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MENSCHHEITS
DÄMMERUNG
Symphonie jüngster Dichtung
HERAUSGEGEBEN
VON
KURTPIN THUS
920
ERNST ROWOHLT VERLAG • BERLIN
5 ~ 10. TAU SEND
Printed in üreriiiai.
ZUVOR
Der Herausgeber dieses Buches ist ein Gegner von Antho-
logien; — deshalb gibt er diese Sammlung heraus.
iNicht werden hier — nach bisherigem Brauch der Antho-
logien — viele Dichter, die zufällig zur selben Zeit leben, in
alphabetischer Folge je mit ein paar Gedichten aneinander-
gereiht. Auch nicht sollen Gedichte zusammengestellt werden,
die alle ein gemeinschaftliches Thema bindet (etwa Liebes-
gedieh te oder Revolutions-Lyrik). Dies Buch hat nicht den
pädagogischen Ehrgeiz, Musterbeispiele guter Poesie zu bietend-
es flicht nicht nach der Mode biederer Großvälerzeit Blüten
der Lyrik, noch Perlen der Dichtung zum Kranz.
Sondern : Dies Buch nennt sich nicht nur ,,eine Samm-
lung". Es i s t Sammlung I: Sammlung der Erschütterunpren
D DO O
und Leidenschaften, Sammlung von Sehnsucht, Glück und
Qual einer Epoche — unserer Epoche. Es ist gesammelte Pro-
jektion menschlicher Bewegung aus der Zeit in die Zeit. Es
soll nicht Skelette von Dichtern zeigen, sondern die schäu-
mende, chaotische, berstende Totalität unserer Zeit.
Stets war die Lyrik das Barometer seelischer Zustände, der
Bewegung und Bewegtheit der Menschheit. Yoranzeigend kün-
dete sie kommendes Geschehen . . ., die Schwingungen der Ge-
meinschaftsgefühle . . ., das Auf, Ab und Empor des Denkens
und Sehnens. Dies empfand man in Deutschland so deutlich,
daß man die Kultur gcuizer Epochen nach der Art ihrer Dich-
tung charakterisierte : Empfindsamkeit, Sturm und Drang,
Romantik, junges Deutschland, Butzenscheibenpoesie.
Die Geisteswissenschaften des ersterbenden 19. Jahrhunderts
— verantwortungslos die Gesetze der ^saturwissenscluuten auf
geistiges Geschehen übertragend — begnügten sich, in der
Kunst nach entwicklungsgeschichtlichen Prinzipien und Be-
einflussungen nur das Nacheinander, das Aufeinander sche-
matisch zu konstatieren; man sah kausal, vertikal.
Dieses Buch will auf andere \\ eise zur Sammlung kommen :
Man horche in die Dichtung unserer Zeit. . ., man horche quer
durch, m£Ui blicke rund herum, . . . nicht vertikal, nicht nach-
einander, sondern horizontal; man scheide nicht das Aufein-
anderfolgende auseinander, sondern man höre zusammen, zu-
gleich, simultan. Man höre den Zusammenklang dichtender
Stimmen : man höre symphonisch. Es ertönt die Musik unserer
Zeit, das dröhnende Unisono der Herzen und Gehirne.
Ebensowenig wie die Anordnung der Gedichte nach dem
äußerlichen Schema des Alphabets erfolgte, durfte sie des-
halb nach der Chronologie der einzelnen Gedichte oder Dich-
ter, nach der Gruppierung literarischer Cliquen, nach der Fest-
stellung gegenseitiger Beeinflussung oder formaler Gemein-
samkeiten geschehen. Keine mechanische, historische Folge
ward angestrebt, sondern dynamisches, motivisches Zusammen-
klingen: Symphonie!
Man möge also nicht nur auf die einzelnen Instrumente
und Stimmen des lyrischen Orchesters lauschen : die auf-
schwebende Sehnsucht der Violinen, die herbstlich-klagende
Melancholie der Celli, die purpurnen Posaunen der Erweckung,
das ironische Staccato der Klarinetten, die Paukenschläge des
Zusammensturzes, das zukunftslockende Marciale der Trom-
peten, das tiefe, dunkle Raunen der Oboen, den brausenden
Slurzbach der Bässe, das rapide Triangclgeklingel und die
bleckenden Beckenschläge genußgierigen Totentanzes. Sondern
es kommt darauf an, aus den lärmenden Dissonanzen, den
melodischen Harmonien, dem wuchtigen Schreiten der Akkorde,
den gebrochensten Halb- und V^ierteltönen — die Motive und
Themen der wildesten wüstesten Zeit der Weltgeschichte her-
auszuhören. Diese bewegenden Motive (zeugte sie ein inneres
Geschehen aus uns heraus, oder ließ nur ein gleichgültiges
Werden sie ungeheuer in uns erklingen?) variieren sich je
nach Wesen und Wollen der Dichter, rauschen empor zum
zersprengenden Fortissimo oder schwinden hin im beglücken-
dem Düke. Das Andante des Zweifels und der Verzweiflung
steigert sich zum befreienden Fortissimo der Empörung, und
das Moderalo des erwachenden, erweckten Herzens erlöst sich
zum triumphalen Maestoso der menschenliebenden Menschheit.
Wenn in diesem Buche weder wahllos und ungesichlel die
Stimmen der in unserer Zeit Dichtenden ertönen, noch die
Dichtungen einer bewußt sich zusammenschließenden literari-
schen Gruppe oder Schule gesammelt sind, so soll dennoch
ein Gemeinsames die Dichter dieser Symphonie einen. Diese
Gemeinsamkeit ist die Intensität und der Radikalismus des
Gefühls, der Gesinnung, des Ausdrucks, der Form; und diese
Intensität, dieser Radikalismus zwingt die Dichter wiederum
zum Kampf gegen die Menschheit der zu Ende gehenden
VI
Epoche und zur sehnsüchtigen Vorbereitung und Forderung
neuer, besserer Menschheit.
Man erwarte also weder ein Gesamtbild der lyrischen Dich-
tung unserer Zeit, noch eine nach (lügnerischen) absoluten
Maßstäben der Qualitätsbeurteilung zusammengestellte Aus-
wahl der besten zeitgenössischen Gedichte. Sondern charak-
teristische Gedichte jener Jugend, die recht eigentlich als die
junge Generation des letzten Jahrzehnts zu gellen hat, weil
sie am schmerzlichsten an dieser Zeit litt, am wildesten klagte
und mit leidenschaftlicher Inbrunst nach dem edleren,
menschlicheren Menschen schrie.
Demnach mußten nicht nur alle epigonischen und eklek-
tischen Dichter wegfallen, nicht nur die unzähligen, die sich
damit beschäftigen, Gefühl, das nicht aus der Tiefe, sondern
aus dem Herkömmlichen entspringt, in herkömmliche Heime
zu bringen, sondern es war nötig, auch jene sehr begabten
Dichter auszuscheiden, die, willentlich jenseits oder über der
Zeit stehend, schöne und große Gefühle zu ästhetisch voll-
kommenen Gebilden oder zu klassischen Strophen formen.
Ausgeschieden werden mußten auch alle die, deren Dichtung
Kunstgewerbe des Worts, Ornament der Anschauung, gereimte
Historie ist, ferner solche, die nur Zeitereignisse besingen oder
freudig begleiten, kleine Spezialbegabungen und alle die,
welche zwischen den Generationen stehen oder nicht den Mut
zur selbständigen Formung haben. Aber wie die Epigonen der
älteren Dichtung, so durften auch die PSachläufer der jüng-
sten Dichtung nicht aufgenommen werden, die glauben, neu
und jung zu sein, wenn sie problematische Vorbilder program-
matisch nachahmen.
Die Entscheidung darüber, welche Dichter zur vielfältigen
Gemeinsamkeit der jungen Generation unserer Zeit zu zählen
sind, kann nicht eine Angelegenheit der Altersfeststellung ein-
zelner Dichter, noch eine Sache objektiv kritischer Analyse
sein, sondern muß letzten Endes durch intuitives Gefühl und
persönliches Urteil getroffen werden. Gerade weil diese per-
sönliche Entscheidung nötig war, darf der Herausgeber aus
seiner Anonymität hervortreten und zur weiteren Klärung
einiges Persönliche sagen, um dann um so schneller ins All-
gemeine führen zu können.
Seit lo Jahren las ich fast alle gedruckten lyrischen Bücher
und sehr viele ungedruckte. Es schien nicht leicht, aus dieser
VII
Unzahl die Dichter zu bezeichnen, welche jene eigentliche
Generation unserer Epoche ausmachen. Aber als ich inmitten
der menschendurchtobten Stadt noch einmal die Hunderte von
Gedichtbänden durchsah, konnte ich schließlich fast mit auto-
matischer Sicherheit die für diese Generation wesentlichen
Dichter vereinigen (auch wenn sie selbst sich dieser Gemein-
samkeit nicht bewußt waren). Nachdem diese Abgrenzung ge-
schehen war, gab es zwei Möglichkeiten der Sammlung : ent-
weder ich konnte möglichst viele Dichter dieser Generation
aufnehmen, so daß jeder nur mit ganz wenigen Gedichten
erschien; oder ich konnte möglichst wenige Dichter auswählen
und jeden einzelnen mit möglichst vielen Gedichten auftreten
lassen. Ich entschied mich für das zweite Prinzip, da es nicht
nur ein vollständiges Bild der Zeitbewegung, sondern auch
einen möglichst vollkommenen Umriß von der Begabung,
Eigenart, Spannweite der einzelnen Dichter gewährte (so daß
man an der Hand des alphabetischen Registers, trotzdem die
Gedichte jedes Einzelnen durch das ganze Buch verstreut sind,
sich wiederum von jedem Dichter urteilsgestattende , ge-
schlossene Gestalt verschaffen kann). Deshalb wurden nach
langem Abwägen aus der großen Schar dieser Generation, die
sich oft selbst als gemeinsame Phalanx aufrief, für das Buch
die selbständigsten und charakteristischsten ausgewählt, damit
jene Mannigfaltigkeit der Motive und Formen entstehen
konnte, aus der die geistige Symphonie der zerrissenen Tota-
lität unserer Zeit zusammenstrahlt.
Gegen zwei Dichter allerdings könnte man einwenden, daß
sie jenseits dieser Generation stehen. Aber Else Lasker-Schüler
läßt als Erste den Menschen ganz Herz sein, — und dehnt
dennoch dies Herz bis zu den Sternen und zu allen Buntheiten
des Ostens. Und Theodor Däubler gehört nicht zu denen, die
den Kosmos schlechtweg besingen, sondern er durchwirkt die
Welt so sehr mit Geist und Idee, daß er ISatur und Mensch-
heit noch einmal zu strotzend-unmateriellem Leben erschafft;
er findet tiefe Möglichkeiten der Sprache, die nicht nur neu
sind, sondern überraschend weit hinein in Wesen und Zu-
sammenhang des Geschehens leuchten.
Die ausgewählten Gedichte dieser etwa zwei Dutzend Dich-
ter fügten sich sclinell, beinahe von selbst, nach wenigen
großen Motiven zu jener Symphonie zusammen, die ,, Mensch-
heitsdämmerung" genannt wurde. Alle Gedichte dieses Buches
VIII
entquellen der Klage um die Menschheit, der Sehnsucht nach
der Menschheit. Der Mensch schlechthin, nicht seine privaten
Angelegenheiten und Gefühle, sondern die Menschheit, ist das
eigentliche unendliche Thema. Diese Dichter fühlten zeitig,
wie der Mensch in die Dämmerung versank . . ., sank in die
Nacht des Untergangs . . ., um wieder aufzutauchen in die sich
klärende Dämmerung neuen Tags. In diesem Buch wendet sich
bewußt der Mensch aus der Dämmerung der ihm aufgedräng-
ten, ihn umschlino^enden, verschlinsrenden Yersransrenheit und
Gegenwart in die erlösende Dämmerung einer Zukunft, die
er selbst sich schafft.
Die Dichter dieses Buches wissen wie ich : es birgt unsere
Ju2:end: freudicr beorinnendes, früh verschüttetes, zerstörtes
Leben. Was in den letzten Jahren der Menschheit gar nicht
oder nur dumpf be>\-ußt war, was nicht in Zeitungen und
Abhandlungen zu lesen stand : das ward in dieser Generation
mit unbeA\Taßter Sicherheit Wort und Form. Das wissenschaft-
lich nicht Feststellbare im Menschen — hier trat es prophe-
tisch wahr und klar ans Licht.
Deshalb ist dies Buch keine angenehme und bequeme Lek-
türe, und der Einwand läßt sich leicht erheben, daß im
letzten Jahrzehnt manche reiferen, vollkommeneren, qualitativ
besseren Gedichte entstanden sind. Aber kann eine Dichtung,
die Leid und Leidenschaft, Willen und Sehnsucht dieser Jahre
zu Gestcdt werden läßt, und die aus einer ideenlosen, ideal-
losen Menschheit, aus Gleichgültigkeit, Verkommenheit, Mord
und Ansturm hervorbrach, — kann diese Dichtung ein reines
und klares Antlitz haben? Muß sie nicht chaotisch sein wie
die Zeit, aus deren zerrissenem, blutigem Boden sie erwuchs ?
Ein >irtuoser Philolog würde eine vollständige Charakteristik
dieser Dichtung nur aus Zitaten dieses Buches moscdkartig zu-
sammenstellen können. Doch soll nicht im voraus gesagt wer-
den, was jeder wissen wird, wenn er das Buch gelesen hat.
Auch sollen nicht die einzelnen Dichter der Reihe nach charak-
terisiert werden; denn die meisten von ihnen sind zu reich
und \-ielgestaltig, als daß sie für immer mit einigen einengen-
den Schlagworten belastet einhergehen sollen. Aber ich will
einen Querschnitt durch diese Poesien versuchen, so daß aus
der grausamen Wunde des Schnittes das Wesentliche ent-
strömt, WELS sie eint zur Dichtung dieser Epoche.
Die Jünglinge dieser Generation fanden sich in einer Zeit,
IX
aus der jedes Ethos geschwunden war. Es galt, In jeder Si-
tuation Haltung zu bewahren; möglichst umfangreich und
mannigfaltig mußte die Menge des genießerisch Rezipierten
sein; Kunst wurde ganz nach ästhetischem, Leben ganz nach
statistisch materiellem Maß gemessen; und der Mensch und
seine geistige Betätigung schienen nur da zu sein, um psycho-
logisch, analytisch betrachtet, nach historischen Maximen de-
finiert zu werden. Wenn einer der jungen Dichter versuchte,
tiefer von der Oberfläche in sich einzudringen, zerbrach er
unter der Last der Umwelt (Walter Cale). Zwar empfand
man die Notwendigkeit, von der realistischen Schilderung der
Umwelt, vom Auffangen der vorüberjagenden Impressionen
sich zu entfernen — und kam doch nur zur äußersten Diffe-
renzierung und Subllmierung der zerlegten Genüsse, wodurch
wiederum der Genuß vernichtet wurde(Hardekopf , Lautensack).
Aber man fühlte immer deutlicher die Unmöglichkeit einer
Menschheit, die sich ganz und gar abhängig gemacht hatte von
ihrer eigenen Schöpfung, von ihrer Wissenschaft, von Technik,
Statistik, Handel und Industrie, von einer erstarrten Gemein-
schaftsordnung, bourgeoisen und konventionellen Bräuchen.
Diese Erkenntnis bedeutet zugleich den Beginn des Kampfes
gegen die Zeit und gegen ihre Realität. Man begann, die
Um-Wirklichkeit zur Un-Wirklichkeit aufzulösen, durch die
Erscheinungen zum Wesen vorzudringen, im Ansturm des
Geistes den Feind zu umarmen und zu vernichten. Und ver-
suchte zunächst, mit ironischer Überlegenheit sich der Umwelt
zu erwehren, ihre Erscheinungen grotesk durcheinander zu
würfeln, leicht durch das schwerflüssige Labyrinth hindurch-
zusciiweben (Lichtenstein, Blaß) — oder mit varietehaften Zy-
nisnms ins Visionäre zu steigern (van Hoddis).
Doch schon fühlten die gereizten und überempfindlichen
Nerven und Seelen dieser Dichter deutlich auf der einen Seite
das dumpfe Heranrücken der liebe- und freudeberaubten pro-
letarischen Massen, von der andern Seite den heranrollenden
Zusammenbruch einer Menschheit, die ebenso hochmütig wie
gleichgültig war. Aus der strotzenden Blüte der Zivilisation
stank ihnen der Hauch des Verfalls entgegen, und ihre ahnen-
den Augen sahen bereits als Ruinen eine wesenlos auf-
gedunsene Kultur und eine ganz auf dem Mechanischen und
Konventionellen aufgetürmte Menschheitsordnung. Ein un-
geheurer Schmerz schwoll empor — und am frühesten und
klarsten In denen, die in dieser Zeit, an dieser Zeit starben :
Heym hämmerte (noch nach Baudelaires strengem Vorbild)
Visionen des Todes, des Grauens, der Verwesung in zermal-
menden Strophen; TrakI glitt, nichtachtend der realen Welt,
hölderlinisch in ein unendlich blaues Strömen tödlichen Hin-
schwindens, das ein Herbstbraun vergeblich zu rahmen trach-
tete; Stadler sprach und rang mit Gott und der Welt, sehn-
suchtsgemartert, inbrünstig wie Jakob mit dem Engel; Lich-
tenstein quirlte in leidvoller Heiterkeit die Gestalten und Stim-
mungen der Stadt zu bitterlustigen Tränken schon in der besee-
ligenden Gewißheit ,,groß über alles wandelt mein Menschen-
angeslicht"; und Lotz unter Wolken, aus Drangsal bürgerlichen
Daseins, rief nach Glanz und Aufbruch. Immer fanatischer
und leidenschaftlicher donnerte zerfleischende Klage und An-
klage. Die Verzweiflungen Ehrensteins und Bechers rissen die
düstere Welt mitten entzwei; Benn höhnte die faulende Ab-
gebrauchtheit des Kadavermenschen und pries die unge-
brochenen Ur-Instinkte; Stramm löste seine Leidenschaft vom
Trugbild der Erscheinungen und Assoziationen los und ballte
reines Gefühl zu donnernden Ein-Worten, gewitternden Ein-
schlägen. Der wirkliche Kampf gegen die Wirklichkeit hatte
begonnen mit jenen furchtbaren Ausbrüchen, die zugleich die
Welt vernichten und eine neue Welt aus dem Menschen heraus
schaffen sollten.
Man versuchte, das Menschliche Im Menschen zu erkennen,
zu retten und zu erwecken. Die einfachsten Gefühle des Her-
zens, die Freuden, die das Gute dem Menschen schafft, wurden
gepriesen. Und man Heß das Gefühl sich verströmen in alle
irdische Kreatur über die Erdoberfläche hin; der Geist ent-
rang sich der Verschüttung und durchschwebte alles Ge-
schehen des Kosmos, — oder tauchte tief in die Erscheinungen
hinab, um in ihnen ihr göttliches Wesen zu finden. (So ver-
knüj)ft sich die Jugend Hasenclevers, Stadlers, Werfeis,
Schickeies, Klemms , Golls , Heynickes mit der Kunst der
Älteren Whitman, Rilke, Mombert, Hille.) Immer deutlicher
wußte man : der Mensch kann nur gerettet werden durch
den Menschen, nicht durch die Umwelt. iSicht Einrichtungen,
Erfindungen, abgeleitete Gesetze sind das Wesentliche und
Bestimmende, sondern der Mensch! Und da die Rettung nicht
von außen kommen kann — von dort ahnte man längst vor
dem Weltkrieg Krieg und Vernichtung — , sondern nur aus
XI
den Inneren Kräften des Menschen, so gescheih die große Hin-
wendung zum Ethischen.
Während im Weltkrieg der gewußte Zusammenbruch sich in
der Realität ereignete, war bereits die Dichtung wiederum
der Zeit vorangestürmt: Aus den Ausbrüchen der Verfluchung
brachen die Schreie und Aufforderungen zur Empörung, zur
Entscheidung, zur Rechenschaft, zur Erneuerung (Becher, Ru-
biner, Hasenclever, Zech, Leonhard, Heynicke, Otten, Werfel,
Goll, Wolfenstein), nicht aus Lust an der Revolte, sondern um
durch die Empörung das Vernichtende und Vernichtete ganz
zu vernichten, so daß Heilendes sich entfalten kormte. Auf-
rufe zum Zusammenschluß der Jugend, zum Aufbruch einer
geistigen Phalanx ertönten; nicht mehr das Individuelle, son-
dern das allen Menschen Gemeinsame, nicht das Trennende,
sondern das Einende, nicht die Wirklichkeit, sondern der Geist,
nicht der Kampf aller gegen alle, sondern die Brüderlichkeit
wurden gepriesen. Die neue Gemeinschaft >vurde gefordert.
Und so gemeinsam und wild aus diesen Dichtern Klage, Ver-
zweiflung, Aufruhr aufgedonnert war, so einig und eindring-
lich posaunten sie in ihrer Gesängen Menschlichkeit, Güte, Ge-
rechtigkeit, Kameradschaft, Menschenliebe aller zu allen. Die
ganze Welt und Gott bekommen Menschenangesicht : die Welt
fängt im Menschen an, und Gott Ist gefunden als Bruder — ,
selbst die Steinfigur steigt menschlich herab, die Stadt der
Qualen wird zum beglückenden Tempel der Gemeinschaft, und
triumphierend steigt das erlösende Wort empor: Wir sindl
Jeder erkennt, wie ungeheuer weit der Bogen Ist von Cales
Verzweiflung ,,Und keine Brücke Ist von Mensch zu
Mensch" . . ., von Werfeis ,, Fremde sind wir auf der Erde
alle" . . . bis zu Bechers : ,, Keiner dir fremd, / Ein jeder dir
nah und Bruder" . . . Klemms : ,,WIr kommen uns so nahe,
wie sich nur Engel kommen können"... Heynickes: ,,Ich
fühle, / endelos, / daß ich nicht einsam bin ... so nahe bist
Du, / Bruder Mensch" . . . „Doch das Lächeln schlägt Bogen
von mir zu Dir / • • • wir schenken einander das Ich und das
Du — / ewig eint uns das Wort: / MENSCH."
Es scheint, daß nachbetrachtende Darstellung stets den di-
rekten Einfluß der Dichtung auf die realen Zeit- und Volks-
ereignisse überschätzte. Die Kunst einer Zeit ist nicht Ver-
ursacher des Geschehens (wie man das z. B. allzusehr von der
revolutionären Lyrik aller Zelten annahm), sondern sie ist
XII
voranzeigendes Symptom, geistige Blüte aus demselben Hu-
mus wie das spätere reale Geschehen, — sie ist bereits selbst
Zeit-Ereignis. Zusammenbruch, Revolution, Neuaufrichtung
ward nicht von der Dichtung dieser Generation verursacht;
aber sie ahnte, wußte, forderte dies Geschehen. Das Chaotische
der Zeit, das Zerbrechen der alten Gemeinschaftsformen, Ver-
zweiflung und Sehnsucht, gierig fanatisches Suchen nach
neuen Möglichkeiten des Menschheitslebens offenbart sich in
der Dichtung dieser Generation mit gleichem Getöse und glei-
cher Wildlieit wie in der Realität . . . , aber wohlgemerkt : nicht
als Folge des Weltkriegs, sondern bereits vor seinem Beginn,
und immer heftiger während seines Verlaufs.
So ist allerdings diese Dichtung, wie manche ihrer Program-
matiker forderten (und wie wurde dieser Ruf mißverstan-
den!) : politische Dichtung, denn ihr Thema ist der Zustand der
gleichzeitig lebenden Menschheit, den sie beklagt, verflucht,
verhöhnt, vernichtet, während sie zugleich in furchtbarem Aus-
bruch die Möglichkeiten zukünftiger Änderung sucht. Aber —
und nur so kann politische Diclitung zugleich Kunst sein — die
besten und leidenschaftlichsten dieser Dichter kämpfen nicht
gegen die äußeren Zustände der Menscliheit an, sondern gegen
den Zustand des entstellten, gepeinigten, irregeleiteten Men-
schen selbst. Die politische Kunst unserer Zeit darf nicht ver-
sifizierter Leitartikel sein, sondern sie will der Menschheit
helfen, die Idee ihrer selbst zur Vervollkommnung, zur Ver-
wirklichung zu bringen. Daß die Dichtung zugleich dabei mit-
wirkte, gegen realpolitischen Irrsinn und eine entartete Ge-
sellschaftsordnung anzurennen, war nur ein selbstverständ-
liches und kleines Verdienst. Ihre größere überpolitische Be-
deutung ist, daß sie mit glühendem Finger, mit weckender
Stimme immer wieder auf den Menschen selbst wies, daß sie
die verloren gegangene Bindung der Menschen untereinander,
miteinander, das Verknüpftsein des Einzelnen mit dem Unend-
lichen — zur Verwirklichung anfeuernd — in der Sphäre des
Geistes wiederschuf.
Demgemäß ist es natürlich, daß dies die Worte sind, die
sich am meisten in ihr finden : Mensch, Welt, Bruder, Gott.
Weil der Mensch so ganz und gar Ausgangspunkt, Mittel-
juinkt, Zielpunkt dieser Dichtung ist, deshalb hat die Land-
schaft wenig Platz in ihr. Die Landschaft wird niemals hin-
gemalt, geschildert, besungen; sondern sie ist ganz vermenscht:
XIII
sie ist Grauen, Melancholie, Verwirrung des Chaos, ist das
schimmernde Labyrinth, dem Ahasver sehnsuchtsvoll sich
entwinden will; und Wald und ßaum sind entweder Orte
der Toten, oder Hände, die zu Gott, zur Unendlichkeit hin-
suchen. Mit rasender Schnelligkeit bewegt sich diese Dichtung
vom fanatischen Kampfruf zum Sentimentalen, vom anarchi-
schen Toben zur Didaktik des Ethischen. Wenig nur ist Freude
und Glück in ihr; Liebe ist Schmerz und Schuld, — Arbeit
wird zu gefühl vernichtender Qual; noch das Trinklied ist
dumpfes Schuldbekenntnis; und lichtere, frohere Töne erklin-
gen nur aus der Sehnsucht nach dem Paradies, das verloren
ist, und das doch vor uns liegt.
Niemals war das Ästhetische und das L'art pour l'art-Prinzip
so mißachtet wie in dieser Dichtung, die man die ,, jüngste"
oder „expressionistische" nennt, weil sie ganz Eruption, Ex-
plosion, Intensität ist — sein muß, um jene feindliche Kruste zu
sprengen. Deshalb meidet sie die naturalistische Schilderung
der Realität als Darstellungsmittel, so handgreiflich auch diese
verkommene Realität war; sondern sie erzeugt sich mit ge-
waltiger und gewaltsamer Energie ihre Ausdrucksmittel aus
der Bewegungskraft des Geistes (und bemüht sich keineswegs,
deren Mißbrauch zu meiden). Sie entschleudert ihre Welt . . .
in ekstatischem Paroxismus, in quälender Traurigkeit, in
süßestem musikalischen Gesang, in der Simultanität durchein-
anderstürzender Gefühle, in chaotischer Zerschmetterung der
Sprache, grausigster Verhöhnung menschlichen Mißlebens, in
flaggelantischschreiender, verzückter Sehnsucht nach Gott und
dem Guten, nach Liebe und Brüderlichkeit. So wird auch das
Soziale nicht als realistisches Detail, objektiv etwa als Elends-
malerei dargestellt (wie von der Kunst um 1890), sondern es
wird stets ganz ins Allgemeine, in die großen Menschheitsideen
hingeführt. Und selbst der Krieg, der viele dieser Dichter zer-
schmetterte, wird nicht sachlich realistisch erzählt; — er ist
stets als Vision da (und zwar lange vor seinem Beginn), schwelt
als allgemeines Grauen, dehnt sich als unmenschlichstes Übel,
das nur durch den Sieg der Idee vom brüderlichen Menschen
aus der Welt zu schaffen ist.
Die bildende Kunst dieser Jahre zei"t dieselben Motive und
o
Symptome, zeigt das gleiche Zersprengen der alten Formen und
das Durchlaufen aller formalen Möglichkeiten bis zur Konse-
quenz völliger Auflösung der Realität, zeigt den gleichen Ein-
XIV
bruch und Ausbruch des Menschlichen und den gleichen Glau-
ben an die lösende, bindende Macht des menschlichen Geistes,
der Idee. Es geschah bereits, daß manche Versuche und Ent-
artungen für nachcihmende Michtkönner zur leeren Form, zur
Formel, zur geschäftsmäßigen Phrase wurden. Und Palhos,
Ekstase, große Gebärde brechen nicht nur hervor und empor,
sondern stürzen oftmals zusammen im Krampf, weil sie zur
Form sich nicht verwesentlichen können. Immer wieder aber
bläst in die ungeheure Eruption des Gefühls klärend und rei-
nigend der Geist; erschallt aus dem Zerfallenden der Ruf nach
der Gemeinsamkeit des Menschlichen; schwebt über dem ziel-
losen Chaos der Gesang der Liebe.
Und immer wieder muß gesagt werden, daß die Qualität
dieser Dichtung in ihrer Intensität beruht. Niemals in der \Velt-
dichtung scholl so laut, zerreißend und aufrüttelnd Schrei,
Sturz und Sehnsucht einer Zeit, wie aus dem wilden Zuge
dieser Vorläufer und Märtyrer, deren Herzen nicht von den
romantischen Pfeilen des Amor oder Eros, sondern von den
Peinigungen verdammter Jugend, verhaßter Gesellschaft, auf-
gezwungener Mordjahre durchbohrt wurden. Aus irdischer
Qual griffen ihre Hände in den Himmel, dessen Blau
sie nicht erreichten; sie warfen sich, sehnsuchtsvoll die Arme
ausbreitend, auf die Erde, die unter ilinen auseinanderbarst;
sie riefen zur Gemeinschaft auf und fanden noch nicht zuein-
ander; sie posaunten in die Tuben der Liebe, so daß diese
Klänge den Himmel erbeben ließen, nicht aber durch das Ge-
töse der Schlachten, Fabriken und Reden zu den Herzen der
Menschen drangen.
Freilich wird die Musik dieser Dichtung nicht ewisr sein
wie die Musik Gottes im Chaos. Aber was wäre die Musik
Gottes, wenn ihr nicht die Musik des Menschen antwortete,
die sich ewig nach dem Paradies des Kosmos sehnt . . . Von
den vielen, vielen Dichtungen dieser Generation werden
fast alle mit den verebbenden Stürmen ihrer Epoche unter-
gegangen sein. Statt einiger großer leuchtender wärmender
Gestirne wird Nachlebenden ihre Menge wie die von unzäh-
ligen kleinen Sternen erschimmernde Milchstraße erscheinen,
die fahlklärenden Glanz in wogende Nacht gießt.
Keiner dieser Dichter kokettiert mit der Unsterblichkeit,
keiner wirft sich den Triumphmantel mit distanzierend heroi-
scher Gebärde um, keiner will eJs Olympier in edler Haltung
XV
entschweben; und wenn diese Dichter in ausschweifender Weit-
schweifigkeit, in unmäßigem Fortissimo psalmodieren, stöh-
nen, klagen, schreien, fluchen, rufen, hymnen — so geschieht
es niemals aus Hochmut, sondern aus Not und Demut. Denn
nicht sklavisches Kriechen, untätiges Warten ist Demut; son-
dern es ist Demut, wenn einer hintritt und öffentlich aus-
sagt, bekennt und fordert vor Gott und den Menschen, und
seine Waffen sind nur sein Herz, sein Geist und seine Stimme.
Als einer, der mitten unter ihnen stand, vielen durch Freund-
schaft und allen durch Liebe zu ihren Werken verbunden, trete
ich vor und rufe : Laßt es genug sein, die Ihr Euch selbst nicht
genügtet, denen der alte Mensch nicht mehr genügte; laßt es
genug sein, weil Euch diese zerklüftete, ausbrechende, zer-
wühlende Dichtung nicht genügen darf I Laßt es nicht genug
seini Sondern helft, alle, voraneilend dem Menschheitswillen,
einfacheres, klareres, reineres Sein zu schaffen. Denn jener
Augenblick wird, muß kommen, da aus Beethovens Sympho-
nie, die uns den Rhythmus unserer Jugend gab, im wildesten
Chaos der tobenden Musik plötzlich die vox humana empor-
steigt: Freunde, nicht diese Töne! Lasset uns andere anstim-
men und freudenvollere!
Ihr Jünglinge aber, die Ihr in freierer Menschheit her-
anwachsen werdet, folget nicht diesen nach, deren Schicksal
es war, im furchtbaren Bewußtsein des Unterganges inmitten
einer ahnungslosen, hoffnungslosen Menschheit zu leben, und
zugleich die Aufgabe zu haben, den Glauben an das Gute, Zu-
künftige, Göttliche bewahren zu müssen, das aus den Tiefen
des Menschen quillt! So gewiß die Dichtung unserer Zeit diesen
Märtyrerweg wandeln mußte, so gewiß wird die Dichtung der
Zukunft anders sich offenbaren : sie wird einfach, rein und
klar sein müssen. Die Dichtung unserer Zeit ist Ende und zu-
gleich Beginn. Sie hat alle Möglichkeiten der Form durch-
rast — , sie darf wieder den Mut zur Einfachlieit haben.
Die Kunst, die durch Leidenschaft und Qual der unseligsten
Erdenzeit zersprengt wurde, — sie hat das Recht, reinere For-
men für eine glücklichere Menschheit zu finden.
Diese zukünftige Menschheit, wenn sie im Buche ,,MensGh-
heitsdämmerung" (,,Du Chaos -Zeiten schrecklich edles Mo-
nument") lesen wird, möge nicht den Zug dieser sehnsüch-
tigen Verdammten verdammen, denen nichts blieb als die Hoff-
nung auf den Menschen und der Glaube an die Utopie.
XVI
STURZ UND SCHREI
JAKOB VA^' HODDIS : WELTENDE
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei,
Und an den Küsten — liest man — steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
GEORG HEYM: UMBRA VITAE
Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen
Und sehen auf die großen Himmelszeichen,
Wo die Kometen mit den Feuernasen
Um die gezackten Türme drohend schleichen.
Und alle Dächer sind voll Sternedeuter,
Die in den Himmel stecken große Röhren.
Und Zauberer, wachsend aus den Bodenlöchern,
Im Dunkel schräg, die ein Gestirn beschwören.
Selbstmörder gehen nachts in großen Horden,
Die suchen vor sich ihr verlornes Wesen,
Gebückt in Süd und West, und Ost und Norden,
Den Staub zerfegend mit den Armen-Besen.
Sie sind wie Staub, der hält noch eine Weile.
Die Haare fallen schon auf ihren Wegen.
Sie springen, daß sie sterben, und in Eile,
Und sind mit totem Haupt im Feld gelegen,
INooh manchmal zappelnd. Und der Felder Tiere
Stehn um sie blind und stoßen mit dem Hörne
In ihren Bauoh. Sie strecken alle Viere,
Begraben unter Salbei und dem Dorne.
Die Meere aber stocken. In den Wogen
Die Schiffe hängen modernd und verdrossen.
Zerstreut, und keine Strömung wird gezogen,
Und aller Himmel Höfe sind verschlossen.
Die Bäume wec-hseln nicht die Zeiten
Und bleiben ewig tot in ihrem Ende, •
Und über die verfallnen Wege spreiten
Sie hölzern ihre langen Finger-Hände.
Wer stirbt, der setzt sioh auf, sich zu erheben,
Und eben hat er nooh ein Wort gesprochen,
Auf einmal ist er fort. Wo ist sein Leben?
Und seine Augen sind wie Glas zerbrochen.
Schatten sind viele. Trübe und verborgen.
Und Träume, die an stummen Türen schleifen.
Und der erwacht, bedrückt vom Licht der Morgen,
Muß schweren Schlaf von grauen Lidern streifen.
WILHELM KLEMM: MEINE ZEIT
Gesang und Riesenstädte, Traumlawinen,
Verblaßte Länder, Pole ohne Ruhm,
Die sündigen Weiber, Not und Heldentum,
Gespensterbrauen, Sturm auf Eisenschienen.
In Wolkenfernen trommeln die Propeller.
Völker zerfließen. Bücher werden Hexen.
Die Seele schrumpft zu winzigen Komplexen.
Tot ist die Kunst, Die Stunden kreisen schneller.
O meine Zeit! So namenlos zerrissen,
So ohne Stern, so da^einsarm im Wissen
Wie du, will keine, keine mir erscheinen.
Noch hob ihr Haupt so hoch niemals die Sphinx!
Du aber siehst am Wege rechts und links
Furchtlos vor Qual des Wahnsmns Abgrund weinen!
JOHANNES R.BECHER: VERFALL
Unsere Leiber zerfallen,
Graben uns singend ein :
Berauschte Abende wir,
Nachtsturm- und meerverscharrt.
Heißes Blut vertrocknet,
Eitergeschwür verrinnt.
Mund Ohr Auge verhüllet
Schlaf Traum Erde der Wind.
Gelblich träger Würmer
Enggewundener Gang.
Pochen rollender Stürme.
Wimpern blutrot lang.
... „Bin ich zerbröckelnde Mauer,
Säule am Wegrand die schweigt?
Oder Baum der Trauer,
Über den Abgrund geneigt?"...
Süßer Geruch der Verwesung,
Raum Haus Haupt erfüllend.
Blumen, flatternde Gräser.
Vögel, Lieder quillend.
„Ja — , verfaulter Stamm..."
Schimmel Geächz Gestöhn.
Unter wimmelnder Himmel Flucht
Furchtbarer Laut ertönt:
Pauke. Tube Gedröhn.
Donner. Wildflammiges Licht.
Zimbel. Schlagender Ton.
Trommelgeschrill. Das zerbricht. —
Der ich mich dir, weite Welt,
Hingab, leicht vertrauend,
Sieh, der arme Leib verfällt.
Doch mein Geist die Heimat schaut.
Nacht, dein Schlummer tröstet mich,
Mund ruht tief und Arm.
Heller Tag, du lösest mich
Auf in Unruh ganz und Harm.
Daß ich keinen Ausweg finde.
Ach, so weh zerteilt!
Blende bald, bald blind und Binde.
Daß kein Kuß mich heilt!
Daß ich keinen Ausweg finde,
Trag wohl ich nur Schuld :
Wildstrom, Blut und Feuerwind
Schande, Ungeduld.
Tag, du herbe Biltemial
Nacht, gib Traum und Rat!
Kot Verzerrung Schnitt und Riß —
Kühle Lagerstatt ...
Alles muß noch ferne sein.
Fern, o fern von mir —
Blüh empor im Sternenschein,
Heimat, über mir!
Einmal werde ich am Wege stelin.
Versonnen, im Anschaun einer großen Stadl.
Umronnen von goldener Winde Wehn.
Licht fällt durch der Wolken Flucht matt.
Verzückte Gestalten, in Weiß gehüllt. . .
Meine Hände rühren
An Himmel, golderfüllt.
Sich öffnend gleich Wundertüren.
Wiesen, Wälder ziehen herauf.
Gewässer sich wälzen. Brücken.
Gewölbe. Endloser Ströme Lauf.
Grauer Gebirge Rücken.
Rotes Gedonner entsetzlich schwillt.
Drachen, Erde speiend.
Aufgerissener Rachen, die Sonne brüllt.
Empörung Lachen Geschrei.
Verfinsterung. Erde- und Blutgeschmack.
Knäuel. Gemetzel weit . . .
... „Wann erscheinest du, ewiger Tag?
Oder hat es noch Zeit?
Wann ertönest du, schallendes Hörn,
Schrei du der Meerflut schwer?
Aus Dichiclit, Moorgrund, Grab und Dorn
Rufend die Schläfer her?'"...
GEORG HEYM: DER GOTT DER STADT
Auf einem Häuserblocke sitzt er breit.
Die Winde lagern schwarz um seine Stirn.
Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit
Die letzten Häuser in das Land verirrn.
Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal,
Die großen Städte knieen um ihn her.
Der Kirchenglocken ungeheure Zahl
Wogt auf zu ihm aus schwarzer Türme Meer.
Wie Korybanten-Tanz dröhnt die Musik
Der Millionen durch die Straßen laut.
Der Schlote Rauch, die Wolken der Fabrik
Ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch blaut.
Das Wetter schwält in seinen Augenbrauen.
Der dunkle Abend wird In Nacht belaubt.
Die Stürme flattern, die wie Geier schauen
Von seinem Haupthaar, das im Zorne sträubt.
Er streckt ins Dunkel seine Fleischerfaust.
Er schüttelt sie. Ein Meer von Feuer jagt
Durch eine Straße. Und der Glutqualm braust
Und frißt sie auf, bis spät der Morgen tagt.
JOHANNES R. BECHER: BERLIN
Der Süden wird verbluten in der Sonne Stunden.
Der Taten Gott erzürnt aus Lavagrüften schlug.
Es kreiset um das Land der Berge Flammenrunde.
Da brachen auf wir schwarz, ein dünner Totenzug.
Der Süden ist bestimmt zu ewiger Trauer Schlafe.
Wir haben unserer Träume .Barken ausgebrannt.
Wir winken mit den Fackeln nach dem stillen Hafen,
Die streichet aus der Finsternisse Mutterhand.
Des Südens Atem klebt an unseren krummen Rücken
Mit Winden lau und dumpfer Glocken Grabgedröhn.
Betrübet euch! Des Abends rote Nebelmücken
Bestürmen euch mit Sang. Laßt uns vorübergehn!
Maultiere brechen hart von schartigem Messergrate.
Lawinen übertünchen uns mit Liebe weißem Fächer.
Wildbäche überblitzcn hoch der Brücken Drahte.
Geysire platzen aus der brüchigen Felsen Köcher.
Wir sanken morgens in der Spalten grüne Kammern.
Wir tauchten mittags ein in Gletschermühle Becken.
Es sauste nieder des Erdrutsches Keulenhammer.
Des Winters Sturm riß uns aus wohlichtem Verstecke.
In Ilöhlenlöchern warteten die zarten Wunder.
Mit Gerten schlugen wir uns Labung aus dem Stein.
Wir stürzten ab mit nasser Büschel Fleckenschrunde.
Wir starben in den Kelchen der Enziane klein.
Wir tauten auf beim Ilirtengruß und dem Geblöke
Der Herden. Aus der Blumen Grunde warmem Lauch
Sog uns zu Funkengärten schräger Purpurkegel.
Es trug uns Raub der neuen Heimat Wirbelhauch.
Aus Dächerfirnen strahlt der Meere Glanzgebreite,
Urwälder sind in Schlot und Balken hochgewachsen.
Der Rauche rußiger Hain beschattet die Gemäuer.
Der Krater Trichter schrumpften, schiefe Aschenzacken.
Der Wiesen Fluren tanzen um als Wimmelplätze.
In langer Straßen Schluchten weinen Abendröten.
Ein Quellenstrudelschwarm zum Himmel hetzet
Bei Keller tunnelnot und Krach der Speicherböden . . .
Berlin! Du weißer Großstadt Spinnenungeheuer 1
Orchester der Äonen! Feld der eisernen Schlacht!
Dein schillernder Schlangenleib ward rasselnd aufgescheuert,
Von der Geschwüre Schult und Moder überdacht!
Berlin! Du bäumst empor dich mit der Kuppeln Faust,
Um die der Wetter Schwärme schmutzige Klumpen ballen!
Europas mattes Herze träuft in deinen Krallen!
Berlin! In dessen Brust die Brut der Fieber haust!
Berlin! Wie Donner rattert furchtbar dein Geröchel !
Die heiße Luft sich auf die schwachen Lungen drückt.
Der Menschen Schlamm umwoget deine wurmichten Knöchel.
Mit blauer Narben Kranze ist dein Haupt geschmückt!
Wir wohnen mit dem Monde in verlassener Klause,
Der wandelt nieder auf der Firste schmalem Joche.
Der Tage graue Gischt zu sternenen Küsten brauset.
Auf Winkeltreppe ward ein Mädchen wüst zerstochen.
8
Wir lungern um die Sfaatsgebäude voll Gepränge.
Wir halten Bomben für der Wagen Fahrt bereit.
Die blonde Muse längs sich dem Kanäle schlängelt,
Quecksilberlicht aus Läden lila sie beschneit.
Auf Pflaster Nebeldämpfe feuchte Wickel pressen.
Auf trägem Damme erste Stadtbahnzüge schnaufen.
Die alten Huren mit den ausgefransten Fressen,
Sie schleichen in den bleichen Morgen, den zerrauften . . .
0 Stadt der Schmerzen in Verzweiflung düsterer Zeit!
Wann grünen auf die toten Bäume mit Geklinge?
Wann steigt ihr Hüsrel an in weißer Schleier Kleid?
Eisflächen, wann entfaltet ihr der Silber Schwinge?
Auf prasselnder Scheiter Haufen brennet der Prophet.
Der Kirchen Türme ragen hager auf wie Galgen.
Die Haare Flachs. Sein Leib auf Messingfüßen steht.
Im Ofen heiß wie glühender Erzkoloß zerweJket.
Und seine Stimme schwillt wie Wasserrauschen groß.
Da löschet aus des Brandes Qual auf heiliges Zeichen.
Ein fahles Schiff, das löset sich vom Ufer los,
Sich das Gerüste hebt und in die Nacht entweichet. —
Einst kommen wird der Tag! ... Es rufet ihn der Dichter,
Daß er aus Ursprungs Schächten schneller her euch reise 1
Des Feuers Geist ward der Geschlechter Totenrichter.
Es zerren ihn herauf der Bettler Orgeln heiser.
Einst kommen wird der Tagl . . . Die himmlischen Legionen,
Sie wimmeln aus der Wolken Ritze mit Geschmetter.
Es schlagen zu mit Knall der Häuser Särgebretter.
Zexschmeißen euch. Es halielujen Explosionen.
Einst kommen wird der Tag! ... Da mit des Zorns Geschrei
Der Gott wie einst empört die milbige Kruste sprengt.
Im Scherbenhorizonte treibt ein fetter Hai,
Dem blutiger Leichen Fraß aus zackichtem Maule hängt.
ALFRED WOLFENSTEIIS -. STÄDTER
Nah wie Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, daß die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte sehn.
Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams die zwei Fassaden
Leute, wo die Blicke eng ausladen
Und Begierde ineinander ragt.
Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
Daß ein jeder teilnimmt, wenn ich weine,
Flüstern dringt lii:iübor wie Gc'grölde :
Und wie stumm in abgeschloßner Höhle
Unberührt und ungeschaut
Steht doch jeder fern und fühlt : alleine.
JAKOB VAN HODDIS: DIE STADT
Ich sah den Mond und des Ägäischen
Grausainen Meeres tausendfachen Pomp.
All meine Pfade rangen mit der Nacht.
Doch sieben Fackeln waren mein Geleit
Durch Wolken glühend, jedem Sieg bereit.
,,Darf ich dem Nichts erliegen, darf mich quälen
Der Städte weiten Städte böser Wind?
Da ich zerbrach den öden Tag des Lebens!"
A'erschollene Fahrten! Eure Siege sind
Zu lange schon verflackt. Ah! helle Flöten
Und Geigen tönen meinen Gram vergebens.
ALFRED WOLFENSTEIN: BESTIEN HAUS
Ich gleite, rings umgittert von den dunklen Tieren,
Durchs brüllende Haus am Stoß der Stäbe hin und her.
Und blicke weit in ihren Blick wie weit hinaus auf Meer
In ihre Freiheit . . die die schönen nie >erliercn.
lO
Der harte Takt der engen Stadt und Menschheit zälüt
An meinen Zeh'n, doch lose schreiten Einsamkeiten
Im Tigerknie, und seine baumgestreiften Seiten
Sind keiner Straße, nur der Erde selbst vermählt.
Ach ihre reinen heißen Seelen fühlt mein Wille
Und ich zerschmelze sehnsuchtsvoller als ein ^^ eib.
Des Jaguars Blitze gelb aus seinem Sturmnachtleib
Umglühn mein Schnee^esicht und winzise Pupille.
Der Adler sitzt wie Statuen still und scheinbar schwer
Und aufwärts aufwärts in Bewegung ungeheuer 1
Sein Auftrieb greift in mich und spannt mich in sein Steuer —
Ich bleibe still, ich bin von Stein, es fliegt nur er.
Es steigen hoch der Elefanten graue Eise,
Gebirge, nur von Riesengeistern noch bewohnt :
Von Wucht und Glut des wilden Alls bin ich umthront
Und ich steh eingesperrt in ihrem freien Kreise.
ALFRED LICHTEx\STEI-N: DIE DÄMMERUNG
Ein dicker Junge spielt mit einem Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.
Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich,
Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.
Auf lange Krücken schief herabgebückt
Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahuiu.
Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt.
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.
An einem Fenster klebt ein fetter Mann.
Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.
Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an.
Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen.
] I
ERNST STADLER: ABENDSCHLUSS
Die Uhren schlagen sieben. Nun gehen überall in der Stadt
die Geschäfte aus.
Aus schon umdunkelten Hausfluren, durch enge Winkelhöfe
aus protzigen Hallen drängen sich die Verkäufe-
rinnen heraus.
Noch ein wenig blind und wie betäubt vom langen Einge-
schlossensein
Treten sie, leise erregt, in die wollüstige Helle und die sanfte
Offenheit des Sommerabends ein.
Griesgrämige Straßenzüge leuchten auf und schlagen mit
einem Male helleren Takt,
Alle Trottoirs sind eng mit bunten Blusen und Mädchenge-
lächter vollgepackt.
Wie ein See, durch den das starke Treiben eines jungen Flusses
wühlt,
Ist die ganze Stadt von Jugend und Heimkehr überspült.
Zwischen die gleichgültigen Gesichter der Vorübergehenden
ist ein vielfältiges Schicksal gestellt —
Die Erregung jungen Lebens, vom Feuer dieser Abendstunde
überhellt,
In deren Süße alles Dunkle sich verklärt und alles Schwere
schmilzt, als wäre es leicht und frei.
Und als warte nicht schon, durch wenige Stunden getrennt,
das triste Einerlei
Der täglichen Frohn — als warte nicht Heimkehr, Gewinkel
schmutziger Vorstadthäuser, zwischen nackte Miets-
kasernen gekeilt.
Karges Mahl, Beklommenheit der Familienstube und die enge
Nachtkammer, mit den kleinen Geschwistern geteilt.
Und kurzer Schlaf, den schon die erste Frühe aus dem Gold-
land der Träume hetzt —
All das ist jetzt ganz weit — von Abend zugedeckt — und
doch schon da, und wartend wie ein böses Tier, das
sich zur Beute niedersetzt.
Und seihst die Glücklichsten, die leicht mit schlankem Schritt
Am Arm des Liebsten tänzeln, tragen in der Einsamkeit der
Augen einen fernen Schatten mit.
Und manchmal, wenn von ungefähr der Bück der Mädchen im
Gespräch zu Boden fällt,
12
Geschieht es, daß ein Schreckgesicht mit höhnischer Grimasse
ihrer Fröhlichkeit den Weg verstellt.
Dann schmiegen sie sich enger, und die Hand erzittert, die
den Arm des Freundes greift,
Als stände schon das Alter hinter ihnen, das ihr Leben dem
Verlöschen in der Dunkelheit entgegenschleift.
THEODOR DÄUBLER: DIADEM
Die Bogenlampen krönen Sonnenuntergänge,
Ihr lila Scheinen wird den Abend überleben,
Sie geistern schwebend über lärmendem Gedränge.
Es muß verglaste Früchte andrer Welten geben!
Beschwichtigt nicht ihr Lichtgeträufel das Getöse?
Ich kann das Wesen dieser Lampen schwer vernehmen.
Die Sterne scheinen klug, der Mond wird gerne böse.
Warum erblaßt du unter Sternendiademen?
THEODOR DÄUBLER:
FLÜGELLAHMER VERSUCH
Es schweift der Mond durch ausgestorbne Gassen,
Es fällt sein Schein bestimmt durch bleiche Scheiben.
Ich möchte nicht in dieser Gasse bleiben.
Ich leid es nicht, daß Häuser stumm erblassen.
Doch was bewegt sich steil auf den Terrassen?
Ich wähne dort das eigenste Betreiben,
Als wollten Kreise leiblich sich beschreiben,
Ich ahne Laute, ohne sie zu fassen.
Es mag sich wohl ein weißer Vogel zeigen.
Fast wie ein Drache trachten aufzusteigen.
Dabei sich aber langsam niederneigen.
Wie scheint mir dieses Mondtier blind und eigen,
Es klopft an Scheiben, unterbricht das Schweigen
Und liegt dann tot in Hainen unter Feigen.
i3
GEORG HEYM: DIE D.L1/0A£.V DER STÄDTE
Sie wandern durch die Nacht der Städte hin.
Die schwarz sich ducken unter ihrem Fuß.
Wie Schifferbärte stehen um ihr Kinn
Die Wolken schwarz vom Rauch und Kohlenruß.
Ihr langer Schatten schwankt im Häusermeer
Und löscht der Straßen Lichterreihen aus.
Er kriecht wie Nebel auf dem Pflaster schwer
Und tastet langsam vorwärts Haus für Haus.
Den einen Fuß auf einen Platz gestellt,
Den anderen gekniet auf einen Turm,
Ragen sie auf, wo schwarz der Regen fällt,
Panspfeifen blasend in den Wolkensturm.
Um ihre Füße kreist das Ritornell
Des Städtemeers mit trauriger Musik,
Ein großes Sterbelied. Bald dumpf, bald grell
Wechselt der Ton, der in das Dunkel stieg.
Sie wandern an dem Strom, der schwarz und breit
Wie ein Reptil, den Rücken gelb gefleckt
Von den Laternen, in die Dunkelheit
Sich traurig wälzt, die schwarz den Himmel deckt.
Sie lehnen schwer auf einer Brückenwand
Und stecken ihre Hände in den Schwärm
Der Menschen aus, wie Faune, die am Rand
Der Sümpfe bohren in den Schlamm den Arm.
Einer steht auf. Dem weißen Monde hängt
Er eine schwarze Larve vor. Die Nacht,
Die sich wie Blei vom finslern Himmel senkt.
Drückt tief die Häuser in des Dunkels Schacht.
Der Städte Schultern knacken. Und es birst
Ein Dach, daraus ein rotes Feuer schwemmt.
Breitbeinig sitzen sie auf seinem First
Und Schrein wie Katzen auf zum Firmament.
i4
In einer Stube voll von Finsternissen
Schreit eine Wöchnerin in ihren Wehn.
Ihr starker Leib ragt riesig aus den Kissen,
Um den herum die großen Teufel stehn.
Sie hält sich zitternd an der Wehebank.
Das Zimmer schwankt um sie von ihrem Schrei,
Da kommt die Frucht. Ihr Schoß klafft rot und lang.
Und blutend reißt er von der Frucht entzwei.
Der Teufel Hälse wachsen wie Giraffen.
Das Kind hat keinen Kopf. Die Mutter hält
Es vor sich hin. In ihrem Rücken klaffen
Des Schrecks Froschfinger, wenn sie rückwärts fällt.
Doch die Dämonen wachsen riesengroß.
Ihr Schläfenhorn zerreißt den Himmel rot.
Erdbeben donnert durch der Städte Schoß
Um ihren Huf, den Feuer überloht.
GOTTFRIED RENN: KLEISE ASTER
Ein ersoffener Rierfahrer wurde auf den Tisch geslcmml.
Irgendeiner hatte ihm eine dunkelbellila Aster
zwischen die Zähne geklemmt.
Als ich von der Rrust aus
unter der Haut
mit einem langen Messer
Zunge und Gaumen herausschnitt,
muß ich sie angestoßen haben, denn sie glitt
in das nebenliegende Gehirn.
Ich packte sie ihm in die Hrusthöhlc
zwischen die Holzwolle,
als man zunähte.
Trinke dich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster I
if)
JAKOB VAN HODDIS: TRISTITIA ANTE .
Schneeflocken fallen. Meine Nächte sind
Sehr laut geworden, und zu starr ihr Leuchten.
Alle Gefahren, die mir ruhmvoll deuchlen,
Sind nun so widrig wie der Winter wind.
Ich hasse fast die helle Brunst der Städte.
Wenn ich einst wachte und die Mitternächte
Langsam zerflammten — bis die Sonne kam — ,
Wenn ich den Prunk der weißen Huren nahm,
Ob magrer Prunk mir endlich Lösung brächte,
War diese Grelle nie und dieser Gram.
ERNST STADLER: TAGE
0 Gelöbnis der Sünde! All' ihr auferlegten Pilgerfahrten in
entehrte Betten!
Stationen der Erniedrigung und der Begierde an verdammten
Stätten!
Obdach beschmutzter Kammern, Ilerd in der Stube, wo die
Speisereste verderben.
Und die qualmende Öllampe, und über der wackligen Kom-
mode der Spiegel in Scherben!
Ihr zertretnen Leiber! du Lächeln, krampfhaft in gemalte)
Lippen eingeschnitten!
Armes, ungepflegtes Haar! ihr Worte, denen Leben längst
entglitten —
Seid ihr wieder um mich, hör' ich euch meinen Namen
nennen ?
Fühl' ich aus Scham und Angst wieder den einen Drang nur
mich zerbrennen :
Sicherheit der Frommen, Würde der Gerechten anzuspelen.
Trübem, Ungewissem, schon Verlornem mich zu schenken,
mich zu weihen.
Selig singend Schmach und Dumpfheit der Geschlagenen zu
fühlen.
Mich ins Mark des Lebens wie in Gruben Erde einzuwühlen.
i6
Ludwig Meidner
Jakoh van Hoddis
ALFRED WOLFENSTEIN:
VERDAMMTE JUGEND
Von Hause fort, durch Straßen fort,
Euch unbekannt und jedem Ort,
Nur wie der Himmel rasch und hoch
Durch fremden Lärm und ohne Wortl
\\ ie schön allein, und dies verwühlt
Und keiner drin, der mich befühlt.
Der voll Verwandtschaft dumm und dicht
In meiner Brust verhaßt sich suhlt!
Hier ist nicht Heim, hier ist es auf.
Nicht Liebe plump, nur Kampf und Kaufl
Ah fließt die Straße strotzend aus
Zu andern ein in riesigem Lauf.
Ah sprüht es schroff pferdlos vorbei
Und brodelt schwarz der Menge Brei
Und Häuser flattern hingepeitscht
Von Licht, Geläut, Gezisch, GeschreL
Die Steine ziehn in falscher Ruh,
Gehackt vom Schlag des Heers der Schuh,
Den fahlen Köpfen funkeln wund
\on schneller Glut die Lampen zu.
Hier Antlitze wie Tiere fremd
Und Augen wie in Eis geklemmt
Und Augen, die nur sich besehn.
Hier Antlitze, von nichts gehemmt I
Du Gottlose, mein Haupt zerstäub —
Entmenschlichte, mein Herz zerstäub —
Mich ohne Heimat, ohne Weg
Du Straße ja betäub! betäub!
PAUL ZECH: FABRIKSTRASSE TAGS
Nichts als Mauern. Ohne Gras und Glas
zieht die Straße den gescheckten Gurt
der Fassaden. Keine Bahnspur surrt.
Immer glänzt das Pflaster wassemaß.
19
Streift ein Mensch dich, trifft sein Blick dich kalt
bis ins Mark; die harten Schritte haun
Feuer aus dem turmhoch steilen Zaun,
noch sein kurzes Atmen wölkt geballt.
. Keine Zuchthauszelle klemmt
so in Eis das Denken wie dies Gehn
zwischen Mauern, die nur sich besehn.
Trägst du Purpur oder Büßerhemd — :
immer drückt mit riesigem Gewicht
Gottes Bannfluch : uhrenlose Schicht.
PAUL ZECH: SORTIERMÄDCHEN
(1911)
Pilzbeschuppte Mauern, dunkler Winkel am Kanal,
überrauscht von Drehgekreisch der hitzigen Kräne :
blinder Fenster Zwielicht kriecht in einen Arbeitssaal.
Bleiche Mädchen, schon zu reif für Traum und Träne,
angestarrt von des Entsagens trocknem Grind
und an Schwielen Wucherung verschollener Pläne,
bleiche Mädchen hinter Mauern, am Kanal, halb blind,
bleiche Mädchen, ach, was fragt ihr viel nach Bann und Bäumen
eines Winds in Gärten, die wie Abend sind.
Wasser, die um den gespitzten Kiel der Schlepper schäumen,
sangen nie von blitzenden Regatten, nie vom Mond,
der auf Licbesinseln tropft und nie von Kais, die Bäder säumen.
Wasser, das um Fensterluken spült und kühl den Raum be-
wohnt.
Atmet den Geruch von Teer und Aas und Gerberlaugen,
und noch nie hat euch Gebrüll von Untergängen zart geschont.
Über die zerwühlten Ballen von Metallen, die nichts taugen
zu Geräten, hängt ihr das verknöcherte Gesicht:
dumpfer Wille in den Händen und gestumpftes Weiß in Augen.
Manchmal bricht ein Lied, das sich dem Radgeräusch verflicht,
aus den Munden, die an Fäulnis der Gebisse kranken . . .
bricht ein Lied — und du, Mai'ia, hörst es nicht?
20
An den Fenstern aber schwanken
Schatten boshaft wie die Nächte, die das Stroh
eurer Laken mit verwelktem Knospenrot beranken.
Und ihr zuckt zurück und fingert wütend roh
an den Brüsten, an der Schenkel brüchige Ruinen,
und die Augen saugen Blitze her von irgendwo.
So verhaßt wie die belarvten, überstählten- Mienen
des blutjungen Meisters euch erscheinen, ist kein Ding;
nicht die Syphilitiker und Säufer in Kantinen.
Eingesponnen in des Uhrwerks engen Ring :
0 was nützen Gifte ausgelaugt aus Fetzen
einer Jugend, die unfruchtbar verging!
Während eure Brüder Unerfülltes scharf an Aufruhr wetzen,
Schwestern jenseits des Kanals sich rosa drehn im Tanz,
müßt ihr heftige Gedanken auf Metalle hetzen.
Und nur einmal fällt von Blut und Schnee ein Kranz
in die grau verfilzten Strähnen eurer Scheitelbahnen,
wenn ihr, süß berauscht vom Funkeln der Monstranz,
eure Lippen drücken dürft auf Säume von Soutanen.
PAUL ZECH: FRÄSER
Gebietend blecken weiße Hairtstahl-Zähne
aus dem Gewirr der Räder. Mühlen gehn profund,
sie schütten auf den Ziegelgrund
die Wolkenbrüche krauser Kupferspäne.
Die Gletscherkühle riesenhafter Birnen
beglänzt Fleischnackte, die von öl umtropft
die Kämme rühren; während automatenhaft gestopft
die Schüren das Gestänge dünn zerzwimen.
Ein Fäusteballen hin und wieder und ein Fluch,
Werkmeisterpfiffe, widerlicher Brandgeruch
an Muskeln jäh empor geleckt : zu töten !
Und es geschieht, daß sich die bärtigen Gesichter röten,
daß Augen wie geschliffene Gläser stehn
und scharf, gespannt nach innen sehn.
21
ALFRED LICHTEN STEIN: f^EBEL
Ein Nebel hat die Welt so weich zerstört.
Blutlose Bäume lösen sich in Rauch.
Und Schatten schweben, wo man Schreie hört.
Brennende Biester schwinden hin wie Hauch.
Gefangne Fliegen sind die Gaslaternen.
Und jede flackert, daß sie noch entrinne.
Doch seitlich lauert glimmend hoch in Fernen
Der giftge Mond, die fette Nebelspinne.
Wir aber, die, verrucht, zum Tode taugen.
Zerschreiten knirschend diese wüste Pracht.
Und stechen stumm die weißen Elendsaugen
Wie Spieße in die aufgeschwollne Nacht.
ALFRED LICHTENSTEIN: DER AUSFLUG
Du, ich halte diese festen
Stuben und die dürren Straßen
Und die rote Häusersonne,
Die verruchte Unlust aller
Längst schon abgeblickten Bücher
Nicht mehr aus.
Komm, wir müssen von der Stadt
Weit hinweg.
Wollen uns in eine sanfte
Wiese legen.
Werden drohend und so hilflos
Gegen den unsinnig großen.
Tödlich blauen, blanken Himmel
Die entfleischten, dumpfen Augen,
Die verwunschnen.
Und verheulte Hände heben. —
THEODOR DÄUBLER:
HÄTTE ICH EIN FÜNKCHEN GLÜCK
Hätte ich ein Fünkchen Glück, wäre alles anders!
Wollte blauer Tauwind hold meine Segel schweelen,
Blitzte gleich durch mich der Geist eines kühnen Landers,
Und ich müßte immer mehr, mich ums Mehr zerquälen.
22
Wäre wenig anders nur : hätte ich ein Fünkchen Glück,
Träumt ich nicht voll Brunstgewalt in die nackte, kalte Nacht,
Denn ich fühlte mich im Weib, bis in meinen Grund zurück:
Würde je mein Graun getilgt, hätt ich keinen Sturm durch-
wacht!
Wüßte ich, warum ich fromm, daseinsscheu und seltsam bin.
Ahnte ich, weshalb um mich nirgends grünes Glück gedeiht.
Hätte dieses kleine Sein plötzlich schrecklich vielen Sinn!
Nirgends fände ich den Zweck und ich stürbe doch vor Leid.
Dennoch höre, Erde mich: ich bin auch ein Kind von dir!
Erde, ach, ich liebe dich. Liebe Ist mein Erdensang.
Erde, liebe deinen Sohn, wie die Pflanze, wie das Tier!
Erde, warum bin ich hier liebesarm und totenbang?
Hätte Ich ein Fünkchen Glück, hielt Ich rein das Glück!
So Ist oft mein Traumgesicht wild auf Lust erpicht.
Alles bleibt In mir Versuch. Nie gelingt ein Stück.
Sing ich das, so glaube ich, daß mein Herz mir bricht.
ALBERT EHRENSTEIN
SO SCHNEIT AUF MICH DIE TOTE ZEIT
Hofft nichts von mir.
Ich habe niemals Sonne gehabt,
Ich habe den Steinen mein Leid gebracht.
Ich hoffte Glück vom Tier.
An mir vorüber sprang der Wunsch der rasselosen Dirnen,
Und nie klang mir das deutsche Wort: Ich liebe dich!
Sie recken dem Kommis die grundlos eiteln Stirnen,
Boshaft gähnt mich das Weib an : ich betrübe dich.
So schneit auf mich die tote Zelt.
Danklos trinkt sie den Wein, und was sich beut,
Mein Sehnen darf erlahmen;
Sie wahrt, um Fleisch besorgt, mit plötzlich keuscher Elle
Des Auslands lange Langeweile.
: Weib wird Zeit.
23
AUGUST STRAMM: UNTREU
Dein Lächeln weint In meiner Brust
Die glulverbissenen Lippen eisen
Im Atem wittert Laubwelk!
Dein Blick versargt
Und
Hastet polternd Worte drauf.
Vergessen
Bröckeln nach die Händel
Frei
Buhlt dein Kleidsaum
Schlenkrig
Drüber rüber I
THEODOR DÄUBLER: WAS?
Ist es wirklich wahr,
Ruft In jeder Stimme,
Wenn sie noch so leise klingt,
Ursprungslos und wunderbar
Gott in seinem Grimme:
Wenn dir DAS zu Herzen dringt,
Menschenkind, so glimme!
Was, oh was? Ich horche ja!
Horche manchem Leben,
Bin dem Winde Immer nah,
Winde mich zum Psichts zurück,
Selbst mich zu erheben :
Trachte, als von Gott ein Stück,
Frei vor Gott zu beben!
Stürme umarmen mich,
Halsen uns alle und rufen :
„Als mir noch niemand glich.
Blieb ich so still In dir;
Als wir uns schufen.
Wurden wir Wind und Tier
Und mußten verstufen".
24
Böen ereignet euch!
Wühen vernehmt eure Höhel
Dann heul ich euch nach. Ich der Geist.
Dann zerr ich an jedem Gesträuch
Und wehe: wehe, wenn ich entflöhel
Dann würdet ihr, die ihr vereist.
Nicht wissen, daß ihr zerreißt.
Menschen, so fasset euch :
Lauscht in die stürmenden Stimmen:
Helft mir, begreift einen Schrei!
Die Seelen durchfegt ein Gekeuch!
Ihr löscht nicht das Gottesergrimmen :
Ach, würde ein einziger frei,
So müßten wir klimmen, erglimmen!
Der Wirrwarr verwirbelt nicht mehr.
Wir waren vielleicht nie beisammen.
Wie schwer wird der Geist jedem Meer,
Und dem Geiste die Schöpfung wie leer!
Wir müssen uns fliehend verdammen :
Jungfräulich doch immer entstammen :
Zusammen geht alles ursprünglich einher.
THEODOR DÄUBLER: EINSAM
Ich rufe! Echolos sind alle meine Stimmen.
Das ist ein alter, lauteleerer Wald.
Ich atme ja, doch gar nichts regt sich oder hallt.
Ich lebe, denn ich kann noch lauschen und ergrimmen.
Ist das kein Wald? Ist das ein Traumerglimmen?
Ist dais der Herbst, der schweigsam weiter wallt?
Das war ein Wald! Ein Wald voll alter Urgewalt.
Dann kam ein Brand, den sah ich immer näher klimmen.
Erinnern kann ich mich, erinnern, bloß erinnern.
Mein Wald war tot. Ich lispelte zu fremden Linden,
Und eine Quelle sprudelte in meinem Innern.
Nun starr ich in den Traum, das starre Waldgespenst.
Mein Schweigen, ach, ist aber gar nicht unbegrenzt.
Ich kann in keinem Wald das Echo-Schweigen finden.
25
ALFRED LICHTEN STEIN:
SOMMERFRISCHE
Der Himmel ist wie eine blaue Qualle.
Und rings sind Felder, grüne Wiesenhügel —
Friedliche Welt, du große Mausefalle,
Entkam ich endlich dir ... 0 hätt ich Flügel —
Man würfelt. Säuft. Man schwatzt von Zukunftsstaaten.
Ein jeder übt behaglich seine Schnauze.
Die Erde ist ein fetter Sonntaarsbraten,
Hübsch eingetunkt in süße Sonnensauce.
War doch ein Wind . . . zerriß mit Eisenklauen
Die sanfte Welt. Das würde mich ergetzen.
War doch ein Sturm . . . der müßt den schönen blauen
Ewigen Himmel tausendfach zerfetzen.
ALFRED WOLFENSTEIN:
NACHT IM DORFE
Vor der verschlungnen Finsternis stöhnt
Stöhnt mein Mund.
Ich, an Lärmen unruhig gewöhnt,
Starre suchend rund:
Berge von Bäumen behaart ruhn
Schwarz wüst herein,
Was ihre Straßen nun tun
Äußert kein Schein, kein Schrei'n.
Abel ein wenig sich zu irrn
Wünscht, wünscht mein Ohr,
Schwänge nur eines Käfers Schwirrn
Mir ein Auto vor.
Wäre nur ein Fenster drüben bewohnt,
Doch im gewölbten Haus
Nichts als Sterne und hohlen Mond
— Halt ich nicht aus —
26
Halt ich nicht aus, meinem Schlaf allmächtig umstellt,
Fremd, fremd und nah —
Durch den See noch näher geschwellt
Liegt es lautlos da.
Aber glaubt mich nicht schwach,
Daß ich — soeben die Stadt noch gehaßt —
Nun das Land flieh — : es ist nur die Nacht,
Nur auf dich, diese Nacht, war ich nicht gefaßt —
Wie du tot oder tausendfach unbekannt
Mein schwarzes Bett umlangst,
Nirgends durchbrochen von menschlicher Hand,
Gottlose .\ngst.
GEORG TRAKL: DE PROFUNDIS
Es ist ein Stoppelfeld, in das ein schwarzer Regen fällt.
Es ist ein brauner Baum, der einsam dasteht.
Es ist ein Zischelwind, der leere Hütten umkreist — {
Wie traurig dieser Abend. j
Am Weiler vorbei !
Sammelt die sanfte Waise noch spärliche Ähren ein.
Ihre Augen weiden rund und goldig in der Dämmerung
Und ihr Schoß harrt des himmlischen Bräutigams.
Bei der Heimkehr
Fanden die Hirten den süßen Leib
Verwest im Dornenbusch.
Ein Schatten bin ich ferne finsteren Dörfern.
Gottes Schweigen
Trank ich aus dem Brunnen des Hains.
Auf meine Stirne tritt kaltes Metall.
Spinnen suchen mein Herz.
Es ist ein Licht, das in meinem Mund erlöscht.
Nachts fand ich mich auf einer Heide,
Starrend von Unrat und Staub der Sterne.
Im Haselgebüsch
Klangen wieder kristallne Engel.
27
GEORG TRAKL: RUH UND SCHW EIGEN
Hirten begruben die Sonne im kahlen Wald.
Ein Fischer zog
In härenem Netz den Mond aus frierendem Weiher.
In blauem Kristall
Wohnt der bleiche Mensch, die Wang' an seine Sterne gelehnt;
Oder er neigt das Haupt in purpurnem Schlaf.
Doch immer rührt der schwarze Flug der Vögel
Den Schauenden, das Heilige blauer Blumen,
Denkt die nahe Stille Vergessenes, erloschene Engel.
Wieder nachtet die Stirne in mondenem Gestein;
Ein strahlender Jüngling
Erscheint die Schwester in Herbst und schwarzer Verwesung.
GEORG TRAKL : IN DEN NACHMITTAG GEFLÜSTERT
Sonne, herbstlich dünn und zag,
Und das Obst fällt von den Bäumen.
Stille wohnt in blauen Räumen
Einen langen Nachmittag.
Sterbeklänge von Metall;
Und ein weißes Tier bricht nieder.
Brauner Mädchen rauhe Lieder
Sind verweht im Blätterfall.
Stirne Gott^ Farben träumt,
Spürt des Wahnsinns sanfte Flügel.
Schatten drehen sich am Hügel
Von Verwesung schwarz umsäumt.
Dämmerung voll Ruh und Wein;
Traurige Gitarren rinnen.
Und zur milden Lampe drinnen
Kehrst du wie im Traume ein.
ALBERT EHRENSTEIN: VERZWEIFLUNG
Wochen, Wochen sprach ich kein Wort;
Ich lebe einsam, verdorrt.
Am Himmel zwitschert kein Stern.
Ich stürbe so gern.
28
Meine Augen betrübt die Enge,
Ich verkrieche mich in einen Winkel,
Klein möchte ich sein wie eine Spinne,
Aber niemand zerdrückt mich.
Keinem habe ich Schlimmes getan.
Allen Guten half ich ein wenig.
Glück, dich soll ich nicht haben.
Man will mich nicht lebend begraben.
ALBERT EHRENSTEIN: LEID
Wie bin ich vorgespannt
Den Kohlenwagen meiner Trauer!
Widrig wie eine Spinne
Bekriecht mich die Zeit.
Fällt mein Haar,
Ergraut mein Haupt zum Feld,
Darüber der letzte
Schnitter sichelt.
Schlaf umdunkelt mein Gebein.
Im Traum schon starb ich.
Gras schoß aus meinem Schädel,
Aus schwarzer Erde war mein Kopf.
ALBERT EHRENSTEIN:
AUF DER HARTHERZIGEN ERDE
Dem Rauch einer Lokomotive juble ich zu.
Mich freut der weiße Tanz der Gestirne,
Hell aufglänzend der Huf eines Pferdes,
Mich freut den Baum hinanblitzend ein Eichhorn,
Oder kalten Silbers ein See, Forellen im Bache,
Schwatzen der Spatzen auf dürrem Gezweig.
Aber nicht blüht mir Freund noch Feind auf der Erde,
Ferne Wege gehe ich durch das Feld hin.
Ich zertrat das Gebot
„Ringe, o Mensch, dich zu freuen und Freude zu geben drai
Andern!"
29
Düsler umwandle ich mich,
Vermeidend die Mädchen und Männer,
Seit mein weiches, bluttränendes Herz
Im Staube zerstießen, die ich verehrte.
Nie neigte sich meinem einsam jammernden Sinn
Die Liebe der Frauen, denen ihr Atmen ich dankte.
Ich, der Fröstelnde, lebe dies weiter. Lange noch.
Ferne Wege schluchze ich durch die Wüste.
GOTTFRIED BENN: DER JUNGE HEBBEL
Ihr schnitzt und bildet: den gelenken Meißel
in einer feinen weichen Hand.
Ich schlage mit der Stirn am Marmorblock
die Form heraus.
Meine Hände schaffen ums Brot.
Ich bin mir noch sehr fern.
Aber ich will Ich werden!
Ich trage einen tief im Blut,
der schreit nach seinen selbsterschaffenen
Götterhimmeln und Menschenerden. —
Meine Mutter ist eine so arme Frau,
daß ihr lachen würdet, wenn ihr sie sähet,
Wir wohnen in einer engen Bucht,
ausgebaut an des Dorfes Ende.
Meine Jugend ist mir wie ein Schorf:
eine Wunde darunter.
Da sickert täglich Blut hervor.
Davon bin ich so entstellt. —
Schlaf brauche ich keinen.
Essen nur so viel, daß ich nicht verrecke!
Unerbittlich ist der Kampf
und die Welt starrt von Schwertspitzen.
Jede hungert nach meinem Herzen.
Jede muß ich. Waffenloser,
in meinem Blut zerschmelzen.
R. M. Entert
He-,
ALFRED WOLFE-XSTEIN:
DIE GOTTLOSEN JAHRE
Musik nicht will ich machen, sondern schreiten
Und zeigen meine Schritte.
Musik nicht gibt das hart geballte Reiten
Der Heere von Seelen, die streiten
Um meine Mitte.
Und ist kein Boden mehr, kein Traum zu schreiten,
So sollt ihr noch mein Stehn verspüren.
Ich laß wie ein Gebirge mich nicht gleiten,
So gut befreundet immer noch mit Möglichkeiten,
Kein Schicksal soll mir meine Stirn entführen.
Am scharfen Rande ausgesogner Weiten,
Auf nichts als meinen zitternd spitzen Zehen,
Erwachsen, sehend nur mein Sehen,
Entstürzt dem ersten Garten und mit keiner zweiten
Musik als meinem Warten — : spürt mich stehen.
ALBERT EHRENSTEIN: DER WANDERER
Meine Freunde sind schwank wie Rohr,
Auf ihren Lippen sitzt ihr Herz,
Keuschheit kennen sie nicht;
Tanzen möchte ich auf ihren Häuptern.
Mädchen, das ich liebe,
Seele der Seelen du,
Auserwählte, Lichtgeschaffene,
Nie sahst du mich an.
Dein Schoß war nicht bereit.
Zu Asche brannte mein Herz.
Ich kenne die Zähne der Hunde,
In der Wind-ins-Gesicht-Gasse wohne ich,
Ein Sieb-Dach ist über meinem Haupte,
Schimmel freut sich an den Wänden,
Gute Ritzen sind für den Regen da.
„Töte dich!" spricht mein Messer zu mir.
Im Kote liege ich;
Hoch über mir, in Karossen befahren
Meine Foinde den Mondregenbogen.
33
KÜRT HEYMCKE: ERHEBE DIE HÄNDE
Erhebe die Hände,
Angesicht,
urnamenlos
über mein Haupt,
das feucht ist von Wein und Lachen!
Ich stürze in blitzende Stunden,
reiße mein Blut hoch in blühende Frauen,
und wiege dahin in singende Geigen —
siehe —
es neigen sich alle Stunden,
ich könnte jung sein,
und mein Herz ein Sommer —
aber tief in mir schluchzt ein Gedanke —
fern
verhaltenes Weinen steigt dunkelher
und umarmt meine Jugend . . .
Dies ist ewig:
Das Nein.
Hätte ich alle Lust,
fremd höben sich meine Schultern,
meine Lippe wäre Verachtung:
Ich bin ein Wanderer
imd darf nicht verweilen . . .
FRANZ WERFEL:
FREMDE SIND WIR AUF DER ERDE ALLE
Tötet euch mit Dämpfen und mit Messern,
Schleudert Schrecken, hohe Heimatworte,
Werft dahin um Erde euer Leben!
Die Geliebte ist euch nicht gegeben.
Alle Lande werden zu Gewässern.
Unterm Fuß zerrinnen euch die Orte.
Mögen Städte aufwärts sich gestalten,
Niniveh, ein Gotlestrotz von Steinen!
Ach, es ist ein Fluch in unserm Wallen ...
Flüchtig muß vor uns das Feste fallen.
Was wir halten, ist nicht mehr zu halten.
Und am Ende bleibt uns nichts als Weinen.
3A
Berge sind, und Flächen sind geduldig . . .
Staunen, wie wir auf und nieder weichen.
Fluß wird alles, wo wir eingezogen.
Wer zum Sein noch Mein sagt, ist betrogen.
Schuldvoll sind wir, und uns selber schuldig.
Unser Teil ist: Schuld, sie zu begleichen!
Mütter leben, daß sie uns entschwinden.
Und das Haus ist, daß es uns zerfalle.
Selige Blicke, daß sie uns entfliehen.
Selbst der Schlag des Herzens ist geliehen!
Fremde sind wir auf der Erde Alle,
Und es stirbt, womit wir uns verbinden.
WALTER HASENGLEVER:
TRITT AUS DEM TOR, ERSCHEINUNG
Tritt aus dem Tor, Erscheinung, namenlose!
Kommt, ihr geheimnisvollen frühen Triebe!
Kehr wieder, Sonntag! Schlafe mit mir, Rose
Am weißen Kleide meiner ersten Liebe!
Und wenn ich von euch ritt auf einem Pferde
Schwarz in die Dunkelheit des Meers — was war ich!'
Ein Strahl des Lichts, ein Stück von meiner Erde,
Ein Abenteuer, bunt, verbrannt und fahrig.
Mein altes Haus, wer deine Ruhe fände!
0 sag mir nicht, daß auf den fremden Inseln
Jetzt Affen schrein und Papageien winseln —
Ich könnte wieder reisen ohne Ende!
WILHELM KLEMM: PHILOSOPHIE
Wir wissen nicht was das Licht ist
Noch was der Äther und seine Schwingungen —
Wir verstehen das Wachstum nicht
Und die Walilverwandtschaften der Stoffe.
Fremd ist uns, was die Sterne bedeuten
Und der Feiergang der Zeit.
Die Untiefen der Seele begreifen wir nicht
Noch die Fratzen, unter denen sich die Völker vernichten.
Unbekannt bleibt uns das Gehen und Kommen.
Wir wissen nicht, was Gott ist!
Oh Pflanzenwesen im Dickicht der Rätsel
Deiner Wunder größtes ist die Hoffnung!
35
AUGUST STRAMM: SCHWERMUT
Schreiten Sti'eben
Leben sehnt
Schauern Stehen
Blicke suchen
Sterben wächst
Das Kommen
Schreit 1
Tief
Stummen
Wir.
ALBERT EHRENSTEIN: SCHMERZ
Gott, du alter Epimethide,
Warum hast du deinen Zahn
In mich gebohrt?
Immer noch, immer noch umringt mich die Wehmut,
Endlos dröhnen die Klagen,
Gedenk ich langsam zerfallender Zeiten
Und der unersättlichen Schenkel,
Die mich nicht sättigen wollen.
Siehe, die Dinge sind lieb und wollen mich trösten,
Die Bäume grünen aufs neue,
Unermüdlich kündet die Uhr mir die Zeit,
Und nächtlich besuchen die Ärmsten der Tiere,
Alte Wanzen mein Lager,
Sich erbarmend meines AUemseins.
Aber was weiß ein Weib von Herz und Sitte?!
Nimmer glaub' ich an Musen.
Nicht wiegt mein Vers,
: Bemannt mit vergänglich ihr näheren Menschen
Treibt sie dahin.
Gott, noch niemals fleht ich Dich an,
Nicht betet der Stolz,
Nun bitt' ich:
Beschütze mein Herz vor Liebe,
Genug schon litt
Meine unsterbliche Seele.
36
ALBERT EHRENSTEIN:
ICH BIN DES LEBENS UND DES TODES MÜDE
Und ob die großen Autohummeln sausen,
Äroplane im Äther hausen,
Es fehlt dem Menschen die stete, welterschütternde Kraft.
Er ist wie Schleim, gespuckt auf eine Schiene.
Und löst sich selbst die Klammer um die fernste Ferne,
Erdklammer, die uns noch nicht läßt.
Weist dereinst an der Ecke ein heiliger Weltenschutzmann
Zum nächsten Nebelstern kürzeste Wege,
— Sterblich vor allen ist die Erinnerung,
Die staubabwischende Göttin;
Schöne Laubfrösche wuchsen der Dämmernden auf
Und starben dann.
Die brausenden Ströme ertrinken machtlos im Meer.
Nicht fühlten die Siouxindianer in ihren Kriegstänzen Goethe,
Und nicht fühlte die Leiden Christi der erbarmungslos ewige
Sirius!
Nie durchzuckt vom Gefühl,
Unfühlend einander und starr
Steigen und sinken
Sonnen, Atome: die Körper im Raum.
AUGUST STRAMM: VERZWEIFELT
Droben schmettert ein greller Stein
Nacht grant Glas
Die Zeiten stehn
Ich
Steine.
Weit
Glast
Dul
WILHELM KLEMM: LICHTER
Lichter brennen auf wachsverwehten Kerzen,
Stille Versammlung weißer, schlanker Apostel,
Ruhige Flammen des Geistes auf schmalen Häuptern,
Die leise züngeln unter dem Hauch der Nacht.
■^7
Lichter brennen. Lodernde Opferglut
Im Dome der iSacht. Sturmzeichen, was willst du verkünden?
Feuersbrunst, fleunmengehörntes Fanal,
Oh, wie dein rasendes Herz mich durchglüht!
Lichter schwinden. Wie Grubenlampen, die langsam
In finstren Stollen verwischen, wie letzte Funken
Verträumt schwelen in Rauch und schwarzen Ruinen.
Erinnerung, deren Erinnerung schwindet.
Lichter verlöschen. iNucht und Verlassenheit
Stürzen herein. Unsere Herzen schauern tiefer —
Blinde Engel fahren verstört empor —
Flügelgeflatter und Wimmern ohne Ende.
KURT E^YNICKE: GETHSEMANE
Alle Menschen sind der Heiland.
In dem dunklen Garten trinken wir den Kelch.
Vater, laß ihn nicht vorübergehn.
Wir sind alle einer Liebe.
Wir sind alle tiefes Leid.
Alle wollen sich erlösen.
Vater, deine Welt ist unser Kreuz.
Laß sie nicht vorübergehn.
ALBERT EHRENSTEIN: UNENTRINNBAR
Wer weiß, ob nicht
Leben Sterben ist,
Atem Erwürgung,
Sonne die Nacht?
Von den Eichen der Götter
Fallen die Früchte
Durch Schweine zum Kot,
Aus dem sich die Düfte
Der Rosen erheben
In entsetzlichem Kreislauf,
Leiche ist Keim,
Und Keim ist Pest.
38
GEORG HEYM: DER KHIEG
1911
Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmrung steht er, groß und unbekannt,
Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.
In den Abendlärm der Städte fällt es weit,
Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit.
Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.
Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.
In den Gassen faßt es ihre Schulter leicht.
Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.
In der Ferne zittert ein Geläute dünn.
Und die Barte zittern um ihr spitzes Kinn.
Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an.
Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an!
Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt.
Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt.
Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,
Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.
Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt.
Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.
In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein.
Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein.
Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze Welt,
Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand erhellt.
Und mit tausend hohen Zipfelmützen weit
Sind die finstren Ebnen f lackend überstreut.
Und was unten auf den Straßen wimmelnd flieht.
Stößt er in die Feuerwälder, wo die Flamme brausend zieht.
Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald,
Gelbe Fledermäuse, zackig in das Laub gekrallt.
Seine Stange haut er wie ein Köhlerloiecht
In die Bäume, daß das Feuer brause recht.
39
Eine große Stadt versank in gelbem Raucli,
Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.
Aber riesig über glühnden Trümmern steht,
Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht
Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,
In des toten Dunkeb kalten Wüstenein,
Daß er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,
Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh.
ERNST STADLER: DER AUFBRUCH
Einmal schon haben Fanfaren mein ungeduldiges Herz blutig
gerissen.
Daß es, aufsteigend wie ein Pferd, sich wütend ins Gezäum
verbissen.
Damals sclilug Tamburmarsch den Sturm auf allen Wegen,
Und herrlichste Musik der Erde hieß uns Kugelregen.
Dann, plötzlich, stand Leben stille. Wege führten zwischen
alten Bäumen.
Gemächer lockten. Es war süß, zu weilen und sich versäumen.
Von Wirklichkeit den Leib so wie von staubiger Rüstung zu
entketten.
Wollüstig sich in Daunen weicher Traumstunden einzubetten.
Aber eines Morgens rollte durch Nebelluft das Echo von Sig-
nalen,
Hart, scharf, wie Schwerthieb pfeifend. Es war wie wenn im
Dunkel plötzlich Lichter aufstrahlen.
Es war wie wenn durch Biwakfrühe Trompetenstöße klirren.
Die Schlafenden aufspringen und die Zelte abschlagen und die
Pferde schirren.
Ich war in Reihen eingeschient, die in den Morgen stießen,
Feuer über Helm und Bügel,
Vorwärts, in Blick und Blut die Schlacht, mit vorgehaltnem
Zügel.
Vielleicht würden uns am Abend Siegesmärsche umstreichen,
Vielleicht lägen wir irgendwo ausgestreckt unter Leichen.
Aber vor dem Erraffen und vor dem Versinken
Würden unsre Augen sich an Welt und Sonne satt und
glühend trinken.
WALTER HASE^■CLEVER:
DIE LAGERFEUER AN DER KÜSTE
Mai 191 4
Die Lagerfeuer an der Küste rauchen.
Ich muß mich niederwerfen tief in iSot.
Leoparden wittern mein Gesicht iind fauchen.
Du bist mir nahe, Bruder, Tod.
Verworren zuckt Europa noch im Winde
Von Schiffen auf dem fabelhaften Meer;
Durch die ungeheure Angst bricht her
Schrei einer Mutter nach dem kleinen Kinde.
Es starb mein Pferd heut nacht in meiner Hand.
Wie hast du mich verlassen, Kreatur!
Aus dem Kadaver steigt das fremde Land
Hinauf zu einer andern Sonnenuhr.
FRANZ WERFEL: DER KRIEG
Auf einem Sturm von falschen Worten,
Umkränzt von leerem Donner das Haupt,
Schlaflos vor Lüge,
Mit Taten, die sich selbst nur tun, gegürtet,
Prahlend von Opfern,
Ungefällig scheiißiich für den Hinomel —
So fährst du hin,
Zeit,
In den lärmenden Traum,
Den Gott mit schrecklichen Händen,
Aus seinem Schlafe reißt
Und verwirft.
Höhnisch, erbarmungslos.
Gnadenlos starren die Wände der Welt!
Und deine Trompeten,
Und trostlosen Trommeln,
Und Wut deiner Märsche,
Und Brut deines Grauens,
Branden kindisch und tonlos
Ans unerbittliche Blau,
Das den Pcinzer schlägt,
Ehern und leicht sich legt,
Um das ewige Herz.
M
Mild wurden im furciitbaren Abend
Geborgen schiffbrüchige Männer.
Sein goldenes Kettlein legte das Kind
Dem toten Vogel ins Grab,
Die ewige unwissende,
Die Heldentat der Mutter noch regt sie sich.
Der Heilige, der Mann,
Hingab er sich mit Jauchzen und vergoß sich.
Der Weise brausend, mächtig.
Siehe,
Erkannte sich im Feind und küßte ihn.
Da war der Himmel los.
Und konnte sich vor Wundern nicht halten,
Und stürzte durcheinander.
Und auf die Dächer der Menschen,
Begeistert, goldig, schwebend.
Der Adlerschwarm der Gottheit
Senkte sich herab.
Vor jeder kleinen Güte
Gehn Gottes Augen über.
Und jede kleine Liebe
Rollt durch die ganze Ordnung.
Dir aber wehe.
Stampfende Zeit!
Wehe dem scheußlichen Gewitter
Der eitlen Rede!
Ungerührt ist das Wesen vor deinem Anreiten,
Und den zerbrechenden Gebirgen,
Den keuchenden Straßen,
Und den Toden, tausendfach, nebenbei, ohne Werl.
Und deine Wahrheit ist
Des Drachen Gebrüll nicht.
Nicht der geschwätzigen Gemeinschaft
Vergiftetes, eitles Recht!
Deine Wahrheit allein.
Der Unsinn und sein Leid,
Der Wundrand und das ausgehende Herz,
Der Durst und die schlemimige Tränke,
Gebleckte Zähne,
42
Und die mutige Wut
Des tückischen Ungetüms.
Der arme Brief von zu Hause,
Das Durch-die-Straße-Laufen
Der Mutter, die weise.
Das alles nicht eüisieht.
Nun da wir uns ließen.
Und iinser Jenseits verschmissen.
Und uns verschwuren.
Zu Elend, besessen von Flüchen . . .
Wer weiß von uns,
Wer von dem endlosen Engel,
Der weh über unsern Nächten,
Zwischen den Fingern der Hände,
Gewichtlos, unerträglich, niederfallend.
Die ungeheuren Tränen weint?!
Geschrieben am 4- August 191 4-
ALBERT EHRENSTEIN: DER KRIEGSGOTT
Heiter rieselt ein Wasser,
Abendlich blutet das Feld,
.\ber aufreckend das wildbewachsene Tierhaupt,
Den Menschen feind.
Zerschmettere ich, Ares,
Zerkrachend schwaches Kinn und Nase,
Kirchtürme abdrehend vor Wut,
Euere Erde.
Lasset ab, den Gott zu rufen, der nicht hört.
Nicht hintersinnet ihr dies:
Ein kleiner Unterteufel herrscht auf der Erde,
Ihm dienen Unvernunft imd Tollwut.
Menschenhäute spannte ich an Stangen um die Städte.
Der ich der alten Burgen Wanketore
Auf meine Dämonsschultern lud,
Icü schütte aus die dürre Kriegszeit,
Steck' Europa in den Kriegssack.
Rot umblüht euer Blut
Meinen Schlächterarm,
Wie freut mich der Anblick 1
43
Der Feind flammt auf
In regenbitterer Nacht,
Geschosse zerhacken euere Frauen,
Auf den Boden
Verstreut sind die Hoden
Euerer Söhne
Wie die Körner von Gurken.
Unabwendbar eueren Kinderhänden
Rührt euere Massen der Tod.
Blut gebt ihr für Kot,
Reichtum für Not,
Schon speien die Wölfe
Nach meinen Festen,
Euer Aas muß sie übermästen.
Bleibt noch ein Rest
Nach Ruhr und Pest?
Aufheult in mir die Lust,
Euch gänzlich zu beenden.
KURT HEYNICKE: DAS BILD
Welt,
wie du taumelst!
An meiner ausgestreckten Hand vorbei,
bunt und blutbefallen,
Weltl
Es stürzt ein Schrei von Mitternacht gen Mitternacht,
ein Schrei, o Welt,
dein Schrei!
Deiner Mütter Schrei,
deiner Kinder Schrei —
Heere wanken an roter Wand,
rauchend und röchelnd sinkt goldenes Land,
Heere wanken und steigen und gehn — •■
ewig Heere,
Kriegerheere,
Mütterheere,
Menschenheere I
m
Tauniebi, Fallen, Gebäien und Stelin! !
Hände kämpfen und bluten und flebn, '
Hände, Leiber und Angesiebte ]
gelb im vergifteten Liebte der Tage i
stürze, o Welt! j
i
leb will niebt an den Wänden stebn! I
0, meine Brüder! j
leb will untergebnl i
ALBERT EHRENSTEIN: DER BERSERKER SCHREIT \
Die Welt möcbt' icb zerreißen, I
Sie Stück für Stück zerglübn :
An meinem lebensbeißen !
Und todesstarken Sinn.
Icb babe Land besessen,
Und Meer dazu, wieviel!
Icb babe Menseben gefressen,
Und weiß kein Ziel.
Und neue S ebnen wacbsen.
Und neue Kraft ertost.
Vorwärts mit tausend Acbsen,
Ell' mir die Pest raubt West und Ost!
WILHELM KLEMM: SCHLACHT AN DER MARNE
Langsam beginnen die Steine sieb zu bewegen und zu reden.
Die Gräser erstarren zu grünem Metall. Die Wälder,
Niedrige, dichte Verstecke, fressen ferne Kolonnen.
Der Himmel, das kalkweiße Geheimnis, droht zu bersten.
Zwei kolossale Stunden rollen sieb auf zu Minuten.
Der leere Horizont bläht sich empor.
Mein Herz ist so groß wie Deutschland und Frankreich zu-
sammen,
Durchbohrt von allen Geschossen der Welt.
Die Batterie erhebt ihre Löwenstimme
Sechsmal hinaus in das Land. Die Granaten heulen.
Stille. In der Ferne brodelt das Feuer der Infanterie,
Tagelang, wochenlang.
45
AUGUST STRAMM : WAC//E
Das Turmkreuz schrickt ein Stern
Der Gaul schnappt Rauch
Eisen klirrt verschlafen
Nebel Streichen
Schauer
Starren Frösteln
Frösteln
Streicheln
Raunen
Du!
AUGUST STRAMM : PATROVILLE
Die Steine feinden
Fenster grinst Verrat
Äste würgen
Berge Sträucher blättern raschlig
Gellen
Tod.
AUGUST STRAMM: STURMANGRIFF
Aus allen Winkeln gellen Fürchte Wollen
Kreisch
Peitscht
Das Leben
Vor
Sich
Her
Den keuchen Tod
Die Himmel fetzen
Blinde schlächtert wildum das Entsetzen
ALFRED LIGHT ENSTEI IN:
DIE SCHLACHT BEI SAARBÖRG
Die Erde verschimmelt im Nebel.
Der Abend drückt wie Blei.
Rings reißt elektrisches Krachen
Und wimmernd bricht alles entzwei.
46
Wie schlechte Lumpen qualmen
Die Dörfer am Horizont.
Ich liege gottverlassen
In der knatternden Schützenfront. ,
Viel kupferne feindliche Vögelein
Surren um Herz und Hirn.
Ich stemme mich steil in das Graue
Und biete dem Morden die Stirn.
ALBERT EHRENSTEIN:
DER DICHTER UND DER KRIEG
Ich sang die Gesänge der rotaufschlitzenden Rache,
Und ich sang die Stille des waldumbuchteten Sees;
Aber zu mir gesellte sich niemand,
Steil, einsam
Wie die Zikade sich singt,
Sang ich mein Lied für mich.
Schon vergeht mein Schritt ermattend
Im Sand der Mühe.
Vor Müdigkeit entfallen mir die Augen,
Müde bin ich der trostlosen Furten,
Des Überschreitens der Gewässer, Mädchen und Straßen.
Am Abgrund gedenke ich nicht
Des Schildes und Speeres.
Von Birken umweht,
Vom Winde umschattet.
Entschlaf ich zum Klange der Harfe
Anderer,
Denen sie freudig trieft.
Ich rege mich nicht.
Denn alle Gedanken und Taten
Trüben die Reinheit der Welt.
PAUL ZECH: MUSIK DER STERNE
In Höhlen Schwermut Du, vor Drähten
der Feindschaft, jedem Stoß gestellt — :
horch, wie in den geschoß-gemähnten
Wipfeln Musik der Sterne schwellt;
17
wie mit dem immer Dun kl er werden
des Horizontes und Radaus
aus Mauerflanken anderer Erden
Gott auferbaut ein Orgelhaus.
Und hebst Du erst die düstere Braue,
zerbrichst Du Schild und Schwert,
fällt von Dir ab die altersgraue
Montur. Du steifst Dich, unbeschwert,
von dem Geschehenen des Tages,
am Rand der Gräben wie ein Baum.
Dein noch vor Stunden wanderzages
Da-Sein verzweigt sich schon dem Raum.
Bist Silbermasche jetzt des Flores,
aus Stern und Wind und Blatt,
bist Vorhang eines Tores,
das keinen Ausgang hat.
Du bist gefangen
und irgendwo im Licht
spurlos zergangen.
Du fühlst Dich selber nicht.
Du fühlst nur, wie sich nichts als Noten
Dir hinreihn, bis die Kette klingt,
Dich und das Brüderheer der Toten
der Psalm des Lichts lobsingt,
aus Stimme Wald und Stimme Sterne
die große Schöpferfuge braust,
um die die Weltkaserne
als toter Neumond saust.
Zuletzt ist Gott nur noch alleine
zuckender Puls im All . . .
Weit über Wind und Wassern hämmert seine
UrewiRkelt wie Flügel von Metall.
fiS
GEORG UEYM: DIE HEIM AT DER TOTEN ]
I.
Der Wintermorgen dämmert spät herauf'.
Sein gelber Turban hebt sich auf den Rand
Durch dünne Pappeln, die im schnellen Lauf I
Vor seinem Haupte ziehn ein schwarzes Band. \
Das Rohr der Seen saust. Der Winde Pfad
Durchwühlte es mit dem ersten Lichte grell. j
Der Nordsturm steht im Feld wie ein Soldat
Und wirbelt laut auf seinem Trommelfell.
Ein Knochenarm schwingt eine Glocke laut. ■
Die Straße kommt der Tod, der Schifferknecht. j
Um seine gelben Pferdezähne staut !
Des weißen Bartes spärliches Geflecht.. i
Ein altes totes Weib mit starkem Bauch, ]
Das einen kleinen Kinderleichnam trägt. 1
Er zieht die Brust wie einen Gummischlauch, J
Die ohne Milch und welk herunterschlägt. ;
Ein paar Geköpfte, die vom kalten Stein ]
Im Dunkel er aus ihren Ketten las. j
Den Kopf im Arm. Im Eis den Morgenschein, ;
Das ihren Hals befror mit rotem Glas. -
Durch klaren Morgen und den Wintertag
Mit seiner Bläue, wo wie Rosenduft
Von gelben Rosen, über Feld und Hag
Die Sonne wiegt in träumerischer Luft. '
-j
Des goldenen Tages Brücke spannt sich weit ;
Und tönt wie einer großen Leier Ton,
Die Pappeln rauschen mit dem Trauerkleid '
Die Straße fort, wo weit der Abend schon
Mit Silberbächen überschwemmt das Land, .1
Und grenzenlos die ferne Weite brennt, i
Die Dämmerung steigt wie ein dunkler Brand
Den Zug entlang, der in die Himmel rennt. \
49 ^
Ein Totenhain, und Lorbeer, Baum an Baum,
Wie grüne Flammen, die der Wind bewegt,
Sie flackern riesig in den Himmelsraum,
Wo schon ein blasser Stern die Flügel schlägt.
Wie große Gänse auf dem Säulenschaft
Sitzt der Vampyre Volk und friert im Frost.
Sie prüfen ihrer Eisenkrallen Kraft.
Und ihre Schnäbel an der Kreuze Rost.
Der Efeu grüßt die Toten an dem Tor,
Die bunten Kränze winken von der Wemd.
Der Tod schließt auf. Sie treten schüchtern vor,
Verlegen drehend die Köpfe in der Hand.
Der Tod tritt an ein Grab und bläst hinein.
Da fliegen Schädel aus der Erde Schoß
Wie große Wolken aus dem Leichenschrein,
Die Barte tragen rund von grünem Moos.
Ein alter Schädel flattert aus der Gruft,
Mit einem feuerroten Haar beschwingt.
Das um sein Kinn, hoch oben in der Luft,
Der Wind zu feuriger Krawatte schlingt.
Die leere Grube lacht aus schwarzem Mund
Sie freundlich an. Die Leichen fallen um
Und stürzen in den aufgerissenen Schlund.
Des Grabes Platte überschließt sie stumm.
IL
Die Lider übereist, das Ohr verstopft
Vom Staub der Jahre, ruht ihr eure Zeit.
Nur manchmal ruft euch noch ein Traum, der klopft
Von fern an eure tote Ewigkeit,
In einem Himmel, der wie Schnee so fahl
Und von dem Zug der Jahre schon versteint.
Auf eurem eingefallenen Totenmal
Wird eine Lilie stehn, die euch beweint.
5o
Der Märznacht Sturm wird euren Schlaf betaun. '
Der große Mond, der in dem Osten dampft,
Wird tief in eure leeren Augen schaun, i
Darin ein großer, weißer Wurm sich krampft. •
So schlaft ihr fort, vom Flötenspiel gewiegt <
Der Einsamkeit, im späten Weltentod, '
Da über euch ein großer Vogel fliegt ^
Mit schwarzem Flug ins gelbe Abendrot. ■
FRAIVZ WERFEL: DER RITT ,
Als mich mein Traum verschlug, ,
Fand ich mich wandern im schönsten Nachmittag
Den Hügel nieder, der schwebte und mit Flügeln schlug.
Zu meinen Füßen lag i
Das Land in goldenem Staat,
Das Land in Schwaden rauschend der gereiften Saat. ■
Ich kaan wie aus viel Not, *i
Wie emer, der das Hemd der Krankheit von sich warf, j
Und leichter und geschmeidiger sich tragen darf ■
Als je; — in Por und Ader pocht '
Begeisterung das dünne Blut, das ihn nicht unterjocht ^
So trat ich heiter ein j
Ins Tal der Ernten, das von Korn und Sonne schwoll. ;
Um Brust und Hüfte schwankten Ähren schwer und voll, ",
Die fast verwuchsen meinen eiligen Rain. •
Doch leicht für meine Sohlen war der Traum, •
Die vielen Vogelflüge mir zu Häupten sah ich kaum.
Die Vögel hatten hier wohl einen Sinn . . .
Und plötzKch war die Erde meinen Sohlen schwer, so schwer, '
Als wirkte mächtiges Metall von unten her; -1
Mein Knie, mein Puls, sie stockten her und hin. j
Ich sprach zu mir : Bannt meinen Schritt magnetisches Metall, t
Was fahren diese Vögel schreiend klatschend unterm All ? . . . ;
Dies aber sah ich: Überall ■]
Zerknickt, zerdrückt die Ernte niederlag, 1
Wie von Regenschwall, wie von Hagelfall '
Verheert. — Und im golden niederwandelnden Tag 1
Rings im Getreide sah ich viele tote Männer hingestreckt, 1
Die hatten Sonntagskleider an, doch ihre Köpfe waren schon
schwarz gefleckt, \
5l :
— Die liegen hier sehr lang —
Dacht' ich und schloß das Aug'. Doch wie durch einen Riß
Sah ich die vielen schwarzen Köpfe, sah manch blinkendes
Gebiß,
An aufgetriebenen Westen manche Silberkette blank:
— Die trugen Diebe nicht und nicht die großen Elstern fort —
So sagte ich — die Elstern, die so schreien über diesem Ort.
Ich schüttelte von Schultern nicht
Den Bann. Wie sehr ich kämpfte auch, ich mußte schaun . . .
Es froren und es stachen mich die Wurzeln meiner Brau'n.
Die Toten lagen starr im späten Licht.
Ich fülilte meinen Leib wie einen ungefügen Sack.
Doch plötzlich war's, als ritte ich, als trüg mich einer hucke-
pack.
Es trug mich einer huckepack,
Fest meine Schenkel preßten brüchiges Schulternpaar.
Es flatterte vor mir ein Schopf farbloses Haar.
Nur manchmal mühsam war, schwcU-z wie von Lack
Ein Antlitz fragend hergedreht : Ob ich auch ritte recht . . .
Der Tote, der mich trug, er grinste schief, wie ein gutmütiger
Knecht.
Auf dem ich ritt und ritt.
Er war schnellfüßig, wie nicht leicht
Ein Rennpferd ist, das nicht schnaubt noch keucht.
Doch plötzlich schwankte er und fiel in Schritt.
Er stand und wandte mir sein arm zerfreßnes Antlitz her . . .
Mir aber war's, als ob mein eigen Bild verwest im Spiegel war.
Er klappte mit dem Mund
Und sprach: ,,Mein Bruder du, es ist genug,
Genug, daß Gott für dich mich fällte und erschlug.
Ich nahm dein Los auf mich. Du aber bist gesund.
Nun aber sage mir : Ist so gerichtet denn gerecht.
Daß du mein Reiter bist und Herr — und ich dein Pferd und
Knecht ?
Steig nur aus deinem Sattel gleich,
Mach mein Genick von deinen Schenkeln frei!
Ich weiß, dir, guter Bruder, ist es einerlei.
52
Dein Aug' ist von Erbarmen naß, dein Mut ist weich.
Verwes ich nicht für dich, vom Wurm geschwärzt, vom Wind
gebleicht ?
Komm! Trag mich du ein Stückchen Wegs! Ich bin so leicht,
so leicht."
Ich aber lachte voll Gewalt
Und spornte seinen Leib mit meinem Schuh.
„Ich steige nicht von meinem Sitz. Lauf zu ! Trab Marsch !
Lauf zu!
Und spiegelst du mir noch so sehr die eigene Gestalt,
Und bröckelt auch in deinem Antlitz ab mein eigenes Gesicht,
Ich bin dein Reiter, toter Bruder, und ich laß dich nicht!
Ich habe tief erkannt,
Ich tauchte auf den Grimd der Angst! Die würgt.
Die sich zur Gnade nie verbürgt,
Ich fühl' von nun an ewig um den Hals die Hand.
Ich reite, weil's mich reitet! Wild bewußt der lückenlosen Not
Bin ich ihr Herr und Reiter gar auf meinem eigenen Tod!"
Und lachend riß ich ab
Vom Haselbusch die Gerte, und ich sclilug
Des Toten Fleinken leicht. Er seufzte auf und trug
Erst störrisch meine Last, doch bald im scharfen Trab,
Und folgte endlich willig meiner heiteren Gewalt.
So ritt ich in den Abend ein und es umfing uns Wald.
Und dieser Wald — er war
Die Harfe meines Lebens übers Abendrot gespannt.
Und ich griff in die Stränge mit meiner großen Hand,
Und nannte den Triumph und nannte die Gefahr!
Es flüsterte des Toten Tritt, zart flüsterten die Eichen mit,
Ich aber ritt auf meinem Tod und sang den Rausch von diesem
Ritt.
GOTTFRIED RENN:
MANN UND FRAU GEHN DURCH DIE KREBSBARACKE
Der Mann :
Hier diese Reihe sind zerfallene Schöße
und diese Reihe ist zerfallene Brust.
Bett stinkt bei Bett. Die Schwestern wechseln stündlich.
53
Komm, hebe ruhig diese Decke auf.
Sieh, dieser Klumpen Fett und faule Säfte
das war einst irgendeinem Mann groß
und hieß auch Rausch und Heimat. —
Komm, sieh auf diese Narbe an der Brust.
Fühlst du den Rosenkranz von weichen Knoten?
Fühl ruhig hin. Das Fleisch ist weich und schmerzt nicht.
Hier diese blutet wie aus dreißig Leibern.
Kein Mensch hat so viel Blut. —
Hier dieser schnitt man
erst noch ein Kind aus dem verkrebsten Schoß. —
Man läßt sie schlafen. Tag und Nacht. — Den Neuen
sagt man : hier schläft man sich gesund. — Nur Sonntags
für den Besuch läßt man sie etwas wacher. —
Nahrung wird wenig noch verzehrt. Die Rücken
sind wund. Du siehst die Fliegen. Manchmal
wäscht sie die Schwester. Wie man Bänke wäscht. —
Hier schwillt der Acker schon um jedes Bett.
Fleisch ebnet sich zu Land. Glut gibt sich fort.
Saft schickt sich an zu rinnen. Erde ruft. —
GEORG HEYM: DIE MORGUE
Die Wärter schleichen auf den Sohlen leise.
Wo durch das Tuch es weiß von Schädeln blinkt.
Wir, Tote, sammeln uns zur letzten Reise
Durch Wüsten weit und Meer und Winterwind.
Wir thronen hoch auf kahlen Katafalken,
Mit schwarzen Lappen garstig überdeckt.
Der Mörtel fällt. Und aus der Decke Balken
Auf uns ein Christus große Hände streckt.
Vorbei ist unsre Zeit. Es ist vollbracht.
Wir sind herunter. Seht, wir sind nun tot.
In weißen Augen wohnt uns schon die Nacht,
Wir schauen nimmermehr ein Morgenrot.
54
Tretet zurück von unserer Majestät.
Befaßt uns nicht, die schon das Land erschaun
Im Winter weit, davor ein Schatten steht,
Des schwajze Schulter ragt ira Abendgraun.
Ihr, die ihr eingeschrumpft wie Zwerge seid,
Ihr, die ihr runzlig liegt auf unserm Schoß,
Wir wuchsen über euch wie Ber^e weit
In Ewige Todes-Nacht, wie Götter groß.
Mit Kerzen sind wir lächerlich umsteckt.
Wir, die man früh aus dumpfen Winkeln zog
Noch grunzend, unsre Brust schon blau gefleckt.
Die nachts der Totenvogel überflog.
Wir Könige, die man aus Bäumen schnitt.
Aus wirrer Luft im Vogel-Königreich,
Und mancher, der schon tief durch Röhricht glitt.
Ein weißes Tier, mit Ausren rund und weich.
Vom Herbst verworfen. Faule Frucht der Jahre,
Zerronnen sommers in der Gossen Loch,
Wir, denen langsam auf dem kahlen Haare
Der Julihitze weiße Spinne kroch.
Ruhen wir aus im stummen Turm, vergessen?
Werden wir Welle einer Lethe sein?
Oder, daß Sturm uns treibt um Winteressen,
Wie Dohlen reitend auf dem Feuerschein?
Werden wir Blumen sein ? ^^ erden wir Vö2;el werden.
Im Stolze des Blauen, im Zorne der Meere weit?
Werden wir wandern in den tiefen Erden,
Maulwürfe stumm in toter Einsamkeit?
Werden wir in den Locken der Frühe wohnen.
Werden wir blühen im Baum, und schlummern in Frucht,
Oder Libellen blau auf den See-Anemonen
Zittern am Mittag in schweigender Wasser Bucht?
Werden wir sein, wie ein Wort von niemand gehöret?
Oder ein Rauch, der flattert im Abendraum?
Oder ein Weinen, das plötzlich Freudige störet?
Oder ein Leuchter zur Nacht? Oder ein Traum?
55
/
Oder — wird niemand kommen?
Und werden wir langsam zerfallen,
In dem Geläcbter des Monds,
Der hoch üher \\ olken saust,
Zerbröckeln in [Nichts,
— Daß ein Kind kann zerballen
Unsere Größe dereinst
In der dürftigen Faust.
Wir, ?samenlose, arme Unbekannte,
In leeren Kellern starben wir allein.
Was ruft ihr uns, da unser Licht verbrannte.
Was stört ihr unser frohes Stell-Dich-Ein?
Seht den dort, der ein graues Lachen stimmt
Auf dem zerfallnen Munde fröhlich an,
Der auf die Brust die lange Zunge krümmt,
Er lacht euch aus, der große Pelikan.
Er wird euch beißen. Viele Wochen weit
Er Geist bei Fischen. Riecht doch, wie er stinkt.
Seht, eine Schnecke wohnt ihm noch im Haar,
Die spöttisch euch mit kleinem Fühler winkt.
— Ein kleines Glöckchen — . Und sie ziehen aus.
Das Dunkel kriecht herein auf schwarzer Hand.
Wir ruhen einsam nun im weiten Haus,
Unzählige Särge tief an hoher Wand.
Was kommt er nicht? Wir haben Tücher an
Und Totenschuhe. Und wir sind gespeist.
Wo ist der Fürst, der wandert uns voran.
Des große Fahne vor dem Zuge reist?
Wo wird uns seine laute Stimme wehen?
In welche Dämmerung geht unser Flug?
Verlassen in der Einsamkeit zu stehen
Vor welcher leeren Himmel Hohn und Trug?
Ewige Stille. Und des Lebens Rest
Zerwittert und zerfällt in schwarzer Luft.
Des Todes Wind, der unsre Tür verläßt.
Die dunkle Lunge voll vom Staub der Gruft,
56
Er atmet schwer hinaus, wo Regen rauscht,
Eintönig, fern, Musik in unserm Ohr,
Das dunkel in die ?Sacht dem Sturme lauscht,
Der ruft im Hause traurig und sonor.
Und der Verwesung blauer Glorienschein
Entzündet sich auf unserm Angesicht.
Ein Ratte hopst auf nacktem Zehenbein,
Komm nur, wir stören deinen Hunger nicht.
^\ ir zogen aus, gegürtet wie Giganten,
Ein jeder klirrte wie ein Goliath.
jNun haben wir die Mäuse zu Trabanten,
Und unser Fleisch ward dürrer Maden Pfad.
^Vir, Ikariden, die mit weißer Schwinge
Im blauen Sturm des Lichtes einst gebraust,
Wir hörten noch der großen Türme Singen,
Da rücklings wir in schwarzen Tod gesaust.
Im fernen Plan verlorner Himmelslande,
Im Meere weit, wo fern die Woge flog,
Wir flogen stolz in Abendrotes Brande
Mit Segeln groß, die Sturm und Wetter bog.
Was fanden wir im Glanz der Himmelsenden?
Ein leeres ^>ichts. ^Sun schlappt uns das Gebein,
Wie einen Pfennig in den leeren Händen
Ein Bettler klappern läßt am Straßenrain.
Was wartet noch der Herr? Das Haus ist voll.
Die Kammern rings der Karavanserei,
Der Markt der Toten, der von Knochen scholl,
Wie Zinken laut hinaus zur Wüstenei.
ALBERT EHRENSTEI^: JULIAN
Sonne, goldener Diskos des Titanen Helios!
Helios, der du, knietief watend im grauen Weltall,
Schleuderst die goldene Scheibe!
Kletterte ich nicht an des Gebets Mastbaum
Nach fernem Himmel,
Weinte ich nicht, und waren die Tränen
Dir nicht gehorsam?
57
Opfernd vergoß ich mein Blut,
Den trostlosen, rotschluchzenden Mohn.
Licht: betend starrt' ich dich an.
Bis im gelben Sonnengespinst die Augen starben.
Nun entsinkt nicht silberner Punkt,
Zitterlicht keines Sternes der Nacht.
Aus zermorschtem, wipfellosem, erdarmem Stamm
Streckt mich ein Ast
Auf verfaulter, taufrierender Rinde :
Des kahlen Holzes letztes, herbstverlorenes Blatt.
GEOR TRAKL: AN DEN KNABEN ELIS
Elis, wenn die Amsel im schwarzen Wald ruft.
Dieses ist dein Untergang.
Deine Lippen trinken die Kühle des blauen Felsenquells.
Laß, wenn deine Stirne leise blutet.
Uralte Legenden
Und dunkle Deutung des Vogelflugs.
Du aber gelist mit weichen Schritten in die Nacht,
Die voll purpurner Trauben hängt.
Und du regst die Arme schöner im Blau.
Ein Dornenbusch tönt.
Wo deine mondänen Augen sind.
0, wie lange bist, Elis, du verstorben.
Dein Leib ist eine Hyazinthe,
In die ein Mönch die wächsernen Finger taucht.
Eine schwarze Höhle ist unser Schweigen,
Daraus bisweilen ein sanftes Tier tritt
Und langsam die schweren Lider senkt.
Auf deine Schläfen tropft schwarzer Tau,
Das letzte Gold verfallener Sterne.
GEORG TRAKL: ELIS
I»
Vollkommen ist die Stille dieses goldenen Tags.
Unter alten Eichen
Erscheinst du, Elis, ein Ruhender mit runden Augen.
58
Ihre Bläue spiegelt den Schlummer der Liebenden.
An deinem Mund
Verstummten ihre rosigen Seufzer.
Am Abend zog der B'ischer die schweren Netze ein.
Ein guter Hirt
Führt seine Herde am Waldsaum hin.
0! wie gerecht sind, Elis, alle deine Tage.
Leise sinkt
An kahlen Mauern des Ölbaums blaue Stille,
Erstirbt eines Greisen dunkler Gesang.
Ein goldener Kahn
Schaukelt, Elis, dein Herz am einsamen HimmeL
2.
Ein sanftes Glockenspiel tönt in Elis' Brust
Am Abend,
Da sein Haupt in schwarze Kissen sinkt.
Ein blaues Wild
Blutet leise im Dornengestrüpp.
Ein brauner Baum steht abgeschieden da;
Seine blauen Früchte fielen von ihm.
Zeichen und Sterne
Versinken leise im Abendweiher.
Hinter dem Hügel ist es Winter geworden.
Blaue Tauben
Trinken nachts den eisigen Schweiß,
Der von Elis' kristallener Stirne rinnt.
Immer tönt
An schwarzen Mauern Gottes einsamer Wind.
LASKER-SCHÜLER : SENNA HOY-
Seit du begraben liegst auf dem Hügel,
Ist die Erde süß.
59
Wo ich hingehe nun auf Zehen,
Wandele ich über reine Wege.
0 deines Blutes Rosen
Durchtränken sanft den Tod.
Ich habe keine Furcht mehr
Vor dem Sterben.
Auf deinem Grabe blühe ich schon
Mit den Blumen der Schlingpflanzen.
Deine Lippen haben mich immer gerufen,
Nun weiß mein Name nicht mehr zurück.
Jede Schaufel Erde, die ich barg.
Verschüttete auch mich.
Darum ist immer Nacht an mir,
Und Sterne schon in der Dämmerung.
Und ich bin unbegreiflich unseren Freunden
Und ganz fremd geworden.
Aber du stehst am Tor der stillsten Stadt
Und wartest auf mich, du Großengel.
ELSE LASKER-SCHÜLER: MEINE MUTTER
War sie der große Engel,
Der neben mir ging?
Oder liegt meine Mutter begraben
Unter dem Himmel von Rauch —
Nie blüht es blau über ihrem Tode.
Wenn meine Augen doch hell schienen
Und ilir Licht brächten.
Wäre mein Lächeln nicht versunken im Antlitz,
Ich würde es über ihr Grab hängen.
Aber ich weiß einen Stern,
Auf dem immer Tag ist;
Den will ich über ihre Erde tragen.
60
Ich werde jetzt immer ganz allein sein
Wie der große Engel,
Der neben mir ging.
JAKOB VA.\ HODDIS: DER TODESEXGEL
I
Mit Trommelwirbeln geht der Hochzeitszug,
In seid'ner Sänfte wird die Braut getragen,
Durch rote Wolken weißer Rosse Flug,
Die ungeduldig gold'ne Zäume nagen.
Der Todesengel harrt in Himmelshallen
Als wüster Freier dieser zarten Braut.
Und seine wilden, dunklen Haare fallen
Die Stirn hinab, auf der der Morgen graut.
Die Augen weit, vor Mitleid glühend offen
Wie trostlos starrend hin zu neuer Lust,
Ein grauenvolles, nie versiegtes Hoffen,
Ein Traum von Tasen, die er nie gewußt.
II
Er kommt aus einer Höhle, wo ein Knabe
Ihn als Geliebte wunderzart umfing.
Er flog durch seinen Traum als Schmetterling
Und ließ ihn Meere sehn als Morgensabe.
Lnd Lüfte Indiens, wo an Fiebertagen
Das greise Meer in gelbe Buchten rennt.
Die Tempel, wo die Priester Cymbeln schlagen.
Um Öfen tanzend, wo ein Mädchen brennt.
Sie schluchzt nur leise, denn der Schar Gesinge
Zeigt ihr den Götzen, der auf Wolken thront
Lnd Totenschädel trägt als Schenkelringe,
Der Flammenqual mit schwarzen Küssen lohnt.
Betrunkne tanzen nackend zwischen Degen,
Und einer stößt sich in die Brust und fällt.
Und während blutig sich die Schenkel regen.
Versinkt dem Knaben Tempel, Traum und Welt.
6i
III
Dann flog er hin zu einem alten Manne
Und kam ans Bett als grüner Papagei.
Und krächzt das Lied: ,,0 schmähliche Susanne!"
Die längst vergeßne Jugendlitanei.
Der stiert ihn an. Aus Augen glasig blöde
Blitzt noch ein Strahl. Ein letztes böses Lächeln
Zuckt um das zahnlose Maul. Des Zimmers Öde
Erschüttert jäh ein lautes Todesröcheln.
1\'
Die Braut friert leise unterm leichten Kleide.
Der Engel schweigt. Die Lüfte ziehn wie krank.
Er stürzt auf seine Knie. Nun zittern beide.
Vom Strahl der Liebe, der aus Himmeln drang.
Posaunenschall und dunkler Donner lachen.
Ein Schleier überflog das Morgenrot.
Als sie mit ihrer zärtlichen und schwachen
Bewegung ihm den Mund zum Küssen bot.
GEORG HEYM: OPf/EL/A
I
Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten,
Und die beringten Hände auf der Flut
Wie Flossen, also treibt sie durch den Schatten
Des großen Urwalds, der im Wasser ruht.
Die letzte Sonne, die im Dunkel irrt.
Versenkt sich tief in ihres Hirnes Schrein.
Warum sie starb? Warum sie so allein
Im Wasser treibt, das Farn und Kraut verwirrt?
Im dichten Röhricht steht der Wind. Er scheucht
Wie eine Hand die Fledermäuse auf.
Mit dunklem Fittich, von dem Wasser feucht
Stehn sie wie Rauch im dunklen Wasserlauf,
Wie Nachtgewölk. Ein langer, weißer Aal
Schlüpft über ihre Brust. Ein Glühwurm scheint
Auf ihrer Stirn. Und eine Weide weint
Das Laub auf sie und ihre stumme Qual.
62
II
Korn. Saaten. Und des Mittags roter Schweiß.
Der Felder gelbe ^^'inde schlafen still.
Sie kommt, ein Vogel, der entschlafen will.
Der Schwäne Fittich überdacht sie weiß.
Die blauen Lider schatten sanft herab.
Und bei der Sensen blanken Melodien
Träumt sie von eines Kusses Karmoisin
Den ewigen Traum in ihrem ewigen Grab.
Vorbei, vorbei. Wo an das Ufer dröhnt
Der Schall der Städte. Wo durch Dämme zwingt
Dei weiße Strom. Der Widerhall erklingt
Mit weitem Echo. Wo herunter tönt
Hall voller Straßen. Glocken und Geläut.
Maschinenkreischen. Kampf. Wo westlich droht
In blinde Scheiben dumpfes Abendrot,
In dem ein Kran mit Riesenarmen dräut,
Mit schwarzer Stirn, ein mächtiser Tyrann,
Ein Moloch, drum die schwarzen Knechte kien.
Last schwerer Brücken, die darüber ziehn
Wie Ketten auf dem Strom, und harter Bann. -
Unsichtbar schwimmt sie in der Flut Geleit,
Doch wo sie treibt, jagt weit den Menschenschweirm
Mit großem Fittich auf ein dunkler Harm,
Der schattet über beide Ufer breit.
Vorbei, vorbei. Da sich dem Dunkel weiht
Der westlich hohe Tag des Sommers spät.
Wo in dem Dunkelgrün der Wiesen steht
Des fernen Abends zarte Müdigkeit.
Der Strom trägt weit sie fort, die untertaucht.
Durch manchen Winters trauervollen Port.
Die Zeit hinab. Durch Ewigkeiten fort.
Davon der Horizont wie Feuer raucht.
63
ALBERT EHRENSTEIN:
DER EWIGE SCHLAF
Ich war der silberschenklige Schenke
Und schenkte den weltentrückenden Wein.
Bin ich entwirbelt schon dem Freudentanz der Zelten,
Hat schon die Lust sich drehend umgeschwungen
In Trauer?
Rollend liegt das reiche Jahr
Vor meinen Sandalen,
Ich aber muß verhetzt und wund,
Bloßfüßig über Stoppelfelder.
Im Fließen des Wassers seh' ich den Durst,
Im Leuchten der Sonne Nacht ohne Sterne.
Genuß verlor mir allen Leib,
Aus Hören wurden Keren.
Der Erinnerung Wälder, so todesstille,
Kamen und Unkenrufe.
Was wollt ihr Weiber, arm und nackt,
Schmerz, Liebesfurchen um die jungen Augen ?
Nicht acht' ich eure leichte Landschaft,
Das windgewiegte Schlummergras.
Ich höre euer Haar ergrauen!
Ich? Wer bin ich?
Ich bin ein Zeitblock,
Der bröckelt ab und fällt zurück ins Meer.
Ich bin ein Winselwind, der Pfützen trübt,
Ich bin der Blitz, der zuckend verzuckt.
Ich bin der Schnee, der kommt und vergeht.
Ich bin die Ruderspur, die im Teiche sich verliert,
Ich bin der Samen im Schoß einer Hure!
So laß auch Du die purpurne Gebärde,
Du bist der gute Tod,
Ich bin ein Häuflein Erde.
O komme bald und menge mich,
Erde in die Erde.
64
Oskar Kokoschka
Albert Ehrenstein
FRANZ WERFEL: TRINKLIED
Wir sind wie Trinker,
Gelassen über unsern Mord gebeugt.
In schattiger Ausflucht
Wanken wir dämmernd.
Welch ein Geheimnis da?
Was klopft von unten da?
Nichts, kein Geheimnis da,
Nichts da klopft an.
Laß du uns leben!
Daß wir uns stärken an letzter Eitelkeit,
Die gut trunken macht und dumpf!
Laß uns die gute Lüge,
Die wohlernährende Heimat!
Woher wir leben?
Wir wissen's nicht . . .
Doch reden wir hinüber, herüber
Zufälliges Zungenwort.
Wir wollen nicht die Arme sehn,
Die nachts aus schwarzem Flusse gtehn.
Ist tiefer Wald in uns, ?
Glockenturm über Wipfeln? i
Hinweg, hinweg! !
Wir leben hin und her. 1
Reich du voll schwarzen Schlafes uns den Krug! ^
Laß du uns leben nur, |
Und trinken laß uns, trinken! j
Docli wenn ihr wachtet! |
Wenn ich wachte über nieinem Mord!
Wie flöhen die Füße mir! j
Unter den Ulmen hier war' ich nicht.
An keiner Stätte wäre ich.
Die Bäume bräunten sich,
Wie Henker stünden die Felsen!
In jedes Feuer würf ich mich.
Schmerzlicher zu zerglühn!
67
Trinker sind wir über unserem Mord.
Wort deckt uns warm zu.
Dämmerung und in die Lampe Sehnl
Ist kein Geheimnis da?
Nein, nichts da!
Kommt denn und singt ihr!
Und ihr mit Kaslagnetten, Tänzerinnen!
Herbei! Wir wissen nichts.
Kämpfen wollen wir und spielen.
Nur trinken, trinken laß du uns!
GEORG TRAKL: HELIAN
In den einsamen Stunden des Geistes
Ist es schön, in der Sonne zu gehn
An den gelben Mauern des Sommers hin.
Leise klingen die Schritte im Gras; doch immer schläft
Der Sohn des Pan im grauen Marmor.
Abends auf der Terrasse betranken wir uns mit braunem Wein.
Rötlich glüht der Pfirsich im Laub;
Sanfte Sonate, frohes Lachen.
Schön ist die Stille der Nacht.
Auf dunklem Plan
Begegnen wir uns mit Hirten und weißen Sternen.
Wenn es Herbst geworden ist,
Zeigt sich nüchterne Klarheit im Hain.
Besänftigte wandeln wir an roten Mauern hin
Und die runden Augen folgen dem Flug der Vögel.
Am Abend sinkt das weiße Wasser in Graburnen.
In kahlen Gezweigen feiert der Himmel.
In reinen Händen trägt der Landmann Brot und Wein
Und friedlich reifen die Früchte in sonniger Kammer.
0 wie ernst ist das Antlitz der teueren Toten.
Doch die Seele erfreut gerechtes Anschaun.
Gewaltig ist das Schweigen des verwüsteten Gartens,
Da der junge Novize die Stirne mit braunem Laub bekränzt,
Sein Odem eisiges Gold trinkt.
68
Die Hände rühren das Alter bläulicher Wasser
Oder in kalter ISacht die weißen Wangen der Schwestern.
Leise und harmonLäch ist ein Gang an freundlichen Zimmern
hin.
Wo Einsamkeit ist und das Rauschen des Ahorns,
Wo vielleicht noch die Drossel singt.
Schön ist der Mensch und erscheinend im Dunkel,
Wenn er staunend Arme und Beine bewegt,
Und in purpurnen Höhlen stille die Augen rollen.
Zur Vesper verliert sich der Fremdling in schwarzer No-
vemberzerstörung,
Unter morschem Geäst, an Mauern voll Aussatz hin,
Wo vordem der heilige Bruder gegangen.
Versunken in das sanfte Saitenspiel seines Wahnsinns.
0 wie einsam endet der Abendwind.
Ersterbend neigt sich das Haupt im Dunkel des Ölbaums,
Erschütternd ist der Untergang des Geschlechts.
In dieser Stunde füllen sich die Augen des Schauenden
Mit dem Gold seiner Sterne.
Am Abend versinkt ein Glockenspiel, das nicht mehr tönt.
Verfallen die schwarzen Mauern am Platz,
Ruft der tote Soldat zum Gebet.
Ein bleicher Engel
Tritt der Sohn ins leere Haus seiner Väter.
Die Schwestern sind ferne zu weißen Greisen gegangen.
Nachts fand sie der Schläfer unter den Säulen im Hausflur,
Zurückgekehrt von traurigen Pilgerschaften.
0 wie starrt von Kot und Würmern ihr Haar,
Da er darein mit silbernen Füßen steht,
Und jene verstorben aus kahlen Zimmern treten.
0 ihr Psalmen in feurigen Mitternachtsregen,
Da die Knechte mit Nesseln die sanften Augen schlugen.
Die kindlichen Früchte des Holunders
Sich staunend neigen über ein leeres Grab.
*0''
69
Leise rollen vergilbte Monde
Über die Fieberlinnen des Jünglings,
Eh. dem Schweigen des Winters folgt.
Ein erhabenes Schicksal sinnt den Kidron hinab,
Wo die Zeder, ein weiches Geschöpf,
Sich unter den blauen Brauen des Vaters entfaltet.
Über die Weide nachts ein Schäfer seine llerde führt.
Oder es sind Schreie im Schlaf,
Wenn ein eherner Engel im Ilain den Menschen antritt.
Das Fleisch des Heiligen auf glühendem Host hinschmilzt.
Um die Lehmhütten rankt purpurner Wein,
Tönende Bündel vergilbten Korns,
Das Summen der Bienen, der Flug des Kranichs.
Am Abend begegnen sich Auferstandene auf Felsenpfaden.
In schwarzen Wassern spiegeln sich Aussätzige; i
Oder sie öffnen die kolbef leckten Gewänder
Weinend dem balsamischen Wmd, der vom rosigen Hügel \
weht.
Schlanke Mägde tasten durch die Gassen der Nacht,
Ob sie den liebenden Hirten fänden. ^
Sonnabends tönt in den Hütten sanfter Gesang. ■
Lasset das Lied auch des Knaben gedenken.
Seines Wahnsinns, und weißer Brauen und seines Hingangs,
Des Verwesten, der bläulich die Augen aufschlägt.
0 wie traurig ist dieses Wiedersehn.
Die Stufen des Wahnsinns in schwarzen Zimmern,
Die Schatten der Allen unter der offenen Tür,
Da Helians Seele sich im rosigen Spiegel beschaut
Und Schnee und Aussatz von seiner Stirne sinken.
An den Wänden sind die Sterne erloschen
Und die weißen Gestalten des Lichts.
Dem Teppich entsteigt Gebein der Gräber,
Das Schweigen verfallener Kreuze am Hügel,
Des Weihrauchs Süße im purpurnen Nachtwind.
70
0 ikr zerbrochenen Augen in schwarzen Mündern,
Da der Enkel in sanfter Umnachtung
Einsam dem dunkleren Ende nachsinnt,
Der stille Gott die blauen Lider über ihn senkt.
ALBERT EHRENSTEIN: DIE GÖTTER
Uns Gefesselte umringen
Teufel, die uns tierisch zwingen.
Mich verfluch' ich, der ich kam.
Ehe Licht die Erde nahm.
Kein Segel blüht uns im Winde.
Sturm ward. Freunde,
Die Ilaare verschnitten, die Füße vereist,
Dem Werk entritten, leibverlöteter Geist,
Slallwachend beriechen Roßäpfel zur nächtlichen Stunde.
Oder verstummt in Verstümmlung,
Die entwandelte Hand vom trauernden Mantelärmel um-
plodert,
Krückten sie sich die Wand entlang.
Bis sie die Erde verschlang.
Klagend verließ ich sie;
Niemand liebt mich auf Erden,
So lechze ich nicht, mein Blut zu vergießen,
Niemand freut sich der Spende.
Schmerzgebild aus Grauen und Gram
Nicht mehr tröstete mich die Wiese,
Der Heimat zärtlicher Halm,
Im Traume floh ich ins Dschungel.
Nicht da, nicht dorti
Ein Königstiger auf Java,
Stark und sein eigener Gott,
— Zerkrümmt verging ich unter seinen Pranken.
Letzter Atem entsank. Die Seele stieg. Nicht hoch.
Ilinsirrend über falile Moore,
Im schwarzen Schwärm der Schatten,
Fern den herrlichen
Gestaden Gottes
Schaute sie nur die Götter.
Näher stob ich dem flirrenden Reigen,
Hob mich betend hinan meinem Gott:
71
„Phoibos ApoUon,
Neunfach um tanzt dich der Tag mit rosigen Musen,
Was klirrt deine schicksalbehangene Schulter?
Niemand verletzte den Chryses.
Deine vergoldeten Priester beleidigen dich?
Verseuchten Halbdichter den Vers, Zeithunde die Zeitung,
Schone das schuldlose Volk,
Gnädig umwandle dein Reich,
Erstick' uns nicht in Pest und gelber Verwesung 1"
Antwortend umdrang mich unfriedlicher Berggesang:
„Ihr redet gern vom Glücke,
Und lebet lustzerschabt,
Doch hat euch viel geliebt, gelabt.
War es der Weiber Lücke.
Euch Zwerge wirbeln die Winde,
Bis ihr am Felsen zerschellt,
Ihr torkelt, trunkene Blinde,
Von Asche zur Asche gefällt.
Über dem Schiffbruch irdischer Gewalten
Wehen wir Götter selig dahin.
Euch frommt nach Feldgreueln brandschwarzes Erkalten,
Wir sind die Freude, wir sind der Sinn.
Die ihr Gott und Wort,
Tatherz verlort,
Zum Kampf verdammt
Rafft ihr euch fort,
Narren, Scharen der Waren I
Über Felsen der Zeit
Blutsturz rot rollt,
Ihr sollt euch töten, Barbaren!"
Da blickte ich alles versteinert.
Der greise Zeus verfolgt noch das Kuhweib,
Wodans Einaug zu Ehren schnarrt das Einglas im Feld.
Sah Mohammed, ferne dem Gipfel des Sieges,
Wegmüde zum Berg, der stets weiter zurückweicht.
Jesus Christus hütet das Holz,
Starr genagelt ans Kreuz.
72
Vergebens war das Gebet der dreißig Gerechten.
Aus Mordnächten des .Nordens
Scholl unendliche Klage,
Jammer zerhackte mein Herz,
Israel winselt im \\ inter,
Der Ewige
Beschneidet sein Volk.
Gegen den unerbittlichen Dornbusch warf sich die Seele,
Ob sie dem Zorn sich als Opfer vermähle :
,,In den Marmorbrüchen von Cajrara
Dünkte sich dein Volk geboren,
Eckstein ward es dann den Hunden,
Auserkoren! Auserkoren I
Du hast es gesendet
Unter die Sichel wagen deines Grimmes!
In dir ist es beendet,
Wer hat dich ausgeboren?"
ISicht nahm er mich an,
Aus unerforschlichem Nebel-Nirwana
überkam mich im Grauen Gruß des Suddhodana :
„Die ihr herrschet: lebt, ihr kennt mich nicht.
Was da icht, sieht sein Gesicht.
Sterbet bis ins wärmste Seelenherz I
Schmutz ist Leben, Erde Schmerz.
Raum, du Trübsal,
Wahn die Zeit,
Im Weltwirrsal
Sei der Tod gebenedeit."
Sprach der Teufel traumesschlau:
„0, wie leicht verweht selbst dieses Blau!
Im Wunder seid ihr Götter nicht bewandert.
Keiner ist Meister des Baus,
Da immer das Heiligtum hinwelkt.
Auf den Häuptern der Asketen paaren sich Insekten!
Ist euch Vormenschen das Ewige unerreichbar.
Knirscht nicht vor Göttern um irdische Hilfe.
Die zeitliche Losung keimt auch in euerem Hirn.
73
Im Hahnenkampf der Völkei*
Anschwillt manch Vaterland.
IVichl lockt es, namenlos im stumpfen Heerwald
Milzuheulen das Erzgebrüll der Schlachten,
Tiefere Schmerzen pflanzt in Heldenzähne der Geist.
Weh über die Infuln-Helmel
Abkratzt den jesuitischen Kanonenchristen
Die bluteiternde Kruste I
Nicht jung mit den verbrauchten Schatten
Hinwandern über die Wiesel
Erst wenn euch Vergehenden der Tod nicht mehr gilt.
Atmet, Assassinen, die Amokluft
In Kämpfen mit den waJiren Barbarenzaren:
Aller Welt Geldfürslen.
Erdherrn, die nach Übermacht dürsten.
Muß man die Glut
Löschen mit ihrem Blut.
Glückt es den Brownings, den Bomben,
Fallen weniger Heerhekatomben 1"
Und rettete steil ich mich aus dem Traum hervor,
Ich. auch ich, ich habe gemordet!
Bitteres essen die Menschen,
FRANZ WERFEL: WARUM MEIN GOTT
Was schufst Du mich, mein Herr und Gott,
Der ich aufging, unwissend Kerzenlicht,
Und dabin jetzt im Winde meiner Schuld,
Was schufst Du mich, mein Herr und Gott,
Zur Eitelkeit des Worts,
Und daß ich dies füge,
Und trage vermessenen Stolz,
Und in der Ferne meiner selbst
Die Einsamkeit?!
Was schufst Du mich zu dem, mein Herr und Gott?
Warum, warum nicht gabst Du mir
Zwei Hände voll Hilfe,
Und Augen, waltend Doppelgestirn des Trostes?
Und eine Stimm aprilen, regnend Musik der Güte,
Und Stirne überhangen
Von süßer Lampe der Demut?
74
Und einen Schritt durch tausend Straßen,
Am Abend zu tragen allo
Glocken der Erde ,
Ins Herz, ins Herze des Leidens ewiglich?!
Siehe, es fiebern
So viele Kindlein jetzt im Abendbett,
Und JNiobe ist Stein und kann nicht weinen.
Und dunkler Sünder starrt
In seines Himmels Ausgemessenheit.
Und jede Seele fällt zur Nacht
Vom Baum, ein Blatt im Herbst des Traumes.
Und alle drängen sich um eine Wärme,
Weil Winter ist
Und warme Schmerzenszeit.
WcU-um, mein Herr und Gott, schufst Du mich nicht.
Zu Deinem Seraph, goldigen, willkommenen.
Der Hände Kristall auf Fieber zu legen.
Zu gehn durch Türenseufzer ein und aus?!
Gegrüßet und geheißen:
Schlaf, Träne, Stube, Kuß, Geraeinschaft, Kindheit, mütter-
lich?!
Und daß ich raste auf den Ofenbänken,
Und Zuspruch bin, und Balsam Deines Hauses,
Nur Flug und Botengang, und mein nichts weiß.
Und im Gelock den Frühtau Deines Angesichts!
FRANZ WERFEL: WIR NICHT
Ich lauschte in die Krone des Baums; — da hieß es im Laub:
Noch — nicht!
Ich legte das Ohr an die Erde; — da klopft's unter Kraut und
Staub:
Noch — nicht!
Ich sah mich im Spiegel; mein Spiegelbild grinste:
Du — nicht!
Das war mein Gericht.
Ich verwarf mein Lied,
Und das lüsterne Herz, das sich nicht beschied.
75
Ich trat auf die Straße. Sie strömte schon abendlich.
Auf der Stirne der Menschen fand ich das Wort: Wir nicht.
Doch in allen Blicken las ich geheimnisvoll ein Lob,
Und wußte : Auch ich vom lauten Trug entstellt
Werde nochmals begonnen, weil neu ein Schoß mich hält
Wie adl dies Wesen um mich. Da lobte ich den Tod,
Und weinend pries ich allen Samen in der Welt.
76
ERWECRUNG DES HERZENS
ALFRED WOLFENSTEIN: DAS HERZ
Vergessen lag das Herz in unsrer Brust,
Wie lang! ein Kiesel in des Willens Lust,
Nur mit den wasserkühlen spiegelnden Händen
Manchmal berührt, unbewußt.
Einsiedlerisch in sich geschweift so klein,
Nicht nötig für den lückenlosen Stein
Der großen Stadt und für den stählernen Geldlhron,
In spitzes Rad griff volles Herz nicht ein.
Doch einmal endet der entseelte Lauf,
Nie steigt aus Umwelt Licht herauf.
Was uns umscheint, ist Himmel nie! Der Morgen
Bricht innen aus dem Menschen auf —
Das Herz — das schmal wie eine Sonne brennt,
Doch Sterne rings nach seinen Strahlen nennt,
Das kleine Herz blickt unermeßlich
Aus seiner Menschenseele Firmament!
0 Stirn, das Zeichen dieses Herzens trag.
Gedanken, tiefer hallt von seinem Schlag,
Das Herz wird die gewaltige Einheit innen!
Im Weltall leuchtets als des Menschen Tag.
ITUNZ WERFEL: DER DICKE MANN IM SPIEGEL
Ach Gott, ich bin das nicht, der aus dem Spiegel stiert,
Der Mensch mit wüdbewachsner Brust und unrasiert.
Tag war heut so blau,
Mit der Kinderfrau
Wurde ja im Stadtpark promeniert.
Noch kein Matrosenanzug flatterte mir fort
Zu jenes strengverschlossenen Kastens Totenort.
Eben abgelegt,
Hängt er unbewegt, *
Klein und müde an der Türe dort.
Und ward nicht in die Küche nachmittags geblickt,
Kaffee roch winterlich und Uhr hat laut getickt,
Lieblich stand verwundert,
Der vorher getschundert
Übers Glatteis mit den Brüderchen geschickt-
79
Auch hat die Frau mir heut wie immer Angst gemacht.
Vor jenem Wächter Kakitz, der den Park bewacht.
Oft zu schnöder Zeit,
Hör im Traum ich weit
Diesen Teufel säbelschleppen in der Nacht.
Die treue Alte, waurum kommt sie denn noch nicht?
Von Schlafesnähe allzuschwer ist mein Gesicht.
Wenn sie doch schon käme
Und es mit sich nähme,
Das dort oben leise singt, das Licht!
Ach abendlich besänftigt tönt kein stiller Schritt,
Und Babi dreht das Licht nicht aus luid nimmt es mit.
Nur der dicke Mann
Schaut mich hilflos an.
Bis er tieferschrocken aus dem Spiegel tritt.
PAUL ZECH:
AUSDENFENSTERN EINES KESSELHAVSES
Schon hat die Glut mich eisern abgeschraubt
vom Tag. Es war ein karges Gartenglück:
halb Traum, halb in die Wirklichkeit zurück.
Und dennoch war ich vom Azur belaubt.
Dies Blaue, dieses Gott und Kindern gute Tun
war nur zu kurz, war Diebstahl an dem Blut,
womit ich dienen muß in harten Schuhn,
für einen Herrn, daß sich vermehr' sein Gut.
Er will von mir nicht weniger als das,
wofür ich bin mit Atem, Muskel, Hirn.
Was bleibt mir anders noch als roter Haß
im Herzen, und die Adern auf der Stirn?
Vergehenden Gesichts, ein Rad in dem Betrieb :
was bleibt mir anderes noch als mich zu drehn
auf Noten, die ich blindlings unterschrieb.
Ich habe nicht mehr Kraft zurückzugehn.
80
Das Feuer loht, die Kessel wachsen aus
im Unterirdischen gewaltig breit.
Doch im Gewölbe dieses Höllenbaus
bleibt eine Stunde auf, wo niemand nach mir schreit.
Ein Fensterloch geschnitten in die Nacht :
da press' ich mein Gesicht hinein und fühl
wie ein Gewühl mein Auge weicher macht
mit wehendem Gehauch, und Tropfen kühl.
Bist Du es Wald, den immer ich durchmaß
wenn ISacht die Stämme mauerhaft umschwoll ?
Ich weiß nur, daß ich einmal dich besaß
blühenden Grüns im Mai die Fäuste voll.
Jetzt schließt der Mond dich auf unendlich tief.
Und Wipfel scheinen weiß und kummerlos.
Und wie schon einmal mich ein Schauer überlief
vor einem Auge schwarz, wie eines Gottes groß :
erschreckt mich des Gewässers dunkles Glas
herwehend dieser Erde Seele. Mir herzu
die Jugend wieder, die ich nie besaß,
nur eines Vaters rutenhartes Du.
Es rinnt und rauscht und duftet unsichtbar
und schwemmt das Böse fort: nun bist du alt!
Schon treffen Zweite mein verwehtes Haar,
und Flaum der Laubs hat über mich Gewalt.
Die Kesselfeuer löschen alle aus
in mir. Die harten Schwielen sie vergehn.
Gesemg der Ferne donnert durch das Haus.
Vor Sternen sind die Räder nicht zu sehn.
Da ist nicht Sein . . . und ist doch meine Welt
mit Lichtern und verklärtem Tun,
klingt wie aus mir und ist um mich gestellt
auf einer Insel heüig auszuruhn.
8i
ALFRED LICHTENSTEIN : SPAZIERGANG
Der Abend kommt mit Mondschein und seidner Dunkelheit.
Die Wege werden müde. Die enge Welt wird weit.
Opiumwinde gehen feldein und feldhinaus.
Ich breite meine Augen wie Silberflügel aus.
Mir ist, als ob mein Körper die ganze Erde war.
Die Stadt glimmt auf: Die tausend Laternen wehn umher.
Schon zündet auch der Himmel fromm an sein Kerzenlicht.
. . . Groß über alles wandert mein Menschenangesicht —
ERNST WILHELM LOTZ: GLANZGESANG
Von blauem Tuch umspannt und rotem Kragen,
Ich war ein Fähnrich und ein junger Offizier.
Doch jene Tage, die verträumt manchmal in meine Nächte
ragen.
Gehören nicht mehr mir.
Im großen Trott bin ich auf harten Straßen mitgeschritten.
Vom Staub der Märsche und vom grünen Wind besonnt.
Ich bin durch staunende Dörfer, durch Ströme und alte Städte
geritten.
Und das Leben war wehend blond.
Die Biwakfeuer flammten wie Sterne im Tale,
Und hatten den Himmel zu ihrem Spiegel gemacht.
Von schwarzen Bergen drohten des Feindes Alarm-Fanale,
Und Feuerballen zersprangen prasselnd in Nacht.
So kam ich, braun vom Sommer und hart von Winterkriegen,
In große Kontore, die staubig rochen herein.
Da mußte ich meinen Rücken zur Sichel biegen
Und Zalilen mit spitzen Fingern in Bücher reihn.
Und irgendwo hingen die grünen Küsten der Fernen,
Ein Duft von Palmen kam schwankend vom Hafen geweht.
Weiß rasteten Karawanen an Wüsten-Zisternen,
Die Häupter gläubig nach Osten gedreht.
Auf Ozeanen zogen die großen Fronten
Der Schiffe, von fliegenden Fischen kühl überschwirrt,
Und breiter Prärien glitzernde Horizonte
Umkreisten Gespanne, für lange Fahrten geschirrt.
83
Von Kameruns unergründlichen Wäldern umsungen.
Vom mörderischen Brodem des Bodens umloht,
Gehorchten zitternde Wilde, von Geißeln der Weißen Um-
schwüngen,
Und schwarz von Kannibalen der glühenden Wälder umdroht!
Amerikas große Städte brausten im Grauen,
Die Riesenkräne griffen mit heiserm Geschrei
In die Bäuche der Schiffe, die Frachten zu stauen.
Und Eisenbahnen donnerten landwärts vom Kai.
So hab Ich nachbarlich alle Zonen gesehen,
Rings von den Pulten grünten die Inseln der Welt,
Ich fühlte den Erdball rauchend sich unter mir drehen,
Zu rasender Fahrt um die Sonne geschnellt.
Da warf ich dem Chef an den Kopf seine Kladden!
Und stürmte mit wütendem Lachen zur Türe hinaut.
Und saß durch Tage und Nächte mit satten und glatten
Bekannten bei kosmischem Schwatzen im Kaffeehaus.
Und einmal sank ich rückwärts in die Kissen,
Von einem angstvoll ungeheuren Druck zermalmt. —
Da sah ich : Daß in vagen Finsternissen
Noch sternestumme Zukunft vor mir qualmt.
FRANZ WERFEL : DER SCHÖNE STRAHLENDE MENSCH
Die Freunde, die mit mir sich unterhalten,
Sonst oft mißmutig, leuchten vor Vergnügen,
Lustwandeln sie in meinen schönen Zügen
Wohl Arm in Arm, veredelte Gestalten.
Ach, mein Gesicht kann niemals Würde halten.
Und Ernst und Gleichmut will ihm nicht genügen.
Weil tausend Lächeln In erneuten Flügen
Sich ewig seinem Himmelsbild entfalten.
Ich bin ein Korso auf besonnten Plätzen,
Ein Sommerfest mit Frauen und Bazaren,
Mein Auge bricht von allzuviel Erhelltsein.
Ich will mich auf den Rasen niedersetzen
Und mit der Erde in den Abend fahren.
0 Erde, Abend, Glück, o auf der Welt sein II
83
ERNST WILHELM LOTZ:
ICH FLAMME DAS G AS L I C H T AN . . .
Ich flamme das Gaslicht an.
Aufrollendes Staunen umprallt die vier Zimmerwände.
Ich fühle mich dünn in der Mitte stehn.
Verkrampft in Taschen klein meine Hände,
Und muß dies alles sehn :
Die Mauern bauchen aus, von Dröhnen geschwellt:
Die Tafeln von Jahrtausend-Meistern dröhnen in ihren Flanken,
Von Halleluja-Geistern hinziehend musizierende Gedanken!
Ich erblicke mich schwimmend klein da hinein gestellt
Mit winzigem Stöhnen und Krampf
Vor solchem wogenhaft wuchtenden Tönen
Und solchem siegsicher schwingenden Wolkenkaxnpf I
O so Gott zwingende Werke!
Ein spitzer Pinselstrich zerstiebt mich blind
Mit machtheiterm Wind und lässiger Stärke!
Meine Brust empört sich über dies brausende Sein.
Tief ziehe ich die Luft der Wände ein
— Diese Flut, diese Glut! —
Und stoße sie aus mir mit Husten und Speien :
Blut! Blut!
Und versinke in eisdurchwehte Nächte.
Und weiß, der Tod reckt unten seine Arme aus. —
Doch über mich hin fährt ein Gebraus
Springender Hufen und Leiber und sonnhafter Prächte und
Mächte !
WALTER HASENCLEVER:
GASGLÜHLICHT SUMMT
Gasglülilicht summt. Ich weiß, ich bin vorhanden.
Und meine Seele hängt am Büchertisch.
Ich schreibe ein Gedicht. Wo werd ich landen!
Im Dunst von großen, lauten Städten fanden
Indessen meine vielen Körper sich.
Schon tauml ich über harten Finsternissen -jj
Ins schäumende Verrücktsein, in die Gruft. ■
84
Ein Nerv in meinem Hirn ist aufgerissen,
Nun züngelt Beute auf mit IVatterbissen —
Da tanz ich — und es strömt die alte Luft.
Wenn Maskenbälle toller sich betäuben,
Kehrt unser Herz zum Urwald wieder um.
Doch unsre Seelen, ob sie gleich zerstäuben,
Entschweben langsam nach Elysium.
WALTERHASEN CLEVER:
DIE NACHT FÄLLT SCHERBENLOS
Die Nacht fällt scherbenlos ins Unbewußte;
Erlebnis bröckelt von dir ab wie Kruste.
Schon schirrt der Tag mit Faß, Laterne, Karren
Einäugige Pferde, die auf Futter harren.
Geliebte FraunI Wo mögt ihr heute träumen!
In was für Retten dunkel euch verschäumen.
Lösch aus, du letzte Kerze, die noch brennt I
Mit froher Güte will ich mich umsäumen.
Wer treu ist, kehrt zurück aus Zwischenräumen
Zu einem gleichen Schicksal, das er kennt.
Ihn wird der eitle Schmerz nicht mehr betören
Dessen, der nichts verliert und nichts behält.
Wer treu ist. wird dem Menschlichsten gehören —
Und so erfüllt er sich in ewiger Welt.
WALTER HASENCLEVER:
OFT AM ERREGUNGSSPIEL
Oft am Erregungsspiel in fremden Zonen
Stockt unser Herz. Doch weiter kreist die Zeit.
Gib, große Erde, stärkre Sensationen,
Daß wir, die nur im Unerfüllten wohnen,
Nicht einsam werden vor Vergänglichkeit!
Denn wer sich liebt, der muß sich selbst zerstören
Und krank nach Festen auf der Gasse stehn;
Sein Ohr vermag den Schrei der Nacht zu hören.
Und manches Menschen Auge wird ihn sehn.
Die leere Luft von Kammern und von Zoten
Würgt ihn am Hals. Sein Durst erstickt im Brand.
Da rettet ilm der Schlaf. Begrabt die Toten!
Noch lockt im Osten unbetretnes Land.
85
WALTER HASENCLEVER:
KEHR MIR ZURÜCK, MEIN GEIST
Kehr mir zurück, mein Geist, im Blut verrieben;
Was du gelöst, das sammle wieder fest
Und halle mir das Gleichgewicht beim Lieben,
Sonst sterb ich am Gefühl, wie an der Pest.
Ich will jetzt mit dir sein und mit dir reisen;
Wir wollen wie zwei Kugeln uns umkreisen.
Aus einem hellen Raum ins Dunkel wehn.
Wenn je dich ein Genuß verzehrt, den töte!
Verkauf dein Weib, du wirst es überstehn.
Gleichviel ob Ekel oder Liebesnöte —
Am Himmel eilen Wind und Morgenröte,
Die Scheiben klirren, und die Züge gehn.
• GOTTFRIED BENN: D-Zt/G
Braun wie Kognak. Braun wie Laub. Rotbraun. Malaiengelb.
D-Zug Berlin — Trelleborg und die Ostseebäder. —
Fleisch, das nackt ging.
Bis in den Mund gebräunt vom Meer.
Reif gesenkt. Zu griechischem Glück.
In Sichel-Sehnsucht: wie weit der Sommer ist!
Vorletzter Tag des neunten Monats schon I —
Stoppel und letzte Mandel lechzt in uns.
Entfaltungen, das Blut, die Müdigkeiten,
die Georginennähe macht uns wirr. —
Männerbraun stürzt sich auf Frauenbraun :
Eine Frau Ist etwas für eine Nacht.
Und wenn es schön war, noch für die nächste I
Oh! Und dann wieder dies Bei-sich-selbst-seln 1
Diese Stummheiten! Dies Getriebenwerden 1
Eine Frau ist etwas mit Geruch.
Unsägliches! Stirb hin! Resede.
Darin ist Süden, Hirt und Meer.
An jedem Abhang lehnt ein Glück. —
86
Frauenhellbraun taumelt an Mannerdunkelbraun :
Halte mich! Du, ich f alle 1
Ich bin im IS'acken so müde.
0 dieser fiebernde süße
letzte Geruch aus den Gärten. —
RENß SCHICK ELE:
BEI DER EINFAHRT IN DEN HAFEN VON BOMBAY
Ist nicht, was sich da erschlossen hat.
Ganz aus Wasserdunst gewoben,
Brandung, Buchten, breiter Strand,
In den Himmel aufgehoben
Und in einem Rosenbrand
Halb schon wie zerstoben?
Ist das nicht die himmeloffne Stadt,
Wo die Feuerblumen wohnen ?
Meer in Sonne schleusende Alleen,
Drin Paläste rosig tauen,
Ist das nicht die goldne Spur,
Halb verweht im Blauen,
Und ein zitternd Abbild nur.
Wie sie ihre Hütten bauen.
Die sich auf dem Weg des Lichts ergehn,
Ruhnde Wandrer in Äonen?
WALTER HASENCLEVER:
DER GEFANGENE
Keiner, der durch Vorstadt kreisend zieht,
Weiß, wen er liebt, an welches Weib er denkt.
Manchmal in Cafehaus-Walzerlied
Geschieht ein Blick, der ihn beglückt und kränkt.
Aufschäumt der schönen Jugend Melodie,
Gesicht und Ruhm und erstes Zeitungswort;
Schwarzer Fluß mit schmerzlicher Magie
Erscheint im Westen an dem alten Ort.
Dort lebt ein Herz, das, vielen zugesellt.
Sich tiefer senkte auf des Schicksals Grund;
Ein Herz mit ungeheurer Flamme : Welt —
Das jetzt trübe steigt in unsern Mund.
87
Noch sind Lokale mitternacht-erfüllt,
Geheul von Bürgern, die wir langsam töten.
Wird sich die ewige Stadt dem Antlitz röten?
Entschreiten wir der Ebene unverhüllt 1
Schon aus beklommenem Hirn im Nebelschein
Glüht unterirdisch dumpfer Züge Fliehn.
Da stürzt der Kreisel in die Sinne ein,
Morgen steht — der Morgen über Berlin.
Ihr alle in Gefahr und Liebesgraun:
Wir wollen nach den weißen Pferden schaun.
Es schließt der Kreis sich um Gespenst und Jahr;
Lustfrohe Zeit, auch du, wie wunderbar.
Der süßen Gegenwart entrückter Sinn
Erhebt sich östlich zu der Lichtstadt hin,
Die riesenhaft in singender Gestalt
Am körperlosen Äther dir erschallt.
Die Droschke stolpert, wo wir oft gekniet
Vor einer Dame, welche unbekannt,
Bis ihre Strümpfe, die man plötzlich sieht,
Die unbequeme Lust zerriß und fand.
Als wir müde auf den Korridor
Hintraten, aufgeweckt, ins Schlummerland:
Welch ein Gedanke, wenn am fremden Tor
Noch eine kleine Lampe einsam stand.
Die Jalousie strömt fort in blauem Glanz;
Durch spitze Flächen ins Gehirn läuft Teoiz.
Die Transparente über Wölk und Stern
Sind längst vergangen . . . ja, auch du bist fern.
Bald stirbt die Nacht am rosa Firmament,
Schon nahen Vögel, die nach Süden ziehn;
Wo bist du, Volk, das meinen Namen nennt?
Die Wolke flammt — der Morgen über Berlin.
FÜR KURT PINTHUS.
RENfi SCHICKELE: DIE LEIBWACHE
Und ich bin auch in mancher Stunde wie verdammt.
Ich weiß, daß doch ein Schein von meinem Blut,
Wo ich mich rühre, wo ich raste, mich umflammt
Wie eine große Glorie innerlicher Glut.
88
Darin ist alles das enthalten, was die Väter,
Ob sie Soldaten, Bauern, Sünder oder Beter
Von ihrem Innersten ins Äußere geglüht.
Daß es mein eigen Blut noch heute fühlt.
Denn ja, ich fühl's wie Rüstung, Schild und Feuerwall
Und Festung, die mich überall umgibt.
Und wieder so, daß es der Schöpfung wirren SchwaU
Mit Netzen wie aus Blut und Sonnenstäubchen siebt,
Damit in meiner Augen Nähe kommt,
Nur, was für Ewigkeiten ihnen frommt,
Und immer nur m meinem Herzen Wurzehi schlägt
und darin gräbt, wes Wachstum dies mem Herz verträgt;
Und was es tiefer noch verankert in den Grund,
Von dem ich nichts weiß, als daß zu Beginn
Ein heißer WiUe schwoll, der dann von Mund zu Mund
Sich fortgepflanzt bis her zu mir, der ich jetzt bin.
Und bei mir sind, die mich vor schwerstem Leid bewahren I
Ich recke mich inmitten himmlischer Husaren,
Heb ich die Hand, so winken tausend Hände mit.
Und halte ich, so hält mit mir der Geisterritt.
Im Schlaf spür ich sie wie im Biwak um mich her,
Sie liegen da, die Zügel umgehängt,
Sie atmen, regen sich wie ich, sind leicht und schwer,
Und manchmal, wenn sich emer an den andern drängt,
Ersteht ein Klingen, dessen Widerhallen
In meinem Körper bebt wie Niederfallen
Von eines Brunnens Strahl in emem Vestibül.
Daim ist's, daß ich das Herz der Mütter zittern fühl!
Dann ist's, daß wild und süß die Liebe überfließt
In mir und jeder Kreatur,
Rakete um Rakete in den Himmel schießt,
Im Dunkel still steht jede Uhr.
Und klare Meere spiegeln lichte Sterne,
Die Früchte zeigen schamlos ihre Kerne,
Es strömt ein Licht von mir zum fernsten Land,
es schlägt ein Wellenschlag von mir den fernsten Strand.
89
Drum, bin ich auch in mancher Stunde wie verdammt,
Ich weiß trotzdem : ein Schein von meinem Blut,
Wo ich auch bin, ob schlafend oder wach, umflammt
Mein Tun mit einer Glorie innerlicher Glut,
Darin ist alles das enthalten, was die Väter,
Ob sie Soldaten, Bauern, Sünder oder Beter,
Mit ganzem Herzen ausgelebt zu meiner Hut.
WALTER HASENCLEVER: DER SCHAUSPIELER
AN ERNST DEUTSCH
Brich, Raubtier, aus des Zweifels Ketten!
Kulisse fällt. Das Morgenrot von Städten
Tropft aus der Wunde deiner Leidenschaft.
Du liebst in Wolken. Stirbst in Betten.
Musik umschürt den Aufruhr deiner Kraft.
Du wirst das Hymnische des Geistes retten,
Der deinen Körper durch das Wort erschafft.
Ich grüße dich aus trommelndem Orkan.
Du Bruder meines Rausches, meiner Träume,
Wie du dich schwingst durch die gedachten Räume,
Umkreisend dunkler Völker riesige Bahn:
Fühl ich mich eins mit dir geboren.
Du lebst! So sind die Taten nicht verloren.
Es atmet um die Wiege unsrer Hören
Der gleiche Schoß von Frauen und von Müttern.
Entbrenne, Träne, von des Grabes Toren
Atlantischer Ferne zügellosem Lauf.
0 Süßigkeit, die Menschen zu erschüttern!
Der Vorhang stürzt. Wir brechen auf.
FRANZ WERFEL: HEKUBA
Manchmal geht sie durch die Nacht der Erde.
Sie, das schwerste ärmste Herz der Erde.
Wehet langsam unter Laub und Sternen,
Weht durch Weg und Tür und Atemwandern,
Alte Mutter, elendste der Mütter.
90
So viel Milch war einst in diesen Brüsfen,
So viel Söhne gab es zu betreuen.
Weh dahin! — Aun weht sie nachts auf Erden,
Alte Mutler, Kern der Welt, erloschen.
Wie ein kalter Stern sich weiterwälzet.
Unter Stern und Laub weht sie auf Erden,
Nachts durch tausend ausgelöschte Zimmer,
Wo die Mütter schlafen, junge Weiber,
Weht vorüber an den Gitterbetten
Und dem hellen runden Schlaf der Kinder.
Manchmal hält am Haupt sie eines Bettes,
Und sie sieht sich um mit solchem Wehe,
Sie, ein dürftiger Wind von Schmerz gestaltet,
Daß der Schmerz in ilir Gestalt erst findet,
Und das Licht in to-ten Lampen weinet.
Und die Frauen steigen aus den Betten,
Wie sie fortweht — nackten schweren Schrittes .
Sitzen lange an dem Schlaf der Kinder,
Schauen langsam in die Zimmertrübe,
Tränen habend unbegriffnen Wehes.
GOTTFRIED BENiN: KARYATIDE
Entrücke Dich dem Stein! Zerbirst
Die Höhle, die Dich knechtet! Rausche
Doch in die Flur! Verhöhne die Gesimse — —
Sieh: durch den Bart des trunkenen Silen
Aus seinem ewig überrauschten
Lauten einmaligen durchdröhnten Blut
Träuft Wein in seine Scham.
Bespei die Säulensucht : toderschlagene
Greisige Hände bebten sie
Verhangenen Himmeln zu. Stürze
Die Tempel vor die Sehnsucht Deines Knies,
In dem der Tanz begehrt.
Breite Dich hin. Zerblühe Dich. Oh, blute
Dein weiches Beet aus großen Wunden hin :
Sieh, Venus mit den Tauben gürtet
Sich Rosen um der Hüften Liebestor —
Sieh', dieses Sommers letzten blauen Hauch
91
Auf Astermeeren an die fernen
Baumbraunen Ufer treiben; tagen
Sieh' diese letzte Glück-Lügenstunde
Unserer Südlichkeit,
Hochgewölbt.
ALFRED LIGHTENSTEIN: MÄDCHEN
Sie halten den Abend der Stuben nicht aus.
Sie schleichen in tiefe Sternstraßen hinaus.
Wie weich ist die Welt im Laternenwind!
Wie seltsam summend das Leben zerrinnt . . .
Sie laufen an Gärten und Häusern vorbei,
Als ob ganz fern ein Leuchten sei,
Und sehen jeden lüsternen Mann
Wie einen süßen Herrn Heiland an.
JOHANxNES R. BECHER : AUS DEN GEDICHTEN UM LOTTE
Wenn ich Dich nur denke
: Himmlischster Akkord :
Arme Fahnen schwenken,
ISord zieht tönend fort.
Wenn ich Dich nur fühl
: Palmen und Oasen :
Wind streicht Balsam kühl,
Engel-Chöre blasen.
Wenn ich Du bin, Dein
: Riese und Gewitter:
Keusch und demut-rein,
Frei im Käfig-Gitter.
Und des Siegs gewiß
: Mensch in Gottes Kraft :
Schoß nach Sturm und Riß.
Körper jäh gestrafft
Auf zum Firmament!
Rings im Sternen-Plan.
Ja Eroberer, wenn
Dein ich bin . . . Gesang.
9a
ERNST WILHELM LOTZ: WIR FANDEN GLANZ
Wir fanden Glanz, fanden ein Meer, Werkstatt und uns.
Zur Nacht, eine Sichel sang vor unserm Fenster.
Auf unsern Stimmen fuhren ^vi^ hinauf,
Wir reisten Hand in Hemd.
An deinen Haaren, helles Fest im Morgen,
Irr flogen Küsse hoch
Und stachen reifen Wahnsinn in mein Blut.
Dann dursteten wir oft an wunden Brunnen,
Die Türme wehten stählern in dem Land.
Und unsre Schenkel, Hüften, Raabtierlenden
Stürmten durch Zonen, grünend vor Gerüchen.
ERNST WILHELM LOTZ
UND SCHÖNE RAUBTIERFLECKEN ...
Bist du es denn?
Groß aus dem Weltraum nachts, der Spiegel ist,
Tönt dein zerwehtes Bildnis in meine Seele.
Die Sterne durchziehen harfend deine Brust.
Du aher . . .
Du glänzt vielleicht versehnt im weißen Federbett,
Traum liegt dir hau-t im Schoß. —
Oder ein junger Liebling
Zieht fühlsam mit zeichnendem Finger
Die festen Runden deiner Brüste nach.
Ihr seid sehr heiß.
Und schöne Raubtierflecken zieren eure Rücken.
ELSE LASKER- SCHÜLER: EIN LIED DER LIEBE
(Sascha)
Seit du nicht da bist,
Ist die Stadt dunkel.
93
Ich sammle die Schatten
Der Palmen auf,
Darunter du wandeltest.
Immer muß ich eine Melodie summen,
Die hängt lächelnd an den Ästen.
Du liebst mich wieder —
Wem soll ich mein Entzücken sagen?
Einer Waise oder einem Hochzeitler,
Der im Widerhall das Glück hört.
Ich weiß immer,
Wann du an mich denkst —
Dann wird mein Herz ein Kind
Und schreit.
An jedem Tor der Straße
Verweile ich und träume
Und helfe der Sonne deine Schönheit malen
An allen Wänden der Häuser.
Aber ich magere
An deinem Bilde.
Um schlanke Säulen schlinge ich mich
Bis sie schwanken.
Überall steht Wildedel
Die Blüten unseres Blutes;
Wir tauchen in heilige Moose,
Die aus der Wolle goldener Lämmer sind.
Wenn doch ein Tiger
Seinen Leib streckte
Über die Ferne, die uns trennt,
Wie zu einem nahen Stern.
Auf meinem Angesicht
Liegt früh dein Hauch.
94
ELSE LASKER-SCHÜLER: MEIN LIEDESLIED
(Sascha, dein himmlisclien Königssohn)
Auf deinen Wangen liegen
Goldene Tauben.
Aber dein Herz ist ein Wirbelwind,
Dein Blut rauscht, wie mein Blut —
Süß
An Himbeersträuchern vorbei.
0, ich denke an dich
Die Nacht frage nur.
Niemand kann so schön
Mit deinen Händen spielen,
Schlösser bauen, wie ich
Aus Goldfinger;
Burgen mit hohen Türmen!
Strandräuber sind wir dann.
Wenn du da bist.
Bin ich immer reich.
Du nimmst mich so zu dir.
Ich sehe dein Ilerz slernen.
Schillernde Eidechsen
Sind dein Geweide.
Du bist ganz aus Gold —
Alle Lippen halten den Atem an.
AUGUST STRAMM : BLÜTE
Diamanten wandern übers Wasser!
Ausgereckte Arme
Spannt der falbe Staub zur Sonne!
Blüten wiegen im Haar!
Geperlt
Verästelt
Spinnen Schleier!
Duften
Weiße matte bleiche
Schleier!
Rosa, scheu gedämpft, verschimmert
95
Zittern Flecken
Lippen, Lippen
Durstig, krause, heiße Lippen!
Blüten! Blüten!
Küsse ! Wein !
Roter
Goldner
Rauscher
Wein!
Du und ich!
Ich und Du!
Du?!
AUGUST STRAMM: WUNDER
Du steht! Du steht!
Und ich
Und ich
Ich winge
Raumlos zeitlos wäglos
Du steht! Du steht!
Und
Rasen bäret mich
Ich
Bär mich seiher!
Du!
Du!
Du bannt die Zeit
Du bogt der Kreis
Du seelt der Geist
Du blickt der Blick
Du
Kreist die Welt
Die Welt
Die Welt!
Ich
Kreis das All!
Und du
Und du
Du
Stehst
Das
Wunder !
96
ERNST STADLER: IN DER FRÜHE
Die Silhouette deines Leibs steht in der Frühe dunkel vor
dem trüben Licht
Der zugehangnen Jalousien. Ich fühl, im Bette liegend,
hostiengleich mir zugewendet dein Gesicht.
Da du aus meinen Armen dich gelöst, hat dein geflüstert,
,,Ich muß fort" nur an die fernsten Tore meines
Traums gereicht —
Nun seh ich, wie durch Schleier, deine Hand, wie sie mit
leichtem Griff das weiße Hemd die Brüste nieder-
streicht . . .
Die Strümpfe . . . nun den Rock . . . das Haar gerafft . . . schon
bist du fremd, für Tag und Welt geschmückt...
Ich öffne leis die Türe . . . küsse dich — du nickst, schon fern,
ein Lebewohl . . . und bist entrückt.
Ich höre, schon im Bette wieder, wie dein sachter Schritt im
Treppenhaus verklingt.
Bin wieder im Gerüche deines Körpers eingesperrt, der aus
den Kissen strömend warm in meine Sinne dringt.
Morgen wird heller. Vorhang bläht sich. Junger Wind und
Sonne wül herein.
Lärmen quillt auf . . . Musik der Frühe . . . sanft in Morgen-
träume eingesungen schlaf ich ein.
WILHELM KLEMM: BEKENNTNIS
Die Schärpen des Himmels leuchten auf.
Seine majestätischen Schleppen rafft der Abend,
Das Panorama zieht sich zurück in den Sonnengrund,
Ein großer mystischer Adler fliegt vorüber.
Blutstropfen beginnen zu reden
Ein Ton wie unbestimmter, zitternder Nebel
Des Friedens blaue Sunde
öffnen sich zwischen tausend goldnen Inseln.
Gewogen auf der Wage des Wülens
Hab ich den Silberreif der Ewigkeit,
Aber jeder deiner Küsse wog schwerer.
Ich liebe dich, ehe ich für lange sterbe!
97
98
AUGUST STRAMM: DÄMMERUNG
Hell weckt Duiikel
Dunkel wehrt Schein
Der Raum zersprengt die Räume
Fetzen ertrinken in Einsamkeit
Die Seele tanzt
Und
Schwingt und schwingt
Und
Bebt im Raum
Du!
Meine Glieder suchen sich
Meine Glieder kosen sich
Meine Glieder
Schwingen sinken sinken ertrinken
In
Unermeßlichkeit
Du!
Hell wehrt Dunkel
Dunkel frißt Schein!
Der Raum ertrinkt in Einsamkeit
Die Seele
Strudelt
Sträubet
Halt!
Meine Glieder
Wirbeln
In
Unermeßlich keit
Du!
Hell ist Schein!
Einsamkeit schlürft!
Unermeßlichkeit strömt
Zerreißt
Mich
In
Dul
Du!
j
AUGUST STRAMM: ABENDGANG
Durch schmiege Psacht
Schwelgt unser Schritt dahin
Die Hände bangen blaß um krampfes Grauen
Der Schein sticht scharf in Schatten unser Haupt
In Schatten
Uns!
Hoch flimmt der Stern
Die Pappel hängt herauf
Und
Hebt die Erde nach
Die schlafe Erde armt den nackten Himmel
Du schaust und schauerst
Deine Lippen dünsten
Der Himmel küßt
Und
Uns gebärt der Kuß!
JOHANNES R. BECHER: ABENDGEBET UM LOTTE
I
Noch schnarchen kaum die Wärter —
Da web ich schon in Dir:
0 Frucht! 0 Frühlingsgärten!
Wie mildesten Zephirs.
Geliebte, ich vergehe
In Schwarz und falberem Traum.
Dein Angesicht geschehe
Einst herrlichst überm Raum.
Geliebte, ich verwandelnd
Mich tiefst in Blätter-Wald.
Du aber. Du — : Du handele
Hoch überm Nacht-Turm kalt.
In ausgebrannten Kratern
Zerschmolz ich elend-rot.
Du blitzt aus Wolken-Quadern
Himmlischster Engel-Bot.
99
II
Wo tönst Du süß Geliebte?!
Ich gleite solchen Schritt.
Und bin der Wald-Betrübte,
Deß Ewigkeit verglitt.
Der muß die Nacht auch fressen.
So Quadern für und für.
Gekrallte Fäuste pressend.
Sich wälzend Ekel-Vieh.
0 Spitze unseres Geistes!
Erscheinung wunderbar!
Wer wir sind . . . Du nur weißt es :
Gestürzte Engel. Ja.
KURT HEYNICKE: IN DER MITTE DER NACHT
Deine Liebe ist ein weißes Reh,
das in die Mitternacht meiner Sehnsucht flieht,
ein Baum von Tränen steht im Wald meiner Träume nach dir,
nun bist du da —
Erfüllung wirft mir der Mond aus der Schale seines
Glanzes zu —
ich liebe dich,
du,
und stelle Nelkenduft vor deine Kammer,
und werfe Narzissen über dein Bett.
Ich selber komme silbern wie du
und wölbe mich hoch,
ein heiliger Hain
über dem Altar deiner frommen Seele.
ELSELASKER-SCHÜLER:DOüCrOßßß;ViV
Ich weine —
Meine Träume fallen in die Welt.
In meine Dunkelheit
Wagt sich kern Hirte.
lOO
Meine Augen zeigen nicht den Weg
Wie die Sterne.
Immer bettle ich vor deiner Seele;
Weißt du das?
War ich doch blind —
Dächte dann, ich las: in deinem Leib.
Alle Blüten täte ich
Zu deinem Blut.
Ich bin vielreich,
Niemandwer kann mich pflücken;
Oder meine Gaben tragen
Heim.
Ich will dich ganz zart mich lehren;
Schon weißt du mich zu nennen.
Sieh meine Farben,
Schwarz und stern
Und mag den kühlen Tag nicht,
Der hat ein Glasauge.
Alles ist tot,
Nur du und ich nicht.
ALBERT EHRENSTEIN: VERLÄSSEN
Wo ich auch umgeh,
Tut mir das Herz weh,
Sie hat mich verlassen.
Wenn ich herumsteh,
Bald hier, bald da geh.
Ich kann es nicht fassen.
Mein Lieb, du mein Weh,
Du mein Kind, du mein Reh,
Hast mich wirklich verlassen?
lOI
LASKER-SGHÜLEIl : EIN LIED
Hinter meinen Augen stehen Wasser,
Die muß ich alle weinen.
Immer möcht ich auffliegen,
Mit den Zugvögeln fort;
Buntatmen mit den Winden
In der großen Luft.
0 ich bin so traurig
Das Gesicht im Mond weiß es.
Drum ist viel sammtne Andacht
Und nahender Frühmorgen um mich.
Als an deinem steinernen Herzen
Meine Flügel brachen.
Fielen die Amseln wie Trauerrosen
Hoch vom blauen Gebüsch.
Alles verhaltene Gezwitscher
Will wieder jubeln
Und ich möchte auffliegen
Mit den Zugvögeln fort.
LASKER-SCHÜLER: ABSCHIED
Aber du kemist nie mit dem Abend —
Ich saß im Sternenmantel.
. . . Wenn es an mein Haus pochte,
War es mein eigenes Herz.
Das hängt nun an jedem Türpfosten,
Auch £m deiner Tür;
Zwischen Farren verlöschende Feuerrose
Im Braun der Girlande.
Ich färbte dir den Himmel brombeer
Mit meinem Herzblut.
Aber du kamst nie mit dem Abend —
. . . Ich stand in goldenen Schuhen.
I02
Else Lasker- Schüler
Selbstporträt
r
I
ELSE LASKER- SCHÜLER: VERSÖHNUNG
Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen . . .
Wir wollen wachen die ISacht,
In den Sprachen beten,
Die wie Harfen eingeschnitten sind.
Wir wollen uns versöhnen die iSacht —
So viel Gott strömt über.
Kinder sind unsere Herzen,
Die möchten ruhen müdesüß.
Und unsere Lippen wollen sich küssen,
Was zagst du?
Grenzt nicht mein Herz an deins —
Immer färbt dein Blut meine Wangen rot.
Wir wollen uns versöhnen die ?Sacht,
Wenn wir uns herzen, sterben wir nicht.
Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen.
WALTER HASE.NCLEVER: BEGEGNUNG
Sag aus meer- und wolkenhaftem Munde,
Schon verirrt in deines Bettes ^'acht.
Wo du mit dem andern schliefst im Bunde:
Welche Stunde bist du aufgewacht?
Wann begannen dunkel dir zu tönen
Uhr und Glas auf deines Tisches Rand;
Wann erhobst du dich aus dumpfem Stöhnen,
Schauernd unter einer fremden Hand?
In derselben ängstlichen Sekunde
Schloß mir jene auf ihr Gartentor,
Wo ich stand verloren in der Runde
Schwarzer Bäume und dem Stemenchor.
Plötzlich allen nächtlichen Verbannten
War ich nahe in der gleichen Zeit —
Und da fühlt ich, daß wir uns erkannten
Tief in Treue aus der Wirklichkeit.
lOO
GEORG HEYM : „DEINE WIMPERN, DIE LANGEN
Deine Wimpern, die langen.
Deiner Augen dunkele Wasser,
Laß mich tauchen darein,
Laß mich zur Tiefe gehn.
Steigt der Bergmann zum Schaclit
Und schwankt seine trübe Lampe
Über der Erze Tor,
Hoch an der Schattenwand,
Sieh, ich steige hinab,
In deinem Schoß zu vergessen,
Fern was von oben dröhnt.
Helle und Qual und Tag.
An den Feldern verwächst,
Wo der Wind steht, trunken vom Korn,
Hoher Dorn, hoch und krank
Gegen das Himmelsblau.
Gib mir die Hand,
Wir wollen einander verwachsen,
Einem Wind Beute,
Einsamer Vögel Flug,
Hören im Sommer
Die Orgel der matten Gewitter,
Baden in Herbsteslicht,
Am Ufer des blauen Tags.
Manchmal wollen wir stehn
Am Rand des dunkelen Brunnens,
Tief in die Stille zu sehn.
Unsere Liebe zu suchen.
Oder wir treten hinaus
Vom Schalten der goldenen Wälder,
Groß in ein Abendrot,
Das dir berührt sanft die Stirn.
[o6
i
I
Einmal am Ende zu stehen.
Wo Meer in gelblichen Flecken
Leise schwimmt schon herein
Zu der September Bucht.
Oben zu ruhn
Im Hause der dürftigen Blumen,
Über die Felsen hinab
Singt und zittert der Wind.
Doch von der Pappel,
Die ragt im Ewigen Blauen,
Fällt schon ein braunes Blatt,
Ruht auf dem Nacken dir aus.
Göttliche Trauer.
Schweige der ewigen Liebe.
Hebe den Krug herauf,
Trinke den Schlaf.
FRANZ WERF EL:
ALS MICH DEIN WANDELN AN DEN TOD
VERZÜCKTE
Als mich Dein Dasein tränenwärts entrückte
Und ich durch Dich ins Unermeßne schwärmte,
Erlebten diesen Tag nicht Absehärmte,
Mühselig Millionen Unterdrückte?
Als mich Dein Wandebi an den Tod verzückte,
War Arbeit um uns und die Erde lärmte.
Und Leere gab es, gottlos Unerwärmte,
Es lebten und es starben Niebeglückte!
Da ich von Dir geschwellt war zum EIntschweben,
So viele waren, die im Dumpfen stampften.
An Pulten schrumpften und vor Kesseln dampften.
Ihr Keuchenden auf Straßen und auf Flüssen I!
Gibt es ein Gleichgewicht in Welt und Leben,
Wie werd' ich diese Schuld bezahlen müssen!?
ro7
THEODOR DÄUBLER: DER ATEM DER NATUR
Der Atem der Natur, der Wind, die Phantasie der Erde,
Erträumt die Götterwolken, die nach Norden wehn.
Der Wind, die Phantasie der Erde denkt sich Nebelpferde,
Und Götter sehe ich auf jedem Berge stehn!
Ich atme auf und Geister drängen sich aus meinem Herzen.
Hinweg, empor! Wer weiß, wo sich ein Wunsch erkennt 1
Ich atme tief: ich sehne mich, und Weltenbilder merzen
Sich in mein Innres ein, das seinen Gott benennt.
Natur! nur das ist Freiheit, Weltalllebe ohne Ende!
Dais Dasein aber macht ein Opferleben schön!
Oh Freinatur, die Zeit gestallen unsere Werkzeugshände,
Die Welt, die Größe, selbst die Überwindungshöhn I
Ein Wald, der blüht, das Holz, das brennend, wie mit Hän-
den, betet.
Wir alle fühlen uns nur durch das Opfer gut.
Oh Gott, oh Gott, ich Mensen habe alleine mich verspätet,
Wie oft verhielt ich meine reinste Innenglut I
Im Tale steigt der Rauch, als wir aus einer Opferschale,
So langsam und fast heilig, überm Dorf empor.
Ich weiß es wohl, die Menschen opfern selbst von ihrem Mahle,
Da eine Gottheit sich ihr Herdfeuer erkor!
JOHANNES R. BECHER: DER WALD
Ich bin der Wald voll Dunkelheit und Nässe.
Ich bin der Wald, den du sollst nicht besuchen,
Der Kerker, daraus braust die wilde Messe,
Mit der ich Gott, das Scheusal alt, verfluche.
Ich bin der Wald, der muffige Kasten groß.
Zieht ein in mich mit Schmerzgeschrei, Verlorene!
Ich bette euere Schädel weich in faules Moos.
Versinkt in mir, in Schlamm und Teich, Verlorene!
Ich bin der Wald, wie Sarg schwarz rings umhangen.
Mit Blätterbäumen lang und komisch ausgerenkt.
In meiner Finsternis war Gott zugrund gegangen . . .
Ich nasser Docht, der niemals Feuer fängt.
io8
Horcht, wie es aus schimmlichten Sümpfen raunt
Und trommelt grinsend mit der Scherben Klapper I
Versteckt in jauchichtem Moore frech posaunt
Ein Käfer flach mit Gabelhorn auf schwarzer Kappe.
Nehmt euch in acht vor mir, heimtückisch-kalt 1
Der Boden brüchig öffnet sich, es spinnt
Euch ein mein Astvverk dicht, es knallt
Gewitter auf in berstendem Labyrinth.
Doch du bist Ebene . . . Voll Sang, mit flatternder Mähne,
Von sanftem Luftzug glatt zurückgekämmt.
Gekniet vor mich, von stechender Hagel Tränen
Aus klobiger Wolken Schaff grau überschwemmt.
Ich bin der Wald, der einmal lächelt nur,
Wenn du ihn fern mit warmem Wind bestreichst.
Weicher umschlinget dürren Hals die Schnur.
Böses Getier sich in die Höhlen schleicht.
Die Toten singen, Vögel aufgewacht.
Von farbenen Strahlen blendend illuminiert.
Heulender Hund verreckt die böse Nacht.
Duftender Saft aus Wundenlöchern schwiert.
Du bist die Ebene . . . Hoch schwanket die Zitrone
Verfallenden Mondes über deinem Scheitel grad.
Du schläferst ein mich Strolch mit schwerem Mohne:
Du die im Traum ihm, blonder Engel, nahst.
Ich bin der Wald . . . Goldbäche mir entsprungen,
Sie rascheln durch Schlinggräser mit Geflüster.
Wie Schlangen sanft mit langen Nadelzungen.
Es raset über mir der Sterne Lüster.
Ich bin der Wald . . . Aufprasseln euere Länder
In meines letzten Brandes blutigem Höllenschein.
Es knicken um der eisigen Berge Ränder.
Gell springt der Meere flüssiges Gestein.
Ich bin der Wald, der fährt durch abendliche Welt, gelöst
Vom Grund, verbreitend euch betäubenden Geruch,
Bis meine Flamme grell den Horizont durchstößt,
Der löscht, der deckt mich zu mit rosenem Tuch.
Es ward der Blumen Wiese Gewölbe meines Grabes.
Ans meiner Trümmer Hallen sprießen empor der bunten
Sträuße viel.
Da jene Ebene sank zu mir hinab,
Wie klingen wir schön, harmonisch Orgelspiel.
Ich bin der Wald . . . Ich dringe leis durch euere Schlafe,
Da Lästerung und Raub und Mord ward abgebüßt,
Ich nicht Verhängnis mehr und schneidende Strafe.
Mein Dunkel euere brennenden Augen schließt.
IWAN GOLL: WALD
I
Durch Disteln war der Gang zu dir,
Verschlossen du im glühenden Kosmos
Wie ein Patriarch inmitten Gottes.
Prunkend schienst du staubigem Wanderer,
Verklärt und befriedigt.
Ein heiliger Knecht der Erde;
Und der Fremde fülille sich fremder noch.
Goldene Leuchter troffen von süßem Abend,
Um die Leiter letzten Sonnenstrahls
Wirbelten geschäftig die rosa Engel,
Und die iXymphen, deine Töchter,
Hingen ihre silbernen Leiber um deine Lade.
II
Ein Veilchen fiel
Mir plötzlich wie ein blauer Stern zu Füßen:
Ich trug es in den goldnen Abend hin. ^
Wir beide mit unsern Augen
Leuchteten uns an und loderten gewaltig:
Wir beide hätten so gern geschrieen und geküßt I
Aber unsre Sprache war so schwach!
Und die Liebe so unsagbar traurig!
Wir welkten und wir starben auseinander.
HO
UI
In deinen tiefen Tieren ciber,
Aus feuchten Augen gleichen Geistes dunkelnd,
Warst du mir ebenbürtig. Wahl !
0, dein Geschöpf zu sein,
ISichts als ein Ton der Erde,
Der Schmellerling ein bunter Tropfen Sonne,
Und schlanke Füchse
Mit starkem Blut aus nahen Büschen fühlen :
Hingabe sein und brüderlicher Friede!
In deinen tiefen Tieren warst du mir geheiligt.
Und ich ergab mich dir,
Ging groß in Trieb und Düften auf.
PAUL ZECH: DER WALD
Reißt mir die Zunge aus ; so habe ich noch Hände,
zu loben dieses inselhaite Sein.
Es wird gcuiz Ich und geht in mich hinein,
aJs wüchsen ihm aus meiner Stirn die Wände,
wo klar die Berge zu den Wolken steigen.
Ich will mit dem gerafften Licht
ins Blaue malen das noch nie geschriebene Gedicht
und es in alle Himmel klax verzweigen.
Denxi hier ist Eingang zu dem Grenzenlosen;
liier ward die Welt zum zweiten MeJe Kind
aus den gezognen weißen und den schwarzen Losen.
Tritt ein, der du verwandert bist und blind!
Wenn einst in Träumen laut war hohes Rufen
um Gott — : die Bäume sind zu ihm die Stufen.
THEODOR DÄUBLER : DIE BUCHE
Die Buche sagt: Mein Walten bleibt das Laub.
Ich bin kein Baum mit sprechenden Gedanken,
Mein Ausdruck wird ein Ästeüberranken,
Ich bin das Laub, die Krone überm Staub.
III
Dem warmen Aufruf mag ich rasch vertraun.
Ich fang im Frühling selig an zu reden.
Ich wende mich in schlichter Art an jeden.
Du staunst, denn ich beginne rostigbraun!
Mein VValdgehaben zeigt sich sommerfroh.
Ich will, daß Nebel sich um Äste legen,
Ich mag das IN'aß, ich selber bin der Regen.
Die Hitze stirbt: ich grüne lichterloh!
Die Winterspflicht erfüll ich ernst und grau.
Doch schütt ich erst den Herbst aus meinem Wesen.
Er ist noch niemals ohne mich gewesen.
Da werd ich Teppich, sammetrote Au.
WILHELM KLEMM: DER BAUM
Das Himmlische flicht ins Irdische.
Wer das eine Hebt, kann das andre nicht hassen.
Ich wuchs unaufhaltsam in meine Form.
Nun steh ich so, wie du mich gewollt hast.
Der Leib verwandelt sich im Lauf der Jahre,
Die Seele sucht ihre tausend Wege,
Alles, was ich bin, samt den Geschlechtern der Menschen,
Strömt vorüber und kennt kaum das Ziel.
Ein Wipfel schwankt über meinem Haupte,
Wandert hin und her am blauen Himmelsplan,
Im Winde schmachtend nach Ferne und Abschied,
Doch im Abendfrieden ruht er am gleichen Ort.
GEORG HEYM: DER BAUM
Sonne hat ihn gesotten.
Wind hat ihn dürr gemacht.
Kein Baum wollte ihn haben.
Überall fiel er ab.
Nur eine Eberesche,
Mit roten Beeren bespickt.
Wie mit feurigen Zungen,
Hat ihm Obdach gegeben.
112
Und da hing er mit Schweben,
Seine Füße lagen im Gras.
Die Abendsonne fuhr blutig
Durch die Rippen ihm naß,
Schlug die Öhvälder alle
Über der Landschaft herauf,
Gott in dem weißen Kleide
Tat in den Wolken sich auf.
In den blumigen Gründen
Singendes Schlangengezücht,
In den silbernen Hälsen
Zwitscherte dünnes Gerücht.
Und sie zitterten alle
Über dem ßlätterreich.
Hörend die Hände des Vaters
Im hellen Geäder leicht.
THEODOR DÄUBLER: DER BAUM
Es spielt der Wind mit vielen tausend nassen Blättern,
Und alle winken immer wieder anderm Wind,
Und Waldeswalzer höre ich im Schatten schmettern.
Auch meine Weisen singen, weil sie windwild sind!
Und viele Lieder wimmeln, wie die winzigen Bienen,
Um jeden Trieb, der sich der Blumungsglut besinnt.
Der Mut zu werben ist mir Sterblichstem erschienen:
Auf lauter Zweigen taut mein Urerkünden auf,
Und seiner will Vernunft, wie Bienen, sich bedienen.
Es horcht der Wind. Denn um zu horchen harrt sein Lauf.
Im Baum eilauscht, als Traumhauch, er sein lautes Rauschen.
Drum lauscht: es überbrausen Meere sich zu llaufl
Es will, als Baum, die Erde sich am Baum berauschen.
Und was im Traum geschieht, wird auch ein eigner Traum,
Denn Träume können uns samt Träumlichem belauschen!
Verwurzle dich in mir, du Traum von meinem Baum!
In meiner Ruhe nisten schon die Sehnsuchtslieder,
Singt doch die Stille durch die Wurzeln bis zum Saum.
s ii3
Die Wurzeln greifen fern in die Ergebung nieder!
Wie ist die Stille tief! So tief wie sie entschlief!
Doch in der Krone gibt der Baum den Norden wieder.
Er folgt dem Wind. Er wird was ihn als Baum berief.
Er stürzt die Liebe in die witternden Geschicke.
Er wirbt um sich und wirkt als Traum urbaumhaft tief.
Du Baum, ich weiß, wie ich als Dickicht mich bestricke.
Du bist von Liebe übervoll, ja liebestoll!
Du liebst, oh Baum, was ich als Du in mir erblicke.
Und „Du", nur „Dus", erlausch ich, wo ich rufen soll.
Das Dunkel aller Ruhe kennt das Du der Dinge!
Drum ist die Welt so holder Wonneworte voll.
Oh Sonne, horche wie ich in der Krone singe:
Der hohe Norden strotzt von mordendem Verstand,
Das Land aber hat Gold für Sternenschmetterlinge.
Ihr Dünkelwichte, Dinge im Vernunftgewand,
Es wickelt Euer Himmelswink euch aus den Wicken.
Die Schlingen fallen ab : es nagt der Fragebrand.
Es schlagen Wagnisschlangen auf zu Weltgeschicken I
Der Urwald leuchtet in das holde Weltenwohl:
Es glaubt der Baum ! Und lauter Witterwipfel nicken !
Der Baum umwurzelt seiner Ruhe Wesenspol.
Er schützt die Nester, schirmt dais Schmerzens-Ich der Tiere,
Denn jedes Blatt ist großer Duldung Erdsymbol.
So wirkt, daß nimmer sich ein Wirkungswink verliere!
Die Tiere aber sind schon mehr als Wimmerwind.
Sie irren sich ja nicht. Sie schwirren um das Ihre.
Entwirrt euch schier! Das Winzigste ist weltgesinnt!
Und horcht in eurem Baum aufs Morgen freier Meere.
Du große Sonne, wie genau ein Tag verrinnt!
Der Baum ist hoch. Er füllt schon seine Wesensehre.
Und über ihm begeistert sich ein Sternenkind
Und lauscht der Leidenschaft der Werdensschwere.
ii4
Wie viele Rehe weinend schon gefallen sind!
Oh Sternenkind, bewahre ihre Seelenträne
Und mache uns im Wandel harmlos und gelindl
Der Wesen Schüchternheit, die ich im Wechsel wähne,
Wair einst ein Blatt, ein Tier, das man zu Tod gehetzt :
Und alles Land entflammt als eine Wahnsinnsmähne.
Im Namen der Verzweifelten, Welt, sei entsetzt!
Birg, Erde, jeden Todesschrei in Lichtgebeten:
Im BaumesNamen, säume nicht! es glüht das ,,Jetzt" !
Der Erde Wahnwitz brennt durch Winde, die entwehten.
Er ist ein Urwald, der sich flammennackt beseelt.
Hier stirbt main nicht! Die Tiere schimmern in Kometen!
In Riesenschweifen werden sie hinausgeschweelt.
Sie können kalt in allen Nächten plötzlich tagen.
Denn kein Gewissen hat den Weg zu sich verfehlt.
Die Wanderschaften, die den Menschen warnend tragen.
Erfüllen alle Nordheiten mit Seelenbrunst,
Und Tiere wittern aus den jungen Glanznachtsagen.
Zu eignen Wesenheiten reift die letzte Kunst.
Die Lebensechtheit kann sich nur ekstatisch fassen.
Dort überm Weltbrandwahnwitz dämmert stumme Gunst.
Gedanken fangen an, mit kalter Glut zu hassen.
Der Traum vom Baum verschlingt sich in den blauen Raum.
Es singen Sternenkinder in den Flammengassen
Und nisten schuldlos in der Ruhehuld vom Baum.
THEODOR DÄUBLER:
MILLIONEN NACHTIGALLEN SCHLAGEN
Die Sterne. Blaue. Ferne.
Ein Flammensang der Sterne!
Millionen Nachtigallen schlagen.
Es blitzt der Lenz.
Myriaden Wimpern zucken glühend auf.
Das grüne Glück von Frühlingsnachtgelagen
Beginnt sein eigenbrüstiges Geglänz.
ii5
Die lauen Schauer nehmen ihren Zauberlauf :
Millionen ISachtigallen schlagen.
Erkenne ich ein freundliches Gespenst?
Ich werde mich im Ernst darum bewerben.
Der kleinste Wink will sich ins Wittern kerben :
Wer weiß, wann meine Träumlichkeit erglänzt?
Gespenster gleichen unsern sanften Tieren,
Sie können schnell den Samt der Neigung spüren.
Sie heben, schweben, weben sich heran,
Und halten uns unfaßbar sacht im Bann.
Ich will die Lichtgewimmelsfllle nicht verlieren,
Ein altes Walten muß sich bald aus Sanftmut rühren.
Millionen Nachtigallen schlagen.
Die ganze Nacht ermahnen uns verwandte Stimmen.
Es scheint ein Mond geheimnisvoll zu glimmen.
Doch ist zu warm die Nacht, voll atmendem Behagen!
Myriaden brunstbewußte Funken suchen sich im Fluge,
Sie schwirren hin und her und doch im Frühlingszuge.
Das Lenzgespenst, das Lenzgespenst geht um im Hage!
Es kann der Laubwald wandern und sich selbst erwarten.
Das schwankt und walzt nach allen alten Wandelarten;
Es lacht die Nacht: der Wagen wagt, es wacht die Wage.
Es blitzen da Myriaden tanzvernarrte Fragen —
Millionen Nachtigallen schlagen.
AUGUST STRAMM: VORFRÜHLING
Pralle Wolken jagen sich in Pfützen
Aus frischen Leibesbrüchen schreien Halme Ströme
Die Schatten stehn erschöpft
Auf kreischt die Luft
Im Kreisen, weht und heult und wälzt sich
Und Risse schlitzen jählings sich
Und narben
Am grauen Leib
Das Schweigen tappet schwer herab
Und lastet!
Da rollt das Licht sicli auf
ii6
ERNST STA D LEU: VORFRCHLl^G
In dieser Märznacht trat ich spät aus meinem Haus.
Die Straßen waren aufgewühlt von Lenzgeruch und grünem
Saalregen.
Winde schlugen an. Durch die verstörte Häusersenkung ging
ich weit hinaus
Bis zu dem unbedeckten ^^'all und spürte: meinem Herzen
schwoll ein neuer Takt entgegen.
In jedem Lufthauch war ein junges Werden ausgespannt.
Ich lauschte, wie die starken Wirbel mir im Blute rollten.
Schon dehnte sich bereitet Acker. In den Horizonten einge-
brannt
War schon die Bläue hoher Morgenstunden, die ins \\'eite
führen sollten.
Die Schleusen knirschten. Abenteuer brach aus allen Fernen.
Cberm Kanal, den junge Ausfahrtswinde wellten, wuchsen
helle Bahnen,
In deren Licht ich trieb. Schicksal stand wartend in umwehten
Sternen.
In meinem Herzen lag ein Stürmen wie von aufgerollten
Fahnen.
WILHELM KLEMM: HERBST
Die Jahre überschneiden sich.
Gehörnte Gräber stieren uns an;
Der \\ ind weht dünn. Länder entvölkern sich,
Gedanken filtern langsam ins Graue.
Aber die Laube ist immer noch dieselbe.
Wir trinken einen toten \\ ein,
Und fol»eu den Bewesun^en des A ergessens,
Die süßer sind als die Erinnerung.
Rauch duftet fern und traurig.
Duftet so stark, dai5 man drin einschlafen könnte.
Wer wird uns in der Dunkelheit heimsenden.
Und die Hunde, die so laut bellen?
117
GEORG TRAKL: DER HERBST DES EINSAMEN
Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallener Hülle;
Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekeltert ist der Wein, die mild Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.
Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.
Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
Es ruht des Landmanns ruhige Geberde.
Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.
Bald nisten Sterne in des Müden Brauen;
In kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden
Und Engel treten leise aus den blauen
Augen der Liebenden, die sanfter leiden.
Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.
ERNST WILHELM LOTZ: IN GELBEN BUCHTEN
In gelben Buchten sogen wir der Fernen
Verspülte Lüfte, die von Städten wissen,
Wo Lüste grünen, angerührt vom Wahnsinn.
Wir schwammen auf dem Fieberschiff stromauf
Und sonnten unsre Leiber an dem Buhlen
Waldheißer Panther, die der Sommer quält.
Der Klappersclilange nacktes Schlammgeringel
Wand sich verstört, als wir vorüberkamen.
Und in verschlafnen Dörfern gurgelte die Lust.
Ein warmer, satter Wind strich durch die Palmen. —
Ich sah dich weiß von Schlaf.
Und als ich von dir ebbte, hoch gehoben
Von meinem stolzen, satt gestürmten Blut:
0 Sturm der Nächte, der mich Blut-wärts zog
Zu kühnen, nie entdeckten Ländergürteln:
0 schwül Geliebte! Strom der Geheimnisse!
Verschlafenes Land ! Im Süden ! 0 Sommer-Qual !
I ii
THEODOR DÄUBLER: WINTER
Geduldig ist der Wald,
Behutsamer der Schnee,
Am einsamsten das Reh.
Ich rufe. Was erschallt?
Der Widerhall macht Schritte.
Er kehrt zurück zu seinem Weh :
Das kommt heran wie leise Tritte.
Er findet mich in meiner Mitte.
Warum hab ich den Wald gestört?
Vom Schnee ward nichts gehört.
Hat sich das Reh gescheut?
Wie mich das Rufen reut.
WILHELM KLEMM: AUSGLEICH
Das Gebirge entfaltet sich. Steinerner Samt
Sinkt ins Schattental, wo Wälder die Flügel breiten.
Von Gipfel zu Gipfel führen zarte, sinnende Wege,
Die Silberkrone des ewigen Schnees quillt auf.
Einsamkeit starrt mich an mit azurnem Auge, '
Über Abgründe hängt der splitternde Fels.
Zerbrochner Tafeln wilde Verwüstung
Tost hinab in die stille Verdammnis.
Untergang und Auferstehung
Reichen sich unendliche Hände.
Der Wasserfall sinkt gelassen in schwarze Klüfte.
Ein Vogel kreist. Die Quelle lächelt.
JAKOB VAN HODDIS : MORGENS
Ein starker Wind sprang empor,
öffnet des eisernen Himmels blutende Tore.
Schlägt an die Türme.
Hellklingend laut geschmeidig über die eherne Ebene der
Stadt.
Die Morgensonne rußig. Auf Dämmen donnern Züge.
Durch Wolken pflügen goldne Engelpflüge.
Starker Wind über der bleichen Stadt.
Dampfer und Kräne erwachen am schmutzig fließenden
Strom.
119
Verdrossen klopfen die Glocken am verwitterten Dom.
\iele \\'eiber siehst du und Mädchen zur Arbeit gehn.
Im bleichen Licht. Wild von der iNacht. Ihre Röcke wehn.
Glieder zur Liebe geschaffen.
Hin zur Maschine und mürrischem Mühn.
Sieh in das zärtliche Licht.
In der Bäume zärtliches Grün.
Horch! Die Spatzen Schrein.
Und draußen auf wilderen Feldern
Singen Lerchen.
RENfi SCHICKELE: SONNENUNTERGANG
Ich stieg vom Keller
Bis unters Dach,
Immer heller
^^ ar das Gemach,
Die Sladt, sonst verdrossen,
Hob Kuppeln aus Gold,
Es glühten die Gossen
Wie Adern von Gold.
Die Felder brandeten,
Meer in Meer,
Vögel landeten,
Von Feuer schwer.
Auf Korallenwipfeln.
Schauer von Licht
Liefen ernsten Gipfeln
Übers Gesicht . . .
Den Turm besteigend
Sah ich die Welt
Der rSacht sich neigend
Von Lust erhellt,
Mit einem Lächeln,
Das schimmernd stund.
Ein Flammen lächeln.
Um ihren Mund,
Wie Frauen der Wonnen,
sie liegen enlhüllt,
noch lange versonnen
Gedenken erfüllt.
120
REISfi SCHICKELE: DER K^ABE IM GARTEN
Ich will meine bloßen Hände aneinanJer legen
und sie schwer versinken lassen,
da OS Abend wird, als Aväron sie Geliebte.
Maiglocken läuten in der Dämmerung,
und weiße Dülleschleicr senken sich auf uns,
die wir eng beieinander unsern Blumen lauschen.
Durch den letzten Glanz des Tages leuchten Tulpen,
die Syringen quellen aus den Büschen,
eine helle Rose schmilzt am Boden . . .
Wir alle sind einander gut.
Draußen durch die blaue JNacht
hören wir gedämpft die Stunden schlagen.
THEODOR DÄUBLER: DÄMMERUNG
Am Himmel steht der erste Stern,
Die Wesen wähnen Gott den Herrn,
Und Boote laufen sprachlos aus,
Ein Licht erscheint bei mir zu Haus.
Die Wogen steigen weiß empor.
Es kommt mir alles heilig vor.
Was zieht in mich bedeutsam ein?
Du sollst nicht immer traurig sein.
ALFRED LICHTENSTEI>;: /.\ DEN ABEND
Aus krummen ISebeln wachsen Köstlichkeiten.
Ganz winzge Dinge wurden plötzlich wichtig.
Der 11 iimnel ist schon grün und unduichsichtig
Dort hinten, wo die blinden Hügel gleiten.
Zerlumpte Bäume strolchen in die Ferne.
Belrunkne ^^ iesen drehen sich im Kreise,
Und alle Flächen werden grau und weise . . .
JNur Dörfer hocken leuchtend: rote Sterne —
121
PAUL ZECH:
DIE HÄUSER HABEN AUGEN AUFGETAN . . .
Am Abend stehn die Dinge nicht mehr blind
und mauerhart in dem Vorüberspülen
gehetzter Stunden; Wind bringt von den Mühlen
gekühlten Tau und geisterhaftes Blau.
Die Häuser haben Augen aufgetan,
Stern unter Sternen ist die Erde wieder,
die Brücken tauchen in das Flußbett nieder
und schwimmen in der Tiefe Kahn an Kahn.
Gestalten wachsen groß aus jedem Strauch,
die Wipfel wehen fort wie träger Rauch
vmd Täler werfen Berge ab, die lange drückten.
Die Menschen aber staunen mit entrückten
Gesichtern in der Sterne Silberschwall
und sind wie Früchte reif und süß zum Fall.
GEORG TRAKL: ABENDLIED
Am Abend, wenn wir auf dunklen Pfaden gehn,
Erscheinen unsere bleichen Gestalten vor uns.
Wen uns dürstet,
Trinken wir die weißen Wasser des Teichs,
Die Süße unserer traurigen Kindheit.
Erstorbene ruhen wir unterm Holundergebüsch,
Schaun den grauen Möven zu.
Frühlingsgewölke steigen über die finstere Stadt,
Die der Mönche edlere Zeiten schweigt.
Da ich deine schmalen Hände nahm
Schlugst du leise die runden Augen auf.
Dieses ist lange her.
Doch wenn dunkler Wohllaut die Seele heimsucht.
Erscheinst du Weiße in des Freundes herbstlicher Landschaft.
12a
GEORH HEYM: ALLE LANDSCHAFTEN HABEN
Alle Landschaften haben
Sich mit Blau erfüllt.
AEe Büsche und Bäume des Stromes,
Der weit in den Norden schwillt.
Leichte Geschwader, Wolken,
Weiße Segel dicht,
Die Gestade des Himmels dahinter
Zergehen in Wind und Licht.
Wenn die Abende sinken
Und wir schlafen ein,
Gehen die Träume, die schönen.
Mit leichten Füßen herein,
Cymbeln lassen sie klingen
In den Händen licht.
Manche flüstern und halten
Kerzen vor ihr Gesicht.
ALBERT EHRENSTEIN: ABENDSEE
Wir kämmten Wolken, Faun und Fee,
Im Liebesspiel über Stern und See.
Nun hat uns Dämmer verschneit, Nebel gezweit,
Im Leid vergilbt die Lilienzeit.
Neidwolken, herzschnappende weiße Wölfe,
Aus Schaumtraum scheuchtet ihr mir die verspielte Tanzelfe.
Mein Abendlied siakt im See.
Die wüde Nacht bespringt mein Reh,
Die Sterne haben sich abgedreht,
ödvogel weht sein: „Spät, zu spät!"
Weh fühle ich, wie ich im Schnee
Unter geh'.
ALBERT EHRENSTEIN: FRIEDE
Die Bäume lauschen dem Regenbogen,
Tauquelle grünt in junge Stille,
Drei Lämmer weiden ihre Weiße,
Sanftbach schlürft Mädchen in sein Bad.
123
liotsonne rollt sich abendnieder,
Flaumwolken ihr Traumleuer sterben.
Dunkel über Fiut und Flur.
Frosch-^^'andcrer springt großen Auges,
Die graue Wiese hüpit leis mit.
Im tielen Brunnen klingen meine Sterne.
Der Heimwohwind weht gute JNacht.
RENß SGHICKELE: MONDÄUFGANG
Verschal tcl Herz, du Mond noch nicht im klaren,
brich durch, das lelzle Licht erlosch im Abendwind...
Bald werden alle meine Gedanken, die Verdammte waren,
strahlen, weil sie schwebend und einsam sind.
Nie mehr vor fromdon Seelen bei lein gehn!
Nie mehr um die ErlülluDg werben!
Nicht mehr mit jeder Sehnsucht sterben
und falschen Herzens au ferslehn.
Gefäß der Zuversichl, du Mond im klaren ...
Die Welt verlor den Glanz im Abendwind.
Es kam die Nacht. Nun strahlen, die erblaßte Sklaven waren,
die Gedanken, weil sie über Meer und Erde mächtig sind.
GEORG HEYM: MOND
Den blutrot dort der Horizont gebiert,
Der aus der Hölle großen Schlünden steigt.
Sein Purjjurliaupl mit Wölken schwarz verziert.
Wie um der Göller Stirn Akanthus schweigt,
Er setzt den großen goldnen Fuß voran
Und spannt die breite Brust wie ein Athlet,
Und wie ein Partherlürst zieht er bergan,
Des Schläfe goldenes Geiock uiuwohl.
Hoch über Sardes und der schwarzen Nacht,
Auf Silberlürniea und der Zinnen Meer,
Wo mit Posaunen schon der Wächter wacht.
Der ruft vom Pontos bald den Morgen her.
124
y
Zu seinem Fuße schlummert Asia weit
Im blauen Schatten, unterm Ararat,
Des Schreehaupt schimmert durch die Einsamkeit,
Bis wo Arabia in das weiche Bad
Der Meere mit den weißen Füßen steigt
Und fern im Süden, wie ein großer Schwan,
Sein Haupt der Sirius auf die Wasser neigt
Lnd singend schwimmt hinab den Ocean.
Mit großen Brücken, blau wie blanker Stahl,
Mit Mauern, weiß wie Marmor, ruhet aus
Die große Ninive im schwarzen Tal,
Lnd wenig Fackeln werfen noch hinaus
Ihr Licht, wie Speere weit, wo dunkel braust
Der Euphrat, der sein Haupt in Wüsten taucht.
Die Susa ruht, um ihre Stirne saust
Ein Schwärm von Träumen, die vom ^^ ein noch raucht.
Hoch auf der Kuppel, auf dem dunklen Strom
Belauscht allein der bösen Sterne Bahn
In weißem Faltonkleid ein Astronom,
Der neigt sein Scepter dem Aldebaran,
Der mit dem Monde kämpft um weißen Glanz,
Wo ewig strahlt die iSacht und ferne stehn
Am \A üslenrand im blauen Lichte ganz
Einsame Brunnen und die Winde wehn
ölwälder fern um leere Tempel lind.
Ein See von Silber, und in schmaler Schlucht
Uralter Berge tief im Grunde rinnt
Ein Wasser sanft um dunkler Ulmen Bucht.
GOTTFRIED üE^^i 0, NACHT -;
0, Nacht I Ich nahm schon Kokain,
Und Blutverteilung ist im Gange.
Das Haar wird grau, die Jahre flieh'n,
Ich muß, ich muß im Überjchwange
Noch einmal vorm Vergängnis blühn.
125
0, Nacht! Ich will ja nicht so viel.
Ein kleines Stück Zusammenballung,
Ein Abendnebel, eine Wallung
Von Raumverdrang, von Ichgefühl.
Tastkörperchen, Rotzellensaum
Ein Hin und Her, und mit Gerüchen;
Zerfetzt von Worte -Wolkenbrüchen — :
Zu tief im Hirn, zu schmal im Traum.
Die Steine flügeln an die Erde.
Nach kleinen Schatten schnappt der Fisch.
Nur tückisch durch das Ding = Gewerde
Taumelt der Schädel = Flederwisch.
0, Nacht! Ich mag dich kaum bemühn !
Ein kleines Stück nur, eine Spange
Von Ichgefühl — im Überschwange
Noch einmed vorm Vergängnis blühn!
0, Nacht, o leih mir Stirn und Haar,
Verfließ Dich um das Tag - verblühte I
Sei, die mich aus der Nervenmythe
Zu Kelch und Krone heimgebar.
0, still! Ich spüre kleines Rammeln:
Es sternt mich an — Es ist kein Spott — :
Gesicht, ich: mich, einsamen Gott,
Sich groß um einen Donner sammeln.
AUGUST STRAMM. TRAVM
Durch die Büsche winden Sterne
Augen tauchen blaken sinken
Flüstern plätschert
Blüten gehren
Düfte spritzen
Schauer stürzen
Winde schnellen prellen schwellen
Tücher reißen
Fallen schrickt in tiefe Nacht.
126
Jäh gelb und springt
Und Flecken spritzen —
Verbleicht
Und
Pralle Wolken tummeln sich in Pfützen.
ERNST STADLER
FAHRT ÜBER DIE KÖLNER RHEINBRCCKE BEI NACHT
Der Schnellzug tastet sich und stößt die Dunkelheit entlang.
Kein Stern will vor. Die ganze Welt ist nur ein enger, nacht-
umschienter Minengang,
Daxein zuweilen Förderstellen blauen Lichtes jähe Horizonte
reißen : Feuerkreis
Von Kugellampen, Dächern, Schloten, dampfend, strömend.. .
nur sekundenweis . . .
Und wieder edles schwarz. Als führen wir ins Eingeweid der
Nacht zur Schicht.
Nun taumeln Lichter her . . . verirrt, trostlos vereinsamt . . .
mehr . . . und sammeln sich . . . und werden dicht.
Gerippe grauer Häuserfronten liegen bloß, im Zwielicht
bleichend, tot — etwas muß kommen . . . o, ich fühl
es schwer
Im Hirn. Eine Beklemmung singt im Blut. Dann dröhnt der
Boden plötzlich wie ein Meer :
Wir fliegen, aufgehoben, königlich durch nachtentrissne Luft,
hoch übern Strom. 0 Biegung der Millionen Lichter,
stumme Wacht,
Vor deren blitzender Parade schwer die Wasser abwärts rollen.
Endloses Spalier, zum Gruß gestellt bei Nacht!
Wie Fackeln stürmend! Freudiges! Salut von Schiffen über
blauer See! Bestirntes Fest!
Wimmelnd, mit hellen Augen hingedrängt! Bis wo die Stadt
mit letzten Häusern ihren Gast entläßt.
Und dzuin die langen Einsamkeiten. Nackte Ufer. Stille. Nacht.
Besinnung. Einkehr. Kommvmion. Und Glut und
Drang
Zum Letzten, Segnenden. Zum Zeugungsfest. Zur Wollust
Zum Gebet. Zum Meer. Zum Untergang.
127
THEODOR DÄUBLER: ÜBERRASCHUNG
Durch Pinien lustwandelt der Mond, durch Glyzinien!
Ein blauendes Wasser bringt blauere Blätter.
Ein Windhauch verwiegt und verschmiegt alle Linien,
Das raschelt und scharrt wie von Rosengekletter.
Es scheint, daß der Flieder mit Blüten sich brüste.
Er wogt seine Düfte, fast atmend, ins Freie.
Es ist, als ob alles mit Hauchen sich küßte,
Damit sich die Lust bloß durch Tausche verleihe.
Auf einmal verwirrt mich die traumblaue Bleiche.
Doch sehe ich plötzlich ein Wunder erstrahlen:
Umschimmert von einem kristallklaren Teiche,
Erblassen und trinken Gestalten aus Schalen.
Es zieht mich hinüber, wie heimwärts zu Brüdern.
Ich platsche ins Wasser. Man lacht mir entgegen.
Man schöpft meine Ringwellen, reicht sie den Müdern,
Und plötzlich beginnen sich Mädchen zu regen.
Ich schwimme so leicht, wie beflügelt, zum Eiland
Und fühle mich dann in verwandelten Landen.
Dort heißt es: das alles versprach uns der Heiland:
Wir sind in euch selbst, unsern Gräbern, erstanden!
Ich sehe geadeltes Bauernvolk lachen.
Und einer saart: siehe, es lohnt sich der Mühe!
Es freut uns, das Mutterland urbar zu machen,
Kommt, führen wir Büffel! geht, füttert die Kühe!
Ich bin doch zu Hause und glaube mich ferne.
Vielleicht in der Vorzeit. Vielleicht bloß am Nile!
Dort steigt man in Berge, ich folgte so gerne,
Doch zeigt mir ein Priester gesonderte Ziele.
Er spricht: ,,Wir erbauten dereinst Pyramiden
Und trachteten stark, uns in Quarz zu vergraben.
Doch dann ward ihr Wesen zum seligen Frieden,
Durch den wir uns wieder ins Dasein ergaben.
128
Wahrhaftig, dort steigt man für Erz in die Erde.
Auf einmal erwachen am Boden Kameole.
Nein, Erdhosen sind es mit Reckungsgebärde.
Man sprengt unterirdisch: das ist ihre Seele 1
Der Nilfriede, Nilliebe wirken hienieden.
Hieratische Ruhe durchdämmert das Leben.
Es hat uns der Aufbau von Steinpyramiden
Erst spät unser Grundwurzeln wiedergegeben.
Es spielen rings Kinder auf silbernen Leiern :
Zumeist sanftgebräunte, schwarzäugige Dinger,
In leise verirdischten Mondschimmerschleiern,
Und Licht überspringt ihre spielenden Finger.
Nun darf ich die Kaiserin traumhaft gewahren.
Sie führt ihren lieblichen Sohn zu den Bauern.
Sie trägt einen Lotos verklärt durch die Scharen
Beherzter Gemüler, die sprachlos erschauern.
Man winkt mir, dem mächtigen Weibe zu nahen.
Ich fühle, es wird mich ihr Wesen befragen.
Ich fasse den Mut, was sie meint, zu bejahen.
Da senkt sie die Blume und fängt an zu sagen:
„Das da sind die Wahrzeichen fürstlicher Güte."
Nun frage ich, da ich geblendet bin: ,, Welche?"
Da sagt sie: ,,Das Glühwürmchen über der Blüte,
Der blauende Tautropfen unter dem Kelche!"
Jetzt glückt noch der Fürstin das gütigste Lächeln.
Es schimmert in mich, zu den innigsten Bildern.
Schon kann seine Klarheit Gespinste verfächeln,
Um sanft mein Erleiden durch Zartheit zu mildern.
Nun kommen die Boote allmählich nach Hause.
Es ziehn schon die Fischer rings schimmernde Netze,
Voll Beute und Tang, aus dem Wassergebrause:
Und gleich überwimmeln sich sämtliche Plätze.
Die Weiber erscheinen mit mondbleichen Sicheln,
Die Mädchen gar häufig beladen mit Gänsen.
Man kichert Im Finslern, beginnt sich zu sticheln,
Doch Bauern erhellen jetzt alles mit Sensen.
129
Es helfen Matrosen mit mondweißen Fischen.
Die krümmen sich zappelnd wie Sicheln zusammen
Und überall schimmern, entwischen und zischen
Gebilde, die leise und bleich sich entflammen.
Doch hocken noch stumme Gestalten am Strande.
Die wollen den Mondfisch, den Vollmondfisch, haschen!
Doch ich wandle langsam, zum Fang außerstande.
Und weiß wohl, es wird mich noch viel überraschen.
Am Ufer der Träume erzählt mir die Seele
Das Lied meiner leidenden innersten Stimmen.
Ich will, daß der Wind alle Sehnsuchten schweele.
Damit meine Sagen ihr Tagen erklimmen.
Äpvp tische Rätsel, erdämmert im Schwärmer!
Thebanische Mädchen, umzaubert uns wieder 1
Ihr Starrheitssymbole, der Wind weht schon wärmer,
Drum Unterweltnumen, durchzieht unsre Lieder 1
Der tropische Glutenfluß faßt sich im Leben.
Astrale Gestalten ergreift euch in Bäumen!
Die menschliche Seele, ein Fieberentschweben,
Entflailore, entwurzle sica ewig in Träumen.
Ihr Pflanzen im heiligen Urfriedensgarten,
Begeistert erscheinend die wirksamen Reiche!
Die Sterne und Quelienberauscher erwarten
Den Lothos der Seele im traumblauen Teiche.
Orkane am Styxe, durchwittert die Seher!
Chimären, beginnt im Gegrübel zu nisten!
Schon kommen uns zwitschernde Kindslarven näher,
Als ob rings Gespenster ihr Segel-Ich hißten!
Du Wesenheit spiele: erspiele dir Bilder!
Erklimme dir Lieder in Mondgeisterzonen!
Du Mildhell in mir, werde immer noch milder:
Entschaue Äonen, die doch bloß betonen.
i3o
O Th. iV Stein
ij^" o.i^>^Sitiii.
Theodor Dnuhler
GEORG TRAKL: SEBASTIAN IM TRAUM
FürAdolfLoos
Mutter tru? das Kindlein im weißen Mond,
Im Schatten des Nußbaums, uralten Holunders,
Trunken vom Safte des Mohns, der Klage der Drossel;
Und stille
Neigte in Mitleid sich über jene ein bärtiges Antlitz
Leise im Dunkel des Fensters; und altes Hausgerät
Der Väter
Lag im Verfall; Liebe und herbstliche Träumerei.
Also dunkel der Tag des Jahrs, traurige Kindheit,
Da der Knabe leise zu kühlen Wassern, silbernen Fischen
hinabstieg,
Ruh und Antlitz;
Da er steinern sich vor rasende Rappen warf,
In grauer Nacht sein Stern über ihn kam;
Oder wenn er an der frierenden Hand der Mutter
Abends über Sankt Peters herbstlichen Friedhof ging,
Ein zarter Leichnam stille im Dunkel der Kammer lag
Und jener die kalten Lider über ihn aufhob
Er aber war ein kleiner Vogel im kahlen Geäst,
Die Glocke lang im Abendnovember,
Des Vaters Stille, da er im Schlaf die dämmernde Wendel-
treppe hinabstieg.
Frieden der Seele. Einsamer Winterabend,
Die dunklen Gestalten der Hirten am alten Weiher;
Kindlein in der Hütte von Stroh; o wie leise
Sank in schwarzem Fieber das Antlitz hin.
Heilige Nacht.
Oder wenn er an der harten Hand des Vaters
Stille den finstern Kalvarienberg hinanstieg
Und in dämmernden Felsennischen
Die blaue Gestalt des Menschen durch seine Legende ging,
Aus der Wunde unter dem Herzen purpurn das Blut rann.
0 wie leise stand in dunkler Seele das Kreuz auf.
i33
Liebe; da in schwarzen Winkeln der Schnee schmolz,
Ein blaues Lüftchen sich heiter im alten Holunder fing,
In dem Schattengewölbe des Nußbaums;
Und dem Kneiben leise sein rosiger Engel erschien..
Freunde; da in kühlen Zimmern eine Abendsonate erklang.
Im braunen Holzgebälk
Ein blauer Falter aus der silbernen Puppe kroch.
0 die Nähe des Todes. In steinerner Mauer
Neigte sich ein gelbes Haupt, schweigend das Kind,
Da in jenem März der Mond verfiel.
Rosige Osterglocke im Grabgewölbe der Nacht
Und die Silberstimmen der Sterne,
Daß in Schauern ein dunkler Wahnsinn von der Stirne des
Schläfers sank.
0 wie stille ein Gang den blauen Fluß hinab
Vergessenes sinnend, da im grünen Geäst
Die Drossel ein Fremdes in den Untergang rief.
Oder wenn er an der knöchernen Hand des Greisen
Abends vor die verfallene Mauer der Stadt ging
Und jener in schwarzem Mantel ein rosiges Kindlein trug.
Im Schatten des Nußbaums der Geist des Bösen erschien.
Tasten über die grünen Stufen des Sommers. 0 wie leise
Verfiel der Garten in der braunen Stille des Herbstes,
Duft und Schwermut des allen Holunders,
Da in Sebastians Schatten die Silberstimme des Engels erstarb.
WlhKELMKLEMM: BETRACHTUNGEN
Bäume sättigen sich in schweigendem Grün.
Und der Himmel dunkelt in einem vergeßnen Grau.
Die Unendlichkeit des Grases
Triumphiert mit tausend kleinen Spitzen.
Was haben wir eigentlich am meisten geliebt?
Die Tugenden verblaßten längst unter dem Achselzucken
Des Verstehens, Ruhm ist so dünn,
Macht keinen frei. Weisheit versinkt
i34
In Schwermut. Erinnerungen verklingen,
Auch die schönsten. Auch an die Befreiung
Von Leid. Seltsam und unverständlich
Erstirbt das ferne Gemurmel der Erschauungen.
Eine geheimnisvolle Liebe bleibt
Halb Weib, halb Stern,
Die in unsagbarer Zartheit über dem dunkelnden Herzen
Zittert wie ein Tropfen Ewigkeit,
Während der Winter wieder kühl durch das Land geht,
Der Himmel einsamer wird über den Bäumen,
Und die aufatmende Brust sich nach Westen wendet
Wo der Abend heimkehrt, ein zögernder Träumer.
FRANZ WERFEL: DIE TRÄNE
Unter dem vogellosen Himmel wilder Cafes,
Sitzen wir oft, wenn die Stunde der Schwermut schwebt!
Wenn der Schwärm der Musik mit raschen Schlägen
Möwenhaft
Dicht uns am Ohr vorüberstreicht.
Nirgend, wo sich der Raum in Mauern drängt.
Tiefer blühet die Pflanze der Fremde auf.
Schließt du die Augen, so fahren zusammen
Eise des Pols,
Und es schluchzt der alte Fjord.
Öffne dich nun! Was geschieht? Schlage die Augen auf!
Was zerbricht den Tumult? Was ruft dem Wirbel Halt?
Dort an dem Tisch die schwarze Dame,
Plötzlich erklingend
Weint sich das Fräulein in seine Hände hin.
Was noch Alleinheit war, wirft sich einander zu.
Und die weinende Stimm' bindend wird zum Gesetz.
Die Menschen stehen alle und weinen.
Strömen heilig,
Selbst das Tablett in der Hand des Kellners bebt.
i35
Scherben wir alle, werden im Weinen Gefäß.
Wer die Träne erkennt, weiß der Gemeinschaft Stoff.
Ozean sind wir, Brüder, und fahren.
Ewig fahren
Barken wir auf dem Weltmeer des Herzens hin.
Schmerz des Einsamen, du der Unsterblichkeit Kindl
Der Gottheit liebliches Blut, unsere Träne rinnt.
Ach wir begießen mit unseren Tränen
Edene Beete,
Fruchtbar, Geschwister, wird uns das Paradies.
FRANZ WERFEL: GESA iVG
Einmal einmal —
Wir waren rein.
Saßen klein auf einem Feldstein
Mit vielen lieben allen Fraun.
Wir waren ein Indenhimmelschaun,
Ein kleiner Wind im Wind
Vor einem Friedhof, wo die Toten leicht sind.
Sahen auf ein halbzerstürztes Tor,
Hummel tönte durch Hagedorn,
Ein Grillen-Abend trat groß ins Ohr.
Ein Mädchen flocht einen weißen Kranz,
Da fühlten wir Tod und einen süßen Schmerz,
Unsere Augen wurden ganz blau —
Wir waren auf der Erde und in Gottes Herz.
Unsre Stimme sang da ohne Geschlecht,
Unser Leib war rein und recht.
Schlaf trug uns durch grünen Gang —
Wir ruhten auf Liebe, heiligem Geflecht,
Die Zeit war wie Jenseits wandelnd und lang.
GOTTFRIED BENN: GESÄNGE
1. 0 daß wir unsere Ururahnen wären.
Ein ivlünipchcn Schleim in einem warmen Moor.
Leben und Tod, Befruchten und Gebären
Glitte aus unseren stummen Säften vor.
Ein AlgtMiblalt oder ein Üünenliügel,
Vom \V ind Geformlcs und nach unten schwer.
Schon ein Libelienkopf, ein iMöwenflügel
Wäre zu weit und litte schon zu sehr. —
i36
if
2. Verächtlich sind die Liebenden, die Spötter.
Alles Verzweifeln, Sehnsucht, und wer hofft.
Wir sind so schmerzliche durchseuchte Götter
Und dennoch denken wir des Gottes oft.
Die weiche Bucht. Die dunklen Wälderträume.
Die Sterne, schneeballblütengroß und schwer.
Die Panter springen lautlos durch die Bäume.
Alles ist Ufer. Ewig ruft das Meer. — —
^ GOTTFRIED BENN: SYNTHESE
Schweigende Nacht. Schweigendes Haus.
Ich aber bin der stillsten Sterne;
Ich treibe auch mein eignes Licht
Noch in die eigne Nacht hinaus.
Ich bin gehirnlich heimgekehrt
Aus Höhlen, Himmeln, Dreck und Vieh.
Auch was sich noch der Frau gewährt,
Ist dunkle süße Onanie.
Ich wälze Welt. Ich röchle Raub.
Und nächtens nackte ich im Glück :
Es ringt kein Tod, es stinkt kein Staub
Mich, Ich-Begriff, zur Welt zurück.
IWAN GOLL: KARAWANE DER SEHNSUCHT
Unsrer Sehnsucht lange Karawane
Findet nie die Oase der Schallen und Nymphen!
Liebe versengt uns, Vögel des Schmerzes
Fressen immerzu unser Herz aus.
Ach wir wissen von kühlen Wassern und Winden:
Überall könnte Elysium sein!
Aber wir wandern, wir wandern immer in Sehnsucht!
Irgendwo springt ein Mensch aus dem Fensler,
Einen Stern zu haschen, und stirbt dafür,
Irgendeiner sucht im Panoptikum
Seinen wächsernen Traum und liebt ihn —
^Aber ein Feuerland brennt uns allen im lechzenden Herzen,
Ach, und flössen Nil und Niagara
Über uns hin, wir schrien nur durstiger auf!
i37
FRANZ WERFEL:
BALLADE VON WAHN UND TOD
Im großen Raum des Tags, —
Die Stadt ging hohl, Novembermeer, und schallte schwer
Wie Sinai schallt. Vom Turm geballt
Die Wolke fiel. — Erstickten Schlags
Mein Ohr die Stunde traf,
Als ich gebeugt saß über mich zu sehr.
Und ich entfiel mir, rollte hin und schwankte da auf einem
Schlaf.
Wie deut' ich diesen Schlaf, —
Wie noch kein Schlaf mich je trat an, da ich verramin
In Dunkelheit, als mich eine Zeit
In mein Herz traf!
Und als ich kam empor.
In Traum auftauchend Atemgang begann,
Trat ich in mein vergangnes Haus, in schwarzen Flur durchs
winterliche Tor.
Nun höret. Freunde, es!
Als ich im schwarzen Tage stand, schlug mich eine leichte
Hand.
Ich stand gebannt an kalter Wand.
0 schwarzes, schreckliches
Gedenken, da ich ihn nicht fand.
Den Leichten, der mich so ging an.
Und mich im schwarzen Tag des Tors geschlagen leicht mit
seiner leichten Hand!
Es fügte sich kein Schein,
Und selbst das kleine schnelle Licht, das sich in falsche Rosen
flicht.
Und unterm Bild verschwimmt und schwillt.
Das kleine Licht ging ein.
Es trat kein schwarzer Engel vor.
Kein Schatten trat, kein Atem trat aus dem kalten Stein!
Doch hinter mir in meinem Traum, aufschluclizend kaum
versank das Tor.
Und auch kein Wort erscholl.
Doch ganz mit meiner Stimme rief ein Wort in meinem Or-
kus tief.
Und wie am Eichen-Ort ein Blatt war ich verdorrt
i38
Weh! Trocken, leicht und toll
Fiel ich an mir herab und fuhr in Herbst und großem Stoß.
Mich nahm ein Wort und Wind mit fort,
Das Wort, das durch mich stieß, das Wort mit dreien Silben
hieß, das Wort hieß : rettungslos !
0 letzte Angst und Schmerz!
0 Traum vom Flur, o Traum vom Haus, aus dem die Frau
mich führte aus !
0 Bett, im Dunkel aufgestellt, auf dem sie mich entließ zur
Welt!
Ich stand in schwarzem Erz,
Und hielt mein Herz und konnte nicht Schrein,
Und sang ein — Rette mich — in mich ein.
Der Raum von Stein baute mich ein. Ich hörte schallen den
Fluß und fallen, den Fluß : Allein
Und da es war also,
Tat sich mir kund mein letztes Los, und ich stieg auf aus
edlem Schoß.
Im schwarzen Traum vom Flur zerriß und klang die Schnur.
Und ich erkannte so.
Warum da leicht und fein die Hand mich schlug.
Die schwach an meine Stirne fuhr,
Und meinen Gang geheim bezwang, daß ich nicht wankte
mehr und kaum mich selber trug.
Und als ich ihn erkannt,
Den Augenblick, der mich trat an, da war ich selbst der andre
Maim,
Und der mir hart gebot, ich selber war mein Tod.
Und nahm mir alles unverwandt.
Und wjind es fort aus meiner Hand und hielt's gepackt : —
Genuß und Liebe, Macht und Ruhm und jammernd die Dicht-
kunst zuletzt.
Und stand entsetzt und ausgefetzt und ohne Wahn und auf-
getan und völlig nackt.
0 Tod, o Tod, ich sah
Zum erstenmal mich wahrhaft sein, mich ohne Willen, Wunsch
und Schein,
Wie Trinker nächtlich spät sich gegenüber steht.
Er lacht und bleibt sich fern und nah
Ich stand erstarrt in erster Gegen-Wart, allein, zu zwein.
(Ach, was wir sagen, lügt schon, weil es spricht.)
Ich fand mich, ohne Wahn mich sein, und starb in mein Er-
wachen ein.
Im großen Raum des Tags
Hob ich mein Haupt auf aus dem Traum und sah auf meinen
Fensterbaum.
Die Stadt ging hohl, Novembermeer, und schallte schwer.
Der Himmel glühte noch kaum.
Ich aber ging hinab mit großem Haupt und Hut,
Und ging durch Straßen, rötliches Gebirg und Paß . . .
Mein Haupt vom Traum umlaubt noch. Ging mit dumpfem
Blut.
Ich ging, wie Tote gehn.
Ein abgeschiedner Geist, verwaist und ungesehn.
Ich schwebte fern und kühl durch Heimkehr und Gewühl,
Sah Kinder rennen und sah Bettler stehn.
Ein Buckliger hielt sich den Bauch, und eine Greisin schwang
den Stock und schrie.
Leicht eine Dame lächelte. Ein Mädchen küßte sich die Hand . .
Und ich verstand, was sie verband, und schritt durch ihre
Alchimie.
WILHELM KLEMM: AUFSUCHUNG
Die Geister der Verfeinerung
Durchwehen das Fliederparadies,
Unter der leuchtenden Milchflut des Himmels
Und tausend strahlenden JNebeLn.
Die Göllerschwärme der Farben
Erfüllen der Well marmorne Amphitheater.
Durch Abgründe, silbergrün
Schweben bleiche ruhige Kugeln.
Lodernde Schönheit belebt sich zart.
Großartige Schicksale werden aufgerollt,
Ströme der Erregung
Fließen vorüber in rauschenden Passagen.
Eine große Knospe erscheint.
Wohin senkt sich der Äther?
Über Flugslernen, wo suchst du sie,
Die niegesehene, die Seele?
i4o
WILHELM KLEMM: ERSCHEINUNG
Die Schatten sitzen beim Gastmahl —
Schweben wie weiße Felle in der Nacht.
Freunde, stoßt an! Da sind Becher, die nicht tönen!
Ein vergeßner Stern funkelt mitten in unserem Kreis.
Tor, wer glaubt zwischen Sohle und Scheitel
Sei alles beschlossen, was Mensch genannt wird!
Des Herzens unauslöschlicher Drang, die Geisterarme,
Die hinausgreifen nach den Ringen an den Pforten Gottes!
Du mit dem Fabelbück, — atmest du Ewigkeit?
Und du schönes Profil voll Schwermut, neigst du die Stirn
Tiefer lauschend in die Schneckenwindungen des Himmels?
Herkules, streckst du die Glieder auf den Steinbänken des
Ewigen ?
Was ist jetzt Anfang, Ende und Wiederkehr?
Wir lächein nicht mehr darüber. Alle Irrtümer versöhnten sich.
Ganze Welten fallen lautlos herab
In den dämmernden Furchen unserer Gewänder.
GEORG HEYM: MIT DEN FAHRENDEN SCHIFFEN
Mit den fahrenden Schiffen
Sind wir vorübergeschweift,
Die wir ewig herunter
Durch glänzende Winter gestreift.
Ferner kamen wir Immer
Und tanzten im insligen Meer,
Weit ging die Flut uns vorbei.
Und der Himmel war schallend und leer.
Sage die Stadt,
Wo ich nicht saß im Tor,
Ging dein Fuß da hindurch,
Der die Locke ich schor?
Unter dem sterbenden Abend
Das suchende Licht
Hielt ich, wer kam da hinab.
Ach, ewig in fremdes Gesicht.
i4i
Bei den Toten ich rief.
Im abgeschiedenen Ort,
Wo die Begrabenen wohnen;
Du, ach, wärest nicht dort.
Und ic^ gi"g über Feld,
Und die wehenden Bäume zu Haupt
Standen im frierenden Himmel
Und waren im Winter entlaubt.
Raben und Krähen
Habe ich ausgesandt.
Und sie stoben im Grauen
Über das ziehende Land.
Aber sie fielen wie Steine
Zur Nacht mit traurigem Laut
Und hielten im eisernen Schnabel
Die Kränze von Stroh und Kraut.
Manchmal ist deine Stimme,
Die im Winde verstreicht,
Deine Hand, die im Traume
Rühret die Schläfe mir leicht;
Alles war schon vor Zeiten.
Und kehret wieder sich um.
Gehet in Trauer gehüllet.
Streuet Asche herum.
JOHANNES R. BECHER:
KLAGE UND FRAGE
Jagdgründe der Nacht — I
Warum warum muß immer und immer wieder anrennen ich
und mich enthaupten — ?1
Meuchlings einreißen die li Jite Gerade meiner Vollendung ge-
wisser Fährte —
Hagel und Schwefel zusammenraffen
Über der frohlockend keimenden Unschuld meines Weizens — ?1
Drüse des Monds
Magischen Gift-Saft absonderst du hinein
In das reine Blau meiner wahren Himmels-Speise.
. . . aber nicht im paradiesischen Gebiet der ewigen Quellen
heiterwandele ich . . .
Vom Blut nähre ich mich und vom Salz des Schweißea.
l42
Warum wairuin wieder und immer wieder
Ungläubig entrückte ich mich von dir
Ophelia :
Du meiner harzlosen Wüste unerschöpflichste der Wasser-
Stellen-?!
Zu dir, tyrannische Lydia, hin:
Du Unmaß an Qual Zweifel Schüttel - Fieber und Nacht-
Sucht . . .
Zu euch hin atheistische Barbaren,
Großstadt-Wüterichen des Elends . . .
Finsterste der Verlockung :
Abgrund zu schlürfen,
Im Keller zu hausen des vermorschten Gebeins.
. . . Denn wann endlich streife ich ihn erlösend ab den schä-
bigen Filz der Huren ...
Du und du benebeltest mich
Afra, du trübsinnige Käfig- Wolke der Gefahr,
Und du fressender Maser hektische Zorn-Röte :
Zirzische Noa!
Und deiner entrollten Riesen-IIaut brennender Samum ver-
nichtete mich.
Gellende Negerin!
Hah und deiner klirrenden Zunge Schwert
Zynisch kichernd
Du kindlicher Würgengel o Lustknabe
Verroht mich . . .
Deiner beruhigten Kühle o Gott weltfremder Hirsch
Weide ich
Über feuchten Asphalt-Ufer-Gängen
Nach dem grausen entpreßten Donner eines Sonnen-Meer-
Niedergangs
Unterm Wind des Tods und Stern-Milch- Wirbeln
Mild im Abend.
Ameisen - Demut.
Alter Bauersmann mit weißem Bart.
Dieses ruchlosen Augs Schießscharte aber entträuft
Der heiße Märchen -Honig Deines lauteren Sees.
In einer letzten Sanftmut Kürbis wurzele ich.
Angst-Falte glättet deiner Gnade öl.
Stier-Nacken wiegt Lamm und Marterholz
i43
Zerbeulter Helm heißt Turban deiner Güte.
Ob meines Hohn-Gelächters Säure und beißender Empörer-
Schwermut
Rasenden Trichters klagend
Dich zündendste nelkenstrenge Harfnerin,
Du über meiner mörderischen Raubgier unberührtem Him-
melsscheitel duldsam immer noch Schwingende,
Keulen-Strahlen Schmetternde! Wölbung der Anmut!
Mütterliche Geleiterin du zu meinen seraphischen Kindheit-
Fahrten.
Du frühe Schwester, Nachtigallen -Erweckerin der tauben
Verzweiflung unseres Schlaf-Mohns.
Aller der Hungrigen und der Durslenden du immer wieder
praller Feuer-Euter.
Tröstliche Würze du meiner einsamen Trauer-Tanne . . .
Posaune des Aprils wie schlichte Freundin meines Herbst-
Traums ...
Kristallisch Weinende! Oboen-Lächlerin 1
: Dich Sonne befrage ich
Herzgrube Gottes du über meinen zersplitterten wurmstichi-
gen Folter-Bänken,
Du meiner Iris Sperber-Funken und Quecksilber-Aussaat :
Wann warum wann — — —
Warum warum muß Immer und immer wieder anrennen ich
und mich enthaupten?!
Schmerzhalt mit Peitschen und Stachelkamm mich entlauben?!
Verregnen mutwillig den Saunen meiner Sehnsucht — ?!
Wann endlich
Streife ich ihn erlösend ab den schäbigen Füz der Huren?!
Wann endlich springt aus den unbestimmten Schalten meiner
vergeblichst zertasteten Register
Deiner erlösenden Harmonien
Einziger festlicher Welt-Ton ?!
Lobsingo gefeit
Dein dienend Instrument
Im blökenden INetz der Grimassen?!
Streue immer-wach
Göttlicher Frische Tau
Du Lebens-Müder
Dir ins Wahn-Gesicht . . . ? I
i44
Heiterwandelnd im paradiesischen Gebiet der ewigen Quellen.
Auswische mit Flaum des Schnees Märtyrer krasser Brand-
wunden Mal I
Und schmölze ein mit fanfarischen Gletscher -Glut- Flüssen
Dich schroffe Götzen-Hochburg der Pyramiden.
Aufgrünt der Säufer am Waldgeruch meines unbezwingbaren
Engels.
Geleert die ungezählten Eimer des Unrats.
Getilgt der Sklaven-Fron gespenstische Galeeren.
Dampfender Kuh-Hürden aufgefüllt ihr kargen Höfe der Ar-
mut . . .
Verlorener Sohn dumpfer Macht du klärst dich zum Hirt
jeder Wandlung.
Da dehnten grenzenlos zeillos weit sich die legendären Gezelte
deiner oasischen Siedelung
Und es zymbelten wunder-kühn die heiligen Flächen unserer
Wangen.
Aller Schenkel läuten und der dürftige Flachs ihres Ilaars
braust im Sturm deines Korns.
Im Harnisch des Gerechten aber sitzen
Die befreiten Knechte
Unter den Palmen des Throns,
Zwischen ihren groben Fäusten des Erdenrests furchtbare
Muschel-Wage,
Die melodische Spule des Gerichts.
ERNST STADLER: DER SPRUCH
In einem alten Buche stieß ich auf ein Wort,
Das traf mich wie ein Schlag und brennt durch meine Tage
fort:
Und wenn ich mich an trübe Lust vergebe,
Schein, Lug und Spiel zu mir anstatt des Wesens hebe,
Wenn ich gefällig mich mit raschem Sinn belüge.
Als wäre Dunkles klar, als wenn nicht Leben tausend wild
verschlossne Tore trüge,
Und Worte wiederspreche, deren Weite nie ich ausgefühlt.
Und Dinge fasse, deren Sein mich niemals aufgewühlt,
Wenn mich willkommner Traum mit Sammethänden streicht,
Und Tag und Wirklichkeit von mir entweicht,
Der Welt entfremdet, fremd dem tiefsten Ich,
Dann steht das Wort mir auf: Mensch, werde wesentlich!
lo i45
FRANZ WERFEL:
ICH HABE EINE GUTE TAT GETAN
Herz frohlocke!
Eine gute Tat habe Ich getan.
Nun bin ich nicht mehr einsam.
Ein Mensch lebt,
Es lebt ein Mensch,
Dem die Augen sich feuchten,
Denkt er an mich.
Herz, frohlocke :
Es lebt ein Mensch!
Nicht mehr, nein, nicht mehr bin ich einsam.
Denn ich habe eine gute Tat getan,
Frohlocke, Herz!
Nun haben die seufzenden Tage ein Ende.
Tausend gute Taten will ich tun!
Ich fühle schon,
Wie mich alles liebt,
Weil ich alles liebe!
Hinström ich voll Erkenntniswonne!
Du mein letztes, süßestes,
Klarstes, reinstes, schlichtestes Gefühl!
Wohlwollen!
Tausend gute Taten will Ich tun.
Schönste Befriedigung
Wird mir zuteil:
Dankbarkeit!
Dankbarkeit der Welt.
Stille Gegenstände
Werfen sich mir in die Arme.
Stille Gegenstände, m
Die ich in einer erfüllten Stunde »
Wie brave Tiere streichelte.
Mein Schreibtisch knarrt,
Ich weiß, er will mich umarmen.
Das Klavier versucht mein Lieblingsstück zu tönen.
l^6
Geheimnisvoll und ungeschickt
Klingen alle Saiten zusammen.
Das Buch, das ich lese
Blättert von selbst sich auf.
Ich habe eine gute Tat getan.
Einst will ich durch die grüne Natur wandern,
Da werden mich die Bäume
Und Schlingpflanzen verfolgen,
Die Kräuter und Blumen
Holen mich ein,
Tastende Wurzeln umfassen mich schon,
Zärtliche Zweige
Binden mich fest,
Blätter überrieseln mich.
Sanft wie ein dünner.
Schütterer Wassersturz.
Viele Hände greifen nach mir,
Viele grüne Hände,
Geuiz umnistet
Von Liebe und Lieblichkeit
Steh ich gefangen.
Ich habe eine gute Tat getan,
Voll Freude und Wohlwollens bin ich
Und nicht mehr einsam
Nein, nicht mehr einsam.
Frohlocke, mein Herzl
THEODOR DÄUBLER: OFT
Warum erscheint mir immer wieder
Ein Abendted, sein Bach und Tannen?
Es blickt ein Stern verständlich nieder
Und sagt mir : wandle still von deuinen.
Dann zieh ich fort von guten Leuten.
Was konnte mich nur so verbittern?
Die Glocken fangen an zu läuten.
Und der Stern beginnt zu zittern.
l47
ELSE LAS K ER-SCHÜLER: AA^GOrr
Du wehrst den guten und den bösen Sternen nicht;
All ihre Launen strömen.
In meiner Stirne schmerzt die Furche,
Die tiefe Krone mit dem düsteren Licht.
Und meine Welt ist still —
Du wehrtest meiner Laune nicht.
Gott, wo bist du?
Ich möchte nah an deinem Herzen lauschen.
Mit deiner fernsten Nähe mich vertauschen.
Wenn goldverklärt in deinem Reich
Aus tausendseligem Licht,
Alle die guten und die bösen Brunnen rauschen.
ELSE LASKER-SCHÜLER: ZEBAOTH
(Dem Franz Jung)
Gott, ich liebe dich in deinem Rosenkleide,
Wenn du aus deinen Gärten trittst, Zebaoth.
0, du Gottjüngling,
Du Dichter,
Ich trinke einsam von deinen Düften.
Meine erste Blüte Blut sehnte sich nach dir.
So komme doch,
Du süßer Gott,
Du Gespiele Gott,
Deines Tores Gold schmilzt an meiner Sehnsucht.
ELSE LASKER-SCHÜLER: ABRAHAM UND ISAAK
(Dem großen Propheten St. Peter Hille in Ehrfurcht)
Abraham baute in der Landschaft Eden
Sich eine Stadt aus Erde und aus Blatt
Und übte sich mit Gott zu reden.
Die Engel ruhten gern vor seiner frommen Hütte
Und Abraham erkannte jeden;
Himmlische Zeichen ließen ihre Flügelschritte.
iA8
Bis sie dann einmal bang in ihren Träumen
Meckern hörte die gequälten Böcke,
Mit denen Jsaak opfern spielte hinter Süßholzbäumen.
Und Gott ermahnte : Abraham ! !
Er brach vom Kamm des Meeres Muscheln ab und Schwamm
Hoch auf den Blöcken den Altar zu schmücken.
Und trug den einzigen Sohn gebunden auf den Rücken
Zu werden seinem großen Herrn gerecht —
Der aber liebte seinen Knecht.
ERNST STADLER: ANREDE
Ich bin nur Flamme, Durst und Schrei und Brand.
Durch meiner Seele enge Mulden schießt die Zeit
Wie dunkles Wasser, heftig, rasch und unerkannt.
Auf meinem Leibe brennt das Mal : Vergänglichkeit.
Du aber bist der Spiegel, über dessen Rund
Die großen Bäche alles Lebens gehn.
Und hinter dessen quellend gold'nem Grund
Die toten Dinge schimmernd aufersteh'n.
Mein Bestes glüht und lischt — ein irrer Stern,
Der in den Abgrund blauer Sommernächte fällt —
Doch deiner Tage Bild ist hoch und fern,
Ewiges Zeichen, schützend um dein Schicksal hergestellt.
WILHELM KLEMM: SEHNSUCHT
0 Herr, vereinfache meine Worte,
Laß Kürze mein Geheimnis sein.
Gib mir die weise Verlangsamung.
Wieviel kann beschlossen sein in drei Silben 1
Schenk mir die glühenden Siegel,
Die Knoten, die Fernstes verknüpfen.
Gib den Kampfruf aus den heimlichen Schlachten der Seele,
Laß quellen den Schrei aus grünen Waldeskehlen.
Feuersignale, über Abgründe geblinkt,
Botschaften, in fremde Herzen gehaucht,
Flaschenposten im Meere der Zeit,
Aufgefangen nach vielen Jahrhunderten.
1^9
L
PAUL ZECH: ICH AHNE DICH
I.
Ich ahne Dich, ich fühle Dich, ja Du Gewalt .
bist wirklich da, und größer wie ich glaubte.
Und hebst schon her zu mir das sternumlaubte
Gesicht mit Augen tausend Jahre alt.
Und fühlst vielleicht: „Dies Staubkorn in dem großen All
begehrt mich aufzuhalten
und meint, daß ihm das Händefalten
bewahre vor dem Fall."
0 strenge Prüfung durch und durch gestoßen!
Ich halte aus und weiß, daß unter meinem Fuß
das Feste schon entweicht. Ich dreh mit bloßem,
rudernden Körper mich herum . . .
Doch Du gehst ohne Gruß,
abweisend stumm.
II.
Wie ein Ertrinkender muß ich in Deine Haare
mich krallen, daiß nicht wieder Du entweichst.
Und wo Du mir die Hände herzlich reichst,
sah ich mich schon erfroren auf der Bahre.
Ich bin mir selbst als Gegner hingebogen,
um meine Kraft zu prüfen, die zu Dir hinstrebt.
Doch wenn der Wagebalken sich dann hebt :
bin ich zu leicht, bin ich zu schwer gewogen?
So sehr ist noch das Ungewisse laut in mir,
daß ich nicht einmal Deinen Namen weiß,
der schon geläufig ist dem stummen Tier.
Ich weiß nur, daß ich Dich zu dem, was Du
dem Unvernünftigen bist, zu mir herzu
erflehe und der letzte bin im Kreis.
i5o
ERNST STADLER: ZWIEGESPRÄCH
Mein Gott, ich suche dich. Sieh mich vor deiner Schwelle
knien
Und Einlaß betteln. Sieh, ich bin verirrt, mi:h reißen tau-
send Wege fort ins Blinde,
Und keiner trägt mich heim. Laß mich in deiner Gärten Ob-
dach fliehn.
Daß sich in ihrer Mittagsstille mein versprengtes Leben wie-
derfinde.
Ich bin nur stets den bunten Lichtern nachgerannt,
Nach Wundern gierend, bis mir Leben, Wunsch und Ziel in
Nacht verschwanden.
Nun graut der Tag. Nun fragt mein Herz in seiner Taten
Kerker eingespannt
Voll Angst den Sinn der wirren und verbrausten Stunden.
Und keine Antwort kommt. Ich fühle, was mein Bord an
letzten Frachten trägt,
In Wetterstürmen ziellos durch die Meere schwanken,
Und das im Morgen kühn und fahrtenfroh sich wiegte, meines
Lebens Schiff zerschlägt
An dem Magnetberg eines irren Schicksals seine Planken. —
Still, Seele! Kennst du deine eigne Heimat nicht?
Sieh doch : du bist in dir. Das ungewisse Licht,
Das dich verwirrte, war die ewige Lampe, die vor deines
Lebens Altar brennt.
Was zitterst du im Dunkel? Bist du selber nicht das Instru-
ment,
Darin der Aufruhr aller Töne sich zu hochzeitlichem Reigen
schlingt?
Hörst du die Kinderstimme nicht, die aus der Tiefe leise dir
entgegensingt?
Fühlst nicht das reine Auge, das sich über deiner Nächte
wildste beugt —
0 Brunnen, der aus gleichen Eutern trüb und klare Quellen
säugt,
Windrose deines Schicksals, Sturm, Gewitternacht und sanf-
tes Meer,
Dir selber alles : Fegefeuer, Himmelfahrt und ewige Wieder-
kehr —
i5i
sieh doch, dein letzter Wunsch, nach dem dein Leben beiße
Hände ausgereckt,
Stand schimmernd schon am Himmel deiner frühsten Sehn-
sucht aufgesteckt.
Dein Schmerz und deine Lust lag immer schon In dir ver-
schlossen wie in einem Schrein,
Und nichts, was jemals war und wird, das nicht schon immer
dein.
AUGUST STRAMM: ALLMACHT
Forschen Fragen
Du trägst Antwort
Fliehen Fürchten
Du stehst Mut!
Stank und Unrat
Du breitst Reine
Falsch und Tücke
Du lachst Recht!
Wahn Verzweiflung
Du schmiegst Selig
Tod und Elend
Du wärmst Reich!
Hoch und Abgrund
Du bogst Wege
Hölle Teufel
Du siegst Gott!
WILHELM KLEMM: REIFUNG
Ich wuchs hinauf in die hohen Himmel,
Wo die Sterne sich verdichten zu einer einzigen Mauer,
Und sah das Grenzenlose so nahe
Wie das Gesicht einer geheimnisvollen Geliebten.
Dann versank ich unter die Schwelle des Vorstellbau'en,
Rann silberhell durch die Maschen des Stoffs,
Wurde kleiner als jede Kleinigkeit —
Ich suchte das Nichts und fand es nicht.
Ich lebte In Äonen des Schweigens, wo die Schöpfung
Still steht; wo Zukunft und Vergangenheit in eins
Zusammenfließen, wo die Ewigkeiten vergeblich
Brüten, und ich lernte das göttliche Warten.
l52
Doch dann wieder wandelt' ich mich in blitzende Geschwindig-
keit.
Ich überritt das Licht tausendmal
Auf der Schneide des Moments die Dinge spielen zu sehen,
Aber die, glaubt mir. Freunde, waren schneller als ich.
Und in Jugendschönheit erblickt' ich die Welt.
Da triumphierten still die ewigen Gesetze!
Das jubelte empor, und löste sich auf.
Ich stemd überwältigt in den drei Reichen.
Und wußte alsdann, daß die Seele allein
Dahinweht in einer geisterhaften Welt.
Das Bruderhafte umringt mich mit Rätselgefühlen —
Wo finde ich, o Herr, deine ewigen Hände!
Ob du sie mir reichen \virst oder versagen.
Deine große Welt ist meine Heimat!
Was je ich gesehen habe mit irdischem Auge
Und was ich lebte — es hat mich gesättigt.
KARL OTTEN: GOTT
'■ Ich kann Deinen Namen nicht sagen.
Gebirge von Gedanken den Mantel ihrer Stärke um dich schlagen.
Du bist ohne Tiefe.
Trätest Du den Grund der Ozeane Deine Füße blieben trocken.
Sage ich Dich
Bin ich nicht ich, Zacke am Schatten der Unnennbaren
Die in Deines Atems ßaumschaukeln gebaren.
Bin ich ein Komma Ln ihren Sprüchen.
Aber die Nacht Deiner Prüfungen hat mich Eule aufgestört.
Dein großes Licht hinter allen Fernen blendet meine häutigen
Augen.
Wenn ich abschließe Tür und Fenster
Und nichts ist, auch nichts nicht
Wenn Du ich so wie Stein ich
Und Sterncherubim ich
Und ich Du wie mein Sein Sterben
Wie meine Ruhe Sturm
Und mein Denken Traumbetrachtung
Mein Wille Ablösung
i53
Rührt das Klicken Deines silbernen Nagels
Dein Atem unter dem Urmund
Inwendig mein Sein — Nichtsein
Hinter der Stirn meiner Brust
Ein neues Herz das Dich schlägt.
Gesammelter Glanz allsehenden Augenbcdles
Umpulst den Keim des neuen Menschen
Den Du zeugtest Lichtvater in Erleuchtung.
Du bist wo alles ist
Im warmen Leid,
Im Büßerkleid der Zeit,
Wo das Verstreute auf der Flucht sich sammelt,
Wo keine Zeit, nicht Freud noch Leid,
Nur Schweigsamkeit.
Wo Mensch den eignen Namen stammelt.
Aufbiete deine Klugheit, deinen Glauben, deine Gesundheit,
deine Phantasie, deine Stärke, deine Liebe, deine Ge-
wandtheit.
Versammle um dich die Gefühle deiner Jugend, die erste heiße
Inbrunst deiner schwärmerischen Liebe. Rüste dich
mit allem, was du bist in deiner echten, nur dir er-
schlossenen Erkenntnis, du Einziger, du Mensch!
KURT HEYNICKE: LIEDER AN GOTT
Ich bin hinausgestoßen in die Welt,
den Gang der Erde kreisend mitzuwiegen,
ich bin erhellt von Deiner Flamme,
Herr, ich bin wie Du!
Ich bin im Kreise wandelnd festgeschlossen,
ich bin hinausgegossen in das Meer,
ich reige meinen Tanz an Händen fremder Brüder,
Dein Willen will mich an mich binden,
gottüberströmt will ich den Ursprung finden,
Herr, ich bin wie Du!
Die Nächte rauschen auf mit fernem Urgesicht.
In meine Augen fällt das blaue Licht.
Stern meiner Seelenheimat glanzumflossenl
Du Weltgebärer in den tiefsten Sternen,
entfernen will ich meinen Schlaf vor Dir,
urewig wachend wie die Gottesaugen 1
i54
I
Du hast mich hoch gebaut.
Du gibst mein Haupt in Deinen Schoß,
tief meine Glieder in den Staub der Erde.
All meine Stimmen jauchzen Dir entgegen,
ich fühle tausend Segen niederrauschen,
am fernsten Ohr der Welt lauscht meine Seele.
Von Dir erhoben knie ich an der Sternentür:
Herr, kröne mich mit Dirl
Gott,
Bruder, spricht die stille Stimme in der Nacht.
Mein Bruder, alle Wahrheit ist erwacht,
aus Schutt und Asche glüht ein Fiammenturm empor,
o Bruder, Menschen knien Dir am Ohr in brausenden Ge-
beten!
0 Menschen-Gott,
gib viele Sünden, Dich zu finden!
KURT HEYNIGKE: GEDICHT
Aufreißen will ich meinen Gang im Kreise,
ein klarer Stein, der goldne Kette bricht,
ich lebe nicht,
ich bin schon lange tot im Rausch der Tage.
Hoch heben meine Nächte ihre Stunden in die Ferne,
aus blauen Schleiern glühen weiße Sterne
und diamantne Schlangen schwimmen in umsonnten Höhen.
In mondbeglänzten Gärten tanzen goldne Farben,
ihr Reigen wird zu süßen Abendmelodien.
Das sind die Nächte,
wo mich Liebe überströmt,
Licht -Liebe, Menschenliebe, Einsamkeiten.
Das sind die Nächte,
wo mich Gott zu Gaste hält.
Das ist die Welt,
die hinter fernen Toren ihre Heimat hat.
Das sind die Stunden,
die sich einsam heben,
hoch ihre Augen in den Ursprung Gottes,
das ist das Leben, wenn die Sinne fallen,
und Gott entsteigt den fernsten Nachtgestirnen.
i55
RENß SCHICKELE: ODE AN DIE ENGEL
Ihr wart das erste, was ich sah
von der großen Welt!
Kunde von den breiten Strömen,
von den tiefen Wäldern
und der Ebene dazwischen,
die mit ihrer Seelenglut,
was war und ist, erhellt.
Dort brannte lichterloh die Liebe
aller Menschen,
die je geliebt,
heller als die Sonne,
länger als Erde und Sterne,
in Ewigkeit.
Dort wart ihr zu Hause, von dort
kamt ihr zu uns.
Eure Hand kannte jede Stelle,
wo ein Herz schlug.
Eure Flügel deckten jedes Leiden.
Eure Stirn leuchtete
von den vielen Geheimnissen der Lebenden,
die ihr geduldig wußtet,
und von der Seligkeit der Toten.
Eine leise Trauer in Euern Augen
machte Euch besonders schön:
das Wissen um die Verdammten.
Ich hab Euch gesehn,
leibhaftig gesehn!
Ihr knietet neben mir im Gebet,
Ihr standet im Zimmer,
wenn ich nachts erwachte.
Ich schickte Euch meine Freunde beschützen.
Ihr setztet Euch mit übergeschlagenen Beinen,
unendlich ernst, wie eine ältere Schwester,
auf mein Bett und leihet
meine ersten Liebesnöte.
Wie eine ältere Schwester, ja, aber
Ihr wart zugleich nicht älter als ich
und meine kleinen Freundinnen,
Ihr trugt offenes Haar
und einen kurzen Rock
i56
und gabt mir Eure welchen Hände
zum Kosten: „Soviel du willst!"
Ich legte sie unter mich, an mein Herz,
wie schlief ich ein!
Später wart Ihr überall,
wo Taten vollbracht wurden.
Gewalttaten aller Art,
Taten, die zum Himmel brannten.
Ihr zeigtet Euch einem, prächtig gekleidet
in seinen Entsagungen, die andre nicht kannten.
Ihr wart furchtbar und wart zart.
Ihr wart, wo Menschen die wilden Funken
aus der Erde zogen,
wo Samen über die Furchen flogen,
wo die Schalen von Früchten platzten,
bei schwellenden Traubenstöcken,
an reifen Feldern, die rot und schwer
unter einem nassen Himmel
wie Sauerteig aufgingen —
und in allen Frauenröcken.
Von stählernem Glanz umwittert
taucht Ihr aus den Staubwolken
hinter den Automobilen auf,
man hört Euern Gesang,
der wie hohe Harfentöne
im Luftzug zittert.
Ihr lächelt den Fliegern zu,
die sich neben Euch erheben,
Ihr seid da, wenn sie wiederkommen,
und Euer Mund ist irdisch rot
vor ihnen, die sich das Licht und den Schrecken
der Himmel mit beiden Händen
aus dem Antlitz streichen,
irdisch rot Euer Mund und halbgeöffnet,
und Eure Hüften sind gebogen,
damit sie, noch an ihrem Sitze festgebunden,
gleich aufatmend froh
die Früchte der Erde erkennen.
Ihr seid der Schwung hinauf und hinüber,
seid alles, was stärker ist, als der Tod.
57
FRANZ WERFEL:
ICH BIN JA NOCH EIN KIND
O Herr, zerreiße mich!
Ich bin ja noch ein Kind.
Und wage doch zu singen.
Und nenne Dich.
Und sage von den Dingen:
Wir sindl
Ich öffne meinen Mund,
Eh' Du mich ließest Deine Qualen kosten.
Ich bin gesund.
Und weiß noch nicht, wie Greise rosten.
Ich hielt mich nie an groben Pfosten, i
Wie Frauen in der schweren Stund'.
Nie müht' ich mich durch müde Nacht «
Wie Droschkengäule, treu erhaben.
Die ihrer Umwelt längst entflohn!
(Dem zaubrisch, zerschmetternden Ton
Der Frauenschritte und allem, was lacht.)
Nie müht' ich mich, wie Gäule, die ins Unendliche traben.
Nie war ich Seemann, wenn das öl ausgeht,
Wenn die tausend Wasser die Sonne verhöhnen.
Wenn die Notschüsse dröhnen,
Wenn die Rakete zitternd aufsteht.
Nie warf ich mich. Dich zu versöhnen,
0 Herr, aufs Knie zum letzten Weltgebet.
Nie war ich ein Kind, zermalmt in den Fabriken
Dieser elenden Zeit, mit Ärmchen, ganz benarbt 1
Nie hab' ich im Asyl gedarbt.
Weiß nicht, wie sich Mütter die Augen aussticken,
Weiß nicht die Qual, wenn Kaiserinnen nicken,
Ihr alle, die ihr starbt, ich weiß nicht, wie ihr starbt!
Kenn' ich die Lampe denn, kenn' ich den Hut,
Die Luft, den Mond, den Herbst und alles Rauschen
Der Winde, die sich überbauschen.
Ein AnÜitz böse oder gut?
i58
Kenn' ich der Mädchen stolz und falsches Plauschen?
Und weiß ich, ach, wie weh ein Schmeicheln tut?
Du aber, Herr, stiegst nieder, auch zu mir.
Und hast die tausendfache Qual gefunden,
Du hast in jedem Weib entbunden,
Und starbst im Kot, in jedem Stück Papier,
In jedem Zirkusseehund wurdest Du geschunden.
Und Hure warst Du manchem Kavalier!
0 Herr, zerreiße mich!
Was soll dies dumpfe, klägliche Genießen?
Ich bin nicht wert, daß Deine Wunden fließen.
Begnade mich mit Martern, Stich um Stich!
Ich will den Tod der ganzen Welt einschließen.
0 Herr, zerreiße mich!
Bis daß ich erst in jedem Lumpen starb,
In jeder Katz' und jedem Gaul verreckte,
Und ein Soldat, im Wüstendurst verdarb.
Bis, grauser Sünder ich, das Sakrament weh auf der Zunge
schmeckte,
Bis ich den aufgefreßnen Leib aus bitterm Bette streckte,
Nach der Gestalt, die ich verhöhnt umwarb !
Und wenn ich erst zerstreut bin in den Wind,
In jedem Ding bestehend, ja im Rauche,
Dann lodre auf, Gott, aus dem Dornenstrauche.
(Ich bin Dein Kind.)
Du auch, Wort, praßle auf, das ich in Ahnung brauche!
Gieß unverzehrbar Dich durchs All : Wir sind ! 1
iSg
AUFRUF UND EMPÖRUNG
W
JOHANNES R. BECHER: VORBEREITUNG
Der Dichter meidet strahlende Akkorde.
Er stößt durch Tuben, peitscht die Trommel schrill.
Er reißt das Volk auf mit gehackten Sätzen.
Ich lerne. Ich bereite vor. Ich übe mich.
Wie arbeite ich — hah leidenschaftlichst ! —
Gegen mein noch unplastisches Gesicht — :
Falten spanne ich.
Die Neue Welt
( — eine solche : die alte, die mystische, die Welt der Qual aus-
tilgend — )
Zeichne ich, möglichst korrekt, darin ein.
Eine besonnte, eine äußerst gegliederte, eine geschliffene
Landschaft schwebt mir vor.
Eine Insel glückseliger Menschheit.
Dazu bedarf es viel. (Das weiß er auch längst sehr wohl.)
0 Trinität des Werks : Erlebnis Formulierung Tat.
Ich lerne. Bereite vor. Ich übe mich.
. . . bald werden sich die Sturzwellen meiner Sätze zu einer
unerhörten Figur verfügen.
Reden. Manifeste. Parlament. Das sprühende politische Schau-
spiel. Der ExperimentaJroman.
Gesänge von Tribünen herab vorzutragen.
Menschheit! Freiheit! Liebe!
Der neue, der Heilige Staat
Sei gepredigt, dem Blut der Völker, Blut von ihrem Blut, ein-
geimpft.
Restlos sei er gestaltet.
Paradies setzt ein.
— Laßt uns die Schlagwetter-Atmosphäre verbreiten! —
Lernt! Vorbereitet! Übt euch!
i63
WALTER HASENGLEVER: DER POLITISCHE DICHTER
Aus den Zisternen unterirdischer Gruben
Aufstößt sein Mund in Städte weißen Dampf,
Im rasend ausgespritzten Blut der Tuben
Langheulend Arbeit, Pause, Nacht und Kampf.
Mit Zwergen, die auf Buckeln riesig tragen
Der Lasten harte, eingefleischte Schwären,
Mit Sklaven, denen unter Peitschenschlagen
Die Beule reißt am Ruder der Galeeren.
Sein Arm bricht durch gewaltige Kanonaden
Von Völkerschwarm zum Mord gehetzter Heere,
Durch Kot und Stroh und faulend gelbe Maden
Im Kerker aller Revolutionäre.
Oft hängt sein Ohr an kleinen Dächerfirnen,
Wenn aus der Stadt die großen Glocken schlagen,
Mit vielen schweren und gebeugten Stirnen
Gefangenschaft der Armut zu ertragen.
Wenn nächtlich in den Kinos Unglück schauert.
Der Hunger bettelt hinter Meirmorhallen,
Mißhandelt stirbt ein Kind und zugemauert
In Kasematten grobe Flüche fallen.
Wenn Defraudanten sich von Brücken werfen.
Im Lichtschein der PaJäste aufgewiegelt,
Wenn Anarchisten ihre Messer schärfen.
Mit einem dunkeln Schwur zur Tat besiegelt.
Wenn Unrecht lodernd als der Wahrheit Feuer
Tyrannenhäupter giftig übersprießt.
Bis aus dem Wurm der Erde ungeheuer'
Der Blitz des Aufruhrs, der Empörung schießt —
Ah dann : auf höchsten Türmen aller Städte
Hängt ausgespannt sein Herz in Morgenröte;
Asphaltene Dämmerung in des Schläfers Bette
Verscheucht Trompetenton: Steh auf und tötel
i64
Steh auf und töte; Sturmattacken wüten.
Die Ketten rasen von Gewölben nieder.
An Ufern schweigend Parlamente brüten.
Die Kuppel birst. Schon lärmen FreiheitsLieder.
Gezückte Rhapsodie berittener Schergen
Jagt quer durch Löcher, leer von Pflastersteinen.
Tumult steigt. Hindernis wächst auf zu Bergen.
Zerstampfte Frauen hinter Läden weinen.
Doch von den Kirchen donnern die Posaunen,
Schmettern Häuser dröhnend auf das Pflaster.
Die Telegraphen durch Provinzen raunen,
Es zuckt in Dynamit der Morsetaster.
Die letzten Züge stocken in den Hallen.
Geschütze rasseln vorwärts und krepieren.
Zerfetzte Massen sich im Blute ballen.
Die Straße klafft auf umgestürzten Tieren.
Aus Fenstern siedet öl in die Alleen,
Wo Platzmajore aufgespießt verschimmeln.
Der Abend brennt, auf den Fabriken wehen
Die roten Fahnen von den grauen Himmeln. —
Halt ein im Kampf! Auch drüben schlagen Herzen.
Soldaten, Bürger : kennen wir uns wieder ?
Brüderliches Wort in Rauch und Schmerzen.
Es sammelt sich der Zug. Formiert die Glieder.
Versöhnte Scharen nach dem Schlosse biegen,
Bis hoch auf dem Balkon der Herrscher steht:
„Nehmt vor den Toten, die hier unten liegen.
Den Hut ab und verneigt Euch, Majestät!" —
Lichtlose Asche. Nacht auf Barrikaden.
Gewalt wird ruchbar, alles ist erlaubt.
Die Diebslaterne schleicht im Vorstadtladen.
Plünderung hebt das Skorpionenhaupt.
i65
Gewürm aus Kellern kriecht ins Bett der Reichen;
Auf weiße Mädchen fällt das nackte Vieh.
Sie schneiden Ringe ab vom Rumpf der Leichen.
Dumpf aus Kanälen heult die Anarchie.
Im Rohen weiter tanzt die wilde Masse
Mit Jakobinermützen, blutumbändert.
Gerechtigkeit, Gesetz der höchsten Rasse :
Vollende du die Welt, die sie verändert 1
Ihr Freiheitskämpfer, werdet Freiheitsrichter,
Bevor die Falschen euer Werk verraten.
Von Firmamenten steigt der neue Dichter
Herab zu irdischen und größern Taten.
In seinem Auge, das den Morgen wittert,
Verliert die Nacht das Chaos der Umhüllung.
Die Muse flieht. Von seinem Geist umzittert
Baut sich die Erde auf und wird Erfüllung.
Sie reißt von ihrem Schild die alten Thesen,
Die Majorate listig sich vermachen.
Prärieen tragen Brot für alle Wesen,
Denn alle Früchte reifen auch den Schwachen.
Nicht in dem Schatten stählerner Emphoren
Erglühen Trusts, die ihre Beute jagen:
Ihr Präsidenten, eilt und seid geboren,
Den tausendköpfigen Moloch zu erschlagen!
Die Macht zerfällt. Wir werden uns vereinen.
Wir, schaukelnd auf atlantischen Transporten,
Auswandrer, denen Heimatwolken scheinen.
Europa naht. Es sinken Eisenpforten.
Jünglinge stehn in Universitäten
Und Söhne auf, die ihre Väter hassen.
Der Schuß geht los. In ausgedörrten Städten
Minister nicht mehr an den Tafeln prassen.
Das Volk verdirbt. S^e reden von Tribünen.
Schwemmt nicht die Lache Blut in ihren Saal?
Wann werden sie die Qual der Toten sühnen?
Schon durch die Länder läutet das Signal. —
i66
Der Dichter träumt nicht mehr in blauen Buchten.
Er sieht aus Höfen helle Schwärme reiten.
Sein Fuß bedeckt die Leichen der Verruchten.
Sein Haupt erhebt sich, Völker zu begleiten.
Er wird ihr Führer sein. Er wird verkünden.
Die Flamme seines Wortes wird Musik.
Er wird den großen Bund der Staaten gründen.
Das Recht des Menschentums. Die Republik.
Kongresse blühn. Nationen sich beschwingen.
An weiten Meeren werden Ufer wohnen.
Sie leben nicht, einander zu verschlingen :
Verbrüdert ist ihr Herz in starren Zonen.
Nicht Kriege werden die Gewalt vernichten.
Stellt Generäle an auf Jahrmarktfesten.
Dem Frieden eine Stätte zu errichten,
Versammelt sind die Edelsten und Besten.
Nicht mehr in Waffen siegt ein Volk, du weißt es;
Denn keine Schlacht entscheidet seinen Lauf.
So steige mit der Krone deines Geistes,
Geliebte Schar, aus taubem Grabe auf!
FRANZ WERFEL: AUS M E I .\ E R TIEFE
A.US meinen Tiefen rief ich dich an.
Deim siehe, plötzlich war der metallische Geschmack des
ganzen Irrtums auf meiner Zunge.
Ich schmeckte über alles Denken Erkenntnis.
Ich fühlte gleiten das böse öl, womit ich geheizt bin.
Süßliche Müdigkeit spielte in meinen Knochen,
Ich war zur Geige worden des ganzen Irrtums.
Ich fühlte meine Schwingungen auf einem fernsten Traumkap,
Und wollte auf, mich wehren, mich gewinnen, wahren . . .
Doch sank ich hin, gespenstisch
Gelähmt in träge pochende Verzweiflung.
Aus meinen Tiefen rief ich dich an.
Ich rief wie aus versunkenen Fiebern tretend : Wo bin ich ?
Tieftaumelnd stand ich in schwankender Landschaft, im
Schwindel geheimer Erdbeben, und rief : Wo bin ich ?
167
Ich erkannte die Welt. Sie hing an einem letzten zuckenden
Nerv.
Ich sah den Todesschweiß der Dinge. Sie schlugen um sich
in eckiger Agonie.
Aber wie edle Kinder, die das Weinen bekämpfen, lächelten
sie demütig von unten empor.
Da fuhr ich aus meiner Einsamkeit,
Da fuhr ich aus Krampf und Kammer,
Da drang ich ein in die Säle. Sie rauschten wie der Grund
städteteilender Ströme.
Über mich schlug das Schleppern der Teller, Getümmel der
Stimmen, der Schritte Trommel-Verrat und
Schreibmaschinen-Geläut.
Ich rief dich an aus meinen Tiefen.
Aber mein Antlitz trug sein Grinsen umher.
Mit der rechten Hand strich ich den Kitt meines Lächelns
zurecht.
Und alle taten also.
Wir saßen zueinander, doch jeder gerichtet in anderen Winkel.
Mit beiden Händen bedeckten wir eine Stelle unserer An-
wesenheit, der wir nicht trauten.
Wir redeten lange Streifen von Worten ...
Die aber waren geboren am Gaumen,
Und nicht gelangen uns Frohsinn und Schmerz,
Wie unsere Gurgel log.
Aus meinen Tiefen rief ich: ,,Wo bin ich, wo sind >vir?"
Umstellt von Unabänderlichkeit, verstoßen in erbarmungslose
Gelächter, verschlagen aufs Eiland schiffbrüchiger
Kartenspieler I
Unsere Ruhe ist Tod,
Unsere Erregung Fäulnis!
Wir sind gebeizt, gesalzen, geräuchert von böser Entwöhnung 1
Verlernt das Daliegen in den Himmel 1
Verlernt der ruhende Blick,
Verlernt das Daliegen in den Himmel!
Aus meiner Tiefe rief ich dich an,
Denn hier rettet kein Wille mehr, liier rettet nur Wunder.
Tu' Wunder!
i68
KARL OTTEN: DES TAGDOMES SPITZE
Des Tagdomes Spitze verflüchtigt sich unter der Wolkenbrust
der Nacht.
Die großen Häuserkähne treiben steuerlos ihr Leidensglück.
Aufkreischen die ehernen Ilimmelstore, es dröhnen die Chöre
der Cherubim.
Ihre Sternlippen tönen hellfunkelnd und der Wind aus ihren
Mondtalaren
Läßt die Laternen der Kinder flackern.
Ich bitte die Menschheit, die zum Schlafe rüstet
Ich bitte die Menschheit, die der Schrei der Sirenen aufruft
in kohlendonnemde Fabriken
Ich bitte die Gebärenden, die Zeugenden
Ich bitte die sterben und abtun ihr Irdisches
Ich bitte die mit Dolch und Stemmeisen vibrieren im Zug-
w^ind der Mörderängste
Deren Knochen klappern wie Türen, die Gott hinter ihnen
zuwirft
Ich bitte euch, die ihr eure Füße fragt wohin sie euch tragen
zum letzten Male
Denen der Revolver knackt, der Strick sich reckt, Gift duftet,
Wasser spiegelt
Ich bitte euch, die ihr fassungslos die Stäbe am Zellenfenster
zählt im grinsendknochigen Mondlicht,
Ich bitte euch, im Eiterklopfen Aufgeweckte seit Wochen und
Monaten,
Die ihr das Fieber ausrast mit dem Erdkugelschädel
Gegen die Gipswand, gegen die Bettpfosten
Ich bitte euch, denen die Welt unverständlich ein Napf ein
Knopf ein kochender Blutorkankrater wurde
Der weiß und schwcU'z wird und Suppe oder kaltes Wasser
über euren engen Leib bringt
Euch bitte ich in Not des Sturmes auf Salzwogen umher-
gekugelte
Kotzende erstarrende Matrosen.
Denen die Sterne zwischen die steifen Lider geklemmt wurden
Und der Mond in der Kehle würgt.
Und euch Brüder im Grabengrab
Im Lebenshunger der donnernden Gewölbe,
169
Um deren Blase und Hoden sich Stachel der Agonie beißt bei
Verstand
Vernunft, Gesundheit, Wollust, Sehnsucht nach Glück; voll-
blütig, klar, witzig.
Dich Halbtoten zwischen den Gräben unter stinkenden Zisch-
gasen
Ersaufend in deinem Blut, verdurstend im Schlamm, tot-
gehämmert vom eigenen Pulsschlag
Armseliger als ein Wurm eine Quappe eine Raupe;
Du Gott schaffender, Gott denkender Bruder,
Dich bitte ich. Euch, die ihr anlegt, zielt und Tod loslaßt,
ahnungslos sein müßt:
Ich bitte euch alle in dieser Nacht, die anhebt wie die erste
Die Gott schuf gesenkter Wimper, wie die Trauerweide
Eigensinniger Demut hingebeugt am Fuße der Gebirge;
Euch alle bitte ich meine große Schuld ab, meine große
Schuld.
Ich lege mich wie Haut, Hemd, Panzer und Böschung
Zwischen eure Seele und euer Los.
Ich will abschwören den Schlaf dieser Nacht
Ich will mich geißeln und auf Disteln wälzen
Ich will warnen beten betteln und disputieren mit dem Bösen
Wie Leuchtraketen und Wasserstrahl soll mein Flehn
Bereitschaft halten. Wie ein Tal will ich das Bergecho eurer
Leidensinbrunst
Auffangen und deutlich, dringend
Vertausendfacht
Erddonner gegen Ilimmelsunfruchtbarkeit
Zurückbrüllen.
Rütteln an den steifen Knieen Gottvaters
Alle Sonnentrommeln ankrachen
Bis er erwacht und sich erinnert.
WILHELM KLEMM: PHANTASIE
Ich sehe die Geister in dunklen Lauben zechen
Und schimmernde Weiber sich dehnen auf nackten Thronen.
Ich höre, wie Riesen ihre Fesseln zerbrechen.
Fahl schimmern die Schlösser, in denen die Greifen wohnen.
170
Kolosse schwanken heran. Cherubgestalten,
Nacht im wilden Auge, schwarz rauscht ihr Gefieder
Empor. Lodernde Fahnen entfalten
Sich. Chöre verhallen und wilde Sturmlieder.
Wohlan! Wohlauf 1 altes Herz! Mit unzähligen Maschen
Ziehen die schimmernden Träume über die Welt.
Wer hat sie gewebt? Wer will ihre Enden erhaschen?
Strahlender Schmuck, der ins Unendliche fällt.
ALFRED WOLFENSTEIN:
GLÜCK DER ÄUSSERUNG
Bewegungen, des Menschen Blitze! Zeichen
Des Menschen, die von Aug zu Augen reichen :
Beim roten Grunde meines Bluts beginnt!
Erhebt euch wie auf Wellen Wind.
Das Meer ist leibhaft Meer bis an den Rand,
Doch freier streckt es noch die Hand
Der Segel auf — so aus der Tiefe dehnen
Zum Firmament mich meine Sehnen.
Gestalt! an deren großer Fahrt die Leere
Zerschellt, du voll gehißtes Knie, durchquere
Die Welt, der Hüften und der Schultern Flug
Ist sichtbar sichtbar nie genug!
Und morgenrot erhebe sich der Mund,
Und tue der Gefühle Schweifung kund —
So zeichnet sich des Innern nebliger Garten
Blühend hervor, und Arme wie Standarten
Führen das Wort und heben es hinüber
Zum Sonnenantlitz unsrer Brüder —
Und welches Elend weicht? das Schweigen weicht!
Vom Menschen wird der ferne Mensch erreicht.
Wie Erde, sausend, niemals still
Stets höher ausdrückt, was die Tiefe will.
Drückt alles alles aus! Der Allmacht gleichen
Bewegungen, des Menschen Zeichen.
171
THEODOR DÄUBLER:
MEIN GRAB IST KEINE PYRAMIDE
Mein Grab ist keine Pyramide,
Mein Grab ist ein Vulkan!
Das Nordlicht strahlt aus meinem Liede,
Schon ist die Nacht mir Untertan 1
Verdrießlich wird mir dieser Friede,
Der Freiheit opfre ich den Wahnl
Die Künstlichkeit, durch die wir uns erhalten.
Den Ararat, wird meine Glut zerspalten 1
Der Adam wird zu Grab getragen.
Und übrig bleibt sein Weltinstinkt.
Der baut sich auf aus tausend Marmorsagen:
Ich selbst, ein Schatten, der zur Arbeit hinkt.
Vermag bloß um den Ahnen tief zu klagen.
Da er durch mich, im Schacht, um Fassung ringt.
Das Grab, das er sich aufbaut, ist sein Glaube,
Daß ihm Vergänglichkeit das Urbild nimmer raube I
Ich fühle, stolzer Erdenvater,
Dein Leid, das die Gesetze sprengt:
Ein Drama denkst du im Theater,
Das tausendstufig dich umdrängt.
Du atmest Freiheit aus dem Krater,
Der furchtbar sich zusammenengt:
Auf Deine Grabesruhe trachte zu verzichten,
Dann wird dein Herzensstern die Welt belichten!
Ich selber bin ein Freiheitsfunke,
Das Gleichgewicht ertrag ich nicht I
Hinweg mit dem Erfahrungsprunke,
Ich leiste auf mein Grab Verzicht!
Die Gnade schäumt im Urgluttrunke,
Als Übermaß ins Weltgericht.
Doch das will ich mit meinem Schatten halten.
Ich träume Euch, befreite Erdgewalten!
172
Mein Grab ist keine Pyramide, ■
Mein Grab ist ein Vulkan.
Mein Hirn ist eine Funkenschmiede,
Das Werk der Umkehr sei getan!
Kein Friede klingt aus meinem Liede,
Mein Wollen ist ein Weltorkan.
Mein Atmen schaffe klare Taggestalten,
Die kaum erschaut, den Ararat zerspalten!
KURT HEYNIGKE: AUFBRUCH
Es blüht die Welt.
Ja, hocherhoben, Herz, wach auf 1
Erhellt die Welt,
zerschellt die Nacht,
brich auf ins Licht!
In die Liebe, Herz, brich auf.
Mit guten Augen leuchte Mensch zu Mensch.
Händefaissen.
Bergentgegen gottesnackt empor.
O, mein blühend Volk !
Aus meinen Händen alle Sonne nimm dir zu.
Erhellt die Welt,
die Nacht zerbricht.
Brich auf ins Licht!
0 Mensch, ins Licht!
WALTER HASENGLEVER: MEIN JÜNGLING. DU
Mein Jüngling, du, ich liebe dich vor allen,
Du bist mein ei^en Bild, das mir erscheint!
Ich sehe dich in manchen Teufelskrallen;
Gewiß, du bist nicht glücklich, hast geweint.
Du liebst zu schmerzlich oder harrst vergebens.
Dein Vater, deine Wirtin macht dir Quai,
Du zuckst in der Verwildrung deines Lebens,
Dein Geist wird bürgerlich, dein Kopf wird kahl.
Willst du nicht mit mir gehn und mich erhören!
Sieh, auf die gleichen Klippen schwimm ich ein.
Einst auf Prärien, jetzt in Geisterchören
Will ich dich rufen und will bei dir sein !
73
ERNST WILHELM LOTZ : AUFBRUCH DER JUGEND
igiS
Die flammenden Gärten des Sommers, Winde, tief und voll
Samen,
Wolken, dunkel gebogen, und Häuser, zerschnitten vom Licht.
Müdigkeiten, die aus verwüsteten Nächten über uns kamen.
Köstlich gepflegte, verwelkten wie Blumen, die man sich
bricht.
Also zu neuen Tagen erstarkt wir spannen die Arme,
Unbegreiflichen Lachens erschüttert, wie Kraft, die sich staut,
Wie Truppenkolonnen, unruhig nach Ruf der Alarme,
Wenn hoch und erwartet der Tag überm Osten blaut.
Grell wehen die Fahnen, wir haben uns heftig entschlossen.
Ein Stoß ging durch uns, Not schrie, wir rollen geschwellt,
Wie Sturmflut haben wir uns in die Straßen der Städte er-
gossen
Und spülen vorüber die Trümmer zerborstener WelL
Wir fegen die Macht und stürzen die Throne der Alten,
Vermoderte Kronen bieten wir lachend zu Kauf,
Wir haben die Türen zu wimmernden Kasematten zerspalten
Und stoßen die Tore verruchter Gefängnisse auf.
Nun kommen die Scharen Verbannter, sie strammen die
Rücken,
Wir pflanzen Waffen in ihre Hand, die sich fürchterlich
krampft.
Von roten Tribünen lodert erzürntes Entzücken,
Und türmt Barrikaden, von glühenden Rufen umdampft.
Beglänzt von Morgen, wir sind die verheißnen Erhellten,
Von jungen Messiaskronen das Haupthaar umzackt,
Aus unsern Stirnen springen leuchtende, neue Welten,
Erfüllung und Künftiges, Tage, Sturmüberflaggt!
174
Ludwio Meidner
Ems! JJ'iihelni Letz
RENfi SCHICKELE: DER ROTE STIER TRÄUMT
Dreitausend Menschen standen dicht gedrängt.
Es roch nach Hunger, KrcUikheit und Begehren.
Wie durch trübe Dämpfe starrten in der Luft
hinauf zur rotbehangenen Tribüne
brennende, todblasse und zerfressne Mannsgesichter
und, in ihrem wilden Haar, halbirre Frauenköpfe,
Blicke, die sich streiften, schienen aneinander
aufzuglühn. Sie schauderten und wollten sich umarmen.
Heisser Atem blies in jeden iSacken. Man war
eingepreßt in andre Leiber, die sich atmend
auseinanderdrängten und zusammenzogen.
Das war ein apokalyptisch Tier, zum Flug bereit
und riesenhaft, mit tausend Herzen glühend.
Die Stimme der im Trüben rotgeflammten Ferne sprach:
„. . . keine Lügen . . . kein Erweichen . . . Recht
des Stärkern, der die Arbeit in der Welt verrichtet.
Mir gehört mein Werk.
Kein Mitleid und kein Herzerweichen.
Es lebe der Krieg!
iBlut muß Gott geopfert sein : unserm Geist
und dem unsrer Kinder. Alle Menschen verbluten
täglich, langsam, in den Freuden, in den Schmerzen,
Arbeit ist Krieg! Wir werden unsre Signale haben,
die langen Märsche, die Zusammenstöße,
wo der Mensch seinen heimlichen grösseren Geist gebiert,
seinen Gott, den uralten, in den Gewittern
schreienden Gott!
Es wird unser Krieg sein
und unser eignes ehrgeiziges Werk.
Keine Traurigkeit!
Menschen müssen als Heiden sterben,
damit andre in ihrem hohen Schatten wachsen,
der Notdurft entwachsen und Gott, dem Geiste
zu, für den wir die grossen Worte fanden,
die grossen Bilder
in jahrtausendcdter Sehnsucht . . .
So kommt in ewigen Minuten
unser eignes Bild sieghaft uns entgegen.
Alles Fleisch muß untergehn,
doch dies ist unser Geist.
V2 177
Es lebe die Freiheit,
die des einen Kräfte
an die des andern bindet,
daß ein jed Geschlecht
im freien Wettbewerb
sein Parthenon errichtet . . .
Freiheit: allen Ehrgeiz weckende,
kraftentzückende,
krafterfüllende,
Sehnsucht recken de,
nach der Vollendung dieser unsrer Hände,
dieses unsres Herzens!
Es lebe die Schönheit,
die aus der Sehnsucht nach Vollendung steigt,
wie ein Stern aus Abendnebeln . . .
Seht, die Schönheit ist ja nichts,
als die sich lächelnd spiegelnde Natürlichkeit.
Es lächelt, wer sein Werk verrichten kann.
Das weiss ein jeder,
der einmal über seiner Arbeit sann . , .
Es lebe Gott; der Geist.
Wer der Vollendung dient, empfängt die Schauer
des Ewigen.
Es lebe der Ehrgeiz, dem Geiste zu dienen.
Verflucht sei, wer beherrschen will . . .
Die Sklaven befreien sich!
Es sind Könige genug in ihrer Mitte,
sehnsüchtige Schönheit, Glauben, Sitte
und die Gerechtigkeit, die unsre Kränze flicht.
In unsrer Arbeit werden wir unsre Herren sein,
herztoll und heiter.
Blickt der eine dem andern ins Gesicht,
spiegeln wir einander: die Menschen . . ."
Dreitausend Menschen standen dicht gedrängt.
Die Stimme in der Ferne brach.
Dreitausend Menschen schrien und weinten.
178
Ludwig Meidner
Rene Schickeh
KARL OTTE^: ARBEITER! '
Arbeiter! Dich an Rad, Drehbank, Hammer, Beil, Pflug ge-
schmiedeten
Lichtlosen Prometheus rufe ich auf!
Dich mit der rauhen Stimme, dem groben Maul.
Dich Mensch voll Schweiß, Wunden, Ruß und Schmutz
Der du gehorchen mußt.
Ich will euch nicht fragen was ihr da arbeitet.
Wozu es dient, ob es recht oder unrecht, gut oder schlecht
gelohnt.
Ob überhaupt ein Lohn euch vergelten kann eure finstere
Arbeit.
Ob überhaupt Geld ist der Ausdruck oder das Pflaster
Das diese Arbeit unschuldig sinnvoll eines Lohnes wert macht.
Diese Nacht währt lang seit Jahren schwärzeste Finsternis
Ballt sie ihr feuchtes Hemd vor unseren stummen Mund.
Ich sehe nicht ob ihr errötet.
Niemand kann in euer Herz schaun.
Ihr wißt trotz allem trotz allem
Daß ihr Nummern seid!
Gleichwo : in der Fabrik im Gefängnis im Lazarett in der
Kaserne auf dem Friedhof,
Ihr seid da für eine Statistik deren Summe, deren Steigen,
Fallen, Stocken
In jeder Zeitung zu lesen ist.
Ebenso eure Kinder, eure Frauen, eure Eltern, Schwestern
und Brüder.
Es geht euch besser man sieht es an der Statistik:
Ihr seid freier man hört es aus den Vereinen
Ihr seid satt man merkt es an Fahnen und Musik
Ihr seid fleißig man fühlt es am guten Tuch eurer Anzüge,
den Schuhen eurer Frauen.
Du verstehst mich? Im Herzen, tief im letzten Schacht
Bist du wach, unzufrieden, philosophisch, aufrührerisch.
Du hast tief im Blut die Bitternis der Züchtigung, des Zahlen-
zwanges.
Wie einen Engel, unsagbar fremd und unaussprechlich
Leidest du stumm das Rätsel dieser sinnvollen Knechtschaft.
Arbeiter, Proletarier, Sohn der Fabrik, des Hinterhofes, des
Kinos, Nie Carters und Bordells!
löl
Der du von Kartoffeln und Brot lebst, zwölf Menschen auf
zwei Stuben,
Dessen Kinderhimmel verdunkelt war von Neid und Prügeln
Der du brutal und bösartig nur darnach trachtest dich an den
Deinen zu rächen
Der du träumst von der Teilung, vom Meer, von den Alpen,
den Palästen und Gärten der Reichen
Der du hungrig bist nach den blitzenden Lampen, Spiegeln,
Locken, Sesseln und Frauen —
Ihr erwartet den Tag! Das Licht I Die Vergeltung! Den Tag
da heimgezahlt wird:
Auge um Auge Zahn um Zahn!
Strahlend wird er aufgehn, feierlich ewige Sonne über jenem
Kirchturm
Und euer Siegesschrei wird übertönen tiefstes Todesröcheln !
Ihr habt euer Programm ihr habt eure Propheten euer ist
der Sieg!
Er muß kommen denn er läßt sich berechnen!
Berechnen! Und ich höre eure Schritte
Jahrtausende um die Maschine poltern
Die taub ist jedem Beten jeder Bitte.
Ihr schweigt und wartet laßt euch foltern.
Und wie das Herz in immer schwächern Schlägen
Ablaufend Jahr an Jahr gebunden
Schlug es im Takt der Räder Kolben Sägen
Da habt ihr freudig mitgeschunden.
Da hat der Tanz der fauchenden Maschinen
Euch eingelullt und eingeschraubt
Der Eisenfeuergeldgott fuhr aus ihnen
In euer Herz. Er ist es den ihr glaubt.
Ihn wollt und werdet ihr errichten
Den gleichen Gott mit Zeitung Zahl und Kriegen
Der jetzt die Menschheit quält mit blutigen Gesichten
Gemetzel Brand mit Börse Orden Siegen.
Es wird geschehn, o war es morgen heute
Daß euch die Augen aufgehn blutig nüchternem Erwachen
Der letzte Rest von Herz, des Ekels Beute
Aus eurer Keiale stürzt, o fürcliterlich Erwachen!
183
Dich ruf ich Sohn der dampfenden Galeere
Ich halte dich auf dieser Insel Schreck
Im Blutmeer Angstmeer Feuermeere
Im Sturm der letzten Schreie der Gefallenen
Der Mütter Bräute Säuglinge
Der Flüche Schreie Bitten Fieberlallen
Der Angeschossenen Brennenden Vergifteten
Der Verschütteten Zerrissenen
Der Irrsinnigen aus Angst Hunger Gift —
Du bist Mensch wie ich!
Du sollst und kannst denken!
Du hast einzutreten für jeden Hebeldruck
Jeden Hammerschlag, jeden Groschen den du mehr verdienst,
Jedes Wort das du verschleuderst verlogen verschimpfsl!
Weißt du, daß du die Pflicht hast
Mensch zu sein, Erdbewohner, eine Seele zu haben, ein Herz!
Arbeiter, mein dunkler Bruder, du hast ein Herz!
Dein Herz verpflichtet dich der Menschheit.
Von deinem Herzen geht alles Leid
In alle Herzen.
Allen Herzen ist dein Herz im gleichen Schlag verbunden.
Dein Herz belebt versöhnt verflucht schlägt Todeswunden
Reiß es aus der Maschine Brustkorb aus dem Netz der Drähte
Beeile dich, Blut fließt, fließt, beeile dich als träte
Der Tod dich an. Du kannst die Menschheit retten!
Du Sohn der Menschheit, dessen Schwielen alle Herren schmei-
chelnd lecken.
Von deinem Herzen deiner Güte deinem Sein
Von dir allein
Du Sohn der Magd, du Christi Bruder
Hängt ab ob Licht in dieses Meer von Blut und Mördern
dringt!
Dein Ziel dein Sieg dein Glück ist innen !
Im Herzen drin, es ist es ist! so wahr dein Herz schlägt,
Mur das Herz gewinnen
Kann diesen Kampf der gegen dich erklärt.
Dein Herz ist jenes das die Kugel spitz durchfährt
Gleichgültig wer es trägt: es litt und bangte
Hoffte sang war klein und arm
Und eines Menschen deines Bruders Herz.
i83
Man gab dir Brot Geld Arbeit und Erlaubnis —
Ich gebe dir dein Herzl
Glaube an dein Herz, an deine Gefühle, an deine Güte, an
die Güte, an die Gerechtigkeit!
Glaube, daß es einen Sinn hat zu glauben.
Zu glauben an die Ewigkeit der Güte,
An die Menschheit, deren Herz du bist.
Nur die Güte wird siegen, die Liebe, Sanftmut
Der starke unbeugsame Wille zur Wahrheit
Der steifnackige Entschluß endlich zu sagen was man fühlt
Und daß nichts seliger beglückt als die Wahrheit.
Sei Menschenbruder ! Sei Mensch ! Sei Herz I Arbeiter 1
PAUL ZECH:
DIE NEUE BERGPREDIGT
(1910)
I.
Ihr blassen Krüppel, sanft von Kindern vorgeschoben,
und ihr Geschwächten aus dem Hospital,
ihr Irren von den Straßen aufgehoben
und ihr Entlauf nen aus dem Arbeitssaal;
Töchter der Magdalena, Kains robuste Söhne,
Verwanderte von China her und vom Ural :
auf daß mein Spruch durch euer Stöhnen töne,
auf daß mein Spruch durch eurer Stirnen Grind
sich zwänge, wild wie Wettern heißer Föhne,
und Adern, die vom Gram verschüttet sind,
melodisch weite, ward mir diese Stunde
noch einmal aufgespart, eh Brüder tollwutblind
sich hetzen und zerfleischen wie die großen Hunde
der Strahlgebläse in Kavernen aufgestellt.
Und spricht auch zorniger Gott nicht mehr aus meinem Munde :
Der Vater, der mich sandte, heißt noch immer wie die Welt.
2.
Ihr Männer, sprecht, zerdonnern schon in Rauch
die goldenen Paläste, die man aus den Knochen eurer Ahnen
aufsteilte über blauem Strom. Und platzte schon der Bauch
184
des Baals, der die heranbeschwornen Karawanen
Unmündiger verschlang wie süßes Gras?
Und flattern von den Kirchturmspitzen schon die Fahnen
der Freiheit feurig räudigen Siedlern zu im Haftgelaß?
Und sprang aus euren Muskeln schon der Schwielen
verschorftes Ducken wild zurück in Haß?
Wer zerrt ungläubiges Volk ins Joch der erznen Sielen?
Und welcher Schlachtruf rauscht, der euch zu Taten treibt,
Notsegel bläht, den Äther zu durchkielen?
Das Menetekel, das ihr schwarz mit Wolkenfingern schreibt,
entsprauig es den fünf unverbundenen Wunden
des Kreuztods, der solange ungerochen bleibt,
bis Menschen dieser Erde nicht mehr munden?
Und ihr belaubten Mütter, fruchtbar ohne Sinn
und ewig ausgestreckt ein Neues zu empfangen,
ward eurem Dienen schon ein seliger Gewinn?
Ein Königreich? Provinzen, korngelb aufgegangen?
Und Töchter: gläubig Untertan wie Ruth?
Und habt ihr je in bangen nächtelangen
Gebeten eurer Männer hingefloßnes Blut
beweint, und, cuigestaxrt von der Verzweiflung Larven,
euch stündlich aufgereizt in rächerische Wut?
Gott gab euch Odem psalmengrüner Harfen
den Frost der Seelen silbern aufzuglühn,
die sich zerknirscht Vertiertem in die Blößen weirfen.
Aus euren zauberischen Fingern blühn
noch immer Rosen, letzte Armut zu versöhnen.
Um Brücken, über Ströme bogenkühn
zu schlagen, müssen Harfen über Rosenwunder tönen.
i85
4.
Noch immer schwebt zerräderte Musik um eure Lippen
ihr Kinder, die ich nie so hilflos sah,
und so gejagt, gleich in ein Weinen umzukippen.
Was weit auf Lenzgefilden knospenhaft geschah:
Marienkäferlied und Schmetterlinge-Fängen,
ist euch nur in den magern Bilderbüchern nah.
Nie reizten Glocken, die durch Streikrevolten feurig klangen,
euch in das selige Getöse einer Schneeballschlacht.
Zerbrochenes Gefühl ist oft durch euren Traum gegangen.
Und wenn ihr auf dem Brachfeld wo ein Feuerchen entfacht,
bricht gleich schon Angst von euren Munden wie zerbißne
Kreide,
und immer habt ihr Ruhr und Husten heimgebracht.
Ich aber will, daß ihr wie tausendfältiges Getreide
in Sonne reift; denn meine Mühlen gehn schon leer
und an des Kreuzwegs ungewisser Daseinsscheide
lauern gebräunte Quäler wie ein Hunnenheer.
Erlösung breche schier aus meinem Munde
und fließe weit hinaus wie der Atlant,
auf daß Uir hingetaucht auf seinem Grunde
zur letzten Freiheit euch ermannt.
Mein Same, einmal ausgestreut m Schlachten,
wie sammelt er sich hier als unfruchtbarer Sand?!
Reibt aus den Augen euch die wüst verwachten
Nächte der Qual und wallt In meinem Zug,
den neuer Quäler Väter schon verlachten
und Priester schamlos nutzten zum Betrug.
Ihr Hergeschwemmten mit dem toten Blick der Blinden
In mir ist immer Mittagshöh und Sternenflug.
Sodom und Hellas, Rom zu überwinden,
schenk ich mich stündlich allem aus, was trinken mag.
Und groß aus östlich hergewehten Winden
erbau Ich täglich euch den all er jüngsten Tag.
i86
0 jüngster Tag, aus himmlischem Gedröhn gewittert,
0 Strahl, der feurig durch das Morsche fährt,
0 Schlag, der jäh des Baales Babelturm zersplittert
und was verzweifelt gärt, zur Wahrheit klärt:
Schön höre ich aus Tiefen krummer Hufe Stampfen,
und wittre Brand, der gelb aus schwarzen Wolken schwärt,
die Zwielichtkämpfe in den Städten zu verdampfen.
Und wenn Elias mit dem Flugschiff wiederkehrt,
damn brechen Augen, die sich schwer in Furcht verkrampfen,
weißgläubig auf und stürzen in den Feuerherd,
der aufbrennt, Boden einer neuen Welt zu düngen.
Und niemEmd wird dort siedeln, den Vergangenes beschwert;
erwacht zu schöpferischem Glückaüfschwüngen,
schießt Gottes Blut, das einmal schon vergeblich rann,
durch aller Menschen Herzen in Kometensprüngen
und steht — dreifache Sonne — über Kanaan.
RENfi SGHICKELE: GROSSSTADTVOLK
Ja, die Großstadt macht klein . .
O laßt Euch rühren, ihr Tausende . .
Geht doch hinaus und seht die Bäume wachsen:
sie wurzeln fest und lassen S'ch züchten,
und jeder bäumt s ch anders zum Licht.
Ihr freilich, ihr habt Füße und Fäuste,
Euch braucht kein Forstmann erst Raum zu schaffen,
Ihr steht und schafft euch Zuchthausinauern —
so geht doch, schafft Euch Land! Land! rührt Euch
vorwärts, rückt aus! —
Richard Dehmel
„Predigt ans Großstadtvolk.'
Nein, hier sollt Ihr bleiben!
in diesen gedrückten Maien, in glanzlosen Oktobern.
Hier sollt Ihr bleiben, weil es die Stadt ist,
wo die begehrenswerten Feste gefeiert werden
der Macht und die blass machenden Edikte erlassen werden
der Macht, die wie Maschinen — ob wir wollen oder nicht —
uns treiben.
187
Weil von hier die bewaffneten Züge hinausgeworfen werden
auf mordglänzenden Schienen,
die alle Tage wieder
das Land erobern.
Weil hier die Quelle des Willens ist,
aufschäumend in Wogen, die millionen Nacken drücken,
Quelle, die im Takte der millionen Rücken,
im Hin und Her der millionen Glieder
bis an die fernsten Küsten brandet —
Hier sollt Ihr bleiben!
in diesen bedrückten Maien, in glanzlosen Oktobern.
Niemand soll Euch vertreiben!
Ihr werdet mit der Stadt die Erde Euch erobern.
PAUL ZECH: MAI-NACHT
Noch klappen Paternoster. Fensterfronten schreiten
weiß wie Flamingos in den Lampenozean.
Versandet aber liegen Ufer, Kran bei Kran,
aus den Kanälen wachsen Mauern von drei Seiten.
Die braunen Hügel Armut vor dem Wald der Schlote
vergaßen, daß hier aufbrach ein Vesuv . . .
Die Stuben schallen voller Ruf,
vor Schenken hängt der Mond, die rote Zote.
Und plötzlich hat der Straßen glattes Einerlei
da5 riesig strotzende Gesicht
apokalyptisch überglänzt von Schrift:
„Gebt Raum auf Halden, Werften und Glacis,
gebt Raum auf Rasen, Blumenbeet und Kies
dem Mai, der unsere Kehlen heimsucht als ein
Schrei!"
LUDWIG RUBINER: DIE STIMME
0 Mund, der nun spricht, hinschwingend in durchsichtigen
Stößen über die gewölbten Meere.
0 Licht im Menschen an allen Orten der Erde, in den Städten
fliegen Stimmen auf wie silberne Speere.
0 Trägheft der kreisenden Kugel, du kämpftest gegen Gott
mit fletschenden Tierlegionen, Urwäldern, Säbeln, Schüssen,
bösem Mißverstand, Mord, Epidemien:
Aber der Lichtmensch sprüht aus der Todeskruste heraus. In
den Fabriken heulen Ventile über die Erde hin. Er hat
seine Stimme in tausend Posaunen geschrien.
Eine Stimme schnellte hoch, glasschwirrend ein harter Stahl-
pfeil, der in Glut blank zerknallt.
Eine Stimme über Amerika, unter schweißigen Negern, die
demütig das Weiße der Augen drehen; unter deutschen
Flüchtlingen, bärtig zerpreßten Bettlern, unter hungernden
Juden, die das glitschige Ghetto finster zusammenballt.
Eine Stimme unter den entkräfteten Arbeitern, drei Millionen,
die alle Jahr einsam absterben nach neuen Fabriksystemen,
Eine Stimme unter zerfressenen Frauen im bunten Hemd,
denen die Bordellmeister das Geld abnehmen.
Unter starren Chinesen im Hungergeruch, die Tag und Nacht
feine Wäsche waschen.
Eine Stimme über den Broadways, wo Arbeitslose nach fort-
geworfenen Speiseresten haschen.
Eine Stimme schwang zart wie der dünne steigende Schrei
des Dampfs eh die vieltönigen Wasserblasen aufkochen,
Sie sprang wie WindscUid in stumme Münder hinein, sie
glitt wie Flötenkraft müden Schleppern über geduckte
Knochen.
Durch steilschwarze Stuben schwebten Sonne und Mond, die
Sterne zogen durch stinkende Tapeten aus rissigen Flecken.
0 vielleicht geht das himmlische Wunderlicht auf, bevor alle
zu Acts verrecken 1
Eine Stimme flog und sog sich voll aus schmutziger Werk-
stättenzeit,
Die Wut und die Hoffnung kreisten wie Blut, und der Haß,
der naß bespeit.
Eine Stinune haucht schwarz über schlechtes Papier aus
bankrottierten Druckermaschinen,
189
Eine Stimme las das Flüsterwort: Streik! in den roten Schäch-
ten der Goloradominen.
Sie liegt wie heißer Rauch auf schaukelnden Häfen; miß-
trauischen Kneipen; im verhungerten Dorf; werm der ge-
plünderte Bauer sät;
In Städten schreit sie Signalgeklirr über wirre Versamm-
lungen hin, wo Polizei die Türen bespäht.
0 Münder, daraus die Stimme des Menschen breruitl
0 trockene Lippen, sechzigjährig, trauernd schlaff umstoppelt,
die sich flach öffnen, weil vor dem Tod Einer bekennt.
0 irre rote Zungenglut hinter weißen ISegerzähnen, die Stimme
gurgelt im Glücksgesemg.
0 Mund, rundes schallendes Tor, Hall und Lust, Volkschoral,
daß der Saal mitschwang.
0 bitterer iNähmädchenmund, der nach Gerechtigkeit klagt
und schrill Groschen und Wiegpfunde zählt.
0 faltiger Rednermund, der auf und nieder wie Eulenaug;
geht, und Effekte wählt.
0 Mann im blauen Hemd, der in Fabrikpausen hastig Pro-
paganda treibt.
0 sorgfältiger Beamter, der nach allen Poststationen Briefe
und Werbelisten schieibt.
0 Demütiger, verlegenes Herz, der nur einmal einem Guten
die Hand drücken mocht.
0 Stummer, der zum erstenmal spricht, und in einem Satz
sich prasselnd verkocht.
Eine Stimme flammt über Europas gehetzten Menschen, über
krummen schweigsamen Kulis im Australischen Strauch.
Strauch.
0 Münder, wie viele warten auf Euch, Ihr schallt, und sie
öffnen sich auch!
190
IV. Lehtribruch
Luclwio Rubiner
JOHANNES R. BECHER: Ai\ DIE ZWANZIGJÄHRIGEN
Zwanzigjährige!... Die Falte eueres Mantels hält
Die Straße auf in Abendrot vergangen.
Kasernen und das Warenhaus. Und streift zuend den Krieg.
Wird aus Asylen bald den Windstoß fangen,
Der Residenzen um ins Feuer biegt!
Der Dichter grüßt euch Zwanzigjährige mit Bombenfäusten,
Der Panzerbrust, drin Lava gleich die neue Marseillaise wiegt! !
ALFRED WOLFENSTEIN: CHOR
Faßt eure Finger: Fühlet euch denken,
Tupfend wie Geigen, nervige Singer,
Aber vom Herzen aufpulsen Pauken,
Dumpfere Ringer um euer Glück.
Wünscht nicht zu stehen, hörend zu schmelzen !
Formet mit Füßen bergiges Gehen,
Kämpfend entgegenatmet die Erde,
Wild bleibt ihr Wehen in euch zurück.
Sterniges Kühlen, Glühen der Seele,
Einsamkeit, Liebe, — o beides fühlen!
Gehende Stimme geht auf zu Stimmen,
Freunde umwühlen Wüste in Glück.
Nach dem II. Satz der Adur- Symphonie
ALFRED WOLFENSTEIN: KAMERADEN!
Da eilte ich befreit zur Tür hinaus,
Schnell flammend half das warme Treppenhaus,
Und lieber wollt ich zu den Straßensteinen
Als in der horchend engen Wohnung weinen!
Das ist die Flucht vor den zu eng Verwandten,
Die mich berührten, ehe sie mich kannten,
Noch immer wie in ihrem hohlen Schoß
Läßt mich Gehörnen Elterndruck nicht los.
»3
193
Doch lieber Haß und Wüste dieser Stadt
Als eure Liebe, die mich grundlos hat,
Wir wählten niemals uns! Daß ihr mich säugtet,
Wird es Gefühl denn, daß ihr mich erzeugtet?
Nein, von der Lampe falschem Seelenfrieden,
Von eurer dichten Sicherheit geschieden!
Und lieber in die unbekannte Nacht
Und ohne Bett die Wahrheit durchgewacht!
Da kommen, wie die Häuser steil und keJt,
Die Wagen, nur berührt von kurzem Halt,
Gefühllos auch und rasch die dunklen Leute,
Und suchen sich als fremd genoßne Beute.
Ich wEundere mit ihnen wie alleine —
In grelle Cafes wie in stumme Haine,
Gleich blätterlosen Stämmen Tisch an Tisch
Thront jeder Kopf, getrennt und wählerisch.
Und seh die Paare ohne Harmonien
In eisig klarem Bund nach Hause ziehn,
Und schleiche lieber fort zu kleinen Sternen,
Längs schwarzer Fenster, lebloser Laternen.
Und endlich heb ich meine wahren Hände —
Mein Herz trompetengleich dehnt alle Wände —
0 nieder mit geilkalter Einsamkeit
Und lau beseelter Sumpf gemeinsamkeit!
Verwandtes Blut aus Elternliebesnacht,
Ohn unser Wollen ihnen nahgebracht,
Geschiednes Blut, gepaart in Straßenliebe —
Daß beides nun ein neuer Ruf vertriebe!
Ein Ruf nach Freundschaft! dass in finstern Zimmern
Die Mauern stürzen und die Nackten schimmern
Entblößt von Decken dumpf und unsichtbar
Und von gespenstischen Gefühlen klar.
Daß Unerfüllte ihrer armen Zeit
Aus Gräbern wehn in unsre Geistigkeit,
Und Neue mit gefühlleren Gebärden
Voll blühnder Herzen nun geboren werden.
^9^
Ein Ruf nach Sonne! statt sich rauh zu brauchen,
Einander stolzre Seelen einzuhauchen —
Ein Ruf nach Freiheit ! nicht vermengt zu sein
Sondern vereinigt wie in Heeresreihn — !
Der Platz voll stiller starker Fliederluft
Erglüht, wie Echo, das sich weiterruft.
Aus allen Straßen dämmern rote Strahlen
Hierher, sich stark in neue Welt zu malen.
Das sind die Willen, ganz aus Licht getrieben,
Die sich als Willensangesichter lieben,
Das ist des Lichtes Aufgangsmelodie,
Die süße nahe weite Kameraderie!
K\RL OTTE^ : FÜR MARTI\ET
I
Wir treten vor ^^'älder, über denen Sommer braust.
Starren hinab vom Hügel, weich von Fichtennadeln.
Darunter lauern Erdbeeren und Pilze unschuldsvoll.
Wiesen sinken unsern Füßen, Kühe, Ziegen; wir lagern ver-
liebte Paare.
Wir lassen den Himmel blau hinwölken Unermeßlichkeit
Als sei er unser Blut tauchen wir in seine Sternfalten.
Wir sitzen am Ufer auf der Bank, die Brücke
Wölbt Sprung an Sprung donnernd von Karren und Menschen.
In langen Zügen blitzend saugt der Fluß das Land und duftet
Heimat, Abendglocken, Schiffe und Kinderlieder,
Zitternd springen wir aus dem einfältigen Schlaf auf die
knarrende Diele,
Zitternd lauscht unser Herz Gewaltschlag Freude, frenetisch
Juhelbefehl —
Naht Himmel grün und ganz von Orion, dem Bären, der
Straße durchflaromt
Wenig erhellt der zackige Rand meiner Stadt, stolze Türme,
Bürgerdächer,
Milchige Schlote — ferne ein Zug klagend verrast.
195
II
Doch im dunklen Glanz der Wälder, Berge, Ströme,
Streicht der Wind der Ferne, rückwärts hinter unserm Haupt
Quillt Eiseskälte, sticht Nadelstich, Gewissen brennt.
Aus Wolken schwangerm Mond beißt Rächerhand, Menschen-
handkyklop
Zeigt sein spitzer Finger, bohrt auf Herz und Nieren!
Von Orient und Okzident glühn Augen uns in Staub!
Du! brüllt ein kalter Hagelwind
Du! knirscht Sand im Gebiß!
Du! hämmert Sommerregen schellend auf alle deine dicken
Häute!
Du! fluchen Kinder, schweigen Mütter, lallen Bräute,
Du, du einziger, jeder, du allein!
Allein das Ich ist schuld!
Öffne dich Erde des Sommers, Himmel der Nacht krach uns
ein.
Wind des göttlichen Frühlings, Säure werde dein Wehn, gerbe,
beiße die zwanzig Felle um unsere Seele.
Sormenstrahl sei Blitz, er ist Blitz, zündend!
Niederprassele aufs Pflaster den Kadaver der vergaß! .
III
Ich habe, Bruder, deinen Gruß gehört.
Grad gingen Eisenbahnzüge über mich, fort,
Züge vollgepfropft mit neuen Brüdern.
Man wartete ihr neunzehntes Jahr ab, um sie nach dem Kodex
zerhacken zu können.
Man lauert auf die Kinder, prüft ihre Gelenke, ihre Muskeln,
Und fragt sich ob es bald so weit sei.
Die Mütter wagen nicht hinzusehen wie sie wachsen und auf-
begehren.
Möchten sie verstecken, ihnen verbieten das Haus zu verlassen,
Sie in Schlaf hypnotisieren.
Zwei drei Jahre bis — aber das wird nicht gehen — man läßt
alles laufen.
Ich krieche mit allen anderen, es muß so sein, daß wir alle
kriechen.
Wir können nicht mehr viel sagen. Bruder.
196
Auf allen Plätzen, Gassen lungern Tote,
In allen Häusern Barrikaden von Toten,
Alle Flüsse verstopft von Toten.
Am Himmel wie Wandervogelscliwärme dahinsegelnd
Unter den Blutvvolken — Tote.
0 daß es nie Abend würde oder Morgen!
Vielfältige Menge blasser Skelette aus den Schaufenstern und
Trambahnen,
Den Kaffeehausgärten, den Parks und Kirchen, die überfüllt
sind von Trostlosen.
Aus Kellerluken, Kanalgittern gattern magere Arme, entern
nach deinen Beinen.
Du trittst in die leere Kammer :
Da sitzen drei oder seciis oder zwanzig (aufeinander^ und
wühlen in deinen Büchern
Sie verachten dich und zeigen mit Schwärenfingern auf dich :
du! du!
IV
Hockend im Mai, Blütenfrühlingspracht. Üppigkeit der Ver-
wesung,
Landfilter für Körper, Seele, Idee — nichts bleibt als der
Dunst
Faulendes, Moderndes, glitschig von Blut, Eiter, sinnlosem
Schweiß —
Läutete in mein mordvergiftetes, oxvdiertes Herz, Bruder, dein
Gruß.
Ich sehe dich von drüben wünken, blaß, lang, hager mit auf-
gerissenem Mund
Die Augen ganz verdreht, dein Hals ist verrenkt, und heiser —
Schreie.
Du schreist uns etwas zu — ich weiß, ich weiß!
Wir alle wissen, wir wissen!
0 Scham, Reue, Schuld!
Du Unzertrennbarer, du Volk an uns gekettet, wir an euch!
Gott wirbelt uns am Strick der Zeit um seine Achse.
Gott, dieses wilde Tier mit Hörnern, Messer im Maul, blut-
bespeichelt,
Der haut uns gegeneinander, reißt uns auseinander, hetzt,
geifert, stichelt.
^97
Wir Menschen, wir Idioten, wir Schurken schweigen
Und lassen uns hetzen, kitzeln, prügeln.
0 Gott, vergib uns, aber wir können deinen starken Arm,
deine Irrsinnskraft
Nicht mehr ertragen.
Ich habe nicht gezweifelt, daß du lebst.
Daß du dich ängstigst, Bruder, durch die Nacht.
Deine Gedanken summten gold'ne Bienen,
Schmetterlinge der Nacht um unsere geduldigen Stirnen
Und es wird Trostnacht, Mutterstille, Kinderblume.
Dein Gruß hat mich aus den Rädern der Maschine hervor-
geklaubt.
(Die Maschine: wie wir dieses Vieh hassen, diese kalte Eisen-
mordschnauze.
Nieder mit der Technik, nieder mit der Maschine!
Wir wollen nichts mehr wissen von euren verdammten hölli-
schen Erfindungen,
Euren Strömen, Gasen, Säiuren, Pulvern, Rädern und Bat-
terien !
Fluch auf euch ihr Erfinder, ihr eitlen, kindisch mordgierigen
Konstrukteure!
Fluch dir, Zeitalter, glorreich lächerliches, der Maschine —
alles Fabrik, alles Maschine.)
Ich darf wieder auf meinen Beinen stehn, du öffnest mir die
Augen, hebst meinen Kopf!
Du schüttelst mir die Hand, ich erkenne dich!
Ich habe allen von dir erzälilt, daß du lebst und daß es keine
Feindschaft mehr gibt.
Daß der Feind eine Erfindung (Maschine), daß der Mensch
die einzige Wahrheit,
Daß die Wahrheit, Hoffnung, Glaube, Gerechtigkeit sind!
Maschine ist nicht! Technik ist nicht! Feind ist nicht!
Haß ist nicht!
Er ist — ja — zu vernichten! zu vernichten! zu ver-
nichten!
Rottet ihn aus, schmeißt ihn aus euren Augen, Herzen, Mägen,
Därmen !
Gift, Gift! Lüge, Dreck! es gibt keinen Feind!
Nur Menschen!
198
Vi
Wir sind fortgeschlichen aus den Blätterflügeln der Wälder.
Wir sind auf den Knieen gelegen, wir schlagen noch an unserer
Knochenbrust.
Wir bitten euch um Verzeihung I
Nicht ich allein, der blöde Dichter mit der Brille,
Hintorkelnd durch die Gassen blutbespritzt —
Nein, wir alle, Millionen, uns knallt Reue, Scham, Schuld-
beladensein zu Boden!
0 glaubt uns, dieses Flattern hin und her, dieses Lügen,
Fluchen, Faust auf den Tisch,
Dieses Geschrei, R^eden, Schwören, Zuhauen — Verlegenheit,
Wut auf uns selber :
Auf unsere Dummheit, unseren Unglauben, unsere Feigheit,
unsere Angst.
Wir wissen nicht mehr wohin mit uns!
Wir wissen nicht mehr: Tag, Abend, Gestern, Nacht, Heute?
Rechts, Links?
Wir sind im Irrsinn der Scham verhetzt.
0 Bruderhand zeig auf den Weg,
Daß ich dich endlich finde,
0 Bruderaug', durchbohr' die Nacht
Erhelle unsere Pfade.
0 Bruderherz, klopf Stunden an
Stunde der Versöhnung,
0 Brudermund, Signal, Signal!
Wann tönt dein Gruß, dein Lied, dein Glückschoral ?
Wir erwarten, daß die verbündeten Heere der Feinde, Brüder
und Schwestern, Eltern und Kinder,
Endlich, endlich einander erkennen, in die Arme sinken und
den wahren Feind an ihrem Feuer gewärmten in
Stücke reißen!
VII
Den wahren Feind! Es gibt einen Feind! 0 Tag der Wonne,
Tag der Freiheit, heiliges Rußland!
Nie sah Europa schöneren Tag, nie unsere Jugend herrlicheres
Ziel!
Da stand mit Mond und Sonne
Mit Stern und Regenbogen hingeschrieben auf das Firmament :
Der wahre Feind!
^99
Da riß ein Orkan geheimster Jubclfanfaren
Alle Herzen alle armen Lippen, sträubte Haar und Hände
Freude Begeisterung!
Ganz Europa zuckte auf, wahres Ideal berülirte die Haut aller
geschundenen Männer.
Sie spien die Lüge aus, die Verhetzung, sie warfen die Mord-
klingen zu Häuf,
Ein Sekunde durchtosie Freiheit, Gemeinschaft, Ziel, Nähe
alle Herzen.
Der Geist hakte in ihr leeres Leben, in ihr freudloses Höhlen-
leben.
Das Glas füllt sich, die Herzen reifen, die Wut reift.
Es gebiert die Erde, sie spreizt ihre Bergbeine und gebiert den
Rächer,
Den Herkules, den Giganten, den Abgott der Rache!
Ich sage Dir, Bruder Martine l, wir sind alle gleich, wir wissen
alle wohin wir marschieren müssen.
Die wahre Front ruft, der wahre Luftsieg, der heilige
Schützengraben, das erlösende Trommelfeuer!
Wir sind einig, verbündet, wir erkennen unsere Schuld, wir
läutern unseren Geist!
KARL OTTExN: DIE THRONERIIEBUNG DES HERZENS
Schlage dein Herz auf, Bruder :
Das Buch der Morgenröte, Bruder
Der neuen Zeit, Bruder
Den Mantel der Furcht, Bruder
Das Auge der Erkenntnis, ^Bruder 1
Dein Herz sieht Erleuchtung
Durch deine mordgesegneten Hände:
Blasse jammervolle wetzen sie vergebens
Den Schorf der Schande vom entweihten Leib.
Heilig! heilig! heilig!
Unaussprechliches, deine Schneeschwingen
Deinen Himmelsatem
Deine todrasselnde Brust —
Menschhell !
200
Egon Schiele
Karl Otten
WALTER HASENGLEVER: JAURES TOD
Sein reines Antlitz in der weißen Klarheit
Des Irrtums grauenvolle Spur verließ.
Sie haben ihn gemordet, Geist der Wahrheit,
Trost der Armen von Paris.
Ihn traf die Kugel, deren Schlacht er ahnte
Und geißelte vor seinem Land.
Der allen Menschen einen Frieden bahnte,
Sank hin am Schlag der Bruderhand.
Gott hob ihn aus dem Ende dieser Zeiten,
Ließ ihn nicht mehr die Verzweiflung sehn.
Sein gutes Auge half den Weg bereiten.
Er ist uns nah. Er wird uns auferstehn.
WALTER HASENCLEVER: JAUR£S AUFERSTEHUNG
Weinende Frauen in Krämpfen,
Kinder an des Vaters Hals;
Immer fährt der Zug
Durch die Städte . . .
Sendet, ihr Geister der Toten,
Ein Zeichen der Not!
Kehrt zurück in der dritten Stunde,
Wenn sie das Schlachtfeld absuchen.
Zu leuchten, zu erbarmen.
Die Kränze der Hoffnung zu streun.
Kein Helfer steht auf;
Keine Menschheit sinkt ihm zu Füßen,
Beladen mit der Schuld von Legionen.
Auf dem Markt der Provinzen
Vor Unwissenden, Verführten
Schüren sie die Flammen des ewigen Kriegs.
An euch, ihr Gestalten in der Höhe,
Ergeht der Ruf: helft diesem Leben 1
Aus verschütteten Gräben
Steigt des Apostels weiße Gestalt.
Sie erkennen ihn wieder
Aus der Versammlung;
Arme Bauern knien und beten ihn an,
2o3
Soldaten Europas! V<^rvvüstete Kirchen fl
Retten euvp Ländei- nicht mehr.
Soldaten Europas, Bürger Europas!
Hört die Stimme, die euch Bruder heißt.
Sie kommt geschwommen
Von singenden Meeren,
Vom Wrack der Schiffe,
Ratte und Maus.
Zum letzten Male donnern die Rohre.
Zitronen blühen
Am Ufer des Sees.
Stürzt hin, Militärs! Beugt euern Scheitel.
Stockt, Bergwerke, den mörderischen Tag.
Jhr Fürsten auf Thronen,
Steigt nieder.
Weint am Hügel der Toten;
Friede, Versöhnung bricht an.
Du aber, mächtiges Volk, geläuterte Menschheit:
Goldne Banken, Magnatengüter
Fallen dir zu.
Heraus aus Kasernen, Galeeren,
Engbrüstige, Traumlose!
Die Erde liegt vor euch.
Aufwärts, Freunde, Menschen 1
LUDWIG RUBINER: DIE ENGEL
Führer, du stehst klein, eine zuckende Blutsäule auf der
schmalen Tribüne,
Dein Mund ist eine rundgebogene Armbrust, du wirst schwin-
gend abgeschnellt.
Deine Augen werfen im Horizontflug leuchtende Flügel ins
Grüne,
Deine Ringerarme kreisen weit hinein ins feindliche Menschen-
feld.
Du schwächliche Säule, Gottes Stoß hat deine Krummnase
in die zitternden Massen geschwungen,
2o4
Deine Ohren hohl beflügelt schweben wie leichte Vögel rosig
auf bleiernem Volksgeschrei,
Die hellen Flügel tragen den Thron deines Kopfes sanft über
Steinwürfe und graue Beleidigungen,
Dein Kopf schüttelt wie Wolkengefieder goldblitzende Him-
nielskuppeln auf die ^lenschenschultem herbei.
0 Engel, ihr fliegt im leuchtenden Ball des Hauptes durch
blauen Raum,
Augen, ihr Engel, pfeilt zu den schwirrenden Brüdern im
Kreis;
0 Zunge, Arme, Gliedersäulen, Engel, ihr umschlingt euch
wie Zweige im wehenden Baum.
Führer, sprich! Um dich ringen die Engel auf kristallenen
Bergen hochstrahlend und heiß.
LUDWIG RUBINER: DENKE
Die Nacht im weißen Gefängnis ist mondperl und hoch,
Glanzbraune Gerüste kreuzen vor der Luke in die Zukunft,
Der Führer liegt auf der wulstigen Pritsche,
Ein Spitzelauge haarig schmal witzte durch das Guckloch der
glatten Eisentür.
Er liegt ganz still, daß das Blut durch die graden Glieder
fließt und zurückschießt.
Der Turm braun bewachsen des Haupts wird auf und herab
bestiegen eilends von Wachen.
Tief unten der Wassergraben des Munds liegt in Dürre.
Draußen warten die dunklen bewegten Felder auf den Feuer-
schein.
0 Mund, bald schwimmen bewaffnete Haufen wie schwarze
Wellen hervor.
Braunes Haupt, du schleuderst sie krachend weit ins Land,
0 Schein des Auges, der das Ziel im Brcindfeuer trifft.
0 Kuppel, darin die neuen Häuser der Erde schweben, flach
ineinandergehüllt, zcüillos, und Bildsäulen, Wälder,
Sprachen,
Du kristallenes Haupt!
Liegst nun schweigend im weißen Würfel der Zelle auf näch-
tigem Pritschenrand,
Die Finger schmal zu den Seiten wie morgen Lm Grab.
2o5
Aber dein Pulsschlag klopft schon sacht durch die Mauer-
röhren der Burg,
Die Wärter flüstern verboten den Gefangenen zu.
Dein Bruderauge kreist schauend wie bewegter Stein durch
die wachenden Zellen hin.
Denke du durch alle Gefangenenhirne, hinaus zu den Wachen,
über die Höfe, hinaus in die Straßen!
Der Stein über dir aufgetrieben, schwillt.
Dein Haar ist die Plattform der schlaflosen Wachen,
Die Steinmauern in deinem Blut atmen auf und ab von deinem
Beben,
Die Gitterfenster rund hoch um das Haus sind dunkel aus
deinem Blick.
In Jahrtausenden ist die Burg dein Abbild weit in die Länder
hin, dein Name schwebt feuergroß auf dem Him-
mel, über deinem rieserüiohen Steinkopf.
Führer, schlafe heute Nacht nicht. Nur diese Nacht denke
noch!
RUDOLF LEONHARD : DER SERAPHISCHE MARSCH
Nun soll nicht Frieden kommen, sondern Krieg
und Ende ohne Ende;
jeder Tag sei weitere Wende
und jeder ein Schritt und neuer Sieg.
Wir werden die Welt nicht ruhen lassen :
auf allen europäischen Gassen
an die Ecken dieser Walt
mit beiden gespreizten Füßen fest in den Äther gestellt,
die Stirn gespannt in Wind und Wolken, die Lippen verzerrt,
umschattete Augen starr und schräg im Rasen,
wollen wir blasen, blasen, blasen :
in blasse hohle Hände an aufgekrünimten Arm :
Alarm, Alarm!
Jeder wird uns verwunden, keiner uns schaden :
wehrlosen geächteten Kameraden!
206
Ohne Helme, Gewehre und Trompeten,
irrsinnig gläubige Zukunftssoldaten,
ohne Hoffnung, um die wir baten,
werden wir blasen, blasen und beten,
wir Ritter des Geistes, wir kleiner Schwärm:
Alarm, Alarm!
Ungeduldigste von Euern Rettern,
in ätherne Sphären
Euer Leben zu verklären.
werden wir unaufhörlich Eure Ohren zerschmettern.
Wer hat die Brocken schwerer schwarzer Erde uns ins Haar
geschüttet?
Unkraut schießt in die Luft. Die dunklen Flügel fühlen
wir, vom Erleiden Eures Leids zerrüttet,
sich langsam straff erheben, und erkühlen.
Seht, wie vom Rufe die erfüllten Sphären widerhallen!
Da wühlt um unsern Platz, an den er uns verwiesen
schon einstens hatte, der uns schuf, die himmlischen Gestalten.
Seht, blonde Kinder laufen schnell und barfuß über strahlende
Wiesen :
auf schreien wir die Tore zu den Paradiesen ! !
Wie wachsen wir glühend, wie sind wir arm.
zitternde nackte Kinder,
gepanzerte Riesen — :
Alarm, Alarm!
WALTER HASEiSCLEVER: i917
Halte wach den Haß. Halte wach das Leid.
Brenne weiter am Stahl der Einsamkeit.
Glaub nicht, wenn du liest auf deinem Papier,
Ein Mensch ist getötet, er gleicht nicht dir.
Glaub nicht, wenn du siehst den entsetzlichen Zug
Einer Mutter, die ihre Kleinen trug
307
Aus dem rauchenden Kessel der brüllenden Schlacht,
Das Unglück ist nicht von dir gemacht.
Heran zu dem elenden Leichenschrein,
Wo aus Fetzen starrt eines Toten Bein.
Bei dem fremden Mann, vom Wurm zernagt,
Falle nieder, du, sei angeklagt.
Empfange die ungeliebte Qual
Aller Verstoßnen in diesem Mal.
Ein letztes Aug, das am Äther trinkt.
Den Ruf, der in Verdammnis sinkt;
Die brennende Wildnis der schreienden Luft,
Den rohen Stoß in die kalte Gruft.
Wenn etwas in deiner Seele bebt,
Das dies Grauen noch überlebt.
So laß es wachsen, auf ers lehn
Zum Sturm, wenn die Zeiten untergehn.
Tritt mit der Posaune des Jüngsten Gerichts
Hervor, o Mensch, aus tobendem Nichts!
Wenn die Schergen dich schleppen aufs Schafott,
Halte fest die Macht! Vertrau auf Gott:
Daß in der Menschen Mord, Verrat
Einst wieder leuchte die gute Tat;
Des Herzens Kraft, der Edlen Sinn
Schweb am gestirnten Himmel hin.
Daß die Sonn, die auf Gute und Böse scheint.
Durch soviel Ströme der Welt geweint,
Gepulst durch unser aller Schlag,
Einst wieder strahle gerechtem Tag.
Halte wach den Haß. Halte wach das Leid.
Brenne weiter, Flamme! Es naht die Zeit.
208
Oskar Kokoschka
Walter Hasenclever
14
i
FRANZ WERFEL: REVOLVTlONS-AüFRVF
Komm Sintflut der Seele, Schmerz, endloser Strahl!
Zertrümmre die Pfähle, den Damm und das Tal!
Brich aus Eisenkehle ! Drölme du Stimme von Stahl !
Blödes Verschweinen ! Behaglicher Sinn,
Geh mir mit deinem toten Ich bin!
Ach nur das Weinen reißt uns zum Reinen hin.
Laß nur die Mächte treten den Nacken dir.
Stemmt auch das Schlechte zahllose Zacken dir.
Sieh das Gerechte, feurig fährt aus den Schlacken dir.
Wachsend erkenne das Vermaledeit!
Brüllend verbrenne im Wasser und Feuer-Leid!
Renne renne renne gegen die alte, die elende Zeit!!
JOHANNES R. BECHER: MENSCH STEHE AUF
Verfluchtes Jahrhundert! Chaotisch! Gesanglos!
Ausgehängt du Mensch, magerster der Köder, zwischen Qual
Nebel- Wahn Blitz.
Geblendet. Ein Knecht. Durchfurcht. Tobsüchtig. Aussatz und
Säure.
Mit entzündetem Aug. Tollwut im Eckzahn. Pfeifenden
Fieberhorns.
Aber
Über dem Kreuz im Genick wogt mild iinendlicher Äther.
Heraus aus Gräben Betrieben Asylen Kloaken, der höUischai
Spelunke !
Sonnen-Chöre rufen hymnisch auf die Höhlen-Blinden.
Und
, Über der blutigen Untiefe der Schlachten-Gewässer
Sprüht ewig unwandelbar Gottes magischer Stern.
Du Soldat!
Du Henker und Räuber! Und fürchterlichste der Geißeln
Gottes 1
Wann endlich
— frage ich bekümmert und voll rasender Ungeduld zu-
gleich —
Wann endlich wirst du mein Bruder sein??
Wenn
Das mörderische Messer restlos von dir in dir abfällt.
211
Du vor Gräbern und Feinden waffenlos umkehrst:
Ein Deserteur I Ein Held! Bedankt! Gebenedeit!
Zornig du in tausend Stücke das verbrecherische Gewehr zer-
schmeißt.
Rücksichtslos dich deiner „verdammten Pflicht und Schul-
digkeit" entziehst
Und deinen billigen hundsföttischen Dienst höhnisch offen
verweigerst allen Ausbeutern, Tyrannen und Lohn-
herrn.
Wenn
Dein zerstörerischer Schritt nicht mehr erbarmungslos stampft
über die friedlichen Lichtgründe einer kreaturenbe-
seelten Erde.
Und du dich wütend selbst zermalmst vor deinen glorreichen
Opfern am Kreuz.
. . . dann dann wirst du mein Bruder sein . . .
Wirst mein Bruder sein :
Wenn du reumütig vor dem letzten und schlimmsten der er-
schossenen Plünderer kniest.
Verzweifelt und gedemütigt
Stachelfäuste durch deine Panzerbrust hindurch
In das Innere deines eben erwachten Herzens herabpreßt —
Zerknirscht und Gelübde schmetternd es herausheulst:
,, Siehe auch dieser da war mein Bruder!!
Oh welche, oh meine Schuld!!!"
Dann dann wirst du mein Bruder sein.
Dann dann wird gekommen sein jener endliche blendende
paradiesische Tag unser menschlichen Erfüllung,
Der Alle mit Allen aussöhnt.
Da Alle sich in Allen erkennen.
Da tauen die peitschenden Gestürme machtlos hin vor unserem
glaubensvollen Wort.
Euerer Hochmut eigensinniger Ararat setzt sich erlöst und
gern unter die weichen Gezelte der Demut.
Verweht der Teuflischen schlimmer Anschlag, Bürde und Auf-
ruhr.
Wie auch gewaltlos überwältigt der Bösen eroberische Gier,
schranken- und maßlosester Verrat und Triumph.
Sage mir, o Bruder Mensch, wer bist du!?
Wüter. Würger. Schuft und Scherge.
•>I2
Lauer-Blick axa gilben Knochen deines Nächsten.
König Kaiser General.
Gold-Fraß. Babels Hure und Verfall.
Haßgröhlender Rachen. Praller Beutel und Diplomat.
Oder oder
Gottes Kind !!??
Sage mir o Mensch mein Bruder wer du bisti
Glücklich
ümgurgelt von den ruhlosen Gespenstern der unschuldig und
wehrlos Abgeschlachteten!?
Der Verdammten Evakuierten explodierender Sklaven und
Lohnknechte I ?
Trostlose Pyramide rings Wüstenei Gräber Skalp und Leiche.
Der Hungerigen und Verdursteten ausgedörrte Zunge euch
Würze des Mahls I ?
Jammer-Röcheln, Todeshauch, der Erbitterten Wut-Orkan
euch wohlgefällige Fern-Musik?
Oder aber
Reicht dies brüllendste Elend alles nicht an euch
Ihr Satten Trägen Lauen ihr herzlos Erhabenen?
Euerer Härte Feste, vom Zyklon der Zeit umdonnert, wirklich
unberührt ! ?
Bröckelt euerer stolzen Türme Stein um Stein nicht ab, daß
die schwangeren Eselinnen endlich rasten.
Euere Früchte modern : Völker seellos und vertiert.
Herrscher dieser Welt, die euch nur euch belastenl!!
Sage mir o Bruder mein Mensch wer bist du!?
. . . makelloses Sterngebild am kitschigen HimmeLswunsch der
Ärmsten oben.
Krasser Feuer-Wunde kühler Balsam-Freund.
Zaubrisch süßer Tau auf Tiger wildes Dorn-Gestrüpp.
Mildes Jerusalem fanatischer Kreuzzüge.
Nie je verlöschende Hoffnung.
Nie trügerischer Kompaß. Gottes Zeichen.
Öl bitterer Zwiebel starrer Zweifel.
Du tropische Hafenstadt ausgewanderter, der verlorenen
Söhne.
Keiner dir fremd.
Ein jeder dir nah und Bruder.
2l3
Verirrte Bienenschwärme nistend in dir.
Im südlichen Zephir-Schlaf deiner Mulden rastet, verstrickt
in des Raums labyrinthische Öde
Ekstatisch singend ein Bettler der besitzlose Dichter, Ahasver,
der weltfremde weltnahe melancholische Pilger.
In die Schlummerlaube und Oase deiner Füße niedertaucht
der Ohnefrieden.
Aber an den Ural-Schläfen deines Haupts aufwärts steigt der
lichtvoll Nimmermüde:
Deiner Reinheit Quellen
Kämpfen sich durch Fluch und Steppen.
In verrammte Zitadellen
Geußt du Würze Lamm und Frühlingshügel.
Engel sinkst du wo sich Ärmste schleppen.
Noch in Höllen wirkst du Helfer gut.
Doch den Bösen klirrt — Gericht — dein Jünglingsflügel:
Aus der Felsen Schlucht und Brodem
Reißt du glühend Frucht und Odem.
Schöpfest himmlisch Blut.
. . . Grimmer Moloch oder Edens Küste.
Giftgas-Speier oder Saat des Heils,
Scheusal der Hyäne oder Palmen Zone.
Christi Seiten-Wunde oder Essigschwamm.
Sage mir o mein Bruder mein Mensch: wer wer von den
beiden bist du?!
Denn
Brennende Gezeit brüllt fordernd, dich auf:
Entscheide dich! Antworte dir!
Rechenschaft will ich und
Die zerrissene Erde aus der gewaltigen Schleuder deines Ge-
hirns : Wille Fülle und Schicksal ;
Einer heiligen glückhaften Zukunft kindlicher sorgloser Schlaf
befragt andämmernd schon dringend dich.
Schütte dich aus ! Bekenne erkenne dich !
Erhöre dich ! Werde deutlich !
Sei kühn und denke!
Mensch: du menschenabgewandter, einsamer Brodler, Sünder
Zöllner Bruder: wer wer bist du II
2l4
Drehe im Grabe dich 1 Dehne dich sehne dich .'
Atme ! Entscheide dich endlich ! Wende dich !
Llmonen-Fairm oder Distel-Exil.
Auserwählte Insel oder Pfuhl der Schacher.
Ruinen-Keller. Strahl-Prophet und Flammen-Sinai.
Lokomotiven Tempo Bremse kläffend.
Mensch Mensch mein Bruder wer bist du ! ?
Schwefel-Gewitter stopfen ruchlos azurenen Raum.
Deiner Sehnsucht Horizont vergittert sich.
(. . . nieder ins Blut! Brust auf! Kopf ab! Zerrissen! Ge-
quetscht. Im Rüssel der Schleusen . . .)
Noch noch ists Zeit!
Zur Sammlung! Zum Aufbruch! Zum Marsch!
Zum Schritt zum Flug zum Sprung aus kananitischer Nacht! !1
Noch ists Zeit —
Mensch Mensch Mensch stehe auf stehe auf!!!
WALTER HASENCLEVER:
SCHON AUS ROTEN KASEMATTEN
Schon aus roten Kasematten
Schäumt die Meute sich hervor.
Pfeift Empörung sich wie Ratten
In der Promenaden Chor.
Scliwarz im Saal des Dirigenten
Auf geschwungner Arm zerbricht;
An den schön bemalten Wänden
Löscht das weiße Zirkuslicht.
Haß steigt auf aus grünen Dämpfen :
Dazusein und mitzukämpfen.
Nicht hindert triumphale Allüren
Ein Krüppel vor Mahagonitüren —
Am Spiegel des grenzenlosen Geschehens
Stürzt sich vorbei der Lebendigen Schein;
In wenig Jahren unendlichen Sehens
Werden wir nicht mehr vergänglich sein.
Kraft, zu wirken und zu vollenden
Im höchsten Geist, der mein Antlitz flieht!
Glück — daß wir nicht in Verzweiflung enden!
Unglück — du Marseillaisenlied I
3l5
ALFRED WOLFENSTEIN: DER GUTE KAMPF
Die Sonne kommt, ein Glutgesühoß — kommt — schwebt —
zerkraoht —
Sie trifft, o arme Erde, nur das Dadh der Nacht,
Und über ihr die Sterne werden blauer Himmel,
Doch nieder regnet Aschengräue, Sturm und Schlacht.
Millionen Augen, rasend aufgescihlagen.
Wie Gegensonnen, spiegelnd tragen
Im Blick die Hölle! Sehet jedes Volk
Vom Kriege rot aus wüstem Sommer ragen.
Sie stemmen sich, von giftigen Strömen trunken.
Die unten diese Erde blind durohfunkeln.
Aus ihrer Länder starrem Schoß empor
Zur Menschenschlacht, und schlagen sich im Dunkeln.
0 seht den Himmel seine reine Sonne zeigen.
Doch euch vorüber zur Unendlichkeit sich neigen.
Und Krieg und Endlichkeit und Tod
Für euch aus jeder Dämmrung sonnlos steigen —
Die Türen knarren bissig auf, zum Morgen
Stolpern Gestalten über Müll und Sorgen
Hinaus, — hinein in einen Haufen Stadt,
Darin liegt auch am Tage Nacht verborgen.
In iJhren Taschen klimperts alt und kalt.
Darin liegt Eisen eng mit Gold verkrallt.
Der Schlüssel harte Barte träumen
Vom Schoß der Türen, Reichtum und Gewalt.
Wohin sie treten, hungertoll nach ihresgleichen.
Entzünden Fenster sich statt Sonne, heulend schleichen
Büro und Magazin im Kannibalentanz
Um Kassenfunkeln, Arbeitsroste, Bücherbleichen.
In ihren Kleidern, die von Lüge steinschwer sinken,
Warten Dolche starr wie Hunde auf ein Winken,
Und ihre Augen sind gleich Messern in der Stirn,
Die plötzlich krumm ins Blut des Nächsten blinken.
2l6
Sie treten dick aus ihrem Park, und bald
Umwächst sie ihrer Sklaven größrer Wald.
Aus Kellern galoppieren Herden Kinder
Und machen zwischen Schloten hager Halt.
Da gottlos übertönen sich die Glocken.
Auf zinsdurchzuckten Riesenschultern hocken
Die Häuser schwankend, tückisch treibt und stößt
Einander ihr berechnet Bocken.
Auf Schienen wie Begierde schnell und glatt
Springt mit den Schädeln der Bahnhöfe Stadt in Stadt,
Der Grenzen langgekrümmte Hörner zacken
Land gegen Lcind, mit Spitzen niemals satt.
0 wie die Welt sich weit verfolgt — Dann wieder
Zieht klein zusammen ihre Glieder
Des Tages Haßharmonika und irgendwo
Schlägt eine Tür nur einen Bettler nieder,
Wird nur ein Mädchen in des Prinzipals Kabinett
An seinen Schoß gefesselt wie ein Brett,
Und schleichen Schüler, wild vom Grün des Klassenfensters,
Wie Zerrbilder der Freiheit aufs Klosett.
O dennoch Sonne, — die du schwarz und kalt
Hinweg schwebst über die Erde, o Gestalt
Des Herzens: Sonne! deinen Weg durchfliegen
Wie singende Adler Klänge mit Geistergewalt — :
Herbei ihr alle, die der Seele dienen,
Aus tönendem Haupt der Kunst, aus bewegenden Mienen
Im Werk die arme Welt vollkommener baun
Im Schwung des Worts, im Schwärm der Violinen —
Und die voll Sorgen in den Kohlengrüften,
An fremdem Baugerüst in schwindelnden Lüften
Arbeiten nackt in Armut, Gift und Dampf —
Zu andrem Kampf ! zu andrem Kampf hebt Haupt mid Hüften !
217
Ihr Freunde, wohnend überall!
Ihr Schaffenden, quer durch den hohlen Schwall.
Durch Sümpfe Greld, durch Abgrund Krieg, durch Wüste
Gleichmut,
Quer durch der Länder falsch zerteilten Ball
Erscheint! Und kämet ihr aus Schlamm gekrochen,
Wie aus dem Himmel kommt hervor gebrochen!
Strahlt nieder auf der Bösen krummes Heer,
Das anschwillt wie vom Tod gestochen —
Dumpfhell zusammendonnernder Tumult —
Da suchen sich die Gegner, Haß und Huld,
Pfeilregen klirrt, ins Schwarze trifft
Lichtrüstung aus dem klingenden Katapult.
Das Botgesicht der Boheit tauchen
Die Träume in ihr weißes Meer und hauchen
Geldpanzer sprengend cui mit Engelsglut,
An ihrem Atem stirbt der Habgier Fauchen.
Aus Kerkern wirft ein Haupt, wie Freiheit blau.
Der Bufc Feuer in Tyrannenbau.
Des Lächelns allen Leib durchflatternde Fahne
Schwingt über Schwebenden der Liebe Frau.
Auf Steinschädel der Beleben, Liebefemen,
Die rings des Zufedls kalte Mietskasernen
Baun, niedersaust der Jünglinge Gelenk
Mit hoch um ihre Hand geschwungnen Sternen.
Und rastlos singt der Mütter Mund Alarm
Mit Kinderliedern frisch imd wühlend warm.
Der Mütter Arm fällt unzerbrechlich
Den blutbegossnen Schlächtern in den Arm.
Ihr Freundesfreunde — Blumen und Tiere laden
Sich ein zu eurem Heer, elektrischer Faden
Zieht hilfsbereit zuckend durchs All —
Kameraden der Erde! Gottes Kameraden!
ai8
Ihr Feindesfreunde — eure HcUid ist Streich
Und ist auch Gruß, wie eines Schöpfers weich!
Im Kampf gestaltend euren Feind — ! Die linke
Faßt an das eigne Herz und formt's zugleich.
0 Zarte, fiebernd auch um kleinste Dinge,
In Geist Versogne, schlank wie Schmetterlinge,
Doch löwenwuchtig durch den tiefsten Wald
Der Leiden schweifend, der euch voll durchdringe
0 Schöne, steigend aus des Herzens Meer
Auf Muschelschimmern, — watend kreuz und quer
Durch Kot und Wut und Trübsal — reiner
Auf immer neue Erde tretend her —
0 Klare, die ihr Ätherhaupt durchschauen,
Doch tiefer schauernd vor der Gottheit Blauen
Niedersinken, — und auf Knien doch
Dem starken, nie gesunknen Haupt vertrauen — :
Den guten Ansturm führen sie!
Und Finsternis wird fliehn. Denn die noch nie
Gewesen ist: die Menschensonne runden
Sie an den Himmel, ihrem Geist entbunden 1
JOHANNES R. BECHER: EWIG IM AUFRUHR
Ewig im Aufruhr
Wider die Feste
Wütendster Würger,
Der Schlächter des Lamms.
Reißet zerreißet
Gewaltsame Böen,
Finsternisse,
Den Wucherer-Turm!
Die Tyrannen
Zerplatzten auf Thronen.
Hah es zerschmolz
Wahn-Gewölk schon der Nacht.
Sehet auch schrumpfen
Die Kannibalen der Erben.
Nichtmehr den Reichen nur
Schenkt sich die Welt.
219
Wälder umzwitschern
Den Mittag der Guten.
Die Gerechten
Ruhen in Gott.
Arg in den Bergen
Zerschellen die Sünder.
Sklaven, steigt auf
Aus giftiger Schlucht.
Sterne grünen
Die toten Propheten,
Gekreuzigt einst
Von den Schergen des Baal.
Unten im Lawa-Trichter
Die Heuchler,
Der Brüder Verräter:
Gespenstischer Traum.
Selig ihr Armen,
Zersprengt und erblindet!
Denn der Unschuldige
Lebt ohne Besitz.
Nur der Böse
Vergräbt sich in Erde,
Hängend grundlos
Im qualvollen Sund.
Über Gezeiten aus Moder
Sich spannen . . . !
In Gefängnisse
Quelle des Baums . . . !
Euere verschütteten
Höfe erwachen!
Aufgefegt
Im panischen Sturm.
Immer noch strotzen
Die Plätze von Henkern.
Messergegürtet.
Gewehre im Arm.
Ihre Kolben zerstampfen
Die Psalter.
Bomben-Gewitter
Ruchlos im Raum.
220
Aber bald endet solch Werk sich:
Da stürzen
— Fieber brüllen
Im ölbauch der Tanks —
Sich verreckend
Die Mörder aufs Pflaster.
Fahnen hissen sich
Heilig in Rot.
RUDOLF LEONHARD:
PROLOG ZU JEDER KOMMENDEN REVOLUTION
Ausatmeten die Sümpfe ihren Frieden.
Wieder ersteht der Menschheit Feind: die Zeit.
Die Städte dunsten, Länder schwellen breit.
Zuckte der Strahl zurück in Wolken? Noch ist nichts ge-
schieden.
Noch glotzen starr die Ebenen hienieden,
gewittrig schon, zum Absturz und zum Aufstieg schon bereit.
Gefährlich wittert Leid aus der Geschäftigkeit.
Tod ward erlebt! Ihr fühlt das Rlut schon sieden,
so lebt, und wißt, daß bald aufwärts die Flamme speit.
Entschwamm der ölige Lobestrom plärrender bärtiger Barden :
die Tore klaffen des entfesselten Verstandes,
der nackte Jüngling dringt, der Kaiser unsres Morgenlandes,
und schwingt die rote Fahne mit dem Leoparden.
Sie schäumt im Schwall gebogen über Grenzen des Verstandes.
Wir werden mehr, wir stehn vor Bataillonen,
auf Carmens Hochzeit, hört, beginnen wir, entlohnen
mit dem auf zackenden Dröhnen unsres Brandes.
Die Toten stürzen in die Hügelkammern ein.
Fallt in die Knie, Entgeisterte, wir lachen,
kaltblütig Gläubige wir, und werden Euch verschonen,
wir Skeptiker, die stumm zur Glut erwachen.
Denn wir sind da! in Chören, Keilen, Scharen, Reihn
ins helle Land hindringend, das wir heller überschxein :
Der erste Chor
springt aus den Häusern der Geduckten vor
in den Wind, der über die Stirnen strich,
und besinnt sich :
221
Seht, meine Füße gehn, wohin ich will.
Ich biege mich, ich kniee kindlich auf die Erde hin.
Da ich es weiß : wie schnell erlöst ich bin !
Da ich es weiß und bin, werde ich still.
Ich bin ein Mensch, zum Menschlichen bereit,
ich kann die Finger überall bewegen,
nur leibgebunden : kann über die bluterfüllte Schläfe streichen.
Vorbei. Das Unerfüllte. Luft und Menschheit noch. Vorbei.
Ich steh in Menschheit. Bin zur Freiheit frei,
Freiheit !
Eine andre Gruppe erhob zu ihrem Gang
groß den alten Gesang:
Ich kenne Dich nicht.
Aber, Bruder, Du gehst im gleichen Licht!
Ich kann die Hand an Deine Hüfte, Schwester, legen,
meine Hand kann jede Hand erreichen.
Gehn wir, schneller, in wechselndem Tritt:
alle gehn mit Menschenschritt!
Wir wissen, daß wir uns nicht gleichen,
aber wir atmen einen Wind.
Da wir alle auf der Erde sind
und mit Menschenlippen uns bestellen,
gleich und ungleich zu gesellen!
Keiner ist dem andern gleich,
aber jeder um den andern reich,
jedes Du wie ich sagt ,,Ich".
Ausgezeichnete, in Demut fürchterlich.
Einzelne, sind wir in Menschheit gleich :
Gleichheit!
Aber die dritten Scharen begannen vor Glück zu weinen :
Freunde! die wir in MenschengesteJt erscheinen;
die wii^ alle zu leben wagen,
alle tragen Menschengeschick —
helfen wir uns, das Leben zu ertragen !
Freunde, drängen wir Blick in Blick :
gegen den Hasser, gegen die Toten, gegen den Feind,
seht, es geht doch, Leib an Leib vereint!
All«' ini Gefühl der Menschenhaut
leuchtend über dunkle Erde weit
eine Menschenphalanx aufgebaut :
Brüderlichkeit !
322
Wahrt Euch ! Ihr habt nicht Zeit, uch zu besinnen :
Wahrt Euch! Ihr habt nicht Zeit. Euch zu besinnen:
Gestern geschah es, daß ein Mädchen aus dem Wagen sprang
und mir die nackten Arme um die Schultern schlang.
Die Welt lag nackt, die Lüfte dröhnten fort.
Wir hielten uns. Wir hielten uns bereit,
wir wußten, viele sind bereit, die Zeiten
hinter den unerfüllten Jammer dieser zu bereiten!
Uns sang das Blut. Wir strebten, ein Akkord.
Dein Mund, Dein Scheitel, — daß die Flamme aufwärts speit I
Wir stöhnten, wie die Menschheit in uns schreit,
jubelten: Menschheit! Liebe! und das Donnerwort:
Gerechtigkeit!
JOHANNES R. BECHER: EROICA
Aber tief tief auch in meiner Wüste Gobi brennendem Dom-
Gestrüpp,
Atemlosen mexikanischen Taxus-Hecken
Meiner zerklüfteten Ufer, Kretas Labyrinth und Insel-Exil,
Meiner immer noch unendlicher Alpen-Hänge
Lagertet
Wild wie müd ineinandergefügt
Reihenweise
— Bis ins letzte Glied der Welten züngelnd,
Körperkrampf und dionysische Orgie —
Ihr Hellas athletische Knaben.
Hymnische Hirten (Olymp euere Brust) glänzend und eng-
hüftig;
Im erzmaschigen Panzerhemd — Päan- Gewitter — kampf-
süchtig.
Durch der Zonen Winter-Dürre, brüchige Kadaver-Poren fie-
berte ihr heiliger Regen.
Malaien -Lippen -Küsten sogen wühlend dich inbrünstig an
meinen innersten Raubtier !-Gehegen.
Jäh aus Riesen - Phallus schoß Lawa- Samen kataraktisch in
mein Blut.
Wange: Distel und entwässert
Grünte weich, betaut vom Schnee des Flaums.
223
Brüllte Ich
Visionenschwangerer Stier,
Mit einem Bauch prall von der Bespringung eines Dämon auf-
getrieben —
Zerstörerischen Blitz schleudernd gegen die tristfe Endlich-
keit euerer alltäglichen Landschaft —
Gefräßig würgend Frucht Saat Baum und an der elegischen
Quelle den unschuldigen Leib eines Gotts . . .
Riß ich, zerstampfte und malmte und boxte —
Sintflut und unbarmherziger Wüterich —
Barbarischer Eroberer ausschreitend über die verseuchten
Gründe und unfruchtbaren Äcker euerer armseligen
Erde —
Kroch ich schnaubend herauf durch die Lorbeerhaine und
Limonenwälder der antiken Epochen
Zwischen Latschen-Wildnis und Gießbach hindurch
Heran die trostlosen, die spärlich mit den Blausternen des
Enzians durchsetzten, beizenden Geröll-Felder
Empor zum erlösenden Schoß-Trichter des Ätna —
Empedokles fiebernd vor tödlichem Lawa-Sprung —
Geätzt von Schweiß und den dicken Wut-Brei ohnmächtiger
Empörung ums zerbissene Maul —
Mich verzweifelst aufbäumend hilflos brutal und zu einem
letzten Mal gegen den frechen Ausschlag der Sonne —
Immer wieder meiner TIerheit Härte
In Asphodelen-Milde verzauberte sich.
Immer wieder meines Wahnsinns Schwerter
Mit seraphischem Kindheit-Lächeln belaubten sich.
Immer Avieder nledex-bog mich, wehrlos und gebändigt,
In des Lichtes letzten Rest,
Auf den kargen Schlaf der Herden
: Würze euerer Flöten-Frucht o Knaben;
Meiner Hufe Mord und Höllen - Talfun stillte Wunder -öl
himmlischer Tauben
Und Geschmack des bitteren Mittags löste sich in Leichen-
Rachen.
Schlimmen Schlund kühlten süß Zitronen und Kristall-Ge-
wässer.
. . . Würze euerer Flöten-Frucht o Knaben.
224
Eingespannt in sengenden Schicksal-Joch der Welt. Gepeinigt.
Meiner Wildheit Falte löschte. Meine Sphäre zeitlos und ge-
reinigt.
Und aus Pforten verschütteter Augen bricht
Lange gedämmt
Magischer Glanz zurück in die Schluchten der Räume.
Und vom Bug meiner Lippen aus, verfluchten einst, spricht
Der Gott den Segen über das verworrenen Netz meiner ufer-
losen ursündlichen Träume
: Worte unaufhaltsam,
Nicht mehr zu tilgen aus den Reihen der Nächsten.
Unerschütterlich Zentrum. Der heiligen Engel
Gerechtes Erbteil und einzig sicherer Besitz.
■*
Einst werden Männer über der Erde sein
Ausfüllend ihre Fernen und Breiten.
Durch der Gewölke Triangel stößt
Ihr Haupt in der Himmel innerste Schlucht.
Der Herrlichen Pfad befiederten Schwäne,
Fische frohlockend um Kurven des Nackens.
Mütter-Oboen zerzwitschern dich Tod.
Wimpern gebieten euch schlaflosen Sonnen.
Ewiges Frühjahr säen Poren der Hemd.
Männer regenbogengegürtet. Männer
östlichen Glut-Balls Säule im Sturz.
Männer der Jagd um die Mitte der Erde.
Nackt und verkohlt hinter heiligem Pflug.
Um ihre Hütten rauschen die Büffel.
Tänzerinnen schwebend neben dem Mahl.
Männer des Strahls. Berg Sesam der Schwachen.
Männer Beschließer des höllischen Tags.
Unter Ohnmächtigen, im Blut-Bad der Schlachten
Kindliche Spender himmlischen Trosts.
Männer der Rache ! Dolch in Tyrannen,
. . . Zwischen Messern blüht ihre Brust.
Doch um den Scheitel schrumpft schon der Schatten.
An allen Mauern stehn die Erschossenen auf.
•*
Heroische Aufbrüche! Himmelfahrten! Tragische Untergänge!
Und Elektrische Spiralen -Sprünge kreuzweis durchs
schweflichte Chaos.
i5 225
Zyklopen ! Turm-Bauer ! Werktätige ! Mit trillernden Gletscher-
Böen über südlichem Laub-Haar.
Aus eueres Herzens Mitte stob zischend der glühende Quader
des Styx.
Im weißglühenden Brennpunkt euerer politischen Rede zer-
malmt sich endgültig das stinkende Ungeheuer der
Fäulnis.
Unwiderstehlichstes Sperrfeuer aber zog euer Atem voraus
geheiligter Front.
Am Abzug steht ihr wunderbarer Geschütze.
Und die Bestie im Tyrannen erwartet zitternd das wüste
Abenteuer ihrer letzten Nacht.
Denn der Dolch, der Dolch In eueren Fäusten wuchs wuchs
wuchs unendlich.
JOHANNES R. BECHER: KLÄNGE AUS UTOPIA
Sie dringen langsam schon heran, bald gleiten
Sie milde Stöße auf und ab im Blut.
Die Adern tönen, Netz gespannter Saiten.
Moorsee der Cellos zwischen Bergen ruht.
Darob die Inseln der Gestirne hängen.
Verweste Tiere blühn in Wäldern auf.
Es steigen Prozessionen nieder in Gesängen.
Der Fluß beleuchtet seinen schwarzen Lauf.
0 Mutterstadt im freien Morgenraum!
Es flügeln Fenster an den Häuserfronten.
Aus jedem Platz erwächst ein Brunnenbaum.
Veranden segeln mondbeflaggte Gondeln.
Sie künden Männer an, elastisch schwingen
Die durch der Straßen ewig blaue Schlucht.
Ja — : Frauen schreitende! Mit Palmenfingern.
Geöffnet weit wie Kelche süßester Frucht.
Und Freunde strahlen an dem Tor zusammen.
Wie hymnisch schallt purpurener Lippen Braus.
Nicht Söhne mehr, die ihre Väter rammen.
Umarmte ziehen, Sonnen, sie nach Haus.
Zu weichestem Park verschmölzen die Gefilde.
Die Ärmsten schweben buntere Falter dort.
Goldhimmel sickert durch der Wolken Filter
Den Völkern zu. — Lang dröhnender Akkord.
226
Liidxuis Meidner
Johannes R. Hechef
K U KT H E Y iM G K E : VOLK
Mein Volk,
blüh ewig, Volk.
Strom, ausgespannt von Mitternacht zu ^litternacht,
Strom, groß und tief von Meer zu Meer,
aus deiner Tiefe stürzen Quellen,
urewig speisend dich,
das Volk.
Mein Volk,
blüh ewig, Volk.
Du träumst dir Zukunft an die Brust.
Einst wird kein Tag mehr deinen Traum zerschlagen.
Die Berge deiner Seele werden in den Himmel ragen
und uns erheben,
uns,
das Volk.
Ich bin ein Baum im Walde Volk.
Und meine Blätter speist die Sonne.
Doch meine Wurzeln schlafen ihren Schlaf der Kraft
in dir,
mein Volk.
Mein Volk,
einst werden alle Dinge knien
vor dir.
Denn deine Seele wird entfliegen
hoch über Schlole, Städte in dein eigenes Ilerz.
Und du wirst blühn,
mein Volk.
Mein Volk.
In dir.
ELSE LASKEU- SCHÜLER: M E 1 i^ VOLK
(M einem geliebten Sohn Paul)
Der Fels wird morsch,
Dem ich entspringe
Und meine Gotteslieder singe . . .
229
Jäh slürz ich vom Weg
Und riesele ganz in mir
Fernab, allein über Klagegestein
Dem Meer zu.
Hab mich so abgeströmt
Von meines Blutes
Mostvergorenheit.
Und immer, immer noch der Widerhall
In mir,
Wenn scliauerlich gen Ost
Das morsche Felsgebein,
Mein Volk,
Zu Gott schreit.
IWAN GOLL: NOEMI
I
Ich trage so schwer an der Schicksalserbschaft
Meiner Bibelmütter,
Meiner Prophetinnen,
Meiner Königinnen,
Es rauschen so mächtig aus dunklen Jahrhunderten
Die Gottesjahre,
Die Tempeljahre,
Die Ghettojahre.
Es singen so wirr in meiner geborstenen Seele
Die Jahrzeitenfeste,
Die Ilimmelsfeste,
Die Totenfeste.
Es schreien so tief in meinem tollen Blut
Die Patriarchen,
Die Helden,
Die Söhne I
Hör, Israel, Adonoi war dein Gott, Adonoi war einzig
II
Ich bin die Tochter des Frühlingsvolks!
Andacht und Opfer vergeudend.
Riß ich die Erde in meinen Wirbel.
Mein Gebet war das menschliche Echo
Der Asphodelengesänge
23o
Und Ölbaumsymphonien.
Mein Himmel war wolkig erbaut
Über den weiß erblühten Gebirgen,
Und die goldenen Sternenzeichen
Tief in dunklen Seen nachgebildet.
Jeder Mann trug stolz sein Zedernhaupt.
Jeder Jüngling eine wandelnde Akazie,
Israel so fromm wie ein Frühlingshügel!
Salben und öle dufteten um seine Glieder,
Und in seinen großen Augen
Lächelte Gott.
Opfer war die Sprache der Patriarchen,
Und die Engel die Antwort des Himmels.
Jede Mädchenklage wie ein Taubenpaar,
Jede Frauenbitte blondes Lämmchen,
Und des Kriegers unwirsch Kampfgelübde
Rauchte dumpf im Blute der Stiere auf.
Und die Tänze im süßen Weinberg,
Zimbeljubelnd kränzten sie das Jahr.
III
Ich bin die Tochter des Talmudvolks!
0 Tempel, in dem die Kupferleuchter
Wie Bäume ilire Siebenzweige entfalteten.
Wo statt der Märchensterne
Ewige Ampeln die mystische Nacht
Beunruhigten.
In goldenen Bechern hielt man Gott gefangen.
Brokat und Purpur ziemte seinen Priestern.
In Porphyrarkaden versargt
Lag der sterbende Himmel.
Als Israel von seinen Hügeln gestiegen.
Zerschlug es sich an Felsenschluchlen
Sein grauendes Lockenhaupt,
Zerrieb an Fliesen seine verflachten Knie.
Die Sonne hing verkohlt und schwarz in der Straße,
Ein Lämpchen nur bestrahlte das Tempelvolk.
0 Israel, verwitterndes Gebirg,
Alternder Gletscher,
In Schrift und Zeichnung und Kabbala
Erörtertest du kalt
23l
Den Prozeß des Himmels.
Aber versteint war deine Seele,
Vereist dein Herz!
IV
Ich bin die Tochter des Ghettovolks!
Der schnarrenden und schnorrenden Rabbis,
Der Waisenkinder und Totengräber.
In dumpfen Kellern, triefenden Gewölben,
In spanischen Türmen, rumänischen Höhlen
Hab ich geschmachtet.
Wo ist Elohim,
0 ihr Kodoschim?
Oi, oi, oi.
Und wo ist Adonol?
Am morschen Altar schüttelt ihr die Palmen,
Mit faulen Zähnen kräht ihr Klagepsalmen.
Mit Litaneien und Schreien
Wollt ihr Gott befreien.
In klebrigen Kaftanen
Imitiert ihr die Geste der Ahnen,
Beim blutigen Pogrom, in der Kerkerkette,
Im Mordviertel der Zyklopenstädle
Nennt ihr euch Erben
Und wollt nicht sterben!
0 Volk der duftenden Schwestern und denkenden Brüder,
Auferstehe, mein Volk, und lasse die Lieder
Und lasse den Gott der Schriften und Klagen
Begraben!
Hör, Israeli
V
Höre!
Du hast einen Geist,
Du hast einen Geist, mit Blut und Gott gespeist,
Du hast einen Geist, in allen Feuern der Schöpfung rein ge-
schweißt,
Du hast einen Geist, auf allen Meeren und Landstraßen weit-
gereist,
Du hast einen Geist, von allen Philosophien, Poesien, Geo-
metrien, Industrien der Menschheit umkreist.
Du hast den einen, einzigen, ewigen Geist.
282
Hör, Israel!
Dein Geist erleuchte die fünf Kontinente,
Dein Geist bemeistre die vier Elemente,
Dein Geist erobre die drei Reiche,
Dein Geist befreie die zwei Menschen,
Dein einer Geist!
Hör, Israel!
Mit deinem Geiste wirst du alle Tode der Welt verlebendigen:
Dein Geist ist die Pforte zum Eden,
Dein Geist ist die Flucht nach Nirwana,
Dein Geist ist die Barke gen Elysium!
Dein Geist! Deine Erkenntnis! Dein Alleswissen!
Hör, Israel!
Dein Geist ist die glänzende Neugeburt,
Dein Geist ist der alte Gott,
Zum Sohne der Menschheit verjüngt.
Dein Geist ist das Leben!
Hör, Israel, dein Geist ist dein Gott, dein Geist ist einzig!
VI
Zu Neumond will ich auferstehen !
Die schwarzblauen Flechten salben mit dem öl der Nuß.
Und den Geliebten empfangen mit sternklarem Kuß.
Zu Neumond will ich wandern gehen!
Und über den Himmel das Glück meiner Liebe verkünden,
Und auf der Erde den Sieg meiner Liebe gründen.
Zu Neumond will ich tanzen gehen.
Die Menschen aus ihrem Traume wecken,
Über den Städten das neue Licht anstecken.
Zu Neumond will ich auferstehen!
Den hohen Geist wie Phönix aus der Asche heben.
Dem alten Glauben den Namen Erkenntnis geben.
2'6l
LUDWIG RUBINER: DER MENSCH
Im heißen Rotsommer, über dem staubschäumenden Drehen
der rollenden Erde, unter hockenden Bauern, stumpfen Sol-
daten, beim rasselnden Drängen der runden Städte
Sprang der Mensch in die Höh.
0 schwebende Säule, helle Säulen der Beine und Arme,
feste strahlende Säule des Leibs, leuchtende Kugel des Kopfes !
Er schwebte still, sein Atemzug bestrahlte die treibende
Erde.
Aus seinem runden Auge ging die Sonne heraus und herein.
Er schloß die gebogenen Lider, der Mond zog auf und unter.
Der leise Schwung seiner Hände warf wie eine blitzende Peit-
schenschnur den Kreis der Sterne.
Um die kleine Erde floß der Lärm so still wie die Nässe
an Veilchenbünden unter der Glasglocke.
Die törichte Erde zitterte in ihrem blinden Lauf.
Der Mensch lächelte wie feurige gläserne Höhlen durch die
Well,
Der Himmel schoß in Kometenstreif durch ihn, Mensch,
feurig durchscheinender!
In ihm siedete auf und nieder das Denken, glühende Kugeln.
Das Denken floß in brennendem Schaum um ihn,
Das lohende Denken zuckt durch ihn.
Schimmernder Puls des Himmels, Mensch 1
0 Blut Gottes, flammendes getriebnes Riesenmeer im hellen
Ivristall.
Älensch, blankes Rohr : Weltkugeln, brennende Riesenaugen
schwimmen wie kleine hitzende Spiegel durch ihn,
Mensch, seine Öffnungen sind schlürfende Münder, er
schluckt und speit die blauen, herüberschlagenden Wellen
des heißen Himmels.
Der Mensch liegt auf dem strahlenden Boden des Himmels,
Sein Atemzug stößt die Erde sanft wie eine kleine Glaskugel
auf dem schimmernden Springbrunnen.
0 weiß scheinende Säulen, durch die das Denken im Blut-
funkeln auf und nieder rinnt.
Er hebt die lichten Säulen des Leibs: er wirft um sich
wildes Ausschwirren von runden Horizonten hell wie die
Kreise von Schneeflocken!
234
Blitzende Dreiecke schießen aus seinem Kopf um die Sterne
des Himmels,
Er schleudert die mächtigen verschlungenen göttlichen Kur-
ven umher in der Welt, sie kehren zu ihm zurück, wie dem
dunklen Krieger, der den Bumerang schnellt.
In fliegenden Leuchtnetzen aufglühend und löschend wie Puls-
schlag schwebt der Mensch,
Er löscht und zündet, wenn das Denken durch ihn rinnt.
Er wiegt auf seinen strahlenden Leib den Schwung, der
wiederkehrt,
Er dreht den flammenden Kopf und malt um sich die ab-
gesandten, die sinkend hinglühenden Linien auf schwarze
iS'acht :
Kugeln dunstleuchtend brechen gekrümmt auf wie Blumen-
blätter, zackige Ebenen im Feuerschein rollen zu schrägen
Kegeln schimmernd ein, spitze Pyramidennadeln steigen aus
gelben Funken wie Sonnenlichter.
Der Mensch in Strahlenglorie hebt aus der ?s'acht seine
Fackelglieder und gießt seine Hände weiß über die Erde aus,
Die hellen Zahlen, o sprühende Streifen wie geschmolznes
Metall.
Aber wenn es die heiße Erde beströmt Tsie wölbt sich ge-
bäumt),
Schwirrt es nicht später zurück? dünn und verstreut hinauf,
beschwert mit Erdraum :
Tiergeblöke. Duft von den grünen Bäumen, bunt auf tanzen-
der Blumenstaub, Sonnenfarben im Regenfall. Lange Töne
Musik.
KURT HEYNICKE: iVEA'SC//
Ich bin über den Wäldern,
grün und leuchtend,
hoch über allen,
ich, der Mensch.
Ich bLn Kreis im All,
blühend Bewegung,
getragenes Tragen.
235
Ich bin Sonne unter den Kreisenden,
ich, der Mensch,
ich fühle mich tief,
nahe dem hohen All-Kreisenden,
ich, sein Gedanke.
Mein Haupt ist sternbelaubt,
silbern mein Antlitz,
ich leuchte,
ich,
wie Er,
das All;
das All,
wie ichl
FRANZ WERFEL: DER GUTE MENSCH
Sein ist die Kraft, das Regiment der Sterne,
Er hält die Welt, wie eine Nuß in Fäusten,
Unsterblich schlingt sich Lachen um sein Antlitz,
Krieg ist sein Wesen und Triumph sein Schritt.
Und wo er ist und seine Hände breitet.
Und wo sein Ruf tyrannisch niederdonnert.
Zerbricht das Ungerechte aller Schöpfung,
Und alle Dinge werden Gott und eins.
Unüberwindlich sind des Guten Tränen,
Baustoff der Welt und Wasser der Gebilde.
Wo seine guten Tränen niedersinken,
Verzehrt sich jede Form und kommt zu sich.
Gar keine Wut ist seiner zu vergleichen.
Er steht im Scheiterhaufen seines Lebens,
Und ihm zu Füßen ringelt sich verloren
Der Teufel, ein zertretner Feuerwurm.
Und fährt er hin, dann bleiben ihm zur Seite,
Zwei Engel, die das Haupt in Sphären tauchen,
Und brüllen jubelnd unter Gold und Feuer,
Und schlafen donnernd ihre Schilde an.
236
LIEBE DEN MENSCHEN
I
>
I
FRANZ WERFEL: AN DEN LESER
Mein einziger Wunsch ist, dir, o Mensch verwandt zu sein!
Bist du ISeger, Akrobat, oder ruhst du noch in liefer Mutterhut,
Klingt dein Mädchenlied über den Hof, lenkst du dein Floß
im Abendschein,
Bist du Soldat, oder Aviatiker voll Ausdauer und Mut.
Trugst du eJs Kind auch ein Gewehr in grüner Armschlinge?
Wenn es losging, entflog ein angebundener Stöpsel dem Lauf.
Mein Mensch, wenn ich Erinnerung singe.
Sei nicht hart, und löse dich mit mir in Tränen auf!
Denn ich habe alle Schicksale durchgemacht. Ich weiß
Das Gefühl von einsamen Harfenistinnen in Kurkapellen,
Das Gefühl von schüchternen Gouvernanten im fremden Fa-
milienkreis,
Das Gefühl von Debütanten, die sich zitternd vor den Souff-
leurkasten stellen.
Ich lebte im Walde, hatte ein Bahnhofsamt,
Saß gebeugt über Kassabücher, und bediente ungeduldige
Gäste.
Als Heizer stauid ich vor Kesseln, das Antlitz grell überflammt,
Und als Kuli aß ich Abfall und Küchenreste.
So gehöre ich dir und Allen!
Wolle mir, bitte, nicht widerstehn!
0, könnte es einmal geschehn.
Daß wir uns, Bruder, in die Arme fallen!
WILHELM KLEMM: EINLEITUNG
Was sich ausdehnt in der schmalen Sekunde,
Was auftaucht im gleicjigültigen Licht
Und im Schatten unverständlich versinkt,
Was wandert und sich dauernd verändert.
Die Wiederkehr und das Abschiednehmen,
Das Neue und die W^iederholung,
Das Begreifen einzelner Formen und das Vergessen;
All das, was beschlossen ist zwischen Anfang und Ende,
Die Erregungen und die Beruhigungen,
Die Sehnsüchte und ihre Erfüllungen,
Was uns Endlichen als Welt entgegenströmt:
W^ill ich fassen in sterbliche Worte.
Damit ich lesend doppelt weiß, daß ich lebe.
Damit du es lesen kannst, Bruder, Mensch,
Damit auch du fühlst: Ja, so ist es, so bin ich auch!
Denn wir sind alle doch nur ein einziges Gewächs!
PAUL ZECH: AN MEINEN SOHN
Der schöne Sommer, der durch deinen Reifen sprang,
die blaue Dampferfahrt und waldiger Abendgang :
sind ausgeblasen wie ein Altar-Licht, mein Sohn.
Dein Mund, der schwer bewölkt in Fragen hängt,
dein Auge, das ein Meer von Qual nach außen drängt :
ich finde nicht mehr dein Gesicht, mein Sohn.
Daß sich im Räderspiel unschuldiger Kinderwelt
ein Sturm hineinhakt, der die Zeiger rückwärts schnellt :
dem Sturm bin ich im Feld steil aufgestellt, mein Sohn.
Mein Arm, von Mühsal ausgerenkt, von Sorgen abgezehrt,
muß sich nun straffen für Gewehr und Schwert,
daß niemand mordet, was uns bindet, was uns hält, mein Sohn.
Daß helle Zeit noch immer die ergrimmte Kriegslust liebt,
nicht seliges Verbrüdern liebt und diese Liebe weitergibt:
wo w^ird mir diese Schuld verziehn, mein Sohn?
Im blutigsten Gefecht noch hör ich Flügel über mir;
die heben mich schlafwandelnd fort von hier
wie Bäume, die vor rasenden Laternen fliehn, mein Sohn.
Doch wenn mich die, die ich verließ, in Gräbern meint,
und sich durch Witwennacht und Waisenfremdheit weint:
wachs wipfelbreit ins Blau! Brich Sternenbahn, mein Sohn!
Denn Du bist vorbestimmt; bist letzter Strich im Plan;
da ist kein Tor, wo wir uns nicht im Traum schon sahn,
den Weg zu runder Einheit sahn, mein Sohn.
Bist vorbestimmt, fünftausend Jahre schon : zu sein,
der, dessen Namen ich hineinbeiß' in den Stein,
wenn mich die Häscher treffen Stich für Stich, mein Sohn.
Ja, dann wird Sterben mir erst zum durchfühlten Wort.
Mein Tod löscht Feind und bunte Ländergrenzen fort,
und alles Leben kennt nur ,,Welt" und „Bruder" — : Dich,
mein Sohn!
Lud I vis Meidner
Patä Zech
F R A .\ Z W E R F E L : V A T E II U A D SOfl .\
Wie wir einst im grenzenlosen Lieben
Spaße der Unendlichkeit getrieben
Zu der Seligen Lust —
Uranos erschloß des Busens Bläue,
Und vereint in lustiger Kindertreue
Schaukelten wir da durch seine Brust.
Aber weh! Der Äther ging verloren,
Welt erbraust und Körper ward geboren,
Nun sind wir entzweit.
Düster von erbosten Mittagsmählern
Treffen sich die Blicke stählern,
Feindlich und bereit.
Und in seinem schwarzen Mantelschwunge
Trägt der Alte wie der Junge
Eisen hassenswert.
Die sie reden, Worte, sind von kalter
Feindschaft der geschiedenen Lebensalter,
Fahl und aufgezehrt.
Und der Sohn harrt, daß der Alte sterbe
Und der Greis verhöhnt mich jauchzend: Erbe!
Daß der Orkus widerhallt.
Und schon klirrt in unseren wilden Händen
Jener Waffen — kaum noch abzuwenden —
Höllische Gewalt.
Doch auch uns sind Abende beschieden
An des Tisches hauserhabenem Frieden,
Wo das Wirre schweigt,
Wo wirs nicht verwehren trauten Mutes,
Daß, gedrängt von Wallung gleichen Blutes,
Träne auf- mid niedersteigt.
Wie wir einst in grenzenlosem Lieben
Spaße der Unendlichkeit getrieben.
Ahnen wir im Traum.
Und die leichte Hand zuckt nach der greisen
Und in einer wunderbaren, leisen
Rührung stürzt der Raum,
2d3
WALTER HASENCLEVER: DIE TODESANZEIGE
Als ich erwachte heut morgen aus dumpf bekümmertem
Traum,
Schwebte ein leiser Engel im Dunkel durch meinen Raum.
Ich las einer Mutter Wort, wo die Todesberichte sind:
„Mein irrgeleitetes, desto inniger geliebtes Kind."
Da neigte zu meinem Bette sich viele Trauer hin :
Ich weiß, daß ich auch verirrt, das Kind einer Mutter bin.
Da sah ich den Scheitel des Andern, der hilflos ins Elend sank.
Ich sah ihn verliebt, betrunken, von schrecklichem Aussatz
krank.
Ist er nicht auch gestanden in Nacht und Vorstadt allein,
Hat aus heißen Augen geweint in den Fluß hinein ?
Ist oft durch Gassen geschlichen, wo Rotes und Grünes glüht,
Fröhlich am Abend gezogen, gestorben am Morgen müd.
Mußte in Häusern essen mit Menschen, feindlich und fremd,
Schlafen in kalten Gemächern, frierend, ohne Hemd —
Die Mutter hat ihm geholfen mit Wäsche und etwas Geld:
Alles ist gut geworden. Sie hat ihn geliebt auf der Weit.
Mein Bruder unter den Sternen! Ich hab deine Armut erkannt.
Begnadet hast du dich zu mir in dieser Stunde gewandt.
Nun strömt dein lächelnder Atem nicht mehr in Gold und
Polar,
Nicht melir im Sturm der Gewitter entzündet sich kindlich
dein Haar;
Sieh — in der Todesstunde deiner Mutter ewiges Wort;
Es trägt auf silbernen Flügeln dich aus der Vergessenheit
fort.
Eh' ich nun öffne die Läden nach schwerer, trauriger Nacht:
Mein Bruder unter den Sternen! Wie hast du mich glücklich
gemacht.
WILHELM KLEMM: DER BETTLER
Sein Hut war mürber Schwamm. Sein Bart
Sinterte über die graue Brust,
Sein Stelzfuß trat sich am Ende breit,
Durch die Fetzen des Kleides irrten die Sterne.
Dornen und Sclinecken trug er im Haar,
Seine Augen entzündeten sich, sein herbes
Zerspallenes Antlitz blutete still,
Metallen surrten die Fliegen um ihn.
2^
In seinen Knochen nagten die Winter,
Ewigkeit gärte durch sein Gedärm,
Faulig krankte sein Blut, in seiner
Seele versteinten Erinnerungswälder.
Wer hat dich als Kind gewiegt? Wer hat dich geliebt?
Komm Alter, ich will dich hegen. Der aber öffnet
Stumm seiner Hände bittende Abgründe,
Schwarz und leer wie der Tod, groß wie das Leid.
ALBERT EHRENSTEIN: HOFFNUNG
Nicht habe ich Gewalt,
Augen zu geben blinden Steinen.
Leicht aber einem verachteten,
Armen, alten Sessel,
Dem ein Fuß fehlt.
Bringe ich Freude,
Mich zart auf ihn setzend.
Seid sanft, o ihr Starken!
Und, Macht versammelnd im Mut,
Bald werden, Seligen gleich, die Menschen
Entrauscht sein fahlkranker Armut
Und in ihrem Dasein,
Die Götter starben.
Finden den Himmel.
ELSELASKER-SGHÜLER:f/iVZ)Sf/C//EGOrr
(Meinem Pa u 1 )
Ich habe immer vor dem Rauschen meines Herzens gelegen,
Nie den Morgen gesehen,
Nie Gott gesucht.
Nun aber wandle ich um meines Kindes
Goldgedichtete Glieder
Und suche Gott.
Ich bin müde vom Schlummer,
Weiß nur vom Antlitz der Nacht.
Ich fürchte mich vor der Frühe,
Sie hat ein Gesicht
Wie die Menschen, die fragen.
Ich habe immer vor dem Rauschen meines Herzens gelegen.
Nun aber taste ich um meines Kindes
Gottgelichtete Glieder.
2^5
FKAiSZ WERFEL: EINE ALTE FRAU GEHT
Eine alte Frau geht wie ein runder Turm
Durch die alte Hauptalice im Blättersturm.
Schwindet schon, indem sie keucht,
Wo um Ecken schwarze Nebel wehen.
Wird nun bald in einem Torgang stehen.
Laute Stufen langsam aufwärts gehen,
Die vom trägen Treppenlichte feucht.
Niemand hilft, wie sie Ins Zimmer tritt,
Ihr beim Ausziehn ihrer Jacke mit.
Ach, sie zittert bald an Hand' und Bein'.
Schickt sich an mit schwerem Flügelschlagen
Aufgehobene Kost von alten Tagen
Auf des Kochherds armes Rot zu tragen.
Bleibt mit ihrem Leib und sich allein.
Und sie weiß nicht, wie sie schluckt und kaut,
Daß in ihr sich Söhne aufgebaut.
(Nun, sie freut sich ihrer Abendschuh*)
Was aus ihr kam, steht in andern Toren,
Sie vergaß den Schrei, wenn sie geboren.
Manchmal nur im Straßendrang verloren,
Nickt ein Mann ihr freundlich „Mutter" zu.
Aber Mensch, gedenke du in ihr,
Ungeheuer auf der Welt sind wir.
Da wir brachen in die Zeiten ein.
Wie wir in dem Unbekannten hängen,
Wallen Schatten mit gewaltigen Fängen
Die ins letzte uns zusammendrängen.
Diese Welt ist nicht die Welt allein.
Wenn die Greisin durch die Stube schleift,
Ach, vielleicht geschieht's, daß sie begreift.
Es vergeht ihr brüchiges Gesicht.
Ja, sie fühlt sich wachsender in allem
Und beginnt auf ihre Knie zu fallen,
Wenn aus einem kleinen Lampenwallen
Ungeheuer Gottes Antlitz bricht.
2/jG
JOH. R. BECHER: HYMNE AUF ROSA LUXEMBURG
Auffüllend dich rings mit Strophen aus Oliven.
Tränen Mäander umwandere dich!
Stern-Genächte dir schlagend als Mantel um,
Durchwachsen von Astbahnen hymnischen Scharlaclibluts . . .
0 Würze du der paradiesischen Auen :
Du Einzige! Du Heilige! 0 Weih! -^
Durch die Welten rase ich — :
Einmal noch deine Hand, diese Hand zu fassen :
Zauberisches Gezweig an Gottes Rosen-Öl-Baum.
Wünschel-Rute dem Glück-Sucher.
... In dich, o mütterlichste der Harfen träufl unser aller
Heimat Klang . . .
Fünfzack diktatorisch über unsre Häupter gespannt.
Blut-Quell dieser Finger Millionen Ärmster Gitter durch-
feilte er.
Durch die Welten rase ich — :
Einmal noch deinen Mund, diesen Mund zu fühlen :
Lichl-Almer, Schmetlerlings-Grund,
Oboen Gewall-Strom, Ambrosia-llügel-Land,
Seligster Speise . . .
Prophetische Schwermut dämmernd am Lippen-Schwung.
Alle tragen.
Einen jeden süßt dein Ruß :
Schimmernde Dolde der Feuchte.
Milde Milch Ohnmächtigen tödlichen Falls,
Verlorene Söhne Befragende ihn —
I Du Silber-Tau im Sleppen-Brand !
— Du Himmels-Trost Im Höllen-Schmerz!
— Du Lächel-Mond am Mord-Zenilh!
— Du tiefste Purpur-Pause im Antlitz-Krampf!
Notschrei Jeremias
Ekstatischer Auftakt.
Gewitter-Sätze versammelt in dir.
Blanke unschuldsvolle
Reine jungfrauweiße
Taube Glaubens-Saft
Ob Tribünen-Altar schwebend Hostie hoch.
Welten durchrase ich — :
Hin gegen die Elfenbein-Küsten deines Ohrs,
An die gigantischen Ur-Trichter, die Tulpen-Kelch-Rohre der
sibyllinischen Mütter hin,
An euch hin, gigantische Urtrichter,
Aufsaugend sie alle die erdhaften Geräusche,
Die kindlichen Wunsch- wie die fieberichten Angstträume der
Ärmsten,
Bettler und Strolche Wehgeheul,
Die schlechte, zusammengeflickte Tirade der Angeklagten,
Die Abschieds-Arie erschossenen Iläsleins,
Brombeer-Strauch trillernd einen Feuertod,
Die phraseologische Programm-Fanfare des Kriegs . . .
Fabrik-Sirenen verkündend Empörungs-Stund.
Gigantischer Ur-Trichter:
Mich tiefst hineinflüsternd mit schmählichster Sünden
Beichte,
Millionen o haften mit Ihrem innersten (berstenden!) Be-
kenntnissen an ihm.
Beätzt und gefleckt die Membrane von tausenden (zer-
rissensten!) Nöten dir!
Und und :
Beglänzt von den unendlichen (Flöten- und Posaunen-) Weisen
der Seraphims,
Ja: denn auch der Spliären Elan verzückte dich:
0 Musik zu Musik!
0 Melodie!
Welten durchrasend — :
Deine Stirn! 0 diese Stirn!
Lilien-Schnee-Gemäuer hüllend ewigen Gedanken,
Acker-Furche bergend sichere Saat.
Ernte knospet schon aus Stoß und Wunde.
Geistes Wall. Heiliger Thron.
Aus des Orkus Hintergründen
Schlagen Taifun-Falten,
Aber Engel glätten dich.
Lösen aus und salbend dich,
Deren Herzens Flammen-lleiche Palmenwald enthalten.
Welten, ja Welten durchraste ich — :
2/i8
Deine Augen, diese Augen,
Krater-Aug mit Azur Licht zu stillen.
Gletscher-Bläue in den Dolch-Grund,
In die wüst zerzackte Mitternacht,
In der Wangen Peitschen Aufruhr
Kühlend magischen Mond zu tauchen.
Augen — : Späher aus der Arche ausgeschickte.
Selten kehrten sie zurück.
. . . Daß ihr Eiland sie erblickten.
Paradiesische Früchte pflückten
Flügelnd schlössen sich im Glück . . .
Bürger! Würger! Faust und Kolben
Stampften kotwärts deinen Kopf.
! Doch du gewitterst. Deine Himmel platzen.
Ob allen Ländern steht dein Morgen-Rot.
Durch die Welten rase ich — :
Den geschundenen Leib
Abnehmend vom Kreuz,
In weicheste Linnen ihn hüllend
Triumph dir durch die Welten blase ich:
Dir, Einzige!! Dir, Heilige!! 0 Weib!!!
RUDOLF LEONHARD: DER TOTE LIEBKNECHT
Seine Leiche liegt in der ganzen Stadt,
in allen Höfen, in allen Straßen.
AUe Zimmer
sind vom Ausfließen seines Blutes matt
Da beginnen Fabriksirenen
unendlich lange
dröhnend aufzugähnen,
hohl über die ganze Stadt zu gellen.
Und mit einem Schimmer
auf hellen
starren Zähnen
beginnt seine Leiche
zu lächeln.
2-^19
IWAN GOLL: SCHÖPFUNG
I
Irgendwo zerbrach die Ilimmelsschale,
Und die Sonne, wie verwundet,
Flatterte, Gold und Lava blutend,
Um die aufgerissene Erde.
Rosa Meere
Leuchteten im Frühling ihrer Wellen,
Rauschende Palmen stiegen,
An den Korallen reiften
Die Sternenfrüchte.
Irgendwo erbebte ein Gebirg
Bis In seine starren Gletscher,
Und der erste Tropfen, der sich löste,
Eine Träne zu Tal,
War das erste Lächeln Gottes.
II
Sprühender Dreizack,
Brach das Wort aus stummem Ozean;
Dunkel schillerte der Grund der Erde.
Und die blauen Hämmer des Geistes
Und die Flöten der Engel
Schollen um den entzündeten IlimmeL
An des Dunkels eroberten Ufern
Stand der Mensch, einen Pfeil in der Stirn,
Den roten Mund
Offen groß wie einen Triumphbogen:
Hier und da, wenn es ihm einfiel.
Befahl er der kreisenden Sonne zu stehen.
III
Zur Hügelhochzeit
Stürzten Fliederfontänen zu Tal,
Bäume waren voll Wellumarmung,
Und dem Frühling schlugen die Schläfen.
Da, aus dunkler Erdenhütte
Brach ein goldener Orgelsturm:
Zwischen Himmel und Erde gestemmt,
Säule irdischen Gesanges,
Stand der Mensch.
2 0O
Aus dem steinernen Leid,
Tief im rauschenden Schoß der Liebe,
War der Herrliche auferstanden !
ALFRED WOLFEN STEIN:
HINGEBUNG DES DICHTERS
Wie die Wolke durchflammt, Wolke durchdröhnt zwischen
Haupt und Boden
Zuckt eines Menschen sprechender Mund,
Blitzende Zähne roden
Dickichte nieder : da schnellen die Blumen hoch, luftig und
bunt.
Höre die Stimme, taubeste Trauer,
Schwarz wie Gestrüpp unterm Ozeangrund!
Klangloser Vogel, zu singen beginne im rundlichen Bauer,
Es singe dich freier des Menschen Mund.
Doch wie im Traume, ein blautrockner Himmel überm Dach
seiner Donner,
Über den eigenen Lippen noch unerlöst wartet der Dichter —
Sturm, von der Sonne versammelt, regnet nicht auf in die
Sonne,
Über den Wolken glühn unsichtbar weiter und lechzen die
Lichter.
0 ihn selbst — auch Gewitter beglückt nicht genug!
Worte, entfesselte Sklaven, mit eigener Schwere hinab
Fließend in horchender Menschen Krug,
Auferstanden aus ihm, verlassen ihn fremd wie ein Grab.
Wahrheit, so blicke von oben in seine Seele,
Nie wird sie leer, verkünde es, menschlicher möchte sie sein,
Ruft er die Liebe mit Worten aus, ruft seine hellere Kehle
Liebe noch wirklicher zeugend in sich herein.
Atmet er Verse, nur noch lebendiger schwillt seine Brust!
Daß er vor Scham und Freude inmitten der Sprache aufstehen
Möchte, um fort in die Wüste —
Nein, den Menschen noch näher zu gehen I
Bis es am Schlüsse von unten
Regnet, von unten nun: Du!
Antlitze nun, gerührte Gedichte,
Blitzen dem Rührenden, seiner Entschleierung, zul
201
Erdenwind reicht ihm die Hände
Durch das ganz offene Tor.
Sprache verrollt, die Arme erhebt er, nun erst am Ende
Geht sein schwerer Vorhang vor ihm selbst empor.
FRANZ WERFEL : LÄCHELN ATMEN SCHREITEN
Schöpfe du, trage du, halte
Tausend Gewässer des Lächelns in deiner Hand!
Lächeln, selige Feuchte ist ausgespannt
All übers Antlitz.
Lächeln ist keine Falte,
Lächeln ist Wesen vom Licht.
Durch die Räume bricht Licht, doch ist es noch nicht.
IS'icht die Sonne ist Licht,
Erst im Menschcngesicht
Wird das Licht als Lächeln geboren.
Aus den tönenden, leicht, unsterblichen Toren,
Aus den Toren der Augen wallte
Frühling zum erstenmal, Himmelsgischt,
Lächelns nieglühender Brand.
Im Regenbrand des Lächelns spüle die alte Hand,
Schöpfe du, trage du, halte!
Lausche du, horche du, höre!
In der iNacht ist der Einklang des Atems los.
Der Atem, die Eintracht des Busens groß.
Atem schwebt
Über Feindschaft finsterer Chöre.
Atem ist Wesen vom höchsten Hauch.
Nicht der Wind, der sich taucht
In Weid, Wald und Strauch,
Nicht das Wehn, vor dem die Blätter sich drehn . . .
Gottes Hauch wird im Atem der Menschen geboren.
Aus den Lippen, den schweren.
Verhangen, dunkel, unsterblichen Toren,
Fährt Gottes Hauch, die Welt zu bekehren.
Auf dem Windmeer des Atems hebt an
Die Segel zu brüsten im Rausche,
Der unendlichen Worte nächtlich beladener Kahn.
Horche du, höre du, lausche!
202
Sinke hin, kniee hin, weine I
Sieh der Geliebten erdenlos schwindenden Schritt!
Schwinge dich hin, schwinde ins Schreiten mit!
Schreiten entführt
Alles ins Reine, alles ins Allgemeine.
Schreiten ist mehr als Lauf und Gang,
Der sternenden Sphäre Hinauf und Entlang,
Mehr als des Raumes tanzender Überschwang.
Im Schreiten der Menschen wird die Bahn der Freilieit geboren.
Mit dem Schreiten der Menschen tritt
Gottes Anmut und Wandel aus allen Herzen und Toren.
Lächeln, Atem und Schritt
Sind mehr als des Lichtes, des Windes, der Sterne Bahn,
Die Welt fängt im Menschen an.
Im Lächeln, im Atem, im Schritt der Geliebten ertrinke!
Weine hin, kniee hin. sinke!
RENfi SCHICKELE: HEILGE TIERE.. .\
In den Jahrtausenden haben
Die Menschen gebetet: sei still, Gewalt,
All die Herzen und die Hände, die sich gaben,
Sie begruben die Gewalt.
Ist der Kampf um Güte zwischen
Dir und mir
\'or den Betten, vor den Tischen,
Menschentier,
Nicht urschwer und voller Grauen
Und der Zorn des Stolzen vor dem Lauen
Und die Schmach des Schwachen und die ^"ot
Armer Armen, Tod im Feuchten,
Tod im Heißen, und das Weiß und Rot
Einer Liebe noch im Kronenleucht*^n
Spiegelnder Salone, ist nicht jeder Schlag
Ünsrer Herzen aller : Kämpfe, Siege,
Märsche, Wunden, Auf- und Mederstiege,
Qualen, Fieber, Jubel, hell und dunkler Tag?
Heiige Tiere, wie erscheint ihr groß und gut
Traumhaft wandelnd durch den >yebel Menschenblut I
253
GEORG HEYM: DIE SEEFAHRER
Die Stirnen der Länder, rot und edel wie Kronen,
Sahen wir schwinden dahin im versinkenden Tag,
Und die rausclienden Kränze der Wälder thronen
Unter des Feuers dröhnendem Flügelschlag.
Die zerflackenden Bäume mit Trauer zu schwärzen,
Brauste ein Sturm. Sie verbrannten wie Blut,
Untergehend, schon fern. Wie über sterbenden Herzen
Einmai noch hebt sich der Liebe verlodernde Glut.
Aber wir trieben dahin, hinaus in den Abend der Meere.
Unsere Hände brannten wie Kerzen an.
Und wir sahen die Adern darin, und das schwere
Blut vor der Sonne, das dumpf in den Fingern zerrann.
Nacht begann. Einer weinte im Dunkel. Wir schwammen
Trostlos mit schrägem Segel ins Weite hinaus.
Aber wir standen am Borde im Schweigen beisammen,
In das Finstre zu starren. Und das Licht ging uns aus.
Eine Wolke nur stand in den Weiten noch lange,
Ehe die iNacht begann in dem ewigen Raum,
Purpurn schwebend im All, wie mit schönem Gesangs
Über den klingenden Gründen der Seele ein Traum.
IWAN GOLL: DER P AA' AM A-KAN AL
Die Arbeit
Wo einst der Karaibe träumend sein Floß
Über die Seen trieb, wo bunte Papageien
In verwachsenem Urwald hingen, und mit Litaneien
Die Affen sich verfolgten; wo der Spanier groß
Und waffenglänzend, stolz nach leichtem Sieg,
Die Erde küßte und sein eigen nannte:
Und jeden Gott, der aus den lohenden Feuern stieg,
Mit seinem Fuß zertrat, weil er den Christ schon karmte,
204
Da schwenkten kleine, schwarze Eisenbahrien
Des Rauches weiße Meldungsfahnen
Und fraßen Wunden in die kreidigen Felsen.
Die starren Urwaldpalmen wurden rings gefällt,
Es flügelten über die tote Welt
Die Kranenstörche mit ihren neugierigen Hälsen.
• II
Wo aber Steinwust lag. mit grünem Moor geschminkt,
Da war von eklen Träumen die weiße Sonne umblinkt.
Wulstiges Moskitogewimmel
Schwalle über Graben und Trift,
Heiß war von ihrem Geschmeiß und Gesumm der .Aliltags-
himmel.
Jeder Stich von Sonne tötete wie Gift.
Aus den Sümpfen stieg mit grünbraun unterwühlten
Augen eine Pest und überspie Tal und Plateau
Und hatte schwarze Zähne, und diese stanken so
Bei ihrem Biß, daß ilire Opfer schon wie Aas sich fülilten.
Aus den Brunnen und den Stromgewässern
Stieg über Schienen und Bohren die Plage der Ratten und
Schleichen,
In den Weilen war es wie ein Spiel von Messern,
Und sie fraßen sich satt an den gedunsenen Pferdeleichen.
III
Doch die Erde bäumte sich vor all dem Frevel,
Hir rindiger Leib, ihr dürstender, wand sich gequält
Wie eine iNatter, wenn sie neu sich schältl
Aus den Schluchten schwärte gelber Schwefel.
Die Gebirge, von den Tunnels durchbohrt.
Fielen wie Gips von Gebälk; LehmlawLnen von ^^ olken um-
flort —
Und die Städte, die wie Moos iin Felsen angeschossen:
Städte aus Ziegeln, aus Stroh oder spitzem Gezell,
Um ein Badehaus, ein Spital, einen Tempel gestellt,
Plötzlich waren sie von Erde überflössen.
Alle Werker hatten gleiches Eis gesclilürft, alle hatten in
gleichen Pfannen
Fische des Gatun gebraten, und sie tanzten sonntags zu-
sammen; —
Aber die großen Totenstädte inmitten
Schieden sie bald wieder nach Völker- und Göttersitten.
IV
Da, von Zeit genagt, von Blut gehöhlt, von Gold und Qual
Geätzt, erstand durch See und Fels und Sandwust quer
Endlich der Kanal.
Bogenlampen leiteten ihn nachts von Meer zu Meer.
Tags aber war von Metall und Pumpen und Stöhnen ein Schall,
Wie eine Wolke von Dynamit sprengte den Himmel der Hall !
Je ein Ein- und Ausgang wuchsen die eisernen Schleusen,
Jeder Zoll von kleinlichem Hammer beschlagen,
Ungeheure Flügel, von kleinen Stahlgehäusen
Wie von Promethiden in die Tiefe getragen.
Und wenn diese Tore sich öffnen werden,
Wenn zwei feindliche Ozeane mit Gejubel sich küssen —
Oh, dann müssen
Alle Völker weinen auf Erden.
Die Weihe
Alles, was dein ist, Erde, wird sich nun Bruder nennen.
Alle Wasser, die bittern und die süßen.
Die kalten Ströme und die Quellen, die brennen,
Werden zusammenfließen.
Und dort wird der Herzschlag der Erde dauernd wohnen.
Wo des Golfstroms Natter sonnenschuppig sich ringelt
Und mit heißem BluQauf Kaps und Inseln aller Zonen
Umzingelt.
Feuerholz Brasiliens, Tannenstamm aus Nord,
Und Europas glatter, gleißender Stahl:
Schiffe finden sich von jedem Dock und Fjord
Hier am Kanal.
256
Rauch der Kohle aus lernen Ländern und Schichteri,
Tausendjähriger Wald, schwer zerdrückter Quarz,
Wächst wie ein breiter Baum zu den Wolkei;i, den lichten,
Aus der Erde schwarz.
Alle Masten schimmern wie ein Bündel Speere
über der friedlichen Völkerzahl,
Und beim Rauschelied der Motore und der Meere
Zittert der Kanal.
Rot und grün dazwischen hängen die Wimpelgirlanden
Wie gefangene Vögel in einem großen Wald;
Ihr Gezwitscher schallt
Von Stcinge zu Stcinge.
Und ein jeder singt die Weise seines Lands,
0 Geflitter von Sprachen und Lauten!
Aber die vielgereisten Matrosen und Argonauten
Verstehen sich ganz.
Alle Menschen im Hafen, auf den Docks, in den Bars,
Alle reden sich voll Liebe an.
Ob im Zopf, im Hut, in Mütze, ob blond oder schwarzen Haars,
Marui ist Mann.
Jeder Mann ein Bruder, den man schnell erkennt,
Jenes Aug' aus Mahagoni, jenes ein Dolch aus Erz,
Jenes, das wie ein Stern in ruhigen Nächten brermt,
Jenes, eine Blume voll Schmerz :
Ach, die Augen aller trinken Brüderschaft
Aus der Weltliebe unendlich tiefer Schale:
Denn hier liegt verschwistert alle Erdenki*aft,
Hier im Kanäle.
KARL OTTEN: AN DIE BESIEGTEN
Der blutige Schlamm der saugenden Gebirge
Ward euer Brot. Die Himmel klebten ihre
Gifthäute vor das maskenheiße stiere
Gesicht, stoßzuckend über Zahn und Backeneck.
An eure Sohlen kitzelte die Donnerfaust
Der Distelspeer verlebter Sagen, Niedertracht
Vergällter Kindertage schlug durchs Herz die Schlacht,
Die schon an euren leeren Locken maust.
Von Schuß zu Schuß umzingelt von Gendarmen
Verhaftet von der Angstmegäre blutig tollem Griff
Platzt euer Zwerchfell, das versammelt Schliff
Mut Grazie der Waffen Väter Tugend ewigwarmen.
Die Gräberhäuser eurer Brüder schlucken euch ein
Helden des Geistes Krone Lilie Palmenheilige
Ich küsse eure trotzig flatternden Hände
Verheiße euch allen Ruhm alle Gnade alles Sein.
All euer Leid: Euer Sturz von Grab zu Grab
Nicht sterben können, trotz Feuerkuß, vermeidet
Der Tod euch, Eis Schnee Eisen Cholera kleidet
Euch ein wie Bräute des Herrn — an euch wird Mensch
Der tolle Feind und alles Elend ist in ihm angekreidet!
Gott zieht vor euch her, gen Himmel geht die Flucht
In Tropfen singende Barmherzigkeit —
Jeder Tropfen Blut! Jeder Schuß! Fluch! Sieg sei verleidet
Verdorrt in seiner feigen Mörderhand, die bar
Der Würde Gottes euch wie Wild ausweidet.
Ihr Großen im Verlust! Ihr Helden: wer leidet
Ist der Sieger! Im Schöße Abrahams wunderbar
Seh ich euch eure guten Wunden pflegen
Indes der Feind um Gnade bettelt und erzählt.
Ihr Ungebrochenen, ihr Ungezählten, vermählt
Den wilden Börsenschreien, Zeitungsgeifer —
Euer herrlicher Sieg macht Gottes Herz erzittern!
Legt ab die falsche Scham, tretet auf die Plätze!
Jm Licht der freien Güte wollen wir euch preisen
Niemand wird wagen sein Hörn an euch zu wetzen —
Hier den besiegten Soldaten glutvoll meine Hand!
Den Freunden des Todes, wir bitten euch um Verzeihung!
Vergebt uns, die ihr blaß von Leid, narbenentstellt
Auf Krücken, Wägen, im Bett, blind und stumm uns flucht!
258
Ihr werft auf einen Danun mit euren Flüchen und Krücketi
Wir wollen ihn fortspülen mit Reue Güte und Gebet
Wir wollen euch pflegen, dienen bis dieser Haß verweht
Bis wir uns erkennen und den, der im Wege steht.
0 du besiegter Sieger, den Gottes Hand mit Feuer badete
Weißer als Schnee, du Flammensohn
Wir wollen warten bis mis vor Gottes Thron
Gemeinsann, Hand in Hand,
Ais Brüder, als Brüder, ja als Brüder Flammen der Liebe
entzücken.
ALFRED WOLFEN STEIiN:
ANDANTE DER FREUNDSCHAFT
Du bist es — ! Und ich schließe schon
Wie gern das Buch, den geisterfeinen Ton,
Mein Zimmer auch, das schwer durchrauchte.
Von allzuviel Verkörperung gebauchte.
Die Straße wiegt sich nun in unserm Gange
Wie eines Vogels enge Stange,
Wenn ihn ein Menschenmund zum Singen bringt.
Der Sternenhimmel wie entgittert winkt.
Den Schlitten öffnet endlos sich die Nacht,
Zur Höhe endlos ragt der Häuser Macht,
Die endlos tief in Bäume sinken.
Die Blätter, gleich Gestirn und Fenster, blinken.
Die Wiesen wölben sich, ein Himmel
Der Erde, bunt ins Horizontgewimmel,
Das Dunkel blüht und trägt, Sehn über Sehn!
Und dennoch mit der Erde Füßen Gehn.
Und es verstummt, was aus mir pochte : Welt,
Eröffne dich! — 0 hier isls schon erhellt.
Was sucht ich draußen irrer Leere zu :
Die weitere Welt, o Freund, bist du!
259
So fahre, Äther, hin alleine,
Venus und Mars und Jupiter sind Scheine,
Hier kreist ein Stern nicht nach Gesetzen fest,
An dessen freies Reich sich fliegen läßt!
Du Dunkel, das ich nie durchbrach :
Hier kommt ein Nachtklang zu mir, den er sprach,
Geheimnis regt in ihm die Lippen, sendet
Die Hand den Brüdern, stirngeblendet.
Stark zuckt der Strom hindurch — wir hören
Die vielen, die in gleichen Ganges Chören
Nun dasind und die schwere Erde weihn
In ihre klaren Takte ein.
Und unser Knie stellt pfeilerhaft
Zahllose Dome vor uns auf, und rafft
Sie weg. Denn wir sind luftiges Werden,
Des großen Geistes Kolonie auf Erden.
O daß er in das Chaos nicht nur Einen
Pflanzte — wie fühlen wirsi Und Lachen, Weinen
Nicht in die Wüste rieseln läßt
Und unsern Ptuf in Andrer Ohren faßt.
Daß wieder darin ausgebreitet er
Ströme weiter im Geist — Daß unser Mehr
Kein Zufall ist, ein Tanz auf vollem Balle —
Wie schlagens unsre Herzen alle !
Von tiefem Schlage donnern unsre Brüs.te,
Und unsrer Erde zweifelhaft Gerüste
Zertanzen wie auf Gipfelspitzen wir,
Ein jeder stark von sich und dir und dir.
Doch über aller Freude Kraft!
Wie zwischen Sternen sich der Himmel strafft,
Wölbt Freundschaft Tat — wölbt über uns die Tat!
Haucht immer neuem Stern den Pfad.
So dehnt sich Welt, durch euch hindurch geführt —
Entladet euren Raum der Geister, rührt
Einander an — und Funke springt, springt weiter.
Aus euch hervor, ihr Gluthaupt tragenden Schreiter 1
260
I
Ludwig Meidner
Alfred JVolfenstein
i
KURT HEYNIGKE: FREUNDSCHAFT
Freund,
wenn du lächelst,
lächelt mein Herz,
und die Freude hebt ihre Fackel,
unsere Straße ist ein lächelnder Tag!
0, daß wir DU sind einander,
daß wir dieses Du
tragen dürfen in jedes Herz —
das ist, was uns eint.
Wohl baut sich manchmal der Tempel Stille auf,
und die Berge der Einsamkeit hüllen uns ein,
o,
tief in sich ist jeder allein.
Doch das Lächeln schlägt Bogen von mir zu dir,
und die Türen sind weit zum Tempel der Seele.
Heilig
ist der Mensch!
Knieen sollen wir einander vor dem Leid,
erheben soll uns die Freude,
wir schenken einander das Ich und das Du —
ewig eint uns das Wort :
MENSCH.
Inuner
können wir glücklich sein.
LUDWIG RUBINER: DIE AMiUXFT
Dir, die Ihr diese Zeilen nie hören werdet. Dürftige Mäd-
chen, die in ungesehenen Winkeln von Soldaten gebären.
Fiebrige Mütter, die keine Milch haben, ihre Kinder zu nähren.
Schüler, die mit erhobnem Zeigefinger stramm stehen müssen,
Ihr Fünfzehnjährige mit dunklem Augrand und Träumen
von Maschinengewehrschüssen,
Ihr gierige Zuhälter, die den Schlagring verbergt, wenn Ihr
dem Fremden ins Menschenau^e seht,
Ihr Mob, die Ihr klein seid und zu heißen Riesenmassen
schwellt, wenn das Wunder durch die Straßen geht,
263
Ihr, die Ihr nichts wißt, nur daß Euer Leben das Letzte ist,
Eure Tage sind hungrig und kalt :
Zu Euch stäuben alle Worte der Welt aus den Spalten der"
Mauern, zu Euch steigen sie wie Weinrauch aus dem Dunst
des Asphalt.
Ihr tragt die Kraft des himmlischen Lichts, das über Dächer
in Euer Bleichblut schien.
Ihr seid der schallende Mund, der Sturmlauf, das Haus auf
der neuen gewölbten Erde Berlin.
Ihr feinere Gelehrte, die Ihr nie Euch entscheidet hinter
Bibliothektischen,
Ihr Börsenspieler , die mit schwarzem Hut am Genick
schwitzend witzelt in Sprachgemischen.
Ihr Generäle, weißbärtig, schlaflos in Stabsquartieren, Ihr
Soldaten in den Leichenrohren der Erde hinter pestigen
Aasbarrikaden,
Und Kamerad, Sie, einsam unter tausend Brüdern Kameraden ;
Kamerad, und die Brüder, die mit allem zu Ende sind.
Dichter, borgende Beamte, unruhige Weltreisende, reiche
Frauen oluie Kind,
Weise, höhnische Betrachter, die aus ewigen Gesetzen den
kommenden Krieg lehren: Japan- Amerika,
Ihr habt gewartet, nun seid Ihr das Wort und der göttliclie
Mensch. Und das himmlische Licht ist nah.
Ein Licht flog einst braunhäutig vom Südseegolf hoch, doch
die Erde war ein wildes verdauendes Tier.
Eure Eltern starben am Licht, sie zeugten Euch blind. Aber
aus Seuche und Mord stiegt Ihr.
Ihr söget den Tod, und das Licht war die Milch, Ihr seid
Säulen von Blut und sternscheinendem Diamant.
Ihr seid das Licht. Ihr seid der Mensch. Euch schwillt neu
die Erde aus Eurer Hemd.
Ihr ruft über die kreisende Erde hin, Euch tönt 'rück Euer
riesiger Menschenmund,
264
Ihr steht herrlich auf sausender Kugel, wie Gottes Haare im
Wind, denn Ihr seid im Erdschein der geistige Bund.
Kamerad, Sie dürfen nicht schweigen. 0 wenn Sie wüßten,
wie wir geliebt werden I
Jahrtausende mischten Atem uud Blut für uns, wir sind
Sternbrüder auf den himmlischen Erden.
0 wir müssen den Mund auf tun und laut reden für alle Leute
bis zum Morgen.
Der letzte Reporter ist unser lieber Bruder,
Der Reklamechef der großen Kaufhäuser ist unser Bruder 1
Jeder, der nicht schweigt, ist unser Bruder I
Zersprengt die Stahlkasematten Eurer Einsamkeit!
0 springt aus den violetten Grotten, wo Eure Schatten im
Dunkel aus Eurem Blut lebend schlürfen!
Jede Öffnung, die Ihr in Mauern um Euch schlagt, sei Euer
runder Mund zum Licht !
Aus jeder vergessenen Spalte der Erdschale stoßt den Atem-
schlag des Geistes in Sonnenstaub I
Wenn ein Baum der Erde den Saft in die weißen Blüten
schickt, laßt sie reif platzen, weil Euer Mund ihn beschwört!
0 sagt es, wie die geliebte grünschillernde Erdkugel über dem
Feuerhauch Eures lächelnden Mundes auf und ab tanzte!
0 sagt, daß es unser aller Mund ist, der die Erdgebirge wie
Wolldocken bläst!
Sagt dem besorgten Feldherrn und dem zerzausten Arbeits-
losen, der unter den Brücken schläft, daß aus ihrem Mund
der himmlische Bremd lächelnd quillt!
Sagt dem abgesetzten Minister und der frierenden Wander-
dirne, sie dürfen nicht sterben, eh hinaus ihr Menschenmund
schrillt!
Kamerad, Sie werden in Ihrem Bett einen langen Schlaf
tun. 0 träumen Sie, wie Menschen Sie betrogen; Ihre Freunde
verließen Sie scheel.
265
Träumen Sie, wie eingeschlossen Sie waren. Träumen Sie
den Krieg, das Bluten der Erde, den millionenstimmigen Mord-
befehl,
Träumen Sie Ihre Angst; Ihre Lippen schlössen sich eng,
ir Atem ging
Ziergesträuchen.
Ihr Atem ging kurz wie das Blätterbeben an ersehreckten
Schwarzpressender Traum, Vergangenheit, o Schlaf im
eisernen Keuchen!
Aber dann wachen Sie auf, und Ihr Wort sprüht ums Rund
in Kometen und Feuerbrand.
Sie sind das Auge. Und der schimmernde Raum. Und Sie
bauen das neue irdische Land.
Ihr Wort stiebt in Regenbogenschein, und die Nacht zerflog,
wie im Licht aus den Schornsteinen Ruß.
0 Lichtmensch aus Nacht. Ihre Brüder sind wach. Und Ihr
Mund laut offen ruft zur Erde den ersten göttlichen Gruß.
ALFRED WOLFENSTEIN:
DIE FRIEDENSSTADT
Die Nacht verdunkelt tiefer sich in Bäume,
Der Boden schwankt wie Schädel voller Träume,
Wir wandern langsam, wissen kaum, warum
Wir aufgebrochen sind, und harren stumm.
Wir haben paradiesisch lau gelebt,
In Wäldern, Ebenen farblos eingeklebt,
Aus weiter Landschaft blickte jeder stille.
In ruhigen Körpern hauste klein der Wille.
Durch kleine Teiche schwammen unsre Pläne,
Gleichgültig leicht und einsam wie die Schwäne,
Auf unsrer ahnungslosen Jugend lag
Der Alten Zeit, der Ordnung glatter Tag.
Kein Herz, kein Blick, kein Kampf ward in ihr groß.
Aus Wurzeln stieg die Landschaft regungslos
In einen Schein des Friedens, halb verdunkelt
— Und plötzlich wie ein Schein von Größe funkelt
266
Von Ungeheuern unser Weg, und Brände
Und Waffen drücken sich in unsre Hände,
Zweischneidig, in die Seele drückend Wunden,
Und wir, umlrommelt rings, gepreßt, gebunden,
Stehn in der Erde ältestem Geschick,
Im Krieg. — ein Späherheer fängt unsern Blick,
Wald wächst voll unnatürlicher Gewalten,
Voll Mauern, die uns grau in Waffen halten :
Mit kahlem Stemgesicht, unnahbar böse,
In seinen Händen gellendes Getöse,
Den Stahl im Munde und im Herzen stumm
Geht ein Gespenst durch Menschenreihen um.
Es schlägt die Erde dröhnendes Zerstören,
Und nirgends ist ein Herzschlag melir zu hören,
Wir stehen eingereiht ins Heer des Nichts
Und werden ausgesandt zum Mord des Lichts.
Doch plötzlich in dem allfeindseligen Land —
Mit wem zusammentastet meine Hand?
0 — etwas mutigeres Weiterstrecken
Und dich bei mir und mich bei dir Entdecken!
Mensch bei dem Menschen — Und de Welt ist wieder!
Gewalt erblaßt, Gewgdt sinkt vor dir nieder,
0 Freund — ! Kaserne flieht um unser Haupt,
Um Schönheit, die sich plötzlich gleicht und glaubt!
Die Erde fällt, doch Geister sind noch da.
Um sie zu halten! Komm und bleibe nah.
In ihre Wüste werde emgetürmt
Die Friedensburg, die keiner wieder stürmt.
Aus Donnerspannung unsrer Hände bricht
Die Stadt! voll Stirnen, Himmeln, Wucht und Licht,
Der Kuß sich ewiglich umschlingender Straßen,
Die Glücklichkeit ara Hellem ohne Maßen.
Die Soime nimmt durch unsre Stadt den Flug!
Und nie ist ein Verräter dunkel genug,
Sich hinzuwühlen miter diesen Frieden,
Kein Winkel wird hier Waffen heimlich schmieden.
267
Dring weiter, Strahl der Stadt, in alle Reiche,
Wir speisen dich, wir tief im Geiste Gleiche,
Aus endloser Berülixung brennt ein Meer
Hervor, zurück und heißer, höher her.
Du Friede, Kampf der Stadt! du roter Stern,
Mach über Krieg, Nacht, Kälte dich zum Herrn,
Von uns verbunden tiefer uns verbünde,
Geliebt und liebend leuchte und entzünde!
WILHELM KLEMM: ERGRIFFENHEIT
Die Ausrufe des Erstaunens
Wer lehrte sie dich, du kindiiches Herz,
Und die Schauer der Einsamkeilsstunden
Wer säte sie in dich, irrende Seele?
Wo du auch stehst, die Hälfte der Welt
Liegt vor dir, die andre hinter dir,
Und weil du flüchtig bist und begrenzt
Deshalb kannst du das Unbegrenzte nicht fassen.
Aber Körper, blitzend im Feuer der Gottähnlichkeit,
Leuchten auf, Gatten und Brüder von dir!
Jn deine Arme, Menschheit, geliebte,
Blühende Wunderheimat des Unvergänglichen.
\
WILHELM KLEMM: ERFÜLLUNG j
In der Seele geht es auf wie eine Sonne — i.
Rosenrot und warm flutet das Blut, ^
Leicht sind die Glieder. Von raschen Gefühlen durchströmt ij
Aufblühen die fernen und die nahen Erinnerungen. \
Landschaften treiben vorüber und Menschengesichter, ^
Die Geliebten erscheinen in Jugend und Schönheit getaucht. J
Tausend glitzernde Kammern öffnen sich — j
Nenne mir den Gedanken, auf den man nicht antworten kann! |
Wir spüren den Schlüssel im Herzen, der die Welt öffnet,
Wir kommen uns so nahe, wie sich nur Engel kommen
können,
Die sich erst in unendlicher Ferne küssen,
Aber dann auf ewig zusammen wachsen.
268
REISfi SCHICKELE: PFINGSTEN
Die Engel unsrer Mütter
sind auf die Straße gestiegen.
Das Rauf herz der Väter
stiller schlägt.
Feurige Zungen fliegen
oder sind wie Kränze
auf Stirnen gelegt.
Gehör und Gesicht kennen keine Grenze,
wir sprechen mit Mensch und Tier.
Was unser Blick trifft, antwortet: ..Wir".
Die Kiesel am Weg sind schallende Lieder,
jeder Pulsschlag kommt von weither wieder,
Blühendes strebt, von kleinen Flammen beschwingt.
Die Fische schaukeln den Himmel auf ihren Flossen
und sind von blitzenden Horizonten umringt,
Sonne tanzt auf dem Rücken der Hunde.
Jedes ist nach Gottes Gesicht in Licht gegossen
und weiß es in dieser einzigen Stunde
und erkennt Bruder und Schwester und singt.
REiN£ SCHICKELE: ABSCHWUR
Ich schwöre ab :
Jegliche Gewalt,
Jedweden Zwang,
Und selbst den Zwang,
Zu andern gut zu sein.
Ich weiß :
Ich zwänge nur den Zwang.
Ich weiß :
Das Schwert ist stärker,
Als das Herz,
Der Schlag dringt tiefer,
Als die Hand.
Grewalt regiert,
369
Was gut begann.
Zum Bösen.
Wie ich die Welt will.
Muß ich selber erst
Und ganz und ohne Schwere werden.
Ich muß ein Lichtstrahl werden,
Ein klares Wasser
Und die reinste Hand,
Zu Gruß und Hilfe dargeboten.
Stern am Abend prüft den Tag,
Nacht wiegt mütterlich den Tag.
Stern am Morgen dankt der Nacht.
Tag strahlt.
Tag um Tag
Sucht Strahl um Strcdil,
Strahl an Strahl
Wird Licht,
Ein helles Wasser strebt zum andern.
Weithin verzweigte Hände
Schaffen still den Bund.
FRANZ WERFEL : DAS MASS DER DINGE
Alles ist, wenn du liebst!
Dein Freund wird Sokrates, wenn du's ihm gibst.
Herz, Herz, wie bist du schöpferisch!
Du schwebst! Die Erde wird himmlisch.
Einst kamst du, ein Kind, zu grünem Waldweiher.
Sahst schaudernd den geheimnisvollen Algen-Schleier.
Du streichtelst der Weidenkatzen tierisch-süßen Samt
Wie tiefsinns-selig bebte deine Knabenhand!
In deinem Aufschwung, Mensch, wird alles groß!
In deinem Abschwung alles hoffnungslos!
Und nur die Seele, die sich liebend selbst vergaß,
Ist aller Dinge Maß und Übermaß.
2'-o
ERNST STADLER: FORM IST WOLLUST
Form und Riegel mußten erst zerspringen,
Welt durch aufgeschlossne Röhren dringen :
Form ist Wollust, Friede, himmlisches Genügen,
Doch mich reißt es, Ackerschollen umzupflügen.
Form will mich verschnüren und verengen,
Doch ich will mein Sein in alle Weiten drängen —
Form ist klare Härte ohn' Erbarmen,
Doch mich treibt es zu den Dumpfen, zu den Armen,
Und in grenzenlosem Michverschenken
Will mich Leben mit Erfüllung tränken.
THEODOR DÄUBLER:
DER STUMME FREUND
Vermenschter Stern, mit allen deinen Fluten
Verlangst und bangst du blaß hinan zum Mond.
Wir können bloß die Mondsehnsucht vermuten
Und wissen wolil, kein Mondgespenst hat uns verschont.
Begebnisse, die nie ein Wunsch ersauxn,
Entwallen deinen Tiefen, die auf uns beruhten.
Und schmeicheln sich zum leichten Mond hinan.
Geschlechter fguigen an, sich leiblich einzubluten.
Und streben schon zum Stern, der mit dem Tod begann.
Wir träumen uns hinweg nach einem Heime,
Wo unser Aufgang starr und frostig sei.
Im angeträumten Schlummerebbungsschleime
Erscheint des Sterbens Silberstickerei;
Der Mond verstreut die bleichen Todeskeime :
Sein Mitleid keimt bereits in jedem Ei.
Vermenschter Stern, zu deinem freundlichen Genossen
Will unvermutet auch das frohste Sonnenkind.
Was überraschend rasch am Tag ersprossen.
Bleibt innerlich doch mild und mondhaft lind.
Dem Monde ist ein W^ort vor seinem Tod entflossen.
Das alle hörten, dessen niemand sich besinnt.
Empor zum Mond! JNun ist sein Mund verschlossen.
Zum Silbermond, dem keine Silbe mehr entrinnt.
JOH. R. BECHER: DIE INSEL DER VERZWElFLVm'
: — Wie sehne ich mich Fels-Geschwür nach Meer,
Darin ich untertauchend nnich versenke.
Auf meinem Rücken hlutcn Völker schwer.
Die Enziantiefen aber lieb ich sehr :
Paläste zaubrischer Korallgeschenke.
Daß ich, gelöst vom Grund, ein Schiff mich aufwärtsschwenke,
Der Äther erzene Stürme durch . . . o immer näher I
Schon blüht mein Fleisch. Es tönen die Gelenke.
Gestirne schweben Engel um mich her. —
Ich darf mich leicht im ewigen Tanze drehen.
Des Mundes Schwefelrauch entquoll zur Fahne,
Die sich verbreiternd — welche Süße! — weht!!!
Die Stirngemäuer blitzen Licht-Altane.
Der Augen Trichter reinster Heimat-See.
Ich ward gerissen fort zum Strom der Gnade,
Da Tier lobt Mensch. Und Mensch an Mensch verglüht.
In meinem Glanz die Kreaturen baden.
Brüder alle heißen sie...!II
IWAN GOLL: WASSERSTURZ
Wasser und Mensch,
Ihr seid die ewige Bewegung!
Ihr seid der Trieb von allen Trieben: ihr seid der Geist!
Da steht kein Felsen starr und keine Gottheit hoch :
Vor eurem StralU zersplittern die Blöcke Granit,
Vor eurer Stimme birst das Schweigen des Todes.
0 Wasserfall, du Perlen tänzer.
Aus deinem steilen, einzigen Wasserstamm
Blühst du Millionen Wasserzweige an die Erde!
Der giftigen INessel am Straßengraben gibst du dich hin,
Du treibst den grünen Springbrunnen der Palmen empor;
Vergißmeinnicht fröstelt in deinem Tau,
Und der fette Ölbaum saugt dich mit kupfernen Pumpen auf.
Du bist der unendliche Geliebte der Erde!
272
So will ich, dein unsterblicher Geliebter,
Über die Menschheit strömen und überströmen:
Hinunter, hinunter aus der Einsamkeit
Schäumend von Liebe niederschmelzen,
(An den Gipfeln ermaß ich die Tiefe der Täler)
Zurück zur Menschheit will ich mich ergießen,
Zu den dunklen Schluchten der Besiegten und Geknechteten,
Zu den grauen Wüsten der Streber und Unfruchtbaren,
Zu den endlosen Ebenen der Armen und der Tölpel,
Zu den rauchigen Häfen der Vertriebenen und Gezwungenen —
Hinab, hinab, dem ewigen Trieb muß ich gehorchen,
Wer sich verschenkt, bereichert sich am meisten.
Ich will mit sprudelndem Mund und lachenden Augen
Die große Liebe dieser Nacht vergeuden.
Mich geben und geben, da ich weiß :
Unversiegbar sind die Gletscher der Erde,
Unversiegbar sind die Quellen des Herzens!
THEODOR DÄUBLER:
ES SIND DIE SONNEN UND PLANETEN
Es sind die Sonnen und Planeten, alle.
Die hehren Lebensspender in der Welt,
Die Liebeslichter in der Tempelhalle
Der Gottheit, die sie aus dem Herzen schwellt.
Nur Liebe sind sie, tief zur Rast gedichtet,
Jhr Lichtruf ist urmächtig angespannt,
Er ist als Lebensschwall ins All gerichtet:
Was er erreicht, ist an den Tag gebannt!
Ein Liebesband hält die Natur verkettet;
Die Ätherschwelle wie der Feuerstern,
Die ganze Welt, die sich ins Dunkel bettet.
Ersehnt in sich den gleichen Ruhekern.
Durch Sonnenliebe wird die Nacht gelichtet,
Durch Glut und Glück belebt sich der Planet,
Die Starre wird durch einen Brand vernichtet.
Vom Meer ein Liebeswind verweht.
Wo sich die Eigenkraft als Stern entzündet.
Wird Leben auch sofort entflammt,
Und wenn die Welt sich im Geschöpf ergründet,
So weiß das Leid, daß es dem Glück entstammt.
18
273
So muß die Erde uns mit Lust gebären,
Und wird auch unser Sein vom Tag geschweißt,
Können doch Sterne uns vom Grund belehren
Und sagen, daß kein Liebesband zerreißt.
Wir sehn das Leben uns die Jugend rauben,
Es ängstigt uns das Alter und der Tod,
Drum wollen wir an einen Anfang glauben
Und schwören auf ein ewiges Urgebot.
Doch ist die Ruhe bloß ihr Ruheleben,
Nichts ist verschieden, was sich anders zeigt;
Und vollerfüllt ist selbst der Geister Beben,
Ja, alles die Natur, die sprechend schweigt!
Beständigkeit ist der Gewinn der Starre,
Doch es ereilt, zermürbt sie Ätherwut,
Und bloß der Geist ist da, daß er beharre.
Da er als Licht auf seiner Schnelle ruht.
Es sucht die Welt zwar immerfort zu dauern
Und sie umrundet drum den eignen Kern,
Sie kann zum Schutz sich selber rings umkauern.
Doch ist ihr Wunsch nicht ewig, sondern fern.
Es mag die Welt das Weiteste verbinden,
Der Geist jedoch, der aus sich selber drängt,
Kann solche Riesenkreise um sich winden.
Daß überall sein Wirken sich verschenkt.
So sind die Welten immerfort entstanden,
Doch da sich Ewiges jedem Ziel entreißt.
Entlösten Sterne sich von Sternesbanden.
Was die Unendlichkeit im Sein beweist!
Ja Liebe, Liebe will sich Welten schaffen.
Bloß Liebe ohne Zweck und ohne Ziel,
Stets gleich, will sie stets anders sich entraffen.
Und jung, zu jung, bleibt drum ihr ewiges Spiel.
Denn glühte durch das All ein Schöpferwollen,
So hätte Eine Welt sich aufgebaut.
Und traumlos würden Geister heller Schollen,
Im klaren Sein, von ihrem Dunkelgrund durchgraut.
574
RUDOLF LEONHARD: ABENDLIED
Als Abend schon vom Licht erschütterte Straßen wärmte,
sagte die Frau — fast sang sie — die ohne mich anzustreifen
neben mir ging:
„Nun schließen sich alle Leben in einen Ring,
dessen Mitte und Sinn
ich bin.
Mir sind Gesichter aller Kommenden hingegeben,
und sieh doch, daß sie, glühende und verhäimte,
sich alle abendlich neu beleben!
Hier hinter diesen Scheiben wird lachend genossen.
Hier wurde Blut, dort werden Tränen vergossen.
Der drüben ist morgen bankerott,
der andre — siehst Du ihn — lächelt und spricht mit dem
lieben Gott.
Die beiden werden ihr Heisch in Küssen erweichen und
schmelzen
und tierisch wie auf dichten Pelzen übereinanderwälzen.
0 fühle, wie wir alle auf harten Thronen
zwischen der Kneipe und unsern starrenden Kirchen wohnen !
Sieh diesen Briefträger an. Glaube, er wird noch ^iele Treppen
ersteigen,
an den Spalten wartenden Männern und Mädchen von weitem
nicken,
alle blind austeilend mit Freude und Qual beschicken,
unwissend weiter steigen
und schweigen.
Mit elastischen Schenkeln und Knien und gewöhntem Blicke
vier, fünf Treppen hoch in die Himmel der Menschengeschicke!
Die blanken Pfützen zwischen den Steinen beglücken mich,
die alle Lampen zu schwankenden Sträußen pflücken,
die Pappeln um den Brunnen entzücken mich,
die ihre magern Zweige zusammenrücken;
und diese schmutzigen, weinenden Kinder bedrücken mich.
Alle Taten, die mit dem Tage entwichen,
hat der Abend in meine hoch getragne Stirn gestrichen.
275
Oh, dennoch den Kopf leicht hinein in den warmen Abend
heben,
und über die Betäubungen in den Bars und Tanzlokalen,
über Dich und meine eigenen Qualen
hinweg um Dächer und Fenster schweben — "
Ich wollte zart und bittend ihre geliebte Schläfe beschauen;
es stand eine steile Falte zwischen ihren verdunkelten Brauen.
WALTER HASENGLEVER: GEDICHTE
Wenn der Tod
Die Musik verschlingt:
AVerden wir uns erkennen?
Lebst Du
Im Zimmer, wo Männer stehn?
Aus dem Meer steigt die Insel,
Ein Leben, das uns gegolten hat.
Vögel fliegen auf.
Weine nicht!
Mond.
Gazellen rufen;
Die Öde der Täler, bedeckt von Schnee.
Sieh, ich wandle,
Ein Mensch der Liebe.
Ein Herz voll Hoffnung
Hat mich erreicht.
Wo bist Du?
Ein Stern fällt.
Dein Gesicht!
Du bist da!
*
Wenn Du den Becher leerst.
Wo jenseits
Weiße Schwalben trinken :
Vergiß nicht die Träne,
Den Kuß, den Du träumlest,
Am Himmel der Toten.
Du bist geliebt!
276
WALTER HASENGLEVER:
AUF DEN TOD EINER FRAU
Wenn Du Dich neigst am Saum des Himmels,
Sommerentlaubt :
Wir bleiben zurück,
Wir öffnen die Augen,
Wir sehen Dein ewiges Bild.
Nun weißt Du alles,
Träne und Hoffnung,
Die Welt de^ Leides, die Welt des Glücks.
Erlöste Seele, geliebte Seele,
Schwester unser,
Die Heimat ist da I
ELSE LASKER-SGHÜLER: GEBET
(M einem teuren Halbbruder, dem blauen Reiter)
Ich suche allerlanden eine Stadt,
Die einen Engel vor der Pforte hat.
Ich trage seinen großen Flügel
Gebrochen schwer am Schulterblatt
Und in der Stirne seinen Stern als Siesrel.
Und wandle immer in die Nacht . . .
Ich heibe Liebe in die Welt gebracht, —
Daß blau zu blühen jedes Herz vermag.
Und hab ein Leben müde mich gewacht.
In Gott gehüllt den dunklen Atemschlag.
0 Gott, schließ um mich deinen Mantel fest;
Ich weiß, ich bin im Kugelglas der Rest,
Und wenn der letzte Mensch die Welt vergießt,
Du mich nicht wieder aus der Allmacht läßt
Und sich ein neuer Erdball um mich schließt.
FRANZ WERFEL: VEM CREATOR SPIRITUS
Komm, helliger Geist, Du schöpferisch I
Den Marmor unsrer Form zerbrich !
Daß nicht mehr Mauer krank und hart
Den Brunnen dieser Welt umstarrt,
Daß wir gemeinsam und nach obpn
Wie Flammen ineinander toben!
Tauch auf aus unsei'n Flächen wund,
Delphin von aller Wesen Grimd,
Alt allgemein und heiliger Fisch!
Komm, reiner Geist, Du schöpferisch,
?Sach dem wir ewig uns entfalten,
Kristallgesetz der Weltgestalten!
Wie sind wir alle Fremde doch!
Wie unterm letzten Hemde noch
Die Schatlengrelse im Spital
Sich hassen bis zum letztenmal,
Und jeder, eh' er ostwärts mündet,
Allein sein Abendlicht entzündet,
So sind wir eitel eingespannt,
Und hocken bös an unserm Rand,
Und morden uns an jedem Tisch.
Komm, heiliger Geist, Du schöpferisch,
Aus uns empor mit tausend Flügen!
Zerbrich das Eis in unsern Zügen !
Daß tränenhaft und gut und gut
Aufsiede die entzückte Flut,
Daß nicht mehr fern und unerreicht
Ein Wesen um das andre schleicht, '
Daß jauchzend wir in Blick, Hand, Mund und Haaren,
Und in uns selbst Dein Attribut erfahren !
Daß, wer dem Bruder in die Arme fällt,
Dein tiefes Schlagen süß am Herzen hält.
Daß, wer des armen Hundes Schaun empfängt.
Von Deinem weisen Blicke wird beschenkt,
Daß alle wir in Küssens Überflüssen
Nur Deine reine heilige Lippe küssen!
278
Ludwig Meidner
Franz iVerfil
THEODOR DÄUBLER:
DER MENSCH IST EINE WELKE KLETTE
Der Mensch ist eine welke Klette:
Schmarotzerrot keucht der Kaukasier hin
Und baut sich emsig gelbviolette Städte.
Doch geht sein Wille über seinen Sinn!
Der Erdermüdung weiße Friedensschwingen
Sind schon im Leben unser Lichtgewinn.
Die Arbeit muß den warmen Leib bezwingen.
In der Erschlaffung Armen ruhn wir aus:
Im Traume kann der erste Flug gelingen!
Die Seele baut sich hier ein Glastwaldhaus,
Ihr blasses, unberührtes Sehnsuchtseden:
Wenn schrecklich auch, doch fern vom Erdgebraus!
Entleibt, bemerkt der Geist des Traumes Schäden
Und führt dann Kampf um Christi Licht,
Denn Erdgespenster muß er noch befehden!
Im Wollustwalmsinn suchst du kein Gericht.
Gereinigt wirst du selbst vor Christum treten.
Denn Gnade strahlt in jede Zuversicht.
Die Menschen, die am Werktag lichtwärts beten,
Sehn hoch im Sonnenrot ihr Weltsymbol,
Den Sieg über die Angst der IVachtplaneten.
Der Tod ist nur die Furcht vor unserm Wohl,
Das Fleisch hat Angst sich ewig wahrzunehmen.
Doch holde Hoffnung überstrahlt den Pol.
Das Urfeuer will sich des Endes schämen
Und wirkt als Ewigkeit, die sich erweist.
Tief überwunden sind des Zweifels Schemen:
Die Welt versöhnt und übertönt der Geist!
281
KUKT HEYNIGKE: GESANG
In mir ist blauer Himmel;
ich trage die Erde, <
trage die Liebe,
mich
und die Freude.
Sonne kniet vor mir,
aufsteigt das Korn,
ewiger Born fließt über die Lenden der Erde.
Werde I
Aufjubelnde Seele des All!
Ich bin ein Mensch im Arme des ewigen Werdens,
Geheimnis ist selig erschlossen,
ich bin in mich selber hell ausgegossen,
mit blauem Riesenfittich schweb' ich gen Sonne I
Stürzt die Ferne in meine Seele,
singt süßer Sang in mir,
ich fühle,
endelos,
daß ich nicht einsam bin ...
So nahe du bist,
Bruder Mensch,
die Ferne, die den Bogen um uns schlägt,
eint unsern Traum,
wenn das Angesicht Gottes sich über uns wölbt
und donnernd der Raum unserer Gedanken
über die gleichen Gebete unserer Freundschaf t stürzt. . .
Eine
Seimsucht ist der Kreis unserer Händel
0, laßt uns lächeln über den Tälern der Menschen —
wie die Seele des Monds,
die silbern träumt . . .
FRANZ WERFEL: EIN GEISTLICHES LIED
Wir drehen uns vorüber
An einem Lämpchen, einem Mann.
Uns reißt etwas hinüber.
Und letzte Sehnsucht faßt uns an.
282
Wir werden nie uns haben,
Denn Formsein packt uns hcrriscii ein.
Und sind wir einst begraben,
Wird Staub dem Staub noch feindlich sein.
Am Gitter der Slowake
Spuckt aus und wischt sich seinen Mund.
Ein andrer hebt die Hacke,
Und näher schwebt ein brauner Hund.
Wenn sie vorüberspülen,
Bestürzt uns Lieb' zu Fleiscli und Stein,
Doch wie wir Körper fühlen.
Muß Ekel unsre Antwort sein.
Verheißung letzter Treue
Ist unserer Augen Bruderlicht,
Aus dem die Winterbläue
Der ungedämmtcn Himmel bricht.
Daß wir dereinst uns finden
In den Gefühlen ohne Sprung,
Durch uns in uns verschwinden,
Und Schwung sind, nichts als Schwung und Lieb' und jagende
Begeisterung.
FRA^ZWERFEL: DIE LEIDENSCHAFTLICHEN
Mein Gott, es werden sein zu deiner Rechten
Nicht die Wahrhaftigen allein und die Gerechten!
Nein alle, die in dreizehn Dezembernächten
Vor einem Fenster standen. Und Frauen, die sich rächten
Mit Vitriol und dann im Gerichtssaal ergrauten,
Die Eifersüchtigen all, die ihr Blut stauten.
In Droschken weinten, in Sälen sich erfrechten!
Die durchgefallnen tiefen Atmer,
Sänger, die mit bezechten
Gliedern dem Tod sich in die Grube schmissen,
Sie werden sein zu dir emporgerissen,
Und werden sitzen, Gott, zu deiner Rechten!
283
Es werden wandeln in deinen Gäxten
Nicht nur die Demütigen und Beschwerten,
Nein alle, die leuchteten und verehrten !
Mädchen, die in Konzerten erkrankten.
Weil ihre Wangen zu bleich sich verklärten,
Blicke aus Augen, die dankten —
Wahre Augen-Blicke zu nimmer verzehrten
Dauern aus Zeit in deine Zeiten gehoben.
Werden sie lodern weiter und loben.
Leichte Feuer wandelnd in deinen Gärten!
Es werden ruhen, Gott, in deinen Tiefen
Nicht die allein, die deinen Namen riefen.
Nein alle, die in den Nächten nicht schliefen!
Die am Morgen ihr Herz mit beiden Händen häuften
Wie Flamme, und liefen
Tiefatmend, blind, in unbekannten Lauften.
Ein Küsten- Wind zuckt in Selbstmörderbriefen.
Die Knaben haben Meere nicht verstanden,
So brannten sie sich ab in Hieroglyphen.
Nun knarrt ein Rost-Schild an den schiefen
Eisernen Kreuzen der Konfirmanden.
Wie sehr wir hier sind, sind wir dort vorhanden —
Die hier unruheten aus deinen Tiefen,
Sie werden ruhen dort in deinen Tiefen.
PAUL ZECH: DAS IST DIE STUNDE
I.
Du kniest, Du betest vor — : wie dieser Gott
sich überreden läßt trotz tausend Lügen
und weichgewordner Päpste Spott.
Es sammelt sich Dein Wort in Zügen,
es zweigt der Strom sich siebenfach im Raum ;
die Jungfrauen tragen wieder öl in Krügen.
Schallmeien schallen lockend Zimbelschaimi
und Engelscharen blau auf goldnem Grunde.
Ich küß von Deinem Kleid den Saum
und eine Taube schwebt und spricht: Das ist die Stunde!
284
IL
Das ist die Stunde : Heimat überall
und noch in der Geliebten Sakrament.
Nie wieder wird ein Sündenfall
die Erde fluchen, bis sie brennt.
Das Du in mir, das Ich in Dir
lebt ungetrennt
fortzeugend noch, bis wir
vorwärts in heiligen Schairen
gemündet sind als Waldung oder Tier,
und wiederkehren nach Millionen Jahren.
WILHELM KLEMM: E I ^' H E I T
Laß fallen, was fällt.
Auch die Vernichtung ist göttlich,
Auch der Irrtxmi und die Sünde,
Auch Frevel und Unglück.
Ist in dir der Trieb zum Guten,
Laß ihn mächtig treiben.
Das Trübe verzehrt sich von selbst.
Aber mindere es nach Kräften.
Geht der Tag zur Rüste,
Wie viele harren im Schoß der Zeit !
Wird dir die Erde en?.
Wie weit sind die Himmel!
Um die Winzigkeit des Daseins
Wölben sich ewige Schalen,
Sie sind unermeßlich.
Sollten sie dir nicht genügen?
Du darfst frei sein. Lerne also
Von den Elementen, die dich tragen.
Du bist auch nur eine Bewegung.
Aber der Friede ist dir sewiß.
285
GEORG TRAKL: GESANG DES ABGESCHIEDENEN
An Karl Borromäus Heinrich
Voll Harmonien ist der Flug der Vögel. Es haben die grünen
Wälder
Am Abend sich zu stilleren Hütten versammelt;
Die kristallenen Weiden des Rehs.
Dunkles besänftigt das Plätschern des Bachs, die feuchten
Schatten
Und die Blumen des Sommers, die schön im Winde läuten.
Schon dämmert die Stirne dem sinnenden Menschen.
Und es leuchtet ein Lämpchen, das Gute, in seinem Herzen
Und der Frieden des Mahls ; denn geheiligt ist Brot und Wein
Von Gottes Händen, und es schaut aus nächtigen Augen
Stille dich der Bruder an, daß er ruhe von dorniger Wander-
schaft.
0 das Wohnen in der beseelten Bläue der Nacht.
WALTER HASENGLEVER:
DU GEIST, DER MICH VERLIESS
Du Geist, der mich verließ, den ich gewinne.
Der tausendfältig meines Werkes harrt:
Erkämpf mich bis zum letzten meiner Sinne,
Auf einem andern Stern beginn, o Fahrt!
Ich bin von neuem in die Welt geboren,
Die meinem Leid und meinen Freuden quillt.
Was ich besaß, das hab ich nicht verloren.
Nur größer und nur klarer ward mein Bild.
Ich sah den Bruder, wenn ich die Erscheinung
Des eignen Herzens mich verklären sah;
Doch bin ich mehr als Sehnsucht und Beweinunf
Ich bin Verheißung! Ich bin ewig da!
KURT HEYNICKE: PSALM
Meine Seele ist ein stiller Garten,
ich weine,
umschlossen von den Mauern meines Leibes,
gelb sitzt die Welt vor meiner Seele Tür.
286
J
Meine Seele ist ein Garten,
eine Nachtigall meine Sehnsucht,
Liebeslieder singt die junge Nachtigall,
und mein Herz sehnt sich nach Gott.
Gott ist ein Name,
namenlos ist meine Sehnsucht,
sie hat ein Kind geboren,
Wülen,
jung
und von Gewalt durchbrausten Willen,
hin zu ihm.
Ein Garten ist meine Seele.
Ich knie nicht im Garten.
Weit breiten meine Arme in den weiten Teppich blauer Nächte,
ich fliege,
neunenloses Weltgesicht,
ich bin dein Bruder,
geboren aus Sternennebebi an erstem Tag.
Mein Willen blüht einen Altar aus Mai und junger Sonne,
vieltausend Blüten flammen auf,
und meine Sehnsucht flattert singend hin zu deinem Munde,
Gott,
oder iMutterschoß,
Herz meines Bruders im Weltall,
ich weine,
denn kein Gedcuike schickt einen Namen,
ich singe
meiner Sehnsucht Psalm,
gewiegt von der Harfe unendlicher Liebe.
FRANZ WERFEL: EIN LEBENS-LIED
Feindschaft ist unzulänglich.
Der Wille und die Taten,
Ein erdbewußtes Leben
In sich, was sind sie, Welt?
Es schwebt in jedem Schicksal,
Im Schritt der Lust und Schmerzen,
Im Morden und Umarmen,
Anmut des Menschlichen!
287
Nur das ist unvergänglich!
Sahst du die wilden Augen
Buckliger Bauernmädchen?
Sahst du, wie sie sich langsam
Weltdamenhaft verschleiern,
Sahst du In ihnen blinken,
Das Grün von Festestraden,
Musik und Lampennacht?
Sahst du den Bart von Kranken,
/Ihr Wolken über Pappeln/
Wie er an Gott erinnert,
Getaucht in einen Sturm?
Sahst du die große Güte
Im Sterben eines Kindes?
Wie uns der holde Körper
Mit Zärtlichkeit entglitt?
Sahst du das Traurigwerden
Von Mädchen an, am Abend?
Wie sie die Küchen ordnen
Und fern, wie Heilige sind.
Sahst du die schönen Hände
Durchfurchter Nachtgendarme,
Wenn sie den Hund liebkosen
Mit grobem Liebeswort?
Wer handelnd sich empörte,
Bedenke doch!! Unsagbar
Mit Reden und Gestalten
Sind wir uns fern und nah!
Daß wir hier stehn und sitzen.
Wer kann's beklommen fassen?!
Doch über allen Worten
Verkünd' ich, Mensch, wir sind!!
288
DICHTER UND WERKE
4
BIOGRAPHISCHES UND BIBLIOGRAPHISCHES
Diese biographischen Notizen sollen keineswegs literarhisto-
risches Material sein. Da aber jeder Dichter in diesem Buclie nur
mit einer kleinen Anzahl von Gedichten erscheinen kann, so sollte
die Möglichkeit gegeben sein, das Bild der Dichter nach ihrem
Willen (und — bei den Toten — nach Aufzeichnungen der ihnen Nahe-
stehenden) durch biographische und prinzipielle Bemerkungen zu
vervollständigen. Wenn die Angaben nicht von dem Dichter selbst
stammen, so ist der Name des Mitteilenden unter die Notiz in
[ ] Klammern gesetzt.
Die bibliographischen Notizen enthalten nur die in Buchform
erschienenen Werke der Dichter. Die Jahreszahl zeigt das Er-
scheinungsjahr des Buches an. Sind mehrere Bücher eines Dichters
hintereinander in einem und demselben Verlag erschienen, so ist
der Verlag nur einmal angegeben, und zwar nach dem letzten
Buch, das in diesem Verlag herauskam.
JOHANNES R. BECHER. Geboren 22. Mai 1891 in
München.
Verfall und Triumph 191 A. Band I und H (Versuche in
Prosa). (Insel-Verlag, Leipzig.) An Europa 19 16. Verbrüde-
rung 1916. Paean gegen die Zeit 19 18. Zion 1919. (Kurt
Wolff, Leipzig.) Die Heilige Schar 19 18. Das Neue Gedicht
191 9. Gedichte für ein Volk 19 19. Gedichte um Lotte 1919.
(Insel-Verlag, Leipzig.) An Alle 1919. (Verlag ,, Aktion", Ber-
lin.) Ewig im Aufruhr 1919. (Ernst Rowohlt, Berlin.)
GOTTFRIED BENN. Geboren 1886 und aufgewachsen
in Dörfern der Provinz Brandenburg. Belangloser Entwick-
lungsgang, belangloses Dasein als Arzt in Berlin.
Morgue; Gedichte, 1913. Söhne; Gedichte, 191 4- (A. R.
Meyer, Berlin - Wilmersdorf.) Fleisch; Gesammelte Lyrik,
191 7. Diesterweg; Erzcählung, 1917- (Verlag „Aktion", Ber-
lin.) Gehirne; Novellen, 19 18. (Kurt Wolff, Leipzig.) Der
Vermessungsdirigent; Drama, 1919. (Verlag „Aktion", Berlin.)
THEODOR DA ÜBLER. Geboren zu Triest am 17. Au-
gust 1876, lebte dort und später, nach dem 22. Lebensjahr, in
Neapel, Wien, Paris, Florenz, Rom, Dresden und Berlin.
Das Nordlicht; Epos in drei Teilen, 19 10. Wir wollen nicht
verweilen; autobiographische Fragmente, 191 4- Der Stern-
helle Weg; Gedichte, 191 5. Hymne an Italien 19 16. Hesperien;
eine Symphonie, 1916. Mit silberner Sichel; Prosa, 19 17. Der
291
Neue Standpunkt; ein Buch über moderne Kunst, 1917. Das
Sternenkind; eine Sammlung von Gedichten, 1917- Luci-
darium in arte musicae; ein Buch über Musik, 19 18. Die
Treppe; eine Symphonie. 1920. (Insel-Verlag, Leipzig.) Im
Kampf um die moderne Kunst 1918. (E. Reiss, Berlin.) Der
Hahn; eine Anthologie französischer Dichtungen, 19 16. (Ver-
lag ,, Aktion", Berlin.)
ALBERT EHRENSTEIN. Am 28. Dezember 1886 ge-
schah mir die Wiener Erde. —
Lyrik: Die weiße Zeit, 191 /i (Insel -Verlag, Leipzig); Der
Mensch schreit, 1916 (vergriffen, Leipzig, Kurt Wolff); Die
rote Zeit, 1917 (S. Fischer, Berlin); Den ermordeten Brüdern,
191 8 (Max Rascher. Zürich); Die (Jedichte, Gesamtausgabe,
1920 (Eduard Strache, Wien). Prosa: Tubutsch, 191 1 (Insel-
Verlag, Leipzig); Der Selbstmord eines Katers, 191 2 (ver-
griffen, Georg Müller); Nicht da nicht dort, 1916 (vergriffen,
Kurt Wolff); Bericht aus einem Tollhaus, 1919 (Insel-Ver-
lag, Leipzig); Zaubermärchen, i9'20 (S. Fischer, Berlin).
IWAN GOLL hat keine Heimat: durch Schicksal Jude,
durch Zufall in Frankreich geborpn, durch ein Stempelpapier
als Deutscher bezeichnet.
Iwan Goll hat kein Alter: seine Kindheit wurde von ent-
bluteten Greisen aufgesogen. Den Jüngling meuchelte der
Kriegsgott. Aber um ein Mensch zu werden, wie vieler Leben
bedarf es.
Einsam und gut nach der Weise der schweigenden Bäume
und des stummen Gesteins : da wäre er dem Irdischen am
fernsten und der Kunst am nächsten.
Requiem für die Gefallenen von Europa 1917. (Max
Rascher, Zürich.) Der Torso; Stanzen und Dithyramben, 191 8.
(Roland-Verlag, München.) Dithyramben 191 8. (Kurt Wolff,
Leipzig.) Der Neue Orpheus; eine Dithyrambe, 1918. (Verlag
„Aktion", Berlin.) Die Unterwelt; Gedichte, 1919. (S. Fischer,
Berlin.) Felix; eine Dithyrambe, 191 9. (Verlag von 191 7.
Dresden.) Die drei guten Geister Frankreichs; Essays, 19 19.
(Erich Reiß, Berlin.) Le Coeur de l'ennemi; Französische
Übersetzungen aus i4 neuen deutschen Dichtern, 19 19. (Ver-
lag ,,Les Ilumbles", Paris.) Die Unsterblichen; 2 Überdramen,
1920.
292
WALTER HASExNCLEVEK. Geboren am Ö.JuüiSgo
in Aachen, wo ich noch heule in Verruf bin. 1908 im frühling
Abiturientenexamen, kam nach England und studierte in Ox-
ford. Hier schrieb ich mein erstes Stück; die Druckkosteu
gewann ich im Poker. 1909 war ich in Lausanne, dann kam
ich nach Leipzig, wo ich den Herausgeber dieser Anthologie
kennen lernte. Eingeführt von ihm in die Bezirke der Liebe
und Wissenschaft, überflügelte ich bald den Meister. Ich
reiste mit ihm nach Italien und frequentierte die Arzte. 1913
erschien „Der Jüngling'"; 1914, in Heyst am Meer voll-
endet, ,,Der Sohn". Im Krieg war ich Dolmetscher, Einkäufer
und Küchenjunge. So entstand das Buch „Tod und Auf-
erstehung'". 191 7 erschien ,,Antigone", ein Jahr später „Die
Menschen'". 1919 druckte mein Freund Erruit Rowohlt das inx
Krieg verbotene Stück ,,Der Retter". Im Sommer 1919 ent-
stand ,,Die Entscheidung"".
Der Jüngling; Gedichte, 1910. Das Unendliche Gespräch;
eine nächtliche Szene, 191 4- Der Sohn; Drama, 191 4- Tod
und Auferstehmig; Neue Gedichte, 1917. (Kurt Wolff, Leip-
zig.) Antigone; Tragödie, 191 7. Die Menschen; Schauspiel,
19 18. Die Entscheidung; Komödie, 19 19. (Paul Cassirer, Ber-
lin.) Der Retter; Dramatische Dichtung, 191 9. Der Politische
Dichter 1919. (Ernst Rowohlt, Berlin.)
GEORG HEYM, aus einer alten Beamten- und Pastoren-
familie stammend, ist am 3o. Oktober 1887 in Hirschberg
(Schlesien) geboren. Dreizehnjährig kam er nach Berlin. Als
er das Gymnasium absolviert hatte, widmete er sich in
Würzburg, später in Berlin dem juristischen Studium.
Beim Eislaufen auf der Havel brach er ein und ertrank mit
seinem Freunde, dem Lyriker cand. phil. Ernst Balcke, am
16. Januar 1912, nachmittags, bei Schwanenwerder; sein Grab
ist auf dem Friedhof der Luisengemeinde in Charlottenburg.
[Die Herausgeber des Naclilasses.]
Der ewige Tag; Gedichte, 1911. Umbra vitae; jN achgelassene
Gedichte, 1912. Der Dieb; Novellen, 1913. (Kurt Wolff,
Leipzig.)
KÜRT HEY NICKE, 1891 in Liegnitz geboren, Arbeiter-
kind, Volksschüler, Bureaumensch, Kaufmann.
Lächelst Du, Mensch, der Du fühlst dies gesegnete Dasein?
290
0, wir siiid nichts. Ein Tier im Stall. iNur unsere Seele ist
manchmal ein Dom, darin wir zueinander hetcn können.
Rings fallen Sterne; Gedichte, 1918. (A'orlag „Der Sturm",
Berlin.) Gottes Geigen; Gedichte, 1918. (Roland-Verlag, Mün-
chen.) Das namenlose Angesicht; Rhythmen aus Zeit und Ewig-
keit, 1919. (Kurt Wolff, Leipzig.)
JACOB VAN HODDIS. Geboren 188/i in Berlin, lebt
Thüringen.
Weltende 1918. (^'erlag „Aktion", Berlin.)
WILHELM KLEMM, geboren 1881 in Leipzig, lebt
daselbst.
Gloria; Gedichte aus dem Felde, 1910. (Albert Langen,
München.) Verse und Bilder 1916. Aufforderung 19 17. (Ver-
lag ,, Aktion", Berlin.) Ergriffenheit 19 18. (Kurt Wolff,
Leipzig.)
E L S E L A S K E R - S C H Ü L E R. Ich bin in Theben (Ägyp-
ten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam im
Rheinland. Ich ging bis 1 1 Jahre zur Schule, MTjrde Robinson,
lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich.
Styx; Gedichte, 1902. Das Peter-Hille-Buch 1906. Die
Nächte der Tino von Bagdad; Psovellen, 1907. Die Wupper;
Schauspiel, 1908. Meine Wunder; Gedichte, 1911. Gesichte;
Essays, 191 1. Mein Herz; Roman, 1912. Hebräische Balladen
1913. Der Prinz von Theben; Geschichten, 191 A- Sämtliche
Werke 1920. (Paul Cassirer, Berlin.) Die gesammelten Ge-
dichte 1917. (Kurt Wolff, Leipzig.)
RUDOLF LEONHARD. Geboren am 27. Oktober 1889
zu Lissa in Posen. In einer Zeit, in der es mir als ein phan-
tastisches Wagnis erscheint, länger als für vierzehn Tage vor-
auszudisponieren, ist mir neben anderm der Sinn (wenn auch
nicht das Gefühl) für die Kontinuität des eignen Lebens so
weit verloren gegangen, daß ich auch nach rückwärts eine
Selbstbiographie nicht zustande bringe. Auch scheint es mir
eine schwer zu lösende Aufgabe und ein nicht ratsames Unter-
nehmen, fest- und klarzustellen, was wichtig war. Wenn sich
jemand ernsthaft für diese Angelegenheit interessieren sollte,
den bitte ich bis zu meinem Tode zu warten, nach dem meine
ausführlichen Tagebücher verfügbar sein werden.
Der Weg durch den Wald 1910. (Sa turn- Verlag, Heidel-
berg.) Angelische Strophen 19 13. Barbaren igi/i- über den
Schlachten 19 14- (A. R. Meyer, Berlin-^^'ilmersdo^f.) Be-
merkungen zum Reichsjugendwehrgesetz 1917. (Der Neue
Geist -Verlag, Leipzig.) Polnische Gedichte 1918. Äonen des
Fegefeuers 1910. (Kurt Wolff, Leipzig.) Beate und der große
Pan 191 8. (Roland- Verlag, München. j Briefe an Margit 19 19.
(Paul Stegemann, Hannover.) Kampf gegen die Waffe 191 9
(Ernst Rowohlt, Berlin.; Katilinarische Pilgerschaft 1919.
(Georg Müller, München.) Das Chaos 191 9. (Heinrich Böhme^
Hannover.) Alles und ISichtsI 1919. (Ernst Rowohlt, Berlin.)
— Vor dem Erscheinen sind: Die Vorhölle; eine Tragödie.
Sonette.
ALFRED LICHTEN STEIN wurde am 28. August
1889 in Berlin geboren. Er besuchte dort das Luisenstädtische
Gymnasium und studierte an der Universität Berlin Jura.
Sommer igiS erlangte er in Erlangen mit einer Arbeit über
Theaterrecht die Doktorwürde. Im Oktober igiS trat er in
München als Einjähriger in das 2. bayrische Infanterieregi-
ment Kronprinz ein und zog bei Kriegsbeginn mit dem Regi-
ment ins Feld. Am 2 5. September 191 4 fiel er bei Vermando-
villers (in der Nähe von Reims). [Kurt Lubasch.]
Die Dämmerung 19 13. (A. R. Meyer, Berlin.) Gedichte
und Geschichten 1919. (Georg Müller, München.)
ERNST WILHELM LOTZ wurde 1890 in Culm an
der Weichsel geboren, lebte in Wahlstadt, Karlsruhe, Plön
und im Kadettenkorps Groß- Lichter felde. Mit 17 Jahren
wurde er Fähnrich im Infanterie-Regiment Nr. i43 zu Ham-
burg. Anderthalb Jahre war er Offizier, dann nahm er den .ab-
schied. Am 26. September 191 4 fiel er als Leutnant und Kom-
pagnieführer auf dem westlichen Kriegsschauplatz. [Henny
Lotz.]
Wolkenüberflaggt 191 7. (Kurt Wolff, Leipzig.)
KARL OTTEN. Geboren 1889 in Aachen.
Von meinem Leben kann ich nur sagen, daß es dem Kampf
um Glück und Sieg der Armen, des Proletariats, geweiht war.
Und jetzt verhüllt ist von Trauer über die Schmach, der das
deutsche Proletariat durch eigene Schuld unterworfen ist : Das
295
stärkste Hindernis auf dem Wege der Weltrevolution, ja der
erbittertste Saboteur der kommunistischen Idee zu sein. Ich
gestehe, daß ich die Deutschen nie geliebt habe, daß ich nichts
so hasse wie die deutsche Bourgeoisie — seit ich denken kann.
Und ebensolange liebe ich Rußland und ich verlange von jedem
revolutionären Dichter zunächst, daß er diese Liebe teile. Er-
kennt er die russische Idee, so erkennt er die Fehler unseres
Volkes. Der Kampf für jene und gegen diese w^ird die Zw^ie-
spältigkeit des deutschen Dichters aufheben und sein Leben
die Synthese von Person und Tat verwirklichen: Revolutionär
und DicJiier!
Fürchtet Euch nicht vor den Gefängnissen — sie sind lächer-
lich und die geschlossenen Tore Triumphbögen für Euren Mut!
Gewehre — sie töten den Leib — der Geist, die heilige Sache
leben! Nie war das Objekt des dunklen Kampfes der Unter-
drückten so klar vor aller Augen ... es gibt nur eins: Frei-
heit und Leben für alle Ewigkeit . . . oder Tod — für alle
Ewigkeit! Das Heil kommt von Osten. Ich habe gewählt.
Reise durch Albanien 191 2 (IL F. S. Bachmaier, München).
Thronerhebung des Herzens ig 18 (Verlag „Aktion", Berlin).
Der Sprung aus dem Fenster 1919 (Kurt Wolff, Leipzig).
Lona 1919 (Verlag Ed. Strache, Wien).
LUDWIG RUBIN ER wünscht keine Biographie von
sich. Er glaubt, daß nicht nur die Aufzählung von Taten,
sondern auch die von Werken und von Daten aus einem hoch-
mütigen Vergangenheits-Irrtum des individualistischen Schlaf-
rock-Künstlertums stammt. Er ist der Überzeugung, daß von
Belang für die Gegenwart und die Zukiuift nur die anonyme,
schöpferische Zugehörigkeit zur Gemeinschaft ist.
Das himmlische Licht 1916 (Kurt Wolff, Leipzig). Der
Mensch in der Mitte 191 7 (Verlag ,, Aktion", Berlin). Die Ge-
waltlosen; Drajna, 1919 (Gustav Kiepenheuer, Potsdam).
RENßSCHICKELE. Geboren am 4. August 1 883. Gym-
nasium : Zabern und Straßburg. Universitäten : Straßburg,
München, Paris. Reisen durch ganz Europa westlich der Elbe,
Griechenland, Palästina, Ägypten, Indien. Wo ich gerade bin,
ist es immer cun schönsten. Jetzt in einem Schweizer Fischer-
dorf am Bodensee.
Ich bin ein deutscher Dichter, gallisch-alemannischen Ge-
296
blüts, das in den Formen der deutschen Sprache austreibt,
ein Fall wie Gottfried von Straßburg auch — dreifache Ver-
beugung vor dem unerreichbaren Ahnen! — den doch auch
keiner zu „annektieren*" und zu „desannektieren" gedenkt.
Gestern deutscher, heute französischer Staatsangehöriger : ich
pfeife darauf. Es gibt Menschen (und dazu gehören die meisten
meiner Landsleute), die sich sogar ihre Henker aussuchen
wollen. Soweit geht mein ästhetisches Gewissen nicht. Was
kümmerts mich, wohin die Eroberer ihren Fußball schieben!
Für mich gehören Grenzverschiebungen wie alle andern natio-
nalen Transaktionen zum Börsenspiel. Ich bin nicht darcm
beteiligt, sie gehn mich nichts an. Weil ich es mit solchen
Ketzereien ernst genommen habe von jeher und gar erst im
Krieg, stehe ich in schlechtem Huf beim livrierten Gesindel
diesseits wie jenseits des Rheins. Die Psychologen darunter
enthüllen mich jahraus jahrein als einen ,,unsichern Kan-
tonisten", obwohl ich nie abgeleugnet habe. Gott erhalte mir
meine Unsicherheit!
Immerhin gehöre ich zur deutschen Literatur, die ich —
wie sich allmählich zeigt: mit Recht — für eine größere
Realität ansehe, als die gepanzerten, pulvergeladenen, geschlif-
fenen und schaumlügenden Äußerungen der deutschen Öffent-
lichkeit. Keiner meiner Kameraden wird mich durch meine
Schuld verlieren. Und begänne der Krieg von neuem, und
welche Militarismen einander auch ablösen mögen. Ich weiß :
Der Mensch, bisher das traurigste der Tiere, hat seine Lage
erkannt, und nichts wird ihn hindern, für seine Befreiung
einen Ruck zu tun, wie die Geschichte noch keinen ver-
merkt hat.
Lyrik: Sommernächte 1901. Pan 1902. Mon Repos igoS.
Weiß und Rot 191 1. (Sämtlich vergriffen.) Die Leibwache
1914- Mein Herz, mein Land (Ausgewählte Gedichte) 1910.
In Vorbereitung: Weiß und Rot. Zweite, vermehrte Auflage.
Die rote Frau; Zeitsprüche. Prosa: Der Fremde; Roman,
1907. Benkai, der Frauentröster; Roman, 191 4- Das Glück;
Erzählung, igiS. Trimpopp und Manasse; Erzählung, 191 4-
Aissee; Erzählung. 191 5. Schreie auf dem Boulevard; Auf-
sätze, 1918. Die Genfer Reise 191 8. Der neunte November
19 19. In Vorbereitung: Die Mädchen; Gesammelte Erzäh-
lungen. Dramen: Hans im Schnakenloch 1910. Am Glocken-
turm 19 19. Der Volksbeauftragte 191 9. (Alle Bücher bei Paul
297
Cassirer, Berlin, mit Ausnahme von : Das Glück [Axel Juncker,
Beilin], Aisseo [Kurt Wolff. Leipzig], Der neunte November
[Erich Reiß, Berlin]).
ERNST STADLER. Geboren am ii. August i883 in
Colmar i. Eis., war in Straßburg Dozent für deutsche Sprache
und Literatur, fiel zu Anfang des Weltkrieges im Westen.
Präludien iQo^. — Der Aufbruch; Gedichte, 191 4 (Kurt
Wolff, Leipzig).
AUGUST STRAMM. Geboren am 29. Juli 1874 zu
Münster in Westfalen, besuchte das Gymnasium in Eupen
und Aachen. Trotz innerem Widerstreben ergriff er auf
Wunsch seines Vaters den Postberuf. Nach Beendigung des
Studiums >vTarde er Postinspektor in Bremen, später in Berlin,
und dort wurde er ins Reichspostministerium versetzt. Neben-
bei promovierte er in Halle zum Dr. phil. Bei Ausbruch des
Krieges wurde er als Hauptmann der Reserve eingezogen. Er
fiel am i. September 1910 als Letzter seiner Kompagnie bei
einem Sturmangriff in Rußland, nachdem er über siebzig
Schlachten und Gefechte mitgemacht hatte. Begraben liegt
August Stramm auf dem Friedhof bei Horodec in Rußland.
[Horwarth Waiden.]
Dramatische Dichtungen: Sancta Susanna 191 4- Die
Unfruchtbaren 191 4- Rudimentär 191 4- Die Haidebraut 191 5.
Erwachen 1915. Kräfte 191 5. Geschehen 1910. — Gedichte:
Du; Liebesgedichte, 191 4- Die Menschheit 1910. Tropf blut;
Nachgelassene Gedichte, 1919. — Die gesammelten Dichtungen
in drei Bänden. 19 19. (Sämtliche Dichtungen im Verlag ,,Der
Sturm", Berlin.)
GEORG TRAKL war am 3. Februar 1887 in Salzburg
geboren. Er kam als Fünfundzwanzigjähriger im Jahre I9i3
als Medikamentenakzessist ans Garnisonhospital nach Inns-
bruck, gab aber diese und andere Tätigkeit bald auf und
lebte bis zum Kriegsausbruch in Innsbruck im Hause Ludwig
Fickers. ,,Er fand sich im äußeren Leben immer schwerer zu-
recht, während sich der Born seiner dichterischen Schöpfung
immer tiefer erschloß . . . Ihn, der ein starker Trinker und
Drogenesser war, verließ nie seine edle, geistig ungemein ge-
stählte Haltung; es gibt keinen Menschen, der ihn im Zustand
der Trunkenheit jemals auch nur hätte schwanken oder vorlaut
298
werden gesehen, obschon sich seine sonst so milde und wie um
eine unsägliche Verstummtheit kreisende Art des Sprechens
in vorgeschrittener Nachtstunde beim Wein oft seltsam ver-
härten und ins Funkelnd-Böse zuspitzen konnte. Aber darunter
hat er oft mehr gelitten als die, über deren Köpfe hinweg er
die Dolche seiner Rede in die schweigende Runde blitzen ließ;
denn er schien in solchen Augenblicken von einer ^^'ahrhaftig-
keit, die sein Herz förmlich bluten machte. Im übrigen war
er ein schweigender, in sich verstummter, aber keineswegs
verschlossener Mensch; er konnte sich im Gegenteil mit ein-
fachen, ungezwungenen Menschen, sofern sie nur das Herz
„auf dem rechten Fleck" hatten — von den höchsten bis zu
den niedersten sozialen Schichten — , insonderheit auch mit
Kindern auf die gütigste, menschlichste Art verständigen. Hab
und Gut besaß er kaum mehr, Besitz von Büchern erschien
ihm immer überflüssiger, und schließlich , .verkitschte" er
auch noch seinen ganzen Dostojewski, den er aufs inbrün-
stigste verehrte . . . Da brach der Krieg aus, und Trakl mußte
in seiner cdten Charge als Medikamentenakzessist mit einem
fliegenden Spital ins Feld. Niach Galizien. Erst schien er auf-
getaut und seiner Schwermut entrissen. Dann aber — nach dem
Rückzug von Grodek — erhielt ich aus dem Garnisonsspital
in Krakau, wohin er zur Beobachtung seines Geisteszustands
gebracht worden war, ein paar Karten, die wie seelische Hilfe-
rufe klangen. Kurz entschlossen machte ich mich auf und
reiste nach Krakau. Dort hatte ich die letzte, erschütternde
Begegnung mit dem unvergeßlichen Freund. In Krakau und
auf der Piückreise in Wien bot ich alles auf, um ihn zurück
in häusliche Pflege zu bekommen. Aber kaum hierher zurück-
gekehrt, erhielt ich die Nachricht seines Todes. Er ist in der
Nacht vom 3. auf 4- November 191 4, nachdem er einen Tag
in Aojonie eelegen — vermutlich an der Wirkung einer zu
starken Dosis Gift, die er zu sich genommen — , gestorben;
doch ist sein Ende immerhin in Dunkel gehüllt, da man seinen
Diener in seinen letzten Lebensstunden nicht mehr zu ihm ließ.
Dieser — ein Bergarbeiter aus Hallstatt, zugeteUt der Sanität,
namens Mathias Roth — war der einzige Mensch, der bei
Trakls Begräbnis als Leidtragender zugegen war." [Aus Mit-
teilungen Ludwig Fickers. ]
Gedichte 191 4. Sebastian im Traum 1914. Die Dichtungen
1919 (Kurt Wolff, Leipzig).
299
FRANZ WERFEL. Geboren 1890 m Prag, gelebt in
Hamburg, Leipzig und jetzt in Wien.
Der Weltfreund; Gedichte, 191 1. Wir sind; IS'eue Gedichte,
191 3. Die Versuchung 19 10. Die Troerinnen 1914. Einander;
Oden, Lieder, Gestalten, 1910. Gesänge aus den drei Reichen
1917. Der Gerichtstag 1920 (Kurt Wolff, Leipzig).
ALFRED WOLFExNSTEIA. Geboren wurde ich an
vielen Tagen. Wer dennoch das Licht der Welt nicht erblickte,
kann im Dunkeln sein Leben nicht beschreiben. Daß ich mit
sechs Jahren ins Gefängnis kam, später hinaus in den toten
Wald eines Holzplatzes und wieder zurück zur Schule ge-
schickt wurde (nur ein Beispiel für unseres Schicksals
frühen Befehl: freut euch, ein JNichts mit dem andern ver-
tauschen zu dürfen — ); daß ich mich neu unter Jünglingen
befand, deren Freundschaft die trübe Liebesfreiheit hinweg-
strahlte, bis ein Jünglingniädchen erscheinen wird; daß ich
von Leichtheit nach Paris, von Schwere zurück in die halt-
lose Mitte Europas und in jede Diaspora der Blut- und Geld-
welt getrieben wurde; daß ich im südlichsten Deutschland
die Geistglut unbekannter Arbeiter und dort auf der schnell
versinkenden, seltsam hohen Insel den zur Ewigkeit forfleuch-
tenden, fortkeimenden Kampf traf, wo aus Versammlungen
der Scheinrevolution wirkliche Stimmen, Stimmen aus dem
Unbekannten laut wurden und gegen verfolgeijide Dumm-
heit — Brüderlichkeit, diese Tagesphrase, einmal rührend sich
verwirklichte und der Mord an zwei beseelten Männern aus
dem Allgemeinen ins Herz schlug, als seien mir Väter ge-
storben: dies alles bleibt doch im Dunkeln.
Denn es gibt nur die Lichter der Welt, die wir selbst ent-
zünden. Biographie gibt es nicht; stumm vergewaltigt ist jedes
Wort, das nicht gezeugt wird. Nur was ein Mensch formt, hat
Sprache; um den Menschen zu formen! Das Werk. Niemand
wird geboren, ehe nicht von ihm geboren wird. Er bleibt
Gespenst, seine Geburt war kein Anfang, und der Tod hat da
nichts zu beenden. Das ist unsere Sternenfreiheit — und des
Scheinlebens gleichewige Gefahr. Aber der Gefahr spottet jede
Dichtung und verkündet: Wir selbst bringen uns hervor! Zu
unserem Grabe werden nur kommen, die unsere Gestalten
nicht sehen.
Die gottlosen Jahre, Gedichte, 191 4- Die Freundschaft,
3oo
Neue Gedichte, 191 7. Menschlicher Kämpfer, Ein Buch aus-
gewählter Gedichte, 1919 (S.Fischer, Berlin). Die Nackten, Eine
Dichtung, 1917 (Kurt Wolff, Leipzig). Der Lebendige, No-
vellen, 19 18 (Roland-Verlag, München). — In Vorbereitung:
Wasser, Sturm und Stern, Ein Drama. — Der Mann, Szenische
Dichtungen.
PAUL ZECH. Lieber Leser, verlange von einem Selbst-
bildnis nicht immer abgeklärte Objektivität. Irgendwo bleibt
stets der Reflex des Spiegels als Schminkfleck stehn. Aber was
geht Dich im Grunde die Form meines Schädels an? Oder die
Linie des Oberarms, wenn er sich athletisch hebt, wo er zu
Gott will? Oder gar mein häuserumsaustes Erleben? Jedes
Leben wird tausendmal von tausend Leben gelebt. Manchmal
in Terzinen. Manchmal mit Fäusten. Manchmal auf Wald-
bäumen. Manchmal im Bordell. Was darüber Ist, ist Legende.
Ich zerstöre sie. Denn ich bin nicht ,, Jüngste Dichtung", sondern
beinah vierzig Jahre (alt). Und den ,,Wald" beschrieb ich um
190^. Auch nicht Weichselianer bin ich (obwohl bei Thorn ge-
boren), vielmehr Dickschädel aus bäurisch-westfälischem Blut.
Einige meiner Väter schürften Kohle. Ich selber kam (nach
Leichtathletik, Griechisch und schlechten Examina) nicht über
den (vom Innen geforderten) Versuch hinaus. Doch diese zwei
(reichsten) Jahre — : Bottrop, Radbod, Mons, Lens, bestimm-
ten: von Machthabern, von Schwerhörigen und Blinden — :
Hellhörigkeit und Güte für Alle auf Erden zu fordern. Lange
bevor die Affäre November 191 8 war.
Dennoch paßt es mir nicht, daß Du mich ..Politischer Dich-
ter" (in Deinem Sinn) schimpfst. Jede Dichtung Ist, sofern
sie weniger derm Blut (also belanglos) Ist, politisch. Wenn
Du also In meinen acht Versbüchern Dich durch Acker, Wald,
Abend und staubige Straßen blätterst, von Gott und Weib
(dieses zuletzt!) hörst, sollen die agrarische Gebundenheit, das
Sehnige, Verrußte, die Unzucht und der Glaube Dich durch-
einander schütteln zum besseren, zum lebendigen Menschen.
Oder ich verdiene: zum alten Eisen geworfen zu werden.
Nur bestrafe mich nicht : In Museen zu verstauben.
Entscheide!
Und nicht nur Dich!
Waldpastelle 19 10. Schollenbruch 191 2. Das schwarze Re-
vier 191 3 (A. R. Meyer, Berlin -Wilmersdorf). Die eiserne
3oi
Brücke; Gedichte, igiS. Der schwarze Baal; Noveilen, 191 6.
Das Terzett der Sterne; Gedichte, 1920 (KurtWolff, Leipzig).
Das Grab der Welt; Novellen, 1920 (Hoff mann & Campe,
Berlin — Hamburg). Das schwarze Revier 1920 (Neue Ausgabe).
Das Ereignis; Novellen 1920. Die Gedichte an eine Dame in
Schwarz 1920 (Musarion -Verlag, München). Gelandet; ein
dramatisches Gedicht 1920 (Roland -Verlag, München).
N A C H B E M E R K U N G E N
Orthographie und Interpunktion aller Gedichte wurden ge-
nau nach dem Willen der Dichter gewahrt.
Der Verlag und der Herausgeber danken den Dichtern und
den in den bibliographischen Bemerkungen genannten Ver-
legern für die Genehmigung zur Aufnahme der Gedichte in
diese Sammlung.
Der Verlag Axel Junker, Berlin gestattete die Reproduktion
zweier Zeichnungen Meidners, der Verlag Paul Cassirer die Re-
produktion einiger Porträts Kokoschkas und Meidners.
3o2
VERZEICHNIS
NACH DER
REIHENFOLGE DER GEDICHTE
STURZ UND SCHREI
Jakob van Hoddis, Weltende 3
Georg Heym, Umbra vitae 3
Wilhelm Klemm, Meine Zeit 4
Johannes R. Becher, Verfall 4
Georg Heym, Der Gott der Stadt 6
Johannes R. Becher, Berlin 7
Alfred Wolfenstein, Städter 10
Jakob van Hoddis, Die Stadt 10
Alfred Wolfenstein, Bestienhaus 10
Alfred Lichtenstein, Die Dämmerung 1 1
Ernst Stadler, Abendschluß 12
Theodor Däubler, Diadem i3
Theodor Däubler, Flügellahmer Versuch i3
Georg Heym, Die Dämonen der Städte i4
Gottfried Benn, Kleine Aster i5
Jakob van Hoddis, Tristitia ante 16
Ernst Stadler, Tage 16
Alfred Wolfenstein, Verdammte Jugend 19
Paul Zech, Fabrikstraße tags 19
Paul Zech, Sortiermädchen 20
Paul Zech, Fräser 2i
Alfred Lichtenstein, iSebel 22
Alfred Lichtenstein, Der Ausflug 22
Theodor Däubler, Hätt' ich nur ein Fünkchen Glück 22
Albert Ehrenstein, So schneit auf mich die tote Zeit 20
August Stramm, Untreu 2 4
Theodor Däubler, Was? 24
Theodor Däubler, Einsam 20
Alfred Lichtenstein, Sommerfrische 26
'Alfred Wolfenstein, Nacht im Dorfe 26
Georg Trakl, De Profundis 27
Georg Trakl, Ruh und Schweigen 28
Georg Trakl, In den Nachmittag geflüstert 28
3ocJ
Albert Ehrenslein, Verzweiflung 28
Albert Ehrenstein, Leid 29
Albert Ehrenstein, Auf der hartherzigen Erde 29
Gottfried Denn, Der junge Hebbel 3o
Alfred Wolfenstein, Die gottlosen Jahre 33
Albert Ehrenstein, Der Wanderer 33
Kurt Heynicke, Erhebe die Hände 34
Franz Werfel, Fremde sind wir auf der Erde alle 34
Walter Hasenclever, Tritt aus dem Tor, Erscheinung 35
Wilhelm Klemm, Philosophie 35
August Stramm, Schwermut 36
Albert Ehrenstein, Schmerz 36
Albert Ehrenstein, Ich bin des Lebens und des Todes müde 37
'. August Stramm, Verzweifelt 37
Wilhelm Klehim, Lichter 37
Kurt Heynicke, Gethsemane 38
Albert Ehrenstein, Unentrinnbar 38
Georg Heym, Der Krieg Sg
Ernst Stadler, Der Aufbruch 4o
Walter Hasenclever, Die Lagerfeuer an der Küste 4i
Franz Werfel, Der Krieg 4i
Albert Ehrenstein, Der Kriegsgott 43
Kurt Ileynicke, Das Bild 44
Albert Ehrenstein, Der Berserker schreit 45
Wilhelm Klemm, Schlacht an der Marne 45
August Stramm, Wache 46
August Stramm, Patrouille 46
August Stramm, Sturmangriff 46
Alfred Lichtenstein, Die Schlacht bei Saarburg 46
Albert Ehrenstein, Der Dichter und der Krieg 47
Paul Zech, Musik der Sterne 47
Georg Heym, Die Heimat der Toten 49
Franz Werfel, Der Ritt 5i
Gottfried Benn, Mami und Frau gehn durch die Krebs-
baracke 53
Georg Heym, Die Morgue 54
Albert Ehrenstein, Julian 57
Georg Trakl, An den Knaben Elis 58
Georg Trakl, Elis 58
Else Lasker- Schüler, Senna Hoy 59
Else Lasker -Schüler, Meiner Mutter 60
3o4
Jakob van Hoddis, Der Todesengel 6i
Georg Heym, Ophelia 62
Albert Ehrenstein, Der ewige Schlaf 64
Franz Werfel, Trinklied 67
Georg Trakl, Helian 68
Albert Ehrenstein, Die Götter 71
Franz Werfel, Warum mein Gott 7 4
Franz Werfel, Wir nicht "^5
ERWECKUNG DES HERZENS
Alfred Wolfenstein, Das Herz 79
Franz Werfel, Der dicke Mann im Spiegel 79
Paul Zech, Aus den Fenstern eines Kesselhauses 80
Alfred Lichtenstein, Spaziergang 8r
Ernst Wilhelm Lotz, Glanzgesang 82
Franz Werfel, Der schöne strahlende Mensch 83
Ernst Wilhelm Lotz, Ich flamme das Gaslicht an . . . 84
Walter Hasenclever, Gasglühlicht summt 84
Walter Hasenclever, Die Nacht fällt scherbenlos 85
Walter Hasenclever, Oft am Erregungsspiel 85
Walter Hasenclever, Kehr zu mir zurück, mein Geist 86
Gottfried Benn, D-Zug 86
Rene Schickele, Bei der Einfahrt in den Hafen von Bombay 87
Walter Hasenclever, Der Gefangene 87
Rene Schickele, Die Leibwache 88
Walter Hasenclever, Der Schauspieler go
Franz Werfel, Hekuba go
Gottfried Benn, Karyatide go
Alfred Lichtenstein, Mädchen 92
Johannes R. Becher, Aus den Gedichten um Lotte 92
Ernst Wilhelm Lotz, Wir fanden Glanz gS
Ernst Wilhelm Lotz, Und schöne Raubtierflecken g3
Else Lasker-Schüler, Ein Lied der Liebe gS
Else Lasker-Schüler, Mein Liebeslied g5
August Stramm, Blüte g5
August Stramm, Wunder g6
Ernst Stadler, In der Frühe 97
Wilhelm Klemm, Bekenntnis 97
August Stramm, Dämmerung g8
August Stramm, Abendgang gg
Johamies R. Becher, Abendgebet um Lotte gg
on 3o5
Kurt Heynicke, In der MItt« der Nacht
Else Lasker-Schüler, Doktor Benn
Albert Ehrenstein, Verlassen
Else Lasker-Schüler, Ein Lied
Else Lasker-Schüler, Abschied
Else Lasker-Schüler, Versöhnung
Walter Hasenclever, Begegnung
Georg Heym, Deine Wimpern, die langen . . .
Franz Werf el. Als mich dein Wandeln an den Tod verzückte
Theodor Däubler, Der Atem der Natur
Johannes R. Becher, Der Wald
Iwan Goll, Wald
Paul Zech, Der Wald
Theodor Däubler, Die Buche
Wilhelm Klemm, Der Baum
Georg Heym, Der Baum
Theodor Däubler, Der Baum
Theodor Däubler, Millionen Nachtigallen schlagen
August Stramm, Vorfrühling
Ernst Stadler, Vorfrühling
Wilhelm Klemm, Herbst
Georg Trakl, Der Herbst des Einsamen
Ernst Wilhelm Lotz, In gelben Buchten
Theodor Däubler, Winter
Wilhelm Klemm, Ausgleich
Jakob van Hoddis, Morgens
Rene Schickele, Sonnenuntergang
Rene Schickele, Der Knabe im Garten
Theodor Däubler, Dämmerung
Alfred Lichtenstein, In den Abend
Paul Zech : Die Häuser haben Augen aufgetan . . .
Georg Trakl, Abendlied
Georg Heym, Alle Landschaften heiben
Albert Ehrenstein, Abendsee
Albert Ehrenstein, Friede
Rene Schickele, Mondaufgang
Georg Heym, Mond
Gottfried Benn, 0, Nacht —
August Stramm, Traum
Ernst Stadler, Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei
Nacht 137
3o6
Theodor Däubler, Überraschung 129
Georg Trakl, Sebastian im Traum i33
Wilhelm Klemm, Betrachtungen .• i34
Franz Werfel, Die Träne i35
Franz Werfel, Gesang i36
Gottfried Benn, Gesänge i36
Gottfried Benn, Synthese 137
Iwan Goll, Karawane der Sehnsucht 137
Franz Werfel, Ballade von Wahn und Tod i38
Wilhelm Klemm, Aufsuchung i/jo
Wilhelm Klemm, Erscheinung i4i
Georg Heym, Mit den fahrenden Schiffen i4i
Johannes R. Becher, Klage und Frage i^a
Ernst Stadler, Der Spruch i45
Franz Werfel, Ich habe eine gute Tat getan i46
Theodor Däubler, Oft i47
Else Lasker-Schüler, An Gott i48
Else Lasker-Schüler, Zebaoth i48
Else Lasker-Schüler, Abraham und Isaak i48
Ernst Stadler, Anrede i49
Wilhelm Klemm, Sehnsucht i49
Paul Zech, Ich ahne dich i5o
Ernst Stadler, Zwiegespräch i5i
August Stramm, Allmacht i52
Wilhelm Klemm, Reifung i52
Karl Otten, Gott i53
Kurt Heynicke, Lieder an Gott i54
Kurt Heynicke, Gedicht i55
Rene Schickele, Ode an die Engel i56
Franz Werfel, Ich bin ja noch ein Kind i58
AUFRUF UND EMPÖRUNG
Johannes R.Becher, Vorbereitung i63
Walter Hasenclever, Der politische Dichter i64
Franz Werfel, Aus meiner Tiefe 167
Karl Otten, Des Tagdomes Spitze 169
Wilhelm Klemm, Phantasie 170
Alfred Wolfenstein, Glück der Äußerung 171
Theodor Däubler, Mein Grab ist keine Pyramide 172
Kurt Heynicke, Aufbruch 173
Walter Hasenclever, Mein Jüngling, du 173
00
Ernst Wilhelm Lotz, Aufbruch der Jugend 174
Rene Schickele, Der rote Stier träumt 177
Karl Otten, Arbeiter! 181
Paul Zech, Die neue Bergpredigt i84
Rene Schickele, Großstadtvolk 187
Paul Zech, Mai-Nacht t88
Ludwig Rubiner, Die Stimme 188
Johannes R. Becher, An die Zwanzigjährigen ig3
Alfred Wolfenstein, Chor 198
Alfred Wolfenstein, Kameraden 198
Karl Otten, Für Martinel 198
Karl Otten, Die Tluronerhebung des Herzens 200
Walter Hasenclever, Jaures Tod 208
Walter Hasenclever, Jaures Auferstehung 208
Ludwig Rubiner, Die Engel 2o4
Ludwig Rubiner, Denke 2o5
Rudolf Leonhard, Der seraphische Marsch 306
Walter Hasenclever, 1917 207
Franz Werfel, Revolutionsaufruf 21 j
Johannes R. Becher, Mensch stehe auf 211
Walter Hasenclever, Schon aus roten Kasematten 2i5
Alfred Wolfenstein, Der gute Kampf 216
Johannes R. Becher, Ewig im Aufruhr 219
Rudolf Leonhard, Prolog zu jeder kommenden Revolution 221
Johannes R. Becher, Eroica 228
Johannes R. Becher, Klänge aus Utopia 226
Kurt Heynicke, Volk 229
Else Lasker- Schüler, Mein Volk 229
Iwan Goll, Noemi 280
Ludwig Rubiner, Der Mensch 284
Kurt Heynicke, Mensch 285
Franz Werfel, Der gute Mensch 286
LIEBE DEN MENSCHEN
Franz Werfel, An den Leser 289
Wilhelm Klemm, Einleitung 289
Paul Zech, An meinen Sohn 2I10
Franz Werfel, Vater und Sohn 2/48
Walter Hasenclever, Die Todesanzeige 2^4
Wilhelm Klemm, Der Bettler 244
Albert Ehrenstein, Hoffnung 2 45
3o8
Else Lasker - Schüler, Und suche Gott 2/16
Franz Werfel, Eine alte Frau geht 346
Johannes R. Becher, Hymne auf Rosa Luxemburg 2/17
Rudolf Leonhard, Der tote Liebknecht 2^9
Iwan Goll, Schöpfung 2 5o
Alfred VVolfenstein, Hingebung des Dichters 281
Franz Werfel, Lächeln Atmen Schreiten 262
Rene Schickele, Hellige Tiere . . .1 2 53
Georg Heym, Die Seefahrer 204
Iwan Goll, Der Panama-Kanal 2 54
Karl Otten, An die Besiegten 257
Alfred Wolfenstein, Andante der Freundschaft 269
Kurt Heynicke, Freundschaft 268
Ludwig Rubiner, Die Ankunft 268
Alfred Wolfenstein, Die Friedensstadt 266
Wilhelm Klemm, Ergriffenheit 268
Wilhelm Klemm, Erfüllung 268
Rene Schickele, Pfingsten 269
Rene Schickele, Abschwur 269
Franz Werfel, Das Maß der Dinge 270
Ernst Stadler, Form ist Wollust 271
Theodor Däubler, Der stumme Freund 271
Johannes R. Becher, Die Insel der Verzweiflung 272
Iwan Goll, Wassersturz 272
Theodor Däubler, Es sind die Sonnen und Planeten 278
Rudolf Leonhard, Abendlied 275
Walter Hasenclever, Gedichte 276
Walter Itasenclever, Auf den Tod einer Frau 277
Else Lasker -Schüler, Gebet 277
Franz Werfel, Veni creator spiritus 278
Theodor Däubler, Der Mensch ist eine welke Klette 281
Kurt Heynicke, Gesang 282
Franz Werfel, Ein geistliches Lied 282
Franz Werfel, Die Leidenschaftlichen 288
Paul Zech, Das ist die Stunde 284
Wilhelm Klemm, Einheit 286
Georg Trakl, Gesang des Abgeschiedenen 286
Walter Hasenclever, Du Geist, der mich verließ 287
Kurt Heynicke, Psalm 286
Franz Werfel, Ein Lebenslied 287
Sog
VERZEICHNIS DER GEDICHTE
NACH DER
ALPHABETISCHEN FOLGE DER DICHTER
BECHER, JOHANNES R.
Verfall k
Berlin 7
Aus den Gedichten um Lolte 92
Abendgebet um Lotte 99
Der Wald 108
Klage und Frage i/ia
Vorbereitung i63
An die Zwanzigjährigen 198
Mensch stehe auf! 211
Ewig im Aufruhr 219
Eroica 228
Klänge aus Utopia 226
Die Insel der Verzweiflung 2/42
Hymne auf Rosa Luxemburg 247
BENN, GOTTFRIED
Kleine Aster i5
Der junge Hebbel 3o
Mann und Frau gelm durch die Krebsbaracke .... 53
D-Zug 86
Karyatide 91
0 Nacht 125
Gesänge i36
Synthese 187
DÄUBLER, THEODOR
Diadem i3
Flügellahmer Versuch i3
Hätt' ich nur ein Fünkchen Glück 28
Was? 24
Einsam 2 5
Überraschung 129
Der Atem der Natur io8
Die Buche m
3io
Der Baum ii3
Millionen Nachtigallen schlagen ii5
Winter 119
Dämmerung 121
Oft ikk
Mein Grab ist keine Pyramide 172
Der stumme Freund 271
Es sind die Sonnen und Planeten 278
Der Mensch ist eine welke Klette 281
EHRENSTEIN, ALBERT
So schneit auf mich die tote Zeit a3
Verzweiflung 28
Leid 29
Auf der hartherzigen Erde 29
Der Wanderer 33
Schmerz 36
Ich bin des Lebens und des Todes müde 37
Unentrinnbar 38
Der Kriegsgott A3
Der Berserker schreit 45
Der Dichter und der Krieg 47
Julian 57
Der ewige Schlaf 64
Die Götter 71
Verlassen loi
Abendsee 123
Friede i23
Hoffnung 3 45
GOLL, IWAN
Wald HO
Karawane der Sehnsucht 187
Noemi 2 3o
Schöpfung 249
Der Panamakanal 2 54
Wassersturz 272
HASENCLEVER, WALTER
Tritt aus dem Tor, Erscheinung 35
Die Lagerfeuer an der Küste 4i
3ii
Gasglühlicht summt 84
Die Nacht fällt scherbenlos 85
Oft am Erregungsspiel , ^^
Kehr mir zurück mein Geist 86
Der Gefangene 87
Der Schauspieler 90
Begegnung io5
Der politische Dichter i64
Mein Jüngling, Du 173
Jaures Tod 2o3
Jaures Auferstehung 2o3
1917 2°7
Schon aus roten Kasematten 2i5
Die Todesanzeige 244
Gedichte 276
Auf den Tod einer Frau 277
Du Geist, der mich, verließ 287
HEYM, GEORG
Umbra vitae 3
Der Gott der Stadt 6
Die Dämonen der Städte i4
Der Krieg 30
Die Heimat der Toten 49
Die Morgue 55
Ophelia 62
Deine Wimpern, die langen 106
Der Baum 112
Alle Landschaften haben I23
Mond 124
Mit den fahrenden Schiffen i4t
Die Seefahrer 254
HEYNIGKE, KURT
Erhebe die Hände 34
Gethsemane 38
Das Bild 44
In der Mitte der Nacht 100
Lieder an Gott i54
Gedicht . . .: i55
Aufbruch 17^
3l2
Volk 229
Mensch 235
Freundschaft 268
Gesang 282
Psalm 286
HODDIS, JAKOB VAN
Weltende 3
Die Stadt 10
Tristitia ante 16
Der Todesengel 6i
Morgens 119
KLEMM, WILHELM
Meine Zeit 4
Philosophie . . . . • 35
Lichter 87
Schlacht an der Marne 45
Bekenntnis 97
Der Baum 112
Herbst 117
Ausgleich 119
Betrachtungen i34
Aufsuchung i4o
Erscheinung i4i
Sehnsucht i49
Reifung i52
Phantasie 170
Einleitung 289
Der Bettler 244
Ergriffenheit 268
Erfüllung 268
Einheit 285
LASKEH-SCHÜLER, ELSE
Senna Hoy 59
Meiner Mutter 60
Ein Lied der Liebe 9^
Mein Liebeslied 95
Doktor Benn 100
Ein Lied ^02
3i3
Abschied 102
Versöhnung io4
An Gotl i48
Zebaoth i48
Abraham und Isaak i48
Mein Volk 229
Und suche Gott 2 45
Gebet 277
LEONHARD, RUDOLF
Der seraphische Marsch 206
Prolog zu jeder kommenden Revolution 221
Der tote Liebknecht 249
Abendlied 275
LICHTENSTEIN, ALFRED
Die Dämmerung 11
Nebel 22
Ausflug 22
Sommerfrischö 26
Die Schlacht bei Saarburg 46
Spaziergang 82
Mädchen 92
In den Abend 121
LOTZ, ERNST WILHELM
Glanzgesang 82
Ich flamme das Gaslicht an 84
Wir fanden Glanz qS
Und schöne Raubtierflecken 98
In gelben Buchten 118
Aufbruch der Jugend 174
OTTEN,KARL
Gott i53
Des Tagdomes Spitze 169
Arbeiter! 181
Für Martinet igß
Die Thronerhebung des Herzens 200
An die Besiegten 267
3i4
KUBINER, LUDWIG
Die Stimme i8i
Die Engel 2o4
Denket 2o5
Der Mensch 234
Die Ankunft 268
SCHICKELE, RENß
Bei der Einfahrt in den Hafen von Bombay 87
Die Leibwache 88
Sonnenuntergang 120
Der Knabe im Garten 121
Mondaufgang i24
Ode an die Engel i56
Der rote Stier träumt 177
Großstadtvolk 187
Heilige Tiere ...I 2 53
Pfingsten 269
Abschwur 269
STADLER, ERNST
Abendschluß 12
Tage 16
Der Aufbruch 4o
In der Frühe 97
Vorfrühling 117
Fahrt über die Kölner Rheinbrüoke bei ISacht . . . 127
Der Spruch i45
Anrede i49
Zwiegespräch i5i
Form ist Wollust 271
STRAMM, AUGUST
Untreu 2 4
Schwermut 36
Verzweifelt 37
Wache 46
Patrouille 46
Sturmangriff 46
Blüte 95
Wunder 96
3i5
Dämmerung 98
Abendgang 99
Vorfrühling 116
Traum 126
Allmacht 102
TRAKL, GEORG
De Profundis 27
Ruh und Schweigen 28
In den Nachmittag geflüstert 28
An den Knaben Elis 58
Elis 58
Helian 68
Der Herbst des Einsamen 118
Abendlied 122
Sebastian im Traum i38
Gesang des Abgeschiedenen 286
WERFEL, FRANZ
Fremde sind wir auf der Erde alle 3;^
Der Krieg 4i
Der Ritt 5i
Trinklied 61
Warum mein Gott ^4
Wir nicht "yS
Der dicke Mann im Spiegel 79
Der schöne strahlende Mensch 83
Hekuba 90
Als mich dein Wandeln an den Tod verzückte . 107
Die Träne i35
Gesang i36
Ballade von Wahn und Tod i38
Ich habe eine gute Tat getan i46
Ich bin ja noch ein Kind i58
Aus meiner Tiefe 167
Revolutionsaufruf 211
Der gute Mensch 236
An den Leser 239
Vater und Sohn 2^3
Eine alte Frau geht 2 56
Lächeln Atmen Schreiten 262
3i6
Das Maß der Dinge 270
Veni Creator spiritus 270
Ein geistliches Lied 282
Die Leidenschaftlichen 288
Ein Lebenslied 287
WOLFENSTEIN, ALFRED
Städter 10
Bestienhaus 10
Verdammte Jugend 19
Nacht im Dorfe 26
Die gottlosen Jahre 33
Das Ilerz 719
Glück der Äußerung 171
Chor ig3
Kameraden iq3
Der gute Kampf 216
Hingebung des Dichters 25i
Andante der Freundschaft 259
Die Friedensstadt 266
ZECH, PAUL
Fabrikstraße tags 19
Sorlicrmädchen 20
Fräser 21
Musik der Sterne ^7
Aus den Fenstern eines Kesselhauses 80
Der Wald 1 1 1
Die Häuser haben Augen aufgetan 121
Ich ahne Dich i5o
Die neue Bergpredigt 181
Mai-Nacht 188
An meinen Sohn 2/io
Das ist die Stunde 284
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(Umsturz und Aufbau, Heft 7)
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KAMPF GEGEN DIE WAFFE!
(Umsturz und Aufbau, Heft 5)
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An Europa. Gedichte
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Die Nackten. Eine Dichtung
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Polnische Gedichte
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