Raiferd nennen möchte, wie in Wien, fo auch in den meiften
Provinzen. Gedichte, Adreljen, wohlthätige Stiftungen folgten
jenem Ereigniffe.“
Heutzutage ift man nur zu leicht geneigt, über fo herzliche
Huldigungen, jo naive Ergüffe von Unterthanenliebe zu lächeln;
134
man begreift oder will eine Popularität ſolcher Art nicht mehr
begreifen, man ſpannt lieber die Pferde vor dem Wagen irgend
eines Tageshelden aus, oder zieht im Triumphe eine ſingende
oder tanzende Schöne nach Hauſe. Jene Erſcheinungen aber,
welche ſich an die Perſon des beliebten Monarchen knüpfen, find
hiſtoriſche Thatſachen und man nimmt, ſie zu erklären, Zuflucht
zu allerlei Verdrehungen. So nannte man ihn den Tartüffekaiſer,
den Kaiſer mit den Marmorherzen u. dal. m. KXartüffekaifer!
Was heißt da3? Hat er durch Berftellung, Sceinbeiligfeit und
allerhand Künfte 43 Jahre lang Millionen der feinem Scepter
unterworfenen Völker bethört, ſich ihre Liebe und Anhänglichkeit
durd) jede nur denkbare Lift zu erwerben gefucht? In diefem doch
wohl kaum annehmbaren Falle würde ſolche Wahrnehmung der
Faſſungskraft wie der Intelligenz all jener Leute gerade nicht zur
Ehre gereihen. Der „Härte“ feine Herzend Tann man feine
allbefannte Güte entgegenftellen, und der anfcheinende Widerfprud
löſt fi) am beften, wenn man den ftrengen Ernfl, welcher ihn
befeelte, feinem ausgeiprochenen Gefühle für Gerechtigfeit zufchreibt.
Dabei gebot ihm fein Gewiffen, alle Empörer mit unerbittlicher
Conſequenz zu verfolgen wie zu beftrafen, weil er eben in den
Treveln der Nevolution das Grundübel feiner Zeit erkannte. Nur
Bosheit oder blödfinniger Dünkel können daher in jene einfeitigen,
gehäffigen Urtheile einftimmen; eine unparteiifche Gefchichte unter:
ſchreibt fie glüdlicherweife nit. Sie wird den Raifer Franz
zwar an Größe und hervorragenden Eigenfchaften nicht auf der
Höhe der von ihm erlebten erfchütternden Weltereigniffe erflären,
wird ihn wohl der Unentfchloffenbeit, felbft vorübergehender
Schwächen befhuldigen, aber diefen Mangel an Thatkraft erſetzte
er reichlich durch bürgerliche Tugenden, durch Gewiſſenhaftigkeit
und jenen rechtlichen Sinn, die ihn gerade zum Water feines
Volles machten. Kein Monarch ftrebte weniger ald er in feiner
einfachen, ſelbſt oft trodenen Weife nach einer ephemeren Popularität,
135
und gerade in feinem prunflofen Auftreten gewann er viele Herzen.
War auch diefed Berechnung, Berftellung? Ein geiftreicher Franzofe
(Reymond) hat vor einiger Zeit eine biographiſche Skizze des
Kaiferd Nikolaus entworfen und dabei eine Parallele zmwifchen ihm
und dem Katfer Franz in den folgenden Scenen aufzuftellen ver:
ſucht. Er fagt:
„Alle bekannten Aneldoten, jelbft jene, welche ihm zur Ehre
gereidhen, zeigen bei dem Kaifer Nifolaus jene leidenichaftliche Auf:
faffung feiner hohen Würde, welche beinahe jeded andere menſch⸗
liche Gefühl zu unterdrüden fchien. Nur ein Beifpiel von vielen!
Als der Kaifer eined Tages durch die Straßen von Petersburg
ging, begegnete er einem Leichenwagen, dem Niemand folgte. Man
trug einen Hofdiener zu Grabe und der Ezur war entrüftet darüber,
daß einer feiner Beamten im lebten Augenblide jo gänzlich ver⸗
laſſen werde. Er begleitete daher den Sarg und bald ſchloß fid
ihm eine unabfehbare Menfchenmenge an. Als nun der mit jeder
Minute anwachſende Zug in die Gegend der Kathedrale von Caſan
kam — erzählt ein Augenzeuge — wandte fi Nikolaus gegen
da3 verfammelte Bolt und ſprach mit beiwegter Stimme: Das
Andenten an die Verftorbenen ehrt die Lebenden; es ift auch Gott
angenehm und wohlgefällig. Es hat mich tief betrübt, zu fehen,
daß Niemand fi gefunden, meinen Angeftellten, der feine Lebens:
Träfte treu dem Dienfte des Kaiferd und Vaterlandes gewidmet,
zu Grabe zu geleiten; ich mwollte daher feiner irdiſchen Hülle diefe
Iegte Ehre erweifen. Doch nun rufen mich ernfte Staatägefchäfte
und ich muß mich entfernen! — Wir ſehen bier immer nur den
Kaifer, nicht3 als den Kaifer! Wie viel rührender ift nicht das
Benehmen des Kaiferd Franz in einem ganz Ähnlichen alle?
Auch er traf in einer Vorſtadt Wiend auf die Leiche eined Armen,
die man ohne Begleitung dem Kirchhofe zuführte. In feiner ein:
fachen Art fagte der Raifer zu feinem Adjutanten: „Folgen wir
dem Sarge, denn man fol nicht fagen können, ein Mitbürger fei
_ 136
aus unferer Mitte verfchwunden, ohne daß andere Ehriften an
feinem Grabe gebetet hätten.” Und ohne an die „Staatsgeſchäfte“
zu denken, gelangte er zum Gottedader, wo er Fnieend für Den
betete, den er nie gekannt, der aber wie er durch Ehrifti Blut
erlöft wurde. Er hielt feine Rede an das Volf und fehrte ſtill
und fchlicht, wie er immer war, zur Burg zurüd. Denn er war
nicht nur Raifer, ev mar auch Menſch und Chrijt, zwei Eigen:
ichaften, welche jene eines Fürſten wohl aufmwiegen.“
Es hat mir einft Jemand bemerkt, daß die meiften Fehler
des Kaiſers Franz eigentlih nur zu weit getriebene Qugenden
feten; fo artete feine allzu große Gewiſſenhaftigkeit Häufig in Aengſt⸗
lichleit, in eine gewiſſe Pedanterie aus, welde ihm bei Prüfung
der Gefchäfte mehr Zeit, als nöthig, raubte. Seine an Schüch—⸗
ternheit grenzende Beicheidenheit erzeugte einen allzu großen Mangel
an Selbftvertrauen, der nicht felten ftörend oder zögernd auf feine
Entſchlüſſe einwirkte. Er hielt ſich oft lange bei fchriftlichen Aus-
arbeitungen auf und machte ſich felbjt über diefe Art von Xhätig-
feit Tuftig: „Wäre ich nicht Kaifer,” fagte er, „fo hätte man
mich vielleicht doch als ziemlich brauchbaren Hofrath anftellen
können.“ Seine Ordnungsliebe wurde ihm als Mangel an Groß—
muth, ſeine Sparſamkeit als Geiz und Engherzigkeit ausgelegt,
und in der That war ſein Aufwand wie ſeine bei vielen Gelegen⸗
heiten in Anſpruch genommene Freigebigkeit nicht immer im Ein⸗
klange mit ſeiner kaiſerlichen Würde. Aus all dieſen Beobachtungen
zog man nun häufig den Schluß, daß der Kaiſer Schätze ſammle
und ſeine Hand ſich nicht großmüthig genug zur Austheilung von
Gnadengeſchenken oder zu Spenden an Verunglückte und Noth—
leidende öffne. Ich Hatte deßhalb in dem von mir entworfenen
Bilde des Kaiſers Franz (Erinnerungsblätter S. 8) bemerkt:
„Weber die angebliche zu weit getriebene Sparſamkeit des Kaiſers
fteht mir Fein Urtheil zu; nur halte ich die Gerüchte von fabel:
baften Summen, melde er hinterlaffen haben fol, für lächerlich
_ 187
und übertrieben.” — Ueber dieſe Stelle ging mir nun von beffer
unterrichteter Seite eine Berichtigung zu, welche ich glaube bier
einihalten zu müſſen. Es maren nämlich drei Kaffen, aus
welchen Raifer Franz feine Bedürfniffe beftreiten Tonnte. Die
Staat3kaffe nahm er unglaubli wenig in Anſpruch, und die
Summen, welche er daraus bezog, Überftiegen kaum die Civilliſte
mancher Heinen deutfhen Fürſten. Die Familienkaſſe, ein
von Tran; I. und Maria Therefia gegründete® PBermögen, ver:
waltete der Kaiſer nur, ohne je etwas davon für fich ſelbſt zu
verwenden, vermehrte e3 vielmehr dur Erfparniffe mit beträcht⸗
lihen Kapitalien. Die Privatkaſſe endlih, durch Erbfchaften
entftanden, war nie im Stande, den vielfahen Anforderungen zu
genügen; er nahm daher in dringenden Fällen zu Anleihen bei
der reich dotirten Familienkaſſe feine Zuflucht und verzinfte dieſe
felbft regelmäßig. Bei der ängftlichen Scheu, mit melcher er die
von ihm felbft gezogenen Grenzen feiner Ausgaben nicht zu über:
fhreiten wagte, fanden immer mehr Einfchränfungen ftatt und
wurde der Aufwand für den Hofhalt immer geringer. Es ergab
fi daher, daß bei des Kaiferd Ableben deilen Privatfaffe mit
Schulden belaftet war, und diefe ſelbſt Ausgaben beftritten hatte,
welche dad Aerar hätte übernehmen follen. Die Auseinander:
ſetzung der Verlaflenfchaft wurde deßhalb eine ungemein ſchwierige
und erft nah 17 Jahren beendet. Uneingeweihte, welche mit
den Verhältnifſen diefer verfchiedenen Kaflen wie mit der Art
der Verwendung der Gelder nicht näher befannt waren, konnten
fi) daher Teicht zu irrigen Vermuthungen verleiten laſſen.
Franz II. hatte auf dem, feinem Fatferlichen Obeime Joſeph II.
errichteten Denkmale unter anderen Inſchriften die Worte ein:
graben laſſen: „Er widmete ſich nicht lange, aber ganz (non diu,
sed totus) dem Staatöwohl.“ Was Joſeph nur kurze Zeit ange:
firebt, — die firengfte Erfüllung feiner Regentenpfligten — machte
Franz zur Aufgabe feines langen Lebend. Er widmete ſich ganz,
138
mit vollen Kräften feinem erhabenen Berufe, und ed mar daber
auch natürlich, daß ihm ein großer Theil der Bevölkerung feines
Reiches dieß raftlofe Streben mit dankbarer Verehrung vergalt.
Es ſchien fich feine Verwaltung dem nie erreichten Ideale einer
väterlichen Regierung möglichſt zu nähern: Es war ein Familien⸗
verhältnig in die Kerrichaft übertragen. Was zwei Generationen
erlebt und geachtet, Tann nicht auf Täufchung beruhen. Unfere
Zeit aber ift für ſolche Eindrüde von Pietät nicht mehr empfänglidh;
fie überfchüttet fie mit Hohn oder greift zu gehäffigen Auslegungen.
Einfach und ſchlicht, wie der Kaifer feldft, war damals auch
die Hofhaltung, felten Yeite oder Geremonien, und der frühere
Slanz, die großartige Gaſtfreundſchaft, wie fie die Wiener Burg
zur Congreßzeit entfaltete, wid) immer mehr einer ftillen Häuslich⸗
feit. Der Kaifer, nad) einem bewegten Leben, fehnte fi nad
Ruhe und überließ fih nur der gewohnten Gefchäftsthätigkeit.
Repräfentationen, raufchende Hoffreuden waren nicht nach feinem
Geſchmack, und felbft die früher gebräuchlichen Förmlichkeiten,
Kirhengänge, Auffahrten, Gallatage verjhmanden immer mehr.
Die Kaiferin empfing Damen in verfchiedenen Abtheilungen und
gab Meine Bälle in ihren Gemädern; größere Hoftafeln fanden
nie ftatt. Sonderbarer Weiſe ertbeilte der Kaiſer auch fremden
hochgeftellten Damen oder Bräuten aus fürftlichen Geſchlechtern
Audienzen in den frühen Morgenftunden. Außer den Prater:
fahrten, einem kurzen Befuhe in dem Blumengarten und dem
Burgtheater gönnte fi der Kaifer Feine andere Erholung. Die
höhere Geſellſchaft, das diplomatifhe Corps fam daher immer
weniger mit dem Hofe in Berührung, und es vergingen oft
Monate, ehe ſich eine Gelegenheit ergab, fi den Majeftäten
näbern zu innen. Die Hofburg felbft mit ihren vielen Gängen,
Treppen und Nebengebäuden bildete ein in fich felbit abgejchloffenes
Ganze, eine Stadt im Kleinen. Hier war nun Alles auf die
Mleinlichen Intriguen und Klatjchereien des Tages beihränft, und
139
felten nur machte fi irgend ein Einfluß in wichtigeren Dingen
geltend. Mit den Miniftern und Oberhofchargen kam der Kaifer,
feltene Fälle ausgenommen, nur in den Geſchäftsſtunden zuſammen;
in jeder Woche wechielten die beiden Kämmerer vom Dienfte.
Keine Männer von Bedeutung und Geift waren in der näheren
Umgebung de3 Hofes; nie fprah man da weniger von Politik
und öffentlichen Angelegenheiten; nie hörte man feltener von
befonderen Gnadenbezeugungen, Begünftigungen, Kabalen u. dal.
Rutfhera mar Tange Zeit der Mittelpunft, un den ſich die
fubalterne Hofmelt drehte. Er hatte den Vortrag beim Kaiſer in
Militärfahen, und täglih Tonnte man ihn auf der Baſtei mit
dem Raifer, dem er an Geftalt und Kleidung Ähnlich, fpazieren
gehen ſehen. Vielen erſchien e3 unbegreiflich, wie der fittenreine,
rehhtlihe Monarch einen Generaladjutanten fo lange in feiner
unmittelbaren Nähe behalten konnte, der in mancher Beziehung
keines vortheilhaften Rufes genoß und gründlich verhaßt mar.
Der Kaifer aber hatte nad) der Reihe feine früheren Bertrauten,
Wrbna, Duka u. a., verloren, nur Kutfchera mar ihm geblieben,
und e3 feffelte ihn Tange Gewohnheit an denjelben. Weber einen
alten etwas aufgeblafenen Hofdiener pflegte der Kaiſer lächelnd zu
bemerfen: „Wenn ich nur einmal Sonntags wäre, was ih M....
am Werktage zu fein einbildet!” —
Die Raiferin Karoline Augufte ſah man immer in ber
Nähe ihres Gemahls; fie begleitete ihn auf Reifen, erheiterte,
pflegte ihn mit liebevoller Sorgfalt. Ihre Herzenzgüte erſtreckte
fi) nit nur auf ihre nächfte Umgebung; ihr Hang zum Wohl:
thun kannte eine Grenzen und fteht heute noch nicht im Ber:
bältniffe zu ihren befchränkten Mitteln. Sie verfagte fich eher
alles, um Thränen zu trodenen, und Familien dem bitterften Elende
zu entreißen. Immer find auf ihren Befehl einige Lintergebene
befchäftigt, die zahlreichen Bittgeſuche zu prüfen, und wahre Noth
auszuſpähen. ine beinahe Findlihe Anhänglichkeit bemahrte
140
Karoline Augufte ihrer Erzieherin, der Gräfin Kamille Mühlenfels-
Andlaw, und es ift gewiß ein ſchöner Zug, daß das Bild derfelben in
dem Wohnzimmer der Kaiſerin zwilchen den Porträten der Pöniglichen
Eltern hängt. Dieß Gefühl danfbarer Erinnerung an alte Freunde
und Diener theilt die hohe Frau mit ihren erlaudhten Gefchmwiftern.
Bon den Kindern des Kaiſers bemohnten damals der Kron:
prinz, der Erzherzog Franz Karl nebft der Erzberzogin Maria
Anna die Burg; ihnen ſchloß fich ein Enkel, der Liebling bez
Kaiſers, der Herzog von Reichſtadt, an. Ein Jahr vor meiner
Ankunft Hatte ſich der zweite kaiſerliche Prinz mit der Prinzeffin
Sophie von Bayern vermäbhlt, eine Ehe, welche bis 1830 finder:
los blieb.
cc" Meber den Sronprinzen war e8 zu jener Zeit nicht Teicht,
fi) eine richtige Meinung zu bilden. Es war wenig von ihm
die Rede, man fab ihn nur felten, und mußte, daß er von Staatz-
gefchäften fern gehalten, ſehr zurücdgezogen lebte. Sein Aeußeres,
mehr ungewöhnlich und auffallend, als geradezu häßlich, nahm nicht
für ihn ein. Die Urtheile über feine Geiſtesgaben waren ehr
verfchieden; wenn ihm Alle Herzendgüte, einen edlen Charafter
nicht abſprachen, fo hielten ihn doch Viele für gänzlich unfähig,
phyſiſch und moralifch gedrückt, ohne Thatkraft und eigenen Willen;
Andere behaupteten wieder, daß meit mehr in ihm verborgen
liege, al3 man glaube, Kränflichfeit, natürlihe Schüchternheit ihn
verhinderten, feine befferen Eigenfchaften bervortreten zu laſſen.
Diefe Anfihten wurden bald zur Parteifrage; man ſprach von der
angeblichen Ausichliegung des Kronprinzen in der Nachfolge, man
verbreitete abſichtlich Gerüchte, welche ihn als unterbrüdt, als
Opfer von Hofintriguen, zum geiftlichen Stande beftimmt bezeich-
neten. Die Yolge bat Hinreihend bewieſen, wie unbegründet alle
diefe Vermuthungen waren, und wie man weder durch Zwang,
noch auf anderen Umwegen e3 verfucht, dem Kronprinzen daB an:
geitammte Thronrecht zu entziehen.
141
Ebenſo ſtill und von Staatöfragen, wie von gefelligen
Kreifen unberührt, lebte das junge erzherzogliche Ehepaar. Gänz⸗
ih unzugänglih aber war die arme Erzberzogin Maria Anna,
welche bis zu ihrem 50. Jahre mit dem Familienübel zu kämpfen
Batte.
Am meiften Leben brachte die muntere Laune ded Herzogs
von Reichſtadt in den kaiferlihen Kreis. Er war, ein fchöner
Knabe, fchnell herangewachſen und man konnte feinen dringenden
Bitten nicht widerftehen, ihn mit einer Uniform zu beffeiden.
Lebhaft, mit dem vollen Teuer der Jugend ergriff er feinen neuen
Stand, und fein raſtlos tHätiger Geift verzehrte allzu raſch die ihm
nur fpärlich zugemwiefenen phufiihen Kräfte. Der Prinz erichien
zum erftenmal in der Geſellſchaft bei dem engliſchen Botfchafter.
Bon jener Zeit an hatte ich öfters das Glüd, ihn auf Bällen oder
im Parke zu Baden zu fprechen, und jedesmal erfreute ich mid)
an den edlen Gefichtözügen, dem jeelenvollen Auge und feinem
ganzen jo überaus einnehmenden Weſen. Es funden viele Ver-
ſuche Unberufener ftatt, fi dem Herzoge zu nähern, bejonders
drängten ſich Franzoſen an ihn; doch außer Marfhall Marmont,
der ihm Kriegsgeſchichte vorlag, fand Keiner Zutritt. Die Dichter
Mery und Bartbelemy waren nah Wien gefommen, um ihm ihr
Heldengedidht „Napoleon en Egypte“ zu überreihen. Sie wur:
den nicht vorgelaffen, und rächten fih dafür durd ein albernes
Gedicht: „Le fils de l’homme.“
Bon den Brüdern des Kaiferd bewohnte nur der Erzherzog
Ludwig die Burg. Sein Aeußeres iſt ernft, beinahe abjchredend;
auch er lebte wie der Kaifer, deflen volles Vertrauen er befaß, nur
den Staatsgeſchäften, war Generaldireftor der Artillerie, gab oft
Audienzen und war nicht felten feines Taiferlichen Bruders Stell-
vertreter. Voll ruhiger Würde, gründlicher Kenntniffe, wie alle
Erzherzoge wiſſenſchaftlich gebildet, iſt Ludwig jett (1862) der
einzige noch Tebende der vielen Söhne Kaifers Leopold II.
142
Zwei Erzherzoge lebten fortwährend in Wien, Karl in feinem
ererbten Palaſte auf der Baftei, Anton Victor als Großmeifter
in dem Gebäude des deutſchen Ordend. — Dem Erzherzog Karl
batte die Vorſehung ein eigenes Geſchick zugedacht. Schon mit
24 Jahren der Held des Tages, ſpäter der Sieger in vielen
Schlachten zog er fih vor dem 40. Jahre von dem öffentlichen
Leben zurüd. Gouverneur von Mainz, Generalfapitän von Böhmen,
Teldmarichall übte er diefe Funktionen nie anhaltend aus. Mit
einem Muthe, der jenem auf dem Schlachtfelde gleich kam, und
ftoifcher Ausdauer überwand er durdy Hungerfur und andere beroifche
Mittel das Erbübel. Nach völliger Heilung beirathete er 1815
die ſchöne Prinzeſſin Henriette von Naſſau. Sie gehörte jenen
feltenen Frauen an, deren edle Beitimmung es ift, das Glüd einer
ganzen Familie zu gründen. In ihrem Innern zärtlihe Gattin,
eine von lieblichen Kindern ungebene Mutter, war fie in der
Welt die graziöfe, geiftreihe Yürftin. Noch erinnere ih mich mit
Bergnügen der herrlichen Bälle in der unabjehbaren reichbeleuchteten
Neihe von Zimmern des Palaſtes, wo die Herren in Civil, die
Damen in den reizenditen Toiletten erfchienen. Es vereinigten
diefe Weite den Schimmer des Hofes mit der freien Ungezivungen:
beit der Privatunterhaltungen. Nicht minder anzichend waren die
Empfangtage auf der jchön gelegenen Weilburg. Auch jah der
Erzherzog öfters Leute zur Audienz, und gab Kleine Dinerd. Seine
Perfönlickeit felbit gehörte nicht zu den angenehmſten. Er war
Hein, und fein früh gealtertes Geſicht nahm einen Ausdrud von
Strenge und Ernft an, den nur feine natürliche Leutfeligfeit mil-
derte. Seine Converfation war lebhaft, geiftvoll, fein Gedächtniß
io treu als die Gefchichte, welche die Erinnerungen an feine glän-
zenden Thaten aufbewahrt. Er fchrieb fleißig an den Kriegs—
Memoiren und anderen militärifchen Werfen, und umgab ſich gern
mit feinen reihen Kunftihägen, wie mit einfachen Naturgenäffen.
Ohne große Lebensbedürfnifie, Feind allen Prunkes, ging er meift
143
ganz ſchlicht in Civil, und gar oft begegnete man ihm allein, oder
mit jeinen Kindern ohne weitere Begleitung. Seine Stellung, dem
Kaiſer, dem Hofe, der Arınee gegenüber, war eine ganz eigenthünn-
liche. Die Urtheile über feine frühere Thätigkeit, fo gerechten
Anklang fie auch im Allgemeinen fand, gingen dody in manden
Dingen fo ſehr auseinander, daß man von einem durch den
Hof nicht begünftigten Anhange des Erzherzogs fprechen konnte.
Eines Tage? wurde man durd die Nachricht erfchredt, daß
die Erzberzogin Henriette von einem Scharlachfieber befallen
worden, welches fie beim Einkaufe von Weihnachtsgeſchenken geerbt
haben follte. Einige Tage nachher war fie eine Reihe. Die Art
der Krankheit ſowohl, ald der Umſtand, daß die Verſtorbene nicht
der Fatholifchen Kirche angehörte, Tießen Bedenken gegen die ge
mwöhnlihe Ausftelung auf dem Paradebette in der Burgkapelle,
wie gegen die Beilebung in der Gruft der Kapuziner erheben.
Aus Furcht vor Anſteckung unterblieb die feierliche Ausftellung;
über die Trage des DBegräbniffes aber entichied der Kaifer mit den
Worten: „War fie im Leben die treue Gattin meined Bruders,
die Mutter feiner Rinder, fo fol fie au einft im Sarge neben
ihm ruhen.” Der Erzherzog überließ fi feinem nur allzu ge
rechten Schmerze, der Hof, die Stadt einer wahren Beltürzung.
Bon den vier Söhnen und zwei Töchtern war die ältefte, Erzher⸗
zogin Thereje, kaum 13 Jahre. Weniger ſchön und ſchlank ala
ihre Mutter, batte fie ein freundliches Aeußere, und ftand ihrem
Bater tröftend zur Seite, während der Erzherzog felbft in der forg:
fältigen Erziehung feiner Söhne, in der Verwaltung feiner ausge
dehnten Güter und litterarifchen Arbeiten Zerftreuung ſuchte. Nur
einmal ſah man ihn noch in jener Zeit in der Mitte feiner früheren
Kriegsgefährten erjcheinen. Es war 1828 im Lager zu Trais-
firchen, wo er eined Abends unerwartet im Wagen mit feinen
Kindern erfchien, und mit nicht enden wollendem Jubel begrüßt
wurde. Ruührend endlih war, wie der alte Erzherzog bei dem
144
Drdensfefte des goldenen Vließes 1830 feinen älteften Sohn als
neu aufgenommenen Ritter herzlich umarmte.
Unter allen Erzberzogen genoß aber Anton Victor der
entichiedenften Bopularität. Man konnte dem freundlihen Manne
mit der ftet3 heiteren Miene täglih in den Straßen Wiend be:
gegnen. Er wur der liebenswürdigſte Gefellihafter und in feinem
geiftlihen Ritterthume trat mehr die chevalereske Seite hervor.
Mit Leidenihaft den Blumen und Blüthen jeder Art ergeben,
weihte er fein Leben in bebaglicher Ruhe der Huldigung des
Schönen. Beſchützer der Künfte ftand er im Winter an der Spike
des immer mehr aufblübenden Diufilvereins, während er im Som:
mer jeine fchönen botanifhen Gärten pflegte und die jährlichen
Blumenaußftellungen leitete. Alle Mufiter, Dialer, Dichter, Gärtner
fanden in ihm einen freundlichen Mäcen, alle Bedrängten einen
großmüthigen Beſchützer. Der Erzherzog Anton befuchte regel:
mäßig alle Theater, Redouten und öffentlichen Vergnügensorte,
. man fonnte ihn überall treffen, wo es fröhliche Gefichter gab, und
er war, freigebig und Teutfelig, ded Wohlwollens, das er auf Alle
übertrug, auch von jedermanns Seite gewiß. Auch, im reife der
Faiferlihen Familie war er, feiner erheiternden Munterkeit wegen,
immer gern gejehen. Dody mehr ald an alle diefe vorübergehenden
Eindrüde verbindet fid) noch ein dauernderes Verdienft mit feinem
Andenken: der Erzherzog ftellte mit aufopfernten Bemühungen
den deutſchen Orden in Defterreih mieder ber. Er ſtarb menige
Wochen nad) feinem Faiferlichen Bruder (1835) und fein Tod ließ
im Wiener Leben eine große, nicht zu erjebende Lücke zurüd,
Die anderen Brüder ded Kaiſers: Joſeph, Rainer, Johann
und Rudolph, machten zu jener Zeit nur feltene Erſcheinungen
in Wien. Der Erzberzog Joſeph, fo Tange Jahre Palatin
von Ungarn, ftand diefem fchmwierigen Amte mit Klugheit und
Geſchick vor. Ich ſah ihn felbit im Jahre 1827 den Neichätag
in Preßburg mit unparteiifcher Würde präfidiren. Ruhig faß Die
145
Ehrfurcht gebietende Geftalt mit dem weißen Schnurrbarte in der
Mitte der Magnaten und Bilchöfe, umringt von einer lärmenden
Berfammlung, wie man fie nur dort fand. Wenn die Feinde
des Palatins ihm Linentichloffenheit, Nachgiebigfeit vorwarfen, fo
haben die nachfolgenden Ereigniffe gezeigt, daß man nur feiner
Umſicht und genauen Kenntniß des Landes die Ruhe verdantte.
Der Erzherzog: Balatin war dreimal verheirathet, und da jede feiner
drei Semahlinnen einer anderen chriſtlichen Confeifion angehörte,
aber keine Fatholiih war, fo bemerkte der Kaifer Yranz fcherzend:
„Wenn mein Bruder nur nicht noch einmal Wittmer wird, denn
ich fürchte, er werde danıı mohl eine Südin nehmen.” Den Erz
berzog Rainer bielt feine Stellung in Italien meiſtens fern.
Ziemlih ſpät mit der ſchönen Prinzeffin Carignan verheirathet,
fah er fi dennoch bald von einer zahlreichen Familie unıgeben.
Man rühmte feine Milde und wirkungsreiche Thätigkeit.
Der Erzherzog Johann fchien es ſich zur Aufgabe gemacht
zu haben, da3 Meine Steyermark zu beglüden. Hier in der groß.
artigen -Alpenwelt, unter guten, ihm ergebenen Menſchen war ihm
wohl. Alle feine Kräfte, reichlihe Wohlthaten mandte er dem
armen Lande zu, und die Stadt Grab zeigt in Sammlungen und
Anftalten gar viele Beweiſe fürftlicher Freigebigkeit. Johann war
der fchönfte unter feinen Brüdern und noch im vorgerüdten Alter
war feine Haltung edel; er hatte regelmäßige Züge, einen ver:
ſtaͤndigen Blid. Das befte Bild von ihm ftellt ihn in der Tracht
eines Gemfenjägerd vor, wie er finnend vom hoben Felſen in das
Thal ſchaut. Auf dem romantiſch gelegenen Gute Brandhof Iebte
er feinem Hauptvergnügen, der Jagd. Mit einer Steyererin aus
niederem Stande vermählt, zeigte er auch bierin feinen Unab-
hängigkeitsfinn, und verband fi dadurch nur noch feiter mit den
Gebirgsbewohnern. Noch lebt ein Sohn diefer Ehe — der Graf
von Meran.
Der Erzherzog Rudolph endlih, Kardinal: Erzbifhof von
Sch. v. Andlaw. Wein Tagebuch l. 10
146
Dlmüs, unterlag fon im Jahre 1831 der furchtbaren Krankheit,
welche die fpanifche Ludowica in das Kaiſerhaus gebracht Hatte.
Alle diefe Erzberzoge, an Charakter und Berufsthätigkeit fo
verſchieden, maren gebildet, beliebt, mütlich in ihrer Sphäre; jeder
hatte fich irgend ein Studium ermäßlt, das er mit Vorliebe betrieb.
Berehrung und Anhänglichkeit umgab die Mitglieder des Regenten-
baufes, und wurde mandmal ein Wik, eine Satyre über fie be
fannt, fo waren diefe, wenn auch oft derb, doch nie verlebend.
Die Wiener Gemüthlichleit ließ nie die Unfitte auflommen, body
geftellte Berfonen mit boshaften Spotte oder gemeinen Karikaturen
zu verfolgen.
Bon den auswärts Iebenden QTöchtern ded Kaiſers ſah man
öfter die Herzogin von Parma, Marie Louife, in Wien Sie
erfchien mir bedeutend verändert, die Jugendfriiche, worin eigentlich
immer nur ihre Schönheit beftanden, war einer Bläfle und Mager-
feit gemwichen, weldye die ihrer Familie eigenthämlichen Züge bei
ihr nur immer unvortheilhafter hervortreten ließen. Graf Reipperg
war aus ihrem Ehrencavalier der Gemahl geworden ımd immer
in ihrem Gefolge. Ich fah den General nur felten; er war ein
Mann von Welt, aber von nicht fehr freundlichen Aeußern; ein
Auge, dad er verloren, mar mit einer fchwarzen Binde bebedit.
Sein Verftand, feine Leutſeligkeit wie feine militärtichen Verdienſte
waren befannt. Die Kinder diefer Ehe, in Italien eraogen, er⸗
bielten den Namen Montennovo. Auch die Erzberzogin Ele:
mentine erfchien Ifters in Wien an der Seite ihres wohlbeleibten,
lebendluftigen Gemahls, des Prinzen Leopold von Saleruo.
Ebenſo die jüngere Schweiter, die ſchwächliche, mit dem Prinzen
Briedrih von Sachſen vermäßlte Karoline. Im fernen
Brafilien farb damals die Kaiferin Leopoldine, Don Bedro’s
Gemahlin, eines frühen Todes. Weite Entfernung über Land
und Meer, Kränklichkeit, viele Sterbfälle ließen den Kaifer eigentlich
feiner Familie nie recht frob werden.
147
Die Monotonie des Wiener Hoflebend wurde häufig dur
den Beſuch hoher Säfte unterbrogen. Bei meiner Ankunft traf
ih die Königin Raroline von Bayern, welche jedoch, ba fie
erft vor wenigen Monaten Wittwe geworden, in tiefer Trauer
und Aurüsdgezogenbeit lebte. Zu jener Zeit ſah man auch im
Wien eige Schweſter des Kaiſers mit dem Prinzen Anton von
Sachen, ihrem Gatten, zwei Geftalten, welde einer längft ver:
gangenen Welt anzugehören fchienen.
Der Infant Karl von Bourbon, Herzog von Rucca,
bewohnte längere Zeit mit feiner Familie das Kinsky'ſche Palais
auf der Freiung. Er war meiftens auf Reiſen, da ihn fein
ſchönes Sand, das er einſt mit Parma vertaufhen follte, nicht
anzog; eine Schilderung bed Charalters dieſes bizarren Herrn,
jedenalls nicht ohne Jntereſſe, muß ber Zukunft vorbehalten bleiben.
Die Geſchichte wird ihm wohl den Beinamen des „Unftäten“
geben. Die‘ Herzogin, mit einem leibenden Ausdrude in den
edlen Zügen, war eine der drei Schweitern, den lebten Spröß-
lingen des alten ſavoyiſchen Königsgeſchlechts, welche Frömmigkeit
und Neigung eher zum Kloſterleben beſtimmten; doch zierten ſie
auch ihre Throne durch leuchtende Tugenden. Die eine ſtarb be⸗
tauntlich im. Ruſe der Heiligkeit 1838 als Königin von Neapel,
die zweite iſt ſeit 1831 mit dem Kaiſer Ferdinand vermählt.
Der Sohn des Herzogs von Lucca, damalö 10 Jahre alt, ein
berrliher unge, berechtigte zu Hoffnungen, welche er leider nicht
erfüllen folte,
Die Streitigkeiten mit der engliichen Krone, die Zermürfniffe
mit dem Grafen Münfter führten den Herzog Karl von Braun-
zch weig nach Wien. Früher von Rarlörube her mit ihm befannt,
Kam ich bier beinahe täglich in feine Geſellſchaft, um fo mehr,
da er die Thötigkeit der badiſchen Geſandtſchaft für feine. Ange:
legenheiten in Anſpruch nahm. Der fechömonatlide Aufenthalt
dieſes Prinzen gehört nicht zu den erfreulihden Erinnerungen
10*
148
meine? Lebens. Das Benehmen des Herzogs entbehrte jeder
Mürde, und felbft bei Hofe, wo er doch freundlich, wie ein Ver⸗
wandter aufgenommen wurde, mußte er fidy öftere Zurechtweifungen
gefallen Yaffen. Jugendlicher Uebermuth mag Manches entichul-
digen, nur darf er nit in Herzlofigfeit außarten; muthwillige
Streihe gehen dabei gar zu leicht in bübifche über. Das k. k.
Kabinet unterftüste feine zum Theil gerechten Anfprüche Tebhaft,
erntete aber fpäter wenig Freude an feinem Schüklinge. Bald
nachher kam aud der Herzog Wilhelm nah Wien und beſuchte
e3 regelmäßig in fpäteren Jahren.
Um den Palaftintriguen in Xiffabon zu entgehen, war der
Infant Dom Miguel 1825 nad) Oeſterreich gefommen. Seine
äußere Erſcheinung machte einen günftigen Eindrud, die Erziehung
war aber auffallend vernachläſſigt. Er Iebte fill, von heimiſchen
wie öſterreichiſchen Dffizieren und Lehrern umgeben, in einem
Privathaufe. Als nun im März 1826 König Johann VL, fein
Bater, ſtarb, veränderte fih auch Dom Miguel’3 politifche Tage.
Er ſah fich erftaunt vom portugiefifchen Throne verdrängt, Bräutigam
feiner Nichte Donna Maria da Gloria, die er nie gefehen und
nur dur fie und die dem Lande verliehene Verfaſſung zum
Negenten und König erklärt. Der Infant fügte ſich ſcheinbar
diefen willkürlichen Beſtimmungen, er wurde mit dem portugieſiſchen
Sefandten Billa Secca durch Profuration verlobt, eine durch die
fpäteren Ereigniffe beinahe lächerlich gewordene Ceremonie.) Von
nun an bezog Dom Miguel die Hofburg und wurde ald Prinz vom
Haufe behandelt. Bei der Audienz, welche er dem diplomatifhen
Corps ertheilte, benahm er fi in feiner ſchönen Uniform mit
Gewandtheit und Takt; augenfcheinlich hatte der dreijährige Aufent-
halt in Wien vortheilhaft auf den Prinzen eingewirkt. Ich Tab
ihn den 6. Dezember 1827 bei einbrechender Dunkelheit eine
*) Grinnerungsblätter S. 49 big 54.
149
Stadt verlaffen, in welcher fich feine Tünftigen Geſchicke entſchieden
hatten, und Tonnte damals nicht ahnen, daß fie einen fo ganz
anderen, al3 den allgemein erwarteten Verlauf nehmen follten.
Unter den Begleitern des Infanten fprah mid, Graf Villa-Real
am meilten an; es war nicht möglich, feiner und gebildeter zu
fein, als diefer ausgezeichnete Portugiefe, dem auch deutidhe Sitte
und Sprache nicht fremd waren. Dom Miguel felbit ſah ich jeither
nie wieder.
Anfangs des Jahres 1827 wurde Prinz Guftav von
Schweden aus Italien ald Oberft zu einem Snfanterieregiment
(3. Gyulai Nr. 60) verſetzt. Nicht ohne Theilnahme fah man
ihn bier zugleich mit dem Herzog von Reichſtadt fich in militäri-
ihen Waffen üben, zwei junge Prinzen, die, fo verjchieden auch
ihre Lage, doch ein gemeinfames Schieffal getroffen. Prinz Guftav,
ũberall mit freundlicher Zuvorfommenheit bei Hof wie in der
Geſellſchaft empfangen, lebte ſich bald in feine neue Stellung ein,
fand e3 aber gerathen, ftatt des bisherigen, den Titel Prinz von
Waſa anzunehmen. Zwei Jahre fpäter trafen auch die beiden
Prinzeffinnen Amalie und Cäcilie von Schweden in Wien
ein und bezogen mit ihrem Bruder das jchöne Auerspergiſche
Gebäude am Joſephſtädter Glacis.
Bon den heſſiſchen Prinzen hatte ſich Georg, morgana-
tifch mit einer Ungarin vermählt, in Wien niedergelaffen,; auch
fein Neffe Karl war in öfterreichifche Militärdienſte getreten, ein
fanfter, vortreffliher Prinz, beliebt und geachtet, wie er es ver:
diente. Bring Emil endlih war FE. E. Feldmarfchalllieutenant
und Regimentsinhaber geworden, ein Herr fo groß an Geift, als
Hein von Geftalt, mit ausdrucksvollen Geſichtszügen und dem
feiniten Benehmen. Er bildete mit zwei anderen, immer geh in
Wien gefehenen deutſchen Fürften ein Kleeblatt feltener Art; es
waren die die leider fo früh verftorbenen, noch heute fchmerzlich
vermißten Herzog Wilhelm von Naffau und der XIX. Reuß
1850
(Greiz). Zur Zeit der Lager und Truppenübungen trafen auch
immer preußifche und andere nordbeutfche Prinzen ein. Endlich
ihlug Die vermittwete Herzogin von Anhalt⸗Köthen, —
geborne Gräfin von Brandenburg — welche katholiſch geworden
war, ihren bleibenden Wohnfik in Wien auf.
Auf die meiften der vorftehenden Hochgeftellten Perfonen, denen
ich fo oft auf meinen Lebenswegen begegnete, werde ich noch tm Laufe
diefer Aufzeihnungen zurüdfommen müſſen. Je mehr bei ihnen
Charakter und Handlungsweife berbortreten, um fo vielgeftaltiger
und fchneller bilden fi die Anfichten der Menge und verbreiten,
prägen fich oft, gleich Vorurthellen, ein. Man übertreibt, bemüchtigt
fich dDiefer Meinungen als eines willlommenen Stoffes zur tendenziöfen
Ausbeutung irgend eines Zweckes, gefällt ſich in Vergleichen oder
Antithefen und erhält dabei nur ein durch “Barteileidenichaften
getrübtes Bild. Den fürftlihen Perfonen ift es aber, bei eigen:
thümlichen Verhältniffen und mehr abgefchloffener Lebensiweife,
nur felten möglich, nachtheilige oder irrige Gerüdyte durch einen,
ihren befieren Eigenichaften entnommenen Gegenbeweis zu wider⸗
legen. Es ift deßhalb Aufgabe wie Pflicht eines unbefangenen
Augenzeugen, gleid, weit entfernt von bannaler Bewunderung oder
höfiſcher Schmeichelei, wie von unbilliger Tabelfucht, hiſtoriſcher
Wahrheit Geltung zu verſchaffen.
Das diplomatiſche Corps, mit dem ich nun zunächſt in
Berührung kam, war 1826 ſehr zahlreich, doch wechſelten feine
Mitglieder beſtändig, und während der vier folgenden Jahre hatte
es ji, mit wenigen Ausnahmen, beinahe völlig erneuert. Ich
babe an einem anderen Orte*) die Stellung diefes Corps ange .
deutet und Skizzen von einigen Botfchaftern entworfen. Inter
den Geſandten mar es ber bayerifche, Graf Bray, beffen
*) Grinnerungsblätter S. 15 bis 22.
. 151
Haus ebenfo gaftfrei, als fein Familienzirkel angenehm war. Er
verheiratete feine ältefte, liebendwürdige Tochter mit dem preußis
ſchen Geſandien v. Malzahn, eine Ehe, welche leider deflen
allzu früher Tod bald wieder trennte, Malzahn's befcheibenes,
beinahe fchüchternes Wuftreten ließ bet dem eriten Begegnen bie
ftaetBmärmifchen Fähigkeiten dieſes ausgezeichneten Diplomaten
wicht verguihen. — Mit wenig angenehmen Yormen verband der
farbinifhe Abgeordnete, Graf Bralorme, einen feften Charakter,
umfoffende Kenntnifſe. Für das Xrodene in feinem Umgange
entihädigte die Lebhaftigkeit feiner Frau, einer geboren Saint:
Maria. — Bon dem neapolitanifchen Fürften Saffaro war
weniger Die Rebe, als von den drei Töchtern, die ihn begleiteten,
und non denen zivei, verbeirathet, mit den Wiener Damen einen
feltenen Wettlampf in Schönheit und Eleganz aufnahmen, —
Dänemark vertrat der eble, ſchöne Greis Graf Bernftorff,
Schweden der ungeftime Löwenhielm. — Bon den Heineren
deutſchen Bundesftanten war für Heſſen⸗-Darmſtadt der be
liebte Fürß Adolph Wittgenftein accreditirt, doch felten anweſend,
Merveldt für Hannover, Münchhauſen für Kurheſſen.
Der ehrenwerthe Graf Zepplin, mwelder ald württembergifcher
Bevollmächtigter den talentvollen Grempp abgelöft hatte, fand in
Mien fen Grab, — Neben Tettenborn war der ſächſiſche
Sehandte, Graf von der Schulenburg:Klofterrode, der
ſtabilſte. Bon der Congreßzeit an in Wien beglaubigt, verließ
ex auch diefe Stadt nicht, ala er jih 1830 vom Staatädienfte
zurüdgezogen. Schulenburg gehörte der Klaffe jener geiftreichen,
aber auch nielfach in eigenen een befangenen Staatsmänner an,
deren Thätigkeit ſich nicht über eine gewiffe Richtung zu erheben
vermag, and daher oft verfannt wird. Streng an den rund:
fägen der alien politiihen Schule feithaltend, verabicheute er alle
neueren Jnſtitutionen, ſelbſt bis auf ihre modernen Ausdrücke.
Auch für die großen Begebenheiten der Jahre 1814 und 1815
152
begeifterte er ſich nicht wie Andere und ſchloß fih mehr der
nüchternen Auffaffung des Wiener Kabinets an, das überall nur
das Mögliche erftreben wollte. Seine 15jührige politifche Wirk⸗
famfeit konnte nur eine geringe fein; was er in Wien Ieiftete,
geſchah, wie bei den meiften Gefandten Tleiner Höfe in großen
Staaten, nur durch feine Perfönlichfeit. Er beflagte dag Miß-
geſchick feines Landes, ohne es ändern zu können, und war rührig,
wo e3 galt, feinem Hofe zu nüben. Seine Blicke maren jebody
immer mehr der größeren europäifchen Politik zugewendet, deren
Phafen er mit lebhafter Theilnahme verfolgte. In gewiſſen gefel-
ligen Kreifen war Schulenburg nicht ohne Einfluß, verkehrte viel
mit Metternih, mit dem ihm verwandten Hatzfeldiſchen Haufe,
und bewegte fi) am liebiten in jener anziehenden Cotterie, in der
er übereinftimmender Gefinnungsmweife begegnete. Mitten in Ddiefer
erwünfchten Tchätigfeit wurde er durch die Suliereigniffe aufge⸗
fhredt; er vermochte es nicht, Grundfäke, die ihm bis zum
60. Jahre ala wahr und gut erfchienen, zu verleugnen, mißbilligte
laut, was in Sachſen geſchah, fagte fih von jeder Verbindung
mit Dreöden los und lebte fortan, ſich in die Nothwendigkeit fügend,
als Privatmann nur dem bebaglichen Genuffe der Güter, die ihm
geblieben. Erſt in fpäterer Zeit traf ich öfters mit ihm zufammen,
erfreute mich an feinen unterrichtenden Geſprächen, an der Fülle
feiner Erfahrungen und taufchte politifhe mie Literarifche Gedanken
mit ihm aus. Doch fehlte feinem Geifte die Gabe einer höheren
Auffaffung. Es ging bei ihm Alles mehr in’3 Kleinliche über,
und felbft fein Intereſſe an den Tagesereigniſſen war eher die
Befriedigung einer augenblidlihen Neugierde, ein politifchegeielliges
Geklatſche. Dennoch war feine Eonverfation, individuell gefärbt,
nicht ohne einen gemiflen Reiz. Schulenburg benübte feine freien
Stunden zu fchriftlichen Ausarbeitungen. In der Geſchichte ſprachen
ihn Biographien und genealogifche Forſchungen befonder an; To
ließ er ein Meines Buch über einen Herrn von Gleichen druden,
153
der feiner Zeit eine Art von Rolle gefpielt, ebenfo fuchte er die
Kurfürftin Sophie Dorothea von Hannover, die unglüdliche Herzogin
von Ahlden, in einer. Abhandlung von den ihr zur Laſt gelegten
Bergehen zu reinigen. Sein Styl war dabei fteif, oft unklar,
und ſprach nicht an. Ein Fehler beberrichte diefen Mann: der
ausgeſprochenſte Egoismus in unverhüllter Form; ihm lag der
Geiz zu Grunde, welcher nur da eine Grenze fand, mo es galt,
bequem und gut zu leben. Schulenburg verfagte ſich nicht Teicht
noch fo Toftipielige Freuden und Liebhabereien, aber fein Herz blieb
da Kalt, wo der um fein eigened ch gezogene Kreis aufhörte.
Bon feiner Liebe zum Gelde erzählte man ſich manche ergößliche
Anekdote; fie rettete ihm fogar einft das Leben. Todtkrank in
Turin, traf er feine lebten Anordnungen, und al3 man ihm, dem
Proteflanten, 6000 %13. für einen Begräbnißplatz anrechnen wollte,
gerieth er Über diefe hohe Ausgabe im Grabe in foldhe Aufregung,
daß er die Reife fortfebte; die Erſchütterung wirkte wohlthätig, er
genaß und lebte noch über 30 Jahre. Er geitand felbft, daß bet
Nervenleiden das Wühlen in einer mit Dukaten gefüllten Ehatouille
ihm die größte Erleichterung gewähre. Er verfhmähte Teinen noch
fo unbedeutenden Gewinn, fland mit allen Geldipefulanten und
Andern In Verbindung, aber auch bier gingen feine Pläne nie
in's Große, er war ängſtlich, mollte fiher geben. Es freute ihn
der wirkliche Befiß, das Crgreifbare; ungewiſſe Combinationen,
noch fo lockend, reizten ihn nicht, erfchredten ihn vielmehr, daher
wäre er wohl, bei aller Luft, ſich zu bereichern, nie ein unter:
nehmender Handelsmann geworden. In feiner religidien An-
ſchauung neigte Schulenburg fi mehr dem Tatholifchen Glauben
zu; doch auch hier Yeitete der Verftand feine Ueberzeugung; Eigen:
heiten und eine gemiffe Yrivolität ließen Tein wärmeres Gefühl in
ihm auflommen und unterdrüdten, bei allen edleren Eigenfchaften,
ein befferes Streben. Bielen ſchien die Art, mie Schulenburg
feine Frau behandelte, empdrend, und ich vermochte dad Dunkel,
154
welches auf dieſem Cheverhältniffe ruhte, nie aufzubellen. Er
hatte ih im reiferen Alter, um einem Familienprozeſſe vorzu⸗
beugen, mit einer viel jüngeren Verwandten vermählt. Er lebte
mit ihr in Wien, man fah jedoch die junge Frau weder bei Hofe,
noch in ihrem oder einem anderen Salon; nur zuweilen erichien
fie in Begleitung einer Gefellihafterin im Theater oder auf Spazier⸗
fahren. Sie war hübſch, gebildet und angenehm, wie man ſagte;
weßhalb nun Diefe Vernachläffigung, mährend eine andere, weder
durch Tiebenswürdigen Verſtand noch Jugendreiz ausgezeichnete
Frau den Grafen Fahre hindurch auf eine Manden ganz unbes
greifliche Weife zu feffeln wußte? Später fol die Gräfin Schulen-
burg auf ihre Güter gereift fein, und es war nicht weiter yon
ihr. die Rede; endlich hieß ed, daß fie irrfinnig in einer Anſtalt
Norddeutichlaudd verweile!
Schulenburg zog fih in den Iehten Jahren mehr von ben
böberen Zirkeln zurück und lebte einigen freunden und felbit ges
wählter Geſellſchaft. Anfangs September 1858 traf ich ihn, unge
adhtet feiner 80 Jahre noch rüflig, in BadensBaben; 14 Tage nachher
erfuhr ih durd die Blätter, daß er auf feinem Schloſſe Klofterr
rode einem Turzen Unwohlſein erlegen jei.
Nach Tanger Unterbrechung hielt 1837 ein päpftlicher Nuntius,
Migr. Spinola feinen feierlichen Einzug in Wien. — Unter
den übrigen Gefandten feblie es denn auch nicht an Drigie
nalen: da war Spaan, ber Niederländer, welcher einem Geſpenſte
gleich, fih an einem in feinem Zimmer ausgefpannten Seile müß-
fam dabin ſchleppte, und fich jeden Abend in Die Oper fragen
ließ, dann ein Spanier, deſſen Auftreten nicht an die Grandezza
feine8 Landes erinnerte, deſſen Salon einer ſchmutzigen Sinderbe-
wahranftalt, feine Dinerd Vergiftungsverſuchen gleich kamen; ein
Anderer, der fich mil einer Hofdame verbeirathet, von der er fagte:
ma femme a 6t6 courtisane, maintenent elle est femme pu-
blique, nämlich die Frau eined Staatsmannes; endlich ber
155
geſchmeidige Brafilianer Rezeude mit dem klugen Gefichte, der Heine,
Inteigante Oſtini u. a. m.
Bon den Belhäftsträgern und Legationsräthen ſchloß ich mit
Brotgaufen (Preußen) und Drachenfels (Er. Heſſen) eine
Freundſchaft für das Leben, auch zog mid Meyendorf (Rußland) _
an, mit dem id fpäter in noch nähere Beziehungen treten ſollte.
Er hatte ſich 1828 mit der geiftwollen Tochter des St.M. Grafen
vu. Duol⸗ Schauenſtein verheirathet. Mit deu Franzoſen: Graf
Ed. Lagrange md Th. v. Buffiörez, nun geſchätzte Schrifte
feller, mir ſchon von früherer Zeit befannt, kam ich oft zuſammen
Weniger Torte id mid mit den Englänbern befreumden, wenn
ich glei den jungen Wellesley, jetzt Botfchafter in Paris, fowie
Sorbes, Hervey viel ſah; einer derſelben, Lord Ingefirie, fiel
eine® Tages im Prater mit feinem Pferde in einen Gumpf und
erſtickte darin hülfles. Bon zwei meiner Gollegen war Ipäter,
ihrer Heiratgen wegen, viel die Rede: Luccecheſi Palli (Sici⸗
lien), einer vorausſichtlich glänzenden diplomatiſchen Laufbahn ent-
ſagend, reichte 1832 der Herzogin v. Berry die Hand, Roſſi
(Sardinien) wurde der Gemahl der Henriette Sonntag. Borüber:
gehend war Fürft Butera eine angenehme, immer gern gefehene
Berfönlichleit. Ex war von einem banmöreriichen Piarrerdfohne
und Lieutenant durch eine glückliche Heirath neapolitaniiher Fürſt
gervordeu, und verfhindig, gebildet, wurde er auch zu politiichen
Milfionen verwendet.
Die flüchtigen Erfigeinungen, die gefelligen Senüfie in den
höheren reifen haben in der Erinnerung eigentlih nur Werth
fir Iene, die fe mit erlebt; deunoch will ich ed verſuchen, deu
früßeren Schilderungen *) einige allgemeine Züge beizufügen. Die
®) Exrinmerungsblätter S. 85 bis 62; baun ©. 94.
156
„Geſellſchaft“ in Wien war damals eine rein ariftofratifche;
fie beftand aus dem boffähigen Adel, dem diplomatiichen Corps
und einigen Auserwählten. Sie verfammelte ſich entweder bei
Hofe, in den Baläften jener Großen, deren Rang und Stellung
es erheifhten, ein „Haus zu machen,” oder fie kam in Salon’s
zufammen, meldhe mehr die Natur von Privatzirkeln annahmen.
Der Taiferliche Hof war, wie wir geſehen, beinahe unzugänglich
geworden. Die Minifter und Botichafter hatten ihre regelmäßigen
Empfangtage, bei denen ſich jeder Dazu Berufene in die weiten
Appartements drängte. Außerdem gab es dann noch Rout’s, Bälle,
jede Art von gefelliger Unterhaltung, welche mit Galla- und anderen
großen Diner? wechlelten. Nur bei feierlichen Anläffen erichienen
die Herren in Uniform, fonft immer, felbft die Militärs, im Civil⸗
anzuge. Bei ſolchen Feſten entwidelte nun die Damenwelt einen
blendenden Glanz an Schmud und geſchmackvoll reihen Toiletten.
Es find jedoch diefe Zufammenfünfte, wenn fle nicht gerade mit
Muſik, Tanz, Tableaur, Liebhabertheater, Spiel, Lotterieen oder
dgl. gewürzt find, einförmig und ermüdend. Die wahre Gefellig-
keit flüchtet fi in die Salon's. Etiquette und andere Fragen
erfchwerten überdieß das Aufammenleben in der großen Welt. Iſt
die Beftimmung der Rangverhältniffe an jedem Hofe ſchwer, er:
fhien fie in Wien noch verwidelter. Mancher Streit blieb ba
umerledigt; oft Tonnte nur ein Machtſpruch entfheiden. Nicht nur
war der Vorrang der Prinzen nicht Töniglicher Höfe und ber
Botfchafter nicht geregelt, es fritten fi) auch die Gelandten mit
den E. k. Geheimeräthen um den Bortritt. Man Tieß es dabei
auf den Zufall, mandmal auch auf einen Wettlauf ankommen.
Die Einheimifchen rangirten bei Hofe nur nad ihrer Eigenichaft
von Geheimeräthen und Kämmerern. Die Fürften unter fi bil-
deten mieder eine eigene Rangklaffe, unter denen, mit Ausnahme
der Souveräne, der Fürſt Loblomik die erfte Stelle einnahm.
Ungleich größere Dimenfionen nahmen aber die Streitigleiten
157
dann an, wenn es galt, den Damen die ihnen gebührende Stelle
anzuweiſen. Es fand fi Fein Sopha groß genug, um Alle aufzu-
nehmen, welche auf einen Sit Anſpruch machten. Bald war es
eine Botſchafterin, welche mit der Taiferlichen Oberſthofmeiſterin,
bald eine fremde Prinzeffin, welche mit inländifchen Yürftinnen in
Sollifion kam. Viele Damen, wie die Herzoginnen von Lothringen
und Württemberg, die Prinzeflin von Sachſen-Coburg, die Fürftinnen
von Lichtenftein und Fürftenberg u. a. zogen fich deßhalb ganz aus
größeren Aſſembloͤen zurüd. Ich erinnere mich, daß einit auf einem
Balle bei dem Fürften Metternich die Kaiferin, um allen Streitig-
feiten vorzubeugen, die Mutter des Fürften zu fi) auf das Kanapee
zog, mit den Worten: „im Haufe des Sohnes hat die Mutter
immer den eriten Rang.“ |
Der Fürft Metternich empfing jeden Sonntag die Diplo-
maten und vorgeftellten Fremden, doc war fein Salon täglich
näheren Bekannten geöffnet. Das Bild der Gefelligkeit in diefem
Haufe werde ich in einen eigenen Rahmen faflen.
Die Botfchafter der drei Großmächte übten eine glänzende
Gaſtfreundſchaft. Außer den allerliebiten franzöſiſchen Vaudevilles,
in weldhen Herren und Damen der Gelellihaft an Talent und
feiner Nünncirung wetteiferten, außer den Eoncerten, in denen ſich
berühmte Künftler wie Dilettanten hören ließen, außer den finnig
und künſtleriſch geordneten lebenden Bildern gab es auch große
Soireen, in denen Spieltifhe in unabſehbarer Reihe aufgeftellt
waren. Man verabredete fi wie zum Tanze an beitimmten
Tagen zu einer Partie Bofton oder Whiſt. Solche Verſamm⸗
lungen fanden vorzüglich bei Tatiftcheff, dem Fürſten Eolloredo
und den Fürft- Erzbifhof Firmian flat. Diefe Sitte iſt nım
gänzlih aus der Mode gekommen; kaum finden fi) in den Sälen
noch ein paar Spieltifche, dagegen bat unfehlbur die Gefellfchaft
an Geflatfche und langer Weile zugenommen.
Von den vielen Feften, welche während Diefer Zeit an meinen
158
Augen vorüber gezogen, will ich nur einiger erwähnen. Man
war damals’ in Wien, noch unter dem Eindruck der Wunder Des
Congreſſes, etwas blafirt; Niemand magte fi an die Wiederholung
ſolch' zauberhafter Feſte. Dennoch fand wenig Tage nad meiner
Ankunft ein coftümirter Ball ftatt, welcher an jene Blanzepoche
erinnert. Wan fab da wieder die Menge, wie die Pracht der
Juwelen, welde ion 1815 die Augen geblendet hatten. Es
wurden zwei große Quadrillen aus befannten Romanen vorgeſtellt.
Walter Scott führte in das Reich der Geſchichte, Lamotte Fouquo
in die Feeenwelt ein. Kenilworth, IJvanhoe ließen die Mannig⸗
jaltigkeit, wie den Reichthum hiſtoriſcher Trachten entwickeln, wäb-
rend der Zauberring, Undine u. a. fantaſtiſche Geſtalten in's
Leben riefen. Das alle Blicke feſſelnde Schauſpiel wurde in Bildern
und Beſchreibungen der Erinnerung aufbewahrt. Zu dieſem Balle
in dem engliſchen Botſchafts⸗Hotel konnte ein anderer ala Gegenſtück
gelten, welchen einige Sabre ſpäter Tatiſtcheff in den herrlichen
Räumen des Tichtenfteinifchen Palaftes, den er bewohnte, gab. Es
war ein Maskenſcherz ganz eigener Art, wie man fih nidt er:
innerte, je geliehen zu haben. Die drolligſten Einfälle, grotefe
Seftalten, überaus unterhaltende Sceuen und Gruppirungen gaben
demfelben einen ungemein Sunten und originellen Anſtrich. Man
überbot fih in Wigen und Karikaturen; e8 gab da Ueberrafchungen
der geluugenften Art: Ein komiſches Turmir von Damen, melde
auf Meinen Pferden von Pappendeckel die Preife mit der Lanze
ertämpften, ein Schach, ein Kartenfpiel, ein großartiger Zug, welcher
die „Contes des fees‘ mit allen ihren abwechſelnden Figures dar-
fiellte, die allerliebfie Gruppe von Mandarinen u. ſ. w. Hier fa
man Rieſen, Ziverge, Männer mit ungebeueren Köpfen und Bäuchen
von Carton, die fi öffneten, um daraus Blumen, Zuckerwerk,
Gedichte zu reichen. Dort waren es wandelnde Orangenbäume,
Defen oder Thürme; in jeder Minute etwas anderes. — Man ift
jetzt ernfter geworden, gibt ſich nicht mehr die Mühe, jo ſinnreich
1859
wnterhaltende Scherze auszudenken; polittiche Sorgen, gefellige Ber:
flachung find auch in die Zirkel gedrimgen.
Unter den Adelsgeſchlechtern waren & die Lichtenftein
und Schwarzenberg, welche man immer in erfter Reihe nannte,
md in der That hatten auch beide Yamilien manche Berührungs-
punlte; viele ihrer Mitglieder waren eine wahre Zierde des deutichen
Adels. Ausgezeichnet, treu und anhänglich im Dienfte ihrer Kaifer,
großberzig und thätig, wenn ſte unabhängig waren, wohlwollend,
gebildet, genofien fie einer wahren Popnlarität. Bon den Häup-
tern diefer fürſtlichen Häufer war damals in ber @Gefellichaft nur
wenig zu fehen. Der Für Johannes Lichtenftein hatte eine
ungemein glänzende Kriegslaufbahn hinter ſich, lebhaften Geiſtes,
aber auch oft an ſtaatsmänniſchen Verhandlungen Theil genommen.
Tapferkeit kam bei ihm einem Haren Berftande gleich. Wie feinem
großen Feldherrn, dem Erzherzog Karl, mar ed ihm nicht vergoönnt,
1813 und 1814 die Truppen in den flegreihen Kampf zu führen.
Viele edle Züge, aber auch manche Eigenheiten fanden fi in dem
Charakter dieſes originellen Fürften. Er machte nid den Rang
eines Bundesfürften, nur deu eined Feldmarſchalls geltend, erichten
felten bei Hofe, aber täglich Tonnte man ihe, immer allein, ſpazieren
fahren und Abends im Burgtheater ſehen. In Wien bewirthete
er felten Leute bei fich, und lebte vorzugsweile im reife der
Seinen. Mehr ala aller Ruhm, mehr ald alle Reichthümer und
Schätze galt ihm aber die Lebensgefährtin, Joſephine v. Yürftenberg,
eine Frau von hohen, fittlihen und geiftigem Werthe. Den
Ichönften Beweis von Liebe gab er der Fürſtin, dag er auf ihren
Wunſch feiner Härkften Leidenichaft, dem Gange zu hohem Spiele,
entfagte. Es umgaben iin 7 Söhne, auf die fich der ritterliche
Sinn ded Vaters vererbte, 4 Töchter der Diutter glei! Seine
gange Zeit verwandte der Für nur der umfichtigen Verwaltung
feiner auſsgedehnten Befibungen, die er ſtets noch zu vergrößern
und zu verſchoͤnern bemüht war. Wer kennt nicht die zahlreichen
160
Herrſchaften, welche felbit die Sauptftadt, mie Perlen, umgeben, das
reizende Lichtenftein mit feinen romantischen Thälern, Greifenftein,
die Donau beherrſchend, Sebenftein und andere! Sah man auf
10 Stunden in der Runde irgend einen fchönen Punkt, den eine
Kapelle, ein Tempel, ein Obelisk, eine künftlihe Ruine oder mas
immer zierte, traf man einen gebegten Park mit meift weißem
Damwilde, oder fonftige, großartige Anlagen, welche den Beſuchen⸗
den ftet3 wohlmollend geöffnet waren, fo mar man fidher zu er-
fahren, daß es Xichtenfteinifche Beſitzungen feien. Hier auf diefen
Gütern war es nun, mo der Fürſt jährlich eine glänzende Geſell⸗
haft von Gäſten verfammelte. Beſonders auf den herrlichen
Sommerfiten Feldäberg und Eisgrub murden mochenlang Jagden
nah engliiher Art im Großen betrieben, offenes Haus gebalten
und dem Erfparnißfofteme auf einige Zeit entjagt; bier war es
endlich, mo die ganze Tamilie Gelegenheit batte, ihre fo natürliche
Liebensſswürdigkeit zu entfalten.
Wie Fürft Johann Lichtenftein lebte auch Fürſt Joſeph
Schwarzenberg in gleich zurüdgezogener Weile. Weniger als
jener mit der Adminiftration feiner gleichfalls großen Herrichaften
beihäftigt, brachte er den Winter in Wien, den Sommer in dem
lieblihen Dornbach oder auf feinen böhmifchen Schlöffern, ſtets im
häuslichen reife, zu. Er hatte, feit ihm der furchtbare Brand
in Paris die theure Gattin geraubt, wenig mehr Theil an ben
Weltfreuden genommen, fi nicht wieder vermäßlt, und feine
Schwelter, „die gute Yürftin Lori,” mit liebevoller Gewiſſenhaftig⸗
feit die Erziehung der zahlreichen Kinder übernommen. Außer
dem Haupte war die ganze Tamilie Schwarzenberg ſehr gefellig.
Seine drei Söhne follten einft, jeder in feiner Art, Ausgezeichnetes
leiften. Fünf Töchter waren ihres Tiebendwürdigen Umgangs und
ihres gebildeten Verftandes wegen beliebt. Wie Fürft Joſeph hatte
auch fein Bruder, der berühmte Feldmarſchall Karl Schwarzenberg,
drei Söhne zurüd gelafien, alle drei in Kriegädienfte, wenn and
161
niht an Thatkraft, doch an ehrenwerthem Charakter des Vaters
würdig; der älteſte als Landsknecht in meiten Kreifen genannt.
Der Chef eined dritten Geſchlechts, des reichften in der
Monardie, der Fürſt Nikolaus Efterhazy, Generalfapitän der
ungariſchen Nobelgarde, hielt fid, gleichfalld von der Wiener großen
Welt, jedoh in einer feines Ranges und Namens unmürdigen
Weife, fern. Nur einmal gab er zu Jedermanns Erftaunen ein
Ballfeſt in dem von ihm bewohnten Gartenpalaid, Er ftand wie
der beinahe allein Fremde in der Geſellſchaft an der Thüre, die
geladenen Gäfte zu empfangen, und verwundert ſahen die alten
Murillo’3 und Rembrand’3 auf den ungerwohnten Glanz der Lichter
und die zu ihren Füßen tanzende junge Welt. |
Ein gemeinfchaftlihes Band umſchlang die Lichtenftein und
Schwarzenberg mit der Iandgräflihen Yamilie der Fürftenberg.
Sophie, geb. Oettingen-Wallerftein, feit 1828 Wittwe vom Ober:
hofmarſchall v. Fürſtenberg, mar mit 85 Jahren no, fo friih und
freundlih, daß ſich ihre Kinder und zahlreichen Enkel und Ber:
wandten immer in ihrem düfteren Salon um ihr Bett verfammelten.
Sie war in Ton, Kleidung und Benehmen das Ueberbleibfel einer
längft verſchwundenen Zeit. hr einziger Sohn, Yandgraf Friedrich,
mit der Fürftin Therefe Schmwarzeriberg vermählt, trug feine Gut:
müthigfeit auf feine Kinder über, deren Erziehung die vortreff:
lihe Mutter forgfältig überwachte. Mit diefen Häufern nabe
verwandt waren die Lobkowitz, Windiſchgrätz, Kinsky, Schönburg,
Aueröperg u. a.
Der Oberhofmeifter des Kaiſers, Fürft Trautmanspdorf,
Ipäter der Fürſt Eolloredo empfingen bei feierlihen Anläffen,
machten aber auch, wie der Oberfümmerer Graf Ezernin, außer:
dem ein großed Haus.
Don den zahlloſen Diners bleibt felten etwa3 mehr im Ge
dächtniß zurüd als daB Gefühl fie glücklich verdaut zu haben.
Sch. v. Andlaw. Wein Tagebuch. I. 11
162
Sie erhalten ihre beſte Würze durch die Art ihrer Zuſammen⸗
fegung und nit leicht Tann man ſich ein gefelligeres Vergnügen
denten, als ein gute Mahl: unter heiteren geiftreichen Geſprächen.
Die Mehrzahl bildeten immer die Herrendinerd. Eines derfelben
ließ den peinlichiten Eindrud in mir zurück. Pariſh, der Banlier,
lud mich mit einigen Bekannten ein: einige Tage nachher fand
man feine Leiche in der Donau. Er hatte ed verfudht, dem zer-
rütteten Friefiihen Vermögen wieder aufzuhelfen, war aber ſelbſt
darüber zur Grunde gegangen. — in Herrendiner gab zu einem
der vielen Witzworte des Fürften de Ligne Anlaß. Einem unga-
rischen Edelmanne, Rittmeifter in der Armee, war in der Schlacht
von Wagram das Pierd in der Art durdigegangen, daß er ed erft
wieder in Prefburg aufzuhalten vermochte. Später ließ fich diefer
reihe Magnat in Wien nieder, und wollte feine Belannten zu
Tifche bitten. Man nahm Anftand, die Einladung anzunehmen,
aber der alte Feldmarſchall entfchied mit dem Scherze: „pourquoi
n’y irait on pas diner? son cuisinier ne craint pas le feu.“
Die Wiener Salon haben ihre Gefhichte. Seit ber
Zeit, ald Eugen, der tapfere Ritter, jeden Abend bei der Gräfin
Lorel Bathiany zubrachte, feit Kaifer Joſeph II. fih in jenem
Kreije Tiebenswürdiger Fürftinnen gefiel, bat e& in Wien nie an
Bereinigungspunkten diefer Art gefehlt. Den höchſten Glanz
erreichten diefe intimen Zirkel während des Congreſſes, und nicht
felten wurden fie felbft von den Monarchen beſucht. — Ih ſah
von jener weltbefannten Epoche nur noch — ih will nit
gerade fagen — die „Ruinen“, doch zum mindeften die „beaux
restes“‘. An ihre Stelle mar aber eine weibliche Generation
getreten, wie man fle in Wien felten fchöner und amınuthiger
gefehen; gegen zwanzig junge rauen, etwa ebenfo viele blühende
„Somteffen” überrafchten jeden Fremden, zogen alle Blide auf
fih. Da war die Gräfin Huniady LXichtenflein, waren, eben
vermäblt, die Schweitern Julie und Felicie Zichy, Töchter der
163
einſt fo blendend ſchänen Julie Jichy⸗Feſtitichs, da waren die drei
verheirateten Fürſtinnen aus der in fünf Geſchwiſterpaaren be-
ſtehenden Familie Loblowitz, waren endlih die Gräfinnen Er.
Ricky, Aug. Zayary, N. Karolyi, A. Taufe, Th. Czernin, Potoda
und fo viele andere, Aber auch von den älteren Damen bielten
fich einige mit Geſchick auf der Höhe des Modetreibens. Andere
wurden, wie bie edle Fürſtin Ch. Kinsky-Kerpen, die verftändige
Fürſtin Leop. Lichtenflein, Die beiden Gräfinnen Czernin, ihrer
gehhägten Eigenſchaften wegen aufgefuht. Manche zogen ſich
wieder alfobald von einer Geſellſchaft zurüd, deren Zierde fie früher
waren, Im Gegenſatz zu diefen wohlthuenden Erſcheinungen gab
ed denn auch einige Matronen, die durch Laune, Sonderbarfeiten,
barocke Toiletten oder boshafte Commeragen bald erheiterten, bald auch
wieder verlegten. Verlacht oder gefürchtet, wurden fie nur geduldet.
Weniger als jetzt maren damals nod die „Kavaliere“ aus
Bequemlichkeit den Salons entivemdet; no gab es geiftreiche
Männer, welche bie Converfation belebten und wieder durch den
Umgang wit gebildeten Frauen an gutem Tone und Takt gewannen.
Ans den Kriegäzeiten hatten ſich noch einige Sommitäten erhalten,
denen man überall gern begegnete. Ach ſah beionders bei Ketten:
born viele ſolcher Heldengeflalten vorüberziehen, doch mit jedem
Jahre Lichteten ſich ihre Meihen, und die Leihenzüge mit dem
gebarniichten Ritter zu Pferde waren Tein ungewöhnliche Schau:
ſpiel. Auch einige wahrhaft populäre Erfcpeinungen, wie Fürſt
Wenzel Lichtenftein, Ferd. Palffy u. a. m., ohne die man ſich
Wien kaum denken konnte. ine befondere Stellung nahm Fürft
Franz Dietrigftein ein. Früher im Kriegsdienſte außgezeichnet,
M.⸗Th.-Ritter, hielt er fi von Staatsgeſchäften mie von geielligen
Kreifen fern und verband mit einem Verſtande ganz eigener Art eine
ſelbſt gewählte Lebensweiſe. Großmüthiger Beſchützer der Künfte,
. ſchoöpfte er auch, wenn es galt, Wohlthätigkeit zu üben, aus einer
unverſiegbaren Quelle.
11*
164
Unter den Salons galt jener der Gräfin Molly Zichy—
Ferraris für den eleganteften. Er mar jeden Tag einer außer
lefenen Geſellſchaft geöfinet, die Converfation ebenfo heiter als
belehrend. Die Gräfin wurde darin von zwei Töchtern und einer
Schwägerin unterftüßt. Man kam, ging, ſprach, hörte und wählte
fi einen der Zirkel aus, welche die vier Damen, jede gefellig in
ihrer Art, gebildet hatten. War Melanie lebhaft, ein muth⸗
williges, oft launenhaftes Kind, durch graziöfe Schönheit und
originellen Geiſt fefielnd, fo erfreuten Henriette dur ihre
feltenen Talente und ein anſpruchlos heiteres Weſen, Karoline
aber durch geiftreiches Geſpräch. Scherze, Anekdoten wechfelten
da mit Bemerkungen über Kunft, Literatur, feltener über Politik,
doch konnte felbftverftändlih die Medifance nicht immer ausge:
ichloffen bleiben, wenn man gleich gewöhnliche Stadtnenigfeiten
oder Gemeinpläte vermied. Nicht felten waren auch Spielpartien,
und ich verdanke diefem Haufe eine ganze Reihe genußreicher
Abende.
Einen anderen Salon mußte man nahe am Prater fuchen.
Man traf da einen faſt erblindeten Greis, umgeben von Ver:
wandten und alten Freunden. Es war dieß der Fürft Andreas
Raſſumofsky, der einft zu St. Petersburg wie als Botfchafter
in Wien eine fo hervorragende Stellung eingenommen. Der
weite Palaſt, am Donaufanale mit reizenden Anlagen, tar,
während des Congreffe nach einem Feſte in Flammen aufgegangen
und nun wieder aufgebaut und geſchmackvoll eingerichtet, von der
ruffiihen Regierung angefauft. Ein reges Leben brachte die
Gräfin Leo Raſſumofsky in diefen Zirkel; ihre frohe Laune febte
Alled in Bewegung, und fie mar ungeachtet ihres worgerüdten
Alters erfinderiich in jeder Art geielliger Unterhaltung. Außerdem
empfingen die Lubomirski, Potodi u. A. die Blüthe des galiziſchen
Adels und im Haufe Schönborn verjammelten fi gewöhnlich
die Säfte „aus dem Reiche“. Mehr einen anziehenden Familienfreis
165
als einen eigentlihen Salon bildete das fürftlih Clary'ſche
Haus. Fürft Karl (unter dem ihm von der Kindheit gebliebenen
Namen „Lolo” bekannt) war das Vorbild eines vollendeten Edel:
mannes; fein fchönes, ausdrucksvolles Geſicht verriet Geiſt wie
Wohlwollen. Seine Mutter, eine der drei Töchter des Fürften
de Ligne, feine Frau, geborne Gräfin Chotek, feine liebenswürdigen
Töchter bildeten mit den beiden Tanten Palffy und Spiegel das
Innere dieſes angenehmen Hauſes. Man fand da die Fürſtin
Kaunitz mit ihren drei Töchtern, die Gräfin Goës, die fein ge
bildete Gräfin (Balentin) Eſterhazy. Auf den YFürften Karl
hatte fi ein Theil des Geiltes feines Großvaters vererbt; er
war die Seele jedes Zirkeld. Die Gräfin E. Balffy (de Ligne)
aber gehörte zu jenen Ericheinungen, die immer mehr aus der
Geſellſchaft verſchwinden; fie war in ihrer freundlichen Unbefangen-
beit der wohlmwollendfte weibliche Amphytrion, und äußert angenehm
die Meinen Dinerd in ihrem Haufe (Wallnerſtraße). Dieſem
zunächſt Tagen auch die Paläfte Eſterhazy und Ezernin. Ju
dem erſteren gab die originelle, Iebenzfrohe Fürſtin Marie, geborne
Lichtenſtein, Feſte der jeltiamften Art, welche nur zu oft an die
Ueberrafhungen erinnerten, die nad den launigen Erzählungen
der Die. d'Abrantès einſt Frau v. Mazarin in Paris erſann.
In früherer Zeit war der Salon der Gräfin Fuchs, gebormen
Gallenberg, der beliebtefte. Der fchönen „Lori“ huldigte befonders
die elegante Mlännermwelt, die außgezeichnetiten Offiziere der Armee
lagen ihr zu Füßen. Das Geheimniß ihrer Anziehungskraft Tag
nicht fowohl in ihrer Schönheit, — denn bei einem blendenden
Zaint, feelenvollen Augen und einer üppigen Geſtalt waren ihre
Züge nicht regelmäßig — fie feffelte vielmehr durch Sanftmuth,
eine mit mäßigem Berftande gepaarte Gutmüthigkeit und eine
grazidfe Indolenz. Im Kreife ihrer Freunde hieß fle nur die
Königin, und es hatte fih unter ihrem milden Scepter jene gejel-
lige Vertraulichkeit gebildet, welche, der eigentliche Weiz einer
166
Cotterie, Me Fäden eines heiteren, theilnehmenden Geſprächs immer
wieder aufnehmen läßt. Diele verführeriſche Fran mar für das
Leben am ein kleines Weſen gefettet, dad unter dem Namen
„Xavier“ Teine andere Bedeutung hatte, als ihr Gemahl gu fein.
Mit cyniſcher Bormirtheit machte er ſich ſelbſt Über dieß Verhältniß
luſtig, und es traf fidh, daß eines Abends, zur Zeit ihres Glanzes,
ein Engländer die Frage an die Hausfrau richtete: „Wer denn
der unanfehnliche Herr fei, den er Hier täglich treffe, welcher wie
ein Wort fpreche und ſich nur bei den Souper durd, einen bemei-
denswerthen Appetit bemerkbar mache?“ „Comment, rief bie
Gräfin lachend, „e'est mon mari! vous ne le comnaissiez donc
pas?“
Dod der Aufwand eines fo gaflichen Haufes ftand mit dem
Vermögen der Familie Fuchs nit im Verbältnig. Auf ein Feines
Einkommen angemiefen, zog ſich die gute Gräfin von der Welt
zurüc, fah fi) aber gegen den gewöhnlichen Lauf der Dinge von
ihren Freunden, welde mit ihr gealtert, nicht verlaffen; fie ver⸗
doppelten vielmehr ihre Aufmerkfamfeiten für fie. Ihre beichränfte
Wohnung in der Strauchgaſſe faßte oft kaum die zahlreichen Be
fuchenden, welche fih um eine Lampe zu einer Taffe Thee ver
fammelten. — So fand ih den Salon Fuchs! Bon Damen traf
man da in erfter Reihe die drei kurländiſchen Prinzeffinnen. Die
ältefte, Herzogm von Sagan, war ters vorlibergehend in Wien,
die beiden anderen Schweitern, Pauline, Fürftin von Hobenzollern,
und Johanna, Herzogin von Accerenza, Hatten fi feit Jahren
dort niedergelafien, Iebten jedoch nur in einem Tleinen Kreiſe
näherer Belannten. — Ihr Umgang war ihres Weiftes, ſelbſt
einer gewiſſen leidenſchaftlichen Richtung megen gefuht. Unter
den Herren waren es audgezeichnete Krieger, wie Prinz Philipp
von Bellen: Homburg, Wallmoden, Tettenborn, Woyna u. a.,
welche ben Kern jener Geſellſchaft bildeten. Auch der Herzog von
Naffau, Prinz Emil, die Fürften Lihtenftein und Wittgenftein,
167
Sculenburg, Gens, Eoudenhoven fanden ſich oft ein. So verfloß
das Leben der Gräfin Lori, — im Sommer zu Baden oder
Iſchl — getrübt dur häusliche Sorgen und den fchmerzlichen
Berluf einer einzigen Tochter, bis fie endlich einer langwierigen
Krankheit unterlag.
Ein anderer Salon von eigenthümlichem Gepräge, meiftens
nur von Männern bejucht, war jener der Wittwe ded ehemaligen
Minifter v. Hügel. Diefe in mander Beziehung merkwürdige
Frau mar von zwei Töchtern und zwei Söhnen umgeben, von
ihnen mit wahrer kindlicher Liebe verehrt und gepflegt. “Die
ältere, Marie, ftarb bald (1829) in Karlsbad, eine früh ge
knickte Blume, eines befferen Geſchickes werth. Fanny, eine der
gefeiertiten Schönheiten Wiens, vermählte ſich fpäter wit dem
bannöverifhen Diplomaten Grafen Hardenberg; beide find num
todt, fowie au Clemens, der, ein tiefer Denker, ein Mann
von gründlichem Wiffen, als Hofrat in der Staatskanzlei ver:
wendet wurde. Karl Hügel endlich hatte ich als Hufarenritt:
meifter in Neapel kennen lernen. Als er den Dienft verlaffen,
wandte er ſich, ausgerüftet mit feltenen Gaben, eifrig den Natur:
wiſſenſchaften zu und erwählte die Botanit zum Lieblingsitudium.
Es ließ ſich nichts fo finnreich geordwet, fo bunt au auswärtigen
feltenen Pflanzen denken, als jeine Billa und Treibhäuſer in
Biking, Er fah da, wie ein König in Flora's Neich, und feiner
Umfiht wie feinem Geſchmacke verdanfte Wien eine Reihe ge
Iungener Blumen: und Pflanzenausftellungen. Dabei war Hügel
der Pfeier, um den ſich die junge elegante Männerwelt drehte;
kein Ball, kein Piknik, Teine Landpartie ohne feine Leitung, fein
Teit ohne feine Anordnung; er war beftändiger Vortänzer, und dabei
verband er mit einer oft undanfbaren und ermüdenden gefelligen
Chätigkeit jo viel Ruhe, Takt und Freundlichkeit, daß ihn weder
Reid noch Intriguengeiſt auf dem Throne der Mode erreichen
konnten, den er durch 10 Jahre behauptet hatte. So verließ ich
168 _
ihn 1830 und follte ihn erft nad) langer Zeit wieder in ganz
anderer Lage jehen!
Sol ih nun kurz Ton und Geift der damaligen Geſellſchaft
bezeichnen, jo möchte ich fie ebenfo fein als harmlos nennen;
ohne politifche Kabale bewegte fi die Unterhaltung in einem
ziemlich einförmigen Sreife, an fi unbedeutenden Dingen eine
große Wichtigkeit beilegend, über die man fpäler ſelbſt oft Tächelte.
Es galt einen Kampf um den Vorzug in der Eleganz, man ftritt
fi) in allem Ernfte um die Frage, wer zur „Er&me“ gehöre,
und nit immer beftimmten gerade Schönheit, Neihtbum, Ber:
ftand, Rang oder Geburt, ob in diefem fafhionablen Reiche Bürger:
rechte zu erwerben waren, denn launiſch wie fie tft, Tieß feine
Megentin, die Mode, nur zu oft den Zufall malten. &3 müdeten
fi Viele vergebens ab, die Höhe des „Rahmtopfs“ zu erreichen,
Andere ſchwangen fih in unerflärbarer Weife leicht dazu auf.
Eitelfeit, Uebermuth, Nückfichtslofigfeit gegen Fremde und nicht
Bevorzugte waren allerdings bei fo eng gezogenen Schranfen nicht
zu verfennen; fie find aber unvermeidlich, will man die höheren
Kreife rein von fremdartigen Elementen halten, welche fie für
immer unmöglid machen würden. — Während daher zu Berlin,
in anderen deutfchen oder in italienifchen Refidenzen der Hof den
Ton angibt, während in Paris politifche Bedeutung oder Geld
und immer wieder Geld, Rang und Stellung in der Gefellfchaft
beitimmen, gefiel man fih damals in Wien fogar in einer Art
gefelliger Oppofition gegen den Hof, und näherte ſich fomit in
feiner ariftefratifchen Färbung mehr dem Londoner Modetreiben.
Wenn ich bis jet Bedenken getragen, von dem Fürſten
Metternich zu fprechen, fo geſchah es, meil die bisher über ihn
erfhienenen Schilderungen mich in Feiner Weife befriedigten; fie
find entweder vom Barteigeift diktirt, und es entfteht in Folge
169
leidenſchaftlicher Ergüffe ein verzerrtes Bild, oder fie find noch zu
Lebzeiten des Yürften gefchrieben, voll fader Schmeicheleien und
Ruhmpreifungen. Es ift das Schickſal der letzteren, daß fie,
meiftend das Biel des Lobes werfehlend, darüber hinausſchießen,
fomit den Wunſch rechtfertigen: „Gott bemahre und vor unferen
Treunden und ihrem blinden Eifer!“ — Dept erft, nachdem des
Fürſten eigentlihe Amtsthätigfeit mit dem Jahre 1848 aufgehört,
nachdem er nun audy fein, an glänzenden Erfolgen wie an bittern
Erfahrungen fo ungemein reiches Leben im 87. Sabre beichloffen,
läßt ſich vielleicht ein unbefangenerer Weberblid gewinnen, Licht
und Schatten gehörig vertheilen. Dennoch finde ich es aud) jebt
noch gerathen, bier den Menſchen vom Staatdmanne zu trennen.
Der Fürft felbft hat irgendivo ganz richtig bemerkt, daß feine
Memoiren fhon gefchrieben feien; fie lägen in den Archiven, und
in der That ift feine politifche Wirkſamkeit mit allen Zeitfragen
vermwebt, . fein Name knüpft fidy an jede wichtige Begebenheit, fo
daß feine Biographie unzertrennlich geworden von der diplomatifchen
Geſchichte der erften Hälfte unferes Jahrhunderts. Wer Tann es
aber wohl jest ſchon unternehmen, dieſes unabfehbare, größtentheils
noch unbelannte, in jenen Archiven vergrabene Material zu ver-
arbeiten und eine gediegene, umfafjende Darftellung fo feltiam
verwidelter VBerbältniffe zu entwerfen? Ueberdieß bat der Staats-
kanzler, wenn auch Feine fortlaufenden Memoiren, doch Aufzeich⸗
nungen über die denfwürdigften Momente feines politifchen Lebens
binterlaffen. Wie ift es nun möglich, ohne deren genaue Kenntniß,
einer Aufgabe zu genügen, die bis jet noch Niemand erfchöpfend
gelöſt? Wil man jedoch vorläufig einen ſolchen Verſuch wagen,
jo find, wie mir fcheint, fünf durchaus verichiedene Epochen in
der Laufbahn des Fürften zu trennen. Wirft man diefelben, wie
dieß jo Häufig gefchieht, durcheinander, fo wird das Gefamnitbild
immer ein einfeitige® bleiben. Der erfte Abfchnitt feines öffent:
lichen Wirken? umfaßt 15 Sabre. Noch als Yüngling in der
170
Diplomatie verwendet, fpäter feinem Vater während des Naftatter
Eongrefied beigegeben, verfah er daun nad) der Reihe die Taifere |
lichen Gefandtichaftspoften zu Dresden, Berlin und Paris. Es
ift dieß die Zeit, in der der ſchöne Mann mit jugendlihem Muthe
und Leichtigkeit die eraften Fragen des Tages behandelte und die
Treuden der großen Welt damit zu verbinden wußte. Seine
Gegner verichrieen den allenthalben beliebten Diplomaten ala einen
frivolen, oberflächlichen Lebemann, und nicht ohne Widerſtand ging
im Sabre 1809 feine Ernennung zum Miniſter de Aeußern
durh. Do bald Hatte er mit feiner neuen Stellung auch ben
tiefen Ernſt der Lage, wie das ganze Gewicht feiner Verantwort-
lichkeit erfannt. Bon da bis zum Jahre 1815, wel eine Maſſe
von Ereigniffeni Wir fmden ihn da nun auf der höchſten Stufe
de3 Glückes und Ruhmes, und die zehn nachfolgenden Jahre leitete
er unumfchräntt und erfolgreich das kaiſerliche Kabine. Mit
1825 beginnt eine neue Periode, die, in zwei fcharf getrennten
Theilen, abermals zehn Jahre in fich ſchließt — die Reftaurasion
unter Karl X., dann die Julirevolution bis zum Tode des Kaiſers
Franz. Mit 1835 trat er in eine ganz neue Yera ein, Die,
unter vielfachen Erlebniffen, mit der Entfernung des Fürften aus
der Staatskanzlei 1848 ſchloß. Don diefer Kataftrophe ax war
es ibm noch durch elf Jahre in Geiſtesfriſche vergönnt, ein unbe
fangener Zufchauer der wechſelvollen Begebenheiten zu fein, denen
er ftet3 mit lebhafter Theilnahme folgte. Ein Biograph wird
einft das Leben des Fürften in folder Weife aufzufaffen haben.
Seine minifterielle Thätigfeit kann ich aber deßhalb nur vorerft,
nad) eigener Anfchauung von 1824 an, jedesmal an gehöriger
Stelle andeuten. Dagegen glaube ich vielleicht, mehr als Andere,
im Talle zu fein, ein Charakterbild des Türften aufzuftellen.
Ich befand mich in der glücklichen Lage, ihn Sabre lang beinahe
täglidy zu fehen und zu beobachten; ih kam mit ibm in keine
Geſchäfta⸗ oder andere Berührungen, welche das Licht, in dem er
171
mir ſtets erfchien, Hätten trüben Können; ebenfo wenig aber be-
Aimmte mi die Stellung zu ihm zu einer Lobhudelei ober
offiziöten Bewunderung. Mein Stmdpuntt für Teine Beurtheilung
iM demnach wohl ein möglichft objektiver, und deßhalb um fo
ſeltener.
Als Hauptergebniß dieſer meiner Beobachtungen ſtelle ich einen,
die nachfolgenden vielleicht mehr erlänternden Satz voraus: „So
wie ſich in den Körpertheilen ein ungewöhnliches Ebenmaß fand,
ſo zeigte ſich bei dem Fürſten auch eine gleichmäßige Vertheilung
aller geiſtigen Eigenſchaften und Seelenkräfte. Die Harmonie in
den Äußeren Formen enlſprach dem Gleichgewicht feiner intellektuellen
Gaben.“ Manche Erſcheinungen in jenem Charakter und Benehmen
Toffen Fi dadurch leichter erflären. Er Tieß den Verſtand weder
durch Singebungen des Herzens, noch durch Einflüfterungen der
Mugheit beherrfchen, wenn e3 mit Umgehung höherer Grundſätze
die Erreichung perfönlicher Vortheile Hegolten hätte. Seine Ein-
biſdungskraft trübte nie feinen Maren praftifchen Blick und feine
Gemuthsruhe kieß ſich nicht leicht durch noch fo gemaltige Aufere
Einwirkungen erſchüttern. Ehrgeiz, Stolz, Eitelkeit und andere,
beionder? bei eminenten Staatsmännern hervortretende Leidenſchaften
toren auch ihm nicht fremd, wurden jedoch dur fein Rechtlich-
keitsgefühl, ebenfo wie durch eine gewiſſe Weichheit gemildert, und
in ihren etwa nachtheiligen Einfläffen niedergehalten. Mehr aß
Ehrgeiz fand ſich aber bei Metternich, mie er es felbft geſtand,
eine wahrhafte „Passion des afaires;“ «3 war ihm die Arbeit,
ed waren ihm feine freilich jo unendlich wichtigen und anziehenden
Staatsgeſchäfte To Tieb, fo unentbehrlich geworden, daß er nur die
Möglichkeit des Gedankens an feinen Nüdtritt für eimen „cas
inadmissible‘ erflärte! Er nahm daher nie Urlaub, günnte fid)
auf dem Lande, auf Neifen Leinen Augenbli Ruhe, und ließ ſich
felbſt in vorlibergehenden Augen: und mideren Krankheiten immer
Vortrag erftatten. Frih ſchon ſchrieb er in feinem Sabinelte,
172
begab fich dann über die Feine Brüde in die Burg zum faifer;
gegen Mittag nahmen die Konferenzen und Bejuche Fein Ende,
aber auch bei Tifche oder Abends gab es häufige diplomatijche
Unterredungen mit den Gäften und als er ſich gegen Mitternacht
aus dem Salon zurüdzog, erwarteten ihn Unterfchriften, die Ab-
fertigung von Courieren u. dgl. Selten nur mar eine Yahrt
oder ein Gang in der freien Luft, ebenfo gehörte ein Beſuch im
Theater oder in Gefellfchaften zu den Ausnahmsfällen. Dennoch
hörte man den Fürften nie über Ermüdung Hagen; feine Noten
und Snitruftionen, feine Depeihen und mündlichen Mittheilungen,
dad war fein Element, in dem er ſich fortwährend und gerne
bewegte. Wie oft mußte ich lächeln, wenn ich Minifter oder
Diplomaten kleinerer Staaten über drüdende Dienitpflichten, viele
Beſuche, über Kopfweh und andere Kanzleibeſchwerden jammern
börte! Was waren denn ihre Anftrengungen gegen die 40 jährige,
faum einen Tag unterbrochene Thätigfeit des Fürſten?
Nach der obigen Schilderung könnte man feinen Charakter
eine juste milieu-Natur nennen, wenn dieſer Ausdrud nicht fo
oft mißbraucht und dadurd) lächerlich geworden wäre. Sie erweckte
ihm zahlreiche, politifche Gegner in den beiden ertremen Lagern.
Wer bei ihm an irgend eine Leidenſchaſt, eine übertriebene Idee
appellirte, fand entſchiedenen Widerftand. Sein Gleihmuth, in-
mitten der ihn umbraufenden Wogen von Anforderungen, Beftechungs-
verſuchen, Vorwürfen, ſich durchkreuzenden Plänen und Intereſſen,
brachte die ihm gegenüber Stehenden oft zu einer Art von Der:
zweiflung. Doch war dabei feine Haltung nie verlebend, nie
beraugfordernd. Mit der größten Kaltblütigleit börte er die Aus:
fälle erregter Gemüther an, und behielt dadurch ſtets ein unleug-
bares Uebergewicht. Die Gewohnheit jedoch, das Geſpräch zu
beberrfchen, Tieß ihn leicht in einen doftrinären Ton verfallen, der
weder Widerfpruch erwartete, noch ihn auch gerne annahm. Cr
ließ fi daber auch jelten auf längere Diskuffionen ein, und
173
ſchwieg Tieber, wo er fih nicht verftanden glaubte. Die volle
Kraft der Heberzeugung ließ aber nicht leicht die Idee in ihm auf-
fommen, daß Andersdenkende die von ihm vertheidigte Anfiht nicht
theilten, oder fich zu derfelben befehrt hätten. Er gab fih um
fo mehr diefer nur zu oft trügeriihen Meinung bin, als Niemand
mehr wie Metternich die ihm verhaßten Grundfähe von dem Munde
zu trennen wußte, der fie befannte, Doch entließ er Manchen aus
feinem Kabinet, deifen politischen Widerftand, auf feine Ueberredungs⸗
gabe vertrauend, er gebrochen zu haben mähnte, während er fich
erft fpäter vom Gegentheile überzeugen mußte. — Vielen erfchien
Metternid in feiner Zurückhaltung ftoly, eine Regung, welche je:
doch nicht in feinem Charakter lag, und ihren Grund mehr in
einer begreiflichen Zerftreutheit hatte, melche fich nicht immer ftreng
an die Regeln einer conventionellen Form hielt. Ein wenig Weber:
hebung und Sefbftgefühl dürfte man aber doch wohl einem Manne
zu gut halten, der fo lange die Geſchicke Europa’3 in Kopf und
Hand wog, den Könige und die höchftgeftellten Geifter feier Zeit
wie ihres Gleichen behandelten, dem von allen Seiten der Hof
gemacht, gefchmeichelt wurde, und der eben deßhalb fo eigenthümlich
begabt fein mußte, um feine eigenen Verdienfte nicht allzu fehr zu
überſchätzen! Wie viele, felbft bedeutende Minifter, z. B. Kaunitz,
fcheiterten an diefer Klippe! Gar oft murde Metternich als Egoift
verfchrieen.. Kine Anklage diefer Art ift fo alltäglich, gegen die
meiften Menfchen gerichtet, wenn fie nicht gerade Vorbilder von
Seldftaufopferung und uneigennüßiger Chriftenliebe find, daß diefer
Borwurf einer ernftlichen Widerlegung bedarf. War aber Fürft
Metternich Egoift, jo war fein Egoismus von der Tiebendmwürdigften
Art; er Fam Jedem ohne Unterfchied mit der wohlmollenften Freund⸗
lichkeit entgegen, und kannte feinen perfönlihen Grol. Es war
nit möglich, milder, nachfichtiger im Urtheile über Dritte zu fein,
und nie erinnere id mich, daß ich ihn in Ergüffe von Zorn oder
Galle ausbrehen ſah. Metternich, war ein Weltmann im vollen
174
Sinne des Worte, heiter, gefellig von wahrhaft voruehmer
Haltung. Im Salon erfhien er immer einfach gefleidet, nur
mit dem goldenen Vließe geziert. Bei Tiſche, wo fih immer
einige Gäſte einfanden, fprach er auffallend wenig, er lebte äußerſt
mäßig, aß und trank fehr zerſtreut, und mar durchaus nicht
Gourmand. Seine Küche galt" daher nicht für die befte in Wien,
und felbft der edle Johannisberger floß, zum Verdruſſe der Wein:
kenner, meiftend ſehr ſpärlich. Nach Tiſche befand fi der Fürft
gerne im Kreife feiner Familie, la Zeitungen, oder zog fi in
fein Kabinet zurüd. Gegen 10 Uhr wurde der Salon geöffnet,
und da Metternich felten |pielte, fand ex eine erwünfchte Erholung
in .heiteren Gefprähen. Er ließ, dabei son einem ganz außers
ordentlichen Gedächtniſſe unterftüßt, feiner Erzählungsluſt freien
Lauf, mar unerfhöpflih in Anekdoten, in Schilderungen merkwür⸗
diger oder lächerlicher Charaktere, nidyt ohne Anflug einer feinen,
doch nie verlegenden Satyre. Er Tonute dabei herzlich Tachen;
eine harmloſe Moftification befchäftigte ihn oft Stunden lange; auch
fammelte er jelbit ein Archiy allerlei komiſcher Altenftüde, Briefe
u. dgl. Wenngleich die Politit hier in der Megel ausgeſchloſſen
blieb, jo waren doch auch ernftere Geſpräche über wiſſenſchaftliche
Gegenstände, Erfindungen, die ihn lebhaft interefirten, nicht felten.
In diefem vertraulichen Kreife umgaben ihn denn immer willige
Zuhörer, melde jo angehenden Mittheilungen Taufchten; e3 bleiben
jene Abende mir, wie allen Gleihbegünftigten, immer unvergeßlich.
Wiederholte er fi) dabei auch öfter, waren befonders bei zunehmen-
bem Alter Redeweiſe und Gedanken nicht mehr fo lebendig, die
Erinnerungen weniger frifch, fo blieb doc immer des Anregenden
und Belehrenden genug, um bändereihe Memoiren mit dieſem
abwechſelnden Stoffe anzufüllen.
Die Staatögefhäfte waren es jedoch nicht allein, welche feinen
Geiſt wie eine lebhafte Einbildungäkraft in Anſpruch nahmen; er
beſchäftigte fi vorzugsweiſe mit Naturwilfenfhaften, Chemie umd
175 _
medieiniſchen Studien, und wie Kaiſer Franz fi für einen „brauch
baren Hofrath” bielt, jo nahm Metternich an, dag er fein Brod
auch ala „tüchtiger Arzt‘ hätte erwerben Türmen. Große Sorg-
ſalt wandte er der Verwaltung feiner fehönen Herrſchaften zu,
wenn glei ihm feine Stellung ein näheres Eingehen erfchwerte,
und er fich nicht felten argen Selbſttäuſchungen überließ. Ueber
den eigentlichen Stand ſeines Vermögen? aber, wie über die Art
und Größe feines Gehaltes, herrichen immer verfchledene, ſich oft
widerjprechende Anfichten. Bei einem fo wechlelvollen Leben Tieß
fi kaum eine gehörige Ordnung und Gontrole fefthalten, und
jo einfach, jo wenig prunfliebend Metternich auch war, fo ftand
doch ein noch fo beträchtlichen Einkommen nicht mit dem be
dentenden Wufwande im Derbältniffe, den feine ausnahmsweiſe Lage
erheiſchte.
Außer der Lektüre vieler Zeitungen, beſonders franzöſiſcher
und englifcher, welche er ſtets mit langen Sommentaren begleitete,
außer den Schriften, die fi auf feine Lieblingsſtudien bezogen,
blieb dem Fürften wohl nicht viel Zeit übrig, fih mit Modelitteratur
zu beichäftigen, doch hörte er gerne davon fpredhen. An Poeſie,
felbit dramatifcher, nahm er nur untergeordnetes Intereſſe, und
auch die Mufit ſprach Ihn nur fo viel an, als fie auf jeden ge
bildeten Menſchen einwirken muß. Dagegen wandte er ſich mit
mehr Theilnahme den bildenden Künften zu, und in feinen Ur⸗
theilen darüber gab ſich der reinfte, richtigfte Geſchmack zu erkennen.
Der Hang zum Architektur war bei ihm vorherrfchend, doch hatte
er leider wenig Gelegenheit, ihn im Großen zu befriedigen. Als
Eurator der Wiener Alademie nahm er fid, des Aufblühens der
Künfte eifrig an, ermunterte, beichüßte junge Talente, und viele
Schüler verdanten ihm ihre Ausbildung auf Reifen. Mit allen
bedeutenderen Künftlern ftand er in fortwährender Berührung, in
Austaufh von Ideen, oder Ankauf von Werken. Die Wände
feiner Säle waren mit Bildern lebender Maler geziert, andere zur
176
Schau bei ihm aufgeftellt und die Gallerie feiner Villa enthielt
toftbare Werke der modernen Sculptur.
Ungemwöhnlicheö Genie, wie außerordentliche Erfolge beftimmen
die Größe eined Staatömanned. Zu allen Zeiten finden wir
Minifter, die mit weit höheren Geiftesfähigfeiten, ald Metternich,
die Geſchicke der Völker Teiteten, die Welt mit glänzenderem Ruhme
erfüllten, mit ihrem Ehrgeize erichütterten, Eroberungen, Stute:
ummälzungen vorbereiteten oder vollzogen. Fürſt Metternich firebte
nicht nach dem Rufe folder Größe; er war mehr der Dann des
MWortd und der Teder, ala der That; feine ganze Denk- und
Gefühlsweife war überwiegend confervativer Natur. Er zog,
wenn auch nicht gerade die politifche Intrigue — wie man ihm
vorwarf — doch gewiſſe Austunftsmittel einem raſchen, entſchei⸗
denden Entfchluffe vor, er umging gerne die Schwierigkeiten, fchob
die Fragen hinaus, er erivartete von der Zeit die Erledigung mancher
Geſchäfte, zögerte, vermittelte, während die Ereigniffe nur zu oft
feine Berechnungen überflügelten. Dabei war ihm immer der
Gedanke peinlich, ſich verkannt zu wiſſen; bei feinem Sinn für
Recht und Billigleit fuchte er bei jedem Anlaffe die über ihn ver:
breiteten Vorurtheile zu entkräften, machte deßhalb nicht felten Zu:
geftändniffe, oder verfprah, was er fpäter nicht immer gewähren
fonnte, und ermedte fo bei Dritten I Mufionen, die er wohl ſelbſt
oft teilte. Nur in einem Punkte war er von unbeugfamer
Eonfequenz: in dem Haffe und der Bekämpfung der Revolution,
in welcher Geftalt fie ihm auch immer entgegen trat. Er fand
daher die Anhänger der ummälzenden Seen ftet3 in der erften
Reihe feiner Feinde, die ihn mit gleicher Unerbittlichleit verfolgten.
Ich verlaffe bier diefe oberflächliche Schilderung eines Mannes,
der mehr als fo viele Andere in die Geſchicke unferes Jahrhunderts
eingriff, und bin bereit, fie an paflender Stelle wieder aufzunehmen.
Unfere Zeit aber — eine Epoche politifhen Schwindel — ift am
wenigften dazu angetban, mit unbefangenem Blicke gefchichtliche
177
Charaktere zu prüfen. Nur noch eine Bemerkung! Wären die Rügen,
welche über Metternich’? Thätigkeit abfichtlich verbreitet wurden,
Wahrheit, wären die Anfhuldigungen, Fehler und Schwächen, die
man ihm angedichtet, nur zur Hälfte gegründet, fo war fein Ver⸗
bleiben auf einem fo hohen Bolten durch 40 Jahre doch nicht
wohl möglih! Wie viele Minifter trugen während diefer Zeit in
allen Ländern ihren Ruf, ihre Treue, ihre Thätigfeit zu Grabe!
Doch nicht die Perſönlichkeit des Fürften Metternich allein
war es, welche die Aufmerkſamkeit feflelte; er follte, in den Kreis
politifcher Verwickelungen fo mächtig gezogen, auch nicht fremd
bleiben den Eindrüden, welde an Freud wie an Leid in häus—
lichen BVerhältniffen nur immer denkbar find.
Das Gefchleht der Metternih flammt, eines der älteften,
aus den Rheinlanden. Diele Vorfahren des Fürſten haben fih im
Civil⸗ und Militärdienfte ausgezeichnet. Sein Vater, Minifter
von Churtrier, dann in Defterreih, ftarb 1818 zu Wien. Ich
kannte ihn nit. Seine Wittwe, eine 1754 zu Freiburg geborne
(Beatrix) Gräfin Kagenek war durch ihre Mutter (Andlam) Ge-
ſchwiſterkind meines Vaters. Diefe Verwandtſchaft, wie eigene
Wahl brachten mich oft in ihre Geſellſchaft. Ich habe wenige
alte Frauen gekannt, welche mit der Feinheit des Benehmens jene
Friſche des Geiſtes verbanden, wie fl. Ergoß ſie ſich auch häufig
in Klagen über die Gegenwart, welche mit den Erinnerungen an
eine glückliche Vergangenheit nicht mehr gleichen Schritt hielt, ſo
war ihr Geſpräch doch nie ermüdend, ja die Vergleichungen, welche
fie dabei anſtellte, von der köſtlichſten Laune. Wenn ihre witzige
Zunge auch nicht immer des Nächften fchonte, fo fcherzte fle ebenfo
über fich felbft, und wenn man von ihrem guten Ausfehen ſprach,
eriwiederte fie gewöhnlih: „O mon cher, si vous saviez, comme
je suis barbouilldeel°— Die Fürftin war Mutter von drei Kindern:
Pauline (geb. 1771), Clemens (1773), Joſeph (1774).
Sie hing mit voller Liebe an ihnen; entjchieden trat aber ihre
Ich. v. Andlaw. Mein Tatebuch. I, 12
178
Zärtlichkeit fiir den Sohn Clemens hervor; er hatte fie am beften
veritanden, feine Mutter in vielen Dingen zum Borbilde genommen,
auf ihn übertrug fie jene Urbanität im Umgange, jene leichte Babe
der Auffaffung, melche ihm eigen waren. Bezeichnend in diefer
Sinfiht ift das Teftament der Fürftin, in dem fie ihren älteren
Sohn: „mon fils bien aime,‘ ihre Tochter: „ma chöre fille,“
Joſeph aber: „mon bon fils““ nennt.
Die Fürftin Pauline hatte das feltene Glück, nie im
Leben von der geliebten Mutter getrennt zu fein, und gab ihr
jene Fülle von Sorgfalt und Zärtlichkeit zurüd, welche ſich im
folchem Verhältniffe fo fchön entwideln Tann. Dieſe aufopfernde
Kindesliebe war es zunächft, welche den Charakter der Herzogin
jo verehrungswürdig machte. Sie tbeilte mit ihrer Mutter viele
edle Gaben des Herzen? und Verſtandes, wie die beinahe ſchwärme⸗
rifhe Anhänglichfeit an den Fürſten Metternih. Das Gemüth-
liche im Charakter Paulinens herrſchte wohl vor, dagegen vermißte
man an ihr die anmuthsvolle Gewandtheit, den ftetS heiteren
Geiſt, welche ihre Mutter felbt bei anhaltenden Förperlichen Leiden
nie verlaffen. Pauline hatte fi nach vielen Hinderniffen erft
fpät (1816) mit dem Herzog Ferdinand von Württemberg (Bruder
des Königs Friedrich) vermählt. Diefe Verbindung brachte fie in
eine etwas falfche Lage, und ihre wortrefflichen Eigenfchaften, nicht
felten dur Äußere Formen erdrüdt, wurden nur von ihren
näheren Bekannten gehörig gewürdigt. Der Herzog Ferdinand
aber, welder fih bi? zur Würde eines k. k. Feldmarſchalls empor:
geihmungen, mar ein ftattliher Herr von ungemein böflichen
Formen, aber etwas bizarrem Charakter. Statt des, nur Katholiken
verliebenen, goldenen Vließes trug er das mit Diamanten befebte
Porträt des Kaiferd an dem rothen Bande diefeg Ordens.
Sonderbar genug war der Herzog durch feine Heirath zugleich
Schwager des Fürften DMetternih und des Kaiſers, deſſen erfte
Gemahlin befanntlih Efifabetb von Württemberg war. — Mas
179
nun den Grafen Joſeph Metternich betrifft, fo gebörte er jener
Klafle von Gterblihen an, welche, wie Figaro fagt, fi die Mühe
gegeben haben, geboren zu werden. Anſpruchslos floß fein Leben
dahin, das er auf fünfzig und etliche Jahre brachte. Stets nur
feinen Neigungen folgend, und gleich weit entfernt von den Staats⸗
geichäften wie von der erſten Gejellichaft, befannte er ſich zu einer
ganz eigenen Lebensphiloſophie. Früher Domherr, bewohnte er
dann 20 Jahre lang die Staatäfanzlei, kam aber nur bier umd
da bei dem Krühftüd mit feinem Bruder zufammen.. Man ſah
ihn nie bei Tiſche oder im Salon, ebenſo wenig bediente er ſich
eined Wagens. In einen Mantel gehüllt, mit einer Mütze bedeckt,
ſchlich er fich Abends aus feiner Bier: und Rauchgeſellſchaft oder
von der Whiftpartie bei feiner Mutter nah Haufe, zlndete bei.
dem Portier feine Heine Handiaterne an und ging, unbelümmert
um das geräufchunlle Zreiben der großen Welt unter ihm, im
feinem beicheidenen Gemache zu Bette. Bei diefer zurüdgezogenen,
bürgerlichen Lebensweife galt er für einen Sonderling, und feine
Familie ließ ed dem „bon Pepe‘, wie er bieß, an Ermahnungen
nicht fehlen. Doc ftörte ihn dieß in feinen Gewohnheiten nicht;
joe wie man nichts von feinem Einfluffe erwartete, war er auch
Niemanden im Wege und im kleinen Sreife feiner Bekannten
feines harmlofen Weſens wegen beliebt.
Durh feine erfte Ehe war der Fürſt Metternich mit
öfterreichifcehen Familien verwandt geworden; zwei Töchter Der
Fürftin Eleonore (fiche oben), Marie, verehelihte Gräfin Joſ.
Eſterhazy, und Elementine (ſchon mit 17 Jahren), waren ihr
im Tode vorangegangen. Die unvergleichliche Schönheit der Iekteren
bat Laurence in einem Bilde wiedergegeben, dad man jekt noch
bewundert. Die zwei jüngeren Züchter, Leontine mit 14,
Hermine mit 10 Jahren, waren nad) dem 1825 zu Bari er
folgten Ableben ihrer Mutter nach Wien zurüdgelehrt. Die Gräfin
Flore Wrbna:Ragenet, Couſine des Fürften, machte damals
12”
180
die Honneurs in der Staatskanzlei. Außer den regelmäßigen
Sonntagsfoirden waren größere Teite und Dinerd dort nur jelten.
Der einzige Sohn, Victor, befand fih in Paris. MWiederholt
fprah man von der Abficht des Fürften, fich wieder zu vermählen;
man bielt ihn von der veizenden Ericheinung der Gräfin Melanie
Zichy angezogen — da kam ganz unerwartet eine Familie von
Münden nad) Wien, von der man fagte, daß fie Metternich früher
in Neapel gekannt hatte. Diefe Familie beftand aus einem lahmen,
fih mühſam auf Krüden durd die Salons fchleppenden Vater,
deffen Fluges Gefiht eine Paar große Brillen dedte, aus einer
Mutter, deren wahrhaft italienische Lebendigkeit fih mit Spuren
nicht gewöhnlicher Schönheit verband; endli aus vier Kindern,
zwei Töchtern, zwei Söhnen. Diefe Familie mar die freiherrliche
von Leykam. Unter den noch jungen Kindern erfchien die Ältefte,
Antoinette, jo ungemein lieblih und anmuthsvoll, dag der Fürft,
von diefem Zauber ergriffen, bald beinahe jeden Abend in dem ihn
erheiternden Zirkel jener Familie zubrachte, mo Muſik mit munteren
Geſprächen mwechfelte und täglich mehr Belannte, befonders Diplo:
maten, eingeführt wurden — fo entitand der Salon Leyfam.
Nur die Damenwelt hielt ſich größtentheils ferne, und Mutter,
Schweſter, wie die Koufine des Fürften beobachteten mit ängftlichen
Bliden feine ſich ftet3 fteigernde Neigung. Als num im Sommer
1827 Metternid fein Schloß Königswarth befuchte, verbreitete
fi von Marienbad aus, wo die Leykam meilten, die überrafchende
Kunde, daß die Verlobung erfolgt fei. Ich mar gerade in ber
fleinen Billa zu Grünberg bei der alten Yürftin Whiſt fpielend,
als Eſterhazy, des Fürften Schwiegerfohn, den Verwandten jenen
Entſchluß mittheilte. Es knüpften fi an diefes Ereigniß Klatſche⸗
reien, welche weit die Grenzen einer gewöhnlichen Commerage
überſchritten, und rufe ich mir jetzt noch alle dieſe Vorgänge leb⸗
haft in's Gedächtniß zurüd, fo meiß ich nicht, was ich mehr
bevundern fol, die Ausdauer des Türften, welcher fo vielen
181
Rüdfichten und Hinderniffen troßte, oder die Umficht und das Auge
Benehmen der Leyfam, vor Allem aber die tadellofe Haltung
Antoinette. Es war nicht möglich, die Huldigungen de nicht
mehr jungen Fürften mit mehr Beſcheidenheit und unbefangener
Ruhe aufzunehmen. Sie befaß aber befonderd im hohen Grade
die jeltene Gabe des Zuhörens, ging wißbegierig mit fichtbarer
Theilnahme auf fein Gelpräh ein, und e3 freute den Fürften,
auf ihre Erziehung einzumirken, in ihr die empfängliche und zu
gleih ſchöne Schülerin erfennend. Die günftige Meinung, melche
er von ihrem, durch blendenden Sugendreiz gehobenen edlen Charakter
gefaht, Hat fih auch in der Folge bewährt. Und war e3 dem
Fürften denn gar zu fehr zu verargen, daß er mit 53 fahren,
von Geſchäften erdrüdt, fi ein angenehmes Interieur ſchaffen,
eine Frau nach feinem Herzen, feinem Geſchmacke wählen mollte,
wenn gegen ihre Perfönlichkeit nicht3 einzuwenden war? Bon diefer,
wohl der beiten Seite faben die fürftlichen Verwandten die Sache
nun auch an, behandelten die vom Kaifer zur Gräfin von Beil:
ftein erhobene Braut liebevoll, ja der Herzog Ferdinand wollte,
daß die Vermählungsfeter in dem damald von ihm bewohnten
Taiferlichen Luftfchloffe zu Hetzendorf begangen werde. Man bes
flimmte hierzu den 5. November. Schon hatte es feit einigen
Tagen gejchneit; unfreundlih und Falt, wie das Wetter, war die
Tahrt, eifig, wie die Kapelle, die ganze Ceremonie. Außer den
beiden Familien waren nur wenige Zeugen zugegen. Der Probft
von Hebendorf, welcher die Trauung vollzog, hielt eine etwas ein-
fältige Rede; freilich war eine Anfprache unter dieſen Umftänden
nicht leicht, fie hätte daher fügliher ganz unterbleiben können.
Hierauf fand — 1 Uhr — ein Gabelfrühftüd ftatt; aber auch
diefes file Mahl follte durch eine unerfreulihe Nachricht unter:
brochen werden, denn ein Courier brachte während deflelben die
Nachricht der Seeſchlacht von Navarin. Der Fürft verließ fchnell
den Tiſch; Alles kehrte beftürzt in die Stadt zurüd, und Gens
182
erflärte diefe Störung für ein böfes Omen! — So wur daß
früher kaum Geahnte, wenn gleich mit Kämpfen und Opfern,
geichehen und der Winter verging in bebaglicher Ruhe. Das
Haus Metternih wurde wieder der Schauplah von Feſten aller
Art, bei denen aber die Mufit immer die Hauptrolle fpielte.
Deutſche und italienifhe Sänger waren tägliche Gäfte und wett⸗
eiferten mit ebenfo ausgezeichneten Dilettanten, unter denen Baron
Schönſtein, ein geborner Troubadour, die Schubertiſchen Lieder
unnahahmlich vortrug. Am meiften gefielen aber die |. g. koſtü⸗
mirten Eoncerte, geſchmackvoll zufammengeliellte Scenen aus
beliebten Opern. Frau von Leykam Mutter aber war die Seele
diefer anziehenden LUnterhaltungen; überaus mufilalifch gebildet,
hatte fie felbft nody eine ſchöne Stimme mit herrlicher Methode.
Die Fürftin Antoinette wurde bei Hofe wohlwollend empfangen
und ſah ihren Salon allmälig fih mit Wiener Damen füllen;
fie gefiel dur Einfachheit und würdiges Benehmen, und alle
frühere Zurüdhaltung war bid auf wenige Ausnahmen verſchwunden,
jelbft die Familie Zihy behandelte fie mit anerkennungswerthem
Takte Nur die Gräfin Flore Webna-Kagenek Tonnte fi Tange
nit in das Unvermeidlihe finden; fle war an der Spige der
Unzufriedenen, welche ſich laut mißbilligend über die Wahl des
Fürſten äußerten, und man nannte fie fcherzweife nur: „La veuve
du canap6!‘“
Wie alljährlich, wurde auch 1828 der Geburtstag des Fürften
(15. Mai) in der Villa gefeiert. Seine junge rau wollte ihm
einige Weberrafchungen bereiten, die nicht alle gleich glüdlich aus⸗
fielen. Den Anfang machte ein Meines Concert; es hieß, Paganini
werde fi) Hier zum erften und einzigen Male in einem Private
zirkel hören Yaflen, und Alles war darauf gefpannt, diefe unheim⸗
liche Geftalt und das dämoniſche Spiel in der Nähe zu beobachten.
Doch vorher trat Fürſt Dietrichftein, den man lange nicht geieben,
mit einem blonden Süngling an’d Klavier. Dieſer begann feinen
183
Bortrag, doch es wurden gerade Erfrifchungen herumgegeben, die
Geſellſchaft war zerfirent, und Fürſt Dietrichftein rief plößlich
entrüftet: „‚Cessez de jouer, on ne vous &coute pas!“ Nur
mit Mühe konnte man den jungen Künftler beivegen, feine Sonate
wieder aufzunehmen. Diefer angehende Birtuofe war — Thalberg.
Auf ihn folgte Paganini's Hexenconcert. Bald nachher gerieth
der Salon in eine andere Bewegung: Teueriprigen feien vor dem
Haufe; doch man hatte die Beleuchtung des Gartens in der Stadt
für einen Brand genommen, und die zu eijrige Feuerwehr zog
wieder ab. Man begab ſich nun in die Gallerie, wo eine Yünft-
liche Blumenausftellung ftattfand. Die jungen Mädchen nahmen
fih jedoh ala Pflanzen und Blüthen nicht gut aus, und als fie
ſich vollends im ihrem grotesfen Kopfpuge zum Lanze erhoben,
Ionnte man nicht leichter etwas Plumperes fehen.
Heitere, zufriedene Tage verlebte der Yürft in diefem Sommer
auf dem fürftlih Trautmannsdorfiſchen Schloffe zu Walterdorf bei
Baden. Stantögefchäfte murden da durch den ihn immer an-
fprechenden Umgang mit der Frau feiner Wahl unterbrochen,
deren liebenswürdige Eigenfchaften täglich mehr bervortraten. Auch
fein Sohn Victor mar nad) langer Abweſenheit wieder auf Beſuch
gefommen, und in der Hoffnung auf einen weiteren Erben fchien
dem Fürſten ein neuer Glüdsftern aufzugehen. Ein Gemälde
Antoinette'8 von Ender erinnert an jenen ungetrübt froben Aufents
halt. Sie fteht in Lebensgröße auf dem Balcon des Schloffes,
heiter lächelnd, doch nicht ohne den melancholiſchen Zug um die
Augen, der ihr eigen war. In einfach weißem Anzuge fchreitet
fie auf dem Bilde die Stufen abwärts dem Garten zu, während
ihre eigenen Schritte dem Grabe fo nahe waren! Den Hinter:
grund bildete der majeftätifche Schneeberg, in ſchwarze Gewitter:
wolten eingehüllt!
Kaum war der Fürſt in die Stadt zurückgekehrt, ald der
Tod in kurzen Zwiſchenräumen eine reihe Ernte in feinem Haufe
184
hielt. Den Anfang machte die Fürftin- Mutter, melde am Namens:
tage ihre Sohnes (23. November) mit 74 Jahren ftarb. Sechs
Wochen naher — 7. Januar 1829 — erfolgte die Niederkunft
der Yürftin Antoinette mit einem gefunden Knaben. Doch ſchon
am neunten Tage ihres Mochenbettes verſchied fie unerwartet
Schnell an einem zurüdgetretenen Frieſel. Schmerzlih waren alle
Belannten von diefer Nachricht ergriffen und allgemeine Theil-
nahme verbreitete ſich durdy die ganze Stadt. In der That war
8 auch ein Ereigniß ungewöhnlich trauriger Art; eine junge
Mutter ſchon nach flüchtig verſchwundenem Glücke, an einem viel-
fach beneideten Ziele angelangt, nun entfeelt im Sarge, an dem
der Fürſt eine mit Sorgen erfaufte, vorausfichtlih für's Leben
geichloffene Verbindung gelöft ſah! Am härteften aber traf dieſer
Schlag die Tamilie Leyfam. Die Mutter, welche nody des Tags
zubor auf einem glänzenden Balle bei dem Erzherzog Karl die
Glückwünſche der ganzen Geſellſchaft, ihrer wenigen freunde, ihrer
zahlreichen Neider, empfangen, und ftolz, der Zukunft vertrauen,
war alfobald neben der Leiche ihrer Tochter ein wahres Bild der
Verzweiflung! Mir jelbft kommen diefe zwei Jahre, mährend
welchen die Leyfam ihre Fühnften Wünſche erreicht und Alles
wieder verloren Hatten, wie ein Traum vor. Ich war nicht Zeuge
der Geſchicke diefer Familie vor und nad jener Epoche; ich Tann
daher nur vom Hörenfagen fprechen. Herr von Leykam Vater,
früher in Taxiſchen Dienften, badifcher Kammerherr, dann fpäter
zum brafilianifhen ®efandten in Frankfurt beftimmt, welchen
Poſten er jedoh nie antrat, begleitete feine beiden Söhne auf die
Univerfität nach Göttingen und wurde während des Gottesdienftes
am Jahrestage des Todes feiner Tochter vom Schlage gerührt
und verſchied fogleih. Seine Wittwe hielt fi mit ihrer jüngeren
Tochter, unter allerlei nicht alltäglichen Erlebniffen, Yange in
Stalien auf, ging jelbft eine feltfame zmeite Ehe ein und ver:
heirathete Thereſine in Ylorenz mit dem Sohne eined reichen
185
Amerifanerd, Thorn. rau von Leykam hatte ein nicht minder
ſchnelles Ende als ihr Gatte. Auf der Rückreiſe von Karlsbad
1840 zu Regensburg angelommen, nahm fie im Gafthofe ein
friſches Glas Waſſer und ſank todt zu Boden. Die beiden Söhne
nahmen jpäter eine ehrenvolle Stellung in der Diplomatie und
öfterreihifchen Armee ein; Anatole, num General, war einer der
Lieblingsadjutanten Radetzky's.
In demfelben Jahre, ala Richard, defien Geburt der Mutter
das Leben gefoftet, zur Welt Tam, farb (Nov. 1829) Victor
Metternich nad) unfäglichen Leiden an einer unbeilbaren Lungen:
krankheit, und abermals ſetzte fih traurig von der St. Michaels⸗
firhe aus unter dem düfteren Scheine der Fackeln ein Leichen:
wagen nad der fürftlihen Gruft zu Pla in Bewegung. Victor
war ein junger Mann von ausgezeichneten Fähigkeiten; es war
ihm der Adel der Gefinnung, die Wärme des Gefühle, das wahr-
haft Diflinguirte des Edelmannes im hoben Grade eigen. Er
war für den Geſandtſchaftspoſten in Dresden beftimmt, wo aud
Metternich feine diplomatifche Laufbahn begonnen hatte; doch unab:
bängigen Sinne, ftill, zurücdhaltend, kränkelnd, zog es Victor,
felbft gewählten Umgange, liebgewordenen Gewohnheiten lebend,
vor, bis zum 27. Jahre als Attaché der kaiſerlichen Botſchaft in
Paris zu bleiben, und verließ dieſe Stadt nur, um nach einem
kurzen Aufenthalt in Italien ein zu ſo ſchönen Hoffnungen berech⸗
tigendes Leben im väterlichen Haufe zu beſchließen!
Endlih trug man auch bald nachher (1830) geräufchlog,
wie er gelebt, den guten Pepe Metternich zur lebten Ruhe! —
Eine zu Anfang 1825 erfchienene „Revue politique‘‘ ftellt
die nachfolgenden Turzen, aber Die Lage bezeichnenden Betrach⸗
tungen an:
„Dans la situation actuelle des soci6t6s, dans le mouve-
ment rapide qui les emporte, une annde est un poids dans
186
la destinde des empires; les &venements se pressent et se suc-
cadent avec une promptitude qui révèle l’agitation- du monde,
Cette agitation elle-m&me sera plus vive de jour en jour, et
le mouvement ne cessera point que les peuples n’sient con-
quis le dögr& de bonheur, qu’ils ont concu, et que la poli-
tique ne soit en harmonie avec la morale publique .... .
Ainsi la France, sans &tat fixe, plac6e entre son ancien et
son nouveau rögime, est rappelde & ses vieux präjuges, l’Italie
impatiente, attendant le moment de se defaire des siem, .....
l’Autriche, conservant le modele de la servitude heureuse!?
La Prusse, ne sachant comment accorder son &xistence poli-
tique et son 6tat civil... . L’Allemagne, toujours occupee
des droits des rois et des peuples, interrogeant toujours tout,
et ne decidant rien!!... . La Belgique, n’ayant qu’un pas
à faire pour ötre le plus heureux 6tat de PEurope!? ....
[Irlande, d’autant plus fanatique, qu'ello est plus malheureuse;
ne. l’6sprit polonais survivant & la Pologne .... . a
Suede, avec ordre et sagesse!! marchant à ses nouvelles
destinses!? le Danemare sans mouvement au milieu des s0-
ciötes Ebranlds..... la Turquie s’6croulant enfin aux accla-
mations des peuples civilises — la Gröce, se relevant sur
ses ruines, et se replacant au rang des nation. .... cafin
la superbe Angleterre, appuy6e sur l’Amerique, planant du
haut des mers sur cette Europe agitoe, contemplant sans
danger les orages qui s’y amancelent et dirigeant ses agita-
tions & son gre. . . . . .
Telle est Europe aux premiers jours de 1825, elle n ne sera
plus la m&me & la fin de son cours! .....
Diefe, nicht ohne Kiberalen Anflug geichriebene Ueberſicht paßt
zum Theil aud) noch auf die heutigen DBerhältniffe, enthält außer:
dem aber propbetiihe Winke. Sie läßt damals fchon den Abfall
Belgiens von Holland, den Aufruhr Polens, die Politik Schwedens,
187
wie die Erfchätterungen der Türkei ahnen. Bet Vebertragung
jener allgemeinen Merkmale auf die Zuſtände der &fterreichiichen
Monardyie glaube ich, wie ſchon oben angedeutet, mich nicht zu
irren, wenn ich daB Neujahr 1826 ala den Zenith der einfluß-
reihen Macht des Wiener Kabinets bezeichnet babe. Bon jener
Zeit an bielt es fich nicht mehr auf der gleichen Höhe: es hörte
auf, die Situation zu beberrichen, ließ ſich vielmehr von den Er:
eignifien tragen. Dieſe Umwandlung entjprang zunächſt dem ohne
Zuthun Oeſterreichs geftörten europäiſchen Gleichgewichte; in un:
mittelbarem Zuſammenhange ſtand aber damit die Entſchiedenheit,
mit welcher die revolutionären Ideen wieder um ſich griffen. Fürſt
Metternich, deſſen Superiorität noch immer anerkannt wurde, mußte
fich alſobald auf die Rolle, bald eines Vermittlers, bald eines ernſten
Mahnerd, befhränten; man hörte noch immer auf feinen weifen
Kath, feine gründlichen Erfahrungen, und wenn er auch hier noch
viele günftige Erfolge erreichte, fo trat er bei den Berathungen
nit immer in erfter Linie auf, und eine politifche Frage nach der
anderen entfchlüpfte feinen fonft jo gemandten Händen, weil er es
nidyt über fi) gewinnen Tonnte, fo gänzlich veränderten Conjunk⸗
turen gehörig Rechnung zu tragen. — Mit dem Tode des Kaiſers
Alerander, deffen Charakter nnd Haltung berubigended Vertrauen
eingeflößt hatten, war zuerft der Standpunkt der bisherigen Allianzen
verrüdt worden. Ein junger Herricher, unter fo ganz außerordent:
lihen Umftänden auf den Thron gelangt, ließ bei dem kühnen
Muthe und der Geiftesgegeniwart, welche ihn gleich Anfangs leiteten,
ahnen, daß fein ‚Ehrgeiz die frühere Politit Rußlands wieder anf-
nehmen und dem Gange der Dinge eine antere Richtung geben
werde. Zu gleicher Zeit verlor Oeſterreich an England einen
alten, treuen Verbündeten. Dieje Infel, durch den Aufruhr Ir⸗
lands, die Unruhen in den Eolonieen, die Reform-, wie die Katho⸗
Iifenfrage im innerften erjgüttert, fuchte feine eigenen Verlegenheiten
dadurd zu umgehen, daß ed die Berwirrung auf dem Eontinent
188
zu verbreiten ſuchte. Als nun vollends Canning Minifter wurde,
und die bekannte Aeolus-Rede gehalten, war in der Politik dieſes
Landes die Bahn vorgezeichnet, die e3 mehr und mehr von Oeſter⸗
reich trennte, und feldft unter den fpäteren, vorübergehenden Tory:
Minifterien wollte es nicht mehr gelingen, diefe beiden Staaten
enger zu verbinden. — Es fchien demnad um fo erwünfchter, ſich
Tranfreih zu nähern, und Metternich bahnte eine foldhe Allianz
1825 jelbft in Paris mit Billele an. Doch auch hier fand er
feine kräftige Lnterftüßung, und Karl X., fih bald England,
dann wieder mehr Rußland zuneigend, blieb meiftend kalt und
verfchloffen für die öſterreichiſchen Eröffnungen. Bon den Grof-
mächten blieb daher Defterreih nur noch mit Preußen einig und
auf dem alten Fuße, und es war nicht das geringfte Verdienit
des Fürften, durch dieſe Mebereinflimmung Deutfchland fo Tange
den inneren Trieden erhalten zu haben. Das Miener Kabinet
wandte daher den Zuftänden in Stalien wie in Deutfchland größere
Sorge und Aufmerkſamkeit zu, und wenn es ihm nicht gelang,
ih auf der Halbinfel Sympathieen zu erwerben, fo lag dieß in
ungünftigen, von feinem Willen unabhängigen Umftänden. Ebenſo
wenig erfreulich zeigten fi) die politifchen Verhältniffe in Spanien
und Portugal, und die Erwartungen, melde man in Wien auf
Dom Miguel geſetzt, wurden bekanntlich getäufcht.
Aber alle diefe Wirren überragte weit die Eine wichtige,
große — die orientalifche Frage. Sie umfaßte den Zuſtand
der Türkei felbft und dann den Aufftand Griechenlands.
Alles Hatte fich gegen den Sultan verſchworen: innere Unruhen,
Naturereigniffe, Stürme von Außen; kaum ſchien es, daß das
ſchwankende Reih fo gewaltigen und wiederholten Schlägen würde
widerftehen können. — Ich hatte mir von jeher eine eigene Anficht
hierüber gebildet und bin jetzt noch der feſten Meberzeugung, daß
die Erledigung diefer ftet3 gefahrdrohend über allen europäifchen
Staaten ſchwebenden Frage die eigentliche welthiſtoriſche Aufgabe
189
unfere® Jahrhunderts ausmache. Der Islamismus hat fich
offenbar überlebt; feine ihm von der göttlichen Vorſehung in
ihrem unerforſchlichem Rathſchluſſe angewieſene Beftimmung iſt
erfüllt. Ein Reich, wie das der Türken, iſt eine politiſche Ano⸗
malie in unſerer Zeit, und alle die Mühe, die Opfer, die An⸗
ſtrengungen, welche die Diplomatie ſeit Jahrzehnten zu deſſen
Friſtung aufgewendet, werden ſeinen ſicheren Zerfall nicht hindern.
Ruhe und Gleichgewicht kann in Europa aber nicht wiederkehren,
ſo lange dieſer Gegenſtand beſtändiger Beſorgniſſe und gegenſeitiger
Eiferſucht nicht entfernt iſt, ſo lange die Fahne des Propheten
auf der Sophienkirche zu Konſtantinopel weht!
Oeſterreich, welches durch drei Jahrhunderte beinahe allein
den oft ungleichen Kampf mit dem Erbfeinde der Chriſtenheit auf⸗
genommen, das zweimal ſeine Hauptſtadt bedroht ſah, die, als
letztes Bollwerk, das Eindringen der türkiſchen Schaaren nach
Deutſchland hinderte, Oeſterreich, das mit nicht zu berechnenden
Opfern die weſtlichen Theile Europa's durch die Militärgrenze
ſchützte und ſo lange vor der Verbreitung der Peſt bewahrte,
Oeſterreich fand ſich endlich, durch mächtigere Feinde — die Revo⸗
lution, die Eroberungsſucht Frankreichs, wie die zunehmende Macht
Rußlands — bedroht, genöthigt, die traditionelle Politik ſeines
Kabinets zu verlaffen und gemeinſchaftlich mit England ſich zum
Beſchützer des fintenden Meiches Mahomeds zu machen. Seit
70 Sahren bat es nun, wenn audh nicht offen und mit den
Waffen in der Hand, doch vermittelnd und durch mehr oder
minder glüdliche Rathſchläge verſucht, die Pforte zu retten, den
Plänen zu ihrer Auflöfung entgegenzutreten. Defterreich hat durch
diefe Politit nur bewirkt, daß die Türkei fich langſam verblutet,
während ſich bei diefen täglich mehr anwachſenden Bedrängniffen
die Gefahren für die eigene Monarchie häufen. Ziehen die Stürme
der Revolution einmal vom Bosporus herüber, die Donau auf-
wärts nach den Fürftenthümern, nah Serbien, Bosnien und
190
Ungarn, werden fle fi weder an ten Karpathen, nod) an der
Leitha brechen. Aber, fragt man, foll Defterreih das binfällige
Reich ganz dem nad Beute lüfternen Ehrgeize Rußlands über:
laſſen? Gewiß night! Es ift jedoch an der Zeit, daß die Groß:
mächte diefe,- die Eivilifation wie das Chriſtenthum fo weſentlich
berührende hochwichtige Frage mit Fräftigem Ernft in die Hand
nehmen würden und gemeinſchaftlich Maßregeln ergriffen, ent:
icheidend für das künftige Geſchick der europäifchen Türkei. Jeder
Zuftand wäre der jegigen Verwirrung vorzuziehen, in der man da
die Provinzen durch Aufitände loszureißen, dort den Sultan wieder
gegen innere und Äußere Feinde zu ſchützen fucht und überall nur
Halbheit, Unentfchloffenheit begegnet!
Damals (1826) nun brach für die Pforte gerade eine furcht⸗
bare Zeit herein, welche fib unter vielen qualvollen Momenten
drei Jahre lang hinzog. Wir verfolgten daher diefe merkwürdigen
Borgänge mit gefpannter Aufmerfjamkeit, und die Monatötage,
an melden Couriere regelmäßig die türfiihen Nachrichten nad
Wien überbrachten, festen Süße und Federn der jungen Diplomaten
in gefchäftige Bewegung. Alle Augen waren auf den Orient ger
richtet. Den Anfang der Zerwärfniffe machte das zwiſchen Muß:
land und England am 4. April 1826 in Peterdburg zu Gunften
Griechenlands unterzeichnete Protofol. Seit fünf Jahren ſchon
hatte der Unabhängigfeitäfampf auf den Inſeln des Archipels ge:
wüthet; Philhellenen aus allen Theilen der Welt bethätigten ſich
dabei, und die revolutionäre Propaganda machte die griechiiche
Sache zu der ihrigen. Dennody behielt die Türkei, auf die Der:
träge geftüßt, unter blutigen Metzeleien und unerhörten Sraufam-
teiten immer noch die Obermadt. Da nahmen jene beiden Groß:
mächte die Sache felbft in die Hand, drangen aber bei Frankreich
und Oefterreih mit ihren Vorſchlägen nicht durch. Rußland ber
ſchränkte fi nun darauf, in eigenem Namen am 5. April alle
Beichwerden gegen die Pforte in einer Note zu formuliren, welche
191
zu den Verhandlungen von Aljerman führten. Die bier aufge
ſtellten 83 Artikel — das Wittmatum Rußlands — wurden,
wenn gleich erbrüdend für die Pforte, dennoch von ihr ange:
nommen. Während diefen Bedrängniffen war aber auch die Türkei
ſelbſt In ihrem Innerſten aufgemühlt, und das ganze gebildete
Europa ſah mit Entſetzen die von maßlofen Gräueln begleitete
völfige Bertilgung der Janitſcharen. Dabei Toderte der Aufruhr
in den Brovinzen, zeritörten Erdbeben Städte und ganze Streden,
ging eim Theil Konftantinopeld in Ylammen auf. Hungersnoth,
Pet, Krankheiten und Elend aller Art wechielten mit Binrichtungen
und Aufftänden. Mit beivunderungswürdigem Muthe ertrug der
Großherr nicht nur alle diefe Ealamitäten, er feste auch mit
barbarifher Energie die von ihm befchloflenen Reformen rückſichtslos
fort; die Armee wurde umgeftaltet, der Troß der Ulema's gebrochen.
Das kaiſerliche Kabinet, während e3 der Nadhgiebigleit gegen Ruß⸗
land das Wort ſprach, Tomte felbft nicht ohne Schaudern fehen,
wie die Pforte in ihrem eigenen Fleiſche müthete.
Im darauf folgenden Jahre tauchte die griehifche Frage
wieder auf, und die Opfer von Miffalungbi, der Acropolis follten
ihre Rächer finden. Nach einigen Schwankungen trat Frankreich
mit den beiden Mächten in London zufanmen, und am 6. Juli
1827 wurde die Xripelallianz geſchloſſen. Oeſterreich ließ ge
ſchehen, was es nicht hindern konnte, und begnügte fidy mit Noten
und Proteſten. Es trat nun ein eigenthümlicher Zuſtand ein;
da die drei Großmächte ſich nicht im Kriege mit der Pforte be
fanden, fo erfand man ftatt des Mortes „bervaffnete Intervention“
das friedlicher Tautende „Bacification Griechenlands“, ftatt „Kampf“
hieß es „Boörcitiomaßregeln“. Die nächfte Folge davon war bie
berüchtigte Seefchlaht von Navarin, wo am 20. Oftober die ver:
einigten Flotten der drei Seemächte die türkiich-ägnptifchen Schiffe
in den Meeresgrund jchoffen. Berzmweiflung bemächtigte fid) des
Divand bei diefer Schreckensnachricht, und es fanden nun in
192
Konftantinopel wochenlange Verhandlungen ftatt, nach welchen, da
fie zu feinem NRefultate führten, die drei Botjchafter abreiften.
Defterreich ſpielte dabei erft die Rolle eine unbequemen Vermitt⸗
lers, dann die eines ängftlich beiorgten Zuſchauers.“) Die Türke
felbft aber ging von einem dumpfen Hinbrüten zu einer heftigen
Herausforderung Rußlands über, beflagte ſich laut und bitter über
das ihr zugefügte fchreiende Unrecht und rief in dem Manifefte vom
20. Dezember die ganze Bevölkerung zur Rade und im Yalle
neuer Angriffe zum heiligen Kampf. So ftanden die Dinge
Anfangs 1828.
Zwiſchen diefen Vorgängen zogen fi) andere Ereigniſſe durch.
Während in Rheims — früher unerwartet — einem 70 jährigen
König eine Krone aufgefeßt wurde, welche alfobald mieder feinen
altersſchwachen Händen entfiel, ließ ein junger, thatkräftiger Selbſt⸗
herrſcher, ftolz, fi mit fühnen Plänen für die Zukunft tragend,
feine Krönung in Moskau mit aſiatiſchem Pompe vollziehen. —
Canning war geftorben, Villele abgetreten, und fo fanden in
London und Paris Miinifterveränderungen ftatt. Doch all dieß
vermochte nicht die hereinbredhenden Stürme im Orient aufzubalten.
Rußland Hatte ſchnell und glüdlich einen Feldzug gegen Perfien
beendet und warf fih nun mit vollem Gewichte auf die Türkei.
An Borwänden, fie zu befriegen, bat es der nordifhen Macht
nie gefehlt: Beſchwerden ihrer Unterthanen, Stodung des Handels,
gehemmte Schifffahrt auf dem ſchwarzen Meere, Nichterfüllung
früherer Verträge gaben oft mehr als nur fcheinbaren Anlaß zu
Konflitten. Nun kam aber auch noch der aufreizende Hattifcherif
dazu, den Rußland aljobald mit einer nicht minder heftigen Er:
klärung erwiederte. Vergebens machten die vier Großmächte Vor:
ftellungen, England aber, gelähmt dur innere Parteikämpfe,
Defterreih, entfhieden um jeden Preis den allgemeinen Frieden
*) Erinnerungsbl. ©. 12.
193
zu erhalten, griffen nicht nachhaltiger ein, Frankreich aber war
durch den fleigenden Einfluß Pozzo di Borgo’3 gewonnen. Dabei
verficherte Rußland beftimmt, daß es, verzichtend auf alle Erobe
rımgen, nur die Pforte zwingen wolle, ihre Verbindlichkeiten ein-
zubalten, ja, der Czar wandte fich felbft an den Kaifer Franz,
um von ihm eime Erklärung zu erhalten, daß diefer Krieg ein
gerechter fei. Doc der Kaifer vermeigerte auf dieſes Anfinnen
einzugeben, beichräntte fih auf eine firenge Neutralität und die
Aufftellung eines Obfervationscorpe. Man Tieß es dabei an Vor:
würfen nicht ermangeln, daß Defterreich den Krieg nicht verhindert
oder fpäter nicht thätiger eingefchritten fei, nicht einmal die Moldau
und Walachei beſetzt babe. Hierauf gibt es nur eine Antwort:
daß alle Verſuche diefer Art an dem beftimmt ausgefprochenen
Willen des Kaiferd fcheiterten, und überdieß die damalige Lage
Italiens und Ungarns, die troftlofen Finanzen, wie der Zuftand
des Heeres jene Zurüchaltung wenn auch nicht vechtfertigen, doch
erflären. Die ruſſiſche Kriegserklärung erfolgte am 26. April,
und bald darauf überjchritten die Ruſſen den Prutb und die
Donau. Es murden die Dardanellen blodirt und die Franzofen
befegten More. Mit abtwechjelndem Kriegäglüde wurden nun
Feſtungen erobert, viele Schlachten geliefert, aber wider Ermarten
war das Ergebniß den ruffiihen Waffen nicht günftig. Die
Gegenwart ded Ezaren fchien hemmend auf die Operationen der
Armee zu wirfen, dazu kamen Niederlagen, klimatiſche Einflüffe,
Krankheiten u. f. w. Man Tonnte in Wien ein Gefühl heimlicher
Freude nicht unterbrüden, daß diefer erite Feldzug in foldher Weiſe
ausgegangen war, und ermahnte beftändig den Sultan, die Hand
zum Frieden zu bieten. Tatifticheff und Meyendorf aber benahmen
fi) während diefer Zeit auf eine nicht genug anzuerlennende Weife
mit ebenfo viel Klugheit als Takt.
Mit dem Frühjahr 1829 begann der zweite Angriff. General
Diebitſch drang fiegreih über den Balkan bis in bie Ebene von
Sch. v. Andlaw. Mein Tagchuch. 1. 13
194
Adrianopol, wo — 15. Sept. — unerwartet ſchnell ein Frieden
abgeichloffen wurde, den man eben fowohl den engliſch⸗öſterreichiſchen
Bemühungen, ald der großherzigen Mäßigung des Kaiferd Ricolaus
verdankte. Die Pforte aber war diegmal mit dem Schreden davon
gelommen, und während man in Konftantinopel fchon vor dem
Einmarjhe der ruffiihen Truppen zitterte, gab man fi) bald
darauf der Freude über diefen kaum gehofften Ausgang Hin, und
unterzgog fi gerne den ſchweren Opfern, welche ber Krieg in
feinem Gefolge mit fi brachte. — Nun wurden aber auch wieder
Berhandlungen wegen Griechenland aufgenommen, deffen Losreißung
von der Türkei ausgeiprochen, diefe Verhältniſſe förmlich in London
geregelt, und die griechifche Krone dem Prinzen Leopold von Sachſen⸗
Coburg angetragen, der fie auch annahm, ihr jedoch bald wieder
entſagte.
Während all dieß im Oſten vorging, wickelte ſich der ſeltſame
und unſelige königliche Bruderzwiſt in Liſſabon ab, wobei gegen
die Anſchauung Oeſterreichs der engliſche Einfluß ſich überwiegend
zeigte. Mit den Niederlanden, Hannover und anderen deutſchen
Regierungen lag das Wiener Kabinet im beſtändigen Federkriege,
während Preußen, anſcheinend im beſten Einverſtändniſſe mit dem
Kaiſerſtaate, im Stillen die Schritte vorbereitete, welche ihm ſpäter
eine feſtere Stellung im Bunde verſchaffen follten. — Doch waren
es nicht allein ſo allgemein wichtige Angelegenheiten, welche die
großherzogliche Geſandtſchaft, ſomit auch mich, lebhaft beſchäftigten,
Baden ſelbſt hatte einen diplomatiſchen Feldzug zu beſtehen, der
einen Augenblick ſogar drohte, in eine ernſtliche, blutige Fehde
überzugehen. Bayern hatte nämlich die vom Großherzog Karl
angeordnete Succeſſionsordnung in jenem Lande deßhalb nicht an= |
erfannt, weil die ehemalige überrheinifche Grafſchaft Sponheim in
gewilfen Fällen wieder hätte an Bayern abgetreten werden follen.
Da die Pfalz als Entſchädigung für jene Herrichaft galt, jo nahm
Bayern, unter Anrufung von Familienverträgen, Heidelberg,
195
Mannheim u. |. w., als Aequivalent dafür in Auſpruch. Streitſchriften
wurden gewechſelt, Unterhandlungen fanden ſtatt; der König Ludwig
beſtand um ſo mehr auf ſeinem vermeintlichen Rechte, als der
Großherzog Ludwig ehe- und kinderlos war. Schon ſah man wie
früher einen bayeriſchen, nun einen pfälziihen „Rummel” aus
brechen: Truppen marfhirten .... 0200. da fprachen fich
vier von den Großmächten, als angerufene Schiedärichter, unum:
wunden für den rechtmäßigen Befitz Badens, auch unter dem jüns
geren Zweige feiner Dynaftie, aus. Nur Defterreich, wohl in der
Hoffnung, ſich bei diefem Anlaffe früherer mit Bayern eingegangener
titiger Verabredungen zu entziehen, zögerte, warf Bedenken auf,
ſchloß ſich aber zulebt doch den anderen Mächten an. Der Markt:
graf Wilhelm, mit einer Gewandtheit und Peftigleit, welche nur
ſeinen militäriſchen Berdienften gleich Tamen, hatte perſönlich diefe
jo wichtige Sache in Baris und London betrieben, und von beiden
Höfen die bündigften Erflärungen zurückgebracht. Rur in Wien,
wo eine weniger günftige Auffaffung berrichte, war der Brinz nicht
gewefen. Tettenborn trug daher die ganze Laft der Verhandlungen,
und wußte dabei einen ebenfo Tangjährigen ala wohlmollenden Be
kannten in dem bayeriſchen Gejandten, dem Grafen Bray, als
Gegner finden. Mit weitmänniihem Takte und der ihm eigenen
Freundlichkeit behandelte Diefer ausgezeichnete Mann eine Sache,
von der er die Perfonen zu trennen mußte, und in ber mir in
lester Inftanz den Sieg davon getragen hatten. Sein Sohn aber,
Graf Dtto, iſt num, nad langen Jahren, felbft an dem eimft von
dem 1832 verftorbenen Vater jo würdig ausgefüllten Boften.
Das verhängnifvolle Jahr 1880 ermedte gleih Anfangs
wieder andere Beforgniffe. Die Revolution, ermuthigt durch die
fung der griechifchen Frage, untermühlte num Frankreichs Boden,
wo der gute, aber ſchlecht berathene Monarch unter Polignac ihren
Umtrieben eher Borkhub leiſtete. Fürſt Metternich, nachdem der
erſte Zweck der heiligen Allianz: den allgemeinen Frieden zu
13 *
196
erhalten, vereitelt war, fah mun auch ihre weitere Beſtimmung, das
Geſpenſt der Revolution zu beſchwören, nicht erfüllt. Vergebens
ſuchte Metternich nach Bundesgenofien, um die Lebendaufgabe zu
löfen, welche er fich geftellt, aber nirgends begegnete er mehr wie
früher einer übereinftimmenden Energie, den ummälzenden Brin-
zipien zu widerftehen. Er befchräntte fi) daher bloß auf Abwehr
und die Wahl eigener, nicht immer glüdlicher Mittel. Revolution
iſt nicht Fortſchritt, nicht Freiheit, rief er oft, gerade das Gegen:
theil, einen allgemeinen Brand entzünden heiße nit Aufflärung
verbreiten! Er wollte, wie ein franzöfiſcher Schriftfteller: „Le
contraire de la revolution, mais non la contrer&volution.“
Metternich ging aber noch einen Schritt meiter, er fah in den, in
falfch verftandener Nachahmung der englifdhen Charte eingeführten
Berfaffungen die mädtigften Alliirten der Revolution. Keinem
politifchen Xehrgebäude unbedingt ergeben, haßte er nur alles, was
die Untergrabung monarchiſcher Grundfäße fördern Tonnte, und er
309 eine reine Nepublif jenem Zwitterzuſtande vor, welcher den
Thron mit demofratifchen Inftitutionen umgibt.
Sp mar denn während diejer fünfjährigen Epoche, welche
Metternich felbft als eine beklagenswerthe, ala eine Uebergangs⸗
periode bezeichnete, die Politit Defterreihd in den Kriegs: wie
Berfaffungsfragen eine mehr beobachtende, mahnende, paſſive, ab:
wehrende, daher ziemlich ifolirt, um erft in fpäterer Zeit einen
höheren Aufſchwung zu nehmen.
An diefe Weltbegebenheiten reihten fi dann andere, unter:
geordnete Thatfachen, wie fie die Ehronif des Tages eben immer
bringt. So ftarb, Frank und beinahe vergefien, einer der berühmten
Treiheitöbelden Griechenlands — Ypſilanti. Einige Damen pflegten
ihn bis zum Xode, und errichteten feinem Andenken ein Grabmal
mit folgender Infchrift: „Hier ruht Fürft Alerander Ypfilanti:
unglüdlih in Wünfchen, erbaben an Willen, groß im Weberftehen,
getänfcht, verfannt, beweint, F zu Wien 10. Jänner 1828.”
197
Wenn ich diefer politifchen Ueberfiht noch einige Worte über
den inneren Zuſtand der Monardie und ihre Verwaltung in
jener Zeit beifüge, jo geichieht e3 mehr, um den vielen irrigen
oder übertriebenen Anfichten, welche über diefen Gegenftand ver:
breitet wurden, entgegen zu treten. Im Inland felbft waren die °
Stimmen darüber felten, ed find deßhalb meift fremde Federn,
die jene Zuflände, und zwar gewöhnlich in oberflächlicher oder ge:
häſſiger Weife jchilderten. Nur nad der allmäligen Entwidelung
eined Staates im Laufe der Zeiten, d. 5. biftorifch, läßt fidh die
Berfaffung und Lage deffelben richtig beurtheilen. Die dfterreichifche
Monardie, eigenthümlich zufammengefegt wie fein anderer Staat
in Europa, bat demnach auch ſich geihichtlih und politifch, wie
fein anderer, ausgebildet. Gehen wir nur hundert Jahre zurüd,
fo finden wir nach der mufterhaften Regierung der Maria Therefla
die ſtürmiſche Neformperiode des Kaiferd Joſeph, dann die Drang:
fale der Revolution und zwanzigjährige, verheerende Kriege. Die
erfte Sorge des Kaiferd Yranz war daher darauf gerichtet, Die
Leiden der Bergangenheit in einer rubigeren Zukunft vergeffen zu
laſſen. Es gab da jo Manches zu ordnen, fo viele Wunden zu
heilen, dag man dem augenblidlichen Bebürfniffe billige Rüdficht
tragen mußte. Niemand wird behaupten, daß Defterreich damals
als Muſterſtaat gelten Tonnte, aber er entiprach den Zeitverhält⸗
niffen. Schwerfällig zwar, doch geregelt und gefichert beivegte ſich
die Staatsmafchine, und kann man heute nicht genug des Tadels,
des Spottes und der Verachtung auf jene Negierungsweije werfen,
fo will ich erſt, ehe ich in diefe Dellamationen einftimme, ab-
warten, ob und wie die bisher angeftellten Verſuche, die Lage zu
verbefiern, auch gelingen. Damals war man bemüht, jedem Kron⸗
Iande feine Autonomie, feine eigenthümlihen Einrichtungen zu
bewahren: „Divide et impera,‘‘ hieß es, fei der Wablipruch, mit
dem man dad Ganze zufammenhalten wolle; jet war das Loſungs⸗
wort das: „Viribus unitis‘‘ geworden, welches die Geſammt⸗
108
monarchie wie ein Band umſchlingen follte Unter Kailer Franz
beftand flott einer allgemeinen, ſich über alle Provinzen erſtrecken⸗
den Verfaffung Etwas, dad man, weil das Kind doch einen Namen
haben mußte, mit dem Werte: „Syſtem“ bezeichnete; feine Gegner
nannten e3 fcherzweile: den aufgeflärten Despotismus, die glüdliche
Knechtſchaft. Diefes Syſtem hielt der Kaiſer, felbft der erſte
Büreaufrat feined Landes, mit firenger Confequenz feſt; er konnte
aber nicht, ungeachtet feiner raftlofen und gewiſſenhaften Thätigleit,
immer alles überjehen, und es entging Ihm über dem Bleinlichen
Detail nicht felten der richtige Veberblid des Ganzen. Es machte
ſich deßhalb der Beamtenftand mit jedem Jahre breiter und unent-
behrliher. Man werfe nur einen Blid auf den damaligen Hof:
und Staatsfchematismus, melde Maſſe von Angeftellten, mit denen
man füglih den halben Erdkreis hätte verjehen Tönnen! Man
fpreche nicht vom Einfluffe der Ariftofratie; waren auch die höchſten
Stellen von ihr befebt, fo hatte der Adel an ſich doch Feine poli⸗
tifche Bedeutung in der Monarchie, und Tonnte nur durch Die Ber:
fönlichkeit feiner Mitglieder, etwa auch auf feinen Herrichaften oder
bei den Provinzialftänden wirken. Der eigentlide Schwerpunkt
lag demnach in der Bürenufratie, und fie wußte ihre Macht ges
börig zu ihrem Vortheile audzubeuten. Und dennoch wüßte ich,
fo vielen ehreuwerthen und fähigen Männern in jedem Fache ich
auch begegnete, Teine einzige hervorragende, anerkannte Capacität
aus jener Epoche zu nennen.
Jenes „Syſtem“ mın durchdrang alle Zweige ber Adminiftration.
Die Finanzen hatten ſich feit 1815 mährend des langen Friedens
und dutch allerlei Erfparniffe gehoben, um bald wieder neuen
Schwankungen anbeimzufallen. Handel, Zoll, Mauth, Polizei:
weien waren nicht gut beftellt, Unterricht, Cenſur ließen viel zu
wünſchen übrig, überall gab es Schäden, die man nicht auszu⸗
befiern, Mängel, denen man nicht abzubelfen, Mißbräuche, die
man nicht zu berühren wagte. Begreiflicher Weife litt die Armee
199
am meiften unter diefen Verhältniſſen, und da wurde denn auch
das Sparſyſtem am rüdfichtälofeften durchgeführt. Blieb fi auch
der Geift des braven Heeres immer gleich, fo hatte es doch mit
Uebelftänden und Gehrechen zu kämpfen, welche da3 durch Ueber:
ſchwemmung bald aufgehobene Uebungdlager (1828 bei Baden)
nur allzu ſichtbar aufdeckte.
Dennoch wäre es unbillig, neben diefen offenbaren Miß⸗
fländen das viele Gute zu verkennen, welches eine Regierung mit
fih brachte, die man in mander Beziehung wohl eine väterliche
nennen Tonnte. So viel die gewiſſe Bevormundung aud Be
ſchämendes und oft Beratorifches enthalten mochte, fo entfprach fie
doch dem Geift ber öffentliden Meinung, welche fi durchaus
nit um Staatdangelegenheiten befümmerte, um defto größer mar
die individuelle Freiheit, mit welcher man ſich, wie in wenigen
anderen Staaten, bewegte, und die in Ungarn vollends ihren
höchften Grad erreichte. Die Polizei war mehr überwachend und
neugierig, als läftig, und wenn das von ihr erjtrebte Ideal: eine
allwifſende Vorſehung im Kleinen zu werden, auch viel Gelb
toftete, fo erbrüdte fie doch nie bei äffentlichen Vergnligungen oder
durch Einmiſchung in Familienverhältnifſe. — Sehr viel wurde
auf wiſſenſchaftliche Gegenftände, auf Geſchichtskunde, Statiftik,
naturhiftgriihe Sammlungen u. dgl. verwendet. Was für das
Hecht geſchehen, davon zeugen die Gefebbücher, unftreitig von den
beften, die man kennt; die Pflege der Arzneilunde aber war in
vortrefflichen Heilanftalten vertreten, und ebenfo für das Armen:
meſen geforgt. Induſtrielle Unternehnrungen, neue Erfindungen
wurden unterftüßt, der Verkehr durch Dampfidifftahrt, großartige
Straßenanlagen u. dgl., die Kunſt beſchutzt. Alles geſchah aber
ohne Geräufch, beinahe unbemerkt; es fchien, als ob fid, dieß von
ſelbſt verfiehe, und die Regierung, wie fie für jeden Tadel empfind-
lich war und ihn fcharf rügte, machte auf der anderen Seite auch
auf feine befonderen Lobeserhebungen Anfprud. Hieraus entiprang
200
eine gewiſſe Gebeimthuerei, welche oft mehr den Machthabern, als
den Negierten jchadete. Hatte fid, der Kaifer die möglichft lange
Erhaltung des Beftehenden zum Hauptzwecke feined Wirkens ge-
macht, fo fand er fich in feinem Widerftand gegen alle Neuerungen
um fo mehr beftärkt, ala er rings um fich ber Reiche fallen,
Dynaſtieen wechſeln und allenthalben pelitiiche Verwirrung ent:
ſtehen jah. Er mißbilligte das Streben nad) einem nie zu ver:
wirklichenden Ideale volltommener Einrichtungen und mollte ſich
den tyranniihen Anforderungen einer modernen Staatöweisheit
nicht fügen. Doch der Gährungsprozeß, welcher ganz Europa in
feinen Grundtiefen erfchütterte, durchdrang aud die Einzelntheile
der Monarchie. Man ſuchte diefen UWebeln entweder entichieden
mit bewaffneter Hand zu begegnen, wie in Italien, oder kündigte
ihnen einen ftilen Krieg an. Beide Auskunftsmittel trugen aber
Vediglih nur die Natur von Palliafiven, und hierin lag bie
eigentlihe Schwäche ded Syflems.
Was nun die damalige Lage der Kronländer betrifft, fo
war fie eine fehr verjchiedene, in einigen wenig erfreulih. Während
die deutfhen Erblande im Ganzen rubig und zufrieden nur
unter Steuer- und anderen Laften litten, welche nicht immer im
Verhältniß zu den Erwerböquellen ftanden, hatten ſich in Stalien
die Nachllänge des Jahres 1821 noch nicht verloren und war
auch in Galizien ſtets Zündftoff genug vorhanden. Am beun-
rubigendften geftalteten ſich aber die Zuftände in Ungarn und den
angrenzenden öftlihen Ländern, auf die fichtbar jede Bervegung in
der Türkei einwirkte. Es gab fi während des Landtag —
1825 bi8 1827 — zu Preßburg ein fteigender Geiſt der Oppo⸗
fition, ein Unabhängigfeitäfinn fund, der von einigen allzu üppigen,
ehrgeizigen oder von Demagogen mißbraudhten Magnaten ausging.*)
Als mir daher bei einigen lärmenden Sibungen berausforbernde
*) Erinnerungsblätter S. 23 bis 38.
-
201
Reden, ein gereizter Ton auffielen, mar ich auch Zeuge des Schluffes
des Landtags durch den Kaifer ſelbſt — Auguſt 1827 — bei
dem laut und unverhohlen die Beichwerden und Wünſche zur Ab⸗
hülfe audgefprochen wurden. &3 mar dieß die Teimende Saat,
aus der die Früchte hervorgehen follten, welche wir jebt genießen.
Doc blieb es noch bei Meinlichen, oft Tächerlihen Demonftrationen,
in denen die Ungarn Meifter find, und währen? Einige tobten,
nationale Sprache, Trachten, Gebräuche und veraltete Geſetze wieder
hervorſuchten, hatten wenigftend die Anhänger der Regierung und
die Kronbeamten Muth und Kopf noch nicht verloren. Böhmen
und Mähren waren augenfcheinlich begünftigte Länder. Es ver-
band fi da eine fi immer mehr ausdehnende, vielgeftaltete
Induſtrie mit dem reihen Segen ded Bodens. Die Mehrzahl
der Beamten war jenen Provinzen entnommen. |
Was fol ih uun von dem Geiſte und ben Sitten des
Bolles, dem öffentlichen Leben und Treiben in Wien während ber
Sabre fagen, welche der Julirevolution unmittelbar vorangingen ?
Als Hervortretende Merkmale können Genußſucht und Gedanken⸗
loſigkeit bezeichnet werden. Es war das Wien, welches ſich allen
nur denkbaren Freuden hingab, das Wien, das ein neues Stück
im Burgtheater, ein von Duport in Scene geſetztes Ballet, eine
Poffe von Raimund, irgend ein „Speltakel“ in fieberhafte Be⸗
wegung ſetzen Tonnte, das Wien, das im Winter einem großen
Tanzſaale glich, felb in Eispaläften, in deren Wänden ſich
Taufende von Kerzen abfpiegelten, wie toll vafte, das in der
Ihönen Jahreszeit mit Tindifcher Neugierde zu den Wettrennen,
Feuerwerken und Ausftellungen lief, mit einem Worte, das Wien
der wahren Braterzeit! — Man überließ die Schlichtung der
Welthändel der Staatskanzlei, befümmerte fih menig um Politif
und die Leute, die „da Hinten in der Türkei” fich fchlugen; auch
202
die Zeitungen, in ihrer trodenen Einförmigkeit, regten nicht an.
Dean bielt fih an das Zunächſtliegende, und da waren es denn
die Stadtmeuigfeiten, welde vom Frühmarkte aus — gleihfam
ihre Börfe — fi in alle Häufer verbreiteten. So fprad man
Wochen lang von dem Adelömarjchalle Jaroczincki, der feinen
früheren Lehrer, den alten Prieiter Plant, in deſſen Wohnung
ermordet und beraubt hatte, und das ungewohnte Schaufpiel, einen
Edelmann hängen zu jehen, zog halb Wien nad der „Spienerin
am Kreuze". Der Pole felbit aber glaubte noch bi? zum lebten
Augenblid, an Rußland ausgeliefert zu werden.
Kunſt und Literatur flößten nur in geringem Grabe
Theilnahme ein; Bücher wurden nicht übermäßig viel gelefen, bie
Leibbibliothefen nicht überlaufen und die Gemäldegallerieen maren
meiftens leer. Man fanb überhaupt jede Störung dieſes traum:
ähnlichen Lebens unbequem, und fprühten auch hier und da Geiftes-
funten auf, fo murden fie wenig beachtet und verpufften bald in
der dumpfen, nur für ſinnliche Eindrücke empfänglichen Atmofpbäre.
Die Belletriftit jelbft war nur fpärlih vertreten: Hammer gab
manchmal aus der Fundgrube feiner orientalifchen Schätze „Gaſelen“
zum Beſten; 2. Pyrker fang feine epifchen Lieder, Fr. Schlegel's
Mufe aber war veritummt. Grillparzer hatte jeine Glanzperiode
Ion hinter fi, dagegen erfreute Zedliz mit den Todtenfränzen,
der nächtlichen Geerichau, feinen Dramen und Gedichten. Einige
angehende Talente ſchloſſen fich diefem lebensfriſchen Dichter an.
Caſtelli, ©. Seid! u. A. pflegten mit Glück die Volkspoeſie;
reizende Verſe in öfterreihiiher Mundart entfloffen ihrer Feder.
Auch der Humor blieb nicht aus und die Wiener Wibe, deren
Berfafler meift unbekannt blieben, gingen von Mund zu Mund;
ih verfäumte fie nieberzufchreiben, bereue es jedoch nicht, Denn
ſolche Geiftesblige zünden nur im Augenblide, verlieren aber,
gefammelt, ihre eigentlihe Wirkung. Zahllos war das Heer der
Ueberſetzer, beſonders fremder Schaufpiele. Unter ihnen nahm
208
Rurländer eine eigene Stellung ein; er wollte gern als Schrift:
fteller gelten, verarbeitete aber nur franzöfifche Luftipiele für's Burg⸗
theater in fehr mittelmäßiger Weile. Beliebter waren feine mufl-
Talifch-deflamatorifchen Abendunterbaltungen, zu welchen man fi
drängte. — Nichts war damals häufiger, als die Mlagen über
die „Cenſur“; wäre ihre Scheere nidht, hieß ed, oder die Furcht
davor, welche Meiſterſtücke bekämen wir da nicht zu lefen! Aber
fiehe da! jener Drud verſchwand und die erwarteten Reſultate
blieben and. Es wurde viel Schlechtes, mancher Unfinn unter
dem Schube der Preffreibeit zu Tage gefördert, aber das Beſte
in der ſchoönen Literatur Oeſterreichs erfchlen gerade mährend des
Cenſurzwanges. Mit der geifligen wurde auch eine religiöſe
Richtung vermißt. Die Menge war nicht gottlos, gab fih nicht
frevelhaften Läfterungen Hin, aber es Tag nichts Ermärmendes,
Tröftliches in diefen Andahtsübungen, man ging aus Gewohnheit
in die Kirche, wo nur felten ein begeifterter Kanzelredner die
Gemüther anregte, und der Charakter der Gleichgültigkeit, welcher
überall da bervortrat, mo es nicht auf ſtets mechfelnde Befriedigung
flüchtiger Genüffe ankam, beherrſchte aud das religidfe Gebiet.
Die bildenden Künfte waren weder glänzend beitellt, noch
forgfam gepflegt. Die Porträtmalerei ftand oben an, und bier
war der geniale Daffinger der Mann des Tages und der Mode,
ihm zunächft Ammerling. Während Waldmüller, Ender, Fendi
u. U. niedliche Genrebilder und Landichaften malten, waren größere
biftorifche Gemälde eine feltene Erſcheinung. Auf den jährlichen
Ausftelungen der Werke Iebender Künftler in der Akademie machte
fih gemöhnli eine profaifche Mittelmäßigkeit breit, Man ver:
mißte da zumeift die höhere Auffuffung wie eine vollendete Technik,
Die Bildhauer: und Baukunft hatte Feine Gelegenheit, fich
geltend zu machen; ed wurden während dieſer Periode feine Monu⸗
mente, Feine großartigen Werke der Architektur errichtet, und fo
blieb denn auch Wien, beſonders dem damals fo hoch auffirebenden .
204
Münden gegenüber, in diefen Zweigen der Kunft zurüd. — Mit
um fo größerer Liebe wurde die Tonkunſt, und zwar in jeder
Form geübt. Die Kirche wie der Eoncertfaal, die Oper wie der
Salon ertönten von bald ernften und begeifternden, bald wieder
von heiteren Weifen. Die beiden Mufifheroen Wiend — Beet:
boven und Schubert — jeder groß in feiner Gattung, waren
gerade aus dem Leben geſchieden; fie wurden nicht erfekt, Doch
pflanzte fich ihr Geift zugleich mit dem des unfterblien Mozart
fort, und der thätig umfichtige Muſikverein pflegte und begte diefe
glüdlichen Anlagen. Kamen die öffentlichen Produktionen dieſer
Geſellſchaft an Schwung und Präcfion dem Pariſer Conſervatoire
auch nicht gleich, fo waren ihre Aufführungen immerhin verdienſtlich,
nicht felten im hohen Grade gelungen. Zahllos waren immer
und viel beſucht die Concerte durchreifender Künftler, doch Feiner
brachte die ungeheuere Senfation hervor, wie 1828 Baganint
mit feiner Zaubergeige.”)
Wollte man das damalige Volkstreiben in feinen Schat:
tirungen beobachten und Tennen lernen, fo war diefe Umſchau nad)
den verfchiedenen Jahreszeiten einzutbeilen.. Der
Frühling,
mie allenthalben die Zeit der erivachenden freude an der Natur,
ein Faſching im Freien, iſt in Wien nicht felten durch Talte
Winde und unfreundlihe Tage getrübt. Der meift ſehr lange
Winter maht auch Hier noch feine Rechte geltend. Oſtern ift
das Feſt, welches diefe Orenzlinie bildet. Ihm gehen die ernften
Tage der Charwoche voran, wo fi eine mehr fchauluftige, als
andächtige Schaar zum Befuche der heiligen Gräber, zur Aufer⸗
ftehungsfeier drängt. Dann folgen fi raſch die Kirchenfefte mit
weniger Pomp ald im Süden, dod, ihrer erhabenen Bedeutung
nach mürdig gehalten. Um diefe Zeit bemerft man in der Nähe
*) Erinnerungsblätter S. 110 u. f.
205
der St. Stephanskirche ein ungemöhnliche® Treiben. Zahlreiche
Fuhrwerke bededen den Platz und die Straßen, Knaben und
Mädchen, feitlich gepußt, werden in langen Reiben in der ehr:
würdigen Metropole aufgeftellt. Es durchfchreitet fie der Erz⸗
bifchof, welcher in jedem Jahre in der Pfingſtwoche an 15,000 big
20,000 Kinder das Sacrament der heiligen Firmung ertheilt.
Dei diefem Anlaffe ftellte ih mir immer auf's Neue die Frage,
ob diefe feierliche Handlung nicht auf eine andere, würdigere Weife
begangen werden Tönne, ald hier gefchieht. Schon das zarte Alter,
in dem man in der Regel gefirmt wird, läßt befürchten, daß
eine fo wichtige, im Glauben ftärfende Feier in gedankenloſem
Leichtfinn begangen werde. Der bier ausgeftreute Same dürfte,
wie im Evangelium, nicht immer auf fruchtbare Erdreich fallen. -
Die Eitelleit, der Unverftand der Eltern trägt hieran wohl mehr
Schul, ald daB Benehmen der unzurehnungsfähigen Kinder. Es
wird der großen Trage der Toilette mehr Aufmerffamkeit zuge
wendet, ald dem beiligen Alte. Die Mädchen zumal werden mit
Bändern, Schleiern, Blumen, Spiben u. dgl. wie zu einem Balle
geſchmückt, und ärmere Kinder ſehen beſchämt oder neidiſch auf
dieſe kleinen Modepuppen. Nicht ſelten wird man daher auf
der Straße von ganz unbekannten Kindern mit der Bitte ange
ſprochen, fie zur Firmung zu führen; fie hoffen dadurch ein Ge⸗
ſchenk zu erhalten. ft nun unter fortwährenden Zerftreuungen
die erbabene Handlung zu Ende, fo beginnen die herfömmlichen
Treuden, mit denen ſich die jugendliche Phantafie ſchon Wochen
lang voraus beichäftigte, ja es fcheint, als ob die Befriedigung
der Schau: und Eßluſt die Hauptfache fei, die Firmung aber nur
nebenbei, wie zufällig, abgethan werde. Alle die Kinderwelt
anziehenden Beluftigungsorte find überfüllt; man fpielt, tanzt,
ſcherzt, die Methhütte im Prater wird förmlich belagert, ganze
Berge von Badhändeln, Eimer von Kaffee und Bier verzehrt.
Gewöhnlich werden die Kinder dann auch noch in die Vorftadt-
30 _
oder Sommerthenter geführt. Welche Einbrüde die Jugend, deren
Stirne erjt noch wit dem heiligen Oele gefalbt wurde, von dem
Genuſſe diefer frivolen Vergnügen mitnimmt, bedarf keiner weiteren
Ausführung Nici als ob man in märrifcher Yaune der froben
Jugend vom Lande diefe Unterhaltung nicht gönne; weßhalb aber
gerade diefe Zeit dazu wählen? Wohl müffen die ſehr wünſchens⸗
werthen Veränderungen bei diefen Uebelſtänden auf große Hinder⸗
riffe ftoßen, weil fonft die erleuchteten Kirchenfürften der Wiener
Erzdiöcefe gewiß Abhülfe getroffen hätten.
Den Schluß der Kirchenfeite im Frühjahre macht die feier:
lihe Frohnleichnamsprozeſfion, weldhe immer bei der ganzen
Bevölkerung die lebhafteſte Theilnahme erregt.
Mit dem 1. Mai begannen fodann die weltlichen Freuden.
Eine gepußte Menge verfammelte fih zum Frühftüd im Augarten
und belebte deffen fonft fo verödeten Alleen. Dann fah man dem
Wettrennen der herrſchaftlichen Läufer zu, ein widerwärtiges Schau⸗
fpiel, das glüdlicherweife mit den Läufern ſelbſt abgefchafft wurde.
Keuchend gelangten diefe armen Leute und todtenblaß an’ Ziel,
um dann fi mit dem mühſam zufammen gebrachten Gelbe in
Wein zu beraufhen. Nachmittag war eine jener großen Prater:
fahrten, we eine unabfehbare doppelte Reihe von Wagen fi vom
Graben in der Stadt bis zum Ende der großen Allee hinzog.
Langſam nur erreichte man das Ziel, um den Kreislauf auf
Neue zu beginnen. Kein Wagen, felbft nicht der ſechsſpännige des
Kaiſers, durchbrach die Reihe. Während in der Reiterallee bie
elegante Welt ihre englifchen Pferde tummelte, wogte eine unzähl-
bare Menichenmenge durch die Jägerzeil des grünen Inſel zu.
Jeder Stand fimd hier die Freuden feiner Wahl; die Einen führten
ihre neuen Wagen vor, die Damen trugen ihre Toiletten zur
Schau, Andere gafften oder Fritifirten, wieder Andere erfreuten fich
an der Mufil, an den Schaubuden, oder Iabten fi in den Kaffee
bäujern des Wurftelpraterd. Die überall gefchäftige, aber nirgends
207
Rörende Bolizei Melt Ruhe und Ordnung. Alles athmete Luft,
Alles begrüßte ſich Lächelnd, und während die fire Welt fi auf
isre Art vergnügte, tönte das frohe Getümmel, dad vermworrene
Setöfe von Gejang, Jubel und der betäubenden Muſik der Ring-
fpiele berüber. Und über al dieſem bunten Treiben wölbte fich
ein grünes Dad) voll duftender Kaſtanienblüthen, dehnte fi, zu
beiden Seiten ein Teppich üppiger Wiefen aus, auf dem friedlich
das ſchöne Damwild weidete, während die untergehende Sonne
die nahe Stadt und ihre Kuppeln vergoldete. Zögernd kehrte man,
wenngleid müde, doch voll der freundlichfien Eindrüde zurüd,
Später kamen die Pferdemwettrennen an die Reihe, eine
englifche, bier auf fremden Boden verpflanzte Sitte, oder vielmehr
Unfitte, welche nie recht gedeihen wollte; die Menge fand nicht
Geſchmack an einem Vergnügen, dad zu einer wahren Dual für
Menihen, wie für die armen Thiere wurde, und überließ die
Sade denn theilnahmlod dem frivolen Modetreiben umd einer
ſchnöden Gewinnluſt. Dazwifchen wußte man die Genüſſe in ber
freien Natur mit den fädtifchen Vergnügen zu vereinigen, denen
man noch nicht ganz entfagt hatte; von Lamdpartieen, Pikniks
und MWefferfahrten kehrte man zur ttalienifhen Oper zurüd; im⸗
provifirte Bälle im Freien wechfelten mit Routs u. |. w. Bon
dem glänzenden Flore der Blumen und Pflanzen begab man fich
zu der nüßlicheren, aber weniger duftenden Viehausſtellung; nad
den Gemälden beſah man fich die Erzeugniffe der Induſtrie. Doc
bad nahm die Stadt eine andere Phyfionomie an, als im
Sommer
Hitze und Staub die vornehmen und reicheren Leute vertrieben.
Sie bezogen ihre Herrichaften und Villen, oder reiften in die Bäder.
Do blieb damals, mehr als jebt, der Beamten: und Mittelitand
in der Stadt zurüd, ſich mit beſcheideneren Sommerfreuden
begnüügend, und bier mar es denn wieder der ‘Prater, der fortwährend
208
feine Anziehungskraft übte, während die unteren Klaſſen dem be
liebten Lerchenfeld®treu blieben. Dazu kamen zahlloſe Kirchweihen
und andere Vollöfefte, unter ‘denen dad in der Brigittenau den
erften Rang einnahm. Gegen bunberttaufend Menfchen bewegten
fih da während drei Tagen und Nächten unter freiem Himmel.
Da diefe großartigen Volldorgien nun aufgehört haben, jo will
ih auch durch eine nähere Beſchreibung fie nicht wieder aufleben
lafin. So wenig aus manden Gründen ihr Verfchtwinden zu
bedauern ift, fo ging doch mit jenem „Kirchtag” ein charakteriftifches
Stüd des „alten” Wien verloren.
Unter den Umgebungen wurden immer jene reizenden
Thäler befucht, welche fi im Wiener Wald bis zum Schneeberge
binziehen, vor allen: Dornbach, die Brühl, Baden, Outenftein.
Auch Larenburg war feines berrlihen Parkes wegen ein Lieblings-
ausflug in einer Zeit, wo man die fchöne Natur noch nicht in
meiter Ferne aufſuchte. Baden aber war Wien auf ein leineres
Terrain verpflanzt, Wien mit feinen Zoiletten, Equipagen, feinem
Geklatſche, ftatt des Praterd das Helenenthal. Eigentliche Fremde
fanden fih da nur felten, die Unterhaltungen waren mäßig, und
das gemeinfchaftliche Baden in dem beißen Schwefelpfuhl eben
nit einladend. Den eigentlichen Glanzpunft der Saiſon bildeten
die wenigen Wochen, welche der Kaifer Franz jährlich dort ver:
lebte. Auch der Aufenthalt feiner beiden Brüder, des Erzherzogs
Karl in der romantifch gelegenen Weilburg, des Erzberzogs Anton
in feinem Blumengarten, dann einige gaftfreie Häufer brachten
mehr Leben in die etwas einförmige Badeexiſtenz. So zog fid)
der Sommer mit feinem brennenden Pflafter, dem ausgetrodneten
Glacis und der Atmofphäre von Staub und Dunft dahin, um im
Herbſte
der Weinlefe und dem „Heurigen“ zu weichen. Dieſe Jahreszeit
wird gewöhnlich durch die Wallfahrt nah Maria-Brunn eingeleitet,
209
dann folgen die größeren Felbübungen der Garnifon mit dem
Geſchutzesdonner und den Kirchenparaden, endlich die Feuerwerke
Stuwer's und der Artillerie u. f. w.
Damals war der Fiaker nod) in voller Blüthe. Diefe derbe,
oft unverfchimte, aber nicht felten gutmüthige und originelle Kaffe
von Menfchen beherrichte den Plab innerhalb den Linien; nur vor
diefen waren die befcheidenen „Zeiſelwagen“ aufgeitellt. Doch
plöglich entitanden in der Stadt die unförmlihen Stellmagen, die
Vorfahren der Omnibus, und machten ſich immer breiter, endlich
ſuchten ſelbſt die nicht fehr zierlichen Droſchlen, Cabriolet3, Eon:
fortable3, und andere wie immer genannte Einfpänner, fpäter die
eleganten, fchnell dahinfegelnden Fiaker zu verdrängen. Kein Fiaker
irgend einer Stadt aber fommt dem Wiener gleih. Sie find von
einer ebenfo erprobten Ehrlichkeit, als kühne und zugleich fichere
Pferdelenker. Mit dem
Winter
machten die fünf vernadhläffigten Theater wieder ihre Anfprüche
geltend. Das Meine Burgtheater faßte kaum die heranziehende
Zahl feiner Verehrer; Oper und Ballet hatten mieder ihre beſon⸗
deren Freunde, und die drei Vorftadtbühnen konnten felten den
ungeftümen Anforderungen nad Nenigkeiten genügen. Ich babe
von jeher den Leitungen des Burgtbeaters die größte Theilnahme
zugewendet, und von Zeit zu Zeit, in einem Zwiſchenraume von
je 10 Jahren — 1826, 36, 46, 56 — die Schaufpieler, wie
das Repertoire einer eingehenden Beſprechung unterworfen. Ich
gebe ihm aber deßhalb vor allen anderen deutichen Bühnen den
Borzug, weil fi) da ein gewiſſer Geift gebildet und fortgepflanzt,
die größte Sorgfalt auf alle Einzelnheiten verwendet, jede dem
Schau: oder Luftfpiele fremde Gattung ferne gehalten, der Künſtler
aber nur immer in feinem eigenen Fache befchäftigt wird. Die
Epoche von der ich gerade fpredhe, war feine günftige, die guten
früheren Schaufpieler waren noch nicht durch jüngere Kräfte
Ich, v. Andlaw. Wein Tatcbuch. I. 14
210
erſetzt; wohl traten der alte Koch, Krüger u.a. noch auf, doch nur
Korn, Anſchütz und die Schröder genügten; dabei waren auch dem
Repertoire gar zu enge Grenzen gezogen. Die Oper war nicht
auf gleicher Höhe, und Duport, der Pächter des Kärnthnerthor⸗
theater3, hatte früher mit feinen Füßen mehr geleiftet, ald mit dem
dramatifchen Kommandoftabe. Man fand, daß feine eigene Kaſſe
fi) in dem Grade fülle, als die Vorftellungen dürftig ausgeftattet
waren. Doch war es die Blüthezeit der Tanzkunſt: den unver:
meidlihen Namen der Veſtris und Taglioni gefellten fich jene der
Dupuis, DBrugnoli u. a. bei, ja felbft die Schweftern Elsler,
noch nicht fo mweltberühmt, wie fpäter Fanny, entzüdten die Wiener.
Bei der Oper kehrte denn jährlich der Streit über die Frage
wieder, welcher Oper, der deutfchen oder italienifhen der Vor⸗
rang gebühre? Da dieß Gefchmadfache, wäre es wohl thöricht, ſich
darüber zu ereifern. Wahr ift, daß die italieniiche entichiedene
Vorzüge hatte, und ihre, mehr die Sinne als das Gemüth ergrei-
fenden Töne immer entbufiaftifche Bemunderer fanden. Dabei waren
Lablache und die Paſta Sterne erfier Größe. Jener gewaltige
Baffift, gleid, begeifternd als Mine und Sänger, gleich unerreicht
im tragifchen, mie im beiteren Genre, dann die Pafta, mit dem
wie eine antike Gemme gefchnittenen Profile; wer wird fie fo
leicht vergeffen? Endlich David, Donzelli, Rubini, welche Tenore!
Roſſini beherrichte als entfchiedener Liebling die Bühne, und nur
ſchüchtern trat der weichere Bellini mit feiner erften Oper auf.
Der deutfchen Oper ftanden feine fo glänzenden Kräfte zu Gebote,
und überdieß quälten fich die einheimiſchen Sänger mit den Werfen
franzöfifcher und italienifcher Komponiften ab; in den erfteren ver:
mißte man das feine Spiel, bei den Iebten Tonnten fie eine Der:
gleihung mit den welſchen Kehlen nicht aushalten. Dadurch be
raubten fie fich felbft eines Theils des Beifall, und erft fpäter kehrte
man wieder von Auber, Donizetti, Herold u.a. zu Mozart, Weber
und der vaterländifchen Gattung zurüd.
211
Das Theater an der Wien mar, nach mancherlei Schiefalen,
von dem damals gerade aus Münden überfiedelten Direktor Karl
gepachtet werden. Es gelang ihm Anfangs nit, durchzudringen;
erft nad Jahren gewann er jene komiſchen Elemente, welche die
abgeihmadten Melodrame, wie feine fchon veralteten Staberlieben
erfeßten. Die Iofephftädter Bühne, fletd ein Stieffind der Wiener,
konnte ihr Dafein nur durch wirklich allerliebfte Bantomimen
friften. Die größte Anziehungskraft übte aber das Kasperltheater,“
und Jeder trug gerne feinen „Scheingulden” zu den dunklen
Räumen, um fich einen beiteren Abend zu verichaffen. Jeden Tag
fpielte entweder J. Schufter oder Raimnnd, doch nie beide zu:
ſammen. Sie wurden von ber kecken, aber unvergleichlihen Krones,
der ſchoͤren Jäger, von Korntheuer u. a. trefflih unterftügt, und
Raimund's unnachahmliche Zauberpoſſen brachten immer wieber
nened Leben in dieſe Volksbichne, welche in ihrer Originalität, wie
in ihrer Anſpruchloſigkeit, fpäter nie mehr ihres Gleichen fand. —
Der Advent, die Faſten waren die eigentliche Zeit der Concerte,
weiche fich in einem beinahe ermüdenden Kreislaufe ſtets wieder:
holten.
Se näher die Weihnachtstage heranrückten, um fo lebhafter
wurde es auf den Straßen, deſto beſuchter wurden die Boutiken,
und nicht nur auf bie Kinderwelt beichränften fich die Beſcherungen,
auch Erwachſene beſchenkten fi gegenſeitig. Doc drang diefe
norddeutſche Sitte nur bei den höheren Ständen dur, dad Volt,
die Bärgermwelt Hängt noch immer an ihrem heiligen Nikolaus und
dem Knechte Nuprecht, der natürtich micht fehlen darf. Gegen den
Reujahrstag nimmt das Gedränge, das Fahren zu; die Kauf:
(äden find wie belagert, die Hänſer werden von Glückwünſchenden
beinahe erftüärmt. Dem Unfuge diefer, mit den Täftigen Trink—⸗
geldern verbundenen Reujahrögratulationen Tonnte felbft durch die
4. g. Entbebungsfarten nicht abgehokfen werben. Geftalten, welche
man fonft nie fieht, gratuliren mit leeren Händen, in der Abſicht
14*
212
fie zu füllen, und ganze Schaaren von Bedienten Flopfen an die
Türen, um fih für die Einladungen ihrer Herrſchaften bezahlt
zu machen — ein völlig weggeworfenes Geld — und fo folgt
auf die Weihnachtsfreuden ein Heer von Neujahrsleiden, welche
daffelbe nicht felten mit übler Laune antreten laſſen.
Im Faſching herrſcht Terpfihore unumſchränkt; man bat
nur Sinn für den Tanz, und felbit Maskenzüge oder andere
öffentlihe Späſſe find nicht Häufig. Die Bälle felbft aber find
unter einander beinahe fo verfchieden, ala die Säle, in welchen fie
abgehalten werden. Unter diefen mar ehemals der Apollojaal
der beliebtefte; doch ſah ich nur noch geringe Spuren feines früheren
Glanzes. Dur eine Meine Thüre und ſchmale Treppe gelangte
man zu einer Art Terraffe, von der man erit den Saal überfchauen
konnte. Der Anblick war überrafhend, denn auf dem, fi im
Dunft und Lichtermeere in unabfehbarer Länge verlierenden Tanz
boden trieb fi eine bunte, vermorrene Maſſe in toller, mwirbelnder
Bewegung umher. Im zahllofen Nebenzimmern wurde gezecht,
gejubelt, gefungen, geraucht und eine betäubende Muſik übertönte
vergeben? das geräufchvolle Treiben. Doc verſchwunden waren
die kühlenden Wafferfälle, die geheimnigvollen Grotten, die magifch
beleuchteten Haine und all die gepriefenen Wunder einer früheren
Zeit. Die Tänze jelbft boten wenig Abwechfelung, beinahe immer
der unvermeidlihe Walzer; doch tanzte der ehrbare Bürger noch
hie und da mit feiner Ehehälfte ziemlich gravitätifch den „Monfrin“,
gleichfam das letzte Weberbleibjel des Menuets, das ſich fonderbar
genug gerade bei'm Volle am längſten erhalten. Die Erinnerung
an alle diefe Herrlichkeiten lebt jebt, da ſich der Saal in eine
Fabrik verwandelt, nur noch in den „Apolloferzen“ fort.
Die Mastenbälle in Wien zeichnen fid) von anderen ihrer
Art nur dadurch aus, daß man da nicht tanzt und fo wenig
Masten und Koftüme als möglich erfcheinen. Einige vermummte
Geftalten verfchwinden beinahe in der Waffe der nicht Belarvten,
213
und das Ylüftern der nur felten geiftreih intriguivenden Masten
wird bei der raufchenden Muſik oft kaum gehört.
Zieht fomit jede Jahreszeit mit ihren befonderen Erſcheinungen
an ung vorüber, fo find cd auch immer wieder einzeln vorüber:
gehende Dinge, welche die fchauluftige Menge feffen. Da find
denn die Ordensfeſte, mie jened de3 goldenen Vließes, wo der
Kaiſer als Grogmeifter die neuen Mitglieder aufnimmt, weldye in
der Tracht Philipps des Guten erfcheinen, oder ed werden in der
Deutihordensfirche, im Johanneshof Edelleute zu Rittern diefer
beiden geiftlichen Orden geichlagen. Dann ift es wieder die feier:
liche Auffahrt eines Botfchafterd bei Hofe, oder das militärilche
Gepränge eines Leichenzuged u. dgl. m. Aber aud ein neuer
Circus, BVorftellungen aus dem Zauberreihe und ähnliche An-
fündigungen, felbft das Eintreffen der erſten Giraffen konnte nicht
minder lebhafte Theilnabme erweden.
Es tritt ung fomit im Ganzen aus diefem Bilde immerhin
eine Art Meinftädtifchen Lebens entgegen, dem man fidy nie völlig
entziehen Tonnte. Dazu trug wohl am meiften der engbegrenzte
Raum der inneren Stadt felbit bei, während jede der ausgedehnten
Borftädte wieder ſelbſt für fi eine eigene Stadt bildete. “Die
neuefte Erweiterung wird wohl hierin auch gar Manches ändern.
Mährend dieſes vierjährigen Aufenthaltes machte ich einige
größere Reifen, beſuchte die grüne Steyermarf mit ihrer reizend
gelegenen Hanptftadt, welche die Franzoſen „La ville des Graces
aux bords de l’amour“ nannten, ſah dad inmitten der üppigiten
Alpenwelt ſich erhebende Salzburg und kehrte über das damals
noch wenig befannte Iſchl zurüd. Bei der erhabenen Natur,
welche und da rings umgibt, war man dem eigentlichen Gebirgs-
leben treu geblieben; Gafthöfe, Wagen, Spaziergänge, felbft die Preife
noch ſehr primitiv; nur ein Lurusartifel ließ die hereinbredyende
214
Civiliſation ahnen: das eben erbaute Heine Theater, zu dem man
ih jedoh in Ermangelung von Sitzen feinen Stuhl felbft mit:
bringen mußte,
Im September 1828 wohnte ih in Mannheim der Ber:
mählung meine Bruders bei und brachte einige glüdliche Wochen
meined Urlaubs im väterlichen Haufe zu. In Freiburg fand
ih den erften Erzbiihof, — Bernhard Boll — welcher meiner
Schwägerin und mir die heilige Firmung ertheilte. Wir hatten
e8 nicht zu bereuen, diefen erhabenen Akt unferer Religion jebt
erit begangen zu baben, da wir den Ernft und die tiefe Bedeutung
beffelben beſſer erfaffen Tonnten, als dieß gemöhnlich in jugend:
lſichem Alter gefchieht.
In Karläruhe mohnte ich der feierlihen Grundfteinlegung
des Karl: Friedrich: Monument? durch Großherzog Ludwig bei,
den ich bei diefem Anlaffe zum lebten Male ſah. Auch ahnte ich
nicht, mie fehr ich mich einft bei der Ausführung des Denkmals
betheiligen würde, das erſt 16 Jahre nachher vollendet werden follte.
Im Sommer 1829 endlih war ich in den vier böhmifchen
Bädern, von melden jedes, fo eigenthümlich in feiner Art, Stoff
genug zu Beobachtungen bietet. Ueberall traf ich zahlreihe Be⸗
fannte, in Franzensbad die angenehmfte Gefellfehaft; ich wurde
da von dem Großherzog von Sachſen⸗-Weimar in der freundlich:
gnädigen Weife behandelt, die nur ihm eigen war, und in Karls:
bad auch der audgezeichneten Großherzogin Marie vorgeftellt. In
Töplitz war es das gaftlihe Schloß der Yamilte Elary, welches
täglich die Geſellſchaft vereinigte, oder zu Spazierfahrten in der
reizenden Umgebung einlud. In Marienbad erregte unter den
vielen Fremden die Wittwe und Tochter Iturbide's das meiſte
Aufſehen. Nur ein großer Wildpark trennt diefen Kurort von
dem Metternich'ſchen Schloffe KHnigswart. Im einer ziemlich
rauben, felfigen Waldgegend in jener Ede gelegen, in welcher Die
Grenzen von Böhmen, Bayern und Sachſen zufammenftoßen, war
215
diefe Herrſchaft ziemlich vernachläffigt. Der Fürſt, zum zweiten
Mal Wittwer, war gerade anmefend, ſah aber nur wenige Gäfte.
Er hatte für das Schloß die in ihrer Art einzige Sammlung de
vormaligen Scharfrichterd Huf von Eger angelauft, und der Mann
ſelbſt, der als Hüter angeftellt war, wie fein Name erregten beinabe
ebenfo viel Intereſſe, ala die Alterthümer und Naritäten, welche
er vorzeigte. Auf dem Rückwege lag Prag mit feinen hundert
Thärmen in dem Sonnenglanze eines Morgend vor mir, und als
ih e8 in der Nacht wieder verließ, ſchwamm die Stadt, von der
Höhe gefehen, in dem Schimmer einer Beleuchtung, welche dem
abreifenden Kommandirenden, Grafen Gyulai, zu Ehren veran-
ftaftet wurde.
Das Jahr 1830 begann ruhig, und Fein Anzeichen fchien
die Stürme zu verkünden, welche die Zukunft in ihrem Schooße
verbarg. Auh mich perfönlih follten feine Schickſalsſchläge
empfindlich treffen. Der Winter war durch eine ganz unges
wöhnliche, ftrenge Kälte auögezeichnet. Von Mitte November bis
im März flieg der Thermometer nie über den .Gefrierpunft, und
nicht felten waren Nächte von 20 und mehr Graden Kälte. Der
Nothſtand, die Krankheiten wurden aber noch durch die furdhtbare
Ueberſchwemmung, welche ver Eisgang der Donau in den nieder
gelegenen VBorftädten bewirkte, vermehrt. Die Leopoldftadt, die
Roßau u. a. m. glichen mit dem Augarten und Prater einem
See, aus dem die Häufer berporragten, deren Bewohner durch
Kähne gerettet wurden. Die plößlich bereingebrochene Wafferfluth
erfänfte viele Menſchen und Vieh in den Erdgefchoflen, und die
gewaltigen Eismaffen zertrümmerten Gebäude, zerichnitten Die
ſtärkſten Bäume wie Halme. — Das Wild des Praterd ſchwamm,
Hülfe und Nahrung fuchend, in der Yägerzeil umher, — ich Jah
nie bergleihen. So groß wie der Jammer mar aber aud das
Bemühen, raſch zu retten, die Leiden zu mildern. Man fah
216
Erzberzoge in Kleinen Schiffen nach den bedrängten Orten eilen, und
Alles überbot fi im rühmlichen Wetteifer, durch reihe Spenden
der Wohlthätigkeit fo vielem Elende aufzubelfen, Beiträge an Geld:
und Kleidungsmitteln floffen von allen Seiten, Liebhaberconcerte,
theatralifhe und andere Vorftellungen, vor. Allem aber eine vom
Damenverein veranftaltete NRiefenlotterie im Redoutenfanle brachten
bedeutende Summen ein.
In den legten Tagen des März erfuhren wir, daß der Groß:
herzog Ludwig plößlih vom Schlage getroffen, und bald darauf,
daß er geftorben ſei. Major von Amerungen bradte die Nadh-
richt nach Wien, und ihm folgte der General von Stodhorn, um
dem Tuiferlihen Hofe den Regierungdantritt des Großherzogs
Leopold anzuzeigen. Da gab es denn für die Gefandtichaft bes
wegte Tage. Eine weit betäubendere Todespoft follte mich noch
gleich nachher treffen. Meine gute Mutter, zur Oberhofmeifterin
der jungen Großherzogin Sophie beftimmt, wollte deßhalb nad
Karlsruhe reifen. Doch in der Nacht zuvor ftarb fie unerwartet
ohne vorhergehendes Leiden. Nur wer feine Mutter fo wahrhaft
geliebt und verehrt wie ih, kann diefen Schmerz, den erften
ftehenden im Leben, erfaffen! Einige Wochen früher mar diefer
vortrefflihen Frau ein naher Vetter, ein langjähriger Freund
unſeres Haufe, der Staatsrath von Roggenbad, vorange
gangen. Diefer verehrungswürdige Mann gehört Jenen an, deren
Leben feine Feder fefthält, die aber in dankbarem Gedächtniffe
Aller bleiben, die fie kannten. Geboren 1750, war er von einer
zahlreichen Familie der einzige, überlebende Sohn, weßhalb denn
er auch, in der Hoffnung ihn zu erhalten, „Adam“ getauft wurde.
Am Hofe von Pruntrut erzogen, wurde er fpäter unter feinem
Dheime, dem lebten regierenden Fürſt-Biſchof von Bafel, ange
ftellt, und verband ſich mit einer ebenfo verftändigen, als fchönen
Trau feiner Wahl (H. von Reuttner:Weyl). Blühende Kinder
umgaben das glüdliche Ehepaar, als die Stürme der Revolution
217
Noggenbad aus dem Lande vertrieben und er in den 1790er
Sahren bei Karl Friedrich freundliche Aufnahme fand, zuerft in
Malberg, dann als Kreisdirektor zu Freiburg angeftellt wurde.
In befhräntten Verhältniſſen, mit Sorgen jeder Art Tämpfend,
gründete er gewwiffenhaft das Glück feiner Familie, die mit Tiebender
Verehrung an ihn hing. Wenn ihn feine vier Söhne, feine drei
Töchter, ale wohlhabend und in ehrenvollen Stellungen, umftanden,
fonnte man nicht leicht ein ſchöneres Bild häuslichen Friedens
jehen. Der jüngfte Sohn, Auguft, Hatte fi im Sabre 1825
mit meiner Schweiter Antonia vermählt, weldye diefen Namen
von ihrer Zaufpathe, der Großmutter ihres Bräutigams und Tante
meined Vaters, erhalten hatte. Br. v. Roggenbach-Reuttner, feit
einigen Jahren gelähmt und der Sprache beraubt, ſtarb bald
nachher. Bis zu feinem 80. Jahre verließ den edlen DBater
Roggenbady nicht die chriftlich-philofophifhe Milde, die er mit
einem freundlichen Ernfte und einer nie ruhenden, immer nütz⸗
lichen Thätigkeit verband. Sanft, wie er gelebt, ſtarb er Gott
ergeben!
Der Thronwecfel in Baden veränderte auch meine Dienſt⸗
ftellung, und, unter Ernennung zum Sammerherrn und Legations⸗
rathe, zu einer befonderen Miffion nad, Paris berufen, verließ ich
bald darauf Wien. Die unverhoffte Trauerzeit warf noch einen
trüben Schein auf diefe lebten Wochen, mit denen mein erfter,
längerer Aufenthalt in Wien zu Ende ging Nicht ohne ein,
mit Freude und Wehmuth gemifchtes Dankgefühl konnte ih auf
eine Epoche zurüchliden, mit der vorausfichtlih fi) wohl die
erite Hälfte meiner Lebensbahn abgefchloffen hatte!
218
Hiebenter Abſchnitt.
NET ———
(1830 — 1832.)
Inhalt: Karlsruhe. Der neue großberzoglihe Hof. Veränderungen und
Einbrüde. Reife nah Paris. Abenteuer. Julitage-Anblick von Paris.
Verlegenheiten. Marmont. St. Eloub und Rambouillet, Der König
Zudwig Philipp und die Kammern. XTageöbegebenheiten und Meinungen.
Der Herzog von Chartres. Der letzte Condé ıumd fein geheimnißvoller
Tod. Das diplematifhe Corps und feine Haltung. Der Bailli
dv. Ferrette, Politifhe Betrahtungen. Salons und ber Cerclhe. Straßen:
fcenen unb Theater. Die Minifter und ihr Prozeß. Die Männer bes
Tage. Rückkehr nah Karlsruhe. Kürftlide VBermählungen.
Zuftand Deutfhlands, polnifhe Revolution. Das Jahr 1831.
Ueberſicht. Vorgänge in Ftalien. Reunmonatlihe Stänbeverfammlung
in Baden. Die Markgräfin Amalie und bie Prinzeffin Nugufte von
Najfau. Der Herzog Karl von Braunfhweig und fein Kanımerdiener
Bitter. Die Polen in Freiburg. Börne in Karlsruhe. Aufenthalt
in Mannheim. Der Salon ber Großherzogin Stephanie. Die Königin
Hortenje und Louis Napoleon. Weberblid ber politiihen Ereig-
niffe. Blaye. Die Schweiz. Das Hambader Fell, Die Bunbes-
beſchlüſſe. Rückreiſe nah Wien.
In den Abendftunden des 1. Juni 1880 verließ ich Wien,
um über Salzburg, Münden und Stuttgart nady Karlsruhe
zurüdzufebren, wo id eine neue Welt finden ſollte. — Selten
wohl hatte eine Fürſt die Regierung unter günftigeren Umftänden
angetreten, ald Großherzog Leopold. Im Fräftigften Lebensalter
ftehend, nahm er durch männliche Schönheit, wie ein ungemein
Teutjeliged Wefen ein. Ihm zur Seite fand eine durch liebens⸗
würdigen Geift ausgezeichnete Gemahlin, und der ſchöne Fumilienfreig
219
war in den letzten Jahren noch durch zwei Prinzen ver
mehrt worden — Friedrich, geb. 9. Sept. 1826, der jebige
Großherzog — und Wilhelm, geb. Dezbr. 1829. Aber nicht
nur Karlärube, auch das ganze Land jauchzte dem jungen Herrfchers
paare zu. Die Iehte Regierungszeit des alternden, ernſten Ludwig
hatte vielfach erdrüdend auf die Öffentlihe Meinung eingewirkt;
es trat in ihm immer etwas mehr von den Eigenfchaften hervor,
welche in gewiſſer Beziehung an zwei bekannte, menngleid, in ihrem
Charakter verſchiedene, franzöfifche Könige erinnerten. — So fehr
man auch feinen Borzügen und Verdieniten gerne Gerechtigkeit
widerfahren Tieß, fo fund man ſich doch bei feinem Tode wie von
einem beengenden Alpe befreit. — Großherzog Leopold hatte das
frühere Miniſterium mit der Aeußerung beibehalten, daß er fi
zu glücklich fühle, ſolche Männer, denen er jein volle Bertrauen
zumenden konne, worzufinden, um eine Aenderung eintreten zu laffen.
Nur die nächſten Umgebungen vertaufchte Leopold mit ihm ange:
nebmeren Männern; einige Hofleute wurden ganz entfernt; Hennen⸗
Hofer blieb. Nahm daher die NRegierungdweife auch etwas mehr
von dem faniteren Charakter des neuen Herrn an, fo wurde doch
im Ganzen nur wenig geändert, höchſtens, daß fi bie und da
ein Nachlaſſen der bisher fo fireng und feftgezogenen Zügel fühlbar
machte.
In der politifchen Welt hatte fih mährend des erften Halb:
jahres 1830 — Frankreich ausgenommen — nidht3 von bejonderer
Bedeutung ereignet. Während DOefterreih mit Marocco einen
Waffenſtillſtand fchloß, bereitete fih Karl X. zu einem Feldzug
gegen Algier vor, ein milllommener Vorwand, die ihm felbft drohen:
den Schiefalsfchläge abzuleiten. So fchnell und flegreich Bourmont
auch diefe Seefahrt und Eroberung vollbrachte, erreichte fie doch
ienen Zweck nicht, und während franzöftiche Waffen ar ferner afri-
Tanifcher Kälte an dem Dep die von ihm dem Gonful ertbeilte
Ohrfeige rächten, mußte der gute, alte Monarch die friid, errungenen
220
Lorbeeren bald darauf felhft mit in's Eril nehmen. No erinnere
ih mid, eines Abends aus jenen Tagen. Es war am 26. uni.
Auf Befuch bei der Großherzogin Stephanie in Umkirch, beftieg ich
mit ihr den Hügel bei Munzingen, auf welchem fi die Kapelle
erhebt. Bon den lebten Strahlen der untergebenden Sonne be⸗
leuchtet, Tag die herrliche Landihaft, von dem wundervollen Gebirgs-
panorama begrenzt, vor und. Der filberne Rhein theilte die
fruchtbaren Gefilde des Breisgaued und Elſaſſes und von den zahl:
reihen Dörfern tönten ringsum die Abendgloden zu ung berauf;
Freiburg, Breiſach fliegen mit ihren ebrmürdigen Domen aus der
Ebene; eine tiefe Ruhe lag auf dein reizenden Gemälde — nur
hinter den Vogeſen thürmte fich ein dunkles Gewölke von unheim-
lihem Wetterleuchten durchzuckt, in feltiamem Contrafte zu der
Scene des Frieden, die vor unferen Augen lag. Da bemerfte
die Großherzogin, in banger Vorahnung der Geſchicke Frankreichs:
„Iſt dieß ſchwüle Gewitter, welches fich in verheerenden Bliben zu
entladen droht, nicht ein Bild der Zuftände meines Vaterlandes
ſelbſt!“ — Vier Wochen fpäter ertönten die Kanonen auf den
Barriladen der Julitage!
Der Sommer verfloß in bewegter, beiterer Weife, und id)
ſelbſt war erfreuter Zeuge des häuslichen Glückes auf dem Throne,
wie der gehobenen Stimmung im Lande, als ich in Griesbach
mich der großherzoglichen Familie vorftellte, Freiburg bejuchte, und
einen Theil des Schwarzmaldes durchreiſte. Don den frifchen,
ftillen Thälern des Kniebis begab ich mich unmittelbar auf den
von der Juliſonne erbitten Boden Frankreichs, traf am 25. —
gerade am Tage der Ordonanzen — in Straßburg ein, und febte
die Reife im eigenen Wagen nad Paris fort. Die diplomatifche
Stellung, welche ich da einzunehmen beftimmt, war eine eigen-
thümliche; ich follte dem 80jährigen Gefandten, Bailli v. Ferrette,
den man nicht entfernen wollte, als Legationgrath zur Aushülfe
beigegeben, zugleidd aber auch, ohne daß er ed mußte, als
221
ferbftftändiger Gefchäftöträger bei dem damaligen Minifterpräfidenten
Fürſten Polignac beglaubigt werden. Ich fuhr Tag und Nacht
meiner neuen Beftimmung zu, ohne auf der langen, breiten Heer:
ftraße einem Courier, einer Diligence oder irgend einem anderen
Wagen zu begegnen. Als ich bei der gewöhnlichen Champagner:
ftattion in Epernay Halt machte und dem Pofthalter mein Er-
ftaunen über diefe auffallende Stille auf der fonft jo Tebhaften
Route ausdrüdte, fragte er mich: ob ich denn die Ordonanzen
nicht Tenne! und gab fie mir in dem neueſten Blatte zu leſen.
Er fügte bei, daß feit diefer Zeit weder Reifende noch Poſten an-
gekommen feien und man Unruhen in Paris vermuthe. Während
diefes Geſpräches kam gerade die Mallepoit, doch ohne Briefpaquete
und Zeitungen, an. Sie bradyte den ängſtlich barrenden Bewohnern
und mir die eriten Nachrichten von dem zu Paris ausgebrochenen
Aufftande; der Condukteur hatte fih nur mit Mühe dur die
verbarrifadirteid Straßen mwinden, nicht? von der Bolt mitnehmen
können. Seine Schilderung war ebenfo unvollſtändig al3 ver:
worren. Ich fuhr nun mit feinem anderen Gedanken, al3 dem
der zu erwartenden Ereigniffe beichäftigt, fort; wohl Hatte ich mir
den Widerftand lebhaft gedacht, welchen die Parifer den Ordonanzen
entgegen ſetzen würden, doch konnte ich nicht ahnen, daß dieß in
ſo furdtbar nachhaltiger, blutiger Weife geichehen würde. Ich
hatte nun Chaͤteau⸗Thierry erreicht, und da ausgerubt, auch etwas
am Wagen ausbeffern laſſen. Hier trafen nun auf kleinen Poſt⸗
karren Mitglieder der Deputirtenlammer: Jacqueminot, Koechlin,
Hartman u. a. ein, welche auf die erhaltenen Nachrichten nad)
Paris eilten. Sie riethen mir, befonder® wenn ich Papiere für
die Megierung Karls X. bei mir hätte, den Lauf der Begeben-
heiten vorerft außerhalb Paris ruhig abzumarten. Doc mo war
da Ruhe zu finden! Ungeduld, Neugierde trieb mich unaufhaltiam
vorwärts. Allen Ortichaften hatte fi fchon die Bewegung mit-
getheilt, man fuchte die alten Uniformen der Nationalgarden hervor,
222
und bewaffnete ſich gewärtig beim erſten Winke gegen Parid
zu marfdiren. Indeſſen batte der Wagenfihmied, den Augenblid
benübend, für jeine kleine Arbeit 200 Fres. verlangt, und ich mußte
diefe unverfhämte Yorderung bezahlen, weil der Maire erklärte,
bei der fteigernden Gährung der Gemüther mir nicht Recht ver:
ichaffen zu können. So ging e3 fort bis la Ferto; auch bier fand
ich Alles eleftrifirt; jede Arbeit war eingeſtellt; ganze Schanren
durchzogen fingend oder lärmend die Straßen; Alles ſchmückte ſich
mit dreifarbigen Bändern, theils aus Luft, theils wohl auch um
von der Menge nicht infultirt gi werden. Wie ich mie der Stadt
Meaux näherte, vernahm ich von Weiten ber immer deutlicher den
Donner der Kanonen; dort felbft traf ich eine Abtheilung der
tönigligen Sarde-Küraffire, halb eingefhächtert, Halb in drohender
Stellung, welche dem Volke noch imponirte. Doc als eine unge
heuere Tricolorfahne mit der eriten Pariſer Diligence erſchien, war
des Jubels Tein Ende; man umarmte, trank fi zu, der Ranſch
hatte auch bier begonnen. Die Truppen zogen ſich langſam und
ungehindert zurüd. Ich erfuhr nun, daß der König zu Bunften
feines Enkels abgedankt habe, der Herzog von Orleans General:
ftatthalter, die Ruhe in Paris augemblidlich bergeftellt fei. Im
Bondy, der leuten Station, gab mir der Poftmeifter den Rath,
meinen Wagen zu Baris bei einem belannten Schmiede in der
Borftadt St. Martin unterzubringen. Den 90. gegen Abend
erreichte ich endlich Die Barriere. Der Empfang wur fein freumd-
licher, vielmehr ein lebendgefährlicher.*) Nach einer viertelftündigen,
betäubenden Verhandlung, aus der ich nur ſoviel entnehmen Tonnte,
daß man mid, für emen Ordonangminifter, einen Spion, was
weiß ich! hielt, rettete mich die Geiſtesgegenwart des Poſtillions,
und die non Freiheitsſchwindel, Blut umd Wein berauſchten Bro:
detarier folgten fchreiend dem Wagen bis zu den Hauſe des
*) rinnerungeblättir ©. 244.
223
Schmied, der ihn verjorgte, und welcher nun, mit feiner Bürger:
uniform angethan, die thörichte Menge beruhigte, die ſich endlich
verlief. Man Tonnte ihr Iomge wicht begreiflich machen, daß, wäre
ich eine verdächtige Perfon, Ich Paris wohl in dieſem Augenblick
nicht betreten hätte. In der That verfchiwanden amd, Damals
Polignac und feine Eollegen in allen nur denkbaren Berffeidungen
dur die Thore, und das Volt fah in jedem ankommenden oder
‚abfabrenden Fremden einen Verräther. Bei folder Aufregung
wäre mir freilih die Unterfuhung meiner Papiere, welche nicht
für die gänzlich veränderte politifche Lage der Dinge paßten, durch
folhe Hände fehr unermwünfcht geweſen. Die ganz außerordent:
lichen Ereignifle aber, in die ich fo unerwartet plötzlich hinein-
gerieth, die ausnahmsweiſe Stellung, in welcher id; mich dem
diplomatifhen Corps von Paris gegenüber, außerhalb dieſer
Stadt befand, mein bizarrer Einzug felbft, der Empfang, der mir
ala dem erſten Ertrapoftreifenden nad) der Kataftropbe zu Theil
wurde, al’ dieß waren auf mich jo mächtig wirkende Vorgänge,
daß diefe Eindrüde kaum von den Erſcheinungen überboten werden
fonnten, weiche mid in Paris felbit erwarteten. Da wegen der
Barritaden Feine Wagen zirkuliren Tonnten, ſetzte ich mich zu Fuße
nad der Rue Richelien in Bewegung, aber auch bier war das
Durchkommen nicht immer leicht. Omnibus und andere Wagen,
Meubles aller Art hemmten mit dem aufgeriffenen Bflajter die
Schritte; auf verſchiedenen Plägen wurden Betten und andere
Geräthe, welche man aus den Kafernen der verhaften Soldaten
und Schweizer gebolt, verbrannt; Wilden gleich temzten fingend
Männer, Weiber, Kinder um die Flammen; dazwilchen trug man
Zode oder Verwundete vorüber, fammelte für die „Schlachtopfer
der Tyrannei.” Auf den Boulevards mußte ich über die ſchönen
Bäume fleigen, weldhe auch der Freiheit zum Opfer gefallen maren,
und fand in der Straße mein Hötel nicht, weil der Eigenthüner
feige den Schild: „‚Hötel des Princes,“ ala zu ariftofratifch,
224
abgenommen hatte; als ich es endlich, erfragte, wurde mir erſt nad)
langem Läuten aufgethan. Weberhaupt waren die Gewölbe nicht
nur, auch Fenfter und Thüren feit verfchloffen, und die königlichen
oder anderen fürftlichen Wappen, melde die Spiegbürger früher fo
glücklich und ftolz waren über ihren Laden befeftigen zu können,
wurden ſchnell durch dreifarbige Trophäen, oder die zwei Mofls:
tafeln der Charte erſetzt.
So mar ich denn vorläufig in dem ficheren Hafen der Ruhe
angelangt, wenn der aufgeregte Zuftand der Hauptſtadt irgend
Ruhe verheißen fonnte. Leider habe id) es gerade wegen dieſer
mit jeder Minute wechlelnden Auftritte verfäunt, ein umftändliches
Tagebuch zu führen. Nur flüchtig zeichnete ich auf, was die Dlide,
die Ohren mit Staunen ftündlid) aufnahmen. So hörte ich gleich
bei dem erften Erwachen vor meinen Fenſtern den Tod des Mar:
ſchalls Marmont ausrufen; das Bolt aber nahm den Wunſch für
die That. Sonderbares Geſchick dieſes Mannes, der 1814 als
Verräther an der Sache Napoleons verſchrieen, nun auch wieder
von den Bourbonen mit dem Vorwurfe beſchuldigt wurde, fie ver-
laſſen zu haben, während die liberale Partei ihm fluchte, und ihn
aus Frankreich vertrieb, das er nie mehr fehen ſollte. Marmont
rächte ſich für diefe Ungunſt der öffentlichen Meinung in feinen
erit nach deffen Tode (1853) erichienenen Memoiren, in denen er,
mährend er ſich zu vertheidigen ſuchte, feine Gegner auf eine nicht
immer zu rechtfertigende Weife angriff. Nach feiner Ausfage Hatte
man ihn, den Gouverneur von Barid, in jenen enticheidenden
Stunden ohne Weifung, ohne Hülfe und Rath gelaſſen, weder für
die Verpflegung der Truppen, nod für den Schuß der Hauptſtadt
geforgt; fo fei er denn nad) drei Tagen genöthigt geweſen, den
zweckloſen Straßenkampf aufzugeben, um den königlichen Sitz in
St. Cloud zu decken. Hier wurde er nun von dem Herzog
v. Angouldme mit Schmähungen empfangen; er entriß dem Mar-
ſchall den Degen, und verwundete ſich ſelbſt dabei in der Hand,
225
das einzige Blut, welches diefer damals kaum 50 jährige Prinz für
die Vertheidigung feiner Tamilienrechte vergoffen! Während der
altersſchwache König, in beitäudiger Unwiſſenheit der wahren Sach⸗
Tage erhalten, bei der erften Nachricht ruhig feine Partie Whiſt
fortipielte, nur an einen unbedeutenden Straßenauflauf, nicht an
eine Revolution glaubend, während ein 1Ojähriger Knabe fanft
und ahnungslos fchlief, war es an dem Dauphin, fich für feine
Dynaſtie zu fchlagen, zu opfern; dafür 309 er es vor, die von
aller Hilfe entblößten Truppen und ihre Anführer zu befchimpfen,
dann mit Karl X. abzudanfen, und den traurigen Rückzug, ge:
Ihüßt von den braven Garden und treuen Schweizern, nach Ranı:
bouillet anzutreten. Die Dauphine, von der man fagte, daß fie
allein den männlichen Muth in dein Haufe Bourbon vertrete, war
abweſend, und kam, aus einem Badeorte herbei eilend, gerade noch
zu dem verbängnißvollen: „zu ſpät!“ das man dem zögernden
Staatsrathe ded Königs entgegen hielt. Nun folgte eine Woche
unglaublicher, peinlicher Ungewißheit, eine Maffe von Maueran-
ſchlägen, Fliegender Blätter verlangte in mehr oder minder gereiztem
Tone, die Nechte des Volkswillens anrufend, bald Napoleon II.,
bald die Republit, bald da3 Haus Orleans. Es war ein ver:
worrenes Gefchrei, in dem die Stimmen, früher einig zum Umfturze,
fi) nun trennten, entzweiten, anfeindeten, wo es galt einen neuen
AZuftand zu gründen. &8 findet fich nicht Teicht eine gejchichtliche
Thatfahe, welche in ihrem Urfprunge, in ihren Verzweigungen,
wie in ihren Folgen fo unverhällt der Beurtbeilung der Nachwelt
vorliegt, wie dieſe feltfame Julirevolution. Wie gewöhnlich in
ſolchen Fällen gab es auch bier VBerführer und Verführte; mährend
fih die letzteren aufopfernd voranitellten, genoffen die vorfichtigeren
Urheber die für fie gepflüdten Früchte, verzehrten die für file aus
dem Teuer gebolten Kaftanien. Wahrhaft patriotifche Begeifterung
fand fid, nur bei der Jugend, die, verblendet und todesmuthig, für
vermeintliche Rechte kämpfte. Die anderen trieb Ehrgeiz, Habfuct
Irh. v. Andlaw. Mein Tagebud. 1. 15
226
oder der Haß gegen die neue Ordnung, Neid gegen höher Geitellte.
Der ſ. g. Mittelftand, daB Heer, die Republilaner waren der
Regierung feindfelig; ihnen ſchloſſen fi die nie ruhenden Secten
an. Es entipann ſich daher ein Kampf zwilchen diefen Parteien,
und mwährend die Einen für die Ideen von 1789 ſchwärmten, umd
es abermals mit einer Republik verfuchen wollten, während die
Armee, in der Erwartung neuer LZorbeeren und Beute, das An:
denfen ihres Kriegähelden anrief, bereitete die rubigere, aber mächtige
und in Ränken erfahrene j. g. liberale Partei fi einen ficheren
Sieg vor. Sie war unftreitig in dei Mehrheit, und von dem
Heinen Gewürzträmer bis zu dem großen Bankier und Induſtriellen,
ber Millionen zählte, verfchwor fi) Alles zum Untergange der
bevorzugten Klafien, ſchrie über Priefterherrichaft, Adelftolz ‚ und
trug der Negierung die Begünftigung nach, welche fie nach ihrer
Anſicht jenem Treiben gewährte. Im Namen der Freiheit wurde
daher nur mehr das Intereſſe einer anderen Schichte der Gefell-
ſchaft ausgebeutet, welche fih an die Stelle der Herrichenden ſetzen
wollte. Diefer Geilt des Widerftandes wurde durch die Verhand⸗
lungen der Kammer, wie durch zahlloſe Tagblätter genährt und
verbreitet, und während der Philifter feine politiiche Weisheit aus
dem Conſtitutionell jchöpfte, erbibte fih der Proletarier an den
zündenden Phrafen des National, Dabei ließ es ſich nicht läugnen,
daß von Seiten der Negierung die ärgſten Mißgriffe begangen
wurden, und fie, rathlos, unentichloffen, bald, den Sturm zu be
ſchwören, nachgab, dann wieder mit unbegreiflicher Strenge verfuhr.
Es fehlten eben damals noch die erft fpäter gemachten Erfahrungen,
dag nur vollbrachte Thatfachen gelten, daß zulekt immer nur
der Stärfere Recht behält, und um einen Staatsſtreich zu wagen,
man vor Allem dazu gehörig vorbereitet und Hug wie kräftig genug
fein müfle, um ihn auch mit Erfolg ausführen zu können.
Der Abend des 29. Juli fand die Sieger daher in nicht
geringer Verlegenheit. Um ſich in diefer Noth zu helfen, rief man
227
die Kammern in größter Eile zufammen. Sie waren aber weder
vollftändig noch beſchlußfaͤhig; den unter ganz anderen Umſtänden
gewählten Deputirten insbeſondere aber fehlte jede Vollmacht, an
der Eharte jo hochwichtige Veränderungen vorzunehmen. Es war
in der Naht vom 4. Auguft; ein Gewitterfturm 309 über Paris
und entiwurzelte Bäume im Garten der Tuilerien — da veränderte
jene Kammer in drängender Haft, ohne Mandat, eine Berfaffung,
für deren Heiligkeit und Unverleglichkeit man ſich drei Tage lang
im den Straßen geſchlagen hatte; fie ernannte eigenmächtig einen
König, und fomit wurden die lebten Trümmer der alten Monardjie
begraben, nachdem 41 Sabre früher — auch an einem 4. Auguft
(1789) — die erfte Hand an die Auflöfung der bisherigen geſell⸗
ihaftlihen Zuftände Frankreichs gelegt worden war. Man mag
diefe Vorgänge beleuchten, mie man will, immer begegnet man
MWiderfprächen, Gefeblofigfeiten; man Tann, was geſchehen, mit der
Furcht vor drohender Anarchie, mit der dringenden Macht der Noth:
mendigkeit entjchuldigen; nur nenne man diefe Schritte nicht Tegal,
die Erbebung feine „glorreiche,“ keine unvorbereitete; das Bolt
im Großen und Ganzen nahm keinen Antheil daran und Frank:
reich fügte ſich ſtillſchweigend den Beichlüffen, melde vom Pariſer
blutbefleckten Pflafter audgingen, und zulest im Palais Bourbon
ihren anfcheinend gejeßmäßigen Ausdrucd fanden. Und die Pair:
fammer? Sie decimirte fich ſelbſt. Chateaubriand, nachdem er die
Föniglidhe Negierung in Wort und Schrift angegriffen, erichrad
über die unerwarteten Folgen, und legte feine Würde nieder; ihm
folgten über 50 andere Pair, unter ihnen Graf Yelir Andlam.
Schöne Reden, voll der edelften Gefühle, vermochten nicht in einem
Augenblid wieder gut zu machen, was 1djährige Verblendung
verdorben. Ein Jahr fpäter entzog man befanntlid der Pair:
würde die Erblichkeit, und die Kammer, welcher das englifche Ober:
haus zum Vorbilde gedient hatte, ſank zu einem bedeutungzlojen
Senate herab!
15*
228
Während ſich al dieß zutrug, hatte fih Karl X. mit feiner
Tamilie, umgeben von einer Meinen Schaar Anhänger und ihren
Fahnen treu gebliebener Truppen, in dem SYagdfchloffe zu Ram⸗
bouillet niedergelaffen. Plötzlich durchlief am 3. Auguft die Stadt
das Gerücht, daß der König mit einer ftarfen Heeresmacht gegen
Paris ziehe, und fo groß war noch die Furcht vor der Möglid;:
feit eines folchen Unternehmens, daß alle Bewohner nur wie von
einem Gedanken befeelt fchienen, ihn zuvorzufommen. Nach Ram⸗
bouillet! erichallte e3 von allen Straßen, auf allen Pläten; man
bemächtigte fi der Pferde, der Wagen, wo man fie nur finden
founte, und in unabfehbarer Linie bewegte fich diefer Peine, moderne
Kreuzzug in den bizarreften Gruppen mit zum Theil bewaffneten
Männern, von Weibern und Kindern begleitet, dem Süd⸗-Weſten
zu. Ich felbft, diefem Treiben fremd, wurde auf dem Concorde
plage ganz höflich gebeten, aus meinem Cabriolet zu fteigen, um
es einem der dahin Fahrenden zu überlaffen. So dauerte es einen
Tag, eine Naht hindurch fort. Diefer Aufivand an Kraft und
Geſchrei zeigte ſich aber fehr überflüſſig. Der königliche Greis,
noch im Hohen Alter ein Teidenfchaftliher Jagdfreund, fa nun
felbft, einem gehetzten Wilde gleich, in dieſem Schloffe, und er:
wartete ruhig den Ausgang der Dinge. Die lärmende Menge
ließ fi, da fie Feine feindliche Beivegung bemerkte, harmlos lagernd
in der Umgebung nieder, die proviforifche Regierung aber ſchickte
Commiffäre ab, um mit Karl X. zu unterhandeln und begleitet
von ihnen wanderte die Töniglihe Familie unbeläftigt dem Meere
zu, um in England ein abermaliges Aſyl zu finden.
Was ging nun während diefer denfwürdigen Tage im Palais
royal vor? Es blieb hermetiſch gefchloflen; man ſchickte Boten
nah Neuilly, mo der Herzog von Orleans, von den Creigniffen
überrafcht, in einer unbezweifelt furdtbaren Aufregung und rath:
loſen Unentfchloffenheit fich befinden mußte. Seine Ernennung
zum Generallientenant drängte ihm zum rafchen Handeln. Ludwig
229
Philipp ſchlich fih am Abend des 29. unerkannt nad) Paris,
fih bei feinen Freunden Rath erholend. Eigentlich blieb ihm
nur die Wahl, mährend der Minderjährigkeit Heinrichs V. die
Rolle feines Ahnherrn, des einftigen NRegenten Orleans, wieder
aufzunehmen, oder fid) dem Zuge des älteren Zweiges der Bour-
bonen in's Ausland anzufchliegen. Man fand jedod, in jener
geheimen nächtlichen Unterredung einen dritten Ausweg. Lafayette
umarmte öffentlih auf dem Rathhauſe Ludwig Philipp als Die
„beite der Republifen”; der Herzog von Orleans murde zum
König ausgerufen, Teiftete am 9. Auguft in der Deputirtenfammer
den Berfaffungseid, und beftieg fomit den fchwanfenden, von
republifanifchen Inftitutionen umgebenen, aber nicht unterftüßten
Thron — le tour 6tait fait! Man hatte einen honndt homme,
einen bürgerlihen König, der überdieß noch verfprach, daß die bis
zur Unkenntlichkeit entftellte Charte Tünftighin eine Wahrheit
werden jollte! Die Partei Orleans triumphirte, die Royaliſten
wurden in Spottbildern verhöhnt, Republikaner und Bonapartiften,
ohnmächtig und nicht gerüftet, ergaben fich knirſchend in das Un:
vermeidliche; das Heer vertröftete man auf den baldigen Ausbruch
eines Krieges. Doc nur zu bald erwachte der kaum unterdrüdte
Geiſt der Oppofition; es war ein beftändiges Wogen und Schwanken
einer beihörten Menge; man kam zur Befinnung; „il valait bien
la peine d’avoir chass& un roi, pour nous en laisser imposer
un autre!‘ hieß es. Der Teichtfertige, veränderlihde Sinn der
Parifer vergaß bald das alte Negime und verfolgte nun die neuen
Machthaber mit mwitigen oder gemeinen Karicaturen und Couplets.
Man brüllte nicht mehr fo oft die abgeihmadte Pariſienne und
vertaufchte fie bald wieder mit der Fräftigeren, aber republifanifchen
Marfeillaife, die, abgejehen von den Gräueln, an die fie erinnerte,
doch wenigftens den Schwung einer begeifternden Melodie für ſich Hatte.
Ich felbit war bei allen diefen Vorgängen ein ebenfo er:
ftaunter als neugieriger Zeuge und trieb mich bei dem herrlichen
230
Wetter den größten Theil de Tages auf den Straßen umber.
Allein oder in Gefellichaft des Fürften Felix Schwarzenberg, des
Clemens Hügel oder einiger anderen jüngeren Diplomaten durch:
ftreifte ich die Boulevards, die öffentlichen Plätze und Fehrte täglich
mit Eindrücken der verfchiedenften Art nach Haufe zurüd. Selbft-
verftändlich Konnte die mir zugedachte diplomatiſche Stellung nicht
zur Ausführung fommen, dennod ſchloß ich mich an die Gefandten
an und berichtete regelmäßig über die feltfamen Dinge, melde ich
zu beobachten Gelegenheit hatte. So brachte ich zwei Monate in
immerwährender Spannung zu. — Ich bebe zwei merkwürdige
Epifoden hervor. Eines Tages gab ſich eine ungewöhnliche Be:
wegung auf dem Boulevard fund; man erzählte ſich, daß Ludwig
Philipps Altefter Sohn, der Herzog von Chartres, — nunmehr
Drleand? — an der Spibe ſeines Regiment? einziehen werde.
Der 20jährige Prinz war Oberft eine® Hufarenregiments und zu
Joinville, wie ich glaube, in Garnifon. Als die Nachricht des
Parifer Aufftandes dahin drang, erflärte ſich fofort dag Regiment
gegen Karl X., und wurde nun in Paris, den muthmaßlichen
Thronerben an der Spike, bejubel. Da mar aber von Feiner
Disciplin, von Teinem regelmäßigen, militäriichen Marich die Rede.
Zöglinge der polytechnifhen Schule, welcher der Prinz früber
angehörte, Nationalgarden, Studenten mifchten ſich in die Reihen
der Truppen; ed war eine Art von PVerbrüderungsfeft, deren. mir
fo viele gefehen, ohne daß deßhalb die Bruder: oder Nächſtenliebe
fihtbar gewonnen!
Einen Mißton in diefe und andere offizielle Freuden brachte
der auffallende Tod des Herzogs von Bourbon, Condé. Diefer
70jährige, Übrigens weder durch Charakter noch Haltung befonders
ausgezeichnete Prinz mar mit einer Schweſter Philipp Egalits's
vermählt geweſen, und fein einziger Sohn, der Herzog von Engbien,
wurde befanntlih gewaltfam in Ettenheim Nacht? durch Hufaren
aufgehoben und auf Befehl Napoleons in dem Feſtungsgraben von
231
Bincenned erfchoffen. Condé hatte mit der Töniglichen Familie
dad Eril geteilt, feinen Namen der Armee der Emigranten wie
den Verhandlungen von Koblenz gegeben, und war 1814 wieder
nach Frankreich zurüdgelehrt. Im Beſitze ungeheuerer Reichthümer,
weldye das Entfhädigungsgeieb unter Karl X. ihn zuerlannte,
hatte er, kinderlos, wie man allgemein fagte, einen der Söhne des
Herzogs von Orleans, Aumale, zum Erben beſtimmt. Mit dem
Ergebniß der Yulitage unzufrieden, hieß es, wolle Condé fein
Teftament zu Gunſten de3 Herzogs von Bordeaur ändern und’
fih in England niederlaffen. Gerade als ſich der Herzog von
Sonde zu diefer Reife anſchickte, fand man ihn eines Morgens
(28. Auguft) an den Fenſtern feines Schlafgemachs aufgehängt!
Die Vermutbung eines Selbſtmordes lag unter diefen Umftänden
fern; der Zukunft muß es vorbehalten werden, dieſe geheimnißvolle
Todesart mit allen ihren Details zu enthüllen; Viele fehen wohl
jest ſchon darin Harz; man wiederholte die verſchiedenſten Gerüchte,
beutete das Ganze als Parteiſache aus; doch bald verlor ſich bie
Erinnerung an dad Unerhörte im Strome der Alles fertreißenden
Bewegung der Zeit. Später kam es zu einem Nechtäftreite, in
dem eine Mde. Teuchered, Geliebte des alten Gern, eben Teine
fehr erbauliche Molle ſpielte; Aumule, damals 8 Jahre alt, blieb
im Befite des Eonde’ihen Vermögens! Aber in jo Mäglicher Weile
endete ein Greis, der Lebte eines erlauchten Gefchlechtes, das durch
mehr als drei Jahrhunderte Frankreich mit feinem Namen und
Rubm erfüllt batte!
Wie verhielt fih nun das diplomatiſche Corps bei jener
Rataftrophe in Paris? Einige Gefandten, u. a. auch Graf Apponpi,
waren abmeiend, andere unfichtbar geworden. Als man fich endlich
wieder zufammenfand, wurde beratbichlagt, was zu thun fei. Hier
war es nun Pozzo di Borgo, der Vertreter Rußlands, welcher
dem Vorſchlage des Geſandten ded damald in Europa einzigen,
nicht Iegitimen Monarhen — von Schweden — entgegentrat.
232
Löpenhielm wollte nämlid), daß die bei Karl X. und nicht bei Ludwig
Philipp beglaubigten Nepräfentanten auch Eriterem folgen follten.
Der alte, ritterlihe Graf, in defien Armen Guftav IH. dad Leben
ausgehaucht hatte, wurde überftimmt, und die Mehrzahl befchloß,
den Lauf der Begebenheiten abzuwarten. Die Hauptfrage für die
Geſandten blieb aber immer: ob und wer von ihnen zuerjt wieder
bei der neueri Regierung accreditirt oder abberufen werden würde;
fie mußten jedoch ihren Höfen weitere Entſchließung überlaffen.
Ich ſah Werther (Preußen), Pfeffel (Bayern), Könnerig (Sachen),
Fagel (Holland), Rumpf (Hamburg) u. a. ın. Sie waren, je
nach ihren perfönlichen Anfichten, mehr oder minder verftimmt, alle
fanden fi aber unbehaglih, und ed war jedenfall3 eine traurige
Genugthuung, wenn mande auf den von Polignac verſchmähten
Rath Hinwiefen, den fie, das Gewitter zu beſchwören, ertheilt haben
wollten. Wenn alle auch nidyt geradezu den Umſchwung beklagten,
fo fahen fie doch die Frage der Zukunft in einer nit zu ent:
räthjelnden Weiſe verwirrt. — Gleich nad) meiner Ankunft hatte
ih mich nad) meinem Chef, dem Bailli v. Ferrette, umgefehen
und fand den geipenftigen Mann in feinen weißen Püdermantel
gehült — der leibhaftige Kommandeur im Don Juan — binter
einem Tiihe figen, auf dem am bellen Tage zwei Wachskerzen
brannten. Der 82jährige Mann konnte fih in diefer raſchen Wen:
dung der Dinge nicht zurecht finden. Er glaubte immer nod
die Kugeln in den Straßen pfeifen zu bören und verfchloß feft
feine Fenfterläiden und Thüren. Nur von Zeit zu Zeit Tieß er
aus feiner Arche eine Taube fliegen, und als fie ihm den Del-
zweig, das heißt die Nachricht von dem Aufhören des Gewehr:
feuers bradyte, magte cr ed, den ihm gegenüber wohnenden Yürften
Talleyrand in der Rue St. Florentin zu beſuchen. Dieſer weihte
ihn nun in die Geheimniffe der neuen Lage ein, und Ferrette
tröftete fih mit dem Gedanken, daß er bei „Monseigneur le Duc
d’Orlsans“, den er fidy noch immer nicht als König denfen konnte,
233
gut angefchrieben fei. Nach und nad fuchte er feine alten lieb-
gewordenen Orte wieder auf, gab feine Meinen Dinerd und fühlte
fih in dem Gedanken glüdlih, in Paris bleiben zu Tönnen. Seit
50 Jahren hatte er diefe Stadt, eine Turze Unterbrehung während
der Schreckenszeit ausgenommen, nicht verlaffen. Er ſtand fehr
ſpät auf und außer dem Haufe fah man ihn nur zur Nachtzeit,
wo er regelmäßig bald die große, bald die italieniihe Oper be=
ſuchte und feinen Plab auf dem Balcon einnahm. Ganz Paris
Fannte ihn an feiner geifterhaften Erſcheinung. Nach einigen Be:
ſuchen brachte er dann jede Nacht fpielend im „Bercle” zu, und
gar oft ſah man ihn erft nad, Sonnenaufgang nad) Haufe zurüd-
fahren. Der originelle Greis ftarb 1831, ein nicht unbeträchtliches
Bermögen, daB er in eigener Weile zu verfteden geſucht hatte, .
lachenden Erben hinterlaſſend.
Von dem betäubenden Treiben im Innern wandte man ſich
endlich wieder mehr der Außenwelt zu. Viele, und nicht nur
die Unzufriedenen, wünſchten einen allgemeinen Krieg, um ſich
dem Peinlichen der Lage zu entziehen. Ludwig Philipp theilte
dieſe Anſicht nicht; ihm war vor Allem daran gelegen, ſich in
den friedlichen Beſitz der Errungenſchaften zu ſetzen, und mit Jubel
wurde von ſeinen Anhängern die Anerkennung begrüßt, welche
England dem Bürgerkönig zuzuſchicken ſich beeilte. Das Londoner
Kabinet, auf Karl X. zürnend, der es wagte, Algier ohne ſeine
Erlaubniß zu erobern, hoffte in den Orleans gefügigere Verbündete
zu finden, und täuſchte ſich nicht. Dieſem Beiſpiele folgten allmälig
die europäiſchen Mittelſtaaten, dann kamen Preußen und Oeſterreich,
zögernd endlich auch Rußland — das Zeitalter der „ſaits accomplis‘
hatte begonnen!
Wäre der Julidynaſtie damals ein Kriegsheer ungelegen ge⸗
kommen, ſo gab ſie ſich um ſo mehr der Hoffnung hin, daß die
Begebenheiten, welchen fie ihre Erhebung verdankte, auch in anderen
Ländern Nachahmung finden würden. Und fiehe da! fchon im
234
September murde man dur die Nachricht einer Revolution in
Belgien überrafht, ein Straßenfampf, Barrifaden en miniature
zu Brüffel! Was wollte man mehr?
Die Tagesbegebenheiten Tiefen nur wenig Zeit für gefellige
und andere Genüffe übrig. Man mar wenig empfänglich für den
Beſuch von Kunftanftalten, und felbft die Natur erfreutg nicht mit
ihren ftillen Reizen bei der Aufregung, in der man beitändig er-
halten wurde. Dennody fand ich mich bald wieder in dem Kreife
der mir ftet3 und allentbalben befreundeten Familie Apponpi
heimisch, auch beſuchte ich einige Häufer von Verwandten und
Belannten, deren Sympathien meilten® dem vertriebenen Königs-
baufe angehörten. Hier mußte ih nun gar viele Klagen, Aus:
drücke ſpäter Neue und größtentheild übertriebener Anfichten hören.
Die Familie Grammont und ihre Freunde verfammelten ſich ge
wöhnlich bei der alten Madame Erafford, eine Frau, deren Lebens:
geſchichte allein einen bändereihen Roman bilden könnte; ihre
Entel, der bekannte Dandy d'Orſay, der Alcibiades feiner Zeit,
und die veizende, blonde Herzogin von Guiche, belebten vielen
Salon. Guiche ſelbſt, Jugendfreund und Vertrauter Angouloeme's,
galt für das Haupt der früheren Hofpartei, aber ihre nachträg⸗
lihen, unfruhtbaren, wenn gleich ehrenwerthen Huldigungen ver:
mochten die königliche Familie ebenfo wenig zu retten, als die
wohlfeilen Witze und Schmähungen auf ten Barriladenthron.
Der Sohn diefer Eltern, der jebige Duc de Grammont, galt
für einen der fchönften Männer von Paris. Ich konnte da⸗
mals nicht erwarten, ihn einft wieder am Hofe Ludwig Philipps
zu begegnen. Noch mehr erjtaunte man aber ihn fpäter al?
Repräfentanten des neuen Kaiſerreichs in Nom und Wien zu
ſehen. — In derfelden Rue d'Anjou befand fih auch das Hotel
Dalberg, deifen Beliker, der Schule Talleyrand’3 angehörend, wenn
gleih mit anderen Gefinnungen, als die Grammonts, die Ereig-
niffe dennoch nicht völlig beiſtimmend betradhtete.
235
Se leerer und feltener die Salons, um fo befuchter waren
die Spielhäufer, und die beſſere Gejellichaft verfammelte fich jeben
Abend in den weiten, glänzend erleuchteten Räumen des |. g.
Cercle des Etrangers. Hier fam man nun zufammen, um
Neuigkeiten zu hören, feine Gedanken Über die Tagesbegebenheiten,
auszutauſchen, und man konnte dabei fein Geld mit der größten
Nude, mit einem gemifien Anftande verlieren, welcher bie
Screden geheimnigveller Dramen, die auch bier nicht fehlten, nicht
ahnen ließ. Es herrſchte da der feinfte, beite Ton; in jeder
Woche fanden die audgefuchteften Diners ſtatt, zu denen tie aufs
geführten Fremden fchriftlich eingeladen wurden. Die ſ. g. Com:
mifläre machten dabei die honneurs, Männer guter Familien, aber
meift felbft durch das Spiel zu Grunde gerichtet, daher yleichfam .
Penfionäre der Bank. Es war ein glatter Firniß, der Alles
bedeckte, felbft die Roulette ala zu gemein verbannte, Whiſttiſche
waren felten, dagegen das trente et quarante in voller Blüthe,
auch daB verderbliche „Crep's“ eingeführt, das, weil ein Würfel-
fpiel, noch einförmiger und geiftlofer, als die Übrigen Glücksſpiele.
Der Ort, die Ungebungen waren um fo gefährlicher, ald man
glaubte, fi Hier dem Hang zum Spiele ungehindert bingeben zu
dürfen. Ich Habe junge Edelleute, befonderd ungarifche und pol:
niſche, gekannt, welche hier in kurzer Zeit Verlufte erlitten, die
ihre ganze Eriftenz verdarben. — Dem Cercle gegenüber lag das
berüchtigte Srascati, mo man fich freilich in fehr gemifchter Geſellſchaft
befand, wenn gleich die Säle noch eine gewiſſe Eleganz verriethen,
nur anftändig gefleidete Herren und — Damen eingelaffen wurden.
Hier nun war der Thron der Roulette aufgefchlagen und Alles
drängte fi unaufhörlih Tag und Naht um die verbängnißvolle
Kugel. Die eigentlihen f. g. Spielhöllen aber, Nr. 113 des
Palais royal u. a., hatte ich nie den Muth zu betreten. Wird
einft dem König Ludwig Philipp ein Ruhmestempel erbaut, fo
bleibt nicht einer der Fleiniten Pfeiler deſſelben das Verdienſt,
236
diefem widerlichen Treiben, der Quelle jo vieler Lafter und Per:
brechen, ein Ende gemadyt zu haben. Alle Gründe, welde man
für die Beibehaltung der öffentlihen Spiele gewöhnlich anführt,
erzeigen fich bei näherer Beleuchtung als ebenfo viele Sophismen.
Das Hauptübel beiteht immer in der Gelegenheit, melde der
Menge geboten wird, ihrer ungezügelten Leidenfchaft zu fröhnen.
Dabei erinnere id mid) immer eined Vorfalls aus eigener Erfah:
rung. Als ich 1822 Paris mit einigen Jugendfreunden befuchte,
gaben diefe, wohl unvorfichtiger Weife, einem deutſchen Lohnbe-
dienten eine 1000 Irs.-Banknote zum auswechſeln. Lange Tehrte
er nicht zurüd, endlich erichien er blaß, ein Bild der Verzweiflung,
und auf die Frage: mas mit dem Gelde gefchehen? antwortete er
ftotternd: „Sie baben mir e8 aus der Hand geſpielt.“ Diefe
dunkle Phrafe wurde zulegt dahin erläutert, daß Alles am grünen
Tiſche verſchwunden fei. Der Unglüdliche erfchien ſpäter vor der
Police correctionelle; wir wurden als Zeugen vorgeladen; er
geftund unter Thränen, wurde beftraft, aber dad „aus der Hand
geipielte Geld“ war für immer verloren.
Paris kam damals lange nit wieder in das gemohnte
Geleiſe zurüd. Die Kirchen waren verödet, einige ganz geichloffen,
die Tuilerien unbewohnt, öffentliche Orte wenig befucht, Handel
und Wandel lagen darnieder und die junge Freiheit ging
bald nad allen Richtungen in Zügelloſigkeit über. Auf den Pläben
wurden nebjt miderlichen Zerrbildern oder Spottgedichten Büdyer
der gemeinften Urt zum Verkaufe angeboten. Hatte man Morgens
den aufregenden Diskuffionen in den Kammern beigewohnt, fo
las man Abends ihr Echo in den leidenfhhaftlichen Ergüffen der
Blätter, oder war auf den Straßen Zeuge irgend eines ſeltſamen
Auftritts. Wo das wirfliche Lehen täglich fo reich an dramatifchen
Emotionen war, fonnte man den Theatern jelbft nur wenig
Geſchmack abgewinnen. Die Heinen Bühnen bejonderd überboten
ſich in Aufführung abſcheulicher, Religion und Sitte verhöhnender
237
Stüde; jede politiiche Anfpielung wurde beklatſcht, dazwiſchen mußte
dann wieder eine Schaufpielerin patriotifche Verfe deflumiren, oder
es erfchien ein Sänger mit einer riefigen Fahne und gab eines
der beliebten Volkslieder zum Belten, die dann vom Publikum
nachgebrüllt wurden. Bald las man Zeitungsartifel laut vor,
oder ein Zuſchauer erbat fi das Wort, um zu einem Leichen:
begängniffe eines feinen Wunden erlegenen Julihelden einzuladen;
bald wurden wieder Zufammentünfte, CIubangelegenbeiten, Studenten:
vereine befprodhen u. f. w. Aber auch in den größeren, felbit in
Dperntheatern ging es nicht viel ruhiger zu, und der eigentliche
Genuß des Schanfpield wurde unter diefen fortwährend fremdartigen
Eindrüden vielfach geftört. ZB mei Opern waren es vorzüglich,
welche durd) mehrere Jahre die fo Leicht entzündlichen Gemüther
vorbereiteten. Die von Roffini fo berrlih in Muſik gejebten
Freibeitöphrafen im „Tell“ zeigten ſich nicht weniger wirkſam,
ala die begeifternden Scenen in Auber's „Stumme von Bortici“,
deren dritter Akt bald von der Bühne auf die Straße felbit ver:
pflanzt werden follte. Nach ter Yulirevolution fand man jedoch
für aut, mit dem Triumphzuge Maffaniello’3 zu fchließen. Man
wollte auf den Rauſch doch nicht gar fo bald die Ernüchterung
folgen laffen.
Eine traurige Epifode in diefer Zeit bildete die Jagd, welche
man auf die flüchtigen Miniſter anſtellte. Nur wenige entfamen,
die bedeutenderen, wie Polignac, Peyronnet, wurden gefangen, be-
fanntli im Dezember verurtheilt und Tängere Zeit eingefperrt.
War Karl X. nad) der Charte unverleglih, fo mußte man ſich
an die verantwortlichen Minifter halten, ftrafte man aber in der
Perfon des Königs den Urheber der Ordonanzen mit Verbannung,
fo hatte die Verurtheilung feiner Rathgeber feinen Sinn!
So verließ ich denn Paris, ohne den Föniglichen Hof begrüßt,
deſſen Minifter und Anhänger befucht zu haben, Dennoch begegnete
id, öfters Ludwig Philipp und feiner Familie, Jah in den Kanımern,
238
den Salons oder auch auf der Straße noch alle die Männer, an
deren Namen man damals fo große Erwartungen für das Heil
der Zukunft knüpfte! Talleyrand mit dem Marmorgefichte, der
allen Regierungen Unentbehrliche, Lafitte, welcher den Wahne,
ein großer Staatdmann zu fein, feinen Ruf ald Banquier und
ein koloſſales Vermögen opferte, Caſimir Perrier, fähiger als
die meiften, der aber im erften Sabre ter Cholera unterlag,
Lamarque, Mauguin und wie fie alle hießen, die, einſt body:
gefeiert, in Vergellenheit endeten! Am meiſten beichäftigte fid) doch
während eines halben Jahrhunderts die öffentliche Aufmerkſamkeit
mit Lafayette, der neben Wafbington auf den Schlachtfeldern
von Amerika neue, nie verdaute teen eingejogen, von frühem
Kriegsruhm wie von Kitelfeit und Ehrgeiz aufgeblafen, fi 1789
angemaßt, das Königthum zu retten, zur Nevolutiondzeit kaum
dem Henferbeile entgangen, in öfterreichifche Gefangenſchaft gerathen
war. Nun, nachdem er unter jeder der vielen Verfaſſungsformen,
die ſich Franfreicd gegeben, als Ideolog zurüdgeftoßen, ſchwur er,
alt und beinahe Tindifch geivorden, zur Fahne Orleans und mußte
fi von der Barifienne als „Lafayette au cheveux blancs“
anfingen Iaffen, ihn, den man immer nur in einer braunen Berüde
gefehen hatte! Es war daher Fein alltägliches Schaufpiel, als Lud-
wig Philipp auf dem Marsfelde fih von dem unvermeidlichen
Lafayette die Pariſer Nationalgarde vorftellen Tieß, welche dieſer
nun feit 40 Jahren wieder zum erften Male Gefehligte!
Hätte damals Jemand gewagt, vorher zu fagen, daß die
neue Ordnung der Dinge 18 Jahre fich erhalten würde, er wäre
veif für das Tollhaus erflärt worden! Man ſah nur zwei Aus-
gänge: den baldigen Untergang der Dynaſtie durch eine neue
Revolution, oder einen, die ftaatlichen Verhältniffe Europa’3 umge:
ftaltenden allgemeinen Krieg!
— — — — — —
239
Mitte Oktober war ich wieder in Karlsruhe zurück, vorerit
obne beflimmte Befchäftigung. Alle mir für den Parifer Poften
zugefagten Entfchädigungen blieben aus, und auch die in Ausficht
geftellte Verſetzung nach St. Petersburg kam nicht zur Ausführung.
Ich wurde vorläufig zu Hofdienften verwendet, meldhe meine Zeit
über Erwarten häufig in Anfpruch nahmen. Dod blieb mir
immer Mufe genug, den wunderbaren, ſich überftürzenden Welt⸗
begebenheiten aufmerffan zu folgen, um eintretenden Falls den
gegen meinen Willen unterbrechenen Faden einer gewohnten Ge-
ichäftsthätigfeit alfobald wieder aufnehmen zu können. In Deutſch⸗
Iand felbft zeigten ſich in Folge der Julitage allenthalben convulfi⸗
viſche Zuckungen. Die Einen waren gutmütbig genug, das franzd-
ſiſche Phrafengeflingel für baare Münze zu nehmen, und träumten -
von allen nur denkbaren Freiheiten und Erleidhterungen, Andere
ſuchten die Ereigniſſe zu ihrem Vortheile auszubeuten, und natürlich
war, wie immer, die ummälzende Partei vor Allem rührig, welche
da und dorthin Brandfadeln warf. Doch zündeten fie nur da,
wo fie wahrhaft wunde Theile fanden — in Kurheſſen, in Sachſen,
wo eine Mitregentichaft errichtet wurde, endlich in Braunſchweig,
eine Barifer Revolution im Kleinen, welche mit dem Brand des
Schloſſes und der Bertreibung des Herzogd Karl endete. In
vielen Städten, befonderd dem Sibe von Univerfitäten, gab es
Kravalle; doch da Oefterreih und Preußen in Ergreifung wirt:
ſamer Maßregeln einig waren, fo wurde die Ruhe, wenigſtens
für den Augenblid, bald wieder bergeitellt. Baden aber verdanfte
nur dem Regierungswechſel, daß ed vor größeren Erſchütterungen
bewahrt wurde. Seh Monate früber hätte die Julirevolution
auch dort Zündftoff genug gefunden. So ftellten aber babifche
Truppen jelbft die Ordnung in den beffiichen Landen ber. —
Auch einigen Kantonen der Schweiz hatte ſich die Bemegung mit:
getheilf, welche fpäter theilweife in Bürgerkrieg überging. Als
nun aber vollends, um Rußland zu befchäftigen, die Propaganda
240
am 29. November die Sturmglode des Aufruhr? in den Straßen
von Warfchau ertönen Tieß, als, um Defterreich zu ſchwächen, der
Ruf nad italienifher Einheit von den Alpen bis zum Veſuv
erichallte, da war das Loſungswort zu einer allgemeinen politifchen
Verwirrung gegeben; das Jahr endete trübjelig und Alles ſah in
peinliher Erwartung den Greigniffen des kommenden entgegen.
Am November wurden in der großberzoglidhen Familie zwei
Bermählungen gefeiert. Prinz Guſtav Wafı verband ſich an feinem
Geburtstage — 9. November — mit der damald in Jugend
und Schönheit blühenden Brinzeffin Louife von Baden. Als
Geremonienmeifter überreichte ic dem hohen Brautpaare die Ringe
am Traualtar. Einige Tage nachher kehrte Markgraf Wilhelm
mit der ihm in Stuttgart angetrauten Prinzefjin Elijabeth von
Württemberg in fein Palais zurüd, welches von nun an -durd
beinahe 30 Jahre der Sitz eines ungetrübten häuslichen Glückes
werden follte. Beglückwünſchungscouren, Hoffefte, Gallatheater,
Tadelzüge und andere umnvermeidliche Dinge folgten diefen fürft-
lihen Berbindungen.
Das Lahr 1831, gleichſam das Vorſpiel von 1848, war
ein Jahr focialer Auflöfung, eine Uebergangsperiode von veralteten
Zuftänden zu einer neuen fi) Bahn bredienden Zeit. Tod, be
zeichnet ed nur ein Stadium in diefem großen Entwidelungprozeß,
und während es daher von einer Seite nicht die Befürchtungen,
die man davon hegte, in vollem Maße rechtfertigte, erfüllte es
wieder von der anderen nicht die fanguinifchen Hoffnungen der
Neuerer. Alle Blide waren dahin gerichtet, woher die erfte
Bewegung ausgegangen, und da ſah man denn die Straßenunruben
in Paris, Lyon und anderen Orten, die ftürmifchen Kammerver⸗
handlungen, die Tebruarerceffe, den Cynismus der Preffe, die
Leidenfshaftlichkeit der Parteien, die Schmierigfeiten der Regierung.
Der kluge Sinn des Königs, die Energie Erf. Perrier's, der die
4
Zügel mit Fräftiger Hand ergriff, febten der Bewegung für einige
Zeit ein Ziel. Ludwig Philipp und feine Söhne durchreiften be:
rubigend einige Theile Srankreihd und in dem Grade, als die
Flammen des Aufruhrs anderwärts auffoderten, fchienen fie dort
dem Erlöfhen nahe. Belgien und Italien waren es zunächſt,
welche die Sorge ded Parifer Kabinet? in Anfprud nahmen. In
beiden Fragen Fräftiger zu feinem eigenen Vortheil einzugreifen,
dazu fehlte ihm der Muth. Das ganze Jahr hindurch zogen fid)
die Verhandlungen über das künftige Schiefal Belgiens, endlich
ergab fi) die Citadelle Antwerpens, und in London brachte man
gegen 70 Protocolle zu Stande, welche aus einem Königreiche
der Niederlande deren zwei machen follten; der anglo=fächfiiche
Prinz endlich vermählte ſich ald König mit der Prinzeſſin Louife
von Orleans. —
In Italien aber batten fih an allen Eden Bürgerfrieg und
Empörung entzündet; und während im Februar Cardinal Capellari
als Gregor XVI. zum Bapfte gewählt wurde, ſah man frei:
ichaaren die Halbinfel durchziehen, zwei junge Napoleoniden an der
Spite, von denen der ältere den verunglüdten Verſuch mit dem
Leben büßte. Polen hatte feinen Freiheitsdurft mit Blut geftillt,
und nad langem verzweiflungsvollem Kampfe ergab fi im Sep:
tember Warſchau. Ludwig Philipp aber Hatte für das von ihm
früher ermuthigte Volt keinen anderen Troft, ald die oft twieder:
bolte, befannte Phrafe: „ia Nationalit6 polonaise ne p£rira
pas!“ Griechenland Tag in Geburtöwehen, in Spanien Aufruhr
und Hinrihtungen; in Portugal fanden fich zwei Königliche Brüder
in Waffen gegenüber, felbit in England gährte es, und der Ruf
nah „Reform“ wurde immer lauter und drobender; der Proceß
gegen D’connel fette ganz Irland in fieberhafte Bewegung. Die
beiden deutfchen Großmächte fahen in würdevoller Ruhe, mehr
abwehrend als thätig, dem wirren Treiben zu; nur ihre militärifchen
Kräfte wurden ungewöhnlich und ber Gebühr angeftrengt. In
Th. v. Andlaw. Wein Tagung. I. 16
242
den deutfchen Bundesſtaaten endlich quälte man ſich mit Confti-
tuttonen ab; bier wollte man die fchon beftehenden in einem libe-
raleren Sinne ummodeln, dort neue einführen. Auch Baden konnte
fih diefen Anforderungen nicht ganz entziehen; neue Wahlen follten
flattfinden, der Zeitpunkt zur Einberufung des Landtages rückte
heran, und fo großes Vertrauen auch die Perjönlichfeit des Groß-
herzogs und die Haltung der Regierung einflößten, fo theilte fich
doh das allgemein in Deutichland verbreitete Unbehagen auch
diefen Gegenden mit. Diefe Mifgunft bezog fich zunächft auf den
Minifter v. Berftett und feine Umgebungen, und wenn er die
im Innern des Landes immer lauter werdenden Stimmen nicht
beachten wollte, jo verfeßten ihm benachbarte Blätter, befonderd
jene des Elfafies, täglich empfindlichere Navdelftihe. Waren diefe
Angriffe auch vom Parteigeift eingegeben, einfeitig, übertrieben,
gehälfig, jo mußte Berftett, den Moment richtig erfennend, fie nicht
erſt erwarten, fondern lieber früher einem Poſten entjagen, den er
ungeachtet unläugbar großer Verdienfte, nicht mehr mit Erfolg
auszufüllen hoffen konnte. Mit ihm trat auch Hennenhofer
zurüd, gegen den hauptſächlich alle Pfeile des Spotte wie der
Schmach und Verläumdung gerichtet waren. Er ließ ſich zuerft
in Malberg, dann in Freiburg nieder, und von da an war es
ihm erft möglidy, die Gutmüthigfeit feines Charafterd, wie andere
edlere Eigenichaften zu entfalten, welche unter den früberen ihn
beengenden PVerbältniffen mehr oder minder unterdrüdt morden
waren. Während er ſich jebt feinen freunden mehr nähern Fonnte,
entwaffnete er feine früheren Gegner durch eine harmloſe, felbitge-
wählte Thätigkeit. Selbit bei öfteren Schlaganfällen blieb er ftet3
heiter und feine völlig zeritörte Gefundheit trübte nicht feinen Teb-
haften Geift. Auch ich ftand mit Hennenhofer in einem beftändigen
Briefwechlel, der nur mit feinem Xode (1850) endete.
Die erfte Ständeverfammlung unter der neuen Regierung
fand Ende März ftatt, und wurde vom Großherzog Leopold felbft
243
mit einer viel beiwunderten und viel hejubelten Rede feierlich er: .
öffnet. Dieſer Landtag ſchloß am Tebten Dezember und erreichte
fomit die volle Dauer von neun Monaten. Ich bin glücklicher
Weiſe nicht berufen, die Geſchichte dieſes, ſowie der früheren und
jpäteren badifhen Landtage zu ſchreiben. Doch ftand ich dieſer
Berfammlung perfönlich näher, und hatte daher mehr Anlaß, fie
zu beobadıten, als die anderen. Der Großherzog hatte mid, näm⸗
lich zum Sommiffär für das Geremonielle ernannt; in diefer Eigen:
haft beiprach ich mich im Namen des Hofes mit den Präfidenten
der beiden Kammern, überwachte die Ordnung auf den Tribünen,
theilte Eintrittsfarten aus u. f. w. War mein Amt auch nicht
ſchwer und anftrengend, fo hielt e8 mich doch Zeit raubend in
Karlsruhe feft, und Tief nicht ohne unangenehme Scenen und Tleine
Konflikte ab.
AZufammenfebung und Geift diefer Kammer verriethen nur zu
bald die politifhe Farbe des Augenblidd, und die gereizte leiden:
ſchaftliche Richtung, welche fih damals gleichfam in der Luft befand,
wirkte auch auf die Wahlen ein. Glänzende Reden murden zur
Erbauung der überfüllten Gallerieen gehalten, ſtundenlange Bor:
Iefungen aus dem „Staatslerifon” belehrten die Zuhörer, und vor
Allen war es das Freiburger Profefforenkleeblatt, welches durd)
feine Beredtſamkeit den Landtag wohl um menigitend drei Monate
verlängerte, während der fchlaue Suitein das Büdget mit ſcharfem
Mefter zerlegte; große Summen, frucgtbringend für die Zukunft,
wurden votirt, andere verwendet, um den Lieblingsideen des Tages
zu huldigen. Schwerlich hätte je eine abfolute Negierung gewagt,
die Kräfte des Landes in der Weile in Anfpruch zu nehmen, mie
es bier nit Zuftimmung der Kammern gefchehen. Manches zeigte
fich ſpäter als Treibhauspflanze, aber viele beffere ergiebige Körner
Vöften ſich doch immer von der unfruchtbaren Spreu ab, und
trieben eine üppige Saat. Doch waren es nicht nur die inneren
Angelegenheiten, welche die Gemüther beichäftigten, man folgte
16*
244
unmillfürfich auch den Impulfen von Außen; Belgien, Polen, die
Schweiz, Italien und alle die „brennenden Fragen des Tages“ fanden
ihr Echo in den begeifternden Worten der tonangebenden Männer
des Volles.
So zog fi denn dieß Jahr unter Gemüthsbewegungen der
verfchiedenften Art fort, und nicht die geringite Sorge war das
fih in der Ferne zeigende drohende Geipenft der Cholera mit
allen feinen Schreden. Mit größter Ruhe las man früher, daß
in Oftindien fo viel Tauſende der Seuche erlegen; als aber die
ruffiihen Truppen fie aus Aften nah Polen verichleppten, und
es vollends hieß, einige Perſonen in Berlin und Wien feien der
Krankheit erlegen, da überließ man fich einer allgemeinen Furcht.
Mer nicht erlebt, was darüber geſprochen und gefchrieben wurde,
macht ſich jetzt Teinen Begriff mehr von der Angft, mit der man
den tödtlichen Gaſt erwartete, wie von den unfinnigen Vorkehrungen,
welche man gegen fein Erjcheinen traf.
Außer Meinen Ausflügen nah Yreiburg, Mannheim und
Baden bewegte id midy den Sommer über in den gewohnten
Kreifen der Karlsruher Gefellichaft, welche, fo wie das Hofleben,
inmitten der täglich fteigenden Beforgniffe nur wenig Abwechslung
bot. Ach befuchte die Häufer der Gefandten, befonder das des
mir befreundeten Grafen Buol, und betrat öfter8 als früher das
Palais der Markgräfin Amalie. Die ehrwürdige, beinahe gänzlich
erblindete Fürftin Hatte Abends nur noch einen Zirkel vertrauter
Treunde um ſich verfammelt. Seit ihrer DVermählung waren
60 Jahre, wohl von den wichtigften in der MWeltgefchichte, vorüber:
gegangen; fie war, wenn audy nicht unmittelbar, doch durch ihre
Stellung in alle Vorgänge ihrer Zeit gezogen, mit den merf-
würdigften Perfonen in nahe Berührung gefommen. Nur mit
inniger Rührung konnte man fi der edlen Frau nähern, die,
eine moderne Niobe, den Gemahl, den einzigen Sohn, ihre Töchter
von Rußland, Schweden und Braunfchweig, die ledige, ihr zur
245
Pflege gebliebene Prinzeffin Amalie beweint, den Kaifer Alerander
wie den König Mar Joſeph verloren; es blieben ihr nur noch
zwei Töchter und zahlreiche Enkel, die fie, wie ihre Kinder, auf
Thronen ſah und an denen fie mit zärtlicher Xiebe Bing. Go
zogen die Erinnerungen an ein reidy bewegtes Leben fill an ihr
vorüber, al3 unerwartet die Ummwälzung 1830 auch ihr eine neue
Zeit verkündete, in die fie fih nicht mehr finden konnte. —
Einiges Leben in die Gefellichaft brachte das Haus der Prinzeffin
Augufte von Naffau, welche nad dem Tode ihrer Schweſter,
der Markgräfin Friedrich, das freundlihe Gartenpalaid bezog.
Ihr gefelliger Sinn Tieß dieſe fchönen Räume von Befuchenden
nie leer werden, und Spiel, Mufit, Tanz erheiterten die Abende.
Ihr Gemahl, der Graf Bismark, wie einige feiner gebildeten
Nichten unterftüßten die geiftreihe Yürftin bei diefen angenehmen
Birken. Bid zur Zeit ihres Todes 1846 febte die Prinzeſſin
diefe, für Karlsruhe fo überaus erwünſchte Gaftfreundichaft fort,
und wenn aud fpäter anhaltende Kränklichkeit fie hinderte, größere
Berfammlungen zu balten, fo blieb fich doch im engeren Kreile
von Bekannten ihr reger Geift, ihre muntere, oft witige Laune,
die freilich nicht immer des Nächften fchonte, gleich.*)
Das Yahr 1881 verfloß, mider alles Erwarten, ohne daß
der gefürchtete allgemeine Krieg ausbrach; dagegen trugen die Be:
waffnung aller Staaten und die überall zu befänpfenden Empörungen
weit mebr zur fteigenden Unzufriedenheit und Verarmung bei; ſelbſt
die Türkei wurde über diefem Treiben vergeffen!
Im März 1831 wurde ich durch einen Erlaß des herzoglich
braunſchweigiſchen Kabinets überrafcht, welches mich zur Er:
klärung darüber aufforderte: wann und weßhalb ich in die Dienfte
*) Siehe; Aus dem Leben einer beutfchen Fürſtin (von Freifrau
v. Dalberg: Nüllmann).
246
des Herzog? Karl von Braunſchweig getreten fei? Diefe Anfrage
zu begründen, war ein Schreiben des Sekretariats jened, damals
nach Paris geflüchteten Herzogs beigefügt, und die Schreiben zu
meinem rftaunen „Legationsratb v. Andlaw“ unterzeichnet.
Während ich fogleih nad) Braunſchweig fhrieb, daß ich in feiner:
lei Berührung mit den Herzog Karl ftehe und bier ein Miß-
brauch de3 Namen vorliegen müffe, wurde mir das Räthſel bald
darauf dur einen Brief aus Frankfurt aufgellärt, welcher mir
anzeigte, daß der ehemalige Kammerdiener des Herzogs Karl, ein
gewifjer Bitter, mit Aufträgen feine Herrn dort eingetroffen fei.
Zugleich erfuhr ich, daß diefer ihn, unter Ernennung zum Legationg-
rathe, in den Freiberrnftand mit Namen und Wappen unjerer
Tamilie erhoben babe. Ih konnte mir bei diefem fonderbaren
Einfalle fein anderes Motiv denken, ald daß Seine Durdlaudt
fi den gnädigen Scherz machen wollte, mir einen Doppelgänger
zu geben. Bon Yranffurt aus follte Bitter mit einem von der
diterreihiihen Botichaft in Paris unter dem erborgten Namen
ausgeſtellten Paſſe in bejonderer Miſſion nad Wien reifen. Ich
ſchrieb daher eiligft nach Braunfhmeig — die dortigen „Anzeigen“
brachten alfobald eine fürmliche Ungültigleitserflärung des ertbeilten
Titel und Namens von Seiten des herzoglihen Staatsminifteriums
unterm 8. April. Ich fchrieb nah Frankfurt — der Bundestag
nahm den Braunfchweiger Proteit fofort in das Protokoll auf.
Ich ſchrieb nah Paris — Graf Apponyi entichuldigte fich
wegen des Pafles, der Bitter fpäter wieder abgenommen wurde.
Ich ſchrieb endlih nah Wien, mo man dem Bitter bei feinen
Eintreffen bedeutete, die ihm nicht gebührenden Prädikate abzu=
legen, oder die Stadt fogleih zu verlafien. Er zog daß lebtere
vor und theilte feine Aufträge fchriftlih mit. Bon da an wurde
er bald in Paris, dann wieder in Florenz, Würzburg und anderen
Orten geſehen. Nachdem er im Gefolge feines Herrn die aben:
teuerlidften Dinge erlebt, wurde er endlid von ihm entlaffen,
247
und der überall umherſchweifende Erlammerbiener Tieß fih in
allerlei Unternehmungen ein, bis wir zulest feine Spur verloren.
Nur von Zeit zu Zeit ſpukte er noch mit dem falfchen Namen
in Öffentlichen Blättern, und noch im Jahre 1840 waren meine
Verwandten und ich genöthigt, in der Allgemeinen Zeitung dagegen
zu reflamiren. Ich erwähnte aber diefed an fich unbedeutenden
Vorganges, um dadurch miederholt gegen die wunderliche Laune
des Herzogs Karl, wie gegen die Unverfchämtbeit, mit welcher
Bitter diefelbe benüst, Verwahrung einzulegen. Herzog Wil:
beim aber, melcher fich bei diefem Anlaffe der verlebten Nechte
unferer Familie auf3 Treundlichite annahm, fcherzte fpäter oft
darüber und meinte, ich follte mich für diefen „bittern Better“
damit tröften, daß ich ihm gegenüber als der „füße“ ericheine.
Mit einem großen Hofdiner bei dem Schluffe der Stände:
verfammlung endete dad Jahr 1831, und am nächſten Tage fand
das gewöhnliche Neujahrsbanguet mit den Miniftern, dem Hof:
ftaate, den Geſandten und Fremden flatt. — Die großherzogliche
Regierung, durh den ermüdend Tangen Landtag fortwährend in
Anſpruch genommen, konnte fih nun ungeflörter der inneren Ber:
waltung unterziehen, feine Meine Aufgabe, welche ihr die thätigen,
Alles ändernden und in Trage ftellenden Stände hinterlaffen. In
dem Grade, als diefe neun Monate an Diäten verzebrten, war
man bemüht, wieder in anderer Weile zu fparen. Aber auch den
Außendingen konnte man fich jet wieder unbefangener zumenden,
und da waren e3 denn die deutichen Angelegenheiten in eriter
Linie, melde das Kabinet beichäftigten. Auf einer Seite die
zunehmende Gährung, auf der anderen die Borftellungen des
Bundes, deffen Anihauungen nicht immer im Einklange mit den
Beſchlüſſen der badifhen „Volkskammer“ ftanden, alle diefe
Ericheinungen bildeten eine Weihe von unerquidlichen Sorgen,
248
Geſchäften und Konflikten für den neu ernannten Staatöminifter des
Aeußern, Treibern v. Türkheim. Ich felbft aber, des langen
Harrend wie der gezwungenen Unthätigfett müde, wünſchte lieber
wieder in meine früheren Dienftverhältniffe nach Wien zurüdzu-
fehren, mad man denn auch, meine billigen Anfprühe auf Beför-
derung nicht beuchtend, nach Tangem Zögern bemilligte. Vorher
begab ich mich jedoch nady Freiburg, wo ich im väterlichen Haufe,
umgeben von Liebenden Verwandten, einige ungemein beitere Wochen
zubrachte, nur einen Augenblick durch eine unerwartete Epifode
getrübt. Nach dem alle von Warichau hatte fih ein Schwarm
flüchtiger Polen nad) allen Richtungen über Deutſchland verbreitet.
Die beredte Schilderung ihrer Leiden und Noth wie der Anblid
ihrer Jammergeſtalten brachten allenthalben eine unbejchreibliche
Wirkung hervor. in folder Zug fam im Februar auch durch
Freiburg. Man befchenkte, beflcidete, bewirthete, unterftüßte fie in
jeder Weife, doh ließ man natürlich diefe fchöne Gelegenheit zu
politifchen Demonftrationen auch bier nicht unbenütt vorüber gehen;
die ſchwunghaften Reden, die feuerigen Toafte bei den Trinfgelagen
wurden bald von den Sälen auf die Straßen verpflanzt, und des
nicht felten die Nachtruhe flörenden Lärmes war fein Ende! —
Welch fein fühlendes Gemüth Könnte dem traurigen Geſchicke einer
Nation, welche mit jo glänzenden Hiftoriichen Erinnerungen einen
gewiffen ritterlihen Charakter verband, die wärmſten Sympathien
verfügen? Doc mifchten fich in diefe Theilnahme gleich viele Täu⸗
fhungen über den eigentlichen Geift und die Tragweite einer ebenfo
leichtfertig unternommenen, ala mit aufopfernder Tapferkeit durch:
geführten Erhebung. Es mar die Sache des Glaubens, die der
Vorrechte des Adeld, welhe man in Warſchau verfechten wollte;
an diefe Vorkämpfer ſchloß ſich der Mittelitand, hing ſich die
Umfturzpartei an. So kam es denn, daR fich neben den Mit:
gliedern der erften Familien unbelannte Demagogen in den Reiben
fanden und Rußland deßhalb zu einem Kampf auf Leben und Tod
249
berausgefordert wurde, der begreiflidd) mit der Niederlage des
Schwächeren enden mußte.
Nah Karlsruhe zurücgefehrt, fand ich dort den Carneval
in ziemlich lebhafter Bewegung. Am 1. März wurde der Jahres⸗
tag des Regierungsantritts des Kaiſers Franz vor 40 Jahren
durdy einen feierlichen Gottesdienft in der Tatholifhen Kirche und
ein Salladiner bei Hofe begangen, bei welchem Anlaſſe der Groß:
berzog in der Uniform feines öfterreichifchen (des 59.) Infanterie:
Regiments erfchien. — Um diefe Zeit ſah ih an dem Gafthof:
tifche täglich einen Tleinen, Häßlichen Mann, den ich für einen
Juden bielt, und welcher ſtets finfter vor fi hinblickte, ohne je
ein Wort zu fpredhen. Ich erfuhr, daß es Börne war, deffen
frühere Werke mich ungeachtet aller ihrer Schwächen fo fehr unter:
halten Hatten. Sein Aeußeres fchredte mid) ab, und was er
fpäter in ekelhaftem Cynismus und undeutihem Spotte gefchrieben,
Tieß mid, keineswegs bedauern, nicht perfönlich mit ihm in nähere
Berührung gelommen zu fein.
Im März begleitete ih den Grafen Buol nah Mannheim.
Wir brachten da in den beiteren Rreife von Bekannten und Ber:
wandten einige vergnügte Tage zu und beficchten beinahe jeden
Abend den Salon der Großherzogin Stephanie. In früherer
wie in fpäterer Zeit hatten in Mannheim, Baden, Umkirch wie
an anderen Orten diefe Abendgefellichaften für mich immer den
größten Reiz. Die liebensmwürdige, unbefangene Art, mit der die
edle Yürftin bald anziehende Gegenftände zu berühren, Fragen
aufzuwerfen, jeden Gaft zu befhäftigen wußte, war nur ihr eigen;
bald warf fie mit dem Bleiftifte Peine Zeichnungen auf3 Bapier,
bald fang oder fpielte fie am Piano, oder machte mit großer
Geſchicklichkeit eine Partie Billard; die Karten Tiebte fie nicht.
Raſch, in der reizendften Abwechslung verfloffen immer diefe Abende,
und ich dachte mir oft, meld) eine dankbare Aufgabe es für eine
250
gewandte Feder fein müßte, die Annalen des Salons Stephanie
von ihrem erjten Auftreten in Mannheim 1807 bis zu ihrem
noch immer allzu frühen Tode 1860 in Nizza zu fchreiben. Um
ihre fo graziöfe Erfcheinung gruppirten fih da ſtets die merf:
würdigften Perfönlichfeiten der Zeit; es mar ihr Salon gleichſam
ein neutraler Boden, auf dem fi Fürften und Künſtler, Staats:
männer und Krieger, die Vertreter aller politiihen Meinungen,
Leute vom Hofe wie aus der gelehrten Welt, geiftreiche Frauen
wie fein gebildete Männer und Schriftiteller zu immer anregenden
Geſprächen zufammenfanden. Aller Zwang war fo gut wie auf
reizende Polemik und Tangweilige Pedanterie verbannt. Zu jener
Zeit nun gewann diefer Zirkel noch dadurd einen höheren” Reiz,
daß fih die Herzogin v. St. Leu auf Beſuch bei ihrer Eoufine
befand. Ich hatte diefe merkwürdige Frau früher nie gefehen;
eine hohe Geftalt, eine natürliche, graziöfe Liebenswürdigkeit ver:
rietben mehr als ihr gealterte® Gefiht frühere Schönheit und
äußere Vorzüge. Die unmittelbar vorangegangenen traurigen Tage
hatten über ihr ſonſt fo heiteres Gemüth einen Schleier ftiller
Wehmuth geworfen. Dennod blieb die „Reine Hortense‘* ihrer
Gewohnheit treu: „de roucouler ses romances‘‘; ohne „partant
pour la Syrie“ konnte man fie fih nun einmal nicht denfen;
auch durchging fie mit der Großherzogin den Klavierauszug der
damaligen Lieblingsoper „Robert der Teufel“. E3 zeichneten
beide Prinzeifinnen um die Wette, dieß Talent in zierlicher Weife
übend. Die beiden allerliebften, noch jehr jungen Töchter der
Großherzogin, Joſephine und Marie, verjammelten wieder um ſich
einen munteren Kreis, mo Tleine, nicht immer ftile Spiele auf:
geführt wurden. An diefe ſchloß fih dann auch ein junger Mann
an, der eher zurüchaltend und unbedeutend, als vorlaut und leb⸗
baft, dennod, unfere Aufmerkjamfeit auf fid) zog; es war Louis
Napoleon, nah dem Fürzlih in Italien erfolgten unglüdlichen
Tode jeined älteren Bruders der einzige Sohn und Erbe der
251
Hortenfe. Sie Hatte .mit ihm, nachdem fie den großmütbigen
Schu Ludwig Philipps genoffen, Parid verlaffen, um, über
Mannheim reifend, ihren künftigen Aufenthalt auf dem Arenaberg
zu nehmen. Nicht? ließ in dem beinahe fchüchternen, jedenfalls
jehr verfchloffenen Jünglinge die Geſchicke ahnen, denen er entgegen
ging. Die beiden fürftlihen rauen fanden ihn nicht aufgemeckt,
nicht theilnehmend genug. Ich felbjt aber follte ihn erſt 28 Sabre
fpäter in Baden als Kaiſer miederjehen. U. v. Sternberg bat
in feinen „Erinnerungsblättern“ in anmuthiger Weife jene Abende
im Mannheimer Schloffe gefchildert, wenn er es glei, feiner
Manier treu, nicht Taffen konnte, einige Binfelftriche beizufügen,
welche dad Gemälde entftellen. Aber feine Skizze ift nicht ganz
vollftändig; neben der originellen Gräfin Walsh durfte auch
der Oberfihofmeifter v. Roggenbach, neben Fräulein Jung die
ebenso anſpruchsloſe als talentoolle M. Bild Play finden, melde
mit ihrem ausgezeichneten Klavierfpiele fo mandyen Abend erbeiterte.
Mit der gebildeten Fräulein v. Red konnte wohl aud die niedliche
Hofdame Gräfin Kagenel genannt werden, die mit dem Hofmar⸗
ſchalle v. Schredenftein 40 Jahre lang die unzertrennlihe Gefährtin
der Großherzogin war!
Bon Mannheim aus begab ich mid, zum Beſuche des Herzogs
Terdinand von Württemberg nad Mainz Er bemohnte dort,
als Gouverneur der Bundesfeſtung, mit feiner Gemahlin Pauline
das großherzogliche Schloß. Es verfammelte fih da oft Abends
ein anziehender Kreis von Belannten, unter denen der jo ausge:
zeichnete Herzog Wilhelm von Naflau, wie der liebenswürdige
Prinz Emil von Heflen immer gern gejehen waren. Auch die
Familie Mennsdorf war meiftend unter den Theegäften. Wer
die ſchlichte Frau ſah, wie fie den vortrefflihen Gatten ihrer Wahl
in feinen verfchiedenen Garnifonen begleitete, wie fie mit ihm ihre
Söhne, eine Tiebende Mutter, zu tüchtigen Soldaten erzog, hätte
leicht vergeffen, welchen erlauchten Stamme fie angehörte, ließen
252
ihr feiner Verſtand, ihr einfach mohlmollendes Weſen in ihr nicht
die würdige Schweiter des Königs Leopold erkennen.
Mährend ich mich zur Rückkehr nad) Wien anſchickte, zogen
noch in diefem erften Halbjahre 1832 unferen Blicken gar wichtige
politifche Ereigniffe vorüber. Zuerſt Frankreich, das nie rubende;
e8 hatte da ter Ausbruch der Cholera den Pöbel zu den furdt-
bariten Exceſſen verleitet, und mie abermal3 Barrifaden und
Straßenfampf die Parifer mit Entjegen erfüllten, entzündete ſich
der Bürgerkrieg aufs Neue in der Bender. Die muthige Herzogin
von Berry hatte bei dem gewagten Unternehmen, ihrem unmündigen
Sohne den Thron zu erfämpfen, vergeffen, daß der Fühnfte Wille
da. nicht genüge, wo die Kräfte nicht ausreichen. Der abenteuer:
liche Zug endete in kläglicher Weife zu Blaye, und wenn Ddiefer
Ausgang ihre Anhänger tief betrübte, ihre Gegner mit unverhohlener
Schadenfreude erfüllte, fo traf Louis Philipp der nicht unverdiente
Bormurf eines feigen, unzarten Benehmend gegen eine fürftliche
Grau und nahe Vermandte. Die Regierung aber, von allen Seiten
gedrängt, ermannte fi, und was man vor einem Jahre noch für
unmöglich gehalten hatte — der Belagerungszuftand murde im
Juni verfügt. — In Stalien wiederholte Zuckungen, denen Defter-
veih und Nom entgegentraten, während in Webereinitimmung mit
diefen Staaten zur Herſtellung der Ruhe franzöfiihe Truppen
Ancona befegten. — In der Schweiz Unruhen, welche in einigen
Kantonen in Anarchie ausarteten. — Endlid in Deutichland felbft
hatten Preffe wie Kammerverhandlungen die Gemüther in gleicher
Weife aufgeregt; der Polenfchwindel that das Uebrige, und in
zahlloſen Schwingungen hatten ſich diefe Ideen, die Bffentliche
Ruhe gefährdend, verbreitet. Die Gährung fand ihren ent:
fchiedenflen Ausdrud, erreichte den höchſten Grad in dem Ham:
bacher Volksfeſte trübfeligen Andenkens. Im Treiheitäraufche
überbot man ſich bei Wein und Geſang, von unzähligen deutſchen
Fahnen überragt, an politiſchen Ausſchweifungen und Orgien, die
253
in ihrer rothen Färbung nur zu fehr an 1793 erinnerten. Der
Bundestag, bisher nur abwehrend, beſchwichtigend, mahnend, trat
num energifcher auf, und die Frankfurter Beſchlüſſe ftellten, wenn
auch vielfach gefhmäht, dennoch eine vorübergehende Ordnung ber.
— Mitten unter diefen Wirren gingen aus den Londoner Ver⸗
bandlungen zwei neue Königreihe in Europa hervor: Leopold
beitieg den belgifhen, Otto den griehifchen Thron.
In Begleitung meine? Schwagerd A. v. Roggenbach Tehrte
ih Anfangs Mai über Mannheim, Heilbronn, Regendburg und
Linz nah Wien zurüd, wo id) mich fchon wieder im Juni —
diegmal bei Dehne, dem Hofburgtheater gegenüber — inftallirt
fand und diefe freundlihe Wohnung während drei Jahren nicht
verließ.
204
Achter Abſchnitt.
(1832 — 1835.)
Inhalt: Wien. Freiherr v. Falkenſtein. Politiſche Rückblicke. Die
CHolera. Tod von Gentz. Ableben bes Herzogs v. Reichſtadt und
der Markgräfin Amalie von Baden. Die jüngere Königin von Ungarn.
Ein Attentat. Ein Gedicht Grillparzer's. Die zehnte Verſammlung
der Gejellichaft deutſcher Naturforſcher. Die Bourbonen älterer Linie.
Die Groherzogin Stephanie In Wien. Pozzo di Borgo. Das Jahr
1833. Ueberfiht. Schriftfteller. Volksleben. Theater und Faſching. Die
Grippe. Graf Polier. Politiſche Bewegungen. Kürftencongrek
in Mündengräb. Drei Todesfälle Diplomatifhe Corps und Salons.
DreiDamen aus ber Gefellihaft. Die beutfhen Minifterialconferenzen.
Porträte. Die Schweiz. Feſte und Liebhabertheater in Schönbrunn.
Ein Pasquill. Fremde und Bekannte in Wien. Fürſt dv. Fürſtenberg.
Barnhagen von Enfe. Graf Ferd. Palffy. Neuftadt und Eifenjtabt.
Eine Inftellation. Zwei Lager. Vermählungen und Teftamente.
Saphir. Wiener Kritit. Holtey und Raimund Trauung des Grafen
Sanbor. Tod bes Kaifers Franz. Oligarchie. Botſchaften und
hohe Beſuche. Trauerfeierlichkeiten und Huldigung. Die erfte In—
duftrieausftellung. Auswärtige Ereigniſſe. AZufammenkunft der
Monarhen in Töplitz und Prag. Kaifer Nikolaus inWien Meine
Abreiſe.
Ko war ich denn nach zweijähriger Abweſenheit wieder in
meine vorigen Verhältniſſe zu Wien eingetreten, und ehe ich noch
Zeit fand, mich gehörig umzuſehen, mich mit den mannigfachen
Veränderungen, welche ſich da im großen Ganzen, wie in dem
engeren Kreiſe meiner Umgebungen zugetragen, erwarteten mich
gleich anfangs ebenſo wohl Rückſichten zarter Natur, als Geſchäfte
nicht gerade der angenehmſten Art.
Die Vorgänge des Jahres 1831 hatten die großberzog-
liche Regierung dem kaiſerlichen Hofe vielfach entfremdet; eine
255 |
Berftimmung, welche General v. Tettenborn in feiner eigenthümlichen
Stellung ganz zu beben nicht geeignet war, fiel dem Großherzog
peinlih, und man fund es gerathen, ein beſſeres Einvernehmen
wieder anzubahnen, den geheimen Rath v. Falkenſtein in befonderer
Miſſion nah Wien zu fchiden. Diefe Sendung kam Xettenborn
felbftverftändlich nicht gelegen, dennoch benahm er fich dabei taft-
vol und Flug genug, um ſich ebenfo gut einen Theil am Erfolge
derfelben zufchreiben zu können. Der redliche, mit dem befonderen
Vertrauen ſeines Herrn beebrte Freiherr vw. Talkenftein, dem Kaiſer
überdieß als guter Freiburger perfönlicy bekannt, Lehrte vollkommen
befriedigt und mit dem berubigenden Bewußtjein zurüd, den Zweck
feiner Miffion erreicht zu Haben. Die Spannung jedoch, welche
zwiſchen meiner Regierung und meinem Chef eingetreten mar,
wirkte nachtheilig auf mi und mein Verhältniß zu ihm zurüd,
und es bedurfte längerer Zeit, und einer feſten Ausdauer von
meiner Seite, um die Vorurtbeile Tettenborn’3 zu beflegen.
Ein kurzer Rüdblid auf die Rage Oeſterreichs mährend
der zwei Jahre mag den folgenden Schilderungen der fi) von da
aneinanderreibenden Tagesbegebenheiten zur inleitung dienen.
Die AYulirevolution hatte uufanft aus dem behaglichen Zuſtande
gerüttelt, den man ficy in Wien bingegeben. Noch weit mehr aber
erihütterte die von mahrem Entfeßen begleitete Empörung in
Ruffiih- Polen. Bald nachher fchlugen die Flammen des Auf-
ruhrs in Italien auf, und es trat eine ernfte Mahnung an das
Kabinet heran, mas fo Tange und in fo unbegreiflicher Weife ver:
nadhläffigt worden, zu verbeffern, und zwar in erfter Reihe —
den Zuftand der Armee. Sie erfchien nad einem Jahre wie ver:
jüngt, rüftige Führer an ihrer Spike, ergänzt, muthig, voll des
beften Geiftes, mit erneuerter Kraft und gänzlich verändertem Aus:
ſehen! Dazu trug denn aud der Tod Kutichera’3, die Belebung
der höchſten Kriegsämter dur fähige Männer der That, trug
endlich das unabweisliche Gebot der Nothwendigkeit bei. Invalide
256
wie untaugliche Generale wurden durch jüngere, tüchtige Offiziere
erjeßt und felten ſah man nod einen anffallenderen Umſchwung,
ein raſcheres Avancement. Man entfagte dem Syſtem einer eng:
berzigen Sparfamfeit, und fühlte, daß bei einem Heere jeder Still:
ftand einer Niederlage gleich komme. Bei einen thatkräftigen Willen
wurde fo in furzer Zeit Großes vollbracht; weit wichtigere Ber:
änderungen waren aber noch einer fpäteren Epoche vorbehalten.
Wo die Gefahr am dringenditen, war die Thätigkeit am fichtbarften
— in Italien. Hier vollführte der ebenfo erfahrene und gewantte,
als noch rüftige Radetzky Unglaubliches; jetzt und fpäter herrfchte
darüber nur eine Stimme, daß Fein öſterreichiſches Armeecorps
glänzender, keine Truppe beiler eingeübt, von ächt kriegeriſchem
Geifte befeelt war. - Dennoch fanden fi in Wien Neider und
Pedanten genug, welche den Fühnen Plänen des tapferen Generals
nicht folgen wollten, und befürchteten, daß fein Corps, welches doch
nur eine ruhinloſe Jagd auf italienische Feiglinge zu beftehen Hatte,
die anderen Heerestheile überflügeln könnte.
Aber auch die Politik Defterreihg mußte von 1830 bis 1835
eine jener der fünf früheren Jahre entgegengeſetzte Richtung an:
nehmen. Die Haltung der Regierung Rußland gegenüber war
eine weife, rubige, fie trat mit Preußen mehr vermittelnd als
thätig einwirtend in dem MWarfchauer Aufruhre auf; Galizien hatte
fi der Bewegung nicht angefchloffen, und den in Ungarn ausge:
brochenen Unruhen lagen andere Urſachen zu Grunde Fürft
Metternich aber erkannte, daß er mit der Zeit in dem vorfichtigen,
zu keinerlei Webergriffen geneigten Ludwig Philipp einen ficheren
Verbündeten zur Abwehr der revolutionären Umtriebe gewinnen
könne. Wenn fih nun auch ein gewiſſes Mißtrauen, genährt durch
die enge Allianz mit England, einem allzu vafchen und entſchie⸗
denen Anſchließen beider Höfe entgegenftellte, fo ließ doch der Juli-
tbron das Wiener Rabinet in Italien fichtbar gewähren, md
binderte nicht die lange Reihe von Maßregeln, welche zur
257
Beruhigung Deutſchlands verfucht worden waren. Dagegen verzichtete
Defterreidy wieder auf einen unmittelbaren Einfluß in jenen Fragen,
welche dafjelbe — wie in Spanien, Portugal, Belgien, Griechen:
land und der Schweiz — nicht zunächſt und dringend berührten.
Kaum war der erite Lärm der Julitage verraufcht, als im
September der ungarifche Landtag in Preßburg zuſammen be:
rufen, und ein ebenfo kluger als zeitgemäßer feierlicher Aft vorge:
nommen wurde. Um in flürmifcher Zeit dem an Geiſt und Körper
gleich ſchwachen Erzherzog: Kronprinz die Nachfolge in jenem Rande
zu fihern, ließ man ihn zum jüngeren Könige von Ungarn
krönen. Bald nachher (1831 Febr.) wurde der Kronprinz mit
der fardinifchen Prinzeffin Anna Maria Pia vermählt. Ein anderes,
nicht minder glückliches, in der Faiferlichen Familie längſt erfehntes
Ereigniß war ſchon früher eingetroffen. Am 18. Auguft 1830
wurde dem Erzherzog Tranz Karl ein Sohn, Franz Joſeph, —
der muthmaßliche Thronerbe — geboren.
Auch im Metternich'ſchen Haufe fand ich bei meiner Rück—
fehr bedeutende Veränderungen. Der Fürft hatte ſich zu einer
dritten Ehe entſchloſſen, und im Januar 1831 murde ihm die
Gräfin Melanie Zichy Ferraris angetraut, und ich fand ſonach
Mai 1832 nicht nur die mir ſchon befannte, fondern auch nod)
eine ganz Fleine, vierteljährige Melanie in der Staatskanzlei
einheimiſch. Es war nun wieder ein neues Leben in dieſe fo
lange verwailten Räume zurüdgefehrt, und von Da an verging nur
felten ein Abend, den ich nicht dort, oder im Sommer in der
Vila am Rennwege zubrachte. Welche Gefpräche, unterhaltend
und belehrend zugleih! Spiel, Tanz und Muſik waren nicht aus:
gefhloffen. Wäre es möglich gewefen, mit ftenographifcher Feder
alle diefe Salonfcenen in ihren wechſelnden Nüancen auf dem
Papiere feftzubalten, es gewährten ſolche Schilderungen einen an:
ziehenderen Stoff, al3 die Brotocolle mancher ernfteren Verſammlung.
Frh. v. Andlaw. Mein Tagebuch. I. 17
258
Sm Herbite 1831 wurde Oefterreich von einer bisher unbe:
kannten Geißel heimgeſucht — der Cholera, — melde fih raſch
über die meiften Theile der Monarchie verbreitete. Sie batte in
Wien jelbft bei ihrem erften Auftreten plößlih in einer Nacht
200 Opfer binmweggerafft, dennoch fünden bei den Schredhifien,
welche diefe unheimliche Erfcheinung begleiteten, nicht wie in anderen
großen Städten, Exceſſe des Pöbels ftatt; man belehrte die Un:
wiffenden, gab den Aermeren reichliched Almofen und genügende
Arbeit, verforgte Kranke mit wärmerer Kleidung, gefunden Speifen,
und wie immer gab fih in Wien auch bei diefen Anläffen unter
allen Klaſſen ein edler, aufopfernder Wohlthätigkeitsſinn kund.
Bald nah meiner Ankunft trat die bereit? erlofchene Epidemie
wieder mit gefteigerter Heftigfeit auf, und nun, nachdem ich fie in
der Nähe gefehen, mehrere Belannte begraben, Menſchen ringsum,
jerbft im eigenen Haufe geftorben waren, hatte das Gefpenft für
mich viel von feiner Furchtbarkeit verloren. Es iſt eigentlih nur
die Idee feiner unmittelbaren Nähe, die ung wie ein Alp beäng-
ftigt, der raſche Verlauf der Krankheit, welcher erfchüttert. Be:
kannte, die man geftern noch begrüßt, verjchwinden plößlih und in
unbegreiflidyer, beinahe launenhafter Weife berührt der Würgengel
jedes Alter, jede Menſchenrace; Starke wie Schwache. Dennoch
ift die Cholera weniger gefährlih als andere anftedende Krank⸗
beiten, wie die Veit, Typhus, Scharlach, Blattern u. ſ. w. Unter
hundert Fällen kann man gewiß 90 nachweiſen, daß man fidy die
* Cholera durch irgend eine Unvorfichtigfeit, einen Diätfehler od. dgl.
zugezogen. Kine Geneſung, wird der Anfang der Krankheit nicht
vernachläffigt, ift beinahe immer ebenfo gewiß, als eine Rettung,
ift ihr erſtes Stadium einmal überfchritten, felten. Nur ganz
Schwache, vor allen aber Trunfenbolde, fallen ihr ſicher zur Beute.
Ic ſelbſt fühlte während dieſer ‘Periode jo wenig als bei ben
ipäter durchlebten Choleraepidemien irgend ein Unwohlſein, Tann
aber doch nur Jenen Glück wünfhen, welche um dieſe Erfahrung
259
im Leben ärmer find, Ich babe wich dabei überzeugt, daß von
AP den vielgepriefenen Heilmethoden Teine unträglih befunden
wurde; es muß fih das Verfahren immer nur nad der eigen:
thümlichen Konfitution des Kranken ſelbſt richten. Am unfinnigften
Kind aber auch hier die guigemeinten Rathſchläge der Aerzte, fich
vor Gemäthäbewegungen zu hüten; in weſſen Macht ftcht es,
fie zu verhindern oder über fie zu gebieten? find ja fogar aus
Furcht vor der Cholera allein Menſchen krank geworden und ge:
ftorben. Sonderbarer Weife find da die Sterbefälle micht viel häufiger
als in gewöhnlichen Zeiten, und ift dieß auch nicht der Fall, fo
gleicht fich die Zahl der Bevölkerung nach der Durchſchnittsberech⸗
nung fpäter bald wieder aus. rauen werden in der Megel mehr
davon betroffen als Männer. Eine in der That fchauderhafte _
Seite dieſer Krankheit bildet die nahe Gefahr, lebendig begraben
zu werden. Es find mir Fälle bekannt, in denen die vermeint-
lich Todten erft nah 4 Tagen aus dem Starrkrampfe ermachten,
und & Tarın nidyt genug vor dem Drange gewarnt werden, fi
der Leichen, aus Furcht vor Anſteckung, bald möglihft zu ent-
ledigen. Wie viele Unglüdlihe in Spitälern und auf dem Schlacht:
felde mögen fo der gräßlichlten aller Todesarten verfallen fein!
Endlich ift man ſo ziemlih allgemein von dem Wahne zurüd
gefommen, die Cholera abfperren zu wollen; fein Klima, kein
Himmelsſtrich, weder Gebirge noch ‚Ebenen, bleiben von -diefer
räthfelhaften Seuche verfhont; fie ſetzt über Meere und Ylüffe,
wird von den höchſten Bergfetten nicht aufgehalten, und verbreitet
fih oft ſprungweiſe in unbegreiflicher Art. So empfehlenäwerth
diätifche Maßregeln, fo erfolgreich vorbeugende Mittel find, -fo
unzweckmäßig haben fich jene quälerifchen Vorſchriften erwieſen,
welche in der wohlgemeinten Abſicht, die Krankheit abzuhalten,
über Länder und Völker weit größere Uebel brachten, ald die An-
ſteckung ſelbſt. War die ‚Cholera Häufig Die Veranlafſung oder
auch nur der Vorwand zu Aufruhr und .den furdtbarften Oreueln,
17*
260
fo batte fie doch auch wieder oft das Verdienit, die Menfchen zu
Gott zurüdzuführen, fie zu bewegen, ſich unter einen unerforjd-
lihen, allmächtigen Willen zu beugen, und waren dieje Folgen,
wenn vielleicht auch nicht immer nachhaltig, doch jedenfalls heilſam.
Ich gehe nun zur Erwähnung der Begebenheiten über, wie
fie fih mir, der Reihe nad, im Laufe der Zeit darftellten.
Kaum war id; einige Wochen in Wien zurüd, als (9. Juni)
Hofrath v. Gent ftarb. Ich habe der Silhouette *), melche ich früher
von diefem berühmten Manne entworfen, nur wenig beizufügen.
Es wurden da feine Vorzüge, auffallenden Schwächen gegenüber,
zu fchildern verſucht. Alles, mas ich feither von ihm und über
ihn gelefen, Fonnte in mir nur jene Urtheil bejtätigen. Wer ſich
in feinen Anfichten über Thatſachen und Menſchen von einer fo
leidenſchaftlichen Verblendung leiten läßt, wer fo wenig Herr einer
gereizten Stimmung, jo einfeitig abjprechend tft, Tann nicht An⸗
ſpruch auf die Eigenfchaften eine® großen Staatsmannes, noch
weniger auf die eines wahrheitgetreuen Hiftorifer8 maden. Wer
fo offen feine eigene Schmach nicht nur befennt, fondern ſich ihrer
auch noch rühmt, entbehrt jeder fittlihen Würde. Wer ihm zu
gefallen oder zu ſchmeicheln wußte, wurde won ihm meit überfchäßt,
dagegen fiel er mit fo größerer Gehäffigfeit über ihm mißliebige
Perfonen der. Einen liebloferen Dienft aber Tonnte man dem
Andenken Gentz's nicht ermeilen, al3 durch den Drud eines Theilz
feiner Tagebücher, deren indisfrete Veröffentlihung nur die Ausſicht
auf einen ſchnöden Gewinn erflären kann.
Bald nad dem Congreffe hatte ſich Gentz von der großen
Geſellſchaft zurüdgezogen; felbft bei Metternich ſah man ihn nur
felten, er befuchte einen Kreis vertrauter Freunde, und mit den
Sahren nahm feine Schen vor allem Fremden und Ungewöhnlichen
*) Erinnerungsbl. ©. 73.
261
zu. Hinter feinen zwei großen Brillen beobadhtete er im Stillen,
und entjchädigte ſich dann für diefe Zurüdhaltung, gerade wie fein
Freund Varnhagen, zu Haufe durd Die gallichten Ergüffe feiner
Feder. Sehr empfindlich gegen Kälte, wußte er fidy in feinen vier
Mauern fo bequem und mwarnı ald möglidy einzurichten, und war
dabei von einer zahlreichen Dienerfchaft umgeben, die fih mit ihm
in die grenzenlofe Unordnung des Haudhaltes theiltee Gegen
diefe zeigte er fich jehr großmüthig, gab auch Hände voll Gold
für Fiafer, Trinfgelder u. dgl. aus und bemerkte darüber mit
Befriedigung: „dafür fehe ich aud) Überall freundliche Geſichter“ —
abermals ein verftedter Zug feiner gewohnten Poltronerie. Im
Sommer pflegte er feiner Blumenliebhaberei in der mit eleganten
Lurus eingerichteten Villa zu Weinhaus, wo er zahlreiche Befuche
empfing. Freundlich und unterhaltend für gute Bekannte, war er
oft rückſichtslos, ja unhöflich für ihm Gleichgültige. So fagte er
einft zu einer mir befreundeten Dame, die zufällig neben ihm bei
Tiihe faß: „Sie haben mir, ich Ihnen nichts zu ſagen, was ung
gegenfeitig intereffiren Tann; ſchweigen wir daher lieber beide ganz
fit!“ Bei einem anderen Diner rief er ganz laut und entrüftet
aus: „Hier Iebe id) nur von Waffer und Brod, denn diefe Tann
man doch nicht, mie Küche und Keller, vergiften!” In den lebten
Jahren entſagte Gent wieder mehr - feiner Zurüdgezogenheit, da
einige junge Damen aus der höheren Geſellſchaft Geſchmack an
feiner Converfation fanden; fie Tuben ihn ein, jchrieben ihm Morgen:
briefe, überhäuften ibn mit Lob, mit einem’ Worte, fie brachten
Gentz in die Mode. Der alte, eitle Mann war nidyt unempfänglich
für folche unerwartete Zuvorkommenheit; er änderte feine Lebens:
weife, wurde überall eingeladen, fetirt, gefchmeichelt, und glaubte
im Ernte an die Dauer eines nur auf augenblicliche Unterhaltung
berechnenden Scherzed. Mit dem gefährlichen Spiele der gefelligen
Eoquetterie erwachte aber auch in Genk die längft entichlummerte
Sinnlichkeit, und er follte ſich noch in der lebten Zeit durch über:
262
triebene Zärtlicgfeit lächerlich machen. Bon dert prüden Damen,
de nur den geiftigen Verkehr mit Gerik fuchten, wandten fich feirte
Bride eier ſchoͤnen Tänzerin zu. Er verließ die Salonfreuden,
um nur für Fannyh Elslet zu leben, brachte Stunden in ihre
Familie mit ihr zu, bededte fie mit Gold, vertaufchte feine diplo⸗
matiſchen Arbeiten mit dem ſüßen Gefchäfte ihrer geiftigen Aus:
Bildung, und vetträumte fo die lebten Tage feine Lebens in Liebes:
gaukelelen. Während ſich Fanny auf einer Urlaubgreife in Berlin
befand, bejuchte er täglich ihre Wohnung, fchtieb ihr darin bie
järtlichften Briefe, ſchmückte fie mit Blumen aus und erfüllte fie
mit Wohlgerücen wie mit Seufzern ber Sehnſucht. In dieſen
bis an Wahnfinn grenzenden idylliſchen Freuden wurbe Genk durch
eittige mwohlgefällige Freunde unterſtützt; doch bald überrafchte Ihn
der Tod. Fanny kam gerade noch zu rechter Zeit zurfid, um ihn
fterbent zu ſehen. Selten verließ noch Jemand das Leber mit
mehr philoſophiſcher Ruhe, welche in ſeltſamem Kotitrafte zu feiner
Tobesfurcht ſtand.
Den 6. Juli gab die Erzherzogin Sophie einem zwellen
Prinzen — Ferdinand Max — das Leben. Ich wohnte mit
dem ganzen diplomatiſchen Corps der feierlichen Taufhandlung in
Schonbrunn bei, welche der Fürſt-Erzbiſchof Milde vollzog. Der
Kaiſer war während mehreren Wochen auf einer Reiſe in Ober⸗
öfterreich abweſend.
Jener erfreulichen Geburt folgte nur zu bald ein, die kaiſer⸗
liche Familie tief betrübender Todesfall. Während einer durch die
Cholera noch unerträglicher gewordenen Hitze erlag in den Morgen
ſtunden des 22. Juli der Herzog von Reichſtadt feinen langen
unſaglichen Leiden.) Nur Maria Louiſe und ber Erzherzog Franz
Karl umſtanden fein ſchmerzenvolles Sterbelager! Welch ein Geſchick,
einzig in der Geſchichte! Nur 21 Jahre waren verfloſſen, als
*) Erinnerungsbl. S. 42 u. flo.
268
diefer einzige Erbe Napoleons geboren, und nun ftarb der zarte,
bionde Knabe, deifen einftige Bezeichnung als Napoleon II. erft
in neuefter Zeit wieder zur Geltung fam, ruhm⸗ und tbatenlos
an einer auszehrenden Krankheit! Zweimal im Leben, 1814 und
1880, war dem Herzog der Weg zum Throne gebahnt; die gött:
lihe Borfehung hatte es anderd befchlofien! Herrlihe Unlagen,
edle Gaben, viele Hoffnungen trug man mit diefem jungen Prinzen
zu Grabe, und tief erfchüttert fah ich dem ftillen, nächtlichen Trauer:
zug mit Yadeln fi von der Burg nad der Gruft der Kapuziner
in Bewegung feben! Die Wiege — einft ein Geſchenk der Stadt
Paris an den „König von Rom” — wird in der Faiferlichen
Schaklammer aufbewahrt, und fo trennen nur wenige Schritte
die Wiege von dem Sarge, gleichſam ſymboliſch den allzu kurzen
Lebenzlauf des Herzogs bezeichnend! Die Trauer war allgemein.
Marmont, der dem Bater fo nahe geftanden, dem Sohne in der
legten Zeit Unterricht in der Kriegsgeſchichte und Wiflenfchaft
gegeben, Tonnte an jenem Abende, den id, mit ihm zubradhte, dem
unaufhaltfamen Laufe feiner Thränen nicht gebieten.
Einen Tag vor jenem jungen Prinzen ftarb hochbetagt zu
Bruchſal die Markgräfin Amalie. Der Kammerherr A. v. Gem:
mingen brachte diefe Trauerbotihaft nah Schönbrunn, mo gerade
die Königin⸗Wittwe Karoline mit der Prinzeffin Marie von Bayern
auf Beſuch anweſend war. Diefer längſt erwartete Verluft ergriff
dennoch fchmerzlich die hohen Verwandten, Tieß eine nit auszu⸗
füllende Lüde am großherzoglichen Hofe zurüd und verfehte die
meiften deutfchen Fürftenhäufer in Trauer. Aber auch abgeleben
von diefen nahen Tamilienbeziehungen, welch eine Fülle von
Erinnerungen knüpfte fi an die ehrwürdige Geftalt diefer letzten
Repräfentantin einer mit 1830 abgefchloffenen Epoche!
Daß zweite Jahr ihrer Ehe war für die jüngere Königin
von Ungarn ſchon ein Jahr von Leiden und Prüfungen geweſen.
Ihre in Turin verabredete und dort durch Procuration gefeierte
264
Vermählung erfchien Vielen unerwartet; man Tonnte fie ſich bei
der fchmanfenden Gefundheit des Kronprinzen um fo weniger
erflären, al3 die Thronfolge ſchon gefichert war. Terdinand zählte
40, die hohe Braut fchon über 28 Jahre. Sie erihien in Wien,
und alfobald wandte fih ihr eine nicht gewöhnliche Theilnahme
zu. Sie war ſchlank, würdevoll, ihr blaſſes Antlig mit den
ungemein feinen Zügen war fo ernft, daß es ein leifes Lächeln
faum verſchönte. Man fand fie von einer in der Faiferlichen
Familie nicht gewöhnlichen Förmlichkeit. So viel von dem erſten
Eindrude. Kaum batte fi die Neuvermählte in ihren nun:
mehrigen Verhältniffen zurecht gefunden, ſich fchon damals, wie
fpäter immer, ftil, fromm, ergeben und mwohlthätig gezeigt, quälte
fie fih aud mit Erlernung der deutfhen Sprache ab, weßhalb
fie, wenn glei) ungern, öfterd das Burgtheater beſuchte. Hier
nun wie auf Spazierfahrten ſah man fie immer an der Seite
ihre Gatten. Während des Sommeraufenthalt3 in Baden geſchah
es nun (9. Auguft), daß auf den Kronprinzen, welcher mit feinem
Adjutanten, Grafen Salis, fpazieren „ging, ein Schuß fiel. Die
Kugel hatte den Erzherzog leicht verwundet und mar im Aermel
ftedlen geblieben. Der Thäter wurde, nody mit der Piftole in
der Hand, verhaftet, der Kronprinz aber eilte zum Raifer, um ihn
zu beruhigen und zugleih Gnade für den unglüdlichen Mörder
zu erbitten. Die Nachricht von dem unglaublichen Attentate war
alfobald nah Wien gedrungen und feßte die ganze Stadt in
Bewegung. Ih ſah Abends den Thäter geichloffen auf einem
offenen Wagen hereinbringen, und nur mit Mühe konnte man
ihn vor Mißhandlungen der entrüfteten Bevölkerung ſchützen. Dan
erfuhr, daß er ein penfionirter Hauptmann war, Reindl heiße und
vom Kronprinzen ſchon oft großmäthig unterftüßt worden fei. Erſt
fürzlich Hatte er von ihm 100 fl. erhalten, und da dem Nicht:
würdigen dieß zu wenig erichien, fi an feinem Wohlthäter rächen
wollen. Wirklich konnte man diefe That, welche ihm nicht einmal
265
eine traurige Berühmtheit verichaffte, nur einem Tollen zufchreiben,
und als folcher wurde er denn auch behandelt. Er verichwand,
zu Iebenslänglicher Haft verurtheilt, in irgend einer Feſtung. Die
Zeitungen erwähnten des Vorgangs nur mit einigen Worten, und
e3 mar weiter nicht mehr davon die Rede. Die fromme Gemahlin
aber Tegte bei einer Mullfahrt die Kugel auf den Muttergottes-
altare zu Mariazell nieder.
TEE Cine zweite, noch größere Lebensgefahr beftand der Kronprinz
gegen Ende defielben Jahres. Sein Erbübel hatte fih, dießmal
durch, Schlaganfälle gefteigert, heftiger gezeigt, und jo jchnell nahmen
die drohenden Symptome überband, daß man am dritten Tag
ſchon jeder Hoffnung entfagte. Die öffentlihen Vergnügungsorte
wurden gejchloflen, in den Kirchen Gebete angeordnet u. dal. Doch
bald trat eine günftige Wendung ein, und die Freude über Diele
unerwartete Genefung war ebenfo ungeheuchelt als allgemein.
Ich kann mir nicht verfagen, das gelungene und, wie ich
glaube, wenig bekannte Gedicht beizufügen, welches Grillparzer
bei diefem Anlaffe in vielen Abfchriften zirkuliven ließ. Es ift
gleichfam ein Seitenftüd zu jenen tiefgefühlten Verſen, welche der
Dichter 1826 nad) der gefährlichen Krankheit des Kaiferd Franz
verfaßte. Die nachftehenden Zeilen num enthalten ebenjo viele
poetifhe Schönheiten, al3 ihr Sinn verfchiedene Auslegungen erfuhr.
Gedicht: Heujahr 1833.
Als ber Thronfolger die Gefundbeit wieder erhielt.
Bit Du genefen denn? Sei uns willfonmen !
Wir jubeln in der Begeifterung Gluth!
Des Glückes ficher, da uns halb genommen,
Der Zufunft froh, denn Dur bift gut!
Mag jein, daß höchſten Geiftesgaben Fülle
Dereinft umleuchten Deinen Fürftenbut,
Wir forfchen nicht, was Zufunft uns enthiülle,
Des Einen fiher: Du bift gut!
266
Denn was ber Menſch erringen mag und haben,
Die Güte bleibt der höchſte letzte Preis!
Die Weisheit irrt, Bedächt’ge trifft der Tadel,
Die Tapferkeit erringt nur, was ihr glüdt.
Doh Güte, Herr, gleicht der magnetiſchen Nadel,
Zeigt nad) dem em’gen Pol bin unverrüdt,
Und Treue und Gerechtigfeit und “Milde,
Sie find nur Strahlen jenes einzigen Lichts!
Als Gott ben Menfchen ſchuf nach feinem Bilde
Sprad er: „fei gut!” von Weisheit ſprach er nichts!
Nicht gut nur heute, manchmal nur, nein immer, immer,
Ob Nuten auch, ob ſchlaue Klugheit ſchützt;
Des Einzelnen Vortheil ift geborgter Schimmer;
Doch dauernd bleibt, was auch den andern nützt!
Und fo ift beim ber Gute auch der Weile,
Er ift der Exfte, denn er bleibt fich gleich,
Er ift der Mächtige, denn im felben ®leife
Mit feines Schöpfers Weltall rollt fein Reich!
D'rum tritt bie Zukunſt an mit frohem Muthe,
Und jubelnd wird ein Chor einſt fingen:
Sein Boll war treu und Er war gut!
Die Gefellichaft deutiher Naturforfher und Aerzte
hatte befchloffen, thre jährlich wiederkehrende allgemeine Berfamm:
lung im SHerbfte 1831 in Wien zu halten. Doch da gerade
dazumal die Cholera in jener Stadt ausbrach, fo waren die Herren
nad) einer näheren perfönlichen Bekanntſchaft mit diefer Krankheit
gerade nicht Tüftern, und zogen es vor, fie in einer gewiſſen Ent:
fernung theoretifch zu erforfhen. Sie fanden es daher gerathen,
diefe zehnte Zuſammenkunft auf das nächſte Jahr zu verſchieben,
und fo fanden ſich denn die Mitglieder Ende September 1832
auch zahlreich ein. Ih muß mid, auf die Annalen ded Vereins
beziehen, denn ich erinnere mich jebt all’ der gelehrten und be:
rühmten Namen nicht mehr, weldye bier genannt wurden. “Die
Zahl der Theilnehmenden beirug über 412, der Mehrheit nad
267
Oeſterreicher. Unter ihnen glänzten Mohs als Mineralog, Littrow
ala Aftronom, und mehrere befannte Wiener Aerzte, mie Malfatti,
Wierer, Türfheim u. a. Der Chemiker Jacquin präfidirte. Don
Berlin war der Geologe Buch gefommen, und auch vornehme
Dilettanten fanden ſich bei den Sitzungen ein; Fürſt Metternid,
Graf C. Sternberg, Altgraf Salm, Marmont u. a. erfhienen felbft
bei den Verhandlungen det einzelnen Sektionen. ber aud ber
Kaifer und einige in den Naturwiffenfchaften bewanderte Erzber-
zoge intereffirten fich lebhaft für die Berathungen der Gefellichaft.
Es fanden drei allgemeine öffentliche Verfammlungen — ben 18.,
22. und 26. Sept. — Statt, in melden jedesmul drei größere
Vorträge verfchiedenen wiffenfchaftlichen Inhaltes gehalten wurden.
Man beitimmte hierzu die fchöne Aula der Iniverfität. An einem
diejer Tage ergab fi nun ein ganz eigenes Intermezzo: es beitieg
nämlich ein Meiner, ſchon an Jahren vorgerüdter, elegant geflei-
deter Mann die Tribüne. Die meiften Fremden kannten ihn nicht,
doch Tief ein leiſes Gemurmel durch den Saal, als Einige in dem
ftotternden Redner mit dem überrotben Geſichte den Grafen
Terdinand Palffy erblidten. Man fragte ſich erftaunt, mas
diefer Magnat der gelehrten Verſammlung mitzutheilen haben Tönnte,
und die Verlegenheit des guten Grafen flieg in dem Grabe, al?
die Aufmerkſamkeit der Zuhörer nicht eben groß war, und das
Rüden der Stühle, Räufpern u. dgl., bekannte Zeichen der Unge—
duld zum Schluffe drängten. Er beeilte fich daher, und von der
wenig vernehmbaren Rede erfuhr man fpäter, daß er ſich bemühen
wollte zu zeigen, in welcher Weile ſolche Zuſammenkünfte auch zu
anderen, als nur gelehrten, zu gemeinnüßigeren Zwecken verwendet
werden könnten. Er ſchien zu fühlen, daß die für das Wohl der
Menichheit etwas fterile Ausbeute ſolcher Gefellfhaften fruchtbringen:
der gemacht werden Fännte u. f. w. Dieb allerdings anziehende
Thema wurde nun in ziemlich ſtarken Gemeinplätzen breit getreten,
und Fürſt Metternich parodirte Abends die, zwar gut gemeinte,
268
aber mißlungene Rede Palffy’3, indem er fagte: es fei ibm vor—⸗
gefommen, al3 ob man einen Dictionär zerfchnitten, die Stüde in
eine Urne geworfen, und die Worte dann einzeln berausgezogen
und vorgelefen babe. Auch noch lange nachher mußte der gute
Graf manden heiteren Spott über die eitle Befriedigung jener
Heinen Laune bören. Auf Palffy jelbft, eines jener Originale,
welche nun leider auögeftorben jcheinen, werde ich ſpäter zurüd-
fommen.
Wie gewöhnlich war auch bei diefer Zuſammenkunft für Feſte,
Zerftreuungen und Vergnügen geforgt. Im Saale des Augartenz
verfammelten ſich die Mitglieder zu gemeinichaftlihen Mittagefjen
und Abendunterhaltungen, dabei fehlte e8 denn natürlich nicht an
Reden und Trinkſprüchen. Der Kaifer bemirtbete die Geſellſchaft
unter einem Riefenzelte im Lachſenburger Parke, und einen Tag
brachte fie in Baden zu, wo fie der Erzherzog Karl in feiner
ſchönen Weilburg ſah. Eine Medaille wurde zum Andenken an
die VBerfammlung geprägt, Gedichte, Teftlieder vertheilt u. dgl. So
ließ denn diefe Zeit bei den Gelehrten einen angenehmen Cindrud
zurüd, und Viele mochten wohl irrigen Anfichten entfagen, im
Stillen manches Vorurtheil über Defterreich ablegen, und fich der
wohlwollenden, heiteren Gaſtfreundſchaft erfrenen. Auf das öffent:
liche Leben Wiens felbft Hatte die Zufammenfunft nur wenig Ein:
fluß, und wenn man die Herren „im ſchwarzen Frack“ in Schaaren
durch die Straßen ziehen füh, fcherzte das Bolt gutmüthig: „Da
geben die Naturmenfchen.” Im Jahre 1855 follten fie ſich wieder
in Wien verfammeln, vertagten fich jedod, fonderbarer Weife aber:
mals wegen der Cholera auf das nächſtfolgende Jahr. Wie viele
der früheren Vereinsmitglieder mögen ſich wohl bei diefem zweiten
Stelldichein eingefunden haben? Aber auch dieſes traf den Fürſten
Metternich noch theilnehmend am Leben!
269
In diefem Jahre hatte die flüchtige franzöſiſche Königs—
familie Schottland verlaffen und ein gaſtfreies Aſyl in der
öfterreichiichen Monarchie gefunden, in der fie fih auch bisher
immer aufgehalten. Karl X. bezug den Hradichin in Prag,
berührte nie Wien und ftarb lebensmüde 1836 in Görz. “Die
übrigen Mitglieder der älteren Linie der Bourbonen bielten ſich
dann bald in Kirchberg, bald in Venedig oder anderen Orten
auf; die Herzogin von Berry Taufte fi in Steyermarf an, der
Graf von Chambord bewohnte fein Schloß in Frohsdorf. Im
Dftober war die Herzogin von Angouldme nad) Wien gelommen.
Ich hatte fie zehn Sabre früher im Glanze des Hofes der Tuilerien
gefeben, und fand fie nun wieder in den Räumen, welche einit
ihre Taiferlihe Grogmutter bewohnte, die ihr in der Taufe den
Namen gegeben; es mar gerade am Thereflentage, deu 15. Oftober,
ala ich ihr aufwartete, 40 Fahre zunor hatte ihre Mutter den
Meartyreitod erlitten. Ich traf die Herzogin nur wenig verändert,
nur war fie noch ernfter geworden, und mil ihrer männlichen
Stimme fprad) fie immer in kurzen, abgeitoßenen Säten. Ihre
hoben Qugenden, ihre fromme Ergebung ließen die Schroffheit
ihrer äußeren Erfcheinung bald vergeffen. Ruhig, ohne Bitterkeit
nahm fie anfcheinend wenig mehr Theil an den Ereigniffen, ihre
Sorge nur den Föniglichen Kindern zumendend, die man von der
Mutter feit deren Srrfahrten getrennt hatte. Einfach in ihrer
Lebenzweife und ihren Bedürfniffen, bewegte fi die Herzogin
täglich in einem regelmäßigen Kreife, felbft in ihrer Kleidung war
fie fo auffallend vernadyläffigt, Daß man nur ihre Uıingebung,
befonder3 die fie ftet3 begleitende alte Gräfin d'Agout, mit ihr
vergleichen Tonnte. Beinahe Tomifh war es, zu fehen, welche
Berlegenheiten den Franzoſen die Titel bereiteten, die file der
Tochter Ludwigs XVI. beilegen follten. Jene, melde Karl X.
für ihren rechtmäßigen König hielten, nannten fie al3 Gemahlin
des Thronerben „Daupbine”, Anderen galt fie, weil Karl X.
270
abgedankt, al „Reine Marie Therese“, und wicher Anderen,
weldye Henri V. als Rönig ausgerufen, war fie nur deſſen Tante,
die Duchesse d’Angonl&me, die unglüdlie Tochter einer noch
unglücklicheren Mutter. Bon der ſchwer geprüften Fürftin wandten fich
Die Blicke theilsnahmsvoll der 14jährigen blonden „Mademoiſelle“
zu. Sie hatte ihre Mutter erſt wieder nach Tanger, ſchmerzlicher
XZremung in Leoben gefehen. Die Herzogin von Barry felbft
aber war fpäter öfter, dach immer nur auf Kurze Zeit, in Wien
erfchienen, ein wenig wortheilhaftes Aeußere ftet3 wit derfelben
Rebbaftigkeit verbindend.
Prinz Guſtav Waſa Hatte in dieſem Sommer mit feuer
jungen Gemahlin eine Billa in Meidling bezogen. Schon ein
Jahr guvor vermählte fich die jchöne und liebendwürdige Brinzeffin
Eäcilie von Schweden ‚mit dem Großherzog von Oldenburg, während
Prinzeffin Amalie bei ihvem Bruder in Wien geblieben war. Im
Dftober kam nun Die Großherzogin Stephanie von Baben mit
den Prinzeſſinnen Joſephine und Marie bei ihrer Durchreife nach
Stalien zu ihrer Tochter Louiſe auf einen 14tägigen Befuh. Es
wear das erfte Mal, daß jene hohe Frau in Mien erfchienen, und
rat fie auch ‚auf dem ihr fremden Boden etwas befangen auf, fo
gewann fie doch bald wieder Die ihr eigenthümliche taktvolle Sicher:
heit und reifte ebenſo hefriedigt ‚ab, als fie ſelbſt den günftigften
Eindruf zurüdgelafien. Die Majeftäten hehundelten die Groß—
berzogin mit Auszeichnung, die Erzherzogin Sophie fab in ihr
eine theuere Verwandte, und der Sailer befonders ergöbte fi an
der jugendlichen Munterfeit der Prunzeffin Marie. Ueberdieß traten
ihr auf jedem Schritte ‚Erinnerungen in Maſſe entgegen! Hier
war 8 Schönbrunn, wo fi fo mande Scene aus dem Drama
Napoleons abfpielte, dort ftand fie an dem frifchen Grabe des
Herzogs von Reichſtadt, und konnte an einem Tage dad March⸗
feld wie die Inſel Lobau befuchen. Sie traf bier mit den Flüch—
tigen von Holyrood zufammen und fah in ihrem eigenen Schwieger-
271
ſohne den vertriebenen Erben eines alten Thrones. Nachdem ſich
viele Herren und Damen der Geſellſchaft zum Beſuche geaieldet
hatten, drüdte fie mir eines Tages den Wunſch aus, den Erz
herzog Karl und Marſchall Marmont zu fehen. Der Erzherzog
lebte ftill, felbit vom Hofe zurüdgezogen, in Baden, beeilte fich
jedod) die Großherzogin aufzufuchen, und der General, welder
lange allein dem größten Feldheren feiner Zeit fiegreich gegenüber
geftanden war, batte eine lange Unterredung mit der geiltreichen
Fürſtin, welche fich, von nicht minderem Jutereſſe angezogen, auch
mit dem greifen Marſchall unterhielt. Darin befteht aber gerade
der Neiz unferer, an jo raſchen Wechfelfällen reihen Epoche, daß
die meiften der handelnden Perjonen in fo verfchiedenen Lagen
noch mit einander felbit in Berührung kamen!
Bon den vielen Fremden und Diplomaten, welde Wien im
Laufe des Jahres befuchten, war es vorzüglich Pozzo di Borgo,
welcher die Aufmerffamkeit der Salonmwelt auf fi zog. ‘Diefer
ruffifde Diplomat war vom Congreß ber in Wien Vielen befannt
und befreundet, ftimmte aber mit dem Fürſten Metternich felten
in politifchen ragen überein, fih nur mit ihm im Haſſe gegen
Napoleon vereinigend. Selbit Corſe, verfolgte Pozzo feinen Lands⸗
mann ‚unaufhörlich, trieb den Kaifer Alexander zum Kriege an und
ruhte nicht, bis fein Feind in St. Helena war. Später, im
Genuffe eines beträchtlichen Vermögens, war es Pozzo, der als
Botſchafter Rußlands zu Paris das diplomatiſche Corps ver:
binderte, Karl X. auf der Flucht zu begleiten. Yon .einer Sendung
aus Berlin nah Wien fommend, war die stattliche Geftalt des
immer noch kräftigen, einft fo ſchönen Mannes der Gegenftand
befonderen Intereffed. Mit der Julirevolution hatte jedoch Pozzo's
Einfluß den höchſten Grad erreicht; er blieb nicht mehr Tange Bot:
ſchafter unter Louis Philipp, wurde zu verjchiedenen Sendungen
verwendet; immer lebhaften Geiftea, überall gewandt, nicht jelten
intrigant, ‚vertrat .er zuletzt feinen. Hof in London, und ‘farb nicht
272
auf dem von ihm erfehnten Poften zu Paris, an den er fidh früher
fo fehr feitgeflammert hatte! —
Das Jahr 1833 war dad rubigfte meines gefchäftlichen
Lebens; ich überließ mid) um fo froßer einer gemwiffen Behaglid)
feit, als die Testen Jahre in fo fortwährender Aufregung vergangen
waren. Selbſt bei Kleineren Ausflügen brachte ich feine Nacht
außerhalb der Stadt zu, und forgenfrei lebte ich nur felbfigemählten
Umgange mit mwohlmwollenden Freunden, den Genüffen, welche
Gefelligkeit, die Künfte wie die fchöne Natur in reihem Maße
gewährten. Ich theilte meine Zeit in die Erfüllung meiner ge
wohnten Berufspflihten und in die nähere Kenntnißnahme der
Erzeugniffe der fchönen Literatur, welche ich während der politifchen
Stürme fo ziemlich vernadhläffigt hatte. Seit den Julitagen hatte
auch die religiöfe wie die poetifche Nichtung in Frankreich ſich
vielfady verändert. Lamennais, Chatel und die Simoniften hatten
es vergebens verfucht, eine neue Kirche zu gründen; Oeſterreich
blieb diefem Treiben fremd. Größere Anziehungskraft übten die
modernen Dichter und Romanfchreiber, und während Victor Hugo,
Balzac, E. Sue, A. Dumas, Soulie u. U. der Literatur neue,
bisher ungeahnte Bahnen eröffnet, that fich, zwei ifraelitifche
Bannerträger an der Spike, Jung: Deutichland hervor, und es
blieb auch diefe völlige Ummälzung nicht ohne Einfluß auf den Ideen⸗
gang und die Begeifterung der öfterreichifchen Dichter. Zwei derfelben,
beide Edelleute (Graf Auersperg und v. Nimpſch), Ichloffen ſich
unter den Namen An. Grün und N. Lenau jenem Streben an
und ließen ihre politifchen Lieder wie ihre elegifchen Klagen ertönen!
Auf das Wiener Geſellſchafts- und Volksleben wirkte jedod)
die neue Richtung der Zeit nicht fo fehr ein; man war zwar
meniger gedankenlos, mandte feine Blicke mehr der Außenwelt zu,
ftellte Vergleiche an, wurde fogar etwas vorlaut, ſelbſt oppofitions-
Tuftig, doch die Frivolität, die Genußſucht nahm nur andere Formen
275
an. Nie waren die Bälle belebter, nie die Theater befuchter, und
nit nur der Faſching, auch die Sommerfreuden nahmen eine
bisher unerhörte Ausdehnung an. In dem Grade, als fich die
Zahl der nad) allen Gegenden führenden Stellmagen vermehrte,
tauchten auch allenthalben die ländlichen Feſte und Zerftreuungen
auf Wo fi) nur immer ein reizender Punkt fand, war gleich
auch ein Orchefter bemüht, die Ohren zu erfreuen, die Füße zu
beleben. Man drängte fih nah Tivoli mit der herrlichen Rund-
fiht, zu feinen Feuerwerten und Rutfchbergen, man erfreute ſich
an den feenartigen Teiten und Beleuchtungen bei Dommayer in
Hising, im Augarten, Sperl oder anderen VBergnügungsorten.
Und über all diefem Jubel jchwebten die Töne, welche Strauß und
Zanner, damals in frifcher Blüthe, ihren Violinen entlodten. Es
war ein ganz eigener Zauber, welcher fich mit diefen bald ein:
ſchmeichelnden, bald fortreißenden Tanzweiſen verband, und wenn
auch nicht zu läugnen, daß man die Leiftungen dieſer Tonfeker
weit überfchäßte, jo bleibt ed doc immerhin ein Verdienft, für die
Beten ihrer Gattung zu gelten.
Der Carneval Tehrte wieder mit feinen Treuden, feinem
ermüdenden Gefolge von Nachtwachen, betäubender Tanzmuſik und
erihöpften Finanzen. Der Bälle, elegant und glänzend, gab es
viele, doch ragte Tein Weit befonderd hervor. Wie in jedem Jahre
erfreute der ſ. 9. Tagball bei Tatificheff; er begann um Mittag
am Faſchingdienſtag und endete um Mittenadt. Der Mangel
einer italienifchen Oper wurde nicht durch beffere Leiftungen der
deutfchen erſetzt. Wie ſeit Jahren blieben Oper und Ballet gleich
mittelmäßig: Sabine Heinefetter galt für die befte Sängerin und
Staudigl begann gerade feine glänzende Laufbahn, während Wild’s
Stimme ſchon nicht mehr ausreichte. Das Hofburgtheater hatte
unter Deinbarbftein’3 umfichtiger Leitung einen bedeutenden Auf:
ſchwung genommen; wenn auch vielleiht auf Koften einer f. 9.
Hoffiichen Richtung oder eines geläuterten Gejchmades, kam doch
Frh. v. Andlaw. Wein Tagebuch I. 18
274
mehr Abwechslung in das Repertoir, und bei den gedrängt vollen
Häufern befand fi auch die Kaffe vortrefflih. An Fichtner,
Laroche, Löwe u. A., an Frl. Glen, Karoline Müller, Peche, Wildauer
waren junge, tüchtige Kräfte gewonnen, — Das Kasperltheater
hatte die Höhe feiner Beliebtheit erreicht; fein Genre fchien ver:
altet; Raimund war oft abmweiend, und es vermochte das beicheidene
Haus nicht mehr gleihen Schritt zu halten mit dem raſch auf
ftrebenden Direltor Karl „an der Wien“. Hier ging nun in
dem Kleeblatt ded „Lumpaci“ den Wienern eine nie verfiegende
Quelle von beiteren und wißigen Scherzipielen auf, und mährend
fih Neftroy’3 fo ungemein beliebten Zauber: und Charafterftüde
raſch folgten, ergößten die trodene Komik und der unverwüſtliche
Humor des nicht erreihten Scholz.
Das Klima Wien ift befanntlich Feines der beften; der
beftändige, Kalkſtaubwolken aufmwirbeinde Wind wirkt ſchädlich auf
die Nerven, die Runge wie die Augen. Auch in jenem Winter
hatte die ungünftige Witterung mancherlei Krankheiten erzeugt,
befonderd Scharlady und eine bösartige, oft in Typhus ausartende
®rippe, welche beinahe die Hälfte der Bevölkerung ergriffen.
Ihren Folgen erlag auch in den beften Jahren der fo ausge
zeichnete preußifche Gefandte v. Malzahn. Prinz Waſa aber war
vom Scharlachausſchlage befallen, während Graf Polier-Vernand
im Februar einem Nervenfieber erlag, ohne daß der Prinz, felbft
Trank, dieſen tödtlihen Ausgang erfahren. Polier (aus Laufanne)
batte die Erziehung des Prinzen geleitet, und wear fpäter aus
einem Hofmeiſter ein Oberbofmeifter, aus einem Schweizer
Republikaner ein Graf geworden. Man fagt, daß er, für die
Rechte und das Wohl feines Töniglichen Zöglings begeiftert, ihm
in treuer Anbänglicgkeit ergeben war. Mir fteht Über Diefe wirt:
lihen oder angeblichen Verdienſte Fein Urtheil zu; nur fo viel
weiß ich, daß Polier wenige Freunde hatte; eine gereizte Stim-
mung, die Unlenntniß des Terrain? mochten wohl mande ferner
275
Schritte entſchuldigen. Sein grüngelbes Gefldit, zu dem felbft ein
meift gezwungenes Lächeln nicht paßte, fowie eine gemiffe manterirte
Haltung machten feine Perfönlichkeit nicht angenehmer.
Auf die politifche Bewegung der früheren Jahre war natur:
gemäß eine gewiffe Erichlaffung gefolgt. Nur in den deutichen
Kammern tauchten bisweilen die Nachklänge auf, und der Frank:
furter, auf den Bundestag gerichtete „Putſch“ im April endete die
lange Reihe von Angriffen auf den Beitand der Dinge in Deutfich- '
land. Frankreich blieb verhältnigmäßig vubig, und nur auf der
purendifchen Balbinfel fanden wichtige Vorgänge flat. Es war
der Königin Ehriftine gelungen, den fterbenden König Ferdinand VII.
zur Umänderung der Thronfolge zu bemegen, und diefe ganz will-
fürliche Beftlimmung war das Loſungswort zu einem jahrelangen
gräulichen Bürgerkrieg... Der widerwärtige Kampf in Portugal
endete mit der Vertreibung Dom Migue’3, und in den beiden
Staaten der Halbinfel verdrängten zwei Prinzeffinnen, bier Die
„unſchuldige“ Iſabella, dort die dem Herzog von Leuchtenberg
beitimmte Braut Donna Maria da Gloria, die angeftammten
Thronerben, und al dies unter dem heuchlerifchen Vorwande der
Einführung Tiberaler Anftitutionen, welche allein nur überwiegend
den Einfluß Englands in Spanien und Portugal fiherten. Don
Pedro, feines Sieges nicht lange frob, ftarb fchon im folgenden
Jahre. —
Am Juli wurde ein dritter Erzherzog — Karl Ludwig —
geboren und mit denjelben Teierlichleiten in Schönbrunn, mo Die
Erzberzogin Sophie das Wochenbett Bielt, getauft. Ebendaſelbſt
gab beinahe zu gleicher Zeit die Prinzeffin Waſa ihrer erften und
einzigen Tochter — Karola — das Leben.
In Böhmen ging ed während diefeg Sommerd äußerit Teb-
baft zu. Kaifer Franz hatte den König von Preußen in Therefien-
fadt gefehen und begab fi im September nad dem gräflicy
Waldſteiniſchen Schloſſe Münchengrätz, um da mit dem Kaifer
18*
276
Nikolaus zufammenzutreffen. Nur einige deutſche Yürften, nur
wenige Diplomaten waren zugegen, und der von jeder größe:
ren Stadt weit entlegene ftile Ort reiste un jo mehr die
Neugierde, etwas von den dortigen Verhandlungen zu er:
fahren. Diefe Zufammenfunft war fchon deßhalb hiſtoriſch merk:
würdig, weil fi da die beiden Kaifer zum erſten und einzigen
Male in ihrem Leben perjönlic begegneten. Ihnen ſchloß ſich
der Kronprinz von Preußen an. Die fremden Kabinette beihäf-
tigten ſich lebhaft mit dieſem Heinen Türftencongreffe, und die
Zeitungen aller Ränder erjchöpften ſich nad) ihrer Gewohnheit in
Bermutbungen über deſſen möglichen NRefultate. Hauptfächlid war
ed aber doch mehr auf eine nähere Verftändigung der Monarchen
unter ſich felbft abgefehen; man taufchte die Ideen aus, beſprach
die fchwebenden europäiſchen Tragen und erließ Ermahnungen und
Borftellungen nad) London und Paris über die Haltung der poli-
tifchen Flüchtlinge, die Umtriebe der Propaganda u. f. m. Zunächſt
waren es aber auch Maßregeln, welche zur Wiederberftellung der
Ordnung in Deutichland verabredet wurden, und zu diefem Zwecke
follten nod) vor dem Schluffe des Jahres in irgend einer Stadt,
die nicht Reſidenz fei, — man nannte Prag — Minifterial-
Conferenzen ftattfinden. Doc gingen in der politifhen Welt die
Boraußfegungen viel weiter; man wollte in jenen Berathungen
einen Verſuch fehen, die ftrenge Durdführung der Grundfäße der
beiligen Alltanz wieder aufleben zu laffen, während es fich doch
in der That nur um gemeinſchaftliche Schritte für gewiſſe Even-
tualitäten handelte, ohne daß dieſe Verabredungen in bejonderen
Verträgen näber formulirt worden wären. Dennod) erivedte dieje
Zufammenkunft das politifche Mißtrauen der Weſtmächte, und es
kann in diefen Beforgniffen wohl der erfte Grund zu der fpäter
abgejchloffenen Duadrupelallianz gefucdht werden. Die Blätter
jener Zeit mußten aus Mündyengräß freilich wenig mehr zu erzählen,
als von Ordensertheilungen, Paraden, Spazierfahrten u. dgl. m.
277
Der Kaifer Franz traf auf dem Rückweg mit dem König von
Bayern noch in Linz zufammen, Nikolaus aber begab ſich ans
Böhmen in das Lager nad Modlin. Diefe Reife — die erfte,
welche der Czar nach dem Polenaufrubre unternommen — war
von befonderen Umftänden begleitet. Er Hatte Ende Auguft
St. Petersburg verlaffen und ſich nad) den preußifchen Oftfeefüften
eingeſchifft. Da trieb ein gewaltiger Sturm das Dampfſchiff nad
Kronftadt zurück, und in unglaublich ſchneller Zeit traf nun der
Kaifer zu Land in Schwedt ein, wo ihn der König von Preußen
erwartete. Schon hatte man fi da wegen des langen Ausbleibens
des Schiffes den größten Befürchtungen überlaffen, als Nikolaus
unerwartet zu Lande beinahe ebenfo raſch anlangte, als dieß zur
See möglich geweſen märe.
An den lebten Monaten ded Jahres ftarben die Häupter
drei fürftliher Familien: Fürſt Innocenz Odescalchi, Fürft
Joſeph Schwarzenberg, Fürft Nikolaus Eſterhazy. Erfterer
war zum Oberbofmeifter der Königin Anna von Ungarn ernannt
worden und vermählte fih als Wittwer mit der Gräfin Henriette
Zichy. Am ſtets freundlichem Verkehr mit diefem Ehepaare, hatte
ih noch am 22. September Abends fpät die von ihm bewohnte
Vila in Meidling verlaffen; den anderen Morgen fand man den
Fürften todt in feinem Bette. Die jo kurze Ehe war eine überaus
glückliche geweſen; ein Sohn Victor, vor drei Monaten geboren,
Tag lächelnd in der Wiege. Betäubend wirkte dieſer fürchterliche
Schlag auf die arme Frau, die fi) von der Leiche nicht trennen
konnte und bis zur Beerdigung mit mir und anderen Freunden
die meifte Zeit am Bette des Verftorbenen zubrachte. Ihr frommter
Sinn, die Sorge für den Sohn ließ fie den ungeheueren Schmerz
muthig überwinden, den der Verluſt eines ihr mit Zärtlichkeit
ergebenen, wie durch feine angenehmen Formen allgemein beliebten
Mannes ihr bereiten mußte.
Auf feinem Landfibe in Böhmen, umgeben von einer Liebenden
278
Familie, ftarb nach kurzem Krankenlager Fürſt Iofep Schwarzen:
berg. Wie felten im Leben wurde ihm der Troſt zu Theil, daß
fein Sohn Friedrih, damald Domherr in Salzburg, ihn zum
Tode vorbereitete, aus den Händen des vortreffliden Sohnes
empfing der Vater die heiligen Sterbſacramente. Beweint, geehrt
lebt er fort im Andenken feiner Nachkommen; feine Aſche ruht in
der Gruft feiner Vorfahren. Beinahe zu gleicher Zeit hauchte
Fürft Nikolaus Eſterhazy auf fremdem Boden, fern von feinen
Angehörigen, in den Armen eimer von ihm wie von aller Welt
verachteten Frau! fein Leben aus! ch erzähle nur Thatfachen;
weßhalb ich fie, die längft vergeffen, wieder aufgefriicht? Weil,
abgefehen von ihrer biftorifch-fittlichen Bedeutung, jener Kontraft
allgemein auffiel, und ſich mohl felten, wie hier, die ganze Eriftenz
in den letzten Stunden jo auffallend abfpiegelte!
Im diplomatifhen Corps gingen mande Veränderungen
vor; die meiſten fanden bei den deutfchen Gefandtichaftspoften ftatt;
ih werde fie zur Zeit des Thronwechſels anführen. Der Marfchall
Maifon wurde durd Herrn St. Aulaire als franzöfliher Bot:
ſchafter erſetzt.“ Gagliati vertrat Neapel; feine höchſt unbe-
deutende Perfönlichkeit wurde wieder durch eine Frau, eine Tochter,
beide gleich liebenswürdig, ausgeglichen. Der holländische Gefandte
v. Mollerus konnte fih ſchwer in die neue Lage der Dinge
finden; der kleine, Teidenichaftlihe Mann mar fortwährend in der
übelften Laune, welche die Anwefenheit eines belgiſchen Geſchäfts—
träger noch vermehrte. Diefer, ein noch junger Mann, Graf
Lalaing, war, ohne Erfahrung und Takt, nicht geeignet, dem
neuen Königreiche auf einem ohnehin nicht günftigen Boden Freunde
zu erwerben; er wurde daher bald durch einen wirklichen Gejandten,
Herrn v. 208, abgelöft; doch auch diefer, ein deutſcher Edelmann,
*) Grinmerungsblätter S. 20.
279
fand fih in Wien nit heimiſch, und es erfebte ihn fpäter
Djullivan, der, früher in niederländifchen Dienften, nun dem
König Leopold gehuldigt. Beinahe feit einem Bierteljahrhundert
vertritt Diejer in den Grafenftand erhobene Diplomat den Brüffeler
Hof in Wien. Graf Alcudia endli war der nicht offiziell
beglaubigte Agent des Don Carlos von Spanien.
Auch der portugiefiihe Geſandte, obwohl die Königin eine
Entelin des Kaiferd, wurde nicht anerkannt, und Billa Secca, fo
lange in Wien, da häuslich niedergelaffen, wurde nur für feine
Perfon dem diplomatifchen Corps beigezählt.
Die Pforte war in Wien lange Zeit nur durch einen Ge—
ihäftsträger, den Griehen Maurozeny, vertreten, der fi in
der jchönen Tracht und mit einem weißen Schnurrbart fehr ftattlich
ausnahm. Tür die Namen der vielen Bey's, Effendi’3 und
Paſcha's, welche ich als türkifche Diplomaten gefehen, babe id)
fein Gedächtniß; nur drei derfelben, dur Bildung und Geiſt
befonder3 ausgezeichnet, erinnere ich mich; unter Diefen des Bot:
ſchafters Fehrik Ahmed Paſcha, eines jungen, fchönen Mannes
mit belebter Phyfiognomie; gefellig, verftand er auch mehrere
Spradyen, und wurde viel eingeladen, felbjt in Kupfer geftochen
und in anderer Weife bevorzugt. Später vermählte er fi, mit
einer Tochter des Großſultans.
Der kaiſerliche Hof lebte zurüdgezogener als je; dagegen febte
Prinz Wafa die einige Zeit unterbrochenen Feſte und Diners in
feinen prachtvollen Appartements wieder fort; auch die Botſchafter
verfammelten die höhere Geſellſchaft zu Liebhabertheatern, Concerten,
Tableaux, Bällen, zu Spiel und anderen Routd. Bon Wiener
Häufern aber waren es befonderd drei, welche beinahe jeden
Abend dem gefelligen Verkehr geöffnet waren: Metternich,
Eſterhazy, Sagan. Es möge fi bier eine Fleine Schilderung
der drei Hausfrauen anreihen, welche, jede fo verſchieden in
ihrer Art, diefe Salon hielten.
280
Der Fürft Metternich ſah, wie früher, jeden Sonntag eine
größere Gejellichaft, mährend fein Salon täglich den näheren Be:
fannten wie den Diplomaten zugänglich war.
Die Fürstin Melanie behandelte mid) wo möglich noch mwohl-
wollender als früher, wie einen Verwandten. Es fällt mir def-
halb ſchwer, diefe freundlichen, perjönlihen Beziehungen von dem
Urtheile zu trennen, das ich, der Wahrheit gemäß, über fie fällen
folte. Mir wie allen Treunden des Haufes fiel vorerit der
Gegenſatz auf, der fi) bei den beiden rauen des Fürſten, welche
fih fo bald auf einander folgten, zeigte. Antoinette, eine an-
ziebende, aber indolente Blondine, Tieblich, zart, aber nicht glänzend,
nicht imponirend, von einem ftilen, aber um fo einfchmeichelnderen
Zauber. Melanie, in der Farbe der Haare und des Teints,
im feurigen Auge, in der ganzen blendenden Erſcheinung die
ungarifhe Abftammung, den mehr füdlihen Typus verrathend,
ungleich in ihrem Benehmen, bald auffahrend, dann wieder von
einer binreißenden Liebenswürdigkeit, von ebenfo Tebhaftem Geifte
ald tiefem Gemüthe — fo ftanden ſich die beiden Bilder gegenüber!
Melanie Tann jedoch nur in getrübten Lichte erfcheinen, wenn
man ihren Charakter nicht nach den verfchiedenen Lagen prüft, in
denen fie fich während ihres Lebens befand. Damald nun im
30. Sabre hatte fie noch von ihrer Jugendzeit die etwas bizarre,
oft Teidenfchaftlihe Auffaffungsmweife beibehalten, welche ſich fpäter
verlor. Wie bei dem Türften muß man daher auch bei ihr
die einzelnen Zeitabfchnitte trennen und biefen Rechnung tragen,
will man nicht einfeitig oder vorfchnell über ihre Eigenſchaften
abiprechen.
Mrs. Troloppe ſchildert in ihrem Werke: „Vienna“ xc. auch
die Wiener Gefellichaft, und fpricht dabei von der Fürftin Metternich
in einer Weife, welche bemeift, daß die fchreibfelige, in ihrem Ur⸗
theil fonft ziemlich fcharfe Touriftin von ihr gut behandelt wurde,
und daher durch eine mehr nüancirte Charakteriftit nicht babe
281
undanfbar erfcheinen wollen. Ich werde ihre Worte mit einigen
Bemerkungen begleiten. Sie fagt: „Die Fürftin gibt ihre Ge
danken mit einer Offenheit, einer Unbefangenheit, einer Klarheit
des Ausdrucks wieder, von welchem ich bisher noch fein Beifpiel
geliehen babe.” Dieß heißt wohl mit anderen Worten: fie fagt
Alles, was fie denkt; dabei verjchweigt aber Mrs. Troloppe, daß
gerade diefe allzu große Offenheit in der Stellung der Fürftin ein
doppelter Fehler war, welcher ihrem Manne viele Verlegenheiten,
ihr jelbft aber unverdient und ohne Noth Feinde zuzog. Mrs.
Troloppe fagt daher weiter: „Ohne ihre außerordentlihe Güte
könnte ihr die Lebhaftigfeit ihrer Aeußerungen wohl Feinde zu:
ziehen, allein ich zweifle, daß fie deren bat (!), wenn nicht der
Neid ihr welche erweckt,” ſetzt aber dann gleich wieder berichtigend
hinzu: „Freilich iſt es in fo hoher Stellung immer fchwer, ſich
feine Feinde zu machen; es zürmt die verlegte Eitelfeit und die
Empfindlichkeit der Eigenliebe meit mehr jenen offenen Menſchen,
die ftart im Bewußtſein ihres Rechts und der Neinheit ihrer
Gefinnungen ſich wahr äußern, als mit jenen, die aus Schwäche
oder Nachgiebigkeit für die Meinungen anderer, fi mit ihrem
Gewiſſen abfinden, und entweder ſchweigen oder anders fprechen,
als fie denken.” Aber eben deßhalb klagten ihre Umgebungen, daß
man bei jener oft ganz unnötbigen, jedenfalls übertriebenen Rück⸗
ſichtsloſigkeit Melanie's wahrhaft glänzende und ſchätzenswerthe
Seiten überfah, um ohne Schonung über ihre Schwächen herzu:
fallen. Keiner Berftellung fähig und jedem Intriguengeiſte fremd,
febte fie fi unbefangen über gar Vieles hinaus, und beurtheilte
Alles, Religion, Politik, Erziehung, Muſik, Litteratur, Künfte, ge:
fellige und Tamilienverhältniffe nach ihrer eigenen Weiſe. In
politifchen Gefprächen trafen ihre offenen, aber auch oft einfeitigen
Aeußerungen mit den Mugen und berechneten Phrafen des Fürſten
nicht immer zufammen, und ebenfo leidenſchaftlich nahm fie in der
Medizin Partei für die homöopatiſche Heilmethode. Nicht minder
282
entihieden war fie in Sachen des Geſchmacks, der Mode, und
auch bier Hatte fie fich Ideale gefchaffen, neben denen fie alles
unbedingt vermwarf, was dieſe nicht erreichte. Dennoch konnte man
ungeachtet diefer erclufiven Richtung, dem vortrefflihen Herzen, dem
edlen, reinen Charakter Melanie's die höchſte Achtung nicht ver:
jagen; ihre Freunde bewahrten ihr ftet3 die treueite Anhänglichkeit.
Eine fromme Katholikin, eine wahrhaft chriftlihe Frau, war fie
dem Fürften, ihren Kindern mit inniger Liebe ergeben, und erfüllte
mit geiwiffenhafter Hingebung die Pflichten einer treuen Gattin,
einer zärtlihen Mutter. Wer daB Gegentheil behauptet, ver:
läumdet gefliffentlih, oder kannte fie nicht näher! —
Nachdem Fürft Paul Eſterhazy feinen Botfchafterpoften in
London aufgegeben, bezog die Fürftin Therefe mit ihren Kindern
das Palais in der MWallnerftraße, welches fie mit elegantem Com⸗
fort einridhtete. Muntere Dinerd, Soirden in beiterer Abwechfelung
folgten fich rafch und man fah es der Hausfrau an, daß fie viel
und lange im Auslande gelebt, und da, bejonders für Fremde,
eine unbefangene, grazidfe Art die Honneurd zu machen, ange:
nommen batte; fie, welche man die „‚cousine de tous les rois‘“
nannte, verſchmähte e8 nicht, felbit mit den unbedeutenditen und
langiweiligften ihrer Gäſte höflich zu fein, oder einige verbindliche
Worte zu wechſeln. Dabei war fie gutmüthig, von immer gleich
heiterer Laune, und ihr Salongeſpräch artete nie in lieblofe Ur-
theile oder boshafte Commeragen aus. Damals im 40. Jahre
hoh fie ihre herrliche Geftalt dur eine überaus geichmadvolle
Toilette, und war dabei immer wie von einer Wolle duftender
Wohlgerüche umgeben. Es fcheint, ald ob Balzac dieß Bild vor
Augen gehabt, wenn er in einem Romane nachſtehende Schilderung
entwirft:
„A quarante ans Madame.... était belle, d’une beaute
semblable à celle de ces magnifiques couchers de soleil, qui
couronnent en 6t& les journdes sans nuages. Elle avait les
288
eheveux et les yeux noirs, le pied et la taille des Espagnoles.
Ces formes offraient les indices de la constitution, qui rend
les femmes de ce pays particuliörement côélèbres. Son visage
tonjours beau seduisait par ce teint cr&ole, dont il est im-
possible de peindre l’animation autrement qu’en le comparant
à une mousseline jet&e sur de la pourpre, tant la blancheur
en est &galement colordee. Elle avait des formes pleines,
attrayantes par cette grace qui sait unir la nonchalance et
la vivacit6, la force et le laisseu aller. Elle &tait grande,
ce qui ini donnait à volont6 l’air et le port d’une Reine.
Elle recevait avec ce goüt, cette grandeur qui ne s’apprennent
pas; mais dont certaines belles ames peuvent se faire une
seconde nature, en s’assimilant les bonnes choses partout oü
elles les rencontrent.‘
Die Dame, welche, ebenfo angenehm, Tiebenswürdig und zus
vorfommend, einem anderen Salon vorftand, war in Ihrer Art doch
wieder fo fehr verichieden von der eben gefcjilderten, daß beide
unwilllürih zum Verſuche einer Parallele einladen. Bei der
Nachſicht, melche fie mit fremden Fehlern und Schwächen übten,
konnten ſie Diefelbe mit um fo größerem Rechte für ihre Schatten:
feiten in Anſpruch nehmen, und es zeigte ſich auch hier wieder,
wie gefellige Vorzüge ein Hauptmoment der Verträglichkeit oder
der Meliebtheit in der vornehmen Welt bilden. Die Herzogin
Wilhelmine v. Sagan:Kurland, damals fchon im Alter vor:
gefchritten, war noch immer eine flattliche Erfcheinung. Sie brashte
unftät ihr halbes Leben auf Reifen zu, und fcheint eine ebenfo
große Vorliebe für die Veränderung ihres Aufenthalts, wie ihrer
Neigungen gehabt zu haben. Zweimal gefchieden Tieß fie ſich end:
lich mit ihrem dritten Manne in Wien nieder, wo ihre Wohnung
im ſchwarzenbergiſchen Haufe (Wollzeil) mebr einem Muſeum glich,
fo ſehr überrafchten darin die herrlichſten Kunftichäge, feltene Ans
tiken, Gemälde der beften Meifter. Im vollen Sinne des Wortes
284
Weltdame, fchien fie die Leere, mit der ein nad allen Richtungen
genoſſenes Leben fie jebt erfüllte, verdrängen zu mollen. Ihre
Bemerkungen waren geiftreih, aber auch oft befangen: fie erfebte
durdy große Lebengerfahrungen und vielfeitige Bildung, mas ihr
an natürlichem, fcharfem Berftande abging. Ihr Wunſch, jünger
zu ericheinen, verleitete fle oft zu nicht immer glüdlichen Toilette⸗
Künften: Alle aber überftrahlte fie durch den reichten Schmud.
In ihren Salon? nun, in denen ein ausgefuchter Luxus und Kunft-
finn den Bejuhenden aus jeder Ede entgegen trat, empfing fie
mit leichtem Anftand, war jedoch ziemlich wählerifch in ihren Ein-
ladungen, und nicht immer fo gleih und natürlich in ihrem Be
nehmen wie die Fürftin Therefe. Sie Tiebte die feine Konverfation,
unterftüßte vielfach und mit ausgeſuchtem Gefchmad die fchönen
Künfte; fie ſelbſt ſprach viel und gut, aber oft in einem ermüden-
den Tone von Einförmigfeit und nicht ohne eine gewiſſe Bitterfeit
in manchen ihrer Aeußerungen. Sie ftarb 1839. —
Mit dem Jahre 1884 begannen die deutihen Minifterial:
fonferenzen in Wien. Seit 1820 Hatte dort Feine ähnliche
Berfammlung mehr flattgefunden. Es hing diefe Konferenz mit
der allgemeinen politifchen Rage der Zeit eng zufammen. Der
Fürſt Metternich Hatte feit 1880 einen Theil feiner früheren
Schwungkraft erlangt; er fühlte fich ſtark in Ergreifung der Mittel
zur. Abwehr der Gefahren; es ſchien die Epoche der Kongreſſe
wieder aufleben zu wollen. Mit Preußen war man in allen
wichtigeren Fragen einverftanden; Rußland Hatte fich dem Wiener
Kabinet genähert, und mit Ludwig Philipp ging der Fürft in
größerer Eintracht, als man ſich es anfehen laſſen wollte, um fo
mehr als auf dad durch innere Unruhen erſchütterte England mit
feiner ſchwankenden, bald von Tory's, bald von Whig's geleiteten
Politik nur wenig zu rechnen war. So wollte man denn much
285
Deutſchland wieder zur Rube bringen. Um diefen Zweck am beften
zu erreichen, follten, unabhängig von den Bundesverhandlungen in
Trankfurt, die deutſchen Minifter in freien Befprechungen die Lage
Dentfchlands erwägen, die wunden Stellen bezeichnen und die ge
eigneten Heilmittel gemeinfchaftlich berathen. Es follten da die
Konflikte der Regierungen mit den Landftänden, das Schiedägericht,
die Preſſe, die Univerfitäten u. dgl. m. zur Spradye fommen. Die
Konierenzen befriedigten in ihrem Ergebniß nach Feiner Seite; man
fand fie von der einen ungenügend, mangelhaft, während man ihnen
von der anderen Seite eine freiheitämörderifhe Tendenz unterlegte.
Wie gewöhnlid ging man bei allen diefen vielfeitigen Beurthei-
lungen audy bier zu weit. Daß die Konferenzen unter den ge:
gebenen Umftänden den davon in Wien gehegten Ermartungen
nicht völlig entfprechen konnten, lag in der Natur der Sache: daß
aber den Zuftänden, wie fie ſich feit drei Jahren in Deutichland
anarchiſch entwidelt hatten, entichiedener entgegen getreten erden
mußte, darüber Tonnte kein Zweifel beftehen. Aud in Frankreich
ſuchte man einem ähnlichen dringend gefühlten Bedürfniſſe durch
die Septembergeſetze deifelben Jahres abzubelfen. Der Gründe
aber, welche eine Unvollftändigleit im Refultate des Kongrefies
berbeiführten, gab es gar mancherlei. Einmal batten ſich fchon
die früher fo hoch gehenden Wellen der Bewegung wieder etwas
gelegt, und man fand die Zeil zu allzu ftrengen Maßregeln nicht
angethan. Preußen, mit der dee der Erweiterung feines Zoll:
vereind beichäftigt, war jeder Thatfache feind, welche möglichermweife
den Einfluß Defterreihd in den Bundesſtaaten erhöhen Tönnte.
Bayern zumal, in feinem Inneren beruhigt, mit feinen Ständen
im Frieden (Ehre dem Ehre gebührt! fo Tautete die vom König
auf den Landtag 1834 geprägte Medaille) legte mandherlei Hinder-
niffe in den Bollzug der getroffenen Verabredungen. Die Kon:
ferengen wurden am 13. Januar vom Fürſten Metternidy mit
einer vortrefflich vedigirten Rede eröffnet, Zweck und Ziel ber
286
Berfammlung darin Mar und in ächt deutfcher Gefinnung angegeben.
Man jchritt hierauf zu der Wahl der Kommiffionen für die ein-
zelnen Gegenftände, welche mit 61 Nummern bezeichnet wurden.
Bid zum 12. Juli, an weldem Tage dad Schlußprotocoll mit
einer gleihen Anzahl von Artikeln unterzeichnet wurde, fanden 16
allgemeine Situngen ftatt. Aber audy Äußere Umftände verküm⸗
merten die beabfihtigten Beitimmungen. Anfangs fchon wurde
weder der Ort noch die Zeit des Aufammentrittes eingehalten.
Das uriprünglid beftimmte Prag wurde ſpäter mit Wien ver:
tauſcht; dieſe Aenderung verftinnmte Preußen; die Herren follten
ſchon im November zufammen kommen, und mühſam brachte man
fie vereinzelt erjt im Laufe des Januars nah Wien. Der eriten
Verabredung zufolge follten nur die verantwortlichen Minifterpräft:
denten der Bundesflaaten erjcheinen, um gleich bindende Beſchlüfſe
treffen zu können, und dadurd die weitläufigen Inſtruktionsein⸗
bolungen zu vermeiden. Doch auch bier fanden wieder Ausnahmen
Statt: Ancillon traf erit gegen Ende März ein, und blieb dann
nur ſechs Wochen, Minifter v. Gife wurde bald durch Herrn
v. Mieg erſetzt; überdieß waren die meiften Benollmächtigten von
einem Staatömanne ihres Kabinettes begleitet, und dieſe theilten
ih dann wieder in die Gefchäfte. Ferner mar ausgemadt, daß
feiner der in Wien beglaubigten Gejandten den Sitzungen bei-
wohnen jollte, dennody murde General v. Tettenborn beigezogen.
Ich füge ein DVerzeichniß der Mitglieder ded Kongreſſes bei:
Für Defterreih: Fürft Metternich, Graf Münd.
„Preußen: Ancilon, Graf Alvensleben.
„ + Bayern: v. Giſe, dann v. Mieg.
„ Sadjen: v. Minkwitz.
„ Württemberg: Graf Beroldingen.
„Hannover, Braunfchweig und Naffau: v. Ompteba.
„ Baden: Minifter v. Meizenftein, v. Duſch.
„Heſfſen-Caſſel: v. Trott.
287
Für Heffen- Darmftadt: du Thil, Linde, dann v. Gruben.
„ Holften: Graf Reventlomw.
„ Zuremburg: dv. Verſtolk.
„ die fächflichen Häufer: v. Fritſch.
„Mecklenburg: v. Pleffen.
„ Oldenburg: v. Berg.
„ die 16. Stimme: v. Strauch.
„„ freien Städte: Smidt v. Bremen.
Ancillon,, welchen ich hier zum erften Male fah, war unge
wöhnlic groß, Ernſt im nit amgenehn gebildeten Gefidhte, eine
impofante Erfheinung, doch von etwas fchroffer Haltung. Er
ſprach ausgezeichnet ſchön mit gewählten Ausdrüden, doch nicht
ohne einen Anflug von Pedanterie. Er ließ fich ebenfo gerne
hören, als man auf feine belehrenden Geſpräche achtete. Jeden
Abend kam er mit dem Fürſten Metternich im Salon zuſammen,
und es ließen ſich nicht leicht zwei verſchiedenere Staatsmänner
denken: der hugenottiſche Miniſter in ſeiner Abgemeſſenheit und
der Weltmann mit ſeinen leichten Formen. Beide begegneten ſich
nur in der Theorie „von der Vermittelung der Extreme,“ und
beide glaubten mit ſchönen Worten überzeugen zu können, wo
Thaten mehr als je nöthig geweſen wären. Graf Alvensleben
war ein in Geſchäften erfahrener, vielſeitig gebildeter Mann, ein
ſtets heiterer, oft witziger Geſellſchafter. Münch, Reizenſtein, Ver⸗
ſtolk, Smidt, Strauch galten für die tüchtigſten Kräfte des Kon⸗
grefſes. Der Heine, lebhafte 70 jährige Reizenſtein, den man wohl
mit Unrecht den badischen Talleyrand nannte, da ihm die Haupt:
eigenſchaft diefeg Diplomaten, die Geſchmeidigkeit abging, brachte
feine reichen Erfahrungen und Gefchäftstenntniffe, wie feinen red-
lichen Sinn zu den Verhandlungen.
Einen eigenen Incidentpunkt bildeten die Angelegenheiten der
Schweiz, welche fih durch Anarchie, den abenteuerliien Zug
Romarino’3, die Haltung der Flüchtlinge immer drohlicher geftalteten.
288
Herr v. Dufh, mit dieſen Berbältniffen genau befannt, über:
dieß in der Schweiz acereditirt, brachte Ende Mai die Iehten
Mahnungen nah Zürih, und die Tagſatzung fügte fich Diefen
dringenden Vorftellungen; es kehrte da wenigſtens für einige Zeit
Ruhe zurüd.
Wenn diefe VBerfammlung von Diplomaten auch nur wenig
in den gefelligen Verhältniffen Wiens änderte, jo brachte fie doch
einen ungemein lebhaften Verkehr in die Geſchäftskreiſe. Die An-
wefenheit jo vieler hervorragender Männer gab Anlaß zu ebenfo
häufigen Beiprehungen als anziehenden Beobachtungen. Ich felbft
war durch ſechs Monate beinahe ausſchließend mit diefen Verband:
lungen beichäftigt, denen ich mit gefteigerter Spannung folgte.
Bewegten fie fih au nur mühjelig vorwärt3, murde der Zweck
der Zuſammenkunft auch nur nothdürftig erreicht, jo kann doch nur
Parteigeift den wenigſtens theilweife für die Ruhe Deutſchlands
heilfamen Erfolg verfennen, der in den Bundesbeſchlüſſen vom
30. September niedergelegt ift.
Der Congreß zog auch einige Beſuche von Fremden berbei;
unter denen, die mid zunächſt berührten, maren der badiſche
Minifter v. Berftett und Herr v. Zobel. Erfterer kam auf feiner
Rückkehr aus Stalien nah Wien, wo man feine Erfcheinung in
jenem Augenblide weder pafiend noch taktvoll hielt. Hr. v. Zobel
aber, an der Spite einer Deputation des reich3unmittelbaren Adels,
fand, wie ich vermuthe, in dem Drange anderer Geſchäfte nur
wenig Gehör. Dagegen fpannten die Conferenzen die fremden
Sefandten zu erhöhter Thätigkeit anz es hatten ſich die Mitglieder
das ftrengfte Geheimhalten der Verhandlungen gelobt; um fo
größer war die Neugierde, etwas davon zu erfahren. KTatiftcheff,
am meiften eingeweiht, verhielt fiih ruhig; um fo bemweglicher waren
St. Aulaire und Lamb, wenn Lebterer ſich auch anfcheinend gleich
gültig zeigte, Die italienifhen Mifftionen blieben ziemlich theil-
nahnislos.
280
Die von folden Zufammenkänften ungertrennlichen Diners,
Einladungen, gefelligen Zerftreuungen fehlten auch bier nicht und
brachten, mie dieß in einer großen Stadt begreiflich, mieder viel:
fahe Störungen in den Gang der Geſchäfte ſelbſt. Die Herren
v. Beroldingen und Minkwitz waren von ihren Tiebenswiürdigen
Trauen begleitet, und fomit hatte der Congreß auch feine anmuthige
Seite. Selbit ein Hofball — lange nicht mehr gefehen — fand
ftatt, auf dem der Kaifer jedoch nicht erſchien. Die mit foldyen
Schilderungen unvermeidlidhe Einförmigkeit zu umgehen, werde ich
nur von zwei Feſten aus jener Zeit fprechen, melche fich über die
alltäglichen Unterhaltungen erhoben. — Den fühlbaren Mangel
einer italienischen Oper zu erfeßen, batten ſich fchon feit zwei
Wintern einige talentoolle Dilettunten zufammengefunden, welche
Scenen aus beliebten Opern im Coſtüm vorftellten. Gräfin Marie
Gallenberg (jebt Gräfin Stolberg) mar durch den Klang ihrer
Stimme wie die Bortrefflichkeit ihrer Methode die Seele diefer
Abende. Der Spanier Montenegro, der Arzt Gabrieli unter:
ſtützten dieſe Leiftungen, welche jedoch bisher die Grenzen des
Salons nicht überſchritten hatten. Nun entihloß man fi zu
öffentlichen Borftelungen, und es follte ihr Ertrag in die Kaffe
des nach allen Richtungen jo wohlthätigen Damenvereins fließen.
Es wurde bierzu das fchöne, geräumige Schloßtheater in Schön-
Brunn beitimmt, und die muſikaliſchen Genüffe follten da mit der
Aufführung deuticher Luſtſpiele abwechſeln. Ich wurde zur Theil-
nahme wie zu den Berathungen gezogen, welche der ſächfiſche General
Vieth leitete, in vielen Städten ala einer der Pfeiler der Lieb:
habertheater befannt. Seit meiner Jugendzeit war beinahe fein
Jahr vergangen, in dem ich nicht bei irgend einem Geſellſchafts⸗
theater mitwirkte; nun follten diefe befcheidenen Darftellungen eine
größere Ausdehnung erhalten. Doc auch bier zeigte ſich der wie
durch ein eigened® Verhängnig auf jedem Theaterweſen rubende
Fluch; au hier gab es Zerwürfnifſe wegen der Wahl der Stüde,
Ich. v. Andlaw. Mein Tagebuch. I. 19
290
Heine Intriguen in Belebung der Rollen, Unannehmlichleiten jeder
Art, und das Bomits quälte ſich mit Vorbereitungen, die zum
Mitfpielen auserfehenen Opfer mit Proben wochenlang ab, bis
die Sache endlich dennoch, mühlam genug, zu Stande kam. In
der That war es auch fehr ſchwer, paſſende deutfche Luſtſpiele zu
finden, da man jeden Vergleich mit der Burgbühne vermeiden,
auch nicht veraltete oder überfehte Stüde wählen wollte. Nach
langem Zögern entfchloß man fi zu einem noch nicht befannten
einaktigen Xuftfpiele in Berjen von Bauernfeld: „Ewige Liebe“
und zu einer der „Theaterprobe” von Moliere nachgebildeten Poſſe.
Der wichtige Tag mar erichienen; der Tailerliche Hof, 600 Perſonen
(den Platz zu 5 fl.) Hatten ſchon das Hang gefüllt; nicht ohne
Emotion der Schaufpieler ging die nicht enden wollende Duvertuve
von Othello unter Weigel'3 Leitung vorüber. Graf 2, Szecheny
betrat zuerft die Bühne; ihm folgte ich mit der fchönen Gräfln
Julie Huniady, bei deren fichtbarer Angſt ich mich von der eigenen
erbolte. Das Stüd fpielte ohne Unfall zu Ende, und Erfolg
wie Beifall verdanfte man dem allerliebften Spiele der beiden
Damen (der Gräfinnen Amadé und Huniady) Das zmeite
Stüd, zwar reich an komiſchen Scenen, war doch zu ſehr Pidce
& tiroir, ohne dramatiſchen Gehalt und Zufammenbang, um zu
befriedigen. Es nahmen fehr viele Mitipielende daran Theil, und
wir unterhielten und jelbft dabei viel befler, ala die Zuhörer.
Zwiſchen und vor diefen Stüden fanden nun die erwähnten coftil-
mirten Scenen aus Opern von Roffini, Bellini und Dontzetti im
anziehender Weife ftatt. Die Blätter übten in ihren Beſprechungen
eine nachfichtige Kritik; fie lobten ums über Gebühr, dagegen
wurden wir von zum Theil höchſt unbilligen Urtbeilen des Publi⸗
kums verfolgt. Wir Eonnten und darüber um fo leichter hinaus⸗
jeßen, als der Hauptzweck ja erreicht, die Kaffe gefüllt, unfere
Gefälligkeit anerlannt war. Leber die Leiftungen felbft kann ich,
dabei betheiligt, mich nicht näher ausfprechen, doch führe ich nur
291
zur Erinnerung einige Aenßerungen darliber aus ber „Theater
zeitung“ an:
„Die Stellung der mitwirfenden Damen und Herren mürde
eine Fritifhe Beleuchtung der mit fo menfchenfreundlicher Bereit-
willigfeit gebotenen Kunftgenüffe unpaffend erfcheinen Iaffen. Wäre
aber und eine folche Aufgabe geworden, jo könnten wir nur, der
Wahrheit getreu, des fein nilancirten Zufammenfpiel3 mie des
Talents der Sänger in den Iobendften Ausdrücken erwähnen u. f. w.“
Nah Dftern fanden noch einige Ähnliche Borftelungen ftatt,
in denen fi) General Vieth ald vollendeter Schaufpieler zeigte;
ich wirkte nicht mit. Auch dieſe Vorftellungen fprachen nicht an,
dagegen tröftete man fi) wiederholt mit dem Ertrage zu Wohl:
thätigfeitögweden; wieder ftritt man fih um Gallerie: und Parterre⸗
fite, die Pläte hatten einen Kurs wie an der Börfe.
Diefe noch fo gut gemeinten Beitreßungen Tonnten doch dem
Spotte der Wiener nit entgehen. Es erfchien bald darüber ein
fo ungemein witziges Pasquill, daß, wäre ich der einzige Gegen:
Rand deffelben geweien, ich feinen Anitand nähme, es bier einzu:
ſchalten. Doh da darin bochgeftellte, zum Theil noch Lebende
Perfonen Tächerlidy gemacht werden, jo muß ich mir es leider ver:
fogen, die jo überaus gelungene Schmähfchrift zu veröffentlichen.
Man kannte oder nannte vielmehr den Verfaſſer nicht, allein ich
glaube, daB es damit wie bei einer Schneelatwine ging; irgend
ein wibiger Kopf gab die erfte Idee dazu; fie eirculirte, Jeder
feute wieder etwas bei, und fo entftand wohl da® Ganze, das
neben mandem Trivialen fo viel Feines und Draſtiſches enthält,
daß es jedem Zeichner von Karikaturen zum Ruhme gereichen
würde, fo treffend mar die Parodie in ihren einzelnen Zügen.
Ein originelles Felt gab die Fürſtin Metternich am 15. Mai
tm Garten de3 Rennwegs. Der Direltor Karl von der Wieden
hatte das Arrangement unternommen und fo gelungen ald möglich
. 19*
292
ausgeführt. Mie mit einer Zauberruthe änderten ſich die Scenen
und Bilder; 300 Mitglieder jened Theater waren dabei thätig
und vertheilten fi in verichiedene Gruppen. Hier war ed das
Zigeunerlager der Präcioſa, von frifhen Grün umgeben, dort ein
Tyrolerfeſt, maleriſch aufgeftellt; bier kämpften Gladiatoren, dort
Amazonen bei magiſcher Beleuchtung, endlich ein Zug von Liebes:
göttern; Feuerwerk und komiſche Gefänge von Scholz und Neftroy,
föftlich vorgetragen, füllten die Pauſen aus, dazu der herrlichſte
Maiabend, die buntefte Gefellihaft im blühenden Parke, in den
duftenden XTreibhäufern fi) ergehend? — Alles geftaltete ſich zu
einer wahren Teerie; man ging von einer Ueberraſchung zur
anderen über, und die Gäfte waren entzüdt von den ebenſo
feltenen als wechſelnden Genüffen.
In Wien wie an anderen Orten meiner diplomatifchen
Thätigkeit erhielt ih alljährlih Die Beſuche vieler Verwandten,
Bekannten und Landsleute, welche als Neifende die Verwendung
oder die ©efälligkeit der Gefundtfchaft in Anfprucd nahmen. Mit
den Einen beſah ich Merkwürdigkeiten, Gallerien, Umgebungen
u. f. w., Andern war ich fo glüdlih, wahrhaft nüßliche Dienfte
zu erweilen. Während mich fo das Wiederfehen und der freund-
liche Verkehr mit werthen Belannten vielfach erfreute, fo gewährte
mir das Bewußtſein Troft, Manchen hülfreich mit Rath und That
begegnet zu fein, und entihädigte mid für fo viele andere unange
nehme Erfahrungen in der Sarriere. Dazu famen noch die Söhne
der beiten Familien des Landes, welche zahlreich als Offiziere oder
Kadetten in die k. k. Armee traten. Auch dramatifche Künſtler
waren keine feltene Erfcheinung. In jenen drei Sommern nun
waren es Graf und Gräfin Buol, Fr. v. Porbek u. a. aus
Karlsruhe, Fürſtin Yſenburg, die Herren v. Herding, ©. v. Roggen-
bad, Fr. v. Venningen aus Mannheim, welde Wien befuchten;
ihnen fchloffen ſich noch Hennenhofer und Camill v. Lobbel am,
Lebterer ein vielverfprechender Yüngling, der feine glüdlichen
293
Anlagen auf weiten, felbft außereuropäifchen Reifen entwickelte und
in Paris ein fo baldiges Ende finden follte.
Während jener Zeit war Xettenborn leidend, umd ich verließ
nur felten die Stadt. Es verfammelte fih um fein Krankenlager
jeden Abend ein Kreis vertrauter Freunde, unter ihnen Fürft von
Fürftenberg, Varnhagen von Enfe, Graf Ferdinand Palffy.
Der Kaifer Hatte dem Fürften Karl Egon von Fürften:
‚berg da3 goldene Vließ verliehen, und er war, für diefe Aus-
zeichnung zu danken, nach Tängerer Zeit wieder zum erften Mal
in Wien erichienen. ch ergreife diefen Anlaß, hier einige Worte
dankbaren Andentend an diefen vortrefflichen, leider nur allzu früh
dahin gegangenen Fürſten niederzulegen. Es ift fo felten und für
ein fühlendes Gemüth doppelt erfreulich, wenn man einmal ohne
Rückhalt Toben, alle die unvergleichlichen Eigenfchaften eines edlen
Charakter hervorheben und anertennen Tann. Ich babe den
Fürften Karl Egon durdy 40 Jahre an verfchiedenen Orten, in
mannigfaltigen Lagen des Lebens, als Familienvater, ald Staats⸗
mann und Nedner, als Regent und Gefellichafter, endlich ala
einen mir ſtets gnädigen Gönner gefeben, und immer und allent-
halben erſchien er mir ala das Vorbild eines ebenfo ausgezeichneten
als wohlmwollenden und liebendwürdigen Mannes. Doc alle diefe
Vorzüge wurden bei ihm durch die Reinheit eines feinfühlenden
Herzend überſtrahlt. Mit der angebornen Großmuth — dem
Kennzeichen eined echten Edelmanns — mit feinem Wohlthätig-
keitsſinn — dem den Yauterftien Quellen entfließenden Bedürfniſſe,
zu helfen, Segen, Glück um fi zu verbreiten — gingen feine
firengen Grundſätze von Gerechtigkeit und Wahrheit Hand in
Hand. Heiter, gefellig und in der Welt feinen hohen Rang mit
Würde behauptend, war er doch wieder im Kreife feiner blühenden
Familie der einfachfte, berzlichfte Hausvater. Mit einer feltenen
Rednergabe verband der Yürft einen Karen, natürlichen Styl, und
fon feine fchönen, männlichen, Ieferlihen Schriftzüge verrietben
294
den ausgeprägten Charakter. Von einer raftlofen Thätigleit, für
das Wohl feines Haufes wie des Landes mit gewiſſenhafter Umſicht
beforgt, war er aud in Staatögefchäften beivandert, und bei den
Ständeverfommlungen in Berlin, Stuttgart und Karlsruhe eine
einflußreiche, glänzende Erſcheinung. &3 trat bei dem Fürſten der
jeltene Fall ein, dag die von jedem menſchlichen Charakter unzer⸗
trennliden Schwächen feine edleren Eigenfchaften nie verdintkelten.
Niemand mar Überdieß nachlichtiger für Andere, ald er, und die
Menſchen im Allgemeinen für viel beffer haltend, als fie in Wirk:
lichkeit find, fehlte e3 ihm nicht an mancher traurigen Erfahrung.
Dennody entfhlüpfte ihm nie ein Wort der Bitterleit oder Klage;
feine Menfchenfreundlichteit kannte, ſelbſt bei zahlloſen Enttäufchungen,
feine Grenzen; denn er hatte im eigenen Gemüthe, in feinen häus
lihen Umgebungen, im flarten Bewußtſein redlich erfüliter Pflichten
fi einen Himmel gegründet, aus dem ihn weder ber Undank der
Melt, noch Freiſcharen oder polittifche Nänfe zu vertreiben ver-
mochten.
Varnhagen, mit dem ich früher und auch Ipäterhin öfters
zufammen kam, war zu jener Beit, obwohl ſchon gegen 50 Jahre
alt, noch ein ziemlich flattliher Mann, doc fortwährend ängſtlich
mit feiner Gefundheit beſchäftigt. Er Hatte ala öſterreichiſcher
Difizier die Schladt von Wagram mitgemadt, und Tehrte, um
feine Erinnerungen zu erfriſchen, gerade 25 Sabre jpäter wieder
nah Wien zurüd. Er verzeichnete diefe Eindrüde in feinen Denk:
würdigleiten (8. Band). Mit Tettenborn, den er auf feinen
glänzenden Streifzügen im Norden Deutſchlands als Freiwilliger
begleitete, war Barnhagen eng befreundet, und traf mit ihm auch
wieder auf dem Wiener Kongrefle zufımmen, deffen Borgänge er
beſchrieb. Seit Jahren ohne beftimmte Anftellung trieb er fidh,
ein moderner -Orpbeus, number, ſteis den Verluſt jener Eurpdice
in der Geſtalt Rahel's beiammernd. Es ftritten fi in Varnhagen
zwei Dinge: im politiihen Tragen ein Dektrinär, und als folder
295
natürlich mit einer tüchtigen Doſis Eigenfinn begabt, konnte er ed
nicht über fich gewinnen, feinem ſeichten viberalismus zu entjagen.
Damit gerietd aber nun fein Ehrgeiz in Konflilt, der felt feiner
Abberufung vom Poften in Karlsruhe im Jahre 1818, einer zu⸗
rüdgetretenen Krankheit gleich, immer wieder audzubrechen drohte.
Diefer beitändige Rampf, gefleigert durch eine maßlofe Eitelkeit,
rief bei ihm ebenſo wohl jene Bitterfäit hervor, ald auch In feinen
Henferungen fi zabllofe Wideriprüihe nachweiſen Iafien. Diele
gereizte Stimmung zeigt fi noch uuflallendet in ven feit feinem
Tode unbegreiflicher Weiſe bekannt gemachten Korreſpondenzen und
Tageblichern: es geht daraus hervor, daß feine glatte Außenfeitt
leidenſchaftliche Negungen dedte, er nur augenblidlichen Eingebungen
folgte, und Perfonen nar immer nad; Der Weife beurtheilte, wie
fie ihn gerade behandelten. Ber diefer Einfeitigen Auffaffung kann
Varnhagen als yolitiicher und Memoiren⸗Schriftſteller nicht für
unpasteiifch gelten; durdy fein Priama gefeben ericheinen die Bilder
oft getrübt; Vieles Tommt dabei wohl auch auf Rechnung feine
hypochondetiſchen Launen. Das größte Verdienſt erwarb fich
Varnhagen als Kritiker, wo er, wenn auch ſcharf, doch meiſt tref⸗
fend, urtheilte. Man zählt ihn den beſten deutſchen Proſaiſten
bei, doch ſein Styl iſt vielleicht zu correkt, zugeſpitzt, wie ſeine
Feder, welche fo zierliche, regelmäßige Züge ſchrieb.
Graf Ferd. Palffy, ein Wahrzeichen Wiend, war von
Jedermann gekannt, Niemand, der nicht auf der Straße von dem
Heinen Danne mit dem violetien Gefichte freundlich gegrüßt wurde;
er trug den Hut ftet3 in der Hand, und febte feinen graugelodten
Kopf Regen und Kälte aus. Paliſy war nie vermählt, nicht ohne
Geiſt fi fortwährend mit Lebendplanen aller Art tragend, war
er früher ebenfo ſehr in politifche Intriguen verridelt, als er das
Theater a. d. Wien leitend, jene Pracdtihaufpiele, Kinderballete
u. dgl. in Scene feste mit einem Aufwand, der, unerhört, bisher
nidyt mehr erreicht wurde. Ws Titular⸗Geheimerath ſich gerne,
296
doc ohne gründliche Kenntniffe, in Alles mifchend, jagte er ebenfo
fehr nach Genüffen, ald nach Auszeichnungen. Kinige Male völlig
ruinirt, dann wieder immer durch glüdliche Zufälle aus den pein-
lichſten Lagen gerettet, Befiter von Herrichaften, doch immer obne
Geld, kannte Palffy in vollem Maße des Lebend Höhen und
Abgründe. Es war in feinem Charakter ein ſeltſames Gemiſch
von Eitelfeit und Gutmüthigkeit, Spelulationsgeift und gedanfen-
loſer Verſchwendungsſucht, Kunftfinn und Geſchmackloſigkeit. Wer
ihn als glänzenden Magnaten, als großmüthigen Mäcen und frei:
gebigen Kavalier, dann mieder am Spieltifch, wo es oft in einer
Nat feiner ganzen Eriftenz galt, fah, oder ihn in feiner zierlich
eingerichteten Billa zu Hernals befuchte, Tonnte ſich eines Gefühle
der Sympathie, wie des Bedauerns nicht entwehren, daß fo viele
nicht zu läugnende, ſchätzbare Eigenfchaften in einer wie zum
Syſtem erhobenen Grundſatzloſigkeit, in einem ganz unglaublichen
Leichtfinne untergingen. Palffy, der viele Freunde, nur wenige
zählte, die ihm grollen konnten, endete 1842 in Dürftigleit ein.
ebenjo geräufchvolles, als doch wohl größtentheild nutzlos voll-
brachtes Leben.
Der Fürft Metternich hatte das Buolifche Haus in Baden
angelauft, wo er diefen Sommer mit feiner Familie zubradhte.
Auch bier verfammelte er täglich viele Gäfte um fih, und nad
der Rückkehr in die Stadt wurde ihm im Oftober ein Sohn ge
boren, den man nad feinem Zaufpathen, dem Kürften Eſterhazy,
Paul nannte.
Im Herbfte machte ich zwei Ausflüge nad benachbarten
Städten, von denen ich verichiedene Eindrüde zurüdnchm. Am
8. Sept. hatten die Ylammen einen großen Theil von Wiener:
Neuftadt verzehrt, das Elend war ebenfo groß, als die ber
Schwefterftadt geleiftete Hülfe raſch und ergiebig. — Gegen Ende
defielben Monats fand in Eifenftadt die feierliche Inſtallation
287
des Fürſten Paul Eſterhazy als Obergeſpan des Comitats
ſtatt.) Es war ein ebenſo anziehendes als glänzendes Schau⸗
ſpiel mit all' dem eigenthümlichen Gepränge, mit den ſich auf ihren
Pferden tummelnden Magnaten, den überaus originellen Trachten
und belebten Vollsfeſten. Drei Tage dauerte dieſes ſeltene Feſt,
und nie ſah man Eiſenſtadt mit feinen Erinnerungen an Haydn,
mit feinen wundervollen Parkanlagen volfreicher, belebter. Während
die Eroaten um den am Spieße gebratenen ganzen Ochien tanzten,
aus den mit Wein gefüllten Brunnen tranken und fi) dabei
blutig ſchlugen, lud das Orcheſter von Strauß die feinere Welt
zum Balle ein; bier ſah man das Wafferfeuerwerk, dort drängte
man fi zum ungariſchen Schaufpiele, und eine Rieſentafel nahın
die ungeheuere Zahl von Gäften auf, die an einem Tage bis zu
800 flieg. Begierig, wie fi) die Küchenanftalten bei ſolchen Ge:
lagen ausnehmen, betrat ich mit einem Collegen die unterirdifchen,
unabfehbaren Gewölbe, in denen große Nührigleit herrſchte. Vol
Erftaunen über diefe zifchenden, dampfenden und bellaufloternden
Elemente bemerkten wir Anfangs das Teife Gemurmel nicht, mit
dem und das Küchenperfonal empfing. Ein „Chef“ gab endlich
diefen Gefühlen der Entrüftung Ausdrud, indem er zu uns beran-
tretend ſprach: „Haben denn die Herren fo wenig Achtung vor
der hochfürſtlichen Küche, daß fie ihre Hüte aufbehalten?” —
Wir entfhuldigten und mit Unkenntniß der Etiquette des Küchen:
herdes, fügten jedoch bei, daß, wo fo viele Köche und Marmitons
ihre blendend weißen Müben trügen, wir geglaubt hätten, aud
unfere ſchwarzen Cylinder aufbehalten zu dürfen.
Zwei große Heeredlager in diefem Sommer zeigten einen
erfreulihen Yortichritt in der Taiferlichen Armee. Das eine, bei
Turas in Mähren, beſuchte der Kaiſer felbft — es mar dus
legte milttärifche Schaufpiel, dem er beimohntee Das zweite,
*) Erinnerungsbl. ©. 86.
298
weit belebter und von dem ſich ſtets verjüngenden Griſte Radetzky's
befeelt, fand bei Verona flatt, und zog viele Fremde atı.
— — —— — ne
Niemand kann dem Schickſale entgehen, wenigſtens zweimal
von fi ſprechen zu mahen: bei der Berlobung und nad dem
Tode, So gaben denn auch in der höheren Geſellſchaft Wiens
Bermäblungen und Teſtamente reichlichen Stoff zur Unterhaltung.
Die uralte Gräfin Fekete bielt ein eigenes Verzeichniß von jungen
Herren und heirathäfähigen Gomteflen; fle reihte fie da nach ihter
Idee auf dem Bapiere, wie im Gotillon zuſammen, und war
ärgerlich Über jede Störung, die Ihre Veporello⸗-Liſte erlitt. Ebenſo
ſammelte fie Teftamente, wo fle fie tur finden konnte, udb deren
Abſchriſten fie oft theuer bezahlte. Diefe merkwürdige Frau, von
der man nur wußte, daß fie die Tochter eined Grafen Eſterhazh,
der vor hundert Jahren Taiferlicher Gefandter in Dresden war,
hatte feine Beitgenofler mehr, die ihr dad Aller nachrechnen Tonıten.
Dennod trieb fie ſich eher einer böfen Fee, ala eines Eheflifterin
ähnlich, Ineifend und klappernd, auf einen Krückenſtock geſtützt, in
den Salons umher, war ſehr empfindlich, wenn fie nicht uͤberull,
ſelbſt auf Bälle, eingeladen war, und machte jeit undenklicher Zeit
jeden Abend regelmäßig ihre Partie L'hombre, zu der ſich die Ein-
geladenen In ein Buch eintragen, und fi Wochen vorher vers
pflichten mußten, am beftimmten Tage mit ihr zu fpielen. Gie
bezahlte dabei nur immer mit kleinen Papierſtreifen, auf denen fie
die Verluſtſumme mit einem galgenartiger F verzeichnete. —
Ungewöhrliches Auffehen erregte zu jener Zeit die letztwillige
Beſtimmung der Graͤfin E. Palffy⸗ de Ligne, welche, mit Um⸗
gehung ihrer nächſten Verwandten, ihren Geſchäftomann, den un:
garlſchen Advokaten Udoarnoky, zum Haupterben einſetzte. Dan
konnte fidy dieſe Laune der fo vortrefflichen Frau nur dadurch er⸗
klären, daß das Teſtament erſchlichen war, und der Rechtsftreit
299
enbete mit einen Vergleiche, bei dem der Erbe mehr ar Achtung
einbüßte, ald er an Vermögen gewann.
Was nun die ſtets offene große Frage ber Heirathen bes
trifft, fo ſah ich deren in Höheren Kreiſen Wiens eine lange Reihe ab:
fchliegen. Einige fand man ganz in der Ordnung und fpradh
nicht viel darüber, andere festen alle Zungen in Bewegung, wurden
oft der Anlaß bedeutender Wetten, und mieber andere fanden befs
tigen Widerfpruch vor ober Tadel nad) der Vollziehung. Ber
bindungen mit Ausländern waren felten, doc vermählten ſich einige
Diplomaten. Unter vielen Heirathen aus den 1880er Jahren
will ich nur einige hervorheben, auf welche obige Bemerkungen
mehr oder weniger paflen; fo die Vermählung des Fürften Aloys
Lichtenftein mit der fchönen Gräfin F. Kinsky, des Fürſten Paar
mit der Furſtin Ida Lichtenftein, des Fürſten F. Brezenheim mit
der Fürftin Karoline Schwarzenberg, des Grafen N. Eſterhazy
mit der Gräfin M. Plettenberg, des Fürften C. Dettingen⸗Waller⸗
fein mit der Gräfin 3. Dietriäfieln, des Grafen Grünne mit
der Gräfin C. Trauttmannadorf, des Grafen Stephan Szechenyi
mit der reizenden Wittwe Creſcenz Zichy:&ellern, des Fürflen
Fr. Tarts mit der Gräfin A. Bathiany, des Grafen Medern mit
der Furſtin Victoire Odescalchi, des Fürſten Lobkowitz mit der
hübſchen Gräfin C. Weibna, des Grafen Arco mit der Gräfin
J. Pallavicint m. a. m.
Lebhafte Theilnahme erregte aber vor Allen, auch in weiteren
Krelfen, die Verbindung des Fürſten Adolph von Schwarzen⸗
berg mit der Tochter des tapferen Fürſten Moritz und der Leo:
poldine von Richtenftein-Sfterhazy. Die Vermählung fand Im
Mai 1830 in der Hauskapelle Efterhazy’3 ftatt, und die fürſt⸗
liche Braut (Lorchen) glich ſelbſt einer friſch aufblühenden Mai⸗
roſenknoſpe, lebensfroh, voll heiterer Laune. Der Fürſt, ernſt,
mit der umfichtigen Verwaltung ſeiner ausgedehnten Herrſchaften
befegäftigt, war einfach, anſpruchslos; nichts ſchien dem Glück einer
300
unter fo günftigen Verhältnifien abgefchloffenen Ehe entgegentreten
zu follen; allgemein. freute man fi der Vereinigung zmei fo
beliebter und berühmter Yamiliennamen.
Durch das Eintreffen Saphir's in Wien erhielf die Tages-
Titteratur eine andere Richtung; die ſchwerfällige, langweilige Kritik
wurde durch die hellleudytenden Witesfunfen jened Humoriften aus
ihrer Lethargie gewedt, und alfobald entfpann fi, wie allent-
halben, wo diefer — Blauftein noch erfchienen, ein Federkrieg,
der nicht felten in Handgreiflichere Thätlichkeiten überging. Es
riß nun ein bitterer Ton der Polemif ein, und wenn ed auch
nur Wenige gab, die ſich dem gefürchteten Kritifer anfchloffen, fo
waren doch alle feine Gegner, vereint, nicht im Stande, es mit
Saphir’3 ſpitzen Waffen aufzunehmen. Ich habe ihn oft geiehen,
viel und gerne gehört, doch mich in feiner Nähe, felbft bei jeinen
ergöglihen Vorträgen, nie eined unheimlichen Gefühl erwehren
können. Mit feiner äußeren Ericheinung, ter eined wahrbaften
Satyr ähnlich, verband ſich eine in Gift getauchte Feder, von der
man nicht nur wußte, daß fie ſchonungslos, geifernd, gefährlich,
fondern daß fie auch vor Allem Fäuflih war und der Meiftbietende
immer ficher auf Saphir’3 Lob oder zum mindeften feine Nadficht
rechnen konnte. Mit feinem überwiegenden Geift und unüber-
troffenen Wi, feiner et ......... Unverfchämtheit beherrichte
er dur 20 Jahre das Feld der Wiener Kritil, gab Vorlefungen,
veranstaltete zahlloſe Eoncerte zu feinem und anderer — Bedürf:
tigen Beften. Oft mit Geld, noch öfter mit Gefängniß beftraft,
bat er fih da ſtets als Koft ein Gericht mit „gebämpfter Zunge“
aud. Er erheiterte, ärgerte, verlegte, vergriff fih am Heiligſten,
und ſchwieg nur, wo er beitocdhen war, hatte die Lacher aber meift
auf feiner Seite, zahllofen Feinden gegenüber jedoch keinen Freund.
Selbft feine entichiedenften Anhänger verficherten, daß es ganz
501
unmöglich fei, fi mit Saphir in die Länge zu vertragen. Dennoch
war fein unbeftreitbare3 Talent von überrafchend jeltener Art; es
entquoll ihm ein unverfieglicher Born von Wis, Laune und Geifl.
Wie er aber nie mit feiner Kaffe Haus hielt, warf er auch mit
vollen Händen feine poetiihen Gaben, feine drolligen Einfälle
hinaus; Hunderte von Dichtern und Humoriiten hätten reichlich
davon zehren Tönnen. Weniger als feine geiftvollen Auffätze,
treffenden Wortipiele und gelungenen Kritifen befriedigten, mit
wenigen Ausnahmen, feine Gedichte, bei denen er e8 mit der
deutfhen Spradye nicht immer fehr genau nahm. Mitten unter
unzähligen Yehden ereilte ihn im 64. Jahre (1854) der Tod in
Baden, wo er fich immer gerne aufbielt.
Dear Winter 1834/35 verflog in den gewohnten gefelligen
Unterhaltungen. Nach dem Tode der Yrau v. Tatiſtcheff hatten
fi) von Zeit zu Zeit deflen beide Nichten, — Uruſow — die
reizende Blondine Fürftin S. NRadziwill und die Gräfin M.
Muſchin⸗Puſchkin mit der Gräfin Julie Aprarin in die honneurs
des Botſchaftshotels getheilt. Fürft A. Gortſchakoff, damals erſter
Rath, freite jpäter um die Hand der geiftvollm Wittme Mufchin-
Puſchkin.
Das Burgtheater, immer ausgezeichnet und beſucht, Karl
mit ſeinen komiſchen Elementen an der Wien ſetzten ihre beliebten
Leiſtungen fort; nur das Opernhaus blieb zur Verzweiflung ſeiner
Freunde immerwährend zurück, und ſelbſt das ſonſt ſo beſcheidene
Joſephſtädter Theater wagte es, jene Lücke auszufüllen, neue
Opern aufzuführen. Ueberdieß gingen aber jener vernachläſſigten
Bühne noch zwei weitere Glüdäfterne auf. Holtey hatte feine
allerliebften Singfpiele dahin verpflanzt, eine biöher unbekannte
Gattung, welche in anziehender Weile die franzöfiichen Vaudevilles
erfegten und in witigen Liedern wie feinem Dialog raſch zu großer
302
Beliebtheit gelangten. Eine ungleich mädjtigere Wirkung brachte
aber dort Raimund mit feinem unvergleihlichen „Berfchmenber“
hervor. Die vielen ſich unausgeſetzt folgenden, ftet8 überfällten
Borftellungen wurden nur durch die Abreife des Verfaſſers unter:
beochen, der wie früher als Aſchenmann, nun als Zifchler im
SHobelliede fo wehmüthig „der Welt Ade fagte”.
Am Februar 1835 wurde dur den Nuntius Oſtini in
deilen Kapelle die Trauung des Grafen M. Sandor mit der
Fürftin Leontine Metternich vollzogen. Graf Ed. Clam⸗Gallas
und ic; geleiteten die Braut zum Altar. Leontine hatte durch
Geburt, gebildeten Geift, Reichthum und gefellfchaftfiche Stellumg
allen Anſpruch auf irdiſches Glück; dennoch fand fie es nicht in
diefen äußeren Vorzügen. Ruhig nahm fie die Genüffe des Lebens
auf und febte den vielfachen Widermwärtigfeiten und Prüfungen
ihrer Ehe ftillen Schmerz, eim Gott ergebened Gemüth entgegen.
Ein entichiedenes, feltened Merkmal in dem Charakter diefer edlen
Frau war, daß fie jeder Regung von Eitelleit fremd blieb. Schein-
bar immer gleid, beiter, äußerlich ſelbſt Talt, fühlte fie doch tief,
und wahrhafte Frömmigkeit durchdrang unbemerkt ihr Innerſtes.
Sie war einer reinen Perle zu vergleichen,. deren wahren Werth
nur die ihr zunächſt Stehenden erlennen Tonmten.
— —·— — — —
Das wichtigſte Ereigniß war für Oeſterreich in dieſem Jahre
der Tod des Kaiſers Franz.
Ende Februar wurde dieſer Monarch, wie gewöhnlich immer
zu jener Jahreszeit, von einem entzündlichen Huſten befallen, dem
. er, nad weniger glücklichem Verlaufe als vor 9 Jahren, in ber
Nacht vom 1. auf den 2. März unterlag. Der Kaifer ftand im
68. Jahre und ftarb gerade an dem Tage, an dem er vor 43
Jahren den Thron beftiegen hatie.“) Nie ging ein Regentenwechſel
*) Grimmerungsbl. ©. 9.
303
in größerer Ruhe und Gtille vorüber. Cinige Handbillete des
Nachfolger, Kaiſer Terdinand, beſtimmten, daß vorerft Alles bei'm
Alten zu verbleiben babe. Die Truppen fehwuren den Fahneneid,
die Minifter wurden verpflichtet u. ſ. w. Die kaiſerliche Leiche
ward einige Tage in der Burglapelle ausgeitellt und den 7. März
Mittags einfach und geräufhles in der Gruft der Kapuziner bei-
geſetzt. Gemöhnlih hatte man ſich bei ſolchen Anläffen eines
Zodtenwagen?, mit rothbraunem Saffian ausgeſchlagen, bedient.
Der Kaifer wurde in einem großen, ſchwarz Drapivten, ſchön und
reih in Holz gefchnisten Wagen beftattet.
Mit Kaiſer Franz ſtarb der lebte der römifchen Kaiſer deutſcher
Nation, deifen Bild den letzten leeren Raum in dem Römerfaale
zu Frankfurt ausfüllte Mit deffen Tode ift aber auch ein ernfter,
hochwichtiger Abſchnitt in Oeſterreichs Geſchichte geſchloſſen. Des
Kaiſers Regierung theilt ſich in zwei ſcharf getrennte Hälften:
zwanzig Jahre verheerender Kriege, denen wieder ebenſo viele Jahre
des Friedens, der Ruhe und des ſteigenden Wohlſtandes folgten.
Erſt einer ſpäteren Nachwelt wird es vorbehalten bleiben müſſen,
die Verdienſte eines Fürſten gehörig zu würdigen, der zu ſeinen
Lebzeiten gerecht, anſpruchslos und wahrhaft populär, wie noch
ſelten ein Monarch, von der jetzigen Generation vielfach verkannt,
in feinem Wirken wie in feinem Charakter angegriffen, anders
beurtheilt wird, ald früher. Es ift die Partei, welche Alles in
Staub zieht, was nicht ihre Götzen anbetet, die es wagte, fih an
dem hehren Bilde des Kaiferd zu vergreifen. Wehr als feine
Perfon murde fein Syſtem angefeindet; wer mochte es ihm aber
gar fo fehr verargen, wenn er, im Nüdblid auf die frangöfifche
Revolution und jene 20 Sammerjahre, feine Dynaſtie vor den
Stürmen bewahren wollte, welche die Könige in Frankreich,
Schweden, Spanien, Portugal, Neapel, den Niederlanden beim:
fuchten; wenn er, im Angefiht der Aufftände in Italien, Polen,
Griechenland und der Schweiz, bemüht war, in feiner Monardie
304
Drdnung und innere Ruhe zu erhalten? Man hörte vielfad,
äußern, der Tod des Kaiſers babe nicht den tiefen Eindrud, die
allgemeine Trauer berporgerufen, wie man erwarten fonnte. ch
theile als Augenzeuge diejed Ereigniſſes diefe Anficht nicht. Freilich
wiederholten fidy nicht die rührenden Scenen, wie bei der Krank:
beit 1826; man hatte ſich bei dem zunehmenden Alter des Kaiſers
mehr an den Gedanken gewöhnt, ihn zu verlieren; die Stimmung
war daher mehr gedrüdt, ald aufgeregt, und der Schmerz bei
feinem Ableben um fo allgemeiner und ungeheudelter, als man
fih bei diefer Veränderung nicht allzu großen Hoffnungen für die
Zukunft überlaffen durfte. Das Stillſchweigen, welches fein Grab
umgab, war die Beltätigung einer öfteren Erfahrung in der Ge:
ſchichte. Unmittelbar nad) dem Tode felbft großer Fürften ver:
flummen gewöhnlich Schmeichler und Freunde, Gegner haben nichts
mehr zu befürdten, zu befimpfen. Suben wir nicht Napoleon
in feinem lebendigen Grabe auf St. Helena fhon von der Mit:
welt vergefien? Nicht befier erging e3 den drei Stiftern der gegen
Frankreich gerichteten heiligen: Allianz: Alerander entfchlummerte
auf gebeinnigvolle Weiſe in einem entlegenen Winkel der Erde,
der Kaiſer Franz ftarb in der Mitte feiner ibm ftet3 mit Niebe
und Anbänglichleit ergebenen Wiener, der König von Preußen
hochverehrt im Schloffe zu Berlin — und dennoch, wie bald ver-
halte ihr Nachruhm! Wer endlich ſpricht noch von Ludwig Philipp,
deilen Leben oder Tod durch fo viele Jahre eine Frage des Welt:
friedens war, und der zuletzt einfam in der Verbannung ftarb?
Dennoch, ift das Urtheil der Nachwelt über den Kaifer Franz
einmal reif, wird fein Andenken bei derfelben dankbar und
lebendiger fortdauern, als in den „trodenen Jahrbüchern der
Geſchichte“.
In Ermangelung von Thatſachen hielt man ſich an Ge
rüchte — einige der abgeſchmackteſten Art. So hieß es: alle
bisherigen Miniſter würden entlaſſen, eine Verfaſſung gegeben
305
werden, Erzberzog Karl die Leitung der Geſchäfte Übernehmen
u. dgl. m. Bald zeigte fi, mie ungegründet diefe Voraus:
fegungen waren, und man erzählte, daß Kaifer Ferdinand, einem
feinem Vater gegebenen Berfprechen treu, die feitherigen Männer
bes Vertrauens beibehalten, weder in der Politik, noch in ber
inneren Verwaltung erhebliche Veränderungen eintreten laſſen werde.
So geſchah ed, daß fi, wie von felbft, eine Art von Oligarchie
bildete, an deren Spite Erzherzog Ludwig, dem Fürſt Metternich
und Graf Kollomrat zur Seite ftanden. Klagte man fchen früher
über Mangel an tüchtigen Organen, fo machte fi jebt dieſe
Seltenheit an fähigen Regierungsbeamten noch fühlbarer, und fo
verfuchte man denn die immer fchiwerer zu leitende Staatsmaſchine
fortzuführen, bis fie endlich völlig ftilfe ftand. Die wunde Stelle
Defterreih3 murde, wie früher, auch jet nicht geheilt; vergebens
hatten fih die Grafen Nadasdy und Klebeläberg, fomie Eichhof
bemüht, den erfhhöpften Finanzen aufzubelfen; fe traten nad) der
Reihe zuräd, und man behalf fih wie man konnte. Don den
Angeftellten aus dem böberen Adel nannte man den Grafen
Kollowrat, den Fürften Aug. Lobkowitz Pie begabteiten; ihnen
ſchloß fi) in der Armee der gewandte Graf Clam-Martinitz an,
welcher auch fofort zum eneraladiutanten de3 neuen Monarchen
ernannt wurde. Graf Ehotel in Böhmen, Graf Revizky in
Ungarn, Graf Hartig in Malland waren an der Spite der
Geſchaͤfte diefer Kronländer. Graf Kollowrat aber, der eigentliche
Leiter des Innern, war ein adeliger Büreaukrat, reich, unabhängig,
mit ſcharfem Verſtand und feftem Willen. Er gehörte jener Klaſſe
von Stantdmännern an, die, von der Allgemalt der Regierung
überzeugt, dennoch gerne liberalen Doktrinen huldigen, fo lange fie
diefelben nicht ſelbſt geniren. — Am empfindlichiten wurde jedoch
der Berluft des Kaiſers Franz In dem fo ſchönen und einigen
Familienkreiſe der Hofburg gefühlt. Nichts vermochte die Leere
zu erſetzen, welche der Tod dieſes ehrwürdigen Mittelpunftes, um
Zrh. v. Andlaw. Mein Tagebug, I. 20
306
den ſich täglich Kinder und Enkel fohaarten, zurüdgelaffen. Tief
beflagte die treue Pflegerin und Gefährtin einen Gemahl, von
dem fie fi mährend 18 Jahren nie getrennt hatte. Schon einige
Wochen nachher erneuerte wieder das Ableben eine anderen Mit-
gliedes der kaiſerlichen Familie jenen Schmerz. Der fo beliebte
Erzherzog Anton flarb nad furzer, gleichfalls entzündlicher Krank:
beit. Endlih erſcholl eine andere Trauerbotichaft aus weiter Ferne:
e8 war der Herzog Auguft von Leuchtenberg, kaum erſt mit der
jungen Enfelin des Kaiferd, Donna Maria von Portugal, ver-
mählt, einem kurzen Leiden erlegen.
Während der erften Wochen waren Theater und alle öffent:
Iihen Vergnügungsorte gefchloffen; in den Kirhen fanden Trauer:
gottesdienite ftatt, und überaus erhebend war die eier, welche
zum Gedächtniffe des Monarchen durch drei Tage in der ſchwarz⸗
behangenen, durch Tauſende von Kerzen erleudhteten Auguftiner-
Hoflirhe begangen wurde. Der ganze Hof, die Minifter, bie
Generalität, das diplomatifche Corps wohnten ihr in tiefer Trauer
bei, und fchauerli erjhallten die erhabenen Töne von Mozart’s
Requiem durdy die weiten Hallen.
Wie gemöhnli bei foldyen Anläffen wurden an alle Höfe
außerordentliche Botſchafter gejendet und von jenen nah Wien
erwiedert. Ich füge zur Crinnerung das Verzeihniß dieſer
Miffionen ſowie der damals bei dem k. k. Hofe beglaubigten
Gefandten in der Anlage bei. Es tritt und aus diefer Lifte eine
Reihe fchöner, berühmter Namen entgegen; die erften Geſchlechter
der Monarchie wie anderer Länder find darin vertreten, und
Diplomaten mit Namen von gutem lange, befannte Krieger,
wie Wrede, Schlid, Orloff, Tettenborn u. a. ine freudige
Ueberraſchung rief die Ankunft des ritterlichen Prinzen Wilhelm
von Preußen hervor, der von feinem Töniglihen Vater beauftragt
war, den Ausdrud des Schmerzed über den Tod des zmeiten
Monarchen der heiligen Allianz nad) Wien zu überbringen. Auch
307
der Kronprinz von Bayern, der Herzog von Lucca, der Prinz
Emil von Heffen, zufällig in Wien anmwefend, waren Zeugen des
Thronwechſels. Der junge Herzog von Cambridge mar fpäter
noch erfchienen. Es war eine, wenn gleidy traurige, doch ungemein
belebte Zeit und pfeilfchnell ging fie vorüber.
Es wurden nun große Vorbereitungen zur Huldigung der
öfterreichifchen Stände im April getroffen. Aus allen Kronländern
trafen Abgeordnete ein, vor allen die Ungarn, melde ihren fchon
früher gefrönten König Ferdinand V. durch eine überaus glänzende
Deputation begrüßen ließen. Man begegnete auf den Straßen
den bunteften, oft fo malerifhen Trachten aus den flavifhen und
den Gebirgsländern. Nicht ohne Rührung fah ich da den ehr:
würdigen Fürft-Bilchof von Briren an der Spite der Südtyroler.
Er hatte mid vor 36 Jahren als Stadtpfarrer (Dr. Galura)
in Freiburg getauft.
Eine Urlaubsreife nad; Haufe binderte mich, der Huldigungs-
feier felbft anzumohnen; id war fo glüdlich, bei der mit Fremden
überfüllten Stadt während jener Abweienheit dem Fürſten von
Türftenberg meine Wohnung überlaffen zu können.
Nach meiner Rückkehr brachte ih den Sommer in Hibing,
und zwar ald Geſchäftsträger zu, da Xettenborn eine längere
Badereife unternommen. Zwei Creigniffe beichäftigten die Neus
gierde der Wiener — eine italienifche Oper, deren Genuß in
Berbindung des fi tet? gleih gut gebliebenen Chord und
Orcheſters man feit ſechs Jahren entbehrt hatte und deren
Leiftungen mit der Tadolini, den Sängern Poggi, Frezzolini u. a.
befriedigten — und dann die erfte große Induftrieaußftellung.
Es wurde dazu die k. k. Meitfchule benügt, und man war ebenjo
fehr über den Reichthum, als die Mannigfaltigleit der Gegenjtände
erftaunt. Der Reiz der Neuheit, die geſchmackvolle Einrichtung
zogen beinahe noch mehr an, als die außgeftellten Waaren jelbft,
und man freute fich dieſes gelungenen Verſuches, welcher freilich
20”
308
mit den fpüteren Weltausftellungen in London und Parts feinen
Dergleih Hätte aushalten können.
An einem der letzten Julitage war ich mit dem frangöfißchen
Geſchäftsträger, Grafen H. Larochefaucault, in der Stadt bei dem
Fürften Metternich zu Xifche gebeten, als ein Kabinetöcourier aus
Paris gemeldet wurde. Er trat ftaubbededt ein und brachte die
erfchütternde Nachricht von dem Nttentate Fiefchi'e. Unter den
Opfern fanden wir auch gu unferer peinlichen Weberrafchung einen
früher in Wien wohlbelannten Offizier, Billate, Adiutanten Maifon’s.
Diefer furchtbare Mordanſchlag mar mehreren weniger blutigen
Verbrechen diefer Art gefolgt und hatte wieder eine durch ganz
Frankreich zitternde Bewegung hervorgerufen, von Unterfuchungen,
Hinrihtungen, Aufruhrgefchrei u. dgl. begleitet. In Spanien zog
fih der Bürgerkrieg unter abwechſelndem Erfolge fort; in Enge
land und Portugal Barteifimpfe; an vielen Orten immer nod
zudende Blitze.
In Töplik begegneten fi) die Kaiſer Ferdinand und Nikolaus
und der König von Preußen. Auch mehrere deutiche Fuͤrſten
fanden fi dort ein. Fürſt Metternich mit einer ganzen” Schaar
von Diplomaten fehlte gleichfalls nicht. Mit den politiichen
Beiprehungen verbanden fi) Truppenübungen und die feierliche
EntHüllung des Denkmals auf dem Schlachtfelde von Culm. Bon
da ging ed nach Prag, wo fid) wieder ein Hof: und militärifches
Veit an das andere reihte. Don Hier aus hätte der Czar jene
ſchnelle Reife nah Wien unternommen, wo er plößlih eines
Morgens, mit dem Schlüffel des Kabinets Tatiſtcheff's in der
Taſche, unerwartet im Botſchaftshotel erfchien, um die Kaiferins
Wittwe zu fehen, fein Gebet am Sarge des Bundesgenoflen zu
verrichten und dann nach 24 Stunden ebenfo ſchnell wieder nach
Prag zurüdzufehren.*)
*) Erinnerungsbl. ©. 87.
309
Im Oktober war an die Stelle des Herrn v. Türfheim der
feitherige Bundestagsgefandte v. Blittersdorf zum Staatsminifter
des großberzoglichen Haufe und der auswärtigen Angelegenheiten
ernannt worden. Diefe Veränderung führte auch meine Entfer-
nung aus Wien herbei, und ich trat zum zweiten Male die Reiſe
in's Vaterland in diefem Jahre an.
Anlage A. zur Seite 306.
Außerordentlihe Sendungen an den Wirner Hof
zur Zeit des Tobes bes Kaifers Franz, März 1885, unb bie vom Kaifer Ferdinand
an bie auswärtigen Höfe geſchickten Botfchaiter,
Bon Bien
nah Rom: Graf St. Zichy.
Berlin: Fürft Ad. Schwarzenberg.
St. Betersburg: Fürſt K. Lich tenſtein.
Paris: Alf. Fürſt Schönburg.
London: Fürſt Al. Lichtenſtein.
Turin: Fürſt Rud. Kinsky.
Haag: Fürſt Palffy.
Kopenhagen u. Stockholm:
Graf Joſ. Eſterhazyy.
Bruͤfſel: Graf V. Eſterhazy.
München:
Stuttgart:
Karlsruhe:
Darmftabt:
Kafiel:
Dresden:
Weimar ꝛc.:
Oldenburg:
Mecklenburg:
Gl. Gr. Ceceopieri.
| Gl. B. Efterhazy.
Gl. Gr. Schlick.
Nach Wien
von Rom: Migr. della Genga.
Berlin: Prinz Wilhelm von Preußen,
St. Petersburg: Graf U. Orloff.
Baris: Graf Rohan Ehabot.
London: Sir Ch. Bagot.
Turin: Mis. Spinola.
Bang: General v. Fagel.
Kopenhagen: Gl. v. Löwenftern.
Brüffel: Graf H. v. Merobe.
Münden: Fürft Wrede
Stuttgart: Fürft Hohenlohe.
Karlsrube: Gl. v. Stofhorn.
Darmftadt: Fürft Solms,
Kaſſel: Gl. v. Lepel.
Dresden: Gl. v. Minkwitz.
Weimar: v. Vitzthum.
Oldenburg: Gl. v. Rennenkampf.
Mecklenburg: Gl. v. Boddien.
Anlage B. zur Seite 306.
Biplomatifches Korps in Wien (Mär; 1835).
Rom: Migr. Oftini, Nuntius,
Bailli v. Tatiftcheff.
Fürſt Alex. Gortſchakoff.
England: Sir Fr. Lamb.
Frankreich: Marquis v. St. Aulaire.
Preußen: Graj Mortimer Malzahn.
Beide Sicilien: Mis. Gagliati.
Sardinien: Mis. v. Sambuy.
Spanien: Graf Alcudia. (?)
Portugal: v. Billafecca. (7)
Schweden: Graf Lövenhielm.
Dänemark: SI. v. Löwenftern,
Niederlande: Baron Mollerus.
Belgien: Hr. v. O'ſullivan.
Türkei: Hr. v. Maurogeny.
Rußland: |
Lucca: Hr. v. DOftini.
Schweiz: Hr. v. Effinger.
Deutſche Bunbesftaaten:
Bayern: Baron Lerchenfeld.
Württemberg: Hr. v. Blomberg.
Hannover: Baron Bodenbaufen.
Sachſen: Baron Uechtriz.
Baden: Gl. v. Tettenborn.
Kaſſel: v. Steuber.
Darmſtadt: Fürſt U. Wittgenſtein.
Weimar: v. Grieſinger.
Sächſiſche Häufer: v. Borſch.
Braunſchweig: v. Erſtenberg.
Olbenburg u. |. w.: v. Philippsſsborn.
Freie Städte: v. Graffen.
PX \Y
a
R 17
a
an
— +
Auszüge
aus Auffchreibungen der Jahre 1811 bis 1861
zufammengeftellt
von
° Stanz Sreiherrn von Indlaw.
Aweiter Banb.
Frankfurt am Main.
J. D Sauerländer's Verlag.
1862.
Drau von J. D. Sauerländer.
Inhalts - Verzeichniß.
———
Nennter Abſchnitt (1835 — 1838).........
Karlsruhe. Miniſter v. Blittersdorf. Lonis Napoleon in
Straßburg. Fürſtliche Vermählung in Darmſtadt. Der groß:
herzogliche Hof und die Geſellſchaft in Karlsruhe. Zea-Bermudez.
Skizzen. Kunſt und Geſchäftsleben. Theater. Roffini.
Politiſche Begebenheiten. Mein dreimaliger Auſenthalt als
Rheinfhifffahrtscommiffär in Mainz. Der dortige Hof und
fürſtliche Beſuche. Gräfin Naumburg Oberſt v. Rabowitz.
Badiſche Ständeverſammlung 1887. Karl v. Hügel. Die
babifhen Eifenbahnen und Minifter Winter. Meine Ernennung
zum Geihäftsträger nah Münden.
Zehnter Abſchnitt (1838 — 1843) . . - 2...
Münden. MWeberfiät. Der König. 1838. Weußere und innere
Politik, Diplomatifhes Corps. Hohe Gäſte. Die ruffifhen
Majeftäten in Kreuth. Die Königin Karoline in Tegernſee.
Fr. v. Krüdener. Lager von Augsburg Großherzogin Ste:
pbanie von Baden. Kronprinz von Dänemark. Fremde. Aus:
wärtige Ereigniffe. 1889. Winter: und Kunſtgenüſſe. Großjürft
15
—
Thronfolger. Ausflüge. Eiſenbahnen. 1840. Ständeverfamm:
ung. Abel und Fürft Wallerftein, Duell, Großherzog Leopold
von Baden in Münden. Hobenfhwangan und Oberammergau,
Poſſenhoſen. Reife. Dresben. Königswarth. Fürft Püller.
SiHl. Großherzogin Sophie von Baben. Geſellſchaft. Gegend.
Tegernjee. Gäfe Graf Chambord. Kriegslärm. Orient.
1841. Politiſche Betrahtungen. Die Großfürfiin Marie und
der Herzog M. v. Leuchtenberg. Griechenland. Maurocordato.
Die Königin Amalie. Tyroler Reife. Tod der Königin Karoline.
Die beiden Großherzoginnen von Baden. b’Arlincourt. KFürft
Metternihd und Fremde. Trauer. 1842. Migr. Viale und
Mil. Pallavicini. Vermählung Modena. Kiffingen Bei:
mar. Berlin. Dresden. Königewarth. Vermählung des Kron:
prinzen. Walhalla. Die beiden babifhen Prinzen. 1848.
Landtag. Fürft Leiningen. Abſchied von Münden.
Eifter Abſchnitt (1843 — 1846) - - - - rennen
Paris, Weberfiht. Audienz bei Louis Philipp. Innere und
äußere Politik. Tod Bernadotte's. Skizzen aus bem biplo:
matiſchen Corps. Hohe Beſuche und berühmte Fremde.
A. v. Humboldt u.A. Geſelligkeit. Salon bed Prinzen Paul
von Württemberg. Rothſchild und Thorn. Die Familie Mont:
l&ar. Der Kaubourg St, Germain, Schriftfteller und Künſtler.
Sehenswürbdigkeiten. Inbuftrieansftellung. Ausflüge Zwei
Reifen nah England und Belgien. Aachen und der
Rhein. Königin Victoria. Meine Abberufung von Paris
und Krankheit. Politifhe Beratungen. Rückkehr nah
Karlsrufe. Ernennung nah Wien.
Zwölfter Abfehuitt (1846 — 1848) - - . » > > 22200.
Bien, Audienz bei'm Kaifer Ferdinand, Diplomatiſches Corps.
Reifen. Büky in Preßburg. Erzherzog Stephan in Peſth. Hohe
Gäſte in Bien. Großfürſtin Helene. Die Familie Miloſch-Obreno⸗
64
98
V
witſch. Der kaiſerliche Hof und bie Ariſtokratie. Drei Gefandten-
familien. Der Palaſt Lichtenfiein. Oeffentliche Beluftigungen.
Theater. Zenny Lind, Hebbel. Die Akademie der Wiſſenſchaften.
Hammer. Bier Tobesfälle in der Faiferlichen Kamille. Marie Louiſe.
Trauung ber Erzberzogin Gitfabeth. Palatinswahl. Erzherzog
Stephan und Ungarn. Politiſche Tagesereigniſſe. Das öfter:
reichiſche Regierungsſyſtem. Die Miniſter. Ahnungen und Bor:
zeichen. Der 24. Februar. Fürſtin J. Lichtenftein. Hoſball. Ende
der alten Zeit.
Dreizehuter Abſchnitt (1848 — 1861)............. 124
Der 13. März. Flucht des Fürſten Metternich. Die neuen
Zuſtände. Ungarn, Italien. Die Verfaſſung vom 25. April,
Die Maitage. Der kalferlide Hof in Innsbruck. Deputa-
tionen. Auftritte. Das ungarishe DMinifterium und die Revo⸗
Iution, Flucht des Palatins. Der öſterreichiſche Reichstag.
Die Oktober-Schreckenstage. Die Belagerung Wiens.
Die Flucht nah Olmütz. Kaiſer Franz Joſeph. Weberficht-
tige Zufammenftellung der politifhen GEreigniffe bes Jahres
1848. Fürft Felix Schwarzenberg Graf Kranz Stadion.
Dr. Wer. Bad. Der ungarifhe Feldzug Die Schlacht von
Rovara. Die Meihsverfaflfung Die deutihe Königs:
wahl in Frankfurt. Der Aufruhr in Baden. Die ruffiide
Snteroention in Ungarn. Die Einnahme Roms, Der Fall
Venedigs. Radetzky in Wien. Die Öfterreihifhe Armee.
Politiſche Betrachtungen. Die de utſche Frage. Erfurt und Berlin.
Holftein und Kurheffen. Radowitz. Zuſtände in Baden, Ein
Brief Metternich's. Zuſammenkunft in Bregenz. Meine
Miffion in Win. Der Vertrag von Olmütz. Die Dresdener
Konferenzen. Wieberanftelung und Rückkehr nad Wien.
Bierzehnter Abſchnitt (1851 — 1856) - - - - - - 220. 165
Bien. Defterreihifche Politit, Finanzen und Armee Reifen bes
Kaiſers. Hohe Güte in Wien. Ausfing nah Mähren. Aufenthalt
VI
Seite
in Iſchl. Die Prinzen Kriebrih und Karl von Baden. Die
Geſchwornengerichte. Der Staatsftreih in Paris und bie
kaiferlihen Dezemberbetrete in Wien. (1852.) Die Zollver:
ein 8:Eonferenzen. Die Groffürften Nikolaus und Michael.
Feſte. Der Tod des Fürften Schwarzenberg. Bas Minifterium
und bie Gefanbtichaftspoften: Das Ableben be8 Großherzogs
Leopold von Baden. LKaifer Nikolans in Wien. Paraden.
Rundreife des Kaifers Franz Joſeph in Ungarn. Lager von
Palota. Der Regent von Baden in Wien. Verleihung bes g 01:
benen Vließes. Herr v. Bourqueney. (1858.) Attentat
auf den Kaifer. Todesfälle. Beſuch Dreier Könige — von Bel:
gien, Preufen und Bayern. Das Garouffel. Das Lager
von Olmüß und die Aufammenkunft in Warſchau. Ausbruch
des Kriegs Rußlands mit der Türkei. Weberficht. Aufenthalt in
- Baden: Baden. Tod der Prinzeffin Amalie von Schweden.
(1854.) Frie densverhandlungen. Griehenland. Wiener
Konferenz. Haltung des biplomatifden Corps. Die feierliche
Bermählung bes Kaifers. . König Dom Bebro V. von Bor:
tugal. Todesfälle. Der Krimkrieg. Allianzen. (1855.)
Entbindung der Kaiferin. Tod des Kaifers Nikolaus. Arie:
dens kongreß in Wien. Einnahme Sebaſtopols. Das Kon:
tordat. (1856.) Münzkonferenz. Der Pariſer Kriedensver:
trag. Verſammlung der Biſchöſe ber Monardie in Wien. Neu:
bauten und bildende Künfte. Das Arſenal. Sir Hamilton
Seymour. Rüdblide. Meine Abberufung. Die Teste Zeit in
Wien.
Trünfzehnter Abſchnitt (1856 - 189) - - - 2 22220202. 246
Nubeftand Neue Beihäftigungen. Reifen. Ehe. Betrad:
tungen über bie Zeitereigniffe. Tod des Großherzogs Lud⸗
wig II. von Baden und ber Herzogin Helene von Orleans.
Der Krieg in Oberitalien. Die Flucht ber Kürften. Die
Schlachten und ber Friebe von Villa-Franca. Ableben bes Fürften
Metternih. Neffelrode Deutſchland, Frankreich und
_ N
Stalien während ber Jahre 1860 und 1861. Deſterreich und
Preußen Der Bapft und die Kirche. Die Nationalitäten.
Amerika. Konftanz. Der Bodenſee und bie öſtliche Schweiz.
St. Gallen und bie beiden Appenzell. Züri. Das große
Schũtzenſeſt und ber Gefandtentongrek (1859). Die Herzogin von
Parma. Graf Colloredo. Maria: Einfiedeln. Die Eidgenoffen:
haft. Zwei Winter in Straßburg; Phyſiognomie biefer Stadt;
Domprebigten und fromme Vereine. Ableben des Markgrafen Wil⸗
beim unb der Großherzogin Stephanie von Baben. Bor:
gänge in Oeſterreich. Die drei Selbftmorbe. Baben:Baben.
Louis Napoleon und die beutfhen Fürften (uni 1860).
Die Univerfitäts:Secularfeier in Baſel. Wohnſitz in Baden-Baden.
Bekannte. Die Saifon von 1861. Attentat auf den König
von Preußen. Allgemeine Lebensanſichten. Betradhtungen
über Literatur, ſchöne Künfte u. f. w. Die neuen Zeichen ber
Zeit, Schluß.
Neunterx Abbſchnitt.
——— — — TEE
(1835 — 1838.)
Inhalt: Karlsruhe. Winifter v. Blittersborf, Louis Napoleon
in Straßburg. Fürftlihe Vermählung in Darmſtadt. Der großher⸗
zoglihe Hof und die Gefellihaft in Karlsruhe. Zen: Bermubez. Skizzen.
Kunft und Geſchäftsleben. Theater. Roſſini. Bolitifche Begeben-
beiten. Mein dreimaliger Aufenthalt als Rheinſchifffahris commiſſär
in Mainz. Der dortige Hof und fürftliche Beſuche. Gräfin Naumburg.
Dberft v. Rabowig. Badiſche Ständeverfammlung 1887. Karl
v. Hügel, Die badifhen Eifenbabnen und Minifter Winter, Meine
Ermennung zum Geihäftsträger nah Münden.
In Karlsruhe murde ich nun in das eigentliche Geſchäfts⸗
leben des Miniſteriums felbft eingeführt und arbeitete in demfelben
als vortragender Rath unter der Tundigen Leitung des Freiherrn
v. Blittersdorf. Er war nicht nur der fähigfte, unterrichtetfte
und tüchtigite aller meiner Chefs, er war mir au ein mohlmollender
Freund, zu dem ich nad} feinem Rücktritte in vertraulicher Beziehung
und Öfterem Briefmechfel ftand. Diefer Staatsmann, ausgezeichnet
in der Feder, noch fo verwidelte Tragen leicht und Mar auffaffend,
mit einem feltenen Scharfblid und ebenjo rechtlichem Sinne, war
durch acht Jahre an der Spike der politifhen Verwaltung Badens.
Ein unparteiifcher Geichichtsfchreiber Fann, im Rückblicke auf bie
Leiftungen der Minifter vor und nad ihm in jenem Lande, fich
Frh. v. Andlaw. Mein Tagebug. II. 1
2
nur zu Gunften der Wirkſamkeit Blittersdorf'3 enticheiden. Wäre
feine Haltung rubiger, weniger leidenſchaftlich, feine Perfünlichkeit
minder fchroff, für andere, befonder3 eitle, mittelmäßige Menichen
weniger verlegend gewejen, nicht leicht hätte fich für jeden deutſchen
Bundesftant ein befferer Minifterpräftdent finden können. Gewandt
und kenntnißreich auf dem Gebiete der Politik, war er es auch
in den böheren Finanzfragen; nad, allen Richtungen bin blieb
feine Thätigfeit ftet3 eine unermüdliche.
Außer einigen Beſuchen in Freiburg führte mich im Sommer
1836 meine neue Beltimmung auch nah Mainz, wo ich mit dem
Commiffariat in Rheinſchifffahrtsangelegenheiten betraut wurde —
ein mir bisher ganz fremdes Feld der Wirkſamkeit. Ach werde
diefe Epifode meines Lebens in einem befonderen Bilde zuſammen⸗
faflen. Ende Oftober wurden wir von der feltfamen Kunde über:
rafcht, daß mitten im Frieden Louis Napoleon es verſucht batte,
die Feſtung Straßburg einzunehmen, die Garnifon dur Liſt und
Drohung zu gewinnen. Es war wohl da8 Vorſpiel, wenn nicht
eine Parodie der künftigen Kaiferwürde. Der Prätendent ver:
ſchwand ungeftraft in Amerika, während man feine Mitſchuldigen,
wohl ihres unfinnigen Unternehmens wegen, für unzurechnungs⸗
fähig erflärte. ft, wie man erzählte, wahr, daß Königin Hortenfe
ihre Freude über die Mißlingen der That äußerte, weil ihr Sohn
als Kaiſer ſich felbft wie ganz Frankreih in’ Verderben bringen
würde, jo macht dieß ihrem, dur Mutterliebe nicht getrübten
Scharffinne alle Ehre.
Im November wurde ich beauftragt, im Namen des Groß-
berzogd den von feiner Vermählung mit der Prinzeffin Elifabeth
von Preußen von Berlin nah Darmftadt zurüdkehrenden Prinzen
Karl von Heffen zu begrüßen. Eine Reihe beiterer Hof und
andere Feſte, Gallatheater, Beleuchtung u. f. w. fand zu Ehren
des jugendlichen Fürſtenpaares flatt und der Feine, aber glänzende
Hof zeigte fih daber im freundlichften Lichte. Die meiften deutfchen
Staaten, auch einige auswärtige, waren dabei dur Geſandte
vertreten. Jetzt nach einer 2djährigen, durch hoffnungsvolle Kinder
gelegneten, glüdlihen Ehe ſah man die fchönen Erwartungen in
vollem Maße erfüllt, welche fi damals an jene Verbindung
knüpften.
Der großherzogliche Hof in Karlsruhe lebte mehr zurück—
- gezogen; es fanden zwar von Zeit zu Zeit große Diners, Bälle
und Feſte ftatt, Doch wurden leider kleinere Zirkel, welche in einem
jo liebenswürdigen Familienfreife wünſchenswerth erſchienen, immer
feltener. Ein Prinz — Karl, eine Prinzeffin — Marie, waren
1832 und 1834 geboren. Der Hof: wie der Militärftaat war
gut zufammengefeßt: v. Treiftedt, v. Seldenek, v. Krieg, v. Röder
und andere theils wiſſenſchaftlich gebildete, theild treu ergebene
Adjutanten und Oberoffiziere. Großhofmeiſter war der feingebildete,
edle Freiherr v. Berfheim; dem Oberhofmarfchallamte fanden nad
der Reihe Ehrenmänner, wie v. Gayling, v. Dubois, F. v. Röder,
vor. Eine freundliche, dankbare Erinnerung werde ich aber ftet3
dem Oberfammerberın v. Edelöheim bewahren, dem ich von
frühefter Jugend an bis zu feinem 1840 erfolgten Tode in An-
hänglichkeit ergeben war. Als Hofmann von einem überaus taft-
vollen Gefühle für das Schidliche, verband er damit einen offenen,
rechtlichen Charakter. Sein Umgang war belehrend und erheiternd
zugleih. ine liebende, vortrefflihe Gattin — fpäter Oberfthof:
meifterin der Großherzogin Sophie — vier frifch aufblühende
Kinder verfchönerten fein durch Taubheit getrübtes Alter und
erhielten feinen froben Muth, feine oft wißige Laune ſtets auf-
recht. Strenge Pflichterfüllung war ihm dabei zur zweiten Natur
geworden.
Der Markgraf Wilhelm verfammelte öfters Gäſte, mährend
die Prinzeffin von Naflau ihre anziebenden Abendunterhaltungen
1 »
4
fortfeßte. Außer einigen einheimifchen Häufern waren ed dann
wieder die Gefandten, welche die Gefelligkeit belebten — Graf
Buol, die Herren v. Ötterftedt, v. Schimmelpennin?, v. Moltfe
u. a. Einen erfreulihen Zuwachs erhielt dieß Corp durch
Ad. v. Bacourt, einen der geiftreichiten, liebensmwürdigften franzö⸗
ſiſchen Diplomaten. Auch einige englifche Yamilien, die Kennedy,
Drumond, Fortezeue u. a., fowie Ruflen hatten ſich eingefunden,
und der befannte fpanifhe Minifter Zea Bermudez brachte den
Winter in Karlsruhe zu. Wenn man diefen freundlihen Dann
mit den ausdrudövollen, ſchönen Gefihtözügen, mit feinem einfach:
wohlwollenden Benehmen fah, konnte man leicht den entfcheidenden
Antheil vergeffen, den er, mädtig in die Gefchide Spaniens ein-
greifend, am der Thronbefteigung fabellens genommen. Nur ein
feltfames Leuchten der Augen ließ hie und da errathen, daß ihm,
dem Gründer eines neuen Syſtems, politifche Leidenſchaften nicht
fremd geblieben waren. Zea zur Seite ftand eine Gattin von
Fugelförmiger Geftalt, eine gutmüthige, lebhafte Spanierin, wie
ihr Gemahl gerne in Gefelihaft und gerne darin gefehen.
Um diefe Zeit endete der Minifter v. Berftett eine nicht
alltägliche Laufbahn. Körperliche Leiden, Schlaganfälle hatten ihn
heimgeſucht; doch ſtets umgaben ihn liebreiche Verwandte und
treue Freunde. Er theilte mit den meiften Staatömännern das
Geſchick, fih nicht in eine neue Zeit finden zu können; er war
übel gelaunt, mißbilligte Alles, was ohne fein Zuthun gefchehen,
und begriff nicht, daß fi immer wieder die Anfichten ändern,
andere Männer auftreten ımd Niemand unentbehrlich ift. Seine
feiten Grundfäße, feine unläugbaren, auch vielfach erkannten Ber:
dienfte, fein ehrenwerther Charakter fihern ihm ein bleibendes
Andenken in der badifchen Gefchichte.
Ein anderer Todesfall, weit unerwarteter, erregte Auffehen.
Graf Malte Putbus, ein junger, lebensfroher, allgemein beliebter
5
Mann, der preußiichen Geſandtſchaft attadhirt, hatte ſich auf der
Jagd erfältet und raſch führte ihn nach einigen Wochen eine fich
ſchnell entwickelnde Lungenkrankheit dem frühen Grabe zu. Tief
erfchüttert ftanden wir am Sterbebette dieſes 29 jährigen, einzigen
Sohnes eined alten Geſchlechtes. Sein Vater, der Fürft, war
nun ohne männlidhe Erben, fein Obeim Mori nicht vermählt;
fomit erloſch fpäter die Tamilie, und Name mie Güter derfelben
gingen auf einen Sohn der Gräfin Lottum-Putbus über.
Ein neued Element brachte der Runftfinn des Großherzogs
in das Karlaruher Leben; er beihüßte nicht nur, er beichäftigte,
er ermunterte auch viele inländifche Talente, und eine Reihe von
Gebäuden, Gemälden und anderen Kunftwerfen geben Zeugniß
von dem regen Antheile, dem feinen Geſchmacke und dem richtigen
Verftändniffe, melde den vortrefflihen Fürften in Kunſtſachen
befeelten. Die glänzend retaurirten Schlöffer in Karlsruhe, Baden
und Eberftein, die Trinfhalle in Baden, Später die Kunſthalle in
Karlsruhe, das Karl-Friedrich-Monument und fo manches andere
find bleibende Denkmale. Er wurde in diefem edlen Streben von
tüchtigen Kräften unterftüßt, — Architekt Hübſch ift vor Allen
zu nennen — und gar viele Meifteriverfe gingen aus den Händen
der Hofmaler Frommel, Winterhalter, Dieb, Tohr, Kirner, v. Bayer,
Grund, Schwind, des Bildhauerd Reich u. a. hervor.
Auf das Theater, befonderd die Oper und ihre Ausftattung,
wurde viel verwendet, und es gedieh zuſehends unter der umſich⸗
tigen, thätigen Leitung des Grafen Reiningen. Eines Abendz
hörte ich im Vorbeigehen Streit an der Kaffe, wo ein Fremder,
der feinen Plab mehr fand, fich nicht abweifen laſſen wollte. Ich
trat hinzu und erkannte in dem Theaterfreund? — Roffini, den
ich früher viel gefehen. Ih führte ihn in die Loge des Inten—
danten, und wir brachten da zu deffen Yreude einen intereflanten
Abend zu. Mean gab Bellini’! „Norma“, und Roffini fprad)
6
fich fehr Tobend über die Leiftungen des Orcheiterd wie der Singenden
* aus, beſonders befriedigte ihn in der Titelrolle Fr. B. Fiſcher,
welche an jenem Abende befonderd glüdlih infpirirt war. Der
berühmte Maeftro, damals noch nicht 50 Jahre alt, war nod
immer ber hbeitere Lebensmann, der auf leicht errungenen, nicht
verwelkten Lorbeern ſich einem behaglidyen „dolce farnienté“ hin⸗
gab. Er wollte, wie er uns ſagte, den Glanz ſeiner früheren
Werke durch ſpäter vielleicht minder gelungene nicht trüben. Jeder
Componiſt, behauptete er, trage eine gewiſſe Fülle von Melodieen
in ſich ſelbſt umher; ſei dieſe erſchöpft, To vertrodnen mit der
Tinte auch die Gedanken, und Muſiker, die ſich ausgeſchrieben
und jener Mahnung, rechtzeitig aufzuhören, nicht achten, werden
matt, wiederholen ſich und ſchaden ihrem früheren Rufe. Er
führte uns Monſigny als merkwürdiges Beiſpiel dieſer Art an.
Diefer, Kammerdiener Ludwigs XV., fühlte plötzlich eine muſikaliſche
Ader in ihm entſtehen, ſchrieb und componirte Tag und Nacht,
und nachdem er ungefähr ein Dutzend Opern hervorgebracht, legte
er die Feder nieder und Lehrte zur vorigen Beihäftigung zurüd.
Wie in einer Goldmine war die Ader erſchöpft, doch Lebt
fein Name fort in der Tonwelt, und einige feiner Werfe, wie
der ungemein liebliche „Deferteur”, werden nod immer gerne
gehört.
Im Laufe der Jahre 1836 und 1837 führte mich die
zunehmende Kränflichleit meines 7Ojährigen Vaters öfters nach
Freiburg. Er batte, feit er den Staatödienft verlaffen, auch bei
fteigender phyſiſcher Schwäche der gewohnten Thätigkeit entſagen
müffen, viele zum Theil ſchmerzliche Verluſte in ſeiner Familie
erfahren, und überdieß ftimmten ihn politifhe Ereigniſſe mie fo
manche andere ſchwere Sorge trübe. Bei diefen Ausflügen
wohnte ich zwei erbebenden, aber feltenen Kirchenfeierlichleiten in
meiner Vaterftadt bei. Der erfte Erzbilhof Dr. B. Boll ftarb
bochbejahrt und wurde in dem Münfter beigefekt; mit feinem
7
Grabe wurde die Reihe jener jeiner Nachfolger eröffnet — eine
impofante Zrauerfeierlichkeit, der viele hochgeſtellte Beamten, ein
großer Theil des Adels wie des Clerus beimohnten. Mehrere
Monate fpäter war ich Zeuge der Einweihung des neuernannten
Erzbifhof3 Dr. 3. Demeter. War die Geftalt Bol’ eine Ehr⸗
furcht gebietende, fo war jene des nunmehrigen Kirchenfürften eine
mehr gedrungene, doch feine Perfönlichfeit freundlih, gewinnend.
Mehr Drann der Schule, ald der Kirche, vermaltete er fein
hohes Amt nur einige Sabre. Seine Inthronifation vollzogen
die Bilhöfe von Mainz und Mottenburg, denen ber Weih—
biihof Dr. Vicari affiftirte, er, der als Nachfolger Demeter’s
einft auch in meiten Kreilen fo ‚befannt und verehrt werden follte.
Die Ceremonie der Einweihung felbft lang, aber in ihren bedeu⸗
tungsvollen Gebeten und Symbolen eine höchſt ergreifende, wurde
auch noch durd eine merkwürdige Rede erhöht, welche Bilchof
Keller aus den Gedächtniſſe in lateinifcher Spradhe hielt —
eine ungewöhnliche Erfheinung in Deutichland. Große Gaſtmahle
mit den üblichen Trinkſprüchen und andere Feſte, Deputationen,
Fackelzüge u. dgl. begleiteten, als unvermeibliches Gefolge, diefe
kirchliche Feier.
Die badiſche Ständeverſammlung im Jahre 1837 brachte
denn auch wieder regelmäßig die Emotionen hervor, welche auf:
regende Sikungen immer bewirken. Ich hatte den beiden, in ber
Amischenzeit flattgefundenen Landtagen nicht beigemohnt; mit um
fo größerem Intereſſe folgte ih nun dem gegenwärtigen, melcher
überdied für mich noch befondere Anzichungspunfte bot. Es war
der erfte Landtag, vor den Blitterädorf als Minifter trat; er
benabm fih bei den Verhandlungen mit mehr Rube und Selbit:
beberrihung, als man von feinem eigenmilligen und lehhaften
Sinne hätte erwarten dürfen. Auch meinen Bruder fah ich bier
zum eriten Male als Abgeordneten des Adels in der erften
Kammer auftreten. Er entwickelte dabei ein wicht gewöhuliches
8
Nednertalent und vertbeidigte bejonderd die Rechte der Tatholifchen
Kirche mit mehr Muth und Geſchick, als Erfolg. Seine Worte
waren jedoch nicht ohne Bedeutung, weil fie gerade vor dem
Wendepunkt geiprocdhen wurden, welcher in jener Trage bald darauf
durch das Kölner Ereignig eintrat. — Jener Landtag gab aber
auch zuerſt die Anregung zu einer anderen Prinzipienfrage, welche
fpäter mit immer fteigender Erbitterung befprodhen murde. Konnte
die Megierung den zu Abgeordneten gewählten Beamten den Urlaub
zu dem Eintritte in die Kammer verweigern? Das Minifterium
bejabte diefe Trage aus dem Grunde, weil die Staatädiener, ſchon
geſchützt durch die Beitimmungen der Pragmatit, überdieß noch
bei ihrer Stellung den anderen Deputirten gegenüber bevorzugt
erſcheinen. Dieſe letzteren bringen ihren eigenen Interefien durch
die Annahme eined Mandats vielfache Opfer, während die Beamten
in ihren Privatangelegenheiten dadurch felten etwas vernachläffigen
und neben ihrem Gehalte noch Diäten beziehen. Sollte nun, fo
folgerte man, der Regierung nicht geftattet fein, ihren Dienern,
die aus Ehrgeiz, Eitellfeit, Oppofitionzgeift oder aus irgend
anderen Gründen ihr feindfelig gegenüber ftehen, eine Erlaubniß
verfügen zu Tönnen, welcher jeder Beamte zur Ausübung einer,
mit feinem bejtimmten Geſchäfte nicht zufammenhängenden Funktion
bedarf? — Die Kammern felbft aber huldigten natürlich einer
entgegengejeßten Anficht, fahen in der Urlaubsverweigerung eine "
Beichränfung des Wahlrecht? und entfchieden begreiflicher Weile
in der eigenen Sache zu ihren Gunften. Die Beamten hingegen
befanden fi dabei in der beiten Lage; jebten fie ihren Eintritt
dur, fpielten fie in der Kammer eine Rolle; wurde der Urlaub
nicht ertheilt, fo ftellten fie fih als Opfer der Willkür Bin,
erlangten eine Art von Popularität, und im fchlimmften Falle
blieb ihnen immer der Ruhegehalt. Es zeigte fich bei dieſem
Anlaß wiederholt, wie gefährlich e3 für die Ruhe folher Staaten
ift, Prinzipienfragen auf die Spike zu treiben. In Frankreich
a
9
und England, auf welche man fich immer fo gerne berief, kannte
man foldhe Konflikte nicht, weil dort die Verfaffung dafür geforgt
hatte, und Feine Eonjtitutionelle Regierung auf die Länge mit
unabfegbaren Beamten beftehen kann. — Außer den gewöhnlichen
Reibungen, perfönlichen Angriffen und einigen heftigen Auftritten
ging jener Landtag, wenn auch nicht immer friedlich, doc, wenigſtens
ohne Bruch vorüber.
Im Juli 1837 kehrte ich in meiner Eigenfchaft als Waſſer⸗
mann — fo nannte man die Rheinſchifffahrts-Commiſſäre — zum -
dritten Male nah Mainz zurüd, wo mid immer eine erwünſchte
Thätigfeit erwartete. Es mar eine wahre Luft, näher mit dem
herrlichen Fluffe in Berührung zu kommen, mit feinem Handel,
jeiner Schifffahrt, den Uferbauten, den Brüden, dem lebhaften
Perfonen- und Waarenverfehre befannt zu werden. Ich fand mich
da mit den Bevollmächtigten der ſechs anderen Uferftaaten zufanımen,
berieth mit ihnen die mannigfadyen Yragen, weldhe der Commiſſion
zur Prüfung vorlagen, und die fich felbft auf Schlichtung von
Rechtsſtreitigkeiten in letzter Inſtanz erftredten. Hatten wir am
Rathstiſche und mit der Statiſtik des Rheins befchäftigt, fo zogen
an unferen Augen zu jeder Stunde zahliofe Dampiichiffe, fich
Treuzend, vorüber. Dazu die reizend gelegene Stadt, von dem
mageftätiiden Dome überragt, dad mundervolle Panorama des
Rheingaues, von maldigen Höhen begrenzt, die Nähe von Bieberich,
Wiesbaden — in der Feſtung felbft ein reges Garnifongleben,
die Öfterreichifchen, die preußifchen Regimentsmuſiken jeden Abend
ertönend!
Dießmal bemohnte Prinz Wilhelm von Preußen als
Gouverneur das großherzogliche Schloß. Obwohl ſchon in Jahren
vorgerücdt, bewegte fid, der Prinz mit den feinen Zügen und in
feiner eleganten Haltung mit KLeichtigfeit. Er war von feiner
10
durch Geiſt und weibliche Tugenden ausgezeichneten Gemahlin —
einer Prinzeffin von Heffen- Homburg — und der jugendlichen
Prinzeflin Marie begleitet. Der Gouverneur war vom General
vd. Müffling und vielen anderen preußilchen Stabsoffizieren
umgeben, und der öfterreichtiiche Kommandant, General v. Piret,
wetteiferte mit jenen Herren in gaftfreier Bewirthung der zahl:
reichen Tremden. Auch der Feine Hof war ungemein belebt; die
fürftlichen Yamilien aus Darmftadt und Naſſau waren öftere
Gäſte; ich fah da den König von Württemberg, den Markgrafen
Wilhelm von Baden und Gemahlin, den Herzog von Cambridge,
Oscar von Schweden u. a. m. Ueberdieß brachte und beinahe
jeded der vielen täglich landenden Dampfichiffe Fürften, Generale,
Diplomaten, veifende Gelehrte in großer Zahl, Freunde und Be⸗
kannte aus allen Gegenden. Aus meinen Fenſtern fah ich dieſem
bunten Treiben zu und hatte nicht felten in den vier Stockwerken
meined Gaſthofes Ankommende zu begrüßen. Zum eriten Male
traf ich Hier mit dem Oberſten v. Radowitz zufammen. Diefer,
Militär und Staatsmann zugleih, hatte nad) einer ungewöhnlichen
Laufbahn in der Meinung Vieler eine glänzende Zukunft. Ein
fireng fittliher Mann von edlem Charakter, verband er mit
geiftiger Begabung ein unermeßliched Wiffen und oft binreißenbe
Beredtfamfeit. Dabei wurde er von einem imppnirenden Aeußern
unterftügt. Mich felbit zog mehr Die ehrenvolle Richtung, der er
folgte, als feine gemeljene, für Mande felbit abſtoßende Perfön-
Tichleit an. Mit ganzer Seele dem Kronprinzen von Preußen
ergeben, mit dem er in mancher Beziehung geiſtesverwandt war,
jagte er mit ihm, ein feuriger Geiſt, nad) nie zu erreichenden
Idealen. Radowitz fagte mir einft in Mainz, er habe dem Kron⸗
prinzen für feinen Regierungsantritt als Motto die Worte Hamlet's
beftimmt: „Die Welt ift aus den Fugen; wehe mir, daß ich dazu
berufen, fie wieder einzurichten!“ Friedrich Wilhelm IV. Hat
jedoch leider die Welt nicht einzurichten vermocdht, wenn es auch
11
an mehr oder minder gelungenen Verſuchen dazu nicht gebrad).
Was würde aber Radowitz wohl erft zu ber Aufgabe gefagt haben,
welche dem König Wilhelm I. geworden?
Eined Tages erſchien in Mainz, den Wenigften, wohl nur
Piret’3 bekannt, bei denen fie wohnte, eine nicht mehr ganz junge,
aber dabei jo ſchöne und liebliche Frau, daß fie Aller Augen auf
ſich zog. Es war eine Wittwe aus Grab, Baronin v. Schimmel:
pennin?, mweldye ich dort vor Jahren gefehen hatte. Bald ſprach
man von einer nahen Verbindung mit dem Prinzen Philipp von
Heflen-Homburg, und die Prinzeffin Wilhelm entſchloß fi nun,
auf den Wunfch ihres Bruders, mit ihrer gewohnten Teutfeligen
Huld die Bekanntſchaft ihrer Tünftigen Schwägerin zu machen.
Ihre anmuthige Erſcheinung wie ihr beſcheidenes Auftreten in
einer fo ausnahmsweiſen Lage brachten den günftigften Eindrud
hervor. Ich fah fie fpäter nie wieder. Kurze Zeit nachher wurde
fie mit dem Titel einer Gräfln von Naumburg dem Landgrafen
angetraut, ftarb jedoch nad) einigen Jahren einer, wie man fagt,
glücklichen Ehe. Brinz Philipp ſelbſt aber, wohl der ausge
zeichnetfte unter den fünf Brüdern, melde — ein feltener Tal —
nad der Reihe ohne männliche Erben regierten, war feiner eins
nehmenden Perfönlichkeit wegen allgemein beliebt; früh in öfter:
reichiſche Kriegsdienſte eingetreten, fiel er zur Zeit der franzöfifchen
Republit — weil man ihn für einen Herrn v. Andlam von
Homburg hielt — In Gefangenihaft, und nur feiner Jugend und
vortheilhaften Erfcheinung mie feiner Geiſtesgegenwart verdanfte
er die Rettung feines Lebens. Dann tapfer im Felde, tüchtig
als Militärcommandant, während des Friedens Tiebendwürdiger
Sefellichafter, wohlmollend, großmüthig, gelangte er erſt im fpäteren
Alter zur Regierung feines Kleinen, fih durch eine permanente
Spielhölle nicht gerade vortheilhaft ausgeichnenden Landes. Nach
einigen Jahren ſchon ftarb auch, kaum vermäßlt, als Wittmer der
geiftreiche, leutſelige Fürft.
12
Ich verließ Mainz einige Tage vor der Enthüllung des
Outtenberg: Monument (15. Auguft), und fpäter einem anderen
Nufe folgend, kam ih nicht mehr dahin zurüd.
Kaum in Karlsruhe wieder angelangt, übernahm ich während
einer mehrwöchentlichen Abweſenheit Blittersdorf's die Leitung
des Miniſteriums.
In der politiſchen Welt hatte ſich während dieſer Zeit
Manches zugetragen; der Tod Wilhelms IV. erhob die jungfräu⸗
liche Victoria auf den engliſchen Thron, und während ſich der
junge, erfte Beherrſcher Neugriechenlands eine muthige, für Hella’3
Sache begeifterte Prinzeifin von der fernen Nordfee zur Braut
ermählte, vermäblte fi in Yontainebleau der Herzog von Orleans
— vorauzfihtlih einft Frankreichs König — mit der medlen:
burgifhen Helene. Mit dem Minifterwechiel in England und
Tranfreich verbanden ſich andere wichtige Fragen. Ludwig Philipp,
nun im eigenen Lande meniger bedrängt, fuchte die Armee zu
beihäftigen, welche mit feinen jungen Söhnen durch fiegreiche
Gefechte die Grenzen der franzöfifchen Herrfchaft in Algier immer
weiter ausdehnte. — Auch in Deutichland war wieder Ruhe zurüd-
gefehrt; dagegen warfen zwei Fürften Brandfadeln aus, melde
niht allein ihre Staaten ergriffen, jondern eine weiter gehende,
nachhaltige Bewegung herborriefen. Der Herzog von Cumberland
war faum König in Hannover geworden, als er durch feine, Die
Berfaffungsrechte beeinträchtigenden Mafregeln die größten Wirren
veranlaßte. Mit diefen politifchen Zerwürfniffen hielten die kirch⸗
lihen in Preußen gleihen Schritt, nachdem es die Regierung
verſucht hatte, den pflichtgetreuen Sinn des greifen Erzbiſchofs
v. Drofte in Köln durch gewaltfame Wegführung und Gefangen:
haft zu beugen.
18
In den lebten Stunden des Jahres 1837 murde ich durch
den Befuh Karl v. Hügel’3 freudig überrafht. Er kehrte von
feiner ſechsjährigen Weltumfegelungsreife über Karlsruhe nach Wien
zurüd. Er hatte Aegypten, Syrien, Arabien durdreift und fid
längere Zeit in Oſtindien aufgehalten. Dieß letztere intereffante
Land mit allen feinen Nachbarſtaaten und Infeln machte er zum
Gegenftand bejonderer Studien, bejuchte von da aus einen Theil
von Japan, Auftralien, das Himalayagebirge, und nahm feinen
Rückweg endlid über Calcutta und das Cap der guten Hoffnung.
Mit reichen botanifhen und anderen naturhiftorifhen Schätzen —
die fpäter vom Staate angefauft, eine eigene Sammlung bilden — kam
er nah Haufe, er hatte feine Zeit gut benübt, fein Gedächtniß
mit den. berrlichiten Erinnerungen für das ganze Leben gefhmüdt,
die Erzählungen feiner Schidfale in einem Tagebuche niedergelegt.
Erft nad Jahren follte ih ihn in Wien wiederfinden, wo ſich
ihm ein neuer Wirkungskreis eröffnete.
Anfangs 1838 fand in Karlörube der f. g. Eiſenbahn—
Landtag flat. Man mollte diefe neue Erfindung auch für das
Großherzogthum frucdhtbringend anwenden; doch ſtieß man allzu:
bald auf unerwartete Hinderniffe. Es war weniger die Schwierig:
feit des Terrains oder der Koftenpunft, welche zurüdichredten; die
Neubeit der Sache, verbunden mit der NRüdfiht auf die im Ver⸗
hältniß zu feiner Breite viel zu weit ausgedehnte Länge des
Landes, riefen Bedenken hervor; man fürchtete die Schifffahrt zu
beeinträchtigen, Privatintereffen zu verlegen, durch zu rafche Be⸗
förderung der Fremden wie der Frachten Gafthäufer und Banb-
werke, ganze Ortfchaften zu Grunde zu richten. Doch bald fiegte
die Nothwendigfeit über alle Zweifel; man konnte fi nicht von
den Nachbarſtaaten überflügeln, den Verkehr entziehen Iafien, und
jo bededte fi denn da3 Land bald mit Schienen. Der Minifter
des Innern, Winter, hatte nach einer glänzenden Rede die Tribüne
in der Kammer faum verlaffen, als er vom Schlage gerührt ftarb.
14
Melancholiſch fieht nun ſein ehernes Standbild auf die an ihm
porüberziehenden Eifenbahnen mit ihren dampfenden Mafchinen
berab.
Ende Februar wurde ich zum großherzoglichen Gefchäftsträger
am koniglich bayeriſchen Hofe in Münden ernannt und verließ
Karlsruhe in den letzten Tagen ded März, um mid über Frei⸗
burg und Schaffhaufen an den Ort meiner neuen Beltimmung
zu begeben.
— — — —
15
Zehnter Abſchnitt.
—
(1838 — 1843.)
Snhalt: Münden. Meberfiht. Der König. 1888. Aeußere und innere
Politit. Diplomatifhes Corps. Hohe Gäſte. Die ruſſiſchen Maje-
ftäten in Kreuth. Die Königin Karoline in Tegernfee. Kr. v. Krübener.
Lager von Nugsburg. Großberzogin Stephanie von Baden. Kron-
prinz von Dänemark. Fremde, Auswärtige Ereigniffe. 1889. Winter:
und Kunſtgenüſſe. Großfürſt Thronfolger. Ausflüge. Eifenbahnen. 1840.
Stänbeverfammlung. Abel und Fürft Wallerftein. Duell, Groß
berzog Reopoldb von Baden in Münden, Hobenfhmwangan und Ober:
ammergau. Bofjenhofen. Reife. Dresden. Konigswarth. Fürft
Pükler. JIſchl. Großherzogin Sophie von Baden. Gefellfhaft. Gegend.
Tegernfee. Gifte Graf Chambord. Kriegsläm. Orient. 1841.
Politiſche Betrachtungen. Die Groffürftin Marte und der Herzog
M. v. Leuchtenberg. Griechenland. Maurocordato. Die Königin Amalie,
Turoler Reife. Tob der Königin Karoline. Die beiden Großherzoginnen
von Baben. d'Arlincourt. Fürſt Metternih und Freunde. Trauer.
1842. Migr. Viale und Migr. Pallavicini. Vermählung. Modena.
Kiffingen. Weimar. Berlin. Dresden, Königswarth. Vermählung
des Kronprinzen. Walhalla. Die beiden babifhen Prinzen. 1849.
Landtag. zZürft Leiningen. Abſchied von Münden,
Die Verſetzung nah Münden kam mir fehr ermünfcht.
Auf einer Seite frod, meine Thätigfeit wieder einer Vertretung
an einem auswärtigen Hofe zuwenden zu Tönnen, hatte ich auf
der anderen auch feit meiner Sünglingözeit eine gewille Vorliebe
für Bayern bewahrt. Die Geihicdhte, die geographifche Lage diefes
Landes, die Sitten feiner Bewohner zogen mih an. Um den
alten, deutfchen, Ferngefunden Stamm hatten fi im Laufe der
Sabrhunderte andere Länder und Völkerſchaften gruppirt. Seine
16
Grenzen bald meit über die heutigen, wie feine Macht übermäßig
ausdehnend, ſah es ſich dann wieder bedroht, befiegt, verkleinert.
Einige Male ganz aufgegeben, erhob es ſich jedoch bald wieder,
und blüht nun, wie nie zuvor — ein ſchönes Königreih. Seit
undenklichen Zeiten von einer einheimifchen Dynaftie — der älteften
aller nun beftehenden — behberricht, fah es feine Berwohner wie
ihre Treue zu den angeftammten Fürften, fo auch ihren, von den
Bätern ererbten Glauben feit bewahren. Mit den hergebrachten
Sitten und Gebräuden verband fi ein religiöfer Sinn, und
ruhiger als in anderen deutſchen Rändern entwickelten ſich hier,
von den revolutionären Stürmen weniger berührt, die neuen Ver:
fafjungsformen. Diefe behaglihe Ruhe theilte ſich dann auch den
Bewohnern in Beziehung auf die außerhalb ihres nächſten Gefichts-
kreiſes Tiegenden Creigniffe mit. Man nahm in Babern, das
weniger abgejchloffen, ala früher Oejterreih, doch nur jo viel
Sintereffe an den Außendingen, als es die alltägliche Neugierde
mit ſich bringt, welche die Nachrichten in den Zeitungen einflößten.
Mit der augenbliclichen Lage und einem befcheidenen Maße poli-
tifcher Freiheit zufrieden, jehnte man ſich weder nad) Veränderungen,
noch war man lüftern, gewagte Verſuche anzuftellen, mie fte uns
. andere, felbft deutſche Staaten zeigten. Der König Ludwig, von
dem Sinn und der Bedeutung der ſchönen Gefchichte feines Landes
durchdrungen, ftellte es fich zur erften Aufgabe: dieß glänzende
Bermähtnig — den biftorifhen Ruhm des ihm von Gott anver:
trauten Reiches — rein zu erhalten. Ihn trieb nicht, mie fo
manche Vorgänger, Eroberungsfucht oder der Durft nach Lorbeern
auf blutigem Schlachtfelde; es verleitete ihn nicht der Ehrgeiz, die
Hand nah fremden Kronen audzuftreden, und mehr als alle
früheren Regenten Tann ſich König Ludwig den Namen eine?
„Friedensfürſten“ beilegen. Nach einigen Schwankungen ergab er
fi, in einer überdieß ganz friedlichen Zeit, rückhaltlos der eifrigen
Pflege der Künfte, und feinem jchöpferifchen Geiſte verdanft man
17
die bemunderungsmürdigften Werke der Architeftur, mährend er
Künftler fand, deren Hände fih in Gemälden und Bildhauer:
arbeiten überboten. GSelbft die Feſtungsbauten, die der König
unternahm, follten nur zum Schutze vor Gefahren, zur Ber:
theidigung dienen. Aber nicht nur in München, auch aller Orten »
‚in Bayern geben Kunftbauten und Sammlungen Zeugnig von
dem Geichmade mie dem unermüdlihen Wirken des Töniglichen
Möcen. Hier erheben fi großartige Ruhmeshallen, dort erfteben
ehrwürdige Gotteshäufer in erneutem Glanze, bier bedecken fidh die
Plähe der Städte mit Standbildern von Erz, dort erinnern Den:
male, Kapellen, Stiftungen u. dgl. m. an gefchichtlihe Momente;
endlich, während Eifenbahnen da ganze Königreich durchzogen,
fand der König Zeit und Geld, eine dee wieder auszuführen,
welche Karl der Große vor taufend Jahren aufgefaßt hatte — den .
Donau : MainsFanal!
Es gewährte mir demnach eine wahre Befriedigung, alle diefe
Wunderwerke nach und nad entitehen, viele derfelben vollendet zu
fehen. Man kann aber nicht von ihnen ſprechen, ohne in ben
Ton eines Tremdenführerd zu verfallen; blieben fie für mich der
Segenftand einer Iebhaften, fortgefebten Theilnahme, fo wurden fle
auch allen Beſuchenden zu einer nie verfiegenden Duelle reiner
Kunſtgenüſſe. Wirkten daher ſchon jene Hiftorifhen Erinnerungen
wohlthuend auf dad Gemüth, fo mar, mas die Gegenwart bot,
erheßend und Tehrreih genug, um mir die in Münden verlebten
fünf Jahre nah allen Richtungen bin unvergeßlih zu machen.
Soll ich noch Hinzufügen, daß der König mir ftet3 überaus gnädig
war, ih zu den Miniftern und meinen Collegen in den freund:
lichſten Geſchäftsbeziehungen ftand, die Gefelligkeit in ber beiteren
Stadt nicht? zu wünſchen übrig ließ, ein gutes Theater, vortreff:
liche Concerte manden Winterabend verfchönerten, im Sommer
die reigende Gebirgänatur der nahen Alpen erquidte, fo glaube
ih in kurzen Zügen meine Stellung wie die Eindrüde in München
Zeh. v. Andlaw. Mein Tagssuh II. 2
18
bezeichnet zu haben. An einen anderen Orte*) verſuchte ich es,
Skizzen von dem Töniglihen Hofe, der Gefellichaft, "den Bauten
und Kunſtſchätzen Münchens zu entwerfen, von einigen hervor:
ragenden Perſönlichkeiten, von Gelehrten und Künftlern zu fprechen,
„ eine Weberfiht der Politit und inneren Verwaltung Bayernd zu
geben. Dean wollte jene Aufzeichnungen zu flüchtig, zu wenig
eingebend finden; follte ich aber pedantiſch fo oft und viel beſſer
Geſchildertes wiederholt beſprechen? Wollte ih ja doch zunächſt nur
meine individuelle Auffaffung feſthalten. Der mir mın geftellten
Aufgabe getreu, werde ich der Zeitfolge nach das bort Erlebte —
einer Chronik des Tages gleih — erzählen und beginne, manches
früher Berührte ergänzend, mit
1838.
Die erfte Zeit meines Aufenthalt? mar eine ungemein bewegte.
Zu den gewöhnlichen Audienzen, Beſuchen u. dgl. kam auch noch
die Anweſenheit der Großherzogin Stephanie, welche ich unver:
mutbet in demſelben Gafthofe traf. Sie war mit der Brinzeffin
Marie auf ihrer Nüdreife von Wien. Nah einigen Tagen
empfing mid der König und unterhielt fi über eine halbe
Stunde auf das freundlicgite mit mir. Dankerfüllt fpreche ich es
aus, daß fich fein Benehmen gegen mid, nie änderte, er immer
gleich wohlmollend und geiprädhig mit mir war, ih mochte ihm,
was häufig geichah, auf der Straße begegnen, oder ihn bei Hofe,
in Concerten, auch in Xegernfee, Regensburg und anderen Orten
ſehen. Immer wußte er mir etwas Verbindliche zu jagen, oder
gab feinen Aeußerungen eine originelle, oft mwitige Wendung. —
Die ruhige Würde und die einfache Art der Königin Therefe
nahm gleih für fie ein. Sie ſah noch ſehr gut aus, und umgeben
von ihrer zablreihen Yamilie, war fie das freundliche Bild einer
*) Erinmerungsbl. ©. 185 bis 288.
19
deutfchen Hausfrau auf dem Throne. Einen fchönen, finnreichen
Ausdrud der Erinnerung an dieß eheliche Glück gibt die Medaille,
welche die Bruftbilder der Eltern wie der vier Töniglichen Kinder:
paare ſchmücken mit der einfach rührenden Ueberſchrift: „Des
Himmeld Segen.”
Eines gleid freundlichen Empfanges hatte ih mid bei den
übrigen Mitgliedern des königlichen Hauſes in befonderen Audienzen
zu erfreuen.
Erft nachdem fi die Majeftäten nah Aſchaffenburg, die
Hoheiten auf ihre Landſitze oder in Bäder begeben, konnte ich
mich etwad mehr auf dem Schauplage meiner neuen Wirkſamkeit
umfchauen, eine Ueberſicht der gefandtfchaftlicgen Geſchäfte gewinnen,
die vorliegenden politifchen und andere Fragen prüfen, mich den
Mitgliedern des diplomatifchen Corps nähern u. ſ. w Mit dem
Staatöminifter des Aeußern, Freiherrn v. Gife, früher mir ſchon
befannt, ftand ich immer in angenehmer Berührung, wenn ihn
gleich eine durch Stellung wie Charakter hervorgerufene Zurüd:
haltung nur wenig zugänglih machte.
Das wichtigfte Ereigniß jener Zeit für Bayern mar die
Entlaffung des Fürften Ludwig von Dettingen-Wallerftein
und die Ernennung des Staatsraths v. Abel zum Minifter des
Innern. Es fiel diefe Ernennung mit dem Tage meiner Ankunft
— dem 1. April — zufunmen. Sie bildet eine eigene Epoche
in der bayerifchen Geſchichte, und von diefer Zeit an zogen fid
unaufgörlicy die Zerwürfniſſe zwifchen jenen zwei Staatdmännern
fort, von denen jeder ein Verwaltungsſyſtem verlörperte. Es ent:
ftanden Parteien, die fich bei Hofe wie in der Gejellichaft, in den
Kammern fowohl als in den Beamtenkreifen, im ganzen Lande
entweder offen befehdeten oder im Stillen haften. Dieſe Gegen:
ſätze fanden gleich einen Anlaß, fchärfer bervorzutreten, als die
Münchener Preffe da Loſungswort gab, für die Rechte des ver:
folgten Erzbiſchoſs von Köln einftehend, die Tirchenfeindlihen Maß⸗
2*
'
20
regeln Preußens zu befämpfen. Auch das diplomatifhe Corps
blieb nicht ganz frei von diefen Einflüffen, und während ein ‘Theil
lebhaft über das „Für und Wider“ verbandelte, Durch feinen
Anhang die eine oder die andere Partei verftärkte, hielt ich mit
Andern auch bier an dem von mir ſtets befolgten Grundſatze feft,
nur zu beobadıten, und eine neutrale Stellung nur dann gegen
eine erhöhte Thätigkeit zu vertaufchen, wenn diefe durch ganz
befondere Umſtände geboten oder durch beitimmte Weifungen un:
mittelbar veranlaßt war.
Männer mit geiftigen und gefelligen Vorzügen bildeten jenes
Corps, an deſſen Spite der wärttembergiihe Schmitz⸗-Grollen⸗
burg, wohl der ältejte der deutfchen Diplomaten, ein wohlwollend
heiterer Greis, der aber Teidenichaftlih eine Politif trieb, mit
kleinſtädtiſchem Klatſch nahe verwandt. Graf Eollorcdo, feit
zwei Jahren öfterreichifcher Gelandter, Graf Dönhof, — fpäter
Bundestagsgefandter — für Preußen beglaubigt, waren beide
unvermählt, und ich fhloß mich ihnen näher an; mit Erfterem
ingbefondere verband mich. durch 20 Jahre eine immer gleich
warme Freundfhaft. Herr D. v. Severin trat in feiner Lauf
bahn gerade damals eine Slanzperiode an, deren Höhe er während
der 25 Jahre, in weldhen er Rußland in München vertritt, nicht
mehr erreichte. Herr v. Bourgoing, ein angenehmer Gefellichafter,
etwas zerftreut, betrieb mit befonderer Vorliebe chemifche Studien
und Alterthumskunde. Seinen Yorfchungen verdantt man die
Lithophanie; fein Kabinet glih einer Werkitätte, der Salon
einer Antifenfammlung, in dem fi werthvolle Gegenftände mit
geihmadlofem Rococo anhäuften. Diefem Mugen, wiſſenſchaftlich
gebildeten Manne ſtand der englifche Gefandte gegenüber, deſſen
geiftige Eigenfchaften nicht feinem berühmten Namen entfpradyen:
Lord Erjfine, ein Ehrenmann, mar ald Politiker eine Nullität.
Könnerit und Beuft — beide nad) der Reihe fächfifche Gefchäfts-
träger — wirkten |päter, jeder in feiner Sphäre, mit Auszeichnung
21
in Wien und Dresden. Bald nachher mwurte das diploma:
tische Corps noch durch zwei Staliener vermehrt, von denen idh
feiner Zeit fpredyen werde. Don den zwei in München Iebenten
Töchtern des berühmten Miniſters v. Stein war die eine mit dem
banndverifhen Gefandten, Grafen von Kilmannsegge, vermählt,
die andere die Gattin des Grafen Giech, der, wenn gleich erblindet,
doch thätig, ald die Seele der Oppofition im Reichsrathe galt.
Dieſer Geſellſchaftskreis ſchloß fih nun mit einigen fremden
Tamilien den gaftfreien Häufern Münchens, den Kömenftein, Arco,
Tafcher, Eetto, Gruben u. a. an, in denen beinahe jeden Abend
die abwechfelndften gefelligen Genüffe geboten wurden.
Die Reihe der jährlich erfcheinenden hohen Gäfte eröffnete
dießmal der Herzog von Sachſen-Coburg mit feinen Söhnen.
Nicht ohne ein Gefühl von Theilnahme ſah man damals auf diefe
beiden jungen, Ichönen Prinzen, welche einer hoffnungsvollen Zukunft
entgegen gingen. Ihnen folgte die Kailerin, Wittwe Don Pedro's,
Herzogin von Braganza. Es war diefe -Fürftin nad längerer
Zeit wieder auf Beſuch bei ihrer Mutter in München erfchienen;
ihre edlen Züge, durd Leiden entitellt, wurden durch ausdrucks⸗
volle, ſchöne Augen gehoben, ihr Aufenthalt mar ftet3 mit Wohl:
thun bezeichnet. Die Herzogin mar von ihrer einzigen Tochter,
der Infantin Amalie, begleitet, ein Tiebliches Kind, zu einem fo
frühen Tode beitimmt.
Mnaufhaltfam folgte fi) nun der Zug der Fremden; Alles
ſchien in gefchäftiger Bewegung, deren Mittelpunft Bayern war.
Krönungen, Heereslager, der rufftfche Hof, die Reifen beinahe aller
deutfchen Fürften riefen ein fortgejeßtes Treiben hervor, und alle
Straßen waren, wie nie zuvor, mit Eil- und anderen Wagen in
unabfehbaren Reihen bededt, dad Bedürfniß nad Kifenbahnen
doppelt fühlbar. Während Gaftwirthe und Poftillione treffliche
Geſchäfte machten, ſchien man den armen Pferden den Tod ge-
ſchworen zu haben, fo fehr wurden fie gehetzt; dabei durchkreuzten
22
Conriere das Land, nad allen Richtungen mar die Genddarmerie
in angeltrengter Thätigfeit.
In London murde Bictoria feierlih gekrönt — der ron:
prinz von Bayern wohnte der Geremonie unerkannt bei —. In
Mailand feßte man dem Kaifer Yerdinand Die eiferne Krone auf;
fpäter ließ er fih in Tyrol huldigen. Ale von diefen Feierlich⸗
feiten über München zurückkehrenden Fremden fchilderten den Jubel
der Lombarden, der ſich nach ertheilter Anıneftie bis zum Enthuſias⸗
mus fteigerte. Man nannte den Kaifer nur: „il buon angelo!‘“
Eine wohl ungebeucheltere Freude empfing den Monarchen in
Innsbruck.
Schon im Frühjahre hatte fi) das Gerücht verbreitet, daß
die Kaiferin von Nußland auf den Rath der Aerzte mie der
Frau v. Krüdener fich entichloffen habe, die Molkenkur in Kreuth
zu gebrauchen. Zugleich brachte man mit diefer Reiſe politifche,
ſelbſt Vermählungsprojekte in Verbindung, und diefe Motive fchienen
gewichtig genug, um die Anftände zu befiegen, melde die Span-
nung Bayern? mit Preußen hervorrief. Der Kaifer übernahm in
Berlin die Rolle eines Vermittlers, und Frau v. Krüdener zeigte
um fo mehr Luſt, an der Seite ihrer hohen Gönnerin in ihrer
Baterftadt München zu ericheinen, ala ſich die Hinderniſſe fteigerten.
Seit Katharina II. aber hatte der ruffifhe Hof feine Verbindungen
mit den deutichen fürftlihen Familien immer weiter ausgedehnt;
Bayern war noch nicht in diefen Kreis gezogen; die Reife fam
daher zur Ausführung. rau v. Krüdener aber, melde fie wohl
zunächit veranlaßte, war eine Waiſe, Amalie; im Haufe der Gräfin
Lerchenfeld Mutter erzogen, vermählte fte fih ſchon frühe mit dem
ruſſiſchen Legationsrath v. Krüdener. Bon blendender Schönheit,
einer mehr prüden als gefallfüchtigen Haltung, war fie eine beliebte, '
allgemein geachtete Erſcheinung in der Geſellſchaft. Mutter zweier
Kinder, trat fie erft nach Jahren, für deren Zukunft zu forgen,
die erite Reife nach Petersburg an, wo fie, Mug und taftuoll,
23
fih bald zur Freundin, zum Lieblinge der Raiferin eınpor ſchwang.
Dabei wußte fie ſich eine gewiſſe Unabhängigkeit, einen Ruf von
Uneigennüßigfeit zu bewahren, welche ihrer ausnahnsweiſen Stellung
nar eine um fo längere Dauer verhieß. Wie in Münden mar
Frau v. Krüdener auch am Kaiſerhof eine elegante, fpröde, gefuchte,
beneidete Yrau. Ende Juli endlich traf die Kaiferin mit großem
Gefolge in Köffering ein, mo fie übernadytete, und dann nad
einem furzen, mit Velten angefüllten Aufenthalte in München das
Bad in der Thalfchlucht Kreuth bezog. Die Kaiferin führte ihre
14 jährige Tochter, die zarte Großfürftin Alerandra, mit fih. Die
beiden älteren Prinzeffinnen waren in Nußland zurüdgeblieben.
Eine beinahe fleberhafte Beweglichkeit, eine reizbare Aufregung
abgerechnet, konnte die Kaiferin, dem äußeren Ausfehen nad), nicht
für leidend, am wenigften als bruftfranf gelten. Edle, regelmäßige
Züge ließen ihre einft fo gefeierte Schönheit errathen. Mitte
Auguft reifte der Kaifer Nikolaus durch Münden nad) Kreuth,
befuchte jedoch einige Tage fpäter den König in feiner Mefidenz,
deren Merkwürdigfeiten er beſah. Hier gab es nun SHoftafel,
beleuchtete Gallatheater u. dgl. berfümmliche Freuden. Ich ſah
-beide Monarchen mit glänzender Suite — unter ihr der junge,
elegante Fürft Bariatinsky — einer Parade auf dem Mearzfelde
beiwohnen, wobei das Zoller'ſche Artilferiefoften vorgezeigt wurde,
fab, wie der König Ludwig auf dem Rarolinenpla dem Czaren
bei dem Obeliäfe zu erklären verfuchte, wie die im vuffifchen Feld⸗
zuge gefallenen 80,000 Bayern aud für Deutjchlands Befreiung
geblieben! und andere Dinge mehr.
Der kaiſerlich ruſſiſche Hof brachte den ganzen Auguft in
Kreuth zu, und ein ganz eigenthümliches Leben entwickelte ſich
nun, in feltfanten Kontraften, in dem engen, fonft fo ftillen Alpen:
thale. Den Mittelpunft aller gejelligen Freuden bildete aber
immer Tegernfee. War dieß herrlich gelegene Schloß — der
gewöhnliche Sommerfik der Königin: Wittwe Karoline — ſchon
24
gewöhnlid, der Schauplab der großartigiten „vie de Chateau‘,
fo nafmen jet die Spazierfahrten zu Land und zu Waffer, die
Abendunterhaltungen gar kein Ende, Alles wurde in Bewegung
gefeht; Concerte, Tableau's, Tanz, franzöfifche Liebhaberthenter;
die Mittagstafel faßte täglich 50 bis 60 Gäfte, und die Zahl der
berbeigeftrömten Fremden mehrte fih mit jeder Stunde. Eine?
Abends war die erlaudhte Berfammlung befonder3 glänzend, und
nicht weniger ald 7 Majeitäten, 14 Taiferlihe und Tönigliche
Hoheiten wohnten einer allerliebiten Borftellung von Dilettanten
im Scloßtheater bei. Die Erzberzogin Sophie unterjtüßte ihre
Mutter bei diefer oft etwas ermüdenden Gaſtfreundſchaft, und der
Kronprinz von Preußen erbeiterte durch feine immer gleich witzige
Laune den oft erniten, immer impofanten Zirkel. Es gab da der
‚anziehenden Beobachtungen, eigenthümlichen Berührungen in Fülle.
Bon Politik war bei diefen Zerftreuungen wohl nur wenig die
Rede; allgemein aber fiel auf, daß der Herzog Mar von Leuchten:
berg immer in der Nähe des Kaiſers Nikolaus gefehen wurde,
und diefer ihn in jeder Beziehung auszeichnete. Der junge,
hübſche Prinz wurde eingeladen, den Winter in Peteräburg zuzu⸗
bringen, und bald, einer fchon früher ausgefprochenen Neigung für
die Gropfürftin Marie zu Folge, feine Verlobung mit derfelben
gefeiert. ‘Dieß war im Grunde das einzige hervortretende Refultat
der Taiferlihen Meife nah Bayern. Während die Kaiferin noch
Hohenſchwangau befuchte, begab fih Nikolaus in das Lager der
bayerifhen Truppen nad) Augsburg. Ein ungemein veged Leben
zog nun in die fiillen Straßen der fchönen Stadt ein, und große
Kriegsübungen wechfelten mit glänzenden Bällen. Hier wurde ich
vom Czaren in einer befonderen Audienz empfangen, um ihn im
Namen des Großherzogs zu einem Beſuch nad Karlörube einzu:
Inden. Er entfchuldigte fi damit, daß ihm die Turz zugemefiene
Zeit nur nod einen Ausflug nad Friedrichshafen geftatte, ſetzte
aber lächelnd hinzu: „Je vous enverrai mon fils.“ In der
_
25
That, Taum hatte der Kaifer in feiner gewohnten Weife Bayern
rafch verlaflen, ald man auch ſchon feine Ankunft in Berlin,
ipäter in Moskau vernahm.
Die günftigfte Seite, melde man dem nordifchen Beſuche
abzugeminnen wußte, lag in der großherzigen Treigebigfeit des
Faiferlichen Ehepaare. Die Kreuther Molken vermandelten fich
in Gold; mit vollen Händen wurden nicht nur Toftbare Gefchente,
reichliche Trintgelder und Unterftübungen auögetbeilt, auch ein
ganzer Negenbogen von Ordensbändern verbreitete ſich über die
Hof und Kivilbeamten wie die Offiziere. — Ich ſelbſt hatte aber
nun binreihend Gelegenheit, aus meinen AJugenderinnerungen die
beiden Taiferlihen Brüder mit einander zu vergleihen. War
Merander von edler Haltung, von ſanftem, einnehmenden, feinem .
weicheren Charakter entfprehendem Weſen, machte die ernite,
majeſtätiſche Geftalt Nikolaus’ einen übermältigenden Eindrud,
fowie denn aud feine Erfcheinung in manden feierlichen Augen:
bliden elettrifh wirkte. Beide Brüder aber, die Söhne eine?
nichts weniger als reizenden Vaters, Eonnten, jeder in feiner Art,
als Ideale männlicher Schönheit gelten. E
Für Tegernfee waren indeffen „die fhönen Tage von Aranjuez“
noch nicht zu Ende Es traf da die Großherzogin Stephanie
von Baden mit der Prinzeffin Waſa zufammen, es überrajchten
die Beſuche des Erbgroßherzogd und Matbildend von Helfen,
endlich des Kronprinzen Ehriftian von Dänemark und Gemahlin.
Diefer gebildete Herr mit einem einnehmenden Aeußern bielt ſich
acht Tage in Münden auf. Er nahm lebhaft Theil an allen
Erſcheinungen im Gebiete der Künfte und Wiffenfchaften, und
verfammelte immer Abends einige Gelehrte zum The. Die
Prinzeffin Karoline von Holften war eine liebenswürdige, ver:
fländige Dame. Der Kronprinz felbft aber beftieg im nächſt⸗
folgenden Jahr als Ehriftian VIII. den Thron, auf dem er durch
26
feinen berüchtigten „offenen Brief” zu dem noch hente nicht
gehobenen Zwieſpalte Anlaß geben follte.
War das Schloßleben nun auch minder belebt, fo erfchien es
nur um fo angenehmer. Der blaue See mit feinen reizenden
Umgebungen bot ebenfo viele Anziehungspunfte, ald die großartige
Gebirganatur. Eines Tages beftiegen zwei Prinzeffinnen, von
vier Damen und ſechs Herren begleitet, beinahe ganz zu Fuße
den ziemlich fteilen, durch feine herrliche Fernſicht befannten Hirſch—
berg. Diefe Kleine Gebirgzreife mit allerlei Abenteuern ließ den
angenehmften Eindrud in uns zurüd. Ich entwarf eine Beſchrei⸗
bung, melde die Großherzogin Stephanie mit eigener Hand ver:
befferte, eine Schrift, welche ich noch heute bewahre.. — Wie
fönnte ih, it von dem Tegernſee jener Tage die Mede, nicht
meines langjährigen Freundes, des Hofmarſchalls Grafen Ed. Yrſch
gedenfen? Er war mit feiner ſtets munteren Laune und auf:
opfernder, beinahe fabelhafter Thätigkeit eine Art von Borfehung
für den Haushalt der Königin. Schon am frühen Morgen ordnete
er Alles in Küche, Keller und Stall an, begrüßte, befuchte, unter:
hielt die Säfte, nahm den Tagesbefehl der Königin entgegen, leitete
zu Pferde oder vom Bode die Landpartien u. ſ. w.; dabei war
er zärtliher Gatte und Vater, fchrieb, vechnete, bereitete Koſtüme
oder feine Rolle für die dramatifchen Abende vor, tanzte, fpielte,
und ftet3 alle Räume des Schloſſes überwachend, ging er erft mit
dem lebten erlöfchenden Lichte zur Ruhe.
Die Rückkehr nah Münden nahm wieder meine erhöhte
Thätigfeit in Anſpruch; wiederholte Audienzen und Befuche, der
Aufenthalt Tettenborn’3, Blittersdorf's u. A., endlich die Groß
berzogin Stephanie und Prinzeſſin Marie, welche noch acht Tage
bfieben. Kaum war und vergännt, die Begebenheiten näher zu
beobachten, welche ſich auswärts drängten. Während fid) Ludwig
Philippe Söhne in Algier und Merico auszeichneten, Tonnte es
ihm nicht gelingen, die Meine Schweiz zu bewegen, den Napoleoniden
27
auszutreiben. Während Preußen im beftändigen Konflift mit Rom,
die ruffifche Politik die Katholiken in Warfchau verfolgte, ſah die
Welt mit Erftaunen den Bapft einen Abgefandten des Sultans
in feierlier Audienz empfangen. In Spanien entzündete fich
der Bürgerkrieg durdy die Rückkehr des Don Carlos auf’3 Neue,
und allentbalben gab es politifhe wie kirchliche Zerwürfniſſe, ohne
daß es gerade zum offenen Bruce kam.
An diefem Herbſte wurden zwei Prinzen — beide Ludwig
Philipp getauft — geboren; fie follten einem feltenen, unvorher⸗
gefehenen Geſchicke entgegen gehen. Denn ſchon jetzt nad) 24 Jahren
beftieg der Eine — Herzog von Oporto — ganz unerwartet den
durch den fo frühen Tod feines jungen Bruders erledigten Thron
von Portugal. Der Andere jedoch, — der Graf von Paris —
[hen in der Wiege zum Thronerben Frankreichs beſtimmt, trägt
nun die Uniform eines Adjutanten in der republilanifchen Armee
Nordamerika's!!
1839.
Mit dem Winter kehrte einige Ruhe wieder, nur unterbrochen
durch die Aufnahme vernachläſſigter Geſchäfte. Eine neue deutſche
Münzconvention wurde verhandelt, abgefchloffen und von mir unter:
zeichnet. Mit den dienftlichen Arbeiten mechjelte die Befichtigung
der Neubauten und Kunftwerke, der Beſuch von Ateliers. Kaul⸗
bach entwarf feine großartigen Schöpfungen, Heß feine Schlachten:
bilder, Stieler und Türk ihre graziöfen Porträte, Rottmann feine
reizenden Landichaften; die Wände der neuen Kirchen und Paläfte
bedeckten fich täglih mehr mit wundervollen Fresken von Meiſter⸗
band, und in der Werfitätte L. Schwanthaler’3 — mehr einem
Mufeum ähnlich — wie in der Erzgießerei des vortrefflichen
Stiegelmayer war man ficher, immer neue, überrafchend fchöne
Runftgebilde zu finden; endlich die Boifferss mit ihren herrlichen
Glasbildern. Auch im Vereinslokale des Bazar wurden in jeder
28
Woche neue Werke lebender Künftler aufgeftellt. — Nicht minder
anziehend maren die Faſchingsfreuden. Zu den gemöhnlichen
Maskeraden, den Cpncerten und ſ. g. Akademien im Odeon
gefellten ſich auch die felteneren großen Schlittenfahrten, dazwiſchen
Abendunterhaltungen jeder Art im Mufeum, Frohſinn und anderen
Geſellſchaften. Nicht felten nahm der königliche Hof in der freund:
lichſten Weife an diefen gefelligen Vergnügen Theil. Heiter unter:
bielt fih da der König, oft mit Unbelannten, und feine natürliche
Leutjeligfeit erwarb ihm die wahre Popularität, welche Abſichtlich⸗
feit und Berechnung nie erzwingen Tann. Außer den GHofbällen
fanden auch noch allerliebfte Feſte in den Paläften der Herzogin
von Leuchtenberg und des Herzogs Max ftatt. Maskenzüge, koſtü⸗
mirte Quadrillen, Iebende Bilder und Charaden, Vaudevilles und
deutiches Theater in beftändiger Abwechslung. Auch ich trat eines
Abends in Steigentefh’3 „Zeichen der Ehe” auf. Gleich unter:
baltend waren die Ballette und Reiterfünfte in dem Meinen Circus
des Herzogs Mar. AU dieß läßt fi nicht fo frifh, wie in der
Wirklichkeit, auch im Gedächtniſſe feithalten. Soll ich aber Geiſt
und Charakter der Münchener Gefelligfeit fchildern, jo Tann ich
fie nur als günftig, den Ton als den einer anftändigen, wohl:
wollenden Heiterfeit bezeichnen. Es bildete bier, wie es immer
fein follte, die Cotterie die Negel, der Beſuch größerer Zirkel die
Ausnahme. Während das Auge mit Wohlgefallen auf einem
Kranze blühender Frauen rubt, das Ohr fih an den Zauber:
Hängen ausgezeichneter Muſik ergötzt, Tiegt ein nicht minderer Reiz
in der, wenn auch nicht tief gehenden, aber immer lebhaften und
feinen Unterhaltung am Kamin oder bei Tifche, in den anſpruchs⸗
Iofen - Kleinigkeiten, die man fi unter vertrauten Yreunden in
Geſellſchaft einiger gebildeter Frauen zuflüftert. Immer jeltener
findet man, was die Franzofen „‚savoir causer‘‘ nennen, und um
fo leichter ziehen Laugweile und Ermüdung da ein, wo der Salon
nur von Toilettenangelegenheiten und Stadtflatichereien ertönt.
29
Mitte März erſchien der Großfürft-Thronfolger in
Begleitung der Grafen Orloff und Medem in Münden. Sein
freundlicher Blick, fein einfaches Auftreten nahmen für ihn ein.
Meniger glänzend und fhön als fein Vater, gefiel er durch jugend:
liche Haltung, verließ aber München bald, um feine Rundreife
durh Deutſchland fortzufeßen, deren eigentlicher Zweck — eine
Brautfhau — gegen alle Erwartung in Darmſtadt ihr Ziel fand.
Der Sommer murde zu Ausflügen verwendet; ich durchitreifte
einen Theil der Gebirgäthäler von Hohenſchwangau bis Iſchl, be:
fuchte dann wieder Nürnberg — dieß Juwel unter den altdeutichen
Städten — und traf zweimal mit der fürftlih Metternich'ſchen
Tamilte, auf der Hin: und Herreife vom Johannisberg, in Regens⸗
burg und Ingolſtadt zufammen.
Die Eröffnung einer Heinen Strede Eifenbahn gegen Augs⸗
burg hin war im September für Münden ein Creigniß; dazu
die feierliche Einweihung der Auerfirhe und die Oftoberfefte mit
allen ihren feit 50 Jahren regelmäßig wiederkehrenden Freuden.
Dody auch am politiihen Emotionen war das Jahr 1839
überreih. Bon feinen Vorgängern batte e8 gar viele Wirren
übernommen; fo braden in der Schweiz nad dem widerlichen
Streite der „Klauen und Hörner” die veligiöfen Unruhen in Zürich
und anderen Orten aus; aber auch das beinahe vergeffene orien⸗
talifche Gefpenft tauchte wieder auf, und ter Tod ded Sultans
wie der Abfall Mehmed Ali's bedrohten ganz Europa mit einem
verheerenden Kriege.
Nah langem Siehthum hatte eine Krankheit weniger Tage
meinen Vater dahingerafft, und diefer fchmerzliche Trauerfall führte
wich im November nad Freiburg, ſpäter nach Karlsruhe, und erft
im Jänner 1840 fehrte ich von diefer, von vielen peinlihen Ein-
drücken begleiteten Urlaubsreife über Bafel, Züri und den Boden:
fee nah Münden zurüd.
30
1840,
Hier fand ih nun Alles in gefchäftiger Bewegung; ed hatte
ſich nach dreijähriger Zwifchenzeit wieder ein Landtag verfammelt,
deffen Ergebniffen man aus mandyerlei Gründen mit Spannung
entgegenfah. Es war die erite Verfammlung diefer Art, welche
ih in Bayern ſah. Sie machte einen von anderen Landtagen ver:
ichiedenen Eindrud auf mid. Schon das Gebäude — der che
malige Redoutenſaal — unbequem und in feiner Beziehung geeignet
für folhe Verhandlungen, nahm im oberen Stockwerke die Kammer
der Reichsräthe auf, deren Sigungen nicht öffentlich waren; aber
auch die gedrudten Berichte, in denen die Namen der ſprechenden
Mitglieder nicht einmal angeführt wurden, flößten in ihrer jchmer-
fälligen Weife nur wenig Intereffe ein. In der Kammer der
Abgeordneten fanden fih mohl einige talentwolle, felbft beftige
Nedner, aber keiner von hervorragender Bedeutung. Wie allent:
halben, bildete denn aud bier das Budget den Brennpunft der
Verhandlungen, und da war nım die Verwendung der beträchtlichen
Erfparniffe — „Erübrigungen” genannt — die große Frage des
Taged. Es fiel manches bittere Wort; die leidenfchaftliche Auf-
regung einiger Deputirten ließ es zu heftigen Scenen kommen;
Wünſche und Drohungen von der einen, Vorwürfe und Angaben
von der anderen Seite verftimmten, und dur beide Kammern
zog ſich unverkennbar der Parteigeift, zu welchem die Stellung
des entlaffenen zu dem meuen Minifter des Innern die nächte
Beranlaffung gegeben. Dennoch würde vieler Landtag, bei der.
befriedigenden Erledigung feiner Gefchäfte, wie fo viele andere,
bald der Bergeflenheit übergeben worden fein, hätte nicht eine bei:
nahe komiſche Epifode ein ungewöhnliches Aufſehen erregt; Minifter
v. Abel hatte fi in einen Augenblick leidenfchaftliher Aufwallung
binreißen laflen, in der Kammer einige, für den Fürften 2. Waller:
ftein beleidigente Worte auszuſprechen. Es kam zu ‚gegenfeitigen
81
Erklärungen, weldhe nicht genügten; ein Zweikampf follte enticheiden.
Man denke fih nun den Kronen-Oberhofmeifter ein Duell beſtehend
mit dem Minifter des Junern, und als Sekundanten den Präfidenten
des oberiten Gerichtöhofes, Grafen U. v. Rechberg, und den Kriegs:
minifter v. Gumpenberg; weld ein Schaufpiel! Dazu die Wahl
der Zeit, des Ortes. Die Herren fchoffen fih an einem Sonn:
tage bei heller Mittagsftunde in den öffentlichen Anlagen. Der
heitere Frühlingsmorgen hatte viele Menfchen in's Freie gelodt,
und ich felbit folgte der Menge, welche in den engliihhen Garten
jtrömte, um die Duellanten zurüdtebren zu ſehen. Sie erfchienen
endlih in zwei Wagen, unverfehrt. Nach zwei Schüffen hatte
man fi) auögejöhnt, umd der Vollkswitz bemerkte, nicht die Schüten,
wohl aber die Kugeln hätten gefehlt; auch babe man einige todte
Sperlinge auf dem Kampfplate gefunden u. dgl. m. bel ent:
chuldigte fi wegen der ihm in der Hitze der Debatte entjchlüpften
Aeußerung, gab Wallerftein eine Ehrenerklärung und reichte fofort
feine Entlaffung ein, welche der König jedody nicht annahın. Abel
batte feinen „Kain“ noch nicht gefunden; er follte ihm erſt fieben
Sabre fpäter in der Geftalt eined weiblichen Dämons erfcheinen!
- Der König erflärte nun dem Fürſten Wallerftern vor zwei Zeugen,
daß er von dem ganzen Vorgange nicht? gewußt und Abel ohne
feine Beiſtimmung gehandelt babe. Damit war es aber noch
nicht zu Ende; an die Stelle der Piſtolen traten nun die Federn,
welche geſchäftig offene Briefe, Ylugfchriften bis zum Efel ver:
breiteten. Was mid, betrifft, fo ließ mich die ganze Duellgeichichte
ziemlich Falt, und ich nahm auch bier, wie in allen mich nicht
unmittelbar berührenden Tragen, feine Partei. Zog mich Die
ſchroffe Haltung Abel's nie an, fo konnte mir noch weniger je
die allbefannte Perfönlichkeit Wallerſtein's irgend eine Sympathie
einflößen. Abel, arm und unbelannt, ſchwang fi nur durch fein
Talent empor, lebte einfach und zurüdgezogen und benubte feine
Macht weder um fi zu bereichern, noch fi einen Anhang zu
32
verichaffen. Auf offener Bahn, feften Sinne verfolgte er fein
Ziel, fei es nun wirklich aus innerer Ueberzeugung, fei ed in ehr-
geiziger Abſicht geſchehen. Ernſt und würdevoll, hatte er nur
mühfam fein beftiged QTemperament befiegt und fi aus religiöfen
Grundfägen wie durch Selbftbeherrihung eine ruhigere Haltung
angeeignet. Don weldem Standpunkt man aber audy immer
Abel's Wirkſamkeit beurtheilen mag, fie wird als eine ehrenvolle
erfcheinen, und die Art feines Rüdtritts ein Lichtpunft in feinem
öffentlichen Leben bleiben. Zum Töniglihen Gefandten in Turin
ernannt, trat er fpäter freiwillig in den Ruheſtand und flarb vor
nicht langer Zeit.
Die Trauermonate Tießen mid) die lärmenden Freuden und
öffentlichen Belufligungen meiden; doch ſah ih den fo überaus
gelungenen Künftlermastenzug, welcher den Beſuch des Kaifers
Mar in Nürnberg vorftellte. Das Ganze war ungemein finnreich
angeordnet, und erhielt dadurch noch ein befonderes Intereſſe, daß
der Künftler, welcher den Kaiſer fpielte, auffallend den Bildern
diefed ritterlihen Fürſten glich. Auh A. Dürer nebft anderen
Geftalten jener Epoche in Hiftorifch treuen Koftümen, ein Mummen:
ſchanz u. dgl. m. waren vortrefflid dargeftellt. Wie in keiner
Stadt halten die Künftler in Münden zufammen, vereinigen ſich
oft zu beiteren oder den Geift anregenden Unterhaltungen, und.
felten nur vergeht ein Faſching oder ein Maifeft, an dem nicht
irgend ein kunſtvoll ausgedachtes Schaufpiel witige Laune oder
geläuterten Geſchmack verriethe.
Schon feit längerer Zeit war der Beſuch des Großherzogs
Leopold von Baden in Münden befprochen worden; er fand
nun wirflih in den erften Tagen des Mai's ftatt. Yür mid
war e3 nicht nur eine große Freude, meinen Landesherrn da be-
grüßen zu dürfen; die Begegnung der beiden Monarchen hatte
auch eine politifche Bedeutung, man fah darin das Ende Tanger,
unerquidlicher Zermwürfniffe, einen ffentlihen Beweis aufrichtig
33
erfolgter Ausföhnung. Der Großherzog fand in Bayern ebenfo
wohl einen freundlichen Empfang, als der Tunftfinnige Fürſt fich
von den ‚großartigen Schöpfungen des Königs lebhaft angezogen
fühlte. Mit den berfömmlichen Hoffeften und dem unerläßlichen
Seremoniel verband ſich die genaue Befihtigung aller Merfwürdig-
feiten, und jede Stunde des adhttägigen Aufenthaltes war demnach
‚im reichfien Maße auögefült. Ih Hatte die Ehre, dem Groß:
berzog das diplomatifche Corps vorzuftellen, und folgte ihm auf
der Rundfhau der Neubauten und Kunſtſchäthe, bei der — die
willfommenfte Art, den Cyclus derfelben zu durchlaufen — bie
berühmten Meifter zum heile felbit ihre Werke erflärten. Der
Großherzog Tehrte Über Ingolftadt und Regensburg, wo er Feftungs-
werte und Walhalla befah, nad) Karlsruhe zurüd,
Die Königin Karoline, welche gewöhnlich einige Monate dag
Schlößchen Biederftein im englifhen arten bewohnte, erhielt
in jenem Frühjahre den Bejuch der Prinzeſſin Marie von Heffen,
welche fo ganz unerwartet die Verlobte des ruſſiſchen Thronfolgers
geworden war. Die Faiferlihe Braut, welche einige Jahre zuvor
ihre Mutter verloren, follte ſich bei der Töniglichen Tante auf
ihren Tünftigen, nicht leichten Beruf vorbereiten, und erhielt zugleich
den erften Unterricht in der griechifchen Religion. Mit Theil:
nahme vermeilten die Blide auf dieſer intereilanten, jugendlich
graziöfen Erfcheinung, deren etwas ſchwärmeriſche Züge ein Bild
Stieler's treu wiedergab.
An einem ſchönen Maimorgen machte ſich eine kleine Geſell⸗
ſchaft von Herren und Damen auf den Weg und erreichte am
Abende Füßen, von da begab fie ſich nad) dem über alle Beſchrei⸗
bung erhabenen, romantifhen Hohenſchwangau, mo der fürft:
liche Burgherr die MWallfahrer buldreich bewirthete. Zu gleicher
Zeit mit dem Kronprinzen verfügten wir und fodann nad dem
nabe gelegenen Oberammergau, dort dem nur alle 10 Jahre
Ich. v. Andlaw. en Tacebuch. L. 3
34
ftattfindenden Paffionsfpiele beimohnend.*) Auf dem reizenden
Gebirgsweg, an dem herrlichen Ethal vorüber, kamen wir nad)
Partenfirchen, und kehrten, vom fchönften Wetter begünftigt, voll
freundlicher Eindrüde zurüd,
An dem glänzenden Wafferfpiegel des weiten Starnberger
See's erhebt ſich ein kleines gothiſches Schloß mit Thürmen,
umringt von niedlichen Villen, die mächtige Benediktenwand und
andere zackige Gebirgshäupter als Hintergrund. Es iſt Poſſen⸗
hofen, der Sommerſitz der herzoglich bayeriſchen Familie. Den
Geburtstag ihrer königlichen Mutter zu feiern, hatte die Herzogin
Louiſe dieſelbe eingeladen, einige Tage dort zuzubringen. Die
Grafen Colloredo und Dönhof vermehrten mit mir die Zahl der
gebetenen Gäſte. Während des ganzen Aufenthaltes ſtrömte der
Regen unaufhörlich herab; Ausflüge waren ganz unmöglich geworden;
um fo mehr belebten ſich die ſonſt fo ſtillen Räume des Schloſſes;
e3 wurden Charaden vorgeitellt, es wurde gefpielt, getanzt, und
die muntere Jugend des Haufe trug auch zur Erbeiterung bei.
Mer hätte damals ahnen können, daß die eine der umberjpringenden
Heinen Brinzeffinnen zwanzig Sabre nachher ald Raiferin von
Defterreich den Winter auf Madeira zubringen, eine andere aber,
noch nicht geborne Schwefter als Neapels heldenmüthige Königin
in Gaëta die Augen einer bewundernden Welt auf fich ziehen
würde? —
Eine Erholungsreife entfernte mich nun über ſechs Wochen
von Münden und gewährte mir dur Vorführung ftet3 wechſelnder
Bilder eine ungemeine Befriedigung. Ich ſah hier Bayreuth, Hof,
Leipzig — mir noch unbefannte Städte, und hatte das ungewohnte
Vergnügen, auf einer längeren Eifenbahn nad Dresden zu fahren.
Es geichieht oft, daß, betritt man einen Ort zum erften Mal, es
und dünkt, ald wären wir fchon oft dageweſen. Die Brühl’fche
*) Grinnerungsblätter ©. 237.
35
Terraffe war mir aus Bildern nicht fremd, und die herrlichen
Gemälde in der Gallerie fahen mie liebe, alte Bekannte auf mich
herab. Wie alle Fremde erbaute mic, der muſikaliſche Gottesdienft
in der Hofkirche; ich durchftreifte den Zwinger, die Gärten, und
am wenigften ſprach mich das alte unanjehnliche Theater an. Mein
Weg führte mich durch die ſächſiſche Schweiz nah Böhmen, wo
ih act frohe Tage auf dem Scloffe Königswart zubradhte.
Fürft Metternich umgab fi da wie gewöhnlich mit Diplomaten
aller Länder, und war das Leben auch nicht jo großartig, wie auf
dem Johannisberge, fo entſchädigten dafür die näheren Beziehungen,
in welche man zu den täglichen, weniger zahlreihen Gäften trat.
Unter diefen nahm, außer der Gräfin Neffelrode, der geiftreiche
Schriftfteller der vornehmen Welt, Fürſt Püller-Mustau, zu
nächſt unfere Aufmerkſamkeit in Anſpruch. Er war mit feiner
braunen, äthiopiſchen Adoptivtochter nah Marienbad gekommen,
und batte in einem Schreiben an die Yürftin Melanie fi als
„einen vollendeten Lazarus angekündigt, der troß Schmerzen, Yieber
und Schwäche in einen ZTagreifen von Wien dort angelangt fei,
und fi) durch die ihm gütig vermittelte vortreffliche Wohnung für
Menſchen und Thiere befriedigt fühle” u. ſ. w. Seine gewohnten
Manieren, die Sicherheit, das Selbftbewußtfein, mit dem er auf-
trat, nahmen weniger für ihn ein, als das feflelude Geſpräch, dem
er, gut gelaunt, immer eine pilante Wendung zu geben weiß.
Später werde ich von den ganz eigenen Beziehungen ſprechen, in
welche ich ihm felbit und mir unbewußt, zu ihm trat.
Königswart Hatte fehr viel gewonnen; die ſchönen Park—⸗
anlagen ließen die unwirthliche Gegend vergeffen, und das Schloß
ſelbſt, neu und geſchmackvoll hergerichtet, erhielt außer der Bibliothek
und der bekannten Huffiichen Sammlung, auch noch eine weitere
Zierde in der prachtvollen Kapelle, welche ein, von Gregor XVI.
geſchenkter, reicher Altar, ſowie Glasgemälde ſchmücken. Endlich
erhebt fich im Garten unter dunklen Tannen ein altes Eruzifir in
3*
36
wild romantifher Umgebung, zu dem Pilger aus allen Theilen
Böhmend wandern.
Ueber Pilfen, an dem Schwarzenberg’ichen Schloffe Frauenberg
vorüber, kam ich nah Budweiß, von wo die Pferdeeifenbahn
bis zum Omundnerfee führt. Auf den Höhen, weldhe Böhmen
von Oberöfterreich trennen, überraſcht ein entzüdendes Rundgemälde:
die Salzburger und Steyerer Alpen bis zum Schneeberge, und die
gefegneten Fluren des Donautbald. Ich folgte nun einer Ein:
ladung der Großherzogin Sophie von Baden nad Iſchl.
Sie brachte mit den Prinzeifinnen Alerandrine und Marie einige
Wochen dort zu, um eine Bade: und Luftlur zu gebrauchen. Iſchl
ift mit keinem anderen Kurort zu vergleichen; es ift nicht das
Waſſer, dad Salz, die Luft, es find nicht die Molken, welche bier
ausſchließend Krankheiten oder verftimmte Gemüther heilen; es
verdankt feinen Ruf nur der Vereinigung all der feltenen Vorzüge,
welche das reizende Thal in fo reihem Maße bietet. Mitten im
diefer üppig⸗grünen Alpenwelt tritt uns in jedem ber herrlichen
Thäler eine andere Natur-Schönheit überrafchend entgegen, Hier
Mafferfäle, dort gigantische Felſenmaſſen, Hier ertönt des Hirten
frifhe Stimme, dort erlaufht der Jäger die Gemje auf einfam
fteilem Pfade. Jeder der 14 Seeen, welde fi) um den Schaaf:
berg, wie ein Haldband von Smaragden, reiheri, bietet wieder einen
eigenthümlichen Reiz, doch von allen Ausflügen zog mid) immer
am meiften die Gofau an. Hat man auf der Bergftraße neben
dem fhäumenden Waldbach das weite Thal erreicht, und biegt da
um die Ede, fo tritt plötzlich ein pyramidenartiger Felſen hervor
und von Minute zu Minute immer wieder ein anderer — es find
die Donnerfogel, die, verfteinerten Rieſen gleich, wie eine Leib-
wache bilden dem im Hintergrunde fi majeſtätiſch erhebenden
Dachſtein mit feinem Gürtel von ewigem Eife. Terraſſenförmig
erhebt fich die wilde Thalſchlucht mit den beiden Gofaufeeen bis
zur Gletſcherwand. — Ein frohes, harmloſes, um die Welthändel
37
unbefiimmerte® Volk bewohnt das fchöne Salzlammergut; die Bes
ſucher ſelbſt aber find größtentheild Oeſterreicher. Iſchl ift der
Lieblingsſitz der Taiferlichen Familie geworden, und um fie fchaaren
fit) der höhere Adel, mie die Beamtenwelt. In jenem Sommer
nun bewohnte auch Marie Louife, die man ald Herzogin von
Parma mit dem Titel der Majeftät begrüßte, eine Billa. Sie
fam öfter mit der Großherzogin zufammen, die fidy überdieß mit
einem freundlichen Zirkel gebildeter Herren und Damen umgab.
Die Fürſtin Karoline v. Fürſtenberg mit ihrer immer gleich
beiteren Laune, die Kurländifhen Prinzeffinnen fchloffen fi da an
die Gräfin Fl. Wrbna an. Diefe liebenswürdige Frau hatte ſich
als Wittwe in Iſchl angelauft, und ihr Haus — Palazetto ge:
nannt — mit dem nur ihr eigenen Gefchmade eingerichtet. Cine
nicht gewöhnliche Yreundichaft Hatte fie für'3 Leben mit der mehr
männlich gelehrten, als im täglichen Umgange angenehmen Fürftin
Therefe Jablonowska geſchloſſen. Bis in ihr höheres Alter erhielt
die Gräfin Flore jene Frifche und Anmuth des Geiftes, welche fie
fo beliebt, und zum Mittelpunft der außerlefenften Gefellfchaft
machte. Sie ftarb 1857.
Wie auf der Hinreife hatte die Großherzogin Sophie auch
auf dem Rüuckwege einige Tage bei der Königin Karoline in
Biederftein zugebracht. Zugleich war auch das neuvermählte
H. Leuchtenbergifche Ehepaar in München eingetroffen, daher mieder-
holt Diner3, Concerte und dgl. Später beliebte ſich danıı auch
wieder Tegernfee, wo abermals das ruffifhe Element vorherrfchte.
Doch fah man da auch den König von Sachſen, der die höchften
Berge beitieg, und, rüftig wie immer, feine gewohnten botantichen
Wanderungen fortfegte. Ein nicht minder willlommener Gaft war
der Graf v. Chambord, der gerade feinen 20. Geburtstag —
den 29. Sept. — in Xegernfee zubrachte. Ein ſchöner, blonder,
junger Mann, mehr unterfebt als fchlant, nahm er durch fein an:
ſpruchsloſes Erfcheinen ein. Seine natürlihe Ruhe und Einfachheit
38
ftand im entichiedenen Gegenfab zu den ihn ſtets umbraufenden
politifhen Leidenfchaften und ſich vielfach durchkreuzenden Intriguen
feiner Partei. Der freundlihe Ausdrud feines Geſichts entfprach
auch feiner wohlwollenden Art und ich war immer der Anſicht, daß
der junge Prinz ſich zur Uebernahme der ihm beitinmten Krone
nur wie dem Gebote einer unausweichbaren Pflicht unterzogen
hätte; fein wenig energifher Charakter Tieß ihm den Thron nicht
wünfchenswerth, mehr als eine Laſt erfcheinen, und wohl nur un:
gern gegen eime behaglidhe, unabhängige Stellung vertaufchen.
Nicht fo dachten und denken feine Umgebungen und Anhänger, die
in ihm immer den legitimen König verehren, und, wenn er gleich
finderlod, doch von Feiner Ausföhnung mit den Orleans wiffen
wollen. Auch in Münden, mo der Prinz mit Polignac zufammen
traf, brachte’ er von feinen zahlreichen Verchrern gefeiert, eine Woche
... zu. Ich befand mid) gerade zufällig bei dem Prinzen, ala er die
überraſchende Nachricht von der Tandung Louis Napoleon’3 an der
Küfte von Boulogne erhielt. Es mar nicht ohne Intereſſe, ihn,
bei dem Erfolge eines fo unfinnigen Unternehmens nahe betheiligt,
darüber fprechen zu hören, und als dritter Bewerber äußerte er
fherzweife über diefen Kampf feiner beiden Gegner um die fran-
zöfifche Krone: was mohl geichehen, wäre es dem kühnen Prätendenten
gelungen, den gerade mit feiner Familie im Schloffe Eu, befindlichen
Ludwig Philipp gefangen zu nehmen? Dod anders war e8 in den
Beſchlüſſen der Vorſehung beftimmt und beinahe noch kläglicher,
als der Straßburger, endete diefer Verſuch; vergebens bob fich ein
gezähmter Adler in die Lüfte, und der junge Abenteuerer, der
fein Leben nur der Großmuth des Königs verdanfte, hatte ſechs
Jahre lang hinreichend Zeit über die Pläne einer glänzenden Zu:
funft in Ham nachzudenken!
Vielſeitig und verwickelt geftalteten ſich die politiſchen Ereig⸗
niſſe dieſes Jahres 1840, das auch zahlloſen Prophezeiungen zu
Folge als ein verhängnißvolles in der Geſchichte erſcheinen ſollte.
89
Dody diefe gefpannten Erwartungen gingen nur zur Hälfte in
Erfüllung; ein betäubender Kriegslärm hatte fi zwar über halb
Europa verbreitet, Doch befchräntte fi das blutige Schaufpiel auf
den Kampfplatz in Syrien, wo man feit Richard Löwenherz zum
erftenmale wieder Oeſterreichs und Englands Fahnen gemeinschaftlich
auf den Thürmen von St. Sean d'Acre wehen fah! Während
Frankreich unter dem kleinen, beweglichen Tiers ſich zum allge:
meinen Kriege rüjtete, man in Deuiſchland fih an: „fie follen ihn
nicht haben“ Heiler fang, fchloffen die vier Großmächte ganz in
der Stille einen Friedensvertrag in London ab, und die fchon halb
gezüdten Schwerter Tehrten wieder in die Scheide zurüd. Das
gedemüthigte Frankreich erhielt ein neues Minifterium — 29. DH. —
und England wandte nun feine Kräfte dem aufrühreriihen Sanada,
dem unrubigen Indien, der Opiumfehde in China u. dgl. zu. Die
Königin hatte fih gber mit dem: Coburg'ſchen Prinzen Albert
vermäblt,
Wie in den zwei früheren Jahrhunderten bezeichnete audy in
diefem die Zahl 40 einen Regentenwecfel in Preußen. König
Triedrih Wilhelm II. farb den 1. Juni, und erwartungsvoll fah
man den Beränderungen entgegen, welche die neu aufgehende Sonne
bringen follte.
Endlich führte von der fernen Feiſeninſel — dem großartigſten
Grabeshügel — der Seefahrer Joinville die Ueberreſte Napoleons
im Dezember nach dem Invalidendome von Paris.
1841.
Mit dieſem Jahre fand eine 10jährige Periode in der Politik
ihren Abſchluß. Anfangs den Stürmen der Revolution preiöge:
geben, wurde Europa zulegt mit dem Ausbruche eines allgemeitten
Krieges bedroht — nun trat aber unverhofft, und zwar auf längere
Zeit Ruhe ein. Ich fchrieb damals: „dad mühlam genug zu
Stande gebrachte Flickwerk, womit man die Gewitter d. I. 1840
40
befhworen, fihert und einige Erholung nach fo langer Ungewiß—⸗
heit und allenthafben verbreiteten Wirren. Doc, ift diefe Heilung
feine gründliche; der gegenwärtige Zuftand der Dinge beruht nicht
auf einem natürlihen Gleichgewicht, nicht auf den eigentlichen
Intereſſen der Yürften und Bölfer, er ſtützt ſich vielmehr auf Die
Stärke der Heere, deren Gewicht verberblih auf die Finanzen aller
Staaten drüdt, und ift zunächſt auf Perfönlichkeiten berechnet. Die
zwei Sauptträger des Syſtems eines Triedend um jeden “Preis
leben in Paris und in Wien. In einem Sabre (1773) ge
boren, find fie vielleicht einft beftimmt, aud wieder
zufammen in dDemfelben Jahre den Schauplaß ihrer poli-
tifhen Thätigleit zu verlaſſen!“ —
- Der geichloffene Friede war demnah mehr einem vorüber:
gehenden Waffenftillftand zu vergleichen, dagegen nahmen. die foge-
nannten materiellen Intereffen einen früher nie geahnten Aufſchwung.
Ungeheure Summen wurden für Eiſenbahnen, Induſtrieanſtalten
aller Art ausgegeben; das Banf-, das Actienwejen, und mit ihm
der Börfenfchwindel gedieh zur vollen Blüthe.
Die Gefelligkeit im Faſching 1841 drehte fi zumeifi um
den Wunſch, die lebensfrohe Großfürftin Marte von Leuchtenberg
zu unterhalten. Man war finnreih in Erfindung neuer Spiele
und Tefte, welche mit jedem Tage mwechlelten. Bon den Hofzirkeln
bis zu den Häufern des Adeld und den gejellichaftlichen Vereinen
wetteiferte man in Einladungen und in Bereitung überrajchender
Kunft und anderer Genüffe Die Kaifertochter, der Gegenftand
bewundernder Huldigungen, war ungemein zart gebuut, von einer
unglaublich feinen Xaille, welcher auch eine außgefuchte, reiche und
geſchmackvolle Toilette entſprach. Ihr edles, marmorbleiches Geficht
erinnerte im Profil ganz an die Züge ihres Vaters, und glich
deßhalb auch den Porträten Katharina’3 II. Die Großfürftin war
gut umgeben — die liebenswürdige Oberbofmeifterin v. Saharzewsky
und der talentvolle Graf Wilhorsky waren in ihrer fteten Begleitung.
41
Der Herzog Mar von Leuchtenberg, militärifh erzogen, von
mehr foldatifcher, als vornehmer Haltung, ſah fih in einen, feinen
biöherigen Gewohnheiten und Neigungen fremden Kreis gezogen;
er vertaufchte eine freie, angenehme Exiſtenz gegen eine zwar
glängendere, doch immerhin abhängige Stellung, verließ das Land
feiner Jugend, das er lieb gewonnen, für die kalte Mefidenz an
der Newa, verkaufte feine herrlichen Befigungen in Italien, ent
frenıdete fi immer mehr Bayern — um nad 12 Jahren einer
aus Liebe gefchloffenen, mit Kindern gejegneten Ehe noch jung
bruftfrant zu fterben. Sonderbares Gefchi der beiden Brüder,
von denen jeder an den entgegenfehten Enden Europa’3 ein frühes
Grab fand. /
Auch die letzte unvermählte Schwefter des Herzogs, Prinzeffin
Theodolinde, wurde im Februar dem Grafen Wilhelm von
Württemberg angetraut.
Die verwirrten griechiſchen Angelegenheiten brachten auch
einen Abgefandten König Otto’3 nah Münden. Maurocordato,
in Ausdrud und Farbe des Gefiht3 an feine Abkunft erinnernd,
war ein gewandter Geichäftsmann, wohl einer der fühigiten der
Hellenen, dabei angenehm im Umgange. Außer den Bundes:
angelegenheiten mar eigentlich die griechifche Fraͤge zu jener Zeit
für Bayern die einzige von politifcher Bedeutung; fie erhielt eine
erhöhte MWichtigleit durch die fortwährenden Verlegenheiten, welche
die Finanzlage dem jungen Reiche bereitete, ed gab da Konflikte
mit den Großmächten, und nicht felten wurde auf Bayerns thätige
und Mingende Nachhülfe gerechnet. Auch die junge Königin des
Archipels erſchien und bewegte fih anmuthsvoll in der zierlichen
Nationaltracht am Münchener Hofe. Sie traf hier mit dem Groß:
herzog von Oldenburg und feiner noch immer fchönen Gemahlin
Cãcilie zufammen.
Eine Urlaubsreife, auf welcher ich einen Theil der Schweiz
befuchte, ließ die fchmerzlichften Erinnerungen in mir zurüd, und
42
Ende Auguft war ih fhon wieder in München, um mit dem
Grafen Colloredo eine Kleine Fußreife nad) Tyrol anzutreten. Wir
durchftreiften dad Achen, das Aillerthal, befuchten die Durerferner
und kehrten über dad liebliche Unterinnthal nad Tegernſee
zurüd. Hier wurde nun die Königin Karoline von zahlreichen
hohen Berwandten begrüßt. Es dien, als habe fie alle eine
Ahnung des nahen peinlihen Verluſtes ergriffen, fo fehr drängten
fi) Töchter, Nichten und Enfel um die erlauchte Frau, die, ihrer
fihtbar zunehmenden Schwädjye ungeachtet, fi dennoch gerne der
längft gewohnten Lebensweiſe im ſchönen Schloſſe erfreute. Selten
war ein Jahr vergangen, in weldyem nicht eine oder mehrere ihrer
Königlichen Töchter jene Freuden mit ihr tbeilte, — die vortrefi-
lihe Königin Marie von Sachſen, die Erzherzogin Sophie mit
den drei jungen Prinzen und der allerliebften Beinen Anna —
dazu kam nun noch Elife, zum erſten Male ald Königin von
Preußen. Auch die Großberzogin Sophie von Baden, die heſſiſchen
Herrihaften blieben einige Tage. So ging, wie immer, unter
lebhaften Treiben der letzte Aufenthalt der gaftfreien Königin in
Zegernfee zu Ende, eine gleich dunfbare wie wehmüthige Erinnerung
in dem Gemüthe der Zeugen fo genußreicher Tage zurüdlaffend! —
Aber auch in München, feit Jahren ſchon mit hohen Gäften ange
füllt, vermehrte ſich mit jedem Tage die Zahl der fürftlichen Befuche.
Die Großfürftin hatte die Stadt verlaffen, dagegen waren außer
den ſchon Genannten nun auch die beiden Großberzoginnen von
Baden zulammen angelommen. Ich wurde daher während des
Monat? Dftober beinahe täglih zur Töniglihen Tafel gebeten,
an welcher jede der beiden Fürſtinnen abwechſelnd immer über den
anderen Tag fpeifte. Dazu kam nod die Anweſenheit des Fürſten
Metternich mit feiner Familie, und eines Abends vereinigte ein
Salon im Gaſthof zum goldenen Hirfchen, wo fie wohnten, bie
Sroßherzogin Sophie, Fürft und Fürftin Metternich und den fie
befuchenden König Ludwig. Die Großherzogin Stephanie war im
48
bayerifchen Hof abgeftiegen, den fie längere Zeit wegen Linmohl:
ſeins nicht verlaffen konnte. Ich ſah da in ihrem Salon den
Bicomte d’Arlincourt, in feiner Eigenſchaft als fanatifcher Legitimiſt,
tendenziöfer Romanfchriftfteller und eitler Schwäger doppelt und
dreifach aufgeblajen und widerwärtig. Er erwähnt in feiner Art
abiprechend und unwiſſend, wie immer, auch feiner Münchener
Erlebniſſe im „Belerin“.
In den erften Tagen November zog die Königin Raroline
in die Stadt und gab ihre gewohnten Abendgefellichaften fort, bei
welchen ſich nad) der Reihe Die hoben Beſuche verabfciedeten; nur
die Königin von Preußen war geblieben, und den 11. der König
felbit, fie abzuholen, angelommen. Sn der letzten Zeit hatten die
Kräfte der Königin in beunruhigender Weife abgenommen und fie
war mehrere Tage zu Bette geblieben. Dennod wurde zur Feier
des Geburtötages der Älteren Zwillingsſchweſtern (18. November)
eine größere Gefellichaft zum Thee geladen, Sie - erfchien jedoch)
nur, um an dem Sterbbette der verehrten rau Inieend zu beten.
Die Bönigliche Yamilie, mehrere Gefandte und der Hofitant waren
die trauernden Zeugen biefer erhebenden Scene. Der Oberhof:
prediger Schmidt batte die Königin noch kurz vorher zum Tode
vorbereitet, fie felbft ihre berzoglichen Enkel gejegnet. Der feitliche
Anzug der eingeladenen Säfte ftand im traurigen Kontrafte zu
dem berzzerreißenden Auftritte, zu der laut fchluchzenden Umgebung.
Die Köntgin entfchlief fanft gegen 11 Uhr, und ihr Tod ließ eine
fühlbare Lücke in allen Schichten der Geſellſchaft zurüd. Sie
wurde aufrichtig und tief nicht nur in den ihr näher ftehenden,
fondern auch in meiteren Kreiſen bemeint, da ihr Wohlthätigkeits⸗
finn befannt und ihr Hang, Schönes und Gutes zu fördern,
immer rege war.
Schon einmal unterzog ich mich der peinlichen Aufgabe, von
der Begräbnißfeierlichkeit zu fprechen,*) und kann auch hier wie dort
*) Erinnerungsbl. S. 196.
44
nur wiederholt Die Ueberzeugung ausſprechen, daß die dabei ftatt-
gefundenen Thatfachen nur auf unbegreiflicden Mißverftändnifien,
wie dem Mangel einer vorgängigen Befprehung der Hofbehörde
mit der ©eiftlichfeit, beruhen konnten. In diefem Sinne wenigftenz
legte es der König aus, welcher einige Tage nachher den preußi-
hen und fähfifchen Gefandten wie mich rufen ließ, um uns in
entichiedenen Ausdrüden zu erflären, daß alle Vorgegangene gegen
feinen Willen und Wiffen geichehen, und fo lange Er Her, ſich
ſolche ärgerliche Auftritte nicht wiederholen würden. Die Königin
Raroline fei ihm ſtets eine theuere Mutter geweſen, fie babe nie
bei ihren Wohlthaten einen Unterfchied zmifchen Katholiken und
Proteftanten gemacht, als Landesmutter alle Unterthanen gleich
behandelt und bedacht, und er münfde, fügte er bei, daß man
diefe feine Gefinnung allgemein erfahre. Mit diefer berubigenden
Erklärung war die Suche zwar äußerlich abgethan; es gährte aber
noch Tange in den Gemüthern, und das Stadtgeſpräch, von leiden-
ſchaftlichen Erörterungen begleitet, nahm fein Ende. Die gerechte,
dur fo gereiste Stimmung noch erhöhte Trauer machte den
Winter von
1842
noch ftiller und unbebaglicher; ich brachte ihn daher meift nur in
den vertrauten Kreifen näherer Belannten zu, und beſuchte außer
dem Haufe Cetto auch häufig die Familie des fardiniichen Gefandten
Pallavicini. Sein Haus war auf einem großartigen Fuße ein-
gerichtet und gehörte in feiner Art, wenigſtens in Deutichland, zu
den felteneren Erfcheinungen. Die Mutter ded Gefandten, deren
Geburt in eine unvordenkliche Zeit fiel, leitete unumſchränkt den
Haushalt wie die Einladungen. Der Sohn, die Enkel, vorzüglich
aber die Schwiegertochter fügten ſich mit aufopfernder Gingebung
in den eigenmädhtigen Willen wie in die Launen ber alten Dame,
Sie war tet? von audgefuchten Aufmerkſamkeiten umgeben, und
45
da fie wenig fchlief, fo febte fie beinahe Tag und Nacht Alles in
Bewegung. Auf ihren Wunfh wurde Mittags und Abends der
Salon von Gäften nicht leer, und fortwährendes Spiel war dabei
die Hauptunterhaltung. Die originelle Matrone fchrieb in einem
nur ihr eigenen Style Morgenbillette und wußte auch ihrem Ge:
fpräche immer eine komiſche Wendung zu geben; ein weiblicher
Page, „getwärtig ihres Winkes“, befand ſich immer in ihrer Nähe.
Einmal fprad ich ihr von der Schönheit und Tiebendwürdigen
Grazie der Dia. d'Adda, morauf fie mir mit dem Ausdrude
eines unbeſchreiblichen Selbſtbewußtſeins erwiderte: „6 Lomellino!“
als ob alle jene Vorzüge einer Frau, welche ihrer eigenen Familie
angehörte, fi) von felbft verjtünden. Die Schwiegertochter mar
vom Haufe Doria, und ihr wie Pallavicini’3 Benehmen gegen die
alte Frau um fo fchöner, als diefe den großen Aufwand für die
Saftfreiheit nicht beftritt.
Ein anderer italienifher Diplomat, Migr. Biale-PBrela,
Erzbiſchof von Earthago, wurde zum päpftlihen Nuntius ernannt
und vereinigte alle Eigenfchaften, welche zu feinem Berufe gehörten:
feinen Anftand, umfichtige Thätigkeit, fittlihe Haltung und bie
volle Kraft der Weberzeugung, welche er, wenn glei in der
gefälligiten Form, doc immer offen und rückſichtslos bekannte.
Viale war in München geſchätzt und beliebt, mie er es verdiente;
ih werde ihm, dem ich Jahre lang befreundet, wieder auf dem
Schauplabe einer größeren Wirkfamfeit begegnen.
Ein ungemein freudiged Ereigniß für die Lönigliche Familie
war die Vermählung der Prinzeffin Adelgunde mit dem Erb:
prinzen von Modena. Get 1833 hatte Feine Ähnliche Feier
mehr in Münden flattgefunden. Die Verbindung mar in jeder
Beziehung erwünſcht, und die Kurfürftin Leopoldine erfreute ſich
vor Allen diefer Erneuerung der Tamilienbeziehungen. ‘Der Herzog:
Vater und ein jüngerer Bruder begleiteten den fürftlichen Bräutigam
nebft zahlreichem Gefolge. Die Trauung felbft wurde in fehr
46
feterliher Weife am 30. März in der Allerbeiligen-Hoflirdye durch
den Erzbifchof v. Gebjattel vollzogen. Feſte folgten in gewohnter
Weife. Die erlauchte Braut, von mehr angenehmen, als regel-
mäßigen Geſichtszügen, mit einem fanften Blide, benahm fich mit
grazidfer Würde und Takt und zeigte auch fpäter im Reichthum
und Glück wie in den vielfachen Prüfungen während einer leider
finderlofen Che den vollen Gehalt ihrer ſchätzenswerthen Eigen⸗
ſchaften. Zwanzig Jahre find mun feit jener Seit verfloffen,
Franz IV. wie fein zweiter Sohn, nadı Turzer Ehe (1849),
beimgegangen, und Franz V., der jebt vegierende Herzog, mit
Adelgunde aus dem Lande feiner Väter durch ſchändlichen Verrath
vertrieben, ift nun in Defterreidy, wo er einen freundliden Zufluchts-
ort fand.
Am Tage der großen Sonnenfinfternig begab ich mich über
Erlangen und Bamberg nah Kiſſingen, wo mid nicht eine
Badelur, wohl aber ein Kreid guter Bekannten acht Tage feithielt.
Ich traf da Tettenborn, Blitterdorf, Dubois, Varnhagen, und
befuchte Zedlitz, der täglih im Schweiße feines Angefichte einige
Strophen feines „Waldfräulein“ Dichtete. Die Friſche der Verſe
läßt nicht die ungünftigen Umftände ahnen, unter denen fie ent-
ftanden. In der Trinfhalle wurde ich der Königin von Württem:
berg vorgeftellt, und eined Morgen überrafchte und die Kunde
von dem tragifchen Tode des Herzogs von Orleans in Pariß.
Lebensweife wie die Umgebungen Kiſſingens ſprachen mich nur
wenig an; der Ragozzi ift nicht gefelliger Natur; der Kurfaal
war wenig beſucht, Pharao und Roulette wurden mäßig gefptelt,
und die Vorftelungen im mittelmäßigen Theater Nachmittags
4 Uhr Inden mehr zum Schlafe, als zur Unterhaltung ein.
Freunde Kiffingens preifen die Gegend, welche mir einförmig er-
ſchien; wohl erheben fih einige kahle Berge mit Burgruinen, aber
träge fchleicht die Saale durch das nicht reizende Thal. Von da
führte mi der Weg über das grün, beinahe idylliich gelegene
47
Meiningen nad Gotha mit feinen anzichenden Umgebungen;
ich lernte die Naturſchönheiten des Thüringer Waldes Tennen und
erreichte endlih Weimar, wo mid Merkwürdigkeiten aller Art
wie werthe Freunde erwarteten. Diefe Stadt, von mwaldigen Höhen
und herrlichen Anlagen umgeben, zehrt noch immer an ihrem alten
Nuhme. Die Gegenwart vermag nicht gleihen Schritt zu halten
mit den Erinnerungen an eine glänzende Zeit. Die großen Todten,
deren Särge Weimar birgt, werden zu oft genannt, um nidht die
Lebenden darüber zu vergeffen. Dennoch bleibt Weimar immer
noch der Sit eines regen literarifchen und künſtleriſchen Strebeng,
und im Schloffe fah ich mit Vergnügen — den Münchnern im
Kleinen nachgebildet — nieblihe Fresken, hiſtoriſche Gegenftände
vorftellend. Ich traf in Weimar, außer Plöb, auch Ap. v. Maltiz,
den ich ſchon in München gefehen, wo er fi mit der Gräfin
El. v. Bothmer vermählt hatte. Er ift num über 20 Jahre der
Vertreter Rußlands am Hofe zu Weimar. Mehr als die Politik
war aber ftet3 Dichten feine Leidenſchaft; er dichtete an den Ufern
der eisbedeckten Newa wie in den Urmwäldern Brafiliend, er dichtete
an den Heilquellen der Rheinlande wie auf den Höhen des Wiener
Waldes, im Schatten der Propyläen zu München wie am Grabe
Göthe's und Schillers. Maltiz ift eine gemüthliche, ächt deutſche
Dichternatur, und es lohnt fi) daher immerhin der Mühe, zu
erfahren, wie eigentlih ein vufliiher Diplomat Poeſie treibt.
Sinngedidhte, Sonette, lyriſche und elegiſche Verſe find theils
fentimental, theils humoriſtiſch gehalten. Der Wit dabei bleibt
fih nicht immer gleich; er ift bald treffend, dann wieder gefucht
und unverftändlich, doch meiſt harmlos; bei einer folhen Menge
von Raketen verpuffen gar viele, ihre Wirkung verfehlend, während
andere erleuchten und erfreuen. Maltiz wurde häufig mit einem
anderen Schriftfteller gleichen Namens verwechfelt, mit dem er
jedoch, ihm zum Ruhme, weder geiftig noch in irgend einer anderen
Weiſe verwandt ift.
48
Nun war Berlin da3 Ziel meiner Reife. Die Eilenbahn
führt in die flach gelegene Refidenz, ohne daß man ahnt, ſchon
angelommen zu fein. Die Jahreszeit war für einen Aufenthalt
die ungünftigfte, eine glühende Hitze Tag auf den verödeten Straßen,
und die Borftelungen in den Theatern waren in dem Grade
unbedeutend, als fie meift vor leeren Bänken abgefpielt wurden.
Nur überrafchte mich das herrliche Opernhaus, das bald darauf
abgebraunt, nun von dem neuen an pradhtvoller Delorirung noch
weit übertroffen fein fol. Die Architeltur der Kirchen und dffent-
lichen Gebäude läßt viel zu wünſchen übrig; doch als eifriger
Touriſt ſchenkte ih mir pflichtgetreu Feine al der Merkwürdigkeiten
und Gallerien. Sch beftieg fogar nicht ohne Anftrengung in dem
beißen, tiefen Sande den Kreuzberg, welcher nach genauen Meffungen
17 Fuß über der Meeresfläche Tiegen foll; ich überfah bier die ſich
in troftlofer Gegend weit ansdehnende Stadt mit ihren wenigen,
geihmadlofen Thürmen. Zwei Anfichten aber waren ed, die
mid in Berlin wahrhaft überrafchten und feffelten. Es ift zunächſt
der Meberblid, wenn man aus dem fchönen Thiergarten unter das
majeltätifhe ‚Brandenburger Xhor tritt und daB Auge von da
über die Linden und all die herrlichen Paläfte, Monumente und
Statuen fchweift, ein Gemälde, — nur dem römifhen Forum zu
vergleihen — deſſen Hintergrund das impofante Schloßgekäude
bildet. Ein Schaufpiel anderer Art erfreute mih in Sansfouci:
e3 läßt fi nichts Lieblicheres, nichts dur Wafler und Waldes:
frifche Erquickenderes denten, als diefe wundervollen Anlagen und
Inſeln mit den reizenden Königlichen Villen.
Hof, Geſellſchaft, Künftler waren: auf Reifen oder in Bädern;
nur von dem anmelenden Theil des diplomatifhen Corp —
Meyendorf, Lerchenfeld, Weftmorland, Frankenberg — murde id)
freundlicdy aufgenommen, und den Abend brachte ich gewöhnlich bei
Brefion — Bariferplag — zu. Dieſer, ein großer, ſchöner Mann,
ein gewandter Diplomat, galt für einen der Hauptträger der Politik
49
der Julidynaſtie. Er hatte die Heirath des Herzogs von Orleans
eingeleitet, und fchon von einer glänzenden Zukunft geträumt, als
feine Hoffnungen durch den unerwartet frühen Tod feines Gönner
eine erfte, bittere Enttäufhung erfuhren. Breſſon's Haus in
Berlin war eines der angenehmften, und er erft kurz zuvor mit
einer jungen, hübſchen Frau aus einer mir befreundeten Familie
vermählt. Später nad) Neapel ernannt, fand er ſich dort, weil
er den Botichafterpojten in Madrid nicht erhalten Tonnte, fo jehr
in feinem Ehrgeize verlegt, daß er fi in einem Augenblid von
Geiſtesverwirrung den Tod gab.
1842 gilt mit Recht als ein Feuerjahr; überall vernahm
man von in Flammen ftehenden Ortichaften, von Walbbränden,
Hamburg wurde von einer furdtbaren Feuerdbrunft heimgefucht,
und felbit in Berlin fchredte mich beinahe jede Nacht das unheim⸗
lihe Tuten der Nachtwächter auf; endlih in Kiffingen brannte
fogar das Strohdach der Eisgrube ab; zwei feindfelige Elemente
famen fomit in nahe Berührung.
MWiederholt und ſtets mit demfelben Vergnügen befuchte ich
Dresden, wo id außer einigen Belannten auch die Fürftin M.
Gortſchakoff fand, und eine huldvolle Einladung an das Tönigliche
Hoflager nah Pillnig erhielt. Die wohlmollende Einfachheit
der königlich ſächſiſchen Familie ift bekannt; ich fah da außer dem
Majeftäten auch die Prinzeffinnen Augufte und Amalie. Ich
hatte die Ehre, neben der Lebteren an der Tafel zu fihen, und
das Gefpräh führte natürlich auf die Luſtſpiele dieſer fürftlichen
Dichterin. Zufällig wurde an jenem Abend in Dresden eines
derfelben, „Better Heinrich“, zum erfien Male gegeben, und als
ich fie fragte: was fie bei folhen Vorftellungen empfinde? erwiederte
fie mit der ihr eigenen Beſcheidenheit, daß das ausgezeichnete Spiel
der Künftler wie die freundliche Nachſicht des Publitums fie der
fonft fo begreifliden Sorge und Angft wegen des Erfolgs enthebe.
Frh. v. Andlaw. Mein Tagtug. IL. 4
50
Ueber Annaberg und Karlsbad kehrte ich zu einem aber-
maligen 14tägigen Befuhe nah Königswart zurüd; wieder
diefelbe bewegte Lebensweiſe, wieder die immer glei große Zahl
der Säfte, unter denen die Yürften Windifchgräb und Eſterhazy,
die Lords Roden und Brabazon, Graf Flahault u. a. m.
Bei meiner Rückkehr nah Münden erwarteten mich neue
Tefte, Meilen und Zerftreuungen. Den 12. Dftober fand mit
den üblichen Teierlichleiten die Vermählung. des Kronprinzen mit
der Prinzeffin Marie von Preußen ftatt. Die Königliche Familie,
die durchlauchtigſten Eltern der hohen Braut, die Minifter, die
Gefandten, die Generalität und der Hofftant wohnten der Trauung
in Galla bei. Die noch fehr junge Neuvermählte, Klein, aber
grazidd, gefiel durch ihr beicheidenes Auftreten und ihre Tiebliche
Erſcheinung.
Für den 18. und 19. Oktober waren die deutſchen Geſandten
vom König zu zwei großartigen Feſtlichkeiten nach Regensburg
eingeladen; auch Prinz Wilhelm von Preußen und Gemahlin
folgten dem Hofe dahin. Während am 18. das Jahre lang vor:
bereitete Wert vollendet war und der wunderfchöne Bau der
Walhalla endlih in der ergreifendften Weife eröffnet wurde,
legte der König de anderen Tages, gleichfalls unter begeifternden
Reden, den Grundftein zu der großartigen Galle, melde er dem
deutfchen Kriegsruhme in den Befreiungsjahren bei Kelheim errichten
laſſen wollte. Der König war dabei in der heiterften Laune, und
das feltene Feſt wurde glüdlicher Weile von dem ſchönſten Herbſt⸗
wetter begünftigt; den folgenden Tag fuhren wir im tiefften Schnee
nah München zurüd.
So wie ich ſchon früher”) von diefen zwei denkwürdigen
Tagen umftändlih geiprochen, fo muß ich auch einer Tpäteren
Zeit vorbehalten, meine weiteren Anfichten und Bedenken über die
| *) Erinnerungsbl. ©. 232 u. fig.
51
Ausführung wie den Zweck diefer Rieſenbauten in einem befonderen
Auflage niederzulegen.
Doch für mid mar die Reihe der Hoffefte noch nicht zu
Ende. Anfangs Dezember fuhr ich dem Erbgroßherzog und dem
Prinzen Friedrih von Baden nah Augsburg entgegen. Sie
hielten fi auf ihrer Reiſe nad Wien — ihr erfter größerer
Ausflug — 10 Tage in Münden auf, und die Oberften €.
v. Roggenbach und v. Hinkeldey befanden fich in ihrem Gefolge.
Die Prinzen, von der Föniglichen Familie auf's herzlichſte bewill⸗
kommt, Tießen einen ebenfe günftigen Eindrud zurüd, als fie fidh
ſelbſt des vielen Sehenswerthen in Münden erfreuten.
Der Beginn ded Jahres
1843
brachte wieder eine Ständeverfammlung, doch war es Fein Budget:
Iandtag, daher weniger bewegt. Die Verhältniffe waren in den
drei Jahren ungefähr diefelben geblieben; das Miniſterium Abel
hatte ſich befeftigt, und in der zweiten Kammer, vom Grafen C.
Seinsheim präfidirt, traten wieder die befannten Redner auf. Die
Kammer der Reichsräthe leitete Fürſt ©. E. Leiningen, ein gut-
gefinnter, wohlwollender Weltmann, der, allgemein beliebt, an den
Tragen ded Tages lebhaften Antheil nahm. — An nicht geringe
Beſorgniß wurden wir durch, die Nachricht von der Erkrankung
des Prinzen Friedrich in Wien verfeht. Sie ging glüdlicher Weife
ohne nachtheilige Folgen vorüber.
Am Februar erhielt ich ganz unerwartet meine Abberufung
von Münden und die Ernennung in gleiher Eigenfhaft zum
großberzoglichen Minifter: Refidenten nah Parid. Doch meine
Abreife verzögerte ſich durch die Rückkehr der Prinzen, welche id)
in Münden erwarten wollte. Sie erihienen Anfangs Junt in
Begleitung des Erzherzogs Stephan, welcher mit einem, an Die
Kaiſerfamilie erinnernden Aeußeren Gewandtheit und Iebhaften Geift
. 4*
52
7717
verband. Der Erbgroßherzog aber, welcher in Jugendfriſche und
einnehmendem Welen auftrat, wird mir immer unvergeßlich bleiben,
und nichts Tieß ‚in dem jungen, an Körper und Seele gefunden,
Ihönen Prinzen da3 traurige 2008 vorausfehen, welches die Vor⸗
fehung in ihrem unerforfchlihen Rathſchluſſe ihm bereiten ſollte!
Noch erinnere ih mid, wie er, da von der Walhalla die Rebe
war, in jugendlichem, edlen Selbitgefühle ausrief: „Sehen möchte
ich fie wohl, aber würdig zu fein, einft in ihren Räumen aufge
nommen zu werden, dieß wäre mein jehnlichfter Wunſch.“ Ich
glaube mir erlauben zu dürfen, einen Brief, den der Prinz an
mid) richtete, im Auszuge mitzutheilen. Er ift aus Wien vom
22. Januar 1843 datirt — derjelbe Tag follte 15 Jahre nachher
der letzte feines vielgeprüften Lebens fein! — Er ſchrieb: „Schon
Vängft hätte ich Ihnen gerne von Herzen für Ihren Brief vom
22. v. M. und das verſprochene Tagebuch über unferen Münchener
Aufenthalt gedankt. Ich trage diefen Dank nun aufrichtig nad,
fowie ih mich gerne in hr freundliches Andenken zurückrufe.
Anfangs waren es Hundert Meine Abbaltungen, dann die traurige
Krankheit meines guten Bruder, welche mi am Schreiben hin⸗
derten! Gott ſei Dank! heute geht es wieder befier mit ihm, aber
die lebten drei bi3 vier Tage war e8 mir recht bange um fein
liebes Leben; er bat nun beinahe aufgehört zu phantafiren, er
fchläft befler, fein Puls fchlägt deutlicher und voller! Die Hoffnung
zu feiner Rettung hatte ich nie verloren, und tritt Feine fchlimmere
Kriſis ein, fo ift die größte Gefahr vorüber! Was mein Gerz bei
allen feinen Leiden fühlt, können Sie ſich Leicht denken! und meine
armen Eltern in der weiten Ferne dauern mid am meiften! Gier
in Wien haben wir die freundlichfte Aufnahme von der Welt ge-
funden: bei den Majeftäten, bei der Erzherzogin Sophie, dann bei
den guten Metternich's, und endlih in der ganzen Gefellichaft !
Fürftin Melanie, welche ich wieder diefen Morgen geſprochen, grüßt
fie herzlich; fte erinnert fi) gerne an die Zeit Ihres Hierſeins. —
53
Da ich leider mit meinem armen Kranken nit in Berührung
kommen darf, fo habe ich unfere neue Wohnung im Lichtenfteinifchen
Palais (Herrngaffe) beziehen müflen; ich ließ fie ganz ſchön ber-
richten und meubliren. Wenn Sie Yürft Leiningen fehen, fo
danken Sie ihm vielmal für feinen Brief, den ich nächſtens beant-
worten werde. Nun, nochmals Dank für Ihre fo gütige Auf:
merkſamkeit, und bitte nicht zu vergefien
Ihren ganz ergebenen
Louid von Baden.”
Diefe einfach rührenden Zeilen mögen ald Beitrag zur
Charakteriftif des zartfühlenden Prinzen gelten!
Die Stunde der Abreiſe nabte heran, und der Abſchied von
Münden fiel mir immer ſchwerer. In der That Hatte ich auch
da — ich darf e8 wohl fagen — fünf der glüdlichiten und forgen-
freieften Sabre meines Lebens zugebracht, und ebenfo, wie die Folge
zeigte, ftet3 ein freundliches, inmer ungetrübtes Andenken im Kreife
meiner Belannten zurüdgelaffen. In den angenehmften Dienftver:
bältniffen, hinreichend beichäftigt, immer belehrend und unterhaltend
zugleich angeregt, war id; in den Hofzirkeln, wie in der gefelligen
und der Runftwelt mit Wohlmollen behandelt — nun erivartete
mih ein Schauplab einer ausgedehnteren Wirkfamfeit, ich ging
einer anderen Beitimmung entgegen!
Ich traf in Karlsruhe gerade ein, als der König Ludwig, den
Beſuch des Großherzogs erwiedernd, diefe Stadt verlaffen hatte,
und nah Furzem Aufenthalte ſetzte ich meine Reife Ende Juni
nah Frankreich fort.
54
Flfter Abſchnitt.
— — —
(1843 — 1846.)
Inhalt: Paris. Weberfiht. Audienz bei Louis Philipp. Innere und
äußere Politik. Tob Bernabotte’8. Skizzen aus dem diplomatiſchen
Corps. Hohe Beſuche und berühmte Fremde. U, v. Humboldt u. U.
Gefelligfeit. Salon bed Prinzen Paul von Württemberg. Roth:
ſchild und Thorn. Die Familie Montldar. Der Faubourg St. Germain,
SHhriftfteller und Künſtler. Sehenswürdigkeiten. Anbuftrieauß-
ftellung. Ausflüge. Zwei Reifen nah England und Belgien.
Aachen und ber Rhein. Königin Victoria, Meine Ubberufung
von Paris und Krankheit. Politiſche Betrachtungen. Rückkehr nad
Karlsruhe. Emennung nah Bien,
Heer Zweibrücken, Met und Chalons gelangte ich nad
Paris, fuhr wieder zu derfelten Barriere ein, bezog das gleiche
Hotel, wie vor 13 Jahren, doch mit wie ganz anderen Gefühlen!
Bald hatte ich eine bequeme, gut gelegene Wohnung in der Rue
Zepelletier gefunden, und fühlte mich bald heimiſch. — Nie war
mir Paris ruhiger erſchienen; der König in Neuilly, die Kammer:
fatfon zu Ende; alles floh, Hitze und Staub meidend, dem
Lande zu; die Boulevard3 waren verödet, die Theater wenig be-
ſucht, nur die Champs-6lisees verriethen noch einiges lebhafte
Treiben. Ich benützte diefe Zeit, mich umzufehen, folgte mit
Intereſſe den vielfachen Veränderungen, welche fi mir mit jedem
Schritte darftellten, und fammelte fo reichen Stoff zu Beobachtungen
jeder Art. Dielen zu verarbeiten, tft jedoch nicht fo leicht; Hält
55
man fih an die zahlreichen Schilderungen diefer Weltitadt, fo tritt
und ein verworrenes Bild aus den verfchiedenartigen Anſchauungen
entgegen; überläßt man ſich ‚aber feinen eigenen Eindrüden, fo
find Diejelben meift jo überwältigender Natur, daß die Auffaffung
felten klar, nur allzu oft einfeitig wird.
Ich babe es nun in den Erinnerungsblättern”) verjucht,
in einer Reihe von Bildern feftzuhalten, was mir bejonderö be:
merkenswerth erjchienen. Es berühren diejelben den König, wie
feine Familie, die Stadt mit ihren Monumenten, die Staatsmänner,
die Sammern und Alademien, die Sitten, die Gejellichaft wie das
Volksleben. Wenn ich jedoch das Paris, wie ich es damals ge-
funden und befehrieben, mit denn Gemälde vergleiche, welches Reifende
und Zeitungen und heute davon entwerfen, jo finde ich mich darin
faum mehr zuredt; eine tiefe Kluft, über die nicht einmal eine
Brüde führt, trennt jene Epoche von der Jebtzeit! Fragt man nad
früher fo befannten Straßen, fo find viele felbft den Namen nad
verſchwunden; großartige Bauten, Anlagen der verfchiedenfien Art
erheben fi auf den Ruinen ganzer Stadttheile, welche der Zer:
ftörungsmwuth zum Opfer fielen. Sieht man fi nad) den früheren
Leitern der Politik, nah berühmten Männern, Gelehrten und
Künſtlern um; fie find verfchollen oder mindeſtens zurücgezogen.
An die Stelle der Berfaflung mit ihren lebhaften Diskuffionen trat
eine neue von ihr fo ganz verichiedene Geſetzgebung, fid, nur dem
Willen eines Einzigen beugend. Die Richtung der been, der
Gang der Geſchäfte, die Preſſe, die Sitten, ſelbſt der Geiſt der
Gerichte, alles hat fich verändert, und die Anfichten, kaum ausge⸗
fprodden, gelten auch Ichon wieder für veraltet. Was ich daber
auch den früheren Bemerkungen noch beifügen mag, kann nur
einigen Anſpruch auf Werth in biftorifher Bedeutung machen;
Anfnüpfungspunlte fehlen beinahe völlig in jeder Beziehung.
*) Erinnerungsbl. S. 239 — 820.
56
Noch mar kein Monat vergangen, feit ich mich bei dem König
von Bayern verabichiedet, ala ich auch ſchon vor Ludwig Philipp
ftand. Er empfing mid allein in feinem Kabinet, war in Uni-
form, und unterbrach meine Antrittörede mit der Verſicherung,
wie er ſich der freundnachbarlichen Beziehungen zu meinem Hofe .
freue, wie ihm aber auch mein Name befannt fei, ba die Mit
glieder meiner in Frankreich lebenden Familie feine Sugendgefpielen
geweſen; die Mutter der Frau von Genlis habe fidy in zweiter °
Ehe mit einem Herm v. Andlaw vermäßlt. Er ließ dabei durch⸗
bliden, wie unangenehm es ihn berühre, daß jene Familie fich von
den Xuilerien fern halte, während er ‚fie doc fo oft im Palais
royal geiehen u. ſ. w. — inige Tage nachher war ich in Neuilly
zu Tiſche und wiederholte dann, wie es gebräudjlidy war, uneinge-
laden meine Beſuche in den verſchiedenen Töniglichen Nefidenzen.
Louis Philipp war an ſolchen Abenden immer von einer zubor:
fommenden Höflichkeit, ſprach fi über Politik und die Tageser⸗
eigniffe aus, fcherzte, war ungemein heiter, und fung fogar eines
Abends mir und einigen deutſchen Collegen ein deutiches Lied:
„der Nachtwächter“ vor, welches er in der Schweiz gehört hatte.
Ueberhaupt ſprach er gerne von feinen Reifeeindrüden und unter:
hielt ſich mit Deutichen, Engländern und Stalienern in ihrer
Mutterfprahe. Sein ungemwöhnlihe® Gedächtniß kam ihm dabei
vortrefflich zu Hülfe, und er konnte fi) der geringfügigften Um⸗
ſtände erinnern. Nicht felten nahm er einen der Gäfte in ein
Nebenzimmer, und es entipann fi da oft ein ftundenlanges Ge⸗
ſpräch, meift über politifche Gegenftände. Eines Abends — vor
dem eriten Erinnerungstag des Todes feines älteften Sohnes —
war ber König fehr wehmüthig geftimmt; ich begleitete ihn in den
Garten, und da entwidelte er mir in langer Rede feine ganze
Lage, den Wunſch, die ihm gewordene ſchwierige Lebensaufgabe
befriedigend zu löfen; er Tam auf die Suliereigniffe, auf die be
rübmte: „cruelle alternative‘ zurüd, „und nun,“ fügte er mit
57
von Thränen erjticter Stimme bei, „ift durch den plößlichen Tod
des Herzogs von Orleand wieder alles in Frage geftellt; die großen
Opfer, welche ich in meinem Alter durdy die Uebernahme der Krone
gebracht, können möglichermweife meiner Familie nicht? nützen,“ und
- wie von trüben Ahnungen erfüllt, ſah er im DVerluft eines viel:
begabten Sohnes die Träftigfte Stütze brechen, auf welche er bei
feinen Zufunftsplänen gebaut hatte. Gleich freundlich und leut⸗
felig, wie der König, war die ihm umgebende fchöne, einige, mit
jeden Jahre ſich vergrößernde Familie.
Außer den beinahe täglichen Empfangabenden, von denen die
Namen der Befucher immer im Moniteur erfchienen, fanden auch
von Zeit zu Zeit größere Feſte mit befonderen Einladungen ftatt.
Bei den großen Hofbällen, auf denen fi 3 bis 4000 Berfonen
in bunter Mifchung drängten und drüdten, fiel gar manche Tomifche,
wie ärgerliche Scene vor — fo nahm einft ein Garde national
einer Botjchafterin, die, vor Durft lechzend, nach einem Glas
Limonade griff, diefed mit den Worten aus der Hand: „enfoncee,
ma petite mere!“ Beliebter waren die Meinen Bälle in den
elegant verzierten Gemächern des Herzogs von Nemourd. Den
größten Reiz aber hatten die von Auber geleiteten, ausgezeichneten
Hofconcerte, und dann die dramatifchen Vorftellungen, in den aller:
hiebften Schloßtheatern der Tuilerien und St. Cloud's. Die drei
Parifer Opern, das Theatre francais umd die befferen kleinen
Bühnen führten Hier ihre gelungenften Stüde auf. Eine glänzende
Zuhdrerſchaft erhöhte die Annehmlichkeit diefer genußreichen Abende.
Nur eine diefer Vorftellungen mißlang. Der König hatte das
Biftorifch gewordene Schaufpielhaus von Verfailles prachtvoll her⸗
fielen laſſen: Die Damen erfchienen im reichiten Schmud, die
Herren in Galla, es war ein überrafhender Anbiid, nur die Wahl
der Stüde verdunkelte diefen Glanz: ich nenne unter anderen nur
den „dritten“ Alt der „Muette“ und den „vierten“ der „Favorite,“
um die verunglüdte Zufammenjtellung näher zu bezeichnen.
⸗
An
68
Jeden Winter wurde das diplomatiiche Corps in Abtheilungen
zur Hoftafel geladen. Außer vielen dabei gebetenen ausgezeichneten
Fremden fiel mir einmal ein in feiner rothen Uniform eingezwängter
Engländer mit feiner fteifen Haltung und beinahe lächerlich affek⸗
firten Manieren auf. Lady Cowley nannte mir ihn auf meine
Frage als den Schriftiteller Disraëly; er hatte damals noch nicht
wie fpäter, den Ruf eines genialen Staatsmanned, und die Bot-
ſchafterin bemerkte von ihm mit einer Art von Geringſchätzung, daß
ihr Mann den eingebildeten Nomanfchreiber nicht bei Hof vorge
ſtellt habe.
Hohe frenide Gäfte waren zu jener Zeit felten in den Tuilerien.
Sie befchräntten ſich auf die nächften Verwandten, unter denen
man den ebenjo Mugen als Teutjeligen König Leopold der Belgier
immer am liebften ſah. An ihn fchloffen ſich die Herzogin v. Kent,
die herzoglich Coburgiſchen Herrſchaften an, und ebenfo erſchien
manchmal der Bruder der Königin Amalie, der lebensfrohe Salerno
mit feiner Frau, deren fhmächtige, blonde Tochter Herzogin v. Aumale
werden ſollte. Mehr als viele andere Beſuche zog die Königin
Chriſtine von Spanien durd ihre Schickſale, wie ihren eigen-
thämlichen Charakter die Aufmerkſamkeit auf fih. Sie, die fo
verhängnigvoll auf die Zukunft Spanien? eingewirkt, lebte, nun
felbft eine Verbannte, durch Intriguen aus der Nähe ihrer Tochter
verdrängt, in Frankreich. Dennoch verlor die Heine, runde Frau
nicht? von ihrem immer thätigen Muthe, jo wenig wie von ihrer
beiteren Laune. Ste war in den Tuilerien oft und gerne ge
ſehen, und vermittelte ſpäter bie Ehe ihrer zweiten Tochter mit
Montpenfter.
Die drei Jahre, welche ich in Paris verlebte, waren in
politifcher Beziehung die Epoche eines durch Feinerlei außerordent-
liche Borfälle getrübten Zuſtandes. Das Minifterium Soult⸗
Guizot Hatte ald Programm: „Friede nad Außen, Ruhe im
69
Innern!” aufgeftellt, und war demfelben 7 Jahre treu geblieben.
Nicht nur Guizot, fondern aud der König ſprachen fich fortwährend
und bei jedem Anlaffe in diefem Sinne aus, und betonten die
Gefahren, weldyen Frankreich entgegen ginge, würde man die be
tretene Bahn verlaffen. Es wurde den Welthändeln nur eine
untergeordnete Bedeutung beigelegt; man fuchte vor allen die
„Entente cordiale‘““ mit England aufrecht zu erhalten, ftand auf
freundlihen Fuße mit den anderen Großmädten, und fand oder
ſuchte Ruhm und Lorbeeren in Algier, Merico, oder im ftillen
Deean. Mean fprad mehr von der Reine Pomar6 als von ber
„Nationalitö Polonaise, “ mehr von dem Seeunterfuhungdrecte,
als von der orientalifhen Frage; Deutſchland wie Italien waren
beruhigt, und nur zeitweife tauchten wichtigere Unterbandlungen
auf; jo Batte eine unerwartete Revolution in Athen den griehiichen
Geſandten Colletti — der, ein geiftreicher, energiicher Mann, in
Paris immer in feiner Nationaltradt erfchien — an die Spibe
der Geſchäfte gebracht; fo war man unausgefebt mit den Wirren
in der Schweiz beichäftigt, wo fidh die Parteien immer fchärfer
entgegen traten, fich Freiſchaaren bildeten, die endlid zum „Sonder:
bunde” führten.
Die Königin Victoria hatte, die Freundſchaftsbande feiter zu
Mmüpfen, fih zweimal nah Eu begeben, Louis Philipp den Beſuch
in London ermwiedert. Zwei Todesfälle in den höheren Sphären
brachten nur geringe Senfation hervor. Der Herzog von Angou⸗
löme, wie er fi im Leben felbft aus dem Gedächtniſſe der Zeit-
genofien zu tilgen fuchte, war auch bald nad, feinem Ende ver:
geffen. In Stodholm ſchloß der 80 jährige Bernadotte die
Augen, und Dscar beſtieg unangefochten einen Thron, auf dem
ein Südfrankreih entftammter Eorporal die Herricher einer alten
Dynaftie verdrängt hatte. Wie in einem Lande, wo die Rückkehr
zur Tatholifchen Kirche mit Todesſtrafe bedroht wurde, mie zumal
bei dem Geifte des folgen ſchwediſchen Adels eine ſolche Der:
60
änderung im Beſitz der Krone vor ſich gehen, die neue Ordnung
fih befeftigen Tonnte, blieb mir von jeher ein Räthſel, und. wird
wohl auch in der Gefchichte eine nicht leicht zu erflärende Erfchei-
nung bilden. Daß ein Volk, im Wahne, erträumte Verbefferungen
zu erlangen, oder im Uebermaß von Leiden und Noth zum Aeußerſten
getrieben, fi nach einem anderen Herrſcher fehnt, ift begreiflich,
dag es felbft auf dem Wege der Empörung einen neuen König
wählt, ſchon oft da geweſen; doch unerhört ift wohl, daß ſolche
Wahl nit einen um das Land bochverdienten Kriegshelden oder
Staatsmann, einen der Mächtigſten oder Beiten der eigenen Nation
treffe. In Schweden wurde ein Prinz in zartem Alter, der Enkel
eined feiner audgezeichnetften Könige, vom Thron ausgefchloffen
und durch einen, wenn gleich Mugen und tapfern, doch immerhin
dem Lande weder durdy Geburt oder Yamiltenverbindungen, noch
durch Religion, Sitten und Sprache angehörigen fremden General
erießt. Der rechtmäßige Kronerbe felbit, in feiner freien, unab-
bängigen Stellung wohl glüdlicder, als im Befibe der Madıt,
wurde Dadurch für Vorgänge verantwortlih gemacht, die ihm
fremd waren, und fein ehrenwerther Charakter, feine vortrefflichen
Eigenſchaften Liegen ihn in fiiler Würde ein fchreiendes Unrecht
J ertragen, an dem er perſönlich keinerlei Schuld trägt.
Die Vorwürfe, welche die Gegner der Regierung machten,
‚durch ihre Schwäche und Friedensliebe Frankreich berabzumürdigen,
in den Augen Europa’ zu demüthigen, dem Staate nicht die ihm
vermöge feiner Macht und Größe gebührende Stellung zu ſichern,
waren nur zum Theile begründet. Allerdings opferte Louis Philipp
dem Wunfche, feiner Dynaftie die Krone, ſich felbft die gefammelten
Schäbe zu erhalten, mandje höhere Rückſicht auf; er ift nicht von
gewifjen egoiftifchen Beitrebungen frei zu fpredhen, war immer zu
Eonceffionen geneigt, fpielte gerne die Rolle eines Vermittlers
und erfaßte nur felten die Politik aus einem erhabeneren oder
genialen Standpunkt. ber eingeengt zwifchen den Frankreich
61
drüdenden Verträgen und den Pflichten, welche ihm die Art feiner
Erhebung auferlegte, hatte der König, wollte er feinem Schaufel:
fofteme entfagen, nur zwei Auswege: er mußte entiveder offen
einen Angriffötrieg beginnen, oder indgeheim die evolution in
allen für den Aufruhr empfänglichen Staaten verbreiten. Die
Vorgänge des Jahres 1840 hatten gezeigt, daß im erfteren Falle
Frankreich alfobald fi ganz Europa in Waffen gegenüber ſtehen
feben würde; die rothe Umfturzpartei aber fi zum Verbündeten
zu machen, Brandfadeln nad Italien, Polen, Spanien, Irland,
Ungarn u. f. m. zu werfen, war für den ängftlichen König ein
viel zu gefährliches Unternehmen, und da er weder Eroberungen
machen, noch jene Verträge gewaltſam zerreißen Eonnte, fo begnügte
er fi) mit den beicheideneren Siegen in Algier und fernen Welt
tbeilen, gab alle gewagten Verfuche auf und hielt eine in feinem
Sinne zeitgemäße und kluge Politik ein, fowie es denn aud nicht
diefe mar, welche zunächft feinen Sturz herbeiführte. — Mit der
Erhaltung des Frieden? nach Außen verband fi) denn auch natur:
gemäß das Streben, Frankreich den Grad von politiicher Freiheit,
materiellen Wohlergebend und behagliher Ruhe zu verfchaffen,
deren es nur immer fähig war. In der That entſprach auch der
Erfolg diefen angeftrengten Bemühungen; man hörte von feinen
Aufitänden; die lange Reihe von politifchen Mordanſchlägen ſchien
. geichloffen, Handel und Gewerbe blühten wie nie zuvor, und den R
Schlußſtein aller diefer erfreulihen Wahrnehmungen follte die forte . .
mährende Entwidelung de Eonftitutionellen Syſtems bilden. Man
wollte die zur Wahrheit gewordene Eharte immer mehr zum deal
erheben, die Theorie von dem Gleichgewichte der Gewalten ver-
wirklichen, einen Mufterftaat gründen. Dieß Ziel zu erreichen,
legte man das größte Gewicht auf die Majorität in der Kammer
der Deputirten; man war des immerwährenden Miniitermechfels
müde, — feit 1830 waren fich deren nicht weniger ald zwanzig
gefolgt; — entihied die Mehrheit der weißen Kugeln für die
62
Vorſchläge der Negierung, konnte ihr, fo wähnte man, Niemand
etwas anhaben. Wie früber, zeigte ſich auch dießmal jene Anficht
als eine trügeriſche; die Fiction, daß der ganze Schwerpunkt der
inneren Politik in jener Kammermebrheit Liege, daß diefe der
ununmundene, wahre Ausdrud der Gefinnungen und Wünſche
des gefammten Landes fei, führte zu der Verblendung, andere
Stimmen nicht hören, die Gewitterwolken nicht fehen zu wollen,
welche ſich allmälig außerhalb der Wände des Palais Bourbon
zufammenzogen, bis fie fi) endlich in demfelben entluden. Nicht
die angebliche BVerfälihung der Berfafjung, welche Guizot von
jeinen Feinden vorgeworfen wurde, war ed; es bewegte ſich das
Minifterium vielmehr immer ftreng in den geſetzlichen Formen;
es war jene Täufhung, in die es fich eingeiwiegt, es waren die
Mittel, — Bitten, Drohungen, Beriprehen, Beitehungen —
welche man nicht parte, wo es galt, einige Stimmen zu gewinnen,
weßhalb die Gewalt den Händen entichlüpfte, ald man, von den
Ereigniſſen überrafcht, zu ſchwach war, die Zügel wieder anzuziehen.
Es zeigte fi) bei diefen Anlaffe wieder mehr als je, daß Die
Staaten fih nicht nah Doktrinen regieren laſſen.
Meine eigene Thätigfeit war im Laufe jener Zeit durch
feine befonders wichtigen Tragen in Anfprudy genommen; fie be
fhräntte fi) auf den Grenzverkehr, auf Paß-, Zoll: und andere
dergleichen Angelegenheiten, und höchſtens veranlaßte hie und da
die Bewegung in der Schweiz eine ernitere Beſprechung. Guizot
ſelbſt fand ich ſtets zuvorkommend, in Geichäften Mar, in fonftigen
Mittheilungen intereſſant. Den leidenſchaftlichen Angriffen, den
gehäffigen Verdächtigungen, deren Gegenftand er 7 Sabre lang
war, febte er eine ſtoiſche Ruhe, eine feltene Uneigennützigkeit ent:
gegen. Seinem feiten, ehrenmwertben Charakter, feinem großen
oratorifchen und Schriftftellertalente verfagten aud feine entfchiedenen
Gegner eine volle, verdiente Anerkennung nicht.
Je angenehmer meine Gefchäftsbeziehungen waren, um fo
63
unertwänfchter kam mir eine Miinifterveränderung in Karlsruhe:
Her v. Blitterödorf hatte daB Bortefeuille an Herrn v. Duſch
abgetreten und mar an deſſen Stelle wieder als Bundestagsgefandter
nad Frankfurt zurüdgelehrt.
Das diplomatifde Corps nahm von jeher eine eigen:
tbümliche Stellung in Paris ein. Es bildete, wie in Heinen
Nefidenzen, da weder den Kern der Gejellihaft, noch eine beiondere
Cotterie. Die Mitglieder zeritreuten ſich daher nach allen Seiten,
ſuchten Umgang nach eigener Wahl, und fanden fi zu vertrauten
Beſprechungen mehr in Meinen Barifer Zirkeln, als unter fich
zufammen. Die Botichafter, ohnehin ſchon durch ihren Rang
abgefondert, hielten fi zurüd, und felbft die Gefandten größerer
Staaten waren, bei der unaudgefehten Jagd nad Neuigkeiten,
ſpaͤrſam in Wittbeilungen, vorfihtig in Weußerungen. In der
Geſellſchaft felbft aber fragte man mehr nad den perfönlichen
Borzügen, als dem Beglaubigungsfchreiben eines Diplomaten, und
jeder wandte fih nun gerade dahin, mo ihn Neigung, Wunfd,
fi zu belehren oder zu unterhalten, Familien⸗ oder andere Be
ziebungen gerade führten. So kam &, daß zu jener Zeit das
wohl gegen 100 Perſonen umfaffende Korps ſich nur bei feier
lichen Anläffen volftändig verfammelte, und fich einige Mitglieder,
faum mehr al3 dem Namen nach, Tannten. Beſonders waren die
überfeeifchen Gefanbten, welche man fcherzweile nur „les Diplomates
de l’autre monde‘ nannte, felten fihtbar. Zu dem Hofe ftand
das Corps im freundlichiten Verkehr, und die erfte Dame, aud
Freundin, der Königin, Mise. Dolomieu, ſah täglich einige
diefer Herren bei ih. Br. v. Courbonne verfammelte in ihrem
beicheidenen Entrefol, welches an den Salon Fuchs in Wien
erinnerte, mehrere Diplomaten um eine Lampe; man Tonnte hier,
freier als irgendwo, Anfichten wie Hof, Stadt: und politifche
64
Neuigkeiten austaufhen. — Mit mahrer Freude begrüßte ich
wieder die Jiebendwürdige Yamilie Apponyi; im engeren Kreife
wie in größeren Feften fand man fi da immer gleich behaglich;
auch waren die Einladungen in dem Grade gefucht, als die Gefell:
[haft gewählt. Diefem angenehmen Haufe zunächft ftanden jene
des englifchen Botfchafterd und des Fürſten de Ligne Er
vertrat Belgien in würdiger Weile, und fchadete ihm aud in ges
wiffer Beziehung die Erinnerung an den berühmten Großvater,
fo war er doch großer Herr im vollen Sinne des Wortes, freundlich
und beliebt. ine glei willfommene Erſcheinung in der Gefell-
haft war die Fürſtin, anmuthsvoll, gebildet, heiter wie fo viele
Frauen ihres Baterlandes Polen, und mit Recht Tonnte ich ihr
bemerfen, daß, wenn fie ihr ſchönes Schloß „bel oeil‘‘ beivohne,
dieſes eber die vielfache Zahl annehmen follte. — Reſchid Paſcha
war der zweite Türke, welcher mir durch feine forgfältige Er:
ziehbung, Sprachfenntniffe und eine vornehme Haltung auffiel,
Aber auch einen bekannten Dichter und politifchen Schriftfteller
batten wir zum Kollegen — den Spanier Martinez de Ta
Rofa. Als Staatdmann doctrinär, mit mehr Einbildungäfraft
als Scharfblid begabt, galt er für einen angenehmen Gefellichafter,
der gerne jeder Blume feine poetiihen Huldigungen darbrachte; es
waren ihm wohl die Mufen holder, als die Politik, und feiner
Feder entfloffen viel leichter Verſe, als diplomatiihe Noten. —
Der ruſſiſche Botſchafter Graf Pahlen glänzte nur durd feine
Abweſenheit; der jüngere Kifeleff, gewandt und überall gerne
gefeben, vertrat feinen Hof, in oft fchwieriger Lage, mit Takt.
Da ich im Cerele bei Hofe gewöhnlich neben ihm ftand, jo war
ih oft Zeuge des Spieles fauerfüßer Tragen und Antworten
ziotfchen dem König und dem ruffiihen Geſchäftsträger. Nicht
ohne Einfluß aber war, doch in ungewöhnlicher Weile, ein weib⸗
liher Diplomat, die Yürftin Lieven, welde fi gleihfam durd
die von ihr bewohnten Räume im Haufe Talleyrand’3 für
65
politifche Intrigen zu begeiftern ſchien. — Von den deutfchen
Geſandten nenne ich den Grafen Arnim, der, tüchtig in Gefchäften,
unvermäßlt, ſich nur damit begnügte, in dem prächtig eingerichteten
preußiichen Geſandtſchaftshotel die beften Herrendiners zu geben.
Geſelliger war der freundlihe Graf Lurburg, welder, unterftüßt
von feiner Familie, ein viel und gern befuchted Haus machte, —
endlich Drachenfels, mit dem ich fo lange in Wien unterbaltene
Treundfchaftsbande wieder anfnüpftee In den politifchen Kreifen
bewegte ſich damals ein myſteriöſes Weſen, da3 wir, feinem Auf:
treten nach, ſcherzweiſe nur mit Rodin vergleihen — der Juif
errant war gerade in der Mode —. Klindworth wurde bald
bei den Gefandten gefehen, war dann wieder gefchäftig in den
Salons und Bureaur der franzöfiihen Minifter, und feine fchöne
Tochter immer an der Seite der Fr. v. Duchätel. Mit einer
zwar beicheidenen, doch immer wichtigen Miene trieb er ſich mehr
börend und beobachtend, al3 vorlaut umher, und einem Kameleon
gleich wechſelte er die Yarbe nach allen Richtungen und Umftänden.
Er mar immer wohl unterridtet in Neuigkeiten, gemandt in ber
Teder, von den Einen geſucht, von Andern gemieden. Seine
Wohnung ſelbſt gli einer Orakel verfündenden Höhle. Das
Jahr 1848 lieh Klindworth verſchwinden, und es ift mir nicht
befannt, daß er feither irgendwo wieder zum Vorſchein gekommen.
Nicht minder machte fih ein andere Individuum, wenn
gleich in verjchiedener Weife, mit den Diplomaten zu fchaffen, man
konnte ihn gleihfam ihren Leibarzt nennen — Dr. Koreff.
Seine außergewöhnliche, beinahe abſtoßende Häßlichfeit wurde durch
einen lebhaften Geift und gründliches Wiſſen aufgewogen; unter:
baltend, mwibig, galt er aud für einen der beften und glüdlichften
Aerzte, verdarb jedoch feinen wohlerworbenen Ruf dur an
Charlatanerie grenzende Verfuche und ganz unglaublide Schwinde-
leien; bei feiner Geſchicklichkeit und oft ſtaunenswerthen Kuren
hätte er Schäbe erwerben können, mährend fein nicht gervegelter
Sch. v. Andlaw. Mein Tagebug. II. 5
Haushalt ihm nicht felten Verlegenheiten bereitete. Bei aller
Weltkenntniß und überaus reichen Erfahrungen vermochte dennoch
Roreff, taktlos, feinen Urfprung nie zu verläugnen.
Ein ganze Heer von Fremden aller Nationen ftrömte
fortwährend Paris zu, und wenn auch aus diefer Maffe hie und
da einige anziehende Perfdnlichkeiten auftauchten,: jo verloren ſich
doch die meiften unbeadhtet in dem Gemwühle des Parifer Gefell-
ſchaftslebens. Die Engländer bildeten die überwiegende Mehrzahl,
- dann kamen, mehr aufgefucht, einige reiche vuffiihe Yamilien, endlich
‚ Wurde man mit einem bisher ganz fremden Elemente näher be
fannt — es waren die Häupter arabifher Stämme, die in
ihren malerifhen Trachten und ihren feinen, ausdrucksvollen
GSefihtern mitten in der fie umgebenden Civilifation weder ſcheu
noch ungebildet erfchienen. Sie behielten immer ihren Gleihmuth,
eine getwiffe ruhige Würde, und, der Gegenftand allfeitiger Auf:
metkſamkeit, nahmen fie diefe Huldigungen ruhig Bin.
- Bon deutfhen Fürſten fah ic den Erbgroßherzog von
Sachſen-Weimar und den Herzog Mar in ‚Bayern, welde
fih beide in gewohnter Weile für alles Sehenswerthe Iebhaft
intereffirten, und das Zitterſpiel des Herzogs jah- fih von ben
Höhen der Berge plötlih in elegante Boudoirs verſetzt. Auch
die fürzlich vermählte Mise. v. Douglas, geborne Prinzeſſin
Marie von Baden, beſuchte Paris, ging jedoch nicht zu Hof.
Außer den Lords Aberdeen und Palmerſton erichienen zeitweiſe
nody andere auswärtige Staatämänner, und unter ihnen Würft
2. Dettingen:Wallerftein, welcher in befonderer Miffton die
griechifchen Angelegenheiten beiprechen ſollte. Wan fand, daß ber
ihm vorangegangene Ruf feinem Auftreten entſprach; die uner⸗
müdlihe Suada, feine weitläufigen, night immer ganz zuverläffigen
Auseinanderſetzungen fanden nicht willig Gehör, und als der Fürſt
dennoh fih in Paris feſtſetzte, felbft den feitherigen baberifchen
\
67
Geſandten verdrängte, fühlte er ſich nicht behaglich und Tehrte bald,
in feinen Erwartungen getäufcht, nah Münden zurüd.
Zu den regelmäßigen Beſuchern von Parid gehörte Alerander .
v. Humboldt. Ich konnte mich mit feiner Art nie recht ber
freunden; aufgeblafen, ſelbſt oft mürriſch und unfreundli bei
Solchen, die er unter ſich geftellt glaubte, war er von einer unans
genehmen Zuvorfommenheit höheren Perſonen gegenüber. Ein
Schriftfteller gab fi die Mühe, in Humboldt ſechs verfchiedene
Raturen: drei gute, brei verwerfliche zu unterſcheiden. Es hätte
eines jo großen Aufmandes von Scharffinn nicht beburft, um au |
beweiſen, daß man nur ganz einfah den Gelehrten von dem |
Menſchen trennen mäfle Don früheiter Jugend bis in's höchſte
Greiſenalter war er der unermübliche Foricher, der eifrige Förderer
der Naturwiffenihaften, der geniale Gelehrte, verdienſtvoll, wahr⸗
haft groß; ein tiefer Denker, ein bisher in feinem Buche nicht.
übertroffener Schriftfteller, fteht er den ausgezeichneten Geiftern
aller Zeiten würdig zur Seite. Faßt man dagegen den Eharalter,
die Gefinnungsweiſe Humboldt’8 in’8 Auge, jo war es längft für
die näher mit ihm Bekannten fein Geheimniß, daß hier, in
fchneidendem Gegenfate zu jenen glänzenden Eigenfchaften, Schattens
feiten bervorträten. Das Stillſchweigen des Grabes hätte vielleicht
biefe Sebrechen für immer bedeckt, wären nicht bald nach Hums
boldt’3 Tode feine vertraulichen Briefe an Varnhagen erichienen.
Durch die unbegreiflide Indiscretion, mit der das überfluge, alte
Fräulein Affing diefe feltfamen Mittheilungen dem ‘Drude über
geben, hat fie ſowohl dem Brieffteller ala dem Empfänger dieſer
Schreiben einen ſchlechten Dienft erwieſen. Varnhagen felbft, der
doch gewiß nicht allzu delifat in ſolchen Dingen war, nennt eins
‚mal den Inhalt jener Briefe „Impietäten“. Sie werfen ein
trübes Licht auf die Denkungsart beider Gelehrten. Humboldt fagt
darin offen, daß in der Welt Alles nur Rüge und Trug, und
man nur innigen Freunden bie Wahrheit zu fagen ſchuldig fei.
‚5°
’
68
Er machte ſich Über die Berühmtheiten feiner Zeit, über die Höfe,
an denen er gelebt und die ihn vielfach ausgezeichnet, er machte
fich über feine Bekannte, vor Allen aber über feinen Töniglichen
Freund und Gönner luſtig. Er entſchädigte fi für den Zwang
bes Hof: und gefelligen Lebens, da3 er doch, mie Keiner, auf:
ſuchte, durch nicht zu bezeichnende Ausfälle auf jene, welche ihm
nahe fanden, fchmeichelten oder ihn priefen. Wir fehen da den
riehenden Höfling beftändig mit der Maske der BVerftellung, und
hinter dem Rüden der Gefeierten verkehren ſich feine Lobes⸗
erhebungen in Spott und Verläumdung Wir bewundern den
. * Gelehrten, bedauern aber den Menfhen, deifen immenfes Wiffen,
nicht von höheren religiös-fittlichen Grundfäßen getragen, ihn nicht
vor Abwegen fchüßte, denen fein großer Geift hätte fremd bleiben
ſollen. Es ift unbegreiflih, wie ein Gemüth, erfüllt mit all den
in fernen Welttheilen gefammelten Eindrüden, die unermeßlichen
Reſultate ſeines Forſchens mit Haren Augen überfhauend und fie
in fo meifterhaften Werfen niederlegend, noch Geſchmack finden
konnte an eitlem Treiben, an Hofklatſch und aU den Meinlichen
Rückſichten, mit denen ſich der tieffinnige, YOjährige Gelehrte
umgab.
Der in deutſcher und däniſcher Sprache dichtende Oehlen⸗
ſchläger brachte ein neues Drama nach Paris, das jedoch an
Werth den früheren nicht gleichkam. Es fand ſich eine kleine
Zahl von deutſchen Zuhörern bei Koreff ein, um der Leſung jenes
Stückes, deſſen Namen mir entfallen, beizuwohnen; doch noch vor
dem Schluſſe verſchwand ein Freund nach dem anderen. Der
dicke, rothbackige Dichter konnte in ſeiner Eitelkeit eine ganze
Wolke von Weihrauch ertragen, und nahm ſelbſt ironiſche Lob⸗
ſprüche mit ſichtbarem Wohlgefallen hin.
Die ſo vielfach verzweigten geſelligen Beziehungen näher
zu ſchildern, habe ich längſt aufgegeben; in ihren flüchtigen Nüancen
69
entichlüpfen fie gleichfam der Feder oft im Augenblicke, ald man
fie zu erfaffen meint. Ton und Geift der Pariſer Gefellichaft
im Allgemeinen aber zu bezeichnen, ift fehon deßhalb vollends
unmöglid), weil er eben fein beitimmt ausgeprägter iſt und wie
ein Prisma ſich in unzählige Schattirungen zerfplittert. Hier ift
es die Prunkſucht, gleihfam eine Auäftelung von Lurusartifeln
oder zierlichen Toiletten, dort eine mohlbefeßte Tafel, hohes Spiel,
anderwärtd wieder find es Tanz oder Mufikfreuden, welche anziehen,
Richt felten finden ſich jedoch in Paris vertrautere Kreife, in denen
geiftoolle Geſpräche über wiſſenſchaftliche oder Kunftgegenftände,
feine Scherze erheitern wie belehren. Freilich läuft dabei aud.
manches alberne Wort, mandye Modethorheit mit, mie etwa jene _
naive Dame, die außrief: „il est incroyable, comme on se marie
beaucoup cet hyver & Paris, surtout les hommes!‘‘ — oder jene
andere, welche ein ihr zugeftelltes Telegramm nicht als ächt erfehnen
wollte, weil es nicht von der Hand des Abſenders gejchrieben ſei
u. |. w. Eine wahrhaft läderlihe Sitte war daB Tragen von
Bouquetten auf Bällen. Eine Dame fuchte die andere in der
Wahl feltener Blumen wie in dem Umfange des Straußes zu
übertreffen. Die Summe, welche die fo fchnell welkenden Blüthen
tofteten, hätte eine arme Familie oft wochenlang ernähren können;
würde aber eine Modedame dephalb gewagt haben, den Tanzfaal
mit leeren Händen zu betreten? — Meberdieß kamen dieſe Rieſen⸗
bouquette an Gewicht dem eines Kleinen Kindes bei; wollte man
einer jungen Mutter zumutben, während eined Abends oder felbft
auf Fürzere Zeit ihr Kind auf ſolche Weife umberzufchleppen, wie
würde fie über Zwang und Ermüdung klagen? —
Wie allenthalben, fuchte ih auch bier Anfangs den Kreis
neuer Belanntfchaften fo eng als möglich zu ziehen, mählerifc im
näberen Umgange zu fein. In Feiner Stadt mehr ald in Paris
lernt man den Werth der Stunden erfennen, nirgends geht man
bausbälterifcher mit der Zeit um. Ich befuchte daher zunächſt
70
ben Hof, die offizielle Welt, meine Kollegen, wie es meine Stellung
mit fi brachte, und verzichtete Tieber auf frivolere Unterhaltungen
an anderen Orten, um nicht die ohnehin jo fpärlich zugemefiene
Spanne Zeit allzu fehr zu verfplittern. Die größeren einbeimifchen
Adelsfamilien, die Männer der Börfe und einige reiche Fremde,
welche ihres Geldes gerne los werden wollten, waren es dem
vorzüglih, welche außerhalb jenen Regierungskreiſen die fchöne wie
die Gelehrtens und Künftlerwelt verfammelten. Alle anderen Ber:
einigungen nahmen mehr den Charakter von Eotterien an, welche
fi dann wieder je nad; dem Grade der Bildung, Stand, Sitte,
Sprache u. f. w. in unzählige Unterabtheilungen fchieden.
Seit mehr ald 20 Jahren bewohnte Prinz Paul von Wärts
temberg Paris. In morganatifher Ehe mit einer Spanierin,
Wittwe eined Engländerd (Wittinghan), lebend, befuchte der Prinz
nur felten den Hof oder größere Geſellſchaften. Er zog es vor,
einige Belannte bei Tifche zu ſehen oder mit ihnen ben Abend,
die Eigarre im Munde, vertraulich plaudernd, fpielend zuzubringen.
Damen erfchtenen nicht oft, und der Prinz fand fih nur wmter
Freunden in den mit allem Comfort eingerichteten Gemächern
bebaglih. Schöne Gemälde aus der ſpaniſchen Schule ſchmückten
die Wände. So entitand ein Salon, wie fih in Paris kein
ähnlicher fand: Männer aller Parteien, aller Länder trafen da
zufammen und, freundlich empfangen, ließ jeber, unbefümmert um
die Meinung der andern, feinen Aeußerungen freien Lauf; der
Ton war, wenn auch frei und ungezwungen, doch immer anftändig.
Außer einigen Diplomaten ſah man da Berryer und Thiers,
Martinez de la Rofa und Mignet, Nieumerkerfe und Durand de
Mareuil, An, Demidoff und Ornano, Dr. Magendie und endlich
den Hausherrn Baring, ber, Engländer, reih, Geldmann, daber
in dieſer dreifachen Eigenſchaft dreifach engherzig mar; ein fort
währendes nerodfes Zittern erhöhte nicht die Annehmlichkeit ſeiner
Perfon. Graf Alexander Girardin und Berryer zählten zu ben
71
Legitimiſten dieſer Geſellſchaft. Erſterer, einſt Freund und Ober⸗
fügermeifter Karla X., war nicht ohne Geiſt, doch auffahrend,
leidenſchaftlich, und verſuchte ſich auch in politiſchen Schriften.
Ans feiner Ehe mit einer Frau, die, von anmuthigem Verſtande,
einen jehr beliebten Eleinen Salon hielt, war Girardin kinderlos
geblieben; dafür quäfte ihn durch's Leben ein Kind der Liebe von
nicht gewöhnlichen Geiftesgaben. Nach Jahre langen Zerwürfnifſen
zwang endlich der ungeratbene Sohn den eigenfinnigen Vater, ihm
zu erlauben, den Namen de Girardin zu tragen, und fo wurde
denn allmälig der Zleine Emil ein berühmter Mann, in allen
politiſchen, literarifhen und Börſen⸗Ränken ungemein erfahren,
Schriftſteller, Weltmann, ſchwang er fi bald zu einer Bedeutung
empor, deren Höhepunkt noch nicht erreicht fein dürfte. Biel
angenehmer als die nicht Jedermann zufagende Perfönlichleit Emils
war Sophie Gap, feine erfte Gemahlin. Es war nicht Teicht
möglih, dem Reize ihrer zierlihen Feder wie der geiftreichen
Wendung ihrer Gedanten zu widerftehen. — Berryer, der glänzende
Redner auf der Tribüne wie im Gerichtöfanle, war ein wohl⸗
wollender, immer gleidy heiterer Geſellſchafter, und feine lebhaften
Erörterungen jelbft für Andersdenkende anziehend. Was aber
diefen liebenswürdigen Greis noch achtenswerther macht, als fein
unbeftritten großartiges Talent, das ift der Glaube an die Wahr:
beit feiner Ueberzeugungen, die unter allen Umftänden feinem ide,
feiner Fahne unerjchütterlid bewahrte Treue. Die Anerkennung
dieler zumal in Frankreich fo feltenen Eigenſchaften fanden einen
rührenden Ausdrud bei dem Feſte, welches alle Advokaten jeder
GSefinnung ihrem gefeierten Altmeifter bei feinem 5Ojährigen
Jubiläum gaben. |
Im Gegenſatz zu Thiers erichien fein Iugendfreund und
Mitarbeiter Mignet, fein gebildet, zurüdhaltend, mit einem Uns
fluge von Ironie. Er hatte fi von allen politiichen Berührungen
losgeſagt und, dem Archive vorftehend, diefe Stellung benüßt,
72
geſchätzte hiſtoriſche Werke zu fchreiben; ebenjo thätig wirkte er
als Mitglied der Alademie. Sein Aeußeres ift einnchmend, die
Haltung beinahe vornehm.
Damals lebte die noch mit A. Demidoff vermäblte Prinzelfin
Mathilde, Tochter des Exkönigs Jerome, in Paris und bejuchte
oft den Bruder ihrer Mutter, den Prinzen Paul. Sie mar
frahlend von Jugend und Schönheit, eine liebenswürdige rau,
aber mehr noch verlieh ihrer glänzenden Ericheinung heitere Natür-
Yichleit, fern von Gefallfucht, einen befonderen Reiz. Dean ſah
fie da von ihrem jüngeren Bruder, dem Prinzen Napoleon Jerome,
begleitet, welcher von Louis Philipp die Erlaubniß ausgewirkt
batte, ſich zeitweile in Barid aufzuhalten. Bei dem eriten Anblide
fiel der junge Mann durd die Aehnlichkeit mit feinem Taiferlichen
Oheim auf; es war diefelbe gedrlingene Geftalt, derjelbe Ausdrud
von Ernft in dem breiten Geſichte, diefelbe Haltung, wie fie und
in den Porträten des erften Napoleon aus feiner fpäteren Epoche
entgegentritt. Wer den Prinzen näher Tannte, rühmte feinen
ſcharfen Verſtand, verbehlte fich aber nicht, daß diefer mit einem
gewiffen kauſtiſchen Sinne gepaart war, welder, ſich wegwerfend
über religiöfe und politifche Gegenſtände äußernd, an Cynismus
grenzte. Bon all dieſem mar zu jener Zeit nur wenig zu fehen;
der Prinz war fill, in fich gelehrt, Iachte nur felten, und verhielt
ſich um fo ruhiger, als feine Vermögensverhältniffe eben nicht die
glängendften waren. Trat er daher mehr beobachtend als rührig
auf, fo mag überdieß der Ruf von Feigheit, welcher ihn damals
fon, wie durch's ganze Leben, begleitete, ihm eine größere Bor:
fiht im Benehmen auferlegt haben.
Prinz Paul nun, der Mittelpuntt, um den fich diefe etwas
bunt gemifchte Gefellfchaft drehte, war von einem eigenthümlichen
Charakter. Es ließen fih auf ihn die Worte anmenden, welche
Schiller feiner „Maria Stuart“ in den Mund legte. — Manche
feiner Schwächen und Fehler kamen wohl auf Rechnung einer
73
ebenfo feltfamen Erziehung als ungewöhnlihen Stellung. Er
gehörte jenen Naturen an, die, frondeur, ebenfo unzufrieden mit
Allem, als fchadenfroh find. In beitändiger Oppofition, mit dem
Wunſche, Alles nad) feinem Sinne einzurichten, war er doch wieder
in feinem Haufe fo böflih, fo friedliebend, dag er es kaum über
fich gewinnen konnte, einen Diener zurechtzuweiſen. Nur im
Eigenfinn confequent, leiftete er in diefer Beziehung Unglaubliches,
während die mit ihm näher Bekannten nur feine mwohlwollende,
Freundlichleit zu rühmen und bei allen Eigenheiten feine befleren
Seiten, die er felbft oft zu verbergen ſuchte, zu ſchätzen mußten.
Lady Wittingham, nicht ohne Spuren früherer Schönheit, verließ
den Prinzen nie und tbeilte fih mit ihm in die Zärtlichkeit für
die einzige, forgfältig erzogene und überaus gebildete Tochter, —
die Gräfin Pauline Helfenftein — welche fi! mit dem franzöftfchen
Sefandten Monteſſuy vermähltee Der Prinz hielt auf ftrenge
Ordnung im Haushalt: Schlag 6 Uhr wurde zu Tiſch gegangen,
nie auf einen Gaſt gewartet; vor Mitternacht aber zog er fich
immer zurüd. So verließ ich den Prinzen, dem ich, der Huld
wegen, mit der er mich ftet3 behandelte, ein dankbares Andenken
bewahre. Seine päteren Erlebniſſe entziehen ſich meiner Beobach⸗
tung; ich kann mid, daher nicht näher darüber äußern.
Mit der Börfenwelt kam ih wenig in Berührung; es
ſprach mich von jeher die mit mehr Oftentation als eigentlicher
Annehmlichkeit verbundene Gaftfreundfchaft diefer Häufer nicht an.
Doc James v. Rothichild, welcher ſich als öfterreichticher General:
konful wie ein Anhängfel des diplomatifchen Corps betrachtete, ver:
fendete täglich feine Einladungen nad) allen Seiten, und es drängten
fi) Mittags und Abends die Equinagen in der Rue Lafitte vor
dem herrlichen Hotel, daB mit mehr verſchwenderiſchem Lurus, als
feinem Geſchmacke ausgefhmüdt war. Die Wände waren mit
Delgemälden, Fresken, Gold und Verzierungen wahrhaft überladen,
Bronce- und Marmorftatuen, Kunftwerle, Teppiche, Stidereien in
74
Fülle, alles vom Strahle der taufend Kerzen übergoffen. Die
üppigften Diners, genußreiche, durch die beften italienifchen Stimmen
gehobene Eoncerte, endlih Bälle von feenartiger Pracht erfreuten
in reicher Abwechfelung die berbeiftrömenden Säfte, melde allen
Ständen, beinahe allen Nationen angehörten. “Die innere Ein-
richtung des Hotels felbft war, fagte man, nur von dem Balafte
des reichen Hope übertroffen. Zeugen erklärten diefen für den
glängendften in ganz Paris; ich ſah ihn nie Die Bälle bei
Rothſchild wurden eigentlich im Namen der Eltern der Frau James
gegeben. Baron Salomon, in feiner originellen Weiſe, zog fidh
jedoh ſchon in fein Schlafgemach zurüd, ehe der lebte Wagen
mit den Gäſten vorgefahren, und nicht felten erhielt er da Befuche
von Damen der Geſellſchaft. Seine Ehehälfte unterzog fi der
undankbaren Mühe, die Eintreffenden an der Thüre zu empfangen.
Um fi vor Erfältung zu fchüben, bebedte fie ſich mit einem
Hermelinmantel und begrüßte ſtumm bie fi ſtumm verneigenden
Säfte. Am Tanzfanle dagegen machte die anmutbige Hausfrau —
wohl die Perle der Familie — in einer Weile die Honneurs,
um welche fie die Damen der älteften Adelsgeſchlechter hätten
beneiden Tönnen.
Unter den Fremden that fidh ein reicher Amerifaner zweifel⸗
haften Urfprungg — Thorn — hervor. Mehr als der Amphy⸗
thrion felbft, zog mich die Frau feines Sohnes, Therefe v. Leykam,
an. Sie, die jüngere Schweiter der veritorbenen Yürftin Antoinette
Metternih, war, wenn gleich weniger jchön und angenehm als
diefe, dennoch beliebt, und mit dem ihrer Familie eigenen mufile>
liſchen Sinne mußte fie den etwas fteifen Salon zu beleben. Liszt
war von den gewöhnlichen Gäſten. Kine Tages führte mich
Thorn durch die Prunkgemächer und bemerkte mit der befriedigten
Miene eines reihen Smporfömmlings: „Jo suppose, que le
prince Metternich verrait avec plaisir, que sa bellesoeur
n’est pas trop mal établie.“ Die arme Xherefine, welche unter
5
jo eigenen Umfländen jene Ehe eingegangen, ſah ihren jungen
Mann Iangfam dahin fierben und Lehrte mit ihren Kindern bei,
wie man fagt, ziemlich mißlichen Berhältniffen in Begleitung der
Schwiegereltern nad Amerika zurüd. Ihre weiteren Schickſale
find mir unbefannt geblieben.
Die Geſellſchaft der höheren Ariftofratie wird feit langer
Zeit die des Faubourg St. Germain genannt, wenn gleich
nicht alle alten Adeldfamilien diefe Vorfladt bewohnen. Seit der
Aulirevolution 308 fi die Mehrzahl derfelden vom Hofe zurüd
und eröffnete auch die Thore ihrer Hotels — entre cour et
jardin — nur Verwandten und gleichgefinnten Freunden. Ich
fam von allen diejen zunächſt nur mit der weitverzweigten Familie
Andlaw in Berührung, welche in ihren, etwa aus 40 Perſonen
beftehenden Mitgliedern beinahe wieder einen eigenen Geſellſchaftskreis
im Kleinen bildete. Es gab da ſchöne, elegante Frauen, geifts
reiche, verdiente Männer, und wenn fi Abends die zahlreiche,
einige Bamilie um die 8Ojährige Gräfin Orglandess Andfaw ver:
fammelte, fo glaubte man ſich bei den lebhaften Erzählungen jener
jeltenen Frau in die Zeiten altfranzöfifger, gejelliger Sitte, eines
feinen Geiſtes verfeßt. Sie, welche in Triano mit Marie Antois
nette in Kleinen Opern geipielt, dann die Schreden der Revolution
glücklich üderftanden, lebte nun, umgeben von liebenden Kindern,
von zarten Enkeln, ihren reichen Erinnerungen. Sie feierte mit
ihrem gleichfalls in hohem Alter verftorbenen Gatten die goldene
Hochzeit. — In jemen Kreifen fand ich gar viele frühere Belannte
wieder, zu denen ich auch den Grafen Ed. Lagrange zählen darf.
Huch zwei alte 90 jährige Damen und zwei Greife, welche zwar
nicht geborne Pariſer, doch unzertrennlich von der Gefellichaft
erſchienen, ftarben beinahe zu gleicher Zeit. Lady Albourough
und die Gräfin Burke fehlen der Tod vergeffen gu haben, denn
fo ſehr gehörten beide in Tracht, Ton und Anfichten einer längft
verfchiwundenen Zeit an; ihnen folgte bald der allbefannte ruffilche
76
Fürft Tuffiakin mit dem ihn ftetS begleitenden Torticolli, endlich
Lord ...„ der feine alten Füße noch bis an’3 Ende in Bewegung
jegte, an jeder Quadrille Theil nahm und um den fich die jüngften
Damen riffen, weil er in feiner Jugend ein Lieblingätänzer Marie
Antoinette’3 war.
Bei einem der Galladinerd, welche Guizot oder MI. Sebaftiani
gewöhnlih am 1. Mai veranftalteten, befand ich mich zur Seite
eined berfulifch gebauten Mannes mit jchiwarzgelodten Haaren und
einem mächtigen Barte. Seine Uniform, die über und über in
Gold geftidt, und die breite Bruft fonnten faum die Menge von
Orden aufnehmen, welche der ftämmige Mann zur Schau trug.
Er war fo mit Prüfung des Speifezettel3 beſchäftigt, daß ich den
Ton jeiner Stimme nit vernahm, und darauf beichränfte ſich
denn auch unfere Belauntihaft. Der ftille, große Dann war
aber, wie ich erfahren, Munoz, Herzog von Rianzares.
Die Grafen Morny und Walewski aber, welche verwandt:
fhaftlihe Bande halber fpäter zu fo hohen Würden gelangen
folten, waren damals nur ala junge Lebemänner ohne irgend eine
politifhe Bedeutung bekannt.
Noch will idy zum Schluffe diefer Skizze einer Familie er-
wähnen, welche ih früher nur menig gefannt und nun in Paris
zu meinem Erftaunen beinahe täglich in den verichiedenften Salons
traf — es war dieß die fürftlihe Tamilie v. Montlear. Die
Fürftin, die Tochter jenes geifterfehenden Prinzen Karl von Sachſen
und einer polniſchen Gräfin, war fchon in früher Jugend an den
Prinzen von Savoyen-Carignan vermählt und dadurch die Mutter
Karl Albert? geworden. As Wittwe hatte fie fih mit dem in
den Fürftenftand erhobenen franzöfiihen Edelmann Montlsar ver:
ebelicht, und von zahlreihen Kindern aus diefer Verbindung waren
ihr nur ein Sohn, eine Tochter geblieben. Jahre lang hatte Diele
Familie den Galizienberg bei Wien bewohnt, wo fie beinahe ber:
metifch abgeichloflen, ebenfo wenig Beluche empfing, als fie felbft
77
nur felten ihr Gebiet verließ; viele Tafeln marnten den verirrten
Wanderer, ſich ja nicht dem Schloffe zu naben. Nur in jedem
Jahre, gewöhnlich einmal, erhielt die Fürftin den Beſuch ihrer
Tochter, der Erzberzogin Rainer. Montlear felbft, ein ſchwäch⸗
licher, an einem Fuße gelähmter Mann, zeigte ſich bie und da in
Wien, während man von feiner Tochter nur mußte, daß fie vor:
trefflih ritt, als kühne Schwimmerin die Probe über die große
Donau abgelegt, aber mit feinem Mädchen ihres Alterd in nähere
Berührung kam. Ebenſo wenig fihtbar war der Sohn, welcher,
wie es fich ſpäter zeigte, feine einfame Jugendzeit benüßte, bei
nicht alltäglichen Tähigleiten gediegene Kenntniffe zu erwerben.
Diefe Taum dem Namen nad in Wien bekannte Familie wer
num plößlih in ein elegantes Hotel der Rue Montmartre zu
Paris verfeßt und erwies ſich da ebenfo gefellig, als ſie früher
für menſchenſcheu gegolten. Ste ſahen zwar, mit Ausnahme eines
einzigen großen Balles, nur felten viele Leute bei fih, nahmen
jedoch gerne Einladungen an. Die lebhafte, alte Dame mit ihren
ſtark marfirten, einflige Schönheit verrathenden Gefichtözügen und
dunklen, ftechenden Augen, war immer von ihrer Tochter begleitet,
die, mehr ernit ala einnehmend, einen faſt männlich gebildeten Geift
und felten Charakter zeigte. Wie fie, verläugnete auch die Mutter
ihre Weberzeugungen nad) feiner Seite bin; beide wollten frei von
jedem Vorurtheil erfcheinen und trugen offen ihre religidg-politifchen
Anfihten zur Schau. Nachdem ich Paris verlaffen, hörte ich,
daß fih in der Familie Zerwürfniffe erhoben, welche ſelbſt zu
gerichtlichen Verhandlungen führten, und bald nad dem Ableben
der Mutter auch die Tochter, noch jung und unvermählt, geftorben
fei. Der Sohn Morik jedoch, feinen Studien und Neigungen
lebend, folgte eigener Wahl und heirathete ein älteres Srauenzimmer
aus bürgerlichem Stande, mit der er zurüdgezogen in Wien lebt.
78
Sol ih nun no von den Pariſer Gelehrten, Schrift:
fRellern und Künftlern jener Zeit ſprechen? Ihre Zahl war
Legion und Romanfchreiber mit Dichtern bildeten entichieden die
Mehrheit. Sie zogen ſich nicht, wie in anderen Städten, ſcheu
in ihre reife oder Studirftube zuräd; man Tonnte ihnen öfter in
der vornehmen Welt begegnen. Es war mir immer von Sinterefie,
mit in der Wiffenfchaft und Literatur bekannten Namen näher
befannt zu werden; ich fuchte fie jedoch nicht ängſtlich auf, drängte
mid nicht, wie Andere, an fie heran, und überließ es dem Zufall,
mich in nähere Berührung mit ihnen zu bringen. Entiprechen
ihre Werke nicht unferen Anfichten, fagen fie unferer Geſchmacks⸗
richtung miht zu, weßhalb fol uns eine mündlihe Unterredung
mit dem und nicht Geiftesverwandien wüunſchenswerth ericheinen?
Haben uns aber ihre Schriften unterhalten, erfreut, erhoben, über:
zeugt, felbft begeiftert, fo wirkt, mie mich nur zu oft die Erfahrung
belehrte, die perſönliche Bekanntichaft des Verfaſſers oft ftörend
auf jene günftigen Eindrüde; er erfcheint jelten in dem Lichte, das
mir und von ihm entworfen; unb enttäufcht wenden wir uns von
ihm ab und lieber wieder feinem Buche zu. Aber wahrlich kann
man berühmten Autoren eine Amvandlung von übler Laune nit
verargen, fieht man das förmliche Treibjagen, welches Einheimiſche
wie Fremde um bie Weite nad) den |. g. „Celebritäten“ anftellen.
Mit Briefen und AZufendungen überbäuft, von Beiuchen beläftigt,
werden fie audy noch um Hülfe und Rath angefprochen, um Auto:
graphen gequält, in jeder WWetje gepeipigt. Es fallen ſolche halb:
gelehrte Touriften mit Gier über jeden Schriftfieller her, um ihn
außzubeuten, zu langweilen, und ed ift ihnen gang gleichgültig,
welche Meinung ber Gefeierte non ihnen bat, wenn fie nur ers
zählen ober ſchreiben Finnen: „wie er ſich räufpert, wie er fpuft“
u. f. w. Ein Berliner verfolgte Victor Hugo mit Bifitenkarten,
und ald er endlich nach vielen vergeblihen Verſuchen in das
Kabinet ded Dichterd trat, wurde er von ihm in Feiner eben fehr
79
freundlichen Weiſe empfangen; doch was Tag dem wißbeglerigen
Manne daran, hatte er doch die Atmofphäre Hernani's und anderer
Meifterwerke eingefogen! Auch das Andenken an die Todten ließ
der Unermädliche nicht in Ruhe, er wollte durchaus daB Haus
und in diefem dad Zimmer und darin wieder die Wanne ſehen,
in weicher Markt ermordet wurde, und zu feinem großen Berdruffe
fonnte er all dies nicht mehr finden!
Meinem angedeuteten Vorſatze getreu mußte ich daher auf
die Begegnung gar mander Schriftfteller verzichten, und ſah fo
weder Ehatenubriand noch Bictor Hugo, traf nicht mit Balzac,
Georges Sand, Al. Dumas u. U. zufammen. Salvındy uud
Billemain, die beiden Bücher jchreibenden Miniſter, ſprachen
mid nit an; der erfte, mehr aufgeblafen, als feine Berdienfte es
erlaubten, der andere, bald einer Geiſteskrankheit anbeimfallend,
die ihn fpäter wieder verließ. Jules Janin tft, bei allem Ber:
flande, eine gemeine Natur; wie in jenem Aenßern, Yiegt auch in
feinen Anfichten: nicht? Edles; die Schärfe feiner Kritik kleidet fich
in einen geſchraubten Styl, in eine, Vielen kaum genießbare
Form. Ihm gegenüber trat E. Sue ald ein wahrer Dandy auf.
Sein eleganter Anzug, feine ruhige Haltung und eine gewiſſe
Gemeffenbeit fiherten ihm Bürgerrechte in den feinften Kreifen.
Auch feine mit dem raffinirteften Lurus ausgerüftete Wohnung
verrieth ariſtokratiſche Gewohnheiten; all dies vornehme Treiben
aber ftand im fchneidenden Kontrafte zu dem Schmerzensſchrei über
das Elend des Volkes, welcger in allen feinen Werfen nachklingt;
der Sybarit, welcher fo gerne die Foftbilligiten Genüfle und Aus-
ſchweifungen jeder Art mit der vornehmen Welt, felbft mit dem _
demi monde theilte, fand nicht Seufzer, Thränen und - Ver
wünfchungen genug, um das Loo8 der arbeitenden Klaffe zu
beflagen und fie gegen die Höherſtehenden oder Befibenden aufzu⸗
reizen. Noch bis zur lebten Stunde, verbannt, fehte er feine
troftlofen, focialiftifchen Lehren fort, und Glück wie Genuß als
80
des Lebens höchſtes Ziel anpreifend, raubte er in graufamem
Spotte feinen Anhängern die Ausficht auf ein befleres Senfeits.
In Geſellſchaft war E. Sue wortfarg; fill beobadhtend, ſammelte
er da Stoff für feine Bücher, fog, wie es kam, Honig aus einer
Blume oder Gift aus einem flüchtig hingeworfenen Worte. Nicht
felten erichien fo, mas er Abends gehört, des anderen Tages in
irgend einem Yeuilleton. Die junge, bübfche Yrau eines meiner
Kollegen erzählte ihm einft, daß ſich unter ihren vielen Schweitern
auch Zwillinge befänden, welche Rofa und Blanka getauft wurden.
Wie erftaunte fie nun, ald in einem der nächſten Kapitel bie
Zwillingsſchweſtern „Rose et Blanche‘ als Hauptperfonen im
„ewigen Juden“ vorgeführt wurden!
Der Heine, lebhafte Scribe mit dem großen, wie aus Holz
geſchnitzten Kopfe bewegte fich gerne in heiterer Geſellſchaft, die er
mit feinen geiftreihen Wiben erfreute. Er war der König unter
den Vaudenilledichtern und von Vielen feined Glückes wegen beneidet.
Jeder Zoll ein Franzoſe, nahm er es denn mit der Bearbeitung
biftorifcher Stoffe nicht genau, und wie er eine feine Kenntniß der
menſchlichen Leidenichaften und Parifer Zuftände zeigte, war er
unmwiffend und abgefhmadt, wenn es galt, fremde Sitten oder
Verhältniſſe zu fchildern. Mehr, als man ahnen konnte, haben er
und in viel höherem Grade Beranger beigetragen, jene oberflädhe
liche Bildung, jene frivole Grundfaglofigfeit und "weichliche Senti-
mentität zu verbreiten, welche die Mittelllaffen ergriffen.
Die Ausflüffe eines Tangen Friedenszuſtandes — Förderung
und Pflege der fchönen Künfte und Aufſchwung der Induſtrie —
traten allenthalben entichieden hervor. Aber inmitten dieſes vegen,
unaufhaltfamen Strebens, welches den Beobachter fortwährend feflelte,
war es noch eine Fülle von Schäten und Merkwürdigkeiten jeder
Art, die zu überfehen der Pariſer ſelbſt, noch .‚iel weniger der
— — —
81
Fremde im Stande war. Jede der fich rafch folgenden Regierungen
bereicherte irgend eine Sammlung, verbefferte, begte mit Vorliebe
irgend eine Anftalt, verfchönerte, ſchuf wo fie nur konnte. Louis
Philipp wandte feine Kräfte vor allen Verfailles zu, Yieß andere
Sclöffer, ließ Kirchen und Kapellen auf das herrlichſte wieder
beritellen und eröffnete eine ganze Reihe von Sälen im Louvre,
welche die Gemälde Ipanifcher Schule, ethnographiſche wie Raritäten:
kabinette, das Marinemuſeum u. dgl. m. aufnahmen. Mit aner:
kennenswerther Bereitwilligteit wurden alle diefe unter der Verwal⸗
tung der Civilliſte ftehenden Schlöffer und Gallerien gezeigt, und
eine einfache Karte genügte in Fällen, wo in England ein be
ſtimmtes Eintrittögeld bezahlt wird. — Um den Kreislauf biefer
zahliofen Sehenswürdigkeiten befriedigend zu vollenden, dazu ift
außer der gehörigen Mufe auch richtiges Verſtändniß, Kunftfinn
erfoderih. Der Wunſch, fi mit Allem zugleich und gründlich
befannt zu machen, verwirrt zuletzt nur die Begriffe, und fehlt
die Zeit zu öfteren Beſuchen der Mufeen, fo wähle man fidh Tieber
nur einige Säle, und in Diefen wieder nur ein paar Gemälde zu
einer näheren Beſchauung aus. Die Mannigfaltigkeit entfchädigt
jedod, für fo viele Anftrengung. Wenn dad Auge, ermüdet von
der Farbenpracht der Bilder oder der feinen Goblins⸗Gewebe, auf
den reigenden Anlagen. ded Jardin des plantes mit den feltenen
Thieren ausruht, jo führt und dann bald wieder eine ftet3 viel-
feitig angeregte Wißbegierde jenen reichen, wiſſenſchaftlichen Samm⸗
lungen, den berühmten Bibliothefen oder einer jener vielen An-
ftalten zu, welche dem Wohle der Menfchheit wie der Heilung der
Seele oder des Körpers gewidmet find. Hat man aus den Gerichtö-
fälen eine Reihe tief erfchütternder Eindrüde fortgenommen, fo
-erquicht wieder der Unblid der in frober Luft fih tummelnden
Menge im bois de Boulogne oder. all den fchönen Gärten, welche
Paris wie ein grüner Kranz umgeben. Hier erhebt uns die
Mofeftät der alten Kirchen mit ihren ehrwürdigen Hallen oder die
Sch. v. Andlaw. Wen Tagchuch. IL 6
82
bunte Pracht der neuerrichteten Gotteshäufer, dort ziehen Monu⸗
mente, Säulen, Statuen, raufchende Yontainen die Blide auf ſich;
mit jedem Schritte tritt und irgend eine hiſtoriſche Erinnerung
oder aus der Neuzeit ein Gewölbe voll der bedeutenditen Mode
waaren, Geſchmeide, Broncen, Teppihen und jener allerliebften,
entbebrlichen Kleinigkeiten entgegen, die unmwillfürlih zum Kaufe
einladen. Das Wort „Flaniren“ fcheint fo recht eigentlih für
Paris erfunden, und nirgends ift man auch mehr zu diefem harm⸗
loſen Gefchäfte berechtigt, al3 auf den Boulevarda; mit jeder Minute
wechielt da die Scene, und immer kehrt man mit Erfahrungen
bereihert nad Haufe zurüd. Die größte Anziehungskraft jedoch
üben immer die Theater, eine unerfchöpflidhe Quelle von Genüffen,
Beobachtungen und Vergleihungen der mannigfaltigften Art. Schon
die drei Opern boten, jede in ihrer Weife, bejondere Reize. Während
Meyerbeer die mit dem Ballete unzertrennlich verbundene große
Oper lärmend, doch fiegreich beberrichte, erfreuten fich die Befucher
der Opera comique an den lieblihen Melodien Auber's und
an dem feinen Spiele mehr, als dem Gefange der Künſtler. Die
Modemelt ftrömte den „„Bouffes‘‘ zu, — wie man die Staliener
nannte — und noch war ed nicht der mächtigen Poſaune Verdi's
gelungen, bie einjchmeichelnden Weifen Roſſini's oder den lyriſch
zarten Bellini ganz zu verdrängen — und auf den zahlreichen
anderen Bühnen vom Theatre francais an bis zu den befcheidenen
„Funambules‘‘, weldye Verichiedenheit, welch fish ftetd erneuerndes
Intereſſe knüpft fih nicht an diefe vom Lampenfcheine erbellten
Bretter, „welche die Welt bedeuten!“
Die bildenden Künfte felbft waren glänzend vertreten, und
ein Blick auf die Gemälde von Horace Vernet, Ary Schefer,
Laroche, Lacroix u. U. zeigte zur Genüge den kühnen Schwung,
welchen der in Farbe getauchte Pinfel genommen: Doch mußte
man gewöhnlich diefe Meifterwerke in den Ateliers oder den Häufern
reiher Kunitfreunde aufjuchen. Die tüchtigiten Maler weigerten
83
fich, die jährlich wiederlehrende große Ausftelung — den „Salon“ —
zu beſchicken, und wohl nicht mit Unrecht, denn das Beſte wurde
bier durch eine Maffe mittelmäßiger Bilder erbrüdt, und dennod
war nichts häufiger, al3 die Klage der „Artistes imcompris“,
deren unerreichten Werken man graufam den Eingang in die Kunft
ballen verfagte. Bon den Bildhauern ragte eigentlih nur Pradier
hervor. Nieuwerkerke, fo talentvoll er war, galt nur mehr als
Dilettant, und ftellte damals gerade feine nach Holland beftimmte,
fo gelungene Neiterftatue Wilhelm: von Dranien aus. Cine
junge Dame, welche davon hörte, glaubte, es fei die Statue des
Künftlers felbft und rief, als fie fie fab, aus: „Mais je ne la
trouve pas du tout ressemblante!‘“‘ Auch Marochetti, mit deſſen
Werten ich mich nie befreunden Tonnte, hatte ein Standbild des
verunglüdten Herzogs von Drleans für den inneren Platz des
Louvre vollendet — diefe ift nun natürlich längft daraus ver:
ſchwunden. Das Wert fand heftigen Tadel und der Bildner,
empfindlich darüber, nannte ed einen Diamant, deffen Werth man
erit fpäter erfennen werde, worauf Jemand bemerkte: „En ce cas
il faut convenir, que ce diamant est bien mal mont6l“
was ſich zugleich auch auf die zu Pferd fibende Figur bezog.
Die Thätigkeit in den Fabriken kam nur der Erfindungdgabe
der Arbeiter wie dem ausgefuhten Geihmade gleich, mit melchem
bejonderd Modewaaren in Frankreich verfertigt wurden. Ich ſah nur
eine der damals alle fünf Jahre ftattfindenden großen Induftrie-
ausftellungen in Paris, — die von 1844 — doch ließ fie
einen unauslöſchlichen Eindrud in mir zurüd. Wie bei Galerien,
muß man aber auch bier den Beſuch wiederholen, immer nur -
einzelne Gegenjtände prüfen, will man nicht ein Gefühl der Er⸗
müdung, eine Menge dad Gedächtniß vermwirrender Begriffe mit
ſich fortnehmen. Es wirkt ein folcher Anblid felbft auf Kenner
in einer die Sinne übermwältigenden Weile. Das Auge vermag
nicht Alles zu überfchauen, und das Ohr, betäubt von dem Lärm
6*
84
der Menge wie der fi) unharmonifch geltend machenden mufifalifchen
Inſtrumente, läßt den forfchenden Geift, der fich fo viele neue Erſchei⸗
nungen gerne erflären möchte, nicht zur Ruhe kommen. Bei allen
Vorzügen haben doch auch wieder diefe fo ehr gerühmten und
beliebten Ausftellungen ihre Schattenfeiten; es wird bier zu viel
dem blendenden Scheine gehuldigt, der äußeren Zierde oft die
folide Arbeit geopfert, und nicht felten unterliegt das gediegene,
aber anſpruchsloſe Verdienſt der Effekthaſcherei, unverſchämter
Zudringlichkeit oder anderen Umwegen — daher zahlreiche Zer⸗
wüurfniſſe, Unzufriedenheit, Neid, Uebelſtände, welche die Vortheile
mit dem Gefolge eines edlen Wetteiferd unter den Ausitellenden
zum Theil wieder aufmiegen. Es wird da ein Ehrgeiz im Kleinen
erwedt, eine Jagd nad) Medaillen und Auszeichnungen eröffnet,
zu Ränken und Kiffen ermuntert, welche nicht immer dem eigent-
lihen Zwecke biefer mwohlgemeinten Einrichtung entſprechen. Um
die Ueberſicht zu erleichtern, auch beicheidenere Induſtrien nicht zu
verdunfeln, follte die Ausdehnung folder „Exhibitions“ möglichft
auf einzelne Länder oder Provinzen befhränft und dadurd leichter
allen Anfprühen genügt werden. Bor dem Gedanken eier
Londoner Weltausftellung aber ſchwindelt mir, und ich kann mir
die Möglichkeit kaum denken, fi in dem riefigen Kryſtallpalaſte
nur einigermaßen zurecht zu finden, diele Zoloffalen Räume mit
allen denkbaren Erfindungen und überrafchenden Erzeugniflen des
Gewerbfleißes befriedigt zu verlaffen. Wahrhaft unpafiend erfcheint
mir aber die Vereinigung foldher induftriellen PBroduzirungen mit
Kunftausftellungen; man bäuft da Gemälde und Sculpturen aus
allen Ländern, felbft aus früheren Epochen; wo bleiben ba die
Vergleichs⸗, ja nur die Anhaltspunkte? Wie bei'm Thurm zu
Babel Verwirrung der Sprachen, tritt in diefem Chaos von nicht
zu überfehenden Gegenftänden eine Eonfuflon in den Begriffen, in
der Geſchmacksrichtung wie in ber Beurtheilung ein; aud ein
nicht zu verkennender Fortſchritt mehr!
85
Die DVollöbeluftigungen am 1. Mai wie die dreitägigen
öffentlichen Spiele und Felle Ende Juli fehten nicht nur ganz
Paris in Bewegung, fie zogen auch eine Maſſe von Fremden
herbei, und es ließ ſich gewiß nichts Großartigeres und zugleich
finnreich und geſchmackvoll Georbneteres denfen, als diefes Flammen:
heer von Gas⸗ oder farbigen Lampen, die wie Regenbogen ſchim⸗
mernden Tontainen, die MWettrennen der Nachen auf der Seine,
die Aufführung militärifcher oder anderer Spektafelftüde, endlich
dad glänzende Feuerwerk, welches mit dem Rieſenbouquet ſchloß.
Mit jedem Jahre fleigerte fih in ſteter Abwechslung die Pracht
diefer immer vom heiterfien Himmel überragten Feſte.
Während meines Aufenthalts hatten einige deutiche Gefandten,
Gelehrte und Aerzte einen Hülfeverein für die zahlreichen deutfchen
Arbeiter und ihre Tamilien in Paris gegründet. Es freut mich
immer, an dem Entſtehen wie an dem Gedeihen diefer ebenio
nothwendigen als beilfamen Einrichtung Theil genommen zu haben.
Dem Berein floflen reichlihe Gaben zu; Unterftüßungen durch
Sammlungen, Concerte, großmüthige Beiträge, auch von deutfchen
Fürften, fetten ihn bald in den Stand, für den bei jener Klaſſe
fo ſehr vernadhläffigten Gottesdienft zu forgen, auf den Schul:
unterricht verbeffernd einzuwirken, Kranke in Spitälern unterzu-
bringen u. dgl. m. Wer das Elend kennt, welchem die armen
deutfchen Einwanderer, mit der Sprache, den Sitten unbelamt,
in ihren Erwartungen getäufcht, ohne Verdienft, oft entgegengehen,
wie fie die Straßen von Paris mit Kindern hungernd und troftlos
durchziehen, wird dem nocd immer aufblühenden, mohlthätigen
Hülfsverein Theilnahme, vielleicht auch thätige Mitwirkung nicht
verfagen. Auch der Ertrag eines Meinen Buches: „Parifer Bilder”,
welches ich damals fhrieb und — das erfte — bei Cotta in
Stuttgart druden ließ, floß der Vereinskaſſe zu.
86
Iſt in Parid von den nähften Umgebungen die Rede,
fo gelten fie gewöhnlich für reizlos; doch ift jene Stadt hierin,
wie in fo manchen anderen Dingen, befler als ihr Ruf; gibt es
da auch nicht überrafchende Fernfichten, romantiſche Gebirgszüge,
fo erquicken doch die iwaldigen Höhen von Meudon, mie das lieb:
liche Thal von Montmorency und die berrlihen, üppig grünen
Baumgruppen von St. Cloud und Neuilly fpiegeln fih in der
Seine wider. Die Eifenbahnen haben nun auch Berfailles
und Fontainebleau der Hauptftadt näher gerüdt, und es fällt
ſchwer, zu enticheiden, welchem diefer Schlöffer der Vorzug gebühre.
Beide enthalten der gefchichtlichen Erinnerungen in Fülle, beide find
von großartigen Anlagen umgeben. Führt und ein majeftätifcher
Bau, führen uns Prunkgemächer und Wafferfünfte mit den Zauber:
gärten Trianons in die Zeiten Ludwigs XIV. zurüd, fo tritt uns
aus jedem Saale in Sontainebleau das Bild oder die Schöpfung irgend
eines franzöfifchen Gerricher3, von François I. bis Napoleon III,
entgegen. Das wundervolle Jagdſchloß ift nad allen Seiten von
einem unabjehbaren Walde umgeben; zahlreiches Wild durchzieh
diefe Räume, und zwiſchen Riefenbäumen, die ihr Alter nad
Jahrhunderten zählen, liegen in malerifhen Gruppen ungeheure,
bizarr geformte Felablöde, welche, da fie nicht mit Gebirgen im
Zufammenhang ftehen, den bimmelftürmenden Titanen entfallen zu
fein fchienen.
An jedem Jahre machte ich auch größere Ausflüge und ließ
wiederholt die herrliche Normandie, die Touraine mit den Ufern
der Loire nicht unbeſucht. Leider war es mir bei dem abgefürzten
Aufenthalte in Paris nicht vergännt, auch noch die fchönere, ſüd⸗
liche Hälfte Frankreichs kennen zu lernen. Sch mußte mich daher
auf eine zweimalige Reife nach Belgien befchränten, und ebenfo
oft jchiffte ih nah England über.
Es ift nicht leicht, dem Zauber zu mwiderflehen, welchen das
fleine Belgien auf jedes für ſolche Eindrüde empfängliche Gemüth
87
ausübt. Nirgends finden fih, wie da auf einem befchränkten
Raume fo viele merfwürdige Städte, und das flache, von Kanälen
durchſchnittene Land zeigt — ein Bild der Ruhe und des Wohl:
ſtandes — auf grünen Wiefen die weidenden Heerden; der Segen
der Landwirtbichaft verbindet fi da mit dem Reichthume der
Fabriken; Handel und Schifffahrt zur See wie auf den Flüſſen
blühen und ein zufriedened, dem alten Glauben wie feinen poli-
tiſchen Freiheiten ergebened, munteres, betriebjames Völkchen belebt
dad fchöne Land. Das file Mecheln, ebenjo bekannt durch
feine prachtvolle Cathedrale, wie durch das unter fleißigen Händen
entftehende feine Spigengemwebe, bildet den Mittelpuntt des Eifen-
babnneßes, von dem man in wenigen Stunden die anziehendften
Orte erreichen kann: Brüffel mit großftädtifchem Anftrihe, Ant
werpen, erfüllt mit den Erinnerungen an Rubens, das einft fo
mädtige Gent, von dem Karl V. fagte: „qu’il metterait tout
Paris dans son gand!“ Brügge mit feinen feltenen Kunft-
ſchäten, dad vom Deean umſpielte Dftende, dann das gelehrte
Löven, endlih Lüttich, feit Jahrhunderten befannt! Und alle
diefe Städte, bededt mit Kirchen, wetteifend an Schönheit der
Formen wie an Reichthum der Gemälde und Holzichnikarbeiten,
ebenfo gut erhalten, als zum erhabenen Gottesdienfte würdig benützt.
Mit diefem Ausfluge verband fi ein längerer Badeaufenthalt
in Aachen; doch weder daB einförmige Leben in der Stadt Karls
des Großen, noch die Schwefelfur fagten mir zu, und ich unter:
brach fie gerne, um einige Wochen am Rheine zuzubringen. Wie
vor 21 Jahren, traf ih auch wieder den Fürften Metternich,
umgeben von Fürften und Diplomaten, auf dem Johannisberge.
Das gewöhnliche Treiben in den Rheingegenden wurde noch durd)
den Beſuch der Königin Victoria erhöht. Ich war Zeuge ihres
erften Zufammentreffend mit dem König von Preußen, ſah die herr:
liche, leider vom Wetter nicht begünftigte Beleuchtung in Köln und
wohnte endlich dem großen Muſilfeſte bei, welches zur Beier ber
88
Einweihung des Standbildes Beethoven’d in Bonn ftattfand.
Slänzend wurden die Töniglihen Gäfte auf Stolzenfeld und
Schloß Brühl bemirthet.
In Aachen aber Iebte ſtill in einem Gafthofe Jerome Napo-
leon's ältefter Sohn; menſchenſcheu zog er fih zurüd, und am
Tage des Einzugs der engliihen Königin verſchloß er Fenſter,
Laden und Thüre; mit den Hausbewohnern wurde ich oft durdh
die Zornausbrüche des Prinzen beunrubigt, deſſen Gehirnleiden
zu der Krankheit führten, welcher er bald darauf unterlag.
Bon Dieppe aus hatte ich mich fpäter einmal nach Brighton
begeben und durdifireifte von da wieder mit erneutem Entzüden
die Küften von Portsmouth und die Infel Whigt in ihrer vollen
Runde Ein glüdliher Zufall wollte, da die in Osborne weilende
Königin ein Geſchwader, das in den Gewäflern von Spithend Iag,
befichtigen wollte — ein ergreifended Schaufpiel! Die Königin
ber Meere, in Begleitung des Prinzen Albert und ihrer Kinder,
hatte den eleganten Dampfer — Fairy — beitiegen, der pfeil
fchnell über die ſtille Meeresfliche hinglitt; eine Menge von Zu⸗
fhauern umgab in zahllofen Barken jubelnd die königliche Yacht,
und wie ſich diefe den mächtigen Kriegsfchiffen näherte, erblikten
die Kanonen unter weit bin fchallendem Donner, ertönte der
Matrojen begeifterted Hurrah!
Nun nahm uns ein gigantifhes Dampffhiff mit einer
Maſchine von der Kraft mehrerer hundert Pferde auf. Die Nacht
war ftürmifh und bei Tagedanbruch ftieg im Nebel die Inſel
Buernfey aus dem Meere, fie erhebt fi mit ſchönen Gebäuden
terraffenförmig; wir landeten nit. Gegen Mittag kam die Inſel
Jerſey in Sit; fie ift rings von flarrenden Klippen, zum Theil
von, wie Nadeln ſich erhebenden, fpiken Felfen umgeben und nicht
jelten find Schiffbrüche an diefen unmwirtblichen, durch heftige
Stürme oft durdtobten Küften. Stolz und düfter erhebt fih auf
unnabbaren Felſen das alte, feite Schloß „Montorgeuil“. Die
89
Heine Stadt St. Helier ift unbedeutend, hat aber doch eine Statue
Karls II. und fogar ein Theater, dad wir befuchten. Sit das
englifche Luſtſpiel ſchon in London für Fremde kaum genießbar,
fo war vollends die Vorſtellung von Shakeſpeare's „Taming“ auf
dieſer Provingbühne fo erbärmlich, daß felbit dem Dubend nach⸗
fihtiger Zuhörer die Geduld verging; welche Studien für einen
Hogarth'ſchen Pinfel! — An der Mitte der Juſel erhebt fi ein
alter Thurm, — Princes-⸗Tower — über und über mit dem
faftigften Epheu bededt; von da überfieht man die zwölf Ort-
haften der Infel mit ihren ſpitzen Thürmen, und in blauer ferne
zeigt fich, wie ein Streifen, die franzöfiiche Küfte mit der Cathedrale
von Coutances; fo weit das Auge reicht, ift dad Meer mit Riffen
und Meinen %eljeninfeln wie beſäet. — Die Kanalinfeln zogen
mich auch deßhalb an, weil fie, wenig befannt, felten befucht, einige
Eigenthümlichkeiten bieten. So find fie nicht dem brittifchen Reiche
einverleibt, beichiden nicht das Parlament, haben eine eigene Geſetz⸗
gebung, Verwaltung, befondere Münze und Gerichtöhöfe, bei denen
franzöfifh pladirt wird — dem Nationalitätäprinzipe gemäß ge
hörten fie demnach mehr Frankreich an, während fie den verbannten
Republilanern nun zum Aſyle dienen.
Se es abſichtlich, fei es wirflih aus Verſehen geſchehen, die
Ankunft des Dampfichiffes, welches und zur Abfahrt aufnehmen
follte, wurde im Gafthofe nicht angezeigt, und wollten wir nicht
noch zwei weitere Tage auf Jerſey vermweilen, jo mußten wir un
nad einem anderen Fahrzeuge umfehen. Es wurde ein Tleines
Fifcherboot mit Segel gemiethet, und ein frifcher, günftiger Wind
ließ uns hoffen, unfer Ziel in einigen Stunden zu erreichen. Die
Fahrt war heiter, aus der dunkelblauen See tauchten große Fiſche
auf, und ſchon naheten wir und dem furdhtbaren Mont St. Michel
mit der in die Lüfte ragenden Feſte, ald auch die Nacht herein-
brach, weil ploͤtzliche Windftille und aufgehalten, nad glücklich,
aber mühſam umſchifften Klippen erreichten wir erft nad Mitter
90
nacht den Hafen von Grandville, wo wir, durchnäßt und gelang-
weilt, auszuruben hofften. Doch anderd war e8 in dem Sinne
der Douane befchloffen, und die Hüter des Hafens legten Die
Slinten auf und an, al wir Miene machten, unjeren leeren
Rachen zu verlafien. So bradten wir eine regnerifhe Nacht im
Freien ziemlich unbequem auf Segel und Thauwerk zu, bid man
am hellen Morgen unfere Päffe und Gepäde in Empfang nahm
und wir die Bretagne von ihrer finiteriten Seite kennen lernen
fonnten. Nun ging es nad Caen, aber auch hier, ald wir von
der Somme in den Calvados fahren mollten, empfing und ein jo
furchtbarer Orkan, daß die Hälfte der Neifenden, um das Schiff
im Gleichgewicht zu erhalten, die Maften und GSegelitride herab⸗
ziehen mußte. Die Wellen fchlugen über Bord und die Mehr:
zahl der, meift feefranten, PBaflagiere drang auf die Rückkehr nad
Caen; und fo gelangten wir denn auf einem langen Umwege von
da zu Lande nach Honfleur.
— Meine zweite engliſche Reife galt London, dad mir nad
24 Jahren wie eine ganz neue Stadt vorfam. Große Streden,
deren Namen man früher faum kannte, waren nun mit Paläften,
herrlichen Anlagen bededt; die „Season“ war im vollen Gange:
Parlament, Hydepark, die Wetirennen und Theater von der
fafhionablen Welt befucht, die Königin im Bukingham-palace,
wo fie damals — 25. Mai 1846 — der Prinzelfin Helena das
Leben gab, deren Geburt Kanonen verfündeten. Bon den gefelligen
Freuden bielten wir ung, außer der Oper, fern, beſuchten nicht
die alten und machten Feine neuen Belanntichaften, nur eine Reiſe⸗
gefährtin, — Lady Bolad — melde fih mit ihrer Samilie zu
ihrem in Oftindien angeftellten Gemahle begab, lud uns ein, fie
dort aufzufuchen!! — Außer den mir fchon bekannten Merkwürdig-
keiten ſah ich noch viele neue, die mid wahrhaft überraſchten —
dad brittifhe Mufeum mit feinen aus allen Welttbeilen berbei-
geholten Kunſtſchätzen, Naturjeltenheiten und Wlterthünern, die
9
Nationalgallerie, der zoologiſche Garten, das unterbaltende Colo⸗
feum —. Neugierde trieb und zu dem einft fo viel befprochenen
Tunnel, der nun, beinahe vergeffen, nur nody fchauluftigen Fremden
zum Stelldichein dient. Mühfam fteigt man über eine lange
Treppe in den breiten, ſpärlich erleuchteten unterirdifchen Gang
berab, nicht ohne das unheimlihe Gefühl, die furchtbar fchmwere
Waſſermaſſe der Themfe über fi) zu haben. "Das ganze Unter:
nehmen, wäre e3 auch in feinem Zwecke nicht längſt ſchon durch
Dampfſchifffahrt und Eifenbahnen überflügelt, war auch deßhalb
gleich Anfangs gefcheitert, weil es nicht gelingen wollte, wegen
feiner Tiefe den Tunnel aud Wagen zugänglih zu maden. —
Ein Befuh in Windfor, immer Iohnend, erfreute und unge-
mein, und ein Mittageffen, welches wir auf der Meinen Eiſenbahn⸗
ftation Slough einnahmen, ſetzte uns, an die Einfachheit der feſt⸗
ländifhen Buffet? der Bahnhöfe gewöhnt, in wahres Erftaunen,
da eine elegant gededte Tafel für zwei Perfonen von bepuderten
Lioreebedienten beforgt und auf Silber geipeift wurde.
Ein nur achttägiger Aufenthalt in der Metropole wirkt bei
den ungeheueren Diftanzen, wie bei der Maſſe des in fich Aufzu-
nehmenden wahrhaft betäubend, und der unerwartete Genuß weicht
nur zu oft Üübergroßer Ermüdung. Erft nachdem wir das Häuſer⸗
meer verlaffen, von dem weder Anfang noch Ende zu überfehen
ift und und nach dem Havre eingefchifit, vermochten wir in unjerem
Gedächtniſſe die bisher verworrenen Eindrüde zu ordnen, die ſich
dann allmälig zu einer fortlaufenden Kette erfreulicher Erinnerungen
geftalteten.” In ruhiger, flernheller Nacht fahen wir Bier, vom
Berdede aus, das Schiff die phosphoriscirenden Wellen fchnell
durchfchneiden und die leuchtenden Spiken der fchäumenden Wogen
erihienen uns dann wieder wie ebenfo viele MeereBiterne.
Während ich fo den franzöfiichen Küften zueilte, Treuzte ich
mich vielleicht im Kanal mit dem künftigen Kaifer der Franzefen,
der damals gerade ala „schappe de Ham“ nad England fegelte,
92
um al3 „l’ölu du peuple“ einft wieder zurüdzufehren. Allge⸗
mein ging damals die Sage, daß Louis Napoleon feine Befreiung
nicht eigener finnreicher Lift verdankt, fondern die Regierung, der
Beauffichtigung müde, dem ihr nicht mehr gefährlich dünkenden,
in 6jähriger Haft mürbe gewordenen Kronprätendenten - felbft zur
Flucht verholfen babe. Die nachfolgenden Vorgänge machen dieſe
Annahme nur wenig wahrfcheinlid).
Den 9. Dezember 1845 ftarb in Wien General:Lieutenant
v. Tettenborn im 67. Jahre. Er hatte bei zunehmenden körper:
lichen Leiden doch bis zur lebten Stunde noch eine gewiſſe Geiltes-
frifhe bewahrt. Ein warmer Nachruf in der allgemeinen Zeitung
fagt: „Diefer Todesfall erregt allgemeine Theilnahme, denn felten
genoß Jemand einer größeren Popularität; allgemein beliebt und
gekannt dürfte er fich, wie wenige, rühmen, kaum je einen Feind
gehabt zu haben. Von der offenften Herzensgüte, von einer jeltenen
Liebenswürdigkeit der Erſcheinung und bed Umganges, für jeden
Hülfsnedürftigen zu Rath” und That bereit, bewies er vorzüglich
feinen badifchen Landsleuten bei jedem Anlaſſe eine eifrige Theil:
nahme. Uber auch zu Dfterreih war er, feiner früheren Kriegs⸗
dienfte eingedent, ftet? in nahen Beziehungen geblieben. Das
diplomatifche Corps verliert in ihm den älteften der Kollegen, und
fait jeder Einzelne einen geprüften Yreund; unter den Heldenge-
ftalten der Befreiungöfriege ragte die feinige befanntlich als eine
der glänzenditen und volksthümlichſten hervor. Sowie fich bei dem
zahlreichen Leichencondufte allgemein das Gefühl ausſprach, welch'
eig durch erfolgreiche Thätigfeit rühmlichſt ausgezeichneter Mann
aus dem Leben gefchieden, fo wird gewiß auch in faft jedem Lande
Europa’3 die Trauer um den. Hingefchiedenen einen Widerhall
finden!‘
Dieſer unerwartete Todesfall bemirkte auch eine Veränderung
in meiner Rage. Ich wurde an Tettenborn’3 Stelle zum groß:
herzoglichen Gefandten in Wien und der bisherige Legationdrath
v. Schweizer zum Minifterrefidenten am köoniglich franzöſiſchen
Hof ernannt. Sonach ſah ich mi in einer mir zufagenden Ge
ſchäftsthätigkeit plößlich unterbrochen, wie viel hatte ich überdies
auch zu erlernen, zu beobachten, und der immer gehegte Wunſch,
länger in Paris bleiben, vielleicht, wie mein Vorgänger Ferrette,
meine diplomatiſche Laufbahn allda befchließen zu können, ging
leider nicht in Erfüllung; die trüben Ahnungen, welche ſich daran
nüpften, jollten fi) bald in einer Reihe von Leiden und Prüfungen
jeder Art nicht als Truggebilde zeigen.
Den 4. März übergab ich dem Könige mein Abberufungs⸗
reiben und aljobald hatte auch der Nachfolger feine Antritts-
audienz. — Schon war der Tag meiner Abreiſe beitimmt, als
dieſelbe durch eine anfcheinend unbedeutende Unpäßlichleit verſchoben
werden, und ich die bereits aufgegebene Wohnung mit einem
Zimmer in dem nächft liegenden Hotel vertaufchen mußte. Hier
wurde ich nun durch ſechs Wochen an das Bett gefeflelt und eine
lebendgefährliche Operation, von der geſchickten Hand Soubert’8
(de Lamballe) glüdlich vollzogen. Auch der Beirath anderer
Aerzte, Tiebevolle Pflege, Erkundigungen und Theilnahme vieler
Freunde wie von der Töniglichen Familie fehlten nit und Tiefen
mid den Abſchied von Paris nur um fo fchmerzliher fühlen. —
Den 13. Juni verließ ich diefe Stadt, welche ich bisher nicht
wieder betreten follte, und während die Rückblicke auf die dort
verlebte Zeit die erfreulichiten waren, gab ich mich bezüglich der
Zukunft Frankreichs Betrachtungen Hin, welche ſich fpäter als
ebenfo viele Täufchungen erwiefen. Ich überließ mich nämlich ber
feften Weberzeugung, daß die dortigen Verhältniſſe in jeder Be⸗
ziehung geordnet, nach allen Seiten bin als gefräftigt angeſehen
werden könnten; es herrſchte eine mit Recht geachtete Koͤnigs⸗
familie, eine, wie man wenigſtens glaubte, muſterhafte Verfaſſung
94
ftellte das richtige, langgeſuchte Gleichgewicht der geſetzgebenden
Sewalten her; war die Ruhe geftört, fo beſchützte Paris eine,
mehr gegen den Straßenaufruhr als fremde Heere gerichtete, be
feftigte Ringmauer vor den noch immer drohenden inneren Ge-
fahren; ein allgemeiner Wohlſtand verbreitete fich über das ganze
Land und man ſchien fih weit mehr mit Altien, Eifenbahnen,
Fabriken und anderen Spekulationen, mit beiteren Lebendgenüflen
als mit Barrifaden, Mordanfchlägen oder im Finſtern fchleichenden
Verſchwörungen beichäftigen zu mollen, man gefiel fi, mit einem
Worte, in dem berubigenden Gedanken, daß der politiihe Vulkan
ausgebrannt und die feit 60 Jahren angehäufte Lava dazu diene,
den Boden Frankreichs heilbringend zu befruchten. Sowie ich
vor 16 Jahren unmöglich an eine lange Dauer der Julimonarchie
glauben konnte, jo vermochte ich jebt noch viel weniger zu ahnen,
daß dies alles ſich fo bald und jo überrafchend fchnell zu einer
Auflöfung drängen werde. Hatte ih mich daher in jenen beiden
Unterftellungen arg getäufcht, fo theilte ich Ddiefen Irrthum mit
Zaufenden, und als ih im Sommer 1850 in Baden-Baden
wieder mit Thierd zufammentraf, waren diefe Vorgänge der Gegen:
ftand einer langen Unterredung. Ich geitand ihm, daß ich während
meiner Anftellung in Paris immer in dem oben angedeuteten Sinne
nad) Karlsruhe berichtet und nun mit peinlidem Erflaunen eine
fo gänzliche Umwandlung hätte erleben müſſen. Thiers gab mir
auf alle Fragen volllommen Recht und bemerkte, dag er mit allen
feinen Freunden, jo wie ih, fich nie einen foldhen Ausgang ges
träumt haben würde. Welche geheime oder unerwartete Urjachen
bereiteten nun wohl jenen merfwürdigen Sturz vor und führten
ihn zunächſt aus? Ich will Bier nicht an die Erfahrung erinnern,
daß, feitdem Tranfreih 1789 aus feinen politifchen Fugen ge
treten, der unerfättlihe Drang nach Veränderungen, der Ehrgeiz
der Parteien, die Langeweile der Maflen, die Köpfe nicht in Ruhe
ließen, und fi regelmäßig, nad einem Zeitraume ven etwa
95
15 Jahren, immer wieder eine neue Ummälzung Bahn brad. Es
ſcheint das franzöſiſche Sprichwort: „tout lasse, tout casse, tout
passe‘ auf diefe Lage vollfommen anwendbar. Dabei mwühlt die
Propaganda im Bunde mit den unzufriedenen Taltionen aller
Farben und jede heranwachſende Generation will, immer Tampf-
Iuftig, ihre „glorreihen” Tage haben. So wird, mad angeftrengter
Fleiß, Staatsklugheit, mweifer Ordnungsfinn, Gefeblichleit mühfem
in einem Jahrzehnte aufgebaut und befeitigt, dur den Sturm
einer Stunde niedergemorfen. Rechnet man nun dazu die mit
dem fortjchreitenden Gedeihen Frankreichs fi ſtets erneuernde
Eiferfucht Englands, hier noch genährt durch die ſpaniſche Hei-
rath, fo Habe ich wohl alle diefe nachtheiligen, äußeren Einflüffe
berührt. Was Half nun Louis Philipp die mit Opfern erlaufte,
ängftlihe Nüdfiht auf England, was halfen ihm die mit unge
heuren Koſten erbauten Feſtungswerke, das immermwährende Schwanfen
und Prüfen; er ging an der Aufgabe zu Grunde, unauflösbare
Widerſprüche heben zu wollen, in der Muthloſigkeit, welcher er
fi) im entſcheidenden Augenblide bingab, wo nur eine rafche
That, ein entfcheidendes Kinfchreiten retten Tonnten. Denn —
was man auch dagegen einwende — die Bewegung war eine
gemachte, Feine unmittelbar durch irgend einen Vorgang begründete;
Niemand war ihrer Tragmweite bewußt, in Ermangelung eines
richtigen Begriffes half da ein „Wort“ aus: Meformel ein
elaftifches Wort, das willkürlich gedreht und gedeutet werden Tann,’
und bier nur zum Vorwand diente, die Gemüther zu erhiken
Man Iud, diefe Aenderungen zu beipredhen, zu Berfammlungen;
zu „Banquetten“ ein und die aufreigenden Reden, die Toafte vers‘
wandelten ſich bald in Pöbelgeſchrei und endeten im blutigen
Straßenfampf. Die königliche Familie verſchwand nach allen Himmels:
gegenden; die Pairskammer „zerfireute fih wie Spreu vor dem
Winde, und wurde nicht wieder gefehen.” Die Deputirten mußten
ihre Pläge einem bewaffneten Pöbelhaufen überlaffen; die Truppen,
96
jeder Leitung beraubt, zogen fi zurüd, von den ſchützenden
Feſtungswerken war nicht weiter die Rede; abermals hieß es:
„Le tour est fait!“ und mit demfelben Rechte, wie die 221 im
Jahre 1830 Höhnifch fragen Tonnten: od étaient, s’il vous plait,
les royalistes le 27, 28, 29 juillet, fo konnten jebt die Republi⸗
faner die Trage fielen: od 6taient „les Orlöanistes le 22,
23, 24 fevrier?“ Ote — toi de lä, que je m’y mette! war
nah der Reihe das Loſungswort aller Parteien geworden, und
wird es auch bleiben, bis das erfehnte Gleichgewicht gefunden ift.
Darin beftehen aber gerade die großen, inhaltsſchweren Lehren,
welche fi dem Klarſehenden auf jedem Blatte der franzöfifchen
Geſchichte aufdringen. Auch fpiegeln ſich die Ereigniffe von 1848
in jenen von 1830 wider; dort hatten franzöſiſche Waffen Algier
erobert, bier den mächtigften Gegner, Abdel Kader, bezmungen,
bier wie dort firebte man Anfang nur nad) weſentlichen Ber:
befferungen, überfhoß aber im leidenichaftlihen Eifer das Ziel,
hier, wie dort, entfagte ein altersſchwacher König zu Gunften eines
10jährigen Enkels, doch zu fpät, der Krone, — bier wie dort
rang eine muthige Frau mit Selbftaufopferung, wiewohl vergeblich,
für die Rechte ihres Sohnes! — Was Niemand gewollt, Nie:
mand erwartet, entfland aus diefer namenlofen Verwirrung —
die Republik! Man rief dem in einem Fiaker entflohenen, zittern:
den König allerlei Verwünſchungen nah und während Karl X.
angeblich die harte verleßte, ging, wie jener, Louis Philipp
unter, meil er zu feft an die „Wahrheit“ diefer Charte geglaubt.
Wer der Juliregierung Corruption vorwarf, dem bietet ſich jest
hinreichend Gelegenheit, fi durch Vergleihungen zu überzeugen,
wie fehr jene Anfchuldigungen übertrieben waren. Wer fih wie
Louis Philipp im fortmährenden Zuftand der Nothwehr befand,
dem Tann man nicht verargen, fi) Waffen zu bedienen, zu deren
Ergreifung ihn die Gegner gleihfam zwangen.
In gewohnten Verhältniſſen brachte ich nun einige Wochen
97
in Karlsruhe zu, ftellte mich dem großherzoglichen Hofe vor, be:
fuchte Baden, die Verwandten auf dem Lande und trat dann in
den erften Tagen des Juli die Reife über den Odenwald, Anſpach,
Nürnberg und Regensburg — die letzte Hälfte zu Waſſer — nad
Wien an.
Mm An Karlsruhe vernahm ich die Wahl des an die Stelle
Gregors XVI. ernannten Kardinal Maftai, welcher ala „Pius IX.“
ten päpftlichen Stuhl beſtieg. Es bildet diefe Erhebung gleihfam
einen Wendepunkt in der Geſchichte der europäifchen Staaten; denn
von da an murde die kurze vorübergehende Ruhe wieder ernftlich,
und zwar in dauernder, nachhaltiger Weije geftört. Schon hatten
fi blutige Gräuel in Krakau gezeigt und fie endeten mit der
Einverleibung diefer Yreiftadt in die öſterreichiſche Monarchie,
ein energifcher Schritt, den man damals dem Wiener Kabinette kaum
mehr zugetraut hätte. In der Schweiz war der widermwärtige,
unter dem Namen: „Sonderbund” befannte Bürgerfrieg, nur das
Vorſpiel zu einer völligen politifhen Umgeſtaltung. Auch in
Deutihland gährte ed fchon wieder auf den Straßen, wie in
Leipzig, oder in den verfchiedenen Kammern und ein unbehagliches
Gefühl Hatte fih, erhöht durch Mißiahre, furchtbare Weber:
ſchwemmungen und große Theuerung, der dffentlihen Stimmung
\_bemägtigt. Unter dieſen bedenklichen Anzeichen Lehrte id) denn
in der neuen Eigenſchaft nah Wien zurüd, wo e8 mir an An
haltspunkten zu vergleihen, wie an Betrachtungen fehr ernfter
Natur nicht fehlte.
Feh. v. Undlaw. Wein Tatchuq. IL. 7
98
Zwölfter Abſchnitt.
(1846 — 1848.)
Anhalt: Wien. Uubienz bei'm Kaifer Ferbinand. Diplomatifches Corp.
Reifen. Büky in Preßburg. Erzherzog Stephan in Peſth. Hohe Gäfte
in Wien. Großfürftin Helene, Die Familie Milofh:Obrenowitih. Der
Taiferlihe Hof und bie Ariftofratie. Drei Gejanbtenfamilien. Der Balaft
Lichtenftein, Deffentliche Beluftigungen. Theater. Jenny Lind, Hebel.
Die Alademie der Wiſſenſchaften. Hammer. Bier Todesfälle in ber kaiſer⸗
lihen Familie. Marie Louiſe. Trauung ber Erzherzogin Elifabeth. Pala⸗
tinswahl. Erzherzog Stephan und Ungarn. Politiſche Tagesereigniſſe.
Das öſterreichiſche Regierungsſyſtem. Die Miniſter. Ahnungen und Vor⸗
zeichen. Der 24. Februar. Fürſtin J. Lichtenſtein. Hofball. Ende der
alten Zeit.
Ihe einem Zeitraume von 11 Jahren batte ih Wien
eigentlich weniger verändert gefunden, als idy erwartet; es war
immer dafjelbe Tebhafte Treiben, dieſelbe Genußſucht und Gleich:
gültigfeit für Dinge, welche ſich nicht innerhalb eines gewiſſen eng
gezogenen Kreiſes zutrugen. Dennoch konnte ed einem ſchärfer
beobachtenden Auge nicht entgehen, daß diefe behagliche Ruhe nur
oberflählih mar und fi in beinahe unfcheinbaren Symptomen
“ immer mehr eine tiefer gehende Mißſtimmung zeigte, welche fich
von den höchſten Zirkeln bis auf die unteren Volksſchichten er-
firedte. In der That war audy eine 12jährige Regierung, mie
die des Kaiferd Ferdinand, nur in Defterreich möglich; es bewegte
fi) eben die Mafchine in herfömmlicher Weife fort, bis ein Im⸗
puld von Außen fie zum Stillftand brachte.
9
Der 16. Juli führte mich der Oberſtkämmerer Graf
M. Dietrihftein bei Sr. Majeftät dem Kaifer ein, dem ih mit
der üblichen Anfprache das Beglaubigungsfchreiben überreichte. Die
Yudienz wor kurz und es wurden dabei nur einige der damals
gekräuchlihen Redensarten gewechſelt. SGierauf folgten die Auf:
martungen bei den zahlreichen Mitgliedern der kaiſerlichen Familie,
und einige Tage mwährte ed, bis die unendlich lange Viſitenliſte
erihöpft war. Eine fhöne Wohnung auf dem Kohlmarkte trug
viel zur Annehmlichleit meines Aufenthaltea bei, und unter An-
nüpfung früherer perfönlicher Beziehungen, wie bei dem mir
ſchon bekannten Geſchäftägange fand ich mi bald wieder in dem
gewohnten Geleiſe.
Der Fürſt Metternich bewohnte feine erft neu erbaute Villa;
er war troß feiner 73 Jahre noch rüftig, heiter und geſprächig,
wie immer. Seine Familie hatte fih um einen Sohn (Lothar,
geb. 1837) vermehrt, die Fürftin Melanie aber fand id) verändert
und in ihrem Aeußern traten ſchon die Anzeichen jener langen,
ſchmerzvollen Krankheit hervor, der fie endlich unterliegen follte. —
Bon den früheren Diplomaten fand ich nur noch Bodenhauſen
. (Hannover) und O’fullivan (Belgien) vor, doch waren mir von
den nun anmefenden ſchon mehrere, wie Migr. Viale, Flahault,
Medem, Arnim, SKönnerik von anderen Orten ber befannt, und
in einem langjährigen Freunde, dem ebenfo talentvollen als mohl:
wollend gejelligen Grafen Jeniſſon freute ih mid nun einen
Kollegen begrüßen zu können. Aber auch der Tod hatte die
Reiben mancher mir theueren Bekannten gelichtet und fchmerzlicher
füplt man nach Tanger Abweſenheit ſolche nicht leicht zu erſetzende
Lücken.
Kar Herbſte benützte ich die Geſchäftsſtille zu Ausflügen nad)
Ungern und Prag. In Preßhurg bielt id) mi einen Tag
anf, um einen Herr v. Büly zu ſprechen. Es batte biefer Dann
7%
100
einen Aufruf in Zeitungen erlaffen, worin er mehrere deutſche
Fürftenhäufer und adelige Familien — aud) die meinige — ein:
geladen, gegen gewiſſe Gebühren wichtige Papiere bei ihm einzu:
fehen, von denen nah Wunſch Abfchriften verabfolgt merden
könnten; das Ungemwöhnliche diefer Anzeige weckte die Neugierde
der Betreffenden, und ich febte mich daher auch mit Büky deßhalb
in Verbindung. Es bieß, daß er diefe Schriften in einen bisher
vergeffenen Koffer Thugut's vorgefunden habe, der bekanntlich
zurücgezogen in Preßburg ftarb. Das Ganze zeigte, fich jedoch
als eine Moftifilation, und die Papiere, wenn fie auch die Namen
der bezeichneten Familien enthielten, waren für biefelben werthlos,
ſelbſt ohne Hiftorifche Bedeutung. Bald nachher ließ Büky wieder
andere Anzeigen in öffentlihe Blätter einrüden, worin er fidh
Titel und Auszeichnungen beilegte, welche ihm nicht gebührten. In
Folge derfelben entitanden Klagen, Erwiederungen, die Sade er:
regte Auffehen; und fo fand es Büly geraten, folgende „Er:
Märung und Berichtigung“ an die Preßburger Zeitung (Septbr.
1846) einzufchiden, welches Aktenſtück in feiner Albernbeit zu
merkwürdig ift, um bier nicht aufgenommen zu werden.
„Mehrere ausländifche Zeitungen und auch inländifche deutfche
wie ungariſche Blätter enthielten die voreilige! Nachricht, daß
Unterzeihneter mit dem k. k. Kämmerertitel, fo auch mit aus:
ländiſchen Orden und Auszeichnungen, ald dem Großkreuz des
k. ſicil. St. Ferdinand-Ordens, dem badifhen Orden der
Treue und dem franzöfiichen Orden vom heiligen Ludwig (?), ferner
mit dem Diplom der Parifer Akademie gefhmüdt, außerdem vom
König der Franzofen nahmbaft beſchenkt worden fe. — Diele
Nachrichten find grundlofe Erdichtungen, aber der Unterzeichnete,
auf Brivatwegen! dur falſche Berichte und chmeichelhafte!
Beriprechungen getäuſcht, bediente? fi) derfelben dennoch, ohne
binlänglihe Prüfung! und Vorſicht; nun aber, die Unwürdig-
feit der eitlen Berführung! einfehend, hofft er durch dieſe
101
Bekanntmachung dem Publifum für fein hinfüro zu beobadgtendes,
ernfthaftes! und gefehtes Benehmen Gewähr zu leiften!
Büly v. Felſöbück Lad.“
Aus diefer Erflärung geht hervor, daß Büky zum mindeften
fein gefährlicher Betrüger war, und wahrſcheinlich mehr ver:
ſchmitzteren Intriguanten zum Werkzeuge gedient habe; mir wenigftend
fam der Heine, dide, noch junge Dann, mit feinen diamantenen
Ringen und Knöpfen ziemlich bornirt, beinahe läherlih vor. Er
entging dennoch nicht einer ſtrengen Unterfuhung, in deren Folge
er dur, ih weiß nicht mehr wie viele Jahre, gehörig Mufe
hatte Hinter Schloß und Riegel über feine Schwindelei nachzu⸗
denfen. Unter anderen verbreitete ſich auch dag Gerücht, daß er
dem König Louis Philipp wichtige Briefe Egalit6’3 an Thugut
ausgeliefert habe.
Auf der Reife nad Peſt traf ih im Dampfichiffe zufällig
mit dem Erzberzog Stephan zufamnıen, der mid mit einer
längeren Unterredung beehrte. Der Iebhafte, Liebenswürdige Prinz
wurde auf allen Landungsftationen von Deputationen begrüßt, mit
welchen er fi auf3 leutſeeligſte unterhielt. Die Zeit Tag nicht
mehr ferne, wo fih an feinen Namen eine nicht gewöhnliche Bes
deutung für die Zukunft Ungarns knüpfen follte!
Während diefem Sommer war die Großfürftin Helene
von Rußland zu einem längeren Aufenthalt nad Wien ge
tommen, und hatte das erzherzogliche Palais (Vorftadt, Landſtraße)
bezogen. Die noch fchöne, fo geiftreihe Frau Tebte zurüdgezogen
unter dem Gefühle der Beforgniffe, melche ihr der Gefundheitz-
zuftand ihrer Tochter, der Prinzeſſin Marie, einflößte. Die junge
Großfürftin erlag auch im November ihren Leiden und die leb⸗
bafte Theilnahme des Taiferlichen Hofes an dem mütterlichen Schmerze
wurde auch in weiteren reifen nahempfunden. — Zu jener Zeit
machte der Prinz von Preußen wiederholt eine ſtets willkommene
102
Erfhelwung in Wien und brachten auch die fürftlih YFürften-
bergifchen Herrichaften einige Wochen da zu.
Schon im Jahre zuvor war der Kaiſer Nikolaus auf feiner
Nüdreife von Stalien, wo er die ewig denfwürdige Zufammen-
funft mit Gregor XVI. hatte, nad Wien gelommen und fpäter
erfhien aud da Großfürft Michael, der wie ein Privatmann int
ruſſiſchen Geſchäftshauſe abftieg und nur wenige Bekannte fah.
Zum erften Male begegnete ih nun dem alten Yürften
Miloſch Obrenowitſch von Serbien. Er batte fih aus den
‚ niedrigften Sphären zu der höchſten Würde in feinem Vaterlande
emporgefhmwungen, und dabei mehr Charakterftärfe und Klugheit,
al3 eigentliche Bildung bewiefen. Man fah den alten Herrn, ge
wöhnlih in weiblicher Begleitung, auf Spazierfahrten oder in
Theatern, feltener in der Geſellſchaft. Seine gefammelten Reich:
thümer waren, wie es fchien, groß, befriedigten aber mehr feine
Eitelfeit, ala den Ehrgeiz, der ihn bei allem Ungemache nie ver:
laſſen. Gein feuriger Geift, verbunden mit der feiner Nation
eigenen Zähigkeit, ließ ihn immer wieder auf eine günftigere
Wendung feines Geſchickes Hoffen und der Anblick diefes originellen,
thatkräftigen Mannes rief dem Kundigen alle jene merkwürdigen
Epifoden zurück, an denen die wunderliche Geſchichte Serbien's ſo
reich iſt. Sein Sohn Michael, von einer mehr gemeſſenen
Haltung, von einem durchaus anſtändigen Aeußern und Benehmen,
vermählte ſich ſpäter mit der jungen, hübſchen Comteſſe Julie
Huniady und als dann 5 Jahre nachher ſich wieder eine Ausſicht
für die Familie eröffnete, die Herrſchaft in Serbien zu erlangen,
war der alte, aber immer noch rüftige, Miloſch wieder der erſte,
der mit feiter Hand die Zügel ergriff und bei feinem Ende die
fürftliche Würde auf feinen Sohn übertrug. Ruſſiſche, öfterreichifche,
englifhe, franzöſiſche und türkische Einflüffe theilten fih in bie
Macht in dieſem einen Reiche und Barteigänger, wie fremde
Ränkeſchmiede trugen zur Verwirrung bei. Das künftige Schickſal
103
dieſes Landes ift aber, wie das der anderen eurnpäilchen Provinzen,
enge mit der Zukunft verbunden, melde die Vorfehung der Türkei
beftimmt bat.
In der höheren Gefellihaft wurde die frühere ungezwungene
Munterkeit vermißt; es fanden zwar noch immer große Feſte,
Empfangtage u. ſ. w. ftatt; doch man fah, daß auch hier die Zeit
eine ernftere geworben und Sinn wie Gemüth fi) anderen Dingen
zumandten, als frivolen Unterhaltungen; auch berrfchte in Wien
nie die irrige Anfiht vor, Daß man Feſte veranftalten müffe,
um den Handel zu beleben, bie Fabriken zu unterftüben, die
Arbeiter zu beichäftigen, Brodloſe zu ernähren. Weberfteigen die
Erzeugniffe der Anduftrie das gewöhnliche Maß, fo Tann der
Wohlhabendere doch mahrhaftig nicht angehalten werden, deßhalb
. ‚einen heil jeiner Einnahmen für Lurusgegenftände zu verwenden.
Manufakturen follen nur den einfachen Bedürfniffen genügen;
Niemand aber, um ihnen aufzubelfen, zugemuthet werden, feine
Ausgaben nad diefer Richtung Hin zu verdoppeln und bdadurd)
andere, vielleicht nütlichere, zu befchränten. — Ueberdieß Tieß auch
die mit dem Lurus überhband nehmende Theuerung viele Familien,
" welche nicht einen Wettlampf in Eleganz der Einrichtungen und
Toiletten aufnehmen wollten, fih aus der größeren Welt zuräd:
ziehen, den eigenen Haushalt beichränten.
Bei Hofe fanden regelmäßig im Winter einige größere und
Kammer: Bälle ftatt, und Kaiſer Ferdinand, welcher glänzendes
Geremoniel liebte, mar ftet3 zugegen, fich heiter mit den Anweſenden
unterhaltend. Die Raiferin Maria Anna, deren Geſchmack folde
Feſte weniger zufagten, benahm ſich dabei mit der nur ihr eigenen
gragiöfen Würde.
Wahrhaft Epoche machte die Erdfinung de ganz neu her:
gerichteten Liechtenſtein'ſchen Palaſtes in ter Schenkenſtraße.
104
Der Fürſt Moid Hatte eine große Summe darauf verwendet, und
als nun zum eritenmale diefe berrlihen Räume eine glänzende
Berfammlung zu einem Ballfefte aufnahmen, fanden ſich auch die
fühnften Erwartungen übertroffen, und ein Ausruf der Bewunde⸗
rung folgte dem anderen. Es war nit fowohl der Reichthum
der überaus eleganten Berzierungen, die Pracht der Broncen, die
Menge der Spiegel, die Fülle der Vergoldungen, die taghelle Be
leuchtung; man fah da weder Eoftbare Gemälde noch Kunſt⸗ oder
Nococo-Gegenftände, reihe Drapperien, Stidereien oder Teppiche;
der Zauber, welder ſich über das Ganze ergo, beitand vielmehr
in der fih auf die Tleinften Detail erftredenden Harmonie der
Formen, melde das Auge fo wohlthuend berührte, und ich erinnere
mich wohl, viel größere, mit mehr Luxus und Pracht ausgeftattete,
ſelbſt überladene Prunkgemächer, aber nie diefe höchſte Vollendung
in der Ausführung aller Theile gejehen zu haben. Der Glanz
diefer Feſte wurde noch durch die freundliche Zuvorkommenheit des
fürftlihen Paares erhöht, und fie folgten ſich fpäter, mit kurzer
Unterbredung während der Nevolutiongzeit, in jedem Faſching.
Nicht minder blendend, aber wieder in ganz anderer Geſchmacks⸗
rihtung waren die Appartement? im fürſtlich Schmwarzens
bergifhen Haufe (Neumarkt) reflaurirt worden, und die Ball:
fefte bier, durch die Tiebenswürdige Yürftin belebt, waren gleich
anziehend, die Einladungen, wie bei jenen, gefucht.
Einen neuen, beinahe täglichen Salon fand ich bei dem
Grafen Fiquelmont eröffnet. Der ſchon bejahrte diplomatifche
Krieger hatte den Botfchafterpoften in St. Petersburg verlaffen,
um, dem Fürften Metternid zur Seite, in der Staatölanzlei ver:
wendet zu werden. Diefe Aenderung fagte, wie ich glaube, feinem
der beiden Staatsmänner zu: Fiquelmont, von mehr franzöfiich
gebildetem Geifte, politiiher Schriftfteller, angenehmer Gefellichafter,
war in Neapel wie am ruffifchen Hofe gerne gefeben; er hatte
1826 den lebteren Poften von dem Grafen 2. Lebzeltern über:
105
nommen, welcher dafür Gefandter in Neapel wurde. Diefe beiden
Diplomaten hatten auch gar Vieles mit einander gemein; beide
geiftreih, gewandt, beliebt, haben auch beide fih in Rußland
vermäßhlt, beide aus ihrer Ehe nur eine Tochter; die Gräfin
Yiquelmont : Tiefenhaufen mar eine ebenfo verftändige, höfliche
Hausfrau, als die Gräfin Lebzeltern-Laval, nur mit dem Unter:
ſchiede, daß Erftere von nicht gemähnlicher Schönheit, während
Letztere nichts weniger als reizend war. Mit diefen zwei öfterr.
Diplomaten kann noch ein dritter — Graf Lützow — genannt
werden, der, von weniger glänzenden Eigenichaften als die anderen,
doch ein überaus ehrenwerther Charakter war, und nach mehreren
Meinen Miffionen den Kaifer ald Botichafter (bis 1848) in Rom
vertrat. Auch Lützow hatte fi) auswärts, und zwar mit einer
ttalienifchen Wittwe, vermählt.
Bei Fiquelmont verſammelte ſich nun regelmäßig eine ange⸗
nehme Geſellſchaft, und die Monotonie des Alltagsgeſprächs wurde
da öfters durch die Aufführung allerliebſter Vaudeville's unter⸗
btochen, welche der muſikaliſch gebildete, ſchoͤne, heitere Greis leitete.
Seine Tochter, die eben vermählte Fürſtin Clary, galt jedoch für
die Perle dieſer Cotterie, und in der That ließ ſich auch nicht
leicht etwas Reizenderes denken, als dieſe junge, lebensfrohe Frau;
fie war an blendender Schönheit nur mit der auch erſt kurz zuvor
verebelichten Fürftin Auersperg⸗Colloredo zu vergleichen.
Menden wir und nun von dieſen freundlihen Bildern dem
Volksleben zu, fo treten uns wieder, mit wenigen Audnahmen,
die alten, befannten Geftalten entgegen: der belebende Fidelbogen
des unermüblichen I. Strauß beberrfchte noch immer die Räume
von Dommaycer und Sperl, und in dem „Odeon“ hatte fidh ein
foloffaler Tanzfaal aufgetban, den ganze Maffen neugieriger, ver:
gnügensfüchtiger Wiener nicht zu füllen vermögen. Auch die
„Keller“ Hatten fich veredelt, und in dem labyrinthartigen „Ely⸗
fium“ rollte fi) den Schauluftigen eine wahre Muftertarte von
106
allen denkbaren Späffen, Ueberraſchungen, Zauberkünſten, Masten:
zügen u. dgl. auf. Am menigften ätheriſch mar die Luft, welche
man in diefen unterirdifchen Feldern einathmete.
Bon da zu einem edleren Vergnügen — den Theatern —
bedarf e3 nur eines Sprunged auf die Oberwelt. Dad Burg:
theater war fich gleich gut geblieben, Hatte noch überdieß tüchtige
Kräfte gewonnen: Joſeph Wagner war ein ausgezeichneter Helden:
ipieler; Frl. 2. Neumann hatte fi bald zum Liebling des für
feines Spiel empfängliden Publikums emporgefhmwungen und
erwarb ſich um daffelbe noch das weitere Verdienft, ihre Mutter,
die vortreffliche Haitzinger, herbeizuziehen, welche noch jeht durch
ihr Talent, gehoben von einer immer gleich heiteren Laune, die
Kunſtkenner erfreut.
Die beſcheidenen Lorbeern des harmloſen „Kaſperl“ ließen
den Direktor Karl nicht ruhen; er erkaufte es, um dieſe dunkeln
Hallen des Momus, in denen fo viel gelacht wurde, an die ſich
fo viele Erinnerungen des „alten“ Wien knüpften, niederzureißen.
In einem Sommer (1847) ftand das neue, fchöne „Karltheater”
an jener Stelle, und wo einft Schufter, Raimund, die Krones
u, U. ergögten, traten nun Scholz, Neftrey und al das Gefolge
von Komikern auf, welche diefe Bühne fo beliebt machten. —
Doch ein Stern überftrahlte alle anderen Kunfterfcheinungen:
Kenny Lind! Dieſe liebliche ſchwediſche Nachtigall, oder wie all
die Benennungen beißen, welche fi) Kunftenthufiaften wie Dichter:
linge um die Wette auszudrüden bemühten, brachte eine in Wien
feltene Senfation hervor. War es die anfpruchälofe Ericheinung,
mit der fih eine fo feelenvolle Stimme, eine fo munderbare
Methode paarte, war e3 das Ungewöhnliche, welches ihr ganzes
Auftreten begleitete; genug! Jenny Lind war auch bier, wie ander:
wärt?, Die hochgefeierte Kunftheldin ded Tages. Ihrer Begabung
nad) mehr auf den weichen, elegifchen Geſang, als auf dramatifche
Muſik 'angewiefen, drang fie doch fiegreid, aud) in Opern durch,
107
in denen auch wieder jene Rollen ihr mehr zufagten, wo, wie in
der Nachtwandlerin, nur das Iyrifche Element vorberrfcht, während
Norma und anftrengendere Partieen ihr weniger gelangen. In
„Vielka“, der lieblichen Schöpfung Meyerbeer's, der ſelbſt dirigirte,
erreichte der Beifallsſturm den höchften Grad, und auch in Haydn's
Meiſterwerk entziicdte fie. Dennoch bileb da3 „Lied“ immer ihre
eigentlihe Sphäre, in der ihr Feine andere Stimme folgen konnte.
In frappantem Gegenfate zu Jenny Lind erfchien bald eine andere
Geſangsheroin, Alboni, mit einer Altſtimme fo gemaltig, als ihr
Korperumfang.
Zu den früheren Wiener Theaterdichtern Grillparzer, Zedlik
und Halm, deren Dramen nod immer Beifall fpendende Zuhörer
fanden, hatte fih nun ein fremder — Hebbel — gefellt. Der
Aufenthalt befriedigte ihn nicht, und fchon wollte er Wien wieder
verlaffen, ald er eines Abends im Burgtheater die Hofichaufpielerin
Enghaus auftreten ſah und, von ihrem Darftellungstalente ergriffen,
ihr Herz und Hand anbot. Er ließ fih nun häuslich in Wien
nieder; feine Werke fanden aber nur eine getheilte Anerkennung,
und fo fehr man auch dem Schwunge der Gedanken, der Kraft
des Ausdrucks gerecht war, fo verleßten doch wieder herbe Auf:
faffungen und von unflaren Ideen begleitete Mißtöne. Vorzüglich
waren es aber feine Trauerfpiele, die ihrer grellen Uebergänge
wegen dem verfeinerten Geſchmack nicht ganz zufagen wollten, und
nur „Judith“ drang, einiger unverkennbar fchöner Stellen halber,
mehr dur. Seine fpäteren Dramen find mir nicht bekannt.
Schon feit langer Zeit hatte man in Wien von der Errich⸗
tung einer Alademie der Wiſſenſchaften, nach dem Beifpiel
anderer Staaten, geſprochen; endlich gelang es auch den raſtloſen
Bemühungen des Orientaliften v. Hammer-Purgſtall, dieſes große
Unternehmen durchzuführen, und die neue, gelehrte Anftalt wurde
am 80. Mai 1847 mit vieler Feierlichfeit eröffnet. An demſelben
Tag fand in den folgenden Jahren immer wieder eine dffentliche
108
Sitzung ftatt. Die Hauptfrage aber, welche die mwiffenfchaftlichen
Kreife bewegte, war: welche Gelehrten und Schriftfteller als wirt:
liche, welche ald forrefpondirende Mitglieder in die neu gegründete
Akademie mürden gewählt werden, zu deren erftem Kurator Yürft
Metternich ernannt war (fpäter wurde ed Minifter v. Bad).
Bon nun an thaten ſich auch einzelne Profefforen in ſ. g. popu-
lären Borlefungen bervor, melde als früher nicht gekannte Unter:
Baltungen viel befucht wurden und dann immer eine größere Aus-
dehnung nahmen. Sie waren beliebter ala die ernften, oft Stunde
langen, nicht Jedermann verftändlichen Vorträge in der Akademie.
Einen bumoriftiihen Commentar zu jenem gelehrten Vereine bildet
ein Pamphlet, welches in den 1840er Jahren unter dem Titel
„Delterreichifcher Parnaß“, beftiegen von einem beruntergelommenen
Antiquar, — „Frei⸗Sing“ — erſchien. Es ſchildert in kurzen,
draſtiſchen Zügen, die nicht ſelten an die Karikatur ſtreifen, Alle,
welche ſich da im Gebiete der ſchönen Wiſſenſchaften oder Literatur
bekannt machten. Blieben die Witze auch nicht immer der Wahr⸗
heit getreu, ſo waren wieder andere um ſo treffender. Zur Probe
will ich hier nur zwei dieſer ſatyriſchen Schilderungen anführen.
Von Hammer, dem Förderer und Präſidenten der neuen Akademie,
ſagt jenes Buch:
„Scharfes, ausdrucksvolles Geſicht, Adlernaſe, immer zerſtreut,
enormes Gedächtniß, weniger Geiſt; was er mit gigantiſchen Fäuſten
ſchreibt, davon wird nicht alles auf die Nachwelt kommen. Mit⸗
glied aller Akademien, große Erudition, noch größere Ehrſucht;
allſeitig gelobt, damit immer noch unzufrieden. Als orientaliſcher
Sprachforſcher verdienſtlich, als Hiſtoriker mittelmäßig, als Poet
unleidlich, abgedankter Hofdolmetſcher und Erblandvorſchneider, daher
Oppoſition machender Doktrinär“ u. ſ. w.
Ich füge bei, daß Hammer, bei ſeinem immenſen Wiſſen,
wenn auch eitel, doch gutmüthig und im Umgange zuvorkommend
war; von feiner Zerſtreutheit aber erzählte man fi) unglaubliche
109
Dinge; fo fol er unter anderen einmal auf der Baſtey eine
Magd gefragt haben: wem denn die allerliebften Kinder gehören,
die fie begleite? Wie? Eure Gnaden kennen ihre eigenen Kinder
nicht mehr? war die Antwort der erftaunten Wärterin.
Aus der Tangen Gallerie hebe ich nur noch ein Bild, das
einer Dame, hervor. „Ir. 8. Pichler; Matrone, Wittme, wohl⸗
babend, ald fruchtbare Romanfchreiberin phantafiereich, doch immer
profaifch, ehemals beliebt, noch heute geachtet, thut fehr häuslich,
fpricht jehr gerne von Küche und Wäſche u. f. w.“
Im Laufe d. 3. 1847 verlor die kaiſerliche Yamilie vier
Mitglieder: den Erzherzog Joſeph (Palatin), Karl und deſſen
Sohn Friedrid, endih Marie Louiſe.
Unter allen diefen Todesfällen hatte der des greifen Erzherzog
Joſeph — im Januar — die meilte politifche Bedeutung, denn
abgefehen davon, daß feine Lunge Erfahrung, fein rubiger, ver:
ftändiger Sinn ihn vor allen zu feinem ſchwierigen Amte befähigten,
mußte bei der in Ungarn immer mehr überhand nehmenden Gährung
die Wahl eines PBalatin’3 der Regierung vorausfichtlih große Ver:
legenheiten bereiten. —
Der Erzherzog Karl, auch body bejahrt, unterlag einer Turzen
Krankheit Ende April. Er wurde, wie er ed gewünſcht, nicht
militärifch begraben, da er ja den größten Theil feines Lebens in
ftiller Zurückgezogenheit zugebracht. Die gerechte Trauer, welche
dem Verlufte eined Prinzen folgte, deſſen Thaten die glänzendften
Blätter der öſterreichiſchen Kriegsgeſchichte füllen, wurde nah und
fern lebhaft getheilt. Doc erſt jetzt erhebt ſich vor der Hofburg
ein Standbild, um der fo leicht vergeffenden Nachwelt die Züge
eined Helden in's Gedächtniß zurüdzurufen, der in unbeilooller
Zeit, ohne Erfolg ſiegreich, dennoch gefeierter war, al3 viele lor⸗
beergefrönte Feldherren. Ein nicht mindered Verdienft erwarb fidh
110
Karl durch feine gediegenen, mifitärifchen und ftrategifchen Schriften,
denen er außer der forgfältigen Erziehung feiner Familie den
größten Theil feiner Zeit widmete. Man überſchätzte daher auch
allzufehr den Antheil, welchen der Erzherzog an den politiichen,
wie an den Tragen der inneren Verwaltung genommen, und e3
war für näher mit den Verhältniffen Bertraute wahrhaft lächerlich
zu hören, wie der Prinz in bejtändiger Oppoſition zum Hofe, ja
fogar bemüht fei, die Rolle eines Herzogs non Orleans zu ſpielen
und dergleihen mehr. Wenn es wahr ift, daß der Kaiſer Yranz
feinen Bruder von den Staatsgeſchäften möglichft ferne hielt und
des letzteren zurüdhaltende Stellung daher Feine ganz freiwillige
war, jo konnte doch immer Karl ig einer fpäteren Zeit feinen
Einfluß mehr geltend machen, blieb aber auch da feiner fchlichten,
tfolirten Lebensweiſe treu,
Pier hoffnungsvolle Söhne umftanden das Sterbelager und
der dritte — Friedrich — hatte ſchon zur Freude des Vaters,
mit 20 Jahren ald Marineoffizier fih un Drient ausgezeichnet
und das Ritterkreuz des M.Thereſien-Ordens erhalten, war jomit
das jüngfte Mitglied, während fein Vater das Großfreuz ala
ältefter Ritter de Ordens trug — gewiß ein ebenſo feltener ala
ergreifender Tal! Wer hätte damals ahnen können, baß der
junge Seeheld ſchon einige Monate fpäter in Venedig dad Opfer
eines Nervenfiebers werden und feinem Vater fobald in die Gruft
folgen würde? —
Im Dezember ftarb die Erzherzogin Marie Lonije in
Parma. Ein Parifer Biograph fchrieb darüber:
„Une mort obscure, une fortune Eclatante — une $gale
inferiorit& & sa prospärite, & ses malheurs — c'est ainsi qu'on
peut rösumer la destinee de Marie Louise. Il est des posi-
tons, qui obligent, dans lesquels l’insuffisange est presqu’yune
faute et Marie Louise fut dans une de ces positions, et gn
peut le dire, dans la plus singuliere et la plus haute, dont
111
on ait congerv6 le souvenir. Assoeide & un homme extra-
ordinaire, elle fut medioore, tort involontaire, sansdoute,
mais placde dans des eirconstances, oü il fallait du moins
supplier & la grandeur des vues par la plus Önargique fermets£,
elle se montra faible, tort condamable et sans excuses. Si
aux temps de la toute puissance de l’empereur elle aveit dA
nöcessairement dispareitre, elle pouvait prendre noblement
sg revanche aux jours de l’adversite, en faisant preuve d'un
devouement digne d’une telle infortune, en s'élevant par le
coeur & la hauteur du genie, conquerir par l& aux aplau-
dissernent du monde et de la posterite, une égalité touchante
avec celui, qu’elle ne pouvait &galer — elle ne sut &tre que
veuve, quand il fallait &tre épouse.“ Dod fügt er hinzu:
„certainement la position de Marie Louise &tait des plus
diffieiles. Obsessions, seductiong, menaces, rien n’a &t& äpargnd
pour lui faire accepter le triste röle qu’on Iui röservait etc. etc."
Dieſes vom Mranzdfiihen Standpunkte aufgefaßte Urtheil mag ein:
feitig, hart erfheinen; dennoch fanden ſich ſelbſt in Deutichland
nicht wenige Stimmen, welche daſſelbe tbeilten. Will man frei
yon Leidenfchaftlichkeit und Sentimentalität das ungewöhnliche Ge:
Ihid, wie das fo bitter getadelte Benehmen der hoben Tran näber
prüfen, fo wird eine unporteitfche Geſchichte ſich zu einer milderen
Anficht befennen. Dan denke fich eine unerfahrene, beinahe ſchüchterne
Prinzeffin, der man eined Tages plößlih fagte, daß fie beftimmt
fei, dem gewaltigen Manne die Hand zu reidgen, den man ihr
feit ihrer Kindheit als den unverſöhnlichen, fiegreichen Feind Oeſter⸗
reichs wie den Verfolger des Kaiferhaufed gejchildert — konnte fie
da mohl Napoleon fi mit einem anderen Gefühle ald dem einer
inneren Schen nähern? Ich glaube, daß dieſe drüdende Empfin-
dung von Furcht fie während der Ehe nie verließ und fie in
Berbindung mit einem, allerdings jeder Energie oder jeden höheren
Auffhmwungs entbehrenden Charakter jene Lage, die man ihr zum
112
Vorwurf machte, willig annehmen ließ. Wer aber vermag end-
gültig in fo wichtigen, die Welt erichütternden Tragen über jeden,
dur fo manderlei Rüdfichten beftimmten, Schritt zu enticheiden?
Wenige Wochen nachher ftarb zu Paris in den Tuilerien,
weile Marie Louife jo vorübergehend bewohnt, eine Frau, die,
weniger al3 diefe berufen, in die Geſchicke Frankreichs einzugreifen,
dennoch unverkennbar einen, wenngleich ftillen, doch um fo nach⸗
haltigeren Einfluß übte — Mile. Adelaide v. Orleans, — Ihr
meift richtiges DVerftändnig, ihr kluger Rath dienten nicht felten
ihrem Töniglihen Bruder zur Richtſchnur des Benehmens und
bald nad) ihrem Ende fah man Louis Philipp häufigen Schmanfungen
in der Politik hingegeben — zwei Monate fpäter hatte er Paris
verlaffen! —
Im Oktober wurde die Trauung des Erzberzogd Ferdinand
von Efte mit der Tochter des Palatind, Elifabeth, vollzogen.
Es war dies die erſte Vermählung in der Taiferlihen Familie,
weldyer ich beimohnte. Die Feier wurde fehr einfah in der Schloß-
Tapelle von Schönbrunn abgehalten; dem SKirchengange folgte eine
Beglüdwünfhungscour und ein Hofconcert.
Die jugendliche, fchöne Erzberzogin fah reizend aus, war
aber ſchon nah 2 uhren Wittwe geworden; eine Tochter —
einft die einzige Erbin der modenefiihen Güter — war ihr aus
diefer Ehe geblieben. |
Außer zwei Ausflügen nad Iſchl und Steyermart, mo
ih Grab und Maria Zell mit feinen romantifhen Umgebungen
befuchte, machte ich feine längeren Entfernungen aus Wien.
Das michtigfte politifhe Ereignig für Defterreih während
des Jahres war die Palatinswapl in Ungarn. Sie konnte
unter den gegebenen Umftänden Leine zmweifelbafte fein. Das dank:
bare Andenken, welches man dem Verftorbenen bewahrte, leitete
113
alle Blicke ebenfo fehr auf den Sohn, als diefer felbft durch Be
Tiebtheit und Fähigkeiten jener Auszeichnung völlig würdig erfchien.
Erzherzog Stephan Hatte als Statthalter in Böhmen ſich den
Ruf eined gewandten, Tenntnigreihen Geſchäftsmannes erworben
und lange fchon bezeichnete ihn die dffentlihe Stimme ala den
Nachfolger feined Vaters. Doch weniger glüdlich als diefer, thetite
er auch nicht mit ihm alle Eigenfchaften, welche in fo fchmwieriger
Zeit zur Löfung einer, menſchliche Kräfte beinahe überfteigenden
Aufgabe erforderlich waren. Vielleicht noch zu unerfahren, fehlte
dem jungen ‘Prinzen, bei äußerſt lebhaftem QTemperamente, Die
nöthige Mäßigung, die feinen Vater nie verlaffen. Der Xubel,
welcher den neuen Palatin begrüßte, die Rundreiſen, melde er,
getragen auf den Schwingen der begeifterten Huldigung der feurigen
Magyaren, durch das ganze Land hielt, waren allerdings auch für
ein weniger dafür empfängliches Gemüth jchwindelerregend; auch
ift es außerhalb Ungarn kaum möglich, fich eine richtige Vor⸗
ftellung von dem Grade des Enthuſiasmus zu machen, der fich
bei ſolchen Anläffen in Einzügen, öffentlihen Berfammlungen,
Tifehreden u. dergl. bei obligater Begleitung von Säbel- und
Sporengellirre, endlofen „Eliens“ und rauſchender Muſik Tundgibt.
Der Kaifer ſchickte feinen Neffen, den Erzherzog Franz
Joſeph, nah Dfen, um dafelbft den Palatin Stephan zu „in-
ftalliren,” deffen Eid entgegen zu nehmen u. ſ. w.; der jugendliche
Prinz trat Hier zum erfien Male öffentlih auf, ſprach geläufig
ungariih und feine ſchlanke Geftalt nahm fich in der glänzenden
Hufarentracht fehr gut aus; er war daher nicht minder, als der
Palatin, Gegenftand überſchwänglicher Ovationen. Bielen Be:
ſchwerden murden bei diefer eier von dem, Ungarn immer wohl-
wollenden König abgebolfen, ja vielleiht in Erwartung befferen
Einvernehmend, manche Zugeftändniffe oder Verſprechen ertheilt,
deren man fid) fpäter ald Waffen gegen die Regierung jelbft be:
diente. Denn von diefem Zeitpunfte an bildete fidh jene Partei
Kch. dv. Andlaw. Wen Tagebuch. II. 8
114
ftarrer Oppofition, welche den Umſturz berbeiführte. Ich werde
darauf zurüdtommen und Tann jest nur die Lage Ungarns fcdhil:
dern, wie fie das unbeilvolle Jahr 1848 traf. Wer ſich der
allerdings nicht leichten Mühe unterziehen will, die Geſchichte dieſes
Landes feit dem Aofterben des arpadiichen Königſtammes zu er-
Iernen, wird fich überzeugen, wie fi) da ein Vorgang aus dem
anderen folgerecht entmwicelte und es können demnach die neueſten
Ereigniffe den Eingeweihten nicht überrafhen. Die, zweimal
duch Erbrecht, zu der ungariſchen Krone gelangte Dynaſtie der
Habsburg mußte diefelbe ſich mehr als einmal erfämpfen. Die
Reformation, die langen Türkenkriege, der Geift ded Magyarismus
waren ebenfo viele Hinderniffe einer gedeihlichen Entwidelung oder
Verſchmelzung der beiden fi, abftogenden Elemente. Näherte die
Noth oder der Trieb der Selbfterhaltung in drohenden Gefahren
die Ungarn Defterreih, fo mar diefe Ausföhnung mehr einem
vorübergehenden Waffenftillftande zu vergleichen; traten jedoch große
politifche Krifen ein, famen dazu noch Aufhetzungen von Außen,
jo belebten ſich wieder aufs Neue ihre Hoffnungen, wie der Drang
nach Unabhängigkeit und hellauf Toderten allſobald die Flammen
des Aufruhrs. Ein folder Züudſtoff, genährt von fremden Ein-
flüffen und unterftüßt von der überall thätigen Propaganda, welcher
fih verblendete Magnaten und hochverrätheriiche Demokraten unter
Kofſuth anfchloffen, bereitete immer mehr jene Stimmung vor,
welche, wenn auch nidht ein völlige Losreißen von Defterreich,
doch mindeſtens die Perfonalunion anſtrebte. Gar viele irrige
Anfihten find aus Unkenntniß diefer Verhältniſſe über Ungarn
verbreitet, eben weil man feine Lage mit jener anderer Länder
verglih und fi doch Feine in Europa eigenthümlicher geftaltete.
Man mußte vor allem das alte und neue Ungarn unterfcheiden;
alt war Ungarn in feiner DVerfaflung, feinen abgenüßten Geſetzen,
feinen mittelalterlihen Formen, Sitten, Gebräuchen und Ser:
fommen; neu war e8 in feinen ‘een, in Benübung von
118
Erfindungen, in dem Streben nad, erhöhten Wohlftand und einer
feinen Zuftänden fiets vorauseilenden Givilifation. Daher die
unvermeidlichen Konflikte zwiſchen einer nicht mehr ausreichenden
Geſetzgebung und einer gänzlich veränderten Sachlage, daher das
Bemühen der Regierung, die anderen Unterthanen Ungarns gegen
eine Verfaffung in Schuß zu nehmen, weldye nur Edelleute, Leinen
Mittelftand kannte, die Finanz: und innere DBerwaltung, das
Heerweien mit den neuen Erforderniffen in Einklang zu bringen.
Es waren feit taufend Jahren Städte gegründet worden, in
Fragen des Rechts, des Handels, der Schifffahrt, des Fabrikweſens
und in vielen anderen Dingen ganz nene Begriffe und Bedürf⸗
niffe entſtanden. Schon vor 25 Jahren (1837) fchrieb ih, daß
folhe traurige Wirren nur durch einen Staatsftreih von Oben
oder eine Empörung von Unten enden Tönnten. Würde dieſe
leßtere dur Waffen unterdrifdt, jo wäre das Land ala ein
erobertes zu betrachten und ein Boden zu weiteren Berhandlungen
gefunden.*) Dieſer Fall iſt nun wirklich 1849 eingetreten, aber
dennoch fam man nod immer nicht zu einer befriedigenden Loͤſung.
Die große Schwierigkeit belebt einmal in der Zähigkeit, mit
welcher die Partei ar ihren alten Sabungen hängt; fie iſt von
einer glühenden Baterlandsliebe, an der fich mande Deutiche ein
Beilpiel nehmen Tönnten, befeelt, vergißt aber, daß die Welt rings
um fle eine andere geworden, daß Sachen, Kroaten, Rumänen,
Slawaken und andere Völferfchaften die urfprünglichen Bewohner
an Mehrzahl weit Überflügeln u. dergl. m. Mit jenem, beinahe
fanatifchen Patriotismus gebt eine gewiſſe politifche Beichränktheit,
eine maßlofe Eitelteit und Selbftüberſchätzung Hand in Hand; fie
betrachten alles Fremde mit fouveräner Verachtung, und Ein-
flüfterungen jeder Art beftärkten fie in ihrem Widerftand.
Bor allem baffen fie aber ſelbſt den Schein eines Zwanges,
*) Erinnetungsblätter S. 23—86.
8*
116
und in diefer Ungebundenbeit überfehen fie, daß fich noch flärfere
Gewalten als die ihrige der Macht der Umftände beugen mußten.
Ungarn hat die Segnungen des Friedend unter Oeſterreichs ſanftem
Scepter genoffen, ſah den Verkehr, das materielle Wohlergehen nad)
allen Richtungen gefördert und während es diefe Vorzüge mit den
anderen Kronländern theilte, die ihn zufagenden Neuerungen willig
. annahm, toben die Wortführer, wenn es fi darum handelt, das
Land in Beziehung auf Verfaffung und Geſetzgebung nur an-
nähernd den übrigen mit der Monardie vereinigten Provinzen
gleich zu» ftelen und ihre Oppofitionsluft jteigert ſich jeweils wieder
im Hinblide auf revolutionäre Bewegungen in allen Theilen der
‚Erde. So erhitzten ſich allmälig die Köpfe, bis unerwartete Ereig-
niffe die Tängft vorbereiteten Pläne in den ftürmifchen Märztagen
zur Neife brachten.
Gaben fomit die inneren Angelegenheiten Stoff genug zu
ernften Beſorgniſſen, jo waren ed nicht minder wichtige politifche
Vorgänge, welche die Aufmerkfamteit des Wiener Kabinets lebhaft
beihäftigten. .Borerft die Krafauer Frage, dann der Sonberbund:
—., freit, -in dem die Eingriffe Oeſterreichs und Frankreichs gerade
feine glüdlichen waren. Ebenſo wenig wollte ed gelingen, eine
offene Wunde in Deutſchland (wegen Schleöwig-Holitein) zu heilen.
Auch in einigen Städten, felbit Refidenzen, wie Münden, Stutt-
.. gart, kam es zu Unruben, dabei Handelökrifen, die zunehmende
Theuerung der Lebensmittel, ein allgewieined Mißbehagen — end:
„ li bildeten fih Turn: und andere Vereine mit unverhohlen poli-
- tiiher Tendenz, und die religidfe Wühlerei ging dabei nebenher.
Ronge, Dowiat u. A. nannten fid) „Deutichlatholiten“, an fich
[hart ein unfinniger Ausdrud, da im Worte felbft ein innerer
Widerfpsuh liegt. Zu all diefen Erfceinungen kam nun noch
die verwirrende Politik Englands, welche die Verlegenheiten, die
117
ihm Irland und andere innere Gebrechen bereiteten, nad) dem
Seftlande abzuleiten ſuchte. Palmerſton bebte in der Schmeiz,
wühlte in Spanien, berrichte in Portugal, tyrannifirte Griechen:
land, ſchrieb der Pforte Geſetze vor, hifanirte in Polen, in Deutſch⸗
land, breitete nach allen Seiten feine Handeldideen aus, und ala
vollends Lord Minto nach Italien geſchick wurde, vernahm man
aus jeder Stadt, die er befuchte, Klagen über Willkür, ſelbſt
Grauſamkeiten der Regierungen; bier, hieß es, verfolge man bie
Proteftanten, dort kerkere man BPatrioten ein, unterdrüde jede
Freiheit, jeden höheren Aufſchwung, und alfobald erichallten auch
ſchon die „Reformrufe” ; felbft der Papſt, der in feiner großherzigen
Auffaffungsweife die Bewegung zu leiten gedachte, war den ungeftüm
Drängenden ſchon nicht mehr thätig genug, und man vief ihm
das: Pio nono, sei bello e buono, ma sta! — mit Anjpielung
auf feinen Familiennamen — zu.
Schon im Karneval 1848 brachen in Folge diefer Umtriebe ,
. bedenflihe Unruhen in Mailand aus, welche unverfennbar im
geheimen Zufammenhange mit der Pariſer Revolution der Februar⸗
tage ſtanden.
Es war ganz natürlich, daß alle dieſe Symptome einer
ſteigenden Gährung nicht nur Den Wiener Hof beunruhigen, ſon⸗,
dern fi auch düftere Ahnungen in weiteren Kreiſen verbreiten
mußten. Man verbehlte fi nicht, daß, welche Ummälzungen auch
die Zukunft in ihrem Schooße berge, jede derjelben von noth⸗
mendiger Rückwirkung auf die Zuftände der Monarchie fein müffe
und diefelben unter feiner "Bedingung in dieſer Weife länger fort?
beftehen Könnten. Man erwartete und konnte feine Abänderung
in der Äußeren Politik wie in den Fragen der inneren Verwaltung
von den Staatömännern erwarten, welche den Rath des Kaiſers
Ferdinand bildeten. Mit Recht behauptete man, daß es in Oeſter⸗
reich nur einzelne Miniſter, aber fein, das Ganze nach beftimmten
Grundfäben leitende Miniſterium gebe. Der Erzherzog Ludwig,
118
von den edelften Abfichten befeelt, war bei der Berantwortlichkeit,
die auf ihm laſtete, um jo ängſtlicher, als er ja nur Stellvertreter
des Monarchen war. Graf Kolowrat nahm wohl mandmal
einen Anlauf zu Neuerungen, Tehrte aber bald, wenn er nicht
durchdringen Tonnte, wieder um. Kübel fand mit Einficht dem
unglüdlichen Finanzweien vor, hatte aber auc Feine Wünfchelruthe
und mußte fi damit begnügen, einen anderen Stein der Meilen
zu finden: Gold immer mehr in Papier zu verwandeln. Graf
3. Hardegg leitete mit mehr rechtlichem Sinne als &nergie den
Hoffriegsrath und Graf J. Sedlnitzky war eher alles andere, als
ein tüchtiger Polizeiminifter: ein feiner Lebemann, wohlwollend im
Benehmen, faßte er fein Amt von der möglichſt engherzigen Seite
auf und verlor über Meinlihen Detailfragen und der Ausbeute
einer müffigen Neugierde die eigentliche Beftimmung eines geregelten
Polizeiweſens aus den Augen.
Endlich Fürft Metternihl Gegen ihn, ald die Seele des
Kabinet3, waren immer die heftigften Vorwürfe gerichtet, und es
ift jest, kurz vor dem Schluffe feiner ftaatsmänniichen Laufbahn,
wohl am Orte, näher zu unterfuhen: ob er diefelben auch in fo
vollem Maße verdiente? Sch habe wahrhaftig Leinen perfönlichen
Grund, mich zum Vertheidiger jener Vergangenheit zu machen;
ih verfannte nie ihre Schwächen, aber welche Regierung in irgend
einem Lande war und ift denn immer fehlerfrei? Glaubt man im
Ernſte, dag Fürft Metternih nicht, mwenigftend ebenfo gut als.
feine Gegner, die Lage mit Klarheit durchſchaut und Mittel zur
Abhülfe angeftrebt hätte? Gar oft hörte ich ihn Über Mangel an
Copacitäten Magen, fähig, ſich der Aufgabe zu unterziehen, fo
fhwierige Fragen zu Idfen. Sollte er, einem vielgehörten Rathe
folgend, die Monarchie über Naht mit einer Konftitution, in
Begleitung aller nur denkbaren Freiheiten, beglüden, daB Programm
einer Partei aufftellen, die fi in ihrem feichten Liberalismus, ala
fie bald nachher an's Ruder kam, ebenjo feig als unfähig erwies
119
und allfogleid von den Wogen des Rabikalismus hinweggeſpült
wurde? Dabei vergefle man nicht, Daß Metternich, wenn gleich
vielfach in Gefhäften erfahren, ein 74jähriger Greis war und
gerade die lange Uebung ihn für manche neuere Forderung der
Zeit abſtumpfte. Weßhalb trat er aber dann nicht ab? Höre ich
ausrufen, und babe hierfür nur eine Antwort: wem konnte er
mit gutem Gewiſſen die Zügel übergeben?
Es iſt eine längſt anerkannte, aber noch immer nicht genug
beherzigte Thatſache, daß eine nie ruhende Partei den Umfturz -
alles Beitebenden anftrebe, — man nenne fie Rothe, Socialiften,
Jakobiner, Sarbonari, Kommuniften, Radifale — fie alle wollen
die Welt nad) ihren Ideen reformiren, Staat, Kirche, Eigenthum,
Familie, alle geſetzlichen Bande der menſchlichen Geſellſchaft unter:
graben und zeritören. Allenthalben thätig, erſcheint fie, auf alle
Stände einwirfend, in den verfchiedenften Formen und fpart weder .
füß einfchmeihelnde Worte und Beftechungen, noch Drohungen.
Ihr Steht fletd eine ganze Borrathälammer von Schlagworten,
von hochtönenden, aber hohlen Phraſen zu Gebote, wenn es gilt,
Wahrheit in Lüge, die Wirklichleit in eine Traumwelt zu ver:
ehren und die Anfangs lodenden Pfade mit einem fahlen Irr⸗
lichte zu erhellen. Man mürde die Eriftenz und Fortdauer eines .
folhen Vereins kaum für möglih halten, wenn nicht die eiferne.
Beharrlichkeit und eine an Wahnfinn grenzende Keckheit der Partei
ihn erhielten und ihm felbft augenblidliche Siege verſchafft Hätten.
Dazu kam die ganz unglaublihe, durch eine wühlerifche Preſſe
gefteigerte Verwirrung der Begriffe. Solchem frevelhaften Treiben
mit vereinter Kraft entgegen zu treten, ift heilige Pflicht aller
Regierungen, jeded ordnungsliebenden Staatsbürgers, denn nicht
gegen Throne und Altäre allein ift diefe bämonifche Verſchwörung
gerichtet, es gilt der Eivilifation, den Sitten, der ganzen jekigen
Welteinrihtung. Iſt man im Allgemeinen audy über die Notb:
wendigfeit einig, folche verbrecheriſche Ausſchreitungen zu befämpfen,
120
fo gehen doch die Anſichten Über die Mittel zur Erreihung eines
fo löblichen Zweckes gar weit auseinander. Die Einen wollen
dem Strom der Revolution einen gewaltigen Damm entgegen-
ftellen, ihre Anhänger raftlod verfolgen und fomit den Kampf
offen und rüdfichtslod aufnehmen. Andere ziehen vor, jenem ver:
heerenden Strome eine Ableitung zu geben, damit er, die Dämme
gewaltſam zerreißend, nicht alles überfluthe, fie mähnen durch
Zugeftändniffe den Geift der Empörung zu bannen und den augen:
blicklich berrfchenden Ideen Rechnung tragend, Fünftigen Stürmen
um fo ficherer vorzubeugen. Die Träger beider Syſteme ftehen
fid) grollend gegenüber, und man macht fich gegenfeitige Vorwürfe:
jenen, daß fie durch flarren Widerftand die Sache der Revolution
fördern, Diefen, daß fie durch Nachgiebigfeit ihr ala blinde Werk⸗
zeuge dienen. Es gibt Beilpiele genug, welche ebenjo fehr für
wie gegen die Grundſätze diefer beiden Syſteme angeführt werden
können. Oeſterreich unterlag 1848 nad ftrengem Feſthalten ebenfo
gut, als Louis Philipp und andere Fürften — welche bis zur
äußerften Grenze der Conceffionen gelangt waren; am Ende kommt
es doch immer nur darauf an, wer der Stärfere ift und in
welcher Weile er die ihm gemordene Macht ug und Fräftig zu
benüßen weiß. Bei all dem finnverwirrenden Treiben unferer
Tage drängt fi aber auch mit unverfchämter Gefchäftigfeit die
Lüge, noch mehr jedoch die politiihe Heuchelei allenthalben ein,
und mit Recht konnte ein geiftreiher Franzoſe auf die an ihn
gerichtete Frage: „Qu'est ce que la vérité de nos jours?“
erwiedern: „‚C’est un mensonge qui par hasard se verifie!“
Wenn der Yürft Metternich daher, wie ich ſchon angedeutet,
es fi zur Hauptaufgabe feines Lebens gemacht, der Hyder der
Revolution in jeder Geftalt und überall zu wiberftehen, fo irrte
er vielleicht Hie und da in der Wahl der richtigen Mittel, es
fehlte ihm wohl eine gewiſſe Elafticität, aber e3 wäre doch wahrlich
an der Zeit, nicht Tänger auf eine Wirkſamkeit zu ſchmähen, melche
121
bei ruhiger Prüfung den Bebürfnifien der Epoche vollfommen ent:
ſprach, welche namentlih, unter andauerndem Einverſtändniß mit
Preußen, Deutichland fo lange den inneren Frieden ficherte und,
alles Gefchreied ungeachtet, Oberitalien einen Grad von Ruhe
und Wohlſtand brachte, deilen es fich früher nie und auch jebt
noch, nad erlangter ſ. g. Freiheit, nicht erfreut.
Ich kann demnach Leinen entfchiedenen Tadel über jenes
Syitem ausfprehen und glaube, daß man beffer thäte, ftatt die
ganze Laſt und Schuld an dem Leid unjerer Zeit früheren Mif-
griffen aufzubürden, ſich ernftlid damit zu befchäftigen, mehr an
die Gegenwart zu denken und an der Stelle der jebigen Zerriffen:
beit Dauerndes aufzubauen.
So ging denn das Jahr 1847 nicht ohne ein drüdendes
Borgefühl Tünftiger, drohender Geſchicke zu Ende; fchlimme An-
zeichen mehrten fi, und Yürftin Melanie fagte mir, daß fie feit
einiger Zeit von allen Seiten, auh von Mannheim, anonyme
Briefe mit gemeinen Schmähungen und gehäffigen Vorausſetzungen
erhalte, daß die Stunden ihres Glückes gezählt feien u. dgl. m.
So ſehr fie auch ſolche Zufendungen erfchütterten, fo ftellte fie
bo, wie fle fih ausdrüdte, ihr und der Ihrigen Schidfal der
Yügung Gottes vertrauendvoll anheim.
Am November traf General v. Radowitz in Wien ein und
eröffnete fomit jene lange Reihe von preußifchen außerordentlichen
Miffionen, welche, bis heute wenigſtens ohne fihtbaren Erfolg,
die Einigkeit beider Großftanten bald in einzelnen Fragen berbei-
führen, bald im Ganzen befeftigen oder wiederherſtellen follten.
Veberdieß ſah man in Wien der weiteren Entwidelung der Ber:
liner Zuftände wie der neuen Verfeffung mit einer gewiflen
Spannung entgegen, war aber von dem Ausgang der erjten
Zufammenfunft der beiden „Häufer“ wie der Haltung des Königs
mehr befriedigt, ald man ermartet hatte.
122
Dießmal war Radowitz berufen, die Schweizer Angelegen-
beiten in Paris zu beiprehen und begab ſich zugleich mit dem
Grafen Colloredo dahin, welcher nach feiner Vermählung (mit
der Gräfin Wittwe S. Sobainsla-Botoda) den Poſten in St.
Peteröburg aufgegeben hatte und fpäter durd den Grafen Buol
eriebt worden war.
Die Gefelligfeit beivegte fidy in dem gewöhnlichen Geleiſe
von Tanzfreuden, Concerten und Routs. ine Gejellihaft von
Damen und Herren des Adel3- veranftaltete zur Unterhaltung der
tungen Erzherzoge ein Liebhabertheater; im Hinblid auf die bald
nachher eintretenden Creigniffe mar e wohl eine befondere Ironie
des Zufalls, daß hierzu Kotzebue's „Wirrwarr“ gewählt ‚wurde
und in Ermangelung eined anderen Lokals Die Vorſtellung im
Sitzungsſaale des „Staatsraths“ ſtattfand!
Der 24. Februar, von jeher ein Unglücks⸗, in dieſem Jahre
auch noch der Schalttag, war erfchienen. Es wurde an dem⸗
jelben der Kriegsminiſter Graf Hardegg mit großem militärifchem
Gepränge begraben. In den Morgenftunden ftarb die Yürftin
Sof. Lichtenftein:Fürftenderg. Diele hohe Dame kann den
Edelften ihres Geſchlechtes beigezählt werden: Mutter einer fchönen,
zahlreichen Yamilie, war fie aud eine Zierde der Geſellſchaft; ihr
feiner und zugleich heiterer Geift, verbunden mit einer natürlichen
Gutmüthigkeit, 309 ihr in dem weiten Familienkreis mie bei Hofe
und in der großen Welt, in der fie fi mit Anmuth bemegte,
allgemeine Verehrung zu. Hatte fie ſich aud in der lebten Zeit
wegen zunehmender Taubheit von zahlreiheren Berfammlungen
entfernt gehalten, jo ſchaarten ſich doch immer freudig ihre Freunde
um fie. Gin Theil ihrer liebenswürdigen Eigenfchaften ging ala
willlommened Erbe auf ihre vier Töchter über.
An dem Abend deffelben 24. fand ein Hofball ftatt, auf
dem die meiften größeren, mit dem Hauſe Richtenftein verivandten
123
Tamilien nicht erfchienen. Ueberdieß Tag auf dem ganzen Feſte
wie eine beengende Schwüle, und ihr möglichit zu entgehen, fekte
ich mich an den Whiſttiſch; auch Graf Flahault, wohl nicht ahnend,
was fih in jenen Stunden zu Paris begeben würde, nahm an
der Partie Theil.
Erft nad einigen Tagen verbreiteten ſich unheimliche Gerüchte,
und der 29, Februar beftätigte Thatſachen, weldhe man fih kaum
furz zuvor noch möglich geträumt Hatte Nun folgten Tage der
Beitürzung, der Anfang einer neuen Zeit!
124
Aeizehnter Abſchnitt.
(1848 — 1851.)
Inhalt: Der 18. März Flucht bes Fürften Metternih. Die neuen
Zuftände. Ungarn, Ztalien. Die Berfafjfung vom 25. April
Die Maitage. Der Taiferlihe Hof in Innsbruck. Deputationen.
Auftritte. Das ungariihe Minifterium und bie Revolution. Flucht bes
Palatind. Der öfterreihifhe Neihstag Die Oktober-Schreckens⸗
tage. Die Belagerung Wiens. Die Flucht nad Olmfütz. Kaifer
Franz Joſeph. Meberfihtlide Zufammenftellung ber politischen
Greignifie des Jahres 1848. Fürft F. Schwarzenberg. Graf Franz
Stabion. Dr. Alex. Bad. Der ungarifhe Feldzug. Die Schlacht
von Rovara, Die Reihsverfaffung. Die deutfche Königs wahl
in Frankfurt. Der Aufruhr in Baden, Die ruſſiſche Intervention in
Ungarn. Die Einnahme Roms. Der Zal Venedig Radetzky in
Bien. Die öfterreihifhe Armee. Politifche Betrachtungen. Die de utſche
Frage. Erfurt und Berlin. Holftein und Kurbefien. Rabowig. Zu:
ftände In Baden. Eln Brief Metternich's. Zuſammenkunft in Bregenz.
Meine Miffon in Wien. Der Vertrag von Olmütz. Die Dres be ner
Konferenzen. WBieberanftelung und Rückkehr nah Wien,
Die allgemeine Bewegung, welche fi in Stalien vorbereitet,
in Paris entzündet, hatte ſich feit dem 1. März auch ganz Deutſch⸗
land mitgetheilt. Sie brach zuerft in Aeußerungen des Unwillens
gegen die Wirkfamfeit des Bundestage aus und pflanzte fid, in
den Kammern, wie in Vollsverfammlungen elektrifh fort. Aus
einer der lehteren ging der |. g. Fünfziger-Ausſchuß in Heidelberg
hervor, aus dem fi) dann dad „Borparlament” in Frankfurt ent:
widelte. Die Regierungen, felbft die der beiden Großmächte, fehienen
125
rathlos; die Fluth des fo überrafchend ſchnell gefteigerten Wider:
ſtands mar zu body angefhiwollen, um ihn mit Waffengewalt unter:
drüden zu können; man nahm daher die Zufluht zu Auskunft:
mitteln, zu Gonceffionen, welche größtentheild den beabfichtigten
Zweck verfehlten. Abermals erſchien General Radowitz, um fi
mit dem Wiener Kabinette über eine gemeinfhaftliche Haltung,
den drohenden Gefahren gegenüber, zu berathen. In gleicher Weife
ſchickte Fürft Metternich den Grafen Colloredo nad Frankfurt,
defien, auf die Klärung der Lage berechneten Snftruftionen vom
12. März fon am folgenden Tage als erioichen betrachtet werden
fonnten. —-
So verfloffen die eriten vierzehn Tage in fortmährender
Spannung unter den bedenklihiten Nachrichten aus Italien und
aus ‚deutfchen Städten, wo e3 beſonders in München zum Aufruhr
gefommen war. Der 13. März bezeichnete in Wien den Schluß
der biöherigen Regierungsweiſe und nad) einem ungemein ftür:
mifhen Tage gab Fürſt Mefternih feine Entlaſſung ein; mit
deilen Nüdtritt und den fi daran Tnüpfenden Zugeftändniffen
wähnte man alle Mebel gehoben, während doc, gerade diefer Tag
nur der erfte in einer Reihe Tanger unbeilvoller Monate war.
Ich Habe es verfucht, alle Ereigniffe, meldyen ich ald Augenzeuge
beimohnte, umſtändlich zu fhildern;*) wenn ich diefen Befprechungen
noch einige weitere erläuternde Bemerkungen beifüge, fo geſchieht
es dem Plane dieſes Buchs gemäß, um die perjünlihen Eindrüde
näher hervorzuheben. Denn, da ich Feine Geſchichte unferer Zeit
Ichreiben, nur ihre Zeichen andeuten, felbit Erlebtes aufzeichnen
wollte, fo Tann id von dem ewig dentwürdigen Sabre 1848 nur
ein Sefammtbild der Begebenheiten in chronologiicher Tolge ent:
werfen, und werde diefe überfichtliche Darftelung den nachſtehenden
Skizzen ſpäter anreihen.
*) Srinnerungsbl. ©. 182— 182.
126
Leder Tag der dritten Märzwoche brachte überraſchende Er:
ſcheinungen; nachdem in den „drei“ erften Tagen „alles bewilligt“
war, vermehrte der triumphartige Einzug des Erzherzogs Stephan,
ſowie der theatraliſch ſich geberdende Koſſuth an der Spike einer
Deputation den allgemeinen Taumel, und als ih mid am 18.
mit Radowitz über alle diefe auffallenden Vorgänge unterhielt, rief
er, entrüftet darüber und mit einiger Befriedigung, aus: „mein
König ift Gottlob! noch willendfräftig genug, um fi fo Schmach⸗
volles nicht abtroten zu laſſen!“ — In derfelben Stunde fanden
die bekannten Mäglichen Vorfälle in Berlin ftatt! —
Den 19. traf gerade während einer Mondäfinfternig Erz:
berzog Johann in feiner mir gegenüber Tiegenden Wohnung ein;
überhaupt Fonnte ich von meinen Yenftern aus, wie in den eriten
Logen, die wichtigften auf dem Kohlmarkte und Michaelerplak
theilweife blutigen Begebenheiten überfehen. Mit einer vorüber:
gehenden Ruhe in Wien trafen nun die Hioböpoften von Italien
zufanımen; die Piemontefen maren fiegreih in Mailand eingezogen,
Venedig gefallen und Radetzky hatte ſich nad) Verona, die Truppen
in die Feltungen zurüdgezogen; Yerrara, früher befeßt, hatte nur
noch öſterreichiſche Truppen in der Citadelle, während fo das cis-
alpinifche Königreich ftüchveife der Macht Oefterreih3 enticdylüpfte,
war auch fein Einfluß in Deutfchland von den Wortführern des
Tages längft überflügelt und die ftille Bundesverfammlung mußte
bald dem lärmenden „Parlamente“ in der Paulskirche weichen.
Mittlerweile reichten fih in Wien Straßentumulte, Katzen⸗
muſiken, unterftüßt von der efelhafteften Preſſe, die Hand; die
Rationalgarde, auf die man fo ſtolz war, verfiel bald fremden
demokratiſchen Wühlereien, und der immer kecker hervortretende
„Sicherheitsausſchuß,“ im Bunde mit den Studenten, „ben lieben
ungen“ —, bereitete die bald folgenden Kataſtrophen vor. Noch
war der 25. April — an dem die neune Verfaffung erſchien —
127
ein Tag unbefchreiblichen Jubels, doch fchon der 15. Mai, mit
fünftlich herbeigeführtem Geſchrei, machte, bei der feigherzigen
Schwäche der Minijter, diefen Täufchungen ein Ende. Schon den
18. floh der Kaifer mit feiner ganzen Familie In der Nacht nad
Innsbruck; es ließen fich einzelne leife Töne nach Proffamirung
einer Republit hören, doch trug vorerft noch ein gefunderer Sinn
den Sieg davon und die, wenngleich fcheinbar theilnahmloſen,
Truppen bielten wenigftens die Außere Ruhe aufreht. Da er:
ſchallte plöglih der Ruf: „Windiichgräß rüde mit einer Armee
heran” und in der Naht vom 26. Mat bedediten ſich alle Straßen
Wiens mit ungeheueren Barriladen; man fuchte fi im Wetteifer
zu übertreffen und tyranniſche Hausherren zwangen die friedlichen
Mitbewohner, das Pflafter aufzureißen, felbft die Steine in die
oberen Stockwerke zu fchleppen um damit die eben einrüdenden
Truppen zu zerfchmettern. Doc erwies ſich zuletzt der ganze
Lärm als ein blinder und alle diefe Anftrengungen wurden in
ihrer Zweckloſigkeit wahrhaft lächerlich.
Herr v. Weſſenberg, welcher den Grafen Fiquelmont im
auswärtigen Miniftertum erfett hatte, Tieß eine Einladung an das
diplomatifche Corps ergeben, fi an das Taiferlihe Hoflager nad
Innsbruck zu begeben. Der Adel, die Reicheren und Unabhängigen,
wer nur immer konnte, hatten ſich ohnehin ſchon von Wien ent:
fernt. Ich begleitete die Herzogin P. v. Württemberg, melde fich
nach Iſchl begab, bis Linz. Die 77jährige Dame war noch nie
auf einem Dampfichiffe gefahren und brachte daher vor Angſt eine
doppelt furchtbare Nacht mitten unter Flüchtlingen und bewaffneten
Proletariern zu; ja, einige Studenten hielten fie wegen ber
Aehnlichkeit mit ihrem Bruder für den als Frau verkieideten Fürften
Metternich; ich war genöthigt ihnen im Ernſte das Unfinnige
diefer Vermuthung vorzuftellen. In Linz erwarteten und neue
Emotionen! Der Gafthof wurde von einem tobenden Volkshaufen
belagert, welcher auf Montecuculi und einige andere, von Wien
128
entflohene Herren fahndete; fie, deren Namen noch vor Wochen fo
populär, wurden nun ald Verräther verfolgt. Bon Linz begab
ih mid nah Tyrol.
Der zwölfmöchentlihe Aufenthalt der kaiſerlichen Yamilie in
Innsbruck wird immer eine der denkwürdigſten Epifoden diefed Sturm:
jahres bleiben. Wie in einer Zauberlaterne ſahen wir da Menſchen
wie Begebenheiten an ung vorüberziehen; während der Kanonendonner
in Paris und Prag wiederhballte, erfreute man ſich an den Siegen
der berrlihen Armee unter Radetzky in Italien; dazwiſchen die
Neden des Parlament3 in Frankfurt, wie das neue Schaufpiel
eines Reichſtags in Wien, doch vor allem die feltfamen Begebniffe,
welche ſich in unmittelbarer Nähe zutrugen. Generale, Staats-
männer, Diplomaten, Couriere, Deputationen aller Kronländer
freuzten fidy täglih auf den Straßen und das Junsbrucker Schloß,
welches einft einen Raifer fterben fahb, war jebt abermals Zeuge
höchſt merfmürdiger Auftritte Kaifer Yerdinand, umringt von
Miniftern, in deren Mitte er beinahe wie ein Gefangener ſich
nicht frei bewegen konnte, bielt täglich Audienzen und lud Mit:
tags oder Abends Gäfte ein. Eines Tages mit anderen Gefandten
zur kaiſerlichen Tafel geladen, fand ih einen Pla neben mir
Teer, als bald nachher der ungarifhe Premier, Graf L. Bathiany,
in einem ungeziwungenen Dlorgenanzuge, in dem er höchſtens die
Martinswand hätte befteigen können, ſich ohne weitere Umſtände
zu Tiſche ſetzte. Nachmittags drängte Bathiany den Kaiſer in
eine Ede des Salons, un allein nit ihm zu ſprechen, aus weldyer
Lage ihn die immer wachſame Geiftesgegenwart feiner kaiſerlichen
Gemahlin befreite. Un einem anderen Abende waren wir "zum
Thee bei der Erzherzogin Sophie, ald gerade der Erzherzog Franz
Joſeph and der Lombardei zurüdtehrte, mo er die eriten glänzen-
den Waffenthaten beitanden. Nur mit innerem Widerftreben wich
er der Nothwendigkeit und verließ biutenden Herzens den glor:
reihen Kampfplatz des tapferen Heeres; mit wehmüthiger Sehnjucht
129
zeigte er und Kriegsſcenen, welche er ſelbſt in ein Album
ſtizzirt hatte.
Eine eigene, in diefer Weife nie in Innsbruck ftattgefundene,
Kirchenfeier war die Frohnleichnamsproceſſion, wo der kaiſerliche
Hof, umgeben von dem fo bunt zufammengefebten Gefolge und
den Tyroler Schützen in ihren malerifhen Trachten, erichien.
Eine ungarifche Deputation reihte ſich an die andere, jede zahl:
reicher, ungeftümer ; felbft Erzherzog Stephan mar gekommen in
den Kaiſer zu dringen, feine Nefidenz in Ofen aufzufchlagen. Hier
war es, wo fih Graf Grünne, der Oberhofmeifter des Palatinz,
von diefem trennte, und dem Erzherzog Franz Joſeph zur Dienft:
leitung beigegeben wurde. Die zum Theil dem höchften Adel
angebörenden Abgeordneten Ungarn? murden mit Auszeichnung
empfangen; ihre Sendung blieb jedod ohne unmittelbaren Erfolg.
Ebenſo erging es Jellachich, welcher fid) nicht einmal in Innsbruck
öffentlich zeigen, fondern den Kaifer nur ganz indgeheim fprechen
fonnte. Auch ein päpftlicher Legat war erichienen, deffen Sen:
dung aber unter den gegebenen Umſtänden feine Ausſöhnung
hoffen ließ.
Eine? Morgend war der Erzherzog Johann im Gafthofe
zur Sonne abgeftiegen und ich machte ihm mit anderen Kollegen
die Aufwartung. Diefer Prinz hatte einit in Köln die unvor:
fichtigen Worte: „Fein Defterreih, Tein Preußen! ein einiges
Deutichland” ausgefprochen! dafür biüßte ey nun, dag man ihn in
Frankfurt zum deutfchen „Reichsverweſer“ außrief! Der Erzherzog
drückte fich offen über die Lage aus und verbehlte ſich die beinahe
unüberfteiglichen Schwierigkeiten nicht, welche ihn erwarteten, glaubte
fih jedoch aus WPflichtgefühl diefer Aufgabe nicht entziehen zu
dürfen. Bon da begab er ſich nad Wien, um in Auftrage des
Raifers die erfte gefeßgebende Verſammlung in der k. k. Reitſchule
feierlich zu eröffnen. Das diplomatifche Corps reifte Ende Juni
deßhalb ebenfalls wieder nach Wien zurüd; nur Medem, Arnim
Ich. v. Andlam. Wein Tagebuch. II. 9
130
und ich bliehen in Inuzbrud. Der ruſſiſche Hof Hatte aus⸗
drüdlich feinen Gefandten angewieſen, ſich nicht von Dem Sailer
zu trennen, Arnim aber, zurüdberufen, erwartete feinen Nachfolger,
den Grafen Bernftorff; da fi jedoch Defien Ankunft ver
zögerte, überggb mir Arnim die Siegel und Papiere her preußiſchen
Geſandtſchaft, welche ich jeyem bei feinem Eintreffen einhändigte.
Mein eigenes Verbleiben war leider Tein freiwillige; eine Krank:
heit, an jene in Paris mahnend, hatte mich ergriffen, und ich
ließ mich in dag romautifd gelegene ftile Bad Mühlau bringen,
welches ich erft, gerade den Tag vor der Abreife des Kaiferd, ver-
laſſen konrite.
Wiederholt war man in den Monarchen gedrungen, in ſein
„treue, völlig beruhigtes“ Wien zurüdgufehren, hatte ihm nor:
geftelt, daß mur dadurch der innere Friede gefichert werden
könnte u. ſ. w. Der Kaifer entſchloß ſich endlich, mwiewohl ungerne,
zu dieſem Schritte Ich ſah feinen Einzug auf der Durchreiſe
in Salzburg, mo fih in Die freundlihe Bewegung noch der
Jubel über die Ankunft des Fürſten Fror. Lichtenftein mifchte,
welcher die Schlüffel des wiedereroberten Mailand überbrachte.
Auf dem Wege dahin war ih noch in der Nacht einer
Deputation von Magnaten begegnet, unter welchen fi auch ber
bald nachher einem fo tragiihen Schidfale verfallene Eugen
Zichy befand; ic ſah ihm hier, heiter wie immer, zum lepten
Male. — |
In Linz beftieg id) eined der Dampfihiffe, welches das
faiferliche Bahrzeug nach Wien begleitete, war daher Zeuge, wie
ih da alles längs den Ufern belebte, Städte und Dörfer fi
ſchmückten und die Begrüßung in begeifterten Lebehochrufen gu
Nupdorf den höchſten Ausdrud fand!
Diefe Freude, vielleicht auch ungeheuchelt, war nicht non
langer Dauer und zwei Monate verfloffen in fortwährenden poli⸗
tiſchen Zuckungen. Mehr noch al Wien beunrubigten die
181
Vorgänge in Ungarn und ein Bei frecher Hugebundenheit Hatte ſich
täglich mehr der ftändiihen Berathungen bemächtigt. Noch erinnere
ich mid, wie Fürſt Paul Eſterhazy, bei dem ih am 1. September
in Hatteldorf mit Doͤak u. U. aß, mir die peinlihen Gefühle
ſchilderte, mit denen er fein krauriged Amt in einem von foldyen
Elementen zufanmengefeßten ungariſchen Dinifterium fortführe,
Seine Stelung war wicht länger haltbar und einige Wochen nach⸗
ber waren auch Schon die Gemäßigteren ausgetreten, nur Bathiann,
Koſſuth und Die radialen Mitglieder geblieben, war St. Szechenyi
infianig geworden, der Palatin auf der Flucht und Lamberg fiel
als Opfer der Pflichttreue auf der Peter Kettenbräde unter hoch⸗
nerrätheriihen Händen! —
Nun kam der Dftober mit feinen Schredniffen heran. Der
6. bleibt in feinen furdtbaren Ereigniffen immer unvergeßlich.
Der Kaifer floh in der Naht nah Olmütz und der Neichdtag
ſchleppte feine Verhandlungen bis zur Zeit der Belagerung fort.
Das diplomatifhe Corps, welches ſich durch diefe Vorgänge in
einer eigenthümlichen Lage befand, da es feine Einladung nad
Olmütz erhalten hatte, Fam einige Male zu gemeinfchaftlihen Be:
rathungen bei Lord Ponſonby zufammen. Man konnte zu keinem
Entſchluſſe gelangen und nur als wir von dem k. k. Kabinette
höflich erfuccht wurden, das „belagerte” Wien zu verlaffen, begab
ich mich mit einigen ©efandten nah Hitzing, andere zerſtreuten
fi) in der Umgebung, nur Graf Medem, abermals beitimmten
Meifungen folgend, verließ den Saifer nidt. Die acht denkwür⸗
digen Tage der Belagerung werden wohl nie aus dem Gedächtniffe
der Augenzeugen ſchwinden! —
Der November verfloß THU und unbehaglich, noch trüber
durch die Reihe ftandrechtliher Hinrichtungen, weldhe nun folgten;
hie Stadt bot einen Anublick von Merlaffenheit und düfterer Stim⸗
mung, welcher ſie lange nicht verließ!
9 ”
132
Den 2. Dezember hatte Kaiſer Yerdinand feine Krone
niedergelegt und fein 18jähriger Neffe Franz Joſeph den Thron
beftiegen. Fürſt Felix Schwarzenberg war Minifter- Präfident.
Fürft Windiſchgrätz bereitete fid) zum Feldzuge nad) Ungarn vor,
und der in Wien unterbrodhene Reichſtag — unfeligen Andentens —
trat in — Kremſier! wieder zufammen.
Mitte Dezember wurde ich beauftragt mid nah Olmütz
zu begeben, um dort den Prinzen Friedrih von Baden zu em-
pfangen, welchen der Großherzog zur Bewilllommnung des Kaifers
dahin abgefendet Hatte. Auch der Fürft von Fürſtenberg war zu
gleichem Behufe im Namen des Reichsverweſers dort erfchienen.
Das Taiferliche Hoflager in der alten mähriſchen Feſtung, von dem
‚ in Imnsbrud fo fehr -verfchieden, bot dod, manche Anziehungs:,
ſelbſt Vergleich Punkte. Das Taiferlihe Ehepaar Hatte bald nad
“der Abdanfung fih nah Prag zurüdgezogen, um dort feinen
bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Franz Joſeph bewohnte mit
feinen durchlauchtigſten Eltern das fürftzerzbifhöflihe Schloß, und
täglich waren Mittags und Abends viele fremde Gäfte eingeladen.
Auch die Erzherzogin Elifabeth, die Prinzeffin Amalie von Schweden
und Prinz Wafa batten ſich eingefunden; die Mehrzahl der Ange:
fommenen bildeten jedoch höhere Offiziere. Ich erhielt nun
Audienz — die erſte — bei dem jungen Monarchen, und hatte
mehrere Beiprechungen mit dem Fürften %. Schwarzenberg. Die
Politik des Kabinetd war damald mehr abmwartender, als thätiger
Natur; die Creigniffe mußten zunächſt ihren Gang beftimmen und
mit der größten Spannung ſah man den mit jedem Tage in—⸗
tereffanter werdenden Nachrichten aus Stalien und Ungarn ent:
gegen, denn, noch mar es nicht an der Zeit, fich erniter mit den
deutjchen Angelegenheiten zu befchäftigen. Dem Fürften Schwarzen:
berg ftand damals Hübner zur Seite, diefer Geſchäftsmann war
früher zu diplomatiſchen Milfionen verwendet, zuletzt Generafconjul
in Leipzig gemwejen, und fchloß fih nun, dur die Oftobertage
133
berufslos geworden, dem Kauptquartiere Jellachich's an. Fürft
Schwarzenberg benüßte die Erfahrung dieſes gewandten Beamten
und Jedermann glaubte ſchon ihn zum künftigen Unterftaatsfecretär
bezeichnet, ald er Allen unerwartet zum k. k. Gefandten in Paris
ernannt murde.
In den legten Tagen des Jahres begleitete ich den Prinzen -
Friedrich nach Wien, welches er nad kurzem Aufenthalt wieder
verließ, um nach Karlsruhe zurückzukehren.
Ein Rüdbli auf das Jahr 1848 gehört nicht zu den An
nehmlichfeiten des Lebens; kaum mird es die Nachwelt für möglich
halten, daß fi in dem Furzen Zeitraume von 366 Tagen eine
folhe Maſſe von Unfinn, Jammer, Verbrechen, Enttäufhungen,
unnüten Blutvergießend, Verrath, Erbärmlichkeit, Lüge und Schwäche
aufhäufen konnte. Keine Familie, Teine Klaſſe der Geſellſchaft,
beinahe keine Stadt oder Land blieb von diefen verderbliden Ein:
flüffen unberührt; felbit die radicale Partei vermochte ſich ihres
augenblidlichen Siege nicht zu erfreuen, denn fie erbaute nur
Kartenhäufer auf rauchenden Trümmern. Doch ein Vortheil Tieße
fih noch aus diefen fchaudererregenden Vorgängen zichen, wenn fie
fünftigen Geſchlechtern zur fruchtbaren Lehre und Warnung dienen
würden, eine erträglihe Lage nicht mit den nebelhaften Gebilden
angeblich vollfommener, bienieden nie zu erreichender Zuftände vers
taufchen zu wollen. Das alte Sprühmort: „daß das Beſſere der
Feind des Guten fei,” bat fich Hier abermals in niederjchlagender
Weiſe bewährt.
Wie id mir vorgenommen, Taffe ih nun die Hauptereigniffe
jene® Jahres nad) der Reihe vorüberziehen,; ed wird dieje Ueber:
fiht zwar nichts Neues enthalten, weil wir alles „Ichauernd jelbit
erlebt;“ doch mag immerhin eine folhe Zufammenftellung manches
134
Bergeffene wieder ins Gedächtniß zurücdtufen und der Füntgerem
Generation ein Gemälde aufrollen, deilen Farben nie ſtark genng
aufgetraͤgen werden können.
Januar 1848.
Revolutionäre Bewegungen in Mittelitalien und Sicilien. — Schweizer
Wirren, englifche Inttiguen. — Tod Chriftiind VIIE von Dänemark;
neues Verwidelungen. — Brodiforifcge Regierung m Balermo; Bombarde⸗
ment. — Neue Berfaffung in Neapel. — Krieg zwiſchen Nordamerika
und Merico.
Sebruar.
Neue Berfaflung in Sardinien. — Unruben in Padua, Pavia und
ambeten Orten. — Aufruhr in Mailand (Eigarreit: Emeitie). — Neue
Verfaffung für Sicilien. — Bewegungen m München. — Neue Ber:
faffung in Toscana. — Alloeution in Rom. — Wiberfland der Abgeorb-
neten in Schleswig: Holftein. — Reformbanguette und Auftritte in
ber Kammer zu Paris. — Die brei Tage (24., 25. 26.). — Flucht der
königlichen Familie. — Lamartine und das neue Miniflerum. — Die
ſocialiſtiſche Republik.
Mär.
Stanbret in Mailand. — Broviforifche Regierung und Wablen zur
conftituirenden Berfammlung in Frankreich. — Aufruf ber beutfchen
Bundesverfammlung. — Preßgeſetz. — Proflamationen in Württem:
berg, Baden und anderen deutſchen Staaten. — Rebe des Königs von
Preußen. — Ruſſiſches Manifefl. — Fünfziger-Ausſchuß in Heidel⸗
berg. — Vertrauensmänner bei'm Bundestag. — Beabfichtigter FRrflet:
kongreß in Dresben. — Einberufung bes preußifchen Landtags. — Allge
meine Amneftie in Deutfchland. — Beollsverfammlung in Prag. — Die
brei Tage (18., 14. 15.) in Wien. — Die Flucht bes Fürften Metter:
nich. — Zugeftändniffe an Ungarn; Minifterium Koffuth. — Revolution
in Berlin (18.); Miniſterwechſel. — Abbanfung König Ludwigs von
Bayern (20.). — Aufruhr in Mailand, Parma und anderen Orten. —
Unruben in Rom, Freifchaaren (Erociati). — Eonceffionen an die Stände
in Bayern, Hannover u. a. m. — Empörung in Venedig (22.), Gapitu-
lation Sichy's. — Proffamationen in Neapel, Turin und anderen
Städten. — Aufſtand in Modena (23.), Flucht bed Herzöge. — Kriegs⸗
erflärung Satbiniens (28.). — Die Piemonteſen in Mailand (25.).
135
— Parlament Ar Palerms. — Behkaͤgerunge guſtand in Madrid, —
Republtkaniſche Bewegungen in Betgie n. — Proviſoriſche Kegierüng t in
Schleswig:Holftein. — Neue Berfaffiing ir Pofen. — Die Fünf
hundert in Frankfurt (Worparlamanty 81.
April.
Getraumte Einbeit Jiakiens! — Neue Verfaſſung in Parma, —
Prodiforiige Regierung in Modena, Sicilien u. dgl. — Zünfziger-Aus:
ſchuß ii Franffürt; Entlaffung der Bunbestags: Gefandten; Wahlen.
für bie erfle deutfche Nationalverf ammlung. — Bereinigter Landtag:
in Berlin. — Landtag ii Rendsburg; Gefechte in Holftein. — Be:
Ingerurigäzuftand in Poſen. — Unruhen in Paris; Bewegung ber,
deutſchen Arbeiter. — Blutiger Aufftand in ben Straßen von Paris
(16.). — Aufſiaub in Savoyen. — Gefechte in Gasta, am Mincio
uf. Ww. — Chartiſten in London. — Die neue Bunbesverfaffung in
der Schweiz. — Revolutionäre Umtriebe in Baden; Heder, Strume,
Herwegh u. A. — Gefechte bei Kandern (Tod Gagern’s, 20.), Staufen
und Freiburg; kriegs zuſtand in Mannheim und im Dberlande. —
Poſen und Schleswig im deutſchen Bunde. — Organiſirung Nngarns und
Böhmens durch k. k. Reſcripte. — Oeſterreichiſche Verfaſſung (25.).
— Aufſtand in Krakau (26). — Aufftand in Rouen. — Entwurf bes
deutſchen Reich 8grundgeſetzes (26.). — Reichsabgeordnele nach allen
Sat. — Gtoßer Aufrühr i in Rom, Rebe des Papfies, neues Miniſterium,
Mantel, dann Roff; Bruch mit Seflerreich (29.).
ai.
Czechiſche Agitationen. — Eröffnung der ftanzöſiſchen National:
verſammlung. — Erfies Parlament in Sarbinier. — Schlachten
von St. Lucia und Somma-Campagna (6. u. 7.). — Aufſtand in
Poſen; Mierdstawsti. — Auftitf' fit bie deutſche FIbtte. — Strlitig⸗
keiten in Frankfurt; Ungarn allda vertreten. — Prinz vor Preußeir in
Berlin zurüd, — Neue Miniſterium in Paris (11.), Lonis Blanc, —
Furchibarer Auffard und Straßenkampf in Neapel (165.). — Emeufe in
Wien (15);. wehe Verfafung. — Flucht des k. k. Hofes nach Inns⸗
brud (18.). — Lostrennung von’ Siebenbürgen. — Erſtes deutſches
Parlament in Frankfurt. — Eröffning deſſelben (18.); Heinrich v. Gagern.
— Mainz im Belagerungszuſtand. — Eonſtituante in Berlin (22.). —
Italieniſche Flotte vor Trüeſtz Wlokade. — Oeſterreichiſche Dekrete
und Proklamationen. — Sicherheitsausſchuß, Pilletsdorf, Reichtagswahlen.
136
— Barrifadentag in Wien (26.). — Sieg bei Eurtatone (29.),
fpäter Einnahme von Padua, Vicenza, Trevifo u. f. w. (Radetzky). —
Blutiger Aufftand in Paris (wegen Polen).
Juni,
Slaviſcher Kongreß in Prag. — Landtag in Rom (4). — Die
Könige von Schweben unb Dänemark in Malmoe (7.). — Anflug
Mailands an Sardinien (9.). — Empörung in Prag (12. bis 15.);
Fürſt Windifhgräg. — Allgemeine Verwirrung in Kroatien und ber
Militaͤrgrenze. — Hoflager und Depntationen in Snnsbrud. — Die
Erzberzoge Zohann und Etepban alda (Ban Jellachich). — Emeute
und Zeughausſturm in Berlin (14.); nenes preußifches Minifterium. —
Unruden in Serbien, Aufftand in Buchareſt. — Nrbeiterfraval in
Paris, Lyon, Marjeille und anderen Orten. — Blutiger Straßen:
fampf in Paris; Belagerungdzuftand, der vermittelnbe Erzbifchof Affre
auf den Barrifaden erfchoffen, General Breä ermorbet, Cavaignac Sieger
über bie rothe Republik, neues Minifterium, Louis Napoleon in der
Nationalverfammlung. — Kammern in Toscana, Sachſen, Belgien a. |. w.
— Enbe be Bundestags, beutfhe Centralgewalt (27.). — Erzherzog
Johann Reichsverweſer (29.).
Fuli.
Parlament in Neapel (1.). — Verſammlung in Venedig (3.)
und Anſchluß an Sardinien. — Ungarifche Nationalverfammlung (5.);
Erzherzog Stephan. — Ruffifche Eircularnote (6.). — Erflärungen
Preußens und anderer deutſchen Staaten in Frankfurt. — Der Herzog
von Genua zum König von GSicilien erwählt. — Erſtes beutiches
Reihsminifterium und Reichögefandte. — Belagerungszufteand in Irland.
— Siege Radetzky's in Stalien (bei Euftozza u. a.). — Eröffnung bes
erften öſterreichiſchen Reichstags dur Erzherzog Johann (22.). —
Peſther Verhandlungen; Losfagung Kroatiens. — Ruſſen und Türken
in den Fürſtenthümern.
Augufl.
Einnahme von Mailand (d.). — Waffenſtillſtand zwiſchen
Defterreih und Sardinien. — Republif in Venedig (10); Manin. —
Zerwürfniffe mit Rom; Noten, Proteſte. — Kaiſer Ferdinand in Wien
zurüd (12.). — Bürger: und Racenkrieg in Ungarn. — Unruben in
Berlin, Wien und Münden (28.). — Waffenftiliftand von Malmoe.
— Breßgefeße und Deportationen in Franfreih. — Reihstagg:
gejepe in Wien; Staatsfchriften wegen Ungarn,
September.
Beſchießung Meffina’s (8). — Jellachich gegen Ungarn. —
Gmeral Wrangel in Berlin; Minifterium Pfuel. — Ungariſche
Deputationen in Wien. — Unruhen in Frankfurt; Grmorbung Lich:
now sty's und Auerswald's (18.); Rüdtritt Hekſcher's. — Repu—
blikaner in Baden; Struwe in Staufen (22. bis 26.). — Prokla⸗
mation Oeſterreichs an Italien. — Manifeſte an Ungarn; Flucht
des Palatins; neues Miniſterium; Ermordung Lamberg's; Juſtizmord
an Eugen Zichy. — Streit Oeſterreichs niit der Schweiz. — Aufruhr in
Köln; Belagerungszuſtand (26.).
Sktober.
Blutiger Auffland in Wien; Tannibalifhe Ermordung Latour’8;
abermalige Flucht des Kaifers (6.). — Beſchießung bes Zeughauſes;
Berbandlungen mit den Truppen. — Jellachich und ber Reichstag. —
Der FTaiferlide Hof in Olmüsp; Proffamation. — Die Abgeorbneten
Frankfurts; Welder und Mosle, Robert Blum und Trödel. — Belage
rung Wiens (28. bis 81.); Einnahme — Schlacht bi Schwechat
(29.). — Demokratiſche Umtriebe in Berlin. — Frankfurter Parla⸗
mentsbeſchluſſe.
November.
Belagerungazuſtand und Hinrichtungen in Wien. — Aufruhr in
Lemberg; Kriegszuſtand. — Neue preußiſche Verfaſſungsurkunde;
Miniſterium Brandenburg; Verlegung der Kammerſitzungen nach Bran⸗
denburg (7.); Unruhen, Widerſtand der Deputirten, Bürgerwehr. — Synode
der katholiſchen Biſchöäfe in Würzburg. — Manifeſt und Kriegs—
erklärung an Ungarn. — Kammern in Turin und Unruhen in Toscana. —
Revolution in Rom (15. bis 21.); Flucht bes Papſtes; Ermordung
Rofft’s; Basta und der König von Neapel. — Stände in Kurheſſen,
Baden und anderen Orten. — Defterreichifcher Reichätag in Kremfier (22.).
Dezember.
Miniſterium Schwarzenberg: Stadion. — Abdanfung bes
Kalfers Ferdinand (2) — Raifer Franz Joſeph in Olmük. —
Aufldfung ber preußifhhen Kammern. — Neue Berfaffung und
Wahlgeſetz (5.). — Feldzug in Ungarn; offene Empörung bes.
Reichstags. — Manifeft an Siebenbürgen. — Gefanbtfchaften in Olmütz;
rt Noten nah Frankfurt. — Gagern Reichsminiſter. — Pariſer
138
Programm und Bewegungen. — Louis Rapoleon Präfident der franzd-
fifden Republit (20.). — Allgemeine Berwirrung und ZTroftlofigfeit ber
Zuſtände in Italien. Mazzini, Garibaldi und bie rothe NRepublif in
> Romz Verhandlungen in Gaëta, und zum Schluffe große Wanderung,
ber goldfuchenden Völker Europa’3 nad Galifornten!
Mit empfindlicher Kälte begann das Jahr 1849, eines der
traurigften, welche id, erlebt, und dennoch verfloß es unter dem
Eindrude der täglich wechſelnden Ereigniffe unglaublich fchnell.
Meine diplomatifche Laufbahn fand vorläufig. mit der Sen:
dung, nad. Olmutz ihren Abſchluß. Die geoßherzogliche Regierung
fand es gevathen, im Vertrauen auf die weitere Entmidelung ber
Rrichsverfaffung, die Gefandtihaftspoften, bis auf jenen in Paris,
eingehen zu laſſen, und nad Erledigung der dringenditen Gejchäfte
bereitete id) mich vor, ohne nähere Beftimmung in's Vaterlaud
zurüdzufehren, al3 mid) die unerwartete Mai-Kataſtropho davon.
abhielt. Ich blieb demnach bis im Frühjahre 1850 privatifirend
im Wien, ahne Ruhegehalt oder Wartgeld, da min von den: früher
erhaltenen Eimrichtungsgeldern die Hälfte mit 3000 Gulden abge:
zogen wurde: Dieſer Berluft war für mich um fo empfindficher,
als ich gendthig war, das vor zwei Jahren von Paris mit großen
Koften. überfiehelte,, wieder. in Wien neu angefchaffte Mobiliar. weit
unter dem Werthe,. gleichſam auf den Barrifgden, zu veräußern.
Während. diefer ganzen Zeit nahm ich. um fo miehr eine rein
beobachtende: Stellung ein, als die Dede der Stadt, das Aufhören
jede gefelligen Verkehres mich nur- auf die nächſten befannten Be:
ziehungen befchränfte. Zeitweiſe ſah ich ten Fürſten Schwarzenberg,
der mich immer mit der gleichen Freundlichkeit behandelte und zu:
Tiſche Ind, oder beiprach mich mit: meinen früheren Kollegen. Auf:
merkſam und mit ftet3 erhöhtem Intereſſe folgte ich den Ereigniffen,.
welche fih, wenn auch in. minder gewaltfamer Weife, doch fo
139
ſeltſam und zum Theil überrafchend entwickelten, baß die Lektüre
der Blätter, die brieflichen Mittheilungen, verbunden mit einigen
Ausflügen, die volle Zeit in Anſpruch nahmen. Die Theater
und Öffentlichen Beluftigungdorte wurden ebenfo wenig befucht, ala
fie nicht viel Anziehendes boten, und war ber über Wien ver
hängte Belagerungszuftand auch wicht äußerlich drüdend, fo hemmte
er doch eine ungeftörte Bewegung, und griff unbequem in manche
Privatverhältnifie ein.
Sche ih nun aber auf meine mehr als zwanzigjährige
Wirkſamkeit bei den verfchiedenen Geſandtſchaften zurüd, fa fiel
fie bis dahin in eine ruhige Epoche, in der feine wichtigen
Vorgänge eine erhöhtere Thätigleit entwideln ließen. Bei der
großen Defientlichfeit jedoch, mit der in unferer Zeit diplomatifche,
wie andere Geſchäfte betrieben werden, wird es, hätte man dazu
auch Luft, immer ſchwerer, intereffante Enthüllungen zum Beiten
zu geben, politifche Geheimniffe auszuſchwatzen. Gar viele folder
Einzelheiten, welche heute wichtig, oder wenigſtens bemerkenswerth,
erfcheinen, ſchrumpfen nad einigen Jahren zu höchſt bedeutungs:
Iofen Thatſachen zufammen. Ebenſo boten mir die Höfe, bei
denen ich verweilte, Teinen Anlaß, „pikante“ Anekdoten zu erzählen,
oder von mehr ald alltäglichen Intriguen zu ſprechen. Das
Familienleben des Wiener Hofes unter den Kaifern Franz und
Ferdinand war höchſt einfach, und die beiden Könige, welche ihres
MWillend bewußt, und jedem fremdartigen Einfluffe abgeneigt, da⸗
mald zu Münden und Paris berrichten, ließen in ihren Schläffern
nicht Leicht Stoff für ſkandalſüchtige Neugierde aufhäufen.
Eines eigenen, mic, perjönlich betreffenden, Umftandes muß
ich jedoch noch erwähnen. Ich war nämlich in den 10 Jahren —
von 1888 bis 1848 — nach der Reihe bei drei Monarchen ber
glaubigt, und alle drei: der König Ludwig, Ludwig Philipp, wie
der Kaiſer Ferdinand legten in demfelben Jahre 1848 ihre Kronen
nieder, der eine zu Gunſten des Sohnes, der zweite für einen
140
10jährigen Enkel, der dritte endlich überließ fie feinem jugend:
lichen Neffen,
Ich werde nun, was fid) zunächſt unter meinen Augen zu:
getragen, in Verbindung mit den Vorgängen anf allen Punkten
in der Monarchie zuſammenfaſſen und dann, was fi in anderen
Staaten, zumal in Deutichland ereignete, berühren.
Nach einer fo furdtbaren Umwälzung, welche in ihrem raſch
dahinbraufenden Strome beinahe alle Beftehende mit ſich fortnahm,
mußten vor allem Baufteine gefunden werden, eine neue Ordnung
der Dinge zu gründen; denn es galt bier nicht mie in anderen
Ländern, wieder einfach in die früher verlaffenen Bahnen einzu:
Ienfen. Es waren da zwei Wege denfbar; man fonnte fi ent:
weder zu einem proviforifchen Juftande entichliegen und fo allmälig
eine geregelte Verfaffung vorbereiten, oder man zog vor, eine ſchon
fertige allfogleich zu ertheilen. Man wählte die lebte Alternative
und war damit genöthigt, ſpäter wieder zur erjteren zurüdzus
fehren. —
Der umbegreiflihe Verſuch, den abgelebten Reichstag in
Kremfier wieder auferftehen zu laſſen, war, wie voraudzufehen,
mißlungen. Die Verſammlung wurde gefprengt, und man Tieß,
allen weiteren Verwickelungen zu entgehen, wohl abſichtlich, die
am meilten compromittirten Mitglieder entfchlüpfen.
Um diefe Lücke zu erſetzen, entftand nun die Verfafjung vom
4. März — ein todtgebornes Kind — denn fie kam nie zur
Ausführung und wurde ſpäter ganz aufgehoben.
Die eigentlichen Leiter der damaligen inneren wie äußeren
Politik waren Fürſt F. Schwarzenberg, Graf Franz Stadion,
Dr. Bach. Der Kaiſer hatte ſich die Aufſicht und Ordnung des
Heerweſens ſelbſt vorbehalien und war dabei von ausgezeichneten
Feldherren wie von tüchtigen Generalſtabsoffizieren unterſtützt. Un⸗
verkennbar mar ſchon zu jener Zeit der Einfluß des General:
141
adjiutanten Grafen Grünne. Feldzeugmeifter von Welden mar
Gouverneur von Wien.
Wollte ih ein hiſtoriſch treues Charakterbild des Fürften
Minifterpräfidenten entwerfen, würde es, ich bin davon überzeugt,
weder feine Familie und geringe Zahl von Freunden, noch viel
weniger aber feine Gegner befriedigen. Es ift eine ganz eigene
Eriflenz, tie jenes Fürſten, der nach 30, in einer feiner Geburt
wie feiner Stellung wenig würdigen Weile verlebten, Jahren fi
zu einer Höhe des Handelns, zu erfolgreihen Thaten emporge-
ſchwungen, welche ihm für immer einen ehrenvollen Nachruhm in
der vaterländifchen Gefchichte fihern. Sein Hauptverdienft wear,
daß er — ein Mann in einer charafterlofen Zeit mit Willens:
fraft und rüdfichtälofem Muthe durchgriff, und fo ſich feiner hohen
Aufgabe Mar bewußt, wie die „WIR“ mit ihrem tapferen Schwerte,
durch ftaatöfluge Energie die Zertrümmerung der Monardjie ver-
hinderte. Mifchte fi) fpäter diefen ſchätzbaren Kigenfchaften eine
leidenſchaftliche Auffaffung bei, war die fo nöthige ruhige Haltung
auch oft durch eine gewiſſe krankhafte Neizbarkeit geftört, ließen
endlich den Fürften die glänzenden Erfolge ſich felbft überheben,
fo bleiben doch feine wirklichen, unleugbaren Thaten von jo über:
wiegend günftiger Einwirkung auf den Gang der Ereigniffe in
Defterreih, daß bei allen Mißgriffen feine Anhänger wie feine
Feinde erkennen mußten, wie Schwarzenberg gerade der geeignete
Minifter für die Epoche feiner Wirkfamkeit war. Ich werde Ge
Iegenheit finden, die eigenthümlichen Phafen derfelben bis zu feinem
frühen Ende zu verfolgen.
Graf Franz Stadion, auf den man einft immer als einen
der fähigften Beamten die Blicke gerichtet, den eine große Zukunft
erwartete, hatte mit Geſchick einige Provinzen verwaltet und war
auch im Reichstag thätig geweſen. Gemandt in Gefhäften gehörte
er der Tiberalifirenden Klaſſe der öſterreichiſchen Staatsdiener an
und war daher wohl am meiften geeignet, das Portefewille des
142
Innern gu übernehmen. Seinen Anſchauungen - entipra wohl
zunächſt die Berfaffung vom 4. März. Die Laſt, welche zu
tragen er ſich zugemuthet, überilieg wohl feine Kräfte; ex arbeitete
mit großer Anſtrengung, verfiel aber bald in eine Gemuths⸗
Krankheit, von der er ſich nicht mehr erholte; er Farb ſchon 1853.
‘ Dr. Werander Bach, ein kaum 30jähriger Mayu, den
jähigſten Advokaten Wiens beigezäglt, nahm ſich eifrig der Soche
der „juugen Freiheit“ an und feine Ernennung zum Juſtizminjſter
während der Sturmperiode fiel weniger auf, als der Umftand,
daß er ſich Später enge an den Fürften Schwarzenberg anſchloß,
fortwährend Mitglied des Miniſteriums biieb und ſich jelbit bei
Hofe durch fein unſtreitig eminentes Talent immer unentbehrlicher
zu machen wußte. Damit verband Bad) eine angenehme Ber:
fönlicgleit und der unvermählte, junge Minifter bewegte fi} leicht
in höheren Kreiſen; galt es aber der Verfechtung widtiger Ins
fereilen, wußte er mit feiner Geſchmeidigkeit auch einen andanernden
Muth zu vereinigen, der fih un Reichsrathe wie im Kabiuete aus:
ſprach. Kam, wie man ihm vorwarf, ſein Ehrgeiz feinem glänzen\en
Beritande gleich, fo trat doch jener nie in einer nerlebenden Tor
bernor und der Haß, der ihn traf, galt weniger feiner Perſon
als der Urt feines Emporkommens; dem Stande, welchem er früher
nicht angehörte, blieb er immer fremd, während er auch jene, deren
Sahne er verlaſſen, ſich feindlich geſinnt fah.
Der Anfang de3 Jahres war den kaiſerlichen Waffen gänftig ;
nach einigen Gefechten bei Raab und Moor hatte man bald nach
Neujahr Peſth erreicht, während ſich das Rabelleuheer nad allen
Seiten hin zerftreute. Der ange Winteranfenthalt, welchen nun
Furt Windiſchgrätz in der ungarifchen Hauptftabt genommen, bleibt
heute noch Jedermann unerffärber. Man hatte gehofft, er werde
Seine fiegreichen Fahnen weiter über die Theis tragen, den Heerd
her Revolution zerftören, doch während jener, wohl durch irgend
einen unbelannten Grund zu vechtfertigenden Unthätigleit der
143
Arsee ſammelte Kofluth mit feinen offeren und geheimen Ay:
bängern neue Kulite, übeihmenmtie dad Land mit Papiergafd
und bereitete fih zu einem letzten, verzweifelten Kampfe ver.
Mit entſchiedenerem Glüde trat die italienifhe Armee
af. Radetzky, umgeben von dem tapferen Erzherzog Wibredkt,
von Heß, Schönhals, Thurn und anderen ausgezeichneten Generalen,
nehm gerade in den letzten Märztagen eine glorxeiche Revqnche
bei Rovarra für dad ein Jahr zuvor erlittene Ungemach. Marl
Albert, der fo lange Freundſchaft für Defterreih geheuchelt, Dann
die Maske abgeworfen, um fi in die „Spada d'Italia“ zu ner:
wandeln, dankte, nun entmuthigt, ab, um bald nachher einſam am
fernen Meereöftrande zu fterben. Auch der Stolz; Victor Evuanuels
war gebeugt; er fchloß im einer Scheune einen demüthigenden
Frieden mit Radetzky, der noch an demſelben Tage triumphirend
hätte in Turin einziehen können. Oberitalien war nun wieder
bi8 auf das dur feine Lage beinahe unzugänglicde Venedig in
Deiterreihd Händen. Die Belagerung, wie Die Wiedereroberung
der Lagunenftadt koſtete aber während des Sommers Ströme von
Menſchenblut und viele Millionen dem geldarmen Lande.
Der Hof war fortwährend in Olmütz geblieben; erſt im
Mai machte der Kaiſer eine vorübergehende Erſcheinung in Wien;
da er diefe Stadt noch nie als Monarch betreten, fo nerbat er
fih der Zeitumftände wegen ausdrüdiih alle herlömmlichen Ew-
pfangäfeterlichkeiten und Huldigungen.
Doch nur zu bald wurden meine Blide von der Donau ab
zum Rheine bingezogen. Im Laufe des Winters war das Parla⸗
went in Frankfurt in Parteigezänke, endloſe Reden über Grund:
rechte und unentwirrbare Verlegenheiten geratben, jeder Macht
bergubt; die mit Meiner Majorität dem König von Preußen
zuerkannte deutiche Krone, wurde von ihm zurüdgewielen, und er
legte in einem die edeliten Gefinnungen athmenden Briefe om
Arndt offen die Gründe nieder, welche ihn beflimmten, die ihm
144
zugedachte Ehre abzulehnen. Hiermit war nun ein ernfter Wende:
punkt in den deutſchen Verfaffungsangelegenheiten eingetreten; die
Preußenfreunde fuchten auf Ummegen da3 verlorene Terrain wieder
zu gewinnen, die „Großdeutſchen“ führten mit neuem Eifer ihre
Anfichten durch, und die Republilaner, ermuthigt, drüdten nun
mit vollem Gewichte auf die mehr oder minder in ihrem Sinne
bearbeiteten Bundesftaaten. Die fogenannte Neichöverfaffung war
endlich fertig geworden und ihre Einführung gab dag Lofungswort
zu den verfchiedenartigften Agitationen. Dieſe hatten zunächſt das
Großherzogthum Baden und die benachbarte Rheinpfalz ergriffen.
Mittlerweile waren die Verhandlungen des Parlamentes, wie der
deutfche Fluß, im Sande zerronnen; die Verfammlung felbft hatte
fih aufgelöft und die radicalen Mitglieder es verfucht, fih als
„Rumpf: Parlament” in Stuttgart feftzufeen — fo nahm denn
die Verwirrung in Süddeutfchland mit jeden Tage zu, bis fie in
Baten den höchſten Grad erreichte.
Da ich felbft nicht anmefend war, fo kann ich nur vor den
mir mittelbar zugelommenen Schilderungen fprechen und halte mich
jomit an die befannten Thatfachen, ohne die fi dabei in Fülle
aufdringenden Betrachtungen anzufnüpfen.
War je eine Revolution unberechtigter in ihren Urfprunge,
muthwilliger in ihrer Durchführung, fo war es gewiß die in
Baden. Der Großherzog Leopold in feiner unerfchöpflichen
Langmuth Hatte in Allem nachgegeben, wo ihm nicht die unab-
weislichen Pflichten eines fouveränen Bundesfürften ein Feſthalten
geboten, ja er hatte felbft die Reichsverfaſſung, deren Nichtannahme
der Vorwand zum Aufruhr werben follte, feierlich eingeführt. Ihn
gegen revolutionäre Gewalt zu ſchützen, fland ihm feine eigene
monardifche Würde, getragen durd eine Über jeden Verdacht oder
Vorwurf erhabene Perfönlichkeit, ftand ihm in einer „Mufter:
verfaffung“ die Macht ter Gefeblichfeit, in dem Armeecorpd die
Waffengemalt zur Seite! Der Großherzog, geachtet und belicht,
145
mußte, wollte er nicht den Anforderungen einer meuterifchen Rotte
zum Werkzeuge dienen, das Schloß heimlich und in der Nacht
mit feiner Familie verlafien; die Verfaffung, deren Beſtimmungen
er immer heilig gehalten, wurde gewaltfam zerriffen, die Kammern
durch eine proviforiihe Regierung und eine Tonftituirende Ber
ſammlung erfeßt; das Heer, auf deilen Pflege, Tüchtigkeit und
Ausbildung man feit 40 Jahren Millionen verwendet, verlieh
zum Theile, bethört und verführerifhen Einflüfterungen zugänglich,
die Fahnen — dafür durchzogen ungeregelte Freifchaaren plündernd
das Land und die „Bundezfeftung“ Raftatt fiel in die Hände
der Empörer. Der Großherzog hatte in Mainz einen Zufluchtsort
gefunden und preußifche Truppen, den Prinzen von Preußen an
der Spike, trieben die Rebellenhaufen von einem Ende des Landes
zum amderen über die Grenze. Raſtatt felbft aber konnte erft
nach vielen Opfern und wochenlanger Belagerung feiner Beſtim⸗
mung wieder gegeben werden. Belähmender Schreden hatte während
diefer Zeit die fogenannte gut gefinnte Bevölkerung ergriffen; man
beugte fi) eben mie allenthalben unter das Joch einer eifernen
Nothwendigkeit und erft die traurigen Tolgen Mlärten über die
eigentliche Tragweite fo vieler Verblendung, Nachgiebigkeit und
Shwähe auf.
Als der Großherzog im August in’s Land zurückkehrte, fand
er es von den Preußen befebt und e3 murde ihm die, feinem ge-
fühloollen Herzen peinliche Aufgabe, ftrenged Recht zu üben, die
unerhörten Frevel zu fühnen und Zeuge eined fo ganz unndthig
beraufbeihmworenen Jammers zu fein. Er übte, fo viel er konnte,
die Schönfte Regententugend des Verzeihend und Vergeſſens, und
ſelbſt die zertrünmerte Berfaffungsurfunde wollte er wieder rein,
in ihrer urfprünglichen Geftalt erhalten wiſſen.
Frankreich Hatte fih während diefer Drangperiode mitten
unter Aufftänden und heftigen Kammerverhandlungen als Re
publif erhalten und mit anerkennenswerther Mäßigung miſchte ſich
Irh. v. Andlaw. Mein Tagebuf. IL 10
146
der neuerwählte Präfident derſelben, Louis Napoleon, nicht fhörend
in die deutfchen Verhältnifſe, hielt aber insbejondere Baden gegen:
über ein mohlmollendes, freundnachbarliches Benehmen ein. Mit
gleicher ſchonungsvoller Rückſicht verfuhr die Schweiz bei Dielen
Wirren.
Kaum war es möglich, in Ddiefem gewaltigen Strudel die
Zuftände der einzelnen deutfchen Bundezftaaten näher zu beobachten,
wenn fih nicht etwa, wie in Dresden, blutige Auftritte, den
badifchen Ähnlich, zeigten, oder aus Berlin, Münden und anderen
Drten irgend eine gewichtige Stimme fi vernehmen ließ.
Es gebört wohl nidyt zu den Iohnenden Aufgaben, die Ge
burtswehen der deutſchen Verfaſſung zu ſchreiben. Nach Auflöfung
des Parlaments hatte fi die allen Stürmen preisgegebene Central⸗
gewalt wieder aufgerafft, es bildete ſich ein neues Miniſterium,
es entſtand das ſogenannte Drei-König-Bündniß; man knüpfte Ver⸗
handlungen mit Oeſterreich an; endlich kam im September ein
Uebereinkommen zu Stande, das ſchon des omindfen Namens:
„Interim“ wegen auf keine lange Dauer Anſpruch machen konnte —
wenige Monate nachher legte auch Erzherzog Johann ſeine dornen⸗
volle Würde nieder!
Eine noch umnerquidlichere Epifode diefer Zeit bildete der
innere Krieg in Ungarn. Windifhgräb hatte das Kommando
abgegeben und fo fehr, durch ungünftige Umftände aller Art, die
Lage des Heeres ſich verfchlimmert, daß der im Oberbefehl ihm
nachfolgende General Welden ſich fogar genöthigt fah, die Truppen
ganz aus dem Lande zu ziehen und feine Aufftellung dieſſeits der
Leitha zu nehmen. Auch Welden trat nun ab und wurde durch
den martialifhen Haynau erjebt, der bi zum Schluffe vieles
traurigen Teldzuges aushielt. Alle diefe Vorgänge hatten Die
Magyaren in ihrer Widerftandskraft neu beftärkt, Honved's, Arm
in Arm mit fremden Freibeutern, fammelten fih unter kühnen
147
Anführern, während der nicht Triegerifche, aber nicht minder kecke
Koſſuth in Debreczin die Republit ausrief (14. April)!
Deiterreih entichloß fih nun, durch die Nothwendigkeit ge-
zwungen, zu dem peinlichiten Schritte und rief die Hülfe der
ruſſiſchen Waffen zur Unterdriüdung der ungarifhen Empörung
herbei. Im Mai hatte eine Zufammenkunft — die erfte — der
beiden Kaifer zu Warfchau flattgefunden, wo der Ezar ten jungen
Monarchen mit fo vielen Beweiſen freundlichen, beinahe väter:
lihen Wohlwollens überhäufte, daß Kaifer Franz Joſeph, mit
erleichtertem Kerzen zurüdtehrend, um fo geneigter war, die auf
fo nachbarlich zuvorkommende Art angebotene Allianz anzunehmen.
Sofort rüdten nun in Eilmärfhen die Ruſſen unter Paskiewitſch
und anderen Generalen über die Karpathen ein, während die öſter⸗
reichiſche Armee auf verſchiedenen anderen Punkten operirte. Auch
der Raifer nahm an mehreren Gefechten Theil und zog unter
anderen im Kugelregen über die brennende Brüde in Raab ein;
er, welder die Feuertaufe ſchon in Stalien erhalten, wurde nun
von Nikolaus mit dem St. Georgsorden, der nur dem tapferen
Muthe im Felde verliehen wird, gefhmüdt; und fo großen Werth
legte Franz Joſeph auf diefe Auszeichnung, daß man feine Bruft
nicht felten mit keinem anderen, als dieſem einfachen Ritterkreuz
bedeckt fah.
Der Ausgang dieſes widerwärtigen Kampfes ift befannt;
Gorgey ſtreckte, ſich Rußland ergebend, bei Villagos die Waffen
und die aufrührerifchen Banden löften ji auf.
Unterdeffen hatte Haynau auf feiner Seite tüchtig geftritten,
Temeswar eingenommen und eine furdtbare Juſtiz geübt, Die
vielleicht mehr nad dem firengen Kriegsrechte, als den Anforde
rungen einer weiſen Mäßigung gut zu beißen war.
Mit dem Falle Venedigs war endlih auch die Herrſchaft
Oeſterreichs in Oberitalien gefichert, umd es trat nach jo gewaltigen
Anftrengungen augenblicklich eine erwünfchte Ruhe ein.
10*
.
BEN
.
.
J
148
Noch wichtigere Ereigniffe folgten ſich raſch in den anderen
Theilen Italiens. Rom, der rothen Republik verfallen, wurde
von einer franzöſiſchen Armee eingeſchloſſen und nach hartnäckigem
Widerſtande genommen. Seit jener Stunde erhält das Pariſer
Kabinet eine Garniſon zum Schutze des Papſtes wie für die Ruhe
und Ordnung in Rom. In gleicher Weiſe kehrten die vertriebenen
Fürften wieder in ihre Staaten zurück; nur in Sicilien tobte der
‚Bürgerkrieg länger fort.
Der Auswurf aller Nationen, welcher fi wie Raubvögel
| ‘auf die Beute überall dahin geworfen hatte, wo die Flamme des
J Aufruhrs loderte, zerſtreute ſich nun nach allen Winden, floh nach
q
«
ru
%
*
der Türkei, nach der Schweiz und England, nach Amerika! um
ſich dann bei'm erſten Anlaß wieder als verheerende Gewitterwolke
zuſammenzuziehen und auf irgend einem von der Revolution bedrohten
Punkte zu entladen! Denn der radikale Deutſche, Franzoſe, Italiener,
Pole, Grieche, Ungar iſt vor Allem Anhänger ſeiner Lehre, rother
Republikaner, Handlanger der Propaganda, Anarchiſt, Freiſchärler
oder wie ſich dieſe ſaubere Geſellſchaft immer nennen mag, dann
erſt, in zweiter Linie, gehört er irgend einer Nation an; noch
widerlicher aber find jene Dilettanten, meiftend Engländer, die,
ohne politiihe Meberzeugung, nur aus rohem Blutdurfte auf die
„Menſchenjagd“ geben.
Eine feltene, in jener Zeit der Erſchöpfung und Gefinnungd:
bofigkeit um fo erfreufichere Feier wurde den Wienern durch den
Einzug Radetzky's bereitet. Der Kaifer mollte dem greifen
Feldmarſchall perfönlih für feine über alles Lob, jebe lohnende
Anerkennung erhabenen Berdienfte danken und in dem ebenfo
beliebten als beldenmüthigen Unführer die treue, opfermillige
Armee ehren. In einem mit Blumen wie befäeten Wagen fuhr
der alte, ruhmgefrönte Krieger bis zur Burg, und auf allen
Straßen, von jedem der reich gezierten Fenſter jubelte ihm aus
vollem Herzen eine tiefergriffene Bevölferung zu. In rührenden
N
149
Worten drüdte der fhlichte Welbherr feinen Dank dem Huldvollen
Kaifer wie der ihn mit fihtbarer Theilnahme umgebenden Menge
aus. Schon feine einfache Erſcheinung übte einen nicht zu be=
Ihreibenden Zauber aus, und fein edler, von wahrem Pflichtgefühl
durchdrungener Geift theilte fi unwillkürlich den unter feiner
Leitung glüdlihen Truppen mit. Und in der That, wer konnte
ed dem Kaifer, mer feinen Räthen verdenten, wenn fie mit dank⸗
barer Befriedigung und patriotiigem Stolze auf eine Armee faben, - .
welche Drei Worte mie glänzende Leitfterne auf ihre Standarten Bu
geſchrieben hatte: Tapferkeit, Treue, Ausdauer! Wie hoch
feierte man die Namen Jellachich, Schlick, Heß, Benedeck, Haynau,
d'Aſpre u. a. m., welche fich um den Helden-Neftor ſchaarten.
Sie hatten mehr als einmal die Monarchie gerettet, und begreiflich
war, daß. man ſich auch mehr als auf alle anderen Kräfte auf
diefen feiten, erprobten Hort des Heild verließ!
Inmitten diefer kriegeriſchen Bewegungen batte ſich in der
Stille ein Theil der Bifchöfe der Monardie zu friedlihen Be
rathungen in Wien verfammelt und mit den in Würzburg tagenden
deutfchen Oberhirten in Verbindung gejeßt. Der Kardinal Fürft: ..
Erzbifhof v. Schwarzenberg leitete diefe Verhandlungen, welche
feinen anderen Zmed hatten, als zu erwägen, ob in einer Zeit,
wo jede Art von Freiheit fich geltend zu machen fuchte, die
katholiſche Kirche nicht auch wieder zum Vollgenuſſe ihrer r lang
unterdrücten Rechte gelangen könnte? |
Bei dem Schluſſe des Jahres 1849 ſchien die Revolution
in allen Theilen Europa's unterdrüdt, und wo die eigenen Kräfte
der Regierungen nicht ausreichten, traten andere Staaten ein.
Während Preußen willig die Gelegenheit ergriff, in Baden und
Sachſen zu interbeniren, beſetzte Tranfreih Rom und verband
damit unverkennbar die Nebenabficht, den öſterreichiſchen Einfluß
in Stalien zu verdrängen. Am uneigennüßigften leiltete wohl
Rußland großmüthig Hülfe gegen die ungarilche Infurreftion und
150
zog nad erreichten Zwecke des Einmarjches feine Truppen allſo⸗
bald wieder zurüd. Schmwieriger als der Sieg aber war der
Aufbau eines Tünftigen, geregelten Zuſtandes aus den Ruinen der
"Gegenwart.
Berfolgen wir mit aufmerffam prüfendem Auge die Ergeb-
niffe diefer zwei Jahre, fo dringen fich und vorerft zwei Fragen auf:
‚erftaunt forfhen wir nad der Entftehung diefer Ummälzungen
und fuchen uns dann wieder den kläglichen Ausgang derjelben
» zu erflären. Im Widerfpruche mit den Männern der Bewegung
halte ich an der Weberzeugung feit, daß der revolutionäre Schwindel,
welcher unferen halben Erdtheil ergriffen, ein künſtlich heraufbe⸗
fhworener, ein gemachter war. Zu einer tiefgebenden Unzufrieden-
heit, zu einem alle gefeglichen Schranfen durchbrechenden allgemeinen
Aufftande Tagen durchaus Feine genügenden Gründe vor; Handel
und Induſtrie hatten überall einen Aufſchwung genommen, wie
nie zuvor, in behaglicher Ruhe genoß man die Seynungen eines
Iangen Frieden? und mit einem mäßigen Grade politifcher Freiheit
verband fi ein fi immer mehr entwidelndes humanes Streben;
Städte erweiterten, verjchönerten fi, ein gewiſſer Wohlſtand ver-
breitete fi über alle Klaſſen, und hatte diefes erfreuliche Bil,
wie Alles, auch feine Schattenfeiten, fo berechtigten diefe doch noch
keineswegs zu einer Schilderhebung, welche die Früchte der Civiliſation
zu vernichten drohte. War e8 nun der Ehrgeiz Einzelner, war
ed der unbezwingbare Trieb der Maflen nad) Veränderung, mar
es endlih das fchleichende Gift der Umfturzpartei, genug! es
gährte in ten Gemüthern und eine geichäftige Preffe machte fich
bereitwillig zum Organ diefer Beitrebungen. Schon der Alt:
meifter der Radikalen, Börne, fagte einft: „Nehmt uns alle Frei⸗
heiten, laßt und nur die der Preffe, und mir merden und alle
anderen ſchon wieder zurüderobern!* freiheit! Freiheiten! dehn⸗
bare Worte, welche fi Jeder nad feinem Sinne audlegt und
toorunter die Meiften die Befugniß verfiehen, nur das zu thun,
151
was ihnen gerade beliebt. Um nun zunächft diefem Drange nadı
Reformen einen Namen zu geben, mußte ein Vorwand, irgend ein
Loſungswort gefunden werden, in Frankreich ſchrie man gegen die
Vebergriffe der Dynaftie, in Deutfchland ſchimpfte man auf Bundes:
tag, Kleinftaaterei, und bier wie in Stalien fuchte man die Ein-
heitsideen zu verbreiten, die Gitelfeit wie den Stolz der Ngtionen
zu reizen. .
Der zündende Funke war in den Tebruartagen gegeben, und
diefe Revolution zeichnete ſich vor allen anderen dadurch aus, daß
man den MWeltverbefferern völlig freie Hand ließ; in Volksver⸗
fammlungen wie in Parlamenten fonnte fi die moderne Schul:
weisheit neben der geſchwätzigen Dialeftit der Advokaten gehörig
breit machen. Die Regierungen wien Schritt für Schritt den
ungeftümen Anforderungen der Neuzeit und widerſtanden felbft
nur ſchwach den bewaffneten Angriffen offener Empörer. Die
Revolution konnte daher nicht mehr, wie früher, Magen, daß man
fie in ihrem völferbeglüdenden Werke geitört, die Entmwidelung
ihrer Früchte gewaltfam aufgehalten, fie faß vielmehr am Ruder
und erntete, wie immer, nachdem fie mit Lüge, Verrath, falfchen
Borfpiegelungen begonnen, Schmach, Elend, Anarchie. Denn es
ift mit ihren Grundfäßen nun einmal fein Abkommen zu treffen;
fie eilt ftet3 unaufhaltſam ihrem Verhängniß entgegen. Dieſe
Erfahrungsſätze find fo befannt, daß fie als ebenjo viele Gemein:
pläße gelten Könnten; dennod, vergigt man nur allzu leicht Die
alte Fabel von den Kindern Saturn’3 und fpielt mit dem Teuer,
bis es und verzehrt. Es jagt eine lebhafte Phantafie jenen Nebel-
gebilden nad, aus deren unbeſtimmten Umriffen fih allmälig
fefter ausgeprägte Geftalten zu entwideln feheinen, um allſobald
wieder anderen zu weichen und ſich zulegt in ein völliges Chaos
aufzuldien. .
Folgen nun folhen politiigden Orkanen ala naturgemäße
Nachwehen Erichlaffung, überficht man mit Schaudern, was fie
152
—ñi
X
zerſtört, ſo ſuchen kluge Staatsmänner wieder gut zu machen, was
verdorben wurde, künftigen Ausbrüchen der Volkswuth zuvorzu⸗
kommen. Solche weile, durch die Nothwendigkeit gebotene Maß⸗
regeln nennt man dann die „Reaktion“, und dieß gehaäſſige Schlag⸗
wort ſoll Alles brandmarken, was die Gegner der Revolution zur
Abwendung drohender Gefahren unternahmen. Man rüttelt, ver
dächtigt, wühlt fo lange, bis wieder Alles in Frage geftellt iſt
und auf liftige oder geimaltfame Weife der unheilvolle Pfad politiicher,
balöbrechender Experimente auf’3 Neue betreten werden kann.
Ich gehöre nicht zur Klaffe der unbedingten Lohrebner der
Vergangenheit; ich bin vielmehr überzeugt, Daß die Ideen jeder
Zeit fih zu entwideln ihre Berechtigung Haben und die Welt:
geihichte in ihrem regelmäßigen Gange ebenſo wenig ſtill flebt,
ala fie in Sprüngen vorwärts fchreitet. Die Natur geht ums
hierin mit ihrem Beifpiele voran; nichts ift da überftärzt, alles
bewegt fi in einem an gewiſſe Geſetze und Grenzen gebundenen
Rreife. Die erite Regel der Staatöflugheit ift aber, indem fie
den Geift jener Ideen richtig zu erfaflen wie zu leiten verfteht,
nur dad Mögliche anftreben zu wollen. Die Revolution, unbändig,
will jedoch dieſe ſcharf gezogene Linie überfchreiten und drängt fo,
gemwaltthätig, die möglichen Fortſchritte wieder in bem Grabe zurück,
als fie ſolche frevelhaft erzwingen wollte. Staatsmänner, die felbft
in gutgemeinter Abficht, ohne Vorliebe für ummälzende Ideen ober
perjönlichen Ehrgeiz, fi an die Spike der Bewegung ftellen, im
Wahne, fte nach Gutdünken zu leiten, Taufen deßhalb immer Gefahr,
mit dem Strome fortgeriffen zu werben.
Veberleje ih nun, was ich vor 14 Jahren gefchrieben, fcheint
mir beinahe jedes Wort auf bie heutigen Zuftände zu paffen.
Damals mie jegt wurden nicht leicht zu befriedigende Wünfche Taut,
brach ſich ein Gefühl des Mißbehagens, der Unzufriedenheit Bahn;
damald wie jetzt jehnte man fi) nach irgend einem ſchbpferiſchen
Genius, fähig und zugleih mächtig genug, die Lage zu beberrichen.
153
Es fällt mir foeben aus jener Zeit ein Artikel aus bekannter
Feder in die Hände; er fagt: „Man vermag in unferer Zeit nicht
einmal die weſentlichſten Berbefferungen, die widhtigften Umge⸗ |
ftaftungen unſeres leidenden Staatslebens felbft nur auf dem
Papiere zu formuliren, noch weniger fie in’3 Leben ‚zu rufen.
Die meiften Staaten mußten biöher ihr tiefed, innere Siechthum
geheim Halten und durch unzureichende Hausmittel zu befämpfen
ſuchen, können jedoch einer heroiſchen Kur ſich nicht länger ent-
ziehen. Bielleicht gibt es nicht drei Länder in Europa, in welchen
ein Traftvoller, kluger und hochherziger Yürft, welcher, die Bedürf⸗
niffe der Zeit verftehend, die dringenden Reformen raſch und mit
belebendem Athem einführe, dadurd der Freiheit die rechte Bahn
bräche, in dieſem Augenblick nicht ein unendlich größerer Wohl:
thäter würde, als alle diefe papiernen Berfaffungen, dieſe vom
Redeteufel bejeffenen Kammern alle, welche geiftreich oder lang⸗
weilig, aber immer mortfelig und eigenfinnig über Theorien flreiten
md BPerfönlichleiten anfeinden, während der politiide Sturm das
lecke Schiff auf die Sandbank zu merfen oder in den Grund zu
bohren droht.”
Sehen wir aber noch in fernere Zeiten zurüd, fo finden
wir wieder diefelben Erfcheinungen, und Plato legt (Republil I. 7)
dem Sokrates folgende Worte in den Mund:
„Die Demagogen find die mahre Krankheit des Staats,
welcher jeder Geſetzgeber, jeder politifche Arzt die größte Anf-
merffamfeit widmen follte. Die Heftigften derjelben ſprechen und
handeln, die anderen umftehen die Rebnerbühnen, heben und ſchneiden
jedem, der nicht denkt wie fie, das Wort im Munde ab, damit
alles nad) ihrem Willen gebe. Des Volkes entartete Mund:
ſchenken, geben fie der dürftenden Menge Freiheit ohne Maß zu
trinken und ift fie einmal beraufcht, fo loben und ehren fie nur
jene Behörden, die fich den Maflen gleichftellen. Die Kinder
154
fprechen fo Taut ald die Eltern, verfagen ihnen alle Ehrfurdt um
frei zu fein, ja felbft Greife nähern fi) den Jünglingen, um nicht
lächerlich oder despotifch gefinnt zu ericheinen. Die Söhne fchreiben
den Bätern, die Schüler den Lehrem Gefebe vor. Dieje Um:
wälzung erftredt fi auf alle Familien, auf den geſammten Staat.
Um das Volt in Abhängigkeit zu erhalten und die öffentlichen
Berfammlungen zu beleben, verfäumen die Demagogen nicht ihm
die Plünderung der Güter der Reichen zu verfpredhen; die höheren
Klaſſen werden ungeflagt, fich gegen das allgemeine Wohl und die
Freiheit zu verſchwören; gezwungen, ſich zu vertheidigen, find fie
Ihon zuvor gerichtet. Das Voll ſucht fih Führer — dies ift
die Pflanzfchule der Tyrannen; denn die gleihförmige Wirkung
einer übertriebenen Freiheit führt zur übertriebenen
Knechtſchaft!“
Dieſe vor Jahrtauſenden ausgeſprochenen Worte zeigen, daß
die Menſchen mit ihren Wünſchen, ihrem Treiben, ihren Leiden⸗
ſchaften immer dieſelben bleiben, daß die Einen keck ihre verderb⸗
lichen Zwecke verfolgen, die anderen, verblendet oder erbärmlich,
fie darin unterftüßen, oder aus Feigheit felbft Hand an das Wert
der Zerftörung legen. Es bemeifen jene fchon damals auf Er:
fahrung gegründete Worte, dag jede gewaltſame Revolution unaus-
bleiblih zur Anardie führe und diefe nur mit Milttärdespotiimus
oder Fremdherrfchaft enden könne. Alle Warnungsftinnmen ver
hallen in ſolch' betäubendem Geſchrei nah „Reformen,“ in ber
fonveränen Verachtung alles Hergebrachten und in dem nicht zu
befriedigenden Drange nad) Neuerungen, nach ben beraufchenden
Gütern von Freiheit, Unabhängigkeit, Gleichheit, allgemeiner Ver⸗
brüderung und einem irdifchen Paradiefe. Was daher in jener
längſt vergangenen Zeit gedacht, gefühlt, gefchrieben und erfahren
worden, Liegt in feiner Nutzanwendung auf dad neunzehnte Jahr:
bundert fehr nahe, und lebte Plato unter uns, er würde mohl
dem Rufe, ein „Reaktionär“ zu fein, kaum entgehen können. In
155
ber franzoͤſiſchen Schredengzeit hätte er gewiß für einen „enragö
moder&‘ gegolten!
Es gibt eben gewifle ewig unmandelbare Geſetze, die man
nicht ungeftraft übertreten Tann und auf welche die Lehre vom
Fortſchritte und der freien Forſchung nicht anwendbar if. Es ift
‘vor allen das von Gott in eines jeden Menfchen Bruft gelegte
Nechtögefühl, dem ſich die größten Verbrecher, felbft Kronräuber,
nicht entziehen können, denn fie fuchen ihre Frevel menigitend
immer mit einem „Scheine” des Rechts zu entſchuldigen. Folgt
das Strafgeriht der That auch nicht ſtets auf dem Fuße nad,
läßt fi) der Zufammenhang der Urſachen mit den Wirkungen
nicht immer Mar nachweiſen, fcheint oft ein blinder Zufall die
Weltbegebenheiten zu Teiten, fo halte ich es mit jenem franzöfifchen
Philofophen, der auf die Frage: qu’est ce que le hazard? er:
wiederte: c’est l’incognito de la providence! — Diefe Grund:
fäte mögen veraltet erfcheinen, bleiben aber darum nicht minder
wahr! —
Das ganze Yahr 1850 war mit Verhandlungen über die
deutfche Frage angefällt und in beinahe convulfivifchen Zuckungen
mühete man fih ab, das Verfaflungswert zu Stande zu bringen,
die Mittel aber, welche man hierzu anmwandte, konnten von allen
Seiten nit unglüdlicher gewählt fein. Der Dualismus der
beiden Großmächte trat bier in der ausgeſprochenſten Form hervor
und der Erfolg entſprach auch vollkommen diefen immermwährenden,
beffagendwerthen Zerwürfnifien. Wan taufchte eine Unzahl von
Reformprojekten, diplomatifchen Noten, energifhen Proteften in ge
reizten Redensarten aus; Zeitungsartikel, Ylugichriften erjchienen
legionenweife, doch erfolgte Fein Einverftändnig und damals wie
jest ertönten die bedeutungävollen Worte: „Staatenbund oder
Bundesſtaat, preußifche Hegemonie oder Triad, Mainlinie oder
. 156
Sonderbund, DVerfaffungsreform, Groß: oder Klein: Deutichland,
Bundesfeldherr und oberfter Gerichtähof, Nord oder Süd u.dgl. mehr.“
Preußen fuchte auf dem Wege der fogenannten „Union“
wieder zu erlangen, mas e3 in Frankfurt verloren; es rief das
Sonder:PBarlament in Erfurt, den Fürftentag in Berlin
zufammen. Diefer Aufitelung gegenüber bildete ſich eine Oeſter⸗
reich zuneigende Partei; es entſtand dad fogenannte Vier⸗König⸗
Bindnig! eme neue Union, der beftehenden gegenüber. So
war denn die Muft auf eine beinahe nicht mehr auszufüllende Weiſe
erweitert und Perfönlicykeiten, wie ungünftige Umftände trugen
das ihrige dazu bei, den Bruch in dem Grade unheilbar zu
machen, daß er am Schluffe des Jahres in einen Bürgerfrieg
auszuarten drohte. Dazwiſchen zogen ſich die Mläglichen Streitig-
feiten wegen Schlezwig-Holftein und Kurheſſen, und
während Dänemark troßte, felbft den Kampf mit dem in fi un:
einigen deutfchen Bunde nicht fcheute, brachten es Deiterreih und
Preußen nicht einmal dahin, die Ruhe in Kaffel berzuftellen und
das verhältnißmäßig unbedeutende Zerwürfniß in der Verfaſſungs⸗
frage jened Landes beizulegen. Es zeigte fi dabei, wie in allen
anderen Fällen, der Fluch, welcher mit diefer Uneinigfeit und Eifer:
fucht der Großmächte auf Deutfchland rubte, und wieder tritt ung
nun die betrübende Veberzeugung entgegen, daß man in diefer
Hinfiht feit 12 Jahren nichts gelernt und nichts vergeffen, fort:
während „innerhalb wie außer den Mauern fündige“ und fi
immer in demfelben Kreife bewege. Es muß das Herz jedes ächten
Vaterlandöfreundes bei diefen unfeligen Wahrnehmungen biluten
und den Augenblid ſehnlichſt herbeiwünſchen, in dem eine richtigere,
die wahren deutſchen Intereſſen erkennende Anficht die Oberhand
gewinnen, einfeitigen Auffaffungen meniger Rechenſchaft getragen
werden bürfte.
Radowitz war die Seele aller jener Verhandlungen und
hatte fi im Vertrauen auf die Unfehlbarkeit feiner Doftrinen
187
geihmeichelt, fo ſchreiende Diffonanzen endlich in Harmonie auf
löjen zu können. Er, der Rathgeber und Freund feines Tünig-
lichen Herrn, wohl nicht ohne Megungen von Ehrgeiz und Eitelfeit,
unterlag dem mühſamen Kampfe mit der Zeit,- die er nicht, mit
den Menſchen, die ihn nicht verſtanden, und ſtarb (1853) enttäuſcht,
fih nur mehr unvergänglicheren Dingen zumwendend, welche ex ftet3
in meit bellerem Xichte erfannt, ala die irdiſchen. —
Als ih in den erften Tagen de Mai in Karlsruhe
eintraf, fand ich das ganze Land mit preußiichen Truppen beſetzt;
der Erfurter Kongreß war von badifchen Abgeordneten beſchickt
und das Miniſterium „Klüber” fleuerte mit vollen Segeln dem
Hafen der „Union” zu. In derfelden Wode mar der Groß
berzog jelbft zu dem fogenannten „Fürftentag” nach Berlin abge:
reift und immer fjchneidender zeigte ſich die Spaltung, welche
Deutichland in zwei Lager tbeilte.
Ohne beitimmte Beichäftigung zog ih mich vorerft nad
Baden:Baden zurüd, wo der Sommer, bei den traurigen Wirren
im engeren wie im größeren Baterland, minder glänzend war, als
in früheren Jahren. Dennod traf ich auch bier wieder mit einer
ganzen Menge von Belannten zufammen und abermal3 mar der
elegante Salon der Großherzogin Stephanie der erwuͤnſchte Ver⸗
einigungspunft vieler hoher oder berühmter Gäſte; ich ſah da die
beiden geiftuollen Fürftinnen, die Königin Sophie der Niederlande
und Helene von Rußland, Prinz und Prinzeffin von Preußen,
den König von Württemberg und Prinz Emil von Heffen, Diarmont
und Thiers, viele andere Fürften, Krieger, Diplomaten und Ge
lehrte, die anmuthige Gräfin Bergen, franzöfifche, engliſche, ruſſiſche
Damen in großer Zahl.
Bon Baden aus machte ich öftere Ausflüge nad) Karlsruhe,
wo weder der Hof noch die Gefellihaft-fobald das gehörige Gleich⸗
r
\
158
gewicht fand, fich gefelligen Freuden zu überlaffen; es war daher
um fo erfreulicher, auch bier wieder den immer gleich gaftfreien
Häufern der Frauen von Berftett und Gourau zu begegnen. Das
Theaterperfonal, nachdem das große Gebäude im Jahre 1847 ein
Raub der Flammen geworden, mußte ſich mit einem fehr unbe
quemen Lofale in der Orangerie begnügen, und die Voritellungen
verloren dadurch an Reiz, wie an Anziehungskraft. Erſt in einer
fpäteren Zeit, ald mit dem freilich nicht allen Anforderungen ents
iprechenden neuen Saale die Luft zum Theaterbeſuche wieder er:
wachte, wurde auch die Leitung der Hofbühne den Händen des
funftfinnigen Ed. Devrient übergeben.
Während dieſes Sommerd machte der Präfident der
Republik einen Beſuch in Straßburg und wurde von mehreren
benachbarten Höfen beichidt.
In England dagegen hatten Ludwig Philipp und Fürft
Metternich zugleih ein Aſyl gefunden, und beide mochten ſich
wohl mit gemifchten Gefühlen in einem Lande unter Staats-
männern bewegt haben, die, wie Palmerfton, nicht obne Einfluß
auf ihr widriges Geſchick geweſen. Der Julikönig, zwar umringt
von einer ihn liebevoll pflegenden Familie, ſchien fih nicht mehr
von dem unerwartet furdhtbaren Schlage, welcher alle Freuden
und Hoffnungen feines Lebens zerftört, erholen zu Tönnen; wie
theilnahmlos Tieß er die Tagesbegebenheiten an fi) vorüberziehen
und Ende Auguft ftarb der 77jährige Mann in einem Alter,
welches außer Ludwig XIV. fein franzöfifcher König erreicht hatte.
Diejer Todesfall, welcher einige Jahre zuvor ganz Europa er:
fHüttert hätte, ging nun beinahe ſpurlos vorüber.
Fürft Metternich, der fo würdevoll vom politifchen Schauplaß
abgetreten war,*) hatte ſich mit feiner Tamilie und einigen ver:
*) Erinnerungsbl, ©. 140.
159
trauten Freunden über Holland nad England begeben. Die Reife
durch Deutichland war nicht ohne Gefahr, und nur die Geiftes-
gegenwart und der Muth Karl Hügel's retteten den Fürſten vor
den Zornausbrüchen eines gedankenlofen Pöbels. In London ange:
langt, ſah fi) der Fürſt allſobald von der Elite der ariftofratifchen
Sefellichaft umgeben und verließ England nur, der Theuerung
wegen, um in Brüffel einen Kreis glei wohlwollender Bekannten
wieder zu finden. |
Aus jener Zeit nun befite ih ein Schreiben Metternich’s,
daB gleihjam als Seitenftüd zu dem befannten Briefe gelten Tann,
ben er damals an den Türften Pückler gerichtet Hatte.
Richmond, den 24. Auguft 1849.
Mein lieber Better!
Ich benüge eine fich mir darbietende Gelegenheit, um Ihnen
für ihre freundfcaftlihe Erinnerung zu danken. Die Einwirkung
der Tagesgeihäfte findet in den perfönlichen Verhältniffen eine
Grenze, welche diejelbe zu überfchreiten nicht vermag; dies ift
und bleibt insbeſondere eine Wahrheit zwiſchen Ihnen und mir
und würde ficher auch der Tall fein, wenn Verwandtſchaft und
Gleichheit der Gefinnung nicht ihrerjeit® ein Band zwiſchen
und böten.
Bon der großen Bühne, auf welcher das Weltdrama aufge
führt wird, zurüdigetreten, hat mir die Vorfehung den Genuß eines
Raumes zwifchen diefen Rücktritte und dem aus dem Leben ge
währt. Ich bin ihr für diefe MWohlthat dankbar und würde fie
noch in einem volleren Wertbe fühlen, wäre die Welt nicht in
einer Bewegung, welche die Ruhe der Denkenden und Yühlenden
för. Wäre deren Ende beredenbar, fo würde die Bewegung
auf die edlere Klaſſe der Menſchen meniger peinlich eingreifen, als
dies der Fall ift. Eine beruhigende Wirkung erzeugt jedoch das
Mebel auf mich, da die Ergebniffe mir beweifen, wie ich im
160
alledem, was ich wollte und nicht wollte, mich einer Irrung nicht
überließ !
Diefen Ausſpruch beziehe ich recht eigentlih auf die Bor:
gänge in Deutſchland und in Specie auf die in Ihrem Lande.
An feinem if dem Unding, welches ſich die Benennung des Zeit:
geifteö beilegt, mehr an die Hand gegangen worden, al3 im Groß:
berzogthum Baden; nirgends ift andrerfeitö der Beweis unwider⸗
legbarer geliefert worden, wohin ſolche Nadgiebigkeit führt! Die
Frage: follen feine Fortſchritte ftattfinden? ift feine Frage; jeder
Bernünftige wird fie mit einem Fathegoriihen „Jal“ erwiedern,
wenn die Vorfrage gefichert ift, mas Fort-, was Rückſchritt it!
Gott weiß, daß Baden mie das geſammie Deutfchland an Fort:
fchritten ſich arm erwieſen hat; die Struve, Heder und Konforten
dürften wohl felbft gegen diefen Ausſpruch nicht? einzuwenden
finden! —
Ueber die Mittel, daB Großherzogthum zur wirklichen, nicht
zur übertünchten, augenblidlihen Ruhe zurüdguführen, jtehe ich
mir felbft gegenüber no im Dunklen; von Mehr ift alüdlicher:
weise für mich nicht die Nede, ich fage glüdficherweile, denn die,
welche ſich mit der Aufgabe nicht zu befaffen haben, find wohl
nicht die Gedrängten!
Laflen Sie fih über meine Gejundheit nicht irre führen.
Sch leide am 77. Alterdjahre und der Fall gehört allerdings zu
den ſehr bedenflichen, weiter fehlt mir nichts, was diefen Charakter
trüge. Das Uebel macht Anſpruch auf Schonung und id be
trachte diefelbe als eine Pfliht. Ich Tage Ihnen dies, weil id
weiß, daß Sie Antheil an mir nehmen.
Leben Sie wohl und laſſen Sie uns ftet3 etwas von Ihrem
Wohlergehen hören. Sie wiflen, mie aufrichtig wir alle Ahnen
zugethan find, und jede ausdrückliche Verfiherung diefer Art von
meiner Seite würde ich nur als eine Wiederhohlung des Belannten
betrachten. (gez.) Metternid.
“
161
Karl v. Hügel, welcher feit feiner Rückkehr aus Oftindien
fi) in Hitzing wieder mit botanifchen Studien beichäftigte, aber
au, wie immer, in der Gefelljchaft beliebt war, verkaufte feine
Bila, welche fpäter in den Beſitz des Herzogs Wilhelm von
Braunſchweig überging. Hügel aber nahm, in einem Alter von
über 50 Jahren, den Gefandtfhaftöpoften in Florenz an, wo er
ih mit einer jungen Engländerin verband, ein gaftfreie® Haus
hielt und mit dev ihm eigenen Begabung nun auc, diplomatifche
Geſchäfte leitete. Nachdem ihn der unbeilvolle Sommer 1859
aus der ſchönen Arnoftadt vertrieben, wurde er zum Gelandten
in Brüffel ernannt.
Der Herbit 1850 brachte in der Lage Deutfchlands große
Beränderungen hervor — es kam zum laängſt vorausgeſehenen
Bruche. Deiterreih, wenigftend für den Augenblid in feinem
Annern beruhigt, trat nun entichieden den weiteren Unionsbeftre-
bungen Preußens entgegen, welches auf diejem Wege, nad dem
Borgange der beiden Hohenzollern, immer mehr Heine Bundes
ftaaten einzuperleiben gedachte. Der am 2. September wieder zu
Frankfurt eröffnete Bundestag bot allen deutichen Fürften, welche
eine Zertrümmerung der Verfaffung nicht wünfchten, einen Anbalts-
punkt und Schuß gegen fernere Gefahren. Nach und nach fchloffen
fi) auch Regierungen an, welche bisher zur Union gehalten hatten,
und fo fand fi Preußen immer mehr ifolirt. Dazu kam, daß
ſich Oeſterreich nun auch thätiger der Streitfragen annahm, welche
Deutfchland bewegten; die ſchwarzgelben Fahnen flatterten an ber
Nordfee und Exekutionstruppen rüdten, die geftörte Ordnung
wieder berzuftellen, nach Kurheſſen. Preußen concentrirte, dem
weiteren Umgreifen der kaiſerlichen Waffen entgegenzutreten, feine
Armee, und fo kam e8, daß im Oktober feine Truppen auch bis
auf den letzten Mann aus dem Großherzogthum Baden zurüd:
gezogen wurden. In Karlörube felbft aber fand in Folge dieſer
Ich. v. Andlaw. Wein Tegud. II. 11
162
Sreigniffe eine Perfonalveränderung in der Art flatt, daß Minifter
Klüber die Leitung des auswärtigen Departement dem Freiherrn
8. 9. Rüdt-Collenberg überließ.
Während diefer Zeit hatte auch eine Zuſammenkunft mehrerer
deutfhen Fürften mit dem Kaiſer Franz Sofeph in Bregenz
ftattgefunden.
Um die feit Jahr und Tag mit dem Wiener Kabinette abge
brochenen diplomatifchen Verbindungen mieder anzufnüpfen, murde
ih Mitte November vom Großherzog in außerordentliher Milfton
dahin abgefendet. Es war gerade der wichtigſte Wendepunft in
den verwirrten deutfchen Angelegenheiten. Eine Maffe von Truppen
hatte fih in Böhmen angehäuft; ebenſo zogen in Eilmärfchen
preußifche Regimenter der entgegengefebten fächftfchen Grenze zu.
Seven Augenblid erwartete man in ängftlider Spannung den
Ausbrud des Bruderfampfes — da ergab fih noch in letzter,
aber guter Stunde ein Hoffnungsfchimmer und eine in Olmütz
verabredete Zuſammenkunft follte Deutichland die Schmach eines
Krieges erfparen, welcher, wie er auch immer ausgehen mochte,
nur beiden Theilen nadhtheilig fein konnte. Fürſt Schwarzenberg
und Herr v. Manteuffel kamen wegen der Bedingungen überein,
welche endlich zu einem Verfländniffe führen follten, und bier war
es wieder der Kaifer Nikolaus von Rußland, dem das Verdienſt
zukam, durch eine ernfte, thätige Vermittlung die fchon über ganz
Deutfchland ſchwebende Gefahr glüdlich abgewendet zu haben.
Es war gerade an diefem denfwürdigen 29. November, als
mir der Kaifer Franz Joſeph in Gegenwart des Unterftaats-
jefretärd v. Werner Audienz ertheilte. Noch den Tag zuvor hatte
ih eine lange Unterredung mit Meyendorf, der, als ruſſiſcher
Geſandter beglaubigt, mit einem nicht genug anzuerkennenden Eifer
die Bermittlerrolle in Olmutz übernommen.
Das Nächte, was man nım für die Beruhigung Deutfch:
lands in Ausſicht ftellte, war die Abhaltung von Minifterial:
163
Conferenzen in Dresden, und in den letzten Tagen traf ich
mit Herrn v. Rüdt in diefer Stadt zuſammen, um von da vor:
erit wieder nach Karlsruhe zurüdzufehren.
Der Olmüßer Vertrag, fo erfreulih er auch in mander
Beziehung in feinen Ergebnijien war, erreichte doch den Haupt:
zwed einer völligen Ausfähnung zwilchen beiden Großmächten nicht.
Das ſchon Halb gezudte Schwert kehrte zwar wieder in die Scheibe
zurüd, aber es war in den beiderfeitigen Verhältniſſen ein Stachel
geblieben, der bei dem geringiten Anlaſſe die Spaltung zu erweitern
drohte und einen abermaligen Bruch befürdten ließ. Preußen
warf Deiterreih, wohl nicht mit Unrecht, vor, ſich feines Weber:
gericht? bewußt, den verföhnten Teind zu fehr gedemüthigt zu
haben, und Defterreih, feinen eigentlichen Vortheil verkennend,
reichte wirklich dem fchwächeren Gegner die Hand nicht in der Art,
wie man ſich's erwartete. Diefe gegenleitigen Gefühle wirkten
denn auch lähmend auf die Dreödener Verhandlungen zurüd; fie
zogen fi bi in den Mai hinaus; man konnte ſich, wie voraus:
zufeben, nicht verftändigen, und Preußen, bei der Unmöglichkeit,
feine eigenen Bundezreformplane durchzuſetzen, willigte zuleßt lieber
einfach in die Wiederheritellung der alten, vor zwei Jahren gemaltia m
unterbrochenen VBerhältniffe und erflärte, den Bundestag, mit den
bisher noch nicht eingetretenen Staaten, beichiden zu wollen. Biele
erprobte Geſchäftsmänner hatten fi in Dresden verſammelt;
mande gelungene Ausarbeitung führte zu zweckmäßigen Vorſchlägen,
doch Alles wurde zulegt nur als „ſchätzbares Material“ bei Seite
gelegt, und es blieb außer diefem von jener Verſammlung wohl
faum ein anderes fihtbares Erinnerungszeichen übrig, als das
große Bild, welches der fächfische Hofmaler Bogel von dem
Sitzungsſaale mit den berathenden Bevollmächtigten entwarf.
Doch mit der Rückkehr nad Frankfurt war noch nicht jene
Nude, jenes Gleichgewicht wieder gefunden, wodurch fich die Bundes-
tagsverhandlungen vor 1848 während 30 Jahren auszeichneten.
11*
164
Allerdings hätten ſich auch zu diefer Zeit Gründe zu Zerwürfniſſen
genug und Defterreich hinreichend Anlaß gefunden, fi über Separat-
unterhandlungen, mie etwa jene des Zollvereind, zu beichweren;
doch man verlor in Wien nie aus den Augen, daß Preußen
eine deutſche, gleichberechtigte Macht war und man der Erhaltung
des inneren Friedens auch felbft Opfer bringen müſſe; ebenjo kam
Preußen den Anſprüchen Oeſterreichs, wo immer möglich, rück⸗
ſichtsvoll entgegen. Nun hatte ſich aber die Lage der Dinge ver⸗
ändert; in erbitterter Stimmung trat man wieder in Frankfurt
zuſammen, und was Olmütz an Hader geſäet, was Dresden nicht
auszugleichen vermochte, brach ſich nun bei jeder Gelegenheit Bahn.
Preußen zeigte ſich in allen Fragen immer gereizter, immer weniger
geneigt, ſich den Bundesbeſchlüſſen zu unterwerfen, und ſo ſtehen
wir nun wieder auf dem Punkte, abermals das ſchon Erfahrene
durchleben zu müſſen, den vor 12 Jahren unterdrückten Kampf
wieder auf's Neue entzündet zu ſehen.
In Folge der Dresdener Beſtimmungen wurde Freiherr Auguft
v. Marſchall zum großherzoglihen Bundestagdgefandten ernannt
und ih Fehrte, nad einem achttägigen Aufenthalt in Dresden,
Mitte März auf meinen früheren Poften nah Wien zurüd. —
Der Großherzog, welcher den ganzen Winter über leidend geweſen,
zuleßt von den Maferı befallen worden war, empfing mid) noch
in feinem Krankenzimmer. Ich dankte ihm für meine Wiederan-
ſtellung und Ernennung zum geheimen Rathe und beurlaubte
mich bei dem edlen Fürften ohne Ahnung, daß es ein Abichied
für das Leben fein mwürdel Eine ganze Reihe von Briefen, in
denen er, mehr meinen guten Willen und Dienfteifer, als wirkliche
Verdienfte anerfennen Tonnte und mich feiner Gnade verficherte,
Tiegt vor mir, und fie find für mich jetzt noch Lichtpunkte in der
Erinnerung!
168
Dierzehnter Abfhnitt.
(1851 — 1856.)
Inhalt: Wien. Oeſterreichiſche Politit, Finanzen und Armee, Reifen bes
Raifers. Hohe Säfte in Wien Ausflug nah Mähren, Aufenthalt in Iſchl.
Die Prinzen Friedrich und Karl von Baden. Die Gefhwornens
gerihte. Der Staatsftreih in Paris und die Faiferliden Dezember:
befrete in Wien. (1852.) Die Zollvereins:Eonferenzen. Die Groß—
fürften Nikolaus und Michael. Feſte. Der Tob bes Fürften Schwarzen:
berg. Das Miniflerium und die Gefandtihaftspoften. Das Ableben bes
Großherzogs Leopolb von Baben. Kaiſer Nikolaus in Bien.
Paraben, Runbreife des Kaifers Franz Joſehh in Ungarn. Lager
von Palota. Der Regent von Baden in Wien. Berleibung bes gol-
benen Bließes. Herr v. Bourqueney. (1858.) Attentat auf ben
Kaifer. Todesfälle. Befuh dreier Könige — von Belgien, Preußen
und Bayern. Das Garouffel. Das Lager von DOlmüs und bie Ju
fammentunft in Warſchau. Ausbruch bed Kriegs Rußlands mit ber
Türkei. Ueberſicht. Wufentsalt in Baden⸗Vaden. Tod ber Prinzeifin
Amalie von Schweden. (1854.) Frie den Sverhandlungen. Griechen⸗
land. Wiener Konſerenz. Haltung des diplomatiſchen Corps. Die
feierliche Bermählung des Kaiſers. König Don Pedro V. von Por:
tugal. Todesfälle. Der Krimm krieg. Allianzen. (1855.) Entbin⸗
bung ber Kaiſerin. Tod des Kaiſers Nikolaus. Frieden s kongreß in
166
Bien. Einnahme Sebaſtopols. Das Eoncorbat. (1856.) Münze
konferenz. Der PBarifer Friedensvertrag. Verfammlung ber Bifhöfe
ber Monardie in Wien. Neubauten und bilbende Künſte. Das Arjenal
Sir Hamiltonn. Seymour, Rüdblide. Meine Ubberufung. Die letzte
Zeit in Wien,
Aus ic) mich in Wien — dießmal in einer Bafteimohnung —
wieder eingerichtet, galt es vorerft, mid, in die gänzlich veränderten
Berhältniffe einzuleben. Bei Fürft Schwarzenberg fand ih, wie
immer, den freundlichften Empfang, und mit meinen Kollegen hatte
ich bald wieder die früheren Beziehungen aufgenommen.
E3 mußte nun vor Allem der Zuftand der Monarchie unfere
lebhafte Aufmerkfamteit erregen, denn Fein anderer Staat in Europa
befand fich in einer feltfameren Lage; ein Studium derjelben bot
daber ein reiches Feld zu vielen, aber auch den verichiedenartigften
Betrachtungen. In den Kronländern war fcheinbar wenigſtens
Alles zu einer gewiſſen friedlihen Ordnung zurüdgelehrt, doch
trug die innere Verwaltung entſchieden den Charakter des
Proviſoriſchen; e8 war da jo wenig etwas geregelt, wie in
den Beziehungen zu den auswärtigen Mächten. Es trat daher
mit jedem Tage dringender die Trage an die Regierung beran,
wie fie den Uchergang zu einem geordneteren, gefehlichen Zuſtand
der Dinge vorbereiten und durchführen würde? Mit ſichtbarem
MWiderftreben beichäftigte fie ſich mit der Erledigung dieſer Frage,
und dad Jahr 1851 ging darüber bin, ohne daß es ſchien, als
ſei man zu einem beitimmten Beichluffe gefommen. Zwei Pläne
verfolgte das Kabinet jedod mit Vorliebe: der eine, nach Außen
gerihtet, war der Wunſch, die Gefammtmonardhie in den deutfchen
Bund aufgenommen zu ſehen, der zweite die Idee eines öfterr.
Einheitsſtaates. Beide Projekte ſtießen felbftverftändlih auf -
zahlloſe Schwierigkeiten, und fc eifrig fie auch Fürſt Schwarzenberg
107
durchzufegen bemüht war, fo mußte er tod, der Nothwendigkeit
weichend, ihre Wiederaufnahme einer fpäteren Epoche vorbehalten.
Während diefer Verhandlungen wandte man die größte Sorg-
falt der Drganifation der Armee mie der Ordnung der Finanzen
zu. Die lebteren, der wahre Krebsſchaden Defterreichd, waren der
ebenfo treuen als umfichtigen Verwaltung des ausgezeichneten
Minifter? Ph. v. Kraus anvertraut. Er hatte mit feltener
Geiftesgegenwart und Aufopferung fein mühevolles Amt während
der Sturmperiode fortgeführt, den Staatsſchatz gerettet, und mit
wahrer Beiriedigung lad man nun feinen zur öffentlichen Kenntniß
gebrachten Vortrag an den Kaiſer vom 23. April. Entwarf dieſe
“Darftelung aud, wie es wohl nicht anders fein fonnte, ein unge
mein trübes Bild von der Yinanzlage, fo lag dod wieder ein
berubigender Gedanke in der Erwartung, daß von nun an jährlid)
ein regelmäßiges Budget entworfen und befannt gemacht werden
würde, &3 verband fih damit die Hoffnung, daß fi) das gehörige
Gleichgewicht zwiſchen Staatseinnahmen und Ausgaben endlich
finden und mit dem wiederkehrenden Kredit auch das allgemeine
Bertrauen heben werde. Die Kriegslaften hatten ungeheuere
Summen verjchlungen, ebenfo waren ganze Provinzen mit ihren
Steuern im Rückſtand geblieben. Diefe Ausfälle zu deden, trug
denn der Tinanzminifter, wie zu allen Zeiten, zunächſt dringend
auf Verminderung des Armeeaufmandes an. Die jpäteren Ereig-
niffe machten auch diefe Erwartungen theilweife zu illuforifchen,
dennoch blieb e3 immer verdienftlih, menigftend eine neue Bahn
borgezeichnet zu haben. — Bon den weiteren Perſonal⸗ und
anderen Veränderungen nehme ich mir vor, im Zuſammenhange
ſpäter zu fprechen.
Der kaiſerliche Hof hatte mährend dieſes Sommers feinen
Aufenthalt in Schönbrunn, fpäter in Iſchl genommen und den
Beſuch des Königs Otto von Öriehenland und der groß
berzoglich heifiichen Herrſchaften erhalten. Der hellenifche Monarch,
168
welcher fpäter noch Bftere Erfcheinungen in Wien machte, trug
immer die Nationalkleidung, die, fo maleriſch fie ift, doch nie fo
recht zu feinem Aeußeren paflen wollte — Der Kaiſer jelbft aber
war in beftändiger Berwegung; in Venedig mit Jubel empfangen,
begab er fi fpäter auch nah Mailand und Verona, fuchte da
überall auszugleichen, fo viele Wunden zu heilen, und die ganz
‚zeitgemäße Verleihung eines Freihafens an Venedig weckte erlojchene
Sympatbien wieder auf. An diefe Reifen ſchloß fih ein Beſuch
des Kaiſers in Begleitung Radetzky's in dem Webungdlager bei
Olmüb an.
Das Wiener Kabinet, nun weniger mit außwärtigen ragen
beichäftigt, ſetzte doch die unerfreulichen Verhandlungen wegen Hol⸗
ftein fort und gerieth mit dem immer fchrofferen englifhen Minifterimm
vielfah in Konflitt; denn nicht nur fanden die italienifchen und
ungarifchen politifhen Ylüchtlinge dort eine gaftlihe Aufnahme, fie
wurden auch noch in ihren Umtrieben unterftüst, und während
Koffuth als der Held ded Tages einen triumphartigen Einzug in
London hielt, mißhandelte bekanntlich bald darauf der Pöhel den
greijen Feldherrn Haynau.
Ungeachtet der verwirrten Lage Europa's führte England,
im ſtolzen Selbſtgefühle der bewahrten Ruhe, die erſte Weltaus⸗
ſtellung durch; der Prinz-Gemahl ſtellte ſich an die Spike des
Unternehmens, und den einſtigen Feenpaläften ähnlich, erhob ſich
nun in Wirklichkeit ein riefenhaftes Kryftallgebäude im Hydepark.
In Frankreich ſchleppten fi die republifanifchen Zuſtände
unter ftürmifchen Situngen der Affembise fort.
In Warihau traf Kaifer Nikolaus mit dem König von
Preußen zufammen.
| sm öffentlihen Leben Wiens hatte ſich nur wenig ver:
ändert; es gingen die Theater wie die Gartenbeluftigungen ihren
gewohnten Lauf, doch vermißte man die einitige unbefangene Heiter:
169
feit, und die Genußſucht ſelbſt Hatte nicht mehr wie früher den
gemüthlichen Anftrih. An die Stelle von Johann Strauß war
fein minder begabter Sohn, jedoch mit größeren Prätenfionen,
getreten; andere Mufifgejellichaften, wie die fo ausgezeichneten
Regimentöbanden, fuchten ihn zu verdrängen. Die Wiener konnten
aber immer über dem jungen Strauß und Lanner nicht die talent:
volleren Väter vergefien, und mit wehmüthiger Theilnabme war
eine große Menichenzahl dem Sarge des „erſten“ Strauß gefolgt,
hinter dem man feine mit ſchwarzem Flor umbüllte Bioline trug.
Er war 1849 in den beiten Jahren einem Scharlachfieber erlegen.
Die politiihen Ereigniffe waren auch nicht ohne Rückwirkung
auf das Burgtheater geblieben und fogar H. Laube zum
artiftifchen Direktor ernannt; die Richtung, welche er der Anftalt
gab, war zwar nicht immer nad) dem Geichmade aller Bejuchenden,
doch ließ fich eine bühnenkundige Hand, eine gewifle Gemanbtheit
in der Leitung nicht verfennen. Ausgezeichnete Schaufpieler wurden
gewonnen, und das Mepertoir, wenn auch nicht immer feine Aus⸗
wahl, bot doch offenbar mehr Abwechslung. Die Scenirung, das
Zufammenfpiel ließen auch fortan nichts zu wünſchen übrig und
Publitum mie Kaffe fanden fih volltommen befriedigt. — Oper
und Ballet zogen ſich, wie ed in diefen beichräntten, den jeigen
Anforderungen fo wenig entiprechenden Räumen möglich war, fort.
Auch eine italienifche Oper war nad langer Zeit wieder er:
ſchienen, und die Wiener waren großftädtifch oder gutmüthig genug,
um den fremden Sängern nicht die gemeine, ungünftige Aufnahme
entgelten zu Iaflen, welche jenfeit3 der Alpen deutiche Sänger und
felbft Italiener gefunden, wenn fie von Wien zurüdgelehrt waren.
Bon deutſchen Opern erregte der von Meyerbeer felbft geleitete
„Prophet“ mit feiner eleftrifchen Sonne und feinen Schlittichuhen
das meifte Aufſehen. Im Ballette erhielt fih Satanella — Tag-
liont — als entfchiedener Liebling.
Die Theater der Vorftädte, welche mährend der Unruhen
179
die ihnen zu Gebote ftehenden Kräfte in der unwürdigſten Weiſe
mißbraucht hatten, fingen, wohl gezwungen, wieder au, in eine
befiere Bahn einzulenken. Jedes edlere Gefühl empörende Parodien,
Tendenzftüde der verwerflichſten Art wichen nun patriotiſchen Er:
güffen, begeifternden Kriegsſcenen, dem Weißiſchen Kinderballette
und den jet fo harmlos gewordenen Poflen von Kaiſer, Elmar,
Berla u. A., gehoben durch das draftiiche Spiel der weltbefannten
Komiker. Auch Neftroy wirkte fortwährend mit der Feder wie
auf der Bühne; doch zogen feine Stüde nicht immer wie früher
an; auch feine Mufe konnte fich dem beraujchenden Taumel der
Zeit nicht entziehen, und ich war jelbft eine® Abends Zeuge, wie
ein ſolch mißrathenes Kind den Dichter in die peinliche Verlegen⸗
heit feßte, fi vor dem Parterre zu entichuldigen und zu ver:
ſprechen, künftig Beflere zu leiften. In der Folge hatten die
Wiener Spaßmacher, zu denen fih aud Treuman gelellte, einen
Wettlampf an Laune und gelungener Traveltirung mit Levaffor
zu beftehen.
Eine andere, viel ungewöhnlichere Erfcheinung war der Neger
Ira Albridge, welcher, umgeben von einer höchſt mittelmäßigen
Geſellſchaft, englifhe Dramen im Karltheater zum Beten gab.
Mar mir fon im Allgemeinen die brittiiche Deklamations⸗ und
unnatürliche Spielmeife immer unangenehm geweſen, fo wurde
mir der ſchwarze Mime mit feinem Gejchrei und übertriebenen
Weſen ganz unleitlich, obwohl nicht zu läugnen war, daß feine
Durftellung des „Otello* eine begreifliche Anziehungskraft übte.
Ungleih mehr befriedigte mich eine andere fremde Künitler-
natur — die Riftori, die an Reinheit des Organs, Kraft des
Ausdrucks und malerifchen Attituden nicht leicht erreicht werden Kann.
Endlich muß ih noch des Pepita⸗Fiebers erwähnen, das
die Balletfreunde Wiens in ebenſo abgeſchmackter Weiſe ergriff,
als anderwärtd.
171
Einen neuen Afthetifhen Genuß gewährten mir die Vorlefungen
Shakefpeare’fher Dramen dur Holtei; ed war nicht möglich,
mit richtigerer Betonung und mehr Kraftaufmand zu leſen, als
diefer ſchon in Jahren vorgerädte talentvolle Mann; ich babe
Tiek nie gehört, aber dennoch befriedigten mich diefe unterhaltenden
Vorträge in ebenfo hohem Grade, ala die zahlreich fih dabei ein-
findenden Zuhörer, meldhe einer fo feltenen Begabung ihre volle
Anerkennung zollten.
Außer Vieuxtemps, Ernft, Servais, Th. Milanollo und
anderen reifenden Künftlern war Jenny Lind — dießmal nur ala
Concertfängerin — an der Seite eined unanfehnlichen "Gatten
erfchienen; fo fehr fie auch wieder durch ihre Lieder entzüdte, fo
war für fie doch die eigentlihe WBlüthezeit vorüber; nur im
Trüpling fchlägt die Nachtigall!
® —- — — — —
Auf einem Ausfluge nach Mähren lernte ich die anziehendſten
Theile dieſes Kronlandes kennen. Feldsberg und Eisgrub, auf
deren großartige Anlagen die Fürſten Lichtenſtein ſo viel verwendet,
erregen die Bewunderung aller Kunſt- und Naturfreunde. Weniger
ſprach mich Brünn mit feinem traurigen „Spielberge“ an,
während das benachbarte Adamsthal voll überrafhender Schluchten
und wildromantifchen Felspartien um fo fehenswerther ift, als
man nur felten davon fpricht. Die furchtbare Höhle „Maczuka“
foW der alten flavifchen Sage nad fogar Adam und Eva zum
vorübergehenden Zufluchtsorte gedient haben; jetzt läßt man, wohl
fombolifh, nur eine arme „Ente“ auf einem reißenden Berg:
firome unter Felfenwänden durchſchwimmen, bis fie eine Stunde
nachher wieder an dem entgegengefehten Ende der Schlucht das
Tageslicht erblict. Unaufpörlich hämmern die fürftlih Salm'ſchen
Eiſenwerke und beleuchten Nachts mit vöthlichem Schimmer da?
unheimliche Thal.
172
Mitte Juni begab ih mid nad) Linz, um auf ihrer Durd-
reife die Großherzogin Sophie zu begrüßen, welche in Begleitung
des Prinzen Karl von Baden ſich nad Iſchl begab, um dort
einen längeren Badeaufenthalt zu nehmen.
Diefer junge Prinz war beftimmt in Taiferliche Kriegsdienſte
zu treten und vom Saifer zum Lieutenant in dem durch feine
Heldenthaten ausgezeichneten zehnten Sägerbataillon ernannt worden.
Der Prinz kam defhalb im Auguft nah Wien, mo ich die Ehre
batte, ihn an den kaiſerlichen Hof in Schönbrunn und bei feinen
anderen Ausflügen, endlih nah Iſchl felbft zu begleiten. Hier
erwarteten mid nun ebenjo intereffante als bewegte Tage. Die
kaiſerliche Familie war nad den langen politifhen Zermwürfnifien
wieder zum erften Male mit dem preußifchen Königspaare zu-
jammengetroffen ; die Großherzogin Sophie und die Prinzeffin
Amalie von Schweden vermehrten mit dem Großherzog von
Heffen den Kreis der hohen Verwandten, denen fi die Herzogin
von Cambridge mit der Prinzeffin Mary anſchloß. Schwarzenberg
und Mannteufel, ungeben von einer Schaur Diplomaten, Grünne
in der Mitte vieler Generale, bildeten einen glänzenden Hofftaat.
Es fehlte nicht an Bällen, Concerten, Landpartien, und Mittags
wie Abend3 verfammelte die Erzberzogin Sophie die hohen Gäfte,
deren täglih zunehmende Zahl die befcheidenen Räume ihrer
Wohnung kaum zu faflen vermochte. Leider begünftigte der Himmel
diefen Aufenthalt nicht, denn, mie nicht felten in diefen ©ebirgen,
ftrömte unaufbörlih Regen herab und der König von Preußen
bemerkte jcherzend, daß es für Iſchl Feine Sonne geben müſſe,
denn noch nie babe er fie da gefehen!
In der Hälfte September Hatten alle Herrichaften Sicht
wieder verlaffen und ich folgte der Großherzogin Sophie nad) Linz,
wo fie fich von ihrer Durdlauchtigften Schweiter trennte, mit weldyer
ih fodann auf dem Dampffchiffe nach Wien zurüdlehrte Prinz
173
Karl beurlaubte ſich noch in feiner neuen Uniform zu Karlsruhe,
und begab ſich dann vorerft in die Garnifon nach Florenz.
Bald darauf war jedoch auch Prinz Friedrih von Baden
auf feiner Rüdreife aus Italien, wo er den Herbſtübungen der
Armee unter Radetzky beigewohnt hatte, zu einem mehrtägigen
Beſuche nad Wien gekommen.
Um jene Zeit endete mit 73 Jahren in dem benachbarten
Frohsdorf die Tochter Marie Antoinettes, M. Therefe, Herzogin
dv. Angouldme, in den Armen des Herzogs von Bordeaur, ihres
Neffen, ein durch fo wechſelvolle Schidfale vielgeprüftes Leben!
Kaum war ich wieder in Wien eingetroffen, als Fürft
Metternich nah 3,jähriger Abweſenheit dahin zurückkam. Er
batte von Belgien aus den Johannisberg befucht und fand nun
mit einer begreiflihen Genugthuung die felbitgebaute, jo geſchmack⸗
voll wie bequen eingerichtete Billa wieder. Er umgab fih da
mit feinen Büchern, Kunſtſchätzen und gar vielen Andenken einer
an Erinnerungen fo reihen Zeit. Kinige Treunde des Haufes
bewilltommten freudig die heimgekehrte Yamilie.
Der Haß und die Erbitterung, welche fi 1848 gezeigt,
galten mehr den politifhen Grundſätzen des Fürſten, als feiner
Perfon, man war gewohnt mit feinem Namen ein Spftem zu
bezeichnen, und beide den Verwünfchungen der Parteien Preis zu
geben. Der Fürft verließ nur felten fein Kabinet, erſchien beinahe
nie öffentlich und war daher der Bevölferung Wiend wenig be:
kannt. Seine Perſönlichkeit war aber durchaus nicht der Art,
gehäffige Leidenſchaften zu erwecken, und in feiner Zurüdgezogenheit
zeigte er, mehr als zu einer anderen Zeit, wie fremd ihm jeder
Groll, wie ſehr Nachtragen, Rachegefühle durchaus nicht in feiner
Ratur Tagen; Klagen, lieblofe Urtheile Tamen nie aus feinem
Munde. Höoͤchſtens fagte er, wenn ihm etwas beſonders auffiel,
mit einem gutmüthigen Lächeln: cüriös! Bon Gdihe erzählte man,
daß er bei ſolchen Anläffen: „wunderlich genug!” auögerufen habe.
174
Wie oft, bei ihren ſeltſamen Erlebniffen, mögen die beiden alten
Herren fich diefer Ausdrücke bedient haben!
Der Türft führte nun feine gewohnte Lebensweiſe fort, fchrieb
den Morgen über Briefe, auch Wemoiren, wie man fagt, ordnete
feine Papiere wie die etwas verwidelten Privatangelegenbeiten und
wurde in dieſen Gefchäften durd häufige Beſuche unterbroden,
mit welchen ihn der Kaifer, die Erzherzoge, auswärtige Yürften
wie Minifter und Oefandte beebrten. Der Salon erinnerte in
feiner Lebhaftigleit an frühere Zeiten, nur mit dem Unterſchiede,
daß Feine andere Rüdficht die Beſuchenden beſtimmte, als jene der
Anhänglichkeit und Verehrung. Am Sommer erfreute ihn dann
der Blumenflor in feinem fchönen Garten, oder erheiterte ihn eine
Reife nad) feinen Beftbungen. Ueberhaupt aber hatte ſich Metternich
eine Friſche des Gedächtniſſes und der Eindrüde zu bemahren ge
wußt, welche Vergangenheit wie Gegenwart mit gleicher Theilnahme
umfaßte. Litteratur und Kunft regten ihn immer gleich an, fowie
er denn aud mit einem, bei ihm fo begreiflichen Inierefle die
Tagesgefchichte verfolgte. Nur an feinen Geburt: und Namens:
tagen verfanmelte er Verwandte und Freunde zu größeren Mit:
tagstafeln, und befuchte Abends nie Gejellichaften oder Theater.
Eine zunehmende Taubheit wurde feinem gefelligen Sinne
immer empfindlicher, er konnte nicht mehr au allgemeinen Ge
ſprächen Theil nehmen, doch ftörte ihm dies nicht in feiner heiteren
Laune, und oft vertiefte er fih aud Abends in die Lefung irgend
eined politiichen Werkes, das er gewöhnlich mit Randbemerlungen
verſah. War aber von feiner eigenen Amtöthätigleit die Rede,
jo fah er mit ungetrübten Blicken darauf zurüd; er Batte die
Monardiie auf eine Höhe der Macht und äußeren Anſehens ge-
bracht, deren fie ſich zu feiner anderen Epoche erfreute, hatte wie
einen ungerechten Krieg beraufbeichiworen, nie einen für Oeſterreich
ſchmachvollen, oder auch nur demüthigenden Frieden unterichrieben;
Schwähen und Irrthümer hatte er aber mit den Stuatsmännern
175
aller Zeiten gemein. Mit philoſophiſcher Ruhe belächelte daher
Metternich die Anfeindungen der Mitwelt und im Hinblid auf
Ale, was fih nun rings um ihn ergab, glaubte er einer un⸗
parteiifchen Gefchichte getroft dad Endurtheil überlaffen zu dürfen.
Je einfeitiger und verläumbderifcher gewiffe Schilderungen des
Charakter des Fürften, mie feines Yamilienlebend find, deito mehr
glaubte ich hier die Hiftorifche Wahrheit wieder zur Geltung bringen
zu müflen. An Barteileidenfchaft und Gehäſſigkeit bat aber in
jeder Beziehung Hormeyer alle Schriftfteller übertroffen, und mas
er in feinem cunifchebarbarifchen Style über jenen Gegenftand fagt,
wird zum Zerrbilde, und kann nur den lägenbafteften, erbärmlichſten
Schmähfhriften beigezäbft werden. Wenn ich mir aber überhaupt
die entfchiedenen Feinde des Fürften zurüdrufe, jo Tann ih mir
nur Glück wünſchen, zu feinen Anhängern zu gehören.
Am Herbfte erfhien bei Manz ımd Hügel in Wien von
mir eine politiſche Brochüre: „Sinundfünfzig Zeichen der Zeit.“
Sie entftand unter dem Eindrucke der gewaltigen Ereigniſſe der
jüngft vergangenen Sabre, und ich freute mich des Anklangs,
weldyen dieß eine Wert bei Gefinnungsverwandten fand.
Gegen Ende d. 3. war auch von Wien aus die Tele
araphenlinie mit dem Großherzogthume eröffnet und nie hatte
ih früher vermuthen können, daß ich auf eine Anfrage in Karls:
ruhe die Antwort erhalten würde, ohne mid mir von meinem
Schreibtifche zu erheben.
Die Einführung der Geſchwornengerichte bradite ein ganz
neues Schauspiel nah Wien und wie in jedem Lande prägte fich
auch bier diefe Anftalt wieder in ganz eigenthümlicher Weiſe aus.
Bei der kurzen Zeit ihres Beſtehens Tonnte man über ihre Wirk:
famkeit Immerhin nur gewagte Schlüfle ziehen. Leberhaupt find
über die praftiihe Bedeutung der Schwurgerichte in Deutſchland
176
die Akten noch Tange nicht geichloffen und es eröffnet ſich Bier ein
weites Feld für juridiſche Controverſen. Man nimmt bei und
an, daß die Jüry dem urfprünglich deutichen Schöppengeridhte
nachgebildet fei, und ohne hierüber mit den Rechtsgelehrten ftreiten
zu wollen, glaube ich, daß jedenialld nur wenig davon in die Art
der heutigen Verhandlungen übergegangen iſt. Auch den weiteren
Einwurf, welchen man den Gegnern vorhält, wollen wir nicht in
feinem ganzen Unfange gelten laflen, den nämlich, daß allenthalben,
wo died neue Inſtitut noch eingeführt worden, es ſich Dergeftalt
mit den Sitten, Wünſchen und Bedürfniilen der Bevölkerung ver:
wachen, daß eine Abichaffung nicht mehr möglich geweſen wäre.
Ich weiß nur, daß viele Staatsbürger die Ausübung ihres Amtes
als Geſchworne für eine wahre Laft, für Zeitverfäumniß, für eine
unndöthige, mit Opfern verbundene Plage Halten, die fie ihren ge
wohnten Geſchäften entzieht. Aber auch abgeſehen von dieſem
hier nicht maßgebenden Bedenken follte man fi) denn nicht Fieber,
Ratt die Anftalt der Gefchworenengerichte für etwas Heiliges,
Unantaftbares zu erflären, mit dem Gedanken befchäitigen, das
fremdartige Inftitut mit unferen Anſchauungen mehr in Ein:
Mang zu bringen und jtatt fi flarr an die einmal gegebenen
Formen zu halten, die auffallenden Gebrechen zu heilen? Könnte
man etwa mit den unbeitreitbaren Bortheilen des geheimen Ber:
fahrend und gelehrter Richter nicht ein öffentliches Zeugen: und
Schlußverhör verbinden, un gehörige Bürgichaft für gerechte Aus:
fprüdhe zu gewähren und den oft offenbar unter fich wider⸗
iprechenden oder ungleichen Verdiften vorzubeugen? Dazu kommt,
daß dad Amt des öffentlichen Anklägers immer als ein gehäffiges
erfcheint; in den Augen des gewöhnlichen, müßigen und gaffenden
Publikums, das oft nur zu leicht Partei für den Angellagten
nimmt, tritt die richterliche Behörde gleichfam wie die Hand nad
einer Beute ausſtreckend auf, die fie fi nicht entichlüpfen laſſen
will. Selbſt Gebildetere können ſich bei befonderen Anläffen diefes
177
peinlichen Gefühld nicht immer erivehren. Im entgegengejehten
Fall, wenn die Verhandlungen oder der Ausgang den Erwartungen
der Bevölkerung nicht entipricht, fo läßt fih der Pöbel in feiner
vorgefaßten Meinung oft zu Zornausbrüchen verleiten, welche fich
nit mit der erniten Würde der Gerechtigkeitspflege vertragen.
Bon dem Gerichtöfaale gehen fodann diefe Eindrüde auf die Bier:
bänfe, in die Blätter über, und die Sournaliftif beutet die Ber:
bandlungen gehörig aus, umgibt fie mit dramatifchem Interefſe,
und richtet fie ihren neugierigen, emotionsfüchtigen Lefern zu.
Ich babe mich oft und viel mit diefen Fragen befchäftigt,
felten eine ſich mir darbietende Gelegenheit, den Sitzungen von
Geſchworenen beizumohnen, verfäumt und in Frankreich, Belgien
wie in Deutjchland die lehrreichſten Erfahrungen gefammelt. Immer
aber drängten fidy mir da Bedenken auf, welche ſich zunächſt auf
die Perfonen, dann aber audy wieder auf die Gattung der abzu:
urtheilenden Verbrechen bezogen. Der Orundfak der Gleichheit
Aller vor dem Geſetze erleidet hier gar viele beklagenswerthe
Ausnahnıen. Ein Mann von Bildung, eine Frau aus höheren
Ständen, ein junges Mädchen ald Angeklagte oder Zeugen, ſchuldig
erkannt oder freigeſprochen, gleichwiel! erdulden doch ohne allen
Zweifel ungleih größere moraliihe Qualen, ala der ftumpffinuige
oder genteine Verbrecher, als der freche, entartete Sträfling, welcher
- mit chnifcher Freude ſich oft noch als den Helden eine? Dramas
betrachtet, auf den alle Augen gerichtet find. — Gewiſſe Geſetzes⸗
übertretungen aber Tönnen nur mit- dem größten Nachtheil für
die Sicherheit oder die Moral öffentlich beftraft merden. Bei
politifhen Verſchwörungen, ausgedehnten Räuberbanden, mo ein
gewiffer Terrorismus auf die Meinung des Tages drüdt, bie
Furcht vor der Racheſucht der Betheiligten die Geſchworenen ein-
Ihüchtert, wirken Schreden oder Drohungen gleidy mädhtig ein.
Auch ift nicht zu beredinen, mie viel böfer Same durd folde
Ausſtellung in jungen, unerfahrenen Gemüthern ausgeftreut, wie
Irh. v. Audlaw. Wein Tageduq. II. 12 °
178
die Gerichtöhalle nur zu oft zur Schule des Verbrechens und bei
ihren Enthüllungen ein der Abfchredungstheorie geradezu entgegen:
geſetztes Ziel erreicht wird. Als Beifpiele führe ich nur einige
Fälle an, deren Zeuge ich war. So ftand eine? Taged ein de
Raubmords Angeklagter vor den Affifen zu Baris. Der angeblid;
von ihm Ermordete war zufällig von feinen Wunden wieder ge
heilt worden und trat nun als Zeuge gegen den Berbiedher auf.
Die Geſchworenen hatten feine „„eirconstances attEnuantes‘‘ wollen
gelten Iaffen, und der Gerichtshof erkannte nach franzöfifchen Ge:
feben auf die Todesſtrafe. Der mwiderwärtige Eindrud, welchen
diefe „Cause“ in mir zurüdließ, wurde bleibend gefteigert, als ich
einige Tage nachher die Gipsmaske des Unglücklichen ausgeſtellt
fah. Wer aber das zahlreihe „Bloufenpublitum“ beobachtete, wie
es mit Spannung den Zeugenaudfagen folgte, fih ſchon zum
Voraus das Refultat zuflüfterte, mußte fich überzeugen, daß mandhe
Zuhörer mehr in das Triebwerk der peinlichen Juſtiz, wie ber
Mittel der PVertbeidigung und praftifcher eingeweiht waren, als”
viele Rechtsfreunde. Es find mir fpäter mande Fälle vorge:
fommen, in denen, bei weit gewichtigeren Anzeichen, aus gerade
zufällig inwirfenden Gründen, eine mildere Strafe oder gar Los⸗
ſprechung erfolgte.
Auch in Mainz erinnere ich mich eined Schwurgerichts, wo
an einem Vormittag ein 17jähriger Lehrburſche wegen Hausdieb⸗
ſtahls mit fünf Jahren Gefängniß beftraft, ein Dienftmädchen aber
von gleihem Alter, wegen deffelben Vergehens, freigeſprochen
wurde. Wo bleibt da, ich wiederhole die Trage, die Gleichheit
vor dem Geſetze?
Den Sürgverbandlungen in Wien nun mohnte ich, ſoviel
ich konnte, bei; Richter wie Geſchworene bewegten ſich noch ſchwer⸗
fällig in diefen ungewohnten Formen und die Angeklagten fo menig
als die Anwälte, die Zeugen fo wenig als die Zuhörer konnten
fi) nod recht in die neuen Zwiſchenſpiele finden; dabei waren
die Räume ungeeignet, ärgerliche Auftritte nicht felten.
Die Behandlung eines Wales von „Gottesläſterung“ flößte
mir ganz eigene Betrachtungen ein; ich fagte mir, daß, bei den
über dieſes Verbrechen beftehenden verworrenen Begriffen eine
Aburtheilung deffelben bei „verichloffenen Thüren“ vorzugämeife
wünjchenswerth erfcheinen mũſſe. Das Aergerniß, welches bei der
Auzfprache der Fluchworte gegeben wurde und nun durch Strafe
gefühnt werden fol, fand fi ja bei den öffentlichen Verhand⸗
lungen dadurch zehnfach wiederholt, daß jene jedes religidfe Gefühl
verlegenden Läfterungen von den Zeugen fortwährend vorgebracht
wurden. — Sch weiß wohl, daß ſolche einzelne Beifpiele nichts
für oder gegen den Werth des Inſtituts bemweifen, bin aber der
Meinung, daß es die Aufgabe einer weiſen Gefebgebung bilde,
aud der Summe des bisher Erfahrenen die immerhin nöthigen
Verbeſſerungen daran vorzunehmen und ftet3 dahin zu ftreben, daß
der oberſte Grundſatz jeder Strafgerechtigfeitäpflege: „es werde
fein Unfchuldiger beftraft, e3 entgehe kein Schuldiger der verdienten
Strafe;" immer mehr zur Wahrheit werde!
In den erften Tagen des Dezemberd wurden wir von der
Nachricht des Staatsſtreichs überrafcht, melden Louis Napoleon
fih erlaubte. Der Eindrud. derfelben kam beinahe jenem gleich,
welchen die Bebruarrevolte hervorgebracht. Man ſah dadurch wieder
alles in Trage geftellt, und mar aud das verhängnißvolle Wort:
„Kaiſerreich“ noch nicht ausgefprochen, fd fühlte doch Jedermann,
daß der „diktatorifche Präfldent” nicht Thüchtern auf halbem Wege
ftehen bleiben, ſich feine Geſchicke wielmehr, unaufhaltſamer als je,
erfüllen würden. Man fah in der Wahl des Tages eine Wirkung
de3 Zauhbers, welher fi für Die Napoleoniden an denfelben
nüpfte, verhehlte fich aber auch nicht, daß mit diefen abergläubifchen
. 12*
180
Keen der praktiſchere Wunſch verbunden war, aus einer völlig
falfhen Lage herauszutreten, feinen Gegnern zuvorzufonmen, feine
Anhänger zu ermuthigen und der ganzen Welt durch eine Fühne
That zu imponiren!
Einige Wochen fpäter — am legten Tage des Jabra —
erichienen im Amtöblatte der Wiener Zeitung die kaiſerlichen
Dekrete, welche die Verfaffung vom 4. März 1849 mit allen
damit zufammenhängenden fogenannten freifinnigen Inſtitutionen
abichafften. Die erite Frage, welche man fich bei diefer auffallen:
den Nachricht ftellte, betraf ihren etwaigen Zuſammenhang mit
dem Parifer Staatsjtreihe. Diele nahmen einen folden an, ich
war jedoch der Anficht, daß es diefer Auslegung nicht bebürfe,
und andere gewichtigere Gründe jene außerordentlihde Maßregel
bervorriefen.. So weit greifend und folgereich jener merkwürdige
Erlaß auch war, fo erregte er doch weniger Aufiehen, ald man
hätte erwarten dürfen und felbft die Blätter äußerten fich darüber
nicht in ausführliher Weiſe. Die Beurtheilung de „zahmen
Staatsſtreichs,“ mie man ihn nannte, war freilid, je nach dem
Standpunkt der politifchen Parteien, eine fehr verfchiedene. “Die
Berfaffungsfreunde fahen darin einfach die Rückkehr zum früher
verlaffenen Syſteme; die Gemäßigteren bofften auf einen, der Lage
mehr entiprechenden Umbau der Konftitution; die Yeinde jeder
folder Anftalten aber wollten, daß fich der Kaifer auf fein gutes
Recht und im Falle von Angriffen auf fein tapferes Schwert
verlaſſe. AU diefen einjeitigen Anſchauungen ferne, gab ich mid)
der Meberzeugung bin, daß das öſterreichiſche Kabinet mit jenen
Beichlüffen weder eine Gewaltthat üben, noch auch trügerifche
Hoffnungen erweden wollte. Eine Wiederaufnahme abfolutiftifcher
Richtungen war ebenjo wenig möglich, als die Durchführung einer
nah dem gewöhnliden Mufter ausgearbeiteten Verfaſſung. Es
konnte demnach die Regierung größerer Tadel darüber treffen, eine
ſolche Verfaſſung voreilig ertheilt, als, bei der Gewißheit, fie nicht
181
vollziehen zu Können, diefelbe widerrufen zu haben. Die Monarchie
bedurfte nad fo ungeheuerer Aufregung nothwendig der Ruhe; man
[dien nah fo vielen mißlungenen Verſuchen nicht mieder einen
neuen anftellen zu mollen; man fand es gefährlich, abermals die
Bahn Teidenfhaftlicher Discuffionen zu betreten, und bei dem ver:
wirrten Zuflande mehrerer Provinzen, bei dem paffiven Wider:
ftande Ungarnd zumal, war jegt gewiß nicht die Ausſicht zu
Verwirklichung der dee eines Einheitsſtaates gegründet. and
man e3 daher in Wien gerathen, zuerft die Grundlagen des neuen
Staatsgebäudes auf feiteren Boden anzulegen, alle8 genau zu
ordnen und zu ebnen, die zerrütteten Finanzen zu regeln, aber alle
Berbefferungen und Erleichterungen, welche die Bervegung dem
Lande gebracht, beizubehalten, jo war, wie mir dünfte, für den:
Augenblid menigftend der richtige Ausweg gefunden, den ſich von
allen Seiten aufthürmenden, nicht geringen Schwierigkeiten und
Berlegenheiten zu begegnen. Der Zukunft mußte dann freilidy
vorbehalten werden, fo Manches dauernd auszugleichen und die
Löſung folder Frage eine mehr peinliche ala lohnende Aufgabe der
hierzu berufenen Staatmänner fein.
An jenem Manifefte fam denn audy eine Stelle vor, in der
e3 heißt: die Geſchwornen⸗Gerichte find „aufzulaffen.“ Der Aus:
drud: „auflaffen” in diefem Sinne gehört jenen an, wie man fie
Häufig im öſterreichiſchen Kanzleiftyle findet und vergebens würde
man fle in einem beutfchen Wörterbuche ſuchen. Dahin zähle ich
auch die gewöhnliche Nedewendung in den Faiferlichen Handbilleten:
„I finde zu beſtimmen“ o.a.m. 3 fcheinen dabei immer
einige Worte, wie etwa: „Mich bewogen“ u. dgl. in der Feder
geblieben zu fein. Solche Ausdrucksweiſe geht in Defterreich nicht
nur auf die Geſchäftsſprache über; aud im gemöhnlichen Leben
bedient man fi ganz fremdartiger Worte, oder Yegt ſchon be:
kannten eine andere Bedeutung unter, von der fih „Adelung“
gewiß nichts träumen ließ!
182
(1852.) Von nun an fahen wir und in eine Zeit erhöhter
Tätigkeit und fortwährender Unruhe verſetzt, welche beſonders
gegen die behaglichen Zuftände vor. 1848 grell abſtach. Cine
Berkandlung, eine Aufregung reihte fih nun für und Diplomaten
an die andere, und es ſchien als ob mit der fortgeießten Be
wegung der eleftriichen Telegraphen bei Tag und Nacht fih auch
die Beforgung der Geſchäfte, nicht mehr nad) einem regelmäßigen
Laufe richten ließe. Hierzu Tamen eine ganze Menge fürftliher
Beiuche, außerordentliche Sendungen und mit dem neuen Kaiſer⸗
reihe an der Seine eine nie endenwollende Spannung, welche
mit jedem Tage mehr die Worte: „UEmpire c’est la paix!‘
Lügen ftrafte!
Das Wiener Kabinet, fih einer mehr praftifchen Richtung,
vorzüglich in feinen Beziehungen zu Deutfchland, zumendend, faßte
den früher fchon gehegten Gedanken eine Anſchlufſes an den
großen Zollverein wieder auf. Es hatte die politiiche Wichtig:
keit deffelben, fowie die damit verbundenen Handelsinterefſen nie
verfannt, war aber ebenfo wenig im Stande gewefen, den Bertrag
zu verhindern, als fpäter den bereits getroffenen Beflimmungen
beizutreten. Fürſt Schwarzenberg legte großen Werth auf diefe
nun eingeleiteten Verhandlungen, und am 4. Januar eröffnete er
fie mit einer feierlichen Rede im LTandhaufe, wo auch die gewöhn⸗
lichen Situngen ftaltfanden. Die deutichen Gefandten waren hierzu
mit Weifungen verfehen, wohnten aber nur bei befonderen Anläffen
den Berathungen bei, zu welchen die Bundesſtaaten eigene Bevoll⸗
mädjtigte ernannt hatten, Baron Handel, Oeſterreich vertretend,
leitete die Verhandlungen, und fein „Name“ ſchon entipradh,
wie Teiner, der Natur derielben. Als Fachmann zeigte Minifterial-
rath v. Hod, wie immer, fo aud Hier, fi als einen ber
fähiaften Köpfe, getvandt mit dem Worte, "mie der Feder.
Bon Karlsruhe war Finanzratd Hack abgefendet worden,
183
deſſen Erfahrungen und SKenntniffe ihn zu einem der tüchtigiten
Mitglieder der Commiſſion machten.
Die Beſprechungen zogen fih in die Länge; die Iebhaften
Discuſſionen boten nicht immer das Bild erwünfchter Einigkeit,
und wenn die gehegten fanguinichen Erwartungen auch nicht alle
in Erfüllung gingen, fo mar do eine Ausfiht zur weiteren
Entwidelung der getroffenen Verabredungen eröffnet.
Der Minifter::Präfident follte das Ende der Eonferenzen nicht
erleben. Den. 20. April wurde dad Schlußprotocoll unterzeichnet,
wobei Graf Buol eine Rede hielt, welche der bayerifche Geſandte,
Graf Lerhenfeld, erwidertee Die Unterhandlungen wurden vor:
läufig unterbrochen, um in Berlin, dann im Herbfte wieder aber:
mal3 zu Wien aufgenommen zu werden. Die Abgeordneten wurden
mit vieler Auszeichnung behandelt, öfters zur Laiferlichen Tafel
gezogen, und bei allen Hoffeften eingeladen.
— — — — ——
Wie ſich in dem diplomatiſchen Treiben eine ungemeine
Regſamkeit zeigte, ſo war in die hof⸗- und geſelligen Kreiſe
wieder eine lang vermißte Lebhaftigkeit zurückgekehrt. Die Adels:
familien aus Böhmen, ſelbſt ungarifche, hatten fich zahlreich einge '
funden; dabei vermeilten viele hohe Fremde längere Zeit in Wien
und verjammelten fih um ben Haiferlichen Hof; Tefte aller Art
erfreuten die elegante Welt in ungemwohnter Weile. Unter den
Privatzirkeln aber war jener der Fürſtin L. Schönburg der be
liebtefte, ftet? von der Elite der Geſellſchaft beſucht.
Der Minifter-Präfident, welcher fein Haus machte, ſehr einfach
lebte und blos Heine Dinerd gab, lud nur einmal zu einem
Balle ein, auf dem der Kaifer erfchien. Nach längerer Zeit war
auch wieder der erfte Hofball abgehalten worden, wobei der Gercle
aber mehr Zeit nahm, ald es die Tanzluftigen wünfchten. Der
Kaifer nahm keinen Theil an den Tänzen, entihädigte ſich aber
184
dafür auf den fehr belebten Kammerbällen bei der Erzberzogin
Sophie. Die großartigen Fefte bei LTichtenftein und Schwarzenberg
wurden wieder aufgenommen und unter den Geſandten entfaltete
vorzüglich Lord Weftmoreland die glänzendite Gaftfreundicaft.
Die Fürften Leiningen und Fürftenberg brachten einen
Theil des Winterd in Wien zu und aud der Herzog Ernſt von
Sachſen-Coburg nahm einen mehrtägigen Aufenthalt. Ihm
folgten bald nachher die beiden Großfürften Nikolaus und
Michael zu einem Beſuche am Taiferlichen Hoflager. Man fuchte
die jungen, liebenswürdigen Prinzen in jeder Weife zu unterhalten
und gerade am 13. März — vier Jahre nad) der Kataftrophe —
fand ein anziehendes Feſt in der Burg ſtatt; Talente und Schön:
beit vereinigten fi bier, um in Vaudevilles, wie in lebenden
Bildern zu glänzen. Winterthaler'3 „Decameron“ *) bildeten die
reizenditen Frauen Wiens und ebenfo gefiel das einfache „Ave
Maria“ nad Ruben. **)
Im Laufe de Winter verließ einmal der Kaifer plötzlich
Wien, um Trieft und von da Pola mit den Küften zu befuchen.
Auf dem Rückwege hatte eine heftige Bora in hoher See das
Schiff ergriffen, welches nur nad) großer Gefahr und Anftrengung
mit dem Kaifer wieder im Hafen einlaufen Tonnte.
Seit längerer Zeit war Fürſt F. Schwarzenberg leidend,
fein Ausfehen im höchſten Grade beunruhigend geweſen; feine
bagere Geftalt, fein blaffes, verzerrted Geficht erfchtenen gefpenfter:
artig; die Herzkrämpfe wiederholten fi und ich felbft, ala ich im
Januar einft allein mit ihm mid im Kabinet befand, war Zeuge
eines ſolchen Anfalles. Dennoch beftimmten ihn mehr aufopfernde
*) Furſtin Aueröperg:Collorebo, Fürſtin Windifchgrät-Lobfowig, Zürftin
Roban:Waldftein, Fürſtin Clary-Fiquelmont. Grüfinnen Karoline Czernin,
Julie Huniady, Karoline Kinsky, Fr. Paula v. Linden. Fürſt Morik
Lobkowitz, Oraf Waldflein, Hr. v. Lenzoni.
*) Gräfin Helene Zihy, Graf Franz Thun, Baron Werthern.
185
Vaterlandsliebe als Ehrgeiz, die ſchwere Laft der Gefchäfte fortzu-
tragen, und nur auf da dringende Anrathen der Aerzte entfchloß
er fih, im Frühjahre eine Erholungsreiſe nad) Neapel anzutreten,
da ihm der Aufenthalt in diefer Stadt immer fo fehr zugefagt
hatte. Schon waren alle Vorbereitungen zur Abreiſe getroffen
. und Graf Buol, beftiimmt während des Fürften Abmelenheit das
Minifterium zu Teiten, bereit3 untermegd. Eines Morgens? —
5. April — fand fih Schwarzenberg nad einem erquidenden
Schlaf ungewöhnlich geftärft und fehicte einer Dame ein Bouquet
mit einigen Zeilen, morin er die Hoffnung ausſprach, auf der
bevorftehenden Reife feine Gefundheit wieder zu erlangen. Er
empfing den Tag über die gemöhnlichen Geſchäftsbeſuche, unter
denen ‚jener des englifhen Geſandten der lebte war; hierauf hielt
er noch einen Minifterratb und begab ſich gegen 5 Uhr in fein
Totlettegimmer, um fid zu einem Diner bei feinem Bruder, dem
Fürften Adolph, anzukleiden. Als der Kammerdiener nad) einigen
Minuten in jenes Gemach eingetreten war, fand er den Fürſten
befinnungslos auf dem Boden Tiegend. Der Kaifer, Minifter
Bach, Priefter, Aerzte und viele Bekannte eilten mit der fürſtlichen
Familie auf diefe erſchütternde Kunde herbei; doch alle Bemühungen,
ihn in’3 Leben zurüdzurufen, waren vergebens! Die Trauer über
diefen unerwarteten Verluſt fam der allgemeinen Beftürzung gleich,
wenn die Trage aufgetvorfen murde, welcher Staatömann mohl zu
feinem Nachfolger ernannt würde? inige Tage fpäter traf der
ſchon zu feinem Stellvertreter berufene Graf Buol ein und über:
nahm fofort das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten. Ex
war fich des ganzen Gewichts der Verantwortung, die er auf fich
nahm, bemußt und erflärte dem diplomatifhen Corps, als er es
empfing, daß nur feine Ergebenheit in den allerhöchſten Willen
und des Kaiſers ehrenvolles Vertrauen ihm fo viel als nöthig
Kraft und Muth verleihen könnten, die ihm übertragene Würde
anzunehmen.
186
Wegen der Stille der Charwoche fand das Leichenkegängnik
des Fürſten Schwarzenberg ohne großes militäriiched und anderes
Gepränge ftatt, und wurde der Sarg nach der Gruft in Wittingau
gebracht. Doch wohnte der Kaifer jelbft dem Trauergottesdienſte
bei und ehrte das Andenken feines thatlräftigen Miniſters im
jeder Weile.
Bon den Faiferlihen Räthen, weldye mit Schwarzenberg ein
getreten waren, blieben noch Bach und Graf Leo Thun. Erfterer
hatte nach Stadion’s- Rücktritt das Minifterium ded Innern, das
er bis 1859 leitete, und Schmerling das Juſtizdepartement über:
nommen. Diefer wollte feine Weberzeugungen jedoch nicht dem
Amte opfern und trat zum oberften Gerichtöhof über, worauf der
jüngere Kraus jene Stelle erhielt. Sein Bruder Ph. v. Kraus,
Brud, Baumgärtner waren nad der Reihe Tinanzminifter, und
beide Lebtere flanden, wie fpäter Toggenburg, zeitweife aud dem
Sandeldminifterium vor.
Das Kriegsweſen wurde während dieſes Zeitraum bon ver:
ſchiedenen Generalen geleitet. Der Kaifer behielt fih das Ober:
fommando vor und aus feiner Generaladjutantur floſſen Die
wichtigiten, die Armee betreffenden Veränderungen, Beichlüffe und
Befehle.
Zur Zeit des Todes des Fürften Schwarzenberg waren Die
Geſandtſchaftspoſten Defterreichd wie jene der auswärtigen Staaten
in Wien in folgender Weife belebt:
1. 8. R. Gefandte.
In Rom: Graf M. Efterbazy.
„ Rußland: Graf A. Mennsdorf, dann Graf Val. Efterhazy.
„ England: Graf Buol, dann Graf Colloredo.
„Frankreich: Aler. v. Hübner.
„Frankfurt: Graf F. Thun, dann GI. v. Prokeſch.
„ Berlin: Gl. v. Prokeſch, dann Graf Thun.
187 _
In Münden: Graf Val. Efterhazy, dann Graf Rud. Apponyi.
„ Stutggart: Baron Handel.
„ Dresden: Graf Kufftein.
„ Bannover: Hr. v. Koller.
„Karlsruhe: Hr. v. Philippsberg.
„ KRaffel und Darmftadt: Graf Ingelheim.
» Hamburg u. f. w.: Graf Lükom.
„ Daag: Baron Dobbelhof.
„ Brüffel: Baron Prints.
„ Schweden: General v. Langenau.
„ Kopenhagen: Graf Hartig.
„ Spanien: Graf Georg Eſterhazy.
„ Bortugal: Hr. v. Walter.
„ Neapel: SL v. Martini.
„ Turin: Graf Rudolph Apponyi.
„Florenz: Baron C. Hügel.
»„ Parma m. f. w.: Hr. v. Mlegri.
„ Ronftantinopel: (unbefegt), dann Hr. v. Brud.
„ Athen: Graf 2. Karolyi.
„ Schweiz: Hr. v. Tom.
„ Amerika: Hr. Hülfemenn.
2. Biplomatiſches Corps in Wien.
Nom: Migr. Viale Prela, Nuntius.
Rußland: Baron v. Meyendorf.
England: Lord Weftmoreland.
Frankreich: Hr. v. Lacour, dann Baron Bourqueney.
Preußen: Graf H. Arnim.
Spanien: Hr. d'Ayllon.
Portugal: Hr. v. Soares de Leal.
Neapel: Fürſt Petrulla.
Sardinien: Graf A. Revel.
188
Toscana: Hr. v. Lenzoni.
Parma: Baron Ward. “
Schweden: Hr. v. Wedel, dann GI. v. Mannsbach.
Dänemark: Graf Bille-Brabe.
Niederlande: Baron Heeleren.
Belgien: Graf Ofullivan.
Bayern: Graf Lerchenfeld.
Württemberg: Baron Linden, dann Baron Hügel.
Hannover: Graf Platen, dann Baron Stodhaufen.
Sachſen: Baron Könnerik.
Baden: Baron Andlam.
Heſſen-Kaſſel: Baron Schachten.
Helfen: Darmftadt: Baron Drachenfels.
Braunfhweig, Naffan u. f. w.: Baron Zebliz.
Medlenburg, Oldenburg u. f. w.: Hr. v. Philippsborn.
Sächſiſche Häufer: Baron Borſch.
SJohanniterorden: Graf E. Coudenhove, dann Graf Morzin.
Türkei: Arif Efendi.
Griechenland: (unbefegt), dann Hr. v. Skhinas.
Braffilien: Hr. v. Lisbon.
Schweiz: Hr. A. Steiger.
Hamburg: Hr. Dr. Hetſcher (1852).
Nordamerika: Hr. Yadjon (1853).
Wenige Wochen nad jenem Todesfall erlitt ih einen noch
meit ſchmerzlicheren Verluft durch den Hintritt des Großherzogs
Leopold, dem ich während einer 22jährigen Dienftzeit in treuer
Anbänglichkeit ergeben war. Cine felegraphiiche Depejche meldete
mir, Daß er den 24. April Abends halb 7 Uhr einer Tangivierigen,
ſchmerzhaften Krankheit erlegen jei. Es murde mir nun die traurige
Aufgabe, dieſes höchſt bedauerliche Ableben dem kaiſerlichen Hof
und den durchl. Gefchwiftern der Großherzogin anzuzeigen.
189
Die Regierungszeit des dahingefchiedenen Fürſten fiel in die
Periode zwiſchen den beiden Parifer Revolutionen; fie begann
ftürmifh und endete unter dem für das Gemüth des Große
berzog3 fo peinigenden Eindrude der Erlebniffe der letzten Jahre;
er konnte deffelben ſich nicht mehr. völlig entidhlagen und es
drüdten ihn bis zum lebten Augenblide jene trüben Erfahrungen.
Ich will Hier die abgenutzte Phrafe, „daß der Großherzog Leopold
bei feiner Herzensgüte und allen anderen edlen Eigenichaften in
ruhigen, gewöhnlichen Zeiten ein vortreffliher Regent geweſen
wäre”, nicht wiederholen. Welcher Fürft irgend eines Landes kann,
in unferer bewegten Epoche zumal, darauf rechnen, während 20
Jahren mit ungeltörtem Glüde zu regieren? Bei all dem unver:
dient erlittenen Ungemadye wird das Andenken deö verewigten
Herrn in feinem fchönen Baterlande, dem er flet3 aus voller
Seele anhing, gefegnet bleiben. Einen noch düftereren Schein
warf auf dieß traurige Ereigniß der troftlofe Geſundheitszuſtand
des Nachfolgerd, welcher zwar unter dem Namen Ludwig II. zum
Großherzog ausgerufen wurde, für den aber der jüngere Bruder,
Prinz Friedrih, die Regentihaft übernahm. — Ih erhielt nun
allfobald meine neuen Beglaubigungsichreiben, welche ich Seiner
Majeftät dem Kaifer in einer befonderen Audienz — der vierten —
zu überreihhen die Ehre hatte. Bon Karlsruhe wurde in außer:
ordentlicher Miffion der Generalmajor v. Rotberg nah Wien
gefendet, während der Kaifer den großherzoglichen Hof durch den
Feldmarfchall:Lieutenant ©. v. Reiſchach beſchicken lieh.
Diefe betrübenden Vorgänge in Baden hatten als peinlichen
Nachhall auch Lonfeffionelle Zerwärfniffe wach gerufen. Schon
1851 ergab fi in Folge einer vom Erzbiſchof von Freiburg auf
den Grund der Würzburger Befprechungen der großherzoglichen
Negierung überreihten Denkſchrift ein Konflitt, der in feiner be
klagenswerthen Nachwirkung fi zu jenem bekannten „Kirchen⸗
ſtreite“ entwickelte, welcher erjt in diefen QTagın (1862) in einer
190
beide Theile befriedigenden MWebereinfunft feinen Abſchluß fand.
Da ih nur mittelbar durch meine Stellung in diefe Verband:
Tungen gezogen wurde, fo wird man bei dem ſchmerzlichen Gefühle,
mit dem fie mich erfüllten, die Rüdfiht ehren, wenn ich mich
ſedes weiteren Eingehen? darauf enthalte.
— — — — — —
Den 8. Mai traf, ſchon längſt erwartet, der Kaiſer Nikolaus
von Rußland (zum dritten und letzten Male) in Wien ein.
Einige Tage vorher war auch der Großfürſt Konſtantin ange:
fommen. Der Kaifer fuhr den Ezaren bis Prerau entgegen, und
um Mittag wogte eine unabfehbare Menge dur die Jägerzeil
dem Nordbahnhoſe zu, um die beiden Monarchen jubelnd zu be
grüßen. Nikolaus brachte die drei Tage feines Aufenthalts nur
im reife der kaiſerlichen Familie zu, gab Feine Audienzen und
wohnte Abend3 ten Borftellungen im Burgtheater bei, wo abfichtlfich
nur Meine, unbedeutende Stüde gegeben wurden. Außer bei den
Erzherzogen ftattete der Kaifer audy bei Prinz Wafa, den Fürften
Lichtenftein, Metternich und Windiſchgrätz Beſuche ab, fuhr uner:
kannt in der Stadt umher und machte eine Praterfahrt mit. Wie
immer war aber fein Hauptangenmert auf die mifitärifchen Anftalten
gerichtet und eine längere Beſichtigung dem im Ban begriffenen
Krfenale, der Artillerielaferne wie der neuen Equitationsſchule
zugedacht. Doch die größte Anziehungskraft auf das ſchauluſtige
Publitum übten die beiden großen Baraden und Truppenmanöver
im euer auf dem Glacis. Kaifer Franz Joſeph kommandirte und
führte feldft die Megimenter vor; das Wetter war berrlih und
ein glänzender Generalitab umgab die beiden Kaiſer. Nikolaus
trug den einen Tag die rothe Hufarengeneral-Uniform, den anderen
die weiße feines Käraffierregimentd Nr. 5. Man fand den Garen
auffallend geaftert, finfter blicdend, auch faß er vorwärts gebeugt
zu Pferde, und wenig war mehr von der früheren impofanten
191
Haltung zu ſehen; doch foll er fi in der kaiſerlichen Familie
ungemein heiter gezeigt haben und empfing immer nad Tifch
einige bochgeftellte Generale, wie Jellachich, Schlid u. a. Der
Gropfürft Konftantin, welcher, wie deffen Gemahlin, zugleid mit
feinem Vater in Wien vermeilte, veifte ſodann nach Petersburg,
während Nikolaus nad einem Riefenzapfenftreihe von acht Regi⸗
mentömnfitbanden gegen Mitternaht am 11. Wien verließ, um
nah einem Beſuch bei dem Kaifer Ferdinand in Prag nach Berlin
zurüdzufebren.
Bei diefem Anlaffe wurden, wie gewöhnlich, viele Orden,
Geſchenke u. dgl. auzgetheilt; worauf man aber bei Hof’ den
größten Werth zu legen fchien, war die ungemein zuborfommende
Weife, mit der der Ezar den ungen Kaifer bei diefem legten
Beſuche in Wien behandelte; er ſprach es wiederholt aus, daß,
wie er den Kaiſer Franz als einen Bater verehrt, er nun für
defien Enkel väterlihe Gefinnungen hege. Es hieß fogar, ber
Czar habe beim Abfchiede Inut die Worte audgerufen: Entre nous,
c’est à la vie et & la mort!
So Hatte die ruffifche Politik, welche im Jahr 1826, fich
von Oeſterreich abwendend, eine andere Nichtung verfolgte, nun
gegen Ende der Regierung des Kaiferd Nikolaus ſich wieder enger
an den Wiener Hof angefchloffen; man bielt im Angeficht der
drohenden Haltung der Weftmächte die Bündniß für ein ernſtes,
dauerndes, und nur ganz außerordentliche, unvorbergefehene Ereig-
niffe konnten einem ſolchen, auf gegenfeitigen, wohlverſtandenen
Intereſſen gegründeten Zufammengeben ſtörend entgegentreten.
Während diefer militärifchen Feſte hatte auch Louis Napoleon
(10. Mai) eine große Heerfchau über die Truppen gehalten und
bald darauf eine Rundreife dur Frankreich angetreten, auf der
er, im Widerfpruch mit feinen Handlungen, jene berühmte, nur
192
aus vier Worten beftehende Nede in Bordeaur hielt, worauf Die
neue Derfaffung erfchien, melde, durch allgemeine Abitimmung
beftätigt, da8 Vorfpiel zu dem Drama ded neuen Kaiferreich?
werden follte.
Der Kaifer Franz Joſeph war beinahe dieſes ganze Jahr
über abwejend. Ein Befuh in Ungarn in vier Abtheilungen
war von hochwichtiger politiicher Bedeutung. Der junge Monarch
dehnte denfelben auch nah Siebenbürgen wie nad) Agram aus
und wurde allentbalben mit einem unglaubliden Jubel em:
pfangen, wie er fih in fo eigenthümlicher Weife nur bei
diefen, für begeilternde Eindrücke jo empfänglichen Völkerſchaften
äußern Tann. Keine Mißtöne, Fein Unfall flörten Diefe, einem
fortwährenden Triumphzuge gleichlommende Reife; der Kaifer hörte
Wünſche wie Beichwerden ruhig an; in den lauten Taumel der
Menge miſchten ſich patriotifche Neden und Toufte; Alles athmete
Friede, Verföhnung, Vergeſſen der Vergangenheit, und nichts Tieß
die troßige Oppofition ahnen, weldye ein Theil verblendeter Patrioten
jpäter den wohlgemeinten Abfichten ihres Königs entgegenfeben
würden. In der That, wenn man die damals ftattgefundenen
Berabredungen ſowie die fpäteren VBorfchläge der Ungarn vom
Jahr 1857 mit den ungeftümen Anforderungen der Neuzeit ver:
gleicht, jo war die Einwirkung der feitherigen politifdyen Ereigniſſe
wie fremder Einflüfterungen auf die Stimmung unverkennbar.
Dem befriedigenden Empfange in Ungarn entfprach auch die Art,
wie das Eintreffen des Kaiſers in Wien mit Beleuchtung, Triumph:
bogen u. tgl. gefeiert wurde, und ganze Schaaren von Magnaten
gaben ihm das Geleite bis zum Nordbahnhof. Nach folchen
Refultaten konnte ſich das kaiſerliche Kabinet um fo mehr der
gegründeten Hoffnung einer friedlihen Ausgleichung überlaffen,
als die im darauffolgenden Jahre erfchienenen organifchen Statute
einen weiteren Weg zur Berftändigung anbabnten. Am Herbſte
bezogen 14 SKavalleriereginunter Tas Lager von Balota bei Peſth
193
und führten großartige Manöver and. Der Kaifer begab fich
wiederholt dahin und empfing mehrere hohe Beſuche. Auch der
Prinz Friedrich von Baden war zum erften Mal ald „Regent“
nah Wien gefommen und einer Faiferlihen Einladung nach Pefth
gefolgt. Ebenſo war der Kronprinz von Württemberg und der
Prinz Wilhelm von Baden dafelbft eingetroffen. Nach der
Rückkehr brachte Prinz Wilhelm noch einige Tage in Wien zu,
während welchen ich ihn, fo wie früher den Regenten, bei Beſich⸗
. tigung der Merkwürdigkeiten zu begleiten die Ehre hatte.
Später machte der Kaifer unter allgemein erfreulichem Ein⸗
drude einen Beſuch am Töniglichen Hofe zu Berlin, wo zugleid
unter Theilnahme Bruck's die Verhandlungen über die Zollfrage
einen gedeihlichen Fortgang zu nehmen fehienen.
Während des Sommers brachte ich einige Wochen in Baden
bei Wien zu und verließ e8 nur zu einem Audfluge nad Peſth,
um mic von der Nichtigkeit der obigen Angaben perjänlich zu
überzeugen.
In diefem Jahre wurde: zum erften Male in der St. Anna-
Tirche, welche dem franzdfifchen Gottesdienfte eingeräumt ift, ber
15. Auguft mit Hochamt und Tedenm begangen, wenn e8 gleich
noch keinen Kaiſer gab. In den folgenden Jahren wurde diefe .
Teier regelmäßig wiederholt, wobei gemöhnlid Abbe Mislin
celebrirte. Diefer ausgezeichnete Priefter hatte mit mehreren geiſt⸗
lichen Würden eine ehrenvolle Stellung erlangt, ftand als Lehrer
in naber Beziehung zu den Faiferlichen Prinzen und iſt der Ver⸗
fafler eines ſehr geichäßten Werkes über die „heiligen Stätten”,
welche er zweimal beſuchte. Nicht nur der befchreibende Theil,
auch die Bemerkungen, welche Mislin über die religiöß-politifchen
Zuſtände im Oriente einflicht, find von hohen Intereſſe.
Den 20. Ditober kamen die Zollvereinsbevollmädtigten
wieder zufammen. Die Verhandlungen zogen fih den ganzen
Winter hindurch fort und endeten mit den feinen Beflimmunger
Irh. v. Undlam. Wein Tagebuq. IL 13
194
nach befannten Bertrage, welchen wir alle am 22. Februar 1853
Abends im auswärtigen Minifterium unterfchrieben und mit unferen
Siegeln-verfahen. Die Abgeordneten wurden mit Orden bedacht,
Sad aus Baden aber ftarb bald darauf, und fein Verluft wurde
um fo aufrichtiger in Wien beflagt, ala man ihn da von einer
fo vortheilhaften Seite hatte Tennen lernen.
Am Dezember fand mit großer Feierlichkeit die Verleihung
de3 goldenen Vließes im Ritterfanle ftatt, worauf Hochamt und
Tedeum in der Burgfapelle folgten. Seit 23 Jahren war &
wieder zum erften Male, daß ich einem fo erhebenden Zelte bei-
wohnte, welches ſich von den früheren dießmal nur dadurch unter:
ihied, daß die Mitglieder nicht in der altherfünmlichen Ordens⸗
tracyt, fondern in Uniform erjchienen. Das übrige Geremoniel,
welches der Kaiſer mit ruhiger Würde und leichtem Anftanbe
vollzog, war daffelbe wie vor 400 Jahren geblieben. Die Neu:
aufgenommenen leifteten den Eid in lateinifcher Sprache, erhielten
Inieend vom Kaifer den Ritterfchlag und den Bruderfuß, worauf
ihnen die goldene Colanne umgehängt wurde. Die meiften älteren
Drdengritter waren erfchienen und folgende neue Mitglieder ernannt:
die beiden Brüder des Kaifers, Ferdinand Mar und Karl Ludwig,
vier weitere Erzherzoge, Joſeph, Rainer, Heinrich und Sigmund,
der Erbgroßherzog von Toscana, die Fürften Salm, Trautmannz-
dorf, Bathiany, Karl Lichtenftein, Karl Schwarzenberg, Karl Auers-
perg, Landgraf Frd. Yürftenberg, Feldmarſchall v. Wimpfen, die
Grafen Fiquelment, Wratislaw, Landarondi und fpäter Gyulai.
An einem Morgen der erften Dezembertage verkündeten der
Welt Telegramme nah“ allen Richtungen, daß die franzdfifche
Republik zu Grabe getragen und wieder ein Napoleon — als
der Dritte — Kaiſer ſei. Diefe Nachricht traf und keineswegs
unvorbereitet, dennoch blieb fie nicht ohne fichtbare Ruckwirkung
185
auf die Gemüther. Die Kabinette, wenn gleich mißtrauiſch und
zögernd, ließen die Anerfennung nicht allzu Tange erwarten, mußten fich
jedoch jagen, daß, wenn vielleicht auch in anderer Weiſe, der Geiſt
des Oheims wieder in die europäifche Politil eindringen werde.
An der That war der Gang des Neffen in den „id6es napoleo-
niennes“ Mar vorgezeihnet und unverhohlen die Stellung Ddiefes
Gefchlechtes, den übrigen Fürftenhäufern gegenüber, ausgeſprochen.
Es handelte fih darum, die Jahre 1814 und 1815 aus den
Annalen des Kaiſerreichs zu ftreihen, ſowie um den Wunſch, fi
an den Urhebern der Frankreich angeblich läftigen und befchämenden
Verträge zu rächen. Dieß konnte nicht gewaltfam, nur auf Um:
wegen geſchehen, und jo mar denn wieder da8 bekannte „un
après l’autre‘“ zur geheimen Parole geworden. Es ging aus
diefem Streben jene doppelzüngige Politit hervor, melde, wenn
fie auch Anfangs durch üÜberrafchende Sprünge und kluge Ber:
ftellungstunft bedeutende Vortheile errang, doch allmälig Gefahr
läuft, allgemeine Erbitterung hervorzurufen und fi in ihren
eigenen Neben zu verfangen. Es trat daher zu jener Zeit die
ernfte, leider nicht immer beachtete Mahnung an die Großmächte
beran,; den Bund der Einigkeit fefter gegen Uebergriffe zu fchließen,
welche den Frieden und das Gleichgewicht in Europa auf Neue
bedrohen mußten, und ein engered Berftändniß der drei öftlichen
Staaten war um fo dringender geboten, ald England, jei es aus
Furcht, fei es aus anderen Gründen, fih von der Linie des
Widerftandes, welche es früher gegen die Napoleoniden eingehalten,
losgeſagt Hatte.
Schon vor dem 2. Dezember ſprach man von einer bevor:
fiebenden Bermählung des Präfidenten. Er war mährend deö
Sommers in Baden-Baden erfchienen; doch die bald erfolgte Ber:
lobung des Kronprinzen von Sachen mit der Prinzeffin Karola
Waſa widerlegte wenigftend eines diefer vielen Gerüchte. Niemand
fonnte aber erwarten, daß Napoleon wenige Wochen nad, feiner
13*
196
Thronbefteigung ſich mit einer jungen Spanierin aus edlem Ge⸗
fhlechte vermählen würde, von der man nur mußte, daß fie fchön,
lebhaft und unabhängig war. Wie einft Sofephine, ſah fi) nun
auch eine Gräfin Eugenie Teba-Montijo-Alba unerwartet mit
einer Kaiferfrone geziert.
Die Veränderungen in Frankreich führten auch die Abberufung
de3 feitherigen Gefandten v. Lacour herbei, mweldyer auf Turze Zeit
nach Konftantinopel, dann nad) Neapel verjeßt wurde, um fpäter,
wie andere diplomatische Sterne, im Senat zu erbleihen. Die
Ernennung feines Nachfolgers war nicht ohne Bedeutung; Herr
v. Bourqueney, unter Louis Philipp einer der gewandteiten
Agenten, war veranlagt worden, aus feiner Zurücdgezogenheit zu
treten, um den Wiener Poften anzunehmen, dein er denn aud)
mit unverfennbarem Erfolge vorftand, wie wir jehen werden.
Das Jahr 1853, eines der wichtigſten für die Wendung
in dem Gefchide Oeſterreichs, fand diefen Staat zu Teiner anderen
Macht in einer entichieden feindfeligen Stellung, doch auch, mit
Ausnahme Rußlands, zu Teiner in befonderd intimer Beziehung.
Mit England dauerte begreiflicher Weife die durch fein ſchnödes
Benehmen in der Ylüdjtlingd- und anderen Fragen eingetretene
Spannung fort; mit Frankreich war man anfcheinend freundlicher,
doch nicht ohne eine beobachtende, ſelbſt Talte Zurücdhaltung, und
fo fehr man fi auch wieder Preußen genähert, fo war doch noch
lange nicht auf ein inniges Verhältniß zu reinen. Mit Spanien
und Italien, bejonderd dem römiſchen Hofe, war man auf dem
beiten Buße; nur Sardinien grollte fortwährend, und der mühfam
unterdrüdte Mißmuth wäre wohl fchon früher zum Ausbruche
gefommen, hätte ihn nicht der ruhige Sinn des verftändigen,
perfönlich beliebten Gefandten Grafen Revel aufgehalten.
197
Bei diefer Sachlage traten nun plötzlich ernfte Zerwürfniffe
mit der Pforte ein und die immer offene orientalifche Trage
erfhien wieder auf lange Zeit in erfter Reihe. Das Wiener
Rabinet hatte den %. M. L. Grafen Leiningen nach Konftantinopel
geſchickt, Die Aufrechthaltung der Verträge nachdrücklich zu verlangen.
Der Sultan bezeigte fich bei diefen billigen Anforderungen nach⸗
giebig, und der unterhandelnde General kehrte mit einem allfeitig
befriedigenden Uebereinkommen zurüd. Dieſer Erfolg war in
St. Petersburg nicht unbeachtet geblieben, und allſobald Fürſt
Menzitoff am Bosphorus erfchienen, um in ziemlich baricher und
gebieterifcher Weife, wie man fagte, auch die Anſprüche Rußlands
geltend zu machen. Von diefer Zeit an drängten ſich die Ereig-
niffe im Often, gährte es in allen türkifchen Provinzen, entzündete
fih der Aufftand in Montenegro und die gleich Anfangs Teiden-
ſchaftliche Auffaffung der fo vermirrten Fragen ließ nicht Teicht
eine friedlihe Löſung hoffen.
Diefe Verwickelungen wurden noch durch einen gewiſſen fidh
allenthalben zeigenden menterifchen Geiſt gefteigert. In Mailand
und anderen italienifchen Städten kam es zu blutigen Auftritten,
die Flüchtlinge fehten ihre Umtriebe überall fort und die Geſchäfts⸗
beziehungen Oeſterreichs mit der Schweiz wurden förmlich abge-
brodyen. — Mitten in diefen von Außen wie im Innern auf den
Kaiferftant einftlürmenden Begebenheiten war e8 wohl nicht an der
Zeit, es mit neuen Berfaffungd: und anderen Reform: Projekten
zu verſuchen; es galt vorerft der Abwehr näher liegender Gefahren
und dennoch fehlte es nicht an einer erhöhten Thätigleit, um in
den einzelnen SKronländern zeitgemäße Einrichtungen zu treffen
und probiforifche Zuftände durch dauernde auf geſetzlicher Grund⸗
lage zu erieben.
Auch in mandyer anderen Beziehung hatten ſich die Sitten
und Anfichten in Wien verändert. Man war dem tollen Einfluffe
des Tiſchrückens und Klopfens, des Geiftercitirend und anderen
198
Unfinnd mehr nicht entgangen; man brachte ed mit den geheimniß⸗
vollen Ericheinungen des „Od,“ des Magnetismus in Berbins
dung, doch jene Modetborheit, welcher die höheren Stände bier
weniger als anderswo verfielen, war auch bald wieder geheilt. Im
Gegenfage zu diefem neuen, frivolen oder abergläubiihen Treiben
gab ſich in erfreulicher Weiſe eine Rückkehr zu einer mehr veligiöfen
Richtung der Gemüther fund, und gelang es früher dem genialen
Beith und anderen weniger begabten Kanzelrednern nicht nachhaltig
durchzudringen, fo zogen nun die erbebenden Vorträge der Brüder
Klinkowſtroöm, Jariſch's u. A. die höheren Stände, wie die Menge
an; während der Yaftenzeit, beſonders aber an den Neujahrsabenden,
fühlten fi die Kirchen mit Andächtigen und man konnte ſich da
von der Kraft des mit wahrhaft apoſtoliſchem Eifer verlündeten
Wortes Gottes überzeugen!
Eines Morgend — den 18. Februar — begab ih mid
zur gewohnten Stunde in daß Mlinifterium, wo ich zu meinem
Entſetzen erfuhr, daß ein Mordverfuc auf den Kaifer ftattgefunben
hatte. Wie ein eleftriiher Schlag erfchütterte diefe Nachricht Die
ganze Stadt und murde durch den Telegraphen allfobald nad
allen Richtungen verbreitet,
Der Kaifer hatte in Begleitung feines Adiutanten Grafen
M. Odonnel kaum feinen täglichen Spaziergang gegen halb ein Uhr
um die Baſtey angetreten, als fi) ihm rückwärts ein junger unan-
fehnficher Menſch näherte und mit voller Kraft einen Dolch in
das Genick ſtieß. Glücklicher Weile prallte das Mordinftrument
an einem Wirbelknochen ab und der Thäter, welcher zu einem
zweiten Stoß ausholen wollte, wurde von Odonnel ergriffen, wit
dem er rang. Ein harmloſer Spaziergänger, der Bürger Etten⸗
reich eilte herbei und mit feiner wie der nahen Wade Hulfe
wurde ber tobende Mörder eingeführt. Der Kaifer, leicht ver-
198
wundet, mehr aber durch die SHeftigfeit des Dolchſtoßes erſchüttert,
behielt die volle Befinnung und erholte fi einige Augenblicke
in dem nahe gelegenen Palais des Erzherzog Albrecht, von wo
aus er feine Eltern beruhigen ließ, auch den erften ärztlichen
Beiftand erhielt. Tedeum und Beleuchtung feierten noch an
demfelben Abende die glückliche Abwendung der Gefahr, melde
um fo größer, als es ſich herausſtellte, wie wohl berechnet die
Stelle des Halfes, war, auf die das Attentat gerichtet worden.
Der Kaifer, obgleich ſehr angegriffen, an Schwindel und Augen-
ſchwäche leidend, genad bald und es wiederholten ſich wie ber
27 Jahren bei feinem Taiferlihen Großvater alle jene Beweiſe
rübrender Theilnahme und Anbänglichleit, glei ehrenvoll und er:
freulih für die Yürften, wie ihre Völker, deren beider Glück und
Geſchick innig mit einander verbunden find. Auch jet eilten
wieder Deputationen aus allen Kronländern herbei, Gedichte, Er-
gebenheit3-Adrefjen füllten die Tagesblätter, un die Wette legten
Leute aus allen Ständen milde Gaben auf den Altar des Vater⸗
landes wie der Wohlthätigkeit nieder, mancher frommen Stiftung
ſchloß fich endlich jener Bau der Votivklirche an, welche ihre Ent:
ftehung dem brüderlihen Sinne eines ritterlihen Prinzen verdankt.
Biele Höfe, vor allen die deutichen, ſchickten Abgefandte, um
dem Raifer ihren Antbeil zu bezeigen; von Baden wurde dazu
der Dberft von Seutter beordert.
Kaum hatte man fi von jener erfchütternden Kunde erholt,
al? man auch nach den näheren Umftinden und Beweggründen
de3 unerwarteten Meordverfuches forſchte. Der Kaifer war im
Sommer zuvor monatelang ohne militärifche Begleitung in allen
Teilen Ungarns und Italiens umhergereiſt, und nirgends hatte
fi eine Spur von geheimen Verſchwörungen oder verbrecheriichen,
gegen feine Perfon gerichteten Anfchlägen gezeigt. Nun fiel ihn,
nicht Hundert Schritte von der Hofburg entfernt, am hellen Mit-
tage ein Unbekannter meucdelmörderiiy an, und Graf Obonnel
200
fagte mir, daß er fih auf den Kaifer wie eine Hyäne auf die
Beute mit wilden, grinfendem Geſchrei geworien babe. Der
Mörder nannte fi) Janos (Johann) Libeney aus Stuhlweißenburg,
ein 21jähriger Schneidergejelle. Politifcher Fanatismus, Verführung
und, wie es fcheint, ein verftodtes Gemüth brachten ihn zu der
verruchten That, an der fi, wie er hartnädig bebauptele, Feine
Mitſchuldigen betheiligt hatten. Der Unglüdliche wurde zum Strange
verurtheilt, und als er, von einem Prieſter geleitet, zum Richtplatz
fuhr, erregte fein unvortheilhaftes, durch das ſchwarze verworren
berabhängende Saar noch abjchrediendere Aeußere mehr Mitleid al
Abſcheu.
Der ehrliche Ettenreich aber war nun plötzlich durch Zufall
ein berühmter Mann geworden, in den Adelsſtand erhoben, mit
Ehren, Geſchenken und Orden überhäuft, und das Gefühl, ſo
unverhofft aus feiner Dunkelheit gezogen zu fein, ſchien eher
beengend als erfreulich auf ihn einzumirken.
Mitte März farben beinahe zu gleicher Zeit zwei Männer,
nach verichiedenen Richtungen bekannt und einflußreihd — der
Erzbiſchof Dr. Ed. Milde und der Feldzeugmeifter v. Haynan.
Während fi in der alten Domkirche zu St. Stephan die
Geiſtlichkeit zur -Beitattung ihres Oberhirten im feierlichen Zuge
verfammelte, gab die Generalität, unter großem militäriichem Ge⸗
pränge und Geſchützesſalven, dem alten Helden das Ichte Geleite.
Haynau war mit feinem langen, auffallenden grauen Schnurrbarte
eine echte Soldatennatur; ohne höhere wiſſenſchaftliche Bildung,
tapfer, jelbft tolfühn im Angriffe Bing er wie fein Ruhm immer
nur vom zufälligen Erfolge ab; eigenfinnig und rückſichtslos war
er auch unverträglich in Friedenzzeiten und feine nicht zu läugnen⸗
den Berdienfte fanden fich mit einer feltenen Selbſtüberſchätzung
gepaart. Ich begleitete ihn noch eine Sonntags von einem Abend
bei Buol his zur Treppe; mitten in derfelben Nacht ereilte ihn
der Tod.
201
Der Frühling in Wien war durch viele Hohe Gäfte ausge:
zeichnet — drei Könige, denen ſich jpäter die Königin Amalie
von Griechenland und der Vladika von Montenegro, Fürſt Danielo
anreihten. Der letztere war der verwickelten politifchen Verhältnifſe
feine8 Gebirgsländchens wegen nah Wien gelommen, gut aufge:
nommen und mit einem Orden außgezeichnet worden. Es war
ein Meiner, aber fchöner junger Mann, defien äußere Vorzüge die
malerifche Tracht feines Stammes noch mehr hervortreten ließ.
Er unterlag befanntli einige Jahre fpäter einem tragifchen
Geſchicke.
Der König Leopold der Belgier war mit dem Herzog
von Brabant in Wien angekommen und in dem von ſeinem
Geſandten bewohnten koburgiſchen Palais abgeſtiegen. Die ein⸗
nehmende Perfönlichkeit, das freundlich wohlwollende Weſen dieſes
Monarchen fanden auch hier die günſtigſte Aufnahme und das
lebhafte Intereſſe, welches ſich mit feiner Anweſenheit verknüpfte,
wurde noch durch den Umſtand erhöht, daß ſich der belgiſche
Thronerbe mit der Erzherzogin Marie Dorothe, der zweiten Tochter
des Palatins, verlobte. Einige Hoffefte, unter denen der allerliehfte
Roſenball in den kaiſerlichen Treibhäufern, verherrlichten den Fönig-
lihen Aufenthalt.
Einige Tage fpäter traf der König von Preußen zum
Gegenbeſuche in Wien ein. Dem hohen Gaft zu Ehren fand
in der E. k. Reitſchule wieder eines jener glänzenden Karoufſſels
flatt, wie man fie zur Zeit des Kongreſſes bewundert hatte. Herren
des Adels und Dfficiere bildeten das aus Rittern und Sarazenen
zufammengefeßte Turnier.
Endlich machte König Mar von Bayern mit zahlreichen
Gefolge eine vorübergehende Erfcheinung in Wien, flieg in der
Burg ab, und empfing, mie auch die beiden anderen Könige, das
diplomatifhe Korps. Er mohnte einer theatralifchen Vorftellung
in Schönbrunn bei. Baraden, Audienzen, Vorftellungen, Ordens:
202
vertheilungen waren wie gewöhnlich auch bier die unvermeidlich
Begleitung diefer fürftlihen Beſuche.
An „der zweiten Hälfte des Septemberd begab ſich ſodann
Kaifer Franz Joſeph in das Lager. von Olmiltz, wo er mit dem
Kaiſer Nikolaus zufammentraf, der vier Tage blieb, und bei dem
der junge Raifer den Beſuch dann am 2. Dftober in Warfchau
ermwiderte; two ſich auch der König von Preußen eingefunden. Der
Czar hielt fih auf der Rückreiſe mit dem Thronfolger noch Turze
Zeit in Potsdam auf, und kehrte fodann nach Peteröburg zurüd.
Es waren dieß die lebten Begegnungen, die legten vertraulichen
Beiprechungen ter beiden Kaiſer. Daß die orientalifche Frage der
ausſchließliche Gegenſtand derſelben geweien, läßt fich micht be=
zweifeln; daß fie Leider zu Teinem günftigen Refultate führten,
zeigte die Yolge. Es ift dieß im Intereſſe der Menſchheit zu be⸗
Hagen; ungerecht wäre es aber jedenfall3, Defterreih allein die
ganze Laſt der Berantwortlichleit dafür aufzubürden, denn nur in
den vereinten Kräften der drei öftlihen Großmächte lag es, der
Belt den Frieden zu erhalten. War Rußlands ſtolzer Wille
vieleicht allzu unbeugfam, oder glaubte es ernftlich nicht an den
Ausbruch eines Krieges, fo war ed wieder an Preußen, weniger
als Defterreih bei ter Verwirrung im Oriente betbeiligt, das
ganze Gewicht feines politifhen Einfluffes, dem weiteren Umfich-
greifen der drohenden Kriegsflamme entgegenzuftellen. Daß der
von den Seemächten, unter dem Vorwande, die Türkei zu fchüben,
unternommene Kampf fein völferredhtlih begründeter, dag es nur
Darauf abgefeher war, das ruifiihe Reich zu jchwächen, darin
fonnte fi Fein unbefangener Staatömann täufhen. Gelang es
dem Wiener Kabinet nicht, den Kaifer Nikolaus zu größerer Nach⸗
giebigkeit zu bewegen, und dadurch den hochgefpannten Anforderungen
der franzöfifch:englifchen Allianz die Spike zu bredden, jo mar
freilich auf längere Zeit die Ausficht auf die Erhaltung der Ruhe
in Europa verloren.
208
Ale, was nun in den drei folgenden Jahren gefhah, --
betrübend im Ganzen, aber bödft merkwürdig für den aufmert-
famen Beobachter — ift einem großartigen, politiichen Schach⸗
[piele zu vergleichen, bei dem man die einzelnen Züge der Gegner
genau verfolgen konnte.
Bei der erdrüdenden Maffe des zu Erzählenden entſchlüpfen
die Einzelheiten, aber faßt man auch das ganze Drama nur in
den hervorragenden Zügen auf, fo entſteht doch immer nur ein
verworrenes Bild, fo ſchwer findet man fich zurecht in der Menge
von Konferenzprotocollen, Miffionen, Roten, Manifeften, Broteften,
Gefechten, Berluften und Vorgängen zu Land wie zur See. Die
Nachwelt wird ed kaum glaublic finden, daß fo viel geſprochen,
geichrieben, verhandelt wurde, ohne erheblichered Nefultat, und
Berblendung, Leidenfchaftlichkeit wie Mangel an Umſicht und
Energie einen ebenfo unnliten als blutigen und gräuelvollen Krieg
herbeiführen Tonnten.
Ich werde die Epifoden derfelben mährend jedem diefer drei
Jahre Furz beleuchten, denn wir befanden uns ja gerade zu Wien
in dem Brennpunkte der Verhandlungen; dahin waren die meiſten
außerordentlihen Sendungen mit den Bermittlungsvorfchlägen aller
Art gerichtet, bier fand die Konferenz der Bevollmächtigten der
vier Großmächte flatt, um von Rußland Zugeftändniffe zu ers
langen; auf Wien ſetzte man die lebten Hoffnungen, daß dem
naben unbeilvollen Bruche noch vorgebeugt werden könne. Es
war demnad, eine Zeit fortwährender Aufregung, eined ununter:
brochenen Spieles der Telegraphen, ein Schwanfen zwifchen Friedens⸗
ausfichten, und den Befürchtungen vor einem unabfehbar langen,
vieleicht einem Weltkriege.
Des Jahres 1853 erfte Hälfte zog fih in Unterhandlungen
bin; während derfelben drängte Rußland die Pforte zu Sonceffionen,
und ihrem Widerftande folgte das UWeberfchreiten bes Pruth durch
bie ruffiichen Truppen, die Beiehung der Wallachei. Ein Rund
204
ihreiben an die Kabinette erflärte dieß Vorgehen. Jenem Schritte
gegenüber waren Frankreich und England in der Mißbilligung
deffelben einig, während der Sultan ihn mit einer Aufforderung
zur Vertheidigung des Reichs erwiderte. Mittlerweile trat am
24. Juli die Gefandten: Konferenz in Wien zufammen, und lud
am 31. die beiden Triegführenden Theile ein, fi unter Annahme
gewiſſer Bedingungen zu verföhnen. Sie nahm diefe Borfchläge
nicht unummwunden an, und die Beiprechungen zogen fich in Die
Länge, bis endlich die Pforte, von allen Seiten zu einem Ent:
ſchluſſe gedrängt, den unglüdfeligften mählte, und am 4. Oktober
Rußland dem Krieg erllärte. In Folge derfelben, und bei der
Weigerung Gortſchakoff's die DonaufürftenthHümer zu räumen, liefen
die vereinigten Ylotten der Seemächte durch die Dardanellen in
den Bosphorus ein (2. November). Rußland nahm in einem
Manifefte vom 1. November den Fehdehandſchuh auf, und ſofort
folgten fi) in beinahe ununterbrochener Reihe die Gefechte zwifchen
den ruffifchen und türkifchen Truppen an der unteren Donau; ber
Krieg war für den Augenblid „lokaliſirt,“ und, wie dieß immer
geichieht, hatten je nach dem oft wechfelnden Erfolge die Ereigniffe
bemmenden Einfluß auf die immer in Wien andauernden Ber:
mittlungsverſuche; es erging am 5. Dezember eine neue Collectivnote,
die begonnenen Feindſeligkeiten mißbilligend, und das Wiener Kabinet
rubte auf feiner Seite nicht, die Pforte zum Frieden zu ermahnen,
nahm jelbft eine ftrengneutrale Stellung ein, und erflärte im Ein-
verftändniffe mit Preußen bei dem Bundeötage (10. November),
daß ed nur in der Abficht fih in die Verhandlungen milde, um
die geftörte Ruhe wieder herzuftellen, das Blutvergießen zu ver:
hindern. In gleihem Sinne wirkte, gemeinichaftlih mit den
anderen Gefandten der Internuntius, v. Brud in Konftantinopel.
Doh zu bald nur zeigten fi Zerwürfnifie mit der ruffiichen
Flotte im fchmarzen Meere, und immer erbitterter wurde vie
Stimmung; Noten folgten auf Noten, während die Namen der
205
Orte des Kriegsſchauplatzes: Siliftria, Galatz, Giurgewo, Ruftfchuf,
Oltenizza, Ismail, Braila, Kalafat und fo viele andere, die uns
vom Jahre 1828 ber fo geläufig waren, nun unſerem Gedächtnifſe
wieder aufgefriſcht wurden.
Die Türkei ſelbſt litt mehr unter ihrer eigenen Schwäche
und der aufgedrungenen Hülfe ihrer angeblich guten Treunde, als
von dem Drude ihrer Gegner; immer gab man fid aber nod
der Ausfiht einer glüdlihen Ausgleihung bin, und während
Rußland die Fürſtenthümer als Pfand befeßte, beberrichten die
Seemächte unter gleihem Vorwande daB fchwarze Meer. So
ftanden die Dinge ded Jahres 1858, melden ein franzöfifches
Witzblatt folgendes Teſtament machen ließ: „je l&gue mon äme
& Dieu, la question d’Orient à 1854 et les tables tournantes
et parlantes au diable!“
Am Sommer deffelben Jahres brachte ich eine zweimonatliche
Urlaubszeit im Baterlande zu, wartete der großberzoglichen Familie
in Karlsruhe und Badenweiler auf und nahm einen längeren
Aufenthalt in Baden, wo es mir wiederholt an den intereffanteften
Beziehungen nicht fehlte. Die beiden verwittweten Großherzoginnen
Sophie und Stephanie von Baden, Prinz und Brinzeffin von
Preußen, die Prinzen Emil und Alerander von Heffen, der Herzog
Mar in Bayern, ſowie die vortreffliche Familie von Hohenzollern
belebten nebft einer großen Anzahl von ausgezeichneten Fremden die
höheren Zirkel. Die Fürften Pückler und Radziwill, Brodbaufen, Lord
Loftus, Marscalchi, Savigny, Blitterädorf, Gortſchakoff und andere
Diplomaten fchloffen fi) den Kleinen Hofhaltungen an, in denen
die liebliche 17jährige Prinzeffin Stephanie von Sigmaringen
bervorragte. Sie, früher von Louis Napoleon begehrt, follte nad
furzer, glüdlicher Ehe ald Königin im fernen Portugal fleıben!
806
Zwei Nachrichten, die eine freudig, die andere erichiättermd,
beide unerwartet, fehten die fürftlihe Gefellichaft in Bewegung!
Eine Tages erhielt der Herzog Mar ein Telegramm, welche
ihm die zu Iſchl erfolgte Verlobung feiner Tochter Elifabeth mit
dem Kaiſer Franz Joſeph anzeigte.
An einem der letzten Tage des Anguſt erhielt ich auch durch
den Telegraphen die betrübende Kunde von dem plötzlichen Hin:
ſcheiden der Prinzeffin Amalie von Schweden in ihrem 48. Jahre.
Sie war noch gegen 11 Uhr Abends in einer fteruhellen Nacht
auf ihren Ballon in Hading getreten und unterlag eine balbe
Stunde nachber einem Herzleiden. Mir wurde die peinlihe Auf-
gabe der Großherzogin Sophie im Badnerfchloffe diefe Trauerpoft
mitzutbeilen und auf deren Wunſch, den gerade in einer Schweizer:
reife begriffenen Prinzen Guſtav Wafa auf diefen überrafchenden
Schlag vorzubereiten. Ich traf den Prinzen in Bafel, von wo
er fogleih über Baden nad Wien zurüdreifte.
Ein tiefgefühlter Nachruf ſprach fih in folgenden Worten
über jenen Todesfall aus:
„Wir können es unferem Herzen nicht verfagen, an der Bahre
der hohen Verftorbenen auf eine Perfünlichkeit hinzuweiſen, die
nicht von und wegſcheiden darf, ohne daß die Blicke der Zeit
genoffen auf diefen wahrhaft fürftlichen Charakter geleitet werben,
damit der, dem einit der Beruf anbeim fällt, bie @elchichte ber
ſchwediſchen Revolution wie der entthronten Koͤnigsfamilie zw
fchreiben, nicht zu zeigen vergeffe, welch' edle Zweige aus diefem
Stamme bis zu feinem Erlöfchen entfproffen find. Kaum irgend
ein Glied diefer Familie war von dem über fie eingebrochenen
Unglüde tiefer ergriffen, als Prinzeffin Amalie Nicht einen
Augenblick ift die große Tragödie ihres Hauſes ihren Geifte ent-
ſchwunden; ein edler Schmerz warf feine Schatten über ihr Leben,
von der Wiege bis zum Grabe! Aber diefe Erinnerungen wurden
- mit fo heroiſcher Refignation gehegt und gepflegt, wurden von fo
207
würdevoller entichloflener Ruhe getragen, daß ebenfo menig Partei:
haß als banales Mitleid fih an die edle Fürſtin zu drängen
wagte. Fremden erjchien ihr Weſen ftreng, mitunter wohl ab-
ftoßend, mer ihr aber einmal perjönlich genaht, einmal den Klang
ihrer Stimme gehört, einen Blick geworfen hatte in die tiefe Bläue
des feelenvollen Auges, das diefe bleichen, leidenden Züge belebte —
der konnte fid) des Eindruds nicht erwehren: er ſtehe vor einer
nah allen Richtungen des Geifte® und Gemüths reih ausge
ftatteten Frau. Eine äußerſt forgfältige Erziehung, noch mehr
eine nie ruhende Selbftbildung, ausgewählte Lectüre, Muſik füllten
faft ihre ganze Zeit, und machten ihre Geſpräche anregend und
inhaltreih. Nur wenigen Perfonen mögen fich alle edlen Schäge
ihres Herzen? erichloffen haben. Wer weiß, welch' Band zärt-
licher Liebe diefe Familie umſchlang, kann den Schmerz der hoben
Geſchwiſter ermefien; aber auch bei den nahe verwandten Höfen
von Baden, Oefterreih, Preußen und Sachen ließ diefer frühe
Tod eine empfindliche Lücke zurück. Die Prinzeffin Amalie fhlummert
nun in der Gruft zu Oldenburg neben Guſtav IV., dem letzten
Könige aud dem Gottorp'ſchen Blute, neben der Schwefter Cäcilie,
der tugendreichen Großherzogin, hingeſchieden in der Vollblüthe
ihrer Reize und Jahre. Sind aud die Pforten über dem Ge
wölbe geichleflen, das ihre ſterbliche Hülle umgibt, fo ſchwebt
doch ihr Beift Über den Häuptern derer, die fie liebte und die fie
geliebt haben.”
Während meiner Abweſenheit waren die ungariſchen Reiche
kleinodien wieder aufgefunden worden. Kofluth ließ fie in der
Revolutionszeit an irgend einem entlegenen Winkel unter einem
Baume vergraben. Der Ort wurde verrathen und die Krone
ded heiligen Stephan mit großen Feierlichkeiten nach Wien geführt;
dort außgeftellt und dann durch den Erzherzog Albrecht zur immer
mwährenden Aufbewahrung nach Ofen überbradit.
208
Nachdem die Trauung ded Kronprinzen Albert von Sachen
im Juni vollgogen worden, durchreifte auch eine andere fürftliche
Braut mit glänzendem Gefolge Deutichland, um fi in Brüffel
mit dem belgifchen Thronerben zu verbinden.
Am Spätherbfie erfolgte unerwartet fchnell der Tob der
Königin Donna Maria da Gloria von Portugal und ihr Ge
mahl, König Ferdinand, übernahm die Regentichaft für den nod
minderjährigen Sohn.
In den erften ſechs Monaten des Jahres 1854 ſetzte man
die, meiften® fruchtlofen, Friedensverhandlungen fort und ein leb⸗
hafter Notenaustaufch fand unter den Kabinetten ftatt. Die Wiener
Konferenz faßte am 13. Januar die verfchiebenen Vorfchläge in
einem Protokolle zufammen, welches als Grundlage der weiteren
Berabredungen dienen ſollte. Es drängten fih nun Die diplo⸗
matifchen Schritte. Graf Orloff erfdien in Wien, um einen
letzten Berfuch zu machen, den Wiener Hof zu einer abjoluten
Meutralität während des voraußfichtlih nahen Kriege mit den
Seemächten zu beſtimmen. Jene Million hatte feinen Erfolg
und Orloff reifte nah einigen Tagen unzufrieden ab. Somit
war der Anfang zu jener Kälte gemacht, welche ſich fpäter zwiſchen
beiden Kabinetten bis zur Erbitterung ſteigerte. Man fing ſchon
an über den „Undank“ Oeſterreichs zu nıurren, vergaß aber, daß
die Politik nicht von Gefühlen, nur von Intereſſen geleitet wird,
und Rußland im Jahr 1849 den Brand im Nachbarhauſe wohl
auch theils deßhalb mitlöfchen half, damit er das eigene nicht
verzehre. Sind die dem Fürften F. Schwarzenberg ſchon 1850
in den Mund gelegten Worte: „die Welt werde über die Größe
unſeres Undankes, Nußland gegenüber, ſtaunen!“ wahr, jo drüdte
ed, freilich in einer allzu fchroffen Form, die Abfiht aus, Die
Allianzen je nad Umftänden frei zu mählen. Damald nun konnte
man Oefterreich vernünftiger Weife nicht zumuthen, fidh fo unbe
dingt bezüglich der nicht abzufehenden Verwicklungen im Orient
209
die Hände zu Binden; freilih wurde es fpäter wider Millen mehr
in den wirbelnden Kreis berfelben gezogen. — Der Sendung
Orloff's folgte jene des Oberften v. Manteuffel aus Berlin.
Immer mehr verbüfterte fi der Horizont. Eigenhändige
Briefe, welche die drei Kaifer mit einander wechfelten, führten zu
feinem näheren Berftändniß, und die Thronreten in London und
Paris erflärten, zwar mit dem Ausdrude des Bedauern, doch
offen und beſtimmt, daß bei der Hartnädigfeit Rußlands Feine
Ausgleihung möglih je. Unter diefen Umſtänden fand es
Defterreih gerathen, ein ſtarkes Armeelorp an den öſtlichen
Grenzen aufzuftellen. Am 21. Februar erließ der Kaifer Nikolaus
jenes berühmte Manifeſt, welches unter Berufung auf 1812 alle
Untertbanen zum „heiligen Krieg” auffordert und ausſpricht, daß
Rußland Feine Eroberungen machen, nur den ortbodoren Glauben
vertheidigen, vor Allem die heiligen Stätten beſchützen wolle.
Diefer Aufruf wirkte zündend auf die griechiiche Bevölkerung der
Türkei, noch mehr aber auf das Rönigreih Griechenland
felbft zurüd, wo fi die Sympathien für Rußland laut aus:
ſprachen und König Otto in nicht geringe Verlegenheit verſetzt
wurde. Auf ihrer Seite machten nun wieder die Seemächte die
revolutionären Elemente zu ihren Verbündeten. Allfobald wurden
auch die gegenfeitigen Gefandten in St. Peteröburg, Paris und
London von ihren Poften abberufen und fomit der diplomatifche
Verkehr abgebrohen. Der Allianzvertrag der Seemächte mit
der Pforte, zur Unterftühung derfelben, wurde am 12. März ab-
geichloffen und unterdeffen die Aufforderung an Rußland wieder:
holt, die Fürſtenthümer bis Ende April zu räumen. nglifche
Truppen fchifften fi) nach dem mittelländifchen Meere, franzöftfche
in größerer Zahl unter St. Arnaud nad) Ronftantinopel ein. Die
englifhe und franzöfifhe Kriegserklärungen an Rußland (Ende
März) ließen num nicht lange auf ſich warten. Im April folgten
fih raſch die Verträge; am 9. unterzeichneten die Bevollmächtigten
Freh. v. Andlaw. Mein Tagchuq. IL 14
or
210
das f. 9. Palmfonntagprotofoll, worin fie fi verpflichteten, die Unab⸗
hängigfeit und Integrität der Türkei aufrecht zu erhalten, aber
auch die Rechte der chriftlichen Unterthanen terfelben zu ſchũtzen.
Den 12. wurde das enge Bündniß zwifchen England und Frant:
reih in der ausgeſprochenen Abſicht abgefchloffen, gemeinichaftlid
alle Streitkräfte aufzubieten, den Uebergriffen Rußlands entgegen,
den europäifchen Frieden auf dauernden Grundlagen wieder berzu-
ſtellen. Endlich den 20. verbanden fih Oelterreih und Preußen
zu einem Schut- und Trubvertrage, indem fie ſich gegenfeitig den
Beſitz ihrer Staaten verbürgten und die Rechte wie Intereſſen
Deutſchlands zu wahren verfpraden. In jedem Diefer Ueberein-
kommen wurde als nächſtes Ziel die Entfernung der Rufen aus
der Wallachei bezeichnet.
Nun kam die Reihe an Griehenland; franzöſiſche Truppen
Iandeten im Piräus, um die Inſurrektion im Keime zu erftiden,
und eine Reihe ziemlich harter Maßregeln beraubten die Regierung
von Athen beinahe jedes felbftftändigen Willens. Als Erwiederung
auf alle diefe Schritte fchleuderte Rußland wiederholt ein Manifeſt
in die Welt, die ganze Verantwortlichleit de Kampfes den See:
mächten zumälzend, mit der abermaligen Verficherung, daß es nicht
für irdifche Vortheile, nur für das Chriſtenthum kämpfe.
Auch in Frankfurt hatten mittlerweile die beiden Großmächte
Eröffnungen über die fchiwebenden Fragen gemacht, und Ende Mai
traten die Mittelftaaten in Bamberg zuſammen; nad längeren
Berathungen ſchloß fi der Bund den Bellimmungen des Ber:
trage am 20. April an.
Die Wiener Konferenz ſetzte ihre Thätigfeit unausgeſetzt fort
und Anfangs Juni erfolgte von Defterreich, unterftügt von Preußen,
wieder eine ernitlihe Mahnung an Rußland, die Donaufürften-
thümer zu räumen; ja das kaiſerliche Kabinet ging noch einen
Schritt weiter, indem e3 in einer Konvention mit der Pforte fich
verpflichtete, jene Provinzen bis zum Frieden durch feine eigenen
211
Truppen zu befeten. Dieß war ein zweiter Grund des weiteren
Zerwürfnifes, und Rußland, wiewohl unmwillig und zögernd, ent-
ſchloß fich, im Intereſſe des befreundeten Dentichlands, wie «3
fagte, feine Truppen über den Pruth zurüdzuziehen. Allſobald
nahmen die Türftenthümer eine Beſatzung von 80,000 Mann
k. k. Truppen auf,
Den 8. Juni hatte der Kaiſer eine Beſprechung mit dem
König von Preußen im Thun'ſchen Schloſſe zu Tetſchen. Seiner:
feitö traf Napoleon mit den Königen von Belgien und Portugal
wie mit dem Prinz, Gemahl Albert zufammen.
Eigenthümlich, mie nie zuvor, war die Stellung, welche zu
diefer Zeit das diplomatifhe Corps in Wien eingenommen.
Die Mehrzahl, befonderd der deutihen Mitglieder deſſelben, neigte
fich der ruffifhen Auffaffung zu und flimmte darin mit den An:
fihten der höheren Geſellſchaft und Generalität überein. Bour⸗
queney und Weftmoreland traten um fo entfchiedener auf, als
es galt, die Schwankungen des äfterreihiihen Kabinetd wie den
überwiegend ruffifchen Einfluß in den politifchen Kreifen zu be
kämpfen. Der franzöfiiche Geſandte war überdieß die Seele der
Konferenz, beredt und Hug in den Verhandlungen, gewandt in
ber Redaktion, und jeinen Bemühungen ift es vorzüglich zuzu⸗
Ihreiben, daß Defterreich vielleicht jene Linie überfchritt, welche es
fid) urfprünglich in feiner Haltung vorgezeichnet hatte. Es war
aber bei Bourqueney nicht allein das Pflichtgefühl, das ihm leitete,
ben ihm zugebenden Weifungen treu nachzukommen und dadurch
vorübergehende Vorteile für feinen Hof zu erzielen; er ſah weiter,
und ed beliebte ihn der Wunſch, eine dauernde Allianz zwiſchen
beiden Kabinetten in ihrem gegenfeitigen, wohlverfiandenen ntereffe
zu gründen; er madte aus diefer Ueberzeugung fein Hehl; es
war zunädft die Aufgabe, welche er ſich in feinem Berufe geftellt,
und er verließ den Dienft alljobald, wie ſich die Politik am der
Seine verändert hatte. Noch vor wenigen Tagen ſprach er dieſe
14*
919
Meinung im Senate aus, fo wie er fie auch zu feiner Richtſchnur
bei dem Kongreffe in Zürich genommen hatte.
Neben dem Keinen beweglichen Franzoſen nahm ſich der ſtille,
hagere Weſtmoreland noch phlegmathiſcher aus; er war ein Britte
von der gemüthlichften Art mit einem mehr kosmopolitiſchen An⸗
ftrihe; ein mwohlmollender Charakter, lebensfroh, großmůthig und
gaſtfrei, beinahe über feine Kräfte. Ohne beſondere Befähigung
für feinen Beruf verband er doc eine gefunde Anſchauungsweiſe
mit Routine, jelbft mit einer gewiſſen Feinheit. Dabei war er
den Grundſätzen der alten Schule treu, ein ächter Gentleman in
Ton, Gefinnungen und Manieren. Umgeben von einer vortreff-
lichen Gattin, einer fchönen einigen Yamilie, den Wellesley's nabe
verwandt, zeigte er ſich Jahre lang in Florenz wie in Berlin und
Wien nit nur al3 der freundlichite Hausherr, er war aud ein
eifriger Beichüßer der ſchönen Künſte. Die Muſik betrieb er als
Dilettant im Großen und verfuchte fi fogar in Meßgefängen wie
in Dpern, in Märfchen und Kantaten, wie im Liede. Lady Weſt⸗
moreland aber ſchmückte die Wände ihres Salon? mit großen
Delgemälden, von ihrer eigenen Hand, Go bildete denn die eng:
liche Botſchaft in dem fchönen koburgiſchen Palais einen Mittel:
punkt für die vornehme Welt, welche mit glänzenden Bällen und
Diners, vor allem mit Concerten, erfreut murbe.
Die peinlichite Rolle war jedoch dem ruffifchen Gefandten
v. Mependorff vorbehalten; er, der fchon vor Jahren eine fo
günftige Stellung in Wien eingenommen, feinen Eifer für die Er:
haltung der öfterreichifch-ruffifchen Allianz bethätigt, er, der ge
heute feine Mann mit dem redlichen Willen und einem durchaus
ehrenwerthen Charakter, ſah fih nun durd eine befondere Fügung
der Dinge feinem eigenen Schwager, dem Grafen Buol gegenüber,
in der Unmöglichkeit, den politiſchen Wünfchen und Anfichten feines
Hofes Geltung zu verfchaffen. Er fühlte, in welch’ falſche Lage
er unverfchuldet gerathen war, und, feine Entlaflung felbft berbei-
213
ſehnend, wurde er dur Fürſt Ar. Gortſchakoff erſetzt. Wir
alle aber konnten Meyendorff nur mit wahrem Bedauern aus
unferer Mitte fcheiden fehen, wo er ſich eine feinem Andenken ſtets
geficherte Achtung erworben. Wiffenfchaftlich gebildet, einfach, ohne.
Prätentionen, ein oft heiterer, immer angenehmer und intereffanter
Geſellſchafter wußte er Hug, ungeachtet einer natürlichen Heftigfeit,
das gehörige Maß zu balten, um fo verdienftlicher, als ihm eine
Fränkliche Reizbarkeit nicht fremd war. Die leidenſchaftliche Hal⸗
tung feine Nachfolgers ließ Meyendorff's Vorzüge nur in einem
um fo günftigeren Lichte erfcheinen.
Es enthielt das diplomatifche Korps daher fo viele Schat-
tirungen, als die Gefandten eben den Snftruftionen ihrer Höfe,
oder individuellen Eindrücken folgten. Am beiten befanden ſich
jene dabei, die, -wie ich, unbefangen der Gang der Kreigniffe
beobadıten konnten und jede Wendung freudig begrüßten, melde
einem unferer Anfiht nach unbeilvollen und unnötbigen Kriege
je eber je lieber ein Ende machen würde.
Ach breche hier diefe Chronik ab, um fie fpäter wieder aufzu⸗
nehmen, wenn ich die mit den Teindfeligkeiten nicht unmittelbar
im Zufammenbange ftehenden Tagesbegebenheiten der Reihe nad)
befprodhen haben merde.
Neben den diplomatifchen Verhandlungen liefen die gewöhn⸗
lichen Faſchingsfreuden her und viele auögezeichnete Fremde waren
in Wien erfchienen. Der Herzog von Cambridge eilte zur Armee
nah Konftantinopel, Tehrte aber noch in demfelben Jahre mieder
zurüd, ein freundlicher, fehöner Mann, dem man mit Auszeichnung.
begegnete. Auch ein anderer Prinz, Jerome Napoleon, den man
nun „Plon⸗Plon“ zu nennen gewohnt iſt — begab fi, jedoch
nicht Über Wien, auf den Kriegsſchauplatz, zug aber bald eine
friedliche Beichäftigung ala Vorſtand der Weltausſtellungscommiſſion
214
zu Paris dem angreifenden Waffenlärm in ber Krim vor, umd
verließ plöglich „nervenſchwach“ die Armee.
Die ganze fürftlih Fürſtenbergiſche Familie, der Prinz
Karl von Baden, Fürft von Leiningen, die Herzogin D. von
Sagan und andere hohe Gäfte waren zu längerem Beſuche einge
troffen, während der Kaifer felbft einige Zeit bei feiner erlaudhten
Braut in Münden verweilte. — Der Bermählung der Erz:
berzogin Wittwe Elifabeth mit ihrem Better Karl Ferdinaud
folgte num bald die feierlihe Trauung des Kaiſers ſelbſt.
Gegen das übliche Herkommen hatte keine Einſegnung der
Ehe durch Procuration ſtattgefunden. Die kaiſerliche Braut kam
in Begleitung ihrer durchlauchtetſten Eltern in Linz an, wo fie
der Kaiſer einen Augenblick begrüßte und dann ihr vorauseilend
fie wieder in Nußdorf mit einer herzlichen Umarmung empfing.
Hler hatte das reich geſchmückte Dampfboot „Franz Joſeph“ wit
der lieblichen Prinzeffin gelandet und jubelnd von einer unabfeh-
baren Menge begrüßt, wurde fie von der kaiſerlichen Familie nad,
Schönbrunn geleitet, wo das Brautpaar ımter nicht enden wollen:
den Freudenbezeugungen auf dem Balkon erſchien und halb Wien
in lebhafter Erregung zu Fuß oder in fich eng aneinander reihenden
Wagen dem Faiferlichen Schlofje zuftrömte.
Des anderen Tage® — den 23. April gegen 4 Uhr —
fand vom Therefianum aus der Einzug der hohen Braut mit
einem Feſtgepränge ftatt, wie ed Wien wohl felten reicher und
glängender gefehen. Ehrenpforten, Fahnen, Teppihe, Blumenge⸗
winde, Inſchriften und finnreiche Verzierungen aller Art, allbe⸗
Tannt, wurden bier auch wieder gejehen; fie fielen zufammen mit
dem ununterbrochenen Bewillkommungsgeſchrei der fih auf dem
ganzen Wege berzudrängenden Bevölkerung. Was aber dem bunten
Bilde einen eigenen Reiz, eine beinahe romantische Färbung gab,
war der Aufzug des Adels und der Offiziere zu Wagen und zu
Pferd; den malerifhen Trachten der Magnaten, den wechlelnden
215
Uniformen aller Waffengattungen der 60 berittenen Gavaliere
Ihloffen fi die prachtvollen Equipagen von gegen 20 Fürften
und Grafen an, unter deuen ſich jene der Fürften Efterhazp und
Batthiany durch geihmad- und werthvollen Glanz auszeichneten.
Auch die Pferde einiger ungarifchen Grafen maren wie mit Neben
von Dulaten oder von Gold jtroßenden Schabraden bedeckt. Nun
faın die lange Reihe der zwei- bis fechsfpännigen Hofequipagen,
endlich der Galla-Glaswagen, in dem die bräutlich geſchmückte
Prinzeffin Eliſabeth — die Herzogin Mutter Louife ihr gegen:
über — ſaß. So ging & unter fortwährendem Jubel bis zur
Hofburg, wo die kaiſerliche Yamilie die hohe Braut empfing, und
bald darauf die Trauung in der Auguitinerfirde von dem Erz-
bifchofe Raufcher vollzogen wurde. Ungemein feierlich war der
Anblid diefer geweihten Stätte, die bald von frommen Gefängen
und Orgelllang ertönte, welden wieder lautloſe Stille folgte.
Aller Augen waren auf das junge Kaiferpaar gerichtet, welche
durch den Segen der Kirche zu einer Ehe verbunden werden follten,
die nad) den Erfahrungen der Geſchichte ebenjo viele großartige
beglüdende Momente als fchmerzliche Prüfungen erwarten würden!
Eine zahlreiche, glänzende Verſammlung Hatte fih eingefunden;
viele Bifdyöfe ter Monarchie, eine Menge von Generalen, Vater
Radetztiyh an der Spike, waren Zeugen der erbabenen eier. Auch
wich hatte fie in ihrer einfachen Würde tief ergriffen — in dem:
jelben Monate, gerade vor 44 Jahren, wohnte ich dem Einzuge
einer anderen Taiferlihen Braut — der Erzherzogin Marie Louife
in Paris beit — Noch an jenem Abende fand in dem Ritterfaale
eine mehrftündige Borftellungscour ftatt. In den folgenden Tagen
wurben denn, wie gemöhnlih, Hof-, Stadt: und Vollsfeſte abge
halten. Die Straßenbeleudhtung wie jene im Prater mit öffent:
lichen Beluftigungen waren vom Wetter nicht begünftigt. Ein
Hofball zeichnete fih vor anderen durch den reihen Schmud und
die eleganten Toiletten der Damen wie die bunte Pracht der Uni:
216
formen aus. Für die Galla-Vorftellung im Opernhaufe hatte man
nicht ganz glüdlich die Oper gewählt, welche Roſſini einft für die
Krönung Karls X. componirte. Die durch die Umftände gebotenen
Aenderungen Tießen kalt und die im lebten Alt nad Iſchl verſeßten
Scenen mit den aus italienifhen Kehlen ertönenden Huldigungs⸗
firopben nahmen fih etwas feltfam aus.
Nah den alljährlichen, jetzt doppelt lebhaften Maifreuden
machte der junge Taiferliche Hof eine Reife nach Prag, wo ihn
abermalige Empfangsfeierlichfeiten erwarteten.
Unter den fürftlihen Beſuchen erregte einige Donate fpäter
der junge König von Portugal Don Pedro V. mehr ald ge
wöhnliches Auffehen. Er empfing das diplomatifche Corps mit
gracidfen Anftande und drüdte fi ſehr geläufig im Deutichen
and. 20 Jahre früher hatte ich in diefen Räumen dem Prinzen
Verdinand vor feiner Abreife nach Liffabon aufgewartet, und
gerade, mie fein Sohn jetzt, blond, mager, raſch aufgeichoflen,
war er mir damals erfchienen. Im Gegenfaße zu dem beinahe
ſchmächtigen Ausfehen des jungen Monarchen war der ibn be
gleitende Bruder, der 16jährige Herzog von Oporto, — heute
König Ludwig I. — fehr Hein und did für fein Alter, und ein
durch Schüchternheit unterdrüdtes lebhaftes Weſen ließ ihm ſehr
gut an. Beide Prinzen bewohnten ald Verwandte die Hofburg
und waren von Bareira, Terceira und anderen Herren ihres Landes
begleitet.
Schon den 20. November 1853 war in der Kapelle der
Metternich'ſchen Billa die Vermählung der einzigen Tochter dritter
Ehe des Fürften, Melanie, mit dem Grafen Joſeph Zichy durch
den Kardinal Viale vollzogen worden; auch bei dieſer war ich
Zeuge. Es gereichte der Fürſtin Mutter zum freudigen Xrofte,
ihre Tochter verforgt zu wiſſen, denn feit ihrer Rückkehr von dem
Auslande war ihre früher fchon erichütterte Geſundheit noch viel
mn 5 va .. —
217
leidender geworden. Sie hatte ſich noch immer weniger als der
Fürſt in jene Entfernung von Haufe finden können; in ber letzten
Zeit aber nahm ihre Kränklichkeit fichtbar zu. Dabei war ihr
ganzes innre Weſen wie geläutert; ihre ebleren Eigenfchaften, ihre
unerjchöpfliche Herzensgüte traten immer mehr hervor, und charatter-
Hark, wie fie ftet3 war, mußte fie ihre phyfiſchen Qualen zu be
berrihen, um den Yürften nicht zu beunrubigen, ihrer Umgebung
nicht wehe zu thun, die gewohnte Lebensweiſe nicht zu ftören.
So fand man fie anfdheinend heiter an den Gefprächen des Salons
Theil nehmen, wenn fchon ihre Äußere Erfcheinung bei dem erften
Anblicke ihren troftlofen Zuftand verrieth. Einige Tage vor ihrem
Tode war fie noch am Theetifhe und unterlag dann nach Turzer
Agonie mit der ihr zur zweiten Natur gewordenen frommen Er⸗
gebung ihren Tangen Leiden! Manche Thräne floß an ihrem Sarge
und als die Leiche vor ihrer Abführung nah Böhmen in der
Karlskirche zu Wien eingefegnet wurde, drängten ſich alle Freunde
des Haufes zum lebten Abfchied in die heiligen Räume. Ich be⸗
gleitete den Fürſten von Fürſtenberg dahin, nicht ahnend, daß ich,
noch in demfelben Jahre auch an feinem Grabe ftehen würde!
Kaum war ein Jahr verfloflen, ald auch die Schweiter
des Yürften — die 84jährige Herzogin Pauline von Württemberg —
flarb. Sie war eben zu Hiking in eine Sommermwohnung ges
zogen, als fle eine tödtliche Schwäche befiel und gerade hatten fich
ihre Augen für immer gefchloffen, ald ih am 21. Juni 1855
Nachmittags ihr Krankenzimmer betrat. In der vortreffliden
Frau beweinte ich eine mütterlihe Freundin, die mir in jeder Lage
des Lebens immer gleich wohlwollende Gefinnungen bewieß.
Mit dem Ableben der Fürftin Melanie eröffnete fi eine
Reihe mich mehr oder minder fchmerzlich berührender Todesfälle.
In den letzten Tagen des März wurden wir durch die Kunde
erſchreckt, daß der Herzog von Parma bei hellem Sonnenſchein
mitten in einer Straße feiner Reſidenz von einem unbelannten
218
Mörder erdolcht worden fi. Es hatte diefer feige Meuchelmord,
defien Thäter bisher .nicht entdedt worden, in jenem Augenblid
mehr ald gewöhnliche Bedeutung. Der Herzog war nicht nur
feiner Lebensweife wegen verhaßt, er galt au) in den Augen der
Italianiſſimi ala ein Anhänger Oeſterreichs und dieß mar fein
Hauptverbrechen, das ihn dem frühen Tode weihte. Die Regierungs-
forgen überließ er einem Engländer Ward, der fi von unter:
geordneter Stellung zu einem Lichling des Herzoges, zu feinem
erſten Miniſter emporgeihmungen hatte und zugleich die Stelle
eines Geſandten in Wien bekleidete. Die Herzogin, klug, mit dem
Gange der Dinge unzufrieden, ſuchte ter Leitung der Politik eine
mehr nationale Färbung zu geben und murde demnach bei ben
unerwarteten tragifchen Ende des Herzoges in die peinlichite Lage
verſetzt. Als Regentin und Vormünderin ihrer vier Kinder lenlte
fie nad) ihrem Sinne dad Heine Staatsichiff und wenngleich fich
von öſterreichiſchem Rathe und Einfluffe losſagend, entging fie doch
nicht minder als ihre fürftlichen Nachbaren dem Gcidfale, ihr
Land fpäter verlafien zu müffen. Schon in der Wiege eine vater⸗
loſe Walfe war fie beftimmt auch ihren Gemahl auf die gleiche
entjeßliche Weife, wie ihren Vater, zu verlieren.
Ward, dem die Rückkehr nah Parma nidyt geftattet wurde,
ftarb bald darauf als wehlhabender Privatmann in Wien.
Schmerzlih murde id, von dem gleichwohl längſt vorauszu⸗
fehenden Tode meined Schwagers Auguft von Roggenbad er
griffen. Er hatte ſich al? Jüngling in den Gefechten bei Straßburg
ausgezeichnet, den felten gewordenen badiſchen Militärverdienftorden
erhalten; von da widmete er fi) während einer mehr als 30jährigen
Friedenszeit einem anſpruchsloſen aber nühlichen Berufe, um fich
in und nad) dem Jahre 1849, bei ftet3 zunchmender Kränklichteit,
als Kriegsminifter einer Aufgabe zu unterziehen, die gewiß zu den
ſchmerzlichſten und aufreibendften im Leben gehörte. Nicht nur
mußte er das ftrenge Kriegäreht üben, es wurde ihm aud bie
219
ſchwere Pflicht, Tas durd die Empörung anfgelöfte Armeecorps
wieder berzuftellen und die nicht immer leichten Verhandlungen
mit Preußen zu führen. Mit dem Iohnenden Bewußtſein ge
wiffenhaft erfüllter Pflicht und erfolgreichen Wirkens ftanden feine
törperlichen Kräfte nicht im Einflange; er fiel, ein Opfer über:
großer Anftrengung, den 7. April.
Auf den Wunſch meiner trauernden Schweſter entwarf ich
feine Grabſchrift und faßte in nachftehenden kurzen Zügen feinen
Lebenslauf und Charakter zufammen:
„Treu feinem Yürften; in frübefter Jugend tapfer im Felde,
jpäter von aufopfernder Berufsihätigkeit, ein frommer Krieger,
einfach, beicheiden, rein in Sitten, beglüdender, beglüdter Gatte,
ein ähter Edelmann, ein deutfher Ehrenmann!“
Während meines Sommeraufenthaltes in Baden bei Wien
erhielt ih Im Juli die Nachricht von der pldtzlichen Erkrankung
der Brinzeffin Louiſe Waſa. Sie Hatte, an der Bruftwaffer:
ſucht Tetdend, ihren gewoͤhnlichen Wohnſitz, Schloß Morameb in
Mähren, verlaflen, um in Brünn einige Erholung zu fuchen,
doch kaum hatte fie dort die fogenannte Kartbaufe — eine erz⸗
herzogliche Billa — bezogen, als ihr mit der großen Hike zu:
nehmendes Uebel einen lebensgefährlichen Verlauf nahm und fie
am 19. einem Erftidungsanfalle unterlag. Ich mar auf die erfte
telegrapbifche Depeſche nah Brünn geeilt, fand die Prinzeffin
aber nicht mehr am Leben. In dem Trauerhanfe brachte ich mit
den beiden durchlauchtigſten Schweftern, dem Sronprinzen von
Sachſen und dem Herzog von Hamilton einen ſchmerzvollen Tag
zu, und kehrte acht Tage jpäter wieder dahin zurüd, um der
Beerdigung beizumohnen. Bon der Villa bis zu der über der
Stadt fi erhebenden Domkirche bewegte fi ein langer Trauer:
zug von Militär: und Givilperfonen und nachdem der Biſchof
Graf Schafgotih das Todtenamt gehalten, wurde der Sarg nad)
220
der fürſtlich Sigmaring’ihen Gruft gebracht, wo ihn die hoben
Berwandten erwarteten.
So ftarb eine Fürftin, die ich vor 43 Jahren taufen ſah,
bei deren Vermählung ich Kammerherrndienfte leiftete, und welcher
ih nun, ferne vom Baterlande, dad letzte Geleite geben follte.
Eine andere Trauerkunde, auf eine hochgeehrte Königsfamilie
wie ein ganzes dentjches Land um fo betäubender wirkend, als fie
io höchſt unerwartet Fam, traf and den Toroler Bergen ein. Der
vortrefflihe König Yriedrih Auguft von Sachſen war, von einem
feiner gewöhnlichen naturwiſſenſchaftlichen Ausflügen zurüdtehrend,
in einem Thale mit dem Wagen umgeworfen worden und verjchied
bald nachher befinnungsios in Folge des Sturzes.
Anfangs Juli hatte ich die fürftlih Fürftenberg’fche
Tamilie, von Wien bid Vöslau, auf ihrer Reife nah Iſchl be
gleitet, wo fie den Sommer zubringen wollte. Der Fürft war
da heiter, gefellig wie fonft geweien, hatte die Taiferlichen Gems⸗
jagden mitgemacht, ala plöglich ein anfangs unbedeutend ericheinendes
Unmwohljein bedenfliher wurde und nad tagelangen furchtbaren
Leiden mit dem Tode endete! Auf Befehl des Regenten begab ich
mich nad Iſchl, doch Fam ich leider zu fpät, um den edlen Herm
noch zu treffen. Schon -in Omunden begegnete ich der Yürftin
mit den Prinzeſſinen Töchtern und entledigte mich ded mir ge
wordenen peinlichen Auftrages, In Sch! konnte ich nur mit ben
drei fürftlihen Söhnen im Sterbezimmer des Verklärten beten und
weinen. Aber von herzergreifender Rührung war die Schilderung
der letzten Augenblicke des dahingeſchiedenen Fürften, der, von
tiefem frommen Gefühle wie immer befeelt, in diefen qualvollen
Momenten ein von feinen Söhnen belaufchtes Gebet zu dem
Himmel empor richtete, Leben oder Tod, das Wohl einer geliebten
Familie der Fügung Gottes anheimitellend!
An den Ichten Tagen des Oktobers endlich flarb die Königin
Therefe von Bayern zu Münden an der Cholera. Der Tönig-
231
fihe Hof Hatte den Sommer in Aſchaffenburg zugebradit; man
iprach geheimnißvoll von der Erſcheinung einer „ſchwarzen Frau“
und unter trüben Borahnungen wurde die Rückreiſe nach der Mefidenz
angetreten.
Die Kriegsnoth im Oſten wirkte auh auf Wien zurüd;
mit der allgemeinen Unbehaglichkeit verband fi die Cholera,
welche mit furchtbarerer Heftigkeit als je auftrat. Auch in Münden
batte diefe Krankheit die große Induſtrieausſtellung in der uner-
freulichiten Weife unterbrochen.
Dennoch fehlte e3 in Wien 1854 nicht an fürftlihen und
anderen Gäften. Wiederholt erfchienen die Herzoge von Sachſen⸗
Koburg und Braunfhmweig und aus den Donaufürftentgümern
trafen die durch die Creigniffe vertriebenen Hospodare ein.
Louis Napoleon fchidte feine Bertrauten Bacciochi und Heekern
V’Anthes, Preußen den immer gerne gefehenen Grafen Alvensleben,
endlich Bayern feinen geiftreihen Staatsmann v. d. Pfordten. —
Defterd ſah man aud einen der reichften fpanifchen Sranden, den
Herzog von Dfunna; ein hübfcher, wohlwollender Mann, Teiner
ber ertremen Parteien feine® Landes angehörend, beftändig auf
Treiersfüßen, ohne ſich zu einer Ehe entichliegen zu können. rüber
unabhängig murde er dann von feiner Königin beſtimmt, den
St. Peteröburger: Gefandtichaftspoften anzunehmen, auf dem er,
wie bei der Krönung in Moskau, mit vielem Glanze auftrat.
An politiſchen Ereigniffen war dieß zweite Halbjahr gleich⸗
falls reich; zur Abwechſelung fand auch wieder einmal eine
Revolution in Spanien flatt; doch alle die außerhalb des Kriegs⸗
ſchauplatzes vorgegangenen - Verwidelungen verſchwanden vor den
Nachrichten, welche fich num rafch aus der Oftfee, wie vom ſchwarzen
Meere ber folgten. Mit großem Geräufhe war der englifche
Admiral Eh. Napter, mehr Seebär als Secheld, in jene Gewäſſer
eingefahren, bis Kronſtadt vorgedrungen, aber der Erfolg entſprach
222
fo Sochgefpannten Erwartungen nicht; es war nur von „Bomarjumdb”
die Rede. Run kehrten fig alle Blide nad dem Drieut, wo ber
Marſchall St. Arnaud endlich im September tie Landung in der
Krim bei Eupatoria vollbrachte, die Schlaht an der Alma für
die verbündeten Truppen entfchied, und fpäter die blutige Metzelei
von Inkermann die Zahl der unfruchtbaren Lorbeeren vermehrte.
Man ging im Giegeötaumel fogar fo weit, die Einnahme von
Sehaftopol ale nahe bevorſtehend zu betrachten, und als ein „ZTartar“
im Oktober die jalſche Nachricht von der Lebergabe der Feſtung
nad Konftantinopel bradyte, machte fie die Runde durch gem
Europa; ſelbſt Louis Napoleon, weldher damald gerade Heerichau
in Boulogne hielt, fpielte auf dieß Ereigniß in einer Rate an.
In Wien glaubte beinahe Jedermann daran, und der Telegrapb,
welcher die wichtige Begebenbeit nach allen Gegenden der Windrofe
außfchrie, mußte fie des anderen Tages ebenfo widerrufen. Nur
Bourqueney, dem natürlib am meiften daran liegen mußte, das
Gerücht der Reuigkeit gehörig zu prüfen, ziweifelte, berichtete daher
nit. Man tröftete füh mit dem Wie, daß e3 ein „canard à
la tartare‘‘ geweſen, welden man ben Diplomaten vorgefeit,
und erft Über ein Jahr nachher ſollte diefe „Ente“ eine Wahrheit
werden! Ballen wir aber unbefangen die damalige Lage in’3 Auge,
wäre es nicht erwünichter geweſen, die Eindriuglinge hätten ſchon
zu jener Zeit fi des „Malakoffs“ bemächtigt; wie viel Jammer,
Blut, Elend und Unglüd wäre dadurch nicht eripart worden!
Die Alliirten bezogen nun ein Lager, richteten fich für den
Winter ein, begannen eine regelmäßige Belagerung der Seeiefte,
und opferten die edelften Kräfte einem verhältnißmäßig nicht lohnenden
Zwecke.
Die vorübergehenden Vortheile wurden bald durch Mißge⸗
ſchicke aller Art überwogen. Feuersbrünſte, Seeftürme, beſonders
aber die Cholera, richteten furchtbare Berheerungen an, und größere
Leichenhaufen fanden fi in den Spitälen als auf den Schlacht
[2
223
feldern. St. Arnaud fiel eineß der erften Opfer; ihm folgten
viele ausgezeichnete Offiziere, und der frifche Muth, mit dem der
Feldzug begonnen, wurde nur gar zu bald herabgeſtimmt. Dennoch
behielt die franzöftihe Armee, mehr als die engliihe, Ordnung
und Bertrauen bei; es befeelte ein eigener Geiſt die fränkiſchen
Truppen unter Generalen, die an Tapferkeit und Opfermuth wett-
eiferten. Auch das religidfe Element, m lange aus diefen Lagern
verbannt, machte fich wieder geltend; Priefter zeigten fi in ben
Kranlenzimmern wie auf dem Wahlplake, und mährend fie in
Verbindung mit den über alles Lob erhabenen barmberzigen Schweftern,
Berwundete pflegten, Sterbende tröfteten, waren fie für die Heilung
des Körpers, wie das Wohl der Seele eifrig bedacht. Die Ber:
einigung fo vieler Kräfte, die aufopfernde Ausdauer Aller vers
mochten es nur, die umfäglichen Leiden erträglih zu maden,
welche die belagernden Truppen in diefem entfeßlichen Winter beim:
fuchten. Eiſige Nordoſtwinde durchraften die Halbinſel, Mangel
an ſchutzender Kleidung, erwärmender gefunder Nahrung, verbanden
fi$ da mit al’ dem gewöhnlichen Ungemache des Krieges, und
die Ruffen befanden fich noch in einer vergleichäweife günftigeren Lage.
Während der notbgedrungenen Waffenruhe wurden dann
wieder in Wien Verhandlungen aufgenommen, Verträge abge:
fchloffen. Den 26. November unterzeichneten die Bevollmächtigten
Oeſterreichs und Preußens eine Konvention, und der 2. Dezember
gab dem berüdtigten Alliangvertrage der Seemädte mit Oefterreich
das Leben. Louis Napoleon legte einen befonderen Werth darauf,
daf er gerade an jenem, für beide Kaifer fo wichtigen Jahrestage
unterfchrieben werde. Dielen Berabredungen folgte das Wiener
Konferenz. Protofoll vom 28. Dezember, welches fi mit den
ruſfiſchen Friedensvorſchlägen, und den befannten vier Punkten
beichäftigte. |
Man hat bei allen dDiefen Vorgängen die Haltung des k. k. Ka⸗
binets einer ſcharſen Benrtheilung, unterworfen. War es jedoch,
224
nach der Anficht der Gegner feiner Politif, zu weit gegangen, zu
fehr aus der früher eingenommenen neutralen Stellung herausge⸗
treten, batte es ſich allzuviel von den bald einfchmeichelnden, bald
drohenden Phrafen Frankreich blenden laffen, fo waren doch gewiß
feine Intentionen immer die beiten und uneigennübigften. Alle
feine mit ſchweren Opfern verbundenen Anftrengungen drehten fich
immer nur um den einen lebhaften Wunſch, den Frieden herbeizu⸗
führen; und dabei feine, wie Deutſchlands Sntereffen zu
wahren. Waren die Mittel hierzu vielleicht aud) nicht immer
glüdlich gewählt, fo ift Doch für alle, Defterreich nicht gang feindlich
Gefinnte Mar, dag von dem Augenblide an, als es fich entfchieden
auf die Seite Rußlands geftellt, der Kampf fih von ter Krim
weg in dad Herz der dfterreichifchen Monarchie gezogen hätte.
Ale Minen waren in Italien, in Ungarn, ſchon hierzu gelegt,
und der Krieg hätte, mie drei Jahre fpäter, ſchon damals, im
Bunde mit der Revolution, größere Dimenfionen angenommen.
Dieß zu verbinden blieb des Wiener Kabinetd Ziel wie fein
Berdienft. Denn konnte man von ihm verlangen, daß e3 ben
Blitzableiter für Rußland abgebe, fi, einen alten Alliirten zu
vetten, jelbft opfere? Weldhe Hülfe durfte ed überdies in einem
folden Falle von feinem nordifchen Freunde erwarten, der un:
ſchlüſſigen Haltung Preußens gar nicht zu gedenfen? Sprit man
denn immer nur vom „Undanke“ des kak. Hofes, Rußland gegen:
über, und erinnert nie an die Worte des Kaiſers Nikolaus an
Seymour? Wären doch Lieber die drei öſtlichen Großmächte, ftatt
der gegenfeitigen Vorwürfe, gleich anfangs entfchieden und gemein:
Ihaftlih den Napoleonifchen „Ideen“ entgegengetreten, und bätten
den Verſicherungen jenſeits des Rheins meniger getraut! wohl den
deutichen Staaten, wenn fie jetzt nody, bie traurigen Erfahrungen
benützend, Alltanzen da fuchen, wo es ihr wirklicher Vortheil,
nicht Teidenfchaftliche Anſprüche erheifchen!
In Deutſchland felbft aber Tieß der Krimkrieg die öffentliche
225
Meinung ziemlich gleichgültig; man fühlte wohl inftinftmägig, daß
eine Fehde, in der fi zwei der uns feindfeligiten, auf unfere
Grenzen drüdenden Mächte gegenfeitig ſchwächen, nicht gerade als
eine vaterländifche Calamität anzufehen fe. Doch begegnete man
fi) wieder in dem Wunfche, aus Gründen der Humanität, einem
ebenjo verderblihen als zweckloſen Kriege ein baldige Ziel geſetzt
zu ſehen. Abermals Tautete das Vermächtniß des Jahres 1854
wie jenes des vorhergehenden; 1855 follte die orientalifche Frage
erledigen !
Die Weihnachts- und Neujahrötage verfloffen in gewohnter
Weife, und auch der Karneval (1855) mit feinen Bällen, theatra⸗
liſchen Vorftellungen, zu denen fidh der befunnte „Circus Renz“
geiellte, und andere Järmende Vergnügen raufchten vorüber;
doch die Krankheiten, die zunehmende Theuerung, der Ball jo
vieler Handelshäuſer, fowie die Ungewißheit in der politifchen
Weltlage, drüdten fichtbar die Gemüther, und wirkten auch auf:
den Hof und die höhere Geſellſchaft zurüd. Die Kaiferin tanzte
nicht, und als am 5. März gegen 4 Uhr die Kanonen die Ent-
bindung der hoben Frau verfündigten, zählte man aufmerffam die
Schüffe, melde, da fie mit dem 21ften endeten, der Stadt, wie
der Telegraph dem Reiche anzeigten, daß eine Erzherzogin
geboren worden. Sie erhielt bald darauf bei der feierlichen Taufe
in der Burgfapelle den Namen: „Sophie, ftarb aber leider ſchon
im zweiten “Jahre.
Aus Turin kam und im Jamar eine Trauerpoft nad) der
anderen zu; der König Bictor Emanuel batte in meniger als
ſechs Wochen Mutter, Gattin, Sohn und Bruder verloren! Auch
die Erzberzogin M. Dorothea, Wittwe des Palatins Joſeph, ftarb
im März.
Einen ungleich mächtigeren Nachhall, als alle diefe Todes⸗
fälle, fand aber das nach Kurzem Unmwohlfein erfolgte Ableben
Ih. v. Andlaw. Wein Kagtug. II, 15
4
226
des Kaiſers Nikolaus von Rußland, welches Wien am Morgen
des 3. März erfuhr! Es war in der That in jenem Augenblick
died unerwartete Creigniß von fo unermeßlicher Wichtigfeit, von
fo unberechenbarer Tragweite, daß ſich daran in gleichem Grabe
freudige Erwartungen, wie Befürchtungen der ſchlimmſten Art
Inüpften. Im Allgemeinen gab man fich in deflen Folge Friedens:
“ Hoffnungen Hin, noch verftärkt durch den Umftand, daß fi bald
darauf die Wiener Konferenzen eröffnen follten.
Der Kaiſer war von diefer überrafchenden Kunde tief ergriffen,
feine Beileidöbezeigungen in St. Petersburg von der herzlichſten Art;
und Alerander II. Tieß allfobald dem Fürften Gortſchakoff durch den
Grafen Neſſelrode telegraphiren:
„Dites & l’Empereur Francois Josöphe, que notre auguste
maitre a &t& on ne peut plus touch& des regr&ts vou&s par
ce monarque & la m&moire de son ancien ami qui l’avait
cheri, comme s’il eüt &t& de sa famille. L’ordre par lequel
"a été perpetuse dans l’armde autrichienne la mémoire de
!’Empereur Nicolas, qui a toujours tout appréciée, tout
honor&e cette arm&ee, a rappel&E & notre souverain une
heureuse &poque d’union et attachement r&ciproque, ainsi
que l’acceuil affectueux quil avait trouv& de la part de
!’Empereur d’Autriche.‘ |
Die offizielle Wiener Korrefpondenz widmete dem babin-
gefchiedenen Czaaren folgenden Nachruf:
„Die Trauerbotfhaft, welche wir geftern mittheilten, erfüllt
alle Herzen mit tiefer Wehmuth. Was die Vorfälle der letzten
Zeit an Zwieſpalt gebracht, die Verfchtedenheit der Anfichten über
die Aufgabe der Staaten gegenüber den Sreigniffen im Orient, bie
wiberitrebenden Tendenzen in Bezug auf die meitere Enwwicklung
der dadurch herworgerufenen Situation — dieß Alles tritt heute
in den Hintergrund vor dem obberrfchenden, ſchmerzlichen Gefühle
der Größe des Verlufls, den Eurepa dur den Hintritt eine
227
feiner bochbegabteften Souveräne erlitten. Die nahezu 30jährige
Periode der Regierung dieſes Kaiſers gehört zu den glänzendſten
in der Geſchichte Rußlands, und hat Namen mie Andenken bed
veretvigten Monarchen eng verwebt mit allen wichtigen europätfchen
Kreigniffen während dieſes inhaltsreihen Zeitraumes. Niemand
wird fo befangen fein von den DVerwidlungen der lebten Monate,
daß er die unfterblicden Verdienſte des nunmehr in Gott rubenden
Kaiferd Nikolaus um die Sache der Ordnung, der Gefeblichkeit
und des mit diefen Pfeilern der Staatengefellihaft Europas un-
zertrennlich verbundenen monarchiſchen Prinzips, nicht mit tiefer
Dankbarkeit bewahre und laut anerkenne. Defterreich aber, welchem
geitern, ald am Jahrestage des Todes des höchſtſeligen Kaifers
Franz, der Schmerz um den unvergeßlichen, väterlichen Herricher
jo lebhaft fih erneute, unſer Defterreich fühlt ſich beſonders be
troffen vow der wunderſamen Fügung der göttlihen Vorſehung,
die am gleihen Tage nun auch Rußland eine fo ſchwere Wunde
fchlug, beiden Meichen daſſelbe Datum wehmuthsvoller Erinnerung
auferlegtel ...... . u
Einer anderen Schilderung entnehmen wir folgende Züge:
„.... Nikolaus entwidelte Eigenfchaften und Tugenden, melde
ihn weit über das Alltägliche, und felbft über die Fürften erhoben,
wie man fie gemeinhin findet. Die Natur hatte ihn überdies
mit äußeren VBorzügen der Geftalt ausgerüſtet, weldde auf bie
Maſſen um fo mehr wirken, wenn der damit Begabte ein gewal⸗
tiges Reich beberriht, Die Züge feines Geſichts waren von
einer ganz aufßergewöhnlichen Schönheit, feine Geftalt erhaben
und elegant zugleich, feine Bewegungen heroiſch, doch edel. Willens:
kraft und Feſtigkeit brüdten ſich in feinem ganzen Weſen aus, und
wie Shalfpeare fagt:
„So mifchten fi die Element’ in ihm, daß die Natur
aufſtehen durfte, und der Welt verkünden:
Dieß war ein Mann!!!”
15*
228
Es geftatteten ihm feine mit jeltener Schönheit verbundene
Körperkraft und die Leichtigkeit, womit er ermüdenden. Reifen und
der Ungunft der Jahreszeiten troßte, große, überrafchende Wirkungen
bervorzubringen. Wer erinnert fi) nicht außer anderen ähnlichen
Beweifen von Muth und Geifteögegenwart jener ergreifenden Scene,
wo der Czaar eines Tags allein unter die auf Sffentlihem Platze
wegen Furdt vor der Cholera durch abgeſchmackte Gerüchte auf:
geregte meuterifhe Menge trat, und mit kräftiger Stimme nur
die Worte: Kinder, auf die Kniee! .. rief, und wie allfobald die
bethörte Volksmaſſe reuig und flehend zu feinen Füßen nieder:
fant?! Es gereiht dem Kaiſer Nikolaus überdieß zur Ehre,
fih, troß der nachtheiligen Folgen der Erziehung, Tugenden, die
ihm angeboren waren, erbalten zu haben. Sein Benehmen ala
Sohn wie als Bruder, als Gatte wie ald Vater war nicht nur
ſtets untadelhaft, es Tonnte allen Klaſſen der Gefellihaft zum
Borbilde dienen. Nachfolger eined Fürſten, deſſen überfpannte
Keen und Lebensweiſe unvortheilhaft auf den Hof gewirkt, ſtellte
der Czaar, felbft jeder Verſuchung widerſtehend, mit eigenem Bei-
fpiele vorangehend, Ordnung und Anftand in ſeinen Umgebungen
wieder her u. ſ. w.“
Ohne das ſchöpferiſche Genie Peters des Großen, ohne den
gewaltigen Geiſt und den unternehmenden Ehrgeiz feiner Groß-
mutter, hatte Nikolaus dennody eine, viele andere glänzende, aber
oft verderbliche Gaben überwiegende Eigenſchaft — er war von
dem Gefühle feiner erhabenen Würde, von dem Gewichte feiner
hohen, fchmeren Berufspflihten auf's innigfte durchdrungen. Es
belebte ihn fortwährend nur der eine Gedanke, daß er, Selbft-
herrſcher und oberfter Priefter in einem unermeßlichen Reiche,
gewiflenhaft fi) der Ausübung feines ihm von Gott anvertrauten
heiligen Amtes mit Aufopferung aller Kräfte unterziehen müffe.
Er war, was er fein follte, auch völlig, ohne Nüdhalt, mit der
ganzen Fülle und Macht der Ueberzeugung wie der Glaubens:
229
treue. Diefe edlen, feftftehenden Grundfäge trug er audy auf
fein Familienleben über, wie es nicht ſchöner, inniger, mufterhafter
gedacht werden, Tonntee Die Bemühungen des Kaiſers, jener
hochwichtigen Aufgabe zu genügen, laſſen gar vieled in feinem
Benehmen erflären; feine anfcheinende Strenge, ſelbſt Härte, wo
ed galt, das Nichteramt gerecht zu üben, feine ftolze Kälte, wo
er den Ruſſen gegenüber imponirend auftreten mußte, feine gar
oft auf Effect berechnete Haltung, die fihtbar abgemeflenen Schritte
und Ausdrüde In der gleichen Weife mögen religiöfe, oft an's
Fanatiſche ftreifende Anfichten mande feiner Mafregeln entfchul:
digen, melde, dunklen Flecken gleich, auf feiner Regierung haften.
Selbft die Hartnädigfeit, mit welcher er im lebten Stadium feines
Lebens auftrat, und die ihm manche ſchmerzliche Enttäufchung berei-
tete, entjprang größtentheil3 nur aus der Confequenz, mit der er
die Richtſchnur verfolgte, welche er ſich als Imperator und pon-
tifex maximus gelebt. Ih fahre in der oben abgebrochenen
Charakteriftit fort:
„Aud fein Tod war der eined großen Fürſten. Zerriffenen
Gemüths, voll innerer Vorwürfe, vielleicht Gewiſſensbiſſe, mehr
an Wunden blutend, die feiner Vaterlandsliebe gejchlagen wurden,
als feinen Törperlihen Leiden unterliegend, zeigte er im lebten
Kampfe eine Ruhe, einen Muth, weldhe unmwilllürlih zur Be
wunderung hinriſſen. Die Stürme, die Schmerzen, melde fein
Inneres durchtoben mußten, fie traten nicht hervor. In diejer
entfcheidenden Stunde, weldyer ſchwache, gewöhnliche Seelen er:
Tiegen, hatte er die Kraft, ohne Klage, wie ohne Webermuth die
Rolle feines Lebens fort und zu Ende zu fpielen. Gehüllt in
feinen Soldatenmantel, ausgeſtreckt auf feinem harten Feldbette,
fterbend, wie er gelebt, noch immer unabläffig befchäftigt mit dem
Wohle feines Reich, wie mit den Vorfchriften feiner Kirche, zeigte
er fi in feiner wahren Größe, und fie wird in die Geſchichte
übergehen!‘
230
Ich unterfhreibe völlig diefe Auffaffung und glaube, daß «8
der gewöhnlichen Verdächtigungen, die auch Hier nicht fehlten,
keineswegs bebürfe, um das Ende dieſes Monardien zu erflären.
Er Hatte der inneren Qualen, der Aufregungen mahrhaftig genug,
um auch dem Fräftigften Körper niederzumerfen. Ueberdieß begab
er ſich bei einer während der Februarkälte ausgebrochenen Grippe,
in feinem Feldherrneifer nicht an Schonung denkend, in die Reitfchule,
wo er, fhon heiſer, eine Kavallerieabtheilung kommandirte, und 309
ſich dadurch eine unheilbare Hals- und Bruftentzündung zn.
Haben fih aber einft die Nebel, womit feine wirklichen
Tehler, wie Vorurtheile und Anfeindungen feiner polififchen Gegner
diefe Regierung umhüllen, zerjtreut, fo wird Nikolaus immer ala
einer der ausgezeichnetſten Regenten ſeines Reiches ericheinen,
eben weil er, bei allen Verirrungen, mit jedem Athemzuge auch
das ſein wollte, wozu ihn Gott berufen!
Am 15. März traten Bevollmächtigte der Großmächte in
Wien zufammen, in der mwohlgemeinten Abficht, dem verheerenden
Krimkriege ein Ende zu machen. Diefer mit großem Ernſte
verfündete und feierlich eröffnete Friedenskongreß erweckte
deßhalb günftige Ausfichten, weil man den eben zur Krone ge
Iangten Alexander II. mehr zur Nachgiebigfeit geftimmt mähnte,
als feinen Vorfahren, welcher die Fehde aufgenommen, und dann,
weil man des Häglihen Schaufpield eines kaum In diefer Weife länger
fortzuführenden Kampfes fatt, fi) auch von ruffenfeindlicher Geite
geftehen mußte, daß die errungenen Vortheile weit hinter mit fo
vielem Gefchrei, fo hochtönenden Phrafen und Drohungen erregten
geipannten Erwartungen zurückblieben. Dennod waren aber bieje
Erwägungen wieder geeignet, auf die Fortfehung dieſes Kriegs zu
beftehen, den Verſuch zu wagen, die beiderfeitigen Streitkräfte auch
ferner zu meſſen. Denn in beiden Lagern wollte man um jeden
231
Preid irgend ein wenigſtens anſcheinend günftiges Reſultat erzielen.
Rußland, menn auch geſchwächt und gedemütbigt, doch nicht
befiegt, konnte und wollte auf feine allzu nachtheiligen Bedingungen
eingehen, nicht gleich unmittelbar nad dem Thronwechſel eine der
früheren ganz entgegengefebte politiiche Richtung einfchlagen. Die
Seemächte aber, deren Truppen wie ein Bienenfchwarn an der
äußerften, felfigen Spike der Krim Bingen, mo fie ſich verbiffen,
wollten zum mindeften irgend eine eclatante Waflenthat aufzu-
weifen haben, ehe fie den Rückzug antraten, fo erwünfcht ihnen
diefeer auch nach den traurigen Erfahrungen des MWinterd jein
mußte. Außer einigen mehr blutigen, als erfolgreichen Gefechten
war es ihrer Land: und Seemacht aber noch immer nicht ge
lungen, fich Sebaftopols zu bemächtigen, und fomit ihre Anfors
derungen an Rußland um fo höher geipannt, als fie die erlittenen
Täufhungen nicht durch allzu große Zugeftändniffe ſelbſt anerkennen
wollten. Veberdieß waren mieder die Teindfeligkeiten eröffnet worden.
Die Ruffen behaupteten fi in der Dobrudicha, während bie Ver:
bündeten in der mähfeligen Belagerung jener Meeresfeftung immer
weiter rüdten. — Unter diefen getheilten Gefühlen und Erwar⸗
tungen verfammelte man fih nun im Wiener Stantäfanzleigebäube
um den grünen, runden Tiſch, und es fanden bis zum 26. April
vierzehn berathende Sitzungen flat. Frankreich hatte hierzu
feinen Minifter der auswärtigen Angelegenheiten, Drouin de
L'huis, England den Lord John Muffell gefendet. Vom ruifl-
ihen Hofe war der gewandte Titoff den Verhandlungen bei:
gegeben worden, und die Pforte vertrat Ali Paſcha — der
dritte unter den türkifhen Diplomaten, von welchem ih mid
angezogen fühlte Seine Heine, feine Geftalt mit dem edlen
Ausdrucke im Gefichte, feine Bildung und Geſchäftskenntniſſe
nahmen gleich für den noch jungen Mann ein.
Droutn, welchen ich ſchon in Paris, wo er bei Buizot
Unterftaatöfetretär war, Yannte, wurde mit vieler Auszeichnung in
232
Wien behandelt, und fein höfliches Auftreten, fein ruhige Wehen,
fein fharfer Bli bei den Berathungen, ficherten. ibm Achtung
und gegenfeitiged Wohlwollen. Weniger war dieß bei Ruffell der
Fall; feine fehroffe, beinahe unfreundliche Art, feine fteife Haltung
in den geihhäftlihen ragen gingen bier Hand in Hand mit
einem durchaus nicht vornehmen Aeußern. Wer fih noch an
den Direktor Karl in der Rolle des „Staberl* erinnert, Tann
fid am beften einen Begriff von der Erfcheinung de edlen Lords
machen.
Die Ergebniffe der Konferenz liegen in ihren Protofollen
begraben; fie führten unglüdlider Weile abermald nicht zum
erwünjchten Frieden, und was etwa noch von den Beipredhungen
hätte benützt werden können, wurde nach der Rückkehr der beiden
Bevollmädtigten in Parid und London vertrümmert. Drouin
wollte feine Ueberzeugung nicht dem längeren DVerbleiben im Amte
zum Opfer bringen, und zog fi), wie fchon früher, wieder unab-
bängig aus dem Staatödienfte zurüd; Ruſſell kam den in Wien
getroffenen DVerabredungen nicht nad, und, feine Sprache alljobald
nad den Umftänden ändernd, fuhr er doch fort, dem Minifter:
rathe der Königin anzugebören.
Der Form wegen wurde am 4. Juni in Abweſenheit mehrerer
Konferenzmitglieder ein Schlußprotofoll aufgenommen. War aber
die Stellung des diplomatischen Corps während dieſer ganzen
unrubevollen Periode eine höchſt unerquidliche geweien, fo wurde
fie es jeßt bei dieſen fortdauernden, meiſt geheim gehaltenen Ber:
bandlungen für die nicht unmittelbar dabei betheiligten Geſandten
noch in einem weit höheren Grade. Die Höfe verlangten, und
zwar mit vollem Rechte, eine eingehende Weberficht der Vorgänge;
dennoch war es fchwer, beinahe unmöglich, denfelben immer in
befriedigender Weife zu folgen, und fo ftand zumeift unfere immer:
fort angeftrengte Thätigkeit nicht im Verhältniffe zu dem Werthe
oder der Wichtigkeit der einzuberichtenden Nachrichten.
233
Mit dem Abfchluffe der Konferenzen umd ihrem geringen
Erfolge verband ſich jedoh damit nur ein mehr hiftorifches
Intereſſe, und nachhaltigere Negociationen follten erft wieder ein
Jahr fpäter aufgenommen werden.
Reben den diplomatifhen Agenten erfchienen auch von Zeit
zu Zeit Militärbevollmächtigte fremder Höfe, und während des
Kriegs hielten fi) befonderd franzöflfche und engliiche Generale in
Wien auf, welche mehr die Eigenihaft von Kommiſſären an⸗
nahmen, beftimmt, die Operationen der kak. Armee an der Donau
wie an der polnifchen Grenze zu überwachen. Diefe Herren
fanden bei der Gefellichaft wie dem größeren Publikum in ent
ſchiedener Ungunft, und ald & bieß, daß fie den Feldzeugmeifter
v. Heß bei feinen Corpsinſpektionen begleiten follten, wurden diefe
unterlaffen, um nicht den allgemeinen Unwillen zu fleigern. In
dem Grade, als die Nachrichten aus der Krim weniger befriedigend
für die angreifenden Theile lauteten, um fo mehr erfalteten die
Sympathien da, wo fie fi) früher noch gezeigt hatten.
Den Seemächten kam jedoch unerwartet eine Verſtärkung
ihrer Streitkräfte zu; nachdem fi ihrem modernen Kreuzzuge
fhon der Auswurf aller Nationen in Geftalt der „Fremden⸗
legion“ angeichloffen hatte, erklärte nun auch Sardinien, für
„Menſchenrechte, Aufflärung, Geſittung“ in die Schranken treten
zu wollen, und fchiffte ein Meine Heer nad, der Krim ein.
Die ganze Welt erftaunte über diefen „edlen, uneigennüßigen
Aufihwung für das Wohl der bedrängten Türkei, und man
mußte fich ihn anfangs nicht recht zu erflären. Doch fpäter, als
das Heine Piemont, in der Eigenihaft einer Friegführenden Macht,
als „Mitbefiegerin” Rußlands, fich das Recht anmaßte, an den
Barifer Friedensunterhandlungen Theil zu nehmen, ald Cavour
das große Wort im Sitzungsſaale führte, fi in glühendem Haſſe
gegen Oeſterreich fogar mit den ruffiichen Diplomaten begegnete,
da erfuhr man erft, melden großen Preis das Turiner Kabinet
254
auf feine „mächtige” Hülfe in der Krim geſetzt, und Menſchen
wie Millionen, die man babei geopfert, denn doch nicht jo ganz
fruchtlos verfchwendet wurden!
Kaum war der fürdterlihe Winter auf dem Kriegsſchau—
plate überftanden, ald auch ſchon wieder die Operationen begannen,
und nad mit Waffenftillftänden abwechfelnden Gefechten ein erfolg
loſes Bombardement Sebaftopol® (Anfang April) vorgenonınen
wurde. Immer ſprach man von einer Reife Louis Rapoleons in
die Krim, und lange Zeit hielt feine ermartete Ankunft in
Wien alle Gemüther in Spannung. So fehlte e3 denn and
während dieſes Yrübjahr? und Sommers nit an den mannig-
faltigften Eindrüden, bis uns endli im September der Telegraph
den Tall des Thurmes Malaloff, ſowie die Einnahme Sebaſtopols
verfündete, das mehr einem Trümmerhaufen, als einer eroberten
Stadt glih. Dagegen zogen die Ruſſen fiegreih in Kars en;
fomit waren Anhaltspunkte zu einer frieblihen Beilegung des
unfeligen Haders gegeben, und die Verhandlungen wurden mit
erneutem Eifer wieder aufgenommen.
In Ermangelung neuer anfregender Kriegsgerüchte beichäftigte
man fi bis dorthin mit der großen Weltausftellung in Paris,
die in Betracht der verwirrten politifhen Lage, des Darnieder⸗
liegens alles Handels, der vielen Banquerotte umb zunehmenden
Berarnung als größtentheild verfehlt ericheinen mußte. Dennoch
hatte Kaifer Napoleon die Genugthuung, die Königin Victoria im
Paris zu begrüßen, welchen Beſuch er fobann mit Eugenien in
London zurüdgab.
In Deutfchland trug man fi zur Abwechſelung wieder
einmal mit Bundesreformen, und Preußen hielt fich ſchmollend
von den Verhandlungen der Oroßmaqhte fern, ſtets ſich „freie
Hand“ vorbehaltend.
‘235
Der Kaifer von Oeſterreich hatte eine Reiſe zur Armee nach
Galizien angetreten, und in Rom trafen, nachdem der Papft
einer drohenden Lebensgefahr in St. Agneſe glüdlich entgangen,
viele Biſchöfe der Tatholifchen Chriftenheit zu einer impofanten,
berathenden Verſammlung ein.
Im Suni wurde der biöherige k. k. Gefandte v. Philipps:
berg von Karlsruhe abberufen, und der Fürft Alex. v. Schön
burg an deifen Stelle ernannt. Diefe Wahl erfreute mich um
fo mehr, als ich feit Jahren mit feiner geiftreichen, liebenswür⸗
digen Mutter, der Fürftin Louiſe, geb. Schwarzenberg, befreundet
war, ihr Salon ſtets zu einem der angenehmften gehörte, die ich
beſuchte. Schönburg vermählte fih, noch ehe er feinen Poften
antrat, mit der Prinzeffin Caroline, der zweiten Tochter des
Fürften Alex. v. Liehtenftein, und ich wohnte der Trauung,
welche der Kardinal: Erzbifhof von Prag in dem herrlichen Palais
vollzog, als Zeuge bei.
Der Herzog W. v. Braunfchmeig und andere hohe Gäſte
beiuchten wiederholt Wien. Es war da auch wieder nach längerer
Zeit die alte Fürſtin Bagration erfchienen, die, einer den Pyra⸗
miden entfliegenen Mumte gleich, ihre Jugenderinnerungen aus
der Congreßzeit auffrifhen wollte Ihr lebhafter Geift überwand
die Förperlihen Schwächen, und in ein langes weißes, roſa oder
blau feidenes Gewand gehüllt, fuchte fie alte Bekannte und Lieb:
Yingsorte wieder auf. Es gehörte die nunmehr verftorbene Fürſtin
jener Kaffe origineller Frauen an, welche jeßt immer mehr aus
der Geſellſchaft verſchwinden.
Eine lebensgefährliche Krankheit, welche den Prinzen Karl
von Baden in feiner ungariſchen Garniſon befallen hatte, ver⸗
anlaßte defien Verbringung nah Wien, mo ber junge Herr
236
glücklicherweiſe unter der Behandlung geſchickter Aerzte, und der Tiebe-
“vollen, brüderlichen Pflege des von Berlin berbeigeeilten Prinzen
Wilhelm bald genas.
Den 18. Auguft wurde der unter Dem Namen „Konkordat”
zwifchen Oeſterreich und dem päpftlichen Stuhle abgefchloffene Staat:
vertrag von dem Kardinale Viale und dem Wiener Fürft-Erzbifchofe
Raufcyer unterzeichnet. Es follte diefe Uebereinkunft einem längſt
gefühlten, dringenden Bedürfniffe abbelfen, das geſtörte Gleichgewicht
zwifchen Kirche und Staat wieder dauernd herftellen, allen Zweifeln,
Bedenken und Streitigfeiten für die Zukunft vorbeugen. Das Recht,
einen ſolchen Vertrag einzugeben, war ebenfo fehr begründet, als
der Wunſch, aus einem feit den Zeiten des Kaiſers Joſeph II.
beftandenen proviforiihen Zuftande herauszutreten. Es Tonnte fich
demnah nur um die Form handeln, in welcher der Abſchluß
ftattfinden ſollte. Kaifer Franz, und mit ihm Fürſt Metternich,
hatten fi), ungeachtet der fortwährend freundlichiten Beziehungen
zu Nom, ſtets geweigert, ſich in beide Theile bindende Zufagen
einzulafjen, und vorgezogen, jede einzelne Streitfrage im Vergleicha-
wege zu enticheiden. Doch nun ſchien — bei der ſich allenthalben
Träftiger entwidelnden Thätigfeit der Tatholifchen Kirche, wieder in
den Beſitz ihrer lang verfümmerten Rechte zu gelangen — es
geratben, daß ter erfte katholiſche Großſtaat, der einftige Schirm:
vogt der Kirche, mit einer öffentlichen Urkunde bervortrete, und
der Welt fein Verhältniß zum römifhen Stuhle klar vor Augen
lege. Es erhoben ſich damals, nicht wie fpäter, Stimmen des
Tadels über diefen Schritt, und das nur durdy die nachfolgenden
traurigen Vorgänge veranlaßte Gelchrei gab ben Feinden der
Kirche überhaupt noch einen weiteren willlommenen Vorwand,
auch das ihnen verhaßte Defterreih mit giftigen Waffen anzu-
greifen. Aber auch im Innern der Monarchie erhoben ſich Männer,
237
welche für patriotifh und „liberal“ gelten wollten, um Verwün⸗
fhungen gegen einen Vertrag zu fchleudern, der, wie jeber andere,
Auslegungen und Berbefferungen unterworfen if. Ich bin über:
zeugt, daß von Hundert ſolcher Eiferer faum Einer die 36 Artikel
der Konvention gelefen, viel meniger geprüft, es genügte, daß
man ih in Wien entichloß, nad 80 Jahren einmal auf foliderer
Bafig als bisher, mit Rom zu verkehren, um über „Pfaffentrug,
Rückkehr zu mittelalterlicher Finfternig, VBerdummung, Unterdrüdung
Anderddenfender “ u. dgl. m. zu deflamiren. Iſt es Beichräntt:
heit des Geiltes, ift es abfichtlih böſer Wille, welche dieſen
Sturm gegen daB Konkordat Hervorriefen? Glaubt man im
Ernte, daß wir dadurch, wie mit einem Sprunge, um Jahr⸗
hunderte zurüdverjegt würden, und traut man denn der fo hoch⸗
gepriefenen „Aufklärung, der tonangebenden „öffentlichen Wet:
nung,” dem „Fortſchritte“ plöglich gar fo wenig Macht zu, um
den Kuiferftant, an Händen und Füßen gebunden, dem Batican
und feinen „Ränken“ zu überliefern?
Haben fih einmal diefe nun body gehenden Wogen der
leidenſchaftlichen Erbitterung und feindfeliger Gefinnungen gegen
die Kirche gelegt, To merden befonnene Gemüther vielleicht die
Trage aufwerten, ob es, ftatt die Verabredungen in Rom in
einem Staatövertrage zu formuliren, e3 nicht vorzuziehen geweſen
wäre, fih für die einzelnen Fälle auf die Erledigung im Wege
gütliher Ausgleihung zu befchränfen? Selöft jeder Paragraph
eined gejchriebenen Uebereinkommens ift wieder verfchiedener Deus:
tungen fähig. Meberdieß bat der Papft die ihm anvertrauten,
unveräußerlihen echte, als Depofiten, zu wahren, Tann daher
nicht, wie weltlihe Fürſten, fich zu Zugeftändniffen berbeilaffen,
um etwa damit augenblidliche Vortheile zu erlangen. Auf der
anderen Seite war e3 auch für dad Wiener Kabinet nicht leicht,
in fo allgemein bindender Weile Verpflichtungen einzugehen, welche
mit der Zeit, und in ten fo vielfach geftalteten Kronländern
288
unberechenbaren Modificationen unterliegen Tonnten. Abgeſehen
von diefen Rückſichten, wäre es auch vielleicht noch überdies
erwünſcht geweſen, den Gegnern der Kirche wie Oeſterreichs jeden
Borwand zu ſolchen Verbächtigungen zu nehmen, und namentlich
den Vorwurf zu befeitigen, daß man fih Deutihland entfrembe?
Eine „Reviſion“ des Concordats fteht, wie wir hören, in
Ausficht, und Defterreih wird, bei allen Aufhehungen der Tag⸗
hlätter und der unverftändigen Anſchauungen einer übelberatkenen
Menge, die Vortheile fih nicht entwinden lafien, weldhe ein
geregelter Zuftand auf dem kirchlichen Gebiete, im Intereſſe des
inneren Friedens, mie des materiellen Gedeibend, jedem Staate
verbeißt !
Der peinlihen Ungewißheit machte endlich eine telegraphiſche
Deyelhe aus St. Beteröburg ein Ende, welche und am Abende
des 16. Januar 1856 überraſchte. Der Kaifer Alerander weilligte
in die von der Wiener Konferenz vorgefchlagenen Buntte; es follte
vorläufig ein Waffenſtillſtand eintreten und alle weiteren Friedens⸗
bedingungen auf einem demnächſt in Paris zuiammentretenden
Kongreffe verabredet und beitimmt werden. Die Freude über dieſe
unerwartete Wendung war um fo größer und ungetheilter, als
der unbeilvolle Kampf im ſchwarzen Meere wie ein Alp auf allen
Theilen gedrüdt hatte, und man wußte es dem ruffiichen Hofe
um fo mehr zu Dank, ohne zwingende Notbinendigkeit fo viel
edelmütbige Mäßigung gezeigt zu haben. Schon in der Mitte
Tebruar reifte Graf Buol nad Paris ab, und es trat nun nad)
jo audauernder Bewegung twieder einige Stille in dem öffentlichen
Leben Wiens ein, Nur dur die Sikungen einer Kommiſſion
der deutihen Bundesſtaaten zur Regulirung de? Münz weſens
wurden wir zeitweife in Anfprucd genommen.
Am Jahrestage des Einzugs der Alltirten in Paris (30. März)
239
wurde der Tängfierfehnte Triedendvertrag abgeſchloſſen, dem
jedoeh ſchon am 15. April eine feine Beſtimmungen theilmeife
läbmende Separatlonvention nachhinkte. Man mußte fi) dabei
geftehen, daß offenbar die Opfer an Menſchenleben und Gelb,
welche während diefer drei Jahre gebracht wurden, nicht im Ber:
hältniß zu dem Refultate des Krieges ftanden, ſelbſt dieſe aber
noch immer nicht hoch genug hätten angefchlagen werden Fünnen,
wenn, wie man, jedoch leider vergebens, hoffte, eine Weberein-
ſtimmung zwiſchen den Großmächten erzielt, das erfchütterte Gleich
gewicht durch naturgemäße Allianzen wieder bergeftellt und ver
Allem dahin getrachtet worden wäre, wenn micht völlig zu ent-
wafinen, doch den alle Staaten aufzehrenden hohen Stand ber
Heere zu vermindern. Statt dieſes erträumten Ergebnifles find
vielmehr fo unnatürliche Verhältniſſe bis auf's Aeußerite hinauf
geſchraubt, und noch immer ift Fein Ende abzufehen!
Mehr als der revolutionäre Geift werden daher die jährlich
wachienden Finanzyerlegenheiten die Stanten allmälig zu Grumde
sichten und notbgedrungen einen ganz neuen Zuflend der Dinge
berbeiführen müſſen!
Der ungemein kurze Karneval 1856 wurde dennoch nicht
gehörig benutzt; es fanden zwar die herkommlichen Bälle ftatt,
die fi mit jedem Jahre durch jene großartigen Tanzfefte ver:
mehrten, welche die Stadt, die Studenten einzelner Fakultäten, die
Techniter und verjchiedene Körperſchaften gaben; aber der Drud
der Zeiten, dazu der abfcheuliche Typhus, der gemöhnliche Nach⸗
zügler der Cholera, Tiefen feine ungeträbte Freude auflommen.
Doch laum waren wieder Friedendausfichten erdfinet, fo verbreitete
fi) eine andere Krankheit — das GSpekulationdfieber, und im
Gefolge der Eifenbahn- und anderer Verträge zogen auch ber
Credit mobilier, Aftienunternehmen aller Art ein. Eine rege
240
Thätigfeit trat an die Stelle des früheren behaglichen Sichgehen-
laſſens, und Hatte diefer Aufſchwung, beſonders für die zweck
mäßigere Benützung der reichen Reffourcen Oeſterreichs, mandyes
erfreuliche Nefultat, jo mußte man denn auch die unvermeidlichen
Nachtheile und Schaden hinnehmen. Was jedod von franzöfifcher
Seite in diefer Beziehung ausging, ftand bei der Wiener Berölfe
rung in entfchiedener Ungunft.
Dad größte Ereigniß in der dramatifhen Kunftiwelt war
die Erſcheinung der gefeierten Niftori, die, in Begleitung einer
mittelmäßigen Geſellſchaft, durch ihr ruhiges, Maffifches Spiel, ihre
edlen Stellungen und ein herrliches Organ aud hier, wie es ein
fo ungewöhnliches Talent allentbalben muß, wahrhaft entzüdte.
In Prag feierte Ende Februar Kaifer Ferdinand die filberne
Hochzeit. Sie wurde auf dem Hradſchin feſtlich begangen, und
in einem lebenden Bilde ftellten 25 Damen ebenfo viele Blumen
vor, welche die Zahl der Ehejahre bedeuten follten. Freilih waren
diefelben für das erlauchte Kaiferpaar nicht alle blumenreih; für
das Jahr 1848 zumal hätte ich die „Rofe von Jericho“ vorge
Ihlagen, welche befanntlih, wenn fie ſich entfaltet, eine Dornen:
krone bildet.
In diefer Zeit fand, die weiteren Verabredungen über bie
Ausführung des Konkordat3 zu treffen, eine Berfammlung beinahe
aller Bifhdfe der Monardie in Wien ftatt,*) und es war ein
Impofanter Anblick, diefe Kirchenfürften, vier Kardinäle am der
Spige, bei der Frohnleichnamsprozeſfion oder der feierlidden Ein:
weihung der „Votivlirche“ in Tangem Zuge und mit den glänzenden
Zeichen ihrer Würde geſchmückt, einherfchreiten zu ſehen! Diele
berfelben, an ihrer Tracht kennbar, befannten ſich zum griechiſch⸗
anirten Ritus.
*) Erinnerungsbl. S. 108.
241
Der englifhe Hof hatte den Lord Weflmoreland abberufen
und dafür Sir Hamilton Seymour in Wien ernannt, welcher
jedoch auch nicht Tange blieb. Wer den beicheidenen, auch dem
Aeußeren nach unanfehnliden Dann ſah, konnte nicht vermutben,
daß dieler feine Diplomat es war, welcher jene berühmt gewordene
Unterredung mit dem Saifer Nikolaus hatte, die als. wichtige
„Enthüllungen“ der ruſſiſchen Politik fpäter im Parlament zur
Sprade kam. Man konnte es in St. Peteröburg dieſem eng:
liſchen Gefandten nie vergeflen, daß er jene vertraulichen, nur an
ihn perfönlich gerichteten Mittheilungen des Czaaren an fein Kabinet
berichtet; um fo dankbarer war man ihm in Wien daflr. Sn
der That konnte man aber Sir Hamilton Seymour in diefem
Talle keinen Vorwurf daraus machen, daß er den Privatmann
niht von dem Diplomaten zu trennen mußte, denn welde Ber:
antwortung würde ihn feinem Hofe gegenüber getroffen haben,
hätte er über jenen dentwürdigen Vorgang gefchwiegen? Es war
Sache des brittifchen Minifteriums, zu erwägen, ob eine Ber:
öffentlihung jener geheimen Depeſche paflend, ob es Zumal, da fie
das Geſpräch eines befreundeten Monarchen betraf, zart war, fie
der allgemeinen Beurtheilung preis zu geben? Freilich, als der
Krieg einmal audgebrochen, war man in der Wahl der dafür anzu:
gebenden Gründe nicht mehr heikel und benübte jene unbebachten
Worte des Kaiſers als willlommenen Vorwand, ihn aud noch
überdied mit Defterreich zu entzweien.
Sir Hamilton Seymour erwies fih in Wien ald ein ebenfo
angenehmer als begabter Geſchäftsmann mit den beiten Formen,
weder jene befchränkte Eingenommenheit, noch die fchroffe Haltung
zeigend, welche den englifchen Diplomaten öfters eigen ift.
Erzherzog Ferdinand Mar beiuhte im Laufe des Früh
jahrs den kaiſerlichen Hof in Paris.
Frh. v. Andlam. Den Taghuq. IL 16
242
Der Wiener Boden war bekanntlich dem Gedeihen der
bildenden Künfte nie fonderlih hold. In der neueſten Zeit
waren ed jedoch die Arditeltur und Skulptur, welche man zu
fördern ſuchte. Die Neubauten folgten meiftend der Richtung der
Periode; es entitanden mehrere, zum Theil fehr fchöne Kirchen und
Kapellen; ältere wurden wieder bergeftellt, und da kam denn der
Dom zu St. Stephan, der einer Reftauration am meiften be
durfte, zuerit an die Reihe. Nicht minder lebhaft wurden die
militärifchen Bauten betrieben: Baftionen, Kafernen, Thürme, Reit:
ſchulen entftanden auf allen Punkten, und wahrhaft großartig iſt
dad feit 1849 begonnene und ‚nahezu vollendete Arſenal nächft
dem Belvedere. Es ift damit ein ArtillerieeMufeum, eine Samm:
lung alter Waffen, Rüftungen und biftoriiger Merkwürdigkeiten
verbunden; finnreiche Fresken ſchmücken die Wände, und daB ganze
feftungartige Gebäude nimmt ſich mit feinen gothifchen Verzierungen
und der fchönen Kapelle mit dem berühmten Muttergottesbilde der
Dftobertage fehr ftattlih aus. — Nun feitdem fi Die innere
Stadt mit den Glacis und Vorftädten verfchmolzen, ift der Bau:
luſt ein weites Feld eröffnet, den Architekten eine reihe Ernte
gelichert.
Auch die Bildhauer wurden mehr als fonft befchäftigt. Einige
Monumente, wie daB des Erzberzogs Karl Son Fernkorn, ent:
ftanden, und einzelne Runftfreunde beftellten Gemälde und Marmor:
gruppen. Im Ganzen gab fi ein regered Leben auf dieſem
Gebiete Fund, wenn die fruchtbare Tätigkeit auch noch Tange
nicht Die Höhe wie in anderen, jelbit kleineren Städten, 3. 8.
München, erreichte.
Eine Anftalt, um melde aber jeder Ort Wien beneiben
Tönnte, ift die ka k. Staatsdruckerei, und es genügt, died unter
der umfichtigen Leitung des ebenfo befcheibenen als genialen Direktors
dv. Auer zu feltener Vollkommenheit gelangte. Inftitut zu nennen,
da es beinahe auf dem ganzen Erdfreife rühmlichſt bekannt iſt.
243
Nicht minder verdienftlic und die Wiffenfchaft fördernd iſt die
geologifche Reihdanftalt mit vortrefflichen Lehrern und anziehenden
Sammlungen. Ihre Forſchungen wie ihre Arbeiten find gleich
geichägt.
Endlich muß ih noch unter den vielen, zum Theil blühenden
Fabriken jener des betriebſamen F. Wertheim erwähnen, der
außer der Pflege vieler Anduftriezweige, aud Die ausgezeichneten
„feuerfeften Kaſſen“ verfertigt.
Eine Minifterialveränderung — Anfangs Mai — in Karld-
ruhe wirkte auch auf meine Rage zurüd. Ich wurde, unter Ver:
fehung in den Rubeftand, von Wien abberufen und der erledigte
Geſandtſchaftspoſten dem abtreienden Staatäminifter Frhrn. v. Rübdt-
Eollenberg verliehen.
Mit meiner Entfernung von Wien trat auch zugleih ein
Abſchnitt für die Geſchichte der öſterreichiſchen Politik ein; die
Jahre der Leiden und Prüfungen fchienen zurüdgelegt; man
athmete freier, und eine rafchere, ungehindertere Entwidlung der
inneren Organifation, beſonders der Finanzzuftände, ließ ſich mit
vollem Grunde erwarten. Rod) machte fi) nicht jene Unzufrieden:
beit mit der Verwaltung des Minifteriums der drei B. (Buol,
Bad, Bruck), wie man ed nannte, geltend; noch trat nicht Die
DOppofitiondluft hervor, wie fie ſich drei Jahre fpäter, nad er:
littenem Ungemache, zeigte. Ich verließ daher Wien mit ber
Ueberzeugung, — und ich theilte fie mit Tauſenden — daß die
Zeit der Uebergänge vorüber und die Dinge in Oefterreich einen
naturgemäßen Lauf nehmen, Ruhe und gejeblich geregelte Zuftände
allmälig wiederfehren würden. Es ſollte nicht fo fein! und mas
bisher fich ereignete, waren auch nur ebenfo viele Verfuche, Phaſen
und Strebungen, um zum gewünschten Ziele zu gelangen. Was
aber Unverftand oder abfichtlih böfer Wille auch immer zum
16*
244
Untergange des Kaiſerſtaates herbeigeführt Haben mögen, bie ihm
innewohnende innere, auf jeine providentielle Beitimmung gegründete
Macht wird die Monardie auch jetzt, wie aus früheren, noch weit
drohenderen Gefahren, erretten! Es fällt mir dabei eine Damals
viel beflatfchte Rolle au dem Drama eines Bollsdichter ein,
welcher ſich in fchlichter Weile den Staat in folgendem Bilde auf
fefter Grundlage dadıte:
„Der ganze Staat ift wie ein fhöner, großer Baum. Obenauf,
dem Himmel zunächſt, die Krone im hellen Sonneniheine. Die
ſtarken Aeſte, welche Stürmen und Bliken troßen, fie find die
Armee; die Blüthe am Baume ift der Abel; die grünen Zweige
find die Gelehrten und Denker, die Iuftigen Vögel, die darin
fingen, Dichter und Künftler. Die goldenen Früchte am Baume
aber bedeuten die Männer der Anduftrie und de Handels. Tief
unten, unbekannt, mit Erbe bededt ift die Wurzel des Baumes,
ſtark und rauh, unfcheinbar und ſchmucklos, aber dennoch die Baſis,
auf welcher der ganze Baum ruht: diefe Wurzel beißt im Staate
das Volt! Doch die Wurzel wäre zu fief, die Krone zu bad,
wäre nicht etwas dazwifchen, und dieß ift bei dem Baum der Stamm
in feiner fchlichten, rauen Rinde: der Bürgerö-, Bauerd- und
Handwerksmann in feinem einfachen grauen Rode. IH das Marl
des Baumes gefund, d. h. das Herz des Bürgers, fo wie es fein
fol, dann nagt vergebend bösartige Gewürm an der Wurzel,
dann fauft vergeben? der Sturm durdy die Aeſte — der Stamm
in feinem unanfehnlihen Gewande Hält Stand, die Wurzel mit
der Krone zufammen; die faugenden Giftſchwämme an der Wurzel,
die freffenden Pilfe am Stamm, die kriechenden Schmaroberpflanzen
nach Oben, man kennt fie, fie Finnen dann nicht mehr jchaden,
man veißt fie aus und wirft fie in’3 Teuer!
„Do auch noch etwas mehr ald Bürgertreue gehört zum
Gedeihen des Baumes: es ift außerhalb derfelben der erquidende Thau,
der das Erdreich befeuchtende Regen — der Segen bed Himmels! *
245
Nachdem ich, wie alljährlich, das Geburtsfeft des Fürften
Metternihd — dad 83. — zum lebten Male auf dem Nenn:
wege mitgefeiert, wohnte ich auch noch einige Tage vor meiner
Abreife der Vermählung feines älteften Sohnes Richard — zum
k. k. Gefandten nach Dresden ernannt — bei. Sie fand durch
den Kardinal Viale im Nuntiaturgebäude ftatt. Außer der Familie
hatten fi noch die Fürſten Eſterhazy, Karl Lichtenſtein, Taris
und Trautmannsdorf, die Grafen M. Eſterhazy, Almafiy, 8.
Zichy, Wrbna, Grünne, Buol, Kufftein, Feſtities, Zapary, die
Fürſtinnen EI. Schwarzenberg und M. Lobkowitz, die Gefandten
Könnerik und Lenzoni, die Herren v. Berliingen, Hummlauer,
Maeshengen, Bigeleben, Pilat, Roger von Aldenburg, Montenegro
u. U. eingefunden.
Endlih am 29. Juni hatte ich noch mit dem diplomatifchen
Corp eine Audienz bei dem Sönig Otto von Griechenland,
welcher im Palais ſeines Schwagers, des Erzherzog: Albrecht,
abgeftiegen war — es war dieß mein letter Gang in offizieller
Stellung!
Den 6. Juli führte mid die Nordbahn gerade in dem
Augenblide von Wien — wohl für's Leben — fort, als wieber-
bolt KRanonendonner der Stadt die Niederfunft der Kaiferin mit
einer Tochter — der Erzherzogin Giſela — verkündete!
246
Bünfzehnter Abſchnitt.
IL LOL ——⸗
(1856 — 18?.)
Inhalt: Ruheſtand. Neue Beihäftigungen. Reifen. Ehe. Betrad-
tungen über die Zeitereigniffe. Tod bed Großherzogs Lubwig II.
von Baben und ber Herzogin Helene von Orleans, Der Krieg in
Dberitaltien. Die Klucht der Fürften. Die Schlachten unb ber Friede
von Villa⸗Franca. Mbleben bes Fürften Metternid. Reſſelrode.
Deutfhland, Frankreich und Italien währen ber Sabre 1860
und 1861. Defterreih und Preußen. Der Papſt und die Kirche.
Die Nationalitäten. Amerita Konftanz Der Bodenſee unb bie
öftlihe Schweiz. St. Gallen und bie beiden Appenzell. Züri,
Das große Schligenfeft und ber Gefanbtentongrek (1859). Die Herzogin
von Parma. Graf Eollorebo, Maria: Einficdeln. Die Gidgenofienicheft.
Zwei Winter in Straßburg; Phyfiognomie dieſer Stadt; Domprebigten
und fromme Vereine. Ableben bes Markgrafen Wilhelm unb ber Groß
bergogin Stephanie von Baden. Vorgänge in Defterreid. Die
drei Selbſtmorde Baden: Baben. Louis NRapoleon und kie
beutfhen Fürften (Juni 1860). Die Univerfitäts-Secularfeier in Bafel.
Wohnſitz in Baden-Baden. Bekannte. Die Saiſon von 1861. Attentat
auf ben König von Preußen. Allgemeine Lebensanſichten. Betrach⸗
tungen über Literatur, ſchöne Künfte u, f. w. Die neuen Zeichen ber
Zeit, Schluß.
Il passato non é , ma se lo finge la vana simembranza,
Il füturo non 6, ma se la pinge lindomita speranza;
ll presoute non 6, ma in un baleno
Passa del nullo in seno,
Dunque la vita d appunto
Una memoria, uns Speranza, un punto.
Fin Geſchäftsleben, reich an Zerſtreuungen aller Art, von
unftätem Umbertreiben begleitet, lag nun hinter mir! Es trat jebt,
nah 30 Jahren, eine Zeit der Ruhe wie der Einkehr in mein
Inneres ein. So ſchwer ed mir auch Anfangs fiel, mi an die
247
unfreiwillige Muße, an die Einförmigkeit der Alltagswelt zu ge
wöhnen, fo war in der fireng eingehaltenen Eintheilung meiner
Stunden doch wieder bald das nöthige Gleichgewicht gefunden.
Ich hatte jo Manches zu ordnen, zu überfehen, fo umfaffendes
Material im Gedächtniß wie mit der Feder zu verarbeiten, daß
die felbft gewählte Richtung des Wirkens und Schaffens mic,
zulebt mehr anſprach, als die nach gewillen Tsormen und beftimmten
Weifungen geleiteten früheren Beruföpflichten.
Zudem batte ich mir eine ftille Häuslichkeit gegründet, mid)
aud Neigung, na eigener Wahl vermählt, und auf die frage:
weßhalb ich denn nicht lieber dem Rathe, „früh zu freien“, gefolgt,
fann ich eben nur mit einem anderen Sprüchworte antworten:
„daß die Ehen An Himmel geſchloſſen werden!” Die Trauung
fand auf der Tieblichen Inſel „Reichenau“ im Bodenſee ftatt.
Eine andere, nicht minder ſchwer zu löſende Lebensaufgabe
betraf die Wahl eines Fünftigen, vorausfihtlih für die mir noch
übrigen Tage beitimmten Aufenthaltsortes. So lange uns Rüd-
fihten, Anftellung, Familien⸗ oder Vermödgendverbältniffe an irgend
einen Wohnſitz fefleln, fehnen wir uns aud wohl manchmal nad)
anderen Himmelögegenden, aber Pflicht, Vernunftgründe wie Ge
wohnheit oder Nothiwendigleit gebieten und, jene Negungen zu
unterdrüden, und zu berubigen. Liegt es jedoch in unjerem Willen,
frei und unabhängig unferen Aufenthalt, natürlich immer innerhalb
gewiffer Grenzen, irgendwo nad) eigenem Gutdünken zu nehmen,
mehren fich Zweifel und Bedenken mit jedem Tage. Der Wander:
finn, die Luft nach Veränderungen fpiegelt und beftändig vor, daß
8 an diefem oder jenem Punkte wohl bequemer, wohlfeilet fei,
unfer Geſchmack wie unfere Bedürfniffe leichter befriedigt würden
u. dgl. m. Wir ſchwanken daher beftändig in der Wahl, bis
wir dem Hang, Vergleihungspunfte zwiſchen den einzelnen Städten
aufzufinden, entfagt und mit dem wiebererlangten bebaglichen Ge
fühle des „„home‘‘ erft die gehörige Ruhe gewonnen haben.
28
Nachdem ich über Brag, Dresden und Frankfurt nah Karls⸗
rube zurüdgefehrt war, mo ih Herrn v. Meyſenbug — ben
fiebenten feit meiner Dienftzeit — als Staatdminifter des
großberzoglichen Hauſes umd der auswärtigen Angelegenbeiten
traf, brachte ich den Sommer bei weinen Geſchwiſtern auf dem
Lande zu.
Während der weiteren Jahre war ich zwei Winter in Straß:
burg, zwei Winter in Konftanz und der Schweiz; die Sommer:
zeit verlebte ich theils am Bodenfee, theild in Appenzell ober
Zürid. Im Herbſte 1860 entihloß ich mich, vorläufig einen
feften Aufenthalt in Baden-Baden zu nehmen, wo ich feither
unausgeſetzt verweilte.
Um feine Rüde in der nun einmal begonnenen Erzählung
zu laſſen, babe ich voritehende, an fi) unbedeutende Umſtände
erwähnt; aus demfelben Grunde werde ich den freundlichen Leſern
welche mir bisher auf dem von mir gezeichneten Lebenslaufe
gefolgt, noch die Eindrüde und Vorgänge während diefes letzten
Adfchnittes ſchildern, deſſen muthmaßlichen Schluß id — Der
göttlichen Fügung anheimftellend — nur mit einem Fragezeichen
andeuten Tonnte.
Es zerfallen fomit Ddiefe Aufzeichnungen wieder in drei
Antheilungen. Die erfte fol, wie bisher, die Tagesereigniffe an
unferen Blicken chronologifh vorüberziehen Iaffen; die zweite
perfönliche Eindrüde auf Reifen, über Literatur und Lebensfragen
umfaflen; die dritte endlich mit allgemeinen Betrachtungen ſchließen.
So wenig es mir in meiner Stellung auch früher vergännt
war, unmittelbar an den politifhen Fragen Theil zu nehmen,
rathend oder thätig einzugreifen, in um fo minderem Grade formte
fi jet meine Wirkfamkeit in diefer Beziehung entwideln, und
ih mußte mich immer mehr auf die Rolle eines ftillen Beobachters
249
beichränfen, aber eined Beobachters, weldyer die Begebenheiten mit
ungetheiltem, lebhaftem Intereſſe verfolgte. War mir doch im
Laufe der Zeit Manches von dem politifchen Couliſſenſpiele bekannt
geworden, war ich doch mit den meiften der jebigen Leiter der
Geſchäfte in den europätfchen Staaten felbft in nähere Berührung
gefommen, und die Mehrzahl der deutichen Miniſter der aus⸗
wärtigen Angelegenheiten zähle ich zu meinen einftigen Kollegen.
Es gewährt mir demnach einen Genuß ganz eigener Art,
die Vorgänge gleichſam wie auf einer Bühne beobachten zu Fönnen,
die Handlungen der Machthaber mit ihren mir befannten Perfön-
lichkeiten zu vergleichen, aus der Vergangenheit Schlüffe auf die
mögliche Geftaltung der Zukunft zu ziehen. Ich nehme befhalb
täglidy über ein Dutzend Blätter aller Farben und verfchiedener
Länder zur Hand, nicht ſowohl Neuigkeiten daraus zu erſehen, als
vielmehr mir ein Geſammibild des jemeiligen politifhen Zuſtandes
zu entwerfen und mitten durd das fich täglih mehr zuſammen⸗
ziehende Lügengewebe der Wahrheit nachzuſpüren. Wenn auch alle
diefe Wahrnehmungen gewöhnlich nicht erfreuliher Natur find,
wenn gar viele Schritte der Regierungen mit meiner eigenen
Deberzeugung, meinen Wünfchen nicht zufammenfallen, fo weiß ich
doch nur zu wohl, daß die Führung der Politik im Großen wie
im Kleinen, mehr als Alles in der Welt, den Stempel der Unvoll-
kommenheit an fich trägt, daß da menjchliche Leidenfchaften, dort
Lit und Betrug, bier wieder die Macht der Stärkeren den Aus-
fchlag geben, und nur der Staatsmann offenbar fehlt, welcher
freventlih die unveränderlichen, göttlichen Geſetze verlekt.
Das Jahr 1856, welches ung mit dem Barifer Frieden
eine rubigere Zeit erwarten ließ, follte doch nicht ohne einige Heine
Reibungen vorübergehen. Erſtaunt fah die Welt Rußland, ſich
immer mehr von Oeſterreich abwendend, fogar Sardinien die Hand
zur Ausföhnung bieten, Sardinien, welches fidh doch in fo unglaub-
licher, unbefugter Weiſe an dem Krimkriege betheiligt hatte!
230
Ebenſo brach ganz unerwartet ein Konflikt in der Schweiz
aus, und mit Mühe konnten die ſchon zum Kampfe bereiten
Preußen und Cidgenofien auseinander gehalten werden. Nach
langen, unerquidlidhen Verhandlungen verlor Preußen ein Tchönes
Stüd Land, ohne auch nur einen Bortheil irgend einer Art dagegen
auszutaujchen.
Ein ungemein erfreuliches Ereignig fand in Baden ftatt;
Prinz Friedrih, dem biöherigen Titel eined „Regenten“ ent-
fagend, nahm die großherzogliche Würde, die er feit vier Jahren
in ber That ausübte, nun auch der Benennung nah an, und
wurde den 20. September zu Berlin mit der Tiebliden Prinzeſſin
Zouife von Preußen getraut. Viele Feſte, der Befuh der Städte
des Landes verbanden fich, von herzlichen Jubel und Glückwünſchen
begleitet, mit diefer Feier. In kurzen Zwiſchenräunen folgten
dann die Vermählungen der beiden jüngeren badiichen Prinzelfinnen
— Marie mit Fürſten E. v. Leiningen, Cäcilie mit dem
Großfürſten Michael von Rußland.
Karlsruhe felbft aber hatte fi durch die wohlwollende Für-
forge des jungen Großherzogs fichtbar gehoben; es verſchönerte
fich die Stadt, es belebten fi, ihre Straßen immer mehr durch
Handel, Fabriken und Fremdenzug, und auch die Sunftanftalten
gewannen. Neben vielen neuen Gebäuden erhoben fih audy bie
großartigen Pflanzenhäufer, ein wahrer Palaft Flora's. In ihren
berrlihen Räumen ſah man viele gelungene Feſte; die bdeutfchen
Naturforſcher, welche in einem der letzten Jahre ihre, ich weiß
nicht mehr wievielte, Zuſammenkunft darin hielten, fanden fich
wohl felten in fo duftend blühender Umgebung. Die Wände des
Rondelſaals find mit den Wappen jener Städte geziert, in denen
die Berfammlung ſchon getagt.
Während des verhältnißmäßig ruhigen Laufe des Jahres
1857 traten Doc die Nachwirkungen der orientalifchen Kriſe in
den Unruhen Syriens, in den VBerwidlungen mit Perfien entichieden
251
bervor, und auch in Stalien zeigten ſich in immer fchärferen
Umriffen und Gegenfäten die Symptome Fünftiger, rubeitörender
Konflikte.
Raifer Alerander II, welcher fih ſchon bald nad dem
Friedenzichluffe in Moskau Hatte Trönen laflen, traf nun im
September 1857 mit Napoleon III. zu Stuttgart, mit den Kaifer
von Defterreid, in Weimar zufanımen. Es lag bier nahe, daß
man fid) allgemein der freudigen Erwartung bingab, die für alle
Staaten fo ungemein drüdende Heeredlaft vermindert, die jährlichen
Defizit3 und Anlehen verichwinden, die Budget? wieder geregelt
zu ſehen — da plabten eines Abends die Bomben Orfini’3 und
ertönten nit nur in der Rue Lepelletier, fie ballten auch
furchtbar in ganz Europa wider. Es bereitete fi nun wieder:
holt, und zwar diegmal im Bunde mit der Revolution, ein Ver:
nichtungskampf vor, deſſen erite dee in der gebeimmnißvollen
Beſprechung von Plombiéres angeregt wurde.
Das Jahr 1858 ging darüber hin, und mährend die meiſten
Staaten fi bemühten, ihre inneren Angelegenheiten zu ordnen,
zu entwafinen, Rußland fogar eine ganz neue Bahn. durd) die
Bauernemanzipation betrat, ſah man nicht ohne eine mit Miß-
- trauen gemifchte Spannung auf die Nüftungen des neuen weftlichen
Kaiferreichd zu Land wie zur See.
England wurde aber von einer Geißel heimgefucht, die ſich
fchon früher, aber noch nie in einem fo Entſetzen erregenden
Grade gezeigt, wie dießmal — von einer blutigen Empörung der
unterdrüdten Stämme in Oſtindien, als Wiedervergeltung für
jahrelange Grauſamkeiten und Quälereien. Auch in diefem grauen-
vol bintigen Racenkriege entging England noch glädlid, der
drohenden Gefahr, und eine über jene Borgänge aufgellärte Ges
ſchichte wird die Mittel, welche zur Beleitigung des Aufftandes
angewendet wurden, nicht im Einklange finden mit den beuchleriichen
Klagen, melde das brittiſche Kabinet anftimmt, wenn andere
252
Füriten, felbft in weit geringerem Grade von ihren Waffen
Gebrauch machend, rebellifchen Angriffen entgegentreten.
An gleiher Weile war das uralte chineſiſche Reich in
feinen Orundfeften erfchüttert, und immer mehr wurde die durch
löcherte Dauer von Äußeren Teinden umzingelt und bedroßt,
während im Innern felbft fi genug Elemente der Zerftörung
bäuften.
Der muthmaßlich einftige Thronerbe Preußens hatte ſich mit
der Prinzeffin Victoria von England vermählt, die Geſundheit
des Königs Friedrich Wilhelm IV. aber, ſchon oft Schwankungen
bingegeben, ſich fo bedeutend verfchlimmert, daß die längft be:
ſprochene Regentſchaft des Prinzen von Preußen endlich eintreten
mußte. Mit diefer Menderung war auch Miniſterwechſel, der
Anfang einer „neuen politifchen Aera“, verbunden.
Der 22. Januar 1858 mar der Tag, welcher den Groß-
berzog Rudwig II. von Baden im 34. Sabre von feinen unfüg-
lichen, fo lange andauernden Leiden befreite; fein edler Charalter,
die geduldige Ergebung, mit der er unverſchuldetes Ungemach
ertrug, machten diefen Verluſt für die großberzogliche Familie noch
ſchmerzlicher. Der junge Prinz hatte des Lebens bitterjten Kelch
geleert, ehe er nur die lichte Seite defjelben kennen gelernt! Friede
der Alche dem chriftlich ſtarken Dulder!
Einige Monate fpäter überrafchte die Nachricht, daß die
Herzogin Helene von Orleans auf dem Lande in England an
den Folgen der Grippe plötzlich verichieden fe. Die Gefühle
wehmüthiger Theilnahme über das Hinſcheiden einer fo vielge⸗
prüften fürftlihen Frau waren mohl allgemein. Gar viele Be
trachtungen anderer Art knüpften fi an diefen QTodesfal. Es
war kaum mehr als ein Menfchenalter verfloflen, während dem
drei Föniglihe Frauen, die Kaiferin Marie Louiſe, bie beiden
Wittwen Berry und Orleans, mit den drei Thronerben, ihren
258
Söhnen, Frankreich für immer fliehen mußten. Welche von den
genannten Fürſtinnen ihre Aufgabe am würdigſten erfaßt, ihre
Mutterpflichten am gemwifienhafteften erfüllt, darüber haben ſchon
die Zeitgenoifen entichieden, und die Nachwelt wird ihr Urtheil
ſicherlich beftätigen.
Ich ſah die Herzogin Helene zwar öfters Abends in den
Zuilerien, doch immer auf furze Zeit, während der mir nur ver:
gönnt war, einige Worte mit ihr zu wechſeln. Wach 8 Uhr
verließ fie regelmäßig den Salon, um, wie eine ächte deutſche
Hausfrau, mit ihren Kindern zu beten und fie zu Bette zu bringen.
Sie’ lebte überhaupt fehr zurüdgezogen; nie ſah man fie bei Hof
feften, nie erichien fie in Gefellichaften, im Theater oder bei Volks:
beluftigungen. Nur mit der Erinnerung an ihren verunglüdten
Gatten beichäftigt, widmete fie ſich treu, aufopfernd, erfolgreid, ber
forgfältigen Erziehung ihrer beiden Söhne. Im Pamilienkreife
allein verbrachte fie no bie und da frohe Stunden. Ebenſo
einfach lebte die Herzogin auf den grünen Hügeln von Richmond
oder in jener ftillen deutichen Stadt, deren Straßen auch ſchon
vor Jahrhunderten eine fürftlihe Wittwe trauernd und hüljlos
durchzog. Allenthalben erwies man dem wohlthätigen Sinne,
der Seelenſtärke, dem lebhaften Pflichtgefühle der Dahingefchiedenen
die höchſte Achtung. In welch' peinlihem Kontrafte ſteht die
Beichreibung der Empfangsfeierlichkeiten bei ihrer VBermählung
im Jahre 1837 mit der furdhtbaren Scene, welder fie in den
legten Stunden ihres Barifer Aufenthaltes beitvohnte! Bewunderungs-
würdig war der Muth, mit dem Die Herzogin, nur einer beiligen
Pflicht eingedent, an dem unheilvollen 24. Februar 1848 in bie
von politiichen Leidenfchaften tief aufgewühlte Kammer trat! Wenn
in jenem feierlichen, enticheidenden Augenblide der als ſtaats⸗
männifcher Charakter erbärmliche Lamartine die Politik des „Geg-
ners“ fchiweigen ließ, wie er fi) ausdrüdte, fo waren es doch
ganz andere Gefühle, welde ihn hätten leiten follen. “Die heroiſche
254
Frau wich nur der Gewalt; fie folite den franzöfilhen Boden
nicht wieder betreten!
Man hat, war von den politiichen und religiöfen Gefinnungen
der Herzogin die Rede, vielfach finden wollen, dag ihr Benehmen
mehr Teftigfeit, ja felbit einen Anflug pedantifcher Zähigfeit, als
fcharfen Verſtand und richtige Beurtbeilung ihrer Lage verrathen
hätte. Sie hing beinahe ſchwäcmeriſch an den politiichen Traditionen
ihre Gemahls, und war daher entfchiedene Gegnerin der „Buflon“.
Konnte man fie deßhalb tadeln? Und dennoch läßt fich nicht
läugnen, daß fie Traft des Tonftitutionellen Prinzips keinerlei Rechte
für ihre Söhne anfprechen konnte; die Dynaſtie Orleans fam im
Jahre 1830 durch Wahl auf den Thron. Der Volkswille des
Jahres 1848 hat in anderer Weile entfchieden! Will man daher
denn beinahe taufendjährigen Legitimitätsprinzipe nicht jede Berech⸗
tigung und Bedeutung für die Zukunft abfpredhen, jo ftehen der
Familie Orleans bei dem vorausſichtlich nahen gänzlichen Erldſchen
der älteren Linie der Bourbons ficherere und gegründetere Kron⸗
anfprühe zu, ala bei dem immer zweifelhaften Ausgange einer
allgemeinen Stimmenzählung.
‚ Sprad man ferner tadelnd von der Falten Zurüdhaltung
der katholiſchen Geiftlichleit, der proteftantifhen Prinzeffin gegen:
über, fo kann, wer diefe Thatſache mit Maren, unparteiifchem, ver
Allem aber mit Hiftorifhem Auge beurtheilt, nicht davon über:
rafht werden. Don der heil. Clotilde bis zur Königin mit der
Martyrivone haben nur katholiſche Fürftinnen den franzöftfchen
Thron eingenommen. War denn der Wunſch fo unbillig, daß
dieß auch in Zukunft der Ball fein möge? Weicht doc jedem
ruſſiſchen Großfürſten nur eine Prinzeffin die Hand, welche fich
zum griechiſchen Glauben bekennt, mandyer Vorgänge in anderen
Staaten gar nicht zu gedenfen! — Ein Jahr früher war ihr
eine andere deutſche Fürftentochter, die ſchöne Herzogin von Ra:
mours, auch im fernen Inſellande, vorangegangen, und von den
255
fünf Schwiegertöchtern umgeben nun noch jene von Brafilien,
Neapel und Spanien die greife Wittwe Louis Philipps.
Ob es aber wohl dem Erziehungdplane der Herzogin Helene
entiprochen hätte, daß ihre Söhne fih an einem unrühmlichen,
kläglichen Bürgerfriege betheiligen, ihrer Geburt unwürdig mit
republifanifchen Uniformen im Gefolge irgend eines amerikaniſchen
Treibeuterd oder fremden Emporkömmlings erfcheinen? Die Zeiten
Waſhington's find vorüber, und ich glaube nicht, daß diefe über:
feeifchen Feldzüge die Popularität der Prinzen aus dem Haufe
Orleans in Frankreich erhöhen dürften.
Im Auguft wurde dem SKaifer von Defterreih ein Sohn
geboren, an defien Namen — Rndolph — fi, follte er dereinft
zur Thronfolge gelangen, die fchönften Hoffnungen für die Zukunft
Deutſchlands knüpfen würden!
Die berüchtigten Worte — Neujahr 1859 in den Tuilerien
ausgeſprochen — klangen an den Wänden aller fürſtlichen Schlöſſer
in Europa nach. Welches Echo ſie aber bei dem Botſchafter
fanden, an welchen fie zunächſt gerichtet waren, hat man nicht
erfahren. Die Lage Hübner’3 war dabei die peinlichfte, die man
fih nur denken Tann, und eine, hier nur allein mögliche Entgeg⸗
nung mußte tur das Gewicht einer allzu großen Verantwortlich
keit zurüdgehalten werden.
Es verflofien nun Monate, während melden man fi in
Kriegsrüftungen und Verhandlungen theilte. Die meiften Kabinette,
und leider auch Oefterreich, glaubten nicht ernftlich an den naben
Bruch. Man ſah nur Drohungen da, wo ſchon die Verabredungen
zu beftimmten Feldzugsplänen ftattgefunden hatten. Waren früher
die Herausforderungen, Rußland gegenüber, war der in fo frivoler
Weife in der Krim begonnene Krieg jhon nicht gerechtfertigt, wie
folte man nun, drei Sabre nad dem Barifer Frieden, der bei
Zerwürfniffen eine worgängige Beratbung aller Mächte in Ausficht
ftellte, die einfeitige Intervention in der Form eines Angriff? auf
256
Oberitalien bezeichnen, ein bewaffneter Vieberfall, der unter äbn-
Tihen, nichtigen Vorwänden noch einen mit heuchlerifhen Phrafen
ſchlecht verhüllten Webermuth verband? Unter den abgenützten
Nedensarten von Freiheit, Unabhängigkeit, Einheit Italiens, von
Förderung der Eivilifation und des Menichenglüds verbarg ſich
die widerlichite NRaubluft von Seiten Sardiniend, das oflenbare
Streben Frankreichs, feinen Einfluß an die Stelle des öfter:
reihifchen in jenem Lande zu fegen! Tlugfchriften, in ihrer früge
riſchen Sophiſtik ganz geeignet, ſchwache Köpfe zu verdrehen, gingen
den offiziellen Aufreizungen zuvor, und die Zuriner Prablereien
fanden einen kriegeriſchen Nachhall an der Seine. Rußland ver:
mittelte, ſchlug fogar einen Kongreß nah „Mannheim“ vor;
England ſchickte feinen Vertreter in Paris, Lord Cowley, als
unterhandelnden Bevollmächtigten zur Audgleihung nad Wien,
wo man bis zum lebten Augenblide auf die Erhaltung des
Friedens hoffte und ein allzu redliher Sinn, dem förmlidhen
Zäufchungsfgfteme gegenüber, mit ungleichen diplomatifhen Waffen
focht. So ging für Defterreih in fruchtlofen Unterbandlungen
eine koſtbare Zeit verloren, welche von der anderen Seite zu
Kampfeövorbereitungen benügt wurde. Ende März hatte Oeſter⸗
reih nur einen Feind — die Piemontefen, ſechs Wochen fpäter
deren drei zu befämpfen, denn es hatten ſich während diefer Zeit
die Revolutionsbanden unter Garibaldi organifirt und waren die
franzöfifhen Truppen zur See wie über die Alpen in Stalien
eingebrungen. Das Ultimatum an Sardinien erfolgte, die k. E.
Armee febte über den Po, während Erzherzog Albrecht in Berlin
unterhandelte, und dann auch 309 fich diefelbe ohne weſentliche
Erfolge nah einigen Wochen wieder über jenen Fluß zurüd.
Nun Häuften fi die Hiobspoften für die öſterreichiſchen Waffen;
zuerit Magenta, dann Solferino, endlich der unglüdielige Friebe
von Billa Franca — die Lombardei war verloren! .
257
Fern von dem Schauplatze der Begebenheiten, vermag ich
nicht die Teitenden Motive jener Politik wie die näheren Urſachen
fo überrafchender Vorgänge zu ergründen; auch kann ich mich der
peinlihen Aufgabe, die Geſchichte jener Tage zu fchreiden, um fo
eher entziehen, al8 fie in das Gedächtniß aller Zeitgenoffen einge:
graben ift — ein Waffenftiliftand verfchob die weiteren Friedens⸗
beftimmungen auf einem Kongreß in Zürich, die drei Fürften der
italieniſchen Mittelftanten floben, der Bapit war in Nom von
allen Seiten gedrängt, und während die beiden Sicilien noch
Fräftig dem Revolutionsſturme widerftanden, ftarb König Ferdinand
im beiten Mannesalter zu Neapel. England ftellte dabei heuch⸗
leriih das Nichtinterventionsprinzip auf, dem es feinerfeit3
nicht treu blieb, und Guizot bezeichnet diefe Haltung ebenfo
wahr als treffend mit folgenden Worten:
„Les antres (puissances), l’Angleterre surtout, soit par
entrainement de parti, soit dans des vues frivolement inte-
ressöes, donnent aux r&volutions 6ötrangeres une adhösion
indistinete, et acceptent p@le-m&le leurs violences comme leurs
r6formes, leurs usurpations et leurs attentats contre le droit
des gens, comme leurs r6clamations et leurs entreprises les
plus lögitimes.“
Mittlerweile war Graf Buol von der Leitung des Departes
ment? des Aeußeren enthoben worden, und ein ſ. g. Uebergangs⸗
minifterium follte einen neuen Zuſtand der Dinge vorbereiten.
Fürft Metternich) aber verfchied am 11. Juni, alfo gerade in dem
kurzen Zwifchenraume, welcher die beiden großen, enticheibenden
italienifchen Schlachten trennte. Mit melden Empfindungen mag
der hochbejahrte Staatsmann wohl den letzten Creignifien gefolgt
fein? Er hatte in feinem Tangen Leben nur einen Haß, den der
Revolution, gekannt, und er ſah fie nun nad allen Richtungen
fiegen! Diefe ſchmerzlichen Eindrücke, verbunden mit der Ermüdung,
bewirkt durch die große Hitze und fortwährende Beſuche, Hatten
Feh. v. Andlaw. ® 17
en
258
den S7Tjährigen Mann fihtbar erfchöpft. Er farb mit dem rubigen
Sinne, der ihn nie verlaffen, janft, umgeben von der trauernden
Familie und einigen Freunden, unter ihnen der ihm ſtets ergebene
Fürft B. Eſterhazy.
In neuefter Zeit folgte der ruſſiſche Staatskanzler Graf
Neffelrode mit 82 Jahren dem öfterreichifchen in’3 Grab. Ich
war ihm nur einmal im Leben begegnet, feine Perfönlichleit Tieß
aber den angenehmſten Eindrud in mir zurüd. Biele Vergleichs⸗
und Anziehungspunfte fanden fih in der Laufbahn diefer beiden
Staatömänner; beide nicht in dem Lande des Schauplatzes ihrer
Thätigleit geboren, beide ungefähr in demfelben Alter, traten auch
beide beinahe zu gleicher Zeit die Leitung der auswärtigen Ange⸗
legenheiten in Wien und St. Veterdburg an. Metternich und
Neffelrode waren an der Spitze der Verhandlungen de Wiener
Kongrefies, belämpften Napoleon I. und fahen am Ende ihres
40jährigen Wirkend wieder einen anderen Napoleon ala Kaifer,
der die Früchte ihrer diplomatifhen Thätigkeit zerſtörte; denn
während Neffelrode, 1815 einer der Mitunterzeichner des Pariſer
Friedens, einem zweiten bort abgeichloffenen Vertrage und den
darin audgeiprochenen Grundfägen 1856 weichen mußte, erlebte
es noch Fürſt Metternih, das üfterreichifche Heer wieder von
Trangofen befiegt, eine neue Wera, ein neued Syſtem beginnen
zu ſehen!
Die Jahre 1860 und 1861 verliefen wieder Erivarten im
Sanzen friedlich, aber es mar ein theuer erfaufter und darum
doch nicht minder fauler Friede! In unerhört frevelhafter Weiſe
wurde das fühliche italienifche Königreich überfallen, und Gasta
wird auf immerwährende Zeiten an den Heldenmuth eines jungen
Königlichen Ehepaars erinnern. Wie dort, fiegten auch bei Caſtel⸗
fidardo Berrath und Friedensbruch, und die widerliche Poſſe der
allgemeinen VoltBabflimmung feste der Schmach die Krone auf.
Während man fih um die „Einheit“ eines ganzen Italiens fritt,
259
riß Frankreich ein Stüd davon los, blieben Korſika und Malta
in fremden Befite. ‘Der deutihe Fürſtenkongreß zu Baden im
Juni, die Zufammenkunft der Monarden im Oftober 1860 zu
Warſchau verhinderten nicht den Einzug Victor Emanuel3 in
Neapel, und während Napoleon feine Truppen im fernen China
mit Siegen und Plünderungen befchäftigte, verlor er was in allen
Theilen Europa’3 vorging nicht aus den Augen. immer ver:
widelter geitalteten fidy die Dinge in Italien; Rom und Venedig!
wurde das Feldgeſchrei der rothen Patrioten. Defterreidh lag in
ben Geburtöwehen feiner Berfaffung und Deutſchland vang auf
verjchiedenen Wegen nach Einigkeit und innerer Kräftigung. Se
fand das Jahr 1862 die Weltlage, und ih will es nun ver
ſuchen, nur die gegenwärtigen Zuftände dreier Staaten und ihre
mögliche, Entwicklung in der Zuhunft näher berührend — von
Deutihland, Frankreich, Italien zu fprechen!
Was nun zunächſt unfer liebes Vaterland betrifft, fo bat es
feit 1000 Jahren gar mandye Stadien durchlaufen, und, im Herzen
unfere® Welttheild gelegen, beftimmt, demfelben den Pulsichlag zu
geben, mühte es fi) in meift vergeblihem Streben ab, fih auf
die Höhe zu ſchwingen, zu der «8 feine politifch>geographifche
Rage, der Träftig ausdauernde Charakter feiner Bendlferung, der
eble, intelligente, nur zu Tosmopolitifhe Sinn der deutfhen Nation
zu beftimmen ſchien. Die Klagen, daß Deutſchland dieſe ermünfchte
Höhe nicht erreicht, oft gehört, dann wieder verballt, ließen fich
in neuefter Zeit um fo lauter und eindringlicher vernehmen. Eine
Prüfung, ob und in wie fern man bierzu bereditigt, Tiegt un
nabe. Daß aber dabei mehr gefprochen, verhandelt und gefchrieben,
als gehandelt wird, Tann Niemand, der diefe Zuftände aufmerkſam
verfolgt, in Abrede ftellen. Doc mozu dient der mit bochtönenden
Phraſen verbundene Jammer, wenn man fich feines Zieles nicht
- 17 3
260
Har bemußt iſt? Seit Jahrhunderten lautete das Lofungöwort Der
Deutfchen: „Einheit!” und was geſchah, was gefhieht noch, daB
dieß Wort zur Wahrheit werde?
- Haben in früherer Zeit die Wahl: und Parteikämpfe der
Kaiſer und Stämme die Kräfte des bdeutichen Reichs geſchwächt,
fo erweiterten fpäter zwei Ereigniffe die Kluft, machten eime
Wiedervereinigung beinahe zur Unmöglichkeit. Die eine diefer für
immer beffagenöwertben Thatfachen ift die unfelige Kirchenfpaltung
des 16. Jahrhunderts. Zu diefen religiöfen Zermürfnifien, welche
einheimifche Verräther wie auswärtige Teinde Hug zu ihrem Ber:
theile benügten, gefellte ſich der weitere politifhe Riß durch die
Erhebung Preußen? und die Haltung Friedrichs des Großen
Defterreich gegenüber. Damit mar die Parole zu einem wohl
unbeilbaren Dualismus gegeben, und für einen Augenblid nur
fonnte die drohende Gefahr, der unerträglid gewordene fremde
Drud die getrennten deutſchen Volksſtämme zu gemeinichaftlichem
Handeln vereinigen. |
Die deutſche Bundesverfaſſung war beftimmt, das früher
geloderte Band wieder feiter und dauernd anzuziehen. Entſprach
died Werk in feinen Erfolgen nicht den davon gehegten Erwartungen,
fo wäre es unbillig, die Urfache diejer betrübenden Ericheinung
nur allein in der Faffung der Bundesakte jelbft zu fuchen. Ich
ſchwärme wahrhaftig nicht für den Sranffurter Bundestag und
feine Bejhlüffe; aber er war doc, welcher unbefangene GStaats-
mann könnte es läugnen, unter den gegeben Verhältnifſen das
einzig möglich Erreihbare und jeder weiteren gedeihlichen
Entwidlung fähig. Daß diefe unterblieben, daß fich dafür immer
mehr ein gewiljes allgemeines Mißbehagen zeigte, Alles, was vom
Bundedtag ausging, mit Ungunft, Miftrauen aufgenommen murbe,
daran war wohl eben nicht allein der Anhalt und der Wortlaut
der Alte, es waren vielmehr Regierungen wie das deutiche Volt
ſelbſt ſchuld. Gebrach es den eriteren an gehöriger Energie, an
201
Einigfeit und einer beftimmten Richtung des Willens, den Bau
der ftaatlichen Inftitutionen heilbringend fortzuführen, behalf man
fi mit Palliativen, fo ift auf der anderen Seite wieder nicht zu
verfennen, daß der Mangel an Gemeinfinn, an wahrhaft politifcher
Erziehung bei den Deutfchen die jo ungemein ſchwierige Löſung
jener praftifhen Fragen gerade nicht erleichterten.. Monatlange
Berhandlungen des Parlaments in Frankfurt Haben auch zu keinem
befriedigenden Refultate geführt, und ald man von Seiten der
Staaten wie der völferbeglüdenden Redner nicht? zu Stande zu
bringen vermochte, kehrte man wieder zur alten Bundesverfaffung
zurüd. Während den feither abgelaufenen zwölf Jahren ift wenig
oder nichts geichehen, fie den Bebürfniffen der Neuzeit anzube-
quemen, und fomit ftehen wir wiederholt an dem mit gewaltiger
Stimme mahnenden Rufe: „Reform!“
Die Wege, zu diefem Endziele zu gelangen, find aber Far
vorgezeichnet und laſſen ſich auf fehr einfache Sätze zurüdführen.
Die erfte, einzige und nicht zu umgebende Bedingung zu einem
friedlichen, einigen und fomit innerlidy ſich verftärfenden Auftande
der Dinge in Deutfchland ift ein offenes, aufrichtiges, durch Teinen
Hintergedanten getrübtes Einverftändniß der beiden Groß:
mäcte. ft diefe Grundlage einmal gefunden, ergibt ſich alles
Uebrige von ſelbſt; es wird dann unfere innere Kraft nicht mehr
durch Eiferfuht, Spaltung in zwei Lager gelähmt und dem
deutfchen Reiche die ihm gebührende Stelle in der Weltlage ein:
geräumt werden. Es dreht fih demnach Alles um die Beant⸗
wortung der wichtigen Borfrage: „Iſt jene allein maßgebende
Vorbedingung auch zu erfüllen möglich?“ Nur die Zeit, die Rück—
kehr zu einer befieren Erkenntniß, die dringende Mahnung, von
allen Seiten leidenfchaftlihen Eingebungen, gehäffigen Einflüfte-
rungen zu entjagen, fann endgültig darüber entſcheiden. So Tange
aber dieß Räthſel nicht gelöft ift, fo Tange wir nicht aus dem
Bauberkreife treten, der una gebannt, fo mögen fich papierne Berge
262
von Noten, Denkſchriften, Brofhüren, Proteften, Zeitungsartifeln,
Reformvorichlägen u. dgl. m. aufthürmen, wir werden zum Hohne
wie zur unverboblenen Schadenfreude der NRachbarfinaten mie
einig werden.
Jeder andere Ausweg, als der angegebene, führt aber nad
meiner innerften Weberzeugung nur zur Anardie, zum Bürger:
kriege, vielleicht zur Auflöfung des fozialen Lebens, und in weiterer
Zukunft ift und die Einmiſchung fremder Waffen, beute- unt
eroberungsfüchtiger Fürften in Ausficht geftellt.
Nehmen mir einmal den, wie ih glaube, nicht möglichen
Tal an, es ließe fi Defterreih durch die Aufftellung eines
Staatenbundes in einem unter Preußen? Hegemonie ftebenden
Bundesftaate aus dem bisherigen Verbande verdrängen, fo müßte
vor Allem erwogen werden: ob Preußen in tem neuen deutfchen
Rei, in Kleindeutichland, oder diefes in Breußen aufgeben foll?
Nach den bisherigen Erfahrungen iſt nicht zu erwarten, daß man
fih von beiden Seiten da3 Eine oder das Andere gefallen Iafien
werde. Preußen will, und zwar mit vollem Rechte, nicht feiner
Geſchichte, feinem Kriegsruhme, feiner Unabhängigkeit als Groß—
macht, feinem Namen und Wappen und Adler, feinem Königthum
entfagen, um fi in einem Fahrzeuge einzufchiffen, das mit vollen
Segeln den nebelhaften Ufern „Gotha's“ zufteuert; e8 Tann und
wird da nicht ein modernes goldenes Vließ in ber Geftalt einer
deutichen Dornenkrone auffuchen, die Wirklichkeit einem Schatten
opfern wollen. Aber auch angenommen, es Tüme dazu, wie viele
Fragen wären bis dahin zu löſen und welche grenzenlofe Vers
wirrung flünde unferem armen Baterlande bevor! Soll jedoch der
Theil Deutihlands, von welchem ſich Defterreich getrennt, mır
dazu dienen, die Hausmacht Preußens zu vergrößern, in diefem
Königreich aufgehen, fo wird eine ſolche Zumuthung doch wohl
zunächſt in Süddeutichland, und da wieder vor Allem in Bayern
auf entſchiedenen Widerſpruch ftoßen. Ein foldder könnte aber nur
263
dur Waffengewalt oder die Revolution gebrochen werden; in
beiden Fällen würden wir den Gräueln eined blutigen Bürger:
kriegs nicht entgehen. Ein zwifchen beiden Projekten die Mitte
haltender Vorſchlag, Preußen die militärifche, diplomatiſche und
bandelöpolitiiche Leitung in dem ohne Defterreih zu bildenden
Neudeutihland zu überlaffen, lieſt fih al3 vermittelnder Ausweg
zwar vecht gut, ift aber bei den Sonflitten, welche fich noth:
wendig in der inneren Verwaltung der Bundesſtaaten ergeben
müßten, gewiß ebenjo wenig durchzuführen.
Ih Tomme daher auf den allein möglichen Anker des Heils
zurüd, wenn ich den hoffentlich nicht vergeblihen Wunſch aus:
ſpreche, daß Defterreih und Preußen gemeinfhaftlih das
Reformwerk in die Hand nehmen und die einer zeitgemäßen Um:
bildung obne Zweifel fähige Bundesverfaffung im allfeitigen, wohl⸗
veritandenen, ächt deutſchen Intereſſe ernitlich berathen.
Dabei bleibt mir jedodh noch ein weiteres Bedenken; es ift
immer und wieder von einer VBollsvertretung am Bunde die
Rede, und die Ausführung dieſes Planes beinahe zu einer deutſchen
— ich mil nicht gerade fagen Monomanie — doch zu einer
Lieblingdidee geworden. Ih mil nicht an die Auftritte, das
Barteigetriebe und die erfolglofen Verhandlungen in der Pauls-
firhe erinnern; ſolche Erfahrungen werden nur ſelten beherzigt;
man glaubt ed immer wieder beffer zu machen; nur eine Trage
fei mir erlaubt: wie wird fich eine foldhe gefeßgebende groß: oder
Heindeutiche Verſammlung zu dem Reichstage in Wien, zu den
beiden Häufern in Berlin verhalten, mie fi die Autonomie aller
Bundesftanten mit den Befchlüffen eines ſolchen Parlaments ver-
tragen, das gleichviel in diefer oder jener der angedeuteten Formen
wieder auftauchen würde?
Dielelben Urſachen müflen naturgemäß allenthalben und zu
jeder Zeit auch wieder diefelben Wirkungen bervorbringen.
Erkennen wir an, daß egoiftifhe, ehrgeizige Beſtrebungen
264
wie indolente Gleichgültigkeit und innerer Zwieſpalt der deutfchen
Regierungen viel Unheil bereitet, fo ift auch nicht mehr ala billig,
nicht blind für die Gebrechen zu fein, an welden die Regierten
Titten. Das Bolt bat feine Schmeichler wie die Fürften; es
ift fo angenehm, fi) fortwährend Ioben, von einer politifchen Rolle,
von welthiftoriicher Bedeutfamfeit, von Einheit, Kraft, Freiheit,
Unabhängigkeit, politiiher Mündigkeit prechen zu hören. Doch
mit dem Phrafenjammer allein, daß man noch nicht dazu gelangt,
ift nichts erreicht; man muß aud die Eigenfchaften in fi ver:
einigen, in der That darnach fireben zu Tönnen. Der Deutfche
ift bieder, treuberzig, arbeitfam, erfinderifch, thätig, wahrbeitäliebend,
er fügt fih gem und leicht in alle Verhältniffe zu Haufe wie in
den fernften Zonen; überall ift er in der Regel gut gelitten, bald
heimiſch und baut fich zufrieden in jedem Welttheile eine Hütte.
Weit entfernt von dem unbändigen Nationalftolze der Engländer,
der glühenden BVaterlandzliebe der Franzoſen und der eitlen,
prablerifhen Selbftüberfhätung der Staliener, ift der Deutſche
fill, feines eigenen Werth bewußt, aber anderen Völfern gegen:
über allzu befcheiden, nur zu oft feine Stammeseigenthümlichteiten,
felbft den deutfchen Namen verläugnend, und fchnel nimmt er
Sitten, Sprache und Gefchäftstreiben der Länder an, in die er
eingewandert. Er wird in feiner vielbefannten Nachahmungsſucht
fih für Rechte, Vorzüge, Errungenfchaften begeiftern, deren Ge
währung nun einmal, der Natur der Dinge nach, nicht möglich
if. Wie viel. Gold und Gefchmeide wurde nicht fon auf dem
Altar des Vaterlandes niedergelegt, um eine beutihe Flotte“ zu
erhalten, und meld, klägliches Ende Hat fie genommen! Und auch
jest hofft man mit „Pfenningen” eine Seemacht zu werden, ohne
zu bedenten, daß, follte man es wirklich mit fo Heinlichen Mitteln
einmal zu einer Achtung gebietenden Flotte bringen, die großen
©eeftaaten, wenn fie fie nicht im Keime erftiden, ihre Vermehrung
doch hindern merden.
"265
Sm Gegenſatze zu fo hochſtrebenden Gedanken und Plänen
begegnet man ganz demütbigem Auftreten, bald ärgerlihen, dann
wieder lächerlichen Erſcheinungen. Man lacht bei jedem Anlaffe
über den deutſchen „Michel und klatſcht Satyren oder Spott:
bildern wie Liedern Beifall zu, wo andere Völler pfeifen würden;
man fchreit fih: „Sie follen ihn nicht haben!“ heiſer und gibt
den Rhein am Po auf; man brüllt: „Was ift des Deutichen
Vaterland?“ umd begnügt fid mit „Kleindeutſchland“! man be:
geiftert fi für eine „Flotte“ und gibt ohne Schiwertftreich die
Ihönften Küftenländer auf; man will von Frankreich, Rußland,
Dänemark altdeutfche Länder zurüdfortern, fähe aber in größter
Semüthärube viele Millionen DeutfchOefterreicher aus dem Reichs⸗
verbande jcheiden; man jubelt, toaftirt, turnt, fingt, trinkt, zieht,
die ſchwarz⸗roth-goldene Fahne ſchwingend, von einer Stadt zur
anderen, aber läßt die von ihren natürlihen Bundesgenoffen ver:
laſſenen Brüder jenfeit3 der Alpen in blutigen Treffen jchlagen;
man jauchzt fremden Siegern zu und freut fi), fchadenfrob, der
Niederlagen im Nahbarlande; man ſchwärmt für deutihe Macht
und Größe, und räumt willig Frankreich die Herrihaft in Italien
ein; man fchmäht deutiche Kriegshelden und läßt Garibaldi und
Koſſuth Hochleben — je nach dem Windzuge der |. g. Öffentlichen
Meinung ift man endlich troßig und berausfordernd, oder nad:
giebig und zahm, Eriegerifch oder friebliebend, immer ſchnell fertig
mit den Worten, aber minder raſch zur That — und mitten in
al diefem gedankenlofen Treiben eine die Gemüther erbigende
Breffe, bald in diefer, bald in jener Farbe den Barteileidenichaften
ſchmeichelnd!
Doch genug dieſer ſinnverwirrenden Bilder! Werden doch
hoffentlich die Deutſchen, ihre wahre Intereſſen und Bedürfniſſe ein⸗
mal erkennend, ihre unſtreitig ſchätzenswerthen Eigenſchaften geltend
machen, ihre Lage innerhalb der Grenzen des Möglichen nachhaltig
verbeffern, ftatt der Verwirklichung von Idealen nachzujagen!
266
In Bezug auf die Bundesreformfrage bin ich weder
ſpezifiſch oſterreichiſch noch preußifch gefinnt; meine lebhafteſten
Sympathien find vielmehr dem Gefammtdeutichland zugewendet,
und Alles, was demnach die Kinigleit der beiden Großmächte
itören, die Mluft nur immer erweitern Tann, thut mir aus ganzer
Seele meh. Allen Staatömännern und Kriegern, allen Rechts-
freunden und Gelehrten, allen Abgeorbneten und Bürgern, jedem
ächten Patrioten möchte ich zurufen: fie follten fi nur in dem
einen Wunſche, in dem einen Streben begegnen, den inneren
Frieden in Deutihland, und fomit feine politifhe Größe und
Bedeutung wieder dauernd berzuftellen.
Werfen mir einen Bli auf die Karte Deutfchlande während
des fo jehr geſchmähten, „finftern“ Mittelalterd, fo erkennen mir
befhämt, wie weit und mächtig fich da deutſche Herrichaft, deutiches
Gebiet, deutfher Einfluß erftredten, und haben wir aud) bedeutende
Länderſtriche deutfcher Junge, wohl für immer, eingebüßt, fo wäre
dennoch ein Theil diefer früheren Machtitelung wieder zu erlangen,
wenn nicht Uneinigfeit alle unjere Kräfte lähmte, die Beftrebungen
ter Großmächte fich gegenfeitig neutralifiren würden.
Auch auf dem religidfen Gebiete blieben auffallende Er:
Iheinungen nit aus; gar gewaltig regte es fi und gährte in
den proteftantifchen Regionen, während fi) bei dem größten Theile
des Tatholifhen Deutſchlands eine bemunderungswürdige, erfreuliche
Webereinftimmung in der Theilnahme und Anbänglichkeit für die
gerechte Sache des fchwergeprüften Oberbirten der Kirche mit Wort
und That ausgefprochen; auch das deutfche Episkopat ſchaart fich
wie ein Mann um den päpftlihen Stuhl, und in Feiner Epoche
der Geſchichte finden ſich Beifpiele eines fo treuen, glaubens-
mutbigen Zufammenhaltens; die Beweiſe von Opfertoilligleit und
Ergebenheit wachen in dem VBerbältniffe zu den den heil, Vater
bedrohenden Gefahren.
267
Neben den erhabenen Bau der allgemeinen Kirche hat man
es nun verfucht, eine Meine Kirche zu errichten, die, Kaum gegründet,
auch ſchon in Trümmer zerfallen, eine moderne Ruine bildet.
Selbft des Namens des „Deutſchkatholiken“ ſchämen fi ihre An-
hänger jebt ſchon und legen ſich die Bezeichnung „freireligiöfer
Gemeinden” bei. Freireligiös! was heißt da3? etwa eine Ber:
einigung, bei der Yeber in Religionsſachen frei denken und handeln
fann und darf, mie er will? Dazu bedarf e3 aber keiner Gemein-
ſchaft, keines Symbols, keines beſonderen Glaubensbekenntniſſes;
Jeder richtet ſich daſſelbe im eigenen Hauſe ſchon von ſelbſt zurecht.
Je fühlbarer der Mangel an hervorragenden Männern in
unſerer Zeit iſt, deſto mehr läßt man ſich es angelegen ſein,
frühere berühmte Perſönlichkeiten in Stein und Erz zu verewigen.
Dieſer Drang, an ſich ganz läblih, ſollte ſich aber doch in ge
wiſſen Grenzen, nicht gar fg überſchwänglich äußern. Bald find
alle Plätze jeder noch fo Heinen Stadt mit Standbildern bededt,
“und die Verehrung der dadurch zu feiernden Größen richtet fidh
eben nad dem Strome der gerade herrfchenden Anfichten. Die
Heiligenbilder werden verdrängt und der Keultus des Genie's, des
oft zweifelhaften, beftrittenen Erfolgs auf dem Schlachtfelde oder
tm Sabinette, an der Börfe oder im Induſtrieweſen tritt an ihre
Stelle. Wurden ja fogar Stimmen laut, dem um Deutſchlands
„Civiliſation und Freiheit“ fo Hochverdienten Cavour! irgendwo
ein Denkmal zu errichten, und wenig fehlt, daß man dem modernen
Eincinnatus auf feiner Anfel eine von „Ziegen“ umgebene Statue
botire!
Ein Mißbrauch anderer Art wird mit dem Worte „Amneflie“
getrieben. Sie ift ein Ausflug fürftliher Gnade, ein fchönes
Vorrecht der Krone, eined der wenigen, welches ihr noch die
Schulweisheit gelaffen! Doch auch diefen Alt freiwilligen, hoch⸗
berzigen Entichluffes ftellt man den Megenten nur zu oft als die
Erfüllung einer durd die Nothwendigkeit gebotenen Pflicht vor.
268
Man verlangt ungeftüm, daß die Amneftie eine ausnahmsloſe fei
und ohne Bedingung ertheilt werde, denn der ungebeugte Troß
verlangt nur Recht, bittet nicht um Gnade. Diefen Anforderungen
gegenüber fteht die heilige Verpflichtung des Staates, Allen gerecht
zu fein und friebliebende Bürger gegen die Wiederholung frevel:
after Unternehmungen zu ſchützen; denn nicht felten wurden Die
zurüdgefehrten Begnadigten, fam es zu neuen Unruben, unter den
Eriten in den Reihen der Kämpfenden gefehen!
Was nun Defterreih und Preußen betrifft, fo haben
beide in ihrem Sunern eine neue, der jüngft vorangegangenen fc
ziemlich entgegengejeßte Richtung eingeſchlagen. Ich Tann, im
Widerſpruche mit der fo allgemein verbreiteten Meinung, nur
wiederholt meine Veberzeugung dahin ausſprechen, daß die zehn:
jährige Verwaltung unter Bad, welche man nun als eine
„reaktionäre⸗ zu verſchreien, in jeder Beziehung zu ſchmähen ge-
wohnt ift, eine zeitgemäße, der damaligen Uebergangsperiode voll-
kommen anpaffende war, und fie in ihrer meiteren Entfaltung nur
durch die unvorgefehenen, beklagenswerthen Ereigniffe des Jahres
1859 aufgehalten wurde; weßhalb verhielt fi) denn bis zu jener Zeit
Alles ruhig und erhoben ſich erft dann alle Stimmen des Tadel,
als dad Unglüd über Defterreich hereingebrochen war?
Die Schwächen jenes Syſtems, wer wird fie läugnen? fie
liegen jebt offen zu Tage; es Hat jedody nie Anſpruch auf Unfehl-
barkeit gemacht und wohl darin geirrt, daß es die Bahn der
„politiſchen Verſuche“ nicht abermals betreten wollte, ohne des
Erfolgs gewiß zu fein, mit einem Worte: den proviforifchen Zu:
ftand über Gebühr hinausgezogen, jede erwartete Veränderung nur
in einer gan; fernen Zukunft in Ausficht geftellt zu Haben.
Wären, mie es fich vorausfehen ließ, die Finanzen allmälig ge
ordnet, bei andauerndem Frieden die Heereslaſt vermindert, eine
Ausſöhnung mit den noch immer grolienden Kronländern erzielt
worden, dann erft war es an der Zeit, an einen foliden Aufbau
269
ber Verfaſſung zu denken. So braufte aber ein von Außen nicht
ohne Abficht heraufbeſchworener Sturm über die Monarchie, zer:
trümmerte gewaltſam die zarten Keime des wachſenden Wohlftandes,
einer geregelten fiaatlihen Ordnung, und man ſah ſich nad
anderen Baumeiftern um.
Mas der 20. Oftober 1860, was der 26. Februar 1861
brachte, find eben auch nur wieder „Verſuche“, und Niemand, der
die damalige Lage aufmerffam prüfte, wird verfennen, daß durchaus
Etwas geichehen mußte, gerechten Anforderungen zu genügen.
Ich felbft, unter öſterreichiſchem Scepter geboren, durd meinen
mehr als zmanzigjährigen Aufenthalt in Wien mit den dortigen
Berhältniffen und Perfonen genau befannt, folge mit lebhafter
XTheilnahme dem Gange der Dinge, ihn mit dem aufrichtigen
Wunſche einer weiteren, gedeiblihen Entwicklung der Zuftände
begleitend. Dennoch kann ich mid, der peinlihen Befürchtung
nit entziehen, daß dieß Ziel, au auf dieſem Wege nicht erreicht
werde. Ohne prinzipieller Gegner irgend einer Konftitution zu
fein, ich wiederhole &, kann ih aber unmöglich annehmen, daß
diefe Berfaffungsformen nicht zerfeßend auf den feltfamen Staats⸗
organismus Defterreich8 wirken werden, und gebe mid) lieber dem
Trofte hin, daß, wo Menſchenkraft und der befte Wille nicht aus⸗
reihen, die göttliche Vorſehung, welche fihtbar im Laufe der
Geſchichte über Defterreih gemacht, diefem Staate die Weltitellung
anmweifen werde, welche ihm nach deren unerforichlidem Rath⸗
ſchluſſe gebührt.
Die Experimente aber, welche Preußen bisher auf konſtitu⸗
tionellem Gebiete angeftellt können nicht aufmunternd auf Oefter-
reich zurückwirken, und man bat fi bis jeßt, wie man früher
boffte, noch lange nicht in die neuen Formen bineingelebt, ob und
wann dieß je gefchehen werde, Tann und nur die Zukunft lehren.
So lange es aber der dfterreichifchen Regierung nicht gelingt,
wenigftend Ungarn für die Idee des Einheitsſtaates zu gewinnen,
270
wird das dortige Verfaſſungswerk nur ein Brucftüd fein. Doch
ift der Anfang einmal gemacht, Die ungemein complicirte Maſchine
in Bewegung geſetzt, und Staatsklugheit wie Ausdauer werden
das ihrige dazu beitragen, die zahlloſen Schwierigkeiten zu über⸗
winden. So lange dieß jedoch nicht geſchehen, wäre es gewiß
unbillig, alles Uebel der Gegenwart nur den Mißgriffen der
jüngſten Vergangenheit zuzuſchreiben, eine Verwaltung mit Ber:
wünfchungen zu überfchütten, die in ihrem Sinne wenigſtens das
möglich Erreihbare angeftrebt und nur einem widrigen. Verhäng⸗
niſſe zum Opfer fiel.
In gleiher Weife konnte auh in Preußen die Politik,
welche das Minifterium „Manteuffel“ den 1848/49 flattgefundenen
Uebergriffen wehrend befolgte, bitterem Tadel, beikendem Spotte
nicht entgehen. Doch find auch Hier die Alten noch nicht ge
fchloffen, der Sieg des neuen Syſtems mehr als zweifelhaft, denn
alle Vorgänge ftehen unter fih in einem, wenn auch nicht -immer
fihtbaren Zufammenbange, und erit wenn ein Zeitabfchnitt Bar
vor uns liegt, laͤßt fi ein gültiges Endurtbeil abgeben. Run
drängt aber jeder Tag gebieterifcher zu der Erwägung: ob der
Lauf der Revolution, welchem vor Allem entgegenzutreten doch
gewiß die erfte und heiligſte Pflicht jedes twohlgeorbneten Staates
ift, eher durch Widerftand, oder durch Nachgiebigleit unter der
Aegide geſetzlicher Formen aufgehalten werden könne?
Hat man ſich in Deutſchland aber einmal für das Ber:
faſſungsweſen nad) englifhem Zufchnitte entichloffen, fo fragt man
fi erflaunt: weßhalb denn allenthalben politiſche Klubs und
Bereine ohne Zahl entftehen? Die Kammeru, jo lehrte man uns,
find der eigentlihe Ausdrud der Stimmung im Lande; wozu
bedarf es denn noch folder mwandernden Kammern, die mit aufs
reizenden „sdeen einen Drud auf die öffentlihe Meinung üben,
tonangebende Berfammlungen neben den verfaffungsmäßigen bilden ?
Die einen oder die anderen, follte man glauben, feien zum mindeiten
271
überflüfftig? Die fih „national und liberal“ nennende Partei übt
aber dabei eine Tyrannei auß, welde im grellen Widerfpruche zu
der von ihr fo hoch gepriefenen Rede⸗ und Preßfreiheit fteht. Wer
fi nicht unbedingt zu jeder Sylbe ihred Programms befennt, wer
einen anderen Weg geht, als das Labyrinth, in welches die moderne
Phrafenfchelle und zu leiten bemüht it, darf für das Tläffende
Geheul der Meute nicht forgen, oder wird, erhebt er feine Stimme
dagegen, wenn es noch glücklich kommt, mit Verachtung behandelt,
todt gefchwiegen.
Es Tann daher für die Deutſchen nichts Beherzigenswertheres
geben, als die drei Worte, welche ihr gefeierter Dichter, fie im
Geifte mehr an die eigenen Landöleute richtend, dem alten fterbenden
Schweizer Attinghaufen in den Mund legt: „Seid einig, einig,
einig!“
Mit den Boraudfagungen bezüglich der künftigen politifchen
Geftaltung Frankreichs ift es eine mißliche Sache; wir haben
da feit bald Hundert Jahren gar fo viele Umwälzungen und übers
rgchende Uebergänge erlebt; jede heranwachſende Generation will
wieder ihre eigene Geſchichte machen, und die Franzoſen ſind den
quakenden Fröſchen in der Fabel zu vergleichen, welche, nachdem
fie die ruhigen Klotze verachtet, die fie auffreſſenden Störche zu
Königen erhielten. Man bat es da fo ziemlich mit allen Regie⸗
rungafoftemen verfuht, und wir find noch lange nicht am Ende
diefer Phaſen. Daß aber im Nüdblide auf die abgetretenen
Dynaftien und vielen abgeſchafften Konftitutionen der jetzt herr⸗
ſchenden Familie mit der Verfaffung feine lange Dauer voraus⸗
zufagen, iſt wohl Mar. In feiner äußeren Politik ift Frankreich
in eine „Sadgaffe” gerathen, aus der e8 nur ein neuer, dießmal
allgemeiner Krieg ziehen Tann; da e3 aber auch im Innern der
Revolution und ihren Grundfägen verfallen, ift es nur noch eine
Frage der Zeit und zufällig einwirfender Umftände, mann der
Vorhang aud über diefen neuen, nicht minder wie bie früheren
272
beflatichten und verhöhnten Aft des aufreizenden Drama's fallen
wird, welches man bie franzöfiiche Gefchichte nennt.
Dennoch zeigt fi, der inneren Zerfahrenheit Deutfchlands
gegenüber, Mar, welche Kraft und Lebenzfähigfeit einem Reiche
innewohnt, das nur einen Herrſcher, eine Religion, eine Ber
faffung, eine Nationalität kennt, deflen Bewohner gleihen Bildungz-
grad, diefelben Sitten und Gewohnheiten und Geſetze haben. Iſt
auch jet die entralifation auf's höchfte getrieben, wird ver
Geiſtesdruck nicht nur auf die öffentlichen Reden, die Preile, wird er
auch auf die Kammern, die Gerichtöfäle und Kanzeln ausgeübt,
fo find dieß immer nur vorübergehende Erſcheinungen; fteigt jetzt
jedem fein fühlenden Franzofen aud) die Schamröthe in's Geficht,
wenn er diefe ſyſtematiſch getriebene Korruption, dieſes Gewebe von
beuchlerifchen Nänten und plumpen Lügen fieht, fo befeelt doch
Alle nur ein Gefühl: das der Liebe zum Baterlande; und die
ber Regierung grollenden Parteien ordnen ihre perjönlichen und
politifhen Neigungen dem Wunſche unter, Frankreich groß, mächtig,
geachtet, unter allen Staaten hervorragend zu fehen; fie dulden
unter Fremden nicht, dag man fle bedauere, table, und darin
befteht die ungeheuere Macht, über die jeweild eine Auge, willens⸗
Träftige Hand gebietet, welche es verſteht, Frankreich zu leiten,
denn immer wird man feine Söhne einmüthig um den Altar, die
Fahne des Vaterlandes geſchaart finden!
Ein altes Sprüchwort fagt: „es gibt nicht? Neue unter
ber Sonne!” aber Ereigniffe, wie fie ſich feit drei Jahren in
Italien zufammengedrängt, find wohl noch nie dageweſen! Ein
König, deſſen Regierung jahrelang durch geheime Umtriebe, ge:
bäffige Intriguen, denen felbft feine Gefandten nicht fremd waren,
die Ummälzung vorbereitet, fällt mit Hülfe franzöflicher Waffen
in befreundete Staaten, in die Länder verwandter Fürften ein,
begünftigt eine Schaar von Freibeutern, welche mitten im Frieden
eine durch Verrath, Lift und abenteuerliche Kühnheit gelungene
273
Landung im ſüdlichen Königreihe zur Unterjohung deſſelben
benügen. Diefer König läßt fih in allen auf fo ſchmähliche,
fronenräuberifhe Weile „annerirten“ Staaten buldigen, und tritt
nebft einem Küftenlande Italiens auch noch fein Wiegenland einer
fremden Macht ab — und diefer König wird in feltfamer Ber:
tehrung aller Worte und Begriffe „„R& galant-uomo‘“ genannt!
In Oberitalien, in den Mittelftaaten folgt auf Diefen über
Ihäumenden Jubel Ernüchterung, ftilleg Hinbrüten, vorerft Erge
bung in das ſich felbft bereitete Ungemad; denn der Italiener,
weldyer vor Allem ein guter Rechner ift, findet, daß die unter
dem Vorwande nationaler Einheit, der Freiheit, der Kivilifation
und Unabhängigkeit vorgenommene Veränderung ihn doch etwas
zu theuer zu fliehen komme; die Staatöfaffen wurden überall in
den eroberten Ländern geleert, die Kirchen geplündert, die Klöſter
aufgehoben; dennoch zahlt man zehnmal mehr Steuern ala zuvor,
und den Anlehen, den Defizit ift Fein Ende abzufehen! Abermals
ein glänzender Beweis, wie wohlfeil die im Intereſſe der Erfpar:
niffe unternommenen Revolutionen find! In Neapel Hält man mit
brutaler Gewalt eine Bewegung nieder, welche die angebliche
Majorität bei der allgemeinen Abftimmung in fo eindringlicher
Weile Lügen fraft; man nennt „Briganti“, die für ihre Nechte,
ihren Gerd, ihr angeflammtes Königshaus Tämpfen, fi nicht
gutwillig einem fremden Joche unterwerfen wollen, und preiit ala
Helden Jene, die ohne Kriegserklärung, frevelnd in andere italie-
nifhe Staaten eingebrochen.
Die unerhörten Graufamkeiten, mit denen man die Neapoli-
taner zu ihrem Glüde zwingen will, follten täglich mit den
Gräueln und ungeſetzlichen Handlungen verglichen werden, welche
man den bourbonifchen Konigen andichtete, und worüber die eng:
lifchen Staatsmänner nicht aufhören Tonnten Krokodillenthränen zu
weinen. Waren die früheren Repreifinmaßregeln vielleicht auch oft
Bart, fo wurden fie doch nur zur Aufrechthaltung der beftehenden
Sch. v. Andlaw. Wien Tatebuqh. IL 18
274
Geſetze angewvendet, waren Pflicht der Abwehr gegen unberedhtigte,
revolutionäre Angriffe. Wie fol man aber, was nun unter
Piemonts Tandesväterliher Fahne geſchieht, anders bezeichnen, als
wit einem unter der Maske des suffrage universel geübten Militär⸗
despotismus in feiner fcheußlichiten Form?
Viele Kabinette beeilten fich, den in ſolcher Weife gegründeten
„faktiſchen Zuſtand“ anzuerkennen, und nachdem fie früher jede
Einmifhung in die fih von Italien ſelbſt geftellte Aufgabe —
l’Italia fava da se — als einen Kriegsfall erklärt, wurde dieſer
Grundſatz der Nichtintervention der Art befolgt, daß die Eroberung
der Lombardei nur allein den franzöfiihen Waffen zuzufdhreiben
iſt. „Sind wir nur erft in Rom,” fo heißt es nun, „haben
wir den heiligen Vater auf den Batilan befchräntt oder ganz
binausgetrieben, mit der Entfernung Franz IL das wahre Neft
der Reaktion zerjtört, dann fällt und ganz Italien wie eine xeife
Frucht in den Schooß, dann haben wir eine Hauptfladt, danz
kann auch Venedig nicht länger öſterreichiſch bleiben!“ Bisher
ftießen die Italianiſſimi dabei nur auf ein ganz kleines Hinderniß —
die Beſetzung Rom's durch franzöfifche Truppen und das Feſtungs⸗
viered! Ob Louis Napoleon ihnen den Gefallen tbun wird, die
„ewige Stadt” zu räumen, um ein großes, mächtiges Italien
möglih zu machen, ob Defterreih ſich Benetien abfaufen, ab-
ſchwatzen oder abtrogen laſſen werde, tft vorerft zu bezweifeln. ,
Man ift aber au in Italien im Hinblid auf die franzöſiſche
Tricolore in Savoyen und Nizza, auf die eiferne Hand, die über
Rom ruht, von dem naiven Gedanten längft zurüdgelommen, daß
man an der Seine alle diefe Opfer uneigennübig aus Schwärmerei
für Italiens Unabhängigkeit gebracht. Aber nehmen wir num
auch einmal den unmwahrkheinlichen Tal an, daß piemontefilche
Truppen Rom bejeten, der Papit wieder den Wanderſtab ergreift,
dad „Königreich“ alien feinen Sitz auf dem Kapitole aufichlagen,
die Gondeln der Lagunen mit den drei italieniihen Farben
275
geſchmuckt fein werden, fo iſt ſelbſt diefem abgerımdeten, einkeits
chen, unabhängigen Jtalien keine Jukunft vorauszuſagen; man müßte
denn eine taujendfährige Geſchichte Täugnen wollen. Hätte dieß
freie, einige Volt keinen fremden Feind mehr zu befämpfen, fo
würde es Me Waflen gegen fich lehren; die alten iferjäichteleien,
die Uneinigkeit und der gegenfeitige Hak der Stämme umd Städte,
Die Fehden ded Diittelalterd müßten fich folgerichtig wiederholen,
umd dieß fchöne, gelegnete Land, feit Jahrhunderten der Zankapfel
eroberungsfüchtiger und ränfiger Nachbarſtaaten, wäre abermals
die Beute „internenirender* Mächte. Wäre Rom and die Metro:
pole des neuen Königreichs, Mailand, Genua, Nenpel, Florenz,
Benedig, Turin würden doch nie Ihren partifulariftiichen, ehr⸗
geizigen Beflvebungen entjagen. Tag ed doch der Mazziniſten⸗
Partei nur daran, alle italienifhen Fürſten bis auf einen — ihr
williges Werkzeug — zu entfernen, um mit diefem Einen um fo
leichter Fertig zu werden, lauert doc, ſchon hinter der Maske diefes
„angebeteten“ Töniglihen Ehrenmannes das rothe Geſpenſt der
ſozialen Republik; und wären auch alle dieſe Bedenken nicht,
welche Dauer Hi denn, wenn man nech irgend an eine goͤttliche
Gerechtigkeit, an eine hoͤhere, fittlih=religiöfe Weltordnung glaubt,
einem auf folder Grundlage von Verrath, Verläumbung, Raub
und Gemwaltthätigkeiten aller Art ruhenden Zuftande der Dinge
zuzuerdennen ? .
Was aber die Hüinftigen Geldyile der Kirche betrifft, fo iſt
die im jedes Hchten Katholiken Bruß feft gegründete Meberzengung
umerfchütterlih, Daß der feit den Werffagungen Ehriſti ſtets von
den Bogen mentchlicher Leidenſchaften und Anfeindungen unbraufte
Telien Betri bis an's Ende der Zeiten alle irdiſchen Inflitutionen
überdamern und die Kirche, einfah und Klar, wie bie Wahrheit
ſelbſt, aus allen Prüfungen geläuterter und glänzender hervorgeben
werde. Wie oft glaubten die Gegner jubelnd ihren nahen Fall
begrüßen zu können; und fie entging den Amgrifien dev Reformatlon,
18*
276
trat fiegreich aus den noch weit größeren Gefahren, welche ihr
der Unglaube, Hohn und Stepticidmus des 18. Jahrhunderts
bereitet, hervor, witerftand der Vernichtung, mit welcher fie die
franzöfifche Revolution mit allen ihren jetzt noch fichtbaren ver
derblichen Folgen bedrohte! Die Kirche wird in ihren wunderbaren
Einrichtungen den Charakter von Univerfalität nie verlieren, und
ein „wandernder” Papſt für alle Staaten eine Verlegenheit, ein
„italienifcher“ oder „franzoͤſiſcher“ Papft aber immer eine Unmög
lichkeit fein!
Kehren die erhitzten Gemüther in Italien zur Beſinnung
zurüd, werden fie, ebenfo wie die in Deutſchland, erkennen, daß
man nur auf den durch göttliche und menſchliche Geſetze vorge
zeichneten Bahnen natur: und zeitgenäß, ungeftraft fortichreiten
fann, und jebe Weberftürgung, jeder frevelnde Uebermuth vom
Nebel if. Sollten aber erſt blutige Erfahrungen, Bürgerfrieg
und Zerfidrung alles MWohlitandes, jeder Bildung zur Erkenntniß
dieſer Wahrheiten führen?
Mehr als einmal hatte ich in dieſen Blättern Anlaß, mid, über
die orientalifche Frage auszuſprechen umd fie immer als diejenige
bervorzubeben, deren Löfung über die künftigen Geſchicke entſcheiden
müfle. Bis dahin ift an eine Ruhe, kein Gleichgewicht, Beine
Entwaffnung in Europa zu denken, und befchäftigen fidh die
Kabinette nicht ernitlih mit diefer Aufgabe, welde ih als die
wichtigfte unſeres Jahrhunderts bezeichnete, fo ift Alles nur poli:
tiſches Flidwerk und führt zum finanziellen Ruin aller Staaten.
Eine andere nicht minder wichtige Anforderung tritt an die
Mächte heran, die verderbliche, jedes ftaatliche Verhältniß grenzen:
los verwirrende Lehre der Trennung der Nationalitäten,
und ihrer Berechtigung, eigene, abgefonderte Reiche zu bilden, ent⸗
fieden zu befämpfen. Durdy jene Schwindeleien wird in jebes
fonft noch fo ruhige Land ein zündender Funke geworfen; jede
noch fo Heine Nation gruppirt ih um irgend eine Fahne, und
277
es wird im Regenbogen bald nicht mehr Farben genug geben,
um alle diefe bunten Zehen damit auszuſchmücken. Die Theorie
der Selbftregierung der einzelnen Nationalitäten entbehrt aber jedes
thatſächlichen Haltpunktes, und ſchon eine oberflächlichſte Prüfung
zeigt, daß bei der Kreuzung der Racen und der allenthalben
gemiſchten, ſeit unvordenklichen Zeiten zuſammenwohnenden und
politiſch verbundenen Bevölkerungen eine Vereinigung jener Ele⸗
mente zu den Utopien gehört, wenn man nicht lieber in dieſen
Deklamationen eine neue Brandfackel der Propaganda erkennen
will, vorzüglich geeignet, das dadurch am meiſten bedrohte Oeſter⸗
reich zu erichüttern.
Aus dem Vorftehenden glaube ih den traurigen Schluß
ziehen zu müfjen, daß eine friedliche Löfung diefer fo feltfam ver:
worrenen Fäden kaum zu hoffen ifl, und und nur zwifchen Krieg
oder Revolution!“ die peinliche Alternative bleibt. „Befler ein
Krieg, als der faule Friede, der ung mit feinen Laften erdrückt,
als die Revolution, welche mächtig und drohend von allen Seiten
anklopft!“ rufen die Einen, „nur keinen Krieg!“ feufzen die
Fanatiker des Friedens um jeden Preis. Doc wer das oft ver-
heerende, aber doch auch nicht felten veinigende Kriegsgewitter
bannen will, ruft gemöhnli den dur Anhäufung ſchädlicher
Dünfte verfengenden Sturm herbei, wirbelt den heißen Sand der
Wüſte auf, welcher die Keime der Gefittung und friedlichen
Wohlhabenheit auf Generationen zerftört.
So viel aber bleibt gewiß, die Würfel in Europa mögen
fallen wie fie immer wollen, der erfte gewaltige Anftoß wird deſſen
Karte völlig umgeftalten!
Während wir und im alten Europa mit all diefen Eventuali-
täten lebhaft befchäftigten, vernahmen wir mit fleigendem Eritaunen
aus dem Mufterlande aller nur denkbaren Treiheiten, des materiellen
Wohlſeins, der individuellen Unabhängigkeit, des ewigen Friedens
von Kriegsgeſchrei, von einem ſich heftig entzündenden Kampfe
278
zwiſchen zwei unverföhnlidgen Parteien, mit einem Worte von einem
förmlichen Bürgerkriege mit den gewöhnlichen traurigen Erſchei⸗
nungen von Mord, Plünderung, Grauſamkeiten, Zerſtörungkwuth
in feinem Gefolge. Unſere Verwunderung wählt, wenn wir
hören, daß nicht Eroberungsſucht, perfönlicher Ehrgeiz, politiſche
Gründe diefe unerwarteten Borgänge in's Leben riefen. Nein!
nur der Regerhandel und die damit zufammenhängende Baum⸗
wollenfrage veranlaßte den Zuſammenſtoß zweier wit Lokomotiven
auf einander treffenden Heere! Wird der nüchterne, praktiſche
Sian der Amerikaner diefem Streite bald ein Ende machen,
find die Leidenfchaften weniger entfeffelt, die Gemüther Tühler jen-
feits des Oceans, als bei und? Lehrrei und denfwürdig bleibt
aber immer dieß unerhörte Schaufpiel!
Nicht winder anziehend ift die Komödie, welche nun im
Merico in Scene gefeßt wird; einem Ablömmling Kaiſer Karls V.
wird Montezeuma's Krone, doch um welchen Preis? angeboten!
In den zwei Jahren, weiche ich am den Ufern des Boden:
ſee's und in der öſtlichen Schweiz zugebracht, fuchte ich mich
mit den Zuſtänden biefer Gegenden näher bekannt zu machen.
Das „ſchwäbiſche Meer” mit feinen oft ſtürmiſchen Fluthen
oder der fpiegelglatten blauen Fläche, durchfurcht von gahlreichen
Dampfſchiffen, bietet Anziehungspuntte in Fülle; und find feine
Ufer au meift flach, fo bilden doch die fi füdwärtd anf:
t$ürmenden Gebirgamaflen und Eisfelder einen impofanten Hinter
grund, reihen fich freundliche Städte und Dörfer von dem roman:
tifchen Bregenz bis Weberlingen aneinander, und zwei Tiebliche
Inſeln, jede merfwürdig in ihrer Art, entfteigen den Gewällern.
Wundervoll find zu jeder Jahreszeit die Lichteffekte, ımd ein weites
entgädendes Panorama zeigt ſich vom Heiligenberge oder anderen
Höhen dem Freunde erhabener Naturſchönheiten.
279
Konftanz gehört jenen Städten an, die von hiftorifchen
Erinnerungen leben; andere Zollvereinsftäbte haben Konſtanz auf
dem @ebiete der Gewerbtfitigleit, des Handelsverkehrs und der
Fabrikation überjlügelt; die Innung der Schiffer litt durch die
Dampfichifffahrt und der Fiſchfang wirft feinen erheblichen Gewinn
ab; die Bewohner find daher auf Ader:, Rebbau uud die gemöhn-
lichen bürgerlichen Handwerke beſchränkt. Ungeachtet fi) da eine
Mufterfarte aller Behörden, felbft Garnifon, befindet, find die
Straßen, ift das gefellige Treiben doch nicht belebt, und Klagen
aller Art über Abnehmen des Wohlftandes, Zurüchſetzung gegen
andere Drte im Lande u. dgl. m. wurden immer lauter. Wäre
men, fo bie es allgemein, nur einmal im Befiße einer Eijen-
bahn, werde Alles beſſer geben, wie mit einem Zauberſchlage Wohl-
habenheit, Glück, gefteigerter Güterwerth u. ſ. w. wiederkehren.
Nun, die neue Eiſenbahnbrücke erhebt ſich zierlich über dem dahin⸗
rauſchenden Rheinabfluſſe; ſtatt der früheren Seemauern umfchließen
nun die Schienen den öſtlichen Theil der Stadt, und bald wird
die Lokomotive brauſend und pfeifend das Conciliumsgebäude be⸗
grüßen. Wird der Erfolg den kühnen Erwartungen entiprechen?
Dir Hoffen es für bad Wohl der guten Stadt, weldhe fi bis
dafin, die Langweile zu vertreiben, mit dem „zeitgemäßen“ Ge
danken beichäftigte: dan Johannes „Huß“ ein Denkmal zu jegen.
Einige hundert Gulden waren fon dafür eingegangen, als man
fig über Sinn und Bedeutung deffelben ftritt. Während ein
Teil ber Sammler dur einen Stein nur den Platz zu bezeichnen
wunſchten, auf welchem Huß den Feuertod erlitten, wollte ein
‚anderer in temdenziöfer Weife ben böhmifchen Reformator als
Martyrer feiner Ueberzeugung verherrlichen. In keinem Talle
war ber Gedanke ein glüdlicher, und man hätte fih mit dem ein-
fachen Erinnerungszeihen an eine immerhin peinliche geſchichtliche
Thatſache auf dem einft von Huß bewohnten Haufe füglih be
gnügen können; denn einmal ift jener Platz bei dem feither gänzlich
280
umwühlten Terrain nicht mehr gemau zu beflimmen, und bamı
follte, wie mir dünkt, abgefehen von allen Eonfeflionellen Anfichten,
fhon der Name des Huß und die fi) mit demjelben verfnüpfenden
Gräuel der „Huffiten“ vor dem Verſuche einer fo undeutſchen
Manifeftation bewahren! Mit um fo größerer Freude ift die
Wiederherſtellung und forgfältige architektoniſche Vollendung de
Münftere anzuerkennen, und der ſchöne, marmorgleidye, weiße
Thurm ragt nun weithin, vom Hobentwil bis zum Gebhartsberge
fihtbar, über der Waflerebene hervor!
Ob der bedeutende Verkehr von Tremden während de
Sommers fih dur die Eifenbahn heben, diefelben nicht vielmehr
ohne Aufenthalt dadurch ſchnell meiter befördert werden, ift eine
Frage der Zeit. Immerhin feflelt Konftanz durch feine herrliche
Lage und Ausflüge nach den vier Schlöffern, unter denen „Arenen
berg” daB anziehendſte. Kin Beiud der beiden Schweiterinfeln,
der Bucht von Bedman und anderer Punkte gehört zu den feltenen
Naturgenüffen.
Ich traf in jener Stadt zwei langjährige Belannte, jeder in
weiten Rreifen, mwenngleid, in ganz verfchiedenen Richtungen, ge
nannt — dem Reitergeneral Grafen v. Bismark und den General
vikar H. v. Weſſenberg. Beide waren Greife; beide find mun
todt. Bismark, Wittwer von der Prinzeffin Augufte geworden,
hatte den württembergiichen Staatödienft verlaffen, fi nad eigener
Wahl vermählt und fühlte fich, zurückgezogen, in der Mitte feiner
Heinen Tamilie ganz glüdlih. Weſſenberg war troß feinen 80
Jahren noch rüftig, lebhaften, diskutirenden Geiftes, wie immıer,
jah nur einige vertraute Freunde umd betrieb, feiner Gewohnheit
treu, wiffenihaftlihe Studien bis an’3 Ende. In den Schriften
diefer beiden Männer fpiegeln fidy ziemlich treu ihre Gefinnungen
wie ihre Erlebniffe wieder.
Wer fi vom Allgäu ber dem Dften der Schweiz nähert,
wird gleich durd, die dad Auge wie dad Gemiüth überwältigenden
281
Returwunder Graubündtens — eines lange nech nicht genug
gefannten Kantons — angezogen. Das lieblichfte Titelblatt zu dem
Bilderbude des Rheinthales deilen Schluß die via mala, ift das
blüthenreiche Dorf „Thal“, welches fi) von der niedlichen „Wein:
burg“ bis zum bochgelegenen Moltenbade „Heiden“ hinzieht. Hier
ift Alles vereint, was ſich die Einbildungskraft cined Touriſten
nur immer denken Tann: Mebgelände, jtundenlange Obftgärten,
Wiefen im faftigften Grün, Tyelfenpartien, der dahinftrömende Rhein,
ber majeftätifche See, zadtige Bergriefen, blendende Gleiſcher, Schlöffer,
Kirchen, Ruinen, — dann Pfäfferd mit der unter einem Felſen⸗
Dome raufchenden Tamina, Sargand, Chur und alle die weiten,
von den „Piz“ überragten Thäler! — Der Wallenftädter See,
deſſen gigantifche Wand die „fieben Kurfürften“ (Kuhfirften?) bilden,
führt in die nicht minder romantifchen Partien von Glarus
und die fchönften Gegenden ded Kantons Gt. Gallen, der wie
ein Rieſenhalbband den hoben Sentis und mit ihm die beiden
Appenzell umſchließt.
Wie fih ungeachtet aller Nivellirung und Gentralifation in
der Schweiz jeder einzelne, noch fo Heine Kanton eine befondere
Phyſiognomie bewahrt, zeigt am audgeprägteften der Halbkanton
Appenzell: Innen: Rhoden! Ich brachte in diefem ftillen Winkel
der Erde, die Molkenkur zu gebrauchen, einige Wochen zu, und
Natur wie Bevölferung zogen mich in gleichem Grade an.
Innen-Rhoden Hatte fi mit dem Fatholifchen Glauben auch
eine gewiſſe Einfachheit, mit dem Feſthalten an alten Rechten und
Veberlieferungen eine größere Ungebundenheit zu erhalten gewußt;
in dem rejormirten Außen: Rhoden zeigte ſich eine höhere Regſam⸗
feit, lebhafterer Verkehr mit der Außenwelt; dort Stätigleit, ſelbſt
Zähigkeit, ein bergebrachter Schlendrian, gepaart mit treuherzigem,
derbem Wefen, hier Rührigkeit, Fortſchritt, Verflachung, zunehmender
Wohlſtand, daher Vorzüge wie Schwächen, nad) beiden Seiten vers
theilt, ſich ausgleichend. Die Inneu⸗Rhoder find der Natur ihres
282
Bodens nad; mehr Hirten als Bauern. Viehzucht ift ihre eigent-
liche Beihäftigung; die Alpenwirtbichaft, der Wielenbau, das
„Heumachen“ die Hauptaufgabe ihres Lebens. Mollken (Schotten),
Käſe, Milch, Butter, Dünger und Alles, mas durh Kühe und
Ziegen gewonnen werden kann, find ihre Ermerböquellen. Feld⸗
früchte und Kartoffeln werden nur wenig, felbit nicht zum Baus:
bedarte hinreichend, gebaut, ſpärlich find die Bäume im Thal, noch
feltener die Obſt tragenden, kleine Waldfirfchen zum Brennen aus:
genommen. Der Wildftand iſt gering, Gemfen find fchwer zu
erreichen, Bergadier, Geyer, Auerhahnen häufiger. Die Falten
Alpfeen, die reißenden Bergitröme liefern Forellen in Menge. Das
beinahe fchattenlofe, mit Hütten — die fih nur felten zu Orte
fthaften reihen — mie befäete Thal, würde daher eined veizenden
Anftrichs entbehren, wären nicht die ſmaragdgrünen Triften, wäre
nicht die zadige Gebirgskette mit den finftern Felſenſchluchten,
den wilden Kaskaden, den dunkelblauen Bergfeen und überraichenden
Ternfichten.. Der in der Schweizer Geſchichte vielfah genannte
Kampfplab „am Stoß“, der Gäbeis bei Gais, daB pittoreäfe
„Wildkirchli“ find wahrhaft entzüdende Spaziergänge.
Die Innen-Rhoder find ein harmlofes Gebirgsvölkchen; voll
natürlichen Berftandes, oft witzig, ftellen fie ſich, mißtrauifch gegen
Fremde, einketig, benüben aber gerne ohne übermäßigen Auf
wand von Koften und Erfindungägeift zur Bequemlichkeit der
Molkengäfte, die Reiſeluſt unferer Zeit, ihve Lage zu verbeffern.
Die einzige Art von Induſtrie, welche fie kennen, tft die Hand⸗
fineterei; daB „Weibervolk“ arbeitet deßhalb felten im Felde, firdt
Jahr aus, Jahr ein in hermetiſch verfchloffenen Stuben, meiſt in
großer Geſellſchaft; Traun und Mädchen fehen daher auch meifl
zart und bieih aus, und ihre weißen Hände kommen mehr mit
der Nadel und ber f. g. Mafthine, als mit den Sonnenitraßlen
in Berührung. Diele Arbeiten, fehr gefucht, gegen geringe Be
zahlung aufgefanft, werden dann von dem betriebjamen St. Gallen
283
aus Überall hin, feibft über das Meer veriendet. Die Tracht der
Männer iſt eigen, wenn aud nicht ſchön; die der Frauen maleriſch,
aber Yeltfam. In der großen Kirche von Appenzell, in der beide
Geſchlechter abgejondert — die Frauen unten, die Männer anf
dem Eher — beten, ericheinen Alle in blendend weißen Hemd⸗
ärmeln, und ift ein Xrauergottesdienit, fo tragen die Weiber
ſchwarze Flugelhauben und ſchleppen riefige Wachäftöde herbei,
weldye oft &enerationen überdauern.
Am eriten Sonntage nach Dftern wird jährlich die f. 8.
„Landesgemeinde“ in Appenzell abgehalten, ich mohnte einer ſolchen
bei, weldye des fchlechten Wetter wegen ftatt auf dem Hauptplatze,
in der Kerche ftattkand. Hier verfammelte fi) nun Die gamze
männliche, Stimmfähige Bevölkerung des winzigen Kantons und
that ihre Stantsgefchäfte ab. EB wurden die Komtrollbehörben
nen gewählt oder beftätigt, der Eid geleiftet, über Bürgerauf
nahmen entichieden, endlich dießmal eine von 300 Bewohnern
vergefchlagene Verfaffungs reviſion — auch bis dahin war die
Reformmanie gedrungen — zur Abſtimmung gebracht, aber durch
Stimmenmehrheit abgelehnt.
Das Ganze ſelbſt ift für den Fremden nicht ohne Intereſſe.
Anf einer Tribiine fist der die Derfammiung leitende Landamann,
Hinter ihm der „Waibel“ mit dem Mantel in den" Kantonsfarben;
zwei harchtbar große Schwerter find da vor dem „Bureau“ auf
gepflanzt. Die Abftimmung geſchieht weder dur Zettel, Kugeln,
noch durch Trennung der Botanten u. dgl. m., fondern dar
Handaufheben, dem als befonderer Nachdruck in wichtigen Fällen
noch ein wild und eigen klingendes „Hu! Hu!” beigefügt wird.
In zweifelhaften Fällen wird abgezählt. Sämmtliche friedliche
Kartonsbürger find mit Sabeln beimaffnet, deren Klingen wohl
felten nähere Belanntichaft mit ter Luft ‚machen. Merkwürdig
waren die Bemühungen der meiften oberfien Beamten, die ihnen
zugedachte Ehre einer Wirdererwählung mit guter Manier abzu⸗
284
lehnen; ihre, mit keiner entiprehenden Beloldung verbundenen
Funktionen find freilich mehr eine Loft, und für den Ehrgeiz iſt
da wahrlich fein großer Spielraum. Dennoch wurden Alle m
ihren Aemtern beftätigt und dankten gerührt, aber nicht willig für
die Ehre, nur einer derfelben — ich glaube der Landichreiberr —
ſprach tem fouveränen Volle feine Erkenntlichkeit fo untertbänig
ans, daß fie dem vor einem Machthaber Triechenden Höflinge zur
Ehre gereicht hätte. Die Eidesformel ift alterthämlich, Lang,
ſchwülſtig; der Großrath befteht aus 1401! Mitgliedern.
An ganz verfchiedener Weile zeigt ſich das öffentliche Leben
in dem angrenzenden St. Gallen. Diefer aus fo verfihieden-
artigen Elementen zufammengefebte Kanton ift in jeinen Innern,
feiner Bermaltungsart, feinen politiihen und Tonfeffionellen Wirren
ebenfo zerriffen und getheilt, als jene einzeluen Länderfeßen. Der
Kampf ift aber da um fo hartnädiger und nachhaltiger, ala Die
feindlicy einander gegenüber fiehenden Parteien, ungefähr über
gleiche Kräfte gebietend, fit die Wage halten. Für dabei Unbe⸗
theiligte iſt dieß Schaufpiel ein böchit unerquickliches, und eine
Großrathsſitzung in dem ehemaligen Feſtſaale des Benediltiner-
ftiftes hat weder das Einfach-imponirende der demokratiſchen Ber:
ſammlungen in den Urkantonen, nod das Regelmäßig geordnete
anderer Iegislativen Zuſammenkünfte. Es herrſcht da ein gewifler
frei fein follender Ton, der nicht felten in Rohheit und perfönliche
Invective übergeht; ſchon die Geſchäfts⸗ wie die parlamentarifche
Sprache iſt bier dazu nicht angethan, höheren Anſprüchen genügende
rethorifche Kämpfe bervorzurufen. Bon dem Großrathsſaale theilt
fih die Agitation den Vollsverfammlungen, ter Sourmalpolemil,
den Wirthshaustiſchen mit, und leidenfchaftlich werden alle Wahl-
und Berfaffungsfragen befprochen, wobei dann bald bie eine, bald
die andere Partei immer nur mit einer Majorität von wenigen
Stimmen fiegte, ein Sieg, der dann immer wieder aufs Neue
beitig beitritten wird. St. Ballen, die höchſt gelegene Stadt in
285
Europa, ift beiebt, voll arbeitfanen Bewohnern, hat ausgedehnte
Handelsverbindungen, gewann bedeutend durch die Eifenbabn,
um die fih ein ganz neuer Stadtteil erhebt, die Umgebungen
find grün und reizend.
Im Kanten St. Gallen, einem der größten und reichfien
der Eidgenoffenfchaft, finden ſich aber im Kleinen beinahe alle dieſe
Zuftände und Merkmale, welche die Schweiz im Ganzen kenn⸗
zeichnen: ungemeine Handels⸗ und Gewerböthätigleit, Parteigeift,
durch Vaterlandsliebe gemildert, ein nüchterner, vorzüglich auf
Erwerb gerichteter Sinn, nur opferfähig, wo es dad Gemeinwohl,
die nationale freiheit und Unabhängigkeit gilt, das Feſihalten am
Althergebrachten im beftändigen Konflifte mit einer neuen, ganz
materiellen Zeit, republitanifche, nivellivende Grundfäge anlämpfend
gegen erflufive, partilulariftiiche Anfichten, ein durh Erfolge bis
zur Selbitüberfchägung der Kräfte gefteigerter gewifier Uebermuth,
eine durch Gutmüthigkeit gemäßigte Ungebundenheit der Formen,
Vernachläſſigung der feineren Geſelligkeit und einer nicht gerabe
auf das praftifche Leben berechneten höheren Bildung — fo erichien
mir, natürlid mit Ausnahmen, das moralifhe Bild der Heimath
Tell's in unferer Zeit. Dabei bier, wie allenthalben, die zuvor:
fommendfte Art gegen Fremde, die fi ungeltört bewegen und
gegen ſchweres Gold Naturgenüfle umtauſchen können, wie fie nur
das Alpengebiet zu verfchaffen vermag.
Den Sommer 1859 bradte ih in Züri zu umd lieh
mich beicheiden in einem Winkel des „Seefelds“ nieder; ich war
bier zunächſt Zeuge des allgemeinen Schüßenfefte® und fpäter
ganz unerwartet des Geſandtenkongreſſes.
Wie jede Schweizer Stadt hat auch Zürich, fo reizend
gelegen, feine eigene Bedeutung; Bern — der Sik der Bunde:
regierung — gilt für die vorzugsweiſe diplomatifche Stadt, Genf ver:
tritt da3 franzöfifche Element, St. Gallen und Aarau die Induſtrie;
Baſel ift die Stadt der Puritaner und des foliden Reichthums;
wach Freiburg und Luzern hat ſich die alte Sinubenätrewe geſtüchtet
ne unter den Kantonen liebt Thurgen größtemtbeild von ber
Landwirthſchaft, während die inneren Meinen Kantone ned) ein
ſchwaches Bild urfprünglicher Sitteneinfachheit und demekratiſcher
Einrichtungen geben, Zurich dagegen, dad wohlhabende, flolze
Züri, tritt als die „gelehrte“ Stat auf, iſt im Beſitze ter
bogen wie der polytechniſchen Schule und anderer Unterrichtäan-
falten. Brofefforen und Schrififteller, zum Theil von ausgezeich⸗
netem Rufe, ermeden mehr ala anberwärtd bier ein gewifſes,
geiſtiges Streben. Reiche Bibliothelen und Sammbangen, willen
ſchaftliche Auſtalten jeder Art werden bewät.
Das große eidgenoffen ſche Schägenfeh, welches vegeimäig
immer tm zweiten Sabre in einer anderen Schwerer Stadt abgehalten
wird, wurde uun im Juli 1859 zu Züri im einer Weile be
gangen, wie man ed ſich kaum großartiger denken banun. (Eine
ſchöne Ehrenpforte, mit einem gelungenen Standbilde Tell's, dei
„Urkgüpen“, geziert, empfing die Gäſte; auf dem ungebeweren
Schießraume ſelbſt aber erhob fih die „Fahnenburg“ mit den
Hatternden, in allen Karben fchimmernden Baunern der Kantone;
darin waren bie ungemein zablreihen und werthvollen, Ehren⸗
gaben“ in geſchmackvoller Aufftellung zu fehen; die Schießſtände
dem See zugelehrt, wurden keinen Augenblick leer, und von 6 Uhr
Morgens bis 8 Uhr Abends kuallte es da unaufgärlid. Cine
Texroffe gewährte eine veizende Ueberſicht des Ganzen in der wunder:
vollen Umgebung. Es ballte dev gegenüber liegende Ueitliberg
non den Schüſſen wieder, und der ruhige, dunkelblaue See — im
Segenfaße zu der in Hitze umd Staub ſich umberiunmmelnben
Menge — wirkte ſchon durch den bloßen Anblick erfrifchend. Bon
alen Theilen der Schweiz zogen die Schüben ein und wurden
feierlich mit Gruß empiangen, dieſer is mehr oder minder paſſenden
Reden erwiedert. Für den Suiten bot aber die große Feſthalle das
Aberraſchendſte Schaufpiel. Mau deufe ſich in ten kaum zu über
287 ’
jehenden Räumen täglich 4000 bis 5000 gute Freunde um
Tische verfammelt und in größter Ordnung bedient. Während
der Mittagstafel beitieg dann gegen ein Dutzend Redner nach ber
Reihe die Tribüne, ihre patriotifhe Gefühle und Anliegen, ihr
volle8 Herz nor der Berfammlung auszugießen. Den Schluß
bildete immer ein Trunk aus einem großen filbernen Pokale, und
der Xoaft wurde ſtets von flereotyp gewordenem ungeheueren
Jubel, Bravo's und Trompetenfhall begleitet. Die Reden drehten
ih fo ziemli immer im gewohnten Geleife um die Freiheit, das
Süd, die Unabhängigkeit der Schweiz, um Tel und die Männer
des Müttli, wobei es an Geitenbliden auf minder begänftigte
Bölfer, auf unter Tyraunei Ichmachtende Nationen u. dgl. m.
nicht fehlte. Die Thema in unendlihen Variationen fchien
dennoch die Zuhörer nicht zu ermüden; duch einige talentvolle,
kräftige Redner, durch die Abwechslung in den drei Sprachen und
manchen pilanten Zmifchenfall wurde bald Begeifterung, dann
wieder Heiterleit neu gemedt. Fielen dabei auch Ueberſchwenglich⸗
keiten, felbft einige gemeine Ausfälle vor, fo mar doch die Ruhe
und Ordnung bei einer großen, gemifchten Gefellichaft anerlennens⸗
werth; feine auffallende Störung, fein die gewöhnlichen Grenzen
überjchreitender Lärm trübte die Feier, und die Schweizer verfichen
ed, im richtigen Verſtändniſſe de Maßhaltens, felbit unter fich
die Polizei ohne fichtbares Dazwifcheutreten einzuhalten. Auch bei
den Gelagen während der lauen Sommernädhte in der mit Gäften
überfüllten Feſthalle, wo Alles mehr den Charakter einer koloſſalen
„Rueiperei” annahm, Lieder und Gläſergeklirre bis gegen Tages⸗
anbruch erfchallten, ging es wohl lebhafter, aber ohne grobe
Erzelle ab.
Selbftverftändlich beleben aber ſolche Feſte den Gemeinfinn,
rufen die Liebe zum PVaterlaude, zur Einigkeit, zur Kraftentwicklung
wach, und mehr noch ald auf die Schiekübungen ſcheint man auf
diefe wahrhaft wichtigen Ergebniffe Werth zu legen. Die Zahl
288
der Schüffe, welche gefallen, ift wohl kaum zu berechnen, bie
Gewinnfte beliefen fih auf 250,000 Franken, die Koften wurden
durch reichliche Einnahmen gededt, und dieß Züricher Feſt, taz
glänzendfte, das man je gefehen, wird wohl ſchwer von den fpäteren
an Großartigfeit erreicht werden Finnen. Es ſchloß ſich an daffelbe
auch eine Produktion der Schweizer Turner und Schwinger, wie
ein alleriebft arrangirted Kinderfeft an. Ueberhaupt wird die
Jugend da nie vergefien,; die Knaben Meiden fit und machen
Uebungen als Kadetten; die Schulen haben ihre jährlichen Feſte
und größere Spaziergänge,
Eine eigene Epifode bildete der Behuh von 80 Bremern
und der Stutigarter Schübengilde mit ihrer prachtvollen Fahne;
beide wurden jubelnd und herzlich begrüßt und bewirthet. Auch
ein feltener Gaft wohnte einem Theile des Feſtes bei: die Herzogin
Lonife von Parma, die mit ihren vier Kindern durch die Kriegs⸗
ereigniffe von ihrem Hofe vertrieben, nun in Rapperswyl einft:
weilen einen Zufluchtort fand. Den jungen, hübſchen, 10jährigen
Herzog Robert Tonnte man oft im See baden fehen.
Werfe id nun einen Rüdblid auf meinen kurzen Aufenthalt -
in einem Theile der Schweiz, fo muß ich gefteben, daß midy die
vielfachen Veränderungen, welche ich, feit ich fie nicht mehr betreten
batte, da traf, wahrhaft überrafchten. Waren auch nicht alle
erfreulicder Art, jo läßt ſich doch nicht Täugnen, daß die Eid:
genoffenfchaft dur die Ausbildung des Bundesſyſtems gewonnen
und die Vortheile der größeren Sentralifation fi vorzüglich im
Heer, Münzs, Paß⸗, Zollweſen u. dgl. immer mehr geltend machen.
Dabei iſt fortfchreitender Wohlftand, erhöhte Gewerbsthaͤtigkeit,
immer gleidy reger patriotifcher Sinn unverlennbar; den Tebteren
ih praktiſcher anzueignen, könnten die Deutichen allerdings bei
ihren füdlihen Nachbarn in die Lehre gehen. Bei allen jenen
unläugbaren Vorzügen liegt aber gerade die Gefahr allzu großer
Ucherhebung nahe, und bei der Vorliebe, welche ich von jeher für
289
die Schweiz begte, der jeit lange meine Yamilie angehörte, bei
dem eigenen Zauber, den das fchöne Land auf alle Fremden aus:
übt, möchte ich die Beſonneneren feinet Einwohner warnen, nicht
allzu ſehr dem oft trügerifchen Scheine von Glück und Wohlleben
zu trauen, feſt gegen die Uebergriffe einer fühnen Partei zufammen:
zubalten und fi nit vom Radikalismus überflügeln zu Taffen,
der Monarchien wie Nepublifen mit feinem Alles zerfeßenten Gifte
angreift. Er bätte meniger Kraft, wenn ibn nicht eine Maſſe
gedantenlofer Menſchen unbewußt ftärkte; e3 nennen ſich diefe Leute
„liberal“ und dünfen ſich damit aud, zugleich Aug, geiftreich, vor:
urtheiläfrei; mit dem einfältigften Geſichte von der Welt fprechen
fie du die Tiraden aus ihren Lieblingszettungen nad. Tritt
. man aber nur im ©eringfien ihrem Erwerbe, ihren häuslichen
Gewohnheiten nahe, fo hört gleich die liberale Gemüthlichkeit auf.
Der Ausgang des Sonderbundes, der leicht erfodhtene Sieg in
dem Neuenburger Streite (Span) häben jene zuverfichtliche Stim⸗
mung in Verbindung mit anderen Erfolgen noch erhöht; aber
ihon die Wendung der Dinge in Italien, wo man den franzöfi:
hen Waffen zugeinucdhzt, hatte diefen Enthufiasmus bald abgekühlt,
als die Zerwürfniffe wegen ter Savoyer Grenze und des Dappen⸗
thals entitanden.
Die politiihen Vorgänge jenes Sommers riefen eine Emotion
nad) der anderen hervor; mährend man ſich des Aufſchwunges in
Süddeutſchland freute, welches dem für das gute Recht in Italien
fämpfenden Deiterreih zu Hülfe eilen wollte, war man über die
fih im Norden Fundgebende Unentichlüffigkeit wahrhaft beftürzt.
Der klägliche Friede von Villa⸗Franca erfüllte Defterreichd Freunde
mit Schmerz, und wie ſich durch Beiträge an Geld, Lebensmitieln,
Leinwand, Binden, Eharpie während des Kampfes die Sympathien
in Deutfchland für die fo tapfere E. k. Armee zeigten, kam man
nun allenthalben mieter den Kranken, Verwundeten, Gefangenen
mit aufopfernder Menjchenliebe entgegen. Auch in Zürich traf
Feh. v. Audlaw. Bien Tagiug. IL. j 19
290
auf dem Rückmarſche eine Abtheilung des Regiments „Erzherzog
Karl” ein, deſſen Chef vor gerade 60 Jahren fih auf Dielen
Höhen fo ruhmvoll ausgezeichnet hatte. Nach den zwilchen dem
beiden Kaifern in der Lombardei getroffenen Verabredungen follten
die Friedensbeflimmungen näher in Zürich durch Bevollmächtigte
befprochen und in einem Staatövertrage formulirt werden.
So fahen wir denn nach der Reihe den Grafen Colloredo
mit Herrn DO. v. Meyſſenburg, den Herrn v. Bourqueney wit
Herrn v. Bannville, den Präfidenten Deſambrois mit Herrn
v. Nigra nebit einer Zahl anderer Geſchäftsmänner eintreffen.
Die Aufgabe diefer Diplomaten war eine um fo peinlichere,
als ſich vorausfehen ließ, daß die einzelnen Artitel der abzu-
fchliegenden Konvention größtentheils auch ſchon nidyt mehr gelten -
würden, ehe die Dinte, welche fie gefchrieben, troden war. So
geihah ed; es war das Werk der Danaiden, an dem ſich die
Herren über zwei Monate abmühten; Graf Eollorebo aber ftarb
noch im Hotel Baur am See, ehe der Bertrag unterfchrieben
wurde. Ich Hatte mich gefreut, ihn, den Iangjährigen Freund,
mit feiner Gemahlin bier jo unverhofft wieder zu fehen, und
tonnte nicht ahnen, Daß er, als ih Züri Ende September ver
ließ, ſchon drei Wochen nachher eine Leiche fein würde! Graf
Bourqueney, mir fchon fo vortheilhaft bekannt, batte feinen Bot:
ichafterpoften bei dem Ausbruche des Krieges verlaflen, und über:
dieß noch den Schmerz, eine ausgezeichnete, heißgeliebte Gattin
bald vorher in Wien zu verlieren. Er kam nun mit feinen kleinen
Kindern in einer Gemüthäftimmung in Zürih an, welde durch
die Natur des ihm auferlegten, feiner Ueberzeugung widerftrebenden
Geſchäftes nicht erheitert wurde. — Defambroiß, der farbinifche
Abgefandte, war immer mihr bei Gerichtshöfen, als in der Diplo:
matie verwendet worden, ein ftattlicher, wohlwollender Mann, von
dem fpäter, aber nicht mehr bei der neuen „italienifchen” Staats:
verwaltung die Rede war. Um fo glänzendere Laufbahn war feinem
291
Begleiter Nigra befchieden, der, ein junger, ſchöͤner Mann von
nicht gewöhnlichen Fähigkeiten, ſich ſchon in Züri bedeutend
hervorthat.
Die geſelligen Beziehungen dieſer Bevollmächtigten unter ſich
waren auf das geringſte Maß zurückgeführt. Eine feierliche An⸗
fangs⸗ und Schlußfihung, einige von der Regierung Zürichs ange:
botene Feſtmahle, endlich zwei Galladiner an den Geburtätugen
der beiden Kaifer (15. und 18. Auguft) waren fo ziemlich Die
einzelnen äußerlihen Anzeichen eines. Kongreſſes.
An diefe Zeit fiel auch die Eröffnung der Eifenbahn von
Zürich nah Waldshut, welche durch badifche und eidgenöffilche
Beamte in einem großen Banquet gefeiert wurde:
Mitte September hielten fi der Großherzog und die Groß:
berzogin mit dem Prinzen Wilhelm von Baden, von der Mainau
tommend, zwei Tage in Züri auf.
Don diefer Stadt machte ic nun wiederholt einen Auaflng
nah Maria Einfiedeln.
Diefer berühmte Wallfahrtsort ift in „Maria Regina“ *) fo
unnachahmlich Ihön, wahr umd geiftreich geichildert, daß ich jene
ſchwungvollen Seiten nur abfchreiben müßte, um meine eigenen
Empfindungen wiederzugeben. In gleicher Weile hat ein anderes
Buch zur Erinnerung an das taufendjährige Beſtehen des Stifte
die Aufmerffamkeit wieder diefer Thalfchlucht zugewandt. Das
Klofter zählte feit jener Zeit unter feinen Gliedern viele Männer
von audgezeichnetem Rufe in den Wiſſenſchaften und fchönen
Künften; ed ift eine Stätte der höheren Bildung wie des Gebets.
Schon -fah Ich große Vorbereitungen zu dem Säfularfefte im
Jahr 1861 treffen, und die ſchoͤne, mit Gemälden reich verzierte
Kirche wurde bergeftellt.
Ungeachtet aller Kriegs: und zerftörenden Revolutionszeiten,
*) 11. ©. 46 bis 74.
19*
292
ungeachtet der philofophifchen Richtung der Geifter bleibt fich body
der Zug der Pilger nad dem flillen Schwytzer Thale immer
glei, und bat ſich in den lebten Jahren noch ſtets gefteigert.
Nicht nur ziehen Schaaren von ſchlichten Landleuten aus allen
Gegenden, kämpfend mit Opfern, Entbehrungen und Beſchwerden.
berbei; nicht nur fieht man ganze Gemeinden mit Kreuz umd
Fahnen, ihre Seelforger an der Spike, die Wallfahrt unternehmen,
auch weltliche und Kirchenfürften, erleuchtete Männer der Wiffen:
ſchaft, Künftler, alle Stände finden fich ‚bier zur gemeinichaftlichen
Andacht vereinigt. Es gehört doch wahrlid, zumal in unferer
ſ. g. aufgellärten Zeit, mehr ala Aberglaube, Unwiſſenheit und
Prieftertrug dazu, um fo viele Ehriften aus allen Klaſſen der
Geſellſchaft in jenem abgefchiedenen Gebirge zu verfammeln, und
ein Mann, der, Zeuge diefer rührenden Andacht, darüber uur
fpötteln Tann, müßte ſchon Tängft für beflere Gemüthsſtimmung
unempfänglid fein. Denn es ift ein gewiſſes Etwas, das und
in diefen geheiligten Räumen mit ehrfurchtsvollem Erftaunen ers
füllt; es wehen uns da die Erinnerungen von 10 Sabrhunderten
entgegen; es it, als ob die Luft gefättigt märe von den frommen,
innigen Gebeten, Vorſätzen, Gelübden, Wünichen, Seufzern und
Dantgefühlen der Millionen Pilger, welche hier Troft, Beruhigung,
Glaubensſtärke, Lebensmuth, Kraft im Leiden wiederfanden. Nie
verhallen die geiftlichen Lieder oder das laute Gebet der Wallfahrer;
ed ift eine fortwährende Verberrlihung zu Ehren Gottes und der
heiligen Jungfrau!
Schleihen fih auch, wie allenthalben, Mipbräude ein, if
beſonders die übergroße Zahl von Wirthähäufern mit ben zum
Theile ganz unpaffenden Aushängichildern förend, fo verſchwinden
alle unangenehmen Eindrüde bei dem Eintritt in die weiten Hallen
jelbft, wie beim Anblid der Muttergottes- Kapelle, wo in den
Frühftunden fortwährend das heilige Meßopfer gebracht, Lichter,
Opfergaben geweiht, oder Exvoto⸗Bilder niedergelegt merden.
293
Die Gegend am Fuße des Etzel gehört zu den unwirthlichen,
nicht audgezeichneteren der. Schweiz; nur der Weberblid von der
Anhöhe bei dem neuen Kreuze ift Iohnend, da da3 Auge auf der
majeftätfchen Gebirgäfette ruht; fleigt man aber in’3 Thal herab,
begegnet man Moorgründen, dürftigen Wiefen, von feinen Bächen
durdichnitten, düfteren Tannenwäldern — es tft die nur etwas
Aultivirte Wildniß des heiligen Meinrad.
Einige Monate nah dem Tode des Grafen Colloredo in
Züri vollendete auch der Kardinal: Erzbifhof Viale-Prela in
Bologna feine irdifche Laufbahn. Mit beiden Staatmännern in
demfelben Jahre (1799) geboren, mit beiden während meines
zehnjährigen, beinahe täglichen Umgangs in Münden und Wien
eng befreundet, bewahre ich beiden ein wehmüthig-dankbares An-
denfen. Der Kardinal, welcher mit den freieften Formen einen
würdevollen Ernft und ausgezeichnete Fähigkeiten verband, Deutſch⸗
land mie kein italienifcher Kirchenfürft kannte und Tiebte, flarb
unbezweifelt am gebrochenen Derzen im Angefidite all der revo⸗
Iutionären Gräuel, melde befonder3 an feinem Bilchoföfike vor:
fielen. Ein fchöner Tod entſprach vollkommen feinem fegenreichen
Leben, und immer zu beflagen ift, daß ein noch zu fo großem
Wirken berufener Geift und mit ihm fo viele der edelften Eigen:
ſchaften dem Wohle der Kirche, welcher er nicht aus Ehrgeiz,
nur in treuem Glauben, von ganzer Seele anbing, entzogen
werden follte!
Graf Franz Eolloredo-Wallfee, nach der Reihe k. k. Ge
fandter in Kopenhagen, Dresden, Münden, St. Peteräburg, London
und Rom, war allenthalben eine allgemein beliebte und verehrte
Perfönlichkett. Sein milder rnit, fein feingebildeter Geiſt, ber
ebelfte, verföhnlichite Charakter, ftet3 bereit zur Hülfe wie zum
wohlwollenden Rathe, waren bei ihm mit regem, lebhaftem Triebe
_ a _
nach Wiffen verbunden. So wenig ſich Eolloredo den geichäftlichen
wie gefelligen Verpflichtungen feines Standes entzog und in höheren
Zirkeln eine ftet3 milllommene Eridyeinung war, jo flüchtete er
fih doch gar bald wieder in feine Bibliothel, wo er, umgeben
von den reihen Schäben der fchönen Literatur wie von klaſſiſchen
und wiffenfchaftliden Werken, am meilten vermweilte.
War er für feine Berfon und in feinen Lebensbedürfnifſen
höchſt einfach, fo vertrat er ala Botfchafter feinen Hof in einer
würdigen, jelbft glänzenden Weife, und fo verfammelte er im
Benitianifhen Palafte zu Rom drei Jahre lang tägli die ein-
vbeimifche Gefellichaft wie die aus allen Welttheilen da zufammens
ſtrömenden Fremden.
Der Natur der Sache nad entzieht ſich die Wirkſamkeit der
Diplomatie größtentheil3 der Deffentlichleit; die Beurtheilung ber
Thätigkeit Colloredo's gehört daher wohl einer fpäteren Zeit au.
Es belebte ihn aber vor Allem eine reine Vaterlandsliebe; er
kannte Teinen anderen Ehrgeiz, ala den, fih dem Wohle des
Kaiſerreichs zu widmen; er hatte ein deutſches Gerz, ächt deutfche
Sefinnungen, und wenn bei der Ungunft der Zeitläufe feine, ſowie
fo viele andere edle Kräfte ſich erfolglos in einem aufepfernden
Kampfe verzehrten, fo maren fein Wille, feine redliche Abſicht ſtets
die beiten. Waren ihm vielleicht auch jene Klaftizität und That:
fraft nicht eigen, welche der von ihm felbft erwählte Beruf in
wichtigen Augenbliden erfordert, fo entfagte er, uneigennüßig und
unabhängig, dem feiner Geſchmacksrichtung mehr entiprechenden
Privatleben, um alle feine Gaben dem Staatödienfte zu weihen.
Immer klarer aber erkannte er den wahren Weg zum Heile, umd
als fein längerer Aufenthalt in Stalien, die dort über ibn
bereingebrochenen politifchen Stürme trübe ſtimmten, fein patrio⸗
tiſches Gemüth aus laufend Wunden biutete, ereilte ihn der Tod
mitten in einer ehrenvollen, aber wenig lohnenden Thätigleit. Es
295
genüge jetzt an diefen paar Blumen, geftreut von Freundeshand
auf das viel zu früh geöffnete Grab eines Edelmannd im volliten
Sinne ed Wortes!
Die zwei Winter, welche ih in Straßburg verlebte, brachte
ih mit gefchichtlichen und genealogifchen Studien zu, da meine
Familie aus dem Elſafſſe ftammt, benüßte tie dortigen reichen
Archive und Bibliothefen, und hielt mid) von allen gelelligen und
anderen Beziehungen jern. Die Gegend ift wenig einladend; ſchon
der Aufenthalt in einer großen Feſtung mit ihren Gräben, Waſſer⸗
feitungen und von Sanonen ftroßenten Promenaden ift immer
drüdend; nur in den Vogeſen findet man Waldesfrifhe, wird
Auge und Gemüth durch Naturfchönheiten erfreut. Unter den
näheren Thälern zeichnet fich das von Andlaw mit feiner alten
Stiftäfirche, der romantifch gelegenen Schloßruine aus, und unfern
davon erhebt fich der befannte Wallfahrtöberg der heiligen Ottilie.
Straßburg, welches die zehnte Stelle unter den Städten Frank⸗
reichs einnimmt, trägt auch den Charakter der meiſten diefer größeren
Provinzialjtädte; doch ift e3 vor Allem ein Sammelplag zahlreicher
Truppentheile, ein wichtiger Waffenort, in dem ftet3 die größte
militärifche Thätigkeit herrſcht. Zahlreich find Paraden, Uebungen
im euer, befonderd der Artillerie, und die ungebundene Rübrig-
feit, der muntere Eifer, die rafchen Bewegungen der Soldaten
aller Waffengattungen laſſen auch bier die Vortheile ahnen, welche
ein ſolch' Friegerifcher Geift über andere minder feldgeübte Truppen
erringen muß.
Neben diefem bewegten Treiben gibt fi auch viele Regfam-
feit in Dandel und Verkehr, im Fabrikweſen fund, und Eifen-
bahnen wie Schifffahrt machen Straßburg zu einem bedeutenden
Stapelplake.
296
Nicht minder zeigt fi eine erhöhte Xhätigleit auf dem
veligiöfen Gebiete: der herrliche Münfter, deſſen wundervoller Ban
nicht nur jedes gläubige Gemäth, auch alle Kunftfreunde begeiftert,
Iadet wie zur Andacht ein, und der wahrhaft erhebende Gottes-
dienft, gepflegt von würdigen Brieftern in Verbindung mit aus⸗
gezeichneten Kanzelrednern, läßt diele herrlichen Hallen nie Leer
werden. Kine große Zahl chriftlicher Vereine hegen und fördern
diefen dem Höheren zugewandten Sinn, der fih vom ängflliden
Formenmelen und Sceinheiligfeit fern hält. Damit find wohl:
thätige Anftalten im ächt evangelifhen Geilte verbunden, und
weibliche Congregationen, die nicht genug zu rühmenden Schweftern
des heiligen Pincenz von Paula an der Spike, nehmen fi, an
Hingebung und aufopfernder Nächftenliebe wmetteifernd, dem Schul⸗
unterrichte, der Krankenpflege, der Erziehung der Dienftboten, der
Waiſenkinder u. dgl. m. an. Der Hab und die Berläumdung,
weldye ſich an allen Inſtituten der Kirche vergreift, hat fich auch
an verichtedenen Orten erfrecht, die ebenſo befcheidene ala heilſame
Wirkfamkeit ‚ver barmberzigen Schweitern „zu verhöhnen oder zu
verdächtigen“. Nur hämiſche Bosheit kann das Gute, welches
die frommen Frauen im Stillen Ieiften, abſichtlich verdammen;
wer aber gedankenlos in diefe ungegründeten Vorwürfe einftimmt,
bat fi wohl nie die Mühe gegeben, näher in das Weſen Diefer
Klöfter einzudringen. Finden fid) da auch, wie allenthalben, vorüber:
gehende Mißbräuche, der Geift und die Regel, welche den Orden
felbft leiten, Fönnen nur zu einem fegensreichen Ziele führen!
Dielen katholiſchen VBeftrebungen gegenüber macht fi) auch ein
nur in wenigen franzöfifchen Städten befannte® Element — das
proteftantifhe — in Straßburg geltend; es find die Kirchen für
beide Theile der Zahl nach gleich; die katholiſchen Einwohner aber,
welche zur Zeit der Meformation auf eine ganz kleine Gemeinde,
die nur indgeheim ihren Gottesdienft feiern konnte, herabgefunken
war, zählt jebt über 30,000 Seelen!
297
Es gibt Fein deutſches Gemüth, welches nicht ebenfo die
Thatfache, daß Straßburg dem Reiche entriffen, wie die Art be
klagte, mit der dieß geichehen. Bid auf den heutigen Tag hat
diefe Stadt die Zwitternatur nicht abgelegt, welche ihr jene Befit-
nahme aufgedrüdt. Trotz Ordonnanzen, Schulunterriht und Er⸗
mabnungen behält Elfaß feine deutichen Sitten, jelbft die Sprache
bei, und auffallend tritt der Kontraft hervor, wenn man die Volls:
trachten, die Bauart der Dörfer mit jener über den Vogeſen ver-
gleicht; das germaniſche Weſen läßt fi, da meder verläugnen noch
vernihten. Wenn fi) die Bevölkerung dennoch nicht nad) einer
deutfchen Herrſchaft jehnt, fo leitet fie eben dabei das Gefühl,
einer großen, in ſich einigen Nation, einem, ungeachtet aller
Derhfelfälle, mächtigen, abgefchloffenen Reiche anzugehören. Das
klägliche Schaufpiel, welches das in ſich zerfallene Deutichland gibt,
die Ausſicht, irgend einem der Meinen Bundesſtaaten zugetheilt
zu werden, tft nicht geeignet, den Elfäflern das Loos ihrer über:
theiniihen Nachbarn und ehemaligen Landsleute beneidenswerth
ericheinen zu machen.
Es iſt dennoch ein eigenthümliches Gemiſch von Beftand-
theilen, welche ſich afjimiliren möchten und doch mieder theilweiſe
abfioßen. Die Beamten, die höhere Gefellfchaft, die Garnilon,
ein Theil der Handelswelt denkt, Ipricht, tritt franzöfiich auf, Die
Bürgers- und Volksklaſſe bleibt in gewiſſem Grade deutſchem
Weſen, bdeutfcher Ausbildung treu und drüdt fid in einem wider:
lihen Jargon, aus Worten beider Sprachen zufammengefegt, au.
Es mird abwechſelnd in den Kirhen und Schulen deutſch und
franzöſiſch gepredigt und gelehrt; die Schwurgerichtöverhandlungen,
franzöfifch, merden durch die fortwährenden Verdollmetſchungen
fhwerfällig; die Vorſtellungen in dem fchönen, meiftend guten
Theater find in der Regel franzöfiih, menngleich öfters deutſche
wandernde Truppen fpielen, und wie ſich fomit der kunſtreiche
Münſterthurm, weithin fihtbar, in der Nheinebene mitten zwilchen
298
dem Schmarzwalde und ten Bogefen erhebt, fo ftreitet ſich auch
das galliſche und germaniſche Element in Straßburg um den
Vorrang.
— — — — —
Gegen Ende des Jahres 1859 endete Markgraf Wilhelm
von Baden einen Lebenslauf, welcher nach drei Richtungen hin
ein thätiger, lohnender, feinem Vaterlande gedeihlicher war. Früh
ſchon ausgezeichnet im Felde, hatte der Prinz in der langen
Friedenszeit keine Gelegenheit mehr, ſich durch die ihm angeborne
Tapferkeit hervorzuthun; mit deſto größerer Sorgfalt widmete er
ſich der Ausbildung des Heerweſens und einer umſichtigen, oberſten
Leitung der Corps. Seine ſtaatsmänniſche Befähigung hatte der
Markgraf in den ſchwierigen Miſſionen bewieſen, welche er zum
Wohle ſeiner Familie angenommen; er führte die Verhandlungen
glücklich zu Ende und war auch während 40 Jahren ein erprobter
Präſident der erſten Kammer in Karlsruhe, ſich durch ruhige,
unparteiiſche Führung der Geſchäfte auszeichnend. Nicht minder
war ſeine Thätigkeit einem anderen nützlichen Streben, dem Schutze
und der Hebung der Landwirthſchaft zugewendet, und während er
ſo auf ſeinen ausgedehnten Beſitzungen mit dem erſprießlichſten
Beiſpiele voranging, bot auch fein Familienleben das Bild häus—
lichen Glücks. Wie ſeinen erlauchten Bruder hatten auch den
Markgrafen Wilhelm die unſeligen Vorgänge des Jahres 1849
mächtig erſchüttert; es war nicht ſowohl der Undank, den er für
ſo viele Aufopferungen geerntet; großherzige Seelen wiſſen ſich
über ſolche Erbärmlichkeiten zu tröſten; es war ſein patriotiſches,
zerriſſenes Herz bei den Anblick fo vielen, muthwillig heraufbe⸗
ſchworenen Elends, einer fo ganz zwecklos unternommenen Um—
wälzung, welche Niemand zu gut kam.
Einige Wochen ſpäter ſtarb nad langen Leiden in Nizza
(30. Januar 1860), mo fie Linderung zu finden hoffte, die
Sroßherzegin Stephanie von Baden. Es war mir noch ver:
gönnt, bei der Durchführung der Leihe im Straßburger Münfter
der fo hochverehrten Frau den lebten Tribut dankbarer Anhäng-
lichkeit darzubringen, und unter dem Eindrucke diefes ſchmerzlichen
Abſchieds fchrieb ih u. a. in die Allgemeine Zeitung nach einer
furzen Lebensnotiz:
„Es waren nicht fowohl ihre überlegenen Geiftesgaben, es
war vielmehr die mit Wärte und. Wohlmollen verbundene Erſchei⸗
nung, weldye einen eigenen Zauber auf Alle ausübte, welche ihr
zu nahen dad Glück Hatten, und ihre entichiedeniten Gegner ent⸗
waffnete. Dielen gejelligen Vorzügen ftand ein überans gebildeter
Geift zur Seite; fie kannte keinen anderen Ehrgeiz, als den, vecht
viele gründliche Kenntniffe zu fammeln, keine andere Eitelkeit, als
den raftlofen Drang des Wiſſens zu befriedigen. Sie übte diefen
Trieb aber nicht etwa pedantifch, wie andere wißbegierige rauen,
es lag feldft in diefem Streben die ihr immer eigene Grazie; fie
rang nach univerfeller Bildung, fuchte und fand oft in fcheinbar
nod jo unbedeutenden Begeanungen Stoff zu belehrender Unter:
haltung. Die Großherzogin Stephanie legte deßhalb wenig Werth
auf äußeren Prunk, auf Toilette, fand feinen Geſchmack an ge:
wöhnlichen Hof: und Klatſchgeſchichten. Ihr Geſpräch nahm ftet#
eine gediegenere Richtung. Wie in der Wiflenfchaft, trugen auch),
wenn ich mich fo ausdrüden darf, ihre politifhen Anfichten eine
Art von kosmopolitifcher Färbung. Sie, die hochbegabte Frau,
welche mit Napoleon I. wie mit Kaifer Alerander, mit Karl x. wie
mit Louis Philipp in freundlichem Verlehre geſtanden, durch ihre
wie ihrer Töchter Vermählung mit vielen deutſchen und anderen
Höfen verwandt war, verfammelte gerne um ſich im vertrauten
Kreife, was an Verdienſt, Gelehrſamkeit und Talenten hervorragte.
. Hatte die Großherzogin einen beinahe männlichen Geift, vielfeitig
gebildet, fo trat auch die weibliche Seite da hervor, wo ed galt,
einem unerjchöpflihen Wohltgätigfeitäfinn zu genügen. Hier wandte
500
fih ihre Thätigfeit nun vorzugsweiſe der Erziehung der weiblichen
Jugend zu. Unermüdet ftrebte fie nach diefem fchönen Ziele, und
nicht allein waren es Zöglinge aus höheren Ständen, auf die fie
einwirfte, auch armen Kindern widmete fie eine mit Opfern und
Ausdauer verbundene Sorgfalt. So trug fie frucdtbringend ihr
reiches Wiſſen auch auf weitere Kreife über. — Während fie auf
dieſe Weife nur in geringerem Grade Tleinliche Schwächen mit
ihrem Gefchlechte theilte, beiwunderte man an ihr immer Me Yeb-
baftigfeit des Geiſtes. Doc ging, befonderd in der letzten Zeit,
wohl durch phyſiſche Leiden genährt, ihre Thätigkeit in eine fie
verzehrende Unruhe über; fie wechſelte fchnell, oft Allen unerwartet,
ihren Aufenthalt, umgab fich immer wieder mit neuen Gegen⸗
ftänden, fteigerte dadurd vieleicht ihren krankhaften Zuftand und
befchleunigte ihren Tod. — Es gab viele Stimmen, welche ihre
häufigen Meifen nad Paris, ihre Freude an der neuen Ordnung
der Dinge dafelbft tadelten. Wer konnte es ihr aber wehl ver:
argen, wenn fte in ihren lebten Lebensjahren die fo unverbofft
wieder ihr vor die Augen geführten Traumbilder der eriten Jugend:
zeit gerne begrüßte? — In dem Lande aber, in dem fie 54 Jahre
dur einen ſolchen Verein weiblicher Tugenden glänzte, wird ihr
Andenken ftet3 gejegnet fein! Sie trodnete gar mandye Thräne,
legte den Keim zu mancher guten Frucht; fie hing warm und
treu an ihren freunden, war immer offen, ohne Yall gegen
Andersdentende. Ale Verftellung war ihr felbit fremd, fowie an
Dritten verhaßt. Sie biieb fich ftet3 in allen Verhältniffen und
unter allen Umftänden- gleich! War ihre Wirkſamkeit aud eine
beihränfte, griff fie nicht entjcheidend in die Geſchichte unjerer
Zeit ein, fo ift die Großherzogin Stephanie doch, ihrer eigenthilm-
lihen Schickſale wie ihres edlen Charvalterd wegen, den ausge⸗
zeichneteren rauen unferes, an hervorragenden weiblichen Geſtalten
gerade nicht überreichen Jahrhunderts beizuzählen! Weber ihrem
Sarge ſchloß fih die fürftlihe Gruft in Pforzheim; die neue
801
badiſche Herrfcherfamilie bat ihre Begräbnißſtätte in der Stadt:
firhe zu Karlsruhe.“
Die Zuftände Oeſterreichs, wie fie. fih allmälig nad der
Kataſtrophe von 1859 entiwidelten, entgingen meiner fortgefebten,
ſpanneuden Aufmerkſamkeit nicht, und insbejondere waren es bie
Selbftmorde dreier meiner früheren Bekannten, welche mich mit
Entſetzen erfüllten. Man wollte in diefen beklagenswerthen Vor:
gängen die Symptome einer zunehmenden Fäulniß im Staate
fehen; ich theile diefe Anficht nicht. Es find jene traurigen Fälle,
wenngleih im Zufammenhange mit den politiihen Ereigniſſen,
doch nur vereinzelte Erſcheinungen.
Aus dem freiwilligen Tode des eldmarfchall -Lieutenants
v. Eynatten, welcher wegen Unterjchleifen in der Armeevermaltung
peinlich verhört worden war, wollte man auf einen allgemeinen,
ſyſtematiſch organifirten großartigen Betrug bei den Lieferungsver⸗
trägen, Berpflegungsfoften für die Truppen in Italien fchließen
u. ſ. w. Die darauf folgende Unterfuhung bat gezeigt, daß das
Ergebniß nicht im Verhältniffe zu dem Lärm und Auffehen, die es
gemadht, ſtand; folhe Mißbräuche, Verbrechen und himmelfchreiende
Unterfchlagungen kommen in jeder Armee von Zeit zu Zeit vor,
ohne daß deßhalb die ganze Adminifiration verdächtigt werden
kann. Nachläffigkeit, Mangel au Borfiht in der Auswahl der
Beamten walten bier vor, und das die Faiferliche Armee betroffene
Kriegäunglüd brachte die Veruntreuungen und geheimen Schaden
erft vollend3 zu Tage. Der 686 jährige Eynatten, Familienvater,
— drei feiner Söhne dienten in der Armee — genoß, bei einer
einnehmenden Perfönlicdyleit, den Ruf eines unbeicholtenen Charakters.
Eine beflagendwerthe Sorglofigleit mehr als abfichtliche Untreue,
ein Zufammentreffen ungünftiger Umftände, in die er ſich rettungs⸗
los verwidelt, machten ihn zu einem firafmärdigen Diener feine?
802
Koifers, teilen volled Vertrauen er befeflen, und in biefem Gefühle
zum — Selbitmörder.
Graf Stephan Szechenpi, 68 Jahre alt, voll lebhaften,
wohl and etwas ercentriihen Geiſtes, von beinahe fieberifcher
Thätigleit, erwarb fidh. unläugbare Berdienfte um Ungarn. Er
belebte den Verkehr durch raſche Förderung der Dampfſfchifffahrt
auf ter Donau und den Seen, legte großartige Brüden und
Straßen an, auf feine Anregung wurden Flüffe regulirt, Sümpfe
audgetrodinet, die Induſtrie gehoben, der Aderbau verbeflert, die
Biehzucht, befonders der Schafe, gepflegt; er war Gründer der
BPefter Akademie, Freund der Wiflenfchaften, Künſte und Rational-
fiteratur. Mit einem Worte, Szechenyi galt vor dem jahre 1848
für einen der feuerigiten Patrioten, den größten Wohlthäter Ungarns.
Die Stürme der Revolution machten feiner Popularität ein baldiges
Ende. Auch er wurde, wie fo viele Andere, von jüngeren, zer:
ftörenten Elementen überflügelt, und mißvergnügt zog er fid
allſobald aus dem ungariſchen Minifterium zurüd. Noch ſehe ich
den Mann mit dem Teuerblide, überichattet von wabenichwarzen,
bufchigen Augenbraunen, der mit lebhaften Geberden eine raſche,
von Geift und Eifer fprudeinde Redeweiſe verband. AN dieß war
nun wie mit einem Bannfluche verfchwunden: Srrfiun batte ſich
feines fonft fo Flaren Geiftes bemächtigt, und fchon auf dem Rück⸗
wege von Beth fuchte er fi) zu entleiben. Seine dunfeln Haare
hatten ſich gebleicht, fein Aeußeres erichien auffallend vernachläfjigt;
er war ein alter, um die Vorgänge der Außenwelt anſcheinend
unbefünmerter Maus geworden. Zwölf Jahre nun befand er fi
m der Privatirrenheilanſtalt des Dr. Jürgen zu Döbling; er
behielt die Verwaltung feines großen Vermögens bei, fehrieb nad)
allen Seiten hin. jedermann hielt ihn daber für volllommen
genelen; er felbft Tonnte fih aber nicht entichließen, fein Aſyl zu
verlaffen. Die newen Unruhen in Ungarn veranlaßten eine Unter⸗
ſuchung feiner Bapiere; da wurde Graf Szechenyi eined Morgens
803
mit durch einen Biftolenfchuß zerfchmettertem Gehirne gefunden!
War es nun, wie man jagte, Selbftmordmonomanie, die nie von
ihm gewichen fein ſoll, weßhalb ließ man ihn ohne Aufficht, ver-
binderte nicht die ſchaudervolle That?
Ein nit minder genialer Geift, von ebenſo glücklichen,
jeltenen Anlagen und einer Alles beberrfchenden Berfönlichkeit
ging auf gleiche bejammernswerthe Weife in dem Finanzminifter
Bruck unter. Er hatte fih aus fehr untergeordneten Verhält⸗
niffen zu den böcften Würden, zu einem, allerdings übertrieben
geihilderten Reichthum emporgeihwungen. Seine Thätigfeit, fein
Wirkungskreis waren weit außgedehnter, nachhaltiger als jener
Szechenyi's, fein Wiffen ein univerſelleres. Unermüdlich, vielfeitig
gebildet leitete Bruck die Geſchäfte mit Umſicht und Gewandtheit,
und fchredte nicht vor der ungebeueren Verantwortung, vor der
Laft der ihn beinahe erdrüdenden Berwaltung zurüd; doch mehr
Kaufherr als Staatömann, vermwidelte er fih in Berechnungen,
weitausfehende Pläne, welche unerwartete Ereigniſſe zu nichte
machten; er trug den möglichen Eventualitäten nicht gehörig Meche
nung, und die kühnen Entwürfe mißglüdten. Doch war er bis
zum legten Tage heiter und voll Zuverſicht — da droßte auch
ihm eine Unterfuhung in der erwähnten Lieferungsfache und
machte die von ihm ſelbſt erbetene Entlafjung aus dem Staats⸗
dienfie nothwendig. In einer fürdhterlichen, unbewachten nächtlichen
Stunde trat der Verfucher heran, deſſen entſetzlichen Einflüfteruugen
er nachgab. Erft viele Stunden nachher folgte der Tod der gräß-
lihen That, die Bruck bereute, wohl fühlend, daß dadurch ihm
jedes Mittel zu feiner Rechtfertigung entging! Meiner eigenen
Beziehungen zu Brud, welche nicht felten Fragen wichtiger Ver:
bandlungen umfaßten, konnte ich mich nur freuen; er hatte einen
fharfen, richtigen Geichäftsblid und dabei die einnehmendften
Formen. Es fehlte ihm nicht an wohlmwollenden Vertheidigern mie
an erbitterten Gegnern. Aufrichtige Trauer wie Verwünſchungen
304
folgten ihm in’d Grab. Wer kann über fein Welten richten?
Nur Gott vermag in die Falten des menſchlichen Herzens zu
fteigen, die geheimen Beiveggründe unferer Handlungen zu prüfen.
Es geziemt fid daher wohl, daß bei fo traurigen Anläflem ein
ernfied Schweigen die letzte Stätte decke. Peinlih mußte es fomit
bei der Leichenfeier Brud’3 berühren, daß der „Diener des Evange⸗
liums“ an diefem Sarge nur Worte überſchwänglichen Lobes für
die irdifhen Bemühungen, der begeifterten Bewunderung für Den
Charakter wie die glänzenden Eigenſchaften des Minifter3 fand;
man vermißte dabei jede nur leiſe Andeutung chriftliher Mahnung
bei diefem außerordentlichen Falle, jeden Ausdrud fehmerzlichen
Bedauerns über ein jo Mägliches, eine ganze, thatenreiche Laufbahn
mit einem unauslöfchlidhen Flecken bedeckendes Ende!
Nach einem im Großherzogthum auf dem Lande und unter
feinen Ausflügen nady der Schweiz verbrachten Sommer ließ ich
mid, wie bemerkt, vorerft in dem freundliden Baden-Baden
nieder, mo id; Mitte November, mich von einer abermaligen Bruft-
krankheit zu erholen, eintraf. Schon während der jchönen Jahres⸗
zeit hatte ich die Stadt der „römifchen Thermen“ beſucht uud
war da Zeuge ded „deutſchen Fürſtenkongreſſes“ geweſen,
in deilen Mitte fi der Kaifer der Franzoſen eingefunden hatte.
Bier Könige, drei Großherzoge, drei Herzoge umgaben bier den
PrinzsRegenten von Preußen, auf deſſen Zufammentreffen es Louis
Napoleon vor Allen abgefehen hatte. Die Ergebnifle diefer er-
lauchten Berfammlung waren fcheinbar wenigſtens nicht von erheb:
lichen Folgen begleitet. Der Großherzog bewirtbete feine hoben
Säfte auf's freunblichfte in den alten und neuen Schlöffern, an
denen die Umgebungen des fchönen Thales jo reich find. Der
Empfang, den der „gallifche Eäfar” von Seiten des Badepublikums
305
fand, war ein anftändiger, aber weit entfernt von der offiziöfen
Begeifterung, welche einige impertaliftifhe Enthuſiaſten von jenfeits
des Rheins auf diefen deutfhen Boden übertragen wollten.
Napoleon beimohnte das neuerbaute „Stepbanienbad”, wurde viel
theils zu Fuß, auch in einem Meinen Einfpänner fahrend gefehen,
und befuchte nach der Reihe die deutfchen Fürften. “Der englifche
Hof, in weldem die Bundesfürften von Bayern, Sachſen und
Hannover abgeftiegen waren, geftaltete ſich demnach wahrhaft zu
einem Hotel „zu den drei Königen“! Napoleon blieb zwei Tage
und Fehrte, wie man behauptete, fidhtbar verfiimmt und enttäufcht
nad Paris zurüd.
Die Saifon, welche ſchon im Juni einen fo glänzenden Auf:
ſchwung genommen, erhielt fih zwar nicht auf gleicher Höhe;
dennoch gehörte fie, ungeachtet einer beftändigen naffen Witterung,
zu den nummerreichiten; denn der Werth eined Sommers richtet
fi immer nad der Zahl der Badegäſte und Tremden, welche ſich
jeit 10 Jahren immer zwiſchen 30,000 bis 40,000 erhält, und
dadurch die Bau: und Spelulationzluft wedt.
In Bafel Hatte ih Mitte September zufällig, von den
lieblichen Badenweiler aus, der 100 jährigen Aubelfeier der dortigen
Univerfität beigewohnt. Es war das erfte Feſt diefer Art, welches
ih ſah. Die Stadt war reich verziert, beſonders nahm fidh das
alte Rathhaus fehr gut aus: ein unabfehbarer Zug bemegte fich
durch die Straßen, und eine Schaar in die Tracht Tell's gefei-
deter Männer vermifchte ſich in ziemlich origineller Weife mit den
in ihren Talaren erjchienenen abgeordneten Brofefforen deuticher
Hochſchulen. Teftreden und gelehrte Abhandlungen wurden vor
den großen Berfammlungen gelejen, welche in der Peterskirche
ftattfanden, und der riefige Sentraleifenbahnhof nahm die effenden,
trinfenden, toaftirenden Gäſte auf. Das Ganze zeigte mehr Un-
gebundenheit und zwanglofe Heiterfeit, ala ernfte Würde und finn:
reihe Anordnung. Auch fehlte es nicht an Beleuchtung, Tärmender
Sch. dv. Andlaw. Wen Tagebuch. IL 20
306
Janitſcharenmuſik, Tadelzug, Jubel, Schweizermilitär aus jeder
Alterdflafie u. dgl. m. Was mich dabei jedoch am meilten und
perfönlich intereflirte, war die Erinnerung an den erften Rektor
der Univerfität Bafel: „Georg von Andlam,“ der 1466 ftarb, und
in dem herrlichen Münfter, das num glüdlicher Weile aus dem
unwürdigen Auftande, in dem es fi befand, ſchön veflaurirt
hervorging, ein paſſendes Grabdenkmal dat. An dem Univerfitäts
gebäude felbft aber waren drei große, mit Blumen und Lorbeeren
umgebene Medaillond aufgehängt mit den Namen: des Aeneas
Silvius Piccolomini (Pius II, de Gründers), Johann? von Ven⸗
ningen (damaligen Fürſtbiſchofs) und Georgs von Andlaw (erfken
Rektors).
Baden: Baden hat im Winter eine von dem bewegten
Saifonleben gänzlich verfchiedene Phyſiognomie. Man lebt da ſtill:
ed bilden fi unter Einheimiſchen und zurüdgebliebenen fremden
Familien Coterien; ein Theil der Bademuſik fest ihre Uebungen
zweimal in der Woche fort; ein Theater fehlt; der nenerbaute
Saal ift eben der Vollendung nahe. Selbft in der rauhen Jahres:
zeit ladet die veizende Umgegend zu Spaziergängen ein, und ba
Klima ift, wenn auch nicht milde, doch meiftend windſtill, und
der Anblid der warmen Quellen, deren Ausflug durch die Straßen
dampft, läßt wenigſtens erwarten, daß fie die kalte Luft mildern.
Der Umgang mit gebildeten Menſchen erſeht, was an Kunſt⸗
genüffen und großftädtifcher Gefelligfeit vermißt wird, und aud
gute, alte Belannte begrüßte ich wieder freudig, unter ihnen
Dr. Öugert, deflen Berühmtheit nur feinen menſchenfreundlichen
Wohlwollen gleihlommt.
Der Sommer 1861 blieb hinter feinen Vorgängern wicht
zurüd; nur von 1857 war er an Zahl der in die Badelifle ein-
getragenen Gäfte übertroffen. Die fo beliebten Plätze der benad-
8 _
barten Höhen und Thäler maren von Befuchenden nie leer, und
ebenſo große Anziehungskraft als die blühende Natur übte wie
gernößnlich der grüne Teppich, flatt der Blätter, Nummern und
farbige Lappen.
Die lange Reihe der Feſte wurde in diefer Saifon mit einem
großartigen Banquete eröffnet, welches das badifche Handels
mimiftertum bei Gelegenheit der Einweihung der Kettengitterbrücke
der Eiſenbahn von Kehl nad Straßburg im Kurſaale gab. Es
war Kon 800 Oäſten die: und jenfelt? des Rheines befucht, und
es fehlte nicht om „internationalen“ Tonften und Reden. Die
Freuden Badens find oft befhrieben; ans ben fernften Gegenden
gibt man fi) hier gern ein Stelldichein, und bie Ruſſen find es
vorzugsweiſe, die in fo mannichfacher Richtung gebotene Genüſſe
auffuchen. Mit der täglich dreimal ertönenden guten Bade- oder
der Mufif der in Raftatt garnifonirenden Bfterreiähtichen, preugifchen
und badiſchen Megimenter verbinden fich großartige Concerte, aller:
Hebfle Vorſtellnngen von Baudevilles von den beiten franzoͤſiſchen
brematifchen Känftlern, Bälle, Jagden, Wettrennen, Teuertverfe
u. dgl. m. Alle dieſe meiſt unentgeldlich gebotenen Vergnügen
ziehen denn auch einen Schwarm won demi monde, Glädärittern
und anderen unwillkommenen &rfcheinungen nach ſich, und machen
Boden, bei dem jebigen Yeichten und rafchen Verkehre, gleihfam zu
einer Vorſtadt von Parts, das und gelegentlich nicht feine beften
Säfte ʒuſchickt. Es zieht ſich daher die vornehmere, gute Gefell:
ſchaft immer mehr von dem Treiben des „Comwetfationshauſes“
zwei‘, und fucht in den ſchönen Villen, welche fie fih allmälig
erbaut, eine rubigere, ihrem feinen Geſchmacke mehr zufagende
Geſelligkeit. Nach ihrer Anficht Yımte daher Baden durch bie fo
wiet beiprochene Aufhebung des öffentlichen Spieles nur gewinnen,
weil dadurch die Beſtandtheile des Badelebens geläutert, die damit
verbundenen tragifhen Scenen vermieden würden. Auf die Fre
quenz der Stadt, und rüdmwirtend auf ihre gemerbtreibenden Be⸗
20*
308
wohner, auf die Verfchönerungen, die Freuden, wie auf die
Unterftüßungen der Armen und wohlthätigen Anftalten würde
freilich eine ſolche Maßregel nachtheilig wirken, doch gleicht ſich
dies mit der Zeit wohl wieder aus. Benazet, dem Spielpächter,
fann man jedoh dad Zeugniß nicht verfagen, daß er, fo viel in
feinen Kräften, die Gehäſſigkeit, welche feiner Erwerböquelle anbängt,
vergeffen zu machen fucht, Leine Auslagen fcheut, den ‚Aufenthalt
der Tremden fo genußreid, und glänzend als möglich zu machen,
und großmüthig überall da in erfter Linie zu treffen ift, mo es
gilt, zu belfen, fich bei frommen oder menſchenfreundlichen Werten
und Stiftungen zu betheiligen, Wunden zu heilen, für Verpflegung
von armen Badekranken zu forgen u. dal. m.
Wohl kann man mit Schiller in den „Kranidyen des Jbifug‘
fragend ausrufen: wer zählt die Säfte, die ftrömend ziehen in
das Thal, wo nit ein Felt, wo eine Reihe von wechjelnden
Genüffen jeden nad feinem Sinne zur Theilnahme einladet? Es
liegt von dieler lebten Saifon ein langes Berzeihni von Namen
hoher fürftlicher Perfonen, von berühmten Kriegern, Staatsmännern,
Gelehrten und Künftlern vor, und bis weit in den Oftober er:
ſtreckte fid) das Tebhafte Treiben, welches gewöhnlich mit der „Iffez⸗
beimer Steapel chase‘‘ und anderen Freuden des „Turf,“ wie
des „Sport‘‘ feinen Höhepunft erreicht. Der .großberzogliche Hof
war länger ald gewöhnlich anweſend, und luſtig flatterte, zur
Freude der Bewohner, noch fpät die gelb-rothe Fahne von den
Zinnen ded Schloſſes in der Herbitluft. Auch eine nur zu ge
rechte Huldigung bradte die Stadt Baden dem Andenfen bes
edlen Großherzogs Leopold, der fo viel für diefe Stadt feines
Namens mie feiner Ahnen getban, das Schloß wie Eberſtein fo
zwedmäßig und ſchön berftellte, fo gern bier verweilte. Sein
Standbild ziert nun einen Plab mitten in der Stadt, und bei
deſſen feierlicher Enthüllung, der das junge großherzogliche Ehepaar
309
bewohnte, übergop die Septemberfonne das Denkmal mit hell:
jtrahlendem Lichte!
Doch auch an ergreifenden Momenten anderer Art fehlte es
zu jener Zeit nicht. Augufte von Preußen, die Baden fo oft zu
einem ihrer Lieblingsaufenthalte erflärte, mar diesmal, fpäter als
fonft, Ende Juni eingetroffen. Bald darauf folgte der Gemahl,
nun zum eritenmale als König. Beide hatten fi, wie immer,
heiter, und ungezwungen in der bunten Badewelt bewegt, ald am
Morgen des 14. Juli — eines Sonntags — während des Gottes-
dienfted® wir von der ganz unglaublich Mingenden Nachricht erfchreckt
wurden, daß ein junger Mann auf eine Entfernung von drei
Schritten in der Lichtenthaler Allee auf den in Begleitung des
Sefandten, Grafen von Flemming, fpazierengebenden König mit
einem Biftole gefchoffen babe. Der Monarch war fehr gefaßt,
nur leicht hinter dem Ohre geftreift, und febte feine Promenade,
der Königin entgegen, um fie fogleih zu beruhigen, weiter fort.
Später in feine Wohnung zurüdgelehrt, nahm er ärztliche Hülfe
an, e3 wurden Bulletins ausgegeben; das Attentat hatte aber
glüdlichermeife Feine für die Geſundheit des Königs nuchtheilige
Folgen, und bewirkte wenigftens das Gute, daß ſich die ganze
Bevölkerung wie ein Dann um den allgemein verehrten, wohl:
wollenden Monarchen drängte, und außer einem Tedeum und
Danfgebeten, außer einem von begeifterten „Hochs“ begleiteten
Fackelzuge, aud) nody viele milden Gaben geipendet, wohlthätige
Stiftungen gegründet wurden. Bon allen Seiten kamen Abge⸗
fandte anderer Fürften, Deputationen von Städten und Regi⸗
mentern. Baden war um eine traurige Erfahrung reicher, der
Schauplatz einer verruchten That geworden, aber die allgemeine Ent:
rüftung, die fi) allenthalben Lundgegebene Theilnahme und Anhäng-
Vichkeit für den geprüften König waren wieder eben fo viele erhebende
Augenblide. Bon bier begab fih das Königliche Paar zur Krö⸗
nungsfeier nad) Königsberg, der auch der Großherzog beimohnte.
. 810
Der 21jährige Leipziger Student, Oskar Beder von Odeſſa,
welcher einen fo unbegreiflihen Mordverfuch unternommen, zeigte
fi) als einen beinahe unzurechnungsfähigen Phantaften, der durch
anhaltende Studien und überipannte Ideen, in feine? Seilbſtüber⸗
ſchätzung beftärkt, fo weit ging, fih für einen großen Mann zu
halten, und feine erbärmlidye Eitelfeit, feine unverdauten Theorien,
wie es fcheint ohne Reue über fein Verbrechen, von dem er fid
feinen Maren Begriff zu machen wußte, zeigten fi während ber
Bruchſaler Schwurgerichtäverhandlungen, bei denen auf eine 20jährige
Daft gegen ihn erkannt wurde.
Wie der Anfang des Jahres 1861 mit dem Tode deö Königs
Friedrich Wilhelm IV. von Preußen bezeichnet geweien, fo endete
kurz vor dem Schluffe deffelben der Prinzgemahl Albert in Windfor
unerwartet fein Leben, das noch zu fo großen Erwartungen be
rechtigte. Beide Fürſten, fo verſchieden an Charakter wie in ihrer
Stellung und in der Richtung ihres Strebend oder Dentens,
nahmen einen reihen Schatz von Geift, Erfahrungen und ftets
thätigen Kräften ins Grab. Beklagenswerth bei Erſterem bleibt
immer, daß ein mit lebhafter Phantafie und edlem Gemüthe ver:
bundener redlicher Wille vielfach verfannt, daß Eigenfchaften, welche
ihn als Brivatmann zu den gebildetiten, beften feiner Zeit erhoben
hätten, nicht von gleichem Erfolge auf dem Throne begleitet waren,
beflagenswerth für immer die büftern Schatten, welche ſich zuleht
auf feinen fonft fo hellen Geiſt fenkten! Ich felbft bewahre dem
vereiwigten Könige ein dankbares Andenlen; nicht nur war er mir
lange immer ein buldvofl gnädiger Herr, er richtete auch oft
Worte an mid, die mid ihrer zarten Aufmerlfamkeit, des treuen
Gedaͤchtniſſes wegen rührten.
Zwei Tönigliche Yamilien maren es insbeſondere, welche in
den lebten Jahren der Todesengel wiederholt heimſuchte. Bald
311
nach dem früßen Ende der Tieblihen Königin Stephanie von
Portugal ſtarb der mit Gaben des Herzens und reichen Verftandes
audgerüftete König Dom Pedro im 24. Sabre. mei feiner
Brüder fliegen zugleich mit ihm in die Gruft. Das fähfifhe
Königapaar wurde in gleicher Weife ſchwer geprüft; es verlor in
kurzen Zwiſchenräumen vier erwachſene Prinzeffinnen, von denen
zwei unvermählt.
Soll ich nun am Schluſſe dieſer langen Erzählung von Er⸗
lebtem und Erfahrenem auch noch von mir, von meinem Charakter
ſprechen, ſo fürchte ich, wohl mit Recht, mir den Vorwurf zuzu⸗
ziehen: „von allen nur denkbaren Dingen und von noch einigen
übrigen“ verhandelt zu haben. Die in der Einleitung berührte
Warnung auch jebt beachtend, will ih mich rüdfjichtlid meiner
eigenen moralifchen Photographie auf die einzelnen Züge beziehen,
wie fie zerftreut in diefen Blättern enthalten find. Weitere Pinfel-
firiche dazu finden fidy im IV. Theile „der Briefe eines Verftorbenen“,
Seite 81 u: folg. Zu meinem Erftaunen lad ich nämlid dort
ihon vor Jahren den Ausſpruch eines Phrenologen in London,
deſſen Schilderung fo ziemli mit meinem eigenen Charakter über:
trifft, und fo wenig ih aud auf Währfagungen und Dffen-
barungen durch die Organe des Gehirnes halte, jo war jene
Bild doch ergreifend genug für mich, um es mit Nandbemerkungen
zu veriehen, zum Nachdenken aufzufordern.
Da des Menfchen wichtigſtes Studium doc immer „ber
Menſch ſelbſt“ fein follte, fo fand ich mich von jeher unter allen
philofophifchen Wiffenfchaften am meiften von der Piychologie
angezogen; ob aber eine genaue Kenntniß des Nächften auch die
Fähigkeit in fich fchließt, mit fi und feinem eigenen Charakter
mehr in's Reine zu kommen, ift eine ſchwer zu Iöfende Frage —
ed mag an diefen Andeutungen genügen!
812
Ich benütze nun die Zeit meiner unfreiteilligen Muße, mid
mehr mit den neuen Erzeugniffen der Literatur, «befonderd der
deutichen und franzöfifhen zu beichäftigen. Zwar hatte ich von
jeher gern und viel gelefen, und trage feit 40 Jahren jedes
gelefene Werk mit einigen kritiſchen Worten in mein Tagebuch ein.
Ich möchte diefe Gewohnheit, die weder zeitraubend noch geift-
anftrengend ift, jedem denfenden jungen Manne nachzuahmen ratben.
Sie gewährt einen doppelten Bortheil, da fie einmal die Urtheils⸗
Fraft fchärft und danıı bei der Lectüre felbft zu einer erhöhten
Aufmerkſamkeit anfpornt, weil man fich dabei immer mit dem
Gedanken befchäftigt, wie man das Bud, wenn aud nur kurz,
befprechen werde. Was nun die zur Hand genommenen Werke
ſelbſt betrifft, jo geftehe ich, daß ich allerdings nicht fehr wählerifch
war, und ich glaube, mehr jchledhte, als wahrhaft gute Bücher
gelefen zu haben. Doch geſchah dies nicht aus reiner Sucht, mid
zu unterhalten, auch ließ ih mich nicht fo leicht von dem in
Büchern enthaltenen oft feinen Gifte anfteden: auf meine religiös⸗
fittlichen und politiſchen Anſichten hatten fie zum mindelten Teinen
weientlihen Einfluß, trugen vielmehr nur dazu bei, durch das
Abgeſchmackte und Abjchredende der darin enthaltenen vermwerflichen
oder cyniſchen Ideen mid) eher in befferen Grundſätzen zu ftärken.
Rein wiſſenſchaftliche Werke, Hiftorifhe ausgenommen, lad id)
weniger, als ſ. g. belletriftifche, und da fah ich denn mehr auf
die Form, einen blühenden Styl, als auf den Inhalt. Bet
Romanen feffelten mich Charakterſchilderungen, einzelne Situationen,
Lebenzanfichten, die Fabel felbit war mir gleichgültig. Wein
Geiſt neigt überhaupt mehr zur Analyfe, zur ritifchen Beleuchtung
und Beurtheilung der Dinge, weniger ift meine Einbildungskraft
entwidelt, und id arbeite daher leichter aus vorhandenem Stoffe,
als aus eigenem Schöpfungs- und Erfindungsvermögen. Dichter:
gaben befige ich Feine, und ziehe deshalb auch die Proſa der
Poefie vor. In der Schreibart ſchähe ich aber vor allem Klarheit
813
und Einfachheit; fehwülftige, unverftändliche Worte, die, wie jene
der modernen Philofophen, in eine eigne Sprache gehüllt find, oder
bumoriftiih & la Jean Paul mit Anspielungen durchzogen, zu
deren DBerftändnig man erft den Schlüffel haben muß, fpredyen
mid niht an. Bon Dichtern las ih am liebſten Schiller,
Shakeſpeare und Taſſo, und von den alten erfreute mid Virgil.
Doc zog ich immer die dramatifche Muſe der lyriſchen, epilchen,
ſatyriſchen oder elegifchen vor.
Was ich daher früher meiner Berufögefchäfte megen ver: -
nachläffigen mußte, fuchte ich nun durch Lefung alter und neuer
Bücher nachzuholen, und e3 Tamen mir dabei verfchiedene, feit
kurzer Zeit erfchienene |. g. Literaturgefchichten trefflih zu ftatten,
weil ich die darin zum Theile oft in fo verfchiedenem Sinne ent⸗
widelten Anfichten mit meinem eigenen Urtbeile vergleichen und
mir jo ein immer klareres Bild von diefen Erfcheinungen entiverfen
konnte. Dabei drang ſich mir immer mehr die Veberzeugung auf,
daß in dem Grade, als viele Bücher gefchrieben werden, auch
weniger diefelben auf Unfterblichkeit Anfpruch machen därfen, und
die Trage: welche auf dauernde Anerkennung, auf f. g. Claſſicität
bei der Nachwelt zählen können, wird immer ſchwieriger zu beant-
worten. Sehen wir doch täglich, wie ſich die Lefefucht nur auf
die neueſten Erzeugniſſe wirft und, wenige Lieblingsſchriftſteller
ausgenommen, man felten mebr ältere Bücher zur Hand nimmt.
Dieß ift zumal bei den Romanen der Fall, und der Geſchmack
an denjelben verliert ſich mit jedem Jahrzehnt fo, daß es oft kaum
begreifli ift, wie man einft Gefallen an ſolchen Schriften finden
fonnte; wer vermag jebt nody die einft fo beliebten Erzählungen
von Kobebue, Lafontaine, Tromliz, Clauren, Lamotte Fouqué,
van der Velde, Spindler u. a. m. zu verdauen, und jetzt ſchon
ift der Stern vieler franzöſiſchen Novelliften unferer Tage erbleicht;
Modefache!
Aber auch die Art der Bearbeitung gefchichtlicher und
814
politifcher Stoffe wechſelt, und frühere Anfchauungen erfcheinen ung
oft in dem Grade veraltet und ungenießbar, als wir und lebhaft
den augenblicklich Kerrichenden zuwenden, melde nad kurzer Zeit
fich gleichfalls nad) den Tagesbegebenheiten modifiziren. Neulich
erſt las ih in „Varnhagen’3 Tagebüchern“ (II. ©. 233):
„Betrachtungen über das, was bleibt, und was vergeht in
der literariichen Welt, das heißt in der Welt des Gedächtniſſes.
Das Gehäffige, Hemmende, Gemeine vergeht am jchnelliten, ganze
Maſſen teffelben fterben ohne Spur dahin; doc gelten fie im
Augenblide immer etwas, und oft mehr als das gleichzeitige Edle,
Geniale, aber die Zeit, welche diefes auf ihre Schwingen nimmt,
läßt jene fallen.“
Und in der That ift jedem wahrhaft großen menſchlichen
Werke ein gewiffer Stempel aufgedrüdt, der es gewifiermaßen adelt
und ſchon im erſten Diomente fellelt; ed weht dem dafür Empfängs
lichen gleich der lebende Haud) des Genie's aus demſelben entgegen;
fo bei klaſſiſchen Werken der Poeſie, jo bei dem WAnblid eines
Meifterftiüdd der Malerei oder Skulptur, fo bei dem Anhören
einer Muſik, welche und mit unmwiderftehlicher Gewalt ergreift!
Unter allen. wiffenfchaftlihden Studien wandte id immer der
„Geſchichte“ die größte Vorliebe zu; es waren aber bier nicht
jowohl die einzelnen Thatſachen, Daten, genealogifche oder antiqua⸗
rifche u. dgl. Merkwürdigkeiten, welche mich bei diefen Forihungen
feflelten; ich fühlte mich vielmehr durch die Ueberſicht des großen
Ganzen angezogen. Ich fuchte das weite, bunte, wunderbare
Gebaäude der Weltgefhichte zu umfaſſen, welche nur dann anfpricht,
wenn man die Bilder hronologifh im Gedächtniſſe aneinander zu
veihen, den möglihen Zuſammenhang der Dinge unter fih zu
deuten weiß. Damit verband fi) ein weitered — ein pſycho⸗
logiſches — Intereſſe, und in der Betrachtung hervorragender
Charaktere, in ihrer Vergleichung mit anderen, in dem Wunſche,
die Beweggründe ihrer Handlungen zu prüfen, zu erklären, geht
815
eine neue Quelle anziehender Betrachtungen auf. Außer vielen
dem Drude nicht übergebenen hiſtoriſchen Studien verfuchte ich,
in einer Reihe biographifcher Skizzen die in der Gefchichte am
meiften genannten „rauen“*) zu fchildern. Ich beabfichtigte
babei nicht, eine „Geſchichte der rauen“ im Allgemeinen zu
fchreiben, wie manche Kritifen irrthümlich annahmen; einer ſolchen
kulturhiſtoriſchen Aufgabe fand ich mic, keineswegs gemachfen; ich
wolte in jenem compilatoriihen Werte nur nad ber Zeitfolge
dem Lefer in kurzen Zügen die Charaktere jener rauen aller
Länder und Epochen vorführen, deren Namen befonderd genannt
werden; es follte, mehr zum Nachſchlagen, als zur fortgefebten
Leltüre geeignet, dieß Buch wißbegierigen Frauen befonderd zum
Leitfaden dienen, fich näher mit den Ausgezeichneteren ihres Ge
fHlehtd, im guten wie im böfen Sinne, befanut zu machen.
An gleihem Grade, mie für die Gefchichte ſelbſt, intereffirte
ih mich denn aud für alle mit berfelben zunächſt verwandten
oder Hülfsmiffenfchaften: fir Geographie, Statiſtik, die Länder:
tunde, dad Staats: und Völkerrecht und für die in's diplomatifche
Fach einfhlagenden Gegenftände. Bor der reinen Rechtslehre war
es aber die Briminalgefeßgebung, mit der ich mid) vorzugsweiſe
befchäftigte.
Weniger Sinn Hatte ich für Kriegs- und mathematifche
Biffenihaften, Mechanik, Technik u. dal. m., und fprad die
Aftronomie auch meine Einbildungskraft an, fo veritand ich doch
ihre langwierigen Berechnungen nicht, die ih gern ohne nähere
Forſchung als zuverläffig annahm. Dem überwältigenden Schau:
fpiele, mit dem ung die Natur täglich umgibt, verſchloß ich mid)
nit; Fein fühlendes, gebildete Gemüth kann ſich fo großartigen
Einwirkungen entziehen; es war mir aber nicht vergännt, mit
prüfendem Auge in die innere Werkitätte der Natur binabzufteigen,
*) Die Frauen in der Geſchichte. Mainz 1861. Florian Knpferberg.
316
die Geheimniſſe der Phyſiologie, Optik, Chemie, Phyſik, Anatomie,
Geologie, Botanif u. a. zu ergründen.
Eigentlihe Talente bat mir der Schöpfer Feine, defto mehr
Sinn und Freude an den fchönen Künften verliehen. Lange Jahre
quälte ich mich für theuered Geld mit Zeichnungsübungen ab,
ohne es zu einer Wertigkeit in irgend einem Theile diefer bildenden
Kunft gebradht zu haben; auch auf dem Klavier Tlimperte ich
immer nur zu meiner eigenen Unterhaltung, während ich die
Stimme zum Singen ſchon früh verloren. Doch erquidte, erhob
mich immer jede Gattung der Muſik, wenn fie nur vollendet
war; alle Mittelmäßigfeit in der Kunft überhaupt flößt immer
ab, noch fo zierliche Tändeleien find ihrer Beſtimmung nicht
würdig. Die Malerei z0g ich der Bildhauerkunft, und diefer
auch wieder die Arditeftur mit ihren edlen, imponirenden Ber:
bäftniffen vor. In Gotteshäufern wie in Paläſten oder anderen
Bauwerfen, überall fand ich Stoff zur Erholung, zur Bewunderung,
und unvergeßli wird mir bleiben, was ich auf Reiſen an gewal-
tigen Eindrüden in mid) aufgenommen, in allen Arten von Kunft-
fchöpfungen gefeben, gehört, genoffen habe!
Eben deßhalb gehörte auch zu meinen entfchiedenften Neigungen
eine unbegrenzte Neifeluft. Sobald der Frühling erichien, ergriff
mich ftet3 eine wahre Sehnfucht bald nad) den fernen blauen
Bergen, bald nach dem Anblid, der erquidenden Luft des Meeres.
Leider konnte ich diefen Trieb nicht immer, oder nur in befchränkter,
unvolllommener Weiſe beiriedigen. Jahre vergingen oft ohne alle
größere Ausflüge, und ftatt neue Länder zu beſuchen, mußte id)
nicht felten längſt befaunte Streden zurüdiegen. Wäre ih 50
Jahre fpäter geboren, mein Eintritt in die Welt mit der Ent:
dedung und Berrährung der Dampfkraft zu Waller wie zu Land
zufammengefallen, der Kreis meiner Wanderungen würde ſich wohl
weiter, vielleicht jenfeits der Meere, ausgedehnt haben! Es reisten
mich immer die fernen Länder der Tropen, das wundervolle Merico,
317
die Farbenpracht, die üppige Vegetation, der Sternenhimmel der
ſüdlichen Länder, beſonders Brafiliend, und hätte ih auch Kon:
ftantinopel gerne geſehen, fo war nicht minder jener heilige Boden
im Orient für mid wie für alle fühlende Ehriften ein erfehntes
Bilgerziel!
Bei al diefen Anregungen wurde id von zwei Gaben
unterftüßt, für welche ich Gott nicht genug danten Tann — einem
treuen Gedädhtniffe umd einer immer wachen Empfänglichkeit
für beflere Eindrüde, welche mich von der Blafirtheit, jener
Geiſtesträgheit und Gleichgültigkeit bemahrte, einer wahren Plage
unferer Zeit. Hatten mid) die Zerftreuungen der großen Welt,
ſelbſt Kunftgenüfle, ermüdet, fo verbarben fie mir die Freude nidht
an einer fhönen Baumgruppe, einer beleuchteten Wolle, einem
Wafferfalle, einer feltenen Blume oder der ftillen Beobachtung des
Treiben? der Thierwelt; ein glänzender Sonnenuntergang, eine
majeltätifche Gebirgskette, ein Komet, ein Nordliht, vor Allem
aber der geflirnte Himmel oder dad Weltmeer mit feinem geheim-
nißvollen Rauſchen rührten, bewegten, entzüdten mid).
Mein gutes Gedächtniß Half mir in rlernung fremder
Sprachen und verfeßte mich, befonderes in fpäteren Jahren, oft
in die Vergangenheit zurüd, deren Erinnerungen wehmüthig in
der Gegenwart nachklingen. Seit 40 Jahren zeichne ich das
Ableben aller meiner Bekannten auf; durchgehe ich dieſe unendlich
lange Todtenlifte, fo treten mir oft halb vergeffene Namen, wie
aus einer anderen Welt, entgegen; mit jedem Tage beinahe lichten
fi) die Reihen der Zeitgenoffen, erlöfchen die Lichter, welche uns
auf dem Lebenswege begleitet, bis es denn auch auf diefem bald
dunkel wird, wie im Grabe felbft.
Ein gewiffr Unabhängigleitsfinn hinderte mid, an
Andere mich näher anzufchließen, und während ich mich dadurch
manchem weifen Rathe, mandyer gutgemeinten Anleitung, deren ich
fo oft bedurft hätte, entzog, bewahrte er mich wieder vor näheren
318
Berbindumgen ober der Wahl fchlechter Geſellſchaft. Weber auf
der Univerfität noch fpäter gehörte ich irgenb einem Vereine am,
fand mid aber doch, ungeachtet des Sträubend gegen jede Art
von Zwang, durch Zufall oder eigene Schuld oft in eimer völlig
abhängigen, jede freie Willenzthätigleit hemmenden Lage! Ich
wurde dadurch nur in meiner Auſchamng befärkt, dag mit der
pelitifchen, immerhin unmöglichen, Freiheit auch ſelbſt die individuelle
eine Ehimäte ift, denn find wir, was fo felten iſt, nicht durch
Standes, Berufs: oder gefellige Rädfichten und Pflichten gebunden,
gedrückt, fo werden wir mur zu oft die Sklaven unferer eigenen
Leidenſchaften. ine wahre Abneigung empfand ich aber immer
gegen die „geheimen“ Geſellſchaften. Ginb ihre Zwecke gut, edel,
menschenfreundlich, chriſtlich, weßhalb fcheuen fie allein in umferer,
verbosgenem Treiben fo unholden Zeit die Oeffentlichkeit; weßhalb
hallen ſich diefe Klubs, Logen, Zuſammenkünfte, oder wie fie immer
beißen mögen, im ein geheimmißbolles ‘Dunkel, warum wollen fle
einen Staat im Staate bilden, und maßen ſich ar, Dem religiöfen,
politiſchen wie foztalen Leben eime andere Richtung geben zu
wollen ?
And eine andere Verfuchung ſuchte id; mir fern zu Halten,
und nie, ſelbſt im Scherze, Habe ich mir erlaubt, dem Schleier der
Zukunft Lüften, irgend eine Frage an das Geſchick ſtellen zu wollen.
Menſchen, welche fid, verächtliih vom Wunderglauben abwenden,
durch gültige Zeugniffe beitätigte Thatſachen läugnen, mit göttlicher
Gnade fihtbar bewirkte Heilungen mitleidig belächeln, legen den
Wahrfagungen der eriten beften Zigeunerin oder Kartenichlägerin,
dem Bomber: oder Hexenſpuk, dem Xiichllopfen nu. dal. m. bie
größte Bedeutung bei. Dennoch find viele folder Erſcheinungen
des thieriſchen Magnetismus, des Helſſehens, der Eriaſe u. dgl. m.
nicht zu erklären, und das Wunderbare, die Geiſterwelt, miſcht
ſich da oft in gar ſeltſamer Weiſe mit unſeren alltäglichen Be
griffen. Es find wohl Ausflüfſe von uns nur geahnter Natur⸗
819
fräfte, deren Zuſammenhang mit ihren Wirkungen uns nicht Mar -
if. Ste find ebenfo wenig zu vermwerfen, ala in einer unfer
Wiſſen befriedigenden Art zu deuten; der Wunſch, näher darin
einzudringen, führt auf Irrwege und in jene? dunkle Neich bes
Aberglaubend, vor dem und nur ein firenges Feſthalten an den
heiligen Schriften und deren Auslegung dur die Kirche bes
wahren Tann.
Nicht minder verhaßt ala diefe frevelhaften Herausforderungen
waren mir Webermuth im Glück, Vermeſſenheit, ſtolzes Weberheben
bei errungenen Bortbeilen, und immer wandte ich mid mit inner
lihem Unbehagen von foldhen Aeußerungen ded Trotzes oder aud)
des Verwünſchens und Fluchens in widerwärtigen Lagen ab.
In meinem Leben jelbft babe ich mehr frohe ımd glückliche, .
als trübe, unbeilvolle Tage gezählt, und wem ich der gött
Iihen Borfehung für fo viele unverdiente Gnaden immer dankbar
war, jo fühle ih mid mit minder gegen fie für dad erlittene
Ungemad verpflichtet, wenn mich die zum Theile felbſt auf mich
berabgerufenen Hebel zur wahren Erkenntniß meiner Fehler, zur
nachhaltigen Reue über Berirrungen brachten, die ich als Miß⸗
brauch der mir verliehenen Gaben beflage; wenn fie mich endlich
lehrten, Nächftenliebe und Nachficht gegen die Schwächen Anderer
zu üben. Ein franzöftiher Schriftfteller vergleicht das menſchliche
Herz, wenn es zum erftenmale vom Unglücke beimgefucht wird,
einem Pferde, das ansichlägt und fi bäumt;*) ich mollte, es gfiche
*) Le premier jour, qu’un jeune et ardent cheval sent l’&p£ron,
il se cabre, il rue; il bondit pour se debarrasser avec force de cette
aiguille qui le pique au flanc; mais que le cavalier tienne bon; et
que pendant un meis il prouvo au moble coursier son impwissance
contre une force sup6rieure, le cheval flöchit, se soumet, ot le fianc
endolori s’habituie & sounfirir, ou ne resiste plus. Le coeur de
l’homme est comme le dit coursier; fort retif & la doulenr d’sbord,
320
eher dem Lamm, das in Demuth das Mißgeſchick über fi ergehen
läßt und die Spornen, ftatt zum Wideritande aufzuflacheln, als
das Eifen betrachtet, welches, unjere Wunden auch ſchmerzlich
berührend, dennoch innerlidy läutert und heilt. j
Am Alter vorgerüdte Menjchen Hagen gewöhnlich über die
Gegenwart, weil fie nicht mehr mit den meift erfreulicheren An:
Hängen der Erinnerung übereinftimm. Man muß jedoch die
Dinge eben immer nehmen wie fie find; jede Epoche, fomit auch
die unfere, hat neben manch' entfchieden Gutem auch gar fchlimme
Zeichen, eine wahre Lebensphilofophie wird jenem Gerechtigkeit
widerfahren laſſen, ohne fi übermäßig der letzteren wegen zu
ärgern, wird ſich der Vorzüge der Zeit Lrfreuen und ihre Str:
thümer, fo viel in ihren Kräften fteht, zu bekämpfen ſuchen.
Gegen das foziale Treiben des vorigen Jahrhunderts ift jet
ein gewiſſer Ernft nicht zu verkennen, und haben ſich bei erhöhter
Arbeitöfraft, bei größerem Gewerbfleiße und dem Sinn für nüß-
lihe Erfindungen aud der Wohlftand und mit ihm Genußfudht,
Gelddurft gefteigert, fo find mit denfelben doch auch mildere Sitten,
humanere Anfichten eingekehrt, und Tortur, Hexenprozeſſe, Leib:
eigenfchaft und andere, die Menſchheit unnöthig quälende Webel
wohl auf immer verfchwunden. Aber eben bei diefem zunehmenden
materiellen Wohlfein liegt die Gefahr fehr nahe, nicht nur die
Segnungen des Himmel3 zu mißbrauden, es tritt auch die Ver:
fuhung an und beran, die Zuſtände noch mehr verbeflern zu
la prémière fois qu’elle l’&peronne, il se cabre, il veut desargonner
le malheur qui l’a enfourchè, il s’agite rudement et avec tous le cris
possibles, mais que le malheur tienne bon; le coeur 3’y soumet, l’accepte
et avec ce cavalier incommode il reprend ses allures de chaque jour.
321
wollen; daher die allgemein verbreitete, durch Feine dringende Noth
gerechtfertigte Unzufriedenheit, diefed Unbehagen, dieſe unbeftimmte
Sehnfucht nach Veränderungen in jeder Richtung — es ift die
Fabel von dem Hunde, der das Fleisch fallen läßt, um nad) dem
Spiegelbilde deffelben im Waffer zu bafchen! — Weil man in
naturbiftorischen, technifchen, mathematifchen und anderen Wiffen-
ſchaften fo viele und überrafchende „Fortſchritte“ gemacht, will
man fie auch auf andere Gebiete übertragen. Es ift die immer
wieder von Zeit zu Zeit auftauchende Grund: und Erbfünde der
Menſchheit, — der Stolz — meldyer fie verblendet. Der Stolz
Ichnt fih in Religionsſachen gegen die kirchliche Autorität auf,
bäuft Syſteme auf Syſteme, wie einft die Titanen Felſen, um den
Himmel zu erftürmen, erreicht ihn aber immer nicht; der Stolz
verleitet zu politiichen Irrlehren, will Staaten reformiren, während
er fie nur zu Grunde richtet, und ebenfo macht ſich der Stolz,
die Selbftüberhebung im alltäglichen Leben immer breiter; felbft
bei den wahren TFortfchritten in der Wiffenfchaft, auf die ſich der
gelehrte Dünkel fo viel zu gut thut, welche Zweifel, welche Lücken
bei jeder Trage! Wie hemmend treten und da immer wieder die
ganz Heinen Worte: warum? wie? womit? wozu? n. dgl. ent-
gegen. Beihämt müſſen wir und nur an die Mirkungen halten,
ohne die Urſachen, die geheimen Kräfte entdeden zu können; zu
wie zahllofen Hypotheſen nimmt man da nicht die Zuflucht, die
mit Lärm als unfehlbar verfündet, morgen vielleicht ſchon anfcheinend
wichtigeren, wohl aber auch ebenfo unhaltbaren Anfichten weichen.
Ueberall läßt fi) das „eritis sicut Deus‘ mit feinen unbeil-
bringenden Fluche nadıweifen.
Deßhalb erfcheint auch als eined der beflagenswertheiten
Uebel unferer Zeit, daß man immer mehr, mit der Vergangenheit
brechend, fi der Zukunft zumendet; man verachtet die Tradition,
die Erfahrung, und hält ſich an die Quftgebilde eines aus eigener
Weisheit zu Tonftruirenden Fünftigen Weltzuftandes. Wir träumen
Irh. v. Andlaw. Wein Tagebug. II. 21
322
von einer Religion der Zukunft, von einer Alles beglüdenden
Staatgeinrihtung der Zulunft, felbit eine Muſik der Zukunft
läßt man ung jebt ſchon Hören, worüber uns freilich nod Fein
Urteil zufteht, weil fie nicht für die Gegenwart fomponirt iſt.
Aus diefem überhandnehmenden Gefühle der Mündigkeit, des ich
Losjagend von den Ueberlieferungen früherer Epochen eniſtehen
nun, erklären fih gar manche Uebeljtände der Jebtzeit, und jeder
Art von Propbezeiung, beſonders aber des Unglüds, abhold,
wünſche ich doch, daß, ehe es zu ſpät, man in eine Bahn ein
lenke, weiche mit den inhaltreichen Lehren der Geſchichte mehr im
Einflang ſtünde — ater Warnungsftimmen werden nur jelten
beachtet! Mit jener Selbftüberjchägung ift denn auch der Egois⸗
mus der Zeit, ift eine gewiſſe Robbeit der Sitten nahe verwandt,
und fpriht man von Mangel an Bildung im Mittelalter, fo wer
damit doch eine gewiſſe Energie, Willenskraft und Opferwilligfeit
verbunden, von der wir feine Ahnung haben. Mit der bequemen,
aber durchaus unmaleriihen Männertracht verbindgn wir nun
auch Die gewaltigen Bärte, welche nicht dazu paflen, und die
modernen „Kueipereien” geben bei dem Umtfange, den fie ges
noumen, den Älteren, nicht fo allgemein betriebenen Trinkgelagen
wohl nichts nad).
Je mehr man aber in Jahren fortichreitet, um fo mächtiger
drängt ſich Die Ueberzeugung auf, wie bei der kurzen Spanne Zeit,
welche dem Menfchen auf diefen vorübergehenden Schauplatze feiner
Thaten zugemeflen ift, Alles fo nichtig ericheint, wie dieß raſtloſe
Treiben, diefer fortwährende Kampf des Einzelnen und der Erd:
bewohner unter fi, wie diefe Ausbrüche der Leidenfchaften, diefe
Pläne und weit ausfehenden Kombinationen, als gelte es, emig
zu leben, fich Bier für immer heimiſch einzurichten, nur um ſo
mehr das Gepräge des Uebergangs zu einer höheren Beitimmung
an ſich tragen, daß mit unferem Leben noch wicht Alles abge-
ſchloſſen if. Was wäre ohne diefe Wahrheit das Wirken der
823
Könige, die über unermeßliche Reiche geherricht, der Beldherren,
die blutige Lorbeeren geerntet, der Staatömänner, die fi mit
Berträgen geplagt, dad Streben und die Arbeit aller Stände und
Klaſſen? Deßhalb ergeht eben bei dem eitlen Welttreiben die
erite, Dringendfte Aufforderung an ung: unfer beſſeres Ich zu retten;
über den täglichen Sorgen ſteht das Seelenbeil, und immer follten
wir uns an die von Ehriftus an die beiden Schweftern gerichteten
Morte erinnern: Wohl dem, der mit Maria den „befleren Theil“
erwählt! |
RETURN CIRCULATION DEPARTMENT 13
10 302 Main Libra!
ERIOD 1
ALL BOOKS MAY BE FTER 7 DAYS i
N oons may be renewed by collno 642-3405 |
mORIh Ioans may be rechorged by BrnaLCS, books 10 Cırculatıon Degk |
Smonals and rechargge may be mode 2 doys prior to due dote
DUE AS STAMPED BELOW |
UNIVERSITY OF CALIFORNIA, BERKELEY
FORM NO. DD6, 60m, 12/80 BERKELEY, CA 94720
m
O3, .
247
— ” 7
a