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Full text of "Mein Tagebuch : Auszüge aus Aufschreibungen der Jahre 1811 bis 1861"

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au + & 6 


Auszüge 
aus Auffchreibungen ber fahre 1811 bis 1861 


zufammengeftellt 


von 


Stanz Sreiherrn von Indlaw. 


Erfter Band. 





Frankfurt am Main. 
J. D. Sauerlänber’s Berlag. 
1862. 


Drud von % D. Gauerlänber. 


DDsor 
RBısAs 


Einleitung. 


Ars ih vor einigen Jahren in den „Erinnerungsblättern 
aus den Papieren eines Diplomaten.” Frankfurt am Main 
% D. Sauerländer 1857" einen Theil meiner Erfahrungen, 
geſammelt auf einer ungemein bewegten Laufbahn, niederlegte, 
als ich Erlebtes erzählte, manche interejjante Berfönlichkeit ffizzirte, 
einige merkwürdige Begebenheiten fchilderte, deren Augenzeuge ich 
war, fand jenes anfpruchslofe Wert im Kreife von Belannten 
und Gleichgefinnten vielfachen Anklang und auch die litterarifche 
Kritit hob die Vorzüge hervor, während fie es freilich nicht 
unterließ, ebenfo deſſen Schattenfeiten anzudenten. Der Haupt: 
borwurf, den man der Zufammenftellung machte, bejtand darin, 
daß fie nicht vollftändig, erjchöpfend genug fei, iiber Manches 
nur bingleite, vieles Wiffenswerthe verfchweige, und gerade oft 
da abbredje, wo man mehr zu erfahren mwünjche u. dgl. m. — 
Ich Habe zum Theil in dem Vorworte und an verfchiedenen 
Stellen jener Blätter felbft die Gründe angeführt, welche mich 


873 


vI 





beftimmten, den Stoff in manchen Füllen nicht einläßlicher zu 
behandeln, Einmal legte mir meine dienftliche Stellung ge- 
wiſſe Rüdfichten auf, über die ich mid) nie hinausfegen werde, 
und dann fand id) e8 immer tadelnswerth und vorlaut, über 
Perfonen und Thatſachen abzufprechen, welche noch nicht der 
Gefchichte angehören, oder Familien», politiihe wie andere 
Geheimniſſe gewiffenlos zu enthüllen. Wollte ich die mir felbit in 
diefer Hinficht eng gezogene Grenze überfchreiten, fo hätte ich 
mein Buch freilich „pilanter“ machen, vielleicht auch etwas 
Scandal verurjachen können, auf den es bei einer gewiſſen Klaſſe 
von Leſern, nehmen fie Werke diefer Art zur Hand, immer ab- 
gefehen if. Börne fagt irgendwo, daß Jeder geiftreich und 
intereffant fchreiben könne, wenn er es nur wage, Alles aus- 
zufprechen, was ihm gerade einfalle. Ohne diefen Satz unbe- 
dingt zu unterfchreiben, da man eben, um anziehend und unter- 
haltend, auch vor allem geiftvoll und wigig fein muß, fo ift 
doch gewiß, daß wer der Zunge wie der Feder rückſichtslos und 
unbefümmert um Religion, chriftlihe Nächftenliebe, Sittlichkeit 
und Anftand, freien Lauf Täßt, immerhin pifante Bücher fchreiben 
fann, und andere, welche nicht in diefen Ton einftimmen, matt, 
farblos, unbedeutend dagegen erjcheinen: Mephiftophiles iſt 
immer geijtreich ! 


Dem eben entwidelten Grundfage getreu, habe ich daher 
nicht alle gefammelten Notizen jest ſchon benügen fünnen. Die 
Beröffentlihung einiger Charakter - Schilderungen, die Aufdeckung 
mancher Thatfachen muß einer fpäteren Zeit vorbehalten bleiben, 
Anderes ift jet abgeblaßt, nur noch von untergeordnnetem Intereſſe. 





vo 





Unfer Jahrhundert tft mit Ereigniffen fo überrafchender Art 
angefüllt, e8 drängt, jchlägt eine Erfcheinung fo fehr die andere, 
alles ift ftets in fo fieberhafter Erregtheit, daß man bei ber 
erdrüdenden Maſſe des in fi) Aufzunehmenden, feien es auch 
nur bie politifchen QTagesberichte, faum mehr Zeit für die An- 
Hänge der Vergangenheit findet. Wenn ich e8 demnach unter- 
nehme, wiederholt Zeitgenoffen und Begebenheiten zu fchildern, 
fo leitet mich der Wunfch, auch hiermit weitere Beiträge für 
die Gefdhichte der Gegenwart in dem befcheibenen Maße. zu 
liefern, wie es meine Verhältniffe und Fähigkeiten geftatteten. 
Es wurde mir die Genngthuung zu Theil, Stellen aus ben 
„Erinnerungsblättern“ in Büchern und Zeitfchriften als Quelle 
für Zhatfachen, als Widerlegung unrichtig aufgefaßter oder ab⸗ 
fichtlich verbrehter Darftellungen citirt zu finden. Mögen aud 
die nachftehenden Seiten, einfach und wahrheitsgetreu, VBorurtheile 
beflegen, Irrthumer berichtigen helfen ! 


In welcher Form jedoch follte diefe neue Folge erjcheinen? 
Dem früheren Werke nad) fo langer Unterbrechung einen zweiten 
Theil zu geben, war nicht wohl möglih, und „Selbitichau, 
Autobiographie, aus meinem Leben u. dgl. m.“ find gar zu 
abgenützte Titel. Auch ift es mit ſolchen Ergüffen eine ganz 
eigene Sache: ſelbſt 3. 3. Rouſſeau, der doch feine „Confes- 
sions“ fchrieb, fagt darüber: „Nul ne peut &crire la vie d’un 
homme, que lui-m&me; sa manière d’&tre interieure, sa 
veritable vie n’est connue que de lui. Mais!? en l’Ecrivant, 
il la d&eguisera; sous le nom de sa vie il fait son Apo- 
logie; il se montre comme il voudrait &tre, mais pas du 


VIII 





tout, comme il est. Les plus sincères sont tout au plus 
vrais dans ce qu'ils disent, mais ils mentent par leurs 
reticences, et ce qu’ils taisent, change tellement ce qu’ils 
feignent d’avouer, qu’en ne disant qu’une partie de la 
verite, ils ne disent rien du tout. Je mets Montaigne à 
la t&te de ces faux sinceres, qui veulent tromper en disant 
vrai; il se montre avec des defauts, mais il n’en avoue que 
d’aimables; il n’y a pas d’homme, qui s’en trouvät d’odieux; 
Montaigne se peint ressemblant, mais de profil. Qui sait, 
si quelque balafre & la joue, ou un oil crevé du cot&, qu’il 

nous cache, n’eut pas totalement change la physionomie! “ 
. Diefe, eine tiefe Menſchenkenntniß athmenden Worte, diefe 

geiftreihe Warnung beachtend, wagte ich es nicht, mich auf ein 
fo fchwieriges Terrain zu begeben. In der That können folche 
Schriften nur dann wahrhafte, nachhaltige Theilnahme erweden, 
wenn der Erzählende, wie etwa Göthe, ſelbſt eine hervorragende 
Perfönlichkeit ift, oder wenn die Erlebniffe dejjelben wie feine 
nahen Beziehungen zu berühmten Männern dem Buche einen 
bejonderen Reiz verleihen, Ich habe es nun Hier verfucht, die 
Mitte zwifchen einer Selbftbiographie und rein objeftiv gefärbten 
Bemerkungen haltend, eine Art von Memoiren zu fchreiben, welche 
in gefälliger Form, verfchiedene Abfchnitte meines Lebens, chrono- 
logiſch geordnet, umfaffen follen. Ich nannte diefe Aufzeich- 
nungen: „Mein Tagebuch,“ weil fie wirklich abgekürzt, das 
Weſentliche deifen enthalten, was ich feit nun 50 Jahren in 
mein Journal eingetragen. Anfangs nur für meine Verwandten 
und einen engeren Kreis von Freunden beftimmt, erjcheinen fie 
num gedrucdt. Ich aber wünſchte, alle meine Belannten, hätten 
jie Luft und Geſchick dazu, ſchrieben Bücher diefer Art; fie 
würden, je nad) ihrer individuellen Anſchauung und ihrem Stand- 
punkte, das Erlebte beleuchten, und aus der Zufammenftellung, 





IX 
wie bei der DVergleihung diejer verjchiedenartigen Auffaffungen 
ließe fi) ein anziehendes Zeitbild entwerfen. 

Lejer, welche zwifchen den Zeilen zu errathen wiſſen, werden 
manche fcheinbare Lücken ausfüllen können. Lefern aber, welche 
etwa finden, daß ich zu viel des Verfchiedenartigen angehäuft, 
antworte ich mit Göthe's Worten: 





„Wer Vieles bringt, wird Jedem etwas bringen, 
Es fuche Jeder fi das Seine ans.’ 


Baden-Baden, Mär; 1862. ’ 


Ber verſaſer. 





Inhalts - Verzeichniß. 


Seite 
Einleitung - > 2 2 nn V 
Erſter Abſchnitt (1799—1810) - - - - >» > 2220 nen 1 
Geburt. Erſte Augendzeit und Cimbrilde, Erziehung. 
Doctor Ball. Nervenfieber. Erfte Pariſerreiſe. Gtraß: 
burger Abenteuer. Bermählung Napoleons. Regierungs: 
wehfel im Breisgau. Mebergabe von Modena an Baden. 
Beſondere Umftände babe. Bolttifhe Zuſtände unb gefel: 
Tige8 Leben in Freiburg. Meine Eltern. Der Dichter 
Auffenberg. 
Zweiter Abſchnitt (1810 — 1813) - - - » - > 2220. 15 


Karlsruhe Neue Verhältniſſe. Hof⸗ und geſellſchaftliches 
Leben. Die weiße Frau. Der Großherzog Karl Fried rich. 
Sein Charakter und fein Tob. Großherzog Karl unb Großherzogin 
Stephanie Feſte unb diplomatiſches Corps. Salonfiguren. 
Hof⸗ und Cabinetsintriguen. Dr. Dereſer. Prälat Hebel. 
Der große Comet und ber gute 1811* Wein. Die beiden Erb: 
pringen. Der ruffifhe Feldzug. Der Brand von Moskau, 
Iffland und Efflair. Die Hofbaltung der Markgräfin Amalie. 
Die beiden Markgrafen Friebrih und Lubwig von Baben. 
. Die Grafen von Hochberg. Abſchied von Karlsruhe. 


FU 


Dritter Abſchnitt (1813 — 1815) - - -» 2 2 2220. 


Freiburg. Schlachten und Friedensverhandlungen während bes 
Sommers. WVölkerſchlacht von Leipzig. Rüdzug ber Franzofen. 
Durchmarſch ber alliirten Truppen. Aufenthalt ber brei Mo: 
narhen in Freiburg. Kaifer Alerander in unferem Haufe. 
Die Fürften Metternid und Schwarzenberg Ein Gebdicht 
J. ©. Zacobi’s. Einquartierungen. Rheinübergang bei 
Baſel. Mein Bater Gouverneur. Lostrennung bed Fürſten⸗ 
thums Pruntrutt von Frankreich. Ginzug und Friebensſchluß in 
Paris. Auftritte und Exceſſe in Freiburg. Der ruſſiſche 
Fürſt Mammoloff. Der Freiburger Prauenverein unb meine 
Mutter. Die deutfhe Tracht. Rückkehr ber Truppen. Wiener 
Congreß. Flucht von Elba. Neue Rüftungen unb Truppen⸗ 
märſche. Erzherzog Johann. Hüningen. Die badiſchen 
Truppen. Die Schlacht von Waterloo. St. Helena. Ein 
brüde. Erinnerungen. 


Bierter Abſchnitt (1815 — 1824) . -» -» - 22220. 


Lehr: und Wanderjahre. Untverfitätsleben in Frei— 
burg, Skizzen von Profefforen. Prüfungen. Meine Mitihüler. 
Die Draifine, Frau v. Krübener. Univerfität Landshut. Leben 
und Treiben allda. Sailer, WMittermayer u. a. WBrofefioren. 
Stubien, Reibungen, Duelle, Landmannfhaften. Betrachtungen 
fiber das Studentenleben. Donaureife nah Wien. Kleine Aus: 
flüge nad Regensburg und Münden (König Mar). Univerfität 
Heidelberg. Profeſſoren. Glänzende Frequenz. Corps und 
Burſchenſchaft. Exrceſſe. Gefelliged Leben in Mannheim unb 
Heidelberg. Die Umgebungen. Kleine Reifen. Hinrichtung Karl 
Sand's. Demagogiſche Umtriebe. Schluß ber akademiſchen Studien. 
Kückkehr nah Freiburg. Staatsprüfung. Zeit des Praktizirens. 
Reifen: Ausflüge an ben Rhein, in bie Schweiz u. f. w. 
Größere Reife nah Italien. Skizze im Vogelfluge. Mais 
land. Florenz (bie Theaterloge). Rom (Mubienz bei Pius VII 


52 





AU 


Conſalvi)j. Neapel (ber König Ferdinand), Venedig. Drei 
Reifenbenteur. Paris. Lubwig XVIH. Sein Hof Die 
Kammern. GSehenswürbigkeiten, Umgebungen. London. (in: 
drüde. Parlamentsſchluß durch Georg IV. Feſte und Bälle, 
Merkwürdige Perſoͤnlichkeiten. Windſor. Orxford. Inſel Wigbt. 
Seeſturm. Rückkehr. Abſchied vom väterlichen Hauſe. 


Fünfter Abſchnitt (11824 — 1826)3.. ...... 


Berufsthätigkeit in Karlsruhe. Hiſtoriſch-politiſche RU d:- 
blicke. Die zwblfjährige Regierung des Großherzogs 
Ludwig. Seine Wirkſamkeit. Sein Charakter. Der Hof. 
Die Miniſter. Major von Hennenhofer. Di Stände 
verfammlungen von 1825 und 1828. Betradtungen 
über das conftitutionelle Syftem. Die Markgräfin Umalie unb 
bie Königin Krieberite von Schweden. Gefellige Zu: 
flände und Theater in Karlsruhe. Bier Wochen auf bem 
Johannisberge. Füf Metternich unb feine Familie, 
Deutihe Fürften unb Diplomaten. Die heilige Allan. Poli⸗ 
tische Ereignifiee Tod bes Kaifers Aleranber Ubfchieb 
von Karlsruhe, 


Sechster Abſchnitt (1826 — 1830) - - - - 22200. 


Wien Ueberſicht. General v. Tettenborn. Der Kaifer 
Stanz und der Wiener Hof. Salons. Silhouette bes Fürſten 
Metternid. Seine Geſchwiſter unb Kinder Die Familie 
Leykam. Tod ber Gräfn v. Beilftein und Bictors, 
Diplomatifhes Corps. Wiener Boll: und Öffentliches 
Leben. «Der ruffifhstürtifhe Krieg. Die griechiſche 
Frage. Badiſche Ungelegenheiten. Streit um bie Pfalz. 
Der Herzog Karl von Braunfhweig Drei Belfen. 
Todesfälle. Die große Ueberſchwemmung In Wien, 
Tod des Großherzogs Lubwig. Veränderungen. Abberufung 
von Wien. 


98 


AN 


Siebenter Abſchnitt (1830 — 1832)... -- - 2. 222.2 .. 


Karlörube. Der neue großberzoglihe Hof. Veränderungen 
und Einbrüde Reife nah Paris. Abenteuer. Julitage-Anblick 
von Baris. MWerlegenbeiten. Marmont. Gt. Cloud und Ram: 
bouillet. Der König Ludwig Philipp und bie Kammern. 
Tagesbegebenbeiten und Meinungen. Ber Herzog von Chartres. 
Der letgte Condé und fein geheimnikvoller Tod. Das biple- 
matifhe Corps und feine Haltung. Der Bailli v. Ferretie. 
Politiſche Betrachungen. Salons und ber Gerrle. Straßen: 
fcenen unb Theater. Die Minifter und ihr Prozeß. Die Männer 
bes Tages. Rückkehr nah Karlörube Fürftlihe Ver⸗ 
mählungen. Zuſtand Deutſchlands, polnifche Revolution, 
Das Jahr 1881. Meberfiht. Vorgänge in Italien. Neun: 
monatlide Stänbeverfammlung in Baden. Die Markgräfin 
Amalie und bie Prinzeffin Augufte von Naſſau. Der Herzog 
Karl von Braunfhweig und fein Kammerbiener Bitter. Die 
Polen in Freiburg. Börne in Karlerube. Aufenthalt in 
Mannheim, Der Salon ber Großherzogin Stephanie Die 
Königin Hortenfe und Louis Napoleon. Meberblid ber 
politiſchen Ereigniſſe. Blaye. Die Schweiz. Das Hambader 
Feſt. Die Bundes8beſchlüſſe. Rückreiſe nah Wien. 


Achter Abſchnitt (1832 — 1835).......... 3 


Wien. Freiherr v. Falkenſtein. Politiſche Rückblicke. Die 
Cholera. Tod von Gentz. Ableben des Herzogs v. Reihftadt 
und ber Markgräfin Amalie von Baden. Die jüngere Königin 
von Ungarn Ein Uktentat, Ein Gedicht Grillparzer's. Die 
zehnte Berfammlung der Geſellſchaft deutſcher Naturforſcher. 
Die Bourbonen Älterer Linie. Die Großberzogin Stephanie in 
Wien, Rozzo bi Borgo. Das Jahr 1888. Ueberſicht. Schrift: 
ſteller. Volkaleben. Theater und Faſching. Die Grippe. Graf 
Polier. Politiſche Bewegungen. Fürftencongrek in 
Mündengräg. Drei Todesfälle Dipfomatifhe Corps und 


XV 


Salons. Drei Damen aus ber Geſellſchaft. Die deutſchen 
Minifterialconferenzen. Porträt. Die Schweiz. Feſte und 
Liebhabertheater in Schönbrunn. Ein Pasquill. Fremde 
und Bekannte in Wien. Fürſt v. Kürftenderg Varnhagen 
von Enfe. Graf Ferd. Balffy,. Neuftabt und Gifenftabt, Gine 
Snftellation. Zwei Lager. VBermählungen unb Teſtamente. 
Saphir. Wiener Kritil. Holtey und Raimund. Trauung bes 
Grafen Sanbor. Tod des Kaifers Franz Dligardie, 
Botfhaften und hohe Beſuche. Trau erfeierlichkeiten und Hul- 
bigung. Die erfte Anbuftrieausficliung Auswärtige 
Greigniffe._ Zuſammenkunft bee Monarchen in Töplig unb 
Brag. Kalfer Nikolaus in Wien. Meine Abreife. 





Srfler Abſchnitt. 


(1799 — 1810.) 


Inhalt: Geburt Erfie Jugendzeit und Eindrüde. Erziehung. 
Doctor Ball. Nervenfieber. Erfte Pariferreife. Straßburger 
Abenteuer, Bermählung Napoleons Regierungswechſel im 
Breisgau. Uebergabe von Modena an Baden. Befondere Umftänbe 
dabei. Politiſche Zuftände und gefelliges Leben in Freiburg. 
Meine Eltern. Der Dichter Auffenberg. 


Geboren den 6. Oktober 1799 zu Freiburg im Breisgau unter 
den günftigften Conftellationen, brachte ich die Kindheit im elterlichen 
Haufe jener Stadt zu. Aus der Zeit, in welder die Begriffe 
Harer werden, und das Erlebte fi, wenn auch nicht in ununter: 
brochener Folge, doch in den wichtigeren Momenten dem Gedächtniffe 
einprägt, erinnere ich mich meiner guten mütterlihen Großmutter, 
bei der ich beinahe den ganzen Tag über fpielte, die mich erzog 
und nad) großmütterlicher Weife wohl auch — verzog. Noch jehe 
ih im Geiſte die zahlreichen franzöfifchen Truppen 1805 in daB 
Feld nad) Oefterreih und von da wieder zurüd ziehen, und freute 
mich nad Kinder Art der fortmährenden Einquartierungen in 
unferem Haufe, eine Freude, welche wohl Wenige mit mir theilten, 
Im Wohnzimmer der Großmutter Hatte ich felbft ein Kleines, 
bleierned Heer aufgeftellt, das ich commandirte, und noch weiß ich, 
daß ein franzöſiſcher Oberft mir zeigte, wie ich die verfchiedene 

Gch. v. Andlaw. Wein Tagebud. I, "1 


2 


Waffengattungen in der Schlacht oder auf dem Marfche zu ordnen 
hätte. Die Namen: Erzherzog Karl und Napoleon, Wien und 
Um, fpäter Tyrol und Andreas Hofer ertönten ftet3 in meinen 
Ohren, und bei den fidh täglich überftürzenden Kriegsnachrichten 
und dem beitändigen Waffenlärm in unmittelbarer Nähe vermochte 
mein jugendliches Gemüth Perſonen und Ereigniſſe weder gehörig 
zu trennen nody zu beurtbeilen. Den erften wahren Schmerz 
lernte ich bei dem 1806 erfolgten Tode der geliebten Großmutter 
fennen: man brachte ung Kinder auf3 Land, und als ich zurüd: 
fehrte und fie nicht mehr traf, die ſich beinahe ausſchließend mit 
mir befhäftigt, brach ich in unaufhaltfames Weinen aud. Der 
Hofmeifter, welchem ich damald zur eriten Erziehung übergeben 
wurde, führte mic) am bald darauffolgenden Allerfeelentage an 
dad Grab der theuern Verblichenen, wo eine arme Frau, von ihr 
vielfach unterftügt, mit mir betete! Der würdige Lehrer diktirte 
mir fpäter einige rührende Worte über diefen Vorgang in das 
Tagebuch, und ich ahnte damals nicht, daß ich 24 Jahre nachher 
den Sinn jener Eindrüde erit tiefer und lebhafter erfaſſen follte. 
Im Juni 1830 ſtand ich abermals an einem Grabe, aber dieß- 
mal an dem Grabe meiner eigenen Mutter, und zufällig wieder: 
bolte ſich da derſelbe Auftritt, wie eine dürftige Wittwe ihre 
Thränen und dankbaren Gebete mit den meinigen vereinigend, mir 
ftillfchweigend das geweihte Waller reichte! — Seit jener Zeit 
befuchte ich oft und bei verichiedenen Anläffen den ſchönen Kirchhof 
von Freiburg, nie ohne jener Gefühle zu gedenken, ja! in ben 
letzteren Jahren erichien es mir, ala ob ich in diefer Stabt mehr 
Bekannte unter der Erde, als Lebende zähle, fo fehr bat fidh 
der Kreis meiner Verwandten und Freunde gelichtet, fo viele 
befannte Namen traten mir aus den: Grabmälern entgegen! 


Ungemein frob, glücklich und forgenfrei verfloß diefe Kinder: 
zeit für meine Gefchmwifter und mid. Im Winter zu Freiburg, 





.ı.n mm 43A/\V(V ⏑⏑1⏑. X —⏑⏑ ⏑ — 


8 


im Sommer auf den herrlich gelegenen Gütern meines Vaters. 
Der Sinn für die Reize der ſchönen Natur, auf dieſe Art früh 
ſchon eingeprägt, blieb. mir für das Leben. Mit zärtlicher Liebe 
hingen wir an unferer vortrefflihen Mutter, die, die Seele bed 
Haufes, ernft und milde, unfere religiöfe, fittliche und mwiffenfchaftliche 
Erziehung überwachte. Ihr immer thätiged Bemühen trug mefentlich 
dazu bei, unfere Beobachtungsgabe zu fchärfen, und uns ftetz, 
ſelbſt fpielend, geiftig anzuregen. Gar viele Abende — die 
glücklichſten unfered Jugendlebens — brachte fie mit uns zu, 
erzählte ſelbſt Erlehtes, Gefchichten oder Mährchen, oder ließ uns 
vorlefen, Gedichte herſagen u. del. m. War ihre Rüdficht für 
unfer körperliches Gedeihen vielleicht aud etwas zu ängftlich, fo 
verdankten wir doch auch wieder dieſer oft zu weit getriebenen 
Sorgfalt, dag wir Kinder von den erften in Freiburg waren, an 
denen unfere gute, vorurtheilsfreie Mutter, ungeachtet vieler Wider: 
ſprüche und heftiger Anfeindungen, die DBlatternimpfung vollziehen 
ließ. Später waren wir Geſchwiſter ſehr erftaunt, und einem 
frenıden Manne vorgeftellt zu fehen, der aufmerffam und forgfältig 
unfere Meinen Köpfe befab und betaftete. Wir erfuhren, daß er 
der damals fo berühmte Schäbellehrer Dr. Gall war; ich erinnere 
mid noch, daß er mir drei Sinne zuerkannte: den Ort, den 
Zahlen, den Muſikſinn. Den erfteren Ausſpruch laſſe ich 
gelten, won den beiden anderen habe ich nie viel in mir verfpürt; 
ich bin weder ein Dafe noch ein Mozart geworden. 

Ein braver, gebildeter Priefter ertheilte uns im Dereine mit 
Fachmännern den erften Unterricht. Wir bejuchten nie die unteren 
Öffentlichen Schulen. So Fam unter guten, heiteren, Geiſt und 
Körper wohltuend anregenden Einwirkungen dad Jahr 1809 
heran. Mein Bater, oft auf Reifen oder in Dienftgefchäften 
abweſend, war damals in Wien. Da befiel mich ylößlich ein 
Nervenfieber; es batte diefe fürchterliche Krankheit anftedend einen 
Theil der Bevölkerung ergriffen; auch einer meiner Sugendgefährten, 

1 n 


4 


Graf Oktav Kagenek, war derfelben erlegen. Xroftlos, nur noch 
auf Gott vertrauend, faß meine arme Mutter an meinem Bette, 
mich mit aufopfernder Liebe pflegend; da brachte mir nach Tangen, 
angftvollen Tagen ein heftiges Nafenbluten zuerſt Erleichterung, 
dann Geneſung. Doch nur langſam erholte id) mich, verlor alle 
Haare und eine Perrüde — eine feltene Bededung in dieſem 
Alter — ſchützte meinen jungen, kahlen Schädel. 


Nah einigen Monaten hatte ich wieder fo viele Kräfte er- 
alten, um meine Mutter im März 1810 auf einer Reife nad) 
Paris begleiten zu können, wo mein Pater damals badifcher 
Sefandter war. Hier eröffnete fih nun meinem jugendlichen, 
empfänglichen Gemüthe eine neue Welt. Unvergeßlich für’3 ganze 
Leben blieben mir diefe kaum zu bewältigenden Eindrüde. Als ich 
aber vollends Napoleon und Maria Louife, unmittelbar nad) ihrer 
Trauung in der ©allerie des Louvre, auf einen Balcon ber 
Tuilerien beraustreten ſah, das Kaiferpaar von einer Million, 
in Jubel ertönender Kehlen begrüßen hörte, fühlte ich, daß diefer 
alle Anweſenden mächtig ergreifende Augenblid für immer als 
einzig und denfwürdig in der Geſchichte bezeichnet werden würde. 
Ich übergehe die weiteren Details Ddiefer meiner erften größeren 
Reife, al3 zu unbedeutend für den vorliegenden Zweck; nur eine? 
will ich noch erwähnen. Auf der Rückkehr wurde meine Mutter 
in Straßburg unter dem Borwande aufgehalten, daß unfer Paß 
nit en regle fei; vergebens waren ihre BVerficherungen, daß fie 
die Frau des badiſchen Gefandten fei und man fie doch nicht 
bindern Fönne, über den Rhein zu geben u. dal. m. Es halfen 
jedoch Teine Vorſtellungen; meine gute Mutter, welche aus Sehn⸗ 
fuht nad ihren Kindern in Freiburg den Parifer Beſuch abgekürzt 
hatte, mußte acht lange Tage in Straßburg wie gefangen aus: 
barren, bis der nah Paris geichiete Paß mit, ich weiß nicht, 


5 


welchem Bifa wieder zurüdgelangt war. In unferer Zeit würde 
man ſolche Anftände für unmöglich halten; der Telegraph hätte 
fie in einer Stunde erledigt. 

Mit naiv-Findlichen Bemerkungen füllte ich ein kleines Reiſe⸗ 
journal über jenen Pariſer Aufenthalt an, und Iernte fo das 
Geſehene leichter in meinem Gebächtniffe ordnen. Seit jener Zeit 
nun führte ich ein regelmäßige® Tagebuch dur fünfzig Jahre 
ununterbrochen bis zur heutigen Stunde fort — feierte daher ein 
Tagebuch-Jubiläum! Im diefen Blättern ziehen die Geftalten 
und Thatſachen, je nad meiner Auffafjungsweife und Stimmung 
gefärbt, in langer Reihe vorüber, und menn ich fie nun wieder 
durchgehe, müßte mir gar Manches wie ein Traum bald mülter, 
bald erhebender Art erſcheinen, ftünden diefe Erlebniffe nicht von 
meiner eigenen, fich feit dem halben Sahrhunderte unzählige Dale 
ändernden Handſchrift aufgezeichnet. Doc genug von mir und 
meinem jugendlichen Treiben! Wenden wir und einen Wugenblid 
ernftern Dingen zu. 


Während meiner erften fieben Lebensjahre hatte meine Vater: 
ftadt dreimal ihren Monarchen gewechſelt. rüber unter Oeſter⸗ 
reichs Scepter, fiel das Breisgau 1802 an das Herzogthum 
Modena, um dann nad vorübergebender Herrſchaft dieſes Erz: 
hauſes 1806 im Preßburger Frieden dem, aus einem Kurfürften- 
thum in ein Oroßherzogthum verwanbelten Baden zuerfannt zu 
werden. Wäre dad Breisgau öſterreichiſches Vorland geblieben, 
fo hätte e8 von 1800 bis 1835 nur einen Regenten — den 
Kaiſer Franz — gehabt; fo geſchah es aber, daß Freiburg während 
jener Epoche nad) der Reihe ſechs Herren — einem Kaifer, einem 
Herzoge, und vier badifhen Großherzogen — unterworfen mar. 

Die Stadt felhit fand fih damals aus verjchiedenen Ele⸗ 
menten zufammengefebt. Eine väterliche Regierung ebenſowohl 


6 
als Tangjährige Gewohnheit und treue Anhänglichkeit verbanden 
die Einwohner mit dem Kaiſerhauſe. Adel und Geiſtlichkeit, bie 
Bürgerfchaft wie die übernommenen Beamten konnten fi 
unmöglih alſogleich von hundertjährigen Xraditionen losſagen. 
Bar manches feftgefchlungene Band murde da gewaltſam zerriffen, 
weſentliche Intereſſen vielfach verletzt; manches Herz blutete. Doch 
dieß war nun einmal nicht zu ändern; die Natur der Dinge 
brachte es in einer ungemein bewegten Zeit ſo mit ſich; auch 
andere Theile Deutſchlands litten an den Folgen dieſer alle Ver⸗ 
haältniſſe ergreifenden Umwälzungen. Mit den erzherzoglichen 
Beamten vermiſchten ſich nun neue, badiſche, und was man früher 
da nicht kannte — das proteſtantiſche Element drang in die bis⸗ 
her rein katholiſche Stadt. Der Adel, zahlreih, größtentheils 
begütert und unabhängig, um fo mehr an Oefterreih hängend, 
als er eben durch die eingetretene Nenderung gar manche feiner 
früheren Vortheile eingebüßt Hatte, bildete eine eigene, von den 
anderen Klaſſen ftreng geionderte Geſellſchaft. Ihr ſchloſſen ſich 
viele ausgewanderte Familien an, welche die Stürme der Zeit 
gezwungen hatten ein ruhiges Aſyl zu ſuchen. So ſah man denn 
da Trümmer des Condé'ſchen Heeres, emigrirte ariſtokratiſche 
Geſchlechter und Prieſter, ſah da Herren und Damen, die früher 
eine hervorragende Rolle an den Höfen geiftliher Kurfürſten 
geipielt, in der heiteren, gaftfreien Stadt vereinigt. Ihre Sitten, 
ihre Anfichten, ihre auffallende, veraltete Tracht, erinnerte an die 
Zeiten vor 1789; ihr ercentrifches, leidenſchaftliches Weſen, ihre 
Klagen wie ihre Gefinnungen gaben das Marfte Zeugniß von dem 
überrafchend fchnellen Umſchwunge der Dinge; in völliger Ber: 
fennung der Weltlage gaben fie fi dem trügeriihen Wahne bin, 
dieß Ungemach gehe vorüber, und bald Tomme wieder alles in 
das gute, alte Geleife! Viele vornehme Damen, Stift3- und 
Klofterfrauen ernährten fi) von ihrer Hände Arbeit, andere wurden 
von Familien des Landes unterftübt; ehemalige Domherren, Pfarrer, 


7 





Profefioren u. dgl. gaben franzöfiichen Unterricht, oder halfen gegen 
dürftiges Entgelt in der Seelforge aud. Mean verfehlte nicht, 
ung Kinder auf diefe betrübenden Erſcheinungen hinzuweiſen und 
und aufzumuntern, dur Fleiß und Ermwerbung von Kenntniſſen 
fi gegen die Launen bed Geſchickes ficher zu ftellen. 

Mitten unter diefem Treiben hatte fich die mehrmals bedrohte 
Albertiniſche Univerfität erhalten und verdantte damals, wie Ipäter, 
die Stiftung ihre Eriftenz wohl nur dem Beſitze zahlreicher, außer: 
halb des Großherzogihums gelegener Güter. — Die gewohnten 
weißen Uniformen mußten den blauen weichen, und ein Theil 
der neuen Treiburger Garniſon wurde bald darauf auserfehen, 
blutige Lorbeeren auf dem heißen ſpaniſchen Boden zu fammeln. 
Anziehende Schilderungen ſprechen von jener Epiſode aus der 
badiſchen Kriegsgeſchiche. Wie fehr damals die Maffen der 
Völker untereinander geworfen wurden, beweiſt, daß zu jener Zeit 
aud ein portugieſiſches Armeecorps, von Napoleon zu irgend 
einen Zwecke, 1809 zum Kampfe gegen Oefterreich, wie ich glaube, 
beitimmt, zum Eritaunen der guten Freiburger durch die Stadt 
309. Sie follten in kurzer Zeit noch ganz andere fremde Heere 
aus allen Weltgegenden Tennen lernen! 

Die Geſelligkeit mar damals von der angenehmiten Art, 
und felbft litterariſche Beitrebungen blieben ihr nicht fremd. v. Ittner, 
Jakobi, Dr. Eder unterhielten die Freude an Poefie und fchönen 
Wiffenfchaften, und mächtig angeregt durch die ſich immer mehr 
fteigernde Verehrung für Schiller, bildete ſich ein Kreis feinfühlender 
Männer und Frauen, welche den Geſchmack für Kunft und Dichtung 
förderten, eine gehobenere Stimmung in die gefelligen Zirkel 
brachten. Es fanden da mehr oder minder gelungene Verſuche von 
Gedichten, fchriftlihen Aufſätzen, von den damals fo beliebten 
Charaden, Rätbieln, Nebus u. dgl. um die Wette flatt, es gab 
gelebrte und äſthetiſche Vorleſungen, man fchrieb Tritifche Artikel 
in Zeitungen, errichtete Lefezirkel u. dgl. m. Eine andere, gewiß 


8 


ſtets empfehlenswerthe Unterhaltung der Gefellfchaft beftand in 
der gemeinfamen Lectüre dramatifher Werke. Diefe Bor: 
leſungen wurden abwechſelnd in den Häufern der Theilnehmenden 
gehalten. Die Hausfrau behielt fich jeweils die Wahl des Stüdes, 
wie die Vertheilung der Rollen vor; jeder verjah fich dabei mit 
einem Buche. Bald waren es ernite, klaſſiſche Werke von Göthe, 
Schiller und anderen, bald Ifflandiſche Rührftüde oder die erheiternden 
Scherz: und Karikaturfpiele von Kotzebue, und eine lange Reihe 
genufßreiher Abende eröffnete fich den Mitgliedern dieſes Vereines. 
Fand eine folde Verſammlung im elterlichen Haufe ftatt, war 
dieß ein Feſtabend für ums Kinder; wie laufchten wir da den 
ihönen Berfen, und wie lebhaft nahmen wir an den Tragen Theil, 
wer diefe oder jene Lieblingsrolle lefen werde! Wie zürnten wir 
endlich der ungewöhnlichen Länge eine? Dramas, 3. B. des Don 
Carlos, wenn und bie geregelte Hausordnung vor dem lebten 
Alte zu Bette rief. Auch das Stabitheater, wenn meift nur 
mittelmäßig, befuchten wir fleißig, und wie beimifch fühlten wir 
und in diefen fcheunenartigen Räumen, welche man fpäter ungern 
gegen eine größere Schaubühne vertaufchte, die in vielen Gemüthern 
nur peinlihe Erinnerungen hervorrufen Tonnte. 

Auch ein philbarmonischer Verein wurde gegründet, der nicht 
nur Concerte gab, Kirchenmuſik und Quartetten aufführte, fondern 
fih jogar an Opern wagte. Selten war wohl eine Vorftellung 
von Don Yuan fo gelungen, als die der Freiburger Dilettanten. 
Mozart theilte damals mit Schiller die allgemeine ausſchließliche 
Borliebe. Später wurden auch unter der kunſtſinnigen Leitung 
des Maltejer-Somthurd v. Reinach italieniſche Opern von Cimarofa, 
Pazfiello u. a. aufgeführt. 

Bei ung zu Haufe wechfelten dann Meine Diastenbälle, Kinder: 
und Puppentheater mit allen jenen heiteren Jugendſpielen, welche 
die mütterliche Liebe und Sorgfalt fo finnig auszudenfen wußte 
zum Lohne oder ald Erholung nad felten Tange unterbrochenen, 


9 


nicht immer leichten Studien. Der fromme Sinn unferer Eltern, 
eined ausgezeichneten Lehrers Tieß aber auch das Höhere, allein 
Wichtige nie vergefen, und außer einem gründlichen, wahrhaft 
chriſtkatholiſchen Unterrichte verging felten ein Tag, an dem mir 
nicht die Kirche befuchten. 


Mein Bater (geb. 1766, geit. 1839) mar durch eigen: 
thümliche Schickſale und feine Stellung vielfah in die bunten 
Ereigniffe des Tages gezogen, ja es fchienen ſich in feiner 73: 
jährigen Lebenzzeit diefelben gleichſam wieder zu fpiegeln, jo lebhaft 
nahm er an all diefen Phafen Theil. Sohn eines Landvogt2 des 
unferer Familie verwandten Testen Fürftbifchofs von Bafel brachte 
mein Bater in dem Amtfibe Birfel feine Jugend zu. Bon jenem 
Schloſſe nahm diefer Zweig Andlaw den Beinamen. Später auf 
Univerfitäten und Reifen, Lehrte mein Vater wieder zurüd, um 
fein Vaterland auch von den Wellen der franzöftfchen Revolution 
ergriffen zu fehen. Mein Großvater ftarb gerade an dem Tage, 
als 1792 die republifanifhen Truppen das Bisthumsgebiet 
bejegten. Mit Mutter und Gefchwiftern zog er fih in die 
Schweiz zurüd, und unftet, beinahe flüchtig, fand er endlich 
im Breisgau eine gaftfreundliche Aufnahme und trat als Regierungs⸗ 
rath in Vorderöfterreichifche Dienfte. Nach Wiedererlangung eines 
Theiles der verlorenen Güter hatte er auch noch dad weitere 
Glück, mit dem Treifräulein Sophie von Schalmin, der einzigen 
Tochter eined feiner Rathscollegen, eine in jeder Beziehung 
vortheilhafte Ehe einzugehen. Sie war ihm duch 32 Jahre 
eine liebende, treue Lebendgefährtin, eine ebenfo fein gebildete als 
edle Frau. 

Den Geſchicken des Breisgau’ folgend war mein Vater aus 
einem öfterreichiichen ein modenefifcher Staatödiener geworden, und 
trat dann endlich auch, mie fo viele andere, zur badifchen Bureaufratie 


10 


über. Gier muß ih eines Vorgangs erwähnen, der von ihm 
oft erzäplt, wohl weniger allgemein befannt fein dürfte. Modena 
batte meinen Vater zum Webergab3:Commiffär ernannt; Staats- 
rath dv. Drais follte von Seiten Baden? da3 Land übernehmen. 
Der Tag der Feierlichfeit war erfchienen, alle Vorbereitungen 
getroffen, der Gottesdienft im Münfter angeordnet, die Tribüne 
zum Huldigungsalte vor der Kiche errichtet. Da traf imenige 
Stunden zuvor eine GStaffete vom Militärcommandanten aus 
Straßburg ein, weldye meinen Vater aufforderte mit der Uebergabe 
noch zurüdzubalten, da Napoleon dem Breidgau eine andere 
Beſtimmung zugedadht. Die durch fo unerwartete Aenderung ber: 
vorgerufene Verlegenheit war groß, der gewünſchte Auffchub ohne 
die verdrieglichiten Verwickelungen kaum möglid. Die beiden 
Commiffäre beſprachen fih daher und kamen dahin überein, die 
Straßburger Depeiche bis nach dem Vollzuge der Mebergabsceremonie 
zu ignoriren. Dieſe ging daher ungeftört vor fi und es ift mir 
nicht befannt, daß meinem Vater deßhalb fpäter Unannehmlichkeiten 
bereitet wurden. Wofür er fi aber auch entichieden hätte, in 
beiden Yällen war feine PVerantwortlichfeit keine geringe, Er 
zählte auf das Gewicht eines fait accompli, und dabei blieb es 
denn auch. Entweder war jener Befehl Napoleon nur Folge 
einer augenblidlichen Laune, oder wollte er, war die Sache einmal 
geichehen, nicht mehr darauf zurädtommen, genug, dad Breisgau 
blieb und ift heut zu Tag noch badiſch. 

Bon dem ehrmürdigen Neftor der deutichen Fürſten, dem vor: 
trefflihen Karl Friedrich, ausgezeichnet und mit vollem Vertrauen 
beehrt, war 1809 mein Vater in Wien, zur Zeit des Schön- 
brunner Friedens⸗Abſchluſſes bemüht, die Rechte des Großherzogthums 
zu wahren. Im näditen Jahre eröffnete fi für ihn noch ein 
Teld erfolgreicherer Thätigkeit, da er nach langen, verwidelten 
Berhandlungen fo glüdlich war, unter Vermittelung des franzöfiichen 
Hofes, die wichtige Grafichaft Nellenburg, auf welche Württemberg 


11 


Anſpruch machte, dem Lande zu erhalten.) &8 fchien als 0b 
die Perſönlichkeit meines Vaters den mächtigen Kaifer befonders 
angeſprochen hätte, wenigſtens zeichnete er ihn bei jedem Anlaſſe 
aus und verfuhr mit ihm weniger barſch, ala mit anderen Geſandten. 
Dod eined Tages fuhr Napoleon in der Audienz ihn hart mit 
der Frage an: „Was haben fie denn in Freiburg für ein elendes 
Blatt, deffen Redakteur einen Namen bat, den ich nicht ausſprechen 
kann? (Er hieß nämlich: „Schnezler”.) Cette gazette cessera 
de paraitre!“ Mein Vater wußte ſich den Grund des kaiſerlichen 
Zornes über die fonft fo harmloſe Zeitung nicht zu erflären. 
Später erfuhr er, daß fie ein angebliches Schulzeugniß aus Brienne 
aufgenommen, in welchem der Zögling Bonaparte als: „mittelmäßig 
befähigt” bezeichnet murde. Diefe eine Aneftote mag als ein 
weiterer Beitrag zur Geichichte der Bedrückungen gelten, welche 
ſich Napoleon I. in Deutſchland anmaßte. 

Sn jene Zeit fiel auch der verhängnißvolle Ball bei dem 
Fürften Karl von Schwarzenberg mit der von fo vielen Augen: 
zeugen beichriebenen furdhtbaren Kataſtrophe. Das Teuer brach 
ganz in der Nähe meines Vaters aus; ein Wachslicht hatte Die 
leichte Draperie in der für das Feſt erbauten Gallerie ergriffen. 
Mehrere Perfonen Tiefen mit ihm Hülfe rufend dem Ausgange 
zu, und als fie nach menigen Sekunden mit den Pompiers in 
den Saal zurüdkehren wollten, mar alles fhon in Flammen, 
Raub und Dualm eingehült. Lange begleitete noch mein Vater 
den verzweiflungzvoll feine verbrannte Gattin juchenden Yürften 
Joſeph. Alle Anmefenden behaupteten ftet3 übereinftimmend, daß 


*) Der betreffende Staats- und Orenzvertrag zwifchen Baden und 
Württemberg wurbe den 2. Dfteber 1810 zu Paris abgefchloffen. Nach⸗ 
dem fich mein Vater mit ben früheren württembergiſchen Bevollinädhtigten, 
Grafen Taube, nicht hatte verftändigen Fönnen, und es fogar bis zur 
gegenfeitigen Herausforberung fam, wurbe Graf Winzingerode vom König 
abgeſchickt und biefer unterzeichnete den Vertrag. 


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nur einem unglüdlihen Zufalle, Feiner Abſichtlichkeit ein fo ent: 
jegliches Ereigniß zugufchreiben geweſen, eine Anficht, welche Napoleon 
ſelbſt laut und miederholt beftätigte. 

Im Herbſte 1810 vertaufchte mein Vater die glänzende 
Mifften in Paris mit der wenig beneidenswerthen Stellung eines 
Staatsminifterd de3 Innern in Karlsruhe. 

Meine Mutter (1779 geb. und 1830 geft. zu Freiburg) 
ſtammte aus jener lothringifhen Familie von Schalmin, welche 
dieß Land mit Franz Stephan verlaffen und ſich in Defterreich 
angefiebelt hatte. Ihr Vater, Regierungsrath in Freiburg, ftarb 
1802, ihre Mutter war eine geborene Gräfin von Leberader. 
Der General der Kavallerie von Schafmin aber, Obeim meiner 
Mutter, erfreute fich der befonderen Gunft jenes Kaiferd und der 
großen Maria Thereſia. 


Zu den Gefährten unferer jugendlichen Spiele gehörte, außer 
unferen Bettern Rink und den Söhnen anderer verwandten Häufer, 
der junge Auffenberg, melder fpäter eine ebenfo raſch auf: 
blühende, als bald wieder verfchwindende Berühmtheit erlangen 
follte. Er war als Kind, was er fein Leben hindurch blieb, 
ungelenf, verlegen, wortlarg; nicht? verfündete in diefem linkiſchen, 
beinahe blöden Jungen den Fünftigen Dichter. Die poetifche Ader 
erwachte erit, als er, im 15. Jahre von einem unbeziwingbaren 
Hange zu Abenteuern ergriffen, aus dem väterlichen Haufe 
beimlich entflob, und Italien, das tägliche Brod mit feiner Guitarre 
als Minnefänger ermwerbend, durchzog. Doc bald von Hunger 
und Enttäufchung getrieben, trat er in öſterreichiſche Kriegsdienfte 
und nahm fpäter eine Lientenant3-Stelle in der badifchen Garde 
du corps an. Nun folgten raſch Gedichte, und da Auffenberg 
auch Dramen fchrieb, übertrug man ibm die Leitung des Hof: 
theaterd in Karlsruhe. In diefem neuen Wirkungsfreis fund er 





13 


fih vielfach beengt; die Kabalen auf der Bühne, der Tabel der 
Geſellſchaft wie des Hofed machten ihn menfchenfcheu, verdrießlich. 
Sein dichterifcher Geift führte ihn aus diefen unbehaglichen Ber: 
hältniffen 1832 nach Spanien. Die dortigen zum Theile höchſt 
tragifchen Erlebniffe beichrieb er jelbft in launiger Weife. Die 
vielen Wunden, aus denen er unter den Dolden andalufifcher 
Räuber blutete, und deren Heilung er nur der ausdauernden 
Pflege frommer Kloſterſchweſtern verdanfte, mögen ala mohlthuender 
Aderlaß auf fein Nervenſyſtem gewirkt, ihn emüchtert haben. 
Auffenberg kehrte wieder zu dem früheren, ihm verhaßten Hofleben 
zurüd, welches er in dem verhängnißvollen Jahre 1848, das fo 
viele Masten Tüjtete, auf wenig mwürdige Art verließ, um in feiner 
Baterftadt Freiburg vergeffen und Wiyfanthrop wie immer 1858 
eine Laufbahn zu vollenden, weldye bei feiner anerfannten Befähigung 
hätte beifer angewandt werden können.) — Wenn man jebt 
unbefangen die Werke, beſonders die auf den meiften deutfchen 
Bühnen aufgeführten XTrauerfpiele Auffenberg’3 Tieft, fo begreift 
man kaum, wie er je diefen Erfolg damit erzielen Fonnte. Es 
it da alles jo gemacht; es find Feine wirklichen Menſchen, nur 
deflamirende Puppen, welche und entgegen treten; ein hohler Pathos 
für warmes Gefühl oder Leidenfchaftlichkeit; Leine Spur von ge 
Ihichtliher Auffaffung und richtiger Charakteriftit der Perſonen. 
Weiß man aber, wie diefe poetifchen Ergüſſe entftanden find, fo 
hört das Erftaunen über deren Ergebniß auf. Und dennod finden 
fih in diefem Mecre von Verſen manche Perlen vom reinften 
Maffer, Stellen die an die beiten deutichen Dichter, an Schiller, 
Kleift, Körner, Houwald und andere erinnern; fie gehen aber 
eben unter in jenem See von Dinte, und können nur mühſam 


*) Auffenberg hatte fein Vermögen jenem Klofter barınberziger rauen 
in Spanien vermacht, welche ihm ba8 Leben durch anfopfernde Pflege 
gerettet. Die Verwandten fochten das Teſtament an, der Streit enbete 
jedoch mit einem Vergleich. 


14 


gefucht, noch jeltener entdedt werden. Als unfer Dichter fein 
befanntes „Alhambra“ fchrieb, umgab er ſich in einem halbdunklen 
Gemache mit Deforationen maurifcher Architektur, kleidete fich 
türkiſch, und hing rings an den Wänden muſelmänniſche Waffen 
und Trophäen auf; dabei begeifterte er ſich fiet an einer 
dampfenden Punſchbowle. Und in demfelben Alhambra, welches 
feine dichterifche Phantafie fo fehr erhitzte, war er fpäter nahe 
daran, fein Leben unter — wie er fagt — gedungenen Mörder: 
händen zu laſſen! In allen Lagen des Lebens feinem Schwarz 
wälder Dialefte und gewillen ungehobelten Manieren treu, hatte 
Auffenberg, außer dem Dichter: auch noch ein anderes entſchiedenes 
Talent, Belaunte in Ton und Sprache nadjzuahmen, Die einzige 
Art, mit der er bei feiner fonft trodenen Weile unterhalten Tonnte. 
Dabei grundfaglos, ſchwach von Charakter, bald ausgelaffen Tuftig, 
dann wieder fich düſterer Schwermuth bingebend, die er in Tonnen 
Champagnerd zu erfäufen ſuchte, war Auffenberg immerhin ein 
merfwürdiger Menſch, deffen beilere Eigenichaften und unläugbare 
Fähigkeiten in einer falihen Richtung untergingen. Friede 
feiner Aſche! 


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Zweiter Abſchnitt. 


(1810 — 1813.) 


Sunhalt: Karlsruhe. Neue Verhältniſſe. Hof- und gefellihaftlihes 
Leben. Die weiße Frau, Ber Großherzog Karl Kriedrid. Sein 
Charakter und fein Tod. Grokherzog Karl unb Großherzogin Stephanie. 
Feſte und diplomatifhes Korps. Salonfiguren. Hof: und Gabinets- 
intriguen. Dr. Derefer. Prälat Hebel. Der große Comet und ber gute 
1811® Wein, Die beiden Erbpringen. Der ruſſiſche Feldzug. Der 
Brand von Moskau. Affland und Efflair. Die Hofhaltung ber 
Markgräfin Amalle. Die beiden Markgrafen Friedrich und Ludwig 
von Baden. Die Grafen von Hochberg. Abſchied von Karlsruhe. 


Gegen Ende des Jahres 1810 fiebelten wir fomit nach der 
Refidenzftadt über. Ich begleitete meinen Vater allein. dahin; 
die Mutter mit den Gefhwiftern und dem übrigen Hausftand 
folgte fpäter. Wir bezogen die gemiethete Wohnung (Adler: 
firaße 20), und bier überfiel mich zum erftenmale das Gefühl 
des Heimweh's! Ich fand mich fo einfam in dem fremden Haufe, 
fo verlaffen in den breiten, dden Straßen, den ungewohnten Ver: 
bältniffen! Ich ließ meinen Thränen freien Lauf, tröftete mich 
aber bald nah Kinderart. Nur noch einmal, aber in viel 
ſchmerzlicherer Weife, follte fich bei mir jene bittere Empfindung ° 
wiederholen, als ich 14 Jahre nachher das elterlidhe Haus für 
immer verließ ! 

Es umgaben und nun neue Gegenftände, neue Menfchen; 
eine Fülle überrafchender Beobachtungen, reiche Gelegenheit, unfere 


16 


Erfahrung mie unjere Kenntniffe zu erweitern, war und geboten. 
Aber auch hier war es wieder die waltende, muütterliche Sand, 
welche unfere Erziehung leitete; es waren diefelben regelmäßig 
fortgefeßten häuslichen Studien, die gleiche forgfältige Auswahl 
der Gefpielen unfered Alters, die balbjährigen Prüfungen u. |. w. 
Seven Tag las unfer Hofmeifter in dem Haufe des mittleren 
Zirkels, in welchem fi damals die Tatholifche Kapelle befand, die 
heilige Meſſe, wohin wir ihn gewöhnlich begleiteten. 

Diefe ernften Beihäftigungen wurden nur durch Mufit;, 
Zeichnen: und Tanzftunden oder Spradyunterriht unterbrochen. 
Dabei ließen wir keine Fabrik, feine Induftrieanftalt, feine Kunſt-⸗, 
naturhiftorifche oder andere Sammlungen unbeſucht und Iernten 
auch ſtets die vorübergehenden Sehendwürdigfeiten aller Art Tennen, 
Abends gönnte man ung öfters die Freude, den ganz guten Vor: 
ftelungen im Hoftheater beizumohnen, und diefe Erholung wedjfelte 
dann wieder mit der Neubelehbung jener genußreichen Zirkel, in 
welchen Muſik gemacht, deflamirt, vorgelefen, oder felbjt manchmal 
auf einer Heinen Hausbühne geipielt wurde. Im Sommer waren 
e3 dann größere Spaziergänge oder Ausflüge in die benachbarten 
Städte und Bäder, welche unferen Gefichtöfreis erweiterten, die nie 
rubende Reifeluft weckten. Raſch, ebenſo nützlich als angenehm, 
verflogen uns daher die drei Jahre des Karlsruher Aufenthalts. 

Die Stellung meines Vaters brachte uns aber auch dem 
Hofleben, ſelbſt dem politiſchen Treiben näher; wir hörten da viel 
von Feſten, wichtigen Ereigniſſen und den ſich täglich drohender 
und unerbörter geſtaltenden Weltbegebenheiten. Bälle in dem von 
meinem Vater angelauften Haufe (nun das W. von Seldenekiſche), 
bei denen nicht jelten der großberzoglihe Hof erichien, durften 
auch wir Kinder befuchen, und wie wir und an all diefen früher 
ungewohnten Herrlichfeiten ergößten, erfreute und auch die freund- 
lihe Art, mit der man und allenthalben begegnete. — Ganz 
beſonders intereffirte und die ehrwürdige Ericheinung des 82 jährigen 


17 


Großherzogs. Bald fahen wir ihn an der Seite der Reichsgräfin 
in der Hoftheaterloge, bald begegneten wir ihm auf einen Roll 
wagen im Schloßgarten, wo er immer einige gütige Worte an 
und richtete. So wie der vortreffliche Fürſt noch jebt im dank: 
baren Andenken lebt, wenn fich gleich nur wenige der Zeitgenoffen 
mehr erinnern, ihn gefehen zu haben, fo bleiben mir auch Diele 
wohlmollenden Züge, diefe einfache, wahrhaft landesväterliche 
Art unvergeklih! Wie oft erzählte mein Vater von den Unter: 
redungen, welche er mit dem edlen Greife hatte, und die ihn nicht 
felten bis zu Thränen rührten. In feiner ichlichten Weife mar 
ihm ſtets der Wunſch nad Vergrößerung feine® Landes fremd 
geblieben: früher nur Herr der Durlachiſchen Befißungen, ſah er 
die Markgraffhaft dur den Anfall der Baden-Badenſchen Lande 
1771 bedeutend vermehrt; mit dem Titel eined Kurfürften erhielt 
er wieder einen großen Zuwachs an reichen Städten, Abteien und 
Dörfern, und als er vollendd 1806 Großherzog und dadurch 
Herr eines Heinen Königreichs geworden war, fchmwindelte ihm! 
Er hatte fein beicheidened Markgrafenthum leicht überfehen können, 
feit 50 Jahren alle feine Kräfte dem Wohle der ihm anver- 
trauten Unterthanen gewidmet; nun mußte er int hohen Alter fein 
patriarchalifhes Regiment mit einem Aufwande von Hof⸗ und 
Militärftaat, mit ungewohnten Laſten vertaufchen. Seine Gewiſſen⸗ 
baftigkeit fträubte fich gegen eine für fo weit ausgedehntere Pflichten 
zu übernehmende Verantwortlihfeit, und als nun gar fremde 
Kriegsſchaaren das Land verheerten, unerfhwingliche Contributionen 
und neue Steuern die Bewohner drüdten, Hungersnoth, Theuerung, 
Krankheiten, Verarmung die fonft fo blühenden Gefilde, viele 
friedlichen Gauen heimfuchten, da brad dem menfchenfreundlichen 
Fürften da3 Harz, da lag er oft ganze Nächte im Schloffe zu 
Ettlingen betend auf den Knieen, und fein frommer, mildtbätiger 
Sinn kounte faum den leifen Wunſch unterdrüden, daß er von 
einem Heinen, aber glüdlihen, Markgrafen nie ein reicher, weit 
FIrh. v. Andlaw. Ben Tagtbuch. 1. 2 


18 


gebietender Großherzog geworden wäre. In der Iebten Zeit 
nahmen feine Geiftesfräfte fihtbar ab, und als er (10. Juni 
1811) fanft und ſchmerzlos entſchlummerte, farb er gewiß den 
Tod des Gerehten! Seine Leiche wurde mit großem Gepränge 
nach der Yamiliengruft in Pforzheim abgeführt. Er ruhe da im 
ewigen Frieden, mohl einer der Würdigften in der Iangen Reihe 
feiner erlaudten Ahnen! — 

Mit dieſem Tängft erwarteten, aber auch in weiteren Kreiſen 
fchmerzlih berührenden, Trauerfalle tauchten denn wieder die 
Gerüchte von Gefpenftern auf. Unſere jugendliche Phantafie be 
häftigte fi nicht wenig mit diefen Sagen, und wir glaubten 
immer in den dunflen Gängen des Schloffes oder in den düfteren 
Gebüſchen des Hofgartens der weißen Frau begegnen zu müffen. 
Man erzählte und, daß, als Karl Friedrich geftorben, ſich eine 
lange, hagere — dießmal aber ſchwarze — Geftalt den Gemächern 
des neuen Herrn genähert habe und in denfelben verſchwunden fei. 
Später erfuhr man, daß eine alte, beinahe 90jährige Hofdame 
von Wercüll, welche fchon lange Jahre ihr Zimmer, beinahe ihr 
Bett, nicht mehr verlaffen, fi plößlich in tiefe Trauerkleider ge 
hüllt, um den Großherzog Karl einen ebenfo unerwarteten, als 
geipenftigen Condolenzbeſuch zu machen. 

Doch auch abgejehen von der Hofgeifterwelt, gab es damals 
noch Vorgänge und Sllatfchereien genug in Karlsruhe, die freie 
Zeit Hinreihend damit auszufüllen. Es fehlte da nicht an poli- 
tiihen, Büreau⸗ und anderen Intriguen, deren Zuſammenhang wir 
nur ahnen Fonnten, und von denen und mehr die Namen der 
Perſonen blieben, weldhe fi daran Inüpfen, ala der eigentliche 
Sachverhalt. Nur eines ſolchen Vorgangs will ich deßhalb er: 
wähnen, mweil er erft neulich gelegentlich des Kirchenftreites mieder 
aufgewärmt wurde. Ich folge hier auch mieder aus dem Gedächtniß 
den früheren mündlihen Mittheilungen meines Vaters. Der Groß: 
herzog Karl hatte gewünſcht, den Trauerfeierlichleiten für feinen 


19 


fürftfichen Großvater in der Tatholifhen Kapelle beizuwohnen. 
Mein Bater feste den geiftlichen Rath Dr. Derefer hiervon im 
Kenntnig und wünſchte Einfiht von der dabei zu haltenden 
Gedächtnifgrede zu nehmen. Der Stadtpfarrer euntſchuldigte fich 
damit, daß er nie eine Predigt vorher niederichreibe, jedoch nichts 
Anftößiges zu fagen verſprach. Wie groß aber war meines Vaters 
und aller anweſenden Katholiken Erflaunen und Berlegenheit, als 
der Kanzefredner in Gegenwart des großherzoglichen Hofe und 
der erften Staatöbeamten bezüglich confeffioneller Fragen, wie der 
Perfonalien und Gefinnungen des hbochfeeligen Herrn einen ebenfo 
taftlofen als albernen Bortrag bie. Für meinen Vater war 
diefer Vorfall” um fo verdrießlider, ala der Juſtizminiſter 
v. Hövel und er die einzigen Katholifen im Rathe der Krone und 
überdieg wegen diefer Kigenfchaft vielfach angefeindet waren. 
Dr. Derefer mußte daher jeine Pfarre mit einer Profeffur in 
Raftatt vertaufchen und ftarb viele Jahre nachher als Domherr 
in Breslau, mie ih glaube. Sein Benehmen bei diefem Anlaſſe 
mar um fo weniger zu erflären, als Dereſer allgemein für einen 
Mann von Geift und Bildung galt, feine theologifchen Werke und 
Erbauungsſchriften ihm einen vortheilhaften Ruf verſchafft hatten. 
Das Gehäſſige des Ganzen wurde aber gegen meinen Vater 
gehörig ausgebeutet, und ed mar ein neuer Faden gefunden, das 
Gewebe der Kabalen weiter andzufpinnen. 


Funf Tage vor dem Tode Karl Friedrichs (5. Juni 1811) 
wurbe die Großherzogin Stephanie zum erftenmale, und zwar bon 
einer Prinzeſfin (Louife Amalie Stephanie) entbunden. Die tiefe 
Landedtrauer geftuttete Feine lauten Freudenbezengungen bei der 
Taufe der Neugebornen. Dieſe Niederfunft aber war von einer 
mehr als gemöhnlihen Bedeutung. Im jahre 1806 Hatte fich 
der damalige Erbprinz Karl auf den Wunſch — damals gleichlautend 

9 * 


20 





mit Befehl — des Kaiferd Napoleon zu Paris mit deffen 
Moptivtochter: Adrienne Louife Stephanie von Bauharnais 
vermählt. Die 16jährige Braut hatte kaum die Erziehungs: 
anftalt verlaffen, und der Erbgroßherzog verhehlte nicht die Ab⸗ 
neigung, welche ihm die erziwungene Verbindung einflößte Die 
jungen Ehegatten waren daher anfangs getrennt: Er in Karla: 
ruhe, fie in Mannheim. Hier umgab fi die lebensfrohe Prin- 
zeffin mit jugendlichen Gefpielinnen und verbrachte harmlos heitere 
Tage. Tod lange konnte es nicht jo bleiben, und ungeachtet 
aller entgegengejegten Intriguen wurde eine gegenfeitige Annähe: 
rung des fürftlihen Paares vorbereitet, wobei — ich darf es jebt 
wohl fagen — mein Vater einer der eifrigften war. Seiner fort- 
gefebten Thätigkeit gelang es endlich, eine völlige VBerföhnung her: 
beizuführen; die Erbgroßherzogin Stephanie zog nad) Karlörube, 
und jubelnd begrüßte man allda nicht nur die anmuthige, in vol: 
lem Glanze der Schönheit und Jugend ftrahlende Yürftin: ein 
Jahr fpäter erfhien dann auch die Peine Prinzeffin Louife als 
Pfand einer glüclicheren Zeit. ALS nun die junge Großherzogin 
im Sommer 1811 einen Theil des Landes bejuchte, wollten die 
begeifterten Huldigungen fein Ende nehmen, und befonderd in - 
Freiburg, Badenweiler u. a. DO. waren die Feſte, denen ich bei: 
wohnte, ebenfo glänzend als herzlich. Jene Freude zu erhöhen, 
trug der herrliche fruchtbare Sommer vom Sabre 1811 viel bei. 
Dom März bis November war unausgefebt ſchöne Witterung, 
dennoch die Hitze nie läftig, gemildert durch erquidende Lüfte oder 
erfrifchende Gewitter. Am Johannistage hatte man ſchon neues 
Brod, im Juli reife Trauben, im Auguft neuen Wein. Man 
brachte diefe außerordentlihen Erſcheinungen mit dem prachtvollen 
Cometen zufammen, deffen mächtiger Schweif fi, über einen großen 
Theil des Horizonts erftredte; alle anderen Cometen des Jahr: 
hundert3 waren mit jenem Himmeldriefen nicht zu vergleichen, nur 
der vom Jahre 1858 kam ihn an Glanz und Größe nahe. Hatte 


21 





je die Volksmeinung Anfpruch auf Berechtigung, fo war dieß bei 
dem Cometen 1811 der Fall, denn er deutete finnbildlih den 
Höhepunkt im Leben Napoleon an; fo wie er verſchwand, er 
bleichte auch fichtbar des gewaltigen Cäſars Glücksſtern! 

Ein regered, heiterered Leben gab ſich im darauf folgenden 
Winter am Karlsruher Hofe Fund. Feſte jeder Art, Bälle, finn- 
reihe lebende Bilder, Maskeraden, franzöfiihe Liebhabertheater, 
Schlittenfahrten u. dgl. m. drängten fi), und das Ddiplomatifche 
Corps, wie die Gefellihaft blieben dabei nicht zurüd. Die Natur 
der Verhältniſſe brachte es mit fi, daß der Faiferlid, franzöfiiche 
Sefandte — früher Bignon, dann Moustier, endlicd) Graf Nicolai — 
dag glänzendfte Haus machte. Lebterer mißbrauchte jedoch feinen 
überwiegenden Einfluß nie, war ein wohlwollender, felbft anſpruchs⸗ 
lofer. Mann. Die beliebtefte Perſönlichkeit blieb aber immer der 
öfterreichifche Gefandte, Graf Apponyl, der, unterftügt von feiner 
jungen, liebenswürdigen Gemahlin, der Gräfin Therefe Nogarolla, 
den angiehendften Mittelpunkt für die Gefellichaft bildete. 

Aus jener Zeit erinnere ich mich noch einiger ftehender 
Salonfiguren, wie fie eben durch eine eigenthümliche äußere Ge⸗ 
ftalt auffielen, oder fi) beſonders wohlwollend gegen und Kinder 
bewiefen. Ein ganzes Heer von Hofleuten, Diplomaten, Offizieren, 
Fremden — unter diefen die von ihren Sitzen vertriebenen Bi⸗ 
ihöfe von Bafel und Mecheln — viele geiftreiche, ſchöne, auch 
franzöfiihe Damen trieben fi damals in den Zirkeln umber, 
und meine Eltern verfammelten oft einen Theil der Geſellſchaft 
Abends oder zu größeren Dinerd. Sonntag Iuden fie dann ge 
wöhnlih Beamte, Gelehrte oder Künftler zu Tiſche; nicht felten 
war der Prälat Hebel unfer Gaft, welcher und bald mit einer 
wisigen Erzählung aus feinem Hausfreunde, bald mit einem hübſchen 
allemannifchen Gedichte oder den fo beliebten Doppelcharaden erfreute, 

Die einfache, jelbft trodene Art dieſes genialen und gemüth: 
lichen Mannes z0g ung mie inſtinktmäßig an; erft ſpäter erfannten 


22 





wir feinen vollen Werth. Der Generalfetretir des Miniſteriums, 
Moßdorf, den mein Bater vor allen der ihm untergebenen Ge: 
ſchäftsleute fchäßte, war auch ſtets willlommen in unferem Haufe. 


Mitten unter Dielen abwechſelnden Kunft: und gefelligen 
SGenüffen kam der Sommer 1812 heran. Europa erfreute ſich 
nah langen Kriegen eines Friedensjahres; nur mit Spanien und 
England Tag Napoleon im offenen Kampfe. Da erichredte plöß: 
ih das Gerücht von einem Bruce mit Rußland. Ein ftolger 
Heeredzug, wie man ihn an Schönheit, Kriegsluſt und ungebeuerer 
Anzahl der Truppen nie zuvor gefehen, wälzte fi dem Norden 
zu. Noch gab man fi der Hoffnung bin, daß es nicht, menig- 
ftend zu einem längeren, verheerenden Kriege fommen werde, als 
uns aud ſchon die Nachrichten von dem Mebergange über den 
Niemen, von den Schlachten bei Wilna, Smolensf u. a. über: 
rafchten. Die Schlacht an der Moskowa eröffnete dem triumphi⸗ 
venden Kaiſer und feinem Heere die Thore der uralten Metropole 
Rußlands. Napoleon flug fein Hauptquartier im Kreml auf, 
ein unerhoörtes Ereigniß, das die Einen mit Stolz; und Freude, 
die Anderen mit zitternder Angft und unbeilvoller Ahnung kom⸗ 
mender tragifcher Geſchicke erfüllte! Schon waren in vielen Kirchen 
auf dem weiten Erdenrunde feierliche Tedeums angeftellt; auch in 
Karlsruhe ertönte dad „Herr Dich Toben wir!” weil die dreifar- 
bige Fahne von den Zinnen der Ezarenburg flatterte! 

So ſehr auch ſolche melterfchütternde Begebenheiten jeden 
anderen &indrud verwiſchen mußten, ſchenkte man doch einem 
längeren Gaſtſpiele Iffland's einige Aufmerkſamkeit. Schon nicht 
mehr in der vollen Kraft, da er auch im darauf folgenden Jahre 
ftarb, blieb diefer ausgezeichnete Mime doch in einigen Rollen fich 
immer gleih. Helden und Partien, melde größere Anftrengung 
erforderten, gelangen ihm nicht mehr; auch reichten Geftalt wie 


23 





Organ ſchon früher hierzu nicht aus; unübertroffen war er aber 
immer in Sharafter= und höheren komiſchen Rollen, in polternden 
oder originellen Alten, und unter diefen ercellirte er natürlich wie 
der in jenen, welche er für fich felbft gejchrieben. Wer hat fidh 
nit an feinem: „Schewa, Lorenz Stark, armen Poeten, deutfchen 
Hausvater“ u. a. erfreut? während Lear, Wallenitein, felbft der 
Geizige weniger anfpraden. Bald nachher wurde Efflair in 
Karlärube engagirt, und eine bier fo nabe liegende Vergleichung 
mit Iffland war nicht ohne Intereſſe. Sein Spiel, von über: 
wältigender Wirkung, war fo natürlich, dabei von einem jo impo⸗ 
fanten Aeußeren, einem fo überaus wohlflingenden Organe unter: 
ftügt, daß ihm Fein anderer tragifcher Künſtler an die Seite geftellt 
werden Tonnte, fo fehr überragte er fie alle. Ein geborener Hel- 
denfpieler verfuchte fih Efflair auch glücklich im Schau: und Luft: 
fpiele; eine rührend einfache Leiftung war fein: „Eſſighändler.“ 
An den vielen Rollen, in denen ih Eiflair — noch zum lepten- 
mal 1836 zu Bafel — ſah, fand ich ihn immer unnachahmlich, 
und fand eine Tages zufällig, nicht ohne Wehmutb, an feinem 
einfamen Grabe auf dem vomantifch gelegenen Kirchhofe von 
Mühlau bei Innsbruck. 


Im Herbſte 1812 traf, wenn auch nur vorübergehend, ein 
Lichtftrahl der Freude die großherzogliche Familie. Den 25. Sep: 
tember gebar die Großherzogin Stephanie einen Prinzen, der ju⸗ 
beind mit dem Namen eines Erbgroßherzogs Karl Friedrich begrüßt 
wurde. Man ſchwamm in einem Meere von Freuden; Kirchen⸗ 
feier, Paraden, Gala: und Freitheater, Hoffefte und öffentliche 
Bollöbeluftigungen kamen da an die Reihe. Alle diefe ungewohnten, 
lärnenden Bergnügen befchäftigten uns lebhaft und aus einer Loge 
fahen wir das mit Menfchen vollgepfropfte Hoftheater, worin als 
Gratisvorſtellung Mozart’3 „Titus“ gegeben wurde; Geſchrei, 


24 


Drüden und Unruhe unterbrachen vielfach die Oper. Ebenfo unter: 
hielt ung der Freimarkt, der öffentliche Ball, dad Stangenklettern, 
das Austbeilen von Fleiid und Wein u. dgl. m. Doc Dieler 
Jubel war leider nicht nachhaltig. Wir befanden ung den 16. Of: 
tober gerade im Theater, wo Sffland den Geizigen von Molidre 
gab, als das Schaufpiel dur die Nachricht von einem erniten 
Unmohlfein des Kleinen Erbprinzen unterbroden wurde. Gegen 
8 Uhr mwar er eine Leiche; wenige Stunden zuvor hatte das Kind 
noch lächelnd auf dem Schooße feiner Mutter gelegen! Ich felbit 
batte den Prinzen einige Tage zuvor gefehen, und in meinem 
Tagebuch notirt: „Es ift ein großes ſtarkes Kind, das 11 Pfund 
wiegt.” Damals fiel diefer Tod, fo allgemein er aud) bedauert 
wurde, nicht auf; man fand es nicht feltfam, daß ein Kind von 
3 Wochen an einer in diefem Alter fo häufigen akuten Krankheit 
plötzlich ſtarb. Erft, als auch der zweite im Jahre 1816 geborene 
Prinz bald nad) der Geburt verfchied, während die 1811 und 
1813 zur Welt gekommenen beiden Prinzeffinnen und fpäter aud) 
Prinzeffin Marie (geb. 1817) am Leben blieben, gab man fich 
allerlei Vermuthungen bin, welche jedoch jeder thatfächlichen Be⸗ 
grüändung entbehrten. Dieſe auffallenden Gerüchte tauchten erſt 
im Jahre 1828 wieder mit mehr Intenfität auf, waren der Gegen: 
ftand zahlreicher Berichtigungen und Flugſchriften, als da3 geheim: 
nißvolle, bis jett noch nicht aufgeflärte Erfcheinen Kaspar Haufer’3 
in Nürnberg mit jenen beiden Todesfällen in Berbindung zu 
bringen gejucht wurde. Meine Erinnerungen aus jener Epoche 
reichen nicht fo weit, um mir eine feflgegründete Ueberzeugung von 
dem Werthe jene Geredes bilden zu Tönnen. Die edle Großher⸗ 
zogin Stephanie, deren Mutterherz am meiften unter diefen wie⸗ 
derholten fürchterlihen Schlägen Ieiden mußte, drüdte nie eine 
Bermuthung oder ein bittere Wort darüber aus, welches man als 
Andeutung eines Verdachtes hätte nehmen Finnen. So ift & 
wohl beſſer, die einjtige Löſung des Hauferifchen Räthſels der 


25 


Zukunft zu überlaffen, ftatt durch müfteriöfes Achſelzucken und unbe: 
rufene Muthmaßungen falfchen Argmohn zu nähren. Iſt ein Ber: 
breden dabei im Spiele, wird der Thäter Gottes firafender 
Gerechtigkeit gewiß nicht entgehen! 


Der officielle Jubel über die Siege der Franzofen in Rup- 
land war noch nicht verhallt, als eine Schreckenskunde alle Länder 
Europa’3 durhdrang: Moskau brenne an allen Eden, und Na: 
poleon ſehe düfter von den Fenſtern des Kremls in das nicht zu 
löſchende Flammenmeer! — Obwohl ih mich damald wenig um 
Politit befümmerte, fo fehrieb ich doch, von der folgenreihen Wich⸗ 
tigkeit de3 Augenblicks ergriffen, folgende Kurze Bemerkung nieder: 

„Die Ruffen brannten Moskau mit allen Kranken! und 
Gefangenen! felbft ab!” 

Man wollte daher gleich damals das Gehäffige des Brandes 
und die Berantwortlichleit für die dabei angeblih begangenen 
Grauſamkeiten dem Feinde zufchieben. Ich fügte weiter bei: 

„Immer mehr Truppen werden nad Rußland gejchidt; bald 
ift mit Ausnahme der in Spanien befindlichen, fein badifcher Sol: 
dat, der nicht nach dem Norden marfdyiren mußte; nur ein Fleiner 
Theil blieb zur Befabung Karlsruhs zurüd; täglich neue Opfer, 
neue Rekrutenaushebungen; manches Herz bridt, manche Thräne 
fließt; was das Schwert auf jenen falten Gefilden verfchonte, 
ftirbt vor Elend, Hunger oder Froſt in diefem fo mörderifhen 
Kriege! Möge er doch bald enden!” 

Und in der That ganze Helatomben von Menfchen wurden 
dem Chrgeize, wohl auch dem Eigenfinne eines Einzigen geichlachtet, 
und nur zu wahr deuteten die deutfchen Soldaten die 4 N, welche 
fich auf den Rockſchößen der franzöſiſchen Uniformen geftidt fanden, 
mit den Worten: — Nur Nicht Nach Norden! 

Der Winter von 1812 auf 1813 verfloß daher unter diefen 
Umftänden traurig in Karlsruhe. Mit jedem Tage häuften ſich 


26 


die Hiobspoften vom rufftihen Kriegsſchauplatz, alles mit Schau: 
der und Angft erfüllend; die Schreden und das Jammergeſchrei 
an der Berefina, der hochtragiſche Untergang einer halben Million 
Krieger, welche mit bunderttaufend Pferden unter den weißen 
Schneefeldern wie in einen weiten Grabe lagen! Bon Moskau 
bis an die polnifhe Grenze waren die Straßen mit Leichen von 
Erfrornen und Verhungerten wie befät, und die paar Taufende 
vielleicht, welche, wie dur ein Wunder, dem ficheren Tod ent: 
gingen, waren Krüppel geworden, hatten einzelne Glieder erfroren, 
oder fiechten das ganze Leben hindurch. Als nun vollends das 
verzweiflung3volfe, ewig dentwürdige 29. Bulletin diefe gräßlichen 
Vorgänge beftätigte, ald man die Flucht Napoleon? auf einem 
Schlitten und feine unerwartete Rückkehr in Paris erfuhr, da er: 
griff ftummes Entfegen alle Gemüther. Die Anhänger des Kai: 
jerd ließen zwar fcheinbar den Muth noch nicht finfen, mährend 
feine Gegner die innere Befriedigung über diefe vajhe Wendung 
der Dinge nicht zu zeigen wagten. Es fand ſich beinahe feine 
Familie im Lande, die nicht ſchon ein Mitglied in diefem entſetz⸗ 
lihen Doppelfampfe mit dem Feinde und den Elementen verloren 
batte, oder für das Leben von Theuern zittern mußte. Unter den 
Glücklichen, welche dem gräßlichen Verbängniffe entgingen, befand 
ſich Markgraf Wilhelm (damals noch Graf Hochberg), Gottes Hand, 
wie feine Jugendkraft hatten ihn gerettet. &benfo laufchten wir 
am trauliden Kamine den fchlichten Erzählungen, melde un der 
ehrliche, tapfere General von Lingg von der nordifchen Kampagne 
machte, er war mit einigen erfrorenen Fingern und Zehen davon. 
gelommen. Am merfwürdigften blieb aber immer die von beinabe 
fabelhaften Umfländen begleitete Rückkehr des Grafen Bismark, 
des nachherigen befannten württembergijchen Reitergenerals, welcher 
nicht nur unzählige, jtündlihe Gefahren, die grimmige Kälte, der 
auch noch ein heftiges Nervenfieber überftand! Verhältnißmäßig 
beffer trafen es viele Offiziere, welche in die Gefangenfchaft nach 


27 


Sibirien gefchleppt wurden, und erft nad Jahren wieder zurüd- 
kehrten. Deßhalb hingen viele Familien immer an der Hofinung 
feft, daß auch fie ihre Dermißten wieder einmal ſehen würden. Ich 
babe Mütter gelannt, welche fi) mit diefem ſchwachen Schimmer 
bi3 zu ihrem Tode tröfteten. Nur mer jene unerhörte Kataſtrophe, 
wenn auch noch jung wie id), durchgelebt, kann ſich einen Begriff 
von dem gewaltigen Eindrude machen, den fie zurückließ. Die 
bald darauf folgenden, ebenfo außerordentlihen Ereignifje drängten 
jedod, das Andenken daran wieder mehr in ten Hintergrund. 

Zur Vervollitändigung der vorftehenden Skizzen muß id 
nod erwähnen, daß fi) außer der jungen Hofhaltung im Schloffe 
damals auc noch mehrere andere fürftliche Perfonen in Karlsruhe 
befanden. Den eigentlihen Mittelpunft des Hofes und der höheren 
Geſellſchaft aber bildete die allgemein verehrte Markgräfin Amalie, 
Wittwe des Erbprinzen Karl Ludwig. Sie bewohnte ein De: 
fheidenes, mit „Palais“ bezeichnetes Haus in der langen Straße. 
Diefe Räume und ihre einfache Einrichtung, mit denen ſich heut 
zu Tage kaum ein mittlerer Beamter begnügen würde, fahen viele 
Fahre Hindurd eine Reihe glänzender Feſte, bei denen ſich fait 
alle europäifchen Größen einfanden: es hatten dieſe fchlichten 
Zimmer hiftorifhe Bedeutung erhalten. 

Die Markgräfin Amalie war die dritte Tochter des Land⸗ 
grafen Ludwig IX. von Heffen-Darmitadt (Pirmafend) und jener 
geiftoollen BPfalzgräfin Karoline, der Freundin Friedrichs des 
Großen. Zwei ihrer Schweſtern, die eine in Heſſen-Homburg, 
die andere in Sadyjen- Weimar vermählt, feierten ihre goldene 
Hochzeit und jtarben beide im Jahr 1828. Eine dritte Schweiter 
war die Gemahlin Frietrih Wilhelms II. von Preußen, Stamm: 
mutter einer blühenden Nachkommenſchaft in dem bohenzollerifchen 
Königshaufe. Eine vierte Schwefter endlich ftarb fchon früh ala 
die erfte Gemahlin des Großfürſten Paul von Rußland. Nicht 
minder glänzend geflalteten ſich die Yamilienbeziehungen der hoben 


28 


Frau dur die Vermählungen ihrer, ihr an Geift, Törperlichen 
Borzügen, feiner Bildung und fürftlihem Anftande ähnlichen 
Töchter. Im Jahre 1801 zierten drei derjelben die Throne von 
Rußland, Schweden und Bayern; zwei andere Prinzeffinnen waren 
mit dem Großherzog Ludwig II. von Heffen und dem Herzog 
von Braunfchweig verbunden, welder letztere den Heldentod bei 
Waterloo fand. Mit Ausnahme der Kaiferin Elifabeth Hinter: 
Viegen alle diefe Schweftern mieder zahlreiche Nacdtommen. ‘Die 
Markgräfin Amalie war daher dur ihre anziehende Perjönlichkeit 
wie durch ihre verwandtfchaftlihen Berhältniffe gleich merfwürdig. 
Gar oft dachte ich mir, welche Fülle von Beobadytungen, meld’ 
reihen Stoff für die Gefchichte der Sitten und Höfe ihrer Zeit, 
der Briefwechfel der Markgräfin mit ihren Schweitern und Töchtern 
geboten haben möge! Großfürftin Paul am Hofe Katharina’ I., 
die Königin Friederike Louife an der Seite ihres jo vielfachen 
Eindrüden bingegebenen Gemahls in Berlin, dann die Herzogin 
Louife Augufte in Weimar, umgeben von der Elite der deutſchen 
Gelehrten und Dichterwelt während der Haffifchen Periode unferer 
vaterländiihen Literatur, endlich die vielfuchen Erlebniffe der fürft- 
lihen Töchter der erlauchten Frau! Als fie während eines Be 
fuches in Stodholm 1801 ihren Gemahl durch einen unglüdlichen 
Sturz aus dem Wagen verlor, Tieß fie ihm, dieſen fehmerzlichen 
Todesfall 30 Sabre Lang tief betrauernd, daß noch beftehende 
Manfoleum in Karlsruhe errichten und bewohnte fortan dieſe 
Stadt oder im Sommer das ihr zum MWittwenfite angewieſene 
Schloß in Brudfal, In Karlzruhe war ed, wo die vortreffliche 
Markgräfin, gleidy ihrer Schweiter in Weimar, dem fiegreichen 
Machthaber Frankreichs mit der vollen Würde einer deutjchen 
Fürftin entgegentrat. Hier ungaben fie durch ein Menjchenalter 
viele Kinder und Enkel mit liebevoller Aufmerkjamleit, eine unver: 
mählt gebliebene Prinzeffin, Amalie, mit treuer Anhänglichleit. 
Es ift jet ſchwer, zumal in einer Zeit, bei deren raſch und 


29 


unaufhaltſam zerftörendem Rade man fo leicht und ſchnell vergißt, 
fih eine richtige Vorfiellung von diefen fürftlichen Tamilienleben 
zu maden, in da3 jo vielfache, felbft welthiftoriihe Momente 
eingriffen. 

Damals wohnte mit ihrer Mutter die Königin Friederike 
von Schweden (biß fie das von meinem Vater erfaufte Haus 
auf dem Linfenheimer-Plate 1813 bezog). Die fchöne, geiftuolle, 
eines befferen Looſes würdige Frau war befanntlich ihrem könig⸗ 
lichen Gemahl, Guſtav IV., gefolgt, als ihn eine Palaftrevolution, 
ähnlich jenen, wie fie der St. Peteröburger Hof gefeben, doch ohne 
fo tragifchen Ausgang, von Stodholm vertrieben. In Karlsruhe 
lebte fie nun, aud bald von ihrem, einem unerllärharen Hange 
zu Ercentricitäten folgenden Gatten verlafien, ſtill, zurüdgezogen, 
nur der mütterlihen Pflege und forgfältigen Erziehung ihres 
einzigen Sohnes, Guſtav, und der drei noch jungen Prinzefjinnen- 
Züchter. 

Zwei Söhne des Großherzogs Karl Friedrih, die Mark: 
grafen Friedrih und Ludwig, bewohnten damals gleichfallg 
ihre Häufer an den beiden Enden des vorderen Zirkel. Mark—⸗ 
graf Friedrih war ein guter, leutfeliger alter Herr, der ſich wenig 
um Hof und Stadtgeichichten, noch meniger um Staatsgeichäfte 
befümmerte und in zufriedener, jedoch Finderlofer Ehe mit einer 
Prinzeffin von Naffau-Saarbrüden lebte. — Markgraf Ludwig, 
welcher fpäter Großherzog werden follte, war längere Zeit auf 
feinen Gütern am Bodenfee, Tehrte aber gegen 1812 wieder nad) 
Karlsruhe zurüd und lebte da, ſich mit felbft gewählten Gefolge 
umgebend, von den Außendingen ſcheinbar unberührt. 

Im f. g. Palais endlich, welches auf dem Nondelplag für 
die Reihsgräfin Louife von Hochberg und ihre Kinder 
erbaut worden war, lebte dieſe fürftliche MWittme bis zu ihrem 
Tode (1820). Ahr ältefter Sohn, Graf Leopold, war damals 
meiſt auf Univerfitäten oder Reifen abweſend, der zweite aber, 


80 


Graf Wilhelm, machte ſchon im zarteften Sünglingsalter dem von 
ihm ermählten Berufe Ehre, zeichnete fi 1809 in dem Teldzuge 
gegen Oeſterreich aus und bewies in der furdhtbaren ruffifchen 
Campagne, wo es Weniger auf perfönlihe Tapferkeit, als auf 
Gottvertrauen und Charakterftärle ankam, eine ungewöhnliche Aus- 
dauer und Geiftesgegenwart. Ein jüngerer Sohn, Marimilian, 
und Gräfin Amalie waren nody bei der Mutter. 

In folder Weife geftalteten fi die Hof: und anderen Be 
ziehungen der großherzoglichen Yamilie zu jener Zeit. 

Das Frühjahr 1813 machte der minifteriellen Thätigkeit 
meined Baterd ein Ende Wie er diefen Poften nur mit Wider: 
ftreben angetreten, verließ er ihm mit freude und übernahm, um 
dem Staate nicht durdy eine Penfion zur Laft zu fallen, die 
frühere Hofrichterftelle zu Freiburg. Schmerzlich fiel und der 
Abſchied von Karlsruhe im Rückblick auf fo viele frohe Stunden; 
auch meine Eltern trennten fi von mandyen ihnen theuer ge 
wordenen Verhältniffen ſchwer, und ala fie ſich bei der für jie fo 
wohlmwollenden Markgräftn Amalie beurlaubten, floffen Thränen 
von beiden Seiten. 

Wenige Tage vor unferem Wegzuge empfing ich allein und 
ohne befondere Feierlichfeit die erite heilige Kommunion durch den 
geiftlihen Rath Biechele. Diefer würdige Stadtpfarrer, auch durch 
theologiſche Schriften vortheilhaft bekannt, bereitete mich auf jene 
ernite Handlung vor, welche, wenn fie auch mit fpäter felten mehr 
gefühlten frommen, erhebenden Gedanken und Vorſätzen erfüllt, 
dennodh in empfänglihen Gemüthern Eindrüce zurüdläßt, welche 
durch das ganze Leben nachflingen. 


81 


Dritler Abfhnitt, 


(1813 — 1815.) 


Buhalt: Freiburg Shlachten und Kriebensverhandfungen während des 
Sommers. Völkerſchlacht von Leipzig. Rückzug ber Franzoſen. Durch⸗ 
marſch der alliirten Truppen. Aufenthalt der drei Monarchen In Freiburg. 
Kaifer Alexander in unſerem Haufe. Die Fürſten Metternich und 
Schwarzenberg. Ein Gedicht J. G. Jacobi's. Einquartierungen. 
Rheinübergang bei Baſel. Mein Vater Gouverneur. Kostrennng 
bes Fürſtenthums Pruntrutt von Franfreid. Einzug und Friedensſchluß 
in Paris. Auftritte und Ercejfe in Freiburg. Der ruffiihe Fürſt 
Mammoloff. Der Freiburger Frauenverein unb meine Mutter, Die 
deutſche Tracht. Rückkehr der Truppen Diener Congreß. Flucht von 
Elba. Neue Rüſtungen und Truppenmärſche. Erzherzog Johann. 
Häningen. Die badiſchen Truppen. Die Schlacht von Waterloo. 
St. Helena. CEindrũcke. Erinnerungen. 


Den Sommer 1813 brachten wir auf dem Lande bei Frei⸗ 
burg zu; täglich gab es da Beſuche aus der Stadt, und zwiſchen 
Furcht und Hoffnung getheilt, vernahmen wir mit abwechjelnden 
Gefühlen bald die unerwarteten Siege Napoleons, meldyer wie 
durch eine Zauberruthe ein neues, Träftiged Heer hervorgerufen, 
bald folgten wir mit geipannter Theilnahme den Yriedensverhand- 
lungen in Prag. — Urn diefe Zeit ſah Freiburg den aus feinem 
bedrohten Großherzogthum Frankfurt nah dem Bodenſee zurüd: 
fehrenden Fürften-Primas von Dalberg einziehen. Mit Glocken⸗ 
geläute empfangen, ertheilte der deutſche Erzbifchof im Münfter 
den Segen, wobei man zum Erſtaunen der ganzen guten Stadt 
auf dem Rüden feines violetten, feidenen Gewandes einen großen 





32 


Taiferlich franzöfifchen Adler in Gold geftict erblictte! — immer 
drobender zogen ſich die Kriegsgewitterwolken über den Ebenen 
Leipzigs zufammen. Die blutige Völlerfhlaht vom 15, bi8 
18. Oktober entjchied über die Fünftige politifhe Weltlage. — 
Wir zogen nun in die Stadt, und mit den Erinnerungen an 
eine ebenfo lebrreich ald angenehm verbrachte, durdy feinen Schmerz 
oder Unfall getrübte Jugendzeit ſollte fih nun jene Fülle von 
Erlebniflen verbinden, welche wie in einer magiſchen Laterne an 
unferen erftaunten Augen vorüberzogen. Seit 1809 von dem 
Kriegsgetümmel unberührt, fahen wir nun viele Qunderttaufende 
von Truppen aller Länder und Waffengattungen durch unfere 
Heine Baterftadt marjchiren. Man erlebte damals jo Außer: 
ordentliches, Ueberrafchendes, daß felbft jugendliche, nur alltäglichen 
Eindrüden zugewandte Gemüther darüber die Heinlihen Rückſichten 
des Tages vergaßen. Treilih wurde die gewohnte Lebensweiſe 
dadurch vielfach geitört, freilich litten die bisher fo regelmäßigen 
Lehrftunden und nie konnte das Wohnzimmer bei den in jeder 
Minute aufgerifienen Fenftern erwärmen. Sollte man aber wegen 
einer lateiniſchen Weberjegung aus Cäſar dieß lebendige Drama 
verfäumen? Ertönte daher die fehmetternde Fanfare eines Kavallerie: 
regimentd, oder Tieß fi die harmoniſche Regimentsmuſik der 
Defterreicher hören, erdröhnte der Boden unter dem Gewichte einer 
unabfehbaren Reihe von Kanonen, wie flogen da die Schulbücher 
in die Ede, wie freudig ſchlugen da unfere jungen Derzen den 
fiegreihen Truppen Leipzigs entgegen! Es war am 19. November, 
als die erften Freilhaaren, darunter auh Kofaden! unter Mens: 
dorf einrüdten. Man ftritt fi darum, diefe feltenen Säfte in 
das Quartier zu nehmen, ein Gefchmad, welcher fid) freilich bei 
den Bewohnern der Stadt nur allzubald verlor. Bon jener Zeit 
an zogen nun beinahe unausgeſetzt viele Wochen hindurch Truppen 
vorüber; zuerft eine ftarfe Abtheilung der E. k. Armee, Generale 
mit bekannten wohlklingenden Namen an der Spike, dann das 





33 


bayeriſche Korps unter Marſchall Wrede, badifche und andere 
deutſche Landestruppen, endlih die preußifchen und ruſſiſchen 
Garden. Mit großer Sehnſucht ſah man der angefündeten An- 
Tunft des Kaiſers Franz entgegen, über welchen wichtigen Moment 
ih eine beredtere Feder Iprechen laffe: — „Den 15. Dezember 
1813 rüdte Vormittags die ſchöne ungarilche Grenadiergarde ein, 
berrliche, kriegeriſch ausſehende Leute. Später traf die prachtvolle 
ungarifche Nobelgarde zu Pferde, fowie die Ehrengarde böhmifcher 
Edelleute ein. Ihnen folgten in langer Reihe andere Truppen, 
Hofgarde und Equipagen. Gegen 4 Uhr erfolgte der höchſt er- 
freulihe Einzug des Kaiferd franz I. von Oeſterreich. “Der 
Großherzog Ferdinand von Würzburg ımd unfer Durdhlauchtigfter 
Landesfürſt begleiteten Se. Taiferlihe Majeftät, als höchſt deren 
erhabene Alliirte. Die Kürze der Zeit und der Drang der Um 
fände erlaubten feine Anftalten zum feierlihen Empfange, und 
die ſtille Würde des jeden Prunk verichmähenden Monarchen, 
ſowie die Herzlichleit des Volles machten fie entbehrlih. Durch 
Beides erhielt das Feſt eine eigene Weihe, einen Charakter, der 
beffer gefühlt ala beichrieben werden Tann. Nichts von Triumph: 
pforten, Ehrenfäulen und Infchriften, welche Schmeichelei und 
Furcht ebenfo gut errichten mögen als Liebe, nichts künſtlich Vor⸗ 
bereiteted, mühlam Einftudirtes bei'm Empfange des menfchen: 
freundlichiten Fürften: nur freier Erguß des vollen Stromes der 
Liebe! Und wo hätte er reiner, mächtiger fließen können, als 
bier, wo nicht nur der allgemeine Jubel des durch Oefterreich 
befreiten Deutfchlands ertönt, fondern allenthalben in Stadt und 
Land die unverwiſchten Spuren, die lebenden Erinnerungen des 
väterlichen Segen? empfangener Wohlthaten blühen! So wie der 
gute Vater von liebenden Kindern, jo wurde Kaifer Franz von 
feinen ehemaligen Unterthanen empfangen. In den Xaufenden, 
die ihm entgegenftrömten, nur eine Empfindung, nur eine 
Seele. Unaufhörlihes Lebehoch! erfüllte die Lüfte “und übertönte 
Ich. v. Andlaw. Wen Tagebud. I. 3 


34 


der Glocke fefllichen Klang. Männer und Weiber, Kinder und 
Greiſe meinten, Unbekannte umarmten fi wie Freunde, Fremde 
wurden Brüder! — Bon dem Thore, wo die ftädtifchen Behörden 
den Monarchen empfingen, durch die lange Kaiferfiraße und weiter 
bis zu dem Regierungsgebäude, bei Staatsrath von Roggenbach, 
wo Se. k. k. apoft. Majeltät abfliegen, nur eine Maſſe jubelnder 
Menfhen, auf der Straße wogend und in den Zenftern zufammen- 
gedrängt... .. Der Kaifer zu Pferde grüßte mit Huld und 
ſichtbarer Rührung miederbolt die Menge und wurde in feiner 
Wohnung feierlid von den Behörden und meißgekleideten Mädchen 
begrüßt, welche Kränze, von Lorbeern und anderen bedeutungsvollen 
Blumen gewunden, überreichten. Das freiwillige Bürgercorps ließ 
feine Fahne wehen, die wit einer in denkwürdiger Zeit (1796) 
erhaltenen öfterreichifchen Ehrenmedaille geihmüdt war. Run 
ertönte aus reinen Keblen — vom Serzen Tommend und zum 
Herzen gehend — das erhebende Lied: „Gott erhalte unfern Kaiſer!“ 
Und als er auf dem Balcon erſchien, jauchzten ihm abermal3 und 
unaufpörlih die entzüdten Bürger zu. Bei den Aufwartungen 
wurde alle ängftlihe Geremoniel vergeffen, «3 fprach nur die 
Liebe. Mit Recht mochte Einer für Alle ſagen: „Nicht Worte, 
nur Gefühle, nur Thränen vermögen wir heute zu geben, und 
diefe Huldigung ift des väterlichen Herzens Euerer Majeftät nicht 
unwerth. Mag die Geſcichte Allerhöchſtdieſelbe nach ihren Thaten 
den Großen nennen, die Zeitgenoffen werden deu Namen deö 
VBielgeliebten in ihrem Herzen tragen!” Der erhabene Monarch, 
welder die Gelchide Europa’3 in feinen Händen wiegt, nahm die 
Huldigungen einer Kleinen Stadt mit Teutfeliger Güte auf und 
vertraute die Bewachung feiner geheiligten Berjon für diefen Tag 
ausschließlich dem Bürgercorps Freiburgs. ine allgemeine Be: 
leuchtung, ein Fackelzug der Univerfität beichloflen ein Feſt, deſſen 
Andenken immer in den Gemüthern fortleben wird.” — 

Ich babe diefen Bericht feinem vollen Inhalte nach wiedergegeben, 


35 





einmal wegen feined hiſtoriſchen Interefſes, dann auch, weil 
er die Stimmung des Tages bezeichnet; fretlich iſt ſie in den 
Jahren 1830, 1848 und 1860 eine andere geworden! Aber 
man verſetze ſich in jene Epoche zurück; noch waren nicht zwei 
Monate ſeit dem heiligen Augenblicke auf dem Schlachtfelde von 
Leipzig verfloffen; mit den Erinnerungen an die glückliche bſtet⸗ 
reichiſche Zeit verwiſchte fidh bei den Einwohnern Freiburgs die 
Begeifterımg für den nach fo vieler ſchweren Pruͤfungen ſiegreichen 
Kaifer! Damit man aber etwe sticht wähne, daß vorftehende Ergüſſe 
damals ũbertrieben oder erheuchelt waren, habe ich abſichtlich dieſe 
Beſchreibung der gewiß nicht der Gerdilitäͤt verdächtigen Feder 
Rotteck's entnommen. 

Em ungemein reges Leben zog nun In die Straßen Brei: 
burgs em. Außer den nie amsfebenden Truppenmaͤtſchen fahen 
wie nım noch dad Hauptquartier des Fürſten Schwarzenberg, 
im Gefolge von einer Menge von Generälen und Adjutanten, unter 
ihnen Gynlai, Wimpfen, Radetzky, Paar, Prokeſch u. a. m. it 
dem Fürſten Metternich trafen die, das Taiferliche Hoflager be 
glettenden Diplomaten em, darunter die Engländer Aberdeen und 
Catheart. Noch weiß ich wicht, tie fo viele Größen m den ba: 
mals noch wiel mehr als jetzt beichränften Ramnen der guten Stadt 
untergebracht merden Tonnten. Freilich war fle von der gewöhn⸗ 
lichen Einquatierung befreit. Fürſt Metternich, bewohnte mit feiner 
Kanzlei das altkagenek ſche Haus. Es Maren dieß diefelben Zin- 
mer, in welchen einft ſeine Mutter geboren wurde, baflelbe Haus, 
in dem Marie Antoinette vor dem unheilvollen Betreten des fran: 
zöfffchen Bodens die lezten froben Tage in Deutfchland (Mai 
1770) zubrachte! 

Immer lebhafter, immer anziehender wurde das tägliche Treiben. 
Ich laſſe auch hier wieder den bekannten Geſchichtſchreiber ſprechen: 

„Herrliche Tage — hei allem Drucke der Zeit — find den 
Bürgern Freiburgs geworden, Tage des Jubels und der behren 

8 * 





86 ° 


Feier! Schon eine Woche erfreuen wir uns des Glücks, Se. k.k. 
Majeſtät — die Liebe und Wonne der Völker — in unferen 
Mauern zu befigen. Den 22. Dezember, Nachmittags gegen 
4 Uhr, zog Se. Maj. der Raifer aller Reußen, der weitgebietende, 
ruhmgekrönte Monarch Alerander in diefelben ein. Sehnſuchtsvoll 
wandten die Blicke fich ihm entgegen! Er kömmt — fo tönte es 
von eines Jeden Munde — Er kümmt, der glorreiche Sieger, der 
dabei großmüthig und voll Güte ift, des Friedens und der Menſch⸗ 
heit Freund, Freund unfered Vaterlandes, Schwager unjered Für: 
ften! Se. Maj. der Kaifer Franz war ihrem erhabenen Alliirten 
mit einer glänzenden Suite bis in dad Dorf Zähringen entgegen 
geritten. Der Kaifer Alexander, nad der Bewilllommmung, flieg 
gleichfalls zu Pferde, und beide Monarchen, von dem Yreubenrufe 
und dem weithin tönenden Hurrah des dicht gedrängten Volles 
begleitet, ritten langfam, wiederholt freundlich grüßend, unter dem 
Geläute aller Gloden durd die Kaiferftraße bis zu dem Hauſe 
des Staatsminiſters Freiherrn von Andlaw, wofelbft das Abſteig⸗ 
quartier für den Czaren bereitet war. Der Magiftrat hatte am 
Stadtthore, die Behörden in der Wohnung Sr. k. rufflihen Ma: 
jeftät ihre Huldigungen dargebracht. Den ganzen Tag über war 
ein frobed Gewühl vor der Bebaufung bes Kaiſers, und Abends 
allgemeine Beleuchtung der Stadt.” So weit Rotted! 

Da gab ed nun zu fchauen, zu beobadten; bald war es eine 
Truppenrevue, der die hohen Monardyen beimohnten, bald waren 
es Diner, glänzende Paraden oder andere Teftlichleiten, welche 
ſich täglich folgten. Eines Tages zog der Hettman Platow mit 
feinem Kofadencorpg ein; eine ganze Mufterfarte von Truppen 
aller Nationen und Waffengattungen zog an uns vorüber. So 
fam allmälig das Ende des Jahres 1813 heran, und nie hatte 
Freiburg merkwürdigere Tage gejehen, und wird Ähnliche wohl 
nicht jobald wieder erleben. Dennoch waren alle dieſe erhebenden 
Scenen und raſch fi drängenden Emotionen nicht ganz ohne 





37 


bitteren Beigefhmad. Yu einer unerhörten Tiheuerung und der 
faum zu erſchwingenden Einguartierungslaft, zu diefem allgemeinen 
Nothſtande gefellten fich anftedende Krankheiten — darunter der 
Spitaltuphuß als die verheerendfte. — Auch die durchziehenden 
Truppen, fo mufterhaft im Ganzen ihre Haltung war, begingen 
doch hie und da arge Erceffe, und gerade während der Kaiſer 
Alerander unfer Haus bewohnte, und der Großfürſt Konftantin 
fein Hauptquartier in Umkirch aufgefchlagen hatte, plünderten und 
brandfchatten die ruffiihen Barden die nahegelegene Grundherr⸗ 
haft meines Vaters, Schloß und Dorf Hugftätten. Es kam 
darüber zwiſchen den beiden Taiferlihen Brüdern zu einer heftigen 
Scene, welde, da fie fi) am Tenfter zutrug, wir von dem gegen: 
über Tiegenden Haufe aus fehen fonnten, das ftet3 mit Neugierigen 
angefüllt war. 


Am Neuiahrötage 1814 gab der engliihe Gefandte den 
Monarchen einen glänzenden Feſtball auf dem Kaufhaufe. 

An demfelben Tage erfchien von dem alten, für alles Gute 
und Schöne jo empfängliden 3. ©. Jacobi ein Gedicht, das ich, 
weil es, jo viel ich meiß, wenig befannt, feiner vührenden Einfach: 
heit wegen, wenigitend in feinen gelungenfien Stellen, bier an: 
fügen will. Vier Tage nachher ftarh der edle Greis mit 76 Jahren. 


„Der Abenbfonne gleich, wenn fie bie Wetterwollke 
Zerfireut und dann vol Majeſtät 

Dem furchtbefreiten Schnitter untergeht, 

Ihr gleich entwich dem biebern, beutfchen Bolfe 
Das alte Torbeerreihe Jahr. 

Noch ſcheidend hob's im Siegestanze 

Zur Tilgung unſerer langen Schmach 

Empor die Ketten, die es brach, 

Und ſchlug mit tapferem Schwert und Lanze 
Den kühn geſchwungenen Adler, der zerſtückt, 
Nicht drohend mehr auf unſere Heere blickt! 


a. 08H 8 8 ou ® 


38 


Es ruft das neue Jahr zu Fünft’ger Siegesfeier, 
Zu neuen Kämpfen ruft es die Befreier! 

Hal ung! Durd Freiburg Thore zogen 

Die Cäſarn brüserlich verbünbet ein, 

Denn Ahnen foll der bald erfocht'ne Rhein 
Trophäen, Säulen, Ehrenbogen 

An feinen beiden Ufern weig'n! 

Kr Deutfhen auf! Der Deutſche barf, 

Wenn er bie lebten Legionen niederwarf, 

Laut feine Herrmannd Ruhm verkünden, 

Und heil'ges Eichenlaub um feine Schläfe winden! 
Auch fah ich fehon bie nie bezwungene Schaar 
Der Reußen ihren Blick mit Zuverficht erheben 
Zu jenem thatenreichen Gzar, 

Dem mehr als Kalferfron und Leben 

Der Länder neue Schöpfung war! 

Und Du, Du Boll der muthigen Brennen, 
Mit altem Stolze wirb’3 ben großen Friedrich nennen, 
Bei Habsburgs Name — doch was vermag ein Saitenfpiel, 
Das oft fchon meiner Hand entfiel, 

Wenn fie zu Liedern zitternd es befpannte, 

Weil fih im reife noch ber Patriot ermanntel 
Dem alten Sänger fei’8 genug, 

Wollt’, unter neuen Gieged - Ehren, 

Ahr, die ein zweite Vaterland 

Durch manches füße, fe gefnüpfte Band 

Mit mir vereinte, noch bie leiſe Stimme bören, 
Die zur fchüchternen, gebämpften Harfe fingt, 
Und meinen legten Gegen bringt! 


Den 4. Januar 1814, Nachmittags 2 Uhr, traf der preußifche 
König Friedrich Wilhelm IH. ein. Derfelbe Yubel, dieſelben 
Feierlichkeiten! Die beiden Kaiſer eilten dem Könige entgegen, und 
jo ſah Freiburg das fürftliche Kleeblatt der Tünftigen hl. Allianz 
in feiner Mitte! 

Der König von Preußen ftteg im Haufe meines Oheims, 


89 
des geheimen Raths, Freiherrn von Rind-Baldenftein ab und ver: 
weilte daſelbſt 8 Tage. 

Während ung folhe Äußere Vorfallenheiten beitändig in An: 
ſpruch nahmen, waren wir nicht weniger mit dem bunten Treiben 
beichäftigt,, da3 im eigenen Haufe vorging. Türften, Gefandte, 
®eneräle, unter den ruffiihen Barclay de Tolly, Platow, Tolſtol 
u. a. ließen die Treppen, die Vorzimmer nie leer werden. Kaiſer 
Aerander lebte fehr einfach, ſah, wenn er nicht bei Kaiſer Franz 
fpeifte, nur wenige Perfonen zu Tifche, und fehlief auf einem Feld: 
bette; ein Koſack Hatte vor der Thüre des k. Schlafgemachs fein 
Lager aufgefchlagen. An Sonn: und ruffifchen Feiertagen begab 
fih der Czar in die griechifche Kapelle, welche in dem gegenüber 
Negenden Haufe des Apothekers Schmidt eingerichtet war. Ein 
berrlicher Männergefang begleitete den Gottesdienft. Eines Tages 
warteten meine Mutter, meine jüngere, jährige Schweiter, mein 
Bruder und ih dem Kaiſer Alerander in feinem Kabinette auf. 
Er mar fehr freundlich, küßte meiner Mutter, fogar meiner Meinen 
Schweſter, die Hand, und und Knaben auf die Wangen. 

In der eriten Hälfte des Januar verließen die Monarchen 
Freiburg, mo Kaifer Franz 4 Wochen, Alerander 14, der König 
von Preußen 3 Tage zugebracht hatten. Man erfchöpfte fi in 
Muthmaßungen über diefen verhältnißmäßig langen Aufenthalt in 
einer ſo kleinen Stadt. Waren es wie in Frankfurt Friedens⸗ 
unterhandlungen, welche die Monarchen beſchäftigten? entwarf man 
Feldzugspläne und wollte die Truppen Tonzentriren? Genug! Die 
Allirten zogen am ruffiihen Neujahrstag — den 18. Januar an 
drei verfchiedenen Punkten über den Rhein. Von Seiten der 
Monarchen erfolgte diefer Uebergang in Baſel. Nun trat wieder 
einige Ruhe ein, es marſchirten zmar Immer noch viele Truppen; 
eine Stadtrommandantſchaft, ein Depot für Vetwundete, Kranke 
und etwaige Gefangene wurde errichtet, Nachhut einquarttert. 
Eouriere von allen Selten ellten durch die Stadt, auch befannte 


40 


und höhere Perfönlichkeiten — unter ihnen Graf Artois und die 
noch fehr jungen Großfürften Nikolaus und Michael — fahen mir 
durchreiſen. 

Bald nachdem und Kaiſer Alerander verlaſſen, bekamen mir 
den Feldmarſchall⸗Lieutenant, Grafen Civalart, in's Quartier. Er 
war als öſterreichiſcher Commiſſaär für die Auswechſelung der Ge⸗ 
fangenen beſtimmt, und dieſe Anſtellung, welche ihn von der Ar- 
mee entfernte, verſetzte ihn nicht in die beſte Laune. Dennoch 
war uns Civalart, ungeachtet einiger hageſtolzen Eigenheiten, ſehr 
angenehm; er gehörte bald wie zu unſerer Familie, gab Bälle, 
machte Fleine Reifen mit und u. dgl. und befreite ung überdieß 
durch fein viermonatliches DVerbleiben von einem öfteren läftigen, 
Einquartierungswechſel. Der General feierte in unferem Haufe 
(Mai 1814) feinen 48. Geburtstag, ift demnach, da er beute noch 
lebt, mit 95 Jahren wohl der ältefte Soldat in der k. k. Armee. 

Während diefer Zeit folgten wir mit gefpannter Aufmerkſam⸗ 
feit den Bewegungen der allürten Truppen in Frankreich, den 
vielen Schladhtberichten und Friedensunterhandlungen. Wie er: 
wachte da auch in mir der Drang mit den fi dahin wälzenden 
Colonnen in die Ferne zu ziehen, wie bemeidete ich meine Vettern 
und andere, welche kaum einige Jahre mehr zählten, ala ih, um 
das Glück, ſich in patriotifch-jugendlicher Begeifterung an jenen 
Kämpfen und Siegen betheiligen zu können! — Wie ein Löwe in 
feiner Höhle, mit Anftrengung der lebten Kräfte, mit dem ganzen 
Gewichte feine Alle überragenden Feldherrn-Genie's vertheidigte 
fi) Napoleon auf franzöfifchem Boden. Größer, als je in der 
Schlacht, aber unglüdlich, verblendet und eigenfinnig bei den diplo- 
matifchen Berhandlungen ſuchte er immer mit der Spike de 
Schwertes zu erhalten, was ihm die Feder zu entziehen drobte. 

Als aber die Nachricht von dem Einzug der verbündeten 
Armeen in Paris erfholl, als die Monarchen Napoleons Beſuche 
zu Wien, Berlin und Moskau in der Hauptſtadt Frankreichs felbft 





41 





zurüdgegeben, da war Anfangs April des Jubels Tein Ende, und 
man ſah einer froben, zufunftsreichen Zeit entgegen. In der That 
war es kaum möglich fich jo hinreißenden Eindrüden zu entziehen. 
Greiſe und Zünglinge, gleihgültige oder fonft der Politit fremde 
Männer wie Frauen waren lebhaft von den überrafchenden Tags⸗ 
begebenheiten ergriffen! War ja doch in gar kurzer Zeit fo ganz 
Unglaubliches gefcheben! Die been, welche in ftiller Begeifterung 
und zäher Ausdauer den Umfturz der Fremdherrſchaft vorbereitet, 
den Sinn für Deutfchlands Freiheit und Unabhängigkeit erweckt, 
waren nun plößlich zu fiegreihen Thaten geworden, und ala mit 
dem Erfolge — immer ein Zauberwort — Zuſtände wiederfehrten, 
die man ſich Furz vorher kaum ala möglich geträumt hätte, ftellten 
fih auch bei den Verzagteſten Muth und Hoffnung wieder ein. 
Doch auch gar viele politiiche Belehrungen fanden unbegreiflich 
ſchnell ftatt; wer vor Monaten noch Napoleon und feinen Satrapen 
zu Füßen gelegen, fluchte nun ihrem Treiben am lauteften; wer 
in Wort und That die Macht, den Rubm und die Herrlichfeit 
franzöfiiher Waffen und Staatäweisheit nicht genug preifen Tonnte, 
fiel jebt um fo eifriger mit Schmähfchriften und widerlichen Kari⸗ 
faturen über den geftürzten Kolofien ber. Frankreich und das 
füdliche Deutfchland waren aber zu ſolchen ‘Demonftrationen am 
wenigften befugt; fie hatten fich wie Italien, fo lange Napoleons 
Stüdftern Teuchtete, unter das eiferne Joch gebeugt, ſelbſt Vortheile 
aus jener Uebermacht erlangt. Oeſterreich, Rußland, Preußen mit 
einem Theile Norddeutichlands dagegen hatten ihr Mißgeſchick in 
flummer Refignation, obne dem Steger zu ſchmeicheln, ertragen, 
England endlich mit Aufopferung aller feiner Kräfte die Allein: 
herrſchaft des Corſen bekämpft. Der Jubel über deflen Fall war 
daher von Seiten diefer Staaten ein völlig berechtigter. 


Mein Vater mar mährend diefer ganzen welthiftorifchen Zeit 
nicht in unferer Mitte. Er hatte ſich im Gefolge des äfterreichifchen 








42 





Hauptquartierd mit dem Yürften Metternich nad) Frankreich begeben, 
und war von dieſem als Generalgoubernenr mehrerer von der 
Taiferlihen Armee eroberter Gebietätheile in Veſoul zurücgelafien 
worden. Diefe umfaßten die Departement3 der oberen Saonne, 
de3 Jura und des Doubs. Es verwaltete num mein Vater biefe 
Provinzen als Civilcommiſſär (au nom des hautes puimances 
allies, wie die Formel lautete) bis nach dem eriten Pariſer Yrieden, 
und diefer kurze Zeitraum wurde dur drei Epiloden ganz eiguer 
Art bezeichnet. — Die Eine derfelben beitand in der, meinem 
Bater nicht ganz willlonnmenen plößlichen Ericheinung des Grafen 
von Artois — fpäter als Karl X. abermald vertrieben — in 
Veſoul. Er war über Deutfchland und Bafel ganz unerwartet 
nad Frankreich gekommen, mo damals von einer Wiedereinſetzung 
der Bourbonen auf den Thron noch durchaus feine Rede war. 
Die Verhandlungen von Chatillon ließen vielmehr vermuthen, daß 
Napoleon, von allen Seiten gıdrängt, auf die ihm dort geftellten 
Bedingungen eingeben und fi halten werde. Die Reife des 
franzöſiſchen Bringen mit feinen Sonde und Eoblenzer Erinnerungen 
war daher mindeftens eine verfrübte, und fo wenig Sumpathien 
auch für die beinahe vergeffene Königsfamilie im Volke Leben 
mochten, jo Tonnte doch ein Verſuch, fie zur Unzeit zu werden, 
große Berlegenbeiten bereiten. Der Tünftige König verſchwand 
jedoch wieder unbemerkt mie er gekommen. 

Ein zweiter Zwiſchenakt war von einer mehr bedenflichen 
Natur. Belanntlih hatte ed Napoleon während den Frieden 
befprechungen verfucht, denfelben durch eine raſche Diverfion eine 
ihm günftigere Wendung zu geben, fih dem Rheine und den 
öftlichen Feſtungen zu nähern. Vefoul war durch dieß unerivartete 
Manöver ganz befonders bedroht und von dem wahrſcheinlich über: 
triebenen Gerüchte des Herannahens Napoleons erichredt, fand 
mein Vater es gerathen, mit feinem durch feine wilitäriiche 
Bedeckung hinlänglich geſchützten Gouvernement nach Mömpelgard 


43 





zu überfiedeln. Doch ſchon nad einigen Tagen Tehrte er wieder 
surüd. Es beweift aber auch dieſer an fich unerhebliche Umſtand, 
weiten man ſich damals noch von dem verwendeten Adler verfah! 

Endlich die dritte und merkwürdigſte diefer Epiſoden hatte 
für Die politiiche Welt wie für meinen Vater wichtigere Folgen. 
Als nämlich Yürft Metternich von Paris zurüdtehrte und das 
Sonvernement in Veſoul auflöfte, follten die biöher beſetzt gehaltenen 
Landestheile der neuen Dynaftie übergeben werden. Rückfichtlich 
der Freigrafſchaft Hochburgund (Franche-Comt6) und der Herrſchaft 
Montbeillard beftanden feine Zweifel, wegen des ehemaligen Fürſt⸗ 
biathums Baſel (Porentruy) aber ftellte mein Bater an den 
Staatskanzler die Trage: ob diefes frühere deutſche Reichsland 
ebenfall3 in der Uebergabe an Frankreich einbegriffen ſei? Im 
Auftrag des Fürften fchlug nun Hofrath von Floret die betreffenden 
Paragrapben des Barifer Friedensſchluſſes nach, und da fand es 
ſich, daß das fogenannte Fürſtenthum Pruntrut, melches feit 1792 
franzöſiſch, in jener Urkunde nicht ausdrüdlih erwähnt war. Der 
Fürſt ermächtigte daher meinen Vater, jened Juragebiet als herrn⸗ 
loſes, Ddiöponibled Land vorläufig im Namen der verbündeten 
Mächte zu verwalten und weiterer Befehle gemärtig zu fein. 
Mein Vater begab fi nun in Begleitung des öſterreichiſchen 
Generalmajors Hirſch unverzüglich nad Pruntrut, und traf gerade 
mit feinem proviforiicden Gouvernementsperſonale in jener Stabt 
ein, ald eine Compagnie franzöfifcher Truppen durch da3 entgegen: 
geſetzte Thor einzog, um Stadt und Land wieder zu behaupten. 
Nur den ernften und felbft wegen des Gewicht? der Berantwort- 
Tichkeit drobenden Vorftellungen meine? Vater gelang es, den 
franzöfifchen Commandanten zu bewegen ſich zurüdzuziehen. That 
ſächlicher Widerftand wäre von beiden Seiten bier fait unmöglich 
geivefen. 

Diefe anfänglich nur als vorübergehend bezeichnete Verwaltung 
des kleinen Landes dauerte aber beinahe 3 Jahre. Der Wiener 








44 


Congreß erkannte den größten Theil des vormals bifchöflichen 
Gebiet dem Kanton. Bern als Entfhädigung zu. Es war dieß 
die franzöſiſch fprechende Bevölkerung von Pruntrut, Delsberg, 
Biel, der Vallde de moutiers (das felſenreiche Münſterthal mit 
dem römifchen pierre pertuis), während die deutichen Bezirke 
Lieſtal, Birfet u. a. dem Kanton Bafel einverleibt wurden (dieſe 
Theile riffen fich befanntlih 1833 von der Stadt los, und bilden 
nun den Halbkanton Bafel-Landihafl. Mein Bater wurde mit 
mehreren Orden und mit Verleihung der Ehrenbürgerrechte der 
Kantone Bern und Bafel ausgezeihnet. Er ſelbſt aber Tehrte 
nad Beendigung feiner nicht immer angenehmen Yunktionen mit 
dem frohen Bemwußtfein nach Freiburg zurüd, ein früheres Reichs⸗ 
land, feine Wiege, wenn auch nicht dem deutichen Vaterlande 
wiedergegeben, doch Frankreich entriffen zu haben.) Dort nahm 
er nun wieder feine frühere Stellung ald Hofricäter ein, wo er 
fih nur feinen Berufapflichten, wie der Verwaltung feiner ausge⸗ 
dehnten Güter widmete, und nad einem fo ftürmifchen Leben bis 
1830 eine ruhige, zufriedene Zeit zubrachte. 

Die jubelnde Begeifterung, mit welcher man den Einzug der 
verbündeten Heere zu Paris in Deutichland begrüßte, wirkte auch 
auf Freiburg zurück. Es wurden in den Kirchen Tedeums gefungen 
und ein feierliche Hochamt für die Befreiung des Papftes Pius VII. 
aus der Gefangenfchaft von Fontainebleau gehalten. Damit fanden 


*) Der hierauf bezügliche Theil des Artitels 76 ber Wiener Congreß⸗ 
afte lautet: 

„L’eveche de Bäle, et la ville et le territoire de Bienne, seront 
reunis & la confederation helvetique, et feront partie du Canton de 
Berne. Sont exceptes cependant de cette derniere disposition les 
districts suivants: 

I. Un district d’environ trois lieues carrees d’etendue, renfermant 
les communes d’Altschweiler, Schönbuch, Oberweiler, Terweiler, 
Ettingen, Fürstenstein, Plotten, Pfeffingen, Aesch, Bruck, Reinach, 
Arlesheim, lequel district sera r&uni au Canton de Bäle“ u. f. w. 


45 


dann Stadtbeleuhhtungen, Paraden, Dinerd mit Toaften, Feſt⸗ 
theater in Verbindnng, und dazwiſchen ertönte wieder nach langer 
Zeit der Donner friedliher Kanonen. Auch die Truppen: 
märſche nahmen noch immer Fein Ende. Regimenter aller Waffen: 
gattungen Tehrten ald Sieger bejubelnd zurüd, andere zogen nad) 
verfchiedenen Richtungen bin und ber. Bald waren e3 öfterreichifche, 
bald ruffiihe Generale und Oberoffiziere, welche wir beherbergen 
mußten. Unter diefen kriegeriſchen Gäſten erinnere ich mich noch 
des berühmten Feldzeugmeiſters H. Colloredo. Da gab es nun 
wieder Mancherlei zu fchauen, zu beobachten, und faft täglich 
ergögten wir uns an den trefflihen Mufitproduktionen, melde die 
Oeſterreicher vor unjerem Haufe oder vor irgend einem anderen, 
das ein General bewohnte, gewöhnlich Abends aufführten. 
Auch fehlte es nicht an Nachzüglern, Abenteurern, und jenem 
Troffe, welcher fid, jeder großen Armee anbängt und nicht gerade 
zu den Annehmlichleiten des Kriegs gehört. Unter anderen flieg 
eines Tages ein ruſſiſcher General, von einer Schwadron Uhlanen 
begleitet, im Zähringer Hofe ab. Er gab fich für einen Adjutanten 
des Kaiſers Alerander aus, und nannte fih Fürſt Mamuloff, fo 
viel ih mid; erinnere. Verwundete Soldaten waren während 
eines Gewitterregens nicht gleich untergebradjt worden, daher der 
erfte Anlaß zu Ausbrüchen feines Zornes, wobei der angebliche 
ruffifche Fürft die Stadt anzünden zu laffen drohte. Einige Tage 
nachher Fam es in dem Wirthszimmer zu einem blutigen Streite, 
weil fih Mamuloff im Gaſthofe nad) 9 Uhr jeden Lärm der 
Gäſte verbeten hatte. Die öfterreichifchen und bayerifchen Offiziere 
wollten auf die unverfhämte Aufforderung, zu jener Stunde meg- 
zugeben, nicht weichen, da ftürzten die. Ruffen mit blanken Waffen 
über fie her und tödteten den Lieutenant Kors von einem bayerifchen 
Ehevenurlegerd: Regiment. Diefe Greuelthat brachte die ganze 
Stadt in Aufruhr. Mamuloff verfchanzte fih, doch die Bürger 
wollten die Wohnung erjlürmen und widerfebten ſich feiner Flucht. 


46 . 


Der öſterreichiſche Stadteommandant Stahl, alt und ſchwach, gebot 
über Leine binreihende Macht, den beraufziehenden Sturm zu 
beichwören. Vergebens unterhandelte man; die Aufregung wurde 
immer größer, man läutete Sturm, fchloß Thüren und Läden, 
und ala Bürger einige Kofaden, die fi fredy benommen hatten, 
durschprügelten, ſchworen die Ruffen Rache zu nehme. Alles 
ihrie nad Waffen, es kam zum Straßenlampfe — da verdanfte 
man der befonnenen Haltung des preußiſchen Commandanten, Grafen 
Luſi (ipäter Geſandter in Griechenland), endlich Ruhe, und weiteres 
Blutvergießen wurde verbindet. Dem Mamuloff wurde freier 
Abzug bervilligt. Als er fich jedoch nachher auf dem Balcon zeigte, 
jebte ihu die drobende Haltung der ver dem Haufe verfammelten 
erhitzten Bürger jo ſehr in Schrecken, daß er krank wurde, fid, zwr 
Ader ließ und dann in einen Mantel gehällt, in einem verfchlefienen 
Wagen Hingeftreft, von veitender Bürgerwehr und Kofaden um⸗ 
geben, Abend? zur Stadt hinaus fuhr. In Emmendingen, wo 
er die Nacht zubringen wollte, wurde ihm der Eingang verweigert. 
Mehrere Tage blieb jedoh Treiburg in Angſt, daß die Ruffen 
zurüdtehren und die oft angedrohte Anzündung der Stadt an allen 
vier Eden wirklich ausführen würden. Mehrere Nächte hindurch 
durchſtreiften Patrouillen die Straßen, und ein zufällig ausge: 
fommenes Teuer brachte alles in Bermegung. Der Enthuſtasmus 
bei dem Erſcheinen der eriten Kofaden hatte ſich nach ſechs 
Monaten bei dem Abzuge diefer lebten bedeutend abgekühlt. 
Der aus Baſel berbeigeeilte ruffiihe Geweral Oertel unterfuchte 
die ganze Sache; das Ergebniß der Verhöre wurde jedoch je 
wenig bekannt, al3 die genaueren Berfonulien jenes muthmaßlichen 
Abenteurerd. Der unglüdlihe Kors aber, Sohn de Münchner 
Hoftunzmeiiters, wurde den 12. Mai unter allgemeiner Theilnahme 
feierlich begraben. Erſt einige Tage zuvor Hatte ihm feine Mutter, 
erfreut über defjen glückliche Rücklehr aus dem Feldzuge, viel Geld 
gefchicht und ihn der Aufficht feines Better und Rittmeifterd Gruber 


41 


empfohlen. Anch diefer war bei dem Wirthähausfampfe am 
Kopfe verimundet worden. 

Wie viele folder wicht näher bekannt gemwordener Dramen 
mögen fid, wohl während diefer langen Teldzüge abgejpielt haben! 


Lange Halten die Eindrüde fo großer, außerordentliche 
Begebenheiten in ‘Deutichland nad; es war für Alle, welche fie 
erlebten, eine fchöne, erhebende Epoche, und am 18. Oktober — 
dem Jahrestag der Leipziger Schlacht — flammten Freudenfewer 
auf den Oebirgshöhen aller deutſchen Gasen. Auch in Freiburg 
gab fich dieſe Stimmung nad) verfchiedenen Richtungen fund. Man 
überbot fid, in Ausbrüden patriotiſcher Gefinnungen, und lief dabei 
auch mandye Liebertreibung und Auafchreitung unter, fo ſtanden 
diefe Ergüffe in einem zu erfreulichen Gontrafte zu ber früheren 
Stumpfheit der Gemüther, um fie nicht lebhaft zu begrüßen. So 
hatten fi die Damen verabredet, ſich aller franzöfiichen Moden 
enthalten, nur deutjche Stoffe tragen zu wollen, ja ſogar eine 
deutfche Tracht, welche für Ehefrauen ſchwarz, für Mädchen weiß 
fein follte, wurde angenommen. Ebenſo verfudyten junge Männer 
fid, einförmig ſchwarz mit einigen deutichen Abzeichen zu Fleiden. 
Solche Vorhaben, jo gut fie auch immer gemeint find, können nie 
nachhaltig durchgeführt werben. Der dadurch auferlegte Zwang 
erſchien bald läftig, und man beichloß daher den weiblichen Mit: 
gliedern des Vereins zu überlaffen, die vorgefchriebene Tracht bei: 
zubehalten oder nicht, vorausgeieht, Daß die Xoilettegegenftände 
nicht jenfeit8 des Rheined angelauft würden. Die Blüthe patrio: 
tifcher Begeifterung hatte aber bald andere, fchönere Früchte 
getrieben. Der urſprüngliche Wohlthätigfeitöverein zur Unter: 
ftügung der während der Feldzüge verarmten Familien, oder zur 
Dilege verwundeter Krieger, verwandelte fih nun in eine fefte, 
fortdauernde Verbindung von Frauen für edle Zwecke. Ueberbot 


48 


man fi früher in löblihem Eifer, in thätiger Hülfe, in Dar- 
bringung von Liebesgaben, die berben Leiden der Zeit möglichft 
zu mildern, fo wurde nun ein förmlidher Verein gegründet, in 
welchem die weibliche Einwohnerſchaft Freiburgs einen ungemein 
regen Sinn für Ausübung jeder Art barmherziger Werke ent: 
widelte. An Berbindung mit Karlsruhe und anderen Städten 
des Landes war der Verein doppelt thätig, ald dad Jahr 1817 
(in peinlihem Wortipiele mit Recht das der — disette genannt) 
jene Noth, jenen Hungertyphus bejonderd in den Bebirgögegenden 
brachte, welche alle Kräfte zur Abwehr fo furdtbaren Elends 
erforderten. In der Nefidenz war es die menfchenfreundblihe Mark: 
gräfin Friedrich, bei und meine gute, vortrefflihe Mutter, weldye 
an die Spike diefer Segen bringenden Anftalten traten. Yünf- 
zehn Jahre lang bis zu ihrem leider allzufrühen Tode verwaltete 
fie dieß Amt mit Umſicht, Opferfreudigleit und dem günftigiten 
Erfolge. Jahre zuvor hatte fie ſchon ihre Vaterſtadt mit frommen 
und wohlthätigen Stiftungen, an denen Freiburg überreich ift, bedacht, 
und erwarb fi fo nach allen Seiten Dank und Gotteslohn! 


Der Winter 1814 bis 1815 verging für uns fill in Freiburg; 
wir waren wieder zu gewohnten Beihäftigungen und Studien, 
zu unjerer früheren Lebensweiſe zurüdgelehrt; ernfte Lehrftunden 
wechfelten mit litterarifchen Genüffen, Spaziergäingen, Abendunter: 
haltungen. Unter den lesteren nahmen die Haus: und Liebhaber: 
theater eine hervorragende Stelle ein, und dadurch entitand wahr: 
ſcheinlich meine ftet3 entſchiedene Vorliebe für dramatifche Vor: 
ſtellungen. Es tragen folche Uebungen gar fehr zur Ausbildung, 
zu einem ungezwungenen Auftreten bei, doch geht auch viele Zeit 
dabei verloren, und die Proben, welche Manche für das Angenehmfte 
an der Sache halten, erfchienen mir immer ermüdend und lang- 
weilig. Da ih in dad Schuljahr getreten war, welches man das 
„der Poefie” nennt, fo verjuchte ih mich auch in Verien. Außer 


49 


einigen Meinen Gedichten und metrifchen Ueberjeßungen, auf die ich 
mir damal3 nicht wenig einbildete, fchrieb ich auch Theaterſtücke, 
fogar ein größeres Schaufpiel, zu dem mich die Sage der „Weiber 
von Weinsberg‘ begeiftert hatte. Eines diefer kindiſchen Produkte 
erhielt jogar die Ehre der Aufführung, verfteht fi) nur im engeren 
Familienkreiſe. 

So verflog uns die Zeit raſch, nur vorübergehend durch den 
Ausbruch der Fleckenkrankheit getrübt, welche uns damals, ſowie 
eine Menge anderer jungen Leute ergriffen hatte. Da wurden 
wir eines Tages (10. März 1815) plötzlich durch die Nachricht 
erſchreckt, daß Napoleon die Inſel Elba verlaffen und den fran- 
zöfifchen Boden betreten habe. Den 20. erfolgte ſchon fein Einzug 
in Paris. Es war mir damals unerflärlih und wurde mir 
fpäter mit jedem fahre unbegreiflicher, weßhalb man dem ent- 
thronten Kaiſer gerade jene Anfel zum Aufenthaltöorte angemwiefen. 
Elba, zwiſchen den franzöfifchen und italienifhen Küften gelegen, 
bot dem Gefangenen die größte Leichtigkeit, Verbindungen mit 
feinem Anhange zu erhalten, und jederzeit einen Fluchtverſuch an- 
zuſtellen. Wollten die Mächte ihm etwa in gegebenen Fällen die 
Rückkehr erleichtern? Dennoch Tag, wie es ſchien, den in Wien 
verfammelten Monarchen diefe Abfiht fern; in feltener Ueberein⸗ 
fiimmung betrieben fie alfobald die neuen Kriegärüftungen, melden 
die Völker mit gleicher Begeifterung und Opferwilligkeit entgegen 
famen. Hatte die Rückkehr von Elba auf die Eongreßverhandlungen 
wie eine plößlih platzende Bombe gewirkt, jo Tehrten auch gleich 
Fürften und Generale, die Wiener Fefte fliehend, und den Diplo- 
maten am grünen Tifche die Löſung der fo vermorrenen Streit: 
fragen überlaffend, zu den Waffen, zu dem leider fo unvorfidhtig 
heraufbeſchworenen neuen Kampfe zurüd. In unglaublicher Schnellig- 
keit fammelten fich wieder die zerftreuten Geere. In Baden z. B. 
waren in einer Woche Truppen und Landwehr einberufen, und 
über 25000 Mann auf den Kriegsfuß geſetzt. . Viele Freiwillige 

Sch. v. Andlaw. Mein Tagebuch. I, 4 


50 





fhloffen fich wiederholt an. Auch in Treiburg begannen auf's 
Neue die Truppendurchzüge, zuerft daB badiſche Armeecorpd. Die 
Grafen Wilhelm und Marimilian von Hochberg, die Generale 
v. Stockhorn und v. Schäfer wohnten nad) der Reihe in unſerem 
Haufe. Anfänglich zum Marſche in das innere Frankreich beſtimmt, 
wurde jenes Corps ſpäter abermals zur Belagerung Straßburgs 
beordert, wobei ſich die Grafen Wilhelm und Max von Hochberg, 
ſowie viele Offiziere bei den häufigen Ausfällen der Garniſon 
durch Tapferkeit und Geiſtesgegenwart auszeichneten. Dieſen ein⸗ 
heimiſchen Truppen folgte dann wieder ein Theil der dſterreichiſchen 
Armee, eine Diviſion verdrängte die andere. Den 25. Juni ſtieg 
Erzherzog Johann bei uns ab, und begab fidh dann mit feinem 
Generalftabe nad Baſel. Er follte von da aus die Belagerung 
der Feſtung Hüningen leiten, welche ſich aucd nad) bereits 
geichloffenem Frieden hielt. Den 21. und 22. Auguft über dauerte 
dad Bombardement, viele Freiburger wohnten dem impofanten 
Scaufpiele bei. Am 28. übergab, nach ehrenvoller Kapitulation, 
der Commandant Barbenegre dem Erzherzog die Schlüffel. Große 
Feſte folgten dem Falle diefer, Baſel ſtets gefährlichen Feſtung, 
welche befanntlich fpäter geichleift wurde. 

Mit der zweiten Abdanfung Napoleond und dem ziveiten 
Pariſer Frieden fchloß ein denkwürdiger Abfchnitt der Geſchichte. 
Nach zwanzigjährigen verheerenden Kriegen war endlich die längſt 
erfehnte Ruhe, Erholung nach fo fortgefeßten Opfern und An: 
ftrengungen eingetreten; ungehindert Tonnte man ſich diefer reinen, 
durch feinen Rückhalt getrübten Freude überlafieen! Man hatte 
ja nur für den eignen Herd, für das Wohl, die Freiheit eines 
theuren Baterlandes, hatte gegen den Ehrgeiz, die Tyrannei, den 
Drud eines Einzigen gefämpft; es mar nit ein Wüthen im 
eigenen Fleiſche, Fein Bürgerkrieg, in dem die errungenen Vortheile 
oft ebenjo ſchmerzlich berühren als die Niederlagen, ſelbſt gegen 
die Franzoſen als ſolche ftritt man nicht! 


51 


Nun entftand aber auch eine neue Ordnung der Dinge; es 
galt das geftörte Gleichgewicht wieder zu finden, und als mit dem 
lebten Kanonenſchuße bei Waterloo der eigentliche Zweck des Riefen- 
kampfes erfüllt war, begann da3 noch ungleich mühjamere Werk, 
den völferrechtlichen und politiichen Zuftand ber europätfchen Staaten 
auf dauerhaften Grundlagen berzuftellen. Ob, oder in mie weit 
dieß den tonangebenten Mächten gelungen, die zuerft, acht an der 
Zahl, die Wiener Congreßakte unterfchrieben, fpäter ſich zu einer 
Pentarchie berangebildet hatten, werde ich im Laufe diefer Blätter 
noch öfters zu unterjuchen Gelegenheit haben. 

Am Oftober 1815 ſah ich endlich noch den feierlichen Einzug 
der Raifer Yranz und Alerauder auf ihrer Rüdkehr in Baſel. 
Der Kronprinz von Württemberg, die Erzherzoge Ludwig. und 
Johann, Feldmarſchall Schwarzenberg, und eine Menge anderer 
dſterreichiſcher und ruffifcher Generale belebten damald unter nie 
aufhörenden Truppenmärichen die engen Straßen der Schweizer⸗ 
ftadt, welche wie feine ihrer Schweftern Zeugin ftet? unvergeßlicher 
Tage war! 


4* 


52 


Derter Abſchnitt. 


—— — —⸗ 


(1815 — 1824.) 


Inhalt: Lehr: und Wanberjahre Univerſitätsleben in Frei: 
burg. Skizzen von Profefforen. Prüfungen. Meine Mitfhüler. Die 
Draifine. Frau dv. Krübener. Univerfität Landshut. Leben und Treiben 
allda. Sailer, Mittermayer u. a. Profefforen. Studien, Reibungen, Duelle, 
Landmannſchaften. Betrachtungen über das Stubentenleben. Donaureife 
nah Bien. Kleine Ausflüge nad Regensburg und Münden (König 
Mar). Univerfität Heibelberg. Profeſſoren. Glänzende Frequenz. 
Corps und Burſchenſchaft. Exceſſe. Gejellige® Leben in Mannheim und 
Heidelberg. Die Umgebungen. Kleine Reifen. Hinrihtung Karl Sand's. 
Demagogiſche Umtriehe. Schluß der alabemifhen Stubien. Rückkehr nad 
Freiburg. Staatsprüfung. Zeit des Praktizirend. Meifen: Ausflüge 
an den Rhein, in die Schweiz u. f. w. Größere Reife nah Italien. 
Skizze im Vogelfluge. Mailand. Florenz (die Theaterloge). Rom 
(Aubienz bei Pius VII. Eonfalvi), Neapel (der König Ferdinand). 
Venedig. Drei Reifeabenteuer. Baris. Lubwig XVIII. Sein Hof. 
Die Kammern. Sehenswürdigkeiten. Umgebungen. London. Einbrüde. 
Parlamentsſchluß burh Georg IV. Feſte und Bälle Merkwürbige Ber: 
ſönlichkeiten. Windfor. Oxford. Inſel Wight. Seeſturm. Rückkehr. 
Abſchied vom väterlichen Hauſe. 


Is jo vielen überrafhenden Erlebniffen, melde in ihrer 
bunten Mannigfaltigfeit wie Traumbilder an unferem Gedächtniß 
vorüberzogen, mußte die Profa des Alltaglebend um jo einförmiger 
erfcheinen. Gar Manches wurde nun an den verfäumten Studien 
nachgeholt, und die freien Stunden mit den gewohnten, immer 
auch den Geiſt beichäftigenden Unterhaltungen zugebracdht, dazwi⸗ 
fhen Spaziergänge in der berrlihen, an entzüdenden Ausflügen 
jo reihen ©ebirgägegend. Aber aud) für mich bildete jene Epoche 


53 


einen Lebensabſchnitt; ich follte den bisher zu Haufe genoffenen 
Schulunterriht mit der Univerfität vertaufhen. Freilih war 
diefe erfte Periode meines fogenannten alademifchen Lebens nur ein 
beinahe unmerklicher Uebergang, ein leifer Vorgeſchmack der Erfah⸗ 
rungen, welche ich fpäter machen ſollte. Ich war hier zu Haufe, 
bielt mich von allen Studentenverbindungen ferne, und widmete 
mich während zwei Jahren ausſchließlich dem philofophifchen Lehr: 
kurſe. Dennoch erſchloß fi mir in diefer kurzen, durch feine 
außerordentlihen Vorfälle bezeichneten Zeit eine neue Eriftenz. 
Ich ſaß mit mir völlig Fremden zum erftenmale auf ber öffent: 
lichen Schulbank; ich hörte die Vorträge mir früher kaum dem 
Namen nach befannter Profefforen, ging mit einer gewiſſen Selbft- 
befriedigung in das Collegium, und trug da3 dort Aufgenommene 
beruhigt „in der Mappe‘ wieder heim. Es waren fchöne, harm⸗ 
loſe Stunden, getbeilt zwiſchen der liebevollen Behandlung im 
väterlichen Haufe, ftet3 begleitet von gefelligen, Kunft: und Natur: 
genüffen, und dem gewillen Gefühle einer größeren, wenn auch noch 
vielfach beſchränkten Unabhängigkeit. Ein bitterer Wermuthstropfen 
in diefen fchäumenden Kelch akademiſcher Freuden waren ftet3 die 
fi) von Zeit zu Zeit wiederholenden Examina. Schon zu Haufe 
waren wir regelmäßig dieſen Prüfungen unterworfen, und wenn 
wir fie auch ala nothiwendiges Nebel hinnahmen, fo war ihr Nutzen, 
ihr Ergebniß gewiß nicht die Angft, fowie die Sorgen und Mühe 
werth, mit welchen wir uns wochenlang darauf vorbereiteten. Bei 
meiner reizbaren Empfindlichfeit wurden mir diefe Fleiß⸗ und Ge: 
dädıtnig-exhibitions — wie id) fie nennen möchte — doppelt zur 
Dual. Nod fo tüchtig, wie ich wähnte, ausgerüftet, verfehlte ich 
gerade aus übergroßem Eifer das eigentliche Ziel, und über dem 
lebhaften Wunfche, es recht gut zu machen, gingen mir oft die 
richtigen Gedanfen aus. Wenn ich jebt auf die fehriftlichen Aus: 
arbeitungen, welche ich aufbehalten, zurückſehe, jo ſchäme ich mid 
diefer unbebeutenden, Tindiihen Arbeiten, und darf wohl annehmen, 


54 


daß ich auch in den mündlichen Prüfungen, bei denen befanntlich 
noch mehr Befangenbeit bericht, nicht viel beiler beftanden. Glück⸗ 
licherweife tragen denn auch billige Profefforen meiſtens dieſen 
Uebelftänden gebührende Rechnung, ſehen mehr auf die Ausbildung, 
den Grad der Kenntniffe, den guten Willen der Schüler im Allge⸗ 
meinen, als auf das eigentliche Nefultat der Prüfung, das oft 
nur zu fehr von zufälligen Einwirkungen abhängt. Das gegen: 
feitige Verhältniß der Brofefloren und Eraminirten, ihre Stimmung 
oder Berftimmung, die Natur der Aufgaben, wie die Art der 
Tragenftellung felbft, hundert andere Umftände entfcheiden hier in 
günftiger oder nachtheiliger Weiſe. So 3. B. wird ein leder 
Burſche, dem zur guten Stunde gerade in feinem Gedächtniffe 
frifchhaftende Gegenftände vorkommen, glüdli und triumphirend 
den Saal verlaffen, während ein fleißiger, ſchüchterner Zögling, der 
fi) Tag und Naht mit der Vorbereitung abgequält, zufällig ver 

‚wirt, Antworten fchuldig bleiben, oder aus der immenfen Schab: 
grube menſchlichen Willen? unglücklicherweiſe vielleicht gerade über 
Dinge audgefragt wird, deren er ſich nicht mehr erinnert. Ans 
al’ diefem möchte ich daher den Schluß ziehen, daß in der Regel 
die Ergebnifle der öffentlichen Prüfungen nicht untrüglich bemeifen, 
und ich ſelbſt fand oft zur eigenen Beſchämung, daß die Jeugniſſe 
nicht immer ganz übereinflimmten mit dem innern Bewußtſein 
meiner Leiftungen. 

Wenn ich nun die Lifte der ungefähr hundert Jünglinge durch: 
gehe, welche damals — alfo vor mehr ala 45 Jahren — die 
Philoſophie mit mir fiudirten, wie wenige finde ich davon noch 
unter den Lebenden! Die Mehrzahl gehörte der Geburt nach dem 
Lande an und widmete ſich fpäter der Theologie; unter diefen wurde 
nur Baron Reichlin-Meldegg durch die außergemöhnliche Richtung, 
welche er genommen, in weiteren reifen bekannt. Bon den nad: 
maligen Juriſten zeichneten ſich einige Advolaten, unter ihnen vor 
Allen Belt aus, den als Stantörath die „Bewegung in Baden“ 





55 





unfanft aus doftrinären Träumen weckte, und der feined edlen 
Charakters, feines ausgedehnten Willen? wegen, ein befferes Loos 
verdient hätte. Schwörer, Werber und Walchner wurden in der 
gelehrten Welt als Schriftiteller und Profefloven befannt. Erfterer 
zumal war aus einem muthwilligen Studenten, aus einem himmel: 
anftürmenden Demagogen ein geſchickter Arzt, ein liebenswürdiger 
Menſchenfreund, ein guter Chriſt geworden. Zu den begabteren 
Diefer meiner Jugendgefährten gehört wohl noch der als politifcher 
und nationaldkonomiſcher Schriftfteller rühmlich befannte Karl Bader. 
Endlich gingen aus jenen Schulbänfen geiftliche, geheime, Staats, 
Minifterials, Legations⸗, Regierungs⸗, Kreis⸗, Hofgerichts:, Finanz⸗, 
Zoll⸗, Steuer, Hof⸗, Baus, Berg⸗, Poſt⸗, Schul, Medizinal⸗, 
Ranzleis, Handels⸗, Rechnungs⸗, Domänen: und noch viele andere 
Räthe hervor, wie man fie fi denn in unferem, des Raths fo 
fehr bedürftigen Zeitalter beranzieht. 

Soll ih nun noch von den damaligen Profeſſoren Frei⸗ 
burgs Iprechen? Sie find jetzt alle todt, die Namen vieler ver: 
ſchollen und das Andenlen der menigften iſt für die Mitwelt mehr 
von Intereſſe. Dennoch wäre von denfelben eine Gallerie aufzu- 
ftellen, des Pinfel3 eines Hogarth würdig. In ber theologi⸗ 
fen Fakultät begegnen wir dem als Philologen jo berühmten 
Hug, der mit einer ſtaunenswerthen Gelehriamkeit und gemefjener 
Haltung dennoch eine gewiffe Geichmeidigkeit im Umgang zu ver: 
binden mußte. Neben dem: zierlihen Wert nahmen fid) die beiden 
alten, verdienfivollen Profefſoren Wänker und Sauter beinabe 
wie Mumien aus. Die Auriften waren größtentheil®, wie 
Mertens, von Weifened u. a., noh aus der öſterreichiſchen 
Zeit und Schule, und nur mit Mühe Fonnten fidy die neuen badi- 
ſchen Rechtslehrer, vor ohnedieß meift leeren Bänfen, einbürgern, 
Unter den Aerzten glänzte Doktor v. Eder, auch als Schön: 
geilt, dann der originelle Schmiederer mit feiner geläufigen Zunge 
und poffirlichen Beweglichkeit. Doch auch in der mir angewiefenen 


56 


Sphäre des philofophifhen Wiffend fehlte es nicht an auffallenden 
Erfheinungen unter den Lehren. Manche derfelben gehörten den 
früheren Klöſtern an. Der ercentrifchfte war geiftlicher Rath 
Schmitt, der Logik, Metaphifit und Anthropologie in einer Weife 
vortrug, welche heute ganz unglaublich erfchiene, ja gar nicht mehr 
möglih wäre. Dabei war er launenbaft, beftig, um nicht zu 
fagen grob, und hatte unter den Zuhörern feine Lieblinge, während 
er andere, ihm unangenehm, rückſichtslos behandelte. In beftän- 
digem Streite mit dem Confiftorium oder einzelnen feiner Collegen 
brachte es Schmitt eines Tages zu einem förmlichen Scandal. Er 
machte beftändig Jagd auf Körfüle, welche fchon andere Profefloren 
beſetzt hatten und vertrieb einmal den alten, gutmüthigen Lugo. 
Als er es nun aber auf den Saal, in dem Sauter Kirchenrecht 
las, abgefehen Hatte, ftellte fih Schmitt an die Spige feiner Zu: 
börer, und mit dem Rufe: „mir nah!” wollte er die Lehrkanzel 
erobern, was ihm jedoch nicht gelang. In Folge diefer beftändigen 
Neibungen wurde Schmitt entfernt und ftarb bald nachher in 
Mannheim. Wir Schüler hatten dabei nicht? gewonnen, denn ein 
junger, faum dem Seminarium entmwachjener Priefter hielt über 
jene trodenen Wiffenfchaften beinahe ungenießbare Vorträge. Weber: 
dieß hatte ich an Diefen, mie an den mathematifchen Lehrgegen- 
ftänden nie großes Behagen, vernachläffigte fie daher, und mandte 
meine Zeit den mid) mehr anfprechenden Hiftorifchen und anderen 
Studien zu. Die Methode wie Seipel und Rinderle jene ab- 
ſtrakten Wiffenfchaften (Algebra, Geometrie, Optik, Aftronomie 
u. dgl. m.) behandelten, mußte aber auch Jeden mit töbtlicher 
Langeweile erfüllen. 

Seipel, an Geſtalt und Charakter ein nicht erreichter Typus, 
war im Zuſtande beftändiger Abwehr gegen den Muthwillen 
feiner Zuhörer, bei denen er fid durchaus nicht in Reſpekt zu 
feßen mußte. Im höchſten Grade ängftlih und mißtrauifch, ſchlich 
er immer, von Studenten unbemerkt, in da3 Univerfität3-Gehäube, 


57 


wo er fi dann auf dem Katheder förmlich verfhanztee Man 
trieb es aber auch mit dem armen Manne gar zu arg! Eine 
Generation von Schülern vererbte der anderen eine Dienge jchlechter 
Wie, mit denen man ihn quälte; felten verging ein Tag, an dem 
er auf feiner fchwarzen Tafel nicht irgend eine Karikatur gezeichnet 
fand, oder mit Brodfugeln geworfen wurde, dabei in Worten und 
Geberden Drohungen, welche den Gedrängten vollend3 verwirrten. 
Der Ernft der Borlefungen war daher nicht groß, und fie wurden 
nur zu oft unterbrochen. 

Ausgezeichnet war Wucherer ald BProfeflor der Phyſik, bei: 
nahe der Einzige, der feine Bildung mit einem anziehenden Vor: 
trage verband. 

Unter allen damaligen Eollegien waren jene von Rotted 
über Gefchichte, Geographie und Statiftit wohl die intereffanteften; 
dennoch wirkten fie nicht begeifternd auf die Zuhörer — es fehlte 
ibm die Gabe der Mittheilung. Mit einer monotonen, beikeren 
Stimme, oft unverftändlich durch eine fchmere Zunge, las ung 
Rotted feine Vorträge, dadurch ging das Belebende derjelben ver: 
Ioren, und in gewiffer Beziehung war die vielleicht gut. Noch) 
fehe ich im Geiſte den Fleinen Mann, wie er, in einen Mäntel: 
fragen gehüllt, mie theilnahmlos die Lehrkanzel beftieg, ohne mit 
feinen geſchwächten Augen nur aufzufehen, eintönig feine Sefte 
berablad und, wenn die ihm anfcheinend läſtige Stunde vorüber 
war, wieder verfchwand. 

Fleiß, Freude und Fortfchritte während meiner philofophifchen 
Lehrjahre waren daher, wie wir gefeben, nicht übermäßig, auch) 
bewegte ich mich meiftend in, dem Univerfitätätreiben fremden 
Kreifen, ſchloß mid Verwandten, Offizieren an, ritt, fpielte mit 
ihnen, befuchte Bälle, Eoncerte und Gefellfchaften, rauchte nicht! 

So wie früher gab es auch zu jener Zeit in Freiburg Figuren, 
einer näheren Skizze werth, wenngleich ſolche Originale in ihrer 
vom Alltäglichen grelf abftechenden Haltung immer mehr im Strome 


58 





der Alles nivellirenden Zeit verfchwanden. So erregte damals der 
allbekannte Forſtmeiſter Carl v. Drais einiges Auffehen. Der einzige 
Sohn des Oberhofrichters, deſſen ich oben erwähnte, verband der 
gute harmloſe Mann mit einem auffallenden Aeußern einen nur 
der Mathematik und mechaniſchen Erfindungen zugewandten Ver⸗ 
fand, entbehrte dagegen jeden Takt im Umgang, aller Menſchen⸗ 
kenntniß. So ſah man ihn denn auch ſich täglid im Schweiße 
feined Angeficgtes auf der von ihm erfundenen, gleichfalls unprak⸗ 
tiihen, Geh: und Fahrmaſchine — Draifine — abmühen. Bei 
feiner gemütlichen Lnerfahrenheit war Drais VBetrügern tie 
muthwilligen Spaßmachern eine willkommene Beute, und führte 
im Grunde bei aller Berühmtheit bis zu feinem frühen Tode eine 
höchſt unerquicliche Eriftenz. 

Eine vorübergehende, aber deßhalb nicht minder merkwürdige 
Erſcheinung war Julie von Bietinghofi, Gemahlin de3 Treibern 
von Krüdener. Biele Jahre lang hatte man fchon von ihren 
Schickſalen ımd Abenteuern, von ihrem lebhaften Geifte, ihrer 
politiſchen wie religiöfen Schwärmerei geſprochen; nun verlor fie 
fih auf ihren Kreuz⸗ und Querzügen auch nach Freiburg (Oftober 
1817). Die Neugierde verleitete und, fie im Zähringer Hoſe, 
wo fie abgefliegen war, zu befuchen, obne gerade aufgelegt zu 
fein, eine der vielen Bets und Erbauungsitunden, die fie bei 
offenen Thuren hielt, mitzumaden. Wir fanden ba eine Meine, 
ſchmächtige, alternde Frau, ohne eine Spur jener einft fo jehr 
an ihr gerühmten Schönheit. Sie empfing uns förmlich, ſprach 
wenig und mochte wohl in und feine Anhänger ihrer Lehre erfennen. 
Wir verließen fie daher bald und nur wenig befriedigt von ihrer 
Perſönlichkeit. Später trieb file fih im Oberlande und Baſel 
umber, wo fie ein günfligered Feld für ihre myſtiſche Thätigkeit 
fand; doch als fie au da durch angebliches Krankenheilen, Weis- 
fagungen und Almofen einen großen Zufammenlauf von Müßig- 
gängern, Beitlern u. dgl. veranlaßte, war ihre Wirkſamkeit nicht 


59 





immer vom Gefdymade einer profaifchen Polizei. Frau von Krüdener 
wurde daher an mehreren Orten audgewiefen und endete 1824 
ein ruheloſes Leben in der Krimm. — 

Es lag früher im Plane, daß ih meine Studien auf ber 
Ritteralademie — Therefinnum — in Wien fortießen und fpäter 
in Öfterreichifche Dienfte treten ſollte. Es iſt mir nicht befannt, 
aus welden Gründen dieß unterblieben, und im Spätjabr 1817 
befhloß mein Vater, in wohlgemeinter Borforge für und Brüder, 
dag wir die Univerfität Landshut in Bayern befuchen follten. 
Nur mit innerem Widerftreben trat ich diefe Reife an; die Wahl 
jener Stadt war nicht nach meinem Geſchmack, und nur ungern 
vertaufchte ich die biöherigen fo überaus angenehmen Verhältnifſe 
gegen ungewiſſe in der Ferne. Diefe Ahnungen betrogen mich 
nicht; ich fand mich in Landshut nie behaglich, wenn der dortige 
Aufenthalt vielleiht auch mir in mancher Beziehung näblih fein 
mochte. Anfangs November trafen wir, begleitet von unferem 
Hofmeifter, in der freundlich gelegenen Iſarſtadt ein. Gie lag in 
vollem Sonnenfcheine des Spätherbfte vor und. Erwartungsvoll 
ſchweiften unfere Blicke über diefem Bilde, von dem dahinraufchenden 
Fluſſe zu den ſich fanft erhebenden Hügeln, von dem riefigen 
St. Martinsthurme zur alten fattlihen Burg „Trausnig“. Go 
waren wir weit von den heimathliden Bergen und follten jest 
erft das eigentlihe Leben und Treiben der „Studios“ kennen 
lernen. 

Dir hatten eine Privatmohnung bezogen, die Koft aber bei 
zwei geiftlichen Näthen genommen, welche an ihrem Xifche unge⸗ 
fübr zwölf junge Leute — Söhne adeliger Familien aus Bayern, 
Schwaben und Weftpbalen, Mulhens aus Frankfurt ꝛc. — um 
fih verfommelten. Jene beiden alten ehrwürdigen Herren bildeten 
in ihrem Aeußeren wie im &haralter und Benehmen den auf 
fallendften Contraſt. Der eine, Profeffor der Theologie und fpäter 
Biſchof von Regensburg, der berühmte DVerfaffer der chriſtlichen 


60 


Moral und vieler anderer gefhäßter Werke, Dr. J. M. Sailer, 
verband mit einer hohen Geftalt eine gewiffe Würde, melde ein 
ungemein freundliched Wohlmollen nicht ausfhloß. Der andere, 
Profeflor der Dogmatit, Zimmer, mar eine Beine, ſtämmige 
Figur, heiter, oft heftig und polternd, aber fo natürlich, offen, 
von einer fo gemwinnenden Herzlichleit, daß wir jüngere Leute uns 
weit mehr an diefen reizbaren, aber immer gutmütbigen Greiz 
anfchloffen, als an den ernften, gemeffeneren Sailer. Beide edle 
Freunde lebten feit Jahren in ungetrübter Eintracht zufammen, 
fich an der munteren, oft muthwilligen Laune ihrer Tiſchgeſellſchaft 
erfreuend. Auf diefen Heinen Zirkel waren wir denn aud) eigentlich 
beſchränkt; wir fanden in Landshut nit? von den früher ge 
wohnten gejelligen Freuden, feine Bälle, kein Theater u. f. w. 
An langen Winterabenden ein kleines Kartenipiel oder das beliebte 
Billard, im Sommer größere Spaziergänge in die hübſchen Um: 
gebungen: dieß waren alle unfere Zerftreuungen; um fo eifriger 
fonnten wir und den Studien widmen, welche für mid hier in 
der Rechtäwiflenichaft begannen. Dabei hielten wir ung fern von 
Studentenverbindungen. Die Landmannſchaften ftanden damals 
zu Landshut in voller Blüthe, und noch trat ihnen dort nicht, 
wie an anderen Univerfitäten, die Burfchenfchaft feindfelig entgegen. 
Defto mehr rieben fi) die Corps an den ſ. g. Renoncen, d. 6. 
Jenen, welche Feiner ſolchen Geſellſchaft angehörten. Wir maren 
daher Ausgeichloffene, welche, eine Art von Parias bildend, mit 
noch ganz anderen beleidigenden Spottnamen beehrt wurden. Wir 
bejuchten, um jeden Conflict zu vermeiden, Teinen öffentlichen Ort 
und nur ein Kaffeehaus, in welches, außer und Teine anderen 
Studenten, Tediglih Offiziere und Bürger kamen. Im erften 
Winter blieb es, einige Peine Vorgefechte abgerechnet, ruhig; nur 
die Landmannfhäftler „pauften“ unter fih, und der „Schläger“ 
(das alademifhe Hauinſtrument) verjegte mandyen Hieb über das 
Geſicht („Schmiß“ nach dem eleganten Ausdrude der ftudirenden 


61 


Jugend). Don unſeren Mitjchülern waren natürlih die Bayern 
in der Mehrzahl, und man traf da auf befannte Namen, wie 
Fugger, Yrſch, Leoprechting, Fraunberg, Laroſée, Nothhaft, Pfetten, 
Junker ꝛc. Es waren über 600 Studirende immatriculirt. 

Die Univerfität, ein ſchönes, großes, freundliches Gebäude, 
wurde von uns täglich bejudht, und wenn mir fleißiger waren, 
als in unferer, an Vergnügen reicheren Baterftadt, jo Tam dieß 
auch auf Rechnung der Profefforen, deren Vorträge und mehr 
anfpradyen, als dort. Unter diefen felbft war es Mittermaper, 
deflen gediegene Vorlefungen am meiften feffelten. So hatte ich 
mir immer die wahre, eigentlihe Aufgabe eine afademifchen 
Lehrers gedacht! Frei, ohne Hülfe von Eompendien, diefe nur 
erläuternd, wenig, nur das Mothwendigfte in die Feder diktirend, 
febte er fihb in unmittelbaren, lebendigen Rapport mit feinen 
Zubörern, welche vol Theilnahme an feinen beredten, oft be- 
geifterten Worten hingen, das Colleg mit Freude und fleigendem 
Eifer befuchten. Es fand ſich damals in feinen Vorleſungen nod) 
nicht jener polemifirende Geift, welcher Mittermayer fpäter, zumal 
in Heidelberg, zum gefeierten Mittelpunfte einer Partei machte 
und ihn in den Strudel politiicher Tagsleidenſchaften, endlofer 
Kammerverhandlungen trieb. Der praktiſche Staatsmann und 
Geſetzgeber erſetzte da durch fein Wirken nicht, was er feinem 
eigentlichen, ebenjo erfolgreihen als ebrenvollen Berufe an fo 
tüchtigen Kräften entzog. Ich ſelbſt aber werde ſtets diefem aus⸗ 
gezeichneten Lehrer ein dankbar wohlwollendes Andenten bewahren. 
An ihn ſchloß fich der fein gebildete Wening an, deilen Pandelten 
mir genießbarer erjchienen, als ſpäter jene eined weit berühntteren 
Profefford. Die Yuriftenfacultät zählte damals nicht wie früher 
(Savigny, Gönner u. a.) Lehrer von europäifchen Rufe in ihrer 
Mitte. Siebenkäs, Mosham, Aft, Schulteß, Köppen u. a. m. 
gehörten anderen Fächern an. Unter den Medizinern glängzte 
Walther ald Augenarzt, Röſchlaub u. f. w. Dabei jehlte es 





62 


auch bier nicht an Originalen. Jh darf nur an Mannert 
erinnern, welcher die Gefchichte mehr zur Unterhaltung, ala Be 
lehrung der Schüler vortrug. Ein altes, ſchmächtiges Männlein, 
ftand er mit einem ironifchen Lächeln und fortwährend ſchnupfend 
auf der Lehrkanzel und machte da ganze Generationen von Studenten 
lachen, welche ſich zu feinen Borlefungen drängten. Hatte er die 
Lebensgeſchichte irgend eines Königs vollendet, fo ſagte er regel: 
“mäßig: „Der wär nu weg!” und begleitete diefe Worte mit einer 
Prife Tabak. In jeden Jahre kamen bei gewiffen Stellen immer 
diefelben alten befannten, oft nicht fehr anftändigen Witze vor. 
War Rottel’3 Behandlung zu troden und einfeitig, jo erichien 
Mannert wieder zu humoriſtiſch und vergriff fih durch unpaflende 
Späfle an der Würde der Geſchichte. 

Die Einförmigfeit unſeres alademifchen Lebens wurde öfters 
durch Ausflüge unterbrochen; fo bejuchten wir nach der Weihe 
Augsburg, Regensburg, Münden, feloft Wien. Wir faben diefe 
Städte ald Touriſten, und zwar als junge, überaus wißbegierige 
Touriſten, welche gewiſſenhaft alle geiehenen Merkwürdigkeiten 
in ihr Tagebuch eintragen, fich ftreng an den gedrudten Fremden⸗ 
führer halten und feine Kirche, Feine Gallerie unbeſucht, Leinen 
alten Stein oder feltenen Baum unbefehen laſſen. So nahm id 
denn in meinem Gedächtuiffe kaum etwas Anderes auf, als bie 
Eindrücke, welde diefe Außendinge in mir zurüdließen. In 
Münden beiuchten wir einige und befannte und verwandte 
Häufer, durften fogar den Königl. Majeltäten unſere Aufwartung 
machen. Dieß geſchah nach beendigter Hoftafel in den Tleinen, 
manfardenortigen Appartements der Reſidenz gegen den Garten. 
In aller Eile murde den Landshuter Studenten eine ziemlich 
lädherliche Hoftracht angepaßt, und in meiner Verlegenheit ſprach 
ih den König Dear Joſeph mit „Excellenz“ an, ein Berfehen, 
das ich wir lange nicht verzeihen konnte. Bei dieſem Anlaſſe 
aber, wie in fpäterer Zeit, fand ich bei dem jovialen, menfchen: 


63 





freundlichen König immer dieſelbe huldvolle Aufnahme und wohl⸗ 
wollende Erinnerung an feine früheren Beziehungen zu unferer 
Familie. Mit Vergnügen fab man damals auf den im Eräftigften 
Mannesalter ftehenden Herzog Eugen von Leucdhtenberg. Seine 
ritterliche Erfcheinung, gewöhnlich von dem jugendlich blühenden - 
Prinzen Karl von Bayern begleitet, feflelte die Menge auf Bällen 
oder im englifchen Garten. Raum waren einige Sabre verfloflen, 
ala auch ſchon der erſt 4Ajährige PVicelönig in's Grab fanf, eine 
troftlofe Wittwe und ſechs Hoffnungsvolle Kinder zurüdlaffend. 
Sein Andenten verewigt eim nicht fehr gelungene® Monument 
(von Ganova) in der Michaelskirche. Mir erfchien immer dieſe 
nah antifer Art nur dürftig gededte Marmorftatue wie jene 
Belifar’3, welde, den Lorbeerkranz in der Hand, diefe wie zum 
Empfonge eined Almoſens ausitredt. 

Runftgegenftände, Theater, Wastenbälle u. dgl. m. ergößten 
und in Münden und Megensburg über alle Maßen, um fo 
monotoner geftaltete fih dann wieder unſer Yufenthalt in der 
Mufenftadt an der Iſar. 

Bei unferer erften ſechswöchentlichen Anweſenheit in Wien 
befuchten wir denn aud wieder nur Öffentliche Orte, die nächiten 
Umgebungen. Wir fahen den Herzog von Reichsſtadt, ein ſchönes, 
blondgelodies Kind in Schönbrunn, und wohnten ebenfo deu Pre 
digten des bekannten Pater Job, wie den Gerbftübungen der 
Garniſon bei. Am meilten zogen und die Theater, und unter 
diefen wieder zwei bejonderd an. Berühmte Namen wie Lange, . 
Krüger, Ochſenheimer, die Korn, die Koberwein u. a. traten im 
der Burg auf. Sie find num alle verſchwunden, größtentheild 
vergeſſen; nur die alte Sophie Schröder, die deutſche Georges, 
bat fie fänmtlich überlebt! Im ſ. 9. Kasperl ergöbte und der 
unübertrefflihe Ignaz Schuſter; es begann damald gerade die 
Laufbahn Ferdinand Raimund’3, welcher jedody erft ſpäter in den 
felbit geichriebenen Stüden durchdringen Tonnte. 


64 


Nur zur Gefchichte der Art zu reifen, will ich noch bemerken, 
daß mir von Straubing bis Wien auf einem f. g. Marktichiffe 
der Donau ſechs volle Tage brauchten, für die Rückkehr aber ung 
mit einem Lohnkutſcher einließen, der, cin wahrhafter „Zauberer“, 
gleichfalls bis Landshut acht Tage mit und auf der Straße zu⸗ 
brachte und uns ſogar einmal acht Stunden weit irre führte. 
Bedenkt man, daß die Strecke von Regensburg nach Wien mit 
Dampfihiffen in anderthalb Tagen zurückgelegt wird, jetzt die 
Eifenbahn von Wien nah Münden in zwölf Stunden fährt, fo 
glaubt man fi Bei jener Reifebefhreibung in die Zeit der deut- 
hen Poſtſchnecke verſetzt, welche Börne fo humoriſtiſch fchildert. 


Weniger ruhig ald das erfte geftaltete fih das zweite Schul: 
jahr in Landöhut. Zu den früheren Nenoncen waren in diefem 
MWinterfemeiter 1818 bis 1819 nun nod zwei Fürften rede, 
Graf Karl Reiſach (der fpätere Erzbifhof und Cardinal), von 
May (der NRechtölehrer), ſowie mehrere bayerifhe Offiziere, unter 
ihnen Graf Saporta, gefommen, welde ihre Studien während der 
Friedenszeit fortjeßen wollten. Obwohl alle diefe Herren nur 
rubig dieſem Zwecke zu leben geſonnen waren, fo ermedte doch 
die große Zahl der Unabhängigen die Eiferfuht der Landmann: 
ſchaft. Ich übergehe Hier einige Heine Scharmütel, melde in 
jeder Univerfitätäftadt mit Garnifon regelmäßig wiederkehren. Das 
Ungewitter, welches ſich aber nun vorbereitete, trug einen ernfteren 
Charakter, und entlud fi, nach einigen Zudungen, bei dem eriten 
zündenden Anlaſſe. Es jollte nämlich der Stadtmagiftrat den 
Eid auf die neue Verfaffung ſchwören. Die Studentenfhaft, zu 
diefer Teierlichkeit geladen, war Dabei nur duch die (gejeblich 
nicht anerkannten, bloß geduldeten) Landmannfchaft vertreten, da- 
ber Murren unter den anderen, zu jener Auszeichnung glei) 
Berechtigten. Es fam zu Unterredungen, heftigen Auftritten, endlich zu 


[4 


65 
„Scandalen” (Duellen). Die Renoncen festen ſich dadurch bei den 
Corps in den gehörigen Refpekt, und bildeten num unter fi, einen 
Berein, welcher fie vor weiteren Unbilden und Reibungen bewahrte. 
Eine förmliche, fchriftliche Uebereinkunft betimmte die Bedingungen 
diefed Waffenſtillſtands. Denke ih nun an alle diefe Vorgänge 
zurüd, fo erſcheinen fie mir freilich in dem Grade läppiſch und 
unbedeutend, als mir damals die größte Wichtigkeit darauf legten. 
Es ift eben das Eigentbümliche des Univerfitätslebens, daß man 
mit vollem Ernfte und fefter Meberzeugung an diefen Formen, an 
diefer ſcheinbaren Freiheit, an diefen falſch verftandenen und aus: 
gelegten Ehren: und anderen Fragen hängt. Mit ftolzer Ber: 
achtung ſieht man da auf die Außenwelt und die Bilder der 
Dergangenbeit, wie die Ausfiht in die Zukunft verfchwinden vor 
den augenblidlihen, überwältigenden Eindrücken. Es ift eine 
glüdliche, wenn auch nur kurze, trügerifche Zeit! Nur den deutfchen 
Univerfitäten ift diefe Lebendweife eigen, und es ift gewiß eine 
auffallende Thatſache, daß, mährend wir um uns alle Berge 
brachte verachten, verichwinden, durch neuere Anfichten, Sitten 
und Moden verdrängt fehen, bundertiährige Traditionen ſich auf 
deutihen MWniverfitäten erhalten, und die Landmannfchaften mit 
ihren Töblihen Einrichtungen, wie ihren Auswüchſen und Webel- 
ftänden fortbeftehen. Wir begegnen da noch immer den unter: 
fheidenden Farben der Bänder, den hohen Stiefeln, den Tangen 
Pfeifen, den barofen Mützen, den Schleppfäbeln; wir fehen immer 
noch feierlide oder groteste Aufzüge aller Art, Tärmende „Com: 
merce”, Straßen: und anderen Unfug; der „Comment“ (das 
Geſetzbuch der Corps) fteht noch immer in voller Blüthe und 
der Techtboden wird nie leer; noch hören wir die den nicht Ein- 
geweibten kaum verftändliche Sprache und vernehmen won einer 
ganzen Lifte |. g. „Touche“ (perfönliche, ein Duell herausfordernde 
Beleidigung) u, ſ. w. ragt nun ein Unbefangener, weßhalb all 
diefer Apparat, der doch zunächſt mit den Studien in feiner 


Irh. dv. Andlaw. Mein Tagebuch 1. 5 








66 
Verbindung ſteht, fo erhält man, wie bei fo vielen anderen Miß⸗ 
bräuchen, die Antwort: e8 ſei von jeher fo geivefen, eine Aenderung 
könne üble Folgen nach fich ziehen, die Schüler zu weniger un⸗ 
ſchuldigen Beichäftigungen verleiten u. dgl m. Ich Tann und 
will diefe allerdings beachtensmwertben ragen feiner näheren Prü- 
fung unterwerfen, doch zeigt fchon die Erfahrung, daß alle dieſe 
an fich harmloſen Jugendſtreiche ebenfo zu argen Ausſchreitungen 
führen können. Gar viele Studirende, welche ſich aus Neigung 
oder gezwungen den Ton angebenden Corps anfchlieken, entziehen 
fih oft ihrem wahren Beruf, werden mindeſtens zerftreut und ver 
wenden das zu anderen Zwecken beftimmte Geld auf Vereins⸗ 
audgaben; daher Zerwürfniſſe mit den Profeſſoren, mit den Eltern, 
mit Philiftern (Bürgern), welche bergen, Wer fi ftundenlang 
mit Fechtübungen ermrüdet, wer ganze Nächte hindurch gefungen 
und getrunfen, ift freilich nicht aufgelegt, die Gollegien zu beiuchen, 
und wer fich täglih mit Iandmannfchaftlichen Angelegenheiten be- 
ſchäftigt, felbft dabei eine wichtige und thätige Rolle Ipielt, findet 
zulegt wenig Geſchmack mehr an trodenen Studien. Am verwerf⸗ 
lichften ift aber wohl der dur ſolche Verbindungen anderen, 
befonder? neu angelommenen Studenten (den |. g. Füchſen) auf: 
erlegte Zwang; man quält, edit, verfolgt fie fo lange, bis fie in 
irgend ein Corps eintreten, und da müffen fie denn allerlei euer, 
Wafler:, Wein: und Säbelflingenproben beſtehen. Wo bleibt da 
die fo fehr gerähmte individuelle Freiheit auf Univerfitäten? IR 
fo kindiſches Treiben eine mwürdige Borbereitung auf das praftifche 
Leben, und welche Mbfühlung muß nad einer fo beraujchenden 
Burſchenexiſtenz in den profaifchen Kanzleiftuben folgen? &3 Tiegt 
mir der Gedanke ferne, jebt, nad 40 Jahren, pedantiſch über 
eine auch für mich fo frohe Zeit, die nie wiederfehrt, den Stab 
su brechen und die frifche, oft überfprubelnde Lebensluſt mit ftrenger 
Miene zu tadeln. Nur von ihren Erceffen wollte ich fprechen: 
von dem wilden, dem Geiſte wie der Geſundheit gleich verderblichen 


67 





Treiben, von der ungezügelten Raufluft, weicher fo frühe viele 
junge bedauerungawürdige Opfer, die Freude ihrer Eltern, fielen, 
von der Rohheit, die fich in der Kleidung, im Benehmen, wie in 
einem gemeinen Jargon gefällt, von der Tyrannei endlich, mit 
welcher ſchũchterne, wohlerzogene, fleißige Sjünglinge von den 
„bemooften Häuptern“ behandelt werden. Am meiften find aber 
jene älteren Herren zu beflagen, welche Söhne fürftliher oder 
abeliger Familien auf Uniwerfitäten begleiten. Schon das Epithet, 
welche man ihnen in der Corpsſprache beilegt und das ich bier 
nicht niederzufchreiben wage, bezeichnet die Achtung, in ber fie in 
ben Augen der Burſchen ſtehen. Sind dieſe fi mufopfernden 
Hofmeiſter Dffigiere oder Cipiliſten mit impofantem Weußern, fo 
werden fie, wenn aud nicht beliebt, doch geichent, find es aber 
Brieiter, jo perfolgt man fie nicht felten mit rückſichtsloſem Spotte, 
weil man bei ihuen mehr Ernſt unb Strenge voraudfeht, der 
eiwaigen Ungebundenheit ihrer Böglinge gewiffe Schranfen gu 
schen. 

Die Bemeunungen ſolcher Corps find unzäblig und wechſeln 
nach Ort und Umfländen; gewöhnlich werden fie den beutichen 
Stämmen entnommen, wie Bavaria, Suevia, Sachſonia, Fraukonia, 
Weſtphalia, Boruſſia u. a. m. 

Oſtern 1819 verließen wir Landéhut; der Abſchied fiel ung 
nicht ſchwer. Bald nachher wurde die früher von Ingolftadt dahin 
verſetzte Univerjität nach Münden verpflaugt, wo fie feither ent: 
ſchieden gedeiht. Bon allen damaligen Profeſſoren lebt jet (1861) 
nur noch Mittermaher. Im vorigen Sommer gaben ſich Die 
früheren Studenten Landahnts in dieſer num ziemlich verödeten 
Stadt ein Stelldichein! Viele kamen auf den Ruf, dem mein 
Bruder und ih nicht folgen konnten. Mit melden mehmüthigen 
web wohl nud zum Theil erfraulicden Rückblicken mögen fie jener 
Bergangeukeit gedacht haben! Der jüngfe der gegen hundert Au⸗ 


weienden zählte 55 Jahre! 
5 * 


68 


Am fchmwerften trennten wir uns von den beiden würdigen 
geiftlichen Räthen. Wir ſahen fie nie wieder! Nach vielen Jahren 
ftand ih einft voll Rührung an dem Grabe de vortrefflichen 
Biſchofs Sailer in dem berrlihen Regensburger Dome! Meine 
ſchwache Stimme trägt hier nur noch eine Schuld perfönlicher 
Dankbarkeit ab; fie vermag bei des Theologen unvergänglichen 
Schriften, bei feinen anerfannten wahrhaft apoftolifchen Tugenden, 
einem fo feit begründeten Nachruhme nicht? beizufügen! 


Nach einem wieder in Treiburg zugebrachten Semefter bezog 
id im Herbſte 1819 die dritte füddeutfche Univerfität: Heidel- 
berg, dießmal allein. Gier empfing ich wieder ganz andere, 
zun Theile neue, Eindrüde: denn nicht nur ift Heidelberg eine 
beinahe Eosmopolitifche Univerfität mit in aller Welt bekannten 
Profefforen: der Ort ift auch fo ſchön und günftig gelegen, im 
reizenden Nedarthale, überragt von Deutfchlands malerifchfter Schloß: 
ruine, am &ingange der herrlich blühenden Bergftraße, in der 
Nachbarſchaft freundlicher Städte. Bon den Lehrern Lernte id) vor: 
zugsweiſe nur die juridifchen kennen, doch traf ich mit Creuzer 
zufammen, hörte Borlefungen bei Schloffer, Xeonhardt u. a. 
Die Namen: Chelius, Tiedemann, Gmelin, Mone u. a. m. find 
in Sedermannd Gedächtniß. in weiterer Gefichtöfreiß, der Um: 
gang mit Gelehrten und Sünglingen aus aller Herren Ländern 
ließ bei den Heildelberger Profefforen die Eigenthümlichkeiten mehr 
abftreifen, man begegnete da, mit wenigen Ausnahmen, nicht fo 
vielen auffallenden Figuren, als andermwärts. 

Welcher Rechtsbefliſſene wäre nach Heidelberg gelommen, ohne 
die Pandelten bei Thibaut zu befuhhen! Trat man in den großen, 
mit Hunderten von Zuhörern angefüllten Hörfaal, fo ſah man auf 
der Lehrkanzel einen ſchon bejahrten, doch immer noch rüjtigen 
Mann mit regelmäßigen, geiftreihen Geſichtszügen: fein ſchönes, 


69 

blaued Auge, die grauen, den Kopf ummallenden Loden machten 
feine Erſcheinung zu einer vortheilfaften. Hier lad nun Thibaut 
durch eine lange Reihe von Jahren fein ihm mit fchwerem Golde 
bezahltes, römifches Necht, und diktirte Zuſätze zu dem gedruckten 
Lehrbuche. Art zu fprechen, Organ waren deutlih und angenehm; 
dennoch machte feine Lehrmethode Leinen günftigen Eindrud auf 
mih: Es Tangmeilte dieß trockene, abgemeflene Behandeln eines 
ungemein trodenen, oft ganz unverftändlichen Gegenftanded. Ich 
geitehe daher zu meiner Beihämung, daß ich nur wenig praftifchen 
Nuten aus dieſem etwas pedantiſch vorgetragenen College zog. 
Dazu fam, daß bei Thibaut feine, mit jedem Jahr zunchmende 
leidenſchaftliche Liebhaberei für alte Kirchenmufit den Hang für 
ernfte Studien verdrängte, und er feine. Vorlefungen beinahe nur 
noch mechaniſch betrieb. Am Schluffe derjelben wurde ihm ftet3 
ein donnerndes Vivat gebracht. Mehr Anziehungstraft übten die 
Borträge Zachariä's und Roßhirt's auf mich, beionderd letz⸗ 
terer mit feiner gemwinnenden Perfönlichkeit. Im Yeußeren, wie im 
ganzen Welen, an Charakter und Gefinnung bildete Zachariä den 
entichiedenften Eontraft mit Thibaut. Eine hagere Geſtalt, wie 
das Borbid für Moliere3 Harpagon, mit Boltairiich = cynifch- 
ſpöttiſchem Ausdrude, diktirte er langfam, die Zifchlaute ungewöhn⸗ 
lich betonend, die Hefte über Natur:, Staats: und Völkerrecht, ein 
Mann von großem, auch praktiſch zu verwendendem Wilfen, ein 
an's Driginelle ftreifender Charakter! — Im eigenen Haufe hielt 
ein gänzlich verwachſenes Männchen auf einem Hohen Lehnfeflel, 
jenem der Beinen Kinder ähnlich, gediegene Borlefungen über Cri⸗ 
minal- und Civilrecht, Prozeßverjahren u. |. m. Es war ber 
tüchtige Juriſt Gensler. 

Da ich nun im letzten Jahre die Rechte ſtudirte, ſo hielt ich 
mich ſelbſwerſtändlich, mehr als ſonſt, von Studentenverbindungen 
ferne, und machte alle jene „Suiten“ (ein unüberſetzbarer Ausdruck 
für all das, was er bezeichnen ſoll) nicht mit, welche beſonders 


70 
in Hetdelberg an der Tagesordnung find. Ebenſo erſchien ich 
nicht auf dem Fechtboden in der berühmten Hirfchgaffe, wohnte 
feinem Commerce bei, betrank mi nicht in Wein oder Bier, kam 
nicht mit den weltbekannten Pedellen Krings in nähere Berührung, 
fang endlich nicht alle die albernen Burfchenlieder mit u. f. w. 
(Nur einige diefer Gefänge zeichnen fi) durch poetifchen Schwung, 
Wis oder Gemüthlichkeit aus.) 

Auch in Heidelberg fehlte es nidht an periodiſch wiederkehren⸗ 
den Duellen, an Conflikten mit der Polizei, und Straßenraufereien 
mit „Knoten“ (Handwerksburfhen) oder Philiitern. Eines Abends 
wurde fogar, um ſich an einem groben Bierwirthe zu rächen, defien 
Haus erftürmt, alle darin zeritört und im Triumphe durch die 
Straßen gezogen. Bei folden Anläffen ertönt dann immer das 
auffordernde: „Burfch heraus!” mit Sübelgellirre. Es kam num 
in mehreren allgemeinen Studentenverfammlungen zu fehr heftigen 
Discuffionen: man verlangte ungeftüm die Yreilaffung ber Ver⸗ 
bafteten, ein förmlicher Auszug nad Frankenthal wurde in Bor: 
ſchlag gebracht, doc, nicht ausgeführt, und nur der Beſonnenheit 
des Unterſuchungs⸗Commiſſärs von Hohenhorft gelang es, die erbitten 
Gemüther wieder zur Ruhe zu bringen. Einige Studirende wurden 
relegirt, andere eingefperrt, zum Schadenerfag verurtheilt u. dgl. m. 
Wie brauft, gährt, bemegt, vegt fi) da Alles auf, und weßhalb? 
Mie viel Lärm um nichts! 

Die vielen Sollegien, welche ich bejuchte, ernftes Studium zu 
Haufe füllten meine Stunden hinreichend aus. Zu Winteräzeit 
begab ich mich öfters in einige ftet3 gaftfrei geöffnete Häufer 
(Leiningen, Zyllenhardt, Leoprehting, Seniffon, Malchus u. a.), 
wo Kartenfpiel und Tanz mit dramatiſchen oder anderen Vorlefungen 
abwechſelten; im Sommer aber beitieg ich der Reihe nad jene 
reigenden Gebirge, welche das romantifche Thal umgeben, Dazu 
kam der auderwählte Umgang mit einer Schaar mir befreundeter 
Sünglinge. Nicht nur fand ich in den Waldburg-Zeil, in 2. Fugger, 


71 





Reiſach, Mülhens frühere, werthe Belannte wieder, auch den 
keiden Stollberg, Alfred und Leopold, mwürdigen Söhnen eines 
vortrefflichen Vaters, den Brüdern Galen u. a. ſchloß ih mi an. 
Es ftudirten damals junge Männer, welche fchon die Befreiungs⸗ 
kriege als Freiwillige mitgemadt hatten, andere, die ſich Tpäter 
in der Diplomatie oder höherem Gtuantädienfte bervorthaten, ſo 
die nachmaligen Minister ded Aeußeren, Dönhof und Heinrich 
v. Amim in Preußen, v. Rüdt und Wechmar in Baden, die Ge: 
fandten Medem, Vrints, Koönigsmark, Galen, Reventlov, Log, 
Holzhauſen u. a. Eine ſehr beliebte Perſönlichkeit war der Erb⸗ 
prinz von Sachſen⸗Meiningen, ein ſchöner Mann, welcher den wohl: 
wollenden Charakter, die würdevolle Einfachheit feines Weſens 
fpäter auch auf feine Regententhätigkeit übertrug. Mit ihm wohnte 
der ebenſo anfpruchslofe, fanfte Herzog Georg von Sachſen⸗Alten⸗ 
burg. Beide Prinzen waren in Begleitung von Offizieren und 
Hofherren. Auch die Fürſten H. Neuß LXII., Bentheim und 
Eduard Carolath waren unter meinen Mitfchülern, und dem leb- 
teren befonders, einem in jeder Beziehung edlen Menſchen, bewahrte 
ih bi zu feinem leider fo frühen Tode warnte, freundfchaftliche 
Selinnungen. Eine Menge Studirende aus allen deutſchen Bun⸗ 
deaftanten ließ beinahe die wenigen Snländer verichwinden, und 
Ausländer, welche ein eigened Corps bildeten, Liefländer, Polen, 
ſelhſt Engländer und Amerikaner vermehrten diefen bunten Geſell⸗ 
ſchaftakreis. 

Die Landmannſchaften waren gu jener Zeit ſehr zahlreich 
und kamen nicht felten in wenig freundliche Berührung mit der 
f. 89. Burſchenſchaft. Diefer Verein verdantte zunächſt 
feine Entftehung dem patriotiihen Aufſchwunge der Jahre 1818 
und 1814. Gleichgefinnte Jünglinge, welche fi au den Geſängen 
Nleiſt's, Körner's u. a. vaterländiſcher Dichter begeiftert, trugen 
diefe Gefühle auch nach dem Prieden auf andere über, und jo 
hatten fich ſolche Traditionen denn mit einer gewiſſen politiidyen 


72 


Färbung auf den deutichen Univerfttäten fortgepflanzt. Der Auf: 
regung jener Jahre war Enttäufchung gefolgt, man fah die fo hoch 
geipannten Erwartungen nicht erfüllt und bezeigte ſich mit den 
Zuftänden in dem Grade unzufrieden, al3 Ständeverfammlungen, 
Preffe, Vollöredner u. dgl. m. das Teuer fhürten. Es war be 
greiflich, daß fich diefer Geift des Mißmuths auch den jungen, 
unerfahrenen Gliedern der Burfchenichaft mittheilte und in Ber: 
fammlungen, wie der auf der Wartburg, folhen Beftrebungen und 
Anſichten einen beftimmten Ausorud gab. Dazu kam, daß die 
allenthalben und zu jeder Zeit thätige Umfturzpartet die filr höbere 
Ideale ſchwärmenden Jünglinge zu ihren verbrecheriihen Plänen 
benüßte und mißbraudte. So geſchah es, daß einige Burfchen- 
ichäftler freilich ſpäter Fanatiker, offene Empörer, gemeine Ber 
brecder wurden, aber die Gefellichaft felbft hatte gewiß, wenigfteng 
uriprünglich, keine bochverrätherifche Tendenz. Dabei wäre es 
unbillig, zu verfennen, daß die Mitglieder dieſes Vereins gefitteter, 
ruhiger und fleißiger waren und fi weniger mit Nebendingen 
beichäftigten, al3 die Corp3-Studenten, daß fie mit löblichem Eifer 
dem rohen Unfuge, der Gemeinheit zu fteuern, dem Vebermutbe 
der Landmannſchaften entgegenzutreten fuchten. Bei ernfterer 
Haltung kleideten fie fi in ſchwarze, ſ. g. deutihe Tracht, und 
hatten ein ſchwarz⸗-rothes Band als Abzeihen. Dagegen fielen 
fie in ein andere® Extrem, wiegten ſich in Xräumen einer 
goldenen Zukunft; zu unreif, fih mit Staats- und politifchen 
Fragen zu befafien, Iegten fie ihrem Streben wie ihrer Berbin- 
dung eine viel zu große Wichtigkeit bei. Zugleich umgaben fie 
ihr Treiben mit einer Geheimthuerei, welche den Verdacht der Ka⸗ 
binette wedte. 

Zu jenen beklagenswerthen, dur) einen geheimen Bund 
Berführten gehörte auh Karl Sand aus Wunfiedel. Er hatte 
am 25. März 1819 in Mannheim den ruſſiſchen Staatzrath 
von Kobebue ermordet. Mehrere Perfonen, unter ihnen auch eine 


73 
mir verwandte Yamilie, maren zu jenem geiftuollen Schriftiteller, 
welcher nabe beim Theater wohnte, Abends 5 Uhr zu Tiſch 
gebeten. Kurz vorher rief man Koßebue aud dem Salon, weil 
ihn ein junger Menſch ſprechen wolle. Während nun diefer dem 
Herrn vom Haufe eine Schrift zu leſen übergab, ftieß er ihm den 
Dolh in's Herz, und auf den Hülferuf des Opfers entflichend, 
verfebte fih Sand ſelbſt auf der Straße noch einige gefährliche, 
doch nicht tödtlihe Stiche in Bruft und Hal. Kobebue erlag 
bald darauf der Wunde und Sand wurde nah 14monatlicher 
Unterfugung am 20. Mai 1820 auf einer Wiefe bei Mannheim 
vom Scharfrichter Widmann aus Heidelberg öffentlich enthauptet. 
Eine Maffe Volks ſtrömte zu dem traurigen Schaufpiele; mohl 
zwei Dritttheile der Studenten wohnten demjelben bei. Alle fehrten 
in der düfterften Stimmung zurüd! Ich felbft Tonnte mich un⸗ 
möglich entichließen, Zeuge eines Vorgangs zu fein, der damals 
ganz Deutichland im fieberifche Bewegung verfegte. Manche Thräne 
flog auf Sand’3 Grab; überfpannte Frauen und fanatifhe Männer 
tauchten ihre Tücher in des Gerichteten Blut. In der Chat war 
der Fall von fo ungewöhnlicher Art, daß ich es heute noch nicht 
begreife, wie man nicht Gnade für Recht ergehen lief. Ohne 
Zweifel hatte Sand als vorjegliher Meuchelmörder den Tod nad 
den Gefeben verdient, aber mar er auch völlig zurechnungsfähig? 
Schon der Bahn, dur die Ermordung Kotzebue's Deutſchland 
retten zu wollen, deutet auf eine feltfame Verwirrung der Begriffe. 
Alle Handlungen und Schriften Kobebue’3 tragen das Gepräge 
der Frivolität und Charakterlofigfeit; die Einen ſahen in ihm nur 
den liebenswürdigen Gefellihafter, den witzigen Luftfpieldichter, er 
erfchien ihnen keineswegs gefährlih; Andern galt er für einen 
rufftihen Spion, Berräther an feinem Vaterlande u. ſ. w. War 
er nun auch all dieß, welchen Bortheil Tonnte fein Tod der von 
der Burfchenfchaft verfochtenen Sache bringen? Aber auch bie 
Umftände, welche die ganze Unterfuhung wie Hinrihtung Sand's 


714 





‘begleiteten, waren fo betrübend und erfchitternd als möglich. 
Kann man fi wohl ein peinlicheres Gefühl denken, als einen 
tungen, nur langjam von feinen Wunden genefenden Mann mit 
aller nur denkbaren Pflege umgeben zu ſehen, um ibn — ein 
Jahr nad der That — geſund auf das Schaffot führen zu 
tönnen? Dabei war Sand fill, fanft, in ſich gekehrt, mit religiös⸗ 
politiihen Ideen befchäftigt, litt moraliih und phyſiſch unendlich 
viel. Wäre es da wohl nicht beſſer geweſen, ihn ala Geiftes- 
kranken zu behandeln und der Zeit den Sieg feiner befferen Eigen- 
ſchaften über fire Ideen zu überlafien? Man fteınpelte Sand 
dadurch) zum Märtyrer, während er doch nur ein unglücklicher, 
perblendeter Junge war. Lunge hallte der peinliche Eindruck 
dieſes Blutgericht3 in ganz Europa wider; jener unfelige Mord 
gab aber auch noch überdieß den Anlaß zu einer allgemein ver- 
breiteten Demagogenriecherei und rief die ganz unndthige Main⸗ 
zer Unterfuhungscommiffion wegen flaatögefährlicher Umtriehe in's 
Reben. 

Ich hatte nicht verfäumt, von Heidelberg aus Schwebingen, 
Weinheim, die lieblichen Ufer des Nedars und andere Umgebungen 
zu beſuchen. Eines Tages begleitete ich Ed. Carolath nach dem 
freundlihen Rheinbayern. Hier war ich Zeuge eines der vielen 
Ihönen unbekannt gebliebenen Züge aus dem ſtill in fih abge 
ſchloſſenen Leben dieſes vortrefflicgen Yürften. Als wir auf unferer 
Rundfahrt nach Neuftadt kamen, zeigte und ein 14jähriger Knabe 
den Weg zu dem nachher fo berüdytigt geivordenen Schloffe Ham: 
bach. Carolath gefiel das offene, muntere Weſen des Jungen; 
er nahm ihn fogleih mit fi und forgte für die elternlofe Waiſe. 
Später foll es der Burſche ihm mit Undank vergolten haben. — 
Aber auch weitere Ausflüge machte ih, befuhr den herrlichen Rhein, 
fah den wundervollen Dom in Köln, beſuchte Mainz, Frankfurt 
und Darmitadt, in letzterer Stadt die treffliche Oper. Doch die 
meilte Anziehungskraft übte immer Mannheim auf die Studentenivelt, 


75 


Mannheim mit feinen vielen gefelligen Freuden, feinen Bällen, 
dem guten Theater, in dem und die Komiler Wurm und Karl 
ergösten, Wild, Romberg, Mofcheled und andere Tonkünftler ent: 
züdten. Mannheim war damals die Nefidenz der Großherzogin 
Stephanie, der Sitz eine zahlreichen, reich begüterten Adels und 
vreler vornehmen Fremden; da gab es denn andy der Einladungen 
in Fülle. — Jene vortreffliche Fürftin ſah ich bier zum erften- 
male ald Wittwe; das anädige Wohlmwollen während unferer Kinder: 
zeit trug fle auch auf die fpäteren Jahre übers ich werde ihr 
noch oft in diefen Blättern begegnen! Nur ungern verließ ich 
Ende Auguſt den heiteren Mufenfig und mit ihm da3 alademifche 
Leben — uneigentlih fo genannt, denn Studirende find feine 
Akademiker. — Es ließ in mir den Eindrud zurüd, daß die 
deutfhen Studenten, wenn auch manchmal etwas unbändig, unge: 
fhliffen, dennoh im Ganzen gntmüthig, befferen Einwirkungen 
zugänglich find und im Vergleich mit anderen, 3. B. den Pariſer 
Hochſchülern, vollends gewinnen müflen. Die vielen Conflikte 
endlich, welche mit Behörden entſtehen, kommen nicht ſelten auf 
Rechnung taktloſer Beamten. Solche Händel zu ſchlichten, dazu 
gehört freilich viel Ruhe, Gebuld und Geſchick. Jugend muß 
austoben — und nur zu oft überſchäumt der Becher —, fie will 
daher in anderer Weiſe behandelt fein, als die übrigen Sterblichen. 
Mit feltenen Ausnahmen haben fi überdieß die Landmannfchaften 
durch ihren Ioyalen Sinn ausgezeichnet, fich nie in Verſchwörungen 
oder offenen Anfrubr eingelafien. Befaßte fi in neuerer Zeit 
ein Verein mehr mit Politit und ließen fid einzelne Mitglieder 
beffelben zu ungefeblihen Handlungen verleiten, fo bereute die 
übergroße Mehrzahl ſpäter ihre jugendlichen Verirrungen und bildete 
fh zu nützlichen Staatdbürgern and. — Wenn aber da3 Wort 
„Freundſchaft“ noch irgend Sinn und Bedeutung hat, fo ift fie 
in dem offenen, rüchaltlofen Anſchließen jugendlicher Gemüther zu 
finden. Diele ſolcher Verbindungen bilden fi für das Xeben, 


76 


gar mandhe aber, wohl die meilten, geben unter in veränderten 
Anfichten, Verhältnifien, Beziehungen aller Art! 


Nun Tehrte ich wieder nach meiner Vateritadt, in die alten, 
früher mir fo Tieb gewordenen, lange vermißten Verhältniffe zurüd. 
Die drei Jahre (1821 bis 1824) wurden auf die Vorbereitung 
zur Staatöprüfung und dann auf Die meitere Ausbildung im 
praftifchen Geſchäftsleben verwendet. Auch größere Reifen fielen 
in diefe Zeit. — Eine Staatöprüfung ift immer eine ernjte Sache, 
der ſelbſt fleißige Studenten ängſtlich entgegenfehen. Wer aber 
feine Univerfitätzzeit nicht gehörig benüßt, fängt nun zu „ochſen“ 
an (au ein zierlicher, oft ganz paflender Auzdrud), und um 
nicht dem Hafen in der Fabel zu gleichen, der ſchlief, während 
die langſam fortfchreitende Schnede das Ziel erreichte, ſtrengt er 
nun alle feine Kräfte an, das Verſäumte nachzuholen. Gelingt 
es einem begabten Kopfe, bierbei oft glänzende Beweiſe von ort: 
fchritten zu geben, fo ift das Ergebniß folder Studien doch mehr 
mit Treibhauspflanzen zu vergleichen; fie prägen fi nur dem 
Gedächtniffe ein, verflüchtigen fi aber fo bald und fo ſchnell, als 
man fie in fi aufgenommen. — Wenn ich aud nur wenig 
Gewicht auf die Schulprüfungen Tege, fo glaube ih, daß die 
Megierungen mit vollem Recht die Aufnahme in den Staatsdienft 
nur an die Bedingung tüchtiger Befähigung Tnüpfen follten. Ein: 
mal wird dadurd der Zudrang zu den öffentlichen Aenitern er: 
ſchwert und nur den befferen Kräften gefichert, dann wird aber 
auch weniger fähigen Kandidaten noch rechtzeitig die Möglichkeit 
eröffnet, fi einen, ihren Talenten mehr zufagenden Beruf zu 
wählen. Auch mar es mohl eine weiſe Einrichtung der Regierung, 
daß fie bald nad jener Zeit die Staatöprüfungen in Karlöruhe 
bei dem großherzoglichen Juſtizminiſterium felbft vornehmen ließ; 
denn nicht nur wurden dadurch die ſich Meldenden gewiflen, oft 


77 


unvermeidlichen Einflüffen ihrer Heimath entzogen, es bot dieſe 
Anordnung aber auch noch den weiteren Vortheil, daß die Mechts: 
candibaten de3 ganzen Landes hier zufammenfamen und ein 
größerer Wetteifer ſowohl geweckt, al3 auch eine leichtere Weberficht 
ihrer Leiftungen gewonnen werden konnte. 

So ſah ich denn nicht ohne innere Bewegung jenem wid 
tigen — glüdlicherweife letzten — Examen entgegen und unter: 
309g mid ihm mit ſechs anderen Mitbewerbern zu Freiburg im 
Vebruar 1821. Nah drei fhriftlihen größeren Ausarbeitungen 
zu Haufe wurden wir mündlich, Dann au in fremden Sprachen 
geprüft, endlih mußten wir gemeinfchaftlih, in einem Zimmer 
eingefhloffen, ohne andere als Geſetzbücher, verfchiedene Fragen 
aus allen Theilen der Rechtswiſſenſchaft fchriftlih beantworten. 
Drei Hofgerihtäräthe waren die Prüfungscommifläre. Obwohl 
ih mit den beiten Noten daraus hervorging, fo hatte ich doc 
auch bier wieder nicht das Gefühl innerer, volllommener Befrie 
digung mit meinen Leiftungen. 

Ich war nun wohlbeftallter Rechtspraktikant, zuerſt bei 
dem großherzoglichen Landamte, dann an dem Gerichtähof zu Frei⸗ 
burg. So wie ih auf der Univerfität, de damit verbundenen 
pſychologiſchen Intereſſes wegen, mehr Geſchmack am Eriminalrecht 
und Prozeß fand, als an civilrehtlihen Fragen, fo zogen mich 
auh bier peinliche Unterfuchungen mehr an, als bürgerliche 
Streitigkeiten. 

Diefes praktiſche Gefhäftsleben wurde häufig durch die Neifen 
unterbrochen, welche man, um eine gute Erziehung zu vollenden, 
nun einmal für unerläßlih hält. In dem Wanderjahre 1821 big 
1822 befuchte ich Italien vom St. Gotthardt bis Pompeji, war 
zweimal in Parid und von da in England, legte demnach 800 
Meilen zurüd. Mit fortichreitendem Alter verändert man jedoch 
immer mehr die Anfichten Über Art, Zweck und eigentlichen Nutzen 


178 


des Reiſens. Ein flüchtiges Durcheilen von Stäbten und Gegenden 
läßt nur ein fehr unvollkommenes Bild in und zurüd. Nur ein 
längerer Aufenthalt, ein tiefere Eindringen in jo viel geitaltete 
Verhältniffe, in die Sitten, Gebräuche und nationalen Eigenthüm⸗ 
lichkeiten und andere dharakteriftifhe Merkmale geftattet eine richtige 
Beurtheilung. Es kann Niemand einfallen ein Bol! mit den 
Hötelbefibern, Zoll und Polizeibehörden, Lohnbedienten und al 
den Klaffen zufammenzuierfen, mit welchen der Reifeude gewöhnlich 
in Berührung kommt. Leſe ich jebt wieder meinen damals nieder 
geichriebenen Reiſebericht aus Italien, wie nidisfogend, den Gegen⸗ 
Rand durchaus nicht erihöpfend kommt er wir vor! Ich gewaunn 
die Ueberzeugung, daß eme ſolche Reifebeichreibung nur die indi- 
viduellen Eindrüde, die perjönlichen Erlebniſſe ſchildern, daher vor- 
zugsweiſe ſubjektiv gehalten werden ſollte. Der deicriptive Theil 
kaun dann fügli den zabllofen „Guide's“ überlaffen, dort nach⸗ 
gelefen werden. Seit Göthe bis auf den heutigen Tag iſt doch, 
zumal in Italien, ein jeder Stein jo oft und umſtändlich befchrieben, 
daß alles Weitere ermüdend und überflüffig erfcheint. In einer 
folden großen, intereffanten Reife war ich auch nicht gehörig vor⸗ 
bereitet, überdieg noch viel zu jung. Die liebevolle Güte meines 
Vaters, eine günftige Gelegenheit benügend, Hatte mid) eine? Tage 
plöglich mit dem Vorſchlag überraſcht, in Geſellſchaft des Kreis: 
direftord (nachmaligen Staatöminifterd) ». Türkheim Italien zu 
befuchen. In aller Eile nahm ich nun ein damals belichtes Neife 
handbuch — das von Triedländer — vor, und hielt mich fo 
pünktlich an feine Ungaben, daß felbit em Theil feines Urtheils, 
feines Kunftfinnes, ja ſelbſt feiner Begeifterung in die Ergüſſe 
meine® Tagebuchs überging. Ich las, ſah, fchrieb nieder, was viel 
zu raſch während diefer dreimonatlicden Fahrt in überwältigenden 
Bildern au mir vorüberzog! Doc wurden fo vielfüche Genüſſe auf 
gar manche Weife verbittert. Schon der Augenblid war damals 
zu einer Reife nach Stalien nicht der günftigfte. Die an allen 


79 


Orten und Enden audgebrochene Revolution war faum unterdrüdt; 
es gährte und glimmte überall, und die Fremden waren daher 
mehr ala gewöhnlich, befonders bei dem rafchen Wechfel der Gren: 
zen, den allerläftigften Pak: und Mauthvifitationen unterworfen. 
Wurde dadurch unfere Geduld auf eine harte Probe geftellt, fo 
fehlte es auch nicht an anderen Webelftänden. Das beitindige 
Betteln, bald in der Form der ſich ſtets ernewernden buona man’, 
bald von Ekel erregenden oder Näuber ähnlichen Geſtalten geübt, 
der nie aufhörende Streit mit Wirthen und Ciceronen, ihre immer⸗ 
wäßrenden Weberliftungen und kleinen Raiffe, dad Gezänte mit 
Laſtträgern und Vetturini (einer derfelben fpannte die Maulthiere 
mitten auf dem Platze in Bologna aus und ließ und mit dem 
Wagen ftehen), dad betäubende Geſchrei, bie unverſchämte Zudring: 
lichkeit, die Unreinlichleit, all dieß fteigert den Unmuth bis zu einer 
gewilfen nervöſen Reisbarfeit, und läßt des Gefühls, im fchönen 
Stalien zu fein, nicht recht froh werden. Freilich treten in ber 
Erinnerung folde ärgerliche Auftritte zuräd, um ben lohnenden 
Eindrüden gu weichen. Ich Tann diefen lebteren hier nur flüch⸗ 
tig — gleihjam im Bogelfluge — folgen! Wenn man von den 
eomantifchen Ufern des Vierwaldſtädter⸗See's über die Teufelsbrücke, 
aus der troftlofen Einöde des Hoſpiz nach dem Teſſin berabfteigt, 
wie rein, wie dunkelblau ift der Himmel, wie verbindet fi da 
die üppigfte Natıır der Alpen mit den milderen Lüften des Südens, 
wie heiter glängen da die lieblichen See'n in der Nähe ber Eis: 
gebirge! Dann die lombardiſche Ebene, unabfegbar, nur im ferwen 
Süden von eimem blauen Streiien — den Appeninnen — be 
grenzt! Welch geſegnetes Erdreich, von unzähligen Städten und 
Dörfern bedeckt, von Kanälen durdfchnitten, von Nebgeländen und 
Südfrüdhten durchzogen! Und das folge Mailand mit feinem 
fetngefehnigten, weißen Marmorberge fi erhebend über dieſem 
wogenden Meere von Saaten und grünem Guirlanden! Mailınd 
voll herrlicher Kirchen mit feinen Erinnerungen an die zwei großen 





80 


Heiligen, Ambrofius und Karl Boromeo, wie an Luini und 
da Binci! und dann wieder in Tebendigem Treiben mit feiner Scala 
und feinen Paläſten Paris zu vergleihen! Bon da fchmweifen 
unfere Blide über Piacenza, Parma mit feinen Correggio's, 
und Modena nad dem „gelehrten” Bologna. In reizender 
Umgebung birgt diefe Stadt mit ihren beiden fenderbaren Thürmen 
io viele Meifterwerfe der Baukunſt und Malerei, unter letzteren 
Raphael Cäcilia! Weberfchreiten wir nun die Appeninnen, auf 
deren Höhe man die beiden, durch Stalien getrennten Meere zu: 
gleich fieht, und fleigen in das romantische Arnothal, wie fühlen 
fih da nicht Geift und Sinne gleihmächtig angezogen von Flo: 
renz, der immerblühenden Stadt der Blumen! Hier ſahen wir 
nun das prachtvolle, italienifhe Pantheon, Santa croce, bewun⸗ 
derten die reihen Kunſtſchätze in der unvergleichen Gallerie, wie 
in dem feftungartigen Balaft Pitti, und mit Entzüden Bingen 
unfere Augen, von den Gärten Boboli aus, an den hiſtoriſchen 
Höhen, welche die reizende Stadt ringd umgeben! Und vollends 
Rom! Rom, der Inbegriff alles deffen, was wir und fchon von 
frühefter Jugend an als geichichtlih merkwürdig, groß und heilig 
gedacht; einjt die Beherricherin der Welt, nun die Metropole der 
Chriftenheit! Es war an dem mir unvergeklichen Abende meines 
22. Geburtätages, ald mein Auge zum erftennale auf St. Peter 
ruhte, binter deſſen Kuppel die Sonne unterging! Bald hatten 
wir Ponté molle, die Piazza del popolo erreicht; doch unfer Ent- 
thuftagmus wurde nur zu bald abgekühlt, denn man führte uns 
ftatt in den Gaſthof glei zur Dogana, die fich freilich bier, 
weniger profaifch als gewöhnlich, in ein altes, zerfallendes Ge- 
mäuer mit fchönen Corinthiſchen Säulen eingeniftet hatte. Aber: 
mals Paß⸗, Gepäck⸗ u. dgl. Verationen, dann endlich) Ruhe in einer 
Locanda auf den fpanifhen Plate, um mit dem befeligenden Ge⸗ 
fühle einzufchlafen: in Rom zu fein! 

Es gibt wohl feine Stadt, welche in fo verjchiedenartiger 


81 





Weiſe aufgefaßt und beichrieben wurde, wie Rom. Die Einen er: 
geben ſich in überjchwenglichen Lobeserhebungen und begeifterter 
Bewunderung, die Anderen tadeln wieder in ungebührlicher Weife, 
und die Wahrheit liegt wohl auch hier in der Mitte. ben weil 
die „ewige” Stadt fo verfchiedene Geſichtspunkte bietet, geben die 
Urtbeile über fie jo fehr und oft in fo leidenfchaftlicher Weile aus⸗ 
einander. Nach drei Hauptrichtungen gleich anziehend, läßt Rom 
dem wißbegierigen Touriften die Wahl, fih mehr mit der einen 
oder anderen zu beichäftigen; wir unterfcheiden das heilige, das 
Rom der Kunftgallerieen, das antike Rom! Der Künitler, der 
Archäologe, jeder Gebildete erfreut fi an den reihen Sammlungen 
und unfhätbaren Alterthümern; der Geſchichtsfreund findet hier 
auf jedem Schritte Erinnerungen, welche ihm Jahrtaufende über: _ 
lieferten, ja felbjt der Boden, den fein Fuß betritt, verbirgt uner: 
meßliche Schäte Nur dem „heiligen“ Rom mollen gar. viele 
Reifende nicht gerecht werden; fie kommen da mit eingewwurzelten 
Vorurtheilen an und bemwaffnen fich felbft gegen eine befjere Weber: 
zeugung mit Dellamationen über Priefterherrichaft, mittelalterlichen 
Aberglauben, Mifbräude u.dgl.m. Mit böhnifchen Spotte oder 
puritanifcher Entrüftung ſchmähen fie Erfcheinungen und Gebräuche, 
deren Sinn und Bedeutung fie nicht verftehen. Nur in neuefter 
Zeit find Kardinal Wifeman, Maguire und andere geiftvolle Schrift: 
fteller fo oberflächlichen, gleißnerifchen oder böswilligen Auffaſſungen 
entfchieden entgegen getreten. Rom mird aber diefen VBerfolgungen 
nie entgehen, eben weil es der Fels ift, auf dem Chriſtus feine 
Kirche gegründet. Das weltliche Regiment des Papfted, wie jede 
menſchliche Anftalt Mängeln unterworfen, theilt diefe Lebelftände 
mit den anderen italtenifchen Staaten; fie werden in Rom aber 
reichlich aufgewogen durch eine wahrhaft väterliche Leitung und 
flegreich murden alle die Verläundungen der Gegner der Kirche 
duch nicht zu läugnende Thatfachen widerlegt. 

Sp wenig Zeit und auch zu einer gründlichen, oder auch nur 

Irh. v. Andlaw. Wen Tagebuch. I. 6 





genußreichen Beſchauung fo mannigfaltiger Gegenſtände blieb, fo 
ließen wir doch keinen unbejucht, dehnten unfere Forſchungen auch 
auf die Campagna, auf Tivoli, Albano u. f. w. ans. Meinem 
Plan getreu, fpreche ich Hier nur von perfönlicdhen Erlebniſſen und 
Begegnungen; Überdieg find Peterskirche, Batican, Lateran, Capi⸗ 
tol, Pantheon, Collifeum, Engeldburg, Corſo, Katalomben, die 
fießen Hügel mit ihren Villen Worte von fo gewaltigem Jubalte, 
von fo welthiftorifcher Bedeutung, daß meine fchwache Weder nichts 
zu ihrer Verherrlichung beizutragen vermag. 


Nie wird aber in meinem Gedächtniß das Andenten an die 
halbe Stunde erlöfchen, weldye ih bei Sr. Heiligfeit dem Papfte 
Pius VII. im Quirinal zubradite. Treffend fagt Cardinal Wifeman 
-in feinen „vier Päpften‘ Seite 16: „Für jeden Katholiken muß 
eine folhe Vorftellung ein Ereigniß für’3 Leben fein; fie ruft ein 
Doppelgefühl hervor, beftebend aus der Verehrung, melde man 
dem Fürften zollt, und der Huldigung, die dem Oberhaupte unferer 
Religion gebührt. Von dem Monarchen empfangen wir mit Be 
friedigung ein herablaffende® Wort, von dem Papſte nehmen wir 
dieß Wort als einen Segen entgegen.” 


Hr. v. Türfheim und ich hatten und in Uniform eingefunden, 
und gegen die beitchende Etiquette wurde und geftattet, die Degen 
zu behalten. Pius VII faß, als wir eintraten, Hinter einem 
großen Schreibtiſch, und trat und dann als ein Meiner, unter ber 
Laſt des Alters gebeugter Mann in einer einfachen, weißen Sou⸗ 
tane entgegen. Als Katholik machte ic die üblichen Kniebeugungen, 
. und freundlich reichte uns der ehrwürdige Greis die Hand zum 
ſtuſſe. Als ich diefe Huldigung mit tiefer innerer Erregung brachte, 
rief der Papft heiter fcherzend aus: Che galant-uomol Die 
Freude, melde ich damals über diefe freundlichen Worte empfand, 
wäre wohl getrübt worden, hätte ich ahnen können, wer in fpäs 
terer Zeit diefen Beinamen erhalten mürde. Der heilige Vater 


Bi u 
ſprach italienifch mit ung, denn feit feiner Rückkehr von Fontainebleau 
vermied er wo möglich jedes franzöftiche Geſpräch. Nach einigen 
allgemeinen Fragen und Bemerlungen über Rom und die Zeit 
verhäftniffe, nachdem er bei Hrn. v. Türkheim fich nach deſſen 
Vater erkundigt, den er in Rom Tennen und ſchätzen gelernt, ging 
der Papft auf die Sarbonaria, und die unbeilvollen Folgen jeder 
Revolution über. „Gott,“ fügte er bei, „ftraft nicht immer alle 
Verbrechen auf diefer Erde, felten aber entgeht, wer fi) gegen 
die göttlihen Rechte und menſchlichen Staatseinrichtungen empört, 
and, einer zeitlihen Züchtigung; wer durd die Mebolution fteigt, 
muß und wird durch fie wieder fallen!” Wie oft im Leben dachte 
ih an diefe Worte des vielgeprüften Kirchenfürften! Pius VII 
ſtand damald im 82. Lebensjahre; das Haar, wie die ſtarken 
Augenbrauen waren beinahe noch gang ſchwarz. Mit inniger 
Kührung und Theilnahme hingen wir an dem Anblide dieſes 
Mannes, der „alteräfhwadh” dem Mächtigiten diefer Erde muthig 
widerfiand, ja fogar feinen Sturz, wie deffen Tod erlebtel Später 
begegneten wir ben Papſte noch einigemale, ohne ihn zu fpredhen; 
einmal ließen wir durch feine Hand Roſenkränze meiben, und dann 
trafen wir ihn auf der Straße im Wagen, bei welcher Gelegenheit 
die Selbſtfahrenden immer ausſteigen. 

Zwei Jahre fpäter endete einer der merkwürdigſten Päpfte 
ein vielbemegtes Leben, auf welches die für ihn feit Jahrhunderten 
vorhergefagte Deviſe: „Aquila rapax“ ganz anwendbar erſchien. 
In den oberen Räumen der Bafilifa des heiligen Paul waren bie 
Bildniffe aller Nachfolger Petri gemalt. Das Porträt Pius VII. 
nahm die lebte Niihe ein; bald nach deflen Tode brannte das 
wundervolle Gotteshaus ab. — Während unferes Aufenthaltes 
fanden feine größeren Rirchenfeierlichleiten flatt, auch Volks⸗ und 
andere Feſte fielen nicht in diefe Zeit. Nur die Weinlefe ver- 
anlaßt im Oftober eine Art von Carnaval im rein; man 
lagert da in der Gegend des „Scherbenberg’3,” tanzt, trinkt, jubelt 

6 » 


84 


und malerif nehmen fich die Trachten der Landleute aus. Die 
Beſichtigung der zahlreichen Kirchen, Paläfte, Denkmale und Anti: 
quitäten ließen und nur wenig Zeit für Beſuche und Gejellichaften. 
Kölle, der bekannte württembergifche Diplomat, bot fih ung ge- 
fällig als Führer an. Mit Freuden fuchten wir den Grafen 
Appony auf, der als öfterreichifcher Botichafter den venetianiſchen 
Palaft beimohnte. Diefe und von Karlärube bekannte liebenswür⸗ 
dige Familie wurde damals durch die Geburt der erften und ein- 
zigen Tochter, Marie, vermehrt. Die beiden Söhne, Rudolf (jebt 
Botiafter in London) und Julius, waren zu Karlsruhe und 
Florenz geboren. inige Abende brachten wir bei dem preußifchen 
Sefandten, dem berühmten Niebuhr zu, um den fich gewöhnlich 
die Elite der römiſchen Gelehrten und Künftlerwelt verjammelte. 
Ich war damals noch zu jung, um näher mit diefen Gelebritäten 
befannt zu merden. Overbek, Cornelius, Bartholdy jtanden in 
erfter Linie. Noch fchwebt mir aber die ebenjo impofante als ein- 
nehmende Erſcheinung des Cardinals Conſalvi vor, deſſen fein 
geſchnittenes Profil eine, nach ſeinem Tode (1824) geprägte Me⸗ 
daille verewigte. — Die Theater zogen uns in Rom wenig an, 
fie gehören nicht zu den beſſeren Italiens. 

Bon Rom nah Neapel hatten wir Pläke mit dem Courier 
genommen, welchen einige Carabinieri mit gezogenen Säbeln be 
gleiteten. Wir machten auf diefem Wege die unwillkommene 
Belanntichaft mit den pontinifhen Sünpfen, welche geipenftige 
Poſtillone mit Blibesfchnelle durchfahren, fahen dann die beiden 
Räubernefter Iſtri und Fondi, Gaëta, Terracina (furze Zeit zuvor 
war der öfterreichiiche Graf Coudenhove von Räubern angefallen, 
in die Gebirge geichleppt und erft gegen Löfegeld frei gegeben 
worden). Ueber Capua und Averfa trafen wir endlich in jener 
alten Barthenope ein, melde man ein von Teufeln bewohntes 
Paradies nennt. Es ſteht jedoch damit wicht fo fhlimm, und es 
hieße jedenfalls die Kinder jenes vulkaniſchen Bodens verläumben, 


85 


wollte man nur gerade fie als Teufel in Menfchengeftalt bezeichnen. 
Es iſt ein genußſüchtiges, unrubiges, charakterloſes Völkchen, das 
viele Fehler mit den anderen Italienern tbeilt, doch auch wieder 
manchen guten Zug vor Dielen voraus hat. Ich geflehe, daß 
Neapel mir vor allen anderen Städten der Halbinfel gefiel, und 
wenn id auch dem Sprüchworte nicht beiftimme — Veder Napoli 
& poi morir! — will ich lieber leben, um midy immer freuen 
zu können, es geieben zu haben! Keine Stadt ift wohl fo oft 
beichrieben und gezeichnet worden, ald Neapel! Aber auch weld 
ein bezaubernder Golf mit den Inſeln und Küften, den durch⸗ 
fihtigen, blauen Wellen des Meeres, welch ein buntes Treiben, 
welche Farbentöne! Wie verſchwinden da alle Kunft: und Alter: 
thumsſchätze vor den verführeriichen Reizen einer ewig jungen 
Natur! Und in diefer Zeit von acht Tagen follten wir alle diefe 
lieblihen Bilder in und aufnehmen? Ein Beſuch in Pompeji ift 
ja allein fchon eine Reife nach dem Süden werth! Wie fchmweiften 
unfere Gedanken jehnjühtig vom Veſuv zum Aetna! Wie gerne 
hätten wir Paeftum und fo viele andere anziehende Punkte befucht; 
nicht einmal den Feuerkegel konnten wir beiteigen, wenn er uns 
auch gleich jede Nacht mit kleinen auffteigenden Flammen dazu 
einlud! — Denkwürdig blieb mir immer die Erfcheinung des alten 
Königd Ferdinand I. Welche Ereigniffe waren über diefem greifen 
Haupte vorübergegangen, da er ſchon 1759 den Thron beitiegen! 
Beinahe jeden Morgen fahen wir ibn mit feinen ſtark marfirten 
Zügen, bei denen eine ungeheuere Naſe bervorragte, in einem 
offenen Wagen auf die Jagd fahren, deren Ergebniffe er dann 
feinen Belannten zuſchickte. Bei einem Diner des öſterreichiſchen 
Generals Frimont aß ich von einem, von Föniglicher Hand erlegten 
Rehe. Das Theater zog und wegen Roſſini an, der damals in 
Neapel war, wo auch feine Tünftige Frau — die Colbran — 
fang. Dennoch wohnten wir einer ganz mittelmäßigen Vorſtel⸗ 
lung der Gazza ladra bei. Oper und Ballet bilden bekanntlich 


86 


in Italien den bauptfächlichften Theil der Unterhaltung; es ift 
dad Theater daB allgemeine Rendezvous aller Stände. Jede 
noch fo Heine Stadt hat daher ihr oft überrafchend ſchönes Schau: 
fpielhaus; impofant ift der Anblid der Scala in Mailand, von 
San Carlo in Neapel; in beiden find befonders die Ballette voll 
ergreifender Wirkung; nirgends findet man berrlichere Dekorationen 
und eine blendendere In: Sc mefetung. Sängern von ausgezeidh- 
netenn Ruf begegneten wir nicht, die einen waren ſchon zu alt, 
wie Tadinardi, die anderen Anfänger, wie Lablache, der aber 
{don mit feiner wundervollen Stimme entzüdte. Da die Künftler 
auf italienifhen Bühnen immer wechſeln und die beften Truppen 
meiftend nur im Carnaval vereinigt find, fo ift e8 Zufall, wenn 
man gerade irgendwo ausgezeichnete Darftellungen trifft. Für 
Fremde zumal ift aber der Beſuch italienifcher Theater mit gar 
manden Unbequemlichleiten verbunden; fihon die ungebührliche 
Länge der Borftellungen, die tägliche Wiederholung derfelben Oper, 
der beftändige, unerträglihe Lärm, der nur bei Lieblingsftellen 
“aufhört, all dieß ermüdet und wird beſonders im Parterre zu einer 
wahren Dual. Dennoch läßt ſich mit dem Teuer der lebendigen 
Auffaffung der italieniſchen Sänger nichts vergleichen, und wenn 
der Vortrag vielleicht auch weniger ſchulgerecht, die Muſik nicht 
immer gediegen, mehr für die Sinne berechnet tft, fo kann man 
fi doch eines Gefühls Hoher Befriedigung, ja felbft der Begeifte: 
rung bei diefen mufllalifhen Genüflen kaum ermwehren. 

Nach dem Allerfeelentag, deſſen eigenthümlicher Gedächtniß⸗ 
feler wir noch beimohnten, traten wir unfere Rückreiſe, und zwar 
der vorgerückten Jahreszeit wegen, in größter Eile an. In Rom 
und Florenz bielten wir und nur noch einige Tage auf, und in 
erfterer Stadt hatten wir das Glüd, in der Kirche des heiligen Karl 
am 4. November den Papft dad Hochamt Halten und dann in 
feierlicher Prozeffion herumtragen zu fehen. An demfelben Tage 
entlud fi ein fo furchtbares Gewitter über Ron, wie ich felten 


87 


eined erlebt: Schlag folgte auf Schlag, und nicht in Tropfen, 
aber in Fäden ergoß fih der Regen. — In der Pergola zu 
Florenz wohnten wir einer Borftellung bei, worin und die Hof: 
loge mehr intereffirte, als das Bühnenfpiel. Es befanden fi 
nämlich zufällig an jenem Abend dort verfammelt: der Großherzog 
Ferdinand und der Erbprinz Leopold von Toscana, beide mit 
ihren Frauen, füchlifchen Prinzeifinnen und Schweſtern; ala ihre 
- Säfte, die Herzogin Maria Lonife von Parma, faum erft Wittwe 
Napoleons geivorden, und Karl Albert von Savoyen; Carignan, 
deffen hohe, hagere Geftalt im Hintergrund hervorragte und der 
damald nad) dem Turiuer Aufruhr auf Reifen geſchickt wurde! 
Welch feltiame Begegnung! 

Ueber Ferrara und Padua gelangten wir nah Venedig. 
Ich enthalte mid, jeder Bemerkung über dieſe Stadt, in der wir 
nur einen flüchtigen Blid auf den Markusplatz mit’ feinen welt: 
berüämten limgebungen werfen Fonnten. Wir fahen nichts von 
al den Reizen, melde die Stadt der Lagunen jedem Befuchenden 
unvergeßlidh machen. * Der düftere Novembernebel, die zerfallenden 
Paläfte, die engen Straßen, die fiinfenden Kanäle, die traurigen 
Sonden, aU dieß konnte nur einen trüben Eindrud in uns zurüds 
lafſen. Ebenſo raſch ging es Über die herrlichen Städte Vicenza, 
Berona, Brescia nach Mailand zurüd. Don dort nahm uns der 
Eomer See auf, bei glänzend flimmerndem Schneelichte überjtiegen 
wir den Splügen und eilten dur das Rheinthal der Heimath 
zu. — So genufreidy diefe Reife, fo kurz mar fie au, und in 
diefen zehn Wochen mußte gar Manches verfäumt werden. Gie 
ließ daher den lebhaften Wunſch in und zurüd, einft länger und 
mit mehr Befriedigung dort zu verweilen, ein Wunfch, der leider 
nit erfüllt werden ſollte. — Ohne Meine Abenteuer läuft. eine 
italienische Reife nicht leicht ab. Unter einigen auffallenden Be 
gegnungen will ich Bier nur Skizzen von drei Reifegeführten ent: 
werfen, die an ſich fo unendlich verſchieden, dennoch in ihrer 


I) 


88 


Charakteriſtik zugleich einen Einblid in die damaligen Sitten und 
politischen Zuftände jenes Landes gewähren. 

Bon Florenz bis Rom befanden wir und in Gefellichaft 
eined 80jährigen Marchele aus Parma, in Tracht und Benehmen 
ein höchſt merfmürdiges Original. Tamiltengeichäfte führten ihn 
nah Rom, und es fchien, ald ob er während feines langen Lebens 
die Vaterftadt nur höchſt felten verlafien hätte. Aus einer früheren 
Zeit hatte er alle Anfichten, Vorurtheile und eine fouveräne Ver: 
achtung für jene bewahrt, die er nicht für feines Gleichen hielt. 
Mit der alten italienifhen Familien eigenen Sparfamfeit verband 
er eine völlige Ungewohntheit des Reiſens. Brei Schredbilder 
quälten ihn beftändig: die Furdt, in Gafthöfen übernommen zu 
werden, die Angſt vor NRäubern und der etwaige Ausbruch eines 
Vulkans. Um fih möglichſt ölonomifd einzurichten, führte er 
feinen Mundvorrath in einer blechernen Büchfe mit fih und trank 
Waſſer am Brunnen; nur Nachts betrat er das Albergo, wo er, 
der alte Mann, ſich aber weigerte, in's Bett zu Tiegen, und in 
der Hoffnung, das Zimmergeld zu erfparen, in einem Lehnſtuhl 
fchlief, daher jedesmal heftiger Streit mit dem Wirthe. Gegen 
räuberifhe Anfälle Hatte fich der ſtolze Marchefe mit einer unge 
beueren Tabaksdoſe verjehen. Bor Vulkanen wußte er fich jedoch 
nicht zu ſchützen; er fah deren allenthalben, und bei jedem Teuer 
auf dem Felde bemerkte er fill vor fih hin: Ecco un’ altro 
volcano! Später ſahen wir ihn, eine Yeibhaftige Nococofigur, in 
geftictem Rode mit Degen und Manchetten majeftätifh in der 
Billa Borghefe zu Nom fpazieren gehen; er würdigte und feines 
Blickes! Wie viele folder Karikaturen mögen wohl früher die 
unzugänglichen Paläfte Italiens verborgen haben! — Ein zweites 
Zufammentreffen mar weniger komiſch. Es war ſchon dunkel, als 
wir und in Rom in den Wagen febten, welcher nur drei Plätze 
für Neifende hatte. Außer dem päpftlichen Courier fand fi nur 
noch ein Paſſagier ein, Nun ift es zu jeder Zeit unheimlich, 


89 


Nachts in einen Öffentlichen Wagen zu fleigen; in Stalien mar 
es aber damals doppelt erwünſcht, feine Gefährten zu Tennen. 
Es ging und zwar nicht wie jenem MWeifenden, der bei Tagesan: 
bruch mit Entſetzen bemerkte, daß ein Tanzbär neben ihm fike; 
unfere Entdedung war, wenngleich verfchiedener Art, doch nicht 
minder unangenehm; diefer dritte Mann nämlich fließ von Zeit 
zu Zeit anfangs unvernehmliche Töne, dann immer lauter ſtets 
diefelben Worte aus: „Carbonaria, maledetti carbonari! ohime! 
misero mio!“ u. f. w. Diefe Klagen wurden ohne Unterbrechung 
fortgefest, ließen ung nicht fchlafen, und auf alle unfere Fragen, 
auf unfer Rütteln und Schütteln gab und der Unglüdliche immer 
die gleihe Iamentable Antwort. An der neapolitanifchen Grenze 
diefelbe Geſchichte, ſo daß die Beamten glaubten, er wolle fi 
über fie luflig machen, und ihn verbaften ließen. Man durch⸗ 
ſuchte nun feine Taſchen, fand den Paß und die Schlüffel zum 
Gepäde, das man fireng vifltirte. Der Aermſte ließ dieß Alles 
mechanifch gefchehen, und man gab ihn wieder frei. Der menfchens 
freundliche Sonducteur aber nahm fich feiner bis Neapel wie eines 
Kindes an, und wir vermutheten, daß er ein feinen Wärtern 
entfprungener Dann war, dem, wie fo vielen Andern, die Revo⸗ 
Intion den Kopf verrüdt hatte. — Unfer drittes Abenteuer 
endlih fand an der römifch-wenetianifchen Grenze zu Ponte 
lag’ oscuro (ein omindfer Name!) ftatt. Mein Reifegefährte hatte 
eine Kleine Madonna von Barofalo gekauft, und die Mauthbeamten 
widerfeßten ſich der zollfreien Einfuhr des Gemäldes; auch follte 
e3 zuvor noch zur Cenſur! nad Wien gefchictt werden! Dieß vers 
febte nun begreiflicher MWeife den Herru v. QTürkheim in ebenfo 
großes Eritaunen, als üble Laune. Es Tam daher zu Tebhaften 
Zwiſchengeſprächen; da nahte fi ein Fremder mit dem leife er: 
theilten Rathe, die Sache nicht auf's Aeußerſte zu treiben; der 
„dunkle See” fei audy von Dunkelmännern bewohnt, welche ihn 
bier ſchon acht Tage lang aufhielten. Wir gaben daher nad, das 


Bild wanderte nach Wien und gelangte erft nach langer Zeit zu 
Herrn v. Türfheim zurüd. Doch hatte und der Streit aufge: 
halten, wir mußten in dem traurigen Orte übernachten und brachten 
den Abend mit unferer warnenden Stimme zu. Sie ftellte fi 
uns al3 einen polnifchen Obriften vor, der, früher in franzöfiihen 
Dienften, Napoleon aus Anhänglichkeit auf der Inſel St. Helena 
beſucht und von ihm Briefe an feine Familie mitgenommen. Nah 
de3 Polen Angabe war er jedoch megen diejer verhängnißvollen 
Papiere mehrere Jahre unterwegd, Tängere Zeit in der Feſtung 
Aleſſandria gejeffen, und jebt, nachdem die Schriften in Nom, 
Turin und fhon zmeimal in Wien geweſen und ihm immer 
wieder zurüdgegeben worden feien, habe man fie abermald vorge 
funden und beanftandet, er müffe daher bier die Rüdantwort vor 
Wien abwarten. Wahricheinlid, ferien ihm die Briefe hier wieder 
deßhalb als verdächtig mengenommen worden, weil er, dur 
jene Vorgänge gewarnt, fie in den gepolfterten Seitenwänden 
feines Wagens verborgen; nur durch Berrath hätten fie entdedt 
werden können. Was an der ganzen Geſchichte wahr, konnten 
wir nicht beurtbeilen; kurz, wir veiften des anderen Tages mit 
Zurücklaſſung Carofalo's nad) Benedig und wünſchten dem Polen 
baldige Erlöfung. Erſt fpäter erfuhren wir feinen Namen, den 
er und felbjt nicht nennen wollte. Er bieß Jecmanuszki, ſo viel 
ich mich zu erinnern glaube. 

Im darauffolgenden Jahre (1822) war ich dreimal in Paris. 
Hier traten mir nun mit jedem Schritte die Erinnerungen aus 
ber Kindheit entgegen, doch wie jehr hatte fich alles verändert! 
Lilien ſtatt der Bienen und Veilchen, weiße Lappen fiatt der 
Xricolore! Den Napoleoniden waren die Bourbonen, dem Triege- 
riſchen Treiben eine Friedendzeit gefolgt, mit ihr zog das Reich 
der Börfe, der Induftrie, der Spekulationen ein; es war mit einem 
Wort die Zeit der f. g. Reftanration, in der man frühere Frevel 
zu fühnen, tief gefchlagene Wunden zu heilen fuchte, weniger eine 








91 





Zeit des Uebergangs, als des Umſchwungs der Dinge in entgegen: 
gefeßte Extreme, wobei man ſich wieder ebenio vielen Täufchungen 
und Berirrungen hingab. Man befuchte mehr die Kirhen, war 
äußerlich frommer, ohne dem fleptiihen Sinne, der Yrivolität ver- 
gangener Tage zu entfagen; man benübte die Charte zu Hof: und 
Kabinetsintriguen, und grollte dem Auslande ob der erlittenen 
Demüthigungen. Damals leitete der ſtaatskluge Ludwig XVII. — 
deux fois neuf, wie man ihn nannte — nod alles mit ficherer 
Hand. Nichelieu, Damas, Decaze und andere Minifter fanden 
ihm zur Seite. Jeden Sonntag fand bei diefem Monarchen eine 
diplomatifche Cour flat. Wir wohnten einer derielben bei, und 
in der That waren fie fo ungewöhnlicher Art, daß ich fie kurz 
befchreiben will. Die Gefandten fiellten ſich nach ihrem Range 
in einem großen Halbzirkel auf, hinter ihnen die Legationsfelretäre, 
fowie die vorzuftellenden Fremden. Nun murde ber unförmliche 
König, in voller Uniform, auf einem Rolftuhle bereingeführt. Der 
geiftreiche Monarch wußte aber bei ſolchen Anläffen nicht? anderes 
zu jagen, als ſich regelmäßig, von feinem Site au, nad, dem 
Befinden der Fürften zu erkundigen, die da vertreten waren. Nur 
bei dem Schweizer Gefchäftäträger machte er eine, durch die Um: 
flände gebotene Ausnahme, und fragte außer nach anderen gleich: 
gültigen Dingen: Les montagnes de la Suisse ont-elles toujours 
beaucoup de neige? Wie der Rollſtuhl fidy drehte, machte auch 
dad diplomatiiche Korps eine rüdgängige Bewegung nad der 
Thüre, wobei nicht felten die Dreifpige, die Degen und die Beine 
im Conflikt geriethen. Aehnliche Audienzen fanden auch bei den 
übrigen Mitgliedern der Töniglihen Familie flatt. Der fchöne 
Greis, Monsieur, überrafchte durch rüftiges Ausjehen und eine 
edle, freundliche Haltung. Weniger ſprach die Perfünlichkeit des 
berzoglichen Ehepaare Angouldme an. Sie empfingen Talt, ohne 
einnehbmende Formen. Endlich jahen wir die lebensfrohe Wittme 
M. Karoline von Berry, deren Kinder ſorglos um ſie fpielten. 


92 


Nach dem Hofe war es die Chambre des Döputes und ihre 
ſtürmiſchen Sigungen, welche die Neugierde der Fremden weckte. 
Der feftgegliederten royaliſtiſchen Partei mit ihren mehr leidenſchaft⸗ 
lichen als Mugen Wortführern an der Spite ftanden kühne Redner 
gegenüber, welche ſich, nur fünf oder ſechs an der Zahl, ungeſcheut 
rühmen durften, daß hinter ihnen 30 Millionen Gleichgefinnte 
ftehen! Da gab es denn lebhafte Discuffionen, ſelbſt blutige Duelle. 
Noch erinnere ih mich der Fräftigen Geſtalt Foy's, des hinfälligen 
Benjamin onftant, wie der imponirenden Erſcheinung Caſimir 
Perrier’d. Auch hieß es im Lager der Linken: pour &tre bon 
patriote il faut s’habiller en Casimir, boir du Lafitte, 
lire son Manuel, y ajouter Foy, et lui rester Constant! 
Wer gedentt jebt noch jener erbitterten, parlamentariihen Kämpfe! 

Einen anderen ergreifenden Beſuch machten wir im Taub: 
ſtummen-Inſtitute. Schon 1810 hatte ih mich als Kind der 
Lehrmethode des Abbe Siccard erfreut, und ich wollte den vor: 
trefflichen Freund der armen, des Gehörs und der Sprache Be 
raubten wiederfehen. Man führte und in fein Zimmer, doch wie 
erftaunten wir, als wir den ehrwürdigen SOjährigen Lehrer todt 
im Bette faben; er mar den Tag zuvor geftorben. Da lag der 
verdienftoolle Nachfolger des unvergeklihen Abbe de l'Epée mit 
dem milden Ausdrud in den Zügen, worin ſich das lohnende Be 
wußtfein eines redlich vollbrachten ſchönen Tagwerkes wiederſpiegelte. 
Tiefer Schmerz zeigte ſich auf den Geſichtern der Zöglinge. 

Außer dem unvermeidlichen Beſichtigen von Merkwürdigkeiten 
nahmen unſere Zeit auch viele Beſuche in Anſpruch. Da mein 
Bruder und ich auf dieſer Reiſe unſeren Vater begleitet hatten, 
ſo lernten wir in Geſellſchaften, wie bei häufigen Diners manche 
intereſſante Perſönlichkeit kennen, fo: Pozzo di Borgo, den Duc 
de Gramont, Röderer, Segur, Belderbuſch u. a., auch mit dem 
ebenſo charakterloſen als geiſtreichen Staatimanne Dalberg trafen 
wir zuſammen; ſein ſchöner, deutſcher Name paßte ebenſo wenig 


93 


zu feiner Stellung, ald zu dem franzöfiihen Duc-Titel. Unſer 
Geſandte felbft aber, der alte Ichmächtige Bailli von Ferrette, war 
eine in Paris fo allgemein befannte Figur, daß er der Gegenftand 
beftändiger Witze und Wortfpiele wurde. 

Unter den Genüffen, welche Paris unferem jugendlichen Sinne 
bot, nahmen die Theater wieder den erften Rang ein. Doc, dieß 
find fo raſch vworüberziehende, fo bald erbleichte Bilder, daß fich 
jebt nur nod .die trodene Kunftgefchichte mit ihnen befchäftigt. 
Diefe Künftlernamen Haben jet allein für Jene Bedeutung, 
welche die unnachahmliche Grazie einer „Mars ,"” das Organ und 
die Würde „Talma's“ Tannten; Die niedliche Leontine Fay entzückte 
damals ald Kind, und die ergreifenden Töne einer Fodor, einer 
Einti find nun längft verklungen. Wie früher Brunet, ergößten 
nun Botier, Perlet u. a. mit ihren unvergleichlichen Späßen. 

Au jener Zeit wurde auch auf der Place notre Dame des 
Victoires die Reiterftatue Ludwig XIV. feierlih enthält, wobei 
Heine filberne Dentmünzen ausgeworfen wurden. 


Bon Baris aus befuchten wir England. Was fol ih nun 
von den Eindrüden fagen, welche fo viel Neues und Veberrafchen: 
de in mir zurüdließen? Wie man den engliihen Boden" betritt, 
ericheint Alles fo fremdartig, es findet nicht wie bei anderen Grenzen 
ein Uebergang ftatt, und man follte glauben, daß die beiden durch 
eine jo fchmale Meerenge getrennten Küften hundert Meilen von 
einander entfernt liegen. Wir zogen nun in die von Rauch und 
Nebel umhüllte Weltſtadt ein, und pfeilſchnell verflogen uns in 
Gefelichaft der beiden „Galen“ die paar Wochen unſeres Aufent: 
haltes. Die merfvürdige Geſchichte Englands trat uns in den 
Hallen Weltminfters, wie in dem Tower entgegen, die Handels: 
größe und den Weltverlehr Englands lernten wir in den Doks 
kennen, die, felbft eine unabfehbare Stadt, Schiffe aus allen 


94 


befannten Theilen des Erdballs aufnehmen. Die reizenden Square’s, 
die grünenden Parks enifalteten die üppigfte DBegetation und wie 
auf den Straßen unzählige Wagen aller Art, durchkreuzten die 
nieblichften ‚Schiffe die wogenden Wellen der Themſe. 

Einige Almaksbälle zeigten und den Glanz der faſhionablen 
Belt; die ſchöne Tochter des nachmaligen Miniſters Canning war 
die gefeiertfte Tänzerin. Ihr berühmter Vater, damals nicht mehr 
jung, hatte eble, ausdrudsvolle Züge. Unter den Bornehmen, den 
Ton angebenden ‘Damen des diplomatiſchen Corps that fi) Die 
Fürftin Lieven hervor. Zuweilen befuchten wir aud den QBaur- 
ball und andere öffentliche Gärten mit ihren wirklich überrafchen- 
den Beleuchtungen und abmechfelnden Unterhaltungen. Weniger 
ſprachen und die Theater an, wohl der ſchwächſte Theil der Lon⸗ 
doner Freuden. War uns ein Beſuch in den beiden Häufern des 
Parlaments fon von hohem Intereſſe, jo erregte der feierliche 
Schluß der Situng durch Georg IV. unfere Neugierde in nicht 
geringem, Grade! Wie erftaunten wir über das halb prachtuolle, 
halb feltfame und veraltete Gepränge bei der Auffahrt! Der dicke 
König erfchien in dem alten Haufe der Lords, und lad vom Throne 
und im SKönigsornate den Speech ziemlich unverftändlich berab, 
dazu die altherkömmlichen Ceremonien, die nur noch hier gebräuch⸗ 
lichen Xradten und Perüden, das beſcheidene Erfcheinen des 
Unterhaufes vor den Schranken, dad Ausrufen des franzöfiichen: 
Le roi le veut! bei Verkündigung der Gefete, all’ diefe Dinge 
überrafchen den fremden. Einige Tage nachher fchiffte ſich der 
König auch mit vielen Teierlichleiten nach Schottland ein. — Zu 
den lebten Feſten der Seafon gehörte ein militärifches Frühſtück, 
weiches der Herzog von Wellington in Greenwi gab. Mittags 
begonnen, endete es erſt nah Mitternacht. — Kurz vor unferer 
Abreife wurden wir eines Morgen? durch die Nachricht erfchredt, 
daß fi der erite Miniſter, Lord Caſtleragh (12. Auguft) den Hals 
abgefchnitten — Folge eines politifchen Spleens. 





And) die reizenden Umgebungen, welche die Hauptſtadt wie 
eine Perlenſchnur zieren, ließen wir nicht unbeſucht. Hamptoncourt 
mit feinen berrlihen Cartons und berühmten Bäumen — der 
Eiche Heinrichs VID. und dem Weinftode, der in jenem Sommer 
gegen 800 Trauben trug, — dann Brighton mit der fantaflifchen 
Billa, das liebliche Richmond, Kenfington, vor allen aber das mit 
einem Schloffe zu vergleichende Windfor! Wir fehten unſere 
Rundreife fort, beſuchten Blenheim mit feinen Keunſtſchätzen, Orforb, 
die Stadt voll wunderlicger, alterthümlicher Gebäude und Einrich⸗ 
tungen, und ſchifften und nach einem Ausflug nad Portsmouth 
und der Tieblichen Inſel Whigt in Brighton ein. Leider war dad 
Dampfihiff beihädigt, und wir mußten und dem gewöhnlichen 
Paquetboote anvertrauen. Anfangs ging es vortrefflich, und wäh⸗ 
rend der Nacht fchwellte eine leichte Brife die Segel. Doch mit 
Tagesanbruch trat eine völlige Windftille ein, und wenn wir ung 
gleich des herrlichen Anblidd von Luft und Meer ringsum bei dem 
Harften Sonnenlichte erfreuten, fo plagten uns doch bald Lange 
weile und Hitze, und da wir gar nicht vorwärts kamen, blickten 
wir ſehnſuchtsvoll nad den Küften der Normandie, die in blauer 
Ferne vor und lagen; damit und Teinerlei Emotion entgehe, thürmten 
fih im Weiten Gewitterwollen auf; die Vögel ftreiften über die 
mehr und mehr fi Eräufelnden Wellen; Finſterniß bededite bald 
das Meer; einige unferer Neifegefährten beflel Die leidige Sees 
krankheit; da erfchien, trügerifch ein Netter in der Noth, ein Fiſcher⸗ 
kahn. GHoffend, mit ihm und feinen Rudern ſchneller dad Land 
zu erreichen, flürzten wir und in ungeduldiger Haft in das Tleine 
Fahrzeug, das bald überfült war. Die Schiffleute konnten deß⸗ 
halb die Barke nicht gehörig leiten; dad Segel riß uns bin umd 
her. So wurden wir nun während ſechs qualvoller Stunden von 
Sturm und Wellen gepeitſcht, und kamen erft nah Mitternacht 
krank und durchnäßt in Dieppe an, mo das größere Schiff, das 
wir verlafien, bereit3 ungefährdet eingetroffen war. 


96 


Ueber Baris, Burgund und die Schweiz Tehrten wir nad 
Haufe zurüd. 


Außer diefen großen Reifen machte ich öfter Ausflüge nad 
verichiedenen Städten des Großherzogthums, oder an den Rhein 
und brachte einige, mir unvergeßliche Wochen bei Tieben Verwandten 
in Bern zu. Immer mehr rüdte jedod der Augenblid heran, 
wo ich das väterlihe Haus verlaffen, und es Ipäter nie mehr auf 
längere Zeit, immer nur ala Gaft, bewohnen ſollte. Es war am 
Iehten Tage des Jahres 1823, ald mich mein Vater zu einer 
neuen Beftimmung nad) Karlsruhe begleitete. Ein herzzerreißender 
Schmerz durchdrang mid, bei'm Abſchiede. Es lag eine fo unend- 
lich glüdlihe Kindheit Hinter mir; forgfältig geleitete Studien 
mechfelten mit den angemefjenften Unterhaltungen und lehrreichen 
Reifen. Empfänglich für die Kunftgenüffe, wie für die Meize der 
Ihönen Natur fand ih auch überall eine freundliche, wohlmollende 
Aufnahme; felten nur kam ih mit rohen oder böfen Menſchen 
in Berührung, hielt fie daher im Allgemeinen auch für befier, als 
fie in der Regel find. Noch hatte mich das Leben mit feiner 
rauben Wirklichkeit nicht erfaßt. Alles erichien mir im roſenfar⸗ 
benen Lichte Mit reinem, beinahe kindlichem Vertrauen überließ 
ih mic den Eindrüden des Tages, und glaubte diefelbe Nachficht, 
den gleihen Optimismus, mit dem ich die Außenwelt betrachtete, 
auch für mich anfpredhen zu können. Dabei bewahrte mich die 
unferer Erziehung zu Grund gelegte religiös-fittliche Richtung vor 
mancher jugendlihen Berirrung, und ich gab mich deßhalb um fo 
frober und ungehinderter der Gegenwart und ihren Einwirkungen 
bin, als kein Hauch den Spiegel der Vergangenheit trübte. — Bol 
der dankbariten Gefühle gegen die göttliche Vorfehung, mit den 
beiten Vorſätzen auögerüftet, trat id) daher meine neue Laufbahn, 
von Segendwünfchen begleitet, an! Ich hatte bie meiften Schriften 
gelefen, welche als Leitfaden in den Jrrgängen des menſchlichen 


97 

Treibens dienen follen, viele foldher Regeln felkit in mein Tage 
buch eingetragen. Doch mie felten werden dieſe wohlgemeinten 
Winke im praftifchen Leben beachtet! Es gehört zumal bei Ieb- 
hafter Einbildungskraft, bei vegem Hange zur Xhätigfeit viel 
Charakterftärke, ein fefter Wille, e8 gehören unerfchütterliche Grund⸗ 
füge dazu, um mit Gottes Gnade gegen die und umbraufenden 
Wogen der Welt und Sinnesluft, gegen die ermachenden Leiden: 
ſchaften anzufämpfen! und wie wahr ift Talleygrand’3 Ausſpruch, 
daß fremde Erfahrung ein leeres Wort ohne Bedeutung fei, Jeder 
für ſich ſelbſt feine eigenen Erfahrungen machen wolle und müffe! 

Ehe ich diefen Abfchnitt ſchließe, bin ich es dem Andenten 
meiner unvergeflichen Eltern ſchuldig, bier laut und offen auszu⸗ 
ſprechen, daß ich ihrer Liebe und zärtlichen Sorgfalt die fchönften 
Stunden meiner Jugendzeit verdanke. Ein gleihed Band inniger 
Freundſchaft und Eintracht umfchlang uns Geſchwiſter, wie der 
frohe Umgang mit theuren Verwandten ung erfreute. Endlich fei 
noch ein Wort dankbarer Erinnerung dem würdigen Erzieher ge 
weiht, der durch Lehre und Beifpiel, felbft mit Aufopferung für 
und wirkte! 


Frh. v. Andlaw. Wein Tagebuch. 1. 7 


58 


Fünfter Abſchnitt. 


(1824 — 1826.) 


Inhalt: BerufstHätigleit in Karlsruhe. Hiſtoriſch-politiſche Rückblicke. 
Die gwölfjährige Regierung des Oroßherzogt Luöwig. Geim Wirkſam⸗ 
keit, Sein Charakter. Der Hof. Die Minifter. Major von Hennen- 
hofer. Die Ständeverfammlungen pen 1825 unb 1828. 
Vetrachtungen Über das conſtitutionelle Syſtem. Die Markgräfin AUualie 
unb die Königin Friederike von Schweden. Geſellige Zuftände und 
Theater in Karlsruhe. Bier Wochen auf dem Rohannisberge 
Fuͤrſt Metternih und feine Familie Deutſche Fürſten und Diplo 
maten. Die beilige Allianz. Politische Ereigniſſe. Tod bes Kaiſers 
Alerander. Abſchied von Karlsruhe. 


Die fo jchiwierige und zugleid, wichtige Wahl eines Standes 
hängt oft mehr vom Zufall und befonderen Verhältniffen ab, als 
fie Folge einer perfönlichen Vorliebe für einen gewiflen Beruf ift. 
Nicht fo bei mir! Ih follte als Juriſt die richterliche oder 
Aminiftratio-Beamtenlaufbahn betreten, fühlte mid, aber mehr durch 
dad diplomatifche Fach angezogen, weil es mir größeren Spielraum 
zur Befriedigung meines Wiflensdranges bot, meinem Wanderfinn 
zufagte, und mir Anlaß verichaffte, Verbindungen mit audgezeich- 
neten Perfönlichleiten anzufnüpfen. Ob aber diefe Vortheile im 
Verbältnig ftanden zu den Opfern und trüben Stunden, die mir 
diefer felbft gewählte Beruf gebracht, ob ich meine Kräfte und 
Anlagen für mich und Andere nicht nußbringender, beffer und 


9 


. nachhaltiger Hätte verwenden Können, wenn ich in georbneten Lebens: 
verhäitnifien der Landwirthſchaft gepflegt, oder im ruhlgen, gewöhn⸗ 
lichen Geſchaftskreiſe des Vaterlandes mid; bewegt haben würde? — 
Dieß find jet zum mindeften mäßige ragen — folgen wir doch 
alle, wenngleich millendfrei, einer höheren, unfidytbaren Leitung ! 
Thomme s’agite, Dien le m£&ne! fagt Féͤnoͤllon. — So trat Ich 
nun in meinen neuen Wirkungskreis bei dem Minifterium des 
großherzoglichen Haufes und der auswärtigen Angelegenheiten ein, 
wurde verpflichtet, zu Gecretariatögeichäften verwendet, und blieb 
tn diefer Stellung bis März 1826 zu Karlsruhe. Doc ehe Ich 
Hefe Periode meines Lebens näher zu beleuchten fuche, muß ich 
neh einige Mädblide auf vie politifhe Geftaltung der Dinge 
werfen, welche ich auf Yntverfitäten und Reifen fo ziemlich aus 
den Augen verloren halte. 

Die Erſchopfung, welche den 20 jährigen riefenhaften Kämpfen 
folgte, war eine naturgemäße, doch nur allzubald zeigte ſich mit 
mehr oder minder Berechtigung in verichiedenen Ländern ein Geift 
der Unzufriedenheit und bed Widerftandes gegen die Regierung. 
Während man in Frankreich die erlittenen Niederlagen, die ver: 
Fürsten Grenzen, die läftigen Verträge nicht verſchmerzen konnte, 
und fortwährend gegen die Bourbomen confpirirte, wurden in 
Deutſchland täglich die Klagen lauter, daß die im Augenblide der 
Gefahr den Völkern ertheitten Verſprechungen von den Zärften 
nit gebatten würden u. dgl. m. In Italien, dem ſtets murrenden 
mb anfrährerifhen, gab es Bündftoff germg, um ihn bald zur 
vollen Flamme anzufachen. An diefe Symptome allgemeinen Miß⸗ 
behagens Hing fi die Partei der Revolution mit ihrem Bleige⸗ 
wichte. Durch die Kriegsjahre in ihren Wilhlereien gehemmt, 
äußerte fie jebt ungehindert einen um fo verderblicheren Einfluß. 
Dennoch wäre es unbillig zu verlennen, daß nicht aud andere 
Urſachen auf die Bffentliche Stiinmung einwirkten. Das Wert bes 
Wiener Congrefſes, Überftürzt, Tieß die gerechten Anſprüche vieler 

7° 


100 


Länder unbefriedigt; in feiner lückenhaften Unvollftändigfeit, in der 
unklaren Yaffung mander feiner Artikel, in der eilig, oft wie aus 
Zufall, zufammengemwürfelten Eintheilung neuer Staaten lag der 
Keim zu endlofen künftigen Zerwürfniffen. Dieſen Uebeln zu be 
gegnen, wurden von Zeit zu Zeit Congreffe gehalten. Wir ſahen 
die Vertreter der acht Mächte, welche die Wiener Schlußafte unter: 
zeichnet, 1818 in Aachen, 1821 in Troppau und Laibach, 1823 
in Verona tagen, und je mehr ſich die Grundjäße der heiligen 
Allianz durch Repreifivmaßregeln geltend machten, deito mehr ftählte 
fih der Geift der Widerſetzlichkeit. Die Ermordung des Herzogs 
von Berry in der Oper zu Paris (Februar 1820) war nur das 
Borfpiel einer Reihe blutiger Thaten. Verſchwörungen, bald 
unterdrüdt, folgten in Franfreih. In der Yombardei, in Piemont 
fan es zum offenen Aufruhr; aus Neapel floh der alte König 
(1821). Hier ftellten die öſterreichiſchen Waffen die geſetzliche 
Drdnung wieder ber. Endlih kam e8 auch in Spanien zum 
Bürgerkrieg. König Terdinand begab ſich, ein Gefangener auf dem 
Throne, nad) Eadir, und wurde nur dur die Hülfe einer fran- 
zöfifchen, von dem Herzoge von Angoul&me befehligten Armee bei 
Trocadero wieder befreit. 

Die |. g. Legitimität hatte einen augenblidlicdyen Sieg über 
die Revolution erfodhten, doch da er nur ein durch materielle 
Waffen erfämpfter war, fo konnte man nicht Yänger auf Rube 
rechnen, als eben die zur Unterdrüdung der unruhigen Bewegungen 
thätigen Kräfte diefelben, und einig bleiben würden. Dieß war 
nun freilidy nicht mehr lange der Tal. Es bereitete ſich demnach 
immer mehr ein entjchiedener Prinzipienlampf vor, der von einer 
Seite nicht richtig erkannt, nicht mit zmedmäßigen Mitteln behandelt, 
von der angreifenden Partei mit eiferner Conjequenz und einer 
erbitterten Hartnädigkeit fortgeführt wurde, welche vor Nicht? zurück⸗ 
ſchreckte. Napoleon war unterdeffen (5. Mai 1821) auf St. Helena 
geftorben, und es ſchien fi das ihm zugefchriebene prophetifche 


101 


Wort verwirklichen zu mollen, daß in 50 Jahren die Welt ent: 
weder republikaniſch oder Tofadiich fein werde. 


So geftaltete ſich die politifche Lage, als ich die diplomatifche 
Carrière ergriff. Staatäminifter v. Berftett war mein Chef; 
er hatte fich, nachdem er den öſterreichiſchen Deilitärdienft verlaffen, 
von einiger Hof-Chargen, die er in Karlsruhe befleidet, zu diefer 
erften Stelle im Lande emporgeſchwungen. Zu ſolch auffallender 
Beförderung trugen nicht nur zufällige Umftände, die Gunſt ber 
beiden Großherzoge, Karl und Ludwig, es trugen dazu auch feine 
eigenen, unleugbaren Berdienfte bei. Berftett hatte für das Wohl 
der Dynaftie, wie ded Landes in Wien, wie in Aachen und nody 
fpäter mit Eifer und Erfolg gewirkt. Ohne eigentlihe Schulbil- 
dung und gediegenere Gefchäftäfenntnilfe verband er doch eine klare 
Anfhauung der Dinge mit richtigem Takte, Gemandtbeit und 
rechtlichem Sinne. Mit den meiften Machthabern jener Zeit 
befannt, mit vielen Staatömännern eng befreundet, verlieh diejer 
Minifter durch perfönliche Beziehungen feinem beftimmten Auftreten 
im Lande noch ein größeres Gewicht. Noch vor feiner Ernennung 
zum Staats: und Kabinetäminifter hatten in Baden wichtige Er: 
eigniffe ſtattgefunden. Am Auguſt 1818 unterfchrieb der Groß: 
berzog Kurl zu Griesbach die neue Verfaſſung, nachdem er fchon 
den 4. Dftober 1817 die biöherigen Grafen Hochberg, fie zu 
Markgrafen erbebend, zur eventuellen Nachfolge im Großherzogthume 
berufen hatte. Den 8. Dezember 1818 endete jener Fürſt zu 
Raftatt im kaum vollendeten 33. Lebensjahre eine in der lebten 
Zeit durch anhaltende, ſchmerzhafte Krankheit qualvoll gemordene 
Eriftenz. Sein Obeim, Markgraf Ludwig, folgte, der nächſte 
Agnat, als Großherzog. Unter ihm waren außer Berftett noch 
Berfheim, General Schäffer, Bökh, Gulat, Ipäter Winter, Nebenius, 
Jolly und andere Minifter oder Näthe der Krone, fühige, ehrenwerthe 


102 


Männer, weldhe dad Streben des nicht mehr jungen, aber that⸗ 
Fräftigen, neuen Herrn, Ordnung in die vielfach verwickelten Ver⸗ 
bältniffe zu bringen, unterftüsten. Das Augenmerk diefes klugen 
Türften war zunächft auf die inneren Staats- und Yinanzfragen, 
dann auf Regelung der kirchlichen Ungelegenheiten, ſowie des 
Ständewelend gerichtet. Als alter Soldat an Pünktlichleit und 
Gehorfam gemohnt, fuhte er vor Allem den Staatshaushalt 
zu ordnen, den geſunkenen Eredit zu heben, und wirklich wurde 
bald in diefer Beziehung Unglaubliches geleiftet. Strenge Beaufs 
fihtigung der Beamten, Entfernung unzuverläffiger Individuen, 
feſteres Anziehen der erichlafften Bande büreaukratiſchet Disciplin, 
ein alle Zweige der Staatsverwaltung durhdringender Geift der 
Sparfamkeit und des Ernſtes brachten bald entichieden günitige 
Deränderungen hervor. — 

Gleichen Werth legte Großherzog Lubtvig, dabei feinen Jugend» 
erinnerungen aus der Zeit des großen Preußenkönigs folgend, auf 
die Äußere Haltung, wie die innere Tüchtigkeit des badiſchen 
Armeecorps, und auch in diefer Richtung war ſeine Wirkfam:- 
keit nicht ohne nachhaltige Folgen. 

Unter Ludwigs Regierung kamen endlich auch die durch Jahre 
mit Rom ſchwebenden Verhandlungen zum Abichluffe Die katho⸗ 
liſch-kirchlichen Zuſtände, feit der Revolution in kläglicher Vers 
wirrung, wurden in zwei Bullen des Papſtes in einer Baden 
günftigen Weile geordnet. Der frühere Biſchofſiz zu Conftanz 
wurde nad) Freiburg verlegt, deffen herrlicher Müniter zur Metros 
pole erhoben, und dem neuen Erzbisthume vier Suffraganbiichöfe, 
ſelbſt das uralte Mainz, untergeordnet. — Gleich rafche, beinaße 
überraihende Erledigung fand, ungeachtet vieler Hinderniſſe und 
Widerſprüche, die f. g. Union, nämlich die Verſchmelzung der 
beiden — der Tutheriihen und reformirten — Confeffionen in 
eine — die evangeliſche Landeskirche nach einem ähnlichen 
Vorgange in Preußen. — Wie fehr aber auch der Großherzog 





108 


Ludwig jede Tirchenfeindliche Tendenz mißbilligte, beweilt folgender 
merfwärdiger, an den Kirchenratb Dr. Paulus in Heidelberg er: 
lafjener Brief: 

„Sshre Mittheilung der neueften Hefte des „Sophronizon“ 
feßt mich in die unangenehme Nothwendigfeit, Ihnen eröffnen zu 
müffen, wie die eifernde Polemik mandyer Aufjäbe diefer Zeitichrift 
meinen Wünfchen und Anſichten durchaus nicht entipriht. Ins⸗ 
befondere wird darin öfter das Streben des römifchen Hofes ala 
böchft bedenklich gefchildert, wirflie oder vermeintliche Anforde 
rungen in das mißlichſte Licht geftellt und die Regierung gewarnt, 
auf ihre mehr oder minder gefährdete Unabhängigkeit bedacht zu 
fein. Solche Darftelungen und Aeußerungen Tönnen nad) meiner 
feften Weberzeugung niemal® zum Guten führen, fie müfjen viel: 
mehr von der einen Seite die Gemüther erbittern, während fie 
auf der anderen zu begründeten Beforgniffen Anlaß geben. Ich 
wünſche darum gar ſehr, daß Sie ſich ausſchließend Ihrem uns 
mittelbaren Berufe widmen, und den Regierungen überlaffen, das 
wohlverftandene Intereſſe ihrer katholiſchen Untertbanen mit der 
Erhaltung der erforderlichen Selbftftändigfeit zu vereinigen. So 
wie ich eine Gefahr für den ewangelifchen Glauben nicht zu erkennen 
vermag, und nur mit Mißbilligung von Angehörigen meiner Uni- 
verfität verkündet fehe, jo iſt mir überdieß die Divergenz theo: 
logifcher Belebrungen, Anſichten und Beftrebungen mit denen der 
übrigen Lehrer in Heidelberg fehr unangenehm, und ich bedauere, 
daß ſich ſolche in unangemefienen Streitichriften, welche eine nach⸗ 
theilige Wirkung auf die Ruhe und Würde der Univerfität äußern, 
der Welt Fund getan hat. Dur religiöſe Streitigkeiten wird 
die Welt an Glauben nicht reicher. Ich verlange von meinen 
Dienern eine treue Pflichterfülung; die Ihrige ift es zunächſt, die 
Lehren der pfoteftantifchen Kirche denjenigen Mar zu machen, welche 
als Fünftige Lehrer des Volkes für deren Erbaltung zu jorgen 
baben. Dieß geichieht, unter Vermeidung aller Vernünfteleien, am 





104 


beiten durch Teithalten an dem beftehenden Worte Gottes; ein 
ſolches Beftreben ift meinem Willen gemäß, und fichert ftet3 An⸗ 
ſprüche auf meine wohlmollende Achtung u. f. w.“ 

Karlsruhe, 25. Febr. 1826. (Gez.) Ludwig. 

 &3 bleibt nun noch übrig, die ftändifche Frage zu berühren, 
die hochwichtige, welche feit 70 Jahren Halb Europa beivegt, und 
noch mächtig in der Gegenwart nachklingt. Man wollte in ihrer 
Löſung bald eine Abwehr gegen Willtürberrichaft erkennen, bald 
glaubte man durch diefeg Ausfunftsmittel den Abgrund- der Re: 
volution fchließen zu können. Um jedem Mißverftändnig vorzu⸗ 
beugen, muß ih vorausſchicken, daß ich nie einer patriotichen 
Geſellſchaft, einem politifchen Vereine, irgend einer Partei ange: 
hörte, mir daher immer eine möglichjt unbefangene Anficht, einen 
Standpunft, frei von Vorurtbeilen, zu wahren wußte, jo aud in 
den fo vielfach aufgemorfenen, fo überaus leidenſchaftlich behandelten 
ſ. g. Berfaffungsfragen. Sch ging dabei von der feften Weber: 
zeugung aus, daß auch die beftausgedadyten Theorieen, die geift- 
vollften Spiteme, die auf dem Papiere glänzendften Doltrinen im 
praftifhen Leben nur felten anmendbar find, und bielt es ftet3 
mit dem Ausfpruche Pope's: „let fools on form’s of govern- 
ments contest” u. |. w. 

Keine Form ift unbedingt zu verwerfen, jede Berfaffung, heiße 
fie, mie fie wolle — abfolute, monarchiſche, ariftofratifhe, parla- 
mentarifche, ftändifche, vepublifanifche, demokratiſche, oligarchifche 
u. f. w. — kann gut fein, wenn fie nur den Sitten des Bolfes, 
den Bedürfniſſen der Zeit, den wahren, wohl verftandenen Intereſſen 
eines Staates entſpricht. Erfüllt fie zunächſt diefen Zweck, jo 
wird fie auch mit der Zeit, fo viel nöthig, ſich gehörig entwideln, 
oder wenn man lieber will, fortſchreiten. — Das alte, morjche 
Gebäude des heiligen römischen Reichs deutfcher Nation war krachend 
in ſich ſelbſt zufammengefallen, und die furdhtbaren, politifchen 
Orkane hatten auch die lebte Spur ftändifcher Formen verwiſcht. 


105 


Was follte nun an ihre Stelle treten? Vergebens jah man ſich 
nad Baufteinen um, aus den Trümmern neue PVerfaffungen zu 
gründen, dennody mußte ein Webergang, eine Brüde gefucht und 
gefunden werden, um über die weite Kluft hinauszukommen. Der 
Artifel 13 der Wiener deutfhen Bundesafte ſpricht in verzmeifelt 
Ialonifchen Morten aus: „Sn allen Bundesftaaten wird eine 
Tandesftändifche Verfaſſung ftattfinden.” Jahre vergingen, 
ehe es zum Vollzuge diefer Beitimmung kam; man ftritt über Die 
Auslegung, den eigentlidhen Sinn jenes Paragraphen. Die Einen 
deuteten ihn in freifinniger Weife, mollten den Berfaffungen eine 
mehr demofratifhe Färbung geben, und jelbit das Zweikammer⸗ 
foftem entfernt wiffen, Andere hielten an gefchichtlichen Traditionen 
feft, und warnten im Hinblid auf 1789 vor allzu Fühnen Neue: 
rungen. Je länger man jedody zögerte, je lauter wurde der Ruf, 
daß wenigſtens Etwas geihehe. Das Geſchrei nah Kon- 
ftitutionen wurde das Loſungswort des Tages; man wollte 
in ihrer Ertheilung einen Rettungsanker für die Yürften, eine 
Bürgſchaft Fünftiger Ruhe, Ordnung und Eintradht für die Völker 
erfennen. Bayern machte in Süddeutichland den Anfang, Baden 
folgte mit einer Verfaffung, welche fchon mehr den fortichreitenden 
Ideen zu Huldigen fchien, endlih trat auch Württeniberg mit einer 
folden Urkunde auf. Die meiften derfelben waren der Charte 
Ludwig? XVII. nachgebildet, welcher ihrerjeit3 wieder die englifche 
. zur Orundlage dient. Weber 40 Jahre liegen nun zwiſchen jener 
Epoche und der Nebtzeitz gar viele Erfahrungen konnten gefammelt, 
Manches aufgeflärt, berichtigt, verändert werden. Ich bin kein 
prinzipieller Gegner irgend einer DVerfaffung, aber nicht verfennen 
läßt fih, daß, mährend die ummälzende Partei diefe modernen 
Einrihtungen für ihre eigenen Zwecke mißbraucht, fich der doktri⸗ 
näre Wahn der Hoffnung hingab, alle Gefahren befchwören, alle 
politiichen Webel der Zeit damit heilen zu können. Ueber Nacht 
wurde mancher deutfcher Staat mit folchen nach gleichem Zufchnitte 


106 


verfertigten Konftitutionen beglüdt, ohne daß man vorher geprüft 
bätte, ob das fchwere, faltenreiche Kleid auf den oft ſchwächlichen 
Körper paſſe, ihn nicht vielmehr erdrücke? Aller Uebelftinde un: 
geachtet, wäre es aber ebenfo gefährlich ala unklug, fi an dieſen 
einmal gegebenen und beſchworenen Berfaffungen zu vergreifen; 
man muß fie eben hinnehmen, weil man nichts Beſſeres an ihre 
Stelle zu ſetzen weiß, und der Weisheit der Regierung, wie dem 
gefunden Sinne der Bevölkerung überlaffen, mit Befeitigung der 
Auswüchſe, fih wo möglih in diefe Formen völlig bineinzuleben. 
Obwohl ih nie Mitglied irgend einer Ständeverfammlung war, 
ip babe ih dody in Paris und London, in Brüffel und Preburg, 
in Münden und Karlörube, in Dresden und Stuttgart, felbft 
1848 in der Reitichule zu Wien, jo umfafjende, parlamentarifche 
Studien gemacht, daß ich darüber aus Langjähriger Erfahrung 
iprechen Tann. — Wenn ih nun zunächſt zu dem Ergebniſſe der 
Beobachtungen in meinem engeren Baterlande: Baden übergebe, 
fo gefchieht e8, weil man diefem Großherzogthume die Ehre zuge: 
dacht hatte, in Deutichland ala konſtitutioneller Muſterſtaat zu 
gelten, und allerdings find die in diefem Sinne durchlaufenen 
Phaſen, wenn auch nicht ftets erjreulich, doch immerhin bemerlens: 
werth. — Der von dem jterbenden Großherzog Karl verliebenen 
Berfafjung waren zwei Verordnungen gefolgt, welche, während fie 
biefelbe ergänzen jollten, vielmehr mit ihr in Widerfprud zu ftehen 
ihienen. Das Adelsedikt murde auch aljobald von der zweiten 
Kammer für verfaffungsmidrig erflärt. Die ſ. g. Staat3diener- 
pragmatif verlieh den Beamten ald Abgeordneten eine unab- 
hängige Stellung, weldye fi mit ihrer Eigenichaft von Organen 
ber Regierung nicht immer vertrug. 

Die Verfaffung ſelbſt, Iange erſehnt, voraus verfündet, wurde 
denn auch von Vielen mit künſtlich vorbereitetem Jubel, von 
Manchen aufrichtig begrüßt. Die Einen fahen darin dus Mittel, 
der heilloſen Sinanzwirtäichaft ein Ende zu machen, das Büdget 


307 


unter eine getviffenhaftere Eontrole zu ftellen; Andere bofften im 
Stillen, dadurch befannt und befördert zu werden, und mit dem 
wohlthuenden Gefühle ein Stück von Souveränetät in ſich ſelbſt 
zu tragen, ald Deputirte eine politiſche Rolle zu fpielen. Wieder 
Andere reizte diefer neue Berfudh, das Unbefannte, während gar 
Biele fi) trüben Ahnungen hingaben; die große Mehrzahl jedoch 
ließ die Verfaſſung gleichgültig. 

Der Großherzog Ludwig nahm dieß politiiche Vermächtniß 
an, ohne fich eigentlich der Tragweite deſſelben Mar bemußt zu 
fein, anfangs erfchien ihm die Sache fremdartig, feinen Anſichten 
widerftrebend, fpäter unbequem, felbft gefahrdrohend. Er hatte 
wenig Luft, feine vorausſichtlich nicht allzulange Megierungszeit 
mit parlamentarifhen Zänfereien zu trüben. Die Minifter, mit 
wenigen Ausnahmen, ſchwärmten ohnehin nicht für conftitutionelle 
Ken. — Die Wahlen fanden ungeitört, ohne bejondere Einwire 
fung ftatt, und die erſte Ständeverfammlung trat am 22. April 
1819 im großherzoglichen Schloffe zufammen. 

In der erften Kammer faßen außer den Bringen des Hanies, 
den Standesherren, den Abgeordneten bed Adels, und den vom 
Großherzoge ernannten Mitgliedern: der Generalvicar von Weffenberg 
neben dem Prälaten Hebel, Motte neben Thibaut. Die bobe 
Kammer fand wenig Anlaß fih auszuzeichnen, doch ragte damals 
ſchon an Intelligenz und TChätigkeit der noch junge Fürft v. Fürftenberg 
hervor, welder fih ein Jahr früher mit der Prinzeffin Amalie 
von Baden vermählt Hatte. 

Die Zufammenfekung der zweiten Kammer mar eine überaus 
bunte; es fanden fi) da Staatäbeamte mit Land: und Gaftwirthen, 
Profefforen mit Kauf: und Gewerbäleuten, Adelige und Bauern, 
Prieiter und Advokaten, Breidgauer und Pfälzer, Seeländer und 
Ddenwälder, Alt: und Neubadener, Katbolifen und Proteftanten. 
Man war gegenfeitig erflaunt, fich in fo gemifchter Geſellſchaft 
zu finden, man beobachtete, prüfte die Kräfte, und alsbald trat 


108 


ein Haufe Gleihgefinnter mit ausgeſprochenen Oppofitiondgelüften 
zufammen. Liebenſtein, Duttlinger, Kern, die beiden Winter, 
Buhl, Fecht, Baffermann, Föhrendah u. A. thaten fih durch 
Rednertalent umd einen Geift der Ungebundenheit hervor, welchem 
ältere, erfahrene Staatädiener nicht entgegenzutreten vermochten. 
Doch Namen thun bier nicht zur Sache; es war die Neubeit 
des Schaufpiels, welche die Handelnden wie die Zuhörer beraufihte, 
der erite Aufichrei einer noch jungen, längſt erträumten Nedefrei- 
heit. Man machte den Herzen, wenn aud in etwas maßlofer 
Weile, Luft; es mar eine Hochſchule oratorifcher Uebungen; die 
Eitelfeit, der Ehrgeiz Einzelner that das Uebrige. Auch fehlte 
es diefem Lundtage nicht an Schmeichleru; Liebenitein erichien 
Bielen als ein zmeiter Mirabeau, und es erſcholl der Ruf diefer 
„beredten, mutbigen, unabhängigen, freien Volksvertreter“ meit 
Über die Gauen des Schwarzwaldes. Doch dieß Tebhafte Treiben 
war nit nad dem Geſchmacke des ernften Großherzogs und 
feiner Miniſter — vielleiht trafen auch Winfe von Außen ein — 
der Landtag wurde vertagt und fpäter ganz aufgelöft. 

AS im Jahre 1824 neue Wahlen ausgefchrieben und die 
Stände im März 1825 wieder zufammengetreten waren, zeigte 
fi) nur allzu bald ein anderer Geift. Augenfcheinlidy folgten bier 
Wahlen, wie die Stimmung der Kammern den Strömungen der 
Zeit. Es tönten Hier im Situngsfaale nicht mehr die politifchen 
Leidenſchaften wieder, welche 1819 Europa bewegten. Ruhig wie 
damals die Außenwelt, war auch der Gang der ftändifchen Der: 
handlungen. Man nannte jene Kammer eine „reaftionäre”, die 
Ehrenmänner, welche leidenſchaftslos die Angelegenheiten des Landes 
beriethen, wurden als fervil verfchrieen; der Ständelaal glich nicht 
mehr einer Schaubühne, es erfchallten Leine Bravo's von den 
Tribfinen, es gab Feine Bürgerfronen und Opvationen mehr. 
Doch fehlte es auch bier nicht an unerquidlichen Scenen; der 
Heinen Anzahl Deputirter auf der Linken jtanden einige Hiblöpfe 


109 


entgegen, welche durch übergroßen Eifer eher fchateten. “Der 
originelle Zachariä galt: für den Luftigmacher der Kammer, während 
fi) einige Nedner von Talent auszeichneten. in entichiedener 
und wohl auch beredtigter Widerftand fand nur gegen die über: 
mäßige Laft des Militärbudgets ftatt, welches in Teinerlei Ber: 
hältnig zur Größe wie zu den Kräften des Landes ſtand. Es 
gab da Karte Kämpfe, heftige Auftritte, welche auch das größere 
Publikum elektrifirten. — Diefe Kammer trat noch einmal — im 
Jahr 1828 — zufammen. 


Der Großherzog Ludwig wird in der Gefchichte jenen 
Fürſten beigezählt werden, welche mehr gefürdjtet, als belicht find. 
Schon feine äußere Erſcheinung, eher einſchüchternd, ala Ehrfurcht 
gebietend, nahm nicht ein. Man vermißte aber an ihm vor Allem 
jened alle Herzen gewinnende Wohlwollen, jene Menfchenfreund: 
Yichleit, den hoben fittlihen Werth feines unvergeklichen Vaters! 
Mehr jchlau ala geiftreih, wußte er doch, wenngleich mißtrauifch 
und zurüchaltend, meiltens feinen fcharf ausgeprägten Willen 
durchzufegen. Richt wiſſenſchaftlich gebildet, nahm er ed mit Styl 
und Orthographie nicht fehr genau. in ordnnungsliebender 
Monarch, ein guter Wirth, fehlte es dem Großherzog Ludwig nicht 
an den Eigenfhaften eines tüchtigen Negenten, doch Tonnten die 
wirklichen Verdienſte des ftrengen Herm nie völlig zur Geltung 
fommen. — Der Hofhalt zu jener Zeit war, wie es unter einem 
alten fürftlichen Hageſtolzen wohl nicht anders fein konnte, Teines- 
weg3 glänzend. Nur bei befonderen feierlichen Anläfien, bei hoben 
Beiuhen fanden größere Dinerd oder Feſte ſtatt. Hofbälle und 
Concerte waren felten und von möglichſt kurzer Dauer. Nur 
das Theater befuchte der Großherzog regelmäßig in feiner Parterre- 
Ioge, aber fein Freund der Gefelligkeit, erfchien er nur felten und 
auf Viertelſtunden an den anderen Kleinen Karlsruher Höfen oder 


110 





in den Däufern der Miniſter und Gefandten. Die gewöhnliche 
Tiſchgeſellſchaft bildeten einige Huserwählte: ein alter Jugendfreund 
und Maffengefährte, ein pflichtvergeſſener katholiſcher Prieſter, ein 
halb militäͤriſcher, halb diplematiſcher Guuſtling, ein dichtender, 
trockner Spaßmacher, einige mehr mit ſcharfer Zunge, als gebildetem 
Geiſte unlerhaltende Höflinge, mehrere fruͤhere nicht hoffähige 
Bekannte u. a. m. Aus dieſer Gallerie hebe ih nur Einen 
befonder3 hervor, theils weil er in derjelben bie anziehendfle 
Perfönlichleit war, theild weil ih mit ihm am meiſten in Be 
rührung kam. 

Heinrich Hennenhofer, der feine Laufbahn als Commis 
in einer Buchhandlung begann, wurde dem Mintfter von Berftett 
zufällig bekannt, durch ihn zuerft als Feldjäger, dann als Kabineis⸗ 
Courier verwendet. Bald zug er Militäruniform an, flieg nad 
einigen Jahren bis zum Major und Tlägelabjutanten des Groß—⸗ 
herzogs und wurde zugleich im auswärtigen ‘Departement ange: 
ftellt, in weicher doppelten Eigenfchaft er eine ungemeine Riuͤhrig⸗ 
beit entwidelte. Viebling des Türften, defien volles Vertrauen er 
genoß, die rechte Hand im Kabinette des Minifterd, vermittelmd, 
ausgleigend, im beitindigem Verdehre mit den Diplomaten unb 
der Gefellihaft der Reſidenz — fo fand Ih ihn! Die dunklen 
Wege, welche Hennenhofer früher betreten haben foll, die ihm sur 
Zaft gelegte allzu gefällige Thaätigkeit berühre Ich nicht; einmal 
lsegen mir hierfür keine Beweiſe wor und danı ſpreche ich audı 
inmmer nur gerne won Dingen, welche ich ſelbſt geliehen und edlebt. 
Eine oberflählige Schulbiltung erſetzte Hennenhofer durch Tlaven 
Verſtand und einen gewiften Takt, welcher im, gewandt wie er 
war, tm Öffentligen Leben felten verließ. Mehr durch Zufall, als 
eigenes Zuthun gu einer verhälinigmäßig ſchwindelnden Höhe ges 
langt, führte er eben durch 10 Jahre die Exiſtenz eines Empor: 
kommlings an einem Tleinen Hofe nicht ohne Geſchick fort. Ich 
kenne wenige Falle, in Denen er feinen großen Ginfiuß mißbraucht 





111 





hätte; er verwendete ihn vielmehr nicht felten zum Guten ober 
Binderte manches Schlimme. Seine ausnahmsweiſe Stellung z09 
im felhfiverftändlih nur wenige Freunde, um fo mehr Reiber 
und erbitterte Gegner zu; er vergalt ihre Angriffe mit Gleich⸗ 
gültigkeit, und eine gewiſſe natärliche Bonhommie, welche freilich 
auch of nur Maske war, Ueß Teine Gehäſſigkeit in ihm auf: 
tommen. WMebr eitel ald ehrgeizig, Tab er fih wider Erwarten 
in eimen Strubel von Geſchäften und Ränten, in Hof: und andere 
Kreife gezogen, welche feinen Jugendeindrücken wie feiner Erziehung 
freund waren. Er Tomte fich nie ganz von dem Tone der Karls: 
ruber „Waldgaffe losſagen. Seine Schere waren nicht immer 
von der feinften Art, und nur mit einigem Zwange eignete er 
Ad die Formen der beſſeren Gefelichaft an. Andere fanden ihn 
wieder unzuverläffig, falſch; es war dieß jedoch eine beinahe noth⸗ 
wendige Waffe in feiner eigenthümlichen Lage. Man Hat nicht 
nme Hennenhofer's ſchöne Bandfhrit — Den erfien Orund gu 
feiner Befdrderung — men hat anch feinen Styl beivundert. Es 
it wahr, feine Schreibart hatte einen gewiſſen Schwung; friſche 
Gedanten, geſchickke Wendungen wit pafſenden Gitafionen et: 
Ardımten in Fülle feiner Feder, dagegen finden wir im feinen 
Roten und Briefen gar viele Gemeinplaͤtze und geſuchte oder hoch⸗ 
trabende Phrafen, mie fie die gemähnliche Kabinetsſprache in ihrer 
Sätte und Abrundung nicht kennt. Gennenbofer war «ber amd 
viel zu unflät, zu gerftreut, zu ſehr von allen Seiten in Anfpruch 
genommen, fein Kopf war mit emer zu großen Menge von Hof⸗ 
amd polittichen Intriguen angefülkt, als daß er mehr als Die 
flüchtige Korrefpondenz des Tages Hätte beforgen Finnen. So 
viel über Diefe Hätfte ſeines Lebens. Dem oft berechtigten Tadel, 
den er fand, den Anfeindungen und Borwürfen kann man billiger: 
weile auch ehrenvolle Züge entgegenitellen. 


112 


Die Hofbaltungen der drei Markgräfinnen und der 
Königin Friederike von Schweden brachten mehr Leben in die 
Geſellſchaft, als das ftile großherzogliche Schloß. Es fehlte da 
nicht an gefelligen Unterhaltungen aller Art in den, wenngleich 
meift beichränften Räumen jener fürftlihden Wohnungen. Die 
Markgräfin Amalie war noch immer der Wittelpunft dieſer 
gefelligen Hoffreuden; fie ſah täglih Mittags und Abends Leute 
bei fi), und an Sonntagen, an denen noch die |. g. Nachmittags- 
couren gebräuchlich waren, konnte man ganze Schaaren von Offi- 
zieren und Hofherren in Uniform — in einer für naßfaltes Wetter 
nicht berechneten Tracht — von einem Palaid zum anderen durch 
die Straßen ziehen ſehen. 

Die Markgräfin Friedrich war Wittme geworden und be 
wohnte mit ihrer Schweſter, der Prinzeffin Augufte von Raffau, 
ihr eigenes Haus. Die Marlgräfin, durch ihre Herzensgüte und 
unbegrenzten Wohlthätigkeitäfinn, mehr aber noch durch ihre auf: 
fallende Erſcheinung bekannt, lebte zurüdgezogen im Familienkreiſe, 
welchen der Graf Bismark, württembergifcher General und Geſandter, 
der geiftreichen Prinzeſſin Auguste morganatiſch angetraut, vermehrte. 
Jeden Sonntag waren da Gäfte zu Tifche geladen und fand nachher 
Empfang ftatt. Diefe Cerclis gehörten nicht zu den erheiterndften. 

Markgraf Leopold, welder fih 1819 mit der äÄlteften 
ſchwediſchen Brinzeifin Sophie vermäplt hatte, bewohnte mit feinen 
beiden Brüdern ein ſchönes Palais; auch da gab es zumeilen Tefte. 
An einem anderen Drt*) babe ich erwähnt, daß ich mich auf einem 
folhen Balle des feltenen Anblicks erfreute, vier Generationen 
von Fürftinnen neben einander zu fehen!**) 

Die Königin Briederife war damals noch eine fchöne, 
ftattlihe Frau; bis zu ihrem bald darauf (25. September 1826 

*) Die Frauen in ber Geſchichte II. ©. 854. 


**) Die verwittwete Markgräfin Amalie, die Königin Friederike von 
Schweden, die Markgräfin Sophie von Baden, die Prinzeffin Alerandrine, 


113 


zu Lauſanne) erfolgten Tode behielt fie jene anmuthsvolle Würde 
bei, die, ein Erbtheil ihrer erlaudten Mutter, fie auch auf ihre 
Töchter übertrug. Prinz Guſtav, in ein öfterreichifches Uhlanen⸗ 
regiment eingetreten, war damals in Mailand. 

Ein zu jener Zeit erjchienener Nachruf an die Verklärte 
ſchildert in kurzen, rührenden Umriffen ihre denkwürdige Laufbahn; 
zuerft ihre Reife mit der fpäteren Raiferin Elifabeth, ihrer Schweſter, 
nah St. Peterdburg, dann ihre Verlobung mit König Guſtav IV. 
von Schweden, der ihr entgegen eilte und fie zuerft, von ihr nicht 
gekannt, zu Erfurt begrüßte, endlih den Beſuch ihrer fürftlichen 
Eltern zu Stodholm 1801, der mit dem unerwarteten Tode des 
Erbpringen, ihres Vaters, fchmerzlih endete. Dann geht die 
Lebensbeichreibung auf der Königin häusliches Glück über, die, 
umringt von blühend heranwachſenden Kindern, allgemein beliebt 
und verehrt war, und fährt dann fort: „Doc bald zeigte fich in 
den Frampfhaften Bewegungen der Gegenwart die drohliche Ge 
ftaltung der Zukunft. Die göttliche Vorjehung ließ es in ihrem 
unerforfhlihen Gange gefhehen, daß der Boden alter nordifcher 
Treue erfchüttert und die Königin 12 Jahre nady ihrer Ber: 
mäblung Zeuge einer jener fchredensvollen Kataſtrophen werden 
follte, welche die Vergänglichfeit aller irdifhen Dinge jo recht an- 
ſchaulich machen. Dod fo groß mar die Anhänglichleit des 
ſchwediſchen Volkes, die ſchützende Stärke wohlverdienter öffentlicher 
Meinung, daß mitten im Sturme politifcher Leidenfchaften, bei der 
Lockerung der heiligiten Bande Niemand die Königin perfönlidh zu 
bedrohen wagte. Der Adel ihrer Seele, die farte Gewiffenhaftig- 
teit, der Gattin beiliger Eid ließen fie in ihrem Entfchluffe keinen 
Augenblick ſchwanken. Gottergeben wie immer nahm fie die Krone 
von ihrem gefalbten Haupte und vertaufchte die Gemächer ber 
Königäburg mit der Gefangenfhaft zu Gripsholm. Ein Jahr 
nachher verließ fie mit dem König und ihren Kindern das Reich, 
der Welt ein erhabenes Beifpiel muthiger Entfagung und wahrer 

Ich. v. Andlaw. Wein Tagebug, I. 8 


114 


Seelengröße. Ihr Gottvertrauen, ihr reines Bewußtſein erhob 
fie aber auch über noch weit fchmerzlichere Schickſalsſchläge und 
berbe Erfahrungen. Doc zogen allmälig, im Anblide ihrer 
Kinder, deren Erziehung fie mit zärtlicher Dlutterliebe leitete, an 
der Seite theuerer Verwandten die Bilder der Vergangenheit in 
milderem Lichte an ihr vorüber; eine heiterere Zukunft fchien ihr 
beihieden — da raffte fie im 46. Lebensjahre eine fchmerzliche 
Krankheit dahin! Wenige Monate zuvor mar ihr Die ruffiiche 
Kaiferin-Wittwe vorangegangen, und das Schweiterpaar, das 30 
Sabre früher, im Glanze der Jugend und Scyönheit, zweien Nady- 
barreihen zur Freude und Bier, nordiſche Throne beitiegen, feierte 
nun ihre Wiedervereinigung im Senfeit3! ” *) 


Viele verwandtichaftliche Beziehungen, ſowie die geographifche 
Lage des Landes brachten immer eine große Zahl fürftlicher Beſuche 
nad Karlsruhe, Mannheim, Baden und Brudfal. So erſchien 
unter anderen 1817 zur nicht geringen Berlegenheit des Hofes 
die ertranagante Queen Karoline, welche auch Karlörube zum Schau: 
plate ihrer ſeltſamen Abenteuer auserfehen wollte. Doch blieb fie 
nicht lange, und ich fah fie Leider nie. Eine andere, willfommenere 
Eriheinung war die Landgräfin Friedrich von Heffen: 
Homburg, melde öfter ihre Tante, die Markgräfin Amalie, 
befuchte. Dieſe Tochter Georg? III. hatte ſich erft nach gefchloffenem 
Trieden, ſchon ziemlich bejahrt, vermählt, eine Dame von ganz 
ungewöhnlihdem Umfang, an Körperfülle nur mit der Markgräfin 
Friedrich zu vergleichen. Dabei war fie mit Federn, Ketten, Ringen, 
Juwelen und anderem Schmude bededt, und wäre bei ihren eigenen 
Manieren lächerlich geweſen, wüßte man nicht, daß fie die 


*) Vergl. die Königin Friederike von Schweden. Bon einer Hofbame. 
Frankfurt. Sauerländer. 1857. 


115 


Borfehung ihres Meinen Landes war, und ihre mohlwollende Güte 
wahrhaft königliche Großmuth übte. 

Die Karlsruher Gefellfhaft bewegte fi damals in gewiſſen, 
eng beichränften Kreifen. Politische Geſpräche fanden keinen gün- 
fligen Boden; mit um fo größerem Eifer warf man fi auf Hof: 
und Stadillatichereien, melde jelbit daB gemöhnlihe Map Hein: 
refidenzliher Commerage überfchritten. Das diplomatifhe Corps 
flimmte, mehr mit der Zunge als der Feder thätig, denn auch in 
diefen Ton ein, und erwarb ſich dadurd die Benennung eines 
„Corps diabolique.“ Wa3 die Intrigue erfonnen, die Läfter: 
fhule zu Tage gefördert, trugen einige gefhäftige Hofherren mit 
mehr oder minder Geift von Haus zu Haus; das Geſchlecht der 
Ifflandiſchen und Kobebueilhen Kammerjunker war nody nicht aus: 
geftorben! Wie wichtig erfchien damals mitten in diefem Treiben, 
diefen Empfindlichkeiten und Pleinlichen Neibungen — was jetzt 
faum mehr der Erwähnung werth — une temp£te dans un 
verre d’eau, wie e8 der preußifche Geſandte nannte. Doch gab 
es in den Ungebungen des Hofes auch Ehrenmänner, auf die ich 
zurüdtommen werde, einige ältere Herren, die, wie Geheimerath 
v. Stetten und Graf Benzel, in ihrer originellen Weife nicht ge: 
rade Medisance oder unanftändige Wite zu Hlilfe nehmen mußten, 
um zu unterhalten. Unter der großen Anzahl von Generalen 
zeichneten fi) v. Schäfer, dv. Freyſtedt, dv. Laffolaye, v. Gailing, 
v. Stodhorn u. a. durch Talent oder treue Ergebenheit aus. 
Schäfer, mit feiner einnehmenden Perjönlichleit und dem fchönen, 
norddeutfchen Dialekte vertheidigte mit Erfolg und Würde die 
Rechte der Krone in den Kammern, und war im Kabinette, mie 
bei der Armee an feinem late. 

Das Theater war im Ganzen gut, doch wie feine Leiftungen 
den Hauptgegenſtand des Stadtgeſprächs bildeten, jo wurden fie 
denn audy fortwährend mit beißenden Tadel überfchüttet, was den 
„finſteren“ Intendanten Auffenberg noch menſchenſcheuer ſtimmte. 

8* 


116 


Gaftipiele berühmter, fremder Künftler waren nicht felten, während 
einige gute einheimifche zweckmäßig verwendet werden Tonnten; Doch 
die mahre Perle der Hofbühne blieb immer Amalie Neumann: 
Morftadtt. Im Jahre 1810 hatte ich fie in ihrem 11. Jahre 
zum erftenmale al3 Oberon auftreten fehen. Nun fand ich fie als 
junge, ſchöne Wittwe wieder, meldhe fih bald darauf mit dem 
befannten Tenoriften Haizinger vermählte. 50 Jahre ſpäter erfreute 
fie ſich noch in frifcher Kraft ihres unvergleichlichen Talentes auf 
der Wiener Hofburgbühne eines feltenen Feſtes (1860). 


Meine Amtzthätigkeit im Minifterium konnte damals ihrer 
Natur nach jedenfalls nur fehr untergeordneter Art fein; doch war 
für mid; während derfelben ein Moment von großer Wichtigkeit. 
Ich befuchte nämlih im Sommer 1824 mit dem Staatöminifter 
v. Berftett den Fürften Metternih auf dem Johannisberge, 
ein intereffanter Aufenthalt, der fi durh Wochen hinzog. Wir 
hatten die niedliche Billa de Herrn von Quaita am Fuße des 
berühmten Weinberges bezogen, und da die gaftfreundlichite Auf: 
nahme gefunden. 

Don der Familie des Fürften Metternih war damals deſſen 
erſte Gemahlin, Eleonore geb. Fürſtin v. Kaunitz mit ihren beiden 
noch ſehr jungen Töchtern, Leontine und Hermine, ſodann ſein 
einziger Sohn Victor anweſend. Die Fürſtin Eleonore hatte bei 
einer überaus ſchwächlichen Geſundheit, welche ihr die Erfüllung 
der Pflichten ihres Standes doppelt läſtig machte, das 50. Jahr 
erreicht. Alle, welche ſie früher und näher kannten, rühmten ihren 
gebildeten Geiſt, ihre vortrefflichen Eigenfhaften. Eine zunehmende 
Kränklichkeit hielt fie aber immer mehr von der Gefellihaft zurüd, 
und aud) auf dem Johannisberge erſchien fie nicht regelmäßig bei 
Tifhe oder im Salon. Sie ftarb ein Jahr nachher (März 1825) 
zu Paris, wo fie in der lebten Zeit gelebt hatte. — Victor, der 


117 
Botſchaft in Paris beigegeben, war ein ſchöner Jüngling von edler 
Haltung und den feinften Manieren. 

Der Fürft Metternich felbft, damal3 51 Jahr, war noch 
rüftig und heiter, Teutjelig wie immer, doppelt froh aber, ſich auf 
feinem Lieblingsfig zu befinden. Es iſt ſchwer, fich jet, mar man 
nicht felbft Zeuge, eine Borftelung von dem bewegten Leben zu 
wachen, welches die jeweilige Anweſenheit des Fürſten begleitete. 
Die Vereinigung von großen Herren und Diplomaten, welche man 
auch während diefer Sommerzeit auf dem herrlich gelegenen Schloffe 
des Rheingaues fah, war eine ungemein glänzende. Deutſche Bundes: 
fürften — der Großherzog von Sachſen-Weimar, der Herzog von 
Naffau, der Landgraf von Heſſen-Homburg, Fürft von Reuß-Greiz 
— dann Prinz Friedrih von Sachſen, Prinz Emil von Hefien, 
die Minifter beinahe aller deutfchen Höfe, Botichafter, Bundestag: 
gefandte, Generale, der benachbarte Adel, Freunde und Belannte 
von Nah und Fern verfammelten ſich bier, und die Tafel in dem 
großen Saale mit der prachtvollen Ausfiht auf den Rhein enthielt 
täglich über 30 Gäſte. Unter ihnen gab ed Namen von gutem, 
altem Klange, bewährter, ftaat3männifcher Berühmtheit, Andere, 
welche fpäter eine hervorragende Rolle fpielen follten, wie Münd- 
Bekinghaufen. Caraman vertrat Frankreich, Tatifiheff Rußland, 
Hatzfeld Preußen, Graf Münfter Hannover. Die Yürften Paul 
Eſterhazy und A. Schönburg mit einer ganzen Schaar öfterreichifcher 
Diplomaten — Spiegel, Hruby, Binder, Mercy, Kreß u. a. 
ſchloſſen fi ihnen an, und Frankfurt ſchickte ung beinahe jeden 
Tag einige Herren aus dem Bundespalafte: Goltz, Nagler, Grüne, 
Beuft, Gruben, Handel, Blitterdorf u. a. m. Much der rufjifche 
Anftett, der engliihe Sir Hamilton Seymour erfchienen öfters, 
Maucler, du Thil, Rivalier, Marfhall u. a. endlih verhandelten 
und befprachen fi mit dem Yürften im Namen und Auftrage der 
füddeutfchen Regierungen. Couriere gingen tägli ab und zu, und 
felten wurde es vor zwei Uhr früh ftile auf dem gaftlichen Schloffe. 


118 


Ach entnehme obigem langen DVerzeichniffe zwei Namen zu 
einer näheren Belprechung. 


Tatiftheff, durch fo viele Jahre der Repräfentant Ruß: 
lands am k. f. Hofe, deſſen volle Vertrauen er fo gut wie Die 
Gunſt feiner beiden Kaifer Alerander und Nikolaus befaß, war ein 
feiner, begabter Diplomat. In Außerft ſchwierigen Verhältniffen 
wußte er Gemandtheit mit einem fich ftet3 als rechtlich erwieſenen 
Sinne zu verbinden. In Wien bielt er, gaftfrei und prachtliebend, 
ein wahrhaft fürftliches Hans. Stolz auf Geburt und Rang, 
weigerte er ſich einen Titel anzunehmen, da nah dem Wahlſpruche 
feineg Wappend? — pas donne — feine Familie älter fei, als 
alle verliehenen Titel. Mandye fanden fein Wefen abftoßend, wozu 
feine Peine, gedrungene Geftalt, eine Falte, vornehme Haltung, ein 
gewiffes Nafenrümpfen beitragen modten. Auch ein durchaus nicht 
angenehmes Geſicht, welches feine Abkunft von Rurik nicht ver: 
leugnen konnte, fchredte Viele ab, während eine nähere Belannt- 
Ihaft, die Würdigung feiner warhaft guten Eigenfchaften für ihn 
einnahmen. Im Gegenfab zu Tatiſtcheff's äußerer Erſcheinung 
ftand feine Frau, noch in vorgerüdten Jahren von überrafchender 
Schönheit und wohlmollendem Welen. Auf einer Reife nach Ruß— 
land brach ihr Wagen auf dem Eife eines Fluffes durch unb fie 
ftarb bald darauf in Folge der Erkältung. Mit dem Glanze 
feine Poſtens erbleihte aber auch der Stern des Tangjährigen 
Botſchafters. Als Privatmann, erblindet, ſchloß er fein Leben in 
keineswegs glänzenden Verhältniffen 1845 zu Wien. 


Mit ZTatiftcheff zugleih auf dem Johannisberg befand ſich 
Fürft Hapfeld, der preußifhe Gefandte. Sein Name war in 
früherer Zeit oft genannt; von Napoleon zum Tode verurtheilt, 
wurde er durch feine Gemahlin, eine geb. Gräfin Schulenburg 
gerettet, weldhe 1806 in Weimar die Gnade de3 mächtigen Cäſar 
auf den Knieen erflebt hatte. Und ein Sohn diefer Ehe mar 


119 


merfwürdiger Weife jpäter Gefandter Preußens am Hofe Napoleons IIT., 
mo er 1858 ftarb. 

Die alten Habfeld aber lebten lange Zeit in Wien im fchönen 
Frieſiſchen Haufe, mo fie bei einer zahlreichen, beionders mit 
Töchtern gefegneten Familie täglich Leute faben. Der Yürft mar 
ein harmlofer, in der Geſellſchaft beliebter Greis gemorden; gaft: 
freundlich, nicht ohne Eigenthümlichkeiten, nahm er gern an allen 
gefelligen Vergnügen Theil; doch nicht felten fah man ihn auch 
auf dem Markte einkaufen und große Fiſche oder andere Vorräthe 
unter dem Mantel nad Haufe tragen. Die Yürftin unterftübte 
ihn bei diefen häuslichen Freuden, und verleugnete auch im Alter 
ihren entſchiedenen Charakter, fowie den mit vielem Geifte verbun: 
denen Ordnungsſinn nicht. Hatzfeld ftarb 1827 hochbejahrt zu Wien. 

Es war aber jene Epoche der Sohannisberger Zukunft auch 
deßhalb fo merfwirdig, weil man fie ala den Höhe: und Glanz: 
punkt der Volitik bezeichnen kann, welche man jene der heiligen 
Allianz zu nennen pflegte. Dieſes auf religiös-fittlicher, nur zu 
idealer -Bafld gegründete Bündniß verdankte feine Entitehung einer 
ſchweren Prüfungszeit, aus der Europa glüdlich hervor gegangen 
war. 3 follten die damit aufgeftellten Grundſätze dem göttlichen 
Nechte wieder Geltung verichaffen, und den überjchäumenden Wellen 
der Revolution einen Damm ſetzen; fie follten ferner die Welt 
vor den Greueln der 1790er Jahre bewahren, die Völker aber 
zugleich vor dem Drude der Eroberer oder Fünftiger Tyrannei ber 
Militärbeipoten, wie der Demagogen ſchützen. Ziel und Abfichten 
dieſes Heiligen Bundes waren daher die edeliten, reinjten, uneigen- 
nüßigften, und ein mehr der liberalen Anfchauung zuneigender 
Scähriftfteller *) bemerkt darüber: „Durch Kaiſer Alerander ſah die 
Melt zum erftenmale die Stiftung eines Bundes, der in der Politik 
anzig nur die Grundſätze der Religioſität, des Friedens, der 


*) Varnhagen: Denkw. I. 201. 





120 


allgemeinen Wohlfahrt anerkennt, und bei aller Unvollkommenheit, 
welche den menſchlichen Abfichten in ihrer Anwendung beigegeben 
ift, für immer das ehrenvollfte Denkmal fein wird, mo Sieg und 
Macht den reinften Zwecken Huldigtn. Die Möglichkeit eines 
folchen Bundes konnte fidy nur auf die gleiche Gefinnung der Mit- 
verbündeten gründen, auf ihre gleich religiöfe, menjchenfreundliche, 
friedliebende Denkart. Diefe erkannt und gewürdigt, fie vereint 
zu haben in gemeinfam ausgeſprochener Verpflichtung wird immer 
das hohe Verdienft Aleranders bleiben.” 

Aber eben die folgerichtige Durchführung war eine, menjch: 
liche Kräfte beinahe überfteigende, und ſchon die theoſophiſch-philan⸗ 
thropiſche Richtung ded Bundes kam vielfah in Widerfprud mit 
den Mitten, melde er zur Vollziehung feiner Pläne und Be: 
ichlüffe zu ergreifen gezwungen war, meßhalb feine Wirffamteit 
anfangs gelähmt, dann gehemmt, zulegt unmöglich wurde. Weber: 
dieß war jedoch auch voraudzufehen, daß drei Monarden, von 
welchen jeder eine andere hriftliche Konfeflion befannte, auf die 
Länge ebenfo wenig einer entfchieden gleichen religiöfen Richtung 
folgen würden, als fie diefelbe politiiche Tendenz einhalten Tonnten. 
Dabei flürmten von allen Seiten erbitterte Feinde auf die heilige 
Allianz ein; doftrinäre Verfechter der ihr feindfeligen Theorieen, 
wie die fanatifchen Männer de Umſturzes griffen fie mit ver: 
einten Waffen des Spottes und der Lüge an. Man verjchrie die 
Grundfäte wie die Maßregeln des TFürftenbundes, legte ihm fremd: 
artige Zwecke unter und beflagte heuchleriſch oder unverftändig die 
Periode feiner Thätigkeit ald eine Völker unterdrüdende, unheil⸗ 
volle, troſtloſe. Es find jedoch nicht dieſe Vorwürfe, welche 
unbefangene Geihichtsfreunde gegen die heilige Allianz zu erheben 
wiffen; eine dem Parteitreiben der Gegenwart entrüdte Zukunft 
wird jenen gutgemeinten Abfichten und zeitgemäßen Beichlüffen 
gerecht fein. Das Bündniß genügte den Anſprüchen, dem Geifte 
der Epoche feiner Entftehung und hatte feine Aufgabe erfüllt. 





121 


Allein darin ſtimme ih völlig der Anficht vieler Staatsmänner 
bei: daß, traten andere Zeitverhältniffe ein, mit ihnen auch, nach 
den jeweiligen Erforderniffen, die europäiſche Politik hätte modifizirt 
werden müflen. Es fcheiterte das Syitem an dem ſtarren eilt: 
halten feiner Grundfäße bei gänzlich veränderten Umftänden. Von 
jener Zeit (1824) an quälte man fit dur 24 Jahre ab, die 
immer mehr durchlöcherten Pergamente der geichriebenen, nicht 
mehr befolgten Staatöverträge zu fliden, die alten, unpaffenden 
Artikel dur neue zu erfeßen. Mit dem Tode des Kaiſers 
Alerander (Dezember 1825) war die Hauptitüge der Allianz ge 
broden, und an den Machthabern war e8 nun, auf neue, zeit 
gemäßere Bahnen einzulenten. Immer aber ſchwebte die Furcht 
vor einem allgemeinen, verheerenden Kriege, vor dem Ueberhand⸗ 
nehmen der revolutionären Umtriebe zurüd, und jo zog ſich denn 
der Bund, ein vorübergehendes Uebereinfommen mit den Ereigniffen 
des Jahres 1830 treffend, bis zur verhängnißvollen Rataftrophe 
von 1848 fort. Einen AOjährigen Frieden, immerhin beffer als 
der 3Ojährige Krieg des 17. Jahrhunderts, müſſen wir nun 
freifih mit einer alle Begriffe überjteigenden Verwirrung und 
Prinzipienlofigkeit bügen! Und dennoch! nenne man nun jene Zeit 
die des Druds, der Verfinfterung, des Stillſtands, der Reaktion, 
wie man immer wolle, fie mar wentgftend eine Epoche des allent- 
halben zunehmenden Wohlitandes, wichtiger Erfindungen, einer 
ungetrübten Ruhe. Werden die PVerächter, Verläumder und 
Gegner jenes politischen Syſtems ung mährend einer ebenfo langen 
Zeit auch nur annähernd befriedigende Zuftände verfchaffen, das 
Glück, das fie immer geträumt, aber nie erreicht, berbeizaubern, 
fo wollen wir unbedingt in ihren Tadel einftimmen. Fürſt 
Metternich aber, einer der erften Träger jener Congreßpolitil, 
fonnte damals mit einigem Wohlgefallen auf fein 15jähriges 
minifterielled Wirken zurückſehen, wenn er die Lage Oefterreichs, 
ja die Lage Europa’3 von 1810 mit jener 1824 verglih. Ich 


122 


laſſe über jene Zeit wieder VBarnhagen fpreden: „Die merk- 
würdige Thatſache, daß bisher dur alle Veröffentlihungen nur 
immer beller und heller das Berdienft, nur immer ftrahlender der 
Ruhm des Fürften Metternich hervorgegangen, beftätigt fih auch 
bier; gerade durch die bekannt gewordenen Aktenſtücke muß jeder 
Unbefangene ſich überzeugen, daß die damalige Politik Oeſterreichs, 
fowie die mit ihr einftimmende Preußens, die einſichtsvollſte, be⸗ 
fonnenfte, mäßigfte geweſen u. ſ. mw.“ 

Die vielen diplomatiihen Beiprechungen und Schreibereien 
auf dem Johannisberge wurden häufig durch Feſte oder Ausflüge 
in die reizende Umgebung unterbrochen; Mainz, Wiesbaden, Bingen, 
der Niederwald, alle die berühmten Weinorte längs dem Rhein⸗ 
ufer, Marienthal, Schlangenbad u. a. m. wurden der Reihe nad 
beſucht. Kine Einladung eigenthümliher Art ließ der Herzog 
von Naffau an und ergehen. Es war ein Yrühftüd, das in dem 
‚fürftlichen Keller zu Eberbach ftattfand. Die Säfte verfuchten 
da über dreißig verfchiedene Sorten der beiten Rheinweine: Hoc: 
heimer, Steinberger, Markbrunner u. a. Dieß wiederholte Nippen, 
die Atmofpbäre in den glänzend erleuchteten Kellergewölben bemirkte 
bei dem SHeraustreten an dad Tageslicht einigen Schwindel. 

Auf der Hin⸗ und Herreife hielten wir und aud einige Tage 
in Frankfurt auf. Diefe Stadt, ſchon anziehend an ſich, wurde 
es noch mehr durch die Geſellſchaft, mit der ich fie damals fah. 
Man bemühte fih um die Wette, die diplomatifchen Gäfte einzu- 
laden, und war es denn, außer den Gefandten, zunächit die Familie 
Rothſchild, melde ſich, wie gewöhnlich, diefe Ehre nicht nehmen 
lief. Ih wurde Bier zuerft mit dieſem gewichtigen Gefchlechte 
befannt und begegnete fpäter gar vielen feiner Mitglieder an ver: 
fhiedenen Orten. Die Zeitverhältniffe waren damals Iſrael nicht 
günftig; noch ertönte das kaum verflungene widerliche, Hepp⸗Hepp“⸗ 
Geſchrei in vielen Ohren, und beinahe täglich ergößte man fich 
auf irgend einem Theater an der wißigen, aber boshaften Poſſe: 





123 


„Unfer Verkehr”. Die Rothſchild fanden fi) weniger al3 Andere 
von diejfem tollen Treiben berührt; ihre Macht war fchon zu feit 
gegründet, und in der That ift es ein eigened, nur unferem Jahr: 
hundert vorbehaltened Schaufpiel, eine jüdiihe Yamilie fo großen 
politifchen Einfluß üben, den Geldmarkt in folcher Weife beherrfchen 
zu ſehen. Sedenfall3 ift die zähe Beharrlichkeit zu bewundern, 
mit der die Rothſchild ihrem Ziele nachgeftrebt und es in Turzer 
Zeit erreicht hatten. Ihr mit feiner Berechnungsgabe nur auf 
Erwerb gerichteter Sinn ließ fie feinen Tag ruhen. Mit dem 
Glück im Bunde verlieh ihnen dieje Rührigkeit einen Reichthum, 
eine Stellung, um die fie Viele beneiden, welche fie aber meniger 
als manche andere Geldgrößen mißbrauchen. Viele edle Züge, 
mahrhaft großmütbige Handlungen, freilich nicht immer frei von 
einer gewiljen Oftentation, erzählt man fih von einzelnen Gliedern 
dieſer Familie, während wieder andere ihr Geſchäft mit einer klein⸗ 
lichen Aengftlichfeit, einer Engherzigkeit betreiben, die nur ihrer 
Taktlofigfeit im gejelligen Leben gleihlommt. Die Vorjehung bat 
die Rothſchild nicht, wie mit Geld, aud mit Törperlichen Reizen 
bedacht. Die aus bekannten Gründen angenommene Gewohnheit, 
die Ehen meiſtens nur unter ſich abzufchließen, Tann jenen Uebel: 
ftand nur erhöhen, und wirflih wird dieſe Familie mit jeder 
Generation Kleiner und fehmächtiger. Aus Weberzeugung, vielleicht 
auch in der Abficht, das Glück an ihre Unternehmungen zu fefleln, 
find die Rothſchild ihren religiöfen Traditionen treu geblieben, 
und muß auch ihr früheres patriarchalifchseinfaches Weſen einem 
fteigenden Lurus, einer eleganten Gaftfreundfchaft immer mehr 
weichen, fo halten fie doch, einig unter fi, an gewiſſen Lebens: 
regeln und Grundfäben feſt. Zu jener Zeit nun faßen noch 
Mapyer-Anfelm und feine Frau wie Fremde an einer Ede ihrer 
eigenen Tafel, ohne die den Gäſten vorgefeßten Speifen zu be: 
rühren. Er hatte den Fürften Metternich zu einem Diner ein- 
geladen, einigen jüngeren Diplomaten und mir aber mit Bedauern 


124 

bemerft, daß er Feinen Plab mehr für ung babe, es ihn jedoch 
freuen würde, wenn wir bei'm Deffert ericheinen mollten. Wir 
machten jedody von diefer, gemöhnlih nur Kindern ertheilten Er: 
laubniß Teinen Gebrauch. Zu jener Zeit fand in Yrankfurt die 
Vermählung des Parifer Rothſchild, James, mit feiner Nichte, der 
Tochter Salomons, ftatt: große Weterlichkeit, bei der die ganze 
Tamilte zugegen war! In dem alten Rothſchild'ſchen Haufe in 
der Judengaſſe lebte aber noch immer, von der liebenden Sorgfalt 
ihrer Kinder umgeben, die alte Stammmutter diefer neuen Dynaftie, 
eine zweite Lätitia, welche dad Alter von beinahe 100 Jahren 
erreichen follte. 


Vom Rheingau zurückgekehrt, verlebte ih in Karlsruhe noch 
zwei Sabre, angenehm umgeben, in abmechfelnder, intereffanter 
Beſchäftigung. Größere Ausflüge unternahm ich nad der ftets 
theuern Vaterftadt, nach dem freundlihen Mannheim, dem immer 
mehr aufblühenden Baden-Baden. Während ded Sommeraufent- 
halts der Marfgräfin Amalie fanden öfter auf dem niedlichen 
Schloßtheater in Bruchſal dramatifche Vorftelungen ftatt, an denen 
ih Theil nahm. Im UWebrigen war jene Epoche eine politifch 
ruhige, ohne melthiftoriihe Begebenheiten. Das Ableben Lud⸗ 
wig3 XVIH. wie Ferdinands von Neapel ging faft ſpurlos vorüber, 
und der Tod des Königs von Bayern war zunädft nur für 
Baden von größerer Bedeutung. Das Sterbelager in Taganrog 
aber war ein Ereigniß von fo hochwichtigen Folgen, daß ed als 
der Anfang eined neuen europäifchen Staatenſyſtems betrachtet 
werden Tann. 

Nachdem 1820 die Prinzeffin Mlerandrine, jekige Herzogin 
von Sachſen⸗-Coburg⸗-Gotha, geboren, wurde das großherzogliche 
Haus am 15. Auguft 1824 durd die Niederfunft der Mark: 
gräfin Sophie mit einem Erbprinzen erfreut. Glänzende Hof: 
feierlichfeiten, öffentliche Beluftigungen folgten. 





125 


Im Februar 1826 trat ich die eigentliche dipfomatifche Lauf: 
bahn an, da ich zur großherzoglihen Gefandtihaft nah Wien 
verjegt wurde, zuerft in der Eigenjchaft eines Attuche’3, dann als 
Legationsſekretär, ſpäter ala Gefandtfchaftsrath und Gefchäftsträger. 

Dreißig Jahre — big zum Jahre 1856 — widmete ich 
mih nun diefem Berufe, und brachte diefelben an folgenden 
Orten zu: 

Dom März 1826 bis uni 1830 in Wien. 

Dom Juli bis Oltober 1830 in Paris. 

1831 in Karlsruhe. 

Vom Mai 1832 bis November 1835 in Wien. 

1836 und 1837 in Karlsruhe: als Math bei dem Großh. 

Minift. d. a. 4. | 

Bom April 1838 bis Juni 1843 in Münden: als Ge- 
ſchäftsträger und Minifter-Refident. 

Bom Juni 1843 bis Juni 1846 in Paris: in letzterer 
Eigenſchaft. 

Vom Juli 1846 bis Juli 1856 (mit Unterbrechung der 
Revolutionsjahre) in Wien: als außerordentlicher Ge: 
ſandter und bevollmächtigter Miniſter. | 

Einen Theil der während diefer Tangen Zeit in Wien, München 
und Paris gefammelten Erfahrungen babe ich, wie fchon erwähnt, 
in den „Erinnerungsblättern” niedergelegt. Die folgenden Auf: 
zeichnungen fügen fi) nun jenen Bemerkungen, fie ergänzend oder 
berichtigend, an. Ich werde darin mehr die perjünlichen Begeg⸗ 
nungen und Eindrüde hervorheben, und hoffe, daß dieſe Darftellung 
weder fühlbare Lücken noch Wiederholungen enthalten foll. 


—— — — a un 


126 


Sechster Abſchnitt. 


—i LEI — 


(1826 — 1830.) 


Snhalt: Wien. Ueberfiht. General v. Tettenborn. Der Kaifer Franz 
und der Wiener Hof, Salons Silhouette des Fürften Metternid. 
Seine Geihwifter und Kinder, Die Familie Leyfam. Xob ber Gräfin 
v. Beilftein und Victors. Diplomatifhes Korps. Wiener Volke: 
und Öffentliches Xeben. Der ruſſiſch-türkiſche Krieg. Die griechiſche 
Frage. Badische Angelegenheiten. Streit um bie Pfalz. Der Herzog 
Karl von Braunfhmweig. Drei Reifen. KXobesfälle. Die große 
Meberfhmemmung in Wien. Tob, des Großherzogs Ludwig. Ber: 
Änderungen. Wbberufung von Wien, “ 


Wien erfchien mir in einem ganz anderen Lichte ald vor 
acht Jahren, wo ich es als reifender Student befuchte. Ach follte 
nun in das Öffentliche Geſchäfts- wie in das gefellige Leben ein- 
geführt werden. Iſt ein folder Einftand in jeder großen Stadt 
ſchwer, fo war er es doppelt in Wien, das eben nicht im Rufe 
ftand, den Tremden die erfte Schritte zu erleichtern. Die diplo- 
matifhe Zurückhaltung, wie die Ausjchließlichleit der Geſellſchaft 
waren dort größer als irgendiwo. Nähere Beziehungen, in melchen 
id) fchon früher zu einigen Wiener Häufern geftanden, ſowie die 
verwandtichaftlichen Verhältniffe zu dem Fürften Metternich kamen 
mir dabei vielfah zu gut. Meberdieß fand ich aber in der 
Perſönlichkeit meine® Chefd, des Generallieutenants Treiherrn 
v. Tettenborn, einen fo überaus willlommenen Anhaltspunkt, in 
feinem gaftfreien, mir unvergeßlichen Familienkreiſe eine jo freundlicye 


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Aufnahme, daß ih mi bald heimiſch fühlte. Kettenborn hatte 
damals das 50. Jahr noch nicht erreicht, eine ritterlihe Geſtalt, 
einer jener Charaktere, wie fie bie und da in der Geſchichte auf 
tauchen, zu großherzig für gewöhnliche Abenteuer, zu unftät, un: 
geftüm und kriegsluſtig, um fi den alltäglichen Anforderungen 
des Lebens zu fügen. Dieß war der Mann, zu dem mid) mein 
Geſchick durch beinahe 20 Jahre in fo nahe Berührung gebracht. 
Seine in halb Europa bekannte Erfcheinung, die faſt beifpiellofen 
Wechfelfälle feines Lebens, feine heldenmüthige Tapferkeit, welche 
mit der Liebenswürdigkeit feined Umgangs gleichen Schritt hielt, 
al dieß find oft gefchilderte Wahrnehmungen! Kine eigentliche, 
erihöpfende Biographie dieſes immerhin denfwürdigen Mannes 
fehlt aber noch. Was biöher über ihn gefchrieben, bezieht ſich 
meiftend nur auf die militärifche Thätigkeit des Tühnen Reiter⸗ 
generald. Mit heißem Blute, mit hochanſtrebendem, nicht leicht zu 
bändigendem Sinne trat Tettenborn, noch im jugendlichen Alter, in 
die öfterreichifche Armee, wo er ſich bald durch feltenen Unter: 
nehmungsgeiſt und einen Muth auszeichnete, der vor feiner Gefahr 
zurüdichredte. Er war Kriegsmann mit Leib und Seele, und 
verwendete, Maren und lebhaften Geiftes, feine nicht gemöhnlichen 
Gaben weniger zu einer gehörigen Ausbildung als zur Beiriedigung 
eine? nad Thaten dürftenden Ehrgeizes. Zwanzig Jahre feine? 
Leben? gehören daher der neueren Kriegdgeichichte an. rn vielen 
Schlachten, mit Scharfblid und Geiſtesgegenwart thätig, erwarb er 
fih bald den Therefienerden. Als Adjutant dem Fürften Karl 
Schwarzenberg, während defien Botihaft in Paris, beigegeben, ent- 
faltete Tettenborn nun bier auch feine geſellige Gemwandtheit, 
ſchwelgte in den Freuden der Hauptſtadt, und zog fi den Haß 
Napoleon’3 zu, den er ihm aus ganzer Seele zurüdgab. Hier 
wohnte er dem unglüdlihen Brande bei dem Ballfeſte bei, und 
unternahm 1811 jene merkwürdige Courierreife, um die Nachricht 
der Geburt de3 Königs von Rom nad Wien zu überbringen. 





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Er Tegte den Weg von Paris nad Straßburg zu Pferde zurüd, 
holte den franzöfiichen Boten, welcher die letztere Stadt 24 Stunden 
früher mit der telegraphifchen Depefche verlaffen hatte, im Wagen 
noch vor den Thoren von Wien ein, und übergab dem Kaiſer 
Franz ein paar eigenhändig von feiner Tochter gejchriebene Worte. 
Doch war Tettenborn wegen Verlegenheiten manderlei Art 
genöthigt, bald Parid gegen eine Heine Garnifon zu vertaufchen, 
und den öfterreichiihen Dienft fpäter ganz zu verlaſſen. Er trat 
mit einigen anderen Kameraden zur ruffiihen Armee über, und 
bier war ed nun, wo er 1812 den welthiftorifchen Feldzug mit: 
machte, dann ein Freicorps bildete, Berlin überrafchte, mit feinen 
Kofaden Hamburg befreite, Bremen einnahm, fiegreih, wohl auch 
Schreden verbreitend, die franzöfiihen Truppen allenthalben ſchlug, 
und endlich nach vielen glorreihen Waffenthaten mit den Alliirten 
in Baris einzog. Gleiche Thätigkeit entwidelte er im fahre 1815. 
Solche außerordentliche Begebenheiten fagten dem Triegerifchen Geifte 
Tettenborn’3, wie feinem abenteuerlihen Sinne zu; dabei machte 
er unermeßlihe Beute. Doch nun, da er gerade mit 38 Jahren 
in voller Manneökraft jtand, war auch feine glänzende Feldherrn⸗ 
laufbahn abgeſchloſſen. ZTettenborn lebte fortın in großen Städten 
oder Bädern, freigebig wie ein Fürſt, mit verfchwenderifcher Pracht. 
In Baden ſchloß fi Großherzog Karl an Tettenborn an, und 
beitimmte ihn, der in Raftatt geboren, eigentlich dem Lande ange- 
hörte, den ruffifchen Dienft zu verlaffen. Tettenborn nahm nun 
lebhaften Antheil an den für Baden fo wichtigen ftaatzrechtlichen 
Tragen, und blieb in treuer Anhänglichfeit jenem Yürften ein un: 
zertrennlicher Gefährte bis zu deffen 1818 erfolgten Tod. Nun 
trat Tettenborn den ihm ſchon früher beftimmten Gefandtichaftz- 
poften in Wien an, eine neue Lebenöperiode, weniger brillant, 
weniger glüdlich, als die erfte, dennod nicht ohne anziehende Mo: 
mente. Tettenborn war ſchon 7 Jahre in dieſen Verbältniffen, als 
ih in Wien eintraf. Er bewohnte das Meine Batthyanifche Haus 








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am Franzensthor, deflen befchränften Räume felten von Befuchenden 
und Gäften leer waren. ch Könnte ganze Seiten mur mit den 
Namen anfüllen der vielen FYürften, Grafen, Generale, Staats- 
männer, Gelehrten, Künftler, welche das gaftliche Haus bemirthete; 
mit den Trägern der edelften Geſchlechtsnamen wie mit feinen 
alten Waffengefährten eng befreundet, verfammelte er fie lieber um 
fi, und vermied, wo er e3 immer konnte, größere Zirkel. 
Tettenborn war Gewohnheitsmenſch geworden, machte nach den 
Geſchäftsſtunden jeden Morgen regelmäßig einige Befuche und 
brachte dann am liebiten Mittag und Abend unter Bekannten zu, 
wenn er nit das ihm angenehme Burgtheater befuhte. Kine 
Ehe, unter feltjamen Umftänden eingegangen, fiel glüdliher aus, 
ala man erwarten Tonnte; feine Trau, ihm von ganzer Seele er: 
geben, theilte mit ibm die Zärtlichkeit für einen einzigen Sohn, 
Alexander, einen lieblihen Knaben, daB fefte Band, welches Ddiefe 
Che umſchlang. Nichts gli dem Reize feined Umganges, dem 
woblmollenden Weſen, mit dem er die außgezeichnetften, wie die 
unbedeutendften feiner Gäfte behandelte. Gleichweit entfernt von 
foldatifcher Anmaßung und gedifcher Gefallfucht wußte er die Mitte 
zu balten zwifchen einem ſtolzen, fi feiner Siege bewußten Be 
nehmen und einer fi der Höflingsart nähernden Zuvorkommen⸗ 
beit. Sein Auftreten war feit, männlich, aber tabei doch fo ge- 
winnend, daß fi) gar wohl der Zauber erklären Tieß, welchen 
Tettenborn, befonderd auf Srauen, ausübte. Bon einer ungewöhn- 
lihen Körperftärfe, einer unverwüftlichen Gefundheit, welche Erceffen 
aller Art, Kriegsſtrapatzen und nie ganz völlig gebeilten Wunden 
widerftand, war er auch gewandt in allen Leibesübungen, ein aus: 
gezeichneter Reiter und die Fama wußte zu jeder Zeit von den 
Romanen zu erzählen, die er nicht gedichtet, bei denen er ſich felbft 
aber mit der Hauptrolle bedachte. Tettenborn beſaß überdieß eine 
weniger befannte, eigenthümliche Gabe, die des Ausſtrömens eines 
magnetifhen Fluidums, das er nicht felten mit Glück bei Kranken, 
Ich, v. Andlam. Wein Tacebuqh. I. 9 


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aber immer in der edeliten aufopfernften Weiſe, anwandte. Dabei 
war er meift heiter; felbft in den peinlichiten Augenbliden verließ 
ihn feine gute Laune nicht; er wußte fi in unglaublicher Weiſe 
zu beherrſchen, fo beftig auch feine Leidenfchaften waren. Den 
Sommer brachte Tettenborn gemöhnlih auf dem Lande, in dem 
freundlichen Hütteldorf, fpäter in dem reizenden Felſenthale der 
Brühl, zu. Nur in den letzten 10 Jahren machte Tettenborn 
öfters, feiner angegriffenen Geſundheit wegen, Reifen in Bäder. 
Es war für ihn wohl ein Unftern eigener Art, von ihm gar oft 
beflagt, daß fich ſpäter nie mehr Gelegenheit bot, fein erprobte, 
tapfered Schwert — Ylammberg, wie er ed nannte, — zu ſchwingen. 
Schmerzlihd war es ihm, nur auf, wenn aud nicht verwelkten, 
doch alten Lorbeern zu ruhen, und frühere, begeifternde Erinne- 
rungen nicht mit frifcheren zu vertaufhen. Dad Handhaben der 
Teder, das fißende, das Salonleben behagten ihm nicht, und immer 
hoffte er, fo lange ihn nicht Törperliche Leiden Tampfunfähig 
machten, den lange vermißten Schauplab ruhmreicher Thaten wieder 
betreten, Kanonendonner vernehmen, Pulver riechen zu Tönnen. 
Tettenborn follte es nicht erleben, und fo ging eine Fräftige Natur, 
ein wie zum Helden gejchaffener Charakter, bei der ihm eigenen 
leidenfchaftlichen Erregbarkeit, in den Eleinlichen Fragen des Tages, 
in häuslichen Sorgen, in einer ungewohnten, aber um fo verzeb- 
venderen Thätigfeit unter. Er war bequem geworden, felbit die 
Jagd konnte ihn nicht erfreuen; er umgab ſich gern mit befannten 
Geſichtern und im Kreife feiner Familie, und unter den vielen ihm 
bi8 zum Ende treu gebliebenen Freunden befand er ſich am bebag- 
lichiten, feine Pfeife ſchmauchend, die er der Cigarre zu lieb nicht 
befeitigte.. Ich felbit aber bewahre diefem merkwürdigen Manne 
Zeitlebend ein dankbares Andenken, es mar, felbft bei den in 
unferer gegenfeitigen Stellung beinahe unvermeidlichen Zerwürfnifien, 
mir nicht möglich, ihm zu grollen; folde Störungen waren immer 
nur vorübergehend, denn nur allzu oft bewies ſich Tettenborn mir 


— — — 


als väterlicher Freund, und einen Freund, an deſſen Tiſch man 
etwa tauſendmal ſaß, vergißt man nicht ſo leicht! 

Der großherzoglichen Geſandtſchaft war außer einem früheren 
Adjutanten, Philippsborn, auch noch ein alter Legationsrath, 
v. Fabrice, beigegeben, welcher einen Theil der Kanzleigeſchäfte 
beſorgte. Fabrice gehörte jener Klaſſe von Beamten in Wien an) 
welche früher unter dem Namen von Reichshofrathsagenten gelaunt, 
die Rechte kleiner deutſcher Fürſten bei jener Stelle vertraten. 
Nah Auflöfung des Neichöverbandes wurden einige von ihnen 
als Gefchäjtsträger angeftellt, ohne deßhalb von den übrigen Mit: 
gliedern des diplomatiſchen Corps für ebenbürtig angefehen zu 
werden. Dieje Kategorie von Diplomaten in Wien ift nun aus: 
geitorben, Yabrice war unter ihnen einer der originellften. Der 
philoſophiſchen Richtung der Joſephiniſchen Zeit angehörend, Tebte 
er, unbefümmert um Politik, gejelichaftlihe Zuftände und andere 
Außendinge, nur feinen Ideen. Ohne praftiihen Sinn, ohne die 
geringfte Menſchenkenntniß erfüllte er mit gewiffenhafter Treue 
feine Berufspflichten, verband aber mit einer bis an Naivität 
grenzenden Gutmüthigkeit eine im gewöhnlichen Umgange jeltene 
Unbeholfenbeit. Dabei umgab er fidy mit vielen Büchern, die er 
fih nur mit pefuniären Opfern anſchaffen konnte, und begeifterte 
fid) an dem Anblid berühmter Männer, deren Torträte — feine 
Meiſterwerke — feine Wände zierten. Sein in ſich abgejchloffenes 
Gemüth ließ jeder an ſich noch jo unbedeutenden Begebenheit jeines 
Lebens die größte Wichtigkeit beilegen. Er jchrieb eine Selbit- 
biographie, an Offenheit und Heinlicher Auffaffung nur mit jener 
Jung-Stilling's zu vergleihen. Ebenſo tragen feine Gedichte 
immer nur den wahrften Ausdrud feiner innerften Gefühle, und 
eben in diefer Urfprünglichkeit liegt der eigentlihe Weiz feiner 
Werke. Ich widme diefe Worte dem mir in unveränderter An: 
bänglichleit ergebenen guten alten Dann, weil ich nicht glauben 
fonn, daß feine, nur auf einen Meinen Leſerkreis befchränkten 

9 » 


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Schriften ihn aus dem Dunkel treten Iaffen werden, in das ſich 
feine Harmlofe Eriftenz hüllte. Er ftarb mitten in den Bewegungen 
des Jahres 1848, deren eigentliche Bedeutung er, wie fo viele 
Andere, nicht zu erfaffen vermochte. Freilih mußte dem 83jährigen 
Manne Wien in einem anderen Lichte erfcheinen, ald zu der Zeit, 
wo er ald Kind der ihm Tieblofenden Maria Therefia vorge- 
ſtellt wurde! 

Drei Dinge waren es vorzüglich, welche in den neuen Ver⸗ 
hältniffen meine Aufmerkſamkeit feffelten: die dDiplomatifche Welt 
mit den mir zum Theil noch fremden Formen; dann das Hof: 
und ariftofratifche Leben, der Geift, die Sitten wie der äußere 
Anſtrich der höheren Geſellſchaft; endlich das öffentliche, 
das Volkstreiben, die Sehenswürdigkeiten, Kunſtgegenſtände, Theater, 
Umgebungen u. ſ. w. Sobald ich mich mit dieſen Dingen bekannt 
gemacht, Terrain gewonnen hatte, ging es dann zu ernſteren, 
gründlicheren Beobachtungen, galt es, näher in die politiſchen 
Fragen des Tages, in die Zuſtände der Monarchie mit ihren viel⸗ 
fach verzweigten und heterogenen Beſtandtheilen einzudringen. Das 
Heerweſen, die Finanzen, die internationalen und volkswirthſchaft⸗ 
lichen wie die Handelbeziehungen waren ebenfo viele Gegenftände 
anziehender Studien; ich nahm mir mit einem Worte vor, Zeit 
und Kräfte unausgefegt der felbitgewählten Berufsthätigfeit zu 
widmen und an mir wenigſtens die oft gehörte Anficht zu wider: 
legen, daß angehende Diplomaten nur geihäftige und genußjüchtige 
Müfiggänger jeien! 


Kaum war ich vierzehn Tage in Wien, als Kaifer Franz 
im März 1826 lebensgefährlich erkrankte. Ich zeichnete damals 
die friihen Eindrüde dieſes Ereigniffes mit folgenden Worten auf: 
„Es war in der Nacht vom 11. auf den 12. März, als der 
Kaifer plößlih von einem entzündlichen Yieber ergriffen wurde, 
welches bald einen jo bedenklihen Charakter annahm, daß man 


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am 14. ſchon beinahe jeder Hoffnung zur Genefung entfagte und 
die heiligen Sterbfaframente gereicht wurden. Der gewöhnliche 
Leibarzt (Doktor Stift) magte e3 nicht, dem erfchöpften Kranken 
einen wiederholten Aderlaß zu verordnen. Fürft Metternich, von 
der Kaiſerin unterftüßt, drang auf Zuziehung eines zmeiten Arztes, 
des Dr. Staudenheimer. Dieſer alte erfahrene Mann ließ dem 
Kaiſer ſogleich und reihlicdy zur Ader, und fo unerwartet fchnell 
zeigte fi der Erfolg, daß fhon am 16. alle Gefahr vorüber 
war und fein Bulletin mehr auögegeben wurde. Was mid bei 
diefer vorübergehenden Epifode am meiften ergriff, war das feltene 
Schauſpiel, welches eine ganze große Bevölkerung in ihrer rührenden 
Theilnahme zeigte. Tauſende ftrömten in die Kirche, um vom 
Himmel das Leben ded wahrhaft populären Fürften zu erfleben. 
Zahllos wogte die Menge um die, Hofburg, ängftlich jeder Nach 
richt harrend, die von Zeit zu Zeit den fi) zur Treppe des 
Schweizerhofed Drängenden verfündet wurde. War fie günftig, 
erwecte fie nur einen Strahl der Hoffnung, fo flog fie von Mund 
zu Mund, von Haus zu Haus, lautete fie beunruhigend, jo konnte 
man, ohne zu fragen, an den düfteren Zügen der Hörenden er: 
fennen, daß noch Gefahr vorhanden fe. Alles fchten zu ruben, 
jeder andere Wunfd und Gedanfe nur dem einen zu weichen: den 
Kaiſer feinem Volke erhalten zu willen! Ungeheuchelt wie diefe 
Beforgniffe war auch der Jubel über die beinahe wunderbare 
Miederberitellung; er ſprach fih in den rührendften Demonftra- 
tionen bei der erften Ausfahrt und im Theater au. Es ertönte 
bei ſolchen Anläſſen mit Begeifterung das einfache, fo beliebte 
Boltslied, welches ich gleichjam identifch mit der Erfcheinung des 
Raiferd nennen möchte, wie in Wien, fo auch in den meiften 
Provinzen. Gedichte, Adreljen, wohlthätige Stiftungen folgten 
jenem Ereigniffe.“ 

Heutzutage ift man nur zu leicht geneigt, über fo herzliche 
Huldigungen, jo naive Ergüffe von Unterthanenliebe zu lächeln; 


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man begreift oder will eine Popularität ſolcher Art nicht mehr 
begreifen, man ſpannt lieber die Pferde vor dem Wagen irgend 
eines Tageshelden aus, oder zieht im Triumphe eine ſingende 
oder tanzende Schöne nach Hauſe. Jene Erſcheinungen aber, 
welche ſich an die Perſon des beliebten Monarchen knüpfen, find 
hiſtoriſche Thatſachen und man nimmt, ſie zu erklären, Zuflucht 
zu allerlei Verdrehungen. So nannte man ihn den Tartüffekaiſer, 
den Kaiſer mit den Marmorherzen u. dal. m. KXartüffekaifer! 
Was heißt da3? Hat er durch Berftellung, Sceinbeiligfeit und 
allerhand Künfte 43 Jahre lang Millionen der feinem Scepter 
unterworfenen Völker bethört, ſich ihre Liebe und Anhänglichkeit 
durd) jede nur denkbare Lift zu erwerben gefucht? In diefem doch 
wohl kaum annehmbaren Falle würde ſolche Wahrnehmung der 
Faſſungskraft wie der Intelligenz all jener Leute gerade nicht zur 
Ehre gereihen. Der „Härte“ feine Herzend Tann man feine 
allbefannte Güte entgegenftellen, und der anfcheinende Widerfprud 
löſt fi) am beften, wenn man den ftrengen Ernfl, welcher ihn 
befeelte, feinem ausgeiprochenen Gefühle für Gerechtigfeit zufchreibt. 
Dabei gebot ihm fein Gewiffen, alle Empörer mit unerbittlicher 
Conſequenz zu verfolgen wie zu beftrafen, weil er eben in den 
Treveln der Nevolution das Grundübel feiner Zeit erkannte. Nur 
Bosheit oder blödfinniger Dünkel können daher in jene einfeitigen, 
gehäffigen Urtheile einftimmen; eine unparteiifche Gefchichte unter: 
ſchreibt fie glüdlicherweife nit. Sie wird den Raifer Franz 
zwar an Größe und hervorragenden Eigenfchaften nicht auf der 
Höhe der von ihm erlebten erfchütternden Weltereigniffe erflären, 
wird ihn wohl der Unentfchloffenbeit, felbft vorübergehender 
Schwächen befhuldigen, aber diefen Mangel an Thatkraft erſetzte 
er reichlich durch bürgerliche Tugenden, durch Gewiſſenhaftigkeit 
und jenen rechtlichen Sinn, die ihn gerade zum Water feines 
Volles machten. Kein Monarch ftrebte weniger ald er in feiner 
einfachen, ſelbſt oft trodenen Weife nach einer ephemeren Popularität, 


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und gerade in feinem prunflofen Auftreten gewann er viele Herzen. 
War auch diefed Berechnung, Berftellung? Ein geiftreicher Franzofe 
(Reymond) hat vor einiger Zeit eine biographiſche Skizze des 
Kaiferd Nikolaus entworfen und dabei eine Parallele zmwifchen ihm 
und dem Katfer Franz in den folgenden Scenen aufzuftellen ver: 
ſucht. Er fagt: 

„Alle bekannten Aneldoten, jelbft jene, welche ihm zur Ehre 
gereidhen, zeigen bei dem Kaifer Nifolaus jene leidenichaftliche Auf: 
faffung feiner hohen Würde, welche beinahe jeded andere menſch⸗ 
liche Gefühl zu unterdrüden fchien. Nur ein Beifpiel von vielen! 
Als der Kaifer eined Tages durch die Straßen von Petersburg 
ging, begegnete er einem Leichenwagen, dem Niemand folgte. Man 
trug einen Hofdiener zu Grabe und der Ezur war entrüftet darüber, 
daß einer feiner Beamten im lebten Augenblide jo gänzlich ver⸗ 
laſſen werde. Er begleitete daher den Sarg und bald ſchloß fid 
ihm eine unabfehbare Menfchenmenge an. Als nun der mit jeder 
Minute anwachſende Zug in die Gegend der Kathedrale von Caſan 
kam — erzählt ein Augenzeuge — wandte fi Nikolaus gegen 
da3 verfammelte Bolt und ſprach mit beiwegter Stimme: Das 
Andenten an die Verftorbenen ehrt die Lebenden; es ift auch Gott 
angenehm und wohlgefällig. Es hat mich tief betrübt, zu fehen, 
daß Niemand fi gefunden, meinen Angeftellten, der feine Lebens: 
Träfte treu dem Dienfte des Kaiferd und Vaterlandes gewidmet, 
zu Grabe zu geleiten; ich mwollte daher feiner irdiſchen Hülle diefe 
Iegte Ehre erweifen. Doch nun rufen mich ernfte Staatägefchäfte 
und ich muß mich entfernen! — Wir ſehen bier immer nur den 
Kaifer, nicht3 als den Kaifer! Wie viel rührender ift nicht das 
Benehmen des Kaiferd Franz in einem ganz Ähnlichen alle? 
Auch er traf in einer Vorſtadt Wiend auf die Leiche eined Armen, 
die man ohne Begleitung dem Kirchhofe zuführte. In feiner ein: 
fachen Art fagte der Raifer zu feinem Adjutanten: „Folgen wir 
dem Sarge, denn man fol nicht fagen können, ein Mitbürger fei 


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aus unferer Mitte verfchwunden, ohne daß andere Ehriften an 
feinem Grabe gebetet hätten.” Und ohne an die „Staatsgeſchäfte“ 
zu denken, gelangte er zum Gottedader, wo er Fnieend für Den 
betete, den er nie gekannt, der aber wie er durch Ehrifti Blut 
erlöft wurde. Er hielt feine Rede an das Volf und fehrte ſtill 
und fchlicht, wie er immer war, zur Burg zurüd. Denn er war 
nicht nur Raifer, ev mar auch Menſch und Chrijt, zwei Eigen: 
ichaften, welche jene eines Fürſten wohl aufmwiegen.“ 

Es hat mir einft Jemand bemerkt, daß die meiften Fehler 
des Kaiſers Franz eigentlih nur zu weit getriebene Qugenden 
feten; fo artete feine allzu große Gewiſſenhaftigkeit Häufig in Aengſt⸗ 
lichleit, in eine gewiſſe Pedanterie aus, welde ihm bei Prüfung 
der Gefchäfte mehr Zeit, als nöthig, raubte. Seine an Schüch—⸗ 
ternheit grenzende Beicheidenheit erzeugte einen allzu großen Mangel 
an Selbftvertrauen, der nicht felten ftörend oder zögernd auf feine 
Entſchlüſſe einwirkte. Er hielt ſich oft lange bei fchriftlichen Aus- 
arbeitungen auf und machte ſich felbjt über diefe Art von Xhätig- 
feit Tuftig: „Wäre ich nicht Kaifer,” fagte er, „fo hätte man 
mich vielleicht doch als ziemlich brauchbaren Hofrath anftellen 
können.“ Seine Ordnungsliebe wurde ihm als Mangel an Groß— 
muth, ſeine Sparſamkeit als Geiz und Engherzigkeit ausgelegt, 
und in der That war ſein Aufwand wie ſeine bei vielen Gelegen⸗ 
heiten in Anſpruch genommene Freigebigkeit nicht immer im Ein⸗ 
klange mit ſeiner kaiſerlichen Würde. Aus all dieſen Beobachtungen 
zog man nun häufig den Schluß, daß der Kaiſer Schätze ſammle 
und ſeine Hand ſich nicht großmüthig genug zur Austheilung von 
Gnadengeſchenken oder zu Spenden an Verunglückte und Noth— 
leidende öffne. Ich Hatte deßhalb in dem von mir entworfenen 
Bilde des Kaiſers Franz (Erinnerungsblätter S. 8) bemerkt: 
„Weber die angebliche zu weit getriebene Sparſamkeit des Kaiſers 
fteht mir Fein Urtheil zu; nur halte ich die Gerüchte von fabel: 
baften Summen, melde er hinterlaffen haben fol, für lächerlich 


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und übertrieben.” — Ueber dieſe Stelle ging mir nun von beffer 
unterrichteter Seite eine Berichtigung zu, welche ich glaube bier 
einihalten zu müſſen. Es maren nämlich drei Kaffen, aus 
welchen Raifer Franz feine Bedürfniffe beftreiten Tonnte. Die 
Staat3kaffe nahm er unglaubli wenig in Anſpruch, und die 
Summen, welche er daraus bezog, Überftiegen kaum die Civilliſte 
mancher Heinen deutfhen Fürſten. Die Familienkaſſe, ein 
von Tran; I. und Maria Therefia gegründete® PBermögen, ver: 
waltete der Kaiſer nur, ohne je etwas davon für fich ſelbſt zu 
verwenden, vermehrte e3 vielmehr dur Erfparniffe mit beträcht⸗ 
lihen Kapitalien. Die Privatkaſſe endlih, durch Erbfchaften 
entftanden, war nie im Stande, den vielfahen Anforderungen zu 
genügen; er nahm daher in dringenden Fällen zu Anleihen bei 
der reich dotirten Familienkaſſe feine Zuflucht und verzinfte dieſe 
felbft regelmäßig. Bei der ängftlichen Scheu, mit melcher er die 
von ihm felbft gezogenen Grenzen feiner Ausgaben nicht zu über: 
fhreiten wagte, fanden immer mehr Einfchränfungen ftatt und 
wurde der Aufwand für den Hofhalt immer geringer. Es ergab 
fi daher, daß bei des Kaiferd Ableben deilen Privatfaffe mit 
Schulden belaftet war, und diefe ſelbſt Ausgaben beftritten hatte, 
welche dad Aerar hätte übernehmen follen. Die Auseinander: 
ſetzung der Verlaflenfchaft wurde deßhalb eine ungemein ſchwierige 
und erft nah 17 Jahren beendet. Uneingeweihte, welche mit 
den Verhältnifſen diefer verfchiedenen Kaflen wie mit der Art 
der Verwendung der Gelder nicht näher befannt waren, konnten 
fi) daher Teicht zu irrigen Vermuthungen verleiten laſſen. 

Franz II. hatte auf dem, feinem Fatferlichen Obeime Joſeph II. 
errichteten Denkmale unter anderen Inſchriften die Worte ein: 
graben laſſen: „Er widmete ſich nicht lange, aber ganz (non diu, 
sed totus) dem Staatöwohl.“ Was Joſeph nur kurze Zeit ange: 
firebt, — die firengfte Erfüllung feiner Regentenpfligten — machte 
Franz zur Aufgabe feines langen Lebend. Er widmete ſich ganz, 


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mit vollen Kräften feinem erhabenen Berufe, und ed mar daber 
auch natürlich, daß ihm ein großer Theil der Bevölkerung feines 
Reiches dieß raftlofe Streben mit dankbarer Verehrung vergalt. 
Es ſchien fich feine Verwaltung dem nie erreichten Ideale einer 
väterlichen Regierung möglichſt zu nähern: Es war ein Familien⸗ 
verhältnig in die Kerrichaft übertragen. Was zwei Generationen 
erlebt und geachtet, Tann nicht auf Täufchung beruhen. Unfere 
Zeit aber ift für ſolche Eindrüde von Pietät nicht mehr empfänglidh; 
fie überfchüttet fie mit Hohn oder greift zu gehäffigen Auslegungen. 

Einfach und ſchlicht, wie der Kaifer feldft, war damals auch 
die Hofhaltung, felten Yeite oder Geremonien, und der frühere 
Slanz, die großartige Gaſtfreundſchaft, wie fie die Wiener Burg 
zur Congreßzeit entfaltete, wid) immer mehr einer ftillen Häuslich⸗ 
feit. Der Kaifer, nad) einem bewegten Leben, fehnte fi nad 
Ruhe und überließ fih nur der gewohnten Gefchäftsthätigkeit. 
Repräfentationen, raufchende Hoffreuden waren nicht nach feinem 
Geſchmack, und felbft die früher gebräuchlichen Förmlichkeiten, 
Kirhengänge, Auffahrten, Gallatage verjhmanden immer mehr. 
Die Kaiferin empfing Damen in verfchiedenen Abtheilungen und 
gab Meine Bälle in ihren Gemädern; größere Hoftafeln fanden 
nie ftatt. Sonderbarer Weiſe ertbeilte der Kaiſer auch fremden 
hochgeftellten Damen oder Bräuten aus fürftlichen Geſchlechtern 
Audienzen in den frühen Morgenftunden. Außer den Prater: 
fahrten, einem kurzen Befuhe in dem Blumengarten und dem 
Burgtheater gönnte fi der Kaifer Feine andere Erholung. Die 
höhere Geſellſchaft, das diplomatifhe Corps fam daher immer 
weniger mit dem Hofe in Berührung, und es vergingen oft 
Monate, ehe ſich eine Gelegenheit ergab, fi den Majeftäten 
näbern zu innen. Die Hofburg felbft mit ihren vielen Gängen, 
Treppen und Nebengebäuden bildete ein in fich felbit abgejchloffenes 
Ganze, eine Stadt im Kleinen. Hier war nun Alles auf die 
Mleinlichen Intriguen und Klatjchereien des Tages beihränft, und 


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felten nur machte fi irgend ein Einfluß in wichtigeren Dingen 
geltend. Mit den Miniftern und Oberhofchargen kam der Kaifer, 
feltene Fälle ausgenommen, nur in den Geſchäftsſtunden zuſammen; 
in jeder Woche wechielten die beiden Kämmerer vom Dienfte. 
Keine Männer von Bedeutung und Geift waren in der näheren 
Umgebung de3 Hofes; nie fprah man da weniger von Politik 
und öffentlichen Angelegenheiten; nie hörte man feltener von 
befonderen Gnadenbezeugungen, Begünftigungen, Kabalen u. dal. 
Rutfhera mar Tange Zeit der Mittelpunft, un den ſich die 
fubalterne Hofmelt drehte. Er hatte den Vortrag beim Kaiſer in 
Militärfahen, und täglih Tonnte man ihn auf der Baſtei mit 
dem Raifer, dem er an Geftalt und Kleidung Ähnlich, fpazieren 
gehen ſehen. Vielen erſchien e3 unbegreiflich, wie der fittenreine, 

rehhtlihe Monarch einen Generaladjutanten fo lange in feiner 
unmittelbaren Nähe behalten konnte, der in mancher Beziehung 
keines vortheilhaften Rufes genoß und gründlich verhaßt mar. 
Der Kaifer aber hatte nad) der Reihe feine früheren Bertrauten, 
Wrbna, Duka u. a., verloren, nur Kutfchera mar ihm geblieben, 
und e3 feffelte ihn Tange Gewohnheit an denjelben. Weber einen 
alten etwas aufgeblafenen Hofdiener pflegte der Kaiſer lächelnd zu 
bemerfen: „Wenn ich nur einmal Sonntags wäre, was ih M.... 
am Werktage zu fein einbildet!” — 

Die Raiferin Karoline Augufte ſah man immer in ber 
Nähe ihres Gemahls; fie begleitete ihn auf Reifen, erheiterte, 
pflegte ihn mit liebevoller Sorgfalt. Ihre Herzenzgüte erſtreckte 
fi) nit nur auf ihre nächfte Umgebung; ihr Hang zum Wohl: 
thun kannte eine Grenzen und fteht heute noch nicht im Ber: 
bältniffe zu ihren befchränkten Mitteln. Sie verfagte fich eher 
alles, um Thränen zu trodenen, und Familien dem bitterften Elende 
zu entreißen. Immer find auf ihren Befehl einige Lintergebene 
befchäftigt, die zahlreichen Bittgeſuche zu prüfen, und wahre Noth 
auszuſpähen. ine beinahe Findlihe Anhänglichkeit bemahrte 


140 


Karoline Augufte ihrer Erzieherin, der Gräfin Kamille Mühlenfels- 
Andlaw, und es ift gewiß ein ſchöner Zug, daß das Bild derfelben in 
dem Wohnzimmer der Kaiſerin zwilchen den Porträten der Pöniglichen 
Eltern hängt. Dieß Gefühl danfbarer Erinnerung an alte Freunde 
und Diener theilt die hohe Frau mit ihren erlaudhten Gefchmwiftern. 
Bon den Kindern des Kaiſers bemohnten damals der Kron: 
prinz, der Erzherzog Franz Karl nebft der Erzberzogin Maria 
Anna die Burg; ihnen ſchloß fich ein Enkel, der Liebling bez 
Kaiſers, der Herzog von Reichſtadt, an. Ein Jahr vor meiner 
Ankunft Hatte ſich der zweite kaiſerliche Prinz mit der Prinzeffin 
Sophie von Bayern vermäbhlt, eine Ehe, welche bis 1830 finder: 
los blieb. 
cc" Meber den Sronprinzen war e8 zu jener Zeit nicht Teicht, 
fi) eine richtige Meinung zu bilden. Es war wenig von ihm 
die Rede, man fab ihn nur felten, und mußte, daß er von Staatz- 
gefchäften fern gehalten, ſehr zurücdgezogen lebte. Sein Aeußeres, 
mehr ungewöhnlich und auffallend, als geradezu häßlich, nahm nicht 
für ihn ein. Die Urtheile über feine Geiſtesgaben waren ehr 
verfchieden; wenn ihm Alle Herzendgüte, einen edlen Charafter 
nicht abſprachen, fo hielten ihn doch Viele für gänzlich unfähig, 
phyſiſch und moralifch gedrückt, ohne Thatkraft und eigenen Willen; 
Andere behaupteten wieder, daß meit mehr in ihm verborgen 
liege, al3 man glaube, Kränflichfeit, natürlihe Schüchternheit ihn 
verhinderten, feine befferen Eigenfchaften bervortreten zu laſſen. 
Diefe Anfihten wurden bald zur Parteifrage; man ſprach von der 
angeblichen Ausichliegung des Kronprinzen in der Nachfolge, man 
verbreitete abſichtlich Gerüchte, welche ihn als unterbrüdt, als 
Opfer von Hofintriguen, zum geiftlichen Stande beftimmt bezeich- 
neten. Die Yolge bat Hinreihend bewieſen, wie unbegründet alle 
diefe Vermuthungen waren, und wie man weder durch Zwang, 
noch auf anderen Umwegen e3 verfucht, dem Kronprinzen daB an: 
geitammte Thronrecht zu entziehen. 


141 


Ebenſo ſtill und von Staatöfragen, wie von gefelligen 
Kreifen unberührt, lebte das junge erzherzogliche Ehepaar. Gänz⸗ 
ih unzugänglih aber war die arme Erzberzogin Maria Anna, 
welche bis zu ihrem 50. Jahre mit dem Familienübel zu kämpfen 
Batte. 

Am meiften Leben brachte die muntere Laune ded Herzogs 
von Reichſtadt in den kaiferlihen Kreis. Er war, ein fchöner 
Knabe, fchnell herangewachſen und man konnte feinen dringenden 
Bitten nicht widerftehen, ihn mit einer Uniform zu beffeiden. 
Lebhaft, mit dem vollen Teuer der Jugend ergriff er feinen neuen 
Stand, und fein raſtlos tHätiger Geift verzehrte allzu raſch die ihm 
nur fpärlich zugemwiefenen phufiihen Kräfte. Der Prinz erichien 
zum erftenmal in der Geſellſchaft bei dem engliſchen Botfchafter. 
Bon jener Zeit an hatte ich öfters das Glüd, ihn auf Bällen oder 
im Parke zu Baden zu fprechen, und jedesmal erfreute ich mid) 
an den edlen Gefichtözügen, dem jeelenvollen Auge und feinem 
ganzen jo überaus einnehmenden Weſen. Es funden viele Ver- 
ſuche Unberufener ftatt, fi dem Herzoge zu nähern, bejonders 
drängten ſich Franzoſen an ihn; doch außer Marfhall Marmont, 
der ihm Kriegsgeſchichte vorlag, fand Keiner Zutritt. Die Dichter 
Mery und Bartbelemy waren nah Wien gefommen, um ihm ihr 
Heldengedidht „Napoleon en Egypte“ zu überreihen. Sie wur: 
den nicht vorgelaffen, und rächten fih dafür durd ein albernes 
Gedicht: „Le fils de l’homme.“ 

Bon den Brüdern des Kaiferd bewohnte nur der Erzherzog 
Ludwig die Burg. Sein Aeußeres iſt ernft, beinahe abjchredend; 
auch er lebte wie der Kaifer, deflen volles Vertrauen er befaß, nur 
den Staatsgeſchäften, war Generaldireftor der Artillerie, gab oft 
Audienzen und war nicht felten feines Taiferlichen Bruders Stell- 
vertreter. Voll ruhiger Würde, gründlicher Kenntniffe, wie alle 
Erzherzoge wiſſenſchaftlich gebildet, iſt Ludwig jett (1862) der 
einzige noch Tebende der vielen Söhne Kaifers Leopold II. 


142 


Zwei Erzherzoge lebten fortwährend in Wien, Karl in feinem 
ererbten Palaſte auf der Baftei, Anton Victor als Großmeifter 
in dem Gebäude des deutſchen Ordend. — Dem Erzherzog Karl 
batte die Vorſehung ein eigenes Geſchick zugedacht. Schon mit 
24 Jahren der Held des Tages, ſpäter der Sieger in vielen 
Schlachten zog er fih vor dem 40. Jahre von dem öffentlichen 
Leben zurüd. Gouverneur von Mainz, Generalfapitän von Böhmen, 
Teldmarichall übte er diefe Funktionen nie anhaltend aus. Mit 
einem Muthe, der jenem auf dem Schlachtfelde gleich kam, und 
ftoifcher Ausdauer überwand er durdy Hungerfur und andere beroifche 
Mittel das Erbübel. Nach völliger Heilung beirathete er 1815 
die ſchöne Prinzeſſin Henriette von Naſſau. Sie gehörte jenen 
feltenen Frauen an, deren edle Beitimmung es ift, das Glüd einer 
ganzen Familie zu gründen. In ihrem Innern zärtlihe Gattin, 
eine von lieblichen Kindern ungebene Mutter, war fie in der 
Welt die graziöfe, geiftreihe Yürftin. Noch erinnere ih mich mit 
Bergnügen der herrlichen Bälle in der unabjehbaren reichbeleuchteten 
Neihe von Zimmern des Palaſtes, wo die Herren in Civil, die 
Damen in den reizenditen Toiletten erfchienen. Es vereinigten 
diefe Weite den Schimmer des Hofes mit der freien Ungezivungen: 
beit der Privatunterhaltungen. Nicht minder anzichend waren die 
Empfangtage auf der jchön gelegenen Weilburg. Auch jah der 
Erzherzog öfters Leute zur Audienz, und gab Kleine Dinerd. Seine 
Perfönlickeit felbit gehörte nicht zu den angenehmſten. Er war 
Hein, und fein früh gealtertes Geſicht nahm einen Ausdrud von 
Strenge und Ernft an, den nur feine natürliche Leutfeligfeit mil- 
derte. Seine Converfation war lebhaft, geiftvoll, fein Gedächtniß 
io treu als die Gefchichte, welche die Erinnerungen an feine glän- 
zenden Thaten aufbewahrt. Er fchrieb fleißig an den Kriegs— 
Memoiren und anderen militärifchen Werfen, und umgab ſich gern 
mit feinen reihen Kunftihägen, wie mit einfachen Naturgenäffen. 
Ohne große Lebensbedürfnifie, Feind allen Prunkes, ging er meift 


143 


ganz ſchlicht in Civil, und gar oft begegnete man ihm allein, oder 
mit jeinen Kindern ohne weitere Begleitung. Seine Stellung, dem 
Kaiſer, dem Hofe, der Arınee gegenüber, war eine ganz eigenthünn- 
liche. Die Urtheile über feine frühere Thätigkeit, fo gerechten 
Anklang fie auch im Allgemeinen fand, gingen dody in manden 
Dingen fo ſehr auseinander, daß man von einem durch den 
Hof nicht begünftigten Anhange des Erzherzogs fprechen konnte. 
Eines Tage? wurde man durd die Nachricht erfchredt, daß 
die Erzberzogin Henriette von einem Scharlachfieber befallen 
worden, welches fie beim Einkaufe von Weihnachtsgeſchenken geerbt 
haben follte. Einige Tage nachher war fie eine Reihe. Die Art 
der Krankheit ſowohl, ald der Umſtand, daß die Verſtorbene nicht 
der Fatholifchen Kirche angehörte, Tießen Bedenken gegen die ge 
mwöhnlihe Ausftelung auf dem Paradebette in der Burgkapelle, 
wie gegen die Beilebung in der Gruft der Kapuziner erheben. 
Aus Furcht vor Anſteckung unterblieb die feierliche Ausftellung; 
über die Trage des DBegräbniffes aber entichied der Kaifer mit den 
Worten: „War fie im Leben die treue Gattin meined Bruders, 
die Mutter feiner Rinder, fo fol fie au einft im Sarge neben 
ihm ruhen.” Der Erzherzog überließ fi feinem nur allzu ge 
rechten Schmerze, der Hof, die Stadt einer wahren Beltürzung. 
Bon den vier Söhnen und zwei Töchtern war die ältefte, Erzher⸗ 
zogin Thereje, kaum 13 Jahre. Weniger ſchön und ſchlank ala 
ihre Mutter, batte fie ein freundliches Aeußere, und ftand ihrem 
Bater tröftend zur Seite, während der Erzherzog felbft in der forg: 
fältigen Erziehung feiner Söhne, in der Verwaltung feiner ausge 
dehnten Güter und litterarifchen Arbeiten Zerftreuung ſuchte. Nur 
einmal ſah man ihn noch in jener Zeit in der Mitte feiner früheren 
Kriegsgefährten erjcheinen. Es war 1828 im Lager zu Trais- 
firchen, wo er eined Abends unerwartet im Wagen mit feinen 
Kindern erfchien, und mit nicht enden wollendem Jubel begrüßt 
wurde. Ruührend endlih war, wie der alte Erzherzog bei dem 


144 





Drdensfefte des goldenen Vließes 1830 feinen älteften Sohn als 
neu aufgenommenen Ritter herzlich umarmte. 

Unter allen Erzberzogen genoß aber Anton Victor der 
entichiedenften Bopularität. Man konnte dem freundlihen Manne 
mit der ftet3 heiteren Miene täglih in den Straßen Wiend be: 
gegnen. Er wur der liebenswürdigſte Gefellihafter und in feinem 
geiftlihen Ritterthume trat mehr die chevalereske Seite hervor. 
Mit Leidenihaft den Blumen und Blüthen jeder Art ergeben, 
weihte er fein Leben in bebaglicher Ruhe der Huldigung des 
Schönen. Beſchützer der Künfte ftand er im Winter an der Spike 
des immer mehr aufblübenden Diufilvereins, während er im Som: 
mer jeine fchönen botanifhen Gärten pflegte und die jährlichen 
Blumenaußftellungen leitete. Alle Mufiter, Dialer, Dichter, Gärtner 
fanden in ihm einen freundlichen Mäcen, alle Bedrängten einen 
großmüthigen Beſchützer. Der Erzherzog Anton befuchte regel: 
mäßig alle Theater, Redouten und öffentlichen Vergnügensorte, 
. man fonnte ihn überall treffen, wo es fröhliche Gefichter gab, und 
er war, freigebig und Teutfelig, ded Wohlwollens, das er auf Alle 
übertrug, auch von jedermanns Seite gewiß. Auch, im reife der 
Faiferlihen Familie war er, feiner erheiternden Munterkeit wegen, 
immer gern gejehen. Dody mehr ald an alle diefe vorübergehenden 
Eindrüde verbindet fid) noch ein dauernderes Verdienft mit feinem 
Andenken: der Erzherzog ftellte mit aufopfernten Bemühungen 
den deutſchen Orden in Defterreih mieder ber. Er ſtarb menige 
Wochen nad) feinem Faiferlichen Bruder (1835) und fein Tod ließ 
im Wiener Leben eine große, nicht zu erjebende Lücke zurüd, 

Die anderen Brüder ded Kaiſers: Joſeph, Rainer, Johann 
und Rudolph, machten zu jener Zeit nur feltene Erſcheinungen 
in Wien. Der Erzberzog Joſeph, fo Tange Jahre Palatin 
von Ungarn, ftand diefem fchmwierigen Amte mit Klugheit und 
Geſchick vor. Ich ſah ihn felbit im Jahre 1827 den Neichätag 
in Preßburg mit unparteiifcher Würde präfidiren. Ruhig faß Die 





145 


Ehrfurcht gebietende Geftalt mit dem weißen Schnurrbarte in der 
Mitte der Magnaten und Bilchöfe, umringt von einer lärmenden 
Berfammlung, wie man fie nur dort fand. Wenn die Feinde 
des Palatins ihm Linentichloffenheit, Nachgiebigfeit vorwarfen, fo 
haben die nachfolgenden Ereigniffe gezeigt, daß man nur feiner 
Umſicht und genauen Kenntniß des Landes die Ruhe verdantte. 
Der Erzherzog: Balatin war dreimal verheirathet, und da jede feiner 
drei Semahlinnen einer anderen chriſtlichen Confeifion angehörte, 
aber keine Fatholiih war, fo bemerkte der Kaifer Yranz fcherzend: 
„Wenn mein Bruder nur nicht noch einmal Wittmer wird, denn 
ich fürchte, er werde danıı mohl eine Südin nehmen.” Den Erz 
berzog Rainer bielt feine Stellung in Italien meiſtens fern. 
Ziemlih ſpät mit der ſchönen Prinzeffin Carignan verheirathet, 
fah er fi dennoch bald von einer zahlreichen Familie unıgeben. 
Man rühmte feine Milde und wirkungsreiche Thätigkeit. 

Der Erzherzog Johann fchien es ſich zur Aufgabe gemacht 
zu haben, da3 Meine Steyermark zu beglüden. Hier in der groß. 
artigen -Alpenwelt, unter guten, ihm ergebenen Menſchen war ihm 
wohl. Alle feine Kräfte, reichlihe Wohlthaten mandte er dem 
armen Lande zu, und die Stadt Grab zeigt in Sammlungen und 
Anftalten gar viele Beweiſe fürftlicher Freigebigkeit. Johann war 
der fchönfte unter feinen Brüdern und noch im vorgerüdten Alter 
war feine Haltung edel; er hatte regelmäßige Züge, einen ver: 
ſtaͤndigen Blid. Das befte Bild von ihm ftellt ihn in der Tracht 
eines Gemfenjägerd vor, wie er finnend vom hoben Felſen in das 
Thal ſchaut. Auf dem romantiſch gelegenen Gute Brandhof Iebte 
er feinem Hauptvergnügen, der Jagd. Mit einer Steyererin aus 
niederem Stande vermählt, zeigte er auch bierin feinen Unab- 
hängigkeitsfinn, und verband fi dadurch nur noch feiter mit den 
Gebirgsbewohnern. Noch lebt ein Sohn diefer Ehe — der Graf 
von Meran. 

Der Erzherzog Rudolph endlih, Kardinal: Erzbifhof von 

Sch. v. Andlaw. Wein Tagebuch l. 10 


146 





Dlmüs, unterlag fon im Jahre 1831 der furchtbaren Krankheit, 
welche die fpanifche Ludowica in das Kaiſerhaus gebracht Hatte. 

Alle diefe Erzberzoge, an Charakter und Berufsthätigkeit fo 
verſchieden, maren gebildet, beliebt, mütlich in ihrer Sphäre; jeder 
hatte fich irgend ein Studium ermäßlt, das er mit Vorliebe betrieb. 
Berehrung und Anhänglichkeit umgab die Mitglieder des Regenten- 
baufes, und wurde mandmal ein Wik, eine Satyre über fie be 
fannt, fo waren diefe, wenn auch oft derb, doch nie verlebend. 
Die Wiener Gemüthlichleit ließ nie die Unfitte auflommen, body 
geftellte Berfonen mit boshaften Spotte oder gemeinen Karikaturen 
zu verfolgen. 

Bon den auswärts Iebenden QTöchtern ded Kaiſers ſah man 
öfter die Herzogin von Parma, Marie Louife, in Wien Sie 
erfchien mir bedeutend verändert, die Jugendfriiche, worin eigentlich 
immer nur ihre Schönheit beftanden, war einer Bläfle und Mager- 
feit gemwichen, weldye die ihrer Familie eigenthämlichen Züge bei 
ihr nur immer unvortheilhafter hervortreten ließen. Graf Reipperg 
war aus ihrem Ehrencavalier der Gemahl geworden ımd immer 
in ihrem Gefolge. Ich fah den General nur felten; er war ein 
Mann von Welt, aber von nicht fehr freundlichen Aeußern; ein 
Auge, dad er verloren, mar mit einer fchwarzen Binde bebedit. 
Sein Verftand, feine Leutſeligkeit wie feine militärtichen Verdienſte 
waren befannt. Die Kinder diefer Ehe, in Italien eraogen, er⸗ 
bielten den Namen Montennovo. Auch die Erzberzogin Ele: 
mentine erfchien Ifters in Wien an der Seite ihres wohlbeleibten, 
lebendluftigen Gemahls, des Prinzen Leopold von Saleruo. 
Ebenſo die jüngere Schweiter, die ſchwächliche, mit dem Prinzen 
Briedrih von Sachſen vermäßlte Karoline. Im fernen 
Brafilien farb damals die Kaiferin Leopoldine, Don Bedro’s 
Gemahlin, eines frühen Todes. Weite Entfernung über Land 
und Meer, Kränklichkeit, viele Sterbfälle ließen den Kaifer eigentlich 
feiner Familie nie recht frob werden. 


147 


Die Monotonie des Wiener Hoflebend wurde häufig dur 
den Beſuch hoher Säfte unterbrogen. Bei meiner Ankunft traf 
ih die Königin Raroline von Bayern, welche jedoch, ba fie 
erft vor wenigen Monaten Wittwe geworden, in tiefer Trauer 
und Aurüsdgezogenbeit lebte. Zu jener Zeit ſah man auch im 
Wien eige Schweſter des Kaiſers mit dem Prinzen Anton von 
Sachen, ihrem Gatten, zwei Geftalten, welde einer längft ver: 
gangenen Welt anzugehören fchienen. 

Der Infant Karl von Bourbon, Herzog von Rucca, 
bewohnte längere Zeit mit feiner Familie das Kinsky'ſche Palais 
auf der Freiung. Er war meiftens auf Reiſen, da ihn fein 
ſchönes Sand, das er einſt mit Parma vertaufhen follte, nicht 
anzog; eine Schilderung bed Charalters dieſes bizarren Herrn, 
jedenalls nicht ohne Jntereſſe, muß ber Zukunft vorbehalten bleiben. 
Die Geſchichte wird ihm wohl den Beinamen des „Unftäten“ 
geben. Die‘ Herzogin, mit einem leibenden Ausdrude in den 
edlen Zügen, war eine der drei Schweitern, den lebten Spröß- 
lingen des alten ſavoyiſchen Königsgeſchlechts, welche Frömmigkeit 
und Neigung eher zum Kloſterleben beſtimmten; doch zierten ſie 
auch ihre Throne durch leuchtende Tugenden. Die eine ſtarb be⸗ 
tauntlich im. Ruſe der Heiligkeit 1838 als Königin von Neapel, 
die zweite iſt ſeit 1831 mit dem Kaiſer Ferdinand vermählt. 
Der Sohn des Herzogs von Lucca, damalö 10 Jahre alt, ein 
berrliher unge, berechtigte zu Hoffnungen, welche er leider nicht 
erfüllen folte, 

Die Streitigkeiten mit der engliichen Krone, die Zermürfniffe 
mit dem Grafen Münfter führten den Herzog Karl von Braun- 
zch weig nach Wien. Früher von Rarlörube her mit ihm befannt, 
Kam ich bier beinahe täglich in feine Geſellſchaft, um fo mehr, 
da er die Thötigkeit der badiſchen Geſandtſchaft für feine. Ange: 
legenheiten in Anſpruch nahm. Der fechömonatlide Aufenthalt 
dieſes Prinzen gehört nicht zu den erfreulihden Erinnerungen 

10* 


148 


meine? Lebens. Das Benehmen des Herzogs entbehrte jeder 
Mürde, und felbft bei Hofe, wo er doch freundlich, wie ein Ver⸗ 
wandter aufgenommen wurde, mußte er fidy öftere Zurechtweifungen 
gefallen Yaffen. Jugendlicher Uebermuth mag Manches entichul- 
digen, nur darf er nit in Herzlofigfeit außarten; muthwillige 
Streihe gehen dabei gar zu leicht in bübifche über. Das k. k. 
Kabinet unterftüste feine zum Theil gerechten Anfprüche Tebhaft, 
erntete aber fpäter wenig Freude an feinem Schüklinge. Bald 
nachher kam aud der Herzog Wilhelm nah Wien und beſuchte 
e3 regelmäßig in fpäteren Jahren. 

Um den Palaftintriguen in Xiffabon zu entgehen, war der 
Infant Dom Miguel 1825 nad) Oeſterreich gefommen. Seine 
äußere Erſcheinung machte einen günftigen Eindrud, die Erziehung 
war aber auffallend vernachläſſigt. Er Iebte fill, von heimiſchen 
wie öſterreichiſchen Dffizieren und Lehrern umgeben, in einem 
Privathaufe. Als nun im März 1826 König Johann VL, fein 
Bater, ſtarb, veränderte fih auch Dom Miguel’3 politifche Tage. 
Er ſah fich erftaunt vom portugiefifchen Throne verdrängt, Bräutigam 
feiner Nichte Donna Maria da Gloria, die er nie gefehen und 
nur dur fie und die dem Lande verliehene Verfaſſung zum 
Negenten und König erklärt. Der Infant fügte ſich ſcheinbar 
diefen willkürlichen Beſtimmungen, er wurde mit dem portugieſiſchen 
Sefandten Billa Secca durch Profuration verlobt, eine durch die 
fpäteren Ereigniffe beinahe lächerlich gewordene Ceremonie.) Von 
nun an bezog Dom Miguel die Hofburg und wurde ald Prinz vom 
Haufe behandelt. Bei der Audienz, welche er dem diplomatifhen 
Corps ertheilte, benahm er fi in feiner ſchönen Uniform mit 
Gewandtheit und Takt; augenfcheinlich hatte der dreijährige Aufent- 
halt in Wien vortheilhaft auf den Prinzen eingewirkt. Ich Tab 
ihn den 6. Dezember 1827 bei einbrechender Dunkelheit eine 


*) Grinnerungsblätter S. 49 big 54. 


149 


Stadt verlaffen, in welcher fich feine Tünftigen Geſchicke entſchieden 
hatten, und Tonnte damals nicht ahnen, daß fie einen fo ganz 
anderen, al3 den allgemein erwarteten Verlauf nehmen follten. 
Unter den Begleitern des Infanten fprah mid, Graf Villa-Real 
am meilten an; es war nicht möglich, feiner und gebildeter zu 
fein, als diefer ausgezeichnete Portugiefe, dem auch deutidhe Sitte 
und Sprache nicht fremd waren. Dom Miguel felbit ſah ich jeither 
nie wieder. 

Anfangs des Jahres 1827 wurde Prinz Guftav von 
Schweden aus Italien ald Oberft zu einem Snfanterieregiment 
(3. Gyulai Nr. 60) verſetzt. Nicht ohne Theilnahme fah man 
ihn bier zugleich mit dem Herzog von Reichſtadt fich in militäri- 
ihen Waffen üben, zwei junge Prinzen, die, fo verjchieden auch 
ihre Lage, doch ein gemeinfames Schieffal getroffen. Prinz Guftav, 
ũberall mit freundlicher Zuvorfommenheit bei Hof wie in der 
Geſellſchaft empfangen, lebte ſich bald in feine neue Stellung ein, 
fand e3 aber gerathen, ftatt des bisherigen, den Titel Prinz von 
Waſa anzunehmen. Zwei Jahre fpäter trafen auch die beiden 
Prinzeffinnen Amalie und Cäcilie von Schweden in Wien 
ein und bezogen mit ihrem Bruder das jchöne Auerspergiſche 
Gebäude am Joſephſtädter Glacis. 

Bon den heſſiſchen Prinzen hatte ſich Georg, morgana- 
tifch mit einer Ungarin vermählt, in Wien niedergelaffen,; auch 
fein Neffe Karl war in öfterreichifche Militärdienſte getreten, ein 
fanfter, vortreffliher Prinz, beliebt und geachtet, wie er es ver: 
diente. Bring Emil endlih war FE. E. Feldmarfchalllieutenant 
und Regimentsinhaber geworden, ein Herr fo groß an Geift, als 
Hein von Geftalt, mit ausdrucksvollen Geſichtszügen und dem 
feiniten Benehmen. Er bildete mit zwei anderen, immer geh in 
Wien gefehenen deutſchen Fürften ein Kleeblatt feltener Art; es 
waren die die leider fo früh verftorbenen, noch heute fchmerzlich 
vermißten Herzog Wilhelm von Naffau und der XIX. Reuß 


1850 


(Greiz). Zur Zeit der Lager und Truppenübungen trafen auch 
immer preußifche und andere nordbeutfche Prinzen ein. Endlich 
ihlug Die vermittwete Herzogin von Anhalt⸗Köthen, — 
geborne Gräfin von Brandenburg — welche katholiſch geworden 
war, ihren bleibenden Wohnfik in Wien auf. 

Auf die meiften der vorftehenden Hochgeftellten Perfonen, denen 
ich fo oft auf meinen Lebenswegen begegnete, werde ich noch tm Laufe 
diefer Aufzeihnungen zurüdfommen müſſen. Je mehr bei ihnen 
Charakter und Handlungsweife berbortreten, um fo vielgeftaltiger 
und fchneller bilden fi die Anfichten der Menge und verbreiten, 
prägen fich oft, gleich Vorurthellen, ein. Man übertreibt, bemüchtigt 
fich dDiefer Meinungen als eines willlommenen Stoffes zur tendenziöfen 
Ausbeutung irgend eines Zweckes, gefällt ſich in Vergleichen oder 
Antithefen und erhält dabei nur ein durch “Barteileidenichaften 
getrübtes Bild. Den fürftlihen Perfonen ift es aber, bei eigen: 
thümlichen Verhältniffen und mehr abgefchloffener Lebensiweife, 
nur felten möglich, nachtheilige oder irrige Gerüdyte durch einen, 
ihren befieren Eigenichaften entnommenen Gegenbeweis zu wider⸗ 
legen. Es ift deßhalb Aufgabe wie Pflicht eines unbefangenen 
Augenzeugen, gleid, weit entfernt von bannaler Bewunderung oder 
höfiſcher Schmeichelei, wie von unbilliger Tabelfucht, hiſtoriſcher 
Wahrheit Geltung zu verſchaffen. 


Das diplomatiſche Corps, mit dem ich nun zunächſt in 
Berührung kam, war 1826 ſehr zahlreich, doch wechſelten feine 
Mitglieder beſtändig, und während der vier folgenden Jahre hatte 
es ji, mit wenigen Ausnahmen, beinahe völlig erneuert. Ich 
babe an einem anderen Orte*) die Stellung diefes Corps ange . 
deutet und Skizzen von einigen Botfchaftern entworfen. Inter 
den Geſandten mar es ber bayerifche, Graf Bray, beffen 


*) Grinnerungsblätter S. 15 bis 22. 


. 151 





Haus ebenfo gaftfrei, als fein Familienzirkel angenehm war. Er 
verheiratete feine ältefte, liebendwürdige Tochter mit dem preußis 
ſchen Geſandien v. Malzahn, eine Ehe, welche leider deflen 
allzu früher Tod bald wieder trennte, Malzahn's befcheibenes, 
beinahe fchüchternes Wuftreten ließ bet dem eriten Begegnen bie 
ftaetBmärmifchen Fähigkeiten dieſes ausgezeichneten Diplomaten 
wicht verguihen. — Mit wenig angenehmen Yormen verband der 
farbinifhe Abgeordnete, Graf Bralorme, einen feften Charakter, 
umfoffende Kenntnifſe. Für das Xrodene in feinem Umgange 
entihädigte die Lebhaftigkeit feiner Frau, einer geboren Saint: 
Maria. — Bon dem neapolitanifchen Fürften Saffaro war 
weniger Die Rebe, als von den drei Töchtern, die ihn begleiteten, 
und non denen zivei, verbeirathet, mit den Wiener Damen einen 
feltenen Wettlampf in Schönheit und Eleganz aufnahmen, — 
Dänemark vertrat der eble, ſchöne Greis Graf Bernftorff, 
Schweden der ungeftime Löwenhielm. — Bon den Heineren 
deutſchen Bundesftanten war für Heſſen⸗-Darmſtadt der be 
liebte Fürß Adolph Wittgenftein accreditirt, doch felten anweſend, 
Merveldt für Hannover, Münchhauſen für Kurheſſen. 
Der ehrenwerthe Graf Zepplin, mwelder ald württembergifcher 
Bevollmächtigter den talentvollen Grempp abgelöft hatte, fand in 
Mien fen Grab, — Neben Tettenborn war der ſächſiſche 
Sehandte, Graf von der Schulenburg:Klofterrode, der 
ſtabilſte. Bon der Congreßzeit an in Wien beglaubigt, verließ 
ex auch diefe Stadt nicht, ala er jih 1830 vom Staatädienfte 
zurüdgezogen. Schulenburg gehörte der Klaffe jener geiftreichen, 
aber auch nielfach in eigenen een befangenen Staatsmänner an, 
deren Thätigkeit ſich nicht über eine gewiffe Richtung zu erheben 
vermag, and daher oft verfannt wird. Streng an den rund: 
fägen der alien politiihen Schule feithaltend, verabicheute er alle 
neueren Jnſtitutionen, ſelbſt bis auf ihre modernen Ausdrücke. 
Auch für die großen Begebenheiten der Jahre 1814 und 1815 





152 


begeifterte er ſich nicht wie Andere und ſchloß fih mehr der 
nüchternen Auffaffung des Wiener Kabinets an, das überall nur 
das Mögliche erftreben wollte. Seine 15jührige politifche Wirk⸗ 
famfeit konnte nur eine geringe fein; was er in Wien Ieiftete, 
geſchah, wie bei den meiften Gefandten Tleiner Höfe in großen 
Staaten, nur durch feine Perfönlichfeit. Er beflagte dag Miß- 
geſchick feines Landes, ohne es ändern zu können, und war rührig, 
wo e3 galt, feinem Hofe zu nüben. Seine Blicke maren jebody 
immer mehr der größeren europäifchen Politik zugewendet, deren 
Phafen er mit lebhafter Theilnahme verfolgte. In gewiſſen gefel- 
ligen Kreifen war Schulenburg nicht ohne Einfluß, verkehrte viel 
mit Metternih, mit dem ihm verwandten Hatzfeldiſchen Haufe, 
und bewegte fi) am liebiten in jener anziehenden Cotterie, in der 
er übereinftimmender Gefinnungsmweife begegnete. Mitten in Ddiefer 
erwünfchten Tchätigfeit wurde er durch die Suliereigniffe aufge⸗ 
fhredt; er vermochte es nicht, Grundfäke, die ihm bis zum 
60. Jahre ala wahr und gut erfchienen, zu verleugnen, mißbilligte 
laut, was in Sachſen geſchah, fagte fih von jeder Verbindung 
mit Dreöden los und lebte fortan, ſich in die Nothwendigkeit fügend, 
als Privatmann nur dem bebaglichen Genuffe der Güter, die ihm 
geblieben. Erſt in fpäterer Zeit traf ich öfters mit ihm zufammen, 
erfreute mich an feinen unterrichtenden Geſprächen, an der Fülle 
feiner Erfahrungen und taufchte politifhe mie Literarifche Gedanken 
mit ihm aus. Doch fehlte feinem Geifte die Gabe einer höheren 
Auffaffung. Es ging bei ihm Alles mehr in’3 Kleinliche über, 
und felbft fein Intereſſe an den Tagesereigniſſen war eher die 
Befriedigung einer augenblidlihen Neugierde, ein politifchegeielliges 
Geklatſche. Dennoch war feine Eonverfation, individuell gefärbt, 
nicht ohne einen gemiflen Reiz. Schulenburg benübte feine freien 
Stunden zu fchriftlichen Ausarbeitungen. In der Geſchichte ſprachen 
ihn Biographien und genealogifche Forſchungen befonder an; To 
ließ er ein Meines Buch über einen Herrn von Gleichen druden, 


153 


der feiner Zeit eine Art von Rolle gefpielt, ebenfo fuchte er die 
Kurfürftin Sophie Dorothea von Hannover, die unglüdliche Herzogin 
von Ahlden, in einer. Abhandlung von den ihr zur Laſt gelegten 
Bergehen zu reinigen. Sein Styl war dabei fteif, oft unklar, 
und ſprach nicht an. Ein Fehler beberrichte diefen Mann: der 
ausgeſprochenſte Egoismus in unverhüllter Form; ihm lag der 
Geiz zu Grunde, welcher nur da eine Grenze fand, mo es galt, 
bequem und gut zu leben. Schulenburg verfagte ſich nicht Teicht 
noch fo Toftipielige Freuden und Liebhabereien, aber fein Herz blieb 
da Kalt, wo der um fein eigened ch gezogene Kreis aufhörte. 
Bon feiner Liebe zum Gelde erzählte man ſich manche ergößliche 
Anekdote; fie rettete ihm fogar einft das Leben. Todtkrank in 
Turin, traf er feine lebten Anordnungen, und al3 man ihm, dem 
Proteflanten, 6000 %13. für einen Begräbnißplatz anrechnen wollte, 
gerieth er Über diefe hohe Ausgabe im Grabe in foldhe Aufregung, 
daß er die Reife fortfebte; die Erſchütterung wirkte wohlthätig, er 
genaß und lebte noch über 30 Jahre. Er geitand felbft, daß bet 
Nervenleiden das Wühlen in einer mit Dukaten gefüllten Ehatouille 
ihm die größte Erleichterung gewähre. Er verfhmähte Teinen noch 
fo unbedeutenden Gewinn, fland mit allen Geldipefulanten und 
Andern In Verbindung, aber auch bier gingen feine Pläne nie 
in's Große, er war ängſtlich, mollte fiher geben. Es freute ihn 
der wirkliche Befiß, das Crgreifbare; ungewiſſe Combinationen, 
noch fo lockend, reizten ihn nicht, erfchredten ihn vielmehr, daher 
wäre er wohl, bei aller Luft, ſich zu bereichern, nie ein unter: 
nehmender Handelsmann geworden. In feiner religidien An- 
ſchauung neigte Schulenburg fi mehr dem Tatholifchen Glauben 
zu; doch auch hier Yeitete der Verftand feine Ueberzeugung; Eigen: 
heiten und eine gemiffe Yrivolität ließen Tein wärmeres Gefühl in 
ihm auflommen und unterdrüdten, bei allen edleren Eigenfchaften, 
ein befferes Streben. Bielen ſchien die Art, mie Schulenburg 
feine Frau behandelte, empdrend, und ich vermochte dad Dunkel, 


154 





welches auf dieſem Cheverhältniffe ruhte, nie aufzubellen. Er 
hatte ih im reiferen Alter, um einem Familienprozeſſe vorzu⸗ 
beugen, mit einer viel jüngeren Verwandten vermählt. Er lebte 
mit ihr in Wien, man fah jedoch die junge Frau weder bei Hofe, 
noch in ihrem oder einem anderen Salon; nur zuweilen erichien 
fie in Begleitung einer Gefellihafterin im Theater oder auf Spazier⸗ 
fahren. Sie war hübſch, gebildet und angenehm, wie man ſagte; 
weßhalb nun Diefe Vernachläffigung, mährend eine andere, weder 
durch Tiebenswürdigen Verſtand noch Jugendreiz ausgezeichnete 
Frau den Grafen Fahre hindurch auf eine Manden ganz unbes 
greifliche Weife zu feffeln wußte? Später fol die Gräfin Schulen- 
burg auf ihre Güter gereift fein, und es war nicht weiter yon 
ihr. die Rede; endlich hieß ed, daß fie irrfinnig in einer Anſtalt 
Norddeutichlaudd verweile! 

Schulenburg zog fih in den Iehten Jahren mehr von ben 
böberen Zirkeln zurück und lebte einigen freunden und felbit ges 
wählter Geſellſchaft. Anfangs September 1858 traf ich ihn, unge 
adhtet feiner 80 Jahre noch rüflig, in BadensBaben; 14 Tage nachher 
erfuhr ih durd die Blätter, daß er auf feinem Schloſſe Klofterr 
rode einem Turzen Unwohlſein erlegen jei. 

Nach Tanger Unterbrechung hielt 1837 ein päpftlicher Nuntius, 
Migr. Spinola feinen feierlichen Einzug in Wien. — Unter 
den übrigen Gefandten feblie es denn auch nicht an Drigie 
nalen: da war Spaan, ber Niederländer, welcher einem Geſpenſte 
gleich, fih an einem in feinem Zimmer ausgefpannten Seile müß- 
fam dabin ſchleppte, und fich jeden Abend in Die Oper fragen 
ließ, dann ein Spanier, deſſen Auftreten nicht an die Grandezza 
feine8 Landes erinnerte, deſſen Salon einer ſchmutzigen Sinderbe- 
wahranftalt, feine Dinerd Vergiftungsverſuchen gleich kamen; ein 
Anderer, der fich mil einer Hofdame verbeirathet, von der er fagte: 
ma femme a 6t6 courtisane, maintenent elle est femme pu- 
blique, nämlich die Frau eined Staatsmannes; endlich ber 


155 


geſchmeidige Brafilianer Rezeude mit dem klugen Gefichte, der Heine, 
Inteigante Oſtini u. a. m. 

Bon den Belhäftsträgern und Legationsräthen ſchloß ich mit 
Brotgaufen (Preußen) und Drachenfels (Er. Heſſen) eine 
Freundſchaft für das Leben, auch zog mid Meyendorf (Rußland) _ 
an, mit dem id fpäter in noch nähere Beziehungen treten ſollte. 
Er hatte ſich 1828 mit der geiftwollen Tochter des St.M. Grafen 
vu. Duol⸗ Schauenſtein verheirathet. Mit deu Franzoſen: Graf 
Ed. Lagrange md Th. v. Buffiörez, nun geſchätzte Schrifte 
feller, mir ſchon von früherer Zeit befannt, kam ich oft zuſammen 
Weniger Torte id mid mit den Englänbern befreumden, wenn 
ich glei den jungen Wellesley, jetzt Botfchafter in Paris, fowie 
Sorbes, Hervey viel ſah; einer derſelben, Lord Ingefirie, fiel 
eine® Tages im Prater mit feinem Pferde in einen Gumpf und 
erſtickte darin hülfles. Bon zwei meiner Gollegen war Ipäter, 
ihrer Heiratgen wegen, viel die Rede: Luccecheſi Palli (Sici⸗ 
lien), einer vorausſichtlich glänzenden diplomatiſchen Laufbahn ent- 
ſagend, reichte 1832 der Herzogin v. Berry die Hand, Roſſi 
(Sardinien) wurde der Gemahl der Henriette Sonntag. Borüber: 
gehend war Fürft Butera eine angenehme, immer gern gefehene 
Berfönlichleit. Ex war von einem banmöreriichen Piarrerdfohne 
und Lieutenant durch eine glückliche Heirath neapolitaniiher Fürſt 
gervordeu, und verfhindig, gebildet, wurde er auch zu politiichen 
Milfionen verwendet. 


Die flüchtigen Erfigeinungen, die gefelligen Senüfie in den 
höheren reifen haben in der Erinnerung eigentlih nur Werth 
fir Iene, die fe mit erlebt; deunoch will ich ed verſuchen, deu 
früßeren Schilderungen *) einige allgemeine Züge beizufügen. Die 


®) Exrinmerungsblätter S. 85 bis 62; baun ©. 94. 





156 


„Geſellſchaft“ in Wien war damals eine rein ariftofratifche; 
fie beftand aus dem boffähigen Adel, dem diplomatiichen Corps 
und einigen Auserwählten. Sie verfammelte ſich entweder bei 
Hofe, in den Baläften jener Großen, deren Rang und Stellung 
es erheifhten, ein „Haus zu machen,” oder fie kam in Salon’s 
zufammen, meldhe mehr die Natur von Privatzirkeln annahmen. 
Der Taiferliche Hof war, wie wir geſehen, beinahe unzugänglich 
geworden. Die Minifter und Botichafter hatten ihre regelmäßigen 
Empfangtage, bei denen ſich jeder Dazu Berufene in die weiten 
Appartements drängte. Außerdem gab es dann noch Rout’s, Bälle, 
jede Art von gefelliger Unterhaltung, welche mit Galla- und anderen 
großen Diner? wechlelten. Nur bei feierlichen Anläffen erichienen 
die Herren in Uniform, fonft immer, felbft die Militärs, im Civil⸗ 
anzuge. Bei ſolchen Feſten entwidelte nun die Damenwelt einen 
blendenden Glanz an Schmud und geſchmackvoll reihen Toiletten. 
Es find jedoch diefe Zufammenfünfte, wenn fle nicht gerade mit 
Muſik, Tanz, Tableaur, Liebhabertheater, Spiel, Lotterieen oder 
dgl. gewürzt find, einförmig und ermüdend. Die wahre Gefellig- 
keit flüchtet fi in die Salon's. Etiquette und andere Fragen 
erfchwerten überdieß das Aufammenleben in der großen Welt. Iſt 
die Beftimmung der Rangverhältniffe an jedem Hofe ſchwer, er: 
fhien fie in Wien noch verwidelter. Mancher Streit blieb ba 
umerledigt; oft Tonnte nur ein Machtſpruch entfheiden. Nicht nur 
war der Vorrang der Prinzen nicht Töniglicher Höfe und ber 
Botfchafter nicht geregelt, es fritten fi) auch die Gelandten mit 
den E. k. Geheimeräthen um den Bortritt. Man Tieß es dabei 
auf den Zufall, mandmal auch auf einen Wettlauf ankommen. 
Die Einheimifchen rangirten bei Hofe nur nad ihrer Eigenichaft 
von Geheimeräthen und Kämmerern. Die Fürften unter fi bil- 
deten mieder eine eigene Rangklaffe, unter denen, mit Ausnahme 
der Souveräne, der Fürſt Loblomik die erfte Stelle einnahm. 
Ungleich größere Dimenfionen nahmen aber die Streitigleiten 


157 


dann an, wenn es galt, den Damen die ihnen gebührende Stelle 
anzuweiſen. Es fand fi Fein Sopha groß genug, um Alle aufzu- 
nehmen, welche auf einen Sit Anſpruch machten. Bald war es 
eine Botſchafterin, welche mit der Taiferlichen Oberſthofmeiſterin, 
bald eine fremde Prinzeffin, welche mit inländifchen Yürftinnen in 
Sollifion kam. Viele Damen, wie die Herzoginnen von Lothringen 
und Württemberg, die Prinzeflin von Sachſen-Coburg, die Fürftinnen 
von Lichtenftein und Fürftenberg u. a. zogen fich deßhalb ganz aus 
größeren Aſſembloͤen zurüd. Ich erinnere mich, daß einit auf einem 
Balle bei dem Fürften Metternich die Kaiferin, um allen Streitig- 
feiten vorzubeugen, die Mutter des Fürften zu fi) auf das Kanapee 
zog, mit den Worten: „im Haufe des Sohnes hat die Mutter 
immer den eriten Rang.“ | 

Der Fürft Metternich empfing jeden Sonntag die Diplo- 
maten und vorgeftellten Fremden, doc war fein Salon täglich 
näheren Bekannten geöffnet. Das Bild der Gefelligkeit in diefem 
Haufe werde ich in einen eigenen Rahmen faflen. 

Die Botfchafter der drei Großmächte übten eine glänzende 
Gaſtfreundſchaft. Außer den allerliebiten franzöſiſchen Vaudevilles, 
in weldhen Herren und Damen der Gelellihaft an Talent und 
feiner Nünncirung wetteiferten, außer den Eoncerten, in denen ſich 
berühmte Künftler wie Dilettanten hören ließen, außer den finnig 
und künſtleriſch geordneten lebenden Bildern gab es auch große 
Soireen, in denen Spieltifhe in unabſehbarer Reihe aufgeftellt 
waren. Man verabredete fi wie zum Tanze an beitimmten 
Tagen zu einer Partie Bofton oder Whiſt. Solche Verſamm⸗ 
lungen fanden vorzüglich bei Tatiftcheff, dem Fürſten Eolloredo 
und den Fürft- Erzbifhof Firmian flat. Diefe Sitte iſt nım 
gänzlih aus der Mode gekommen; kaum finden fi) in den Sälen 
noch ein paar Spieltifche, dagegen bat unfehlbur die Gefellfchaft 
an Geflatfche und langer Weile zugenommen. 

Von den vielen Feften, welche während Diefer Zeit an meinen 


158 





Augen vorüber gezogen, will ich nur einiger erwähnen. Man 
war damals’ in Wien, noch unter dem Eindruck der Wunder Des 
Congreſſes, etwas blafirt; Niemand magte fi an die Wiederholung 
ſolch' zauberhafter Feſte. Dennoch fand wenig Tage nad meiner 
Ankunft ein coftümirter Ball ftatt, welcher an jene Blanzepoche 
erinnert. Wan fab da wieder die Menge, wie die Pracht der 
Juwelen, welde ion 1815 die Augen geblendet hatten. Es 
wurden zwei große Quadrillen aus befannten Romanen vorgeſtellt. 
Walter Scott führte in das Reich der Geſchichte, Lamotte Fouquo 
in die Feeenwelt ein. Kenilworth, IJvanhoe ließen die Mannig⸗ 
jaltigkeit, wie den Reichthum hiſtoriſcher Trachten entwickeln, wäb- 
rend der Zauberring, Undine u. a. fantaſtiſche Geſtalten in's 
Leben riefen. Das alle Blicke feſſelnde Schauſpiel wurde in Bildern 
und Beſchreibungen der Erinnerung aufbewahrt. Zu dieſem Balle 
in dem engliſchen Botſchafts⸗Hotel konnte ein anderer ala Gegenſtück 
gelten, welchen einige Sabre ſpäter Tatiſtcheff in den herrlichen 
Räumen des Tichtenfteinifchen Palaftes, den er bewohnte, gab. Es 
war ein Maskenſcherz ganz eigener Art, wie man fih nidt er: 
innerte, je geliehen zu haben. Die drolligſten Einfälle, grotefe 
Seftalten, überaus unterhaltende Sceuen und Gruppirungen gaben 
demfelben einen ungemein Sunten und originellen Anſtrich. Man 
überbot fih in Wigen und Karikaturen; e8 gab da Ueberrafchungen 
der geluugenften Art: Ein komiſches Turmir von Damen, melde 
auf Meinen Pferden von Pappendeckel die Preife mit der Lanze 
ertämpften, ein Schach, ein Kartenfpiel, ein großartiger Zug, welcher 
die „Contes des fees‘ mit allen ihren abwechſelnden Figures dar- 
fiellte, die allerliebfie Gruppe von Mandarinen u. ſ. w. Hier fa 
man Rieſen, Ziverge, Männer mit ungebeueren Köpfen und Bäuchen 
von Carton, die fi öffneten, um daraus Blumen, Zuckerwerk, 
Gedichte zu reichen. Dort waren es wandelnde Orangenbäume, 
Defen oder Thürme; in jeder Minute etwas anderes. — Man ift 
jetzt ernfter geworden, gibt ſich nicht mehr die Mühe, jo ſinnreich 


1859 





wnterhaltende Scherze auszudenken; polittiche Sorgen, gefellige Ber: 
flachung find auch in die Zirkel gedrimgen. 

Unter den Adelsgeſchlechtern waren & die Lichtenftein 
und Schwarzenberg, welche man immer in erfter Reihe nannte, 
md in der That hatten auch beide Yamilien manche Berührungs- 
punlte; viele ihrer Mitglieder waren eine wahre Zierde des deutichen 
Adels. Ausgezeichnet, treu und anhänglich im Dienfte ihrer Kaifer, 
großberzig und thätig, wenn ſte unabhängig waren, wohlwollend, 
gebildet, genofien fie einer wahren Popnlarität. Bon den Häup- 
tern diefer fürſtlichen Häufer war damals in ber @Gefellichaft nur 
wenig zu fehen. Der Für Johannes Lichtenftein hatte eine 
ungemein glänzende Kriegslaufbahn hinter ſich, lebhaften Geiſtes, 
aber auch oft an ſtaatsmänniſchen Verhandlungen Theil genommen. 
Tapferkeit kam bei ihm einem Haren Berftande gleich. Wie feinem 
großen Feldherrn, dem Erzherzog Karl, mar ed ihm nicht vergoönnt, 
1813 und 1814 die Truppen in den flegreihen Kampf zu führen. 
Viele edle Züge, aber auch manche Eigenheiten fanden fi in dem 
Charakter dieſes originellen Fürften. Er machte nid den Rang 
eines Bundesfürften, nur deu eined Feldmarſchalls geltend, erichten 
felten bei Hofe, aber täglich Tonnte man ihe, immer allein, ſpazieren 
fahren und Abends im Burgtheater ſehen. In Wien bewirthete 
er felten Leute bei fich, und lebte vorzugsweile im reife der 
Seinen. Mehr ala aller Ruhm, mehr ald alle Reichthümer und 
Schätze galt ihm aber die Lebensgefährtin, Joſephine v. Yürftenberg, 
eine Frau von hohen, fittlihen und geiftigem Werthe. Den 
Ichönften Beweis von Liebe gab er der Fürſtin, dag er auf ihren 
Wunſch feiner Härkften Leidenichaft, dem Gange zu hohem Spiele, 
entfagte. Es umgaben iin 7 Söhne, auf die fich der ritterliche 
Sinn ded Vaters vererbte, 4 Töchter der Diutter glei! Seine 
gange Zeit verwandte der Für nur der umfichtigen Verwaltung 
feiner auſsgedehnten Befibungen, die er ſtets noch zu vergrößern 
und zu verſchoͤnern bemüht war. Wer kennt nicht die zahlreichen 


160 


Herrſchaften, welche felbit die Sauptftadt, mie Perlen, umgeben, das 
reizende Lichtenftein mit feinen romantischen Thälern, Greifenftein, 
die Donau beherrſchend, Sebenftein und andere! Sah man auf 
10 Stunden in der Runde irgend einen fchönen Punkt, den eine 
Kapelle, ein Tempel, ein Obelisk, eine künftlihe Ruine oder mas 
immer zierte, traf man einen gebegten Park mit meift weißem 
Damwilde, oder fonftige, großartige Anlagen, welche den Beſuchen⸗ 
den ftet3 wohlmollend geöffnet waren, fo mar man fidher zu er- 
fahren, daß es Xichtenfteinifche Beſitzungen feien. Hier auf diefen 
Gütern war es nun, mo der Fürſt jährlich eine glänzende Geſell⸗ 
haft von Gäſten verfammelte. Beſonders auf den herrlichen 
Sommerfiten Feldäberg und Eisgrub murden mochenlang Jagden 
nah engliiher Art im Großen betrieben, offenes Haus gebalten 
und dem Erfparnißfofteme auf einige Zeit entjagt; bier war es 
endlich, mo die ganze Tamilie Gelegenheit batte, ihre fo natürliche 
Liebensſswürdigkeit zu entfalten. 

Wie Fürft Johann Lichtenftein lebte auch Fürſt Joſeph 
Schwarzenberg in gleich zurüdgezogener Weile. Weniger als 
jener mit der Adminiftration feiner gleichfalls großen Herrichaften 
beihäftigt, brachte er den Winter in Wien, den Sommer in dem 
lieblihen Dornbach oder auf feinen böhmifchen Schlöffern, ſtets im 
häuslichen reife, zu. Er hatte, feit ihm der furchtbare Brand 
in Paris die theure Gattin geraubt, wenig mehr Theil an ben 
Weltfreuden genommen, fi nicht wieder vermäßlt, und feine 
Schwelter, „die gute Yürftin Lori,” mit liebevoller Gewiſſenhaftig⸗ 
feit die Erziehung der zahlreichen Kinder übernommen. Außer 
dem Haupte war die ganze Tamilie Schwarzenberg ſehr gefellig. 
Seine drei Söhne follten einft, jeder in feiner Art, Ausgezeichnetes 
leiften. Fünf Töchter waren ihres Tiebendwürdigen Umgangs und 
ihres gebildeten Verftandes wegen beliebt. Wie Fürft Joſeph hatte 
auch fein Bruder, der berühmte Feldmarſchall Karl Schwarzenberg, 
drei Söhne zurüd gelafien, alle drei in Kriegädienfte, wenn and 


161 


niht an Thatkraft, doch an ehrenwerthem Charakter des Vaters 
würdig; der älteſte als Landsknecht in meiten Kreifen genannt. 


Der Chef eined dritten Geſchlechts, des reichften in der 
Monardie, der Fürſt Nikolaus Efterhazy, Generalfapitän der 
ungariſchen Nobelgarde, hielt fid, gleichfalld von der Wiener großen 
Welt, jedoh in einer feines Ranges und Namens unmürdigen 
Weife, fern. Nur einmal gab er zu Jedermanns Erftaunen ein 
Ballfeſt in dem von ihm bewohnten Gartenpalaid, Er ftand wie 
der beinahe allein Fremde in der Geſellſchaft an der Thüre, die 
geladenen Gäfte zu empfangen, und verwundert ſahen die alten 
Murillo’3 und Rembrand’3 auf den ungerwohnten Glanz der Lichter 
und die zu ihren Füßen tanzende junge Welt. | 

Ein gemeinfchaftlihes Band umſchlang die Lichtenftein und 
Schwarzenberg mit der Iandgräflihen Yamilie der Fürftenberg. 
Sophie, geb. Oettingen-Wallerftein, feit 1828 Wittwe vom Ober: 
hofmarſchall v. Fürſtenberg, mar mit 85 Jahren no, fo friih und 
freundlih, daß ſich ihre Kinder und zahlreichen Enkel und Ber: 
wandten immer in ihrem düfteren Salon um ihr Bett verfammelten. 
Sie war in Ton, Kleidung und Benehmen das Ueberbleibfel einer 
längft verſchwundenen Zeit. hr einziger Sohn, Yandgraf Friedrich, 
mit der Fürftin Therefe Schmwarzeriberg vermählt, trug feine Gut: 
müthigfeit auf feine Kinder über, deren Erziehung die vortreff: 
lihe Mutter forgfältig überwachte. Mit diefen Häufern nabe 
verwandt waren die Lobkowitz, Windiſchgrätz, Kinsky, Schönburg, 
Aueröperg u. a. 

Der Oberhofmeifter des Kaiſers, Fürft Trautmanspdorf, 
Ipäter der Fürſt Eolloredo empfingen bei feierlihen Anläffen, 
machten aber auch, wie der Oberfümmerer Graf Ezernin, außer: 
dem ein großed Haus. 

Don den zahlloſen Diners bleibt felten etwa3 mehr im Ge 
dächtniß zurüd als daB Gefühl fie glücklich verdaut zu haben. 

Sch. v. Andlaw. Wein Tagebuch. I. 11 


162 


Sie erhalten ihre beſte Würze durch die Art ihrer Zuſammen⸗ 
fegung und nit leicht Tann man ſich ein gefelligeres Vergnügen 
denten, als ein gute Mahl: unter heiteren geiftreichen Geſprächen. 
Die Mehrzahl bildeten immer die Herrendinerd. Eines derfelben 
ließ den peinlichiten Eindrud in mir zurück. Pariſh, der Banlier, 
lud mich mit einigen Bekannten ein: einige Tage nachher fand 
man feine Leiche in der Donau. Er hatte ed verfudht, dem zer- 
rütteten Friefiihen Vermögen wieder aufzuhelfen, war aber ſelbſt 
darüber zur Grunde gegangen. — in Herrendiner gab zu einem 
der vielen Witzworte des Fürften de Ligne Anlaß. Einem unga- 
rischen Edelmanne, Rittmeifter in der Armee, war in der Schlacht 
von Wagram das Pierd in der Art durdigegangen, daß er ed erft 
wieder in Prefburg aufzuhalten vermochte. Später ließ fich diefer 
reihe Magnat in Wien nieder, und wollte feine Belannten zu 
Tifche bitten. Man nahm Anftand, die Einladung anzunehmen, 
aber der alte Feldmarſchall entfchied mit dem Scherze: „pourquoi 
n’y irait on pas diner? son cuisinier ne craint pas le feu.“ 

Die Wiener Salon haben ihre Gefhichte. Seit ber 
Zeit, ald Eugen, der tapfere Ritter, jeden Abend bei der Gräfin 
Lorel Bathiany zubrachte, feit Kaifer Joſeph II. fih in jenem 
Kreije Tiebenswürdiger Fürftinnen gefiel, bat e& in Wien nie an 
Bereinigungspunkten diefer Art gefehlt. Den höchſten Glanz 
erreichten diefe intimen Zirkel während des Congreſſes, und nicht 
felten wurden fie felbft von den Monarchen beſucht. — Ih ſah 
von jener weltbefannten Epoche nur noch — ih will nit 
gerade fagen — die „Ruinen“, doch zum mindeften die „beaux 
restes“‘. An ihre Stelle mar aber eine weibliche Generation 
getreten, wie man fle in Wien felten fchöner und amınuthiger 
gefehen; gegen zwanzig junge rauen, etwa ebenfo viele blühende 
„Somteffen” überrafchten jeden Fremden, zogen alle Blide auf 
fih. Da war die Gräfin Huniady LXichtenflein, waren, eben 
vermäblt, die Schweitern Julie und Felicie Zichy, Töchter der 


163 





einſt fo blendend ſchänen Julie Jichy⸗Feſtitichs, da waren die drei 
verheirateten Fürſtinnen aus der in fünf Geſchwiſterpaaren be- 
ſtehenden Familie Loblowitz, waren endlih die Gräfinnen Er. 
Ricky, Aug. Zayary, N. Karolyi, A. Taufe, Th. Czernin, Potoda 
und fo viele andere, Aber auch von den älteren Damen bielten 
fich einige mit Geſchick auf der Höhe des Modetreibens. Andere 
wurden, wie bie edle Fürſtin Ch. Kinsky-Kerpen, die verftändige 
Fürſtin Leop. Lichtenflein, Die beiden Gräfinnen Czernin, ihrer 
gehhägten Eigenſchaften wegen aufgefuht. Manche zogen ſich 
wieder alfobald von einer Geſellſchaft zurüd, deren Zierde fie früher 
waren, Im Gegenſatz zu diefen wohlthuenden Erſcheinungen gab 
ed denn auch einige Matronen, die durch Laune, Sonderbarfeiten, 
barocke Toiletten oder boshafte Commeragen bald erheiterten, bald auch 
wieder verlegten. Verlacht oder gefürchtet, wurden fie nur geduldet. 
Weniger als jetzt maren damals nod die „Kavaliere“ aus 
Bequemlichkeit den Salons entivemdet; no gab es geiftreiche 
Männer, welche bie Converfation belebten und wieder durch den 
Umgang wit gebildeten Frauen an gutem Tone und Takt gewannen. 
Ans den Kriegäzeiten hatten ſich noch einige Sommitäten erhalten, 
denen man überall gern begegnete. Ach ſah beionders bei Ketten: 
born viele ſolcher Heldengeflalten vorüberziehen, doch mit jedem 
Jahre Lichteten ſich ihre Meihen, und die Leihenzüge mit dem 
gebarniichten Ritter zu Pferde waren Tein ungewöhnliche Schau: 
ſpiel. Auch einige wahrhaft populäre Erfcpeinungen, wie Fürſt 
Wenzel Lichtenftein, Ferd. Palffy u. a. m., ohne die man ſich 
Wien kaum denken konnte. ine befondere Stellung nahm Fürft 
Franz Dietrigftein ein. Früher im Kriegsdienſte außgezeichnet, 
M.⸗Th.-Ritter, hielt er fi von Staatsgeſchäften mie von geielligen 
Kreifen fern und verband mit einem Verſtande ganz eigener Art eine 
ſelbſt gewählte Lebensweiſe. Großmüthiger Beſchützer der Künfte, 
. ſchoöpfte er auch, wenn es galt, Wohlthätigkeit zu üben, aus einer 

unverſiegbaren Quelle. 

11* 


164 

Unter den Salons galt jener der Gräfin Molly Zichy— 
Ferraris für den eleganteften. Er mar jeden Tag einer außer 
lefenen Geſellſchaft geöfinet, die Converfation ebenfo heiter als 
belehrend. Die Gräfin wurde darin von zwei Töchtern und einer 
Schwägerin unterftüßt. Man kam, ging, ſprach, hörte und wählte 
fi einen der Zirkel aus, welche die vier Damen, jede gefellig in 
ihrer Art, gebildet hatten. War Melanie lebhaft, ein muth⸗ 
williges, oft launenhaftes Kind, durch graziöfe Schönheit und 
originellen Geiſt fefielnd, fo erfreuten Henriette dur ihre 
feltenen Talente und ein anſpruchlos heiteres Weſen, Karoline 
aber durch geiftreiches Geſpräch. Scherze, Anekdoten wechfelten 
da mit Bemerkungen über Kunft, Literatur, feltener über Politik, 
doch konnte felbftverftändlih die Medifance nicht immer ausge: 
ichloffen bleiben, wenn man gleich gewöhnliche Stadtnenigfeiten 
oder Gemeinpläte vermied. Nicht felten waren auch Spielpartien, 
und ich verdanke diefem Haufe eine ganze Reihe genußreicher 
Abende. 

Einen anderen Salon mußte man nahe am Prater fuchen. 
Man traf da einen faſt erblindeten Greis, umgeben von Ver: 
wandten und alten Freunden. Es war dieß der Fürft Andreas 
Raſſumofsky, der einft zu St. Petersburg wie als Botfchafter 
in Wien eine fo hervorragende Stellung eingenommen. Der 
weite Palaſt, am Donaufanale mit reizenden Anlagen, tar, 
während des Congreffe nach einem Feſte in Flammen aufgegangen 
und nun wieder aufgebaut und geſchmackvoll eingerichtet, von der 
ruffiihen Regierung angefauft. Ein reges Leben brachte die 
Gräfin Leo Raſſumofsky in diefen Zirkel; ihre frohe Laune febte 
Alled in Bewegung, und fie mar ungeachtet ihres worgerüdten 
Alters erfinderiich in jeder Art geielliger Unterhaltung. Außerdem 
empfingen die Lubomirski, Potodi u. A. die Blüthe des galiziſchen 
Adels und im Haufe Schönborn verjammelten fi gewöhnlich 
die Säfte „aus dem Reiche“. Mehr einen anziehenden Familienfreis 


165 


als einen eigentlihen Salon bildete das fürftlih Clary'ſche 
Haus. Fürft Karl (unter dem ihm von der Kindheit gebliebenen 
Namen „Lolo” bekannt) war das Vorbild eines vollendeten Edel: 
mannes; fein fchönes, ausdrucksvolles Geſicht verriet Geiſt wie 
Wohlwollen. Seine Mutter, eine der drei Töchter des Fürften 
de Ligne, feine Frau, geborne Gräfin Chotek, feine liebenswürdigen 
Töchter bildeten mit den beiden Tanten Palffy und Spiegel das 
Innere dieſes angenehmen Hauſes. Man fand da die Fürſtin 
Kaunitz mit ihren drei Töchtern, die Gräfin Goës, die fein ge 
bildete Gräfin (Balentin) Eſterhazy. Auf den YFürften Karl 
hatte fi ein Theil des Geiltes feines Großvaters vererbt; er 
war die Seele jedes Zirkeld. Die Gräfin E. Balffy (de Ligne) 
aber gehörte zu jenen Ericheinungen, die immer mehr aus der 
Geſellſchaft verſchwinden; fie war in ihrer freundlichen Unbefangen- 
beit der wohlmwollendfte weibliche Amphytrion, und äußert angenehm 
die Meinen Dinerd in ihrem Haufe (Wallnerſtraße). Dieſem 
zunächſt Tagen auch die Paläfte Eſterhazy und Ezernin. Ju 
dem erſteren gab die originelle, Iebenzfrohe Fürſtin Marie, geborne 
Lichtenſtein, Feſte der jeltiamften Art, welche nur zu oft an die 
Ueberrafhungen erinnerten, die nad den launigen Erzählungen 
der Die. d'Abrantès einſt Frau v. Mazarin in Paris erſann. 
In früherer Zeit war der Salon der Gräfin Fuchs, gebormen 
Gallenberg, der beliebtefte. Der fchönen „Lori“ huldigte befonders 
die elegante Mlännermwelt, die außgezeichnetiten Offiziere der Armee 
lagen ihr zu Füßen. Das Geheimniß ihrer Anziehungskraft Tag 
nicht fowohl in ihrer Schönheit, — denn bei einem blendenden 
Zaint, feelenvollen Augen und einer üppigen Geſtalt waren ihre 
Züge nicht regelmäßig — fie feffelte vielmehr durch Sanftmuth, 
eine mit mäßigem Berftande gepaarte Gutmüthigkeit und eine 
grazidfe Indolenz. Im Kreife ihrer Freunde hieß fle nur die 
Königin, und es hatte fih unter ihrem milden Scepter jene gejel- 
lige Vertraulichkeit gebildet, welche, der eigentliche Weiz einer 


166 





Cotterie, Me Fäden eines heiteren, theilnehmenden Geſprächs immer 
wieder aufnehmen läßt. Diele verführeriſche Fran mar für das 
Leben am ein kleines Weſen gefettet, dad unter dem Namen 
„Xavier“ Teine andere Bedeutung hatte, als ihr Gemahl gu fein. 
Mit cyniſcher Bormirtheit machte er ſich ſelbſt Über dieß Verhältniß 
luſtig, und es traf fidh, daß eines Abends, zur Zeit ihres Glanzes, 
ein Engländer die Frage an die Hausfrau richtete: „Wer denn 
der unanfehnliche Herr fei, den er Hier täglich treffe, welcher wie 
ein Wort fpreche und ſich nur bei den Souper durd, einen bemei- 
denswerthen Appetit bemerkbar mache?“ „Comment, rief bie 
Gräfin lachend, „e'est mon mari! vous ne le comnaissiez donc 
pas?“ 

Dod der Aufwand eines fo gaflichen Haufes ftand mit dem 
Vermögen der Familie Fuchs nit im Verbältnig. Auf ein Feines 
Einkommen angemiefen, zog ſich die gute Gräfin von der Welt 
zurüc, fah fi) aber gegen den gewöhnlichen Lauf der Dinge von 
ihren Freunden, welde mit ihr gealtert, nicht verlaffen; fie ver⸗ 
doppelten vielmehr ihre Aufmerkfamfeiten für fie. Ihre beichränfte 
Wohnung in der Strauchgaſſe faßte oft kaum die zahlreichen Be 
fuchenden, welche fih um eine Lampe zu einer Taffe Thee ver 
fammelten. — So fand ih den Salon Fuchs! Bon Damen traf 
man da in erfter Reihe die drei kurländiſchen Prinzeffinnen. Die 
ältefte, Herzogm von Sagan, war ters vorlibergehend in Wien, 
die beiden anderen Schweitern, Pauline, Fürftin von Hobenzollern, 
und Johanna, Herzogin von Accerenza, Hatten fi feit Jahren 
dort niedergelafien, Iebten jedoch nur in einem Tleinen Kreiſe 
näherer Belannten. — Ihr Umgang war ihres Weiftes, ſelbſt 
einer gewiſſen leidenſchaftlichen Richtung megen gefuht. Unter 
den Herren waren es audgezeichnete Krieger, wie Prinz Philipp 
von Bellen: Homburg, Wallmoden, Tettenborn, Woyna u. a., 
welche ben Kern jener Geſellſchaft bildeten. Auch der Herzog von 
Naffau, Prinz Emil, die Fürften Lihtenftein und Wittgenftein, 


167 





Sculenburg, Gens, Eoudenhoven fanden ſich oft ein. So verfloß 
das Leben der Gräfin Lori, — im Sommer zu Baden oder 
Iſchl — getrübt dur häusliche Sorgen und den fchmerzlichen 
Berluf einer einzigen Tochter, bis fie endlich einer langwierigen 
Krankheit unterlag. 

Ein anderer Salon von eigenthümlichem Gepräge, meiftens 
nur von Männern bejucht, war jener der Wittwe ded ehemaligen 
Minifter v. Hügel. Diefe in mander Beziehung merkwürdige 
Frau mar von zwei Töchtern und zwei Söhnen umgeben, von 
ihnen mit wahrer kindlicher Liebe verehrt und gepflegt. “Die 
ältere, Marie, ftarb bald (1829) in Karlsbad, eine früh ge 
knickte Blume, eines befferen Geſchickes werth. Fanny, eine der 
gefeiertiten Schönheiten Wiens, vermählte ſich fpäter wit dem 
bannöverifhen Diplomaten Grafen Hardenberg; beide find num 
todt, fowie au Clemens, der, ein tiefer Denker, ein Mann 
von gründlichem Wiffen, als Hofrat in der Staatskanzlei ver: 
wendet wurde. Karl Hügel endlich hatte ich als Hufarenritt: 
meifter in Neapel kennen lernen. Als er den Dienft verlaffen, 
wandte er ſich, ausgerüftet mit feltenen Gaben, eifrig den Natur: 
wiſſenſchaften zu und erwählte die Botanit zum Lieblingsitudium. 
Es ließ ſich nichts fo finnreich geordwet, fo bunt au auswärtigen 
feltenen Pflanzen denken, als jeine Billa und Treibhäuſer in 
Biking, Er fah da, wie ein König in Flora's Neich, und feiner 
Umfiht wie feinem Geſchmacke verdanfte Wien eine Reihe ge 
Iungener Blumen: und Pflanzenausftellungen. Dabei war Hügel 
der Pfeier, um den ſich die junge elegante Männerwelt drehte; 
kein Ball, kein Piknik, Teine Landpartie ohne feine Leitung, fein 
Teit ohne feine Anordnung; er war beftändiger Vortänzer, und dabei 
verband er mit einer oft undanfbaren und ermüdenden gefelligen 
Chätigkeit jo viel Ruhe, Takt und Freundlichkeit, daß ihn weder 
Reid noch Intriguengeiſt auf dem Throne der Mode erreichen 
konnten, den er durch 10 Jahre behauptet hatte. So verließ ich 


168 _ 


ihn 1830 und follte ihn erft nad) langer Zeit wieder in ganz 
anderer Lage jehen! 

Sol ih nun kurz Ton und Geift der damaligen Geſellſchaft 
bezeichnen, jo möchte ich fie ebenfo fein als harmlos nennen; 
ohne politifche Kabale bewegte fi die Unterhaltung in einem 
ziemlich einförmigen Sreife, an fi unbedeutenden Dingen eine 
große Wichtigkeit beilegend, über die man fpäler ſelbſt oft Tächelte. 
Es galt einen Kampf um den Vorzug in der Eleganz, man ftritt 
fi) in allem Ernfte um die Frage, wer zur „Er&me“ gehöre, 
und nit immer beftimmten gerade Schönheit, Neihtbum, Ber: 
ftand, Rang oder Geburt, ob in diefem fafhionablen Reiche Bürger: 
rechte zu erwerben waren, denn launiſch wie fie tft, Tieß feine 
Megentin, die Mode, nur zu oft den Zufall malten. &3 müdeten 
fi Viele vergebens ab, die Höhe des „Rahmtopfs“ zu erreichen, 
Andere ſchwangen fih in unerflärbarer Weife leicht dazu auf. 
Eitelfeit, Uebermuth, Nückfichtslofigfeit gegen Fremde und nicht 
Bevorzugte waren allerdings bei fo eng gezogenen Schranfen nicht 
zu verfennen; fie find aber unvermeidlich, will man die höheren 
Kreife rein von fremdartigen Elementen halten, welche fie für 
immer unmöglid machen würden. — Während daher zu Berlin, 
in anderen deutfchen oder in italienifchen Refidenzen der Hof den 
Ton angibt, während in Paris politifche Bedeutung oder Geld 
und immer wieder Geld, Rang und Stellung in der Gefellfchaft 
beitimmen, gefiel man fih damals in Wien fogar in einer Art 
gefelliger Oppofition gegen den Hof, und näherte ſich fomit in 
feiner ariftefratifchen Färbung mehr dem Londoner Modetreiben. 


Wenn ich bis jet Bedenken getragen, von dem Fürſten 
Metternich zu fprechen, fo geſchah es, meil die bisher über ihn 
erfhienenen Schilderungen mich in Feiner Weife befriedigten; fie 
find entweder vom Barteigeift diktirt, und es entfteht in Folge 


169 


leidenſchaftlicher Ergüffe ein verzerrtes Bild, oder fie find noch zu 
Lebzeiten des Yürften gefchrieben, voll fader Schmeicheleien und 
Ruhmpreifungen. Es ift das Schickſal der letzteren, daß fie, 
meiftend das Biel des Lobes werfehlend, darüber hinausſchießen, 
fomit den Wunſch rechtfertigen: „Gott bemahre und vor unferen 
Treunden und ihrem blinden Eifer!“ — Dept erft, nachdem des 
Fürſten eigentlihe Amtsthätigfeit mit dem Jahre 1848 aufgehört, 
nachdem er nun audy fein, an glänzenden Erfolgen wie an bittern 
Erfahrungen fo ungemein reiches Leben im 87. Sabre beichloffen, 
läßt ſich vielleicht ein unbefangenerer Weberblid gewinnen, Licht 
und Schatten gehörig vertheilen. Dennoch finde ich es aud) jebt 
noch gerathen, bier den Menſchen vom Staatdmanne zu trennen. 
Der Fürft felbft hat irgendivo ganz richtig bemerkt, daß feine 
Memoiren fhon gefchrieben feien; fie lägen in den Archiven, und 
in der That ift feine politifche Wirkſamkeit mit allen Zeitfragen 
vermwebt, . fein Name knüpft fidy an jede wichtige Begebenheit, fo 
daß feine Biographie unzertrennlich geworden von der diplomatifchen 
Geſchichte der erften Hälfte unferes Jahrhunderts. Wer Tann es 
aber wohl jest ſchon unternehmen, dieſes unabfehbare, größtentheils 
noch unbelannte, in jenen Archiven vergrabene Material zu ver- 
arbeiten und eine gediegene, umfafjende Darftellung fo feltiam 
verwidelter VBerbältniffe zu entwerfen? Ueberdieß bat der Staats- 
kanzler, wenn auch Feine fortlaufenden Memoiren, doch Aufzeich⸗ 
nungen über die denfwürdigften Momente feines politifchen Lebens 
binterlaffen. Wie ift es nun möglich, ohne deren genaue Kenntniß, 
einer Aufgabe zu genügen, die bis jet noch Niemand erfchöpfend 
gelöſt? Wil man jedoch vorläufig einen ſolchen Verſuch wagen, 
jo find, wie mir fcheint, fünf durchaus verichiedene Epochen in 
der Laufbahn des Fürften zu trennen. Wirft man diefelben, wie 
dieß jo Häufig gefchieht, durcheinander, fo wird das Gefamnitbild 
immer ein einfeitige® bleiben. Der erfte Abfchnitt feines öffent: 
lichen Wirken? umfaßt 15 Sabre. Noch als Yüngling in der 


170 


Diplomatie verwendet, fpäter feinem Vater während des Naftatter 
Eongrefied beigegeben, verfah er daun nad) der Reihe die Taifere | 
lichen Gefandtichaftspoften zu Dresden, Berlin und Paris. Es 
ift dieß die Zeit, in der der ſchöne Mann mit jugendlihem Muthe 
und Leichtigkeit die eraften Fragen des Tages behandelte und die 
Treuden der großen Welt damit zu verbinden wußte. Seine 
Gegner verichrieen den allenthalben beliebten Diplomaten ala einen 
frivolen, oberflächlichen Lebemann, und nicht ohne Widerſtand ging 
im Sabre 1809 feine Ernennung zum Miniſter de Aeußern 
durh. Do bald Hatte er mit feiner neuen Stellung auch ben 
tiefen Ernſt der Lage, wie das ganze Gewicht feiner Verantwort- 
lichkeit erfannt. Bon da bis zum Jahre 1815, wel eine Maſſe 
von Ereigniffeni Wir fmden ihn da nun auf der höchſten Stufe 
de3 Glückes und Ruhmes, und die zehn nachfolgenden Jahre leitete 
er unumfchräntt und erfolgreich das kaiſerliche Kabine. Mit 
1825 beginnt eine neue Periode, die, in zwei fcharf getrennten 
Theilen, abermals zehn Jahre in fich ſchließt — die Reftaurasion 
unter Karl X., dann die Julirevolution bis zum Tode des Kaiſers 
Franz. Mit 1835 trat er in eine ganz neue Yera ein, Die, 
unter vielfachen Erlebniffen, mit der Entfernung des Fürften aus 
der Staatskanzlei 1848 ſchloß. Don diefer Kataftrophe ax war 
es ibm noch durch elf Jahre in Geiſtesfriſche vergönnt, ein unbe 
fangener Zufchauer der wechſelvollen Begebenheiten zu fein, denen 
er ftet3 mit lebhafter Theilnahme folgte. Ein Biograph wird 
einft das Leben des Fürften in folder Weife aufzufaffen haben. 
Seine minifterielle Thätigfeit kann ich aber deßhalb nur vorerft, 
nad) eigener Anfchauung von 1824 an, jedesmal an gehöriger 
Stelle andeuten. Dagegen glaube ich vielleicht, mehr als Andere, 
im Talle zu fein, ein Charakterbild des Türften aufzuftellen. 
Ich befand mich in der glücklichen Lage, ihn Sabre lang beinahe 
täglidy zu fehen und zu beobachten; ih kam mit ibm in keine 
Geſchäfta⸗ oder andere Berührungen, welche das Licht, in dem er 


171 





mir ſtets erfchien, Hätten trüben Können; ebenfo wenig aber be- 
Aimmte mi die Stellung zu ihm zu einer Lobhudelei ober 
offiziöten Bewunderung. Mein Stmdpuntt für Teine Beurtheilung 
iM demnach wohl ein möglichft objektiver, und deßhalb um fo 
ſeltener. 

Als Hauptergebniß dieſer meiner Beobachtungen ſtelle ich einen, 
die nachfolgenden vielleicht mehr erlänternden Satz voraus: „So 
wie ſich in den Körpertheilen ein ungewöhnliches Ebenmaß fand, 
ſo zeigte ſich bei dem Fürſten auch eine gleichmäßige Vertheilung 
aller geiſtigen Eigenſchaften und Seelenkräfte. Die Harmonie in 
den Äußeren Formen enlſprach dem Gleichgewicht feiner intellektuellen 
Gaben.“ Manche Erſcheinungen in jenem Charakter und Benehmen 
Toffen Fi dadurch leichter erflären. Er Tieß den Verſtand weder 
durch Singebungen des Herzens, noch durch Einflüfterungen der 
Mugheit beherrfchen, wenn e3 mit Umgehung höherer Grundſätze 
die Erreichung perfönlicher Vortheile Hegolten hätte. Seine Ein- 
biſdungskraft trübte nie feinen Maren praftifchen Blick und feine 
Gemuthsruhe kieß ſich nicht leicht durch noch fo gemaltige Aufere 
Einwirkungen erſchüttern. Ehrgeiz, Stolz, Eitelkeit und andere, 
beionder? bei eminenten Staatsmännern hervortretende Leidenſchaften 
toren auch ihm nicht fremd, wurden jedoch dur fein Rechtlich- 
keitsgefühl, ebenfo wie durch eine gewiſſe Weichheit gemildert, und 
in ihren etwa nachtheiligen Einfläffen niedergehalten. Mehr aß 
Ehrgeiz fand ſich aber bei Metternich, mie er es felbft geſtand, 
eine wahrhafte „Passion des afaires;“ «3 war ihm die Arbeit, 
ed waren ihm feine freilich jo unendlich wichtigen und anziehenden 
Staatsgeſchäfte To Tieb, fo unentbehrlich geworden, daß er nur die 
Möglichkeit des Gedankens an feinen Nüdtritt für eimen „cas 
inadmissible‘ erflärte! Er nahm daher nie Urlaub, günnte fid) 
auf dem Lande, auf Neifen Leinen Augenbli Ruhe, und ließ ſich 
felbſt in vorlibergehenden Augen: und mideren Krankheiten immer 
Vortrag erftatten. Frih ſchon ſchrieb er in feinem Sabinelte, 


172 


begab fich dann über die Feine Brüde in die Burg zum faifer; 
gegen Mittag nahmen die Konferenzen und Bejuche Fein Ende, 
aber auch bei Tifche oder Abends gab es häufige diplomatijche 
Unterredungen mit den Gäften und als er ſich gegen Mitternacht 
aus dem Salon zurüdzog, erwarteten ihn Unterfchriften, die Ab- 
fertigung von Courieren u. dgl. Selten nur mar eine Yahrt 
oder ein Gang in der freien Luft, ebenfo gehörte ein Beſuch im 
Theater oder in Gefellfchaften zu den Ausnahmsfällen. Dennoch 
hörte man den Fürften nie über Ermüdung Hagen; feine Noten 
und Snitruftionen, feine Depeihen und mündlichen Mittheilungen, 
dad war fein Element, in dem er ſich fortwährend und gerne 
bewegte. Wie oft mußte ich lächeln, wenn ich Minifter oder 
Diplomaten kleinerer Staaten über drüdende Dienitpflichten, viele 
Beſuche, über Kopfweh und andere Kanzleibeſchwerden jammern 
börte! Was waren denn ihre Anftrengungen gegen die 40 jährige, 
faum einen Tag unterbrochene Thätigfeit des Fürſten? 

Nach der obigen Schilderung könnte man feinen Charakter 
eine juste milieu-Natur nennen, wenn dieſer Ausdrud nicht fo 
oft mißbraucht und dadurd) lächerlich geworden wäre. Sie erweckte 
ihm zahlreiche, politifche Gegner in den beiden ertremen Lagern. 
Wer bei ihm an irgend eine Leidenſchaſt, eine übertriebene Idee 
appellirte, fand entſchiedenen Widerftand. Sein Gleihmuth, in- 
mitten der ihn umbraufenden Wogen von Anforderungen, Beftechungs- 
verſuchen, Vorwürfen, ſich durchkreuzenden Plänen und Intereſſen, 
brachte die ihm gegenüber Stehenden oft zu einer Art von Der: 
zweiflung. Doch war dabei feine Haltung nie verlebend, nie 
beraugfordernd. Mit der größten Kaltblütigleit börte er die Aus: 
fälle erregter Gemüther an, und behielt dadurch ſtets ein unleug- 
bares Uebergewicht. Die Gewohnheit jedoch, das Geſpräch zu 
beberrfchen, Tieß ihn leicht in einen doftrinären Ton verfallen, der 
weder Widerfpruch erwartete, noch ihn auch gerne annahm. Cr 
ließ fi daber auch jelten auf längere Diskuffionen ein, und 


173 


ſchwieg Tieber, wo er fih nicht verftanden glaubte. Die volle 
Kraft der Heberzeugung ließ aber nicht leicht die Idee in ihm auf- 
fommen, daß Andersdenkende die von ihm vertheidigte Anfiht nicht 
theilten, oder fich zu derfelben befehrt hätten. Er gab fih um 
fo mehr diefer nur zu oft trügeriihen Meinung bin, als Niemand 
mehr wie Metternich die ihm verhaßten Grundfähe von dem Munde 
zu trennen wußte, der fie befannte, Doch entließ er Manchen aus 
feinem Kabinet, deifen politischen Widerftand, auf feine Ueberredungs⸗ 
gabe vertrauend, er gebrochen zu haben mähnte, während er fich 
erft fpäter vom Gegentheile überzeugen mußte. — Vielen erfchien 
Metternid in feiner Zurückhaltung ftoly, eine Regung, welche je: 
doch nicht in feinem Charakter lag, und ihren Grund mehr in 
einer begreiflichen Zerftreutheit hatte, melche fich nicht immer ftreng 
an die Regeln einer conventionellen Form hielt. Ein wenig Weber: 
hebung und Sefbftgefühl dürfte man aber doch wohl einem Manne 
zu gut halten, der fo lange die Geſchicke Europa’3 in Kopf und 
Hand wog, den Könige und die höchftgeftellten Geifter feier Zeit 
wie ihres Gleichen behandelten, dem von allen Seiten der Hof 
gemacht, gefchmeichelt wurde, und der eben deßhalb fo eigenthümlich 
begabt fein mußte, um feine eigenen Verdienfte nicht allzu fehr zu 
überſchätzen! Wie viele, felbft bedeutende Minifter, z. B. Kaunitz, 
fcheiterten an diefer Klippe! Gar oft murde Metternich als Egoift 
verfchrieen.. Kine Anklage diefer Art ift fo alltäglich, gegen die 
meiften Menfchen gerichtet, wenn fie nicht gerade Vorbilder von 
Seldftaufopferung und uneigennüßiger Chriftenliebe find, daß diefer 
Borwurf einer ernftlichen Widerlegung bedarf. War aber Fürft 
Metternich Egoift, jo war fein Egoismus von der Tiebendmwürdigften 
Art; er Fam Jedem ohne Unterfchied mit der wohlmollenften Freund⸗ 
lichkeit entgegen, und kannte feinen perfönlihen Grol. Es war 
nit möglich, milder, nachfichtiger im Urtheile über Dritte zu fein, 
und nie erinnere id mich, daß ich ihn in Ergüffe von Zorn oder 
Galle ausbrehen ſah. Metternich, war ein Weltmann im vollen 


174 


Sinne des Worte, heiter, gefellig von wahrhaft voruehmer 
Haltung. Im Salon erfhien er immer einfach gefleidet, nur 
mit dem goldenen Vließe geziert. Bei Tiſche, wo fih immer 
einige Gäſte einfanden, fprach er auffallend wenig, er lebte äußerſt 
mäßig, aß und trank fehr zerſtreut, und mar durchaus nicht 
Gourmand. Seine Küche galt" daher nicht für die befte in Wien, 
und felbft der edle Johannisberger floß, zum Verdruſſe der Wein: 
kenner, meiftend ſehr ſpärlich. Nach Tiſche befand fi der Fürft 
gerne im Kreife feiner Familie, la Zeitungen, oder zog fi in 
fein Kabinet zurüd. Gegen 10 Uhr wurde der Salon geöffnet, 
und da Metternich felten |pielte, fand ex eine erwünfchte Erholung 
in .heiteren Gefprähen. Er ließ, dabei son einem ganz außers 
ordentlichen Gedächtniſſe unterftüßt, feiner Erzählungsluſt freien 
Lauf, mar unerfhöpflih in Anekdoten, in Schilderungen merkwür⸗ 
diger oder lächerlicher Charaktere, nidyt ohne Anflug einer feinen, 
doch nie verlegenden Satyre. Er Tonute dabei herzlich Tachen; 
eine harmloſe Moftification befchäftigte ihn oft Stunden lange; auch 
fammelte er jelbit ein Archiy allerlei komiſcher Altenftüde, Briefe 
u. dgl. Wenngleich die Politit hier in der Megel ausgeſchloſſen 
blieb, jo waren doch auch ernftere Geſpräche über wiſſenſchaftliche 
Gegenstände, Erfindungen, die ihn lebhaft interefirten, nicht felten. 
In diefem vertraulichen Kreife umgaben ihn denn immer willige 
Zuhörer, melde jo angehenden Mittheilungen Taufchten; e3 bleiben 
jene Abende mir, wie allen Gleihbegünftigten, immer unvergeßlich. 
Wiederholte er fi) dabei auch öfter, waren befonders bei zunehmen- 
bem Alter Redeweiſe und Gedanken nicht mehr fo lebendig, die 
Erinnerungen weniger frifch, fo blieb doc immer des Anregenden 
und Belehrenden genug, um bändereihe Memoiren mit dieſem 
abwechſelnden Stoffe anzufüllen. 

Die Staatögefhäfte waren es jedoch nicht allein, welche feinen 
Geiſt wie eine lebhafte Einbildungäkraft in Anſpruch nahmen; er 
beſchäftigte fi vorzugsweiſe mit Naturwilfenfhaften, Chemie umd 





175 _ 
medieiniſchen Studien, und wie Kaiſer Franz fi für einen „brauch 
baren Hofrath” bielt, jo nahm Metternich an, dag er fein Brod 
auch ala „tüchtiger Arzt‘ hätte erwerben Türmen. Große Sorg- 
ſalt wandte er der Verwaltung feiner fehönen Herrſchaften zu, 
wenn glei ihm feine Stellung ein näheres Eingehen erfchwerte, 
und er fich nicht felten argen Selbſttäuſchungen überließ. Ueber 
den eigentlichen Stand ſeines Vermögen? aber, wie über die Art 
und Größe feines Gehaltes, herrichen immer verfchledene, ſich oft 
widerjprechende Anfichten. Bei einem fo wechlelvollen Leben Tieß 
fi kaum eine gehörige Ordnung und Gontrole fefthalten, und 
jo einfach, jo wenig prunfliebend Metternich auch war, fo ftand 
doch ein noch fo beträchtlichen Einkommen nicht mit dem be 
dentenden Wufwande im Derbältniffe, den feine ausnahmsweiſe Lage 
erheiſchte. 

Außer der Lektüre vieler Zeitungen, beſonders franzöſiſcher 
und englifcher, welche er ſtets mit langen Sommentaren begleitete, 
außer den Schriften, die fi auf feine Lieblingsſtudien bezogen, 
blieb dem Fürften wohl nicht viel Zeit übrig, fih mit Modelitteratur 
zu beichäftigen, doch hörte er gerne davon fpredhen. An Poeſie, 
felbit dramatifcher, nahm er nur untergeordnetes Intereſſe, und 
auch die Mufit ſprach Ihn nur fo viel an, als fie auf jeden ge 
bildeten Menſchen einwirken muß. Dagegen wandte er ſich mit 
mehr Theilnahme den bildenden Künften zu, und in feinen Ur⸗ 
theilen darüber gab ſich der reinfte, richtigfte Geſchmack zu erkennen. 
Der Hang zum Architektur war bei ihm vorherrfchend, doch hatte 
er leider wenig Gelegenheit, ihn im Großen zu befriedigen. Als 
Eurator der Wiener Alademie nahm er fid, des Aufblühens der 
Künfte eifrig an, ermunterte, beichüßte junge Talente, und viele 
Schüler verdanten ihm ihre Ausbildung auf Reifen. Mit allen 
bedeutenderen Künftlern ftand er in fortwährender Berührung, in 
Austaufh von Ideen, oder Ankauf von Werken. Die Wände 
feiner Säle waren mit Bildern lebender Maler geziert, andere zur 





176 


Schau bei ihm aufgeftellt und die Gallerie feiner Villa enthielt 
toftbare Werke der modernen Sculptur. 

Ungemwöhnlicheö Genie, wie außerordentliche Erfolge beftimmen 
die Größe eined Staatömanned. Zu allen Zeiten finden wir 
Minifter, die mit weit höheren Geiftesfähigfeiten, ald Metternich, 
die Geſchicke der Völker Teiteten, die Welt mit glänzenderem Ruhme 
erfüllten, mit ihrem Ehrgeize erichütterten, Eroberungen, Stute: 
ummälzungen vorbereiteten oder vollzogen. Fürſt Metternich firebte 
nicht nach dem Rufe folder Größe; er war mehr der Dann des 
MWortd und der Teder, ala der That; feine ganze Denk- und 
Gefühlsweife war überwiegend confervativer Natur. Er zog, 
wenn auch nicht gerade die politifche Intrigue — wie man ihm 
vorwarf — doch gewiſſe Austunftsmittel einem raſchen, entſchei⸗ 
denden Entfchluffe vor, er umging gerne die Schwierigkeiten, fchob 
die Fragen hinaus, er erivartete von der Zeit die Erledigung mancher 
Geſchäfte, zögerte, vermittelte, während die Ereigniffe nur zu oft 
feine Berechnungen überflügelten. Dabei war ihm immer der 
Gedanke peinlich, ſich verkannt zu wiſſen; bei feinem Sinn für 
Recht und Billigleit fuchte er bei jedem Anlaffe die über ihn ver: 
breiteten Vorurtheile zu entkräften, machte deßhalb nicht felten Zu: 
geftändniffe, oder verfprah, was er fpäter nicht immer gewähren 
fonnte, und ermedte fo bei Dritten I Mufionen, die er wohl ſelbſt 
oft teilte. Nur in einem Punkte war er von unbeugfamer 
Eonfequenz: in dem Haffe und der Bekämpfung der Revolution, 
in welcher Geftalt fie ihm auch immer entgegen trat. Er fand 
daher die Anhänger der ummälzenden Seen ftet3 in der erften 
Reihe feiner Feinde, die ihn mit gleicher Unerbittlichleit verfolgten. 

Ich verlaffe bier diefe oberflächliche Schilderung eines Mannes, 
der mehr als fo viele Andere in die Geſchicke unferes Jahrhunderts 
eingriff, und bin bereit, fie an paflender Stelle wieder aufzunehmen. 
Unfere Zeit aber — eine Epoche politifhen Schwindel — ift am 
wenigften dazu angetban, mit unbefangenem Blicke gefchichtliche 


177 


Charaktere zu prüfen. Nur noch eine Bemerkung! Wären die Rügen, 
welche über Metternich’? Thätigkeit abfichtlich verbreitet wurden, 
Wahrheit, wären die Anfhuldigungen, Fehler und Schwächen, die 
man ihm angedichtet, nur zur Hälfte gegründet, fo war fein Ver⸗ 
bleiben auf einem fo hohen Bolten durch 40 Jahre doch nicht 
wohl möglih! Wie viele Minifter trugen während diefer Zeit in 
allen Ländern ihren Ruf, ihre Treue, ihre Thätigfeit zu Grabe! 

Doch nicht die Perſönlichkeit des Fürften Metternich allein 
war es, welche die Aufmerkſamkeit feflelte; er follte, in den Kreis 
politifcher Verwickelungen fo mächtig gezogen, auch nicht fremd 
bleiben den Eindrüden, welde an Freud wie an Leid in häus— 
lichen BVerhältniffen nur immer denkbar find. 

Das Gefchleht der Metternih flammt, eines der älteften, 
aus den Rheinlanden. Diele Vorfahren des Fürſten haben fih im 
Civil⸗ und Militärdienfte ausgezeichnet. Sein Vater, Minifter 
von Churtrier, dann in Defterreih, ftarb 1818 zu Wien. Ich 
kannte ihn nit. Seine Wittwe, eine 1754 zu Freiburg geborne 
(Beatrix) Gräfin Kagenek war durch ihre Mutter (Andlam) Ge- 
ſchwiſterkind meines Vaters. Diefe Verwandtſchaft, wie eigene 
Wahl brachten mich oft in ihre Geſellſchaft. Ich habe wenige 
alte Frauen gekannt, welche mit der Feinheit des Benehmens jene 
Friſche des Geiſtes verbanden, wie fl. Ergoß ſie ſich auch häufig 
in Klagen über die Gegenwart, welche mit den Erinnerungen an 
eine glückliche Vergangenheit nicht mehr gleichen Schritt hielt, ſo 
war ihr Geſpräch doch nie ermüdend, ja die Vergleichungen, welche 
fie dabei anſtellte, von der köſtlichſten Laune. Wenn ihre witzige 
Zunge auch nicht immer des Nächften fchonte, fo fcherzte fle ebenfo 
über fich felbft, und wenn man von ihrem guten Ausfehen ſprach, 
eriwiederte fie gewöhnlih: „O mon cher, si vous saviez, comme 
je suis barbouilldeel°— Die Fürftin war Mutter von drei Kindern: 
Pauline (geb. 1771), Clemens (1773), Joſeph (1774). 
Sie hing mit voller Liebe an ihnen; entjchieden trat aber ihre 

Ich. v. Andlaw. Mein Tatebuch. I, 12 


178 


Zärtlichkeit fiir den Sohn Clemens hervor; er hatte fie am beften 
veritanden, feine Mutter in vielen Dingen zum Borbilde genommen, 
auf ihn übertrug fie jene Urbanität im Umgange, jene leichte Babe 
der Auffaffung, melche ihm eigen waren. Bezeichnend in diefer 
Sinfiht ift das Teftament der Fürftin, in dem fie ihren älteren 
Sohn: „mon fils bien aime,‘ ihre Tochter: „ma chöre fille,“ 
Joſeph aber: „mon bon fils““ nennt. 

Die Fürftin Pauline hatte das feltene Glück, nie im 
Leben von der geliebten Mutter getrennt zu fein, und gab ihr 
jene Fülle von Sorgfalt und Zärtlichkeit zurüd, welche ſich im 
folchem Verhältniffe fo fchön entwideln Tann. Dieſe aufopfernde 
Kindesliebe war es zunächft, welche den Charakter der Herzogin 
jo verehrungswürdig machte. Sie tbeilte mit ihrer Mutter viele 
edle Gaben des Herzen? und Verſtandes, wie die beinahe ſchwärme⸗ 
rifhe Anhänglichfeit an den Fürſten Metternih. Das Gemüth- 
liche im Charakter Paulinens herrſchte wohl vor, dagegen vermißte 
man an ihr die anmuthsvolle Gewandtheit, den ftetS heiteren 
Geiſt, welche ihre Mutter felbt bei anhaltenden Förperlichen Leiden 
nie verlaffen. Pauline hatte fi nach vielen Hinderniffen erft 
fpät (1816) mit dem Herzog Ferdinand von Württemberg (Bruder 
des Königs Friedrich) vermählt. Diefe Verbindung brachte fie in 
eine etwas falfche Lage, und ihre wortrefflichen Eigenfchaften, nicht 
felten dur Äußere Formen erdrüdt, wurden nur von ihren 
näheren Bekannten gehörig gewürdigt. Der Herzog Ferdinand 
aber, welder fih bi? zur Würde eines k. k. Feldmarſchalls empor: 
geihmungen, mar ein ftattliher Herr von ungemein böflichen 
Formen, aber etwas bizarrem Charakter. Statt des, nur Katholiken 
verliebenen, goldenen Vließes trug er das mit Diamanten befebte 
Porträt des Kaiferd an dem rothen Bande diefeg Ordens. 
Sonderbar genug war der Herzog durch feine Heirath zugleich 
Schwager des Fürften DMetternih und des Kaiſers, deſſen erfte 
Gemahlin befanntlih Efifabetb von Württemberg war. — Mas 


179 





nun den Grafen Joſeph Metternich betrifft, fo gebörte er jener 
Klafle von Gterblihen an, welche, wie Figaro fagt, fi die Mühe 
gegeben haben, geboren zu werden. Anſpruchslos floß fein Leben 
dahin, das er auf fünfzig und etliche Jahre brachte. Stets nur 
feinen Neigungen folgend, und gleich weit entfernt von den Staats⸗ 
geichäften wie von der erſten Gejellichaft, befannte er ſich zu einer 
ganz eigenen Lebensphiloſophie. Früher Domherr, bewohnte er 
dann 20 Jahre lang die Staatäfanzlei, kam aber nur bier umd 
da bei dem Krühftüd mit feinem Bruder zufammen.. Man ſah 
ihn nie bei Tiſche oder im Salon, ebenſo wenig bediente er ſich 
eined Wagens. In einen Mantel gehüllt, mit einer Mütze bedeckt, 
ſchlich er fich Abends aus feiner Bier: und Rauchgeſellſchaft oder 
von der Whiftpartie bei feiner Mutter nah Haufe, zlndete bei. 
dem Portier feine Heine Handiaterne an und ging, unbelümmert 
um das geräufchunlle Zreiben der großen Welt unter ihm, im 
feinem beicheidenen Gemache zu Bette. Bei diefer zurüdgezogenen, 
bürgerlichen Lebensweife galt er für einen Sonderling, und feine 
Familie ließ ed dem „bon Pepe‘, wie er bieß, an Ermahnungen 
nicht fehlen. Doc ftörte ihn dieß in feinen Gewohnheiten nicht; 
joe wie man nichts von feinem Einfluffe erwartete, war er auch 
Niemanden im Wege und im kleinen Sreife feiner Bekannten 
feines harmlofen Weſens wegen beliebt. 

Durh feine erfte Ehe war der Fürſt Metternich mit 
öfterreichifcehen Familien verwandt geworden; zwei Töchter Der 
Fürftin Eleonore (fiche oben), Marie, verehelihte Gräfin Joſ. 
Eſterhazy, und Elementine (ſchon mit 17 Jahren), waren ihr 
im Tode vorangegangen. Die unvergleichliche Schönheit der Iekteren 
bat Laurence in einem Bilde wiedergegeben, dad man jekt noch 
bewundert. Die zwei jüngeren Züchter, Leontine mit 14, 
Hermine mit 10 Jahren, waren nad) dem 1825 zu Bari er 
folgten Ableben ihrer Mutter nach Wien zurüdgelehrt. Die Gräfin 
Flore Wrbna:Ragenet, Couſine des Fürften, machte damals 

12” 


180 


die Honneurs in der Staatskanzlei. Außer den regelmäßigen 
Sonntagsfoirden waren größere Teite und Dinerd dort nur jelten. 
Der einzige Sohn, Victor, befand fih in Paris. MWiederholt 
fprah man von der Abficht des Fürften, fich wieder zu vermählen; 
man bielt ihn von der veizenden Ericheinung der Gräfin Melanie 
Zichy angezogen — da kam ganz unerwartet eine Familie von 
Münden nad) Wien, von der man fagte, daß fie Metternich früher 
in Neapel gekannt hatte. Diefe Familie beftand aus einem lahmen, 
fih mühſam auf Krüden durd die Salons fchleppenden Vater, 
deffen Fluges Gefiht eine Paar große Brillen dedte, aus einer 
Mutter, deren wahrhaft italienische Lebendigkeit fih mit Spuren 
nicht gewöhnlicher Schönheit verband; endli aus vier Kindern, 
zwei Töchtern, zwei Söhnen. Diefe Familie mar die freiherrliche 
von Leykam. Unter den noch jungen Kindern erfchien die Ältefte, 
Antoinette, jo ungemein lieblih und anmuthsvoll, dag der Fürft, 
von diefem Zauber ergriffen, bald beinahe jeden Abend in dem ihn 
erheiternden Zirkel jener Familie zubrachte, mo Muſik mit munteren 
Geſprächen mwechfelte und täglich mehr Belannte, befonders Diplo: 
maten, eingeführt wurden — fo entitand der Salon Leyfam. 
Nur die Damenwelt hielt ſich größtentheils ferne, und Mutter, 
Schweſter, wie die Koufine des Fürften beobachteten mit ängftlichen 
Bliden feine ſich ftet3 fteigernde Neigung. Als num im Sommer 
1827 Metternid fein Schloß Königswarth befuchte, verbreitete 
fi von Marienbad aus, wo die Leykam meilten, die überrafchende 
Kunde, daß die Verlobung erfolgt fei. Ich mar gerade in ber 
fleinen Billa zu Grünberg bei der alten Yürftin Whiſt fpielend, 
als Eſterhazy, des Fürften Schwiegerfohn, den Verwandten jenen 
Entſchluß mittheilte. Es knüpften fi an diefes Ereigniß Klatſche⸗ 
reien, welche weit die Grenzen einer gewöhnlichen Commerage 
überſchritten, und rufe ich mir jetzt noch alle dieſe Vorgänge leb⸗ 
haft in's Gedächtniß zurüd, fo meiß ich nicht, was ich mehr 
bevundern fol, die Ausdauer des Türften, welcher fo vielen 


181 


Rüdfichten und Hinderniffen troßte, oder die Umficht und das Auge 
Benehmen der Leyfam, vor Allem aber die tadellofe Haltung 
Antoinette. Es war nicht möglich, die Huldigungen de nicht 
mehr jungen Fürften mit mehr Beſcheidenheit und unbefangener 
Ruhe aufzunehmen. Sie befaß aber befonderd im hohen Grade 
die jeltene Gabe des Zuhörens, ging wißbegierig mit fichtbarer 
Theilnahme auf fein Gelpräh ein, und e3 freute den Fürften, 
auf ihre Erziehung einzumirken, in ihr die empfängliche und zu 
gleih ſchöne Schülerin erfennend. Die günftige Meinung, melche 
er von ihrem, durch blendenden Sugendreiz gehobenen edlen Charakter 
gefaht, Hat fih auch in der Folge bewährt. Und war e3 dem 
Fürften denn gar zu fehr zu verargen, daß er mit 53 fahren, 
von Geſchäften erdrüdt, fi ein angenehmes Interieur ſchaffen, 
eine Frau nach feinem Herzen, feinem Geſchmacke wählen mollte, 
wenn gegen ihre Perfönlichkeit nicht3 einzuwenden war? Bon diefer, 
wohl der beiten Seite faben die fürftlichen Verwandten die Sache 
nun auch an, behandelten die vom Kaifer zur Gräfin von Beil: 
ftein erhobene Braut liebevoll, ja der Herzog Ferdinand wollte, 
daß die Vermählungsfeter in dem damald von ihm bewohnten 
Taiferlichen Luftfchloffe zu Hetzendorf begangen werde. Man bes 
flimmte hierzu den 5. November. Schon hatte es feit einigen 
Tagen gejchneit; unfreundlih und Falt, wie das Wetter, war die 
Tahrt, eifig, wie die Kapelle, die ganze Ceremonie. Außer den 
beiden Familien waren nur wenige Zeugen zugegen. Der Probft 
von Hebendorf, welcher die Trauung vollzog, hielt eine etwas ein- 
fältige Rede; freilich war eine Anfprache unter dieſen Umftänden 
nicht leicht, fie hätte daher fügliher ganz unterbleiben können. 
Hierauf fand — 1 Uhr — ein Gabelfrühftüd ftatt; aber auch 
diefes file Mahl follte durch eine unerfreulihe Nachricht unter: 
brochen werden, denn ein Courier brachte während deflelben die 
Nachricht der Seeſchlacht von Navarin. Der Fürft verließ fchnell 
den Tiſch; Alles kehrte beftürzt in die Stadt zurüd, und Gens 


182 


erflärte diefe Störung für ein böfes Omen! — So wur daß 
früher kaum Geahnte, wenn gleich mit Kämpfen und Opfern, 
geichehen und der Winter verging in bebaglicher Ruhe. Das 
Haus Metternih wurde wieder der Schauplah von Feſten aller 
Art, bei denen aber die Mufit immer die Hauptrolle fpielte. 
Deutſche und italienifhe Sänger waren tägliche Gäfte und wett⸗ 
eiferten mit ebenfo ausgezeichneten Dilettanten, unter denen Baron 
Schönſtein, ein geborner Troubadour, die Schubertiſchen Lieder 
unnahahmlich vortrug. Am meiften gefielen aber die |. g. koſtü⸗ 
mirten Eoncerte, geſchmackvoll zufammengeliellte Scenen aus 
beliebten Opern. Frau von Leykam Mutter aber war die Seele 
diefer anziehenden LUnterhaltungen; überaus mufilalifch gebildet, 
hatte fie felbft nody eine ſchöne Stimme mit herrlicher Methode. 
Die Fürftin Antoinette wurde bei Hofe wohlwollend empfangen 
und ſah ihren Salon allmälig fih mit Wiener Damen füllen; 
fie gefiel dur Einfachheit und würdiges Benehmen, und alle 
frühere Zurüdhaltung war bid auf wenige Ausnahmen verſchwunden, 
jelbft die Familie Zihy behandelte fie mit anerkennungswerthem 
Takte Nur die Gräfin Flore Webna-Kagenek Tonnte fi Tange 
nit in das Unvermeidlihe finden; fle war an der Spige der 
Unzufriedenen, welche ſich laut mißbilligend über die Wahl des 
Fürſten äußerten, und man nannte fie fcherzweife nur: „La veuve 
du canap6!‘“ 

Wie alljährlich, wurde auch 1828 der Geburtstag des Fürften 
(15. Mai) in der Villa gefeiert. Seine junge rau wollte ihm 
einige Weberrafchungen bereiten, die nicht alle gleich glüdlich aus⸗ 
fielen. Den Anfang machte ein Meines Concert; es hieß, Paganini 
werde fi) Hier zum erften und einzigen Male in einem Private 
zirkel hören Yaflen, und Alles war darauf gefpannt, diefe unheim⸗ 
liche Geftalt und das dämoniſche Spiel in der Nähe zu beobachten. 
Doch vorher trat Fürſt Dietrichftein, den man lange nicht geieben, 
mit einem blonden Süngling an’d Klavier. Dieſer begann feinen 


183 


Bortrag, doch es wurden gerade Erfrifchungen herumgegeben, die 
Geſellſchaft war zerfirent, und Fürſt Dietrichftein rief plößlich 
entrüftet: „‚Cessez de jouer, on ne vous &coute pas!“ Nur 
mit Mühe konnte man den jungen Künftler beivegen, feine Sonate 
wieder aufzunehmen. Diefer angehende Birtuofe war — Thalberg. 
Auf ihn folgte Paganini's Hexenconcert. Bald nachher gerieth 
der Salon in eine andere Bewegung: Teueriprigen feien vor dem 
Haufe; doch man hatte die Beleuchtung des Gartens in der Stadt 
für einen Brand genommen, und die zu eijrige Feuerwehr zog 
wieder ab. Man begab ſich nun in die Gallerie, wo eine Yünft- 
liche Blumenausftellung ftattfand. Die jungen Mädchen nahmen 
fih jedoh ala Pflanzen und Blüthen nicht gut aus, und als fie 
ſich vollends im ihrem grotesfen Kopfpuge zum Lanze erhoben, 
Ionnte man nicht leichter etwas Plumperes fehen. 

Heitere, zufriedene Tage verlebte der Yürft in diefem Sommer 
auf dem fürftlih Trautmannsdorfiſchen Schloffe zu Walterdorf bei 
Baden. Stantögefchäfte murden da durch den ihn immer an- 
fprechenden Umgang mit der Frau feiner Wahl unterbrochen, 
deren liebenswürdige Eigenfchaften täglich mehr bervortraten. Auch 
fein Sohn Victor mar nad) langer Abweſenheit wieder auf Beſuch 
gefommen, und in der Hoffnung auf einen weiteren Erben fchien 
dem Fürſten ein neuer Glüdsftern aufzugehen. Ein Gemälde 
Antoinette'8 von Ender erinnert an jenen ungetrübt froben Aufents 
halt. Sie fteht in Lebensgröße auf dem Balcon des Schloffes, 
heiter lächelnd, doch nicht ohne den melancholiſchen Zug um die 
Augen, der ihr eigen war. In einfach weißem Anzuge fchreitet 
fie auf dem Bilde die Stufen abwärts dem Garten zu, während 
ihre eigenen Schritte dem Grabe fo nahe waren! Den Hinter: 
grund bildete der majeftätifche Schneeberg, in ſchwarze Gewitter: 
wolten eingehüllt! 

Kaum war der Fürſt in die Stadt zurückgekehrt, ald der 
Tod in kurzen Zwiſchenräumen eine reihe Ernte in feinem Haufe 


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hielt. Den Anfang machte die Fürftin- Mutter, melde am Namens: 
tage ihre Sohnes (23. November) mit 74 Jahren ftarb. Sechs 
Wochen naher — 7. Januar 1829 — erfolgte die Niederkunft 
der Yürftin Antoinette mit einem gefunden Knaben. Doch ſchon 
am neunten Tage ihres Mochenbettes verſchied fie unerwartet 
Schnell an einem zurüdgetretenen Frieſel. Schmerzlih waren alle 
Belannten von diefer Nachricht ergriffen und allgemeine Theil- 
nahme verbreitete ſich durdy die ganze Stadt. In der That war 
8 auch ein Ereigniß ungewöhnlich trauriger Art; eine junge 
Mutter ſchon nach flüchtig verſchwundenem Glücke, an einem viel- 
fach beneideten Ziele angelangt, nun entfeelt im Sarge, an dem 
der Fürſt eine mit Sorgen erfaufte, vorausfichtlih für's Leben 
geichloffene Verbindung gelöft ſah! Am härteften aber traf dieſer 
Schlag die Tamilie Leyfam. Die Mutter, welche nody des Tags 
zubor auf einem glänzenden Balle bei dem Erzherzog Karl die 
Glückwünſche der ganzen Geſellſchaft, ihrer wenigen freunde, ihrer 
zahlreichen Neider, empfangen, und ftolz, der Zukunft vertrauen, 
war alfobald neben der Leiche ihrer Tochter ein wahres Bild der 
Verzweiflung! Mir jelbft kommen diefe zwei Jahre, mährend 
welchen die Leyfam ihre Fühnften Wünſche erreicht und Alles 
wieder verloren Hatten, wie ein Traum vor. Ich war nicht Zeuge 
der Geſchicke diefer Familie vor und nad jener Epoche; ich Tann 
daher nur vom Hörenfagen fprechen. Herr von Leykam Vater, 
früher in Taxiſchen Dienften, badifcher Kammerherr, dann fpäter 
zum brafilianifhen ®efandten in Frankfurt beftimmt, welchen 
Poſten er jedoh nie antrat, begleitete feine beiden Söhne auf die 
Univerfität nach Göttingen und wurde während des Gottesdienftes 
am Jahrestage des Todes feiner Tochter vom Schlage gerührt 
und verſchied fogleih. Seine Wittwe hielt fi mit ihrer jüngeren 
Tochter, unter allerlei nicht alltäglichen Erlebniffen, Yange in 
Stalien auf, ging jelbft eine feltfame zmeite Ehe ein und ver: 
heirathete Thereſine in Ylorenz mit dem Sohne eined reichen 


185 


Amerifanerd, Thorn. rau von Leykam hatte ein nicht minder 
ſchnelles Ende als ihr Gatte. Auf der Rückreiſe von Karlsbad 
1840 zu Regensburg angelommen, nahm fie im Gafthofe ein 
friſches Glas Waſſer und ſank todt zu Boden. Die beiden Söhne 
nahmen jpäter eine ehrenvolle Stellung in der Diplomatie und 
öfterreihifchen Armee ein; Anatole, num General, war einer der 
Lieblingsadjutanten Radetzky's. 

In demfelben Jahre, ala Richard, defien Geburt der Mutter 
das Leben gefoftet, zur Welt Tam, farb (Nov. 1829) Victor 
Metternich nad) unfäglichen Leiden an einer unbeilbaren Lungen: 
krankheit, und abermals ſetzte fih traurig von der St. Michaels⸗ 
firhe aus unter dem düfteren Scheine der Fackeln ein Leichen: 
wagen nad der fürftlihen Gruft zu Pla in Bewegung. Victor 
war ein junger Mann von ausgezeichneten Fähigkeiten; es war 
ihm der Adel der Gefinnung, die Wärme des Gefühle, das wahr- 
haft Diflinguirte des Edelmannes im hoben Grade eigen. Er 
war für den Geſandtſchaftspoſten in Dresden beftimmt, wo aud 
Metternich feine diplomatifche Laufbahn begonnen hatte; doch unab: 
bängigen Sinne, ftill, zurücdhaltend, kränkelnd, zog es Victor, 
felbft gewählten Umgange, liebgewordenen Gewohnheiten lebend, 
vor, bis zum 27. Jahre als Attaché der kaiſerlichen Botſchaft in 
Paris zu bleiben, und verließ dieſe Stadt nur, um nach einem 
kurzen Aufenthalt in Italien ein zu ſo ſchönen Hoffnungen berech⸗ 
tigendes Leben im väterlichen Haufe zu beſchließen! 

Endlih trug man auch bald nachher (1830) geräufchlog, 
wie er gelebt, den guten Pepe Metternich zur lebten Ruhe! — 


Eine zu Anfang 1825 erfchienene „Revue politique‘‘ ftellt 
die nachfolgenden Turzen, aber Die Lage bezeichnenden Betrach⸗ 
tungen an: 

„Dans la situation actuelle des soci6t6s, dans le mouve- 
ment rapide qui les emporte, une annde est un poids dans 


186 


la destinde des empires; les &venements se pressent et se suc- 
cadent avec une promptitude qui révèle l’agitation- du monde, 
Cette agitation elle-m&me sera plus vive de jour en jour, et 
le mouvement ne cessera point que les peuples n’sient con- 
quis le dögr& de bonheur, qu’ils ont concu, et que la poli- 
tique ne soit en harmonie avec la morale publique .... . 
Ainsi la France, sans &tat fixe, plac6e entre son ancien et 
son nouveau rögime, est rappelde & ses vieux präjuges, l’Italie 
impatiente, attendant le moment de se defaire des siem, ..... 
l’Autriche, conservant le modele de la servitude heureuse!? 
La Prusse, ne sachant comment accorder son &xistence poli- 
tique et son 6tat civil... . L’Allemagne, toujours occupee 
des droits des rois et des peuples, interrogeant toujours tout, 
et ne decidant rien!!... . La Belgique, n’ayant qu’un pas 
à faire pour ötre le plus heureux 6tat de PEurope!? .... 
[Irlande, d’autant plus fanatique, qu'ello est plus malheureuse; 
ne. l’6sprit polonais survivant & la Pologne .... . a 
Suede, avec ordre et sagesse!! marchant à ses nouvelles 
destinses!? le Danemare sans mouvement au milieu des s0- 
ciötes Ebranlds..... la Turquie s’6croulant enfin aux accla- 
mations des peuples civilises — la Gröce, se relevant sur 
ses ruines, et se replacant au rang des nation. .... cafin 
la superbe Angleterre, appuy6e sur l’Amerique, planant du 
haut des mers sur cette Europe agitoe, contemplant sans 
danger les orages qui s’y amancelent et dirigeant ses agita- 
tions & son gre. . . . . . 
Telle est Europe aux premiers jours de 1825, elle n ne sera 
plus la m&me & la fin de son cours! ..... 

Diefe, nicht ohne Kiberalen Anflug geichriebene Ueberſicht paßt 
zum Theil aud) noch auf die heutigen DBerhältniffe, enthält außer: 
dem aber propbetiihe Winke. Sie läßt damals fchon den Abfall 
Belgiens von Holland, den Aufruhr Polens, die Politik Schwedens, 


187 


wie die Erfchätterungen der Türkei ahnen. Bet Vebertragung 
jener allgemeinen Merkmale auf die Zuſtände der &fterreichiichen 
Monardyie glaube ich, wie ſchon oben angedeutet, mich nicht zu 
irren, wenn ich daB Neujahr 1826 ala den Zenith der einfluß- 
reihen Macht des Wiener Kabinets bezeichnet babe. Bon jener 
Zeit an bielt es fich nicht mehr auf der gleichen Höhe: es hörte 
auf, die Situation zu beberrichen, ließ ſich vielmehr von den Er: 
eignifien tragen. Dieſe Umwandlung entjprang zunächſt dem ohne 
Zuthun Oeſterreichs geftörten europäiſchen Gleichgewichte; in un: 
mittelbarem Zuſammenhange ſtand aber damit die Entſchiedenheit, 
mit welcher die revolutionären Ideen wieder um ſich griffen. Fürſt 
Metternich, deſſen Superiorität noch immer anerkannt wurde, mußte 
fich alſobald auf die Rolle, bald eines Vermittlers, bald eines ernſten 
Mahnerd, befhränten; man hörte noch immer auf feinen weifen 
Kath, feine gründlichen Erfahrungen, und wenn er auch hier noch 
viele günftige Erfolge erreichte, fo trat er bei den Berathungen 
nit immer in erfter Linie auf, und eine politifche Frage nach der 
anderen entfchlüpfte feinen fonft jo gemandten Händen, weil er es 
nidyt über fi) gewinnen Tonnte, fo gänzlich veränderten Conjunk⸗ 
turen gehörig Rechnung zu tragen. — Mit dem Tode des Kaiſers 
Alerander, deffen Charakter nnd Haltung berubigended Vertrauen 
eingeflößt hatten, war zuerft der Standpunkt der bisherigen Allianzen 
verrüdt worden. Ein junger Herricher, unter fo ganz außerordent: 
lihen Umftänden auf den Thron gelangt, ließ bei dem kühnen 
Muthe und der Geiftesgegeniwart, welche ihn gleich Anfangs leiteten, 
ahnen, daß fein ‚Ehrgeiz die frühere Politit Rußlands wieder anf- 


nehmen und dem Gange der Dinge eine antere Richtung geben 


werde. Zu gleicher Zeit verlor Oeſterreich an England einen 
alten, treuen Verbündeten. Dieje Infel, durch den Aufruhr Ir⸗ 
lands, die Unruhen in den Eolonieen, die Reform-, wie die Katho⸗ 
Iifenfrage im innerften erjgüttert, fuchte feine eigenen Verlegenheiten 
dadurd zu umgehen, daß ed die Berwirrung auf dem Eontinent 


188 


zu verbreiten ſuchte. Als nun vollends Canning Minifter wurde, 
und die bekannte Aeolus-Rede gehalten, war in der Politik dieſes 
Landes die Bahn vorgezeichnet, die e3 mehr und mehr von Oeſter⸗ 
reich trennte, und feldft unter den fpäteren, vorübergehenden Tory: 
Minifterien wollte es nicht mehr gelingen, diefe beiden Staaten 
enger zu verbinden. — Es fchien demnad um fo erwünfchter, ſich 
Tranfreih zu nähern, und Metternich bahnte eine foldhe Allianz 
1825 jelbft in Paris mit Billele an. Doch auch hier fand er 
feine kräftige Lnterftüßung, und Karl X., fih bald England, 
dann wieder mehr Rußland zuneigend, blieb meiftend kalt und 
verfchloffen für die öſterreichiſchen Eröffnungen. Bon den Grof- 
mächten blieb daher Defterreih nur noch mit Preußen einig und 
auf dem alten Fuße, und es war nicht das geringfte Verdienit 
des Fürften, durch dieſe Mebereinflimmung Deutfchland fo Tange 
den inneren Trieden erhalten zu haben. Das Miener Kabinet 
wandte daher den Zuftänden in Stalien wie in Deutfchland größere 
Sorge und Aufmerkſamkeit zu, und wenn es ihm nicht gelang, 
ih auf der Halbinfel Sympathieen zu erwerben, fo lag dieß in 
ungünftigen, von feinem Willen unabhängigen Umftänden. Ebenſo 
wenig erfreulich zeigten fi) die politifchen Verhältniffe in Spanien 
und Portugal, und die Erwartungen, melde man in Wien auf 
Dom Miguel geſetzt, wurden bekanntlich getäufcht. 

Aber alle diefe Wirren überragte weit die Eine wichtige, 
große — die orientalifche Frage. Sie umfaßte den Zuſtand 
der Türkei felbft und dann den Aufftand Griechenlands. 
Alles Hatte fich gegen den Sultan verſchworen: innere Unruhen, 
Naturereigniffe, Stürme von Außen; kaum ſchien es, daß das 
ſchwankende Reih fo gewaltigen und wiederholten Schlägen würde 
widerftehen können. — Ich hatte mir von jeher eine eigene Anficht 
hierüber gebildet und bin jetzt noch der feſten Meberzeugung, daß 
die Erledigung diefer ftet3 gefahrdrohend über allen europäifchen 
Staaten ſchwebenden Frage die eigentliche welthiſtoriſche Aufgabe 


189 


unfere® Jahrhunderts ausmache. Der Islamismus hat fich 
offenbar überlebt; feine ihm von der göttlichen Vorſehung in 
ihrem unerforſchlichem Rathſchluſſe angewieſene Beftimmung iſt 
erfüllt. Ein Reich, wie das der Türken, iſt eine politiſche Ano⸗ 
malie in unſerer Zeit, und alle die Mühe, die Opfer, die An⸗ 
ſtrengungen, welche die Diplomatie ſeit Jahrzehnten zu deſſen 
Friſtung aufgewendet, werden ſeinen ſicheren Zerfall nicht hindern. 
Ruhe und Gleichgewicht kann in Europa aber nicht wiederkehren, 
ſo lange dieſer Gegenſtand beſtändiger Beſorgniſſe und gegenſeitiger 
Eiferſucht nicht entfernt iſt, ſo lange die Fahne des Propheten 
auf der Sophienkirche zu Konſtantinopel weht! 

Oeſterreich, welches durch drei Jahrhunderte beinahe allein 
den oft ungleichen Kampf mit dem Erbfeinde der Chriſtenheit auf⸗ 
genommen, das zweimal ſeine Hauptſtadt bedroht ſah, die, als 
letztes Bollwerk, das Eindringen der türkiſchen Schaaren nach 
Deutſchland hinderte, Oeſterreich, das mit nicht zu berechnenden 
Opfern die weſtlichen Theile Europa's durch die Militärgrenze 
ſchützte und ſo lange vor der Verbreitung der Peſt bewahrte, 
Oeſterreich fand ſich endlich, durch mächtigere Feinde — die Revo⸗ 
lution, die Eroberungsſucht Frankreichs, wie die zunehmende Macht 
Rußlands — bedroht, genöthigt, die traditionelle Politik ſeines 
Kabinets zu verlaffen und gemeinſchaftlich mit England ſich zum 
Beſchützer des fintenden Meiches Mahomeds zu machen. Seit 
70 Sahren bat es nun, wenn audh nicht offen und mit den 
Waffen in der Hand, doch vermittelnd und durch mehr oder 
minder glüdliche Rathſchläge verſucht, die Pforte zu retten, den 
Plänen zu ihrer Auflöfung entgegenzutreten. Defterreich hat durch 
diefe Politit nur bewirkt, daß die Türkei fich langſam verblutet, 
während ſich bei diefen täglich mehr anwachſenden Bedrängniffen 
die Gefahren für die eigene Monarchie häufen. Ziehen die Stürme 
der Revolution einmal vom Bosporus herüber, die Donau auf- 
wärts nach den Fürftenthümern, nah Serbien, Bosnien und 


190 


Ungarn, werden fle fi weder an ten Karpathen, nod) an der 
Leitha brechen. Aber, fragt man, foll Defterreih das binfällige 
Reich ganz dem nad Beute lüfternen Ehrgeize Rußlands über: 
laſſen? Gewiß night! Es ift jedoch an der Zeit, daß die Groß: 
mächte diefe,- die Eivilifation wie das Chriſtenthum fo weſentlich 
berührende hochwichtige Frage mit Fräftigem Ernft in die Hand 
nehmen würden und gemeinſchaftlich Maßregeln ergriffen, ent: 
icheidend für das künftige Geſchick der europäifchen Türkei. Jeder 
Zuftand wäre der jegigen Verwirrung vorzuziehen, in der man da 
die Provinzen durch Aufitände loszureißen, dort den Sultan wieder 
gegen innere und Äußere Feinde zu ſchützen fucht und überall nur 
Halbheit, Unentfchloffenheit begegnet! 

Damals (1826) nun brach für die Pforte gerade eine furcht⸗ 
bare Zeit herein, welche fib unter vielen qualvollen Momenten 
drei Jahre lang hinzog. Wir verfolgten daher diefe merkwürdigen 
Borgänge mit gefpannter Aufmerfjamkeit, und die Monatötage, 
an melden Couriere regelmäßig die türfiihen Nachrichten nad 
Wien überbrachten, festen Süße und Federn der jungen Diplomaten 
in gefchäftige Bewegung. Alle Augen waren auf den Orient ger 
richtet. Den Anfang der Zerwärfniffe machte das zwiſchen Muß: 
land und England am 4. April 1826 in Peterdburg zu Gunften 
Griechenlands unterzeichnete Protofol. Seit fünf Jahren ſchon 
hatte der Unabhängigfeitäfampf auf den Inſeln des Archipels ge: 
wüthet; Philhellenen aus allen Theilen der Welt bethätigten ſich 
dabei, und die revolutionäre Propaganda machte die griechiiche 
Sache zu der ihrigen. Dennody behielt die Türkei, auf die Der: 
träge geftüßt, unter blutigen Metzeleien und unerhörten Sraufam- 
teiten immer noch die Obermadt. Da nahmen jene beiden Groß: 
mächte die Sache felbft in die Hand, drangen aber bei Frankreich 
und Oefterreih mit ihren Vorſchlägen nicht durch. Rußland ber 
ſchränkte fi nun darauf, in eigenem Namen am 5. April alle 
Beichwerden gegen die Pforte in einer Note zu formuliren, welche 


191 

zu den Verhandlungen von Aljerman führten. Die bier aufge 
ſtellten 83 Artikel — das Wittmatum Rußlands — wurden, 
wenn gleich erbrüdend für die Pforte, dennoch von ihr ange: 
nommen. Während diefen Bedrängniffen war aber auch die Türkei 
ſelbſt In ihrem Innerſten aufgemühlt, und das ganze gebildete 
Europa ſah mit Entſetzen die von maßlofen Gräueln begleitete 
völfige Bertilgung der Janitſcharen. Dabei Toderte der Aufruhr 
in den Brovinzen, zeritörten Erdbeben Städte und ganze Streden, 
ging eim Theil Konftantinopeld in Ylammen auf. Hungersnoth, 
Pet, Krankheiten und Elend aller Art wechielten mit Binrichtungen 
und Aufftänden. Mit beivunderungswürdigem Muthe ertrug der 
Großherr nicht nur alle diefe Ealamitäten, er feste auch mit 
barbarifher Energie die von ihm befchloflenen Reformen rückſichtslos 
fort; die Armee wurde umgeftaltet, der Troß der Ulema's gebrochen. 
Das kaiſerliche Kabinet, während e3 der Nadhgiebigleit gegen Ruß⸗ 
land das Wort ſprach, Tomte felbft nicht ohne Schaudern fehen, 
wie die Pforte in ihrem eigenen Fleiſche müthete. 

Im darauf folgenden Jahre tauchte die griehifche Frage 
wieder auf, und die Opfer von Miffalungbi, der Acropolis follten 
ihre Rächer finden. Nach einigen Schwankungen trat Frankreich 
mit den beiden Mächten in London zufanmen, und am 6. Juli 
1827 wurde die Xripelallianz geſchloſſen. Oeſterreich ließ ge 
ſchehen, was es nicht hindern konnte, und begnügte fidy mit Noten 
und Proteſten. Es trat nun ein eigenthümlicher Zuſtand ein; 
da die drei Großmächte ſich nicht im Kriege mit der Pforte be 
fanden, fo erfand man ftatt des Mortes „bervaffnete Intervention“ 
das friedlicher Tautende „Bacification Griechenlands“, ftatt „Kampf“ 
hieß es „Boörcitiomaßregeln“. Die nächfte Folge davon war bie 
berüchtigte Seefchlaht von Navarin, wo am 20. Oftober die ver: 
einigten Flotten der drei Seemächte die türkiich-ägnptifchen Schiffe 
in den Meeresgrund jchoffen. Berzmweiflung bemächtigte fid) des 
Divand bei diefer Schreckensnachricht, und es fanden nun in 








192 


Konftantinopel wochenlange Verhandlungen ftatt, nach welchen, da 
fie zu feinem NRefultate führten, die drei Botjchafter abreiften. 
Defterreich ſpielte dabei erft die Rolle eine unbequemen Vermitt⸗ 
lers, dann die eines ängftlich beiorgten Zuſchauers.“) Die Türke 
felbft aber ging von einem dumpfen Hinbrüten zu einer heftigen 
Herausforderung Rußlands über, beflagte ſich laut und bitter über 
das ihr zugefügte fchreiende Unrecht und rief in dem Manifefte vom 
20. Dezember die ganze Bevölkerung zur Rade und im Yalle 
neuer Angriffe zum heiligen Kampf. So ftanden die Dinge 
Anfangs 1828. 

Zwiſchen diefen Vorgängen zogen fi) andere Ereigniſſe durch. 
Während in Rheims — früher unerwartet — einem 70 jährigen 
König eine Krone aufgefeßt wurde, welche alfobald mieder feinen 
altersſchwachen Händen entfiel, ließ ein junger, thatkräftiger Selbſt⸗ 
herrſcher, ftolz, fi mit fühnen Plänen für die Zukunft tragend, 
feine Krönung in Moskau mit aſiatiſchem Pompe vollziehen. — 
Canning war geftorben, Villele abgetreten, und fo fanden in 
London und Paris Miinifterveränderungen ftatt. Doch all dieß 
vermochte nicht die hereinbredhenden Stürme im Orient aufzubalten. 
Rußland Hatte ſchnell und glüdlich einen Feldzug gegen Perfien 
beendet und warf fih nun mit vollem Gewichte auf die Türkei. 
An Borwänden, fie zu befriegen, bat es der nordifhen Macht 
nie gefehlt: Beſchwerden ihrer Unterthanen, Stodung des Handels, 
gehemmte Schifffahrt auf dem ſchwarzen Meere, Nichterfüllung 
früherer Verträge gaben oft mehr als nur fcheinbaren Anlaß zu 
Konflitten. Nun kam aber auch noch der aufreizende Hattifcherif 
dazu, den Rußland aljobald mit einer nicht minder heftigen Er: 
klärung erwiederte. Vergebens machten die vier Großmächte Vor: 
ftellungen, England aber, gelähmt dur innere Parteikämpfe, 
Defterreih, entfhieden um jeden Preis den allgemeinen Frieden 


*) Erinnerungsbl. ©. 12. 


193 


zu erhalten, griffen nicht nachhaltiger ein, Frankreich aber war 
durch den fleigenden Einfluß Pozzo di Borgo’3 gewonnen. Dabei 
verficherte Rußland beftimmt, daß es, verzichtend auf alle Erobe 
rımgen, nur die Pforte zwingen wolle, ihre Verbindlichkeiten ein- 
zubalten, ja, der Czar wandte fich felbft an den Kaifer Franz, 
um von ihm eime Erklärung zu erhalten, daß diefer Krieg ein 
gerechter fei. Doc der Kaifer vermeigerte auf dieſes Anfinnen 
einzugeben, beichräntte fih auf eine firenge Neutralität und die 
Aufftellung eines Obfervationscorpe. Man Tieß es dabei an Vor: 
würfen nicht ermangeln, daß Defterreich den Krieg nicht verhindert 
oder fpäter nicht thätiger eingefchritten fei, nicht einmal die Moldau 
und Walachei beſetzt babe. Hierauf gibt es nur eine Antwort: 
daß alle Verſuche diefer Art an dem beftimmt ausgefprochenen 
Willen des Kaiferd fcheiterten, und überdieß die damalige Lage 
Italiens und Ungarns, die troftlofen Finanzen, wie der Zuftand 
des Heeres jene Zurüchaltung wenn auch nicht vechtfertigen, doch 
erflären. Die ruſſiſche Kriegserklärung erfolgte am 26. April, 
und bald darauf überjchritten die Ruſſen den Prutb und die 
Donau. Es murden die Dardanellen blodirt und die Franzofen 
befegten More. Mit abtwechjelndem Kriegäglüde wurden nun 
Feſtungen erobert, viele Schlachten geliefert, aber wider Ermarten 
war das Ergebniß den ruffiihen Waffen nicht günftig. Die 
Gegenwart ded Ezaren fchien hemmend auf die Operationen der 
Armee zu wirfen, dazu kamen Niederlagen, klimatiſche Einflüffe, 
Krankheiten u. f. w. Man Tonnte in Wien ein Gefühl heimlicher 
Freude nicht unterbrüden, daß diefer erite Feldzug in foldher Weiſe 
ausgegangen war, und ermahnte beftändig den Sultan, die Hand 
zum Frieden zu bieten. Tatifticheff und Meyendorf aber benahmen 
fi) während diefer Zeit auf eine nicht genug anzuerlennende Weife 
mit ebenfo viel Klugheit als Takt. 

Mit dem Frühjahr 1829 begann der zweite Angriff. General 
Diebitſch drang fiegreih über den Balkan bis in bie Ebene von 

Sch. v. Andlaw. Mein Tagchuch. 1. 13 


194 


Adrianopol, wo — 15. Sept. — unerwartet ſchnell ein Frieden 
abgeichloffen wurde, den man eben fowohl den engliſch⸗öſterreichiſchen 
Bemühungen, ald der großherzigen Mäßigung des Kaiferd Ricolaus 
verdankte. Die Pforte aber war diegmal mit dem Schreden davon 
gelommen, und während man in Konftantinopel fchon vor dem 
Einmarjhe der ruffiihen Truppen zitterte, gab man fi) bald 
darauf der Freude über diefen kaum gehofften Ausgang Hin, und 
unterzgog fi gerne den ſchweren Opfern, welche ber Krieg in 
feinem Gefolge mit fi brachte. — Nun wurden aber auch wieder 
Berhandlungen wegen Griechenland aufgenommen, deffen Losreißung 
von der Türkei ausgeiprochen, diefe Verhältniſſe förmlich in London 
geregelt, und die griechifche Krone dem Prinzen Leopold von Sachſen⸗ 
Coburg angetragen, der fie auch annahm, ihr jedoch bald wieder 
entſagte. 

Während all dieß im Oſten vorging, wickelte ſich der ſeltſame 
und unſelige königliche Bruderzwiſt in Liſſabon ab, wobei gegen 
die Anſchauung Oeſterreichs der engliſche Einfluß ſich überwiegend 
zeigte. Mit den Niederlanden, Hannover und anderen deutſchen 
Regierungen lag das Wiener Kabinet im beſtändigen Federkriege, 
während Preußen, anſcheinend im beſten Einverſtändniſſe mit dem 
Kaiſerſtaate, im Stillen die Schritte vorbereitete, welche ihm ſpäter 
eine feſtere Stellung im Bunde verſchaffen follten. — Doch waren 
es nicht allein ſo allgemein wichtige Angelegenheiten, welche die 
großherzogliche Geſandtſchaft, ſomit auch mich, lebhaft beſchäftigten, 
Baden ſelbſt hatte einen diplomatiſchen Feldzug zu beſtehen, der 
einen Augenblick ſogar drohte, in eine ernſtliche, blutige Fehde 
überzugehen. Bayern hatte nämlich die vom Großherzog Karl 
angeordnete Succeſſionsordnung in jenem Lande deßhalb nicht an= | 
erfannt, weil die ehemalige überrheinifche Grafſchaft Sponheim in 
gewilfen Fällen wieder hätte an Bayern abgetreten werden follen. 
Da die Pfalz als Entſchädigung für jene Herrichaft galt, jo nahm 
Bayern, unter Anrufung von Familienverträgen, Heidelberg, 


195 





Mannheim u. |. w., als Aequivalent dafür in Auſpruch. Streitſchriften 
wurden gewechſelt, Unterhandlungen fanden ſtatt; der König Ludwig 
beſtand um ſo mehr auf ſeinem vermeintlichen Rechte, als der 
Großherzog Ludwig ehe- und kinderlos war. Schon ſah man wie 
früher einen bayeriſchen, nun einen pfälziihen „Rummel” aus 
brechen: Truppen marfhirten .... 0200. da fprachen fich 
vier von den Großmächten, als angerufene Schiedärichter, unum: 
wunden für den rechtmäßigen Befitz Badens, auch unter dem jüns 
geren Zweige feiner Dynaftie, aus. Nur Defterreich, wohl in der 
Hoffnung, ſich bei diefem Anlaffe früherer mit Bayern eingegangener 
titiger Verabredungen zu entziehen, zögerte, warf Bedenken auf, 
ſchloß ſich aber zulebt doch den anderen Mächten an. Der Markt: 
graf Wilhelm, mit einer Gewandtheit und Peftigleit, welche nur 
ſeinen militäriſchen Berdienften gleich Tamen, hatte perſönlich diefe 
jo wichtige Sache in Baris und London betrieben, und von beiden 
Höfen die bündigften Erflärungen zurückgebracht. Rur in Wien, 
wo eine weniger günftige Auffaffung berrichte, war der Brinz nicht 
gewefen. Tettenborn trug daher die ganze Laft der Verhandlungen, 
und wußte dabei einen ebenfo Tangjährigen ala wohlmollenden Be 
kannten in dem bayeriſchen Gejandten, dem Grafen Bray, als 
Gegner finden. Mit weitmänniihem Takte und der ihm eigenen 
Freundlichkeit behandelte Diefer ausgezeichnete Mann eine Sache, 
von der er die Perfonen zu trennen mußte, und in ber mir in 
lester Inftanz den Sieg davon getragen hatten. Sein Sohn aber, 
Graf Dtto, iſt num, nad langen Jahren, felbft an dem eimft von 
dem 1832 verftorbenen Vater jo würdig ausgefüllten Boften. 
Das verhängnifvolle Jahr 1880 ermedte gleih Anfangs 
wieder andere Beforgniffe. Die Revolution, ermuthigt durch die 
fung der griechifchen Frage, untermühlte num Frankreichs Boden, 
wo der gute, aber ſchlecht berathene Monarch unter Polignac ihren 
Umtrieben eher Borkhub leiſtete. Fürſt Metternich, nachdem der 
erſte Zweck der heiligen Allianz: den allgemeinen Frieden zu 
13 * 


196 


erhalten, vereitelt war, fah mun auch ihre weitere Beſtimmung, das 
Geſpenſt der Revolution zu beſchwören, nicht erfüllt. Vergebens 
ſuchte Metternich nach Bundesgenofien, um die Lebendaufgabe zu 
löfen, welche er fich geftellt, aber nirgends begegnete er mehr wie 
früher einer übereinftimmenden Energie, den ummälzenden Brin- 
zipien zu widerftehen. Er befchräntte fi) daher bloß auf Abwehr 
und die Wahl eigener, nicht immer glüdlicher Mittel. Revolution 
iſt nicht Fortſchritt, nicht Freiheit, rief er oft, gerade das Gegen: 
theil, einen allgemeinen Brand entzünden heiße nit Aufflärung 
verbreiten! Er wollte, wie ein franzöfiſcher Schriftfteller: „Le 
contraire de la revolution, mais non la contrer&volution.“ 
Metternich ging aber noch einen Schritt meiter, er fah in den, in 
falfch verftandener Nachahmung der englifdhen Charte eingeführten 
Berfaffungen die mädtigften Alliirten der Revolution. Keinem 
politifchen Xehrgebäude unbedingt ergeben, haßte er nur alles, was 
die Untergrabung monarchiſcher Grundfäße fördern Tonnte, und er 
309 eine reine Nepublif jenem Zwitterzuſtande vor, welcher den 
Thron mit demofratifchen Inftitutionen umgibt. 

Sp mar denn während diejer fünfjährigen Epoche, welche 
Metternich felbft als eine beklagenswerthe, ala eine Uebergangs⸗ 
periode bezeichnete, die Politit Defterreihd in den Kriegs: wie 
Berfaffungsfragen eine mehr beobachtende, mahnende, paſſive, ab: 
wehrende, daher ziemlich ifolirt, um erft in fpäterer Zeit einen 
höheren Aufſchwung zu nehmen. 

An diefe Weltbegebenheiten reihten fi dann andere, unter: 
geordnete Thatfachen, wie fie die Ehronif des Tages eben immer 
bringt. So ftarb, Frank und beinahe vergefien, einer der berühmten 
Treiheitöbelden Griechenlands — Ypſilanti. Einige Damen pflegten 
ihn bis zum Xode, und errichteten feinem Andenken ein Grabmal 
mit folgender Infchrift: „Hier ruht Fürft Alerander Ypfilanti: 
unglüdlih in Wünfchen, erbaben an Willen, groß im Weberftehen, 
getänfcht, verfannt, beweint, F zu Wien 10. Jänner 1828.” 





197 





Wenn ich diefer politifchen Ueberfiht noch einige Worte über 
den inneren Zuſtand der Monardie und ihre Verwaltung in 
jener Zeit beifüge, jo geichieht e3 mehr, um den vielen irrigen 
oder übertriebenen Anfichten, welche über diefen Gegenftand ver: 
breitet wurden, entgegen zu treten. Im Inland felbft waren die ° 
Stimmen darüber felten, ed find deßhalb meift fremde Federn, 
die jene Zuflände, und zwar gewöhnlich in oberflächlicher oder ge: 
häſſiger Weife jchilderten. Nur nad der allmäligen Entwidelung 
eined Staates im Laufe der Zeiten, d. 5. biftorifch, läßt fidh die 
Berfaffung und Lage deffelben richtig beurtheilen. Die dfterreichifche 
Monardie, eigenthümlich zufammengefegt wie fein anderer Staat 
in Europa, bat demnach auch ſich geihichtlih und politifch, wie 
fein anderer, ausgebildet. Gehen wir nur hundert Jahre zurüd, 
fo finden wir nach der mufterhaften Regierung der Maria Therefla 
die ſtürmiſche Neformperiode des Kaiferd Joſeph, dann die Drang: 
fale der Revolution und zwanzigjährige, verheerende Kriege. Die 
erfte Sorge des Kaiferd Yranz war daher darauf gerichtet, Die 
Leiden der Bergangenheit in einer rubigeren Zukunft vergeffen zu 
laſſen. Es gab da jo Manches zu ordnen, fo viele Wunden zu 
heilen, dag man dem augenblidlichen Bebürfniffe billige Rüdficht 
tragen mußte. Niemand wird behaupten, daß Defterreich damals 
als Muſterſtaat gelten Tonnte, aber er entiprach den Zeitverhält⸗ 
niffen. Schwerfällig zwar, doch geregelt und gefichert beivegte ſich 
die Staatsmafchine, und kann man heute nicht genug des Tadels, 
des Spottes und der Verachtung auf jene Negierungsweije werfen, 
fo will ich erſt, ehe ich in diefe Dellamationen einftimme, ab- 
warten, ob und wie die bisher angeftellten Verſuche, die Lage zu 
verbefiern, auch gelingen. Damals war man bemüht, jedem Kron⸗ 
Iande feine Autonomie, feine eigenthümlihen Einrichtungen zu 
bewahren: „Divide et impera,‘‘ hieß es, fei der Wablipruch, mit 
dem man dad Ganze zufammenhalten wolle; jet war das Loſungs⸗ 
wort das: „Viribus unitis‘‘ geworden, welches die Geſammt⸗ 


108 





monarchie wie ein Band umſchlingen follte Unter Kailer Franz 
beftand flott einer allgemeinen, ſich über alle Provinzen erſtrecken⸗ 
den Verfaffung Etwas, dad man, weil das Kind doch einen Namen 
haben mußte, mit dem Werte: „Syſtem“ bezeichnete; feine Gegner 
nannten e3 fcherzweile: den aufgeflärten Despotismus, die glüdliche 
Knechtſchaft. Diefes Syſtem hielt der Kaiſer, felbft der erſte 
Büreaufrat feined Landes, mit firenger Confequenz feſt; er konnte 
aber nicht, ungeachtet feiner raftlofen und gewiſſenhaften Thätigleit, 
immer alles überjehen, und es entging Ihm über dem Bleinlichen 
Detail nicht felten der richtige Veberblid des Ganzen. Es machte 
ſich deßhalb der Beamtenftand mit jedem Jahre breiter und unent- 
behrliher. Man werfe nur einen Blid auf den damaligen Hof: 
und Staatsfchematismus, melde Maſſe von Angeftellten, mit denen 
man füglih den halben Erdkreis hätte verjehen Tönnen! Man 
fpreche nicht vom Einfluffe der Ariftofratie; waren auch die höchſten 
Stellen von ihr befebt, fo hatte der Adel an ſich doch Feine poli⸗ 
tifche Bedeutung in der Monarchie, und Tonnte nur durch Die Ber: 
fönlichkeit feiner Mitglieder, etwa auch auf feinen Herrichaften oder 
bei den Provinzialftänden wirken. Der eigentlide Schwerpunkt 
lag demnach in der Bürenufratie, und fie wußte ihre Macht ges 
börig zu ihrem Vortheile audzubeuten. Und dennoch wüßte ich, 
fo vielen ehreuwerthen und fähigen Männern in jedem Fache ich 
auch begegnete, Teine einzige hervorragende, anerkannte Capacität 
aus jener Epoche zu nennen. 

Jenes „Syſtem“ mın durchdrang alle Zweige ber Adminiftration. 
Die Finanzen hatten ſich feit 1815 mährend des langen Friedens 
und dutch allerlei Erfparniffe gehoben, um bald wieder neuen 
Schwankungen anbeimzufallen. Handel, Zoll, Mauth, Polizei: 
weien waren nicht gut beftellt, Unterricht, Cenſur ließen viel zu 
wünſchen übrig, überall gab es Schäden, die man nicht auszu⸗ 
befiern, Mängel, denen man nicht abzubelfen, Mißbräuche, die 
man nicht zu berühren wagte. Begreiflicher Weife litt die Armee 


199 


am meiften unter diefen Verhältniſſen, und da wurde denn auch 
das Sparſyſtem am rüdfichtälofeften durchgeführt. Blieb fi auch 
der Geift des braven Heeres immer gleich, fo hatte es doch mit 
Uebelftänden und Gehrechen zu kämpfen, welche da3 durch Ueber: 
ſchwemmung bald aufgehobene Uebungdlager (1828 bei Baden) 
nur allzu ſichtbar aufdeckte. 

Dennoch wäre es unbillig, neben diefen offenbaren Miß⸗ 
fländen das viele Gute zu verkennen, welches eine Regierung mit 
fih brachte, die man in mander Beziehung wohl eine väterliche 
nennen Tonnte. So viel die gewiſſe Bevormundung aud Be 
ſchämendes und oft Beratorifches enthalten mochte, fo entfprach fie 
doch dem Geift ber öffentliden Meinung, welche fi durchaus 
nit um Staatdangelegenheiten befümmerte, um defto größer mar 
die individuelle Freiheit, mit welcher man ſich, wie in wenigen 
anderen Staaten, bewegte, und die in Ungarn vollends ihren 
höchften Grad erreichte. Die Polizei war mehr überwachend und 
neugierig, als läftig, und wenn das von ihr erjtrebte Ideal: eine 
allwifſende Vorſehung im Kleinen zu werden, auch viel Gelb 
toftete, fo erbrüdte fie doch nie bei äffentlichen Vergnligungen oder 
durch Einmiſchung in Familienverhältnifſe. — Sehr viel wurde 
auf wiſſenſchaftliche Gegenftände, auf Geſchichtskunde, Statiftik, 
naturhiftgriihe Sammlungen u. dgl. verwendet. Was für das 
Hecht geſchehen, davon zeugen die Gefebbücher, unftreitig von den 
beften, die man kennt; die Pflege der Arzneilunde aber war in 
vortrefflichen Heilanftalten vertreten, und ebenfo für das Armen: 
meſen geforgt. Induſtrielle Unternehnrungen, neue Erfindungen 
wurden unterftüßt, der Verkehr durch Dampfidifftahrt, großartige 
Straßenanlagen u. dgl., die Kunſt beſchutzt. Alles geſchah aber 
ohne Geräufch, beinahe unbemerkt; es fchien, als ob fid, dieß von 
ſelbſt verfiehe, und die Regierung, wie fie für jeden Tadel empfind- 
lich war und ihn fcharf rügte, machte auf der anderen Seite auch 
auf feine befonderen Lobeserhebungen Anfprud. Hieraus entiprang 


200 





eine gewiſſe Gebeimthuerei, welche oft mehr den Machthabern, als 
den Negierten jchadete. Hatte fid, der Kaifer die möglichft lange 
Erhaltung des Beftehenden zum Hauptzwecke feined Wirkens ge- 
macht, fo fand er fich in feinem Widerftand gegen alle Neuerungen 
um fo mehr beftärkt, ala er rings um fich ber Reiche fallen, 
Dynaſtieen wechſeln und allenthalben pelitiiche Verwirrung ent: 
ſtehen jah. Er mißbilligte das Streben nad) einem nie zu ver: 
wirklichenden Ideale volltommener Einrichtungen und mollte ſich 
den tyranniihen Anforderungen einer modernen Staatöweisheit 
nicht fügen. Doch der Gährungsprozeß, welcher ganz Europa in 
feinen Grundtiefen erfchütterte, durchdrang aud die Einzelntheile 
der Monarchie. Man ſuchte diefen UWebeln entweder entichieden 
mit bewaffneter Hand zu begegnen, wie in Italien, oder kündigte 
ihnen einen ftilen Krieg an. Beide Auskunftsmittel trugen aber 
Vediglih nur die Natur von Palliafiven, und hierin lag bie 
eigentlihe Schwäche ded Syflems. 

Was nun die damalige Lage der Kronländer betrifft, fo 
war fie eine fehr verjchiedene, in einigen wenig erfreulih. Während 
die deutfhen Erblande im Ganzen rubig und zufrieden nur 
unter Steuer- und anderen Laften litten, welche nicht immer im 
Verhältniß zu den Erwerböquellen ftanden, hatten ſich in Stalien 
die Nachllänge des Jahres 1821 noch nicht verloren und war 
auch in Galizien ſtets Zündftoff genug vorhanden. Am beun- 
rubigendften geftalteten ſich aber die Zuftände in Ungarn und den 
angrenzenden öftlihen Ländern, auf die fichtbar jede Bervegung in 
der Türkei einwirkte. Es gab fi während des Landtag — 
1825 bi8 1827 — zu Preßburg ein fteigender Geiſt der Oppo⸗ 
fition, ein Unabhängigfeitäfinn fund, der von einigen allzu üppigen, 
ehrgeizigen oder von Demagogen mißbraudhten Magnaten ausging.*) 
Als mir daher bei einigen lärmenden Sibungen berausforbernde 


*) Erinnerungsblätter S. 23 bis 38. 


- 


201 





Reden, ein gereizter Ton auffielen, mar ich auch Zeuge des Schluffes 
des Landtags durch den Kaifer ſelbſt — Auguſt 1827 — bei 
dem laut und unverhohlen die Beichwerden und Wünſche zur Ab⸗ 
hülfe audgefprochen wurden. &3 mar dieß die Teimende Saat, 
aus der die Früchte hervorgehen follten, welche wir jebt genießen. 
Doc blieb es noch bei Meinlichen, oft Tächerlihen Demonftrationen, 
in denen die Ungarn Meifter find, und währen? Einige tobten, 
nationale Sprache, Trachten, Gebräuche und veraltete Geſetze wieder 
hervorſuchten, hatten wenigftend die Anhänger der Regierung und 
die Kronbeamten Muth und Kopf noch nicht verloren. Böhmen 
und Mähren waren augenfcheinlich begünftigte Länder. Es ver- 
band fi da eine fi immer mehr ausdehnende, vielgeftaltete 
Induſtrie mit dem reihen Segen ded Bodens. Die Mehrzahl 
der Beamten war jenen Provinzen entnommen. | 





Was fol ih uun von dem Geiſte und ben Sitten des 
Bolles, dem öffentlichen Leben und Treiben in Wien während ber 
Sabre fagen, welche der Julirevolution unmittelbar vorangingen ? 
Als Hervortretende Merkmale können Genußſucht und Gedanken⸗ 
loſigkeit bezeichnet werden. Es war das Wien, welches ſich allen 
nur denkbaren Freuden hingab, das Wien, das ein neues Stück 
im Burgtheater, ein von Duport in Scene geſetztes Ballet, eine 
Poffe von Raimund, irgend ein „Speltakel“ in fieberhafte Be⸗ 
wegung ſetzen Tonnte, das Wien, das im Winter einem großen 
Tanzſaale glich, felb in Eispaläften, in deren Wänden ſich 
Taufende von Kerzen abfpiegelten, wie toll vafte, das in der 
Ihönen Jahreszeit mit Tindifcher Neugierde zu den Wettrennen, 
Feuerwerken und Ausftellungen lief, mit einem Worte, das Wien 
der wahren Braterzeit! — Man überließ die Schlichtung der 
Welthändel der Staatskanzlei, befümmerte fih menig um Politif 
und die Leute, die „da Hinten in der Türkei” fich fchlugen; auch 


202 





die Zeitungen, in ihrer trodenen Einförmigkeit, regten nicht an. 
Dean bielt fih an das Zunächſtliegende, und da waren es denn 
die Stadtmeuigfeiten, welde vom Frühmarkte aus — gleihfam 
ihre Börfe — fi in alle Häufer verbreiteten. So fprad man 
Wochen lang von dem Adelömarjchalle Jaroczincki, der feinen 
früheren Lehrer, den alten Prieiter Plant, in deſſen Wohnung 
ermordet und beraubt hatte, und das ungewohnte Schaufpiel, einen 
Edelmann hängen zu jehen, zog halb Wien nad der „Spienerin 
am Kreuze". Der Pole felbit aber glaubte noch bi? zum lebten 
Augenblid, an Rußland ausgeliefert zu werden. 

Kunſt und Literatur flößten nur in geringem Grabe 
Theilnahme ein; Bücher wurden nicht übermäßig viel gelefen, bie 
Leibbibliothefen nicht überlaufen und die Gemäldegallerieen maren 
meiftens leer. Man fanb überhaupt jede Störung dieſes traum: 
ähnlichen Lebens unbequem, und fprühten auch hier und da Geiftes- 
funten auf, fo murden fie wenig beachtet und verpufften bald in 
der dumpfen, nur für ſinnliche Eindrücke empfänglichen Atmofpbäre. 
Die Belletriftit jelbft war nur fpärlih vertreten: Hammer gab 
manchmal aus der Fundgrube feiner orientalifchen Schätze „Gaſelen“ 
zum Beſten; 2. Pyrker fang feine epifchen Lieder, Fr. Schlegel's 
Mufe aber war veritummt. Grillparzer hatte jeine Glanzperiode 
Ion hinter fi, dagegen erfreute Zedliz mit den Todtenfränzen, 
der nächtlichen Geerichau, feinen Dramen und Gedichten. Einige 
angehende Talente ſchloſſen fich diefem lebensfriſchen Dichter an. 
Caſtelli, ©. Seid! u. A. pflegten mit Glück die Volkspoeſie; 
reizende Verſe in öfterreihiiher Mundart entfloffen ihrer Feder. 
Auch der Humor blieb nicht aus und die Wiener Wibe, deren 
Berfafler meift unbekannt blieben, gingen von Mund zu Mund; 
ih verfäumte fie nieberzufchreiben, bereue es jedoch nicht, Denn 
ſolche Geiftesblige zünden nur im Augenblide, verlieren aber, 
gefammelt, ihre eigentlihe Wirkung. Zahllos war das Heer der 
Ueberſetzer, beſonders fremder Schaufpiele. Unter ihnen nahm 


208 


Rurländer eine eigene Stellung ein; er wollte gern als Schrift: 
fteller gelten, verarbeitete aber nur franzöfifche Luftipiele für's Burg⸗ 
theater in fehr mittelmäßiger Weile. Beliebter waren feine mufl- 
Talifch-deflamatorifchen Abendunterbaltungen, zu welchen man fi 
drängte. — Nichts war damals häufiger, als die Mlagen über 
die „Cenſur“; wäre ihre Scheere nidht, hieß ed, oder die Furcht 
davor, welche Meiſterſtücke bekämen wir da nicht zu lefen! Aber 
fiehe da! jener Drud verſchwand und die erwarteten Reſultate 
blieben and. Es wurde viel Schlechtes, mancher Unfinn unter 
dem Schube der Preffreibeit zu Tage gefördert, aber das Beſte 
in der ſchoönen Literatur Oeſterreichs erfchlen gerade mährend des 
Cenſurzwanges. Mit der geifligen wurde auch eine religiöſe 
Richtung vermißt. Die Menge war nicht gottlos, gab fih nicht 
frevelhaften Läfterungen Hin, aber es Tag nichts Ermärmendes, 
Tröftliches in diefen Andahtsübungen, man ging aus Gewohnheit 
in die Kirche, wo nur felten ein begeifterter Kanzelredner die 
Gemüther anregte, und der Charakter der Gleichgültigkeit, welcher 
überall da bervortrat, mo es nicht auf ſtets mechfelnde Befriedigung 
flüchtiger Genüffe ankam, beherrſchte aud das religidfe Gebiet. 
Die bildenden Künfte waren weder glänzend beitellt, noch 
forgfam gepflegt. Die Porträtmalerei ftand oben an, und bier 
war der geniale Daffinger der Mann des Tages und der Mode, 
ihm zunächft Ammerling. Während Waldmüller, Ender, Fendi 
u. U. niedliche Genrebilder und Landichaften malten, waren größere 
biftorifche Gemälde eine feltene Erſcheinung. Auf den jährlichen 
Ausftelungen der Werke Iebender Künftler in der Akademie machte 
fih gemöhnli eine profaifche Mittelmäßigkeit breit, Man ver: 
mißte da zumeift die höhere Auffuffung wie eine vollendete Technik, 
Die Bildhauer: und Baukunft hatte Feine Gelegenheit, fich 
geltend zu machen; ed wurden während dieſer Periode feine Monu⸗ 
mente, Feine großartigen Werke der Architektur errichtet, und fo 
blieb denn auch Wien, beſonders dem damals fo hoch auffirebenden . 


204 


Münden gegenüber, in diefen Zweigen der Kunft zurüd. — Mit 
um fo größerer Liebe wurde die Tonkunſt, und zwar in jeder 
Form geübt. Die Kirche wie der Eoncertfaal, die Oper wie der 
Salon ertönten von bald ernften und begeifternden, bald wieder 
von heiteren Weifen. Die beiden Mufifheroen Wiend — Beet: 
boven und Schubert — jeder groß in feiner Gattung, waren 
gerade aus dem Leben geſchieden; fie wurden nicht erfekt, Doch 
pflanzte fich ihr Geift zugleich mit dem des unfterblien Mozart 
fort, und der thätig umfichtige Muſikverein pflegte und begte diefe 
glüdlichen Anlagen. Kamen die öffentlichen Produktionen dieſer 
Geſellſchaft an Schwung und Präcfion dem Pariſer Conſervatoire 
auch nicht gleich, fo waren ihre Aufführungen immerhin verdienſtlich, 
nicht felten im hohen Grade gelungen. Zahllos waren immer 
und viel beſucht die Concerte durchreifender Künftler, doch Feiner 
brachte die ungeheuere Senfation hervor, wie 1828 Baganint 
mit feiner Zaubergeige.”) 

Wollte man das damalige Volkstreiben in feinen Schat: 
tirungen beobachten und Tennen lernen, fo war diefe Umſchau nad) 
den verfchiedenen Jahreszeiten einzutbeilen.. Der 

Frühling, 
mie allenthalben die Zeit der erivachenden freude an der Natur, 
ein Faſching im Freien, iſt in Wien nicht felten durch Talte 
Winde und unfreundlihe Tage getrübt. Der meift ſehr lange 
Winter maht auch Hier noch feine Rechte geltend. Oſtern ift 
das Feſt, welches diefe Orenzlinie bildet. Ihm gehen die ernften 
Tage der Charwoche voran, wo fi eine mehr fchauluftige, als 
andächtige Schaar zum Befuche der heiligen Gräber, zur Aufer⸗ 
ftehungsfeier drängt. Dann folgen fi raſch die Kirchenfefte mit 
weniger Pomp ald im Süden, dod, ihrer erhabenen Bedeutung 
nach mürdig gehalten. Um diefe Zeit bemerft man in der Nähe 


*) Erinnerungsblätter S. 110 u. f. 





205 


der St. Stephanskirche ein ungemöhnliche® Treiben. Zahlreiche 
Fuhrwerke bededen den Platz und die Straßen, Knaben und 
Mädchen, feitlich gepußt, werden in langen Reiben in der ehr: 
würdigen Metropole aufgeftellt. Es durchfchreitet fie der Erz⸗ 
bifchof, welcher in jedem Jahre in der Pfingſtwoche an 15,000 big 
20,000 Kinder das Sacrament der heiligen Firmung ertheilt. 
Dei diefem Anlaffe ftellte ih mir immer auf's Neue die Frage, 
ob diefe feierliche Handlung nicht auf eine andere, würdigere Weife 
begangen werden Tönne, ald hier gefchieht. Schon das zarte Alter, 
in dem man in der Regel gefirmt wird, läßt befürchten, daß 
eine fo wichtige, im Glauben ftärfende Feier in gedankenloſem 
Leichtfinn begangen werde. Der bier ausgeftreute Same dürfte, 
wie im Evangelium, nicht immer auf fruchtbare Erdreich fallen. - 
Die Eitelleit, der Unverftand der Eltern trägt hieran wohl mehr 
Schul, ald daB Benehmen der unzurehnungsfähigen Kinder. Es 
wird der großen Trage der Toilette mehr Aufmerffamkeit zuge 
wendet, ald dem beiligen Alte. Die Mädchen zumal werden mit 
Bändern, Schleiern, Blumen, Spiben u. dgl. wie zu einem Balle 
geſchmückt, und ärmere Kinder ſehen beſchämt oder neidiſch auf 
dieſe kleinen Modepuppen. Nicht ſelten wird man daher auf 
der Straße von ganz unbekannten Kindern mit der Bitte ange 
ſprochen, fie zur Firmung zu führen; fie hoffen dadurch ein Ge⸗ 
ſchenk zu erhalten. ft nun unter fortwährenden Zerftreuungen 
die erbabene Handlung zu Ende, fo beginnen die herfömmlichen 
Treuden, mit denen ſich die jugendliche Phantafie ſchon Wochen 
lang voraus beichäftigte, ja es fcheint, als ob die Befriedigung 
der Schau: und Eßluſt die Hauptfache fei, die Firmung aber nur 
nebenbei, wie zufällig, abgethan werde. Alle die Kinderwelt 
anziehenden Beluftigungsorte find überfüllt; man fpielt, tanzt, 
ſcherzt, die Methhütte im Prater wird förmlich belagert, ganze 
Berge von Badhändeln, Eimer von Kaffee und Bier verzehrt. 
Gewöhnlich werden die Kinder dann auch noch in die Vorftadt- 


30 _ 


oder Sommerthenter geführt. Welche Einbrüde die Jugend, deren 
Stirne erjt noch wit dem heiligen Oele gefalbt wurde, von dem 
Genuſſe diefer frivolen Vergnügen mitnimmt, bedarf keiner weiteren 
Ausführung Nici als ob man in märrifcher Yaune der froben 
Jugend vom Lande diefe Unterhaltung nicht gönne; weßhalb aber 
gerade diefe Zeit dazu wählen? Wohl müffen die ſehr wünſchens⸗ 
werthen Veränderungen bei diefen Uebelſtänden auf große Hinder⸗ 
riffe ftoßen, weil fonft die erleuchteten Kirchenfürften der Wiener 
Erzdiöcefe gewiß Abhülfe getroffen hätten. 

Den Schluß der Kirchenfeite im Frühjahre macht die feier: 
lihe Frohnleichnamsprozeſfion, weldhe immer bei der ganzen 
Bevölkerung die lebhafteſte Theilnahme erregt. 

Mit dem 1. Mai begannen fodann die weltlichen Freuden. 
Eine gepußte Menge verfammelte fih zum Frühftüd im Augarten 
und belebte deffen fonft fo verödeten Alleen. Dann fah man dem 
Wettrennen der herrſchaftlichen Läufer zu, ein widerwärtiges Schau⸗ 
fpiel, das glüdlicherweife mit den Läufern ſelbſt abgefchafft wurde. 
Keuchend gelangten diefe armen Leute und todtenblaß an’ Ziel, 
um dann fi mit dem mühſam zufammen gebrachten Gelbe in 
Wein zu beraufhen. Nachmittag war eine jener großen Prater: 
fahrten, we eine unabfehbare doppelte Reihe von Wagen fi vom 
Graben in der Stadt bis zum Ende der großen Allee hinzog. 
Langſam nur erreichte man das Ziel, um den Kreislauf auf 
Neue zu beginnen. Kein Wagen, felbft nicht der ſechsſpännige des 
Kaiſers, durchbrach die Reihe. Während in der Reiterallee bie 
elegante Welt ihre englifchen Pferde tummelte, wogte eine unzähl- 
bare Menichenmenge durch die Jägerzeil des grünen Inſel zu. 
Jeder Stand fimd hier die Freuden feiner Wahl; die Einen führten 
ihre neuen Wagen vor, die Damen trugen ihre Toiletten zur 
Schau, Andere gafften oder Fritifirten, wieder Andere erfreuten fich 
an der Mufil, an den Schaubuden, oder Iabten fi in den Kaffee 
bäujern des Wurftelpraterd. Die überall gefchäftige, aber nirgends 


207 





Rörende Bolizei Melt Ruhe und Ordnung. Alles athmete Luft, 
Alles begrüßte ſich Lächelnd, und während die fire Welt fi auf 
isre Art vergnügte, tönte das frohe Getümmel, dad vermworrene 
Setöfe von Gejang, Jubel und der betäubenden Muſik der Ring- 
fpiele berüber. Und über al dieſem bunten Treiben wölbte fich 
ein grünes Dad) voll duftender Kaſtanienblüthen, dehnte fi, zu 
beiden Seiten ein Teppich üppiger Wiefen aus, auf dem friedlich 
das ſchöne Damwild weidete, während die untergehende Sonne 
die nahe Stadt und ihre Kuppeln vergoldete. Zögernd kehrte man, 
wenngleid müde, doch voll der freundlichfien Eindrüde zurüd, 


Später kamen die Pferdemwettrennen an die Reihe, eine 
englifche, bier auf fremden Boden verpflanzte Sitte, oder vielmehr 
Unfitte, welche nie recht gedeihen wollte; die Menge fand nicht 
Geſchmack an einem Vergnügen, dad zu einer wahren Dual für 
Menihen, wie für die armen Thiere wurde, und überließ die 
Sade denn theilnahmlod dem frivolen Modetreiben umd einer 
ſchnöden Gewinnluſt. Dazwifchen wußte man die Genüſſe in ber 
freien Natur mit den fädtifchen Vergnügen zu vereinigen, denen 
man noch nicht ganz entfagt hatte; von Lamdpartieen, Pikniks 
und MWefferfahrten kehrte man zur ttalienifhen Oper zurüd; im⸗ 
provifirte Bälle im Freien wechfelten mit Routs u. |. w. Bon 
dem glänzenden Flore der Blumen und Pflanzen begab man fich 
zu der nüßlicheren, aber weniger duftenden Viehausſtellung; nad 
den Gemälden beſah man fich die Erzeugniffe der Induſtrie. Doc 
bad nahm die Stadt eine andere Phyfionomie an, als im 


Sommer 


Hitze und Staub die vornehmen und reicheren Leute vertrieben. 
Sie bezogen ihre Herrichaften und Villen, oder reiften in die Bäder. 
Do blieb damals, mehr als jebt, der Beamten: und Mittelitand 
in der Stadt zurüd, ſich mit beſcheideneren Sommerfreuden 
begnüügend, und bier mar es denn wieder der ‘Prater, der fortwährend 


208 





feine Anziehungskraft übte, während die unteren Klaſſen dem be 
liebten Lerchenfeld®treu blieben. Dazu kamen zahlloſe Kirchweihen 
und andere Vollöfefte, unter ‘denen dad in der Brigittenau den 
erften Rang einnahm. Gegen bunberttaufend Menfchen bewegten 
fih da während drei Tagen und Nächten unter freiem Himmel. 
Da diefe großartigen Volldorgien nun aufgehört haben, jo will 
ih auch durch eine nähere Beſchreibung fie nicht wieder aufleben 
lafin. So wenig aus manden Gründen ihr Verfchtwinden zu 
bedauern ift, fo ging doch mit jenem „Kirchtag” ein charakteriftifches 
Stüd des „alten” Wien verloren. 

Unter den Umgebungen wurden immer jene reizenden 
Thäler befucht, welche fi im Wiener Wald bis zum Schneeberge 
binziehen, vor allen: Dornbach, die Brühl, Baden, Outenftein. 
Auch Larenburg war feines berrlihen Parkes wegen ein Lieblings- 
ausflug in einer Zeit, wo man die fchöne Natur noch nicht in 
meiter Ferne aufſuchte. Baden aber war Wien auf ein leineres 
Terrain verpflanzt, Wien mit feinen Zoiletten, Equipagen, feinem 
Geklatſche, ftatt des Praterd das Helenenthal. Eigentliche Fremde 
fanden fih da nur felten, die Unterhaltungen waren mäßig, und 
das gemeinfchaftliche Baden in dem beißen Schwefelpfuhl eben 
nit einladend. Den eigentlichen Glanzpunft der Saiſon bildeten 
die wenigen Wochen, welche der Kaifer Franz jährlich dort ver: 
lebte. Auch der Aufenthalt feiner beiden Brüder, des Erzherzogs 
Karl in der romantifch gelegenen Weilburg, des Erzberzogs Anton 
in feinem Blumengarten, dann einige gaftfreie Häufer brachten 
mehr Leben in die etwas einförmige Badeexiſtenz. So zog fid) 
der Sommer mit feinem brennenden Pflafter, dem ausgetrodneten 
Glacis und der Atmofphäre von Staub und Dunft dahin, um im 


Herbſte 
der Weinlefe und dem „Heurigen“ zu weichen. Dieſe Jahreszeit 
wird gewöhnlich durch die Wallfahrt nah Maria-Brunn eingeleitet, 


209 


dann folgen die größeren Felbübungen der Garnifon mit dem 
Geſchutzesdonner und den Kirchenparaden, endlich die Feuerwerke 
Stuwer's und der Artillerie u. f. w. 

Damals war der Fiaker nod) in voller Blüthe. Diefe derbe, 
oft unverfchimte, aber nicht felten gutmüthige und originelle Kaffe 
von Menfchen beherrichte den Plab innerhalb den Linien; nur vor 
diefen waren die befcheidenen „Zeiſelwagen“ aufgeitellt. Doch 
plöglich entitanden in der Stadt die unförmlihen Stellmagen, die 
Vorfahren der Omnibus, und machten ſich immer breiter, endlich 
ſuchten ſelbſt die nicht fehr zierlichen Droſchlen, Cabriolet3, Eon: 
fortable3, und andere wie immer genannte Einfpänner, fpäter die 
eleganten, fchnell dahinfegelnden Fiaker zu verdrängen. Kein Fiaker 
irgend einer Stadt aber fommt dem Wiener gleih. Sie find von 
einer ebenfo erprobten Ehrlichkeit, als kühne und zugleich fichere 
Pferdelenker. Mit dem 

Winter 
machten die fünf vernadhläffigten Theater wieder ihre Anfprüche 
geltend. Das Meine Burgtheater faßte kaum die heranziehende 
Zahl feiner Verehrer; Oper und Ballet hatten mieder ihre beſon⸗ 
deren Freunde, und die drei Vorftadtbühnen konnten felten den 
ungeftümen Anforderungen nad Nenigkeiten genügen. Ich babe 
von jeher den Leitungen des Burgtbeaters die größte Theilnahme 
zugewendet, und von Zeit zu Zeit, in einem Zwiſchenraume von 
je 10 Jahren — 1826, 36, 46, 56 — die Schaufpieler, wie 
das Repertoire einer eingehenden Beſprechung unterworfen. Ich 
gebe ihm aber deßhalb vor allen anderen deutichen Bühnen den 
Borzug, weil fi) da ein gewiſſer Geift gebildet und fortgepflanzt, 
die größte Sorgfalt auf alle Einzelnheiten verwendet, jede dem 
Schau: oder Luftfpiele fremde Gattung ferne gehalten, der Künſtler 
aber nur immer in feinem eigenen Fache befchäftigt wird. Die 
Epoche von der ich gerade fpredhe, war feine günftige, die guten 
früheren Schaufpieler waren noch nicht durch jüngere Kräfte 
Ich, v. Andlaw. Wein Tatcbuch. I. 14 





210 


erſetzt; wohl traten der alte Koch, Krüger u.a. noch auf, doch nur 
Korn, Anſchütz und die Schröder genügten; dabei waren auch dem 
Repertoire gar zu enge Grenzen gezogen. Die Oper war nicht 
auf gleicher Höhe, und Duport, der Pächter des Kärnthnerthor⸗ 
theater3, hatte früher mit feinen Füßen mehr geleiftet, ald mit dem 
dramatifchen Kommandoftabe. Man fand, daß feine eigene Kaſſe 
fi) in dem Grade fülle, als die Vorftellungen dürftig ausgeftattet 
waren. Doch war es die Blüthezeit der Tanzkunſt: den unver: 
meidlihen Namen der Veſtris und Taglioni gefellten fich jene der 
Dupuis, DBrugnoli u. a. bei, ja felbft die Schweftern Elsler, 
noch nicht fo mweltberühmt, wie fpäter Fanny, entzüdten die Wiener. 

Bei der Oper kehrte denn jährlich der Streit über die Frage 
wieder, welcher Oper, der deutfchen oder italienifhen der Vor⸗ 
rang gebühre? Da dieß Gefchmadfache, wäre es wohl thöricht, ſich 
darüber zu ereifern. Wahr ift, daß die italieniiche entichiedene 
Vorzüge hatte, und ihre, mehr die Sinne als das Gemüth ergrei- 
fenden Töne immer entbufiaftifche Bemunderer fanden. Dabei waren 
Lablache und die Paſta Sterne erfier Größe. Jener gewaltige 
Baffift, gleid, begeifternd als Mine und Sänger, gleich unerreicht 
im tragifchen, mie im beiteren Genre, dann die Pafta, mit dem 
wie eine antike Gemme gefchnittenen Profile; wer wird fie fo 
leicht vergeffen? Endlich David, Donzelli, Rubini, welche Tenore! 
Roſſini beherrichte als entfchiedener Liebling die Bühne, und nur 
ſchüchtern trat der weichere Bellini mit feiner erften Oper auf. 
Der deutfchen Oper ftanden feine fo glänzenden Kräfte zu Gebote, 
und überdieß quälten fich die einheimiſchen Sänger mit den Werfen 
franzöfifcher und italienifcher Komponiften ab; in den erfteren ver: 
mißte man das feine Spiel, bei den Iebten Tonnten fie eine Der: 
gleihung mit den welſchen Kehlen nicht aushalten. Dadurch be 
raubten fie fich felbft eines Theils des Beifall, und erft fpäter kehrte 
man wieder von Auber, Donizetti, Herold u.a. zu Mozart, Weber 
und der vaterländifchen Gattung zurüd. 


211 


Das Theater an der Wien mar, nach mancherlei Schiefalen, 
von dem damals gerade aus Münden überfiedelten Direktor Karl 
gepachtet werden. Es gelang ihm Anfangs nit, durchzudringen; 
erft nad Jahren gewann er jene komiſchen Elemente, welche die 
abgeihmadten Melodrame, wie feine fchon veralteten Staberlieben 
erfeßten. Die Iofephftädter Bühne, fletd ein Stieffind der Wiener, 
konnte ihr Dafein nur durch wirklich allerliebfte Bantomimen 
friften. Die größte Anziehungskraft übte aber das Kasperltheater,“ 
und Jeder trug gerne feinen „Scheingulden” zu den dunklen 
Räumen, um fich einen beiteren Abend zu verichaffen. Jeden Tag 
fpielte entweder J. Schufter oder Raimnnd, doch nie beide zu: 
ſammen. Sie wurden von ber kecken, aber unvergleichlihen Krones, 
der ſchoͤren Jäger, von Korntheuer u. a. trefflih unterftügt, und 
Raimund's unnachahmliche Zauberpoſſen brachten immer wieber 
nened Leben in dieſe Volksbichne, welche in ihrer Originalität, wie 
in ihrer Anſpruchloſigkeit, fpäter nie mehr ihres Gleichen fand. — 
Der Advent, die Faſten waren die eigentliche Zeit der Concerte, 
weiche fich in einem beinahe ermüdenden Kreislaufe ſtets wieder: 
holten. 

Se näher die Weihnachtstage heranrückten, um fo lebhafter 
wurde es auf den Straßen, deſto beſuchter wurden die Boutiken, 
und nicht nur auf bie Kinderwelt beichränften fich die Beſcherungen, 
auch Erwachſene beſchenkten fi gegenſeitig. Doc drang diefe 
norddeutſche Sitte nur bei den höheren Ständen dur, dad Volt, 
die Bärgermwelt Hängt noch immer an ihrem heiligen Nikolaus und 
dem Knechte Nuprecht, der natürtich micht fehlen darf. Gegen den 
Reujahrstag nimmt das Gedränge, das Fahren zu; die Kauf: 
(äden find wie belagert, die Hänſer werden von Glückwünſchenden 
beinahe erftüärmt. Dem Unfuge diefer, mit den Täftigen Trink—⸗ 
geldern verbundenen Reujahrögratulationen Tonnte felbft durch die 
4. g. Entbebungsfarten nicht abgehokfen werben. Geftalten, welche 
man fonft nie fieht, gratuliren mit leeren Händen, in der Abſicht 

14* 





212 


fie zu füllen, und ganze Schaaren von Bedienten Flopfen an die 
Türen, um fih für die Einladungen ihrer Herrſchaften bezahlt 
zu machen — ein völlig weggeworfenes Geld — und fo folgt 
auf die Weihnachtsfreuden ein Heer von Neujahrsleiden, welche 
daffelbe nicht felten mit übler Laune antreten laſſen. 

Im Faſching herrſcht Terpfihore unumſchränkt; man bat 
nur Sinn für den Tanz, und felbit Maskenzüge oder andere 
öffentlihe Späſſe find nicht Häufig. Die Bälle felbft aber find 
unter einander beinahe fo verfchieden, ala die Säle, in welchen fie 
abgehalten werden. Unter diefen mar ehemals der Apollojaal 
der beliebtefte; doch ſah ich nur noch geringe Spuren feines früheren 
Glanzes. Dur eine Meine Thüre und ſchmale Treppe gelangte 
man zu einer Art Terraffe, von der man erit den Saal überfchauen 
konnte. Der Anblick war überrafhend, denn auf dem, fi im 
Dunft und Lichtermeere in unabfehbarer Länge verlierenden Tanz 
boden trieb fi eine bunte, vermorrene Maſſe in toller, mwirbelnder 
Bewegung umher. Im zahllofen Nebenzimmern wurde gezecht, 
gejubelt, gefungen, geraucht und eine betäubende Muſik übertönte 
vergeben? das geräufchvolle Treiben. Doc verſchwunden waren 
die kühlenden Wafferfälle, die geheimnigvollen Grotten, die magifch 
beleuchteten Haine und all die gepriefenen Wunder einer früheren 
Zeit. Die Tänze jelbft boten wenig Abwechfelung, beinahe immer 
der unvermeidlihe Walzer; doch tanzte der ehrbare Bürger noch 
hie und da mit feiner Ehehälfte ziemlich gravitätifch den „Monfrin“, 
gleichfam das letzte Weberbleibjel des Menuets, das ſich fonderbar 
genug gerade bei'm Volle am längſten erhalten. Die Erinnerung 
an alle diefe Herrlichkeiten lebt jebt, da ſich der Saal in eine 
Fabrik verwandelt, nur noch in den „Apolloferzen“ fort. 

Die Mastenbälle in Wien zeichnen fid) von anderen ihrer 
Art nur dadurch aus, daß man da nicht tanzt und fo wenig 
Masten und Koftüme als möglich erfcheinen. Einige vermummte 
Geftalten verfchwinden beinahe in der Waffe der nicht Belarvten, 


213 


und das Ylüftern der nur felten geiftreih intriguivenden Masten 
wird bei der raufchenden Muſik oft kaum gehört. 

Zieht fomit jede Jahreszeit mit ihren befonderen Erſcheinungen 
an ung vorüber, fo find cd auch immer wieder einzeln vorüber: 
gehende Dinge, welche die fchauluftige Menge feffen. Da find 
denn die Ordensfeſte, mie jened de3 goldenen Vließes, wo der 
Kaiſer als Grogmeifter die neuen Mitglieder aufnimmt, weldye in 
der Tracht Philipps des Guten erfcheinen, oder ed werden in der 
Deutihordensfirche, im Johanneshof Edelleute zu Rittern diefer 
beiden geiftlichen Orden geichlagen. Dann ift es wieder die feier: 
liche Auffahrt eines Botfchafterd bei Hofe, oder das militärilche 
Gepränge eines Leichenzuged u. dgl. m. Aber aud ein neuer 
Circus, BVorftellungen aus dem Zauberreihe und ähnliche An- 
fündigungen, felbft das Eintreffen der erſten Giraffen konnte nicht 
minder lebhafte Theilnabme erweden. 

Es tritt ung fomit im Ganzen aus diefem Bilde immerhin 
eine Art Meinftädtifchen Lebens entgegen, dem man fidy nie völlig 
entziehen Tonnte. Dazu trug wohl am meiften der engbegrenzte 
Raum der inneren Stadt felbit bei, während jede der ausgedehnten 
Borftädte wieder ſelbſt für fi eine eigene Stadt bildete. “Die 
neuefte Erweiterung wird wohl hierin auch gar Manches ändern. 


Mährend dieſes vierjährigen Aufenthaltes machte ich einige 
größere Reifen, beſuchte die grüne Steyermarf mit ihrer reizend 
gelegenen Hanptftadt, welche die Franzoſen „La ville des Graces 
aux bords de l’amour“ nannten, ſah dad inmitten der üppigiten 
Alpenwelt ſich erhebende Salzburg und kehrte über das damals 
noch wenig befannte Iſchl zurüd. Bei der erhabenen Natur, 
welche und da rings umgibt, war man dem eigentlichen Gebirgs- 
leben treu geblieben; Gafthöfe, Wagen, Spaziergänge, felbft die Preife 
noch ſehr primitiv; nur ein Lurusartifel ließ die hereinbredyende 





214 





Civiliſation ahnen: das eben erbaute Heine Theater, zu dem man 
ih jedoh in Ermangelung von Sitzen feinen Stuhl felbft mit: 
bringen mußte, 

Im September 1828 wohnte ih in Mannheim der Ber: 
mählung meine Bruders bei und brachte einige glüdliche Wochen 
meined Urlaubs im väterlichen Haufe zu. In Freiburg fand 
ih den erften Erzbiihof, — Bernhard Boll — welcher meiner 
Schwägerin und mir die heilige Firmung ertheilte. Wir hatten 
e8 nicht zu bereuen, diefen erhabenen Akt unferer Religion jebt 
erit begangen zu baben, da wir den Ernft und die tiefe Bedeutung 
beffelben beſſer erfaffen Tonnten, als dieß gemöhnlich in jugend: 
lſichem Alter gefchieht. 

In Karläruhe mohnte ich der feierlihen Grundfteinlegung 
des Karl: Friedrich: Monument? durch Großherzog Ludwig bei, 
den ich bei diefem Anlaffe zum lebten Male ſah. Auch ahnte ich 
nicht, mie fehr ich mich einft bei der Ausführung des Denkmals 
betheiligen würde, das erſt 16 Jahre nachher vollendet werden follte. 

Im Sommer 1829 endlih war ich in den vier böhmifchen 
Bädern, von melden jedes, fo eigenthümlich in feiner Art, Stoff 
genug zu Beobachtungen bietet. Ueberall traf ich zahlreihe Be⸗ 
fannte, in Franzensbad die angenehmfte Gefellfehaft; ich wurde 
da von dem Großherzog von Sachſen⸗-Weimar in der freundlich: 
gnädigen Weife behandelt, die nur ihm eigen war, und in Karls: 
bad auch der audgezeichneten Großherzogin Marie vorgeftellt. In 
Töplitz war es das gaftlihe Schloß der Yamilte Elary, welches 
täglich die Geſellſchaft vereinigte, oder zu Spazierfahrten in der 
reizenden Umgebung einlud. In Marienbad erregte unter den 
vielen Fremden die Wittwe und Tochter Iturbide's das meiſte 
Aufſehen. Nur ein großer Wildpark trennt diefen Kurort von 
dem Metternich'ſchen Schloffe KHnigswart. Im einer ziemlich 
rauben, felfigen Waldgegend in jener Ede gelegen, in welcher Die 
Grenzen von Böhmen, Bayern und Sachſen zufammenftoßen, war 





215 


diefe Herrſchaft ziemlich vernachläffigt. Der Fürſt, zum zweiten 
Mal Wittwer, war gerade anmefend, ſah aber nur wenige Gäfte. 
Er hatte für das Schloß die in ihrer Art einzige Sammlung de 
vormaligen Scharfrichterd Huf von Eger angelauft, und der Mann 
ſelbſt, der als Hüter angeftellt war, wie fein Name erregten beinabe 
ebenfo viel Intereſſe, ala die Alterthümer und Naritäten, welche 
er vorzeigte. Auf dem Rückwege lag Prag mit feinen hundert 
Thärmen in dem Sonnenglanze eines Morgend vor mir, und als 
ih e8 in der Nacht wieder verließ, ſchwamm die Stadt, von der 
Höhe gefehen, in dem Schimmer einer Beleuchtung, welche dem 
abreifenden Kommandirenden, Grafen Gyulai, zu Ehren veran- 
ftaftet wurde. 

Das Jahr 1830 begann ruhig, und Fein Anzeichen fchien 
die Stürme zu verkünden, welche die Zukunft in ihrem Schooße 
verbarg. Auh mich perfönlih follten feine Schickſalsſchläge 
empfindlich treffen. Der Winter war durch eine ganz unges 
wöhnliche, ftrenge Kälte auögezeichnet. Von Mitte November bis 
im März flieg der Thermometer nie über den .Gefrierpunft, und 
nicht felten waren Nächte von 20 und mehr Graden Kälte. Der 
Nothſtand, die Krankheiten wurden aber noch durch die furdhtbare 
Ueberſchwemmung, welche ver Eisgang der Donau in den nieder 
gelegenen VBorftädten bewirkte, vermehrt. Die Leopoldftadt, die 
Roßau u. a. m. glichen mit dem Augarten und Prater einem 
See, aus dem die Häufer berporragten, deren Bewohner durch 
Kähne gerettet wurden. Die plößlich bereingebrochene Wafferfluth 
erfänfte viele Menſchen und Vieh in den Erdgefchoflen, und die 
gewaltigen Eismaffen zertrümmerten Gebäude, zerichnitten Die 
ſtärkſten Bäume wie Halme. — Das Wild des Praterd ſchwamm, 
Hülfe und Nahrung fuchend, in der Yägerzeil umher, — ich Jah 
nie bergleihen. So groß wie der Jammer mar aber aud das 
Bemühen, raſch zu retten, die Leiden zu mildern. Man fah 


216 


Erzberzoge in Kleinen Schiffen nach den bedrängten Orten eilen, und 
Alles überbot fi im rühmlichen Wetteifer, durch reihe Spenden 
der Wohlthätigkeit fo vielem Elende aufzubelfen, Beiträge an Geld: 
und Kleidungsmitteln floffen von allen Seiten, Liebhaberconcerte, 
theatralifhe und andere Vorftellungen, vor. Allem aber eine vom 
Damenverein veranftaltete NRiefenlotterie im Redoutenfanle brachten 
bedeutende Summen ein. 

In den legten Tagen des März erfuhren wir, daß der Groß: 
herzog Ludwig plößlih vom Schlage getroffen, und bald darauf, 
daß er geftorben ſei. Major von Amerungen bradte die Nadh- 
richt nach Wien, und ihm folgte der General von Stodhorn, um 
dem Tuiferlihen Hofe den Regierungdantritt des Großherzogs 
Leopold anzuzeigen. Da gab es denn für die Gefandtichaft bes 
wegte Tage. Eine weit betäubendere Todespoft follte mich noch 
gleich nachher treffen. Meine gute Mutter, zur Oberhofmeifterin 
der jungen Großherzogin Sophie beftimmt, wollte deßhalb nad 
Karlsruhe reifen. Doch in der Nacht zuvor ftarb fie unerwartet 
ohne vorhergehendes Leiden. Nur wer feine Mutter fo wahrhaft 
geliebt und verehrt wie ih, kann diefen Schmerz, den erften 
ftehenden im Leben, erfaffen! Einige Wochen früher mar diefer 
vortrefflihen Frau ein naher Vetter, ein langjähriger Freund 
unſeres Haufe, der Staatsrath von Roggenbad, vorange 
gangen. Diefer verehrungswürdige Mann gehört Jenen an, deren 
Leben feine Feder fefthält, die aber in dankbarem Gedächtniffe 
Aller bleiben, die fie kannten. Geboren 1750, war er von einer 
zahlreichen Familie der einzige, überlebende Sohn, weßhalb denn 
er auch, in der Hoffnung ihn zu erhalten, „Adam“ getauft wurde. 
Am Hofe von Pruntrut erzogen, wurde er fpäter unter feinem 
Dheime, dem lebten regierenden Fürſt-Biſchof von Bafel, ange 
ftellt, und verband ſich mit einer ebenfo verftändigen, als fchönen 
Trau feiner Wahl (H. von Reuttner:Weyl). Blühende Kinder 
umgaben das glüdliche Ehepaar, als die Stürme der Revolution 


217 


Noggenbad aus dem Lande vertrieben und er in den 1790er 
Sahren bei Karl Friedrich freundliche Aufnahme fand, zuerft in 
Malberg, dann als Kreisdirektor zu Freiburg angeftellt wurde. 
In befhräntten Verhältniſſen, mit Sorgen jeder Art Tämpfend, 
gründete er gewwiffenhaft das Glück feiner Familie, die mit Tiebender 
Verehrung an ihn hing. Wenn ihn feine vier Söhne, feine drei 
Töchter, ale wohlhabend und in ehrenvollen Stellungen, umftanden, 
fonnte man nicht leicht ein ſchöneres Bild häuslichen Friedens 
jehen. Der jüngfte Sohn, Auguft, Hatte fi im Sabre 1825 
mit meiner Schweiter Antonia vermählt, weldye diefen Namen 
von ihrer Zaufpathe, der Großmutter ihres Bräutigams und Tante 
meined Vaters, erhalten hatte. Br. v. Roggenbach-Reuttner, feit 
einigen Jahren gelähmt und der Sprache beraubt, ſtarb bald 
nachher. Bis zu feinem 80. Jahre verließ den edlen DBater 
Roggenbady nicht die chriftlich-philofophifhe Milde, die er mit 
einem freundlichen Ernfte und einer nie ruhenden, immer nütz⸗ 
lichen Thätigkeit verband. Sanft, wie er gelebt, ſtarb er Gott 
ergeben! 

Der Thronwecfel in Baden veränderte auch meine Dienſt⸗ 
ftellung, und, unter Ernennung zum Sammerherrn und Legations⸗ 
rathe, zu einer befonderen Miffion nad, Paris berufen, verließ ich 
bald darauf Wien. Die unverhoffte Trauerzeit warf noch einen 
trüben Schein auf diefe lebten Wochen, mit denen mein erfter, 
längerer Aufenthalt in Wien zu Ende ging Nicht ohne ein, 
mit Freude und Wehmuth gemifchtes Dankgefühl konnte ih auf 
eine Epoche zurüchliden, mit der vorausfichtlih fi) wohl die 
erite Hälfte meiner Lebensbahn abgefchloffen hatte! 





218 


Hiebenter Abſchnitt. 


NET ——— 


(1830 — 1832.) 


Inhalt: Karlsruhe. Der neue großberzoglihe Hof. Veränderungen und 
Einbrüde. Reife nah Paris. Abenteuer. Julitage-Anblick von Paris. 
Verlegenheiten. Marmont. St. Eloub und Rambouillet, Der König 
Zudwig Philipp und die Kammern. XTageöbegebenheiten und Meinungen. 
Der Herzog von Chartres. Der letzte Condé ıumd fein geheimnißvoller 
Tod. Das diplematifhe Corps und feine Haltung. Der Bailli 
dv. Ferrette, Politifhe Betrahtungen. Salons und ber Cerclhe. Straßen: 
fcenen unb Theater. Die Minifter und ihr Prozeß. Die Männer bes 
Tage. Rückkehr nah Karlsruhe. Kürftlide VBermählungen. 
Zuftand Deutfhlands, polnifhe Revolution. Das Jahr 1831. 
Ueberſicht. Vorgänge in Ftalien. Reunmonatlihe Stänbeverfammlung 
in Baden. Die Markgräfin Amalie und bie Prinzeffin Nugufte von 
Najfau. Der Herzog Karl von Braunfhweig und fein Kanımerdiener 
Bitter. Die Polen in Freiburg. Börne in Karlsruhe. Aufenthalt 
in Mannheim. Der Salon ber Großherzogin Stephanie. Die Königin 
Hortenje und Louis Napoleon. Weberblid ber politiihen Ereig- 
niffe. Blaye. Die Schweiz. Das Hambader Fell, Die Bunbes- 
beſchlüſſe. Rückreiſe nah Wien. 


In den Abendftunden des 1. Juni 1880 verließ ich Wien, 
um über Salzburg, Münden und Stuttgart nady Karlsruhe 
zurüdzufebren, wo id eine neue Welt finden ſollte. — Selten 
wohl hatte eine Fürſt die Regierung unter günftigeren Umftänden 
angetreten, ald Großherzog Leopold. Im Fräftigften Lebensalter 
ftehend, nahm er durch männliche Schönheit, wie ein ungemein 
Teutjeliged Wefen ein. Ihm zur Seite fand eine durch liebens⸗ 
würdigen Geift ausgezeichnete Gemahlin, und der ſchöne Fumilienfreig 


219 


war in den letzten Jahren noch durch zwei Prinzen ver 
mehrt worden — Friedrich, geb. 9. Sept. 1826, der jebige 
Großherzog — und Wilhelm, geb. Dezbr. 1829. Aber nicht 
nur Karlärube, auch das ganze Land jauchzte dem jungen Herrfchers 
paare zu. Die Iehte Regierungszeit des alternden, ernſten Ludwig 
hatte vielfach erdrüdend auf die Öffentlihe Meinung eingewirkt; 
es trat in ihm immer etwas mehr von den Eigenfchaften hervor, 
welche in gewiſſer Beziehung an zwei bekannte, menngleid, in ihrem 
Charakter verſchiedene, franzöfifche Könige erinnerten. — So fehr 
man auch feinen Borzügen und Verdieniten gerne Gerechtigkeit 
widerfahren Tieß, fo fund man ſich doch bei feinem Tode wie von 
einem beengenden Alpe befreit. — Großherzog Leopold hatte das 
frühere Miniſterium mit der Aeußerung beibehalten, daß er fi 
zu glücklich fühle, ſolche Männer, denen er jein volle Bertrauen 
zumenden konne, worzufinden, um eine Aenderung eintreten zu laffen. 
Nur die nächſten Umgebungen vertaufchte Leopold mit ihm ange: 
nebmeren Männern; einige Hofleute wurden ganz entfernt; Hennen⸗ 
Hofer blieb. Nahm daher die NRegierungdweife auch etwas mehr 
von dem faniteren Charakter des neuen Herrn an, fo wurde doch 
im Ganzen nur wenig geändert, höchſtens, daß fi bie und da 
ein Nachlaſſen der bisher fo fireng und feftgezogenen Zügel fühlbar 
machte. 

In der politifchen Welt hatte fih mährend des erften Halb: 
jahres 1830 — Frankreich ausgenommen — nidht3 von bejonderer 
Bedeutung ereignet. Während DOefterreih mit Marocco einen 
Waffenſtillſtand fchloß, bereitete fih Karl X. zu einem Feldzug 
gegen Algier vor, ein milllommener Vorwand, die ihm felbft drohen: 
den Schiefalsfchläge abzuleiten. So fchnell und flegreich Bourmont 
auch diefe Seefahrt und Eroberung vollbrachte, erreichte fie doch 
ienen Zweck nicht, und während franzöftiche Waffen ar ferner afri- 
Tanifcher Kälte an dem Dep die von ihm dem Gonful ertbeilte 
Ohrfeige rächten, mußte der gute, alte Monarch die friid, errungenen 








220 


Lorbeeren bald darauf felhft mit in's Eril nehmen. No erinnere 
ih mid, eines Abends aus jenen Tagen. Es war am 26. uni. 
Auf Befuch bei der Großherzogin Stephanie in Umkirch, beftieg ich 
mit ihr den Hügel bei Munzingen, auf welchem fi die Kapelle 
erhebt. Bon den lebten Strahlen der untergebenden Sonne be⸗ 
leuchtet, Tag die herrliche Landihaft, von dem wundervollen Gebirgs- 
panorama begrenzt, vor und. Der filberne Rhein theilte die 
fruchtbaren Gefilde des Breisgaued und Elſaſſes und von den zahl: 
reihen Dörfern tönten ringsum die Abendgloden zu ung berauf; 
Freiburg, Breiſach fliegen mit ihren ebrmürdigen Domen aus der 
Ebene; eine tiefe Ruhe lag auf dein reizenden Gemälde — nur 
hinter den Vogeſen thürmte fich ein dunkles Gewölke von unheim- 
lihem Wetterleuchten durchzuckt, in feltiamem Contrafte zu der 
Scene des Frieden, die vor unferen Augen lag. Da bemerfte 
die Großherzogin, in banger Vorahnung der Geſchicke Frankreichs: 
„Iſt dieß ſchwüle Gewitter, welches fich in verheerenden Bliben zu 
entladen droht, nicht ein Bild der Zuftände meines Vaterlandes 
ſelbſt!“ — Vier Wochen fpäter ertönten die Kanonen auf den 
Barriladen der Julitage! 

Der Sommer verfloß in bewegter, beiterer Weife, und id) 
ſelbſt war erfreuter Zeuge des häuslichen Glückes auf dem Throne, 
wie der gehobenen Stimmung im Lande, als ich in Griesbach 
mich der großherzoglichen Familie vorftellte, Freiburg bejuchte, und 
einen Theil des Schwarzmaldes durchreiſte. Don den frifchen, 
ftillen Thälern des Kniebis begab ich mich unmittelbar auf den 
von der Juliſonne erbitten Boden Frankreichs, traf am 25. — 
gerade am Tage der Ordonanzen — in Straßburg ein, und febte 
die Reife im eigenen Wagen nad Paris fort. Die diplomatifche 
Stellung, welche ich da einzunehmen beftimmt, war eine eigen- 
thümliche; ich follte dem 80jährigen Gefandten, Bailli v. Ferrette, 
den man nicht entfernen wollte, als Legationgrath zur Aushülfe 
beigegeben, zugleidd aber auch, ohne daß er ed mußte, als 


221 


ferbftftändiger Gefchäftöträger bei dem damaligen Minifterpräfidenten 
Fürſten Polignac beglaubigt werden. Ich fuhr Tag und Nacht 
meiner neuen Beftimmung zu, ohne auf der langen, breiten Heer: 
ftraße einem Courier, einer Diligence oder irgend einem anderen 
Wagen zu begegnen. Als ich bei der gewöhnlichen Champagner: 
ftattion in Epernay Halt machte und dem Pofthalter mein Er- 
ftaunen über diefe auffallende Stille auf der fonft jo Tebhaften 
Route ausdrüdte, fragte er mich: ob ich denn die Ordonanzen 
nicht Tenne! und gab fie mir in dem neueſten Blatte zu leſen. 
Er fügte bei, daß feit diefer Zeit weder Reifende noch Poſten an- 
gekommen feien und man Unruhen in Paris vermuthe. Während 
diefes Geſpräches kam gerade die Mallepoit, doch ohne Briefpaquete 
und Zeitungen, an. Sie bradyte den ängſtlich barrenden Bewohnern 
und mir die eriten Nachrichten von dem zu Paris ausgebrochenen 
Aufftande; der Condukteur hatte fih nur mit Mühe dur die 
verbarrifadirteid Straßen mwinden, nicht? von der Bolt mitnehmen 
können. Seine Schilderung war ebenfo unvollſtändig al3 ver: 
worren. Ich fuhr nun mit feinem anderen Gedanken, al3 dem 
der zu erwartenden Ereigniffe beichäftigt, fort; wohl Hatte ich mir 
den Widerftand lebhaft gedacht, welchen die Parifer den Ordonanzen 
entgegen ſetzen würden, doch konnte ich nicht ahnen, daß dieß in 
ſo furdtbar nachhaltiger, blutiger Weife geichehen würde. Ich 
hatte nun Chaͤteau⸗Thierry erreicht, und da ausgerubt, auch etwas 
am Wagen ausbeffern laſſen. Hier trafen nun auf kleinen Poſt⸗ 
karren Mitglieder der Deputirtenlammer: Jacqueminot, Koechlin, 
Hartman u. a. ein, welche auf die erhaltenen Nachrichten nad) 
Paris eilten. Sie riethen mir, befonder® wenn ich Papiere für 
die Megierung Karls X. bei mir hätte, den Lauf der Begeben- 
heiten vorerft außerhalb Paris ruhig abzumarten. Doc mo war 
da Ruhe zu finden! Ungeduld, Neugierde trieb mich unaufhaltiam 
vorwärts. Allen Ortichaften hatte fi fchon die Bewegung mit- 
getheilt, man fuchte die alten Uniformen der Nationalgarden hervor, 





222 


und bewaffnete ſich gewärtig beim erſten Winke gegen Parid 
zu marfdiren. Indeſſen batte der Wagenfihmied, den Augenblid 
benübend, für jeine kleine Arbeit 200 Fres. verlangt, und ich mußte 
diefe unverfhämte Yorderung bezahlen, weil der Maire erklärte, 
bei der fteigernden Gährung der Gemüther mir nicht Recht ver: 
ichaffen zu können. So ging e3 fort bis la Ferto; auch bier fand 
ich Alles eleftrifirt; jede Arbeit war eingeſtellt; ganze Schanren 
durchzogen fingend oder lärmend die Straßen; Alles ſchmückte ſich 
mit dreifarbigen Bändern, theils aus Luft, theils wohl auch um 
von der Menge nicht infultirt gi werden. Wie ich mie der Stadt 
Meaux näherte, vernahm ich von Weiten ber immer deutlicher den 
Donner der Kanonen; dort felbft traf ich eine Abtheilung der 
tönigligen Sarde-Küraffire, halb eingefhächtert, Halb in drohender 
Stellung, welche dem Volke noch imponirte. Doc als eine unge 
heuere Tricolorfahne mit der eriten Pariſer Diligence erſchien, war 
des Jubels Tein Ende; man umarmte, trank fi zu, der Ranſch 
hatte auch bier begonnen. Die Truppen zogen ſich langſam und 
ungehindert zurüd. Ich erfuhr nun, daß der König zu Bunften 
feines Enkels abgedankt habe, der Herzog von Orleans General: 
ftatthalter, die Ruhe in Paris augemblidlich bergeftellt fei. Im 
Bondy, der leuten Station, gab mir der Poftmeifter den Rath, 
meinen Wagen zu Baris bei einem belannten Schmiede in der 
Borftadt St. Martin unterzubringen. Den 90. gegen Abend 
erreichte ich endlich Die Barriere. Der Empfang wur fein freumd- 
licher, vielmehr ein lebendgefährlicher.*) Nach einer viertelftündigen, 
betäubenden Verhandlung, aus der ich nur ſoviel entnehmen Tonnte, 
daß man mid, für emen Ordonangminifter, einen Spion, was 
weiß ich! hielt, rettete mich die Geiſtesgegenwart des Poſtillions, 
und die non Freiheitsſchwindel, Blut umd Wein berauſchten Bro: 
detarier folgten fchreiend dem Wagen bis zu den Hauſe des 


*) rinnerungeblättir ©. 244. 


223 


Schmied, der ihn verjorgte, und welcher nun, mit feiner Bürger: 
uniform angethan, die thörichte Menge beruhigte, die ſich endlich 
verlief. Man Tonnte ihr Iomge wicht begreiflich machen, daß, wäre 
ich eine verdächtige Perfon, Ich Paris wohl in dieſem Augenblick 
nicht betreten hätte. In der That verfchiwanden amd, Damals 
Polignac und feine Eollegen in allen nur denkbaren Berffeidungen 
dur die Thore, und das Volt fah in jedem ankommenden oder 
‚abfabrenden Fremden einen Verräther. Bei folder Aufregung 
wäre mir freilih die Unterfuhung meiner Papiere, welche nicht 
für die gänzlich veränderte politifche Lage der Dinge paßten, durch 
folhe Hände fehr unermwünfcht geweſen. Die ganz außerordent: 
lichen Ereignifle aber, in die ich fo unerwartet plötzlich hinein- 
gerieth, die ausnahmsweiſe Stellung, in welcher id; mich dem 
diplomatifhen Corps von Paris gegenüber, außerhalb dieſer 
Stadt befand, mein bizarrer Einzug felbft, der Empfang, der mir 
ala dem erſten Ertrapoftreifenden nad) der Kataftropbe zu Theil 
wurde, al’ dieß waren auf mich jo mächtig wirkende Vorgänge, 
daß diefe Eindrüde kaum von den Erſcheinungen überboten werden 
fonnten, weiche mid in Paris felbit erwarteten. Da wegen der 
Barritaden Feine Wagen zirkuliren Tonnten, ſetzte ich mich zu Fuße 
nad der Rue Richelien in Bewegung, aber auch bier war das 
Durchkommen nicht immer leicht. Omnibus und andere Wagen, 
Meubles aller Art hemmten mit dem aufgeriffenen Bflajter die 
Schritte; auf verſchiedenen Plägen wurden Betten und andere 
Geräthe, welche man aus den Kafernen der verhaften Soldaten 
und Schweizer gebolt, verbrannt; Wilden gleich temzten fingend 
Männer, Weiber, Kinder um die Flammen; dazwilchen trug man 
Zode oder Verwundete vorüber, fammelte für die „Schlachtopfer 
der Tyrannei.” Auf den Boulevards mußte ich über die ſchönen 
Bäume fleigen, weldhe auch der Freiheit zum Opfer gefallen maren, 
und fand in der Straße mein Hötel nicht, weil der Eigenthüner 
feige den Schild: „‚Hötel des Princes,“ ala zu ariftofratifch, 


224 


abgenommen hatte; als ich es endlich, erfragte, wurde mir erſt nad) 
langem Läuten aufgethan. Weberhaupt waren die Gewölbe nicht 
nur, auch Fenfter und Thüren feit verfchloffen, und die königlichen 
oder anderen fürftlichen Wappen, melde die Spiegbürger früher fo 
glücklich und ftolz waren über ihren Laden befeftigen zu können, 
wurden ſchnell durch dreifarbige Trophäen, oder die zwei Mofls: 
tafeln der Charte erſetzt. 

So mar ich denn vorläufig in dem ficheren Hafen der Ruhe 
angelangt, wenn der aufgeregte Zuftand der Hauptſtadt irgend 
Ruhe verheißen fonnte. Leider habe id) es gerade wegen dieſer 
mit jeder Minute wechlelnden Auftritte verfäunt, ein umftändliches 
Tagebuch zu führen. Nur flüchtig zeichnete ich auf, was die Dlide, 
die Ohren mit Staunen ftündlid) aufnahmen. So hörte ich gleich 
bei dem erften Erwachen vor meinen Fenſtern den Tod des Mar: 
ſchalls Marmont ausrufen; das Bolt aber nahm den Wunſch für 
die That. Sonderbares Geſchick dieſes Mannes, der 1814 als 
Verräther an der Sache Napoleons verſchrieen, nun auch wieder 
von den Bourbonen mit dem Vorwurfe beſchuldigt wurde, fie ver- 
laſſen zu haben, während die liberale Partei ihm fluchte, und ihn 
aus Frankreich vertrieb, das er nie mehr fehen ſollte. Marmont 
rächte ſich für diefe Ungunſt der öffentlichen Meinung in feinen 
erit nach deffen Tode (1853) erichienenen Memoiren, in denen er, 
mährend er ſich zu vertheidigen ſuchte, feine Gegner auf eine nicht 
immer zu rechtfertigende Weife angriff. Nach feiner Ausfage Hatte 
man ihn, den Gouverneur von Barid, in jenen enticheidenden 
Stunden ohne Weifung, ohne Hülfe und Rath gelaſſen, weder für 
die Verpflegung der Truppen, nod für den Schuß der Hauptſtadt 
geforgt; fo fei er denn nad) drei Tagen genöthigt geweſen, den 
zweckloſen Straßenkampf aufzugeben, um den königlichen Sitz in 
St. Cloud zu decken. Hier wurde er nun von dem Herzog 
v. Angouldme mit Schmähungen empfangen; er entriß dem Mar- 
ſchall den Degen, und verwundete ſich ſelbſt dabei in der Hand, 


225 


das einzige Blut, welches diefer damals kaum 50 jährige Prinz für 
die Vertheidigung feiner Tamilienrechte vergoffen! Während der 
altersſchwache König, in beitäudiger Unwiſſenheit der wahren Sach⸗ 
Tage erhalten, bei der erften Nachricht ruhig feine Partie Whiſt 
fortipielte, nur an einen unbedeutenden Straßenauflauf, nicht an 
eine Revolution glaubend, während ein 1Ojähriger Knabe fanft 
und ahnungslos fchlief, war es an dem Dauphin, fich für feine 
Dynaſtie zu fchlagen, zu opfern; dafür 309 er es vor, die von 
aller Hilfe entblößten Truppen und ihre Anführer zu befchimpfen, 
dann mit Karl X. abzudanfen, und den traurigen Rückzug, ge: 
Ihüßt von den braven Garden und treuen Schweizern, nach Ranı: 
bouillet anzutreten. Die Dauphine, von der man fagte, daß fie 
allein den männlichen Muth in dein Haufe Bourbon vertrete, war 
abweſend, und kam, aus einem Badeorte herbei eilend, gerade noch 
zu dem verbängnißvollen: „zu ſpät!“ das man dem zögernden 
Staatsrathe ded Königs entgegen hielt. Nun folgte eine Woche 
unglaublicher, peinlicher Ungewißheit, eine Maffe von Maueran- 
ſchlägen, Fliegender Blätter verlangte in mehr oder minder gereiztem 
Tone, die Nechte des Volkswillens anrufend, bald Napoleon II., 
bald die Republit, bald da3 Haus Orleans. Es war ein ver: 
worrenes Gefchrei, in dem die Stimmen, früher einig zum Umfturze, 
fi) nun trennten, entzweiten, anfeindeten, wo es galt einen neuen 
AZuftand zu gründen. &8 findet fich nicht Teicht eine gejchichtliche 
Thatfahe, welche in ihrem Urfprunge, in ihren Verzweigungen, 
wie in ihren Folgen fo unverhällt der Beurtbeilung der Nachwelt 
vorliegt, wie dieſe feltfame Julirevolution. Wie gewöhnlich in 
ſolchen Fällen gab es auch bier VBerführer und Verführte; mährend 
fih die letzteren aufopfernd voranitellten, genoffen die vorfichtigeren 
Urheber die für fie gepflüdten Früchte, verzehrten die für file aus 
dem Teuer gebolten Kaftanien. Wahrhaft patriotifche Begeifterung 
fand fid, nur bei der Jugend, die, verblendet und todesmuthig, für 
vermeintliche Rechte kämpfte. Die anderen trieb Ehrgeiz, Habfuct 
Irh. v. Andlaw. Mein Tagebud. 1. 15 


226 


oder der Haß gegen die neue Ordnung, Neid gegen höher Geitellte. 
Der ſ. g. Mittelftand, daB Heer, die Republilaner waren der 
Regierung feindfelig; ihnen ſchloſſen fi die nie ruhenden Secten 
an. Es entipann ſich daher ein Kampf zwilchen diefen Parteien, 
und mwährend die Einen für die Ideen von 1789 ſchwärmten, umd 
es abermals mit einer Republik verfuchen wollten, während die 
Armee, in der Erwartung neuer LZorbeeren und Beute, das An: 
denfen ihres Kriegähelden anrief, bereitete die rubigere, aber mächtige 
und in Ränken erfahrene j. g. liberale Partei fi einen ficheren 
Sieg vor. Sie war unftreitig in dei Mehrheit, und von dem 
Heinen Gewürzträmer bis zu dem großen Bankier und Induſtriellen, 
ber Millionen zählte, verfchwor fi) Alles zum Untergange der 
bevorzugten Klafien, ſchrie über Priefterherrichaft, Adelftolz ‚ und 
trug der Negierung die Begünftigung nach, welche fie nach ihrer 
Anſicht jenem Treiben gewährte. Im Namen der Freiheit wurde 
daher nur mehr das Intereſſe einer anderen Schichte der Gefell- 
ſchaft ausgebeutet, welche fih an die Stelle der Herrichenden ſetzen 
wollte. Diefer Geilt des Widerftandes wurde durch die Verhand⸗ 
lungen der Kammer, wie durch zahlloſe Tagblätter genährt und 
verbreitet, und während der Philifter feine politiiche Weisheit aus 
dem Conſtitutionell jchöpfte, erbibte fih der Proletarier an den 
zündenden Phrafen des National, Dabei ließ es ſich nicht läugnen, 
daß von Seiten der Negierung die ärgſten Mißgriffe begangen 
wurden, und fie, rathlos, unentichloffen, bald, den Sturm zu be 
ſchwören, nachgab, dann wieder mit unbegreiflicher Strenge verfuhr. 
Es fehlten eben damals noch die erft fpäter gemachten Erfahrungen, 
dag nur vollbrachte Thatfachen gelten, daß zulekt immer nur 
der Stärfere Recht behält, und um einen Staatsſtreich zu wagen, 
man vor Allem dazu gehörig vorbereitet und Hug wie kräftig genug 
fein müfle, um ihn auch mit Erfolg ausführen zu können. 

Der Abend des 29. Juli fand die Sieger daher in nicht 
geringer Verlegenheit. Um ſich in diefer Noth zu helfen, rief man 


227 


die Kammern in größter Eile zufammen. Sie waren aber weder 
vollftändig noch beſchlußfaͤhig; den unter ganz anderen Umſtänden 
gewählten Deputirten insbeſondere aber fehlte jede Vollmacht, an 
der Eharte jo hochwichtige Veränderungen vorzunehmen. Es war 
in der Naht vom 4. Auguft; ein Gewitterfturm 309 über Paris 
und entiwurzelte Bäume im Garten der Tuilerien — da veränderte 
jene Kammer in drängender Haft, ohne Mandat, eine Berfaffung, 
für deren Heiligkeit und Unverleglichkeit man ſich drei Tage lang 
im den Straßen geſchlagen hatte; fie ernannte eigenmächtig einen 
König, und fomit wurden die lebten Trümmer der alten Monardjie 
begraben, nachdem 41 Sabre früher — auch an einem 4. Auguft 
(1789) — die erfte Hand an die Auflöfung der bisherigen geſell⸗ 
ihaftlihen Zuftände Frankreichs gelegt worden war. Man mag 
diefe Vorgänge beleuchten, mie man will, immer begegnet man 
MWiderfprächen, Gefeblofigfeiten; man Tann, was geſchehen, mit der 
Furcht vor drohender Anarchie, mit der dringenden Macht der Noth: 
mendigkeit entjchuldigen; nur nenne man diefe Schritte nicht Tegal, 
die Erbebung feine „glorreiche,“ keine unvorbereitete; das Bolt 
im Großen und Ganzen nahm keinen Antheil daran und Frank: 
reich fügte ſich ſtillſchweigend den Beichlüffen, melde vom Pariſer 
blutbefleckten Pflafter audgingen, und zulest im Palais Bourbon 
ihren anfcheinend gejeßmäßigen Ausdrucd fanden. Und die Pair: 
fammer? Sie decimirte fich ſelbſt. Chateaubriand, nachdem er die 
Föniglidhe Negierung in Wort und Schrift angegriffen, erichrad 
über die unerwarteten Folgen, und legte feine Würde nieder; ihm 
folgten über 50 andere Pair, unter ihnen Graf Yelir Andlam. 
Schöne Reden, voll der edelften Gefühle, vermochten nicht in einem 
Augenblid wieder gut zu machen, was 1djährige Verblendung 
verdorben. Ein Jahr fpäter entzog man befanntlid der Pair: 
würde die Erblichkeit, und die Kammer, welcher das englifche Ober: 
haus zum Vorbilde gedient hatte, ſank zu einem bedeutungzlojen 
Senate herab! 
15* 


228 


Während ſich al dieß zutrug, hatte fih Karl X. mit feiner 
Tamilie, umgeben von einer Meinen Schaar Anhänger und ihren 
Fahnen treu gebliebener Truppen, in dem SYagdfchloffe zu Ram⸗ 
bouillet niedergelaffen. Plötzlich durchlief am 3. Auguft die Stadt 
das Gerücht, daß der König mit einer ftarfen Heeresmacht gegen 
Paris ziehe, und fo groß war noch die Furcht vor der Möglid;: 
feit eines folchen Unternehmens, daß alle Bewohner nur wie von 
einem Gedanken befeelt fchienen, ihn zuvorzufommen. Nach Ram⸗ 
bouillet! erichallte e3 von allen Straßen, auf allen Pläten; man 
bemächtigte fi der Pferde, der Wagen, wo man fie nur finden 
founte, und in unabfehbarer Linie bewegte fich diefer Peine, moderne 
Kreuzzug in den bizarreften Gruppen mit zum Theil bewaffneten 
Männern, von Weibern und Kindern begleitet, dem Süd⸗-Weſten 
zu. Ich felbft, diefem Treiben fremd, wurde auf dem Concorde 
plage ganz höflich gebeten, aus meinem Cabriolet zu fteigen, um 
es einem der dahin Fahrenden zu überlaffen. So dauerte es einen 
Tag, eine Naht hindurch fort. Diefer Aufivand an Kraft und 
Geſchrei zeigte ſich aber fehr überflüſſig. Der königliche Greis, 
noch im Hohen Alter ein Teidenfchaftliher Jagdfreund, fa nun 
felbft, einem gehetzten Wilde gleich, in dieſem Schloffe, und er: 
wartete ruhig den Ausgang der Dinge. Die lärmende Menge 
ließ fi, da fie Feine feindliche Beivegung bemerkte, harmlos lagernd 
in der Umgebung nieder, die proviforifche Regierung aber ſchickte 
Commiffäre ab, um mit Karl X. zu unterhandeln und begleitet 
von ihnen wanderte die Töniglihe Familie unbeläftigt dem Meere 
zu, um in England ein abermaliges Aſyl zu finden. 

Was ging nun während diefer denfwürdigen Tage im Palais 
royal vor? Es blieb hermetiſch gefchloflen; man ſchickte Boten 
nah Neuilly, mo der Herzog von Orleans, von den Creigniffen 
überrafcht, in einer unbezweifelt furdtbaren Aufregung und rath: 
loſen Unentfchloffenheit fich befinden mußte. Seine Ernennung 
zum Generallientenant drängte ihm zum rafchen Handeln. Ludwig 


229 


Philipp ſchlich fih am Abend des 29. unerkannt nad) Paris, 
fih bei feinen Freunden Rath erholend. Eigentlich blieb ihm 
nur die Wahl, mährend der Minderjährigkeit Heinrichs V. die 
Rolle feines Ahnherrn, des einftigen NRegenten Orleans, wieder 
aufzunehmen, oder fid) dem Zuge des älteren Zweiges der Bour- 
bonen in's Ausland anzufchliegen. Man fand jedod, in jener 
geheimen nächtlichen Unterredung einen dritten Ausweg. Lafayette 
umarmte öffentlih auf dem Rathhauſe Ludwig Philipp als Die 
„beite der Republifen”; der Herzog von Orleans murde zum 
König ausgerufen, Teiftete am 9. Auguft in der Deputirtenfammer 
den Berfaffungseid, und beftieg fomit den fchwanfenden, von 
republifanifchen Inftitutionen umgebenen, aber nicht unterftüßten 
Thron — le tour 6tait fait! Man hatte einen honndt homme, 
einen bürgerlihen König, der überdieß noch verfprach, daß die bis 
zur Unkenntlichkeit entftellte Charte Tünftighin eine Wahrheit 
werden jollte! Die Partei Orleans triumphirte, die Royaliſten 
wurden in Spottbildern verhöhnt, Republikaner und Bonapartiften, 
ohnmächtig und nicht gerüftet, ergaben fich knirſchend in das Un: 
vermeidliche; das Heer vertröftete man auf den baldigen Ausbruch 
eines Krieges. Doc nur zu bald erwachte der kaum unterdrüdte 
Geiſt der Oppofition; es war ein beftändiges Wogen und Schwanken 
einer beihörten Menge; man kam zur Befinnung; „il valait bien 
la peine d’avoir chass& un roi, pour nous en laisser imposer 
un autre!‘ hieß es. Der Teichtfertige, veränderlihde Sinn der 
Parifer vergaß bald das alte Negime und verfolgte nun die neuen 
Machthaber mit mwitigen oder gemeinen Karicaturen und Couplets. 
Man brüllte nicht mehr fo oft die abgeihmadte Pariſienne und 
vertaufchte fie bald wieder mit der Fräftigeren, aber republifanifchen 
Marfeillaife, die, abgejehen von den Gräueln, an die fie erinnerte, 
doch wenigftens den Schwung einer begeifternden Melodie für ſich Hatte. 

Ich felbit war bei allen diefen Vorgängen ein ebenfo er: 
ftaunter als neugieriger Zeuge und trieb mich bei dem herrlichen 


230 


Wetter den größten Theil de Tages auf den Straßen umber. 
Allein oder in Gefellichaft des Fürften Felix Schwarzenberg, des 
Clemens Hügel oder einiger anderen jüngeren Diplomaten durch: 
ftreifte ich die Boulevards, die öffentlichen Plätze und Fehrte täglich 
mit Eindrücken der verfchiedenften Art nach Haufe zurüd. Selbft- 
verftändlich Konnte die mir zugedachte diplomatiſche Stellung nicht 
zur Ausführung fommen, dennod ſchloß ich mich an die Gefandten 
an und berichtete regelmäßig über die feltfamen Dinge, melde ich 
zu beobachten Gelegenheit hatte. So brachte ich zwei Monate in 
immerwährender Spannung zu. — Ich bebe zwei merkwürdige 
Epifoden hervor. Eines Tages gab ſich eine ungewöhnliche Be: 
wegung auf dem Boulevard fund; man erzählte ſich, daß Ludwig 
Philipps Altefter Sohn, der Herzog von Chartres, — nunmehr 
Drleand? — an der Spibe ſeines Regiment? einziehen werde. 
Der 20jährige Prinz war Oberft eine® Hufarenregiments und zu 
Joinville, wie ich glaube, in Garnifon. Als die Nachricht des 
Parifer Aufftandes dahin drang, erflärte ſich fofort dag Regiment 
gegen Karl X., und wurde nun in Paris, den muthmaßlichen 
Thronerben an der Spike, bejubel. Da mar aber von Feiner 
Disciplin, von Teinem regelmäßigen, militäriichen Marich die Rede. 
Zöglinge der polytechnifhen Schule, welcher der Prinz früber 
angehörte, Nationalgarden, Studenten mifchten ſich in die Reihen 
der Truppen; ed war eine Art von PVerbrüderungsfeft, deren. mir 
fo viele gefehen, ohne daß deßhalb die Bruder: oder Nächſtenliebe 
fihtbar gewonnen! 

Einen Mißton in diefe und andere offizielle Freuden brachte 
der auffallende Tod des Herzogs von Bourbon, Condé. Diefer 
70jährige, Übrigens weder durch Charakter noch Haltung befonders 
ausgezeichnete Prinz mar mit einer Schweſter Philipp Egalits's 
vermählt geweſen, und fein einziger Sohn, der Herzog von Engbien, 
wurde befanntlih gewaltfam in Ettenheim Nacht? durch Hufaren 
aufgehoben und auf Befehl Napoleons in dem Feſtungsgraben von 





231 


Bincenned erfchoffen. Condé hatte mit der Töniglichen Familie 
dad Eril geteilt, feinen Namen der Armee der Emigranten wie 
den Verhandlungen von Koblenz gegeben, und war 1814 wieder 
nach Frankreich zurüdgelehrt. Im Beſitze ungeheuerer Reichthümer, 
weldye das Entfhädigungsgeieb unter Karl X. ihn zuerlannte, 
hatte er, kinderlos, wie man allgemein fagte, einen der Söhne des 
Herzogs von Orleans, Aumale, zum Erben beſtimmt. Mit dem 
Ergebniß der Yulitage unzufrieden, hieß es, wolle Condé fein 
Teftament zu Gunſten de3 Herzogs von Bordeaur ändern und’ 
fih in England niederlaffen. Gerade als ſich der Herzog von 
Sonde zu diefer Reife anſchickte, fand man ihn eines Morgens 
(28. Auguft) an den Fenſtern feines Schlafgemachs aufgehängt! 
Die Vermutbung eines Selbſtmordes lag unter diefen Umftänden 
fern; der Zukunft muß es vorbehalten werden, dieſe geheimnißvolle 
Todesart mit allen ihren Details zu enthüllen; Viele fehen wohl 
jest ſchon darin Harz; man wiederholte die verſchiedenſten Gerüchte, 
beutete das Ganze als Parteiſache aus; doch bald verlor ſich bie 
Erinnerung an dad Unerhörte im Strome der Alles fertreißenden 
Bewegung der Zeit. Später kam es zu einem Nechtäftreite, in 
dem eine Mde. Teuchered, Geliebte des alten Gern, eben Teine 
fehr erbauliche Molle ſpielte; Aumule, damals 8 Jahre alt, blieb 
im Befite des Eonde’ihen Vermögens! Aber in jo Mäglicher Weile 
endete ein Greis, der Lebte eines erlauchten Gefchlechtes, das durch 
mehr als drei Jahrhunderte Frankreich mit feinem Namen und 
Rubm erfüllt batte! 

Wie verhielt fih nun das diplomatiſche Corps bei jener 
Rataftrophe in Paris? Einige Gefandten, u. a. auch Graf Apponpi, 
waren abmeiend, andere unfichtbar geworden. Als man fich endlich 
wieder zufammenfand, wurde beratbichlagt, was zu thun fei. Hier 
war es nun Pozzo di Borgo, der Vertreter Rußlands, welcher 
dem Vorſchlage des Geſandten ded damald in Europa einzigen, 
nicht Iegitimen Monarhen — von Schweden — entgegentrat. 


232 


Löpenhielm wollte nämlid), daß die bei Karl X. und nicht bei Ludwig 
Philipp beglaubigten Nepräfentanten auch Eriterem folgen follten. 
Der alte, ritterlihe Graf, in defien Armen Guftav IH. dad Leben 
ausgehaucht hatte, wurde überftimmt, und die Mehrzahl befchloß, 
den Lauf der Begebenheiten abzuwarten. Die Hauptfrage für die 
Geſandten blieb aber immer: ob und wer von ihnen zuerjt wieder 
bei der neueri Regierung accreditirt oder abberufen werden würde; 
fie mußten jedoch ihren Höfen weitere Entſchließung überlaffen. 
Ich ſah Werther (Preußen), Pfeffel (Bayern), Könnerig (Sachen), 
Fagel (Holland), Rumpf (Hamburg) u. a. ın. Sie waren, je 
nach ihren perfönlichen Anfichten, mehr oder minder verftimmt, alle 
fanden fi aber unbehaglih, und ed war jedenfall3 eine traurige 
Genugthuung, wenn mande auf den von Polignac verſchmähten 
Rath Hinwiefen, den fie, das Gewitter zu beſchwören, ertheilt haben 
wollten. Wenn alle auch nidyt geradezu den Umſchwung beklagten, 
fo fahen fie doch die Frage der Zukunft in einer nit zu ent: 
räthjelnden Weiſe verwirrt. — Gleich nad) meiner Ankunft hatte 
ih mich nad) meinem Chef, dem Bailli v. Ferrette, umgefehen 
und fand den geipenftigen Mann in feinen weißen Püdermantel 
gehült — der leibhaftige Kommandeur im Don Juan — binter 
einem Tiihe figen, auf dem am bellen Tage zwei Wachskerzen 
brannten. Der 82jährige Mann konnte fih in diefer raſchen Wen: 
dung der Dinge nicht zurecht finden. Er glaubte immer nod 
die Kugeln in den Straßen pfeifen zu bören und verfchloß feft 
feine Fenfterläiden und Thüren. Nur von Zeit zu Zeit Tieß er 
aus feiner Arche eine Taube fliegen, und als fie ihm den Del- 
zweig, das heißt die Nachricht von dem Aufhören des Gewehr: 
feuers bradyte, magte cr ed, den ihm gegenüber wohnenden Yürften 
Talleyrand in der Rue St. Florentin zu beſuchen. Dieſer weihte 
ihn nun in die Geheimniffe der neuen Lage ein, und Ferrette 
tröftete fih mit dem Gedanken, daß er bei „Monseigneur le Duc 
d’Orlsans“, den er fidy noch immer nicht als König denfen konnte, 


233 


gut angefchrieben fei. Nach und nad fuchte er feine alten lieb- 
gewordenen Orte wieder auf, gab feine Meinen Dinerd und fühlte 
fih in dem Gedanken glüdlih, in Paris bleiben zu Tönnen. Seit 
50 Jahren hatte er diefe Stadt, eine Turze Unterbrehung während 
der Schreckenszeit ausgenommen, nicht verlaffen. Er ſtand fehr 
ſpät auf und außer dem Haufe fah man ihn nur zur Nachtzeit, 
wo er regelmäßig bald die große, bald die italieniihe Oper be= 
ſuchte und feinen Plab auf dem Balcon einnahm. Ganz Paris 
Fannte ihn an feiner geifterhaften Erſcheinung. Nach einigen Be: 
ſuchen brachte er dann jede Nacht fpielend im „Bercle” zu, und 
gar oft ſah man ihn erft nad, Sonnenaufgang nad) Haufe zurüd- 
fahren. Der originelle Greis ftarb 1831, ein nicht unbeträchtliches 
Bermögen, daB er in eigener Weile zu verfteden geſucht hatte, . 
lachenden Erben hinterlaſſend. 

Von dem betäubenden Treiben im Innern wandte man ſich 
endlich wieder mehr der Außenwelt zu. Viele, und nicht nur 
die Unzufriedenen, wünſchten einen allgemeinen Krieg, um ſich 
dem Peinlichen der Lage zu entziehen. Ludwig Philipp theilte 
dieſe Anſicht nicht; ihm war vor Allem daran gelegen, ſich in 
den friedlichen Beſitz der Errungenſchaften zu ſetzen, und mit Jubel 
wurde von ſeinen Anhängern die Anerkennung begrüßt, welche 
England dem Bürgerkönig zuzuſchicken ſich beeilte. Das Londoner 
Kabinet, auf Karl X. zürnend, der es wagte, Algier ohne ſeine 
Erlaubniß zu erobern, hoffte in den Orleans gefügigere Verbündete 
zu finden, und täuſchte ſich nicht. Dieſem Beiſpiele folgten allmälig 
die europäiſchen Mittelſtaaten, dann kamen Preußen und Oeſterreich, 
zögernd endlich auch Rußland — das Zeitalter der „ſaits accomplis‘ 
hatte begonnen! 

Wäre der Julidynaſtie damals ein Kriegsheer ungelegen ge⸗ 
kommen, ſo gab ſie ſich um ſo mehr der Hoffnung hin, daß die 
Begebenheiten, welchen fie ihre Erhebung verdankte, auch in anderen 
Ländern Nachahmung finden würden. Und fiehe da! fchon im 


234 


September murde man dur die Nachricht einer Revolution in 
Belgien überrafht, ein Straßenfampf, Barrifaden en miniature 
zu Brüffel! Was wollte man mehr? 

Die Tagesbegebenheiten Tiefen nur wenig Zeit für gefellige 
und andere Genüffe übrig. Man mar wenig empfänglich für den 
Beſuch von Kunftanftalten, und felbft die Natur erfreutg nicht mit 
ihren ftillen Reizen bei der Aufregung, in der man beitändig er- 
halten wurde. Dennody fand ich mich bald wieder in dem Kreife 
der mir ftet3 und allentbalben befreundeten Familie Apponpi 
heimisch, auch beſuchte ich einige Häufer von Verwandten und 
Belannten, deren Sympathien meilten® dem vertriebenen Königs- 
baufe angehörten. Hier mußte ih nun gar viele Klagen, Aus: 
drücke ſpäter Neue und größtentheild übertriebener Anfichten hören. 
Die Familie Grammont und ihre Freunde verfammelten ſich ge 
wöhnlich bei der alten Madame Erafford, eine Frau, deren Lebens: 
geſchichte allein einen bändereihen Roman bilden könnte; ihre 
Entel, der bekannte Dandy d'Orſay, der Alcibiades feiner Zeit, 
und die veizende, blonde Herzogin von Guiche, belebten vielen 
Salon. Guiche ſelbſt, Jugendfreund und Vertrauter Angouloeme's, 
galt für das Haupt der früheren Hofpartei, aber ihre nachträg⸗ 
lihen, unfruhtbaren, wenn gleich ehrenwerthen Huldigungen ver: 
mochten die königliche Familie ebenfo wenig zu retten, als die 
wohlfeilen Witze und Schmähungen auf ten Barriladenthron. 
Der Sohn diefer Eltern, der jebige Duc de Grammont, galt 
für einen der fchönften Männer von Paris. Ich konnte da⸗ 
mals nicht erwarten, ihn einft wieder am Hofe Ludwig Philipps 
zu begegnen. Noch mehr erjtaunte man aber ihn fpäter al? 
Repräfentanten des neuen Kaiſerreichs in Nom und Wien zu 
ſehen. — In derfelden Rue d'Anjou befand fih auch das Hotel 
Dalberg, deifen Beliker, der Schule Talleyrand’3 angehörend, wenn 
gleih mit anderen Gefinnungen, als die Grammonts, die Ereig- 
niffe dennoch nicht völlig beiſtimmend betradhtete. 


235 


Se leerer und feltener die Salons, um fo befuchter waren 
die Spielhäufer, und die beſſere Gejellichaft verfammelte fich jeben 
Abend in den weiten, glänzend erleuchteten Räumen des |. g. 
Cercle des Etrangers. Hier fam man nun zufammen, um 
Neuigkeiten zu hören, feine Gedanken Über die Tagesbegebenheiten, 
auszutauſchen, und man konnte dabei fein Geld mit der größten 
Nude, mit einem gemifien Anftande verlieren, welcher bie 
Screden geheimnigveller Dramen, die auch bier nicht fehlten, nicht 
ahnen ließ. Es herrſchte da der feinfte, beite Ton; in jeder 
Woche fanden die audgefuchteften Diners ſtatt, zu denen tie aufs 
geführten Fremden fchriftlich eingeladen wurden. Die ſ. g. Com: 
mifläre machten dabei die honneurs, Männer guter Familien, aber 
meift felbft durch das Spiel zu Grunde gerichtet, daher yleichfam . 
Penfionäre der Bank. Es war ein glatter Firniß, der Alles 
bedeckte, felbft die Roulette ala zu gemein verbannte, Whiſttiſche 
waren felten, dagegen das trente et quarante in voller Blüthe, 
auch daB verderbliche „Crep's“ eingeführt, das, weil ein Würfel- 
fpiel, noch einförmiger und geiftlofer, als die Übrigen Glücksſpiele. 
Der Ort, die Ungebungen waren um fo gefährlicher, ald man 
glaubte, fi Hier dem Hang zum Spiele ungehindert bingeben zu 
dürfen. Ich Habe junge Edelleute, befonderd ungarifche und pol: 
niſche, gekannt, welche hier in kurzer Zeit Verlufte erlitten, die 
ihre ganze Eriftenz verdarben. — Dem Cercle gegenüber lag das 
berüchtigte Srascati, mo man fich freilich in fehr gemifchter Geſellſchaft 
befand, wenn gleich die Säle noch eine gewiſſe Eleganz verriethen, 
nur anftändig gefleidete Herren und — Damen eingelaffen wurden. 
Hier nun war der Thron der Roulette aufgefchlagen und Alles 
drängte fi unaufhörlih Tag und Naht um die verbängnißvolle 
Kugel. Die eigentlihen f. g. Spielhöllen aber, Nr. 113 des 
Palais royal u. a., hatte ich nie den Muth zu betreten. Wird 
einft dem König Ludwig Philipp ein Ruhmestempel erbaut, fo 
bleibt nicht einer der Fleiniten Pfeiler deſſelben das Verdienſt, 





236 


diefem widerlichen Treiben, der Quelle jo vieler Lafter und Per: 
brechen, ein Ende gemadyt zu haben. Alle Gründe, welde man 
für die Beibehaltung der öffentlihen Spiele gewöhnlich anführt, 
erzeigen fich bei näherer Beleuchtung als ebenfo viele Sophismen. 
Das Hauptübel beiteht immer in der Gelegenheit, melde der 
Menge geboten wird, ihrer ungezügelten Leidenfchaft zu fröhnen. 
Dabei erinnere id mid) immer eined Vorfalls aus eigener Erfah: 
rung. Als ich 1822 Paris mit einigen Jugendfreunden befuchte, 
gaben diefe, wohl unvorfichtiger Weife, einem deutſchen Lohnbe- 
dienten eine 1000 Irs.-Banknote zum auswechſeln. Lange Tehrte 
er nicht zurüd, endlich erichien er blaß, ein Bild der Verzweiflung, 
und auf die Frage: mas mit dem Gelde gefchehen? antwortete er 
ftotternd: „Sie baben mir e8 aus der Hand geſpielt.“ Diefe 
dunkle Phrafe wurde zulegt dahin erläutert, daß Alles am grünen 
Tiſche verſchwunden fei. Der Unglüdliche erfchien ſpäter vor der 
Police correctionelle; wir wurden als Zeugen vorgeladen; er 
geftund unter Thränen, wurde beftraft, aber dad „aus der Hand 
geipielte Geld“ war für immer verloren. 

Paris kam damals lange nit wieder in das gemohnte 
Geleiſe zurüd. Die Kirchen waren verödet, einige ganz geichloffen, 
die Tuilerien unbewohnt, öffentliche Orte wenig befucht, Handel 
und Wandel lagen darnieder und die junge Freiheit ging 
bald nad allen Richtungen in Zügelloſigkeit über. Auf den Pläben 
wurden nebjt miderlichen Zerrbildern oder Spottgedichten Büdyer 
der gemeinften Urt zum Verkaufe angeboten. Hatte man Morgens 
den aufregenden Diskuffionen in den Kammern beigewohnt, fo 
las man Abends ihr Echo in den leidenfhhaftlichen Ergüffen der 
Blätter, oder war auf den Straßen Zeuge irgend eines ſeltſamen 
Auftritts. Wo das wirfliche Lehen täglich fo reich an dramatifchen 
Emotionen war, fonnte man den Theatern jelbft nur wenig 
Geſchmack abgewinnen. Die Heinen Bühnen bejonderd überboten 
ſich in Aufführung abſcheulicher, Religion und Sitte verhöhnender 





237 


Stüde; jede politiiche Anfpielung wurde beklatſcht, dazwiſchen mußte 
dann wieder eine Schaufpielerin patriotifche Verfe deflumiren, oder 
es erfchien ein Sänger mit einer riefigen Fahne und gab eines 
der beliebten Volkslieder zum Belten, die dann vom Publikum 
nachgebrüllt wurden. Bald las man Zeitungsartifel laut vor, 
oder ein Zuſchauer erbat fi das Wort, um zu einem Leichen: 
begängniffe eines feinen Wunden erlegenen Julihelden einzuladen; 
bald wurden wieder Zufammentünfte, CIubangelegenbeiten, Studenten: 
vereine befprodhen u. f. w. Aber auch in den größeren, felbit in 
Dperntheatern ging es nicht viel ruhiger zu, und der eigentliche 
Genuß des Schanfpield wurde unter diefen fortwährend fremdartigen 
Eindrüden vielfach geftört. ZB mei Opern waren es vorzüglich, 
welche durd) mehrere Jahre die fo Leicht entzündlichen Gemüther 
vorbereiteten. Die von Roffini fo berrlih in Muſik gejebten 
Freibeitöphrafen im „Tell“ zeigten ſich nicht weniger wirkſam, 
ala die begeifternden Scenen in Auber's „Stumme von Bortici“, 
deren dritter Akt bald von der Bühne auf die Straße felbit ver: 
pflanzt werden follte. Nach ter Yulirevolution fand man jedoch 
für aut, mit dem Triumphzuge Maffaniello’3 zu fchließen. Man 
wollte auf den Rauſch doch nicht gar fo bald die Ernüchterung 
folgen laffen. 

Eine traurige Epifode in diefer Zeit bildete die Jagd, welche 
man auf die flüchtigen Miniſter anſtellte. Nur wenige entfamen, 
die bedeutenderen, wie Polignac, Peyronnet, wurden gefangen, be- 
fanntli im Dezember verurtheilt und Tängere Zeit eingefperrt. 
War Karl X. nad) der Charte unverleglih, fo mußte man ſich 
an die verantwortlichen Minifter halten, ftrafte man aber in der 
Perfon des Königs den Urheber der Ordonanzen mit Verbannung, 
fo hatte die Verurtheilung feiner Rathgeber feinen Sinn! 

So verließ ich denn Paris, ohne den Föniglichen Hof begrüßt, 
deſſen Minifter und Anhänger befucht zu haben, Dennoch begegnete 
id, öfters Ludwig Philipp und feiner Familie, Jah in den Kanımern, 


238 


den Salons oder auch auf der Straße noch alle die Männer, an 
deren Namen man damals fo große Erwartungen für das Heil 
der Zukunft knüpfte! Talleyrand mit dem Marmorgefichte, der 
allen Regierungen Unentbehrliche, Lafitte, welcher den Wahne, 
ein großer Staatdmann zu fein, feinen Ruf ald Banquier und 
ein koloſſales Vermögen opferte, Caſimir Perrier, fähiger als 
die meiften, der aber im erften Sabre ter Cholera unterlag, 
Lamarque, Mauguin und wie fie alle hießen, die, einſt body: 
gefeiert, in Vergellenheit endeten! Am meiſten beichäftigte fid) doch 
während eines halben Jahrhunderts die öffentliche Aufmerkſamkeit 
mit Lafayette, der neben Wafbington auf den Schlachtfeldern 
von Amerika neue, nie verdaute teen eingejogen, von frühem 
Kriegsruhm wie von Kitelfeit und Ehrgeiz aufgeblafen, fi 1789 
angemaßt, das Königthum zu retten, zur Nevolutiondzeit kaum 
dem Henferbeile entgangen, in öfterreichifche Gefangenſchaft gerathen 
war. Nun, nachdem er unter jeder der vielen Verfaſſungsformen, 
die ſich Franfreicd gegeben, als Ideolog zurüdgeftoßen, ſchwur er, 
alt und beinahe Tindifch geivorden, zur Fahne Orleans und mußte 
fi von der Barifienne als „Lafayette au cheveux blancs“ 
anfingen Iaffen, ihn, den man immer nur in einer braunen Berüde 
gefehen hatte! Es war daher Fein alltägliches Schaufpiel, als Lud- 
wig Philipp auf dem Marsfelde fih von dem unvermeidlichen 
Lafayette die Pariſer Nationalgarde vorftellen Tieß, welche dieſer 
nun feit 40 Jahren wieder zum erften Male Gefehligte! 

Hätte damals Jemand gewagt, vorher zu fagen, daß die 
neue Ordnung der Dinge 18 Jahre fich erhalten würde, er wäre 
veif für das Tollhaus erflärt worden! Man ſah nur zwei Aus- 
gänge: den baldigen Untergang der Dynaſtie durch eine neue 
Revolution, oder einen, die ftaatlichen Verhältniffe Europa’3 umge: 
ftaltenden allgemeinen Krieg! 


— — — — — — 


239 


Mitte Oktober war ich wieder in Karlsruhe zurück, vorerit 
obne beflimmte Befchäftigung. Alle mir für den Parifer Poften 
zugefagten Entfchädigungen blieben aus, und auch die in Ausficht 
geftellte Verſetzung nach St. Petersburg kam nicht zur Ausführung. 
Ich wurde vorläufig zu Hofdienften verwendet, meldhe meine Zeit 
über Erwarten häufig in Anfpruch nahmen. Dod blieb mir 
immer Mufe genug, den wunderbaren, ſich überftürzenden Welt⸗ 
begebenheiten aufmerffan zu folgen, um eintretenden Falls den 
gegen meinen Willen unterbrechenen Faden einer gewohnten Ge- 
ichäftsthätigfeit alfobald wieder aufnehmen zu können. In Deutſch⸗ 
Iand felbft zeigten ſich in Folge der Julitage allenthalben convulfi⸗ 
viſche Zuckungen. Die Einen waren gutmütbig genug, das franzd- 
ſiſche Phrafengeflingel für baare Münze zu nehmen, und träumten - 
von allen nur denkbaren Freiheiten und Erleidhterungen, Andere 
ſuchten die Ereigniſſe zu ihrem Vortheile auszubeuten, und natürlich 
war, wie immer, die ummälzende Partei vor Allem rührig, welche 
da und dorthin Brandfadeln warf. Doch zündeten fie nur da, 
wo fie wahrhaft wunde Theile fanden — in Kurheſſen, in Sachſen, 
wo eine Mitregentichaft errichtet wurde, endlich in Braunſchweig, 
eine Barifer Revolution im Kleinen, welche mit dem Brand des 
Schloſſes und der Bertreibung des Herzogd Karl endete. In 
vielen Städten, befonderd dem Sibe von Univerfitäten, gab es 
Kravalle; doch da Oefterreih und Preußen in Ergreifung wirt: 
ſamer Maßregeln einig waren, fo wurde die Ruhe, wenigſtens 
für den Augenblid, bald wieder bergeitellt. Baden aber verdanfte 
nur dem Regierungswechſel, daß ed vor größeren Erſchütterungen 
bewahrt wurde. Seh Monate früber hätte die Julirevolution 
auch dort Zündftoff genug gefunden. So ftellten aber babifche 
Truppen jelbft die Ordnung in den beffiichen Landen ber. — 
Auch einigen Kantonen der Schweiz hatte ſich die Bemegung mit: 
getheilf, welche fpäter theilweife in Bürgerkrieg überging. Als 
nun aber vollends, um Rußland zu befchäftigen, die Propaganda 





240 


am 29. November die Sturmglode des Aufruhr? in den Straßen 
von Warfchau ertönen Tieß, als, um Defterreich zu ſchwächen, der 
Ruf nad italienifher Einheit von den Alpen bis zum Veſuv 
erichallte, da war das Loſungswort zu einer allgemeinen politifchen 
Verwirrung gegeben; das Jahr endete trübjelig und Alles ſah in 
peinliher Erwartung den Greigniffen des kommenden entgegen. 

Am November wurden in der großberzoglidhen Familie zwei 
Bermählungen gefeiert. Prinz Guſtav Wafı verband ſich an feinem 
Geburtstage — 9. November — mit der damald in Jugend 
und Schönheit blühenden Brinzeffin Louife von Baden. Als 
Geremonienmeifter überreichte ic dem hohen Brautpaare die Ringe 
am Traualtar. Einige Tage nachher kehrte Markgraf Wilhelm 
mit der ihm in Stuttgart angetrauten Prinzefjin Elijabeth von 
Württemberg in fein Palais zurüd, welches von nun an -durd 
beinahe 30 Jahre der Sitz eines ungetrübten häuslichen Glückes 
werden follte. Beglückwünſchungscouren, Hoffefte, Gallatheater, 
Tadelzüge und andere umnvermeidliche Dinge folgten diefen fürft- 
lihen Berbindungen. 


Das Lahr 1831, gleichſam das Vorſpiel von 1848, war 
ein Jahr focialer Auflöfung, eine Uebergangsperiode von veralteten 
Zuftänden zu einer neuen fi) Bahn bredienden Zeit. Tod, be 
zeichnet ed nur ein Stadium in diefem großen Entwidelungprozeß, 
und während es daher von einer Seite nicht die Befürchtungen, 
die man davon hegte, in vollem Maße rechtfertigte, erfüllte es 
wieder von der anderen nicht die fanguinifchen Hoffnungen der 
Neuerer. Alle Blide waren dahin gerichtet, woher die erfte 
Bewegung ausgegangen, und da ſah man denn die Straßenunruben 
in Paris, Lyon und anderen Orten, die ftürmifchen Kammerver⸗ 
handlungen, die Tebruarerceffe, den Cynismus der Preffe, die 
Leidenfshaftlichkeit der Parteien, die Schmierigfeiten der Regierung. 
Der kluge Sinn des Königs, die Energie Erf. Perrier's, der die 


4 


Zügel mit Fräftiger Hand ergriff, febten der Bewegung für einige 
Zeit ein Ziel. Ludwig Philipp und feine Söhne durchreiften be: 
rubigend einige Theile Srankreihd und in dem Grade, als die 
Flammen des Aufruhrs anderwärts auffoderten, fchienen fie dort 
dem Erlöfhen nahe. Belgien und Italien waren es zunächſt, 
welche die Sorge ded Parifer Kabinet? in Anfprud nahmen. In 
beiden Fragen Fräftiger zu feinem eigenen Vortheil einzugreifen, 
dazu fehlte ihm der Muth. Das ganze Jahr hindurch zogen fid) 
die Verhandlungen über das künftige Schiefal Belgiens, endlich 
ergab fi) die Citadelle Antwerpens, und in London brachte man 
gegen 70 Protocolle zu Stande, welche aus einem Königreiche 
der Niederlande deren zwei machen follten; der anglo=fächfiiche 
Prinz endlich vermählte ſich ald König mit der Prinzeſſin Louife 
von Orleans. — 

In Italien aber batten fih an allen Eden Bürgerfrieg und 
Empörung entzündet; und während im Februar Cardinal Capellari 
als Gregor XVI. zum Bapfte gewählt wurde, ſah man frei: 
ichaaren die Halbinfel durchziehen, zwei junge Napoleoniden an der 
Spite, von denen der ältere den verunglüdten Verſuch mit dem 
Leben büßte. Polen hatte feinen Freiheitsdurft mit Blut geftillt, 
und nad langem verzweiflungsvollem Kampfe ergab fi im Sep: 
tember Warſchau. Ludwig Philipp aber Hatte für das von ihm 
früher ermuthigte Volt keinen anderen Troft, ald die oft twieder: 
bolte, befannte Phrafe: „ia Nationalit6 polonaise ne p£rira 
pas!“ Griechenland Tag in Geburtöwehen, in Spanien Aufruhr 
und Hinrihtungen; in Portugal fanden fich zwei Königliche Brüder 
in Waffen gegenüber, felbit in England gährte es, und der Ruf 
nah „Reform“ wurde immer lauter und drobender; der Proceß 
gegen D’connel fette ganz Irland in fieberhafte Bewegung. Die 
beiden deutfchen Großmächte fahen in würdevoller Ruhe, mehr 
abwehrend als thätig, dem wirren Treiben zu; nur ihre militärifchen 
Kräfte wurden ungewöhnlich und ber Gebühr angeftrengt. In 

Th. v. Andlaw. Wein Tagung. I. 16 


242 


den deutfchen Bundesſtaaten endlich quälte man ſich mit Confti- 
tuttonen ab; bier wollte man die fchon beftehenden in einem libe- 
raleren Sinne ummodeln, dort neue einführen. Auch Baden konnte 
fih diefen Anforderungen nicht ganz entziehen; neue Wahlen follten 
flattfinden, der Zeitpunkt zur Einberufung des Landtages rückte 
heran, und fo großes Vertrauen auch die Perjönlichfeit des Groß- 
herzogs und die Haltung der Regierung einflößten, fo theilte fich 
doh das allgemein in Deutichland verbreitete Unbehagen auch 
diefen Gegenden mit. Diefe Mifgunft bezog fich zunächft auf den 
Minifter v. Berftett und feine Umgebungen, und wenn er die 
im Innern des Landes immer lauter werdenden Stimmen nicht 
beachten wollte, jo verfeßten ihm benachbarte Blätter, befonderd 
jene des Elfafies, täglich empfindlichere Navdelftihe. Waren diefe 
Angriffe auch vom Parteigeift eingegeben, einfeitig, übertrieben, 
gehälfig, jo mußte Berftett, den Moment richtig erfennend, fie nicht 
erſt erwarten, fondern lieber früher einem Poſten entjagen, den er 
ungeachtet unläugbar großer Verdienfte, nicht mehr mit Erfolg 
auszufüllen hoffen konnte. Mit ihm trat auch Hennenhofer 
zurüd, gegen den hauptſächlich alle Pfeile des Spotte wie der 
Schmach und Verläumdung gerichtet waren. Er ließ ſich zuerft 
in Malberg, dann in Freiburg nieder, und von da an war es 
ihm erft möglidy, die Gutmüthigfeit feines Charafterd, wie andere 
edlere Eigenichaften zu entfalten, welche unter den früberen ihn 
beengenden PVerbältniffen mehr oder minder unterdrüdt morden 
waren. Während er ſich jebt feinen freunden mehr nähern Fonnte, 
entwaffnete er feine früheren Gegner durch eine harmloſe, felbitge- 
wählte Thätigkeit. Selbit bei öfteren Schlaganfällen blieb er ftet3 
heiter und feine völlig zeritörte Gefundheit trübte nicht feinen Teb- 
haften Geift. Auch ich ftand mit Hennenhofer in einem beftändigen 
Briefwechlel, der nur mit feinem Xode (1850) endete. 

Die erfte Ständeverfammlung unter der neuen Regierung 
fand Ende März ftatt, und wurde vom Großherzog Leopold felbft 


243 

mit einer viel beiwunderten und viel hejubelten Rede feierlich er: . 
öffnet. Dieſer Landtag ſchloß am Tebten Dezember und erreichte 
fomit die volle Dauer von neun Monaten. Ich bin glücklicher 
Weiſe nicht berufen, die Geſchichte dieſes, ſowie der früheren und 
jpäteren badifhen Landtage zu ſchreiben. Doch ftand ich dieſer 
Berfammlung perfönlich näher, und hatte daher mehr Anlaß, fie 
zu beobadıten, als die anderen. Der Großherzog hatte mid, näm⸗ 
lich zum Sommiffär für das Geremonielle ernannt; in diefer Eigen: 
haft beiprach ich mich im Namen des Hofes mit den Präfidenten 
der beiden Kammern, überwachte die Ordnung auf den Tribünen, 
theilte Eintrittsfarten aus u. f. w. War mein Amt auch nicht 
ſchwer und anftrengend, fo hielt e8 mich doch Zeit raubend in 
Karlsruhe feft, und Tief nicht ohne unangenehme Scenen und Tleine 
Konflikte ab. 

AZufammenfebung und Geift diefer Kammer verriethen nur zu 
bald die politifhe Farbe des Augenblidd, und die gereizte leiden: 
ſchaftliche Richtung, welche fih damals gleichfam in der Luft befand, 
wirkte auch auf die Wahlen ein. Glänzende Reden murden zur 
Erbauung der überfüllten Gallerieen gehalten, ſtundenlange Bor: 
Iefungen aus dem „Staatslerifon” belehrten die Zuhörer, und vor 
Allen war es das Freiburger Profefforenkleeblatt, welches durd) 
feine Beredtſamkeit den Landtag wohl um menigitend drei Monate 
verlängerte, während der fchlaue Suitein das Büdget mit ſcharfem 
Mefter zerlegte; große Summen, frucgtbringend für die Zukunft, 
wurden votirt, andere verwendet, um den Lieblingsideen des Tages 
zu huldigen. Schwerlich hätte je eine abfolute Negierung gewagt, 
die Kräfte des Landes in der Weile in Anfpruch zu nehmen, mie 
es bier nit Zuftimmung der Kammern gefchehen. Manches zeigte 
fich ſpäter als Treibhauspflanze, aber viele beffere ergiebige Körner 
Vöften ſich doch immer von der unfruchtbaren Spreu ab, und 
trieben eine üppige Saat. Doch waren es nicht nur die inneren 
Angelegenheiten, welche die Gemüther beichäftigten, man folgte 

16* 


244 


unmillfürfich auch den Impulfen von Außen; Belgien, Polen, die 
Schweiz, Italien und alle die „brennenden Fragen des Tages“ fanden 
ihr Echo in den begeifternden Worten der tonangebenden Männer 
des Volles. 

So zog fi denn dieß Jahr unter Gemüthsbewegungen der 
verfchiedenften Art fort, und nicht die geringite Sorge war das 
fih in der Ferne zeigende drohende Geipenft der Cholera mit 
allen feinen Schreden. Mit größter Ruhe las man früher, daß 
in Oftindien fo viel Tauſende der Seuche erlegen; als aber die 
ruffiihen Truppen fie aus Aften nah Polen verichleppten, und 
es vollends hieß, einige Perſonen in Berlin und Wien feien der 
Krankheit erlegen, da überließ man fich einer allgemeinen Furcht. 
Mer nicht erlebt, was darüber geſprochen und gefchrieben wurde, 
macht ſich jetzt Teinen Begriff mehr von der Angft, mit der man 
den tödtlichen Gaſt erwartete, wie von den unfinnigen Vorkehrungen, 
welche man gegen fein Erjcheinen traf. 

Außer Meinen Ausflügen nah Yreiburg, Mannheim und 
Baden bewegte id midy den Sommer über in den gewohnten 
Kreifen der Karlsruher Gefellichaft, welche, fo wie das Hofleben, 
inmitten der täglich fteigenden Beforgniffe nur wenig Abwechslung 
bot. Ach befuchte die Häufer der Gefandten, befonder das des 
mir befreundeten Grafen Buol, und betrat öfter8 als früher das 
Palais der Markgräfin Amalie. Die ehrwürdige, beinahe gänzlich 
erblindete Fürftin Hatte Abends nur noch einen Zirkel vertrauter 
Treunde um ſich verfammelt. Seit ihrer DVermählung waren 
60 Jahre, wohl von den wichtigften in der MWeltgefchichte, vorüber: 
gegangen; fie war, wenn audy nicht unmittelbar, doch durch ihre 
Stellung in alle Vorgänge ihrer Zeit gezogen, mit den merf- 
würdigften Perfonen in nahe Berührung gefommen. Nur mit 
inniger Rührung konnte man fi der edlen Frau nähern, die, 
eine moderne Niobe, den Gemahl, den einzigen Sohn, ihre Töchter 
von Rußland, Schweden und Braunfchweig, die ledige, ihr zur 





245 





Pflege gebliebene Prinzeffin Amalie beweint, den Kaifer Alerander 
wie den König Mar Joſeph verloren; es blieben ihr nur noch 
zwei Töchter und zahlreiche Enkel, die fie, wie ihre Kinder, auf 
Thronen ſah und an denen fie mit zärtlicher Xiebe Bing. Go 
zogen die Erinnerungen an ein reidy bewegtes Leben fill an ihr 
vorüber, al3 unerwartet die Ummwälzung 1830 auch ihr eine neue 
Zeit verkündete, in die fie fih nicht mehr finden konnte. — 
Einiges Leben in die Gefellichaft brachte das Haus der Prinzeffin 
Augufte von Naffau, welche nad dem Tode ihrer Schweſter, 
der Markgräfin Friedrich, das freundlihe Gartenpalaid bezog. 
Ihr gefelliger Sinn Tieß dieſe fchönen Räume von Befuchenden 
nie leer werden, und Spiel, Mufit, Tanz erheiterten die Abende. 
Ihr Gemahl, der Graf Bismark, wie einige feiner gebildeten 
Nichten unterftüßten die geiftreihe Yürftin bei diefen angenehmen 
Birken. Bid zur Zeit ihres Todes 1846 febte die Prinzeſſin 
diefe, für Karlsruhe fo überaus erwünſchte Gaftfreundichaft fort, 
und wenn aud fpäter anhaltende Kränklichkeit fie hinderte, größere 
Berfammlungen zu balten, fo blieb fich doch im engeren Kreile 
von Bekannten ihr reger Geift, ihre muntere, oft witige Laune, 
die freilich nicht immer des Nächften fchonte, gleich.*) 

Das Yahr 1881 verfloß, mider alles Erwarten, ohne daß 
der gefürchtete allgemeine Krieg ausbrach; dagegen trugen die Be: 
waffnung aller Staaten und die überall zu befänpfenden Empörungen 
weit mebr zur fteigenden Unzufriedenheit und Verarmung bei; ſelbſt 
die Türkei wurde über diefem Treiben vergeffen! 


Im März 1831 wurde ich durch einen Erlaß des herzoglich 
braunſchweigiſchen Kabinets überrafcht, welches mich zur Er: 
klärung darüber aufforderte: wann und weßhalb ich in die Dienfte 


*) Siehe; Aus dem Leben einer beutfchen Fürſtin (von Freifrau 
v. Dalberg: Nüllmann). 





246 


des Herzog? Karl von Braunſchweig getreten fei? Diefe Anfrage 
zu begründen, war ein Schreiben des Sekretariats jened, damals 
nach Paris geflüchteten Herzogs beigefügt, und die Schreiben zu 
meinem rftaunen „Legationsratb v. Andlaw“ unterzeichnet. 
Während ich fogleih nad) Braunſchweig fhrieb, daß ich in feiner: 
lei Berührung mit den Herzog Karl ftehe und bier ein Miß- 
brauch de3 Namen vorliegen müffe, wurde mir das Räthſel bald 
darauf dur einen Brief aus Frankfurt aufgellärt, welcher mir 
anzeigte, daß der ehemalige Kammerdiener des Herzogs Karl, ein 
gewifjer Bitter, mit Aufträgen feine Herrn dort eingetroffen fei. 
Zugleich erfuhr ich, daß diefer ihn, unter Ernennung zum Legationg- 
rathe, in den Freiberrnftand mit Namen und Wappen unjerer 
Tamilie erhoben babe. Ih konnte mir bei diefem fonderbaren 
Einfalle fein anderes Motiv denken, ald daß Seine Durdlaudt 
fi den gnädigen Scherz machen wollte, mir einen Doppelgänger 
zu geben. Bon Yranffurt aus follte Bitter mit einem von der 
diterreihiihen Botichaft in Paris unter dem erborgten Namen 
ausgeſtellten Paſſe in bejonderer Miſſion nad Wien reifen. Ich 
ſchrieb daher eiligft nach Braunfhmeig — die dortigen „Anzeigen“ 
brachten alfobald eine fürmliche Ungültigleitserflärung des ertbeilten 
Titel und Namens von Seiten des herzoglihen Staatsminifteriums 
unterm 8. April. Ich fchrieb nah Frankfurt — der Bundestag 
nahm den Braunfchweiger Proteit fofort in das Protokoll auf. 
Ich ſchrieb nah Paris — Graf Apponyi entichuldigte fich 
wegen des Pafles, der Bitter fpäter wieder abgenommen wurde. 
Ich ſchrieb endlih nah Wien, mo man dem Bitter bei feinen 
Eintreffen bedeutete, die ihm nicht gebührenden Prädikate abzu= 
legen, oder die Stadt fogleih zu verlafien. Er zog daß lebtere 
vor und theilte feine Aufträge fchriftlih mit. Bon da an wurde 
er bald in Paris, dann wieder in Florenz, Würzburg und anderen 
Orten geſehen. Nachdem er im Gefolge feines Herrn die aben: 
teuerlidften Dinge erlebt, wurde er endlid von ihm entlaffen, 


247 


und der überall umherſchweifende Erlammerbiener Tieß fih in 
allerlei Unternehmungen ein, bis wir zulest feine Spur verloren. 
Nur von Zeit zu Zeit ſpukte er noch mit dem falfchen Namen 
in Öffentlichen Blättern, und noch im Jahre 1840 waren meine 
Verwandten und ich genöthigt, in der Allgemeinen Zeitung dagegen 
zu reflamiren. Ich erwähnte aber diefed an fich unbedeutenden 
Vorganges, um dadurch miederholt gegen die wunderliche Laune 
des Herzogs Karl, wie gegen die Unverfchämtbeit, mit welcher 
Bitter diefelbe benüst, Verwahrung einzulegen. Herzog Wil: 
beim aber, melcher fich bei diefem Anlaffe der verlebten Nechte 
unferer Familie auf3 Treundlichite annahm, fcherzte fpäter oft 
darüber und meinte, ich follte mich für diefen „bittern Better“ 
damit tröften, daß ich ihm gegenüber als der „füße“ ericheine. 


Mit einem großen Hofdiner bei dem Schluffe der Stände: 
verfammlung endete dad Jahr 1831, und am nächſten Tage fand 
das gewöhnliche Neujahrsbanguet mit den Miniftern, dem Hof: 
ftaate, den Geſandten und Fremden flatt. — Die großherzogliche 
Regierung, durh den ermüdend Tangen Landtag fortwährend in 
Anſpruch genommen, konnte fih nun ungeflörter der inneren Ber: 
waltung unterziehen, feine Meine Aufgabe, welche ihr die thätigen, 
Alles ändernden und in Trage ftellenden Stände hinterlaffen. In 
dem Grade, als diefe neun Monate an Diäten verzebrten, war 
man bemüht, wieder in anderer Weile zu fparen. Aber auch den 
Außendingen konnte man fich jet wieder unbefangener zumenden, 
und da waren e3 denn die deutichen Angelegenheiten in eriter 
Linie, melde das Kabinet beichäftigten. Auf einer Seite die 
zunehmende Gährung, auf der anderen die Borftellungen des 
Bundes, deffen Anihauungen nicht immer im Einklange mit den 
Beſchlüſſen der badifhen „Volkskammer“ ftanden, alle diefe 
Ericheinungen bildeten eine Weihe von unerquidlichen Sorgen, 


248 


Geſchäften und Konflikten für den neu ernannten Staatöminifter des 
Aeußern, Treibern v. Türkheim. Ich felbft aber, des langen 
Harrend wie der gezwungenen Unthätigfett müde, wünſchte lieber 
wieder in meine früheren Dienftverhältniffe nach Wien zurüdzu- 
fehren, mad man denn auch, meine billigen Anfprühe auf Beför- 
derung nicht beuchtend, nach Tangem Zögern bemilligte. Vorher 
begab ich mich jedoch nady Freiburg, wo ich im väterlichen Haufe, 
umgeben von Liebenden Verwandten, einige ungemein beitere Wochen 
zubrachte, nur einen Augenblick durch eine unerwartete Epifode 
getrübt. Nach dem alle von Warichau hatte fih ein Schwarm 
flüchtiger Polen nad) allen Richtungen über Deutſchland verbreitet. 
Die beredte Schilderung ihrer Leiden und Noth wie der Anblid 
ihrer Jammergeſtalten brachten allenthalben eine unbejchreibliche 
Wirkung hervor. in folder Zug fam im Februar auch durch 
Freiburg. Man befchenkte, beflcidete, bewirthete, unterftüßte fie in 
jeder Weife, doh ließ man natürlich diefe fchöne Gelegenheit zu 
politifchen Demonftrationen auch bier nicht unbenütt vorüber gehen; 
die ſchwunghaften Reden, die feuerigen Toafte bei den Trinfgelagen 
wurden bald von den Sälen auf die Straßen verpflanzt, und des 
nicht felten die Nachtruhe flörenden Lärmes war fein Ende! — 
Welch fein fühlendes Gemüth Könnte dem traurigen Geſchicke einer 
Nation, welche mit jo glänzenden Hiftoriichen Erinnerungen einen 
gewiffen ritterlihen Charakter verband, die wärmſten Sympathien 
verfügen? Doc mifchten fich in diefe Theilnahme gleich viele Täu⸗ 
fhungen über den eigentlichen Geift und die Tragweite einer ebenfo 
leichtfertig unternommenen, ala mit aufopfernder Tapferkeit durch: 
geführten Erhebung. Es mar die Sache des Glaubens, die der 
Vorrechte des Adeld, welhe man in Warſchau verfechten wollte; 
an diefe Vorkämpfer ſchloß ſich der Mittelitand, hing ſich die 
Umfturzpartei an. So kam es denn, daR fich neben den Mit: 
gliedern der erften Familien unbelannte Demagogen in den Reiben 
fanden und Rußland deßhalb zu einem Kampf auf Leben und Tod 





249 
berausgefordert wurde, der begreiflidd) mit der Niederlage des 
Schwächeren enden mußte. 


Nah Karlsruhe zurücgefehrt, fand ich dort den Carneval 
in ziemlich lebhafter Bewegung. Am 1. März wurde der Jahres⸗ 
tag des Regierungsantritts des Kaiſers Franz vor 40 Jahren 
durdy einen feierlichen Gottesdienft in der Tatholifhen Kirche und 
ein Salladiner bei Hofe begangen, bei welchem Anlaſſe der Groß: 
berzog in der Uniform feines öfterreichifchen (des 59.) Infanterie: 
Regiments erfchien. — Um diefe Zeit ſah ih an dem Gafthof: 
tifche täglich einen Tleinen, Häßlichen Mann, den ich für einen 
Juden bielt, und welcher ſtets finfter vor fi hinblickte, ohne je 
ein Wort zu fpredhen. Ich erfuhr, daß es Börne war, deffen 
frühere Werke mich ungeachtet aller ihrer Schwächen fo fehr unter: 
halten Hatten. Sein Aeußeres fchredte mid) ab, und was er 
fpäter in ekelhaftem Cynismus und undeutihem Spotte gefchrieben, 
Tieß mid, keineswegs bedauern, nicht perfönlich mit ihm in nähere 
Berührung gelommen zu fein. 


Im März begleitete ih den Grafen Buol nah Mannheim. 
Wir brachten da in den beiteren Rreife von Bekannten und Ber: 
wandten einige vergnügte Tage zu und beficchten beinahe jeden 
Abend den Salon der Großherzogin Stephanie. In früherer 
wie in fpäterer Zeit hatten in Mannheim, Baden, Umkirch wie 
an anderen Orten diefe Abendgefellichaften für mich immer den 
größten Reiz. Die liebensmwürdige, unbefangene Art, mit der die 
edle Yürftin bald anziehende Gegenftände zu berühren, Fragen 
aufzuwerfen, jeden Gaft zu befhäftigen wußte, war nur ihr eigen; 
bald warf fie mit dem Bleiftifte Peine Zeichnungen auf3 Bapier, 
bald fang oder fpielte fie am Piano, oder machte mit großer 
Geſchicklichkeit eine Partie Billard; die Karten Tiebte fie nicht. 
Raſch, in der reizendften Abwechslung verfloffen immer diefe Abende, 
und ich dachte mir oft, meld) eine dankbare Aufgabe es für eine 


250 
gewandte Feder fein müßte, die Annalen des Salons Stephanie 
von ihrem erjten Auftreten in Mannheim 1807 bis zu ihrem 
noch immer allzu frühen Tode 1860 in Nizza zu fchreiben. Um 
ihre fo graziöfe Erfcheinung gruppirten fih da ſtets die merf: 
würdigften Perfönlichfeiten der Zeit; es mar ihr Salon gleichſam 
ein neutraler Boden, auf dem fi Fürften und Künſtler, Staats: 
männer und Krieger, die Vertreter aller politiihen Meinungen, 
Leute vom Hofe wie aus der gelehrten Welt, geiftreiche Frauen 
wie fein gebildete Männer und Schriftiteller zu immer anregenden 
Geſprächen zufammenfanden. Aller Zwang war fo gut wie auf 
reizende Polemik und Tangweilige Pedanterie verbannt. Zu jener 
Zeit nun gewann diefer Zirkel noch dadurd einen höheren” Reiz, 
daß fih die Herzogin v. St. Leu auf Beſuch bei ihrer Eoufine 
befand. Ich hatte diefe merkwürdige Frau früher nie gefehen; 
eine hohe Geftalt, eine natürliche, graziöfe Liebenswürdigkeit ver: 
rietben mehr als ihr gealterte® Gefiht frühere Schönheit und 
äußere Vorzüge. Die unmittelbar vorangegangenen traurigen Tage 
hatten über ihr ſonſt fo heiteres Gemüth einen Schleier ftiller 
Wehmuth geworfen. Dennod blieb die „Reine Hortense‘* ihrer 
Gewohnheit treu: „de roucouler ses romances‘‘; ohne „partant 
pour la Syrie“ konnte man fie fih nun einmal nicht denfen; 
auch durchging fie mit der Großherzogin den Klavierauszug der 
damaligen Lieblingsoper „Robert der Teufel“. E3 zeichneten 
beide Prinzeifinnen um die Wette, dieß Talent in zierlicher Weife 
übend. Die beiden allerliebften, noch jehr jungen Töchter der 
Großherzogin, Joſephine und Marie, verjammelten wieder um ſich 
einen munteren Kreis, mo Tleine, nicht immer ftile Spiele auf: 
geführt wurden. An diefe ſchloß fih dann auch ein junger Mann 
an, der eher zurüchaltend und unbedeutend, als vorlaut und leb⸗ 
baft, dennod, unfere Aufmerkjamfeit auf fid) zog; es war Louis 
Napoleon, nah dem Fürzlih in Italien erfolgten unglüdlichen 
Tode jeined älteren Bruders der einzige Sohn und Erbe der 





251 


Hortenfe. Sie Hatte .mit ihm, nachdem fie den großmütbigen 
Schu Ludwig Philipps genoffen, Parid verlaffen, um, über 
Mannheim reifend, ihren künftigen Aufenthalt auf dem Arenaberg 
zu nehmen. Nicht? ließ in dem beinahe fchüchternen, jedenfalls 
jehr verfchloffenen Jünglinge die Geſchicke ahnen, denen er entgegen 
ging. Die beiden fürftlihen rauen fanden ihn nicht aufgemeckt, 
nicht theilnehmend genug. Ich felbjt aber follte ihn erſt 28 Sabre 
fpäter in Baden als Kaiſer miederjehen. U. v. Sternberg bat 
in feinen „Erinnerungsblättern“ in anmuthiger Weife jene Abende 
im Mannheimer Schloffe gefchildert, wenn er es glei, feiner 
Manier treu, nicht Taffen konnte, einige Binfelftriche beizufügen, 
welche dad Gemälde entftellen. Aber feine Skizze ift nicht ganz 
vollftändig; neben der originellen Gräfin Walsh durfte auch 
der Oberfihofmeifter v. Roggenbach, neben Fräulein Jung die 
ebenso anſpruchsloſe als talentoolle M. Bild Play finden, melde 
mit ihrem ausgezeichneten Klavierfpiele fo mandyen Abend erbeiterte. 
Mit der gebildeten Fräulein v. Red konnte wohl aud die niedliche 
Hofdame Gräfin Kagenel genannt werden, die mit dem Hofmar⸗ 
ſchalle v. Schredenftein 40 Jahre lang die unzertrennlihe Gefährtin 
der Großherzogin war! 

Bon Mannheim aus begab ich mid, zum Beſuche des Herzogs 
Terdinand von Württemberg nad Mainz Er bemohnte dort, 
als Gouverneur der Bundesfeſtung, mit feiner Gemahlin Pauline 
das großherzogliche Schloß. Es verfammelte fih da oft Abends 
ein anziehender Kreis von Belannten, unter denen der jo ausge: 
zeichnete Herzog Wilhelm von Naflau, wie der liebenswürdige 
Prinz Emil von Heflen immer gern gejehen waren. Auch die 
Familie Mennsdorf war meiftend unter den Theegäften. Wer 
die ſchlichte Frau ſah, wie fie den vortrefflihen Gatten ihrer Wahl 
in feinen verfchiedenen Garnifonen begleitete, wie fie mit ihm ihre 
Söhne, eine Tiebende Mutter, zu tüchtigen Soldaten erzog, hätte 
leicht vergeffen, welchen erlauchten Stamme fie angehörte, ließen 





252 


ihr feiner Verſtand, ihr einfach mohlmollendes Weſen in ihr nicht 
die würdige Schweiter des Königs Leopold erkennen. 

Mährend ich mich zur Rückkehr nad) Wien anſchickte, zogen 
noch in diefem erften Halbjahre 1832 unferen Blicken gar wichtige 
politifche Ereigniffe vorüber. Zuerſt Frankreich, das nie rubende; 
e8 hatte da ter Ausbruch der Cholera den Pöbel zu den furdt- 
bariten Exceſſen verleitet, und mie abermal3 Barrifaden und 
Straßenfampf die Parifer mit Entjegen erfüllten, entzündete ſich 
der Bürgerkrieg aufs Neue in der Bender. Die muthige Herzogin 
von Berry hatte bei dem gewagten Unternehmen, ihrem unmündigen 
Sohne den Thron zu erfämpfen, vergeffen, daß der Fühnfte Wille 
da. nicht genüge, wo die Kräfte nicht ausreichen. Der abenteuer: 
liche Zug endete in kläglicher Weife zu Blaye, und wenn Ddiefer 
Ausgang ihre Anhänger tief betrübte, ihre Gegner mit unverhohlener 
Schadenfreude erfüllte, fo traf Louis Philipp der nicht unverdiente 
Bormurf eines feigen, unzarten Benehmend gegen eine fürftliche 
Grau und nahe Vermandte. Die Regierung aber, von allen Seiten 
gedrängt, ermannte fi, und was man vor einem Jahre noch für 
unmöglich gehalten hatte — der Belagerungszuftand murde im 
Juni verfügt. — In Stalien wiederholte Zuckungen, denen Defter- 
veih und Nom entgegentraten, während in Webereinitimmung mit 
diefen Staaten zur Herſtellung der Ruhe franzöfiihe Truppen 
Ancona befegten. — In der Schweiz Unruhen, welche in einigen 
Kantonen in Anarchie ausarteten. — Endlid in Deutichland felbft 
hatten Preffe wie Kammerverhandlungen die Gemüther in gleicher 
Weife aufgeregt; der Polenfchwindel that das Uebrige, und in 
zahlloſen Schwingungen hatten ſich diefe Ideen, die Bffentliche 
Ruhe gefährdend, verbreitet. Die Gährung fand ihren ent: 
fchiedenflen Ausdrud, erreichte den höchſten Grad in dem Ham: 
bacher Volksfeſte trübfeligen Andenkens. Im  Treiheitäraufche 
überbot man ſich bei Wein und Geſang, von unzähligen deutſchen 
Fahnen überragt, an politiſchen Ausſchweifungen und Orgien, die 


253 


in ihrer rothen Färbung nur zu fehr an 1793 erinnerten. Der 
Bundestag, bisher nur abwehrend, beſchwichtigend, mahnend, trat 
num energifcher auf, und die Frankfurter Beſchlüſſe ftellten, wenn 
auch vielfach gefhmäht, dennoch eine vorübergehende Ordnung ber. 
— Mitten unter diefen Wirren gingen aus den Londoner Ver⸗ 
bandlungen zwei neue Königreihe in Europa hervor: Leopold 
beitieg den belgifhen, Otto den griehifchen Thron. 

In Begleitung meine? Schwagerd A. v. Roggenbach Tehrte 
ih Anfangs Mai über Mannheim, Heilbronn, Regendburg und 
Linz nah Wien zurüd, wo id) mich fchon wieder im Juni — 
diegmal bei Dehne, dem Hofburgtheater gegenüber — inftallirt 
fand und diefe freundlihe Wohnung während drei Jahren nicht 
verließ. 


204 


Achter Abſchnitt. 


(1832 — 1835.) 


Inhalt: Wien. Freiherr v. Falkenſtein. Politiſche Rückblicke. Die 
CHolera. Tod von Gentz. Ableben bes Herzogs v. Reichſtadt und 
der Markgräfin Amalie von Baden. Die jüngere Königin von Ungarn. 
Ein Attentat. Ein Gedicht Grillparzer's. Die zehnte Verſammlung 
der Gejellichaft deutſcher Naturforſcher. Die Bourbonen älterer Linie. 
Die Groherzogin Stephanie In Wien. Pozzo di Borgo. Das Jahr 
1833. Ueberfiht. Schriftfteller. Volksleben. Theater und Faſching. Die 
Grippe. Graf Polier. Politiſche Bewegungen. Kürftencongrek 
in Mündengräb. Drei Todesfälle Diplomatifhe Corps und Salons. 
DreiDamen aus ber Gefellihaft. Die beutfhen Minifterialconferenzen. 
Porträte. Die Schweiz. Feſte und Liebhabertheater in Schönbrunn. 
Ein Pasquill. Fremde und Bekannte in Wien. Fürſt dv. Fürſtenberg. 
Barnhagen von Enfe. Graf Ferd. Palffy. Neuftadt und Eifenjtabt. 
Eine Inftellation. Zwei Lager. Vermählungen und Teftamente. 
Saphir. Wiener Kritit. Holtey und Raimund Trauung des Grafen 
Sanbor. Tod bes Kaifers Franz. Oligarchie. Botſchaften und 
hohe Beſuche. Trauerfeierlichkeiten und Huldigung. Die erfte In— 
duftrieausftellung. Auswärtige Ereigniſſe. AZufammenkunft der 
Monarhen in Töplitz und Prag. Kaifer Nikolaus inWien Meine 
Abreiſe. 


Ko war ich denn nach zweijähriger Abweſenheit wieder in 
meine vorigen Verhältniſſe zu Wien eingetreten, und ehe ich noch 
Zeit fand, mich gehörig umzuſehen, mich mit den mannigfachen 
Veränderungen, welche ſich da im großen Ganzen, wie in dem 
engeren Kreiſe meiner Umgebungen zugetragen, erwarteten mich 
gleich anfangs ebenſo wohl Rückſichten zarter Natur, als Geſchäfte 
nicht gerade der angenehmſten Art. 

Die Vorgänge des Jahres 1831 hatten die großberzog- 
liche Regierung dem kaiſerlichen Hofe vielfach entfremdet; eine 


255 | 
Berftimmung, welche General v. Tettenborn in feiner eigenthümlichen 
Stellung ganz zu beben nicht geeignet war, fiel dem Großherzog 
peinlih, und man fund es gerathen, ein beſſeres Einvernehmen 
wieder anzubahnen, den geheimen Rath v. Falkenſtein in befonderer 
Miſſion nah Wien zu fchiden. Diefe Sendung kam Xettenborn 
felbftverftändlich nicht gelegen, dennoch benahm er fich dabei taft- 
vol und Flug genug, um ſich ebenfo gut einen Theil am Erfolge 
derfelben zufchreiben zu können. Der redliche, mit dem befonderen 
Vertrauen ſeines Herrn beebrte Freiherr vw. Talkenftein, dem Kaiſer 
überdieß als guter Freiburger perfönlicy bekannt, Lehrte vollkommen 
befriedigt und mit dem berubigenden Bewußtjein zurüd, den Zweck 
feiner Miffion erreicht zu Haben. Die Spannung jedoch, welche 
zwiſchen meiner Regierung und meinem Chef eingetreten mar, 
wirkte nachtheilig auf mi und mein Verhältniß zu ihm zurüd, 
und es bedurfte längerer Zeit, und einer feſten Ausdauer von 
meiner Seite, um die Vorurtbeile Tettenborn’3 zu beflegen. 

Ein kurzer Rüdblid auf die Rage Oeſterreichs mährend 
der zwei Jahre mag den folgenden Schilderungen der fi) von da 
aneinanderreibenden Tagesbegebenheiten zur inleitung dienen. 
Die AYulirevolution hatte uufanft aus dem behaglichen Zuſtande 
gerüttelt, den man ficy in Wien bingegeben. Noch weit mehr aber 
erihütterte die von mahrem Entfeßen begleitete Empörung in 
Ruffiih- Polen. Bald nachher fchlugen die Flammen des Auf- 
ruhrs in Italien auf, und es trat eine ernfte Mahnung an das 
Kabinet heran, mas fo Tange und in fo unbegreiflicher Weife ver: 
nadhläffigt worden, zu verbeffern, und zwar in erfter Reihe — 
den Zuftand der Armee. Sie erfchien nad einem Jahre wie ver: 
jüngt, rüftige Führer an ihrer Spike, ergänzt, muthig, voll des 
beften Geiftes, mit erneuerter Kraft und gänzlich verändertem Aus: 
ſehen! Dazu trug denn aud der Tod Kutichera’3, die Belebung 
der höchſten Kriegsämter dur fähige Männer der That, trug 
endlich das unabweisliche Gebot der Nothwendigkeit bei. Invalide 








256 


wie untaugliche Generale wurden durch jüngere, tüchtige Offiziere 
erjeßt und felten ſah man nod einen anffallenderen Umſchwung, 
ein raſcheres Avancement. Man entfagte dem Syſtem einer eng: 
berzigen Sparfamfeit, und fühlte, daß bei einem Heere jeder Still: 
ftand einer Niederlage gleich komme. Bei einen thatkräftigen Willen 
wurde fo in furzer Zeit Großes vollbracht; weit wichtigere Ber: 
änderungen waren aber noch einer fpäteren Epoche vorbehalten. 
Wo die Gefahr am dringenditen, war die Thätigkeit am fichtbarften 
— in Italien. Hier vollführte der ebenfo erfahrene und gewantte, 
als noch rüftige Radetzky Unglaubliches; jetzt und fpäter herrfchte 
darüber nur eine Stimme, daß Fein öſterreichiſches Armeecorps 
glänzender, keine Truppe beiler eingeübt, von ächt kriegeriſchem 
Geifte befeelt war. - Dennoch fanden fi in Wien Neider und 
Pedanten genug, welche den Fühnen Plänen des tapferen Generals 
nicht folgen wollten, und befürchteten, daß fein Corps, welches doch 
nur eine ruhinloſe Jagd auf italienische Feiglinge zu beftehen Hatte, 
die anderen Heerestheile überflügeln könnte. 

Aber auch die Politik Defterreihg mußte von 1830 bis 1835 
eine jener der fünf früheren Jahre entgegengeſetzte Richtung an: 
nehmen. Die Haltung der Regierung Rußland gegenüber war 
eine weife, rubige, fie trat mit Preußen mehr vermittelnd als 
thätig einwirtend in dem MWarfchauer Aufruhre auf; Galizien hatte 
fi der Bewegung nicht angefchloffen, und den in Ungarn ausge: 
brochenen Unruhen lagen andere Urſachen zu Grunde Fürft 
Metternich aber erkannte, daß er mit der Zeit in dem vorfichtigen, 
zu keinerlei Webergriffen geneigten Ludwig Philipp einen ficheren 
Verbündeten zur Abwehr der revolutionären Umtriebe gewinnen 
könne. Wenn fih nun auch ein gewiſſes Mißtrauen, genährt durch 
die enge Allianz mit England, einem allzu vafchen und entſchie⸗ 
denen Anſchließen beider Höfe entgegenftellte, fo ließ doch der Juli- 
tbron das Wiener Rabinet in Italien fichtbar gewähren, md 
binderte nicht die lange Reihe von Maßregeln, welche zur 


257 


Beruhigung Deutſchlands verfucht worden waren. Dagegen verzichtete 
Defterreidy wieder auf einen unmittelbaren Einfluß in jenen Fragen, 
welche dafjelbe — wie in Spanien, Portugal, Belgien, Griechen: 
land und der Schweiz — nicht zunächſt und dringend berührten. 

Kaum war der erite Lärm der Julitage verraufcht, als im 
September der ungarifche Landtag in Preßburg zuſammen be: 
rufen, und ein ebenfo kluger als zeitgemäßer feierlicher Aft vorge: 
nommen wurde. Um in flürmifcher Zeit dem an Geiſt und Körper 
gleich ſchwachen Erzherzog: Kronprinz die Nachfolge in jenem Rande 
zu fihern, ließ man ihn zum jüngeren Könige von Ungarn 
krönen. Bald nachher (1831 Febr.) wurde der Kronprinz mit 
der fardinifchen Prinzeffin Anna Maria Pia vermählt. Ein anderes, 
nicht minder glückliches, in der Faiferlichen Familie längſt erfehntes 
Ereigniß war ſchon früher eingetroffen. Am 18. Auguft 1830 
wurde dem Erzherzog Tranz Karl ein Sohn, Franz Joſeph, — 
der muthmaßliche Thronerbe — geboren. 

Auch im Metternich'ſchen Haufe fand ich bei meiner Rück— 
fehr bedeutende Veränderungen. Der Fürft hatte ſich zu einer 
dritten Ehe entſchloſſen, und im Januar 1831 murde ihm die 
Gräfin Melanie Zichy Ferraris angetraut, und ich fand ſonach 
Mai 1832 nicht nur die mir ſchon befannte, fondern auch nod) 
eine ganz Fleine, vierteljährige Melanie in der Staatskanzlei 
einheimiſch. Es war nun wieder ein neues Leben in dieſe fo 
lange verwailten Räume zurüdgefehrt, und von Da an verging nur 
felten ein Abend, den ich nicht dort, oder im Sommer in der 
Vila am Rennwege zubrachte. Welche Gefpräche, unterhaltend 
und belehrend zugleih! Spiel, Tanz und Muſik waren nicht aus: 
gefhloffen. Wäre es möglich gewefen, mit ftenographifcher Feder 
alle diefe Salonfcenen in ihren wechſelnden Nüancen auf dem 
Papiere feftzubalten, es gewährten ſolche Schilderungen einen an: 
ziehenderen Stoff, al3 die Brotocolle mancher ernfteren Verſammlung. 


Frh. v. Andlaw. Mein Tagebuch. I. 17 


258 





Sm Herbite 1831 wurde Oefterreich von einer bisher unbe: 
kannten Geißel heimgeſucht — der Cholera, — melde fih raſch 
über die meiften Theile der Monarchie verbreitete. Sie batte in 
Wien jelbft bei ihrem erften Auftreten plößlih in einer Nacht 
200 Opfer binmweggerafft, dennoch fünden bei den Schredhifien, 
welche diefe unheimliche Erfcheinung begleiteten, nicht wie in anderen 
großen Städten, Exceſſe des Pöbels ftatt; man belehrte die Un: 
wiffenden, gab den Aermeren reichliched Almofen und genügende 
Arbeit, verforgte Kranke mit wärmerer Kleidung, gefunden Speifen, 
und wie immer gab fih in Wien auch bei diefen Anläffen unter 
allen Klaſſen ein edler, aufopfernder Wohlthätigkeitsſinn kund. 
Bald nah meiner Ankunft trat die bereit? erlofchene Epidemie 
wieder mit gefteigerter Heftigfeit auf, und nun, nachdem ich fie in 
der Nähe gefehen, mehrere Belannte begraben, Menſchen ringsum, 
jerbft im eigenen Haufe geftorben waren, hatte das Gefpenft für 
mich viel von feiner Furchtbarkeit verloren. Es iſt eigentlih nur 
die Idee feiner unmittelbaren Nähe, die ung wie ein Alp beäng- 
ftigt, der raſche Verlauf der Krankheit, welcher erfchüttert. Be: 
kannte, die man geftern noch begrüßt, verjchwinden plößlih und in 
unbegreiflidyer, beinahe launenhafter Weife berührt der Würgengel 
jedes Alter, jede Menſchenrace; Starke wie Schwache. Dennoch 
ift die Cholera weniger gefährlih als andere anftedende Krank⸗ 
beiten, wie die Veit, Typhus, Scharlach, Blattern u. ſ. w. Unter 
hundert Fällen kann man gewiß 90 nachweiſen, daß man fidy die 
* Cholera durch irgend eine Unvorfichtigfeit, einen Diätfehler od. dgl. 
zugezogen. Kine Geneſung, wird der Anfang der Krankheit nicht 
vernachläffigt, ift beinahe immer ebenfo gewiß, als eine Rettung, 
ift ihr erſtes Stadium einmal überfchritten, felten. Nur ganz 
Schwache, vor allen aber Trunfenbolde, fallen ihr ſicher zur Beute. 
Ic ſelbſt fühlte während dieſer ‘Periode jo wenig als bei ben 
ipäter durchlebten Choleraepidemien irgend ein Unwohlſein, Tann 
aber doch nur Jenen Glück wünfhen, welche um dieſe Erfahrung 


259 


im Leben ärmer find, Ich babe wich dabei überzeugt, daß von 
AP den vielgepriefenen Heilmethoden Teine unträglih befunden 
wurde; es muß fih das Verfahren immer nur nad der eigen: 
thümlichen Konfitution des Kranken ſelbſt richten. Am unfinnigften 
Kind aber auch hier die guigemeinten Rathſchläge der Aerzte, fich 
vor Gemäthäbewegungen zu hüten; in weſſen Macht ftcht es, 
fie zu verhindern oder über fie zu gebieten? find ja fogar aus 
Furcht vor der Cholera allein Menſchen krank geworden und ge: 
ftorben. Sonderbarer Weife find da die Sterbefälle micht viel häufiger 
als in gewöhnlichen Zeiten, und ift dieß auch nicht der Fall, fo 
gleicht fich die Zahl der Bevölkerung nach der Durchſchnittsberech⸗ 
nung fpäter bald wieder aus. rauen werden in der Megel mehr 
davon betroffen als Männer. Eine in der That fchauderhafte _ 
Seite dieſer Krankheit bildet die nahe Gefahr, lebendig begraben 
zu werden. Es find mir Fälle bekannt, in denen die vermeint- 
lich Todten erft nah 4 Tagen aus dem Starrkrampfe ermachten, 
und & Tarın nidyt genug vor dem Drange gewarnt werden, fi 
der Leichen, aus Furcht vor Anſteckung, bald möglihft zu ent- 
ledigen. Wie viele Unglüdlihe in Spitälern und auf dem Schlacht: 
felde mögen fo der gräßlichlten aller Todesarten verfallen fein! 
Endlich ift man ſo ziemlih allgemein von dem Wahne zurüd 
gefommen, die Cholera abfperren zu wollen; fein Klima, kein 
Himmelsſtrich, weder Gebirge noch ‚Ebenen, bleiben von -diefer 
räthfelhaften Seuche verfhont; fie ſetzt über Meere und Ylüffe, 
wird von den höchſten Bergfetten nicht aufgehalten, und verbreitet 
fih oft ſprungweiſe in unbegreiflicher Art. So empfehlenäwerth 
diätifche Maßregeln, fo erfolgreich vorbeugende Mittel find, -fo 
unzweckmäßig haben fich jene quälerifchen Vorſchriften erwieſen, 
welche in der wohlgemeinten Abſicht, die Krankheit abzuhalten, 
über Länder und Völker weit größere Uebel brachten, ald die An- 
ſteckung ſelbſt. War die ‚Cholera Häufig Die Veranlafſung oder 
auch nur der Vorwand zu Aufruhr und .den furdtbarften Oreueln, 
17* 


260 


fo batte fie doch auch wieder oft das Verdienit, die Menfchen zu 
Gott zurüdzuführen, fie zu bewegen, ſich unter einen unerforjd- 
lihen, allmächtigen Willen zu beugen, und waren dieje Folgen, 
wenn vielleicht auch nicht immer nachhaltig, doch jedenfalls heilſam. 

Ich gehe nun zur Erwähnung der Begebenheiten über, wie 
fie fih mir, der Reihe nad, im Laufe der Zeit darftellten. 


Kaum war id; einige Wochen in Wien zurüd, als (9. Juni) 
Hofrath v. Gent ftarb. Ich habe der Silhouette *), melche ich früher 
von diefem berühmten Manne entworfen, nur wenig beizufügen. 
Es wurden da feine Vorzüge, auffallenden Schwächen gegenüber, 
zu fchildern verſucht. Alles, mas ich feither von ihm und über 
ihn gelefen, Fonnte in mir nur jene Urtheil bejtätigen. Wer ſich 
in feinen Anfichten über Thatſachen und Menſchen von einer fo 
leidenſchaftlichen Verblendung leiten läßt, wer fo wenig Herr einer 
gereizten Stimmung, jo einfeitig abjprechend tft, Tann nicht An⸗ 
ſpruch auf die Eigenfchaften eine® großen Staatsmannes, noch 
weniger auf die eines wahrheitgetreuen Hiftorifer8 maden. Wer 
fo offen feine eigene Schmach nicht nur befennt, fondern ſich ihrer 
auch noch rühmt, entbehrt jeder fittlihen Würde. Wer ihm zu 
gefallen oder zu ſchmeicheln wußte, wurde won ihm meit überfchäßt, 
dagegen fiel er mit fo größerer Gehäffigfeit über ihm mißliebige 
Perfonen der. Einen liebloferen Dienft aber Tonnte man dem 
Andenken Gentz's nicht ermeilen, al3 durch den Drud eines Theilz 
feiner Tagebücher, deren indisfrete Veröffentlihung nur die Ausſicht 
auf einen ſchnöden Gewinn erflären kann. 

Bald nad dem Congreffe hatte ſich Gentz von der großen 
Geſellſchaft zurüdgezogen; felbft bei Metternich ſah man ihn nur 
felten, er befuchte einen Kreis vertrauter Freunde, und mit den 
Sahren nahm feine Schen vor allem Fremden und Ungewöhnlichen 


*) Erinnerungsbl. ©. 73. 


261 


zu. Hinter feinen zwei großen Brillen beobadhtete er im Stillen, 
und entjchädigte ſich dann für diefe Zurüdhaltung, gerade wie fein 
Freund Varnhagen, zu Haufe durd Die gallichten Ergüffe feiner 
Feder. Sehr empfindlich gegen Kälte, wußte er fidy in feinen vier 
Mauern fo bequem und mwarnı ald möglidy einzurichten, und war 
dabei von einer zahlreichen Dienerfchaft umgeben, die fih mit ihm 
in die grenzenlofe Unordnung des Haudhaltes theiltee Gegen 
diefe zeigte er fich jehr großmüthig, gab auch Hände voll Gold 
für Fiafer, Trinfgelder u. dgl. aus und bemerkte darüber mit 
Befriedigung: „dafür fehe ich aud) Überall freundliche Geſichter“ — 
abermals ein verftedter Zug feiner gewohnten Poltronerie. Im 
Sommer pflegte er feiner Blumenliebhaberei in der mit eleganten 
Lurus eingerichteten Villa zu Weinhaus, wo er zahlreiche Befuche 
empfing. Freundlich und unterhaltend für gute Bekannte, war er 
oft rückſichtslos, ja unhöflich für ihm Gleichgültige. So fagte er 
einft zu einer mir befreundeten Dame, die zufällig neben ihm bei 
Tiihe faß: „Sie haben mir, ich Ihnen nichts zu ſagen, was ung 
gegenfeitig intereffiren Tann; ſchweigen wir daher lieber beide ganz 
fit!“ Bei einem anderen Diner rief er ganz laut und entrüftet 
aus: „Hier Iebe id) nur von Waffer und Brod, denn diefe Tann 
man doch nicht, mie Küche und Keller, vergiften!” In den lebten 
Jahren entſagte Gent wieder mehr - feiner Zurüdgezogenheit, da 
einige junge Damen aus der höheren Geſellſchaft Geſchmack an 
feiner Converfation fanden; fie Tuben ihn ein, jchrieben ihm Morgen: 
briefe, überhäuften ibn mit Lob, mit einem’ Worte, fie brachten 
Gentz in die Mode. Der alte, eitle Mann war nidyt unempfänglich 
für folche unerwartete Zuvorkommenheit; er änderte feine Lebens: 
weife, wurde überall eingeladen, fetirt, gefchmeichelt, und glaubte 
im Ernte an die Dauer eines nur auf augenblicliche Unterhaltung 
berechnenden Scherzed. Mit dem gefährlichen Spiele der gefelligen 
Eoquetterie erwachte aber auch in Genk die längft entichlummerte 
Sinnlichkeit, und er follte ſich noch in der lebten Zeit durch über: 


262 





triebene Zärtlicgfeit lächerlich machen. Bon dert prüden Damen, 
de nur den geiftigen Verkehr mit Gerik fuchten, wandten fich feirte 
Bride eier ſchoͤnen Tänzerin zu. Er verließ die Salonfreuden, 
um nur für Fannyh Elslet zu leben, brachte Stunden in ihre 
Familie mit ihr zu, bededte fie mit Gold, vertaufchte feine diplo⸗ 
matiſchen Arbeiten mit dem ſüßen Gefchäfte ihrer geiftigen Aus: 
Bildung, und vetträumte fo die lebten Tage feine Lebens in Liebes: 
gaukelelen. Während ſich Fanny auf einer Urlaubgreife in Berlin 
befand, bejuchte er täglich ihre Wohnung, fchtieb ihr darin bie 
järtlichften Briefe, ſchmückte fie mit Blumen aus und erfüllte fie 
mit Wohlgerücen wie mit Seufzern ber Sehnſucht. In dieſen 
bis an Wahnfinn grenzenden idylliſchen Freuden wurbe Genk durch 
eittige mwohlgefällige Freunde unterſtützt; doch bald überrafchte Ihn 
der Tod. Fanny kam gerade noch zu rechter Zeit zurfid, um ihn 
fterbent zu ſehen. Selten verließ noch Jemand das Leber mit 
mehr philoſophiſcher Ruhe, welche in ſeltſamem Kotitrafte zu feiner 
Tobesfurcht ſtand. 

Den 6. Juli gab die Erzherzogin Sophie einem zwellen 
Prinzen — Ferdinand Max — das Leben. Ich wohnte mit 
dem ganzen diplomatiſchen Corps der feierlichen Taufhandlung in 
Schonbrunn bei, welche der Fürſt-Erzbiſchof Milde vollzog. Der 
Kaiſer war während mehreren Wochen auf einer Reiſe in Ober⸗ 
öfterreich abweſend. 

Jener erfreulichen Geburt folgte nur zu bald ein, die kaiſer⸗ 
liche Familie tief betrübender Todesfall. Während einer durch die 
Cholera noch unerträglicher gewordenen Hitze erlag in den Morgen 
ſtunden des 22. Juli der Herzog von Reichſtadt feinen langen 
unſaglichen Leiden.) Nur Maria Louiſe und ber Erzherzog Franz 
Karl umſtanden fein ſchmerzenvolles Sterbelager! Welch ein Geſchick, 
einzig in der Geſchichte! Nur 21 Jahre waren verfloſſen, als 


*) Erinnerungsbl. S. 42 u. flo. 





268 


diefer einzige Erbe Napoleons geboren, und nun ftarb der zarte, 
bionde Knabe, deifen einftige Bezeichnung als Napoleon II. erft 
in neuefter Zeit wieder zur Geltung fam, ruhm⸗ und tbatenlos 
an einer auszehrenden Krankheit! Zweimal im Leben, 1814 und 
1880, war dem Herzog der Weg zum Throne gebahnt; die gött: 
lihe Borfehung hatte es anderd befchlofien! Herrlihe Unlagen, 
edle Gaben, viele Hoffnungen trug man mit diefem jungen Prinzen 
zu Grabe, und tief erfchüttert fah ich dem ftillen, nächtlichen Trauer: 
zug mit Yadeln fi von der Burg nad der Gruft der Kapuziner 
in Bewegung feben! Die Wiege — einft ein Geſchenk der Stadt 
Paris an den „König von Rom” — wird in der Faiferlichen 
Schaklammer aufbewahrt, und fo trennen nur wenige Schritte 
die Wiege von dem Sarge, gleichſam ſymboliſch den allzu kurzen 
Lebenzlauf des Herzogs bezeichnend! Die Trauer war allgemein. 
Marmont, der dem Bater fo nahe geftanden, dem Sohne in der 
legten Zeit Unterricht in der Kriegsgeſchichte und Wiflenfchaft 
gegeben, Tonnte an jenem Abende, den id, mit ihm zubradhte, dem 
unaufhaltfamen Laufe feiner Thränen nicht gebieten. 

Einen Tag vor jenem jungen Prinzen ftarb hochbetagt zu 
Bruchſal die Markgräfin Amalie. Der Kammerherr A. v. Gem: 
mingen brachte diefe Trauerbotihaft nah Schönbrunn, mo gerade 
die Königin⸗Wittwe Karoline mit der Prinzeffin Marie von Bayern 
auf Beſuch anweſend war. Diefer längſt erwartete Verluft ergriff 
dennoch fchmerzlich die hohen Verwandten, Tieß eine nit auszu⸗ 
füllende Lüde am großherzoglichen Hofe zurüd und verfehte die 
meiften deutfchen Fürftenhäufer in Trauer. Aber auch abgeleben 
von diefen nahen Tamilienbeziehungen, welch eine Fülle von 
Erinnerungen knüpfte fi an die ehrwürdige Geftalt diefer letzten 
Repräfentantin einer mit 1830 abgefchloffenen Epoche! 

Daß zweite Jahr ihrer Ehe war für die jüngere Königin 
von Ungarn ſchon ein Jahr von Leiden und Prüfungen geweſen. 
Ihre in Turin verabredete und dort durch Procuration gefeierte 





264 





Vermählung erfchien Vielen unerwartet; man Tonnte fie ſich bei 
der fchmanfenden Gefundheit des Kronprinzen um fo weniger 
erflären, al3 die Thronfolge ſchon gefichert war. Terdinand zählte 
40, die hohe Braut fchon über 28 Jahre. Sie erihien in Wien, 
und alfobald wandte fih ihr eine nicht gewöhnliche Theilnahme 
zu. Sie war ſchlank, würdevoll, ihr blaſſes Antlig mit den 
ungemein feinen Zügen war fo ernft, daß es ein leifes Lächeln 
faum verſchönte. Man fand fie von einer in der Faiferlichen 
Familie nicht gewöhnlichen Förmlichkeit. So viel von dem erſten 
Eindrude. Kaum batte fi die Neuvermählte in ihren nun: 
mehrigen Verhältniffen zurecht gefunden, ſich fchon damals, wie 
fpäter immer, ftil, fromm, ergeben und mwohlthätig gezeigt, quälte 
fie fih aud mit Erlernung der deutfhen Sprache ab, weßhalb 
fie, wenn glei) ungern, öfterd das Burgtheater beſuchte. Hier 
nun wie auf Spazierfahrten ſah man fie immer an der Seite 
ihre Gatten. Während des Sommeraufenthalt3 in Baden geſchah 
es nun (9. Auguft), daß auf den Kronprinzen, welcher mit feinem 
Adjutanten, Grafen Salis, fpazieren „ging, ein Schuß fiel. Die 
Kugel hatte den Erzherzog leicht verwundet und mar im Aermel 
ftedlen geblieben. Der Thäter wurde, nody mit der Piftole in 
der Hand, verhaftet, der Kronprinz aber eilte zum Raifer, um ihn 
zu beruhigen und zugleih Gnade für den unglüdlichen Mörder 
zu erbitten. Die Nachricht von dem unglaublichen Attentate war 
alfobald nah Wien gedrungen und feßte die ganze Stadt in 
Bewegung. Ih ſah Abends den Thäter geichloffen auf einem 
offenen Wagen hereinbringen, und nur mit Mühe konnte man 
ihn vor Mißhandlungen der entrüfteten Bevölkerung ſchützen. Dan 
erfuhr, daß er ein penfionirter Hauptmann war, Reindl heiße und 
vom Kronprinzen ſchon oft großmäthig unterftüßt worden fei. Erſt 
fürzlich Hatte er von ihm 100 fl. erhalten, und da dem Nicht: 
würdigen dieß zu wenig erichien, fi an feinem Wohlthäter rächen 
wollen. Wirklich konnte man diefe That, welche ihm nicht einmal 


265 


eine traurige Berühmtheit verichaffte, nur einem Tollen zufchreiben, 
und als folcher wurde er denn auch behandelt. Er verichwand, 
zu Iebenslänglicher Haft verurtheilt, in irgend einer Feſtung. Die 
Zeitungen erwähnten des Vorgangs nur mit einigen Worten, und 
e3 mar weiter nicht mehr davon die Rede. Die fromme Gemahlin 
aber Tegte bei einer Mullfahrt die Kugel auf den Muttergottes- 
altare zu Mariazell nieder. 

TEE Cine zweite, noch größere Lebensgefahr beftand der Kronprinz 
gegen Ende defielben Jahres. Sein Erbübel hatte fih, dießmal 
durch, Schlaganfälle gefteigert, heftiger gezeigt, und jo jchnell nahmen 
die drohenden Symptome überband, daß man am dritten Tag 
ſchon jeder Hoffnung entfagte. Die öffentlihen Vergnügungsorte 
wurden gejchloflen, in den Kirchen Gebete angeordnet u. dal. Doch 
bald trat eine günftige Wendung ein, und die Freude über Diele 
unerwartete Genefung war ebenfo ungeheuchelt als allgemein. 

Ich kann mir nicht verfagen, das gelungene und, wie ich 
glaube, wenig bekannte Gedicht beizufügen, welches Grillparzer 
bei diefem Anlaffe in vielen Abfchriften zirkuliven ließ. Es ift 
gleichfam ein Seitenftüd zu jenen tiefgefühlten Verſen, welche der 
Dichter 1826 nad) der gefährlichen Krankheit des Kaiferd Franz 
verfaßte. Die nachftehenden Zeilen num enthalten ebenjo viele 
poetifhe Schönheiten, al3 ihr Sinn verfchiedene Auslegungen erfuhr. 


Gedicht: Heujahr 1833. 
Als ber Thronfolger die Gefundbeit wieder erhielt. 


Bit Du genefen denn? Sei uns willfonmen ! 
Wir jubeln in der Begeifterung Gluth! 

Des Glückes ficher, da uns halb genommen, 
Der Zufunft froh, denn Dur bift gut! 

Mag jein, daß höchſten Geiftesgaben Fülle 
Dereinft umleuchten Deinen Fürftenbut, 

Wir forfchen nicht, was Zufunft uns enthiülle, 
Des Einen fiher: Du bift gut! 








266 


Denn was ber Menſch erringen mag und haben, 
Die Güte bleibt der höchſte letzte Preis! 

Die Weisheit irrt, Bedächt’ge trifft der Tadel, 
Die Tapferkeit erringt nur, was ihr glüdt. 

Doh Güte, Herr, gleicht der magnetiſchen Nadel, 
Zeigt nad) dem em’gen Pol bin unverrüdt, 

Und Treue und Gerechtigfeit und “Milde, 

Sie find nur Strahlen jenes einzigen Lichts! 

Als Gott ben Menfchen ſchuf nach feinem Bilde 
Sprad er: „fei gut!” von Weisheit ſprach er nichts! 
Nicht gut nur heute, manchmal nur, nein immer, immer, 
Ob Nuten auch, ob ſchlaue Klugheit ſchützt; 

Des Einzelnen Vortheil ift geborgter Schimmer; 
Doch dauernd bleibt, was auch den andern nützt! 
Und fo ift beim ber Gute auch der Weile, 

Er ift der Exfte, denn er bleibt fich gleich, 

Er ift der Mächtige, denn im felben ®leife 

Mit feines Schöpfers Weltall rollt fein Reich! 
D'rum tritt bie Zukunſt an mit frohem Muthe, 
Und jubelnd wird ein Chor einſt fingen: 

Sein Boll war treu und Er war gut! 


Die Gefellichaft deutiher Naturforfher und Aerzte 
hatte befchloffen, thre jährlich wiederkehrende allgemeine Berfamm: 
lung im SHerbfte 1831 in Wien zu halten. Doch da gerade 
dazumal die Cholera in jener Stadt ausbrach, fo waren die Herren 
nad) einer näheren perfönlichen Bekanntſchaft mit diefer Krankheit 
gerade nicht Tüftern, und zogen es vor, fie in einer gewiſſen Ent: 
fernung theoretifch zu erforfhen. Sie fanden es daher gerathen, 
diefe zehnte Zuſammenkunft auf das nächſte Jahr zu verſchieben, 
und fo fanden ſich denn die Mitglieder Ende September 1832 
auch zahlreich ein. Ih muß mid, auf die Annalen ded Vereins 
beziehen, denn ich erinnere mich jebt all’ der gelehrten und be: 
rühmten Namen nicht mehr, weldye bier genannt wurden. “Die 
Zahl der Theilnehmenden beirug über 412, der Mehrheit nad 


267 


Oeſterreicher. Unter ihnen glänzten Mohs als Mineralog, Littrow 
ala Aftronom, und mehrere befannte Wiener Aerzte, mie Malfatti, 
Wierer, Türfheim u. a. Der Chemiker Jacquin präfidirte. Don 
Berlin war der Geologe Buch gefommen, und auch vornehme 
Dilettanten fanden ſich bei den Sitzungen ein; Fürſt Metternid, 
Graf C. Sternberg, Altgraf Salm, Marmont u. a. erfhienen felbft 
bei den Verhandlungen det einzelnen Sektionen. ber aud ber 
Kaifer und einige in den Naturwiffenfchaften bewanderte Erzber- 
zoge intereffirten fich lebhaft für die Berathungen der Gefellichaft. 
Es fanden drei allgemeine öffentliche Verfammlungen — ben 18., 
22. und 26. Sept. — Statt, in melden jedesmul drei größere 
Vorträge verfchiedenen wiffenfchaftlichen Inhaltes gehalten wurden. 
Man beitimmte hierzu die fchöne Aula der Iniverfität. An einem 
diejer Tage ergab fi nun ein ganz eigenes Intermezzo: es beitieg 
nämlich ein Meiner, ſchon an Jahren vorgerüdter, elegant geflei- 
deter Mann die Tribüne. Die meiften Fremden kannten ihn nicht, 
doch Tief ein leiſes Gemurmel durch den Saal, als Einige in dem 
ftotternden Redner mit dem überrotben Geſichte den Grafen 
Terdinand Palffy erblidten. Man fragte ſich erftaunt, mas 
diefer Magnat der gelehrten Verſammlung mitzutheilen haben Tönnte, 
und die Verlegenheit des guten Grafen flieg in dem Grabe, al? 
die Aufmerkſamkeit der Zuhörer nicht eben groß war, und das 
Rüden der Stühle, Räufpern u. dgl., bekannte Zeichen der Unge— 
duld zum Schluffe drängten. Er beeilte fich daher, und von der 
wenig vernehmbaren Rede erfuhr man fpäter, daß er ſich bemühen 
wollte zu zeigen, in welcher Weile ſolche Zuſammenkünfte auch zu 
anderen, als nur gelehrten, zu gemeinnüßigeren Zwecken verwendet 
werden könnten. Er ſchien zu fühlen, daß die für das Wohl der 
Menichheit etwas fterile Ausbeute ſolcher Gefellfhaften fruchtbringen: 
der gemacht werden Fännte u. f. w. Dieb allerdings anziehende 
Thema wurde nun in ziemlich ſtarken Gemeinplätzen breit getreten, 
und Fürſt Metternich parodirte Abends die, zwar gut gemeinte, 


268 


aber mißlungene Rede Palffy’3, indem er fagte: es fei ibm vor—⸗ 
gefommen, al3 ob man einen Dictionär zerfchnitten, die Stüde in 
eine Urne geworfen, und die Worte dann einzeln berausgezogen 
und vorgelefen babe. Auch noch lange nachher mußte der gute 
Graf manden heiteren Spott über die eitle Befriedigung jener 
Heinen Laune bören. Auf Palffy jelbft, eines jener Originale, 
welche nun leider auögeftorben jcheinen, werde ich ſpäter zurüd- 
fommen. 

Wie gewöhnlich war auch bei diefer Zuſammenkunft für Feſte, 
Zerftreuungen und Vergnügen geforgt. Im Saale des Augartenz 
verfammelten ſich die Mitglieder zu gemeinichaftlihen Mittagefjen 
und Abendunterhaltungen, dabei fehlte e8 denn natürlich nicht an 
Reden und Trinkſprüchen. Der Kaifer bemirtbete die Geſellſchaft 
unter einem Riefenzelte im Lachſenburger Parke, und einen Tag 
brachte fie in Baden zu, wo fie der Erzherzog Karl in feiner 
ſchönen Weilburg ſah. Eine Medaille wurde zum Andenken an 
die VBerfammlung geprägt, Gedichte, Teftlieder vertheilt u. dgl. So 
ließ denn diefe Zeit bei den Gelehrten einen angenehmen Cindrud 
zurüd, und Viele mochten wohl irrigen Anfichten entfagen, im 
Stillen manches Vorurtheil über Defterreich ablegen, und fich der 
wohlwollenden, heiteren Gaſtfreundſchaft erfrenen. Auf das öffent: 
liche Leben Wiens felbft Hatte die Zufammenfunft nur wenig Ein: 
fluß, und wenn man die Herren „im ſchwarzen Frack“ in Schaaren 
durch die Straßen ziehen füh, fcherzte das Bolt gutmüthig: „Da 
geben die Naturmenfchen.” Im Jahre 1855 follten fie ſich wieder 
in Wien verfammeln, vertagten fich jedod, fonderbarer Weife aber: 
mals wegen der Cholera auf das nächſtfolgende Jahr. Wie viele 
der früheren Vereinsmitglieder mögen ſich wohl bei diefem zweiten 
Stelldichein eingefunden haben? Aber auch dieſes traf den Fürſten 
Metternich noch theilnehmend am Leben! 





269 


In diefem Jahre hatte die flüchtige franzöſiſche Königs— 
familie Schottland verlaffen und ein gaſtfreies Aſyl in der 
öfterreichiichen Monarchie gefunden, in der fie fih auch bisher 
immer aufgehalten. Karl X. bezug den Hradichin in Prag, 
berührte nie Wien und ftarb lebensmüde 1836 in Görz. “Die 
übrigen Mitglieder der älteren Linie der Bourbonen bielten ſich 
dann bald in Kirchberg, bald in Venedig oder anderen Orten 
auf; die Herzogin von Berry Taufte fi in Steyermarf an, der 
Graf von Chambord bewohnte fein Schloß in Frohsdorf. Im 
Dftober war die Herzogin von Angouldme nad) Wien gelommen. 
Ich hatte fie zehn Sabre früher im Glanze des Hofes der Tuilerien 
gefeben, und fand fie nun wieder in den Räumen, welche einit 
ihre Taiferlihe Grogmutter bewohnte, die ihr in der Taufe den 
Namen gegeben; es mar gerade am Thereflentage, deu 15. Oftober, 
ala ich ihr aufwartete, 40 Fahre zunor hatte ihre Mutter den 
Meartyreitod erlitten. Ich traf die Herzogin nur wenig verändert, 
nur war fie noch ernfter geworden, und mil ihrer männlichen 
Stimme fprad) fie immer in kurzen, abgeitoßenen Säten. Ihre 
hoben Qugenden, ihre fromme Ergebung ließen die Schroffheit 
ihrer äußeren Erfcheinung bald vergeffen. Ruhig, ohne Bitterkeit 
nahm fie anfcheinend wenig mehr Theil an den Ereigniffen, ihre 
Sorge nur den Föniglichen Kindern zumendend, die man von der 
Mutter feit deren Srrfahrten getrennt hatte. Einfach in ihrer 
Lebenzweife und ihren Bedürfniffen, bewegte fi die Herzogin 
täglich in einem regelmäßigen Kreife, felbft in ihrer Kleidung war 
fie fo auffallend vernadyläffigt, Daß man nur ihre Uıingebung, 
befonder3 die fie ftet3 begleitende alte Gräfin d'Agout, mit ihr 
vergleichen Tonnte. Beinahe Tomifh war es, zu fehen, welche 
Berlegenheiten den Franzoſen die Titel bereiteten, die file der 
Tochter Ludwigs XVI. beilegen follten. Jene, melde Karl X. 
für ihren rechtmäßigen König hielten, nannten fie al3 Gemahlin 
des Thronerben „Daupbine”, Anderen galt fie, weil Karl X. 





270 


abgedankt, al „Reine Marie Therese“, und wicher Anderen, 
weldye Henri V. als Rönig ausgerufen, war fie nur deſſen Tante, 
die Duchesse d’Angonl&me, die unglüdlie Tochter einer noch 
unglücklicheren Mutter. Bon der ſchwer geprüften Fürftin wandten fich 
Die Blicke theilsnahmsvoll der 14jährigen blonden „Mademoiſelle“ 
zu. Sie hatte ihre Mutter erſt wieder nach Tanger, ſchmerzlicher 
XZremung in Leoben gefehen. Die Herzogin von Barry felbft 
aber war fpäter öfter, dach immer nur auf Kurze Zeit, in Wien 
erfchienen, ein wenig wortheilhaftes Aeußere ftet3 wit derfelben 
Rebbaftigkeit verbindend. 

Prinz Guſtav Waſa Hatte in dieſem Sommer mit feuer 
jungen Gemahlin eine Billa in Meidling bezogen. Schon ein 
Jahr guvor vermählte fich die jchöne und liebendwürdige Brinzeffin 
Eäcilie von Schweden ‚mit dem Großherzog von Oldenburg, während 
Prinzeffin Amalie bei ihvem Bruder in Wien geblieben war. Im 
Dftober kam nun Die Großherzogin Stephanie von Baben mit 
den Prinzeſſinnen Joſephine und Marie bei ihrer Durchreife nach 
Stalien zu ihrer Tochter Louiſe auf einen 14tägigen Befuh. Es 
wear das erfte Mal, daß jene hohe Frau in Mien erfchienen, und 
rat fie auch ‚auf dem ihr fremden Boden etwas befangen auf, fo 
gewann fie doch bald wieder Die ihr eigenthümliche taktvolle Sicher: 
heit und reifte ebenſo hefriedigt ‚ab, als fie ſelbſt den günftigften 
Eindruf zurüdgelafien. Die Majeftäten hehundelten die Groß— 
berzogin mit Auszeichnung, die Erzherzogin Sophie fab in ihr 
eine theuere Verwandte, und der Sailer befonders ergöbte fi an 
der jugendlichen Munterfeit der Prunzeffin Marie. Ueberdieß traten 
ihr auf jedem Schritte ‚Erinnerungen in Maſſe entgegen! Hier 
war 8 Schönbrunn, wo fi fo mande Scene aus dem Drama 
Napoleons abfpielte, dort ftand fie an dem frifchen Grabe des 
Herzogs von Reichſtadt, und konnte an einem Tage dad March⸗ 
feld wie die Inſel Lobau befuchen. Sie traf bier mit den Flüch— 
tigen von Holyrood zufammen und fah in ihrem eigenen Schwieger- 


271 


ſohne den vertriebenen Erben eines alten Thrones. Nachdem ſich 
viele Herren und Damen der Geſellſchaft zum Beſuche geaieldet 
hatten, drüdte fie mir eines Tages den Wunſch aus, den Erz 
herzog Karl und Marſchall Marmont zu fehen. Der Erzherzog 
lebte ftill, felbit vom Hofe zurüdgezogen, in Baden, beeilte fich 
jedod) die Großherzogin aufzufuchen, und der General, welder 
lange allein dem größten Feldheren feiner Zeit fiegreich gegenüber 
geftanden war, batte eine lange Unterredung mit der geiltreichen 
Fürſtin, welche fich, von nicht minderem Jutereſſe angezogen, auch 
mit dem greifen Marſchall unterhielt. Darin befteht aber gerade 
der Neiz unferer, an jo raſchen Wechfelfällen reihen Epoche, daß 
die meiften der handelnden Perjonen in fo verfchiedenen Lagen 
noch mit einander felbit in Berührung kamen! 

Bon den vielen Fremden und Diplomaten, welde Wien im 
Laufe des Jahres befuchten, war es vorzüglich Pozzo di Borgo, 
welcher die Aufmerffamkeit der Salonmwelt auf fi zog. ‘Diefer 
ruffifde Diplomat war vom Congreß ber in Wien Vielen befannt 
und befreundet, ftimmte aber mit dem Fürſten Metternich felten 
in politifchen ragen überein, fih nur mit ihm im Haſſe gegen 
Napoleon vereinigend. Selbit Corſe, verfolgte Pozzo feinen Lands⸗ 
mann ‚unaufhörlich, trieb den Kaifer Alexander zum Kriege an und 
ruhte nicht, bis fein Feind in St. Helena war. Später, im 
Genuffe eines beträchtlichen Vermögens, war es Pozzo, der als 
Botſchafter Rußlands zu Paris das diplomatiſche Corps ver: 
binderte, Karl X. auf der Flucht zu begleiten. Yon .einer Sendung 
aus Berlin nah Wien fommend, war die stattliche Geftalt des 
immer noch kräftigen, einft fo ſchönen Mannes der Gegenftand 
befonderen Intereffed. Mit der Julirevolution hatte jedoch Pozzo's 
Einfluß den höchſten Grad erreicht; er blieb nicht mehr Tange Bot: 
ſchafter unter Louis Philipp, wurde zu verjchiedenen Sendungen 
verwendet; immer lebhaften Geiftea, überall gewandt, nicht jelten 
intrigant, ‚vertrat .er zuletzt feinen. Hof in London, und ‘farb nicht 


272 


auf dem von ihm erfehnten Poften zu Paris, an den er fidh früher 
fo fehr feitgeflammert hatte! — 

Das Jahr 1833 war dad rubigfte meines gefchäftlichen 
Lebens; ich überließ mid) um fo froßer einer gemwiffen Behaglid) 
feit, als die Testen Jahre in fo fortwährender Aufregung vergangen 
waren. Selbſt bei Kleineren Ausflügen brachte ich feine Nacht 
außerhalb der Stadt zu, und forgenfrei lebte ich nur felbfigemählten 
Umgange mit mwohlmwollenden Freunden, den Genüffen, welche 
Gefelligkeit, die Künfte wie die fchöne Natur in reihem Maße 
gewährten. Ich theilte meine Zeit in die Erfüllung meiner ge 
wohnten Berufspflihten und in die nähere Kenntnißnahme der 
Erzeugniffe der fchönen Literatur, welche ich während der politifchen 
Stürme fo ziemlich vernadhläffigt hatte. Seit den Julitagen hatte 
auch die religiöfe wie die poetifche Nichtung in Frankreich ſich 
vielfady verändert. Lamennais, Chatel und die Simoniften hatten 
es vergebens verfucht, eine neue Kirche zu gründen; Oeſterreich 
blieb diefem Treiben fremd. Größere Anziehungskraft übten die 
modernen Dichter und Romanfchreiber, und während Victor Hugo, 
Balzac, E. Sue, A. Dumas, Soulie u. U. der Literatur neue, 
bisher ungeahnte Bahnen eröffnet, that fich, zwei ifraelitifche 
Bannerträger an der Spike, Jung: Deutichland hervor, und es 
blieb auch diefe völlige Ummälzung nicht ohne Einfluß auf den Ideen⸗ 
gang und die Begeifterung der öfterreichifchen Dichter. Zwei derfelben, 
beide Edelleute (Graf Auersperg und v. Nimpſch), Ichloffen ſich 
unter den Namen An. Grün und N. Lenau jenem Streben an 
und ließen ihre politifchen Lieder wie ihre elegifchen Klagen ertönen! 

Auf das Wiener Geſellſchafts- und Volksleben wirkte jedod) 
die neue Richtung der Zeit nicht fo fehr ein; man war zwar 
meniger gedankenlos, mandte feine Blicke mehr der Außenwelt zu, 
ftellte Vergleiche an, wurde fogar etwas vorlaut, ſelbſt oppofitions- 
Tuftig, doch die Frivolität, die Genußſucht nahm nur andere Formen 














275 


an. Nie waren die Bälle belebter, nie die Theater befuchter, und 
nit nur der Faſching, auch die Sommerfreuden nahmen eine 
bisher unerhörte Ausdehnung an. In dem Grade, als fich die 
Zahl der nad) allen Gegenden führenden Stellmagen vermehrte, 
tauchten auch allenthalben die ländlichen Feſte und Zerftreuungen 
auf Wo fi) nur immer ein reizender Punkt fand, war gleich 
auch ein Orchefter bemüht, die Ohren zu erfreuen, die Füße zu 
beleben. Man drängte fih nah Tivoli mit der herrlichen Rund- 
fiht, zu feinen Feuerwerten und Rutfchbergen, man erfreute ſich 
an den feenartigen Teiten und Beleuchtungen bei Dommayer in 
Hising, im Augarten, Sperl oder anderen VBergnügungsorten. 
Und über all diefem Jubel jchwebten die Töne, welche Strauß und 
Zanner, damals in frifcher Blüthe, ihren Violinen entlodten. Es 
war ein ganz eigener Zauber, welcher fich mit diefen bald ein: 
ſchmeichelnden, bald fortreißenden Tanzweiſen verband, und wenn 
auch nicht zu läugnen, daß man die Leiftungen dieſer Tonfeker 
weit überfchäßte, jo bleibt ed doc immerhin ein Verdienft, für die 
Beten ihrer Gattung zu gelten. 

Der Carneval Tehrte wieder mit feinen Treuden, feinem 
ermüdenden Gefolge von Nachtwachen, betäubender Tanzmuſik und 
erihöpften Finanzen. Der Bälle, elegant und glänzend, gab es 
viele, doch ragte Tein Weit befonderd hervor. Wie in jedem Jahre 
erfreute der ſ. 9. Tagball bei Tatificheff; er begann um Mittag 
am Faſchingdienſtag und endete um Mittenadt. Der Mangel 
einer italienifchen Oper wurde nicht durch beffere Leiftungen der 
deutfchen erſetzt. Wie ſeit Jahren blieben Oper und Ballet gleich 
mittelmäßig: Sabine Heinefetter galt für die befte Sängerin und 
Staudigl begann gerade feine glänzende Laufbahn, während Wild’s 
Stimme ſchon nicht mehr ausreichte. Das Hofburgtheater hatte 
unter Deinbarbftein’3 umfichtiger Leitung einen bedeutenden Auf: 
ſchwung genommen; wenn auch vielleiht auf Koften einer f. 9. 
Hoffiichen Richtung oder eines geläuterten Gejchmades, kam doch 

Frh. v. Andlaw. Wein Tagebuch I. 18 





274 


mehr Abwechslung in das Repertoir, und bei den gedrängt vollen 
Häufern befand fi auch die Kaffe vortrefflih. An Fichtner, 
Laroche, Löwe u. A., an Frl. Glen, Karoline Müller, Peche, Wildauer 
waren junge, tüchtige Kräfte gewonnen, — Das Kasperltheater 
hatte die Höhe feiner Beliebtheit erreicht; fein Genre fchien ver: 
altet; Raimund war oft abmweiend, und es vermochte das beicheidene 
Haus nicht mehr gleihen Schritt zu halten mit dem raſch auf 
ftrebenden Direltor Karl „an der Wien“. Hier ging nun in 
dem Kleeblatt ded „Lumpaci“ den Wienern eine nie verfiegende 
Quelle von beiteren und wißigen Scherzipielen auf, und mährend 
fih Neftroy’3 fo ungemein beliebten Zauber: und Charafterftüde 
raſch folgten, ergößten die trodene Komik und der unverwüſtliche 
Humor des nicht erreihten Scholz. 

Das Klima Wien ift befanntlich Feines der beften; der 
beftändige, Kalkſtaubwolken aufmwirbeinde Wind wirkt ſchädlich auf 
die Nerven, die Runge wie die Augen. Auch in jenem Winter 
hatte die ungünftige Witterung mancherlei Krankheiten erzeugt, 
befonderd Scharlady und eine bösartige, oft in Typhus ausartende 
®rippe, welche beinahe die Hälfte der Bevölkerung ergriffen. 
Ihren Folgen erlag auch in den beften Jahren der fo ausge 
zeichnete preußifche Gefandte v. Malzahn. Prinz Waſa aber war 
vom Scharlachausſchlage befallen, während Graf Polier-Vernand 
im Februar einem Nervenfieber erlag, ohne daß der Prinz, felbft 
Trank, dieſen tödtlihen Ausgang erfahren. Polier (aus Laufanne) 
batte die Erziehung des Prinzen geleitet, und wear fpäter aus 
einem Hofmeiſter ein Oberbofmeifter, aus einem Schweizer 
Republikaner ein Graf geworden. Man fagt, daß er, für die 
Rechte und das Wohl feines Töniglichen Zöglings begeiftert, ihm 
in treuer Anbänglicgkeit ergeben war. Mir fteht Über Diefe wirt: 
lihen oder angeblichen Verdienſte Fein Urtheil zu; nur fo viel 
weiß ich, daß Polier wenige Freunde hatte; eine gereizte Stim- 
mung, die Unlenntniß des Terrain? mochten wohl mande ferner 





275 


Schritte entſchuldigen. Sein grüngelbes Gefldit, zu dem felbft ein 
meift gezwungenes Lächeln nicht paßte, fowie eine gemiffe manterirte 
Haltung machten feine Perfönlichkeit nicht angenehmer. 

Auf die politifche Bewegung der früheren Jahre war natur: 
gemäß eine gewiffe Erichlaffung gefolgt. Nur in den deutichen 
Kammern tauchten bisweilen die Nachklänge auf, und der Frank: 
furter, auf den Bundestag gerichtete „Putſch“ im April endete die 

lange Reihe von Angriffen auf den Beitand der Dinge in Deutfich- ' 
land. Frankreich blieb verhältnigmäßig vubig, und nur auf der 
purendifchen Balbinfel fanden wichtige Vorgänge flat. Es war 
der Königin Ehriftine gelungen, den fterbenden König Ferdinand VII. 
zur Umänderung der Thronfolge zu bemegen, und diefe ganz will- 
fürliche Beftlimmung war das Loſungswort zu einem jahrelangen 
gräulichen Bürgerkrieg... Der widerwärtige Kampf in Portugal 
endete mit der Vertreibung Dom Migue’3, und in den beiden 
Staaten der Halbinfel verdrängten zwei Prinzeffinnen, bier Die 
„unſchuldige“ Iſabella, dort die dem Herzog von Leuchtenberg 
beitimmte Braut Donna Maria da Gloria, die angeftammten 
Thronerben, und al dies unter dem heuchlerifchen Vorwande der 
Einführung Tiberaler Anftitutionen, welche allein nur überwiegend 
den Einfluß Englands in Spanien und Portugal fiherten. Don 
Pedro, feines Sieges nicht lange frob, ftarb fchon im folgenden 
Jahre. — 

Am Juli wurde ein dritter Erzherzog — Karl Ludwig — 
geboren und mit denjelben Teierlichleiten in Schönbrunn, mo Die 
Erzberzogin Sophie das Wochenbett Bielt, getauft. Ebendaſelbſt 
gab beinahe zu gleicher Zeit die Prinzeffin Waſa ihrer erften und 
einzigen Tochter — Karola — das Leben. 

In Böhmen ging ed während diefeg Sommerd äußerit Teb- 
baft zu. Kaifer Franz hatte den König von Preußen in Therefien- 
fadt gefehen und begab fi im September nad dem gräflicy 
Waldſteiniſchen Schloſſe Münchengrätz, um da mit dem Kaifer 

18* 








276 


Nikolaus zufammenzutreffen. Nur einige deutſche Yürften, nur 
wenige Diplomaten waren zugegen, und der von jeder größe: 
ren Stadt weit entlegene ftile Ort reiste un jo mehr die 
Neugierde, etwas von den dortigen Verhandlungen zu er: 
fahren. Diefe Zufammenfunft war fchon deßhalb hiſtoriſch merk: 
würdig, weil fi da die beiden Kaifer zum erſten und einzigen 
Male in ihrem Leben perjönlic begegneten. Ihnen ſchloß ſich 
der Kronprinz von Preußen an. Die fremden Kabinette beihäf- 
tigten ſich lebhaft mit dieſem Heinen Türftencongreffe, und die 
Zeitungen aller Ränder erjchöpften ſich nad) ihrer Gewohnheit in 
Bermutbungen über deſſen möglichen NRefultate. Hauptfächlid war 
ed aber doch mehr auf eine nähere Verftändigung der Monarchen 
unter ſich felbft abgefehen; man taufchte die Ideen aus, beſprach 
die fchwebenden europäiſchen Tragen und erließ Ermahnungen und 
Borftellungen nad) London und Paris über die Haltung der poli- 
tifchen Flüchtlinge, die Umtriebe der Propaganda u. f. m. Zunächſt 
waren es aber auch Maßregeln, welche zur Wiederberftellung der 
Ordnung in Deutichland verabredet wurden, und zu diefem Zwecke 
follten nod) vor dem Schluffe des Jahres in irgend einer Stadt, 
die nicht Reſidenz fei, — man nannte Prag — Minifterial- 
Conferenzen ftattfinden. Doc gingen in der politifhen Welt die 
Boraußfegungen viel weiter; man wollte in jenen Berathungen 
einen Verſuch fehen, die ftrenge Durdführung der Grundfäße der 
beiligen Alltanz wieder aufleben zu laffen, während es fich doch 
in der That nur um gemeinſchaftliche Schritte für gewiſſe Even- 
tualitäten handelte, ohne daß dieſe Verabredungen in bejonderen 
Verträgen näber formulirt worden wären. Dennod) erivedte dieje 
Zufammenkunft das politifche Mißtrauen der Weſtmächte, und es 
kann in diefen Beforgniffen wohl der erfte Grund zu der fpäter 
abgejchloffenen Duadrupelallianz gefucdht werden. Die Blätter 
jener Zeit mußten aus Mündyengräß freilich wenig mehr zu erzählen, 
als von Ordensertheilungen, Paraden, Spazierfahrten u. dgl. m. 


277 


Der Kaifer Franz traf auf dem Rückweg mit dem König von 
Bayern noch in Linz zufammen, Nikolaus aber begab ſich ans 
Böhmen in das Lager nad Modlin. Diefe Reife — die erfte, 
welche der Czar nach dem Polenaufrubre unternommen — war 
von befonderen Umftänden begleitet. Er Hatte Ende Auguft 
St. Petersburg verlaffen und ſich nad) den preußifchen Oftfeefüften 
eingeſchifft. Da trieb ein gewaltiger Sturm das Dampfſchiff nad 
Kronftadt zurück, und in unglaublich ſchneller Zeit traf nun der 
Kaifer zu Land in Schwedt ein, wo ihn der König von Preußen 
erwartete. Schon hatte man fi da wegen des langen Ausbleibens 
des Schiffes den größten Befürchtungen überlaffen, als Nikolaus 
unerwartet zu Lande beinahe ebenfo raſch anlangte, als dieß zur 
See möglich geweſen märe. 

An den lebten Monaten ded Jahres ftarben die Häupter 
drei fürftliher Familien: Fürſt Innocenz Odescalchi, Fürft 
Joſeph Schwarzenberg, Fürft Nikolaus Eſterhazy. Erfterer 
war zum Oberbofmeifter der Königin Anna von Ungarn ernannt 
worden und vermählte fih als Wittwer mit der Gräfin Henriette 
Zichy. Am ſtets freundlichem Verkehr mit diefem Ehepaare, hatte 
ih noch am 22. September Abends fpät die von ihm bewohnte 
Vila in Meidling verlaffen; den anderen Morgen fand man den 
Fürften todt in feinem Bette. Die jo kurze Ehe war eine überaus 
glückliche geweſen; ein Sohn Victor, vor drei Monaten geboren, 
Tag lächelnd in der Wiege. Betäubend wirkte dieſer fürchterliche 
Schlag auf die arme Frau, die fi) von der Leiche nicht trennen 
konnte und bis zur Beerdigung mit mir und anderen Freunden 
die meifte Zeit am Bette des Verftorbenen zubrachte. Ihr frommter 
Sinn, die Sorge für den Sohn ließ fie den ungeheueren Schmerz 
muthig überwinden, den der Verluſt eines ihr mit Zärtlichkeit 
ergebenen, wie durch feine angenehmen Formen allgemein beliebten 
Mannes ihr bereiten mußte. 

Auf feinem Landfibe in Böhmen, umgeben von einer Liebenden 


278 


Familie, ftarb nach kurzem Krankenlager Fürſt Iofep Schwarzen: 
berg. Wie felten im Leben wurde ihm der Troſt zu Theil, daß 
fein Sohn Friedrih, damald Domherr in Salzburg, ihn zum 
Tode vorbereitete, aus den Händen des vortreffliden Sohnes 
empfing der Vater die heiligen Sterbſacramente. Beweint, geehrt 
lebt er fort im Andenken feiner Nachkommen; feine Aſche ruht in 
der Gruft feiner Vorfahren. Beinahe zu gleicher Zeit hauchte 
Fürft Nikolaus Eſterhazy auf fremdem Boden, fern von feinen 
Angehörigen, in den Armen eimer von ihm wie von aller Welt 
verachteten Frau! fein Leben aus! ch erzähle nur Thatfachen; 
weßhalb ich fie, die längft vergeffen, wieder aufgefriicht? Weil, 
abgefehen von ihrer biftorifch-fittlichen Bedeutung, jener Kontraft 
allgemein auffiel, und ſich mohl felten, wie hier, die ganze Eriftenz 
in den letzten Stunden jo auffallend abfpiegelte! 


Im diplomatifhen Corps gingen mande Veränderungen 
vor; die meiſten fanden bei den deutfchen Gefandtichaftspoften ftatt; 
ih werde fie zur Zeit des Thronwechſels anführen. Der Marfchall 
Maifon wurde durd Herrn St. Aulaire als franzöfliher Bot: 
ſchafter erſetzt.“ Gagliati vertrat Neapel; feine höchſt unbe- 
deutende Perfönlichkeit wurde wieder durch eine Frau, eine Tochter, 
beide gleich liebenswürdig, ausgeglichen. Der holländische Gefandte 
v. Mollerus konnte fih ſchwer in die neue Lage der Dinge 
finden; der kleine, Teidenichaftlihe Mann mar fortwährend in der 
übelften Laune, welche die Anwefenheit eines belgiſchen Geſchäfts— 
träger noch vermehrte. Diefer, ein noch junger Mann, Graf 
Lalaing, war, ohne Erfahrung und Takt, nicht geeignet, dem 
neuen Königreiche auf einem ohnehin nicht günftigen Boden Freunde 
zu erwerben; er wurde daher bald durch einen wirklichen Gejandten, 
Herrn v. 208, abgelöft; doch auch diefer, ein deutſcher Edelmann, 


*) Grinmerungsblätter S. 20. 





279 


fand fih in Wien nit heimiſch, und es erfebte ihn fpäter 
Djullivan, der, früher in niederländifchen Dienften, nun dem 
König Leopold gehuldigt. Beinahe feit einem Bierteljahrhundert 
vertritt Diejer in den Grafenftand erhobene Diplomat den Brüffeler 
Hof in Wien. Graf Alcudia endli war der nicht offiziell 
beglaubigte Agent des Don Carlos von Spanien. 

Auch der portugiefiihe Geſandte, obwohl die Königin eine 
Entelin des Kaiferd, wurde nicht anerkannt, und Billa Secca, fo 
lange in Wien, da häuslich niedergelaffen, wurde nur für feine 
Perfon dem diplomatifchen Corps beigezählt. 

Die Pforte war in Wien lange Zeit nur durch einen Ge— 
ihäftsträger, den Griehen Maurozeny, vertreten, der fi in 
der jchönen Tracht und mit einem weißen Schnurrbart fehr ftattlich 
ausnahm. Tür die Namen der vielen Bey's, Effendi’3 und 
Paſcha's, welche ich als türkifche Diplomaten gefehen, babe id) 
fein Gedächtniß; nur drei derfelben, dur Bildung und Geiſt 
befonder3 ausgezeichnet, erinnere ich mich; unter Diefen des Bot: 
ſchafters Fehrik Ahmed Paſcha, eines jungen, fchönen Mannes 
mit belebter Phyfiognomie; gefellig, verftand er auch mehrere 
Spradyen, und wurde viel eingeladen, felbjt in Kupfer geftochen 
und in anderer Weife bevorzugt. Später vermählte er fi, mit 
einer Tochter des Großſultans. 

Der kaiſerliche Hof lebte zurüdgezogener als je; dagegen febte 
Prinz Wafa die einige Zeit unterbrochenen Feſte und Diners in 
feinen prachtvollen Appartements wieder fort; auch die Botſchafter 
verfammelten die höhere Geſellſchaft zu Liebhabertheatern, Concerten, 
Tableaux, Bällen, zu Spiel und anderen Routd. Bon Wiener 
Häufern aber waren es befonderd drei, welche beinahe jeden 
Abend dem gefelligen Verkehr geöffnet waren: Metternich, 
Eſterhazy, Sagan. Es möge fi bier eine Fleine Schilderung 
der drei Hausfrauen anreihen, welche, jede fo verſchieden in 
ihrer Art, diefe Salon hielten. 


280 


Der Fürft Metternich ſah, wie früher, jeden Sonntag eine 
größere Gejellichaft, mährend fein Salon täglich den näheren Be: 
fannten wie den Diplomaten zugänglich war. 

Die Fürstin Melanie behandelte mid) wo möglich noch mwohl- 
wollender als früher, wie einen Verwandten. Es fällt mir def- 
halb ſchwer, diefe freundlichen, perjönlihen Beziehungen von dem 
Urtheile zu trennen, das ich, der Wahrheit gemäß, über fie fällen 
folte. Mir wie allen Treunden des Haufes fiel vorerit der 
Gegenſatz auf, der fi) bei den beiden rauen des Fürſten, welche 
fih fo bald auf einander folgten, zeigte. Antoinette, eine an- 
ziebende, aber indolente Blondine, Tieblich, zart, aber nicht glänzend, 
nicht imponirend, von einem ftilen, aber um fo einfchmeichelnderen 
Zauber. Melanie, in der Farbe der Haare und des Teints, 
im feurigen Auge, in der ganzen blendenden Erſcheinung die 
ungarifhe Abftammung, den mehr füdlihen Typus verrathend, 
ungleich in ihrem Benehmen, bald auffahrend, dann wieder von 
einer binreißenden Liebenswürdigkeit, von ebenfo Tebhaftem Geifte 
ald tiefem Gemüthe — fo ftanden ſich die beiden Bilder gegenüber! 
Melanie Tann jedoch nur in getrübten Lichte erfcheinen, wenn 
man ihren Charakter nicht nach den verfchiedenen Lagen prüft, in 
denen fie fich während ihres Lebens befand. Damald nun im 
30. Sabre hatte fie noch von ihrer Jugendzeit die etwas bizarre, 
oft Teidenfchaftlihe Auffaffungsmweife beibehalten, welche ſich fpäter 
verlor. Wie bei dem Türften muß man daher auch bei ihr 
die einzelnen Zeitabfchnitte trennen und biefen Rechnung tragen, 
will man nicht einfeitig oder vorfchnell über ihre Eigenſchaften 
abiprechen. 

Mrs. Troloppe ſchildert in ihrem Werke: „Vienna“ xc. auch 
die Wiener Gefellichaft, und fpricht dabei von der Fürftin Metternich 
in einer Weife, welche bemeift, daß die fchreibfelige, in ihrem Ur⸗ 
theil fonft ziemlich fcharfe Touriftin von ihr gut behandelt wurde, 
und daher durch eine mehr nüancirte Charakteriftit nicht babe 


281 
undanfbar erfcheinen wollen. Ich werde ihre Worte mit einigen 
Bemerkungen begleiten. Sie fagt: „Die Fürftin gibt ihre Ge 
danken mit einer Offenheit, einer Unbefangenheit, einer Klarheit 
des Ausdrucks wieder, von welchem ich bisher noch fein Beifpiel 
geliehen babe.” Dieß heißt wohl mit anderen Worten: fie fagt 
Alles, was fie denkt; dabei verjchweigt aber Mrs. Troloppe, daß 
gerade diefe allzu große Offenheit in der Stellung der Fürftin ein 
doppelter Fehler war, welcher ihrem Manne viele Verlegenheiten, 
ihr jelbft aber unverdient und ohne Noth Feinde zuzog. Mrs. 
Troloppe fagt daher weiter: „Ohne ihre außerordentlihe Güte 
könnte ihr die Lebhaftigfeit ihrer Aeußerungen wohl Feinde zu: 
ziehen, allein ich zweifle, daß fie deren bat (!), wenn nicht der 
Neid ihr welche erweckt,” ſetzt aber dann gleich wieder berichtigend 
hinzu: „Freilich iſt es in fo hoher Stellung immer fchwer, ſich 
feine Feinde zu machen; es zürmt die verlegte Eitelfeit und die 
Empfindlichkeit der Eigenliebe meit mehr jenen offenen Menſchen, 
die ftart im Bewußtſein ihres Rechts und der Neinheit ihrer 
Gefinnungen ſich wahr äußern, als mit jenen, die aus Schwäche 
oder Nachgiebigkeit für die Meinungen anderer, fi mit ihrem 
Gewiſſen abfinden, und entweder ſchweigen oder anders fprechen, 
als fie denken.” Aber eben deßhalb klagten ihre Umgebungen, daß 
man bei jener oft ganz unnötbigen, jedenfalls übertriebenen Rück⸗ 
ſichtsloſigkeit Melanie's wahrhaft glänzende und ſchätzenswerthe 
Seiten überfah, um ohne Schonung über ihre Schwächen herzu: 
fallen. Keiner Berftellung fähig und jedem Intriguengeiſte fremd, 
febte fie fi unbefangen über gar Vieles hinaus, und beurtheilte 
Alles, Religion, Politik, Erziehung, Muſik, Litteratur, Künfte, ge: 
fellige und Tamilienverhältniffe nach ihrer eigenen Weiſe. In 
politifchen Gefprächen trafen ihre offenen, aber auch oft einfeitigen 
Aeußerungen mit den Mugen und berechneten Phrafen des Fürſten 
nicht immer zufammen, und ebenfo leidenſchaftlich nahm fie in der 
Medizin Partei für die homöopatiſche Heilmethode. Nicht minder 


282 


entihieden war fie in Sachen des Geſchmacks, der Mode, und 
auch bier Hatte fie fich Ideale gefchaffen, neben denen fie alles 
unbedingt vermwarf, was dieſe nicht erreichte. Dennoch konnte man 
ungeachtet diefer erclufiven Richtung, dem vortrefflihen Herzen, dem 
edlen, reinen Charakter Melanie's die höchſte Achtung nicht ver: 
jagen; ihre Freunde bewahrten ihr ftet3 die treueite Anhänglichkeit. 
Eine fromme Katholikin, eine wahrhaft chriftlihe Frau, war fie 
dem Fürften, ihren Kindern mit inniger Liebe ergeben, und erfüllte 
mit geiwiffenhafter Hingebung die Pflichten einer treuen Gattin, 
einer zärtlihen Mutter. Wer daB Gegentheil behauptet, ver: 
läumdet gefliffentlih, oder kannte fie nicht näher! — 

Nachdem Fürft Paul Eſterhazy feinen Botfchafterpoften in 
London aufgegeben, bezog die Fürftin Therefe mit ihren Kindern 
das Palais in der MWallnerftraße, welches fie mit elegantem Com⸗ 
fort einridhtete. Muntere Dinerd, Soirden in beiterer Abwechfelung 
folgten fich rafch und man fah es der Hausfrau an, daß fie viel 
und lange im Auslande gelebt, und da, bejonders für Fremde, 
eine unbefangene, grazidfe Art die Honneurd zu machen, ange: 
nommen batte; fie, welche man die „‚cousine de tous les rois‘“ 
nannte, verſchmähte e8 nicht, felbit mit den unbedeutenditen und 
langiweiligften ihrer Gäſte höflich zu fein, oder einige verbindliche 
Worte zu wechſeln. Dabei war fie gutmüthig, von immer gleich 
heiterer Laune, und ihr Salongeſpräch artete nie in lieblofe Ur- 
theile oder boshafte Commeragen aus. Damals im 40. Jahre 
hoh fie ihre herrliche Geftalt dur eine überaus geichmadvolle 
Toilette, und war dabei immer wie von einer Wolle duftender 
Wohlgerüche umgeben. Es fcheint, ald ob Balzac dieß Bild vor 
Augen gehabt, wenn er in einem Romane nachſtehende Schilderung 
entwirft: 

„A quarante ans Madame.... était belle, d’une beaute 
semblable à celle de ces magnifiques couchers de soleil, qui 
couronnent en 6t& les journdes sans nuages. Elle avait les 


288 


eheveux et les yeux noirs, le pied et la taille des Espagnoles. 
Ces formes offraient les indices de la constitution, qui rend 
les femmes de ce pays particuliörement côélèbres. Son visage 
tonjours beau seduisait par ce teint cr&ole, dont il est im- 
possible de peindre l’animation autrement qu’en le comparant 
à une mousseline jet&e sur de la pourpre, tant la blancheur 
en est &galement colordee. Elle avait des formes pleines, 
attrayantes par cette grace qui sait unir la nonchalance et 
la vivacit6, la force et le laisseu aller. Elle &tait grande, 
ce qui ini donnait à volont6 l’air et le port d’une Reine. 
Elle recevait avec ce goüt, cette grandeur qui ne s’apprennent 
pas; mais dont certaines belles ames peuvent se faire une 
seconde nature, en s’assimilant les bonnes choses partout oü 
elles les rencontrent.‘ 

Die Dame, welche, ebenfo angenehm, Tiebenswürdig und zus 
vorfommend, einem anderen Salon vorftand, war in Ihrer Art doch 
wieder fo fehr verichieden von der eben gefcjilderten, daß beide 
unwilllürih zum Verſuche einer Parallele einladen. Bei der 
Nachſicht, melche fie mit fremden Fehlern und Schwächen übten, 
konnten ſie Diefelbe mit um fo größerem Rechte für ihre Schatten: 
feiten in Anſpruch nehmen, und es zeigte ſich auch hier wieder, 
wie gefellige Vorzüge ein Hauptmoment der Verträglichkeit oder 
der Meliebtheit in der vornehmen Welt bilden. Die Herzogin 
Wilhelmine v. Sagan:Kurland, damals fchon im Alter vor: 
gefchritten, war noch immer eine flattliche Erfcheinung. Sie brashte 
unftät ihr halbes Leben auf Reifen zu, und fcheint eine ebenfo 
große Vorliebe für die Veränderung ihres Aufenthalts, wie ihrer 
Neigungen gehabt zu haben. Zweimal gefchieden Tieß fie ſich end: 
lich mit ihrem dritten Manne in Wien nieder, wo ihre Wohnung 
im ſchwarzenbergiſchen Haufe (Wollzeil) mebr einem Muſeum glich, 
fo ſehr überrafchten darin die herrlichſten Kunftichäge, feltene Ans 
tiken, Gemälde der beften Meifter. Im vollen Sinne des Wortes 


284 


Weltdame, fchien fie die Leere, mit der ein nad allen Richtungen 
genoſſenes Leben fie jebt erfüllte, verdrängen zu mollen. Ihre 
Bemerkungen waren geiftreih, aber auch oft befangen: fie erfebte 
durdy große Lebengerfahrungen und vielfeitige Bildung, mas ihr 
an natürlichem, fcharfem Berftande abging. Ihr Wunſch, jünger 
zu ericheinen, verleitete fle oft zu nicht immer glüdlichen Toilette⸗ 
Künften: Alle aber überftrahlte fie durch den reichten Schmud. 
In ihren Salon? nun, in denen ein ausgefuchter Luxus und Kunft- 
finn den Bejuhenden aus jeder Ede entgegen trat, empfing fie 
mit leichtem Anftand, war jedoch ziemlich wählerifch in ihren Ein- 
ladungen, und nicht immer fo gleih und natürlich in ihrem Be 
nehmen wie die Fürftin Therefe. Sie Tiebte die feine Konverfation, 
unterftüßte vielfach und mit ausgeſuchtem Gefchmad die fchönen 
Künfte; fie ſelbſt ſprach viel und gut, aber oft in einem ermüden- 
den Tone von Einförmigfeit und nicht ohne eine gewiſſe Bitterfeit 
in manchen ihrer Aeußerungen. Sie ftarb 1839. — 


Mit dem Jahre 1884 begannen die deutihen Minifterial: 
fonferenzen in Wien. Seit 1820 Hatte dort Feine ähnliche 
Berfammlung mehr flattgefunden. Es hing diefe Konferenz mit 
der allgemeinen politifchen Rage der Zeit eng zufammen. Der 
Fürſt Metternich Hatte feit 1880 einen Theil feiner früheren 
Schwungkraft erlangt; er fühlte fich ſtark in Ergreifung der Mittel 
zur. Abwehr der Gefahren; es ſchien die Epoche der Kongreſſe 
wieder aufleben zu wollen. Mit Preußen war man in allen 
wichtigeren Fragen einverftanden; Rußland Hatte fich dem Wiener 
Kabinet genähert, und mit Ludwig Philipp ging der Fürft in 
größerer Eintracht, als man ſich es anfehen laſſen wollte, um fo 
mehr als auf dad durch innere Unruhen erſchütterte England mit 
feiner ſchwankenden, bald von Tory's, bald von Whig's geleiteten 
Politik nur wenig zu rechnen war. So wollte man denn much 


285 


Deutſchland wieder zur Rube bringen. Um diefen Zweck am beften 
zu erreichen, follten, unabhängig von den Bundesverhandlungen in 
Trankfurt, die deutſchen Minifter in freien Befprechungen die Lage 
Dentfchlands erwägen, die wunden Stellen bezeichnen und die ge 
eigneten Heilmittel gemeinfchaftlich berathen. Es follten da die 
Konflikte der Regierungen mit den Landftänden, das Schiedägericht, 
die Preſſe, die Univerfitäten u. dgl. m. zur Spradye fommen. Die 
Konierenzen befriedigten in ihrem Ergebniß nach Feiner Seite; man 
fand fie von der einen ungenügend, mangelhaft, während man ihnen 
von der anderen Seite eine freiheitämörderifhe Tendenz unterlegte. 
Wie gewöhnlid ging man bei allen diefen vielfeitigen Beurthei- 
lungen audy bier zu weit. Daß die Konferenzen unter den ge: 
gebenen Umftänden den davon in Wien gehegten Ermartungen 
nicht völlig entfprechen konnten, lag in der Natur der Sache: daß 
aber den Zuftänden, wie fie ſich feit drei Jahren in Deutichland 
anarchiſch entwidelt hatten, entichiedener entgegen getreten erden 
mußte, darüber Tonnte kein Zweifel beftehen. Aud in Frankreich 
ſuchte man einem ähnlichen dringend gefühlten Bedürfniſſe durch 
die Septembergeſetze deifelben Jahres abzubelfen. Der Gründe 
aber, welche eine Unvollftändigleit im Refultate des Kongrefies 
berbeiführten, gab es gar mancherlei. Einmal batten ſich fchon 
die früher fo hoch gehenden Wellen der Bewegung wieder etwas 
gelegt, und man fand die Zeil zu allzu ftrengen Maßregeln nicht 
angethan. Preußen, mit der dee der Erweiterung feines Zoll: 
vereind beichäftigt, war jeder Thatfache feind, welche möglichermweife 
den Einfluß Defterreihd in den Bundesſtaaten erhöhen Tönnte. 
Bayern zumal, in feinem Inneren beruhigt, mit feinen Ständen 
im Frieden (Ehre dem Ehre gebührt! fo Tautete die vom König 
auf den Landtag 1834 geprägte Medaille) legte mandherlei Hinder- 
niffe in den Bollzug der getroffenen Verabredungen. Die Kon: 
ferengen wurden am 13. Januar vom Fürſten Metternidy mit 
einer vortrefflich vedigirten Rede eröffnet, Zweck und Ziel ber 





286 


Berfammlung darin Mar und in ächt deutfcher Gefinnung angegeben. 
Man jchritt hierauf zu der Wahl der Kommiffionen für die ein- 
zelnen Gegenftände, welche mit 61 Nummern bezeichnet wurden. 
Bid zum 12. Juli, an weldem Tage dad Schlußprotocoll mit 
einer gleihen Anzahl von Artikeln unterzeichnet wurde, fanden 16 
allgemeine Situngen ftatt. Aber audy Äußere Umftände verküm⸗ 
merten die beabfihtigten Beitimmungen. Anfangs fchon wurde 
weder der Ort noch die Zeit des Aufammentrittes eingehalten. 
Das uriprünglid beftimmte Prag wurde ſpäter mit Wien ver: 
tauſcht; dieſe Aenderung verftinnmte Preußen; die Herren follten 
ſchon im November zufammen kommen, und mühſam brachte man 
fie vereinzelt erjt im Laufe des Januars nah Wien. Der eriten 
Verabredung zufolge follten nur die verantwortlichen Minifterpräft: 
denten der Bundesflaaten erjcheinen, um gleich bindende Beſchlüfſe 
treffen zu können, und dadurd die weitläufigen Inſtruktionsein⸗ 
bolungen zu vermeiden. Doch auch bier fanden wieder Ausnahmen 
Statt: Ancillon traf erit gegen Ende März ein, und blieb dann 
nur ſechs Wochen, Minifter v. Gife wurde bald durch Herrn 
v. Mieg erſetzt; überdieß waren die meiften Benollmächtigten von 
einem Staatömanne ihres Kabinettes begleitet, und dieſe theilten 
ih dann wieder in die Gefchäfte. Ferner mar ausgemadt, daß 
feiner der in Wien beglaubigten Gejandten den Sitzungen bei- 
wohnen jollte, dennody murde General v. Tettenborn beigezogen. 
Ich füge ein DVerzeichniß der Mitglieder ded Kongreſſes bei: 
Für Defterreih: Fürft Metternich, Graf Münd. 

„Preußen: Ancilon, Graf Alvensleben. 

„ + Bayern: v. Giſe, dann v. Mieg. 

„ Sadjen: v. Minkwitz. 

„ Württemberg: Graf Beroldingen. 

„Hannover, Braunfchweig und Naffau: v. Ompteba. 

„ Baden: Minifter v. Meizenftein, v. Duſch. 

„Heſfſen-Caſſel: v. Trott. 


287 


Für Heffen- Darmftadt: du Thil, Linde, dann v. Gruben. 

„ Holften: Graf Reventlomw. 

„ Zuremburg: dv. Verſtolk. 

„ die fächflichen Häufer: v. Fritſch. 

„Mecklenburg: v. Pleffen. 

„ Oldenburg: v. Berg. 

„ die 16. Stimme: v. Strauch. 

„„ freien Städte: Smidt v. Bremen. 

Ancillon,, welchen ich hier zum erften Male fah, war unge 
wöhnlic groß, Ernſt im nit amgenehn gebildeten Gefidhte, eine 
impofante Erfheinung, doch von etwas fchroffer Haltung. Er 
ſprach ausgezeichnet ſchön mit gewählten Ausdrüden, doch nicht 
ohne einen Anflug von Pedanterie. Er ließ fich ebenfo gerne 
hören, als man auf feine belehrenden Geſpräche achtete. Jeden 
Abend kam er mit dem Fürſten Metternich im Salon zuſammen, 
und es ließen ſich nicht leicht zwei verſchiedenere Staatsmänner 
denken: der hugenottiſche Miniſter in ſeiner Abgemeſſenheit und 
der Weltmann mit ſeinen leichten Formen. Beide begegneten ſich 
nur in der Theorie „von der Vermittelung der Extreme,“ und 
beide glaubten mit ſchönen Worten überzeugen zu können, wo 
Thaten mehr als je nöthig geweſen wären. Graf Alvensleben 
war ein in Geſchäften erfahrener, vielſeitig gebildeter Mann, ein 
ſtets heiterer, oft witziger Geſellſchafter. Münch, Reizenſtein, Ver⸗ 
ſtolk, Smidt, Strauch galten für die tüchtigſten Kräfte des Kon⸗ 
grefſes. Der Heine, lebhafte 70 jährige Reizenſtein, den man wohl 
mit Unrecht den badischen Talleyrand nannte, da ihm die Haupt: 
eigenſchaft diefeg Diplomaten, die Geſchmeidigkeit abging, brachte 
feine reichen Erfahrungen und Gefchäftstenntniffe, wie feinen red- 
lichen Sinn zu den Verhandlungen. 

Einen eigenen Incidentpunkt bildeten die Angelegenheiten der 
Schweiz, welche fih durch Anarchie, den abenteuerliien Zug 
Romarino’3, die Haltung der Flüchtlinge immer drohlicher geftalteten. 





288 


Herr v. Dufh, mit dieſen Berbältniffen genau befannt, über: 
dieß in der Schweiz acereditirt, brachte Ende Mai die Iehten 
Mahnungen nah Zürih, und die Tagſatzung fügte fich Diefen 
dringenden Vorftellungen; es kehrte da wenigſtens für einige Zeit 
Ruhe zurüd. 

Wenn diefe VBerfammlung von Diplomaten auch nur wenig 
in den gefelligen Verhältniffen Wiens änderte, jo brachte fie doch 
einen ungemein lebhaften Verkehr in die Geſchäftskreiſe. Die An- 
wefenheit jo vieler hervorragender Männer gab Anlaß zu ebenfo 
häufigen Beiprehungen als anziehenden Beobachtungen. Ich felbft 
war durch ſechs Monate beinahe ausſchließend mit diefen Verband: 
lungen beichäftigt, denen ich mit gefteigerter Spannung folgte. 
Bewegten fie fih au nur mühjelig vorwärt3, murde der Zweck 
der Zuſammenkunft auch nur nothdürftig erreicht, jo kann doch nur 
Parteigeift den wenigſtens theilweife für die Ruhe Deutſchlands 
heilfamen Erfolg verfennen, der in den Bundesbeſchlüſſen vom 
30. September niedergelegt ift. 

Der Congreß zog auch einige Beſuche von Fremden berbei; 
unter denen, die mid zunächſt berührten, maren der badiſche 
Minifter v. Berftett und Herr v. Zobel. Erfterer kam auf feiner 
Rückkehr aus Stalien nah Wien, wo man feine Erfcheinung in 
jenem Augenblide weder pafiend noch taktvoll hielt. Hr. v. Zobel 
aber, an der Spite einer Deputation des reich3unmittelbaren Adels, 
fand, wie ich vermuthe, in dem Drange anderer Geſchäfte nur 
wenig Gehör. Dagegen fpannten die Conferenzen die fremden 
Sefandten zu erhöhter Thätigkeit anz es hatten ſich die Mitglieder 
das ftrengfte Geheimhalten der Verhandlungen gelobt; um fo 
größer war die Neugierde, etwas davon zu erfahren. KTatiftcheff, 
am meiften eingeweiht, verhielt fiih ruhig; um fo bemweglicher waren 
St. Aulaire und Lamb, wenn Lebterer ſich auch anfcheinend gleich 
gültig zeigte, Die italienifhen Mifftionen blieben ziemlich theil- 
nahnislos. 


280 


Die von folden Zufammenkänften ungertrennlichen Diners, 
Einladungen, gefelligen Zerftreuungen fehlten auch bier nicht und 
brachten, mie dieß in einer großen Stadt begreiflich, mieder viel: 
fahe Störungen in den Gang der Geſchäfte ſelbſt. Die Herren 
v. Beroldingen und Minkwitz waren von ihren Tiebenswiürdigen 
Trauen begleitet, und fomit hatte der Congreß auch feine anmuthige 
Seite. Selbit ein Hofball — lange nicht mehr gefehen — fand 
ftatt, auf dem der Kaifer jedoch nicht erſchien. Die mit foldyen 
Schilderungen unvermeidlidhe Einförmigkeit zu umgehen, werde ich 
nur von zwei Feſten aus jener Zeit fprechen, melche fich über die 
alltäglichen Unterhaltungen erhoben. — Den fühlbaren Mangel 
einer italienischen Oper zu erfeßen, batten ſich fchon feit zwei 
Wintern einige talentoolle Dilettunten zufammengefunden, welche 
Scenen aus beliebten Opern im Coſtüm vorftellten. Gräfin Marie 
Gallenberg (jebt Gräfin Stolberg) mar durch den Klang ihrer 
Stimme wie die Bortrefflichkeit ihrer Methode die Seele diefer 
Abende. Der Spanier Montenegro, der Arzt Gabrieli unter: 
ſtützten dieſe Leiftungen, welche jedoch bisher die Grenzen des 
Salons nicht überſchritten hatten. Nun entihloß man fi zu 
öffentlichen Borftelungen, und es follte ihr Ertrag in die Kaffe 
des nach allen Richtungen jo wohlthätigen Damenvereins fließen. 
Es wurde bierzu das fchöne, geräumige Schloßtheater in Schön- 
Brunn beitimmt, und die muſikaliſchen Genüffe follten da mit der 
Aufführung deuticher Luſtſpiele abwechſeln. Ich wurde zur Theil- 
nahme wie zu den Berathungen gezogen, welche der ſächfiſche General 
Vieth leitete, in vielen Städten ala einer der Pfeiler der Lieb: 
habertheater befannt. Seit meiner Jugendzeit war beinahe fein 
Jahr vergangen, in dem ich nicht bei irgend einem Geſellſchafts⸗ 
theater mitwirkte; nun follten diefe befcheidenen Darftellungen eine 
größere Ausdehnung erhalten. Doc auch bier zeigte ſich der wie 
durch ein eigened® Verhängnig auf jedem Theaterweſen rubende 
Fluch; au hier gab es Zerwürfnifſe wegen der Wahl der Stüde, 

Ich. v. Andlaw. Mein Tagebuch. I. 19 


290 


Heine Intriguen in Belebung der Rollen, Unannehmlichleiten jeder 
Art, und das Bomits quälte ſich mit Vorbereitungen, die zum 
Mitfpielen auserfehenen Opfer mit Proben wochenlang ab, bis 
die Sache endlich dennoch, mühlam genug, zu Stande kam. In 
der That war es auch fehr ſchwer, paſſende deutfche Luſtſpiele zu 
finden, da man jeden Vergleich mit der Burgbühne vermeiden, 
auch nicht veraltete oder überfehte Stüde wählen wollte. Nach 
langem Zögern entfchloß man fi zu einem noch nicht befannten 
einaktigen Xuftfpiele in Berjen von Bauernfeld: „Ewige Liebe“ 
und zu einer der „Theaterprobe” von Moliere nachgebildeten Poſſe. 
Der wichtige Tag mar erichienen; der Tailerliche Hof, 600 Perſonen 
(den Platz zu 5 fl.) Hatten ſchon das Hang gefüllt; nicht ohne 
Emotion der Schaufpieler ging die nicht enden wollende Duvertuve 
von Othello unter Weigel'3 Leitung vorüber. Graf 2, Szecheny 
betrat zuerft die Bühne; ihm folgte ich mit der fchönen Gräfln 
Julie Huniady, bei deren fichtbarer Angſt ich mich von der eigenen 
erbolte. Das Stüd fpielte ohne Unfall zu Ende, und Erfolg 
wie Beifall verdanfte man dem allerliebften Spiele der beiden 
Damen (der Gräfinnen Amadé und Huniady) Das zmeite 
Stüd, zwar reich an komiſchen Scenen, war doch zu ſehr Pidce 
& tiroir, ohne dramatiſchen Gehalt und Zufammenbang, um zu 
befriedigen. Es nahmen fehr viele Mitipielende daran Theil, und 
wir unterhielten und jelbft dabei viel befler, ala die Zuhörer. 
Zwiſchen und vor diefen Stüden fanden nun die erwähnten coftil- 
mirten Scenen aus Opern von Roffini, Bellini und Dontzetti im 
anziehender Weife ftatt. Die Blätter übten in ihren Beſprechungen 
eine nachfichtige Kritik; fie lobten ums über Gebühr, dagegen 
wurden wir von zum Theil höchſt unbilligen Urtbeilen des Publi⸗ 
kums verfolgt. Wir Eonnten und darüber um fo leichter hinaus⸗ 
jeßen, als der Hauptzweck ja erreicht, die Kaffe gefüllt, unfere 
Gefälligkeit anerlannt war. Leber die Leiftungen felbft kann ich, 
dabei betheiligt, mich nicht näher ausfprechen, doch führe ich nur 


291 


zur Erinnerung einige Aenßerungen darliber aus ber „Theater 
zeitung“ an: 

„Die Stellung der mitwirfenden Damen und Herren mürde 
eine Fritifhe Beleuchtung der mit fo menfchenfreundlicher Bereit- 
willigfeit gebotenen Kunftgenüffe unpaffend erfcheinen Iaffen. Wäre 
aber und eine folche Aufgabe geworden, jo könnten wir nur, der 
Wahrheit getreu, des fein nilancirten Zufammenfpiel3 mie des 
Talents der Sänger in den Iobendften Ausdrücken erwähnen u. f. w.“ 


Nah Dftern fanden noch einige Ähnliche Borftelungen ftatt, 
in denen fi) General Vieth ald vollendeter Schaufpieler zeigte; 
ich wirkte nicht mit. Auch dieſe Vorftellungen fprachen nicht an, 
dagegen tröftete man fi) wiederholt mit dem Ertrage zu Wohl: 
thätigfeitögweden; wieder ftritt man fih um Gallerie: und Parterre⸗ 
fite, die Pläte hatten einen Kurs wie an der Börfe. 


Diefe noch fo gut gemeinten Beitreßungen Tonnten doch dem 
Spotte der Wiener nit entgehen. Es erfchien bald darüber ein 
fo ungemein witziges Pasquill, daß, wäre ich der einzige Gegen: 
Rand deffelben geweien, ich feinen Anitand nähme, es bier einzu: 
ſchalten. Doh da darin bochgeftellte, zum Theil noch Lebende 
Perfonen Tächerlidy gemacht werden, jo muß ich mir es leider ver: 
fogen, die jo überaus gelungene Schmähfchrift zu veröffentlichen. 
Man kannte oder nannte vielmehr den Verfaſſer nicht, allein ich 
glaube, daB es damit wie bei einer Schneelatwine ging; irgend 
ein wibiger Kopf gab die erfte Idee dazu; fie eirculirte, Jeder 
feute wieder etwas bei, und fo entftand wohl da® Ganze, das 
neben mandem Trivialen fo viel Feines und Draſtiſches enthält, 
daß es jedem Zeichner von Karikaturen zum Ruhme gereichen 
würde, fo treffend mar die Parodie in ihren einzelnen Zügen. 

Ein originelles Felt gab die Fürſtin Metternich am 15. Mai 
tm Garten de3 Rennwegs. Der Direltor Karl von der Wieden 
hatte das Arrangement unternommen und fo gelungen ald möglich 

. 19* 


292 


ausgeführt. Mie mit einer Zauberruthe änderten ſich die Scenen 
und Bilder; 300 Mitglieder jened Theater waren dabei thätig 
und vertheilten fi in verichiedene Gruppen. Hier war ed das 
Zigeunerlager der Präcioſa, von frifhen Grün umgeben, dort ein 
Tyrolerfeſt, maleriſch aufgeftellt; bier kämpften Gladiatoren, dort 
Amazonen bei magiſcher Beleuchtung, endlich ein Zug von Liebes: 
göttern; Feuerwerk und komiſche Gefänge von Scholz und Neftroy, 
föftlich vorgetragen, füllten die Pauſen aus, dazu der herrlichſte 
Maiabend, die buntefte Gefellihaft im blühenden Parke, in den 
duftenden XTreibhäufern fi) ergehend? — Alles geftaltete ſich zu 
einer wahren Teerie; man ging von einer Ueberraſchung zur 
anderen über, und die Gäfte waren entzüdt von den ebenſo 
feltenen als wechſelnden Genüffen. 

In Wien wie an anderen Orten meiner diplomatifchen 
Thätigkeit erhielt ih alljährlih Die Beſuche vieler Verwandten, 
Bekannten und Landsleute, welche als Neifende die Verwendung 
oder die ©efälligkeit der Gefundtfchaft in Anfprucd nahmen. Mit 
den Einen beſah ich Merkwürdigkeiten, Gallerien, Umgebungen 
u. f. w., Andern war ich fo glüdlih, wahrhaft nüßliche Dienfte 
zu erweilen. Während mich fo das Wiederfehen und der freund- 
liche Verkehr mit werthen Belannten vielfach erfreute, fo gewährte 
mir das Bewußtſein Troft, Manchen hülfreich mit Rath und That 
begegnet zu fein, und entihädigte mid für fo viele andere unange 
nehme Erfahrungen in der Sarriere. Dazu famen noch die Söhne 
der beiten Familien des Landes, welche zahlreich als Offiziere oder 
Kadetten in die k. k. Armee traten. Auch dramatifche Künſtler 
waren keine feltene Erfcheinung. In jenen drei Sommern nun 
waren es Graf und Gräfin Buol, Fr. v. Porbek u. a. aus 
Karlsruhe, Fürſtin Yſenburg, die Herren v. Herding, ©. v. Roggen- 
bad, Fr. v. Venningen aus Mannheim, welde Wien befuchten; 
ihnen fchloffen ſich noch Hennenhofer und Camill v. Lobbel am, 
Lebterer ein vielverfprechender Yüngling, der feine glüdlichen 





293 


Anlagen auf weiten, felbft außereuropäifchen Reifen entwickelte und 
in Paris ein fo baldiges Ende finden follte. 

Während jener Zeit war Xettenborn leidend, umd ich verließ 
nur felten die Stadt. Es verfammelte fih um fein Krankenlager 
jeden Abend ein Kreis vertrauter Freunde, unter ihnen Fürft von 
Fürftenberg, Varnhagen von Enfe, Graf Ferdinand Palffy. 

Der Kaifer Hatte dem Fürften Karl Egon von Fürften: 
‚berg da3 goldene Vließ verliehen, und er war, für diefe Aus- 
zeichnung zu danken, nach Tängerer Zeit wieder zum erften Mal 
in Wien erichienen. ch ergreife diefen Anlaß, hier einige Worte 
dankbaren Andentend an diefen vortrefflichen, leider nur allzu früh 
dahin gegangenen Fürſten niederzulegen. Es ift fo felten und für 
ein fühlendes Gemüth doppelt erfreulich, wenn man einmal ohne 
Rückhalt Toben, alle die unvergleichlichen Eigenfchaften eines edlen 
Charakter hervorheben und anertennen Tann. Ich babe den 
Fürften Karl Egon durdy 40 Jahre an verfchiedenen Orten, in 
mannigfaltigen Lagen des Lebens, als Familienvater, ald Staats⸗ 
mann und Nedner, als Regent und Gefellichafter, endlich ala 
einen mir ſtets gnädigen Gönner gefeben, und immer und allent- 
halben erſchien er mir ala das Vorbild eines ebenfo ausgezeichneten 
als wohlmwollenden und liebendwürdigen Mannes. Doc alle diefe 
Vorzüge wurden bei ihm durch die Reinheit eines feinfühlenden 
Herzend überſtrahlt. Mit der angebornen Großmuth — dem 
Kennzeichen eined echten Edelmanns — mit feinem Wohlthätig- 
keitsſinn — dem den Yauterftien Quellen entfließenden Bedürfniſſe, 
zu helfen, Segen, Glück um fi zu verbreiten — gingen feine 
firengen Grundſätze von Gerechtigkeit und Wahrheit Hand in 
Hand. Heiter, gefellig und in der Welt feinen hohen Rang mit 
Würde behauptend, war er doch wieder im Kreife feiner blühenden 
Familie der einfachfte, berzlichfte Hausvater. Mit einer feltenen 
Rednergabe verband der Yürft einen Karen, natürlichen Styl, und 
fon feine fchönen, männlichen, Ieferlihen Schriftzüge verrietben 


294 





den ausgeprägten Charakter. Von einer raftlofen Thätigleit, für 
das Wohl feines Haufes wie des Landes mit gewiſſenhafter Umſicht 
beforgt, war er aud in Staatögefchäften beivandert, und bei den 
Ständeverfommlungen in Berlin, Stuttgart und Karlsruhe eine 
einflußreiche, glänzende Erſcheinung. &3 trat bei dem Fürſten der 
jeltene Fall ein, dag die von jedem menſchlichen Charakter unzer⸗ 
trennliden Schwächen feine edleren Eigenfchaften nie verdintkelten. 
Niemand mar Überdieß nachlichtiger für Andere, ald er, und die 
Menſchen im Allgemeinen für viel beffer haltend, als fie in Wirk: 
lichkeit find, fehlte e3 ihm nicht an mancher traurigen Erfahrung. 
Dennody entfhlüpfte ihm nie ein Wort der Bitterleit oder Klage; 
feine Menfchenfreundlichteit kannte, ſelbſt bei zahlloſen Enttäufchungen, 
feine Grenzen; denn er hatte im eigenen Gemüthe, in feinen häus 
lihen Umgebungen, im flarten Bewußtſein redlich erfüliter Pflichten 
fi einen Himmel gegründet, aus dem ihn weder ber Undank der 
Melt, noch Freiſcharen oder polittifche Nänfe zu vertreiben ver- 
mochten. 

Varnhagen, mit dem ich früher und auch Ipäterhin öfters 
zufammen kam, war zu jener Beit, obwohl ſchon gegen 50 Jahre 
alt, noch ein ziemlich flattliher Mann, doc fortwährend ängſtlich 
mit feiner Gefundheit beſchäftigt. Er Hatte ala öſterreichiſcher 
Difizier die Schladt von Wagram mitgemadt, und Tehrte, um 
feine Erinnerungen zu erfriſchen, gerade 25 Sabre jpäter wieder 
nah Wien zurüd. Er verzeichnete diefe Eindrüde in feinen Denk: 
würdigleiten (8. Band). Mit Tettenborn, den er auf feinen 
glänzenden Streifzügen im Norden Deutſchlands als Freiwilliger 
begleitete, war Barnhagen eng befreundet, und traf mit ihm auch 
wieder auf dem Wiener Kongrefle zufımmen, deffen Borgänge er 


beſchrieb. Seit Jahren ohne beftimmte Anftellung trieb er fidh, 


ein moderner -Orpbeus, number, ſteis den Verluſt jener Eurpdice 
in der Geſtalt Rahel's beiammernd. Es ftritten fi in Varnhagen 
zwei Dinge: im politiihen Tragen ein Dektrinär, und als folder 


295 





natürlich mit einer tüchtigen Doſis Eigenfinn begabt, konnte er ed 
nicht über fich gewinnen, feinem ſeichten viberalismus zu entjagen. 
Damit gerietd aber nun fein Ehrgeiz in Konflilt, der felt feiner 
Abberufung vom Poften in Karlsruhe im Jahre 1818, einer zu⸗ 
rüdgetretenen Krankheit gleich, immer wieder audzubrechen drohte. 
Diefer beitändige Rampf, gefleigert durch eine maßlofe Eitelkeit, 
rief bei ihm ebenſo wohl jene Bitterfäit hervor, ald auch In feinen 
Henferungen fi zabllofe Wideriprüihe nachweiſen Iafien. Diele 
gereizte Stimmung zeigt fi noch uuflallendet in ven feit feinem 
Tode unbegreiflicher Weiſe bekannt gemachten Korreſpondenzen und 
Tageblichern: es geht daraus hervor, daß feine glatte Außenfeitt 
leidenſchaftliche Negungen dedte, er nur augenblidlichen Eingebungen 
folgte, und Perfonen nar immer nad; Der Weife beurtheilte, wie 
fie ihn gerade behandelten. Ber diefer Einfeitigen Auffaffung kann 
Varnhagen als yolitiicher und Memoiren⸗Schriftſteller nicht für 
unpasteiifch gelten; durdy fein Priama gefeben ericheinen die Bilder 
oft getrübt; Vieles Tommt dabei wohl auch auf Rechnung feine 
hypochondetiſchen Launen. Das größte Verdienſt erwarb fich 
Varnhagen als Kritiker, wo er, wenn auch ſcharf, doch meiſt tref⸗ 
fend, urtheilte. Man zählt ihn den beſten deutſchen Proſaiſten 
bei, doch ſein Styl iſt vielleicht zu correkt, zugeſpitzt, wie ſeine 
Feder, welche fo zierliche, regelmäßige Züge ſchrieb. 

Graf Ferd. Palffy, ein Wahrzeichen Wiend, war von 
Jedermann gekannt, Niemand, der nicht auf der Straße von dem 
Heinen Danne mit dem violetien Gefichte freundlich gegrüßt wurde; 
er trug den Hut ftet3 in der Hand, und febte feinen graugelodten 
Kopf Regen und Kälte aus. Paliſy war nie vermählt, nicht ohne 
Geiſt fi fortwährend mit Lebendplanen aller Art tragend, war 
er früher ebenfo ſehr in politifche Intriguen verridelt, als er das 
Theater a. d. Wien leitend, jene Pracdtihaufpiele, Kinderballete 
u. dgl. in Scene feste mit einem Aufwand, der, unerhört, bisher 
nidyt mehr erreicht wurde. Ws Titular⸗Geheimerath ſich gerne, 


296 


doc ohne gründliche Kenntniffe, in Alles mifchend, jagte er ebenfo 
fehr nach Genüffen, ald nach Auszeichnungen. Kinige Male völlig 
ruinirt, dann wieder immer durch glüdliche Zufälle aus den pein- 
lichſten Lagen gerettet, Befiter von Herrichaften, doch immer obne 
Geld, kannte Palffy in vollem Maße des Lebend Höhen und 
Abgründe. Es war in feinem Charakter ein ſeltſames Gemiſch 
von Eitelfeit und Gutmüthigkeit, Spelulationsgeift und gedanfen- 
loſer Verſchwendungsſucht, Kunftfinn und Geſchmackloſigkeit. Wer 
ihn als glänzenden Magnaten, als großmüthigen Mäcen und frei: 
gebigen Kavalier, dann mieder am Spieltifch, wo es oft in einer 
Nat feiner ganzen Eriftenz galt, fah, oder ihn in feiner zierlich 
eingerichteten Billa zu Hernals befuchte, Tonnte ſich eines Gefühle 
der Sympathie, wie des Bedauerns nicht entwehren, daß fo viele 
nicht zu läugnende, ſchätzbare Eigenfchaften in einer wie zum 
Syſtem erhobenen Grundſatzloſigkeit, in einem ganz unglaublichen 
Leichtfinne untergingen. Palffy, der viele Freunde, nur wenige 
zählte, die ihm grollen konnten, endete 1842 in Dürftigleit ein. 
ebenjo geräufchvolles, als doch wohl größtentheild nutzlos voll- 
brachtes Leben. 


Der Fürft Metternich hatte das Buolifche Haus in Baden 
angelauft, wo er diefen Sommer mit feiner Familie zubradhte. 
Auch bier verfammelte er täglich viele Gäfte um fih, und nad 
der Rückkehr in die Stadt wurde ihm im Oftober ein Sohn ge 
boren, den man nad feinem Zaufpathen, dem Kürften Eſterhazy, 
Paul nannte. 


Im Herbfte machte ich zwei Ausflüge nad benachbarten 
Städten, von denen ich verichiedene Eindrüde zurüdnchm. Am 
8. Sept. hatten die Ylammen einen großen Theil von Wiener: 
Neuftadt verzehrt, das Elend war ebenfo groß, als die ber 
Schwefterftadt geleiftete Hülfe raſch und ergiebig. — Gegen Ende 
defielben Monats fand in Eifenftadt die feierliche Inſtallation 





287 


des Fürſten Paul Eſterhazy als Obergeſpan des Comitats 
ſtatt.) Es war ein ebenſo anziehendes als glänzendes Schau⸗ 
ſpiel mit all' dem eigenthümlichen Gepränge, mit den ſich auf ihren 
Pferden tummelnden Magnaten, den überaus originellen Trachten 
und belebten Vollsfeſten. Drei Tage dauerte dieſes ſeltene Feſt, 
und nie ſah man Eiſenſtadt mit feinen Erinnerungen an Haydn, 
mit feinen wundervollen Parkanlagen volfreicher, belebter. Während 
die Eroaten um den am Spieße gebratenen ganzen Ochien tanzten, 
aus den mit Wein gefüllten Brunnen tranken und fi) dabei 
blutig ſchlugen, lud das Orcheſter von Strauß die feinere Welt 
zum Balle ein; bier ſah man das Wafferfeuerwerk, dort drängte 
man fi zum ungariſchen Schaufpiele, und eine Rieſentafel nahın 
die ungeheuere Zahl von Gäften auf, die an einem Tage bis zu 
800 flieg. Begierig, wie fi) die Küchenanftalten bei ſolchen Ge: 
lagen ausnehmen, betrat ich mit einem Collegen die unterirdifchen, 
unabfehbaren Gewölbe, in denen große Nührigleit herrſchte. Vol 
Erftaunen über diefe zifchenden, dampfenden und bellaufloternden 
Elemente bemerkten wir Anfangs das Teife Gemurmel nicht, mit 
dem und das Küchenperfonal empfing. Ein „Chef“ gab endlich 
diefen Gefühlen der Entrüftung Ausdrud, indem er zu uns beran- 
tretend ſprach: „Haben denn die Herren fo wenig Achtung vor 
der hochfürſtlichen Küche, daß fie ihre Hüte aufbehalten?” — 
Wir entfhuldigten und mit Unkenntniß der Etiquette des Küchen: 
herdes, fügten jedoch bei, daß, wo fo viele Köche und Marmitons 
ihre blendend weißen Müben trügen, wir geglaubt hätten, aud 
unfere ſchwarzen Cylinder aufbehalten zu dürfen. 

Zwei große Heeredlager in diefem Sommer zeigten einen 
erfreulihen Yortichritt in der Taiferlichen Armee. Das eine, bei 
Turas in Mähren, beſuchte der Kaiſer felbft — es mar dus 
legte milttärifche Schaufpiel, dem er beimohntee Das zweite, 





*) Erinnerungsbl. ©. 86. 








298 





weit belebter und von dem ſich ſtets verjüngenden Griſte Radetzky's 
befeelt, fand bei Verona flatt, und zog viele Fremde atı. 


— — —— — ne 


Niemand kann dem Schickſale entgehen, wenigſtens zweimal 
von fi ſprechen zu mahen: bei der Berlobung und nad dem 
Tode, So gaben denn auch in der höheren Geſellſchaft Wiens 
Bermäblungen und Teſtamente reichlichen Stoff zur Unterhaltung. 
Die uralte Gräfin Fekete bielt ein eigenes Verzeichniß von jungen 
Herren und heirathäfähigen Gomteflen; fle reihte fie da nach ihter 
Idee auf dem Bapiere, wie im Gotillon zuſammen, und war 
ärgerlich Über jede Störung, die Ihre Veporello⸗-Liſte erlitt. Ebenſo 
ſammelte fie Teftamente, wo fle fie tur finden konnte, udb deren 
Abſchriſten fie oft theuer bezahlte. Diefe merkwürdige Frau, von 
der man nur wußte, daß fie die Tochter eined Grafen Eſterhazh, 
der vor hundert Jahren Taiferlicher Gefandter in Dresden war, 
hatte feine Beitgenofler mehr, die ihr dad Aller nachrechnen Tonıten. 
Dennod trieb fie ſich eher einer böfen Fee, ala eines Eheflifterin 
ähnlich, Ineifend und klappernd, auf einen Krückenſtock geſtützt, in 
den Salons umher, war ſehr empfindlich, wenn fie nicht uͤberull, 
ſelbſt auf Bälle, eingeladen war, und machte jeit undenklicher Zeit 
jeden Abend regelmäßig ihre Partie L'hombre, zu der ſich die Ein- 
geladenen In ein Buch eintragen, und fi Wochen vorher vers 
pflichten mußten, am beftimmten Tage mit ihr zu fpielen. Gie 
bezahlte dabei nur immer mit kleinen Papierſtreifen, auf denen fie 
die Verluſtſumme mit einem galgenartiger F verzeichnete. — 

Ungewöhrliches Auffehen erregte zu jener Zeit die letztwillige 
Beſtimmung der Graͤfin E. Palffy⸗ de Ligne, welche, mit Um⸗ 
gehung ihrer nächſten Verwandten, ihren Geſchäftomann, den un: 
garlſchen Advokaten Udoarnoky, zum Haupterben einſetzte. Dan 
konnte fidy dieſe Laune der fo vortrefflichen Frau nur dadurch er⸗ 
klären, daß das Teſtament erſchlichen war, und der Rechtsftreit 


299 





enbete mit einen Vergleiche, bei dem der Erbe mehr ar Achtung 
einbüßte, ald er an Vermögen gewann. 

Was nun die ſtets offene große Frage ber Heirathen bes 
trifft, fo ſah ich deren in Höheren Kreiſen Wiens eine lange Reihe ab: 
fchliegen. Einige fand man ganz in der Ordnung und fpradh 
nicht viel darüber, andere festen alle Zungen in Bewegung, wurden 
oft der Anlaß bedeutender Wetten, und mieber andere fanden befs 
tigen Widerfpruch vor ober Tadel nad) der Vollziehung. Ber 
bindungen mit Ausländern waren felten, doc vermählten ſich einige 
Diplomaten. Unter vielen Heirathen aus den 1880er Jahren 
will ich nur einige hervorheben, auf welche obige Bemerkungen 
mehr oder weniger paflen; fo die Vermählung des Fürften Aloys 
Lichtenftein mit der fchönen Gräfin F. Kinsky, des Fürſten Paar 
mit der Furſtin Ida Lichtenftein, des Fürſten F. Brezenheim mit 
der Fürftin Karoline Schwarzenberg, des Grafen N. Eſterhazy 
mit der Gräfin M. Plettenberg, des Fürften C. Dettingen⸗Waller⸗ 
fein mit der Gräfin 3. Dietriäfieln, des Grafen Grünne mit 
der Gräfin C. Trauttmannadorf, des Grafen Stephan Szechenyi 
mit der reizenden Wittwe Creſcenz Zichy:&ellern, des Fürflen 
Fr. Tarts mit der Gräfin A. Bathiany, des Grafen Medern mit 
der Furſtin Victoire Odescalchi, des Fürſten Lobkowitz mit der 
hübſchen Gräfin C. Weibna, des Grafen Arco mit der Gräfin 
J. Pallavicint m. a. m. 

Lebhafte Theilnahme erregte aber vor Allen, auch in weiteren 
Krelfen, die Verbindung des Fürſten Adolph von Schwarzen⸗ 
berg mit der Tochter des tapferen Fürſten Moritz und der Leo: 
poldine von Richtenftein-Sfterhazy. Die Vermählung fand Im 
Mai 1830 in der Hauskapelle Efterhazy’3 ftatt, und die fürſt⸗ 
liche Braut (Lorchen) glich ſelbſt einer friſch aufblühenden Mai⸗ 
roſenknoſpe, lebensfroh, voll heiterer Laune. Der Fürſt, ernſt, 
mit der umfichtigen Verwaltung ſeiner ausgedehnten Herrſchaften 
befegäftigt, war einfach, anſpruchslos; nichts ſchien dem Glück einer 





300 


unter fo günftigen Verhältnifien abgefchloffenen Ehe entgegentreten 
zu follen; allgemein. freute man fi der Vereinigung zmei fo 
beliebter und berühmter Yamiliennamen. 


Durch das Eintreffen Saphir's in Wien erhielf die Tages- 
Titteratur eine andere Richtung; die ſchwerfällige, langweilige Kritik 
wurde durch die hellleudytenden Witesfunfen jened Humoriften aus 
ihrer Lethargie gewedt, und alfobald entfpann fi, wie allent- 
halben, wo diefer — Blauftein noch erfchienen, ein Federkrieg, 
der nicht felten in Handgreiflichere Thätlichkeiten überging. Es 
riß nun ein bitterer Ton der Polemif ein, und wenn ed auch 
nur Wenige gab, die ſich dem gefürchteten Kritifer anfchloffen, fo 
waren doch alle feine Gegner, vereint, nicht im Stande, es mit 
Saphir’3 ſpitzen Waffen aufzunehmen. Ich habe ihn oft geiehen, 
viel und gerne gehört, doch mich in feiner Nähe, felbft bei jeinen 
ergöglihen Vorträgen, nie eined unheimlichen Gefühl erwehren 
können. Mit feiner äußeren Ericheinung, ter eined wahrbaften 
Satyr ähnlich, verband ſich eine in Gift getauchte Feder, von der 
man nicht nur wußte, daß fie ſchonungslos, geifernd, gefährlich, 
fondern daß fie auch vor Allem Fäuflih war und der Meiftbietende 
immer ficher auf Saphir’3 Lob oder zum mindeften feine Nadficht 
rechnen konnte. Mit feinem überwiegenden Geift und unüber- 
troffenen Wi, feiner et ......... Unverfchämtheit beherrichte 
er dur 20 Jahre das Feld der Wiener Kritil, gab Vorlefungen, 
veranstaltete zahlloſe Eoncerte zu feinem und anderer — Bedürf: 
tigen Beften. Oft mit Geld, noch öfter mit Gefängniß beftraft, 
bat er fih da ſtets als Koft ein Gericht mit „gebämpfter Zunge“ 
aud. Er erheiterte, ärgerte, verlegte, vergriff fih am Heiligſten, 
und ſchwieg nur, wo er beitocdhen war, hatte die Lacher aber meift 
auf feiner Seite, zahllofen Feinden gegenüber jedoch keinen Freund. 
Selbft feine entichiedenften Anhänger verficherten, daß es ganz 





501 


unmöglich fei, fi mit Saphir in die Länge zu vertragen. Dennoch 
war fein unbeftreitbare3 Talent von überrafchend jeltener Art; es 
entquoll ihm ein unverfieglicher Born von Wis, Laune und Geifl. 
Wie er aber nie mit feiner Kaffe Haus hielt, warf er auch mit 
vollen Händen feine poetiihen Gaben, feine drolligen Einfälle 
hinaus; Hunderte von Dichtern und Humoriiten hätten reichlich 
davon zehren Tönnen. Weniger als feine geiftvollen Auffätze, 
treffenden Wortipiele und gelungenen Kritifen befriedigten, mit 
wenigen Ausnahmen, feine Gedichte, bei denen er e8 mit der 
deutfhen Spradye nicht immer fehr genau nahm. Mitten unter 
unzähligen Yehden ereilte ihn im 64. Jahre (1854) der Tod in 
Baden, wo er fich immer gerne aufbielt. 





Dear Winter 1834/35 verflog in den gewohnten gefelligen 
Unterhaltungen. Nach dem Tode der Yrau v. Tatiſtcheff hatten 
fi) von Zeit zu Zeit deflen beide Nichten, — Uruſow — die 
reizende Blondine Fürftin S. NRadziwill und die Gräfin M. 
Muſchin⸗Puſchkin mit der Gräfin Julie Aprarin in die honneurs 
des Botſchaftshotels getheilt. Fürft A. Gortſchakoff, damals erſter 
Rath, freite jpäter um die Hand der geiftvollm Wittme Mufchin- 
Puſchkin. 

Das Burgtheater, immer ausgezeichnet und beſucht, Karl 
mit ſeinen komiſchen Elementen an der Wien ſetzten ihre beliebten 
Leiſtungen fort; nur das Opernhaus blieb zur Verzweiflung ſeiner 
Freunde immerwährend zurück, und ſelbſt das ſonſt ſo beſcheidene 
Joſephſtädter Theater wagte es, jene Lücke auszufüllen, neue 
Opern aufzuführen. Ueberdieß gingen aber jener vernachläſſigten 
Bühne noch zwei weitere Glüdäfterne auf. Holtey hatte feine 
allerliebften Singfpiele dahin verpflanzt, eine biöher unbekannte 
Gattung, welche in anziehender Weile die franzöfiichen Vaudevilles 
erfegten und in witigen Liedern wie feinem Dialog raſch zu großer 





302 


Beliebtheit gelangten. Eine ungleich mädjtigere Wirkung brachte 
aber dort Raimund mit feinem unvergleihlichen „Berfchmenber“ 
hervor. Die vielen ſich unausgeſetzt folgenden, ftet8 überfällten 
Borftellungen wurden nur durch die Abreife des Verfaſſers unter: 
beochen, der wie früher als Aſchenmann, nun als Zifchler im 
SHobelliede fo wehmüthig „der Welt Ade fagte”. 

Am Februar 1835 wurde dur den Nuntius Oſtini in 
deilen Kapelle die Trauung des Grafen M. Sandor mit der 
Fürftin Leontine Metternich vollzogen. Graf Ed. Clam⸗Gallas 
und ic; geleiteten die Braut zum Altar. Leontine hatte durch 
Geburt, gebildeten Geift, Reichthum und gefellfchaftfiche Stellumg 
allen Anſpruch auf irdiſches Glück; dennoch fand fie es nicht in 
diefen äußeren Vorzügen. Ruhig nahm fie die Genüffe des Lebens 
auf und febte den vielfachen Widermwärtigfeiten und Prüfungen 
ihrer Ehe ftillen Schmerz, eim Gott ergebened Gemüth entgegen. 
Ein entichiedenes, feltened Merkmal in dem Charakter diefer edlen 
Frau war, daß fie jeder Regung von Eitelleit fremd blieb. Schein- 
bar immer gleid, beiter, äußerlich ſelbſt Talt, fühlte fie doch tief, 
und wahrhafte Frömmigkeit durchdrang unbemerkt ihr Innerſtes. 
Sie war einer reinen Perle zu vergleichen,. deren wahren Werth 
nur die ihr zunächſt Stehenden erlennen Tonmten. 


— —·— — — — 


Das wichtigſte Ereigniß war für Oeſterreich in dieſem Jahre 
der Tod des Kaiſers Franz. 

Ende Februar wurde dieſer Monarch, wie gewöhnlich immer 
zu jener Jahreszeit, von einem entzündlichen Huſten befallen, dem 


. er, nad weniger glücklichem Verlaufe als vor 9 Jahren, in ber 


Nacht vom 1. auf den 2. März unterlag. Der Kaifer ftand im 
68. Jahre und ftarb gerade an dem Tage, an dem er vor 43 
Jahren den Thron beftiegen hatie.“) Nie ging ein Regentenwechſel 


*) Grimmerungsbl. ©. 9. 





303 





in größerer Ruhe und Gtille vorüber. Cinige Handbillete des 
Nachfolger, Kaiſer Terdinand, beſtimmten, daß vorerft Alles bei'm 
Alten zu verbleiben babe. Die Truppen fehwuren den Fahneneid, 
die Minifter wurden verpflichtet u. ſ. w. Die kaiſerliche Leiche 
ward einige Tage in der Burglapelle ausgeitellt und den 7. März 
Mittags einfach und geräufhles in der Gruft der Kapuziner bei- 
geſetzt. Gemöhnlih hatte man ſich bei ſolchen Anläffen eines 
Zodtenwagen?, mit rothbraunem Saffian ausgeſchlagen, bedient. 
Der Kaifer wurde in einem großen, ſchwarz Drapivten, ſchön und 
reih in Holz gefchnisten Wagen beftattet. 

Mit Kaiſer Franz ſtarb der lebte der römifchen Kaiſer deutſcher 
Nation, deifen Bild den letzten leeren Raum in dem Römerfaale 
zu Frankfurt ausfüllte Mit deffen Tode ift aber auch ein ernfter, 
hochwichtiger Abſchnitt in Oeſterreichs Geſchichte geſchloſſen. Des 
Kaiſers Regierung theilt ſich in zwei ſcharf getrennte Hälften: 
zwanzig Jahre verheerender Kriege, denen wieder ebenſo viele Jahre 
des Friedens, der Ruhe und des ſteigenden Wohlſtandes folgten. 
Erſt einer ſpäteren Nachwelt wird es vorbehalten bleiben müſſen, 
die Verdienſte eines Fürſten gehörig zu würdigen, der zu ſeinen 
Lebzeiten gerecht, anſpruchslos und wahrhaft populär, wie noch 
ſelten ein Monarch, von der jetzigen Generation vielfach verkannt, 
in feinem Wirken wie in feinem Charakter angegriffen, anders 
beurtheilt wird, ald früher. Es ift die Partei, welche Alles in 
Staub zieht, was nicht ihre Götzen anbetet, die es wagte, fih an 
dem hehren Bilde des Kaiferd zu vergreifen. Wehr als feine 
Perfon murde fein Syſtem angefeindet; wer mochte es ihm aber 
gar fo fehr verargen, wenn er, im Nüdblid auf die frangöfifche 
Revolution und jene 20 Sammerjahre, feine Dynaſtie vor den 
Stürmen bewahren wollte, welche die Könige in Frankreich, 
Schweden, Spanien, Portugal, Neapel, den Niederlanden beim: 
fuchten; wenn er, im Angefiht der Aufftände in Italien, Polen, 
Griechenland und der Schweiz, bemüht war, in feiner Monardie 


304 


Drdnung und innere Ruhe zu erhalten? Man hörte vielfad, 
äußern, der Tod des Kaiſers babe nicht den tiefen Eindrud, die 
allgemeine Trauer berporgerufen, wie man erwarten fonnte. ch 
theile als Augenzeuge diejed Ereigniſſes diefe Anficht nicht. Freilich 
wiederholten fidy nicht die rührenden Scenen, wie bei der Krank: 
beit 1826; man hatte ſich bei dem zunehmenden Alter des Kaiſers 
mehr an den Gedanken gewöhnt, ihn zu verlieren; die Stimmung 
war daher mehr gedrüdt, ald aufgeregt, und der Schmerz bei 
feinem Ableben um fo allgemeiner und ungeheudelter, als man 
fih bei diefer Veränderung nicht allzu großen Hoffnungen für die 
Zukunft überlaffen durfte. Das Stillſchweigen, welches fein Grab 
umgab, war die Beltätigung einer öfteren Erfahrung in der Ge: 
ſchichte. Unmittelbar nad) dem Tode felbft großer Fürften ver: 
flummen gewöhnlich Schmeichler und Freunde, Gegner haben nichts 
mehr zu befürdten, zu befimpfen. Suben wir nicht Napoleon 
in feinem lebendigen Grabe auf St. Helena fhon von der Mit: 
welt vergefien? Nicht befier erging e3 den drei Stiftern der gegen 
Frankreich gerichteten heiligen: Allianz: Alerander entfchlummerte 
auf gebeinnigvolle Weiſe in einem entlegenen Winkel der Erde, 
der Kaiſer Franz ftarb in der Mitte feiner ibm ftet3 mit Niebe 
und Anbänglichleit ergebenen Wiener, der König von Preußen 
hochverehrt im Schloffe zu Berlin — und dennoch, wie bald ver- 
halte ihr Nachruhm! Wer endlich ſpricht noch von Ludwig Philipp, 
deilen Leben oder Tod durch fo viele Jahre eine Frage des Welt: 
friedens war, und der zuletzt einfam in der Verbannung ftarb? 
Dennoch, ift das Urtheil der Nachwelt über den Kaifer Franz 
einmal reif, wird fein Andenken bei derfelben dankbar und 
lebendiger fortdauern, als in den „trodenen Jahrbüchern der 
Geſchichte“. 

In Ermangelung von Thatſachen hielt man ſich an Ge 
rüchte — einige der abgeſchmackteſten Art. So hieß es: alle 
bisherigen Miniſter würden entlaſſen, eine Verfaſſung gegeben 


305 


werden, Erzberzog Karl die Leitung der Geſchäfte Übernehmen 
u. dgl. m. Bald zeigte fi, mie ungegründet diefe Voraus: 
fegungen waren, und man erzählte, daß Kaifer Ferdinand, einem 
feinem Vater gegebenen Berfprechen treu, die feitherigen Männer 
bes Vertrauens beibehalten, weder in der Politik, noch in ber 
inneren Verwaltung erhebliche Veränderungen eintreten laſſen werde. 
So geſchah ed, daß fi, wie von felbft, eine Art von Oligarchie 
bildete, an deren Spite Erzherzog Ludwig, dem Fürſt Metternich 
und Graf Kollomrat zur Seite ftanden. Klagte man fchen früher 
über Mangel an tüchtigen Organen, fo machte fi jebt dieſe 
Seltenheit an fähigen Regierungsbeamten noch fühlbarer, und fo 
verfuchte man denn die immer fchiwerer zu leitende Staatsmaſchine 
fortzuführen, bis fie endlich völlig ftilfe ftand. Die wunde Stelle 
Defterreih3 murde, wie früher, auch jet nicht geheilt; vergebens 
hatten fih die Grafen Nadasdy und Klebeläberg, fomie Eichhof 
bemüht, den erfhhöpften Finanzen aufzubelfen; fe traten nad) der 
Reihe zuräd, und man behalf fih wie man konnte. Don den 
Angeftellten aus dem böberen Adel nannte man den Grafen 
Kollowrat, den Fürften Aug. Lobkowitz Pie begabteiten; ihnen 
ſchloß fi) in der Armee der gewandte Graf Clam-Martinitz an, 
welcher auch fofort zum eneraladiutanten de3 neuen Monarchen 
ernannt wurde. Graf Ehotel in Böhmen, Graf Revizky in 
Ungarn, Graf Hartig in Malland waren an der Spite der 
Geſchaͤfte diefer Kronländer. Graf Kollowrat aber, der eigentliche 
Leiter des Innern, war ein adeliger Büreaukrat, reich, unabhängig, 
mit ſcharfem Verſtand und feftem Willen. Er gehörte jener Klaſſe 
von Stantdmännern an, die, von der Allgemalt der Regierung 
überzeugt, dennoch gerne liberalen Doktrinen huldigen, fo lange fie 
diefelben nicht ſelbſt geniren. — Am empfindlichiten wurde jedoch 
der Berluft des Kaiſers Franz In dem fo ſchönen und einigen 
Familienkreiſe der Hofburg gefühlt. Nichts vermochte die Leere 
zu erſetzen, welche der Tod dieſes ehrwürdigen Mittelpunftes, um 
Zrh. v. Andlaw. Mein Tagebug, I. 20 





306 


den ſich täglich Kinder und Enkel fohaarten, zurüdgelaffen. Tief 
beflagte die treue Pflegerin und Gefährtin einen Gemahl, von 
dem fie fi mährend 18 Jahren nie getrennt hatte. Schon einige 
Wochen nachher erneuerte wieder das Ableben eine anderen Mit- 
gliedes der kaiſerlichen Familie jenen Schmerz. Der fo beliebte 
Erzherzog Anton flarb nad furzer, gleichfalls entzündlicher Krank: 
beit. Endlih erſcholl eine andere Trauerbotichaft aus weiter Ferne: 
e8 war der Herzog Auguft von Leuchtenberg, kaum erſt mit der 
jungen Enfelin des Kaiferd, Donna Maria von Portugal, ver- 
mählt, einem kurzen Leiden erlegen. 

Während der erften Wochen waren Theater und alle öffent: 
Iihen Vergnügungsorte gefchloffen; in den Kirhen fanden Trauer: 
gottesdienite ftatt, und überaus erhebend war die eier, welche 
zum Gedächtniffe des Monarchen durch drei Tage in der ſchwarz⸗ 
behangenen, durch Tauſende von Kerzen erleudhteten Auguftiner- 
Hoflirhe begangen wurde. Der ganze Hof, die Minifter, bie 
Generalität, das diplomatifche Corps wohnten ihr in tiefer Trauer 
bei, und fchauerli erjhallten die erhabenen Töne von Mozart’s 
Requiem durdy die weiten Hallen. 

Wie gemöhnli bei foldyen Anläffen wurden an alle Höfe 
außerordentliche Botſchafter gejendet und von jenen nah Wien 
erwiedert. Ich füge zur Crinnerung das Verzeihniß dieſer 
Miffionen ſowie der damals bei dem k. k. Hofe beglaubigten 
Gefandten in der Anlage bei. Es tritt und aus diefer Lifte eine 
Reihe fchöner, berühmter Namen entgegen; die erften Geſchlechter 
der Monarchie wie anderer Länder find darin vertreten, und 
Diplomaten mit Namen von gutem lange, befannte Krieger, 
wie Wrede, Schlid, Orloff, Tettenborn u. a. ine freudige 
Ueberraſchung rief die Ankunft des ritterlichen Prinzen Wilhelm 
von Preußen hervor, der von feinem Töniglihen Vater beauftragt 
war, den Ausdrud des Schmerzed über den Tod des zmeiten 
Monarchen der heiligen Allianz nad) Wien zu überbringen. Auch 








307 
der Kronprinz von Bayern, der Herzog von Lucca, der Prinz 
Emil von Heffen, zufällig in Wien anmwefend, waren Zeugen des 
Thronwechſels. Der junge Herzog von Cambridge mar fpäter 
noch erfchienen. Es war eine, wenn gleidy traurige, doch ungemein 
belebte Zeit und pfeilfchnell ging fie vorüber. 

Es wurden nun große Vorbereitungen zur Huldigung der 
öfterreichifchen Stände im April getroffen. Aus allen Kronländern 
trafen Abgeordnete ein, vor allen die Ungarn, melde ihren fchon 
früher gefrönten König Ferdinand V. durch eine überaus glänzende 
Deputation begrüßen ließen. Man begegnete auf den Straßen 
den bunteften, oft fo malerifhen Trachten aus den flavifhen und 
den Gebirgsländern. Nicht ohne Rührung fah ich da den ehr: 
würdigen Fürft-Bilchof von Briren an der Spite der Südtyroler. 
Er hatte mid vor 36 Jahren als Stadtpfarrer (Dr. Galura) 
in Freiburg getauft. 

Eine Urlaubsreife nad; Haufe binderte mich, der Huldigungs- 
feier felbft anzumohnen; id war fo glüdlich, bei der mit Fremden 
überfüllten Stadt während jener Abweienheit dem Fürſten von 
Türftenberg meine Wohnung überlaffen zu können. 

Nach meiner Rückkehr brachte ih den Sommer in Hibing, 
und zwar ald Geſchäftsträger zu, da Xettenborn eine längere 
Badereife unternommen. Zwei Creigniffe beichäftigten die Neus 
gierde der Wiener — eine italienifche Oper, deren Genuß in 
Berbindung des fi tet? gleih gut gebliebenen Chord und 
Orcheſters man feit ſechs Jahren entbehrt hatte und deren 
Leiftungen mit der Tadolini, den Sängern Poggi, Frezzolini u. a. 
befriedigten — und dann die erfte große Induftrieaußftellung. 
Es wurde dazu die k. k. Meitfchule benügt, und man war ebenjo 
fehr über den Reichthum, als die Mannigfaltigleit der Gegenjtände 
erftaunt. Der Reiz der Neuheit, die geſchmackvolle Einrichtung 
zogen beinahe noch mehr an, als die außgeftellten Waaren jelbft, 
und man freute fich dieſes gelungenen Verſuches, welcher freilich 

20” 





308 


mit den fpüteren Weltausftellungen in London und Parts feinen 
Dergleih Hätte aushalten können. 

An einem der letzten Julitage war ich mit dem frangöfißchen 
Geſchäftsträger, Grafen H. Larochefaucault, in der Stadt bei dem 
Fürften Metternich zu Xifche gebeten, als ein Kabinetöcourier aus 
Paris gemeldet wurde. Er trat ftaubbededt ein und brachte die 
erfchütternde Nachricht von dem Nttentate Fiefchi'e. Unter den 
Opfern fanden wir auch gu unferer peinlichen Weberrafchung einen 
früher in Wien wohlbelannten Offizier, Billate, Adiutanten Maifon’s. 
Diefer furchtbare Mordanſchlag mar mehreren weniger blutigen 
Verbrechen diefer Art gefolgt und hatte wieder eine durch ganz 
Frankreich zitternde Bewegung hervorgerufen, von Unterfuchungen, 
Hinrihtungen, Aufruhrgefchrei u. dgl. begleitet. In Spanien zog 
fih der Bürgerkrieg unter abwechſelndem Erfolge fort; in Enge 
land und Portugal Barteifimpfe; an vielen Orten immer nod 
zudende Blitze. 

In Töplik begegneten fi) die Kaiſer Ferdinand und Nikolaus 
und der König von Preußen. Auch mehrere deutiche Fuͤrſten 
fanden fi dort ein. Fürſt Metternich mit einer ganzen” Schaar 
von Diplomaten fehlte gleichfalls nicht. Mit den politiichen 
Beiprehungen verbanden fi) Truppenübungen und die feierliche 
EntHüllung des Denkmals auf dem Schlachtfelde von Culm. Bon 
da ging ed nach Prag, wo fid) wieder ein Hof: und militärifches 
Veit an das andere reihte. Don Hier aus hätte der Czar jene 
ſchnelle Reife nah Wien unternommen, wo er plößlih eines 
Morgens, mit dem Schlüffel des Kabinets Tatiſtcheff's in der 
Taſche, unerwartet im Botſchaftshotel erfchien, um die Kaiferins 
Wittwe zu fehen, fein Gebet am Sarge des Bundesgenoflen zu 
verrichten und dann nach 24 Stunden ebenfo ſchnell wieder nach 
Prag zurüdzufehren.*) 


*) Erinnerungsbl. ©. 87. 





309 


Im Oktober war an die Stelle des Herrn v. Türfheim der 
feitherige Bundestagsgefandte v. Blittersdorf zum Staatsminifter 
des großberzoglichen Haufe und der auswärtigen Angelegenheiten 
ernannt worden. Diefe Veränderung führte auch meine Entfer- 
nung aus Wien herbei, und ich trat zum zweiten Male die Reiſe 
in's Vaterland in diefem Jahre an. 


Anlage A. zur Seite 306. 


Außerordentlihe Sendungen an den Wirner Hof 


zur Zeit des Tobes bes Kaifers Franz, März 1885, unb bie vom Kaifer Ferdinand 
an bie auswärtigen Höfe geſchickten Botfchaiter, 


Bon Bien 


nah Rom: Graf St. Zichy. 


Berlin: Fürft Ad. Schwarzenberg. 
St. Betersburg: Fürſt K. Lich tenſtein. 
Paris: Alf. Fürſt Schönburg. 
London: Fürſt Al. Lichtenſtein. 
Turin: Fürſt Rud. Kinsky. 
Haag: Fürſt Palffy. 
Kopenhagen u. Stockholm: 
Graf Joſ. Eſterhazyy. 
Bruͤfſel: Graf V. Eſterhazy. 
München: 
Stuttgart: 
Karlsruhe: 
Darmftabt: 
Kafiel: 
Dresden: 
Weimar ꝛc.: 
Oldenburg: 
Mecklenburg: 


Gl. Gr. Ceceopieri. 


| Gl. B. Efterhazy. 


Gl. Gr. Schlick. 


Nach Wien 


von Rom: Migr. della Genga. 


Berlin: Prinz Wilhelm von Preußen, 
St. Petersburg: Graf U. Orloff. 
Baris: Graf Rohan Ehabot. 
London: Sir Ch. Bagot. 

Turin: Mis. Spinola. 

Bang: General v. Fagel. 
Kopenhagen: Gl. v. Löwenftern. 


Brüffel: Graf H. v. Merobe. 
Münden: Fürft Wrede 
Stuttgart: Fürft Hohenlohe. 
Karlsrube: Gl. v. Stofhorn. 
Darmftadt: Fürft Solms, 

Kaſſel: Gl. v. Lepel. 

Dresden: Gl. v. Minkwitz. 
Weimar: v. Vitzthum. 

Oldenburg: Gl. v. Rennenkampf. 
Mecklenburg: Gl. v. Boddien. 


Anlage B. zur Seite 306. 


Biplomatifches Korps in Wien (Mär; 1835). 


Rom: Migr. Oftini, Nuntius, 

Bailli v. Tatiftcheff. 
Fürſt Alex. Gortſchakoff. 
England: Sir Fr. Lamb. 

Frankreich: Marquis v. St. Aulaire. 
Preußen: Graj Mortimer Malzahn. 
Beide Sicilien: Mis. Gagliati. 
Sardinien: Mis. v. Sambuy. 
Spanien: Graf Alcudia. (?) 
Portugal: v. Billafecca. (7) 
Schweden: Graf Lövenhielm. 
Dänemark: SI. v. Löwenftern, 
Niederlande: Baron Mollerus. 
Belgien: Hr. v. O'ſullivan. 

Türkei: Hr. v. Maurogeny. 


Rußland: | 


Lucca: Hr. v. DOftini. 

Schweiz: Hr. v. Effinger. 

Deutſche Bunbesftaaten: 
Bayern: Baron Lerchenfeld. 
Württemberg: Hr. v. Blomberg. 
Hannover: Baron Bodenbaufen. 
Sachſen: Baron Uechtriz. 
Baden: Gl. v. Tettenborn. 
Kaſſel: v. Steuber. 
Darmſtadt: Fürſt U. Wittgenſtein. 
Weimar: v. Grieſinger. 
Sächſiſche Häufer: v. Borſch. 
Braunſchweig: v. Erſtenberg. 
Olbenburg u. |. w.: v. Philippsſsborn. 
Freie Städte: v. Graffen. 








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Auszüge 
aus Auffchreibungen der Jahre 1811 bis 1861 


zufammengeftellt 


von 


° Stanz Sreiherrn von Indlaw. 


Aweiter Banb. 





Frankfurt am Main. 
J. D Sauerländer's Verlag. 
1862. 





Drau von J. D. Sauerländer. 


Inhalts - Verzeichniß. 


——— 


Nennter Abſchnitt (1835 — 1838)......... 


Karlsruhe. Miniſter v. Blittersdorf. Lonis Napoleon in 
Straßburg. Fürſtliche Vermählung in Darmſtadt. Der groß: 
herzogliche Hof und die Geſellſchaft in Karlsruhe. Zea-Bermudez. 
Skizzen. Kunſt und Geſchäftsleben. Theater. Roffini. 
Politiſche Begebenheiten. Mein dreimaliger Auſenthalt als 
Rheinfhifffahrtscommiffär in Mainz. Der dortige Hof und 
fürſtliche Beſuche. Gräfin Naumburg Oberſt v. Rabowitz. 
Badiſche Ständeverſammlung 1887. Karl v. Hügel. Die 
babifhen Eifenbahnen und Minifter Winter. Meine Ernennung 
zum Geihäftsträger nah Münden. 


Zehnter Abſchnitt (1838 — 1843) . . - 2... 


Münden. MWeberfiät. Der König. 1838. Weußere und innere 
Politik, Diplomatifhes Corps. Hohe Gäſte. Die ruffifhen 
Majeftäten in Kreuth. Die Königin Karoline in Tegernſee. 
Fr. v. Krüdener. Lager von Augsburg Großherzogin Ste: 
pbanie von Baden. Kronprinz von Dänemark. Fremde. Aus: 
wärtige Ereigniffe. 1889. Winter: und Kunſtgenüſſe. Großjürft 


15 


— 


Thronfolger. Ausflüge. Eiſenbahnen. 1840. Ständeverfamm: 
ung. Abel und Fürft Wallerftein, Duell, Großherzog Leopold 


von Baden in Münden. Hobenfhwangan und Oberammergau, 


Poſſenhoſen. Reife. Dresben. Königswarth. Fürft Püller. 
SiHl. Großherzogin Sophie von Baben. Geſellſchaft. Gegend. 
Tegernjee. Gäfe Graf Chambord. Kriegslärm. Orient. 
1841. Politiſche Betrahtungen. Die Großfürfiin Marie und 
der Herzog M. v. Leuchtenberg. Griechenland. Maurocordato. 
Die Königin Amalie. Tyroler Reife. Tod der Königin Karoline. 
Die beiden Großherzoginnen von Baden. b’Arlincourt. KFürft 
Metternihd und Fremde. Trauer. 1842. Migr. Viale und 
Mil. Pallavicini. Vermählung Modena. Kiffingen Bei: 
mar. Berlin. Dresden. Königewarth. Vermählung des Kron: 
prinzen. Walhalla. Die beiden babifhen Prinzen. 1848. 
Landtag. Fürft Leiningen. Abſchied von Münden. 


Eifter Abſchnitt (1843 — 1846) - - - - rennen 


Paris, Weberfiht. Audienz bei Louis Philipp. Innere und 
äußere Politik. Tod Bernadotte's. Skizzen aus bem biplo: 
matiſchen Corps. Hohe Beſuche und berühmte Fremde. 
A. v. Humboldt u.A. Geſelligkeit. Salon bed Prinzen Paul 
von Württemberg. Rothſchild und Thorn. Die Familie Mont: 
l&ar. Der Kaubourg St, Germain, Schriftfteller und Künſtler. 
Sehenswürbdigkeiten. Inbuftrieansftellung. Ausflüge Zwei 
Reifen nah England und Belgien. Aachen und der 
Rhein. Königin Victoria. Meine Abberufung von Paris 
und Krankheit. Politifhe Beratungen. Rückkehr nah 
Karlsrufe. Ernennung nah Wien. 


Zwölfter Abfehuitt (1846 — 1848) - - . » > > 22200. 


Bien, Audienz bei'm Kaifer Ferdinand, Diplomatiſches Corps. 
Reifen. Büky in Preßburg. Erzherzog Stephan in Peſth. Hohe 
Gäſte in Bien. Großfürſtin Helene. Die Familie Miloſch-Obreno⸗ 


64 


98 


V 


witſch. Der kaiſerliche Hof und bie Ariſtokratie. Drei Gefandten- 
familien. Der Palaſt Lichtenfiein. Oeffentliche Beluftigungen. 
Theater. Zenny Lind, Hebbel. Die Akademie der Wiſſenſchaften. 
Hammer. Bier Tobesfälle in der Faiferlichen Kamille. Marie Louiſe. 
Trauung ber Erzberzogin Gitfabeth. Palatinswahl. Erzherzog 
Stephan und Ungarn. Politiſche Tagesereigniſſe. Das öfter: 
reichiſche Regierungsſyſtem. Die Miniſter. Ahnungen und Bor: 
zeichen. Der 24. Februar. Fürſtin J. Lichtenftein. Hoſball. Ende 
der alten Zeit. 


Dreizehuter Abſchnitt (1848 — 1861)............. 124 


Der 13. März. Flucht des Fürſten Metternich. Die neuen 
Zuſtände. Ungarn, Italien. Die Verfaſſung vom 25. April, 
Die Maitage. Der kalferlide Hof in Innsbruck. Deputa- 
tionen. Auftritte. Das ungarishe DMinifterium und die Revo⸗ 
Iution, Flucht des Palatins. Der öſterreichiſche Reichstag. 
Die Oktober-Schreckenstage. Die Belagerung Wiens. 
Die Flucht nah Olmütz. Kaiſer Franz Joſeph. Weberficht- 
tige Zufammenftellung der politifhen GEreigniffe bes Jahres 
1848. Fürft Felix Schwarzenberg Graf Kranz Stadion. 
Dr. Wer. Bad. Der ungarifhe Feldzug Die Schlacht von 
Rovara. Die Meihsverfaflfung Die deutihe Königs: 
wahl in Frankfurt. Der Aufruhr in Baden. Die ruffiide 
Snteroention in Ungarn. Die Einnahme Roms, Der Fall 
Venedigs. Radetzky in Wien. Die Öfterreihifhe Armee. 
Politiſche Betrachtungen. Die de utſche Frage. Erfurt und Berlin. 
Holftein und Kurheffen. Radowitz. Zuſtände in Baden, Ein 
Brief Metternich's. Zuſammenkunft in Bregenz. Meine 
Miffion in Win. Der Vertrag von Olmütz. Die Dresdener 
Konferenzen. Wieberanftelung und Rückkehr nad Wien. 


Bierzehnter Abſchnitt (1851 — 1856) - - - - - - 220. 165 


Bien. Defterreihifche Politit, Finanzen und Armee Reifen bes 
Kaiſers. Hohe Güte in Wien. Ausfing nah Mähren. Aufenthalt 


VI 


Seite 
in Iſchl. Die Prinzen Kriebrih und Karl von Baden. Die 
Geſchwornengerichte. Der Staatsftreih in Paris und bie 
kaiferlihen Dezemberbetrete in Wien. (1852.) Die Zollver: 
ein 8:Eonferenzen. Die Groffürften Nikolaus und Michael. 
Feſte. Der Tod des Fürften Schwarzenberg. Bas Minifterium 
und bie Gefanbtichaftspoften: Das Ableben be8 Großherzogs 
Leopold von Baden. LKaifer Nikolans in Wien. Paraden. 
Rundreife des Kaifers Franz Joſeph in Ungarn. Lager von 
Palota. Der Regent von Baden in Wien. Verleihung bes g 01: 
benen Vließes. Herr v. Bourqueney. (1858.) Attentat 
auf den Kaifer. Todesfälle. Beſuch Dreier Könige — von Bel: 
gien, Preufen und Bayern. Das Garouffel. Das Lager 
von Olmüß und die Aufammenkunft in Warſchau. Ausbruch 
des Kriegs Rußlands mit der Türkei. Weberficht. Aufenthalt in 

- Baden: Baden. Tod der Prinzeffin Amalie von Schweden. 
(1854.) Frie densverhandlungen. Griehenland. Wiener 
Konferenz. Haltung des biplomatifden Corps. Die feierliche 
Bermählung bes Kaifers. . König Dom Bebro V. von Bor: 
tugal. Todesfälle. Der Krimkrieg. Allianzen. (1855.) 
Entbindung der Kaiferin. Tod des Kaifers Nikolaus. Arie: 
dens kongreß in Wien. Einnahme Sebaſtopols. Das Kon: 
tordat. (1856.) Münzkonferenz. Der Pariſer Kriedensver: 
trag. Verſammlung der Biſchöſe ber Monardie in Wien. Neu: 
bauten und bildende Künfte. Das Arſenal. Sir Hamilton 
Seymour. Rüdblide. Meine Abberufung. Die Teste Zeit in 
Wien. 


Trünfzehnter Abſchnitt (1856 - 189) - - - 2 22220202. 246 


Nubeftand Neue Beihäftigungen. Reifen. Ehe. Betrad: 
tungen über bie Zeitereigniffe. Tod des Großherzogs Lud⸗ 
wig II. von Baden und ber Herzogin Helene von Orleans. 
Der Krieg in Oberitalien. Die Flucht ber Kürften. Die 
Schlachten und ber Friebe von Villa-Franca. Ableben bes Fürften 
Metternih. Neffelrode Deutſchland, Frankreich und 


_ N 

Stalien während ber Jahre 1860 und 1861. Deſterreich und 
Preußen Der Bapft und die Kirche. Die Nationalitäten. 
Amerika. Konftanz. Der Bodenſee und bie öſtliche Schweiz. 
St. Gallen und bie beiden Appenzell. Züri. Das große 
Schũtzenſeſt und ber Gefandtentongrek (1859). Die Herzogin von 
Parma. Graf Colloredo. Maria: Einfiedeln. Die Eidgenoffen: 
haft. Zwei Winter in Straßburg; Phyſiognomie biefer Stadt; 
Domprebigten und fromme Vereine. Ableben des Markgrafen Wil⸗ 
beim unb der Großherzogin Stephanie von Baben. Bor: 
gänge in Oeſterreich. Die drei Selbftmorbe. Baben:Baben. 
Louis Napoleon und die beutfhen Fürften (uni 1860). 
Die Univerfitäts:Secularfeier in Baſel. Wohnſitz in Baden-Baden. 
Bekannte. Die Saifon von 1861. Attentat auf den König 
von Preußen. Allgemeine Lebensanſichten. Betradhtungen 
über Literatur, ſchöne Künfte u. f. w. Die neuen Zeichen ber 
Zeit, Schluß. 


Neunterx Abbſchnitt. 


——— — — TEE 


(1835 — 1838.) 


Inhalt: Karlsruhe. Winifter v. Blittersborf, Louis Napoleon 
in Straßburg. Fürftlihe Vermählung in Darmſtadt. Der großher⸗ 
zoglihe Hof und die Gefellihaft in Karlsruhe. Zen: Bermubez. Skizzen. 
Kunft und Geſchäftsleben. Theater. Roſſini. Bolitifche Begeben- 
beiten. Mein dreimaliger Aufenthalt als Rheinſchifffahris commiſſär 
in Mainz. Der dortige Hof und fürftliche Beſuche. Gräfin Naumburg. 
Dberft v. Rabowig. Badiſche Ständeverfammlung 1887. Karl 
v. Hügel, Die badifhen Eifenbabnen und Minifter Winter, Meine 
Ermennung zum Geihäftsträger nah Münden. 


In Karlsruhe murde ich nun in das eigentliche Geſchäfts⸗ 
leben des Miniſteriums felbft eingeführt und arbeitete in demfelben 
als vortragender Rath unter der Tundigen Leitung des Freiherrn 
v. Blittersdorf. Er war nicht nur der fähigfte, unterrichtetfte 
und tüchtigite aller meiner Chefs, er war mir au ein mohlmollender 
Freund, zu dem ich nad} feinem Rücktritte in vertraulicher Beziehung 
und Öfterem Briefmechfel ftand. Diefer Staatsmann, ausgezeichnet 
in der Feder, noch fo verwidelte Tragen leicht und Mar auffaffend, 
mit einem feltenen Scharfblid und ebenjo rechtlichem Sinne, war 
durch acht Jahre an der Spike der politifhen Verwaltung Badens. 
Ein unparteiifcher Geichichtsfchreiber Fann, im Rückblicke auf bie 
Leiftungen der Minifter vor und nad ihm in jenem Lande, fich 

Frh. v. Andlaw. Mein Tagebug. II. 1 





2 

nur zu Gunften der Wirkſamkeit Blittersdorf'3 enticheiden. Wäre 
feine Haltung rubiger, weniger leidenſchaftlich, feine Perfünlichkeit 
minder fchroff, für andere, befonder3 eitle, mittelmäßige Menichen 
weniger verlegend gewejen, nicht leicht hätte fich für jeden deutſchen 
Bundesftant ein befferer Minifterpräftdent finden können. Gewandt 
und kenntnißreich auf dem Gebiete der Politik, war er es auch 
in den böheren Finanzfragen; nad, allen Richtungen bin blieb 
feine Thätigfeit ftet3 eine unermüdliche. 


Außer einigen Beſuchen in Freiburg führte mich im Sommer 
1836 meine neue Beltimmung auch nah Mainz, wo ich mit dem 
Commiffariat in Rheinſchifffahrtsangelegenheiten betraut wurde — 
ein mir bisher ganz fremdes Feld der Wirkſamkeit. Ach werde 
diefe Epifode meines Lebens in einem befonderen Bilde zuſammen⸗ 
faflen. Ende Oftober wurden wir von der feltfamen Kunde über: 
rafcht, daß mitten im Frieden Louis Napoleon es verſucht batte, 
die Feſtung Straßburg einzunehmen, die Garnifon dur Liſt und 
Drohung zu gewinnen. Es war wohl da8 Vorſpiel, wenn nicht 
eine Parodie der künftigen Kaiferwürde. Der Prätendent ver: 
ſchwand ungeftraft in Amerika, während man feine Mitſchuldigen, 
wohl ihres unfinnigen Unternehmens wegen, für unzurechnungs⸗ 
fähig erflärte. ft, wie man erzählte, wahr, daß Königin Hortenfe 
ihre Freude über die Mißlingen der That äußerte, weil ihr Sohn 
als Kaiſer ſich felbft wie ganz Frankreih in’ Verderben bringen 
würde, jo macht dieß ihrem, dur Mutterliebe nicht getrübten 
Scharffinne alle Ehre. 


Im November wurde ich beauftragt, im Namen des Groß- 
berzogd den von feiner Vermählung mit der Prinzeffin Elifabeth 
von Preußen von Berlin nah Darmftadt zurüdkehrenden Prinzen 
Karl von Heffen zu begrüßen. Eine Reihe beiterer Hof und 
andere Feſte, Gallatheater, Beleuchtung u. f. w. fand zu Ehren 
des jugendlichen Fürſtenpaares flatt und der Feine, aber glänzende 


Hof zeigte fih daber im freundlichften Lichte. Die meiften deutfchen 
Staaten, auch einige auswärtige, waren dabei dur Geſandte 
vertreten. Jetzt nach einer 2djährigen, durch hoffnungsvolle Kinder 
gelegneten, glüdlihen Ehe ſah man die fchönen Erwartungen in 
vollem Maße erfüllt, welche fi damals an jene Verbindung 
knüpften. 


Der großherzogliche Hof in Karlsruhe lebte mehr zurück— 
- gezogen; es fanden zwar von Zeit zu Zeit große Diners, Bälle 
und Feſte ftatt, Doch wurden leider kleinere Zirkel, welche in einem 
jo liebenswürdigen Familienfreife wünſchenswerth erſchienen, immer 
feltener. Ein Prinz — Karl, eine Prinzeffin — Marie, waren 
1832 und 1834 geboren. Der Hof: wie der Militärftaat war 
gut zufammengefeßt: v. Treiftedt, v. Seldenek, v. Krieg, v. Röder 
und andere theils wiſſenſchaftlich gebildete, theild treu ergebene 
Adjutanten und Oberoffiziere. Großhofmeiſter war der feingebildete, 
edle Freiherr v. Berfheim; dem Oberhofmarfchallamte fanden nad 
der Reihe Ehrenmänner, wie v. Gayling, v. Dubois, F. v. Röder, 
vor. Eine freundliche, dankbare Erinnerung werde ich aber ftet3 
dem Oberfammerberın v. Edelöheim bewahren, dem ich von 
frühefter Jugend an bis zu feinem 1840 erfolgten Tode in An- 
hänglichkeit ergeben war. Als Hofmann von einem überaus taft- 
vollen Gefühle für das Schidliche, verband er damit einen offenen, 
rechtlichen Charakter. Sein Umgang war belehrend und erheiternd 
zugleih. ine liebende, vortrefflihe Gattin — fpäter Oberfthof: 
meifterin der Großherzogin Sophie — vier frifch aufblühende 
Kinder verfchönerten fein durch Taubheit getrübtes Alter und 
erhielten feinen froben Muth, feine oft wißige Laune ſtets auf- 
recht. Strenge Pflichterfüllung war ihm dabei zur zweiten Natur 
geworden. 


Der Markgraf Wilhelm verfammelte öfters Gäſte, mährend 
die Prinzeffin von Naflau ihre anziebenden Abendunterhaltungen 
1 » 


4 


fortfeßte. Außer einigen einheimifchen Häufern waren ed dann 
wieder die Gefandten, welche die Gefelligkeit belebten — Graf 
Buol, die Herren v. Ötterftedt, v. Schimmelpennin?, v. Moltfe 
u. a. Einen erfreulihen Zuwachs erhielt dieß Corp durch 
Ad. v. Bacourt, einen der geiftreichiten, liebensmwürdigften franzö⸗ 
ſiſchen Diplomaten. Auch einige englifche Yamilien, die Kennedy, 
Drumond, Fortezeue u. a., fowie Ruflen hatten ſich eingefunden, 
und der befannte fpanifhe Minifter Zea Bermudez brachte den 
Winter in Karlsruhe zu. Wenn man diefen freundlihen Dann 
mit den ausdrudövollen, ſchönen Gefihtözügen, mit feinem einfach: 
wohlwollenden Benehmen fah, konnte man leicht den entfcheidenden 
Antheil vergeffen, den er, mädtig in die Gefchide Spaniens ein- 
greifend, am der Thronbefteigung fabellens genommen. Nur ein 
feltfames Leuchten der Augen ließ hie und da errathen, daß ihm, 
dem Gründer eines neuen Syſtems, politifche Leidenſchaften nicht 
fremd geblieben waren. Zea zur Seite ftand eine Gattin von 
Fugelförmiger Geftalt, eine gutmüthige, lebhafte Spanierin, wie 
ihr Gemahl gerne in Gefelihaft und gerne darin gefehen. 


Um diefe Zeit endete der Minifter v. Berftett eine nicht 
alltägliche Laufbahn. Körperliche Leiden, Schlaganfälle hatten ihn 
heimgeſucht; doch ſtets umgaben ihn liebreiche Verwandte und 
treue Freunde. Er theilte mit den meiften Staatömännern das 
Geſchick, fih nicht in eine neue Zeit finden zu können; er war 
übel gelaunt, mißbilligte Alles, was ohne fein Zuthun gefchehen, 
und begriff nicht, daß fi immer wieder die Anfichten ändern, 
andere Männer auftreten ımd Niemand unentbehrlich ift. Seine 
feiten Grundfäße, feine unläugbaren, auch vielfach erkannten Ber: 
dienfte, fein ehrenwerther Charakter fihern ihm ein bleibendes 
Andenken in der badifchen Gefchichte. 


Ein anderer Todesfall, weit unerwarteter, erregte Auffehen. 
Graf Malte Putbus, ein junger, lebensfroher, allgemein beliebter 


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Mann, der preußiichen Geſandtſchaft attadhirt, hatte ſich auf der 
Jagd erfältet und raſch führte ihn nach einigen Wochen eine fich 
ſchnell entwickelnde Lungenkrankheit dem frühen Grabe zu. Tief 
erfchüttert ftanden wir am Sterbebette dieſes 29 jährigen, einzigen 
Sohnes eined alten Geſchlechtes. Sein Vater, der Fürft, war 
nun ohne männlidhe Erben, fein Obeim Mori nicht vermählt; 
fomit erloſch fpäter die Tamilie, und Name mie Güter derfelben 
gingen auf einen Sohn der Gräfin Lottum-Putbus über. 


Ein neued Element brachte der Runftfinn des Großherzogs 
in das Karlaruher Leben; er beihüßte nicht nur, er beichäftigte, 
er ermunterte auch viele inländifche Talente, und eine Reihe von 
Gebäuden, Gemälden und anderen Kunftwerfen geben Zeugniß 
von dem regen Antheile, dem feinen Geſchmacke und dem richtigen 
Verftändniffe, melde den vortrefflihen Fürften in Kunſtſachen 
befeelten. Die glänzend retaurirten Schlöffer in Karlsruhe, Baden 
und Eberftein, die Trinfhalle in Baden, Später die Kunſthalle in 
Karlsruhe, das Karl-Friedrich-Monument und fo manches andere 
find bleibende Denkmale. Er wurde in diefem edlen Streben von 
tüchtigen Kräften unterftüßt, — Architekt Hübſch ift vor Allen 
zu nennen — und gar viele Meifteriverfe gingen aus den Händen 
der Hofmaler Frommel, Winterhalter, Dieb, Tohr, Kirner, v. Bayer, 
Grund, Schwind, des Bildhauerd Reich u. a. hervor. 


Auf das Theater, befonderd die Oper und ihre Ausftattung, 
wurde viel verwendet, und es gedieh zuſehends unter der umſich⸗ 
tigen, thätigen Leitung des Grafen Reiningen. Eines Abendz 
hörte ich im Vorbeigehen Streit an der Kaffe, wo ein Fremder, 
der feinen Plab mehr fand, fich nicht abweifen laſſen wollte. Ich 
trat hinzu und erkannte in dem Theaterfreund? — Roffini, den 
ich früher viel gefehen. Ih führte ihn in die Loge des Inten— 
danten, und wir brachten da zu deffen Yreude einen intereflanten 
Abend zu. Mean gab Bellini’! „Norma“, und Roffini fprad) 


6 





fich fehr Tobend über die Leiftungen des Orcheiterd wie der Singenden 

* aus, beſonders befriedigte ihn in der Titelrolle Fr. B. Fiſcher, 
welche an jenem Abende befonderd glüdlih infpirirt war. Der 
berühmte Maeftro, damals noch nicht 50 Jahre alt, war nod 
immer ber hbeitere Lebensmann, der auf leicht errungenen, nicht 
verwelkten Lorbeern ſich einem behaglidyen „dolce farnienté“ hin⸗ 
gab. Er wollte, wie er uns ſagte, den Glanz ſeiner früheren 
Werke durch ſpäter vielleicht minder gelungene nicht trüben. Jeder 
Componiſt, behauptete er, trage eine gewiſſe Fülle von Melodieen 
in ſich ſelbſt umher; ſei dieſe erſchöpft, To vertrodnen mit der 
Tinte auch die Gedanken, und Muſiker, die ſich ausgeſchrieben 
und jener Mahnung, rechtzeitig aufzuhören, nicht achten, werden 
matt, wiederholen ſich und ſchaden ihrem früheren Rufe. Er 
führte uns Monſigny als merkwürdiges Beiſpiel dieſer Art an. 
Diefer, Kammerdiener Ludwigs XV., fühlte plötzlich eine muſikaliſche 
Ader in ihm entſtehen, ſchrieb und componirte Tag und Nacht, 
und nachdem er ungefähr ein Dutzend Opern hervorgebracht, legte 
er die Feder nieder und Lehrte zur vorigen Beihäftigung zurüd. 
Wie in einer Goldmine war die Ader erſchöpft, doch Lebt 
fein Name fort in der Tonwelt, und einige feiner Werfe, wie 
der ungemein liebliche „Deferteur”, werden nod immer gerne 
gehört. 

Im Laufe der Jahre 1836 und 1837 führte mich die 
zunehmende Kränflichleit meines 7Ojährigen Vaters öfters nach 
Freiburg. Er batte, feit er den Staatödienft verlaffen, auch bei 
fteigender phyſiſcher Schwäche der gewohnten Thätigkeit entſagen 
müffen, viele zum Theil ſchmerzliche Verluſte in ſeiner Familie 
erfahren, und überdieß ftimmten ihn politifhe Ereigniſſe mie fo 
manche andere ſchwere Sorge trübe. Bei diefen Ausflügen 
wohnte ich zwei erbebenden, aber feltenen Kirchenfeierlichleiten in 
meiner Vaterftadt bei. Der erfte Erzbilhof Dr. B. Boll ftarb 
bochbejahrt und wurde in dem Münfter beigefekt; mit feinem 


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Grabe wurde die Reihe jener jeiner Nachfolger eröffnet — eine 
impofante Zrauerfeierlichkeit, der viele hochgeſtellte Beamten, ein 
großer Theil des Adels wie des Clerus beimohnten. Mehrere 
Monate fpäter war ich Zeuge der Einweihung des neuernannten 
Erzbifhof3 Dr. 3. Demeter. War die Geftalt Bol’ eine Ehr⸗ 
furcht gebietende, fo war jene des nunmehrigen Kirchenfürften eine 
mehr gedrungene, doch feine Perfönlichfeit freundlih, gewinnend. 
Mehr Drann der Schule, ald der Kirche, vermaltete er fein 
hohes Amt nur einige Sabre. Seine Inthronifation vollzogen 
die Bilhöfe von Mainz und Mottenburg, denen ber Weih— 
biihof Dr. Vicari affiftirte, er, der als Nachfolger Demeter’s 
einft auch in meiten Kreilen fo ‚befannt und verehrt werden follte. 
Die Ceremonie der Einweihung felbft lang, aber in ihren bedeu⸗ 
tungsvollen Gebeten und Symbolen eine höchſt ergreifende, wurde 
auch noch durd eine merkwürdige Rede erhöht, welche Bilchof 
Keller aus den Gedächtniſſe in lateinifcher Spradhe hielt — 
eine ungewöhnliche Erfheinung in Deutichland. Große Gaſtmahle 
mit den üblichen Trinkſprüchen und andere Feſte, Deputationen, 
Fackelzüge u. dgl. begleiteten, als unvermeibliches Gefolge, diefe 
kirchliche Feier. 

Die badiſche Ständeverſammlung im Jahre 1837 brachte 
denn auch wieder regelmäßig die Emotionen hervor, welche auf: 
regende Sikungen immer bewirken. Ich hatte den beiden, in ber 
Amischenzeit flattgefundenen Landtagen nicht beigemohnt; mit um 
fo größerem Intereſſe folgte ih nun dem gegenwärtigen, melcher 
überdied für mich noch befondere Anzichungspunfte bot. Es war 
der erfte Landtag, vor den Blitterädorf als Minifter trat; er 
benabm fih bei den Verhandlungen mit mehr Rube und Selbit: 
beberrihung, als man von feinem eigenmilligen und lehhaften 
Sinne hätte erwarten dürfen. Auch meinen Bruder fah ich bier 
zum eriten Male als Abgeordneten des Adels in der erften 
Kammer auftreten. Er entwickelte dabei ein wicht gewöhuliches 


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Nednertalent und vertbeidigte bejonderd die Rechte der Tatholifchen 
Kirche mit mehr Muth und Geſchick, als Erfolg. Seine Worte 
waren jedoch nicht ohne Bedeutung, weil fie gerade vor dem 
Wendepunkt geiprocdhen wurden, welcher in jener Trage bald darauf 
durch das Kölner Ereignig eintrat. — Jener Landtag gab aber 
auch zuerſt die Anregung zu einer anderen Prinzipienfrage, welche 
fpäter mit immer fteigender Erbitterung befprodhen murde. Konnte 
die Megierung den zu Abgeordneten gewählten Beamten den Urlaub 
zu dem Eintritte in die Kammer verweigern? Das Minifterium 
bejabte diefe Trage aus dem Grunde, weil die Staatädiener, ſchon 
geſchützt durch die Beitimmungen der Pragmatit, überdieß noch 
bei ihrer Stellung den anderen Deputirten gegenüber bevorzugt 
erſcheinen. Dieſe letzteren bringen ihren eigenen Interefien durch 
die Annahme eined Mandats vielfache Opfer, während die Beamten 
in ihren Privatangelegenheiten dadurch felten etwas vernachläffigen 
und neben ihrem Gehalte noch Diäten beziehen. Sollte nun, fo 
folgerte man, der Regierung nicht geftattet fein, ihren Dienern, 
die aus Ehrgeiz, Eitellfeit, Oppofitionzgeift oder aus irgend 
anderen Gründen ihr feindfelig gegenüber ftehen, eine Erlaubniß 
verfügen zu Tönnen, welcher jeder Beamte zur Ausübung einer, 
mit feinem bejtimmten Geſchäfte nicht zufammenhängenden Funktion 
bedarf? — Die Kammern felbft aber huldigten natürlich einer 


entgegengejeßten Anficht, fahen in der Urlaubsverweigerung eine " 


Beichränfung des Wahlrecht? und entfchieden begreiflicher Weile 
in der eigenen Sache zu ihren Gunften. Die Beamten hingegen 
befanden fi dabei in der beiten Lage; jebten fie ihren Eintritt 
dur, fpielten fie in der Kammer eine Rolle; wurde der Urlaub 
nicht ertheilt, fo ftellten fie fih als Opfer der Willkür Bin, 
erlangten eine Art von Popularität, und im fchlimmften Falle 
blieb ihnen immer der Ruhegehalt. Es zeigte fich bei dieſem 
Anlaß wiederholt, wie gefährlich e3 für die Ruhe folher Staaten 
ift, Prinzipienfragen auf die Spike zu treiben. In Frankreich 


a 


9 


und England, auf welche man fich immer fo gerne berief, kannte 
man foldhe Konflikte nicht, weil dort die Verfaffung dafür geforgt 
hatte, und Feine Eonjtitutionelle Regierung auf die Länge mit 
unabfegbaren Beamten beftehen kann. — Außer den gewöhnlichen 
Reibungen, perfönlichen Angriffen und einigen heftigen Auftritten 
ging jener Landtag, wenn auch nicht immer friedlich, doc, wenigſtens 
ohne Bruch vorüber. 


Im Juli 1837 kehrte ich in meiner Eigenfchaft als Waſſer⸗ 
mann — fo nannte man die Rheinſchifffahrts-Commiſſäre — zum - 
dritten Male nah Mainz zurüd, wo mid immer eine erwünſchte 
Thätigfeit erwartete. Es mar eine wahre Luft, näher mit dem 
herrlichen Fluffe in Berührung zu kommen, mit feinem Handel, 
jeiner Schifffahrt, den Uferbauten, den Brüden, dem lebhaften 
Perfonen- und Waarenverfehre befannt zu werden. Ich fand mich 
da mit den Bevollmächtigten der ſechs anderen Uferftaaten zufanımen, 
berieth mit ihnen die mannigfadyen Yragen, weldhe der Commiſſion 
zur Prüfung vorlagen, und die fich felbft auf Schlichtung von 
Rechtsſtreitigkeiten in letzter Inſtanz erftredten. Hatten wir am 
Rathstiſche und mit der Statiſtik des Rheins befchäftigt, fo zogen 
an unferen Augen zu jeder Stunde zahliofe Dampiichiffe, fich 
Treuzend, vorüber. Dazu die reizend gelegene Stadt, von dem 
mageftätiiden Dome überragt, dad mundervolle Panorama des 
Rheingaues, von maldigen Höhen begrenzt, die Nähe von Bieberich, 
Wiesbaden — in der Feſtung felbft ein reges Garnifongleben, 
die Öfterreichifchen, die preußifchen Regimentsmuſiken jeden Abend 
ertönend! 

Dießmal bemohnte Prinz Wilhelm von Preußen als 
Gouverneur das großherzogliche Schloß. Obwohl ſchon in Jahren 
vorgerücdt, bewegte fid, der Prinz mit den feinen Zügen und in 
feiner eleganten Haltung mit KLeichtigfeit. Er war von feiner 


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durch Geiſt und weibliche Tugenden ausgezeichneten Gemahlin — 
einer Prinzeffin von Heffen- Homburg — und der jugendlichen 
Prinzeflin Marie begleitet. Der Gouverneur war vom General 
vd. Müffling und vielen anderen preußilchen Stabsoffizieren 
umgeben, und der öfterreichtiiche Kommandant, General v. Piret, 
wetteiferte mit jenen Herren in gaftfreier Bewirthung der zahl: 
reichen Tremden. Auch der Feine Hof war ungemein belebt; die 
fürftlichen Yamilien aus Darmftadt und Naſſau waren öftere 
Gäſte; ich fah da den König von Württemberg, den Markgrafen 
Wilhelm von Baden und Gemahlin, den Herzog von Cambridge, 
Oscar von Schweden u. a. m. Ueberdieß brachte und beinahe 
jeded der vielen täglich landenden Dampfichiffe Fürften, Generale, 

Diplomaten, veifende Gelehrte in großer Zahl, Freunde und Be⸗ 
kannte aus allen Gegenden. Aus meinen Fenſtern fah ich dieſem 
bunten Treiben zu und hatte nicht felten in den vier Stockwerken 
meined Gaſthofes Ankommende zu begrüßen. Zum eriten Male 
traf ich Hier mit dem Oberſten v. Radowitz zufammen. Diefer, 
Militär und Staatsmann zugleih, hatte nad) einer ungewöhnlichen 
Laufbahn in der Meinung Vieler eine glänzende Zukunft. Ein 
fireng fittliher Mann von edlem Charakter, verband er mit 
geiftiger Begabung ein unermeßliched Wiffen und oft binreißenbe 
Beredtfamfeit. Dabei wurde er von einem imppnirenden Aeußern 
unterftügt. Mich felbit zog mehr Die ehrenvolle Richtung, der er 
folgte, als feine gemeljene, für Mande felbit abſtoßende Perfön- 
Tichleit an. Mit ganzer Seele dem Kronprinzen von Preußen 
ergeben, mit dem er in mancher Beziehung geiſtesverwandt war, 
jagte er mit ihm, ein feuriger Geiſt, nad) nie zu erreichenden 
Idealen. Radowitz fagte mir einft in Mainz, er habe dem Kron⸗ 
prinzen für feinen Regierungsantritt als Motto die Worte Hamlet's 
beftimmt: „Die Welt ift aus den Fugen; wehe mir, daß ich dazu 
berufen, fie wieder einzurichten!“ Friedrich Wilhelm IV. Hat 
jedoch leider die Welt nicht einzurichten vermocdht, wenn es auch 


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an mehr oder minder gelungenen Verſuchen dazu nicht gebrad). 
Was würde aber Radowitz wohl erft zu ber Aufgabe gefagt haben, 
welche dem König Wilhelm I. geworden? 

Eined Tages erſchien in Mainz, den Wenigften, wohl nur 
Piret’3 bekannt, bei denen fie wohnte, eine nicht mehr ganz junge, 
aber dabei jo ſchöne und liebliche Frau, daß fie Aller Augen auf 
ſich zog. Es war eine Wittwe aus Grab, Baronin v. Schimmel: 
pennin?, mweldye ich dort vor Jahren gefehen hatte. Bald ſprach 
man von einer nahen Verbindung mit dem Prinzen Philipp von 
Heflen-Homburg, und die Prinzeffin Wilhelm entſchloß fi nun, 
auf den Wunfch ihres Bruders, mit ihrer gewohnten Teutfeligen 
Huld die Bekanntſchaft ihrer Tünftigen Schwägerin zu machen. 
Ihre anmuthige Erſcheinung wie ihr beſcheidenes Auftreten in 
einer fo ausnahmsweiſen Lage brachten den günftigften Eindrud 
hervor. Ich fah fie fpäter nie wieder. Kurze Zeit nachher wurde 
fie mit dem Titel einer Gräfln von Naumburg dem Landgrafen 
angetraut, ftarb jedoch nad) einigen Jahren einer, wie man fagt, 
glücklichen Ehe. Brinz Philipp ſelbſt aber, wohl der ausge 
zeichnetfte unter den fünf Brüdern, melde — ein feltener Tal — 
nad der Reihe ohne männliche Erben regierten, war feiner eins 
nehmenden Perfönlichkeit wegen allgemein beliebt; früh in öfter: 
reichiſche Kriegsdienſte eingetreten, fiel er zur Zeit der franzöfifchen 
Republit — weil man ihn für einen Herrn v. Andlam von 
Homburg hielt — In Gefangenihaft, und nur feiner Jugend und 
vortheilhaften Erfcheinung mie feiner Geiſtesgegenwart verdanfte 
er die Rettung feines Lebens. Dann tapfer im Felde, tüchtig 
als Militärcommandant, während des Friedens Tiebendwürdiger 
Sefellichafter, wohlmollend, großmüthig, gelangte er erſt im fpäteren 
Alter zur Regierung feines Kleinen, fih durch eine permanente 
Spielhölle nicht gerade vortheilhaft ausgeichnenden Landes. Nach 
einigen Jahren ſchon ftarb auch, kaum vermäßlt, als Wittmer der 
geiftreiche, leutſelige Fürft. 


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Ich verließ Mainz einige Tage vor der Enthüllung des 
Outtenberg: Monument (15. Auguft), und fpäter einem anderen 
Nufe folgend, kam ih nicht mehr dahin zurüd. 


Kaum in Karlsruhe wieder angelangt, übernahm ich während 
einer mehrwöchentlichen Abweſenheit Blittersdorf's die Leitung 
des Miniſteriums. 


In der politiſchen Welt hatte ſich während dieſer Zeit 
Manches zugetragen; der Tod Wilhelms IV. erhob die jungfräu⸗ 
liche Victoria auf den engliſchen Thron, und während ſich der 
junge, erfte Beherrſcher Neugriechenlands eine muthige, für Hella’3 
Sache begeifterte Prinzeifin von der fernen Nordfee zur Braut 
ermählte, vermäblte fi in Yontainebleau der Herzog von Orleans 
— vorauzfihtlih einft Frankreichs König — mit der medlen: 
burgifhen Helene. Mit dem Minifterwechiel in England und 
Tranfreich verbanden ſich andere wichtige Fragen. Ludwig Philipp, 
nun im eigenen Lande meniger bedrängt, fuchte die Armee zu 
beihäftigen, welche mit feinen jungen Söhnen durch fiegreiche 
Gefechte die Grenzen der franzöfifchen Herrfchaft in Algier immer 
weiter ausdehnte. — Auch in Deutichland war wieder Ruhe zurüd- 
gefehrt; dagegen warfen zwei Fürften Brandfadeln aus, melde 
niht allein ihre Staaten ergriffen, jondern eine weiter gehende, 
nachhaltige Bewegung herborriefen. Der Herzog von Cumberland 
war faum König in Hannover geworden, als er durch feine, Die 
Berfaffungsrechte beeinträchtigenden Mafregeln die größten Wirren 
veranlaßte. Mit diefen politifchen Zerwürfniffen hielten die kirch⸗ 
lihen in Preußen gleihen Schritt, nachdem es die Regierung 
verſucht hatte, den pflichtgetreuen Sinn des greifen Erzbiſchofs 
v. Drofte in Köln durch gewaltfame Wegführung und Gefangen: 
haft zu beugen. 


18 


In den lebten Stunden des Jahres 1837 murde ich durch 
den Befuh Karl v. Hügel’3 freudig überrafht. Er kehrte von 
feiner ſechsjährigen Weltumfegelungsreife über Karlsruhe nach Wien 
zurüd. Er hatte Aegypten, Syrien, Arabien durdreift und fid 
längere Zeit in Oſtindien aufgehalten. Dieß letztere intereffante 
Land mit allen feinen Nachbarſtaaten und Infeln machte er zum 
Gegenftand bejonderer Studien, bejuchte von da aus einen Theil 
von Japan, Auftralien, das Himalayagebirge, und nahm feinen 
Rückweg endlid über Calcutta und das Cap der guten Hoffnung. 
Mit reichen botanifhen und anderen naturhiftorifhen Schätzen — 
die fpäter vom Staate angefauft, eine eigene Sammlung bilden — kam 
er nah Haufe, er hatte feine Zeit gut benübt, fein Gedächtniß 
mit den. berrlichiten Erinnerungen für das ganze Leben gefhmüdt, 
die Erzählungen feiner Schidfale in einem Tagebuche niedergelegt. 
Erft nad Jahren follte ih ihn in Wien wiederfinden, wo ſich 
ihm ein neuer Wirkungskreis eröffnete. 

Anfangs 1838 fand in Karlörube der f. g. Eiſenbahn— 
Landtag flat. Man mollte diefe neue Erfindung auch für das 
Großherzogthum frucdhtbringend anwenden; doch ſtieß man allzu: 
bald auf unerwartete Hinderniffe. Es war weniger die Schwierig: 
feit des Terrains oder der Koftenpunft, welche zurüdichredten; die 
Neubeit der Sache, verbunden mit der NRüdfiht auf die im Ver⸗ 
hältniß zu feiner Breite viel zu weit ausgedehnte Länge des 
Landes, riefen Bedenken hervor; man fürchtete die Schifffahrt zu 
beeinträchtigen, Privatintereffen zu verlegen, durch zu rafche Be⸗ 
förderung der Fremden wie der Frachten Gafthäufer und Banb- 
werke, ganze Ortfchaften zu Grunde zu richten. Doch bald fiegte 
die Nothwendigfeit über alle Zweifel; man konnte fi nicht von 
den Nachbarſtaaten überflügeln, den Verkehr entziehen Iafien, und 
jo bededte fi denn da3 Land bald mit Schienen. Der Minifter 
des Innern, Winter, hatte nach einer glänzenden Rede die Tribüne 
in der Kammer faum verlaffen, als er vom Schlage gerührt ftarb. 


14 


Melancholiſch fieht nun ſein ehernes Standbild auf die an ihm 
porüberziehenden Eifenbahnen mit ihren dampfenden Mafchinen 
berab. 

Ende Februar wurde ich zum großherzoglichen Gefchäftsträger 
am koniglich bayeriſchen Hofe in Münden ernannt und verließ 
Karlsruhe in den letzten Tagen ded März, um mid über Frei⸗ 
burg und Schaffhaufen an den Ort meiner neuen Beltimmung 
zu begeben. 


— — — — 


15 


Zehnter Abſchnitt. 


— 


(1838 — 1843.) 


Snhalt: Münden. Meberfiht. Der König. 1888. Aeußere und innere 
Politit. Diplomatifhes Corps. Hohe Gäſte. Die ruſſiſchen Maje- 
ftäten in Kreuth. Die Königin Karoline in Tegernfee. Kr. v. Krübener. 
Lager von Nugsburg. Großberzogin Stephanie von Baden. Kron- 
prinz von Dänemark. Fremde, Auswärtige Ereigniffe. 1889. Winter: 
und Kunſtgenüſſe. Großfürſt Thronfolger. Ausflüge. Eifenbahnen. 1840. 
Stänbeverfammlung. Abel und Fürft Wallerftein. Duell, Groß 
berzog Reopoldb von Baden in Münden, Hobenfhmwangan und Ober: 
ammergau. Bofjenhofen. Reife. Dresden. Konigswarth. Fürft 
Pükler. JIſchl. Großherzogin Sophie von Baden. Gefellfhaft. Gegend. 
Tegernfee. Gifte Graf Chambord. Kriegsläm. Orient. 1841. 
Politiſche Betrachtungen. Die Groffürftin Marte und der Herzog 
M. v. Leuchtenberg. Griechenland. Maurocordato. Die Königin Amalie, 
Turoler Reife. Tob der Königin Karoline. Die beiden Großherzoginnen 
von Baben. d'Arlincourt. Fürſt Metternih und Freunde. Trauer. 
1842. Migr. Viale und Migr. Pallavicini. Vermählung. Modena. 
Kiffingen. Weimar. Berlin. Dresden, Königswarth. Vermählung 
des Kronprinzen. Walhalla. Die beiden babifhen Prinzen. 1849. 
Landtag. zZürft Leiningen. Abſchied von Münden, 


Die Verſetzung nah Münden kam mir fehr ermünfcht. 
Auf einer Seite frod, meine Thätigfeit wieder einer Vertretung 
an einem auswärtigen Hofe zuwenden zu Tönnen, hatte ich auf 
der anderen auch feit meiner Sünglingözeit eine gewille Vorliebe 
für Bayern bewahrt. Die Geihicdhte, die geographifche Lage diefes 
Landes, die Sitten feiner Bewohner zogen mih an. Um den 
alten, deutfchen, Ferngefunden Stamm hatten fi im Laufe der 
Sabrhunderte andere Länder und Völkerſchaften gruppirt. Seine 


16 


Grenzen bald meit über die heutigen, wie feine Macht übermäßig 
ausdehnend, ſah es ſich dann wieder bedroht, befiegt, verkleinert. 
Einige Male ganz aufgegeben, erhob es ſich jedoch bald wieder, 
und blüht nun, wie nie zuvor — ein ſchönes Königreih. Seit 
undenklichen Zeiten von einer einheimifchen Dynaftie — der älteften 
aller nun beftehenden — behberricht, fah es feine Berwohner wie 
ihre Treue zu den angeftammten Fürften, fo auch ihren, von den 
Bätern ererbten Glauben feit bewahren. Mit den hergebrachten 
Sitten und Gebräuden verband fi ein religiöfer Sinn, und 
ruhiger als in anderen deutſchen Rändern entwickelten ſich hier, 
von den revolutionären Stürmen weniger berührt, die neuen Ver: 
fafjungsformen. Diefe behaglihe Ruhe theilte ſich dann auch den 
Bewohnern in Beziehung auf die außerhalb ihres nächſten Gefichts- 
kreiſes Tiegenden Creigniffe mit. Man nahm in Babern, das 
weniger abgejchloffen, ala früher Oejterreih, doch nur jo viel 
Sintereffe an den Außendingen, als es die alltägliche Neugierde 
mit ſich bringt, welche die Nachrichten in den Zeitungen einflößten. 
Mit der augenbliclichen Lage und einem befcheidenen Maße poli- 
tifcher Freiheit zufrieden, jehnte man ſich weder nad) Veränderungen, 


noch war man lüftern, gewagte Verſuche anzuftellen, mie fte uns 


. andere, felbft deutſche Staaten zeigten. Der König Ludwig, von 

dem Sinn und der Bedeutung der ſchönen Gefchichte feines Landes 
durchdrungen, ftellte es fich zur erften Aufgabe: dieß glänzende 
Bermähtnig — den biftorifhen Ruhm des ihm von Gott anver: 
trauten Reiches — rein zu erhalten. Ihn trieb nicht, mie fo 
manche Vorgänger, Eroberungsfucht oder der Durft nach Lorbeern 
auf blutigem Schlachtfelde; es verleitete ihn nicht der Ehrgeiz, die 
Hand nah fremden Kronen audzuftreden, und mehr als alle 
früheren Regenten Tann ſich König Ludwig den Namen eine? 
„Friedensfürſten“ beilegen. Nach einigen Schwankungen ergab er 
fi, in einer überdieß ganz friedlichen Zeit, rückhaltlos der eifrigen 
Pflege der Künfte, und feinem jchöpferifchen Geiſte verdanft man 


17 


die bemunderungsmürdigften Werke der Architeftur, mährend er 
Künftler fand, deren Hände fih in Gemälden und Bildhauer: 
arbeiten überboten. GSelbft die Feſtungsbauten, die der König 
unternahm, follten nur zum Schutze vor Gefahren, zur Ber: 
theidigung dienen. Aber nicht nur in München, auch aller Orten » 
‚in Bayern geben Kunftbauten und Sammlungen Zeugnig von 
dem Geichmade mie dem unermüdlihen Wirken des Töniglichen 
Möcen. Hier erheben fi großartige Ruhmeshallen, dort erfteben 
ehrwürdige Gotteshäufer in erneutem Glanze, bier bedecken fidh die 
Plähe der Städte mit Standbildern von Erz, dort erinnern Den: 
male, Kapellen, Stiftungen u. dgl. m. an gefchichtlihe Momente; 
endlich, während Eifenbahnen da ganze Königreich durchzogen, 
fand der König Zeit und Geld, eine dee wieder auszuführen, 
welche Karl der Große vor taufend Jahren aufgefaßt hatte — den . 
Donau : MainsFanal! 

Es gewährte mir demnach eine wahre Befriedigung, alle diefe 
Wunderwerke nach und nad entitehen, viele derfelben vollendet zu 
fehen. Man kann aber nicht von ihnen ſprechen, ohne in ben 
Ton eines Tremdenführerd zu verfallen; blieben fie für mich der 
Segenftand einer Iebhaften, fortgefebten Theilnahme, fo wurden fle 
auch allen Beſuchenden zu einer nie verfiegenden Duelle reiner 
Kunſtgenüſſe. Wirkten daher ſchon jene Hiftorifhen Erinnerungen 
wohlthuend auf dad Gemüth, fo mar, mas die Gegenwart bot, 
erheßend und Tehrreih genug, um mir die in Münden verlebten 
fünf Jahre nah allen Richtungen bin unvergeßlih zu machen. 
Soll ich noch Hinzufügen, daß der König mir ftet3 überaus gnädig 
war, ih zu den Miniftern und meinen Collegen in den freund: 
lichſten Geſchäftsbeziehungen ftand, die Gefelligkeit in ber beiteren 
Stadt nicht? zu wünſchen übrig ließ, ein gutes Theater, vortreff: 
liche Concerte manden Winterabend verfchönerten, im Sommer 
die reigende Gebirgänatur der nahen Alpen erquidte, fo glaube 
ih in kurzen Zügen meine Stellung wie die Eindrüde in München 

Zeh. v. Andlaw. Mein Tagssuh II. 2 


18 


bezeichnet zu haben. An einen anderen Orte*) verſuchte ich es, 
Skizzen von dem Töniglihen Hofe, der Gefellichaft, "den Bauten 
und Kunſtſchätzen Münchens zu entwerfen, von einigen hervor: 
ragenden Perſönlichkeiten, von Gelehrten und Künftlern zu fprechen, 
„ eine Weberfiht der Politit und inneren Verwaltung Bayernd zu 
geben. Dean wollte jene Aufzeichnungen zu flüchtig, zu wenig 
eingebend finden; follte ich aber pedantiſch fo oft und viel beſſer 
Geſchildertes wiederholt beſprechen? Wollte ih ja doch zunächſt nur 
meine individuelle Auffaffung feſthalten. Der mir mın geftellten 
Aufgabe getreu, werde ich der Zeitfolge nach das bort Erlebte — 
einer Chronik des Tages gleih — erzählen und beginne, manches 
früher Berührte ergänzend, mit 


1838. 


Die erfte Zeit meines Aufenthalt? mar eine ungemein bewegte. 
Zu den gewöhnlichen Audienzen, Beſuchen u. dgl. kam auch noch 
die Anweſenheit der Großherzogin Stephanie, welche ich unver: 
mutbet in demſelben Gafthofe traf. Sie war mit der Brinzeffin 
Marie auf ihrer Nüdreife von Wien. Nah einigen Tagen 
empfing mid der König und unterhielt fi über eine halbe 
Stunde auf das freundlicgite mit mir. Dankerfüllt fpreche ich es 
aus, daß fich fein Benehmen gegen mid, nie änderte, er immer 
gleich wohlmollend und geiprädhig mit mir war, ih mochte ihm, 
was häufig geichah, auf der Straße begegnen, oder ihn bei Hofe, 
in Concerten, auch in Xegernfee, Regensburg und anderen Orten 
ſehen. Immer wußte er mir etwas Verbindliche zu jagen, oder 
gab feinen Aeußerungen eine originelle, oft mwitige Wendung. — 
Die ruhige Würde und die einfache Art der Königin Therefe 
nahm gleih für fie ein. Sie ſah noch ſehr gut aus, und umgeben 
von ihrer zablreihen Yamilie, war fie das freundliche Bild einer 


*) Erinmerungsbl. ©. 185 bis 288. 


19 


deutfchen Hausfrau auf dem Throne. Einen fchönen, finnreichen 
Ausdrud der Erinnerung an dieß eheliche Glück gibt die Medaille, 
welche die Bruftbilder der Eltern wie der vier Töniglichen Kinder: 
paare ſchmücken mit der einfach rührenden Ueberſchrift: „Des 
Himmeld Segen.” 

Eines gleid freundlichen Empfanges hatte ih mid bei den 
übrigen Mitgliedern des königlichen Hauſes in befonderen Audienzen 
zu erfreuen. 

Erft nachdem fi die Majeftäten nah Aſchaffenburg, die 
Hoheiten auf ihre Landſitze oder in Bäder begeben, konnte ich 
mich etwad mehr auf dem Schauplage meiner neuen Wirkſamkeit 
umfchauen, eine Ueberſicht der gefandtfchaftlicgen Geſchäfte gewinnen, 
die vorliegenden politifchen und andere Fragen prüfen, mich den 
Mitgliedern des diplomatifchen Corps nähern u. ſ. w Mit dem 
Staatöminifter des Aeußern, Freiherrn v. Gife, früher mir ſchon 
befannt, ftand ich immer in angenehmer Berührung, wenn ihn 
gleich eine durch Stellung wie Charakter hervorgerufene Zurüd: 
haltung nur wenig zugänglih machte. 

Das wichtigfte Ereigniß jener Zeit für Bayern mar die 
Entlaffung des Fürften Ludwig von Dettingen-Wallerftein 
und die Ernennung des Staatsraths v. Abel zum Minifter des 
Innern. Es fiel diefe Ernennung mit dem Tage meiner Ankunft 
— dem 1. April — zufunmen. Sie bildet eine eigene Epoche 
in der bayerifchen Geſchichte, und von diefer Zeit an zogen fid 
unaufgörlicy die Zerwürfniſſe zwifchen jenen zwei Staatdmännern 
fort, von denen jeder ein Verwaltungsſyſtem verlörperte. Es ent: 
ftanden Parteien, die fich bei Hofe wie in der Gejellichaft, in den 
Kammern fowohl als in den Beamtenkreifen, im ganzen Lande 
entweder offen befehdeten oder im Stillen haften. Dieſe Gegen: 
ſätze fanden gleich einen Anlaß, fchärfer bervorzutreten, als die 
Münchener Preffe da Loſungswort gab, für die Rechte des ver: 
folgten Erzbiſchoſs von Köln einftehend, die Tirchenfeindlihen Maß⸗ 

2* 


' 


20 


regeln Preußens zu befämpfen. Auch das diplomatifhe Corps 
blieb nicht ganz frei von diefen Einflüffen, und während ein ‘Theil 
lebhaft über das „Für und Wider“ verbandelte, Durch feinen 
Anhang die eine oder die andere Partei verftärkte, hielt ich mit 
Andern auch bier an dem von mir ſtets befolgten Grundſatze feft, 
nur zu beobadıten, und eine neutrale Stellung nur dann gegen 
eine erhöhte Thätigkeit zu vertaufchen, wenn diefe durch ganz 
befondere Umſtände geboten oder durch beitimmte Weifungen un: 
mittelbar veranlaßt war. 

Männer mit geiftigen und gefelligen Vorzügen bildeten jenes 
Corps, an deſſen Spite der wärttembergiihe Schmitz⸗-Grollen⸗ 
burg, wohl der ältejte der deutfchen Diplomaten, ein wohlwollend 
heiterer Greis, der aber Teidenichaftlih eine Politif trieb, mit 
kleinſtädtiſchem Klatſch nahe verwandt. Graf Eollorcdo, feit 
zwei Jahren öfterreichifcher Gelandter, Graf Dönhof, — fpäter 
Bundestagsgefandter — für Preußen beglaubigt, waren beide 
unvermählt, und ich fhloß mich ihnen näher an; mit Erfterem 
ingbefondere verband mich. durch 20 Jahre eine immer gleich 
warme Freundfhaft. Herr D. v. Severin trat in feiner Lauf 
bahn gerade damals eine Slanzperiode an, deren Höhe er während 
der 25 Jahre, in weldhen er Rußland in München vertritt, nicht 
mehr erreichte. Herr v. Bourgoing, ein angenehmer Gefellichafter, 
etwas zerftreut, betrieb mit befonderer Vorliebe chemifche Studien 
und Alterthumskunde. Seinen Yorfchungen verdantt man die 
Lithophanie; fein Kabinet glih einer Werkitätte, der Salon 
einer Antifenfammlung, in dem fi werthvolle Gegenftände mit 
geihmadlofem Rococo anhäuften. Diefem Mugen, wiſſenſchaftlich 
gebildeten Manne ſtand der englifche Gefandte gegenüber, deſſen 
geiftige Eigenfchaften nicht feinem berühmten Namen entfpradyen: 
Lord Erjfine, ein Ehrenmann, mar ald Politiker eine Nullität. 
Könnerit und Beuft — beide nad) der Reihe fächfifche Gefchäfts- 
träger — wirkten |päter, jeder in feiner Sphäre, mit Auszeichnung 


21 


in Wien und Dresden. Bald nachher mwurte das diploma: 
tische Corps noch durch zwei Staliener vermehrt, von denen idh 
feiner Zeit fpredyen werde. Don den zwei in München Iebenten 
Töchtern des berühmten Miniſters v. Stein war die eine mit dem 
banndverifhen Gefandten, Grafen von Kilmannsegge, vermählt, 
die andere die Gattin des Grafen Giech, der, wenn gleich erblindet, 
doch thätig, ald die Seele der Oppofition im Reichsrathe galt. 

Dieſer Geſellſchaftskreis ſchloß fih nun mit einigen fremden 
Tamilien den gaftfreien Häufern Münchens, den Kömenftein, Arco, 
Tafcher, Eetto, Gruben u. a. an, in denen beinahe jeden Abend 
die abwechfelndften gefelligen Genüffe geboten wurden. 

Die Reihe der jährlich erfcheinenden hohen Gäfte eröffnete 
dießmal der Herzog von Sachſen-Coburg mit feinen Söhnen. 
Nicht ohne ein Gefühl von Theilnahme ſah man damals auf diefe 
beiden jungen, Ichönen Prinzen, welche einer hoffnungsvollen Zukunft 
entgegen gingen. Ihnen folgte die Kailerin, Wittwe Don Pedro's, 
Herzogin von Braganza. Es war diefe -Fürftin nad längerer 
Zeit wieder auf Beſuch bei ihrer Mutter in München erfchienen; 
ihre edlen Züge, durd Leiden entitellt, wurden durch ausdrucks⸗ 
volle, ſchöne Augen gehoben, ihr Aufenthalt mar ftet3 mit Wohl: 
thun bezeichnet. Die Herzogin mar von ihrer einzigen Tochter, 
der Infantin Amalie, begleitet, ein Tiebliches Kind, zu einem fo 
frühen Tode beitimmt. 

Mnaufhaltfam folgte fi) nun der Zug der Fremden; Alles 
ſchien in gefchäftiger Bewegung, deren Mittelpunft Bayern war. 
Krönungen, Heereslager, der rufftfche Hof, die Reifen beinahe aller 
deutfchen Fürften riefen ein fortgejeßtes Treiben hervor, und alle 
Straßen waren, wie nie zuvor, mit Eil- und anderen Wagen in 
unabfehbaren Reihen bededt, dad Bedürfniß nad Kifenbahnen 
doppelt fühlbar. Während Gaftwirthe und Poftillione treffliche 
Geſchäfte machten, ſchien man den armen Pferden den Tod ge- 
ſchworen zu haben, fo fehr wurden fie gehetzt; dabei durchkreuzten 


22 
Conriere das Land, nad allen Richtungen mar die Genddarmerie 
in angeltrengter Thätigfeit. 

In London murde Bictoria feierlih gekrönt — der ron: 
prinz von Bayern wohnte der Geremonie unerkannt bei —. In 
Mailand feßte man dem Kaifer Yerdinand Die eiferne Krone auf; 
fpäter ließ er fih in Tyrol huldigen. Ale von diefen Feierlich⸗ 
feiten über München zurückkehrenden Fremden fchilderten den Jubel 
der Lombarden, der ſich nach ertheilter Anıneftie bis zum Enthuſias⸗ 
mus fteigerte. Man nannte den Kaifer nur: „il buon angelo!‘“ 
Eine wohl ungebeucheltere Freude empfing den Monarchen in 
Innsbruck. 

Schon im Frühjahre hatte fi) das Gerücht verbreitet, daß 
die Kaiferin von Nußland auf den Rath der Aerzte mie der 
Frau v. Krüdener fich entichloffen habe, die Molkenkur in Kreuth 
zu gebrauchen. Zugleich brachte man mit diefer Reiſe politifche, 
ſelbſt Vermählungsprojekte in Verbindung, und diefe Motive fchienen 
gewichtig genug, um die Anftände zu befiegen, melde die Span- 
nung Bayern? mit Preußen hervorrief. Der Kaifer übernahm in 
Berlin die Rolle eines Vermittlers, und Frau v. Krüdener zeigte 
um fo mehr Luſt, an der Seite ihrer hohen Gönnerin in ihrer 
Baterftadt München zu ericheinen, ala ſich die Hinderniſſe fteigerten. 
Seit Katharina II. aber hatte der ruffifhe Hof feine Verbindungen 
mit den deutichen fürftlihen Familien immer weiter ausgedehnt; 
Bayern war noch nicht in diefen Kreis gezogen; die Reife fam 
daher zur Ausführung. rau v. Krüdener aber, melde fie wohl 
zunächit veranlaßte, war eine Waiſe, Amalie; im Haufe der Gräfin 
Lerchenfeld Mutter erzogen, vermählte fte fih ſchon frühe mit dem 
ruſſiſchen Legationsrath v. Krüdener. Bon blendender Schönheit, 
einer mehr prüden als gefallfüchtigen Haltung, war fie eine beliebte, ' 
allgemein geachtete Erſcheinung in der Geſellſchaft. Mutter zweier 
Kinder, trat fie erft nach Jahren, für deren Zukunft zu forgen, 
die erite Reife nach Petersburg an, wo fie, Mug und taftuoll, 








23 


fih bald zur Freundin, zum Lieblinge der Raiferin eınpor ſchwang. 
Dabei wußte fie ſich eine gewiſſe Unabhängigkeit, einen Ruf von 
Uneigennüßigfeit zu bewahren, welche ihrer ausnahnsweiſen Stellung 
nar eine um fo längere Dauer verhieß. Wie in Münden mar 
Frau v. Krüdener auch am Kaiſerhof eine elegante, fpröde, gefuchte, 
beneidete Yrau. Ende Juli endlich traf die Kaiferin mit großem 
Gefolge in Köffering ein, mo fie übernadytete, und dann nad 
einem furzen, mit Velten angefüllten Aufenthalte in München das 
Bad in der Thalfchlucht Kreuth bezog. Die Kaiferin führte ihre 
14 jährige Tochter, die zarte Großfürftin Alerandra, mit fih. Die 
beiden älteren Prinzeffinnen waren in Nußland zurüdgeblieben. 
Eine beinahe fleberhafte Beweglichkeit, eine reizbare Aufregung 
abgerechnet, konnte die Kaiferin, dem äußeren Ausfehen nad), nicht 
für leidend, am wenigften als bruftfranf gelten. Edle, regelmäßige 
Züge ließen ihre einft fo gefeierte Schönheit errathen. Mitte 
Auguft reifte der Kaifer Nikolaus durch Münden nad) Kreuth, 
befuchte jedoch einige Tage fpäter den König in feiner Mefidenz, 
deren Merkwürdigfeiten er beſah. Hier gab es nun SHoftafel, 
beleuchtete Gallatheater u. dgl. berfümmliche Freuden. Ich ſah 
-beide Monarchen mit glänzender Suite — unter ihr der junge, 
elegante Fürft Bariatinsky — einer Parade auf dem Mearzfelde 
beiwohnen, wobei das Zoller'ſche Artilferiefoften vorgezeigt wurde, 
fab, wie der König Ludwig auf dem Rarolinenpla dem Czaren 
bei dem Obeliäfe zu erklären verfuchte, wie die im vuffifchen Feld⸗ 
zuge gefallenen 80,000 Bayern aud für Deutjchlands Befreiung 
geblieben! und andere Dinge mehr. 

Der kaiſerlich ruſſiſche Hof brachte den ganzen Auguft in 
Kreuth zu, und ein ganz eigenthümliches Leben entwickelte ſich 
nun, in feltfanten Kontraften, in dem engen, fonft fo ftillen Alpen: 
thale. Den Mittelpunft aller gejelligen Freuden bildete aber 
immer Tegernfee. War dieß herrlich gelegene Schloß — der 
gewöhnliche Sommerfik der Königin: Wittwe Karoline — ſchon 


24 





gewöhnlid, der Schauplab der großartigiten „vie de Chateau‘, 
fo nafmen jet die Spazierfahrten zu Land und zu Waffer, die 
Abendunterhaltungen gar kein Ende, Alles wurde in Bewegung 
gefeht; Concerte, Tableau's, Tanz, franzöfifche Liebhaberthenter; 
die Mittagstafel faßte täglich 50 bis 60 Gäfte, und die Zahl der 
berbeigeftrömten Fremden mehrte fih mit jeder Stunde. Eine? 
Abends war die erlaudhte Berfammlung befonder3 glänzend, und 
nicht weniger ald 7 Majeitäten, 14 Taiferlihe und Tönigliche 
Hoheiten wohnten einer allerliebiten Borftellung von Dilettanten 
im Scloßtheater bei. Die Erzberzogin Sophie unterjtüßte ihre 
Mutter bei diefer oft etwas ermüdenden Gaſtfreundſchaft, und der 
Kronprinz von Preußen erbeiterte durch feine immer gleich witzige 
Laune den oft erniten, immer impofanten Zirkel. Es gab da der 
‚anziehenden Beobachtungen, eigenthümlichen Berührungen in Fülle. 
Bon Politik war bei diefen Zerftreuungen wohl nur wenig die 
Rede; allgemein aber fiel auf, daß der Herzog Mar von Leuchten: 
berg immer in der Nähe des Kaiſers Nikolaus gefehen wurde, 
und diefer ihn in jeder Beziehung auszeichnete. Der junge, 
hübſche Prinz wurde eingeladen, den Winter in Peteräburg zuzu⸗ 
bringen, und bald, einer fchon früher ausgefprochenen Neigung für 
die Gropfürftin Marie zu Folge, feine Verlobung mit derfelben 
gefeiert. ‘Dieß war im Grunde das einzige hervortretende Refultat 
der Taiferlihen Meife nah Bayern. Während die Kaiferin noch 
Hohenſchwangau befuchte, begab fih Nikolaus in das Lager der 
bayerifhen Truppen nad) Augsburg. Ein ungemein veged Leben 
zog nun in die fiillen Straßen der fchönen Stadt ein, und große 
Kriegsübungen wechfelten mit glänzenden Bällen. Hier wurde ich 
vom Czaren in einer befonderen Audienz empfangen, um ihn im 
Namen des Großherzogs zu einem Beſuch nad Karlörube einzu: 
Inden. Er entfchuldigte fi damit, daß ihm die Turz zugemefiene 
Zeit nur nod einen Ausflug nad Friedrichshafen geftatte, ſetzte 
aber lächelnd hinzu: „Je vous enverrai mon fils.“ In der 


_ 


25 


That, Taum hatte der Kaifer in feiner gewohnten Weife Bayern 
rafch verlaflen, ald man auch ſchon feine Ankunft in Berlin, 
ipäter in Moskau vernahm. 


Die günftigfte Seite, melde man dem nordifchen Beſuche 
abzugeminnen wußte, lag in der großherzigen Treigebigfeit des 
Faiferlichen Ehepaare. Die Kreuther Molken vermandelten fich 
in Gold; mit vollen Händen wurden nicht nur Toftbare Gefchente, 
reichliche Trintgelder und Unterftübungen auögetbeilt, auch ein 
ganzer Negenbogen von Ordensbändern verbreitete ſich über die 
Hof und Kivilbeamten wie die Offiziere. — Ich ſelbſt hatte aber 
nun binreihend Gelegenheit, aus meinen AJugenderinnerungen die 
beiden Taiferlihen Brüder mit einander zu vergleihen. War 
Merander von edler Haltung, von ſanftem, einnehmenden, feinem . 
weicheren Charakter entfprehendem Weſen, machte die ernite, 
majeſtätiſche Geftalt Nikolaus’ einen übermältigenden Eindrud, 
fowie denn aud feine Erfcheinung in manden feierlichen Augen: 


bliden elettrifh wirkte. Beide Brüder aber, die Söhne eine? 


nichts weniger als reizenden Vaters, Eonnten, jeder in feiner Art, 
als Ideale männlicher Schönheit gelten. E 


Für Tegernfee waren indeffen „die fhönen Tage von Aranjuez“ 
noch nicht zu Ende Es traf da die Großherzogin Stephanie 
von Baden mit der Prinzeffin Waſa zufammen, es überrajchten 
die Beſuche des Erbgroßherzogd und Matbildend von Helfen, 
endlich des Kronprinzen Ehriftian von Dänemark und Gemahlin. 
Diefer gebildete Herr mit einem einnehmenden Aeußern bielt ſich 
acht Tage in Münden auf. Er nahm lebhaft Theil an allen 
Erſcheinungen im Gebiete der Künfte und Wiffenfchaften, und 
verfammelte immer Abends einige Gelehrte zum The. Die 
Prinzeffin Karoline von Holften war eine liebenswürdige, ver: 
fländige Dame. Der Kronprinz felbft aber beftieg im nächſt⸗ 
folgenden Jahr als Ehriftian VIII. den Thron, auf dem er durch 


26 


feinen berüchtigten „offenen Brief” zu dem noch hente nicht 
gehobenen Zwieſpalte Anlaß geben follte. 

War das Schloßleben nun auch minder belebt, fo erfchien es 
nur um fo angenehmer. Der blaue See mit feinen reizenden 
Umgebungen bot ebenfo viele Anziehungspunfte, ald die großartige 
Gebirganatur. Eines Tages beftiegen zwei Prinzeffinnen, von 
vier Damen und ſechs Herren begleitet, beinahe ganz zu Fuße 
den ziemlich fteilen, durch feine herrliche Fernſicht befannten Hirſch— 
berg. Diefe Kleine Gebirgzreife mit allerlei Abenteuern ließ den 
angenehmften Eindrud in uns zurüd. Ich entwarf eine Beſchrei⸗ 
bung, melde die Großherzogin Stephanie mit eigener Hand ver: 
befferte, eine Schrift, welche ich noch heute bewahre.. — Wie 
fönnte ih, it von dem Tegernſee jener Tage die Mede, nicht 
meines langjährigen Freundes, des Hofmarſchalls Grafen Ed. Yrſch 
gedenfen? Er war mit feiner ſtets munteren Laune und auf: 
opfernder, beinahe fabelhafter Thätigkeit eine Art von Borfehung 
für den Haushalt der Königin. Schon am frühen Morgen ordnete 
er Alles in Küche, Keller und Stall an, begrüßte, befuchte, unter: 
hielt die Säfte, nahm den Tagesbefehl der Königin entgegen, leitete 
zu Pferde oder vom Bode die Landpartien u. ſ. w.; dabei war 
er zärtliher Gatte und Vater, fchrieb, vechnete, bereitete Koſtüme 
oder feine Rolle für die dramatifchen Abende vor, tanzte, fpielte, 
und ftet3 alle Räume des Schloſſes überwachend, ging er erft mit 
dem lebten erlöfchenden Lichte zur Ruhe. 

Die Rückkehr nah Münden nahm wieder meine erhöhte 
Thätigfeit in Anſpruch; wiederholte Audienzen und Befuche, der 
Aufenthalt Tettenborn’3, Blittersdorf's u. A., endlich die Groß 
berzogin Stephanie und Prinzeſſin Marie, welche noch acht Tage 
bfieben. Kaum war und vergännt, die Begebenheiten näher zu 
beobachten, welche ſich auswärts drängten. Während fid) Ludwig 
Philippe Söhne in Algier und Merico auszeichneten, Tonnte es 
ihm nicht gelingen, die Meine Schweiz zu bewegen, den Napoleoniden 


27 

auszutreiben. Während Preußen im beftändigen Konflift mit Rom, 
die ruffifche Politik die Katholiken in Warfchau verfolgte, ſah die 
Welt mit Erftaunen den Bapft einen Abgefandten des Sultans 
in feierlier Audienz empfangen. In Spanien entzündete fich 
der Bürgerkrieg durdy die Rückkehr des Don Carlos auf’3 Neue, 
und allentbalben gab es politifhe wie kirchliche Zerwürfniſſe, ohne 
daß es gerade zum offenen Bruce kam. 

An diefem Herbſte wurden zwei Prinzen — beide Ludwig 
Philipp getauft — geboren; fie follten einem feltenen, unvorher⸗ 
gefehenen Geſchicke entgegen gehen. Denn ſchon jetzt nad) 24 Jahren 
beftieg der Eine — Herzog von Oporto — ganz unerwartet den 
durch den fo frühen Tod feines jungen Bruders erledigten Thron 
von Portugal. Der Andere jedoch, — der Graf von Paris — 
[hen in der Wiege zum Thronerben Frankreichs beſtimmt, trägt 
nun die Uniform eines Adjutanten in der republilanifchen Armee 
Nordamerika's!! 


1839. 


Mit dem Winter kehrte einige Ruhe wieder, nur unterbrochen 
durch die Aufnahme vernachläſſigter Geſchäfte. Eine neue deutſche 
Münzconvention wurde verhandelt, abgefchloffen und von mir unter: 
zeichnet. Mit den dienftlichen Arbeiten mechjelte die Befichtigung 
der Neubauten und Kunftwerke, der Beſuch von Ateliers. Kaul⸗ 
bach entwarf feine großartigen Schöpfungen, Heß feine Schlachten: 
bilder, Stieler und Türk ihre graziöfen Porträte, Rottmann feine 
reizenden Landichaften; die Wände der neuen Kirchen und Paläfte 
bedeckten fich täglih mehr mit wundervollen Fresken von Meiſter⸗ 
band, und in der Werfitätte L. Schwanthaler’3 — mehr einem 
Mufeum ähnlich — wie in der Erzgießerei des vortrefflichen 
Stiegelmayer war man ficher, immer neue, überrafchend fchöne 
Runftgebilde zu finden; endlich die Boifferss mit ihren herrlichen 
Glasbildern. Auch im Vereinslokale des Bazar wurden in jeder 


28 


Woche neue Werke lebender Künftler aufgeftellt. — Nicht minder 
anziehend maren die Faſchingsfreuden. Zu den gemöhnlichen 
Maskeraden, den Cpncerten und ſ. g. Akademien im Odeon 
gefellten ſich auch die felteneren großen Schlittenfahrten, dazwiſchen 
Abendunterhaltungen jeder Art im Mufeum, Frohſinn und anderen 
Geſellſchaften. Nicht felten nahm der königliche Hof in der freund: 
lichſten Weife an diefen gefelligen Vergnügen Theil. Heiter unter: 
bielt fih da der König, oft mit Unbelannten, und feine natürliche 
Leutjeligfeit erwarb ihm die wahre Popularität, welche Abſichtlich⸗ 
feit und Berechnung nie erzwingen Tann. Außer den GHofbällen 
fanden auch noch allerliebfte Feſte in den Paläften der Herzogin 
von Leuchtenberg und des Herzogs Max ftatt. Maskenzüge, koſtü⸗ 
mirte Quadrillen, Iebende Bilder und Charaden, Vaudevilles und 
deutiches Theater in beftändiger Abwechslung. Auch ich trat eines 
Abends in Steigentefh’3 „Zeichen der Ehe” auf. Gleich unter: 
baltend waren die Ballette und Reiterfünfte in dem Meinen Circus 
des Herzogs Mar. AU dieß läßt fi nicht fo frifh, wie in der 
Wirklichkeit, auch im Gedächtniſſe feithalten. Soll ich aber Geiſt 
und Charakter der Münchener Gefelligfeit fchildern, jo Tann ich 
fie nur als günftig, den Ton als den einer anftändigen, wohl: 
wollenden Heiterfeit bezeichnen. Es bildete bier, wie es immer 
fein follte, die Cotterie die Negel, der Beſuch größerer Zirkel die 
Ausnahme. Während das Auge mit Wohlgefallen auf einem 
Kranze blühender Frauen rubt, das Ohr fih an den Zauber: 
Hängen ausgezeichneter Muſik ergötzt, Tiegt ein nicht minderer Reiz 
in der, wenn auch nicht tief gehenden, aber immer lebhaften und 
feinen Unterhaltung am Kamin oder bei Tifche, in den anſpruchs⸗ 
Iofen - Kleinigkeiten, die man fi unter vertrauten Yreunden in 
Geſellſchaft einiger gebildeter Frauen zuflüftert. Immer jeltener 
findet man, was die Franzofen „‚savoir causer‘‘ nennen, und um 
fo leichter ziehen Laugweile und Ermüdung da ein, wo der Salon 
nur von Toilettenangelegenheiten und Stadtflatichereien ertönt. 


29 


Mitte März erſchien der Großfürft-Thronfolger in 
Begleitung der Grafen Orloff und Medem in Münden. Sein 
freundlicher Blick, fein einfaches Auftreten nahmen für ihn ein. 
Meniger glänzend und fhön als fein Vater, gefiel er durch jugend: 
liche Haltung, verließ aber München bald, um feine Rundreife 
durh Deutſchland fortzufeßen, deren eigentlicher Zweck — eine 
Brautfhau — gegen alle Erwartung in Darmſtadt ihr Ziel fand. 

Der Sommer murde zu Ausflügen verwendet; ich durchitreifte 
einen Theil der Gebirgäthäler von Hohenſchwangau bis Iſchl, be: 
fuchte dann wieder Nürnberg — dieß Juwel unter den altdeutichen 
Städten — und traf zweimal mit der fürftlih Metternich'ſchen 
Tamilte, auf der Hin: und Herreife vom Johannisberg, in Regens⸗ 
burg und Ingolſtadt zufammen. 

Die Eröffnung einer Heinen Strede Eifenbahn gegen Augs⸗ 
burg hin war im September für Münden ein Creigniß; dazu 
die feierliche Einweihung der Auerfirhe und die Oftoberfefte mit 
allen ihren feit 50 Jahren regelmäßig wiederkehrenden Freuden. 


Dody auch am politiihen Emotionen war das Jahr 1839 
überreih. Bon feinen Vorgängern batte e8 gar viele Wirren 
übernommen; fo braden in der Schweiz nad dem widerlichen 
Streite der „Klauen und Hörner” die veligiöfen Unruhen in Zürich 
und anderen Orten aus; aber auch das beinahe vergeffene orien⸗ 
talifche Gefpenft tauchte wieder auf, und ter Tod ded Sultans 
wie der Abfall Mehmed Ali's bedrohten ganz Europa mit einem 
verheerenden Kriege. 


Nah langem Siehthum hatte eine Krankheit weniger Tage 
meinen Vater dahingerafft, und diefer fchmerzliche Trauerfall führte 
wich im November nad Freiburg, ſpäter nach Karlsruhe, und erft 
im Jänner 1840 fehrte ich von diefer, von vielen peinlihen Ein- 
drücken begleiteten Urlaubsreife über Bafel, Züri und den Boden: 
fee nah Münden zurüd. 





30 


1840, 


Hier fand ih nun Alles in gefchäftiger Bewegung; ed hatte 
ſich nach dreijähriger Zwifchenzeit wieder ein Landtag verfammelt, 
deffen Ergebniffen man aus mandyerlei Gründen mit Spannung 
entgegenfah. Es war die erite Verfammlung diefer Art, welche 
ih in Bayern ſah. Sie machte einen von anderen Landtagen ver: 
ichiedenen Eindrud auf mid. Schon das Gebäude — der che 
malige Redoutenſaal — unbequem und in feiner Beziehung geeignet 
für folhe Verhandlungen, nahm im oberen Stockwerke die Kammer 
der Reichsräthe auf, deren Sigungen nicht öffentlich waren; aber 
auch die gedrudten Berichte, in denen die Namen der ſprechenden 
Mitglieder nicht einmal angeführt wurden, flößten in ihrer jchmer- 
fälligen Weife nur wenig Intereffe ein. In der Kammer der 
Abgeordneten fanden fih mohl einige talentwolle, felbft beftige 
Nedner, aber keiner von hervorragender Bedeutung. Wie allent: 
halben, bildete denn aud bier das Budget den Brennpunft der 
Verhandlungen, und da war nım die Verwendung der beträchtlichen 
Erfparniffe — „Erübrigungen” genannt — die große Frage des 
Taged. Es fiel manches bittere Wort; die leidenfchaftliche Auf- 
regung einiger Deputirten ließ es zu heftigen Scenen kommen; 
Wünſche und Drohungen von der einen, Vorwürfe und Angaben 
von der anderen Seite verftimmten, und dur beide Kammern 
zog ſich unverkennbar der Parteigeift, zu welchem die Stellung 
des entlaffenen zu dem meuen Minifter des Innern die nächte 
Beranlaffung gegeben. Dennoch würde vieler Landtag, bei der. 
befriedigenden Erledigung feiner Gefchäfte, wie fo viele andere, 
bald der Bergeflenheit übergeben worden fein, hätte nicht eine bei: 
nahe komiſche Epifode ein ungewöhnliches Aufſehen erregt; Minifter 
v. Abel hatte fi in einen Augenblick leidenfchaftliher Aufwallung 
binreißen laflen, in der Kammer einige, für den Fürften 2. Waller: 
ftein beleidigente Worte auszuſprechen. Es kam zu ‚gegenfeitigen 


81 


Erklärungen, weldhe nicht genügten; ein Zweikampf follte enticheiden. 
Man denke fih nun den Kronen-Oberhofmeifter ein Duell beſtehend 
mit dem Minifter des Junern, und als Sekundanten den Präfidenten 
des oberiten Gerichtöhofes, Grafen U. v. Rechberg, und den Kriegs: 
minifter v. Gumpenberg; weld ein Schaufpiel! Dazu die Wahl 
der Zeit, des Ortes. Die Herren fchoffen fih an einem Sonn: 
tage bei heller Mittagsftunde in den öffentlichen Anlagen. Der 
heitere Frühlingsmorgen hatte viele Menfchen in's Freie gelodt, 
und ich felbit folgte der Menge, welche in den engliihhen Garten 
jtrömte, um die Duellanten zurüdtebren zu ſehen. Sie erfchienen 
endlih in zwei Wagen, unverfehrt. Nach zwei Schüffen hatte 
man fi) auögejöhnt, umd der Vollkswitz bemerkte, nicht die Schüten, 
wohl aber die Kugeln hätten gefehlt; auch babe man einige todte 
Sperlinge auf dem Kampfplate gefunden u. dgl. m. bel ent: 
chuldigte fi wegen der ihm in der Hitze der Debatte entjchlüpften 
Aeußerung, gab Wallerftein eine Ehrenerklärung und reichte fofort 
feine Entlaffung ein, welche der König jedody nicht annahın. Abel 
batte feinen „Kain“ noch nicht gefunden; er follte ihm erſt fieben 
Sabre fpäter in der Geftalt eined weiblichen Dämons erfcheinen! 
- Der König erflärte nun dem Fürſten Wallerftern vor zwei Zeugen, 
daß er von dem ganzen Vorgange nicht? gewußt und Abel ohne 
feine Beiſtimmung gehandelt babe. Damit war es aber noch 
nicht zu Ende; an die Stelle der Piſtolen traten nun die Federn, 
welche geſchäftig offene Briefe, Ylugfchriften bis zum Efel ver: 
breiteten. Was mid, betrifft, fo ließ mich die ganze Duellgeichichte 
ziemlich Falt, und ich nahm auch bier, wie in allen mich nicht 
unmittelbar berührenden Tragen, feine Partei. Zog mich Die 
ſchroffe Haltung Abel's nie an, fo konnte mir noch weniger je 
die allbefannte Perfönlichkeit Wallerſtein's irgend eine Sympathie 
einflößen. Abel, arm und unbelannt, ſchwang fi nur durch fein 
Talent empor, lebte einfach und zurüdgezogen und benubte feine 
Macht weder um fi zu bereichern, noch fi einen Anhang zu 


32 


verichaffen. Auf offener Bahn, feften Sinne verfolgte er fein 
Ziel, fei es nun wirklich aus innerer Ueberzeugung, fei ed in ehr- 
geiziger Abſicht geſchehen. Ernſt und würdevoll, hatte er nur 
mühfam fein beftiged QTemperament befiegt und fi aus religiöfen 
Grundfägen wie durch Selbftbeherrihung eine ruhigere Haltung 
angeeignet. Don weldem Standpunkt man aber audy immer 
Abel's Wirkſamkeit beurtheilen mag, fie wird als eine ehrenvolle 
erfcheinen, und die Art feines Rüdtritts ein Lichtpunft in feinem 
öffentlichen Leben bleiben. Zum Töniglihen Gefandten in Turin 
ernannt, trat er fpäter freiwillig in den Ruheſtand und flarb vor 
nicht langer Zeit. 

Die Trauermonate Tießen mid) die lärmenden Freuden und 
öffentlichen Belufligungen meiden; doch ſah ih den fo überaus 
gelungenen Künftlermastenzug, welcher den Beſuch des Kaifers 
Mar in Nürnberg vorftellte. Das Ganze war ungemein finnreich 
angeordnet, und erhielt dadurch noch ein befonderes Intereſſe, daß 
der Künftler, welcher den Kaiſer fpielte, auffallend den Bildern 
diefed ritterlihen Fürſten glich. Auh A. Dürer nebft anderen 
Geftalten jener Epoche in Hiftorifch treuen Koftümen, ein Mummen: 
ſchanz u. dgl. m. waren vortrefflid dargeftellt. Wie in keiner 
Stadt halten die Künftler in Münden zufammen, vereinigen ſich 
oft zu beiteren oder den Geift anregenden Unterhaltungen, und. 
felten nur vergeht ein Faſching oder ein Maifeft, an dem nicht 
irgend ein kunſtvoll ausgedachtes Schaufpiel witige Laune oder 
geläuterten Geſchmack verriethe. 

Schon feit längerer Zeit war der Beſuch des Großherzogs 
Leopold von Baden in Münden befprochen worden; er fand 
nun wirflih in den erften Tagen des Mai's ftatt. Yür mid 
war e3 nicht nur eine große Freude, meinen Landesherrn da be- 
grüßen zu dürfen; die Begegnung der beiden Monarchen hatte 
auch eine politifche Bedeutung, man fah darin das Ende Tanger, 
unerquidlicher Zermwürfniffe, einen ffentlihen Beweis aufrichtig 





33 


erfolgter Ausföhnung. Der Großherzog fand in Bayern ebenfo 
wohl einen freundlichen Empfang, als der Tunftfinnige Fürſt fich 
von den ‚großartigen Schöpfungen des Königs lebhaft angezogen 
fühlte. Mit den berfömmlichen Hoffeften und dem unerläßlichen 
Seremoniel verband ſich die genaue Befihtigung aller Merfwürdig- 
feiten, und jede Stunde des adhttägigen Aufenthaltes war demnach 
‚im reichfien Maße auögefült. Ih Hatte die Ehre, dem Groß: 
berzog das diplomatifche Corps vorzuftellen, und folgte ihm auf 
der Rundfhau der Neubauten und Kunſtſchäthe, bei der — die 
willfommenfte Art, den Cyclus derfelben zu durchlaufen — bie 
berühmten Meifter zum heile felbit ihre Werke erflärten. Der 
Großherzog Tehrte Über Ingolftadt und Regensburg, wo er Feftungs- 
werte und Walhalla befah, nad) Karlsruhe zurüd, 


Die Königin Karoline, welche gewöhnlich einige Monate dag 
Schlößchen Biederftein im englifhen arten bewohnte, erhielt 
in jenem Frühjahre den Bejuch der Prinzeſſin Marie von Heffen, 
welche fo ganz unerwartet die Verlobte des ruſſiſchen Thronfolgers 
geworden war. Die Faiferlihe Braut, welche einige Jahre zuvor 
ihre Mutter verloren, follte ſich bei der Töniglichen Tante auf 
ihren Tünftigen, nicht leichten Beruf vorbereiten, und erhielt zugleich 
den erften Unterricht in der griechifchen Religion. Mit Theil: 
nahme vermeilten die Blide auf dieſer intereilanten, jugendlich 
graziöfen Erfcheinung, deren etwas ſchwärmeriſche Züge ein Bild 
Stieler's treu wiedergab. 


An einem ſchönen Maimorgen machte ſich eine kleine Geſell⸗ 
ſchaft von Herren und Damen auf den Weg und erreichte am 
Abende Füßen, von da begab fie ſich nad) dem über alle Beſchrei⸗ 
bung erhabenen, romantifhen Hohenſchwangau, mo der fürft: 
liche Burgherr die MWallfahrer buldreich bewirthete. Zu gleicher 
Zeit mit dem Kronprinzen verfügten wir und fodann nad dem 
nabe gelegenen Oberammergau, dort dem nur alle 10 Jahre 

Ich. v. Andlaw. en Tacebuch. L. 3 





34 


ftattfindenden Paffionsfpiele beimohnend.*) Auf dem reizenden 
Gebirgsweg, an dem herrlichen Ethal vorüber, kamen wir nad) 
Partenfirchen, und kehrten, vom fchönften Wetter begünftigt, voll 
freundlicher Eindrüde zurüd, 

An dem glänzenden Wafferfpiegel des weiten Starnberger 
See's erhebt ſich ein kleines gothiſches Schloß mit Thürmen, 
umringt von niedlichen Villen, die mächtige Benediktenwand und 
andere zackige Gebirgshäupter als Hintergrund. Es iſt Poſſen⸗ 
hofen, der Sommerſitz der herzoglich bayeriſchen Familie. Den 
Geburtstag ihrer königlichen Mutter zu feiern, hatte die Herzogin 
Louiſe dieſelbe eingeladen, einige Tage dort zuzubringen. Die 
Grafen Colloredo und Dönhof vermehrten mit mir die Zahl der 
gebetenen Gäſte. Während des ganzen Aufenthaltes ſtrömte der 
Regen unaufhörlich herab; Ausflüge waren ganz unmöglich geworden; 
um fo mehr belebten ſich die ſonſt fo ſtillen Räume des Schloſſes; 
e3 wurden Charaden vorgeitellt, es wurde gefpielt, getanzt, und 
die muntere Jugend des Haufe trug auch zur Erbeiterung bei. 
Mer hätte damals ahnen können, daß die eine der umberjpringenden 
Heinen Brinzeffinnen zwanzig Sabre nachher ald Raiferin von 
Defterreich den Winter auf Madeira zubringen, eine andere aber, 
noch nicht geborne Schwefter als Neapels heldenmüthige Königin 
in Gaëta die Augen einer bewundernden Welt auf fich ziehen 
würde? — 

Eine Erholungsreife entfernte mich nun über ſechs Wochen 
von Münden und gewährte mir dur Vorführung ftet3 wechſelnder 
Bilder eine ungemeine Befriedigung. Ich ſah hier Bayreuth, Hof, 
Leipzig — mir noch unbefannte Städte, und hatte das ungewohnte 
Vergnügen, auf einer längeren Eifenbahn nad Dresden zu fahren. 
Es geichieht oft, daß, betritt man einen Ort zum erften Mal, es 
und dünkt, ald wären wir fchon oft dageweſen. Die Brühl’fche 


*) Grinnerungsblätter ©. 237. 


35 


Terraffe war mir aus Bildern nicht fremd, und die herrlichen 
Gemälde in der Gallerie fahen mie liebe, alte Bekannte auf mich 
herab. Wie alle Fremde erbaute mic, der muſikaliſche Gottesdienft 
in der Hofkirche; ich durchftreifte den Zwinger, die Gärten, und 
am wenigften ſprach mich das alte unanjehnliche Theater an. Mein 
Weg führte mich durch die ſächſiſche Schweiz nah Böhmen, wo 
ih act frohe Tage auf dem Scloffe Königswart zubradhte. 
Fürft Metternich umgab fi da wie gewöhnlich mit Diplomaten 
aller Länder, und war das Leben auch nicht jo großartig, wie auf 
dem Johannisberge, fo entſchädigten dafür die näheren Beziehungen, 
in welche man zu den täglichen, weniger zahlreihen Gäften trat. 
Unter diefen nahm, außer der Gräfin Neffelrode, der geiftreiche 
Schriftfteller der vornehmen Welt, Fürſt Püller-Mustau, zu 
nächſt unfere Aufmerkſamkeit in Anſpruch. Er war mit feiner 
braunen, äthiopiſchen Adoptivtochter nah Marienbad gekommen, 
und batte in einem Schreiben an die Yürftin Melanie fi als 
„einen vollendeten Lazarus angekündigt, der troß Schmerzen, Yieber 
und Schwäche in einen ZTagreifen von Wien dort angelangt fei, 
und fi) durch die ihm gütig vermittelte vortreffliche Wohnung für 
Menſchen und Thiere befriedigt fühle” u. ſ. w. Seine gewohnten 
Manieren, die Sicherheit, das Selbftbewußtfein, mit dem er auf- 
trat, nahmen weniger für ihn ein, als das feflelude Geſpräch, dem 
er, gut gelaunt, immer eine pilante Wendung zu geben weiß. 
Später werde ich von den ganz eigenen Beziehungen ſprechen, in 
welche ich ihm felbit und mir unbewußt, zu ihm trat. 
Königswart Hatte fehr viel gewonnen; die ſchönen Park—⸗ 
anlagen ließen die unwirthliche Gegend vergeffen, und das Schloß 
ſelbſt, neu und geſchmackvoll hergerichtet, erhielt außer der Bibliothek 
und der bekannten Huffiichen Sammlung, auch noch eine weitere 
Zierde in der prachtvollen Kapelle, welche ein, von Gregor XVI. 
geſchenkter, reicher Altar, ſowie Glasgemälde ſchmücken. Endlich 
erhebt fich im Garten unter dunklen Tannen ein altes Eruzifir in 
3* 


36 





wild romantifher Umgebung, zu dem Pilger aus allen Theilen 
Böhmend wandern. 

Ueber Pilfen, an dem Schwarzenberg’ichen Schloffe Frauenberg 
vorüber, kam ich nah Budweiß, von wo die Pferdeeifenbahn 
bis zum Omundnerfee führt. Auf den Höhen, weldhe Böhmen 
von Oberöfterreich trennen, überraſcht ein entzüdendes Rundgemälde: 
die Salzburger und Steyerer Alpen bis zum Schneeberge, und die 
gefegneten Fluren des Donautbald. Ich folgte nun einer Ein: 
ladung der Großherzogin Sophie von Baden nad Iſchl. 
Sie brachte mit den Prinzeifinnen Alerandrine und Marie einige 
Wochen dort zu, um eine Bade: und Luftlur zu gebrauchen. Iſchl 
ift mit keinem anderen Kurort zu vergleichen; es ift nicht das 
Waſſer, dad Salz, die Luft, es find nicht die Molken, welche bier 
ausſchließend Krankheiten oder verftimmte Gemüther heilen; es 
verdankt feinen Ruf nur der Vereinigung all der feltenen Vorzüge, 
welche das reizende Thal in fo reihem Maße bietet. Mitten im 
diefer üppig⸗grünen Alpenwelt tritt uns in jedem ber herrlichen 
Thäler eine andere Natur-Schönheit überrafchend entgegen, Hier 
Mafferfäle, dort gigantische Felſenmaſſen, Hier ertönt des Hirten 
frifhe Stimme, dort erlaufht der Jäger die Gemje auf einfam 
fteilem Pfade. Jeder der 14 Seeen, welde fi) um den Schaaf: 
berg, wie ein Haldband von Smaragden, reiheri, bietet wieder einen 
eigenthümlichen Reiz, doch von allen Ausflügen zog mid) immer 
am meiften die Gofau an. Hat man auf der Bergftraße neben 
dem fhäumenden Waldbach das weite Thal erreicht, und biegt da 
um die Ede, fo tritt plötzlich ein pyramidenartiger Felſen hervor 
und von Minute zu Minute immer wieder ein anderer — es find 
die Donnerfogel, die, verfteinerten Rieſen gleich, wie eine Leib- 
wache bilden dem im Hintergrunde fi majeſtätiſch erhebenden 
Dachſtein mit feinem Gürtel von ewigem Eife. Terraſſenförmig 
erhebt fich die wilde Thalſchlucht mit den beiden Gofaufeeen bis 
zur Gletſcherwand. — Ein frohes, harmloſes, um die Welthändel 





37 


unbefiimmerte® Volk bewohnt das fchöne Salzlammergut; die Bes 
ſucher ſelbſt aber find größtentheild Oeſterreicher. Iſchl ift der 
Lieblingsſitz der Taiferlichen Familie geworden, und um fie fchaaren 
fit) der höhere Adel, mie die Beamtenwelt. In jenem Sommer 
nun bewohnte auch Marie Louife, die man ald Herzogin von 
Parma mit dem Titel der Majeftät begrüßte, eine Billa. Sie 
fam öfter mit der Großherzogin zufammen, die fidy überdieß mit 
einem freundlichen Zirkel gebildeter Herren und Damen umgab. 
Die Fürſtin Karoline v. Fürſtenberg mit ihrer immer gleich 
beiteren Laune, die Kurländifhen Prinzeffinnen fchloffen fi da an 
die Gräfin Fl. Wrbna an. Diefe liebenswürdige Frau hatte ſich 
als Wittwe in Iſchl angelauft, und ihr Haus — Palazetto ge: 
nannt — mit dem nur ihr eigenen Gefchmade eingerichtet. Cine 
nicht gewöhnliche Yreundichaft Hatte fie für'3 Leben mit der mehr 
männlich gelehrten, als im täglichen Umgange angenehmen Fürftin 
Therefe Jablonowska geſchloſſen. Bis in ihr höheres Alter erhielt 
die Gräfin Flore jene Frifche und Anmuth des Geiftes, welche fie 
fo beliebt, und zum Mittelpunft der außerlefenften Gefellfchaft 
machte. Sie ftarb 1857. 

Wie auf der Hinreife hatte die Großherzogin Sophie auch 
auf dem Rüuckwege einige Tage bei der Königin Karoline in 
Biederftein zugebracht. Zugleich war auch das neuvermählte 
H. Leuchtenbergifche Ehepaar in München eingetroffen, daher mieder- 
holt Diner3, Concerte und dgl. Später beliebte ſich danıı auch 
wieder Tegernfee, wo abermals das ruffifhe Element vorherrfchte. 
Doch fah man da auch den König von Sachſen, der die höchften 
Berge beitieg, und, rüftig wie immer, feine gewohnten botantichen 
Wanderungen fortfegte. Ein nicht minder willlommener Gaft war 
der Graf v. Chambord, der gerade feinen 20. Geburtstag — 
den 29. Sept. — in Xegernfee zubrachte. Ein ſchöner, blonder, 
junger Mann, mehr unterfebt als fchlant, nahm er durch fein an: 
ſpruchsloſes Erfcheinen ein. Seine natürlihe Ruhe und Einfachheit 


38 


ftand im entichiedenen Gegenfab zu den ihn ſtets umbraufenden 
politifhen Leidenfchaften und ſich vielfach durchkreuzenden Intriguen 
feiner Partei. Der freundlihe Ausdrud feines Geſichts entfprach 
auch feiner wohlwollenden Art und ich war immer der Anſicht, daß 
der junge Prinz ſich zur Uebernahme der ihm beitinmten Krone 
nur wie dem Gebote einer unausweichbaren Pflicht unterzogen 
hätte; fein wenig energifher Charakter Tieß ihm den Thron nicht 
wünfchenswerth, mehr als eine Laſt erfcheinen, und wohl nur un: 
gern gegen eime behaglidhe, unabhängige Stellung vertaufchen. 
Nicht fo dachten und denken feine Umgebungen und Anhänger, die 
in ihm immer den legitimen König verehren, und, wenn er gleich 
finderlod, doch von Feiner Ausföhnung mit den Orleans wiffen 
wollen. Auch in Münden, mo der Prinz mit Polignac zufammen 
traf, brachte’ er von feinen zahlreichen Verchrern gefeiert, eine Woche 


... zu. Ich befand mid) gerade zufällig bei dem Prinzen, ala er die 


überraſchende Nachricht von der Tandung Louis Napoleon’3 an der 
Küfte von Boulogne erhielt. Es mar nicht ohne Intereſſe, ihn, 
bei dem Erfolge eines fo unfinnigen Unternehmens nahe betheiligt, 
darüber fprechen zu hören, und als dritter Bewerber äußerte er 
fherzweife über diefen Kampf feiner beiden Gegner um die fran- 
zöfifche Krone: was mohl geichehen, wäre es dem kühnen Prätendenten 
gelungen, den gerade mit feiner Familie im Schloffe Eu, befindlichen 
Ludwig Philipp gefangen zu nehmen? Dod anders war e8 in den 
Beſchlüſſen der Vorſehung beftimmt und beinahe noch kläglicher, 
als der Straßburger, endete diefer Verſuch; vergebens bob fich ein 
gezähmter Adler in die Lüfte, und der junge Abenteuerer, der 
fein Leben nur der Großmuth des Königs verdanfte, hatte ſechs 
Jahre lang hinreichend Zeit über die Pläne einer glänzenden Zu: 
funft in Ham nachzudenken! 

Vielſeitig und verwickelt geftalteten ſich die politiſchen Ereig⸗ 
niſſe dieſes Jahres 1840, das auch zahlloſen Prophezeiungen zu 
Folge als ein verhängnißvolles in der Geſchichte erſcheinen ſollte. 


89 

Dody diefe gefpannten Erwartungen gingen nur zur Hälfte in 
Erfüllung; ein betäubender Kriegslärm hatte fi zwar über halb 
Europa verbreitet, Doch befchräntte fi das blutige Schaufpiel auf 
den Kampfplatz in Syrien, wo man feit Richard Löwenherz zum 
erftenmale wieder Oeſterreichs und Englands Fahnen gemeinschaftlich 
auf den Thürmen von St. Sean d'Acre wehen fah! Während 
Frankreich unter dem kleinen, beweglichen Tiers ſich zum allge: 
meinen Kriege rüjtete, man in Deuiſchland fih an: „fie follen ihn 
nicht haben“ Heiler fang, fchloffen die vier Großmächte ganz in 
der Stille einen Friedensvertrag in London ab, und die fchon halb 
gezüdten Schwerter Tehrten wieder in die Scheide zurüd. Das 
gedemüthigte Frankreich erhielt ein neues Minifterium — 29. DH. — 
und England wandte nun feine Kräfte dem aufrühreriihen Sanada, 
dem unrubigen Indien, der Opiumfehde in China u. dgl. zu. Die 
Königin hatte fih gber mit dem: Coburg'ſchen Prinzen Albert 
vermäblt, 

Wie in den zwei früheren Jahrhunderten bezeichnete audy in 
diefem die Zahl 40 einen Regentenwecfel in Preußen. König 
Triedrih Wilhelm II. farb den 1. Juni, und erwartungsvoll fah 
man den Beränderungen entgegen, welche die neu aufgehende Sonne 
bringen follte. 

Endlich führte von der fernen Feiſeninſel — dem großartigſten 
Grabeshügel — der Seefahrer Joinville die Ueberreſte Napoleons 
im Dezember nach dem Invalidendome von Paris. 


1841. 

Mit dieſem Jahre fand eine 10jährige Periode in der Politik 
ihren Abſchluß. Anfangs den Stürmen der Revolution preiöge: 
geben, wurde Europa zulegt mit dem Ausbruche eines allgemeitten 
Krieges bedroht — nun trat aber unverhofft, und zwar auf längere 
Zeit Ruhe ein. Ich fchrieb damals: „dad mühlam genug zu 
Stande gebrachte Flickwerk, womit man die Gewitter d. I. 1840 


40 





befhworen, fihert und einige Erholung nach fo langer Ungewiß—⸗ 
heit und allenthafben verbreiteten Wirren. Doc, ift diefe Heilung 
feine gründliche; der gegenwärtige Zuftand der Dinge beruht nicht 
auf einem natürlihen Gleichgewicht, nicht auf den eigentlichen 
Intereſſen der Yürften und Bölfer, er ſtützt ſich vielmehr auf Die 
Stärke der Heere, deren Gewicht verberblih auf die Finanzen aller 
Staaten drüdt, und ift zunächſt auf Perfönlichkeiten berechnet. Die 
zwei Sauptträger des Syſtems eines Triedend um jeden “Preis 
leben in Paris und in Wien. In einem Sabre (1773) ge 
boren, find fie vielleicht einft beftimmt, aud wieder 
zufammen in dDemfelben Jahre den Schauplaß ihrer poli- 
tifhen Thätigleit zu verlaſſen!“ — 

- Der geichloffene Friede war demnah mehr einem vorüber: 
gehenden Waffenftillftand zu vergleichen, dagegen nahmen. die foge- 
nannten materiellen Intereffen einen früher nie geahnten Aufſchwung. 
Ungeheure Summen wurden für Eiſenbahnen, Induſtrieanſtalten 
aller Art ausgegeben; das Banf-, das Actienwejen, und mit ihm 
der Börfenfchwindel gedieh zur vollen Blüthe. 

Die Gefelligkeit im Faſching 1841 drehte fi zumeifi um 
den Wunſch, die lebensfrohe Großfürftin Marte von Leuchtenberg 
zu unterhalten. Man war finnreih in Erfindung neuer Spiele 
und Tefte, welche mit jedem Tage mwechlelten. Bon den Hofzirkeln 
bis zu den Häufern des Adeld und den gejellichaftlichen Vereinen 
wetteiferte man in Einladungen und in Bereitung überrajchender 
Kunft und anderer Genüffe Die Kaifertochter, der Gegenftand 
bewundernder Huldigungen, war ungemein zart gebuut, von einer 
unglaublich feinen Xaille, welcher auch eine außgefuchte, reiche und 
geſchmackvolle Toilette entſprach. Ihr edles, marmorbleiches Geficht 
erinnerte im Profil ganz an die Züge ihres Vaters, und glich 
deßhalb auch den Porträten Katharina’3 II. Die Großfürftin war 
gut umgeben — die liebenswürdige Oberbofmeifterin v. Saharzewsky 
und der talentvolle Graf Wilhorsky waren in ihrer fteten Begleitung. 


41 


Der Herzog Mar von Leuchtenberg, militärifh erzogen, von 
mehr foldatifcher, als vornehmer Haltung, ſah fih in einen, feinen 
biöherigen Gewohnheiten und Neigungen fremden Kreis gezogen; 
er vertaufchte eine freie, angenehme Exiſtenz gegen eine zwar 
glängendere, doch immerhin abhängige Stellung, verließ das Land 
feiner Jugend, das er lieb gewonnen, für die kalte Mefidenz an 
der Newa, verkaufte feine herrlichen Befigungen in Italien, ent 
frenıdete fi immer mehr Bayern — um nad 12 Jahren einer 
aus Liebe gefchloffenen, mit Kindern gejegneten Ehe noch jung 
bruftfrant zu fterben. Sonderbares Gefchi der beiden Brüder, 
von denen jeder an den entgegenfehten Enden Europa’3 ein frühes 
Grab fand. / 

Auch die letzte unvermählte Schwefter des Herzogs, Prinzeffin 
Theodolinde, wurde im Februar dem Grafen Wilhelm von 
Württemberg angetraut. 

Die verwirrten griechiſchen Angelegenheiten brachten auch 
einen Abgefandten König Otto’3 nah Münden. Maurocordato, 
in Ausdrud und Farbe des Gefiht3 an feine Abkunft erinnernd, 
war ein gewandter Geichäftsmann, wohl einer der fühigiten der 
Hellenen, dabei angenehm im Umgange. Außer den Bundes: 
angelegenheiten mar eigentlich die griechifche Fraͤge zu jener Zeit 
für Bayern die einzige von politifcher Bedeutung; fie erhielt eine 
erhöhte MWichtigleit durch die fortwährenden Verlegenheiten, welche 
die Finanzlage dem jungen Reiche bereitete, ed gab da Konflikte 
mit den Großmächten, und nicht felten wurde auf Bayerns thätige 
und Mingende Nachhülfe gerechnet. Auch die junge Königin des 
Archipels erſchien und bewegte fih anmuthsvoll in der zierlichen 
Nationaltracht am Münchener Hofe. Sie traf hier mit dem Groß: 
herzog von Oldenburg und feiner noch immer fchönen Gemahlin 
Cãcilie zufammen. 

Eine Urlaubsreife, auf welcher ich einen Theil der Schweiz 
befuchte, ließ die fchmerzlichften Erinnerungen in mir zurüd, und 


42 
Ende Auguft war ih fhon wieder in München, um mit dem 
Grafen Colloredo eine Kleine Fußreife nad) Tyrol anzutreten. Wir 
durchftreiften dad Achen, das Aillerthal, befuchten die Durerferner 
und kehrten über dad liebliche Unterinnthal nad Tegernſee 
zurüd. Hier wurde nun die Königin Karoline von zahlreichen 
hohen Berwandten begrüßt. Es dien, als habe fie alle eine 
Ahnung des nahen peinlihen Verluſtes ergriffen, fo fehr drängten 
fi) Töchter, Nichten und Enfel um die erlauchte Frau, die, ihrer 
fihtbar zunehmenden Schwädjye ungeachtet, fi dennoch gerne der 
längft gewohnten Lebensweiſe im ſchönen Schloſſe erfreute. Selten 
war ein Jahr vergangen, in weldyem nicht eine oder mehrere ihrer 
Königlichen Töchter jene Freuden mit ihr tbeilte, — die vortrefi- 
lihe Königin Marie von Sachſen, die Erzherzogin Sophie mit 
den drei jungen Prinzen und der allerliebften Beinen Anna — 
dazu kam nun noch Elife, zum erſten Male ald Königin von 
Preußen. Auch die Großberzogin Sophie von Baden, die heſſiſchen 
Herrihaften blieben einige Tage. So ging, wie immer, unter 
lebhaften Treiben der letzte Aufenthalt der gaftfreien Königin in 
Zegernfee zu Ende, eine gleich dunfbare wie wehmüthige Erinnerung 
in dem Gemüthe der Zeugen fo genußreicher Tage zurüdlaffend! — 
Aber auch in München, feit Jahren ſchon mit hohen Gäften ange 
füllt, vermehrte ſich mit jedem Tage die Zahl der fürftlichen Befuche. 
Die Großfürftin hatte die Stadt verlaffen, dagegen waren außer 
den ſchon Genannten nun auch die beiden Großberzoginnen von 
Baden zulammen angelommen. Ich wurde daher während des 
Monat? Dftober beinahe täglih zur Töniglihen Tafel gebeten, 
an welcher jede der beiden Fürſtinnen abwechſelnd immer über den 
anderen Tag fpeifte. Dazu kam nod die Anweſenheit des Fürſten 
Metternich mit feiner Familie, und eines Abends vereinigte ein 
Salon im Gaſthof zum goldenen Hirfchen, wo fie wohnten, bie 
Sroßherzogin Sophie, Fürft und Fürftin Metternich und den fie 
befuchenden König Ludwig. Die Großherzogin Stephanie war im 


48 


bayerifchen Hof abgeftiegen, den fie längere Zeit wegen Linmohl: 
ſeins nicht verlaffen konnte. Ich ſah da in ihrem Salon den 
Bicomte d’Arlincourt, in feiner Eigenſchaft als fanatifcher Legitimiſt, 
tendenziöfer Romanfchriftfteller und eitler Schwäger doppelt und 
dreifach aufgeblajen und widerwärtig. Er erwähnt in feiner Art 
abiprechend und unwiſſend, wie immer, auch feiner Münchener 
Erlebniſſe im „Belerin“. 

In den erften Tagen November zog die Königin Raroline 
in die Stadt und gab ihre gewohnten Abendgefellichaften fort, bei 
welchen ſich nad) der Reihe Die hoben Beſuche verabfciedeten; nur 
die Königin von Preußen war geblieben, und den 11. der König 
felbit, fie abzuholen, angelommen. Sn der letzten Zeit hatten die 
Kräfte der Königin in beunruhigender Weife abgenommen und fie 
war mehrere Tage zu Bette geblieben. Dennod wurde zur Feier 
des Geburtötages der Älteren Zwillingsſchweſtern (18. November) 
eine größere Gefellichaft zum Thee geladen, Sie - erfchien jedoch) 
nur, um an dem Sterbbette der verehrten rau Inieend zu beten. 
Die Bönigliche Yamilie, mehrere Gefandte und der Hofitant waren 
die trauernden Zeugen biefer erhebenden Scene. Der Oberhof: 
prediger Schmidt batte die Königin noch kurz vorher zum Tode 
vorbereitet, fie felbft ihre berzoglichen Enkel gejegnet. Der feitliche 
Anzug der eingeladenen Säfte ftand im traurigen Kontrafte zu 
dem berzzerreißenden Auftritte, zu der laut fchluchzenden Umgebung. 
Die Köntgin entfchlief fanft gegen 11 Uhr, und ihr Tod ließ eine 
fühlbare Lücke in allen Schichten der Geſellſchaft zurüd. Sie 
wurde aufrichtig und tief nicht nur in den ihr näher ftehenden, 
fondern auch in meiteren Kreiſen bemeint, da ihr Wohlthätigkeits⸗ 
finn befannt und ihr Hang, Schönes und Gutes zu fördern, 
immer rege war. 

Schon einmal unterzog ich mich der peinlichen Aufgabe, von 
der Begräbnißfeierlichkeit zu fprechen,*) und kann auch hier wie dort 


*) Erinnerungsbl. S. 196. 


44 


nur wiederholt Die Ueberzeugung ausſprechen, daß die dabei ftatt- 
gefundenen Thatfachen nur auf unbegreiflicden Mißverftändnifien, 
wie dem Mangel einer vorgängigen Befprehung der Hofbehörde 
mit der ©eiftlichfeit, beruhen konnten. In diefem Sinne wenigftenz 
legte es der König aus, welcher einige Tage nachher den preußi- 
hen und fähfifchen Gefandten wie mich rufen ließ, um uns in 
entichiedenen Ausdrüden zu erflären, daß alle Vorgegangene gegen 
feinen Willen und Wiffen geichehen, und fo lange Er Her, ſich 
ſolche ärgerliche Auftritte nicht wiederholen würden. Die Königin 
Raroline fei ihm ſtets eine theuere Mutter geweſen, fie babe nie 
bei ihren Wohlthaten einen Unterfchied zmifchen Katholiken und 
Proteftanten gemacht, als Landesmutter alle Unterthanen gleich 
behandelt und bedacht, und er münfde, fügte er bei, daß man 
diefe feine Gefinnung allgemein erfahre. Mit diefer berubigenden 
Erklärung war die Suche zwar äußerlich abgethan; es gährte aber 
noch Tange in den Gemüthern, und das Stadtgeſpräch, von leiden- 
ſchaftlichen Erörterungen begleitet, nahm fein Ende. Die gerechte, 
dur fo gereiste Stimmung noch erhöhte Trauer machte den 
Winter von 


1842 


noch ftiller und unbebaglicher; ich brachte ihn daher meift nur in 
den vertrauten Kreifen näherer Belannten zu, und beſuchte außer 
dem Haufe Cetto auch häufig die Familie des fardiniichen Gefandten 
Pallavicini. Sein Haus war auf einem großartigen Fuße ein- 
gerichtet und gehörte in feiner Art, wenigſtens in Deutichland, zu 
den felteneren Erfcheinungen. Die Mutter ded Gefandten, deren 
Geburt in eine unvordenkliche Zeit fiel, leitete unumſchränkt den 
Haushalt wie die Einladungen. Der Sohn, die Enkel, vorzüglich 
aber die Schwiegertochter fügten ſich mit aufopfernder Gingebung 
in den eigenmädhtigen Willen wie in die Launen ber alten Dame, 
Sie war tet? von audgefuchten Aufmerkſamkeiten umgeben, und 





45 


da fie wenig fchlief, fo febte fie beinahe Tag und Nacht Alles in 
Bewegung. Auf ihren Wunfh wurde Mittags und Abends der 
Salon von Gäften nicht leer, und fortwährendes Spiel war dabei 
die Hauptunterhaltung. Die originelle Matrone fchrieb in einem 
nur ihr eigenen Style Morgenbillette und wußte auch ihrem Ge: 
fpräche immer eine komiſche Wendung zu geben; ein weiblicher 
Page, „getwärtig ihres Winkes“, befand ſich immer in ihrer Nähe. 
Einmal fprad ich ihr von der Schönheit und Tiebendwürdigen 
Grazie der Dia. d'Adda, morauf fie mir mit dem Ausdrude 
eines unbeſchreiblichen Selbſtbewußtſeins erwiderte: „6 Lomellino!“ 
als ob alle jene Vorzüge einer Frau, welche ihrer eigenen Familie 
angehörte, fi) von felbft verjtünden. Die Schwiegertochter mar 
vom Haufe Doria, und ihr wie Pallavicini’3 Benehmen gegen die 
alte Frau um fo fchöner, als diefe den großen Aufwand für die 
Saftfreiheit nicht beftritt. 

Ein anderer italienifher Diplomat, Migr. Biale-PBrela, 
Erzbiſchof von Earthago, wurde zum päpftlihen Nuntius ernannt 
und vereinigte alle Eigenfchaften, welche zu feinem Berufe gehörten: 
feinen Anftand, umfichtige Thätigkeit, fittlihe Haltung und bie 
volle Kraft der Weberzeugung, welche er, wenn glei in der 
gefälligiten Form, doc immer offen und rückſichtslos bekannte. 
Viale war in München geſchätzt und beliebt, mie er es verdiente; 
ih werde ihm, dem ich Jahre lang befreundet, wieder auf dem 
Schauplabe einer größeren Wirkfamfeit begegnen. 

Ein ungemein freudiged Ereigniß für die Lönigliche Familie 
war die Vermählung der Prinzeffin Adelgunde mit dem Erb: 
prinzen von Modena. Get 1833 hatte Feine Ähnliche Feier 
mehr in Münden flattgefunden. Die Verbindung mar in jeder 
Beziehung erwünſcht, und die Kurfürftin Leopoldine erfreute ſich 
vor Allen diefer Erneuerung der Tamilienbeziehungen. ‘Der Herzog: 
Vater und ein jüngerer Bruder begleiteten den fürftlichen Bräutigam 
nebft zahlreichem Gefolge. Die Trauung felbft wurde in fehr 


46 


feterliher Weife am 30. März in der Allerbeiligen-Hoflirdye durch 
den Erzbifchof v. Gebjattel vollzogen. Feſte folgten in gewohnter 
Weife. Die erlauchte Braut, von mehr angenehmen, als regel- 
mäßigen Geſichtszügen, mit einem fanften Blide, benahm fich mit 
grazidfer Würde und Takt und zeigte auch fpäter im Reichthum 
und Glück wie in den vielfachen Prüfungen während einer leider 
finderlofen Che den vollen Gehalt ihrer ſchätzenswerthen Eigen⸗ 
ſchaften. Zwanzig Jahre find mun feit jener Seit verfloffen, 
Franz IV. wie fein zweiter Sohn, nadı Turzer Ehe (1849), 
beimgegangen, und Franz V., der jebt vegierende Herzog, mit 
Adelgunde aus dem Lande feiner Väter durch ſchändlichen Verrath 
vertrieben, ift nun in Defterreidy, wo er einen freundliden Zufluchts- 
ort fand. 

Am Tage der großen Sonnenfinfternig begab ich mich über 
Erlangen und Bamberg nah Kiſſingen, wo mid nicht eine 
Badelur, wohl aber ein Kreid guter Bekannten acht Tage feithielt. 
Ich traf da Tettenborn, Blitterdorf, Dubois, Varnhagen, und 
befuchte Zedlitz, der täglih im Schweiße feines Angefichte einige 
Strophen feines „Waldfräulein“ Dichtete. Die Friſche der Verſe 
läßt nicht die ungünftigen Umftände ahnen, unter denen fie ent- 
ftanden. In der Trinfhalle wurde ich der Königin von Württem: 
berg vorgeftellt, und eined Morgen überrafchte und die Kunde 
von dem tragifchen Tode des Herzogs von Orleans in Pariß. 
Lebensweife wie die Umgebungen Kiſſingens ſprachen mich nur 
wenig an; der Ragozzi ift nicht gefelliger Natur; der Kurfaal 
war wenig beſucht, Pharao und Roulette wurden mäßig gefptelt, 
und die Vorftelungen im mittelmäßigen Theater Nachmittags 
4 Uhr Inden mehr zum Schlafe, als zur Unterhaltung ein. 
Freunde Kiffingens preifen die Gegend, welche mir einförmig er- 
ſchien; wohl erheben fih einige kahle Berge mit Burgruinen, aber 
träge fchleicht die Saale durch das nicht reizende Thal. Von da 
führte mi der Weg über das grün, beinahe idylliich gelegene 





47 


Meiningen nad Gotha mit feinen anzichenden Umgebungen; 
ich lernte die Naturſchönheiten des Thüringer Waldes Tennen und 
erreichte endlih Weimar, wo mid Merkwürdigkeiten aller Art 
wie werthe Freunde erwarteten. Diefe Stadt, von mwaldigen Höhen 
und herrlichen Anlagen umgeben, zehrt noch immer an ihrem alten 
Nuhme. Die Gegenwart vermag nicht gleihen Schritt zu halten 
mit den Erinnerungen an eine glänzende Zeit. Die großen Todten, 
deren Särge Weimar birgt, werden zu oft genannt, um nidht die 
Lebenden darüber zu vergeffen. Dennoch bleibt Weimar immer 
noch der Sit eines regen literarifchen und künſtleriſchen Strebeng, 
und im Schloffe fah ich mit Vergnügen — den Münchnern im 
Kleinen nachgebildet — nieblihe Fresken, hiſtoriſche Gegenftände 
vorftellend. Ich traf in Weimar, außer Plöb, auch Ap. v. Maltiz, 
den ich ſchon in München gefehen, wo er fi mit der Gräfin 
El. v. Bothmer vermählt hatte. Er ift num über 20 Jahre der 
Vertreter Rußlands am Hofe zu Weimar. Mehr als die Politik 
war aber ftet3 Dichten feine Leidenſchaft; er dichtete an den Ufern 
der eisbedeckten Newa wie in den Urmwäldern Brafiliend, er dichtete 
an den Heilquellen der Rheinlande wie auf den Höhen des Wiener 
Waldes, im Schatten der Propyläen zu München wie am Grabe 
Göthe's und Schillers. Maltiz ift eine gemüthliche, ächt deutſche 
Dichternatur, und es lohnt fi) daher immerhin der Mühe, zu 
erfahren, wie eigentlih ein vufliiher Diplomat Poeſie treibt. 
Sinngedidhte, Sonette, lyriſche und elegiſche Verſe find theils 
fentimental, theils humoriſtiſch gehalten. Der Wit dabei bleibt 
fih nicht immer gleich; er ift bald treffend, dann wieder gefucht 
und unverftändlich, doch meiſt harmlos; bei einer folhen Menge 
von Raketen verpuffen gar viele, ihre Wirkung verfehlend, während 
andere erleuchten und erfreuen. Maltiz wurde häufig mit einem 
anderen Schriftfteller gleichen Namens verwechfelt, mit dem er 
jedoch, ihm zum Ruhme, weder geiftig noch in irgend einer anderen 
Weiſe verwandt ift. 


48 


Nun war Berlin da3 Ziel meiner Reife. Die Eilenbahn 
führt in die flach gelegene Refidenz, ohne daß man ahnt, ſchon 
angelommen zu fein. Die Jahreszeit war für einen Aufenthalt 
die ungünftigfte, eine glühende Hitze Tag auf den verödeten Straßen, 
und die Borftelungen in den Theatern waren in dem Grade 
unbedeutend, als fie meift vor leeren Bänken abgefpielt wurden. 
Nur überrafchte mich das herrliche Opernhaus, das bald darauf 
abgebraunt, nun von dem neuen an pradhtvoller Delorirung noch 
weit übertroffen fein fol. Die Architeltur der Kirchen und dffent- 
lichen Gebäude läßt viel zu wünſchen übrig; doch als eifriger 
Touriſt ſchenkte ih mir pflichtgetreu Feine al der Merkwürdigkeiten 
und Gallerien. Sch beftieg fogar nicht ohne Anftrengung in dem 
beißen, tiefen Sande den Kreuzberg, welcher nach genauen Meffungen 
17 Fuß über der Meeresfläche Tiegen foll; ich überfah bier die ſich 
in troftlofer Gegend weit ansdehnende Stadt mit ihren wenigen, 
geihmadlofen Thürmen. Zwei Anfichten aber waren ed, die 
mid in Berlin wahrhaft überrafchten und feffelten. Es ift zunächſt 
der Meberblid, wenn man aus dem fchönen Thiergarten unter das 
majeltätifhe ‚Brandenburger Xhor tritt und daB Auge von da 
über die Linden und all die herrlichen Paläfte, Monumente und 
Statuen fchweift, ein Gemälde, — nur dem römifhen Forum zu 
vergleihen — deſſen Hintergrund das impofante Schloßgekäude 
bildet. Ein Schaufpiel anderer Art erfreute mih in Sansfouci: 
e3 läßt fi nichts Lieblicheres, nichts dur Wafler und Waldes: 
frifche Erquickenderes denten, als diefe wundervollen Anlagen und 
Inſeln mit den reizenden Königlichen Villen. 

Hof, Geſellſchaft, Künftler waren: auf Reifen oder in Bädern; 
nur von dem anmelenden Theil des diplomatifhen Corp — 
Meyendorf, Lerchenfeld, Weftmorland, Frankenberg — murde id) 
freundlicdy aufgenommen, und den Abend brachte ich gewöhnlich bei 
Brefion — Bariferplag — zu. Dieſer, ein großer, ſchöner Mann, 
ein gewandter Diplomat, galt für einen der Hauptträger der Politik 


49 

der Julidynaſtie. Er hatte die Heirath des Herzogs von Orleans 
eingeleitet, und fchon von einer glänzenden Zukunft geträumt, als 
feine Hoffnungen durch den unerwartet frühen Tod feines Gönner 
eine erfte, bittere Enttäufhung erfuhren. Breſſon's Haus in 
Berlin war eines der angenehmften, und er erft kurz zuvor mit 
einer jungen, hübſchen Frau aus einer mir befreundeten Familie 
vermählt. Später nad) Neapel ernannt, fand er ſich dort, weil 
er den Botichafterpojten in Madrid nicht erhalten Tonnte, fo jehr 
in feinem Ehrgeize verlegt, daß er fi in einem Augenblid von 
Geiſtesverwirrung den Tod gab. 


1842 gilt mit Recht als ein Feuerjahr; überall vernahm 
man von in Flammen ftehenden Ortichaften, von Walbbränden, 
Hamburg wurde von einer furdtbaren Feuerdbrunft heimgefucht, 
und felbit in Berlin fchredte mich beinahe jede Nacht das unheim⸗ 
lihe Tuten der Nachtwächter auf; endlih in Kiffingen brannte 
fogar das Strohdach der Eisgrube ab; zwei feindfelige Elemente 
famen fomit in nahe Berührung. 


MWiederholt und ſtets mit demfelben Vergnügen befuchte ich 
Dresden, wo id außer einigen Belannten auch die Fürftin M. 
Gortſchakoff fand, und eine huldvolle Einladung an das Tönigliche 
Hoflager nah Pillnig erhielt. Die wohlmollende Einfachheit 
der königlich ſächſiſchen Familie ift bekannt; ich fah da außer dem 
Majeftäten auch die Prinzeffinnen Augufte und Amalie. Ich 
hatte die Ehre, neben der Lebteren an der Tafel zu fihen, und 
das Gefpräh führte natürlich auf die Luſtſpiele dieſer fürftlichen 
Dichterin. Zufällig wurde an jenem Abend in Dresden eines 
derfelben, „Better Heinrich“, zum erfien Male gegeben, und als 
ich fie fragte: was fie bei folhen Vorftellungen empfinde? erwiederte 
fie mit der ihr eigenen Beſcheidenheit, daß das ausgezeichnete Spiel 
der Künftler wie die freundliche Nachſicht des Publitums fie der 
fonft fo begreifliden Sorge und Angft wegen des Erfolgs enthebe. 

Frh. v. Andlaw. Mein Tagtug. IL. 4 


50 


Ueber Annaberg und Karlsbad kehrte ich zu einem aber- 
maligen 14tägigen Befuhe nah Königswart zurüd; wieder 
diefelbe bewegte Lebensweiſe, wieder die immer glei große Zahl 
der Säfte, unter denen die Yürften Windifchgräb und Eſterhazy, 
die Lords Roden und Brabazon, Graf Flahault u. a. m. 

Bei meiner Rückkehr nah Münden erwarteten mich neue 
Tefte, Meilen und Zerftreuungen. Den 12. Dftober fand mit 
den üblichen Teierlichleiten die Vermählung. des Kronprinzen mit 
der Prinzeffin Marie von Preußen ftatt. Die Königliche Familie, 
die durchlauchtigſten Eltern der hohen Braut, die Minifter, die 
Gefandten, die Generalität und der Hofftant wohnten der Trauung 
in Galla bei. Die noch fehr junge Neuvermählte, Klein, aber 
grazidd, gefiel durch ihr beicheidenes Auftreten und ihre Tiebliche 
Erſcheinung. 

Für den 18. und 19. Oktober waren die deutſchen Geſandten 
vom König zu zwei großartigen Feſtlichkeiten nach Regensburg 
eingeladen; auch Prinz Wilhelm von Preußen und Gemahlin 
folgten dem Hofe dahin. Während am 18. das Jahre lang vor: 
bereitete Wert vollendet war und der wunderfchöne Bau der 
Walhalla endlih in der ergreifendften Weife eröffnet wurde, 
legte der König de anderen Tages, gleichfalls unter begeifternden 
Reden, den Grundftein zu der großartigen Galle, melde er dem 
deutfchen Kriegsruhme in den Befreiungsjahren bei Kelheim errichten 
laſſen wollte. Der König war dabei in der heiterften Laune, und 
das feltene Feſt wurde glüdlicher Weile von dem ſchönſten Herbſt⸗ 
wetter begünftigt; den folgenden Tag fuhren wir im tiefften Schnee 
nah München zurüd. 

So wie ich ſchon früher”) von diefen zwei denkwürdigen 
Tagen umftändlih geiprochen, fo muß ich auch einer Tpäteren 
Zeit vorbehalten, meine weiteren Anfichten und Bedenken über die 


| *) Erinnerungsbl. ©. 232 u. fig. 





51 


Ausführung wie den Zweck diefer Rieſenbauten in einem befonderen 
Auflage niederzulegen. 

Doch für mid mar die Reihe der Hoffefte noch nicht zu 
Ende. Anfangs Dezember fuhr ich dem Erbgroßherzog und dem 
Prinzen Friedrih von Baden nah Augsburg entgegen. Sie 
hielten fi auf ihrer Reiſe nad Wien — ihr erfter größerer 
Ausflug — 10 Tage in Münden auf, und die Oberften €. 
v. Roggenbach und v. Hinkeldey befanden fich in ihrem Gefolge. 
Die Prinzen, von der Föniglichen Familie auf's herzlichſte bewill⸗ 
kommt, Tießen einen ebenfe günftigen Eindrud zurüd, als fie fidh 
ſelbſt des vielen Sehenswerthen in Münden erfreuten. 

Der Beginn ded Jahres 


1843 


brachte wieder eine Ständeverfammlung, doch war es Fein Budget: 
Iandtag, daher weniger bewegt. Die Verhältniffe waren in den 
drei Jahren ungefähr diefelben geblieben; das Miniſterium Abel 
hatte ſich befeftigt, und in der zweiten Kammer, vom Grafen C. 
Seinsheim präfidirt, traten wieder die befannten Redner auf. Die 
Kammer der Reichsräthe leitete Fürſt ©. E. Leiningen, ein gut- 
gefinnter, wohlwollender Weltmann, der, allgemein beliebt, an den 
Tragen ded Tages lebhaften Antheil nahm. — An nicht geringe 
Beſorgniß wurden wir durch, die Nachricht von der Erkrankung 
des Prinzen Friedrich in Wien verfeht. Sie ging glüdlicher Weife 
ohne nachtheilige Folgen vorüber. 

Am Februar erhielt ich ganz unerwartet meine Abberufung 
von Münden und die Ernennung in gleiher Eigenfhaft zum 
großberzoglichen Minifter: Refidenten nah Parid. Doch meine 
Abreife verzögerte ſich durch die Rückkehr der Prinzen, welche id) 
in Münden erwarten wollte. Sie erihienen Anfangs Junt in 
Begleitung des Erzherzogs Stephan, welcher mit einem, an Die 
Kaiſerfamilie erinnernden Aeußeren Gewandtheit und Iebhaften Geift 

. 4* 


52 
7717 
verband. Der Erbgroßherzog aber, welcher in Jugendfriſche und 
einnehmendem Welen auftrat, wird mir immer unvergeßlich bleiben, 
und nichts Tieß ‚in dem jungen, an Körper und Seele gefunden, 
Ihönen Prinzen da3 traurige 2008 vorausfehen, welches die Vor⸗ 
fehung in ihrem unerforfchlihen Rathſchluſſe ihm bereiten ſollte! 
Noch erinnere ih mid, wie er, da von der Walhalla die Rebe 
war, in jugendlichem, edlen Selbitgefühle ausrief: „Sehen möchte 
ich fie wohl, aber würdig zu fein, einft in ihren Räumen aufge 
nommen zu werden, dieß wäre mein jehnlichfter Wunſch.“ Ich 
glaube mir erlauben zu dürfen, einen Brief, den der Prinz an 
mid) richtete, im Auszuge mitzutheilen. Er ift aus Wien vom 
22. Januar 1843 datirt — derjelbe Tag follte 15 Jahre nachher 
der letzte feines vielgeprüften Lebens fein! — Er ſchrieb: „Schon 
Vängft hätte ich Ihnen gerne von Herzen für Ihren Brief vom 
22. v. M. und das verſprochene Tagebuch über unferen Münchener 
Aufenthalt gedankt. Ich trage diefen Dank nun aufrichtig nad, 
fowie ih mich gerne in hr freundliches Andenken zurückrufe. 
Anfangs waren es Hundert Meine Abbaltungen, dann die traurige 
Krankheit meines guten Bruder, welche mi am Schreiben hin⸗ 
derten! Gott ſei Dank! heute geht es wieder befier mit ihm, aber 
die lebten drei bi3 vier Tage war e8 mir recht bange um fein 
liebes Leben; er bat nun beinahe aufgehört zu phantafiren, er 
fchläft befler, fein Puls fchlägt deutlicher und voller! Die Hoffnung 
zu feiner Rettung hatte ich nie verloren, und tritt Feine fchlimmere 
Kriſis ein, fo ift die größte Gefahr vorüber! Was mein Gerz bei 
allen feinen Leiden fühlt, können Sie ſich Leicht denken! und meine 
armen Eltern in der weiten Ferne dauern mid am meiften! Gier 
in Wien haben wir die freundlichfte Aufnahme von der Welt ge- 
funden: bei den Majeftäten, bei der Erzherzogin Sophie, dann bei 
den guten Metternich's, und endlih in der ganzen Gefellichaft ! 
Fürftin Melanie, welche ich wieder diefen Morgen geſprochen, grüßt 
fie herzlich; fte erinnert fi) gerne an die Zeit Ihres Hierſeins. — 


53 


Da ich leider mit meinem armen Kranken nit in Berührung 
kommen darf, fo habe ich unfere neue Wohnung im Lichtenfteinifchen 
Palais (Herrngaffe) beziehen müflen; ich ließ fie ganz ſchön ber- 
richten und meubliren. Wenn Sie Yürft Leiningen fehen, fo 
danken Sie ihm vielmal für feinen Brief, den ich nächſtens beant- 
worten werde. Nun, nochmals Dank für Ihre fo gütige Auf: 
merkſamkeit, und bitte nicht zu vergefien 
Ihren ganz ergebenen 
Louid von Baden.” 


Diefe einfach rührenden Zeilen mögen ald Beitrag zur 
Charakteriftif des zartfühlenden Prinzen gelten! 

Die Stunde der Abreiſe nabte heran, und der Abſchied von 
Münden fiel mir immer ſchwerer. In der That Hatte ich auch 
da — ich darf e8 wohl fagen — fünf der glüdlichiten und forgen- 
freieften Sabre meines Lebens zugebracht, und ebenfo, wie die Folge 
zeigte, ftet3 ein freundliches, inmer ungetrübtes Andenken im Kreife 
meiner Belannten zurüdgelaffen. In den angenehmften Dienftver: 
bältniffen, hinreichend beichäftigt, immer belehrend und unterhaltend 
zugleich angeregt, war id; in den Hofzirkeln, wie in der gefelligen 
und der Runftwelt mit Wohlmollen behandelt — nun erivartete 
mih ein Schauplab einer ausgedehnteren Wirkfamfeit, ich ging 
einer anderen Beitimmung entgegen! 

Ich traf in Karlsruhe gerade ein, als der König Ludwig, den 
Beſuch des Großherzogs erwiedernd, diefe Stadt verlaffen hatte, 
und nah Furzem Aufenthalte ſetzte ich meine Reife Ende Juni 
nah Frankreich fort. 


54 


Flfter Abſchnitt. 


— — — 


(1843 — 1846.) 


Inhalt: Paris. Weberfiht. Audienz bei Louis Philipp. Innere und 
äußere Politik. Tob Bernabotte’8. Skizzen aus dem diplomatiſchen 
Corps. Hohe Beſuche und berühmte Fremde. U, v. Humboldt u. U. 
Gefelligfeit. Salon bed Prinzen Paul von Württemberg. Roth: 
ſchild und Thorn. Die Familie Montldar. Der Faubourg St. Germain, 
SHhriftfteller und Künſtler. Sehenswürdigkeiten. Anbuftrieauß- 
ftellung. Ausflüge. Zwei Reifen nah England und Belgien. 
Aachen und ber Rhein. Königin Victoria, Meine Ubberufung 
von Paris und Krankheit. Politiſche Betrachtungen. Rückkehr nad 
Karlsruhe. Emennung nah Bien, 


Heer Zweibrücken, Met und Chalons gelangte ich nad 
Paris, fuhr wieder zu derfelten Barriere ein, bezog das gleiche 
Hotel, wie vor 13 Jahren, doch mit wie ganz anderen Gefühlen! 
Bald hatte ich eine bequeme, gut gelegene Wohnung in der Rue 
Zepelletier gefunden, und fühlte mich bald heimiſch. — Nie war 
mir Paris ruhiger erſchienen; der König in Neuilly, die Kammer: 
fatfon zu Ende; alles floh, Hitze und Staub meidend, dem 
Lande zu; die Boulevard3 waren verödet, die Theater wenig be- 
ſucht, nur die Champs-6lisees verriethen noch einiges lebhafte 
Treiben. Ich benützte diefe Zeit, mich umzufehen, folgte mit 
Intereſſe den vielfachen Veränderungen, welche fi mir mit jedem 
Schritte darftellten, und fammelte fo reichen Stoff zu Beobachtungen 
jeder Art. Dielen zu verarbeiten, tft jedoch nicht fo leicht; Hält 


55 


man fih an die zahlreichen Schilderungen diefer Weltitadt, fo tritt 
und ein verworrenes Bild aus den verfchiedenartigen Anſchauungen 
entgegen; überläßt man ſich ‚aber feinen eigenen Eindrüden, fo 
find Diejelben meift jo überwältigender Natur, daß die Auffaffung 
felten klar, nur allzu oft einfeitig wird. 

Ich babe es nun in den Erinnerungsblättern”) verjucht, 
in einer Reihe von Bildern feftzuhalten, was mir bejonderö be: 
merkenswerth erjchienen. Es berühren diejelben den König, wie 
feine Familie, die Stadt mit ihren Monumenten, die Staatsmänner, 
die Sammern und Alademien, die Sitten, die Gejellichaft wie das 
Volksleben. Wenn ich jedoch das Paris, wie ich es damals ge- 
funden und befehrieben, mit denn Gemälde vergleiche, welches Reifende 
und Zeitungen und heute davon entwerfen, jo finde ich mich darin 
faum mehr zuredt; eine tiefe Kluft, über die nicht einmal eine 
Brüde führt, trennt jene Epoche von der Jebtzeit! Fragt man nad 
früher fo befannten Straßen, fo find viele felbft den Namen nad 
verſchwunden; großartige Bauten, Anlagen der verfchiedenfien Art 
erheben fi auf den Ruinen ganzer Stadttheile, welche der Zer: 
ftörungsmwuth zum Opfer fielen. Sieht man fi nad) den früheren 
Leitern der Politik, nah berühmten Männern, Gelehrten und 
Künſtlern um; fie find verfchollen oder mindeſtens zurücgezogen. 
An die Stelle der Berfaflung mit ihren lebhaften Diskuffionen trat 
eine neue von ihr fo ganz verichiedene Geſetzgebung, fid, nur dem 
Willen eines Einzigen beugend. Die Richtung der been, der 
Gang der Geſchäfte, die Preſſe, die Sitten, ſelbſt der Geiſt der 
Gerichte, alles hat fich verändert, und die Anfichten, kaum ausge⸗ 
fprodden, gelten auch Ichon wieder für veraltet. Was ich daber 
auch den früheren Bemerkungen noch beifügen mag, kann nur 
einigen Anſpruch auf Werth in biftorifher Bedeutung machen; 
Anfnüpfungspunlte fehlen beinahe völlig in jeder Beziehung. 


*) Erinnerungsbl. S. 239 — 820. 





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Noch mar kein Monat vergangen, feit ich mich bei dem König 
von Bayern verabichiedet, ala ich auch ſchon vor Ludwig Philipp 
ftand. Er empfing mid allein in feinem Kabinet, war in Uni- 
form, und unterbrach meine Antrittörede mit der Verſicherung, 
wie er ſich der freundnachbarlichen Beziehungen zu meinem Hofe . 
freue, wie ihm aber auch mein Name befannt fei, ba die Mit 
glieder meiner in Frankreich lebenden Familie feine Sugendgefpielen 
geweſen; die Mutter der Frau von Genlis habe fidy in zweiter ° 
Ehe mit einem Herm v. Andlaw vermäßlt. Er ließ dabei durch⸗ 
bliden, wie unangenehm es ihn berühre, daß jene Familie fich von 
den Xuilerien fern halte, während er ‚fie doc fo oft im Palais 
royal geiehen u. ſ. w. — inige Tage nachher war ich in Neuilly 
zu Tiſche und wiederholte dann, wie es gebräudjlidy war, uneinge- 
laden meine Beſuche in den verſchiedenen Töniglichen Nefidenzen. 
Louis Philipp war an ſolchen Abenden immer von einer zubor: 
fommenden Höflichkeit, ſprach fi über Politik und die Tageser⸗ 
eigniffe aus, fcherzte, war ungemein heiter, und fung fogar eines 
Abends mir und einigen deutſchen Collegen ein deutiches Lied: 
„der Nachtwächter“ vor, welches er in der Schweiz gehört hatte. 
Ueberhaupt ſprach er gerne von feinen Reifeeindrüden und unter: 
hielt ſich mit Deutichen, Engländern und Stalienern in ihrer 
Mutterfprahe. Sein ungemwöhnlihe® Gedächtniß kam ihm dabei 
vortrefflich zu Hülfe, und er konnte fi) der geringfügigften Um⸗ 
ſtände erinnern. Nicht felten nahm er einen der Gäfte in ein 
Nebenzimmer, und es entipann fi da oft ein ftundenlanges Ge⸗ 
ſpräch, meift über politifche Gegenftände. Eines Abends — vor 


dem eriten Erinnerungstag des Todes feines älteften Sohnes — 


war ber König fehr wehmüthig geftimmt; ich begleitete ihn in den 
Garten, und da entwidelte er mir in langer Rede feine ganze 
Lage, den Wunſch, die ihm gewordene ſchwierige Lebensaufgabe 
befriedigend zu löfen; er Tam auf die Suliereigniffe, auf die be 
rübmte: „cruelle alternative‘ zurüd, „und nun,“ fügte er mit 


57 


von Thränen erjticter Stimme bei, „ift durch den plößlichen Tod 
des Herzogs von Orleand wieder alles in Frage geftellt; die großen 
Opfer, welche ich in meinem Alter durdy die Uebernahme der Krone 
gebracht, können möglichermweife meiner Familie nicht? nützen,“ und 
- wie von trüben Ahnungen erfüllt, ſah er im DVerluft eines viel: 
begabten Sohnes die Träftigfte Stütze brechen, auf welche er bei 
feinen Zufunftsplänen gebaut hatte. Gleich freundlich und leut⸗ 
felig, wie der König, war die ihm umgebende fchöne, einige, mit 
jeden Jahre ſich vergrößernde Familie. 

Außer den beinahe täglichen Empfangabenden, von denen die 
Namen der Befucher immer im Moniteur erfchienen, fanden auch 
von Zeit zu Zeit größere Feſte mit befonderen Einladungen ftatt. 
Bei den großen Hofbällen, auf denen fi 3 bis 4000 Berfonen 
in bunter Mifchung drängten und drüdten, fiel gar manche Tomifche, 
wie ärgerliche Scene vor — fo nahm einft ein Garde national 
einer Botjchafterin, die, vor Durft lechzend, nach einem Glas 
Limonade griff, diefed mit den Worten aus der Hand: „enfoncee, 
ma petite mere!“ Beliebter waren die Meinen Bälle in den 
elegant verzierten Gemächern des Herzogs von Nemourd. Den 
größten Reiz aber hatten die von Auber geleiteten, ausgezeichneten 
Hofconcerte, und dann die dramatifchen Vorftellungen, in den aller: 
hiebften Schloßtheatern der Tuilerien und St. Cloud's. Die drei 
Parifer Opern, das Theatre francais umd die befferen kleinen 
Bühnen führten Hier ihre gelungenften Stüde auf. Eine glänzende 
Zuhdrerſchaft erhöhte die Annehmlichkeit diefer genußreichen Abende. 
Nur eine diefer Vorftellungen mißlang. Der König hatte das 


Biftorifch gewordene Schaufpielhaus von Verfailles prachtvoll her⸗ 


fielen laſſen: Die Damen erfchienen im reichiten Schmud, die 


Herren in Galla, es war ein überrafhender Anbiid, nur die Wahl 


der Stüde verdunkelte diefen Glanz: ich nenne unter anderen nur 
den „dritten“ Alt der „Muette“ und den „vierten“ der „Favorite,“ 
um die verunglüdte Zufammenjtellung näher zu bezeichnen. 


⸗ 


An 


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Jeden Winter wurde das diplomatiiche Corps in Abtheilungen 
zur Hoftafel geladen. Außer vielen dabei gebetenen ausgezeichneten 
Fremden fiel mir einmal ein in feiner rothen Uniform eingezwängter 
Engländer mit feiner fteifen Haltung und beinahe lächerlich affek⸗ 
firten Manieren auf. Lady Cowley nannte mir ihn auf meine 
Frage als den Schriftiteller Disraëly; er hatte damals noch nicht 
wie fpäter, den Ruf eines genialen Staatsmanned, und die Bot- 
ſchafterin bemerkte von ihm mit einer Art von Geringſchätzung, daß 
ihr Mann den eingebildeten Nomanfchreiber nicht bei Hof vorge 
ſtellt habe. 

Hohe frenide Gäfte waren zu jener Zeit felten in den Tuilerien. 
Sie befchräntten ſich auf die nächften Verwandten, unter denen 
man den ebenjo Mugen als Teutjeligen König Leopold der Belgier 
immer am liebften ſah. An ihn fchloffen ſich die Herzogin v. Kent, 
die herzoglich Coburgiſchen Herrſchaften an, und ebenfo erſchien 
manchmal der Bruder der Königin Amalie, der lebensfrohe Salerno 
mit feiner Frau, deren fhmächtige, blonde Tochter Herzogin v. Aumale 
werden ſollte. Mehr als viele andere Beſuche zog die Königin 
Chriſtine von Spanien durd ihre Schickſale, wie ihren eigen- 
thämlichen Charakter die Aufmerkſamkeit auf fih. Sie, die fo 
verhängnigvoll auf die Zukunft Spanien? eingewirkt, lebte, nun 
felbft eine Verbannte, durch Intriguen aus der Nähe ihrer Tochter 
verdrängt, in Frankreich. Dennoch verlor die Heine, runde Frau 
nicht? von ihrem immer thätigen Muthe, jo wenig wie von ihrer 
beiteren Laune. Ste war in den Tuilerien oft und gerne ge 
ſehen, und vermittelte ſpäter bie Ehe ihrer zweiten Tochter mit 
Montpenfter. 


Die drei Jahre, welche ich in Paris verlebte, waren in 
politifcher Beziehung die Epoche eines durch Feinerlei außerordent- 
liche Borfälle getrübten Zuſtandes. Das Minifterium Soult⸗ 
Guizot Hatte ald Programm: „Friede nad Außen, Ruhe im 


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Innern!” aufgeftellt, und war demfelben 7 Jahre treu geblieben. 
Nicht nur Guizot, fondern aud der König ſprachen fich fortwährend 
und bei jedem Anlaffe in diefem Sinne aus, und betonten die 
Gefahren, weldyen Frankreich entgegen ginge, würde man die be 
tretene Bahn verlaffen. Es wurde den Welthändeln nur eine 
untergeordnete Bedeutung beigelegt; man fuchte vor allen die 
„Entente cordiale‘““ mit England aufrecht zu erhalten, ftand auf 
freundlihen Fuße mit den anderen Großmädten, und fand oder 
ſuchte Ruhm und Lorbeeren in Algier, Merico, oder im ftillen 
Deean. Mean fprad mehr von der Reine Pomar6 als von ber 
„Nationalitö Polonaise, “ mehr von dem Seeunterfuhungdrecte, 
als von der orientalifhen Frage; Deutſchland wie Italien waren 
beruhigt, und nur zeitweife tauchten wichtigere Unterbandlungen 
auf; jo Batte eine unerwartete Revolution in Athen den griehiichen 
Geſandten Colletti — der, ein geiftreicher, energiicher Mann, in 
Paris immer in feiner Nationaltradt erfchien — an die Spibe 
der Geſchäfte gebracht; fo war man unausgefebt mit den Wirren 
in der Schweiz beichäftigt, wo fidh die Parteien immer fchärfer 
entgegen traten, fich Freiſchaaren bildeten, die endlid zum „Sonder: 
bunde” führten. 

Die Königin Victoria hatte, die Freundſchaftsbande feiter zu 
Mmüpfen, fih zweimal nah Eu begeben, Louis Philipp den Beſuch 
in London ermwiedert. Zwei Todesfälle in den höheren Sphären 
brachten nur geringe Senfation hervor. Der Herzog von Angou⸗ 
löme, wie er fi im Leben felbft aus dem Gedächtniſſe der Zeit- 
genofien zu tilgen fuchte, war auch bald nad, feinem Ende ver: 
geffen. In Stodholm ſchloß der 80 jährige Bernadotte die 
Augen, und Dscar beſtieg unangefochten einen Thron, auf dem 
ein Südfrankreih entftammter Eorporal die Herricher einer alten 
Dynaftie verdrängt hatte. Wie in einem Lande, wo die Rückkehr 
zur Tatholifchen Kirche mit Todesſtrafe bedroht wurde, mie zumal 
bei dem Geifte des folgen ſchwediſchen Adels eine ſolche Der: 


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änderung im Beſitz der Krone vor ſich gehen, die neue Ordnung 
fih befeftigen Tonnte, blieb mir von jeher ein Räthſel, und. wird 
wohl auch in der Gefchichte eine nicht leicht zu erflärende Erfchei- 
nung bilden. Daß ein Volk, im Wahne, erträumte Verbefferungen 
zu erlangen, oder im Uebermaß von Leiden und Noth zum Aeußerſten 
getrieben, fi nach einem anderen Herrſcher fehnt, ift begreiflich, 
dag es felbft auf dem Wege der Empörung einen neuen König 
wählt, ſchon oft da geweſen; doch unerhört ift wohl, daß ſolche 
Wahl nit einen um das Land bochverdienten Kriegshelden oder 
Staatsmann, einen der Mächtigſten oder Beiten der eigenen Nation 
treffe. In Schweden wurde ein Prinz in zartem Alter, der Enkel 
eined feiner audgezeichnetften Könige, vom Thron ausgefchloffen 
und durch einen, wenn gleich Mugen und tapfern, doch immerhin 
dem Lande weder durdy Geburt oder Yamiltenverbindungen, noch 
durch Religion, Sitten und Sprache angehörigen fremden General 
erießt. Der rechtmäßige Kronerbe felbit, in feiner freien, unab- 
bängigen Stellung wohl glüdlicder, als im Befibe der Madıt, 
wurde Dadurch für Vorgänge verantwortlih gemacht, die ihm 
fremd waren, und fein ehrenwerther Charakter, feine vortrefflichen 
Eigenſchaften Liegen ihn in fiiler Würde ein fchreiendes Unrecht 


J ertragen, an dem er perſönlich keinerlei Schuld trägt. 


Die Vorwürfe, welche die Gegner der Regierung machten, 
‚durch ihre Schwäche und Friedensliebe Frankreich berabzumürdigen, 
in den Augen Europa’ zu demüthigen, dem Staate nicht die ihm 
vermöge feiner Macht und Größe gebührende Stellung zu ſichern, 
waren nur zum Theile begründet. Allerdings opferte Louis Philipp 
dem Wunfche, feiner Dynaftie die Krone, ſich felbft die gefammelten 
Schäbe zu erhalten, mandje höhere Rückſicht auf; er ift nicht von 
gewifjen egoiftifchen Beitrebungen frei zu fpredhen, war immer zu 
Eonceffionen geneigt, fpielte gerne die Rolle eines Vermittlers 
und erfaßte nur felten die Politik aus einem erhabeneren oder 
genialen Standpunkt. ber eingeengt zwifchen den Frankreich 


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drüdenden Verträgen und den Pflichten, welche ihm die Art feiner 
Erhebung auferlegte, hatte der König, wollte er feinem Schaufel: 
fofteme entfagen, nur zwei Auswege: er mußte entiveder offen 
einen Angriffötrieg beginnen, oder indgeheim die evolution in 
allen für den Aufruhr empfänglichen Staaten verbreiten. Die 
Vorgänge des Jahres 1840 hatten gezeigt, daß im erfteren Falle 
Frankreich alfobald fi ganz Europa in Waffen gegenüber ſtehen 
feben würde; die rothe Umfturzpartei aber fi zum Verbündeten 
zu machen, Brandfadeln nad Italien, Polen, Spanien, Irland, 
Ungarn u. f. m. zu werfen, war für den ängftlichen König ein 
viel zu gefährliches Unternehmen, und da er weder Eroberungen 
machen, noch jene Verträge gewaltſam zerreißen Eonnte, fo begnügte 
er fi) mit den beicheideneren Siegen in Algier und fernen Welt 
tbeilen, gab alle gewagten Verfuche auf und hielt eine in feinem 
Sinne zeitgemäße und kluge Politik ein, fowie es denn aud nicht 
diefe mar, welche zunächft feinen Sturz herbeiführte. — Mit der 
Erhaltung des Frieden? nach Außen verband fi) denn auch natur: 
gemäß das Streben, Frankreich den Grad von politiicher Freiheit, 
materiellen Wohlergebend und behagliher Ruhe zu verfchaffen, 
deren es nur immer fähig war. In der That entſprach auch der 
Erfolg diefen angeftrengten Bemühungen; man hörte von feinen 
Aufitänden; die lange Reihe von politifchen Mordanſchlägen ſchien 
. geichloffen, Handel und Gewerbe blühten wie nie zuvor, und den R 
Schlußſtein aller diefer erfreulihen Wahrnehmungen follte die forte . . 
mährende Entwidelung de Eonftitutionellen Syſtems bilden. Man 
wollte die zur Wahrheit gewordene Eharte immer mehr zum deal 
erheben, die Theorie von dem Gleichgewichte der Gewalten ver- 
wirklichen, einen Mufterftaat gründen. Dieß Ziel zu erreichen, 
legte man das größte Gewicht auf die Majorität in der Kammer 
der Deputirten; man war des immerwährenden Miniitermechfels 
müde, — feit 1830 waren fich deren nicht weniger ald zwanzig 
gefolgt; — entihied die Mehrheit der weißen Kugeln für die 


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Vorſchläge der Negierung, konnte ihr, fo wähnte man, Niemand 
etwas anhaben. Wie früber, zeigte ſich auch dießmal jene Anficht 
als eine trügeriſche; die Fiction, daß der ganze Schwerpunkt der 
inneren Politik in jener Kammermebrheit Liege, daß diefe der 
ununmundene, wahre Ausdrud der Gefinnungen und Wünſche 
des gefammten Landes fei, führte zu der Verblendung, andere 
Stimmen nicht hören, die Gewitterwolken nicht fehen zu wollen, 
welche ſich allmälig außerhalb der Wände des Palais Bourbon 
zufammenzogen, bis fie fi) endlich in demfelben entluden. Nicht 
die angebliche BVerfälihung der Berfafjung, welche Guizot von 
jeinen Feinden vorgeworfen wurde, war ed; es bewegte ſich das 
Minifterium vielmehr immer ftreng in den geſetzlichen Formen; 
es war jene Täufhung, in die es fich eingeiwiegt, es waren die 
Mittel, — Bitten, Drohungen, Beriprehen, Beitehungen — 
welche man nicht parte, wo es galt, einige Stimmen zu gewinnen, 
weßhalb die Gewalt den Händen entichlüpfte, ald man, von den 
Ereigniſſen überrafcht, zu ſchwach war, die Zügel wieder anzuziehen. 
Es zeigte fi) bei diefen Anlaffe wieder mehr als je, daß Die 
Staaten fih nicht nah Doktrinen regieren laſſen. 

Meine eigene Thätigfeit war im Laufe jener Zeit durch 
feine befonders wichtigen Tragen in Anfprudy genommen; fie be 
fhräntte fi) auf den Grenzverkehr, auf Paß-, Zoll: und andere 
dergleichen Angelegenheiten, und höchſtens veranlaßte hie und da 
die Bewegung in der Schweiz eine ernitere Beſprechung. Guizot 
ſelbſt fand ich ſtets zuvorkommend, in Geichäften Mar, in fonftigen 
Mittheilungen intereſſant. Den leidenſchaftlichen Angriffen, den 
gehäffigen Verdächtigungen, deren Gegenftand er 7 Sabre lang 
war, febte er eine ſtoiſche Ruhe, eine feltene Uneigennützigkeit ent: 
gegen. Seinem feiten, ehrenmwertben Charakter, feinem großen 
oratorifchen und Schriftftellertalente verfagten aud feine entfchiedenen 
Gegner eine volle, verdiente Anerkennung nicht. 

Je angenehmer meine Gefchäftsbeziehungen waren, um fo 








63 


unertwänfchter kam mir eine Miinifterveränderung in Karlsruhe: 
Her v. Blitterödorf hatte daB Bortefeuille an Herrn v. Duſch 
abgetreten und mar an deſſen Stelle wieder als Bundestagsgefandter 
nad Frankfurt zurüdgelehrt. 


Das diplomatifde Corps nahm von jeher eine eigen: 
tbümliche Stellung in Paris ein. Es bildete, wie in Heinen 
Nefidenzen, da weder den Kern der Gejellihaft, noch eine beiondere 
Cotterie. Die Mitglieder zeritreuten ſich daher nach allen Seiten, 
ſuchten Umgang nach eigener Wahl, und fanden fi zu vertrauten 
Beſprechungen mehr in Meinen Barifer Zirkeln, als unter fich 
zufammen. Die Botichafter, ohnehin ſchon durch ihren Rang 
abgefondert, hielten fi zurüd, und felbft die Gefandten größerer 
Staaten waren, bei der unaudgefehten Jagd nad Neuigkeiten, 
ſpaͤrſam in Wittbeilungen, vorfihtig in Weußerungen. In der 
Geſellſchaft felbft aber fragte man mehr nad den perfönlichen 
Borzügen, als dem Beglaubigungsfchreiben eines Diplomaten, und 
jeder wandte fih nun gerade dahin, mo ihn Neigung, Wunfd, 
fi zu belehren oder zu unterhalten, Familien⸗ oder andere Be 
ziebungen gerade führten. So kam &, daß zu jener Zeit das 
wohl gegen 100 Perſonen umfaffende Korps ſich nur bei feier 
lichen Anläffen volftändig verfammelte, und fich einige Mitglieder, 
faum mehr al3 dem Namen nach, Tannten. Beſonders waren die 
überfeeifchen Gefanbten, welche man fcherzweile nur „les Diplomates 
de l’autre monde‘ nannte, felten fihtbar. Zu dem Hofe ftand 
das Corps im freundlichiten Verkehr, und die erfte Dame, aud 
Freundin, der Königin, Mise. Dolomieu, ſah täglich einige 
diefer Herren bei ih. Br. v. Courbonne verfammelte in ihrem 
beicheidenen Entrefol, welches an den Salon Fuchs in Wien 
erinnerte, mehrere Diplomaten um eine Lampe; man Tonnte hier, 
freier als irgendwo, Anfichten wie Hof, Stadt: und politifche 


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Neuigkeiten austaufhen. — Mit mahrer Freude begrüßte ich 
wieder die Jiebendwürdige Yamilie Apponyi; im engeren Kreife 
wie in größeren Feften fand man fi da immer gleich behaglich; 
auch waren die Einladungen in dem Grade gefucht, als die Gefell: 
[haft gewählt. Diefem angenehmen Haufe zunächft ftanden jene 
des englifchen Botfchafterd und des Fürſten de Ligne Er 
vertrat Belgien in würdiger Weile, und fchadete ihm aud in ges 
wiffer Beziehung die Erinnerung an den berühmten Großvater, 
fo war er doch großer Herr im vollen Sinne des Wortes, freundlich 
und beliebt. ine glei willfommene Erſcheinung in der Gefell- 
haft war die Fürſtin, anmuthsvoll, gebildet, heiter wie fo viele 
Frauen ihres Baterlandes Polen, und mit Recht Tonnte ich ihr 
bemerfen, daß, wenn fie ihr ſchönes Schloß „bel oeil‘‘ beivohne, 
dieſes eber die vielfache Zahl annehmen follte. — Reſchid Paſcha 
war der zweite Türke, welcher mir durch feine forgfältige Er: 
ziehbung, Sprachfenntniffe und eine vornehme Haltung auffiel, 
Aber auch einen bekannten Dichter und politifchen Schriftfteller 
batten wir zum Kollegen — den Spanier Martinez de Ta 
Rofa. Als Staatdmann doctrinär, mit mehr Einbildungäfraft 
als Scharfblid begabt, galt er für einen angenehmen Gefellichafter, 
der gerne jeder Blume feine poetiihen Huldigungen darbrachte; es 
waren ihm wohl die Mufen holder, als die Politik, und feiner 
Feder entfloffen viel leichter Verſe, als diplomatiihe Noten. — 
Der ruſſiſche Botſchafter Graf Pahlen glänzte nur durd feine 
Abweſenheit; der jüngere Kifeleff, gewandt und überall gerne 
gefeben, vertrat feinen Hof, in oft fchwieriger Lage, mit Takt. 
Da ich im Cerele bei Hofe gewöhnlich neben ihm ftand, jo war 
ih oft Zeuge des Spieles fauerfüßer Tragen und Antworten 
ziotfchen dem König und dem ruffiihen Geſchäftsträger. Nicht 
ohne Einfluß aber war, doch in ungewöhnlicher Weile, ein weib⸗ 
liher Diplomat, die Yürftin Lieven, welde fi gleihfam durd 
die von ihr bewohnten Räume im Haufe Talleyrand’3 für 


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politifche Intrigen zu begeiftern ſchien. — Von den deutfchen 
Geſandten nenne ich den Grafen Arnim, der, tüchtig in Gefchäften, 
unvermäßlt, ſich nur damit begnügte, in dem prächtig eingerichteten 
preußiichen Geſandtſchaftshotel die beften Herrendiners zu geben. 
Geſelliger war der freundlihe Graf Lurburg, welder, unterftüßt 
von feiner Familie, ein viel und gern befuchted Haus machte, — 
endlich Drachenfels, mit dem ich fo lange in Wien unterbaltene 
Treundfchaftsbande wieder anfnüpftee In den politifchen Kreifen 
bewegte ſich damals ein myſteriöſes Weſen, da3 wir, feinem Auf: 
treten nach, ſcherzweiſe nur mit Rodin vergleihen — der Juif 
errant war gerade in der Mode —. Klindworth wurde bald 
bei den Gefandten gefehen, war dann wieder gefchäftig in den 
Salons und Bureaur der franzöfiihen Minifter, und feine fchöne 
Tochter immer an der Seite der Fr. v. Duchätel. Mit einer 
zwar beicheidenen, doch immer wichtigen Miene trieb er ſich mehr 
börend und beobachtend, al3 vorlaut umher, und einem Kameleon 
gleich wechſelte er die Yarbe nach allen Richtungen und Umftänden. 
Er mar immer wohl unterridtet in Neuigkeiten, gemandt in ber 
Teder, von den Einen geſucht, von Andern gemieden. Seine 
Wohnung ſelbſt gli einer Orakel verfündenden Höhle. Das 
Jahr 1848 lieh Klindworth verſchwinden, und es ift mir nicht 
befannt, daß er feither irgendwo wieder zum Vorſchein gekommen. 

Nicht minder machte fih ein andere Individuum, wenn 
gleich in verjchiedener Weife, mit den Diplomaten zu fchaffen, man 
konnte ihn gleihfam ihren Leibarzt nennen — Dr. Koreff. 
Seine außergewöhnliche, beinahe abſtoßende Häßlichfeit wurde durch 
einen lebhaften Geift und gründliches Wiſſen aufgewogen; unter: 
baltend, mwibig, galt er aud für einen der beften und glüdlichften 
Aerzte, verdarb jedoch feinen wohlerworbenen Ruf dur an 
Charlatanerie grenzende Verfuche und ganz unglaublide Schwinde- 
leien; bei feiner Geſchicklichkeit und oft ſtaunenswerthen Kuren 
hätte er Schäbe erwerben können, mährend fein nicht gervegelter 

Sch. v. Andlaw. Mein Tagebug. II. 5 


Haushalt ihm nicht felten Verlegenheiten bereitete. Bei aller 


Weltkenntniß und überaus reichen Erfahrungen vermochte dennoch 


Roreff, taktlos, feinen Urfprung nie zu verläugnen. 


Ein ganze Heer von Fremden aller Nationen ftrömte 
fortwährend Paris zu, und wenn auch aus diefer Maffe hie und 
da einige anziehende Perfdnlichkeiten auftauchten,: jo verloren ſich 
doch die meiften unbeadhtet in dem Gemwühle des Parifer Gefell- 
ſchaftslebens. Die Engländer bildeten die überwiegende Mehrzahl, 
- dann kamen, mehr aufgefucht, einige reiche vuffiihe Yamilien, endlich 
‚ Wurde man mit einem bisher ganz fremden Elemente näher be 
fannt — es waren die Häupter arabifher Stämme, die in 
ihren malerifhen Trachten und ihren feinen, ausdrucksvollen 
GSefihtern mitten in der fie umgebenden Civilifation weder ſcheu 
noch ungebildet erfchienen. Sie behielten immer ihren Gleihmuth, 
eine getwiffe ruhige Würde, und, der Gegenftand allfeitiger Auf: 

metkſamkeit, nahmen fie diefe Huldigungen ruhig Bin. 


- Bon deutfhen Fürſten fah ic den Erbgroßherzog von 
Sachſen-Weimar und den Herzog Mar in ‚Bayern, welde 
fih beide in gewohnter Weile für alles Sehenswerthe Iebhaft 
intereffirten, und das Zitterſpiel des Herzogs jah- fih von ben 
Höhen der Berge plötlih in elegante Boudoirs verſetzt. Auch 
die fürzlich vermählte Mise. v. Douglas, geborne Prinzeſſin 
Marie von Baden, beſuchte Paris, ging jedoch nicht zu Hof. 
Außer den Lords Aberdeen und Palmerſton erichienen zeitweiſe 
nody andere auswärtige Staatämänner, und unter ihnen Würft 
2. Dettingen:Wallerftein, welcher in befonderer Miffton die 
griechifchen Angelegenheiten beiprechen ſollte. Wan fand, daß ber 
ihm vorangegangene Ruf feinem Auftreten entſprach; die uner⸗ 
müdlihe Suada, feine weitläufigen, night immer ganz zuverläffigen 
Auseinanderſetzungen fanden nicht willig Gehör, und als der Fürſt 
dennoh fih in Paris feſtſetzte, felbft den feitherigen baberifchen 


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67 


Geſandten verdrängte, fühlte er ſich nicht behaglich und Tehrte bald, 
in feinen Erwartungen getäufcht, nah Münden zurüd. 
Zu den regelmäßigen Beſuchern von Parid gehörte Alerander . 
v. Humboldt. Ich konnte mich mit feiner Art nie recht ber 
freunden; aufgeblafen, ſelbſt oft mürriſch und unfreundli bei 
Solchen, die er unter ſich geftellt glaubte, war er von einer unans 
genehmen Zuvorfommenheit höheren Perſonen gegenüber. Ein 
Schriftfteller gab fi die Mühe, in Humboldt ſechs verfchiedene 
Raturen: drei gute, brei verwerfliche zu unterſcheiden. Es hätte 
eines jo großen Aufmandes von Scharffinn nicht beburft, um au | 
beweiſen, daß man nur ganz einfah den Gelehrten von dem | 
Menſchen trennen mäfle Don früheiter Jugend bis in's höchſte 
Greiſenalter war er der unermübliche Foricher, der eifrige Förderer 
der Naturwiffenihaften, der geniale Gelehrte, verdienſtvoll, wahr⸗ 
haft groß; ein tiefer Denker, ein bisher in feinem Buche nicht. 
übertroffener Schriftfteller, fteht er den ausgezeichneten Geiftern 
aller Zeiten würdig zur Seite. Faßt man dagegen den Eharalter, 
die Gefinnungsweiſe Humboldt’8 in’8 Auge, jo war es längft für 
die näher mit ihm Bekannten fein Geheimniß, daß hier, in 
fchneidendem Gegenfate zu jenen glänzenden Eigenfchaften, Schattens 
feiten bervorträten. Das Stillſchweigen des Grabes hätte vielleicht 
biefe Sebrechen für immer bedeckt, wären nicht bald nach Hums 
boldt’3 Tode feine vertraulichen Briefe an Varnhagen erichienen. 
Durch die unbegreiflide Indiscretion, mit der das überfluge, alte 
Fräulein Affing diefe feltfamen Mittheilungen dem ‘Drude über 
geben, hat fie ſowohl dem Brieffteller ala dem Empfänger dieſer 
Schreiben einen ſchlechten Dienft erwieſen. Varnhagen felbft, der 
doch gewiß nicht allzu delifat in ſolchen Dingen war, nennt eins 
‚mal den Inhalt jener Briefe „Impietäten“. Sie werfen ein 
trübes Licht auf die Denkungsart beider Gelehrten. Humboldt fagt 
darin offen, daß in der Welt Alles nur Rüge und Trug, und 
man nur innigen Freunden bie Wahrheit zu fagen ſchuldig fei. 
‚5° 


’ 


68 


Er machte ſich Über die Berühmtheiten feiner Zeit, über die Höfe, 
an denen er gelebt und die ihn vielfach ausgezeichnet, er machte 
fich über feine Bekannte, vor Allen aber über feinen Töniglichen 
Freund und Gönner luſtig. Er entſchädigte fi für den Zwang 
bes Hof: und gefelligen Lebens, da3 er doch, mie Keiner, auf: 
ſuchte, durch nicht zu bezeichnende Ausfälle auf jene, welche ihm 
nahe fanden, fchmeichelten oder ihn priefen. Wir fehen da den 
riehenden Höfling beftändig mit der Maske der BVerftellung, und 
hinter dem Rüden der Gefeierten verkehren ſich feine Lobes⸗ 
erhebungen in Spott und Verläumdung Wir bewundern den 


. * Gelehrten, bedauern aber den Menfhen, deifen immenfes Wiffen, 


nicht von höheren religiös-fittlichen Grundfäßen getragen, ihn nicht 
vor Abwegen fchüßte, denen fein großer Geift hätte fremd bleiben 
ſollen. Es ift unbegreiflih, wie ein Gemüth, erfüllt mit all den 
in fernen Welttheilen gefammelten Eindrüden, die unermeßlichen 
Reſultate ſeines Forſchens mit Haren Augen überfhauend und fie 
in fo meifterhaften Werfen niederlegend, noch Geſchmack finden 
konnte an eitlem Treiben, an Hofklatſch und aU den Meinlichen 
Rückſichten, mit denen ſich der tieffinnige, YOjährige Gelehrte 
umgab. 

Der in deutſcher und däniſcher Sprache dichtende Oehlen⸗ 
ſchläger brachte ein neues Drama nach Paris, das jedoch an 
Werth den früheren nicht gleichkam. Es fand ſich eine kleine 
Zahl von deutſchen Zuhörern bei Koreff ein, um der Leſung jenes 
Stückes, deſſen Namen mir entfallen, beizuwohnen; doch noch vor 
dem Schluſſe verſchwand ein Freund nach dem anderen. Der 
dicke, rothbackige Dichter konnte in ſeiner Eitelkeit eine ganze 
Wolke von Weihrauch ertragen, und nahm ſelbſt ironiſche Lob⸗ 
ſprüche mit ſichtbarem Wohlgefallen hin. 


Die ſo vielfach verzweigten geſelligen Beziehungen näher 
zu ſchildern, habe ich längſt aufgegeben; in ihren flüchtigen Nüancen 


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entichlüpfen fie gleichfam der Feder oft im Augenblicke, ald man 
fie zu erfaffen meint. Ton und Geift der Pariſer Gefellichaft 
im Allgemeinen aber zu bezeichnen, ift fehon deßhalb vollends 
unmöglid), weil er eben fein beitimmt ausgeprägter iſt und wie 
ein Prisma ſich in unzählige Schattirungen zerfplittert. Hier ift 
es die Prunkſucht, gleihfam eine Auäftelung von Lurusartifeln 
oder zierlichen Toiletten, dort eine mohlbefeßte Tafel, hohes Spiel, 
anderwärtd wieder find es Tanz oder Mufikfreuden, welche anziehen, 
Richt felten finden ſich jedoch in Paris vertrautere Kreife, in denen 
geiftoolle Geſpräche über wiſſenſchaftliche oder Kunftgegenftände, 
feine Scherze erheitern wie belehren. Freilich läuft dabei aud. 
manches alberne Wort, mandye Modethorheit mit, mie etwa jene _ 
naive Dame, die außrief: „il est incroyable, comme on se marie 
beaucoup cet hyver & Paris, surtout les hommes!‘‘ — oder jene 
andere, welche ein ihr zugeftelltes Telegramm nicht als ächt erfehnen 
wollte, weil es nicht von der Hand des Abſenders gejchrieben ſei 
u. |. w. Eine wahrhaft läderlihe Sitte war daB Tragen von 
Bouquetten auf Bällen. Eine Dame fuchte die andere in der 
Wahl feltener Blumen wie in dem Umfange des Straußes zu 
übertreffen. Die Summe, welche die fo fchnell welkenden Blüthen 
tofteten, hätte eine arme Familie oft wochenlang ernähren können; 
würde aber eine Modedame dephalb gewagt haben, den Tanzfaal 
mit leeren Händen zu betreten? — Meberdieß kamen dieſe Rieſen⸗ 
bouquette an Gewicht dem eines Kleinen Kindes bei; wollte man 
einer jungen Mutter zumutben, während eined Abends oder felbft 
auf Fürzere Zeit ihr Kind auf ſolche Weife umberzufchleppen, wie 
würde fie über Zwang und Ermüdung klagen? — 

Wie allenthalben, fuchte ih auch bier Anfangs den Kreis 
neuer Belanntfchaften fo eng als möglich zu ziehen, mählerifc im 
näberen Umgange zu fein. In Feiner Stadt mehr ald in Paris 
lernt man den Werth der Stunden erfennen, nirgends geht man 
bausbälterifcher mit der Zeit um. Ich befuchte daher zunächſt 


70 





ben Hof, die offizielle Welt, meine Kollegen, wie es meine Stellung 
mit fi brachte, und verzichtete Tieber auf frivolere Unterhaltungen 
an anderen Orten, um nicht die ohnehin jo fpärlich zugemefiene 
Spanne Zeit allzu fehr zu verfplittern. Die größeren einbeimifchen 
Adelsfamilien, die Männer der Börfe und einige reiche Fremde, 
welche ihres Geldes gerne los werden wollten, waren es dem 
vorzüglih, welche außerhalb jenen Regierungskreiſen die fchöne wie 
die Gelehrtens und Künftlerwelt verfammelten. Alle anderen Ber: 
einigungen nahmen mehr den Charakter von Eotterien an, welche 
fi dann wieder je nad; dem Grade der Bildung, Stand, Sitte, 
Sprache u. f. w. in unzählige Unterabtheilungen fchieden. 

Seit mehr ald 20 Jahren bewohnte Prinz Paul von Wärts 
temberg Paris. In morganatifher Ehe mit einer Spanierin, 
Wittwe eined Engländerd (Wittinghan), lebend, befuchte der Prinz 
nur felten den Hof oder größere Geſellſchaften. Er zog es vor, 
einige Belannte bei Tifche zu ſehen oder mit ihnen ben Abend, 
die Eigarre im Munde, vertraulich plaudernd, fpielend zuzubringen. 
Damen erfchtenen nicht oft, und der Prinz fand fih nur wmter 
Freunden in den mit allem Comfort eingerichteten Gemächern 
bebaglih. Schöne Gemälde aus der ſpaniſchen Schule ſchmückten 
die Wände. So entitand ein Salon, wie fih in Paris kein 
ähnlicher fand: Männer aller Parteien, aller Länder trafen da 
zufammen und, freundlich empfangen, ließ jeber, unbefümmert um 
die Meinung der andern, feinen Aeußerungen freien Lauf; der 
Ton war, wenn auch frei und ungezwungen, doch immer anftändig. 
Außer einigen Diplomaten ſah man da Berryer und Thiers, 
Martinez de la Rofa und Mignet, Nieumerkerfe und Durand de 
Mareuil, An, Demidoff und Ornano, Dr. Magendie und endlich 
den Hausherrn Baring, ber, Engländer, reih, Geldmann, daber 
in dieſer dreifachen Eigenſchaft dreifach engherzig mar; ein fort 
währendes nerodfes Zittern erhöhte nicht die Annehmlichkeit ſeiner 
Perfon. Graf Alexander Girardin und Berryer zählten zu ben 


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Legitimiſten dieſer Geſellſchaft. Erſterer, einſt Freund und Ober⸗ 
fügermeifter Karla X., war nicht ohne Geiſt, doch auffahrend, 
leidenſchaftlich, und verſuchte ſich auch in politiſchen Schriften. 
Ans feiner Ehe mit einer Frau, die, von anmuthigem Verſtande, 
einen jehr beliebten Eleinen Salon hielt, war Girardin kinderlos 
geblieben; dafür quäfte ihn durch's Leben ein Kind der Liebe von 
nicht gewöhnlichen Geiftesgaben. Nach Jahre langen Zerwürfnifſen 
zwang endlich der ungeratbene Sohn den eigenfinnigen Vater, ihm 
zu erlauben, den Namen de Girardin zu tragen, und fo wurde 
denn allmälig der Zleine Emil ein berühmter Mann, in allen 
politiſchen, literarifhen und Börſen⸗Ränken ungemein erfahren, 
Schriftſteller, Weltmann, ſchwang er fi bald zu einer Bedeutung 
empor, deren Höhepunkt noch nicht erreicht fein dürfte. Biel 
angenehmer als die nicht Jedermann zufagende Perfönlichleit Emils 
war Sophie Gap, feine erfte Gemahlin. Es war nicht Teicht 
möglih, dem Reize ihrer zierlihen Feder wie der geiftreichen 
Wendung ihrer Gedanten zu widerftehen. — Berryer, der glänzende 
Redner auf der Tribüne wie im Gerichtöfanle, war ein wohl⸗ 
wollender, immer gleidy heiterer Geſellſchafter, und feine lebhaften 
Erörterungen jelbft für Andersdenkende anziehend. Was aber 
diefen liebenswürdigen Greis noch achtenswerther macht, als fein 
unbeftritten großartiges Talent, das ift der Glaube an die Wahr: 
beit feiner Ueberzeugungen, die unter allen Umftänden feinem ide, 
feiner Fahne unerjchütterlid bewahrte Treue. Die Anerkennung 
dieler zumal in Frankreich fo feltenen Eigenſchaften fanden einen 
rührenden Ausdrud bei dem Feſte, welches alle Advokaten jeder 
GSefinnung ihrem gefeierten Altmeifter bei feinem 5Ojährigen 
Jubiläum gaben. | 

Im Gegenſatz zu Thiers erichien fein Iugendfreund und 
Mitarbeiter Mignet, fein gebildet, zurüdhaltend, mit einem Uns 
fluge von Ironie. Er hatte fi von allen politiichen Berührungen 
losgeſagt und, dem Archive vorftehend, diefe Stellung benüßt, 





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geſchätzte hiſtoriſche Werke zu fchreiben; ebenjo thätig wirkte er 
als Mitglied der Alademie. Sein Aeußeres ift einnchmend, die 
Haltung beinahe vornehm. 

Damals lebte die noch mit A. Demidoff vermäblte Prinzelfin 
Mathilde, Tochter des Exkönigs Jerome, in Paris und bejuchte 
oft den Bruder ihrer Mutter, den Prinzen Paul. Sie mar 
frahlend von Jugend und Schönheit, eine liebenswürdige rau, 
aber mehr noch verlieh ihrer glänzenden Ericheinung heitere Natür- 
Yichleit, fern von Gefallfucht, einen befonderen Reiz. Dean ſah 
fie da von ihrem jüngeren Bruder, dem Prinzen Napoleon Jerome, 
begleitet, welcher von Louis Philipp die Erlaubniß ausgewirkt 
batte, ſich zeitweile in Barid aufzuhalten. Bei dem eriten Anblide 
fiel der junge Mann durd die Aehnlichkeit mit feinem Taiferlichen 
Oheim auf; es war diefelbe gedrlingene Geftalt, derjelbe Ausdrud 
von Ernft in dem breiten Geſichte, diefelbe Haltung, wie fie und 
in den Porträten des erften Napoleon aus feiner fpäteren Epoche 
entgegentritt. Wer den Prinzen näher Tannte, rühmte feinen 
ſcharfen Verſtand, verbehlte fich aber nicht, daß diefer mit einem 
gewiffen kauſtiſchen Sinne gepaart war, welder, ſich wegwerfend 
über religiöfe und politifche Gegenſtände äußernd, an Cynismus 
grenzte. Bon all dieſem mar zu jener Zeit nur wenig zu fehen; 
der Prinz war fill, in fich gelehrt, Iachte nur felten, und verhielt 
ſich um fo ruhiger, als feine Vermögensverhältniffe eben nicht die 
glängendften waren. Trat er daher mehr beobachtend als rührig 
auf, fo mag überdieß der Ruf von Feigheit, welcher ihn damals 
fon, wie durch's ganze Leben, begleitete, ihm eine größere Bor: 
fiht im Benehmen auferlegt haben. 

Prinz Paul nun, der Mittelpuntt, um den fich diefe etwas 
bunt gemifchte Gefellfchaft drehte, war von einem eigenthümlichen 
Charakter. Es ließen fih auf ihn die Worte anmenden, welche 
Schiller feiner „Maria Stuart“ in den Mund legte. — Manche 
feiner Schwächen und Fehler kamen wohl auf Rechnung einer 


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ebenfo feltfamen Erziehung als ungewöhnlihen Stellung. Er 
gehörte jenen Naturen an, die, frondeur, ebenfo unzufrieden mit 
Allem, als fchadenfroh find. In beitändiger Oppofition, mit dem 
Wunſche, Alles nad) feinem Sinne einzurichten, war er doch wieder 
in feinem Haufe fo böflih, fo friedliebend, dag er es kaum über 
fich gewinnen konnte, einen Diener zurechtzuweiſen. Nur im 
Eigenfinn confequent, leiftete er in diefer Beziehung Unglaubliches, 
während die mit ihm näher Bekannten nur feine mwohlwollende, 
Freundlichleit zu rühmen und bei allen Eigenheiten feine befleren 
Seiten, die er felbft oft zu verbergen ſuchte, zu ſchätzen mußten. 
Lady Wittingham, nicht ohne Spuren früherer Schönheit, verließ 
den Prinzen nie und tbeilte fih mit ihm in die Zärtlichkeit für 
die einzige, forgfältig erzogene und überaus gebildete Tochter, — 
die Gräfin Pauline Helfenftein — welche fi! mit dem franzöftfchen 
Sefandten Monteſſuy vermähltee Der Prinz hielt auf ftrenge 
Ordnung im Haushalt: Schlag 6 Uhr wurde zu Tiſch gegangen, 
nie auf einen Gaſt gewartet; vor Mitternacht aber zog er fich 
immer zurüd. So verließ ich den Prinzen, dem ich, der Huld 
wegen, mit der er mich ftet3 behandelte, ein dankbares Andenken 
bewahre. Seine päteren Erlebniſſe entziehen ſich meiner Beobach⸗ 
tung; ich kann mid, daher nicht näher darüber äußern. 

Mit der Börfenwelt kam ih wenig in Berührung; es 
ſprach mich von jeher die mit mehr Oftentation als eigentlicher 
Annehmlichkeit verbundene Gaftfreundfchaft diefer Häufer nicht an. 
Doc James v. Rothichild, welcher ſich als öfterreichticher General: 
konful wie ein Anhängfel des diplomatifchen Corps betrachtete, ver: 
fendete täglich feine Einladungen nad) allen Seiten, und es drängten 
fi) Mittags und Abends die Equinagen in der Rue Lafitte vor 
dem herrlichen Hotel, daB mit mehr verſchwenderiſchem Lurus, als 
feinem Geſchmacke ausgefhmüdt war. Die Wände waren mit 
Delgemälden, Fresken, Gold und Verzierungen wahrhaft überladen, 
Bronce- und Marmorftatuen, Kunftwerle, Teppiche, Stidereien in 


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Fülle, alles vom Strahle der taufend Kerzen übergoffen. Die 
üppigften Diners, genußreiche, durch die beften italienifchen Stimmen 
gehobene Eoncerte, endlih Bälle von feenartiger Pracht erfreuten 
in reicher Abwechfelung die berbeiftrömenden Säfte, melde allen 
Ständen, beinahe allen Nationen angehörten. “Die innere Ein- 
richtung des Hotels felbft war, fagte man, nur von dem Balafte 
des reichen Hope übertroffen. Zeugen erklärten diefen für den 
glängendften in ganz Paris; ich ſah ihn nie Die Bälle bei 
Rothſchild wurden eigentlich im Namen der Eltern der Frau James 
gegeben. Baron Salomon, in feiner originellen Weiſe, zog fidh 
jedoh ſchon in fein Schlafgemach zurüd, ehe der lebte Wagen 
mit den Gäſten vorgefahren, und nicht felten erhielt er da Befuche 
von Damen der Geſellſchaft. Seine Ehehälfte unterzog fi der 
undankbaren Mühe, die Eintreffenden an der Thüre zu empfangen. 
Um fi vor Erfältung zu fchüben, bebedte fie ſich mit einem 
Hermelinmantel und begrüßte ſtumm bie fi ſtumm verneigenden 
Säfte. Am Tanzfanle dagegen machte die anmutbige Hausfrau — 
wohl die Perle der Familie — in einer Weile die Honneurs, 
um welche fie die Damen der älteften Adelsgeſchlechter hätten 
beneiden Tönnen. 

Unter den Fremden that fidh ein reicher Amerifaner zweifel⸗ 
haften Urfprungg — Thorn — hervor. Mehr als der Amphy⸗ 
thrion felbft, zog mich die Frau feines Sohnes, Therefe v. Leykam, 
an. Sie, die jüngere Schweiter der veritorbenen Yürftin Antoinette 
Metternih, war, wenn gleich weniger jchön und angenehm als 
diefe, dennoch beliebt, und mit dem ihrer Familie eigenen mufile> 
liſchen Sinne mußte fie den etwas fteifen Salon zu beleben. Liszt 
war von den gewöhnlichen Gäſten. Kine Tages führte mich 
Thorn durch die Prunkgemächer und bemerkte mit der befriedigten 
Miene eines reihen Smporfömmlings: „Jo suppose, que le 
prince Metternich verrait avec plaisir, que sa bellesoeur 
n’est pas trop mal établie.“ Die arme Xherefine, welche unter 


5 


jo eigenen Umfländen jene Ehe eingegangen, ſah ihren jungen 
Mann Iangfam dahin fierben und Lehrte mit ihren Kindern bei, 
wie man fagt, ziemlich mißlichen Berhältniffen in Begleitung der 
Schwiegereltern nad Amerika zurüd. Ihre weiteren Schickſale 
find mir unbefannt geblieben. 

Die Geſellſchaft der höheren Ariftofratie wird feit langer 
Zeit die des Faubourg St. Germain genannt, wenn gleich 
nicht alle alten Adeldfamilien diefe Vorfladt bewohnen. Seit der 
Aulirevolution 308 fi die Mehrzahl derfelden vom Hofe zurüd 
und eröffnete auch die Thore ihrer Hotels — entre cour et 
jardin — nur Verwandten und gleichgefinnten Freunden. Ich 
fam von allen diejen zunächſt nur mit der weitverzweigten Familie 
Andlaw in Berührung, welche in ihren, etwa aus 40 Perſonen 
beftehenden Mitgliedern beinahe wieder einen eigenen Geſellſchaftskreis 
im Kleinen bildete. Es gab da ſchöne, elegante Frauen, geifts 
reiche, verdiente Männer, und wenn fi Abends die zahlreiche, 
einige Bamilie um die 8Ojährige Gräfin Orglandess Andfaw ver: 
fammelte, fo glaubte man ſich bei den lebhaften Erzählungen jener 
jeltenen Frau in die Zeiten altfranzöfifger, gejelliger Sitte, eines 
feinen Geiſtes verfeßt. Sie, welche in Triano mit Marie Antois 
nette in Kleinen Opern geipielt, dann die Schreden der Revolution 
glücklich üderftanden, lebte nun, umgeben von liebenden Kindern, 
von zarten Enkeln, ihren reichen Erinnerungen. Sie feierte mit 
ihrem gleichfalls in hohem Alter verftorbenen Gatten die goldene 
Hochzeit. — In jemen Kreifen fand ich gar viele frühere Belannte 
wieder, zu denen ich auch den Grafen Ed. Lagrange zählen darf. 
Huch zwei alte 90 jährige Damen und zwei Greife, welche zwar 
nicht geborne Pariſer, doch unzertrennlich von der Gefellichaft 
erſchienen, ftarben beinahe zu gleicher Zeit. Lady Albourough 
und die Gräfin Burke fehlen der Tod vergeffen gu haben, denn 
fo ſehr gehörten beide in Tracht, Ton und Anfichten einer längft 
verfchiwundenen Zeit an; ihnen folgte bald der allbefannte ruffilche 


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Fürft Tuffiakin mit dem ihn ftetS begleitenden Torticolli, endlich 
Lord ...„ der feine alten Füße noch bis an’3 Ende in Bewegung 
jegte, an jeder Quadrille Theil nahm und um den fich die jüngften 
Damen riffen, weil er in feiner Jugend ein Lieblingätänzer Marie 
Antoinette’3 war. 

Bei einem der Galladinerd, welche Guizot oder MI. Sebaftiani 
gewöhnlih am 1. Mai veranftalteten, befand ich mich zur Seite 
eined berfulifch gebauten Mannes mit jchiwarzgelodten Haaren und 
einem mächtigen Barte. Seine Uniform, die über und über in 
Gold geftidt, und die breite Bruft fonnten faum die Menge von 
Orden aufnehmen, welche der ftämmige Mann zur Schau trug. 
Er war fo mit Prüfung des Speifezettel3 beſchäftigt, daß ich den 
Ton jeiner Stimme nit vernahm, und darauf beichränfte ſich 
denn auch unfere Belauntihaft. Der ftille, große Dann war 
aber, wie ich erfahren, Munoz, Herzog von Rianzares. 

Die Grafen Morny und Walewski aber, welche verwandt: 
fhaftlihe Bande halber fpäter zu fo hohen Würden gelangen 
folten, waren damals nur ala junge Lebemänner ohne irgend eine 
politifhe Bedeutung bekannt. 

Noch will idy zum Schluffe diefer Skizze einer Familie er- 
wähnen, welche ih früher nur menig gefannt und nun in Paris 
zu meinem Erftaunen beinahe täglich in den verichiedenften Salons 
traf — es war dieß die fürftlihe Tamilie v. Montlear. Die 
Fürftin, die Tochter jenes geifterfehenden Prinzen Karl von Sachſen 
und einer polniſchen Gräfin, war fchon in früher Jugend an den 
Prinzen von Savoyen-Carignan vermählt und dadurch die Mutter 
Karl Albert? geworden. As Wittwe hatte fie fih mit dem in 
den Fürftenftand erhobenen franzöfiihen Edelmann Montlsar ver: 
ebelicht, und von zahlreihen Kindern aus diefer Verbindung waren 
ihr nur ein Sohn, eine Tochter geblieben. Jahre lang hatte Diele 
Familie den Galizienberg bei Wien bewohnt, wo fie beinahe ber: 
metifch abgeichloflen, ebenfo wenig Beluche empfing, als fie felbft 


77 


nur felten ihr Gebiet verließ; viele Tafeln marnten den verirrten 
Wanderer, ſich ja nicht dem Schloffe zu naben. Nur in jedem 
Jahre, gewöhnlich einmal, erhielt die Fürftin den Beſuch ihrer 
Tochter, der Erzberzogin Rainer. Montlear felbft, ein ſchwäch⸗ 
licher, an einem Fuße gelähmter Mann, zeigte ſich bie und da in 
Wien, während man von feiner Tochter nur mußte, daß fie vor: 
trefflih ritt, als kühne Schwimmerin die Probe über die große 
Donau abgelegt, aber mit feinem Mädchen ihres Alterd in nähere 
Berührung kam. Ebenſo wenig fihtbar war der Sohn, welcher, 
wie es fich ſpäter zeigte, feine einfame Jugendzeit benüßte, bei 
nicht alltäglichen Tähigleiten gediegene Kenntniffe zu erwerben. 
Diefe Taum dem Namen nad in Wien bekannte Familie wer 
num plößlih in ein elegantes Hotel der Rue Montmartre zu 
Paris verfeßt und erwies ſich da ebenfo gefellig, als ſie früher 
für menſchenſcheu gegolten. Ste ſahen zwar, mit Ausnahme eines 
einzigen großen Balles, nur felten viele Leute bei fih, nahmen 
jedoch gerne Einladungen an. Die lebhafte, alte Dame mit ihren 
ſtark marfirten, einflige Schönheit verrathenden Gefichtözügen und 
dunklen, ftechenden Augen, war immer von ihrer Tochter begleitet, 
die, mehr ernit ala einnehmend, einen faſt männlich gebildeten Geift 
und felten Charakter zeigte. Wie fie, verläugnete auch die Mutter 
ihre Weberzeugungen nad) feiner Seite bin; beide wollten frei von 
jedem Vorurtheil erfcheinen und trugen offen ihre religidg-politifchen 
Anfihten zur Schau. Nachdem ich Paris verlaffen, hörte ich, 
daß fih in der Familie Zerwürfniffe erhoben, welche ſelbſt zu 
gerichtlichen Verhandlungen führten, und bald nad dem Ableben 
der Mutter auch die Tochter, noch jung und unvermählt, geftorben 
fei. Der Sohn Morik jedoch, feinen Studien und Neigungen 
lebend, folgte eigener Wahl und heirathete ein älteres Srauenzimmer 
aus bürgerlichem Stande, mit der er zurüdgezogen in Wien lebt. 








78 


Sol ih nun no von den Pariſer Gelehrten, Schrift: 
fRellern und Künftlern jener Zeit ſprechen? Ihre Zahl war 
Legion und Romanfchreiber mit Dichtern bildeten entichieden die 
Mehrheit. Sie zogen ſich nicht, wie in anderen Städten, ſcheu 
in ihre reife oder Studirftube zuräd; man Tonnte ihnen öfter in 
der vornehmen Welt begegnen. Es war mir immer von Sinterefie, 
mit in der Wiffenfchaft und Literatur bekannten Namen näher 
befannt zu werden; ich fuchte fie jedoch nicht ängſtlich auf, drängte 
mid nicht, wie Andere, an fie heran, und überließ es dem Zufall, 
mich in nähere Berührung mit ihnen zu bringen. Entiprechen 
ihre Werke nicht unferen Anfichten, fagen fie unferer Geſchmacks⸗ 
richtung miht zu, weßhalb fol uns eine mündlihe Unterredung 
mit dem und nicht Geiftesverwandien wüunſchenswerth ericheinen? 
Haben uns aber ihre Schriften unterhalten, erfreut, erhoben, über: 
zeugt, felbft begeiftert, fo wirkt, mie mich nur zu oft die Erfahrung 
belehrte, die perſönliche Bekanntichaft des Verfaſſers oft ftörend 
auf jene günftigen Eindrüde; er erfcheint jelten in dem Lichte, das 
mir und von ihm entworfen; unb enttäufcht wenden wir uns von 
ihm ab und lieber wieder feinem Buche zu. Aber wahrlich kann 
man berühmten Autoren eine Amvandlung von übler Laune nit 
verargen, fieht man das förmliche Treibjagen, welches Einheimiſche 
wie Fremde um bie Weite nad) den |. g. „Celebritäten“ anftellen. 
Mit Briefen und AZufendungen überbäuft, von Beiuchen beläftigt, 
werden fie audy noch um Hülfe und Rath angefprochen, um Auto: 
graphen gequält, in jeder WWetje gepeipigt. Es fallen ſolche halb: 
gelehrte Touriften mit Gier über jeden Schriftfieller her, um ihn 
außzubeuten, zu langweilen, und ed ift ihnen gang gleichgültig, 
welche Meinung ber Gefeierte non ihnen bat, wenn fie nur ers 
zählen ober ſchreiben Finnen: „wie er ſich räufpert, wie er fpuft“ 
u. f. w. Ein Berliner verfolgte Victor Hugo mit Bifitenkarten, 
und ald er endlich nach vielen vergeblihen Verſuchen in das 
Kabinet ded Dichterd trat, wurde er von ihm in Feiner eben fehr 


79 


freundlichen Weiſe empfangen; doch was Tag dem wißbeglerigen 
Manne daran, hatte er doch die Atmofphäre Hernani's und anderer 
Meifterwerke eingefogen! Auch das Andenken an die Todten ließ 
der Unermädliche nicht in Ruhe, er wollte durchaus daB Haus 
und in diefem dad Zimmer und darin wieder die Wanne ſehen, 
in weicher Markt ermordet wurde, und zu feinem großen Berdruffe 
fonnte er all dies nicht mehr finden! 

Meinem angedeuteten Vorſatze getreu mußte ich daher auf 
die Begegnung gar mander Schriftfteller verzichten, und ſah fo 
weder Ehatenubriand noch Bictor Hugo, traf nicht mit Balzac, 
Georges Sand, Al. Dumas u. U. zufammen. Salvındy uud 
Billemain, die beiden Bücher jchreibenden Miniſter, ſprachen 
mid nit an; der erfte, mehr aufgeblafen, als feine Berdienfte es 
erlaubten, der andere, bald einer Geiſteskrankheit anbeimfallend, 
die ihn fpäter wieder verließ. Jules Janin tft, bei allem Ber: 
flande, eine gemeine Natur; wie in jenem Aenßern, Yiegt auch in 
feinen Anfichten: nicht? Edles; die Schärfe feiner Kritik kleidet fich 
in einen geſchraubten Styl, in eine, Vielen kaum genießbare 
Form. Ihm gegenüber trat E. Sue ald ein wahrer Dandy auf. 
Sein eleganter Anzug, feine ruhige Haltung und eine gewiſſe 
Gemeffenbeit fiherten ihm Bürgerrechte in den feinften Kreifen. 
Auch feine mit dem raffinirteften Lurus ausgerüftete Wohnung 
verrieth ariſtokratiſche Gewohnheiten; all dies vornehme Treiben 
aber ftand im fchneidenden Kontrafte zu dem Schmerzensſchrei über 
das Elend des Volkes, welcger in allen feinen Werfen nachklingt; 
der Sybarit, welcher fo gerne die Foftbilligiten Genüfle und Aus- 
ſchweifungen jeder Art mit der vornehmen Welt, felbft mit dem _ 
demi monde theilte, fand nicht Seufzer, Thränen und - Ver 
wünfchungen genug, um das Loo8 der arbeitenden Klaffe zu 
beflagen und fie gegen die Höherſtehenden oder Befibenden aufzu⸗ 
reizen. Noch bis zur lebten Stunde, verbannt, fehte er feine 
troftlofen, focialiftifchen Lehren fort, und Glück wie Genuß als 








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des Lebens höchſtes Ziel anpreifend, raubte er in graufamem 
Spotte feinen Anhängern die Ausficht auf ein befleres Senfeits. 
In Geſellſchaft war E. Sue wortfarg; fill beobadhtend, ſammelte 
er da Stoff für feine Bücher, fog, wie es kam, Honig aus einer 
Blume oder Gift aus einem flüchtig hingeworfenen Worte. Nicht 
felten erichien fo, mas er Abends gehört, des anderen Tages in 
irgend einem Yeuilleton. Die junge, bübfche Yrau eines meiner 
Kollegen erzählte ihm einft, daß ſich unter ihren vielen Schweitern 
auch Zwillinge befänden, welche Rofa und Blanka getauft wurden. 
Wie erftaunte fie nun, ald in einem der nächſten Kapitel bie 
Zwillingsſchweſtern „Rose et Blanche‘ als Hauptperfonen im 
„ewigen Juden“ vorgeführt wurden! 

Der Heine, lebhafte Scribe mit dem großen, wie aus Holz 
geſchnitzten Kopfe bewegte fich gerne in heiterer Geſellſchaft, die er 
mit feinen geiftreihen Wiben erfreute. Er war der König unter 
den Vaudenilledichtern und von Vielen feined Glückes wegen beneidet. 
Jeder Zoll ein Franzoſe, nahm er es denn mit der Bearbeitung 
biftorifcher Stoffe nicht genau, und wie er eine feine Kenntniß der 
menſchlichen Leidenichaften und Parifer Zuftände zeigte, war er 
unmwiffend und abgefhmadt, wenn es galt, fremde Sitten oder 
Verhältniſſe zu fchildern. Mehr, als man ahnen konnte, haben er 
und in viel höherem Grade Beranger beigetragen, jene oberflädhe 
liche Bildung, jene frivole Grundfaglofigfeit und "weichliche Senti- 
mentität zu verbreiten, welche die Mittelllaffen ergriffen. 


Die Ausflüffe eines Tangen Friedenszuſtandes — Förderung 
und Pflege der fchönen Künfte und Aufſchwung der Induſtrie — 
traten allenthalben entichieden hervor. Aber inmitten dieſes vegen, 
unaufhaltfamen Strebens, welches den Beobachter fortwährend feflelte, 
war es noch eine Fülle von Schäten und Merkwürdigkeiten jeder 
Art, die zu überfehen der Pariſer ſelbſt, noch .‚iel weniger der 





— — — 


81 


Fremde im Stande war. Jede der fich rafch folgenden Regierungen 
bereicherte irgend eine Sammlung, verbefferte, begte mit Vorliebe 
irgend eine Anftalt, verfchönerte, ſchuf wo fie nur konnte. Louis 
Philipp wandte feine Kräfte vor allen Verfailles zu, Yieß andere 
Sclöffer, ließ Kirchen und Kapellen auf das herrlichſte wieder 
beritellen und eröffnete eine ganze Reihe von Sälen im Louvre, 
welche die Gemälde Ipanifcher Schule, ethnographiſche wie Raritäten: 
kabinette, das Marinemuſeum u. dgl. m. aufnahmen. Mit aner: 
kennenswerther Bereitwilligteit wurden alle diefe unter der Verwal⸗ 
tung der Civilliſte ftehenden Schlöffer und Gallerien gezeigt, und 
eine einfache Karte genügte in Fällen, wo in England ein be 
ſtimmtes Eintrittögeld bezahlt wird. — Um den Kreislauf biefer 
zahliofen Sehenswürdigkeiten befriedigend zu vollenden, dazu ift 
außer der gehörigen Mufe auch richtiges Verſtändniß, Kunftfinn 
erfoderih. Der Wunſch, fi mit Allem zugleich und gründlich 
befannt zu machen, verwirrt zuletzt nur die Begriffe, und fehlt 
die Zeit zu öfteren Beſuchen der Mufeen, fo wähle man fidh Tieber 
nur einige Säle, und in Diefen wieder nur ein paar Gemälde zu 
einer näheren Beſchauung aus. Die Mannigfaltigkeit entfchädigt 
jedod, für fo viele Anftrengung. Wenn dad Auge, ermüdet von 
der Farbenpracht der Bilder oder der feinen Goblins⸗Gewebe, auf 
den reigenden Anlagen. ded Jardin des plantes mit den feltenen 
Thieren ausruht, jo führt und dann bald wieder eine ftet3 viel- 
feitig angeregte Wißbegierde jenen reichen, wiſſenſchaftlichen Samm⸗ 
lungen, den berühmten Bibliothefen oder einer jener vielen An- 
ftalten zu, welche dem Wohle der Menfchheit wie der Heilung der 
Seele oder des Körpers gewidmet find. Hat man aus den Gerichtö- 
fälen eine Reihe tief erfchütternder Eindrüde fortgenommen, fo 
-erquicht wieder der Unblid der in frober Luft fih tummelnden 
Menge im bois de Boulogne oder. all den fchönen Gärten, welche 
Paris wie ein grüner Kranz umgeben. Hier erhebt uns die 
Mofeftät der alten Kirchen mit ihren ehrwürdigen Hallen oder die 
Sch. v. Andlaw. Wen Tagchuch. IL 6 


82 


bunte Pracht der neuerrichteten Gotteshäufer, dort ziehen Monu⸗ 
mente, Säulen, Statuen, raufchende Yontainen die Blide auf ſich; 
mit jedem Schritte tritt und irgend eine hiſtoriſche Erinnerung 
oder aus der Neuzeit ein Gewölbe voll der bedeutenditen Mode 
waaren, Geſchmeide, Broncen, Teppihen und jener allerliebften, 
entbebrlichen Kleinigkeiten entgegen, die unmwillfürlih zum Kaufe 
einladen. Das Wort „Flaniren“ fcheint fo recht eigentlih für 
Paris erfunden, und nirgends ift man auch mehr zu diefem harm⸗ 
loſen Gefchäfte berechtigt, al3 auf den Boulevarda; mit jeder Minute 
wechielt da die Scene, und immer kehrt man mit Erfahrungen 
bereihert nad Haufe zurüd. Die größte Anziehungskraft jedoch 
üben immer die Theater, eine unerfchöpflidhe Quelle von Genüffen, 
Beobachtungen und Vergleihungen der mannigfaltigften Art. Schon 
die drei Opern boten, jede in ihrer Weife, bejondere Reize. Während 
Meyerbeer die mit dem Ballete unzertrennlich verbundene große 
Oper lärmend, doch fiegreich beberrichte, erfreuten fich die Befucher 
der Opera comique an den lieblihen Melodien Auber's und 
an dem feinen Spiele mehr, als dem Gefange der Künſtler. Die 
Modemelt ftrömte den „„Bouffes‘‘ zu, — wie man die Staliener 
nannte — und noch war ed nicht der mächtigen Poſaune Verdi's 
gelungen, bie einjchmeichelnden Weifen Roſſini's oder den lyriſch 
zarten Bellini ganz zu verdrängen — und auf den zahlreichen 
anderen Bühnen vom Theatre francais an bis zu den befcheidenen 
„Funambules‘‘, weldye Verichiedenheit, welch fish ftetd erneuerndes 
Intereſſe knüpft fih nicht an diefe vom Lampenfcheine erbellten 
Bretter, „welche die Welt bedeuten!“ 

Die bildenden Künfte felbft waren glänzend vertreten, und 
ein Blick auf die Gemälde von Horace Vernet, Ary Schefer, 
Laroche, Lacroix u. U. zeigte zur Genüge den kühnen Schwung, 
welchen der in Farbe getauchte Pinfel genommen: Doch mußte 
man gewöhnlich diefe Meifterwerke in den Ateliers oder den Häufern 
reiher Kunitfreunde aufjuchen. Die tüchtigiten Maler weigerten 


83 





fich, die jährlich wiederlehrende große Ausftelung — den „Salon“ — 
zu beſchicken, und wohl nicht mit Unrecht, denn das Beſte wurde 
bier durch eine Maffe mittelmäßiger Bilder erbrüdt, und dennod 
war nichts häufiger, al3 die Klage der „Artistes imcompris“, 
deren unerreichten Werken man graufam den Eingang in die Kunft 
ballen verfagte. Bon den Bildhauern ragte eigentlih nur Pradier 
hervor. Nieuwerkerke, fo talentvoll er war, galt nur mehr als 
Dilettant, und ftellte damals gerade feine nach Holland beftimmte, 
fo gelungene Neiterftatue Wilhelm: von Dranien aus. Cine 
junge Dame, welche davon hörte, glaubte, es fei die Statue des 
Künftlers felbft und rief, als fie fie fab, aus: „Mais je ne la 
trouve pas du tout ressemblante!‘“‘ Auch Marochetti, mit deſſen 
Werten ich mich nie befreunden Tonnte, hatte ein Standbild des 
verunglüdten Herzogs von Drleans für den inneren Platz des 
Louvre vollendet — diefe ift nun natürlich längft daraus ver: 
ſchwunden. Das Wert fand heftigen Tadel und der Bildner, 
empfindlich darüber, nannte ed einen Diamant, deffen Werth man 
erit fpäter erfennen werde, worauf Jemand bemerkte: „En ce cas 
il faut convenir, que ce diamant est bien mal mont6l“ 
was ſich zugleich auch auf die zu Pferd fibende Figur bezog. 
Die Thätigkeit in den Fabriken kam nur der Erfindungdgabe 
der Arbeiter wie dem ausgefuhten Geihmade gleich, mit melchem 
bejonderd Modewaaren in Frankreich verfertigt wurden. Ich ſah nur 
eine der damals alle fünf Jahre ftattfindenden großen Induftrie- 
ausftellungen in Paris, — die von 1844 — doch ließ fie 
einen unauslöſchlichen Eindrud in mir zurüd. Wie bei Galerien, 
muß man aber auch bier den Beſuch wiederholen, immer nur - 
einzelne Gegenjtände prüfen, will man nicht ein Gefühl der Er⸗ 
müdung, eine Menge dad Gedächtniß vermwirrender Begriffe mit 
ſich fortnehmen. Es wirkt ein folcher Anblid felbft auf Kenner 
in einer die Sinne übermwältigenden Weile. Das Auge vermag 
nicht Alles zu überfchauen, und das Ohr, betäubt von dem Lärm 
6* 


84 


der Menge wie der fi) unharmonifch geltend machenden mufifalifchen 
Inſtrumente, läßt den forfchenden Geift, der fich fo viele neue Erſchei⸗ 
nungen gerne erflären möchte, nicht zur Ruhe kommen. Bei allen 
Vorzügen haben doch auch wieder diefe fo ehr gerühmten und 
beliebten Ausftellungen ihre Schattenfeiten; es wird bier zu viel 
dem blendenden Scheine gehuldigt, der äußeren Zierde oft die 
folide Arbeit geopfert, und nicht felten unterliegt das gediegene, 
aber anſpruchsloſe Verdienſt der Effekthaſcherei, unverſchämter 
Zudringlichkeit oder anderen Umwegen — daher zahlreiche Zer⸗ 
wüurfniſſe, Unzufriedenheit, Neid, Uebelſtände, welche die Vortheile 
mit dem Gefolge eines edlen Wetteiferd unter den Ausitellenden 
zum Theil wieder aufmiegen. Es wird da ein Ehrgeiz im Kleinen 
erwedt, eine Jagd nad) Medaillen und Auszeichnungen eröffnet, 
zu Ränken und Kiffen ermuntert, welche nicht immer dem eigent- 
lihen Zwecke biefer mwohlgemeinten Einrichtung entſprechen. Um 
die Ueberſicht zu erleichtern, auch beicheidenere Induſtrien nicht zu 
verdunfeln, follte die Ausdehnung folder „Exhibitions“ möglichft 
auf einzelne Länder oder Provinzen befhränft und dadurd leichter 
allen Anfprühen genügt werden. Bor dem Gedanken eier 
Londoner Weltausftellung aber ſchwindelt mir, und ich kann mir 
die Möglichkeit kaum denken, fi in dem riefigen Kryſtallpalaſte 
nur einigermaßen zurecht zu finden, diele Zoloffalen Räume mit 
allen denkbaren Erfindungen und überrafchenden Erzeugniflen des 
Gewerbfleißes befriedigt zu verlaffen. Wahrhaft unpafiend erfcheint 
mir aber die Vereinigung foldher induftriellen PBroduzirungen mit 
Kunftausftellungen; man bäuft da Gemälde und Sculpturen aus 
allen Ländern, felbft aus früheren Epochen; wo bleiben ba die 
Vergleichs⸗, ja nur die Anhaltspunkte? Wie bei'm Thurm zu 
Babel Verwirrung der Sprachen, tritt in diefem Chaos von nicht 
zu überfehenden Gegenftänden eine Eonfuflon in den Begriffen, in 
der Geſchmacksrichtung wie in ber Beurtheilung ein; aud ein 
nicht zu verkennender Fortſchritt mehr! 





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Die DVollöbeluftigungen am 1. Mai wie die dreitägigen 
öffentlichen Spiele und Felle Ende Juli fehten nicht nur ganz 
Paris in Bewegung, fie zogen auch eine Maſſe von Fremden 
herbei, und es ließ ſich gewiß nichts Großartigeres und zugleich 
finnreich und geſchmackvoll Georbneteres denfen, als diefes Flammen: 
heer von Gas⸗ oder farbigen Lampen, die wie Regenbogen ſchim⸗ 
mernden Tontainen, die MWettrennen der Nachen auf der Seine, 
die Aufführung militärifcher oder anderer Spektafelftüde, endlich 
dad glänzende Feuerwerk, welches mit dem Rieſenbouquet ſchloß. 
Mit jedem Jahre fleigerte fih in ſteter Abwechslung die Pracht 
diefer immer vom heiterfien Himmel überragten Feſte. 

Während meines Aufenthalts hatten einige deutiche Gefandten, 
Gelehrte und Aerzte einen Hülfeverein für die zahlreichen deutfchen 
Arbeiter und ihre Tamilien in Paris gegründet. Es freut mich 
immer, an dem Entſtehen wie an dem Gedeihen diefer ebenio 
nothwendigen als beilfamen Einrichtung Theil genommen zu haben. 
Dem Berein floflen reichlihe Gaben zu; Unterftüßungen durch 
Sammlungen, Concerte, großmüthige Beiträge, auch von deutfchen 
Fürften, fetten ihn bald in den Stand, für den bei jener Klaſſe 
fo ſehr vernadhläffigten Gottesdienft zu forgen, auf den Schul: 
unterricht verbeffernd einzuwirken, Kranke in Spitälern unterzu- 
bringen u. dgl. m. Wer das Elend kennt, welchem die armen 
deutfchen Einwanderer, mit der Sprache, den Sitten unbelamt, 
in ihren Erwartungen getäufcht, ohne Verdienft, oft entgegengehen, 
wie fie die Straßen von Paris mit Kindern hungernd und troftlos 
durchziehen, wird dem nocd immer aufblühenden, mohlthätigen 
Hülfsverein Theilnahme, vielleicht auch thätige Mitwirkung nicht 
verfagen. Auch der Ertrag eines Meinen Buches: „Parifer Bilder”, 
welches ich damals fhrieb und — das erfte — bei Cotta in 
Stuttgart druden ließ, floß der Vereinskaſſe zu. 





86 


Iſt in Parid von den nähften Umgebungen die Rede, 
fo gelten fie gewöhnlich für reizlos; doch ift jene Stadt hierin, 
wie in fo manchen anderen Dingen, befler als ihr Ruf; gibt es 
da auch nicht überrafchende Fernfichten, romantiſche Gebirgszüge, 
fo erquicken doch die iwaldigen Höhen von Meudon, mie das lieb: 
liche Thal von Montmorency und die berrlihen, üppig grünen 
Baumgruppen von St. Cloud und Neuilly fpiegeln fih in der 
Seine wider. Die Eifenbahnen haben nun auch Berfailles 
und Fontainebleau der Hauptftadt näher gerüdt, und es fällt 
ſchwer, zu enticheiden, welchem diefer Schlöffer der Vorzug gebühre. 
Beide enthalten der gefchichtlichen Erinnerungen in Fülle, beide find 
von großartigen Anlagen umgeben. Führt und ein majeftätifcher 
Bau, führen uns Prunkgemächer und Wafferfünfte mit den Zauber: 
gärten Trianons in die Zeiten Ludwigs XIV. zurüd, fo tritt uns 
aus jedem Saale in Sontainebleau das Bild oder die Schöpfung irgend 
eines franzöfifchen Gerricher3, von François I. bis Napoleon III, 
entgegen. Das wundervolle Jagdſchloß ift nad allen Seiten von 
einem unabjehbaren Walde umgeben; zahlreiches Wild durchzieh 
diefe Räume, und zwiſchen Riefenbäumen, die ihr Alter nad 
Jahrhunderten zählen, liegen in malerifhen Gruppen ungeheure, 
bizarr geformte Felablöde, welche, da fie nicht mit Gebirgen im 
Zufammenhang ftehen, den bimmelftürmenden Titanen entfallen zu 
fein fchienen. 

An jedem Jahre machte ich auch größere Ausflüge und ließ 
wiederholt die herrliche Normandie, die Touraine mit den Ufern 
der Loire nicht unbeſucht. Leider war es mir bei dem abgefürzten 
Aufenthalte in Paris nicht vergännt, auch noch die fchönere, ſüd⸗ 
liche Hälfte Frankreichs kennen zu lernen. Sch mußte mich daher 
auf eine zweimalige Reife nach Belgien befchränten, und ebenfo 
oft jchiffte ih nah England über. 

Es ift nicht leicht, dem Zauber zu mwiderflehen, welchen das 
fleine Belgien auf jedes für ſolche Eindrüde empfängliche Gemüth 


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ausübt. Nirgends finden fih, wie da auf einem befchränkten 
Raume fo viele merfwürdige Städte, und das flache, von Kanälen 
durchſchnittene Land zeigt — ein Bild der Ruhe und des Wohl: 
ſtandes — auf grünen Wiefen die weidenden Heerden; der Segen 
der Landwirtbichaft verbindet fi da mit dem Reichthume der 
Fabriken; Handel und Schifffahrt zur See wie auf den Flüſſen 
blühen und ein zufriedened, dem alten Glauben wie feinen poli- 
tiſchen Freiheiten ergebened, munteres, betriebjames Völkchen belebt 
dad fchöne Land. Das file Mecheln, ebenjo bekannt durch 
feine prachtvolle Cathedrale, wie durch das unter fleißigen Händen 
entftehende feine Spigengemwebe, bildet den Mittelpuntt des Eifen- 
babnneßes, von dem man in wenigen Stunden die anziehendften 
Orte erreichen kann: Brüffel mit großftädtifchem Anftrihe, Ant 
werpen, erfüllt mit den Erinnerungen an Rubens, das einft fo 
mädtige Gent, von dem Karl V. fagte: „qu’il metterait tout 
Paris dans son gand!“ Brügge mit feinen feltenen Kunft- 
ſchäten, dad vom Deean umſpielte Dftende, dann das gelehrte 
Löven, endlih Lüttich, feit Jahrhunderten befannt! Und alle 
diefe Städte, bededt mit Kirchen, wetteifend an Schönheit der 
Formen wie an Reichthum der Gemälde und Holzichnikarbeiten, 
ebenfo gut erhalten, als zum erhabenen Gottesdienfte würdig benützt. 

Mit diefem Ausfluge verband fi ein längerer Badeaufenthalt 
in Aachen; doch weder daB einförmige Leben in der Stadt Karls 
des Großen, noch die Schwefelfur fagten mir zu, und ich unter: 
brach fie gerne, um einige Wochen am Rheine zuzubringen. Wie 
vor 21 Jahren, traf ih auch wieder den Fürften Metternich, 
umgeben von Fürften und Diplomaten, auf dem Johannisberge. 
Das gewöhnliche Treiben in den Rheingegenden wurde noch durd) 
den Beſuch der Königin Victoria erhöht. Ich war Zeuge ihres 
erften Zufammentreffend mit dem König von Preußen, ſah die herr: 
liche, leider vom Wetter nicht begünftigte Beleuchtung in Köln und 
wohnte endlich dem großen Muſilfeſte bei, welches zur Beier ber 





88 





Einweihung des Standbildes Beethoven’d in Bonn ftattfand. 
Slänzend wurden die Töniglihen Gäfte auf Stolzenfeld und 
Schloß Brühl bemirthet. 

In Aachen aber Iebte ſtill in einem Gafthofe Jerome Napo- 
leon's ältefter Sohn; menſchenſcheu zog er fih zurüd, und am 
Tage des Einzugs der engliihen Königin verſchloß er Fenſter, 
Laden und Thüre; mit den Hausbewohnern wurde ich oft durdh 
die Zornausbrüche des Prinzen beunrubigt, deſſen Gehirnleiden 
zu der Krankheit führten, welcher er bald darauf unterlag. 

Bon Dieppe aus hatte ich mich fpäter einmal nach Brighton 
begeben und durdifireifte von da wieder mit erneutem Entzüden 
die Küften von Portsmouth und die Infel Whigt in ihrer vollen 
Runde Ein glüdliher Zufall wollte, da die in Osborne weilende 
Königin ein Geſchwader, das in den Gewäflern von Spithend Iag, 
befichtigen wollte — ein ergreifended Schaufpiel! Die Königin 
ber Meere, in Begleitung des Prinzen Albert und ihrer Kinder, 
hatte den eleganten Dampfer — Fairy — beitiegen, der pfeil 
fchnell über die ſtille Meeresfliche hinglitt; eine Menge von Zu⸗ 
fhauern umgab in zahllofen Barken jubelnd die königliche Yacht, 
und wie ſich diefe den mächtigen Kriegsfchiffen näherte, erblikten 
die Kanonen unter weit bin fchallendem Donner, ertönte der 
Matrojen begeifterted Hurrah! 

Nun nahm uns ein gigantifhes Dampffhiff mit einer 
Maſchine von der Kraft mehrerer hundert Pferde auf. Die Nacht 
war ftürmifh und bei Tagedanbruch ftieg im Nebel die Inſel 
Buernfey aus dem Meere, fie erhebt fi mit ſchönen Gebäuden 
terraffenförmig; wir landeten nit. Gegen Mittag kam die Inſel 
Jerſey in Sit; fie ift rings von flarrenden Klippen, zum Theil 
von, wie Nadeln ſich erhebenden, fpiken Felfen umgeben und nicht 
jelten find Schiffbrüche an diefen unmwirtblichen, durch heftige 
Stürme oft durdtobten Küften. Stolz und düfter erhebt fih auf 
unnabbaren Felſen das alte, feite Schloß „Montorgeuil“. Die 


89 





Heine Stadt St. Helier ift unbedeutend, hat aber doch eine Statue 
Karls II. und fogar ein Theater, dad wir befuchten. Sit das 
englifche Luſtſpiel ſchon in London für Fremde kaum genießbar, 
fo war vollends die Vorſtellung von Shakeſpeare's „Taming“ auf 
dieſer Provingbühne fo erbärmlich, daß felbit dem Dubend nach⸗ 
fihtiger Zuhörer die Geduld verging; welche Studien für einen 
Hogarth'ſchen Pinfel! — An der Mitte der Juſel erhebt fi ein 
alter Thurm, — Princes-⸗Tower — über und über mit dem 
faftigften Epheu bededt; von da überfieht man die zwölf Ort- 
haften der Infel mit ihren ſpitzen Thürmen, und in blauer ferne 
zeigt fich, wie ein Streifen, die franzöfiiche Küfte mit der Cathedrale 
von Coutances; fo weit das Auge reicht, ift dad Meer mit Riffen 
und Meinen %eljeninfeln wie beſäet. — Die Kanalinfeln zogen 
mich auch deßhalb an, weil fie, wenig befannt, felten befucht, einige 
Eigenthümlichkeiten bieten. So find fie nicht dem brittifchen Reiche 
einverleibt, beichiden nicht das Parlament, haben eine eigene Geſetz⸗ 
gebung, Verwaltung, befondere Münze und Gerichtöhöfe, bei denen 
franzöfifh pladirt wird — dem Nationalitätäprinzipe gemäß ge 
hörten fie demnach mehr Frankreich an, während fie den verbannten 
Republilanern nun zum Aſyle dienen. 

Se es abſichtlich, fei es wirflih aus Verſehen geſchehen, die 
Ankunft des Dampfichiffes, welches und zur Abfahrt aufnehmen 
follte, wurde im Gafthofe nicht angezeigt, und wollten wir nicht 
noch zwei weitere Tage auf Jerſey vermweilen, jo mußten wir un 
nad einem anderen Fahrzeuge umfehen. Es wurde ein Tleines 
Fifcherboot mit Segel gemiethet, und ein frifcher, günftiger Wind 
ließ uns hoffen, unfer Ziel in einigen Stunden zu erreichen. Die 
Fahrt war heiter, aus der dunkelblauen See tauchten große Fiſche 
auf, und ſchon naheten wir und dem furdhtbaren Mont St. Michel 
mit der in die Lüfte ragenden Feſte, ald auch die Nacht herein- 
brach, weil ploͤtzliche Windftille und aufgehalten, nad glücklich, 
aber mühſam umſchifften Klippen erreichten wir erft nad Mitter 


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nacht den Hafen von Grandville, wo wir, durchnäßt und gelang- 
weilt, auszuruben hofften. Doch anderd war e8 in dem Sinne 
der Douane befchloffen, und die Hüter des Hafens legten Die 
Slinten auf und an, al wir Miene machten, unjeren leeren 
Rachen zu verlafien. So bradten wir eine regnerifhe Nacht im 
Freien ziemlich unbequem auf Segel und Thauwerk zu, bid man 
am hellen Morgen unfere Päffe und Gepäde in Empfang nahm 
und wir die Bretagne von ihrer finiteriten Seite kennen lernen 
fonnten. Nun ging es nad Caen, aber auch hier, ald wir von 
der Somme in den Calvados fahren mollten, empfing und ein jo 
furchtbarer Orkan, daß die Hälfte der Neifenden, um das Schiff 
im Gleichgewicht zu erhalten, die Maften und GSegelitride herab⸗ 
ziehen mußte. Die Wellen fchlugen über Bord und die Mehr: 
zahl der, meift feefranten, PBaflagiere drang auf die Rückkehr nad 
Caen; und fo gelangten wir denn auf einem langen Umwege von 
da zu Lande nach Honfleur. 

— Meine zweite engliſche Reife galt London, dad mir nad 
24 Jahren wie eine ganz neue Stadt vorfam. Große Streden, 
deren Namen man früher faum kannte, waren nun mit Paläften, 
herrlichen Anlagen bededt; die „Season“ war im vollen Gange: 
Parlament, Hydepark, die Wetirennen und Theater von der 
fafhionablen Welt befucht, die Königin im Bukingham-palace, 
wo fie damals — 25. Mai 1846 — der Prinzelfin Helena das 
Leben gab, deren Geburt Kanonen verfündeten. Bon den gefelligen 
Freuden bielten wir ung, außer der Oper, fern, beſuchten nicht 
die alten und machten Feine neuen Belanntichaften, nur eine Reiſe⸗ 
gefährtin, — Lady Bolad — melde fih mit ihrer Samilie zu 
ihrem in Oftindien angeftellten Gemahle begab, lud uns ein, fie 
dort aufzufuchen!! — Außer den mir fchon bekannten Merkwürdig- 
keiten ſah ich noch viele neue, die mid wahrhaft überraſchten — 
dad brittifhe Mufeum mit feinen aus allen Welttbeilen berbei- 
geholten Kunſtſchätzen, Naturjeltenheiten und Wlterthünern, die 


9 


Nationalgallerie, der zoologiſche Garten, das unterbaltende Colo⸗ 
feum —. Neugierde trieb und zu dem einft fo viel befprochenen 
Tunnel, der nun, beinahe vergeffen, nur nody fchauluftigen Fremden 
zum Stelldichein dient. Mühfam fteigt man über eine lange 
Treppe in den breiten, ſpärlich erleuchteten unterirdifchen Gang 
berab, nicht ohne das unheimlihe Gefühl, die furchtbar fchmwere 
Waſſermaſſe der Themfe über fi) zu haben. "Das ganze Unter: 
nehmen, wäre e3 auch in feinem Zwecke nicht längſt ſchon durch 
Dampfſchifffahrt und Eifenbahnen überflügelt, war auch deßhalb 
gleich Anfangs gefcheitert, weil es nicht gelingen wollte, wegen 
feiner Tiefe den Tunnel aud Wagen zugänglih zu maden. — 
Ein Befuh in Windfor, immer Iohnend, erfreute und unge- 
mein, und ein Mittageffen, welches wir auf der Meinen Eiſenbahn⸗ 
ftation Slough einnahmen, ſetzte uns, an die Einfachheit der feſt⸗ 
ländifhen Buffet? der Bahnhöfe gewöhnt, in wahres Erftaunen, 
da eine elegant gededte Tafel für zwei Perfonen von bepuderten 
Lioreebedienten beforgt und auf Silber geipeift wurde. 

Ein nur achttägiger Aufenthalt in der Metropole wirkt bei 
den ungeheueren Diftanzen, wie bei der Maſſe des in fich Aufzu- 
nehmenden wahrhaft betäubend, und der unerwartete Genuß weicht 
nur zu oft Üübergroßer Ermüdung. Erft nachdem wir das Häuſer⸗ 
meer verlaffen, von dem weder Anfang noch Ende zu überfehen 
ift und und nach dem Havre eingefchifit, vermochten wir in unjerem 
Gedächtniſſe die bisher verworrenen Eindrüde zu ordnen, die ſich 
dann allmälig zu einer fortlaufenden Kette erfreulicher Erinnerungen 
geftalteten.” In ruhiger, flernheller Nacht fahen wir Bier, vom 
Berdede aus, das Schiff die phosphoriscirenden Wellen fchnell 
durchfchneiden und die leuchtenden Spiken der fchäumenden Wogen 
erihienen uns dann wieder wie ebenfo viele MeereBiterne. 

Während ich fo den franzöfiichen Küften zueilte, Treuzte ich 
mich vielleicht im Kanal mit dem künftigen Kaifer der Franzefen, 
der damals gerade ala „schappe de Ham“ nad England fegelte, 


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um al3 „l’ölu du peuple“ einft wieder zurüdzufehren. Allge⸗ 
mein ging damals die Sage, daß Louis Napoleon feine Befreiung 
nicht eigener finnreicher Lift verdankt, fondern die Regierung, der 
Beauffichtigung müde, dem ihr nicht mehr gefährlich dünkenden, 
in 6jähriger Haft mürbe gewordenen Kronprätendenten - felbft zur 
Flucht verholfen babe. Die nachfolgenden Vorgänge machen dieſe 
Annahme nur wenig wahrfcheinlid). 


Den 9. Dezember 1845 ftarb in Wien General:Lieutenant 
v. Tettenborn im 67. Jahre. Er hatte bei zunehmenden körper: 
lichen Leiden doch bis zur lebten Stunde noch eine gewiſſe Geiltes- 
frifhe bewahrt. Ein warmer Nachruf in der allgemeinen Zeitung 
fagt: „Diefer Todesfall erregt allgemeine Theilnahme, denn felten 
genoß Jemand einer größeren Popularität; allgemein beliebt und 
gekannt dürfte er fich, wie wenige, rühmen, kaum je einen Feind 
gehabt zu haben. Von der offenften Herzensgüte, von einer jeltenen 
Liebenswürdigkeit der Erſcheinung und bed Umganges, für jeden 
Hülfsnedürftigen zu Rath” und That bereit, bewies er vorzüglich 
feinen badifchen Landsleuten bei jedem Anlaſſe eine eifrige Theil: 
nahme. Uber auch zu Dfterreih war er, feiner früheren Kriegs⸗ 
dienfte eingedent, ftet? in nahen Beziehungen geblieben. Das 
diplomatifche Corps verliert in ihm den älteften der Kollegen, und 
fait jeder Einzelne einen geprüften Yreund; unter den Heldenge- 
ftalten der Befreiungöfriege ragte die feinige befanntlich als eine 
der glänzenditen und volksthümlichſten hervor. Sowie fich bei dem 
zahlreichen Leichencondufte allgemein das Gefühl ausſprach, welch' 
eig durch erfolgreiche Thätigfeit rühmlichſt ausgezeichneter Mann 
aus dem Leben gefchieden, fo wird gewiß auch in faft jedem Lande 
Europa’3 die Trauer um den. Hingefchiedenen einen Widerhall 
finden!‘ 

Dieſer unerwartete Todesfall bemirkte auch eine Veränderung 


in meiner Rage. Ich wurde an Tettenborn’3 Stelle zum groß: 
herzoglichen Gefandten in Wien und der bisherige Legationdrath 
v. Schweizer zum Minifterrefidenten am köoniglich franzöſiſchen 
Hof ernannt. Sonach ſah ich mi in einer mir zufagenden Ge 
ſchäftsthätigkeit plößlich unterbrochen, wie viel hatte ich überdies 
auch zu erlernen, zu beobachten, und der immer gehegte Wunſch, 
länger in Paris bleiben, vielleicht, wie mein Vorgänger Ferrette, 
meine diplomatiſche Laufbahn allda befchließen zu können, ging 
leider nicht in Erfüllung; die trüben Ahnungen, welche ſich daran 
nüpften, jollten fi) bald in einer Reihe von Leiden und Prüfungen 
jeder Art nicht als Truggebilde zeigen. 

Den 4. März übergab ich dem Könige mein Abberufungs⸗ 
reiben und aljobald hatte auch der Nachfolger feine Antritts- 
audienz. — Schon war der Tag meiner Abreiſe beitimmt, als 
dieſelbe durch eine anfcheinend unbedeutende Unpäßlichleit verſchoben 
werden, und ich die bereits aufgegebene Wohnung mit einem 
Zimmer in dem nächft liegenden Hotel vertaufchen mußte. Hier 
wurde ich nun durch ſechs Wochen an das Bett gefeflelt und eine 
lebendgefährliche Operation, von der geſchickten Hand Soubert’8 
(de Lamballe) glüdlich vollzogen. Auch der Beirath anderer 
Aerzte, Tiebevolle Pflege, Erkundigungen und Theilnahme vieler 
Freunde wie von der Töniglichen Familie fehlten nit und Tiefen 
mid den Abſchied von Paris nur um fo fchmerzliher fühlen. — 
Den 13. Juni verließ ich diefe Stadt, welche ich bisher nicht 
wieder betreten follte, und während die Rückblicke auf die dort 
verlebte Zeit die erfreulichiten waren, gab ich mich bezüglich der 
Zukunft Frankreichs Betrachtungen Hin, welche ſich fpäter als 
ebenfo viele Täufchungen erwiefen. Ich überließ mich nämlich ber 
feften Weberzeugung, daß die dortigen Verhältniſſe in jeder Be⸗ 
ziehung geordnet, nach allen Seiten bin als gefräftigt angeſehen 
werden könnten; es herrſchte eine mit Recht geachtete Koͤnigs⸗ 
familie, eine, wie man wenigſtens glaubte, muſterhafte Verfaſſung 





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ftellte das richtige, langgeſuchte Gleichgewicht der geſetzgebenden 
Sewalten her; war die Ruhe geftört, fo beſchützte Paris eine, 
mehr gegen den Straßenaufruhr als fremde Heere gerichtete, be 
feftigte Ringmauer vor den noch immer drohenden inneren Ge- 
fahren; ein allgemeiner Wohlſtand verbreitete fich über das ganze 
Land und man ſchien fih weit mehr mit Altien, Eifenbahnen, 
Fabriken und anderen Spekulationen, mit beiteren Lebendgenüflen 
als mit Barrifaden, Mordanfchlägen oder im Finſtern fchleichenden 
Verſchwörungen beichäftigen zu mollen, man gefiel fi, mit einem 
Worte, in dem berubigenden Gedanken, daß der politiihe Vulkan 
ausgebrannt und die feit 60 Jahren angehäufte Lava dazu diene, 
den Boden Frankreichs heilbringend zu befruchten. Sowie ich 
vor 16 Jahren unmöglich an eine lange Dauer der Julimonarchie 
glauben konnte, jo vermochte ich jebt noch viel weniger zu ahnen, 
daß dies alles ſich fo bald und jo überrafchend fchnell zu einer 
Auflöfung drängen werde. Hatte ih mich daher in jenen beiden 
Unterftellungen arg getäufcht, fo theilte ich Ddiefen Irrthum mit 
Zaufenden, und als ih im Sommer 1850 in Baden-Baden 
wieder mit Thierd zufammentraf, waren diefe Vorgänge der Gegen: 
ftand einer langen Unterredung. Ich geitand ihm, daß ich während 
meiner Anftellung in Paris immer in dem oben angedeuteten Sinne 
nad) Karlsruhe berichtet und nun mit peinlidem Erflaunen eine 
fo gänzliche Umwandlung hätte erleben müſſen. Thiers gab mir 
auf alle Fragen volllommen Recht und bemerkte, dag er mit allen 
feinen Freunden, jo wie ih, fich nie einen foldhen Ausgang ges 
träumt haben würde. Welche geheime oder unerwartete Urjachen 
bereiteten nun wohl jenen merfwürdigen Sturz vor und führten 
ihn zunächſt aus? Ich will Bier nicht an die Erfahrung erinnern, 
daß, feitdem Tranfreih 1789 aus feinen politifchen Fugen ge 
treten, der unerfättlihe Drang nach Veränderungen, der Ehrgeiz 
der Parteien, die Langeweile der Maflen, die Köpfe nicht in Ruhe 
ließen, und fi regelmäßig, nad einem Zeitraume ven etwa 


95 


15 Jahren, immer wieder eine neue Ummälzung Bahn brad. Es 
ſcheint das franzöſiſche Sprichwort: „tout lasse, tout casse, tout 
passe‘ auf diefe Lage vollfommen anwendbar. Dabei mwühlt die 
Propaganda im Bunde mit den unzufriedenen Taltionen aller 
Farben und jede heranwachſende Generation will, immer Tampf- 
Iuftig, ihre „glorreihen” Tage haben. So wird, mad angeftrengter 
Fleiß, Staatsklugheit, mweifer Ordnungsfinn, Gefeblichleit mühfem 
in einem Jahrzehnte aufgebaut und befeitigt, dur den Sturm 
einer Stunde niedergemorfen. Rechnet man nun dazu die mit 
dem fortjchreitenden Gedeihen Frankreichs fi ſtets erneuernde 
Eiferfucht Englands, hier noch genährt durch die ſpaniſche Hei- 
rath, fo Habe ich wohl alle diefe nachtheiligen, äußeren Einflüffe 
berührt. Was Half nun Louis Philipp die mit Opfern erlaufte, 
ängftlihe Nüdfiht auf England, was halfen ihm die mit unge 
heuren Koſten erbauten Feſtungswerke, das immermwährende Schwanfen 
und Prüfen; er ging an der Aufgabe zu Grunde, unauflösbare 
Widerſprüche heben zu wollen, in der Muthloſigkeit, welcher er 
fi) im entſcheidenden Augenblide bingab, wo nur eine rafche 
That, ein entfcheidendes Kinfchreiten retten Tonnten. Denn — 
was man auch dagegen einwende — die Bewegung war eine 
gemachte, Feine unmittelbar durch irgend einen Vorgang begründete; 
Niemand war ihrer Tragmweite bewußt, in Ermangelung eines 
richtigen Begriffes half da ein „Wort“ aus: Meformel ein 
elaftifches Wort, das willkürlich gedreht und gedeutet werden Tann,’ 
und bier nur zum Vorwand diente, die Gemüther zu erhiken 
Man Iud, diefe Aenderungen zu beipredhen, zu Berfammlungen; 
zu „Banquetten“ ein und die aufreigenden Reden, die Toafte vers‘ 
wandelten ſich bald in Pöbelgeſchrei und endeten im blutigen 
Straßenfampf. Die königliche Familie verſchwand nach allen Himmels: 
gegenden; die Pairskammer „zerfireute fih wie Spreu vor dem 
Winde, und wurde nicht wieder gefehen.” Die Deputirten mußten 
ihre Pläge einem bewaffneten Pöbelhaufen überlaffen; die Truppen, 











96 


jeder Leitung beraubt, zogen fi zurüd, von den ſchützenden 
Feſtungswerken war nicht weiter die Rede; abermals hieß es: 
„Le tour est fait!“ und mit demfelben Rechte, wie die 221 im 
Jahre 1830 Höhnifch fragen Tonnten: od étaient, s’il vous plait, 
les royalistes le 27, 28, 29 juillet, fo konnten jebt die Republi⸗ 
faner die Trage fielen: od 6taient „les Orlöanistes le 22, 
23, 24 fevrier?“ Ote — toi de lä, que je m’y mette! war 
nah der Reihe das Loſungswort aller Parteien geworden, und 
wird es auch bleiben, bis das erfehnte Gleichgewicht gefunden ift. 
Darin beftehen aber gerade die großen, inhaltsſchweren Lehren, 
welche fi dem Klarſehenden auf jedem Blatte der franzöfifchen 
Geſchichte aufdringen. Auch fpiegeln ſich die Ereigniffe von 1848 
in jenen von 1830 wider; dort hatten franzöſiſche Waffen Algier 
erobert, bier den mächtigften Gegner, Abdel Kader, bezmungen, 
bier wie dort firebte man Anfang nur nad) weſentlichen Ber: 
befferungen, überfhoß aber im leidenichaftlihen Eifer das Ziel, 
hier, wie dort, entfagte ein altersſchwacher König zu Gunften eines 
10jährigen Enkels, doch zu fpät, der Krone, — bier wie dort 
rang eine muthige Frau mit Selbftaufopferung, wiewohl vergeblich, 
für die Rechte ihres Sohnes! — Was Niemand gewollt, Nie: 
mand erwartet, entfland aus diefer namenlofen Verwirrung — 
die Republik! Man rief dem in einem Fiaker entflohenen, zittern: 
den König allerlei Verwünſchungen nah und während Karl X. 
angeblich die harte verleßte, ging, wie jener, Louis Philipp 
unter, meil er zu feft an die „Wahrheit“ diefer Charte geglaubt. 
Wer der Juliregierung Corruption vorwarf, dem bietet ſich jest 
hinreichend Gelegenheit, fi durch Vergleihungen zu überzeugen, 
wie fehr jene Anfchuldigungen übertrieben waren. Wer fih wie 
Louis Philipp im fortmährenden Zuftand der Nothwehr befand, 
dem Tann man nicht verargen, fi) Waffen zu bedienen, zu deren 
Ergreifung ihn die Gegner gleihfam zwangen. 

In gewohnten Verhältniſſen brachte ich nun einige Wochen 


97 


in Karlsruhe zu, ftellte mich dem großherzoglichen Hofe vor, be: 
fuchte Baden, die Verwandten auf dem Lande und trat dann in 
den erften Tagen des Juli die Reife über den Odenwald, Anſpach, 
Nürnberg und Regensburg — die letzte Hälfte zu Waſſer — nad 
Wien an. 

Mm An Karlsruhe vernahm ich die Wahl des an die Stelle 

Gregors XVI. ernannten Kardinal Maftai, welcher ala „Pius IX.“ 
ten päpftlichen Stuhl beſtieg. Es bildet diefe Erhebung gleihfam 
einen Wendepunkt in der Geſchichte der europäifchen Staaten; denn 
von da an murde die kurze vorübergehende Ruhe wieder ernftlich, 
und zwar in dauernder, nachhaltiger Weije geftört. Schon hatten 
fi blutige Gräuel in Krakau gezeigt und fie endeten mit der 
Einverleibung diefer Yreiftadt in die öſterreichiſche Monarchie, 
ein energifcher Schritt, den man damals dem Wiener Kabinette kaum 
mehr zugetraut hätte. In der Schweiz war der widermwärtige, 
unter dem Namen: „Sonderbund” befannte Bürgerfrieg, nur das 
Vorſpiel zu einer völligen politifhen Umgeſtaltung. Auch in 
Deutihland gährte ed fchon wieder auf den Straßen, wie in 
Leipzig, oder in den verfchiedenen Kammern und ein unbehagliches 
Gefühl Hatte fih, erhöht durch Mißiahre, furchtbare Weber: 
ſchwemmungen und große Theuerung, der dffentlihen Stimmung 

\_bemägtigt. Unter dieſen bedenklichen Anzeichen Lehrte id) denn 
in der neuen Eigenſchaft nah Wien zurüd, wo e8 mir an An 
haltspunkten zu vergleihen, wie an Betrachtungen fehr ernfter 
Natur nicht fehlte. 


Feh. v. Undlaw. Wein Tatchuq. IL. 7 








98 


Zwölfter Abſchnitt. 


(1846 — 1848.) 


Anhalt: Wien. Uubienz bei'm Kaifer Ferbinand. Diplomatifches Corp. 
Reifen. Büky in Preßburg. Erzherzog Stephan in Peſth. Hohe Gäfte 
in Wien. Großfürftin Helene, Die Familie Milofh:Obrenowitih. Der 
Taiferlihe Hof und bie Ariftofratie. Drei Gejanbtenfamilien. Der Balaft 
Lichtenftein, Deffentliche Beluftigungen. Theater. Jenny Lind, Hebel. 
Die Alademie der Wiſſenſchaften. Hammer. Bier Todesfälle in ber kaiſer⸗ 
lihen Familie. Marie Louiſe. Trauung ber Erzherzogin Elifabeth. Pala⸗ 
tinswahl. Erzherzog Stephan und Ungarn. Politiſche Tagesereigniſſe. 
Das öſterreichiſche Regierungsſyſtem. Die Miniſter. Ahnungen und Vor⸗ 
zeichen. Der 24. Februar. Fürſtin J. Lichtenſtein. Hofball. Ende der 
alten Zeit. 


Ihe einem Zeitraume von 11 Jahren batte ih Wien 
eigentlich weniger verändert gefunden, als idy erwartet; es war 
immer dafjelbe Tebhafte Treiben, dieſelbe Genußſucht und Gleich: 
gültigfeit für Dinge, welche ſich nicht innerhalb eines gewiſſen eng 
gezogenen Kreiſes zutrugen. Dennoch konnte ed einem ſchärfer 
beobachtenden Auge nicht entgehen, daß diefe behagliche Ruhe nur 
oberflählih mar und fi in beinahe unfcheinbaren Symptomen 
“ immer mehr eine tiefer gehende Mißſtimmung zeigte, welche fich 
von den höchſten Zirkeln bis auf die unteren Volksſchichten er- 
firedte. In der That war audy eine 12jährige Regierung, mie 
die des Kaiferd Ferdinand, nur in Defterreich möglich; es bewegte 
fi) eben die Mafchine in herfömmlicher Weife fort, bis ein Im⸗ 
puld von Außen fie zum Stillftand brachte. 





9 





Der 16. Juli führte mich der Oberſtkämmerer Graf 
M. Dietrihftein bei Sr. Majeftät dem Kaifer ein, dem ih mit 
der üblichen Anfprache das Beglaubigungsfchreiben überreichte. Die 
Yudienz wor kurz und es wurden dabei nur einige der damals 
gekräuchlihen Redensarten gewechſelt. SGierauf folgten die Auf: 
martungen bei den zahlreichen Mitgliedern der kaiſerlichen Familie, 
und einige Tage mwährte ed, bis die unendlich lange Viſitenliſte 
erihöpft war. Eine fhöne Wohnung auf dem Kohlmarkte trug 
viel zur Annehmlichleit meines Aufenthaltea bei, und unter An- 
nüpfung früherer perfönlicher Beziehungen, wie bei dem mir 
ſchon bekannten Geſchäftägange fand ich mi bald wieder in dem 
gewohnten Geleiſe. 


Der Fürſt Metternich bewohnte feine erft neu erbaute Villa; 
er war troß feiner 73 Jahre noch rüftig, heiter und geſprächig, 
wie immer. Seine Familie hatte fih um einen Sohn (Lothar, 
geb. 1837) vermehrt, die Fürftin Melanie aber fand id) verändert 
und in ihrem Aeußern traten ſchon die Anzeichen jener langen, 
ſchmerzvollen Krankheit hervor, der fie endlich unterliegen follte. — 
Bon den früheren Diplomaten fand ich nur noch Bodenhauſen 
. (Hannover) und O’fullivan (Belgien) vor, doch waren mir von 
den nun anmefenden ſchon mehrere, wie Migr. Viale, Flahault, 
Medem, Arnim, SKönnerik von anderen Orten ber befannt, und 
in einem langjährigen Freunde, dem ebenfo talentvollen als mohl: 
wollend gejelligen Grafen Jeniſſon freute ih mid nun einen 
Kollegen begrüßen zu können. Aber auch der Tod hatte die 
Reiben mancher mir theueren Bekannten gelichtet und fchmerzlicher 
füplt man nach Tanger Abweſenheit ſolche nicht leicht zu erſetzende 
Lücken. 


Kar Herbſte benützte ich die Geſchäftsſtille zu Ausflügen nad) 
Ungern und Prag. In Preßhurg bielt id) mi einen Tag 
anf, um einen Herr v. Büly zu ſprechen. Es batte biefer Dann 

7% 








100 


einen Aufruf in Zeitungen erlaffen, worin er mehrere deutſche 
Fürftenhäufer und adelige Familien — aud) die meinige — ein: 
geladen, gegen gewiſſe Gebühren wichtige Papiere bei ihm einzu: 
fehen, von denen nah Wunſch Abfchriften verabfolgt merden 
könnten; das Ungemwöhnliche diefer Anzeige weckte die Neugierde 
der Betreffenden, und ich febte mich daher auch mit Büky deßhalb 
in Verbindung. Es bieß, daß er diefe Schriften in einen bisher 
vergeffenen Koffer Thugut's vorgefunden habe, der bekanntlich 
zurücgezogen in Preßburg ftarb. Das Ganze zeigte, fich jedoch 
als eine Moftifilation, und die Papiere, wenn fie auch die Namen 
der bezeichneten Familien enthielten, waren für biefelben werthlos, 
ſelbſt ohne Hiftorifche Bedeutung. Bald nachher ließ Büky wieder 
andere Anzeigen in öffentlihe Blätter einrüden, worin er fidh 
Titel und Auszeichnungen beilegte, welche ihm nicht gebührten. In 
Folge derfelben entitanden Klagen, Erwiederungen, die Sade er: 
regte Auffehen; und fo fand es Büly geraten, folgende „Er: 
Märung und Berichtigung“ an die Preßburger Zeitung (Septbr. 
1846) einzufchiden, welches Aktenſtück in feiner Albernbeit zu 
merkwürdig ift, um bier nicht aufgenommen zu werden. 

„Mehrere ausländifche Zeitungen und auch inländifche deutfche 
wie ungariſche Blätter enthielten die voreilige! Nachricht, daß 
Unterzeihneter mit dem k. k. Kämmerertitel, fo auch mit aus: 
ländiſchen Orden und Auszeichnungen, ald dem Großkreuz des 
k. ſicil. St. Ferdinand-Ordens, dem badifhen Orden der 
Treue und dem franzöfiichen Orden vom heiligen Ludwig (?), ferner 
mit dem Diplom der Parifer Akademie gefhmüdt, außerdem vom 
König der Franzofen nahmbaft beſchenkt worden fe. — Diele 
Nachrichten find grundlofe Erdichtungen, aber der Unterzeichnete, 
auf Brivatwegen! dur falſche Berichte und chmeichelhafte! 
Beriprechungen getäuſcht, bediente? fi) derfelben dennoch, ohne 
binlänglihe Prüfung! und Vorſicht; nun aber, die Unwürdig- 
feit der eitlen Berführung! einfehend, hofft er durch dieſe 


101 


Bekanntmachung dem Publifum für fein hinfüro zu beobadgtendes, 
ernfthaftes! und gefehtes Benehmen Gewähr zu leiften! 
Büly v. Felſöbück Lad.“ 


Aus diefer Erflärung geht hervor, daß Büky zum mindeften 
fein gefährlicher Betrüger war, und wahrſcheinlich mehr ver: 
ſchmitzteren Intriguanten zum Werkzeuge gedient habe; mir wenigftend 
fam der Heine, dide, noch junge Dann, mit feinen diamantenen 
Ringen und Knöpfen ziemlich bornirt, beinahe läherlih vor. Er 
entging dennoch nicht einer ſtrengen Unterfuhung, in deren Folge 
er dur, ih weiß nicht mehr wie viele Jahre, gehörig Mufe 
hatte Hinter Schloß und Riegel über feine Schwindelei nachzu⸗ 
denfen. Unter anderen verbreitete ſich auch dag Gerücht, daß er 
dem König Louis Philipp wichtige Briefe Egalit6’3 an Thugut 
ausgeliefert habe. 

Auf der Reife nad Peſt traf ih im Dampfichiffe zufällig 
mit dem Erzberzog Stephan zufamnıen, der mid mit einer 
längeren Unterredung beehrte. Der Iebhafte, Liebenswürdige Prinz 
wurde auf allen Landungsftationen von Deputationen begrüßt, mit 
welchen er fi auf3 leutſeeligſte unterhielt. Die Zeit Tag nicht 
mehr ferne, wo fih an feinen Namen eine nicht gewöhnliche Bes 
deutung für die Zukunft Ungarns knüpfen follte! 

Während diefem Sommer war die Großfürftin Helene 
von Rußland zu einem längeren Aufenthalt nad Wien ge 
tommen, und hatte das erzherzogliche Palais (Vorftadt, Landſtraße) 
bezogen. Die noch fchöne, fo geiftreihe Frau Tebte zurüdgezogen 
unter dem Gefühle der Beforgniffe, melche ihr der Gefundheitz- 
zuftand ihrer Tochter, der Prinzeſſin Marie, einflößte. Die junge 
Großfürftin erlag auch im November ihren Leiden und die leb⸗ 
bafte Theilnahme des Taiferlichen Hofes an dem mütterlichen Schmerze 
wurde auch in weiteren reifen nahempfunden. — Zu jener Zeit 
machte der Prinz von Preußen wiederholt eine ſtets willkommene 


102 


Erfhelwung in Wien und brachten auch die fürftlih YFürften- 
bergifchen Herrichaften einige Wochen da zu. 

Schon im Jahre zuvor war der Kaiſer Nikolaus auf feiner 
Nüdreife von Stalien, wo er die ewig denfwürdige Zufammen- 
funft mit Gregor XVI. hatte, nad Wien gelommen und fpäter 
erfhien aud da Großfürft Michael, der wie ein Privatmann int 
ruſſiſchen Geſchäftshauſe abftieg und nur wenige Bekannte fah. 

Zum erften Male begegnete ih nun dem alten Yürften 
Miloſch Obrenowitſch von Serbien. Er batte fih aus den 
‚ niedrigften Sphären zu der höchſten Würde in feinem Vaterlande 
emporgefhmwungen, und dabei mehr Charakterftärfe und Klugheit, 
al3 eigentliche Bildung bewiefen. Man fah den alten Herrn, ge 
wöhnlih in weiblicher Begleitung, auf Spazierfahrten oder in 
Theatern, feltener in der Geſellſchaft. Seine gefammelten Reich: 
thümer waren, wie es fchien, groß, befriedigten aber mehr feine 
Eitelfeit, ala den Ehrgeiz, der ihn bei allem Ungemache nie ver: 
laſſen. Gein feuriger Geift, verbunden mit der feiner Nation 
eigenen Zähigkeit, ließ ihn immer wieder auf eine günftigere 
Wendung feines Geſchickes Hoffen und der Anblick diefes originellen, 
thatkräftigen Mannes rief dem Kundigen alle jene merkwürdigen 
Epifoden zurück, an denen die wunderliche Geſchichte Serbien's ſo 
reich iſt. Sein Sohn Michael, von einer mehr gemeſſenen 
Haltung, von einem durchaus anſtändigen Aeußern und Benehmen, 
vermählte ſich ſpäter mit der jungen, hübſchen Comteſſe Julie 
Huniady und als dann 5 Jahre nachher ſich wieder eine Ausſicht 
für die Familie eröffnete, die Herrſchaft in Serbien zu erlangen, 
war der alte, aber immer noch rüftige, Miloſch wieder der erſte, 
der mit feiter Hand die Zügel ergriff und bei feinem Ende die 
fürftliche Würde auf feinen Sohn übertrug. Ruſſiſche, öfterreichifche, 
englifhe, franzöſiſche und türkische Einflüffe theilten fih in bie 
Macht in dieſem einen Reiche und Barteigänger, wie fremde 
Ränkeſchmiede trugen zur Verwirrung bei. Das künftige Schickſal 


103 


dieſes Landes ift aber, wie das der anderen eurnpäilchen Provinzen, 
enge mit der Zukunft verbunden, melde die Vorfehung der Türkei 
beftimmt bat. 


In der höheren Gefellihaft wurde die frühere ungezwungene 
Munterkeit vermißt; es fanden zwar noch immer große Feſte, 
Empfangtage u. ſ. w. ftatt; doch man fah, daß auch hier die Zeit 
eine ernftere geworben und Sinn wie Gemüth fi) anderen Dingen 
zumandten, als frivolen Unterhaltungen; auch berrfchte in Wien 
nie die irrige Anfiht vor, Daß man Feſte veranftalten müffe, 
um den Handel zu beleben, bie Fabriken zu unterftüben, die 
Arbeiter zu beichäftigen, Brodloſe zu ernähren. Weberfteigen die 
Erzeugniffe der Anduftrie das gewöhnliche Maß, fo Tann der 
Wohlhabendere doch mahrhaftig nicht angehalten werden, deßhalb 
. ‚einen heil jeiner Einnahmen für Lurusgegenftände zu verwenden. 
Manufakturen follen nur den einfachen Bedürfniffen genügen; 
Niemand aber, um ihnen aufzubelfen, zugemuthet werden, feine 
Ausgaben nad diefer Richtung Hin zu verdoppeln und bdadurd) 
andere, vielleicht nütlichere, zu befchränten. — Ueberdieß Tieß auch 
die mit dem Lurus überhband nehmende Theuerung viele Familien, 
" welche nicht einen Wettlampf in Eleganz der Einrichtungen und 
Toiletten aufnehmen wollten, fih aus der größeren Welt zuräd: 
ziehen, den eigenen Haushalt beichränten. 

Bei Hofe fanden regelmäßig im Winter einige größere und 
Kammer: Bälle ftatt, und Kaiſer Ferdinand, welcher glänzendes 
Geremoniel liebte, mar ftet3 zugegen, fich heiter mit den Anweſenden 
unterhaltend. Die Raiferin Maria Anna, deren Geſchmack folde 
Feſte weniger zufagten, benahm ſich dabei mit der nur ihr eigenen 
gragiöfen Würde. 

Wahrhaft Epoche machte die Erdfinung de ganz neu her: 
gerichteten Liechtenſtein'ſchen Palaſtes in ter Schenkenſtraße. 








104 





Der Fürſt Moid Hatte eine große Summe darauf verwendet, und 
als nun zum eritenmale diefe berrlihen Räume eine glänzende 
Berfammlung zu einem Ballfefte aufnahmen, fanden ſich auch die 
fühnften Erwartungen übertroffen, und ein Ausruf der Bewunde⸗ 
rung folgte dem anderen. Es war nit fowohl der Reichthum 
der überaus eleganten Berzierungen, die Pracht der Broncen, die 
Menge der Spiegel, die Fülle der Vergoldungen, die taghelle Be 
leuchtung; man fah da weder Eoftbare Gemälde noch Kunſt⸗ oder 
Nococo-Gegenftände, reihe Drapperien, Stidereien oder Teppiche; 
der Zauber, welder ſich über das Ganze ergo, beitand vielmehr 
in der fih auf die Tleinften Detail erftredenden Harmonie der 
Formen, melde das Auge fo wohlthuend berührte, und ich erinnere 
mich wohl, viel größere, mit mehr Luxus und Pracht ausgeftattete, 
ſelbſt überladene Prunkgemächer, aber nie diefe höchſte Vollendung 
in der Ausführung aller Theile gejehen zu haben. Der Glanz 
diefer Feſte wurde noch durch die freundliche Zuvorkommenheit des 
fürftlihen Paares erhöht, und fie folgten ſich fpäter, mit kurzer 
Unterbredung während der Nevolutiongzeit, in jedem Faſching. 

Nicht minder blendend, aber wieder in ganz anderer Geſchmacks⸗ 
rihtung waren die Appartement? im fürſtlich Schmwarzens 
bergifhen Haufe (Neumarkt) reflaurirt worden, und die Ball: 
fefte bier, durch die Tiebenswürdige Yürftin belebt, waren gleich 
anziehend, die Einladungen, wie bei jenen, gefucht. 

Einen neuen, beinahe täglichen Salon fand ich bei dem 
Grafen Fiquelmont eröffnet. Der ſchon bejahrte diplomatifche 
Krieger hatte den Botfchafterpoften in St. Petersburg verlaffen, 
um, dem Fürften Metternid zur Seite, in der Staatölanzlei ver: 
wendet zu werden. Diefe Aenderung fagte, wie ich glaube, feinem 
der beiden Staatsmänner zu: Fiquelmont, von mehr franzöfiich 
gebildetem Geifte, politiiher Schriftfteller, angenehmer Gefellichafter, 
war in Neapel wie am ruffifchen Hofe gerne gefeben; er hatte 
1826 den lebteren Poften von dem Grafen 2. Lebzeltern über: 


105 


nommen, welcher dafür Gefandter in Neapel wurde. Diefe beiden 
Diplomaten hatten auch gar Vieles mit einander gemein; beide 
geiftreih, gewandt, beliebt, haben auch beide fih in Rußland 
vermäßhlt, beide aus ihrer Ehe nur eine Tochter; die Gräfin 
Yiquelmont : Tiefenhaufen mar eine ebenfo verftändige, höfliche 
Hausfrau, als die Gräfin Lebzeltern-Laval, nur mit dem Unter: 
ſchiede, daß Erftere von nicht gemähnlicher Schönheit, während 
Letztere nichts weniger als reizend war. Mit diefen zwei öfterr. 
Diplomaten kann noch ein dritter — Graf Lützow — genannt 
werden, der, von weniger glänzenden Eigenichaften als die anderen, 
doch ein überaus ehrenwerther Charakter war, und nach mehreren 
Meinen Miffionen den Kaifer ald Botichafter (bis 1848) in Rom 
vertrat. Auch Lützow hatte fi) auswärts, und zwar mit einer 
ttalienifchen Wittwe, vermählt. 

Bei Fiquelmont verſammelte ſich nun regelmäßig eine ange⸗ 
nehme Geſellſchaft, und die Monotonie des Alltagsgeſprächs wurde 
da öfters durch die Aufführung allerliebſter Vaudeville's unter⸗ 
btochen, welche der muſikaliſch gebildete, ſchoͤne, heitere Greis leitete. 
Seine Tochter, die eben vermählte Fürſtin Clary, galt jedoch für 
die Perle dieſer Cotterie, und in der That ließ ſich auch nicht 
leicht etwas Reizenderes denken, als dieſe junge, lebensfrohe Frau; 
fie war an blendender Schönheit nur mit der auch erſt kurz zuvor 
verebelichten Fürftin Auersperg⸗Colloredo zu vergleichen. 

Menden wir und nun von dieſen freundlihen Bildern dem 
Volksleben zu, fo treten uns wieder, mit wenigen Audnahmen, 
die alten, befannten Geftalten entgegen: der belebende Fidelbogen 
des unermüblichen I. Strauß beberrfchte noch immer die Räume 
von Dommaycer und Sperl, und in dem „Odeon“ hatte fidh ein 
foloffaler Tanzfaal aufgetban, den ganze Maffen neugieriger, ver: 
gnügensfüchtiger Wiener nicht zu füllen vermögen. Auch die 
„Keller“ Hatten fich veredelt, und in dem labyrinthartigen „Ely⸗ 
fium“ rollte fi) den Schauluftigen eine wahre Muftertarte von 


106 


allen denkbaren Späffen, Ueberraſchungen, Zauberkünſten, Masten: 
zügen u. dgl. auf. Am menigften ätheriſch mar die Luft, welche 
man in diefen unterirdifchen Feldern einathmete. 

Bon da zu einem edleren Vergnügen — den Theatern — 
bedarf e3 nur eines Sprunged auf die Oberwelt. Dad Burg: 
theater war fich gleich gut geblieben, Hatte noch überdieß tüchtige 
Kräfte gewonnen: Joſeph Wagner war ein ausgezeichneter Helden: 
ipieler; Frl. 2. Neumann hatte fi bald zum Liebling des für 
feines Spiel empfängliden Publikums emporgefhmwungen und 
erwarb ſich um daffelbe noch das weitere Verdienft, ihre Mutter, 
die vortreffliche Haitzinger, herbeizuziehen, welche noch jeht durch 
ihr Talent, gehoben von einer immer gleich heiteren Laune, die 
Kunſtkenner erfreut. 

Die beſcheidenen Lorbeern des harmloſen „Kaſperl“ ließen 
den Direktor Karl nicht ruhen; er erkaufte es, um dieſe dunkeln 
Hallen des Momus, in denen fo viel gelacht wurde, an die ſich 
fo viele Erinnerungen des „alten“ Wien knüpften, niederzureißen. 
In einem Sommer (1847) ftand das neue, fchöne „Karltheater” 
an jener Stelle, und wo einft Schufter, Raimund, die Krones 
u, U. ergögten, traten nun Scholz, Neftrey und al das Gefolge 
von Komikern auf, welche diefe Bühne fo beliebt machten. — 
Doch ein Stern überftrahlte alle anderen Kunfterfcheinungen: 
Kenny Lind! Dieſe liebliche ſchwediſche Nachtigall, oder wie all 
die Benennungen beißen, welche fi) Kunftenthufiaften wie Dichter: 
linge um die Wette auszudrüden bemühten, brachte eine in Wien 
feltene Senfation hervor. War es die anfpruchälofe Ericheinung, 
mit der fih eine fo feelenvolle Stimme, eine fo munderbare 
Methode paarte, war e3 das Ungewöhnliche, welches ihr ganzes 
Auftreten begleitete; genug! Jenny Lind war auch bier, wie ander: 
wärt?, Die hochgefeierte Kunftheldin ded Tages. Ihrer Begabung 
nad) mehr auf den weichen, elegifchen Geſang, als auf dramatifche 
Muſik 'angewiefen, drang fie doch fiegreid, aud) in Opern durch, 


107 


in denen auch wieder jene Rollen ihr mehr zufagten, wo, wie in 
der Nachtwandlerin, nur das Iyrifche Element vorberrfcht, während 
Norma und anftrengendere Partieen ihr weniger gelangen. In 
„Vielka“, der lieblichen Schöpfung Meyerbeer's, der ſelbſt dirigirte, 
erreichte der Beifallsſturm den höchften Grad, und auch in Haydn's 
Meiſterwerk entziicdte fie. Dennoch bileb da3 „Lied“ immer ihre 
eigentlihe Sphäre, in der ihr Feine andere Stimme folgen konnte. 
In frappantem Gegenfate zu Jenny Lind erfchien bald eine andere 
Geſangsheroin, Alboni, mit einer Altſtimme fo gemaltig, als ihr 
Korperumfang. 

Zu den früheren Wiener Theaterdichtern Grillparzer, Zedlik 
und Halm, deren Dramen nod immer Beifall fpendende Zuhörer 
fanden, hatte fih nun ein fremder — Hebbel — gefellt. Der 
Aufenthalt befriedigte ihn nicht, und fchon wollte er Wien wieder 
verlaffen, ald er eines Abends im Burgtheater die Hofichaufpielerin 
Enghaus auftreten ſah und, von ihrem Darftellungstalente ergriffen, 
ihr Herz und Hand anbot. Er ließ fih nun häuslich in Wien 
nieder; feine Werke fanden aber nur eine getheilte Anerkennung, 
und fo fehr man auch dem Schwunge der Gedanken, der Kraft 
des Ausdrucks gerecht war, fo verleßten doch wieder herbe Auf: 
faffungen und von unflaren Ideen begleitete Mißtöne. Vorzüglich 
waren es aber feine Trauerfpiele, die ihrer grellen Uebergänge 
wegen dem verfeinerten Geſchmack nicht ganz zufagen wollten, und 
nur „Judith“ drang, einiger unverkennbar fchöner Stellen halber, 
mehr dur. Seine fpäteren Dramen find mir nicht bekannt. 

Schon feit langer Zeit hatte man in Wien von der Errich⸗ 
tung einer Alademie der Wiſſenſchaften, nach dem Beifpiel 
anderer Staaten, geſprochen; endlich gelang es auch den raſtloſen 
Bemühungen des Orientaliften v. Hammer-Purgſtall, dieſes große 
Unternehmen durchzuführen, und die neue, gelehrte Anftalt wurde 
am 80. Mai 1847 mit vieler Feierlichfeit eröffnet. An demſelben 
Tag fand in den folgenden Jahren immer wieder eine dffentliche 





108 


Sitzung ftatt. Die Hauptfrage aber, welche die mwiffenfchaftlichen 
Kreife bewegte, war: welche Gelehrten und Schriftfteller als wirt: 
liche, welche ald forrefpondirende Mitglieder in die neu gegründete 
Akademie mürden gewählt werden, zu deren erftem Kurator Yürft 
Metternich ernannt war (fpäter wurde ed Minifter v. Bad). 
Bon nun an thaten ſich auch einzelne Profefforen in ſ. g. popu- 
lären Borlefungen bervor, melde als früher nicht gekannte Unter: 
Baltungen viel befucht wurden und dann immer eine größere Aus- 
dehnung nahmen. Sie waren beliebter ala die ernften, oft Stunde 
langen, nicht Jedermann verftändlichen Vorträge in der Akademie. 
Einen bumoriftiihen Commentar zu jenem gelehrten Vereine bildet 
ein Pamphlet, welches in den 1840er Jahren unter dem Titel 
„Delterreichifcher Parnaß“, beftiegen von einem beruntergelommenen 
Antiquar, — „Frei⸗Sing“ — erſchien. Es ſchildert in kurzen, 
draſtiſchen Zügen, die nicht ſelten an die Karikatur ſtreifen, Alle, 
welche ſich da im Gebiete der ſchönen Wiſſenſchaften oder Literatur 
bekannt machten. Blieben die Witze auch nicht immer der Wahr⸗ 
heit getreu, ſo waren wieder andere um ſo treffender. Zur Probe 
will ich hier nur zwei dieſer ſatyriſchen Schilderungen anführen. 
Von Hammer, dem Förderer und Präſidenten der neuen Akademie, 
ſagt jenes Buch: 

„Scharfes, ausdrucksvolles Geſicht, Adlernaſe, immer zerſtreut, 
enormes Gedächtniß, weniger Geiſt; was er mit gigantiſchen Fäuſten 
ſchreibt, davon wird nicht alles auf die Nachwelt kommen. Mit⸗ 
glied aller Akademien, große Erudition, noch größere Ehrſucht; 
allſeitig gelobt, damit immer noch unzufrieden. Als orientaliſcher 
Sprachforſcher verdienſtlich, als Hiſtoriker mittelmäßig, als Poet 
unleidlich, abgedankter Hofdolmetſcher und Erblandvorſchneider, daher 
Oppoſition machender Doktrinär“ u. ſ. w. 

Ich füge bei, daß Hammer, bei ſeinem immenſen Wiſſen, 
wenn auch eitel, doch gutmüthig und im Umgange zuvorkommend 
war; von feiner Zerſtreutheit aber erzählte man fi) unglaubliche 





109 
Dinge; fo fol er unter anderen einmal auf der Baſtey eine 
Magd gefragt haben: wem denn die allerliebften Kinder gehören, 
die fie begleite? Wie? Eure Gnaden kennen ihre eigenen Kinder 
nicht mehr? war die Antwort der erftaunten Wärterin. 

Aus der Tangen Gallerie hebe ich nur noch ein Bild, das 
einer Dame, hervor. „Ir. 8. Pichler; Matrone, Wittme, wohl⸗ 
babend, ald fruchtbare Romanfchreiberin phantafiereich, doch immer 
profaifch, ehemals beliebt, noch heute geachtet, thut fehr häuslich, 
fpricht jehr gerne von Küche und Wäſche u. f. w.“ 


Im Laufe d. 3. 1847 verlor die kaiſerliche Yamilie vier 
Mitglieder: den Erzherzog Joſeph (Palatin), Karl und deſſen 
Sohn Friedrid, endih Marie Louiſe. 

Unter allen diefen Todesfällen hatte der des greifen Erzherzog 
Joſeph — im Januar — die meilte politifche Bedeutung, denn 
abgefehen davon, daß feine Lunge Erfahrung, fein rubiger, ver: 
ftändiger Sinn ihn vor allen zu feinem ſchwierigen Amte befähigten, 
mußte bei der in Ungarn immer mehr überhand nehmenden Gährung 
die Wahl eines PBalatin’3 der Regierung vorausfichtlih große Ver: 
legenheiten bereiten. — 

Der Erzherzog Karl, auch body bejahrt, unterlag einer Turzen 
Krankheit Ende April. Er wurde, wie er ed gewünſcht, nicht 
militärifch begraben, da er ja den größten Theil feines Lebens in 
ftiller Zurückgezogenheit zugebracht. Die gerechte Trauer, welche 
dem Verlufte eined Prinzen folgte, deſſen Thaten die glänzendften 
Blätter der öſterreichiſchen Kriegsgeſchichte füllen, wurde nah und 
fern lebhaft getheilt. Doc erſt jetzt erhebt ſich vor der Hofburg 
ein Standbild, um der fo leicht vergeffenden Nachwelt die Züge 
eined Helden in's Gedächtniß zurüdzurufen, der in unbeilooller 
Zeit, ohne Erfolg ſiegreich, dennoch gefeierter war, al3 viele lor⸗ 
beergefrönte Feldherren. Ein nicht mindered Verdienft erwarb fidh 





110 


Karl durch feine gediegenen, mifitärifchen und ftrategifchen Schriften, 
denen er außer der forgfältigen Erziehung feiner Familie den 
größten Theil feiner Zeit widmete. Man überſchätzte daher auch 
allzufehr den Antheil, welchen der Erzherzog an den politiichen, 
wie an den Tragen der inneren Verwaltung genommen, und e3 
war für näher mit den Verhältniffen Bertraute wahrhaft lächerlich 
zu hören, wie der Prinz in bejtändiger Oppoſition zum Hofe, ja 
fogar bemüht fei, die Rolle eines Herzogs non Orleans zu ſpielen 
und dergleihen mehr. Wenn es wahr ift, daß der Kaiſer Yranz 
feinen Bruder von den Staatsgeſchäften möglichft ferne hielt und 
des letzteren zurüdhaltende Stellung daher Feine ganz freiwillige 
war, jo konnte doch immer Karl ig einer fpäteren Zeit feinen 
Einfluß mehr geltend machen, blieb aber auch da feiner fchlichten, 
tfolirten Lebensweiſe treu, 

Pier hoffnungsvolle Söhne umftanden das Sterbelager und 
der dritte — Friedrich — hatte ſchon zur Freude des Vaters, 
mit 20 Jahren ald Marineoffizier fih un Drient ausgezeichnet 
und das Ritterkreuz des M.Thereſien-Ordens erhalten, war jomit 
das jüngfte Mitglied, während fein Vater das Großfreuz ala 
ältefter Ritter de Ordens trug — gewiß ein ebenſo feltener ala 
ergreifender Tal! Wer hätte damals ahnen können, baß der 
junge Seeheld ſchon einige Monate fpäter in Venedig dad Opfer 
eines Nervenfiebers werden und feinem Vater fobald in die Gruft 
folgen würde? — 

Im Dezember ftarb die Erzherzogin Marie Lonije in 
Parma. Ein Parifer Biograph fchrieb darüber: 

„Une mort obscure, une fortune Eclatante — une $gale 
inferiorit& & sa prospärite, & ses malheurs — c'est ainsi qu'on 
peut rösumer la destinee de Marie Louise. Il est des posi- 
tons, qui obligent, dans lesquels l’insuffisange est presqu’yune 
faute et Marie Louise fut dans une de ces positions, et gn 
peut le dire, dans la plus singuliere et la plus haute, dont 


111 
on ait congerv6 le souvenir. Assoeide & un homme extra- 
ordinaire, elle fut medioore, tort involontaire, sansdoute, 
mais placde dans des eirconstances, oü il fallait du moins 
supplier & la grandeur des vues par la plus Önargique fermets£, 
elle se montra faible, tort condamable et sans excuses. Si 
aux temps de la toute puissance de l’empereur elle aveit dA 
nöcessairement dispareitre, elle pouvait prendre noblement 
sg revanche aux jours de l’adversite, en faisant preuve d'un 
devouement digne d’une telle infortune, en s'élevant par le 
coeur & la hauteur du genie, conquerir par l& aux aplau- 
dissernent du monde et de la posterite, une égalité touchante 
avec celui, qu’elle ne pouvait &galer — elle ne sut &tre que 
veuve, quand il fallait &tre épouse.“ Dod fügt er hinzu: 
„certainement la position de Marie Louise &tait des plus 
diffieiles. Obsessions, seductiong, menaces, rien n’a &t& äpargnd 
pour lui faire accepter le triste röle qu’on Iui röservait etc. etc." 
Dieſes vom Mranzdfiihen Standpunkte aufgefaßte Urtheil mag ein: 
feitig, hart erfheinen; dennoch fanden ſich ſelbſt in Deutichland 
nicht wenige Stimmen, welche daſſelbe tbeilten. Will man frei 
yon Leidenfchaftlichkeit und Sentimentalität das ungewöhnliche Ge: 
Ihid, wie das fo bitter getadelte Benehmen der hoben Tran näber 
prüfen, fo wird eine unporteitfche Geſchichte ſich zu einer milderen 
Anficht befennen. Dan denke fich eine unerfahrene, beinahe ſchüchterne 
Prinzeffin, der man eined Tages plößlih fagte, daß fie beftimmt 
fei, dem gewaltigen Manne die Hand zu reidgen, den man ihr 
feit ihrer Kindheit als den unverſöhnlichen, fiegreichen Feind Oeſter⸗ 
reichs wie den Verfolger des Kaiferhaufed gejchildert — konnte fie 
da mohl Napoleon fi mit einem anderen Gefühle ald dem einer 
inneren Schen nähern? Ich glaube, daß dieſe drüdende Empfin- 
dung von Furcht fie während der Ehe nie verließ und fie in 
Berbindung mit einem, allerdings jeder Energie oder jeden höheren 
Auffhmwungs entbehrenden Charakter jene Lage, die man ihr zum 


112 


Vorwurf machte, willig annehmen ließ. Wer aber vermag end- 
gültig in fo wichtigen, die Welt erichütternden Tragen über jeden, 
dur fo manderlei Rüdfichten beftimmten, Schritt zu enticheiden? 

Wenige Wochen nachher ftarb zu Paris in den Tuilerien, 
weile Marie Louife jo vorübergehend bewohnt, eine Frau, die, 
weniger al3 diefe berufen, in die Geſchicke Frankreichs einzugreifen, 
dennoch unverkennbar einen, wenngleich ftillen, doch um fo nach⸗ 
haltigeren Einfluß übte — Mile. Adelaide v. Orleans, — Ihr 
meift richtiges DVerftändnig, ihr kluger Rath dienten nicht felten 
ihrem Töniglihen Bruder zur Richtſchnur des Benehmens und 
bald nad) ihrem Ende fah man Louis Philipp häufigen Schmanfungen 
in der Politik hingegeben — zwei Monate fpäter hatte er Paris 
verlaffen! — 

Im Oktober wurde die Trauung des Erzberzogd Ferdinand 
von Efte mit der Tochter des Palatind, Elifabeth, vollzogen. 
Es war dies die erſte Vermählung in der Taiferlihen Familie, 
weldyer ich beimohnte. Die Feier wurde fehr einfah in der Schloß- 
Tapelle von Schönbrunn abgehalten; dem SKirchengange folgte eine 
Beglüdwünfhungscour und ein Hofconcert. 

Die jugendliche, fchöne Erzberzogin fah reizend aus, war 
aber ſchon nah 2 uhren Wittwe geworden; eine Tochter — 
einft die einzige Erbin der modenefiihen Güter — war ihr aus 
diefer Ehe geblieben. | 

Außer zwei Ausflügen nad Iſchl und Steyermart, mo 
ih Grab und Maria Zell mit feinen romantifhen Umgebungen 
befuchte, machte ich feine längeren Entfernungen aus Wien. 


Das michtigfte politifhe Ereignig für Defterreih während 
des Jahres war die Palatinswapl in Ungarn. Sie konnte 
unter den gegebenen Umftänden Leine zmweifelbafte fein. Das dank: 
bare Andenken, welches man dem Verftorbenen bewahrte, leitete 


113 


alle Blicke ebenfo fehr auf den Sohn, als diefer felbft durch Be 
Tiebtheit und Fähigkeiten jener Auszeichnung völlig würdig erfchien. 
Erzherzog Stephan Hatte als Statthalter in Böhmen ſich den 
Ruf eined gewandten, Tenntnigreihen Geſchäftsmannes erworben 
und lange fchon bezeichnete ihn die dffentlihe Stimme ala den 
Nachfolger feined Vaters. Doch weniger glüdlich als diefer, thetite 
er auch nicht mit ihm alle Eigenfchaften, welche in fo fchmwieriger 
Zeit zur Löfung einer, menſchliche Kräfte beinahe überfteigenden 
Aufgabe erforderlich waren. Vielleicht noch zu unerfahren, fehlte 
dem jungen ‘Prinzen, bei äußerſt lebhaftem QTemperamente, Die 
nöthige Mäßigung, die feinen Vater nie verlaffen. Der Xubel, 
welcher den neuen Palatin begrüßte, die Rundreiſen, melde er, 
getragen auf den Schwingen der begeifterten Huldigung der feurigen 
Magyaren, durch das ganze Land hielt, waren allerdings auch für 
ein weniger dafür empfängliches Gemüth jchwindelerregend; auch 
ift es außerhalb Ungarn kaum möglich, fich eine richtige Vor⸗ 
ftellung von dem Grade des Enthuſiasmus zu machen, der fich 
bei ſolchen Anläffen in Einzügen, öffentlihen Berfammlungen, 
Tifehreden u. dergl. bei obligater Begleitung von Säbel- und 
Sporengellirre, endlofen „Eliens“ und rauſchender Muſik Tundgibt. 

Der Kaifer ſchickte feinen Neffen, den Erzherzog Franz 
Joſeph, nah Dfen, um dafelbft den Palatin Stephan zu „in- 
ftalliren,” deffen Eid entgegen zu nehmen u. ſ. w.; der jugendliche 
Prinz trat Hier zum erfien Male öffentlih auf, ſprach geläufig 
ungariih und feine ſchlanke Geftalt nahm fich in der glänzenden 
Hufarentracht fehr gut aus; er war daher nicht minder, als der 
Palatin, Gegenftand überſchwänglicher Ovationen. Bielen Be: 
ſchwerden murden bei diefer eier von dem, Ungarn immer wohl- 
wollenden König abgebolfen, ja vielleiht in Erwartung befferen 
Einvernehmend, manche Zugeftändniffe oder Verſprechen ertheilt, 
deren man fid) fpäter ald Waffen gegen die Regierung jelbft be: 
diente. Denn von diefem Zeitpunfte an bildete fidh jene Partei 

Kch. dv. Andlaw. Wen Tagebuch. II. 8 








114 


ftarrer Oppofition, welche den Umſturz berbeiführte. Ich werde 
darauf zurüdtommen und Tann jest nur die Lage Ungarns fcdhil: 
dern, wie fie das unbeilvolle Jahr 1848 traf. Wer ſich der 
allerdings nicht leichten Mühe unterziehen will, die Geſchichte dieſes 
Landes feit dem Aofterben des arpadiichen Königſtammes zu er- 
Iernen, wird fich überzeugen, wie fi) da ein Vorgang aus dem 
anderen folgerecht entmwicelte und es können demnach die neueſten 
Ereigniffe den Eingeweihten nicht überrafhen. Die, zweimal 
duch Erbrecht, zu der ungariſchen Krone gelangte Dynaſtie der 
Habsburg mußte diefelbe ſich mehr als einmal erfämpfen. Die 
Reformation, die langen Türkenkriege, der Geift ded Magyarismus 
waren ebenfo viele Hinderniffe einer gedeihlichen Entwidelung oder 
Verſchmelzung der beiden fi, abftogenden Elemente. Näherte die 
Noth oder der Trieb der Selbfterhaltung in drohenden Gefahren 
die Ungarn Defterreih, fo mar diefe Ausföhnung mehr einem 
vorübergehenden Waffenftillftande zu vergleichen; traten jedoch große 
politifche Krifen ein, famen dazu noch Aufhetzungen von Außen, 
jo belebten ſich wieder aufs Neue ihre Hoffnungen, wie der Drang 
nach Unabhängigkeit und hellauf Toderten allſobald die Flammen 
des Aufruhrs. Ein folder Züudſtoff, genährt von fremden Ein- 
flüffen und unterftüßt von der überall thätigen Propaganda, welcher 
fih verblendete Magnaten und hochverrätheriiche Demokraten unter 
Kofſuth anfchloffen, bereitete immer mehr jene Stimmung vor, 
welche, wenn auch nidht ein völlige Losreißen von Defterreich, 
doch mindeſtens die Perfonalunion anſtrebte. Gar viele irrige 
Anfihten find aus Unkenntniß diefer Verhältniſſe über Ungarn 
verbreitet, eben weil man feine Lage mit jener anderer Länder 
verglih und fi doch Feine in Europa eigenthümlicher geftaltete. 
Man mußte vor allem das alte und neue Ungarn unterfcheiden; 
alt war Ungarn in feiner DVerfaflung, feinen abgenüßten Geſetzen, 
feinen mittelalterlihen Formen, Sitten, Gebräuchen und Ser: 
fommen; neu war e8 in feinen ‘een, in Benübung von 





118 


Erfindungen, in dem Streben nad, erhöhten Wohlftand und einer 
feinen Zuftänden fiets vorauseilenden Givilifation. Daher die 
unvermeidlichen Konflikte zwiſchen einer nicht mehr ausreichenden 
Geſetzgebung und einer gänzlich veränderten Sachlage, daher das 
Bemühen der Regierung, die anderen Unterthanen Ungarns gegen 
eine Verfaffung in Schuß zu nehmen, weldye nur Edelleute, Leinen 
Mittelftand kannte, die Finanz: und innere DBerwaltung, das 
Heerweien mit den neuen Erforderniffen in Einklang zu bringen. 
Es waren feit taufend Jahren Städte gegründet worden, in 
Fragen des Rechts, des Handels, der Schifffahrt, des Fabrikweſens 
und in vielen anderen Dingen ganz nene Begriffe und Bedürf⸗ 
niffe entſtanden. Schon vor 25 Jahren (1837) fchrieb ih, daß 
folhe traurige Wirren nur durch einen Staatsftreih von Oben 
oder eine Empörung von Unten enden Tönnten. Würde dieſe 
leßtere dur Waffen unterdrifdt, jo wäre das Land ala ein 
erobertes zu betrachten und ein Boden zu weiteren Berhandlungen 
gefunden.*) Dieſer Fall iſt nun wirklich 1849 eingetreten, aber 
dennoch fam man nod immer nicht zu einer befriedigenden Loͤſung. 
Die große Schwierigkeit belebt einmal in der Zähigkeit, mit 
welcher die Partei ar ihren alten Sabungen hängt; fie iſt von 
einer glühenden Baterlandsliebe, an der fich mande Deutiche ein 
Beilpiel nehmen Tönnten, befeelt, vergißt aber, daß die Welt rings 
um fle eine andere geworden, daß Sachen, Kroaten, Rumänen, 
Slawaken und andere Völferfchaften die urfprünglichen Bewohner 
an Mehrzahl weit Überflügeln u. dergl. m. Mit jenem, beinahe 
fanatifchen Patriotismus gebt eine gewiſſe politifche Beichränktheit, 
eine maßlofe Eitelteit und Selbftüberſchätzung Hand in Hand; fie 
betrachten alles Fremde mit fouveräner Verachtung, und Ein- 
flüfterungen jeder Art beftärkten fie in ihrem Widerftand. 

Bor allem baffen fie aber ſelbſt den Schein eines Zwanges, 


*) Erinnetungsblätter S. 23—86. 
8* 





116 


und in diefer Ungebundenbeit überfehen fie, daß fich noch flärfere 
Gewalten als die ihrige der Macht der Umftände beugen mußten. 
Ungarn hat die Segnungen des Friedend unter Oeſterreichs ſanftem 
Scepter genoffen, ſah den Verkehr, das materielle Wohlergehen nad) 
allen Richtungen gefördert und während es diefe Vorzüge mit den 
anderen Kronländern theilte, die ihn zufagenden Neuerungen willig 

. annahm, toben die Wortführer, wenn es fi darum handelt, das 
Land in Beziehung auf Verfaffung und Geſetzgebung nur an- 
nähernd den übrigen mit der Monardie vereinigten Provinzen 
gleich zu» ftelen und ihre Oppofitionsluft jteigert ſich jeweils wieder 
im Hinblide auf revolutionäre Bewegungen in allen Theilen der 
‚Erde. So erhitzten ſich allmälig die Köpfe, bis unerwartete Ereig- 
niffe die Tängft vorbereiteten Pläne in den ftürmifchen Märztagen 
zur Neife brachten. 


Gaben fomit die inneren Angelegenheiten Stoff genug zu 
ernften Beſorgniſſen, jo waren ed nicht minder wichtige politifche 
Vorgänge, welche die Aufmerkfamteit des Wiener Kabinets lebhaft 
beihäftigten. .Borerft die Krafauer Frage, dann der Sonberbund: 

—., freit, -in dem die Eingriffe Oeſterreichs und Frankreichs gerade 
feine glüdlichen waren. Ebenſo wenig wollte ed gelingen, eine 
offene Wunde in Deutſchland (wegen Schleöwig-Holitein) zu heilen. 
Auch in einigen Städten, felbit Refidenzen, wie Münden, Stutt- 
.. gart, kam es zu Unruben, dabei Handelökrifen, die zunehmende 
Theuerung der Lebensmittel, ein allgewieined Mißbehagen — end: 

„ li bildeten fih Turn: und andere Vereine mit unverhohlen poli- 
- tiiher Tendenz, und die religidfe Wühlerei ging dabei nebenher. 
Ronge, Dowiat u. A. nannten fid) „Deutichlatholiten“, an fich 
[hart ein unfinniger Ausdrud, da im Worte felbft ein innerer 
Widerfpsuh liegt. Zu all diefen Erfceinungen kam nun noch 
die verwirrende Politik Englands, welche die Verlegenheiten, die 


117 


ihm Irland und andere innere Gebrechen bereiteten, nad) dem 
Seftlande abzuleiten ſuchte. Palmerſton bebte in der Schmeiz, 
wühlte in Spanien, berrichte in Portugal, tyrannifirte Griechen: 
land, ſchrieb der Pforte Geſetze vor, hifanirte in Polen, in Deutſch⸗ 
land, breitete nach allen Seiten feine Handeldideen aus, und ala 
vollends Lord Minto nach Italien geſchick wurde, vernahm man 
aus jeder Stadt, die er befuchte, Klagen über Willkür, ſelbſt 
Grauſamkeiten der Regierungen; bier, hieß es, verfolge man bie 
Proteftanten, dort kerkere man BPatrioten ein, unterdrüde jede 
Freiheit, jeden höheren Aufſchwung, und alfobald erichallten auch 
ſchon die „Reformrufe” ; felbft der Papſt, der in feiner großherzigen 
Auffaffungsweife die Bewegung zu leiten gedachte, war den ungeftüm 
Drängenden ſchon nicht mehr thätig genug, und man vief ihm 
das: Pio nono, sei bello e buono, ma sta! — mit Anjpielung 
auf feinen Familiennamen — zu. 

Schon im Karneval 1848 brachen in Folge diefer Umtriebe , 
. bedenflihe Unruhen in Mailand aus, welche unverfennbar im 
geheimen Zufammenhange mit der Pariſer Revolution der Februar⸗ 
tage ſtanden. 

Es war ganz natürlich, daß alle dieſe Symptome einer 
ſteigenden Gährung nicht nur Den Wiener Hof beunruhigen, ſon⸗, 
dern fi auch düftere Ahnungen in weiteren Kreiſen verbreiten 
mußten. Man verbehlte fi nicht, daß, welche Ummälzungen auch 
die Zukunft in ihrem Schooße berge, jede derjelben von noth⸗ 
mendiger Rückwirkung auf die Zuftände der Monarchie fein müffe 
und diefelben unter feiner "Bedingung in dieſer Weife länger fort? 
beftehen Könnten. Man erwartete und konnte feine Abänderung 
in der Äußeren Politik wie in den Fragen der inneren Verwaltung 
von den Staatömännern erwarten, welche den Rath des Kaiſers 
Ferdinand bildeten. Mit Recht behauptete man, daß es in Oeſter⸗ 
reich nur einzelne Miniſter, aber fein, das Ganze nach beftimmten 
Grundfäben leitende Miniſterium gebe. Der Erzherzog Ludwig, 





118 


von den edelften Abfichten befeelt, war bei der Berantwortlichkeit, 
die auf ihm laſtete, um jo ängſtlicher, als er ja nur Stellvertreter 
des Monarchen war. Graf Kolowrat nahm wohl mandmal 
einen Anlauf zu Neuerungen, Tehrte aber bald, wenn er nicht 
durchdringen Tonnte, wieder um. Kübel fand mit Einficht dem 
unglüdlichen Finanzweien vor, hatte aber auc Feine Wünfchelruthe 
und mußte fi damit begnügen, einen anderen Stein der Meilen 
zu finden: Gold immer mehr in Papier zu verwandeln. Graf 
3. Hardegg leitete mit mehr rechtlichem Sinne als &nergie den 
Hoffriegsrath und Graf J. Sedlnitzky war eher alles andere, als 
ein tüchtiger Polizeiminifter: ein feiner Lebemann, wohlwollend im 
Benehmen, faßte er fein Amt von der möglichſt engherzigen Seite 
auf und verlor über Meinlihen Detailfragen und der Ausbeute 
einer müffigen Neugierde die eigentliche Beftimmung eines geregelten 
Polizeiweſens aus den Augen. 

Endlich Fürft Metternihl Gegen ihn, ald die Seele des 
Kabinet3, waren immer die heftigften Vorwürfe gerichtet, und es 
ift jest, kurz vor dem Schluffe feiner ftaatsmänniichen Laufbahn, 
wohl am Orte, näher zu unterfuhen: ob er diefelben auch in fo 
vollem Maße verdiente? Sch habe wahrhaftig Leinen perfönlichen 
Grund, mich zum Vertheidiger jener Vergangenheit zu machen; 
ih verfannte nie ihre Schwächen, aber welche Regierung in irgend 
einem Lande war und ift denn immer fehlerfrei? Glaubt man im 
Ernſte, dag Fürft Metternih nicht, mwenigftend ebenfo gut als. 
feine Gegner, die Lage mit Klarheit durchſchaut und Mittel zur 
Abhülfe angeftrebt hätte? Gar oft hörte ich ihn Über Mangel an 
Copacitäten Magen, fähig, ſich der Aufgabe zu unterziehen, fo 
fhwierige Fragen zu Idfen. Sollte er, einem vielgehörten Rathe 
folgend, die Monarchie über Naht mit einer Konftitution, in 
Begleitung aller nur denkbaren Freiheiten, beglüden, daB Programm 
einer Partei aufftellen, die fi in ihrem feichten Liberalismus, ala 
fie bald nachher an's Ruder kam, ebenjo feig als unfähig erwies 


119 

und allfogleid von den Wogen des Rabikalismus hinweggeſpült 
wurde? Dabei vergefle man nicht, Daß Metternich, wenn gleich 
vielfach in Gefhäften erfahren, ein 74jähriger Greis war und 
gerade die lange Uebung ihn für manche neuere Forderung der 
Zeit abſtumpfte. Weßhalb trat er aber dann nicht ab? Höre ich 
ausrufen, und babe hierfür nur eine Antwort: wem konnte er 
mit gutem Gewiſſen die Zügel übergeben? 

Es iſt eine längſt anerkannte, aber noch immer nicht genug 
beherzigte Thatſache, daß eine nie ruhende Partei den Umfturz - 
alles Beitebenden anftrebe, — man nenne fie Rothe, Socialiften, 
Jakobiner, Sarbonari, Kommuniften, Radifale — fie alle wollen 
die Welt nad) ihren Ideen reformiren, Staat, Kirche, Eigenthum, 
Familie, alle geſetzlichen Bande der menſchlichen Geſellſchaft unter: 
graben und zeritören. Allenthalben thätig, erſcheint fie, auf alle 
Stände einwirfend, in den verfchiedenften Formen und fpart weder . 
füß einfchmeihelnde Worte und Beftechungen, noch Drohungen. 
Ihr Steht fletd eine ganze Borrathälammer von Schlagworten, 
von hochtönenden, aber hohlen Phraſen zu Gebote, wenn es gilt, 
Wahrheit in Lüge, die Wirklichleit in eine Traumwelt zu ver: 
ehren und die Anfangs lodenden Pfade mit einem fahlen Irr⸗ 
lichte zu erhellen. Man mürde die Eriftenz und Fortdauer eines . 
folhen Vereins kaum für möglih halten, wenn nicht die eiferne. 


Beharrlichkeit und eine an Wahnfinn grenzende Keckheit der Partei 


ihn erhielten und ihm felbft augenblidliche Siege verſchafft Hätten. 
Dazu kam die ganz unglaublihe, durch eine wühlerifche Preſſe 
gefteigerte Verwirrung der Begriffe. Solchem frevelhaften Treiben 
mit vereinter Kraft entgegen zu treten, ift heilige Pflicht aller 
Regierungen, jeded ordnungsliebenden Staatsbürgers, denn nicht 
gegen Throne und Altäre allein ift diefe bämonifche Verſchwörung 
gerichtet, es gilt der Eivilifation, den Sitten, der ganzen jekigen 
Welteinrihtung. Iſt man im Allgemeinen audy über die Notb: 
wendigfeit einig, folche verbrecheriſche Ausſchreitungen zu befämpfen, 


120 


fo gehen doch die Anſichten Über die Mittel zur Erreihung eines 
fo löblichen Zweckes gar weit auseinander. Die Einen wollen 
dem Strom der Revolution einen gewaltigen Damm entgegen- 
ftellen, ihre Anhänger raftlod verfolgen und fomit den Kampf 
offen und rüdfichtslod aufnehmen. Andere ziehen vor, jenem ver: 
heerenden Strome eine Ableitung zu geben, damit er, die Dämme 
gewaltſam zerreißend, nicht alles überfluthe, fie mähnen durch 
Zugeftändniffe den Geift der Empörung zu bannen und den augen: 
blicklich berrfchenden Ideen Rechnung tragend, Fünftigen Stürmen 
um fo ficherer vorzubeugen. Die Träger beider Syſteme ftehen 
fid) grollend gegenüber, und man macht fich gegenfeitige Vorwürfe: 
jenen, daß fie durch flarren Widerftand die Sache der Revolution 
fördern, Diefen, daß fie durch Nachgiebigfeit ihr ala blinde Werk⸗ 
zeuge dienen. Es gibt Beilpiele genug, welche ebenjo fehr für 
wie gegen die Grundſätze diefer beiden Syſteme angeführt werden 
können. Oeſterreich unterlag 1848 nad ftrengem Feſthalten ebenfo 
gut, als Louis Philipp und andere Fürften — welche bis zur 
äußerften Grenze der Conceffionen gelangt waren; am Ende kommt 
es doch immer nur darauf an, wer der Stärfere ift und in 
welcher Weile er die ihm gemordene Macht ug und Fräftig zu 
benüßen weiß. Bei all dem finnverwirrenden Treiben unferer 
Tage drängt fi aber auch mit unverfchämter Gefchäftigfeit die 
Lüge, noch mehr jedoch die politiihe Heuchelei allenthalben ein, 
und mit Recht konnte ein geiftreiher Franzoſe auf die an ihn 
gerichtete Frage: „Qu'est ce que la vérité de nos jours?“ 
erwiedern: „‚C’est un mensonge qui par hasard se verifie!“ 
Wenn der Yürft Metternich daher, wie ich ſchon angedeutet, 
es fi zur Hauptaufgabe feines Lebens gemacht, der Hyder der 
Revolution in jeder Geftalt und überall zu wiberftehen, fo irrte 
er vielleicht Hie und da in der Wahl der richtigen Mittel, es 
fehlte ihm wohl eine gewiſſe Elafticität, aber e3 wäre doch wahrlich 
an der Zeit, nicht Tänger auf eine Wirkſamkeit zu ſchmähen, melche 





121 


bei ruhiger Prüfung den Bebürfnifien der Epoche vollfommen ent: 
ſprach, welche namentlih, unter andauerndem Einverſtändniß mit 
Preußen, Deutichland fo lange den inneren Frieden ficherte und, 
alles Gefchreied ungeachtet, Oberitalien einen Grad von Ruhe 
und Wohlſtand brachte, deilen es fich früher nie und auch jebt 
noch, nad erlangter ſ. g. Freiheit, nicht erfreut. 

Ich kann demnach Leinen entfchiedenen Tadel über jenes 
Syitem ausfprehen und glaube, daß man beffer thäte, ftatt die 
ganze Laſt und Schuld an dem Leid unjerer Zeit früheren Mif- 
griffen aufzubürden, ſich ernftlid damit zu befchäftigen, mehr an 
die Gegenwart zu denken und an der Stelle der jebigen Zerriffen: 
beit Dauerndes aufzubauen. 


So ging denn das Jahr 1847 nicht ohne ein drüdendes 
Borgefühl Tünftiger, drohender Geſchicke zu Ende; fchlimme An- 
zeichen mehrten fi, und Yürftin Melanie fagte mir, daß fie feit 
einiger Zeit von allen Seiten, auh von Mannheim, anonyme 
Briefe mit gemeinen Schmähungen und gehäffigen Vorausſetzungen 
erhalte, daß die Stunden ihres Glückes gezählt feien u. dgl. m. 
So ſehr fie auch ſolche Zufendungen erfchütterten, fo ftellte fie 
bo, wie fle fih ausdrüdte, ihr und der Ihrigen Schidfal der 
Yügung Gottes vertrauendvoll anheim. 


Am November traf General v. Radowitz in Wien ein und 
eröffnete fomit jene lange Reihe von preußifchen außerordentlichen 
Miffionen, welche, bis heute wenigſtens ohne fihtbaren Erfolg, 
die Einigkeit beider Großftanten bald in einzelnen Fragen berbei- 
führen, bald im Ganzen befeftigen oder wiederherſtellen follten. 
Veberdieß ſah man in Wien der weiteren Entwidelung der Ber: 
liner Zuftände wie der neuen Verfeffung mit einer gewiflen 
Spannung entgegen, war aber von dem Ausgang der erjten 
Zufammenfunft der beiden „Häufer“ wie der Haltung des Königs 
mehr befriedigt, ald man ermartet hatte. 





122 


Dießmal war Radowitz berufen, die Schweizer Angelegen- 
beiten in Paris zu beiprehen und begab ſich zugleich mit dem 
Grafen Colloredo dahin, welcher nach feiner Vermählung (mit 
der Gräfin Wittwe S. Sobainsla-Botoda) den Poſten in St. 
Peteröburg aufgegeben hatte und fpäter durd den Grafen Buol 
eriebt worden war. 


Die Gefelligfeit beivegte fidy in dem gewöhnlichen Geleiſe 
von Tanzfreuden, Concerten und Routs. ine Gejellihaft von 
Damen und Herren des Adel3- veranftaltete zur Unterhaltung der 
tungen Erzherzoge ein Liebhabertheater; im Hinblid auf die bald 
nachher eintretenden Creigniffe mar e wohl eine befondere Ironie 
des Zufalls, daß hierzu Kotzebue's „Wirrwarr“ gewählt ‚wurde 
und in Ermangelung eined anderen Lokals Die Vorſtellung im 
Sitzungsſaale des „Staatsraths“ ſtattfand! 


Der 24. Februar, von jeher ein Unglücks⸗, in dieſem Jahre 
auch noch der Schalttag, war erfchienen. Es wurde an dem⸗ 
jelben der Kriegsminiſter Graf Hardegg mit großem militärifchem 
Gepränge begraben. In den Morgenftunden ftarb die Yürftin 
Sof. Lichtenftein:Fürftenderg. Diele hohe Dame kann den 
Edelften ihres Geſchlechtes beigezählt werden: Mutter einer fchönen, 
zahlreichen Yamilie, war fie aud eine Zierde der Geſellſchaft; ihr 
feiner und zugleich heiterer Geift, verbunden mit einer natürlichen 
Gutmüthigkeit, 309 ihr in dem weiten Familienkreis mie bei Hofe 
und in der großen Welt, in der fie fi mit Anmuth bemegte, 
allgemeine Verehrung zu. Hatte fie ſich aud in der lebten Zeit 
wegen zunehmender Taubheit von zahlreiheren Berfammlungen 
entfernt gehalten, jo ſchaarten ſich doch immer freudig ihre Freunde 
um fie. Gin Theil ihrer liebenswürdigen Eigenfchaften ging ala 
willlommened Erbe auf ihre vier Töchter über. 


An dem Abend deffelben 24. fand ein Hofball ftatt, auf 
dem die meiften größeren, mit dem Hauſe Richtenftein verivandten 





123 
Tamilien nicht erfchienen. Ueberdieß Tag auf dem ganzen Feſte 
wie eine beengende Schwüle, und ihr möglichit zu entgehen, fekte 
ich mich an den Whiſttiſch; auch Graf Flahault, wohl nicht ahnend, 
was fih in jenen Stunden zu Paris begeben würde, nahm an 
der Partie Theil. 

Erft nad einigen Tagen verbreiteten ſich unheimliche Gerüchte, 
und der 29, Februar beftätigte Thatſachen, weldhe man fih kaum 
furz zuvor noch möglich geträumt Hatte Nun folgten Tage der 
Beitürzung, der Anfang einer neuen Zeit! 





124 


Aeizehnter Abſchnitt. 


(1848 — 1851.) 


Inhalt: Der 18. März Flucht bes Fürften Metternih. Die neuen 
Zuftände. Ungarn, Ztalien. Die Berfafjfung vom 25. April 
Die Maitage. Der Taiferlihe Hof in Innsbruck. Deputationen. 
Auftritte. Das ungariihe Minifterium und bie Revolution. Flucht bes 
Palatind. Der öfterreihifhe Neihstag Die Oktober-Schreckens⸗ 
tage. Die Belagerung Wiens. Die Flucht nad Olmfütz. Kaifer 
Franz Joſeph. Meberfihtlide Zufammenftellung ber politischen 
Greignifie des Jahres 1848. Fürft F. Schwarzenberg. Graf Franz 
Stabion. Dr. Alex. Bad. Der ungarifhe Feldzug. Die Schlacht 
von Rovara, Die Reihsverfaffung. Die deutfche Königs wahl 
in Frankfurt. Der Aufruhr in Baden, Die ruſſiſche Intervention in 
Ungarn. Die Einnahme Roms. Der Zal Venedig Radetzky in 
Bien. Die öfterreihifhe Armee. Politifche Betrachtungen. Die de utſche 
Frage. Erfurt und Berlin. Holftein und Kurbefien. Rabowig. Zu: 
ftände In Baden. Eln Brief Metternich's. Zuſammenkunft in Bregenz. 
Meine Miffon in Wien. Der Vertrag von Olmütz. Die Dres be ner 
Konferenzen. WBieberanftelung und Rückkehr nah Wien, 


Die allgemeine Bewegung, welche fi in Stalien vorbereitet, 
in Paris entzündet, hatte ſich feit dem 1. März auch ganz Deutſch⸗ 
land mitgetheilt. Sie brach zuerft in Aeußerungen des Unwillens 
gegen die Wirkfamfeit des Bundestage aus und pflanzte fid, in 
den Kammern, wie in Vollsverfammlungen elektrifh fort. Aus 
einer der lehteren ging der |. g. Fünfziger-Ausſchuß in Heidelberg 
hervor, aus dem fi) dann dad „Borparlament” in Frankfurt ent: 
widelte. Die Regierungen, felbft die der beiden Großmächte, fehienen 


125 


rathlos; die Fluth des fo überrafchend ſchnell gefteigerten Wider: 
ſtands mar zu body angefhiwollen, um ihn mit Waffengewalt unter: 
drüden zu können; man nahm daher die Zufluht zu Auskunft: 
mitteln, zu Gonceffionen, welche größtentheild den beabfichtigten 
Zweck verfehlten. Abermals erſchien General Radowitz, um fi 
mit dem Wiener Kabinette über eine gemeinfhaftliche Haltung, 
den drohenden Gefahren gegenüber, zu berathen. In gleicher Weife 
ſchickte Fürft Metternich den Grafen Colloredo nad Frankfurt, 
defien, auf die Klärung der Lage berechneten Snftruftionen vom 
12. März fon am folgenden Tage als erioichen betrachtet werden 
fonnten. —- 

So verfloffen die eriten vierzehn Tage in fortmährender 
Spannung unter den bedenklihiten Nachrichten aus Italien und 
aus ‚deutfchen Städten, wo e3 beſonders in München zum Aufruhr 
gefommen war. Der 13. März bezeichnete in Wien den Schluß 
der biöherigen Regierungsweiſe und nad) einem ungemein ftür: 
mifhen Tage gab Fürſt Mefternih feine Entlaſſung ein; mit 
deilen Nüdtritt und den fi daran Tnüpfenden Zugeftändniffen 
wähnte man alle Mebel gehoben, während doc, gerade diefer Tag 
nur der erfte in einer Reihe Tanger unbeilvoller Monate war. 
Ich Habe es verfucht, alle Ereigniffe, meldyen ich ald Augenzeuge 
beimohnte, umſtändlich zu fhildern;*) wenn ich diefen Befprechungen 
noch einige weitere erläuternde Bemerkungen beifüge, fo geſchieht 
es dem Plane dieſes Buchs gemäß, um die perjünlihen Eindrüde 
näher hervorzuheben. Denn, da ich Feine Geſchichte unferer Zeit 
Ichreiben, nur ihre Zeichen andeuten, felbit Erlebtes aufzeichnen 


wollte, fo Tann id von dem ewig dentwürdigen Sabre 1848 nur 


ein Sefammtbild der Begebenheiten in chronologiicher Tolge ent: 
werfen, und werde diefe überfichtliche Darftelung den nachſtehenden 
Skizzen ſpäter anreihen. 








*) Srinnerungsbl. ©. 182— 182. 





126 


Leder Tag der dritten Märzwoche brachte überraſchende Er: 
ſcheinungen; nachdem in den „drei“ erften Tagen „alles bewilligt“ 
war, vermehrte der triumphartige Einzug des Erzherzogs Stephan, 
ſowie der theatraliſch ſich geberdende Koſſuth an der Spike einer 
Deputation den allgemeinen Taumel, und als ih mid am 18. 
mit Radowitz über alle diefe auffallenden Vorgänge unterhielt, rief 
er, entrüftet darüber und mit einiger Befriedigung, aus: „mein 
König ift Gottlob! noch willendfräftig genug, um fi fo Schmach⸗ 
volles nicht abtroten zu laſſen!“ — In derfelben Stunde fanden 
die bekannten Mäglichen Vorfälle in Berlin ftatt! — 


Den 19. traf gerade während einer Mondäfinfternig Erz: 
berzog Johann in feiner mir gegenüber Tiegenden Wohnung ein; 
überhaupt Fonnte ich von meinen Yenftern aus, wie in den eriten 
Logen, die wichtigften auf dem Kohlmarkte und Michaelerplak 
theilweife blutigen Begebenheiten überfehen. Mit einer vorüber: 
gehenden Ruhe in Wien trafen nun die Hioböpoften von Italien 
zufanımen; die Piemontefen maren fiegreih in Mailand eingezogen, 
Venedig gefallen und Radetzky hatte ſich nad) Verona, die Truppen 
in die Feltungen zurüdgezogen; Yerrara, früher befeßt, hatte nur 
noch öſterreichiſche Truppen in der Citadelle, während fo das cis- 
alpinifche Königreich ftüchveife der Macht Oefterreih3 enticdylüpfte, 
war auch fein Einfluß in Deutfchland von den Wortführern des 
Tages längft überflügelt und die ftille Bundesverfammlung mußte 
bald dem lärmenden „Parlamente“ in der Paulskirche weichen. 


Mittlerweile reichten fih in Wien Straßentumulte, Katzen⸗ 
muſiken, unterftüßt von der efelhafteften Preſſe, die Hand; die 
Rationalgarde, auf die man fo ſtolz war, verfiel bald fremden 
demokratiſchen Wühlereien, und der immer kecker hervortretende 
„Sicherheitsausſchuß,“ im Bunde mit den Studenten, „ben lieben 
ungen“ —, bereitete die bald folgenden Kataſtrophen vor. Noch 
war der 25. April — an dem die neune Verfaffung erſchien — 








127 





ein Tag unbefchreiblichen Jubels, doch fchon der 15. Mai, mit 
fünftlich herbeigeführtem Geſchrei, machte, bei der feigherzigen 
Schwäche der Minijter, diefen Täufchungen ein Ende. Schon den 
18. floh der Kaifer mit feiner ganzen Familie In der Nacht nad 
Innsbruck; es ließen fich einzelne leife Töne nach Proffamirung 
einer Republit hören, doch trug vorerft noch ein gefunderer Sinn 
den Sieg davon und die, wenngleich fcheinbar theilnahmloſen, 
Truppen bielten wenigftens die Außere Ruhe aufreht. Da er: 
ſchallte plöglih der Ruf: „Windiichgräß rüde mit einer Armee 
heran” und in der Naht vom 26. Mat bedediten ſich alle Straßen 
Wiens mit ungeheueren Barriladen; man fuchte fi im Wetteifer 
zu übertreffen und tyranniſche Hausherren zwangen die friedlichen 
Mitbewohner, das Pflafter aufzureißen, felbft die Steine in die 
oberen Stockwerke zu fchleppen um damit die eben einrüdenden 
Truppen zu zerfchmettern. Doc erwies ſich zuletzt der ganze 
Lärm als ein blinder und alle diefe Anftrengungen wurden in 
ihrer Zweckloſigkeit wahrhaft lächerlich. 

Herr v. Weſſenberg, welcher den Grafen Fiquelmont im 
auswärtigen Miniftertum erfett hatte, Tieß eine Einladung an das 
diplomatifche Corps ergeben, fi an das Taiferlihe Hoflager nad 
Innsbruck zu begeben. Der Adel, die Reicheren und Unabhängigen, 
wer nur immer konnte, hatten ſich ohnehin ſchon von Wien ent: 
fernt. Ich begleitete die Herzogin P. v. Württemberg, melde fich 
nach Iſchl begab, bis Linz. Die 77jährige Dame war noch nie 
auf einem Dampfichiffe gefahren und brachte daher vor Angſt eine 
doppelt furchtbare Nacht mitten unter Flüchtlingen und bewaffneten 
Proletariern zu; ja, einige Studenten hielten fie wegen ber 
Aehnlichkeit mit ihrem Bruder für den als Frau verkieideten Fürften 
Metternich; ich war genöthigt ihnen im Ernſte das Unfinnige 
diefer Vermuthung vorzuftellen. In Linz erwarteten und neue 
Emotionen! Der Gafthof wurde von einem tobenden Volkshaufen 
belagert, welcher auf Montecuculi und einige andere, von Wien 


128 


entflohene Herren fahndete; fie, deren Namen noch vor Wochen fo 
populär, wurden nun ald Verräther verfolgt. Bon Linz begab 
ih mid nah Tyrol. 

Der zwölfmöchentlihe Aufenthalt der kaiſerlichen Yamilie in 
Innsbruck wird immer eine der denkwürdigſten Epifoden diefed Sturm: 
jahres bleiben. Wie in einer Zauberlaterne ſahen wir da Menſchen 
wie Begebenheiten an ung vorüberziehen; während der Kanonendonner 
in Paris und Prag wiederhballte, erfreute man ſich an den Siegen 
der berrlihen Armee unter Radetzky in Italien; dazwiſchen die 
Neden des Parlament3 in Frankfurt, wie das neue Schaufpiel 
eines Reichſtags in Wien, doch vor allem die feltfamen Begebniffe, 
welche ſich in unmittelbarer Nähe zutrugen. Generale, Staats- 
männer, Diplomaten, Couriere, Deputationen aller Kronländer 
freuzten fidy täglih auf den Straßen und das Junsbrucker Schloß, 
welches einft einen Raifer fterben fahb, war jebt abermals Zeuge 
höchſt merfmürdiger Auftritte Kaifer Yerdinand, umringt von 
Miniftern, in deren Mitte er beinahe wie ein Gefangener ſich 
nicht frei bewegen konnte, bielt täglich Audienzen und lud Mit: 
tags oder Abends Gäfte ein. Eines Tages mit anderen Gefandten 
zur kaiſerlichen Tafel geladen, fand ih einen Pla neben mir 
Teer, als bald nachher der ungarifhe Premier, Graf L. Bathiany, 
in einem ungeziwungenen Dlorgenanzuge, in dem er höchſtens die 
Martinswand hätte befteigen können, ſich ohne weitere Umſtände 
zu Tiſche ſetzte. Nachmittags drängte Bathiany den Kaiſer in 
eine Ede des Salons, un allein nit ihm zu ſprechen, aus weldyer 
Lage ihn die immer wachſame Geiftesgegenwart feiner kaiſerlichen 
Gemahlin befreite. Un einem anderen Abende waren wir "zum 
Thee bei der Erzherzogin Sophie, ald gerade der Erzherzog Franz 
Joſeph and der Lombardei zurüdtehrte, mo er die eriten glänzen- 
den Waffenthaten beitanden. Nur mit innerem Widerftreben wich 
er der Nothwendigkeit und verließ biutenden Herzens den glor: 
reihen Kampfplatz des tapferen Heeres; mit wehmüthiger Sehnjucht 








129 


zeigte er und Kriegsſcenen, welche er ſelbſt in ein Album 
ſtizzirt hatte. 

Eine eigene, in diefer Weife nie in Innsbruck ftattgefundene, 
Kirchenfeier war die Frohnleichnamsproceſſion, wo der kaiſerliche 
Hof, umgeben von dem fo bunt zufammengefebten Gefolge und 
den Tyroler Schützen in ihren malerifhen Trachten, erichien. 

Eine ungarifche Deputation reihte ſich an die andere, jede zahl: 
reicher, ungeftümer ; felbft Erzherzog Stephan mar gekommen in 
den Kaiſer zu dringen, feine Nefidenz in Ofen aufzufchlagen. Hier 
war es, wo fih Graf Grünne, der Oberhofmeifter des Palatinz, 
von diefem trennte, und dem Erzherzog Franz Joſeph zur Dienft: 
leitung beigegeben wurde. Die zum Theil dem höchften Adel 
angebörenden Abgeordneten Ungarn? murden mit Auszeichnung 
empfangen; ihre Sendung blieb jedod ohne unmittelbaren Erfolg. 
Ebenſo erging es Jellachich, welcher fid) nicht einmal in Innsbruck 
öffentlich zeigen, fondern den Kaifer nur ganz indgeheim fprechen 
fonnte. Auch ein päpftlicher Legat war erichienen, deffen Sen: 
dung aber unter den gegebenen Umſtänden feine Ausſöhnung 
hoffen ließ. 

Eine? Morgend war der Erzherzog Johann im Gafthofe 
zur Sonne abgeftiegen und ich machte ihm mit anderen Kollegen 
die Aufwartung. Diefer Prinz hatte einit in Köln die unvor: 
fichtigen Worte: „Fein Defterreih, Tein Preußen! ein einiges 
Deutichland” ausgefprochen! dafür biüßte ey nun, dag man ihn in 
Frankfurt zum deutfchen „Reichsverweſer“ außrief! Der Erzherzog 
drückte fich offen über die Lage aus und verbehlte ſich die beinahe 
unüberfteiglichen Schwierigkeiten nicht, welche ihn erwarteten, glaubte 
fih jedoch aus WPflichtgefühl diefer Aufgabe nicht entziehen zu 
dürfen. Bon da begab er ſich nad Wien, um in Auftrage des 
Raifers die erfte gefeßgebende Verſammlung in der k. k. Reitſchule 
feierlich zu eröffnen. Das diplomatifche Corps reifte Ende Juni 
deßhalb ebenfalls wieder nach Wien zurüd; nur Medem, Arnim 

Ich. v. Andlam. Wein Tagebuch. II. 9 


130 


und ich bliehen in Inuzbrud. Der ruſſiſche Hof Hatte aus⸗ 
drüdlich feinen Gefandten angewieſen, ſich nicht von Dem Sailer 
zu trennen, Arnim aber, zurüdberufen, erwartete feinen Nachfolger, 
den Grafen Bernftorff; da fi jedoch Defien Ankunft ver 
zögerte, überggb mir Arnim die Siegel und Papiere her preußiſchen 
Geſandtſchaft, welche ich jeyem bei feinem Eintreffen einhändigte. 
Mein eigenes Verbleiben war leider Tein freiwillige; eine Krank: 
heit, an jene in Paris mahnend, hatte mich ergriffen, und ich 
ließ mich in dag romautifd gelegene ftile Bad Mühlau bringen, 
welches ich erft, gerade den Tag vor der Abreife des Kaiferd, ver- 
laſſen konrite. 

Wiederholt war man in den Monarchen gedrungen, in ſein 
„treue, völlig beruhigtes“ Wien zurüdgufehren, hatte ihm nor: 
geftelt, daß mur dadurch der innere Friede gefichert werden 
könnte u. ſ. w. Der Kaifer entſchloß ſich endlich, mwiewohl ungerne, 
zu dieſem Schritte Ich ſah feinen Einzug auf der Durchreiſe 
in Salzburg, mo fih in Die freundlihe Bewegung noch der 
Jubel über die Ankunft des Fürſten Fror. Lichtenftein mifchte, 
welcher die Schlüffel des wiedereroberten Mailand überbrachte. 

Auf dem Wege dahin war ih noch in der Nacht einer 
Deputation von Magnaten begegnet, unter welchen fi auch ber 
bald nachher einem fo tragiihen Schidfale verfallene Eugen 
Zichy befand; ic ſah ihm hier, heiter wie immer, zum lepten 
Male. — | 

In Linz beftieg id) eined der Dampfihiffe, welches das 
faiferliche Bahrzeug nach Wien begleitete, war daher Zeuge, wie 
ih da alles längs den Ufern belebte, Städte und Dörfer fi 
ſchmückten und die Begrüßung in begeifterten Lebehochrufen gu 
Nupdorf den höchſten Ausdrud fand! 

Diefe Freude, vielleicht auch ungeheuchelt, war nicht non 
langer Dauer und zwei Monate verfloffen in fortwährenden poli⸗ 
tiſchen Zuckungen. Mehr noch al Wien beunrubigten die 


181 


Vorgänge in Ungarn und ein Bei frecher Hugebundenheit Hatte ſich 
täglich mehr der ftändiihen Berathungen bemächtigt. Noch erinnere 
ich mid, wie Fürſt Paul Eſterhazy, bei dem ih am 1. September 
in Hatteldorf mit Doͤak u. U. aß, mir die peinlihen Gefühle 
ſchilderte, mit denen er fein krauriged Amt in einem von foldyen 
Elementen zufanmengefeßten ungariſchen Dinifterium fortführe, 
Seine Stelung war wicht länger haltbar und einige Wochen nach⸗ 
ber waren auch Schon die Gemäßigteren ausgetreten, nur Bathiann, 
Koſſuth und Die radialen Mitglieder geblieben, war St. Szechenyi 
infianig geworden, der Palatin auf der Flucht und Lamberg fiel 
als Opfer der Pflichttreue auf der Peter Kettenbräde unter hoch⸗ 
nerrätheriihen Händen! — 


Nun kam der Dftober mit feinen Schredniffen heran. Der 
6. bleibt in feinen furdtbaren Ereigniffen immer unvergeßlich. 
Der Kaifer floh in der Naht nah Olmütz und der Neichdtag 
ſchleppte feine Verhandlungen bis zur Zeit der Belagerung fort. 
Das diplomatifhe Corps, welches ſich durch diefe Vorgänge in 
einer eigenthümlichen Lage befand, da es feine Einladung nad 
Olmütz erhalten hatte, Fam einige Male zu gemeinfchaftlihen Be: 
rathungen bei Lord Ponſonby zufammen. Man konnte zu keinem 
Entſchluſſe gelangen und nur als wir von dem k. k. Kabinette 
höflich erfuccht wurden, das „belagerte” Wien zu verlaffen, begab 
ich mich mit einigen ©efandten nah Hitzing, andere zerſtreuten 
fi) in der Umgebung, nur Graf Medem, abermals beitimmten 
Meifungen folgend, verließ den Saifer nidt. Die acht denkwür⸗ 
digen Tage der Belagerung werden wohl nie aus dem Gedächtniffe 
der Augenzeugen ſchwinden! — 


Der November verfloß THU und unbehaglich, noch trüber 
durch die Reihe ftandrechtliher Hinrichtungen, weldhe nun folgten; 
hie Stadt bot einen Anublick von Merlaffenheit und düfterer Stim⸗ 
mung, welcher ſie lange nicht verließ! 

9 ” 


132 


Den 2. Dezember hatte Kaiſer Yerdinand feine Krone 
niedergelegt und fein 18jähriger Neffe Franz Joſeph den Thron 
beftiegen. Fürſt Felix Schwarzenberg war Minifter- Präfident. 
Fürft Windiſchgrätz bereitete fid) zum Feldzuge nad) Ungarn vor, 
und der in Wien unterbrodhene Reichſtag — unfeligen Andentens — 
trat in — Kremſier! wieder zufammen. 

Mitte Dezember wurde ich beauftragt mid nah Olmütz 
zu begeben, um dort den Prinzen Friedrih von Baden zu em- 
pfangen, welchen der Großherzog zur Bewilllommnung des Kaifers 
dahin abgefendet Hatte. Auch der Fürft von Fürſtenberg war zu 
gleichem Behufe im Namen des Reichsverweſers dort erfchienen. 
Das Taiferliche Hoflager in der alten mähriſchen Feſtung, von dem 
‚ in Imnsbrud fo fehr -verfchieden, bot dod, manche Anziehungs:, 
ſelbſt Vergleich Punkte. Das Taiferlihe Ehepaar Hatte bald nad 
“der Abdanfung fih nah Prag zurüdgezogen, um dort feinen 
bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Franz Joſeph bewohnte mit 
feinen durchlauchtigſten Eltern das fürftzerzbifhöflihe Schloß, und 
täglich waren Mittags und Abends viele fremde Gäfte eingeladen. 
Auch die Erzherzogin Elifabeth, die Prinzeffin Amalie von Schweden 
und Prinz Wafa batten ſich eingefunden; die Mehrzahl der Ange: 
fommenen bildeten jedoch höhere Offiziere. Ich erhielt nun 
Audienz — die erſte — bei dem jungen Monarchen, und hatte 
mehrere Beiprechungen mit dem Fürften %. Schwarzenberg. Die 
Politik des Kabinetd war damald mehr abmwartender, als thätiger 
Natur; die Creigniffe mußten zunächſt ihren Gang beftimmen und 
mit der größten Spannung ſah man den mit jedem Tage in—⸗ 
tereffanter werdenden Nachrichten aus Stalien und Ungarn ent: 
gegen, denn, noch mar es nicht an der Zeit, fich erniter mit den 
deutjchen Angelegenheiten zu befchäftigen. Dem Fürften Schwarzen: 
berg ftand damals Hübner zur Seite, diefer Geſchäftsmann war 
früher zu diplomatiſchen Milfionen verwendet, zuletzt Generafconjul 
in Leipzig gemwejen, und fchloß fih nun, dur die Oftobertage 


133 


berufslos geworden, dem Kauptquartiere Jellachich's an. Fürft 
Schwarzenberg benüßte die Erfahrung dieſes gewandten Beamten 
und Jedermann glaubte ſchon ihn zum künftigen Unterftaatsfecretär 
bezeichnet, ald er Allen unerwartet zum k. k. Gefandten in Paris 
ernannt murde. 


In den legten Tagen des Jahres begleitete ich den Prinzen - 
Friedrich nach Wien, welches er nad kurzem Aufenthalt wieder 
verließ, um nach Karlsruhe zurückzukehren. 


Ein Rüdbli auf das Jahr 1848 gehört nicht zu den An 
nehmlichfeiten des Lebens; kaum mird es die Nachwelt für möglich 
halten, daß fi in dem Furzen Zeitraume von 366 Tagen eine 
folhe Maſſe von Unfinn, Jammer, Verbrechen, Enttäufhungen, 
unnüten Blutvergießend, Verrath, Erbärmlichkeit, Lüge und Schwäche 
aufhäufen konnte. Keine Familie, Teine Klaſſe der Geſellſchaft, 
beinahe keine Stadt oder Land blieb von diefen verderbliden Ein: 
flüffen unberührt; felbit die radicale Partei vermochte ſich ihres 
augenblidlichen Siege nicht zu erfreuen, denn fie erbaute nur 
Kartenhäufer auf rauchenden Trümmern. Doch ein Vortheil Tieße 
fih noch aus diefen fchaudererregenden Vorgängen zichen, wenn fie 
fünftigen Geſchlechtern zur fruchtbaren Lehre und Warnung dienen 
würden, eine erträglihe Lage nicht mit den nebelhaften Gebilden 
angeblich vollfommener, bienieden nie zu erreichender Zuftände vers 
taufchen zu wollen. Das alte Sprühmort: „daß das Beſſere der 
Feind des Guten fei,” bat fich Hier abermals in niederjchlagender 
Weiſe bewährt. 

Wie id mir vorgenommen, Taffe ih nun die Hauptereigniffe 
jene® Jahres nad) der Reihe vorüberziehen,; ed wird dieje Ueber: 
fiht zwar nichts Neues enthalten, weil wir alles „Ichauernd jelbit 
erlebt;“ doch mag immerhin eine folhe Zufammenftellung manches 


134 


Bergeffene wieder ins Gedächtniß zurücdtufen und der Füntgerem 
Generation ein Gemälde aufrollen, deilen Farben nie ſtark genng 
aufgetraͤgen werden können. 

Januar 1848. 


Revolutionäre Bewegungen in Mittelitalien und Sicilien. — Schweizer 
Wirren, englifche Inttiguen. — Tod Chriftiind VIIE von Dänemark; 
neues Verwidelungen. — Brodiforifcge Regierung m Balermo; Bombarde⸗ 
ment. — Neue Berfaffung in Neapel. — Krieg zwiſchen Nordamerika 
und Merico. 

Sebruar. 


Neue Berfaflung in Sardinien. — Unruben in Padua, Pavia und 
ambeten Orten. — Aufruhr in Mailand (Eigarreit: Emeitie). — Neue 
Verfaffung für Sicilien. — Bewegungen m München. — Neue Ber: 
faffung in Toscana. — Alloeution in Rom. — Wiberfland der Abgeorb- 
neten in Schleswig: Holftein. — Reformbanguette und Auftritte in 
ber Kammer zu Paris. — Die brei Tage (24., 25. 26.). — Flucht der 
königlichen Familie. — Lamartine und das neue Miniflerum. — Die 


ſocialiſtiſche Republik. 
Mär. 


Stanbret in Mailand. — Broviforifche Regierung und Wablen zur 
conftituirenden Berfammlung in Frankreich. — Aufruf ber beutfchen 
Bundesverfammlung. — Preßgeſetz. — Proflamationen in Württem: 
berg, Baden und anderen deutſchen Staaten. — Rebe des Königs von 
Preußen. — Ruſſiſches Manifefl. — Fünfziger-Ausſchuß in Heidel⸗ 
berg. — Vertrauensmänner bei'm Bundestag. — Beabfichtigter FRrflet: 
kongreß in Dresben. — Einberufung bes preußifchen Landtags. — Allge 
meine Amneftie in Deutfchland. — Beollsverfammlung in Prag. — Die 
brei Tage (18., 14. 15.) in Wien. — Die Flucht bes Fürften Metter: 
nich. — Zugeftändniffe an Ungarn; Minifterium Koffuth. — Revolution 
in Berlin (18.); Miniſterwechſel. — Abbanfung König Ludwigs von 
Bayern (20.). — Aufruhr in Mailand, Parma und anderen Orten. — 
Unruben in Rom, Freifchaaren (Erociati). — Eonceffionen an die Stände 
in Bayern, Hannover u. a. m. — Empörung in Venedig (22.), Gapitu- 
lation Sichy's. — Proffamationen in Neapel, Turin und anderen 
Städten. — Aufſtand in Modena (23.), Flucht bed Herzöge. — Kriegs⸗ 
erflärung Satbiniens (28.). — Die Piemonteſen in Mailand (25.). 








135 


— Parlament Ar Palerms. — Behkaͤgerunge guſtand in Madrid, — 
Republtkaniſche Bewegungen in Betgie n. — Proviſoriſche Kegierüng t in 
Schleswig:Holftein. — Neue Berfaffiing ir Pofen. — Die Fünf 
hundert in Frankfurt (Worparlamanty 81. 

April. 

Getraumte Einbeit Jiakiens! — Neue Verfaſſung in Parma, — 
Prodiforiige Regierung in Modena, Sicilien u. dgl. — Zünfziger-Aus: 
ſchuß ii Franffürt; Entlaffung der Bunbestags: Gefandten; Wahlen. 
für bie erfle deutfche Nationalverf ammlung. — Bereinigter Landtag: 
in Berlin. — Landtag ii Rendsburg; Gefechte in Holftein. — Be: 
Ingerurigäzuftand in Poſen. — Unruhen in Paris; Bewegung ber, 
deutſchen Arbeiter. — Blutiger Aufftand in ben Straßen von Paris 
(16.). — Aufſiaub in Savoyen. — Gefechte in Gasta, am Mincio 
uf. Ww. — Chartiſten in London. — Die neue Bunbesverfaffung in 
der Schweiz. — Revolutionäre Umtriebe in Baden; Heder, Strume, 
Herwegh u. A. — Gefechte bei Kandern (Tod Gagern’s, 20.), Staufen 
und Freiburg; kriegs zuſtand in Mannheim und im Dberlande. — 
Poſen und Schleswig im deutſchen Bunde. — Organiſirung Nngarns und 
Böhmens durch k. k. Reſcripte. — Oeſterreichiſche Verfaſſung (25.). 
— Aufſtand in Krakau (26). — Aufftand in Rouen. — Entwurf bes 
deutſchen Reich 8grundgeſetzes (26.). — Reichsabgeordnele nach allen 
Sat. — Gtoßer Aufrühr i in Rom, Rebe des Papfies, neues Miniſterium, 
Mantel, dann Roff; Bruch mit Seflerreich (29.). 


ai. 

Czechiſche Agitationen. — Eröffnung der ftanzöſiſchen National: 
verſammlung. — Erfies Parlament in Sarbinier. — Schlachten 
von St. Lucia und Somma-Campagna (6. u. 7.). — Aufſtand in 
Poſen; Mierdstawsti. — Auftitf' fit bie deutſche FIbtte. — Strlitig⸗ 
keiten in Frankfurt; Ungarn allda vertreten. — Prinz vor Preußeir in 
Berlin zurüd, — Neue Miniſterium in Paris (11.), Lonis Blanc, — 
Furchibarer Auffard und Straßenkampf in Neapel (165.). — Emeufe in 
Wien (15);. wehe Verfafung. — Flucht des k. k. Hofes nach Inns⸗ 
brud (18.). — Lostrennung von’ Siebenbürgen. — Erſtes deutſches 
Parlament in Frankfurt. — Eröffning deſſelben (18.); Heinrich v. Gagern. 
— Mainz im Belagerungszuſtand. — Eonſtituante in Berlin (22.). — 
Italieniſche Flotte vor Trüeſtz Wlokade. — Oeſterreichiſche Dekrete 
und Proklamationen. — Sicherheitsausſchuß, Pilletsdorf, Reichtagswahlen. 


136 


— Barrifadentag in Wien (26.). — Sieg bei Eurtatone (29.), 
fpäter Einnahme von Padua, Vicenza, Trevifo u. f. w. (Radetzky). — 
Blutiger Aufftand in Paris (wegen Polen). 


Juni, 

Slaviſcher Kongreß in Prag. — Landtag in Rom (4). — Die 
Könige von Schweben unb Dänemark in Malmoe (7.). — Anflug 
Mailands an Sardinien (9.). — Empörung in Prag (12. bis 15.); 
Fürſt Windifhgräg. — Allgemeine Verwirrung in Kroatien und ber 
Militaͤrgrenze. — Hoflager und Depntationen in Snnsbrud. — Die 
Erzberzoge Zohann und Etepban alda (Ban Jellachich). — Emeute 
und Zeughausſturm in Berlin (14.); nenes preußifches Minifterium. — 
Unruden in Serbien, Aufftand in Buchareſt. — Nrbeiterfraval in 
Paris, Lyon, Marjeille und anderen Orten. — Blutiger Straßen: 
fampf in Paris; Belagerungdzuftand, der vermittelnbe Erzbifchof Affre 
auf den Barrifaden erfchoffen, General Breä ermorbet, Cavaignac Sieger 
über bie rothe Republik, neues Minifterium, Louis Napoleon in der 
Nationalverfammlung. — Kammern in Toscana, Sachſen, Belgien a. |. w. 
— Enbe be Bundestags, beutfhe Centralgewalt (27.). — Erzherzog 
Johann Reichsverweſer (29.). 

Fuli. 

Parlament in Neapel (1.). — Verſammlung in Venedig (3.) 
und Anſchluß an Sardinien. — Ungarifche Nationalverfammlung (5.); 
Erzherzog Stephan. — Ruffifche Eircularnote (6.). — Erflärungen 
Preußens und anderer deutſchen Staaten in Frankfurt. — Der Herzog 
von Genua zum König von GSicilien erwählt. — Erſtes beutiches 
Reihsminifterium und Reichögefandte. — Belagerungszufteand in Irland. 
— Siege Radetzky's in Stalien (bei Euftozza u. a.). — Eröffnung bes 
erften öſterreichiſchen Reichstags dur Erzherzog Johann (22.). — 
Peſther Verhandlungen; Losfagung Kroatiens. — Ruſſen und Türken 
in den Fürſtenthümern. 

Augufl. 


Einnahme von Mailand (d.). — Waffenſtillſtand zwiſchen 
Defterreih und Sardinien. — Republif in Venedig (10); Manin. — 
Zerwürfniffe mit Rom; Noten, Proteſte. — Kaiſer Ferdinand in Wien 
zurüd (12.). — Bürger: und Racenkrieg in Ungarn. — Unruben in 
Berlin, Wien und Münden (28.). — Waffenftiliftand von Malmoe. 
— Breßgefeße und Deportationen in Franfreih. — Reihstagg: 
gejepe in Wien; Staatsfchriften wegen Ungarn, 





September. 

Beſchießung Meffina’s (8). — Jellachich gegen Ungarn. — 
Gmeral Wrangel in Berlin; Minifterium Pfuel. — Ungariſche 
Deputationen in Wien. — Unruhen in Frankfurt; Grmorbung Lich: 
now sty's und Auerswald's (18.); Rüdtritt Hekſcher's. — Repu— 
blikaner in Baden; Struwe in Staufen (22. bis 26.). — Prokla⸗ 
mation Oeſterreichs an Italien. — Manifeſte an Ungarn; Flucht 
des Palatins; neues Miniſterium; Ermordung Lamberg's; Juſtizmord 
an Eugen Zichy. — Streit Oeſterreichs niit der Schweiz. — Aufruhr in 
Köln; Belagerungszuſtand (26.). 


Sktober. 


Blutiger Auffland in Wien; Tannibalifhe Ermordung Latour’8; 
abermalige Flucht des Kaifers (6.). — Beſchießung bes Zeughauſes; 
Berbandlungen mit den Truppen. — Jellachich und ber Reichstag. — 
Der FTaiferlide Hof in Olmüsp; Proffamation. — Die Abgeorbneten 
Frankfurts; Welder und Mosle, Robert Blum und Trödel. — Belage 
rung Wiens (28. bis 81.); Einnahme — Schlacht bi Schwechat 
(29.). — Demokratiſche Umtriebe in Berlin. — Frankfurter Parla⸗ 
mentsbeſchluſſe. 

November. 


Belagerungazuſtand und Hinrichtungen in Wien. — Aufruhr in 
Lemberg; Kriegszuſtand. — Neue preußiſche Verfaſſungsurkunde; 
Miniſterium Brandenburg; Verlegung der Kammerſitzungen nach Bran⸗ 
denburg (7.); Unruhen, Widerſtand der Deputirten, Bürgerwehr. — Synode 
der katholiſchen Biſchöäfe in Würzburg. — Manifeſt und Kriegs— 
erklärung an Ungarn. — Kammern in Turin und Unruhen in Toscana. — 
Revolution in Rom (15. bis 21.); Flucht bes Papſtes; Ermordung 
Rofft’s; Basta und der König von Neapel. — Stände in Kurheſſen, 
Baden und anderen Orten. — Defterreichifcher Reichätag in Kremfier (22.). 


Dezember. 


Miniſterium Schwarzenberg: Stadion. — Abdanfung bes 
Kalfers Ferdinand (2) — Raifer Franz Joſeph in Olmük. — 
Aufldfung ber preußifhhen Kammern. — Neue Berfaffung und 
Wahlgeſetz (5.). — Feldzug in Ungarn; offene Empörung bes. 
Reichstags. — Manifeft an Siebenbürgen. — Gefanbtfchaften in Olmütz; 
rt Noten nah Frankfurt. — Gagern Reichsminiſter. — Pariſer 


138 


Programm und Bewegungen. — Louis Rapoleon Präfident der franzd- 
fifden Republit (20.). — Allgemeine Berwirrung und ZTroftlofigfeit ber 
Zuſtände in Italien. Mazzini, Garibaldi und bie rothe NRepublif in 


> Romz Verhandlungen in Gaëta, und zum Schluffe große Wanderung, 


ber goldfuchenden Völker Europa’3 nad Galifornten! 


Mit empfindlicher Kälte begann das Jahr 1849, eines der 
traurigften, welche id, erlebt, und dennoch verfloß es unter dem 
Eindrude der täglich wechſelnden Ereigniffe unglaublich fchnell. 

Meine diplomatifche Laufbahn fand vorläufig. mit der Sen: 
dung, nad. Olmutz ihren Abſchluß. Die geoßherzogliche Regierung 
fand es gevathen, im Vertrauen auf die weitere Entmidelung ber 
Rrichsverfaffung, die Gefandtihaftspoften, bis auf jenen in Paris, 
eingehen zu laſſen, und nad Erledigung der dringenditen Gejchäfte 
bereitete id) mich vor, ohne nähere Beftimmung in's Vaterlaud 
zurüdzufehren, al3 mid) die unerwartete Mai-Kataſtropho davon. 
abhielt. Ich blieb demnach bis im Frühjahre 1850 privatifirend 
im Wien, ahne Ruhegehalt oder Wartgeld, da min von den: früher 
erhaltenen Eimrichtungsgeldern die Hälfte mit 3000 Gulden abge: 
zogen wurde: Dieſer Berluft war für mich um fo empfindficher, 
als ich gendthig war, das vor zwei Jahren von Paris mit großen 
Koften. überfiehelte,, wieder. in Wien neu angefchaffte Mobiliar. weit 
unter dem Werthe,. gleichſam auf den Barrifgden, zu veräußern. 
Während. diefer ganzen Zeit nahm ich. um fo miehr eine rein 
beobachtende: Stellung ein, als die Dede der Stadt, das Aufhören 
jede gefelligen Verkehres mich nur- auf die nächſten befannten Be: 
ziehungen befchränfte. Zeitweiſe ſah ich ten Fürſten Schwarzenberg, 
der mich immer mit der gleichen Freundlichkeit behandelte und zu: 
Tiſche Ind, oder beiprach mich mit: meinen früheren Kollegen. Auf: 
merkſam und mit ftet3 erhöhtem Intereſſe folgte ich den Ereigniffen,. 
welche fih, wenn auch in. minder gewaltfamer Weife, doch fo 


139 





ſeltſam und zum Theil überrafchend entwickelten, baß die Lektüre 
der Blätter, die brieflichen Mittheilungen, verbunden mit einigen 
Ausflügen, die volle Zeit in Anſpruch nahmen. Die Theater 
und Öffentlichen Beluftigungdorte wurden ebenfo wenig befucht, ala 
fie nicht viel Anziehendes boten, und war ber über Wien ver 
hängte Belagerungszuftand auch wicht äußerlich drüdend, fo hemmte 
er doch eine ungeftörte Bewegung, und griff unbequem in manche 
Privatverhältnifie ein. 

Sche ih nun aber auf meine mehr als zwanzigjährige 
Wirkſamkeit bei den verfchiedenen Geſandtſchaften zurüd, fa fiel 
fie bis dahin in eine ruhige Epoche, in der feine wichtigen 
Vorgänge eine erhöhtere Thätigleit entwideln ließen. Bei der 
großen Defientlichfeit jedoch, mit der in unferer Zeit diplomatifche, 
wie andere Geſchäfte betrieben werden, wird es, hätte man dazu 
auch Luft, immer ſchwerer, intereffante Enthüllungen zum Beiten 
zu geben, politifche Geheimniffe auszuſchwatzen. Gar viele folder 
Einzelheiten, welche heute wichtig, oder wenigſtens bemerkenswerth, 
erfcheinen, ſchrumpfen nad einigen Jahren zu höchſt bedeutungs: 
Iofen Thatſachen zufammen. Ebenſo boten mir die Höfe, bei 
denen ich verweilte, Teinen Anlaß, „pikante“ Anekdoten zu erzählen, 
oder von mehr ald alltäglichen Intriguen zu ſprechen. Das 
Familienleben des Wiener Hofes unter den Kaifern Franz und 
Ferdinand war höchſt einfach, und die beiden Könige, welche ihres 
MWillend bewußt, und jedem fremdartigen Einfluffe abgeneigt, da⸗ 
mald zu Münden und Paris berrichten, ließen in ihren Schläffern 
nicht Leicht Stoff für ſkandalſüchtige Neugierde aufhäufen. 

Eines eigenen, mic, perjönlich betreffenden, Umftandes muß 
ich jedoch noch erwähnen. Ich war nämlich in den 10 Jahren — 
von 1888 bis 1848 — nach der Reihe bei drei Monarchen ber 
glaubigt, und alle drei: der König Ludwig, Ludwig Philipp, wie 
der Kaiſer Ferdinand legten in demfelben Jahre 1848 ihre Kronen 
nieder, der eine zu Gunſten des Sohnes, der zweite für einen 


140 


10jährigen Enkel, der dritte endlich überließ fie feinem jugend: 
lichen Neffen, 


Ich werde nun, was fid) zunächſt unter meinen Augen zu: 
getragen, in Verbindung mit den Vorgängen anf allen Punkten 
in der Monarchie zuſammenfaſſen und dann, was fi in anderen 
Staaten, zumal in Deutichland ereignete, berühren. 


Nach einer fo furdtbaren Umwälzung, welche in ihrem raſch 
dahinbraufenden Strome beinahe alle Beftehende mit ſich fortnahm, 
mußten vor allem Baufteine gefunden werden, eine neue Ordnung 
der Dinge zu gründen; denn es galt bier nicht mie in anderen 
Ländern, wieder einfach in die früher verlaffenen Bahnen einzu: 
Ienfen. Es waren da zwei Wege denfbar; man fonnte fi ent: 
weder zu einem proviforifchen Juftande entichliegen und fo allmälig 
eine geregelte Verfaffung vorbereiten, oder man zog vor, eine ſchon 
fertige allfogleich zu ertheilen. Man wählte die lebte Alternative 
und war damit genöthigt, ſpäter wieder zur erjteren zurüdzus 
fehren. — 

Der umbegreiflihe Verſuch, den abgelebten Reichstag in 
Kremfier wieder auferftehen zu laſſen, war, wie voraudzufehen, 
mißlungen. Die Verſammlung wurde gefprengt, und man Tieß, 
allen weiteren Verwickelungen zu entgehen, wohl abſichtlich, die 
am meilten compromittirten Mitglieder entfchlüpfen. 


Um diefe Lücke zu erſetzen, entftand nun die Verfafjung vom 
4. März — ein todtgebornes Kind — denn fie kam nie zur 
Ausführung und wurde ſpäter ganz aufgehoben. 


Die eigentlichen Leiter der damaligen inneren wie äußeren 
Politik waren Fürſt F. Schwarzenberg, Graf Franz Stadion, 
Dr. Bach. Der Kaiſer hatte ſich die Aufſicht und Ordnung des 
Heerweſens ſelbſt vorbehalien und war dabei von ausgezeichneten 
Feldherren wie von tüchtigen Generalſtabsoffizieren unterſtützt. Un⸗ 
verkennbar mar ſchon zu jener Zeit der Einfluß des General: 





141 


adjiutanten Grafen Grünne. Feldzeugmeifter von Welden mar 
Gouverneur von Wien. 

Wollte ih ein hiſtoriſch treues Charakterbild des Fürften 
Minifterpräfidenten entwerfen, würde es, ich bin davon überzeugt, 
weder feine Familie und geringe Zahl von Freunden, noch viel 
weniger aber feine Gegner befriedigen. Es ift eine ganz eigene 
Eriflenz, tie jenes Fürſten, der nach 30, in einer feiner Geburt 
wie feiner Stellung wenig würdigen Weile verlebten, Jahren fi 
zu einer Höhe des Handelns, zu erfolgreihen Thaten emporge- 
ſchwungen, welche ihm für immer einen ehrenvollen Nachruhm in 
der vaterländifchen Gefchichte fihern. Sein Hauptverdienft wear, 
daß er — ein Mann in einer charafterlofen Zeit mit Willens: 
fraft und rüdfichtälofem Muthe durchgriff, und fo ſich feiner hohen 
Aufgabe Mar bewußt, wie die „WIR“ mit ihrem tapferen Schwerte, 
durch ftaatöfluge Energie die Zertrümmerung der Monardjie ver- 
hinderte. Mifchte fi) fpäter diefen ſchätzbaren Kigenfchaften eine 
leidenſchaftliche Auffaffung bei, war die fo nöthige ruhige Haltung 
auch oft durch eine gewiſſe krankhafte Neizbarkeit geftört, ließen 
endlich den Fürften die glänzenden Erfolge ſich felbft überheben, 
fo bleiben doch feine wirklichen, unleugbaren Thaten von jo über: 
wiegend günftiger Einwirkung auf den Gang der Ereigniffe in 
Defterreih, daß bei allen Mißgriffen feine Anhänger wie feine 
Feinde erkennen mußten, wie Schwarzenberg gerade der geeignete 
Minifter für die Epoche feiner Wirkfamkeit war. Ich werde Ge 
Iegenheit finden, die eigenthümlichen Phafen derfelben bis zu feinem 
frühen Ende zu verfolgen. 

Graf Franz Stadion, auf den man einft immer als einen 
der fähigften Beamten die Blicke gerichtet, den eine große Zukunft 
erwartete, hatte mit Geſchick einige Provinzen verwaltet und war 
auch im Reichstag thätig geweſen. Gemandt in Gefhäften gehörte 
er der Tiberalifirenden Klaſſe der öſterreichiſchen Staatsdiener an 
und war daher wohl am meiften geeignet, das Portefewille des 


142 





Innern gu übernehmen. Seinen Anſchauungen - entipra wohl 
zunächſt die Berfaffung vom 4. März. Die Laſt, welche zu 
tragen er ſich zugemuthet, überilieg wohl feine Kräfte; ex arbeitete 
mit großer Anſtrengung, verfiel aber bald in eine Gemuths⸗ 
Krankheit, von der er ſich nicht mehr erholte; er Farb ſchon 1853. 

‘ Dr. Werander Bach, ein kaum 30jähriger Mayu, den 
jähigſten Advokaten Wiens beigezäglt, nahm ſich eifrig der Soche 
der „juugen Freiheit“ an und feine Ernennung zum Juſtizminjſter 
während der Sturmperiode fiel weniger auf, als der Umftand, 
daß er ſich Später enge an den Fürften Schwarzenberg anſchloß, 
fortwährend Mitglied des Miniſteriums biieb und ſich jelbit bei 
Hofe durch fein unſtreitig eminentes Talent immer unentbehrlicher 
zu machen wußte. Damit verband Bad) eine angenehme Ber: 
fönlicgleit und der unvermählte, junge Minifter bewegte fi} leicht 
in höheren Kreiſen; galt es aber der Verfechtung widtiger Ins 
fereilen, wußte er mit feiner Geſchmeidigkeit auch einen andanernden 
Muth zu vereinigen, der fih un Reichsrathe wie im Kabiuete aus: 
ſprach. Kam, wie man ihm vorwarf, ſein Ehrgeiz feinem glänzen\en 
Beritande gleich, fo trat doch jener nie in einer nerlebenden Tor 
bernor und der Haß, der ihn traf, galt weniger feiner Perſon 
als der Urt feines Emporkommens; dem Stande, welchem er früher 
nicht angehörte, blieb er immer fremd, während er auch jene, deren 
Sahne er verlaſſen, ſich feindlich geſinnt fah. 

Der Anfang de3 Jahres war den kaiſerlichen Waffen gänftig ; 
nach einigen Gefechten bei Raab und Moor hatte man bald nach 
Neujahr Peſth erreicht, während ſich das Rabelleuheer nad allen 
Seiten hin zerftreute. Der ange Winteranfenthalt, welchen nun 
Furt Windiſchgrätz in der ungarifchen Hauptftabt genommen, bleibt 
heute noch Jedermann unerffärber. Man hatte gehofft, er werde 
Seine fiegreichen Fahnen weiter über die Theis tragen, den Heerd 
her Revolution zerftören, doch während jener, wohl durch irgend 
einen unbelannten Grund zu vechtfertigenden Unthätigleit der 


143 


Arsee ſammelte Kofluth mit feinen offeren und geheimen Ay: 
bängern neue Kulite, übeihmenmtie dad Land mit Papiergafd 
und bereitete fih zu einem letzten, verzweifelten Kampfe ver. 

Mit entſchiedenerem Glüde trat die italienifhe Armee 
af. Radetzky, umgeben von dem tapferen Erzherzog Wibredkt, 
von Heß, Schönhals, Thurn und anderen ausgezeichneten Generalen, 
nehm gerade in den letzten Märztagen eine glorxeiche Revqnche 
bei Rovarra für dad ein Jahr zuvor erlittene Ungemach. Marl 
Albert, der fo lange Freundſchaft für Defterreih geheuchelt, Dann 
die Maske abgeworfen, um fi in die „Spada d'Italia“ zu ner: 
wandeln, dankte, nun entmuthigt, ab, um bald nachher einſam am 
fernen Meereöftrande zu fterben. Auch der Stolz; Victor Evuanuels 
war gebeugt; er fchloß im einer Scheune einen demüthigenden 
Frieden mit Radetzky, der noch an demſelben Tage triumphirend 
hätte in Turin einziehen können. Oberitalien war nun wieder 
bi8 auf das dur feine Lage beinahe unzugänglicde Venedig in 
Deiterreihd Händen. Die Belagerung, wie Die Wiedereroberung 
der Lagunenftadt koſtete aber während des Sommers Ströme von 
Menſchenblut und viele Millionen dem geldarmen Lande. 

Der Hof war fortwährend in Olmütz geblieben; erſt im 
Mai machte der Kaiſer eine vorübergehende Erſcheinung in Wien; 
da er diefe Stadt noch nie als Monarch betreten, fo nerbat er 
fih der Zeitumftände wegen ausdrüdiih alle herlömmlichen Ew- 
pfangäfeterlichkeiten und Huldigungen. 

Doch nur zu bald wurden meine Blide von der Donau ab 
zum Rheine bingezogen. Im Laufe des Winters war das Parla⸗ 
went in Frankfurt in Parteigezänke, endloſe Reden über Grund: 
rechte und unentwirrbare Verlegenheiten geratben, jeder Macht 
bergubt; die mit Meiner Majorität dem König von Preußen 
zuerkannte deutiche Krone, wurde von ihm zurüdgewielen, und er 
legte in einem die edeliten Gefinnungen athmenden Briefe om 
Arndt offen die Gründe nieder, welche ihn beflimmten, die ihm 





144 


zugedachte Ehre abzulehnen. Hiermit war nun ein ernfter Wende: 
punkt in den deutſchen Verfaffungsangelegenheiten eingetreten; die 
Preußenfreunde fuchten auf Ummegen da3 verlorene Terrain wieder 
zu gewinnen, die „Großdeutſchen“ führten mit neuem Eifer ihre 
Anfichten durch, und die Republilaner, ermuthigt, drüdten nun 
mit vollem Gewichte auf die mehr oder minder in ihrem Sinne 
bearbeiteten Bundesftaaten. Die fogenannte Neichöverfaffung war 
endlich fertig geworden und ihre Einführung gab dag Lofungswort 
zu den verfchiedenartigften Agitationen. Dieſe hatten zunächſt das 
Großherzogthum Baden und die benachbarte Rheinpfalz ergriffen. 
Mittlerweile waren die Verhandlungen des Parlamentes, wie der 
deutfche Fluß, im Sande zerronnen; die Verfammlung felbft hatte 
fih aufgelöft und die radicalen Mitglieder es verfucht, fih als 
„Rumpf: Parlament” in Stuttgart feftzufeen — fo nahm denn 
die Verwirrung in Süddeutfchland mit jeden Tage zu, bis fie in 
Baten den höchſten Grad erreichte. 

Da ich felbft nicht anmefend war, fo kann ich nur vor den 
mir mittelbar zugelommenen Schilderungen fprechen und halte mich 
jomit an die befannten Thatfachen, ohne die fi dabei in Fülle 
aufdringenden Betrachtungen anzufnüpfen. 

War je eine Revolution unberechtigter in ihren Urfprunge, 
muthwilliger in ihrer Durchführung, fo war es gewiß die in 
Baden. Der Großherzog Leopold in feiner unerfchöpflichen 
Langmuth Hatte in Allem nachgegeben, wo ihm nicht die unab- 
weislichen Pflichten eines fouveränen Bundesfürften ein Feſthalten 
geboten, ja er hatte felbft die Reichsverfaſſung, deren Nichtannahme 
der Vorwand zum Aufruhr werben follte, feierlich eingeführt. Ihn 
gegen revolutionäre Gewalt zu ſchützen, fland ihm feine eigene 
monardifche Würde, getragen durd eine Über jeden Verdacht oder 
Vorwurf erhabene Perfönlichkeit, ftand ihm in einer „Mufter: 
verfaffung“ die Macht ter Gefeblichfeit, in dem Armeecorpd die 
Waffengemalt zur Seite! Der Großherzog, geachtet und belicht, 


145 


mußte, wollte er nicht den Anforderungen einer meuterifchen Rotte 
zum Werkzeuge dienen, das Schloß heimlich und in der Nacht 
mit feiner Familie verlafien; die Verfaffung, deren Beſtimmungen 
er immer heilig gehalten, wurde gewaltfam zerriffen, die Kammern 
durch eine proviforiihe Regierung und eine Tonftituirende Ber 
ſammlung erfeßt; das Heer, auf deilen Pflege, Tüchtigkeit und 
Ausbildung man feit 40 Jahren Millionen verwendet, verlieh 
zum Theile, bethört und verführerifhen Einflüfterungen zugänglich, 
die Fahnen — dafür durchzogen ungeregelte Freifchaaren plündernd 
das Land und die „Bundezfeftung“ Raftatt fiel in die Hände 
der Empörer. Der Großherzog hatte in Mainz einen Zufluchtsort 
gefunden und preußifche Truppen, den Prinzen von Preußen an 
der Spike, trieben die Rebellenhaufen von einem Ende des Landes 
zum amderen über die Grenze. Raſtatt felbft aber konnte erft 
nach vielen Opfern und wochenlanger Belagerung feiner Beſtim⸗ 
mung wieder gegeben werden. Belähmender Schreden hatte während 
diefer Zeit die fogenannte gut gefinnte Bevölkerung ergriffen; man 
beugte fi) eben mie allenthalben unter das Joch einer eifernen 
Nothwendigkeit und erft die traurigen Tolgen Mlärten über die 
eigentliche Tragweite fo vieler Verblendung, Nachgiebigkeit und 
Shwähe auf. 

Als der Großherzog im August in’s Land zurückkehrte, fand 
er es von den Preußen befebt und e3 murde ihm die, feinem ge- 
fühloollen Herzen peinliche Aufgabe, ftrenged Recht zu üben, die 
unerhörten Frevel zu fühnen und Zeuge eined fo ganz unndthig 
beraufbeihmworenen Jammers zu fein. Er übte, fo viel er konnte, 
die Schönfte Regententugend des Verzeihend und Vergeſſens, und 
ſelbſt die zertrünmerte Berfaffungsurfunde wollte er wieder rein, 
in ihrer urfprünglichen Geftalt erhalten wiſſen. 

Frankreich Hatte fih während diefer Drangperiode mitten 
unter Aufftänden und heftigen Kammerverhandlungen als Re 
publif erhalten und mit anerkennenswerther Mäßigung miſchte ſich 

Irh. v. Andlaw. Mein Tagebuf. IL 10 





146 


der neuerwählte Präfident derſelben, Louis Napoleon, nicht fhörend 
in die deutfchen Verhältnifſe, hielt aber insbejondere Baden gegen: 
über ein mohlmollendes, freundnachbarliches Benehmen ein. Mit 
gleicher ſchonungsvoller Rückſicht verfuhr die Schweiz bei Dielen 
Wirren. 


Kaum war es möglich, in Ddiefem gewaltigen Strudel die 
Zuftände der einzelnen deutfchen Bundezftaaten näher zu beobachten, 
wenn fih nicht etwa, wie in Dresden, blutige Auftritte, den 
badifchen Ähnlich, zeigten, oder aus Berlin, Münden und anderen 
Drten irgend eine gewichtige Stimme fi vernehmen ließ. 


Es gebört wohl nidyt zu den Iohnenden Aufgaben, die Ge 
burtswehen der deutſchen Verfaſſung zu ſchreiben. Nach Auflöfung 
des Parlaments hatte fi die allen Stürmen preisgegebene Central⸗ 
gewalt wieder aufgerafft, es bildete ſich ein neues Miniſterium, 
es entſtand das ſogenannte Drei-König-Bündniß; man knüpfte Ver⸗ 
handlungen mit Oeſterreich an; endlich kam im September ein 
Uebereinkommen zu Stande, das ſchon des omindfen Namens: 
„Interim“ wegen auf keine lange Dauer Anſpruch machen konnte — 
wenige Monate nachher legte auch Erzherzog Johann ſeine dornen⸗ 
volle Würde nieder! 


Eine noch umnerquidlichere Epifode diefer Zeit bildete der 
innere Krieg in Ungarn. Windifhgräb hatte das Kommando 
abgegeben und fo fehr, durch ungünftige Umftände aller Art, die 
Lage des Heeres ſich verfchlimmert, daß der im Oberbefehl ihm 
nachfolgende General Welden ſich fogar genöthigt fah, die Truppen 
ganz aus dem Lande zu ziehen und feine Aufftellung dieſſeits der 
Leitha zu nehmen. Auch Welden trat nun ab und wurde durch 
den martialifhen Haynau erjebt, der bi zum Schluffe vieles 
traurigen Teldzuges aushielt. Alle diefe Vorgänge hatten Die 
Magyaren in ihrer Widerftandskraft neu beftärkt, Honved's, Arm 
in Arm mit fremden Freibeutern, fammelten fih unter kühnen 


147 


Anführern, während der nicht Triegerifche, aber nicht minder kecke 
Koſſuth in Debreczin die Republit ausrief (14. April)! 

Deiterreih entichloß fih nun, durch die Nothwendigkeit ge- 
zwungen, zu dem peinlichiten Schritte und rief die Hülfe der 
ruſſiſchen Waffen zur Unterdriüdung der ungarifhen Empörung 
herbei. Im Mai hatte eine Zufammenkunft — die erfte — der 
beiden Kaifer zu Warfchau flattgefunden, wo der Ezar ten jungen 
Monarchen mit fo vielen Beweiſen freundlichen, beinahe väter: 
lihen Wohlwollens überhäufte, daß Kaifer Franz Joſeph, mit 
erleichtertem Kerzen zurüdtehrend, um fo geneigter war, die auf 
fo nachbarlich zuvorkommende Art angebotene Allianz anzunehmen. 
Sofort rüdten nun in Eilmärfhen die Ruſſen unter Paskiewitſch 
und anderen Generalen über die Karpathen ein, während die öſter⸗ 
reichiſche Armee auf verſchiedenen anderen Punkten operirte. Auch 
der Raifer nahm an mehreren Gefechten Theil und zog unter 
anderen im Kugelregen über die brennende Brüde in Raab ein; 
er, welder die Feuertaufe ſchon in Stalien erhalten, wurde nun 
von Nikolaus mit dem St. Georgsorden, der nur dem tapferen 
Muthe im Felde verliehen wird, gefhmüdt; und fo großen Werth 
legte Franz Joſeph auf diefe Auszeichnung, daß man feine Bruft 
nicht felten mit keinem anderen, als dieſem einfachen Ritterkreuz 
bedeckt fah. 

Der Ausgang dieſes widerwärtigen Kampfes ift befannt; 
Gorgey ſtreckte, ſich Rußland ergebend, bei Villagos die Waffen 
und die aufrührerifchen Banden löften ji auf. 

Unterdeffen hatte Haynau auf feiner Seite tüchtig geftritten, 
Temeswar eingenommen und eine furdtbare Juſtiz geübt, Die 
vielleicht mehr nad dem firengen Kriegsrechte, als den Anforde 
rungen einer weiſen Mäßigung gut zu beißen war. 

Mit dem Falle Venedigs war endlih auch die Herrſchaft 
Oeſterreichs in Oberitalien gefichert, umd es trat nach jo gewaltigen 
Anftrengungen augenblicklich eine erwünfchte Ruhe ein. 

10* 


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J 


148 


Noch wichtigere Ereigniffe folgten ſich raſch in den anderen 
Theilen Italiens. Rom, der rothen Republik verfallen, wurde 
von einer franzöſiſchen Armee eingeſchloſſen und nach hartnäckigem 
Widerſtande genommen. Seit jener Stunde erhält das Pariſer 
Kabinet eine Garniſon zum Schutze des Papſtes wie für die Ruhe 
und Ordnung in Rom. In gleicher Weiſe kehrten die vertriebenen 
Fürften wieder in ihre Staaten zurück; nur in Sicilien tobte der 


‚Bürgerkrieg länger fort. 


Der Auswurf aller Nationen, welcher fi wie Raubvögel 


| ‘auf die Beute überall dahin geworfen hatte, wo die Flamme des 


J Aufruhrs loderte, zerſtreute ſich nun nach allen Winden, floh nach 


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* 


der Türkei, nach der Schweiz und England, nach Amerika! um 
ſich dann bei'm erſten Anlaß wieder als verheerende Gewitterwolke 
zuſammenzuziehen und auf irgend einem von der Revolution bedrohten 
Punkte zu entladen! Denn der radikale Deutſche, Franzoſe, Italiener, 
Pole, Grieche, Ungar iſt vor Allem Anhänger ſeiner Lehre, rother 
Republikaner, Handlanger der Propaganda, Anarchiſt, Freiſchärler 
oder wie ſich dieſe ſaubere Geſellſchaft immer nennen mag, dann 


erſt, in zweiter Linie, gehört er irgend einer Nation an; noch 


widerlicher aber find jene Dilettanten, meiftend Engländer, die, 
ohne politiihe Meberzeugung, nur aus rohem Blutdurfte auf die 
„Menſchenjagd“ geben. 

Eine feltene, in jener Zeit der Erſchöpfung und Gefinnungd: 
bofigkeit um fo erfreufichere Feier wurde den Wienern durch den 
Einzug Radetzky's bereitet. Der Kaifer mollte dem greifen 
Feldmarſchall perfönlih für feine über alles Lob, jebe lohnende 
Anerkennung erhabenen Berdienfte danken und in dem ebenfo 
beliebten als beldenmüthigen Unführer die treue, opfermillige 
Armee ehren. In einem mit Blumen wie befäeten Wagen fuhr 
der alte, ruhmgefrönte Krieger bis zur Burg, und auf allen 
Straßen, von jedem der reich gezierten Fenſter jubelte ihm aus 
vollem Herzen eine tiefergriffene Bevölferung zu. In rührenden 


N 


149 


Worten drüdte der fhlichte Welbherr feinen Dank dem Huldvollen 
Kaifer wie der ihn mit fihtbarer Theilnahme umgebenden Menge 
aus. Schon feine einfache Erſcheinung übte einen nicht zu be= 
Ihreibenden Zauber aus, und fein edler, von wahrem Pflichtgefühl 
durchdrungener Geift theilte fi unwillkürlich den unter feiner 
Leitung glüdlihen Truppen mit. Und in der That, wer konnte 
ed dem Kaifer, mer feinen Räthen verdenten, wenn fie mit dank⸗ 


barer Befriedigung und patriotiigem Stolze auf eine Armee faben, - . 


welche Drei Worte mie glänzende Leitfterne auf ihre Standarten Bu 
geſchrieben hatte: Tapferkeit, Treue, Ausdauer! Wie hoch 
feierte man die Namen Jellachich, Schlick, Heß, Benedeck, Haynau, 
d'Aſpre u. a. m., welche fich um den Helden-Neftor ſchaarten. 
Sie hatten mehr als einmal die Monarchie gerettet, und begreiflich 
war, daß. man ſich auch mehr als auf alle anderen Kräfte auf 
diefen feiten, erprobten Hort des Heild verließ! 

Inmitten diefer kriegeriſchen Bewegungen batte ſich in der 
Stille ein Theil der Bifchöfe der Monardie zu friedlihen Be 
rathungen in Wien verfammelt und mit den in Würzburg tagenden 


deutfchen Oberhirten in Verbindung gejeßt. Der Kardinal Fürft: .. 


Erzbifhof v. Schwarzenberg leitete diefe Verhandlungen, welche 
feinen anderen Zmed hatten, als zu erwägen, ob in einer Zeit, 
wo jede Art von Freiheit fich geltend zu machen fuchte, die 
katholiſche Kirche nicht auch wieder zum Vollgenuſſe ihrer r lang 
unterdrücten Rechte gelangen könnte? | 
Bei dem Schluſſe des Jahres 1849 ſchien die Revolution 
in allen Theilen Europa's unterdrüdt, und wo die eigenen Kräfte 
der Regierungen nicht ausreichten, traten andere Staaten ein. 
Während Preußen willig die Gelegenheit ergriff, in Baden und 
Sachſen zu interbeniren, beſetzte Tranfreih Rom und verband 
damit unverkennbar die Nebenabficht, den öſterreichiſchen Einfluß 
in Stalien zu verdrängen. Am uneigennüßigften leiltete wohl 
Rußland großmüthig Hülfe gegen die ungarilche Infurreftion und 


150 


zog nad erreichten Zwecke des Einmarjches feine Truppen allſo⸗ 
bald wieder zurüd. Schmwieriger als der Sieg aber war der 
Aufbau eines Tünftigen, geregelten Zuſtandes aus den Ruinen der 
"Gegenwart. 
Berfolgen wir mit aufmerffam prüfendem Auge die Ergeb- 
niffe diefer zwei Jahre, fo dringen fich und vorerft zwei Fragen auf: 
‚erftaunt forfhen wir nad der Entftehung diefer Ummälzungen 
und fuchen uns dann wieder den kläglichen Ausgang derjelben 
» zu erflären. Im Widerfpruche mit den Männern der Bewegung 
halte ich an der Weberzeugung feit, daß der revolutionäre Schwindel, 
welcher unferen halben Erdtheil ergriffen, ein künſtlich heraufbe⸗ 
fhworener, ein gemachter war. Zu einer tiefgebenden Unzufrieden- 
heit, zu einem alle gefeglichen Schranfen durchbrechenden allgemeinen 
Aufftande Tagen durchaus Feine genügenden Gründe vor; Handel 
und Induſtrie hatten überall einen Aufſchwung genommen, wie 
nie zuvor, in behaglicher Ruhe genoß man die Seynungen eines 
Iangen Frieden? und mit einem mäßigen Grade politifcher Freiheit 
verband fi ein fi immer mehr entwidelndes humanes Streben; 
Städte erweiterten, verjchönerten fi, ein gewiſſer Wohlſtand ver- 
breitete fi über alle Klaſſen, und hatte diefes erfreuliche Bil, 
wie Alles, auch feine Schattenfeiten, fo berechtigten diefe doch noch 
keineswegs zu einer Schilderhebung, welche die Früchte der Civiliſation 
zu vernichten drohte. War e8 nun der Ehrgeiz Einzelner, war 
ed der unbezwingbare Trieb der Maflen nad) Veränderung, mar 
es endlih das fchleichende Gift der Umfturzpartei, genug! es 
gährte in ten Gemüthern und eine geichäftige Preffe machte fich 
bereitwillig zum Organ diefer Beitrebungen. Schon der Alt: 
meifter der Radikalen, Börne, fagte einft: „Nehmt uns alle Frei⸗ 
heiten, laßt und nur die der Preffe, und mir merden und alle 
anderen ſchon wieder zurüderobern!* freiheit! Freiheiten! dehn⸗ 
bare Worte, welche fi Jeder nad feinem Sinne audlegt und 
toorunter die Meiften die Befugniß verfiehen, nur das zu thun, 


151 


was ihnen gerade beliebt. Um nun zunächft diefem Drange nadı 
Reformen einen Namen zu geben, mußte ein Vorwand, irgend ein 
Loſungswort gefunden werden, in Frankreich ſchrie man gegen die 
Vebergriffe der Dynaftie, in Deutfchland ſchimpfte man auf Bundes: 
tag, Kleinftaaterei, und bier wie in Stalien fuchte man die Ein- 
heitsideen zu verbreiten, die Gitelfeit wie den Stolz der Ngtionen 
zu reizen. . 

Der zündende Funke war in den Tebruartagen gegeben, und 
diefe Revolution zeichnete ſich vor allen anderen dadurch aus, daß 
man den MWeltverbefferern völlig freie Hand ließ; in Volksver⸗ 
fammlungen wie in Parlamenten fonnte fi die moderne Schul: 
weisheit neben der geſchwätzigen Dialeftit der Advokaten gehörig 
breit machen. Die Regierungen wien Schritt für Schritt den 
ungeftümen Anforderungen der Neuzeit und widerſtanden felbft 
nur ſchwach den bewaffneten Angriffen offener Empörer. Die 
Revolution konnte daher nicht mehr, wie früher, Magen, daß man 
fie in ihrem völferbeglüdenden Werke geitört, die Entmwidelung 
ihrer Früchte gewaltfam aufgehalten, fie faß vielmehr am Ruder 
und erntete, wie immer, nachdem fie mit Lüge, Verrath, falfchen 
Borfpiegelungen begonnen, Schmach, Elend, Anarchie. Denn es 
ift mit ihren Grundfäßen nun einmal fein Abkommen zu treffen; 
fie eilt ftet3 unaufhaltſam ihrem Verhängniß entgegen. Dieſe 
Erfahrungsſätze find fo befannt, daß fie als ebenjo viele Gemein: 
pläße gelten Könnten; dennod, vergigt man nur allzu leicht Die 
alte Fabel von den Kindern Saturn’3 und fpielt mit dem Teuer, 
bis es und verzehrt. Es jagt eine lebhafte Phantafie jenen Nebel- 
gebilden nad, aus deren unbeſtimmten Umriffen fih allmälig 
fefter ausgeprägte Geftalten zu entwideln feheinen, um allſobald 
wieder anderen zu weichen und ſich zulegt in ein völliges Chaos 
aufzuldien. . 

Folgen nun folhen politiigden Orkanen ala naturgemäße 
Nachwehen Erichlaffung, überficht man mit Schaudern, was fie 


152 


—ñi 
X 


zerſtört, ſo ſuchen kluge Staatsmänner wieder gut zu machen, was 
verdorben wurde, künftigen Ausbrüchen der Volkswuth zuvorzu⸗ 
kommen. Solche weile, durch die Nothwendigkeit gebotene Maß⸗ 
regeln nennt man dann die „Reaktion“, und dieß gehaäſſige Schlag⸗ 
wort ſoll Alles brandmarken, was die Gegner der Revolution zur 
Abwendung drohender Gefahren unternahmen. Man rüttelt, ver 
dächtigt, wühlt fo lange, bis wieder Alles in Frage geftellt iſt 
und auf liftige oder geimaltfame Weife der unheilvolle Pfad politiicher, 
balöbrechender Experimente auf’3 Neue betreten werden kann. 

Ich gehöre nicht zur Klaffe der unbedingten Lohrebner der 
Vergangenheit; ich bin vielmehr überzeugt, Daß die Ideen jeder 
Zeit fih zu entwideln ihre Berechtigung Haben und die Welt: 
geihichte in ihrem regelmäßigen Gange ebenſo wenig ſtill flebt, 
ala fie in Sprüngen vorwärts fchreitet. Die Natur geht ums 
hierin mit ihrem Beifpiele voran; nichts ift da überftärzt, alles 
bewegt fi in einem an gewiſſe Geſetze und Grenzen gebundenen 
Rreife. Die erite Regel der Staatöflugheit ift aber, indem fie 
den Geift jener Ideen richtig zu erfaflen wie zu leiten verfteht, 
nur dad Mögliche anftreben zu wollen. Die Revolution, unbändig, 
will jedoch dieſe ſcharf gezogene Linie überfchreiten und drängt fo, 
gemwaltthätig, die möglichen Fortſchritte wieder in bem Grabe zurück, 
als fie ſolche frevelhaft erzwingen wollte. Staatsmänner, die felbft 
in gutgemeinter Abficht, ohne Vorliebe für ummälzende Ideen ober 
perjönlichen Ehrgeiz, fi an die Spike der Bewegung ftellen, im 
Wahne, fte nach Gutdünken zu leiten, Taufen deßhalb immer Gefahr, 
mit dem Strome fortgeriffen zu werben. 

Veberleje ih nun, was ich vor 14 Jahren gefchrieben, fcheint 
mir beinahe jedes Wort auf bie heutigen Zuftände zu paffen. 
Damals mie jegt wurden nicht leicht zu befriedigende Wünfche Taut, 
brach ſich ein Gefühl des Mißbehagens, der Unzufriedenheit Bahn; 
damald wie jetzt jehnte man fi) nach irgend einem ſchbpferiſchen 
Genius, fähig und zugleih mächtig genug, die Lage zu beberrichen. 


153 


Es fällt mir foeben aus jener Zeit ein Artikel aus bekannter 
Feder in die Hände; er fagt: „Man vermag in unferer Zeit nicht 
einmal die weſentlichſten Berbefferungen, die widhtigften Umge⸗ | 
ftaftungen unſeres leidenden Staatslebens felbft nur auf dem 
Papiere zu formuliren, noch weniger fie in’3 Leben ‚zu rufen. 
Die meiften Staaten mußten biöher ihr tiefed, innere Siechthum 
geheim Halten und durch unzureichende Hausmittel zu befämpfen 
ſuchen, können jedoch einer heroiſchen Kur ſich nicht länger ent- 
ziehen. Bielleicht gibt es nicht drei Länder in Europa, in welchen 
ein Traftvoller, kluger und hochherziger Yürft, welcher, die Bedürf⸗ 
niffe der Zeit verftehend, die dringenden Reformen raſch und mit 
belebendem Athem einführe, dadurd der Freiheit die rechte Bahn 
bräche, in dieſem Augenblick nicht ein unendlich größerer Wohl: 
thäter würde, als alle diefe papiernen Berfaffungen, dieſe vom 
Redeteufel bejeffenen Kammern alle, welche geiftreich oder lang⸗ 
weilig, aber immer mortfelig und eigenfinnig über Theorien flreiten 
md BPerfönlichleiten anfeinden, während der politiide Sturm das 
lecke Schiff auf die Sandbank zu merfen oder in den Grund zu 
bohren droht.” 


Sehen wir aber noch in fernere Zeiten zurüd, fo finden 
wir wieder diefelben Erfcheinungen, und Plato legt (Republil I. 7) 
dem Sokrates folgende Worte in den Mund: 


„Die Demagogen find die mahre Krankheit des Staats, 
welcher jeder Geſetzgeber, jeder politifche Arzt die größte Anf- 
merffamfeit widmen follte. Die Heftigften derjelben ſprechen und 
handeln, die anderen umftehen die Rebnerbühnen, heben und ſchneiden 
jedem, der nicht denkt wie fie, das Wort im Munde ab, damit 
alles nad) ihrem Willen gebe. Des Volkes entartete Mund: 
ſchenken, geben fie der dürftenden Menge Freiheit ohne Maß zu 
trinken und ift fie einmal beraufcht, fo loben und ehren fie nur 
jene Behörden, die fich den Maflen gleichftellen. Die Kinder 


154 


fprechen fo Taut ald die Eltern, verfagen ihnen alle Ehrfurdt um 
frei zu fein, ja felbft Greife nähern fi) den Jünglingen, um nicht 
lächerlich oder despotifch gefinnt zu ericheinen. Die Söhne fchreiben 
den Bätern, die Schüler den Lehrem Gefebe vor. Dieje Um: 
wälzung erftredt fi auf alle Familien, auf den geſammten Staat. 
Um das Volt in Abhängigkeit zu erhalten und die öffentlichen 
Berfammlungen zu beleben, verfäumen die Demagogen nicht ihm 
die Plünderung der Güter der Reichen zu verfpredhen; die höheren 
Klaſſen werden ungeflagt, fich gegen das allgemeine Wohl und die 
Freiheit zu verſchwören; gezwungen, ſich zu vertheidigen, find fie 
Ihon zuvor gerichtet. Das Voll ſucht fih Führer — dies ift 
die Pflanzfchule der Tyrannen; denn die gleihförmige Wirkung 
einer übertriebenen Freiheit führt zur übertriebenen 
Knechtſchaft!“ 

Dieſe vor Jahrtauſenden ausgeſprochenen Worte zeigen, daß 
die Menſchen mit ihren Wünſchen, ihrem Treiben, ihren Leiden⸗ 
ſchaften immer dieſelben bleiben, daß die Einen keck ihre verderb⸗ 
lichen Zwecke verfolgen, die anderen, verblendet oder erbärmlich, 
fie darin unterftüßen, oder aus Feigheit felbft Hand an das Wert 
der Zerftörung legen. Es bemeifen jene fchon damals auf Er: 
fahrung gegründete Worte, dag jede gewaltſame Revolution unaus- 
bleiblih zur Anardie führe und diefe nur mit Milttärdespotiimus 
oder Fremdherrfchaft enden könne. Alle Warnungsftinnmen ver 
hallen in ſolch' betäubendem Geſchrei nah „Reformen,“ in ber 
fonveränen Verachtung alles Hergebrachten und in dem nicht zu 
befriedigenden Drange nad) Neuerungen, nach ben beraufchenden 
Gütern von Freiheit, Unabhängigkeit, Gleichheit, allgemeiner Ver⸗ 
brüderung und einem irdifchen Paradiefe. Was daher in jener 
längſt vergangenen Zeit gedacht, gefühlt, gefchrieben und erfahren 
worden, Liegt in feiner Nutzanwendung auf dad neunzehnte Jahr: 
bundert fehr nahe, und lebte Plato unter uns, er würde mohl 
dem Rufe, ein „Reaktionär“ zu fein, kaum entgehen können. In 


155 


ber franzoͤſiſchen Schredengzeit hätte er gewiß für einen „enragö 
moder&‘ gegolten! 

Es gibt eben gewifle ewig unmandelbare Geſetze, die man 
nicht ungeftraft übertreten Tann und auf welche die Lehre vom 
Fortſchritte und der freien Forſchung nicht anwendbar if. Es ift 
‘vor allen das von Gott in eines jeden Menfchen Bruft gelegte 
Nechtögefühl, dem ſich die größten Verbrecher, felbft Kronräuber, 
nicht entziehen können, denn fie fuchen ihre Frevel menigitend 
immer mit einem „Scheine” des Rechts zu entſchuldigen. Folgt 
das Strafgeriht der That auch nicht ſtets auf dem Fuße nad, 
läßt fi) der Zufammenhang der Urſachen mit den Wirkungen 
nicht immer Mar nachweiſen, fcheint oft ein blinder Zufall die 
Weltbegebenheiten zu Teiten, fo halte ich es mit jenem franzöfifchen 
Philofophen, der auf die Frage: qu’est ce que le hazard? er: 
wiederte: c’est l’incognito de la providence! — Diefe Grund: 
fäte mögen veraltet erfcheinen, bleiben aber darum nicht minder 
wahr! — 


Das ganze Yahr 1850 war mit Verhandlungen über die 
deutfche Frage angefällt und in beinahe convulfivifchen Zuckungen 
mühete man fih ab, das Verfaflungswert zu Stande zu bringen, 
die Mittel aber, welche man hierzu anmwandte, konnten von allen 
Seiten nit unglüdlicher gewählt fein. Der Dualismus der 
beiden Großmächte trat bier in der ausgeſprochenſten Form hervor 
und der Erfolg entſprach auch vollkommen diefen immermwährenden, 
beffagendwerthen Zerwürfnifien. Wan taufchte eine Unzahl von 
Reformprojekten, diplomatifchen Noten, energifhen Proteften in ge 
reizten Redensarten aus; Zeitungsartikel, Ylugichriften erjchienen 
legionenweife, doch erfolgte Fein Einverftändnig und damals wie 
jest ertönten die bedeutungävollen Worte: „Staatenbund oder 
Bundesſtaat, preußifche Hegemonie oder Triad, Mainlinie oder 


. 156 


Sonderbund, DVerfaffungsreform, Groß: oder Klein: Deutichland, 
Bundesfeldherr und oberfter Gerichtähof, Nord oder Süd u.dgl. mehr.“ 

Preußen fuchte auf dem Wege der fogenannten „Union“ 
wieder zu erlangen, mas e3 in Frankfurt verloren; es rief das 
Sonder:PBarlament in Erfurt, den Fürftentag in Berlin 
zufammen. Diefer Aufitelung gegenüber bildete ſich eine Oeſter⸗ 
reich zuneigende Partei; es entſtand dad fogenannte Vier⸗König⸗ 
Bindnig! eme neue Union, der beftehenden gegenüber. So 
war denn die Muft auf eine beinahe nicht mehr auszufüllende Weiſe 
erweitert und Perfönlicykeiten, wie ungünftige Umftände trugen 
das ihrige dazu bei, den Bruch in dem Grade unheilbar zu 
machen, daß er am Schluffe des Jahres in einen Bürgerfrieg 
auszuarten drohte. Dazwiſchen zogen ſich die Mläglichen Streitig- 
feiten wegen Schlezwig-Holftein und Kurheſſen, und 
während Dänemark troßte, felbft den Kampf mit dem in fi un: 
einigen deutfchen Bunde nicht fcheute, brachten es Deiterreih und 
Preußen nicht einmal dahin, die Ruhe in Kaffel berzuftellen und 
das verhältnißmäßig unbedeutende Zerwürfniß in der Verfaſſungs⸗ 
frage jened Landes beizulegen. Es zeigte fi dabei, wie in allen 
anderen Fällen, der Fluch, welcher mit diefer Uneinigfeit und Eifer: 
fucht der Großmächte auf Deutfchland rubte, und wieder tritt ung 
nun die betrübende Veberzeugung entgegen, daß man in diefer 
Hinfiht feit 12 Jahren nichts gelernt und nichts vergeffen, fort: 
während „innerhalb wie außer den Mauern fündige“ und fi 
immer in demfelben Kreife bewege. Es muß das Herz jedes ächten 
Vaterlandöfreundes bei diefen unfeligen Wahrnehmungen biluten 
und den Augenblid ſehnlichſt herbeiwünſchen, in dem eine richtigere, 
die wahren deutſchen Intereſſen erkennende Anficht die Oberhand 
gewinnen, einfeitigen Auffaffungen meniger Rechenſchaft getragen 
werden bürfte. 

Radowitz war die Seele aller jener Verhandlungen und 
hatte fi im Vertrauen auf die Unfehlbarkeit feiner Doftrinen 


187 





geihmeichelt, fo ſchreiende Diffonanzen endlich in Harmonie auf 


löjen zu können. Er, der Rathgeber und Freund feines Tünig- 
lichen Herrn, wohl nicht ohne Megungen von Ehrgeiz und Eitelfeit, 
unterlag dem mühſamen Kampfe mit der Zeit,- die er nicht, mit 
den Menſchen, die ihn nicht verſtanden, und ſtarb (1853) enttäuſcht, 
fih nur mehr unvergänglicheren Dingen zumwendend, welche ex ftet3 
in meit bellerem Xichte erfannt, ala die irdiſchen. — 


Als ih in den erften Tagen de Mai in Karlsruhe 
eintraf, fand ich das ganze Land mit preußiichen Truppen beſetzt; 
der Erfurter Kongreß war von badifchen Abgeordneten beſchickt 
und das Miniſterium „Klüber” fleuerte mit vollen Segeln dem 
Hafen der „Union” zu. In derfelden Wode mar der Groß 
berzog jelbft zu dem fogenannten „Fürftentag” nach Berlin abge: 
reift und immer fjchneidender zeigte ſich die Spaltung, welche 
Deutichland in zwei Lager tbeilte. 

Ohne beitimmte Beichäftigung zog ih mich vorerft nad 
Baden:Baden zurüd, wo der Sommer, bei den traurigen Wirren 
im engeren wie im größeren Baterland, minder glänzend war, als 
in früheren Jahren. Dennod traf ich auch bier wieder mit einer 
ganzen Menge von Belannten zufammen und abermal3 mar der 
elegante Salon der Großherzogin Stephanie der erwuͤnſchte Ver⸗ 
einigungspunft vieler hoher oder berühmter Gäſte; ich ſah da die 
beiden geiftuollen Fürftinnen, die Königin Sophie der Niederlande 
und Helene von Rußland, Prinz und Prinzeffin von Preußen, 
den König von Württemberg und Prinz Emil von Heffen, Diarmont 
und Thiers, viele andere Fürften, Krieger, Diplomaten und Ge 
lehrte, die anmuthige Gräfin Bergen, franzöfifche, engliſche, ruſſiſche 
Damen in großer Zahl. 

Bon Baden aus machte ich öftere Ausflüge nad) Karlsruhe, 
wo weder der Hof noch die Gefellihaft-fobald das gehörige Gleich⸗ 


r 


\ 


158 


gewicht fand, fich gefelligen Freuden zu überlaffen; es war daher 
um fo erfreulicher, auch bier wieder den immer gleich gaftfreien 
Häufern der Frauen von Berftett und Gourau zu begegnen. Das 
Theaterperfonal, nachdem das große Gebäude im Jahre 1847 ein 
Raub der Flammen geworden, mußte ſich mit einem fehr unbe 
quemen Lofale in der Orangerie begnügen, und die Voritellungen 
verloren dadurch an Reiz, wie an Anziehungskraft. Erſt in einer 
fpäteren Zeit, ald mit dem freilich nicht allen Anforderungen ents 
iprechenden neuen Saale die Luft zum Theaterbeſuche wieder er: 
wachte, wurde auch die Leitung der Hofbühne den Händen des 
funftfinnigen Ed. Devrient übergeben. 


Während dieſes Sommerd machte der Präfident der 
Republik einen Beſuch in Straßburg und wurde von mehreren 
benachbarten Höfen beichidt. 

In England dagegen hatten Ludwig Philipp und Fürft 
Metternich zugleih ein Aſyl gefunden, und beide mochten ſich 
wohl mit gemifchten Gefühlen in einem Lande unter Staats- 
männern bewegt haben, die, wie Palmerfton, nicht obne Einfluß 
auf ihr widriges Geſchick geweſen. Der Julikönig, zwar umringt 
von einer ihn liebevoll pflegenden Familie, ſchien fih nicht mehr 
von dem unerwartet furdhtbaren Schlage, welcher alle Freuden 
und Hoffnungen feines Lebens zerftört, erholen zu Tönnen; wie 
theilnahmlos Tieß er die Tagesbegebenheiten an fi) vorüberziehen 
und Ende Auguft ftarb der 77jährige Mann in einem Alter, 
welches außer Ludwig XIV. fein franzöfifcher König erreicht hatte. 
Diejer Todesfall, welcher einige Jahre zuvor ganz Europa er: 
fHüttert hätte, ging nun beinahe ſpurlos vorüber. 

Fürft Metternich, der fo würdevoll vom politifchen Schauplaß 
abgetreten war,*) hatte ſich mit feiner Tamilie und einigen ver: 


*) Erinnerungsbl, ©. 140. 





159 


trauten Freunden über Holland nad England begeben. Die Reife 
durch Deutichland war nicht ohne Gefahr, und nur die Geiftes- 
gegenwart und der Muth Karl Hügel's retteten den Fürſten vor 
den Zornausbrüchen eines gedankenlofen Pöbels. In London ange: 
langt, ſah fi) der Fürſt allſobald von der Elite der ariftofratifchen 
Sefellichaft umgeben und verließ England nur, der Theuerung 
wegen, um in Brüffel einen Kreis glei wohlwollender Bekannten 
wieder zu finden. | 


Aus jener Zeit nun befite ih ein Schreiben Metternich’s, 
daB gleihjam als Seitenftüd zu dem befannten Briefe gelten Tann, 
ben er damals an den Türften Pückler gerichtet Hatte. 


Richmond, den 24. Auguft 1849. 
Mein lieber Better! 

Ich benüge eine fich mir darbietende Gelegenheit, um Ihnen 
für ihre freundfcaftlihe Erinnerung zu danken. Die Einwirkung 
der Tagesgeihäfte findet in den perfönlichen Verhältniffen eine 
Grenze, welche diejelbe zu überfchreiten nicht vermag; dies ift 
und bleibt insbeſondere eine Wahrheit zwiſchen Ihnen und mir 
und würde ficher auch der Tall fein, wenn Verwandtſchaft und 
Gleichheit der Gefinnung nicht ihrerjeit® ein Band zwiſchen 
und böten. 

Bon der großen Bühne, auf welcher das Weltdrama aufge 
führt wird, zurüdigetreten, hat mir die Vorfehung den Genuß eines 
Raumes zwifchen diefen Rücktritte und dem aus dem Leben ge 
währt. Ich bin ihr für diefe MWohlthat dankbar und würde fie 
noch in einem volleren Wertbe fühlen, wäre die Welt nicht in 
einer Bewegung, welche die Ruhe der Denkenden und Yühlenden 
för. Wäre deren Ende beredenbar, fo würde die Bewegung 
auf die edlere Klaſſe der Menſchen meniger peinlich eingreifen, als 
dies der Fall ift. Eine beruhigende Wirkung erzeugt jedoch das 
Mebel auf mich, da die Ergebniffe mir beweifen, wie ich im 


160 





alledem, was ich wollte und nicht wollte, mich einer Irrung nicht 
überließ ! 

Diefen Ausſpruch beziehe ich recht eigentlih auf die Bor: 
gänge in Deutſchland und in Specie auf die in Ihrem Lande. 
An feinem if dem Unding, welches ſich die Benennung des Zeit: 
geifteö beilegt, mehr an die Hand gegangen worden, al3 im Groß: 
berzogthum Baden; nirgends ift andrerfeitö der Beweis unwider⸗ 
legbarer geliefert worden, wohin ſolche Nadgiebigkeit führt! Die 
Frage: follen feine Fortſchritte ftattfinden? ift feine Frage; jeder 
Bernünftige wird fie mit einem Fathegoriihen „Jal“ erwiedern, 
wenn die Vorfrage gefichert ift, mas Fort-, was Rückſchritt it! 
Gott weiß, daß Baden mie das geſammie Deutfchland an Fort: 
fchritten ſich arm erwieſen hat; die Struve, Heder und Konforten 
dürften wohl felbft gegen diefen Ausſpruch nicht? einzuwenden 
finden! — 

Ueber die Mittel, daB Großherzogthum zur wirklichen, nicht 
zur übertünchten, augenblidlihen Ruhe zurüdguführen, jtehe ich 
mir felbft gegenüber no im Dunklen; von Mehr ift alüdlicher: 
weise für mich nicht die Nede, ich fage glüdficherweile, denn die, 
welche ſich mit der Aufgabe nicht zu befaffen haben, find wohl 
nicht die Gedrängten! 

Laflen Sie fih über meine Gejundheit nicht irre führen. 
Sch leide am 77. Alterdjahre und der Fall gehört allerdings zu 
den ſehr bedenflichen, weiter fehlt mir nichts, was diefen Charakter 
trüge. Das Uebel macht Anſpruch auf Schonung und id be 
trachte diefelbe als eine Pfliht. Ich Tage Ihnen dies, weil id 
weiß, daß Sie Antheil an mir nehmen. 

Leben Sie wohl und laſſen Sie uns ftet3 etwas von Ihrem 
Wohlergehen hören. Sie wiflen, mie aufrichtig wir alle Ahnen 
zugethan find, und jede ausdrückliche Verfiherung diefer Art von 
meiner Seite würde ich nur als eine Wiederhohlung des Belannten 
betrachten. (gez.) Metternid. 


“ 


161 


Karl v. Hügel, welcher feit feiner Rückkehr aus Oftindien 
fi) in Hitzing wieder mit botanifchen Studien beichäftigte, aber 
au, wie immer, in der Gefelljchaft beliebt war, verkaufte feine 
Bila, welche fpäter in den Beſitz des Herzogs Wilhelm von 
Braunſchweig überging. Hügel aber nahm, in einem Alter von 
über 50 Jahren, den Gefandtfhaftöpoften in Florenz an, wo er 
ih mit einer jungen Engländerin verband, ein gaftfreie® Haus 
hielt und mit dev ihm eigenen Begabung nun auc, diplomatifche 
Geſchäfte leitete. Nachdem ihn der unbeilvolle Sommer 1859 
aus der ſchönen Arnoftadt vertrieben, wurde er zum Gelandten 
in Brüffel ernannt. 


Der Herbit 1850 brachte in der Lage Deutfchlands große 
Beränderungen hervor — es kam zum laängſt vorausgeſehenen 
Bruche. Deiterreih, wenigftend für den Augenblid in feinem 
Annern beruhigt, trat nun entichieden den weiteren Unionsbeftre- 
bungen Preußens entgegen, welches auf diejem Wege, nad dem 
Borgange der beiden Hohenzollern, immer mehr Heine Bundes 
ftaaten einzuperleiben gedachte. Der am 2. September wieder zu 
Frankfurt eröffnete Bundestag bot allen deutichen Fürften, welche 
eine Zertrümmerung der Verfaffung nicht wünfchten, einen Anbalts- 
punkt und Schuß gegen fernere Gefahren. Nach und nach fchloffen 
fi) auch Regierungen an, welche bisher zur Union gehalten hatten, 
und fo fand fi Preußen immer mehr ifolirt. Dazu kam, daß 
ſich Oeſterreich nun auch thätiger der Streitfragen annahm, welche 
Deutfchland bewegten; die ſchwarzgelben Fahnen flatterten an ber 
Nordfee und Exekutionstruppen rüdten, die geftörte Ordnung 
wieder berzuftellen, nach Kurheſſen. Preußen concentrirte, dem 
weiteren Umgreifen der kaiſerlichen Waffen entgegenzutreten, feine 
Armee, und fo kam e8, daß im Oktober feine Truppen auch bis 
auf den letzten Mann aus dem Großherzogthum Baden zurüd: 
gezogen wurden. In Karlörube felbft aber fand in Folge dieſer 

Ich. v. Andlaw. Wein Tegud. II. 11 


162 


Sreigniffe eine Perfonalveränderung in der Art flatt, daß Minifter 
Klüber die Leitung des auswärtigen Departement dem Freiherrn 
8. 9. Rüdt-Collenberg überließ. 

Während diefer Zeit hatte auch eine Zuſammenkunft mehrerer 
deutfhen Fürften mit dem Kaiſer Franz Sofeph in Bregenz 
ftattgefunden. 

Um die feit Jahr und Tag mit dem Wiener Kabinette abge 
brochenen diplomatifchen Verbindungen mieder anzufnüpfen, murde 
ih Mitte November vom Großherzog in außerordentliher Milfton 
dahin abgefendet. Es war gerade der wichtigſte Wendepunft in 
den verwirrten deutfchen Angelegenheiten. Eine Maffe von Truppen 
hatte fih in Böhmen angehäuft; ebenſo zogen in Eilmärfchen 
preußifche Regimenter der entgegengefebten fächftfchen Grenze zu. 
Seven Augenblid erwartete man in ängftlider Spannung den 
Ausbrud des Bruderfampfes — da ergab fih noch in letzter, 
aber guter Stunde ein Hoffnungsfchimmer und eine in Olmütz 
verabredete Zuſammenkunft follte Deutichland die Schmach eines 
Krieges erfparen, welcher, wie er auch immer ausgehen mochte, 
nur beiden Theilen nadhtheilig fein konnte. Fürſt Schwarzenberg 
und Herr v. Manteuffel kamen wegen der Bedingungen überein, 
welche endlich zu einem Verfländniffe führen follten, und bier war 
es wieder der Kaifer Nikolaus von Rußland, dem das Verdienſt 
zukam, durch eine ernfte, thätige Vermittlung die fchon über ganz 
Deutfchland ſchwebende Gefahr glüdlich abgewendet zu haben. 

Es war gerade an diefem denfwürdigen 29. November, als 
mir der Kaifer Franz Joſeph in Gegenwart des Unterftaats- 
jefretärd v. Werner Audienz ertheilte. Noch den Tag zuvor hatte 
ih eine lange Unterredung mit Meyendorf, der, als ruſſiſcher 
Geſandter beglaubigt, mit einem nicht genug anzuerkennenden Eifer 
die Bermittlerrolle in Olmutz übernommen. 

Das Nächte, was man nım für die Beruhigung Deutfch: 
lands in Ausſicht ftellte, war die Abhaltung von Minifterial: 





163 
Conferenzen in Dresden, und in den letzten Tagen traf ich 
mit Herrn v. Rüdt in diefer Stadt zuſammen, um von da vor: 
erit wieder nach Karlsruhe zurüdzufehren. 

Der Olmüßer Vertrag, fo erfreulih er auch in mander 
Beziehung in feinen Ergebnijien war, erreichte doch den Haupt: 
zwed einer völligen Ausfähnung zwilchen beiden Großmächten nicht. 
Das ſchon Halb gezudte Schwert kehrte zwar wieder in die Scheibe 
zurüd, aber es war in den beiderfeitigen Verhältniſſen ein Stachel 
geblieben, der bei dem geringiten Anlaſſe die Spaltung zu erweitern 
drohte und einen abermaligen Bruch befürdten ließ. Preußen 
warf Deiterreih, wohl nicht mit Unrecht, vor, ſich feines Weber: 
gericht? bewußt, den verföhnten Teind zu fehr gedemüthigt zu 
haben, und Defterreih, feinen eigentlichen Vortheil verkennend, 
reichte wirklich dem fchwächeren Gegner die Hand nicht in der Art, 
wie man ſich's erwartete. Diefe gegenleitigen Gefühle wirkten 
denn auch lähmend auf die Dreödener Verhandlungen zurüd; fie 
zogen fi bi in den Mai hinaus; man konnte ſich, wie voraus: 
zufeben, nicht verftändigen, und Preußen, bei der Unmöglichkeit, 
feine eigenen Bundezreformplane durchzuſetzen, willigte zuleßt lieber 
einfach in die Wiederheritellung der alten, vor zwei Jahren gemaltia m 
unterbrochenen VBerhältniffe und erflärte, den Bundestag, mit den 
bisher noch nicht eingetretenen Staaten, beichiden zu wollen. Biele 
erprobte Geſchäftsmänner hatten fi in Dresden verſammelt; 
mande gelungene Ausarbeitung führte zu zweckmäßigen Vorſchlägen, 
doch Alles wurde zulegt nur als „ſchätzbares Material“ bei Seite 
gelegt, und es blieb außer diefem von jener Verſammlung wohl 
faum ein anderes fihtbares Erinnerungszeichen übrig, als das 
große Bild, welches der fächfische Hofmaler Bogel von dem 
Sitzungsſaale mit den berathenden Bevollmächtigten entwarf. 

Doch mit der Rückkehr nad Frankfurt war noch nicht jene 
Nude, jenes Gleichgewicht wieder gefunden, wodurch fich die Bundes- 
tagsverhandlungen vor 1848 während 30 Jahren auszeichneten. 

11* 








164 


Allerdings hätten ſich auch zu diefer Zeit Gründe zu Zerwürfniſſen 
genug und Defterreich hinreichend Anlaß gefunden, fi über Separat- 
unterhandlungen, mie etwa jene des Zollvereind, zu beichweren; 
doch man verlor in Wien nie aus den Augen, daß Preußen 
eine deutſche, gleichberechtigte Macht war und man der Erhaltung 
des inneren Friedens auch felbft Opfer bringen müſſe; ebenjo kam 
Preußen den Anſprüchen Oeſterreichs, wo immer möglich, rück⸗ 
ſichtsvoll entgegen. Nun hatte ſich aber die Lage der Dinge ver⸗ 
ändert; in erbitterter Stimmung trat man wieder in Frankfurt 
zuſammen, und was Olmütz an Hader geſäet, was Dresden nicht 
auszugleichen vermochte, brach ſich nun bei jeder Gelegenheit Bahn. 
Preußen zeigte ſich in allen Fragen immer gereizter, immer weniger 
geneigt, ſich den Bundesbeſchlüſſen zu unterwerfen, und ſo ſtehen 
wir nun wieder auf dem Punkte, abermals das ſchon Erfahrene 
durchleben zu müſſen, den vor 12 Jahren unterdrückten Kampf 
wieder auf's Neue entzündet zu ſehen. 

In Folge der Dresdener Beſtimmungen wurde Freiherr Auguft 
v. Marſchall zum großherzoglihen Bundestagdgefandten ernannt 
und ih Fehrte, nad einem achttägigen Aufenthalt in Dresden, 
Mitte März auf meinen früheren Poften nah Wien zurüd. — 
Der Großherzog, welcher den ganzen Winter über leidend geweſen, 
zuleßt von den Maferı befallen worden war, empfing mid) noch 
in feinem Krankenzimmer. Ich dankte ihm für meine Wiederan- 
ſtellung und Ernennung zum geheimen Rathe und beurlaubte 
mich bei dem edlen Fürften ohne Ahnung, daß es ein Abichied 
für das Leben fein mwürdel Eine ganze Reihe von Briefen, in 
denen er, mehr meinen guten Willen und Dienfteifer, als wirkliche 
Verdienfte anerfennen Tonnte und mich feiner Gnade verficherte, 
Tiegt vor mir, und fie find für mich jetzt noch Lichtpunkte in der 
Erinnerung! 





168 


Dierzehnter Abfhnitt. 


(1851 — 1856.) 


Inhalt: Wien. Oeſterreichiſche Politit, Finanzen und Armee, Reifen bes 
Raifers. Hohe Säfte in Wien Ausflug nah Mähren, Aufenthalt in Iſchl. 
Die Prinzen Friedrich und Karl von Baden. Die Gefhwornens 
gerihte. Der Staatsftreih in Paris und die Faiferliden Dezember: 
befrete in Wien. (1852.) Die Zollvereins:Eonferenzen. Die Groß— 
fürften Nikolaus und Michael. Feſte. Der Tob bes Fürften Schwarzen: 
berg. Das Miniflerium und die Gefandtihaftspoften. Das Ableben bes 
Großherzogs Leopolb von Baben. Kaiſer Nikolaus in Bien. 
Paraben, Runbreife des Kaifers Franz Joſehh in Ungarn. Lager 
von Palota. Der Regent von Baden in Wien. Berleibung bes gol- 
benen Bließes. Herr v. Bourqueney. (1858.) Attentat auf ben 
Kaifer. Todesfälle. Befuh dreier Könige — von Belgien, Preußen 
und Bayern. Das Garouffel. Das Lager von DOlmüs und bie Ju 
fammentunft in Warſchau. Ausbruch bed Kriegs Rußlands mit ber 
Türkei. Ueberſicht. Wufentsalt in Baden⸗Vaden. Tod ber Prinzeifin 
Amalie von Schweden. (1854.) Frie den Sverhandlungen. Griechen⸗ 
land. Wiener Konſerenz. Haltung des diplomatiſchen Corps. Die 
feierliche Bermählung des Kaiſers. König Don Pedro V. von Por: 
tugal. Todesfälle. Der Krimm krieg. Allianzen. (1855.) Entbin⸗ 
bung ber Kaiſerin. Tod des Kaiſers Nikolaus. Frieden s kongreß in 


166 


Bien. Einnahme Sebaſtopols. Das Eoncorbat. (1856.) Münze 
konferenz. Der PBarifer Friedensvertrag. Verfammlung ber Bifhöfe 
ber Monardie in Wien. Neubauten und bilbende Künſte. Das Arjenal 
Sir Hamiltonn. Seymour, Rüdblide. Meine Ubberufung. Die letzte 
Zeit in Wien, 


Aus ic) mich in Wien — dießmal in einer Bafteimohnung — 
wieder eingerichtet, galt es vorerft, mid, in die gänzlich veränderten 
Berhältniffe einzuleben. Bei Fürft Schwarzenberg fand ih, wie 
immer, den freundlichften Empfang, und mit meinen Kollegen hatte 
ich bald wieder die früheren Beziehungen aufgenommen. 

E3 mußte nun vor Allem der Zuftand der Monarchie unfere 
lebhafte Aufmerkfamteit erregen, denn Fein anderer Staat in Europa 
befand fich in einer feltfameren Lage; ein Studium derjelben bot 
daber ein reiches Feld zu vielen, aber auch den verichiedenartigften 
Betrachtungen. In den Kronländern war fcheinbar wenigſtens 
Alles zu einer gewiſſen friedlihen Ordnung zurüdgelehrt, doch 
trug die innere Verwaltung entſchieden den Charakter des 
Proviſoriſchen; e8 war da jo wenig etwas geregelt, wie in 
den Beziehungen zu den auswärtigen Mächten. Es trat daher 
mit jedem Tage dringender die Trage an die Regierung beran, 
wie fie den Uchergang zu einem geordneteren, gefehlichen Zuſtand 
der Dinge vorbereiten und durchführen würde? Mit ſichtbarem 
MWiderftreben beichäftigte fie ſich mit der Erledigung dieſer Frage, 
und dad Jahr 1851 ging darüber bin, ohne daß es ſchien, als 
ſei man zu einem beitimmten Beichluffe gefommen. Zwei Pläne 
verfolgte das Kabinet jedod mit Vorliebe: der eine, nach Außen 
gerihtet, war der Wunſch, die Gefammtmonardhie in den deutfchen 
Bund aufgenommen zu ſehen, der zweite die Idee eines öfterr. 
Einheitsſtaates. Beide Projekte ſtießen felbftverftändlih auf - 
zahlloſe Schwierigkeiten, und fc eifrig fie auch Fürſt Schwarzenberg 


107 
durchzufegen bemüht war, fo mußte er tod, der Nothwendigkeit 
weichend, ihre Wiederaufnahme einer fpäteren Epoche vorbehalten. 

Während diefer Verhandlungen wandte man die größte Sorg- 
falt der Drganifation der Armee mie der Ordnung der Finanzen 
zu. Die lebteren, der wahre Krebsſchaden Defterreichd, waren der 
ebenfo treuen als umfichtigen Verwaltung des ausgezeichneten 
Minifter? Ph. v. Kraus anvertraut. Er hatte mit feltener 
Geiftesgegenwart und Aufopferung fein mühevolles Amt während 
der Sturmperiode fortgeführt, den Staatsſchatz gerettet, und mit 
wahrer Beiriedigung lad man nun feinen zur öffentlichen Kenntniß 
gebrachten Vortrag an den Kaiſer vom 23. April. Entwarf dieſe 
“Darftelung aud, wie es wohl nicht anders fein fonnte, ein unge 
mein trübes Bild von der Yinanzlage, fo lag dod wieder ein 
berubigender Gedanke in der Erwartung, daß von nun an jährlid) 
ein regelmäßiges Budget entworfen und befannt gemacht werden 
würde, &3 verband fih damit die Hoffnung, daß fi) das gehörige 
Gleichgewicht zwiſchen Staatseinnahmen und Ausgaben endlich 
finden und mit dem wiederkehrenden Kredit auch das allgemeine 
Bertrauen heben werde. Die Kriegslaften hatten ungeheuere 
Summen verjchlungen, ebenfo waren ganze Provinzen mit ihren 
Steuern im Rückſtand geblieben. Diefe Ausfälle zu deden, trug 
denn der Tinanzminifter, wie zu allen Zeiten, zunächſt dringend 
auf Verminderung des Armeeaufmandes an. Die jpäteren Ereig- 
niffe machten auch diefe Erwartungen theilweife zu illuforifchen, 
dennoch blieb e3 immer verdienftlih, menigftend eine neue Bahn 
borgezeichnet zu haben. — Bon den weiteren Perſonal⸗ und 
anderen Veränderungen nehme ich mir vor, im Zuſammenhange 
ſpäter zu fprechen. 

Der kaiſerliche Hof hatte mährend dieſes Sommers feinen 
Aufenthalt in Schönbrunn, fpäter in Iſchl genommen und den 
Beſuch des Königs Otto von Öriehenland und der groß 
berzoglich heifiichen Herrſchaften erhalten. Der hellenifche Monarch, 


168 





welcher fpäter noch Bftere Erfcheinungen in Wien machte, trug 
immer die Nationalkleidung, die, fo maleriſch fie ift, doch nie fo 
recht zu feinem Aeußeren paflen wollte — Der Kaiſer jelbft aber 
war in beftändiger Berwegung; in Venedig mit Jubel empfangen, 
begab er fi fpäter auch nah Mailand und Verona, fuchte da 
überall auszugleichen, fo viele Wunden zu heilen, und die ganz 
‚zeitgemäße Verleihung eines Freihafens an Venedig weckte erlojchene 
Sympatbien wieder auf. An diefe Reifen ſchloß fih ein Beſuch 
des Kaiſers in Begleitung Radetzky's in dem Webungdlager bei 
Olmüb an. 

Das Wiener Kabinet, nun weniger mit außwärtigen ragen 
beichäftigt, ſetzte doch die unerfreulichen Verhandlungen wegen Hol⸗ 
ftein fort und gerieth mit dem immer fchrofferen englifhen Minifterimm 
vielfah in Konflitt; denn nicht nur fanden die italienifchen und 
ungarifchen politifhen Ylüchtlinge dort eine gaftlihe Aufnahme, fie 
wurden auch noch in ihren Umtrieben unterftüst, und während 
Koffuth als der Held ded Tages einen triumphartigen Einzug in 
London hielt, mißhandelte bekanntlich bald darauf der Pöhel den 
greijen Feldherrn Haynau. 

Ungeachtet der verwirrten Lage Europa's führte England, 
im ſtolzen Selbſtgefühle der bewahrten Ruhe, die erſte Weltaus⸗ 
ſtellung durch; der Prinz-Gemahl ſtellte ſich an die Spike des 
Unternehmens, und den einſtigen Feenpaläften ähnlich, erhob ſich 
nun in Wirklichkeit ein riefenhaftes Kryftallgebäude im Hydepark. 

In Frankreich ſchleppten fi die republifanifchen Zuſtände 
unter ftürmifchen Situngen der Affembise fort. 

In Warihau traf Kaifer Nikolaus mit dem König von 
Preußen zufammen. 


| sm öffentlihen Leben Wiens hatte ſich nur wenig ver: 
ändert; es gingen die Theater wie die Gartenbeluftigungen ihren 
gewohnten Lauf, doch vermißte man die einitige unbefangene Heiter: 





169 
feit, und die Genußſucht ſelbſt Hatte nicht mehr wie früher den 
gemüthlichen Anftrih. An die Stelle von Johann Strauß war 
fein minder begabter Sohn, jedoch mit größeren Prätenfionen, 
getreten; andere Mufifgejellichaften, wie die fo ausgezeichneten 
Regimentöbanden, fuchten ihn zu verdrängen. Die Wiener konnten 
aber immer über dem jungen Strauß und Lanner nicht die talent: 
volleren Väter vergefien, und mit wehmüthiger Theilnabme war 
eine große Menichenzahl dem Sarge des „erſten“ Strauß gefolgt, 
hinter dem man feine mit ſchwarzem Flor umbüllte Bioline trug. 
Er war 1849 in den beiten Jahren einem Scharlachfieber erlegen. 

Die politiihen Ereigniffe waren auch nicht ohne Rückwirkung 
auf das Burgtheater geblieben und fogar H. Laube zum 
artiftifchen Direktor ernannt; die Richtung, welche er der Anftalt 
gab, war zwar nicht immer nad) dem Geichmade aller Bejuchenden, 
doch ließ fich eine bühnenkundige Hand, eine gewifle Gemanbtheit 
in der Leitung nicht verfennen. Ausgezeichnete Schaufpieler wurden 
gewonnen, und das Mepertoir, wenn auch nicht immer feine Aus⸗ 
wahl, bot doch offenbar mehr Abwechslung. Die Scenirung, das 
Zufammenfpiel ließen auch fortan nichts zu wünſchen übrig und 
Publitum mie Kaffe fanden fih volltommen befriedigt. — Oper 
und Ballet zogen ſich, wie ed in diefen beichräntten, den jeigen 
Anforderungen fo wenig entiprechenden Räumen möglich war, fort. 
Auch eine italienifche Oper war nad langer Zeit wieder er: 
ſchienen, und die Wiener waren großftädtifch oder gutmüthig genug, 
um den fremden Sängern nicht die gemeine, ungünftige Aufnahme 
entgelten zu Iaflen, welche jenfeit3 der Alpen deutiche Sänger und 
felbft Italiener gefunden, wenn fie von Wien zurüdgelehrt waren. 
Bon deutſchen Opern erregte der von Meyerbeer felbft geleitete 
„Prophet“ mit feiner eleftrifchen Sonne und feinen Schlittichuhen 
das meifte Aufſehen. Im Ballette erhielt fih Satanella — Tag- 
liont — als entfchiedener Liebling. 

Die Theater der Vorftädte, welche mährend der Unruhen 


179 

die ihnen zu Gebote ftehenden Kräfte in der unwürdigſten Weiſe 
mißbraucht hatten, fingen, wohl gezwungen, wieder au, in eine 
befiere Bahn einzulenken. Jedes edlere Gefühl empörende Parodien, 
Tendenzftüde der verwerflichſten Art wichen nun patriotiſchen Er: 
güffen, begeifternden Kriegsſcenen, dem Weißiſchen Kinderballette 
und den jet fo harmlos gewordenen Poflen von Kaiſer, Elmar, 
Berla u. A., gehoben durch das draftiiche Spiel der weltbefannten 
Komiker. Auch Neftroy wirkte fortwährend mit der Feder wie 
auf der Bühne; doch zogen feine Stüde nicht immer wie früher 
an; auch feine Mufe konnte fich dem beraujchenden Taumel der 
Zeit nicht entziehen, und ich war jelbft eine® Abends Zeuge, wie 
ein ſolch mißrathenes Kind den Dichter in die peinliche Verlegen⸗ 
heit feßte, fi vor dem Parterre zu entichuldigen und zu ver: 
ſprechen, künftig Beflere zu leiften. In der Folge hatten die 
Wiener Spaßmacher, zu denen fih aud Treuman gelellte, einen 
Wettlampf an Laune und gelungener Traveltirung mit Levaffor 
zu beftehen. 

Eine andere, viel ungewöhnlichere Erfcheinung war der Neger 
Ira Albridge, welcher, umgeben von einer höchſt mittelmäßigen 
Geſellſchaft, englifhe Dramen im Karltheater zum Beten gab. 
Mar mir fon im Allgemeinen die brittiiche Deklamations⸗ und 
unnatürliche Spielmeife immer unangenehm geweſen, fo wurde 
mir der ſchwarze Mime mit feinem Gejchrei und übertriebenen 
Weſen ganz unleitlich, obwohl nicht zu läugnen war, daß feine 
Durftellung des „Otello* eine begreifliche Anziehungskraft übte. 

Ungleih mehr befriedigte mich eine andere fremde Künitler- 
natur — die Riftori, die an Reinheit des Organs, Kraft des 
Ausdrucks und malerifchen Attituden nicht leicht erreicht werden Kann. 


Endlich muß ih noch des Pepita⸗Fiebers erwähnen, das 
die Balletfreunde Wiens in ebenſo abgeſchmackter Weiſe ergriff, 
als anderwärtd. 





171 


Einen neuen Afthetifhen Genuß gewährten mir die Vorlefungen 
Shakefpeare’fher Dramen dur Holtei; ed war nicht möglich, 
mit richtigerer Betonung und mehr Kraftaufmand zu leſen, als 
diefer ſchon in Jahren vorgerädte talentvolle Mann; ich babe 
Tiek nie gehört, aber dennoch befriedigten mich diefe unterhaltenden 
Vorträge in ebenfo hohem Grade, ala die zahlreich fih dabei ein- 
findenden Zuhörer, meldhe einer fo feltenen Begabung ihre volle 
Anerkennung zollten. 

Außer Vieuxtemps, Ernft, Servais, Th. Milanollo und 
anderen reifenden Künftlern war Jenny Lind — dießmal nur ala 
Concertfängerin — an der Seite eined unanfehnlichen "Gatten 
erfchienen; fo fehr fie auch wieder durch ihre Lieder entzüdte, fo 
war für fie doch die eigentlihe WBlüthezeit vorüber; nur im 
Trüpling fchlägt die Nachtigall! 


® —- — — — — 


Auf einem Ausfluge nach Mähren lernte ich die anziehendſten 
Theile dieſes Kronlandes kennen. Feldsberg und Eisgrub, auf 
deren großartige Anlagen die Fürſten Lichtenſtein ſo viel verwendet, 
erregen die Bewunderung aller Kunſt- und Naturfreunde. Weniger 
ſprach mich Brünn mit feinem traurigen „Spielberge“ an, 
während das benachbarte Adamsthal voll überrafhender Schluchten 
und wildromantifchen Felspartien um fo fehenswerther ift, als 
man nur felten davon fpricht. Die furchtbare Höhle „Maczuka“ 
foW der alten flavifchen Sage nad fogar Adam und Eva zum 
vorübergehenden Zufluchtsorte gedient haben; jetzt läßt man, wohl 
fombolifh, nur eine arme „Ente“ auf einem reißenden Berg: 
firome unter Felfenwänden durchſchwimmen, bis fie eine Stunde 
nachher wieder an dem entgegengefehten Ende der Schlucht das 
Tageslicht erblict. Unaufpörlich hämmern die fürftlih Salm'ſchen 
Eiſenwerke und beleuchten Nachts mit vöthlichem Schimmer da? 
unheimliche Thal. 


172 


Mitte Juni begab ih mid nad) Linz, um auf ihrer Durd- 
reife die Großherzogin Sophie zu begrüßen, welche in Begleitung 
des Prinzen Karl von Baden ſich nad Iſchl begab, um dort 
einen längeren Badeaufenthalt zu nehmen. 


Diefer junge Prinz war beftimmt in Taiferliche Kriegsdienſte 
zu treten und vom Saifer zum Lieutenant in dem durch feine 
Heldenthaten ausgezeichneten zehnten Sägerbataillon ernannt worden. 
Der Prinz kam defhalb im Auguft nah Wien, mo ich die Ehre 
batte, ihn an den kaiſerlichen Hof in Schönbrunn und bei feinen 
anderen Ausflügen, endlih nah Iſchl felbft zu begleiten. Hier 
erwarteten mid nun ebenjo intereffante als bewegte Tage. Die 
kaiſerliche Familie war nad den langen politifhen Zermwürfnifien 
wieder zum erften Male mit dem preußifchen Königspaare zu- 
jammengetroffen ; die Großherzogin Sophie und die Prinzeffin 
Amalie von Schweden vermehrten mit dem Großherzog von 
Heffen den Kreis der hohen Verwandten, denen fi die Herzogin 
von Cambridge mit der Prinzeffin Mary anſchloß. Schwarzenberg 
und Mannteufel, ungeben von einer Schaur Diplomaten, Grünne 
in der Mitte vieler Generale, bildeten einen glänzenden Hofftaat. 
Es fehlte nicht an Bällen, Concerten, Landpartien, und Mittags 
wie Abend3 verfammelte die Erzberzogin Sophie die hohen Gäfte, 
deren täglih zunehmende Zahl die befcheidenen Räume ihrer 
Wohnung kaum zu faflen vermochte. Leider begünftigte der Himmel 
diefen Aufenthalt nicht, denn, mie nicht felten in diefen ©ebirgen, 
ftrömte unaufbörlih Regen herab und der König von Preußen 
bemerkte jcherzend, daß es für Iſchl Feine Sonne geben müſſe, 
denn noch nie babe er fie da gefehen! 


In der Hälfte September Hatten alle Herrichaften Sicht 
wieder verlaffen und ich folgte der Großherzogin Sophie nad) Linz, 
wo fie fich von ihrer Durdlauchtigften Schweiter trennte, mit weldyer 
ih fodann auf dem Dampffchiffe nach Wien zurüdlehrte Prinz 


173 





Karl beurlaubte ſich noch in feiner neuen Uniform zu Karlsruhe, 
und begab ſich dann vorerft in die Garnifon nach Florenz. 

Bald darauf war jedoch auch Prinz Friedrih von Baden 
auf feiner Rüdreife aus Italien, wo er den Herbſtübungen der 
Armee unter Radetzky beigewohnt hatte, zu einem mehrtägigen 
Beſuche nad Wien gekommen. 

Um jene Zeit endete mit 73 Jahren in dem benachbarten 
Frohsdorf die Tochter Marie Antoinettes, M. Therefe, Herzogin 
dv. Angouldme, in den Armen des Herzogs von Bordeaur, ihres 
Neffen, ein durch fo wechſelvolle Schidfale vielgeprüftes Leben! 

Kaum war ich wieder in Wien eingetroffen, als Fürft 
Metternich nah 3,jähriger Abweſenheit dahin zurückkam. Er 
batte von Belgien aus den Johannisberg befucht und fand nun 
mit einer begreiflihen Genugthuung die felbitgebaute, jo geſchmack⸗ 
voll wie bequen eingerichtete Billa wieder. Er umgab fih da 
mit feinen Büchern, Kunſtſchätzen und gar vielen Andenken einer 
an Erinnerungen fo reihen Zeit. Kinige Treunde des Haufes 
bewilltommten freudig die heimgekehrte Yamilie. 

Der Haß und die Erbitterung, welche fi 1848 gezeigt, 
galten mehr den politifhen Grundſätzen des Fürſten, als feiner 
Perfon, man war gewohnt mit feinem Namen ein Spftem zu 
bezeichnen, und beide den Verwünfchungen der Parteien Preis zu 
geben. Der Fürft verließ nur felten fein Kabinet, erſchien beinahe 
nie öffentlich und war daher der Bevölferung Wiend wenig be: 
kannt. Seine Perſönlichkeit war aber durchaus nicht der Art, 
gehäffige Leidenſchaften zu erwecken, und in feiner Zurüdgezogenheit 
zeigte er, mehr als zu einer anderen Zeit, wie fremd ihm jeder 
Groll, wie ſehr Nachtragen, Rachegefühle durchaus nicht in feiner 
Ratur Tagen; Klagen, lieblofe Urtheile Tamen nie aus feinem 
Munde. Höoͤchſtens fagte er, wenn ihm etwas beſonders auffiel, 
mit einem gutmüthigen Lächeln: cüriös! Bon Gdihe erzählte man, 
daß er bei ſolchen Anläffen: „wunderlich genug!” auögerufen habe. 


174 


Wie oft, bei ihren ſeltſamen Erlebniffen, mögen die beiden alten 
Herren fich diefer Ausdrücke bedient haben! 

Der Türft führte nun feine gewohnte Lebensweiſe fort, fchrieb 
den Morgen über Briefe, auch Wemoiren, wie man fagt, ordnete 
feine Papiere wie die etwas verwidelten Privatangelegenbeiten und 
wurde in dieſen Gefchäften durd häufige Beſuche unterbroden, 
mit welchen ihn der Kaifer, die Erzherzoge, auswärtige Yürften 
wie Minifter und Oefandte beebrten. Der Salon erinnerte in 
feiner Lebhaftigleit an frühere Zeiten, nur mit dem Unterſchiede, 
daß Feine andere Rüdficht die Beſuchenden beſtimmte, als jene der 
Anhänglichkeit und Verehrung. Am Sommer erfreute ihn dann 
der Blumenflor in feinem fchönen Garten, oder erheiterte ihn eine 
Reife nad) feinen Beftbungen. Ueberhaupt aber hatte ſich Metternich 
eine Friſche des Gedächtniſſes und der Eindrüde zu bemahren ge 
wußt, welche Vergangenheit wie Gegenwart mit gleicher Theilnahme 
umfaßte. Litteratur und Kunft regten ihn immer gleich an, fowie 
er denn aud mit einem, bei ihm fo begreiflichen Inierefle die 
Tagesgefchichte verfolgte. Nur an feinen Geburt: und Namens: 
tagen verfanmelte er Verwandte und Freunde zu größeren Mit: 
tagstafeln, und befuchte Abends nie Gejellichaften oder Theater. 

Eine zunehmende Taubheit wurde feinem gefelligen Sinne 
immer empfindlicher, er konnte nicht mehr au allgemeinen Ge 
ſprächen Theil nehmen, doch ftörte ihm dies nicht in feiner heiteren 
Laune, und oft vertiefte er fih aud Abends in die Lefung irgend 
eined politiichen Werkes, das er gewöhnlich mit Randbemerlungen 
verſah. War aber von feiner eigenen Amtöthätigleit die Rede, 
jo fah er mit ungetrübten Blicken darauf zurüd; er Batte die 
Monardiie auf eine Höhe der Macht und äußeren Anſehens ge- 
bracht, deren fie ſich zu feiner anderen Epoche erfreute, hatte wie 
einen ungerechten Krieg beraufbeichiworen, nie einen für Oeſterreich 
ſchmachvollen, oder auch nur demüthigenden Frieden unterichrieben; 
Schwähen und Irrthümer hatte er aber mit den Stuatsmännern 











175 


aller Zeiten gemein. Mit philoſophiſcher Ruhe belächelte daher 
Metternich die Anfeindungen der Mitwelt und im Hinblid auf 
Ale, was fih nun rings um ihn ergab, glaubte er einer un⸗ 
parteiifchen Gefchichte getroft dad Endurtheil überlaffen zu dürfen. 
Je einfeitiger und verläumbderifcher gewiffe Schilderungen des 
Charakter des Fürften, mie feines Yamilienlebend find, deito mehr 
glaubte ich hier die Hiftorifche Wahrheit wieder zur Geltung bringen 
zu müflen. An Barteileidenfchaft und Gehäſſigkeit bat aber in 
jeder Beziehung Hormeyer alle Schriftfteller übertroffen, und mas 
er in feinem cunifchebarbarifchen Style über jenen Gegenftand fagt, 
wird zum Zerrbilde, und kann nur den lägenbafteften, erbärmlichſten 
Schmähfhriften beigezäbft werden. Wenn ich mir aber überhaupt 
die entfchiedenen Feinde des Fürften zurüdrufe, jo Tann ih mir 
nur Glück wünſchen, zu feinen Anhängern zu gehören. 


Am Herbfte erfhien bei Manz ımd Hügel in Wien von 
mir eine politiſche Brochüre: „Sinundfünfzig Zeichen der Zeit.“ 
Sie entftand unter dem Eindrucke der gewaltigen Ereigniſſe der 
jüngft vergangenen Sabre, und ich freute mich des Anklangs, 
weldyen dieß eine Wert bei Gefinnungsverwandten fand. 

Gegen Ende d. 3. war auch von Wien aus die Tele 
araphenlinie mit dem Großherzogthume eröffnet und nie hatte 
ih früher vermuthen können, daß ich auf eine Anfrage in Karls: 
ruhe die Antwort erhalten würde, ohne mid mir von meinem 
Schreibtifche zu erheben. 

Die Einführung der Geſchwornengerichte bradite ein ganz 
neues Schauspiel nah Wien und wie in jedem Lande prägte fich 
auch bier diefe Anftalt wieder in ganz eigenthümlicher Weiſe aus. 
Bei der kurzen Zeit ihres Beſtehens Tonnte man über ihre Wirk: 
famkeit Immerhin nur gewagte Schlüfle ziehen. Leberhaupt find 
über die praftiihe Bedeutung der Schwurgerichte in Deutſchland 





176 


die Akten noch Tange nicht geichloffen und es eröffnet ſich Bier ein 
weites Feld für juridiſche Controverſen. Man nimmt bei und 
an, daß die Jüry dem urfprünglich deutichen Schöppengeridhte 
nachgebildet fei, und ohne hierüber mit den Rechtsgelehrten ftreiten 
zu wollen, glaube ich, daß jedenialld nur wenig davon in die Art 
der heutigen Verhandlungen übergegangen iſt. Auch den weiteren 
Einwurf, welchen man den Gegnern vorhält, wollen wir nicht in 
feinem ganzen Unfange gelten laflen, den nämlich, daß allenthalben, 
wo died neue Inſtitut noch eingeführt worden, es ſich Dergeftalt 
mit den Sitten, Wünſchen und Bedürfniilen der Bevölkerung ver: 
wachen, daß eine Abichaffung nicht mehr möglich geweſen wäre. 
Ich weiß nur, daß viele Staatsbürger die Ausübung ihres Amtes 
als Geſchworne für eine wahre Laft, für Zeitverfäumniß, für eine 
unndöthige, mit Opfern verbundene Plage Halten, die fie ihren ge 
wohnten Geſchäften entzieht. Aber auch abgeſehen von dieſem 
hier nicht maßgebenden Bedenken follte man fi) denn nicht Fieber, 
Ratt die Anftalt der Gefchworenengerichte für etwas Heiliges, 
Unantaftbares zu erflären, mit dem Gedanken befchäitigen, das 
fremdartige Inftitut mit unferen Anſchauungen mehr in Ein: 
Mang zu bringen und jtatt fi flarr an die einmal gegebenen 
Formen zu halten, die auffallenden Gebrechen zu heilen? Könnte 
man etwa mit den unbeitreitbaren Bortheilen des geheimen Ber: 
fahrend und gelehrter Richter nicht ein öffentliches Zeugen: und 
Schlußverhör verbinden, un gehörige Bürgichaft für gerechte Aus: 
fprüdhe zu gewähren und den oft offenbar unter fich wider⸗ 
iprechenden oder ungleichen Verdiften vorzubeugen? Dazu kommt, 
daß dad Amt des öffentlichen Anklägers immer als ein gehäffiges 
erfcheint; in den Augen des gewöhnlichen, müßigen und gaffenden 
Publikums, das oft nur zu leicht Partei für den Angellagten 
nimmt, tritt die richterliche Behörde gleichfam wie die Hand nad 
einer Beute ausſtreckend auf, die fie fi nicht entichlüpfen laſſen 
will. Selbſt Gebildetere können ſich bei befonderen Anläffen diefes 








177 


peinlichen Gefühld nicht immer erivehren. Im entgegengejehten 
Fall, wenn die Verhandlungen oder der Ausgang den Erwartungen 
der Bevölkerung nicht entipricht, fo läßt fih der Pöbel in feiner 
vorgefaßten Meinung oft zu Zornausbrüchen verleiten, welche fich 
nit mit der erniten Würde der Gerechtigkeitspflege vertragen. 
Bon dem Gerichtöfaale gehen fodann diefe Eindrüde auf die Bier: 
bänfe, in die Blätter über, und die Sournaliftif beutet die Ber: 
bandlungen gehörig aus, umgibt fie mit dramatifchem Interefſe, 
und richtet fie ihren neugierigen, emotionsfüchtigen Lefern zu. 

Ich babe mich oft und viel mit diefen Fragen befchäftigt, 
felten eine ſich mir darbietende Gelegenheit, den Sitzungen von 
Geſchworenen beizumohnen, verfäumt und in Frankreich, Belgien 
wie in Deutjchland die lehrreichſten Erfahrungen gefammelt. Immer 
aber drängten fidy mir da Bedenken auf, welche ſich zunächſt auf 
die Perfonen, dann aber audy wieder auf die Gattung der abzu: 
urtheilenden Verbrechen bezogen. Der Orundfak der Gleichheit 
Aller vor dem Geſetze erleidet hier gar viele beklagenswerthe 
Ausnahnıen. Ein Mann von Bildung, eine Frau aus höheren 
Ständen, ein junges Mädchen ald Angeklagte oder Zeugen, ſchuldig 
erkannt oder freigeſprochen, gleichwiel! erdulden doch ohne allen 
Zweifel ungleih größere moraliihe Qualen, ala der ftumpffinuige 
oder genteine Verbrecher, als der freche, entartete Sträfling, welcher 
- mit chnifcher Freude ſich oft noch als den Helden eine? Dramas 
betrachtet, auf den alle Augen gerichtet find. — Gewiſſe Geſetzes⸗ 
übertretungen aber Tönnen nur mit- dem größten Nachtheil für 
die Sicherheit oder die Moral öffentlich beftraft merden. Bei 
politifhen Verſchwörungen, ausgedehnten Räuberbanden, mo ein 
gewiffer Terrorismus auf die Meinung des Tages drüdt, bie 
Furcht vor der Racheſucht der Betheiligten die Geſchworenen ein- 
Ihüchtert, wirken Schreden oder Drohungen gleidy mädhtig ein. 
Auch ift nicht zu beredinen, mie viel böfer Same durd folde 
Ausſtellung in jungen, unerfahrenen Gemüthern ausgeftreut, wie 

Irh. v. Audlaw. Wein Tageduq. II. 12 ° 


178 


die Gerichtöhalle nur zu oft zur Schule des Verbrechens und bei 
ihren Enthüllungen ein der Abfchredungstheorie geradezu entgegen: 
geſetztes Ziel erreicht wird. Als Beifpiele führe ich nur einige 
Fälle an, deren Zeuge ich war. So ftand eine? Taged ein de 
Raubmords Angeklagter vor den Affifen zu Baris. Der angeblid; 
von ihm Ermordete war zufällig von feinen Wunden wieder ge 
heilt worden und trat nun als Zeuge gegen den Berbiedher auf. 
Die Geſchworenen hatten feine „„eirconstances attEnuantes‘‘ wollen 
gelten Iaffen, und der Gerichtshof erkannte nach franzöfifchen Ge: 
feben auf die Todesſtrafe. Der mwiderwärtige Eindrud, welchen 
diefe „Cause“ in mir zurüdließ, wurde bleibend gefteigert, als ich 
einige Tage nachher die Gipsmaske des Unglücklichen ausgeſtellt 
fah. Wer aber das zahlreihe „Bloufenpublitum“ beobachtete, wie 
es mit Spannung den Zeugenaudfagen folgte, fih ſchon zum 
Voraus das Refultat zuflüfterte, mußte fich überzeugen, daß mandhe 
Zuhörer mehr in das Triebwerk der peinlichen Juſtiz, wie ber 
Mittel der PVertbeidigung und praftifcher eingeweiht waren, als” 
viele Rechtsfreunde. Es find mir fpäter mande Fälle vorge: 
fommen, in denen, bei weit gewichtigeren Anzeichen, aus gerade 
zufällig inwirfenden Gründen, eine mildere Strafe oder gar Los⸗ 
ſprechung erfolgte. 


Auch in Mainz erinnere ich mich eined Schwurgerichts, wo 
an einem Vormittag ein 17jähriger Lehrburſche wegen Hausdieb⸗ 
ſtahls mit fünf Jahren Gefängniß beftraft, ein Dienftmädchen aber 
von gleihem Alter, wegen deffelben Vergehens, freigeſprochen 
wurde. Wo bleibt da, ich wiederhole die Trage, die Gleichheit 
vor dem Geſetze? 


Den Sürgverbandlungen in Wien nun mohnte ich, ſoviel 
ich konnte, bei; Richter wie Geſchworene bewegten ſich noch ſchwer⸗ 
fällig in diefen ungewohnten Formen und die Angeklagten fo menig 
als die Anwälte, die Zeugen fo wenig als die Zuhörer konnten 


fi) nod recht in die neuen Zwiſchenſpiele finden; dabei waren 
die Räume ungeeignet, ärgerliche Auftritte nicht felten. 

Die Behandlung eines Wales von „Gottesläſterung“ flößte 
mir ganz eigene Betrachtungen ein; ich fagte mir, daß, bei den 
über dieſes Verbrechen beftehenden verworrenen Begriffen eine 
Aburtheilung deffelben bei „verichloffenen Thüren“ vorzugämeife 
wünjchenswerth erfcheinen mũſſe. Das Aergerniß, welches bei der 
Auzfprache der Fluchworte gegeben wurde und nun durch Strafe 
gefühnt werden fol, fand fi ja bei den öffentlichen Verhand⸗ 
lungen dadurch zehnfach wiederholt, daß jene jedes religidfe Gefühl 
verlegenden Läfterungen von den Zeugen fortwährend vorgebracht 
wurden. — Sch weiß wohl, daß ſolche einzelne Beifpiele nichts 
für oder gegen den Werth des Inſtituts bemweifen, bin aber der 
Meinung, daß es die Aufgabe einer weiſen Gefebgebung bilde, 
aud der Summe des bisher Erfahrenen die immerhin nöthigen 
Verbeſſerungen daran vorzunehmen und ftet3 dahin zu ftreben, daß 
der oberſte Grundſatz jeder Strafgerechtigfeitäpflege: „es werde 
fein Unfchuldiger beftraft, e3 entgehe kein Schuldiger der verdienten 
Strafe;" immer mehr zur Wahrheit werde! 


In den erften Tagen des Dezemberd wurden wir von der 
Nachricht des Staatsſtreichs überrafcht, melden Louis Napoleon 
fih erlaubte. Der Eindrud. derfelben kam beinahe jenem gleich, 
welchen die Bebruarrevolte hervorgebracht. Man ſah dadurch wieder 
alles in Trage geftellt, und mar aud das verhängnißvolle Wort: 
„Kaiſerreich“ noch nicht ausgefprochen, fd fühlte doch Jedermann, 
daß der „diktatorifche Präfldent” nicht Thüchtern auf halbem Wege 
ftehen bleiben, ſich feine Geſchicke wielmehr, unaufhaltſamer als je, 
erfüllen würden. Man fah in der Wahl des Tages eine Wirkung 
de3 Zauhbers, welher fi für Die Napoleoniden an denfelben 
nüpfte, verhehlte fich aber auch nicht, daß mit diefen abergläubifchen 

. 12* 





180 


Keen der praktiſchere Wunſch verbunden war, aus einer völlig 
falfhen Lage herauszutreten, feinen Gegnern zuvorzufonmen, feine 
Anhänger zu ermuthigen und der ganzen Welt durch eine Fühne 
That zu imponiren! 

Einige Wochen fpäter — am legten Tage des Jabra — 
erichienen im Amtöblatte der Wiener Zeitung die kaiſerlichen 
Dekrete, welche die Verfaffung vom 4. März 1849 mit allen 
damit zufammenhängenden fogenannten freifinnigen Inſtitutionen 
abichafften. Die erite Frage, welche man fich bei diefer auffallen: 
den Nachricht ftellte, betraf ihren etwaigen Zuſammenhang mit 
dem Parifer Staatsjtreihe. Diele nahmen einen folden an, ich 
war jedoch der Anficht, daß es diefer Auslegung nicht bebürfe, 
und andere gewichtigere Gründe jene außerordentlihde Maßregel 
bervorriefen.. So weit greifend und folgereich jener merkwürdige 
Erlaß auch war, fo erregte er doch weniger Aufiehen, ald man 
hätte erwarten dürfen und felbft die Blätter äußerten fich darüber 
nicht in ausführliher Weiſe. Die Beurtheilung de „zahmen 
Staatsſtreichs,“ mie man ihn nannte, war freilid, je nach dem 
Standpunkt der politifchen Parteien, eine fehr verfchiedene. “Die 
Berfaffungsfreunde fahen darin einfach die Rückkehr zum früher 
verlaffenen Syſteme; die Gemäßigteren bofften auf einen, der Lage 
mehr entiprechenden Umbau der Konftitution; die Yeinde jeder 
folder Anftalten aber wollten, daß fich der Kaifer auf fein gutes 
Recht und im Falle von Angriffen auf fein tapferes Schwert 
verlaſſe. AU diefen einjeitigen Anſchauungen ferne, gab ich mid) 
der Meberzeugung bin, daß das öſterreichiſche Kabinet mit jenen 
Beichlüffen weder eine Gewaltthat üben, noch auch trügerifche 
Hoffnungen erweden wollte. Eine Wiederaufnahme abfolutiftifcher 
Richtungen war ebenjo wenig möglich, als die Durchführung einer 
nah dem gewöhnliden Mufter ausgearbeiteten Verfaſſung. Es 
konnte demnach die Regierung größerer Tadel darüber treffen, eine 
ſolche Verfaſſung voreilig ertheilt, als, bei der Gewißheit, fie nicht 


181 


vollziehen zu Können, diefelbe widerrufen zu haben. Die Monarchie 
bedurfte nad fo ungeheuerer Aufregung nothwendig der Ruhe; man 
[dien nah fo vielen mißlungenen Verſuchen nicht mieder einen 
neuen anftellen zu mollen; man fand es gefährlich, abermals die 
Bahn Teidenfhaftlicher Discuffionen zu betreten, und bei dem ver: 
wirrten Zuflande mehrerer Provinzen, bei dem paffiven Wider: 
ftande Ungarnd zumal, war jegt gewiß nicht die Ausſicht zu 
Verwirklichung der dee eines Einheitsſtaates gegründet. and 
man e3 daher in Wien gerathen, zuerft die Grundlagen des neuen 
Staatsgebäudes auf feiteren Boden anzulegen, alle8 genau zu 
ordnen und zu ebnen, die zerrütteten Finanzen zu regeln, aber alle 
Berbefferungen und Erleichterungen, welche die Bervegung dem 
Lande gebracht, beizubehalten, jo war, wie mir dünfte, für den: 
Augenblid menigftend der richtige Ausweg gefunden, den ſich von 
allen Seiten aufthürmenden, nicht geringen Schwierigkeiten und 
Berlegenheiten zu begegnen. Der Zukunft mußte dann freilidy 
vorbehalten werden, fo Manches dauernd auszugleichen und die 
Löſung folder Frage eine mehr peinliche ala lohnende Aufgabe der 
hierzu berufenen Staatmänner fein. 

An jenem Manifefte fam denn audy eine Stelle vor, in der 
e3 heißt: die Geſchwornen⸗Gerichte find „aufzulaffen.“ Der Aus: 
drud: „auflaffen” in diefem Sinne gehört jenen an, wie man fie 
Häufig im öſterreichiſchen Kanzleiftyle findet und vergebens würde 
man fle in einem beutfchen Wörterbuche ſuchen. Dahin zähle ich 
auch die gewöhnliche Nedewendung in den Faiferlichen Handbilleten: 
„I finde zu beſtimmen“ o.a.m. 3 fcheinen dabei immer 
einige Worte, wie etwa: „Mich bewogen“ u. dgl. in der Feder 
geblieben zu fein. Solche Ausdrucksweiſe geht in Defterreich nicht 
nur auf die Geſchäftsſprache über; aud im gemöhnlichen Leben 
bedient man fi ganz fremdartiger Worte, oder Yegt ſchon be: 
kannten eine andere Bedeutung unter, von der fih „Adelung“ 
gewiß nichts träumen ließ! 


182 


(1852.) Von nun an fahen wir und in eine Zeit erhöhter 
Tätigkeit und fortwährender Unruhe verſetzt, welche beſonders 
gegen die behaglichen Zuftände vor. 1848 grell abſtach. Cine 
Berkandlung, eine Aufregung reihte fih nun für und Diplomaten 
an die andere, und es ſchien als ob mit der fortgeießten Be 
wegung der eleftriichen Telegraphen bei Tag und Nacht fih auch 
die Beforgung der Geſchäfte, nicht mehr nad) einem regelmäßigen 
Laufe richten ließe. Hierzu Tamen eine ganze Menge fürftliher 
Beiuche, außerordentliche Sendungen und mit dem neuen Kaiſer⸗ 
reihe an der Seine eine nie endenwollende Spannung, welche 
mit jedem Tage mehr die Worte: „UEmpire c’est la paix!‘ 
Lügen ftrafte! 


Das Wiener Kabinet, fih einer mehr praftifchen Richtung, 
vorzüglich in feinen Beziehungen zu Deutfchland, zumendend, faßte 
den früher fchon gehegten Gedanken eine Anſchlufſes an den 
großen Zollverein wieder auf. Es hatte die politiiche Wichtig: 
keit deffelben, fowie die damit verbundenen Handelsinterefſen nie 
verfannt, war aber ebenfo wenig im Stande gewefen, den Bertrag 
zu verhindern, als fpäter den bereits getroffenen Beflimmungen 
beizutreten. Fürſt Schwarzenberg legte großen Werth auf diefe 
nun eingeleiteten Verhandlungen, und am 4. Januar eröffnete er 
fie mit einer feierlichen Rede im LTandhaufe, wo auch die gewöhn⸗ 
lichen Situngen ftaltfanden. Die deutichen Gefandten waren hierzu 
mit Weifungen verfehen, wohnten aber nur bei befonderen Anläffen 
den Berathungen bei, zu welchen die Bundesſtaaten eigene Bevoll⸗ 
mädjtigte ernannt hatten, Baron Handel, Oeſterreich vertretend, 
leitete die Verhandlungen, und fein „Name“ ſchon entipradh, 
wie Teiner, der Natur derielben. Als Fachmann zeigte Minifterial- 
rath v. Hod, wie immer, fo aud Hier, fi als einen ber 
fähiaften Köpfe, getvandt mit dem Worte, "mie der Feder. 


Bon Karlsruhe war Finanzratd Hack abgefendet worden, 


183 


deſſen Erfahrungen und SKenntniffe ihn zu einem der tüchtigiten 
Mitglieder der Commiſſion machten. 

Die Beſprechungen zogen fih in die Länge; die Iebhaften 
Discuſſionen boten nicht immer das Bild erwünfchter Einigkeit, 
und wenn die gehegten fanguinichen Erwartungen auch nicht alle 
in Erfüllung gingen, fo mar do eine Ausfiht zur weiteren 
Entwidelung der getroffenen Verabredungen eröffnet. 

Der Minifter::Präfident follte das Ende der Eonferenzen nicht 
erleben. Den. 20. April wurde dad Schlußprotocoll unterzeichnet, 
wobei Graf Buol eine Rede hielt, welche der bayerifche Geſandte, 
Graf Lerhenfeld, erwidertee Die Unterhandlungen wurden vor: 
läufig unterbrochen, um in Berlin, dann im Herbfte wieder aber: 
mal3 zu Wien aufgenommen zu werden. Die Abgeordneten wurden 
mit vieler Auszeichnung behandelt, öfters zur Laiferlichen Tafel 
gezogen, und bei allen Hoffeften eingeladen. 


— — — — —— 


Wie ſich in dem diplomatiſchen Treiben eine ungemeine 
Regſamkeit zeigte, ſo war in die hof⸗- und geſelligen Kreiſe 
wieder eine lang vermißte Lebhaftigkeit zurückgekehrt. Die Adels: 


familien aus Böhmen, ſelbſt ungarifche, hatten fich zahlreich einge  ' 


funden; dabei vermeilten viele hohe Fremde längere Zeit in Wien 
und verjammelten fih um ben Haiferlichen Hof; Tefte aller Art 
erfreuten die elegante Welt in ungemwohnter Weile. Unter den 
Privatzirkeln aber war jener der Fürſtin L. Schönburg der be 
liebtefte, ftet? von der Elite der Geſellſchaft beſucht. 

Der Minifter-Präfident, welcher fein Haus machte, ſehr einfach 
lebte und blos Heine Dinerd gab, lud nur einmal zu einem 
Balle ein, auf dem der Kaifer erfchien. Nach längerer Zeit war 
auch wieder der erfte Hofball abgehalten worden, wobei der Gercle 
aber mehr Zeit nahm, ald es die Tanzluftigen wünfchten. Der 
Kaifer nahm keinen Theil an den Tänzen, entihädigte ſich aber 


184 


dafür auf den fehr belebten Kammerbällen bei der Erzberzogin 
Sophie. Die großartigen Fefte bei LTichtenftein und Schwarzenberg 
wurden wieder aufgenommen und unter den Geſandten entfaltete 
vorzüglich Lord Weftmoreland die glänzendite Gaftfreundicaft. 

Die Fürften Leiningen und Fürftenberg brachten einen 
Theil des Winterd in Wien zu und aud der Herzog Ernſt von 
Sachſen-Coburg nahm einen mehrtägigen Aufenthalt. Ihm 
folgten bald nachher die beiden Großfürften Nikolaus und 
Michael zu einem Beſuche am Taiferlichen Hoflager. Man fuchte 
die jungen, liebenswürdigen Prinzen in jeder Weife zu unterhalten 
und gerade am 13. März — vier Jahre nad) der Kataftrophe — 
fand ein anziehendes Feſt in der Burg ſtatt; Talente und Schön: 
beit vereinigten fi bier, um in Vaudevilles, wie in lebenden 
Bildern zu glänzen. Winterthaler'3 „Decameron“ *) bildeten die 
reizenditen Frauen Wiens und ebenfo gefiel das einfache „Ave 
Maria“ nad Ruben. **) 

Im Laufe de Winter verließ einmal der Kaifer plötzlich 
Wien, um Trieft und von da Pola mit den Küften zu befuchen. 
Auf dem Rückwege hatte eine heftige Bora in hoher See das 
Schiff ergriffen, welches nur nad) großer Gefahr und Anftrengung 
mit dem Kaifer wieder im Hafen einlaufen Tonnte. 

Seit längerer Zeit war Fürſt F. Schwarzenberg leidend, 
fein Ausfehen im höchſten Grade beunruhigend geweſen; feine 
bagere Geftalt, fein blaffes, verzerrted Geficht erfchtenen gefpenfter: 
artig; die Herzkrämpfe wiederholten fi und ich felbft, ala ich im 
Januar einft allein mit ihm mid im Kabinet befand, war Zeuge 
eines ſolchen Anfalles. Dennoch beftimmten ihn mehr aufopfernde 

*) Furſtin Aueröperg:Collorebo, Fürſtin Windifchgrät-Lobfowig, Zürftin 
Roban:Waldftein, Fürſtin Clary-Fiquelmont. Grüfinnen Karoline Czernin, 
Julie Huniady, Karoline Kinsky, Fr. Paula v. Linden. Fürſt Morik 
Lobkowitz, Oraf Waldflein, Hr. v. Lenzoni. 

*) Gräfin Helene Zihy, Graf Franz Thun, Baron Werthern. 








185 


Vaterlandsliebe als Ehrgeiz, die ſchwere Laft der Gefchäfte fortzu- 
tragen, und nur auf da dringende Anrathen der Aerzte entfchloß 
er fih, im Frühjahre eine Erholungsreiſe nad) Neapel anzutreten, 
da ihm der Aufenthalt in diefer Stadt immer fo fehr zugefagt 
hatte. Schon waren alle Vorbereitungen zur Abreiſe getroffen 
. und Graf Buol, beftiimmt während des Fürften Abmelenheit das 
Minifterium zu Teiten, bereit3 untermegd. Eines Morgens? — 
5. April — fand fih Schwarzenberg nad einem erquidenden 
Schlaf ungewöhnlich geftärft und fehicte einer Dame ein Bouquet 
mit einigen Zeilen, morin er die Hoffnung ausſprach, auf der 
bevorftehenden Reife feine Gefundheit wieder zu erlangen. Er 
empfing den Tag über die gemöhnlichen Geſchäftsbeſuche, unter 
denen ‚jener des englifhen Geſandten der lebte war; hierauf hielt 
er noch einen Minifterratb und begab ſich gegen 5 Uhr in fein 
Totlettegimmer, um fid zu einem Diner bei feinem Bruder, dem 
Fürften Adolph, anzukleiden. Als der Kammerdiener nad) einigen 
Minuten in jenes Gemach eingetreten war, fand er den Fürſten 
befinnungslos auf dem Boden Tiegend. Der Kaifer, Minifter 
Bach, Priefter, Aerzte und viele Bekannte eilten mit der fürſtlichen 
Familie auf diefe erſchütternde Kunde herbei; doch alle Bemühungen, 
ihn in’3 Leben zurüdzurufen, waren vergebens! Die Trauer über 
diefen unerwarteten Verluſt fam der allgemeinen Beftürzung gleich, 
wenn die Trage aufgetvorfen murde, welcher Staatömann mohl zu 
feinem Nachfolger ernannt würde? inige Tage fpäter traf der 
ſchon zu feinem Stellvertreter berufene Graf Buol ein und über: 
nahm fofort das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten. Ex 
war fich des ganzen Gewichts der Verantwortung, die er auf fich 
nahm, bemußt und erflärte dem diplomatifhen Corps, als er es 
empfing, daß nur feine Ergebenheit in den allerhöchſten Willen 
und des Kaiſers ehrenvolles Vertrauen ihm fo viel als nöthig 
Kraft und Muth verleihen könnten, die ihm übertragene Würde 
anzunehmen. 


186 


Wegen der Stille der Charwoche fand das Leichenkegängnik 
des Fürſten Schwarzenberg ohne großes militäriiched und anderes 
Gepränge ftatt, und wurde der Sarg nach der Gruft in Wittingau 
gebracht. Doch wohnte der Kaifer jelbft dem Trauergottesdienſte 
bei und ehrte das Andenken feines thatlräftigen Miniſters im 
jeder Weile. 

Bon den Faiferlihen Räthen, weldye mit Schwarzenberg ein 
getreten waren, blieben noch Bach und Graf Leo Thun. Erfterer 
hatte nach Stadion’s- Rücktritt das Minifterium ded Innern, das 
er bis 1859 leitete, und Schmerling das Juſtizdepartement über: 
nommen. Diefer wollte feine Weberzeugungen jedoch nicht dem 
Amte opfern und trat zum oberften Gerichtöhof über, worauf der 
jüngere Kraus jene Stelle erhielt. Sein Bruder Ph. v. Kraus, 
Brud, Baumgärtner waren nad der Reihe Tinanzminifter, und 
beide Lebtere flanden, wie fpäter Toggenburg, zeitweife aud dem 
Sandeldminifterium vor. 

Das Kriegsweſen wurde während dieſes Zeitraum bon ver: 
ſchiedenen Generalen geleitet. Der Kaifer behielt fih das Ober: 
fommando vor und aus feiner Generaladjutantur floſſen Die 
wichtigiten, die Armee betreffenden Veränderungen, Beichlüffe und 
Befehle. 

Zur Zeit des Todes des Fürften Schwarzenberg waren Die 
Geſandtſchaftspoſten Defterreichd wie jene der auswärtigen Staaten 
in Wien in folgender Weife belebt: 


1. 8. R. Gefandte. 


In Rom: Graf M. Efterbazy. 

„ Rußland: Graf A. Mennsdorf, dann Graf Val. Efterhazy. 
„ England: Graf Buol, dann Graf Colloredo. 
„Frankreich: Aler. v. Hübner. 

„Frankfurt: Graf F. Thun, dann GI. v. Prokeſch. 

„ Berlin: Gl. v. Prokeſch, dann Graf Thun. 





187 _ 

In Münden: Graf Val. Efterhazy, dann Graf Rud. Apponyi. 
„ Stutggart: Baron Handel. 

„ Dresden: Graf Kufftein. 

„ Bannover: Hr. v. Koller. 
„Karlsruhe: Hr. v. Philippsberg. 

„ KRaffel und Darmftadt: Graf Ingelheim. 
» Hamburg u. f. w.: Graf Lükom. 

„ Daag: Baron Dobbelhof. 

„ Brüffel: Baron Prints. 

„ Schweden: General v. Langenau. 

„ Kopenhagen: Graf Hartig. 

„ Spanien: Graf Georg Eſterhazy. 

„ Bortugal: Hr. v. Walter. 

„ Neapel: SL v. Martini. 

„ Turin: Graf Rudolph Apponyi. 
„Florenz: Baron C. Hügel. 

»„ Parma m. f. w.: Hr. v. Mlegri. 

„ Ronftantinopel: (unbefegt), dann Hr. v. Brud. 
„ Athen: Graf 2. Karolyi. 

„ Schweiz: Hr. v. Tom. 

„ Amerika: Hr. Hülfemenn. 


2. Biplomatiſches Corps in Wien. 


Nom: Migr. Viale Prela, Nuntius. 

Rußland: Baron v. Meyendorf. 

England: Lord Weftmoreland. 

Frankreich: Hr. v. Lacour, dann Baron Bourqueney. 
Preußen: Graf H. Arnim. 

Spanien: Hr. d'Ayllon. 

Portugal: Hr. v. Soares de Leal. 

Neapel: Fürſt Petrulla. 

Sardinien: Graf A. Revel. 





188 


Toscana: Hr. v. Lenzoni. 

Parma: Baron Ward. “ 
Schweden: Hr. v. Wedel, dann GI. v. Mannsbach. 
Dänemark: Graf Bille-Brabe. 

Niederlande: Baron Heeleren. 

Belgien: Graf Ofullivan. 

Bayern: Graf Lerchenfeld. 

Württemberg: Baron Linden, dann Baron Hügel. 
Hannover: Graf Platen, dann Baron Stodhaufen. 
Sachſen: Baron Könnerik. 

Baden: Baron Andlam. 

Heſſen-Kaſſel: Baron Schachten. 

Helfen: Darmftadt: Baron Drachenfels. 
Braunfhweig, Naffan u. f. w.: Baron Zebliz. 
Medlenburg, Oldenburg u. f. w.: Hr. v. Philippsborn. 
Sächſiſche Häufer: Baron Borſch. 
SJohanniterorden: Graf E. Coudenhove, dann Graf Morzin. 
Türkei: Arif Efendi. 

Griechenland: (unbefegt), dann Hr. v. Skhinas. 
Braffilien: Hr. v. Lisbon. 

Schweiz: Hr. A. Steiger. 

Hamburg: Hr. Dr. Hetſcher (1852). 
Nordamerika: Hr. Yadjon (1853). 


Wenige Wochen nad jenem Todesfall erlitt ih einen noch 
meit ſchmerzlicheren Verluft durch den Hintritt des Großherzogs 
Leopold, dem ich während einer 22jährigen Dienftzeit in treuer 
Anbänglichkeit ergeben war. Cine felegraphiiche Depejche meldete 
mir, Daß er den 24. April Abends halb 7 Uhr einer Tangivierigen, 
ſchmerzhaften Krankheit erlegen jei. Es murde mir nun die traurige 
Aufgabe, dieſes höchſt bedauerliche Ableben dem kaiſerlichen Hof 
und den durchl. Gefchwiftern der Großherzogin anzuzeigen. 


189 


Die Regierungszeit des dahingefchiedenen Fürſten fiel in die 
Periode zwiſchen den beiden Parifer Revolutionen; fie begann 
ftürmifh und endete unter dem für das Gemüth des Große 
berzog3 fo peinigenden Eindrude der Erlebniffe der letzten Jahre; 
er konnte deffelben ſich nicht mehr. völlig entidhlagen und es 
drüdten ihn bis zum lebten Augenblide jene trüben Erfahrungen. 
Ich will Hier die abgenutzte Phrafe, „daß der Großherzog Leopold 
bei feiner Herzensgüte und allen anderen edlen Eigenichaften in 
ruhigen, gewöhnlichen Zeiten ein vortreffliher Regent geweſen 
wäre”, nicht wiederholen. Welcher Fürft irgend eines Landes kann, 
in unferer bewegten Epoche zumal, darauf rechnen, während 20 
Jahren mit ungeltörtem Glüde zu regieren? Bei all dem unver: 
dient erlittenen Ungemadye wird das Andenken deö verewigten 
Herrn in feinem fchönen Baterlande, dem er flet3 aus voller 
Seele anhing, gefegnet bleiben. Einen noch düftereren Schein 
warf auf dieß traurige Ereigniß der troftlofe Geſundheitszuſtand 
des Nachfolgerd, welcher zwar unter dem Namen Ludwig II. zum 
Großherzog ausgerufen wurde, für den aber der jüngere Bruder, 
Prinz Friedrih, die Regentihaft übernahm. — Ih erhielt nun 
allfobald meine neuen Beglaubigungsichreiben, welche ich Seiner 
Majeftät dem Kaifer in einer befonderen Audienz — der vierten — 
zu überreihhen die Ehre hatte. Bon Karlsruhe wurde in außer: 
ordentlicher Miffion der Generalmajor v. Rotberg nah Wien 
gefendet, während der Kaifer den großherzoglichen Hof durch den 
Feldmarfchall:Lieutenant ©. v. Reiſchach beſchicken lieh. 

Diefe betrübenden Vorgänge in Baden hatten als peinlichen 
Nachhall auch Lonfeffionelle Zerwärfniffe wach gerufen. Schon 
1851 ergab fi in Folge einer vom Erzbiſchof von Freiburg auf 
den Grund der Würzburger Befprechungen der großherzoglichen 
Negierung überreihten Denkſchrift ein Konflitt, der in feiner be 
klagenswerthen Nachwirkung fi zu jenem bekannten „Kirchen⸗ 
ſtreite“ entwickelte, welcher erjt in diefen QTagın (1862) in einer 


190 


beide Theile befriedigenden MWebereinfunft feinen Abſchluß fand. 
Da ih nur mittelbar durch meine Stellung in diefe Verband: 
Tungen gezogen wurde, fo wird man bei dem ſchmerzlichen Gefühle, 
mit dem fie mich erfüllten, die Rüdfiht ehren, wenn ich mich 
ſedes weiteren Eingehen? darauf enthalte. 


— — — — — — 


Den 8. Mai traf, ſchon längſt erwartet, der Kaiſer Nikolaus 
von Rußland (zum dritten und letzten Male) in Wien ein. 
Einige Tage vorher war auch der Großfürſt Konſtantin ange: 
fommen. Der Kaifer fuhr den Ezaren bis Prerau entgegen, und 
um Mittag wogte eine unabfehbare Menge dur die Jägerzeil 
dem Nordbahnhoſe zu, um die beiden Monarchen jubelnd zu be 
grüßen. Nikolaus brachte die drei Tage feines Aufenthalts nur 
im reife der kaiſerlichen Familie zu, gab Feine Audienzen und 
wohnte Abend3 ten Borftellungen im Burgtheater bei, wo abfichtlfich 
nur Meine, unbedeutende Stüde gegeben wurden. Außer bei den 
Erzherzogen ftattete der Kaifer audy bei Prinz Wafa, den Fürften 
Lichtenftein, Metternich und Windiſchgrätz Beſuche ab, fuhr uner: 
kannt in der Stadt umher und machte eine Praterfahrt mit. Wie 
immer war aber fein Hauptangenmert auf die mifitärifchen Anftalten 
gerichtet und eine längere Beſichtigung dem im Ban begriffenen 
Krfenale, der Artillerielaferne wie der neuen Equitationsſchule 
zugedacht. Doch die größte Anziehungskraft auf das ſchauluſtige 
Publitum übten die beiden großen Baraden und Truppenmanöver 
im euer auf dem Glacis. Kaifer Franz Joſeph kommandirte und 
führte feldft die Megimenter vor; das Wetter war berrlih und 
ein glänzender Generalitab umgab die beiden Kaiſer. Nikolaus 
trug den einen Tag die rothe Hufarengeneral-Uniform, den anderen 
die weiße feines Käraffierregimentd Nr. 5. Man fand den Garen 
auffallend geaftert, finfter blicdend, auch faß er vorwärts gebeugt 
zu Pferde, und wenig war mehr von der früheren impofanten 





191 


Haltung zu ſehen; doch foll er fi in der kaiſerlichen Familie 
ungemein heiter gezeigt haben und empfing immer nad Tifch 
einige bochgeftellte Generale, wie Jellachich, Schlid u. a. Der 
Gropfürft Konftantin, welcher, wie deffen Gemahlin, zugleid mit 
feinem Vater in Wien vermeilte, veifte ſodann nach Petersburg, 
während Nikolaus nad einem Riefenzapfenftreihe von acht Regi⸗ 
mentömnfitbanden gegen Mitternaht am 11. Wien verließ, um 
nah einem Beſuch bei dem Kaifer Ferdinand in Prag nach Berlin 
zurüdzufebren. 

Bei diefem Anlaffe wurden, wie gewöhnlich, viele Orden, 
Geſchenke u. dgl. auzgetheilt; worauf man aber bei Hof’ den 
größten Werth zu legen fchien, war die ungemein zuborfommende 
Weife, mit der der Ezar den ungen Kaifer bei diefem legten 
Beſuche in Wien behandelte; er ſprach es wiederholt aus, daß, 
wie er den Kaiſer Franz als einen Bater verehrt, er nun für 
defien Enkel väterlihe Gefinnungen hege. Es hieß fogar, ber 
Czar habe beim Abfchiede Inut die Worte audgerufen: Entre nous, 
c’est à la vie et & la mort! 

So Hatte die ruffifche Politik, welche im Jahr 1826, fich 
von Oeſterreich abwendend, eine andere Nichtung verfolgte, nun 
gegen Ende der Regierung des Kaiferd Nikolaus ſich wieder enger 
an den Wiener Hof angefchloffen; man bielt im Angeficht der 
drohenden Haltung der Weftmächte die Bündniß für ein ernſtes, 
dauerndes, und nur ganz außerordentliche, unvorbergefehene Ereig- 
niffe konnten einem ſolchen, auf gegenfeitigen, wohlverſtandenen 
Intereſſen gegründeten Zufammengeben ſtörend entgegentreten. 


Während diefer militärifchen Feſte hatte auch Louis Napoleon 
(10. Mai) eine große Heerfchau über die Truppen gehalten und 
bald darauf eine Rundreife dur Frankreich angetreten, auf der 
er, im Widerfpruch mit feinen Handlungen, jene berühmte, nur 


192 
aus vier Worten beftehende Nede in Bordeaur hielt, worauf Die 
neue Derfaffung erfchien, melde, durch allgemeine Abitimmung 
beftätigt, da8 Vorfpiel zu dem Drama ded neuen Kaiferreich? 
werden follte. 

Der Kaifer Franz Joſeph war beinahe dieſes ganze Jahr 
über abwejend. Ein Befuh in Ungarn in vier Abtheilungen 
war von hochwichtiger politiicher Bedeutung. Der junge Monarch 
dehnte denfelben auch nah Siebenbürgen wie nad) Agram aus 
und wurde allentbalben mit einem unglaubliden Jubel em: 
pfangen, wie er fih in fo eigenthümlicher Weife nur bei 
diefen, für begeilternde Eindrücke jo empfänglichen Völkerſchaften 
äußern Tann. Keine Mißtöne, Fein Unfall flörten Diefe, einem 
fortwährenden Triumphzuge gleichlommende Reife; der Kaifer hörte 
Wünſche wie Beichwerden ruhig an; in den lauten Taumel der 
Menge miſchten ſich patriotifche Neden und Toufte; Alles athmete 
Friede, Verföhnung, Vergeſſen der Vergangenheit, und nichts Tieß 
die troßige Oppofition ahnen, weldye ein Theil verblendeter Patrioten 
jpäter den wohlgemeinten Abfichten ihres Königs entgegenfeben 
würden. In der That, wenn man die damals ftattgefundenen 
Berabredungen ſowie die fpäteren VBorfchläge der Ungarn vom 
Jahr 1857 mit den ungeftümen Anforderungen der Neuzeit ver: 
gleicht, jo war die Einwirkung der feitherigen politifdyen Ereigniſſe 
wie fremder Einflüfterungen auf die Stimmung unverkennbar. 
Dem befriedigenden Empfange in Ungarn entfprach auch die Art, 
wie das Eintreffen des Kaiſers in Wien mit Beleuchtung, Triumph: 
bogen u. tgl. gefeiert wurde, und ganze Schaaren von Magnaten 
gaben ihm das Geleite bis zum Nordbahnhof. Nach folchen 
Refultaten konnte ſich das kaiſerliche Kabinet um fo mehr der 
gegründeten Hoffnung einer friedlihen Ausgleichung überlaffen, 
als die im darauffolgenden Jahre erfchienenen organifchen Statute 
einen weiteren Weg zur Berftändigung anbabnten. Am Herbſte 
bezogen 14 SKavalleriereginunter Tas Lager von Balota bei Peſth 


193 


und führten großartige Manöver and. Der Kaifer begab fich 
wiederholt dahin und empfing mehrere hohe Beſuche. Auch der 
Prinz Friedrich von Baden war zum erften Mal ald „Regent“ 
nah Wien gefommen und einer Faiferlihen Einladung nach Pefth 
gefolgt. Ebenſo war der Kronprinz von Württemberg und der 
Prinz Wilhelm von Baden dafelbft eingetroffen. Nach der 
Rückkehr brachte Prinz Wilhelm noch einige Tage in Wien zu, 
während welchen ich ihn, fo wie früher den Regenten, bei Beſich⸗ 
. tigung der Merkwürdigkeiten zu begleiten die Ehre hatte. 

Später machte der Kaifer unter allgemein erfreulichem Ein⸗ 
drude einen Beſuch am Töniglichen Hofe zu Berlin, wo zugleid 
unter Theilnahme Bruck's die Verhandlungen über die Zollfrage 
einen gedeihlichen Fortgang zu nehmen fehienen. 

Während des Sommers brachte ich einige Wochen in Baden 
bei Wien zu und verließ e8 nur zu einem Audfluge nad Peſth, 
um mic von der Nichtigkeit der obigen Angaben perjänlich zu 
überzeugen. 

In diefem Jahre wurde: zum erften Male in der St. Anna- 
Tirche, welche dem franzdfifchen Gottesdienfte eingeräumt ift, ber 
15. Auguft mit Hochamt und Tedenm begangen, wenn e8 gleich 
noch keinen Kaiſer gab. In den folgenden Jahren wurde diefe . 
Teier regelmäßig wiederholt, wobei gemöhnlid Abbe Mislin 
celebrirte. Diefer ausgezeichnete Priefter hatte mit mehreren geiſt⸗ 
lichen Würden eine ehrenvolle Stellung erlangt, ftand als Lehrer 
in naber Beziehung zu den Faiferlichen Prinzen und iſt der Ver⸗ 
fafler eines ſehr geichäßten Werkes über die „heiligen Stätten”, 
welche er zweimal beſuchte. Nicht nur der befchreibende Theil, 
auch die Bemerkungen, welche Mislin über die religiöß-politifchen 
Zuſtände im Oriente einflicht, find von hohen Intereſſe. 

Den 20. Ditober kamen die Zollvereinsbevollmädtigten 
wieder zufammen. Die Verhandlungen zogen fih den ganzen 
Winter hindurch fort und endeten mit den feinen Beflimmunger 

Irh. v. Undlam. Wein Tagebuq. IL 13 


194 


nach befannten Bertrage, welchen wir alle am 22. Februar 1853 
Abends im auswärtigen Minifterium unterfchrieben und mit unferen 
Siegeln-verfahen. Die Abgeordneten wurden mit Orden bedacht, 
Sad aus Baden aber ftarb bald darauf, und fein Verluft wurde 
um fo aufrichtiger in Wien beflagt, ala man ihn da von einer 
fo vortheilhaften Seite hatte Tennen lernen. 

Am Dezember fand mit großer Feierlichkeit die Verleihung 
de3 goldenen Vließes im Ritterfanle ftatt, worauf Hochamt und 
Tedeum in der Burgfapelle folgten. Seit 23 Jahren war & 
wieder zum erften Male, daß ich einem fo erhebenden Zelte bei- 
wohnte, welches ſich von den früheren dießmal nur dadurch unter: 
ihied, daß die Mitglieder nicht in der altherfünmlichen Ordens⸗ 
tracyt, fondern in Uniform erjchienen. Das übrige Geremoniel, 
welches der Kaiſer mit ruhiger Würde und leichtem Anftanbe 
vollzog, war daffelbe wie vor 400 Jahren geblieben. Die Neu: 
aufgenommenen leifteten den Eid in lateinifcher Sprache, erhielten 
Inieend vom Kaifer den Ritterfchlag und den Bruderfuß, worauf 
ihnen die goldene Colanne umgehängt wurde. Die meiften älteren 
Drdengritter waren erfchienen und folgende neue Mitglieder ernannt: 
die beiden Brüder des Kaifers, Ferdinand Mar und Karl Ludwig, 
vier weitere Erzherzoge, Joſeph, Rainer, Heinrich und Sigmund, 
der Erbgroßherzog von Toscana, die Fürften Salm, Trautmannz- 
dorf, Bathiany, Karl Lichtenftein, Karl Schwarzenberg, Karl Auers- 
perg, Landgraf Frd. Yürftenberg, Feldmarſchall v. Wimpfen, die 
Grafen Fiquelment, Wratislaw, Landarondi und fpäter Gyulai. 


An einem Morgen der erften Dezembertage verkündeten der 
Welt Telegramme nah“ allen Richtungen, daß die franzdfifche 
Republik zu Grabe getragen und wieder ein Napoleon — als 
der Dritte — Kaiſer ſei. Diefe Nachricht traf und keineswegs 
unvorbereitet, dennoch blieb fie nicht ohne fichtbare Ruckwirkung 


185 


auf die Gemüther. Die Kabinette, wenn gleich mißtrauiſch und 
zögernd, ließen die Anerfennung nicht allzu Tange erwarten, mußten fich 
jedoch jagen, daß, wenn vielleicht auch in anderer Weiſe, der Geiſt 
des Oheims wieder in die europäifche Politil eindringen werde. 
An der That war der Gang des Neffen in den „id6es napoleo- 
niennes“ Mar vorgezeihnet und unverhohlen die Stellung Ddiefes 
Gefchlechtes, den übrigen Fürftenhäufern gegenüber, ausgeſprochen. 
Es handelte fih darum, die Jahre 1814 und 1815 aus den 
Annalen des Kaiſerreichs zu ftreihen, ſowie um den Wunſch, fi 
an den Urhebern der Frankreich angeblich läftigen und befchämenden 
Verträge zu rächen. Dieß konnte nicht gewaltfam, nur auf Um: 
wegen geſchehen, und jo mar denn wieder da8 bekannte „un 
après l’autre‘“ zur geheimen Parole geworden. Es ging aus 
diefem Streben jene doppelzüngige Politit hervor, melde, wenn 
fie auch Anfangs durch üÜberrafchende Sprünge und kluge Ber: 
ftellungstunft bedeutende Vortheile errang, doch allmälig Gefahr 
läuft, allgemeine Erbitterung hervorzurufen und fi in ihren 
eigenen Neben zu verfangen. Es trat daher zu jener Zeit die 
ernfte, leider nicht immer beachtete Mahnung an die Großmächte 
beran,; den Bund der Einigkeit fefter gegen Uebergriffe zu fchließen, 
welche den Frieden und das Gleichgewicht in Europa auf Neue 
bedrohen mußten, und ein engered Berftändniß der drei öftlichen 
Staaten war um fo dringender geboten, ald England, jei es aus 
Furcht, fei es aus anderen Gründen, fih von der Linie des 
Widerftandes, welche es früher gegen die Napoleoniden eingehalten, 
losgeſagt Hatte. 

Schon vor dem 2. Dezember ſprach man von einer bevor: 
fiebenden Bermählung des Präfidenten. Er war mährend deö 
Sommers in Baden-Baden erfchienen; doch die bald erfolgte Ber: 
lobung des Kronprinzen von Sachen mit der Prinzeffin Karola 
Waſa widerlegte wenigftend eines diefer vielen Gerüchte. Niemand 
fonnte aber erwarten, daß Napoleon wenige Wochen nad, feiner 

13* 





196 


Thronbefteigung ſich mit einer jungen Spanierin aus edlem Ge⸗ 
fhlechte vermählen würde, von der man nur mußte, daß fie fchön, 
lebhaft und unabhängig war. Wie einft Sofephine, ſah fi) nun 
auch eine Gräfin Eugenie Teba-Montijo-Alba unerwartet mit 
einer Kaiferfrone geziert. 


Die Veränderungen in Frankreich führten auch die Abberufung 
de3 feitherigen Gefandten v. Lacour herbei, mweldyer auf Turze Zeit 
nach Konftantinopel, dann nad) Neapel verjeßt wurde, um fpäter, 
wie andere diplomatische Sterne, im Senat zu erbleihen. Die 
Ernennung feines Nachfolgers war nicht ohne Bedeutung; Herr 
v. Bourqueney, unter Louis Philipp einer der gewandteiten 
Agenten, war veranlagt worden, aus feiner Zurücdgezogenheit zu 
treten, um den Wiener Poften anzunehmen, dein er denn aud) 
mit unverfennbarem Erfolge vorftand, wie wir jehen werden. 


Das Jahr 1853, eines der wichtigſten für die Wendung 
in dem Gefchide Oeſterreichs, fand diefen Staat zu Teiner anderen 
Macht in einer entichieden feindfeligen Stellung, doch auch, mit 
Ausnahme Rußlands, zu Teiner in befonderd intimer Beziehung. 
Mit England dauerte begreiflicher Weife die durch fein ſchnödes 
Benehmen in der Ylüdjtlingd- und anderen Fragen eingetretene 
Spannung fort; mit Frankreich war man anfcheinend freundlicher, 
doch nicht ohne eine beobachtende, ſelbſt Talte Zurücdhaltung, und 
fo fehr man fi auch wieder Preußen genähert, fo war doch noch 
lange nicht auf ein inniges Verhältniß zu reinen. Mit Spanien 
und Italien, bejonderd dem römiſchen Hofe, war man auf dem 
beiten Buße; nur Sardinien grollte fortwährend, und der mühfam 
unterdrüdte Mißmuth wäre wohl fchon früher zum Ausbruche 
gefommen, hätte ihn nicht der ruhige Sinn des verftändigen, 
perfönlich beliebten Gefandten Grafen Revel aufgehalten. 


197 


Bei diefer Sachlage traten nun plötzlich ernfte Zerwürfniffe 
mit der Pforte ein und die immer offene orientalifche Trage 
erfhien wieder auf lange Zeit in erfter Reihe. Das Wiener 
Rabinet hatte den %. M. L. Grafen Leiningen nach Konftantinopel 
geſchickt, Die Aufrechthaltung der Verträge nachdrücklich zu verlangen. 
Der Sultan bezeigte fich bei diefen billigen Anforderungen nach⸗ 
giebig, und der unterhandelnde General kehrte mit einem allfeitig 
befriedigenden Uebereinkommen zurüd. Dieſer Erfolg war in 
St. Petersburg nicht unbeachtet geblieben, und allſobald Fürſt 
Menzitoff am Bosphorus erfchienen, um in ziemlich baricher und 
gebieterifcher Weife, wie man fagte, auch die Anſprüche Rußlands 
geltend zu machen. Von diefer Zeit an drängten ſich die Ereig- 
niffe im Often, gährte es in allen türkifchen Provinzen, entzündete 
fih der Aufftand in Montenegro und die gleich Anfangs Teiden- 
ſchaftliche Auffaffung der fo vermirrten Fragen ließ nicht Teicht 
eine friedlihe Löſung hoffen. 

Diefe Verwickelungen wurden noch durch einen gewiſſen fidh 
allenthalben zeigenden menterifchen Geiſt gefteigert. In Mailand 
und anderen italienifchen Städten kam es zu blutigen Auftritten, 
die Flüchtlinge fehten ihre Umtriebe überall fort und die Geſchäfts⸗ 
beziehungen Oeſterreichs mit der Schweiz wurden förmlich abge- 
brodyen. — Mitten in diefen von Außen wie im Innern auf den 
Kaiferftant einftlürmenden Begebenheiten war e8 wohl nicht an der 
Zeit, es mit neuen Berfaffungd: und anderen Reform: Projekten 
zu verſuchen; es galt vorerft der Abwehr näher liegender Gefahren 
und dennoch fehlte es nicht an einer erhöhten Thätigleit, um in 
den einzelnen SKronländern zeitgemäße Einrichtungen zu treffen 
und probiforifche Zuftände durch dauernde auf geſetzlicher Grund⸗ 
lage zu erieben. 

Auch in mandyer anderen Beziehung hatten ſich die Sitten 
und Anfichten in Wien verändert. Man war dem tollen Einfluffe 
des Tiſchrückens und Klopfens, des Geiftercitirend und anderen 


198 





Unfinnd mehr nicht entgangen; man brachte ed mit den geheimniß⸗ 
vollen Ericheinungen des „Od,“ des Magnetismus in Berbins 
dung, doch jene Modetborheit, welcher die höheren Stände bier 
weniger als anderswo verfielen, war auch bald wieder geheilt. Im 
Gegenfage zu diefem neuen, frivolen oder abergläubiihen Treiben 
gab ſich in erfreulicher Weiſe eine Rückkehr zu einer mehr veligiöfen 
Richtung der Gemüther fund, und gelang es früher dem genialen 
Beith und anderen weniger begabten Kanzelrednern nicht nachhaltig 
durchzudringen, fo zogen nun die erbebenden Vorträge der Brüder 
Klinkowſtroöm, Jariſch's u. A. die höheren Stände, wie die Menge 
an; während der Yaftenzeit, beſonders aber an den Neujahrsabenden, 
fühlten fi die Kirchen mit Andächtigen und man konnte ſich da 
von der Kraft des mit wahrhaft apoſtoliſchem Eifer verlündeten 
Wortes Gottes überzeugen! 


Eines Morgend — den 18. Februar — begab ih mid 
zur gewohnten Stunde in daß Mlinifterium, wo ich zu meinem 
Entſetzen erfuhr, daß ein Mordverfuc auf den Kaifer ftattgefunben 
hatte. Wie ein eleftriiher Schlag erfchütterte diefe Nachricht Die 
ganze Stadt und murde durch den Telegraphen allfobald nad 
allen Richtungen verbreitet, 

Der Kaifer hatte in Begleitung feines Adiutanten Grafen 
M. Odonnel kaum feinen täglichen Spaziergang gegen halb ein Uhr 
um die Baſtey angetreten, als fi) ihm rückwärts ein junger unan- 
fehnficher Menſch näherte und mit voller Kraft einen Dolch in 
das Genick ſtieß. Glücklicher Weile prallte das Mordinftrument 
an einem Wirbelknochen ab und der Thäter, welcher zu einem 
zweiten Stoß ausholen wollte, wurde von Odonnel ergriffen, wit 
dem er rang. Ein harmloſer Spaziergänger, der Bürger Etten⸗ 
reich eilte herbei und mit feiner wie der nahen Wade Hulfe 
wurde ber tobende Mörder eingeführt. Der Kaifer, leicht ver- 








198 


wundet, mehr aber durch die SHeftigfeit des Dolchſtoßes erſchüttert, 
behielt die volle Befinnung und erholte fi einige Augenblicke 
in dem nahe gelegenen Palais des Erzherzog Albrecht, von wo 
aus er feine Eltern beruhigen ließ, auch den erften ärztlichen 
Beiftand erhielt. Tedeum und Beleuchtung feierten noch an 
demfelben Abende die glückliche Abwendung der Gefahr, melde 
um fo größer, als es ſich herausſtellte, wie wohl berechnet die 
Stelle des Halfes, war, auf die das Attentat gerichtet worden. 
Der Kaifer, obgleich ſehr angegriffen, an Schwindel und Augen- 
ſchwäche leidend, genad bald und es wiederholten ſich wie ber 
27 Jahren bei feinem Taiferlihen Großvater alle jene Beweiſe 
rübrender Theilnahme und Anbänglichleit, glei ehrenvoll und er: 
freulih für die Yürften, wie ihre Völker, deren beider Glück und 
Geſchick innig mit einander verbunden find. Auch jet eilten 
wieder Deputationen aus allen Kronländern herbei, Gedichte, Er- 
gebenheit3-Adrefjen füllten die Tagesblätter, un die Wette legten 
Leute aus allen Ständen milde Gaben auf den Altar des Vater⸗ 
landes wie der Wohlthätigkeit nieder, mancher frommen Stiftung 
ſchloß fich endlich jener Bau der Votivklirche an, welche ihre Ent: 
ftehung dem brüderlihen Sinne eines ritterlihen Prinzen verdankt. 

Biele Höfe, vor allen die deutichen, ſchickten Abgefandte, um 
dem Raifer ihren Antbeil zu bezeigen; von Baden wurde dazu 
der Dberft von Seutter beordert. 

Kaum hatte man fi von jener erfchütternden Kunde erholt, 
al? man auch nach den näheren Umftinden und Beweggründen 
de3 unerwarteten Meordverfuches forſchte. Der Kaifer war im 
Sommer zuvor monatelang ohne militärifche Begleitung in allen 
Teilen Ungarns und Italiens umhergereiſt, und nirgends hatte 
fi eine Spur von geheimen Verſchwörungen oder verbrecheriichen, 
gegen feine Perfon gerichteten Anfchlägen gezeigt. Nun fiel ihn, 
nicht Hundert Schritte von der Hofburg entfernt, am hellen Mit- 
tage ein Unbekannter meucdelmörderiiy an, und Graf Obonnel 


200 


fagte mir, daß er fih auf den Kaifer wie eine Hyäne auf die 
Beute mit wilden, grinfendem Geſchrei geworien babe. Der 
Mörder nannte fi) Janos (Johann) Libeney aus Stuhlweißenburg, 
ein 21jähriger Schneidergejelle. Politifcher Fanatismus, Verführung 
und, wie es fcheint, ein verftodtes Gemüth brachten ihn zu der 
verruchten That, an der fi, wie er hartnädig bebauptele, Feine 
Mitſchuldigen betheiligt hatten. Der Unglüdliche wurde zum Strange 
verurtheilt, und als er, von einem Prieſter geleitet, zum Richtplatz 
fuhr, erregte fein unvortheilhaftes, durch das ſchwarze verworren 
berabhängende Saar noch abjchrediendere Aeußere mehr Mitleid al 
Abſcheu. 

Der ehrliche Ettenreich aber war nun plötzlich durch Zufall 
ein berühmter Mann geworden, in den Adelsſtand erhoben, mit 
Ehren, Geſchenken und Orden überhäuft, und das Gefühl, ſo 
unverhofft aus feiner Dunkelheit gezogen zu fein, ſchien eher 
beengend als erfreulich auf ihn einzumirken. 

Mitte März farben beinahe zu gleicher Zeit zwei Männer, 
nach verichiedenen Richtungen bekannt und einflußreihd — der 
Erzbiſchof Dr. Ed. Milde und der Feldzeugmeifter v. Haynan. 

Während fi in der alten Domkirche zu St. Stephan die 
Geiſtlichkeit zur -Beitattung ihres Oberhirten im feierlichen Zuge 
verfammelte, gab die Generalität, unter großem militäriichem Ge⸗ 
pränge und Geſchützesſalven, dem alten Helden das Ichte Geleite. 
Haynau war mit feinem langen, auffallenden grauen Schnurrbarte 
eine echte Soldatennatur; ohne höhere wiſſenſchaftliche Bildung, 
tapfer, jelbft tolfühn im Angriffe Bing er wie fein Ruhm immer 
nur vom zufälligen Erfolge ab; eigenfinnig und rückſichtslos war 
er auch unverträglich in Friedenzzeiten und feine nicht zu läugnen⸗ 
den Berdienfte fanden fich mit einer feltenen Selbſtüberſchätzung 
gepaart. Ich begleitete ihn noch eine Sonntags von einem Abend 
bei Buol his zur Treppe; mitten in derfelben Nacht ereilte ihn 
der Tod. 


201 


Der Frühling in Wien war durch viele Hohe Gäfte ausge: 
zeichnet — drei Könige, denen ſich jpäter die Königin Amalie 
von Griechenland und der Vladika von Montenegro, Fürſt Danielo 
anreihten. Der letztere war der verwickelten politifchen Verhältnifſe 
feine8 Gebirgsländchens wegen nah Wien gelommen, gut aufge: 
nommen und mit einem Orden außgezeichnet worden. Es war 
ein Meiner, aber fchöner junger Mann, defien äußere Vorzüge die 
malerifche Tracht feines Stammes noch mehr hervortreten ließ. 
Er unterlag befanntli einige Jahre fpäter einem tragifchen 
Geſchicke. 

Der König Leopold der Belgier war mit dem Herzog 
von Brabant in Wien angekommen und in dem von ſeinem 
Geſandten bewohnten koburgiſchen Palais abgeſtiegen. Die ein⸗ 
nehmende Perfönlichkeit, das freundlich wohlwollende Weſen dieſes 
Monarchen fanden auch hier die günſtigſte Aufnahme und das 
lebhafte Intereſſe, welches ſich mit feiner Anweſenheit verknüpfte, 
wurde noch durch den Umſtand erhöht, daß ſich der belgiſche 
Thronerbe mit der Erzherzogin Marie Dorothe, der zweiten Tochter 
des Palatins, verlobte. Einige Hoffefte, unter denen der allerliehfte 
Roſenball in den kaiſerlichen Treibhäufern, verherrlichten den Fönig- 
lihen Aufenthalt. 

Einige Tage fpäter traf der König von Preußen zum 
Gegenbeſuche in Wien ein. Dem hohen Gaft zu Ehren fand 
in der E. k. Reitſchule wieder eines jener glänzenden Karoufſſels 
flatt, wie man fie zur Zeit des Kongreſſes bewundert hatte. Herren 
des Adels und Dfficiere bildeten das aus Rittern und Sarazenen 
zufammengefeßte Turnier. 

Endlich machte König Mar von Bayern mit zahlreichen 
Gefolge eine vorübergehende Erfcheinung in Wien, flieg in der 
Burg ab, und empfing, mie auch die beiden anderen Könige, das 
diplomatifhe Korps. Er mohnte einer theatralifchen Vorftellung 
in Schönbrunn bei. Baraden, Audienzen, Vorftellungen, Ordens: 





202 


vertheilungen waren wie gewöhnlich auch bier die unvermeidlich 
Begleitung diefer fürftlihen Beſuche. 

An „der zweiten Hälfte des Septemberd begab ſich ſodann 
Kaifer Franz Joſeph in das Lager. von Olmiltz, wo er mit dem 
Kaiſer Nikolaus zufammentraf, der vier Tage blieb, und bei dem 
der junge Raifer den Beſuch dann am 2. Dftober in Warfchau 
ermwiderte; two ſich auch der König von Preußen eingefunden. Der 
Czar hielt fih auf der Rückreiſe mit dem Thronfolger noch Turze 
Zeit in Potsdam auf, und kehrte fodann nach Peteröburg zurüd. 
Es waren dieß die lebten Begegnungen, die legten vertraulichen 
Beiprechungen ter beiden Kaiſer. Daß die orientalifche Frage der 
ausſchließliche Gegenſtand derſelben geweien, läßt fich micht be= 
zweifeln; daß fie Leider zu Teinem günftigen Refultate führten, 
zeigte die Yolge. Es ift dieß im Intereſſe der Menſchheit zu be⸗ 
Hagen; ungerecht wäre es aber jedenfall3, Defterreih allein die 
ganze Laſt der Berantwortlichleit dafür aufzubürden, denn nur in 
den vereinten Kräften der drei öftlihen Großmächte lag es, der 
Belt den Frieden zu erhalten. War Rußlands ſtolzer Wille 
vieleicht allzu unbeugfam, oder glaubte es ernftlich nicht an den 
Ausbruch eines Krieges, fo war ed wieder an Preußen, weniger 
als Defterreih bei ter Verwirrung im Oriente betbeiligt, das 
ganze Gewicht feines politifhen Einfluffes, dem weiteren Umfich- 
greifen der drohenden Kriegsflamme entgegenzuftellen. Daß der 
von den Seemächten, unter dem Vorwande, die Türkei zu fchüben, 
unternommene Kampf fein völferredhtlih begründeter, dag es nur 
Darauf abgefeher war, das ruifiihe Reich zu jchwächen, darin 
fonnte fi Fein unbefangener Staatömann täufhen. Gelang es 
dem Wiener Kabinet nicht, den Kaifer Nikolaus zu größerer Nach⸗ 
giebigkeit zu bewegen, und dadurch den hochgefpannten Anforderungen 
der franzöfifch:englifchen Allianz die Spike zu bredden, jo mar 
freilich auf längere Zeit die Ausficht auf die Erhaltung der Ruhe 
in Europa verloren. 








208 





Ale, was nun in den drei folgenden Jahren gefhah, -- 
betrübend im Ganzen, aber bödft merkwürdig für den aufmert- 
famen Beobachter — ift einem großartigen, politiichen Schach⸗ 
[piele zu vergleichen, bei dem man die einzelnen Züge der Gegner 
genau verfolgen konnte. 

Bei der erdrüdenden Maffe des zu Erzählenden entſchlüpfen 
die Einzelheiten, aber faßt man auch das ganze Drama nur in 
den hervorragenden Zügen auf, fo entſteht doch immer nur ein 
verworrenes Bild, fo ſchwer findet man fich zurecht in der Menge 
von Konferenzprotocollen, Miffionen, Roten, Manifeften, Broteften, 
Gefechten, Berluften und Vorgängen zu Land wie zur See. Die 
Nachwelt wird ed kaum glaublic finden, daß fo viel geſprochen, 
geichrieben, verhandelt wurde, ohne erheblichered Nefultat, und 
Berblendung, Leidenfchaftlichkeit wie Mangel an Umſicht und 
Energie einen ebenfo unnliten als blutigen und gräuelvollen Krieg 
herbeiführen Tonnten. 

Ich werde die Epifoden derfelben mährend jedem diefer drei 
Jahre Furz beleuchten, denn wir befanden uns ja gerade zu Wien 
in dem Brennpunkte der Verhandlungen; dahin waren die meiſten 
außerordentlihen Sendungen mit den Bermittlungsvorfchlägen aller 
Art gerichtet, bier fand die Konferenz der Bevollmächtigten der 
vier Großmächte flatt, um von Rußland Zugeftändniffe zu ers 
langen; auf Wien ſetzte man die lebten Hoffnungen, daß dem 
naben unbeilvollen Bruche noch vorgebeugt werden könne. Es 
war demnad, eine Zeit fortwährender Aufregung, eined ununter: 
brochenen Spieles der Telegraphen, ein Schwanfen zwifchen Friedens⸗ 
ausfichten, und den Befürchtungen vor einem unabfehbar langen, 
vieleicht einem Weltkriege. 

Des Jahres 1853 erfte Hälfte zog fih in Unterhandlungen 
bin; während derfelben drängte Rußland die Pforte zu Sonceffionen, 
und ihrem Widerftande folgte das UWeberfchreiten bes Pruth durch 
bie ruffiichen Truppen, die Beiehung der Wallachei. Ein Rund 


204 


ihreiben an die Kabinette erflärte dieß Vorgehen. Jenem Schritte 
gegenüber waren Frankreich und England in der Mißbilligung 
deffelben einig, während der Sultan ihn mit einer Aufforderung 
zur Vertheidigung des Reichs erwiderte. Mittlerweile trat am 
24. Juli die Gefandten: Konferenz in Wien zufammen, und lud 
am 31. die beiden Triegführenden Theile ein, fi unter Annahme 
gewiſſer Bedingungen zu verföhnen. Sie nahm diefe Borfchläge 
nicht unummwunden an, und die Beiprechungen zogen fich in Die 
Länge, bis endlich die Pforte, von allen Seiten zu einem Ent: 
ſchluſſe gedrängt, den unglüdfeligften mählte, und am 4. Oktober 
Rußland dem Krieg erllärte. In Folge derfelben, und bei der 
Weigerung Gortſchakoff's die DonaufürftenthHümer zu räumen, liefen 
die vereinigten Ylotten der Seemächte durch die Dardanellen in 
den Bosphorus ein (2. November). Rußland nahm in einem 
Manifefte vom 1. November den Fehdehandſchuh auf, und ſofort 
folgten fi) in beinahe ununterbrochener Reihe die Gefechte zwifchen 
den ruffifchen und türkifchen Truppen an der unteren Donau; ber 
Krieg war für den Augenblid „lokaliſirt,“ und, wie dieß immer 
geichieht, hatten je nach dem oft wechfelnden Erfolge die Ereigniffe 
bemmenden Einfluß auf die immer in Wien andauernden Ber: 
mittlungsverſuche; es erging am 5. Dezember eine neue Collectivnote, 
die begonnenen Feindſeligkeiten mißbilligend, und das Wiener Kabinet 
rubte auf feiner Seite nicht, die Pforte zum Frieden zu ermahnen, 
nahm jelbft eine ftrengneutrale Stellung ein, und erflärte im Ein- 
verftändniffe mit Preußen bei dem Bundeötage (10. November), 
daß ed nur in der Abficht fih in die Verhandlungen milde, um 
die geftörte Ruhe wieder herzuftellen, das Blutvergießen zu ver: 
hindern. In gleihem Sinne wirkte, gemeinichaftlih mit den 
anderen Gefandten der Internuntius, v. Brud in Konftantinopel. 
Doh zu bald nur zeigten fi Zerwürfnifie mit der ruffiichen 
Flotte im fchmarzen Meere, und immer erbitterter wurde vie 
Stimmung; Noten folgten auf Noten, während die Namen der 


205 


Orte des Kriegsſchauplatzes: Siliftria, Galatz, Giurgewo, Ruftfchuf, 
Oltenizza, Ismail, Braila, Kalafat und fo viele andere, die uns 
vom Jahre 1828 ber fo geläufig waren, nun unſerem Gedächtnifſe 
wieder aufgefriſcht wurden. 


Die Türkei ſelbſt litt mehr unter ihrer eigenen Schwäche 
und der aufgedrungenen Hülfe ihrer angeblich guten Treunde, als 
von dem Drude ihrer Gegner; immer gab man fid aber nod 
der Ausfiht einer glüdlihen Ausgleihung bin, und während 
Rußland die Fürſtenthümer als Pfand befeßte, beberrichten die 
Seemächte unter gleihem Vorwande daB fchwarze Meer. So 
ftanden die Dinge ded Jahres 1858, melden ein franzöfifches 
Witzblatt folgendes Teſtament machen ließ: „je l&gue mon äme 
& Dieu, la question d’Orient à 1854 et les tables tournantes 
et parlantes au diable!“ 


Am Sommer deffelben Jahres brachte ich eine zweimonatliche 
Urlaubszeit im Baterlande zu, wartete der großberzoglichen Familie 
in Karlsruhe und Badenweiler auf und nahm einen längeren 
Aufenthalt in Baden, wo es mir wiederholt an den intereffanteften 
Beziehungen nicht fehlte. Die beiden verwittweten Großherzoginnen 
Sophie und Stephanie von Baden, Prinz und Brinzeffin von 
Preußen, die Prinzen Emil und Alerander von Heffen, der Herzog 
Mar in Bayern, ſowie die vortreffliche Familie von Hohenzollern 
belebten nebft einer großen Anzahl von ausgezeichneten Fremden die 
höheren Zirkel. Die Fürften Pückler und Radziwill, Brodbaufen, Lord 
Loftus, Marscalchi, Savigny, Blitterädorf, Gortſchakoff und andere 
Diplomaten fchloffen fi) den Kleinen Hofhaltungen an, in denen 
die liebliche 17jährige Prinzeffin Stephanie von Sigmaringen 
bervorragte. Sie, früher von Louis Napoleon begehrt, follte nad 
furzer, glüdlicher Ehe ald Königin im fernen Portugal fleıben! 


806 





Zwei Nachrichten, die eine freudig, die andere erichiättermd, 
beide unerwartet, fehten die fürftlihe Gefellichaft in Bewegung! 
Eine Tages erhielt der Herzog Mar ein Telegramm, welche 
ihm die zu Iſchl erfolgte Verlobung feiner Tochter Elifabeth mit 
dem Kaiſer Franz Joſeph anzeigte. 

An einem der letzten Tage des Anguſt erhielt ich auch durch 
den Telegraphen die betrübende Kunde von dem plötzlichen Hin: 
ſcheiden der Prinzeffin Amalie von Schweden in ihrem 48. Jahre. 
Sie war noch gegen 11 Uhr Abends in einer fteruhellen Nacht 
auf ihren Ballon in Hading getreten und unterlag eine balbe 
Stunde nachber einem Herzleiden. Mir wurde die peinlihe Auf- 
gabe der Großherzogin Sophie im Badnerfchloffe diefe Trauerpoft 
mitzutbeilen und auf deren Wunſch, den gerade in einer Schweizer: 
reife begriffenen Prinzen Guſtav Wafa auf diefen überrafchenden 
Schlag vorzubereiten. Ich traf den Prinzen in Bafel, von wo 
er fogleih über Baden nad Wien zurüdreifte. 

Ein tiefgefühlter Nachruf ſprach fih in folgenden Worten 
über jenen Todesfall aus: 

„Wir können es unferem Herzen nicht verfagen, an der Bahre 
der hohen Verftorbenen auf eine Perfünlichkeit hinzuweiſen, die 
nicht von und wegſcheiden darf, ohne daß die Blicke der Zeit 
genoffen auf diefen wahrhaft fürftlichen Charakter geleitet werben, 
damit der, dem einit der Beruf anbeim fällt, bie @elchichte ber 
ſchwediſchen Revolution wie der entthronten Koͤnigsfamilie zw 
fchreiben, nicht zu zeigen vergeffe, welch' edle Zweige aus diefem 
Stamme bis zu feinem Erlöfchen entfproffen find. Kaum irgend 
ein Glied diefer Familie war von dem über fie eingebrochenen 
Unglüde tiefer ergriffen, als Prinzeffin Amalie Nicht einen 
Augenblick ift die große Tragödie ihres Hauſes ihren Geifte ent- 
ſchwunden; ein edler Schmerz warf feine Schatten über ihr Leben, 
von der Wiege bis zum Grabe! Aber diefe Erinnerungen wurden 
- mit fo heroiſcher Refignation gehegt und gepflegt, wurden von fo 





207 





würdevoller entichloflener Ruhe getragen, daß ebenfo menig Partei: 
haß als banales Mitleid fih an die edle Fürſtin zu drängen 
wagte. Fremden erjchien ihr Weſen ftreng, mitunter wohl ab- 
ftoßend, mer ihr aber einmal perjönlich genaht, einmal den Klang 
ihrer Stimme gehört, einen Blick geworfen hatte in die tiefe Bläue 
des feelenvollen Auges, das diefe bleichen, leidenden Züge belebte — 
der konnte fid) des Eindruds nicht erwehren: er ſtehe vor einer 
nah allen Richtungen des Geifte® und Gemüths reih ausge 
ftatteten Frau. Eine äußerſt forgfältige Erziehung, noch mehr 
eine nie ruhende Selbftbildung, ausgewählte Lectüre, Muſik füllten 
faft ihre ganze Zeit, und machten ihre Geſpräche anregend und 
inhaltreih. Nur wenigen Perfonen mögen fich alle edlen Schäge 
ihres Herzen? erichloffen haben. Wer weiß, welch' Band zärt- 
licher Liebe diefe Familie umſchlang, kann den Schmerz der hoben 
Geſchwiſter ermefien; aber auch bei den nahe verwandten Höfen 
von Baden, Oefterreih, Preußen und Sachen ließ diefer frühe 
Tod eine empfindliche Lücke zurück. Die Prinzeffin Amalie fhlummert 
nun in der Gruft zu Oldenburg neben Guſtav IV., dem letzten 
Könige aud dem Gottorp'ſchen Blute, neben der Schwefter Cäcilie, 
der tugendreichen Großherzogin, hingeſchieden in der Vollblüthe 
ihrer Reize und Jahre. Sind aud die Pforten über dem Ge 
wölbe geichleflen, das ihre ſterbliche Hülle umgibt, fo ſchwebt 
doch ihr Beift Über den Häuptern derer, die fie liebte und die fie 
geliebt haben.” 


Während meiner Abweſenheit waren die ungariſchen Reiche 
kleinodien wieder aufgefunden worden. Kofluth ließ fie in der 
Revolutionszeit an irgend einem entlegenen Winkel unter einem 
Baume vergraben. Der Ort wurde verrathen und die Krone 
ded heiligen Stephan mit großen Feierlichkeiten nach Wien geführt; 
dort außgeftellt und dann durch den Erzherzog Albrecht zur immer 
mwährenden Aufbewahrung nach Ofen überbradit. 


208 


Nachdem die Trauung ded Kronprinzen Albert von Sachen 
im Juni vollgogen worden, durchreifte auch eine andere fürftliche 
Braut mit glänzendem Gefolge Deutichland, um fi in Brüffel 
mit dem belgifchen Thronerben zu verbinden. 

Am Spätherbfie erfolgte unerwartet fchnell der Tob der 
Königin Donna Maria da Gloria von Portugal und ihr Ge 
mahl, König Ferdinand, übernahm die Regentichaft für den nod 
minderjährigen Sohn. 

In den erften ſechs Monaten des Jahres 1854 ſetzte man 
die, meiften® fruchtlofen, Friedensverhandlungen fort und ein leb⸗ 
hafter Notenaustaufch fand unter den Kabinetten ftatt. Die Wiener 
Konferenz faßte am 13. Januar die verfchiebenen Vorfchläge in 
einem Protokolle zufammen, welches als Grundlage der weiteren 
Berabredungen dienen ſollte. Es drängten fih nun Die diplo⸗ 
matifchen Schritte. Graf Orloff erfdien in Wien, um einen 
letzten Berfuch zu machen, den Wiener Hof zu einer abjoluten 
Meutralität während des voraußfichtlih nahen Kriege mit den 
Seemächten zu beſtimmen. Jene Million hatte feinen Erfolg 
und Orloff reifte nah einigen Tagen unzufrieden ab. Somit 
war der Anfang zu jener Kälte gemacht, welche ſich fpäter zwiſchen 
beiden Kabinetten bis zur Erbitterung ſteigerte. Man fing ſchon 
an über den „Undank“ Oeſterreichs zu nıurren, vergaß aber, daß 
die Politik nicht von Gefühlen, nur von Intereſſen geleitet wird, 
und Rußland im Jahr 1849 den Brand im Nachbarhauſe wohl 
auch theils deßhalb mitlöfchen half, damit er das eigene nicht 
verzehre. Sind die dem Fürften F. Schwarzenberg ſchon 1850 
in den Mund gelegten Worte: „die Welt werde über die Größe 
unſeres Undankes, Nußland gegenüber, ſtaunen!“ wahr, jo drüdte 
ed, freilich in einer allzu fchroffen Form, die Abfiht aus, Die 
Allianzen je nad Umftänden frei zu mählen. Damald nun konnte 
man Oefterreich vernünftiger Weife nicht zumuthen, fidh fo unbe 
dingt bezüglich der nicht abzufehenden Verwicklungen im Orient 





209 


die Hände zu Binden; freilih wurde es fpäter wider Millen mehr 
in den wirbelnden Kreis berfelben gezogen. — Der Sendung 
Orloff's folgte jene des Oberften v. Manteuffel aus Berlin. 
Immer mehr verbüfterte fi der Horizont. Eigenhändige 
Briefe, welche die drei Kaifer mit einander wechfelten, führten zu 
feinem näheren Berftändniß, und die Thronreten in London und 
Paris erflärten, zwar mit dem Ausdrude des Bedauern, doch 
offen und beſtimmt, daß bei der Hartnädigfeit Rußlands Feine 
Ausgleihung möglih je. Unter diefen Umſtänden fand es 
Defterreih gerathen, ein ſtarkes Armeelorp an den öſtlichen 
Grenzen aufzuftellen. Am 21. Februar erließ der Kaifer Nikolaus 
jenes berühmte Manifeſt, welches unter Berufung auf 1812 alle 
Untertbanen zum „heiligen Krieg” auffordert und ausſpricht, daß 
Rußland Feine Eroberungen machen, nur den ortbodoren Glauben 
vertheidigen, vor Allem die heiligen Stätten beſchützen wolle. 
Diefer Aufruf wirkte zündend auf die griechiiche Bevölkerung der 
Türkei, noch mehr aber auf das Rönigreih Griechenland 
felbft zurüd, wo fi die Sympathien für Rußland laut aus: 
ſprachen und König Otto in nicht geringe Verlegenheit verſetzt 
wurde. Auf ihrer Seite machten nun wieder die Seemächte die 
revolutionären Elemente zu ihren Verbündeten. Allfobald wurden 
auch die gegenfeitigen Gefandten in St. Peteröburg, Paris und 
London von ihren Poften abberufen und fomit der diplomatifche 
Verkehr abgebrohen. Der Allianzvertrag der Seemächte mit 
der Pforte, zur Unterftühung derfelben, wurde am 12. März ab- 
geichloffen und unterdeffen die Aufforderung an Rußland wieder: 
holt, die Fürſtenthümer bis Ende April zu räumen. nglifche 
Truppen fchifften fi) nach dem mittelländifchen Meere, franzöftfche 
in größerer Zahl unter St. Arnaud nad) Ronftantinopel ein. Die 
englifhe und franzöfifhe Kriegserklärungen an Rußland (Ende 
März) ließen num nicht lange auf ſich warten. Im April folgten 
fih raſch die Verträge; am 9. unterzeichneten die Bevollmächtigten 
Freh. v. Andlaw. Mein Tagchuq. IL 14 


or 





210 


das f. 9. Palmfonntagprotofoll, worin fie fi verpflichteten, die Unab⸗ 
hängigfeit und Integrität der Türkei aufrecht zu erhalten, aber 
auch die Rechte der chriftlichen Unterthanen terfelben zu ſchũtzen. 
Den 12. wurde das enge Bündniß zwifchen England und Frant: 
reih in der ausgeſprochenen Abſicht abgefchloffen, gemeinichaftlid 
alle Streitkräfte aufzubieten, den Uebergriffen Rußlands entgegen, 
den europäifchen Frieden auf dauernden Grundlagen wieder berzu- 
ſtellen. Endlich den 20. verbanden fih Oelterreih und Preußen 
zu einem Schut- und Trubvertrage, indem fie ſich gegenfeitig den 
Beſitz ihrer Staaten verbürgten und die Rechte wie Intereſſen 
Deutſchlands zu wahren verfpraden. In jedem Diefer Ueberein- 
kommen wurde als nächſtes Ziel die Entfernung der Rufen aus 
der Wallachei bezeichnet. 

Nun kam die Reihe an Griehenland; franzöſiſche Truppen 
Iandeten im Piräus, um die Inſurrektion im Keime zu erftiden, 
und eine Reihe ziemlich harter Maßregeln beraubten die Regierung 
von Athen beinahe jedes felbftftändigen Willens. Als Erwiederung 
auf alle diefe Schritte fchleuderte Rußland wiederholt ein Manifeſt 
in die Welt, die ganze Verantwortlichleit de Kampfes den See: 
mächten zumälzend, mit der abermaligen Verficherung, daß es nicht 
für irdifche Vortheile, nur für das Chriſtenthum kämpfe. 

Auch in Frankfurt hatten mittlerweile die beiden Großmächte 
Eröffnungen über die fchiwebenden Fragen gemacht, und Ende Mai 
traten die Mittelftaaten in Bamberg zuſammen; nad längeren 
Berathungen ſchloß fi der Bund den Bellimmungen des Ber: 
trage am 20. April an. 

Die Wiener Konferenz ſetzte ihre Thätigfeit unausgeſetzt fort 
und Anfangs Juni erfolgte von Defterreich, unterftügt von Preußen, 
wieder eine ernitlihe Mahnung an Rußland, die Donaufürften- 
thümer zu räumen; ja das kaiſerliche Kabinet ging noch einen 
Schritt weiter, indem e3 in einer Konvention mit der Pforte fich 
verpflichtete, jene Provinzen bis zum Frieden durch feine eigenen 





211 





Truppen zu befeten. Dieß war ein zweiter Grund des weiteren 
Zerwürfnifes, und Rußland, wiewohl unmwillig und zögernd, ent- 
ſchloß fich, im Intereſſe des befreundeten Dentichlands, wie «3 
fagte, feine Truppen über den Pruth zurüdzuziehen. Allſobald 
nahmen die Türftenthümer eine Beſatzung von 80,000 Mann 
k. k. Truppen auf, 

Den 8. Juni hatte der Kaiſer eine Beſprechung mit dem 
König von Preußen im Thun'ſchen Schloſſe zu Tetſchen. Seiner: 
feitö traf Napoleon mit den Königen von Belgien und Portugal 
wie mit dem Prinz, Gemahl Albert zufammen. 

Eigenthümlich, mie nie zuvor, war die Stellung, welche zu 
diefer Zeit das diplomatifhe Corps in Wien eingenommen. 
Die Mehrzahl, befonderd der deutihen Mitglieder deſſelben, neigte 
fich der ruffifhen Auffaffung zu und flimmte darin mit den An: 
fihten der höheren Geſellſchaft und Generalität überein. Bour⸗ 
queney und Weftmoreland traten um fo entfchiedener auf, als 
es galt, die Schwankungen des äfterreihiihen Kabinetd wie den 
überwiegend ruffifchen Einfluß in den politifchen Kreifen zu be 
kämpfen. Der franzöfiiche Geſandte war überdieß die Seele der 
Konferenz, beredt und Hug in den Verhandlungen, gewandt in 
ber Redaktion, und jeinen Bemühungen ift es vorzüglich zuzu⸗ 
Ihreiben, daß Defterreich vielleicht jene Linie überfchritt, welche es 
fid) urfprünglich in feiner Haltung vorgezeichnet hatte. Es war 
aber bei Bourqueney nicht allein das Pflichtgefühl, das ihm leitete, 
ben ihm zugebenden Weifungen treu nachzukommen und dadurch 
vorübergehende Vorteile für feinen Hof zu erzielen; er ſah weiter, 
und ed beliebte ihn der Wunſch, eine dauernde Allianz zwiſchen 
beiden Kabinetten in ihrem gegenfeitigen, wohlverfiandenen ntereffe 
zu gründen; er madte aus diefer Ueberzeugung fein Hehl; es 
war zunädft die Aufgabe, welche er ſich in feinem Berufe geftellt, 
und er verließ den Dienft alljobald, wie ſich die Politik am der 
Seine verändert hatte. Noch vor wenigen Tagen ſprach er dieſe 

14* 





919 


Meinung im Senate aus, fo wie er fie auch zu feiner Richtſchnur 
bei dem Kongreffe in Zürich genommen hatte. 

Neben dem Keinen beweglichen Franzoſen nahm ſich der ſtille, 
hagere Weſtmoreland noch phlegmathiſcher aus; er war ein Britte 
von der gemüthlichften Art mit einem mehr kosmopolitiſchen An⸗ 
ftrihe; ein mwohlmollender Charakter, lebensfroh, großmůthig und 
gaſtfrei, beinahe über feine Kräfte. Ohne beſondere Befähigung 
für feinen Beruf verband er doc eine gefunde Anſchauungsweiſe 
mit Routine, jelbft mit einer gewiſſen Feinheit. Dabei war er 
den Grundſätzen der alten Schule treu, ein ächter Gentleman in 
Ton, Gefinnungen und Manieren. Umgeben von einer vortreff- 
lichen Gattin, einer fchönen einigen Yamilie, den Wellesley's nabe 
verwandt, zeigte er ſich Jahre lang in Florenz wie in Berlin und 
Wien nit nur al3 der freundlichite Hausherr, er war aud ein 
eifriger Beichüßer der ſchönen Künſte. Die Muſik betrieb er als 
Dilettant im Großen und verfuchte fi fogar in Meßgefängen wie 
in Dpern, in Märfchen und Kantaten, wie im Liede. Lady Weſt⸗ 
moreland aber ſchmückte die Wände ihres Salon? mit großen 
Delgemälden, von ihrer eigenen Hand, Go bildete denn die eng: 
liche Botſchaft in dem fchönen koburgiſchen Palais einen Mittel: 
punkt für die vornehme Welt, welche mit glänzenden Bällen und 
Diners, vor allem mit Concerten, erfreut murbe. 

Die peinlichite Rolle war jedoch dem ruffifchen Gefandten 
v. Mependorff vorbehalten; er, der fchon vor Jahren eine fo 
günftige Stellung in Wien eingenommen, feinen Eifer für die Er: 
haltung der öfterreichifch-ruffifchen Allianz bethätigt, er, der ge 
heute feine Mann mit dem redlichen Willen und einem durchaus 
ehrenwerthen Charakter, ſah fih nun durd eine befondere Fügung 
der Dinge feinem eigenen Schwager, dem Grafen Buol gegenüber, 
in der Unmöglichkeit, den politiſchen Wünfchen und Anfichten feines 
Hofes Geltung zu verfchaffen. Er fühlte, in welch’ falſche Lage 
er unverfchuldet gerathen war, und, feine Entlaflung felbft berbei- 


213 





ſehnend, wurde er dur Fürſt Ar. Gortſchakoff erſetzt. Wir 
alle aber konnten Meyendorff nur mit wahrem Bedauern aus 
unferer Mitte fcheiden fehen, wo er ſich eine feinem Andenken ſtets 
geficherte Achtung erworben. Wiffenfchaftlich gebildet, einfach, ohne. 
Prätentionen, ein oft heiterer, immer angenehmer und intereffanter 
Geſellſchafter wußte er Hug, ungeachtet einer natürlichen Heftigfeit, 
das gehörige Maß zu balten, um fo verdienftlicher, als ihm eine 
Fränkliche Reizbarkeit nicht fremd war. Die leidenſchaftliche Hal⸗ 
tung feine Nachfolgers ließ Meyendorff's Vorzüge nur in einem 
um fo günftigeren Lichte erfcheinen. 

Es enthielt das diplomatifche Korps daher fo viele Schat- 
tirungen, als die Gefandten eben den Snftruftionen ihrer Höfe, 
oder individuellen Eindrücken folgten. Am beiten befanden ſich 
jene dabei, die, -wie ich, unbefangen der Gang der Kreigniffe 
beobadıten konnten und jede Wendung freudig begrüßten, melde 
einem unferer Anfiht nach unbeilvollen und unnötbigen Kriege 
je eber je lieber ein Ende machen würde. 

Ach breche hier diefe Chronik ab, um fie fpäter wieder aufzu⸗ 
nehmen, wenn ich die mit den Teindfeligkeiten nicht unmittelbar 
im Zufammenbange ftehenden Tagesbegebenheiten der Reihe nad) 
befprodhen haben merde. 


Neben den diplomatifchen Verhandlungen liefen die gewöhn⸗ 
lichen Faſchingsfreuden her und viele auögezeichnete Fremde waren 
in Wien erfchienen. Der Herzog von Cambridge eilte zur Armee 
nah Konftantinopel, Tehrte aber noch in demfelben Jahre mieder 
zurüd, ein freundlicher, fehöner Mann, dem man mit Auszeichnung. 
begegnete. Auch ein anderer Prinz, Jerome Napoleon, den man 
nun „Plon⸗Plon“ zu nennen gewohnt iſt — begab fi, jedoch 
nicht Über Wien, auf den Kriegsſchauplatz, zug aber bald eine 
friedliche Beichäftigung ala Vorſtand der Weltausſtellungscommiſſion 


214 


zu Paris dem angreifenden Waffenlärm in ber Krim vor, umd 
verließ plöglich „nervenſchwach“ die Armee. 

Die ganze fürftlih Fürſtenbergiſche Familie, der Prinz 
Karl von Baden, Fürft von Leiningen, die Herzogin D. von 
Sagan und andere hohe Gäfte waren zu längerem Beſuche einge 
troffen, während der Kaifer felbft einige Zeit bei feiner erlaudhten 
Braut in Münden verweilte. — Der Bermählung der Erz: 
berzogin Wittwe Elifabeth mit ihrem Better Karl Ferdinaud 
folgte num bald die feierlihe Trauung des Kaiſers ſelbſt. 

Gegen das übliche Herkommen hatte keine Einſegnung der 
Ehe durch Procuration ſtattgefunden. Die kaiſerliche Braut kam 
in Begleitung ihrer durchlauchtetſten Eltern in Linz an, wo fie 
der Kaiſer einen Augenblick begrüßte und dann ihr vorauseilend 
fie wieder in Nußdorf mit einer herzlichen Umarmung empfing. 
Hler hatte das reich geſchmückte Dampfboot „Franz Joſeph“ wit 
der lieblichen Prinzeffin gelandet und jubelnd von einer unabfeh- 
baren Menge begrüßt, wurde fie von der kaiſerlichen Familie nad, 
Schönbrunn geleitet, wo das Brautpaar ımter nicht enden wollen: 
den Freudenbezeugungen auf dem Balkon erſchien und halb Wien 
in lebhafter Erregung zu Fuß oder in fich eng aneinander reihenden 
Wagen dem Faiferlichen Schlofje zuftrömte. 

Des anderen Tage® — den 23. April gegen 4 Uhr — 
fand vom Therefianum aus der Einzug der hohen Braut mit 
einem Feſtgepränge ftatt, wie ed Wien wohl felten reicher und 
glängender gefehen. Ehrenpforten, Fahnen, Teppihe, Blumenge⸗ 
winde, Inſchriften und finnreiche Verzierungen aller Art, allbe⸗ 
Tannt, wurden bier auch wieder gejehen; fie fielen zufammen mit 
dem ununterbrochenen Bewillkommungsgeſchrei der fih auf dem 
ganzen Wege berzudrängenden Bevölkerung. Was aber dem bunten 
Bilde einen eigenen Reiz, eine beinahe romantische Färbung gab, 
war der Aufzug des Adels und der Offiziere zu Wagen und zu 
Pferd; den malerifhen Trachten der Magnaten, den wechlelnden 





215 


Uniformen aller Waffengattungen der 60 berittenen Gavaliere 
Ihloffen fi die prachtvollen Equipagen von gegen 20 Fürften 
und Grafen an, unter deuen ſich jene der Fürften Efterhazp und 
Batthiany durch geihmad- und werthvollen Glanz auszeichneten. 
Auch die Pferde einiger ungarifchen Grafen maren wie mit Neben 
von Dulaten oder von Gold jtroßenden Schabraden bedeckt. Nun 
faın die lange Reihe der zwei- bis fechsfpännigen Hofequipagen, 
endlich der Galla-Glaswagen, in dem die bräutlich geſchmückte 
Prinzeffin Eliſabeth — die Herzogin Mutter Louife ihr gegen: 
über — ſaß. So ging & unter fortwährendem Jubel bis zur 
Hofburg, wo die kaiſerliche Yamilie die hohe Braut empfing, und 
bald darauf die Trauung in der Auguitinerfirde von dem Erz- 
bifchofe Raufcher vollzogen wurde. Ungemein feierlich war der 
Anblid diefer geweihten Stätte, die bald von frommen Gefängen 
und Orgelllang ertönte, welden wieder lautloſe Stille folgte. 
Aller Augen waren auf das junge Kaiferpaar gerichtet, welche 
durch den Segen der Kirche zu einer Ehe verbunden werden follten, 
die nad) den Erfahrungen der Geſchichte ebenjo viele großartige 
beglüdende Momente als fchmerzliche Prüfungen erwarten würden! 
Eine zahlreiche, glänzende Verſammlung Hatte fih eingefunden; 
viele Bifdyöfe ter Monarchie, eine Menge von Generalen, Vater 
Radetztiyh an der Spike, waren Zeugen der erbabenen eier. Auch 
wich hatte fie in ihrer einfachen Würde tief ergriffen — in dem: 
jelben Monate, gerade vor 44 Jahren, wohnte ich dem Einzuge 
einer anderen Taiferlihen Braut — der Erzherzogin Marie Louife 
in Paris beit — Noch an jenem Abende fand in dem Ritterfaale 
eine mehrftündige Borftellungscour ftatt. In den folgenden Tagen 
wurben denn, wie gemöhnlih, Hof-, Stadt: und Vollsfeſte abge 
halten. Die Straßenbeleudhtung wie jene im Prater mit öffent: 
lichen Beluftigungen waren vom Wetter nicht begünftigt. Ein 
Hofball zeichnete fih vor anderen durch den reihen Schmud und 
die eleganten Toiletten der Damen wie die bunte Pracht der Uni: 


216 


formen aus. Für die Galla-Vorftellung im Opernhaufe hatte man 
nicht ganz glüdlich die Oper gewählt, welche Roſſini einft für die 
Krönung Karls X. componirte. Die durch die Umftände gebotenen 
Aenderungen Tießen kalt und die im lebten Alt nad Iſchl verſeßten 
Scenen mit den aus italienifhen Kehlen ertönenden Huldigungs⸗ 
firopben nahmen fih etwas feltfam aus. 

Nah den alljährlichen, jetzt doppelt lebhaften Maifreuden 
machte der junge Taiferliche Hof eine Reife nach Prag, wo ihn 
abermalige Empfangsfeierlichfeiten erwarteten. 

Unter den fürftlihen Beſuchen erregte einige Donate fpäter 
der junge König von Portugal Don Pedro V. mehr ald ge 
wöhnliches Auffehen. Er empfing das diplomatifche Corps mit 
gracidfen Anftande und drüdte fi ſehr geläufig im Deutichen 
and. 20 Jahre früher hatte ich in diefen Räumen dem Prinzen 
Verdinand vor feiner Abreife nach Liffabon aufgewartet, und 
gerade, mie fein Sohn jetzt, blond, mager, raſch aufgeichoflen, 
war er mir damals erfchienen. Im Gegenfaße zu dem beinahe 
ſchmächtigen Ausfehen des jungen Monarchen war der ibn be 
gleitende Bruder, der 16jährige Herzog von Oporto, — heute 
König Ludwig I. — fehr Hein und did für fein Alter, und ein 
durch Schüchternheit unterdrüdtes lebhaftes Weſen ließ ihm ſehr 
gut an. Beide Prinzen bewohnten ald Verwandte die Hofburg 
und waren von Bareira, Terceira und anderen Herren ihres Landes 
begleitet. 


Schon den 20. November 1853 war in der Kapelle der 
Metternich'ſchen Billa die Vermählung der einzigen Tochter dritter 
Ehe des Fürften, Melanie, mit dem Grafen Joſeph Zichy durch 
den Kardinal Viale vollzogen worden; auch bei dieſer war ich 
Zeuge. Es gereichte der Fürſtin Mutter zum freudigen Xrofte, 
ihre Tochter verforgt zu wiſſen, denn feit ihrer Rückkehr von dem 
Auslande war ihre früher fchon erichütterte Geſundheit noch viel 








mn 5 va .. — 


217 


leidender geworden. Sie hatte ſich noch immer weniger als der 
Fürſt in jene Entfernung von Haufe finden können; in ber letzten 
Zeit aber nahm ihre Kränklichkeit fichtbar zu. Dabei war ihr 
ganzes innre Weſen wie geläutert; ihre ebleren Eigenfchaften, ihre 
unerjchöpfliche Herzensgüte traten immer mehr hervor, und charatter- 
Hark, wie fie ftet3 war, mußte fie ihre phyfiſchen Qualen zu be 
berrihen, um den Yürften nicht zu beunrubigen, ihrer Umgebung 
nicht wehe zu thun, die gewohnte Lebensweiſe nicht zu ftören. 
So fand man fie anfdheinend heiter an den Gefprächen des Salons 
Theil nehmen, wenn fchon ihre Äußere Erfcheinung bei dem erften 
Anblicke ihren troftlofen Zuftand verrieth. Einige Tage vor ihrem 
Tode war fie noch am Theetifhe und unterlag dann nach Turzer 
Agonie mit der ihr zur zweiten Natur gewordenen frommen Er⸗ 
gebung ihren Tangen Leiden! Manche Thräne floß an ihrem Sarge 
und als die Leiche vor ihrer Abführung nah Böhmen in der 
Karlskirche zu Wien eingefegnet wurde, drängten ſich alle Freunde 
des Haufes zum lebten Abfchied in die heiligen Räume. Ich be⸗ 
gleitete den Fürſten von Fürſtenberg dahin, nicht ahnend, daß ich, 
noch in demfelben Jahre auch an feinem Grabe ftehen würde! 

Kaum war ein Jahr verfloflen, ald auch die Schweiter 
des Yürften — die 84jährige Herzogin Pauline von Württemberg — 
flarb. Sie war eben zu Hiking in eine Sommermwohnung ges 
zogen, als fle eine tödtliche Schwäche befiel und gerade hatten fich 
ihre Augen für immer gefchloffen, ald ih am 21. Juni 1855 
Nachmittags ihr Krankenzimmer betrat. In der vortreffliden 
Frau beweinte ich eine mütterlihe Freundin, die mir in jeder Lage 
des Lebens immer gleich wohlwollende Gefinnungen bewieß. 

Mit dem Ableben der Fürftin Melanie eröffnete fi eine 
Reihe mich mehr oder minder fchmerzlich berührender Todesfälle. 

In den letzten Tagen des März wurden wir durch die Kunde 
erſchreckt, daß der Herzog von Parma bei hellem Sonnenſchein 
mitten in einer Straße feiner Reſidenz von einem unbelannten 








218 





Mörder erdolcht worden fi. Es hatte diefer feige Meuchelmord, 
defien Thäter bisher .nicht entdedt worden, in jenem Augenblid 
mehr ald gewöhnliche Bedeutung. Der Herzog war nicht nur 
feiner Lebensweife wegen verhaßt, er galt au) in den Augen der 
Italianiſſimi ala ein Anhänger Oeſterreichs und dieß mar fein 
Hauptverbrechen, das ihn dem frühen Tode weihte. Die Regierungs- 
forgen überließ er einem Engländer Ward, der fi von unter: 
geordneter Stellung zu einem Lichling des Herzoges, zu feinem 
erſten Miniſter emporgeihmungen hatte und zugleich die Stelle 
eines Geſandten in Wien bekleidete. Die Herzogin, klug, mit dem 
Gange der Dinge unzufrieden, ſuchte ter Leitung der Politik eine 
mehr nationale Färbung zu geben und murde demnach bei ben 
unerwarteten tragifchen Ende des Herzoges in die peinlichite Lage 
verſetzt. Als Regentin und Vormünderin ihrer vier Kinder lenlte 
fie nad) ihrem Sinne dad Heine Staatsichiff und wenngleich fich 
von öſterreichiſchem Rathe und Einfluffe losſagend, entging fie doch 
nicht minder als ihre fürftlichen Nachbaren dem Gcidfale, ihr 
Land fpäter verlafien zu müffen. Schon in der Wiege eine vater⸗ 
loſe Walfe war fie beftimmt auch ihren Gemahl auf die gleiche 
entjeßliche Weife, wie ihren Vater, zu verlieren. 

Ward, dem die Rückkehr nah Parma nidyt geftattet wurde, 
ftarb bald darauf als wehlhabender Privatmann in Wien. 

Schmerzlih murde id, von dem gleichwohl längſt vorauszu⸗ 
fehenden Tode meined Schwagers Auguft von Roggenbad er 
griffen. Er hatte ſich al? Jüngling in den Gefechten bei Straßburg 
ausgezeichnet, den felten gewordenen badiſchen Militärverdienftorden 
erhalten; von da widmete er fi) während einer mehr als 30jährigen 
Friedenszeit einem anſpruchsloſen aber nühlichen Berufe, um fich 
in und nad) dem Jahre 1849, bei ftet3 zunchmender Kränklichteit, 
als Kriegsminifter einer Aufgabe zu unterziehen, die gewiß zu den 
ſchmerzlichſten und aufreibendften im Leben gehörte. Nicht nur 
mußte er das ftrenge Kriegäreht üben, es wurde ihm aud bie 





219 





ſchwere Pflicht, Tas durd die Empörung anfgelöfte Armeecorps 
wieder berzuftellen und die nicht immer leichten Verhandlungen 
mit Preußen zu führen. Mit dem Iohnenden Bewußtſein ge 
wiffenhaft erfüllter Pflicht und erfolgreichen Wirkens ftanden feine 
törperlichen Kräfte nicht im Einflange; er fiel, ein Opfer über: 
großer Anftrengung, den 7. April. 


Auf den Wunſch meiner trauernden Schweſter entwarf ich 
feine Grabſchrift und faßte in nachftehenden kurzen Zügen feinen 
Lebenslauf und Charakter zufammen: 


„Treu feinem Yürften; in frübefter Jugend tapfer im Felde, 
jpäter von aufopfernder Berufsihätigkeit, ein frommer Krieger, 
einfach, beicheiden, rein in Sitten, beglüdender, beglüdter Gatte, 
ein ähter Edelmann, ein deutfher Ehrenmann!“ 


Während meines Sommeraufenthaltes in Baden bei Wien 
erhielt ih Im Juli die Nachricht von der pldtzlichen Erkrankung 
der Brinzeffin Louiſe Waſa. Sie Hatte, an der Bruftwaffer: 
ſucht Tetdend, ihren gewoͤhnlichen Wohnſitz, Schloß Morameb in 
Mähren, verlaflen, um in Brünn einige Erholung zu fuchen, 
doch kaum hatte fie dort die fogenannte Kartbaufe — eine erz⸗ 
herzogliche Billa — bezogen, als ihr mit der großen Hike zu: 
nehmendes Uebel einen lebensgefährlichen Verlauf nahm und fie 
am 19. einem Erftidungsanfalle unterlag. Ich mar auf die erfte 
telegrapbifche Depeſche nah Brünn geeilt, fand die Prinzeffin 
aber nicht mehr am Leben. In dem Trauerhanfe brachte ich mit 
den beiden durchlauchtigſten Schweftern, dem Sronprinzen von 
Sachſen und dem Herzog von Hamilton einen ſchmerzvollen Tag 
zu, und kehrte acht Tage jpäter wieder dahin zurüd, um der 
Beerdigung beizumohnen. Bon der Villa bis zu der über der 
Stadt fi erhebenden Domkirche bewegte fi ein langer Trauer: 
zug von Militär: und Givilperfonen und nachdem der Biſchof 
Graf Schafgotih das Todtenamt gehalten, wurde der Sarg nad) 


220 


der fürſtlich Sigmaring’ihen Gruft gebracht, wo ihn die hoben 
Berwandten erwarteten. 

So ftarb eine Fürftin, die ich vor 43 Jahren taufen ſah, 
bei deren Vermählung ich Kammerherrndienfte leiftete, und welcher 
ih nun, ferne vom Baterlande, dad letzte Geleite geben follte. 

Eine andere Trauerkunde, auf eine hochgeehrte Königsfamilie 
wie ein ganzes dentjches Land um fo betäubender wirkend, als fie 
io höchſt unerwartet Fam, traf and den Toroler Bergen ein. Der 
vortrefflihe König Yriedrih Auguft von Sachſen war, von einem 
feiner gewöhnlichen naturwiſſenſchaftlichen Ausflügen zurüdtehrend, 
in einem Thale mit dem Wagen umgeworfen worden und verjchied 
bald nachher befinnungsios in Folge des Sturzes. 

Anfangs Juli hatte ich die fürftlih Fürftenberg’fche 
Tamilie, von Wien bid Vöslau, auf ihrer Reife nah Iſchl be 
gleitet, wo fie den Sommer zubringen wollte. Der Fürft war 
da heiter, gefellig wie fonft geweien, hatte die Taiferlichen Gems⸗ 
jagden mitgemacht, ala plöglich ein anfangs unbedeutend ericheinendes 
Unmwohljein bedenfliher wurde und nad tagelangen furchtbaren 
Leiden mit dem Tode endete! Auf Befehl des Regenten begab ich 
mich nad Iſchl, doch Fam ich leider zu fpät, um den edlen Herm 
noch zu treffen. Schon -in Omunden begegnete ich der Yürftin 
mit den Prinzeſſinen Töchtern und entledigte mich ded mir ge 
wordenen peinlichen Auftrages, In Sch! konnte ich nur mit ben 
drei fürftlihen Söhnen im Sterbezimmer des Verklärten beten und 
weinen. Aber von herzergreifender Rührung war die Schilderung 
der letzten Augenblicke des dahingeſchiedenen Fürften, der, von 
tiefem frommen Gefühle wie immer befeelt, in diefen qualvollen 
Momenten ein von feinen Söhnen belaufchtes Gebet zu dem 
Himmel empor richtete, Leben oder Tod, das Wohl einer geliebten 
Familie der Fügung Gottes anheimitellend! 

An den Ichten Tagen des Oktobers endlich flarb die Königin 
Therefe von Bayern zu Münden an der Cholera. Der Tönig- 


231 


fihe Hof Hatte den Sommer in Aſchaffenburg zugebradit; man 
iprach geheimnißvoll von der Erſcheinung einer „ſchwarzen Frau“ 
und unter trüben Borahnungen wurde die Rückreiſe nach der Mefidenz 
angetreten. 


Die Kriegsnoth im Oſten wirkte auh auf Wien zurüd; 
mit der allgemeinen Unbehaglichkeit verband fi die Cholera, 
welche mit furchtbarerer Heftigkeit als je auftrat. Auch in Münden 
batte diefe Krankheit die große Induſtrieausſtellung in der uner- 
freulichiten Weife unterbrochen. 

Dennoch fehlte e3 in Wien 1854 nicht an fürftlihen und 
anderen Gäften. Wiederholt erfchienen die Herzoge von Sachſen⸗ 
Koburg und Braunfhmweig und aus den Donaufürftentgümern 
trafen die durch die Creigniffe vertriebenen Hospodare ein. 
Louis Napoleon fchidte feine Bertrauten Bacciochi und Heekern 
V’Anthes, Preußen den immer gerne gefehenen Grafen Alvensleben, 
endlich Bayern feinen geiftreihen Staatsmann v. d. Pfordten. — 
Defterd ſah man aud einen der reichften fpanifchen Sranden, den 
Herzog von Dfunna; ein hübfcher, wohlwollender Mann, Teiner 
ber ertremen Parteien feine® Landes angehörend, beftändig auf 
Treiersfüßen, ohne ſich zu einer Ehe entichliegen zu können. rüber 
unabhängig murde er dann von feiner Königin beſtimmt, den 
St. Peteröburger: Gefandtichaftspoften anzunehmen, auf dem er, 
wie bei der Krönung in Moskau, mit vielem Glanze auftrat. 

An politiſchen Ereigniffen war dieß zweite Halbjahr gleich⸗ 
falls reich; zur Abwechſelung fand auch wieder einmal eine 
Revolution in Spanien flatt; doch alle die außerhalb des Kriegs⸗ 
ſchauplatzes vorgegangenen - Verwidelungen verſchwanden vor den 
Nachrichten, welche fich num rafch aus der Oftfee, wie vom ſchwarzen 
Meere ber folgten. Mit großem Geräufhe war der englifche 
Admiral Eh. Napter, mehr Seebär als Secheld, in jene Gewäſſer 
eingefahren, bis Kronſtadt vorgedrungen, aber der Erfolg entſprach 


222 

fo Sochgefpannten Erwartungen nicht; es war nur von „Bomarjumdb” 
die Rede. Run kehrten fig alle Blide nad dem Drieut, wo ber 
Marſchall St. Arnaud endlich im September tie Landung in der 
Krim bei Eupatoria vollbrachte, die Schlaht an der Alma für 
die verbündeten Truppen entfchied, und fpäter die blutige Metzelei 
von Inkermann die Zahl der unfruchtbaren Lorbeeren vermehrte. 
Man ging im Giegeötaumel fogar fo weit, die Einnahme von 
Sehaftopol ale nahe bevorſtehend zu betrachten, und als ein „ZTartar“ 
im Oktober die jalſche Nachricht von der Lebergabe der Feſtung 
nad Konftantinopel bradyte, machte fie die Runde durch gem 
Europa; ſelbſt Louis Napoleon, weldher damald gerade Heerichau 
in Boulogne hielt, fpielte auf dieß Ereigniß in einer Rate an. 
In Wien glaubte beinahe Jedermann daran, und der Telegrapb, 
welcher die wichtige Begebenbeit nach allen Gegenden der Windrofe 
außfchrie, mußte fie des anderen Tages ebenfo widerrufen. Nur 
Bourqueney, dem natürlib am meiften daran liegen mußte, das 
Gerücht der Reuigkeit gehörig zu prüfen, ziweifelte, berichtete daher 
nit. Man tröftete füh mit dem Wie, daß e3 ein „canard à 
la tartare‘‘ geweſen, welden man ben Diplomaten vorgefeit, 
und erft Über ein Jahr nachher ſollte diefe „Ente“ eine Wahrheit 
werden! Ballen wir aber unbefangen die damalige Lage in’3 Auge, 
wäre es nicht erwünichter geweſen, die Eindriuglinge hätten ſchon 
zu jener Zeit fi des „Malakoffs“ bemächtigt; wie viel Jammer, 
Blut, Elend und Unglüd wäre dadurch nicht eripart worden! 

Die Alliirten bezogen nun ein Lager, richteten fich für den 
Winter ein, begannen eine regelmäßige Belagerung der Seeiefte, 
und opferten die edelften Kräfte einem verhältnißmäßig nicht lohnenden 
Zwecke. 

Die vorübergehenden Vortheile wurden bald durch Mißge⸗ 
ſchicke aller Art überwogen. Feuersbrünſte, Seeftürme, beſonders 
aber die Cholera, richteten furchtbare Berheerungen an, und größere 
Leichenhaufen fanden fi in den Spitälen als auf den Schlacht 


[2 


223 


feldern. St. Arnaud fiel eineß der erften Opfer; ihm folgten 
viele ausgezeichnete Offiziere, und der frifche Muth, mit dem der 
Feldzug begonnen, wurde nur gar zu bald herabgeſtimmt. Dennoch 
behielt die franzöftihe Armee, mehr als die engliihe, Ordnung 
und Bertrauen bei; es befeelte ein eigener Geiſt die fränkiſchen 
Truppen unter Generalen, die an Tapferkeit und Opfermuth wett- 
eiferten. Auch das religidfe Element, m lange aus diefen Lagern 
verbannt, machte fich wieder geltend; Priefter zeigten fi in ben 
Kranlenzimmern wie auf dem Wahlplake, und mährend fie in 
Verbindung mit den über alles Lob erhabenen barmberzigen Schweftern, 
Berwundete pflegten, Sterbende tröfteten, waren fie für die Heilung 
des Körpers, wie das Wohl der Seele eifrig bedacht. Die Ber: 
einigung fo vieler Kräfte, die aufopfernde Ausdauer Aller vers 
mochten es nur, die umfäglichen Leiden erträglih zu maden, 
welche die belagernden Truppen in diefem entfeßlichen Winter beim: 
fuchten. Eiſige Nordoſtwinde durchraften die Halbinſel, Mangel 
an ſchutzender Kleidung, erwärmender gefunder Nahrung, verbanden 
fi$ da mit al’ dem gewöhnlichen Ungemache des Krieges, und 
die Ruffen befanden fich noch in einer vergleichäweife günftigeren Lage. 

Während der notbgedrungenen Waffenruhe wurden dann 
wieder in Wien Verhandlungen aufgenommen, Verträge abge: 
fchloffen. Den 26. November unterzeichneten die Bevollmächtigten 
Oeſterreichs und Preußens eine Konvention, und der 2. Dezember 
gab dem berüdtigten Alliangvertrage der Seemädte mit Oefterreich 
das Leben. Louis Napoleon legte einen befonderen Werth darauf, 
daf er gerade an jenem, für beide Kaifer fo wichtigen Jahrestage 
unterfchrieben werde. Dielen Berabredungen folgte das Wiener 
Konferenz. Protofoll vom 28. Dezember, welches fi mit den 
ruſfiſchen Friedensvorſchlägen, und den befannten vier Punkten 
beichäftigte. | 

Man hat bei allen dDiefen Vorgängen die Haltung des k. k. Ka⸗ 
binets einer ſcharſen Benrtheilung, unterworfen. War es jedoch, 


224 





nach der Anficht der Gegner feiner Politif, zu weit gegangen, zu 
fehr aus der früher eingenommenen neutralen Stellung herausge⸗ 
treten, batte es ſich allzuviel von den bald einfchmeichelnden, bald 
drohenden Phrafen Frankreich blenden laffen, fo waren doch gewiß 
feine Intentionen immer die beiten und uneigennübigften. Alle 
feine mit ſchweren Opfern verbundenen Anftrengungen drehten fich 
immer nur um den einen lebhaften Wunſch, den Frieden herbeizu⸗ 
führen; und dabei feine, wie Deutſchlands Sntereffen zu 
wahren. Waren die Mittel hierzu vielleicht aud) nicht immer 
glüdlich gewählt, fo ift Doch für alle, Defterreich nicht gang feindlich 
Gefinnte Mar, dag von dem Augenblide an, als es fich entfchieden 
auf die Seite Rußlands geftellt, der Kampf fih von ter Krim 
weg in dad Herz der dfterreichifchen Monarchie gezogen hätte. 
Ale Minen waren in Italien, in Ungarn, ſchon hierzu gelegt, 
und der Krieg hätte, mie drei Jahre fpäter, ſchon damals, im 
Bunde mit der Revolution, größere Dimenfionen angenommen. 
Dieß zu verbinden blieb des Wiener Kabinetd Ziel wie fein 
Berdienft. Denn konnte man von ihm verlangen, daß e3 ben 
Blitzableiter für Rußland abgebe, fi, einen alten Alliirten zu 
vetten, jelbft opfere? Weldhe Hülfe durfte ed überdies in einem 
folden Falle von feinem nordifchen Freunde erwarten, der un: 
ſchlüſſigen Haltung Preußens gar nicht zu gedenfen? Sprit man 
denn immer nur vom „Undanke“ des kak. Hofes, Rußland gegen: 
über, und erinnert nie an die Worte des Kaiſers Nikolaus an 
Seymour? Wären doch Lieber die drei öſtlichen Großmächte, ftatt 
der gegenfeitigen Vorwürfe, gleich anfangs entfchieden und gemein: 
Ihaftlih den Napoleonifchen „Ideen“ entgegengetreten, und bätten 
den Verſicherungen jenſeits des Rheins meniger getraut! wohl den 
deutichen Staaten, wenn fie jetzt nody, bie traurigen Erfahrungen 
benützend, Alltanzen da fuchen, wo es ihr wirklicher Vortheil, 
nicht Teidenfchaftliche Anſprüche erheifchen! 
In Deutſchland felbft aber Tieß der Krimkrieg die öffentliche 








225 


Meinung ziemlich gleichgültig; man fühlte wohl inftinftmägig, daß 
eine Fehde, in der fi zwei der uns feindfeligiten, auf unfere 
Grenzen drüdenden Mächte gegenfeitig ſchwächen, nicht gerade als 
eine vaterländifche Calamität anzufehen fe. Doch begegnete man 
fi) wieder in dem Wunfche, aus Gründen der Humanität, einem 
ebenjo verderblihen als zweckloſen Kriege ein baldige Ziel geſetzt 
zu ſehen. Abermals Tautete das Vermächtniß des Jahres 1854 
wie jenes des vorhergehenden; 1855 follte die orientalifche Frage 
erledigen ! 


Die Weihnachts- und Neujahrötage verfloffen in gewohnter 
Weife, und auch der Karneval (1855) mit feinen Bällen, theatra⸗ 
liſchen Vorftellungen, zu denen fidh der befunnte „Circus Renz“ 
geiellte, und andere Järmende Vergnügen raufchten vorüber; 
doch die Krankheiten, die zunehmende Theuerung, der Ball jo 
vieler Handelshäuſer, fowie die Ungewißheit in der politifchen 
Weltlage, drüdten fichtbar die Gemüther, und wirkten auch auf: 
den Hof und die höhere Geſellſchaft zurüd. Die Kaiferin tanzte 
nicht, und als am 5. März gegen 4 Uhr die Kanonen die Ent- 
bindung der hoben Frau verfündigten, zählte man aufmerffam die 
Schüffe, melde, da fie mit dem 21ften endeten, der Stadt, wie 
der Telegraph dem Reiche anzeigten, daß eine Erzherzogin 
geboren worden. Sie erhielt bald darauf bei der feierlichen Taufe 
in der Burgfapelle den Namen: „Sophie, ftarb aber leider ſchon 
im zweiten “Jahre. 

Aus Turin kam und im Jamar eine Trauerpoft nad) der 
anderen zu; der König Bictor Emanuel batte in meniger als 
ſechs Wochen Mutter, Gattin, Sohn und Bruder verloren! Auch 
die Erzberzogin M. Dorothea, Wittwe des Palatins Joſeph, ftarb 
im März. 

Einen ungleich mächtigeren Nachhall, als alle diefe Todes⸗ 
fälle, fand aber das nach Kurzem Unmwohlfein erfolgte Ableben 

Ih. v. Andlaw. Wein Kagtug. II, 15 


4 





226 


des Kaiſers Nikolaus von Rußland, welches Wien am Morgen 
des 3. März erfuhr! Es war in der That in jenem Augenblick 
died unerwartete Creigniß von fo unermeßlicher Wichtigfeit, von 
fo unberechenbarer Tragweite, daß ſich daran in gleichem Grabe 
freudige Erwartungen, wie Befürchtungen der ſchlimmſten Art 
Inüpften. Im Allgemeinen gab man fich in deflen Folge Friedens: 
“ Hoffnungen Hin, noch verftärkt durch den Umftand, daß fi bald 
darauf die Wiener Konferenzen eröffnen follten. 

Der Kaiſer war von diefer überrafchenden Kunde tief ergriffen, 
feine Beileidöbezeigungen in St. Petersburg von der herzlichſten Art; 
und Alerander II. Tieß allfobald dem Fürften Gortſchakoff durch den 
Grafen Neſſelrode telegraphiren: 

„Dites & l’Empereur Francois Josöphe, que notre auguste 
maitre a &t& on ne peut plus touch& des regr&ts vou&s par 
ce monarque & la m&moire de son ancien ami qui l’avait 
cheri, comme s’il eüt &t& de sa famille. L’ordre par lequel 
"a été perpetuse dans l’armde autrichienne la mémoire de 
!’Empereur Nicolas, qui a toujours tout appréciée, tout 
honor&e cette arm&ee, a rappel&E & notre souverain une 
heureuse &poque d’union et attachement r&ciproque, ainsi 
que l’acceuil affectueux quil avait trouv& de la part de 
!’Empereur d’Autriche.‘ | 

Die offizielle Wiener Korrefpondenz widmete dem babin- 
gefchiedenen Czaaren folgenden Nachruf: 

„Die Trauerbotfhaft, welche wir geftern mittheilten, erfüllt 
alle Herzen mit tiefer Wehmuth. Was die Vorfälle der letzten 
Zeit an Zwieſpalt gebracht, die Verfchtedenheit der Anfichten über 
die Aufgabe der Staaten gegenüber den Sreigniffen im Orient, bie 
wiberitrebenden Tendenzen in Bezug auf die meitere Enwwicklung 
der dadurch herworgerufenen Situation — dieß Alles tritt heute 
in den Hintergrund vor dem obberrfchenden, ſchmerzlichen Gefühle 
der Größe des Verlufls, den Eurepa dur den Hintritt eine 











227 





feiner bochbegabteften Souveräne erlitten. Die nahezu 30jährige 
Periode der Regierung dieſes Kaiſers gehört zu den glänzendſten 
in der Geſchichte Rußlands, und hat Namen mie Andenken bed 
veretvigten Monarchen eng verwebt mit allen wichtigen europätfchen 
Kreigniffen während dieſes inhaltsreihen Zeitraumes. Niemand 
wird fo befangen fein von den DVerwidlungen der lebten Monate, 
daß er die unfterblicden Verdienſte des nunmehr in Gott rubenden 
Kaiferd Nikolaus um die Sache der Ordnung, der Gefeblichkeit 
und des mit diefen Pfeilern der Staatengefellihaft Europas un- 
zertrennlich verbundenen monarchiſchen Prinzips, nicht mit tiefer 
Dankbarkeit bewahre und laut anerkenne. Defterreich aber, welchem 
geitern, ald am Jahrestage des Todes des höchſtſeligen Kaifers 
Franz, der Schmerz um den unvergeßlichen, väterlichen Herricher 
jo lebhaft fih erneute, unſer Defterreich fühlt ſich beſonders be 
troffen vow der wunderſamen Fügung der göttlihen Vorſehung, 
die am gleihen Tage nun auch Rußland eine fo ſchwere Wunde 
fchlug, beiden Meichen daſſelbe Datum wehmuthsvoller Erinnerung 
auferlegtel ...... . u 
Einer anderen Schilderung entnehmen wir folgende Züge: 
„.... Nikolaus entwidelte Eigenfchaften und Tugenden, melde 
ihn weit über das Alltägliche, und felbft über die Fürften erhoben, 
wie man fie gemeinhin findet. Die Natur hatte ihn überdies 
mit äußeren VBorzügen der Geftalt ausgerüſtet, weldde auf bie 
Maſſen um fo mehr wirken, wenn der damit Begabte ein gewal⸗ 
tiges Reich beberriht, Die Züge feines Geſichts waren von 
einer ganz aufßergewöhnlichen Schönheit, feine Geftalt erhaben 
und elegant zugleich, feine Bewegungen heroiſch, doch edel. Willens: 
kraft und Feſtigkeit brüdten ſich in feinem ganzen Weſen aus, und 
wie Shalfpeare fagt: 
„So mifchten fi die Element’ in ihm, daß die Natur 
aufſtehen durfte, und der Welt verkünden: 
Dieß war ein Mann!!!” 
15* 


228 


Es geftatteten ihm feine mit jeltener Schönheit verbundene 
Körperkraft und die Leichtigkeit, womit er ermüdenden. Reifen und 
der Ungunft der Jahreszeiten troßte, große, überrafchende Wirkungen 
bervorzubringen. Wer erinnert fi) nicht außer anderen ähnlichen 
Beweifen von Muth und Geifteögegenwart jener ergreifenden Scene, 
wo der Czaar eines Tags allein unter die auf Sffentlihem Platze 
wegen Furdt vor der Cholera durch abgeſchmackte Gerüchte auf: 
geregte meuterifhe Menge trat, und mit kräftiger Stimme nur 
die Worte: Kinder, auf die Kniee! .. rief, und wie allfobald die 
bethörte Volksmaſſe reuig und flehend zu feinen Füßen nieder: 
fant?! Es gereiht dem Kaiſer Nikolaus überdieß zur Ehre, 
fih, troß der nachtheiligen Folgen der Erziehung, Tugenden, die 
ihm angeboren waren, erbalten zu haben. Sein Benehmen ala 
Sohn wie als Bruder, als Gatte wie ald Vater war nicht nur 
ſtets untadelhaft, es Tonnte allen Klaſſen der Gefellihaft zum 
Borbilde dienen. Nachfolger eined Fürſten, deſſen überfpannte 
Keen und Lebensweiſe unvortheilhaft auf den Hof gewirkt, ſtellte 
der Czaar, felbft jeder Verſuchung widerſtehend, mit eigenem Bei- 
fpiele vorangehend, Ordnung und Anftand in ſeinen Umgebungen 
wieder her u. ſ. w.“ 

Ohne das ſchöpferiſche Genie Peters des Großen, ohne den 
gewaltigen Geiſt und den unternehmenden Ehrgeiz feiner Groß- 
mutter, hatte Nikolaus dennody eine, viele andere glänzende, aber 
oft verderbliche Gaben überwiegende Eigenſchaft — er war von 
dem Gefühle feiner erhabenen Würde, von dem Gewichte feiner 
hohen, fchmeren Berufspflihten auf's innigfte durchdrungen. Es 
belebte ihn fortwährend nur der eine Gedanke, daß er, Selbft- 
herrſcher und oberfter Priefter in einem unermeßlichen Reiche, 
gewiflenhaft fi) der Ausübung feines ihm von Gott anvertrauten 
heiligen Amtes mit Aufopferung aller Kräfte unterziehen müffe. 
Er war, was er fein follte, auch völlig, ohne Nüdhalt, mit der 
ganzen Fülle und Macht der Ueberzeugung wie der Glaubens: 





229 


treue. Diefe edlen, feftftehenden Grundfäge trug er audy auf 
fein Familienleben über, wie es nicht ſchöner, inniger, mufterhafter 
gedacht werden, Tonntee Die Bemühungen des Kaiſers, jener 
hochwichtigen Aufgabe zu genügen, laſſen gar vieled in feinem 
Benehmen erflären; feine anfcheinende Strenge, ſelbſt Härte, wo 
ed galt, das Nichteramt gerecht zu üben, feine ftolze Kälte, wo 
er den Ruſſen gegenüber imponirend auftreten mußte, feine gar 
oft auf Effect berechnete Haltung, die fihtbar abgemeflenen Schritte 
und Ausdrüde In der gleichen Weife mögen religiöfe, oft an's 
Fanatiſche ftreifende Anfichten mande feiner Mafregeln entfchul: 
digen, melde, dunklen Flecken gleich, auf feiner Regierung haften. 
Selbft die Hartnädigfeit, mit welcher er im lebten Stadium feines 
Lebens auftrat, und die ihm manche ſchmerzliche Enttäufchung berei- 
tete, entjprang größtentheil3 nur aus der Confequenz, mit der er 
die Richtſchnur verfolgte, welche er ſich als Imperator und pon- 
tifex maximus gelebt. Ih fahre in der oben abgebrochenen 
Charakteriftit fort: 

„Aud fein Tod war der eined großen Fürſten. Zerriffenen 
Gemüths, voll innerer Vorwürfe, vielleicht Gewiſſensbiſſe, mehr 
an Wunden blutend, die feiner Vaterlandsliebe gejchlagen wurden, 
als feinen Törperlihen Leiden unterliegend, zeigte er im lebten 
Kampfe eine Ruhe, einen Muth, weldhe unmwilllürlih zur Be 
wunderung hinriſſen. Die Stürme, die Schmerzen, melde fein 
Inneres durchtoben mußten, fie traten nicht hervor. In diejer 
entfcheidenden Stunde, weldyer ſchwache, gewöhnliche Seelen er: 
Tiegen, hatte er die Kraft, ohne Klage, wie ohne Webermuth die 
Rolle feines Lebens fort und zu Ende zu fpielen. Gehüllt in 
feinen Soldatenmantel, ausgeſtreckt auf feinem harten Feldbette, 
fterbend, wie er gelebt, noch immer unabläffig befchäftigt mit dem 
Wohle feines Reich, wie mit den Vorfchriften feiner Kirche, zeigte 
er fi in feiner wahren Größe, und fie wird in die Geſchichte 
übergehen!‘ 


230 


Ich unterfhreibe völlig diefe Auffaffung und glaube, daß «8 
der gewöhnlichen Verdächtigungen, die auch Hier nicht fehlten, 
keineswegs bebürfe, um das Ende dieſes Monardien zu erflären. 
Er Hatte der inneren Qualen, der Aufregungen mahrhaftig genug, 
um auch dem Fräftigften Körper niederzumerfen. Ueberdieß begab 
er ſich bei einer während der Februarkälte ausgebrochenen Grippe, 
in feinem Feldherrneifer nicht an Schonung denkend, in die Reitfchule, 
wo er, fhon heiſer, eine Kavallerieabtheilung kommandirte, und 309 
ſich dadurch eine unheilbare Hals- und Bruftentzündung zn. 

Haben fih aber einft die Nebel, womit feine wirklichen 
Tehler, wie Vorurtheile und Anfeindungen feiner polififchen Gegner 
diefe Regierung umhüllen, zerjtreut, fo wird Nikolaus immer ala 
einer der ausgezeichnetſten Regenten ſeines Reiches ericheinen, 
eben weil er, bei allen Verirrungen, mit jedem Athemzuge auch 
das ſein wollte, wozu ihn Gott berufen! 


Am 15. März traten Bevollmächtigte der Großmächte in 

Wien zufammen, in der mwohlgemeinten Abficht, dem verheerenden 
Krimkriege ein Ende zu machen. Diefer mit großem Ernſte 
verfündete und feierlich eröffnete Friedenskongreß erweckte 
deßhalb günftige Ausfichten, weil man den eben zur Krone ge 
Iangten Alexander II. mehr zur Nachgiebigfeit geftimmt mähnte, 
als feinen Vorfahren, welcher die Fehde aufgenommen, und dann, 
weil man des Häglihen Schaufpield eines kaum In diefer Weife länger 
fortzuführenden Kampfes fatt, fi) auch von ruffenfeindlicher Geite 
geftehen mußte, daß die errungenen Vortheile weit hinter mit fo 
vielem Gefchrei, fo hochtönenden Phrafen und Drohungen erregten 
geipannten Erwartungen zurückblieben. Dennod waren aber bieje 
Erwägungen wieder geeignet, auf die Fortfehung dieſes Kriegs zu 
beftehen, den Verſuch zu wagen, die beiderfeitigen Streitkräfte auch 
ferner zu meſſen. Denn in beiden Lagern wollte man um jeden 








231 





Preid irgend ein wenigſtens anſcheinend günftiges Reſultat erzielen. 
Rußland, menn auch geſchwächt und gedemütbigt, doch nicht 
befiegt, konnte und wollte auf feine allzu nachtheiligen Bedingungen 
eingehen, nicht gleich unmittelbar nad dem Thronwechſel eine der 
früheren ganz entgegengefebte politiiche Richtung einfchlagen. Die 
Seemächte aber, deren Truppen wie ein Bienenfchwarn an der 
äußerften, felfigen Spike der Krim Bingen, mo fie ſich verbiffen, 
wollten zum mindeften irgend eine eclatante Waflenthat aufzu- 
weifen haben, ehe fie den Rückzug antraten, fo erwünfcht ihnen 
diefeer auch nach den traurigen Erfahrungen des MWinterd jein 
mußte. Außer einigen mehr blutigen, als erfolgreichen Gefechten 
war es ihrer Land: und Seemacht aber noch immer nicht ge 
lungen, fich Sebaftopols zu bemächtigen, und fomit ihre Anfors 
derungen an Rußland um fo höher geipannt, als fie die erlittenen 
Täufhungen nicht durch allzu große Zugeftändniffe ſelbſt anerkennen 
wollten. Veberdieß waren mieder die Teindfeligkeiten eröffnet worden. 
Die Ruffen behaupteten fi in der Dobrudicha, während bie Ver: 
bündeten in der mähfeligen Belagerung jener Meeresfeftung immer 
weiter rüdten. — Unter diefen getheilten Gefühlen und Erwar⸗ 
tungen verfammelte man fih nun im Wiener Stantäfanzleigebäube 
um den grünen, runden Tiſch, und es fanden bis zum 26. April 
vierzehn berathende Sitzungen flat. Frankreich hatte hierzu 
feinen Minifter der auswärtigen Angelegenheiten, Drouin de 
L'huis, England den Lord John Muffell gefendet. Vom ruifl- 
ihen Hofe war der gewandte Titoff den Verhandlungen bei: 
gegeben worden, und die Pforte vertrat Ali Paſcha — der 
dritte unter den türkifhen Diplomaten, von welchem ih mid 
angezogen fühlte Seine Heine, feine Geftalt mit dem edlen 
Ausdrucke im Gefichte, feine Bildung und Geſchäftskenntniſſe 
nahmen gleich für den noch jungen Mann ein. 

Droutn, welchen ich ſchon in Paris, wo er bei Buizot 
Unterftaatöfetretär war, Yannte, wurde mit vieler Auszeichnung in 


232 


Wien behandelt, und fein höfliches Auftreten, fein ruhige Wehen, 
fein fharfer Bli bei den Berathungen, ficherten. ibm Achtung 
und gegenfeitiged Wohlwollen. Weniger war dieß bei Ruffell der 
Fall; feine fehroffe, beinahe unfreundliche Art, feine fteife Haltung 
in den geihhäftlihen ragen gingen bier Hand in Hand mit 
einem durchaus nicht vornehmen Aeußern. Wer fih noch an 
den Direktor Karl in der Rolle des „Staberl* erinnert, Tann 
fid am beften einen Begriff von der Erfcheinung de edlen Lords 
machen. 

Die Ergebniffe der Konferenz liegen in ihren Protofollen 
begraben; fie führten unglüdlider Weile abermald nicht zum 
erwünjchten Frieden, und was etwa noch von den Beipredhungen 
hätte benützt werden können, wurde nach der Rückkehr der beiden 
Bevollmädtigten in Parid und London vertrümmert. Drouin 
wollte feine Ueberzeugung nicht dem längeren DVerbleiben im Amte 
zum Opfer bringen, und zog fi), wie fchon früher, wieder unab- 
bängig aus dem Staatödienfte zurüd; Ruſſell kam den in Wien 
getroffenen DVerabredungen nicht nad, und, feine Sprache alljobald 
nad den Umftänden ändernd, fuhr er doch fort, dem Minifter: 
rathe der Königin anzugebören. 

Der Form wegen wurde am 4. Juni in Abweſenheit mehrerer 
Konferenzmitglieder ein Schlußprotofoll aufgenommen. War aber 
die Stellung des diplomatischen Corps während dieſer ganzen 
unrubevollen Periode eine höchſt unerquidliche geweien, fo wurde 
fie es jeßt bei dieſen fortdauernden, meiſt geheim gehaltenen Ber: 
bandlungen für die nicht unmittelbar dabei betheiligten Geſandten 
noch in einem weit höheren Grade. Die Höfe verlangten, und 
zwar mit vollem Rechte, eine eingehende Weberficht der Vorgänge; 
dennoch war es fchwer, beinahe unmöglich, denfelben immer in 
befriedigender Weife zu folgen, und fo ftand zumeift unfere immer: 
fort angeftrengte Thätigkeit nicht im Verhältniffe zu dem Werthe 
oder der Wichtigkeit der einzuberichtenden Nachrichten. 





233 


Mit dem Abfchluffe der Konferenzen umd ihrem geringen 
Erfolge verband ſich jedoh damit nur ein mehr hiftorifches 
Intereſſe, und nachhaltigere Negociationen follten erft wieder ein 
Jahr fpäter aufgenommen werden. 

Reben den diplomatifhen Agenten erfchienen auch von Zeit 
zu Zeit Militärbevollmächtigte fremder Höfe, und während des 
Kriegs hielten fi) befonderd franzöflfche und engliiche Generale in 
Wien auf, welche mehr die Eigenihaft von Kommiſſären an⸗ 
nahmen, beftimmt, die Operationen der kak. Armee an der Donau 
wie an der polnifchen Grenze zu überwachen. Diefe Herren 
fanden bei der Gefellichaft wie dem größeren Publikum in ent 
ſchiedener Ungunft, und ald & bieß, daß fie den Feldzeugmeifter 
v. Heß bei feinen Corpsinſpektionen begleiten follten, wurden diefe 
unterlaffen, um nicht den allgemeinen Unwillen zu fleigern. In 
dem Grade, als die Nachrichten aus der Krim weniger befriedigend 
für die angreifenden Theile lauteten, um fo mehr erfalteten die 
Sympathien da, wo fie fi) früher noch gezeigt hatten. 

Den Seemächten kam jedoch unerwartet eine Verſtärkung 
ihrer Streitkräfte zu; nachdem fi ihrem modernen Kreuzzuge 
fhon der Auswurf aller Nationen in Geftalt der „Fremden⸗ 
legion“ angeichloffen hatte, erklärte nun auch Sardinien, für 
„Menſchenrechte, Aufflärung, Geſittung“ in die Schranken treten 
zu wollen, und fchiffte ein Meine Heer nad, der Krim ein. 
Die ganze Welt erftaunte über diefen „edlen, uneigennüßigen 
Aufihwung für das Wohl der bedrängten Türkei, und man 
mußte fich ihn anfangs nicht recht zu erflären. Doch fpäter, als 
das Heine Piemont, in der Eigenihaft einer Friegführenden Macht, 
als „Mitbefiegerin” Rußlands, fich das Recht anmaßte, an den 
Barifer Friedensunterhandlungen Theil zu nehmen, ald Cavour 
das große Wort im Sitzungsſaale führte, fi in glühendem Haſſe 
gegen Oeſterreich fogar mit den ruffiichen Diplomaten begegnete, 
da erfuhr man erft, melden großen Preis das Turiner Kabinet 





254 





auf feine „mächtige” Hülfe in der Krim geſetzt, und Menſchen 
wie Millionen, die man babei geopfert, denn doch nicht jo ganz 
fruchtlos verfchwendet wurden! 

Kaum war der fürdterlihe Winter auf dem Kriegsſchau— 
plate überftanden, ald auch ſchon wieder die Operationen begannen, 
und nad mit Waffenftillftänden abwechfelnden Gefechten ein erfolg 
loſes Bombardement Sebaftopol® (Anfang April) vorgenonınen 
wurde. Immer ſprach man von einer Reife Louis Rapoleons in 
die Krim, und lange Zeit hielt feine ermartete Ankunft in 
Wien alle Gemüther in Spannung. So fehlte e3 denn and 
während dieſes Yrübjahr? und Sommers nit an den mannig- 
faltigften Eindrüden, bis uns endli im September der Telegraph 
den Tall des Thurmes Malaloff, ſowie die Einnahme Sebaſtopols 
verfündete, das mehr einem Trümmerhaufen, als einer eroberten 
Stadt glih. Dagegen zogen die Ruſſen fiegreih in Kars en; 
fomit waren Anhaltspunkte zu einer frieblihen Beilegung des 
unfeligen Haders gegeben, und die Verhandlungen wurden mit 
erneutem Eifer wieder aufgenommen. 


In Ermangelung neuer anfregender Kriegsgerüchte beichäftigte 
man fi bis dorthin mit der großen Weltausftellung in Paris, 
die in Betracht der verwirrten politifhen Lage, des Darnieder⸗ 
liegens alles Handels, der vielen Banquerotte umb zunehmenden 
Berarnung als größtentheild verfehlt ericheinen mußte. Dennoch 
hatte Kaifer Napoleon die Genugthuung, die Königin Victoria im 
Paris zu begrüßen, welchen Beſuch er fobann mit Eugenien in 
London zurüdgab. 

In Deutfchland trug man fi zur Abwechſelung wieder 
einmal mit Bundesreformen, und Preußen hielt fich ſchmollend 
von den Verhandlungen der Oroßmaqhte fern, ſtets ſich „freie 
Hand“ vorbehaltend. 





‘235 





Der Kaifer von Oeſterreich hatte eine Reiſe zur Armee nach 
Galizien angetreten, und in Rom trafen, nachdem der Papft 
einer drohenden Lebensgefahr in St. Agneſe glüdlich entgangen, 
viele Biſchöfe der Tatholifchen Chriftenheit zu einer impofanten, 
berathenden Verſammlung ein. 


Im Suni wurde der biöherige k. k. Gefandte v. Philipps: 
berg von Karlsruhe abberufen, und der Fürft Alex. v. Schön 
burg an deifen Stelle ernannt. Diefe Wahl erfreute mich um 
fo mehr, als ich feit Jahren mit feiner geiftreichen, liebenswür⸗ 
digen Mutter, der Fürftin Louiſe, geb. Schwarzenberg, befreundet 
war, ihr Salon ſtets zu einem der angenehmften gehörte, die ich 
beſuchte. Schönburg vermählte fih, noch ehe er feinen Poften 
antrat, mit der Prinzeffin Caroline, der zweiten Tochter des 
Fürften Alex. v. Liehtenftein, und ich wohnte der Trauung, 
welche der Kardinal: Erzbifhof von Prag in dem herrlichen Palais 
vollzog, als Zeuge bei. 


Der Herzog W. v. Braunfchmeig und andere hohe Gäſte 
beiuchten wiederholt Wien. Es war da auch wieder nach längerer 
Zeit die alte Fürſtin Bagration erfchienen, die, einer den Pyra⸗ 
miden entfliegenen Mumte gleich, ihre Jugenderinnerungen aus 
der Congreßzeit auffrifhen wollte Ihr lebhafter Geift überwand 
die Förperlihen Schwächen, und in ein langes weißes, roſa oder 
blau feidenes Gewand gehüllt, fuchte fie alte Bekannte und Lieb: 
Yingsorte wieder auf. Es gehörte die nunmehr verftorbene Fürſtin 
jener Kaffe origineller Frauen an, welche jeßt immer mehr aus 
der Geſellſchaft verſchwinden. 

Eine lebensgefährliche Krankheit, welche den Prinzen Karl 
von Baden in feiner ungariſchen Garniſon befallen hatte, ver⸗ 
anlaßte defien Verbringung nah Wien, mo ber junge Herr 


236 


glücklicherweiſe unter der Behandlung geſchickter Aerzte, und der Tiebe- 
“vollen, brüderlichen Pflege des von Berlin berbeigeeilten Prinzen 
Wilhelm bald genas. 


Den 18. Auguft wurde der unter Dem Namen „Konkordat” 
zwifchen Oeſterreich und dem päpftlichen Stuhle abgefchloffene Staat: 
vertrag von dem Kardinale Viale und dem Wiener Fürft-Erzbifchofe 
Raufcyer unterzeichnet. Es follte diefe Uebereinkunft einem längſt 
gefühlten, dringenden Bedürfniffe abbelfen, das geſtörte Gleichgewicht 
zwifchen Kirche und Staat wieder dauernd herftellen, allen Zweifeln, 
Bedenken und Streitigfeiten für die Zukunft vorbeugen. Das Recht, 
einen ſolchen Vertrag einzugeben, war ebenfo fehr begründet, als 
der Wunſch, aus einem feit den Zeiten des Kaiſers Joſeph II. 
beftandenen proviforiihen Zuftande herauszutreten. Es Tonnte fich 
demnah nur um die Form handeln, in welcher der Abſchluß 
ftattfinden ſollte. Kaifer Franz, und mit ihm Fürſt Metternich, 
hatten fi), ungeachtet der fortwährend freundlichiten Beziehungen 
zu Nom, ſtets geweigert, ſich in beide Theile bindende Zufagen 
einzulafjen, und vorgezogen, jede einzelne Streitfrage im Vergleicha- 
wege zu enticheiden. Doch nun ſchien — bei der ſich allenthalben 
Träftiger entwidelnden Thätigfeit der Tatholifchen Kirche, wieder in 
den Beſitz ihrer lang verfümmerten Rechte zu gelangen — es 
geratben, daß ter erfte katholiſche Großſtaat, der einftige Schirm: 
vogt der Kirche, mit einer öffentlichen Urkunde bervortrete, und 
der Welt fein Verhältniß zum römifhen Stuhle klar vor Augen 
lege. Es erhoben ſich damals, nicht wie fpäter, Stimmen des 
Tadels über diefen Schritt, und das nur durdy die nachfolgenden 
traurigen Vorgänge veranlaßte Gelchrei gab ben Feinden der 
Kirche überhaupt noch einen weiteren willlommenen Vorwand, 
auch das ihnen verhaßte Defterreih mit giftigen Waffen anzu- 
greifen. Aber auch im Innern der Monarchie erhoben ſich Männer, 





237 


welche für patriotifh und „liberal“ gelten wollten, um Verwün⸗ 
fhungen gegen einen Vertrag zu fchleudern, der, wie jeber andere, 
Auslegungen und Berbefferungen unterworfen if. Ich bin über: 
zeugt, daß von Hundert ſolcher Eiferer faum Einer die 36 Artikel 
der Konvention gelefen, viel meniger geprüft, es genügte, daß 
man ih in Wien entichloß, nad 80 Jahren einmal auf foliderer 
Bafig als bisher, mit Rom zu verkehren, um über „Pfaffentrug, 
Rückkehr zu mittelalterlicher Finfternig, VBerdummung, Unterdrüdung 
Anderddenfender “ u. dgl. m. zu deflamiren. Iſt es Beichräntt: 

heit des Geiltes, ift es abfichtlih böſer Wille, welche dieſen 
Sturm gegen daB Konkordat Hervorriefen? Glaubt man im 
Ernte, daß wir dadurch, wie mit einem Sprunge, um Jahr⸗ 
hunderte zurüdverjegt würden, und traut man denn der fo hoch⸗ 
gepriefenen „Aufklärung, der tonangebenden „öffentlichen Wet: 
nung,” dem „Fortſchritte“ plöglich gar fo wenig Macht zu, um 
den Kuiferftant, an Händen und Füßen gebunden, dem Batican 
und feinen „Ränken“ zu überliefern? 

Haben fih einmal diefe nun body gehenden Wogen der 
leidenſchaftlichen Erbitterung und feindfeliger Gefinnungen gegen 
die Kirche gelegt, To merden befonnene Gemüther vielleicht die 
Trage aufwerten, ob es, ftatt die Verabredungen in Rom in 
einem Staatövertrage zu formuliren, e3 nicht vorzuziehen geweſen 
wäre, fih für die einzelnen Fälle auf die Erledigung im Wege 
gütliher Ausgleihung zu befchränfen? Selöft jeder Paragraph 
eined gejchriebenen Uebereinkommens ift wieder verfchiedener Deus: 
tungen fähig. Meberdieß bat der Papft die ihm anvertrauten, 
unveräußerlihen echte, als Depofiten, zu wahren, Tann daher 
nicht, wie weltlihe Fürſten, fich zu Zugeftändniffen berbeilaffen, 
um etwa damit augenblidliche Vortheile zu erlangen. Auf der 
anderen Seite war e3 auch für dad Wiener Kabinet nicht leicht, 
in fo allgemein bindender Weile Verpflichtungen einzugehen, welche 
mit der Zeit, und in ten fo vielfach geftalteten Kronländern 


288 


unberechenbaren Modificationen unterliegen Tonnten. Abgeſehen 
von diefen Rückſichten, wäre es auch vielleicht noch überdies 
erwünſcht geweſen, den Gegnern der Kirche wie Oeſterreichs jeden 
Borwand zu ſolchen Verbächtigungen zu nehmen, und namentlich 
den Vorwurf zu befeitigen, daß man fih Deutihland entfrembe? 

Eine „Reviſion“ des Concordats fteht, wie wir hören, in 
Ausficht, und Defterreih wird, bei allen Aufhehungen der Tag⸗ 
hlätter und der unverftändigen Anſchauungen einer übelberatkenen 
Menge, die Vortheile fih nicht entwinden lafien, weldhe ein 
geregelter Zuftand auf dem kirchlichen Gebiete, im Intereſſe des 
inneren Friedens, mie des materiellen Gedeibend, jedem Staate 
verbeißt ! 


Der peinlihen Ungewißheit machte endlich eine telegraphiſche 
Deyelhe aus St. Beteröburg ein Ende, welche und am Abende 
des 16. Januar 1856 überraſchte. Der Kaifer Alerander weilligte 
in die von der Wiener Konferenz vorgefchlagenen Buntte; es follte 
vorläufig ein Waffenſtillſtand eintreten und alle weiteren Friedens⸗ 
bedingungen auf einem demnächſt in Paris zuiammentretenden 
Kongreffe verabredet und beitimmt werden. Die Freude über dieſe 
unerwartete Wendung war um fo größer und ungetheilter, als 
der unbeilvolle Kampf im ſchwarzen Meere wie ein Alp auf allen 
Theilen gedrüdt hatte, und man wußte es dem ruffiichen Hofe 
um fo mehr zu Dank, ohne zwingende Notbinendigkeit fo viel 
edelmütbige Mäßigung gezeigt zu haben. Schon in der Mitte 
Tebruar reifte Graf Buol nad Paris ab, und es trat nun nad) 
jo audauernder Bewegung twieder einige Stille in dem öffentlichen 
Leben Wiens ein, Nur dur die Sikungen einer Kommiſſion 
der deutihen Bundesſtaaten zur Regulirung de? Münz weſens 
wurden wir zeitweife in Anfprucd genommen. 

Am Jahrestage des Einzugs der Alltirten in Paris (30. März) 





239 





wurde der Tängfierfehnte Triedendvertrag abgeſchloſſen, dem 
jedoeh ſchon am 15. April eine feine Beſtimmungen theilmeife 
läbmende Separatlonvention nachhinkte. Man mußte fi) dabei 
geftehen, daß offenbar die Opfer an Menſchenleben und Gelb, 
welche während diefer drei Jahre gebracht wurden, nicht im Ber: 
hältniß zu dem Refultate des Krieges ftanden, ſelbſt dieſe aber 
noch immer nicht hoch genug hätten angefchlagen werden Fünnen, 
wenn, wie man, jedoch leider vergebens, hoffte, eine Weberein- 
ſtimmung zwiſchen den Großmächten erzielt, das erfchütterte Gleich 
gewicht durch naturgemäße Allianzen wieder bergeftellt und ver 
Allem dahin getrachtet worden wäre, wenn micht völlig zu ent- 
wafinen, doch den alle Staaten aufzehrenden hohen Stand ber 
Heere zu vermindern. Statt dieſes erträumten Ergebnifles find 
vielmehr fo unnatürliche Verhältniſſe bis auf's Aeußerite hinauf 
geſchraubt, und noch immer ift Fein Ende abzufehen! 

Mehr als der revolutionäre Geift werden daher die jährlich 
wachienden Finanzyerlegenheiten die Stanten allmälig zu Grumde 
sichten und notbgedrungen einen ganz neuen Zuflend der Dinge 
berbeiführen müſſen! 


Der ungemein kurze Karneval 1856 wurde dennoch nicht 
gehörig benutzt; es fanden zwar die herkommlichen Bälle ftatt, 
die fi mit jedem Jahre durch jene großartigen Tanzfefte ver: 
mehrten, welche die Stadt, die Studenten einzelner Fakultäten, die 
Techniter und verjchiedene Körperſchaften gaben; aber der Drud 
der Zeiten, dazu der abfcheuliche Typhus, der gemöhnliche Nach⸗ 
zügler der Cholera, Tiefen feine ungeträbte Freude auflommen. 
Doch laum waren wieder Friedendausfichten erdfinet, fo verbreitete 
fi) eine andere Krankheit — das GSpekulationdfieber, und im 
Gefolge der Eifenbahn- und anderer Verträge zogen auch ber 
Credit mobilier, Aftienunternehmen aller Art ein. Eine rege 


240 


Thätigfeit trat an die Stelle des früheren behaglichen Sichgehen- 
laſſens, und Hatte diefer Aufſchwung, beſonders für die zweck 
mäßigere Benützung der reichen Reffourcen Oeſterreichs, mandyes 
erfreuliche Nefultat, jo mußte man denn auch die unvermeidlichen 
Nachtheile und Schaden hinnehmen. Was jedod von franzöfifcher 
Seite in diefer Beziehung ausging, ftand bei der Wiener Berölfe 
rung in entfchiedener Ungunft. 

Dad größte Ereigniß in der dramatifhen Kunftiwelt war 
die Erſcheinung der gefeierten Niftori, die, in Begleitung einer 
mittelmäßigen Geſellſchaft, durch ihr ruhiges, Maffifches Spiel, ihre 
edlen Stellungen und ein herrliches Organ aud hier, wie es ein 
fo ungewöhnliches Talent allentbalben muß, wahrhaft entzüdte. 

In Prag feierte Ende Februar Kaifer Ferdinand die filberne 
Hochzeit. Sie wurde auf dem Hradſchin feſtlich begangen, und 
in einem lebenden Bilde ftellten 25 Damen ebenfo viele Blumen 
vor, welche die Zahl der Ehejahre bedeuten follten. Freilih waren 
diefelben für das erlauchte Kaiferpaar nicht alle blumenreih; für 
das Jahr 1848 zumal hätte ich die „Rofe von Jericho“ vorge 
Ihlagen, welche befanntlih, wenn fie ſich entfaltet, eine Dornen: 
krone bildet. 


In diefer Zeit fand, die weiteren Verabredungen über bie 
Ausführung des Konkordat3 zu treffen, eine Berfammlung beinahe 
aller Bifhdfe der Monardie in Wien ftatt,*) und es war ein 
Impofanter Anblick, diefe Kirchenfürften, vier Kardinäle am der 
Spige, bei der Frohnleichnamsprozeſfion oder der feierlidden Ein: 
weihung der „Votivlirche“ in Tangem Zuge und mit den glänzenden 
Zeichen ihrer Würde geſchmückt, einherfchreiten zu ſehen! Diele 
berfelben, an ihrer Tracht kennbar, befannten ſich zum griechiſch⸗ 
anirten Ritus. 


*) Erinnerungsbl. S. 108. 





241 


Der englifhe Hof hatte den Lord Weflmoreland abberufen 
und dafür Sir Hamilton Seymour in Wien ernannt, welcher 
jedoch auch nicht Tange blieb. Wer den beicheidenen, auch dem 
Aeußeren nach unanfehnliden Dann ſah, konnte nicht vermutben, 
daß dieler feine Diplomat es war, welcher jene berühmt gewordene 
Unterredung mit dem Saifer Nikolaus hatte, die als. wichtige 
„Enthüllungen“ der ruſſiſchen Politik fpäter im Parlament zur 
Sprade kam. Man konnte es in St. Peteröburg dieſem eng: 
liſchen Gefandten nie vergeflen, daß er jene vertraulichen, nur an 
ihn perfönlich gerichteten Mittheilungen des Czaaren an fein Kabinet 
berichtet; um fo dankbarer war man ihm in Wien daflr. Sn 
der That konnte man aber Sir Hamilton Seymour in diefem 
Talle keinen Vorwurf daraus machen, daß er den Privatmann 
niht von dem Diplomaten zu trennen mußte, denn welde Ber: 
antwortung würde ihn feinem Hofe gegenüber getroffen haben, 
hätte er über jenen dentwürdigen Vorgang gefchwiegen? Es war 
Sache des brittifchen Minifteriums, zu erwägen, ob eine Ber: 
öffentlihung jener geheimen Depeſche paflend, ob es Zumal, da fie 
das Geſpräch eines befreundeten Monarchen betraf, zart war, fie 
der allgemeinen Beurtheilung preis zu geben? Freilich, als der 
Krieg einmal audgebrochen, war man in der Wahl der dafür anzu: 
gebenden Gründe nicht mehr heikel und benübte jene unbebachten 
Worte des Kaiſers als willlommenen Vorwand, ihn aud noch 
überdied mit Defterreich zu entzweien. 

Sir Hamilton Seymour erwies fih in Wien ald ein ebenfo 
angenehmer als begabter Geſchäftsmann mit den beiten Formen, 
weder jene befchränkte Eingenommenheit, noch die fchroffe Haltung 
zeigend, welche den englifchen Diplomaten öfters eigen ift. 

Erzherzog Ferdinand Mar beiuhte im Laufe des Früh 
jahrs den kaiſerlichen Hof in Paris. 


Frh. v. Andlam. Den Taghuq. IL 16 


242 


Der Wiener Boden war bekanntlich dem Gedeihen der 
bildenden Künfte nie fonderlih hold. In der neueſten Zeit 
waren ed jedoch die Arditeltur und Skulptur, welche man zu 
fördern ſuchte. Die Neubauten folgten meiftend der Richtung der 
Periode; es entitanden mehrere, zum Theil fehr fchöne Kirchen und 
Kapellen; ältere wurden wieder bergeftellt, und da kam denn der 
Dom zu St. Stephan, der einer Reftauration am meiften be 
durfte, zuerit an die Reihe. Nicht minder lebhaft wurden die 
militärifchen Bauten betrieben: Baftionen, Kafernen, Thürme, Reit: 
ſchulen entftanden auf allen Punkten, und wahrhaft großartig iſt 
dad feit 1849 begonnene und ‚nahezu vollendete Arſenal nächft 
dem Belvedere. Es ift damit ein ArtillerieeMufeum, eine Samm: 
lung alter Waffen, Rüftungen und biftoriiger Merkwürdigkeiten 
verbunden; finnreiche Fresken ſchmücken die Wände, und daB ganze 
feftungartige Gebäude nimmt ſich mit feinen gothifchen Verzierungen 
und der fchönen Kapelle mit dem berühmten Muttergottesbilde der 
Dftobertage fehr ftattlih aus. — Nun feitdem fi Die innere 
Stadt mit den Glacis und Vorftädten verfchmolzen, ift der Bau: 
luſt ein weites Feld eröffnet, den Architekten eine reihe Ernte 
gelichert. 

Auch die Bildhauer wurden mehr als fonft befchäftigt. Einige 
Monumente, wie daB des Erzberzogs Karl Son Fernkorn, ent: 
ftanden, und einzelne Runftfreunde beftellten Gemälde und Marmor: 
gruppen. Im Ganzen gab fi ein regered Leben auf dieſem 
Gebiete Fund, wenn die fruchtbare Tätigkeit auch noch Tange 
nicht Die Höhe wie in anderen, jelbit kleineren Städten, 3. 8. 
München, erreichte. 

Eine Anftalt, um melde aber jeder Ort Wien beneiben 
Tönnte, ift die ka k. Staatsdruckerei, und es genügt, died unter 
der umfichtigen Leitung des ebenfo befcheibenen als genialen Direktors 
dv. Auer zu feltener Vollkommenheit gelangte. Inftitut zu nennen, 
da es beinahe auf dem ganzen Erdfreife rühmlichſt bekannt iſt. 





243 


Nicht minder verdienftlic und die Wiffenfchaft fördernd iſt die 
geologifche Reihdanftalt mit vortrefflichen Lehrern und anziehenden 
Sammlungen. Ihre Forſchungen wie ihre Arbeiten find gleich 
geichägt. 

Endlich muß ih noch unter den vielen, zum Theil blühenden 
Fabriken jener des betriebſamen F. Wertheim erwähnen, der 
außer der Pflege vieler Anduftriezweige, aud Die ausgezeichneten 
„feuerfeften Kaſſen“ verfertigt. 


Eine Minifterialveränderung — Anfangs Mai — in Karld- 
ruhe wirkte auch auf meine Rage zurüd. Ich wurde, unter Ver: 
fehung in den Rubeftand, von Wien abberufen und der erledigte 
Geſandtſchaftspoſten dem abtreienden Staatäminifter Frhrn. v. Rübdt- 
Eollenberg verliehen. 

Mit meiner Entfernung von Wien trat auch zugleih ein 
Abſchnitt für die Geſchichte der öſterreichiſchen Politik ein; die 
Jahre der Leiden und Prüfungen fchienen zurüdgelegt; man 
athmete freier, und eine rafchere, ungehindertere Entwidlung der 
inneren Organifation, beſonders der Finanzzuftände, ließ ſich mit 
vollem Grunde erwarten. Rod) machte fi) nicht jene Unzufrieden: 
beit mit der Verwaltung des Minifteriums der drei B. (Buol, 
Bad, Bruck), wie man ed nannte, geltend; noch trat nicht Die 
DOppofitiondluft hervor, wie fie ſich drei Jahre fpäter, nad er: 
littenem Ungemache, zeigte. Ich verließ daher Wien mit ber 
Ueberzeugung, — und ich theilte fie mit Tauſenden — daß die 
Zeit der Uebergänge vorüber und die Dinge in Oefterreich einen 
naturgemäßen Lauf nehmen, Ruhe und gejeblich geregelte Zuftände 
allmälig wiederfehren würden. Es ſollte nicht fo fein! und mas 
bisher fich ereignete, waren auch nur ebenfo viele Verfuche, Phaſen 
und Strebungen, um zum gewünschten Ziele zu gelangen. Was 
aber Unverftand oder abfichtlih böfer Wille auch immer zum 

16* 








244 


Untergange des Kaiſerſtaates herbeigeführt Haben mögen, bie ihm 
innewohnende innere, auf jeine providentielle Beitimmung gegründete 
Macht wird die Monardie auch jetzt, wie aus früheren, noch weit 
drohenderen Gefahren, erretten! Es fällt mir dabei eine Damals 
viel beflatfchte Rolle au dem Drama eines Bollsdichter ein, 
welcher ſich in fchlichter Weile den Staat in folgendem Bilde auf 
fefter Grundlage dadıte: 

„Der ganze Staat ift wie ein fhöner, großer Baum. Obenauf, 
dem Himmel zunächſt, die Krone im hellen Sonneniheine. Die 
ſtarken Aeſte, welche Stürmen und Bliken troßen, fie find die 
Armee; die Blüthe am Baume ift der Abel; die grünen Zweige 
find die Gelehrten und Denker, die Iuftigen Vögel, die darin 
fingen, Dichter und Künftler. Die goldenen Früchte am Baume 
aber bedeuten die Männer der Anduftrie und de Handels. Tief 
unten, unbekannt, mit Erbe bededt ift die Wurzel des Baumes, 
ſtark und rauh, unfcheinbar und ſchmucklos, aber dennoch die Baſis, 
auf welcher der ganze Baum ruht: diefe Wurzel beißt im Staate 
das Volt! Doch die Wurzel wäre zu fief, die Krone zu bad, 
wäre nicht etwas dazwifchen, und dieß ift bei dem Baum der Stamm 
in feiner fchlichten, rauen Rinde: der Bürgerö-, Bauerd- und 
Handwerksmann in feinem einfachen grauen Rode. IH das Marl 
des Baumes gefund, d. h. das Herz des Bürgers, fo wie es fein 
fol, dann nagt vergebend bösartige Gewürm an der Wurzel, 
dann fauft vergeben? der Sturm durdy die Aeſte — der Stamm 
in feinem unanfehnlihen Gewande Hält Stand, die Wurzel mit 
der Krone zufammen; die faugenden Giftſchwämme an der Wurzel, 
die freffenden Pilfe am Stamm, die kriechenden Schmaroberpflanzen 
nach Oben, man kennt fie, fie Finnen dann nicht mehr jchaden, 
man veißt fie aus und wirft fie in’3 Teuer! 

„Do auch noch etwas mehr ald Bürgertreue gehört zum 
Gedeihen des Baumes: es ift außerhalb derfelben der erquidende Thau, 
der das Erdreich befeuchtende Regen — der Segen bed Himmels! * 








245 





Nachdem ich, wie alljährlich, das Geburtsfeft des Fürften 
Metternihd — dad 83. — zum lebten Male auf dem Nenn: 
wege mitgefeiert, wohnte ich auch noch einige Tage vor meiner 
Abreife der Vermählung feines älteften Sohnes Richard — zum 
k. k. Gefandten nach Dresden ernannt — bei. Sie fand durch 
den Kardinal Viale im Nuntiaturgebäude ftatt. Außer der Familie 
hatten fi noch die Fürſten Eſterhazy, Karl Lichtenſtein, Taris 
und Trautmannsdorf, die Grafen M. Eſterhazy, Almafiy, 8. 
Zichy, Wrbna, Grünne, Buol, Kufftein, Feſtities, Zapary, die 
Fürſtinnen EI. Schwarzenberg und M. Lobkowitz, die Gefandten 
Könnerik und Lenzoni, die Herren v. Berliingen, Hummlauer, 
Maeshengen, Bigeleben, Pilat, Roger von Aldenburg, Montenegro 
u. U. eingefunden. 

Endlih am 29. Juni hatte ich noch mit dem diplomatifchen 
Corp eine Audienz bei dem Sönig Otto von Griechenland, 
welcher im Palais ſeines Schwagers, des Erzherzog: Albrecht, 
abgeftiegen war — es war dieß mein letter Gang in offizieller 
Stellung! 

Den 6. Juli führte mid die Nordbahn gerade in dem 
Augenblide von Wien — wohl für's Leben — fort, als wieber- 
bolt KRanonendonner der Stadt die Niederfunft der Kaiferin mit 
einer Tochter — der Erzherzogin Giſela — verkündete! 


246 


Bünfzehnter Abſchnitt. 


IL LOL ——⸗ 


(1856 — 18?.) 


Inhalt: Ruheſtand. Neue Beihäftigungen. Reifen. Ehe. Betrad- 
tungen über die Zeitereigniffe. Tod bed Großherzogs Lubwig II. 
von Baben und ber Herzogin Helene von Orleans, Der Krieg in 
Dberitaltien. Die Klucht der Fürften. Die Schlachten unb ber Friede 
von Villa⸗Franca. Mbleben bes Fürften Metternid. Reſſelrode. 
Deutfhland, Frankreich und Italien währen ber Sabre 1860 
und 1861. Defterreih und Preußen. Der Papſt und die Kirche. 
Die Nationalitäten. Amerita Konftanz Der Bodenſee unb bie 
öftlihe Schweiz. St. Gallen und bie beiden Appenzell. Züri, 
Das große Schligenfeft und ber Gefanbtentongrek (1859). Die Herzogin 
von Parma. Graf Eollorebo, Maria: Einficdeln. Die Gidgenofienicheft. 
Zwei Winter in Straßburg; Phyfiognomie dieſer Stadt; Domprebigten 
und fromme Vereine. Ableben bes Markgrafen Wilhelm unb ber Groß 
bergogin Stephanie von Baden. Vorgänge in Defterreid. Die 
drei Selbſtmorde Baden: Baben. Louis NRapoleon und kie 
beutfhen Fürften (Juni 1860). Die Univerfitäts-Secularfeier in Bafel. 
Wohnſitz in Baden-Baden. Bekannte. Die Saiſon von 1861. Attentat 
auf ben König von Preußen. Allgemeine Lebensanſichten. Betrach⸗ 
tungen über Literatur, ſchöne Künfte u, f. w. Die neuen Zeichen ber 
Zeit, Schluß. 


Il passato non é , ma se lo finge la vana simembranza, 
Il füturo non 6, ma se la pinge lindomita speranza; 
ll presoute non 6, ma in un baleno 

Passa del nullo in seno, 

Dunque la vita d appunto 

Una memoria, uns Speranza, un punto. 


Fin Geſchäftsleben, reich an Zerſtreuungen aller Art, von 
unftätem Umbertreiben begleitet, lag nun hinter mir! Es trat jebt, 
nah 30 Jahren, eine Zeit der Ruhe wie der Einkehr in mein 
Inneres ein. So ſchwer ed mir auch Anfangs fiel, mi an die 


247 


unfreiwillige Muße, an die Einförmigkeit der Alltagswelt zu ge 

wöhnen, fo war in der fireng eingehaltenen Eintheilung meiner 
Stunden doch wieder bald das nöthige Gleichgewicht gefunden. 
Ich hatte jo Manches zu ordnen, zu überfehen, fo umfaffendes 
Material im Gedächtniß wie mit der Feder zu verarbeiten, daß 
die felbft gewählte Richtung des Wirkens und Schaffens mic, 
zulebt mehr anſprach, als die nach gewillen Tsormen und beftimmten 
Weifungen geleiteten früheren Beruföpflichten. 

Zudem batte ich mir eine ftille Häuslichkeit gegründet, mid) 
aud Neigung, na eigener Wahl vermählt, und auf die frage: 
weßhalb ich denn nicht lieber dem Rathe, „früh zu freien“, gefolgt, 
fann ich eben nur mit einem anderen Sprüchworte antworten: 
„daß die Ehen An Himmel geſchloſſen werden!” Die Trauung 
fand auf der Tieblichen Inſel „Reichenau“ im Bodenſee ftatt. 

Eine andere, nicht minder ſchwer zu löſende Lebensaufgabe 
betraf die Wahl eines Fünftigen, vorausfihtlih für die mir noch 
übrigen Tage beitimmten Aufenthaltsortes. So lange uns Rüd- 
fihten, Anftellung, Familien⸗ oder Vermödgendverbältniffe an irgend 
einen Wohnſitz fefleln, fehnen wir uns aud wohl manchmal nad) 
anderen Himmelögegenden, aber Pflicht, Vernunftgründe wie Ge 
wohnheit oder Nothiwendigleit gebieten und, jene Negungen zu 
unterdrüden, und zu berubigen. Liegt es jedoch in unjerem Willen, 
frei und unabhängig unferen Aufenthalt, natürlich immer innerhalb 
gewiffer Grenzen, irgendwo nad) eigenem Gutdünken zu nehmen, 
mehren fich Zweifel und Bedenken mit jedem Tage. Der Wander: 
finn, die Luft nach Veränderungen fpiegelt und beftändig vor, daß 
8 an diefem oder jenem Punkte wohl bequemer, wohlfeilet fei, 
unfer Geſchmack wie unfere Bedürfniffe leichter befriedigt würden 
u. dgl. m. Wir ſchwanken daher beftändig in der Wahl, bis 
wir dem Hang, Vergleihungspunfte zwiſchen den einzelnen Städten 
aufzufinden, entfagt und mit dem wiebererlangten bebaglichen Ge 
fühle des „„home‘‘ erft die gehörige Ruhe gewonnen haben. 


28 


Nachdem ich über Brag, Dresden und Frankfurt nah Karls⸗ 
rube zurüdgefehrt war, mo ih Herrn v. Meyſenbug — ben 
fiebenten feit meiner Dienftzeit — als Staatdminifter des 
großberzoglichen Hauſes umd der auswärtigen Angelegenbeiten 
traf, brachte ich den Sommer bei weinen Geſchwiſtern auf dem 
Lande zu. 

Während der weiteren Jahre war ich zwei Winter in Straß: 
burg, zwei Winter in Konftanz und der Schweiz; die Sommer: 
zeit verlebte ich theils am Bodenfee, theild in Appenzell ober 
Zürid. Im Herbſte 1860 entihloß ich mich, vorläufig einen 
feften Aufenthalt in Baden-Baden zu nehmen, wo ich feither 
unausgeſetzt verweilte. 

Um feine Rüde in der nun einmal begonnenen Erzählung 
zu laſſen, babe ich voritehende, an fi) unbedeutende Umſtände 
erwähnt; aus demfelben Grunde werde ich den freundlichen Leſern 
welche mir bisher auf dem von mir gezeichneten Lebenslaufe 
gefolgt, noch die Eindrüde und Vorgänge während diefes letzten 
Adfchnittes ſchildern, deſſen muthmaßlichen Schluß id — Der 
göttlichen Fügung anheimftellend — nur mit einem Fragezeichen 
andeuten Tonnte. 

Es zerfallen fomit Ddiefe Aufzeichnungen wieder in drei 
Antheilungen. Die erfte fol, wie bisher, die Tagesereigniffe an 
unferen Blicken chronologifh vorüberziehen Iaffen; die zweite 
perfönliche Eindrüde auf Reifen, über Literatur und Lebensfragen 
umfaflen; die dritte endlich mit allgemeinen Betrachtungen ſchließen. 


So wenig es mir in meiner Stellung auch früher vergännt 
war, unmittelbar an den politifhen Fragen Theil zu nehmen, 
rathend oder thätig einzugreifen, in um fo minderem Grade formte 
fi jet meine Wirkfamkeit in diefer Beziehung entwideln, und 
ih mußte mich immer mehr auf die Rolle eines ftillen Beobachters 


249 


beichränfen, aber eined Beobachters, weldyer die Begebenheiten mit 
ungetheiltem, lebhaftem Intereſſe verfolgte. War mir doch im 
Laufe der Zeit Manches von dem politifchen Couliſſenſpiele bekannt 
geworden, war ich doch mit den meiften der jebigen Leiter der 
Geſchäfte in den europätfchen Staaten felbft in nähere Berührung 
gefommen, und die Mehrzahl der deutichen Miniſter der aus⸗ 
wärtigen Angelegenheiten zähle ich zu meinen einftigen Kollegen. 

Es gewährt mir demnach einen Genuß ganz eigener Art, 
die Vorgänge gleichſam wie auf einer Bühne beobachten zu Fönnen, 
die Handlungen der Machthaber mit ihren mir befannten Perfön- 
lichkeiten zu vergleichen, aus der Vergangenheit Schlüffe auf die 
mögliche Geftaltung der Zukunft zu ziehen. Ich nehme befhalb 
täglidy über ein Dutzend Blätter aller Farben und verfchiedener 
Länder zur Hand, nicht ſowohl Neuigkeiten daraus zu erſehen, als 
vielmehr mir ein Geſammibild des jemeiligen politifhen Zuſtandes 
zu entwerfen und mitten durd das fich täglih mehr zuſammen⸗ 
ziehende Lügengewebe der Wahrheit nachzuſpüren. Wenn auch alle 
diefe Wahrnehmungen gewöhnlich nicht erfreuliher Natur find, 
wenn gar viele Schritte der Regierungen mit meiner eigenen 
Deberzeugung, meinen Wünfchen nicht zufammenfallen, fo weiß ich 
doch nur zu wohl, daß die Führung der Politik im Großen wie 
im Kleinen, mehr als Alles in der Welt, den Stempel der Unvoll- 
kommenheit an fich trägt, daß da menjchliche Leidenfchaften, dort 
Lit und Betrug, bier wieder die Macht der Stärkeren den Aus- 
fchlag geben, und nur der Staatsmann offenbar fehlt, welcher 
freventlih die unveränderlichen, göttlichen Geſetze verlekt. 

Das Jahr 1856, welches ung mit dem Barifer Frieden 
eine rubigere Zeit erwarten ließ, follte doch nicht ohne einige Heine 
Reibungen vorübergehen. Erſtaunt fah die Welt Rußland, ſich 
immer mehr von Oeſterreich abwendend, fogar Sardinien die Hand 
zur Ausföhnung bieten, Sardinien, welches fidh doch in fo unglaub- 
licher, unbefugter Weiſe an dem Krimkriege betheiligt hatte! 


230 


Ebenſo brach ganz unerwartet ein Konflikt in der Schweiz 
aus, und mit Mühe konnten die ſchon zum Kampfe bereiten 
Preußen und Cidgenofien auseinander gehalten werden. Nach 
langen, unerquidlidhen Verhandlungen verlor Preußen ein Tchönes 
Stüd Land, ohne auch nur einen Bortheil irgend einer Art dagegen 
auszutaujchen. 

Ein ungemein erfreuliches Ereignig fand in Baden ftatt; 
Prinz Friedrih, dem biöherigen Titel eined „Regenten“ ent- 
fagend, nahm die großherzogliche Würde, die er feit vier Jahren 
in ber That ausübte, nun auch der Benennung nah an, und 
wurde den 20. September zu Berlin mit der Tiebliden Prinzeſſin 
Zouife von Preußen getraut. Viele Feſte, der Befuh der Städte 
des Landes verbanden fich, von herzlichen Jubel und Glückwünſchen 
begleitet, mit diefer Feier. In kurzen Zwiſchenräunen folgten 
dann die Vermählungen der beiden jüngeren badiichen Prinzelfinnen 
— Marie mit Fürſten E. v. Leiningen, Cäcilie mit dem 
Großfürſten Michael von Rußland. 

Karlsruhe felbft aber hatte fi durch die wohlwollende Für- 
forge des jungen Großherzogs fichtbar gehoben; es verſchönerte 
fich die Stadt, es belebten fi, ihre Straßen immer mehr durch 
Handel, Fabriken und Fremdenzug, und auch die Sunftanftalten 
gewannen. Neben vielen neuen Gebäuden erhoben fih audy bie 
großartigen Pflanzenhäufer, ein wahrer Palaft Flora's. In ihren 
berrlihen Räumen ſah man viele gelungene Feſte; die bdeutfchen 
Naturforſcher, welche in einem der letzten Jahre ihre, ich weiß 
nicht mehr wievielte, Zuſammenkunft darin hielten, fanden fich 
wohl felten in fo duftend blühender Umgebung. Die Wände des 
Rondelſaals find mit den Wappen jener Städte geziert, in denen 
die Berfammlung ſchon getagt. 

Während des verhältnißmäßig ruhigen Laufe des Jahres 
1857 traten Doc die Nachwirkungen der orientalifchen Kriſe in 
den Unruhen Syriens, in den VBerwidlungen mit Perfien entichieden 





251 

bervor, und auch in Stalien zeigten ſich in immer fchärferen 
Umriffen und Gegenfäten die Symptome Fünftiger, rubeitörender 
Konflikte. 

Raifer Alerander II, welcher fih ſchon bald nad dem 
Friedenzichluffe in Moskau Hatte Trönen laflen, traf nun im 
September 1857 mit Napoleon III. zu Stuttgart, mit den Kaifer 
von Defterreid, in Weimar zufanımen. Es lag bier nahe, daß 
man fid) allgemein der freudigen Erwartung bingab, die für alle 
Staaten fo ungemein drüdende Heeredlaft vermindert, die jährlichen 
Defizit3 und Anlehen verichwinden, die Budget? wieder geregelt 
zu ſehen — da plabten eines Abends die Bomben Orfini’3 und 
ertönten nit nur in der Rue Lepelletier, fie ballten auch 
furchtbar in ganz Europa wider. Es bereitete fi nun wieder: 
holt, und zwar diegmal im Bunde mit der Revolution, ein Ver: 
nichtungskampf vor, deſſen erite dee in der gebeimmnißvollen 
Beſprechung von Plombiéres angeregt wurde. 

Das Jahr 1858 ging darüber hin, und mährend die meiſten 
Staaten fi bemühten, ihre inneren Angelegenheiten zu ordnen, 
zu entwafinen, Rußland fogar eine ganz neue Bahn. durd) die 
Bauernemanzipation betrat, ſah man nicht ohne eine mit Miß- 
- trauen gemifchte Spannung auf die Nüftungen des neuen weftlichen 
Kaiferreichd zu Land wie zur See. 

England wurde aber von einer Geißel heimgefucht, die ſich 
fchon früher, aber noch nie in einem fo Entſetzen erregenden 
Grade gezeigt, wie dießmal — von einer blutigen Empörung der 
unterdrüdten Stämme in Oſtindien, als Wiedervergeltung für 
jahrelange Grauſamkeiten und Quälereien. Auch in diefem grauen- 
vol bintigen Racenkriege entging England noch glädlid, der 
drohenden Gefahr, und eine über jene Borgänge aufgellärte Ges 
ſchichte wird die Mittel, welche zur Beleitigung des Aufftandes 
angewendet wurden, nicht im Einklange finden mit den beuchleriichen 
Klagen, melde das brittiſche Kabinet anftimmt, wenn andere 


252 





Füriten, felbft in weit geringerem Grade von ihren Waffen 
Gebrauch machend, rebellifchen Angriffen entgegentreten. 

An gleiher Weile war das uralte chineſiſche Reich in 
feinen Orundfeften erfchüttert, und immer mehr wurde die durch 
löcherte Dauer von Äußeren Teinden umzingelt und bedroßt, 
während im Innern felbft fi genug Elemente der Zerftörung 
bäuften. 

Der muthmaßlich einftige Thronerbe Preußens hatte ſich mit 
der Prinzeffin Victoria von England vermählt, die Geſundheit 
des Königs Friedrich Wilhelm IV. aber, ſchon oft Schwankungen 
bingegeben, ſich fo bedeutend verfchlimmert, daß die längft be: 
ſprochene Regentſchaft des Prinzen von Preußen endlich eintreten 
mußte. Mit diefer Menderung war auch Miniſterwechſel, der 
Anfang einer „neuen politifchen Aera“, verbunden. 


Der 22. Januar 1858 mar der Tag, welcher den Groß- 
berzog Rudwig II. von Baden im 34. Sabre von feinen unfüg- 
lichen, fo lange andauernden Leiden befreite; fein edler Charalter, 
die geduldige Ergebung, mit der er unverſchuldetes Ungemach 
ertrug, machten diefen Verluſt für die großberzogliche Familie noch 
ſchmerzlicher. Der junge Prinz hatte des Lebens bitterjten Kelch 
geleert, ehe er nur die lichte Seite defjelben kennen gelernt! Friede 
der Alche dem chriftlich ſtarken Dulder! 


Einige Monate fpäter überrafchte die Nachricht, daß die 
Herzogin Helene von Orleans auf dem Lande in England an 
den Folgen der Grippe plötzlich verichieden fe. Die Gefühle 
wehmüthiger Theilnahme über das Hinſcheiden einer fo vielge⸗ 
prüften fürftlihen Frau waren mohl allgemein. Gar viele Be 
trachtungen anderer Art knüpften fi an diefen QTodesfal. Es 
war kaum mehr als ein Menfchenalter verfloflen, während dem 
drei Föniglihe Frauen, die Kaiferin Marie Louiſe, bie beiden 
Wittwen Berry und Orleans, mit den drei Thronerben, ihren 


258 


Söhnen, Frankreich für immer fliehen mußten. Welche von den 
genannten Fürſtinnen ihre Aufgabe am würdigſten erfaßt, ihre 
Mutterpflichten am gemwifienhafteften erfüllt, darüber haben ſchon 
die Zeitgenoifen entichieden, und die Nachwelt wird ihr Urtheil 
ſicherlich beftätigen. 

Ich ſah die Herzogin Helene zwar öfters Abends in den 
Zuilerien, doch immer auf furze Zeit, während der mir nur ver: 
gönnt war, einige Worte mit ihr zu wechſeln. Wach 8 Uhr 
verließ fie regelmäßig den Salon, um, wie eine ächte deutſche 
Hausfrau, mit ihren Kindern zu beten und fie zu Bette zu bringen. 
Sie’ lebte überhaupt fehr zurüdgezogen; nie ſah man fie bei Hof 
feften, nie erichien fie in Gefellichaften, im Theater oder bei Volks: 
beluftigungen. Nur mit der Erinnerung an ihren verunglüdten 
Gatten beichäftigt, widmete fie ſich treu, aufopfernd, erfolgreid, ber 
forgfältigen Erziehung ihrer beiden Söhne. Im Pamilienkreife 
allein verbrachte fie no bie und da frohe Stunden. Ebenſo 
einfach lebte die Herzogin auf den grünen Hügeln von Richmond 
oder in jener ftillen deutichen Stadt, deren Straßen auch ſchon 
vor Jahrhunderten eine fürftlihe Wittwe trauernd und hüljlos 
durchzog. Allenthalben erwies man dem wohlthätigen Sinne, 
der Seelenſtärke, dem lebhaften Pflichtgefühle der Dahingefchiedenen 
die höchſte Achtung. In welch' peinlihem Kontrafte ſteht die 
Beichreibung der Empfangsfeierlichkeiten bei ihrer VBermählung 
im Jahre 1837 mit der furdhtbaren Scene, welder fie in den 
legten Stunden ihres Barifer Aufenthaltes beitvohnte! Bewunderungs- 
würdig war der Muth, mit dem Die Herzogin, nur einer beiligen 
Pflicht eingedent, an dem unheilvollen 24. Februar 1848 in bie 
von politiichen Leidenfchaften tief aufgewühlte Kammer trat! Wenn 
in jenem feierlichen, enticheidenden Augenblide der als ſtaats⸗ 
männifcher Charakter erbärmliche Lamartine die Politik des „Geg- 
ners“ fchiweigen ließ, wie er fi) ausdrüdte, fo waren es doch 
ganz andere Gefühle, welde ihn hätten leiten follen. “Die heroiſche 


254 


Frau wich nur der Gewalt; fie folite den franzöfilhen Boden 
nicht wieder betreten! 

Man hat, war von den politiichen und religiöfen Gefinnungen 
der Herzogin die Rede, vielfach finden wollen, dag ihr Benehmen 
mehr Teftigfeit, ja felbit einen Anflug pedantifcher Zähigfeit, als 
fcharfen Verſtand und richtige Beurtbeilung ihrer Lage verrathen 
hätte. Sie hing beinahe ſchwäcmeriſch an den politiichen Traditionen 
ihre Gemahls, und war daher entfchiedene Gegnerin der „Buflon“. 
Konnte man fie deßhalb tadeln? Und dennoch läßt fich nicht 
läugnen, daß fie Traft des Tonftitutionellen Prinzips keinerlei Rechte 
für ihre Söhne anfprechen konnte; die Dynaſtie Orleans fam im 
Jahre 1830 durch Wahl auf den Thron. Der Volkswille des 
Jahres 1848 hat in anderer Weile entfchieden! Will man daher 
denn beinahe taufendjährigen Legitimitätsprinzipe nicht jede Berech⸗ 
tigung und Bedeutung für die Zukunft abfpredhen, jo ftehen der 
Familie Orleans bei dem vorausſichtlich nahen gänzlichen Erldſchen 
der älteren Linie der Bourbons ficherere und gegründetere Kron⸗ 
anfprühe zu, ala bei dem immer zweifelhaften Ausgange einer 
allgemeinen Stimmenzählung. 

‚ Sprad man ferner tadelnd von der Falten Zurüdhaltung 
der katholiſchen Geiftlichleit, der proteftantifhen Prinzeffin gegen: 
über, fo kann, wer diefe Thatſache mit Maren, unparteiifchem, ver 
Allem aber mit Hiftorifhem Auge beurtheilt, nicht davon über: 
rafht werden. Don der heil. Clotilde bis zur Königin mit der 
Martyrivone haben nur katholiſche Fürftinnen den franzöftfchen 
Thron eingenommen. War denn der Wunſch fo unbillig, daß 
dieß auch in Zukunft der Ball fein möge? Weicht doc jedem 
ruſſiſchen Großfürſten nur eine Prinzeffin die Hand, welche fich 
zum griechiſchen Glauben bekennt, mandyer Vorgänge in anderen 
Staaten gar nicht zu gedenfen! — Ein Jahr früher war ihr 
eine andere deutſche Fürftentochter, die ſchöne Herzogin von Ra: 
mours, auch im fernen Inſellande, vorangegangen, und von den 


255 


fünf Schwiegertöchtern umgeben nun noch jene von Brafilien, 
Neapel und Spanien die greife Wittwe Louis Philipps. 

Ob es aber wohl dem Erziehungdplane der Herzogin Helene 
entiprochen hätte, daß ihre Söhne fih an einem unrühmlichen, 
kläglichen Bürgerfriege betheiligen, ihrer Geburt unwürdig mit 
republifanifchen Uniformen im Gefolge irgend eines amerikaniſchen 
Treibeuterd oder fremden Emporkömmlings erfcheinen? Die Zeiten 
Waſhington's find vorüber, und ich glaube nicht, daß diefe über: 
feeifchen Feldzüge die Popularität der Prinzen aus dem Haufe 
Orleans in Frankreich erhöhen dürften. 

Im Auguft wurde dem SKaifer von Defterreih ein Sohn 
geboren, an defien Namen — Rndolph — fi, follte er dereinft 
zur Thronfolge gelangen, die fchönften Hoffnungen für die Zukunft 
Deutſchlands knüpfen würden! 

Die berüchtigten Worte — Neujahr 1859 in den Tuilerien 
ausgeſprochen — klangen an den Wänden aller fürſtlichen Schlöſſer 
in Europa nach. Welches Echo ſie aber bei dem Botſchafter 
fanden, an welchen fie zunächſt gerichtet waren, hat man nicht 
erfahren. Die Lage Hübner’3 war dabei die peinlichfte, die man 
fih nur denken Tann, und eine, hier nur allein mögliche Entgeg⸗ 
nung mußte tur das Gewicht einer allzu großen Verantwortlich 
keit zurüdgehalten werden. 

Es verflofien nun Monate, während melden man fi in 
Kriegsrüftungen und Verhandlungen theilte. Die meiften Kabinette, 
und leider auch Oefterreich, glaubten nicht ernftlich an den naben 
Bruch. Man ſah nur Drohungen da, wo ſchon die Verabredungen 
zu beftimmten Feldzugsplänen ftattgefunden hatten. Waren früher 
die Herausforderungen, Rußland gegenüber, war der in fo frivoler 
Weife in der Krim begonnene Krieg jhon nicht gerechtfertigt, wie 
folte man nun, drei Sabre nad dem Barifer Frieden, der bei 
Zerwürfniffen eine worgängige Beratbung aller Mächte in Ausficht 
ftellte, die einfeitige Intervention in der Form eines Angriff? auf 


256 


Oberitalien bezeichnen, ein bewaffneter Vieberfall, der unter äbn- 
Tihen, nichtigen Vorwänden noch einen mit heuchlerifhen Phrafen 
ſchlecht verhüllten Webermuth verband? Unter den abgenützten 
Nedensarten von Freiheit, Unabhängigkeit, Einheit Italiens, von 
Förderung der Eivilifation und des Menichenglüds verbarg ſich 
die widerlichite NRaubluft von Seiten Sardiniend, das oflenbare 
Streben Frankreichs, feinen Einfluß an die Stelle des öfter: 
reihifchen in jenem Lande zu fegen! Tlugfchriften, in ihrer früge 
riſchen Sophiſtik ganz geeignet, ſchwache Köpfe zu verdrehen, gingen 
den offiziellen Aufreizungen zuvor, und die Zuriner Prablereien 
fanden einen kriegeriſchen Nachhall an der Seine. Rußland ver: 
mittelte, ſchlug fogar einen Kongreß nah „Mannheim“ vor; 
England ſchickte feinen Vertreter in Paris, Lord Cowley, als 
unterhandelnden Bevollmächtigten zur Audgleihung nad Wien, 
wo man bis zum lebten Augenblide auf die Erhaltung des 
Friedens hoffte und ein allzu redliher Sinn, dem förmlidhen 
Zäufchungsfgfteme gegenüber, mit ungleichen diplomatifhen Waffen 
focht. So ging für Defterreih in fruchtlofen Unterbandlungen 
eine koſtbare Zeit verloren, welche von der anderen Seite zu 
Kampfeövorbereitungen benügt wurde. Ende März hatte Oeſter⸗ 
reih nur einen Feind — die Piemontefen, ſechs Wochen fpäter 
deren drei zu befämpfen, denn es hatten ſich während diefer Zeit 
die Revolutionsbanden unter Garibaldi organifirt und waren die 
franzöfifhen Truppen zur See wie über die Alpen in Stalien 
eingebrungen. Das Ultimatum an Sardinien erfolgte, die k. E. 
Armee febte über den Po, während Erzherzog Albrecht in Berlin 
unterhandelte, und dann auch 309 fich diefelbe ohne weſentliche 
Erfolge nah einigen Wochen wieder über jenen Fluß zurüd. 
Nun Häuften fi die Hiobspoften für die öſterreichiſchen Waffen; 
zuerit Magenta, dann Solferino, endlich der unglüdielige Friebe 
von Billa Franca — die Lombardei war verloren! . 














257 


Fern von dem Schauplatze der Begebenheiten, vermag ich 
nicht die Teitenden Motive jener Politik wie die näheren Urſachen 
fo überrafchender Vorgänge zu ergründen; auch kann ich mich der 
peinlihen Aufgabe, die Geſchichte jener Tage zu fchreiden, um fo 
eher entziehen, al8 fie in das Gedächtniß aller Zeitgenoffen einge: 
graben ift — ein Waffenftiliftand verfchob die weiteren Friedens⸗ 
beftimmungen auf einem Kongreß in Zürich, die drei Fürften der 
italieniſchen Mittelftanten floben, der Bapit war in Nom von 
allen Seiten gedrängt, und während die beiden Sicilien noch 
Fräftig dem Revolutionsſturme widerftanden, ftarb König Ferdinand 
im beiten Mannesalter zu Neapel. England ftellte dabei heuch⸗ 
leriih das Nichtinterventionsprinzip auf, dem es feinerfeit3 
nicht treu blieb, und Guizot bezeichnet diefe Haltung ebenfo 
wahr als treffend mit folgenden Worten: 

„Les antres (puissances), l’Angleterre surtout, soit par 
entrainement de parti, soit dans des vues frivolement inte- 
ressöes, donnent aux r&volutions 6ötrangeres une adhösion 
indistinete, et acceptent p@le-m&le leurs violences comme leurs 
r6formes, leurs usurpations et leurs attentats contre le droit 
des gens, comme leurs r6clamations et leurs entreprises les 
plus lögitimes.“ 

Mittlerweile war Graf Buol von der Leitung des Departes 
ment? des Aeußeren enthoben worden, und ein ſ. g. Uebergangs⸗ 
minifterium follte einen neuen Zuſtand der Dinge vorbereiten. 
Fürft Metternich) aber verfchied am 11. Juni, alfo gerade in dem 
kurzen Zwifchenraume, welcher die beiden großen, enticheibenden 
italienifchen Schlachten trennte. Mit melden Empfindungen mag 
der hochbejahrte Staatsmann wohl den letzten Creignifien gefolgt 
fein? Er hatte in feinem Tangen Leben nur einen Haß, den der 
Revolution, gekannt, und er ſah fie nun nad allen Richtungen 
fiegen! Diefe ſchmerzlichen Eindrücke, verbunden mit der Ermüdung, 
bewirkt durch die große Hitze und fortwährende Beſuche, Hatten 


Feh. v. Andlaw. ® 17 
en 





258 





den S7Tjährigen Mann fihtbar erfchöpft. Er farb mit dem rubigen 
Sinne, der ihn nie verlaffen, janft, umgeben von der trauernden 
Familie und einigen Freunden, unter ihnen der ihm ſtets ergebene 
Fürft B. Eſterhazy. 

In neuefter Zeit folgte der ruſſiſche Staatskanzler Graf 
Neffelrode mit 82 Jahren dem öfterreichifchen in’3 Grab. Ich 
war ihm nur einmal im Leben begegnet, feine Perfönlichleit Tieß 
aber den angenehmſten Eindrud in mir zurüd. Biele Vergleichs⸗ 
und Anziehungspunfte fanden fih in der Laufbahn diefer beiden 
Staatömänner; beide nicht in dem Lande des Schauplatzes ihrer 
Thätigleit geboren, beide ungefähr in demfelben Alter, traten auch 
beide beinahe zu gleicher Zeit die Leitung der auswärtigen Ange⸗ 
legenheiten in Wien und St. Veterdburg an. Metternich und 
Neffelrode waren an der Spitze der Verhandlungen de Wiener 
Kongrefies, belämpften Napoleon I. und fahen am Ende ihres 
40jährigen Wirkend wieder einen anderen Napoleon ala Kaifer, 
der die Früchte ihrer diplomatifhen Thätigkeit zerſtörte; denn 
während Neffelrode, 1815 einer der Mitunterzeichner des Pariſer 
Friedens, einem zweiten bort abgeichloffenen Vertrage und den 
darin audgeiprochenen Grundfägen 1856 weichen mußte, erlebte 
es noch Fürſt Metternih, das üfterreichifche Heer wieder von 
Trangofen befiegt, eine neue Wera, ein neued Syſtem beginnen 
zu ſehen! 

Die Jahre 1860 und 1861 verliefen wieder Erivarten im 
Sanzen friedlich, aber es mar ein theuer erfaufter und darum 
doch nicht minder fauler Friede! In unerhört frevelhafter Weiſe 
wurde das fühliche italienifche Königreich überfallen, und Gasta 
wird auf immerwährende Zeiten an den Heldenmuth eines jungen 
Königlichen Ehepaars erinnern. Wie dort, fiegten auch bei Caſtel⸗ 
fidardo Berrath und Friedensbruch, und die widerliche Poſſe der 
allgemeinen VoltBabflimmung feste der Schmach die Krone auf. 
Während man fih um die „Einheit“ eines ganzen Italiens fritt, 





259 





riß Frankreich ein Stüd davon los, blieben Korſika und Malta 
in fremden Befite. ‘Der deutihe Fürſtenkongreß zu Baden im 
Juni, die Zufammenkunft der Monarden im Oftober 1860 zu 
Warſchau verhinderten nicht den Einzug Victor Emanuel3 in 
Neapel, und während Napoleon feine Truppen im fernen China 
mit Siegen und Plünderungen befchäftigte, verlor er was in allen 
Theilen Europa’3 vorging nicht aus den Augen. immer ver: 
widelter geitalteten fidy die Dinge in Italien; Rom und Venedig! 
wurde das Feldgeſchrei der rothen Patrioten. Defterreidh lag in 
ben Geburtöwehen feiner Berfaffung und Deutſchland vang auf 
verjchiedenen Wegen nach Einigkeit und innerer Kräftigung. Se 
fand das Jahr 1862 die Weltlage, und ih will es nun ver 
ſuchen, nur die gegenwärtigen Zuftände dreier Staaten und ihre 
mögliche, Entwicklung in der Zuhunft näher berührend — von 
Deutihland, Frankreich, Italien zu fprechen! 


Was nun zunächſt unfer liebes Vaterland betrifft, fo bat es 
feit 1000 Jahren gar mandye Stadien durchlaufen, und, im Herzen 
unfere® Welttheild gelegen, beftimmt, demfelben den Pulsichlag zu 
geben, mühte es fi) in meift vergeblihem Streben ab, fih auf 
die Höhe zu ſchwingen, zu der «8 feine politifch>geographifche 
Rage, der Träftig ausdauernde Charakter feiner Bendlferung, der 
eble, intelligente, nur zu Tosmopolitifhe Sinn der deutfhen Nation 
zu beftimmen ſchien. Die Klagen, daß Deutſchland dieſe ermünfchte 
Höhe nicht erreicht, oft gehört, dann wieder verballt, ließen fich 
in neuefter Zeit um fo lauter und eindringlicher vernehmen. Eine 
Prüfung, ob und in wie fern man bierzu bereditigt, Tiegt un 
nabe. Daß aber dabei mehr gefprochen, verhandelt und gefchrieben, 
als gehandelt wird, Tann Niemand, der diefe Zuftände aufmerkſam 
verfolgt, in Abrede ftellen. Doc mozu dient der mit bochtönenden 
Phraſen verbundene Jammer, wenn man fich feines Zieles nicht 

- 17 3 








260 


Har bemußt iſt? Seit Jahrhunderten lautete das Lofungöwort Der 
Deutfchen: „Einheit!” und was geſchah, was gefhieht noch, daB 
dieß Wort zur Wahrheit werde? 
- Haben in früherer Zeit die Wahl: und Parteikämpfe der 
Kaiſer und Stämme die Kräfte des bdeutichen Reichs geſchwächt, 
fo erweiterten fpäter zwei Ereigniffe die Kluft, machten eime 
Wiedervereinigung beinahe zur Unmöglichkeit. Die eine diefer für 
immer beffagenöwertben Thatfachen ift die unfelige Kirchenfpaltung 
des 16. Jahrhunderts. Zu diefen religiöfen Zermürfnifien, welche 
einheimifche Verräther wie auswärtige Teinde Hug zu ihrem Ber: 
theile benügten, gefellte ſich der weitere politifhe Riß durch die 
Erhebung Preußen? und die Haltung Friedrichs des Großen 
Defterreich gegenüber. Damit mar die Parole zu einem wohl 
unbeilbaren Dualismus gegeben, und für einen Augenblid nur 
fonnte die drohende Gefahr, der unerträglid gewordene fremde 
Drud die getrennten deutſchen Volksſtämme zu gemeinichaftlichem 
Handeln vereinigen. | 

Die deutſche Bundesverfaſſung war beftimmt, das früher 
geloderte Band wieder feiter und dauernd anzuziehen. Entſprach 
died Werk in feinen Erfolgen nicht den davon gehegten Erwartungen, 
fo wäre es unbillig, die Urfache diejer betrübenden Ericheinung 
nur allein in der Faffung der Bundesakte jelbft zu fuchen. Ich 
ſchwärme wahrhaftig nicht für den Sranffurter Bundestag und 
feine Bejhlüffe; aber er war doc, welcher unbefangene GStaats- 
mann könnte es läugnen, unter den gegeben Verhältnifſen das 
einzig möglich Erreihbare und jeder weiteren gedeihlichen 
Entwidlung fähig. Daß diefe unterblieben, daß fich dafür immer 
mehr ein gewiljes allgemeines Mißbehagen zeigte, Alles, was vom 
Bundedtag ausging, mit Ungunft, Miftrauen aufgenommen murbe, 
daran war wohl eben nicht allein der Anhalt und der Wortlaut 
der Alte, es waren vielmehr Regierungen wie das deutiche Volt 
ſelbſt ſchuld. Gebrach es den eriteren an gehöriger Energie, an 





201 


Einigfeit und einer beftimmten Richtung des Willens, den Bau 
der ftaatlichen Inftitutionen heilbringend fortzuführen, behalf man 
fi mit Palliativen, fo ift auf der anderen Seite wieder nicht zu 
verfennen, daß der Mangel an Gemeinfinn, an wahrhaft politifcher 
Erziehung bei den Deutfchen die jo ungemein ſchwierige Löſung 
jener praftifhen Fragen gerade nicht erleichterten.. Monatlange 
Berhandlungen des Parlaments in Frankfurt Haben auch zu keinem 
befriedigenden Refultate geführt, und ald man von Seiten der 
Staaten wie der völferbeglüdenden Redner nicht? zu Stande zu 
bringen vermochte, kehrte man wieder zur alten Bundesverfaffung 
zurüd. Während den feither abgelaufenen zwölf Jahren ift wenig 
oder nichts geichehen, fie den Bebürfniffen der Neuzeit anzube- 
quemen, und fomit ftehen wir wiederholt an dem mit gewaltiger 
Stimme mahnenden Rufe: „Reform!“ 

Die Wege, zu diefem Endziele zu gelangen, find aber Far 
vorgezeichnet und laſſen ſich auf fehr einfache Sätze zurüdführen. 
Die erfte, einzige und nicht zu umgebende Bedingung zu einem 
friedlichen, einigen und fomit innerlidy ſich verftärfenden Auftande 
der Dinge in Deutfchland ift ein offenes, aufrichtiges, durch Teinen 
Hintergedanten getrübtes Einverftändniß der beiden Groß: 
mäcte. ft diefe Grundlage einmal gefunden, ergibt ſich alles 
Uebrige von ſelbſt; es wird dann unfere innere Kraft nicht mehr 
durch Eiferfuht, Spaltung in zwei Lager gelähmt und dem 
deutfchen Reiche die ihm gebührende Stelle in der Weltlage ein: 
geräumt werden. Es dreht fih demnach Alles um die Beant⸗ 
wortung der wichtigen Borfrage: „Iſt jene allein maßgebende 
Vorbedingung auch zu erfüllen möglich?“ Nur die Zeit, die Rück— 
kehr zu einer befieren Erkenntniß, die dringende Mahnung, von 
allen Seiten leidenfchaftlihen Eingebungen, gehäffigen Einflüfte- 
rungen zu entjagen, fann endgültig darüber entſcheiden. So Tange 
aber dieß Räthſel nicht gelöft ift, fo Tange wir nicht aus dem 
Bauberkreife treten, der una gebannt, fo mögen fich papierne Berge 


262 





von Noten, Denkſchriften, Brofhüren, Proteften, Zeitungsartifeln, 
Reformvorichlägen u. dgl. m. aufthürmen, wir werden zum Hohne 
wie zur unverboblenen Schadenfreude der NRachbarfinaten mie 
einig werden. 

Jeder andere Ausweg, als der angegebene, führt aber nad 
meiner innerften Weberzeugung nur zur Anardie, zum Bürger: 
kriege, vielleicht zur Auflöfung des fozialen Lebens, und in weiterer 
Zukunft ift und die Einmiſchung fremder Waffen, beute- unt 
eroberungsfüchtiger Fürften in Ausficht geftellt. 

Nehmen mir einmal den, wie ih glaube, nicht möglichen 
Tal an, es ließe fi Defterreih durch die Aufftellung eines 
Staatenbundes in einem unter Preußen? Hegemonie ftebenden 
Bundesftaate aus dem bisherigen Verbande verdrängen, fo müßte 
vor Allem erwogen werden: ob Preußen in tem neuen deutfchen 
Rei, in Kleindeutichland, oder diefes in Breußen aufgeben foll? 
Nach den bisherigen Erfahrungen iſt nicht zu erwarten, daß man 
fih von beiden Seiten da3 Eine oder das Andere gefallen Iafien 
werde. Preußen will, und zwar mit vollem Rechte, nicht feiner 
Geſchichte, feinem Kriegsruhme, feiner Unabhängigkeit als Groß— 
macht, feinem Namen und Wappen und Adler, feinem Königthum 
entfagen, um fi in einem Fahrzeuge einzufchiffen, das mit vollen 
Segeln den nebelhaften Ufern „Gotha's“ zufteuert; e8 Tann und 
wird da nicht ein modernes goldenes Vließ in ber Geftalt einer 
deutichen Dornenkrone auffuchen, die Wirklichkeit einem Schatten 
opfern wollen. Aber auch angenommen, es Tüme dazu, wie viele 
Fragen wären bis dahin zu löſen und welche grenzenlofe Vers 
wirrung flünde unferem armen Baterlande bevor! Soll jedoch der 
Theil Deutihlands, von welchem ſich Defterreich getrennt, mır 
dazu dienen, die Hausmacht Preußens zu vergrößern, in diefem 
Königreich aufgehen, fo wird eine ſolche Zumuthung doch wohl 
zunächſt in Süddeutichland, und da wieder vor Allem in Bayern 
auf entſchiedenen Widerſpruch ftoßen. Ein foldder könnte aber nur 





263 

dur Waffengewalt oder die Revolution gebrochen werden; in 
beiden Fällen würden wir den Gräueln eined blutigen Bürger: 
kriegs nicht entgehen. Ein zwifchen beiden Projekten die Mitte 
haltender Vorſchlag, Preußen die militärifche, diplomatiſche und 
bandelöpolitiiche Leitung in dem ohne Defterreih zu bildenden 
Neudeutihland zu überlaffen, lieſt fih al3 vermittelnder Ausweg 
zwar vecht gut, ift aber bei den Sonflitten, welche fich noth: 
wendig in der inneren Verwaltung der Bundesſtaaten ergeben 
müßten, gewiß ebenjo wenig durchzuführen. 

Ih Tomme daher auf den allein möglichen Anker des Heils 
zurüd, wenn ich den hoffentlich nicht vergeblihen Wunſch aus: 
ſpreche, daß Defterreih und Preußen gemeinfhaftlih das 
Reformwerk in die Hand nehmen und die einer zeitgemäßen Um: 
bildung obne Zweifel fähige Bundesverfaffung im allfeitigen, wohl⸗ 
veritandenen, ächt deutſchen Intereſſe ernitlich berathen. 

Dabei bleibt mir jedodh noch ein weiteres Bedenken; es ift 
immer und wieder von einer VBollsvertretung am Bunde die 
Rede, und die Ausführung dieſes Planes beinahe zu einer deutſchen 
— ich mil nicht gerade fagen Monomanie — doch zu einer 
Lieblingdidee geworden. Ih mil nicht an die Auftritte, das 
Barteigetriebe und die erfolglofen Verhandlungen in der Pauls- 
firhe erinnern; ſolche Erfahrungen werden nur ſelten beherzigt; 
man glaubt ed immer wieder beffer zu machen; nur eine Trage 
fei mir erlaubt: wie wird fich eine foldhe gefeßgebende groß: oder 
Heindeutiche Verſammlung zu dem Reichstage in Wien, zu den 
beiden Häufern in Berlin verhalten, mie fi die Autonomie aller 
Bundesftanten mit den Befchlüffen eines ſolchen Parlaments ver- 
tragen, das gleichviel in diefer oder jener der angedeuteten Formen 
wieder auftauchen würde? 

Dielelben Urſachen müflen naturgemäß allenthalben und zu 
jeder Zeit auch wieder diefelben Wirkungen bervorbringen. 

Erkennen wir an, daß egoiftifhe, ehrgeizige Beſtrebungen 





264 





wie indolente Gleichgültigkeit und innerer Zwieſpalt der deutfchen 
Regierungen viel Unheil bereitet, fo ift auch nicht mehr ala billig, 
nicht blind für die Gebrechen zu fein, an welden die Regierten 
Titten. Das Bolt bat feine Schmeichler wie die Fürften; es 
ift fo angenehm, fi) fortwährend Ioben, von einer politifchen Rolle, 
von welthiftoriicher Bedeutfamfeit, von Einheit, Kraft, Freiheit, 
Unabhängigkeit, politiiher Mündigkeit prechen zu hören. Doch 
mit dem Phrafenjammer allein, daß man noch nicht dazu gelangt, 
ift nichts erreicht; man muß aud die Eigenfchaften in fi ver: 
einigen, in der That darnach fireben zu Tönnen. Der Deutfche 
ift bieder, treuberzig, arbeitfam, erfinderifch, thätig, wahrbeitäliebend, 
er fügt fih gem und leicht in alle Verhältniffe zu Haufe wie in 
den fernften Zonen; überall ift er in der Regel gut gelitten, bald 
heimiſch und baut fich zufrieden in jedem Welttheile eine Hütte. 
Weit entfernt von dem unbändigen Nationalftolze der Engländer, 
der glühenden BVaterlandzliebe der Franzoſen und der eitlen, 
prablerifhen Selbftüberfhätung der Staliener, ift der Deutſche 
fill, feines eigenen Werth bewußt, aber anderen Völfern gegen: 
über allzu befcheiden, nur zu oft feine Stammeseigenthümlichteiten, 
felbft den deutfchen Namen verläugnend, und fchnel nimmt er 
Sitten, Sprache und Gefchäftstreiben der Länder an, in die er 
eingewandert. Er wird in feiner vielbefannten Nachahmungsſucht 
fih für Rechte, Vorzüge, Errungenfchaften begeiftern, deren Ge 
währung nun einmal, der Natur der Dinge nach, nicht möglich 
if. Wie viel. Gold und Gefchmeide wurde nicht fon auf dem 
Altar des Vaterlandes niedergelegt, um eine beutihe Flotte“ zu 
erhalten, und meld, klägliches Ende Hat fie genommen! Und auch 
jest hofft man mit „Pfenningen” eine Seemacht zu werden, ohne 
zu bedenten, daß, follte man es wirklich mit fo Heinlichen Mitteln 
einmal zu einer Achtung gebietenden Flotte bringen, die großen 
©eeftaaten, wenn fie fie nicht im Keime erftiden, ihre Vermehrung 
doch hindern merden. 











"265 


Sm Gegenſatze zu fo hochſtrebenden Gedanken und Plänen 
begegnet man ganz demütbigem Auftreten, bald ärgerlihen, dann 
wieder lächerlichen Erſcheinungen. Man lacht bei jedem Anlaffe 
über den deutſchen „Michel und klatſcht Satyren oder Spott: 
bildern wie Liedern Beifall zu, wo andere Völler pfeifen würden; 
man fchreit fih: „Sie follen ihn nicht haben!“ heiſer und gibt 
den Rhein am Po auf; man brüllt: „Was ift des Deutichen 
Vaterland?“ umd begnügt fid mit „Kleindeutſchland“! man be: 
geiftert fi für eine „Flotte“ und gibt ohne Schiwertftreich die 
Ihönften Küftenländer auf; man will von Frankreich, Rußland, 
Dänemark altdeutfche Länder zurüdfortern, fähe aber in größter 
Semüthärube viele Millionen DeutfchOefterreicher aus dem Reichs⸗ 
verbande jcheiden; man jubelt, toaftirt, turnt, fingt, trinkt, zieht, 
die ſchwarz⸗roth-goldene Fahne ſchwingend, von einer Stadt zur 
anderen, aber läßt die von ihren natürlihen Bundesgenoffen ver: 
laſſenen Brüder jenfeit3 der Alpen in blutigen Treffen jchlagen; 
man jauchzt fremden Siegern zu und freut fi), fchadenfrob, der 
Niederlagen im Nahbarlande; man ſchwärmt für deutihe Macht 
und Größe, und räumt willig Frankreich die Herrihaft in Italien 
ein; man fchmäht deutiche Kriegshelden und läßt Garibaldi und 
Koſſuth Hochleben — je nach dem Windzuge der |. g. Öffentlichen 
Meinung ift man endlich troßig und berausfordernd, oder nad: 
giebig und zahm, Eriegerifch oder friebliebend, immer ſchnell fertig 
mit den Worten, aber minder raſch zur That — und mitten in 
al diefem gedankenlofen Treiben eine die Gemüther erbigende 
Breffe, bald in diefer, bald in jener Farbe den Barteileidenichaften 
ſchmeichelnd! 

Doch genug dieſer ſinnverwirrenden Bilder! Werden doch 
hoffentlich die Deutſchen, ihre wahre Intereſſen und Bedürfniſſe ein⸗ 
mal erkennend, ihre unſtreitig ſchätzenswerthen Eigenſchaften geltend 
machen, ihre Lage innerhalb der Grenzen des Möglichen nachhaltig 
verbeffern, ftatt der Verwirklichung von Idealen nachzujagen! 





266 


In Bezug auf die Bundesreformfrage bin ich weder 
ſpezifiſch oſterreichiſch noch preußifch gefinnt; meine lebhafteſten 
Sympathien find vielmehr dem Gefammtdeutichland zugewendet, 
und Alles, was demnach die Kinigleit der beiden Großmächte 
itören, die Mluft nur immer erweitern Tann, thut mir aus ganzer 
Seele meh. Allen Staatömännern und Kriegern, allen Rechts- 
freunden und Gelehrten, allen Abgeorbneten und Bürgern, jedem 
ächten Patrioten möchte ich zurufen: fie follten fi nur in dem 
einen Wunſche, in dem einen Streben begegnen, den inneren 
Frieden in Deutihland, und fomit feine politifhe Größe und 
Bedeutung wieder dauernd berzuftellen. 


Werfen mir einen Bli auf die Karte Deutfchlande während 
des fo jehr geſchmähten, „finftern“ Mittelalterd, fo erkennen mir 
befhämt, wie weit und mächtig fich da deutſche Herrichaft, deutiches 
Gebiet, deutfher Einfluß erftredten, und haben wir aud) bedeutende 
Länderſtriche deutfcher Junge, wohl für immer, eingebüßt, fo wäre 
dennoch ein Theil diefer früheren Machtitelung wieder zu erlangen, 
wenn nicht Uneinigfeit alle unjere Kräfte lähmte, die Beftrebungen 
ter Großmächte fich gegenfeitig neutralifiren würden. 


Auch auf dem religidfen Gebiete blieben auffallende Er: 
Iheinungen nit aus; gar gewaltig regte es fi und gährte in 
den proteftantifchen Regionen, während fi) bei dem größten Theile 
des Tatholifhen Deutſchlands eine bemunderungswürdige, erfreuliche 
Webereinftimmung in der Theilnahme und Anbänglichkeit für die 
gerechte Sache des fchwergeprüften Oberbirten der Kirche mit Wort 
und That ausgefprochen; auch das deutfche Episkopat ſchaart fich 
wie ein Mann um den päpftlihen Stuhl, und in Feiner Epoche 
der Geſchichte finden ſich Beifpiele eines fo treuen, glaubens- 
mutbigen Zufammenhaltens; die Beweiſe von Opfertoilligleit und 
Ergebenheit wachen in dem VBerbältniffe zu den den heil, Vater 
bedrohenden Gefahren. 











267 


Neben den erhabenen Bau der allgemeinen Kirche hat man 
es nun verfucht, eine Meine Kirche zu errichten, die, Kaum gegründet, 
auch ſchon in Trümmer zerfallen, eine moderne Ruine bildet. 
Selbft des Namens des „Deutſchkatholiken“ ſchämen fi ihre An- 
hänger jebt ſchon und legen ſich die Bezeichnung „freireligiöfer 
Gemeinden” bei. Freireligiös! was heißt da3? etwa eine Ber: 
einigung, bei der Yeber in Religionsſachen frei denken und handeln 
fann und darf, mie er will? Dazu bedarf e3 aber keiner Gemein- 
ſchaft, keines Symbols, keines beſonderen Glaubensbekenntniſſes; 
Jeder richtet ſich daſſelbe im eigenen Hauſe ſchon von ſelbſt zurecht. 

Je fühlbarer der Mangel an hervorragenden Männern in 
unſerer Zeit iſt, deſto mehr läßt man ſich es angelegen ſein, 
frühere berühmte Perſönlichkeiten in Stein und Erz zu verewigen. 
Dieſer Drang, an ſich ganz läblih, ſollte ſich aber doch in ge 
wiſſen Grenzen, nicht gar fg überſchwänglich äußern. Bald find 
alle Plätze jeder noch fo Heinen Stadt mit Standbildern bededt, 
“und die Verehrung der dadurch zu feiernden Größen richtet fidh 
eben nad dem Strome der gerade herrfchenden Anfichten. Die 
Heiligenbilder werden verdrängt und der Keultus des Genie's, des 
oft zweifelhaften, beftrittenen Erfolgs auf dem Schlachtfelde oder 
tm Sabinette, an der Börfe oder im Induſtrieweſen tritt an ihre 
Stelle. Wurden ja fogar Stimmen laut, dem um Deutſchlands 
„Civiliſation und Freiheit“ fo Hochverdienten Cavour! irgendwo 
ein Denkmal zu errichten, und wenig fehlt, daß man dem modernen 
Eincinnatus auf feiner Anfel eine von „Ziegen“ umgebene Statue 
botire! 

Ein Mißbrauch anderer Art wird mit dem Worte „Amneflie“ 
getrieben. Sie ift ein Ausflug fürftliher Gnade, ein fchönes 
Vorrecht der Krone, eined der wenigen, welches ihr noch die 
Schulweisheit gelaffen! Doch auch diefen Alt freiwilligen, hoch⸗ 
berzigen Entichluffes ftellt man den Megenten nur zu oft als die 
Erfüllung einer durd die Nothwendigkeit gebotenen Pflicht vor. 





268 

Man verlangt ungeftüm, daß die Amneftie eine ausnahmsloſe fei 
und ohne Bedingung ertheilt werde, denn der ungebeugte Troß 
verlangt nur Recht, bittet nicht um Gnade. Diefen Anforderungen 
gegenüber fteht die heilige Verpflichtung des Staates, Allen gerecht 
zu fein und friebliebende Bürger gegen die Wiederholung frevel: 
after Unternehmungen zu ſchützen; denn nicht felten wurden Die 
zurüdgefehrten Begnadigten, fam es zu neuen Unruben, unter den 
Eriten in den Reihen der Kämpfenden gefehen! 

Was nun Defterreih und Preußen betrifft, fo haben 
beide in ihrem Sunern eine neue, der jüngft vorangegangenen fc 
ziemlich entgegengejeßte Richtung eingeſchlagen. Ich Tann, im 
Widerſpruche mit der fo allgemein verbreiteten Meinung, nur 
wiederholt meine Veberzeugung dahin ausſprechen, daß die zehn: 
jährige Verwaltung unter Bad, welche man nun als eine 
„reaktionäre⸗ zu verſchreien, in jeder Beziehung zu ſchmähen ge- 
wohnt ift, eine zeitgemäße, der damaligen Uebergangsperiode voll- 
kommen anpaffende war, und fie in ihrer meiteren Entfaltung nur 
durch die unvorgefehenen, beklagenswerthen Ereigniffe des Jahres 
1859 aufgehalten wurde; weßhalb verhielt fi) denn bis zu jener Zeit 
Alles ruhig und erhoben ſich erft dann alle Stimmen des Tadel, 
als dad Unglüd über Defterreich hereingebrochen war? 

Die Schwächen jenes Syſtems, wer wird fie läugnen? fie 
liegen jebt offen zu Tage; es Hat jedody nie Anſpruch auf Unfehl- 
barkeit gemacht und wohl darin geirrt, daß es die Bahn der 
„politiſchen Verſuche“ nicht abermals betreten wollte, ohne des 
Erfolgs gewiß zu fein, mit einem Worte: den proviforifchen Zu: 
ftand über Gebühr hinausgezogen, jede erwartete Veränderung nur 
in einer gan; fernen Zukunft in Ausficht geftellt zu Haben. 
Wären, mie es fich vorausfehen ließ, die Finanzen allmälig ge 
ordnet, bei andauerndem Frieden die Heereslaſt vermindert, eine 
Ausſöhnung mit den noch immer grolienden Kronländern erzielt 
worden, dann erft war es an der Zeit, an einen foliden Aufbau 








269 


ber Verfaſſung zu denken. So braufte aber ein von Außen nicht 
ohne Abficht heraufbeſchworener Sturm über die Monarchie, zer: 
trümmerte gewaltſam die zarten Keime des wachſenden Wohlftandes, 
einer geregelten fiaatlihen Ordnung, und man ſah ſich nad 
anderen Baumeiftern um. 

Mas der 20. Oftober 1860, was der 26. Februar 1861 
brachte, find eben auch nur wieder „Verſuche“, und Niemand, der 
die damalige Lage aufmerffam prüfte, wird verfennen, daß durchaus 
Etwas geichehen mußte, gerechten Anforderungen zu genügen. 
Ich felbft, unter öſterreichiſchem Scepter geboren, durd meinen 
mehr als zmanzigjährigen Aufenthalt in Wien mit den dortigen 
Berhältniffen und Perfonen genau befannt, folge mit lebhafter 
XTheilnahme dem Gange der Dinge, ihn mit dem aufrichtigen 
Wunſche einer weiteren, gedeiblihen Entwicklung der Zuftände 
begleitend. Dennoch kann ich mid, der peinlihen Befürchtung 
nit entziehen, daß dieß Ziel, au auf dieſem Wege nicht erreicht 
werde. Ohne prinzipieller Gegner irgend einer Konftitution zu 
fein, ich wiederhole &, kann ih aber unmöglich annehmen, daß 
diefe Berfaffungsformen nicht zerfeßend auf den feltfamen Staats⸗ 
organismus Defterreich8 wirken werden, und gebe mid) lieber dem 
Trofte hin, daß, wo Menſchenkraft und der befte Wille nicht aus⸗ 
reihen, die göttliche Vorſehung, welche fihtbar im Laufe der 
Geſchichte über Defterreih gemacht, diefem Staate die Weltitellung 
anmweifen werde, welche ihm nach deren unerforichlidem Rath⸗ 
ſchluſſe gebührt. 

Die Experimente aber, welche Preußen bisher auf konſtitu⸗ 
tionellem Gebiete angeftellt können nicht aufmunternd auf Oefter- 
reich zurückwirken, und man bat fi bis jeßt, wie man früher 
boffte, noch lange nicht in die neuen Formen bineingelebt, ob und 
wann dieß je gefchehen werde, Tann und nur die Zukunft lehren. 
So lange es aber der dfterreichifchen Regierung nicht gelingt, 
wenigftend Ungarn für die Idee des Einheitsſtaates zu gewinnen, 








270 


wird das dortige Verfaſſungswerk nur ein Brucftüd fein. Doch 
ift der Anfang einmal gemacht, Die ungemein complicirte Maſchine 
in Bewegung geſetzt, und Staatsklugheit wie Ausdauer werden 
das ihrige dazu beitragen, die zahlloſen Schwierigkeiten zu über⸗ 
winden. So lange dieß jedoch nicht geſchehen, wäre es gewiß 
unbillig, alles Uebel der Gegenwart nur den Mißgriffen der 
jüngſten Vergangenheit zuzuſchreiben, eine Verwaltung mit Ber: 
wünfchungen zu überfchütten, die in ihrem Sinne wenigſtens das 
möglich Erreihbare angeftrebt und nur einem widrigen. Verhäng⸗ 
niſſe zum Opfer fiel. 

In gleiher Weife konnte auh in Preußen die Politik, 
welche das Minifterium „Manteuffel“ den 1848/49 flattgefundenen 
Uebergriffen wehrend befolgte, bitterem Tadel, beikendem Spotte 
nicht entgehen. Doch find auch Hier die Alten noch nicht ge 
fchloffen, der Sieg des neuen Syſtems mehr als zweifelhaft, denn 
alle Vorgänge ftehen unter fih in einem, wenn auch nicht -immer 
fihtbaren Zufammenbange, und erit wenn ein Zeitabfchnitt Bar 
vor uns liegt, laͤßt fi ein gültiges Endurtbeil abgeben. Run 
drängt aber jeder Tag gebieterifcher zu der Erwägung: ob der 
Lauf der Revolution, welchem vor Allem entgegenzutreten doch 
gewiß die erfte und heiligſte Pflicht jedes twohlgeorbneten Staates 
ift, eher durch Widerftand, oder durch Nachgiebigleit unter der 
Aegide geſetzlicher Formen aufgehalten werden könne? 

Hat man ſich in Deutſchland aber einmal für das Ber: 
faſſungsweſen nad) englifhem Zufchnitte entichloffen, fo fragt man 
fi erflaunt: weßhalb denn allenthalben politiſche Klubs und 
Bereine ohne Zahl entftehen? Die Kammeru, jo lehrte man uns, 
find der eigentlihe Ausdrud der Stimmung im Lande; wozu 
bedarf es denn noch folder mwandernden Kammern, die mit aufs 
reizenden „sdeen einen Drud auf die öffentlihe Meinung üben, 
tonangebende Berfammlungen neben den verfaffungsmäßigen bilden ? 
Die einen oder die anderen, follte man glauben, feien zum mindeiten 


271 





überflüfftig? Die fih „national und liberal“ nennende Partei übt 
aber dabei eine Tyrannei auß, welde im grellen Widerfpruche zu 
der von ihr fo hoch gepriefenen Rede⸗ und Preßfreiheit fteht. Wer 
fi nicht unbedingt zu jeder Sylbe ihred Programms befennt, wer 
einen anderen Weg geht, als das Labyrinth, in welches die moderne 
Phrafenfchelle und zu leiten bemüht it, darf für das Tläffende 
Geheul der Meute nicht forgen, oder wird, erhebt er feine Stimme 
dagegen, wenn es noch glücklich kommt, mit Verachtung behandelt, 
todt gefchwiegen. 

Es Tann daher für die Deutſchen nichts Beherzigenswertheres 
geben, als die drei Worte, welche ihr gefeierter Dichter, fie im 
Geifte mehr an die eigenen Landöleute richtend, dem alten fterbenden 
Schweizer Attinghaufen in den Mund legt: „Seid einig, einig, 
einig!“ 

Mit den Boraudfagungen bezüglich der künftigen politifchen 
Geftaltung Frankreichs ift es eine mißliche Sache; wir haben 
da feit bald Hundert Jahren gar fo viele Umwälzungen und übers 
rgchende Uebergänge erlebt; jede heranwachſende Generation will 
wieder ihre eigene Geſchichte machen, und die Franzoſen ſind den 
quakenden Fröſchen in der Fabel zu vergleichen, welche, nachdem 
fie die ruhigen Klotze verachtet, die fie auffreſſenden Störche zu 
Königen erhielten. Man bat es da fo ziemlich mit allen Regie⸗ 
rungafoftemen verfuht, und wir find noch lange nicht am Ende 
diefer Phaſen. Daß aber im Nüdblide auf die abgetretenen 
Dynaftien und vielen abgeſchafften Konftitutionen der jetzt herr⸗ 
ſchenden Familie mit der Verfaffung feine lange Dauer voraus⸗ 
zufagen, iſt wohl Mar. In feiner äußeren Politik ift Frankreich 
in eine „Sadgaffe” gerathen, aus der e8 nur ein neuer, dießmal 
allgemeiner Krieg ziehen Tann; da e3 aber auch im Innern der 
Revolution und ihren Grundfägen verfallen, ift es nur noch eine 
Frage der Zeit und zufällig einwirfender Umftände, mann der 
Vorhang aud über diefen neuen, nicht minder wie bie früheren 





272 


beflatichten und verhöhnten Aft des aufreizenden Drama's fallen 
wird, welches man bie franzöfiiche Gefchichte nennt. 

Dennoch zeigt fi, der inneren Zerfahrenheit Deutfchlands 
gegenüber, Mar, welche Kraft und Lebenzfähigfeit einem Reiche 
innewohnt, das nur einen Herrſcher, eine Religion, eine Ber 
faffung, eine Nationalität kennt, deflen Bewohner gleihen Bildungz- 
grad, diefelben Sitten und Gewohnheiten und Geſetze haben. Iſt 
auch jet die entralifation auf's höchfte getrieben, wird ver 
Geiſtesdruck nicht nur auf die öffentlichen Reden, die Preile, wird er 
auch auf die Kammern, die Gerichtöfäle und Kanzeln ausgeübt, 
fo find dieß immer nur vorübergehende Erſcheinungen; fteigt jetzt 
jedem fein fühlenden Franzofen aud) die Schamröthe in's Geficht, 
wenn er diefe ſyſtematiſch getriebene Korruption, dieſes Gewebe von 
beuchlerifchen Nänten und plumpen Lügen fieht, fo befeelt doch 
Alle nur ein Gefühl: das der Liebe zum Baterlande; und die 
ber Regierung grollenden Parteien ordnen ihre perjönlichen und 
politifhen Neigungen dem Wunſche unter, Frankreich groß, mächtig, 
geachtet, unter allen Staaten hervorragend zu fehen; fie dulden 
unter Fremden nicht, dag man fle bedauere, table, und darin 
befteht die ungeheuere Macht, über die jeweild eine Auge, willens⸗ 
Träftige Hand gebietet, welche es verſteht, Frankreich zu leiten, 
denn immer wird man feine Söhne einmüthig um den Altar, die 
Fahne des Vaterlandes geſchaart finden! 

Ein altes Sprüchwort fagt: „es gibt nicht? Neue unter 
ber Sonne!” aber Ereigniffe, wie fie ſich feit drei Jahren in 
Italien zufammengedrängt, find wohl noch nie dageweſen! Ein 
König, deſſen Regierung jahrelang durch geheime Umtriebe, ge: 
bäffige Intriguen, denen felbft feine Gefandten nicht fremd waren, 
die Ummälzung vorbereitet, fällt mit Hülfe franzöflicher Waffen 
in befreundete Staaten, in die Länder verwandter Fürften ein, 
begünftigt eine Schaar von Freibeutern, welche mitten im Frieden 
eine durch Verrath, Lift und abenteuerliche Kühnheit gelungene 








273 


Landung im ſüdlichen Königreihe zur Unterjohung deſſelben 
benügen. Diefer König läßt fih in allen auf fo ſchmähliche, 
fronenräuberifhe Weile „annerirten“ Staaten buldigen, und tritt 
nebft einem Küftenlande Italiens auch noch fein Wiegenland einer 
fremden Macht ab — und diefer König wird in feltfamer Ber: 
tehrung aller Worte und Begriffe „„R& galant-uomo‘“ genannt! 
In Oberitalien, in den Mittelftaaten folgt auf Diefen über 
Ihäumenden Jubel Ernüchterung, ftilleg Hinbrüten, vorerft Erge 
bung in das ſich felbft bereitete Ungemad; denn der Italiener, 
weldyer vor Allem ein guter Rechner ift, findet, daß die unter 
dem Vorwande nationaler Einheit, der Freiheit, der Kivilifation 
und Unabhängigkeit vorgenommene Veränderung ihn doch etwas 
zu theuer zu fliehen komme; die Staatöfaffen wurden überall in 
den eroberten Ländern geleert, die Kirchen geplündert, die Klöſter 
aufgehoben; dennoch zahlt man zehnmal mehr Steuern ala zuvor, 
und den Anlehen, den Defizit ift Fein Ende abzufehen! Abermals 
ein glänzender Beweis, wie wohlfeil die im Intereſſe der Erfpar: 
niffe unternommenen Revolutionen find! In Neapel Hält man mit 
brutaler Gewalt eine Bewegung nieder, welche die angebliche 
Majorität bei der allgemeinen Abftimmung in fo eindringlicher 
Weile Lügen fraft; man nennt „Briganti“, die für ihre Nechte, 
ihren Gerd, ihr angeflammtes Königshaus Tämpfen, fi nicht 
gutwillig einem fremden Joche unterwerfen wollen, und preiit ala 
Helden Jene, die ohne Kriegserklärung, frevelnd in andere italie- 
nifhe Staaten eingebrochen. 
Die unerhörten Graufamkeiten, mit denen man die Neapoli- 
taner zu ihrem Glüde zwingen will, follten täglich mit den 
Gräueln und ungeſetzlichen Handlungen verglichen werden, welche 
man den bourbonifchen Konigen andichtete, und worüber die eng: 
lifchen Staatsmänner nicht aufhören Tonnten Krokodillenthränen zu 
weinen. Waren die früheren Repreifinmaßregeln vielleicht auch oft 
Bart, fo wurden fie doch nur zur Aufrechthaltung der beftehenden 
Sch. v. Andlaw. Wien Tatebuqh. IL 18 


274 





Geſetze angewvendet, waren Pflicht der Abwehr gegen unberedhtigte, 
revolutionäre Angriffe. Wie fol man aber, was nun unter 
Piemonts Tandesväterliher Fahne geſchieht, anders bezeichnen, als 
wit einem unter der Maske des suffrage universel geübten Militär⸗ 
despotismus in feiner fcheußlichiten Form? 

Viele Kabinette beeilten fich, den in ſolcher Weife gegründeten 
„faktiſchen Zuſtand“ anzuerkennen, und nachdem fie früher jede 
Einmifhung in die fih von Italien ſelbſt geftellte Aufgabe — 
l’Italia fava da se — als einen Kriegsfall erklärt, wurde dieſer 
Grundſatz der Nichtintervention der Art befolgt, daß die Eroberung 
der Lombardei nur allein den franzöfiihen Waffen zuzufdhreiben 
iſt. „Sind wir nur erft in Rom,” fo heißt es nun, „haben 
wir den heiligen Vater auf den Batilan befchräntt oder ganz 
binausgetrieben, mit der Entfernung Franz IL das wahre Neft 
der Reaktion zerjtört, dann fällt und ganz Italien wie eine xeife 
Frucht in den Schooß, dann haben wir eine Hauptfladt, danz 
kann auch Venedig nicht länger öſterreichiſch bleiben!“ Bisher 
ftießen die Italianiſſimi dabei nur auf ein ganz kleines Hinderniß — 
die Beſetzung Rom's durch franzöfifche Truppen und das Feſtungs⸗ 
viered! Ob Louis Napoleon ihnen den Gefallen tbun wird, die 
„ewige Stadt” zu räumen, um ein großes, mächtiges Italien 
möglih zu machen, ob Defterreih ſich Benetien abfaufen, ab- 
ſchwatzen oder abtrogen laſſen werde, tft vorerft zu bezweifeln. , 
Man ift aber au in Italien im Hinblid auf die franzöſiſche 
Tricolore in Savoyen und Nizza, auf die eiferne Hand, die über 
Rom ruht, von dem naiven Gedanten längft zurüdgelommen, daß 
man an der Seine alle diefe Opfer uneigennübig aus Schwärmerei 
für Italiens Unabhängigkeit gebracht. Aber nehmen wir num 
auch einmal den unmwahrkheinlichen Tal an, daß piemontefilche 
Truppen Rom bejeten, der Papit wieder den Wanderſtab ergreift, 
dad „Königreich“ alien feinen Sitz auf dem Kapitole aufichlagen, 
die Gondeln der Lagunen mit den drei italieniihen Farben 








275 





geſchmuckt fein werden, fo iſt ſelbſt diefem abgerımdeten, einkeits 
chen, unabhängigen Jtalien keine Jukunft vorauszuſagen; man müßte 
denn eine taujendfährige Geſchichte Täugnen wollen. Hätte dieß 
freie, einige Volt keinen fremden Feind mehr zu befämpfen, fo 
würde es Me Waflen gegen fich lehren; die alten iferjäichteleien, 
die Uneinigkeit und der gegenfeitige Hak der Stämme umd Städte, 
Die Fehden ded Diittelalterd müßten fich folgerichtig wiederholen, 
umd dieß fchöne, gelegnete Land, feit Jahrhunderten der Zankapfel 
eroberungsfüchtiger und ränfiger Nachbarſtaaten, wäre abermals 
die Beute „internenirender* Mächte. Wäre Rom and die Metro: 
pole des neuen Königreichs, Mailand, Genua, Nenpel, Florenz, 
Benedig, Turin würden doch nie Ihren partifulariftiichen, ehr⸗ 
geizigen Beflvebungen entjagen. Tag ed doch der Mazziniſten⸗ 
Partei nur daran, alle italienifhen Fürſten bis auf einen — ihr 
williges Werkzeug — zu entfernen, um mit diefem Einen um fo 
leichter Fertig zu werden, lauert doc, ſchon hinter der Maske diefes 
„angebeteten“ Töniglihen Ehrenmannes das rothe Geſpenſt der 
ſozialen Republik; und wären auch alle dieſe Bedenken nicht, 
welche Dauer Hi denn, wenn man nech irgend an eine goͤttliche 
Gerechtigkeit, an eine hoͤhere, fittlih=religiöfe Weltordnung glaubt, 
einem auf folder Grundlage von Verrath, Verläumbung, Raub 
und Gemwaltthätigkeiten aller Art ruhenden Zuftande der Dinge 
zuzuerdennen ? . 

Was aber die Hüinftigen Geldyile der Kirche betrifft, fo iſt 
die im jedes Hchten Katholiken Bruß feft gegründete Meberzengung 
umerfchütterlih, Daß der feit den Werffagungen Ehriſti ſtets von 
den Bogen mentchlicher Leidenſchaften und Anfeindungen unbraufte 
Telien Betri bis an's Ende der Zeiten alle irdiſchen Inflitutionen 
überdamern und die Kirche, einfah und Klar, wie bie Wahrheit 
ſelbſt, aus allen Prüfungen geläuterter und glänzender hervorgeben 
werde. Wie oft glaubten die Gegner jubelnd ihren nahen Fall 
begrüßen zu können; und fie entging den Amgrifien dev Reformatlon, 

18* 


276 





trat fiegreich aus den noch weit größeren Gefahren, welche ihr 
der Unglaube, Hohn und Stepticidmus des 18. Jahrhunderts 
bereitet, hervor, witerftand der Vernichtung, mit welcher fie die 
franzöfifche Revolution mit allen ihren jetzt noch fichtbaren ver 
derblichen Folgen bedrohte! Die Kirche wird in ihren wunderbaren 
Einrichtungen den Charakter von Univerfalität nie verlieren, und 
ein „wandernder” Papſt für alle Staaten eine Verlegenheit, ein 
„italienifcher“ oder „franzoͤſiſcher“ Papft aber immer eine Unmög 
lichkeit fein! 

Kehren die erhitzten Gemüther in Italien zur Beſinnung 
zurüd, werden fie, ebenfo wie die in Deutſchland, erkennen, daß 
man nur auf den durch göttliche und menſchliche Geſetze vorge 
zeichneten Bahnen natur: und zeitgenäß, ungeftraft fortichreiten 
fann, und jebe Weberftürgung, jeder frevelnde Uebermuth vom 
Nebel if. Sollten aber erſt blutige Erfahrungen, Bürgerfrieg 
und Zerfidrung alles MWohlitandes, jeder Bildung zur Erkenntniß 
dieſer Wahrheiten führen? 

Mehr als einmal hatte ich in dieſen Blättern Anlaß, mid, über 
die orientalifche Frage auszuſprechen umd fie immer als diejenige 
bervorzubeben, deren Löfung über die künftigen Geſchicke entſcheiden 
müfle. Bis dahin ift an eine Ruhe, kein Gleichgewicht, Beine 
Entwaffnung in Europa zu denken, und befchäftigen fidh die 
Kabinette nicht ernitlih mit diefer Aufgabe, welde ih als die 
wichtigfte unſeres Jahrhunderts bezeichnete, fo ift Alles nur poli: 
tiſches Flidwerk und führt zum finanziellen Ruin aller Staaten. 

Eine andere nicht minder wichtige Anforderung tritt an die 
Mächte heran, die verderbliche, jedes ftaatliche Verhältniß grenzen: 
los verwirrende Lehre der Trennung der Nationalitäten, 
und ihrer Berechtigung, eigene, abgefonderte Reiche zu bilden, ent⸗ 
fieden zu befämpfen. Durdy jene Schwindeleien wird in jebes 
fonft noch fo ruhige Land ein zündender Funke geworfen; jede 
noch fo Heine Nation gruppirt ih um irgend eine Fahne, und 





277 


es wird im Regenbogen bald nicht mehr Farben genug geben, 
um alle diefe bunten Zehen damit auszuſchmücken. Die Theorie 
der Selbftregierung der einzelnen Nationalitäten entbehrt aber jedes 
thatſächlichen Haltpunktes, und ſchon eine oberflächlichſte Prüfung 
zeigt, daß bei der Kreuzung der Racen und der allenthalben 
gemiſchten, ſeit unvordenklichen Zeiten zuſammenwohnenden und 
politiſch verbundenen Bevölkerungen eine Vereinigung jener Ele⸗ 
mente zu den Utopien gehört, wenn man nicht lieber in dieſen 
Deklamationen eine neue Brandfackel der Propaganda erkennen 
will, vorzüglich geeignet, das dadurch am meiſten bedrohte Oeſter⸗ 
reich zu erichüttern. 

Aus dem Vorftehenden glaube ih den traurigen Schluß 
ziehen zu müfjen, daß eine friedliche Löfung diefer fo feltfam ver: 
worrenen Fäden kaum zu hoffen ifl, und und nur zwifchen Krieg 
oder Revolution!“ die peinliche Alternative bleibt. „Befler ein 
Krieg, als der faule Friede, der ung mit feinen Laften erdrückt, 
als die Revolution, welche mächtig und drohend von allen Seiten 
anklopft!“ rufen die Einen, „nur keinen Krieg!“ feufzen die 
Fanatiker des Friedens um jeden Preis. Doc wer das oft ver- 
heerende, aber doch auch nicht felten veinigende Kriegsgewitter 
bannen will, ruft gemöhnli den dur Anhäufung ſchädlicher 
Dünfte verfengenden Sturm herbei, wirbelt den heißen Sand der 
Wüſte auf, welcher die Keime der Gefittung und friedlichen 
Wohlhabenheit auf Generationen zerftört. 

So viel aber bleibt gewiß, die Würfel in Europa mögen 
fallen wie fie immer wollen, der erfte gewaltige Anftoß wird deſſen 
Karte völlig umgeftalten! 

Während wir und im alten Europa mit all diefen Eventuali- 
täten lebhaft befchäftigten, vernahmen wir mit fleigendem Eritaunen 
aus dem Mufterlande aller nur denkbaren Treiheiten, des materiellen 
Wohlſeins, der individuellen Unabhängigkeit, des ewigen Friedens 
von Kriegsgeſchrei, von einem ſich heftig entzündenden Kampfe 


278 





zwiſchen zwei unverföhnlidgen Parteien, mit einem Worte von einem 
förmlichen Bürgerkriege mit den gewöhnlichen traurigen Erſchei⸗ 
nungen von Mord, Plünderung, Grauſamkeiten, Zerſtörungkwuth 
in feinem Gefolge. Unſere Verwunderung wählt, wenn wir 
hören, daß nicht Eroberungsſucht, perfönlicher Ehrgeiz, politiſche 
Gründe diefe unerwarteten Borgänge in's Leben riefen. Nein! 
nur der Regerhandel und die damit zufammenhängende Baum⸗ 
wollenfrage veranlaßte den Zuſammenſtoß zweier wit Lokomotiven 
auf einander treffenden Heere! Wird der nüchterne, praktiſche 
Sian der Amerikaner diefem Streite bald ein Ende machen, 
find die Leidenfchaften weniger entfeffelt, die Gemüther Tühler jen- 
feits des Oceans, als bei und? Lehrrei und denfwürdig bleibt 
aber immer dieß unerhörte Schaufpiel! 

Nicht winder anziehend ift die Komödie, welche nun im 
Merico in Scene gefeßt wird; einem Ablömmling Kaiſer Karls V. 
wird Montezeuma's Krone, doch um welchen Preis? angeboten! 


In den zwei Jahren, weiche ich am den Ufern des Boden: 
ſee's und in der öſtlichen Schweiz zugebracht, fuchte ich mich 
mit den Zuſtänden biefer Gegenden näher bekannt zu machen. 

Das „ſchwäbiſche Meer” mit feinen oft ſtürmiſchen Fluthen 
oder der fpiegelglatten blauen Fläche, durchfurcht von gahlreichen 
Dampfſchiffen, bietet Anziehungspuntte in Fülle; und find feine 
Ufer au meift flach, fo bilden doch die fi füdwärtd anf: 
t$ürmenden Gebirgamaflen und Eisfelder einen impofanten Hinter 
grund, reihen fich freundliche Städte und Dörfer von dem roman: 
tifchen Bregenz bis Weberlingen aneinander, und zwei Tiebliche 
Inſeln, jede merfwürdig in ihrer Art, entfteigen den Gewällern. 
Wundervoll find zu jeder Jahreszeit die Lichteffekte, ımd ein weites 
entgädendes Panorama zeigt ſich vom Heiligenberge oder anderen 
Höhen dem Freunde erhabener Naturſchönheiten. 


279 





Konftanz gehört jenen Städten an, die von hiftorifchen 
Erinnerungen leben; andere Zollvereinsftäbte haben Konſtanz auf 
dem @ebiete der Gewerbtfitigleit, des Handelsverkehrs und der 
Fabrikation überjlügelt; die Innung der Schiffer litt durch die 
Dampfichifffahrt und der Fiſchfang wirft feinen erheblichen Gewinn 
ab; die Bewohner find daher auf Ader:, Rebbau uud die gemöhn- 
lichen bürgerlichen Handwerke beſchränkt. Ungeachtet fi) da eine 
Mufterfarte aller Behörden, felbft Garnifon, befindet, find die 
Straßen, ift das gefellige Treiben doch nicht belebt, und Klagen 
aller Art über Abnehmen des Wohlftandes, Zurüchſetzung gegen 
andere Drte im Lande u. dgl. m. wurden immer lauter. Wäre 
men, fo bie es allgemein, nur einmal im Befiße einer Eijen- 
bahn, werde Alles beſſer geben, wie mit einem Zauberſchlage Wohl- 
habenheit, Glück, gefteigerter Güterwerth u. ſ. w. wiederkehren. 
Nun, die neue Eiſenbahnbrücke erhebt ſich zierlich über dem dahin⸗ 
rauſchenden Rheinabfluſſe; ſtatt der früheren Seemauern umfchließen 
nun die Schienen den öſtlichen Theil der Stadt, und bald wird 
die Lokomotive brauſend und pfeifend das Conciliumsgebäude be⸗ 
grüßen. Wird der Erfolg den kühnen Erwartungen entiprechen? 
Dir Hoffen es für bad Wohl der guten Stadt, weldhe fi bis 
dafin, die Langweile zu vertreiben, mit dem „zeitgemäßen“ Ge 
danken beichäftigte: dan Johannes „Huß“ ein Denkmal zu jegen. 
Einige hundert Gulden waren fon dafür eingegangen, als man 
fig über Sinn und Bedeutung deffelben ftritt. Während ein 
Teil ber Sammler dur einen Stein nur den Platz zu bezeichnen 
wunſchten, auf welchem Huß den Feuertod erlitten, wollte ein 
‚anderer in temdenziöfer Weife ben böhmifchen Reformator als 
Martyrer feiner Ueberzeugung verherrlichen. In keinem Talle 
war ber Gedanke ein glüdlicher, und man hätte fih mit dem ein- 
fachen Erinnerungszeihen an eine immerhin peinliche geſchichtliche 
Thatſache auf dem einft von Huß bewohnten Haufe füglih be 
gnügen können; denn einmal ift jener Platz bei dem feither gänzlich 











280 





umwühlten Terrain nicht mehr gemau zu beflimmen, und bamı 
follte, wie mir dünkt, abgefehen von allen Eonfeflionellen Anfichten, 
fhon der Name des Huß und die fi) mit demjelben verfnüpfenden 
Gräuel der „Huffiten“ vor dem Verſuche einer fo undeutſchen 
Manifeftation bewahren! Mit um fo größerer Freude ift die 
Wiederherſtellung und forgfältige architektoniſche Vollendung de 
Münftere anzuerkennen, und der ſchöne, marmorgleidye, weiße 
Thurm ragt nun weithin, vom Hobentwil bis zum Gebhartsberge 
fihtbar, über der Waflerebene hervor! 

Ob der bedeutende Verkehr von Tremden während de 
Sommers fih dur die Eifenbahn heben, diefelben nicht vielmehr 
ohne Aufenthalt dadurch ſchnell meiter befördert werden, ift eine 
Frage der Zeit. Immerhin feflelt Konftanz durch feine herrliche 
Lage und Ausflüge nach den vier Schlöffern, unter denen „Arenen 
berg” daB anziehendſte. Kin Beiud der beiden Schweiterinfeln, 
der Bucht von Bedman und anderer Punkte gehört zu den feltenen 
Naturgenüffen. 

Ich traf in jener Stadt zwei langjährige Belannte, jeder in 
weiten Rreifen, mwenngleid, in ganz verfchiedenen Richtungen, ge 
nannt — dem Reitergeneral Grafen v. Bismark und den General 
vikar H. v. Weſſenberg. Beide waren Greife; beide find mun 
todt. Bismark, Wittwer von der Prinzeffin Augufte geworden, 
hatte den württembergiichen Staatödienft verlaffen, fi nad eigener 
Wahl vermählt und fühlte fich, zurückgezogen, in der Mitte feiner 
Heinen Tamilie ganz glüdlih. Weſſenberg war troß feinen 80 
Jahren noch rüftig, lebhaften, diskutirenden Geiftes, wie immıer, 
jah nur einige vertraute Freunde umd betrieb, feiner Gewohnheit 
treu, wiffenihaftlihe Studien bis an’3 Ende. In den Schriften 
diefer beiden Männer fpiegeln fidy ziemlich treu ihre Gefinnungen 
wie ihre Erlebniffe wieder. 

Wer fi vom Allgäu ber dem Dften der Schweiz nähert, 
wird gleich durd, die dad Auge wie dad Gemiüth überwältigenden 














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Returwunder Graubündtens — eines lange nech nicht genug 
gefannten Kantons — angezogen. Das lieblichfte Titelblatt zu dem 
Bilderbude des Rheinthales deilen Schluß die via mala, ift das 
blüthenreiche Dorf „Thal“, welches fi) von der niedlichen „Wein: 
burg“ bis zum bochgelegenen Moltenbade „Heiden“ hinzieht. Hier 
ift Alles vereint, was ſich die Einbildungskraft cined Touriſten 
nur immer denken Tann: Mebgelände, jtundenlange Obftgärten, 
Wiefen im faftigften Grün, Tyelfenpartien, der dahinftrömende Rhein, 
ber majeftätifche See, zadtige Bergriefen, blendende Gleiſcher, Schlöffer, 
Kirchen, Ruinen, — dann Pfäfferd mit der unter einem Felſen⸗ 
Dome raufchenden Tamina, Sargand, Chur und alle die weiten, 
von den „Piz“ überragten Thäler! — Der Wallenftädter See, 
deſſen gigantifche Wand die „fieben Kurfürften“ (Kuhfirften?) bilden, 
führt in die nicht minder romantifchen Partien von Glarus 
und die fchönften Gegenden ded Kantons Gt. Gallen, der wie 
ein Rieſenhalbband den hoben Sentis und mit ihm die beiden 
Appenzell umſchließt. 

Wie fih ungeachtet aller Nivellirung und Gentralifation in 
der Schweiz jeder einzelne, noch fo Heine Kanton eine befondere 
Phyſiognomie bewahrt, zeigt am audgeprägteften der Halbkanton 
Appenzell: Innen: Rhoden! Ich brachte in diefem ftillen Winkel 
der Erde, die Molkenkur zu gebrauchen, einige Wochen zu, und 
Natur wie Bevölferung zogen mich in gleichem Grade an. 

Innen-Rhoden Hatte fi mit dem Fatholifchen Glauben auch 
eine gewiſſe Einfachheit, mit dem Feſthalten an alten Rechten und 
Veberlieferungen eine größere Ungebundenheit zu erhalten gewußt; 
in dem rejormirten Außen: Rhoden zeigte ſich eine höhere Regſam⸗ 
feit, lebhafterer Verkehr mit der Außenwelt; dort Stätigleit, ſelbſt 
Zähigkeit, ein bergebrachter Schlendrian, gepaart mit treuherzigem, 
derbem Wefen, hier Rührigkeit, Fortſchritt, Verflachung, zunehmender 
Wohlſtand, daher Vorzüge wie Schwächen, nad) beiden Seiten vers 
theilt, ſich ausgleichend. Die Inneu⸗Rhoder find der Natur ihres 





282 


Bodens nad; mehr Hirten als Bauern. Viehzucht ift ihre eigent- 
liche Beihäftigung; die Alpenwirtbichaft, der Wielenbau, das 
„Heumachen“ die Hauptaufgabe ihres Lebens. Mollken (Schotten), 
Käſe, Milch, Butter, Dünger und Alles, mas durh Kühe und 
Ziegen gewonnen werden kann, find ihre Ermerböquellen. Feld⸗ 
früchte und Kartoffeln werden nur wenig, felbit nicht zum Baus: 
bedarte hinreichend, gebaut, ſpärlich find die Bäume im Thal, noch 
feltener die Obſt tragenden, kleine Waldfirfchen zum Brennen aus: 
genommen. Der Wildftand iſt gering, Gemfen find fchwer zu 
erreichen, Bergadier, Geyer, Auerhahnen häufiger. Die Falten 
Alpfeen, die reißenden Bergitröme liefern Forellen in Menge. Das 
beinahe fchattenlofe, mit Hütten — die fih nur felten zu Orte 
fthaften reihen — mie befäete Thal, würde daher eined veizenden 
Anftrichs entbehren, wären nicht die ſmaragdgrünen Triften, wäre 
nicht die zadige Gebirgskette mit den finftern Felſenſchluchten, 
den wilden Kaskaden, den dunkelblauen Bergfeen und überraichenden 
Ternfichten.. Der in der Schweizer Geſchichte vielfah genannte 
Kampfplab „am Stoß“, der Gäbeis bei Gais, daB pittoreäfe 
„Wildkirchli“ find wahrhaft entzüdende Spaziergänge. 

Die Innen-Rhoder find ein harmlofes Gebirgsvölkchen; voll 
natürlichen Berftandes, oft witzig, ftellen fie ſich, mißtrauifch gegen 
Fremde, einketig, benüben aber gerne ohne übermäßigen Auf 
wand von Koften und Erfindungägeift zur Bequemlichkeit der 
Molkengäfte, die Reiſeluſt unferer Zeit, ihve Lage zu verbeffern. 
Die einzige Art von Induſtrie, welche fie kennen, tft die Hand⸗ 
fineterei; daB „Weibervolk“ arbeitet deßhalb felten im Felde, firdt 
Jahr aus, Jahr ein in hermetiſch verfchloffenen Stuben, meiſt in 
großer Geſellſchaft; Traun und Mädchen fehen daher auch meifl 
zart und bieih aus, und ihre weißen Hände kommen mehr mit 
der Nadel und ber f. g. Mafthine, als mit den Sonnenitraßlen 
in Berührung. Diele Arbeiten, fehr gefucht, gegen geringe Be 
zahlung aufgefanft, werden dann von dem betriebjamen St. Gallen 














283 





aus Überall hin, feibft über das Meer veriendet. Die Tracht der 
Männer iſt eigen, wenn aud nicht ſchön; die der Frauen maleriſch, 
aber Yeltfam. In der großen Kirche von Appenzell, in der beide 
Geſchlechter abgejondert — die Frauen unten, die Männer anf 
dem Eher — beten, ericheinen Alle in blendend weißen Hemd⸗ 
ärmeln, und ift ein Xrauergottesdienit, fo tragen die Weiber 
ſchwarze Flugelhauben und ſchleppen riefige Wachäftöde herbei, 
weldye oft &enerationen überdauern. 

Am eriten Sonntage nach Dftern wird jährlich die f. 8. 
„Landesgemeinde“ in Appenzell abgehalten, ich mohnte einer ſolchen 
bei, weldye des fchlechten Wetter wegen ftatt auf dem Hauptplatze, 
in der Kerche ftattkand. Hier verfammelte fi) nun Die gamze 
männliche, Stimmfähige Bevölkerung des winzigen Kantons und 
that ihre Stantsgefchäfte ab. EB wurden die Komtrollbehörben 
nen gewählt oder beftätigt, der Eid geleiftet, über Bürgerauf 
nahmen entichieden, endlich dießmal eine von 300 Bewohnern 
vergefchlagene Verfaffungs reviſion — auch bis dahin war die 
Reformmanie gedrungen — zur Abſtimmung gebracht, aber durch 
Stimmenmehrheit abgelehnt. 

Das Ganze ſelbſt ift für den Fremden nicht ohne Intereſſe. 
Anf einer Tribiine fist der die Derfammiung leitende Landamann, 
Hinter ihm der „Waibel“ mit dem Mantel in den" Kantonsfarben; 
zwei harchtbar große Schwerter find da vor dem „Bureau“ auf 
gepflanzt. Die Abftimmung geſchieht weder dur Zettel, Kugeln, 
noch durch Trennung der Botanten u. dgl. m., fondern dar 
Handaufheben, dem als befonderer Nachdruck in wichtigen Fällen 
noch ein wild und eigen klingendes „Hu! Hu!” beigefügt wird. 
In zweifelhaften Fällen wird abgezählt. Sämmtliche friedliche 
Kartonsbürger find mit Sabeln beimaffnet, deren Klingen wohl 
felten nähere Belanntichaft mit ter Luft ‚machen. Merkwürdig 
waren die Bemühungen der meiften oberfien Beamten, die ihnen 
zugedachte Ehre einer Wirdererwählung mit guter Manier abzu⸗ 





284 





lehnen; ihre, mit keiner entiprehenden Beloldung verbundenen 
Funktionen find freilich mehr eine Loft, und für den Ehrgeiz iſt 
da wahrlich fein großer Spielraum. Dennoch wurden Alle m 
ihren Aemtern beftätigt und dankten gerührt, aber nicht willig für 
die Ehre, nur einer derfelben — ich glaube der Landichreiberr — 
ſprach tem fouveränen Volle feine Erkenntlichkeit fo untertbänig 
ans, daß fie dem vor einem Machthaber Triechenden Höflinge zur 
Ehre gereicht hätte. Die Eidesformel ift alterthämlich, Lang, 
ſchwülſtig; der Großrath befteht aus 1401! Mitgliedern. 
An ganz verfchiedener Weile zeigt ſich das öffentliche Leben 
in dem angrenzenden St. Gallen. Diefer aus fo verfihieden- 
artigen Elementen zufammengefebte Kanton ift in jeinen Innern, 
feiner Bermaltungsart, feinen politiihen und Tonfeffionellen Wirren 
ebenfo zerriffen und getheilt, als jene einzeluen Länderfeßen. Der 
Kampf ift aber da um fo hartnädiger und nachhaltiger, ala Die 
feindlicy einander gegenüber fiehenden Parteien, ungefähr über 
gleiche Kräfte gebietend, fit die Wage halten. Für dabei Unbe⸗ 
theiligte iſt dieß Schaufpiel ein böchit unerquickliches, und eine 
Großrathsſitzung in dem ehemaligen Feſtſaale des Benediltiner- 
ftiftes hat weder das Einfach-imponirende der demokratiſchen Ber: 
ſammlungen in den Urkantonen, nod das Regelmäßig geordnete 
anderer Iegislativen Zuſammenkünfte. Es herrſcht da ein gewifler 
frei fein follender Ton, der nicht felten in Rohheit und perfönliche 
Invective übergeht; ſchon die Geſchäfts⸗ wie die parlamentarifche 
Sprache iſt bier dazu nicht angethan, höheren Anſprüchen genügende 
rethorifche Kämpfe bervorzurufen. Bon dem Großrathsſaale theilt 
fih die Agitation den Vollsverfammlungen, ter Sourmalpolemil, 
den Wirthshaustiſchen mit, und leidenfchaftlich werden alle Wahl- 
und Berfaffungsfragen befprochen, wobei dann bald bie eine, bald 
die andere Partei immer nur mit einer Majorität von wenigen 
Stimmen fiegte, ein Sieg, der dann immer wieder aufs Neue 
beitig beitritten wird. St. Ballen, die höchſt gelegene Stadt in 


285 





Europa, ift beiebt, voll arbeitfanen Bewohnern, hat ausgedehnte 
Handelsverbindungen, gewann bedeutend durch die Eifenbabn, 
um die fih ein ganz neuer Stadtteil erhebt, die Umgebungen 
find grün und reizend. 

Im Kanten St. Gallen, einem der größten und reichfien 
der Eidgenoffenfchaft, finden ſich aber im Kleinen beinahe alle dieſe 
Zuftände und Merkmale, welche die Schweiz im Ganzen kenn⸗ 
zeichnen: ungemeine Handels⸗ und Gewerböthätigleit, Parteigeift, 
durch Vaterlandsliebe gemildert, ein nüchterner, vorzüglich auf 
Erwerb gerichteter Sinn, nur opferfähig, wo es dad Gemeinwohl, 
die nationale freiheit und Unabhängigkeit gilt, das Feſihalten am 
Althergebrachten im beftändigen Konflifte mit einer neuen, ganz 
materiellen Zeit, republitanifche, nivellivende Grundfäge anlämpfend 
gegen erflufive, partilulariftiiche Anfichten, ein durh Erfolge bis 
zur Selbitüberfchägung der Kräfte gefteigerter gewifier Uebermuth, 
eine durch Gutmüthigkeit gemäßigte Ungebundenheit der Formen, 
Vernachläſſigung der feineren Geſelligkeit und einer nicht gerabe 
auf das praftifche Leben berechneten höheren Bildung — fo erichien 
mir, natürlid mit Ausnahmen, das moralifhe Bild der Heimath 
Tell's in unferer Zeit. Dabei bier, wie allenthalben, die zuvor: 
fommendfte Art gegen Fremde, die fi ungeltört bewegen und 
gegen ſchweres Gold Naturgenüfle umtauſchen können, wie fie nur 
das Alpengebiet zu verfchaffen vermag. 

Den Sommer 1859 bradte ih in Züri zu umd lieh 
mich beicheiden in einem Winkel des „Seefelds“ nieder; ich war 
bier zunächſt Zeuge des allgemeinen Schüßenfefte® und fpäter 
ganz unerwartet des Geſandtenkongreſſes. 

Wie jede Schweizer Stadt hat auch Zürich, fo reizend 
gelegen, feine eigene Bedeutung; Bern — der Sik der Bunde: 
regierung — gilt für die vorzugsweiſe diplomatifche Stadt, Genf ver: 
tritt da3 franzöfifche Element, St. Gallen und Aarau die Induſtrie; 
Baſel ift die Stadt der Puritaner und des foliden Reichthums; 





wach Freiburg und Luzern hat ſich die alte Sinubenätrewe geſtüchtet 
ne unter den Kantonen liebt Thurgen größtemtbeild von ber 
Landwirthſchaft, während die inneren Meinen Kantone ned) ein 
ſchwaches Bild urfprünglicher Sitteneinfachheit und demekratiſcher 
Einrichtungen geben, Zurich dagegen, dad wohlhabende, flolze 
Züri, tritt als die „gelehrte“ Stat auf, iſt im Beſitze ter 
bogen wie der polytechniſchen Schule und anderer Unterrichtäan- 
falten. Brofefforen und Schrififteller, zum Theil von ausgezeich⸗ 
netem Rufe, ermeden mehr ala anberwärtd bier ein gewifſes, 
geiſtiges Streben. Reiche Bibliothelen und Sammbangen, willen 
ſchaftliche Auſtalten jeder Art werden bewät. 

Das große eidgenoffen ſche Schägenfeh, welches vegeimäig 
immer tm zweiten Sabre in einer anderen Schwerer Stadt abgehalten 
wird, wurde uun im Juli 1859 zu Züri im einer Weile be 
gangen, wie man ed ſich kaum großartiger denken banun. (Eine 
ſchöne Ehrenpforte, mit einem gelungenen Standbilde Tell's, dei 
„Urkgüpen“, geziert, empfing die Gäſte; auf dem ungebeweren 
Schießraume ſelbſt aber erhob fih die „Fahnenburg“ mit den 
Hatternden, in allen Karben fchimmernden Baunern der Kantone; 
darin waren bie ungemein zablreihen und werthvollen, Ehren⸗ 
gaben“ in geſchmackvoller Aufftellung zu fehen; die Schießſtände 
dem See zugelehrt, wurden keinen Augenblick leer, und von 6 Uhr 
Morgens bis 8 Uhr Abends kuallte es da unaufgärlid. Cine 
Texroffe gewährte eine veizende Ueberſicht des Ganzen in der wunder: 
vollen Umgebung. Es ballte dev gegenüber liegende Ueitliberg 
non den Schüſſen wieder, und der ruhige, dunkelblaue See — im 
Segenfaße zu der in Hitze umd Staub ſich umberiunmmelnben 
Menge — wirkte ſchon durch den bloßen Anblick erfrifchend. Bon 
alen Theilen der Schweiz zogen die Schüben ein und wurden 
feierlich mit Gruß empiangen, dieſer is mehr oder minder paſſenden 
Reden erwiedert. Für den Suiten bot aber die große Feſthalle das 
Aberraſchendſte Schaufpiel. Mau deufe ſich in ten kaum zu über 








287 ’ 





jehenden Räumen täglich 4000 bis 5000 gute Freunde um 
Tische verfammelt und in größter Ordnung bedient. Während 
der Mittagstafel beitieg dann gegen ein Dutzend Redner nach ber 
Reihe die Tribüne, ihre patriotifhe Gefühle und Anliegen, ihr 
volle8 Herz nor der Berfammlung auszugießen. Den Schluß 
bildete immer ein Trunk aus einem großen filbernen Pokale, und 
der Xoaft wurde ſtets von flereotyp gewordenem ungeheueren 
Jubel, Bravo's und Trompetenfhall begleitet. Die Reden drehten 
ih fo ziemli immer im gewohnten Geleife um die Freiheit, das 
Süd, die Unabhängigkeit der Schweiz, um Tel und die Männer 
des Müttli, wobei es an Geitenbliden auf minder begänftigte 
Bölfer, auf unter Tyraunei Ichmachtende Nationen u. dgl. m. 
nicht fehlte. Die Thema in unendlihen Variationen fchien 
dennoch die Zuhörer nicht zu ermüden; duch einige talentvolle, 
kräftige Redner, durch die Abwechslung in den drei Sprachen und 
manchen pilanten Zmifchenfall wurde bald Begeifterung, dann 
wieder Heiterleit neu gemedt. Fielen dabei auch Ueberſchwenglich⸗ 
keiten, felbft einige gemeine Ausfälle vor, fo mar doch die Ruhe 
und Ordnung bei einer großen, gemifchten Gefellichaft anerlennens⸗ 
werth; feine auffallende Störung, fein die gewöhnlichen Grenzen 
überjchreitender Lärm trübte die Feier, und die Schweizer verfichen 
ed, im richtigen Verſtändniſſe de Maßhaltens, felbit unter fich 
die Polizei ohne fichtbares Dazwifcheutreten einzuhalten. Auch bei 
den Gelagen während der lauen Sommernädhte in der mit Gäften 
überfüllten Feſthalle, wo Alles mehr den Charakter einer koloſſalen 
„Rueiperei” annahm, Lieder und Gläſergeklirre bis gegen Tages⸗ 
anbruch erfchallten, ging es wohl lebhafter, aber ohne grobe 
Erzelle ab. 

Selbftverftändlich beleben aber ſolche Feſte den Gemeinfinn, 
rufen die Liebe zum PVaterlaude, zur Einigkeit, zur Kraftentwicklung 
wach, und mehr noch ald auf die Schiekübungen ſcheint man auf 
diefe wahrhaft wichtigen Ergebniffe Werth zu legen. Die Zahl 


288 





der Schüffe, welche gefallen, ift wohl kaum zu berechnen, bie 
Gewinnfte beliefen fih auf 250,000 Franken, die Koften wurden 
durch reichliche Einnahmen gededt, und dieß Züricher Feſt, taz 
glänzendfte, das man je gefehen, wird wohl ſchwer von den fpäteren 
an Großartigfeit erreicht werden Finnen. Es ſchloß ſich an daffelbe 
auch eine Produktion der Schweizer Turner und Schwinger, wie 
ein alleriebft arrangirted Kinderfeft an. Ueberhaupt wird die 
Jugend da nie vergefien,; die Knaben Meiden fit und machen 
Uebungen als Kadetten; die Schulen haben ihre jährlichen Feſte 
und größere Spaziergänge, 

Eine eigene Epifode bildete der Behuh von 80 Bremern 
und der Stutigarter Schübengilde mit ihrer prachtvollen Fahne; 
beide wurden jubelnd und herzlich begrüßt und bewirthet. Auch 
ein feltener Gaft wohnte einem Theile des Feſtes bei: die Herzogin 
Lonife von Parma, die mit ihren vier Kindern durch die Kriegs⸗ 
ereigniffe von ihrem Hofe vertrieben, nun in Rapperswyl einft: 
weilen einen Zufluchtort fand. Den jungen, hübſchen, 10jährigen 
Herzog Robert Tonnte man oft im See baden fehen. 

Werfe id nun einen Rüdblid auf meinen kurzen Aufenthalt - 
in einem Theile der Schweiz, fo muß ich gefteben, daß midy die 
vielfachen Veränderungen, welche ich, feit ich fie nicht mehr betreten 
batte, da traf, wahrhaft überrafchten. Waren auch nicht alle 
erfreulicder Art, jo läßt ſich doch nicht Täugnen, daß die Eid: 
genoffenfchaft dur die Ausbildung des Bundesſyſtems gewonnen 
und die Vortheile der größeren Sentralifation fi vorzüglich im 
Heer, Münzs, Paß⸗, Zollweſen u. dgl. immer mehr geltend machen. 
Dabei iſt fortfchreitender Wohlftand, erhöhte Gewerbsthaͤtigkeit, 
immer gleidy reger patriotifcher Sinn unverlennbar; den Tebteren 
ih praktiſcher anzueignen, könnten die Deutichen allerdings bei 
ihren füdlihen Nachbarn in die Lehre gehen. Bei allen jenen 
unläugbaren Vorzügen liegt aber gerade die Gefahr allzu großer 
Ucherhebung nahe, und bei der Vorliebe, welche ich von jeher für 














289 


die Schweiz begte, der jeit lange meine Yamilie angehörte, bei 
dem eigenen Zauber, den das fchöne Land auf alle Fremden aus: 
übt, möchte ich die Beſonneneren feinet Einwohner warnen, nicht 
allzu ſehr dem oft trügerifchen Scheine von Glück und Wohlleben 
zu trauen, feſt gegen die Uebergriffe einer fühnen Partei zufammen: 
zubalten und fi nit vom Radikalismus überflügeln zu Taffen, 
der Monarchien wie Nepublifen mit feinem Alles zerfeßenten Gifte 
angreift. Er bätte meniger Kraft, wenn ibn nicht eine Maſſe 
gedantenlofer Menſchen unbewußt ftärkte; e3 nennen ſich diefe Leute 
„liberal“ und dünfen ſich damit aud, zugleich Aug, geiftreich, vor: 
urtheiläfrei; mit dem einfältigften Geſichte von der Welt fprechen 
fie du die Tiraden aus ihren Lieblingszettungen nad. Tritt 
. man aber nur im ©eringfien ihrem Erwerbe, ihren häuslichen 
Gewohnheiten nahe, fo hört gleich die liberale Gemüthlichkeit auf. 
Der Ausgang des Sonderbundes, der leicht erfodhtene Sieg in 
dem Neuenburger Streite (Span) häben jene zuverfichtliche Stim⸗ 
mung in Verbindung mit anderen Erfolgen noch erhöht; aber 
ihon die Wendung der Dinge in Italien, wo man den franzöfi: 
hen Waffen zugeinucdhzt, hatte diefen Enthufiasmus bald abgekühlt, 
als die Zerwürfniffe wegen ter Savoyer Grenze und des Dappen⸗ 
thals entitanden. 

Die politiihen Vorgänge jenes Sommers riefen eine Emotion 
nad) der anderen hervor; mährend man ſich des Aufſchwunges in 
Süddeutſchland freute, welches dem für das gute Recht in Italien 
fämpfenden Deiterreih zu Hülfe eilen wollte, war man über die 
fih im Norden Fundgebende Unentichlüffigkeit wahrhaft beftürzt. 
Der klägliche Friede von Villa⸗Franca erfüllte Defterreichd Freunde 
mit Schmerz, und wie ſich durch Beiträge an Geld, Lebensmitieln, 
Leinwand, Binden, Eharpie während des Kampfes die Sympathien 
in Deutfchland für die fo tapfere E. k. Armee zeigten, kam man 
nun allenthalben mieter den Kranken, Verwundeten, Gefangenen 
mit aufopfernder Menjchenliebe entgegen. Auch in Zürich traf 

Feh. v. Audlaw. Bien Tagiug. IL. j 19 


290 





auf dem Rückmarſche eine Abtheilung des Regiments „Erzherzog 
Karl” ein, deſſen Chef vor gerade 60 Jahren fih auf Dielen 
Höhen fo ruhmvoll ausgezeichnet hatte. Nach den zwilchen dem 
beiden Kaifern in der Lombardei getroffenen Verabredungen follten 
die Friedensbeflimmungen näher in Zürich durch Bevollmächtigte 
befprochen und in einem Staatövertrage formulirt werden. 

So fahen wir denn nach der Reihe den Grafen Colloredo 
mit Herrn DO. v. Meyſſenburg, den Herrn v. Bourqueney wit 
Herrn v. Bannville, den Präfidenten Deſambrois mit Herrn 
v. Nigra nebit einer Zahl anderer Geſchäftsmänner eintreffen. 

Die Aufgabe diefer Diplomaten war eine um fo peinlichere, 
als ſich vorausfehen ließ, daß die einzelnen Artitel der abzu- 
fchliegenden Konvention größtentheils auch ſchon nidyt mehr gelten - 
würden, ehe die Dinte, welche fie gefchrieben, troden war. So 
geihah ed; es war das Werk der Danaiden, an dem ſich die 
Herren über zwei Monate abmühten; Graf Eollorebo aber ftarb 
noch im Hotel Baur am See, ehe der Bertrag unterfchrieben 
wurde. Ich Hatte mich gefreut, ihn, den Iangjährigen Freund, 
mit feiner Gemahlin bier jo unverhofft wieder zu fehen, und 
tonnte nicht ahnen, Daß er, als ih Züri Ende September ver 
ließ, ſchon drei Wochen nachher eine Leiche fein würde! Graf 
Bourqueney, mir fchon fo vortheilhaft bekannt, batte feinen Bot: 
ichafterpoften bei dem Ausbruche des Krieges verlaflen, und über: 
dieß noch den Schmerz, eine ausgezeichnete, heißgeliebte Gattin 
bald vorher in Wien zu verlieren. Er kam nun mit feinen kleinen 
Kindern in einer Gemüthäftimmung in Zürih an, welde durch 
die Natur des ihm auferlegten, feiner Ueberzeugung widerftrebenden 
Geſchäftes nicht erheitert wurde. — Defambroiß, der farbinifche 
Abgefandte, war immer mihr bei Gerichtshöfen, als in der Diplo: 
matie verwendet worden, ein ftattlicher, wohlwollender Mann, von 
dem fpäter, aber nicht mehr bei der neuen „italienifchen” Staats: 
verwaltung die Rede war. Um fo glänzendere Laufbahn war feinem 

















291 





Begleiter Nigra befchieden, der, ein junger, ſchöͤner Mann von 
nicht gewöhnlichen Fähigkeiten, ſich ſchon in Züri bedeutend 
hervorthat. 

Die geſelligen Beziehungen dieſer Bevollmächtigten unter ſich 
waren auf das geringſte Maß zurückgeführt. Eine feierliche An⸗ 
fangs⸗ und Schlußfihung, einige von der Regierung Zürichs ange: 
botene Feſtmahle, endlich zwei Galladiner an den Geburtätugen 
der beiden Kaifer (15. und 18. Auguft) waren fo ziemlich Die 
einzelnen äußerlihen Anzeichen eines. Kongreſſes. 

An diefe Zeit fiel auch die Eröffnung der Eifenbahn von 
Zürich nah Waldshut, welche durch badifche und eidgenöffilche 
Beamte in einem großen Banquet gefeiert wurde: 

Mitte September hielten fi der Großherzog und die Groß: 
berzogin mit dem Prinzen Wilhelm von Baden, von der Mainau 
tommend, zwei Tage in Züri auf. 

Don diefer Stadt machte ic nun wiederholt einen Auaflng 
nah Maria Einfiedeln. 

Diefer berühmte Wallfahrtsort ift in „Maria Regina“ *) fo 
unnachahmlich Ihön, wahr umd geiftreich geichildert, daß ich jene 
ſchwungvollen Seiten nur abfchreiben müßte, um meine eigenen 
Empfindungen wiederzugeben. In gleicher Weile hat ein anderes 
Buch zur Erinnerung an das taufendjährige Beſtehen des Stifte 
die Aufmerffamkeit wieder diefer Thalfchlucht zugewandt. Das 
Klofter zählte feit jener Zeit unter feinen Gliedern viele Männer 
von audgezeichnetem Rufe in den Wiſſenſchaften und fchönen 
Künften; ed ift eine Stätte der höheren Bildung wie des Gebets. 

Schon -fah Ich große Vorbereitungen zu dem Säfularfefte im 
Jahr 1861 treffen, und die ſchoͤne, mit Gemälden reich verzierte 
Kirche wurde bergeftellt. 

Ungeachtet aller Kriegs: und zerftörenden Revolutionszeiten, 


*) 11. ©. 46 bis 74. 





19* 





292 





ungeachtet der philofophifchen Richtung der Geifter bleibt fich body 
der Zug der Pilger nad dem flillen Schwytzer Thale immer 
glei, und bat ſich in den lebten Jahren noch ſtets gefteigert. 
Nicht nur ziehen Schaaren von ſchlichten Landleuten aus allen 
Gegenden, kämpfend mit Opfern, Entbehrungen und Beſchwerden. 
berbei; nicht nur fieht man ganze Gemeinden mit Kreuz umd 
Fahnen, ihre Seelforger an der Spike, die Wallfahrt unternehmen, 
auch weltliche und Kirchenfürften, erleuchtete Männer der Wiffen: 
ſchaft, Künftler, alle Stände finden fich ‚bier zur gemeinichaftlichen 
Andacht vereinigt. Es gehört doch wahrlid, zumal in unferer 
ſ. g. aufgellärten Zeit, mehr ala Aberglaube, Unwiſſenheit und 
Prieftertrug dazu, um fo viele Ehriften aus allen Klaſſen der 
Geſellſchaft in jenem abgefchiedenen Gebirge zu verfammeln, und 
ein Mann, der, Zeuge diefer rührenden Andacht, darüber uur 
fpötteln Tann, müßte ſchon Tängft für beflere Gemüthsſtimmung 
unempfänglid fein. Denn es ift ein gewiſſes Etwas, das und 
in diefen geheiligten Räumen mit ehrfurchtsvollem Erftaunen ers 
füllt; es wehen uns da die Erinnerungen von 10 Sabrhunderten 
entgegen; es it, als ob die Luft gefättigt märe von den frommen, 
innigen Gebeten, Vorſätzen, Gelübden, Wünichen, Seufzern und 
Dantgefühlen der Millionen Pilger, welche hier Troft, Beruhigung, 
Glaubensſtärke, Lebensmuth, Kraft im Leiden wiederfanden. Nie 
verhallen die geiftlichen Lieder oder das laute Gebet der Wallfahrer; 
ed ift eine fortwährende Verberrlihung zu Ehren Gottes und der 
heiligen Jungfrau! 

Schleihen fih auch, wie allenthalben, Mipbräude ein, if 
beſonders die übergroße Zahl von Wirthähäufern mit ben zum 
Theile ganz unpaffenden Aushängichildern förend, fo verſchwinden 
alle unangenehmen Eindrüde bei dem Eintritt in die weiten Hallen 
jelbft, wie beim Anblid der Muttergottes- Kapelle, wo in den 
Frühftunden fortwährend das heilige Meßopfer gebracht, Lichter, 
Opfergaben geweiht, oder Exvoto⸗Bilder niedergelegt merden. 








293 


Die Gegend am Fuße des Etzel gehört zu den unwirthlichen, 
nicht audgezeichneteren der. Schweiz; nur der Weberblid von der 
Anhöhe bei dem neuen Kreuze ift Iohnend, da da3 Auge auf der 
majeftätfchen Gebirgäfette ruht; fleigt man aber in’3 Thal herab, 
begegnet man Moorgründen, dürftigen Wiefen, von feinen Bächen 
durdichnitten, düfteren Tannenwäldern — es tft die nur etwas 
Aultivirte Wildniß des heiligen Meinrad. 


Einige Monate nah dem Tode des Grafen Colloredo in 
Züri vollendete auch der Kardinal: Erzbifhof Viale-Prela in 
Bologna feine irdifche Laufbahn. Mit beiden Staatmännern in 
demfelben Jahre (1799) geboren, mit beiden während meines 
zehnjährigen, beinahe täglichen Umgangs in Münden und Wien 
eng befreundet, bewahre ich beiden ein wehmüthig-dankbares An- 
denfen. Der Kardinal, welcher mit den freieften Formen einen 
würdevollen Ernft und ausgezeichnete Fähigkeiten verband, Deutſch⸗ 
land mie kein italienifcher Kirchenfürft kannte und Tiebte, flarb 
unbezweifelt am gebrochenen Derzen im Angefidite all der revo⸗ 
Iutionären Gräuel, melde befonder3 an feinem Bilchoföfike vor: 
fielen. Ein fchöner Tod entſprach vollkommen feinem fegenreichen 
Leben, und immer zu beflagen ift, daß ein noch zu fo großem 
Wirken berufener Geift und mit ihm fo viele der edelften Eigen: 
ſchaften dem Wohle der Kirche, welcher er nicht aus Ehrgeiz, 
nur in treuem Glauben, von ganzer Seele anbing, entzogen 
werden follte! 

Graf Franz Eolloredo-Wallfee, nach der Reihe k. k. Ge 
fandter in Kopenhagen, Dresden, Münden, St. Peteräburg, London 
und Rom, war allenthalben eine allgemein beliebte und verehrte 
Perfönlichkett. Sein milder rnit, fein feingebildeter Geiſt, ber 
ebelfte, verföhnlichite Charakter, ftet3 bereit zur Hülfe wie zum 
wohlwollenden Rathe, waren bei ihm mit regem, lebhaftem Triebe 


_ a _ 
nach Wiffen verbunden. So wenig ſich Eolloredo den geichäftlichen 
wie gefelligen Verpflichtungen feines Standes entzog und in höheren 
Zirkeln eine ftet3 milllommene Eridyeinung war, jo flüchtete er 
fih doch gar bald wieder in feine Bibliothel, wo er, umgeben 
von den reihen Schäben der fchönen Literatur wie von klaſſiſchen 
und wiffenfchaftliden Werken, am meilten vermweilte. 


War er für feine Berfon und in feinen Lebensbedürfnifſen 
höchſt einfach, fo vertrat er ala Botfchafter feinen Hof in einer 
würdigen, jelbft glänzenden Weife, und fo verfammelte er im 
Benitianifhen Palafte zu Rom drei Jahre lang tägli die ein- 
vbeimifche Gefellichaft wie die aus allen Welttheilen da zufammens 
ſtrömenden Fremden. 


Der Natur der Sache nad entzieht ſich die Wirkſamkeit der 
Diplomatie größtentheil3 der Deffentlichleit; die Beurtheilung ber 
Thätigkeit Colloredo's gehört daher wohl einer fpäteren Zeit au. 
Es belebte ihn aber vor Allem eine reine Vaterlandsliebe; er 
kannte Teinen anderen Ehrgeiz, ala den, fih dem Wohle des 
Kaiſerreichs zu widmen; er hatte ein deutſches Gerz, ächt deutfche 
Sefinnungen, und wenn bei der Ungunft der Zeitläufe feine, ſowie 
fo viele andere edle Kräfte ſich erfolglos in einem aufepfernden 
Kampfe verzehrten, fo maren fein Wille, feine redliche Abſicht ſtets 
die beiten. Waren ihm vielleicht auch jene Klaftizität und That: 
fraft nicht eigen, welche der von ihm felbft erwählte Beruf in 
wichtigen Augenbliden erfordert, fo entfagte er, uneigennüßig und 
unabhängig, dem feiner Geſchmacksrichtung mehr entiprechenden 
Privatleben, um alle feine Gaben dem Staatödienfte zu weihen. 
Immer klarer aber erkannte er den wahren Weg zum Heile, umd 
als fein längerer Aufenthalt in Stalien, die dort über ibn 
bereingebrochenen politifchen Stürme trübe ſtimmten, fein patrio⸗ 
tiſches Gemüth aus laufend Wunden biutete, ereilte ihn der Tod 
mitten in einer ehrenvollen, aber wenig lohnenden Thätigleit. Es 








295 


genüge jetzt an diefen paar Blumen, geftreut von Freundeshand 
auf das viel zu früh geöffnete Grab eines Edelmannd im volliten 
Sinne ed Wortes! 


Die zwei Winter, welche ih in Straßburg verlebte, brachte 
ih mit gefchichtlichen und genealogifchen Studien zu, da meine 
Familie aus dem Elſafſſe ftammt, benüßte tie dortigen reichen 
Archive und Bibliothefen, und hielt mid) von allen gelelligen und 
anderen Beziehungen jern. Die Gegend ift wenig einladend; ſchon 
der Aufenthalt in einer großen Feſtung mit ihren Gräben, Waſſer⸗ 
feitungen und von Sanonen ftroßenten Promenaden ift immer 
drüdend; nur in den Vogeſen findet man Waldesfrifhe, wird 
Auge und Gemüth durch Naturfchönheiten erfreut. Unter den 
näheren Thälern zeichnet fich das von Andlaw mit feiner alten 
Stiftäfirche, der romantifch gelegenen Schloßruine aus, und unfern 
davon erhebt fich der befannte Wallfahrtöberg der heiligen Ottilie. 


Straßburg, welches die zehnte Stelle unter den Städten Frank⸗ 
reichs einnimmt, trägt auch den Charakter der meiſten diefer größeren 
Provinzialjtädte; doch ift e3 vor Allem ein Sammelplag zahlreicher 
Truppentheile, ein wichtiger Waffenort, in dem ftet3 die größte 
militärifche Thätigkeit herrſcht. Zahlreich find Paraden, Uebungen 
im euer, befonderd der Artillerie, und die ungebundene Rübrig- 
feit, der muntere Eifer, die rafchen Bewegungen der Soldaten 
aller Waffengattungen laſſen auch bier die Vortheile ahnen, welche 
ein ſolch' Friegerifcher Geift über andere minder feldgeübte Truppen 
erringen muß. 

Neben diefem bewegten Treiben gibt fi auch viele Regfam- 
feit in Dandel und Verkehr, im Fabrikweſen fund, und Eifen- 
bahnen wie Schifffahrt machen Straßburg zu einem bedeutenden 
Stapelplake. 








296 


Nicht minder zeigt fi eine erhöhte Xhätigleit auf dem 
veligiöfen Gebiete: der herrliche Münfter, deſſen wundervoller Ban 
nicht nur jedes gläubige Gemäth, auch alle Kunftfreunde begeiftert, 
Iadet wie zur Andacht ein, und der wahrhaft erhebende Gottes- 
dienft, gepflegt von würdigen Brieftern in Verbindung mit aus⸗ 
gezeichneten Kanzelrednern, läßt diele herrlichen Hallen nie Leer 
werden. Kine große Zahl chriftlicher Vereine hegen und fördern 
diefen dem Höheren zugewandten Sinn, der fih vom ängflliden 
Formenmelen und Sceinheiligfeit fern hält. Damit find wohl: 
thätige Anftalten im ächt evangelifhen Geilte verbunden, und 
weibliche Congregationen, die nicht genug zu rühmenden Schweftern 
des heiligen Pincenz von Paula an der Spike, nehmen fi, an 
Hingebung und aufopfernder Nächftenliebe wmetteifernd, dem Schul⸗ 
unterrichte, der Krankenpflege, der Erziehung der Dienftboten, der 
Waiſenkinder u. dgl. m. an. Der Hab und die Berläumdung, 
weldye ſich an allen Inſtituten der Kirche vergreift, hat fich auch 
an verichtedenen Orten erfrecht, die ebenſo befcheidene ala heilſame 
Wirkfamkeit ‚ver barmberzigen Schweitern „zu verhöhnen oder zu 
verdächtigen“. Nur hämiſche Bosheit kann das Gute, welches 
die frommen Frauen im Stillen Ieiften, abſichtlich verdammen; 
wer aber gedankenlos in diefe ungegründeten Vorwürfe einftimmt, 
bat fi wohl nie die Mühe gegeben, näher in das Weſen Diefer 
Klöfter einzudringen. Finden fid) da auch, wie allenthalben, vorüber: 
gehende Mißbräuche, der Geift und die Regel, welche den Orden 
felbft leiten, Fönnen nur zu einem fegensreichen Ziele führen! 

Dielen katholiſchen VBeftrebungen gegenüber macht fi) auch ein 
nur in wenigen franzöfifchen Städten befannte® Element — das 
proteftantifhe — in Straßburg geltend; es find die Kirchen für 
beide Theile der Zahl nach gleich; die katholiſchen Einwohner aber, 
welche zur Zeit der Meformation auf eine ganz kleine Gemeinde, 
die nur indgeheim ihren Gottesdienft feiern konnte, herabgefunken 
war, zählt jebt über 30,000 Seelen! 








297 


Es gibt Fein deutſches Gemüth, welches nicht ebenfo die 
Thatfache, daß Straßburg dem Reiche entriffen, wie die Art be 
klagte, mit der dieß geichehen. Bid auf den heutigen Tag hat 
diefe Stadt die Zwitternatur nicht abgelegt, welche ihr jene Befit- 
nahme aufgedrüdt. Trotz Ordonnanzen, Schulunterriht und Er⸗ 
mabnungen behält Elfaß feine deutichen Sitten, jelbft die Sprache 
bei, und auffallend tritt der Kontraft hervor, wenn man die Volls: 
trachten, die Bauart der Dörfer mit jener über den Vogeſen ver- 
gleicht; das germaniſche Weſen läßt fi, da meder verläugnen noch 
vernihten. Wenn fi) die Bevölkerung dennoch nicht nad) einer 
deutfchen Herrſchaft jehnt, fo leitet fie eben dabei das Gefühl, 
einer großen, in ſich einigen Nation, einem, ungeachtet aller 
Derhfelfälle, mächtigen, abgefchloffenen Reiche anzugehören. Das 
klägliche Schaufpiel, welches das in ſich zerfallene Deutichland gibt, 
die Ausſicht, irgend einem der Meinen Bundesſtaaten zugetheilt 
zu werden, tft nicht geeignet, den Elfäflern das Loos ihrer über: 
theiniihen Nachbarn und ehemaligen Landsleute beneidenswerth 
ericheinen zu machen. 

Es iſt dennoch ein eigenthümliches Gemiſch von Beftand- 
theilen, welche ſich afjimiliren möchten und doch mieder theilweiſe 
abfioßen. Die Beamten, die höhere Gefellfchaft, die Garnilon, 
ein Theil der Handelswelt denkt, Ipricht, tritt franzöfiich auf, Die 
Bürgers- und Volksklaſſe bleibt in gewiſſem Grade deutſchem 
Weſen, bdeutfcher Ausbildung treu und drüdt fid in einem wider: 
lihen Jargon, aus Worten beider Sprachen zufammengefegt, au. 
Es mird abwechſelnd in den Kirhen und Schulen deutſch und 
franzöſiſch gepredigt und gelehrt; die Schwurgerichtöverhandlungen, 
franzöfifch, merden durch die fortwährenden Verdollmetſchungen 
fhwerfällig; die Vorſtellungen in dem fchönen, meiftend guten 
Theater find in der Regel franzöfiih, menngleich öfters deutſche 
wandernde Truppen fpielen, und wie ſich fomit der kunſtreiche 
Münſterthurm, weithin fihtbar, in der Nheinebene mitten zwilchen 


298 


dem Schmarzwalde und ten Bogefen erhebt, fo ftreitet ſich auch 
das galliſche und germaniſche Element in Straßburg um den 
Vorrang. 


— — — — — 


Gegen Ende des Jahres 1859 endete Markgraf Wilhelm 
von Baden einen Lebenslauf, welcher nach drei Richtungen hin 
ein thätiger, lohnender, feinem Vaterlande gedeihlicher war. Früh 
ſchon ausgezeichnet im Felde, hatte der Prinz in der langen 
Friedenszeit keine Gelegenheit mehr, ſich durch die ihm angeborne 
Tapferkeit hervorzuthun; mit deſto größerer Sorgfalt widmete er 
ſich der Ausbildung des Heerweſens und einer umſichtigen, oberſten 
Leitung der Corps. Seine ſtaatsmänniſche Befähigung hatte der 
Markgraf in den ſchwierigen Miſſionen bewieſen, welche er zum 
Wohle ſeiner Familie angenommen; er führte die Verhandlungen 
glücklich zu Ende und war auch während 40 Jahren ein erprobter 
Präſident der erſten Kammer in Karlsruhe, ſich durch ruhige, 
unparteiiſche Führung der Geſchäfte auszeichnend. Nicht minder 
war ſeine Thätigkeit einem anderen nützlichen Streben, dem Schutze 
und der Hebung der Landwirthſchaft zugewendet, und während er 
ſo auf ſeinen ausgedehnten Beſitzungen mit dem erſprießlichſten 
Beiſpiele voranging, bot auch fein Familienleben das Bild häus— 
lichen Glücks. Wie ſeinen erlauchten Bruder hatten auch den 
Markgrafen Wilhelm die unſeligen Vorgänge des Jahres 1849 
mächtig erſchüttert; es war nicht ſowohl der Undank, den er für 
ſo viele Aufopferungen geerntet; großherzige Seelen wiſſen ſich 
über ſolche Erbärmlichkeiten zu tröſten; es war ſein patriotiſches, 
zerriſſenes Herz bei den Anblick fo vielen, muthwillig heraufbe⸗ 
ſchworenen Elends, einer fo ganz zwecklos unternommenen Um— 
wälzung, welche Niemand zu gut kam. 


Einige Wochen ſpäter ſtarb nad langen Leiden in Nizza 
(30. Januar 1860), mo fie Linderung zu finden hoffte, die 


Sroßherzegin Stephanie von Baden. Es war mir noch ver: 
gönnt, bei der Durchführung der Leihe im Straßburger Münfter 
der fo hochverehrten Frau den lebten Tribut dankbarer Anhäng- 
lichkeit darzubringen, und unter dem Eindrucke diefes ſchmerzlichen 
Abſchieds fchrieb ih u. a. in die Allgemeine Zeitung nach einer 
furzen Lebensnotiz: 

„Es waren nicht fowohl ihre überlegenen Geiftesgaben, es 
war vielmehr die mit Wärte und. Wohlmollen verbundene Erſchei⸗ 
nung, weldye einen eigenen Zauber auf Alle ausübte, welche ihr 
zu nahen dad Glück Hatten, und ihre entichiedeniten Gegner ent⸗ 
waffnete. Dielen gejelligen Vorzügen ftand ein überans gebildeter 
Geift zur Seite; fie kannte keinen anderen Ehrgeiz, als den, vecht 
viele gründliche Kenntniffe zu fammeln, keine andere Eitelkeit, als 
den raftlofen Drang des Wiſſens zu befriedigen. Sie übte diefen 
Trieb aber nicht etwa pedantifch, wie andere wißbegierige rauen, 
es lag feldft in diefem Streben die ihr immer eigene Grazie; fie 
rang nach univerfeller Bildung, fuchte und fand oft in fcheinbar 
nod jo unbedeutenden Begeanungen Stoff zu belehrender Unter: 
haltung. Die Großherzogin Stephanie legte deßhalb wenig Werth 
auf äußeren Prunk, auf Toilette, fand feinen Geſchmack an ge: 
wöhnlichen Hof: und Klatſchgeſchichten. Ihr Geſpräch nahm ftet# 
eine gediegenere Richtung. Wie in der Wiflenfchaft, trugen auch), 
wenn ich mich fo ausdrüden darf, ihre politifhen Anfichten eine 
Art von kosmopolitifcher Färbung. Sie, die hochbegabte Frau, 
welche mit Napoleon I. wie mit Kaifer Alerander, mit Karl x. wie 
mit Louis Philipp in freundlichem Verlehre geſtanden, durch ihre 
wie ihrer Töchter Vermählung mit vielen deutſchen und anderen 
Höfen verwandt war, verfammelte gerne um ſich im vertrauten 
Kreife, was an Verdienſt, Gelehrſamkeit und Talenten hervorragte. 
. Hatte die Großherzogin einen beinahe männlichen Geift, vielfeitig 
gebildet, fo trat auch die weibliche Seite da hervor, wo ed galt, 
einem unerjchöpflihen Wohltgätigfeitäfinn zu genügen. Hier wandte 


500 


fih ihre Thätigfeit nun vorzugsweiſe der Erziehung der weiblichen 
Jugend zu. Unermüdet ftrebte fie nach diefem fchönen Ziele, und 
nicht allein waren es Zöglinge aus höheren Ständen, auf die fie 
einwirfte, auch armen Kindern widmete fie eine mit Opfern und 
Ausdauer verbundene Sorgfalt. So trug fie frucdtbringend ihr 
reiches Wiſſen auch auf weitere Kreife über. — Während fie auf 
dieſe Weife nur in geringerem Grade Tleinliche Schwächen mit 
ihrem Gefchlechte theilte, beiwunderte man an ihr immer Me Yeb- 
baftigfeit des Geiſtes. Doc ging, befonderd in der letzten Zeit, 
wohl durch phyſiſche Leiden genährt, ihre Thätigkeit in eine fie 
verzehrende Unruhe über; fie wechſelte fchnell, oft Allen unerwartet, 
ihren Aufenthalt, umgab fich immer wieder mit neuen Gegen⸗ 
ftänden, fteigerte dadurd vieleicht ihren krankhaften Zuftand und 
befchleunigte ihren Tod. — Es gab viele Stimmen, welche ihre 
häufigen Meifen nad Paris, ihre Freude an der neuen Ordnung 
der Dinge dafelbft tadelten. Wer konnte es ihr aber wehl ver: 
argen, wenn fte in ihren lebten Lebensjahren die fo unverbofft 
wieder ihr vor die Augen geführten Traumbilder der eriten Jugend: 
zeit gerne begrüßte? — In dem Lande aber, in dem fie 54 Jahre 
dur einen ſolchen Verein weiblicher Tugenden glänzte, wird ihr 
Andenken ftet3 gejegnet fein! Sie trodnete gar mandye Thräne, 
legte den Keim zu mancher guten Frucht; fie hing warm und 
treu an ihren freunden, war immer offen, ohne Yall gegen 
Andersdentende. Ale Verftellung war ihr felbit fremd, fowie an 
Dritten verhaßt. Sie biieb fich ftet3 in allen Verhältniffen und 
unter allen Umftänden- gleich! War ihre Wirkſamkeit aud eine 
beihränfte, griff fie nicht entjcheidend in die Geſchichte unjerer 
Zeit ein, fo ift die Großherzogin Stephanie doch, ihrer eigenthilm- 
lihen Schickſale wie ihres edlen Charvalterd wegen, den ausge⸗ 
zeichneteren rauen unferes, an hervorragenden weiblichen Geſtalten 
gerade nicht überreichen Jahrhunderts beizuzählen! Weber ihrem 
Sarge ſchloß fih die fürftlihe Gruft in Pforzheim; die neue 





801 


badiſche Herrfcherfamilie bat ihre Begräbnißſtätte in der Stadt: 
firhe zu Karlsruhe.“ 


Die Zuftände Oeſterreichs, wie fie. fih allmälig nad der 
Kataſtrophe von 1859 entiwidelten, entgingen meiner fortgefebten, 
ſpanneuden Aufmerkſamkeit nicht, und insbejondere waren es bie 
Selbftmorde dreier meiner früheren Bekannten, welche mich mit 
Entſetzen erfüllten. Man wollte in diefen beklagenswerthen Vor: 
gängen die Symptome einer zunehmenden Fäulniß im Staate 
fehen; ich theile diefe Anficht nicht. Es find jene traurigen Fälle, 
wenngleih im Zufammenhange mit den politiihen Ereigniſſen, 
doch nur vereinzelte Erſcheinungen. 

Aus dem freiwilligen Tode des eldmarfchall -Lieutenants 
v. Eynatten, welcher wegen Unterjchleifen in der Armeevermaltung 
peinlich verhört worden war, wollte man auf einen allgemeinen, 
ſyſtematiſch organifirten großartigen Betrug bei den Lieferungsver⸗ 
trägen, Berpflegungsfoften für die Truppen in Italien fchließen 
u. ſ. w. Die darauf folgende Unterfuhung bat gezeigt, daß das 
Ergebniß nicht im Verhältniffe zu dem Lärm und Auffehen, die es 
gemadht, ſtand; folhe Mißbräuche, Verbrechen und himmelfchreiende 
Unterfchlagungen kommen in jeder Armee von Zeit zu Zeit vor, 
ohne daß deßhalb die ganze Adminifiration verdächtigt werden 
kann. Nachläffigkeit, Mangel au Borfiht in der Auswahl der 
Beamten walten bier vor, und das die Faiferliche Armee betroffene 
Kriegäunglüd brachte die Veruntreuungen und geheimen Schaden 
erft vollend3 zu Tage. Der 686 jährige Eynatten, Familienvater, 
— drei feiner Söhne dienten in der Armee — genoß, bei einer 
einnehmenden Perfönlicdyleit, den Ruf eines unbeicholtenen Charakters. 
Eine beflagendwerthe Sorglofigleit mehr als abfichtliche Untreue, 
ein Zufammentreffen ungünftiger Umftände, in die er ſich rettungs⸗ 
los verwidelt, machten ihn zu einem firafmärdigen Diener feine? 





802 


Koifers, teilen volled Vertrauen er befeflen, und in biefem Gefühle 
zum — Selbitmörder. 

Graf Stephan Szechenpi, 68 Jahre alt, voll lebhaften, 
wohl and etwas ercentriihen Geiſtes, von beinahe fieberifcher 
Thätigleit, erwarb fidh. unläugbare Berdienfte um Ungarn. Er 
belebte den Verkehr durch raſche Förderung der Dampfſfchifffahrt 
auf ter Donau und den Seen, legte großartige Brüden und 
Straßen an, auf feine Anregung wurden Flüffe regulirt, Sümpfe 
audgetrodinet, die Induſtrie gehoben, der Aderbau verbeflert, die 
Biehzucht, befonders der Schafe, gepflegt; er war Gründer der 
BPefter Akademie, Freund der Wiflenfchaften, Künſte und Rational- 
fiteratur. Mit einem Worte, Szechenyi galt vor dem jahre 1848 
für einen der feuerigiten Patrioten, den größten Wohlthäter Ungarns. 
Die Stürme der Revolution machten feiner Popularität ein baldiges 
Ende. Auch er wurde, wie fo viele Andere, von jüngeren, zer: 
ftörenten Elementen überflügelt, und mißvergnügt zog er fid 
allſobald aus dem ungariſchen Minifterium zurüd. Noch ſehe ich 
den Mann mit dem Teuerblide, überichattet von wabenichwarzen, 
bufchigen Augenbraunen, der mit lebhaften Geberden eine raſche, 
von Geift und Eifer fprudeinde Redeweiſe verband. AN dieß war 
nun wie mit einem Bannfluche verfchwunden: Srrfiun batte ſich 
feines fonft fo Flaren Geiftes bemächtigt, und fchon auf dem Rück⸗ 
wege von Beth fuchte er fi) zu entleiben. Seine dunfeln Haare 
hatten ſich gebleicht, fein Aeußeres erichien auffallend vernachläfjigt; 
er war ein alter, um die Vorgänge der Außenwelt anſcheinend 
unbefünmerter Maus geworden. Zwölf Jahre nun befand er fi 
m der Privatirrenheilanſtalt des Dr. Jürgen zu Döbling; er 
behielt die Verwaltung feines großen Vermögens bei, fehrieb nad) 
allen Seiten hin. jedermann hielt ihn daber für volllommen 
genelen; er felbft Tonnte fih aber nicht entichließen, fein Aſyl zu 
verlaffen. Die newen Unruhen in Ungarn veranlaßten eine Unter⸗ 
ſuchung feiner Bapiere; da wurde Graf Szechenyi eined Morgens 


803 


mit durch einen Biftolenfchuß zerfchmettertem Gehirne gefunden! 
War es nun, wie man jagte, Selbftmordmonomanie, die nie von 
ihm gewichen fein ſoll, weßhalb ließ man ihn ohne Aufficht, ver- 
binderte nicht die ſchaudervolle That? 

Ein nit minder genialer Geift, von ebenſo glücklichen, 
jeltenen Anlagen und einer Alles beberrfchenden Berfönlichkeit 
ging auf gleiche bejammernswerthe Weife in dem Finanzminifter 
Bruck unter. Er hatte fih aus fehr untergeordneten Verhält⸗ 
niffen zu den böcften Würden, zu einem, allerdings übertrieben 
geihilderten Reichthum emporgeihwungen. Seine Thätigfeit, fein 
Wirkungskreis waren weit außgedehnter, nachhaltiger als jener 
Szechenyi's, fein Wiffen ein univerſelleres. Unermüdlich, vielfeitig 
gebildet leitete Bruck die Geſchäfte mit Umſicht und Gewandtheit, 
und fchredte nicht vor der ungebeueren Verantwortung, vor der 
Laft der ihn beinahe erdrüdenden Berwaltung zurüd; doch mehr 
Kaufherr als Staatömann, vermwidelte er fih in Berechnungen, 
weitausfehende Pläne, welche unerwartete Ereigniſſe zu nichte 
machten; er trug den möglichen Eventualitäten nicht gehörig Meche 
nung, und die kühnen Entwürfe mißglüdten. Doch war er bis 
zum legten Tage heiter und voll Zuverſicht — da droßte auch 
ihm eine Unterfuhung in der erwähnten Lieferungsfache und 
machte die von ihm ſelbſt erbetene Entlafjung aus dem Staats⸗ 
dienfie nothwendig. In einer fürdhterlichen, unbewachten nächtlichen 
Stunde trat der Verfucher heran, deſſen entſetzlichen Einflüfteruugen 
er nachgab. Erft viele Stunden nachher folgte der Tod der gräß- 
lihen That, die Bruck bereute, wohl fühlend, daß dadurch ihm 
jedes Mittel zu feiner Rechtfertigung entging! Meiner eigenen 
Beziehungen zu Brud, welche nicht felten Fragen wichtiger Ver: 
bandlungen umfaßten, konnte ich mich nur freuen; er hatte einen 
fharfen, richtigen Geichäftsblid und dabei die einnehmendften 
Formen. Es fehlte ihm nicht an wohlmwollenden Vertheidigern mie 
an erbitterten Gegnern. Aufrichtige Trauer wie Verwünſchungen 


304 


folgten ihm in’d Grab. Wer kann über fein Welten richten? 
Nur Gott vermag in die Falten des menſchlichen Herzens zu 
fteigen, die geheimen Beiveggründe unferer Handlungen zu prüfen. 
Es geziemt fid daher wohl, daß bei fo traurigen Anläflem ein 
ernfied Schweigen die letzte Stätte decke. Peinlih mußte es fomit 
bei der Leichenfeier Brud’3 berühren, daß der „Diener des Evange⸗ 
liums“ an diefem Sarge nur Worte überſchwänglichen Lobes für 
die irdifhen Bemühungen, der begeifterten Bewunderung für Den 
Charakter wie die glänzenden Eigenſchaften des Minifter3 fand; 
man vermißte dabei jede nur leiſe Andeutung chriftliher Mahnung 
bei diefem außerordentlichen Falle, jeden Ausdrud fehmerzlichen 
Bedauerns über ein jo Mägliches, eine ganze, thatenreiche Laufbahn 
mit einem unauslöfchlidhen Flecken bedeckendes Ende! 


Nach einem im Großherzogthum auf dem Lande und unter 
feinen Ausflügen nady der Schweiz verbrachten Sommer ließ ich 
mid, wie bemerkt, vorerft in dem freundliden Baden-Baden 
nieder, mo id; Mitte November, mich von einer abermaligen Bruft- 
krankheit zu erholen, eintraf. Schon während der jchönen Jahres⸗ 
zeit hatte ich die Stadt der „römifchen Thermen“ beſucht uud 
war da Zeuge ded „deutſchen Fürſtenkongreſſes“ geweſen, 
in deilen Mitte fi der Kaifer der Franzoſen eingefunden hatte. 
Bier Könige, drei Großherzoge, drei Herzoge umgaben bier den 
PrinzsRegenten von Preußen, auf deſſen Zufammentreffen es Louis 
Napoleon vor Allen abgefehen hatte. Die Ergebnifle diefer er- 
lauchten Berfammlung waren fcheinbar wenigſtens nicht von erheb: 
lichen Folgen begleitet. Der Großherzog bewirtbete feine hoben 
Säfte auf's freunblichfte in den alten und neuen Schlöffern, an 
denen die Umgebungen des fchönen Thales jo reich find. Der 
Empfang, den der „gallifche Eäfar” von Seiten des Badepublikums 


305 





fand, war ein anftändiger, aber weit entfernt von der offiziöfen 
Begeifterung, welche einige impertaliftifhe Enthuſiaſten von jenfeits 
des Rheins auf diefen deutfhen Boden übertragen wollten. 
Napoleon beimohnte das neuerbaute „Stepbanienbad”, wurde viel 
theils zu Fuß, auch in einem Meinen Einfpänner fahrend gefehen, 
und befuchte nach der Reihe die deutfchen Fürften. “Der englifche 
Hof, in weldem die Bundesfürften von Bayern, Sachſen und 
Hannover abgeftiegen waren, geftaltete ſich demnach wahrhaft zu 
einem Hotel „zu den drei Königen“! Napoleon blieb zwei Tage 
und Fehrte, wie man behauptete, fidhtbar verfiimmt und enttäufcht 
nad Paris zurüd. 

Die Saifon, welche ſchon im Juni einen fo glänzenden Auf: 
ſchwung genommen, erhielt fih zwar nicht auf gleicher Höhe; 
dennoch gehörte fie, ungeachtet einer beftändigen naffen Witterung, 
zu den nummerreichiten; denn der Werth eined Sommers richtet 
fi immer nad der Zahl der Badegäſte und Tremden, welche ſich 
jeit 10 Jahren immer zwiſchen 30,000 bis 40,000 erhält, und 
dadurch die Bau: und Spelulationzluft wedt. 

In Bafel Hatte ih Mitte September zufällig, von den 
lieblichen Badenweiler aus, der 100 jährigen Aubelfeier der dortigen 
Univerfität beigewohnt. Es war das erfte Feſt diefer Art, welches 
ih ſah. Die Stadt war reich verziert, beſonders nahm fidh das 
alte Rathhaus fehr gut aus: ein unabfehbarer Zug bemegte fich 
durch die Straßen, und eine Schaar in die Tracht Tell's gefei- 
deter Männer vermifchte ſich in ziemlich origineller Weife mit den 
in ihren Talaren erjchienenen abgeordneten Brofefforen deuticher 
Hochſchulen. Teftreden und gelehrte Abhandlungen wurden vor 
den großen Berfammlungen gelejen, welche in der Peterskirche 
ftattfanden, und der riefige Sentraleifenbahnhof nahm die effenden, 
trinfenden, toaftirenden Gäſte auf. Das Ganze zeigte mehr Un- 
gebundenheit und zwanglofe Heiterfeit, ala ernfte Würde und finn: 
reihe Anordnung. Auch fehlte es nicht an Beleuchtung, Tärmender 

Sch. dv. Andlaw. Wen Tagebuch. IL 20 


306 





Janitſcharenmuſik, Tadelzug, Jubel, Schweizermilitär aus jeder 
Alterdflafie u. dgl. m. Was mich dabei jedoch am meilten und 
perfönlich intereflirte, war die Erinnerung an den erften Rektor 
der Univerfität Bafel: „Georg von Andlam,“ der 1466 ftarb, und 
in dem herrlichen Münfter, das num glüdlicher Weile aus dem 
unwürdigen Auftande, in dem es fi befand, ſchön veflaurirt 
hervorging, ein paſſendes Grabdenkmal dat. An dem Univerfitäts 
gebäude felbft aber waren drei große, mit Blumen und Lorbeeren 
umgebene Medaillond aufgehängt mit den Namen: des Aeneas 
Silvius Piccolomini (Pius II, de Gründers), Johann? von Ven⸗ 
ningen (damaligen Fürſtbiſchofs) und Georgs von Andlaw (erfken 
Rektors). 


Baden: Baden hat im Winter eine von dem bewegten 
Saifonleben gänzlich verfchiedene Phyſiognomie. Man lebt da ſtill: 
ed bilden fi unter Einheimiſchen und zurüdgebliebenen fremden 
Familien Coterien; ein Theil der Bademuſik fest ihre Uebungen 
zweimal in der Woche fort; ein Theater fehlt; der nenerbaute 
Saal ift eben der Vollendung nahe. Selbft in der rauhen Jahres: 
zeit ladet die veizende Umgegend zu Spaziergängen ein, und ba 
Klima ift, wenn auch nicht milde, doch meiftend windſtill, und 
der Anblid der warmen Quellen, deren Ausflug durch die Straßen 
dampft, läßt wenigſtens erwarten, daß fie die kalte Luft mildern. 
Der Umgang mit gebildeten Menſchen erſeht, was an Kunſt⸗ 
genüffen und großftädtifcher Gefelligfeit vermißt wird, und aud 
gute, alte Belannte begrüßte ich wieder freudig, unter ihnen 
Dr. Öugert, deflen Berühmtheit nur feinen menſchenfreundlichen 
Wohlwollen gleihlommt. 

Der Sommer 1861 blieb hinter feinen Vorgängern wicht 
zurüd; nur von 1857 war er an Zahl der in die Badelifle ein- 
getragenen Gäfte übertroffen. Die fo beliebten Plätze der benad- 





8 _ 


barten Höhen und Thäler maren von Befuchenden nie leer, und 
ebenſo große Anziehungskraft als die blühende Natur übte wie 
gernößnlich der grüne Teppich, flatt der Blätter, Nummern und 
farbige Lappen. 

Die lange Reihe der Feſte wurde in diefer Saifon mit einem 
großartigen Banquete eröffnet, welches das badifche Handels 
mimiftertum bei Gelegenheit der Einweihung der Kettengitterbrücke 
der Eiſenbahn von Kehl nad Straßburg im Kurſaale gab. Es 
war Kon 800 Oäſten die: und jenfelt? des Rheines befucht, und 
es fehlte nicht om „internationalen“ Tonften und Reden. Die 
Freuden Badens find oft befhrieben; ans ben fernften Gegenden 
gibt man fi) hier gern ein Stelldichein, und bie Ruſſen find es 
vorzugsweiſe, die in fo mannichfacher Richtung gebotene Genüſſe 
auffuchen. Mit der täglich dreimal ertönenden guten Bade- oder 
der Mufif der in Raftatt garnifonirenden Bfterreiähtichen, preugifchen 
und badiſchen Megimenter verbinden fich großartige Concerte, aller: 
Hebfle Vorſtellnngen von Baudevilles von den beiten franzoͤſiſchen 
brematifchen Känftlern, Bälle, Jagden, Wettrennen, Teuertverfe 
u. dgl. m. Alle dieſe meiſt unentgeldlich gebotenen Vergnügen 
ziehen denn auch einen Schwarm won demi monde, Glädärittern 
und anderen unwillkommenen &rfcheinungen nach ſich, und machen 
Boden, bei dem jebigen Yeichten und rafchen Verkehre, gleihfam zu 
einer Vorſtadt von Parts, das und gelegentlich nicht feine beften 
Säfte ʒuſchickt. Es zieht ſich daher die vornehmere, gute Gefell: 
ſchaft immer mehr von dem Treiben des „Comwetfationshauſes“ 
zwei‘, und fucht in den ſchönen Villen, welche fie fih allmälig 
erbaut, eine rubigere, ihrem feinen Geſchmacke mehr zufagende 
Geſelligkeit. Nach ihrer Anficht Yımte daher Baden durch bie fo 
wiet beiprochene Aufhebung des öffentlichen Spieles nur gewinnen, 
weil dadurch die Beſtandtheile des Badelebens geläutert, die damit 
verbundenen tragifhen Scenen vermieden würden. Auf die Fre 
quenz der Stadt, und rüdmwirtend auf ihre gemerbtreibenden Be⸗ 

20* 


308 

wohner, auf die Verfchönerungen, die Freuden, wie auf die 
Unterftüßungen der Armen und wohlthätigen Anftalten würde 
freilich eine ſolche Maßregel nachtheilig wirken, doch gleicht ſich 
dies mit der Zeit wohl wieder aus. Benazet, dem Spielpächter, 
fann man jedoh dad Zeugniß nicht verfagen, daß er, fo viel in 
feinen Kräften, die Gehäſſigkeit, welche feiner Erwerböquelle anbängt, 
vergeffen zu machen fucht, Leine Auslagen fcheut, den ‚Aufenthalt 
der Tremden fo genußreid, und glänzend als möglich zu machen, 
und großmüthig überall da in erfter Linie zu treffen ift, mo es 
gilt, zu belfen, fich bei frommen oder menſchenfreundlichen Werten 
und Stiftungen zu betheiligen, Wunden zu heilen, für Verpflegung 
von armen Badekranken zu forgen u. dal. m. 

Wohl kann man mit Schiller in den „Kranidyen des Jbifug‘ 
fragend ausrufen: wer zählt die Säfte, die ftrömend ziehen in 
das Thal, wo nit ein Felt, wo eine Reihe von wechjelnden 
Genüffen jeden nad feinem Sinne zur Theilnahme einladet? Es 
liegt von dieler lebten Saifon ein langes Berzeihni von Namen 
hoher fürftlicher Perfonen, von berühmten Kriegern, Staatsmännern, 
Gelehrten und Künftlern vor, und bis weit in den Oftober er: 
ſtreckte fid) das Tebhafte Treiben, welches gewöhnlich mit der „Iffez⸗ 
beimer Steapel chase‘‘ und anderen Freuden des „Turf,“ wie 
des „Sport‘‘ feinen Höhepunft erreicht. Der .großberzogliche Hof 
war länger ald gewöhnlich anweſend, und luſtig flatterte, zur 
Freude der Bewohner, noch fpät die gelb-rothe Fahne von den 
Zinnen ded Schloſſes in der Herbitluft. Auch eine nur zu ge 
rechte Huldigung bradte die Stadt Baden dem Andenfen bes 
edlen Großherzogs Leopold, der fo viel für diefe Stadt feines 
Namens mie feiner Ahnen getban, das Schloß wie Eberſtein fo 
zwedmäßig und ſchön berftellte, fo gern bier verweilte. Sein 
Standbild ziert nun einen Plab mitten in der Stadt, und bei 
deſſen feierlicher Enthüllung, der das junge großherzogliche Ehepaar 


309 


bewohnte, übergop die Septemberfonne das Denkmal mit hell: 
jtrahlendem Lichte! 

Doch auch an ergreifenden Momenten anderer Art fehlte es 
zu jener Zeit nicht. Augufte von Preußen, die Baden fo oft zu 
einem ihrer Lieblingsaufenthalte erflärte, mar diesmal, fpäter als 
fonft, Ende Juni eingetroffen. Bald darauf folgte der Gemahl, 
nun zum eritenmale als König. Beide hatten fi, wie immer, 
heiter, und ungezwungen in der bunten Badewelt bewegt, ald am 
Morgen des 14. Juli — eines Sonntags — während des Gottes- 
dienfted® wir von der ganz unglaublich Mingenden Nachricht erfchreckt 
wurden, daß ein junger Mann auf eine Entfernung von drei 
Schritten in der Lichtenthaler Allee auf den in Begleitung des 
Sefandten, Grafen von Flemming, fpazierengebenden König mit 
einem Biftole gefchoffen babe. Der Monarch war fehr gefaßt, 
nur leicht hinter dem Ohre geftreift, und febte feine Promenade, 
der Königin entgegen, um fie fogleih zu beruhigen, weiter fort. 
Später in feine Wohnung zurüdgelehrt, nahm er ärztliche Hülfe 
an, e3 wurden Bulletins ausgegeben; das Attentat hatte aber 
glüdlichermeife Feine für die Geſundheit des Königs nuchtheilige 
Folgen, und bewirkte wenigftens das Gute, daß ſich die ganze 
Bevölkerung wie ein Dann um den allgemein verehrten, wohl: 
wollenden Monarchen drängte, und außer einem Tedeum und 
Danfgebeten, außer einem von begeifterten „Hochs“ begleiteten 
Fackelzuge, aud) nody viele milden Gaben geipendet, wohlthätige 
Stiftungen gegründet wurden. Bon allen Seiten kamen Abge⸗ 
fandte anderer Fürften, Deputationen von Städten und Regi⸗ 
mentern. Baden war um eine traurige Erfahrung reicher, der 
Schauplatz einer verruchten That geworden, aber die allgemeine Ent: 
rüftung, die fi) allenthalben Lundgegebene Theilnahme und Anhäng- 
Vichkeit für den geprüften König waren wieder eben fo viele erhebende 
Augenblide. Bon bier begab fih das Königliche Paar zur Krö⸗ 
nungsfeier nad) Königsberg, der auch der Großherzog beimohnte. 





. 810 





Der 21jährige Leipziger Student, Oskar Beder von Odeſſa, 
welcher einen fo unbegreiflihen Mordverfuch unternommen, zeigte 
fi) als einen beinahe unzurechnungsfähigen Phantaften, der durch 
anhaltende Studien und überipannte Ideen, in feine? Seilbſtüber⸗ 
ſchätzung beftärkt, fo weit ging, fih für einen großen Mann zu 
halten, und feine erbärmlidye Eitelfeit, feine unverdauten Theorien, 
wie es fcheint ohne Reue über fein Verbrechen, von dem er fid 
feinen Maren Begriff zu machen wußte, zeigten fi während ber 
Bruchſaler Schwurgerichtäverhandlungen, bei denen auf eine 20jährige 
Daft gegen ihn erkannt wurde. 


Wie der Anfang des Jahres 1861 mit dem Tode deö Königs 
Friedrich Wilhelm IV. von Preußen bezeichnet geweien, fo endete 
kurz vor dem Schluffe deffelben der Prinzgemahl Albert in Windfor 
unerwartet fein Leben, das noch zu fo großen Erwartungen be 
rechtigte. Beide Fürſten, fo verſchieden an Charakter wie in ihrer 
Stellung und in der Richtung ihres Strebend oder Dentens, 
nahmen einen reihen Schatz von Geift, Erfahrungen und ftets 
thätigen Kräften ins Grab. Beklagenswerth bei Erſterem bleibt 
immer, daß ein mit lebhafter Phantafie und edlem Gemüthe ver: 
bundener redlicher Wille vielfach verfannt, daß Eigenfchaften, welche 
ihn als Brivatmann zu den gebildetiten, beften feiner Zeit erhoben 
hätten, nicht von gleichem Erfolge auf dem Throne begleitet waren, 
beflagenswerth für immer die büftern Schatten, welche ſich zuleht 
auf feinen fonft fo hellen Geiſt fenkten! Ich felbft bewahre dem 
vereiwigten Könige ein dankbares Andenlen; nicht nur war er mir 
lange immer ein buldvofl gnädiger Herr, er richtete auch oft 
Worte an mid, die mid ihrer zarten Aufmerlfamkeit, des treuen 
Gedaͤchtniſſes wegen rührten. 

Zwei Tönigliche Yamilien maren es insbeſondere, welche in 
den lebten Jahren der Todesengel wiederholt heimſuchte. Bald 





311 


nach dem früßen Ende der Tieblihen Königin Stephanie von 
Portugal ſtarb der mit Gaben des Herzens und reichen Verftandes 
audgerüftete König Dom Pedro im 24. Sabre. mei feiner 
Brüder fliegen zugleich mit ihm in die Gruft. Das fähfifhe 
Königapaar wurde in gleicher Weife ſchwer geprüft; es verlor in 
kurzen Zwiſchenräumen vier erwachſene Prinzeffinnen, von denen 
zwei unvermählt. 


Soll ich nun am Schluſſe dieſer langen Erzählung von Er⸗ 
lebtem und Erfahrenem auch noch von mir, von meinem Charakter 
ſprechen, ſo fürchte ich, wohl mit Recht, mir den Vorwurf zuzu⸗ 
ziehen: „von allen nur denkbaren Dingen und von noch einigen 
übrigen“ verhandelt zu haben. Die in der Einleitung berührte 
Warnung auch jebt beachtend, will ih mich rüdfjichtlid meiner 
eigenen moralifchen Photographie auf die einzelnen Züge beziehen, 
wie fie zerftreut in diefen Blättern enthalten find. Weitere Pinfel- 
firiche dazu finden fidy im IV. Theile „der Briefe eines Verftorbenen“, 
Seite 81 u: folg. Zu meinem Erftaunen lad ich nämlid dort 
ihon vor Jahren den Ausſpruch eines Phrenologen in London, 
deſſen Schilderung fo ziemli mit meinem eigenen Charakter über: 
trifft, und fo wenig ih aud auf Währfagungen und Dffen- 
barungen durch die Organe des Gehirnes halte, jo war jene 
Bild doch ergreifend genug für mich, um es mit Nandbemerkungen 
zu veriehen, zum Nachdenken aufzufordern. 

Da des Menfchen wichtigſtes Studium doc immer „ber 
Menſch ſelbſt“ fein follte, fo fand ich mich von jeher unter allen 
philofophifchen Wiffenfchaften am meiften von der Piychologie 
angezogen; ob aber eine genaue Kenntniß des Nächften auch die 
Fähigkeit in fich fchließt, mit fi und feinem eigenen Charakter 
mehr in's Reine zu kommen, ift eine ſchwer zu Iöfende Frage — 
ed mag an diefen Andeutungen genügen! 


812 


Ich benütze nun die Zeit meiner unfreiteilligen Muße, mid 
mehr mit den neuen Erzeugniffen der Literatur, «befonderd der 
deutichen und franzöfifhen zu beichäftigen. Zwar hatte ich von 
jeher gern und viel gelefen, und trage feit 40 Jahren jedes 
gelefene Werk mit einigen kritiſchen Worten in mein Tagebuch ein. 
Ich möchte diefe Gewohnheit, die weder zeitraubend noch geift- 
anftrengend ift, jedem denfenden jungen Manne nachzuahmen ratben. 
Sie gewährt einen doppelten Bortheil, da fie einmal die Urtheils⸗ 
Fraft fchärft und danıı bei der Lectüre felbft zu einer erhöhten 
Aufmerkſamkeit anfpornt, weil man fich dabei immer mit dem 
Gedanken befchäftigt, wie man das Bud, wenn aud nur kurz, 
befprechen werde. Was nun die zur Hand genommenen Werke 
ſelbſt betrifft, jo geftehe ich, daß ich allerdings nicht fehr wählerifch 
war, und ich glaube, mehr jchledhte, als wahrhaft gute Bücher 
gelefen zu haben. Doch geſchah dies nicht aus reiner Sucht, mid 
zu unterhalten, auch ließ ih mich nicht fo leicht von dem in 
Büchern enthaltenen oft feinen Gifte anfteden: auf meine religiös⸗ 
fittlichen und politiſchen Anſichten hatten fie zum mindelten Teinen 
weientlihen Einfluß, trugen vielmehr nur dazu bei, durch das 
Abgeſchmackte und Abjchredende der darin enthaltenen vermwerflichen 
oder cyniſchen Ideen mid) eher in befferen Grundſätzen zu ftärken. 
Rein wiſſenſchaftliche Werke, Hiftorifhe ausgenommen, lad id) 
weniger, als ſ. g. belletriftifche, und da fah ich denn mehr auf 
die Form, einen blühenden Styl, als auf den Inhalt. Bet 
Romanen feffelten mich Charakterſchilderungen, einzelne Situationen, 
Lebenzanfichten, die Fabel felbit war mir gleichgültig. Wein 
Geiſt neigt überhaupt mehr zur Analyfe, zur ritifchen Beleuchtung 
und Beurtheilung der Dinge, weniger ift meine Einbildungskraft 
entwidelt, und id arbeite daher leichter aus vorhandenem Stoffe, 
als aus eigenem Schöpfungs- und Erfindungsvermögen. Dichter: 
gaben befige ich Feine, und ziehe deshalb auch die Proſa der 
Poefie vor. In der Schreibart ſchähe ich aber vor allem Klarheit 


813 


und Einfachheit; fehwülftige, unverftändliche Worte, die, wie jene 
der modernen Philofophen, in eine eigne Sprache gehüllt find, oder 
bumoriftiih & la Jean Paul mit Anspielungen durchzogen, zu 
deren DBerftändnig man erft den Schlüffel haben muß, fpredyen 
mid niht an. Bon Dichtern las ih am liebſten Schiller, 
Shakeſpeare und Taſſo, und von den alten erfreute mid Virgil. 
Doc zog ich immer die dramatifche Muſe der lyriſchen, epilchen, 
ſatyriſchen oder elegifchen vor. 

Was ich daher früher meiner Berufögefchäfte megen ver: - 
nachläffigen mußte, fuchte ich nun durch Lefung alter und neuer 
Bücher nachzuholen, und e3 Tamen mir dabei verfchiedene, feit 
kurzer Zeit erfchienene |. g. Literaturgefchichten trefflih zu ftatten, 
weil ich die darin zum Theile oft in fo verfchiedenem Sinne ent⸗ 
widelten Anfichten mit meinem eigenen Urtbeile vergleichen und 
mir jo ein immer klareres Bild von diefen Erfcheinungen entiverfen 
konnte. Dabei drang ſich mir immer mehr die Veberzeugung auf, 
daß in dem Grade, als viele Bücher gefchrieben werden, auch 
weniger diefelben auf Unfterblichkeit Anfpruch machen därfen, und 
die Trage: welche auf dauernde Anerkennung, auf f. g. Claſſicität 
bei der Nachwelt zählen können, wird immer ſchwieriger zu beant- 
worten. Sehen wir doch täglich, wie ſich die Lefefucht nur auf 
die neueſten Erzeugniſſe wirft und, wenige Lieblingsſchriftſteller 
ausgenommen, man felten mebr ältere Bücher zur Hand nimmt. 
Dieß ift zumal bei den Romanen der Fall, und der Geſchmack 
an denjelben verliert ſich mit jedem Jahrzehnt fo, daß es oft kaum 
begreifli ift, wie man einft Gefallen an ſolchen Schriften finden 
fonnte; wer vermag jebt nody die einft fo beliebten Erzählungen 
von Kobebue, Lafontaine, Tromliz, Clauren, Lamotte Fouqué, 
van der Velde, Spindler u. a. m. zu verdauen, und jetzt ſchon 
ift der Stern vieler franzöſiſchen Novelliften unferer Tage erbleicht; 
Modefache! 

Aber auch die Art der Bearbeitung gefchichtlicher und 


814 


politifcher Stoffe wechſelt, und frühere Anfchauungen erfcheinen ung 
oft in dem Grade veraltet und ungenießbar, als wir und lebhaft 
den augenblicklich Kerrichenden zuwenden, melde nad kurzer Zeit 
fich gleichfalls nad) den Tagesbegebenheiten modifiziren. Neulich 
erſt las ih in „Varnhagen’3 Tagebüchern“ (II. ©. 233): 

„Betrachtungen über das, was bleibt, und was vergeht in 
der literariichen Welt, das heißt in der Welt des Gedächtniſſes. 
Das Gehäffige, Hemmende, Gemeine vergeht am jchnelliten, ganze 
Maſſen teffelben fterben ohne Spur dahin; doc gelten fie im 
Augenblide immer etwas, und oft mehr als das gleichzeitige Edle, 
Geniale, aber die Zeit, welche diefes auf ihre Schwingen nimmt, 
läßt jene fallen.“ 

Und in der That ift jedem wahrhaft großen menſchlichen 
Werke ein gewiffer Stempel aufgedrüdt, der es gewifiermaßen adelt 
und ſchon im erſten Diomente fellelt; ed weht dem dafür Empfängs 
lichen gleich der lebende Haud) des Genie's aus demſelben entgegen; 
fo bei klaſſiſchen Werken der Poeſie, jo bei dem WAnblid eines 
Meifterftiüdd der Malerei oder Skulptur, fo bei dem Anhören 
einer Muſik, welche und mit unmwiderftehlicher Gewalt ergreift! 

Unter allen. wiffenfchaftlihden Studien wandte id immer der 
„Geſchichte“ die größte Vorliebe zu; es waren aber bier nicht 
jowohl die einzelnen Thatſachen, Daten, genealogifche oder antiqua⸗ 
rifche u. dgl. Merkwürdigkeiten, welche mich bei diefen Forihungen 
feflelten; ich fühlte mich vielmehr durch die Ueberſicht des großen 
Ganzen angezogen. Ich fuchte das weite, bunte, wunderbare 
Gebaäude der Weltgefhichte zu umfaſſen, welche nur dann anfpricht, 
wenn man die Bilder hronologifh im Gedächtniſſe aneinander zu 
veihen, den möglihen Zuſammenhang der Dinge unter fih zu 
deuten weiß. Damit verband fi) ein weitered — ein pſycho⸗ 
logiſches — Intereſſe, und in der Betrachtung hervorragender 
Charaktere, in ihrer Vergleichung mit anderen, in dem Wunſche, 
die Beweggründe ihrer Handlungen zu prüfen, zu erklären, geht 


815 


eine neue Quelle anziehender Betrachtungen auf. Außer vielen 
dem Drude nicht übergebenen hiſtoriſchen Studien verfuchte ich, 
in einer Reihe biographifcher Skizzen die in der Gefchichte am 
meiften genannten „rauen“*) zu fchildern. Ich beabfichtigte 
babei nicht, eine „Geſchichte der rauen“ im Allgemeinen zu 
fchreiben, wie manche Kritifen irrthümlich annahmen; einer ſolchen 
kulturhiſtoriſchen Aufgabe fand ich mic, keineswegs gemachfen; ich 
wolte in jenem compilatoriihen Werte nur nad ber Zeitfolge 
dem Lefer in kurzen Zügen die Charaktere jener rauen aller 
Länder und Epochen vorführen, deren Namen befonderd genannt 
werden; es follte, mehr zum Nachſchlagen, als zur fortgefebten 
Leltüre geeignet, dieß Buch wißbegierigen Frauen befonderd zum 
Leitfaden dienen, fich näher mit den Ausgezeichneteren ihres Ge 
fHlehtd, im guten wie im böfen Sinne, befanut zu machen. 

An gleihem Grade, mie für die Gefchichte ſelbſt, intereffirte 
ih mich denn aud für alle mit berfelben zunächſt verwandten 
oder Hülfsmiffenfchaften: fir Geographie, Statiſtik, die Länder: 
tunde, dad Staats: und Völkerrecht und für die in's diplomatifche 
Fach einfhlagenden Gegenftände. Bor der reinen Rechtslehre war 
es aber die Briminalgefeßgebung, mit der ich mid) vorzugsweiſe 
befchäftigte. 

Weniger Sinn Hatte ich für Kriegs- und mathematifche 
Biffenihaften, Mechanik, Technik u. dal. m., und fprad die 
Aftronomie auch meine Einbildungskraft an, fo veritand ich doch 
ihre langwierigen Berechnungen nicht, die ih gern ohne nähere 
Forſchung als zuverläffig annahm. Dem überwältigenden Schau: 
fpiele, mit dem ung die Natur täglich umgibt, verſchloß ich mid) 
nit; Fein fühlendes, gebildete Gemüth kann ſich fo großartigen 
Einwirkungen entziehen; es war mir aber nicht vergännt, mit 
prüfendem Auge in die innere Werkitätte der Natur binabzufteigen, 


*) Die Frauen in der Geſchichte. Mainz 1861. Florian Knpferberg. 


316 


die Geheimniſſe der Phyſiologie, Optik, Chemie, Phyſik, Anatomie, 
Geologie, Botanif u. a. zu ergründen. 

Eigentlihe Talente bat mir der Schöpfer Feine, defto mehr 
Sinn und Freude an den fchönen Künften verliehen. Lange Jahre 
quälte ich mich für theuered Geld mit Zeichnungsübungen ab, 
ohne es zu einer Wertigkeit in irgend einem Theile diefer bildenden 
Kunft gebradht zu haben; auch auf dem Klavier Tlimperte ich 
immer nur zu meiner eigenen Unterhaltung, während ich die 
Stimme zum Singen ſchon früh verloren. Doch erquidte, erhob 
mich immer jede Gattung der Muſik, wenn fie nur vollendet 
war; alle Mittelmäßigfeit in der Kunft überhaupt flößt immer 
ab, noch fo zierliche Tändeleien find ihrer Beſtimmung nicht 
würdig. Die Malerei z0g ich der Bildhauerkunft, und diefer 
auch wieder die Arditeftur mit ihren edlen, imponirenden Ber: 
bäftniffen vor. In Gotteshäufern wie in Paläſten oder anderen 
Bauwerfen, überall fand ich Stoff zur Erholung, zur Bewunderung, 
und unvergeßli wird mir bleiben, was ich auf Reiſen an gewal- 
tigen Eindrüden in mid) aufgenommen, in allen Arten von Kunft- 
fchöpfungen gefeben, gehört, genoffen habe! 

Eben deßhalb gehörte auch zu meinen entfchiedenften Neigungen 
eine unbegrenzte Neifeluft. Sobald der Frühling erichien, ergriff 
mich ftet3 eine wahre Sehnfucht bald nad) den fernen blauen 
Bergen, bald nach dem Anblid, der erquidenden Luft des Meeres. 
Leider konnte ich diefen Trieb nicht immer, oder nur in befchränkter, 
unvolllommener Weiſe beiriedigen. Jahre vergingen oft ohne alle 
größere Ausflüge, und ftatt neue Länder zu beſuchen, mußte id) 
nicht felten längſt befaunte Streden zurüdiegen. Wäre ih 50 
Jahre fpäter geboren, mein Eintritt in die Welt mit der Ent: 
dedung und Berrährung der Dampfkraft zu Waller wie zu Land 
zufammengefallen, der Kreis meiner Wanderungen würde ſich wohl 
weiter, vielleicht jenfeits der Meere, ausgedehnt haben! Es reisten 
mich immer die fernen Länder der Tropen, das wundervolle Merico, 


317 


die Farbenpracht, die üppige Vegetation, der Sternenhimmel der 
ſüdlichen Länder, beſonders Brafiliend, und hätte ih auch Kon: 
ftantinopel gerne geſehen, fo war nicht minder jener heilige Boden 
im Orient für mid wie für alle fühlende Ehriften ein erfehntes 
Bilgerziel! 

Bei al diefen Anregungen wurde id von zwei Gaben 
unterftüßt, für welche ich Gott nicht genug danten Tann — einem 
treuen Gedädhtniffe umd einer immer wachen Empfänglichkeit 
für beflere Eindrüde, welche mich von der Blafirtheit, jener 
Geiſtesträgheit und Gleichgültigkeit bemahrte, einer wahren Plage 
unferer Zeit. Hatten mid) die Zerftreuungen der großen Welt, 
ſelbſt Kunftgenüfle, ermüdet, fo verbarben fie mir die Freude nidht 
an einer fhönen Baumgruppe, einer beleuchteten Wolle, einem 
Wafferfalle, einer feltenen Blume oder der ftillen Beobachtung des 
Treiben? der Thierwelt; ein glänzender Sonnenuntergang, eine 
majeltätifche Gebirgskette, ein Komet, ein Nordliht, vor Allem 
aber der geflirnte Himmel oder dad Weltmeer mit feinem geheim- 
nißvollen Rauſchen rührten, bewegten, entzüdten mid). 

Mein gutes Gedächtniß Half mir in rlernung fremder 
Sprachen und verfeßte mich, befonderes in fpäteren Jahren, oft 
in die Vergangenheit zurüd, deren Erinnerungen wehmüthig in 
der Gegenwart nachklingen. Seit 40 Jahren zeichne ich das 
Ableben aller meiner Bekannten auf; durchgehe ich dieſe unendlich 
lange Todtenlifte, fo treten mir oft halb vergeffene Namen, wie 
aus einer anderen Welt, entgegen; mit jedem Tage beinahe lichten 
fi) die Reihen der Zeitgenoffen, erlöfchen die Lichter, welche uns 
auf dem Lebenswege begleitet, bis es denn auch auf diefem bald 
dunkel wird, wie im Grabe felbft. 

Ein gewiffr Unabhängigleitsfinn hinderte mid, an 
Andere mich näher anzufchließen, und während ich mich dadurch 
manchem weifen Rathe, mandyer gutgemeinten Anleitung, deren ich 
fo oft bedurft hätte, entzog, bewahrte er mich wieder vor näheren 


318 





Berbindumgen ober der Wahl fchlechter Geſellſchaft. Weber auf 
der Univerfität noch fpäter gehörte ich irgenb einem Vereine am, 
fand mid aber doch, ungeachtet des Sträubend gegen jede Art 
von Zwang, durch Zufall oder eigene Schuld oft in eimer völlig 
abhängigen, jede freie Willenzthätigleit hemmenden Lage! Ich 
wurde dadurch nur in meiner Auſchamng befärkt, dag mit der 
pelitifchen, immerhin unmöglichen, Freiheit auch ſelbſt die individuelle 
eine Ehimäte ift, denn find wir, was fo felten iſt, nicht durch 
Standes, Berufs: oder gefellige Rädfichten und Pflichten gebunden, 
gedrückt, fo werden wir mur zu oft die Sklaven unferer eigenen 
Leidenſchaften. ine wahre Abneigung empfand ich aber immer 
gegen die „geheimen“ Geſellſchaften. Ginb ihre Zwecke gut, edel, 
menschenfreundlich, chriſtlich, weßhalb fcheuen fie allein in umferer, 
verbosgenem Treiben fo unholden Zeit die Oeffentlichkeit; weßhalb 
hallen ſich diefe Klubs, Logen, Zuſammenkünfte, oder wie fie immer 
beißen mögen, im ein geheimmißbolles ‘Dunkel, warum wollen fle 
einen Staat im Staate bilden, und maßen ſich ar, Dem religiöfen, 
politiſchen wie foztalen Leben eime andere Richtung geben zu 
wollen ? 

And eine andere Verfuchung ſuchte id; mir fern zu Halten, 
und nie, ſelbſt im Scherze, Habe ich mir erlaubt, dem Schleier der 
Zukunft Lüften, irgend eine Frage an das Geſchick ſtellen zu wollen. 
Menſchen, welche fid, verächtliih vom Wunderglauben abwenden, 
durch gültige Zeugniffe beitätigte Thatſachen läugnen, mit göttlicher 
Gnade fihtbar bewirkte Heilungen mitleidig belächeln, legen den 
Wahrfagungen der eriten beften Zigeunerin oder Kartenichlägerin, 
dem Bomber: oder Hexenſpuk, dem Xiichllopfen nu. dal. m. bie 
größte Bedeutung bei. Dennoch find viele folder Erſcheinungen 
des thieriſchen Magnetismus, des Helſſehens, der Eriaſe u. dgl. m. 
nicht zu erklären, und das Wunderbare, die Geiſterwelt, miſcht 
ſich da oft in gar ſeltſamer Weiſe mit unſeren alltäglichen Be 
griffen. Es find wohl Ausflüfſe von uns nur geahnter Natur⸗ 





819 


fräfte, deren Zuſammenhang mit ihren Wirkungen uns nicht Mar - 
if. Ste find ebenfo wenig zu vermwerfen, ala in einer unfer 
Wiſſen befriedigenden Art zu deuten; der Wunſch, näher darin 
einzudringen, führt auf Irrwege und in jene? dunkle Neich bes 
Aberglaubend, vor dem und nur ein firenges Feſthalten an den 
heiligen Schriften und deren Auslegung dur die Kirche bes 
wahren Tann. 


Nicht minder verhaßt ala diefe frevelhaften Herausforderungen 
waren mir Webermuth im Glück, Vermeſſenheit, ſtolzes Weberheben 
bei errungenen Bortbeilen, und immer wandte ich mid mit inner 
lihem Unbehagen von foldhen Aeußerungen ded Trotzes oder aud) 
des Verwünſchens und Fluchens in widerwärtigen Lagen ab. 


In meinem Leben jelbft babe ich mehr frohe ımd glückliche, . 
als trübe, unbeilvolle Tage gezählt, und wem ich der gött 
Iihen Borfehung für fo viele unverdiente Gnaden immer dankbar 
war, jo fühle ih mid mit minder gegen fie für dad erlittene 
Ungemad verpflichtet, wenn mich die zum Theile felbſt auf mich 
berabgerufenen Hebel zur wahren Erkenntniß meiner Fehler, zur 
nachhaltigen Reue über Berirrungen brachten, die ich als Miß⸗ 
brauch der mir verliehenen Gaben beflage; wenn fie mich endlich 
lehrten, Nächftenliebe und Nachficht gegen die Schwächen Anderer 
zu üben. Ein franzöftiher Schriftfteller vergleicht das menſchliche 
Herz, wenn es zum erftenmale vom Unglücke beimgefucht wird, 
einem Pferde, das ansichlägt und fi bäumt;*) ich mollte, es gfiche 


*) Le premier jour, qu’un jeune et ardent cheval sent l’&p£ron, 
il se cabre, il rue; il bondit pour se debarrasser avec force de cette 
aiguille qui le pique au flanc; mais que le cavalier tienne bon; et 
que pendant un meis il prouvo au moble coursier son impwissance 
contre une force sup6rieure, le cheval flöchit, se soumet, ot le fianc 
endolori s’habituie & sounfirir, ou ne resiste plus. Le coeur de 
l’homme est comme le dit coursier; fort retif & la doulenr d’sbord, 


320 


eher dem Lamm, das in Demuth das Mißgeſchick über fi ergehen 
läßt und die Spornen, ftatt zum Wideritande aufzuflacheln, als 
das Eifen betrachtet, welches, unjere Wunden auch ſchmerzlich 
berührend, dennoch innerlidy läutert und heilt. j 


Am Alter vorgerüdte Menjchen Hagen gewöhnlich über die 
Gegenwart, weil fie nicht mehr mit den meift erfreulicheren An: 
Hängen der Erinnerung übereinftimm. Man muß jedoch die 
Dinge eben immer nehmen wie fie find; jede Epoche, fomit auch 
die unfere, hat neben manch' entfchieden Gutem auch gar fchlimme 
Zeichen, eine wahre Lebensphilofophie wird jenem Gerechtigkeit 
widerfahren laſſen, ohne fi übermäßig der letzteren wegen zu 
ärgern, wird ſich der Vorzüge der Zeit Lrfreuen und ihre Str: 
thümer, fo viel in ihren Kräften fteht, zu bekämpfen ſuchen. 

Gegen das foziale Treiben des vorigen Jahrhunderts ift jet 
ein gewiſſer Ernft nicht zu verkennen, und haben ſich bei erhöhter 
Arbeitöfraft, bei größerem Gewerbfleiße und dem Sinn für nüß- 
lihe Erfindungen aud der Wohlftand und mit ihm Genußfudht, 
Gelddurft gefteigert, fo find mit denfelben doch auch mildere Sitten, 
humanere Anfichten eingekehrt, und Tortur, Hexenprozeſſe, Leib: 
eigenfchaft und andere, die Menſchheit unnöthig quälende Webel 
wohl auf immer verfchwunden. Aber eben bei diefem zunehmenden 
materiellen Wohlfein liegt die Gefahr fehr nahe, nicht nur die 
Segnungen des Himmel3 zu mißbrauden, es tritt auch die Ver: 
fuhung an und beran, die Zuſtände noch mehr verbeflern zu 


la prémière fois qu’elle l’&peronne, il se cabre, il veut desargonner 
le malheur qui l’a enfourchè, il s’agite rudement et avec tous le cris 
possibles, mais que le malheur tienne bon; le coeur 3’y soumet, l’accepte 
et avec ce cavalier incommode il reprend ses allures de chaque jour. 


321 


wollen; daher die allgemein verbreitete, durch Feine dringende Noth 
gerechtfertigte Unzufriedenheit, diefed Unbehagen, dieſe unbeftimmte 
Sehnfucht nach Veränderungen in jeder Richtung — es ift die 
Fabel von dem Hunde, der das Fleisch fallen läßt, um nad) dem 
Spiegelbilde deffelben im Waffer zu bafchen! — Weil man in 
naturbiftorischen, technifchen, mathematifchen und anderen Wiffen- 
ſchaften fo viele und überrafchende „Fortſchritte“ gemacht, will 
man fie auch auf andere Gebiete übertragen. Es ift die immer 
wieder von Zeit zu Zeit auftauchende Grund: und Erbfünde der 
Menſchheit, — der Stolz — meldyer fie verblendet. Der Stolz 
Ichnt fih in Religionsſachen gegen die kirchliche Autorität auf, 
bäuft Syſteme auf Syſteme, wie einft die Titanen Felſen, um den 
Himmel zu erftürmen, erreicht ihn aber immer nicht; der Stolz 
verleitet zu politiichen Irrlehren, will Staaten reformiren, während 
er fie nur zu Grunde richtet, und ebenfo macht ſich der Stolz, 
die Selbftüberhebung im alltäglichen Leben immer breiter; felbft 
bei den wahren TFortfchritten in der Wiffenfchaft, auf die ſich der 
gelehrte Dünkel fo viel zu gut thut, welche Zweifel, welche Lücken 
bei jeder Trage! Wie hemmend treten und da immer wieder die 
ganz Heinen Worte: warum? wie? womit? wozu? n. dgl. ent- 
gegen. Beihämt müſſen wir und nur an die Mirkungen halten, 
ohne die Urſachen, die geheimen Kräfte entdeden zu können; zu 
wie zahllofen Hypotheſen nimmt man da nicht die Zuflucht, die 
mit Lärm als unfehlbar verfündet, morgen vielleicht ſchon anfcheinend 
wichtigeren, wohl aber auch ebenfo unhaltbaren Anfichten weichen. 
Ueberall läßt fi) das „eritis sicut Deus‘ mit feinen unbeil- 
bringenden Fluche nadıweifen. 

Deßhalb erfcheint auch als eined der beflagenswertheiten 
Uebel unferer Zeit, daß man immer mehr, mit der Vergangenheit 
brechend, fi der Zukunft zumendet; man verachtet die Tradition, 
die Erfahrung, und hält ſich an die Quftgebilde eines aus eigener 
Weisheit zu Tonftruirenden Fünftigen Weltzuftandes. Wir träumen 

Irh. v. Andlaw. Wein Tagebug. II. 21 


322 


von einer Religion der Zukunft, von einer Alles beglüdenden 
Staatgeinrihtung der Zulunft, felbit eine Muſik der Zukunft 
läßt man ung jebt ſchon Hören, worüber uns freilich nod Fein 
Urteil zufteht, weil fie nicht für die Gegenwart fomponirt iſt. 
Aus diefem überhandnehmenden Gefühle der Mündigkeit, des ich 
Losjagend von den Ueberlieferungen früherer Epochen eniſtehen 
nun, erklären fih gar manche Uebeljtände der Jebtzeit, und jeder 


Art von Propbezeiung, beſonders aber des Unglüds, abhold, 


wünſche ich doch, daß, ehe es zu ſpät, man in eine Bahn ein 
lenke, weiche mit den inhaltreichen Lehren der Geſchichte mehr im 
Einflang ſtünde — ater Warnungsftimmen werden nur jelten 
beachtet! Mit jener Selbftüberjchägung ift denn auch der Egois⸗ 
mus der Zeit, ift eine gewiſſe Robbeit der Sitten nahe verwandt, 
und fpriht man von Mangel an Bildung im Mittelalter, fo wer 
damit doch eine gewiſſe Energie, Willenskraft und Opferwilligfeit 
verbunden, von der wir feine Ahnung haben. Mit der bequemen, 
aber durchaus unmaleriihen Männertracht verbindgn wir nun 
auch Die gewaltigen Bärte, welche nicht dazu paflen, und die 
modernen „Kueipereien” geben bei dem Umtfange, den fie ges 
noumen, den Älteren, nicht fo allgemein betriebenen Trinkgelagen 
wohl nichts nad). 

Je mehr man aber in Jahren fortichreitet, um fo mächtiger 
drängt ſich Die Ueberzeugung auf, wie bei der kurzen Spanne Zeit, 
welche dem Menfchen auf diefen vorübergehenden Schauplatze feiner 
Thaten zugemeflen ift, Alles fo nichtig ericheint, wie dieß raſtloſe 
Treiben, diefer fortwährende Kampf des Einzelnen und der Erd: 
bewohner unter fi, wie diefe Ausbrüche der Leidenfchaften, diefe 
Pläne und weit ausfehenden Kombinationen, als gelte es, emig 
zu leben, fich Bier für immer heimiſch einzurichten, nur um ſo 
mehr das Gepräge des Uebergangs zu einer höheren Beitimmung 
an ſich tragen, daß mit unferem Leben noch wicht Alles abge- 
ſchloſſen if. Was wäre ohne diefe Wahrheit das Wirken der 


823 


Könige, die über unermeßliche Reiche geherricht, der Beldherren, 
die blutige Lorbeeren geerntet, der Staatömänner, die fi mit 
Berträgen geplagt, dad Streben und die Arbeit aller Stände und 
Klaſſen? Deßhalb ergeht eben bei dem eitlen Welttreiben die 
erite, Dringendfte Aufforderung an ung: unfer beſſeres Ich zu retten; 
über den täglichen Sorgen ſteht das Seelenbeil, und immer follten 
wir uns an die von Ehriftus an die beiden Schweftern gerichteten 
Morte erinnern: Wohl dem, der mit Maria den „befleren Theil“ 
erwählt! | 





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