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Full text of "Menschheits Dämmerung, Symphonie jüngster Dichtung"

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MENSCHHEITS 
DÄMMERUNG 

Symphonie  jüngster  Dichtung 

HERAUSGEGEBEN 
VON 

KURTPIN  THUS 


920 


ERNST     ROWOHLT    VERLAG    •    BERLIN 


5  ~  10.  TAU  SEND 

Printed  in  üreriiiai. 


ZUVOR 

Der  Herausgeber  dieses  Buches  ist  ein  Gegner  von  Antho- 
logien; —  deshalb  gibt  er  diese  Sammlung  heraus. 

iNicht  werden  hier  —  nach  bisherigem  Brauch  der  Antho- 
logien —  viele  Dichter,  die  zufällig  zur  selben  Zeit  leben,  in 
alphabetischer  Folge  je  mit  ein  paar  Gedichten  aneinander- 
gereiht. Auch  nicht  sollen  Gedichte  zusammengestellt  werden, 
die  alle  ein  gemeinschaftliches  Thema  bindet  (etwa  Liebes- 
gedieh te  oder  Revolutions-Lyrik).  Dies  Buch  hat  nicht  den 
pädagogischen  Ehrgeiz,  Musterbeispiele  guter  Poesie  zu  bietend- 
es flicht  nicht  nach  der  Mode  biederer  Großvälerzeit  Blüten 
der  Lyrik,  noch  Perlen  der  Dichtung  zum  Kranz. 

Sondern :  Dies  Buch  nennt  sich  nicht  nur  ,,eine  Samm- 
lung".   Es  i  s  t  Sammlung  I:   Sammlung  der  Erschütterunpren 

D  DO  O 

und  Leidenschaften,  Sammlung  von  Sehnsucht,  Glück  und 
Qual  einer  Epoche  —  unserer  Epoche.  Es  ist  gesammelte  Pro- 
jektion menschlicher  Bewegung  aus  der  Zeit  in  die  Zeit.  Es 
soll  nicht  Skelette  von  Dichtern  zeigen,  sondern  die  schäu- 
mende, chaotische,  berstende  Totalität  unserer  Zeit. 

Stets  war  die  Lyrik  das  Barometer  seelischer  Zustände,  der 
Bewegung  und  Bewegtheit  der  Menschheit.  Yoranzeigend  kün- 
dete sie  kommendes  Geschehen  .  .  .,  die  Schwingungen  der  Ge- 
meinschaftsgefühle .  .  .,  das  Auf,  Ab  und  Empor  des  Denkens 
und  Sehnens.  Dies  empfand  man  in  Deutschland  so  deutlich, 
daß  man  die  Kultur  gcuizer  Epochen  nach  der  Art  ihrer  Dich- 
tung charakterisierte :  Empfindsamkeit,  Sturm  und  Drang, 
Romantik,  junges  Deutschland,  Butzenscheibenpoesie. 

Die  Geisteswissenschaften  des  ersterbenden  19.  Jahrhunderts 
—  verantwortungslos  die  Gesetze  der  ^saturwissenscluuten  auf 
geistiges  Geschehen  übertragend  —  begnügten  sich,  in  der 
Kunst  nach  entwicklungsgeschichtlichen  Prinzipien  und  Be- 
einflussungen nur  das  Nacheinander,  das  Aufeinander  sche- 
matisch zu  konstatieren;  man  sah  kausal,  vertikal. 

Dieses  Buch  will  auf  andere  \\  eise  zur  Sammlung  kommen : 
Man  horche  in  die  Dichtung  unserer  Zeit. . .,  man  horche  quer 
durch,  m£Ui  blicke  rund  herum,  .  .  .  nicht  vertikal,  nicht  nach- 
einander, sondern  horizontal;  man  scheide  nicht  das  Aufein- 
anderfolgende auseinander,  sondern  man  höre  zusammen,  zu- 
gleich, simultan.   Man  höre  den  Zusammenklang  dichtender 


Stimmen :  man  höre  symphonisch.  Es  ertönt  die  Musik  unserer 
Zeit,  das  dröhnende  Unisono  der  Herzen  und  Gehirne. 

Ebensowenig  wie  die  Anordnung  der  Gedichte  nach  dem 
äußerlichen  Schema  des  Alphabets  erfolgte,  durfte  sie  des- 
halb nach  der  Chronologie  der  einzelnen  Gedichte  oder  Dich- 
ter, nach  der  Gruppierung  literarischer  Cliquen,  nach  der  Fest- 
stellung gegenseitiger  Beeinflussung  oder  formaler  Gemein- 
samkeiten geschehen.  Keine  mechanische,  historische  Folge 
ward  angestrebt,  sondern  dynamisches,  motivisches  Zusammen- 
klingen: Symphonie! 

Man  möge  also  nicht  nur  auf  die  einzelnen  Instrumente 
und  Stimmen  des  lyrischen  Orchesters  lauschen :  die  auf- 
schwebende Sehnsucht  der  Violinen,  die  herbstlich-klagende 
Melancholie  der  Celli,  die  purpurnen  Posaunen  der  Erweckung, 
das  ironische  Staccato  der  Klarinetten,  die  Paukenschläge  des 
Zusammensturzes,  das  zukunftslockende  Marciale  der  Trom- 
peten, das  tiefe,  dunkle  Raunen  der  Oboen,  den  brausenden 
Slurzbach  der  Bässe,  das  rapide  Triangclgeklingel  und  die 
bleckenden  Beckenschläge  genußgierigen  Totentanzes.  Sondern 
es  kommt  darauf  an,  aus  den  lärmenden  Dissonanzen,  den 
melodischen  Harmonien,  dem  wuchtigen  Schreiten  der  Akkorde, 
den  gebrochensten  Halb-  und  V^ierteltönen  —  die  Motive  und 
Themen  der  wildesten  wüstesten  Zeit  der  Weltgeschichte  her- 
auszuhören. Diese  bewegenden  Motive  (zeugte  sie  ein  inneres 
Geschehen  aus  uns  heraus,  oder  ließ  nur  ein  gleichgültiges 
Werden  sie  ungeheuer  in  uns  erklingen?)  variieren  sich  je 
nach  Wesen  und  Wollen  der  Dichter,  rauschen  empor  zum 
zersprengenden  Fortissimo  oder  schwinden  hin  im  beglücken- 
dem Düke.  Das  Andante  des  Zweifels  und  der  Verzweiflung 
steigert  sich  zum  befreienden  Fortissimo  der  Empörung,  und 
das  Moderalo  des  erwachenden,  erweckten  Herzens  erlöst  sich 
zum  triumphalen  Maestoso  der  menschenliebenden  Menschheit. 

Wenn  in  diesem  Buche  weder  wahllos  und  ungesichlel  die 
Stimmen  der  in  unserer  Zeit  Dichtenden  ertönen,  noch  die 
Dichtungen  einer  bewußt  sich  zusammenschließenden  literari- 
schen Gruppe  oder  Schule  gesammelt  sind,  so  soll  dennoch 
ein  Gemeinsames  die  Dichter  dieser  Symphonie  einen.  Diese 
Gemeinsamkeit  ist  die  Intensität  und  der  Radikalismus  des 
Gefühls,  der  Gesinnung,  des  Ausdrucks,  der  Form;  und  diese 
Intensität,  dieser  Radikalismus  zwingt  die  Dichter  wiederum 
zum  Kampf  gegen  die  Menschheit  der  zu  Ende    gehenden 

VI 


Epoche  und  zur  sehnsüchtigen  Vorbereitung  und  Forderung 
neuer,  besserer  Menschheit. 

Man  erwarte  also  weder  ein  Gesamtbild  der  lyrischen  Dich- 
tung unserer  Zeit,  noch  eine  nach  (lügnerischen)  absoluten 
Maßstäben  der  Qualitätsbeurteilung  zusammengestellte  Aus- 
wahl der  besten  zeitgenössischen  Gedichte.  Sondern  charak- 
teristische Gedichte  jener  Jugend,  die  recht  eigentlich  als  die 
junge  Generation  des  letzten  Jahrzehnts  zu  gellen  hat,  weil 
sie  am  schmerzlichsten  an  dieser  Zeit  litt,  am  wildesten  klagte 
und  mit  leidenschaftlicher  Inbrunst  nach  dem  edleren, 
menschlicheren  Menschen  schrie. 

Demnach  mußten  nicht  nur  alle  epigonischen  und  eklek- 
tischen Dichter  wegfallen,  nicht  nur  die  unzähligen,  die  sich 
damit  beschäftigen,  Gefühl,  das  nicht  aus  der  Tiefe,  sondern 
aus  dem  Herkömmlichen  entspringt,  in  herkömmliche  Heime 
zu  bringen,  sondern  es  war  nötig,  auch  jene  sehr  begabten 
Dichter  auszuscheiden,  die,  willentlich  jenseits  oder  über  der 
Zeit  stehend,  schöne  und  große  Gefühle  zu  ästhetisch  voll- 
kommenen Gebilden  oder  zu  klassischen  Strophen  formen. 
Ausgeschieden  werden  mußten  auch  alle  die,  deren  Dichtung 
Kunstgewerbe  des  Worts,  Ornament  der  Anschauung,  gereimte 
Historie  ist,  ferner  solche,  die  nur  Zeitereignisse  besingen  oder 
freudig  begleiten,  kleine  Spezialbegabungen  und  alle  die, 
welche  zwischen  den  Generationen  stehen  oder  nicht  den  Mut 
zur  selbständigen  Formung  haben.  Aber  wie  die  Epigonen  der 
älteren  Dichtung,  so  durften  auch  die  PSachläufer  der  jüng- 
sten Dichtung  nicht  aufgenommen  werden,  die  glauben,  neu 
und  jung  zu  sein,  wenn  sie  problematische  Vorbilder  program- 
matisch nachahmen. 

Die  Entscheidung  darüber,  welche  Dichter  zur  vielfältigen 
Gemeinsamkeit  der  jungen  Generation  unserer  Zeit  zu  zählen 
sind,  kann  nicht  eine  Angelegenheit  der  Altersfeststellung  ein- 
zelner Dichter,  noch  eine  Sache  objektiv  kritischer  Analyse 
sein,  sondern  muß  letzten  Endes  durch  intuitives  Gefühl  und 
persönliches  Urteil  getroffen  werden.  Gerade  weil  diese  per- 
sönliche Entscheidung  nötig  war,  darf  der  Herausgeber  aus 
seiner  Anonymität  hervortreten  und  zur  weiteren  Klärung 
einiges  Persönliche  sagen,  um  dann  um  so  schneller  ins  All- 
gemeine führen  zu  können. 

Seit  lo  Jahren  las  ich  fast  alle  gedruckten  lyrischen  Bücher 
und  sehr  viele  ungedruckte.  Es  schien  nicht  leicht,  aus  dieser 

VII 


Unzahl  die  Dichter  zu  bezeichnen,  welche  jene  eigentliche 
Generation  unserer  Epoche  ausmachen.  Aber  als  ich  inmitten 
der  menschendurchtobten  Stadt  noch  einmal  die  Hunderte  von 
Gedichtbänden  durchsah,  konnte  ich  schließlich  fast  mit  auto- 
matischer Sicherheit  die  für  diese  Generation  wesentlichen 
Dichter  vereinigen  (auch  wenn  sie  selbst  sich  dieser  Gemein- 
samkeit nicht  bewußt  waren).  Nachdem  diese  Abgrenzung  ge- 
schehen war,  gab  es  zwei  Möglichkeiten  der  Sammlung :  ent- 
weder ich  konnte  möglichst  viele  Dichter  dieser  Generation 
aufnehmen,  so  daß  jeder  nur  mit  ganz  wenigen  Gedichten 
erschien;  oder  ich  konnte  möglichst  wenige  Dichter  auswählen 
und  jeden  einzelnen  mit  möglichst  vielen  Gedichten  auftreten 
lassen.  Ich  entschied  mich  für  das  zweite  Prinzip,  da  es  nicht 
nur  ein  vollständiges  Bild  der  Zeitbewegung,  sondern  auch 
einen  möglichst  vollkommenen  Umriß  von  der  Begabung, 
Eigenart,  Spannweite  der  einzelnen  Dichter  gewährte  (so  daß 
man  an  der  Hand  des  alphabetischen  Registers,  trotzdem  die 
Gedichte  jedes  Einzelnen  durch  das  ganze  Buch  verstreut  sind, 
sich  wiederum  von  jedem  Dichter  urteilsgestattende ,  ge- 
schlossene Gestalt  verschaffen  kann).  Deshalb  wurden  nach 
langem  Abwägen  aus  der  großen  Schar  dieser  Generation,  die 
sich  oft  selbst  als  gemeinsame  Phalanx  aufrief,  für  das  Buch 
die  selbständigsten  und  charakteristischsten  ausgewählt,  damit 
jene  Mannigfaltigkeit  der  Motive  und  Formen  entstehen 
konnte,  aus  der  die  geistige  Symphonie  der  zerrissenen  Tota- 
lität unserer  Zeit  zusammenstrahlt. 

Gegen  zwei  Dichter  allerdings  könnte  man  einwenden,  daß 
sie  jenseits  dieser  Generation  stehen.  Aber  Else  Lasker-Schüler 
läßt  als  Erste  den  Menschen  ganz  Herz  sein,  —  und  dehnt 
dennoch  dies  Herz  bis  zu  den  Sternen  und  zu  allen  Buntheiten 
des  Ostens.  Und  Theodor  Däubler  gehört  nicht  zu  denen,  die 
den  Kosmos  schlechtweg  besingen,  sondern  er  durchwirkt  die 
Welt  so  sehr  mit  Geist  und  Idee,  daß  er  ISatur  und  Mensch- 
heit noch  einmal  zu  strotzend-unmateriellem  Leben  erschafft; 
er  findet  tiefe  Möglichkeiten  der  Sprache,  die  nicht  nur  neu 
sind,  sondern  überraschend  weit  hinein  in  Wesen  und  Zu- 
sammenhang des  Geschehens  leuchten. 

Die  ausgewählten  Gedichte  dieser  etwa  zwei  Dutzend  Dich- 
ter fügten  sich  sclinell,  beinahe  von  selbst,  nach  wenigen 
großen  Motiven  zu  jener  Symphonie  zusammen,  die  ,, Mensch- 
heitsdämmerung" genannt  wurde.  Alle  Gedichte  dieses  Buches 

VIII 


entquellen  der  Klage  um  die  Menschheit,  der  Sehnsucht  nach 
der  Menschheit.  Der  Mensch  schlechthin,  nicht  seine  privaten 
Angelegenheiten  und  Gefühle,  sondern  die  Menschheit,  ist  das 
eigentliche  unendliche  Thema.  Diese  Dichter  fühlten  zeitig, 
wie  der  Mensch  in  die  Dämmerung  versank  .  .  .,  sank  in  die 
Nacht  des  Untergangs  .  .  .,  um  wieder  aufzutauchen  in  die  sich 
klärende  Dämmerung  neuen  Tags.  In  diesem  Buch  wendet  sich 
bewußt  der  Mensch  aus  der  Dämmerung  der  ihm  aufgedräng- 
ten, ihn  umschlino^enden,  verschlinsrenden  Yersransrenheit  und 
Gegenwart  in  die  erlösende  Dämmerung  einer  Zukunft,  die 
er  selbst  sich  schafft. 

Die  Dichter  dieses  Buches  wissen  wie  ich :  es  birgt  unsere 
Ju2:end:  freudicr  beorinnendes,  früh  verschüttetes,  zerstörtes 
Leben.  Was  in  den  letzten  Jahren  der  Menschheit  gar  nicht 
oder  nur  dumpf  be>\-ußt  war,  was  nicht  in  Zeitungen  und 
Abhandlungen  zu  lesen  stand :  das  ward  in  dieser  Generation 
mit  unbeA\Taßter  Sicherheit  Wort  und  Form.  Das  wissenschaft- 
lich nicht  Feststellbare  im  Menschen  —  hier  trat  es  prophe- 
tisch wahr  und  klar  ans  Licht. 

Deshalb  ist  dies  Buch  keine  angenehme  und  bequeme  Lek- 
türe, und  der  Einwand  läßt  sich  leicht  erheben,  daß  im 
letzten  Jahrzehnt  manche  reiferen,  vollkommeneren,  qualitativ 
besseren  Gedichte  entstanden  sind.  Aber  kann  eine  Dichtung, 
die  Leid  und  Leidenschaft,  Willen  und  Sehnsucht  dieser  Jahre 
zu  Gestcdt  werden  läßt,  und  die  aus  einer  ideenlosen,  ideal- 
losen Menschheit,  aus  Gleichgültigkeit,  Verkommenheit,  Mord 
und  Ansturm  hervorbrach,  —  kann  diese  Dichtung  ein  reines 
und  klares  Antlitz  haben?  Muß  sie  nicht  chaotisch  sein  wie 
die  Zeit,  aus  deren  zerrissenem,  blutigem  Boden  sie  erwuchs  ? 

Ein  >irtuoser  Philolog  würde  eine  vollständige  Charakteristik 
dieser  Dichtung  nur  aus  Zitaten  dieses  Buches  moscdkartig  zu- 
sammenstellen können.  Doch  soll  nicht  im  voraus  gesagt  wer- 
den, was  jeder  wissen  wird,  wenn  er  das  Buch  gelesen  hat. 
Auch  sollen  nicht  die  einzelnen  Dichter  der  Reihe  nach  charak- 
terisiert werden;  denn  die  meisten  von  ihnen  sind  zu  reich 
und  \-ielgestaltig,  als  daß  sie  für  immer  mit  einigen  einengen- 
den Schlagworten  belastet  einhergehen  sollen.  Aber  ich  will 
einen  Querschnitt  durch  diese  Poesien  versuchen,  so  daß  aus 
der  grausamen  Wunde  des  Schnittes  das  Wesentliche  ent- 
strömt, WELS  sie  eint  zur  Dichtung  dieser  Epoche. 

Die  Jünglinge  dieser  Generation  fanden  sich  in  einer  Zeit, 

IX 


aus  der  jedes  Ethos  geschwunden  war.  Es  galt,  In  jeder  Si- 
tuation Haltung  zu  bewahren;  möglichst  umfangreich  und 
mannigfaltig  mußte  die  Menge  des  genießerisch  Rezipierten 
sein;  Kunst  wurde  ganz  nach  ästhetischem,  Leben  ganz  nach 
statistisch  materiellem  Maß  gemessen;  und  der  Mensch  und 
seine  geistige  Betätigung  schienen  nur  da  zu  sein,  um  psycho- 
logisch, analytisch  betrachtet,  nach  historischen  Maximen  de- 
finiert zu  werden.  Wenn  einer  der  jungen  Dichter  versuchte, 
tiefer  von  der  Oberfläche  in  sich  einzudringen,  zerbrach  er 
unter  der  Last  der  Umwelt  (Walter  Cale).  Zwar  empfand 
man  die  Notwendigkeit,  von  der  realistischen  Schilderung  der 
Umwelt,  vom  Auffangen  der  vorüberjagenden  Impressionen 
sich  zu  entfernen  —  und  kam  doch  nur  zur  äußersten  Diffe- 
renzierung und  Subllmierung  der  zerlegten  Genüsse,  wodurch 
wiederum  der  Genuß  vernichtet  wurde(Hardekopf ,  Lautensack). 

Aber  man  fühlte  immer  deutlicher  die  Unmöglichkeit  einer 
Menschheit,  die  sich  ganz  und  gar  abhängig  gemacht  hatte  von 
ihrer  eigenen  Schöpfung,  von  ihrer  Wissenschaft,  von  Technik, 
Statistik,  Handel  und  Industrie,  von  einer  erstarrten  Gemein- 
schaftsordnung, bourgeoisen  und  konventionellen  Bräuchen. 
Diese  Erkenntnis  bedeutet  zugleich  den  Beginn  des  Kampfes 
gegen  die  Zeit  und  gegen  ihre  Realität.  Man  begann,  die 
Um-Wirklichkeit  zur  Un-Wirklichkeit  aufzulösen,  durch  die 
Erscheinungen  zum  Wesen  vorzudringen,  im  Ansturm  des 
Geistes  den  Feind  zu  umarmen  und  zu  vernichten.  Und  ver- 
suchte zunächst,  mit  ironischer  Überlegenheit  sich  der  Umwelt 
zu  erwehren,  ihre  Erscheinungen  grotesk  durcheinander  zu 
würfeln,  leicht  durch  das  schwerflüssige  Labyrinth  hindurch- 
zusciiweben  (Lichtenstein,  Blaß)  —  oder  mit  varietehaften  Zy- 
nisnms  ins  Visionäre  zu  steigern  (van  Hoddis). 

Doch  schon  fühlten  die  gereizten  und  überempfindlichen 
Nerven  und  Seelen  dieser  Dichter  deutlich  auf  der  einen  Seite 
das  dumpfe  Heranrücken  der  liebe-  und  freudeberaubten  pro- 
letarischen Massen,  von  der  andern  Seite  den  heranrollenden 
Zusammenbruch  einer  Menschheit,  die  ebenso  hochmütig  wie 
gleichgültig  war.  Aus  der  strotzenden  Blüte  der  Zivilisation 
stank  ihnen  der  Hauch  des  Verfalls  entgegen,  und  ihre  ahnen- 
den Augen  sahen  bereits  als  Ruinen  eine  wesenlos  auf- 
gedunsene Kultur  und  eine  ganz  auf  dem  Mechanischen  und 
Konventionellen  aufgetürmte  Menschheitsordnung.  Ein  un- 
geheurer Schmerz  schwoll  empor  —  und  am  frühesten  und 


klarsten  In  denen,  die  in  dieser  Zeit,  an  dieser  Zeit  starben : 
Heym  hämmerte  (noch  nach  Baudelaires  strengem  Vorbild) 
Visionen  des  Todes,  des  Grauens,  der  Verwesung  in  zermal- 
menden Strophen;  TrakI  glitt,  nichtachtend  der  realen  Welt, 
hölderlinisch  in  ein  unendlich  blaues  Strömen  tödlichen  Hin- 
schwindens, das  ein  Herbstbraun  vergeblich  zu  rahmen  trach- 
tete; Stadler  sprach  und  rang  mit  Gott  und  der  Welt,  sehn- 
suchtsgemartert,  inbrünstig  wie  Jakob  mit  dem  Engel;  Lich- 
tenstein quirlte  in  leidvoller  Heiterkeit  die  Gestalten  und  Stim- 
mungen der  Stadt  zu  bitterlustigen  Tränken  schon  in  der  besee- 
ligenden  Gewißheit  ,,groß  über  alles  wandelt  mein  Menschen- 
angeslicht";  und  Lotz  unter  Wolken,  aus  Drangsal  bürgerlichen 
Daseins,  rief  nach  Glanz  und  Aufbruch.  Immer  fanatischer 
und  leidenschaftlicher  donnerte  zerfleischende  Klage  und  An- 
klage. Die  Verzweiflungen  Ehrensteins  und  Bechers  rissen  die 
düstere  Welt  mitten  entzwei;  Benn  höhnte  die  faulende  Ab- 
gebrauchtheit des  Kadavermenschen  und  pries  die  unge- 
brochenen Ur-Instinkte;  Stramm  löste  seine  Leidenschaft  vom 
Trugbild  der  Erscheinungen  und  Assoziationen  los  und  ballte 
reines  Gefühl  zu  donnernden  Ein-Worten,  gewitternden  Ein- 
schlägen. Der  wirkliche  Kampf  gegen  die  Wirklichkeit  hatte 
begonnen  mit  jenen  furchtbaren  Ausbrüchen,  die  zugleich  die 
Welt  vernichten  und  eine  neue  Welt  aus  dem  Menschen  heraus 
schaffen  sollten. 

Man  versuchte,  das  Menschliche  Im  Menschen  zu  erkennen, 
zu  retten  und  zu  erwecken.  Die  einfachsten  Gefühle  des  Her- 
zens, die  Freuden,  die  das  Gute  dem  Menschen  schafft,  wurden 
gepriesen.  Und  man  Heß  das  Gefühl  sich  verströmen  in  alle 
irdische  Kreatur  über  die  Erdoberfläche  hin;  der  Geist  ent- 
rang sich  der  Verschüttung  und  durchschwebte  alles  Ge- 
schehen des  Kosmos,  —  oder  tauchte  tief  in  die  Erscheinungen 
hinab,  um  in  ihnen  ihr  göttliches  Wesen  zu  finden.  (So  ver- 
knüj)ft  sich  die  Jugend  Hasenclevers,  Stadlers,  Werfeis, 
Schickeies,  Klemms ,  Golls ,  Heynickes  mit  der  Kunst  der 
Älteren  Whitman,  Rilke,  Mombert,  Hille.)  Immer  deutlicher 
wußte  man :  der  Mensch  kann  nur  gerettet  werden  durch 
den  Menschen,  nicht  durch  die  Umwelt.  iSicht  Einrichtungen, 
Erfindungen,  abgeleitete  Gesetze  sind  das  Wesentliche  und 
Bestimmende,  sondern  der  Mensch!  Und  da  die  Rettung  nicht 
von  außen  kommen  kann  —  von  dort  ahnte  man  längst  vor 
dem  Weltkrieg  Krieg  und  Vernichtung  — ,  sondern  nur  aus 

XI 


den  Inneren  Kräften  des  Menschen,  so  gescheih  die  große  Hin- 
wendung zum  Ethischen. 

Während  im  Weltkrieg  der  gewußte  Zusammenbruch  sich  in 
der  Realität  ereignete,  war  bereits  die  Dichtung  wiederum 
der  Zeit  vorangestürmt:  Aus  den  Ausbrüchen  der  Verfluchung 
brachen  die  Schreie  und  Aufforderungen  zur  Empörung,  zur 
Entscheidung,  zur  Rechenschaft,  zur  Erneuerung  (Becher,  Ru- 
biner, Hasenclever,  Zech,  Leonhard,  Heynicke,  Otten,  Werfel, 
Goll,  Wolfenstein),  nicht  aus  Lust  an  der  Revolte,  sondern  um 
durch  die  Empörung  das  Vernichtende  und  Vernichtete  ganz 
zu  vernichten,  so  daß  Heilendes  sich  entfalten  kormte.  Auf- 
rufe zum  Zusammenschluß  der  Jugend,  zum  Aufbruch  einer 
geistigen  Phalanx  ertönten;  nicht  mehr  das  Individuelle,  son- 
dern das  allen  Menschen  Gemeinsame,  nicht  das  Trennende, 
sondern  das  Einende,  nicht  die  Wirklichkeit,  sondern  der  Geist, 
nicht  der  Kampf  aller  gegen  alle,  sondern  die  Brüderlichkeit 
wurden  gepriesen.  Die  neue  Gemeinschaft  >vurde  gefordert. 
Und  so  gemeinsam  und  wild  aus  diesen  Dichtern  Klage,  Ver- 
zweiflung, Aufruhr  aufgedonnert  war,  so  einig  und  eindring- 
lich posaunten  sie  in  ihrer  Gesängen  Menschlichkeit,  Güte,  Ge- 
rechtigkeit, Kameradschaft,  Menschenliebe  aller  zu  allen.  Die 
ganze  Welt  und  Gott  bekommen  Menschenangesicht :  die  Welt 
fängt  im  Menschen  an,  und  Gott  Ist  gefunden  als  Bruder  — , 
selbst  die  Steinfigur  steigt  menschlich  herab,  die  Stadt  der 
Qualen  wird  zum  beglückenden  Tempel  der  Gemeinschaft,  und 
triumphierend  steigt  das  erlösende  Wort  empor:  Wir  sindl 

Jeder  erkennt,  wie  ungeheuer  weit  der  Bogen  Ist  von  Cales 
Verzweiflung  ,,Und  keine  Brücke  Ist  von  Mensch  zu 
Mensch"  .  .  .,  von  Werfeis  ,, Fremde  sind  wir  auf  der  Erde 
alle"  .  .  .  bis  zu  Bechers :  ,, Keiner  dir  fremd,  /  Ein  jeder  dir 
nah  und  Bruder"  .  .  .  Klemms :  ,,WIr  kommen  uns  so  nahe, 
wie  sich  nur  Engel  kommen  können"...  Heynickes:  ,,Ich 
fühle,  /  endelos,  /  daß  ich  nicht  einsam  bin  ...  so  nahe  bist 
Du,  /  Bruder  Mensch"  .  . .  „Doch  das  Lächeln  schlägt  Bogen 
von  mir  zu  Dir  /  •  •  •  wir  schenken  einander  das  Ich  und  das 
Du  —  /  ewig  eint  uns  das  Wort:  /  MENSCH." 

Es  scheint,  daß  nachbetrachtende  Darstellung  stets  den  di- 
rekten Einfluß  der  Dichtung  auf  die  realen  Zeit-  und  Volks- 
ereignisse überschätzte.  Die  Kunst  einer  Zeit  ist  nicht  Ver- 
ursacher des  Geschehens  (wie  man  das  z.  B.  allzusehr  von  der 
revolutionären   Lyrik  aller  Zelten  annahm),   sondern  sie  ist 

XII 


voranzeigendes  Symptom,  geistige  Blüte  aus  demselben  Hu- 
mus wie  das  spätere  reale  Geschehen,  —  sie  ist  bereits  selbst 
Zeit-Ereignis.  Zusammenbruch,  Revolution,  Neuaufrichtung 
ward  nicht  von  der  Dichtung  dieser  Generation  verursacht; 
aber  sie  ahnte,  wußte,  forderte  dies  Geschehen.  Das  Chaotische 
der  Zeit,  das  Zerbrechen  der  alten  Gemeinschaftsformen,  Ver- 
zweiflung und  Sehnsucht,  gierig  fanatisches  Suchen  nach 
neuen  Möglichkeiten  des  Menschheitslebens  offenbart  sich  in 
der  Dichtung  dieser  Generation  mit  gleichem  Getöse  und  glei- 
cher Wildlieit  wie  in  der  Realität  .  .  . ,  aber  wohlgemerkt :  nicht 
als  Folge  des  Weltkriegs,  sondern  bereits  vor  seinem  Beginn, 
und  immer  heftiger  während  seines  Verlaufs. 

So  ist  allerdings  diese  Dichtung,  wie  manche  ihrer  Program- 
matiker forderten  (und  wie  wurde  dieser  Ruf  mißverstan- 
den!) :  politische  Dichtung,  denn  ihr  Thema  ist  der  Zustand  der 
gleichzeitig  lebenden  Menschheit,  den  sie  beklagt,  verflucht, 
verhöhnt,  vernichtet,  während  sie  zugleich  in  furchtbarem  Aus- 
bruch die  Möglichkeiten  zukünftiger  Änderung  sucht.  Aber  — 
und  nur  so  kann  politische  Diclitung  zugleich  Kunst  sein  —  die 
besten  und  leidenschaftlichsten  dieser  Dichter  kämpfen  nicht 
gegen  die  äußeren  Zustände  der  Menscliheit  an,  sondern  gegen 
den  Zustand  des  entstellten,  gepeinigten,  irregeleiteten  Men- 
schen selbst.  Die  politische  Kunst  unserer  Zeit  darf  nicht  ver- 
sifizierter  Leitartikel  sein,  sondern  sie  will  der  Menschheit 
helfen,  die  Idee  ihrer  selbst  zur  Vervollkommnung,  zur  Ver- 
wirklichung zu  bringen.  Daß  die  Dichtung  zugleich  dabei  mit- 
wirkte, gegen  realpolitischen  Irrsinn  und  eine  entartete  Ge- 
sellschaftsordnung anzurennen,  war  nur  ein  selbstverständ- 
liches und  kleines  Verdienst.  Ihre  größere  überpolitische  Be- 
deutung ist,  daß  sie  mit  glühendem  Finger,  mit  weckender 
Stimme  immer  wieder  auf  den  Menschen  selbst  wies,  daß  sie 
die  verloren  gegangene  Bindung  der  Menschen  untereinander, 
miteinander,  das  Verknüpftsein  des  Einzelnen  mit  dem  Unend- 
lichen —  zur  Verwirklichung  anfeuernd  —  in  der  Sphäre  des 
Geistes  wiederschuf. 

Demgemäß  ist  es  natürlich,  daß  dies  die  Worte  sind,  die 
sich  am  meisten  in  ihr  finden :  Mensch,  Welt,  Bruder,  Gott. 
Weil  der  Mensch  so  ganz  und  gar  Ausgangspunkt,  Mittel- 
juinkt,  Zielpunkt  dieser  Dichtung  ist,  deshalb  hat  die  Land- 
schaft wenig  Platz  in  ihr.  Die  Landschaft  wird  niemals  hin- 
gemalt, geschildert,  besungen;  sondern  sie  ist  ganz  vermenscht: 

XIII 


sie  ist  Grauen,  Melancholie,  Verwirrung  des  Chaos,  ist  das 
schimmernde  Labyrinth,  dem  Ahasver  sehnsuchtsvoll  sich 
entwinden  will;  und  Wald  und  ßaum  sind  entweder  Orte 
der  Toten,  oder  Hände,  die  zu  Gott,  zur  Unendlichkeit  hin- 
suchen. Mit  rasender  Schnelligkeit  bewegt  sich  diese  Dichtung 
vom  fanatischen  Kampfruf  zum  Sentimentalen,  vom  anarchi- 
schen Toben  zur  Didaktik  des  Ethischen.  Wenig  nur  ist  Freude 
und  Glück  in  ihr;  Liebe  ist  Schmerz  und  Schuld,  —  Arbeit 
wird  zu  gefühl vernichtender  Qual;  noch  das  Trinklied  ist 
dumpfes  Schuldbekenntnis;  und  lichtere,  frohere  Töne  erklin- 
gen nur  aus  der  Sehnsucht  nach  dem  Paradies,  das  verloren 
ist,  und  das  doch  vor  uns  liegt. 

Niemals  war  das  Ästhetische  und  das  L'art  pour  l'art-Prinzip 
so  mißachtet  wie  in  dieser  Dichtung,  die  man  die  ,, jüngste" 
oder  „expressionistische"  nennt,  weil  sie  ganz  Eruption,  Ex- 
plosion, Intensität  ist  —  sein  muß,  um  jene  feindliche  Kruste  zu 
sprengen.  Deshalb  meidet  sie  die  naturalistische  Schilderung 
der  Realität  als  Darstellungsmittel,  so  handgreiflich  auch  diese 
verkommene  Realität  war;  sondern  sie  erzeugt  sich  mit  ge- 
waltiger und  gewaltsamer  Energie  ihre  Ausdrucksmittel  aus 
der  Bewegungskraft  des  Geistes  (und  bemüht  sich  keineswegs, 
deren  Mißbrauch  zu  meiden).  Sie  entschleudert  ihre  Welt  .  .  . 
in  ekstatischem  Paroxismus,  in  quälender  Traurigkeit,  in 
süßestem  musikalischen  Gesang,  in  der  Simultanität  durchein- 
anderstürzender Gefühle,  in  chaotischer  Zerschmetterung  der 
Sprache,  grausigster  Verhöhnung  menschlichen  Mißlebens,  in 
flaggelantischschreiender,  verzückter  Sehnsucht  nach  Gott  und 
dem  Guten,  nach  Liebe  und  Brüderlichkeit.  So  wird  auch  das 
Soziale  nicht  als  realistisches  Detail,  objektiv  etwa  als  Elends- 
malerei dargestellt  (wie  von  der  Kunst  um  1890),  sondern  es 
wird  stets  ganz  ins  Allgemeine,  in  die  großen  Menschheitsideen 
hingeführt.  Und  selbst  der  Krieg,  der  viele  dieser  Dichter  zer- 
schmetterte, wird  nicht  sachlich  realistisch  erzählt;  —  er  ist 
stets  als  Vision  da  (und  zwar  lange  vor  seinem  Beginn),  schwelt 
als  allgemeines  Grauen,  dehnt  sich  als  unmenschlichstes  Übel, 
das  nur  durch  den  Sieg  der  Idee  vom  brüderlichen  Menschen 
aus  der  Welt  zu  schaffen  ist. 

Die  bildende  Kunst  dieser  Jahre  zei"t  dieselben  Motive  und 

o 

Symptome,  zeigt  das  gleiche  Zersprengen  der  alten  Formen  und 
das  Durchlaufen  aller  formalen  Möglichkeiten  bis  zur  Konse- 
quenz völliger  Auflösung  der  Realität,  zeigt  den  gleichen  Ein- 

XIV 


bruch  und  Ausbruch  des  Menschlichen  und  den  gleichen  Glau- 
ben an  die  lösende,  bindende  Macht  des  menschlichen  Geistes, 
der  Idee.  Es  geschah  bereits,  daß  manche  Versuche  und  Ent- 
artungen für  nachcihmende  Michtkönner  zur  leeren  Form,  zur 
Formel,  zur  geschäftsmäßigen  Phrase  wurden.  Und  Palhos, 
Ekstase,  große  Gebärde  brechen  nicht  nur  hervor  und  empor, 
sondern  stürzen  oftmals  zusammen  im  Krampf,  weil  sie  zur 
Form  sich  nicht  verwesentlichen  können.  Immer  wieder  aber 
bläst  in  die  ungeheure  Eruption  des  Gefühls  klärend  und  rei- 
nigend der  Geist;  erschallt  aus  dem  Zerfallenden  der  Ruf  nach 
der  Gemeinsamkeit  des  Menschlichen;  schwebt  über  dem  ziel- 
losen Chaos  der  Gesang  der  Liebe. 

Und  immer  wieder  muß  gesagt  werden,  daß  die  Qualität 
dieser  Dichtung  in  ihrer  Intensität  beruht.  Niemals  in  der  \Velt- 
dichtung  scholl  so  laut,  zerreißend  und  aufrüttelnd  Schrei, 
Sturz  und  Sehnsucht  einer  Zeit,  wie  aus  dem  wilden  Zuge 
dieser  Vorläufer  und  Märtyrer,  deren  Herzen  nicht  von  den 
romantischen  Pfeilen  des  Amor  oder  Eros,  sondern  von  den 
Peinigungen  verdammter  Jugend,  verhaßter  Gesellschaft,  auf- 
gezwungener Mordjahre  durchbohrt  wurden.  Aus  irdischer 
Qual  griffen  ihre  Hände  in  den  Himmel,  dessen  Blau 
sie  nicht  erreichten;  sie  warfen  sich,  sehnsuchtsvoll  die  Arme 
ausbreitend,  auf  die  Erde,  die  unter  ilinen  auseinanderbarst; 
sie  riefen  zur  Gemeinschaft  auf  und  fanden  noch  nicht  zuein- 
ander; sie  posaunten  in  die  Tuben  der  Liebe,  so  daß  diese 
Klänge  den  Himmel  erbeben  ließen,  nicht  aber  durch  das  Ge- 
töse der  Schlachten,  Fabriken  und  Reden  zu  den  Herzen  der 
Menschen  drangen. 

Freilich  wird  die  Musik  dieser  Dichtung  nicht  ewisr  sein 
wie  die  Musik  Gottes  im  Chaos.  Aber  was  wäre  die  Musik 
Gottes,  wenn  ihr  nicht  die  Musik  des  Menschen  antwortete, 
die  sich  ewig  nach  dem  Paradies  des  Kosmos  sehnt . . .  Von 
den  vielen,  vielen  Dichtungen  dieser  Generation  werden 
fast  alle  mit  den  verebbenden  Stürmen  ihrer  Epoche  unter- 
gegangen sein.  Statt  einiger  großer  leuchtender  wärmender 
Gestirne  wird  Nachlebenden  ihre  Menge  wie  die  von  unzäh- 
ligen kleinen  Sternen  erschimmernde  Milchstraße  erscheinen, 
die  fahlklärenden  Glanz  in  wogende  Nacht  gießt. 

Keiner  dieser  Dichter  kokettiert  mit  der  Unsterblichkeit, 
keiner  wirft  sich  den  Triumphmantel  mit  distanzierend  heroi- 
scher Gebärde  um,  keiner  will  eJs  Olympier  in  edler  Haltung 

XV 


entschweben;  und  wenn  diese  Dichter  in  ausschweifender  Weit- 
schweifigkeit, in  unmäßigem  Fortissimo  psalmodieren,  stöh- 
nen, klagen,  schreien,  fluchen,  rufen,  hymnen  —  so  geschieht 
es  niemals  aus  Hochmut,  sondern  aus  Not  und  Demut.  Denn 
nicht  sklavisches  Kriechen,  untätiges  Warten  ist  Demut;  son- 
dern es  ist  Demut,  wenn  einer  hintritt  und  öffentlich  aus- 
sagt, bekennt  und  fordert  vor  Gott  und  den  Menschen,  und 
seine  Waffen  sind  nur  sein  Herz,  sein  Geist  und  seine  Stimme. 

Als  einer,  der  mitten  unter  ihnen  stand,  vielen  durch  Freund- 
schaft und  allen  durch  Liebe  zu  ihren  Werken  verbunden,  trete 
ich  vor  und  rufe :  Laßt  es  genug  sein,  die  Ihr  Euch  selbst  nicht 
genügtet,  denen  der  alte  Mensch  nicht  mehr  genügte;  laßt  es 
genug  sein,  weil  Euch  diese  zerklüftete,  ausbrechende,  zer- 
wühlende Dichtung  nicht  genügen  darf  I  Laßt  es  nicht  genug 
seini  Sondern  helft,  alle,  voraneilend  dem  Menschheitswillen, 
einfacheres,  klareres,  reineres  Sein  zu  schaffen.  Denn  jener 
Augenblick  wird,  muß  kommen,  da  aus  Beethovens  Sympho- 
nie, die  uns  den  Rhythmus  unserer  Jugend  gab,  im  wildesten 
Chaos  der  tobenden  Musik  plötzlich  die  vox  humana  empor- 
steigt: Freunde,  nicht  diese  Töne!  Lasset  uns  andere  anstim- 
men und  freudenvollere! 

Ihr  Jünglinge  aber,  die  Ihr  in  freierer  Menschheit  her- 
anwachsen werdet,  folget  nicht  diesen  nach,  deren  Schicksal 
es  war,  im  furchtbaren  Bewußtsein  des  Unterganges  inmitten 
einer  ahnungslosen,  hoffnungslosen  Menschheit  zu  leben,  und 
zugleich  die  Aufgabe  zu  haben,  den  Glauben  an  das  Gute,  Zu- 
künftige, Göttliche  bewahren  zu  müssen,  das  aus  den  Tiefen 
des  Menschen  quillt!  So  gewiß  die  Dichtung  unserer  Zeit  diesen 
Märtyrerweg  wandeln  mußte,  so  gewiß  wird  die  Dichtung  der 
Zukunft  anders  sich  offenbaren :  sie  wird  einfach,  rein  und 
klar  sein  müssen.  Die  Dichtung  unserer  Zeit  ist  Ende  und  zu- 
gleich Beginn.  Sie  hat  alle  Möglichkeiten  der  Form  durch- 
rast — ,  sie  darf  wieder  den  Mut  zur  Einfachlieit  haben. 
Die  Kunst,  die  durch  Leidenschaft  und  Qual  der  unseligsten 
Erdenzeit  zersprengt  wurde,  —  sie  hat  das  Recht,  reinere  For- 
men für  eine  glücklichere  Menschheit  zu  finden. 

Diese  zukünftige  Menschheit,  wenn  sie  im  Buche  ,,MensGh- 
heitsdämmerung"  (,,Du  Chaos -Zeiten  schrecklich  edles  Mo- 
nument") lesen  wird,  möge  nicht  den  Zug  dieser  sehnsüch- 
tigen Verdammten  verdammen,  denen  nichts  blieb  als  die  Hoff- 
nung auf  den  Menschen  und  der  Glaube  an  die  Utopie. 

XVI 


STURZ  UND   SCHREI 


JAKOB  VA^'  HODDIS  :  WELTENDE 

Dem  Bürger  fliegt  vom  spitzen  Kopf  der  Hut, 
In  allen  Lüften  hallt  es  wie  Geschrei. 
Dachdecker  stürzen  ab  und  gehn  entzwei, 
Und  an  den  Küsten  —  liest  man  —  steigt  die  Flut. 

Der  Sturm  ist  da,  die  wilden  Meere  hupfen 
An  Land,  um  dicke  Dämme  zu  zerdrücken. 
Die  meisten  Menschen  haben  einen  Schnupfen. 
Die  Eisenbahnen  fallen  von  den  Brücken. 


GEORG  HEYM:  UMBRA  VITAE 

Die  Menschen  stehen  vorwärts  in  den  Straßen 
Und  sehen  auf  die  großen  Himmelszeichen, 
Wo  die  Kometen  mit  den  Feuernasen 
Um   die   gezackten   Türme   drohend   schleichen. 

Und  alle  Dächer  sind  voll  Sternedeuter, 
Die  in  den  Himmel  stecken  große  Röhren. 
Und  Zauberer,  wachsend  aus  den  Bodenlöchern, 
Im   Dunkel  schräg,  die  ein  Gestirn  beschwören. 

Selbstmörder   gehen  nachts   in  großen   Horden, 
Die  suchen  vor  sich  ihr  verlornes  Wesen, 
Gebückt  in  Süd  und  West,  und  Ost  und  Norden, 
Den  Staub  zerfegend  mit  den  Armen-Besen. 

Sie  sind  wie  Staub,  der  hält  noch  eine  Weile. 
Die  Haare  fallen  schon  auf  ihren  Wegen. 
Sie  springen,  daß  sie  sterben,  und  in  Eile, 
Und  sind  mit  totem  Haupt  im  Feld  gelegen, 

INooh  manchmal  zappelnd.  Und  der  Felder  Tiere 
Stehn  um  sie  blind  und  stoßen  mit  dem  Hörne 
In  ihren  Bauoh.  Sie  strecken  alle  Viere, 
Begraben  unter  Salbei  und  dem  Dorne. 

Die  Meere  aber  stocken.  In  den  Wogen 
Die  Schiffe  hängen  modernd  und  verdrossen. 
Zerstreut,  und  keine  Strömung  wird  gezogen, 
Und    aller   Himmel   Höfe   sind   verschlossen. 


Die  Bäume  wec-hseln  nicht  die  Zeiten 
Und  bleiben  ewig  tot  in  ihrem  Ende,  • 

Und  über  die  verfallnen  Wege  spreiten 
Sie  hölzern  ihre  langen  Finger-Hände. 

Wer  stirbt,  der  setzt  sioh  auf,  sich  zu  erheben, 
Und  eben  hat  er  nooh  ein  Wort  gesprochen, 
Auf  einmal  ist  er  fort.  Wo  ist  sein  Leben? 
Und  seine  Augen  sind  wie  Glas  zerbrochen. 

Schatten  sind  viele.  Trübe  und  verborgen. 
Und  Träume,  die  an  stummen  Türen  schleifen. 
Und  der  erwacht,  bedrückt  vom  Licht  der  Morgen, 
Muß  schweren  Schlaf  von  grauen  Lidern  streifen. 

WILHELM  KLEMM:  MEINE  ZEIT 

Gesang  und  Riesenstädte,  Traumlawinen, 
Verblaßte  Länder,  Pole  ohne  Ruhm, 
Die  sündigen  Weiber,  Not  und  Heldentum, 
Gespensterbrauen,  Sturm  auf  Eisenschienen. 

In  Wolkenfernen  trommeln  die  Propeller. 
Völker  zerfließen.  Bücher  werden  Hexen. 
Die  Seele  schrumpft  zu  winzigen  Komplexen. 
Tot  ist  die  Kunst,  Die  Stunden  kreisen  schneller. 

O  meine  Zeit!  So  namenlos  zerrissen, 
So  ohne  Stern,  so  da^einsarm  im  Wissen 
Wie  du,  will  keine,  keine  mir  erscheinen. 

Noch  hob  ihr  Haupt  so  hoch  niemals  die  Sphinx! 

Du  aber  siehst  am  Wege  rechts  und  links 

Furchtlos  vor  Qual  des  Wahnsmns  Abgrund  weinen! 

JOHANNES  R.BECHER:   VERFALL 

Unsere  Leiber  zerfallen, 
Graben  uns  singend  ein : 
Berauschte  Abende  wir, 
Nachtsturm-  und  meerverscharrt. 
Heißes  Blut  vertrocknet, 
Eitergeschwür  verrinnt. 


Mund  Ohr  Auge  verhüllet 

Schlaf  Traum  Erde  der  Wind. 

Gelblich  träger  Würmer 

Enggewundener  Gang. 

Pochen  rollender  Stürme. 

Wimpern  blutrot  lang. 

...  „Bin   ich  zerbröckelnde  Mauer, 

Säule  am  Wegrand  die  schweigt? 

Oder  Baum  der  Trauer, 

Über    den    Abgrund    geneigt?"... 

Süßer  Geruch  der  Verwesung, 

Raum  Haus  Haupt  erfüllend. 

Blumen,  flatternde  Gräser. 

Vögel,  Lieder  quillend. 

„Ja  — ,  verfaulter  Stamm..." 
Schimmel  Geächz  Gestöhn. 
Unter  wimmelnder  Himmel  Flucht 
Furchtbarer  Laut  ertönt: 
Pauke.  Tube  Gedröhn. 
Donner.  Wildflammiges  Licht. 
Zimbel.  Schlagender  Ton. 
Trommelgeschrill.  Das  zerbricht.  — 

Der  ich  mich  dir,  weite  Welt, 

Hingab,  leicht  vertrauend, 

Sieh,  der  arme  Leib  verfällt. 

Doch  mein  Geist  die  Heimat  schaut. 

Nacht,  dein  Schlummer  tröstet  mich, 

Mund  ruht  tief  und  Arm. 

Heller  Tag,  du  lösest  mich 

Auf  in  Unruh  ganz  und  Harm. 

Daß  ich  keinen  Ausweg  finde. 
Ach,  so  weh  zerteilt! 
Blende  bald,  bald  blind  und  Binde. 
Daß  kein  Kuß  mich  heilt! 
Daß  ich  keinen  Ausweg  finde, 
Trag  wohl  ich  nur  Schuld : 
Wildstrom,  Blut  und  Feuerwind 
Schande,  Ungeduld. 


Tag,  du  herbe  Biltemial 

Nacht,  gib  Traum  und  Rat! 

Kot  Verzerrung  Schnitt  und  Riß  — 

Kühle  Lagerstatt ... 

Alles  muß  noch  ferne  sein. 

Fern,  o  fern  von  mir  — 

Blüh  empor  im  Sternenschein, 

Heimat,  über  mir! 

Einmal  werde  ich  am  Wege  stelin. 
Versonnen,  im  Anschaun  einer  großen  Stadl. 
Umronnen  von  goldener  Winde  Wehn. 
Licht  fällt  durch  der  Wolken  Flucht  matt. 
Verzückte  Gestalten,  in  Weiß  gehüllt.  .  . 
Meine  Hände  rühren 
An  Himmel,   golderfüllt. 
Sich  öffnend  gleich  Wundertüren. 

Wiesen,  Wälder  ziehen  herauf. 
Gewässer  sich  wälzen.  Brücken. 
Gewölbe.  Endloser  Ströme  Lauf. 
Grauer  Gebirge  Rücken. 
Rotes   Gedonner   entsetzlich  schwillt. 
Drachen,  Erde  speiend. 
Aufgerissener  Rachen,  die  Sonne  brüllt. 
Empörung  Lachen  Geschrei. 

Verfinsterung.  Erde-  und  Blutgeschmack. 

Knäuel.  Gemetzel  weit .  .  . 

...    „Wann   erscheinest   du,   ewiger   Tag? 

Oder  hat  es  noch  Zeit? 

Wann   ertönest  du,  schallendes  Hörn, 

Schrei  du  der  Meerflut  schwer? 

Aus  Dichiclit,  Moorgrund,  Grab  und  Dorn 

Rufend  die  Schläfer  her?'"... 

GEORG  HEYM:  DER  GOTT  DER  STADT 

Auf  einem  Häuserblocke  sitzt  er  breit. 
Die  Winde  lagern  schwarz  um  seine  Stirn. 
Er  schaut  voll  Wut,  wo  fern  in  Einsamkeit 
Die  letzten  Häuser  in  das  Land  verirrn. 


Vom  Abend  glänzt  der  rote  Bauch  dem  Baal, 

Die  großen  Städte  knieen  um  ihn  her. 

Der  Kirchenglocken  ungeheure  Zahl 

Wogt  auf  zu  ihm  aus  schwarzer  Türme  Meer. 

Wie  Korybanten-Tanz  dröhnt  die  Musik 

Der  Millionen  durch  die  Straßen  laut. 

Der  Schlote  Rauch,  die  Wolken  der  Fabrik 

Ziehn  auf  zu  ihm,  wie  Duft  von  Weihrauch  blaut. 

Das  Wetter  schwält  in  seinen  Augenbrauen. 
Der  dunkle  Abend  wird  In  Nacht  belaubt. 
Die  Stürme  flattern,  die  wie  Geier  schauen 
Von  seinem  Haupthaar,  das  im  Zorne  sträubt. 

Er  streckt  ins  Dunkel  seine  Fleischerfaust. 
Er  schüttelt  sie.  Ein  Meer  von  Feuer  jagt 
Durch  eine  Straße.  Und  der  Glutqualm  braust 
Und  frißt  sie  auf,  bis  spät  der  Morgen  tagt. 


JOHANNES  R.  BECHER:  BERLIN 

Der  Süden  wird  verbluten  in  der  Sonne  Stunden. 
Der  Taten  Gott  erzürnt  aus  Lavagrüften  schlug. 
Es  kreiset  um  das  Land  der  Berge  Flammenrunde. 
Da  brachen  auf  wir  schwarz,  ein  dünner  Totenzug. 

Der  Süden  ist  bestimmt  zu  ewiger  Trauer  Schlafe. 
Wir  haben  unserer  Träume  .Barken  ausgebrannt. 
Wir  winken  mit  den  Fackeln  nach  dem  stillen  Hafen, 
Die  streichet  aus  der  Finsternisse  Mutterhand. 

Des  Südens  Atem  klebt  an  unseren  krummen  Rücken 
Mit  Winden  lau  und  dumpfer  Glocken  Grabgedröhn. 
Betrübet  euch!   Des  Abends  rote  Nebelmücken 
Bestürmen  euch  mit  Sang.  Laßt  uns  vorübergehn! 

Maultiere  brechen  hart  von  schartigem  Messergrate. 
Lawinen  übertünchen  uns  mit  Liebe  weißem  Fächer. 
Wildbäche  überblitzcn  hoch  der  Brücken  Drahte. 
Geysire  platzen  aus  der  brüchigen  Felsen  Köcher. 


Wir  sanken  morgens  in  der  Spalten  grüne  Kammern. 
Wir  tauchten  mittags  ein  in  Gletschermühle  Becken. 
Es  sauste  nieder  des  Erdrutsches  Keulenhammer. 
Des  Winters  Sturm  riß  uns  aus  wohlichtem  Verstecke. 

In  Ilöhlenlöchern  warteten  die  zarten  Wunder. 
Mit  Gerten  schlugen  wir  uns  Labung  aus  dem  Stein. 
Wir  stürzten  ab  mit  nasser  Büschel  Fleckenschrunde. 
Wir  starben  in  den  Kelchen  der  Enziane  klein. 

Wir  tauten  auf  beim  Ilirtengruß  und  dem  Geblöke 
Der  Herden.  Aus  der  Blumen  Grunde  warmem  Lauch 
Sog  uns  zu  Funkengärten  schräger  Purpurkegel. 
Es  trug  uns  Raub  der  neuen  Heimat  Wirbelhauch. 

Aus  Dächerfirnen  strahlt  der  Meere  Glanzgebreite, 
Urwälder  sind  in  Schlot  und  Balken  hochgewachsen. 
Der  Rauche  rußiger  Hain  beschattet  die  Gemäuer. 
Der  Krater  Trichter  schrumpften,  schiefe  Aschenzacken. 

Der  Wiesen  Fluren  tanzen  um  als  Wimmelplätze. 
In  langer  Straßen  Schluchten  weinen  Abendröten. 
Ein  Quellenstrudelschwarm  zum  Himmel  hetzet 
Bei  Keller tunnelnot  und  Krach  der   Speicherböden  . . . 

Berlin!  Du  weißer  Großstadt  Spinnenungeheuer  1 
Orchester  der  Äonen!  Feld  der  eisernen  Schlacht! 
Dein  schillernder  Schlangenleib  ward  rasselnd  aufgescheuert, 
Von  der  Geschwüre  Schult  und  Moder  überdacht! 

Berlin!  Du  bäumst  empor  dich  mit  der  Kuppeln  Faust, 
Um  die  der  Wetter  Schwärme  schmutzige  Klumpen  ballen! 
Europas  mattes  Herze  träuft  in  deinen  Krallen! 
Berlin!  In  dessen  Brust  die  Brut  der  Fieber  haust! 

Berlin!  Wie  Donner  rattert  furchtbar  dein  Geröchel ! 
Die  heiße  Luft  sich  auf  die  schwachen  Lungen  drückt. 
Der  Menschen  Schlamm  umwoget  deine  wurmichten  Knöchel. 
Mit  blauer  Narben  Kranze  ist  dein  Haupt  geschmückt! 

Wir  wohnen  mit  dem  Monde  in  verlassener  Klause, 
Der  wandelt  nieder  auf  der  Firste  schmalem  Joche. 
Der  Tage  graue  Gischt  zu  sternenen  Küsten  brauset. 
Auf  Winkeltreppe  ward  ein  Mädchen  wüst  zerstochen. 

8 


Wir  lungern  um  die  Sfaatsgebäude  voll  Gepränge. 
Wir  halten  Bomben  für  der  Wagen  Fahrt  bereit. 
Die  blonde  Muse  längs  sich  dem  Kanäle  schlängelt, 
Quecksilberlicht  aus  Läden  lila  sie  beschneit. 

Auf  Pflaster  Nebeldämpfe  feuchte  Wickel  pressen. 
Auf  trägem  Damme  erste  Stadtbahnzüge  schnaufen. 
Die  alten  Huren  mit  den  ausgefransten  Fressen, 
Sie  schleichen  in  den  bleichen  Morgen,  den  zerrauften .  . . 

0  Stadt  der  Schmerzen  in  Verzweiflung  düsterer  Zeit! 
Wann  grünen  auf  die  toten  Bäume  mit  Geklinge? 
Wann  steigt  ihr  Hüsrel  an  in  weißer  Schleier  Kleid? 
Eisflächen,  wann  entfaltet  ihr  der  Silber  Schwinge? 

Auf  prasselnder  Scheiter  Haufen  brennet  der  Prophet. 
Der  Kirchen  Türme  ragen  hager  auf  wie  Galgen. 
Die  Haare  Flachs.  Sein  Leib  auf  Messingfüßen  steht. 
Im  Ofen  heiß  wie  glühender  Erzkoloß  zerweJket. 

Und  seine  Stimme  schwillt  wie  Wasserrauschen  groß. 
Da  löschet  aus  des  Brandes  Qual  auf  heiliges  Zeichen. 
Ein  fahles  Schiff,  das  löset  sich  vom  Ufer  los, 
Sich  das  Gerüste  hebt  und  in  die  Nacht  entweichet.  — 

Einst  kommen  wird  der  Tag!  ...  Es  rufet  ihn  der  Dichter, 
Daß  er  aus  Ursprungs  Schächten  schneller  her  euch  reise  1 
Des  Feuers  Geist  ward  der  Geschlechter  Totenrichter. 
Es  zerren  ihn  herauf  der  Bettler  Orgeln  heiser. 

Einst  kommen  wird  der  Tagl .  .  .  Die  himmlischen  Legionen, 
Sie  wimmeln  aus  der  Wolken  Ritze  mit  Geschmetter. 
Es  schlagen  zu  mit  Knall  der  Häuser  Särgebretter. 
Zexschmeißen  euch.  Es  halielujen  Explosionen. 

Einst  kommen  wird  der  Tag!  ...  Da  mit  des  Zorns  Geschrei 
Der  Gott  wie  einst  empört  die  milbige  Kruste  sprengt. 
Im  Scherbenhorizonte  treibt  ein  fetter  Hai, 
Dem  blutiger  Leichen  Fraß  aus  zackichtem  Maule  hängt. 


ALFRED  WOLFENSTEIIS -.  STÄDTER 

Nah  wie  Löcher  eines  Siebes  stehn 
Fenster  beieinander,  drängend  fassen 
Häuser  sich  so  dicht  an,  daß  die  Straßen 
Grau  geschwollen  wie  Gewürgte  sehn. 

Ineinander  dicht  hineingehakt 
Sitzen  in  den  Trams  die  zwei  Fassaden 
Leute,   wo   die  Blicke   eng   ausladen 
Und   Begierde   ineinander   ragt. 

Unsre  Wände  sind  so  dünn  wie  Haut, 
Daß  ein  jeder  teilnimmt,  wenn  ich  weine, 
Flüstern   dringt   lii:iübor   wie  Gc'grölde : 

Und  wie  stumm  in  abgeschloßner  Höhle 

Unberührt  und  ungeschaut 

Steht  doch  jeder  fern  und  fühlt :  alleine. 

JAKOB  VAN  HODDIS:    DIE  STADT 

Ich  sah  den  Mond  und  des  Ägäischen 
Grausainen  Meeres  tausendfachen  Pomp. 
All  meine  Pfade  rangen  mit  der  Nacht. 

Doch  sieben  Fackeln  waren  mein  Geleit 
Durch  Wolken  glühend,  jedem  Sieg  bereit. 

,,Darf  ich  dem  Nichts  erliegen,  darf  mich  quälen 
Der  Städte  weiten  Städte  böser  Wind? 
Da  ich  zerbrach  den  öden  Tag  des  Lebens!" 

A'erschollene   Fahrten!   Eure  Siege  sind 
Zu  lange  schon  verflackt.  Ah!  helle  Flöten 
Und  Geigen  tönen  meinen  Gram  vergebens. 


ALFRED  WOLFENSTEIN:  BESTIEN  HAUS 

Ich  gleite,  rings  umgittert  von  den  dunklen  Tieren, 
Durchs  brüllende  Haus  am  Stoß  der  Stäbe  hin  und  her. 
Und  blicke  weit  in  ihren  Blick  wie  weit  hinaus  auf  Meer 
In  ihre  Freiheit  .  .  die  die  schönen  nie  >erliercn. 


lO 


Der   harte   Takt  der   engen   Stadt  und  Menschheit  zälüt 
An  meinen  Zeh'n,  doch  lose  schreiten  Einsamkeiten 
Im   Tigerknie,  und  seine  baumgestreiften   Seiten 
Sind  keiner  Straße,  nur  der  Erde  selbst  vermählt. 

Ach  ihre  reinen  heißen  Seelen  fühlt  mein  Wille 
Und  ich  zerschmelze  sehnsuchtsvoller  als  ein  ^^  eib. 
Des  Jaguars  Blitze  gelb  aus  seinem  Sturmnachtleib 
Umglühn  mein  Schnee^esicht  und  winzise  Pupille. 

Der  Adler  sitzt  wie  Statuen   still  und  scheinbar  schwer 
Und  aufwärts  aufwärts  in  Bewegung  ungeheuer  1 
Sein  Auftrieb  greift  in  mich  und  spannt  mich  in  sein  Steuer  — 
Ich  bleibe  still,  ich  bin  von  Stein,  es  fliegt  nur  er. 

Es  steigen  hoch  der  Elefanten  graue  Eise, 

Gebirge,  nur  von  Riesengeistern  noch  bewohnt : 

Von   Wucht  und  Glut  des   wilden  Alls  bin   ich  umthront 

Und  ich  steh  eingesperrt  in  ihrem  freien  Kreise. 


ALFRED  LICHTEx\STEI-N:  DIE  DÄMMERUNG 

Ein  dicker  Junge  spielt  mit  einem  Teich. 
Der  Wind  hat  sich  in  einem  Baum  gefangen. 
Der  Himmel  sieht  verbummelt  aus  und  bleich, 
Als  wäre  ihm  die  Schminke  ausgegangen. 

Auf  lange  Krücken  schief  herabgebückt 

Und  schwatzend  kriechen  auf  dem  Feld  zwei  Lahuiu. 

Ein  blonder  Dichter  wird  vielleicht  verrückt. 

Ein  Pferdchen  stolpert  über  eine  Dame. 

An  einem  Fenster  klebt  ein  fetter  Mann. 
Ein  Jüngling  will  ein  weiches  Weib  besuchen. 
Ein  grauer  Clown  zieht  sich  die  Stiefel  an. 
Ein   Kinderwagen   schreit  und  Hunde  fluchen. 


]  I 


ERNST  STADLER:  ABENDSCHLUSS 

Die  Uhren  schlagen  sieben.  Nun  gehen  überall  in  der  Stadt 
die  Geschäfte  aus. 

Aus  schon  umdunkelten  Hausfluren,  durch  enge  Winkelhöfe 
aus  protzigen  Hallen  drängen  sich  die  Verkäufe- 
rinnen heraus. 

Noch  ein  wenig  blind  und  wie  betäubt  vom  langen  Einge- 
schlossensein 

Treten  sie,  leise  erregt,  in  die  wollüstige  Helle  und  die  sanfte 
Offenheit  des  Sommerabends  ein. 

Griesgrämige  Straßenzüge  leuchten  auf  und  schlagen  mit 
einem  Male  helleren  Takt, 

Alle  Trottoirs  sind  eng  mit  bunten  Blusen  und  Mädchenge- 
lächter vollgepackt. 

Wie  ein  See,  durch  den  das  starke  Treiben  eines  jungen  Flusses 
wühlt, 

Ist  die  ganze  Stadt  von  Jugend  und  Heimkehr  überspült. 

Zwischen  die  gleichgültigen  Gesichter  der  Vorübergehenden 
ist  ein   vielfältiges   Schicksal  gestellt  — 

Die  Erregung  jungen  Lebens,  vom  Feuer  dieser  Abendstunde 
überhellt, 

In  deren  Süße  alles  Dunkle  sich  verklärt  und  alles  Schwere 
schmilzt,  als  wäre   es  leicht  und  frei. 

Und  als  warte  nicht  schon,  durch  wenige  Stunden  getrennt, 
das  triste  Einerlei 

Der  täglichen  Frohn  —  als  warte  nicht  Heimkehr,  Gewinkel 
schmutziger  Vorstadthäuser,  zwischen  nackte  Miets- 
kasernen gekeilt. 

Karges  Mahl,  Beklommenheit  der  Familienstube  und  die  enge 
Nachtkammer,  mit  den  kleinen  Geschwistern  geteilt. 

Und  kurzer  Schlaf,  den  schon  die  erste  Frühe  aus  dem  Gold- 
land der  Träume  hetzt  — 

All  das  ist  jetzt  ganz  weit  —  von  Abend  zugedeckt  —  und 
doch  schon  da,  und  wartend  wie  ein  böses  Tier,  das 
sich  zur  Beute  niedersetzt. 

Und  seihst  die  Glücklichsten,  die  leicht  mit  schlankem  Schritt 

Am  Arm  des  Liebsten  tänzeln,  tragen  in  der  Einsamkeit  der 
Augen  einen  fernen  Schatten  mit. 

Und  manchmal,  wenn  von  ungefähr  der  Bück  der  Mädchen  im 
Gespräch  zu  Boden  fällt, 

12 


Geschieht  es,  daß  ein  Schreckgesicht  mit  höhnischer  Grimasse 
ihrer  Fröhlichkeit  den   Weg  verstellt. 

Dann  schmiegen  sie  sich  enger,  und  die  Hand  erzittert,  die 
den  Arm  des  Freundes  greift, 

Als  stände  schon  das  Alter  hinter  ihnen,  das  ihr  Leben  dem 
Verlöschen  in  der  Dunkelheit  entgegenschleift. 


THEODOR  DÄUBLER:  DIADEM 

Die  Bogenlampen  krönen  Sonnenuntergänge, 
Ihr  lila  Scheinen  wird  den  Abend  überleben, 
Sie  geistern  schwebend  über  lärmendem  Gedränge. 
Es  muß  verglaste  Früchte  andrer  Welten  geben! 

Beschwichtigt  nicht  ihr  Lichtgeträufel  das  Getöse? 
Ich  kann  das  Wesen  dieser  Lampen  schwer  vernehmen. 
Die  Sterne  scheinen  klug,  der  Mond  wird  gerne  böse. 
Warum  erblaßt  du  unter  Sternendiademen? 


THEODOR  DÄUBLER: 
FLÜGELLAHMER  VERSUCH 

Es  schweift  der  Mond  durch  ausgestorbne  Gassen, 
Es  fällt  sein  Schein  bestimmt  durch  bleiche  Scheiben. 
Ich  möchte  nicht  in  dieser  Gasse  bleiben. 
Ich  leid  es  nicht,  daß  Häuser  stumm  erblassen. 

Doch  was  bewegt  sich  steil  auf  den  Terrassen? 
Ich  wähne  dort  das  eigenste  Betreiben, 
Als  wollten  Kreise  leiblich  sich  beschreiben, 
Ich  ahne  Laute,  ohne  sie  zu  fassen. 

Es  mag  sich  wohl  ein  weißer  Vogel  zeigen. 
Fast  wie  ein  Drache  trachten  aufzusteigen. 
Dabei  sich  aber  langsam  niederneigen. 

Wie  scheint  mir  dieses  Mondtier  blind  und  eigen, 
Es  klopft  an  Scheiben,  unterbricht  das  Schweigen 
Und  liegt  dann  tot  in  Hainen  unter  Feigen. 

i3 


GEORG  HEYM:  DIE  D.L1/0A£.V  DER  STÄDTE 

Sie  wandern  durch  die  Nacht  der  Städte  hin. 
Die  schwarz  sich  ducken  unter  ihrem  Fuß. 
Wie  Schifferbärte  stehen  um  ihr  Kinn 
Die  Wolken  schwarz  vom  Rauch  und  Kohlenruß. 

Ihr  langer  Schatten  schwankt  im  Häusermeer 
Und  löscht  der  Straßen  Lichterreihen  aus. 
Er   kriecht  wie  Nebel  auf  dem  Pflaster  schwer 
Und  tastet  langsam  vorwärts  Haus  für  Haus. 

Den  einen  Fuß  auf  einen  Platz  gestellt, 
Den  anderen  gekniet  auf  einen  Turm, 
Ragen  sie  auf,  wo  schwarz  der  Regen  fällt, 
Panspfeifen  blasend  in  den  Wolkensturm. 

Um   ihre  Füße  kreist  das  Ritornell 

Des  Städtemeers  mit  trauriger  Musik, 

Ein  großes  Sterbelied.  Bald  dumpf,  bald  grell 

Wechselt  der  Ton,  der  in  das  Dunkel  stieg. 

Sie  wandern  an  dem  Strom,  der  schwarz  und  breit 

Wie  ein  Reptil,  den  Rücken  gelb  gefleckt 

Von  den  Laternen,  in  die  Dunkelheit 

Sich  traurig  wälzt,  die  schwarz  den  Himmel  deckt. 

Sie  lehnen  schwer  auf  einer  Brückenwand 
Und  stecken  ihre  Hände  in  den  Schwärm 
Der  Menschen  aus,  wie  Faune,  die  am  Rand 
Der  Sümpfe  bohren  in  den  Schlamm  den  Arm. 

Einer  steht  auf.  Dem  weißen  Monde  hängt 
Er  eine  schwarze  Larve  vor.  Die  Nacht, 
Die  sich  wie  Blei  vom  finslern  Himmel  senkt. 
Drückt   tief  die  Häuser  in  des  Dunkels  Schacht. 

Der   Städte   Schultern   knacken.    Und   es  birst 
Ein  Dach,  daraus  ein  rotes  Feuer  schwemmt. 
Breitbeinig  sitzen  sie  auf  seinem  First 
Und  Schrein  wie  Katzen  auf  zum  Firmament. 

i4 


In  einer  Stube  voll  von  Finsternissen 
Schreit  eine  Wöchnerin  in  ihren  Wehn. 
Ihr  starker  Leib  ragt  riesig  aus  den  Kissen, 
Um  den  herum  die  großen  Teufel  stehn. 

Sie  hält  sich  zitternd  an  der  Wehebank. 
Das  Zimmer  schwankt  um  sie  von  ihrem  Schrei, 
Da  kommt  die  Frucht.  Ihr  Schoß  klafft  rot  und  lang. 
Und  blutend  reißt  er  von  der  Frucht  entzwei. 

Der  Teufel  Hälse  wachsen  wie  Giraffen. 

Das  Kind  hat  keinen  Kopf.  Die  Mutter  hält 

Es  vor  sich  hin.  In  ihrem  Rücken  klaffen 

Des  Schrecks  Froschfinger,  wenn  sie  rückwärts  fällt. 

Doch  die  Dämonen  wachsen  riesengroß. 
Ihr  Schläfenhorn  zerreißt  den  Himmel  rot. 
Erdbeben  donnert  durch  der  Städte  Schoß 
Um  ihren  Huf,  den  Feuer  überloht. 


GOTTFRIED  RENN:  KLEISE  ASTER 

Ein   ersoffener   Rierfahrer   wurde   auf   den   Tisch   geslcmml. 

Irgendeiner  hatte  ihm  eine  dunkelbellila  Aster 

zwischen  die   Zähne  geklemmt. 

Als  ich  von  der  Rrust  aus 

unter   der   Haut 

mit  einem  langen  Messer 

Zunge   und   Gaumen  herausschnitt, 

muß  ich  sie  angestoßen  haben,  denn  sie  glitt 

in  das  nebenliegende  Gehirn. 

Ich  packte  sie  ihm  in  die  Hrusthöhlc 

zwischen  die  Holzwolle, 

als   man   zunähte. 

Trinke  dich  satt  in  deiner  Vase! 

Ruhe  sanft, 

kleine  Aster  I 

if) 


JAKOB  VAN  HODDIS:  TRISTITIA  ANTE  . 

Schneeflocken  fallen.  Meine  Nächte  sind 
Sehr  laut  geworden,  und  zu  starr  ihr  Leuchten. 
Alle  Gefahren,  die  mir  ruhmvoll  deuchlen, 
Sind  nun  so  widrig  wie  der  Winter  wind. 

Ich  hasse  fast  die  helle  Brunst  der  Städte. 

Wenn  ich  einst  wachte  und  die  Mitternächte 
Langsam  zerflammten  —  bis  die  Sonne  kam   — , 
Wenn  ich  den  Prunk  der  weißen  Huren  nahm, 
Ob  magrer  Prunk  mir  endlich  Lösung  brächte, 

War  diese  Grelle  nie  und  dieser  Gram. 


ERNST  STADLER:  TAGE 

0  Gelöbnis  der  Sünde!  All'  ihr  auferlegten  Pilgerfahrten  in 

entehrte  Betten! 
Stationen  der  Erniedrigung  und  der  Begierde  an  verdammten 

Stätten! 
Obdach  beschmutzter  Kammern,  Ilerd  in  der  Stube,  wo  die 

Speisereste  verderben. 
Und  die  qualmende  Öllampe,  und  über  der  wackligen  Kom- 
mode der  Spiegel  in  Scherben! 
Ihr  zertretnen   Leiber!   du   Lächeln,   krampfhaft  in  gemalte) 

Lippen  eingeschnitten! 
Armes,  ungepflegtes  Haar!   ihr  Worte,  denen  Leben  längst 

entglitten  — 
Seid    ihr    wieder    um    mich,   hör'   ich    euch   meinen  Namen 

nennen  ? 
Fühl'  ich  aus  Scham  und  Angst  wieder  den  einen  Drang  nur 

mich  zerbrennen : 
Sicherheit  der  Frommen,  Würde  der  Gerechten  anzuspelen. 
Trübem,   Ungewissem,   schon   Verlornem  mich  zu  schenken, 

mich  zu  weihen. 
Selig  singend  Schmach  und  Dumpfheit  der  Geschlagenen  zu 

fühlen. 
Mich  ins  Mark  des  Lebens  wie  in  Gruben  Erde  einzuwühlen. 

i6 


Ludwig  Meidner 


Jakoh   van  Hoddis 


ALFRED  WOLFENSTEIN: 

VERDAMMTE  JUGEND 

Von  Hause  fort,  durch  Straßen  fort, 
Euch  unbekannt  und  jedem  Ort, 
Nur  wie  der  Himmel  rasch   und  hoch 
Durch   fremden   Lärm  und  ohne   Wortl 

\\  ie   schön   allein,    und    dies   verwühlt 
Und  keiner  drin,  der  mich  befühlt. 
Der  voll  Verwandtschaft  dumm  und  dicht 
In  meiner  Brust  verhaßt  sich  suhlt! 

Hier  ist  nicht  Heim,  hier  ist  es  auf. 
Nicht  Liebe  plump,  nur  Kampf  und  Kaufl 
Ah  fließt  die  Straße  strotzend  aus 
Zu  andern  ein  in  riesigem  Lauf. 

Ah   sprüht  es   schroff  pferdlos  vorbei 
Und  brodelt  schwarz  der  Menge  Brei 
Und  Häuser  flattern  hingepeitscht 
Von  Licht,  Geläut,  Gezisch,  GeschreL 

Die  Steine  ziehn  in  falscher  Ruh, 
Gehackt  vom  Schlag  des  Heers  der  Schuh, 
Den  fahlen  Köpfen  funkeln  wund 
\on  schneller  Glut  die  Lampen  zu. 

Hier  Antlitze  wie   Tiere  fremd 
Und  Augen  wie  in  Eis  geklemmt 
Und  Augen,  die  nur  sich  besehn. 
Hier   Antlitze,   von   nichts   gehemmt  I 

Du  Gottlose,  mein  Haupt  zerstäub   — 
Entmenschlichte,  mein  Herz  zerstäub  — 
Mich   ohne  Heimat,   ohne   Weg 
Du   Straße  ja  betäub!   betäub! 

PAUL  ZECH:  FABRIKSTRASSE  TAGS 

Nichts  als  Mauern.  Ohne  Gras  und  Glas 
zieht  die  Straße  den   gescheckten   Gurt 
der  Fassaden.  Keine  Bahnspur  surrt. 
Immer  glänzt  das  Pflaster  wassemaß. 


19 


Streift  ein  Mensch  dich,  trifft  sein  Blick  dich  kalt 
bis  ins  Mark;  die  harten  Schritte  haun 
Feuer  aus  dem  turmhoch  steilen  Zaun, 
noch  sein  kurzes  Atmen  wölkt  geballt. 

.    Keine  Zuchthauszelle  klemmt 
so  in  Eis  das  Denken  wie  dies  Gehn 
zwischen  Mauern,  die  nur  sich  besehn. 

Trägst  du  Purpur  oder  Büßerhemd  — : 
immer  drückt  mit  riesigem  Gewicht 
Gottes  Bannfluch :  uhrenlose  Schicht. 

PAUL  ZECH:  SORTIERMÄDCHEN 

(1911) 

Pilzbeschuppte  Mauern,  dunkler  Winkel  am  Kanal, 
überrauscht  von  Drehgekreisch  der  hitzigen  Kräne : 
blinder  Fenster  Zwielicht  kriecht  in  einen  Arbeitssaal. 

Bleiche  Mädchen,  schon  zu  reif  für  Traum  und  Träne, 
angestarrt  von  des  Entsagens  trocknem  Grind 
und  an  Schwielen  Wucherung  verschollener  Pläne, 

bleiche  Mädchen  hinter  Mauern,  am  Kanal,  halb  blind, 
bleiche  Mädchen,  ach,  was  fragt  ihr  viel  nach  Bann  und  Bäumen 
eines  Winds  in  Gärten,  die  wie  Abend  sind. 

Wasser,  die  um  den  gespitzten  Kiel  der  Schlepper  schäumen, 

sangen  nie  von  blitzenden  Regatten,  nie  vom  Mond, 

der  auf  Licbesinseln  tropft  und  nie  von  Kais,  die  Bäder  säumen. 

Wasser,  das  um  Fensterluken  spült  und  kühl  den  Raum  be- 
wohnt. 
Atmet  den  Geruch  von  Teer  und  Aas  und  Gerberlaugen, 
und  noch  nie  hat  euch  Gebrüll  von  Untergängen  zart  geschont. 

Über  die  zerwühlten  Ballen  von  Metallen,  die  nichts  taugen 

zu  Geräten,  hängt  ihr  das  verknöcherte  Gesicht: 

dumpfer  Wille  in  den  Händen  und  gestumpftes  Weiß  in  Augen. 

Manchmal  bricht  ein  Lied,  das  sich  dem  Radgeräusch  verflicht, 
aus  den  Munden,  die  an  Fäulnis  der  Gebisse  kranken  .  . . 
bricht  ein  Lied  —  und  du,  Mai'ia,  hörst  es  nicht? 

20 


An  den  Fenstern  aber  schwanken 

Schatten  boshaft  wie  die  Nächte,  die  das  Stroh 

eurer  Laken  mit  verwelktem  Knospenrot  beranken. 

Und  ihr  zuckt  zurück  und  fingert  wütend  roh 
an  den  Brüsten,  an  der  Schenkel  brüchige  Ruinen, 
und  die  Augen  saugen  Blitze  her  von  irgendwo. 

So  verhaßt  wie  die  belarvten,  überstählten- Mienen 

des  blutjungen  Meisters  euch  erscheinen,  ist  kein  Ding; 

nicht  die  Syphilitiker  und  Säufer  in  Kantinen. 

Eingesponnen  in  des  Uhrwerks  engen  Ring : 
0  was  nützen  Gifte  ausgelaugt  aus  Fetzen 
einer  Jugend,  die  unfruchtbar  verging! 

Während  eure  Brüder  Unerfülltes  scharf  an  Aufruhr  wetzen, 
Schwestern  jenseits  des  Kanals  sich  rosa  drehn  im  Tanz, 
müßt  ihr  heftige  Gedanken  auf  Metalle  hetzen. 

Und  nur  einmal  fällt  von  Blut  und  Schnee  ein  Kranz 
in  die  grau  verfilzten  Strähnen  eurer  Scheitelbahnen, 
wenn  ihr,  süß  berauscht  vom  Funkeln  der  Monstranz, 
eure  Lippen  drücken  dürft  auf  Säume  von  Soutanen. 

PAUL  ZECH:  FRÄSER 

Gebietend  blecken  weiße  Hairtstahl-Zähne 

aus  dem  Gewirr  der  Räder.  Mühlen  gehn  profund, 

sie  schütten  auf  den  Ziegelgrund 

die  Wolkenbrüche  krauser  Kupferspäne. 

Die  Gletscherkühle  riesenhafter  Birnen 

beglänzt  Fleischnackte,  die  von  öl  umtropft 

die  Kämme  rühren;  während  automatenhaft  gestopft 

die  Schüren  das  Gestänge  dünn  zerzwimen. 

Ein  Fäusteballen  hin  und  wieder  und  ein  Fluch, 
Werkmeisterpfiffe,  widerlicher  Brandgeruch 
an  Muskeln  jäh  empor  geleckt :  zu  töten ! 

Und  es  geschieht,  daß  sich  die  bärtigen  Gesichter  röten, 
daß  Augen  wie  geschliffene  Gläser  stehn 
und  scharf,  gespannt  nach  innen  sehn. 

21 


ALFRED  LICHTEN  STEIN:  f^EBEL 

Ein  Nebel  hat  die  Welt  so  weich  zerstört. 
Blutlose  Bäume  lösen  sich  in  Rauch. 
Und  Schatten  schweben,  wo  man  Schreie  hört. 
Brennende  Biester  schwinden  hin  wie  Hauch. 

Gefangne  Fliegen  sind  die  Gaslaternen. 
Und  jede  flackert,  daß  sie  noch  entrinne. 
Doch  seitlich  lauert  glimmend  hoch  in  Fernen 
Der  giftge  Mond,  die  fette  Nebelspinne. 

Wir  aber,  die,  verrucht,  zum  Tode  taugen. 
Zerschreiten    knirschend    diese    wüste   Pracht. 
Und  stechen  stumm  die  weißen  Elendsaugen 
Wie  Spieße  in  die  aufgeschwollne  Nacht. 

ALFRED   LICHTENSTEIN:   DER  AUSFLUG 

Du,  ich  halte  diese  festen 
Stuben  und  die  dürren  Straßen 
Und  die  rote  Häusersonne, 
Die  verruchte  Unlust  aller 
Längst  schon  abgeblickten  Bücher 
Nicht  mehr  aus. 

Komm,  wir  müssen  von  der  Stadt 

Weit  hinweg. 

Wollen  uns  in  eine  sanfte 

Wiese  legen. 

Werden  drohend  und  so  hilflos 

Gegen  den  unsinnig  großen. 

Tödlich  blauen,  blanken  Himmel 

Die  entfleischten,  dumpfen  Augen, 

Die  verwunschnen. 

Und  verheulte  Hände  heben.  — 

THEODOR  DÄUBLER: 
HÄTTE  ICH  EIN  FÜNKCHEN  GLÜCK 

Hätte  ich  ein  Fünkchen  Glück,  wäre  alles  anders! 
Wollte  blauer  Tauwind  hold  meine  Segel  schweelen, 
Blitzte  gleich  durch  mich  der  Geist  eines  kühnen  Landers, 
Und  ich  müßte  immer  mehr,  mich  ums  Mehr  zerquälen. 

22 


Wäre  wenig  anders  nur :  hätte  ich  ein  Fünkchen  Glück, 
Träumt  ich  nicht  voll  Brunstgewalt  in  die  nackte,  kalte  Nacht, 
Denn  ich  fühlte  mich  im  Weib,  bis  in  meinen  Grund  zurück: 
Würde  je  mein  Graun  getilgt,  hätt  ich  keinen  Sturm  durch- 
wacht! 

Wüßte  ich,  warum  ich  fromm,  daseinsscheu  und  seltsam  bin. 
Ahnte  ich,  weshalb  um  mich  nirgends  grünes  Glück  gedeiht. 
Hätte  dieses  kleine  Sein  plötzlich  schrecklich  vielen  Sinn! 
Nirgends  fände  ich  den  Zweck  und  ich  stürbe  doch  vor  Leid. 

Dennoch  höre,  Erde  mich:  ich  bin  auch  ein  Kind  von  dir! 
Erde,  ach,  ich  liebe  dich.  Liebe  Ist  mein  Erdensang. 
Erde,  liebe  deinen  Sohn,  wie  die  Pflanze,  wie  das  Tier! 
Erde,  warum  bin  ich  hier  liebesarm  und  totenbang? 

Hätte  Ich  ein  Fünkchen  Glück,  hielt  Ich  rein  das  Glück! 
So  Ist  oft  mein  Traumgesicht  wild  auf  Lust  erpicht. 
Alles  bleibt  In  mir  Versuch.  Nie  gelingt  ein  Stück. 
Sing  ich  das,  so  glaube  ich,  daß  mein  Herz  mir  bricht. 


ALBERT  EHRENSTEIN 
SO  SCHNEIT  AUF  MICH  DIE  TOTE  ZEIT 

Hofft  nichts  von  mir. 

Ich  habe  niemals  Sonne  gehabt, 

Ich  habe  den  Steinen  mein  Leid  gebracht. 

Ich  hoffte  Glück  vom  Tier. 

An  mir  vorüber  sprang  der  Wunsch  der  rasselosen  Dirnen, 
Und  nie  klang  mir  das  deutsche  Wort:  Ich  liebe  dich! 
Sie  recken  dem  Kommis  die  grundlos  eiteln  Stirnen, 
Boshaft  gähnt  mich  das  Weib  an :  ich  betrübe  dich. 

So  schneit  auf  mich  die  tote  Zelt. 
Danklos  trinkt  sie  den  Wein,  und  was  sich  beut, 
Mein  Sehnen  darf  erlahmen; 

Sie  wahrt,  um  Fleisch  besorgt,  mit  plötzlich  keuscher  Elle 
Des  Auslands  lange  Langeweile. 
:  Weib  wird  Zeit. 

23 


AUGUST  STRAMM:  UNTREU 

Dein  Lächeln  weint  In  meiner  Brust 

Die  glulverbissenen  Lippen  eisen 

Im  Atem  wittert  Laubwelk! 

Dein  Blick  versargt 

Und 

Hastet  polternd  Worte  drauf. 

Vergessen 

Bröckeln  nach  die  Händel 

Frei 

Buhlt  dein  Kleidsaum 

Schlenkrig 

Drüber  rüber  I 


THEODOR  DÄUBLER:  WAS? 

Ist  es  wirklich  wahr, 

Ruft  In  jeder  Stimme, 

Wenn  sie  noch  so  leise  klingt, 

Ursprungslos   und   wunderbar 

Gott  in  seinem  Grimme: 

Wenn  dir  DAS  zu  Herzen  dringt, 

Menschenkind,  so  glimme! 

Was,  oh  was?  Ich  horche  ja! 
Horche  manchem  Leben, 
Bin  dem  Winde  Immer  nah, 
Winde   mich  zum  Psichts  zurück, 
Selbst  mich  zu  erheben : 
Trachte,  als  von  Gott  ein  Stück, 
Frei  vor  Gott  zu  beben! 

Stürme  umarmen  mich, 
Halsen  uns  alle  und  rufen : 
„Als  mir  noch  niemand  glich. 
Blieb  ich  so  still  In  dir; 
Als  wir  uns  schufen. 
Wurden  wir   Wind  und  Tier 
Und  mußten  verstufen". 


24 


Böen  ereignet  euch! 

Wühen  vernehmt  eure  Höhel 

Dann  heul  ich  euch  nach.  Ich  der  Geist. 

Dann  zerr  ich  an  jedem  Gesträuch 

Und  wehe:  wehe,  wenn  ich  entflöhel 

Dann  würdet  ihr,  die  ihr  vereist. 

Nicht  wissen,  daß  ihr  zerreißt. 

Menschen,  so  fasset  euch : 

Lauscht  in  die  stürmenden  Stimmen: 

Helft  mir,  begreift  einen  Schrei! 

Die  Seelen  durchfegt  ein  Gekeuch! 

Ihr  löscht  nicht  das  Gottesergrimmen : 

Ach,  würde  ein  einziger  frei, 

So  müßten  wir  klimmen,  erglimmen! 

Der  Wirrwarr  verwirbelt  nicht  mehr. 
Wir   waren   vielleicht   nie  beisammen. 
Wie  schwer  wird  der  Geist  jedem  Meer, 
Und  dem  Geiste  die  Schöpfung  wie  leer! 
Wir  müssen  uns  fliehend  verdammen : 
Jungfräulich  doch   immer  entstammen : 
Zusammen  geht  alles  ursprünglich  einher. 

THEODOR  DÄUBLER:  EINSAM 

Ich  rufe!  Echolos  sind  alle  meine  Stimmen. 

Das  ist  ein  alter,  lauteleerer  Wald. 

Ich  atme  ja,  doch  gar  nichts  regt  sich  oder  hallt. 

Ich  lebe,  denn  ich  kann  noch  lauschen  und  ergrimmen. 

Ist  das  kein  Wald?  Ist  das  ein  Traumerglimmen? 

Ist  dais  der  Herbst,  der  schweigsam  weiter  wallt? 

Das  war  ein  Wald!  Ein  Wald  voll  alter  Urgewalt. 

Dann  kam  ein  Brand,  den  sah  ich  immer  näher  klimmen. 

Erinnern  kann  ich  mich,  erinnern,  bloß  erinnern. 
Mein  Wald  war  tot.  Ich  lispelte  zu  fremden  Linden, 
Und  eine  Quelle  sprudelte  in  meinem  Innern. 

Nun  starr  ich  in  den  Traum,  das  starre  Waldgespenst. 
Mein  Schweigen,  ach,  ist  aber  gar  nicht  unbegrenzt. 
Ich  kann  in  keinem  Wald  das  Echo-Schweigen  finden. 

25 


ALFRED    LICHTEN STEIN: 
SOMMERFRISCHE 

Der  Himmel  ist  wie  eine  blaue  Qualle. 
Und  rings  sind  Felder,  grüne  Wiesenhügel  — 
Friedliche  Welt,  du  große  Mausefalle, 
Entkam  ich  endlich  dir  ...  0  hätt  ich  Flügel  — 

Man  würfelt.  Säuft.  Man  schwatzt  von  Zukunftsstaaten. 
Ein  jeder  übt  behaglich  seine  Schnauze. 
Die  Erde  ist  ein  fetter  Sonntaarsbraten, 
Hübsch   eingetunkt  in  süße   Sonnensauce. 

War  doch  ein  Wind  .  .  .  zerriß  mit  Eisenklauen 

Die  sanfte  Welt.  Das  würde  mich  ergetzen. 

War   doch   ein   Sturm   .  .  .    der   müßt  den   schönen   blauen 

Ewigen  Himmel  tausendfach  zerfetzen. 


ALFRED  WOLFENSTEIN: 
NACHT  IM  DORFE 

Vor  der  verschlungnen  Finsternis  stöhnt 
Stöhnt  mein  Mund. 
Ich,  an  Lärmen  unruhig  gewöhnt, 
Starre  suchend  rund: 

Berge  von  Bäumen  behaart  ruhn 
Schwarz  wüst  herein, 
Was  ihre  Straßen  nun  tun 
Äußert  kein  Schein,  kein  Schrei'n. 

Abel   ein  wenig  sich  zu  irrn 
Wünscht,  wünscht  mein  Ohr, 
Schwänge  nur  eines  Käfers  Schwirrn 
Mir  ein  Auto  vor. 

Wäre  nur  ein  Fenster  drüben  bewohnt, 
Doch  im  gewölbten  Haus 
Nichts  als  Sterne  und  hohlen  Mond 
—  Halt  ich  nicht  aus  — 


26 


Halt  ich  nicht  aus,  meinem  Schlaf  allmächtig  umstellt, 

Fremd,  fremd  und  nah  — 

Durch  den  See  noch  näher  geschwellt 

Liegt  es  lautlos  da. 

Aber  glaubt  mich  nicht  schwach, 
Daß  ich  —  soeben  die  Stadt  noch  gehaßt  — 
Nun   das  Land  flieh   — :   es  ist  nur  die  Nacht, 
Nur  auf  dich,  diese  Nacht,  war  ich  nicht  gefaßt  — 

Wie  du  tot  oder  tausendfach  unbekannt 
Mein  schwarzes  Bett  umlangst, 
Nirgends  durchbrochen  von  menschlicher  Hand, 
Gottlose  .\ngst. 


GEORG  TRAKL:  DE  PROFUNDIS 

Es  ist  ein  Stoppelfeld,  in  das  ein  schwarzer  Regen  fällt. 

Es  ist  ein  brauner  Baum,  der  einsam  dasteht. 

Es  ist  ein  Zischelwind,  der  leere  Hütten  umkreist  —  { 

Wie  traurig  dieser  Abend.  j 

Am  Weiler  vorbei  ! 

Sammelt  die  sanfte  Waise  noch  spärliche  Ähren  ein. 
Ihre  Augen  weiden  rund  und  goldig  in  der  Dämmerung 
Und  ihr  Schoß  harrt  des  himmlischen  Bräutigams. 

Bei  der  Heimkehr 

Fanden  die  Hirten  den  süßen  Leib 

Verwest   im   Dornenbusch. 

Ein  Schatten  bin  ich  ferne  finsteren  Dörfern. 

Gottes  Schweigen 

Trank  ich  aus  dem  Brunnen  des  Hains. 

Auf  meine  Stirne  tritt  kaltes  Metall. 

Spinnen  suchen  mein  Herz. 

Es  ist  ein  Licht,  das  in  meinem  Mund  erlöscht. 

Nachts  fand  ich  mich  auf  einer  Heide, 
Starrend  von  Unrat  und  Staub  der  Sterne. 
Im  Haselgebüsch 
Klangen  wieder  kristallne  Engel. 


27 


GEORG  TRAKL:  RUH  UND  SCHW  EIGEN 

Hirten  begruben  die  Sonne  im  kahlen  Wald. 

Ein  Fischer  zog 

In  härenem  Netz  den  Mond  aus  frierendem  Weiher. 

In   blauem  Kristall 

Wohnt  der  bleiche  Mensch,  die  Wang'  an  seine  Sterne  gelehnt; 

Oder  er  neigt  das  Haupt  in  purpurnem  Schlaf. 

Doch  immer  rührt  der  schwarze  Flug  der  Vögel 

Den  Schauenden,  das  Heilige  blauer  Blumen, 

Denkt  die  nahe  Stille  Vergessenes,   erloschene  Engel. 

Wieder  nachtet  die  Stirne  in  mondenem  Gestein; 

Ein  strahlender  Jüngling 

Erscheint  die  Schwester  in  Herbst  und  schwarzer  Verwesung. 

GEORG  TRAKL :  IN  DEN  NACHMITTAG  GEFLÜSTERT 

Sonne,  herbstlich  dünn  und  zag, 
Und  das  Obst  fällt  von  den  Bäumen. 
Stille  wohnt  in  blauen  Räumen 
Einen  langen  Nachmittag. 

Sterbeklänge  von  Metall; 
Und  ein  weißes  Tier  bricht  nieder. 
Brauner  Mädchen  rauhe  Lieder 
Sind  verweht  im  Blätterfall. 

Stirne  Gott^  Farben  träumt, 
Spürt  des  Wahnsinns  sanfte  Flügel. 
Schatten  drehen  sich  am  Hügel 
Von  Verwesung  schwarz  umsäumt. 

Dämmerung  voll  Ruh  und  Wein; 
Traurige  Gitarren  rinnen. 
Und  zur  milden  Lampe  drinnen 
Kehrst  du  wie  im  Traume  ein. 

ALBERT  EHRENSTEIN:  VERZWEIFLUNG 

Wochen,  Wochen  sprach  ich  kein  Wort; 
Ich  lebe  einsam,  verdorrt. 
Am  Himmel  zwitschert  kein  Stern. 
Ich  stürbe  so  gern. 

28 


Meine  Augen  betrübt  die  Enge, 
Ich  verkrieche  mich  in  einen  Winkel, 
Klein  möchte  ich  sein  wie  eine  Spinne, 
Aber  niemand  zerdrückt  mich. 


Keinem  habe  ich  Schlimmes  getan. 
Allen  Guten  half  ich  ein  wenig. 
Glück,  dich  soll  ich  nicht  haben. 
Man  will  mich  nicht  lebend  begraben. 


ALBERT  EHRENSTEIN:  LEID 

Wie  bin  ich  vorgespannt 

Den  Kohlenwagen  meiner  Trauer! 

Widrig  wie  eine  Spinne 

Bekriecht  mich  die  Zeit. 

Fällt  mein  Haar, 

Ergraut  mein  Haupt  zum  Feld, 

Darüber  der  letzte 

Schnitter  sichelt. 

Schlaf  umdunkelt  mein  Gebein. 

Im  Traum  schon  starb  ich. 

Gras  schoß  aus  meinem  Schädel, 

Aus  schwarzer  Erde  war  mein  Kopf. 


ALBERT  EHRENSTEIN: 
AUF  DER  HARTHERZIGEN  ERDE 

Dem  Rauch  einer  Lokomotive  juble  ich  zu. 

Mich  freut  der  weiße  Tanz  der  Gestirne, 

Hell  aufglänzend  der  Huf  eines  Pferdes, 

Mich  freut  den  Baum  hinanblitzend  ein  Eichhorn, 

Oder  kalten  Silbers  ein  See,  Forellen  im  Bache, 

Schwatzen  der  Spatzen  auf  dürrem  Gezweig. 

Aber  nicht  blüht  mir  Freund  noch  Feind  auf  der  Erde, 

Ferne  Wege  gehe  ich  durch  das  Feld  hin. 

Ich  zertrat  das  Gebot 

„Ringe,  o  Mensch,  dich  zu  freuen  und  Freude  zu  geben  drai 
Andern!" 

29 


Düsler  umwandle  ich  mich, 

Vermeidend  die  Mädchen  und  Männer, 

Seit  mein  weiches,  bluttränendes  Herz 

Im  Staube  zerstießen,  die  ich  verehrte. 

Nie  neigte  sich  meinem  einsam  jammernden  Sinn 

Die  Liebe  der  Frauen,  denen  ihr  Atmen  ich  dankte. 

Ich,  der  Fröstelnde,  lebe  dies  weiter.  Lange  noch. 

Ferne  Wege  schluchze  ich  durch  die  Wüste. 


GOTTFRIED  BENN:  DER  JUNGE  HEBBEL 

Ihr  schnitzt  und  bildet:  den  gelenken  Meißel 

in  einer  feinen  weichen  Hand. 

Ich  schlage  mit  der  Stirn  am  Marmorblock 

die  Form  heraus. 

Meine  Hände  schaffen  ums  Brot. 

Ich  bin  mir  noch  sehr  fern. 

Aber  ich  will  Ich  werden! 

Ich  trage  einen  tief  im  Blut, 

der  schreit  nach  seinen  selbsterschaffenen 

Götterhimmeln  und  Menschenerden.  — 

Meine  Mutter  ist  eine  so  arme  Frau, 

daß  ihr  lachen  würdet,  wenn  ihr  sie  sähet, 

Wir  wohnen  in  einer  engen  Bucht, 

ausgebaut  an  des  Dorfes  Ende. 

Meine  Jugend  ist  mir  wie  ein  Schorf: 

eine  Wunde  darunter. 

Da  sickert  täglich  Blut  hervor. 

Davon  bin  ich  so  entstellt.  — 

Schlaf  brauche  ich  keinen. 

Essen  nur  so  viel,  daß  ich  nicht  verrecke! 

Unerbittlich  ist  der  Kampf 

und  die  Welt  starrt  von  Schwertspitzen. 

Jede  hungert  nach  meinem  Herzen. 

Jede  muß  ich.  Waffenloser, 

in  meinem  Blut  zerschmelzen. 


R.  M.  Entert 


He-, 


ALFRED  WOLFE-XSTEIN: 
DIE  GOTTLOSEN  JAHRE 

Musik  nicht  will  ich  machen,  sondern  schreiten 

Und  zeigen  meine  Schritte. 

Musik  nicht  gibt  das  hart  geballte  Reiten 

Der  Heere  von  Seelen,  die  streiten 

Um  meine  Mitte. 

Und  ist  kein  Boden  mehr,  kein  Traum  zu  schreiten, 

So  sollt  ihr  noch  mein  Stehn  verspüren. 

Ich  laß  wie  ein  Gebirge  mich  nicht  gleiten, 

So   gut  befreundet  immer  noch   mit  Möglichkeiten, 

Kein   Schicksal   soll   mir   meine    Stirn   entführen. 

Am  scharfen  Rande  ausgesogner  Weiten, 

Auf  nichts  als  meinen  zitternd  spitzen  Zehen, 

Erwachsen,  sehend  nur  mein  Sehen, 

Entstürzt  dem  ersten  Garten  und  mit  keiner  zweiten 

Musik  als  meinem  Warten  — :  spürt  mich  stehen. 

ALBERT   EHRENSTEIN:    DER   WANDERER 

Meine   Freunde  sind  schwank  wie  Rohr, 
Auf  ihren  Lippen  sitzt  ihr  Herz, 
Keuschheit  kennen  sie  nicht; 
Tanzen  möchte  ich  auf  ihren  Häuptern. 

Mädchen,  das  ich  liebe, 
Seele  der  Seelen  du, 
Auserwählte,  Lichtgeschaffene, 
Nie  sahst  du  mich  an. 
Dein  Schoß  war  nicht  bereit. 
Zu  Asche  brannte  mein  Herz. 

Ich  kenne  die  Zähne  der  Hunde, 
In  der  Wind-ins-Gesicht-Gasse  wohne  ich, 
Ein  Sieb-Dach  ist  über  meinem  Haupte, 
Schimmel  freut  sich  an  den  Wänden, 
Gute  Ritzen  sind  für  den  Regen  da. 

„Töte  dich!"  spricht  mein  Messer  zu  mir. 
Im  Kote  liege  ich; 

Hoch  über  mir,  in  Karossen  befahren 
Meine  Foinde  den  Mondregenbogen. 


33 


KÜRT  HEYMCKE:  ERHEBE  DIE  HÄNDE 

Erhebe  die  Hände, 

Angesicht, 

urnamenlos 

über  mein  Haupt, 

das  feucht  ist  von  Wein  und  Lachen! 

Ich  stürze  in  blitzende  Stunden, 

reiße  mein  Blut  hoch  in  blühende  Frauen, 

und  wiege  dahin   in  singende  Geigen   — 

siehe  — 

es  neigen  sich  alle  Stunden, 

ich  könnte  jung  sein, 

und  mein   Herz  ein  Sommer  — 

aber  tief  in  mir  schluchzt  ein  Gedanke  — 

fern 

verhaltenes  Weinen  steigt  dunkelher 

und  umarmt  meine  Jugend  . . . 

Dies  ist  ewig: 

Das  Nein. 

Hätte  ich  alle  Lust, 

fremd  höben  sich  meine  Schultern, 

meine  Lippe  wäre  Verachtung: 

Ich  bin  ein  Wanderer 

imd  darf  nicht  verweilen  .  . . 

FRANZ  WERFEL: 
FREMDE  SIND  WIR  AUF  DER  ERDE  ALLE 

Tötet  euch  mit  Dämpfen  und  mit  Messern, 
Schleudert  Schrecken,  hohe  Heimatworte, 
Werft  dahin  um  Erde  euer  Leben! 
Die  Geliebte  ist  euch  nicht  gegeben. 
Alle  Lande  werden  zu  Gewässern. 
Unterm  Fuß  zerrinnen  euch  die  Orte. 

Mögen  Städte  aufwärts  sich  gestalten, 
Niniveh,  ein  Gotlestrotz  von  Steinen! 
Ach,  es  ist  ein  Fluch  in  unserm  Wallen  ... 
Flüchtig  muß  vor  uns  das  Feste  fallen. 
Was  wir  halten,  ist  nicht  mehr  zu  halten. 
Und  am  Ende  bleibt  uns  nichts  als  Weinen. 


3A 


Berge  sind,  und  Flächen  sind  geduldig  . .  . 
Staunen,  wie  wir  auf  und  nieder  weichen. 
Fluß  wird  alles,  wo  wir  eingezogen. 
Wer  zum  Sein  noch  Mein  sagt,  ist  betrogen. 
Schuldvoll  sind  wir,  und  uns  selber  schuldig. 
Unser  Teil  ist:  Schuld,  sie  zu  begleichen! 
Mütter  leben,  daß  sie  uns  entschwinden. 
Und  das  Haus  ist,  daß  es  uns  zerfalle. 
Selige  Blicke,  daß  sie  uns  entfliehen. 
Selbst  der  Schlag  des  Herzens  ist  geliehen! 
Fremde  sind  wir  auf  der  Erde  Alle, 
Und  es  stirbt,  womit  wir  uns  verbinden. 

WALTER  HASENGLEVER: 
TRITT  AUS  DEM  TOR,  ERSCHEINUNG 

Tritt  aus  dem  Tor,  Erscheinung,  namenlose! 

Kommt,  ihr  geheimnisvollen  frühen  Triebe! 

Kehr  wieder,  Sonntag!  Schlafe  mit  mir,  Rose 

Am  weißen  Kleide  meiner  ersten  Liebe! 

Und  wenn  ich  von  euch  ritt  auf  einem  Pferde 

Schwarz  in  die  Dunkelheit  des  Meers  —  was  war  ich!' 

Ein  Strahl  des  Lichts,  ein  Stück  von  meiner  Erde, 

Ein  Abenteuer,  bunt,  verbrannt  und  fahrig. 

Mein  altes  Haus,  wer  deine  Ruhe  fände! 

0  sag  mir  nicht,  daß  auf  den  fremden  Inseln 

Jetzt  Affen  schrein  und  Papageien  winseln  — 

Ich  könnte  wieder  reisen  ohne  Ende! 

WILHELM  KLEMM:   PHILOSOPHIE 

Wir  wissen  nicht  was  das  Licht  ist 

Noch  was  der  Äther  und  seine  Schwingungen   — 

Wir  verstehen  das  Wachstum  nicht 

Und  die  Walilverwandtschaften  der  Stoffe. 

Fremd  ist  uns,  was  die  Sterne  bedeuten 

Und  der  Feiergang  der  Zeit. 

Die  Untiefen  der  Seele  begreifen  wir  nicht 

Noch  die   Fratzen,   unter   denen   sich  die   Völker   vernichten. 

Unbekannt  bleibt  uns  das  Gehen  und  Kommen. 

Wir  wissen  nicht,  was  Gott  ist! 

Oh  Pflanzenwesen  im  Dickicht  der  Rätsel 

Deiner  Wunder  größtes  ist  die  Hoffnung! 

35 


AUGUST   STRAMM: SCHWERMUT 

Schreiten  Sti'eben 
Leben  sehnt 
Schauern  Stehen 
Blicke  suchen 
Sterben  wächst 
Das  Kommen 
Schreit  1 
Tief 

Stummen 
Wir. 


ALBERT  EHRENSTEIN:   SCHMERZ 

Gott,  du  alter  Epimethide, 

Warum  hast  du  deinen  Zahn 

In  mich  gebohrt? 

Immer  noch,   immer  noch  umringt  mich  die  Wehmut, 

Endlos  dröhnen  die  Klagen, 

Gedenk  ich  langsam  zerfallender  Zeiten 

Und  der  unersättlichen  Schenkel, 

Die  mich  nicht  sättigen  wollen. 

Siehe,  die  Dinge  sind  lieb  und  wollen  mich  trösten, 

Die  Bäume  grünen  aufs  neue, 

Unermüdlich  kündet  die  Uhr  mir  die  Zeit, 

Und  nächtlich  besuchen  die  Ärmsten  der  Tiere, 

Alte  Wanzen  mein  Lager, 

Sich  erbarmend  meines  AUemseins. 

Aber  was  weiß  ein  Weib  von  Herz  und  Sitte?! 

Nimmer  glaub'  ich  an  Musen. 

Nicht  wiegt  mein  Vers, 

:  Bemannt  mit  vergänglich  ihr  näheren  Menschen 

Treibt  sie  dahin. 

Gott,  noch  niemals  fleht  ich  Dich  an, 

Nicht  betet  der  Stolz, 

Nun  bitt'  ich: 

Beschütze  mein  Herz  vor  Liebe, 

Genug  schon  litt 

Meine  unsterbliche  Seele. 


36 


ALBERT  EHRENSTEIN: 
ICH  BIN  DES  LEBENS  UND  DES  TODES  MÜDE 

Und  ob  die  großen  Autohummeln  sausen, 

Äroplane  im  Äther  hausen, 

Es  fehlt  dem  Menschen  die  stete,  welterschütternde  Kraft. 

Er  ist  wie  Schleim,  gespuckt  auf  eine  Schiene. 

Und  löst  sich  selbst  die  Klammer  um  die  fernste  Ferne, 
Erdklammer,  die  uns  noch  nicht  läßt. 

Weist  dereinst  an  der  Ecke  ein  heiliger  Weltenschutzmann 
Zum  nächsten  Nebelstern  kürzeste  Wege, 

—  Sterblich  vor  allen  ist  die  Erinnerung, 

Die  staubabwischende  Göttin; 
Schöne  Laubfrösche  wuchsen  der  Dämmernden  auf 
Und  starben  dann. 

Die  brausenden  Ströme  ertrinken  machtlos  im  Meer. 
Nicht  fühlten  die  Siouxindianer  in  ihren  Kriegstänzen  Goethe, 
Und  nicht  fühlte  die  Leiden  Christi  der  erbarmungslos  ewige 
Sirius! 

Nie  durchzuckt  vom  Gefühl, 
Unfühlend  einander  und  starr 
Steigen  und  sinken 
Sonnen,  Atome:  die  Körper  im  Raum. 

AUGUST   STRAMM:  VERZWEIFELT 

Droben  schmettert  ein   greller   Stein 

Nacht  grant  Glas 

Die  Zeiten  stehn 

Ich 

Steine. 

Weit 

Glast 

Dul 

WILHELM  KLEMM:  LICHTER 

Lichter   brennen    auf   wachsverwehten   Kerzen, 
Stille  Versammlung  weißer,   schlanker  Apostel, 
Ruhige  Flammen  des  Geistes  auf  schmalen  Häuptern, 
Die  leise  züngeln  unter  dem  Hauch  der  Nacht. 

■^7 


Lichter  brennen.  Lodernde  Opferglut 

Im  Dome  der  iSacht.  Sturmzeichen,  was  willst  du  verkünden? 

Feuersbrunst,  fleunmengehörntes  Fanal, 

Oh,  wie  dein  rasendes  Herz  mich  durchglüht! 

Lichter  schwinden.   Wie  Grubenlampen,  die  langsam 
In  finstren  Stollen  verwischen,  wie  letzte  Funken 
Verträumt  schwelen  in  Rauch  und  schwarzen  Ruinen. 
Erinnerung,   deren   Erinnerung  schwindet. 

Lichter  verlöschen.   iNucht  und  Verlassenheit 
Stürzen  herein.  Unsere  Herzen  schauern  tiefer  — 
Blinde  Engel  fahren   verstört  empor  — 
Flügelgeflatter  und  Wimmern  ohne  Ende. 


KURT    E^YNICKE:  GETHSEMANE 

Alle  Menschen  sind  der  Heiland. 

In  dem  dunklen  Garten  trinken  wir  den  Kelch. 

Vater,  laß   ihn  nicht  vorübergehn. 

Wir  sind   alle   einer   Liebe. 

Wir  sind  alle  tiefes  Leid. 

Alle  wollen  sich  erlösen. 

Vater,  deine  Welt  ist  unser  Kreuz. 

Laß  sie  nicht  vorübergehn. 


ALBERT   EHRENSTEIN:   UNENTRINNBAR 

Wer  weiß,  ob  nicht 

Leben  Sterben  ist, 

Atem  Erwürgung, 

Sonne  die  Nacht? 

Von  den  Eichen  der  Götter 

Fallen  die  Früchte 

Durch  Schweine  zum  Kot, 

Aus  dem  sich  die  Düfte 

Der  Rosen  erheben 

In  entsetzlichem  Kreislauf, 

Leiche  ist  Keim, 

Und  Keim  ist  Pest. 


38 


GEORG  HEYM:  DER  KHIEG 
1911 

Aufgestanden  ist  er,  welcher  lange  schlief, 
Aufgestanden  unten  aus  Gewölben  tief. 
In  der  Dämmrung  steht  er,  groß  und  unbekannt, 
Und  den  Mond  zerdrückt  er  in  der  schwarzen  Hand. 

In  den  Abendlärm  der  Städte  fällt  es  weit, 
Frost  und  Schatten  einer  fremden  Dunkelheit. 
Und  der  Märkte  runder  Wirbel  stockt  zu  Eis. 
Es  wird  still.  Sie  sehn  sich  um.  Und  keiner  weiß. 

In  den  Gassen  faßt  es  ihre  Schulter  leicht. 
Eine  Frage.  Keine  Antwort.  Ein  Gesicht  erbleicht. 
In   der   Ferne  zittert  ein  Geläute  dünn. 
Und  die  Barte  zittern  um  ihr  spitzes  Kinn. 

Auf  den  Bergen  hebt  er  schon  zu  tanzen  an. 

Und  er  schreit:  Ihr  Krieger  alle,  auf  und  an! 

Und  es  schallet,  wenn  das  schwarze  Haupt  er  schwenkt. 

Drum  von  tausend  Schädeln  laute  Kette  hängt. 

Einem   Turm   gleich   tritt  er   aus   die   letzte   Glut, 
Wo  der  Tag  flieht,  sind  die  Ströme  schon  voll  Blut. 
Zahllos  sind  die  Leichen  schon  im  Schilf  gestreckt. 
Von  des  Todes  starken  Vögeln  weiß  bedeckt. 

In  die  Nacht  er  jagt  das  Feuer  querfeldein. 
Einen  roten  Hund  mit  wilder  Mäuler  Schrein. 
Aus  dem  Dunkel  springt  der  Nächte  schwarze  Welt, 
Von   Vulkanen   furchtbar   ist   ihr   Rand  erhellt. 

Und  mit  tausend  hohen  Zipfelmützen  weit 
Sind  die  finstren  Ebnen  f lackend  überstreut. 
Und  was  unten  auf  den  Straßen  wimmelnd  flieht. 
Stößt  er  in  die  Feuerwälder,  wo  die  Flamme  brausend  zieht. 

Und  die  Flammen  fressen  brennend  Wald  um  Wald, 
Gelbe   Fledermäuse,   zackig  in   das   Laub   gekrallt. 
Seine  Stange  haut  er  wie  ein  Köhlerloiecht 
In  die  Bäume,  daß  das  Feuer  brause  recht. 

39 


Eine  große  Stadt  versank  in  gelbem  Raucli, 
Warf  sich  lautlos  in  des  Abgrunds  Bauch. 
Aber  riesig  über  glühnden  Trümmern  steht, 
Der  in  wilde  Himmel  dreimal  seine  Fackel  dreht 

Über   sturmzerfetzter   Wolken   Widerschein, 
In  des  toten  Dunkeb  kalten  Wüstenein, 
Daß  er  mit  dem  Brande  weit  die  Nacht  verdorr, 
Pech  und  Feuer  träufet  unten  auf  Gomorrh. 


ERNST  STADLER:  DER  AUFBRUCH 

Einmal  schon  haben  Fanfaren  mein  ungeduldiges  Herz  blutig 

gerissen. 
Daß  es,  aufsteigend  wie  ein  Pferd,  sich  wütend  ins  Gezäum 

verbissen. 
Damals  sclilug  Tamburmarsch  den   Sturm  auf  allen  Wegen, 
Und  herrlichste  Musik  der  Erde  hieß  uns  Kugelregen. 
Dann,  plötzlich,  stand  Leben  stille.  Wege  führten  zwischen 

alten  Bäumen. 
Gemächer  lockten.  Es  war  süß,  zu  weilen  und  sich  versäumen. 
Von  Wirklichkeit  den  Leib  so  wie  von  staubiger  Rüstung  zu 

entketten. 
Wollüstig  sich  in  Daunen  weicher  Traumstunden  einzubetten. 
Aber  eines  Morgens  rollte  durch  Nebelluft  das  Echo  von  Sig- 
nalen, 
Hart,  scharf,  wie  Schwerthieb  pfeifend.  Es  war  wie  wenn  im 

Dunkel  plötzlich  Lichter  aufstrahlen. 
Es  war  wie  wenn  durch  Biwakfrühe  Trompetenstöße  klirren. 
Die  Schlafenden  aufspringen  und  die  Zelte  abschlagen  und  die 

Pferde  schirren. 
Ich  war  in  Reihen  eingeschient,  die  in  den  Morgen  stießen, 

Feuer  über  Helm  und  Bügel, 
Vorwärts,  in  Blick  und  Blut  die  Schlacht,  mit  vorgehaltnem 

Zügel. 
Vielleicht  würden  uns  am  Abend  Siegesmärsche  umstreichen, 
Vielleicht  lägen  wir  irgendwo  ausgestreckt  unter  Leichen. 
Aber  vor  dem  Erraffen  und  vor  dem  Versinken 
Würden    unsre   Augen    sich    an   Welt   und    Sonne   satt    und 

glühend  trinken. 


WALTER  HASE^■CLEVER: 
DIE  LAGERFEUER  AN  DER  KÜSTE 

Mai  191 4 
Die  Lagerfeuer  an  der  Küste  rauchen. 
Ich  muß  mich  niederwerfen  tief  in  iSot. 
Leoparden  wittern  mein  Gesicht  iind  fauchen. 
Du  bist  mir  nahe,  Bruder,  Tod. 
Verworren  zuckt  Europa  noch  im  Winde 
Von  Schiffen  auf  dem  fabelhaften  Meer; 
Durch  die  ungeheure  Angst  bricht  her 
Schrei  einer  Mutter  nach  dem  kleinen  Kinde. 
Es  starb  mein  Pferd  heut  nacht  in  meiner  Hand. 
Wie  hast  du  mich  verlassen,  Kreatur! 
Aus  dem  Kadaver  steigt  das  fremde  Land 
Hinauf  zu  einer  andern  Sonnenuhr. 

FRANZ  WERFEL:  DER  KRIEG 

Auf  einem  Sturm  von  falschen  Worten, 

Umkränzt  von  leerem  Donner  das  Haupt, 

Schlaflos  vor  Lüge, 

Mit  Taten,  die  sich  selbst  nur  tun,  gegürtet, 

Prahlend  von  Opfern, 

Ungefällig  scheiißiich  für  den  Hinomel  — 

So  fährst  du  hin, 

Zeit, 

In  den  lärmenden  Traum, 

Den  Gott  mit  schrecklichen  Händen, 

Aus  seinem  Schlafe  reißt 

Und  verwirft. 

Höhnisch,  erbarmungslos. 

Gnadenlos  starren  die  Wände  der  Welt! 

Und  deine  Trompeten, 

Und  trostlosen  Trommeln, 

Und  Wut  deiner  Märsche, 

Und  Brut  deines  Grauens, 

Branden  kindisch  und  tonlos 

Ans  unerbittliche  Blau, 

Das  den  Pcinzer  schlägt, 

Ehern  und  leicht  sich  legt, 

Um  das  ewige  Herz. 


M 


Mild  wurden  im  furciitbaren  Abend 

Geborgen  schiffbrüchige  Männer. 

Sein  goldenes  Kettlein  legte  das  Kind 

Dem  toten  Vogel  ins  Grab, 

Die  ewige  unwissende, 

Die  Heldentat  der  Mutter  noch  regt  sie  sich. 

Der  Heilige,  der  Mann, 

Hingab  er  sich  mit  Jauchzen  und  vergoß  sich. 

Der  Weise  brausend,  mächtig. 

Siehe, 

Erkannte  sich  im  Feind  und  küßte  ihn. 

Da  war  der  Himmel  los. 

Und  konnte  sich  vor  Wundern  nicht  halten, 

Und  stürzte  durcheinander. 

Und  auf  die  Dächer  der  Menschen, 

Begeistert,  goldig,  schwebend. 

Der  Adlerschwarm  der  Gottheit 

Senkte  sich  herab. 

Vor  jeder  kleinen  Güte 
Gehn  Gottes  Augen  über. 
Und  jede  kleine  Liebe 
Rollt  durch  die  ganze  Ordnung. 

Dir  aber  wehe. 

Stampfende  Zeit! 

Wehe  dem  scheußlichen  Gewitter 

Der  eitlen  Rede! 

Ungerührt  ist  das  Wesen  vor  deinem  Anreiten, 

Und  den  zerbrechenden  Gebirgen, 

Den  keuchenden  Straßen, 

Und  den  Toden,  tausendfach,  nebenbei,  ohne  Werl. 

Und  deine  Wahrheit  ist 

Des  Drachen  Gebrüll  nicht. 

Nicht  der  geschwätzigen  Gemeinschaft 

Vergiftetes,  eitles  Recht! 

Deine  Wahrheit  allein. 

Der  Unsinn  und  sein  Leid, 

Der  Wundrand  und  das  ausgehende  Herz, 

Der  Durst  und  die  schlemimige  Tränke, 

Gebleckte  Zähne, 


42 


Und  die  mutige  Wut 

Des  tückischen  Ungetüms. 

Der  arme  Brief  von  zu  Hause, 

Das  Durch-die-Straße-Laufen 

Der  Mutter,  die  weise. 

Das  alles  nicht  eüisieht. 

Nun  da  wir  uns  ließen. 

Und  iinser  Jenseits  verschmissen. 

Und  uns  verschwuren. 

Zu  Elend,  besessen  von  Flüchen  . .  . 

Wer  weiß  von  uns, 

Wer  von  dem  endlosen  Engel, 

Der  weh  über  unsern  Nächten, 

Zwischen  den  Fingern  der  Hände, 

Gewichtlos,  unerträglich,  niederfallend. 

Die  ungeheuren  Tränen  weint?! 

Geschrieben  am  4-  August   191 4- 

ALBERT   EHRENSTEIN:   DER   KRIEGSGOTT 

Heiter  rieselt  ein  Wasser, 

Abendlich  blutet  das  Feld, 

.\ber  aufreckend  das  wildbewachsene  Tierhaupt, 

Den  Menschen  feind. 

Zerschmettere  ich,  Ares, 

Zerkrachend  schwaches  Kinn  und  Nase, 

Kirchtürme  abdrehend  vor  Wut, 

Euere  Erde. 

Lasset  ab,  den  Gott  zu  rufen,  der  nicht  hört. 

Nicht  hintersinnet  ihr  dies: 

Ein  kleiner  Unterteufel  herrscht  auf  der  Erde, 

Ihm  dienen  Unvernunft  imd  Tollwut. 

Menschenhäute  spannte  ich  an  Stangen  um  die  Städte. 

Der  ich  der  alten  Burgen  Wanketore 

Auf  meine  Dämonsschultern  lud, 

Icü  schütte  aus  die  dürre  Kriegszeit, 

Steck'  Europa  in  den  Kriegssack. 

Rot  umblüht  euer  Blut 

Meinen  Schlächterarm, 

Wie  freut  mich  der  Anblick  1 

43 


Der  Feind  flammt  auf 

In  regenbitterer  Nacht, 

Geschosse  zerhacken  euere  Frauen, 

Auf  den  Boden 

Verstreut  sind  die  Hoden 

Euerer  Söhne 

Wie  die  Körner  von  Gurken. 

Unabwendbar  eueren  Kinderhänden 

Rührt  euere  Massen  der  Tod. 

Blut  gebt  ihr  für  Kot, 

Reichtum  für  Not, 

Schon  speien  die  Wölfe 

Nach  meinen  Festen, 

Euer  Aas  muß  sie  übermästen. 

Bleibt  noch  ein  Rest 

Nach  Ruhr  und  Pest? 

Aufheult  in  mir  die  Lust, 

Euch  gänzlich  zu  beenden. 


KURT  HEYNICKE:  DAS  BILD 

Welt, 

wie  du  taumelst! 

An  meiner  ausgestreckten  Hand  vorbei, 

bunt  und  blutbefallen, 

Weltl 

Es  stürzt  ein  Schrei  von  Mitternacht  gen  Mitternacht, 
ein  Schrei,  o  Welt, 
dein  Schrei! 

Deiner  Mütter  Schrei, 

deiner  Kinder  Schrei  — 

Heere  wanken  an  roter  Wand, 

rauchend  und  röchelnd  sinkt  goldenes  Land, 

Heere  wanken  und  steigen  und  gehn  —  •■ 

ewig  Heere, 

Kriegerheere, 

Mütterheere, 

Menschenheere  I 


m 


Tauniebi,  Fallen,  Gebäien  und  Stelin!  ! 

Hände  kämpfen  und  bluten  und  flebn,  ' 

Hände,  Leiber  und  Angesiebte  ] 

gelb  im  vergifteten  Liebte  der  Tage  i 

stürze,  o  Welt!  j 

i 

leb  will  niebt  an  den  Wänden  stebn!  I 

0,  meine  Brüder!  j 

leb  will  untergebnl  i 

ALBERT  EHRENSTEIN:  DER  BERSERKER  SCHREIT  \ 

Die  Welt  möcbt'  icb  zerreißen,  I 

Sie  Stück  für  Stück  zerglübn  : 

An  meinem  lebensbeißen  ! 
Und  todesstarken  Sinn. 

Icb  babe  Land  besessen, 
Und  Meer  dazu,  wieviel! 
Icb  babe  Menseben  gefressen, 
Und  weiß  kein  Ziel. 

Und  neue  S ebnen  wacbsen. 

Und  neue  Kraft  ertost. 

Vorwärts  mit  tausend  Acbsen, 

Ell'  mir  die  Pest  raubt  West  und  Ost! 

WILHELM  KLEMM:  SCHLACHT  AN  DER  MARNE 

Langsam  beginnen  die  Steine  sieb  zu  bewegen  und  zu  reden. 

Die  Gräser  erstarren  zu  grünem  Metall.  Die  Wälder, 

Niedrige,  dichte  Verstecke,   fressen   ferne  Kolonnen. 

Der   Himmel,   das    kalkweiße   Geheimnis,   droht  zu   bersten. 

Zwei  kolossale  Stunden  rollen  sieb  auf  zu  Minuten. 

Der  leere  Horizont  bläht  sich  empor. 

Mein  Herz  ist  so  groß  wie  Deutschland  und  Frankreich  zu- 
sammen, 
Durchbohrt  von  allen  Geschossen  der  Welt. 
Die  Batterie  erhebt  ihre  Löwenstimme 
Sechsmal  hinaus  in  das  Land.  Die  Granaten  heulen. 
Stille.  In  der  Ferne  brodelt  das  Feuer  der  Infanterie, 
Tagelang,  wochenlang. 

45 


AUGUST  STRAMM  :  WAC//E 

Das  Turmkreuz  schrickt  ein  Stern 

Der  Gaul  schnappt  Rauch 

Eisen  klirrt  verschlafen 

Nebel  Streichen 

Schauer 

Starren   Frösteln 

Frösteln 

Streicheln 

Raunen 

Du! 

AUGUST  STRAMM : PATROVILLE 

Die  Steine  feinden 

Fenster  grinst  Verrat 

Äste  würgen 

Berge  Sträucher  blättern  raschlig 

Gellen 

Tod. 


AUGUST  STRAMM:  STURMANGRIFF 

Aus  allen  Winkeln  gellen  Fürchte  Wollen 

Kreisch 

Peitscht 

Das  Leben 

Vor 

Sich 

Her 

Den  keuchen  Tod 

Die  Himmel  fetzen 

Blinde  schlächtert  wildum  das  Entsetzen 

ALFRED   LIGHT  ENSTEI  IN: 

DIE  SCHLACHT  BEI   SAARBÖRG 

Die  Erde  verschimmelt  im  Nebel. 
Der  Abend  drückt  wie  Blei. 
Rings  reißt  elektrisches  Krachen 
Und  wimmernd  bricht  alles  entzwei. 


46 


Wie  schlechte  Lumpen  qualmen 

Die  Dörfer  am  Horizont. 

Ich  liege  gottverlassen 

In  der  knatternden  Schützenfront.     , 

Viel  kupferne  feindliche  Vögelein 
Surren  um  Herz  und  Hirn. 
Ich  stemme  mich  steil  in  das  Graue 
Und  biete  dem  Morden  die  Stirn. 

ALBERT  EHRENSTEIN: 
DER  DICHTER  UND  DER  KRIEG 

Ich  sang  die  Gesänge  der  rotaufschlitzenden  Rache, 

Und  ich  sang  die  Stille  des  waldumbuchteten  Sees; 

Aber  zu  mir  gesellte  sich  niemand, 

Steil,  einsam 

Wie  die  Zikade  sich  singt, 

Sang  ich  mein  Lied  für  mich. 

Schon  vergeht  mein  Schritt  ermattend 

Im  Sand  der  Mühe. 

Vor  Müdigkeit  entfallen  mir  die  Augen, 

Müde  bin  ich  der  trostlosen  Furten, 

Des  Überschreitens   der  Gewässer,  Mädchen  und  Straßen. 

Am  Abgrund  gedenke  ich  nicht 

Des  Schildes  und  Speeres. 

Von  Birken  umweht, 

Vom  Winde  umschattet. 

Entschlaf  ich  zum  Klange  der  Harfe 

Anderer, 

Denen  sie  freudig  trieft. 

Ich  rege  mich  nicht. 

Denn  alle  Gedanken  und  Taten 

Trüben  die  Reinheit  der  Welt. 

PAUL  ZECH:  MUSIK  DER  STERNE 

In  Höhlen  Schwermut  Du,  vor  Drähten 
der  Feindschaft,  jedem  Stoß  gestellt  — : 
horch,  wie  in  den  geschoß-gemähnten 
Wipfeln  Musik  der  Sterne  schwellt; 

17 


wie  mit  dem  immer  Dun  kl  er  werden 
des  Horizontes  und  Radaus 
aus  Mauerflanken  anderer  Erden 
Gott  auferbaut  ein  Orgelhaus. 

Und  hebst  Du  erst  die  düstere  Braue, 
zerbrichst  Du  Schild  und  Schwert, 
fällt  von  Dir  ab  die  altersgraue 
Montur.  Du  steifst  Dich,  unbeschwert, 


von  dem  Geschehenen  des  Tages, 
am  Rand  der  Gräben  wie  ein  Baum. 
Dein  noch  vor  Stunden  wanderzages 
Da-Sein  verzweigt  sich  schon  dem  Raum. 

Bist  Silbermasche  jetzt  des  Flores, 
aus  Stern  und  Wind  und  Blatt, 
bist  Vorhang  eines  Tores, 
das  keinen  Ausgang  hat. 

Du  bist  gefangen 

und  irgendwo  im  Licht 

spurlos  zergangen. 

Du  fühlst  Dich  selber  nicht. 

Du  fühlst  nur,  wie  sich  nichts  als  Noten 
Dir  hinreihn,  bis  die  Kette  klingt, 
Dich  und  das  Brüderheer  der  Toten 
der  Psalm  des  Lichts  lobsingt, 

aus  Stimme  Wald  und  Stimme  Sterne 
die  große  Schöpferfuge  braust, 
um  die  die  Weltkaserne 
als  toter  Neumond  saust. 

Zuletzt  ist  Gott  nur  noch  alleine 
zuckender  Puls  im  All .  . . 
Weit  über  Wind  und  Wassern  hämmert  seine 
UrewiRkelt  wie  Flügel  von  Metall. 


fiS 


GEORG  UEYM:  DIE  HEIM  AT  DER  TOTEN  ] 

I. 

Der   Wintermorgen   dämmert  spät  herauf'. 

Sein  gelber  Turban  hebt  sich  auf  den  Rand 

Durch  dünne  Pappeln,  die  im  schnellen  Lauf  I 

Vor  seinem  Haupte  ziehn  ein  schwarzes  Band.  \ 

Das  Rohr  der  Seen  saust.  Der  Winde  Pfad 

Durchwühlte  es  mit  dem  ersten  Lichte  grell.  j 

Der  Nordsturm  steht  im  Feld  wie  ein  Soldat 

Und  wirbelt  laut  auf  seinem  Trommelfell. 

Ein  Knochenarm  schwingt  eine  Glocke  laut.  ■ 

Die   Straße   kommt  der  Tod,  der  Schifferknecht.  j 

Um  seine  gelben  Pferdezähne  staut  ! 

Des  weißen  Bartes  spärliches  Geflecht..  i 

Ein  altes  totes  Weib  mit  starkem  Bauch,  ] 

Das  einen  kleinen  Kinderleichnam  trägt.  1 

Er  zieht  die  Brust  wie  einen  Gummischlauch,  J 

Die    ohne   Milch   und   welk   herunterschlägt.  ; 

Ein  paar  Geköpfte,  die  vom  kalten  Stein  ] 

Im  Dunkel  er  aus  ihren  Ketten  las.  j 

Den  Kopf  im  Arm.  Im  Eis  den  Morgenschein,  ; 

Das  ihren  Hals  befror  mit  rotem  Glas.  - 

Durch  klaren  Morgen  und  den  Wintertag 

Mit  seiner  Bläue,  wo  wie  Rosenduft 

Von  gelben  Rosen,  über  Feld  und  Hag 

Die   Sonne  wiegt  in  träumerischer  Luft.  ' 

-j 

Des  goldenen  Tages  Brücke  spannt  sich  weit  ; 
Und  tönt  wie  einer  großen  Leier  Ton, 

Die  Pappeln  rauschen  mit  dem  Trauerkleid  ' 
Die   Straße   fort,   wo  weit  der  Abend  schon 

Mit   Silberbächen   überschwemmt   das  Land,  .1 

Und  grenzenlos  die  ferne  Weite  brennt,  i 
Die  Dämmerung  steigt  wie  ein  dunkler  Brand 

Den  Zug  entlang,  der  in  die  Himmel  rennt.  \ 

49  ^ 


Ein  Totenhain,  und  Lorbeer,  Baum  an  Baum, 
Wie  grüne  Flammen,  die  der  Wind  bewegt, 
Sie  flackern  riesig  in  den  Himmelsraum, 
Wo  schon  ein  blasser  Stern  die  Flügel  schlägt. 

Wie  große  Gänse  auf  dem  Säulenschaft 
Sitzt  der  Vampyre  Volk  und  friert  im  Frost. 
Sie   prüfen    ihrer   Eisenkrallen   Kraft. 
Und  ihre  Schnäbel  an  der  Kreuze  Rost. 

Der  Efeu  grüßt  die  Toten  an  dem  Tor, 
Die  bunten  Kränze  winken  von  der  Wemd. 
Der  Tod  schließt  auf.  Sie  treten  schüchtern  vor, 
Verlegen  drehend  die  Köpfe  in  der  Hand. 

Der  Tod  tritt  an  ein  Grab  und  bläst  hinein. 
Da  fliegen  Schädel  aus  der  Erde  Schoß 
Wie  große  Wolken  aus  dem  Leichenschrein, 
Die  Barte  tragen  rund  von  grünem  Moos. 

Ein  alter  Schädel  flattert  aus  der  Gruft, 

Mit  einem   feuerroten   Haar  beschwingt. 

Das  um  sein  Kinn,  hoch  oben  in  der  Luft, 

Der  Wind  zu  feuriger  Krawatte  schlingt. 

Die  leere  Grube  lacht  aus  schwarzem  Mund 
Sie  freundlich  an.  Die  Leichen  fallen  um 
Und  stürzen  in  den  aufgerissenen  Schlund. 
Des   Grabes   Platte   überschließt  sie  stumm. 


IL 

Die   Lider   übereist,   das  Ohr  verstopft 

Vom  Staub  der  Jahre,  ruht  ihr  eure  Zeit. 

Nur  manchmal  ruft  euch  noch  ein  Traum,  der  klopft 

Von  fern  an  eure  tote  Ewigkeit, 

In  einem  Himmel,  der  wie  Schnee  so  fahl 
Und  von  dem  Zug  der  Jahre  schon  versteint. 
Auf   eurem   eingefallenen   Totenmal 
Wird  eine  Lilie  stehn,  die  euch  beweint. 


5o 


Der  Märznacht  Sturm  wird  euren  Schlaf  betaun.  ' 
Der  große  Mond,  der  in  dem  Osten  dampft, 

Wird  tief  in  eure  leeren  Augen  schaun,  i 

Darin  ein  großer,  weißer  Wurm  sich  krampft.  • 

So   schlaft   ihr   fort,  vom   Flötenspiel  gewiegt  < 

Der  Einsamkeit,  im  späten  Weltentod,  ' 

Da  über  euch  ein  großer  Vogel  fliegt  ^ 

Mit  schwarzem   Flug   ins  gelbe  Abendrot.  ■ 

FRAIVZ  WERFEL:  DER  RITT  , 

Als  mich  mein  Traum  verschlug,  , 

Fand  ich  mich  wandern  im  schönsten  Nachmittag 
Den  Hügel  nieder,  der  schwebte  und  mit  Flügeln  schlug. 
Zu  meinen  Füßen  lag  i 

Das  Land  in  goldenem  Staat, 
Das  Land  in  Schwaden  rauschend  der  gereiften  Saat.  ■ 

Ich  kaan  wie  aus  viel  Not,  *i 

Wie  emer,  der  das  Hemd  der  Krankheit  von  sich  warf,  j 

Und  leichter  und  geschmeidiger  sich  tragen  darf  ■ 

Als  je;  —  in  Por  und  Ader  pocht  ' 

Begeisterung  das  dünne  Blut,  das  ihn  nicht  unterjocht  ^ 

So  trat  ich  heiter  ein  j 

Ins  Tal  der  Ernten,  das  von  Korn  und  Sonne  schwoll.  ; 

Um  Brust  und  Hüfte  schwankten  Ähren  schwer  und  voll,  ", 

Die  fast  verwuchsen  meinen  eiligen  Rain.  • 

Doch  leicht  für  meine  Sohlen  war  der  Traum,  • 
Die  vielen  Vogelflüge  mir  zu  Häupten  sah  ich  kaum. 
Die  Vögel  hatten  hier  wohl  einen  Sinn  .  .  . 

Und  plötzKch  war  die  Erde  meinen  Sohlen  schwer,  so  schwer,  ' 

Als  wirkte  mächtiges  Metall  von  unten  her;  -1 

Mein  Knie,  mein  Puls,  sie  stockten  her  und  hin.  j 

Ich  sprach  zu  mir :  Bannt  meinen  Schritt  magnetisches  Metall,  t 

Was  fahren  diese  Vögel  schreiend  klatschend  unterm  All  ? . . .  ; 

Dies  aber  sah  ich:  Überall  ■] 

Zerknickt,  zerdrückt  die  Ernte  niederlag,  1 

Wie  von  Regenschwall,  wie  von  Hagelfall  ' 

Verheert.  —  Und  im  golden  niederwandelnden  Tag  1 

Rings  im  Getreide  sah  ich  viele  tote  Männer  hingestreckt,  1 
Die  hatten  Sonntagskleider  an,  doch  ihre  Köpfe  waren  schon 

schwarz  gefleckt,  \ 

5l  : 


—  Die  liegen  hier  sehr  lang  — 

Dacht'  ich  und  schloß  das  Aug'.  Doch  wie  durch  einen  Riß 
Sah  ich  die  vielen  schwarzen  Köpfe,  sah  manch  blinkendes 

Gebiß, 
An  aufgetriebenen  Westen  manche  Silberkette  blank: 

—  Die  trugen  Diebe  nicht  und  nicht  die  großen  Elstern  fort  — 
So  sagte  ich  —  die  Elstern,  die  so  schreien  über  diesem  Ort. 

Ich  schüttelte  von  Schultern  nicht 

Den  Bann.  Wie  sehr  ich  kämpfte  auch,  ich  mußte  schaun  .  .  . 
Es  froren  und  es  stachen  mich  die  Wurzeln  meiner  Brau'n. 
Die  Toten  lagen  starr  im  späten  Licht. 
Ich  fülilte  meinen  Leib  wie  einen  ungefügen  Sack. 
Doch  plötzlich  war's,  als  ritte  ich,  als  trüg  mich  einer  hucke- 
pack. 

Es  trug  mich  einer  huckepack, 

Fest  meine  Schenkel  preßten  brüchiges  Schulternpaar. 
Es  flatterte  vor  mir  ein  Schopf  farbloses  Haar. 
Nur  manchmal  mühsam  war,  schwcU-z  wie  von  Lack 
Ein  Antlitz  fragend  hergedreht :  Ob  ich  auch  ritte  recht .  .  . 
Der  Tote,  der  mich  trug,  er  grinste  schief,  wie  ein  gutmütiger 
Knecht. 

Auf  dem  ich  ritt  und  ritt. 

Er  war  schnellfüßig,  wie  nicht  leicht 

Ein  Rennpferd  ist,  das  nicht  schnaubt  noch  keucht. 

Doch  plötzlich  schwankte  er  und  fiel  in  Schritt. 

Er  stand  und  wandte  mir  sein  arm  zerfreßnes  Antlitz  her  .  .  . 

Mir  aber  war's,  als  ob  mein  eigen  Bild  verwest  im  Spiegel  war. 

Er  klappte  mit  dem  Mund 
Und  sprach:  ,,Mein  Bruder  du,  es  ist  genug, 
Genug,  daß  Gott  für  dich  mich  fällte  und  erschlug. 
Ich  nahm  dein  Los  auf  mich.  Du  aber  bist  gesund. 
Nun  aber  sage  mir :  Ist  so  gerichtet  denn  gerecht. 
Daß  du  mein  Reiter  bist  und  Herr  —  und  ich  dein  Pferd  und 
Knecht  ? 

Steig  nur  aus  deinem  Sattel  gleich, 

Mach  mein  Genick  von  deinen  Schenkeln  frei! 

Ich  weiß,  dir,  guter  Bruder,  ist  es  einerlei. 

52 


Dein  Aug'  ist  von  Erbarmen  naß,  dein  Mut  ist  weich. 
Verwes  ich  nicht  für  dich,  vom  Wurm  geschwärzt,  vom  Wind 

gebleicht  ? 
Komm!  Trag  mich  du  ein  Stückchen  Wegs!  Ich  bin  so  leicht, 

so  leicht." 

Ich  aber  lachte  voll  Gewalt 

Und  spornte  seinen  Leib  mit  meinem  Schuh. 

„Ich  steige  nicht  von  meinem  Sitz.  Lauf  zu !  Trab  Marsch ! 

Lauf  zu! 
Und  spiegelst  du  mir  noch  so  sehr  die  eigene  Gestalt, 
Und  bröckelt  auch  in  deinem  Antlitz  ab  mein  eigenes  Gesicht, 
Ich  bin  dein  Reiter,  toter  Bruder,  und  ich  laß  dich  nicht! 

Ich  habe  tief  erkannt, 

Ich  tauchte  auf  den  Grimd  der  Angst!  Die  würgt. 

Die  sich  zur  Gnade  nie  verbürgt, 

Ich  fühl'  von  nun  an  ewig  um  den  Hals  die  Hand. 

Ich  reite,  weil's  mich  reitet!  Wild  bewußt  der  lückenlosen  Not 

Bin  ich  ihr  Herr  und  Reiter  gar  auf  meinem  eigenen  Tod!" 

Und  lachend  riß  ich  ab 

Vom  Haselbusch  die  Gerte,  und  ich  sclilug 

Des  Toten  Fleinken  leicht.  Er  seufzte  auf  und  trug 

Erst  störrisch  meine  Last,  doch  bald  im  scharfen  Trab, 

Und  folgte  endlich  willig  meiner  heiteren  Gewalt. 

So  ritt  ich  in  den  Abend  ein  und  es  umfing  uns  Wald. 

Und  dieser  Wald  —  er  war 

Die  Harfe  meines  Lebens  übers  Abendrot  gespannt. 
Und  ich  griff  in  die  Stränge  mit  meiner  großen  Hand, 
Und  nannte  den  Triumph  und  nannte  die  Gefahr! 
Es  flüsterte  des  Toten  Tritt,  zart  flüsterten  die  Eichen  mit, 
Ich  aber  ritt  auf  meinem  Tod  und  sang  den  Rausch  von  diesem 
Ritt. 

GOTTFRIED  RENN: 

MANN  UND  FRAU  GEHN  DURCH  DIE  KREBSBARACKE 

Der  Mann : 

Hier  diese  Reihe  sind  zerfallene  Schöße 

und  diese  Reihe  ist  zerfallene  Brust. 

Bett  stinkt  bei  Bett.  Die  Schwestern  wechseln  stündlich. 

53 


Komm,  hebe  ruhig  diese  Decke  auf. 
Sieh,  dieser  Klumpen  Fett  und  faule  Säfte 
das  war  einst  irgendeinem  Mann  groß 
und  hieß  auch  Rausch  und  Heimat.  — 

Komm,  sieh  auf  diese  Narbe  an  der  Brust. 

Fühlst  du  den  Rosenkranz  von  weichen  Knoten? 

Fühl  ruhig  hin.  Das  Fleisch  ist  weich  und  schmerzt  nicht. 

Hier  diese  blutet  wie  aus  dreißig  Leibern. 

Kein  Mensch  hat  so  viel  Blut.  — 

Hier  dieser  schnitt  man 

erst  noch  ein  Kind  aus  dem  verkrebsten  Schoß.  — 

Man  läßt  sie  schlafen.  Tag  und  Nacht.  —  Den  Neuen 
sagt  man :  hier  schläft  man  sich  gesund.  —  Nur  Sonntags 
für  den  Besuch  läßt  man  sie  etwas  wacher.  — 

Nahrung  wird  wenig  noch  verzehrt.  Die  Rücken 
sind  wund.  Du  siehst  die  Fliegen.  Manchmal 
wäscht  sie  die  Schwester.  Wie  man  Bänke  wäscht.  — 

Hier  schwillt  der  Acker  schon  um  jedes  Bett. 
Fleisch  ebnet  sich  zu  Land.  Glut  gibt  sich  fort. 
Saft  schickt  sich  an  zu  rinnen.  Erde  ruft.  — 


GEORG  HEYM:  DIE  MORGUE 

Die  Wärter  schleichen  auf  den  Sohlen  leise. 
Wo  durch  das  Tuch  es  weiß  von  Schädeln  blinkt. 
Wir,  Tote,  sammeln  uns  zur  letzten  Reise 
Durch  Wüsten  weit  und  Meer  und  Winterwind. 

Wir  thronen   hoch   auf  kahlen   Katafalken, 
Mit  schwarzen  Lappen  garstig  überdeckt. 
Der  Mörtel  fällt.  Und  aus  der  Decke  Balken 
Auf  uns  ein  Christus  große  Hände  streckt. 

Vorbei  ist  unsre  Zeit.  Es  ist  vollbracht. 
Wir  sind  herunter.   Seht,  wir  sind  nun  tot. 
In  weißen  Augen  wohnt  uns  schon  die  Nacht, 
Wir   schauen    nimmermehr   ein   Morgenrot. 


54 


Tretet  zurück   von   unserer  Majestät. 
Befaßt  uns  nicht,  die  schon  das  Land  erschaun 
Im  Winter  weit,  davor  ein  Schatten  steht, 
Des  schwajze  Schulter  ragt  ira  Abendgraun. 

Ihr,   die    ihr  eingeschrumpft  wie   Zwerge   seid, 
Ihr,  die  ihr  runzlig  liegt  auf  unserm  Schoß, 
Wir  wuchsen  über  euch  wie  Ber^e  weit 
In  Ewige  Todes-Nacht,  wie  Götter  groß. 

Mit  Kerzen  sind  wir  lächerlich  umsteckt. 
Wir,  die  man  früh  aus  dumpfen  Winkeln  zog 
Noch  grunzend,  unsre  Brust  schon  blau  gefleckt. 
Die  nachts  der  Totenvogel  überflog. 

Wir  Könige,  die  man  aus  Bäumen  schnitt. 

Aus  wirrer  Luft  im  Vogel-Königreich, 

Und   mancher,   der  schon   tief  durch  Röhricht   glitt. 

Ein  weißes  Tier,   mit  Ausren  rund  und  weich. 

Vom  Herbst  verworfen.   Faule  Frucht  der  Jahre, 
Zerronnen  sommers  in  der  Gossen  Loch, 
Wir,  denen  langsam  auf  dem  kahlen  Haare 
Der  Julihitze  weiße  Spinne  kroch. 

Ruhen  wir  aus  im  stummen  Turm,  vergessen? 
Werden  wir  Welle  einer  Lethe  sein? 
Oder,  daß  Sturm  uns  treibt  um  Winteressen, 
Wie  Dohlen   reitend  auf  dem  Feuerschein? 

Werden  wir  Blumen  sein  ?  ^^  erden  wir  Vö2;el  werden. 
Im  Stolze  des  Blauen,  im  Zorne  der  Meere  weit? 
Werden  wir  wandern  in  den  tiefen  Erden, 
Maulwürfe   stumm   in   toter   Einsamkeit? 

Werden  wir  in  den  Locken  der  Frühe  wohnen. 

Werden  wir  blühen  im  Baum,  und  schlummern  in  Frucht, 

Oder  Libellen  blau  auf  den  See-Anemonen 

Zittern   am  Mittag   in  schweigender  Wasser  Bucht? 

Werden  wir  sein,  wie  ein  Wort  von  niemand  gehöret? 
Oder  ein  Rauch,  der  flattert  im  Abendraum? 
Oder  ein  Weinen,  das  plötzlich  Freudige  störet? 
Oder  ein  Leuchter  zur  Nacht?  Oder  ein  Traum? 

55 


/ 


Oder  —  wird  niemand  kommen? 
Und  werden  wir  langsam  zerfallen, 
In  dem  Geläcbter  des  Monds, 
Der  hoch  üher  \\  olken  saust, 
Zerbröckeln  in  [Nichts, 

—  Daß  ein  Kind  kann  zerballen 
Unsere  Größe  dereinst 

In  der  dürftigen  Faust. 

Wir,  ?samenlose,  arme  Unbekannte, 

In  leeren  Kellern  starben  wir  allein. 

Was  ruft  ihr  uns,  da  unser  Licht  verbrannte. 

Was  stört  ihr  unser  frohes  Stell-Dich-Ein? 

Seht  den  dort,  der  ein  graues  Lachen  stimmt 
Auf  dem  zerfallnen  Munde  fröhlich  an, 
Der  auf  die  Brust  die  lange  Zunge  krümmt, 
Er  lacht  euch  aus,  der  große  Pelikan. 

Er  wird  euch  beißen.  Viele  Wochen  weit 
Er  Geist  bei  Fischen.  Riecht  doch,  wie  er  stinkt. 
Seht,  eine  Schnecke  wohnt  ihm  noch  im  Haar, 
Die  spöttisch  euch  mit  kleinem  Fühler  winkt. 

—  Ein  kleines  Glöckchen  — .  Und  sie  ziehen  aus. 
Das  Dunkel  kriecht  herein  auf  schwarzer  Hand. 
Wir  ruhen  einsam  nun  im  weiten  Haus, 
Unzählige  Särge  tief  an  hoher  Wand. 

Was  kommt  er  nicht?  Wir  haben  Tücher  an 
Und  Totenschuhe.  Und  wir  sind  gespeist. 
Wo  ist  der  Fürst,  der  wandert  uns  voran. 
Des  große  Fahne  vor  dem  Zuge  reist? 

Wo  wird  uns  seine  laute  Stimme  wehen? 
In  welche  Dämmerung  geht  unser  Flug? 
Verlassen  in  der  Einsamkeit  zu  stehen 
Vor  welcher  leeren  Himmel  Hohn  und  Trug? 

Ewige  Stille.  Und  des  Lebens  Rest 
Zerwittert  und  zerfällt  in  schwarzer  Luft. 
Des  Todes  Wind,  der  unsre  Tür  verläßt. 
Die  dunkle  Lunge  voll  vom  Staub  der  Gruft, 


56 


Er  atmet  schwer  hinaus,  wo  Regen  rauscht, 
Eintönig,  fern,  Musik  in  unserm  Ohr, 
Das  dunkel  in  die  ?Sacht  dem  Sturme  lauscht, 
Der  ruft  im  Hause  traurig  und  sonor. 

Und  der  Verwesung  blauer  Glorienschein 
Entzündet  sich  auf  unserm  Angesicht. 
Ein  Ratte  hopst  auf  nacktem  Zehenbein, 
Komm  nur,  wir  stören  deinen  Hunger  nicht. 

^\  ir  zogen  aus,  gegürtet  wie  Giganten, 
Ein  jeder  klirrte  wie  ein  Goliath. 
jNun  haben  wir  die  Mäuse  zu  Trabanten, 
Und  unser  Fleisch  ward  dürrer  Maden  Pfad. 

^Vir,  Ikariden,  die  mit  weißer  Schwinge 
Im  blauen  Sturm  des  Lichtes  einst  gebraust, 
Wir  hörten  noch  der  großen  Türme  Singen, 
Da  rücklings  wir  in  schwarzen  Tod  gesaust. 

Im  fernen  Plan  verlorner  Himmelslande, 
Im  Meere  weit,  wo  fern  die  Woge  flog, 
Wir  flogen  stolz  in  Abendrotes  Brande 
Mit  Segeln  groß,  die  Sturm  und  Wetter  bog. 

Was  fanden  wir  im  Glanz  der  Himmelsenden? 
Ein  leeres  ^>ichts.  ^Sun  schlappt  uns  das  Gebein, 
Wie  einen  Pfennig  in  den  leeren  Händen 
Ein  Bettler  klappern  läßt  am  Straßenrain. 

Was  wartet  noch  der  Herr?  Das  Haus  ist  voll. 
Die  Kammern  rings  der  Karavanserei, 
Der  Markt  der  Toten,  der  von  Knochen  scholl, 
Wie  Zinken  laut  hinaus  zur  Wüstenei. 

ALBERT  EHRENSTEI^:  JULIAN 

Sonne,  goldener  Diskos  des  Titanen  Helios! 

Helios,  der  du,  knietief  watend  im  grauen  Weltall, 

Schleuderst  die  goldene  Scheibe! 

Kletterte  ich  nicht  an  des  Gebets  Mastbaum 

Nach  fernem  Himmel, 

Weinte  ich  nicht,  und  waren  die  Tränen 

Dir  nicht  gehorsam? 


57 


Opfernd  vergoß  ich  mein  Blut, 

Den  trostlosen,  rotschluchzenden  Mohn. 

Licht:  betend  starrt'  ich  dich  an. 

Bis  im  gelben  Sonnengespinst  die  Augen  starben. 

Nun  entsinkt  nicht  silberner  Punkt, 

Zitterlicht  keines  Sternes  der  Nacht. 

Aus  zermorschtem,  wipfellosem,  erdarmem  Stamm 

Streckt  mich  ein  Ast 

Auf  verfaulter,  taufrierender  Rinde : 

Des  kahlen  Holzes  letztes,  herbstverlorenes  Blatt. 

GEOR  TRAKL:  AN  DEN  KNABEN  ELIS 

Elis,  wenn  die  Amsel  im  schwarzen  Wald  ruft. 

Dieses  ist  dein  Untergang. 

Deine  Lippen  trinken  die  Kühle  des  blauen  Felsenquells. 

Laß,  wenn  deine  Stirne  leise  blutet. 

Uralte  Legenden 

Und  dunkle  Deutung  des  Vogelflugs. 

Du  aber  gelist  mit  weichen  Schritten  in  die  Nacht, 

Die  voll  purpurner  Trauben  hängt. 

Und  du  regst  die  Arme  schöner  im  Blau. 

Ein  Dornenbusch  tönt. 

Wo  deine  mondänen  Augen  sind. 

0,  wie  lange  bist,  Elis,  du  verstorben. 

Dein  Leib  ist  eine  Hyazinthe, 

In  die  ein  Mönch  die  wächsernen  Finger  taucht. 

Eine  schwarze  Höhle  ist  unser  Schweigen, 

Daraus  bisweilen  ein  sanftes  Tier  tritt 
Und  langsam  die  schweren  Lider  senkt. 
Auf  deine  Schläfen  tropft  schwarzer  Tau, 

Das  letzte  Gold  verfallener  Sterne. 

GEORG  TRAKL:  ELIS 
I» 

Vollkommen  ist  die  Stille  dieses  goldenen  Tags. 

Unter  alten  Eichen 

Erscheinst   du,    Elis,   ein    Ruhender   mit   runden   Augen. 


58 


Ihre  Bläue  spiegelt  den  Schlummer  der  Liebenden. 

An  deinem  Mund 

Verstummten  ihre  rosigen  Seufzer. 

Am  Abend  zog  der  B'ischer  die  schweren  Netze  ein. 

Ein  guter  Hirt 

Führt  seine  Herde  am  Waldsaum  hin. 

0!  wie  gerecht  sind,  Elis,  alle  deine  Tage. 

Leise  sinkt 

An  kahlen  Mauern  des  Ölbaums  blaue  Stille, 

Erstirbt  eines  Greisen  dunkler  Gesang. 

Ein  goldener  Kahn 

Schaukelt,  Elis,  dein  Herz  am  einsamen  HimmeL 

2. 

Ein  sanftes  Glockenspiel  tönt  in  Elis'  Brust 

Am  Abend, 

Da  sein  Haupt  in  schwarze  Kissen  sinkt. 

Ein  blaues  Wild 

Blutet  leise  im  Dornengestrüpp. 

Ein  brauner  Baum  steht  abgeschieden  da; 
Seine  blauen  Früchte  fielen  von  ihm. 

Zeichen  und  Sterne 

Versinken  leise  im  Abendweiher. 

Hinter  dem  Hügel  ist  es  Winter  geworden. 

Blaue  Tauben 

Trinken  nachts  den  eisigen  Schweiß, 

Der   von   Elis'    kristallener   Stirne  rinnt. 

Immer  tönt 

An  schwarzen  Mauern  Gottes  einsamer  Wind. 

LASKER-SCHÜLER  :  SENNA   HOY- 

Seit  du  begraben  liegst  auf  dem  Hügel, 
Ist  die  Erde  süß. 


59 


Wo  ich  hingehe  nun  auf  Zehen, 
Wandele  ich  über  reine  Wege. 

0  deines  Blutes  Rosen 
Durchtränken  sanft  den  Tod. 

Ich   habe   keine   Furcht   mehr 
Vor  dem  Sterben. 

Auf  deinem  Grabe  blühe  ich  schon 
Mit  den  Blumen  der  Schlingpflanzen. 

Deine  Lippen  haben  mich  immer  gerufen, 
Nun  weiß  mein  Name  nicht  mehr  zurück. 

Jede  Schaufel  Erde,  die  ich  barg. 
Verschüttete  auch  mich. 

Darum  ist  immer  Nacht  an  mir, 
Und  Sterne  schon  in  der  Dämmerung. 

Und  ich  bin  unbegreiflich  unseren  Freunden 
Und   ganz  fremd  geworden. 

Aber  du  stehst  am  Tor  der  stillsten  Stadt 
Und  wartest  auf  mich,  du  Großengel. 

ELSE   LASKER-SCHÜLER:    MEINE  MUTTER 

War  sie  der  große  Engel, 
Der  neben  mir  ging? 

Oder  liegt  meine  Mutter  begraben 
Unter  dem  Himmel  von  Rauch  — 

Nie  blüht  es  blau  über  ihrem  Tode. 
Wenn  meine  Augen  doch  hell  schienen 

Und   ilir   Licht  brächten. 

Wäre  mein  Lächeln  nicht  versunken  im  Antlitz, 

Ich  würde  es  über  ihr  Grab  hängen. 
Aber  ich  weiß  einen  Stern, 

Auf  dem  immer  Tag  ist; 


Den  will  ich  über  ihre  Erde  tragen. 


60 


Ich  werde  jetzt   immer  ganz   allein  sein 
Wie  der  große  Engel, 
Der  neben  mir  ging. 

JAKOB  VA.\  HODDIS:  DER  TODESEXGEL 

I 

Mit  Trommelwirbeln  geht  der  Hochzeitszug, 
In  seid'ner  Sänfte  wird  die  Braut  getragen, 
Durch  rote  Wolken  weißer  Rosse  Flug, 
Die  ungeduldig  gold'ne  Zäume  nagen. 

Der  Todesengel  harrt  in  Himmelshallen 
Als  wüster  Freier  dieser  zarten  Braut. 
Und  seine  wilden,  dunklen  Haare  fallen 
Die  Stirn  hinab,  auf  der  der  Morgen  graut. 

Die  Augen  weit,  vor  Mitleid  glühend  offen 
Wie  trostlos  starrend  hin  zu  neuer  Lust, 
Ein  grauenvolles,  nie  versiegtes  Hoffen, 
Ein  Traum  von  Tasen,  die  er  nie  gewußt. 

II 

Er  kommt  aus  einer  Höhle,  wo  ein  Knabe 
Ihn  als  Geliebte  wunderzart  umfing. 
Er  flog  durch  seinen  Traum  als  Schmetterling 
Und  ließ  ihn  Meere  sehn  als  Morgensabe. 

Lnd  Lüfte  Indiens,  wo  an  Fiebertagen 
Das  greise  Meer  in  gelbe  Buchten  rennt. 
Die  Tempel,  wo  die  Priester  Cymbeln  schlagen. 
Um  Öfen  tanzend,  wo  ein  Mädchen  brennt. 

Sie  schluchzt  nur  leise,  denn  der  Schar  Gesinge 
Zeigt  ihr  den  Götzen,  der  auf  Wolken  thront 
Lnd  Totenschädel  trägt  als  Schenkelringe, 
Der   Flammenqual   mit    schwarzen   Küssen   lohnt. 

Betrunkne  tanzen  nackend  zwischen  Degen, 
Und  einer  stößt  sich  in  die  Brust  und  fällt. 
Und  während  blutig  sich  die  Schenkel  regen. 
Versinkt  dem  Knaben  Tempel,  Traum  und  Welt. 


6i 


III 

Dann  flog  er  hin  zu  einem  alten  Manne 

Und  kam  ans  Bett  als  grüner  Papagei. 

Und  krächzt  das  Lied:  ,,0  schmähliche  Susanne!" 

Die  längst  vergeßne  Jugendlitanei. 

Der  stiert  ihn  an.  Aus  Augen  glasig  blöde 
Blitzt  noch  ein  Strahl.  Ein  letztes  böses  Lächeln 
Zuckt  um  das  zahnlose  Maul.  Des  Zimmers  Öde 
Erschüttert  jäh  ein  lautes  Todesröcheln. 

1\' 

Die  Braut  friert  leise  unterm  leichten  Kleide. 
Der  Engel  schweigt.  Die  Lüfte  ziehn  wie  krank. 
Er  stürzt  auf  seine  Knie.  Nun  zittern  beide. 
Vom  Strahl  der  Liebe,  der  aus  Himmeln  drang. 

Posaunenschall  und  dunkler  Donner  lachen. 
Ein  Schleier  überflog  das  Morgenrot. 
Als  sie  mit  ihrer  zärtlichen  und  schwachen 
Bewegung  ihm  den  Mund  zum  Küssen  bot. 

GEORG  HEYM:  OPf/EL/A 
I 

Im  Haar  ein  Nest  von  jungen  Wasserratten, 
Und  die  beringten  Hände  auf  der  Flut 
Wie  Flossen,  also  treibt  sie  durch  den  Schatten 
Des  großen  Urwalds,  der  im  Wasser  ruht. 

Die  letzte  Sonne,  die  im  Dunkel  irrt. 
Versenkt  sich  tief  in  ihres  Hirnes  Schrein. 
Warum  sie  starb?  Warum  sie  so  allein 
Im  Wasser  treibt,  das  Farn  und  Kraut  verwirrt? 

Im  dichten  Röhricht  steht  der  Wind.  Er  scheucht 
Wie  eine  Hand  die  Fledermäuse  auf. 
Mit  dunklem  Fittich,  von  dem  Wasser  feucht 
Stehn  sie  wie  Rauch  im  dunklen  Wasserlauf, 

Wie  Nachtgewölk.  Ein  langer,  weißer  Aal 
Schlüpft  über  ihre  Brust.  Ein  Glühwurm  scheint 
Auf  ihrer  Stirn.  Und  eine  Weide  weint 
Das  Laub  auf  sie  und  ihre  stumme  Qual. 


62 


II 

Korn.  Saaten.  Und  des  Mittags  roter  Schweiß. 
Der  Felder  gelbe  ^^'inde  schlafen  still. 
Sie  kommt,  ein  Vogel,  der  entschlafen  will. 
Der  Schwäne  Fittich  überdacht  sie  weiß. 

Die  blauen  Lider  schatten  sanft  herab. 
Und  bei  der  Sensen  blanken  Melodien 
Träumt  sie  von  eines  Kusses  Karmoisin 
Den  ewigen  Traum  in  ihrem  ewigen  Grab. 

Vorbei,  vorbei.  Wo  an  das  Ufer  dröhnt 
Der  Schall  der  Städte.  Wo  durch  Dämme  zwingt 
Dei    weiße   Strom.   Der  Widerhall   erklingt 
Mit  weitem  Echo.  Wo  herunter  tönt 

Hall  voller  Straßen.  Glocken  und  Geläut. 
Maschinenkreischen.   Kampf.   Wo  westlich  droht 
In  blinde  Scheiben  dumpfes  Abendrot, 
In  dem  ein  Kran  mit  Riesenarmen  dräut, 

Mit  schwarzer  Stirn,  ein  mächtiser  Tyrann, 
Ein  Moloch,  drum  die  schwarzen  Knechte  kien. 
Last  schwerer  Brücken,  die  darüber  ziehn 
Wie  Ketten  auf  dem  Strom,  und  harter  Bann.  - 

Unsichtbar  schwimmt  sie  in  der  Flut  Geleit, 
Doch  wo  sie  treibt,  jagt  weit  den  Menschenschweirm 
Mit  großem  Fittich  auf  ein  dunkler  Harm, 
Der  schattet  über  beide  Ufer  breit. 

Vorbei,  vorbei.   Da  sich  dem  Dunkel  weiht 
Der  westlich  hohe  Tag  des  Sommers  spät. 
Wo  in  dem  Dunkelgrün  der  Wiesen  steht 
Des  fernen  Abends  zarte  Müdigkeit. 

Der  Strom  trägt  weit  sie  fort,  die  untertaucht. 
Durch  manchen  Winters  trauervollen  Port. 
Die  Zeit  hinab.  Durch  Ewigkeiten  fort. 
Davon  der  Horizont  wie  Feuer  raucht. 

63 


ALBERT  EHRENSTEIN: 

DER  EWIGE  SCHLAF 

Ich  war  der  silberschenklige  Schenke 

Und  schenkte  den  weltentrückenden  Wein. 

Bin  ich  entwirbelt  schon  dem  Freudentanz  der  Zelten, 

Hat  schon  die  Lust  sich  drehend  umgeschwungen 

In  Trauer? 

Rollend  liegt  das  reiche  Jahr 
Vor  meinen  Sandalen, 
Ich  aber  muß  verhetzt  und  wund, 
Bloßfüßig  über  Stoppelfelder. 

Im  Fließen  des  Wassers  seh'  ich  den  Durst, 

Im  Leuchten  der  Sonne  Nacht  ohne  Sterne. 

Genuß  verlor  mir  allen  Leib, 

Aus  Hören  wurden  Keren. 

Der  Erinnerung  Wälder,  so  todesstille, 

Kamen  und  Unkenrufe. 

Was  wollt  ihr  Weiber,  arm  und  nackt, 
Schmerz,  Liebesfurchen  um  die  jungen  Augen  ? 
Nicht  acht'  ich  eure  leichte  Landschaft, 
Das  windgewiegte  Schlummergras. 
Ich  höre  euer  Haar  ergrauen! 

Ich?  Wer  bin  ich? 

Ich  bin  ein  Zeitblock, 

Der  bröckelt  ab  und  fällt  zurück  ins  Meer. 

Ich  bin  ein  Winselwind,  der  Pfützen  trübt, 

Ich  bin  der  Blitz,  der  zuckend  verzuckt. 

Ich  bin  der  Schnee,  der  kommt  und  vergeht. 

Ich  bin  die  Ruderspur,  die  im  Teiche  sich  verliert, 

Ich  bin  der  Samen  im  Schoß  einer  Hure! 

So  laß  auch  Du  die  purpurne  Gebärde, 

Du  bist  der  gute  Tod, 

Ich  bin  ein  Häuflein  Erde. 

O  komme  bald  und  menge  mich, 

Erde  in  die  Erde. 


64 


Oskar  Kokoschka 


Albert  Ehrenstein 


FRANZ  WERFEL:  TRINKLIED 

Wir  sind  wie  Trinker, 

Gelassen  über  unsern  Mord  gebeugt. 

In  schattiger  Ausflucht 

Wanken  wir  dämmernd. 

Welch  ein  Geheimnis  da? 

Was  klopft  von  unten  da? 

Nichts,  kein  Geheimnis  da, 

Nichts  da  klopft  an. 

Laß  du  uns  leben! 

Daß  wir  uns  stärken  an  letzter  Eitelkeit, 

Die  gut  trunken  macht  und  dumpf! 

Laß  uns  die  gute  Lüge, 

Die  wohlernährende  Heimat! 

Woher  wir  leben? 

Wir  wissen's  nicht .  . . 

Doch  reden  wir  hinüber,  herüber 

Zufälliges  Zungenwort. 

Wir  wollen  nicht  die  Arme  sehn, 

Die  nachts  aus  schwarzem  Flusse  gtehn. 

Ist  tiefer  Wald  in  uns,  ? 

Glockenturm  über  Wipfeln?  i 

Hinweg,  hinweg!  ! 

Wir  leben  hin  und  her.  1 

Reich  du  voll  schwarzen  Schlafes  uns  den  Krug!  ^ 

Laß  du  uns  leben  nur,  | 

Und  trinken  laß  uns,  trinken!  j 

Docli  wenn  ihr  wachtet!  | 

Wenn  ich  wachte  über  nieinem  Mord! 

Wie  flöhen  die  Füße  mir!  j 

Unter  den  Ulmen  hier  war'  ich  nicht. 

An   keiner  Stätte  wäre  ich. 

Die  Bäume  bräunten  sich, 

Wie  Henker  stünden  die  Felsen! 

In  jedes  Feuer  würf  ich  mich. 

Schmerzlicher  zu  zerglühn! 

67 


Trinker  sind  wir  über  unserem  Mord. 

Wort  deckt  uns  warm  zu. 

Dämmerung  und  in  die  Lampe  Sehnl 

Ist  kein  Geheimnis  da? 

Nein,  nichts  da! 

Kommt  denn  und  singt  ihr! 

Und  ihr  mit  Kaslagnetten,  Tänzerinnen! 

Herbei!  Wir  wissen  nichts. 

Kämpfen  wollen  wir  und  spielen. 

Nur  trinken,  trinken  laß  du  uns! 


GEORG  TRAKL:  HELIAN 

In  den  einsamen  Stunden  des  Geistes 

Ist  es  schön,  in  der  Sonne  zu  gehn 

An  den  gelben  Mauern  des  Sommers  hin. 

Leise  klingen  die  Schritte  im  Gras;  doch  immer  schläft 

Der  Sohn  des  Pan  im  grauen  Marmor. 

Abends  auf  der  Terrasse  betranken  wir  uns  mit  braunem  Wein. 
Rötlich  glüht  der  Pfirsich  im  Laub; 
Sanfte  Sonate,  frohes  Lachen. 

Schön  ist  die  Stille  der  Nacht. 

Auf  dunklem  Plan 

Begegnen  wir  uns  mit  Hirten  und  weißen  Sternen. 

Wenn  es  Herbst  geworden  ist, 

Zeigt  sich  nüchterne  Klarheit  im  Hain. 

Besänftigte  wandeln  wir  an  roten  Mauern  hin 

Und  die  runden  Augen  folgen  dem  Flug  der  Vögel. 

Am  Abend  sinkt  das  weiße  Wasser  in  Graburnen. 

In  kahlen  Gezweigen  feiert  der  Himmel. 

In  reinen  Händen  trägt  der  Landmann  Brot  und  Wein 

Und  friedlich  reifen  die  Früchte  in  sonniger  Kammer. 

0  wie  ernst  ist  das  Antlitz  der  teueren  Toten. 
Doch  die  Seele  erfreut  gerechtes  Anschaun. 

Gewaltig  ist  das  Schweigen  des  verwüsteten  Gartens, 

Da  der  junge  Novize  die  Stirne  mit  braunem  Laub  bekränzt, 

Sein  Odem  eisiges  Gold  trinkt. 

68 


Die  Hände  rühren  das  Alter  bläulicher  Wasser 

Oder  in  kalter  ISacht  die  weißen  Wangen  der  Schwestern. 

Leise  und  harmonLäch  ist  ein  Gang  an  freundlichen  Zimmern 

hin. 
Wo  Einsamkeit  ist  und  das  Rauschen  des  Ahorns, 
Wo  vielleicht  noch  die  Drossel  singt. 

Schön  ist  der  Mensch  und  erscheinend  im  Dunkel, 

Wenn  er  staunend  Arme  und  Beine  bewegt, 

Und  in  purpurnen  Höhlen  stille  die  Augen  rollen. 

Zur    Vesper    verliert   sich   der    Fremdling   in   schwarzer    No- 
vemberzerstörung, 
Unter  morschem  Geäst,  an  Mauern  voll  Aussatz  hin, 
Wo  vordem  der  heilige  Bruder  gegangen. 
Versunken  in  das  sanfte  Saitenspiel  seines  Wahnsinns. 

0  wie  einsam  endet  der  Abendwind. 

Ersterbend  neigt  sich  das  Haupt  im  Dunkel  des  Ölbaums, 

Erschütternd  ist  der  Untergang  des  Geschlechts. 

In  dieser  Stunde  füllen  sich  die  Augen  des  Schauenden 

Mit  dem  Gold  seiner  Sterne. 

Am  Abend  versinkt  ein  Glockenspiel,  das  nicht  mehr  tönt. 
Verfallen  die  schwarzen  Mauern  am  Platz, 
Ruft  der  tote  Soldat  zum  Gebet. 

Ein  bleicher  Engel 

Tritt  der  Sohn  ins  leere  Haus  seiner  Väter. 

Die  Schwestern  sind  ferne  zu  weißen  Greisen  gegangen. 
Nachts  fand  sie  der  Schläfer  unter  den  Säulen  im  Hausflur, 
Zurückgekehrt  von  traurigen  Pilgerschaften. 

0  wie  starrt  von  Kot  und  Würmern  ihr  Haar, 

Da  er  darein  mit  silbernen  Füßen  steht, 

Und  jene  verstorben  aus  kahlen  Zimmern  treten. 

0  ihr  Psalmen  in  feurigen  Mitternachtsregen, 

Da  die  Knechte  mit  Nesseln  die  sanften  Augen  schlugen. 

Die  kindlichen  Früchte  des  Holunders 

Sich  staunend  neigen  über  ein  leeres  Grab. 


*0'' 


69 


Leise  rollen  vergilbte  Monde 

Über  die  Fieberlinnen  des  Jünglings, 

Eh.  dem  Schweigen  des  Winters  folgt. 

Ein  erhabenes  Schicksal  sinnt  den  Kidron  hinab, 

Wo  die  Zeder,  ein  weiches  Geschöpf, 

Sich  unter  den  blauen  Brauen  des  Vaters  entfaltet. 

Über  die  Weide  nachts  ein  Schäfer  seine  llerde  führt. 

Oder  es  sind  Schreie  im  Schlaf, 

Wenn  ein  eherner  Engel  im  Ilain  den  Menschen  antritt. 

Das  Fleisch  des  Heiligen  auf  glühendem  Host  hinschmilzt. 

Um  die  Lehmhütten  rankt  purpurner  Wein, 

Tönende  Bündel  vergilbten  Korns, 

Das  Summen  der  Bienen,  der  Flug  des  Kranichs. 

Am  Abend  begegnen  sich  Auferstandene  auf  Felsenpfaden. 

In  schwarzen  Wassern  spiegeln  sich  Aussätzige;  i 

Oder  sie  öffnen  die  kolbef leckten  Gewänder 

Weinend   dem  balsamischen    Wmd,   der  vom  rosigen  Hügel  \ 

weht. 

Schlanke  Mägde  tasten  durch  die  Gassen  der  Nacht, 

Ob  sie  den  liebenden  Hirten  fänden.  ^ 

Sonnabends  tönt  in  den  Hütten  sanfter  Gesang.  ■ 

Lasset  das  Lied  auch  des  Knaben  gedenken. 

Seines  Wahnsinns,  und  weißer  Brauen  und  seines  Hingangs, 

Des  Verwesten,  der  bläulich  die  Augen  aufschlägt. 

0  wie  traurig  ist  dieses  Wiedersehn. 

Die  Stufen  des  Wahnsinns  in  schwarzen  Zimmern, 
Die  Schatten  der  Allen  unter  der  offenen  Tür, 
Da  Helians  Seele  sich  im  rosigen  Spiegel  beschaut 
Und  Schnee  und  Aussatz  von  seiner  Stirne  sinken. 

An  den  Wänden  sind  die  Sterne  erloschen 
Und  die  weißen  Gestalten  des  Lichts. 

Dem  Teppich  entsteigt  Gebein  der  Gräber, 
Das  Schweigen  verfallener  Kreuze  am  Hügel, 
Des  Weihrauchs  Süße  im  purpurnen  Nachtwind. 

70 


0  ikr  zerbrochenen  Augen  in  schwarzen  Mündern, 

Da  der  Enkel  in  sanfter  Umnachtung 

Einsam  dem  dunkleren  Ende  nachsinnt, 

Der  stille  Gott  die  blauen  Lider  über  ihn  senkt. 

ALBERT  EHRENSTEIN:  DIE  GÖTTER 
Uns  Gefesselte  umringen 
Teufel,  die  uns  tierisch  zwingen. 
Mich  verfluch'  ich,  der  ich  kam. 
Ehe  Licht  die  Erde  nahm. 

Kein  Segel  blüht  uns  im  Winde. 

Sturm  ward.  Freunde, 

Die  Ilaare  verschnitten,  die  Füße  vereist, 

Dem  Werk  entritten,  leibverlöteter  Geist, 

Slallwachend  beriechen  Roßäpfel  zur  nächtlichen  Stunde. 

Oder  verstummt  in  Verstümmlung, 

Die  entwandelte  Hand  vom  trauernden  Mantelärmel  um- 

plodert, 
Krückten  sie  sich  die  Wand  entlang. 
Bis  sie  die  Erde  verschlang. 

Klagend  verließ  ich  sie; 

Niemand  liebt  mich  auf  Erden, 

So  lechze  ich  nicht,  mein  Blut  zu  vergießen, 

Niemand  freut  sich  der  Spende. 

Schmerzgebild  aus  Grauen  und  Gram 

Nicht  mehr  tröstete  mich  die  Wiese, 

Der  Heimat  zärtlicher  Halm, 

Im  Traume  floh  ich  ins  Dschungel. 

Nicht  da,  nicht  dorti 

Ein  Königstiger  auf  Java, 

Stark  und  sein  eigener  Gott, 

—  Zerkrümmt  verging  ich  unter  seinen  Pranken. 

Letzter  Atem  entsank.  Die  Seele  stieg.  Nicht  hoch. 

Ilinsirrend  über  falile  Moore, 

Im  schwarzen  Schwärm  der  Schatten, 

Fern  den  herrlichen 

Gestaden  Gottes 

Schaute  sie  nur  die  Götter. 

Näher  stob  ich  dem  flirrenden  Reigen, 

Hob  mich  betend  hinan  meinem  Gott: 

71 


„Phoibos  ApoUon, 

Neunfach  um  tanzt  dich  der  Tag  mit  rosigen  Musen, 

Was  klirrt  deine  schicksalbehangene  Schulter? 

Niemand  verletzte  den  Chryses. 

Deine  vergoldeten  Priester  beleidigen  dich? 

Verseuchten  Halbdichter  den  Vers,  Zeithunde  die  Zeitung, 

Schone  das  schuldlose  Volk, 

Gnädig  umwandle  dein  Reich, 

Erstick'  uns  nicht  in  Pest  und  gelber  Verwesung  1" 

Antwortend  umdrang  mich  unfriedlicher  Berggesang: 

„Ihr  redet  gern  vom  Glücke, 

Und  lebet  lustzerschabt, 

Doch  hat  euch  viel  geliebt,  gelabt. 

War  es  der  Weiber  Lücke. 

Euch  Zwerge  wirbeln  die  Winde, 
Bis  ihr  am  Felsen  zerschellt, 
Ihr  torkelt,  trunkene  Blinde, 
Von  Asche  zur  Asche  gefällt. 

Über  dem  Schiffbruch  irdischer  Gewalten 

Wehen  wir  Götter  selig  dahin. 

Euch  frommt  nach  Feldgreueln  brandschwarzes  Erkalten, 

Wir  sind  die  Freude,  wir  sind  der  Sinn. 

Die  ihr  Gott  und  Wort, 
Tatherz  verlort, 
Zum  Kampf  verdammt 
Rafft  ihr  euch  fort, 

Narren,  Scharen  der  Waren  I 
Über  Felsen  der  Zeit 
Blutsturz  rot  rollt, 
Ihr  sollt  euch  töten,  Barbaren!" 

Da  blickte  ich  alles  versteinert. 

Der  greise  Zeus  verfolgt  noch  das  Kuhweib, 

Wodans  Einaug  zu  Ehren  schnarrt  das  Einglas  im  Feld. 

Sah  Mohammed,  ferne  dem  Gipfel  des  Sieges, 

Wegmüde  zum  Berg,  der  stets  weiter  zurückweicht. 

Jesus  Christus  hütet  das  Holz, 

Starr  genagelt  ans  Kreuz. 


72 


Vergebens  war  das  Gebet  der  dreißig  Gerechten. 

Aus  Mordnächten  des  .Nordens 

Scholl  unendliche  Klage, 

Jammer  zerhackte  mein  Herz, 

Israel  winselt  im  \\  inter, 

Der  Ewige 

Beschneidet  sein  Volk. 

Gegen  den  unerbittlichen  Dornbusch  warf  sich  die  Seele, 

Ob  sie  dem  Zorn  sich  als  Opfer  vermähle : 

,,In  den  Marmorbrüchen  von  Cajrara 

Dünkte  sich  dein  Volk  geboren, 

Eckstein  ward  es  dann  den  Hunden, 

Auserkoren!  Auserkoren  I 

Du  hast  es  gesendet 

Unter  die  Sichel  wagen  deines  Grimmes! 

In  dir  ist  es  beendet, 

Wer  hat  dich  ausgeboren?" 

ISicht  nahm  er  mich  an, 

Aus   unerforschlichem   Nebel-Nirwana 

überkam  mich  im  Grauen  Gruß  des  Suddhodana : 

„Die  ihr  herrschet:  lebt,  ihr  kennt  mich  nicht. 

Was  da  icht,  sieht  sein  Gesicht. 

Sterbet  bis  ins  wärmste  Seelenherz  I 

Schmutz  ist  Leben,  Erde  Schmerz. 

Raum,  du  Trübsal, 

Wahn  die  Zeit, 

Im  Weltwirrsal 

Sei  der  Tod  gebenedeit." 

Sprach  der  Teufel  traumesschlau: 

„0,  wie  leicht  verweht  selbst  dieses  Blau! 

Im  Wunder  seid  ihr  Götter  nicht  bewandert. 

Keiner  ist  Meister  des  Baus, 

Da  immer  das  Heiligtum  hinwelkt. 

Auf  den  Häuptern  der  Asketen  paaren  sich  Insekten! 

Ist  euch  Vormenschen  das  Ewige  unerreichbar. 

Knirscht  nicht  vor  Göttern  um  irdische  Hilfe. 

Die  zeitliche  Losung  keimt  auch  in  euerem  Hirn. 


73 


Im  Hahnenkampf  der  Völkei* 

Anschwillt  manch   Vaterland. 

IVichl  lockt  es,  namenlos  im  stumpfen  Heerwald 

Milzuheulen  das  Erzgebrüll  der  Schlachten, 

Tiefere  Schmerzen  pflanzt  in  Heldenzähne  der  Geist. 

Weh  über  die  Infuln-Helmel 

Abkratzt  den  jesuitischen  Kanonenchristen 

Die  bluteiternde  Kruste I 

Nicht  jung  mit  den  verbrauchten   Schatten 

Hinwandern  über  die  Wiesel 

Erst  wenn  euch  Vergehenden  der  Tod  nicht  mehr  gilt. 

Atmet,  Assassinen,  die  Amokluft 

In  Kämpfen  mit  den  waJiren  Barbarenzaren: 

Aller  Welt  Geldfürslen. 

Erdherrn,  die  nach  Übermacht  dürsten. 

Muß  man  die  Glut 

Löschen  mit  ihrem  Blut. 

Glückt  es  den  Brownings,  den  Bomben, 

Fallen  weniger  Heerhekatomben  1" 

Und  rettete  steil  ich  mich  aus  dem  Traum  hervor, 
Ich.  auch  ich,  ich  habe  gemordet! 
Bitteres  essen  die  Menschen, 

FRANZ  WERFEL:   WARUM  MEIN  GOTT 
Was  schufst  Du  mich,  mein  Herr  und  Gott, 
Der  ich  aufging,  unwissend  Kerzenlicht, 
Und  dabin  jetzt  im  Winde  meiner  Schuld, 
Was  schufst  Du  mich,  mein  Herr  und  Gott, 
Zur  Eitelkeit  des  Worts, 
Und  daß  ich  dies  füge, 
Und  trage  vermessenen  Stolz, 
Und  in  der  Ferne  meiner  selbst 
Die  Einsamkeit?! 
Was  schufst  Du  mich  zu  dem,  mein  Herr  und  Gott? 

Warum,  warum  nicht  gabst  Du  mir 

Zwei  Hände  voll  Hilfe, 

Und  Augen,  waltend  Doppelgestirn  des  Trostes? 

Und  eine  Stimm  aprilen,  regnend  Musik  der  Güte, 

Und  Stirne  überhangen 

Von  süßer  Lampe  der  Demut? 

74 


Und  einen  Schritt  durch  tausend  Straßen, 
Am  Abend  zu  tragen  allo 

Glocken  der  Erde  , 

Ins  Herz,  ins  Herze  des  Leidens  ewiglich?! 

Siehe,  es  fiebern 

So  viele  Kindlein  jetzt  im  Abendbett, 

Und  JNiobe  ist  Stein  und  kann  nicht  weinen. 

Und  dunkler  Sünder  starrt 

In  seines  Himmels  Ausgemessenheit. 

Und  jede  Seele  fällt  zur  Nacht 

Vom  Baum,  ein  Blatt  im  Herbst  des  Traumes. 

Und  alle  drängen  sich  um  eine  Wärme, 

Weil  Winter  ist 

Und  warme  Schmerzenszeit. 

WcU-um,  mein  Herr  und  Gott,  schufst  Du  mich  nicht. 
Zu  Deinem  Seraph,  goldigen,  willkommenen. 
Der  Hände  Kristall  auf  Fieber  zu  legen. 
Zu  gehn  durch  Türenseufzer  ein  und  aus?! 
Gegrüßet  und  geheißen: 

Schlaf,  Träne,  Stube,  Kuß,  Geraeinschaft,  Kindheit,  mütter- 
lich?! 
Und  daß  ich  raste  auf  den  Ofenbänken, 
Und  Zuspruch  bin,  und  Balsam  Deines  Hauses, 
Nur  Flug  und  Botengang,  und  mein  nichts  weiß. 
Und  im  Gelock  den  Frühtau  Deines  Angesichts! 


FRANZ  WERFEL:  WIR  NICHT 

Ich  lauschte  in  die  Krone  des  Baums;  —  da  hieß  es  im  Laub: 

Noch  —  nicht! 
Ich  legte  das  Ohr  an  die  Erde;  —  da  klopft's  unter  Kraut  und 

Staub: 

Noch  —  nicht! 
Ich  sah  mich  im  Spiegel;  mein  Spiegelbild  grinste: 

Du  —  nicht! 

Das  war  mein  Gericht. 

Ich  verwarf  mein  Lied, 

Und  das  lüsterne  Herz,  das  sich  nicht  beschied. 


75 


Ich  trat  auf  die  Straße.  Sie  strömte  schon  abendlich. 

Auf  der  Stirne  der  Menschen  fand  ich  das  Wort:  Wir  nicht. 

Doch  in  allen  Blicken  las  ich  geheimnisvoll  ein  Lob, 

Und  wußte :  Auch  ich  vom  lauten  Trug  entstellt 

Werde  nochmals  begonnen,  weil  neu  ein  Schoß  mich  hält 

Wie  adl  dies  Wesen  um  mich.  Da  lobte  ich  den  Tod, 

Und  weinend  pries  ich  allen  Samen  in  der  Welt. 


76 


ERWECRUNG  DES  HERZENS 


ALFRED  WOLFENSTEIN:  DAS  HERZ 
Vergessen  lag  das  Herz  in  unsrer  Brust, 
Wie  lang!  ein  Kiesel  in  des  Willens  Lust, 
Nur  mit  den  wasserkühlen  spiegelnden  Händen 
Manchmal  berührt,  unbewußt. 

Einsiedlerisch   in  sich  geschweift  so  klein, 

Nicht  nötig  für  den  lückenlosen  Stein 

Der  großen  Stadt  und  für  den  stählernen  Geldlhron, 

In  spitzes  Rad  griff  volles  Herz  nicht  ein. 

Doch  einmal  endet  der  entseelte  Lauf, 

Nie  steigt  aus  Umwelt  Licht  herauf. 

Was  uns  umscheint,  ist  Himmel  nie!  Der  Morgen 

Bricht  innen  aus  dem  Menschen  auf  — 

Das  Herz  —  das  schmal  wie  eine  Sonne  brennt, 
Doch  Sterne  rings  nach  seinen  Strahlen  nennt, 
Das  kleine  Herz  blickt  unermeßlich 
Aus  seiner  Menschenseele  Firmament! 

0  Stirn,  das  Zeichen  dieses  Herzens  trag. 
Gedanken,  tiefer  hallt  von  seinem  Schlag, 
Das  Herz  wird  die   gewaltige  Einheit  innen! 
Im  Weltall  leuchtets  als  des  Menschen  Tag. 

ITUNZ  WERFEL:  DER  DICKE  MANN  IM  SPIEGEL 
Ach  Gott,  ich  bin  das  nicht,  der  aus  dem  Spiegel  stiert, 
Der  Mensch  mit  wüdbewachsner  Brust  und  unrasiert. 

Tag  war  heut  so  blau, 

Mit  der  Kinderfrau 
Wurde  ja  im  Stadtpark  promeniert. 

Noch  kein  Matrosenanzug  flatterte  mir  fort 
Zu  jenes  strengverschlossenen  Kastens  Totenort. 

Eben  abgelegt, 

Hängt   er  unbewegt,         * 
Klein  und  müde  an  der  Türe  dort. 

Und  ward  nicht  in  die  Küche  nachmittags  geblickt, 
Kaffee  roch  winterlich  und  Uhr  hat  laut  getickt, 

Lieblich  stand  verwundert, 

Der  vorher  getschundert 
Übers  Glatteis  mit  den  Brüderchen  geschickt- 

79 


Auch  hat  die  Frau  mir  heut  wie  immer  Angst  gemacht. 
Vor  jenem  Wächter  Kakitz,  der  den  Park  bewacht. 

Oft  zu  schnöder   Zeit, 

Hör  im  Traum  ich  weit 
Diesen  Teufel  säbelschleppen  in  der  Nacht. 

Die  treue  Alte,  waurum  kommt  sie  denn  noch  nicht? 
Von  Schlafesnähe  allzuschwer  ist  mein  Gesicht. 

Wenn  sie  doch  schon  käme 

Und  es  mit  sich  nähme, 
Das  dort  oben  leise  singt,  das  Licht! 

Ach  abendlich  besänftigt  tönt  kein  stiller  Schritt, 
Und  Babi  dreht  das  Licht  nicht  aus  luid  nimmt  es  mit. 

Nur  der  dicke  Mann 

Schaut  mich  hilflos  an. 
Bis  er  tieferschrocken  aus  dem  Spiegel  tritt. 


PAUL  ZECH: 

AUSDENFENSTERN  EINES  KESSELHAVSES 

Schon  hat  die  Glut  mich  eisern  abgeschraubt 
vom  Tag.  Es  war  ein   karges  Gartenglück: 
halb  Traum,  halb  in  die  Wirklichkeit  zurück. 
Und  dennoch  war  ich  vom  Azur  belaubt. 

Dies  Blaue,  dieses  Gott  und  Kindern  gute  Tun 
war  nur  zu  kurz,  war  Diebstahl  an  dem  Blut, 
womit  ich  dienen  muß  in  harten  Schuhn, 
für  einen  Herrn,  daß  sich  vermehr'  sein  Gut. 

Er  will  von  mir  nicht  weniger  als  das, 
wofür  ich  bin  mit  Atem,  Muskel,  Hirn. 
Was  bleibt  mir  anders  noch  als  roter  Haß 
im  Herzen,  und  die  Adern  auf  der  Stirn? 

Vergehenden   Gesichts,  ein  Rad  in   dem  Betrieb : 
was  bleibt  mir  anderes  noch  als  mich  zu  drehn 
auf  Noten,  die  ich  blindlings  unterschrieb. 
Ich  habe  nicht  mehr  Kraft  zurückzugehn. 

80 


Das  Feuer  loht,  die  Kessel  wachsen  aus 

im  Unterirdischen  gewaltig  breit. 

Doch  im  Gewölbe  dieses  Höllenbaus 

bleibt  eine  Stunde  auf,  wo  niemand  nach  mir  schreit. 

Ein  Fensterloch  geschnitten  in  die  Nacht : 
da  press'  ich  mein  Gesicht  hinein  und  fühl 
wie  ein  Gewühl  mein  Auge  weicher  macht 
mit  wehendem  Gehauch,  und  Tropfen  kühl. 

Bist  Du  es  Wald,  den  immer  ich  durchmaß 
wenn   ISacht  die  Stämme  mauerhaft  umschwoll  ? 
Ich  weiß  nur,  daß  ich   einmal  dich  besaß 
blühenden  Grüns  im  Mai  die  Fäuste  voll. 

Jetzt  schließt  der  Mond  dich  auf  unendlich  tief. 
Und  Wipfel  scheinen  weiß  und  kummerlos. 
Und  wie  schon  einmal  mich  ein  Schauer  überlief 
vor  einem  Auge  schwarz,  wie  eines  Gottes  groß : 

erschreckt  mich  des  Gewässers  dunkles   Glas 
herwehend  dieser  Erde  Seele.  Mir  herzu 
die  Jugend  wieder,  die  ich  nie  besaß, 
nur  eines  Vaters  rutenhartes  Du. 

Es  rinnt  und  rauscht  und  duftet  unsichtbar 
und  schwemmt  das  Böse  fort:  nun  bist  du  alt! 
Schon  treffen  Zweite  mein  verwehtes  Haar, 
und  Flaum  der  Laubs  hat  über  mich  Gewalt. 

Die  Kesselfeuer  löschen  alle  aus 
in  mir.  Die  harten  Schwielen  sie  vergehn. 
Gesemg  der  Ferne  donnert  durch  das  Haus. 
Vor  Sternen  sind  die  Räder  nicht  zu  sehn. 

Da  ist  nicht  Sein  .  . .  und  ist  doch  meine  Welt 
mit  Lichtern  und  verklärtem  Tun, 
klingt  wie  aus  mir  und  ist  um  mich  gestellt 
auf  einer  Insel  heüig  auszuruhn. 


8i 


ALFRED  LICHTENSTEIN  :  SPAZIERGANG 

Der  Abend  kommt  mit  Mondschein  und  seidner  Dunkelheit. 
Die  Wege  werden  müde.  Die  enge  Welt  wird  weit. 

Opiumwinde  gehen  feldein  und  feldhinaus. 
Ich  breite  meine  Augen  wie  Silberflügel  aus. 

Mir  ist,  als  ob  mein  Körper  die  ganze  Erde  war. 

Die  Stadt  glimmt  auf:  Die  tausend  Laternen  wehn  umher. 

Schon  zündet  auch  der  Himmel  fromm  an  sein  Kerzenlicht. 
. .  .  Groß  über  alles  wandert  mein  Menschenangesicht  — 

ERNST  WILHELM  LOTZ:  GLANZGESANG 

Von  blauem  Tuch  umspannt  und  rotem  Kragen, 

Ich  war  ein  Fähnrich  und  ein  junger  Offizier. 

Doch  jene  Tage,  die  verträumt  manchmal  in  meine  Nächte 

ragen. 
Gehören  nicht  mehr  mir. 

Im  großen  Trott  bin  ich  auf  harten  Straßen  mitgeschritten. 
Vom  Staub  der  Märsche  und  vom  grünen  Wind  besonnt. 
Ich  bin  durch  staunende  Dörfer,  durch  Ströme  und  alte  Städte 

geritten. 
Und  das  Leben  war  wehend  blond. 

Die  Biwakfeuer  flammten  wie  Sterne  im  Tale, 
Und  hatten  den  Himmel  zu  ihrem  Spiegel  gemacht. 
Von  schwarzen  Bergen  drohten  des  Feindes  Alarm-Fanale, 
Und  Feuerballen  zersprangen  prasselnd  in  Nacht. 

So  kam  ich,  braun  vom  Sommer  und  hart  von  Winterkriegen, 
In  große  Kontore,  die  staubig  rochen  herein. 
Da  mußte  ich  meinen  Rücken  zur  Sichel  biegen 
Und  Zalilen  mit  spitzen  Fingern  in  Bücher  reihn. 

Und  irgendwo  hingen  die  grünen  Küsten  der  Fernen, 

Ein  Duft  von  Palmen  kam  schwankend  vom  Hafen  geweht. 

Weiß  rasteten  Karawanen  an  Wüsten-Zisternen, 

Die  Häupter  gläubig  nach  Osten  gedreht. 

Auf  Ozeanen  zogen  die  großen  Fronten 
Der  Schiffe,  von  fliegenden  Fischen  kühl  überschwirrt, 
Und  breiter  Prärien  glitzernde  Horizonte 
Umkreisten  Gespanne,  für  lange  Fahrten  geschirrt. 

83 


Von  Kameruns  unergründlichen  Wäldern  umsungen. 
Vom  mörderischen  Brodem  des  Bodens  umloht, 
Gehorchten  zitternde  Wilde,  von  Geißeln  der  Weißen  Um- 
schwüngen, 
Und  schwarz  von  Kannibalen  der  glühenden  Wälder  umdroht! 

Amerikas  große  Städte  brausten  im  Grauen, 

Die  Riesenkräne  griffen  mit  heiserm  Geschrei 

In  die  Bäuche  der  Schiffe,  die  Frachten  zu  stauen. 

Und  Eisenbahnen  donnerten  landwärts  vom  Kai. 

So  hab  Ich  nachbarlich  alle  Zonen  gesehen, 

Rings  von  den  Pulten  grünten  die  Inseln  der  Welt, 

Ich  fühlte  den  Erdball  rauchend  sich  unter  mir  drehen, 

Zu  rasender  Fahrt  um  die  Sonne  geschnellt. 

Da  warf  ich  dem  Chef  an  den  Kopf  seine  Kladden! 
Und  stürmte  mit  wütendem  Lachen  zur  Türe  hinaut. 
Und  saß  durch  Tage  und  Nächte  mit  satten  und  glatten 
Bekannten  bei  kosmischem  Schwatzen  im  Kaffeehaus. 

Und  einmal  sank  ich  rückwärts  in  die  Kissen, 
Von  einem  angstvoll  ungeheuren  Druck  zermalmt.  — 
Da  sah  ich :  Daß  in  vagen  Finsternissen 
Noch  sternestumme  Zukunft  vor  mir  qualmt. 

FRANZ  WERFEL :  DER  SCHÖNE  STRAHLENDE  MENSCH 
Die  Freunde,  die  mit  mir  sich  unterhalten, 


Sonst  oft  mißmutig,  leuchten  vor  Vergnügen, 
Lustwandeln  sie  in  meinen  schönen  Zügen 
Wohl  Arm  in  Arm,  veredelte  Gestalten. 


Ach,  mein  Gesicht  kann  niemals  Würde  halten. 
Und  Ernst  und  Gleichmut  will  ihm  nicht  genügen. 
Weil   tausend  Lächeln  In  erneuten  Flügen 
Sich   ewig  seinem  Himmelsbild   entfalten. 

Ich  bin  ein  Korso  auf  besonnten  Plätzen, 
Ein  Sommerfest  mit  Frauen  und  Bazaren, 
Mein  Auge  bricht  von  allzuviel  Erhelltsein. 

Ich  will  mich  auf  den   Rasen  niedersetzen 

Und  mit  der  Erde  in  den  Abend  fahren. 

0  Erde,  Abend,  Glück,  o  auf  der  Welt  sein II 


83 


ERNST  WILHELM  LOTZ: 
ICH  FLAMME  DAS  G  AS  L  I C  H  T  AN  .  .  . 

Ich  flamme  das  Gaslicht  an. 

Aufrollendes  Staunen  umprallt  die  vier  Zimmerwände. 

Ich  fühle  mich  dünn  in  der  Mitte  stehn. 

Verkrampft  in  Taschen  klein  meine  Hände, 

Und  muß  dies  alles  sehn : 

Die  Mauern  bauchen  aus,  von  Dröhnen  geschwellt: 

Die  Tafeln  von  Jahrtausend-Meistern  dröhnen  in  ihren  Flanken, 

Von  Halleluja-Geistern  hinziehend  musizierende  Gedanken! 

Ich  erblicke  mich  schwimmend  klein  da  hinein  gestellt 

Mit  winzigem  Stöhnen  und  Krampf 

Vor  solchem  wogenhaft  wuchtenden  Tönen 

Und  solchem  siegsicher  schwingenden  Wolkenkaxnpf  I 

O  so  Gott  zwingende  Werke! 

Ein  spitzer  Pinselstrich  zerstiebt  mich  blind 

Mit  machtheiterm  Wind  und  lässiger  Stärke! 

Meine  Brust  empört  sich  über  dies  brausende  Sein. 

Tief  ziehe  ich  die  Luft  der  Wände  ein 

—  Diese  Flut,  diese  Glut!  — 

Und  stoße  sie  aus  mir  mit  Husten  und  Speien : 

Blut!  Blut! 

Und  versinke  in  eisdurchwehte  Nächte. 
Und  weiß,  der  Tod  reckt  unten  seine  Arme  aus.  — 
Doch  über  mich  hin  fährt  ein  Gebraus 

Springender  Hufen  und  Leiber  und  sonnhafter  Prächte  und 
Mächte ! 

WALTER  HASENCLEVER: 
GASGLÜHLICHT  SUMMT 

Gasglülilicht  summt.  Ich  weiß,  ich  bin  vorhanden. 

Und  meine  Seele  hängt  am  Büchertisch. 

Ich  schreibe  ein  Gedicht.  Wo  werd  ich  landen! 

Im  Dunst  von  großen,  lauten  Städten  fanden 

Indessen  meine  vielen  Körper  sich. 

Schon  tauml  ich  über  harten  Finsternissen  -jj 

Ins  schäumende  Verrücktsein,  in  die  Gruft.  ■ 

84 


Ein  Nerv  in  meinem  Hirn  ist  aufgerissen, 
Nun  züngelt  Beute  auf  mit  IVatterbissen  — 
Da  tanz  ich  —  und  es  strömt  die  alte  Luft. 
Wenn  Maskenbälle  toller  sich  betäuben, 
Kehrt  unser  Herz  zum  Urwald  wieder  um. 
Doch  unsre  Seelen,  ob  sie  gleich  zerstäuben, 
Entschweben  langsam  nach  Elysium. 

WALTERHASEN CLEVER: 
DIE  NACHT  FÄLLT  SCHERBENLOS 

Die  Nacht  fällt  scherbenlos  ins  Unbewußte; 
Erlebnis   bröckelt   von   dir  ab   wie  Kruste. 
Schon   schirrt  der  Tag  mit  Faß,  Laterne,  Karren 
Einäugige   Pferde,   die   auf   Futter   harren. 
Geliebte  FraunI   Wo  mögt  ihr  heute  träumen! 
In  was  für  Retten  dunkel  euch  verschäumen. 
Lösch  aus,  du  letzte  Kerze,  die  noch  brennt I 
Mit  froher  Güte  will  ich  mich  umsäumen. 
Wer  treu  ist,  kehrt  zurück  aus  Zwischenräumen 
Zu  einem  gleichen  Schicksal,  das  er  kennt. 
Ihn  wird  der  eitle  Schmerz  nicht  mehr  betören 
Dessen,  der  nichts  verliert  und  nichts  behält. 
Wer  treu  ist.  wird  dem  Menschlichsten  gehören  — 
Und  so  erfüllt  er  sich  in  ewiger  Welt. 

WALTER  HASENCLEVER: 
OFT  AM  ERREGUNGSSPIEL 
Oft  am  Erregungsspiel  in  fremden  Zonen 
Stockt  unser  Herz.   Doch  weiter  kreist  die  Zeit. 
Gib,   große   Erde,  stärkre   Sensationen, 
Daß  wir,  die  nur  im  Unerfüllten  wohnen, 
Nicht  einsam  werden  vor  Vergänglichkeit! 
Denn  wer  sich  liebt,  der  muß  sich  selbst  zerstören 
Und  krank  nach  Festen  auf  der  Gasse  stehn; 
Sein  Ohr  vermag  den  Schrei  der  Nacht  zu  hören. 
Und  manches  Menschen  Auge  wird  ihn  sehn. 
Die  leere  Luft  von  Kammern  und  von  Zoten 
Würgt  ihn  am  Hals.  Sein  Durst  erstickt  im  Brand. 
Da  rettet  ilm  der  Schlaf.  Begrabt  die  Toten! 
Noch  lockt  im  Osten  unbetretnes  Land. 


85 


WALTER  HASENCLEVER: 
KEHR  MIR  ZURÜCK,  MEIN  GEIST 

Kehr  mir  zurück,  mein  Geist,  im  Blut  verrieben; 
Was  du  gelöst,  das  sammle  wieder  fest 
Und  halle  mir  das  Gleichgewicht  beim  Lieben, 
Sonst  sterb  ich  am  Gefühl,  wie  an  der  Pest. 
Ich  will  jetzt  mit  dir  sein  und  mit  dir  reisen; 
Wir  wollen  wie  zwei  Kugeln  uns  umkreisen. 
Aus  einem  hellen  Raum  ins  Dunkel  wehn. 
Wenn  je  dich  ein  Genuß  verzehrt,  den  töte! 
Verkauf  dein  Weib,  du  wirst  es  überstehn. 
Gleichviel  ob  Ekel  oder  Liebesnöte  — 
Am   Himmel   eilen    Wind   und   Morgenröte, 
Die  Scheiben  klirren,  und  die  Züge  gehn. 

•     GOTTFRIED  BENN:  D-Zt/G 

Braun  wie  Kognak.  Braun  wie  Laub.  Rotbraun.  Malaiengelb. 
D-Zug  Berlin — Trelleborg  und  die  Ostseebäder.  — 

Fleisch,  das  nackt  ging. 

Bis  in  den  Mund  gebräunt  vom  Meer. 

Reif  gesenkt.  Zu  griechischem  Glück. 

In  Sichel-Sehnsucht:  wie  weit  der  Sommer  ist! 

Vorletzter  Tag  des  neunten  Monats  schon  I  — 

Stoppel  und  letzte  Mandel  lechzt  in  uns. 
Entfaltungen,  das  Blut,  die  Müdigkeiten, 
die  Georginennähe  macht  uns  wirr.  — 

Männerbraun  stürzt  sich  auf  Frauenbraun : 

Eine  Frau  Ist  etwas  für  eine  Nacht. 

Und  wenn  es  schön  war,  noch  für  die  nächste  I 

Oh!  Und  dann  wieder  dies  Bei-sich-selbst-seln  1 

Diese  Stummheiten!  Dies  Getriebenwerden  1 

Eine  Frau  ist  etwas  mit  Geruch. 

Unsägliches!  Stirb  hin!  Resede. 

Darin  ist  Süden,  Hirt  und  Meer. 

An  jedem  Abhang  lehnt  ein  Glück.  — 


86 


Frauenhellbraun  taumelt  an  Mannerdunkelbraun : 

Halte  mich!  Du,  ich  f alle  1 
Ich  bin  im  IS'acken  so  müde. 
0  dieser  fiebernde  süße 
letzte  Geruch  aus  den  Gärten.  — 

RENß    SCHICK  ELE: 
BEI  DER  EINFAHRT  IN  DEN  HAFEN  VON  BOMBAY 

Ist  nicht,  was  sich  da  erschlossen  hat. 
Ganz  aus  Wasserdunst  gewoben, 
Brandung,  Buchten,  breiter  Strand, 
In  den  Himmel  aufgehoben 
Und  in  einem  Rosenbrand 
Halb  schon  wie  zerstoben? 
Ist  das  nicht  die  himmeloffne  Stadt, 
Wo  die  Feuerblumen  wohnen  ? 

Meer  in  Sonne  schleusende  Alleen, 

Drin  Paläste  rosig  tauen, 

Ist  das  nicht  die  goldne  Spur, 

Halb  verweht  im  Blauen, 

Und  ein  zitternd  Abbild  nur. 

Wie  sie  ihre  Hütten  bauen. 

Die  sich  auf  dem  Weg  des  Lichts  ergehn, 

Ruhnde  Wandrer   in  Äonen? 

WALTER  HASENCLEVER: 
DER  GEFANGENE 

Keiner,  der  durch  Vorstadt  kreisend  zieht, 
Weiß,  wen  er  liebt,  an  welches  Weib  er  denkt. 
Manchmal  in   Cafehaus-Walzerlied 
Geschieht  ein  Blick,  der  ihn  beglückt  und  kränkt. 
Aufschäumt  der  schönen  Jugend  Melodie, 
Gesicht  und  Ruhm  und  erstes  Zeitungswort; 
Schwarzer   Fluß   mit  schmerzlicher  Magie 
Erscheint  im  Westen  an  dem  alten  Ort. 
Dort  lebt  ein  Herz,  das,  vielen  zugesellt. 
Sich  tiefer  senkte  auf  des  Schicksals  Grund; 
Ein  Herz  mit  ungeheurer  Flamme :  Welt  — 
Das  jetzt  trübe  steigt  in  unsern  Mund. 


87 


Noch  sind  Lokale  mitternacht-erfüllt, 

Geheul  von  Bürgern,  die  wir  langsam  töten. 

Wird  sich  die  ewige  Stadt  dem  Antlitz  röten? 

Entschreiten  wir  der  Ebene  unverhüllt  1 

Schon  aus  beklommenem  Hirn  im  Nebelschein 

Glüht  unterirdisch  dumpfer  Züge  Fliehn. 

Da  stürzt  der  Kreisel  in  die  Sinne  ein, 

Morgen  steht  —  der  Morgen  über  Berlin. 

Ihr  alle  in  Gefahr  und  Liebesgraun: 

Wir  wollen  nach  den  weißen  Pferden  schaun. 

Es  schließt  der  Kreis  sich  um  Gespenst  und  Jahr; 

Lustfrohe  Zeit,  auch  du,  wie  wunderbar. 

Der  süßen  Gegenwart  entrückter  Sinn 

Erhebt  sich  östlich  zu  der  Lichtstadt  hin, 

Die  riesenhaft  in  singender  Gestalt 

Am  körperlosen  Äther  dir  erschallt. 

Die  Droschke  stolpert,  wo  wir  oft  gekniet 

Vor  einer  Dame,  welche  unbekannt, 

Bis  ihre  Strümpfe,  die  man  plötzlich  sieht, 

Die  unbequeme  Lust  zerriß  und  fand. 

Als  wir  müde  auf  den  Korridor 

Hintraten,  aufgeweckt,  ins  Schlummerland: 

Welch  ein  Gedanke,  wenn  am  fremden  Tor 

Noch  eine  kleine  Lampe  einsam  stand. 

Die  Jalousie  strömt  fort  in  blauem  Glanz; 

Durch  spitze  Flächen  ins  Gehirn  läuft  Teoiz. 

Die  Transparente  über  Wölk  und  Stern 

Sind  längst  vergangen . . .  ja,  auch  du  bist  fern. 

Bald  stirbt  die  Nacht  am  rosa  Firmament, 

Schon  nahen  Vögel,  die  nach  Süden  ziehn; 

Wo  bist  du,  Volk,  das  meinen  Namen  nennt? 

Die  Wolke  flammt  —  der  Morgen  über  Berlin. 

FÜR    KURT  PINTHUS. 


RENfi  SCHICKELE:  DIE  LEIBWACHE 

Und  ich  bin  auch  in  mancher  Stunde  wie  verdammt. 
Ich  weiß,  daß  doch  ein  Schein  von  meinem  Blut, 
Wo  ich  mich  rühre,  wo  ich  raste,  mich  umflammt 
Wie  eine  große  Glorie  innerlicher  Glut. 


88 


Darin  ist  alles  das  enthalten,  was  die  Väter, 
Ob  sie  Soldaten,  Bauern,  Sünder  oder  Beter 
Von  ihrem  Innersten  ins  Äußere  geglüht. 
Daß  es  mein  eigen  Blut  noch  heute  fühlt. 

Denn  ja,  ich  fühl's  wie  Rüstung,  Schild  und  Feuerwall 

Und  Festung,  die  mich  überall  umgibt. 

Und  wieder  so,  daß  es  der  Schöpfung  wirren  SchwaU 

Mit  Netzen  wie  aus  Blut  und  Sonnenstäubchen  siebt, 

Damit  in  meiner  Augen  Nähe  kommt, 

Nur,  was  für  Ewigkeiten  ihnen  frommt, 

Und  immer  nur  m  meinem  Herzen  Wurzehi  schlägt 

und  darin  gräbt,  wes  Wachstum  dies  mem  Herz  verträgt; 

Und  was  es  tiefer  noch  verankert  in  den  Grund, 

Von  dem  ich  nichts  weiß,  als  daß  zu  Beginn 

Ein  heißer  WiUe  schwoll,  der  dann  von  Mund  zu  Mund 

Sich  fortgepflanzt  bis  her  zu  mir,  der  ich  jetzt  bin. 

Und  bei  mir  sind,  die  mich  vor  schwerstem  Leid  bewahren  I 

Ich  recke   mich   inmitten   himmlischer  Husaren, 

Heb  ich  die  Hand,  so  winken  tausend  Hände  mit. 

Und  halte  ich,  so  hält  mit  mir  der  Geisterritt. 

Im  Schlaf  spür  ich  sie  wie  im  Biwak  um  mich  her, 

Sie  liegen  da,  die  Zügel  umgehängt, 

Sie  atmen,  regen  sich  wie  ich,  sind  leicht  und  schwer, 

Und  manchmal,  wenn  sich  emer  an  den  andern  drängt, 

Ersteht  ein  Klingen,  dessen  Widerhallen 

In  meinem  Körper  bebt  wie  Niederfallen 

Von  eines  Brunnens  Strahl  in  emem  Vestibül. 

Daim  ist's,  daß  ich  das  Herz  der  Mütter  zittern  fühl! 

Dann  ist's,  daß  wild  und  süß  die  Liebe  überfließt 

In  mir  und  jeder  Kreatur, 

Rakete  um  Rakete  in  den  Himmel  schießt, 

Im  Dunkel  still  steht  jede  Uhr. 

Und  klare  Meere  spiegeln  lichte  Sterne, 

Die  Früchte  zeigen  schamlos  ihre  Kerne, 

Es  strömt  ein  Licht  von  mir  zum  fernsten  Land, 

es  schlägt  ein  Wellenschlag  von  mir  den  fernsten  Strand. 

89 


Drum,  bin  ich  auch  in  mancher  Stunde  wie  verdammt, 
Ich  weiß  trotzdem :  ein  Schein  von  meinem  Blut, 
Wo  ich  auch  bin,  ob  schlafend  oder  wach,  umflammt 
Mein  Tun  mit  einer  Glorie  innerlicher  Glut, 
Darin  ist  alles  das  enthalten,  was  die  Väter, 
Ob  sie  Soldaten,  Bauern,  Sünder  oder  Beter, 
Mit  ganzem  Herzen  ausgelebt  zu  meiner  Hut. 

WALTER  HASENCLEVER:  DER  SCHAUSPIELER 

AN    ERNST    DEUTSCH 

Brich,  Raubtier,  aus  des  Zweifels  Ketten! 
Kulisse  fällt.  Das  Morgenrot  von  Städten 
Tropft  aus  der  Wunde  deiner  Leidenschaft. 

Du  liebst  in  Wolken.  Stirbst  in  Betten. 
Musik  umschürt  den  Aufruhr  deiner  Kraft. 
Du  wirst  das  Hymnische  des  Geistes  retten, 

Der  deinen  Körper  durch  das  Wort  erschafft. 
Ich  grüße  dich  aus  trommelndem  Orkan. 
Du  Bruder  meines  Rausches,  meiner  Träume, 

Wie  du  dich  schwingst  durch  die  gedachten  Räume, 
Umkreisend  dunkler  Völker  riesige  Bahn: 
Fühl  ich  mich  eins  mit  dir  geboren. 

Du  lebst!  So  sind  die  Taten  nicht  verloren. 

Es  atmet  um  die  Wiege  unsrer  Hören 

Der  gleiche  Schoß  von  Frauen  und  von  Müttern. 


Entbrenne,  Träne,   von  des  Grabes  Toren 

Atlantischer  Ferne  zügellosem  Lauf. 

0  Süßigkeit,  die  Menschen  zu  erschüttern! 

Der  Vorhang  stürzt.  Wir  brechen  auf. 

FRANZ  WERFEL:  HEKUBA 

Manchmal  geht  sie  durch  die  Nacht  der  Erde. 
Sie,  das  schwerste  ärmste  Herz  der  Erde. 
Wehet  langsam  unter  Laub  und  Sternen, 
Weht  durch  Weg  und  Tür  und  Atemwandern, 
Alte  Mutter,  elendste  der  Mütter. 


90 


So  viel  Milch  war  einst  in  diesen  Brüsfen, 

So  viel  Söhne  gab  es  zu  betreuen. 

Weh  dahin!  —  Aun  weht  sie  nachts  auf  Erden, 

Alte  Mutler,  Kern  der  Welt,  erloschen. 

Wie  ein  kalter  Stern  sich  weiterwälzet. 

Unter  Stern  und  Laub  weht  sie  auf  Erden, 
Nachts  durch  tausend  ausgelöschte  Zimmer, 
Wo  die  Mütter  schlafen,  junge  Weiber, 
Weht  vorüber  an  den  Gitterbetten 
Und  dem  hellen  runden  Schlaf  der  Kinder. 

Manchmal  hält  am  Haupt  sie  eines  Bettes, 
Und  sie  sieht  sich  um  mit  solchem  Wehe, 
Sie,  ein  dürftiger  Wind  von  Schmerz  gestaltet, 
Daß  der  Schmerz  in  ilir  Gestalt  erst  findet, 
Und  das  Licht  in  to-ten  Lampen  weinet. 

Und  die  Frauen  steigen  aus  den  Betten, 
Wie  sie  fortweht  —  nackten  schweren  Schrittes  . 
Sitzen  lange  an  dem  Schlaf  der  Kinder, 
Schauen  langsam  in  die  Zimmertrübe, 
Tränen  habend  unbegriffnen  Wehes. 

GOTTFRIED  BENiN:  KARYATIDE 

Entrücke  Dich  dem  Stein!  Zerbirst 

Die  Höhle,  die  Dich  knechtet!  Rausche 

Doch  in  die  Flur!  Verhöhne  die  Gesimse  —  — 

Sieh:  durch  den  Bart  des  trunkenen  Silen 

Aus  seinem  ewig  überrauschten 

Lauten  einmaligen  durchdröhnten  Blut 

Träuft  Wein  in  seine  Scham. 

Bespei  die  Säulensucht :   toderschlagene 

Greisige  Hände  bebten  sie 

Verhangenen  Himmeln  zu.  Stürze 

Die  Tempel  vor  die  Sehnsucht  Deines  Knies, 

In  dem  der  Tanz  begehrt. 

Breite  Dich  hin.  Zerblühe  Dich.  Oh,  blute 
Dein  weiches  Beet  aus  großen  Wunden  hin : 
Sieh,  Venus  mit  den  Tauben  gürtet 
Sich  Rosen  um  der  Hüften  Liebestor  — 
Sieh',  dieses  Sommers  letzten  blauen  Hauch 


91 


Auf  Astermeeren  an  die  fernen 
Baumbraunen  Ufer  treiben;  tagen 
Sieh'  diese  letzte  Glück-Lügenstunde 
Unserer  Südlichkeit, 
Hochgewölbt. 

ALFRED  LIGHTENSTEIN:  MÄDCHEN 

Sie  halten  den  Abend  der  Stuben  nicht  aus. 
Sie  schleichen  in  tiefe  Sternstraßen  hinaus. 
Wie  weich  ist  die  Welt  im  Laternenwind! 
Wie  seltsam  summend  das  Leben  zerrinnt . . . 

Sie  laufen  an  Gärten  und  Häusern  vorbei, 
Als  ob  ganz  fern  ein  Leuchten  sei, 
Und  sehen  jeden  lüsternen  Mann 
Wie  einen  süßen  Herrn  Heiland  an. 

JOHANxNES  R.  BECHER :  AUS  DEN  GEDICHTEN  UM  LOTTE 

Wenn  ich  Dich  nur  denke 
:  Himmlischster  Akkord : 
Arme  Fahnen  schwenken, 
ISord  zieht  tönend  fort. 

Wenn  ich  Dich  nur  fühl 
:  Palmen  und  Oasen : 
Wind  streicht  Balsam  kühl, 
Engel-Chöre  blasen. 

Wenn  ich  Du  bin,  Dein 
:  Riese  und  Gewitter: 
Keusch  und  demut-rein, 
Frei  im  Käfig-Gitter. 

Und  des  Siegs  gewiß 
:  Mensch  in  Gottes  Kraft : 
Schoß  nach  Sturm  und  Riß. 
Körper  jäh  gestrafft 

Auf  zum  Firmament! 
Rings  im  Sternen-Plan. 
Ja  Eroberer,  wenn 
Dein  ich  bin  . . .  Gesang. 

9a 


ERNST  WILHELM  LOTZ:  WIR  FANDEN  GLANZ 

Wir  fanden  Glanz,  fanden  ein  Meer,  Werkstatt  und  uns. 

Zur  Nacht,  eine  Sichel  sang  vor  unserm  Fenster. 

Auf  unsern  Stimmen  fuhren  ^vi^  hinauf, 

Wir  reisten  Hand  in  Hemd. 

An  deinen  Haaren,  helles  Fest  im  Morgen, 

Irr  flogen  Küsse  hoch 

Und  stachen  reifen  Wahnsinn  in  mein  Blut. 

Dann  dursteten  wir  oft  an  wunden  Brunnen, 

Die  Türme  wehten  stählern  in  dem  Land. 

Und  unsre  Schenkel,  Hüften,  Raabtierlenden 

Stürmten  durch  Zonen,  grünend  vor  Gerüchen. 


ERNST  WILHELM  LOTZ 
UND  SCHÖNE  RAUBTIERFLECKEN ... 

Bist  du  es  denn? 

Groß  aus  dem  Weltraum  nachts,  der  Spiegel  ist, 
Tönt  dein  zerwehtes  Bildnis  in  meine  Seele. 
Die  Sterne  durchziehen  harfend  deine  Brust. 
Du  aher  . . . 

Du  glänzt  vielleicht  versehnt  im  weißen  Federbett, 
Traum  liegt  dir  hau-t  im  Schoß.  — 

Oder  ein  junger  Liebling 

Zieht  fühlsam  mit  zeichnendem  Finger 

Die  festen  Runden  deiner  Brüste  nach. 

Ihr  seid  sehr  heiß. 

Und  schöne  Raubtierflecken  zieren  eure  Rücken. 


ELSE  LASKER- SCHÜLER:  EIN  LIED  DER  LIEBE 

(Sascha) 

Seit  du  nicht  da  bist, 
Ist  die  Stadt  dunkel. 


93 


Ich  sammle  die   Schatten 
Der  Palmen  auf, 
Darunter  du  wandeltest. 

Immer  muß   ich   eine  Melodie  summen, 
Die  hängt  lächelnd  an  den  Ästen. 

Du  liebst  mich  wieder  — 

Wem  soll  ich  mein  Entzücken  sagen? 

Einer  Waise  oder  einem  Hochzeitler, 
Der  im  Widerhall  das  Glück  hört. 

Ich  weiß  immer, 

Wann  du  an  mich  denkst  — 

Dann  wird  mein  Herz  ein  Kind 
Und  schreit. 

An  jedem  Tor  der  Straße 
Verweile  ich  und  träume 

Und  helfe  der  Sonne  deine  Schönheit  malen 
An  allen  Wänden  der  Häuser. 

Aber  ich  magere 
An  deinem  Bilde. 

Um  schlanke  Säulen  schlinge  ich  mich 
Bis  sie  schwanken. 

Überall  steht  Wildedel 
Die  Blüten  unseres  Blutes; 

Wir  tauchen  in  heilige  Moose, 

Die  aus  der  Wolle  goldener  Lämmer  sind. 

Wenn  doch  ein  Tiger 
Seinen  Leib  streckte 

Über  die  Ferne,  die  uns  trennt, 
Wie  zu  einem  nahen  Stern. 

Auf  meinem  Angesicht 
Liegt  früh  dein  Hauch. 


94 


ELSE  LASKER-SCHÜLER:  MEIN  LIEDESLIED 

(Sascha,  dein  himmlisclien   Königssohn) 
Auf  deinen  Wangen  liegen 
Goldene  Tauben. 

Aber  dein  Herz  ist  ein  Wirbelwind, 
Dein  Blut  rauscht,  wie  mein  Blut  — 

Süß 

An   Himbeersträuchern   vorbei. 

0,  ich  denke  an  dich 

Die  Nacht  frage  nur. 

Niemand  kann  so  schön 
Mit  deinen  Händen  spielen, 

Schlösser  bauen,  wie  ich 
Aus  Goldfinger; 

Burgen   mit   hohen   Türmen! 
Strandräuber  sind  wir  dann. 

Wenn  du  da  bist. 
Bin  ich  immer  reich. 

Du  nimmst  mich  so  zu  dir. 
Ich  sehe  dein  Ilerz  slernen. 

Schillernde  Eidechsen 
Sind  dein  Geweide. 

Du  bist  ganz  aus  Gold  — 

Alle  Lippen  halten  den  Atem  an. 

AUGUST  STRAMM : BLÜTE 
Diamanten  wandern  übers  Wasser! 
Ausgereckte  Arme 
Spannt  der  falbe  Staub  zur  Sonne! 
Blüten  wiegen  im  Haar! 
Geperlt 
Verästelt 

Spinnen  Schleier! 
Duften 

Weiße  matte  bleiche 
Schleier! 
Rosa,  scheu  gedämpft,  verschimmert 


95 


Zittern  Flecken 
Lippen,  Lippen 

Durstig,  krause,  heiße  Lippen! 
Blüten!  Blüten! 
Küsse !  Wein ! 
Roter 
Goldner 
Rauscher 
Wein! 

Du  und  ich! 
Ich  und  Du! 
Du?! 
AUGUST  STRAMM:  WUNDER 
Du  steht!  Du  steht! 
Und  ich 
Und  ich 
Ich  winge 

Raumlos  zeitlos  wäglos 
Du  steht!  Du  steht! 
Und 

Rasen  bäret  mich 
Ich 

Bär  mich  seiher! 
Du! 
Du! 

Du  bannt  die  Zeit 
Du  bogt  der  Kreis 
Du  seelt  der  Geist 
Du  blickt  der  Blick 
Du 

Kreist  die  Welt 
Die  Welt 
Die  Welt! 
Ich 

Kreis  das  All! 
Und  du 
Und  du 
Du 

Stehst 
Das 
Wunder ! 


96 


ERNST  STADLER:  IN  DER  FRÜHE 

Die  Silhouette  deines  Leibs  steht  in  der  Frühe  dunkel  vor 
dem  trüben  Licht 

Der  zugehangnen  Jalousien.  Ich  fühl,  im  Bette  liegend, 
hostiengleich  mir  zugewendet  dein  Gesicht. 

Da  du  aus  meinen  Armen  dich  gelöst,  hat  dein  geflüstert, 
,,Ich  muß  fort"  nur  an  die  fernsten  Tore  meines 
Traums  gereicht  — 

Nun  seh  ich,  wie  durch  Schleier,  deine  Hand,  wie  sie  mit 
leichtem  Griff  das  weiße  Hemd  die  Brüste  nieder- 
streicht . . . 

Die  Strümpfe  . . .  nun  den  Rock  . . .  das  Haar  gerafft . .  .  schon 
bist  du   fremd,   für   Tag  und   Welt  geschmückt... 

Ich  öffne  leis  die  Türe  . . .  küsse  dich  —  du  nickst,  schon  fern, 
ein  Lebewohl .  .  .  und  bist  entrückt. 

Ich  höre,  schon  im  Bette  wieder,  wie  dein  sachter  Schritt  im 
Treppenhaus   verklingt. 

Bin  wieder  im  Gerüche  deines  Körpers  eingesperrt,  der  aus 
den  Kissen  strömend  warm  in  meine  Sinne  dringt. 

Morgen  wird  heller.  Vorhang  bläht  sich.  Junger  Wind  und 
Sonne  wül  herein. 

Lärmen  quillt  auf . . .  Musik  der  Frühe  . . .  sanft  in  Morgen- 
träume eingesungen  schlaf  ich  ein. 


WILHELM  KLEMM:  BEKENNTNIS 

Die  Schärpen  des  Himmels  leuchten  auf. 

Seine  majestätischen  Schleppen  rafft  der  Abend, 

Das  Panorama   zieht  sich  zurück  in  den   Sonnengrund, 

Ein  großer  mystischer  Adler  fliegt  vorüber. 

Blutstropfen  beginnen  zu  reden 

Ein  Ton  wie  unbestimmter,  zitternder  Nebel 

Des  Friedens  blaue  Sunde 

öffnen  sich  zwischen  tausend  goldnen  Inseln. 

Gewogen  auf  der  Wage  des  Wülens 
Hab  ich  den  Silberreif  der  Ewigkeit, 
Aber  jeder   deiner   Küsse  wog  schwerer. 
Ich  liebe  dich,  ehe  ich  für  lange  sterbe! 

97 


98 


AUGUST  STRAMM:  DÄMMERUNG 

Hell   weckt  Duiikel 

Dunkel  wehrt  Schein 

Der  Raum  zersprengt  die  Räume 

Fetzen  ertrinken  in  Einsamkeit 

Die  Seele  tanzt 

Und 

Schwingt  und  schwingt 

Und 

Bebt  im  Raum 

Du! 

Meine  Glieder  suchen  sich 

Meine  Glieder  kosen  sich 

Meine  Glieder 

Schwingen  sinken  sinken  ertrinken 

In 

Unermeßlichkeit 

Du! 

Hell  wehrt  Dunkel 

Dunkel  frißt  Schein! 

Der  Raum  ertrinkt  in  Einsamkeit 

Die  Seele 

Strudelt 

Sträubet 

Halt! 

Meine  Glieder 

Wirbeln 

In 

Unermeßlich  keit 

Du! 

Hell  ist  Schein! 

Einsamkeit  schlürft! 

Unermeßlichkeit  strömt 

Zerreißt 

Mich 

In 

Dul 

Du! 


j 


AUGUST  STRAMM:   ABENDGANG 

Durch  schmiege  Psacht 

Schwelgt  unser  Schritt  dahin 

Die  Hände  bangen  blaß   um  krampfes  Grauen 

Der  Schein  sticht  scharf  in  Schatten  unser  Haupt 

In  Schatten 

Uns! 

Hoch  flimmt  der  Stern 

Die  Pappel  hängt  herauf 

Und 

Hebt  die  Erde  nach 

Die  schlafe  Erde  armt  den  nackten  Himmel 

Du  schaust  und  schauerst 

Deine  Lippen  dünsten 

Der  Himmel  küßt 

Und 

Uns  gebärt  der  Kuß! 


JOHANNES  R.  BECHER:  ABENDGEBET  UM  LOTTE 

I 

Noch  schnarchen  kaum  die  Wärter  — 
Da  web  ich  schon  in  Dir: 
0  Frucht!  0  Frühlingsgärten! 
Wie  mildesten  Zephirs. 

Geliebte,  ich  vergehe 
In  Schwarz  und  falberem  Traum. 
Dein  Angesicht  geschehe 
Einst  herrlichst  überm  Raum. 

Geliebte,  ich  verwandelnd 
Mich  tiefst  in  Blätter-Wald. 
Du  aber.  Du  — :  Du  handele 
Hoch  überm  Nacht-Turm  kalt. 

In  ausgebrannten  Kratern 
Zerschmolz  ich  elend-rot. 
Du  blitzt  aus  Wolken-Quadern 
Himmlischster  Engel-Bot. 


99 


II 

Wo  tönst  Du  süß  Geliebte?! 
Ich  gleite  solchen  Schritt. 
Und  bin  der  Wald-Betrübte, 
Deß  Ewigkeit  verglitt. 

Der  muß  die  Nacht  auch  fressen. 
So  Quadern  für  und  für. 
Gekrallte  Fäuste  pressend. 
Sich  wälzend  Ekel-Vieh. 

0  Spitze  unseres  Geistes! 
Erscheinung  wunderbar! 
Wer  wir  sind . . .  Du  nur  weißt  es : 
Gestürzte  Engel.  Ja. 

KURT  HEYNICKE:  IN  DER  MITTE  DER  NACHT 

Deine  Liebe  ist  ein  weißes  Reh, 

das  in  die  Mitternacht  meiner  Sehnsucht  flieht, 

ein  Baum  von  Tränen  steht  im  Wald  meiner  Träume  nach  dir, 

nun  bist  du  da  — 

Erfüllung    wirft    mir    der    Mond    aus    der     Schale    seines 

Glanzes  zu  — 
ich  liebe  dich, 
du, 

und  stelle  Nelkenduft  vor  deine  Kammer, 
und  werfe  Narzissen  über  dein  Bett. 
Ich  selber  komme  silbern  wie  du 
und  wölbe  mich  hoch, 
ein  heiliger  Hain 
über  dem  Altar  deiner  frommen  Seele. 

ELSELASKER-SCHÜLER:DOüCrOßßß;ViV 

Ich  weine  — 

Meine  Träume  fallen  in  die  Welt. 

In  meine  Dunkelheit 
Wagt  sich  kern  Hirte. 

lOO 


Meine  Augen  zeigen  nicht  den  Weg 

Wie  die  Sterne. 

Immer  bettle  ich  vor  deiner  Seele; 
Weißt  du  das? 

War  ich  doch  blind  — 

Dächte  dann,  ich  las:  in  deinem  Leib. 

Alle  Blüten  täte  ich 
Zu  deinem  Blut. 

Ich  bin  vielreich, 

Niemandwer  kann  mich  pflücken; 

Oder  meine  Gaben  tragen 
Heim. 

Ich  will  dich  ganz  zart  mich  lehren; 
Schon  weißt  du  mich  zu  nennen. 

Sieh  meine  Farben, 
Schwarz  und  stern 

Und  mag  den  kühlen  Tag  nicht, 
Der  hat  ein  Glasauge. 

Alles  ist  tot, 

Nur  du  und  ich  nicht. 


ALBERT  EHRENSTEIN:  VERLÄSSEN 

Wo  ich  auch  umgeh, 
Tut  mir  das  Herz  weh, 
Sie  hat  mich  verlassen. 

Wenn  ich  herumsteh, 
Bald  hier,  bald  da  geh. 
Ich  kann  es  nicht  fassen. 

Mein  Lieb,  du  mein  Weh, 
Du  mein  Kind,  du  mein  Reh, 
Hast  mich  wirklich  verlassen? 


lOI 


LASKER-SGHÜLEIl  :    EIN   LIED 

Hinter  meinen  Augen  stehen  Wasser, 
Die  muß  ich  alle  weinen. 

Immer  möcht  ich  auffliegen, 
Mit  den  Zugvögeln  fort; 

Buntatmen  mit  den  Winden 
In  der  großen  Luft. 

0  ich  bin  so  traurig 

Das  Gesicht  im  Mond  weiß  es. 

Drum  ist  viel  sammtne  Andacht 

Und  nahender  Frühmorgen  um  mich. 

Als  an  deinem  steinernen  Herzen 
Meine  Flügel  brachen. 

Fielen  die  Amseln  wie  Trauerrosen 
Hoch  vom  blauen  Gebüsch. 

Alles  verhaltene  Gezwitscher 
Will  wieder  jubeln 

Und  ich  möchte  auffliegen 
Mit  den  Zugvögeln  fort. 

LASKER-SCHÜLER:  ABSCHIED 

Aber  du  kemist  nie  mit  dem  Abend  — 
Ich   saß  im  Sternenmantel. 

.  .  .  Wenn  es  an  mein  Haus  pochte, 
War  es  mein  eigenes  Herz. 

Das  hängt  nun  an  jedem  Türpfosten, 
Auch  £m  deiner  Tür; 

Zwischen  Farren  verlöschende  Feuerrose 
Im  Braun  der  Girlande. 

Ich  färbte  dir  den  Himmel  brombeer 
Mit  meinem  Herzblut. 

Aber  du  kamst  nie  mit  dem  Abend  — 
. .  .   Ich  stand  in  goldenen  Schuhen. 


I02 


Else  Lasker- Schüler 


Selbstporträt 


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I 


ELSE  LASKER- SCHÜLER:  VERSÖHNUNG 

Es  wird  ein  großer  Stern  in  meinen  Schoß  fallen  . .  . 
Wir  wollen  wachen  die  ISacht, 

In  den  Sprachen  beten, 

Die  wie  Harfen   eingeschnitten  sind. 

Wir  wollen  uns  versöhnen  die  iSacht   — 
So  viel  Gott  strömt  über. 

Kinder  sind  unsere  Herzen, 
Die  möchten  ruhen  müdesüß. 

Und  unsere  Lippen  wollen  sich  küssen, 
Was  zagst  du? 

Grenzt  nicht  mein  Herz  an  deins  — 
Immer  färbt  dein  Blut  meine  Wangen  rot. 

Wir  wollen  uns  versöhnen  die  ?Sacht, 
Wenn  wir  uns  herzen,  sterben  wir  nicht. 

Es  wird  ein  großer  Stern  in  meinen  Schoß  fallen. 

WALTER  HASE.NCLEVER:  BEGEGNUNG 

Sag  aus  meer-  und  wolkenhaftem  Munde, 
Schon  verirrt  in  deines  Bettes  ^'acht. 
Wo  du  mit  dem  andern  schliefst  im  Bunde: 
Welche  Stunde  bist  du  aufgewacht? 

Wann  begannen  dunkel  dir  zu  tönen 
Uhr  und  Glas  auf  deines  Tisches  Rand; 
Wann  erhobst  du  dich  aus  dumpfem  Stöhnen, 
Schauernd  unter  einer  fremden  Hand? 

In  derselben  ängstlichen  Sekunde 
Schloß  mir  jene  auf  ihr  Gartentor, 
Wo  ich  stand  verloren  in  der  Runde 
Schwarzer  Bäume  und  dem   Stemenchor. 

Plötzlich  allen  nächtlichen  Verbannten 
War  ich  nahe  in  der  gleichen  Zeit  — 
Und  da  fühlt  ich,  daß  wir  uns  erkannten 
Tief  in  Treue  aus  der  Wirklichkeit. 


lOO 


GEORG  HEYM :  „DEINE  WIMPERN,  DIE  LANGEN 

Deine  Wimpern,  die  langen. 
Deiner  Augen  dunkele  Wasser, 
Laß  mich  tauchen  darein, 
Laß  mich  zur  Tiefe  gehn. 

Steigt  der  Bergmann  zum  Schaclit 
Und  schwankt  seine  trübe  Lampe 
Über  der  Erze  Tor, 
Hoch   an   der   Schattenwand, 

Sieh,  ich  steige  hinab, 
In  deinem  Schoß  zu  vergessen, 
Fern  was  von  oben  dröhnt. 
Helle  und  Qual  und  Tag. 

An  den  Feldern  verwächst, 

Wo  der  Wind  steht,  trunken  vom  Korn, 

Hoher  Dorn,  hoch  und  krank 

Gegen  das  Himmelsblau. 

Gib  mir  die  Hand, 

Wir  wollen  einander  verwachsen, 

Einem  Wind  Beute, 

Einsamer  Vögel  Flug, 

Hören  im  Sommer 

Die   Orgel   der  matten  Gewitter, 

Baden  in  Herbsteslicht, 

Am  Ufer  des  blauen  Tags. 

Manchmal    wollen   wir   stehn 
Am  Rand  des  dunkelen  Brunnens, 
Tief  in  die  Stille  zu  sehn. 
Unsere  Liebe  zu  suchen. 

Oder  wir   treten  hinaus 

Vom  Schalten  der  goldenen  Wälder, 

Groß  in  ein  Abendrot, 

Das  dir  berührt  sanft  die  Stirn. 

[o6 


i 


I 


Einmal  am  Ende  zu  stehen. 
Wo  Meer  in  gelblichen  Flecken 
Leise  schwimmt  schon  herein 
Zu  der  September  Bucht. 

Oben  zu  ruhn 

Im  Hause  der  dürftigen  Blumen, 

Über  die   Felsen  hinab 

Singt  und  zittert  der  Wind. 

Doch  von  der  Pappel, 
Die  ragt  im  Ewigen  Blauen, 
Fällt  schon  ein  braunes  Blatt, 
Ruht  auf  dem  Nacken  dir  aus. 

Göttliche  Trauer. 
Schweige  der  ewigen  Liebe. 
Hebe  den  Krug  herauf, 
Trinke  den  Schlaf. 


FRANZ  WERF  EL: 

ALS  MICH  DEIN  WANDELN  AN  DEN  TOD 
VERZÜCKTE 

Als  mich  Dein  Dasein  tränenwärts  entrückte 
Und  ich  durch  Dich  ins  Unermeßne  schwärmte, 
Erlebten  diesen  Tag  nicht  Absehärmte, 
Mühselig  Millionen  Unterdrückte? 

Als  mich  Dein  Wandebi  an  den  Tod  verzückte, 
War  Arbeit  um  uns  und  die  Erde  lärmte. 
Und  Leere  gab  es,  gottlos  Unerwärmte, 
Es  lebten  und  es  starben  Niebeglückte! 

Da  ich  von  Dir  geschwellt  war  zum  EIntschweben, 

So  viele  waren,  die  im  Dumpfen  stampften. 

An  Pulten  schrumpften  und  vor  Kesseln  dampften. 

Ihr  Keuchenden  auf  Straßen  und  auf  Flüssen  I! 
Gibt  es  ein  Gleichgewicht  in  Welt  und  Leben, 
Wie  werd'  ich  diese  Schuld  bezahlen  müssen!? 

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THEODOR  DÄUBLER:  DER  ATEM  DER  NATUR 

Der  Atem  der  Natur,  der  Wind,  die  Phantasie  der  Erde, 
Erträumt  die  Götterwolken,  die  nach  Norden  wehn. 
Der  Wind,  die  Phantasie  der  Erde  denkt  sich  Nebelpferde, 
Und  Götter  sehe  ich  auf  jedem  Berge  stehn! 

Ich  atme  auf  und  Geister  drängen  sich  aus  meinem  Herzen. 
Hinweg,  empor!  Wer  weiß,  wo  sich  ein  Wunsch  erkennt  1 
Ich  atme  tief:  ich  sehne  mich,  und  Weltenbilder  merzen 
Sich  in  mein  Innres  ein,  das  seinen  Gott  benennt. 

Natur!  nur  das  ist  Freiheit,  Weltalllebe  ohne  Ende! 
Dais  Dasein  aber  macht  ein  Opferleben  schön! 
Oh  Freinatur,  die  Zeit  gestallen  unsere  Werkzeugshände, 
Die  Welt,  die  Größe,  selbst  die  Überwindungshöhn  I 

Ein  Wald,  der  blüht,  das  Holz,  das  brennend,  wie  mit  Hän- 
den, betet. 
Wir  alle  fühlen  uns  nur  durch  das  Opfer  gut. 
Oh  Gott,  oh  Gott,  ich  Mensen  habe  alleine  mich  verspätet, 
Wie  oft  verhielt  ich  meine  reinste  Innenglut  I 

Im  Tale  steigt  der  Rauch,  als  wir  aus  einer  Opferschale, 
So  langsam  und  fast  heilig,  überm  Dorf  empor. 
Ich  weiß  es  wohl,  die  Menschen  opfern  selbst  von  ihrem  Mahle, 
Da  eine  Gottheit  sich  ihr  Herdfeuer  erkor! 


JOHANNES  R.  BECHER:  DER  WALD 

Ich  bin  der  Wald  voll  Dunkelheit  und  Nässe. 
Ich  bin  der  Wald,  den  du  sollst  nicht  besuchen, 
Der  Kerker,  daraus  braust  die  wilde  Messe, 
Mit  der  ich  Gott,  das  Scheusal  alt,  verfluche. 

Ich  bin  der  Wald,  der  muffige  Kasten  groß. 
Zieht  ein  in  mich  mit  Schmerzgeschrei,  Verlorene! 
Ich  bette  euere  Schädel  weich  in  faules  Moos. 
Versinkt  in  mir,  in  Schlamm  und  Teich,  Verlorene! 

Ich  bin  der  Wald,  wie  Sarg  schwarz  rings  umhangen. 
Mit  Blätterbäumen  lang  und  komisch  ausgerenkt. 
In  meiner  Finsternis  war  Gott  zugrund  gegangen  .  .  . 
Ich  nasser  Docht,  der  niemals  Feuer  fängt. 

io8 


Horcht,  wie  es  aus  schimmlichten  Sümpfen  raunt 
Und  trommelt  grinsend  mit  der  Scherben  Klapper  I 
Versteckt  in  jauchichtem  Moore  frech  posaunt 
Ein  Käfer  flach  mit  Gabelhorn  auf  schwarzer  Kappe. 

Nehmt  euch  in  acht  vor  mir,  heimtückisch-kalt  1 
Der  Boden  brüchig  öffnet  sich,  es  spinnt 
Euch  ein  mein  Astvverk  dicht,  es  knallt 
Gewitter  auf  in  berstendem  Labyrinth. 

Doch  du  bist  Ebene  .  . .  Voll  Sang,  mit  flatternder  Mähne, 
Von  sanftem  Luftzug  glatt  zurückgekämmt. 
Gekniet  vor  mich,  von  stechender  Hagel  Tränen 
Aus  klobiger  Wolken  Schaff  grau  überschwemmt. 

Ich  bin  der  Wald,  der  einmal  lächelt  nur, 
Wenn  du  ihn  fern  mit  warmem  Wind  bestreichst. 
Weicher  umschlinget  dürren  Hals  die  Schnur. 
Böses  Getier  sich  in  die  Höhlen  schleicht. 

Die  Toten  singen,  Vögel  aufgewacht. 
Von  farbenen  Strahlen  blendend  illuminiert. 
Heulender  Hund  verreckt  die  böse  Nacht. 
Duftender  Saft  aus  Wundenlöchern  schwiert. 

Du  bist  die  Ebene  .  . .  Hoch  schwanket  die  Zitrone 
Verfallenden  Mondes  über  deinem  Scheitel  grad. 
Du  schläferst  ein  mich  Strolch  mit  schwerem  Mohne: 
Du  die  im  Traum  ihm,  blonder  Engel,  nahst. 

Ich  bin  der  Wald . . .  Goldbäche  mir  entsprungen, 
Sie  rascheln  durch  Schlinggräser  mit  Geflüster. 
Wie  Schlangen  sanft  mit  langen  Nadelzungen. 
Es  raset  über  mir  der  Sterne  Lüster. 

Ich  bin  der  Wald  .  . .  Aufprasseln  euere  Länder 
In  meines  letzten  Brandes  blutigem  Höllenschein. 
Es  knicken  um  der  eisigen  Berge  Ränder. 
Gell  springt  der  Meere  flüssiges  Gestein. 

Ich  bin  der  Wald,  der  fährt  durch  abendliche  Welt,  gelöst 
Vom  Grund,  verbreitend  euch  betäubenden  Geruch, 
Bis  meine  Flamme  grell  den  Horizont  durchstößt, 
Der  löscht,  der  deckt  mich  zu  mit  rosenem  Tuch. 


Es  ward  der  Blumen  Wiese  Gewölbe  meines  Grabes. 

Ans   meiner   Trümmer    Hallen   sprießen   empor    der   bunten 

Sträuße  viel. 
Da  jene  Ebene  sank  zu  mir  hinab, 
Wie  klingen  wir  schön,  harmonisch  Orgelspiel. 

Ich  bin  der  Wald  .  . .  Ich  dringe  leis  durch  euere  Schlafe, 
Da  Lästerung  und  Raub  und  Mord  ward  abgebüßt, 
Ich  nicht  Verhängnis  mehr  und  schneidende  Strafe. 
Mein  Dunkel  euere  brennenden  Augen  schließt. 


IWAN  GOLL:   WALD 

I 

Durch  Disteln  war  der  Gang  zu  dir, 
Verschlossen  du  im  glühenden  Kosmos 
Wie  ein  Patriarch  inmitten  Gottes. 

Prunkend  schienst  du  staubigem  Wanderer, 

Verklärt  und  befriedigt. 

Ein  heiliger  Knecht  der  Erde; 

Und  der  Fremde  fülille  sich  fremder  noch. 

Goldene  Leuchter  troffen  von  süßem  Abend, 

Um  die  Leiter  letzten  Sonnenstrahls 

Wirbelten  geschäftig  die  rosa  Engel, 

Und  die  iXymphen,  deine  Töchter, 

Hingen  ihre  silbernen  Leiber  um  deine  Lade. 

II 

Ein  Veilchen  fiel 

Mir  plötzlich  wie  ein  blauer  Stern  zu  Füßen: 

Ich  trug  es  in  den  goldnen  Abend  hin.       ^ 

Wir  beide  mit  unsern  Augen 

Leuchteten  uns  an  und  loderten  gewaltig: 

Wir   beide   hätten   so  gern  geschrieen   und  geküßt  I 

Aber  unsre  Sprache  war  so  schwach! 

Und  die  Liebe  so  unsagbar  traurig! 

Wir  welkten  und  wir  starben  auseinander. 


HO 


UI 

In  deinen  tiefen  Tieren  ciber, 

Aus  feuchten  Augen  gleichen  Geistes  dunkelnd, 

Warst  du  mir  ebenbürtig.  Wahl ! 

0,  dein  Geschöpf  zu  sein, 

ISichts  als  ein  Ton  der  Erde, 

Der  Schmellerling   ein  bunter  Tropfen  Sonne, 

Und  schlanke  Füchse 

Mit  starkem  Blut  aus  nahen  Büschen  fühlen : 

Hingabe  sein  und  brüderlicher  Friede! 

In  deinen  tiefen  Tieren  warst  du  mir  geheiligt. 

Und  ich  ergab  mich  dir, 

Ging  groß  in  Trieb  und  Düften  auf. 


PAUL  ZECH:  DER  WALD 

Reißt  mir  die  Zunge  aus ;  so  habe  ich  noch  Hände, 
zu  loben  dieses  inselhaite  Sein. 
Es  wird  gcuiz  Ich  und  geht  in  mich  hinein, 
aJs  wüchsen  ihm  aus  meiner  Stirn  die  Wände, 

wo  klar  die  Berge  zu  den  Wolken  steigen. 

Ich  will  mit  dem  gerafften  Licht 

ins  Blaue  malen  das  noch  nie  geschriebene  Gedicht 

und  es  in  alle  Himmel  klax  verzweigen. 

Denxi  hier  ist  Eingang  zu  dem  Grenzenlosen; 

liier  ward  die  Welt  zum  zweiten  MeJe  Kind 

aus  den  gezognen  weißen  und  den  schwarzen  Losen. 

Tritt  ein,  der  du  verwandert  bist  und  blind! 
Wenn  einst  in  Träumen  laut  war  hohes  Rufen 
um  Gott  — :  die  Bäume  sind  zu  ihm  die  Stufen. 


THEODOR  DÄUBLER :  DIE  BUCHE 

Die  Buche  sagt:  Mein  Walten  bleibt  das  Laub. 
Ich  bin  kein  Baum  mit  sprechenden  Gedanken, 
Mein  Ausdruck  wird  ein  Ästeüberranken, 
Ich  bin  das  Laub,  die  Krone  überm  Staub. 


III 


Dem  warmen  Aufruf  mag  ich  rasch  vertraun. 
Ich  fang  im  Frühling  selig  an  zu  reden. 
Ich  wende  mich  in  schlichter  Art  an  jeden. 
Du  staunst,  denn  ich  beginne  rostigbraun! 

Mein  VValdgehaben  zeigt  sich  sommerfroh. 
Ich  will,  daß  Nebel  sich  um  Äste  legen, 
Ich  mag  das  IN'aß,  ich  selber  bin  der  Regen. 
Die  Hitze  stirbt:  ich  grüne  lichterloh! 

Die  Winterspflicht  erfüll  ich  ernst  und  grau. 
Doch  schütt  ich  erst  den  Herbst  aus  meinem  Wesen. 
Er  ist  noch  niemals  ohne  mich  gewesen. 
Da  werd  ich  Teppich,  sammetrote  Au. 

WILHELM  KLEMM:  DER  BAUM 

Das  Himmlische  flicht  ins  Irdische. 
Wer  das  eine  Hebt,  kann  das  andre  nicht  hassen. 
Ich  wuchs  unaufhaltsam  in  meine  Form. 
Nun  steh  ich  so,  wie  du  mich  gewollt  hast. 

Der  Leib  verwandelt  sich  im  Lauf  der  Jahre, 

Die  Seele  sucht  ihre  tausend  Wege, 

Alles,  was   ich  bin,  samt  den   Geschlechtern  der  Menschen, 

Strömt  vorüber  und  kennt  kaum  das  Ziel. 

Ein  Wipfel  schwankt  über  meinem  Haupte, 
Wandert  hin  und  her  am  blauen  Himmelsplan, 
Im  Winde  schmachtend  nach  Ferne  und  Abschied, 
Doch  im  Abendfrieden  ruht  er  am  gleichen  Ort. 

GEORG  HEYM:  DER  BAUM 

Sonne  hat  ihn  gesotten. 
Wind  hat  ihn  dürr  gemacht. 
Kein  Baum  wollte  ihn  haben. 
Überall  fiel  er  ab. 

Nur  eine  Eberesche, 
Mit   roten   Beeren   bespickt. 
Wie  mit  feurigen  Zungen, 
Hat  ihm  Obdach  gegeben. 

112 


Und  da  hing  er  mit  Schweben, 
Seine  Füße  lagen  im  Gras. 
Die   Abendsonne   fuhr  blutig 
Durch  die  Rippen  ihm  naß, 

Schlug  die  Öhvälder  alle 
Über  der  Landschaft  herauf, 
Gott  in  dem  weißen  Kleide 
Tat  in  den  Wolken  sich  auf. 

In  den  blumigen  Gründen 
Singendes   Schlangengezücht, 
In  den  silbernen  Hälsen 
Zwitscherte  dünnes  Gerücht. 

Und  sie  zitterten  alle 
Über  dem  ßlätterreich. 
Hörend  die  Hände  des  Vaters 
Im  hellen  Geäder  leicht. 

THEODOR  DÄUBLER:  DER  BAUM 

Es  spielt  der  Wind  mit  vielen  tausend  nassen  Blättern, 

Und  alle  winken  immer  wieder  anderm  Wind, 

Und  Waldeswalzer  höre  ich  im  Schatten  schmettern. 

Auch  meine  Weisen  singen,  weil  sie  windwild  sind! 
Und  viele  Lieder  wimmeln,  wie  die  winzigen  Bienen, 
Um  jeden  Trieb,  der  sich  der  Blumungsglut  besinnt. 

Der  Mut  zu  werben  ist  mir  Sterblichstem  erschienen: 

Auf  lauter  Zweigen  taut  mein  Urerkünden  auf, 

Und  seiner  will  Vernunft,  wie  Bienen,  sich  bedienen. 

Es  horcht  der  Wind.  Denn  um  zu  horchen  harrt  sein  Lauf. 
Im  Baum  eilauscht,  als  Traumhauch,  er  sein  lautes  Rauschen. 
Drum  lauscht:  es  überbrausen  Meere  sich  zu  llaufl 

Es  will,  als  Baum,  die  Erde  sich  am  Baum  berauschen. 
Und  was  im  Traum  geschieht,  wird  auch  ein  eigner  Traum, 
Denn   Träume   können   uns   samt   Träumlichem   belauschen! 

Verwurzle  dich  in  mir,  du  Traum  von  meinem  Baum! 
In  meiner  Ruhe  nisten  schon  die  Sehnsuchtslieder, 
Singt  doch  die  Stille  durch  die  Wurzeln  bis  zum  Saum. 

s  ii3 


Die  Wurzeln  greifen  fern  in  die  Ergebung  nieder! 
Wie  ist  die  Stille  tief!  So  tief  wie  sie  entschlief! 
Doch  in  der  Krone  gibt  der  Baum  den  Norden  wieder. 

Er  folgt  dem  Wind.  Er  wird  was  ihn  als  Baum  berief. 

Er  stürzt  die  Liebe  in  die  witternden  Geschicke. 

Er  wirbt  um  sich  und  wirkt  als  Traum  urbaumhaft  tief. 

Du  Baum,  ich  weiß,  wie  ich  als  Dickicht  mich  bestricke. 

Du  bist  von  Liebe  übervoll,  ja  liebestoll! 

Du  liebst,  oh  Baum,  was  ich  als  Du  in  mir  erblicke. 

Und  „Du",  nur  „Dus",  erlausch  ich,  wo  ich  rufen  soll. 
Das  Dunkel  aller  Ruhe  kennt  das  Du  der  Dinge! 
Drum  ist  die  Welt  so  holder  Wonneworte  voll. 

Oh  Sonne,  horche  wie  ich  in  der  Krone  singe: 
Der  hohe  Norden  strotzt  von  mordendem  Verstand, 
Das  Land  aber  hat  Gold  für  Sternenschmetterlinge. 

Ihr  Dünkelwichte,  Dinge  im  Vernunftgewand, 

Es  wickelt  Euer  Himmelswink  euch  aus  den  Wicken. 

Die  Schlingen  fallen  ab :  es  nagt  der  Fragebrand. 

Es  schlagen  Wagnisschlangen  auf  zu  Weltgeschicken  I 

Der  Urwald  leuchtet  in  das  holde  Weltenwohl: 

Es  glaubt  der  Baum !  Und  lauter  Witterwipfel  nicken ! 

Der  Baum  umwurzelt  seiner  Ruhe  Wesenspol. 

Er  schützt  die  Nester,  schirmt  dais  Schmerzens-Ich  der  Tiere, 

Denn  jedes  Blatt  ist  großer  Duldung  Erdsymbol. 

So  wirkt,  daß  nimmer  sich  ein  Wirkungswink  verliere! 
Die  Tiere  aber  sind  schon  mehr  als  Wimmerwind. 
Sie  irren  sich  ja  nicht.  Sie  schwirren  um  das  Ihre. 

Entwirrt  euch  schier!  Das  Winzigste  ist  weltgesinnt! 
Und  horcht  in  eurem  Baum  aufs  Morgen  freier  Meere. 
Du  große  Sonne,  wie  genau  ein  Tag  verrinnt! 

Der  Baum  ist  hoch.  Er  füllt  schon  seine  Wesensehre. 
Und  über  ihm  begeistert  sich  ein  Sternenkind 
Und  lauscht  der  Leidenschaft  der  Werdensschwere. 

ii4 


Wie  viele  Rehe  weinend  schon  gefallen  sind! 

Oh  Sternenkind,  bewahre  ihre  Seelenträne 

Und  mache  uns  im  Wandel  harmlos  und  gelindl 

Der  Wesen  Schüchternheit,  die  ich  im  Wechsel  wähne, 
Wair  einst  ein  Blatt,  ein  Tier,  das  man  zu  Tod  gehetzt : 
Und  alles  Land  entflammt  als  eine  Wahnsinnsmähne. 

Im  Namen  der  Verzweifelten,  Welt,  sei  entsetzt! 

Birg,  Erde,  jeden  Todesschrei  in  Lichtgebeten: 

Im  BaumesNamen,  säume  nicht!  es  glüht  das  ,,Jetzt"  ! 

Der  Erde  Wahnwitz  brennt  durch  Winde,  die  entwehten. 

Er  ist  ein  Urwald,  der  sich  flammennackt  beseelt. 

Hier  stirbt  main  nicht!  Die  Tiere  schimmern  in  Kometen! 

In  Riesenschweifen  werden  sie  hinausgeschweelt. 
Sie  können  kalt  in  allen  Nächten  plötzlich  tagen. 
Denn  kein  Gewissen  hat  den  Weg  zu  sich  verfehlt. 

Die  Wanderschaften,  die  den  Menschen  warnend  tragen. 

Erfüllen  alle  Nordheiten  mit  Seelenbrunst, 

Und  Tiere  wittern  aus  den  jungen  Glanznachtsagen. 

Zu  eignen  Wesenheiten  reift  die  letzte  Kunst. 

Die  Lebensechtheit  kann  sich  nur  ekstatisch  fassen. 

Dort  überm  Weltbrandwahnwitz  dämmert  stumme  Gunst. 

Gedanken  fangen  an,  mit  kalter  Glut  zu  hassen. 

Der  Traum  vom  Baum  verschlingt  sich  in  den  blauen  Raum. 

Es  singen  Sternenkinder  in  den  Flammengassen 

Und  nisten  schuldlos  in  der  Ruhehuld  vom  Baum. 


THEODOR    DÄUBLER: 
MILLIONEN  NACHTIGALLEN  SCHLAGEN 

Die  Sterne.  Blaue.  Ferne. 

Ein  Flammensang  der  Sterne! 

Millionen  Nachtigallen  schlagen. 

Es  blitzt  der  Lenz. 

Myriaden  Wimpern  zucken  glühend  auf. 

Das  grüne  Glück  von  Frühlingsnachtgelagen 

Beginnt  sein  eigenbrüstiges  Geglänz. 


ii5 


Die  lauen  Schauer  nehmen  ihren  Zauberlauf : 

Millionen  ISachtigallen  schlagen. 

Erkenne  ich  ein  freundliches  Gespenst? 

Ich  werde  mich  im  Ernst  darum  bewerben. 

Der  kleinste  Wink  will  sich  ins  Wittern  kerben : 

Wer  weiß,  wann  meine  Träumlichkeit  erglänzt? 

Gespenster  gleichen  unsern  sanften  Tieren, 

Sie  können  schnell  den  Samt  der  Neigung  spüren. 

Sie  heben,  schweben,  weben  sich  heran, 

Und  halten  uns  unfaßbar  sacht  im  Bann. 

Ich  will  die  Lichtgewimmelsfllle  nicht  verlieren, 

Ein  altes  Walten  muß  sich  bald  aus  Sanftmut  rühren. 

Millionen  Nachtigallen  schlagen. 

Die  ganze  Nacht  ermahnen  uns  verwandte  Stimmen. 

Es  scheint  ein  Mond  geheimnisvoll  zu  glimmen. 

Doch  ist  zu  warm  die  Nacht,  voll  atmendem  Behagen! 

Myriaden  brunstbewußte  Funken  suchen  sich  im  Fluge, 

Sie  schwirren  hin  und  her  und  doch  im  Frühlingszuge. 

Das  Lenzgespenst,  das  Lenzgespenst  geht  um  im  Hage! 

Es  kann  der  Laubwald  wandern  und  sich  selbst  erwarten. 

Das  schwankt  und  walzt  nach  allen  alten  Wandelarten; 

Es  lacht  die  Nacht:  der  Wagen  wagt,  es  wacht  die  Wage. 

Es  blitzen  da  Myriaden  tanzvernarrte  Fragen  — 

Millionen  Nachtigallen  schlagen. 


AUGUST  STRAMM: VORFRÜHLING 

Pralle  Wolken  jagen  sich  in  Pfützen 

Aus  frischen  Leibesbrüchen  schreien  Halme  Ströme 

Die  Schatten  stehn  erschöpft 

Auf  kreischt  die  Luft 

Im  Kreisen,  weht  und  heult  und  wälzt  sich 

Und  Risse  schlitzen  jählings  sich 

Und  narben 

Am  grauen  Leib 

Das  Schweigen  tappet  schwer  herab 

Und  lastet! 

Da  rollt  das  Licht  sicli  auf 


ii6 


ERNST  STA D LEU:  VORFRCHLl^G 

In  dieser  Märznacht  trat  ich  spät  aus  meinem  Haus. 

Die  Straßen  waren  aufgewühlt  von  Lenzgeruch  und  grünem 

Saalregen. 
Winde  schlugen  an.  Durch  die  verstörte  Häusersenkung  ging 

ich  weit  hinaus 
Bis  zu  dem  unbedeckten  ^^'all  und  spürte:  meinem  Herzen 

schwoll   ein   neuer   Takt   entgegen. 

In  jedem  Lufthauch  war  ein  junges  Werden  ausgespannt. 

Ich  lauschte,  wie  die  starken  Wirbel  mir  im  Blute  rollten. 

Schon  dehnte  sich  bereitet  Acker.  In  den  Horizonten  einge- 
brannt 

War  schon  die  Bläue  hoher  Morgenstunden,  die  ins  \\'eite 
führen  sollten. 

Die  Schleusen  knirschten.  Abenteuer  brach  aus  allen  Fernen. 
Cberm   Kanal,   den   junge   Ausfahrtswinde  wellten,   wuchsen 

helle  Bahnen, 
In  deren  Licht  ich  trieb.  Schicksal  stand  wartend  in  umwehten 

Sternen. 
In   meinem   Herzen    lag   ein    Stürmen    wie   von    aufgerollten 

Fahnen. 


WILHELM  KLEMM: HERBST 

Die  Jahre  überschneiden  sich. 

Gehörnte  Gräber  stieren  uns  an; 

Der  \\  ind  weht  dünn.  Länder  entvölkern  sich, 

Gedanken  filtern  langsam   ins   Graue. 

Aber  die  Laube  ist  immer  noch  dieselbe. 
Wir  trinken  einen  toten  \\  ein, 
Und  fol»eu  den  Bewesun^en  des  A  ergessens, 
Die  süßer  sind  als  die  Erinnerung. 

Rauch  duftet  fern  und  traurig. 

Duftet  so  stark,  dai5  man  drin  einschlafen  könnte. 
Wer  wird  uns  in  der  Dunkelheit  heimsenden. 
Und  die  Hunde,  die  so  laut  bellen? 


117 


GEORG  TRAKL:  DER  HERBST  DES  EINSAMEN 

Der  dunkle  Herbst  kehrt  ein  voll  Frucht  und  Fülle, 
Vergilbter  Glanz  von  schönen  Sommertagen. 
Ein  reines  Blau  tritt  aus  verfallener  Hülle; 
Der  Flug  der  Vögel  tönt  von  alten  Sagen. 
Gekeltert  ist  der  Wein,  die  mild  Stille 
Erfüllt  von  leiser  Antwort  dunkler  Fragen. 

Und  hier  und  dort  ein  Kreuz  auf  ödem  Hügel; 
Im  roten  Wald  verliert  sich  eine  Herde. 
Die  Wolke  wandert  übern  Weiherspiegel; 
Es  ruht  des  Landmanns  ruhige  Geberde. 
Sehr  leise  rührt  des  Abends  blauer  Flügel 
Ein  Dach  von  dürrem  Stroh,  die  schwarze  Erde. 

Bald  nisten  Sterne  in  des  Müden  Brauen; 

In  kühle  Stuben  kehrt  ein  still  Bescheiden 

Und  Engel  treten  leise  aus  den  blauen 

Augen  der  Liebenden,  die  sanfter  leiden. 

Es  rauscht  das  Rohr;  anfällt  ein  knöchern  Grauen, 

Wenn  schwarz  der  Tau  tropft  von  den  kahlen  Weiden. 

ERNST  WILHELM  LOTZ:  IN  GELBEN  BUCHTEN 

In  gelben  Buchten  sogen  wir  der  Fernen 

Verspülte  Lüfte,  die  von  Städten  wissen, 

Wo  Lüste  grünen,  angerührt  vom  Wahnsinn. 

Wir  schwammen  auf  dem  Fieberschiff  stromauf 

Und  sonnten  unsre  Leiber  an  dem  Buhlen 

Waldheißer  Panther,  die  der  Sommer  quält. 

Der   Klappersclilange   nacktes    Schlammgeringel 

Wand  sich  verstört,  als  wir  vorüberkamen. 

Und  in  verschlafnen  Dörfern  gurgelte  die  Lust. 

Ein  warmer,  satter  Wind  strich  durch  die  Palmen.   — 

Ich  sah  dich  weiß  von  Schlaf. 

Und  als  ich  von  dir  ebbte,  hoch  gehoben 

Von  meinem  stolzen,  satt  gestürmten  Blut: 

0  Sturm  der  Nächte,  der  mich  Blut-wärts  zog 

Zu  kühnen,  nie  entdeckten  Ländergürteln: 

0  schwül  Geliebte!  Strom  der  Geheimnisse! 

Verschlafenes  Land !   Im   Süden !   0  Sommer-Qual ! 


I  ii 


THEODOR  DÄUBLER:    WINTER 

Geduldig  ist  der  Wald, 
Behutsamer  der  Schnee, 
Am  einsamsten  das  Reh. 
Ich  rufe.  Was  erschallt? 
Der  Widerhall  macht  Schritte. 
Er  kehrt  zurück  zu  seinem  Weh : 
Das  kommt  heran  wie  leise  Tritte. 
Er  findet  mich  in  meiner  Mitte. 
Warum  hab  ich  den  Wald  gestört? 
Vom  Schnee  ward  nichts  gehört. 
Hat  sich  das  Reh  gescheut? 
Wie  mich  das  Rufen  reut. 

WILHELM  KLEMM:  AUSGLEICH 

Das  Gebirge  entfaltet  sich.  Steinerner  Samt 
Sinkt  ins  Schattental,  wo  Wälder  die  Flügel  breiten. 
Von  Gipfel  zu  Gipfel  führen  zarte,  sinnende  Wege, 
Die  Silberkrone  des  ewigen  Schnees  quillt  auf. 

Einsamkeit  starrt  mich  an  mit  azurnem  Auge,  ' 

Über  Abgründe  hängt  der  splitternde  Fels. 
Zerbrochner  Tafeln  wilde  Verwüstung 
Tost  hinab  in  die  stille  Verdammnis. 

Untergang  und  Auferstehung 

Reichen  sich  unendliche  Hände. 

Der  Wasserfall  sinkt  gelassen  in  schwarze  Klüfte. 

Ein  Vogel  kreist.   Die  Quelle  lächelt. 

JAKOB  VAN  HODDIS  :  MORGENS 

Ein  starker  Wind  sprang  empor, 

öffnet  des  eisernen  Himmels  blutende  Tore. 

Schlägt  an  die  Türme. 

Hellklingend   laut   geschmeidig   über   die   eherne   Ebene   der 

Stadt. 
Die  Morgensonne  rußig.  Auf  Dämmen  donnern  Züge. 
Durch  Wolken  pflügen  goldne  Engelpflüge. 
Starker  Wind  über  der  bleichen  Stadt. 
Dampfer    und    Kräne    erwachen    am    schmutzig    fließenden 

Strom. 

119 


Verdrossen  klopfen  die  Glocken  am  verwitterten  Dom. 

\iele  \\'eiber  siehst  du  und  Mädchen  zur  Arbeit  gehn. 

Im  bleichen  Licht.   Wild  von  der  iNacht.   Ihre  Röcke  wehn. 

Glieder  zur  Liebe  geschaffen. 

Hin  zur  Maschine  und  mürrischem  Mühn. 

Sieh  in  das  zärtliche  Licht. 

In  der  Bäume  zärtliches  Grün. 

Horch!  Die  Spatzen  Schrein. 

Und  draußen  auf  wilderen  Feldern 

Singen  Lerchen. 

RENfi  SCHICKELE:  SONNENUNTERGANG 
Ich  stieg   vom   Keller 
Bis  unters  Dach, 
Immer  heller 
^^  ar  das  Gemach, 
Die   Sladt,  sonst  verdrossen, 
Hob  Kuppeln   aus  Gold, 
Es  glühten  die  Gossen 
Wie  Adern  von  Gold. 

Die  Felder  brandeten, 
Meer  in  Meer, 
Vögel  landeten, 
Von  Feuer  schwer. 
Auf  Korallenwipfeln. 
Schauer   von   Licht 
Liefen  ernsten  Gipfeln 
Übers  Gesicht . . . 

Den  Turm  besteigend 
Sah  ich  die  Welt 
Der  rSacht  sich  neigend 
Von  Lust  erhellt, 
Mit  einem  Lächeln, 
Das    schimmernd    stund. 
Ein  Flammen  lächeln. 
Um  ihren  Mund, 

Wie  Frauen  der  Wonnen, 
sie  liegen  enlhüllt, 
noch  lange   versonnen 
Gedenken  erfüllt. 

120 


REISfi  SCHICKELE:    DER  K^ABE  IM  GARTEN 

Ich  will  meine  bloßen  Hände  aneinanJer  legen 

und  sie  schwer  versinken  lassen, 

da  OS  Abend  wird,  als  Aväron  sie  Geliebte. 

Maiglocken  läuten  in  der  Dämmerung, 

und  weiße  Dülleschleicr  senken  sich  auf  uns, 

die  wir  eng  beieinander  unsern  Blumen  lauschen. 

Durch  den  letzten  Glanz  des  Tages  leuchten  Tulpen, 

die  Syringen  quellen  aus  den  Büschen, 

eine  helle  Rose  schmilzt  am  Boden  .  .  . 

Wir  alle  sind  einander  gut. 

Draußen  durch  die  blaue  JNacht 

hören  wir  gedämpft  die  Stunden   schlagen. 


THEODOR  DÄUBLER:  DÄMMERUNG 

Am  Himmel  steht  der  erste  Stern, 
Die  Wesen  wähnen  Gott  den  Herrn, 
Und  Boote  laufen  sprachlos  aus, 
Ein  Licht  erscheint  bei  mir  zu  Haus. 

Die  Wogen  steigen  weiß  empor. 
Es  kommt  mir  alles  heilig  vor. 
Was  zieht  in  mich  bedeutsam  ein? 
Du  sollst  nicht  immer  traurig  sein. 


ALFRED  LICHTENSTEI>;:  /.\  DEN  ABEND 

Aus   krummen   ISebeln    wachsen   Köstlichkeiten. 
Ganz  winzge  Dinge  wurden  plötzlich  wichtig. 
Der  11  iimnel  ist  schon  grün  und  unduichsichtig 
Dort  hinten,  wo  die  blinden  Hügel  gleiten. 

Zerlumpte  Bäume  strolchen  in  die  Ferne. 
Belrunkne  ^^  iesen  drehen  sich  im  Kreise, 
Und  alle  Flächen  werden  grau  und  weise  . .  . 
JNur   Dörfer   hocken   leuchtend:   rote  Sterne   — 


121 


PAUL   ZECH: 
DIE   HÄUSER   HABEN   AUGEN   AUFGETAN  .  .  . 

Am  Abend  stehn  die  Dinge  nicht  mehr  blind 
und  mauerhart  in  dem  Vorüberspülen 
gehetzter  Stunden;  Wind  bringt  von  den  Mühlen 
gekühlten  Tau  und  geisterhaftes  Blau. 

Die  Häuser  haben  Augen  aufgetan, 
Stern  unter  Sternen  ist  die  Erde  wieder, 
die  Brücken  tauchen  in  das  Flußbett  nieder 
und  schwimmen  in  der  Tiefe  Kahn  an  Kahn. 

Gestalten  wachsen  groß  aus  jedem  Strauch, 

die  Wipfel  wehen  fort  wie  träger  Rauch 

vmd  Täler  werfen  Berge  ab,  die  lange  drückten. 

Die  Menschen  aber  staunen  mit  entrückten 

Gesichtern  in  der  Sterne  Silberschwall 

und  sind  wie  Früchte  reif  und  süß  zum  Fall. 

GEORG  TRAKL:  ABENDLIED 

Am  Abend,  wenn  wir  auf  dunklen  Pfaden  gehn, 
Erscheinen  unsere  bleichen  Gestalten  vor  uns. 

Wen  uns  dürstet, 

Trinken  wir  die  weißen  Wasser  des  Teichs, 

Die  Süße  unserer  traurigen  Kindheit. 

Erstorbene  ruhen  wir  unterm  Holundergebüsch, 
Schaun  den  grauen  Möven  zu. 

Frühlingsgewölke  steigen  über  die  finstere  Stadt, 
Die  der  Mönche  edlere  Zeiten  schweigt. 

Da  ich  deine  schmalen  Hände  nahm 
Schlugst  du  leise  die  runden  Augen  auf. 
Dieses  ist  lange  her. 

Doch  wenn  dunkler  Wohllaut  die  Seele  heimsucht. 
Erscheinst  du  Weiße  in  des  Freundes  herbstlicher  Landschaft. 

12a 


GEORH  HEYM:  ALLE  LANDSCHAFTEN  HABEN 

Alle  Landschaften  haben 

Sich  mit  Blau  erfüllt. 

AEe  Büsche  und  Bäume  des  Stromes, 

Der  weit  in  den  Norden  schwillt. 

Leichte  Geschwader,  Wolken, 
Weiße  Segel  dicht, 
Die  Gestade  des  Himmels  dahinter 
Zergehen  in  Wind  und  Licht. 

Wenn  die  Abende  sinken 

Und  wir  schlafen  ein, 

Gehen  die  Träume,  die  schönen. 

Mit  leichten  Füßen  herein, 

Cymbeln  lassen  sie  klingen 
In  den  Händen  licht. 
Manche  flüstern  und  halten 
Kerzen  vor  ihr  Gesicht. 

ALBERT  EHRENSTEIN:  ABENDSEE 

Wir  kämmten  Wolken,  Faun  und  Fee, 

Im  Liebesspiel  über  Stern  und  See. 

Nun  hat  uns  Dämmer  verschneit,  Nebel  gezweit, 

Im  Leid  vergilbt  die  Lilienzeit. 

Neidwolken,  herzschnappende  weiße  Wölfe, 

Aus  Schaumtraum  scheuchtet  ihr  mir  die  verspielte  Tanzelfe. 

Mein  Abendlied  siakt  im  See. 

Die  wüde  Nacht  bespringt  mein  Reh, 
Die  Sterne  haben  sich  abgedreht, 
ödvogel  weht  sein:  „Spät,  zu  spät!" 
Weh  fühle  ich,  wie  ich  im  Schnee 
Unter  geh'. 

ALBERT  EHRENSTEIN:  FRIEDE 

Die  Bäume  lauschen  dem  Regenbogen, 
Tauquelle  grünt  in  junge  Stille, 
Drei  Lämmer  weiden  ihre  Weiße, 
Sanftbach  schlürft  Mädchen  in  sein  Bad. 

123 


liotsonne  rollt  sich  abendnieder, 
Flaumwolken  ihr  Traumleuer  sterben. 
Dunkel  über  Fiut  und  Flur. 

Frosch-^^'andcrer  springt  großen  Auges, 
Die  graue  Wiese  hüpit  leis  mit. 
Im  tielen  Brunnen  klingen  meine  Sterne. 
Der  Heimwohwind  weht  gute  JNacht. 

RENß  SGHICKELE:  MONDÄUFGANG 

Verschal tcl  Herz,  du  Mond  noch  nicht  im  klaren, 
brich  durch,  das  lelzle  Licht   erlosch  im  Abendwind... 
Bald  werden  alle  meine  Gedanken,  die  Verdammte  waren, 
strahlen,   weil  sie  schwebend   und   einsam  sind. 

Nie  mehr  vor  fromdon   Seelen   bei  lein  gehn! 
Nie  mehr  um  die  ErlülluDg  werben! 
Nicht  mehr  mit  jeder  Sehnsucht  sterben 
und  falschen  Herzens  au  ferslehn. 

Gefäß  der  Zuversichl,  du  Mond  im  klaren  ... 

Die  Welt  verlor  den  Glanz  im  Abendwind. 

Es  kam  die  Nacht.  Nun  strahlen,  die  erblaßte  Sklaven  waren, 

die  Gedanken,  weil  sie  über  Meer  und  Erde  mächtig  sind. 

GEORG  HEYM:  MOND 

Den  blutrot  dort  der  Horizont  gebiert, 
Der  aus  der  Hölle  großen  Schlünden  steigt. 
Sein  Purjjurliaupl  mit   Wölken  schwarz  verziert. 
Wie  um  der  Göller  Stirn  Akanthus  schweigt, 

Er  setzt  den  großen  goldnen  Fuß  voran 
Und  spannt  die  breite  Brust  wie  ein  Athlet, 
Und  wie  ein  Partherlürst  zieht  er  bergan, 
Des  Schläfe  goldenes  Geiock  uiuwohl. 

Hoch  über  Sardes  und  der  schwarzen  Nacht, 
Auf  Silberlürniea  und  der  Zinnen  Meer, 
Wo  mit  Posaunen  schon  der  Wächter  wacht. 
Der  ruft  vom  Pontos  bald  den  Morgen  her. 

124 


y 


Zu  seinem  Fuße  schlummert  Asia  weit 

Im  blauen  Schatten,  unterm  Ararat, 

Des  Schreehaupt  schimmert  durch  die  Einsamkeit, 

Bis  wo  Arabia  in  das  weiche  Bad 

Der  Meere  mit  den  weißen  Füßen  steigt 
Und  fern  im  Süden,  wie  ein  großer  Schwan, 
Sein  Haupt  der  Sirius  auf  die  Wasser  neigt 
Lnd  singend  schwimmt  hinab  den  Ocean. 

Mit  großen  Brücken,  blau  wie  blanker  Stahl, 
Mit  Mauern,  weiß  wie  Marmor,  ruhet  aus 
Die  große  Ninive  im  schwarzen  Tal, 
Lnd  wenig  Fackeln  werfen  noch  hinaus 

Ihr  Licht,  wie  Speere  weit,  wo  dunkel  braust 

Der  Euphrat,  der  sein  Haupt  in  Wüsten  taucht. 

Die  Susa  ruht,  um  ihre  Stirne  saust 

Ein   Schwärm  von  Träumen,  die  vom  ^^  ein  noch  raucht. 

Hoch  auf  der  Kuppel,  auf  dem  dunklen  Strom 
Belauscht  allein  der  bösen  Sterne  Bahn 
In  weißem  Faltonkleid  ein  Astronom, 
Der  neigt  sein  Scepter  dem  Aldebaran, 

Der  mit  dem  Monde  kämpft  um  weißen  Glanz, 
Wo  ewig  strahlt  die  iSacht  und  ferne  stehn 
Am  \A  üslenrand  im  blauen  Lichte  ganz 
Einsame  Brunnen  und  die  Winde  wehn 

ölwälder  fern  um  leere  Tempel  lind. 

Ein  See  von  Silber,  und  in  schmaler  Schlucht 

Uralter  Berge  tief  im  Grunde  rinnt 

Ein  Wasser  sanft  um  dunkler  Ulmen  Bucht. 


GOTTFRIED  üE^^i  0,  NACHT  -; 

0,   Nacht  I   Ich  nahm  schon  Kokain, 
Und  Blutverteilung  ist  im  Gange. 
Das  Haar  wird  grau,  die  Jahre  flieh'n, 
Ich  muß,  ich  muß  im  Überjchwange 
Noch  einmal  vorm  Vergängnis  blühn. 

125 


0,  Nacht!  Ich  will  ja  nicht  so  viel. 
Ein  kleines  Stück  Zusammenballung, 
Ein  Abendnebel,  eine  Wallung 
Von  Raumverdrang,  von  Ichgefühl. 

Tastkörperchen,  Rotzellensaum 
Ein  Hin  und  Her,  und  mit  Gerüchen; 
Zerfetzt  von  Worte -Wolkenbrüchen  — : 
Zu  tief  im  Hirn,  zu  schmal  im  Traum. 

Die  Steine  flügeln  an  die  Erde. 
Nach  kleinen  Schatten  schnappt  der  Fisch. 
Nur  tückisch  durch  das  Ding  =  Gewerde 
Taumelt  der  Schädel  =  Flederwisch. 

0,  Nacht!  Ich  mag  dich  kaum  bemühn ! 
Ein  kleines  Stück  nur,  eine  Spange 
Von  Ichgefühl  —  im  Überschwange 
Noch  einmed  vorm  Vergängnis  blühn! 

0,  Nacht,  o  leih  mir  Stirn  und  Haar, 
Verfließ  Dich  um  das  Tag  -  verblühte  I 
Sei,  die  mich  aus  der  Nervenmythe 
Zu  Kelch  und  Krone  heimgebar. 

0,  still!  Ich  spüre  kleines  Rammeln: 
Es  sternt  mich  an  —  Es  ist  kein  Spott  — : 
Gesicht,  ich:  mich,  einsamen  Gott, 
Sich  groß  um  einen  Donner  sammeln. 


AUGUST  STRAMM.  TRAVM 

Durch  die  Büsche  winden  Sterne 

Augen  tauchen  blaken  sinken 

Flüstern  plätschert 

Blüten  gehren 

Düfte  spritzen 

Schauer  stürzen 

Winde  schnellen  prellen  schwellen 

Tücher  reißen 

Fallen  schrickt  in  tiefe  Nacht. 


126 


Jäh  gelb  und  springt 

Und  Flecken  spritzen  — 

Verbleicht 

Und 

Pralle  Wolken  tummeln  sich  in  Pfützen. 


ERNST    STADLER 

FAHRT  ÜBER  DIE  KÖLNER  RHEINBRCCKE  BEI  NACHT 

Der  Schnellzug  tastet  sich  und  stößt  die  Dunkelheit  entlang. 
Kein  Stern  will  vor.  Die  ganze  Welt  ist  nur  ein  enger,  nacht- 

umschienter   Minengang, 
Daxein  zuweilen  Förderstellen  blauen  Lichtes  jähe  Horizonte 

reißen :  Feuerkreis 
Von  Kugellampen,  Dächern,  Schloten,  dampfend,  strömend.. . 

nur  sekundenweis  .  .  . 
Und  wieder  edles  schwarz.  Als  führen  wir  ins  Eingeweid  der 

Nacht  zur  Schicht. 
Nun  taumeln  Lichter  her  .  .  .   verirrt,  trostlos  vereinsamt .  .  . 

mehr  .  .  .  und  sammeln  sich  . . .  und  werden  dicht. 
Gerippe    grauer    Häuserfronten    liegen    bloß,    im    Zwielicht 

bleichend,  tot  —  etwas  muß  kommen  .  .  .  o,  ich  fühl 

es  schwer 
Im  Hirn.  Eine  Beklemmung  singt  im  Blut.  Dann  dröhnt  der 

Boden  plötzlich  wie  ein  Meer : 
Wir  fliegen,  aufgehoben,  königlich  durch  nachtentrissne  Luft, 

hoch  übern  Strom.  0  Biegung  der  Millionen  Lichter, 

stumme  Wacht, 
Vor  deren  blitzender  Parade  schwer  die  Wasser  abwärts  rollen. 

Endloses  Spalier,  zum  Gruß  gestellt  bei  Nacht! 
Wie  Fackeln  stürmend!  Freudiges!  Salut  von  Schiffen  über 

blauer  See!  Bestirntes  Fest! 
Wimmelnd,  mit  hellen  Augen  hingedrängt!  Bis  wo  die  Stadt 

mit  letzten  Häusern  ihren  Gast  entläßt. 
Und  dzuin  die  langen  Einsamkeiten.  Nackte  Ufer.  Stille.  Nacht. 

Besinnung.    Einkehr.    Kommvmion.    Und    Glut   und 

Drang 
Zum  Letzten,  Segnenden.   Zum  Zeugungsfest.  Zur  Wollust 

Zum  Gebet.  Zum  Meer.  Zum  Untergang. 

127 


THEODOR  DÄUBLER:  ÜBERRASCHUNG 

Durch  Pinien  lustwandelt  der  Mond,  durch  Glyzinien! 
Ein  blauendes  Wasser  bringt  blauere  Blätter. 
Ein  Windhauch  verwiegt  und  verschmiegt  alle  Linien, 
Das  raschelt  und  scharrt  wie  von  Rosengekletter. 

Es  scheint,  daß  der  Flieder  mit  Blüten  sich  brüste. 
Er  wogt  seine  Düfte,  fast  atmend,  ins  Freie. 
Es  ist,  als  ob  alles  mit  Hauchen  sich  küßte, 
Damit  sich  die  Lust  bloß  durch  Tausche  verleihe. 

Auf  einmal  verwirrt  mich  die  traumblaue  Bleiche. 
Doch  sehe  ich  plötzlich  ein  Wunder  erstrahlen: 
Umschimmert  von  einem  kristallklaren  Teiche, 
Erblassen  und  trinken  Gestalten  aus  Schalen. 

Es  zieht  mich  hinüber,  wie  heimwärts  zu  Brüdern. 
Ich  platsche  ins  Wasser.  Man  lacht  mir  entgegen. 
Man  schöpft  meine  Ringwellen,  reicht  sie  den  Müdern, 
Und  plötzlich  beginnen  sich  Mädchen  zu  regen. 

Ich  schwimme  so  leicht,  wie  beflügelt,  zum  Eiland 
Und  fühle  mich  dann  in  verwandelten  Landen. 
Dort  heißt  es:  das  alles  versprach  uns  der  Heiland: 
Wir  sind  in  euch  selbst,  unsern  Gräbern,  erstanden! 

Ich  sehe  geadeltes  Bauernvolk  lachen. 
Und  einer  saart:  siehe,  es  lohnt  sich  der  Mühe! 
Es  freut  uns,  das  Mutterland  urbar  zu  machen, 
Kommt,  führen  wir  Büffel!  geht,  füttert  die  Kühe! 

Ich  bin  doch  zu  Hause  und  glaube  mich  ferne. 
Vielleicht  in  der  Vorzeit.  Vielleicht  bloß  am  Nile! 
Dort  steigt  man  in  Berge,  ich  folgte  so  gerne, 
Doch  zeigt  mir  ein  Priester  gesonderte  Ziele. 

Er  spricht:  ,,Wir  erbauten  dereinst  Pyramiden 
Und  trachteten  stark,  uns  in  Quarz  zu  vergraben. 
Doch  dann  ward  ihr  Wesen  zum  seligen  Frieden, 
Durch  den  wir  uns  wieder  ins  Dasein  ergaben. 


128 


Wahrhaftig,  dort  steigt  man  für  Erz  in  die  Erde. 
Auf  einmal  erwachen  am  Boden  Kameole. 
Nein,  Erdhosen  sind  es  mit  Reckungsgebärde. 
Man  sprengt  unterirdisch:  das  ist  ihre  Seele  1 

Der  Nilfriede,  Nilliebe  wirken  hienieden. 
Hieratische  Ruhe  durchdämmert  das  Leben. 
Es  hat  uns  der  Aufbau  von  Steinpyramiden 
Erst  spät  unser  Grundwurzeln  wiedergegeben. 

Es  spielen  rings  Kinder  auf  silbernen  Leiern : 
Zumeist  sanftgebräunte,  schwarzäugige  Dinger, 
In   leise   verirdischten   Mondschimmerschleiern, 
Und  Licht  überspringt  ihre  spielenden  Finger. 

Nun  darf  ich  die  Kaiserin  traumhaft  gewahren. 
Sie  führt  ihren  lieblichen  Sohn  zu  den  Bauern. 
Sie  trägt  einen  Lotos  verklärt  durch  die  Scharen 
Beherzter  Gemüler,  die  sprachlos  erschauern. 

Man  winkt  mir,  dem  mächtigen  Weibe  zu  nahen. 
Ich  fühle,  es  wird  mich  ihr  Wesen  befragen. 
Ich  fasse  den  Mut,  was  sie  meint,  zu  bejahen. 
Da  senkt  sie  die  Blume  und  fängt  an  zu  sagen: 

„Das  da  sind  die  Wahrzeichen  fürstlicher  Güte." 
Nun  frage  ich,  da  ich  geblendet  bin:  ,, Welche?" 
Da  sagt  sie:  ,,Das  Glühwürmchen  über  der  Blüte, 
Der  blauende  Tautropfen  unter  dem  Kelche!" 

Jetzt  glückt  noch  der  Fürstin  das  gütigste  Lächeln. 
Es  schimmert  in  mich,  zu  den  innigsten  Bildern. 
Schon  kann  seine  Klarheit  Gespinste  verfächeln, 
Um  sanft  mein  Erleiden  durch  Zartheit  zu  mildern. 

Nun  kommen  die  Boote  allmählich  nach  Hause. 
Es  ziehn  schon  die  Fischer  rings  schimmernde  Netze, 
Voll  Beute  und  Tang,  aus  dem  Wassergebrause: 
Und  gleich  überwimmeln  sich  sämtliche  Plätze. 

Die  Weiber  erscheinen  mit  mondbleichen  Sicheln, 
Die  Mädchen  gar  häufig  beladen  mit  Gänsen. 
Man  kichert  Im  Finslern,  beginnt  sich  zu  sticheln, 
Doch  Bauern  erhellen  jetzt  alles  mit  Sensen. 


129 


Es  helfen  Matrosen  mit  mondweißen  Fischen. 
Die  krümmen  sich  zappelnd  wie  Sicheln  zusammen 
Und  überall  schimmern,  entwischen  und  zischen 
Gebilde,  die  leise  und  bleich  sich  entflammen. 

Doch  hocken  noch  stumme  Gestalten  am  Strande. 
Die  wollen  den  Mondfisch,  den  Vollmondfisch,  haschen! 
Doch  ich  wandle  langsam,  zum  Fang  außerstande. 
Und  weiß  wohl,  es  wird  mich  noch  viel  überraschen. 

Am  Ufer  der  Träume  erzählt  mir  die  Seele 
Das  Lied  meiner  leidenden  innersten  Stimmen. 
Ich  will,  daß  der  Wind  alle  Sehnsuchten  schweele. 
Damit  meine  Sagen  ihr  Tagen  erklimmen. 

Äpvp tische  Rätsel,  erdämmert  im  Schwärmer! 
Thebanische  Mädchen,   umzaubert  uns  wieder  1 
Ihr  Starrheitssymbole,  der  Wind  weht  schon  wärmer, 
Drum  Unterweltnumen,  durchzieht  unsre  Lieder  1 

Der  tropische  Glutenfluß  faßt  sich  im  Leben. 
Astrale  Gestalten  ergreift  euch  in  Bäumen! 
Die  menschliche  Seele,  ein  Fieberentschweben, 
Entflailore,  entwurzle  sica  ewig  in  Träumen. 

Ihr  Pflanzen  im  heiligen  Urfriedensgarten, 
Begeistert  erscheinend  die  wirksamen  Reiche! 
Die  Sterne  und  Quelienberauscher  erwarten 
Den  Lothos  der  Seele  im  traumblauen  Teiche. 

Orkane  am  Styxe,  durchwittert  die  Seher! 
Chimären,  beginnt  im  Gegrübel  zu  nisten! 
Schon   kommen   uns   zwitschernde  Kindslarven  näher, 
Als  ob  rings  Gespenster  ihr  Segel-Ich  hißten! 

Du  Wesenheit  spiele:   erspiele  dir  Bilder! 
Erklimme  dir  Lieder  in  Mondgeisterzonen! 
Du  Mildhell  in  mir,  werde  immer  noch  milder: 
Entschaue  Äonen,  die  doch  bloß  betonen. 


i3o 


O    Th.  iV   Stein 


ij^"   o.i^>^Sitiii. 


Theodor   Dnuhler 


GEORG  TRAKL:  SEBASTIAN  IM  TRAUM 

FürAdolfLoos 

Mutter  tru?  das  Kindlein  im  weißen  Mond, 

Im  Schatten  des  Nußbaums,  uralten  Holunders, 

Trunken  vom  Safte  des  Mohns,  der  Klage  der  Drossel; 

Und  stille 

Neigte  in  Mitleid  sich  über  jene  ein  bärtiges  Antlitz 

Leise  im  Dunkel  des  Fensters;  und  altes  Hausgerät 

Der  Väter 

Lag  im  Verfall;   Liebe  und  herbstliche  Träumerei. 

Also  dunkel  der  Tag  des  Jahrs,  traurige  Kindheit, 

Da  der   Knabe  leise  zu  kühlen   Wassern,  silbernen   Fischen 

hinabstieg, 
Ruh  und  Antlitz; 

Da  er  steinern  sich  vor  rasende  Rappen  warf, 
In  grauer  Nacht  sein  Stern  über  ihn  kam; 

Oder  wenn  er  an  der  frierenden  Hand  der  Mutter 
Abends   über   Sankt  Peters   herbstlichen   Friedhof  ging, 
Ein  zarter  Leichnam  stille  im  Dunkel  der  Kammer  lag 
Und  jener  die  kalten  Lider  über  ihn  aufhob 

Er  aber  war  ein  kleiner  Vogel  im  kahlen  Geäst, 
Die  Glocke  lang  im  Abendnovember, 

Des  Vaters  Stille,  da  er  im  Schlaf  die  dämmernde  Wendel- 
treppe hinabstieg. 


Frieden  der  Seele.  Einsamer   Winterabend, 
Die  dunklen  Gestalten  der  Hirten  am  alten  Weiher; 
Kindlein  in  der  Hütte  von  Stroh;  o  wie  leise 
Sank  in  schwarzem  Fieber  das  Antlitz  hin. 
Heilige  Nacht. 

Oder  wenn  er  an  der  harten  Hand  des  Vaters 

Stille  den  finstern  Kalvarienberg  hinanstieg 

Und  in  dämmernden  Felsennischen 

Die  blaue  Gestalt  des  Menschen  durch  seine  Legende  ging, 

Aus  der  Wunde  unter  dem  Herzen  purpurn  das  Blut  rann. 

0  wie  leise  stand  in  dunkler  Seele  das  Kreuz  auf. 

i33 


Liebe;  da  in  schwarzen  Winkeln  der  Schnee  schmolz, 
Ein  blaues  Lüftchen  sich  heiter  im  alten  Holunder  fing, 
In  dem  Schattengewölbe  des  Nußbaums; 
Und  dem  Kneiben  leise  sein  rosiger  Engel  erschien.. 

Freunde;  da  in  kühlen  Zimmern  eine  Abendsonate  erklang. 

Im  braunen  Holzgebälk 

Ein  blauer  Falter  aus  der  silbernen  Puppe  kroch. 

0  die  Nähe  des  Todes.  In  steinerner  Mauer 

Neigte  sich  ein  gelbes  Haupt,  schweigend  das  Kind, 

Da  in  jenem  März  der  Mond  verfiel. 


Rosige  Osterglocke  im  Grabgewölbe  der  Nacht 
Und  die  Silberstimmen  der  Sterne, 

Daß  in  Schauern  ein  dunkler  Wahnsinn  von  der  Stirne  des 
Schläfers  sank. 

0  wie  stille  ein  Gang  den  blauen  Fluß  hinab 

Vergessenes  sinnend,  da  im  grünen  Geäst 

Die  Drossel  ein  Fremdes  in  den  Untergang  rief. 

Oder  wenn  er  an  der  knöchernen  Hand  des  Greisen 
Abends  vor  die  verfallene  Mauer  der  Stadt  ging 
Und  jener  in  schwarzem  Mantel  ein  rosiges  Kindlein  trug. 
Im  Schatten  des  Nußbaums  der  Geist  des  Bösen  erschien. 

Tasten   über  die  grünen   Stufen  des   Sommers.   0   wie  leise 
Verfiel  der  Garten  in  der  braunen  Stille  des  Herbstes, 
Duft  und  Schwermut  des  allen  Holunders, 
Da  in  Sebastians  Schatten  die  Silberstimme  des  Engels  erstarb. 

WlhKELMKLEMM:  BETRACHTUNGEN 

Bäume  sättigen  sich  in  schweigendem  Grün. 
Und  der  Himmel  dunkelt  in  einem  vergeßnen  Grau. 
Die  Unendlichkeit  des  Grases 
Triumphiert  mit  tausend  kleinen  Spitzen. 

Was  haben  wir  eigentlich  am  meisten  geliebt? 

Die  Tugenden  verblaßten  längst  unter  dem  Achselzucken 

Des  Verstehens,  Ruhm  ist  so  dünn, 

Macht  keinen  frei.  Weisheit  versinkt 

i34 


In  Schwermut.  Erinnerungen  verklingen, 
Auch  die  schönsten.  Auch  an  die  Befreiung 
Von  Leid.  Seltsam  und  unverständlich 
Erstirbt  das  ferne  Gemurmel  der  Erschauungen. 

Eine  geheimnisvolle  Liebe  bleibt 

Halb  Weib,  halb  Stern, 

Die  in  unsagbarer  Zartheit  über  dem  dunkelnden  Herzen 

Zittert  wie  ein  Tropfen  Ewigkeit, 

Während  der  Winter  wieder  kühl  durch  das  Land  geht, 
Der  Himmel  einsamer  wird  über  den  Bäumen, 
Und  die  aufatmende  Brust  sich  nach  Westen  wendet 
Wo  der  Abend  heimkehrt,  ein  zögernder  Träumer. 


FRANZ  WERFEL:  DIE  TRÄNE 

Unter  dem  vogellosen  Himmel  wilder  Cafes, 

Sitzen  wir  oft,  wenn  die  Stunde  der  Schwermut  schwebt! 

Wenn  der  Schwärm  der  Musik  mit  raschen  Schlägen 

Möwenhaft 

Dicht  uns  am  Ohr  vorüberstreicht. 

Nirgend,  wo  sich  der  Raum  in  Mauern  drängt. 

Tiefer  blühet  die  Pflanze  der  Fremde  auf. 
Schließt  du  die  Augen,  so  fahren  zusammen 
Eise  des  Pols, 
Und  es  schluchzt  der  alte  Fjord. 

Öffne  dich  nun!   Was  geschieht?  Schlage  die  Augen  auf! 

Was  zerbricht  den  Tumult?  Was  ruft  dem  Wirbel   Halt? 

Dort  an  dem  Tisch  die  schwarze  Dame, 

Plötzlich  erklingend 

Weint  sich  das  Fräulein  in  seine  Hände  hin. 

Was  noch  Alleinheit  war,  wirft  sich  einander  zu. 

Und  die  weinende  Stimm'  bindend  wird  zum  Gesetz. 

Die  Menschen  stehen  alle  und  weinen. 

Strömen  heilig, 

Selbst  das  Tablett  in  der  Hand  des  Kellners  bebt. 

i35 


Scherben  wir  alle,  werden  im  Weinen  Gefäß. 

Wer  die  Träne  erkennt,  weiß  der  Gemeinschaft  Stoff. 

Ozean  sind  wir,  Brüder,  und  fahren. 

Ewig  fahren 

Barken  wir  auf  dem  Weltmeer  des  Herzens  hin. 

Schmerz  des  Einsamen,  du  der  Unsterblichkeit  Kindl 

Der  Gottheit  liebliches  Blut,  unsere  Träne  rinnt. 

Ach  wir  begießen  mit  unseren  Tränen 

Edene  Beete, 

Fruchtbar,  Geschwister,  wird  uns  das  Paradies. 

FRANZ  WERFEL:  GESA iVG 

Einmal  einmal  — 

Wir  waren  rein. 

Saßen  klein  auf  einem  Feldstein 

Mit  vielen  lieben  allen  Fraun. 

Wir  waren  ein  Indenhimmelschaun, 

Ein  kleiner  Wind  im  Wind 

Vor  einem   Friedhof,  wo  die  Toten  leicht  sind. 

Sahen  auf  ein  halbzerstürztes  Tor, 

Hummel  tönte  durch  Hagedorn, 

Ein  Grillen-Abend  trat  groß  ins  Ohr. 

Ein  Mädchen  flocht  einen  weißen  Kranz, 

Da  fühlten  wir  Tod  und  einen  süßen  Schmerz, 

Unsere  Augen  wurden  ganz  blau  — 

Wir  waren  auf  der  Erde  und  in  Gottes  Herz. 

Unsre  Stimme  sang  da  ohne  Geschlecht, 

Unser  Leib  war  rein  und  recht. 

Schlaf  trug  uns  durch  grünen  Gang  — 

Wir  ruhten  auf  Liebe,  heiligem  Geflecht, 

Die  Zeit  war  wie  Jenseits  wandelnd  und  lang. 

GOTTFRIED  BENN:  GESÄNGE 
1.  0  daß  wir  unsere  Ururahnen  wären. 
Ein  ivlünipchcn  Schleim  in  einem  warmen  Moor. 
Leben  und  Tod,  Befruchten  und  Gebären 
Glitte  aus  unseren  stummen  Säften  vor. 
Ein  AlgtMiblalt  oder  ein  Üünenliügel, 
Vom   \V  ind  Geformlcs  und  nach  unten  schwer. 
Schon  ein  Libelienkopf,  ein  iMöwenflügel 
Wäre  zu  weit  und  litte  schon  zu  sehr.  — 


i36 


if 


2.  Verächtlich  sind  die  Liebenden,  die  Spötter. 
Alles  Verzweifeln,  Sehnsucht,  und  wer  hofft. 
Wir  sind  so  schmerzliche  durchseuchte  Götter 
Und  dennoch  denken  wir  des  Gottes  oft. 

Die  weiche  Bucht.  Die  dunklen  Wälderträume. 
Die  Sterne,  schneeballblütengroß  und  schwer. 
Die  Panter  springen  lautlos  durch  die  Bäume. 
Alles  ist  Ufer.  Ewig  ruft  das  Meer.  —  — 

^         GOTTFRIED  BENN:  SYNTHESE 
Schweigende  Nacht.  Schweigendes  Haus. 
Ich  aber  bin  der  stillsten  Sterne; 
Ich  treibe  auch  mein  eignes  Licht 
Noch  in  die  eigne  Nacht  hinaus. 

Ich  bin  gehirnlich  heimgekehrt 
Aus  Höhlen,  Himmeln,  Dreck  und  Vieh. 
Auch  was  sich  noch  der  Frau  gewährt, 
Ist  dunkle  süße  Onanie. 

Ich  wälze  Welt.  Ich  röchle  Raub. 
Und  nächtens  nackte  ich  im  Glück : 
Es  ringt  kein  Tod,  es  stinkt  kein  Staub 
Mich,  Ich-Begriff,  zur  Welt  zurück. 

IWAN  GOLL:  KARAWANE  DER  SEHNSUCHT 

Unsrer  Sehnsucht  lange  Karawane 
Findet  nie  die  Oase  der  Schallen  und  Nymphen! 
Liebe  versengt  uns,  Vögel  des  Schmerzes 
Fressen  immerzu  unser  Herz  aus. 
Ach   wir  wissen  von   kühlen   Wassern  und  Winden: 
Überall  könnte  Elysium  sein! 

Aber  wir  wandern,  wir  wandern  immer  in  Sehnsucht! 
Irgendwo  springt  ein  Mensch  aus  dem  Fensler, 
Einen  Stern  zu  haschen,  und  stirbt  dafür, 
Irgendeiner  sucht  im  Panoptikum 
Seinen  wächsernen  Traum  und  liebt  ihn  — 
^Aber  ein  Feuerland  brennt  uns  allen  im  lechzenden  Herzen, 
Ach,  und  flössen  Nil  und  Niagara 
Über  uns  hin,  wir  schrien  nur  durstiger  auf! 

i37 


FRANZ    WERFEL: 
BALLADE  VON  WAHN  UND  TOD 

Im  großen  Raum  des  Tags,  — 

Die  Stadt  ging  hohl,  Novembermeer,  und  schallte  schwer 

Wie  Sinai  schallt.  Vom  Turm  geballt 

Die  Wolke  fiel.  —  Erstickten  Schlags 

Mein  Ohr  die  Stunde  traf, 

Als  ich  gebeugt  saß  über  mich  zu  sehr. 

Und  ich  entfiel  mir,  rollte  hin  und  schwankte  da  auf  einem 

Schlaf. 
Wie  deut'  ich  diesen  Schlaf,  — 

Wie  noch  kein  Schlaf  mich  je  trat  an,  da  ich  verramin 
In  Dunkelheit,  als  mich  eine  Zeit 
In  mein  Herz  traf! 
Und  als  ich  kam  empor. 
In  Traum  auftauchend  Atemgang  begann, 
Trat  ich  in  mein  vergangnes  Haus,  in  schwarzen  Flur  durchs 

winterliche  Tor. 
Nun  höret.  Freunde,  es! 
Als  ich  im  schwarzen  Tage  stand,  schlug  mich  eine  leichte 

Hand. 
Ich  stand  gebannt  an  kalter  Wand. 
0  schwarzes,  schreckliches 
Gedenken,  da  ich  ihn  nicht  fand. 
Den  Leichten,  der  mich  so  ging  an. 
Und  mich  im  schwarzen  Tag  des  Tors  geschlagen  leicht  mit 

seiner  leichten  Hand! 
Es  fügte  sich  kein  Schein, 
Und  selbst  das  kleine  schnelle  Licht,  das  sich  in  falsche  Rosen 

flicht. 
Und  unterm  Bild  verschwimmt  und  schwillt. 
Das  kleine  Licht  ging  ein. 
Es  trat  kein  schwarzer  Engel  vor. 

Kein  Schatten  trat,  kein  Atem  trat  aus  dem  kalten  Stein! 
Doch  hinter  mir  in   meinem   Traum,  aufschluclizend   kaum 

versank  das  Tor. 
Und  auch  kein  Wort  erscholl. 

Doch  ganz  mit  meiner  Stimme  rief  ein  Wort  in  meinem  Or- 
kus  tief. 
Und  wie  am  Eichen-Ort  ein  Blatt  war  ich  verdorrt 

i38 


Weh!  Trocken,  leicht  und  toll 

Fiel  ich  an  mir  herab  und  fuhr  in  Herbst  und  großem  Stoß. 
Mich  nahm  ein  Wort  und  Wind  mit  fort, 

Das  Wort,  das  durch  mich  stieß,  das  Wort  mit  dreien  Silben 
hieß,  das  Wort  hieß :  rettungslos ! 

0  letzte  Angst  und  Schmerz! 

0  Traum  vom  Flur,  o  Traum  vom  Haus,  aus  dem  die  Frau 

mich  führte  aus ! 
0  Bett,  im  Dunkel  aufgestellt,  auf  dem  sie  mich  entließ  zur 

Welt! 
Ich  stand  in  schwarzem  Erz, 
Und  hielt  mein  Herz  und  konnte  nicht  Schrein, 
Und  sang  ein  —  Rette  mich  —  in  mich  ein. 
Der  Raum  von  Stein  baute  mich  ein.  Ich  hörte  schallen  den 

Fluß  und  fallen,  den  Fluß :  Allein 

Und  da  es  war  also, 

Tat  sich  mir  kund  mein  letztes  Los,  und  ich  stieg  auf  aus 

edlem  Schoß. 
Im  schwarzen  Traum  vom  Flur  zerriß  und  klang  die  Schnur. 
Und  ich  erkannte  so. 

Warum  da  leicht  und  fein  die  Hand  mich  schlug. 
Die  schwach  an  meine  Stirne  fuhr, 
Und  meinen  Gang  geheim   bezwang,   daß   ich  nicht  wankte 

mehr  und  kaum  mich  selber  trug. 

Und  als  ich  ihn  erkannt, 

Den  Augenblick,  der  mich  trat  an,  da  war  ich  selbst  der  andre 
Maim, 

Und  der  mir  hart  gebot,  ich  selber  war  mein  Tod. 

Und  nahm  mir  alles  unverwandt. 

Und  wjind  es  fort  aus  meiner  Hand  und  hielt's  gepackt :  — 

Genuß  und  Liebe,  Macht  und  Ruhm  und  jammernd  die  Dicht- 
kunst zuletzt. 

Und  stand  entsetzt  und  ausgefetzt  und  ohne  Wahn  und  auf- 
getan und  völlig  nackt. 

0  Tod,  o  Tod,  ich  sah 

Zum  erstenmal  mich  wahrhaft  sein,  mich  ohne  Willen,  Wunsch 

und  Schein, 
Wie  Trinker  nächtlich  spät  sich  gegenüber  steht. 
Er  lacht  und  bleibt  sich  fern  und  nah 


Ich  stand  erstarrt  in  erster  Gegen-Wart,  allein,  zu  zwein. 
(Ach,  was  wir  sagen,  lügt  schon,  weil  es  spricht.) 
Ich  fand  mich,  ohne  Wahn  mich  sein,  und  starb  in  mein  Er- 
wachen ein. 

Im  großen  Raum  des  Tags 

Hob  ich  mein  Haupt  auf  aus  dem  Traum  und  sah  auf  meinen 

Fensterbaum. 
Die  Stadt  ging  hohl,  Novembermeer,  und  schallte  schwer. 
Der  Himmel  glühte  noch  kaum. 
Ich  aber  ging  hinab  mit  großem  Haupt  und  Hut, 
Und  ging  durch  Straßen,  rötliches  Gebirg  und  Paß  .  .  . 
Mein  Haupt  vom  Traum  umlaubt  noch.  Ging  mit  dumpfem 

Blut. 

Ich  ging,  wie  Tote  gehn. 

Ein  abgeschiedner  Geist,  verwaist  und  ungesehn. 

Ich   schwebte  fern  und   kühl   durch  Heimkehr  und  Gewühl, 

Sah  Kinder  rennen  und  sah  Bettler  stehn. 

Ein  Buckliger  hielt  sich  den  Bauch,  und  eine  Greisin  schwang 

den  Stock  und  schrie. 
Leicht  eine  Dame  lächelte.  Ein  Mädchen  küßte  sich  die  Hand  . . 
Und  ich  verstand,  was  sie  verband,  und  schritt  durch  ihre 

Alchimie. 

WILHELM  KLEMM:  AUFSUCHUNG 
Die  Geister  der  Verfeinerung 
Durchwehen  das  Fliederparadies, 
Unter  der  leuchtenden  Milchflut  des  Himmels 
Und  tausend  strahlenden  JNebeLn. 
Die  Göllerschwärme  der  Farben 
Erfüllen   der   Well  marmorne  Amphitheater. 
Durch   Abgründe,    silbergrün 
Schweben  bleiche  ruhige  Kugeln. 
Lodernde  Schönheit  belebt  sich  zart. 

Großartige   Schicksale  werden  aufgerollt, 

Ströme  der  Erregung 

Fließen   vorüber   in   rauschenden  Passagen. 

Eine  große  Knospe  erscheint. 
Wohin  senkt  sich  der  Äther? 
Über  Flugslernen,  wo  suchst  du  sie, 
Die  niegesehene,  die  Seele? 

i4o 


WILHELM  KLEMM:  ERSCHEINUNG 

Die  Schatten  sitzen  beim  Gastmahl  — 

Schweben  wie  weiße  Felle  in  der  Nacht. 

Freunde,  stoßt  an!  Da  sind  Becher,  die  nicht  tönen! 

Ein  vergeßner  Stern  funkelt  mitten  in  unserem  Kreis. 

Tor,  wer  glaubt  zwischen  Sohle  und  Scheitel 

Sei  alles  beschlossen,  was  Mensch  genannt  wird! 

Des  Herzens  unauslöschlicher  Drang,  die  Geisterarme, 

Die  hinausgreifen  nach  den  Ringen  an  den  Pforten  Gottes! 

Du  mit  dem  Fabelbück,  —  atmest  du  Ewigkeit? 
Und  du  schönes  Profil  voll  Schwermut,  neigst  du  die  Stirn 
Tiefer  lauschend  in  die  Schneckenwindungen  des  Himmels? 
Herkules,  streckst  du  die  Glieder  auf  den  Steinbänken  des 
Ewigen  ? 

Was  ist  jetzt  Anfang,  Ende  und  Wiederkehr? 

Wir  lächein  nicht  mehr  darüber.  Alle  Irrtümer  versöhnten  sich. 

Ganze  Welten  fallen  lautlos  herab 

In  den  dämmernden  Furchen  unserer  Gewänder. 


GEORG  HEYM:  MIT  DEN  FAHRENDEN  SCHIFFEN 

Mit  den  fahrenden  Schiffen 

Sind  wir  vorübergeschweift, 

Die  wir  ewig  herunter 

Durch  glänzende  Winter  gestreift. 

Ferner  kamen  wir  Immer 

Und  tanzten  im  insligen  Meer, 

Weit  ging  die  Flut  uns  vorbei. 

Und  der  Himmel  war  schallend  und  leer. 

Sage  die  Stadt, 

Wo  ich  nicht  saß  im  Tor, 

Ging  dein  Fuß  da  hindurch, 

Der  die  Locke  ich  schor? 

Unter  dem  sterbenden  Abend 

Das  suchende  Licht 

Hielt  ich,  wer  kam  da  hinab. 

Ach,  ewig  in  fremdes  Gesicht. 


i4i 


Bei  den  Toten  ich  rief. 

Im  abgeschiedenen  Ort, 

Wo  die  Begrabenen  wohnen; 

Du,  ach,  wärest  nicht  dort. 

Und  ic^  gi"g  über  Feld, 

Und  die  wehenden  Bäume  zu  Haupt 

Standen  im  frierenden  Himmel 

Und  waren  im  Winter  entlaubt. 

Raben  und  Krähen 
Habe  ich  ausgesandt. 
Und  sie  stoben  im  Grauen 
Über  das  ziehende  Land. 
Aber  sie  fielen  wie  Steine 
Zur  Nacht  mit  traurigem  Laut 
Und  hielten  im  eisernen  Schnabel 
Die  Kränze  von  Stroh  und  Kraut. 

Manchmal  ist  deine  Stimme, 
Die  im  Winde  verstreicht, 
Deine  Hand,  die  im  Traume 
Rühret  die  Schläfe  mir  leicht; 
Alles  war  schon  vor  Zeiten. 
Und  kehret  wieder  sich  um. 
Gehet  in  Trauer  gehüllet. 
Streuet  Asche  herum. 

JOHANNES   R.   BECHER: 
KLAGE  UND  FRAGE 

Jagdgründe  der  Nacht  — I 

Warum  warum  muß  immer  und  immer  wieder  anrennen  ich 
und  mich  enthaupten  — ?1 

Meuchlings  einreißen  die  li  Jite  Gerade  meiner  Vollendung  ge- 
wisser Fährte  — 

Hagel  und  Schwefel  zusammenraffen 

Über  der  frohlockend  keimenden  Unschuld  meines  Weizens  —  ?1 

Drüse  des  Monds 

Magischen  Gift-Saft  absonderst  du  hinein 

In  das  reine  Blau  meiner  wahren  Himmels-Speise. 

.  .  .  aber  nicht  im  paradiesischen  Gebiet  der  ewigen  Quellen 
heiterwandele  ich  .  .  . 

Vom  Blut  nähre  ich  mich  und  vom  Salz  des  Schweißea. 

l42 


Warum  wairuin  wieder  und  immer  wieder 

Ungläubig  entrückte  ich  mich  von  dir 

Ophelia : 

Du  meiner  harzlosen  Wüste  unerschöpflichste  der  Wasser- 
Stellen-?! 

Zu  dir,  tyrannische  Lydia,  hin: 

Du  Unmaß  an  Qual  Zweifel  Schüttel  -  Fieber  und  Nacht- 
Sucht  .  .  . 

Zu  euch  hin  atheistische  Barbaren, 

Großstadt-Wüterichen  des  Elends  . . . 

Finsterste  der  Verlockung : 

Abgrund  zu  schlürfen, 

Im  Keller  zu  hausen  des  vermorschten  Gebeins. 

. . .  Denn  wann  endlich  streife  ich  ihn  erlösend  ab  den  schä- 
bigen Filz  der  Huren  ... 

Du  und  du  benebeltest  mich 

Afra,  du  trübsinnige  Käfig- Wolke  der  Gefahr, 

Und  du  fressender  Maser  hektische   Zorn-Röte : 

Zirzische  Noa! 

Und  deiner  entrollten  Riesen-IIaut  brennender  Samum  ver- 
nichtete mich. 

Gellende  Negerin! 

Hah  und  deiner  klirrenden  Zunge  Schwert 

Zynisch   kichernd 

Du  kindlicher  Würgengel  o  Lustknabe 

Verroht  mich  . . . 

Deiner  beruhigten  Kühle  o  Gott  weltfremder  Hirsch 
Weide  ich 

Über   feuchten   Asphalt-Ufer-Gängen 

Nach   dem   grausen   entpreßten   Donner   eines   Sonnen-Meer- 
Niedergangs 
Unterm  Wind  des  Tods  und  Stern-Milch- Wirbeln 
Mild  im  Abend. 
Ameisen  -  Demut. 

Alter  Bauersmann  mit  weißem  Bart. 
Dieses  ruchlosen  Augs  Schießscharte  aber  entträuft 
Der  heiße  Märchen -Honig  Deines  lauteren   Sees. 
In  einer  letzten  Sanftmut  Kürbis  wurzele  ich. 
Angst-Falte  glättet  deiner  Gnade  öl. 
Stier-Nacken  wiegt  Lamm  und  Marterholz 

i43 


Zerbeulter  Helm  heißt  Turban  deiner  Güte. 

Ob  meines  Hohn-Gelächters  Säure  und  beißender  Empörer- 
Schwermut 

Rasenden  Trichters  klagend 

Dich  zündendste  nelkenstrenge  Harfnerin, 

Du  über  meiner  mörderischen  Raubgier  unberührtem  Him- 
melsscheitel duldsam  immer  noch  Schwingende, 

Keulen-Strahlen  Schmetternde!  Wölbung  der  Anmut! 

Mütterliche  Geleiterin  du  zu  meinen  seraphischen  Kindheit- 
Fahrten. 

Du  frühe  Schwester,  Nachtigallen -Erweckerin  der  tauben 
Verzweiflung  unseres  Schlaf-Mohns. 

Aller  der  Hungrigen  und  der  Durslenden  du  immer  wieder 
praller  Feuer-Euter. 

Tröstliche   Würze  du  meiner   einsamen   Trauer-Tanne   . . . 

Posaune  des  Aprils  wie  schlichte  Freundin  meines  Herbst- 
Traums  ... 

Kristallisch   Weinende!  Oboen-Lächlerin  1 

:  Dich  Sonne  befrage  ich 

Herzgrube  Gottes  du  über  meinen  zersplitterten  wurmstichi- 
gen  Folter-Bänken, 

Du  meiner  Iris  Sperber-Funken  und  Quecksilber-Aussaat : 

Wann  warum  wann  —  —  — 

Warum  warum  muß  Immer  und  immer  wieder  anrennen  ich 
und  mich  enthaupten?! 

Schmerzhalt  mit  Peitschen  und  Stachelkamm  mich  entlauben?! 

Verregnen  mutwillig  den  Saunen  meiner  Sehnsucht  — ?! 

Wann   endlich 

Streife  ich  ihn  erlösend  ab  den  schäbigen  Füz  der  Huren?! 

Wann  endlich  springt  aus  den  unbestimmten  Schalten  meiner 
vergeblichst  zertasteten  Register 

Deiner  erlösenden  Harmonien 

Einziger  festlicher  Welt-Ton  ?! 

Lobsingo  gefeit 

Dein  dienend  Instrument 

Im  blökenden  INetz  der  Grimassen?! 

Streue  immer-wach 

Göttlicher  Frische  Tau 

Du  Lebens-Müder 

Dir  ins  Wahn-Gesicht  . . .  ?  I 

i44 


Heiterwandelnd  im  paradiesischen  Gebiet  der  ewigen  Quellen. 

Auswische  mit  Flaum  des  Schnees  Märtyrer  krasser  Brand- 
wunden  Mal  I 

Und  schmölze  ein   mit   fanfarischen  Gletscher -Glut- Flüssen 

Dich  schroffe  Götzen-Hochburg  der  Pyramiden. 

Aufgrünt  der  Säufer  am  Waldgeruch  meines  unbezwingbaren 
Engels. 

Geleert  die  ungezählten  Eimer  des  Unrats. 

Getilgt  der  Sklaven-Fron  gespenstische  Galeeren. 

Dampfender  Kuh-Hürden  aufgefüllt  ihr  kargen  Höfe  der  Ar- 
mut  .  .  . 

Verlorener  Sohn  dumpfer  Macht  du  klärst  dich  zum  Hirt 
jeder  Wandlung. 

Da  dehnten  grenzenlos  zeillos  weit  sich  die  legendären  Gezelte 
deiner  oasischen  Siedelung 

Und  es  zymbelten  wunder-kühn  die  heiligen  Flächen  unserer 
Wangen. 

Aller  Schenkel  läuten  und  der  dürftige  Flachs  ihres  Ilaars 
braust  im  Sturm  deines  Korns. 

Im  Harnisch  des  Gerechten  aber  sitzen 

Die  befreiten  Knechte 

Unter  den  Palmen  des  Throns, 

Zwischen  ihren  groben  Fäusten  des  Erdenrests  furchtbare 
Muschel-Wage, 

Die  melodische  Spule  des  Gerichts. 

ERNST  STADLER:  DER  SPRUCH 

In  einem  alten  Buche  stieß  ich  auf  ein  Wort, 

Das  traf  mich  wie  ein  Schlag  und  brennt  durch  meine  Tage 

fort: 
Und  wenn  ich  mich  an  trübe  Lust  vergebe, 
Schein,  Lug  und  Spiel  zu  mir  anstatt  des  Wesens  hebe, 
Wenn  ich  gefällig  mich  mit  raschem  Sinn  belüge. 
Als  wäre  Dunkles   klar,  als  wenn  nicht  Leben  tausend  wild 

verschlossne  Tore  trüge, 
Und  Worte  wiederspreche,  deren  Weite  nie  ich  ausgefühlt. 
Und  Dinge  fasse,  deren  Sein  mich  niemals  aufgewühlt, 
Wenn  mich  willkommner  Traum  mit  Sammethänden  streicht, 
Und  Tag  und  Wirklichkeit  von  mir  entweicht, 
Der  Welt  entfremdet,  fremd  dem  tiefsten  Ich, 
Dann  steht  das  Wort  mir  auf:  Mensch,  werde  wesentlich! 

lo  i45 


FRANZ    WERFEL: 
ICH  HABE  EINE  GUTE  TAT  GETAN 

Herz  frohlocke! 

Eine  gute  Tat  habe  Ich  getan. 

Nun  bin  ich  nicht  mehr  einsam. 

Ein  Mensch  lebt, 

Es  lebt  ein  Mensch, 

Dem  die  Augen  sich  feuchten, 

Denkt  er  an  mich. 

Herz,  frohlocke : 

Es  lebt  ein  Mensch! 

Nicht  mehr,  nein,  nicht  mehr  bin  ich  einsam. 

Denn  ich  habe  eine  gute  Tat  getan, 

Frohlocke,  Herz! 

Nun  haben  die  seufzenden  Tage  ein  Ende. 

Tausend  gute  Taten  will  ich  tun! 

Ich  fühle  schon, 

Wie  mich  alles  liebt, 

Weil  ich  alles  liebe! 

Hinström   ich   voll   Erkenntniswonne! 

Du  mein  letztes,  süßestes, 

Klarstes,  reinstes,  schlichtestes  Gefühl! 

Wohlwollen! 

Tausend  gute  Taten  will  Ich  tun. 

Schönste  Befriedigung 

Wird  mir  zuteil: 

Dankbarkeit! 

Dankbarkeit  der  Welt. 

Stille  Gegenstände 

Werfen  sich  mir  in  die  Arme. 

Stille  Gegenstände,  m 

Die  ich  in  einer  erfüllten  Stunde  » 

Wie  brave  Tiere  streichelte. 

Mein  Schreibtisch  knarrt, 

Ich  weiß,  er  will  mich  umarmen. 

Das  Klavier  versucht  mein  Lieblingsstück  zu  tönen. 


l^6 


Geheimnisvoll  und  ungeschickt 
Klingen  alle   Saiten  zusammen. 
Das  Buch,  das  ich  lese 
Blättert  von  selbst  sich  auf. 

Ich  habe  eine  gute  Tat  getan. 

Einst  will  ich  durch  die  grüne  Natur  wandern, 

Da  werden  mich  die  Bäume 

Und   Schlingpflanzen   verfolgen, 

Die  Kräuter  und  Blumen 

Holen  mich  ein, 

Tastende  Wurzeln  umfassen  mich  schon, 

Zärtliche  Zweige 

Binden  mich  fest, 

Blätter  überrieseln  mich. 

Sanft  wie  ein  dünner. 

Schütterer  Wassersturz. 

Viele  Hände  greifen  nach  mir, 

Viele  grüne  Hände, 

Geuiz  umnistet 

Von  Liebe  und  Lieblichkeit 

Steh  ich  gefangen. 

Ich  habe  eine  gute  Tat  getan, 

Voll  Freude  und  Wohlwollens  bin  ich 

Und  nicht  mehr  einsam 

Nein,  nicht  mehr  einsam. 

Frohlocke,  mein  Herzl 

THEODOR  DÄUBLER:  OFT 

Warum  erscheint  mir  immer  wieder 
Ein  Abendted,  sein  Bach  und  Tannen? 
Es  blickt  ein  Stern  verständlich  nieder 
Und  sagt  mir :  wandle  still  von  deuinen. 

Dann  zieh  ich  fort  von  guten  Leuten. 
Was  konnte  mich  nur  so  verbittern? 
Die  Glocken  fangen  an  zu  läuten. 
Und  der  Stern  beginnt  zu  zittern. 


l47 


ELSE  LAS  K  ER-SCHÜLER:  AA^GOrr 

Du  wehrst  den  guten  und  den  bösen  Sternen  nicht; 

All  ihre  Launen  strömen. 

In  meiner  Stirne  schmerzt  die  Furche, 

Die  tiefe  Krone  mit  dem  düsteren  Licht. 

Und  meine  Welt  ist  still  — 

Du  wehrtest  meiner  Laune  nicht. 

Gott,  wo  bist  du? 

Ich  möchte  nah  an  deinem  Herzen  lauschen. 

Mit  deiner  fernsten  Nähe  mich  vertauschen. 

Wenn  goldverklärt  in  deinem  Reich 

Aus  tausendseligem  Licht, 

Alle  die  guten  und  die  bösen  Brunnen  rauschen. 

ELSE   LASKER-SCHÜLER:  ZEBAOTH 
(Dem  Franz  Jung) 

Gott,  ich  liebe  dich  in  deinem  Rosenkleide, 

Wenn  du  aus  deinen  Gärten  trittst,  Zebaoth. 

0,  du  Gottjüngling, 

Du  Dichter, 

Ich  trinke  einsam  von  deinen  Düften. 

Meine  erste  Blüte  Blut  sehnte  sich  nach  dir. 

So  komme  doch, 

Du  süßer  Gott, 

Du  Gespiele  Gott, 

Deines  Tores  Gold  schmilzt  an  meiner  Sehnsucht. 

ELSE  LASKER-SCHÜLER:  ABRAHAM  UND  ISAAK 
(Dem  großen  Propheten  St.  Peter  Hille  in  Ehrfurcht) 

Abraham  baute  in  der  Landschaft  Eden 
Sich  eine  Stadt  aus  Erde  und  aus  Blatt 
Und  übte  sich  mit  Gott  zu  reden. 

Die  Engel  ruhten  gern  vor  seiner  frommen  Hütte 

Und  Abraham  erkannte  jeden; 

Himmlische  Zeichen  ließen  ihre  Flügelschritte. 

iA8 


Bis  sie  dann  einmal  bang  in  ihren  Träumen 

Meckern  hörte  die  gequälten  Böcke, 

Mit  denen  Jsaak  opfern  spielte  hinter  Süßholzbäumen. 

Und  Gott  ermahnte :  Abraham ! ! 

Er  brach  vom  Kamm  des  Meeres  Muscheln  ab  und  Schwamm 

Hoch  auf  den  Blöcken  den  Altar  zu  schmücken. 

Und  trug  den  einzigen  Sohn  gebunden  auf  den  Rücken 
Zu  werden  seinem  großen  Herrn  gerecht  — 
Der  aber  liebte  seinen  Knecht. 

ERNST   STADLER:   ANREDE 

Ich  bin  nur  Flamme,  Durst  und  Schrei  und  Brand. 
Durch  meiner  Seele  enge  Mulden  schießt  die  Zeit 
Wie  dunkles  Wasser,  heftig,  rasch  und  unerkannt. 
Auf  meinem  Leibe  brennt  das  Mal :  Vergänglichkeit. 

Du  aber  bist  der  Spiegel,  über  dessen  Rund 
Die  großen  Bäche  alles  Lebens  gehn. 
Und  hinter  dessen  quellend  gold'nem  Grund 
Die  toten  Dinge  schimmernd  aufersteh'n. 

Mein  Bestes  glüht  und  lischt  —  ein  irrer  Stern, 

Der  in  den  Abgrund  blauer  Sommernächte  fällt  — 

Doch  deiner  Tage  Bild  ist  hoch  und  fern, 

Ewiges  Zeichen,  schützend  um  dein  Schicksal  hergestellt. 

WILHELM  KLEMM:  SEHNSUCHT 

0  Herr,  vereinfache  meine  Worte, 

Laß  Kürze  mein  Geheimnis  sein. 

Gib  mir  die  weise  Verlangsamung. 

Wieviel  kann  beschlossen  sein  in  drei  Silben  1 

Schenk  mir  die  glühenden  Siegel, 

Die  Knoten,  die  Fernstes  verknüpfen. 

Gib  den  Kampfruf  aus  den  heimlichen  Schlachten  der  Seele, 

Laß  quellen  den  Schrei  aus  grünen  Waldeskehlen. 

Feuersignale,  über  Abgründe  geblinkt, 
Botschaften,  in  fremde  Herzen  gehaucht, 
Flaschenposten  im  Meere  der  Zeit, 
Aufgefangen  nach  vielen  Jahrhunderten. 

1^9 


L 


PAUL  ZECH:  ICH  AHNE  DICH 
I. 

Ich  ahne  Dich,  ich  fühle  Dich,  ja  Du  Gewalt    . 
bist  wirklich  da,  und  größer  wie  ich  glaubte. 
Und  hebst  schon  her  zu  mir  das  sternumlaubte 
Gesicht  mit  Augen  tausend  Jahre  alt. 

Und  fühlst  vielleicht:  „Dies  Staubkorn  in  dem  großen  All 

begehrt  mich  aufzuhalten 

und  meint,  daß  ihm  das  Händefalten 

bewahre  vor  dem  Fall." 

0  strenge  Prüfung  durch  und  durch  gestoßen! 
Ich  halte  aus  und  weiß,  daß  unter  meinem  Fuß 
das  Feste  schon  entweicht.  Ich  dreh  mit  bloßem, 

rudernden  Körper  mich  herum  .  . . 
Doch  Du  gehst  ohne  Gruß, 
abweisend  stumm. 


II. 

Wie  ein  Ertrinkender  muß  ich  in  Deine  Haare 
mich  krallen,  daiß  nicht  wieder  Du  entweichst. 
Und  wo  Du  mir  die  Hände  herzlich  reichst, 
sah  ich  mich  schon  erfroren  auf  der  Bahre. 

Ich  bin  mir  selbst  als  Gegner  hingebogen, 
um  meine  Kraft  zu  prüfen,  die  zu  Dir  hinstrebt. 
Doch  wenn  der  Wagebalken  sich  dann  hebt : 
bin  ich  zu  leicht,  bin  ich  zu  schwer  gewogen? 

So  sehr  ist  noch  das  Ungewisse  laut  in  mir, 
daß  ich  nicht  einmal  Deinen  Namen  weiß, 
der  schon  geläufig  ist  dem  stummen  Tier. 

Ich  weiß  nur,  daß  ich  Dich  zu  dem,  was  Du 
dem  Unvernünftigen  bist,  zu  mir  herzu 
erflehe  und  der  letzte  bin  im  Kreis. 


i5o 


ERNST  STADLER:  ZWIEGESPRÄCH 

Mein  Gott,  ich  suche  dich.  Sieh  mich  vor  deiner  Schwelle 
knien 

Und  Einlaß  betteln.  Sieh,  ich  bin  verirrt,  mi:h  reißen  tau- 
send Wege  fort  ins  Blinde, 

Und  keiner  trägt  mich  heim.  Laß  mich  in  deiner  Gärten  Ob- 
dach fliehn. 

Daß  sich  in  ihrer  Mittagsstille  mein  versprengtes  Leben  wie- 
derfinde. 

Ich  bin  nur  stets  den  bunten  Lichtern  nachgerannt, 

Nach  Wundern  gierend,  bis  mir  Leben,  Wunsch  und  Ziel  in 
Nacht  verschwanden. 

Nun  graut  der  Tag.  Nun  fragt  mein  Herz  in  seiner  Taten 
Kerker  eingespannt 

Voll  Angst  den  Sinn  der  wirren  und  verbrausten  Stunden. 

Und  keine  Antwort  kommt.  Ich  fühle,  was  mein  Bord  an 
letzten  Frachten  trägt, 

In  Wetterstürmen  ziellos  durch  die  Meere  schwanken, 

Und  das  im  Morgen  kühn  und  fahrtenfroh  sich  wiegte,  meines 
Lebens  Schiff  zerschlägt 

An  dem  Magnetberg  eines  irren  Schicksals  seine  Planken.  — 

Still,  Seele!  Kennst  du  deine  eigne  Heimat  nicht? 

Sieh  doch :  du  bist  in  dir.  Das  ungewisse  Licht, 

Das  dich  verwirrte,  war  die  ewige  Lampe,  die  vor  deines 
Lebens  Altar  brennt. 

Was  zitterst  du  im  Dunkel?  Bist  du  selber  nicht  das  Instru- 
ment, 

Darin  der  Aufruhr  aller  Töne  sich  zu  hochzeitlichem  Reigen 
schlingt? 

Hörst  du  die  Kinderstimme  nicht,  die  aus  der  Tiefe  leise  dir 
entgegensingt? 

Fühlst  nicht  das  reine  Auge,  das  sich  über  deiner  Nächte 
wildste  beugt  — 

0  Brunnen,  der  aus  gleichen  Eutern  trüb  und  klare  Quellen 
säugt, 

Windrose  deines  Schicksals,  Sturm,  Gewitternacht  und  sanf- 
tes Meer, 

Dir  selber  alles :  Fegefeuer,  Himmelfahrt  und  ewige  Wieder- 
kehr — 

i5i 


sieh  doch,  dein  letzter  Wunsch,  nach  dem  dein  Leben  beiße 
Hände  ausgereckt, 

Stand  schimmernd  schon  am  Himmel  deiner  frühsten  Sehn- 
sucht  aufgesteckt. 

Dein  Schmerz  und  deine  Lust  lag  immer  schon  In  dir  ver- 
schlossen   wie    in    einem   Schrein, 

Und  nichts,  was  jemals  war  und  wird,  das  nicht  schon  immer 
dein. 

AUGUST   STRAMM: ALLMACHT 

Forschen   Fragen 
Du   trägst  Antwort 
Fliehen   Fürchten 
Du   stehst  Mut! 
Stank  und  Unrat 
Du  breitst  Reine 
Falsch   und   Tücke 
Du  lachst  Recht! 
Wahn  Verzweiflung 
Du  schmiegst  Selig 
Tod  und  Elend 
Du  wärmst  Reich! 
Hoch  und  Abgrund 
Du   bogst  Wege 
Hölle  Teufel 
Du  siegst  Gott! 

WILHELM  KLEMM:  REIFUNG 

Ich  wuchs  hinauf  in  die  hohen  Himmel, 

Wo  die  Sterne  sich  verdichten  zu  einer  einzigen  Mauer, 

Und  sah  das  Grenzenlose  so  nahe 

Wie  das  Gesicht  einer  geheimnisvollen  Geliebten. 

Dann  versank  ich  unter  die  Schwelle  des  Vorstellbau'en, 
Rann  silberhell  durch  die  Maschen  des  Stoffs, 
Wurde  kleiner  als  jede  Kleinigkeit  — 
Ich  suchte  das  Nichts  und  fand  es  nicht. 

Ich  lebte  In  Äonen  des  Schweigens,  wo  die  Schöpfung 
Still  steht;  wo  Zukunft  und  Vergangenheit  in  eins 
Zusammenfließen,   wo  die   Ewigkeiten   vergeblich 
Brüten,  und  ich  lernte  das  göttliche  Warten. 

l52 


Doch  dann  wieder  wandelt'  ich  mich  in  blitzende  Geschwindig- 
keit. 
Ich  überritt  das  Licht  tausendmal 

Auf  der  Schneide  des  Moments  die  Dinge  spielen  zu  sehen, 
Aber  die,  glaubt  mir.  Freunde,  waren  schneller  als  ich. 

Und  in  Jugendschönheit  erblickt'  ich  die  Welt. 
Da  triumphierten  still  die  ewigen  Gesetze! 
Das  jubelte  empor,  und  löste  sich  auf. 
Ich  stemd  überwältigt  in  den  drei  Reichen. 

Und  wußte  alsdann,  daß  die  Seele  allein 
Dahinweht   in   einer   geisterhaften   Welt. 
Das  Bruderhafte  umringt  mich  mit  Rätselgefühlen  — 
Wo  finde  ich,  o  Herr,  deine  ewigen  Hände! 

Ob  du  sie  mir  reichen  \virst  oder  versagen. 
Deine  große  Welt  ist  meine  Heimat! 
Was  je  ich  gesehen  habe  mit  irdischem  Auge 
Und  was  ich  lebte  —  es  hat  mich  gesättigt. 


KARL  OTTEN:  GOTT 

'■         Ich  kann  Deinen  Namen  nicht  sagen. 

Gebirge  von  Gedanken  den  Mantel  ihrer  Stärke  um  dich  schlagen. 

Du  bist  ohne  Tiefe. 

Trätest  Du  den  Grund  der  Ozeane  Deine  Füße  blieben  trocken. 

Sage  ich  Dich 

Bin  ich  nicht  ich,  Zacke  am  Schatten  der  Unnennbaren 

Die  in  Deines  Atems  ßaumschaukeln  gebaren. 

Bin  ich  ein  Komma  Ln  ihren  Sprüchen. 

Aber  die  Nacht  Deiner  Prüfungen  hat  mich  Eule  aufgestört. 

Dein  großes  Licht  hinter  allen  Fernen  blendet  meine  häutigen 

Augen. 
Wenn  ich  abschließe  Tür  und  Fenster 
Und  nichts  ist,  auch  nichts  nicht 
Wenn  Du  ich  so  wie  Stein  ich 
Und  Sterncherubim  ich 
Und  ich  Du  wie  mein  Sein  Sterben 
Wie  meine  Ruhe  Sturm 
Und  mein  Denken  Traumbetrachtung 
Mein  Wille  Ablösung 

i53 


Rührt  das  Klicken  Deines  silbernen  Nagels 
Dein  Atem  unter  dem  Urmund 
Inwendig  mein  Sein  —  Nichtsein 
Hinter  der  Stirn  meiner  Brust 
Ein  neues  Herz  das  Dich  schlägt. 
Gesammelter  Glanz  allsehenden  Augenbcdles 
Umpulst  den  Keim  des  neuen  Menschen 
Den  Du  zeugtest  Lichtvater  in  Erleuchtung. 

Du  bist  wo  alles  ist 

Im  warmen  Leid, 

Im  Büßerkleid  der  Zeit, 

Wo  das  Verstreute  auf  der  Flucht  sich  sammelt, 

Wo  keine  Zeit,  nicht  Freud  noch  Leid, 

Nur  Schweigsamkeit. 

Wo  Mensch  den  eignen  Namen  stammelt. 

Aufbiete  deine  Klugheit,  deinen  Glauben,  deine  Gesundheit, 
deine  Phantasie,  deine  Stärke,  deine  Liebe,  deine  Ge- 
wandtheit. 

Versammle  um  dich  die  Gefühle  deiner  Jugend,  die  erste  heiße 
Inbrunst  deiner  schwärmerischen  Liebe.  Rüste  dich 
mit  allem,  was  du  bist  in  deiner  echten,  nur  dir  er- 
schlossenen Erkenntnis,  du  Einziger,  du  Mensch! 

KURT  HEYNICKE:  LIEDER  AN  GOTT 
Ich  bin  hinausgestoßen  in  die  Welt, 
den  Gang  der  Erde  kreisend  mitzuwiegen, 
ich  bin  erhellt  von  Deiner  Flamme, 
Herr,  ich  bin  wie  Du! 

Ich  bin  im  Kreise  wandelnd  festgeschlossen, 
ich  bin  hinausgegossen  in  das  Meer, 
ich  reige  meinen  Tanz  an  Händen  fremder  Brüder, 
Dein  Willen  will  mich  an  mich  binden, 
gottüberströmt  will  ich  den  Ursprung  finden, 
Herr,  ich  bin  wie  Du! 

Die  Nächte  rauschen  auf  mit  fernem  Urgesicht. 
In  meine  Augen  fällt  das  blaue  Licht. 
Stern  meiner  Seelenheimat  glanzumflossenl 
Du  Weltgebärer  in  den  tiefsten  Sternen, 
entfernen  will  ich  meinen  Schlaf  vor  Dir, 
urewig  wachend  wie  die  Gottesaugen  1 

i54 


I 


Du  hast  mich  hoch  gebaut. 

Du  gibst  mein  Haupt  in  Deinen  Schoß, 

tief  meine  Glieder  in  den  Staub  der  Erde. 

All  meine  Stimmen  jauchzen  Dir  entgegen, 
ich  fühle  tausend  Segen  niederrauschen, 
am  fernsten  Ohr  der  Welt  lauscht  meine  Seele. 
Von  Dir  erhoben  knie  ich  an  der  Sternentür: 
Herr,  kröne  mich  mit  Dirl 

Gott, 

Bruder,  spricht  die  stille  Stimme  in  der  Nacht. 
Mein  Bruder,  alle  Wahrheit  ist  erwacht, 
aus  Schutt  und  Asche  glüht  ein  Fiammenturm  empor, 
o  Bruder,  Menschen  knien  Dir  am  Ohr  in  brausenden  Ge- 
beten! 
0  Menschen-Gott, 
gib  viele  Sünden,  Dich  zu  finden! 

KURT  HEYNIGKE:  GEDICHT 

Aufreißen  will  ich  meinen  Gang  im  Kreise, 

ein  klarer  Stein,  der  goldne  Kette  bricht, 

ich  lebe  nicht, 

ich  bin  schon  lange  tot  im  Rausch  der  Tage. 

Hoch  heben  meine  Nächte  ihre  Stunden  in  die  Ferne, 

aus  blauen  Schleiern  glühen  weiße  Sterne 

und  diamantne  Schlangen  schwimmen  in  umsonnten  Höhen. 

In  mondbeglänzten  Gärten  tanzen  goldne  Farben, 

ihr  Reigen  wird  zu  süßen  Abendmelodien. 

Das  sind  die  Nächte, 

wo  mich  Liebe  überströmt, 

Licht -Liebe,  Menschenliebe,  Einsamkeiten. 

Das  sind  die  Nächte, 

wo  mich  Gott  zu  Gaste  hält. 

Das  ist  die  Welt, 

die  hinter  fernen  Toren  ihre  Heimat  hat. 

Das  sind  die  Stunden, 

die  sich  einsam  heben, 

hoch  ihre  Augen  in  den  Ursprung  Gottes, 

das  ist  das  Leben,  wenn  die  Sinne  fallen, 

und  Gott  entsteigt  den  fernsten  Nachtgestirnen. 

i55 


RENß  SCHICKELE:  ODE  AN  DIE  ENGEL 
Ihr  wart  das  erste,  was  ich  sah 
von  der  großen  Welt! 
Kunde  von  den  breiten  Strömen, 
von  den  tiefen  Wäldern 
und  der  Ebene  dazwischen, 
die  mit  ihrer  Seelenglut, 
was  war  und  ist,  erhellt. 
Dort  brannte  lichterloh  die  Liebe 
aller  Menschen, 
die  je  geliebt, 
heller  als  die  Sonne, 
länger  als  Erde  und  Sterne, 
in  Ewigkeit. 

Dort  wart  ihr  zu  Hause,  von  dort 
kamt  ihr  zu  uns. 
Eure  Hand  kannte  jede  Stelle, 
wo  ein  Herz  schlug. 
Eure  Flügel  deckten  jedes  Leiden. 
Eure  Stirn  leuchtete 

von  den  vielen  Geheimnissen  der  Lebenden, 
die  ihr  geduldig  wußtet, 
und  von  der  Seligkeit  der  Toten. 
Eine  leise  Trauer  in  Euern  Augen 
machte  Euch  besonders  schön: 
das  Wissen  um  die  Verdammten. 
Ich  hab  Euch  gesehn, 
leibhaftig  gesehn! 
Ihr  knietet  neben  mir  im  Gebet, 
Ihr  standet  im  Zimmer, 
wenn  ich  nachts  erwachte. 
Ich  schickte  Euch  meine  Freunde  beschützen. 
Ihr  setztet  Euch  mit  übergeschlagenen  Beinen, 
unendlich  ernst,  wie  eine  ältere  Schwester, 
auf  mein  Bett  und  leihet 
meine  ersten  Liebesnöte. 
Wie  eine  ältere  Schwester,  ja,  aber 
Ihr  wart  zugleich  nicht  älter  als  ich 
und  meine  kleinen  Freundinnen, 
Ihr  trugt  offenes  Haar 
und  einen  kurzen  Rock 


i56 


und  gabt  mir  Eure  welchen  Hände 
zum  Kosten:  „Soviel  du  willst!" 
Ich  legte  sie  unter  mich,  an  mein  Herz, 
wie  schlief  ich  ein! 

Später  wart  Ihr  überall, 

wo  Taten  vollbracht  wurden. 

Gewalttaten  aller  Art, 

Taten,  die  zum  Himmel  brannten. 

Ihr  zeigtet  Euch  einem,  prächtig  gekleidet 

in  seinen  Entsagungen,  die  andre  nicht  kannten. 

Ihr  wart  furchtbar  und  wart  zart. 

Ihr  wart,  wo  Menschen  die  wilden  Funken 

aus  der  Erde  zogen, 

wo  Samen  über  die  Furchen  flogen, 

wo  die  Schalen  von  Früchten  platzten, 

bei  schwellenden  Traubenstöcken, 

an  reifen  Feldern,  die  rot  und  schwer 

unter  einem  nassen  Himmel 

wie  Sauerteig  aufgingen  — 

und  in  allen  Frauenröcken. 

Von  stählernem  Glanz  umwittert 

taucht  Ihr  aus  den  Staubwolken 

hinter  den  Automobilen  auf, 

man  hört  Euern  Gesang, 

der  wie  hohe  Harfentöne 

im  Luftzug  zittert. 

Ihr  lächelt  den  Fliegern  zu, 

die  sich  neben  Euch  erheben, 

Ihr  seid  da,  wenn  sie  wiederkommen, 

und  Euer  Mund  ist  irdisch  rot 

vor  ihnen,  die  sich  das  Licht  und  den  Schrecken 

der  Himmel  mit  beiden  Händen 

aus  dem  Antlitz  streichen, 

irdisch  rot  Euer  Mund  und  halbgeöffnet, 

und  Eure  Hüften  sind  gebogen, 

damit  sie,  noch  an  ihrem  Sitze  festgebunden, 

gleich  aufatmend  froh 

die  Früchte  der  Erde  erkennen. 

Ihr  seid  der  Schwung  hinauf  und  hinüber, 

seid  alles,  was  stärker  ist,  als  der  Tod. 


57 


FRANZ  WERFEL: 
ICH  BIN  JA  NOCH  EIN  KIND 

O  Herr,  zerreiße  mich! 
Ich  bin  ja  noch  ein  Kind. 
Und  wage  doch  zu  singen. 
Und  nenne  Dich. 
Und  sage  von  den  Dingen: 
Wir  sindl 

Ich  öffne  meinen  Mund, 

Eh'  Du  mich  ließest  Deine  Qualen  kosten. 

Ich  bin  gesund. 

Und  weiß  noch  nicht,  wie  Greise  rosten. 

Ich  hielt  mich  nie  an  groben  Pfosten,  i 

Wie  Frauen  in  der  schweren  Stund'. 

Nie  müht'  ich  mich  durch  müde  Nacht  « 

Wie  Droschkengäule,  treu  erhaben. 

Die  ihrer  Umwelt  längst  entflohn! 

(Dem  zaubrisch,  zerschmetternden  Ton 

Der  Frauenschritte  und  allem,  was  lacht.) 

Nie  müht'  ich  mich,  wie  Gäule,  die  ins  Unendliche  traben. 

Nie  war  ich  Seemann,  wenn  das  öl  ausgeht, 
Wenn  die  tausend  Wasser  die  Sonne  verhöhnen. 
Wenn  die  Notschüsse  dröhnen, 
Wenn  die  Rakete  zitternd  aufsteht. 
Nie  warf  ich  mich.  Dich  zu  versöhnen, 
0  Herr,  aufs  Knie  zum  letzten  Weltgebet. 

Nie  war  ich  ein  Kind,  zermalmt  in  den  Fabriken 
Dieser  elenden  Zeit,  mit  Ärmchen,  ganz  benarbt  1 
Nie  hab'  ich  im  Asyl  gedarbt. 

Weiß  nicht,  wie  sich  Mütter  die  Augen  aussticken, 
Weiß  nicht  die  Qual,  wenn  Kaiserinnen  nicken, 
Ihr  alle,  die  ihr  starbt,  ich  weiß  nicht,  wie  ihr  starbt! 

Kenn'  ich  die  Lampe  denn,  kenn'  ich  den  Hut, 
Die  Luft,  den  Mond,  den  Herbst  und  alles  Rauschen 
Der  Winde,  die  sich  überbauschen. 
Ein  AnÜitz  böse  oder  gut? 

i58 


Kenn'  ich  der  Mädchen  stolz  und  falsches  Plauschen? 
Und  weiß  ich,  ach,  wie  weh  ein  Schmeicheln  tut? 

Du  aber,  Herr,  stiegst  nieder,  auch  zu  mir. 

Und  hast  die  tausendfache  Qual  gefunden, 

Du  hast  in  jedem  Weib  entbunden, 

Und  starbst  im  Kot,  in  jedem  Stück  Papier, 

In  jedem  Zirkusseehund  wurdest  Du  geschunden. 

Und  Hure  warst  Du  manchem  Kavalier! 

0  Herr,  zerreiße  mich! 

Was  soll  dies  dumpfe,  klägliche  Genießen? 
Ich  bin  nicht  wert,  daß  Deine  Wunden  fließen. 
Begnade  mich  mit  Martern,  Stich  um  Stich! 
Ich  will  den  Tod  der  ganzen  Welt  einschließen. 
0  Herr,  zerreiße  mich! 

Bis  daß  ich  erst  in  jedem  Lumpen  starb, 
In  jeder  Katz'  und  jedem  Gaul  verreckte, 
Und  ein  Soldat,  im  Wüstendurst  verdarb. 
Bis,  grauser  Sünder  ich,  das  Sakrament  weh  auf  der  Zunge 

schmeckte, 
Bis  ich  den  aufgefreßnen  Leib  aus  bitterm  Bette  streckte, 
Nach  der  Gestalt,  die  ich  verhöhnt  umwarb ! 

Und  wenn  ich  erst  zerstreut  bin  in  den  Wind, 

In  jedem  Ding  bestehend,  ja  im  Rauche, 

Dann  lodre  auf,  Gott,  aus  dem  Dornenstrauche. 

(Ich  bin  Dein  Kind.) 

Du  auch,  Wort,  praßle  auf,  das  ich  in  Ahnung  brauche! 

Gieß  unverzehrbar  Dich  durchs  All :  Wir  sind !  1 


iSg 


AUFRUF  UND  EMPÖRUNG 


W 


JOHANNES  R.  BECHER:  VORBEREITUNG 

Der  Dichter  meidet  strahlende  Akkorde. 

Er  stößt  durch  Tuben,  peitscht  die  Trommel  schrill. 

Er  reißt  das  Volk  auf  mit  gehackten  Sätzen. 


Ich  lerne.  Ich  bereite  vor.  Ich  übe  mich. 

Wie  arbeite  ich  —  hah  leidenschaftlichst !  — 

Gegen  mein  noch  unplastisches  Gesicht  — : 

Falten  spanne  ich. 

Die  Neue  Welt 

( —  eine  solche :  die  alte,  die  mystische,  die  Welt  der  Qual  aus- 
tilgend — ) 

Zeichne  ich,  möglichst  korrekt,  darin  ein. 

Eine  besonnte,  eine  äußerst  gegliederte,  eine  geschliffene 
Landschaft  schwebt  mir  vor. 

Eine  Insel  glückseliger  Menschheit. 

Dazu  bedarf  es  viel.  (Das  weiß  er  auch  längst  sehr  wohl.) 

0  Trinität  des  Werks :  Erlebnis  Formulierung  Tat. 
Ich  lerne.  Bereite  vor.  Ich  übe  mich. 

. . .  bald  werden  sich  die  Sturzwellen  meiner  Sätze  zu  einer 
unerhörten  Figur  verfügen. 

Reden.  Manifeste.  Parlament.  Das  sprühende  politische  Schau- 
spiel.  Der  ExperimentaJroman. 

Gesänge  von  Tribünen  herab  vorzutragen. 

Menschheit!  Freiheit!  Liebe! 

Der  neue,  der  Heilige  Staat 

Sei  gepredigt,  dem  Blut  der  Völker,  Blut  von  ihrem  Blut,  ein- 
geimpft. 
Restlos  sei  er  gestaltet. 
Paradies  setzt  ein. 

—  Laßt  uns  die  Schlagwetter-Atmosphäre  verbreiten!  — 
Lernt!  Vorbereitet!  Übt  euch! 

i63 


WALTER  HASENGLEVER:  DER  POLITISCHE  DICHTER 

Aus  den  Zisternen  unterirdischer  Gruben 
Aufstößt  sein  Mund  in  Städte  weißen  Dampf, 
Im  rasend  ausgespritzten  Blut  der  Tuben 
Langheulend  Arbeit,  Pause,  Nacht  und  Kampf. 

Mit  Zwergen,  die  auf  Buckeln  riesig  tragen 
Der  Lasten  harte,  eingefleischte  Schwären, 
Mit  Sklaven,  denen  unter  Peitschenschlagen 
Die  Beule  reißt  am  Ruder  der  Galeeren. 

Sein  Arm  bricht  durch  gewaltige  Kanonaden 
Von  Völkerschwarm  zum  Mord  gehetzter  Heere, 
Durch  Kot  und  Stroh  und  faulend  gelbe  Maden 
Im  Kerker  aller  Revolutionäre. 

Oft  hängt  sein  Ohr  an  kleinen  Dächerfirnen, 
Wenn  aus  der  Stadt  die  großen  Glocken  schlagen, 
Mit  vielen  schweren  und  gebeugten  Stirnen 
Gefangenschaft  der  Armut  zu  ertragen. 

Wenn  nächtlich  in  den  Kinos  Unglück  schauert. 
Der  Hunger  bettelt  hinter  Meirmorhallen, 
Mißhandelt  stirbt  ein  Kind  und  zugemauert 
In  Kasematten  grobe  Flüche  fallen. 

Wenn  Defraudanten  sich  von  Brücken  werfen. 
Im  Lichtschein  der  PaJäste  aufgewiegelt, 
Wenn  Anarchisten  ihre  Messer  schärfen. 
Mit  einem  dunkeln  Schwur  zur  Tat  besiegelt. 

Wenn  Unrecht  lodernd  als  der  Wahrheit  Feuer 

Tyrannenhäupter  giftig  übersprießt. 

Bis  aus  dem  Wurm  der  Erde  ungeheuer' 

Der  Blitz  des  Aufruhrs,  der  Empörung  schießt  — 

Ah  dann :  auf  höchsten  Türmen  aller  Städte 
Hängt  ausgespannt  sein  Herz  in  Morgenröte; 
Asphaltene  Dämmerung  in  des  Schläfers  Bette 
Verscheucht  Trompetenton:  Steh  auf  und  tötel 

i64 


Steh  auf  und  töte;  Sturmattacken  wüten. 
Die  Ketten  rasen  von  Gewölben  nieder. 
An  Ufern  schweigend  Parlamente  brüten. 
Die  Kuppel  birst.  Schon  lärmen  FreiheitsLieder. 

Gezückte  Rhapsodie  berittener  Schergen 
Jagt  quer  durch  Löcher,  leer  von  Pflastersteinen. 
Tumult  steigt.  Hindernis  wächst  auf  zu  Bergen. 
Zerstampfte  Frauen  hinter  Läden  weinen. 

Doch  von  den  Kirchen  donnern  die  Posaunen, 
Schmettern  Häuser  dröhnend  auf  das  Pflaster. 
Die  Telegraphen  durch  Provinzen  raunen, 
Es  zuckt  in  Dynamit  der  Morsetaster. 

Die  letzten  Züge  stocken  in  den  Hallen. 
Geschütze  rasseln  vorwärts  und  krepieren. 
Zerfetzte  Massen  sich  im  Blute  ballen. 
Die  Straße  klafft  auf  umgestürzten  Tieren. 

Aus  Fenstern  siedet  öl  in  die  Alleen, 
Wo  Platzmajore  aufgespießt  verschimmeln. 
Der  Abend  brennt,  auf  den  Fabriken  wehen 
Die  roten  Fahnen  von  den  grauen  Himmeln.  — 

Halt  ein  im  Kampf!  Auch  drüben  schlagen  Herzen. 
Soldaten,  Bürger :  kennen  wir  uns  wieder  ? 
Brüderliches  Wort  in  Rauch  und  Schmerzen. 
Es  sammelt  sich  der  Zug.  Formiert  die  Glieder. 

Versöhnte  Scharen  nach  dem  Schlosse  biegen, 
Bis  hoch  auf  dem  Balkon  der  Herrscher  steht: 
„Nehmt  vor  den  Toten,  die  hier  unten  liegen. 
Den  Hut  ab  und  verneigt  Euch,  Majestät!"  — 

Lichtlose  Asche.   Nacht  auf  Barrikaden. 
Gewalt  wird  ruchbar,  alles  ist  erlaubt. 
Die  Diebslaterne  schleicht  im  Vorstadtladen. 
Plünderung  hebt  das  Skorpionenhaupt. 


i65 


Gewürm  aus  Kellern  kriecht  ins  Bett  der  Reichen; 
Auf  weiße  Mädchen  fällt  das  nackte  Vieh. 
Sie  schneiden  Ringe  ab  vom  Rumpf  der  Leichen. 
Dumpf  aus  Kanälen  heult  die  Anarchie. 

Im  Rohen  weiter  tanzt  die  wilde  Masse 
Mit  Jakobinermützen,  blutumbändert. 
Gerechtigkeit,  Gesetz  der  höchsten  Rasse : 
Vollende  du  die  Welt,  die  sie  verändert  1 

Ihr  Freiheitskämpfer,  werdet  Freiheitsrichter, 
Bevor  die  Falschen  euer  Werk  verraten. 
Von  Firmamenten  steigt  der  neue  Dichter 
Herab  zu  irdischen  und  größern  Taten. 

In  seinem  Auge,  das  den  Morgen  wittert, 
Verliert  die  Nacht  das  Chaos  der  Umhüllung. 
Die  Muse  flieht.  Von  seinem  Geist  umzittert 
Baut  sich  die  Erde  auf  und  wird  Erfüllung. 

Sie  reißt  von  ihrem  Schild  die  alten  Thesen, 
Die  Majorate  listig  sich  vermachen. 
Prärieen  tragen  Brot  für  alle  Wesen, 
Denn  alle  Früchte  reifen  auch  den  Schwachen. 

Nicht  in  dem  Schatten  stählerner  Emphoren 
Erglühen  Trusts,  die  ihre  Beute  jagen: 
Ihr  Präsidenten,  eilt  und  seid  geboren, 
Den  tausendköpfigen  Moloch  zu  erschlagen! 

Die  Macht  zerfällt.  Wir  werden  uns  vereinen. 
Wir,  schaukelnd  auf  atlantischen  Transporten, 
Auswandrer,  denen  Heimatwolken  scheinen. 
Europa  naht.  Es  sinken  Eisenpforten. 

Jünglinge  stehn  in  Universitäten 

Und  Söhne  auf,  die  ihre  Väter  hassen. 

Der  Schuß  geht  los.  In  ausgedörrten  Städten 

Minister  nicht  mehr  an  den  Tafeln  prassen. 

Das  Volk  verdirbt.  S^e  reden  von  Tribünen. 
Schwemmt  nicht  die  Lache  Blut  in  ihren  Saal? 
Wann  werden  sie  die  Qual  der  Toten  sühnen? 
Schon  durch  die  Länder  läutet  das  Signal.  — 


i66 


Der  Dichter  träumt  nicht  mehr  in  blauen  Buchten. 
Er  sieht  aus  Höfen  helle  Schwärme  reiten. 
Sein  Fuß  bedeckt  die  Leichen  der  Verruchten. 
Sein  Haupt  erhebt  sich,  Völker  zu  begleiten. 

Er  wird  ihr  Führer  sein.  Er  wird  verkünden. 
Die  Flamme  seines  Wortes  wird  Musik. 
Er  wird  den  großen  Bund  der  Staaten  gründen. 
Das  Recht  des  Menschentums.  Die  Republik. 

Kongresse  blühn.  Nationen  sich  beschwingen. 
An  weiten  Meeren  werden  Ufer  wohnen. 
Sie  leben  nicht,  einander  zu  verschlingen : 
Verbrüdert  ist  ihr  Herz  in  starren  Zonen. 

Nicht   Kriege   werden   die   Gewalt   vernichten. 
Stellt  Generäle  an  auf  Jahrmarktfesten. 
Dem  Frieden  eine  Stätte  zu  errichten, 
Versammelt  sind  die  Edelsten  und  Besten. 

Nicht  mehr  in  Waffen  siegt  ein  Volk,  du  weißt  es; 
Denn  keine  Schlacht  entscheidet  seinen  Lauf. 
So  steige  mit  der  Krone  deines  Geistes, 
Geliebte  Schar,  aus  taubem  Grabe  auf! 

FRANZ  WERFEL:  AUS  M E I .\ E R  TIEFE 

A.US  meinen  Tiefen  rief  ich  dich  an. 

Deim    siehe,    plötzlich    war    der    metallische    Geschmack    des 

ganzen  Irrtums  auf  meiner  Zunge. 
Ich  schmeckte  über  alles  Denken  Erkenntnis. 
Ich  fühlte  gleiten  das  böse  öl,  womit  ich  geheizt  bin. 
Süßliche  Müdigkeit  spielte  in  meinen  Knochen, 
Ich  war  zur  Geige  worden  des  ganzen  Irrtums. 
Ich  fühlte  meine  Schwingungen  auf  einem  fernsten  Traumkap, 
Und  wollte  auf,  mich  wehren,  mich  gewinnen,  wahren  .  . . 
Doch  sank  ich  hin,  gespenstisch 
Gelähmt  in  träge  pochende  Verzweiflung. 

Aus  meinen  Tiefen  rief  ich  dich  an. 

Ich  rief  wie  aus  versunkenen  Fiebern  tretend :  Wo  bin  ich  ? 
Tieftaumelnd    stand    ich    in    schwankender    Landschaft,    im 
Schwindel  geheimer  Erdbeben,  und  rief :  Wo  bin  ich  ? 

167 


Ich  erkannte  die  Welt.  Sie  hing  an  einem  letzten  zuckenden 

Nerv. 
Ich  sah  den  Todesschweiß  der  Dinge.  Sie  schlugen  um  sich 

in  eckiger  Agonie. 
Aber  wie  edle  Kinder,  die  das  Weinen  bekämpfen,  lächelten 

sie  demütig  von  unten  empor. 
Da  fuhr  ich  aus  meiner  Einsamkeit, 
Da  fuhr  ich  aus  Krampf  und  Kammer, 
Da  drang  ich  ein  in  die  Säle.  Sie  rauschten  wie  der  Grund 

städteteilender  Ströme. 
Über  mich  schlug  das  Schleppern  der  Teller,  Getümmel  der 

Stimmen,  der  Schritte  Trommel-Verrat  und 
Schreibmaschinen-Geläut. 

Ich  rief  dich  an  aus  meinen  Tiefen. 

Aber  mein  Antlitz  trug  sein  Grinsen  umher. 

Mit  der  rechten  Hand  strich  ich  den  Kitt  meines  Lächelns 
zurecht. 

Und  alle  taten  also. 

Wir  saßen  zueinander,  doch  jeder  gerichtet  in  anderen  Winkel. 

Mit  beiden  Händen  bedeckten  wir  eine  Stelle  unserer  An- 
wesenheit, der  wir  nicht  trauten. 

Wir  redeten  lange  Streifen  von  Worten  ... 

Die  aber  waren  geboren  am  Gaumen, 

Und  nicht  gelangen  uns  Frohsinn  und  Schmerz, 

Wie  unsere  Gurgel  log. 

Aus  meinen  Tiefen  rief  ich:  ,,Wo  bin  ich,  wo  sind  >vir?" 
Umstellt  von  Unabänderlichkeit,  verstoßen  in  erbarmungslose 

Gelächter,    verschlagen  aufs  Eiland  schiffbrüchiger 

Kartenspieler  I 
Unsere  Ruhe  ist  Tod, 
Unsere  Erregung  Fäulnis! 

Wir  sind  gebeizt,  gesalzen,  geräuchert  von  böser  Entwöhnung  1 
Verlernt  das  Daliegen  in  den  Himmel  1 
Verlernt  der  ruhende  Blick, 
Verlernt  das  Daliegen  in  den  Himmel! 
Aus  meiner  Tiefe  rief  ich  dich  an, 

Denn  hier  rettet  kein  Wille  mehr,  liier  rettet  nur  Wunder. 
Tu'  Wunder! 

i68 


KARL  OTTEN:  DES  TAGDOMES  SPITZE 

Des  Tagdomes  Spitze  verflüchtigt  sich  unter  der  Wolkenbrust 

der  Nacht. 
Die  großen  Häuserkähne  treiben  steuerlos  ihr  Leidensglück. 
Aufkreischen  die  ehernen  Ilimmelstore,  es  dröhnen  die  Chöre 

der  Cherubim. 
Ihre  Sternlippen  tönen  hellfunkelnd  und  der  Wind  aus  ihren 

Mondtalaren 
Läßt  die  Laternen  der  Kinder  flackern. 
Ich  bitte  die  Menschheit,  die  zum  Schlafe  rüstet 
Ich  bitte  die  Menschheit,  die  der  Schrei  der  Sirenen  aufruft 

in  kohlendonnemde  Fabriken 
Ich  bitte  die  Gebärenden,  die  Zeugenden 
Ich  bitte  die  sterben  und  abtun  ihr  Irdisches 
Ich  bitte  die  mit  Dolch  und  Stemmeisen  vibrieren  im  Zug- 

w^ind  der  Mörderängste 
Deren  Knochen  klappern  wie  Türen,  die  Gott  hinter  ihnen 

zuwirft 
Ich  bitte  euch,  die  ihr  eure  Füße  fragt  wohin  sie  euch  tragen 

zum  letzten  Male 
Denen  der  Revolver  knackt,  der  Strick  sich  reckt,  Gift  duftet, 

Wasser  spiegelt 
Ich  bitte  euch,  die  ihr  fassungslos  die  Stäbe  am  Zellenfenster 

zählt  im  grinsendknochigen  Mondlicht, 
Ich  bitte  euch,  im  Eiterklopfen  Aufgeweckte  seit  Wochen  und 

Monaten, 
Die  ihr  das  Fieber  ausrast  mit  dem  Erdkugelschädel 
Gegen  die  Gipswand,  gegen  die  Bettpfosten 
Ich  bitte  euch,  denen  die  Welt  unverständlich  ein  Napf  ein 

Knopf  ein  kochender  Blutorkankrater  wurde 
Der  weiß  und  schwcU'z  wird  und  Suppe  oder  kaltes  Wasser 

über  euren  engen  Leib  bringt 
Euch  bitte  ich  in  Not  des  Sturmes  auf  Salzwogen  umher- 
gekugelte 
Kotzende  erstarrende  Matrosen. 

Denen  die  Sterne  zwischen  die  steifen  Lider  geklemmt  wurden 
Und  der  Mond  in  der  Kehle  würgt. 

Und  euch  Brüder  im  Grabengrab 

Im  Lebenshunger  der  donnernden  Gewölbe, 

169 


Um  deren  Blase  und  Hoden  sich  Stachel  der  Agonie  beißt  bei 
Verstand 

Vernunft,  Gesundheit,  Wollust,  Sehnsucht  nach  Glück;  voll- 
blütig, klar,  witzig. 

Dich  Halbtoten  zwischen  den  Gräben  unter  stinkenden  Zisch- 
gasen 

Ersaufend  in  deinem  Blut,  verdurstend  im  Schlamm,  tot- 
gehämmert  vom  eigenen  Pulsschlag 

Armseliger  als  ein  Wurm  eine  Quappe  eine  Raupe; 

Du  Gott  schaffender,  Gott  denkender  Bruder, 

Dich  bitte  ich.  Euch,  die  ihr  anlegt,  zielt  und  Tod  loslaßt, 
ahnungslos  sein  müßt: 

Ich  bitte  euch  alle  in  dieser  Nacht,  die  anhebt  wie  die  erste 

Die  Gott  schuf  gesenkter  Wimper,  wie  die  Trauerweide 

Eigensinniger  Demut  hingebeugt  am  Fuße  der  Gebirge; 

Euch  alle  bitte  ich  meine  große  Schuld  ab,  meine  große 
Schuld. 

Ich  lege  mich  wie  Haut,  Hemd,  Panzer  und  Böschung 

Zwischen  eure  Seele  und  euer  Los. 

Ich  will  abschwören  den  Schlaf  dieser  Nacht 

Ich  will  mich  geißeln  und  auf  Disteln  wälzen 

Ich  will  warnen  beten  betteln  und  disputieren  mit  dem  Bösen 

Wie  Leuchtraketen  und  Wasserstrahl  soll  mein  Flehn 

Bereitschaft  halten.  Wie  ein  Tal  will  ich  das  Bergecho  eurer 
Leidensinbrunst 

Auffangen  und  deutlich,  dringend 

Vertausendfacht 

Erddonner  gegen  Ilimmelsunfruchtbarkeit 

Zurückbrüllen. 

Rütteln  an  den  steifen  Knieen  Gottvaters 

Alle  Sonnentrommeln  ankrachen 

Bis  er  erwacht  und  sich  erinnert. 


WILHELM  KLEMM:  PHANTASIE 

Ich  sehe  die  Geister  in  dunklen  Lauben  zechen 

Und  schimmernde  Weiber  sich  dehnen  auf  nackten  Thronen. 

Ich  höre,  wie  Riesen  ihre  Fesseln  zerbrechen. 

Fahl  schimmern  die  Schlösser,  in  denen  die  Greifen  wohnen. 

170 


Kolosse   schwanken    heran.    Cherubgestalten, 

Nacht  im   wilden  Auge,  schwarz  rauscht  ihr  Gefieder 

Empor.  Lodernde  Fahnen  entfalten 

Sich.  Chöre  verhallen  und  wilde  Sturmlieder. 

Wohlan!   Wohlauf  1   altes  Herz!   Mit  unzähligen   Maschen 
Ziehen   die  schimmernden   Träume  über  die  Welt. 
Wer  hat  sie  gewebt?  Wer  will  ihre  Enden  erhaschen? 
Strahlender  Schmuck,  der  ins  Unendliche  fällt. 


ALFRED  WOLFENSTEIN: 

GLÜCK  DER  ÄUSSERUNG 

Bewegungen,  des  Menschen  Blitze!  Zeichen 
Des  Menschen,  die  von  Aug  zu  Augen  reichen : 
Beim  roten  Grunde  meines  Bluts  beginnt! 
Erhebt  euch  wie  auf  Wellen  Wind. 

Das  Meer  ist  leibhaft  Meer  bis  an  den  Rand, 
Doch  freier  streckt  es  noch  die  Hand 
Der  Segel  auf  —  so  aus  der  Tiefe  dehnen 
Zum  Firmament  mich  meine  Sehnen. 

Gestalt!  an  deren  großer  Fahrt  die  Leere 
Zerschellt,  du  voll  gehißtes  Knie,  durchquere 
Die  Welt,  der  Hüften  und  der  Schultern  Flug 
Ist  sichtbar  sichtbar  nie  genug! 

Und   morgenrot  erhebe  sich   der  Mund, 
Und  tue  der  Gefühle  Schweifung  kund  — 
So  zeichnet  sich  des  Innern  nebliger  Garten 
Blühend  hervor,  und  Arme  wie  Standarten 

Führen  das  Wort  und  heben  es  hinüber 

Zum   Sonnenantlitz  unsrer  Brüder   — 

Und  welches  Elend  weicht?  das  Schweigen  weicht! 

Vom  Menschen  wird  der  ferne  Mensch  erreicht. 

Wie  Erde,  sausend,  niemals  still 
Stets  höher  ausdrückt,  was  die  Tiefe  will. 
Drückt  alles  alles  aus!  Der  Allmacht  gleichen 
Bewegungen,  des  Menschen  Zeichen. 


171 


THEODOR  DÄUBLER: 
MEIN  GRAB  IST  KEINE  PYRAMIDE 

Mein  Grab  ist  keine  Pyramide, 

Mein  Grab  ist  ein  Vulkan! 

Das  Nordlicht  strahlt  aus  meinem  Liede, 

Schon  ist  die  Nacht  mir  Untertan  1 

Verdrießlich  wird  mir  dieser  Friede, 

Der  Freiheit  opfre  ich  den  Wahnl 

Die  Künstlichkeit,  durch  die  wir  uns  erhalten. 

Den  Ararat,  wird  meine  Glut  zerspalten  1 


Der  Adam  wird  zu  Grab  getragen. 

Und  übrig  bleibt  sein  Weltinstinkt. 

Der  baut  sich  auf  aus  tausend  Marmorsagen: 

Ich  selbst,  ein  Schatten,  der  zur  Arbeit  hinkt. 

Vermag  bloß  um  den  Ahnen  tief  zu  klagen. 

Da  er  durch  mich,  im  Schacht,  um  Fassung  ringt. 

Das  Grab,  das  er  sich  aufbaut,  ist  sein  Glaube, 

Daß  ihm  Vergänglichkeit  das  Urbild  nimmer  raube  I 


Ich  fühle,  stolzer  Erdenvater, 

Dein  Leid,  das  die  Gesetze  sprengt: 

Ein  Drama  denkst  du  im  Theater, 

Das  tausendstufig  dich  umdrängt. 

Du  atmest  Freiheit  aus  dem  Krater, 

Der  furchtbar  sich  zusammenengt: 

Auf  Deine  Grabesruhe  trachte  zu  verzichten, 

Dann  wird  dein  Herzensstern  die  Welt  belichten! 


Ich  selber  bin  ein  Freiheitsfunke, 

Das  Gleichgewicht  ertrag  ich  nicht  I 

Hinweg  mit  dem  Erfahrungsprunke, 

Ich  leiste  auf  mein  Grab  Verzicht! 

Die  Gnade  schäumt  im  Urgluttrunke, 

Als  Übermaß  ins  Weltgericht. 

Doch  das  will  ich  mit  meinem  Schatten  halten. 

Ich  träume  Euch,  befreite  Erdgewalten! 


172 


Mein  Grab  ist  keine  Pyramide,  ■ 

Mein  Grab  ist  ein  Vulkan. 

Mein  Hirn  ist  eine  Funkenschmiede, 

Das  Werk  der  Umkehr  sei  getan! 

Kein  Friede  klingt  aus  meinem  Liede, 

Mein  Wollen  ist  ein  Weltorkan. 

Mein  Atmen  schaffe  klare  Taggestalten, 

Die  kaum  erschaut,  den  Ararat  zerspalten! 

KURT  HEYNIGKE:  AUFBRUCH 

Es  blüht  die  Welt. 

Ja,  hocherhoben,  Herz,  wach  auf  1 

Erhellt  die  Welt, 

zerschellt  die  Nacht, 

brich  auf  ins  Licht! 

In  die  Liebe,  Herz,  brich  auf. 

Mit  guten  Augen  leuchte  Mensch  zu  Mensch. 

Händefaissen. 

Bergentgegen  gottesnackt  empor. 

O,  mein  blühend  Volk ! 

Aus  meinen  Händen  alle  Sonne  nimm  dir  zu. 

Erhellt  die  Welt, 

die  Nacht  zerbricht. 

Brich  auf  ins  Licht! 

0  Mensch,  ins  Licht! 

WALTER  HASENGLEVER:  MEIN  JÜNGLING.  DU 

Mein  Jüngling,  du,  ich  liebe  dich  vor  allen, 
Du  bist  mein  ei^en  Bild,  das  mir  erscheint! 
Ich  sehe  dich  in  manchen  Teufelskrallen; 
Gewiß,  du  bist  nicht  glücklich,  hast  geweint. 
Du  liebst  zu  schmerzlich  oder  harrst  vergebens. 
Dein  Vater,  deine  Wirtin  macht  dir  Quai, 
Du  zuckst  in  der  Verwildrung  deines  Lebens, 
Dein  Geist  wird  bürgerlich,  dein  Kopf  wird  kahl. 
Willst  du  nicht  mit  mir  gehn  und  mich  erhören! 
Sieh,  auf  die  gleichen  Klippen  schwimm  ich  ein. 
Einst  auf  Prärien,  jetzt  in  Geisterchören 
Will  ich  dich  rufen  und  will  bei  dir  sein ! 


73 


ERNST  WILHELM  LOTZ :  AUFBRUCH  DER  JUGEND 
igiS 

Die  flammenden  Gärten  des  Sommers,  Winde,  tief  und  voll 

Samen, 
Wolken,  dunkel  gebogen,  und  Häuser,  zerschnitten  vom  Licht. 
Müdigkeiten,  die  aus  verwüsteten  Nächten  über  uns  kamen. 
Köstlich   gepflegte,   verwelkten   wie   Blumen,   die   man   sich 

bricht. 


Also  zu  neuen  Tagen  erstarkt  wir  spannen  die  Arme, 
Unbegreiflichen  Lachens  erschüttert,  wie  Kraft,  die  sich  staut, 
Wie  Truppenkolonnen,  unruhig  nach  Ruf  der  Alarme, 
Wenn  hoch  und  erwartet  der  Tag  überm  Osten  blaut. 


Grell  wehen  die  Fahnen,  wir  haben  uns  heftig  entschlossen. 
Ein  Stoß  ging  durch  uns,  Not  schrie,  wir  rollen  geschwellt, 
Wie  Sturmflut  haben  wir  uns  in  die  Straßen  der  Städte  er- 
gossen 
Und  spülen  vorüber  die  Trümmer  zerborstener  WelL 


Wir  fegen  die  Macht  und  stürzen  die  Throne  der  Alten, 
Vermoderte  Kronen  bieten  wir  lachend  zu  Kauf, 
Wir  haben  die  Türen  zu  wimmernden  Kasematten  zerspalten 
Und  stoßen  die  Tore  verruchter  Gefängnisse  auf. 


Nun    kommen    die    Scharen    Verbannter,   sie    strammen   die 

Rücken, 
Wir   pflanzen   Waffen   in   ihre  Hand,   die  sich   fürchterlich 

krampft. 
Von  roten  Tribünen  lodert  erzürntes  Entzücken, 
Und  türmt  Barrikaden,  von  glühenden  Rufen  umdampft. 

Beglänzt  von  Morgen,  wir  sind  die  verheißnen  Erhellten, 
Von  jungen  Messiaskronen  das  Haupthaar  umzackt, 
Aus  unsern  Stirnen  springen  leuchtende,  neue  Welten, 
Erfüllung  und  Künftiges,  Tage,  Sturmüberflaggt! 

174 


Ludwio   Meidner 


Ems!    JJ'iihelni   Letz 


RENfi  SCHICKELE:  DER  ROTE  STIER  TRÄUMT 
Dreitausend  Menschen  standen  dicht  gedrängt. 
Es  roch  nach  Hunger,  KrcUikheit  und  Begehren. 
Wie  durch  trübe  Dämpfe  starrten  in  der  Luft 
hinauf  zur  rotbehangenen  Tribüne 
brennende,  todblasse  und  zerfressne  Mannsgesichter 
und,  in  ihrem  wilden  Haar,  halbirre  Frauenköpfe, 
Blicke,  die  sich  streiften,  schienen  aneinander 
aufzuglühn.  Sie  schauderten  und  wollten  sich  umarmen. 
Heisser  Atem  blies  in  jeden  iSacken.  Man  war 
eingepreßt  in  andre  Leiber,  die  sich  atmend 
auseinanderdrängten  und  zusammenzogen. 
Das  war  ein  apokalyptisch  Tier,  zum  Flug  bereit 
und  riesenhaft,  mit  tausend  Herzen  glühend. 
Die  Stimme  der  im  Trüben  rotgeflammten  Ferne  sprach: 
„.  .  .  keine  Lügen  .  .  .  kein  Erweichen  .  .  .  Recht 
des  Stärkern,  der  die  Arbeit  in  der  Welt  verrichtet. 
Mir  gehört  mein  Werk. 
Kein  Mitleid  und  kein  Herzerweichen. 
Es  lebe  der  Krieg! 

iBlut  muß  Gott  geopfert  sein :  unserm  Geist 
und  dem  unsrer  Kinder.  Alle  Menschen  verbluten 
täglich,  langsam,  in  den  Freuden,  in  den  Schmerzen, 
Arbeit  ist  Krieg!  Wir  werden  unsre  Signale  haben, 
die  langen  Märsche,  die  Zusammenstöße, 
wo  der  Mensch  seinen  heimlichen  grösseren  Geist  gebiert, 
seinen  Gott,  den  uralten,  in  den  Gewittern 
schreienden  Gott! 
Es  wird  unser  Krieg  sein 
und  unser  eignes  ehrgeiziges  Werk. 
Keine  Traurigkeit! 

Menschen  müssen  als  Heiden  sterben, 
damit  andre  in  ihrem  hohen  Schatten  wachsen, 
der  Notdurft  entwachsen  und  Gott,  dem  Geiste 
zu,  für  den  wir  die  grossen  Worte  fanden, 
die  grossen  Bilder 
in  jahrtausendcdter  Sehnsucht .  . . 
So  kommt  in  ewigen  Minuten 
unser  eignes  Bild  sieghaft  uns  entgegen. 
Alles  Fleisch  muß  untergehn, 
doch  dies  ist  unser  Geist. 

V2  177 


Es  lebe  die  Freiheit, 

die  des  einen  Kräfte 

an  die  des  andern  bindet, 

daß  ein  jed  Geschlecht 

im   freien  Wettbewerb 

sein  Parthenon  errichtet .  .  . 

Freiheit:  allen  Ehrgeiz  weckende, 

kraftentzückende, 

krafterfüllende, 

Sehnsucht  recken  de, 

nach  der  Vollendung  dieser  unsrer  Hände, 

dieses  unsres  Herzens! 

Es  lebe  die  Schönheit, 

die  aus  der  Sehnsucht  nach  Vollendung  steigt, 

wie  ein  Stern  aus  Abendnebeln  .  .  . 

Seht,  die  Schönheit  ist  ja  nichts, 

als  die  sich  lächelnd  spiegelnde  Natürlichkeit. 

Es  lächelt,  wer  sein  Werk  verrichten  kann. 

Das  weiss  ein  jeder, 

der  einmal  über  seiner  Arbeit  sann  .  , . 

Es  lebe  Gott;  der  Geist. 

Wer  der  Vollendung  dient,  empfängt  die  Schauer 

des  Ewigen. 

Es  lebe  der  Ehrgeiz,  dem  Geiste  zu  dienen. 

Verflucht  sei,  wer  beherrschen  will . . . 

Die  Sklaven  befreien  sich! 

Es  sind  Könige  genug  in  ihrer  Mitte, 

sehnsüchtige  Schönheit,  Glauben,  Sitte 

und  die  Gerechtigkeit,  die  unsre  Kränze  flicht. 

In  unsrer  Arbeit  werden  wir  unsre  Herren  sein, 

herztoll  und  heiter. 

Blickt  der  eine  dem  andern  ins  Gesicht, 

spiegeln  wir  einander:  die  Menschen  .  .  ." 

Dreitausend  Menschen  standen  dicht  gedrängt. 
Die  Stimme  in  der  Ferne  brach. 
Dreitausend  Menschen  schrien  und  weinten. 


178 


Ludwig  Meidner 


Rene   Schickeh 


KARL  OTTE^:  ARBEITER!  ' 

Arbeiter!  Dich  an  Rad,  Drehbank,  Hammer,  Beil,  Pflug  ge- 
schmiedeten 

Lichtlosen  Prometheus  rufe  ich  auf! 

Dich  mit  der  rauhen  Stimme,  dem  groben  Maul. 

Dich  Mensch  voll  Schweiß,  Wunden,  Ruß  und  Schmutz 

Der  du  gehorchen  mußt. 

Ich  will  euch  nicht  fragen  was  ihr  da  arbeitet. 

Wozu  es  dient,  ob  es  recht  oder  unrecht,  gut  oder  schlecht 
gelohnt. 

Ob  überhaupt  ein  Lohn  euch  vergelten  kann  eure  finstere 
Arbeit. 

Ob  überhaupt  Geld  ist  der  Ausdruck  oder  das  Pflaster 

Das  diese  Arbeit  unschuldig  sinnvoll  eines  Lohnes  wert  macht. 

Diese  Nacht  währt  lang  seit  Jahren  schwärzeste  Finsternis 

Ballt  sie  ihr  feuchtes  Hemd  vor  unseren  stummen  Mund. 

Ich  sehe  nicht  ob  ihr  errötet. 

Niemand  kann  in  euer  Herz  schaun. 

Ihr  wißt  trotz  allem  trotz  allem 

Daß  ihr  Nummern  seid! 

Gleichwo :  in  der  Fabrik  im  Gefängnis  im  Lazarett  in  der 
Kaserne  auf  dem  Friedhof, 

Ihr  seid  da  für  eine  Statistik  deren  Summe,  deren  Steigen, 
Fallen,  Stocken 

In  jeder  Zeitung  zu  lesen  ist. 

Ebenso  eure  Kinder,  eure  Frauen,  eure  Eltern,  Schwestern 
und  Brüder. 

Es  geht  euch  besser  man  sieht  es  an  der  Statistik: 

Ihr  seid  freier  man  hört  es  aus  den  Vereinen 

Ihr  seid  satt  man  merkt  es  an  Fahnen  und  Musik 

Ihr  seid  fleißig  man  fühlt  es  am  guten  Tuch  eurer  Anzüge, 
den  Schuhen  eurer  Frauen. 

Du  verstehst  mich?  Im  Herzen,  tief  im  letzten  Schacht 

Bist  du  wach,  unzufrieden,  philosophisch,  aufrührerisch. 

Du  hast  tief  im  Blut  die  Bitternis  der  Züchtigung,  des  Zahlen- 
zwanges. 

Wie  einen  Engel,  unsagbar  fremd  und  unaussprechlich 

Leidest  du  stumm  das  Rätsel  dieser  sinnvollen  Knechtschaft. 

Arbeiter,  Proletarier,  Sohn  der  Fabrik,  des  Hinterhofes,  des 
Kinos,  Nie  Carters  und  Bordells! 


löl 


Der  du  von  Kartoffeln  und  Brot  lebst,  zwölf  Menschen  auf 

zwei  Stuben, 
Dessen  Kinderhimmel  verdunkelt  war  von  Neid  und  Prügeln 
Der  du  brutal  und  bösartig  nur  darnach  trachtest  dich  an  den 

Deinen  zu  rächen 
Der  du  träumst  von  der  Teilung,  vom  Meer,  von  den  Alpen, 

den  Palästen  und  Gärten  der  Reichen 
Der  du  hungrig  bist  nach  den  blitzenden  Lampen,  Spiegeln, 

Locken,  Sesseln  und  Frauen  — 
Ihr  erwartet  den  Tag!  Das  Licht I  Die  Vergeltung!  Den  Tag 

da  heimgezahlt  wird: 
Auge  um  Auge  Zahn  um  Zahn! 
Strahlend  wird  er  aufgehn,  feierlich  ewige  Sonne  über  jenem 

Kirchturm 
Und  euer  Siegesschrei  wird  übertönen  tiefstes  Todesröcheln ! 
Ihr  habt  euer  Programm  ihr  habt  eure  Propheten  euer  ist 

der  Sieg! 
Er  muß  kommen  denn  er  läßt  sich  berechnen! 
Berechnen!  Und  ich  höre  eure  Schritte 
Jahrtausende  um  die  Maschine  poltern 
Die  taub  ist  jedem  Beten  jeder  Bitte. 
Ihr  schweigt  und  wartet  laßt  euch  foltern. 

Und  wie  das  Herz  in  immer  schwächern  Schlägen 
Ablaufend  Jahr  an  Jahr  gebunden 
Schlug  es  im  Takt  der  Räder  Kolben  Sägen 
Da  habt  ihr  freudig  mitgeschunden. 

Da  hat  der  Tanz  der  fauchenden  Maschinen 
Euch  eingelullt  und  eingeschraubt 
Der  Eisenfeuergeldgott  fuhr  aus  ihnen 
In  euer  Herz.  Er  ist  es  den  ihr  glaubt. 

Ihn  wollt  und  werdet  ihr  errichten 

Den  gleichen  Gott  mit  Zeitung  Zahl  und  Kriegen 

Der  jetzt  die  Menschheit  quält  mit  blutigen  Gesichten 

Gemetzel  Brand  mit  Börse  Orden  Siegen. 

Es  wird  geschehn,  o  war  es  morgen  heute 

Daß  euch  die  Augen  aufgehn  blutig  nüchternem  Erwachen 

Der  letzte  Rest  von  Herz,  des  Ekels  Beute 

Aus  eurer  Keiale  stürzt,  o  fürcliterlich  Erwachen! 

183 


Dich  ruf  ich  Sohn  der  dampfenden  Galeere 

Ich  halte  dich  auf  dieser  Insel  Schreck 

Im  Blutmeer  Angstmeer  Feuermeere 

Im  Sturm  der  letzten  Schreie  der  Gefallenen 

Der  Mütter  Bräute  Säuglinge 

Der  Flüche  Schreie  Bitten  Fieberlallen 

Der  Angeschossenen  Brennenden  Vergifteten 

Der  Verschütteten  Zerrissenen 

Der  Irrsinnigen  aus  Angst  Hunger  Gift  — 

Du  bist  Mensch  wie  ich! 

Du  sollst  und  kannst  denken! 

Du  hast  einzutreten  für  jeden  Hebeldruck 

Jeden  Hammerschlag,  jeden  Groschen  den  du  mehr  verdienst, 

Jedes  Wort  das  du  verschleuderst  verlogen  verschimpfsl! 

Weißt  du,  daß  du  die  Pflicht  hast 

Mensch  zu  sein,  Erdbewohner,  eine  Seele  zu  haben,  ein  Herz! 

Arbeiter,  mein  dunkler  Bruder,  du  hast  ein  Herz! 

Dein  Herz  verpflichtet  dich  der  Menschheit. 

Von  deinem  Herzen  geht  alles  Leid 

In  alle  Herzen. 

Allen  Herzen  ist  dein  Herz  im  gleichen  Schlag  verbunden. 

Dein   Herz   belebt   versöhnt   verflucht  schlägt   Todeswunden 

Reiß  es  aus  der  Maschine  Brustkorb  aus  dem  Netz  der  Drähte 

Beeile  dich,  Blut  fließt,  fließt,  beeile  dich  als  träte 

Der  Tod  dich  an.   Du  kannst  die  Menschheit  retten! 

Du  Sohn  der  Menschheit,  dessen  Schwielen  alle  Herren  schmei- 
chelnd lecken. 

Von  deinem  Herzen  deiner  Güte  deinem  Sein 

Von  dir  allein 

Du  Sohn  der  Magd,  du  Christi  Bruder 

Hängt  ab  ob  Licht  in  dieses  Meer  von  Blut  und  Mördern 
dringt! 

Dein  Ziel  dein  Sieg  dein  Glück  ist  innen ! 

Im  Herzen  drin,  es  ist  es  ist!  so  wahr  dein  Herz  schlägt, 

Mur  das  Herz  gewinnen 

Kann  diesen  Kampf  der  gegen  dich  erklärt. 

Dein  Herz  ist  jenes  das  die  Kugel  spitz  durchfährt 

Gleichgültig  wer  es  trägt:  es  litt  und  bangte 

Hoffte  sang  war  klein  und  arm 

Und  eines  Menschen  deines  Bruders  Herz. 

i83 


Man  gab  dir  Brot  Geld  Arbeit  und  Erlaubnis  — 

Ich  gebe  dir  dein  Herzl 

Glaube  an  dein  Herz,  an  deine  Gefühle,  an  deine  Güte,  an 

die  Güte,  an  die  Gerechtigkeit! 
Glaube,  daß  es  einen  Sinn  hat  zu  glauben. 
Zu  glauben  an  die  Ewigkeit  der  Güte, 
An  die  Menschheit,  deren  Herz  du  bist. 
Nur  die  Güte  wird  siegen,  die  Liebe,  Sanftmut 
Der  starke  unbeugsame  Wille  zur  Wahrheit 
Der  steifnackige  Entschluß  endlich  zu  sagen  was  man  fühlt 
Und  daß  nichts  seliger  beglückt  als  die  Wahrheit. 
Sei  Menschenbruder !  Sei  Mensch !  Sei  Herz  I  Arbeiter  1 

PAUL  ZECH: 
DIE  NEUE  BERGPREDIGT 

(1910) 
I. 

Ihr  blassen  Krüppel,  sanft  von  Kindern  vorgeschoben, 
und  ihr  Geschwächten  aus  dem  Hospital, 
ihr  Irren  von  den  Straßen  aufgehoben 

und  ihr  Entlauf nen  aus  dem  Arbeitssaal; 
Töchter  der  Magdalena,  Kains  robuste  Söhne, 
Verwanderte  von  China  her  und  vom  Ural : 

auf  daß  mein  Spruch  durch  euer  Stöhnen  töne, 
auf  daß  mein  Spruch  durch  eurer  Stirnen  Grind 
sich  zwänge,  wild  wie  Wettern  heißer  Föhne, 

und  Adern,  die  vom  Gram  verschüttet  sind, 

melodisch  weite,  ward  mir  diese  Stunde 

noch  einmal  aufgespart,   eh  Brüder   tollwutblind 

sich  hetzen  und  zerfleischen  wie  die  großen  Hunde 

der  Strahlgebläse  in  Kavernen  aufgestellt. 

Und  spricht  auch  zorniger  Gott  nicht  mehr  aus  meinem  Munde : 

Der  Vater,  der  mich  sandte,  heißt  noch  immer  wie  die  Welt. 

2. 

Ihr  Männer,  sprecht,  zerdonnern  schon  in  Rauch 

die  goldenen  Paläste,  die  man  aus  den  Knochen  eurer  Ahnen 

aufsteilte  über  blauem  Strom.  Und  platzte  schon  der  Bauch 

184 


des  Baals,  der  die  heranbeschwornen  Karawanen 

Unmündiger  verschlang  wie  süßes  Gras? 

Und  flattern  von  den  Kirchturmspitzen  schon  die  Fahnen 

der  Freiheit  feurig  räudigen  Siedlern  zu  im  Haftgelaß? 
Und  sprang  aus  euren  Muskeln  schon  der  Schwielen 
verschorftes  Ducken  wild  zurück  in  Haß? 

Wer  zerrt  ungläubiges  Volk  ins  Joch  der  erznen  Sielen? 
Und  welcher  Schlachtruf  rauscht,  der  euch  zu  Taten  treibt, 
Notsegel  bläht,  den  Äther  zu  durchkielen? 

Das  Menetekel,  das  ihr  schwarz  mit  Wolkenfingern  schreibt, 
entsprauig  es  den  fünf  unverbundenen  Wunden 
des  Kreuztods,  der  solange  ungerochen  bleibt, 

bis  Menschen  dieser  Erde  nicht  mehr  munden? 


Und  ihr  belaubten  Mütter,  fruchtbar  ohne  Sinn 
und  ewig  ausgestreckt  ein  Neues  zu  empfangen, 
ward  eurem  Dienen  schon  ein  seliger  Gewinn? 

Ein  Königreich?  Provinzen,  korngelb  aufgegangen? 
Und  Töchter:  gläubig  Untertan  wie  Ruth? 
Und  habt  ihr  je  in  bangen  nächtelangen 

Gebeten  eurer  Männer  hingefloßnes  Blut 

beweint,  und,  cuigestaxrt  von  der  Verzweiflung  Larven, 

euch  stündlich  aufgereizt  in  rächerische  Wut? 

Gott  gab  euch  Odem  psalmengrüner  Harfen 

den  Frost  der  Seelen  silbern  aufzuglühn, 

die  sich  zerknirscht  Vertiertem  in  die  Blößen  weirfen. 

Aus  euren  zauberischen  Fingern  blühn 

noch  immer  Rosen,  letzte  Armut  zu  versöhnen. 

Um  Brücken,  über  Ströme  bogenkühn 

zu  schlagen,  müssen  Harfen  über  Rosenwunder  tönen. 

i85 


4. 

Noch  immer  schwebt  zerräderte  Musik  um  eure  Lippen 

ihr  Kinder,  die  ich  nie  so  hilflos  sah, 

und  so  gejagt,  gleich  in  ein  Weinen  umzukippen. 

Was  weit  auf  Lenzgefilden  knospenhaft  geschah: 
Marienkäferlied  und  Schmetterlinge-Fängen, 
ist  euch  nur  in  den  magern  Bilderbüchern  nah. 

Nie  reizten  Glocken,  die  durch  Streikrevolten  feurig  klangen, 
euch  in  das  selige  Getöse  einer  Schneeballschlacht. 
Zerbrochenes  Gefühl  ist  oft  durch  euren  Traum  gegangen. 

Und  wenn  ihr  auf  dem  Brachfeld  wo  ein  Feuerchen  entfacht, 
bricht  gleich  schon  Angst  von  euren  Munden  wie  zerbißne 

Kreide, 
und  immer  habt  ihr  Ruhr  und  Husten  heimgebracht. 

Ich  aber  will,  daß  ihr  wie  tausendfältiges  Getreide 
in  Sonne  reift;  denn  meine  Mühlen  gehn  schon  leer 
und  an  des  Kreuzwegs  ungewisser  Daseinsscheide 

lauern  gebräunte  Quäler  wie  ein  Hunnenheer. 


Erlösung  breche  schier  aus  meinem  Munde 
und  fließe  weit  hinaus  wie  der  Atlant, 
auf  daß  Uir  hingetaucht  auf  seinem  Grunde 

zur  letzten  Freiheit  euch  ermannt. 

Mein  Same,  einmal  ausgestreut  m  Schlachten, 

wie  sammelt  er  sich  hier  als  unfruchtbarer  Sand?! 

Reibt  aus  den  Augen  euch  die  wüst  verwachten 
Nächte  der  Qual  und  wallt  In  meinem  Zug, 
den  neuer  Quäler  Väter  schon  verlachten 

und  Priester  schamlos  nutzten  zum  Betrug. 

Ihr  Hergeschwemmten  mit  dem  toten  Blick  der  Blinden 

In  mir  ist  immer  Mittagshöh  und  Sternenflug. 

Sodom  und  Hellas,  Rom  zu  überwinden, 

schenk  ich  mich  stündlich  allem  aus,  was  trinken  mag. 

Und  groß  aus  östlich  hergewehten  Winden 

erbau  Ich  täglich  euch  den  all  er  jüngsten  Tag. 

i86 


0  jüngster  Tag,  aus  himmlischem  Gedröhn  gewittert, 

0  Strahl,  der  feurig  durch  das  Morsche  fährt, 

0  Schlag,  der  jäh  des  Baales  Babelturm  zersplittert 

und  was  verzweifelt  gärt,  zur  Wahrheit  klärt: 

Schön  höre  ich  aus  Tiefen  krummer  Hufe  Stampfen, 

und  wittre  Brand,  der  gelb  aus  schwarzen  Wolken  schwärt, 

die  Zwielichtkämpfe  in  den  Städten  zu  verdampfen. 

Und  wenn  Elias  mit  dem  Flugschiff  wiederkehrt, 

damn  brechen  Augen,  die  sich  schwer  in  Furcht  verkrampfen, 

weißgläubig  auf  und  stürzen  in  den  Feuerherd, 

der  aufbrennt,  Boden  einer  neuen  Welt  zu  düngen. 

Und  niemEmd  wird  dort  siedeln,  den  Vergangenes  beschwert; 

erwacht  zu  schöpferischem  Glückaüfschwüngen, 
schießt  Gottes  Blut,  das  einmal  schon  vergeblich  rann, 
durch  aller  Menschen  Herzen  in  Kometensprüngen 

und  steht  —  dreifache  Sonne  —  über  Kanaan. 


RENfi  SGHICKELE:  GROSSSTADTVOLK 

Ja,  die  Großstadt  macht  klein  .   . 

O   laßt  Euch  rühren,  ihr  Tausende  .  . 

Geht  doch  hinaus  und  seht  die  Bäume  wachsen: 

sie  wurzeln  fest  und  lassen  S'ch  züchten, 

und  jeder  bäumt  s  ch  anders  zum   Licht. 

Ihr  freilich,  ihr  habt  Füße  und  Fäuste, 

Euch  braucht  kein  Forstmann  erst  Raum  zu  schaffen, 

Ihr  steht  und  schafft  euch  Zuchthausinauern  — 

so  geht  doch,  schafft  Euch  Land!   Land!  rührt  Euch 

vorwärts,  rückt  aus!  — 

Richard  Dehmel 

„Predigt  ans   Großstadtvolk.' 

Nein,  hier  sollt  Ihr  bleiben! 

in  diesen  gedrückten  Maien,  in  glanzlosen  Oktobern. 
Hier  sollt  Ihr  bleiben,  weil  es  die  Stadt  ist, 
wo  die  begehrenswerten  Feste  gefeiert  werden 
der  Macht  und  die  blass  machenden  Edikte  erlassen  werden 
der  Macht,  die  wie  Maschinen  —  ob  wir  wollen  oder  nicht  — 
uns  treiben. 


187 


Weil  von  hier  die  bewaffneten  Züge  hinausgeworfen  werden 

auf  mordglänzenden  Schienen, 

die  alle  Tage  wieder 

das  Land  erobern. 

Weil  hier  die  Quelle  des  Willens  ist, 

aufschäumend  in  Wogen,  die  millionen  Nacken  drücken, 

Quelle,  die  im  Takte  der  millionen  Rücken, 

im  Hin  und  Her  der  millionen  Glieder 

bis  an  die  fernsten  Küsten  brandet  — 

Hier  sollt  Ihr  bleiben! 

in  diesen  bedrückten  Maien,  in  glanzlosen  Oktobern. 

Niemand  soll  Euch  vertreiben! 

Ihr  werdet  mit  der  Stadt  die  Erde  Euch  erobern. 


PAUL  ZECH:  MAI-NACHT 

Noch  klappen  Paternoster.  Fensterfronten  schreiten 
weiß  wie  Flamingos  in  den  Lampenozean. 
Versandet  aber  liegen  Ufer,  Kran  bei  Kran, 
aus  den  Kanälen  wachsen  Mauern  von  drei  Seiten. 

Die  braunen  Hügel  Armut  vor  dem  Wald  der  Schlote 

vergaßen,  daß  hier  aufbrach  ein  Vesuv .  . . 

Die  Stuben  schallen  voller  Ruf, 

vor  Schenken  hängt  der  Mond,  die  rote  Zote. 

Und  plötzlich  hat  der  Straßen  glattes  Einerlei 
da5  riesig  strotzende  Gesicht 
apokalyptisch  überglänzt  von  Schrift: 

„Gebt  Raum  auf  Halden,  Werften  und  Glacis, 
gebt  Raum  auf  Rasen,  Blumenbeet  und  Kies 
dem  Mai,  der  unsere  Kehlen  heimsucht  als  ein 
Schrei!" 

LUDWIG  RUBINER:   DIE  STIMME 

0  Mund,  der  nun  spricht,  hinschwingend  in  durchsichtigen 
Stößen  über  die  gewölbten  Meere. 

0  Licht  im  Menschen  an  allen  Orten  der  Erde,  in  den  Städten 
fliegen  Stimmen  auf  wie  silberne  Speere. 


0  Trägheft  der  kreisenden  Kugel,  du  kämpftest  gegen  Gott 
mit  fletschenden  Tierlegionen,  Urwäldern,  Säbeln,  Schüssen, 
bösem  Mißverstand,  Mord,  Epidemien: 

Aber  der  Lichtmensch  sprüht  aus  der  Todeskruste  heraus.  In 
den  Fabriken  heulen  Ventile  über  die  Erde  hin.  Er  hat 
seine  Stimme  in  tausend  Posaunen  geschrien. 


Eine  Stimme  schnellte  hoch,  glasschwirrend  ein  harter  Stahl- 
pfeil, der  in  Glut  blank  zerknallt. 
Eine  Stimme  über  Amerika,  unter  schweißigen  Negern,  die 

demütig    das   Weiße    der  Augen    drehen;    unter    deutschen 

Flüchtlingen,  bärtig  zerpreßten  Bettlern,  unter  hungernden 

Juden,  die  das  glitschige  Ghetto  finster  zusammenballt. 

Eine  Stimme  unter  den  entkräfteten  Arbeitern,  drei  Millionen, 
die  alle  Jahr  einsam  absterben  nach  neuen  Fabriksystemen, 

Eine  Stimme  unter  zerfressenen  Frauen  im  bunten  Hemd, 
denen  die  Bordellmeister   das   Geld  abnehmen. 

Unter  starren  Chinesen  im  Hungergeruch,  die  Tag  und  Nacht 
feine  Wäsche  waschen. 

Eine  Stimme  über  den  Broadways,  wo  Arbeitslose  nach  fort- 
geworfenen Speiseresten  haschen. 


Eine  Stimme  schwang  zart  wie  der  dünne  steigende  Schrei 
des  Dampfs   eh  die  vieltönigen  Wasserblasen  aufkochen, 

Sie  sprang  wie  WindscUid  in  stumme  Münder  hinein,  sie 
glitt  wie  Flötenkraft  müden  Schleppern  über  geduckte 
Knochen. 


Durch  steilschwarze  Stuben  schwebten  Sonne  und  Mond,  die 
Sterne  zogen  durch  stinkende  Tapeten  aus  rissigen  Flecken. 

0  vielleicht  geht  das  himmlische  Wunderlicht  auf,  bevor  alle 
zu  Acts  verrecken  1 

Eine  Stimme  flog  und  sog  sich  voll  aus  schmutziger  Werk- 
stättenzeit, 

Die  Wut  und  die  Hoffnung  kreisten  wie  Blut,  und  der  Haß, 
der  naß  bespeit. 

Eine  Stinune  haucht  schwarz  über  schlechtes  Papier  aus 
bankrottierten  Druckermaschinen, 

189 


Eine  Stimme  las  das  Flüsterwort:  Streik!  in  den  roten  Schäch- 
ten der  Goloradominen. 

Sie  liegt  wie  heißer  Rauch  auf  schaukelnden  Häfen;  miß- 
trauischen Kneipen;  im  verhungerten  Dorf;  werm  der  ge- 
plünderte Bauer  sät; 

In  Städten  schreit  sie  Signalgeklirr  über  wirre  Versamm- 
lungen hin,  wo  Polizei  die  Türen  bespäht. 

0  Münder,  daraus  die  Stimme  des  Menschen  breruitl 

0  trockene  Lippen,  sechzigjährig,  trauernd  schlaff  umstoppelt, 
die  sich  flach  öffnen,  weil  vor  dem  Tod  Einer  bekennt. 

0  irre  rote  Zungenglut  hinter  weißen  ISegerzähnen,  die  Stimme 
gurgelt  im  Glücksgesemg. 

0  Mund,  rundes  schallendes  Tor,  Hall  und  Lust,  Volkschoral, 
daß  der  Saal  mitschwang. 

0  bitterer  iNähmädchenmund,  der  nach  Gerechtigkeit  klagt 
und  schrill  Groschen  und  Wiegpfunde  zählt. 

0  faltiger  Rednermund,  der  auf  und  nieder  wie  Eulenaug; 
geht,  und  Effekte  wählt. 

0  Mann  im  blauen  Hemd,  der  in  Fabrikpausen  hastig  Pro- 
paganda treibt. 

0  sorgfältiger  Beamter,  der  nach  allen  Poststationen  Briefe 
und  Werbelisten  schieibt. 

0  Demütiger,  verlegenes  Herz,  der  nur  einmal  einem  Guten 
die  Hand  drücken  mocht. 

0  Stummer,  der  zum  erstenmal  spricht,  und  in  einem  Satz 
sich  prasselnd  verkocht. 

Eine  Stimme  flammt  über  Europas  gehetzten  Menschen,  über 
krummen  schweigsamen  Kulis  im  Australischen  Strauch. 
Strauch. 

0  Münder,  wie  viele  warten  auf  Euch,  Ihr  schallt,  und  sie 
öffnen  sich  auch! 

190 


IV.   Lehtribruch 


Luclwio  Rubiner 


JOHANNES    R.  BECHER:    Ai\  DIE  ZWANZIGJÄHRIGEN 

Zwanzigjährige!...  Die  Falte  eueres  Mantels  hält 

Die  Straße  auf  in  Abendrot  vergangen. 

Kasernen  und  das  Warenhaus.  Und  streift  zuend  den  Krieg. 

Wird  aus  Asylen  bald  den  Windstoß  fangen, 

Der  Residenzen  um  ins  Feuer  biegt! 

Der  Dichter  grüßt  euch  Zwanzigjährige  mit  Bombenfäusten, 

Der  Panzerbrust,  drin  Lava  gleich  die  neue  Marseillaise  wiegt! ! 


ALFRED  WOLFENSTEIN:  CHOR 

Faßt  eure  Finger:  Fühlet  euch  denken, 
Tupfend  wie  Geigen,  nervige   Singer, 
Aber  vom  Herzen  aufpulsen  Pauken, 
Dumpfere  Ringer  um  euer  Glück. 

Wünscht  nicht  zu  stehen,  hörend  zu  schmelzen ! 
Formet  mit  Füßen  bergiges  Gehen, 
Kämpfend  entgegenatmet  die  Erde, 
Wild  bleibt  ihr  Wehen  in   euch  zurück. 

Sterniges  Kühlen,  Glühen  der  Seele, 
Einsamkeit,  Liebe,  —  o  beides  fühlen! 
Gehende  Stimme  geht  auf  zu  Stimmen, 
Freunde  umwühlen  Wüste  in  Glück. 

Nach  dem  II.  Satz  der  Adur- Symphonie 


ALFRED  WOLFENSTEIN:  KAMERADEN! 

Da  eilte  ich  befreit  zur   Tür  hinaus, 
Schnell  flammend  half  das  warme  Treppenhaus, 
Und  lieber  wollt  ich   zu   den  Straßensteinen 
Als  in  der  horchend  engen  Wohnung  weinen! 

Das  ist  die  Flucht  vor  den  zu  eng  Verwandten, 
Die   mich  berührten,   ehe  sie   mich  kannten, 
Noch  immer  wie  in  ihrem  hohlen  Schoß 
Läßt   mich   Gehörnen   Elterndruck  nicht  los. 


»3 


193 


Doch  lieber  Haß  und   Wüste  dieser  Stadt 
Als  eure  Liebe,  die  mich  grundlos  hat, 
Wir  wählten  niemals  uns!  Daß  ihr  mich  säugtet, 
Wird   es  Gefühl  denn,  daß   ihr  mich  erzeugtet? 

Nein,   von  der  Lampe  falschem  Seelenfrieden, 
Von  eurer  dichten  Sicherheit  geschieden! 
Und   lieber  in   die   unbekannte   Nacht 
Und  ohne  Bett  die  Wahrheit  durchgewacht! 

Da  kommen,  wie  die  Häuser  steil  und  keJt, 
Die  Wagen,  nur  berührt  von  kurzem  Halt, 
Gefühllos  auch  und  rasch  die  dunklen  Leute, 
Und  suchen  sich  als  fremd  genoßne  Beute. 

Ich  wEundere  mit  ihnen  wie  alleine  — 
In  grelle  Cafes  wie  in  stumme  Haine, 
Gleich  blätterlosen  Stämmen  Tisch  an  Tisch 
Thront  jeder  Kopf,  getrennt  und  wählerisch. 

Und  seh  die  Paare  ohne  Harmonien 
In  eisig  klarem  Bund  nach  Hause  ziehn, 
Und  schleiche  lieber  fort  zu   kleinen  Sternen, 
Längs   schwarzer   Fenster,  lebloser  Laternen. 

Und  endlich  heb  ich  meine  wahren  Hände  — 
Mein  Herz  trompetengleich  dehnt  alle  Wände  — 
0  nieder  mit  geilkalter  Einsamkeit 
Und  lau  beseelter  Sumpf gemeinsamkeit! 

Verwandtes  Blut  aus  Elternliebesnacht, 
Ohn  unser  Wollen  ihnen  nahgebracht, 
Geschiednes  Blut,  gepaart  in  Straßenliebe  — 
Daß  beides  nun  ein  neuer   Ruf  vertriebe! 

Ein  Ruf  nach  Freundschaft!  dass  in  finstern  Zimmern 
Die  Mauern  stürzen  und  die  Nackten  schimmern 
Entblößt  von  Decken  dumpf  und  unsichtbar 
Und   von  gespenstischen   Gefühlen    klar. 

Daß  Unerfüllte  ihrer  armen  Zeit 
Aus  Gräbern  wehn  in  unsre  Geistigkeit, 
Und   Neue  mit  gefühlleren   Gebärden 
Voll  blühnder  Herzen  nun  geboren   werden. 


^9^ 


Ein  Ruf  nach  Sonne!  statt  sich  rauh  zu  brauchen, 
Einander  stolzre  Seelen  einzuhauchen  — 
Ein  Ruf  nach  Freiheit !  nicht  vermengt  zu  sein 
Sondern   vereinigt   wie  in   Heeresreihn    — ! 

Der  Platz  voll  stiller  starker  Fliederluft 
Erglüht,   wie  Echo,  das  sich  weiterruft. 
Aus  allen  Straßen  dämmern  rote  Strahlen 
Hierher,  sich  stark  in  neue  Welt  zu  malen. 

Das  sind  die  Willen,  ganz  aus  Licht  getrieben, 
Die  sich  als  Willensangesichter  lieben, 
Das  ist  des  Lichtes   Aufgangsmelodie, 
Die  süße  nahe   weite   Kameraderie! 


K\RL  OTTE^  :  FÜR  MARTI\ET 
I 

Wir  treten  vor  ^^'älder,  über  denen  Sommer  braust. 

Starren  hinab  vom  Hügel,  weich  von  Fichtennadeln. 

Darunter  lauern  Erdbeeren  und  Pilze  unschuldsvoll. 

Wiesen  sinken  unsern  Füßen,  Kühe,  Ziegen;  wir  lagern  ver- 
liebte Paare. 

Wir  lassen  den  Himmel  blau  hinwölken  Unermeßlichkeit 

Als  sei  er  unser  Blut  tauchen  wir  in  seine  Sternfalten. 

Wir  sitzen  am  Ufer  auf  der  Bank,  die  Brücke 

Wölbt  Sprung  an  Sprung  donnernd  von  Karren  und  Menschen. 

In  langen  Zügen  blitzend  saugt  der  Fluß  das  Land  und  duftet 

Heimat,  Abendglocken,  Schiffe  und  Kinderlieder, 

Zitternd  springen  wir  aus  dem  einfältigen  Schlaf  auf  die 
knarrende  Diele, 

Zitternd  lauscht  unser  Herz  Gewaltschlag  Freude,  frenetisch 
Juhelbefehl   — 

Naht  Himmel  grün  und  ganz  von  Orion,  dem  Bären,  der 
Straße  durchflaromt 

Wenig  erhellt  der  zackige  Rand  meiner  Stadt,  stolze  Türme, 
Bürgerdächer, 

Milchige  Schlote  —  ferne  ein  Zug  klagend  verrast. 


195 


II 

Doch  im  dunklen  Glanz  der  Wälder,  Berge,  Ströme, 
Streicht  der  Wind  der  Ferne,  rückwärts  hinter  unserm  Haupt 
Quillt  Eiseskälte,  sticht  Nadelstich,  Gewissen  brennt. 
Aus  Wolken  schwangerm  Mond  beißt  Rächerhand,  Menschen- 

handkyklop 
Zeigt  sein  spitzer  Finger,  bohrt  auf  Herz  und  Nieren! 
Von  Orient  und  Okzident  glühn  Augen  uns  in  Staub! 
Du!  brüllt  ein  kalter  Hagelwind 
Du!  knirscht  Sand  im  Gebiß! 
Du!  hämmert  Sommerregen  schellend  auf  alle  deine  dicken 

Häute! 
Du!  fluchen  Kinder,  schweigen  Mütter,  lallen  Bräute, 
Du,  du  einziger,  jeder,  du  allein! 
Allein  das  Ich  ist  schuld! 
Öffne  dich  Erde  des  Sommers,  Himmel  der  Nacht  krach  uns 

ein. 
Wind  des  göttlichen  Frühlings,  Säure  werde  dein  Wehn,  gerbe, 

beiße  die  zwanzig  Felle  um  unsere  Seele. 
Sormenstrahl  sei  Blitz,  er  ist  Blitz,  zündend! 
Niederprassele  aufs  Pflaster  den  Kadaver  der  vergaß!  . 


III 

Ich  habe,  Bruder,  deinen  Gruß  gehört. 

Grad  gingen  Eisenbahnzüge  über  mich,  fort, 

Züge  vollgepfropft  mit  neuen  Brüdern. 

Man  wartete  ihr  neunzehntes  Jahr  ab,  um  sie  nach  dem  Kodex 
zerhacken  zu  können. 

Man  lauert  auf  die  Kinder,  prüft  ihre  Gelenke,  ihre  Muskeln, 

Und  fragt  sich  ob  es  bald  so  weit  sei. 

Die  Mütter  wagen  nicht  hinzusehen  wie  sie  wachsen  und  auf- 
begehren. 

Möchten  sie  verstecken,  ihnen  verbieten  das  Haus  zu  verlassen, 

Sie  in  Schlaf  hypnotisieren. 

Zwei  drei  Jahre  bis  —  aber  das  wird  nicht  gehen  —  man  läßt 
alles  laufen. 

Ich  krieche  mit  allen  anderen,  es  muß  so  sein,  daß  wir  alle 
kriechen. 

Wir  können  nicht  mehr  viel  sagen.  Bruder. 


196 


Auf  allen  Plätzen,  Gassen  lungern  Tote, 

In  allen  Häusern  Barrikaden  von  Toten, 

Alle  Flüsse  verstopft  von  Toten. 

Am   Himmel  wie  Wandervogelscliwärme   dahinsegelnd 

Unter  den  Blutvvolken  —  Tote. 

0  daß  es  nie  Abend  würde  oder  Morgen! 

Vielfältige  Menge  blasser  Skelette  aus  den  Schaufenstern  und 

Trambahnen, 
Den  Kaffeehausgärten,  den  Parks  und  Kirchen,  die  überfüllt 

sind  von  Trostlosen. 
Aus  Kellerluken,  Kanalgittern  gattern  magere  Arme,  entern 

nach  deinen  Beinen. 
Du  trittst  in  die  leere  Kammer : 
Da  sitzen  drei  oder   seciis  oder   zwanzig    (aufeinander^    und 

wühlen  in  deinen  Büchern 
Sie  verachten  dich  und  zeigen  mit  Schwärenfingern  auf  dich : 

du!  du! 


IV 

Hockend  im  Mai,  Blütenfrühlingspracht.  Üppigkeit  der  Ver- 
wesung, 

Landfilter  für  Körper,  Seele,  Idee  —  nichts  bleibt  als  der 
Dunst 

Faulendes,  Moderndes,  glitschig  von  Blut,  Eiter,  sinnlosem 
Schweiß  — 

Läutete  in  mein  mordvergiftetes,  oxvdiertes  Herz,  Bruder,  dein 
Gruß. 

Ich  sehe  dich  von  drüben  wünken,  blaß,  lang,  hager  mit  auf- 
gerissenem Mund 

Die  Augen  ganz  verdreht,  dein  Hals  ist  verrenkt,  und  heiser  — 

Schreie. 

Du  schreist  uns  etwas  zu  —  ich  weiß,  ich  weiß! 

Wir  alle  wissen,  wir  wissen! 

0  Scham,  Reue,  Schuld! 

Du  Unzertrennbarer,  du  Volk  an  uns  gekettet,  wir  an  euch! 

Gott  wirbelt  uns  am  Strick  der  Zeit  um  seine  Achse. 

Gott,  dieses  wilde  Tier  mit  Hörnern,  Messer  im  Maul,  blut- 
bespeichelt, 

Der  haut  uns  gegeneinander,  reißt  uns  auseinander,  hetzt, 
geifert,  stichelt. 

^97 


Wir  Menschen,  wir  Idioten,  wir  Schurken  schweigen 

Und  lassen  uns  hetzen,  kitzeln,  prügeln. 

0  Gott,  vergib  uns,  aber  wir  können   deinen  starken  Arm, 

deine  Irrsinnskraft 
Nicht  mehr  ertragen. 


Ich  habe  nicht  gezweifelt,  daß  du  lebst. 

Daß  du  dich  ängstigst,  Bruder,  durch  die  Nacht. 

Deine  Gedanken  summten  gold'ne  Bienen, 

Schmetterlinge  der  Nacht  um  unsere  geduldigen  Stirnen 

Und  es  wird  Trostnacht,  Mutterstille,  Kinderblume. 

Dein  Gruß  hat  mich  aus  den  Rädern  der  Maschine  hervor- 
geklaubt. 

(Die  Maschine:  wie  wir  dieses  Vieh  hassen,  diese  kalte  Eisen- 
mordschnauze. 

Nieder  mit  der  Technik,  nieder  mit  der  Maschine! 

Wir  wollen  nichts  mehr  wissen  von  euren  verdammten  hölli- 
schen Erfindungen, 

Euren  Strömen,  Gasen,  Säiuren,  Pulvern,  Rädern  und  Bat- 
terien ! 

Fluch  auf  euch  ihr  Erfinder,  ihr  eitlen,  kindisch  mordgierigen 
Konstrukteure! 

Fluch  dir,  Zeitalter,  glorreich  lächerliches,  der  Maschine  — 
alles  Fabrik,  alles  Maschine.) 

Ich  darf  wieder  auf  meinen  Beinen  stehn,  du  öffnest  mir  die 
Augen,  hebst  meinen  Kopf! 

Du  schüttelst  mir  die  Hand,  ich  erkenne  dich! 

Ich  habe  allen  von  dir  erzälilt,  daß  du  lebst  und  daß  es  keine 

Feindschaft  mehr  gibt. 

Daß  der  Feind  eine  Erfindung  (Maschine),  daß  der  Mensch 
die  einzige  Wahrheit, 

Daß  die  Wahrheit,  Hoffnung,  Glaube,  Gerechtigkeit  sind! 

Maschine  ist  nicht!  Technik  ist  nicht!  Feind  ist  nicht! 
Haß  ist  nicht! 

Er  ist  —  ja  —  zu  vernichten!  zu  vernichten!  zu  ver- 
nichten! 

Rottet  ihn  aus,  schmeißt  ihn  aus  euren  Augen,  Herzen,  Mägen, 
Därmen ! 

Gift,  Gift!  Lüge,  Dreck!  es  gibt  keinen  Feind! 

Nur  Menschen! 


198 


Vi 

Wir  sind  fortgeschlichen  aus  den  Blätterflügeln  der  Wälder. 
Wir  sind  auf  den  Knieen  gelegen,  wir  schlagen  noch  an  unserer 

Knochenbrust. 
Wir  bitten  euch  um  Verzeihung  I 
Nicht  ich  allein,  der  blöde  Dichter  mit  der  Brille, 
Hintorkelnd  durch  die  Gassen  blutbespritzt  — 
Nein,  wir  alle,  Millionen,   uns  knallt  Reue,  Scham,  Schuld- 
beladensein zu  Boden! 
0    glaubt  uns,   dieses    Flattern   hin   und   her,   dieses    Lügen, 

Fluchen,  Faust  auf  den  Tisch, 
Dieses  Geschrei,  R^eden,  Schwören,  Zuhauen  —  Verlegenheit, 

Wut  auf  uns  selber : 
Auf  unsere  Dummheit,  unseren  Unglauben,  unsere  Feigheit, 

unsere  Angst. 
Wir  wissen  nicht  mehr  wohin  mit  uns! 
Wir  wissen  nicht  mehr:  Tag,  Abend,  Gestern,  Nacht,  Heute? 

Rechts,  Links? 
Wir  sind  im  Irrsinn  der  Scham  verhetzt. 
0  Bruderhand  zeig  auf  den  Weg, 
Daß  ich  dich  endlich  finde, 
0  Bruderaug',  durchbohr'  die  Nacht 
Erhelle  unsere  Pfade. 
0  Bruderherz,  klopf  Stunden   an 
Stunde  der  Versöhnung, 
0  Brudermund,  Signal,  Signal! 

Wann  tönt  dein  Gruß,  dein  Lied,  dein  Glückschoral  ? 
Wir  erwarten,  daß  die  verbündeten  Heere  der  Feinde,  Brüder 
und  Schwestern,  Eltern  und  Kinder, 
Endlich,  endlich  einander  erkennen,  in  die  Arme  sinken  und 

den   wahren   Feind   an    ihrem   Feuer   gewärmten   in 

Stücke  reißen! 

VII 

Den  wahren  Feind!  Es  gibt  einen  Feind!  0  Tag  der  Wonne, 

Tag  der  Freiheit,  heiliges  Rußland! 
Nie  sah  Europa  schöneren  Tag,  nie  unsere  Jugend  herrlicheres 

Ziel! 
Da  stand  mit  Mond  und  Sonne 

Mit  Stern  und  Regenbogen  hingeschrieben  auf  das  Firmament  : 
Der  wahre  Feind! 

^99 


Da  riß  ein  Orkan  geheimster  Jubclfanfaren 

Alle  Herzen  alle  armen  Lippen,  sträubte  Haar  und  Hände 
Freude  Begeisterung! 

Ganz  Europa  zuckte  auf,  wahres  Ideal  berülirte  die  Haut  aller 
geschundenen  Männer. 

Sie  spien  die  Lüge  aus,  die  Verhetzung,  sie  warfen  die  Mord- 
klingen zu  Häuf, 

Ein  Sekunde  durchtosie  Freiheit,  Gemeinschaft,  Ziel,  Nähe 
alle  Herzen. 

Der  Geist  hakte  in  ihr  leeres  Leben,  in  ihr  freudloses  Höhlen- 
leben. 

Das  Glas  füllt  sich,  die  Herzen  reifen,  die  Wut  reift. 

Es  gebiert  die  Erde,  sie  spreizt  ihre  Bergbeine  und  gebiert  den 
Rächer, 

Den  Herkules,  den  Giganten,  den  Abgott  der  Rache! 

Ich  sage  Dir,  Bruder  Martine l,  wir  sind  alle  gleich,  wir  wissen 
alle  wohin  wir  marschieren  müssen. 

Die  wahre  Front  ruft,  der  wahre  Luftsieg,  der  heilige 
Schützengraben,  das  erlösende  Trommelfeuer! 

Wir  sind  einig,  verbündet,  wir  erkennen  unsere  Schuld,  wir 
läutern  unseren  Geist! 


KARL  OTTExN:  DIE  THRONERIIEBUNG  DES  HERZENS 

Schlage  dein  Herz  auf,  Bruder : 
Das  Buch  der  Morgenröte,  Bruder 
Der  neuen  Zeit,  Bruder 
Den  Mantel  der  Furcht,  Bruder 
Das  Auge  der  Erkenntnis,  ^Bruder  1 

Dein  Herz  sieht  Erleuchtung 

Durch  deine  mordgesegneten  Hände: 

Blasse  jammervolle  wetzen  sie  vergebens 

Den  Schorf  der  Schande  vom  entweihten  Leib. 

Heilig!  heilig!  heilig! 

Unaussprechliches,  deine  Schneeschwingen 

Deinen  Himmelsatem 

Deine  todrasselnde  Brust  — 

Menschhell ! 

200 


Egon  Schiele 


Karl    Otten 


WALTER  HASENGLEVER:  JAURES  TOD 

Sein  reines  Antlitz  in  der  weißen  Klarheit 
Des  Irrtums  grauenvolle  Spur  verließ. 
Sie  haben  ihn  gemordet,  Geist  der  Wahrheit, 
Trost  der  Armen  von  Paris. 

Ihn  traf  die  Kugel,  deren  Schlacht  er  ahnte 
Und  geißelte  vor  seinem  Land. 
Der  allen  Menschen  einen  Frieden  bahnte, 
Sank  hin  am  Schlag  der  Bruderhand. 

Gott  hob  ihn  aus  dem  Ende  dieser  Zeiten, 
Ließ  ihn  nicht  mehr  die  Verzweiflung  sehn. 
Sein  gutes  Auge  half  den  Weg  bereiten. 
Er  ist  uns  nah.  Er  wird  uns  auferstehn. 

WALTER  HASENCLEVER:  JAUR£S  AUFERSTEHUNG 

Weinende  Frauen  in  Krämpfen, 

Kinder  an  des  Vaters  Hals; 

Immer  fährt  der  Zug 

Durch  die  Städte  . . . 

Sendet,  ihr  Geister  der  Toten, 

Ein  Zeichen  der  Not! 

Kehrt  zurück  in  der  dritten  Stunde, 

Wenn  sie  das  Schlachtfeld  absuchen. 

Zu  leuchten,  zu  erbarmen. 

Die  Kränze  der  Hoffnung  zu  streun. 

Kein  Helfer  steht  auf; 

Keine  Menschheit  sinkt  ihm  zu  Füßen, 

Beladen  mit  der  Schuld  von  Legionen. 

Auf  dem  Markt  der  Provinzen 

Vor  Unwissenden,  Verführten 

Schüren  sie  die  Flammen  des  ewigen  Kriegs. 

An  euch,  ihr  Gestalten  in  der  Höhe, 

Ergeht  der  Ruf:  helft  diesem  Leben  1 

Aus  verschütteten  Gräben 

Steigt  des  Apostels  weiße  Gestalt. 

Sie  erkennen  ihn  wieder 

Aus  der  Versammlung; 

Arme  Bauern  knien  und  beten  ihn  an, 

2o3 


Soldaten  Europas!   V<^rvvüstete  Kirchen  fl 

Retten  euvp  Ländei-  nicht  mehr. 

Soldaten  Europas,  Bürger  Europas! 

Hört  die  Stimme,  die  euch  Bruder  heißt. 

Sie  kommt  geschwommen 

Von  singenden  Meeren, 

Vom  Wrack  der  Schiffe, 

Ratte  und  Maus. 

Zum  letzten  Male  donnern  die  Rohre. 

Zitronen  blühen 

Am  Ufer  des  Sees. 

Stürzt  hin,  Militärs!  Beugt  euern  Scheitel. 

Stockt,  Bergwerke,  den  mörderischen  Tag. 

Jhr  Fürsten  auf  Thronen, 

Steigt  nieder. 

Weint  am  Hügel  der  Toten; 

Friede,  Versöhnung  bricht  an. 

Du  aber,  mächtiges  Volk,  geläuterte  Menschheit: 

Goldne  Banken,  Magnatengüter 

Fallen  dir  zu. 

Heraus  aus  Kasernen,  Galeeren, 

Engbrüstige,  Traumlose! 

Die  Erde  liegt  vor  euch. 

Aufwärts,  Freunde,  Menschen  1 


LUDWIG  RUBINER:  DIE  ENGEL 

Führer,  du  stehst  klein,  eine  zuckende  Blutsäule  auf  der 
schmalen   Tribüne, 

Dein  Mund  ist  eine  rundgebogene  Armbrust,  du  wirst  schwin- 
gend abgeschnellt. 

Deine  Augen  werfen  im  Horizontflug  leuchtende  Flügel  ins 
Grüne, 

Deine  Ringerarme  kreisen  weit  hinein  ins  feindliche  Menschen- 
feld. 

Du  schwächliche  Säule,  Gottes  Stoß  hat  deine  Krummnase 
in  die  zitternden  Massen  geschwungen, 

2o4 


Deine  Ohren  hohl  beflügelt  schweben  wie  leichte  Vögel  rosig 

auf  bleiernem  Volksgeschrei, 
Die  hellen  Flügel  tragen  den  Thron  deines  Kopfes  sanft  über 

Steinwürfe  und  graue  Beleidigungen, 
Dein  Kopf  schüttelt  wie  Wolkengefieder  goldblitzende  Him- 

nielskuppeln  auf  die  ^lenschenschultem  herbei. 

0  Engel,  ihr  fliegt  im  leuchtenden  Ball  des  Hauptes  durch 

blauen  Raum, 
Augen,   ihr  Engel,  pfeilt  zu   den  schwirrenden  Brüdern  im 

Kreis; 
0   Zunge,  Arme,  Gliedersäulen,   Engel,  ihr  umschlingt  euch 

wie  Zweige  im  wehenden  Baum. 
Führer,  sprich!  Um  dich  ringen  die  Engel  auf  kristallenen 

Bergen  hochstrahlend  und  heiß. 

LUDWIG  RUBINER:   DENKE 

Die  Nacht  im  weißen  Gefängnis  ist  mondperl  und  hoch, 

Glanzbraune  Gerüste  kreuzen  vor  der  Luke  in  die  Zukunft, 

Der  Führer  liegt  auf  der  wulstigen  Pritsche, 

Ein  Spitzelauge  haarig  schmal  witzte  durch  das  Guckloch  der 
glatten  Eisentür. 

Er  liegt  ganz  still,  daß  das  Blut  durch  die  graden  Glieder 
fließt  und  zurückschießt. 

Der  Turm  braun  bewachsen  des  Haupts  wird  auf  und  herab 
bestiegen  eilends  von  Wachen. 

Tief  unten  der  Wassergraben  des  Munds  liegt  in  Dürre. 

Draußen  warten  die  dunklen  bewegten  Felder  auf  den  Feuer- 
schein. 

0  Mund,  bald  schwimmen  bewaffnete  Haufen  wie  schwarze 
Wellen  hervor. 

Braunes  Haupt,  du  schleuderst  sie  krachend  weit  ins  Land, 

0  Schein  des  Auges,  der  das  Ziel  im  Brcindfeuer  trifft. 

0  Kuppel,  darin  die  neuen  Häuser  der  Erde  schweben,  flach 
ineinandergehüllt,  zcüillos,  und  Bildsäulen,  Wälder, 
Sprachen, 

Du  kristallenes  Haupt! 

Liegst  nun  schweigend  im  weißen  Würfel  der  Zelle  auf  näch- 
tigem Pritschenrand, 

Die  Finger  schmal  zu  den  Seiten  wie  morgen  Lm  Grab. 

2o5 


Aber  dein  Pulsschlag  klopft  schon  sacht  durch  die  Mauer- 
röhren der  Burg, 

Die  Wärter  flüstern  verboten  den  Gefangenen  zu. 

Dein  Bruderauge  kreist  schauend  wie  bewegter  Stein  durch 
die  wachenden  Zellen  hin. 

Denke  du  durch  alle  Gefangenenhirne,  hinaus  zu  den  Wachen, 
über  die  Höfe,  hinaus  in  die  Straßen! 

Der  Stein  über  dir  aufgetrieben,  schwillt. 

Dein  Haar  ist  die  Plattform  der  schlaflosen  Wachen, 

Die  Steinmauern  in  deinem  Blut  atmen  auf  und  ab  von  deinem 
Beben, 

Die  Gitterfenster  rund  hoch  um  das  Haus  sind  dunkel  aus 
deinem  Blick. 

In  Jahrtausenden  ist  die  Burg  dein  Abbild  weit  in  die  Länder 
hin,  dein  Name  schwebt  feuergroß  auf  dem  Him- 
mel, über  deinem  rieserüiohen  Steinkopf. 

Führer,  schlafe  heute  Nacht  nicht.  Nur  diese  Nacht  denke 
noch! 


RUDOLF  LEONHARD :  DER  SERAPHISCHE  MARSCH 

Nun  soll  nicht  Frieden  kommen,  sondern  Krieg 

und  Ende  ohne  Ende; 

jeder  Tag  sei  weitere  Wende 

und  jeder  ein  Schritt  und  neuer  Sieg. 

Wir  werden  die  Welt  nicht  ruhen  lassen : 

auf  allen  europäischen  Gassen 

an  die  Ecken  dieser  Walt 

mit  beiden  gespreizten  Füßen  fest  in  den  Äther  gestellt, 

die  Stirn  gespannt  in  Wind  und  Wolken,  die  Lippen  verzerrt, 

umschattete  Augen  starr  und  schräg  im  Rasen, 

wollen  wir  blasen,  blasen,  blasen : 

in  blasse  hohle  Hände  an  aufgekrünimten  Arm : 

Alarm,  Alarm! 

Jeder  wird  uns  verwunden,  keiner  uns  schaden : 
wehrlosen  geächteten  Kameraden! 


206 


Ohne  Helme,  Gewehre  und  Trompeten, 
irrsinnig  gläubige  Zukunftssoldaten, 
ohne  Hoffnung,  um  die  wir  baten, 
werden  wir  blasen,  blasen  und  beten, 
wir  Ritter  des  Geistes,  wir  kleiner  Schwärm: 
Alarm,  Alarm! 

Ungeduldigste  von  Euern  Rettern, 

in  ätherne  Sphären 

Euer  Leben  zu  verklären. 

werden  wir  unaufhörlich  Eure  Ohren  zerschmettern. 

Wer  hat  die  Brocken  schwerer  schwarzer  Erde  uns  ins  Haar 

geschüttet? 
Unkraut  schießt  in  die  Luft.  Die  dunklen  Flügel  fühlen 
wir,  vom  Erleiden  Eures  Leids  zerrüttet, 
sich  langsam  straff  erheben,  und  erkühlen. 

Seht,  wie  vom  Rufe  die  erfüllten  Sphären  widerhallen! 

Da  wühlt  um  unsern  Platz,  an  den  er  uns  verwiesen 

schon  einstens  hatte,  der  uns  schuf,  die  himmlischen  Gestalten. 

Seht,  blonde  Kinder  laufen  schnell  und  barfuß  über  strahlende 

Wiesen : 
auf  schreien  wir  die  Tore  zu  den  Paradiesen ! ! 

Wie  wachsen  wir  glühend,  wie  sind  wir  arm. 
zitternde  nackte  Kinder, 

gepanzerte  Riesen  — : 
Alarm,  Alarm! 


WALTER  HASEiSCLEVER:   i917 

Halte  wach  den  Haß.  Halte  wach  das  Leid. 
Brenne  weiter  am  Stahl  der  Einsamkeit. 

Glaub  nicht,  wenn  du  liest  auf  deinem  Papier, 
Ein  Mensch  ist  getötet,  er  gleicht  nicht  dir. 

Glaub  nicht,  wenn  du  siehst  den  entsetzlichen  Zug 
Einer  Mutter,  die  ihre  Kleinen  trug 


307 


Aus  dem  rauchenden  Kessel  der  brüllenden  Schlacht, 
Das  Unglück  ist  nicht  von  dir  gemacht. 

Heran  zu  dem  elenden  Leichenschrein, 
Wo  aus  Fetzen  starrt  eines  Toten  Bein. 

Bei  dem  fremden  Mann,  vom  Wurm  zernagt, 
Falle  nieder,  du,  sei  angeklagt. 

Empfange  die  ungeliebte  Qual 
Aller  Verstoßnen  in  diesem  Mal. 

Ein  letztes  Aug,  das  am  Äther  trinkt. 
Den  Ruf,  der  in  Verdammnis  sinkt; 

Die  brennende  Wildnis  der  schreienden  Luft, 
Den  rohen  Stoß  in  die  kalte  Gruft. 

Wenn  etwas  in  deiner  Seele  bebt, 
Das  dies  Grauen  noch  überlebt. 

So  laß  es  wachsen,  auf ers lehn 

Zum  Sturm,  wenn  die  Zeiten  untergehn. 

Tritt  mit  der  Posaune  des  Jüngsten  Gerichts 
Hervor,  o  Mensch,  aus  tobendem  Nichts! 

Wenn  die  Schergen  dich  schleppen  aufs  Schafott, 
Halte  fest  die  Macht!  Vertrau  auf  Gott: 

Daß  in  der  Menschen  Mord,  Verrat 
Einst  wieder  leuchte  die  gute  Tat; 

Des  Herzens  Kraft,  der  Edlen  Sinn 
Schweb  am  gestirnten  Himmel  hin. 

Daß  die  Sonn,  die  auf  Gute  und  Böse  scheint. 
Durch  soviel  Ströme  der  Welt  geweint, 

Gepulst  durch  unser  aller  Schlag, 
Einst  wieder  strahle  gerechtem  Tag. 

Halte  wach  den  Haß.  Halte  wach  das  Leid. 
Brenne  weiter,  Flamme!  Es  naht  die  Zeit. 


208 


Oskar  Kokoschka 


Walter  Hasenclever 


14 


i 


FRANZ  WERFEL:  REVOLVTlONS-AüFRVF 

Komm  Sintflut  der  Seele,  Schmerz,  endloser  Strahl! 
Zertrümmre  die  Pfähle,  den  Damm  und  das  Tal! 
Brich  aus  Eisenkehle !  Drölme  du  Stimme  von  Stahl ! 

Blödes  Verschweinen !  Behaglicher  Sinn, 

Geh  mir  mit  deinem  toten  Ich  bin! 

Ach  nur  das  Weinen  reißt  uns  zum  Reinen  hin. 

Laß  nur  die  Mächte  treten  den  Nacken  dir. 
Stemmt  auch  das  Schlechte  zahllose  Zacken  dir. 
Sieh  das  Gerechte,  feurig  fährt  aus  den  Schlacken  dir. 

Wachsend  erkenne  das  Vermaledeit! 

Brüllend  verbrenne  im  Wasser  und  Feuer-Leid! 

Renne  renne  renne  gegen  die  alte,  die  elende  Zeit!! 

JOHANNES  R.  BECHER:  MENSCH  STEHE  AUF 

Verfluchtes  Jahrhundert!  Chaotisch!  Gesanglos! 
Ausgehängt  du  Mensch,  magerster  der  Köder,  zwischen  Qual 

Nebel- Wahn  Blitz. 
Geblendet.  Ein  Knecht.  Durchfurcht.  Tobsüchtig.  Aussatz  und 

Säure. 
Mit    entzündetem    Aug.    Tollwut    im    Eckzahn.    Pfeifenden 

Fieberhorns. 
Aber 

Über  dem  Kreuz  im  Genick  wogt  mild  iinendlicher  Äther. 
Heraus  aus  Gräben  Betrieben  Asylen  Kloaken,  der  höUischai 

Spelunke ! 
Sonnen-Chöre  rufen  hymnisch  auf  die  Höhlen-Blinden. 
Und 

,  Über  der  blutigen  Untiefe  der  Schlachten-Gewässer 
Sprüht  ewig  unwandelbar  Gottes  magischer  Stern. 

Du  Soldat! 

Du  Henker  und  Räuber!  Und  fürchterlichste  der  Geißeln 
Gottes  1 

Wann  endlich 

—  frage  ich  bekümmert  und  voll  rasender  Ungeduld  zu- 
gleich — 

Wann  endlich  wirst  du  mein  Bruder  sein?? 

Wenn 

Das  mörderische  Messer  restlos  von  dir   in  dir   abfällt. 

211 


Du  vor  Gräbern  und  Feinden  waffenlos  umkehrst: 

Ein  Deserteur I  Ein  Held!  Bedankt!  Gebenedeit! 

Zornig  du  in  tausend  Stücke  das  verbrecherische  Gewehr  zer- 
schmeißt. 

Rücksichtslos  dich  deiner  „verdammten  Pflicht  und  Schul- 
digkeit" entziehst 

Und  deinen  billigen  hundsföttischen  Dienst  höhnisch  offen 
verweigerst  allen  Ausbeutern,  Tyrannen  und  Lohn- 
herrn. 

Wenn 

Dein  zerstörerischer  Schritt  nicht  mehr  erbarmungslos  stampft 
über  die  friedlichen  Lichtgründe  einer  kreaturenbe- 
seelten Erde. 

Und  du  dich  wütend  selbst  zermalmst  vor  deinen  glorreichen 
Opfern  am  Kreuz. 

. .  .  dann  dann  wirst  du  mein  Bruder  sein  .  . . 

Wirst  mein  Bruder  sein : 

Wenn  du  reumütig  vor  dem  letzten  und  schlimmsten  der  er- 
schossenen Plünderer  kniest. 
Verzweifelt  und  gedemütigt 
Stachelfäuste  durch  deine  Panzerbrust  hindurch 
In  das  Innere  deines  eben  erwachten  Herzens  herabpreßt  — 
Zerknirscht  und  Gelübde  schmetternd  es  herausheulst: 
,, Siehe  auch  dieser  da  war  mein  Bruder!! 
Oh  welche,  oh  meine  Schuld!!!" 

Dann  dann  wirst  du  mein  Bruder  sein. 

Dann  dann  wird  gekommen  sein  jener  endliche  blendende 
paradiesische  Tag  unser  menschlichen  Erfüllung, 

Der  Alle  mit  Allen  aussöhnt. 

Da  Alle  sich  in  Allen  erkennen. 

Da  tauen  die  peitschenden  Gestürme  machtlos  hin  vor  unserem 
glaubensvollen  Wort. 

Euerer  Hochmut  eigensinniger  Ararat  setzt  sich  erlöst  und 
gern  unter  die  weichen  Gezelte  der  Demut. 

Verweht  der  Teuflischen  schlimmer  Anschlag,  Bürde  und  Auf- 
ruhr. 

Wie  auch  gewaltlos  überwältigt  der  Bösen  eroberische  Gier, 
schranken-  und  maßlosester  Verrat  und  Triumph. 

Sage  mir,  o  Bruder  Mensch,  wer  bist  du!? 

Wüter.  Würger.  Schuft  und  Scherge. 

•>I2 


Lauer-Blick  axa  gilben   Knochen  deines  Nächsten. 

König  Kaiser  General. 

Gold-Fraß.  Babels  Hure  und  Verfall. 

Haßgröhlender  Rachen.  Praller  Beutel  und  Diplomat. 

Oder  oder 

Gottes  Kind  !!?? 

Sage  mir  o  Mensch  mein  Bruder  wer  du  bisti 

Glücklich 

ümgurgelt  von  den  ruhlosen  Gespenstern  der  unschuldig  und 

wehrlos  Abgeschlachteten!? 
Der    Verdammten   Evakuierten    explodierender   Sklaven   und 

Lohnknechte  I  ? 
Trostlose  Pyramide  rings  Wüstenei  Gräber  Skalp  und  Leiche. 
Der  Hungerigen  und  Verdursteten  ausgedörrte  Zunge  euch 

Würze  des  Mahls  I  ? 
Jammer-Röcheln,    Todeshauch,    der    Erbitterten    Wut-Orkan 

euch  wohlgefällige  Fern-Musik? 
Oder  aber 

Reicht  dies  brüllendste  Elend  alles  nicht  an  euch 
Ihr  Satten  Trägen  Lauen  ihr  herzlos  Erhabenen? 
Euerer  Härte  Feste,  vom  Zyklon  der  Zeit  umdonnert,  wirklich 

unberührt !  ? 
Bröckelt  euerer  stolzen  Türme  Stein  um  Stein  nicht  ab,  daß 

die  schwangeren  Eselinnen  endlich  rasten. 
Euere  Früchte  modern :  Völker  seellos  und  vertiert. 
Herrscher  dieser  Welt,  die  euch  nur  euch  belastenl!! 

Sage  mir  o  Bruder  mein  Mensch  wer  bist  du!? 

.  .  .  makelloses  Sterngebild  am  kitschigen  HimmeLswunsch  der 

Ärmsten  oben. 
Krasser  Feuer-Wunde  kühler  Balsam-Freund. 
Zaubrisch  süßer  Tau  auf  Tiger  wildes  Dorn-Gestrüpp. 
Mildes  Jerusalem  fanatischer  Kreuzzüge. 
Nie  je  verlöschende  Hoffnung. 
Nie  trügerischer  Kompaß.  Gottes  Zeichen. 
Öl  bitterer  Zwiebel  starrer  Zweifel. 
Du     tropische    Hafenstadt    ausgewanderter,     der     verlorenen 

Söhne. 
Keiner  dir  fremd. 
Ein  jeder  dir  nah  und  Bruder. 

2l3 


Verirrte  Bienenschwärme  nistend  in  dir. 

Im  südlichen  Zephir-Schlaf  deiner  Mulden  rastet,  verstrickt 

in  des  Raums  labyrinthische  Öde 
Ekstatisch  singend  ein  Bettler  der  besitzlose  Dichter,  Ahasver, 

der  weltfremde  weltnahe  melancholische  Pilger. 
In  die  Schlummerlaube  und  Oase  deiner  Füße  niedertaucht 

der  Ohnefrieden. 
Aber  an  den  Ural-Schläfen  deines  Haupts  aufwärts  steigt  der 

lichtvoll  Nimmermüde: 
Deiner  Reinheit  Quellen 
Kämpfen  sich  durch  Fluch  und  Steppen. 
In  verrammte  Zitadellen 

Geußt  du  Würze  Lamm  und  Frühlingshügel. 
Engel  sinkst  du  wo  sich  Ärmste  schleppen. 
Noch  in  Höllen  wirkst  du  Helfer  gut. 

Doch  den  Bösen  klirrt  —  Gericht  —  dein  Jünglingsflügel: 
Aus  der  Felsen  Schlucht  und  Brodem 
Reißt  du  glühend  Frucht  und  Odem. 
Schöpfest  himmlisch  Blut. 

. . .  Grimmer  Moloch  oder  Edens  Küste. 
Giftgas-Speier  oder  Saat  des  Heils, 
Scheusal  der  Hyäne  oder  Palmen  Zone. 
Christi  Seiten-Wunde  oder  Essigschwamm. 

Sage  mir  o  mein  Bruder  mein  Mensch:  wer  wer  von  den 
beiden  bist  du?! 

Denn 

Brennende  Gezeit  brüllt  fordernd,  dich  auf: 

Entscheide  dich!  Antworte  dir! 

Rechenschaft  will  ich  und 

Die  zerrissene  Erde  aus  der  gewaltigen  Schleuder  deines  Ge- 
hirns :  Wille  Fülle  und  Schicksal ; 

Einer  heiligen  glückhaften  Zukunft  kindlicher  sorgloser  Schlaf 
befragt  andämmernd  schon  dringend  dich. 

Schütte  dich  aus !  Bekenne  erkenne  dich ! 

Erhöre  dich !  Werde  deutlich  ! 

Sei  kühn  und  denke! 

Mensch:  du  menschenabgewandter,  einsamer  Brodler,  Sünder 
Zöllner  Bruder:  wer  wer  bist  du II 

2l4 


Drehe  im  Grabe  dich  1  Dehne  dich  sehne  dich .' 
Atme !  Entscheide  dich  endlich !  Wende  dich ! 
Llmonen-Fairm  oder  Distel-Exil. 
Auserwählte  Insel  oder  Pfuhl  der  Schacher. 
Ruinen-Keller.   Strahl-Prophet  und  Flammen-Sinai. 
Lokomotiven   Tempo  Bremse  kläffend. 
Mensch  Mensch  mein  Bruder  wer  bist  du !  ? 

Schwefel-Gewitter  stopfen  ruchlos  azurenen  Raum. 
Deiner  Sehnsucht  Horizont  vergittert  sich. 
(.  .  .   nieder   ins  Blut!  Brust  auf!   Kopf  ab!   Zerrissen!    Ge- 
quetscht. Im  Rüssel  der  Schleusen  .  .  .) 
Noch  noch  ists  Zeit! 

Zur  Sammlung!  Zum  Aufbruch!  Zum  Marsch! 
Zum  Schritt  zum  Flug  zum  Sprung  aus  kananitischer  Nacht!  !1 
Noch  ists  Zeit  — 
Mensch  Mensch  Mensch  stehe  auf  stehe  auf!!! 

WALTER    HASENCLEVER: 
SCHON  AUS  ROTEN  KASEMATTEN 

Schon  aus   roten  Kasematten 

Schäumt  die  Meute  sich  hervor. 

Pfeift  Empörung  sich  wie  Ratten 

In  der  Promenaden  Chor. 

Scliwarz  im  Saal  des  Dirigenten 

Auf  geschwungner   Arm   zerbricht; 

An  den  schön  bemalten  Wänden 

Löscht  das  weiße  Zirkuslicht. 

Haß  steigt  auf  aus  grünen  Dämpfen : 

Dazusein   und  mitzukämpfen. 

Nicht   hindert  triumphale  Allüren 

Ein   Krüppel   vor  Mahagonitüren   — 

Am  Spiegel  des  grenzenlosen  Geschehens 

Stürzt  sich  vorbei  der  Lebendigen  Schein; 

In  wenig  Jahren  unendlichen  Sehens 

Werden  wir  nicht  mehr  vergänglich  sein. 

Kraft,  zu  wirken  und  zu  vollenden 

Im  höchsten  Geist,  der  mein  Antlitz  flieht! 

Glück  —  daß  wir  nicht  in  Verzweiflung  enden! 

Unglück   —  du  Marseillaisenlied  I 

3l5 


ALFRED  WOLFENSTEIN:  DER  GUTE  KAMPF 

Die  Sonne  kommt,  ein  Glutgesühoß  —  kommt  —  schwebt  — 

zerkraoht  — 
Sie  trifft,  o  arme  Erde,  nur  das  Dadh  der  Nacht, 
Und  über  ihr  die  Sterne  werden  blauer  Himmel, 
Doch  nieder  regnet  Aschengräue,  Sturm  und  Schlacht. 

Millionen  Augen,  rasend  aufgescihlagen. 
Wie  Gegensonnen,  spiegelnd  tragen 
Im  Blick  die  Hölle!  Sehet  jedes  Volk 
Vom  Kriege  rot  aus  wüstem  Sommer  ragen. 

Sie  stemmen  sich,  von  giftigen  Strömen  trunken. 

Die  unten  diese  Erde  blind  durohfunkeln. 

Aus  ihrer  Länder  starrem  Schoß  empor 

Zur  Menschenschlacht,  und  schlagen  sich  im  Dunkeln. 

0  seht  den  Himmel  seine  reine  Sonne  zeigen. 
Doch  euch  vorüber  zur  Unendlichkeit  sich  neigen. 
Und  Krieg  und  Endlichkeit  und  Tod 
Für  euch  aus  jeder  Dämmrung  sonnlos  steigen  — 

Die  Türen  knarren  bissig  auf,  zum  Morgen 
Stolpern  Gestalten  über  Müll  und  Sorgen 
Hinaus,  —  hinein  in  einen  Haufen  Stadt, 
Darin  liegt  auch  am  Tage  Nacht  verborgen. 

In  iJhren  Taschen  klimperts  alt  und  kalt. 
Darin  liegt  Eisen  eng  mit  Gold  verkrallt. 
Der  Schlüssel  harte  Barte  träumen 
Vom  Schoß  der  Türen,  Reichtum  und  Gewalt. 

Wohin  sie  treten,  hungertoll  nach  ihresgleichen. 
Entzünden  Fenster  sich  statt  Sonne,  heulend  schleichen 
Büro  und  Magazin  im  Kannibalentanz 
Um  Kassenfunkeln,  Arbeitsroste,  Bücherbleichen. 

In  ihren  Kleidern,  die  von  Lüge  steinschwer  sinken, 
Warten  Dolche  starr  wie  Hunde  auf  ein  Winken, 
Und  ihre  Augen  sind  gleich  Messern  in  der  Stirn, 
Die  plötzlich  krumm  ins  Blut  des  Nächsten  blinken. 

2l6 


Sie  treten  dick  aus  ihrem  Park,  und  bald 
Umwächst  sie  ihrer  Sklaven  größrer  Wald. 
Aus  Kellern  galoppieren  Herden  Kinder 
Und  machen  zwischen  Schloten  hager  Halt. 


Da  gottlos  übertönen  sich  die  Glocken. 
Auf  zinsdurchzuckten  Riesenschultern  hocken 
Die  Häuser  schwankend,  tückisch  treibt  und  stößt 
Einander  ihr  berechnet  Bocken. 


Auf  Schienen  wie  Begierde  schnell  und  glatt 

Springt  mit  den  Schädeln  der  Bahnhöfe  Stadt  in  Stadt, 

Der  Grenzen  langgekrümmte  Hörner  zacken 

Land  gegen  Lcind,  mit  Spitzen  niemals  satt. 


0  wie  die  Welt  sich  weit  verfolgt  —  Dann  wieder 
Zieht  klein  zusammen  ihre  Glieder 
Des  Tages  Haßharmonika  und  irgendwo 
Schlägt  eine  Tür  nur  einen  Bettler  nieder, 

Wird  nur  ein  Mädchen  in  des  Prinzipals  Kabinett 

An  seinen  Schoß  gefesselt  wie  ein  Brett, 

Und  schleichen  Schüler,  wild  vom  Grün  des  Klassenfensters, 

Wie  Zerrbilder  der  Freiheit  aufs  Klosett. 

O  dennoch  Sonne,  —  die  du  schwarz  und  kalt 
Hinweg  schwebst  über  die  Erde,  o  Gestalt 
Des  Herzens:  Sonne!  deinen  Weg  durchfliegen 
Wie  singende  Adler  Klänge  mit  Geistergewalt  — : 

Herbei  ihr  alle,  die  der  Seele  dienen, 

Aus  tönendem  Haupt  der  Kunst,  aus  bewegenden  Mienen 

Im  Werk  die  arme  Welt  vollkommener  baun 

Im  Schwung  des  Worts,  im  Schwärm  der  Violinen  — 

Und  die  voll  Sorgen  in  den  Kohlengrüften, 

An  fremdem  Baugerüst  in  schwindelnden  Lüften 

Arbeiten  nackt  in  Armut,  Gift  und  Dampf  — 

Zu  andrem  Kampf !  zu  andrem  Kampf  hebt  Haupt  mid  Hüften  ! 

217 


Ihr  Freunde,  wohnend  überall! 

Ihr  Schaffenden,  quer  durch  den  hohlen  Schwall. 

Durch   Sümpfe    Greld,   durch   Abgrund  Krieg,  durch   Wüste 

Gleichmut, 
Quer  durch  der  Länder  falsch  zerteilten  Ball 

Erscheint!  Und  kämet  ihr  aus  Schlamm  gekrochen, 
Wie  aus  dem  Himmel  kommt  hervor  gebrochen! 
Strahlt  nieder  auf  der  Bösen  krummes  Heer, 
Das  anschwillt  wie  vom  Tod  gestochen  — 

Dumpfhell  zusammendonnernder  Tumult  — 
Da  suchen  sich  die  Gegner,  Haß  und  Huld, 
Pfeilregen  klirrt,  ins  Schwarze  trifft 
Lichtrüstung  aus  dem  klingenden  Katapult. 

Das  Botgesicht  der  Boheit  tauchen 
Die  Träume  in  ihr  weißes  Meer  und  hauchen 
Geldpanzer   sprengend  cui  mit   Engelsglut, 
An  ihrem  Atem  stirbt  der  Habgier  Fauchen. 

Aus  Kerkern  wirft  ein  Haupt,  wie  Freiheit  blau. 
Der  Bufc  Feuer  in  Tyrannenbau. 
Des  Lächelns  allen  Leib  durchflatternde  Fahne 
Schwingt  über  Schwebenden  der  Liebe  Frau. 

Auf  Steinschädel  der  Beleben,  Liebefemen, 
Die  rings  des  Zufedls  kalte  Mietskasernen 
Baun,  niedersaust  der  Jünglinge  Gelenk 
Mit  hoch  um  ihre  Hand  geschwungnen  Sternen. 

Und  rastlos  singt  der  Mütter  Mund  Alarm 
Mit  Kinderliedern  frisch  imd  wühlend  warm. 
Der  Mütter  Arm  fällt  unzerbrechlich 
Den  blutbegossnen  Schlächtern  in  den  Arm. 

Ihr  Freundesfreunde  —  Blumen  und  Tiere  laden 
Sich  ein  zu  eurem  Heer,  elektrischer  Faden 
Zieht  hilfsbereit  zuckend  durchs  All  — 
Kameraden   der   Erde!   Gottes   Kameraden! 

ai8 


Ihr  Feindesfreunde  —  eure  HcUid  ist  Streich 
Und  ist  auch  Gruß,  wie  eines  Schöpfers  weich! 
Im  Kampf  gestaltend  euren  Feind  — !  Die  linke 
Faßt  an  das  eigne  Herz  und  formt's  zugleich. 

0  Zarte,  fiebernd  auch  um  kleinste  Dinge, 
In  Geist  Versogne,  schlank  wie  Schmetterlinge, 
Doch  löwenwuchtig  durch  den  tiefsten  Wald 
Der  Leiden  schweifend,  der  euch  voll  durchdringe 

0  Schöne,  steigend  aus  des  Herzens  Meer 
Auf  Muschelschimmern,  —  watend  kreuz  und  quer 
Durch  Kot  und  Wut  und  Trübsal  —  reiner 
Auf  immer  neue  Erde  tretend  her  — 

0  Klare,  die  ihr  Ätherhaupt  durchschauen, 
Doch  tiefer  schauernd  vor  der  Gottheit  Blauen 
Niedersinken,  —  und  auf  Knien  doch 
Dem  starken,  nie  gesunknen  Haupt  vertrauen  — : 

Den  guten  Ansturm  führen  sie! 

Und   Finsternis  wird  fliehn.   Denn   die  noch   nie 

Gewesen  ist:  die  Menschensonne  runden 

Sie  an  den  Himmel,  ihrem  Geist  entbunden  1 


JOHANNES  R.  BECHER:  EWIG  IM  AUFRUHR 
Ewig  im  Aufruhr 
Wider  die  Feste 
Wütendster  Würger, 
Der  Schlächter  des  Lamms. 
Reißet  zerreißet 
Gewaltsame  Böen, 
Finsternisse, 
Den  Wucherer-Turm! 
Die  Tyrannen 
Zerplatzten  auf  Thronen. 
Hah  es  zerschmolz 
Wahn-Gewölk  schon  der  Nacht. 
Sehet  auch  schrumpfen 
Die  Kannibalen  der  Erben. 
Nichtmehr  den  Reichen  nur 
Schenkt  sich  die  Welt. 


219 


Wälder  umzwitschern 

Den  Mittag  der  Guten. 

Die  Gerechten 

Ruhen  in  Gott. 

Arg  in  den  Bergen 

Zerschellen  die  Sünder. 

Sklaven,  steigt  auf 

Aus  giftiger  Schlucht. 

Sterne  grünen 

Die  toten  Propheten, 

Gekreuzigt  einst 

Von  den   Schergen  des  Baal. 

Unten  im  Lawa-Trichter 

Die  Heuchler, 

Der  Brüder  Verräter: 

Gespenstischer  Traum. 

Selig  ihr  Armen, 
Zersprengt  und  erblindet! 
Denn  der  Unschuldige 
Lebt  ohne  Besitz. 
Nur  der  Böse 
Vergräbt  sich  in  Erde, 
Hängend  grundlos 
Im  qualvollen  Sund. 
Über  Gezeiten  aus  Moder 
Sich  spannen  . . . ! 
In  Gefängnisse 
Quelle  des  Baums  .  .  . ! 
Euere  verschütteten 
Höfe  erwachen! 
Aufgefegt 
Im  panischen  Sturm. 

Immer  noch  strotzen 
Die  Plätze  von  Henkern. 
Messergegürtet. 
Gewehre  im  Arm. 
Ihre  Kolben  zerstampfen 
Die  Psalter. 
Bomben-Gewitter 
Ruchlos  im  Raum. 


220 


Aber  bald  endet  solch  Werk  sich: 

Da  stürzen 

—  Fieber  brüllen 

Im  ölbauch  der  Tanks  — 

Sich  verreckend 

Die  Mörder  aufs  Pflaster. 

Fahnen  hissen  sich 

Heilig  in  Rot. 

RUDOLF  LEONHARD: 

PROLOG  ZU  JEDER  KOMMENDEN  REVOLUTION 

Ausatmeten  die  Sümpfe  ihren  Frieden. 
Wieder  ersteht  der  Menschheit  Feind:  die  Zeit. 
Die  Städte  dunsten,  Länder  schwellen  breit. 
Zuckte  der  Strahl   zurück   in  Wolken?  Noch  ist  nichts  ge- 
schieden. 

Noch  glotzen  starr  die  Ebenen  hienieden, 

gewittrig  schon,  zum  Absturz  und  zum  Aufstieg  schon  bereit. 

Gefährlich  wittert  Leid  aus  der  Geschäftigkeit. 

Tod  ward  erlebt!  Ihr  fühlt  das  Rlut  schon  sieden, 

so  lebt,  und  wißt,  daß  bald  aufwärts  die  Flamme  speit. 

Entschwamm  der  ölige  Lobestrom  plärrender  bärtiger  Barden : 

die  Tore  klaffen  des  entfesselten  Verstandes, 

der  nackte  Jüngling  dringt,  der  Kaiser  unsres  Morgenlandes, 

und  schwingt  die  rote  Fahne  mit  dem  Leoparden. 

Sie  schäumt  im  Schwall  gebogen  über  Grenzen  des  Verstandes. 

Wir  werden  mehr,  wir  stehn  vor  Bataillonen, 

auf  Carmens  Hochzeit,  hört,  beginnen  wir,  entlohnen 

mit  dem  auf  zackenden  Dröhnen  unsres  Brandes. 

Die  Toten  stürzen  in  die  Hügelkammern  ein. 

Fallt  in  die  Knie,  Entgeisterte,  wir  lachen, 

kaltblütig  Gläubige  wir,  und  werden  Euch  verschonen, 

wir  Skeptiker,  die  stumm  zur  Glut  erwachen. 

Denn  wir  sind  da!  in  Chören,  Keilen,  Scharen,  Reihn 

ins   helle  Land  hindringend,   das   wir  heller  überschxein : 

Der  erste  Chor 

springt  aus  den  Häusern  der  Geduckten  vor 
in  den  Wind,  der  über  die  Stirnen  strich, 
und  besinnt  sich : 

221 


Seht,  meine  Füße  gehn,  wohin  ich  will. 

Ich  biege  mich,  ich  kniee  kindlich  auf  die  Erde  hin. 

Da  ich  es  weiß :  wie  schnell  erlöst  ich  bin ! 

Da  ich  es  weiß  und  bin,  werde  ich  still. 

Ich  bin  ein  Mensch,  zum  Menschlichen  bereit, 

ich  kann  die  Finger  überall  bewegen, 

nur  leibgebunden :  kann  über  die  bluterfüllte  Schläfe  streichen. 

Vorbei.  Das  Unerfüllte.  Luft  und  Menschheit  noch.  Vorbei. 

Ich  steh  in  Menschheit.  Bin  zur  Freiheit  frei, 

Freiheit ! 

Eine  andre  Gruppe  erhob  zu  ihrem  Gang 

groß  den  alten  Gesang: 

Ich  kenne  Dich  nicht. 

Aber,  Bruder,  Du  gehst  im  gleichen  Licht! 

Ich  kann  die  Hand  an  Deine  Hüfte,  Schwester,  legen, 

meine  Hand  kann  jede  Hand  erreichen. 

Gehn  wir,  schneller,  in  wechselndem  Tritt: 

alle  gehn  mit  Menschenschritt! 

Wir  wissen,  daß  wir  uns  nicht  gleichen, 

aber  wir  atmen  einen  Wind. 

Da  wir  alle  auf  der  Erde  sind 

und  mit  Menschenlippen  uns  bestellen, 

gleich  und  ungleich  zu  gesellen! 

Keiner  ist  dem  andern  gleich, 

aber  jeder  um  den  andern  reich, 

jedes  Du  wie  ich  sagt  ,,Ich". 

Ausgezeichnete,  in  Demut  fürchterlich. 

Einzelne,  sind  wir  in  Menschheit  gleich : 

Gleichheit! 

Aber  die  dritten  Scharen  begannen  vor  Glück  zu  weinen : 

Freunde!  die  wir  in  MenschengesteJt  erscheinen; 

die  wii^  alle  zu  leben  wagen, 

alle  tragen  Menschengeschick  — 

helfen  wir  uns,  das  Leben  zu  ertragen ! 

Freunde,  drängen  wir  Blick  in  Blick : 

gegen  den  Hasser,  gegen  die  Toten,  gegen  den  Feind, 

seht,  es  geht  doch,  Leib  an  Leib  vereint! 

All«'  ini  Gefühl  der  Menschenhaut 

leuchtend  über  dunkle  Erde  weit 

eine  Menschenphalanx  aufgebaut : 

Brüderlichkeit ! 

322 


Wahrt  Euch !  Ihr  habt  nicht  Zeit,  uch  zu  besinnen : 

Wahrt  Euch!  Ihr  habt  nicht  Zeit.  Euch  zu  besinnen: 

Gestern  geschah  es,  daß  ein  Mädchen  aus  dem  Wagen  sprang 

und  mir  die  nackten  Arme  um  die  Schultern  schlang. 

Die  Welt  lag  nackt,  die  Lüfte  dröhnten  fort. 

Wir  hielten  uns.  Wir  hielten  uns  bereit, 

wir  wußten,  viele  sind  bereit,  die  Zeiten 

hinter  den  unerfüllten  Jammer  dieser  zu  bereiten! 

Uns  sang  das  Blut.  Wir  strebten,  ein  Akkord. 

Dein  Mund,  Dein  Scheitel,  —  daß  die  Flamme  aufwärts  speit  I 

Wir  stöhnten,  wie  die  Menschheit  in  uns  schreit, 

jubelten:  Menschheit!  Liebe!  und  das  Donnerwort: 

Gerechtigkeit! 


JOHANNES  R.  BECHER:   EROICA 

Aber  tief  tief  auch  in  meiner  Wüste  Gobi  brennendem  Dom- 
Gestrüpp, 

Atemlosen  mexikanischen  Taxus-Hecken 

Meiner  zerklüfteten  Ufer,  Kretas  Labyrinth  und  Insel-Exil, 

Meiner   immer  noch  unendlicher   Alpen-Hänge 

Lagertet 

Wild  wie  müd  ineinandergefügt 

Reihenweise 

—  Bis  ins  letzte  Glied  der  Welten  züngelnd, 

Körperkrampf  und  dionysische  Orgie  — 

Ihr  Hellas  athletische  Knaben. 

Hymnische  Hirten  (Olymp  euere  Brust)  glänzend  und  eng- 
hüftig; 

Im  erzmaschigen  Panzerhemd  —  Päan- Gewitter  —  kampf- 
süchtig. 

Durch  der  Zonen  Winter-Dürre,  brüchige  Kadaver-Poren  fie- 
berte ihr  heiliger  Regen. 

Malaien -Lippen -Küsten  sogen  wühlend  dich  inbrünstig  an 
meinen  innersten  Raubtier  !-Gehegen. 

Jäh  aus  Riesen  -  Phallus  schoß  Lawa- Samen  kataraktisch  in 
mein  Blut. 

Wange:  Distel  und  entwässert 

Grünte  weich,  betaut  vom  Schnee  des  Flaums. 


223 


Brüllte  Ich 

Visionenschwangerer  Stier, 

Mit  einem  Bauch  prall  von  der  Bespringung  eines  Dämon  auf- 
getrieben — 

Zerstörerischen  Blitz  schleudernd  gegen  die  tristfe  Endlich- 
keit euerer  alltäglichen  Landschaft  — 

Gefräßig  würgend  Frucht  Saat  Baum  und  an  der  elegischen 
Quelle  den  unschuldigen  Leib  eines  Gotts  .  . . 

Riß  ich,  zerstampfte  und  malmte  und  boxte  — 

Sintflut  und  unbarmherziger  Wüterich  — 

Barbarischer  Eroberer  ausschreitend  über  die  verseuchten 
Gründe  und  unfruchtbaren  Äcker  euerer  armseligen 
Erde  — 

Kroch  ich  schnaubend  herauf  durch  die  Lorbeerhaine  und 
Limonenwälder  der  antiken  Epochen 

Zwischen  Latschen-Wildnis  und  Gießbach  hindurch 

Heran  die  trostlosen,  die  spärlich  mit  den  Blausternen  des 
Enzians  durchsetzten,  beizenden  Geröll-Felder 

Empor  zum  erlösenden  Schoß-Trichter  des  Ätna  — 

Empedokles  fiebernd  vor  tödlichem  Lawa-Sprung  — 

Geätzt  von  Schweiß  und  den  dicken  Wut-Brei  ohnmächtiger 
Empörung  ums  zerbissene  Maul   — 

Mich  verzweifelst  aufbäumend  hilflos  brutal  und  zu  einem 
letzten  Mal  gegen  den  frechen  Ausschlag  der  Sonne  — 

Immer  wieder  meiner  TIerheit  Härte 
In  Asphodelen-Milde  verzauberte  sich. 
Immer  wieder  meines  Wahnsinns  Schwerter 
Mit  seraphischem  Kindheit-Lächeln  belaubten  sich. 
Immer  Avieder  nledex-bog  mich,  wehrlos  und  gebändigt, 
In  des  Lichtes  letzten  Rest, 
Auf  den  kargen  Schlaf  der  Herden 
:  Würze  euerer  Flöten-Frucht  o  Knaben; 

Meiner  Hufe  Mord  und  Höllen  -  Talfun  stillte  Wunder -öl 
himmlischer  Tauben 

Und  Geschmack  des  bitteren  Mittags  löste  sich  in  Leichen- 
Rachen. 

Schlimmen  Schlund  kühlten  süß  Zitronen  und  Kristall-Ge- 
wässer. 

.  .  .  Würze  euerer  Flöten-Frucht  o  Knaben. 

224 


Eingespannt  in  sengenden  Schicksal-Joch  der  Welt.  Gepeinigt. 
Meiner  Wildheit  Falte  löschte.  Meine  Sphäre  zeitlos  und  ge- 
reinigt. 
Und  aus  Pforten  verschütteter  Augen  bricht 
Lange  gedämmt 

Magischer  Glanz  zurück  in  die  Schluchten  der  Räume. 
Und  vom  Bug  meiner  Lippen  aus,  verfluchten  einst,  spricht 
Der  Gott  den  Segen  über  das  verworrenen  Netz  meiner  ufer- 
losen ursündlichen  Träume 

:  Worte  unaufhaltsam, 

Nicht  mehr  zu  tilgen  aus  den  Reihen  der  Nächsten. 
Unerschütterlich   Zentrum.   Der   heiligen   Engel 
Gerechtes  Erbteil  und  einzig  sicherer  Besitz. 

■* 
Einst  werden  Männer  über  der  Erde  sein 
Ausfüllend  ihre  Fernen  und  Breiten. 
Durch  der  Gewölke  Triangel  stößt 
Ihr  Haupt  in  der  Himmel  innerste  Schlucht. 
Der  Herrlichen  Pfad  befiederten  Schwäne, 
Fische  frohlockend  um  Kurven  des  Nackens. 
Mütter-Oboen  zerzwitschern  dich  Tod. 
Wimpern  gebieten  euch  schlaflosen  Sonnen. 
Ewiges  Frühjahr  säen  Poren  der  Hemd. 
Männer  regenbogengegürtet.  Männer 
östlichen  Glut-Balls  Säule  im  Sturz. 
Männer  der  Jagd  um  die  Mitte  der  Erde. 
Nackt  und  verkohlt  hinter  heiligem  Pflug. 
Um  ihre  Hütten  rauschen  die  Büffel. 
Tänzerinnen  schwebend  neben  dem  Mahl. 
Männer  des  Strahls.  Berg  Sesam  der  Schwachen. 
Männer  Beschließer  des  höllischen  Tags. 
Unter  Ohnmächtigen,  im  Blut-Bad  der  Schlachten 
Kindliche  Spender  himmlischen  Trosts. 
Männer  der  Rache !  Dolch  in  Tyrannen, 
.  . .  Zwischen  Messern  blüht  ihre  Brust. 
Doch  um  den  Scheitel  schrumpft  schon  der  Schatten. 
An  allen  Mauern  stehn  die  Erschossenen  auf. 

•* 
Heroische  Aufbrüche!  Himmelfahrten!  Tragische  Untergänge! 

Und  Elektrische  Spiralen -Sprünge  kreuzweis  durchs 

schweflichte  Chaos. 

i5  225 


Zyklopen !  Turm-Bauer  !  Werktätige !  Mit  trillernden  Gletscher- 
Böen  über  südlichem  Laub-Haar. 

Aus  eueres  Herzens  Mitte  stob  zischend  der  glühende  Quader 
des  Styx. 

Im  weißglühenden  Brennpunkt  euerer  politischen  Rede  zer- 
malmt sich  endgültig  das  stinkende  Ungeheuer  der 
Fäulnis. 

Unwiderstehlichstes  Sperrfeuer  aber  zog  euer  Atem  voraus 
geheiligter  Front. 

Am  Abzug  steht  ihr  wunderbarer  Geschütze. 

Und  die  Bestie  im  Tyrannen  erwartet  zitternd  das  wüste 
Abenteuer  ihrer  letzten  Nacht. 

Denn  der  Dolch,  der  Dolch  In  eueren  Fäusten  wuchs  wuchs 
wuchs  unendlich. 

JOHANNES  R.  BECHER:  KLÄNGE  AUS  UTOPIA 

Sie  dringen  langsam  schon  heran,  bald  gleiten 
Sie  milde  Stöße  auf  und  ab  im  Blut. 
Die  Adern  tönen,  Netz  gespannter  Saiten. 
Moorsee  der  Cellos  zwischen  Bergen  ruht. 
Darob  die  Inseln  der  Gestirne  hängen. 
Verweste  Tiere  blühn  in  Wäldern  auf. 
Es  steigen  Prozessionen  nieder  in  Gesängen. 
Der  Fluß  beleuchtet  seinen  schwarzen  Lauf. 
0  Mutterstadt  im  freien  Morgenraum! 
Es  flügeln  Fenster  an  den  Häuserfronten. 
Aus  jedem  Platz  erwächst  ein  Brunnenbaum. 
Veranden  segeln  mondbeflaggte  Gondeln. 
Sie  künden  Männer  an,  elastisch  schwingen 
Die  durch  der  Straßen  ewig  blaue  Schlucht. 
Ja  — :  Frauen  schreitende!  Mit  Palmenfingern. 
Geöffnet  weit  wie  Kelche  süßester  Frucht. 
Und  Freunde  strahlen  an  dem  Tor  zusammen. 
Wie  hymnisch  schallt  purpurener  Lippen  Braus. 
Nicht  Söhne  mehr,  die  ihre  Väter  rammen. 
Umarmte  ziehen,  Sonnen,  sie  nach  Haus. 
Zu  weichestem  Park  verschmölzen  die  Gefilde. 
Die  Ärmsten  schweben  buntere  Falter  dort. 
Goldhimmel  sickert  durch  der  Wolken  Filter 
Den  Völkern  zu.  —  Lang  dröhnender  Akkord. 

226 


Liidxuis   Meidner 


Johannes    R.  Hechef 


K  U  KT  H  E  Y  iM  G  K  E :  VOLK 

Mein  Volk, 
blüh  ewig,  Volk. 

Strom,  ausgespannt  von  Mitternacht  zu  ^litternacht, 
Strom,  groß  und  tief  von  Meer  zu  Meer, 
aus  deiner  Tiefe  stürzen  Quellen, 
urewig  speisend  dich, 
das  Volk. 

Mein  Volk, 

blüh  ewig,  Volk. 

Du   träumst  dir  Zukunft  an  die  Brust. 

Einst  wird  kein  Tag  mehr  deinen  Traum  zerschlagen. 

Die  Berge  deiner  Seele  werden  in  den  Himmel  ragen 

und  uns  erheben, 

uns, 

das  Volk. 

Ich  bin  ein  Baum  im  Walde  Volk. 

Und  meine  Blätter  speist  die  Sonne. 

Doch  meine  Wurzeln  schlafen  ihren  Schlaf  der  Kraft 

in  dir, 

mein  Volk. 

Mein   Volk, 

einst  werden  alle  Dinge  knien 

vor  dir. 

Denn  deine  Seele  wird  entfliegen 

hoch  über  Schlole,  Städte  in  dein  eigenes  Ilerz. 

Und  du  wirst  blühn, 

mein  Volk. 

Mein  Volk. 
In  dir. 


ELSE  LASKEU- SCHÜLER:  M  E 1  i^    VOLK 

(M einem  geliebten  Sohn   Paul) 

Der  Fels  wird  morsch, 

Dem  ich  entspringe 

Und  meine  Gotteslieder  singe  .  . . 

229 


Jäh  slürz  ich  vom  Weg 
Und  riesele  ganz  in  mir 
Fernab,  allein  über  Klagegestein 
Dem  Meer  zu. 

Hab  mich  so  abgeströmt 

Von  meines  Blutes 

Mostvergorenheit. 

Und  immer,   immer   noch  der  Widerhall 

In  mir, 

Wenn   scliauerlich    gen    Ost 

Das  morsche  Felsgebein, 

Mein  Volk, 

Zu  Gott  schreit. 

IWAN   GOLL:   NOEMI 

I 

Ich  trage  so  schwer  an  der  Schicksalserbschaft 
Meiner  Bibelmütter, 
Meiner  Prophetinnen, 
Meiner  Königinnen, 

Es  rauschen  so  mächtig  aus  dunklen  Jahrhunderten 
Die  Gottesjahre, 
Die  Tempeljahre, 
Die  Ghettojahre. 

Es  singen  so  wirr  in  meiner  geborstenen  Seele 
Die  Jahrzeitenfeste, 
Die  Ilimmelsfeste, 
Die  Totenfeste. 

Es  schreien  so  tief  in  meinem  tollen  Blut 

Die  Patriarchen, 

Die  Helden, 

Die  Söhne  I 

Hör,  Israel,  Adonoi  war  dein  Gott,  Adonoi  war  einzig 

II 

Ich  bin  die  Tochter  des  Frühlingsvolks! 
Andacht  und  Opfer  vergeudend. 
Riß  ich  die  Erde  in  meinen  Wirbel. 
Mein  Gebet  war  das  menschliche  Echo 
Der  Asphodelengesänge 

23o 


Und  Ölbaumsymphonien. 
Mein  Himmel  war  wolkig  erbaut 
Über  den  weiß  erblühten  Gebirgen, 
Und  die  goldenen  Sternenzeichen 
Tief  in  dunklen  Seen  nachgebildet. 
Jeder  Mann  trug  stolz  sein  Zedernhaupt. 
Jeder  Jüngling  eine  wandelnde  Akazie, 
Israel  so  fromm  wie  ein  Frühlingshügel! 
Salben  und  öle  dufteten  um  seine  Glieder, 
Und  in  seinen  großen  Augen 
Lächelte  Gott. 

Opfer  war  die  Sprache  der  Patriarchen, 
Und  die  Engel  die  Antwort  des  Himmels. 
Jede  Mädchenklage  wie  ein  Taubenpaar, 
Jede  Frauenbitte  blondes  Lämmchen, 
Und  des  Kriegers  unwirsch  Kampfgelübde 
Rauchte  dumpf  im  Blute  der  Stiere  auf. 
Und  die  Tänze  im  süßen  Weinberg, 
Zimbeljubelnd  kränzten  sie  das  Jahr. 

III 

Ich  bin  die  Tochter  des  Talmudvolks! 

0  Tempel,  in  dem  die  Kupferleuchter 

Wie  Bäume  ilire  Siebenzweige  entfalteten. 

Wo  statt  der  Märchensterne 

Ewige  Ampeln  die  mystische  Nacht 

Beunruhigten. 

In  goldenen  Bechern  hielt  man  Gott  gefangen. 

Brokat  und  Purpur  ziemte  seinen  Priestern. 

In  Porphyrarkaden  versargt 

Lag  der  sterbende  Himmel. 

Als  Israel  von  seinen  Hügeln  gestiegen. 

Zerschlug  es  sich  an  Felsenschluchlen 

Sein  grauendes  Lockenhaupt, 

Zerrieb  an  Fliesen  seine  verflachten  Knie. 

Die  Sonne  hing  verkohlt  und  schwarz  in  der  Straße, 

Ein  Lämpchen  nur  bestrahlte  das  Tempelvolk. 

0  Israel,  verwitterndes  Gebirg, 

Alternder  Gletscher, 

In  Schrift  und  Zeichnung  und  Kabbala 

Erörtertest  du  kalt 


23l 


Den  Prozeß  des  Himmels. 
Aber  versteint  war  deine  Seele, 
Vereist  dein  Herz! 

IV 

Ich  bin  die  Tochter  des  Ghettovolks! 

Der  schnarrenden  und  schnorrenden  Rabbis, 

Der  Waisenkinder  und  Totengräber. 

In  dumpfen  Kellern,  triefenden  Gewölben, 

In  spanischen  Türmen,  rumänischen  Höhlen 

Hab  ich  geschmachtet. 

Wo  ist  Elohim, 

0  ihr  Kodoschim? 

Oi,  oi,  oi. 

Und  wo  ist  Adonol? 

Am  morschen  Altar  schüttelt  ihr  die  Palmen, 

Mit  faulen   Zähnen  kräht  ihr  Klagepsalmen. 

Mit  Litaneien  und  Schreien 

Wollt  ihr  Gott  befreien. 

In  klebrigen  Kaftanen 

Imitiert  ihr  die  Geste  der  Ahnen, 

Beim  blutigen  Pogrom,  in  der  Kerkerkette, 

Im  Mordviertel  der  Zyklopenstädle 

Nennt  ihr  euch  Erben 

Und  wollt  nicht  sterben! 

0   Volk   der   duftenden  Schwestern  und  denkenden  Brüder, 

Auferstehe,  mein  Volk,  und  lasse  die  Lieder 

Und  lasse  den  Gott  der  Schriften  und  Klagen 

Begraben! 

Hör,  Israeli 

V 

Höre! 

Du  hast  einen  Geist, 

Du  hast  einen  Geist,  mit  Blut  und  Gott  gespeist, 

Du  hast  einen  Geist,  in  allen  Feuern  der  Schöpfung  rein  ge- 
schweißt, 

Du  hast  einen  Geist,  auf  allen  Meeren  und  Landstraßen  weit- 
gereist, 

Du  hast  einen  Geist,  von  allen  Philosophien,  Poesien,  Geo- 
metrien, Industrien  der  Menschheit  umkreist. 

Du  hast  den  einen,  einzigen,  ewigen  Geist. 

282 


Hör,  Israel! 

Dein  Geist  erleuchte  die  fünf  Kontinente, 
Dein  Geist  bemeistre  die  vier  Elemente, 
Dein  Geist  erobre  die  drei  Reiche, 
Dein  Geist  befreie  die  zwei  Menschen, 
Dein  einer  Geist! 

Hör,  Israel! 

Mit  deinem  Geiste  wirst  du  alle  Tode  der  Welt  verlebendigen: 

Dein  Geist  ist  die  Pforte  zum  Eden, 

Dein  Geist  ist  die  Flucht  nach  Nirwana, 

Dein  Geist  ist  die  Barke  gen  Elysium! 

Dein  Geist!  Deine  Erkenntnis!  Dein  Alleswissen! 

Hör,  Israel! 

Dein  Geist  ist  die  glänzende  Neugeburt, 

Dein  Geist  ist  der  alte  Gott, 

Zum  Sohne  der  Menschheit  verjüngt. 

Dein  Geist  ist  das  Leben! 

Hör,  Israel,  dein  Geist  ist  dein  Gott,  dein  Geist  ist  einzig! 


VI 

Zu  Neumond  will  ich  auferstehen ! 

Die  schwarzblauen  Flechten  salben  mit  dem  öl  der  Nuß. 

Und  den  Geliebten  empfangen  mit  sternklarem  Kuß. 

Zu  Neumond  will  ich  wandern  gehen! 

Und  über  den  Himmel  das  Glück  meiner  Liebe  verkünden, 

Und  auf  der  Erde  den  Sieg  meiner  Liebe  gründen. 

Zu  Neumond  will  ich  tanzen  gehen. 

Die  Menschen  aus  ihrem  Traume  wecken, 

Über  den  Städten  das  neue  Licht  anstecken. 

Zu  Neumond  will  ich  auferstehen! 

Den  hohen  Geist  wie  Phönix  aus  der  Asche  heben. 

Dem  alten  Glauben  den  Namen  Erkenntnis  geben. 


2'6l 


LUDWIG  RUBINER:  DER  MENSCH 

Im  heißen  Rotsommer,  über  dem  staubschäumenden  Drehen 
der  rollenden  Erde,  unter  hockenden  Bauern,  stumpfen  Sol- 
daten, beim  rasselnden  Drängen  der  runden  Städte 

Sprang  der  Mensch  in  die  Höh. 

0  schwebende  Säule,  helle  Säulen  der  Beine  und  Arme, 
feste  strahlende  Säule  des  Leibs,  leuchtende  Kugel  des  Kopfes ! 

Er  schwebte  still,  sein  Atemzug  bestrahlte  die  treibende 
Erde. 

Aus  seinem  runden  Auge  ging  die  Sonne  heraus  und  herein. 
Er  schloß  die  gebogenen  Lider,  der  Mond  zog  auf  und  unter. 
Der  leise  Schwung  seiner  Hände  warf  wie  eine  blitzende  Peit- 
schenschnur den  Kreis  der  Sterne. 

Um  die  kleine  Erde  floß  der  Lärm  so  still  wie  die  Nässe 
an  Veilchenbünden  unter  der  Glasglocke. 

Die  törichte  Erde  zitterte  in  ihrem  blinden  Lauf. 

Der  Mensch  lächelte  wie  feurige  gläserne  Höhlen  durch  die 

Well, 
Der  Himmel    schoß    in  Kometenstreif    durch    ihn,  Mensch, 

feurig  durchscheinender! 
In  ihm  siedete  auf  und  nieder  das  Denken,  glühende  Kugeln. 
Das  Denken  floß  in  brennendem  Schaum  um  ihn, 
Das  lohende  Denken  zuckt  durch  ihn. 
Schimmernder  Puls  des   Himmels,  Mensch  1 
0  Blut  Gottes,  flammendes  getriebnes  Riesenmeer  im  hellen 

Ivristall. 
Älensch,  blankes  Rohr :  Weltkugeln,  brennende  Riesenaugen 

schwimmen  wie  kleine  hitzende  Spiegel  durch  ihn, 

Mensch,  seine  Öffnungen  sind  schlürfende  Münder,  er 
schluckt  und  speit  die  blauen,  herüberschlagenden  Wellen 
des  heißen  Himmels. 

Der  Mensch  liegt  auf  dem  strahlenden  Boden  des  Himmels, 
Sein  Atemzug  stößt  die  Erde  sanft  wie  eine  kleine  Glaskugel 

auf  dem  schimmernden  Springbrunnen. 
0  weiß  scheinende  Säulen,  durch  die  das  Denken  im  Blut- 
funkeln auf  und  nieder  rinnt. 

Er  hebt  die  lichten  Säulen  des  Leibs:  er  wirft  um  sich 
wildes  Ausschwirren  von  runden  Horizonten  hell  wie  die 
Kreise  von  Schneeflocken! 

234 


Blitzende  Dreiecke  schießen  aus  seinem  Kopf  um  die  Sterne 

des  Himmels, 

Er  schleudert  die  mächtigen  verschlungenen  göttlichen  Kur- 
ven umher  in  der  Welt,  sie  kehren  zu  ihm  zurück,  wie  dem 
dunklen  Krieger,  der  den  Bumerang  schnellt. 

In  fliegenden  Leuchtnetzen  aufglühend  und  löschend  wie  Puls- 
schlag schwebt  der  Mensch, 
Er  löscht   und   zündet,  wenn  das   Denken  durch   ihn  rinnt. 
Er    wiegt    auf    seinen    strahlenden  Leib    den  Schwung,    der 
wiederkehrt, 

Er  dreht  den  flammenden  Kopf  und  malt  um  sich  die  ab- 
gesandten, die  sinkend  hinglühenden  Linien  auf  schwarze 
iS'acht : 

Kugeln  dunstleuchtend  brechen  gekrümmt  auf  wie  Blumen- 
blätter, zackige  Ebenen  im  Feuerschein  rollen  zu  schrägen 
Kegeln  schimmernd  ein,  spitze  Pyramidennadeln  steigen  aus 
gelben  Funken  wie  Sonnenlichter. 

Der  Mensch  in  Strahlenglorie  hebt  aus  der  ?s'acht  seine 
Fackelglieder  und  gießt  seine  Hände  weiß  über  die  Erde  aus, 
Die   hellen    Zahlen,  o  sprühende    Streifen    wie    geschmolznes 

Metall. 

Aber  wenn  es  die  heiße  Erde  beströmt  Tsie  wölbt  sich  ge- 
bäumt), 

Schwirrt  es  nicht  später  zurück?  dünn  und  verstreut  hinauf, 
beschwert  mit  Erdraum : 

Tiergeblöke.  Duft  von  den  grünen  Bäumen,  bunt  auf  tanzen- 
der Blumenstaub,  Sonnenfarben  im  Regenfall.  Lange  Töne 
Musik. 

KURT  HEYNICKE:  iVEA'SC// 

Ich  bin  über  den  Wäldern, 

grün  und  leuchtend, 

hoch  über  allen, 

ich,  der  Mensch. 

Ich  bLn   Kreis  im  All, 

blühend  Bewegung, 

getragenes  Tragen. 

235 


Ich  bin  Sonne  unter  den  Kreisenden, 

ich,  der  Mensch, 

ich  fühle  mich  tief, 

nahe  dem  hohen  All-Kreisenden, 

ich,  sein  Gedanke. 

Mein  Haupt  ist  sternbelaubt, 

silbern   mein   Antlitz, 

ich  leuchte, 

ich, 

wie  Er, 

das  All; 

das  All, 

wie  ichl 


FRANZ  WERFEL:  DER  GUTE  MENSCH 

Sein  ist  die  Kraft,  das  Regiment  der  Sterne, 
Er  hält  die  Welt,  wie  eine  Nuß  in  Fäusten, 
Unsterblich  schlingt  sich  Lachen  um  sein  Antlitz, 
Krieg  ist  sein  Wesen  und  Triumph  sein  Schritt. 

Und  wo  er  ist  und  seine  Hände  breitet. 
Und  wo  sein  Ruf  tyrannisch  niederdonnert. 
Zerbricht  das  Ungerechte  aller  Schöpfung, 
Und  alle  Dinge  werden  Gott  und  eins. 

Unüberwindlich  sind  des  Guten  Tränen, 
Baustoff  der  Welt  und  Wasser  der  Gebilde. 
Wo  seine  guten  Tränen  niedersinken, 
Verzehrt  sich  jede  Form  und  kommt  zu  sich. 

Gar  keine  Wut  ist  seiner  zu  vergleichen. 
Er  steht  im  Scheiterhaufen  seines  Lebens, 
Und  ihm  zu  Füßen  ringelt  sich  verloren 
Der  Teufel,  ein  zertretner  Feuerwurm. 

Und  fährt  er  hin,  dann  bleiben  ihm  zur  Seite, 
Zwei  Engel,  die  das  Haupt  in  Sphären  tauchen, 
Und  brüllen  jubelnd  unter  Gold  und  Feuer, 
Und  schlafen  donnernd  ihre  Schilde  an. 


236 


LIEBE  DEN  MENSCHEN 


I 


> 


I 


FRANZ  WERFEL:  AN  DEN  LESER 
Mein  einziger  Wunsch  ist,  dir,  o  Mensch  verwandt  zu  sein! 
Bist  du  ISeger,  Akrobat,  oder  ruhst  du  noch  in  liefer  Mutterhut, 
Klingt  dein  Mädchenlied  über  den  Hof,  lenkst  du  dein  Floß 

im  Abendschein, 
Bist  du  Soldat,  oder  Aviatiker  voll  Ausdauer  und  Mut. 
Trugst  du  eJs  Kind  auch  ein  Gewehr  in  grüner  Armschlinge? 
Wenn  es  losging,  entflog  ein  angebundener  Stöpsel  dem  Lauf. 
Mein   Mensch,   wenn   ich   Erinnerung   singe. 
Sei  nicht  hart,  und  löse  dich  mit  mir  in  Tränen  auf! 

Denn  ich  habe  alle  Schicksale  durchgemacht.  Ich  weiß 

Das  Gefühl  von  einsamen  Harfenistinnen  in  Kurkapellen, 

Das  Gefühl  von  schüchternen  Gouvernanten  im  fremden  Fa- 
milienkreis, 

Das  Gefühl  von  Debütanten,  die  sich  zitternd  vor  den  Souff- 
leurkasten stellen. 

Ich  lebte  im  Walde,  hatte  ein  Bahnhofsamt, 

Saß  gebeugt  über  Kassabücher,  und  bediente  ungeduldige 
Gäste. 

Als  Heizer  stauid  ich  vor  Kesseln,  das  Antlitz  grell  überflammt, 

Und  als  Kuli  aß  ich  Abfall  und  Küchenreste. 

So  gehöre  ich  dir  und  Allen! 

Wolle  mir,  bitte,  nicht  widerstehn! 

0,  könnte  es  einmal  geschehn. 

Daß  wir  uns,  Bruder,  in  die  Arme  fallen! 

WILHELM  KLEMM:  EINLEITUNG 
Was  sich  ausdehnt  in  der  schmalen  Sekunde, 
Was  auftaucht  im  gleicjigültigen  Licht 
Und  im  Schatten  unverständlich  versinkt, 
Was  wandert  und  sich  dauernd  verändert. 

Die  Wiederkehr  und  das  Abschiednehmen, 

Das  Neue  und  die  W^iederholung, 

Das  Begreifen  einzelner  Formen  und  das  Vergessen; 

All  das,  was  beschlossen  ist  zwischen  Anfang  und  Ende, 

Die  Erregungen  und  die  Beruhigungen, 
Die  Sehnsüchte  und  ihre  Erfüllungen, 
Was  uns  Endlichen  als  Welt  entgegenströmt: 
W^ill  ich  fassen  in  sterbliche  Worte. 


Damit  ich  lesend  doppelt  weiß,  daß  ich  lebe. 
Damit  du  es  lesen  kannst,  Bruder,  Mensch, 
Damit  auch  du  fühlst:  Ja,  so  ist  es,  so  bin  ich  auch! 
Denn  wir  sind  alle  doch  nur  ein  einziges  Gewächs! 

PAUL  ZECH:  AN  MEINEN  SOHN 

Der  schöne  Sommer,  der  durch   deinen  Reifen  sprang, 
die  blaue  Dampferfahrt  und  waldiger  Abendgang : 
sind  ausgeblasen  wie  ein  Altar-Licht,  mein  Sohn. 

Dein  Mund,  der  schwer  bewölkt  in  Fragen  hängt, 
dein  Auge,  das  ein  Meer  von  Qual  nach  außen  drängt : 
ich  finde  nicht  mehr  dein  Gesicht,  mein  Sohn. 

Daß  sich  im  Räderspiel  unschuldiger  Kinderwelt 

ein  Sturm  hineinhakt,  der  die  Zeiger  rückwärts  schnellt : 

dem  Sturm  bin  ich  im  Feld  steil  aufgestellt,  mein  Sohn. 

Mein  Arm,  von  Mühsal  ausgerenkt,  von  Sorgen  abgezehrt, 

muß  sich  nun  straffen  für  Gewehr  und  Schwert, 

daß  niemand  mordet,  was  uns  bindet,  was  uns  hält,  mein  Sohn. 

Daß  helle  Zeit  noch  immer  die  ergrimmte  Kriegslust  liebt, 
nicht  seliges  Verbrüdern  liebt  und  diese  Liebe  weitergibt: 
wo  w^ird  mir  diese  Schuld  verziehn,  mein  Sohn? 

Im  blutigsten  Gefecht  noch  hör  ich  Flügel  über  mir; 

die  heben  mich  schlafwandelnd  fort  von  hier 

wie  Bäume,  die  vor  rasenden  Laternen  fliehn,  mein  Sohn. 

Doch  wenn  mich  die,  die  ich  verließ,  in  Gräbern  meint, 
und  sich  durch  Witwennacht  und  Waisenfremdheit  weint: 
wachs  wipfelbreit  ins  Blau!  Brich  Sternenbahn,  mein  Sohn! 

Denn  Du  bist  vorbestimmt;  bist  letzter  Strich  im  Plan; 
da  ist  kein  Tor,  wo  wir  uns  nicht  im  Traum  schon  sahn, 
den  Weg  zu  runder  Einheit  sahn,  mein  Sohn. 

Bist  vorbestimmt,  fünftausend  Jahre  schon :  zu  sein, 

der,  dessen  Namen  ich  hineinbeiß'  in  den  Stein, 

wenn  mich  die  Häscher  treffen  Stich  für  Stich,  mein  Sohn. 

Ja,  dann  wird  Sterben  mir  erst  zum  durchfühlten  Wort. 
Mein  Tod  löscht  Feind  und  bunte  Ländergrenzen  fort, 
und  alles  Leben  kennt  nur  ,,Welt"  und  „Bruder"  — :  Dich, 
mein  Sohn! 


Lud I  vis  Meidner 


Patä  Zech 


F  R  A  .\  Z  W  E  R  F  E  L :  V  A  T  E II  U  A  D  SOfl  .\ 

Wie  wir  einst  im  grenzenlosen  Lieben 
Spaße  der  Unendlichkeit  getrieben 
Zu  der  Seligen  Lust  — 
Uranos  erschloß  des  Busens  Bläue, 
Und  vereint  in  lustiger  Kindertreue 
Schaukelten   wir  da  durch  seine  Brust. 

Aber   weh!   Der   Äther   ging   verloren, 
Welt  erbraust  und  Körper  ward  geboren, 
Nun  sind  wir  entzweit. 
Düster  von  erbosten  Mittagsmählern 
Treffen  sich  die  Blicke  stählern, 
Feindlich  und  bereit. 

Und   in   seinem   schwarzen   Mantelschwunge 

Trägt  der  Alte  wie  der  Junge 

Eisen   hassenswert. 

Die  sie  reden,  Worte,  sind  von  kalter 

Feindschaft  der  geschiedenen  Lebensalter, 

Fahl  und  aufgezehrt. 

Und  der  Sohn  harrt,  daß  der  Alte  sterbe 

Und  der  Greis  verhöhnt  mich  jauchzend:  Erbe! 

Daß   der  Orkus  widerhallt. 

Und  schon  klirrt  in  unseren  wilden  Händen 

Jener  Waffen  —  kaum  noch  abzuwenden  — 

Höllische  Gewalt. 

Doch  auch  uns  sind  Abende  beschieden 
An   des   Tisches   hauserhabenem   Frieden, 
Wo  das  Wirre  schweigt, 
Wo  wirs  nicht  verwehren  trauten  Mutes, 
Daß,  gedrängt  von  Wallung  gleichen  Blutes, 
Träne  auf-  mid  niedersteigt. 

Wie  wir  einst  in  grenzenlosem  Lieben 
Spaße  der  Unendlichkeit  getrieben. 
Ahnen  wir  im  Traum. 

Und  die  leichte  Hand  zuckt  nach  der  greisen 
Und  in  einer  wunderbaren,  leisen 


Rührung  stürzt  der  Raum, 


2d3 


WALTER  HASENCLEVER:   DIE  TODESANZEIGE 
Als    ich    erwachte    heut   morgen    aus    dumpf   bekümmertem 

Traum, 
Schwebte   ein  leiser  Engel  im  Dunkel  durch  meinen  Raum. 
Ich  las  einer  Mutter  Wort,  wo  die  Todesberichte  sind: 
„Mein   irrgeleitetes,   desto   inniger   geliebtes   Kind." 
Da  neigte  zu  meinem  Bette  sich  viele  Trauer  hin : 
Ich  weiß,  daß  ich  auch  verirrt,  das  Kind  einer  Mutter  bin. 
Da  sah  ich  den  Scheitel  des  Andern,  der  hilflos  ins  Elend  sank. 
Ich  sah   ihn   verliebt,  betrunken,   von  schrecklichem  Aussatz 

krank. 
Ist  er  nicht  auch  gestanden  in   Nacht  und  Vorstadt  allein, 
Hat  aus  heißen  Augen  geweint  in  den  Fluß  hinein  ? 
Ist  oft  durch  Gassen  geschlichen,  wo  Rotes  und  Grünes  glüht, 
Fröhlich  am  Abend  gezogen,  gestorben  am  Morgen  müd. 
Mußte  in  Häusern  essen  mit  Menschen,  feindlich  und  fremd, 
Schlafen  in  kalten  Gemächern,  frierend,  ohne  Hemd  — 
Die  Mutter  hat  ihm  geholfen  mit  Wäsche  und  etwas  Geld: 
Alles  ist  gut  geworden.  Sie  hat  ihn  geliebt  auf  der  Weit. 
Mein  Bruder  unter  den  Sternen!  Ich  hab  deine  Armut  erkannt. 
Begnadet  hast  du  dich  zu  mir  in  dieser  Stunde  gewandt. 
Nun  strömt  dein  lächelnder  Atem  nicht  mehr  in  Gold  und 

Polar, 
Nicht  melir  im  Sturm  der  Gewitter  entzündet  sich  kindlich 

dein  Haar; 
Sieh  —  in  der  Todesstunde  deiner  Mutter  ewiges  Wort; 
Es   trägt  auf  silbernen  Flügeln  dich  aus  der  Vergessenheit 

fort. 
Eh'  ich  nun  öffne  die  Läden  nach  schwerer,  trauriger  Nacht: 
Mein  Bruder  unter  den  Sternen!  Wie  hast  du  mich  glücklich 

gemacht. 

WILHELM  KLEMM:  DER  BETTLER 
Sein  Hut  war  mürber  Schwamm.  Sein  Bart 
Sinterte  über  die  graue  Brust, 
Sein  Stelzfuß  trat  sich  am  Ende  breit, 
Durch  die  Fetzen  des  Kleides  irrten  die  Sterne. 
Dornen  und  Sclinecken  trug  er  im  Haar, 
Seine  Augen  entzündeten  sich,  sein  herbes 
Zerspallenes  Antlitz  blutete  still, 
Metallen  surrten  die  Fliegen  um  ihn. 

2^ 


In  seinen  Knochen  nagten  die  Winter, 

Ewigkeit  gärte  durch  sein  Gedärm, 

Faulig  krankte  sein  Blut,  in  seiner 

Seele  versteinten  Erinnerungswälder. 

Wer  hat  dich  als  Kind  gewiegt?  Wer  hat  dich  geliebt? 

Komm  Alter,  ich  will  dich  hegen.  Der  aber  öffnet 

Stumm  seiner  Hände  bittende  Abgründe, 

Schwarz  und  leer  wie  der  Tod,  groß  wie  das  Leid. 

ALBERT  EHRENSTEIN:  HOFFNUNG 
Nicht  habe  ich  Gewalt, 
Augen  zu  geben  blinden  Steinen. 
Leicht  aber  einem  verachteten, 
Armen,  alten  Sessel, 
Dem  ein  Fuß  fehlt. 
Bringe    ich   Freude, 
Mich  zart  auf  ihn  setzend. 
Seid  sanft,  o  ihr  Starken! 
Und,  Macht  versammelnd  im  Mut, 
Bald  werden,  Seligen  gleich,  die  Menschen 
Entrauscht  sein   fahlkranker  Armut 
Und  in  ihrem  Dasein, 
Die  Götter  starben. 
Finden  den  Himmel. 

ELSELASKER-SGHÜLER:f/iVZ)Sf/C//EGOrr 

(Meinem  Pa  u  1 ) 
Ich  habe  immer  vor  dem  Rauschen  meines  Herzens  gelegen, 
Nie  den  Morgen  gesehen, 
Nie  Gott  gesucht. 

Nun  aber  wandle  ich  um  meines  Kindes 
Goldgedichtete  Glieder 
Und  suche  Gott. 
Ich  bin  müde  vom  Schlummer, 
Weiß  nur  vom  Antlitz  der  Nacht. 
Ich  fürchte  mich  vor  der  Frühe, 
Sie  hat  ein  Gesicht 
Wie  die  Menschen,  die  fragen. 

Ich  habe  immer  vor  dem  Rauschen  meines  Herzens  gelegen. 
Nun  aber  taste  ich  um  meines  Kindes 
Gottgelichtete  Glieder. 

2^5 


FKAiSZ  WERFEL:  EINE  ALTE  FRAU  GEHT 

Eine  alte  Frau  geht  wie  ein  runder  Turm 
Durch  die  alte   Hauptalice   im   Blättersturm. 
Schwindet  schon,   indem  sie  keucht, 
Wo  um  Ecken  schwarze  Nebel  wehen. 
Wird  nun  bald  in  einem  Torgang  stehen. 
Laute  Stufen  langsam  aufwärts  gehen, 
Die  vom  trägen  Treppenlichte  feucht. 

Niemand  hilft,  wie  sie  Ins  Zimmer  tritt, 

Ihr  beim  Ausziehn  ihrer  Jacke  mit. 

Ach,  sie  zittert  bald  an  Hand'  und  Bein'. 

Schickt  sich  an  mit  schwerem  Flügelschlagen 

Aufgehobene  Kost  von  alten  Tagen 

Auf  des  Kochherds  armes   Rot  zu   tragen. 

Bleibt  mit  ihrem  Leib  und  sich  allein. 

Und  sie  weiß  nicht,  wie  sie  schluckt  und  kaut, 
Daß  in  ihr  sich  Söhne  aufgebaut. 
(Nun,   sie  freut  sich   ihrer   Abendschuh*) 
Was  aus  ihr  kam,  steht  in  andern  Toren, 
Sie  vergaß  den  Schrei,  wenn  sie  geboren. 
Manchmal  nur  im  Straßendrang  verloren, 
Nickt  ein  Mann  ihr  freundlich  „Mutter"  zu. 

Aber  Mensch,  gedenke  du  in  ihr, 
Ungeheuer  auf  der  Welt  sind  wir. 
Da  wir  brachen  in  die  Zeiten  ein. 
Wie  wir  in  dem  Unbekannten  hängen, 
Wallen  Schatten  mit  gewaltigen  Fängen 
Die  ins  letzte  uns  zusammendrängen. 
Diese  Welt  ist  nicht  die  Welt  allein. 

Wenn  die  Greisin  durch  die  Stube  schleift, 
Ach,   vielleicht  geschieht's,  daß   sie  begreift. 
Es  vergeht  ihr  brüchiges  Gesicht. 
Ja,  sie  fühlt  sich  wachsender  in  allem 
Und  beginnt  auf  ihre  Knie  zu  fallen, 
Wenn   aus  einem   kleinen   Lampenwallen 
Ungeheuer  Gottes  Antlitz  bricht. 

2/jG 


JOH.  R.  BECHER:  HYMNE  AUF  ROSA  LUXEMBURG 

Auffüllend  dich  rings  mit  Strophen  aus  Oliven. 

Tränen  Mäander  umwandere  dich! 

Stern-Genächte  dir  schlagend  als  Mantel  um, 

Durchwachsen   von  Astbahnen   hymnischen  Scharlaclibluts  .  .  . 

0  Würze  du  der  paradiesischen  Auen : 

Du  Einzige!  Du  Heilige!  0  Weih!  -^ 

Durch  die  Welten  rase  ich  — : 

Einmal  noch  deine  Hand,  diese  Hand  zu  fassen : 

Zauberisches  Gezweig  an  Gottes  Rosen-Öl-Baum. 

Wünschel-Rute  dem  Glück-Sucher. 

...  In  dich,  o  mütterlichste  der  Harfen  träufl  unser  aller 
Heimat  Klang  .  .  . 

Fünfzack  diktatorisch   über  unsre  Häupter  gespannt. 

Blut-Quell  dieser  Finger  Millionen  Ärmster  Gitter  durch- 
feilte er. 

Durch  die  Welten  rase  ich  — : 

Einmal  noch  deinen  Mund,  diesen  Mund  zu  fühlen : 

Lichl-Almer,  Schmetlerlings-Grund, 

Oboen  Gewall-Strom,  Ambrosia-llügel-Land, 

Seligster  Speise  . .  . 

Prophetische   Schwermut  dämmernd   am  Lippen-Schwung. 

Alle  tragen. 

Einen  jeden  süßt  dein  Ruß : 

Schimmernde  Dolde  der  Feuchte. 

Milde  Milch  Ohnmächtigen  tödlichen  Falls, 

Verlorene  Söhne  Befragende  ihn  — 

I  Du  Silber-Tau  im  Sleppen-Brand  ! 

—  Du  Himmels-Trost  Im  Höllen-Schmerz! 

—  Du  Lächel-Mond   am  Mord-Zenilh! 

—  Du  tiefste  Purpur-Pause  im  Antlitz-Krampf! 
Notschrei  Jeremias 

Ekstatischer  Auftakt. 

Gewitter-Sätze  versammelt  in  dir. 

Blanke  unschuldsvolle 

Reine  jungfrauweiße 

Taube  Glaubens-Saft 

Ob  Tribünen-Altar  schwebend  Hostie  hoch. 


Welten  durchrase  ich  — : 

Hin  gegen  die  Elfenbein-Küsten  deines  Ohrs, 

An  die  gigantischen  Ur-Trichter,  die  Tulpen-Kelch-Rohre  der 
sibyllinischen  Mütter  hin, 

An  euch  hin,  gigantische  Urtrichter, 

Aufsaugend  sie  alle  die  erdhaften  Geräusche, 

Die  kindlichen  Wunsch-  wie  die  fieberichten  Angstträume  der 
Ärmsten, 

Bettler  und  Strolche  Wehgeheul, 

Die  schlechte,  zusammengeflickte  Tirade  der  Angeklagten, 

Die  Abschieds-Arie  erschossenen  Iläsleins, 

Brombeer-Strauch  trillernd  einen  Feuertod, 

Die  phraseologische  Programm-Fanfare  des  Kriegs  . . . 

Fabrik-Sirenen  verkündend  Empörungs-Stund. 

Gigantischer  Ur-Trichter: 

Mich  tiefst  hineinflüsternd  mit  schmählichster  Sünden 
Beichte, 

Millionen  o  haften  mit  Ihrem  innersten  (berstenden!)  Be- 
kenntnissen an  ihm. 

Beätzt  und  gefleckt  die  Membrane  von  tausenden  (zer- 
rissensten!) Nöten  dir! 

Und  und : 

Beglänzt  von  den  unendlichen  (Flöten-  und  Posaunen-)  Weisen 
der  Seraphims, 

Ja:  denn  auch  der  Spliären  Elan  verzückte  dich: 

0  Musik  zu  Musik! 

0  Melodie! 

Welten  durchrasend  — : 

Deine  Stirn!  0  diese  Stirn! 

Lilien-Schnee-Gemäuer  hüllend  ewigen  Gedanken, 

Acker-Furche  bergend  sichere  Saat. 

Ernte  knospet  schon  aus  Stoß  und  Wunde. 

Geistes  Wall.  Heiliger  Thron. 

Aus  des  Orkus  Hintergründen 

Schlagen  Taifun-Falten, 

Aber  Engel  glätten  dich. 

Lösen  aus  und  salbend  dich, 

Deren   Herzens   Flammen-lleiche   Palmenwald  enthalten. 

Welten,  ja  Welten  durchraste  ich  — : 
2/i8 


Deine  Augen,  diese  Augen, 

Krater-Aug  mit  Azur  Licht  zu  stillen. 

Gletscher-Bläue  in  den  Dolch-Grund, 

In  die  wüst  zerzackte  Mitternacht, 

In  der  Wangen  Peitschen  Aufruhr 

Kühlend  magischen  Mond  zu  tauchen. 

Augen  — :  Späher  aus  der  Arche  ausgeschickte. 

Selten  kehrten  sie  zurück. 

.  .  .  Daß  ihr  Eiland  sie  erblickten. 

Paradiesische  Früchte  pflückten 

Flügelnd  schlössen  sich  im  Glück  .  . . 

Bürger!  Würger!  Faust  und  Kolben 
Stampften  kotwärts  deinen  Kopf. 
!  Doch  du  gewitterst.  Deine  Himmel  platzen. 
Ob  allen  Ländern  steht  dein  Morgen-Rot. 

Durch  die  Welten  rase  ich  — : 

Den  geschundenen  Leib 

Abnehmend  vom  Kreuz, 

In  weicheste  Linnen  ihn  hüllend 

Triumph  dir  durch  die  Welten  blase  ich: 

Dir,  Einzige!!  Dir,  Heilige!!   0  Weib!!! 

RUDOLF  LEONHARD:  DER  TOTE  LIEBKNECHT 

Seine  Leiche  liegt  in  der  ganzen  Stadt, 
in  allen  Höfen,  in  allen  Straßen. 
AUe  Zimmer 
sind  vom  Ausfließen  seines  Blutes  matt 

Da  beginnen  Fabriksirenen 

unendlich  lange 

dröhnend  aufzugähnen, 

hohl  über  die  ganze  Stadt  zu  gellen. 

Und  mit  einem  Schimmer 
auf  hellen 
starren  Zähnen 
beginnt  seine  Leiche 
zu  lächeln. 


2-^19 


IWAN  GOLL:  SCHÖPFUNG 

I 

Irgendwo  zerbrach  die  Ilimmelsschale, 
Und  die  Sonne,  wie  verwundet, 
Flatterte,  Gold  und  Lava  blutend, 
Um  die  aufgerissene  Erde. 

Rosa   Meere 

Leuchteten   im   Frühling  ihrer  Wellen, 

Rauschende  Palmen  stiegen, 

An  den  Korallen  reiften 

Die  Sternenfrüchte. 

Irgendwo   erbebte   ein   Gebirg 

Bis  In  seine  starren  Gletscher, 

Und  der  erste  Tropfen,  der  sich  löste, 

Eine  Träne  zu  Tal, 

War  das  erste  Lächeln  Gottes. 

II 

Sprühender  Dreizack, 

Brach  das  Wort  aus  stummem  Ozean; 

Dunkel  schillerte  der  Grund  der  Erde. 

Und  die  blauen  Hämmer  des  Geistes 

Und  die  Flöten  der  Engel 

Schollen  um  den  entzündeten  IlimmeL 

An   des   Dunkels   eroberten   Ufern 

Stand  der  Mensch,  einen  Pfeil  in  der  Stirn, 

Den   roten  Mund 

Offen  groß  wie  einen  Triumphbogen: 

Hier  und  da,  wenn  es  ihm  einfiel. 

Befahl  er  der  kreisenden  Sonne  zu  stehen. 

III 

Zur  Hügelhochzeit 

Stürzten  Fliederfontänen  zu  Tal, 

Bäume  waren  voll  Wellumarmung, 

Und  dem  Frühling  schlugen  die  Schläfen. 

Da,  aus  dunkler  Erdenhütte 

Brach   ein   goldener   Orgelsturm: 

Zwischen  Himmel  und  Erde  gestemmt, 

Säule   irdischen  Gesanges, 

Stand  der  Mensch. 


2  0O 


Aus  dem  steinernen  Leid, 

Tief  im  rauschenden  Schoß  der  Liebe, 

War  der  Herrliche  auferstanden ! 

ALFRED  WOLFEN  STEIN: 
HINGEBUNG  DES  DICHTERS 

Wie  die  Wolke  durchflammt,  Wolke  durchdröhnt  zwischen 

Haupt  und  Boden 
Zuckt  eines  Menschen  sprechender  Mund, 
Blitzende  Zähne  roden 
Dickichte  nieder :  da  schnellen  die  Blumen  hoch,  luftig  und 

bunt. 
Höre  die  Stimme,  taubeste  Trauer, 
Schwarz  wie  Gestrüpp  unterm  Ozeangrund! 
Klangloser  Vogel,  zu  singen  beginne  im  rundlichen  Bauer, 
Es  singe  dich  freier  des  Menschen  Mund. 
Doch  wie  im  Traume,  ein  blautrockner  Himmel  überm  Dach 

seiner   Donner, 
Über  den  eigenen  Lippen  noch  unerlöst  wartet  der  Dichter  — 
Sturm,  von  der  Sonne  versammelt,  regnet  nicht  auf  in  die 

Sonne, 
Über  den   Wolken  glühn  unsichtbar  weiter  und  lechzen  die 

Lichter. 
0  ihn  selbst  —  auch  Gewitter  beglückt  nicht  genug! 
Worte,   entfesselte  Sklaven,  mit  eigener   Schwere  hinab 
Fließend  in  horchender  Menschen  Krug, 
Auferstanden  aus  ihm,  verlassen  ihn  fremd  wie  ein  Grab. 
Wahrheit,  so  blicke  von  oben  in  seine  Seele, 
Nie  wird  sie  leer,  verkünde  es,  menschlicher  möchte  sie  sein, 
Ruft  er  die  Liebe  mit  Worten  aus,  ruft  seine  hellere  Kehle 
Liebe  noch  wirklicher  zeugend  in  sich  herein. 

Atmet  er  Verse,  nur  noch  lebendiger  schwillt  seine  Brust! 
Daß  er  vor  Scham  und  Freude  inmitten  der  Sprache  aufstehen 
Möchte,  um  fort  in  die  Wüste  — 
Nein,  den  Menschen  noch  näher  zu  gehen  I 

Bis  es  am  Schlüsse  von  unten 

Regnet,  von  unten  nun:   Du! 

Antlitze  nun,  gerührte  Gedichte, 

Blitzen  dem  Rührenden,  seiner  Entschleierung,  zul 

201 


Erdenwind  reicht  ihm  die  Hände 

Durch  das  ganz  offene  Tor. 

Sprache  verrollt,  die  Arme  erhebt  er,  nun  erst  am  Ende 

Geht  sein  schwerer  Vorhang  vor  ihm  selbst  empor. 


FRANZ  WERFEL :  LÄCHELN  ATMEN  SCHREITEN 

Schöpfe  du,  trage  du,  halte 

Tausend  Gewässer  des  Lächelns  in  deiner  Hand! 

Lächeln,  selige  Feuchte  ist  ausgespannt 

All  übers  Antlitz. 

Lächeln  ist  keine  Falte, 

Lächeln  ist  Wesen  vom  Licht. 

Durch  die  Räume  bricht  Licht,  doch  ist  es  noch  nicht. 

IS'icht  die  Sonne  ist  Licht, 

Erst  im  Menschcngesicht 

Wird  das  Licht  als  Lächeln  geboren. 

Aus  den  tönenden,  leicht,  unsterblichen  Toren, 

Aus  den  Toren  der  Augen  wallte 

Frühling  zum  erstenmal,  Himmelsgischt, 

Lächelns  nieglühender  Brand. 

Im  Regenbrand  des  Lächelns  spüle  die  alte  Hand, 

Schöpfe  du,  trage  du,  halte! 

Lausche  du,  horche  du,  höre! 

In  der  iNacht  ist  der  Einklang  des  Atems  los. 

Der  Atem,  die  Eintracht  des  Busens  groß. 

Atem  schwebt 

Über  Feindschaft  finsterer  Chöre. 

Atem  ist  Wesen  vom  höchsten  Hauch. 

Nicht  der  Wind,  der  sich  taucht 

In  Weid,  Wald  und  Strauch, 

Nicht  das  Wehn,  vor  dem  die  Blätter  sich  drehn  .  .  . 

Gottes  Hauch  wird  im  Atem  der  Menschen  geboren. 

Aus  den  Lippen,  den  schweren. 

Verhangen,  dunkel,  unsterblichen  Toren, 

Fährt  Gottes  Hauch,  die  Welt  zu  bekehren. 

Auf  dem  Windmeer  des  Atems  hebt  an 

Die  Segel  zu  brüsten  im  Rausche, 

Der  unendlichen  Worte  nächtlich  beladener  Kahn. 

Horche  du,  höre  du,  lausche! 

202 


Sinke  hin,  kniee  hin,  weine  I 

Sieh  der  Geliebten  erdenlos  schwindenden  Schritt! 

Schwinge  dich  hin,  schwinde  ins  Schreiten  mit! 

Schreiten  entführt 

Alles  ins  Reine,  alles  ins  Allgemeine. 

Schreiten  ist  mehr  als  Lauf  und  Gang, 

Der  sternenden  Sphäre  Hinauf  und  Entlang, 

Mehr  als  des  Raumes  tanzender  Überschwang. 

Im  Schreiten  der  Menschen  wird  die  Bahn  der  Freilieit  geboren. 

Mit  dem  Schreiten  der  Menschen  tritt 

Gottes  Anmut  und  Wandel  aus  allen  Herzen  und  Toren. 

Lächeln,  Atem  und  Schritt 

Sind  mehr  als  des  Lichtes,  des  Windes,  der  Sterne  Bahn, 

Die  Welt  fängt  im  Menschen  an. 

Im  Lächeln,  im  Atem,  im  Schritt  der  Geliebten  ertrinke! 

Weine  hin,  kniee  hin.  sinke! 


RENfi   SCHICKELE:   HEILGE   TIERE.. .\ 

In  den  Jahrtausenden  haben 

Die  Menschen  gebetet:  sei  still,  Gewalt, 

All  die  Herzen  und  die  Hände,  die  sich  gaben, 

Sie  begruben  die  Gewalt. 

Ist  der  Kampf  um  Güte  zwischen 

Dir  und  mir 

\'or  den  Betten,  vor  den  Tischen, 

Menschentier, 

Nicht  urschwer  und  voller  Grauen 

Und  der  Zorn  des  Stolzen  vor  dem  Lauen 

Und  die  Schmach  des  Schwachen  und  die  ^"ot 

Armer  Armen,  Tod  im  Feuchten, 

Tod  im  Heißen,  und  das  Weiß  und  Rot 

Einer   Liebe    noch   im    Kronenleucht*^n 

Spiegelnder  Salone,  ist  nicht  jeder  Schlag 

Ünsrer  Herzen  aller :   Kämpfe,  Siege, 

Märsche,  Wunden,  Auf-  und  Mederstiege, 

Qualen,  Fieber,  Jubel,  hell  und  dunkler  Tag? 

Heiige  Tiere,  wie  erscheint  ihr  groß  und  gut 
Traumhaft  wandelnd  durch  den  >yebel  Menschenblut  I 

253 


GEORG  HEYM:   DIE  SEEFAHRER 

Die  Stirnen  der  Länder,  rot  und  edel  wie  Kronen, 
Sahen  wir  schwinden  dahin  im  versinkenden  Tag, 
Und  die  rausclienden  Kränze  der  Wälder  thronen 
Unter  des  Feuers  dröhnendem  Flügelschlag. 

Die  zerflackenden  Bäume  mit  Trauer  zu  schwärzen, 
Brauste  ein  Sturm.  Sie  verbrannten  wie  Blut, 
Untergehend,   schon   fern.   Wie  über  sterbenden  Herzen 
Einmai  noch  hebt  sich  der  Liebe  verlodernde  Glut. 

Aber  wir  trieben  dahin,  hinaus  in  den  Abend  der  Meere. 
Unsere  Hände  brannten  wie  Kerzen  an. 
Und  wir  sahen  die  Adern  darin,  und  das  schwere 
Blut  vor  der  Sonne,  das  dumpf  in  den  Fingern  zerrann. 

Nacht  begann.   Einer  weinte  im  Dunkel.   Wir  schwammen 
Trostlos  mit  schrägem  Segel  ins  Weite  hinaus. 
Aber  wir  standen  am  Borde  im  Schweigen  beisammen, 
In  das  Finstre  zu  starren.  Und  das  Licht  ging  uns  aus. 

Eine  Wolke  nur  stand  in  den  Weiten  noch  lange, 
Ehe  die  iNacht  begann  in  dem  ewigen  Raum, 
Purpurn  schwebend  im  All,  wie  mit  schönem  Gesangs 
Über  den  klingenden  Gründen  der  Seele  ein  Traum. 

IWAN  GOLL:  DER  P AA' AM A-KAN AL 
Die   Arbeit 


Wo  einst  der  Karaibe  träumend  sein  Floß 

Über  die  Seen  trieb,  wo  bunte  Papageien 

In  verwachsenem  Urwald  hingen,  und  mit  Litaneien 

Die  Affen  sich  verfolgten;  wo  der  Spanier  groß 

Und  waffenglänzend,  stolz  nach  leichtem  Sieg, 

Die  Erde  küßte  und  sein  eigen  nannte: 

Und  jeden  Gott,  der  aus  den  lohenden  Feuern  stieg, 

Mit  seinem  Fuß  zertrat,  weil  er  den  Christ  schon  karmte, 


204 


Da  schwenkten  kleine,  schwarze  Eisenbahrien 

Des  Rauches  weiße  Meldungsfahnen 

Und  fraßen  Wunden  in  die  kreidigen  Felsen. 

Die  starren  Urwaldpalmen  wurden  rings  gefällt, 

Es  flügelten  über  die  tote  Welt 

Die  Kranenstörche  mit  ihren  neugierigen  Hälsen. 

•        II 

Wo  aber  Steinwust  lag.  mit  grünem  Moor  geschminkt, 

Da  war  von  eklen  Träumen  die  weiße  Sonne  umblinkt. 

Wulstiges  Moskitogewimmel 

Schwalle  über  Graben  und  Trift, 

Heiß   war  von   ihrem  Geschmeiß   und   Gesumm  der  .Aliltags- 

himmel. 
Jeder  Stich  von  Sonne  tötete  wie  Gift. 

Aus  den  Sümpfen  stieg  mit  grünbraun  unterwühlten 

Augen  eine  Pest  und  überspie  Tal  und  Plateau 

Und  hatte  schwarze  Zähne,  und  diese  stanken  so 

Bei  ihrem  Biß,  daß  ilire  Opfer  schon  wie  Aas  sich  fülilten. 

Aus  den  Brunnen  und  den  Stromgewässern 

Stieg   über  Schienen   und   Bohren   die  Plage  der  Ratten   und 

Schleichen, 
In  den  Weilen  war  es  wie  ein  Spiel  von  Messern, 
Und  sie  fraßen  sich  satt  an  den  gedunsenen  Pferdeleichen. 

III 

Doch  die  Erde  bäumte  sich  vor  all  dem  Frevel, 
Hir  rindiger  Leib,  ihr  dürstender,  wand  sich  gequält 
Wie  eine  iNatter,  wenn  sie  neu  sich  schältl 
Aus  den  Schluchten  schwärte  gelber  Schwefel. 

Die  Gebirge,  von  den  Tunnels  durchbohrt. 
Fielen  wie  Gips  von  Gebälk;  LehmlawLnen  von  ^^  olken  um- 
flort — 

Und   die  Städte,  die  wie   Moos  iin  Felsen  angeschossen: 
Städte  aus  Ziegeln,  aus  Stroh  oder  spitzem  Gezell, 
Um  ein  Badehaus,  ein  Spital,  einen  Tempel  gestellt, 
Plötzlich  waren  sie  von  Erde   überflössen. 


Alle  Werker  hatten  gleiches  Eis  gesclilürft,  alle  hatten  in 
gleichen  Pfannen 

Fische  des  Gatun  gebraten,  und  sie  tanzten  sonntags  zu- 
sammen;  — 

Aber  die  großen  Totenstädte  inmitten 

Schieden  sie  bald  wieder  nach  Völker-  und  Göttersitten. 

IV 

Da,  von  Zeit  genagt,  von  Blut  gehöhlt,  von  Gold  und  Qual 
Geätzt,  erstand  durch  See  und  Fels  und  Sandwust  quer 
Endlich  der  Kanal. 
Bogenlampen  leiteten  ihn  nachts  von  Meer  zu  Meer. 

Tags  aber  war  von  Metall  und  Pumpen  und  Stöhnen  ein  Schall, 
Wie  eine  Wolke  von  Dynamit  sprengte  den  Himmel  der  Hall ! 

Je  ein  Ein-  und  Ausgang  wuchsen  die  eisernen  Schleusen, 
Jeder  Zoll  von  kleinlichem  Hammer  beschlagen, 
Ungeheure  Flügel,  von  kleinen  Stahlgehäusen 
Wie  von  Promethiden  in  die  Tiefe  getragen. 

Und  wenn  diese  Tore  sich  öffnen  werden, 

Wenn  zwei  feindliche  Ozeane  mit  Gejubel  sich  küssen  — 

Oh,  dann  müssen 

Alle  Völker  weinen  auf  Erden. 

Die  Weihe 

Alles,  was  dein  ist,  Erde,  wird  sich  nun  Bruder  nennen. 
Alle  Wasser,  die  bittern  und  die  süßen. 
Die  kalten  Ströme  und  die  Quellen,  die  brennen, 
Werden  zusammenfließen. 

Und  dort  wird  der  Herzschlag  der  Erde  dauernd  wohnen. 
Wo  des  Golfstroms  Natter  sonnenschuppig  sich  ringelt 
Und  mit  heißem  BluQauf  Kaps  und  Inseln  aller  Zonen 
Umzingelt. 

Feuerholz  Brasiliens,  Tannenstamm  aus  Nord, 
Und  Europas  glatter,  gleißender  Stahl: 
Schiffe  finden  sich  von  jedem  Dock  und  Fjord 
Hier  am  Kanal. 

256 


Rauch  der  Kohle  aus  lernen  Ländern  und  Schichteri, 
Tausendjähriger  Wald,  schwer  zerdrückter  Quarz, 
Wächst  wie  ein  breiter  Baum  zu  den  Wolkei;i,  den  lichten, 
Aus  der  Erde  schwarz. 

Alle  Masten  schimmern  wie  ein  Bündel  Speere 
über  der  friedlichen  Völkerzahl, 
Und  beim  Rauschelied  der  Motore  und  der  Meere 
Zittert  der  Kanal. 

Rot  und  grün  dazwischen  hängen  die  Wimpelgirlanden 
Wie  gefangene  Vögel  in  einem  großen  Wald; 
Ihr  Gezwitscher  schallt 
Von  Stcinge  zu  Stcinge. 

Und  ein  jeder  singt  die  Weise  seines  Lands, 
0  Geflitter  von  Sprachen  und  Lauten! 
Aber  die  vielgereisten  Matrosen  und  Argonauten 
Verstehen  sich  ganz. 

Alle  Menschen  im  Hafen,  auf  den  Docks,  in  den  Bars, 
Alle  reden  sich  voll  Liebe  an. 

Ob  im  Zopf,  im  Hut,  in  Mütze,  ob  blond  oder  schwarzen  Haars, 
Marui  ist  Mann. 

Jeder  Mann  ein  Bruder,  den  man  schnell  erkennt, 
Jenes  Aug'  aus  Mahagoni,  jenes  ein  Dolch  aus  Erz, 
Jenes,  das  wie  ein  Stern  in  ruhigen  Nächten  brermt, 
Jenes,  eine  Blume  voll  Schmerz : 

Ach,  die  Augen  aller  trinken  Brüderschaft 
Aus  der  Weltliebe  unendlich  tiefer  Schale: 
Denn  hier  liegt  verschwistert  alle  Erdenki*aft, 
Hier  im  Kanäle. 


KARL  OTTEN:  AN  DIE  BESIEGTEN 

Der  blutige  Schlamm  der  saugenden  Gebirge 
Ward  euer  Brot.  Die  Himmel  klebten  ihre 
Gifthäute  vor  das  maskenheiße  stiere 
Gesicht,  stoßzuckend  über  Zahn  und  Backeneck. 


An  eure  Sohlen  kitzelte  die  Donnerfaust 

Der  Distelspeer  verlebter  Sagen,  Niedertracht 

Vergällter  Kindertage  schlug  durchs  Herz  die  Schlacht, 

Die  schon  an  euren  leeren  Locken  maust. 

Von  Schuß  zu  Schuß  umzingelt  von  Gendarmen 

Verhaftet  von  der  Angstmegäre  blutig  tollem  Griff 

Platzt  euer  Zwerchfell,  das  versammelt  Schliff 

Mut  Grazie  der  Waffen  Väter  Tugend  ewigwarmen. 

Die  Gräberhäuser  eurer  Brüder  schlucken  euch  ein 
Helden  des  Geistes  Krone  Lilie  Palmenheilige 
Ich  küsse  eure  trotzig  flatternden  Hände 
Verheiße  euch  allen  Ruhm  alle  Gnade  alles  Sein. 

All  euer  Leid:  Euer  Sturz  von  Grab  zu  Grab 

Nicht  sterben  können,  trotz  Feuerkuß,  vermeidet 

Der  Tod  euch,  Eis  Schnee  Eisen  Cholera  kleidet 

Euch  ein  wie  Bräute  des  Herrn  —  an  euch  wird  Mensch 

Der  tolle  Feind  und  alles  Elend  ist  in  ihm  angekreidet! 

Gott  zieht  vor  euch  her,  gen  Himmel  geht  die  Flucht 

In  Tropfen  singende  Barmherzigkeit  — 

Jeder  Tropfen  Blut!  Jeder  Schuß!  Fluch!  Sieg  sei  verleidet 

Verdorrt  in  seiner  feigen  Mörderhand,  die  bar 
Der  Würde  Gottes  euch  wie  Wild  ausweidet. 
Ihr  Großen  im  Verlust!  Ihr  Helden:  wer  leidet 
Ist  der  Sieger!  Im  Schöße  Abrahams  wunderbar 
Seh  ich  euch  eure  guten  Wunden  pflegen 
Indes  der  Feind  um  Gnade  bettelt  und  erzählt. 
Ihr  Ungebrochenen,  ihr  Ungezählten,  vermählt 
Den  wilden  Börsenschreien,  Zeitungsgeifer  — 

Euer  herrlicher  Sieg  macht  Gottes  Herz  erzittern! 
Legt  ab  die  falsche  Scham,  tretet  auf  die  Plätze! 
Jm  Licht  der  freien  Güte  wollen  wir  euch  preisen 
Niemand  wird  wagen  sein  Hörn  an  euch  zu  wetzen  — 

Hier  den  besiegten  Soldaten  glutvoll  meine  Hand! 

Den  Freunden  des  Todes,  wir  bitten  euch  um  Verzeihung! 

Vergebt  uns,  die  ihr  blaß  von  Leid,  narbenentstellt 

Auf  Krücken,  Wägen,  im  Bett,  blind  und  stumm  uns  flucht! 

258 


Ihr  werft  auf  einen  Danun  mit  euren  Flüchen  und  Krücketi 
Wir  wollen  ihn  fortspülen  mit  Reue  Güte  und  Gebet 
Wir  wollen  euch  pflegen,  dienen  bis  dieser  Haß  verweht 
Bis  wir  uns  erkennen  und  den,  der  im  Wege  steht. 
0  du  besiegter  Sieger,  den  Gottes  Hand  mit  Feuer  badete 
Weißer  als  Schnee,  du  Flammensohn 
Wir  wollen  warten  bis  mis  vor  Gottes  Thron 
Gemeinsann,  Hand  in  Hand, 

Ais  Brüder,  als  Brüder,  ja  als  Brüder  Flammen  der  Liebe 
entzücken. 


ALFRED  WOLFEN  STEIiN: 

ANDANTE  DER  FREUNDSCHAFT 

Du  bist  es  — !  Und  ich  schließe  schon 
Wie  gern  das  Buch,  den  geisterfeinen  Ton, 
Mein  Zimmer  auch,  das  schwer  durchrauchte. 
Von  allzuviel  Verkörperung  gebauchte. 

Die  Straße  wiegt  sich  nun  in  unserm  Gange 
Wie  eines  Vogels  enge  Stange, 
Wenn  ihn  ein  Menschenmund  zum  Singen  bringt. 
Der  Sternenhimmel  wie  entgittert  winkt. 

Den   Schlitten   öffnet  endlos  sich  die  Nacht, 

Zur  Höhe  endlos  ragt  der  Häuser  Macht, 

Die  endlos  tief  in  Bäume  sinken. 

Die  Blätter,  gleich  Gestirn  und  Fenster,  blinken. 

Die  Wiesen  wölben  sich,  ein  Himmel 
Der   Erde,  bunt  ins  Horizontgewimmel, 
Das  Dunkel  blüht  und  trägt,  Sehn  über  Sehn! 
Und  dennoch  mit  der  Erde  Füßen  Gehn. 

Und  es  verstummt,  was  aus  mir  pochte :  Welt, 
Eröffne  dich!  —  0  hier  isls  schon  erhellt. 
Was  sucht  ich  draußen  irrer  Leere  zu : 
Die  weitere  Welt,  o  Freund,  bist  du! 


259 


So  fahre,  Äther,  hin  alleine, 
Venus  und  Mars  und  Jupiter  sind  Scheine, 
Hier  kreist  ein  Stern  nicht  nach  Gesetzen  fest, 
An  dessen  freies  Reich  sich  fliegen  läßt! 

Du  Dunkel,  das  ich  nie  durchbrach : 

Hier  kommt  ein  Nachtklang  zu  mir,  den  er  sprach, 

Geheimnis  regt  in  ihm  die  Lippen,  sendet 

Die  Hand   den   Brüdern,   stirngeblendet. 

Stark  zuckt  der  Strom  hindurch  —  wir  hören 
Die  vielen,  die  in  gleichen  Ganges  Chören 
Nun  dasind  und  die  schwere  Erde  weihn 
In   ihre  klaren   Takte   ein. 

Und  unser  Knie  stellt  pfeilerhaft 
Zahllose  Dome  vor  uns  auf,  und  rafft 
Sie  weg.  Denn  wir  sind  luftiges  Werden, 
Des  großen  Geistes  Kolonie  auf  Erden. 

O  daß  er  in  das  Chaos  nicht  nur  Einen 
Pflanzte  —  wie  fühlen  wirsi  Und  Lachen,  Weinen 
Nicht  in  die  Wüste  rieseln  läßt 
Und  unsern  Ptuf  in  Andrer  Ohren  faßt. 

Daß  wieder  darin  ausgebreitet  er 
Ströme  weiter  im  Geist  —  Daß  unser  Mehr 
Kein  Zufall  ist,  ein  Tanz  auf  vollem  Balle  — 
Wie  schlagens  unsre  Herzen  alle ! 

Von  tiefem  Schlage  donnern  unsre  Brüs.te, 
Und  unsrer  Erde  zweifelhaft  Gerüste 
Zertanzen   wie  auf  Gipfelspitzen   wir, 
Ein  jeder  stark  von  sich  und  dir  und  dir. 

Doch  über  aller  Freude  Kraft! 
Wie  zwischen  Sternen  sich  der  Himmel  strafft, 
Wölbt  Freundschaft  Tat  —  wölbt  über  uns  die  Tat! 
Haucht  immer  neuem  Stern  den  Pfad. 

So  dehnt  sich  Welt,  durch  euch  hindurch  geführt  — 

Entladet  euren  Raum  der  Geister,  rührt 

Einander  an  —  und  Funke  springt,  springt  weiter. 

Aus  euch  hervor,  ihr  Gluthaupt  tragenden  Schreiter  1 

260 


I 


Ludwig  Meidner 


Alfred   JVolfenstein 


i 


KURT  HEYNIGKE:  FREUNDSCHAFT 

Freund, 

wenn  du  lächelst, 

lächelt  mein  Herz, 

und  die  Freude  hebt  ihre  Fackel, 

unsere  Straße  ist  ein  lächelnder  Tag! 

0,  daß  wir  DU  sind  einander, 

daß  wir  dieses  Du 

tragen  dürfen  in  jedes  Herz  — 

das  ist,  was  uns  eint. 

Wohl  baut  sich  manchmal  der  Tempel  Stille  auf, 

und  die  Berge  der  Einsamkeit  hüllen  uns  ein, 

o, 

tief  in  sich  ist  jeder  allein. 

Doch  das  Lächeln  schlägt  Bogen  von  mir  zu  dir, 

und  die  Türen  sind  weit  zum  Tempel  der  Seele. 

Heilig 

ist  der  Mensch! 

Knieen  sollen  wir  einander  vor  dem  Leid, 

erheben  soll  uns  die  Freude, 

wir  schenken  einander  das  Ich  und  das  Du  — 

ewig  eint  uns  das  Wort : 

MENSCH. 

Inuner 

können  wir  glücklich  sein. 


LUDWIG  RUBINER:  DIE  AMiUXFT 

Dir,  die  Ihr  diese  Zeilen  nie  hören  werdet.  Dürftige  Mäd- 
chen, die  in  ungesehenen  Winkeln  von  Soldaten  gebären. 

Fiebrige  Mütter,  die  keine  Milch  haben,  ihre  Kinder  zu  nähren. 
Schüler,  die  mit  erhobnem  Zeigefinger  stramm  stehen  müssen, 
Ihr   Fünfzehnjährige    mit    dunklem   Augrand   und   Träumen 
von  Maschinengewehrschüssen, 

Ihr  gierige  Zuhälter,  die  den  Schlagring  verbergt,  wenn  Ihr 

dem  Fremden  ins  Menschenau^e  seht, 
Ihr   Mob,   die   Ihr   klein  seid  und  zu  heißen   Riesenmassen 

schwellt,  wenn  das  Wunder  durch  die  Straßen  geht, 

263 


Ihr,  die  Ihr  nichts  wißt,  nur  daß  Euer  Leben  das  Letzte  ist, 
Eure  Tage  sind  hungrig  und  kalt : 

Zu  Euch  stäuben  alle  Worte  der  Welt  aus  den  Spalten  der" 

Mauern,  zu  Euch  steigen  sie  wie  Weinrauch  aus  dem  Dunst 

des  Asphalt. 
Ihr  tragt  die  Kraft  des  himmlischen  Lichts,  das  über  Dächer 

in  Euer  Bleichblut  schien. 
Ihr  seid  der  schallende  Mund,  der  Sturmlauf,  das  Haus  auf 

der  neuen  gewölbten  Erde  Berlin. 
Ihr   feinere   Gelehrte,    die    Ihr   nie   Euch   entscheidet   hinter 

Bibliothektischen, 

Ihr    Börsenspieler ,    die    mit    schwarzem     Hut    am    Genick 

schwitzend  witzelt  in  Sprachgemischen. 
Ihr   Generäle,   weißbärtig,  schlaflos   in   Stabsquartieren,   Ihr 

Soldaten  in   den   Leichenrohren  der  Erde  hinter  pestigen 

Aasbarrikaden, 

Und  Kamerad,  Sie,  einsam  unter  tausend  Brüdern  Kameraden  ; 
Kamerad,  und  die  Brüder,  die  mit  allem  zu  Ende  sind. 
Dichter,    borgende    Beamte,    unruhige    Weltreisende,    reiche 
Frauen  oluie  Kind, 

Weise,   höhnische   Betrachter,   die   aus  ewigen   Gesetzen   den 
kommenden  Krieg  lehren:  Japan- Amerika, 

Ihr  habt  gewartet,  nun  seid  Ihr  das  Wort  und  der  göttliclie 
Mensch.  Und  das  himmlische  Licht  ist  nah. 

Ein  Licht  flog  einst  braunhäutig  vom  Südseegolf  hoch,  doch 
die  Erde  war  ein  wildes  verdauendes  Tier. 

Eure  Eltern  starben  am  Licht,  sie  zeugten  Euch  blind.  Aber 
aus  Seuche  und  Mord  stiegt  Ihr. 

Ihr  söget  den  Tod,  und  das  Licht  war  die  Milch,  Ihr  seid 
Säulen  von  Blut  und  sternscheinendem  Diamant. 

Ihr  seid  das  Licht.  Ihr  seid  der  Mensch.  Euch  schwillt  neu 
die  Erde  aus  Eurer  Hemd. 

Ihr  ruft  über  die  kreisende  Erde  hin,  Euch  tönt  'rück  Euer 
riesiger  Menschenmund, 

264 


Ihr  steht  herrlich  auf  sausender  Kugel,  wie  Gottes  Haare  im 
Wind,  denn  Ihr  seid  im  Erdschein  der  geistige  Bund. 

Kamerad,  Sie  dürfen  nicht  schweigen.  0  wenn  Sie  wüßten, 
wie  wir  geliebt  werden  I 

Jahrtausende  mischten  Atem  uud  Blut  für  uns,  wir  sind 
Sternbrüder  auf  den  himmlischen   Erden. 

0  wir  müssen  den  Mund  auf  tun  und  laut  reden  für  alle  Leute 

bis  zum  Morgen. 
Der  letzte  Reporter  ist  unser  lieber  Bruder, 
Der  Reklamechef  der  großen  Kaufhäuser  ist  unser  Bruder  1 
Jeder,  der  nicht  schweigt,  ist  unser  Bruder  I 

Zersprengt  die  Stahlkasematten  Eurer  Einsamkeit! 
0  springt  aus  den   violetten   Grotten,   wo  Eure  Schatten  im 
Dunkel  aus  Eurem  Blut  lebend  schlürfen! 

Jede  Öffnung,  die  Ihr  in  Mauern  um  Euch  schlagt,  sei  Euer 
runder  Mund  zum  Licht ! 

Aus  jeder  vergessenen  Spalte  der  Erdschale  stoßt  den  Atem- 
schlag des  Geistes  in  Sonnenstaub  I 

Wenn  ein  Baum  der  Erde  den  Saft  in  die  weißen  Blüten 
schickt,  laßt  sie  reif  platzen,  weil  Euer  Mund  ihn  beschwört! 

0  sagt  es,  wie  die  geliebte  grünschillernde  Erdkugel  über  dem 
Feuerhauch  Eures  lächelnden  Mundes  auf  und  ab  tanzte! 

0  sagt,  daß  es  unser  aller  Mund  ist,  der  die  Erdgebirge  wie 
Wolldocken  bläst! 

Sagt  dem  besorgten  Feldherrn  und  dem  zerzausten  Arbeits- 
losen, der  unter  den  Brücken  schläft,  daß  aus  ihrem  Mund 
der  himmlische  Bremd  lächelnd  quillt! 

Sagt  dem  abgesetzten  Minister  und  der  frierenden  Wander- 
dirne, sie  dürfen  nicht  sterben,  eh  hinaus  ihr  Menschenmund 
schrillt! 


Kamerad,  Sie  werden  in  Ihrem  Bett  einen  langen  Schlaf 
tun.  0  träumen  Sie,  wie  Menschen  Sie  betrogen;  Ihre  Freunde 
verließen  Sie  scheel. 

265 


Träumen  Sie,  wie  eingeschlossen  Sie  waren.  Träumen  Sie 
den  Krieg,  das  Bluten  der  Erde,  den  millionenstimmigen  Mord- 
befehl, 

Träumen  Sie  Ihre  Angst;  Ihre  Lippen  schlössen  sich  eng, 
ir  Atem   ging 
Ziergesträuchen. 


Ihr  Atem   ging  kurz   wie  das  Blätterbeben  an  ersehreckten 


Schwarzpressender    Traum,    Vergangenheit,    o  Schlaf    im 
eisernen  Keuchen! 

Aber  dann  wachen  Sie  auf,  und  Ihr  Wort  sprüht  ums  Rund 
in  Kometen  und  Feuerbrand. 

Sie  sind  das  Auge.  Und  der  schimmernde  Raum.  Und  Sie 
bauen  das  neue  irdische  Land. 

Ihr  Wort  stiebt  in  Regenbogenschein,  und  die  Nacht  zerflog, 
wie  im  Licht  aus  den  Schornsteinen  Ruß. 

0  Lichtmensch  aus  Nacht.  Ihre  Brüder  sind  wach.  Und  Ihr 
Mund  laut  offen  ruft  zur  Erde  den  ersten  göttlichen  Gruß. 

ALFRED  WOLFENSTEIN: 

DIE  FRIEDENSSTADT 

Die  Nacht  verdunkelt  tiefer  sich  in  Bäume, 
Der  Boden  schwankt  wie  Schädel  voller  Träume, 
Wir  wandern  langsam,  wissen  kaum,  warum 
Wir  aufgebrochen  sind,  und  harren  stumm. 

Wir  haben  paradiesisch  lau  gelebt, 
In  Wäldern,  Ebenen  farblos  eingeklebt, 
Aus  weiter  Landschaft  blickte  jeder  stille. 
In  ruhigen  Körpern  hauste  klein  der  Wille. 

Durch  kleine  Teiche  schwammen  unsre  Pläne, 
Gleichgültig  leicht  und  einsam  wie  die  Schwäne, 
Auf   unsrer  ahnungslosen  Jugend  lag 
Der  Alten  Zeit,  der  Ordnung  glatter  Tag. 

Kein  Herz,  kein  Blick,  kein  Kampf  ward  in  ihr  groß. 
Aus  Wurzeln  stieg  die  Landschaft  regungslos 
In  einen  Schein  des  Friedens,  halb  verdunkelt 
—  Und  plötzlich  wie  ein  Schein  von  Größe  funkelt 

266 


Von   Ungeheuern  unser  Weg,  und  Brände 
Und  Waffen  drücken  sich  in  unsre  Hände, 
Zweischneidig,  in  die  Seele  drückend  Wunden, 
Und  wir,   umlrommelt  rings,  gepreßt,   gebunden, 

Stehn  in  der  Erde  ältestem  Geschick, 
Im  Krieg.  —  ein  Späherheer  fängt  unsern  Blick, 
Wald   wächst  voll  unnatürlicher  Gewalten, 
Voll  Mauern,  die  uns   grau   in  Waffen  halten : 

Mit  kahlem  Stemgesicht,  unnahbar  böse, 

In  seinen  Händen  gellendes  Getöse, 

Den  Stahl  im  Munde  und  im  Herzen  stumm 

Geht  ein  Gespenst  durch  Menschenreihen   um. 

Es  schlägt  die  Erde  dröhnendes  Zerstören, 
Und  nirgends  ist  ein  Herzschlag  melir  zu  hören, 
Wir  stehen  eingereiht  ins  Heer  des  Nichts 
Und  werden  ausgesandt  zum  Mord  des  Lichts. 

Doch  plötzlich  in  dem  allfeindseligen  Land  — 

Mit  wem  zusammentastet  meine  Hand? 

0   —  etwas  mutigeres   Weiterstrecken 

Und  dich  bei  mir  und  mich  bei  dir  Entdecken! 

Mensch  bei  dem  Menschen  —  Und  de  Welt  ist  wieder! 
Gewalt  erblaßt,  Gewgdt  sinkt  vor  dir  nieder, 
0  Freund  — !  Kaserne  flieht  um  unser  Haupt, 
Um  Schönheit,  die  sich  plötzlich  gleicht  und  glaubt! 

Die  Erde  fällt,  doch  Geister  sind  noch  da. 
Um  sie  zu  halten!  Komm  und  bleibe  nah. 
In  ihre  Wüste  werde   emgetürmt 
Die  Friedensburg,  die  keiner  wieder  stürmt. 

Aus  Donnerspannung  unsrer  Hände  bricht 
Die  Stadt!  voll  Stirnen,  Himmeln,  Wucht  und  Licht, 
Der  Kuß  sich  ewiglich  umschlingender   Straßen, 
Die  Glücklichkeit  ara  Hellem  ohne  Maßen. 

Die  Soime  nimmt  durch  unsre  Stadt  den  Flug! 

Und  nie  ist  ein  Verräter  dunkel  genug, 

Sich  hinzuwühlen  miter  diesen  Frieden, 

Kein  Winkel  wird  hier  Waffen  heimlich  schmieden. 


267 


Dring  weiter,  Strahl  der  Stadt,  in  alle  Reiche, 
Wir  speisen  dich,  wir  tief  im  Geiste  Gleiche, 
Aus  endloser  Berülixung  brennt  ein  Meer 
Hervor,   zurück  und  heißer,  höher  her. 

Du  Friede,  Kampf  der  Stadt!  du  roter  Stern, 
Mach  über  Krieg,  Nacht,  Kälte  dich  zum  Herrn, 
Von  uns  verbunden  tiefer  uns  verbünde, 
Geliebt  und  liebend  leuchte  und  entzünde! 

WILHELM  KLEMM:  ERGRIFFENHEIT 

Die  Ausrufe  des  Erstaunens 
Wer  lehrte  sie  dich,  du  kindiiches  Herz, 
Und  die  Schauer  der  Einsamkeilsstunden 
Wer  säte  sie  in  dich,  irrende  Seele? 

Wo  du  auch  stehst,  die  Hälfte  der  Welt 

Liegt  vor  dir,  die  andre  hinter  dir, 

Und  weil  du  flüchtig  bist  und  begrenzt 

Deshalb  kannst  du  das  Unbegrenzte  nicht  fassen. 

Aber  Körper,  blitzend  im  Feuer  der  Gottähnlichkeit, 
Leuchten  auf,  Gatten  und  Brüder  von  dir! 
Jn  deine  Arme,  Menschheit,  geliebte, 
Blühende  Wunderheimat  des  Unvergänglichen. 

\ 
WILHELM  KLEMM:  ERFÜLLUNG  j 

In  der  Seele  geht  es  auf  wie  eine  Sonne  —  i. 

Rosenrot  und  warm  flutet  das  Blut,  ^ 

Leicht  sind  die  Glieder.   Von  raschen  Gefühlen  durchströmt  ij 

Aufblühen  die  fernen  und  die  nahen  Erinnerungen.  \ 

Landschaften   treiben   vorüber  und  Menschengesichter,  ^ 

Die  Geliebten  erscheinen  in  Jugend  und  Schönheit  getaucht.  J 

Tausend  glitzernde  Kammern  öffnen  sich  —  j 

Nenne  mir  den  Gedanken,  auf  den  man  nicht  antworten  kann!  | 

Wir  spüren  den  Schlüssel  im  Herzen,  der  die  Welt  öffnet, 
Wir    kommen    uns    so    nahe,    wie    sich   nur  Engel   kommen 

können, 
Die  sich  erst  in  unendlicher  Ferne  küssen, 
Aber  dann  auf  ewig  zusammen  wachsen. 

268 


REISfi  SCHICKELE:  PFINGSTEN 

Die  Engel  unsrer  Mütter 

sind  auf  die  Straße  gestiegen. 

Das  Rauf  herz  der  Väter 

stiller  schlägt. 

Feurige  Zungen  fliegen 

oder  sind  wie  Kränze 

auf  Stirnen  gelegt. 

Gehör  und  Gesicht  kennen  keine  Grenze, 

wir  sprechen  mit  Mensch  und  Tier. 

Was  unser  Blick  trifft,  antwortet:  ..Wir". 

Die  Kiesel  am  Weg  sind  schallende  Lieder, 

jeder  Pulsschlag  kommt  von  weither  wieder, 

Blühendes  strebt,  von  kleinen  Flammen  beschwingt. 

Die  Fische  schaukeln  den  Himmel  auf  ihren  Flossen 

und  sind  von  blitzenden  Horizonten  umringt, 

Sonne  tanzt  auf  dem  Rücken  der  Hunde. 

Jedes  ist  nach  Gottes  Gesicht  in  Licht  gegossen 

und  weiß  es  in  dieser  einzigen  Stunde 

und  erkennt  Bruder  und  Schwester  und  singt. 


REiN£  SCHICKELE:  ABSCHWUR 

Ich  schwöre  ab : 

Jegliche  Gewalt, 

Jedweden   Zwang, 

Und  selbst  den   Zwang, 

Zu  andern  gut  zu  sein. 

Ich  weiß : 

Ich  zwänge  nur  den  Zwang. 

Ich  weiß : 

Das  Schwert  ist  stärker, 

Als  das  Herz, 

Der  Schlag  dringt  tiefer, 

Als  die  Hand. 

Grewalt  regiert, 


369 


Was  gut  begann. 
Zum   Bösen. 

Wie  ich  die  Welt  will. 

Muß  ich  selber  erst 

Und  ganz  und  ohne  Schwere  werden. 

Ich   muß   ein   Lichtstrahl   werden, 

Ein  klares  Wasser 

Und  die  reinste  Hand, 

Zu  Gruß  und  Hilfe  dargeboten. 

Stern   am  Abend   prüft   den  Tag, 

Nacht  wiegt  mütterlich  den  Tag. 

Stern  am  Morgen  dankt  der  Nacht. 

Tag  strahlt. 

Tag  um  Tag 

Sucht  Strahl  um  Strcdil, 

Strahl  an  Strahl 

Wird  Licht, 

Ein  helles  Wasser  strebt  zum  andern. 

Weithin   verzweigte   Hände 

Schaffen  still  den  Bund. 


FRANZ  WERFEL :  DAS  MASS  DER  DINGE 

Alles  ist,  wenn  du  liebst! 

Dein  Freund  wird  Sokrates,  wenn  du's  ihm  gibst. 

Herz,  Herz,  wie  bist  du  schöpferisch! 

Du  schwebst!  Die  Erde  wird  himmlisch. 

Einst  kamst  du,  ein  Kind,  zu  grünem  Waldweiher. 

Sahst  schaudernd  den  geheimnisvollen  Algen-Schleier. 

Du  streichtelst  der  Weidenkatzen  tierisch-süßen  Samt 

Wie  tiefsinns-selig  bebte  deine  Knabenhand! 

In  deinem  Aufschwung,  Mensch,  wird  alles  groß! 

In  deinem  Abschwung  alles  hoffnungslos! 

Und  nur  die  Seele,  die  sich  liebend  selbst  vergaß, 

Ist  aller  Dinge  Maß  und  Übermaß. 


2'-o 


ERNST  STADLER:  FORM  IST  WOLLUST 

Form  und  Riegel  mußten  erst  zerspringen, 

Welt  durch  aufgeschlossne  Röhren  dringen : 

Form  ist  Wollust,  Friede,  himmlisches  Genügen, 

Doch  mich  reißt  es,  Ackerschollen  umzupflügen. 

Form  will  mich  verschnüren  und  verengen, 

Doch  ich  will  mein  Sein  in  alle  Weiten  drängen  — 

Form  ist  klare  Härte  ohn'  Erbarmen, 

Doch  mich  treibt  es  zu  den  Dumpfen,  zu  den  Armen, 

Und   in   grenzenlosem   Michverschenken 

Will  mich  Leben  mit  Erfüllung  tränken. 


THEODOR  DÄUBLER: 
DER   STUMME  FREUND 

Vermenschter  Stern,  mit  allen  deinen  Fluten 

Verlangst  und  bangst  du  blaß  hinan  zum  Mond. 

Wir  können  bloß  die  Mondsehnsucht  vermuten 

Und  wissen  wolil,  kein  Mondgespenst  hat  uns  verschont. 

Begebnisse,  die  nie  ein  Wunsch  ersauxn, 

Entwallen  deinen  Tiefen,  die  auf  uns  beruhten. 

Und  schmeicheln  sich  zum  leichten  Mond  hinan. 

Geschlechter  fguigen  an,  sich  leiblich  einzubluten. 

Und  streben  schon  zum  Stern,  der  mit  dem  Tod  begann. 

Wir  träumen  uns  hinweg  nach  einem  Heime, 

Wo  unser  Aufgang  starr  und  frostig  sei. 

Im   angeträumten   Schlummerebbungsschleime 

Erscheint  des  Sterbens  Silberstickerei; 

Der  Mond  verstreut  die  bleichen  Todeskeime : 

Sein  Mitleid  keimt  bereits  in  jedem  Ei. 

Vermenschter  Stern,  zu  deinem  freundlichen  Genossen 
Will  unvermutet  auch  das  frohste  Sonnenkind. 
Was  überraschend  rasch  am  Tag  ersprossen. 
Bleibt  innerlich  doch  mild  und  mondhaft  lind. 

Dem  Monde  ist  ein  W^ort  vor  seinem  Tod  entflossen. 
Das  alle  hörten,  dessen  niemand  sich  besinnt. 
Empor  zum  Mond!  JNun  ist  sein  Mund  verschlossen. 
Zum  Silbermond,  dem  keine  Silbe  mehr  entrinnt. 


JOH.   R.   BECHER:    DIE  INSEL  DER   VERZWElFLVm' 

:  —  Wie  sehne  ich  mich  Fels-Geschwür  nach  Meer, 
Darin  ich  untertauchend  nnich  versenke. 
Auf  meinem  Rücken  hlutcn  Völker  schwer. 
Die  Enziantiefen  aber  lieb  ich  sehr : 
Paläste  zaubrischer  Korallgeschenke. 

Daß  ich,  gelöst  vom  Grund,  ein  Schiff  mich  aufwärtsschwenke, 
Der  Äther  erzene  Stürme  durch  .  .  .  o  immer  näher  I 
Schon  blüht  mein  Fleisch.  Es  tönen  die  Gelenke. 
Gestirne  schweben  Engel  um  mich  her.  — 
Ich  darf  mich  leicht  im  ewigen  Tanze  drehen. 

Des  Mundes  Schwefelrauch  entquoll  zur  Fahne, 
Die  sich  verbreiternd  —  welche  Süße!  —  weht!!! 
Die  Stirngemäuer  blitzen  Licht-Altane. 
Der  Augen  Trichter  reinster  Heimat-See. 

Ich  ward  gerissen  fort  zum  Strom  der  Gnade, 

Da  Tier  lobt  Mensch.  Und  Mensch  an  Mensch  verglüht. 

In  meinem  Glanz  die  Kreaturen  baden. 

Brüder  alle  heißen  sie...!II 


IWAN  GOLL:  WASSERSTURZ 

Wasser  und  Mensch, 

Ihr  seid  die  ewige  Bewegung! 

Ihr  seid  der  Trieb  von  allen  Trieben:  ihr  seid  der  Geist! 

Da  steht  kein  Felsen  starr  und  keine  Gottheit  hoch : 

Vor  eurem  StralU  zersplittern  die  Blöcke  Granit, 

Vor  eurer  Stimme  birst  das  Schweigen  des  Todes. 

0  Wasserfall,  du  Perlen tänzer. 

Aus  deinem  steilen,  einzigen  Wasserstamm 

Blühst  du  Millionen  Wasserzweige  an  die  Erde! 

Der  giftigen  INessel  am  Straßengraben  gibst  du  dich  hin, 

Du  treibst  den  grünen  Springbrunnen  der  Palmen  empor; 

Vergißmeinnicht  fröstelt  in  deinem  Tau, 

Und  der  fette  Ölbaum  saugt  dich  mit  kupfernen  Pumpen  auf. 

Du  bist  der  unendliche  Geliebte  der  Erde! 

272 


So  will  ich,  dein  unsterblicher  Geliebter, 

Über  die  Menschheit  strömen  und   überströmen: 

Hinunter,  hinunter  aus  der  Einsamkeit 

Schäumend  von  Liebe  niederschmelzen, 

(An  den  Gipfeln  ermaß  ich  die  Tiefe  der  Täler) 

Zurück  zur  Menschheit  will  ich  mich  ergießen, 

Zu  den  dunklen  Schluchten  der  Besiegten  und  Geknechteten, 

Zu  den  grauen  Wüsten  der  Streber  und  Unfruchtbaren, 

Zu  den  endlosen  Ebenen  der  Armen  und  der  Tölpel, 

Zu  den  rauchigen  Häfen  der  Vertriebenen  und  Gezwungenen  — 

Hinab,  hinab,  dem  ewigen  Trieb  muß  ich  gehorchen, 

Wer  sich  verschenkt,  bereichert  sich  am  meisten. 

Ich  will  mit  sprudelndem  Mund  und  lachenden  Augen 

Die  große  Liebe  dieser  Nacht  vergeuden. 

Mich  geben  und  geben,  da  ich  weiß : 

Unversiegbar  sind  die  Gletscher  der  Erde, 

Unversiegbar  sind  die  Quellen  des  Herzens! 

THEODOR  DÄUBLER: 
ES  SIND  DIE  SONNEN  UND  PLANETEN 

Es  sind  die  Sonnen  und  Planeten,  alle. 

Die  hehren  Lebensspender  in  der  Welt, 

Die  Liebeslichter  in  der  Tempelhalle 

Der  Gottheit,  die  sie  aus  dem  Herzen  schwellt. 

Nur  Liebe  sind  sie,  tief  zur  Rast  gedichtet, 

Jhr   Lichtruf   ist  urmächtig  angespannt, 

Er  ist  als  Lebensschwall  ins  All  gerichtet: 

Was  er  erreicht,  ist  an  den  Tag  gebannt! 

Ein  Liebesband  hält  die  Natur  verkettet; 

Die  Ätherschwelle  wie  der  Feuerstern, 

Die  ganze  Welt,  die  sich  ins  Dunkel  bettet. 

Ersehnt  in  sich  den  gleichen  Ruhekern. 

Durch  Sonnenliebe  wird  die  Nacht  gelichtet, 

Durch  Glut  und  Glück  belebt  sich  der  Planet, 

Die  Starre  wird  durch  einen  Brand  vernichtet. 

Vom  Meer  ein  Liebeswind  verweht. 

Wo  sich  die  Eigenkraft  als  Stern  entzündet. 

Wird  Leben  auch  sofort  entflammt, 

Und  wenn  die  Welt  sich  im  Geschöpf  ergründet, 

So  weiß  das  Leid,  daß  es  dem  Glück  entstammt. 


18 


273 


So  muß  die  Erde  uns  mit  Lust  gebären, 
Und  wird  auch  unser  Sein  vom  Tag  geschweißt, 
Können  doch  Sterne  uns  vom  Grund  belehren 
Und  sagen,  daß  kein  Liebesband  zerreißt. 

Wir  sehn  das  Leben  uns  die  Jugend  rauben, 
Es  ängstigt  uns  das  Alter  und  der  Tod, 
Drum  wollen  wir  an  einen  Anfang  glauben 
Und  schwören  auf  ein  ewiges  Urgebot. 

Doch  ist  die  Ruhe  bloß  ihr  Ruheleben, 
Nichts  ist  verschieden,  was  sich  anders  zeigt; 
Und  vollerfüllt  ist  selbst  der  Geister  Beben, 
Ja,  alles  die  Natur,  die  sprechend  schweigt! 

Beständigkeit  ist  der  Gewinn  der  Starre, 
Doch  es  ereilt,  zermürbt  sie  Ätherwut, 
Und  bloß  der  Geist  ist  da,  daß  er  beharre. 
Da  er  als  Licht  auf  seiner  Schnelle  ruht. 

Es  sucht  die  Welt  zwar  immerfort  zu  dauern 
Und  sie  umrundet  drum  den  eignen  Kern, 
Sie  kann  zum  Schutz  sich  selber  rings  umkauern. 
Doch  ist  ihr  Wunsch  nicht  ewig,  sondern  fern. 

Es  mag  die  Welt  das  Weiteste  verbinden, 
Der  Geist  jedoch,  der  aus  sich  selber  drängt, 
Kann  solche  Riesenkreise  um  sich  winden. 
Daß  überall  sein  Wirken  sich  verschenkt. 

So  sind  die  Welten  immerfort  entstanden, 
Doch  da  sich  Ewiges  jedem  Ziel  entreißt. 
Entlösten  Sterne  sich  von  Sternesbanden. 
Was  die  Unendlichkeit  im  Sein  beweist! 

Ja  Liebe,  Liebe  will  sich  Welten  schaffen. 
Bloß  Liebe  ohne  Zweck  und  ohne  Ziel, 
Stets  gleich,  will  sie  stets  anders  sich  entraffen. 
Und  jung,  zu  jung,  bleibt  drum  ihr  ewiges  Spiel. 

Denn  glühte  durch  das  All  ein  Schöpferwollen, 
So  hätte  Eine  Welt  sich  aufgebaut. 
Und  traumlos  würden  Geister  heller  Schollen, 
Im  klaren  Sein,  von  ihrem  Dunkelgrund  durchgraut. 


574 


RUDOLF  LEONHARD:  ABENDLIED 

Als  Abend  schon  vom  Licht  erschütterte  Straßen  wärmte, 
sagte  die  Frau  —  fast  sang  sie  —  die  ohne  mich  anzustreifen 

neben  mir  ging: 
„Nun  schließen  sich  alle  Leben  in  einen  Ring, 
dessen  Mitte  und  Sinn 
ich  bin. 

Mir  sind  Gesichter  aller  Kommenden  hingegeben, 
und  sieh  doch,  daß  sie,  glühende  und  verhäimte, 
sich  alle  abendlich  neu  beleben! 

Hier  hinter  diesen  Scheiben  wird  lachend  genossen. 

Hier  wurde  Blut,  dort  werden  Tränen  vergossen. 

Der  drüben  ist  morgen  bankerott, 

der  andre  —  siehst  Du  ihn  —  lächelt  und  spricht  mit  dem 

lieben  Gott. 
Die    beiden    werden    ihr    Heisch    in    Küssen    erweichen    und 

schmelzen 
und  tierisch  wie  auf  dichten  Pelzen  übereinanderwälzen. 
0  fühle,  wie  wir  alle  auf  harten  Thronen 
zwischen  der  Kneipe  und  unsern  starrenden  Kirchen  wohnen ! 

Sieh  diesen  Briefträger  an.  Glaube,  er  wird  noch  ^iele  Treppen 

ersteigen, 
an  den  Spalten  wartenden  Männern  und  Mädchen  von  weitem 

nicken, 
alle  blind  austeilend  mit  Freude  und  Qual  beschicken, 
unwissend  weiter  steigen 
und  schweigen. 

Mit  elastischen  Schenkeln  und  Knien  und  gewöhntem  Blicke 
vier,  fünf  Treppen  hoch  in  die  Himmel  der  Menschengeschicke! 

Die  blanken  Pfützen  zwischen  den  Steinen  beglücken  mich, 

die  alle  Lampen  zu  schwankenden  Sträußen  pflücken, 

die  Pappeln  um  den  Brunnen  entzücken  mich, 

die  ihre  magern  Zweige  zusammenrücken; 

und  diese  schmutzigen,  weinenden  Kinder  bedrücken  mich. 

Alle  Taten,  die  mit  dem  Tage  entwichen, 

hat  der  Abend  in  meine  hoch  getragne  Stirn  gestrichen. 

275 


Oh,  dennoch  den  Kopf  leicht  hinein  in  den  warmen  Abend 

heben, 
und  über  die  Betäubungen  in  den  Bars  und  Tanzlokalen, 
über  Dich  und  meine  eigenen  Qualen 
hinweg  um  Dächer  und  Fenster  schweben  — " 
Ich  wollte  zart  und  bittend  ihre  geliebte  Schläfe  beschauen; 
es  stand  eine  steile  Falte  zwischen  ihren  verdunkelten  Brauen. 


WALTER  HASENGLEVER: GEDICHTE 

Wenn  der  Tod 

Die  Musik  verschlingt: 

AVerden  wir  uns  erkennen? 

Lebst  Du 

Im  Zimmer,  wo  Männer  stehn? 

Aus  dem  Meer  steigt  die  Insel, 

Ein  Leben,  das  uns  gegolten  hat. 

Vögel  fliegen  auf. 

Weine  nicht! 

Mond. 

Gazellen  rufen; 

Die  Öde  der  Täler,  bedeckt  von  Schnee. 

Sieh,  ich  wandle, 

Ein  Mensch  der  Liebe. 

Ein  Herz  voll  Hoffnung 

Hat  mich  erreicht. 

Wo  bist  Du? 
Ein  Stern  fällt. 
Dein  Gesicht! 
Du  bist  da! 

* 

Wenn  Du  den  Becher  leerst. 

Wo  jenseits 

Weiße  Schwalben  trinken : 

Vergiß  nicht  die  Träne, 

Den  Kuß,  den  Du  träumlest, 

Am  Himmel  der  Toten. 

Du  bist  geliebt! 


276 


WALTER  HASENGLEVER: 
AUF  DEN  TOD  EINER  FRAU 

Wenn  Du  Dich  neigst  am  Saum  des  Himmels, 

Sommerentlaubt : 

Wir  bleiben  zurück, 

Wir  öffnen  die  Augen, 

Wir  sehen  Dein  ewiges  Bild. 

Nun  weißt  Du  alles, 

Träne  und  Hoffnung, 

Die  Welt  de^  Leides,  die  Welt  des  Glücks. 

Erlöste  Seele,  geliebte  Seele, 

Schwester  unser, 

Die  Heimat  ist  da  I 


ELSE  LASKER-SGHÜLER:  GEBET 

(M  einem  teuren  Halbbruder,  dem  blauen  Reiter) 

Ich  suche  allerlanden  eine  Stadt, 
Die  einen  Engel  vor  der  Pforte  hat. 
Ich  trage  seinen  großen  Flügel 
Gebrochen  schwer  am  Schulterblatt 
Und  in  der  Stirne  seinen  Stern  als  Siesrel. 


Und  wandle  immer  in  die  Nacht .  .  . 
Ich  heibe  Liebe  in  die  Welt  gebracht,  — 
Daß  blau  zu  blühen  jedes  Herz  vermag. 
Und  hab  ein  Leben  müde  mich  gewacht. 
In  Gott  gehüllt  den  dunklen  Atemschlag. 

0  Gott,  schließ  um  mich  deinen  Mantel  fest; 
Ich  weiß,  ich  bin  im  Kugelglas  der  Rest, 
Und  wenn  der  letzte  Mensch  die  Welt  vergießt, 
Du  mich  nicht  wieder  aus  der  Allmacht  läßt 
Und  sich  ein  neuer  Erdball  um  mich  schließt. 


FRANZ  WERFEL:  VEM  CREATOR  SPIRITUS 

Komm,  helliger  Geist,  Du  schöpferisch  I 
Den  Marmor  unsrer  Form  zerbrich ! 
Daß  nicht  mehr  Mauer  krank  und  hart 
Den  Brunnen  dieser  Welt  umstarrt, 
Daß  wir  gemeinsam  und  nach  obpn 
Wie  Flammen  ineinander  toben! 

Tauch  auf  aus  unsei'n  Flächen  wund, 
Delphin  von  aller  Wesen  Grimd, 
Alt  allgemein  und  heiliger  Fisch! 
Komm,  reiner  Geist,  Du  schöpferisch, 
?Sach  dem  wir  ewig  uns  entfalten, 
Kristallgesetz  der  Weltgestalten! 

Wie  sind  wir  alle  Fremde  doch! 
Wie  unterm  letzten  Hemde  noch 
Die  Schatlengrelse  im  Spital 
Sich  hassen  bis  zum  letztenmal, 
Und  jeder,  eh'  er  ostwärts  mündet, 
Allein  sein  Abendlicht  entzündet, 

So  sind  wir  eitel  eingespannt, 
Und  hocken  bös  an  unserm  Rand, 
Und  morden  uns  an  jedem  Tisch. 
Komm,  heiliger  Geist,  Du  schöpferisch, 
Aus  uns  empor  mit  tausend  Flügen! 
Zerbrich  das  Eis  in  unsern  Zügen ! 

Daß  tränenhaft  und  gut  und  gut 

Aufsiede  die  entzückte  Flut, 

Daß  nicht  mehr  fern  und  unerreicht 

Ein  Wesen  um  das  andre  schleicht,  ' 

Daß  jauchzend  wir  in  Blick,  Hand,  Mund  und  Haaren, 

Und  in  uns  selbst  Dein  Attribut  erfahren ! 

Daß,  wer  dem  Bruder  in  die  Arme  fällt, 
Dein  tiefes  Schlagen  süß  am  Herzen  hält. 
Daß,  wer  des  armen  Hundes  Schaun  empfängt. 
Von  Deinem  weisen  Blicke  wird  beschenkt, 
Daß  alle  wir  in  Küssens  Überflüssen 
Nur  Deine  reine  heilige  Lippe  küssen! 


278 


Ludwig  Meidner 


Franz  iVerfil 


THEODOR  DÄUBLER: 
DER  MENSCH  IST  EINE  WELKE  KLETTE 

Der  Mensch  ist  eine  welke  Klette: 
Schmarotzerrot   keucht  der  Kaukasier  hin 
Und  baut  sich  emsig  gelbviolette  Städte. 

Doch  geht  sein  Wille  über  seinen  Sinn! 
Der  Erdermüdung   weiße  Friedensschwingen 
Sind  schon   im  Leben  unser  Lichtgewinn. 

Die  Arbeit  muß  den  warmen  Leib  bezwingen. 
In  der  Erschlaffung  Armen  ruhn  wir  aus: 
Im  Traume  kann  der  erste  Flug  gelingen! 

Die  Seele  baut  sich  hier  ein  Glastwaldhaus, 

Ihr   blasses,   unberührtes   Sehnsuchtseden: 

Wenn  schrecklich  auch,  doch  fern  vom  Erdgebraus! 

Entleibt,  bemerkt  der  Geist  des  Traumes  Schäden 
Und  führt  dann  Kampf  um  Christi  Licht, 
Denn  Erdgespenster  muß  er  noch  befehden! 

Im  Wollustwalmsinn  suchst  du  kein  Gericht. 
Gereinigt   wirst   du   selbst  vor   Christum   treten. 
Denn  Gnade  strahlt  in  jede  Zuversicht. 

Die  Menschen,  die  am  Werktag  lichtwärts  beten, 
Sehn  hoch  im  Sonnenrot  ihr  Weltsymbol, 
Den  Sieg  über  die  Angst  der  IVachtplaneten. 

Der  Tod  ist  nur  die  Furcht  vor  unserm  Wohl, 
Das   Fleisch  hat  Angst  sich  ewig  wahrzunehmen. 
Doch  holde  Hoffnung  überstrahlt  den  Pol. 

Das  Urfeuer  will  sich  des  Endes  schämen 
Und  wirkt  als  Ewigkeit,  die  sich  erweist. 
Tief  überwunden  sind  des  Zweifels  Schemen: 


Die  Welt  versöhnt  und  übertönt  der  Geist! 


281 


KUKT  HEYNIGKE:  GESANG 

In  mir  ist  blauer  Himmel; 

ich  trage  die  Erde,  < 

trage  die  Liebe, 

mich 

und  die  Freude. 

Sonne  kniet  vor  mir, 

aufsteigt  das  Korn, 

ewiger  Born  fließt  über  die  Lenden  der  Erde. 

Werde  I 

Aufjubelnde  Seele  des  All! 

Ich  bin   ein  Mensch   im   Arme   des   ewigen   Werdens, 

Geheimnis  ist  selig  erschlossen, 

ich  bin  in  mich  selber  hell  ausgegossen, 

mit  blauem  Riesenfittich  schweb'  ich  gen  Sonne  I 

Stürzt  die  Ferne  in  meine  Seele, 

singt  süßer  Sang  in  mir, 

ich  fühle, 

endelos, 

daß  ich  nicht  einsam  bin  ... 

So  nahe  du  bist, 

Bruder  Mensch, 

die  Ferne,  die  den  Bogen  um  uns  schlägt, 

eint  unsern  Traum, 

wenn  das  Angesicht  Gottes  sich  über  uns  wölbt 

und  donnernd  der  Raum  unserer  Gedanken 

über  die  gleichen  Gebete  unserer  Freundschaf  t  stürzt. . . 

Eine 

Seimsucht  ist  der  Kreis  unserer  Händel 

0,  laßt  uns  lächeln  über  den  Tälern  der  Menschen  — 

wie  die  Seele  des  Monds, 

die  silbern  träumt  . . . 

FRANZ  WERFEL:  EIN  GEISTLICHES  LIED 

Wir  drehen  uns  vorüber 

An  einem  Lämpchen,  einem  Mann. 

Uns  reißt  etwas  hinüber. 

Und  letzte  Sehnsucht  faßt  uns  an. 


282 


Wir  werden  nie  uns  haben, 

Denn  Formsein  packt  uns  hcrriscii  ein. 

Und  sind  wir  einst  begraben, 

Wird  Staub  dem  Staub  noch  feindlich  sein. 

Am  Gitter  der  Slowake 

Spuckt  aus  und  wischt  sich  seinen  Mund. 

Ein  andrer  hebt  die  Hacke, 

Und  näher  schwebt  ein  brauner  Hund. 

Wenn  sie  vorüberspülen, 

Bestürzt  uns  Lieb'  zu  Fleiscli  und  Stein, 

Doch  wie  wir  Körper  fühlen. 

Muß  Ekel  unsre  Antwort  sein. 

Verheißung  letzter  Treue 
Ist  unserer  Augen  Bruderlicht, 
Aus  dem  die  Winterbläue 
Der  ungedämmtcn  Himmel  bricht. 
Daß  wir  dereinst  uns  finden 
In  den  Gefühlen  ohne  Sprung, 
Durch  uns  in  uns  verschwinden, 

Und  Schwung  sind,  nichts  als  Schwung  und  Lieb'  und  jagende 
Begeisterung. 


FRA^ZWERFEL:  DIE  LEIDENSCHAFTLICHEN 

Mein  Gott,  es  werden  sein  zu  deiner  Rechten 

Nicht  die  Wahrhaftigen  allein  und  die  Gerechten! 

Nein  alle,  die  in  dreizehn  Dezembernächten 

Vor  einem  Fenster  standen.  Und  Frauen,  die  sich  rächten 

Mit  Vitriol  und  dann  im  Gerichtssaal  ergrauten, 

Die  Eifersüchtigen  all,  die  ihr  Blut  stauten. 

In  Droschken  weinten,  in  Sälen  sich  erfrechten! 

Die  durchgefallnen  tiefen  Atmer, 

Sänger,  die  mit  bezechten 

Gliedern  dem  Tod  sich  in  die  Grube  schmissen, 

Sie  werden  sein  zu  dir  emporgerissen, 

Und  werden  sitzen,  Gott,  zu  deiner  Rechten! 

283 


Es  werden  wandeln  in  deinen  Gäxten 
Nicht  nur  die  Demütigen  und  Beschwerten, 
Nein  alle,  die  leuchteten  und  verehrten ! 
Mädchen,  die  in  Konzerten  erkrankten. 
Weil  ihre  Wangen  zu  bleich  sich  verklärten, 
Blicke  aus  Augen,  die  dankten  — 
Wahre  Augen-Blicke  zu  nimmer  verzehrten 
Dauern  aus  Zeit  in  deine  Zeiten  gehoben. 
Werden  sie  lodern  weiter  und  loben. 
Leichte  Feuer  wandelnd  in  deinen  Gärten! 

Es  werden  ruhen,  Gott,  in  deinen  Tiefen 

Nicht  die  allein,  die  deinen  Namen  riefen. 

Nein  alle,  die  in  den  Nächten  nicht  schliefen! 

Die  am  Morgen  ihr  Herz  mit  beiden  Händen  häuften 

Wie  Flamme,  und  liefen 

Tiefatmend,  blind,  in  unbekannten  Lauften. 

Ein  Küsten- Wind  zuckt  in  Selbstmörderbriefen. 

Die  Knaben  haben  Meere  nicht  verstanden, 

So  brannten  sie  sich  ab  in  Hieroglyphen. 

Nun  knarrt  ein  Rost-Schild  an  den  schiefen 

Eisernen  Kreuzen  der  Konfirmanden. 

Wie  sehr  wir  hier  sind,  sind  wir  dort  vorhanden  — 

Die  hier  unruheten  aus  deinen  Tiefen, 

Sie  werden  ruhen  dort  in  deinen  Tiefen. 


PAUL  ZECH:  DAS  IST  DIE  STUNDE 

I. 

Du  kniest,  Du  betest  vor  — :  wie  dieser  Gott 
sich  überreden  läßt  trotz  tausend  Lügen 
und  weichgewordner  Päpste  Spott. 

Es  sammelt  sich  Dein  Wort  in  Zügen, 

es  zweigt  der  Strom  sich  siebenfach  im  Raum ; 

die  Jungfrauen  tragen  wieder  öl  in  Krügen. 

Schallmeien  schallen  lockend  Zimbelschaimi 
und  Engelscharen  blau  auf  goldnem  Grunde. 
Ich  küß  von  Deinem  Kleid  den  Saum 

und  eine  Taube  schwebt  und  spricht:  Das  ist  die  Stunde! 
284 


IL 

Das  ist  die  Stunde :  Heimat  überall 
und  noch  in  der  Geliebten  Sakrament. 
Nie  wieder  wird  ein  Sündenfall 

die  Erde  fluchen,  bis  sie  brennt. 
Das  Du  in  mir,  das  Ich  in  Dir 
lebt  ungetrennt 

fortzeugend  noch,  bis  wir 
vorwärts  in  heiligen  Schairen 
gemündet  sind  als  Waldung  oder  Tier, 

und  wiederkehren  nach  Millionen  Jahren. 


WILHELM  KLEMM:  E I ^' H E I  T 

Laß  fallen,  was  fällt. 
Auch  die  Vernichtung  ist  göttlich, 
Auch  der  Irrtxmi  und  die  Sünde, 
Auch  Frevel  und  Unglück. 

Ist   in    dir    der    Trieb    zum    Guten, 
Laß  ihn  mächtig  treiben. 
Das  Trübe  verzehrt  sich  von  selbst. 
Aber  mindere  es  nach  Kräften. 

Geht  der   Tag  zur  Rüste, 

Wie  viele  harren  im  Schoß  der  Zeit ! 

Wird  dir  die  Erde  en?. 

Wie   weit  sind   die   Himmel! 

Um  die  Winzigkeit  des  Daseins 
Wölben  sich  ewige  Schalen, 
Sie  sind  unermeßlich. 
Sollten  sie  dir  nicht  genügen? 

Du  darfst  frei  sein.  Lerne  also 
Von  den  Elementen,  die  dich  tragen. 
Du  bist  auch  nur  eine  Bewegung. 
Aber  der   Friede   ist   dir   sewiß. 


285 


GEORG  TRAKL:  GESANG  DES  ABGESCHIEDENEN 

An  Karl  Borromäus  Heinrich 

Voll  Harmonien  ist  der  Flug  der  Vögel.  Es  haben  die  grünen 

Wälder 
Am  Abend  sich  zu  stilleren  Hütten  versammelt; 
Die  kristallenen  Weiden  des  Rehs. 
Dunkles   besänftigt  das   Plätschern   des   Bachs,   die   feuchten 

Schatten 

Und  die  Blumen  des  Sommers,  die  schön  im  Winde  läuten. 
Schon  dämmert  die  Stirne  dem  sinnenden  Menschen. 
Und  es  leuchtet  ein  Lämpchen,  das  Gute,  in  seinem  Herzen 
Und  der  Frieden  des  Mahls ;  denn  geheiligt  ist  Brot  und  Wein 
Von  Gottes  Händen,  und  es  schaut  aus  nächtigen  Augen 
Stille  dich  der  Bruder  an,  daß  er  ruhe  von  dorniger  Wander- 
schaft. 

0  das  Wohnen  in  der  beseelten  Bläue  der  Nacht. 


WALTER  HASENGLEVER: 

DU    GEIST,    DER    MICH    VERLIESS 

Du  Geist,  der  mich  verließ,  den  ich  gewinne. 
Der  tausendfältig  meines  Werkes  harrt: 
Erkämpf  mich  bis  zum  letzten  meiner  Sinne, 
Auf  einem  andern  Stern  beginn,  o  Fahrt! 
Ich  bin  von  neuem  in  die  Welt  geboren, 
Die  meinem  Leid  und  meinen  Freuden  quillt. 
Was  ich  besaß,  das  hab  ich  nicht  verloren. 
Nur  größer  und  nur  klarer  ward  mein  Bild. 
Ich  sah  den  Bruder,  wenn  ich  die  Erscheinung 
Des  eignen  Herzens  mich  verklären  sah; 
Doch  bin  ich  mehr  als  Sehnsucht  und  Beweinunf 
Ich  bin  Verheißung!  Ich  bin  ewig  da! 

KURT  HEYNICKE:  PSALM 

Meine  Seele  ist  ein  stiller  Garten, 

ich  weine, 

umschlossen  von  den  Mauern  meines  Leibes, 

gelb  sitzt  die  Welt  vor  meiner  Seele  Tür. 

286 


J 


Meine  Seele  ist  ein  Garten, 
eine  Nachtigall  meine  Sehnsucht, 
Liebeslieder  singt  die  junge  Nachtigall, 
und  mein  Herz  sehnt  sich  nach  Gott. 

Gott  ist  ein  Name, 
namenlos  ist  meine  Sehnsucht, 
sie  hat  ein  Kind  geboren, 
Wülen, 

jung 

und  von  Gewalt  durchbrausten  Willen, 

hin  zu  ihm. 

Ein  Garten  ist  meine  Seele. 

Ich  knie  nicht  im  Garten. 

Weit  breiten  meine  Arme  in  den  weiten  Teppich  blauer  Nächte, 

ich  fliege, 

neunenloses  Weltgesicht, 

ich  bin  dein  Bruder, 

geboren  aus  Sternennebebi  an  erstem  Tag. 

Mein  Willen  blüht  einen  Altar  aus  Mai  und  junger  Sonne, 

vieltausend  Blüten  flammen  auf, 

und  meine  Sehnsucht  flattert  singend  hin  zu  deinem  Munde, 

Gott, 

oder  iMutterschoß, 

Herz  meines  Bruders  im  Weltall, 

ich  weine, 

denn  kein   Gedcuike   schickt   einen   Namen, 

ich  singe 

meiner  Sehnsucht  Psalm, 

gewiegt  von  der  Harfe  unendlicher  Liebe. 

FRANZ  WERFEL:  EIN  LEBENS-LIED 

Feindschaft   ist  unzulänglich. 

Der  Wille  und  die  Taten, 

Ein  erdbewußtes  Leben 

In  sich,  was  sind  sie,  Welt? 

Es  schwebt  in  jedem  Schicksal, 

Im  Schritt  der  Lust  und  Schmerzen, 

Im  Morden  und  Umarmen, 

Anmut  des  Menschlichen! 

287 


Nur   das  ist  unvergänglich! 
Sahst  du  die  wilden  Augen 
Buckliger  Bauernmädchen? 
Sahst  du,  wie  sie  sich  langsam 
Weltdamenhaft  verschleiern, 
Sahst  du  In  ihnen  blinken, 
Das  Grün  von  Festestraden, 
Musik  und  Lampennacht? 

Sahst  du  den  Bart  von  Kranken, 
/Ihr   Wolken  über  Pappeln/ 
Wie  er  an  Gott  erinnert, 
Getaucht  in  einen  Sturm? 
Sahst  du  die  große  Güte 
Im  Sterben  eines  Kindes? 
Wie  uns  der  holde  Körper 
Mit  Zärtlichkeit  entglitt? 

Sahst  du  das  Traurigwerden 
Von  Mädchen  an,  am  Abend? 
Wie  sie  die  Küchen  ordnen 
Und  fern,  wie  Heilige  sind. 
Sahst  du  die  schönen  Hände 
Durchfurchter   Nachtgendarme, 
Wenn  sie  den  Hund  liebkosen 
Mit  grobem  Liebeswort? 

Wer  handelnd  sich  empörte, 

Bedenke  doch!!  Unsagbar 

Mit  Reden  und  Gestalten 

Sind  wir  uns  fern  und  nah! 

Daß  wir  hier  stehn  und  sitzen. 

Wer  kann's  beklommen  fassen?! 

Doch  über  allen  Worten 

Verkünd'  ich,  Mensch,  wir  sind!! 


288 


DICHTER  UND  WERKE 


4 


BIOGRAPHISCHES  UND  BIBLIOGRAPHISCHES 

Diese  biographischen  Notizen  sollen  keineswegs  literarhisto- 
risches Material  sein.  Da  aber  jeder  Dichter  in  diesem  Buclie  nur 
mit  einer  kleinen  Anzahl  von  Gedichten  erscheinen  kann,  so  sollte 
die  Möglichkeit  gegeben  sein,  das  Bild  der  Dichter  nach  ihrem 
Willen  (und  —  bei  den  Toten  —  nach  Aufzeichnungen  der  ihnen  Nahe- 
stehenden) durch  biographische  und  prinzipielle  Bemerkungen  zu 
vervollständigen.  Wenn  die  Angaben  nicht  von  dem  Dichter  selbst 
stammen,  so  ist  der  Name  des  Mitteilenden  unter  die  Notiz  in 
[  ]   Klammern  gesetzt. 

Die  bibliographischen  Notizen  enthalten  nur  die  in  Buchform 
erschienenen  Werke  der  Dichter.  Die  Jahreszahl  zeigt  das  Er- 
scheinungsjahr des  Buches  an.  Sind  mehrere  Bücher  eines  Dichters 
hintereinander  in  einem  und  demselben  Verlag  erschienen,  so  ist 
der  Verlag  nur  einmal  angegeben,  und  zwar  nach  dem  letzten 
Buch,  das  in  diesem  Verlag  herauskam. 

JOHANNES  R.  BECHER.  Geboren  22.  Mai  1891  in 
München. 

Verfall  und  Triumph  191 A.  Band  I  und  H  (Versuche  in 
Prosa).  (Insel-Verlag,  Leipzig.)  An  Europa  19 16.  Verbrüde- 
rung 1916.  Paean  gegen  die  Zeit  19 18.  Zion  1919.  (Kurt 
Wolff,  Leipzig.)  Die  Heilige  Schar  19 18.  Das  Neue  Gedicht 
191 9.  Gedichte  für  ein  Volk  19 19.  Gedichte  um  Lotte  1919. 
(Insel-Verlag,  Leipzig.)  An  Alle  1919.  (Verlag  ,, Aktion",  Ber- 
lin.) Ewig  im  Aufruhr   1919.  (Ernst  Rowohlt,  Berlin.) 

GOTTFRIED  BENN.  Geboren  1886  und  aufgewachsen 
in  Dörfern  der  Provinz  Brandenburg.  Belangloser  Entwick- 
lungsgang, belangloses  Dasein  als  Arzt  in  Berlin. 

Morgue;  Gedichte,  1913.  Söhne;  Gedichte,  191 4-  (A.  R. 
Meyer,  Berlin  -  Wilmersdorf.)  Fleisch;  Gesammelte  Lyrik, 
191 7.  Diesterweg;  Erzcählung,  1917-  (Verlag  „Aktion",  Ber- 
lin.) Gehirne;  Novellen,  19 18.  (Kurt  Wolff,  Leipzig.)  Der 
Vermessungsdirigent;  Drama,  1919.  (Verlag  „Aktion",  Berlin.) 

THEODOR  DA  ÜBLER.  Geboren  zu  Triest  am  17.  Au- 
gust 1876,  lebte  dort  und  später,  nach  dem  22.  Lebensjahr,  in 
Neapel,  Wien,  Paris,  Florenz,  Rom,  Dresden  und  Berlin. 

Das  Nordlicht;  Epos  in  drei  Teilen,  19 10.  Wir  wollen  nicht 
verweilen;  autobiographische  Fragmente,  191 4-  Der  Stern- 
helle Weg;  Gedichte,  191 5.  Hymne  an  Italien  19 16.  Hesperien; 
eine  Symphonie,  1916.  Mit  silberner  Sichel;  Prosa,  19 17.  Der 

291 


Neue  Standpunkt;  ein  Buch  über  moderne  Kunst,  1917.  Das 
Sternenkind;  eine  Sammlung  von  Gedichten,  1917-  Luci- 
darium  in  arte  musicae;  ein  Buch  über  Musik,  19 18.  Die 
Treppe;  eine  Symphonie.  1920.  (Insel-Verlag,  Leipzig.)  Im 
Kampf  um  die  moderne  Kunst  1918.  (E.  Reiss,  Berlin.)  Der 
Hahn;  eine  Anthologie  französischer  Dichtungen,  19 16.  (Ver- 
lag ,, Aktion",  Berlin.) 

ALBERT  EHRENSTEIN.  Am  28.  Dezember  1886  ge- 
schah mir  die  Wiener  Erde.  — 

Lyrik:  Die  weiße  Zeit,  191 /i  (Insel -Verlag,  Leipzig);  Der 
Mensch  schreit,  1916  (vergriffen,  Leipzig,  Kurt  Wolff);  Die 
rote  Zeit,  1917  (S.  Fischer,  Berlin);  Den  ermordeten  Brüdern, 
191 8  (Max  Rascher.  Zürich);  Die  (Jedichte,  Gesamtausgabe, 
1920  (Eduard  Strache, Wien).  Prosa:  Tubutsch,  191 1  (Insel- 
Verlag,  Leipzig);  Der  Selbstmord  eines  Katers,  191 2  (ver- 
griffen, Georg  Müller);  Nicht  da  nicht  dort,  1916  (vergriffen, 
Kurt  Wolff);  Bericht  aus  einem  Tollhaus,  1919  (Insel-Ver- 
lag, Leipzig);  Zaubermärchen,    i9'20  (S.  Fischer,  Berlin). 

IWAN  GOLL  hat  keine  Heimat:  durch  Schicksal  Jude, 
durch  Zufall  in  Frankreich  geborpn,  durch  ein  Stempelpapier 
als  Deutscher  bezeichnet. 

Iwan  Goll  hat  kein  Alter:  seine  Kindheit  wurde  von  ent- 
bluteten Greisen  aufgesogen.  Den  Jüngling  meuchelte  der 
Kriegsgott.  Aber  um  ein  Mensch  zu  werden,  wie  vieler  Leben 
bedarf  es. 

Einsam  und  gut  nach  der  Weise  der  schweigenden  Bäume 
und  des  stummen  Gesteins :  da  wäre  er  dem  Irdischen  am 
fernsten  und  der  Kunst  am  nächsten. 

Requiem  für  die  Gefallenen  von  Europa  1917.  (Max 
Rascher,  Zürich.)  Der  Torso;  Stanzen  und  Dithyramben,  191 8. 
(Roland-Verlag,  München.)  Dithyramben  191 8.  (Kurt  Wolff, 
Leipzig.)  Der  Neue  Orpheus;  eine  Dithyrambe,  1918.  (Verlag 
„Aktion",  Berlin.)  Die  Unterwelt;  Gedichte,  1919.  (S.  Fischer, 
Berlin.)  Felix;  eine  Dithyrambe,  191 9.  (Verlag  von  191 7. 
Dresden.)  Die  drei  guten  Geister  Frankreichs;  Essays,  19 19. 
(Erich  Reiß,  Berlin.)  Le  Coeur  de  l'ennemi;  Französische 
Übersetzungen  aus  i4  neuen  deutschen  Dichtern,  19 19.  (Ver- 
lag ,,Les  Ilumbles",  Paris.)  Die  Unsterblichen;  2  Überdramen, 
1920. 

292 


WALTER  HASExNCLEVEK.  Geboren  am  Ö.JuüiSgo 
in  Aachen,  wo  ich  noch  heule  in  Verruf  bin.  1908  im  frühling 
Abiturientenexamen,  kam  nach  England  und  studierte  in  Ox- 
ford. Hier  schrieb  ich  mein  erstes  Stück;  die  Druckkosteu 
gewann  ich  im  Poker.  1909  war  ich  in  Lausanne,  dann  kam 
ich  nach  Leipzig,  wo  ich  den  Herausgeber  dieser  Anthologie 
kennen  lernte.  Eingeführt  von  ihm  in  die  Bezirke  der  Liebe 
und  Wissenschaft,  überflügelte  ich  bald  den  Meister.  Ich 
reiste  mit  ihm  nach  Italien  und  frequentierte  die  Arzte.  1913 
erschien  „Der  Jüngling'";  1914,  in  Heyst  am  Meer  voll- 
endet, ,,Der  Sohn".  Im  Krieg  war  ich  Dolmetscher,  Einkäufer 
und  Küchenjunge.  So  entstand  das  Buch  „Tod  und  Auf- 
erstehung'". 191 7  erschien  ,,Antigone",  ein  Jahr  später  „Die 
Menschen'".  1919  druckte  mein  Freund  Erruit  Rowohlt  das  inx 
Krieg  verbotene  Stück  ,,Der  Retter".  Im  Sommer  1919  ent- 
stand ,,Die  Entscheidung"". 

Der  Jüngling;  Gedichte,  1910.  Das  Unendliche  Gespräch; 
eine  nächtliche  Szene,  191 4-  Der  Sohn;  Drama,  191 4-  Tod 
und  Auferstehmig;  Neue  Gedichte,  1917.  (Kurt  Wolff,  Leip- 
zig.) Antigone;  Tragödie,  191 7.  Die  Menschen;  Schauspiel, 
19 18.  Die  Entscheidung;  Komödie,  19 19.  (Paul  Cassirer,  Ber- 
lin.) Der  Retter;  Dramatische  Dichtung,  191 9.  Der  Politische 
Dichter  1919.  (Ernst  Rowohlt,  Berlin.) 

GEORG  HEYM,  aus  einer  alten  Beamten-  und  Pastoren- 
familie stammend,  ist  am  3o.  Oktober  1887  in  Hirschberg 
(Schlesien)  geboren.  Dreizehnjährig  kam  er  nach  Berlin.  Als 
er  das  Gymnasium  absolviert  hatte,  widmete  er  sich  in 
Würzburg,  später  in  Berlin  dem  juristischen  Studium. 
Beim  Eislaufen  auf  der  Havel  brach  er  ein  und  ertrank  mit 
seinem  Freunde,  dem  Lyriker  cand.  phil.  Ernst  Balcke,  am 
16.  Januar  1912,  nachmittags,  bei  Schwanenwerder;  sein  Grab 
ist  auf  dem  Friedhof  der  Luisengemeinde  in  Charlottenburg. 
[Die  Herausgeber  des  Naclilasses.] 

Der  ewige  Tag;  Gedichte,  1911.  Umbra  vitae;  jN achgelassene 
Gedichte,  1912.  Der  Dieb;  Novellen,  1913.  (Kurt  Wolff, 
Leipzig.) 

KÜRT  HEY  NICKE,  1891  in  Liegnitz  geboren,  Arbeiter- 
kind, Volksschüler,  Bureaumensch,  Kaufmann. 

Lächelst  Du,  Mensch,  der  Du  fühlst  dies  gesegnete  Dasein? 

290 


0,  wir  siiid  nichts.  Ein  Tier  im  Stall.  iNur  unsere  Seele  ist 
manchmal  ein  Dom,  darin  wir  zueinander  hetcn  können. 

Rings  fallen  Sterne;  Gedichte,  1918.  (A'orlag  „Der  Sturm", 
Berlin.)  Gottes  Geigen;  Gedichte,  1918.  (Roland-Verlag,  Mün- 
chen.) Das  namenlose  Angesicht;  Rhythmen  aus  Zeit  und  Ewig- 
keit,  1919.  (Kurt  Wolff,  Leipzig.) 


JACOB  VAN  HODDIS.  Geboren   188/i  in  Berlin,  lebt 
Thüringen. 
Weltende   1918.   (^'erlag  „Aktion",  Berlin.) 


WILHELM  KLEMM,  geboren  1881  in  Leipzig,  lebt 
daselbst. 

Gloria;  Gedichte  aus  dem  Felde,  1910.  (Albert  Langen, 
München.)  Verse  und  Bilder  1916.  Aufforderung  19 17.  (Ver- 
lag ,, Aktion",  Berlin.)  Ergriffenheit  19 18.  (Kurt  Wolff, 
Leipzig.) 

E  L  S  E  L  A  S  K  E  R  -  S  C  H  Ü  L  E  R.  Ich  bin  in  Theben  (Ägyp- 
ten) geboren,  wenn  ich  auch  in  Elberfeld  zur  Welt  kam  im 
Rheinland.  Ich  ging  bis  1 1  Jahre  zur  Schule,  MTjrde  Robinson, 
lebte  fünf  Jahre  im  Morgenlande,  und  seitdem  vegetiere  ich. 

Styx;  Gedichte,  1902.  Das  Peter-Hille-Buch  1906.  Die 
Nächte  der  Tino  von  Bagdad;  Psovellen,  1907.  Die  Wupper; 
Schauspiel,  1908.  Meine  Wunder;  Gedichte,  1911.  Gesichte; 
Essays,  191 1.  Mein  Herz;  Roman,  1912.  Hebräische  Balladen 
1913.  Der  Prinz  von  Theben;  Geschichten,  191 A-  Sämtliche 
Werke  1920.  (Paul  Cassirer,  Berlin.)  Die  gesammelten  Ge- 
dichte 1917.  (Kurt  Wolff,  Leipzig.) 

RUDOLF  LEONHARD.  Geboren  am  27.  Oktober  1889 
zu  Lissa  in  Posen.  In  einer  Zeit,  in  der  es  mir  als  ein  phan- 
tastisches Wagnis  erscheint,  länger  als  für  vierzehn  Tage  vor- 
auszudisponieren,  ist  mir  neben  anderm  der  Sinn  (wenn  auch 
nicht  das  Gefühl)  für  die  Kontinuität  des  eignen  Lebens  so 
weit  verloren  gegangen,  daß  ich  auch  nach  rückwärts  eine 
Selbstbiographie  nicht  zustande  bringe.  Auch  scheint  es  mir 
eine  schwer  zu  lösende  Aufgabe  und  ein  nicht  ratsames  Unter- 
nehmen, fest-  und  klarzustellen,  was  wichtig  war.  Wenn  sich 
jemand  ernsthaft  für  diese  Angelegenheit  interessieren  sollte, 
den  bitte  ich  bis  zu  meinem  Tode  zu  warten,  nach  dem  meine 
ausführlichen  Tagebücher  verfügbar  sein  werden. 


Der  Weg  durch  den  Wald  1910.  (Sa turn- Verlag,  Heidel- 
berg.) Angelische  Strophen  19 13.  Barbaren  igi/i-  über  den 
Schlachten  19 14-  (A.  R.  Meyer,  Berlin-^^'ilmersdo^f.)  Be- 
merkungen zum  Reichsjugendwehrgesetz  1917.  (Der  Neue 
Geist -Verlag,  Leipzig.)  Polnische  Gedichte  1918.  Äonen  des 
Fegefeuers  1910.  (Kurt  Wolff,  Leipzig.)  Beate  und  der  große 
Pan  191 8.  (Roland- Verlag,  München. j  Briefe  an  Margit  19 19. 
(Paul  Stegemann,  Hannover.)  Kampf  gegen  die  Waffe  191 9 
(Ernst  Rowohlt,  Berlin.;  Katilinarische  Pilgerschaft  1919. 
(Georg  Müller,  München.)  Das  Chaos  191 9.  (Heinrich  Böhme^ 
Hannover.)  Alles  und  ISichtsI  1919.  (Ernst  Rowohlt,  Berlin.) 
—  Vor  dem  Erscheinen  sind:  Die  Vorhölle;  eine  Tragödie. 
Sonette. 

ALFRED  LICHTEN  STEIN  wurde  am  28.  August 
1889  in  Berlin  geboren.  Er  besuchte  dort  das  Luisenstädtische 
Gymnasium  und  studierte  an  der  Universität  Berlin  Jura. 
Sommer  igiS  erlangte  er  in  Erlangen  mit  einer  Arbeit  über 
Theaterrecht  die  Doktorwürde.  Im  Oktober  igiS  trat  er  in 
München  als  Einjähriger  in  das  2.  bayrische  Infanterieregi- 
ment Kronprinz  ein  und  zog  bei  Kriegsbeginn  mit  dem  Regi- 
ment ins  Feld.  Am  2  5.  September  191 4  fiel  er  bei  Vermando- 
villers  (in  der  Nähe  von  Reims).   [Kurt  Lubasch.] 

Die  Dämmerung  19 13.  (A.  R.  Meyer,  Berlin.)  Gedichte 
und  Geschichten  1919.  (Georg  Müller,  München.) 

ERNST  WILHELM  LOTZ  wurde  1890  in  Culm  an 
der  Weichsel  geboren,  lebte  in  Wahlstadt,  Karlsruhe,  Plön 
und  im  Kadettenkorps  Groß- Lichter felde.  Mit  17  Jahren 
wurde  er  Fähnrich  im  Infanterie-Regiment  Nr.  i43  zu  Ham- 
burg. Anderthalb  Jahre  war  er  Offizier,  dann  nahm  er  den  .ab- 
schied. Am  26.  September  191 4  fiel  er  als  Leutnant  und  Kom- 
pagnieführer auf  dem  westlichen  Kriegsschauplatz.  [Henny 
Lotz.] 

Wolkenüberflaggt  191 7.  (Kurt  Wolff,  Leipzig.) 

KARL  OTTEN.  Geboren   1889  in  Aachen. 

Von  meinem  Leben  kann  ich  nur  sagen,  daß  es  dem  Kampf 
um  Glück  und  Sieg  der  Armen,  des  Proletariats,  geweiht  war. 
Und  jetzt  verhüllt  ist  von  Trauer  über  die  Schmach,  der  das 
deutsche  Proletariat  durch  eigene  Schuld  unterworfen  ist :  Das 

295 


stärkste  Hindernis  auf  dem  Wege  der  Weltrevolution,  ja  der 
erbittertste  Saboteur  der  kommunistischen  Idee  zu  sein.  Ich 
gestehe,  daß  ich  die  Deutschen  nie  geliebt  habe,  daß  ich  nichts 
so  hasse  wie  die  deutsche  Bourgeoisie  —  seit  ich  denken  kann. 
Und  ebensolange  liebe  ich  Rußland  und  ich  verlange  von  jedem 
revolutionären  Dichter  zunächst,  daß  er  diese  Liebe  teile.  Er- 
kennt er  die  russische  Idee,  so  erkennt  er  die  Fehler  unseres 
Volkes.  Der  Kampf  für  jene  und  gegen  diese  w^ird  die  Zw^ie- 
spältigkeit  des  deutschen  Dichters  aufheben  und  sein  Leben 
die  Synthese  von  Person  und  Tat  verwirklichen:  Revolutionär 
und  DicJiier! 

Fürchtet  Euch  nicht  vor  den  Gefängnissen  —  sie  sind  lächer- 
lich und  die  geschlossenen  Tore  Triumphbögen  für  Euren  Mut! 
Gewehre  —  sie  töten  den  Leib  —  der  Geist,  die  heilige  Sache 
leben!  Nie  war  das  Objekt  des  dunklen  Kampfes  der  Unter- 
drückten so  klar  vor  aller  Augen  ...  es  gibt  nur  eins:  Frei- 
heit und  Leben  für  alle  Ewigkeit  .  .  .  oder  Tod  —  für  alle 
Ewigkeit!  Das  Heil  kommt  von  Osten.  Ich  habe  gewählt. 

Reise  durch  Albanien  191 2  (IL  F.  S.  Bachmaier,  München). 
Thronerhebung  des  Herzens  ig  18  (Verlag  „Aktion",  Berlin). 
Der  Sprung  aus  dem  Fenster  1919  (Kurt  Wolff,  Leipzig). 
Lona  1919  (Verlag  Ed.  Strache,  Wien). 

LUDWIG  RUBIN  ER  wünscht  keine  Biographie  von 
sich.  Er  glaubt,  daß  nicht  nur  die  Aufzählung  von  Taten, 
sondern  auch  die  von  Werken  und  von  Daten  aus  einem  hoch- 
mütigen Vergangenheits-Irrtum  des  individualistischen  Schlaf- 
rock-Künstlertums  stammt.  Er  ist  der  Überzeugung,  daß  von 
Belang  für  die  Gegenwart  und  die  Zukiuift  nur  die  anonyme, 
schöpferische  Zugehörigkeit  zur  Gemeinschaft  ist. 

Das  himmlische  Licht  1916  (Kurt  Wolff,  Leipzig).  Der 
Mensch  in  der  Mitte  191 7  (Verlag  ,, Aktion",  Berlin).  Die  Ge- 
waltlosen; Drajna,  1919  (Gustav  Kiepenheuer,  Potsdam). 

RENßSCHICKELE.  Geboren  am  4.  August  1 883.  Gym- 
nasium :  Zabern  und  Straßburg.  Universitäten :  Straßburg, 
München,  Paris.  Reisen  durch  ganz  Europa  westlich  der  Elbe, 
Griechenland,  Palästina,  Ägypten,  Indien.  Wo  ich  gerade  bin, 
ist  es  immer  cun  schönsten.  Jetzt  in  einem  Schweizer  Fischer- 
dorf am  Bodensee. 

Ich  bin  ein  deutscher  Dichter,  gallisch-alemannischen  Ge- 

296 


blüts,  das  in  den  Formen  der  deutschen  Sprache  austreibt, 
ein  Fall  wie  Gottfried  von  Straßburg  auch  —  dreifache  Ver- 
beugung vor  dem  unerreichbaren  Ahnen!  —  den  doch  auch 
keiner  zu  „annektieren*"  und  zu  „desannektieren"  gedenkt. 
Gestern  deutscher,  heute  französischer  Staatsangehöriger :  ich 
pfeife  darauf.  Es  gibt  Menschen  (und  dazu  gehören  die  meisten 
meiner  Landsleute),  die  sich  sogar  ihre  Henker  aussuchen 
wollen.  Soweit  geht  mein  ästhetisches  Gewissen  nicht.  Was 
kümmerts  mich,  wohin  die  Eroberer  ihren  Fußball  schieben! 
Für  mich  gehören  Grenzverschiebungen  wie  alle  andern  natio- 
nalen Transaktionen  zum  Börsenspiel.  Ich  bin  nicht  darcm 
beteiligt,  sie  gehn  mich  nichts  an.  Weil  ich  es  mit  solchen 
Ketzereien  ernst  genommen  habe  von  jeher  und  gar  erst  im 
Krieg,  stehe  ich  in  schlechtem  Huf  beim  livrierten  Gesindel 
diesseits  wie  jenseits  des  Rheins.  Die  Psychologen  darunter 
enthüllen  mich  jahraus  jahrein  als  einen  ,,unsichern  Kan- 
tonisten", obwohl  ich  nie  abgeleugnet  habe.  Gott  erhalte  mir 
meine  Unsicherheit! 

Immerhin  gehöre  ich  zur  deutschen  Literatur,  die  ich  — 
wie  sich  allmählich  zeigt:  mit  Recht  —  für  eine  größere 
Realität  ansehe,  als  die  gepanzerten,  pulvergeladenen,  geschlif- 
fenen und  schaumlügenden  Äußerungen  der  deutschen  Öffent- 
lichkeit. Keiner  meiner  Kameraden  wird  mich  durch  meine 
Schuld  verlieren.  Und  begänne  der  Krieg  von  neuem,  und 
welche  Militarismen  einander  auch  ablösen  mögen.  Ich  weiß : 
Der  Mensch,  bisher  das  traurigste  der  Tiere,  hat  seine  Lage 
erkannt,  und  nichts  wird  ihn  hindern,  für  seine  Befreiung 
einen  Ruck  zu  tun,  wie  die  Geschichte  noch  keinen  ver- 
merkt hat. 

Lyrik:  Sommernächte  1901.  Pan  1902.  Mon  Repos  igoS. 
Weiß  und  Rot  191 1.  (Sämtlich  vergriffen.)  Die  Leibwache 
1914-  Mein  Herz,  mein  Land  (Ausgewählte  Gedichte)  1910. 
In  Vorbereitung:  Weiß  und  Rot.  Zweite,  vermehrte  Auflage. 
Die  rote  Frau;  Zeitsprüche.  Prosa:  Der  Fremde;  Roman, 
1907.  Benkai,  der  Frauentröster;  Roman,  191 4-  Das  Glück; 
Erzählung,  igiS.  Trimpopp  und  Manasse;  Erzählung,  191 4- 
Aissee;  Erzählung.  191 5.  Schreie  auf  dem  Boulevard;  Auf- 
sätze, 1918.  Die  Genfer  Reise  191 8.  Der  neunte  November 
19 19.  In  Vorbereitung:  Die  Mädchen;  Gesammelte  Erzäh- 
lungen. Dramen:  Hans  im  Schnakenloch  1910.  Am  Glocken- 
turm 19 19.  Der  Volksbeauftragte  191 9.  (Alle  Bücher  bei  Paul 

297 


Cassirer,  Berlin,  mit  Ausnahme  von  :  Das  Glück  [Axel  Juncker, 
Beilin],  Aisseo  [Kurt  Wolff.  Leipzig],  Der  neunte  November 
[Erich  Reiß,  Berlin]). 

ERNST  STADLER.  Geboren  am  ii.  August  i883  in 
Colmar  i.  Eis.,  war  in  Straßburg  Dozent  für  deutsche  Sprache 
und  Literatur,  fiel  zu  Anfang  des  Weltkrieges  im  Westen. 

Präludien  iQo^.  —  Der  Aufbruch;  Gedichte,  191 4  (Kurt 
Wolff,  Leipzig). 

AUGUST  STRAMM.  Geboren  am  29.  Juli  1874  zu 
Münster  in  Westfalen,  besuchte  das  Gymnasium  in  Eupen 
und  Aachen.  Trotz  innerem  Widerstreben  ergriff  er  auf 
Wunsch  seines  Vaters  den  Postberuf.  Nach  Beendigung  des 
Studiums  >vTarde  er  Postinspektor  in  Bremen,  später  in  Berlin, 
und  dort  wurde  er  ins  Reichspostministerium  versetzt.  Neben- 
bei promovierte  er  in  Halle  zum  Dr.  phil.  Bei  Ausbruch  des 
Krieges  wurde  er  als  Hauptmann  der  Reserve  eingezogen.  Er 
fiel  am  i.  September  1910  als  Letzter  seiner  Kompagnie  bei 
einem  Sturmangriff  in  Rußland,  nachdem  er  über  siebzig 
Schlachten  und  Gefechte  mitgemacht  hatte.  Begraben  liegt 
August  Stramm  auf  dem  Friedhof  bei  Horodec  in  Rußland. 
[Horwarth  Waiden.] 

Dramatische  Dichtungen:  Sancta  Susanna  191 4-  Die 
Unfruchtbaren  191 4-  Rudimentär  191 4-  Die  Haidebraut  191 5. 
Erwachen  1915.  Kräfte  191 5.  Geschehen  1910.  —  Gedichte: 
Du;  Liebesgedichte,  191 4-  Die  Menschheit  1910.  Tropf blut; 
Nachgelassene  Gedichte,  1919.  —  Die  gesammelten  Dichtungen 
in  drei  Bänden.  19 19.  (Sämtliche  Dichtungen  im  Verlag  ,,Der 
Sturm",  Berlin.) 

GEORG  TRAKL  war  am  3.  Februar  1887  in  Salzburg 
geboren.  Er  kam  als  Fünfundzwanzigjähriger  im  Jahre  I9i3 
als  Medikamentenakzessist  ans  Garnisonhospital  nach  Inns- 
bruck, gab  aber  diese  und  andere  Tätigkeit  bald  auf  und 
lebte  bis  zum  Kriegsausbruch  in  Innsbruck  im  Hause  Ludwig 
Fickers.  ,,Er  fand  sich  im  äußeren  Leben  immer  schwerer  zu- 
recht, während  sich  der  Born  seiner  dichterischen  Schöpfung 
immer  tiefer  erschloß  .  .  .  Ihn,  der  ein  starker  Trinker  und 
Drogenesser  war,  verließ  nie  seine  edle,  geistig  ungemein  ge- 
stählte Haltung;  es  gibt  keinen  Menschen,  der  ihn  im  Zustand 
der  Trunkenheit  jemals  auch  nur  hätte  schwanken  oder  vorlaut 

298 


werden  gesehen,  obschon  sich  seine  sonst  so  milde  und  wie  um 
eine  unsägliche  Verstummtheit  kreisende  Art  des  Sprechens 
in  vorgeschrittener  Nachtstunde  beim  Wein  oft  seltsam  ver- 
härten und  ins  Funkelnd-Böse  zuspitzen  konnte.  Aber  darunter 
hat  er  oft  mehr  gelitten  als  die,  über  deren  Köpfe  hinweg  er 
die  Dolche  seiner  Rede  in  die  schweigende  Runde  blitzen  ließ; 
denn  er  schien  in  solchen  Augenblicken  von  einer  ^^'ahrhaftig- 
keit,  die  sein  Herz  förmlich  bluten  machte.  Im  übrigen  war 
er  ein  schweigender,  in  sich  verstummter,  aber  keineswegs 
verschlossener  Mensch;  er  konnte  sich  im  Gegenteil  mit  ein- 
fachen, ungezwungenen  Menschen,  sofern  sie  nur  das  Herz 
„auf  dem  rechten  Fleck"  hatten  —  von  den  höchsten  bis  zu 
den  niedersten  sozialen  Schichten  — ,  insonderheit  auch  mit 
Kindern  auf  die  gütigste,  menschlichste  Art  verständigen.  Hab 
und  Gut  besaß  er  kaum  mehr,  Besitz  von  Büchern  erschien 
ihm  immer  überflüssiger,  und  schließlich  , .verkitschte"  er 
auch  noch  seinen  ganzen  Dostojewski,  den  er  aufs  inbrün- 
stigste verehrte  .  .  .  Da  brach  der  Krieg  aus,  und  Trakl  mußte 
in  seiner  cdten  Charge  als  Medikamentenakzessist  mit  einem 
fliegenden  Spital  ins  Feld.  Niach  Galizien.  Erst  schien  er  auf- 
getaut und  seiner  Schwermut  entrissen.  Dann  aber  —  nach  dem 
Rückzug  von  Grodek  —  erhielt  ich  aus  dem  Garnisonsspital 
in  Krakau,  wohin  er  zur  Beobachtung  seines  Geisteszustands 
gebracht  worden  war,  ein  paar  Karten,  die  wie  seelische  Hilfe- 
rufe klangen.  Kurz  entschlossen  machte  ich  mich  auf  und 
reiste  nach  Krakau.  Dort  hatte  ich  die  letzte,  erschütternde 
Begegnung  mit  dem  unvergeßlichen  Freund.  In  Krakau  und 
auf  der  Piückreise  in  Wien  bot  ich  alles  auf,  um  ihn  zurück 
in  häusliche  Pflege  zu  bekommen.  Aber  kaum  hierher  zurück- 
gekehrt, erhielt  ich  die  Nachricht  seines  Todes.  Er  ist  in  der 
Nacht  vom  3.  auf  4-  November  191 4,  nachdem  er  einen  Tag 
in  Aojonie  eelegen  —  vermutlich  an  der  Wirkung  einer  zu 
starken  Dosis  Gift,  die  er  zu  sich  genommen  — ,  gestorben; 
doch  ist  sein  Ende  immerhin  in  Dunkel  gehüllt,  da  man  seinen 
Diener  in  seinen  letzten  Lebensstunden  nicht  mehr  zu  ihm  ließ. 
Dieser  —  ein  Bergarbeiter  aus  Hallstatt,  zugeteUt  der  Sanität, 
namens  Mathias  Roth  —  war  der  einzige  Mensch,  der  bei 
Trakls  Begräbnis  als  Leidtragender  zugegen  war."  [Aus  Mit- 
teilungen Ludwig  Fickers.  ] 

Gedichte  191 4.  Sebastian  im  Traum  1914.  Die  Dichtungen 
1919  (Kurt  Wolff,  Leipzig). 

299 


FRANZ  WERFEL.  Geboren  1890  m  Prag,  gelebt  in 
Hamburg,  Leipzig  und  jetzt  in  Wien. 

Der  Weltfreund;  Gedichte,  191 1.  Wir  sind;  IS'eue  Gedichte, 
191 3.  Die  Versuchung  19 10.  Die  Troerinnen  1914.  Einander; 
Oden,  Lieder,  Gestalten,  1910.  Gesänge  aus  den  drei  Reichen 
1917.  Der  Gerichtstag  1920  (Kurt  Wolff,  Leipzig). 

ALFRED  WOLFExNSTEIA.  Geboren  wurde  ich  an 
vielen  Tagen.  Wer  dennoch  das  Licht  der  Welt  nicht  erblickte, 
kann  im  Dunkeln  sein  Leben  nicht  beschreiben.  Daß  ich  mit 
sechs  Jahren  ins  Gefängnis  kam,  später  hinaus  in  den  toten 
Wald  eines  Holzplatzes  und  wieder  zurück  zur  Schule  ge- 
schickt wurde  (nur  ein  Beispiel  für  unseres  Schicksals 
frühen  Befehl:  freut  euch,  ein  JNichts  mit  dem  andern  ver- 
tauschen zu  dürfen  — );  daß  ich  mich  neu  unter  Jünglingen 
befand,  deren  Freundschaft  die  trübe  Liebesfreiheit  hinweg- 
strahlte, bis  ein  Jünglingniädchen  erscheinen  wird;  daß  ich 
von  Leichtheit  nach  Paris,  von  Schwere  zurück  in  die  halt- 
lose Mitte  Europas  und  in  jede  Diaspora  der  Blut-  und  Geld- 
welt getrieben  wurde;  daß  ich  im  südlichsten  Deutschland 
die  Geistglut  unbekannter  Arbeiter  und  dort  auf  der  schnell 
versinkenden,  seltsam  hohen  Insel  den  zur  Ewigkeit  forfleuch- 
tenden,  fortkeimenden  Kampf  traf,  wo  aus  Versammlungen 
der  Scheinrevolution  wirkliche  Stimmen,  Stimmen  aus  dem 
Unbekannten  laut  wurden  und  gegen  verfolgeijide  Dumm- 
heit —  Brüderlichkeit,  diese  Tagesphrase,  einmal  rührend  sich 
verwirklichte  und  der  Mord  an  zwei  beseelten  Männern  aus 
dem  Allgemeinen  ins  Herz  schlug,  als  seien  mir  Väter  ge- 
storben: dies  alles  bleibt  doch  im  Dunkeln. 

Denn  es  gibt  nur  die  Lichter  der  Welt,  die  wir  selbst  ent- 
zünden. Biographie  gibt  es  nicht;  stumm  vergewaltigt  ist  jedes 
Wort,  das  nicht  gezeugt  wird.  Nur  was  ein  Mensch  formt,  hat 
Sprache;  um  den  Menschen  zu  formen!  Das  Werk.  Niemand 
wird  geboren,  ehe  nicht  von  ihm  geboren  wird.  Er  bleibt 
Gespenst,  seine  Geburt  war  kein  Anfang,  und  der  Tod  hat  da 
nichts  zu  beenden.  Das  ist  unsere  Sternenfreiheit  —  und  des 
Scheinlebens  gleichewige  Gefahr.  Aber  der  Gefahr  spottet  jede 
Dichtung  und  verkündet:  Wir  selbst  bringen  uns  hervor!  Zu 
unserem  Grabe  werden  nur  kommen,  die  unsere  Gestalten 
nicht  sehen. 

Die  gottlosen  Jahre,    Gedichte,    191 4-    Die  Freundschaft, 

3oo 


Neue  Gedichte,  191 7.  Menschlicher  Kämpfer,  Ein  Buch  aus- 
gewählter Gedichte,  1919  (S.Fischer,  Berlin).  Die  Nackten,  Eine 
Dichtung,  1917  (Kurt  Wolff,  Leipzig).  Der  Lebendige,  No- 
vellen, 19 18  (Roland-Verlag,  München).  —  In  Vorbereitung: 
Wasser,  Sturm  und  Stern,  Ein  Drama.  —  Der  Mann,  Szenische 
Dichtungen. 

PAUL  ZECH.  Lieber  Leser,  verlange  von  einem  Selbst- 
bildnis nicht  immer  abgeklärte  Objektivität.  Irgendwo  bleibt 
stets  der  Reflex  des  Spiegels  als  Schminkfleck  stehn.  Aber  was 
geht  Dich  im  Grunde  die  Form  meines  Schädels  an?  Oder  die 
Linie  des  Oberarms,  wenn  er  sich  athletisch  hebt,  wo  er  zu 
Gott  will?  Oder  gar  mein  häuserumsaustes  Erleben?  Jedes 
Leben  wird  tausendmal  von  tausend  Leben  gelebt.  Manchmal 
in  Terzinen.  Manchmal  mit  Fäusten.  Manchmal  auf  Wald- 
bäumen. Manchmal  im  Bordell.  Was  darüber  Ist,  ist  Legende. 
Ich  zerstöre  sie.  Denn  ich  bin  nicht ,, Jüngste  Dichtung",  sondern 
beinah  vierzig  Jahre  (alt).  Und  den  ,,Wald"  beschrieb  ich  um 
190^.  Auch  nicht  Weichselianer  bin  ich  (obwohl  bei  Thorn  ge- 
boren), vielmehr  Dickschädel  aus  bäurisch-westfälischem  Blut. 
Einige  meiner  Väter  schürften  Kohle.  Ich  selber  kam  (nach 
Leichtathletik,  Griechisch  und  schlechten  Examina)  nicht  über 
den  (vom  Innen  geforderten)  Versuch  hinaus.  Doch  diese  zwei 
(reichsten)  Jahre  — :  Bottrop,  Radbod,  Mons,  Lens,  bestimm- 
ten: von  Machthabern,  von  Schwerhörigen  und  Blinden  — : 
Hellhörigkeit  und  Güte  für  Alle  auf  Erden  zu  fordern.  Lange 
bevor  die  Affäre  November  191 8  war. 

Dennoch  paßt  es  mir  nicht,  daß  Du  mich  ..Politischer  Dich- 
ter" (in  Deinem  Sinn)  schimpfst.  Jede  Dichtung  Ist,  sofern 
sie  weniger  derm  Blut  (also  belanglos)  Ist,  politisch.  Wenn 
Du  also  In  meinen  acht  Versbüchern  Dich  durch  Acker,  Wald, 
Abend  und  staubige  Straßen  blätterst,  von  Gott  und  Weib 
(dieses  zuletzt!)  hörst,  sollen  die  agrarische  Gebundenheit,  das 
Sehnige,  Verrußte,  die  Unzucht  und  der  Glaube  Dich  durch- 
einander  schütteln  zum  besseren,  zum  lebendigen  Menschen. 

Oder  ich  verdiene:  zum  alten  Eisen  geworfen  zu  werden. 
Nur  bestrafe  mich  nicht :  In  Museen  zu  verstauben. 

Entscheide! 

Und  nicht  nur  Dich! 

Waldpastelle  19 10.  Schollenbruch  191 2.  Das  schwarze  Re- 
vier   191 3   (A.   R.   Meyer,  Berlin -Wilmersdorf).    Die  eiserne 

3oi 


Brücke;  Gedichte,  igiS.  Der  schwarze  Baal;  Noveilen,  191 6. 
Das  Terzett  der  Sterne;  Gedichte,  1920  (KurtWolff,  Leipzig). 
Das  Grab  der  Welt;  Novellen,  1920  (Hoff mann  &  Campe, 
Berlin — Hamburg).  Das  schwarze  Revier  1920  (Neue  Ausgabe). 
Das  Ereignis;  Novellen  1920.  Die  Gedichte  an  eine  Dame  in 
Schwarz  1920  (Musarion -Verlag,  München).  Gelandet;  ein 
dramatisches   Gedicht    1920   (Roland -Verlag,   München). 


N  A  C  H  B  E  M  E  R  K  U  N  G  E  N 

Orthographie  und  Interpunktion  aller  Gedichte  wurden  ge- 
nau nach  dem  Willen   der  Dichter  gewahrt. 

Der  Verlag  und  der  Herausgeber  danken  den  Dichtern  und 
den  in  den  bibliographischen  Bemerkungen  genannten  Ver- 
legern für  die  Genehmigung  zur  Aufnahme  der  Gedichte  in 
diese  Sammlung. 

Der  Verlag  Axel  Junker,  Berlin  gestattete  die  Reproduktion 
zweier  Zeichnungen  Meidners,  der  Verlag  Paul  Cassirer  die  Re- 
produktion einiger  Porträts  Kokoschkas  und  Meidners. 


3o2 


VERZEICHNIS 

NACH   DER 

REIHENFOLGE  DER  GEDICHTE 


STURZ  UND  SCHREI 

Jakob  van  Hoddis,  Weltende  3 

Georg  Heym,  Umbra  vitae  3 

Wilhelm  Klemm,  Meine  Zeit  4 

Johannes  R.  Becher,  Verfall  4 

Georg  Heym,  Der  Gott  der  Stadt  6 

Johannes  R.  Becher,  Berlin  7 

Alfred  Wolfenstein,  Städter  10 

Jakob  van  Hoddis,  Die  Stadt  10 

Alfred  Wolfenstein,  Bestienhaus  10 

Alfred  Lichtenstein,  Die  Dämmerung  1 1 

Ernst  Stadler,  Abendschluß  12 

Theodor  Däubler,  Diadem  i3 

Theodor  Däubler,  Flügellahmer  Versuch  i3 

Georg  Heym,  Die  Dämonen  der  Städte  i4 

Gottfried  Benn,  Kleine  Aster  i5 

Jakob  van  Hoddis,  Tristitia  ante  16 

Ernst  Stadler,  Tage  16 

Alfred  Wolfenstein,  Verdammte  Jugend  19 

Paul  Zech,  Fabrikstraße  tags  19 

Paul  Zech,  Sortiermädchen  20 

Paul  Zech,  Fräser  2i 

Alfred  Lichtenstein,  iSebel  22 

Alfred  Lichtenstein,  Der  Ausflug  22 
Theodor  Däubler,  Hätt'  ich  nur  ein  Fünkchen  Glück        22 

Albert  Ehrenstein,  So  schneit  auf  mich  die  tote  Zeit  20 

August  Stramm,  Untreu  2  4 

Theodor  Däubler,  Was?  24 

Theodor  Däubler,  Einsam  20 

Alfred  Lichtenstein,  Sommerfrische  26 

'Alfred  Wolfenstein,  Nacht  im  Dorfe  26 

Georg  Trakl,  De  Profundis  27 

Georg  Trakl,  Ruh  und  Schweigen  28 

Georg  Trakl,  In  den  Nachmittag  geflüstert  28 

3ocJ 


Albert  Ehrenslein,  Verzweiflung  28 
Albert  Ehrenstein,  Leid  29 
Albert  Ehrenstein,  Auf  der  hartherzigen  Erde  29 
Gottfried  Denn,  Der  junge  Hebbel  3o 
Alfred  Wolfenstein,  Die  gottlosen  Jahre  33 
Albert  Ehrenstein,  Der  Wanderer  33 
Kurt  Heynicke,  Erhebe  die  Hände  34 
Franz  Werfel,  Fremde  sind  wir  auf  der  Erde  alle  34 
Walter  Hasenclever,  Tritt  aus  dem  Tor,  Erscheinung  35 
Wilhelm  Klemm,  Philosophie  35 
August  Stramm,  Schwermut  36 
Albert  Ehrenstein,  Schmerz  36 
Albert  Ehrenstein,  Ich  bin  des  Lebens  und  des  Todes  müde  37 
'.  August  Stramm,  Verzweifelt  37 
Wilhelm  Klehim,  Lichter  37 
Kurt  Heynicke,  Gethsemane  38 
Albert  Ehrenstein,  Unentrinnbar  38 
Georg  Heym,  Der  Krieg  Sg 
Ernst  Stadler,  Der  Aufbruch  4o 
Walter  Hasenclever,  Die  Lagerfeuer  an  der  Küste  4i 
Franz  Werfel,  Der  Krieg  4i 
Albert  Ehrenstein,  Der  Kriegsgott  43 
Kurt  Ileynicke,  Das  Bild  44 
Albert  Ehrenstein,  Der  Berserker  schreit  45 
Wilhelm  Klemm,  Schlacht  an  der  Marne  45 
August  Stramm,  Wache  46 
August  Stramm,  Patrouille  46 
August  Stramm,  Sturmangriff  46 
Alfred  Lichtenstein,  Die  Schlacht  bei  Saarburg  46 
Albert  Ehrenstein,  Der  Dichter  und  der  Krieg  47 
Paul   Zech,  Musik  der  Sterne  47 
Georg  Heym,  Die  Heimat  der  Toten  49 
Franz  Werfel,  Der  Ritt  5i 
Gottfried  Benn,  Mami  und  Frau  gehn  durch  die  Krebs- 
baracke 53 
Georg  Heym,  Die  Morgue  54 
Albert  Ehrenstein,  Julian  57 
Georg  Trakl,  An  den  Knaben  Elis  58 
Georg  Trakl,  Elis  58 
Else  Lasker- Schüler,  Senna  Hoy  59 
Else  Lasker -Schüler,  Meiner  Mutter  60 

3o4 


Jakob  van  Hoddis,  Der  Todesengel  6i 

Georg  Heym,  Ophelia  62 

Albert  Ehrenstein,  Der  ewige  Schlaf  64 

Franz  Werfel,  Trinklied  67 

Georg  Trakl,  Helian  68 

Albert  Ehrenstein,  Die  Götter  71 

Franz  Werfel,  Warum  mein  Gott  7 4 

Franz  Werfel,  Wir  nicht  "^5 

ERWECKUNG  DES   HERZENS 

Alfred  Wolfenstein,  Das  Herz  79 

Franz  Werfel,  Der  dicke  Mann  im  Spiegel  79 

Paul  Zech,  Aus  den  Fenstern  eines  Kesselhauses  80 

Alfred  Lichtenstein,  Spaziergang  8r 

Ernst  Wilhelm  Lotz,  Glanzgesang  82 

Franz  Werfel,  Der  schöne  strahlende  Mensch  83 

Ernst  Wilhelm  Lotz,  Ich  flamme  das  Gaslicht  an  .  .  .  84 

Walter  Hasenclever,  Gasglühlicht  summt  84 

Walter  Hasenclever,  Die  Nacht  fällt  scherbenlos  85 

Walter  Hasenclever,  Oft  am  Erregungsspiel  85 

Walter  Hasenclever,  Kehr  zu  mir  zurück,  mein  Geist  86 

Gottfried  Benn,  D-Zug  86 
Rene  Schickele,  Bei  der  Einfahrt  in  den  Hafen  von  Bombay       87 

Walter  Hasenclever,  Der  Gefangene  87 

Rene  Schickele,  Die  Leibwache  88 

Walter  Hasenclever,  Der  Schauspieler  go 

Franz  Werfel,  Hekuba  go 

Gottfried  Benn,  Karyatide  go 

Alfred  Lichtenstein,  Mädchen  92 

Johannes  R.  Becher,  Aus  den  Gedichten  um  Lotte  92 

Ernst  Wilhelm  Lotz,  Wir  fanden  Glanz  gS 

Ernst  Wilhelm  Lotz,  Und   schöne   Raubtierflecken  g3 

Else  Lasker-Schüler,  Ein  Lied  der  Liebe  gS 

Else  Lasker-Schüler,  Mein  Liebeslied  g5 

August  Stramm,  Blüte  g5 

August  Stramm,  Wunder  g6 

Ernst  Stadler,  In  der  Frühe  97 

Wilhelm  Klemm,  Bekenntnis  97 

August  Stramm,  Dämmerung  g8 

August  Stramm,  Abendgang  gg 

Johamies  R.  Becher,  Abendgebet  um  Lotte  gg 

on  3o5 


Kurt  Heynicke,  In  der  MItt«  der  Nacht 
Else  Lasker-Schüler,  Doktor  Benn 
Albert  Ehrenstein,  Verlassen 
Else  Lasker-Schüler,  Ein  Lied 
Else  Lasker-Schüler,  Abschied 
Else  Lasker-Schüler,  Versöhnung 
Walter  Hasenclever,  Begegnung 
Georg  Heym,  Deine  Wimpern,  die  langen  .  . . 
Franz  Werf  el.  Als  mich  dein  Wandeln  an  den  Tod  verzückte 
Theodor  Däubler,  Der  Atem  der  Natur 
Johannes  R.  Becher,  Der  Wald 
Iwan  Goll,  Wald 
Paul  Zech,  Der  Wald 
Theodor  Däubler,  Die  Buche 
Wilhelm  Klemm,  Der  Baum 
Georg  Heym,  Der  Baum 
Theodor  Däubler,  Der  Baum 

Theodor  Däubler,  Millionen  Nachtigallen  schlagen 
August  Stramm,  Vorfrühling 
Ernst  Stadler,  Vorfrühling 
Wilhelm  Klemm,  Herbst 
Georg  Trakl,  Der  Herbst  des  Einsamen 
Ernst  Wilhelm  Lotz,  In  gelben  Buchten 
Theodor  Däubler,  Winter 
Wilhelm  Klemm,  Ausgleich 
Jakob  van  Hoddis,  Morgens 
Rene  Schickele,  Sonnenuntergang 
Rene  Schickele,  Der  Knabe  im  Garten 
Theodor  Däubler,  Dämmerung 
Alfred  Lichtenstein,  In  den  Abend 
Paul  Zech :  Die  Häuser  haben  Augen  aufgetan  . . . 
Georg  Trakl,  Abendlied 
Georg  Heym,  Alle  Landschaften  heiben 
Albert  Ehrenstein,  Abendsee 
Albert  Ehrenstein,  Friede 
Rene  Schickele,  Mondaufgang 
Georg  Heym,  Mond 
Gottfried  Benn,  0,  Nacht  — 
August  Stramm,  Traum 
Ernst  Stadler,   Fahrt   über   die   Kölner   Rheinbrücke  bei 
Nacht  137 

3o6 


Theodor  Däubler,  Überraschung  129 

Georg  Trakl,  Sebastian  im  Traum  i33 

Wilhelm  Klemm,  Betrachtungen  .•  i34 

Franz  Werfel,  Die  Träne  i35 

Franz  Werfel,  Gesang  i36 

Gottfried  Benn,  Gesänge  i36 

Gottfried  Benn,  Synthese  137 

Iwan  Goll,  Karawane  der  Sehnsucht  137 

Franz  Werfel,  Ballade  von  Wahn  und  Tod  i38 

Wilhelm  Klemm,  Aufsuchung  i/jo 

Wilhelm  Klemm,  Erscheinung  i4i 

Georg  Heym,  Mit  den  fahrenden  Schiffen  i4i 

Johannes  R.  Becher,  Klage  und  Frage  i^a 

Ernst  Stadler,  Der  Spruch  i45 

Franz  Werfel,  Ich  habe  eine  gute  Tat  getan  i46 

Theodor  Däubler,  Oft  i47 

Else  Lasker-Schüler,  An  Gott  i48 

Else  Lasker-Schüler,  Zebaoth  i48 

Else  Lasker-Schüler,  Abraham  und  Isaak  i48 

Ernst  Stadler,  Anrede  i49 

Wilhelm  Klemm,  Sehnsucht  i49 

Paul  Zech,  Ich  ahne  dich  i5o 

Ernst  Stadler,   Zwiegespräch  i5i 

August  Stramm,  Allmacht  i52 

Wilhelm  Klemm,  Reifung  i52 

Karl  Otten,  Gott  i53 

Kurt  Heynicke,  Lieder  an  Gott  i54 

Kurt  Heynicke,  Gedicht  i55 

Rene  Schickele,  Ode  an  die  Engel  i56 

Franz  Werfel,  Ich  bin  ja  noch  ein  Kind  i58 

AUFRUF    UND   EMPÖRUNG 

Johannes  R.Becher,  Vorbereitung  i63 

Walter  Hasenclever,   Der  politische  Dichter  i64 

Franz  Werfel,  Aus  meiner  Tiefe  167 

Karl  Otten,  Des  Tagdomes  Spitze  169 

Wilhelm  Klemm,  Phantasie  170 

Alfred  Wolfenstein,  Glück  der  Äußerung  171 

Theodor  Däubler,  Mein  Grab  ist  keine  Pyramide  172 

Kurt  Heynicke,  Aufbruch  173 

Walter  Hasenclever,  Mein  Jüngling,  du  173 


00 


Ernst  Wilhelm  Lotz,  Aufbruch  der  Jugend  174 

Rene  Schickele,  Der  rote  Stier  träumt  177 

Karl  Otten,  Arbeiter!  181 

Paul  Zech,  Die  neue  Bergpredigt  i84 

Rene  Schickele,  Großstadtvolk  187 

Paul  Zech,  Mai-Nacht  t88 

Ludwig  Rubiner,  Die  Stimme  188 

Johannes  R.  Becher,  An  die  Zwanzigjährigen  ig3 

Alfred  Wolfenstein,  Chor  198 

Alfred  Wolfenstein,  Kameraden  198 

Karl  Otten,  Für  Martinel  198 

Karl  Otten,  Die  Tluronerhebung  des  Herzens  200 

Walter  Hasenclever,  Jaures  Tod  208 

Walter  Hasenclever,  Jaures  Auferstehung  208 

Ludwig  Rubiner,  Die  Engel  2o4 

Ludwig  Rubiner,  Denke  2o5 

Rudolf  Leonhard,  Der  seraphische  Marsch  306 

Walter  Hasenclever,  1917  207 

Franz  Werfel,  Revolutionsaufruf  21  j 

Johannes  R.  Becher,  Mensch  stehe  auf  211 

Walter  Hasenclever,  Schon  aus  roten  Kasematten  2i5 

Alfred  Wolfenstein,  Der  gute  Kampf  216 

Johannes  R.  Becher,  Ewig  im  Aufruhr  219 
Rudolf  Leonhard,  Prolog  zu  jeder  kommenden  Revolution  221 

Johannes  R.  Becher,  Eroica  228 

Johannes  R.  Becher,  Klänge  aus  Utopia  226 

Kurt  Heynicke,  Volk  229 

Else  Lasker- Schüler,  Mein  Volk  229 

Iwan  Goll,  Noemi  280 

Ludwig  Rubiner,  Der  Mensch  284 

Kurt  Heynicke,  Mensch  285 

Franz  Werfel,  Der  gute  Mensch  286 

LIEBE  DEN  MENSCHEN 

Franz  Werfel,  An  den  Leser  289 

Wilhelm  Klemm,  Einleitung  289 

Paul  Zech,  An  meinen  Sohn  2I10 

Franz  Werfel,  Vater  und  Sohn  2/48 

Walter  Hasenclever,  Die  Todesanzeige  2^4 

Wilhelm  Klemm,  Der  Bettler  244 

Albert  Ehrenstein,  Hoffnung  2  45 

3o8 


Else  Lasker  -  Schüler,  Und  suche  Gott  2/16 

Franz  Werfel,  Eine  alte  Frau  geht  346 

Johannes  R.  Becher,  Hymne  auf  Rosa  Luxemburg  2/17 

Rudolf  Leonhard,  Der  tote  Liebknecht  2^9 

Iwan  Goll,  Schöpfung  2  5o 

Alfred  VVolfenstein,  Hingebung  des  Dichters  281 

Franz  Werfel,  Lächeln  Atmen  Schreiten  262 

Rene  Schickele,  Hellige  Tiere  . .  .1  2  53 

Georg  Heym,  Die  Seefahrer  204 

Iwan  Goll,  Der  Panama-Kanal  2  54 

Karl  Otten,  An  die  Besiegten  257 

Alfred   Wolfenstein,  Andante  der   Freundschaft  269 

Kurt  Heynicke,  Freundschaft  268 

Ludwig  Rubiner,  Die  Ankunft  268 

Alfred  Wolfenstein,  Die  Friedensstadt  266 

Wilhelm  Klemm,  Ergriffenheit  268 

Wilhelm  Klemm,  Erfüllung  268 

Rene  Schickele,  Pfingsten  269 

Rene  Schickele,  Abschwur  269 

Franz  Werfel,  Das  Maß  der  Dinge  270 

Ernst  Stadler,  Form  ist  Wollust  271 

Theodor  Däubler,  Der  stumme  Freund  271 

Johannes  R.  Becher,  Die  Insel  der  Verzweiflung  272 

Iwan  Goll,  Wassersturz  272 

Theodor  Däubler,  Es  sind  die  Sonnen  und  Planeten  278 

Rudolf  Leonhard,  Abendlied  275 

Walter  Hasenclever,  Gedichte  276 

Walter  Itasenclever,  Auf  den  Tod  einer  Frau  277 

Else  Lasker -Schüler,  Gebet  277 

Franz  Werfel,  Veni  creator  spiritus  278 
Theodor  Däubler,  Der  Mensch  ist  eine  welke  Klette       281 

Kurt  Heynicke,  Gesang  282 

Franz  Werfel,  Ein  geistliches  Lied  282 

Franz  Werfel,  Die  Leidenschaftlichen  288 

Paul  Zech,  Das  ist  die  Stunde  284 

Wilhelm  Klemm,  Einheit  286 

Georg  Trakl,  Gesang  des  Abgeschiedenen  286 

Walter  Hasenclever,  Du  Geist,  der  mich  verließ  287 

Kurt  Heynicke,  Psalm  286 

Franz  Werfel,  Ein  Lebenslied  287 


Sog 


VERZEICHNIS  DER  GEDICHTE 

NACH  DER 

ALPHABETISCHEN  FOLGE  DER  DICHTER 


BECHER,  JOHANNES  R. 

Verfall k 

Berlin 7 

Aus  den  Gedichten  um  Lolte 92 

Abendgebet  um  Lotte 99 

Der  Wald 108 

Klage  und  Frage i/ia 

Vorbereitung i63 

An  die  Zwanzigjährigen 198 

Mensch  stehe  auf! 211 

Ewig  im  Aufruhr 219 

Eroica 228 

Klänge   aus   Utopia 226 

Die  Insel  der  Verzweiflung 2/42 

Hymne  auf  Rosa  Luxemburg 247 

BENN, GOTTFRIED 

Kleine  Aster i5 

Der  junge  Hebbel 3o 

Mann  und  Frau  gelm  durch  die  Krebsbaracke  ....  53 

D-Zug 86 

Karyatide 91 

0  Nacht 125 

Gesänge i36 

Synthese 187 

DÄUBLER,  THEODOR 

Diadem i3 

Flügellahmer  Versuch i3 

Hätt'  ich  nur  ein  Fünkchen  Glück 28 

Was? 24 

Einsam 2  5 

Überraschung 129 

Der  Atem  der  Natur io8 

Die  Buche m 

3io 


Der  Baum ii3 

Millionen  Nachtigallen  schlagen ii5 

Winter 119 

Dämmerung 121 

Oft ikk 

Mein  Grab  ist  keine  Pyramide 172 

Der  stumme  Freund 271 

Es  sind  die  Sonnen  und  Planeten 278 

Der  Mensch  ist  eine  welke  Klette 281 

EHRENSTEIN,  ALBERT 

So  schneit  auf  mich  die  tote  Zeit a3 

Verzweiflung 28 

Leid 29 

Auf  der  hartherzigen  Erde 29 

Der  Wanderer 33 

Schmerz 36 

Ich  bin  des  Lebens  und  des  Todes  müde 37 

Unentrinnbar 38 

Der  Kriegsgott A3 

Der  Berserker  schreit 45 

Der  Dichter  und  der  Krieg 47 

Julian 57 

Der  ewige  Schlaf 64 

Die   Götter 71 

Verlassen loi 

Abendsee 123 

Friede i23 

Hoffnung 3  45 

GOLL,  IWAN 

Wald HO 

Karawane  der   Sehnsucht 187 

Noemi 2  3o 

Schöpfung 249 

Der  Panamakanal 2  54 

Wassersturz 272 

HASENCLEVER,  WALTER 

Tritt  aus  dem  Tor,  Erscheinung 35 

Die  Lagerfeuer  an  der  Küste 4i 

3ii 


Gasglühlicht  summt 84 

Die  Nacht  fällt  scherbenlos 85 

Oft  am  Erregungsspiel ,    ^^ 

Kehr  mir  zurück  mein  Geist 86 

Der  Gefangene 87 

Der  Schauspieler 90 

Begegnung io5 

Der  politische  Dichter i64 

Mein  Jüngling,  Du 173 

Jaures  Tod 2o3 

Jaures  Auferstehung 2o3 

1917         2°7 

Schon  aus  roten  Kasematten 2i5 

Die  Todesanzeige 244 

Gedichte        276 

Auf  den  Tod  einer  Frau 277 

Du  Geist,  der  mich,  verließ 287 

HEYM,  GEORG 

Umbra  vitae 3 

Der  Gott  der  Stadt 6 

Die  Dämonen  der  Städte i4 

Der  Krieg 30 

Die  Heimat  der  Toten 49 

Die  Morgue 55 

Ophelia 62 

Deine  Wimpern,  die  langen 106 

Der  Baum 112 

Alle  Landschaften  haben I23 

Mond 124 

Mit  den  fahrenden  Schiffen i4t 

Die  Seefahrer 254 

HEYNIGKE,  KURT 

Erhebe  die  Hände 34 

Gethsemane 38 

Das  Bild 44 

In  der  Mitte  der  Nacht 100 

Lieder  an  Gott i54 

Gedicht    .     .     .: i55 

Aufbruch 17^ 

3l2 


Volk         229 

Mensch 235 

Freundschaft 268 

Gesang 282 

Psalm 286 

HODDIS,  JAKOB  VAN 

Weltende 3 

Die  Stadt 10 

Tristitia  ante 16 

Der  Todesengel 6i 

Morgens 119 

KLEMM, WILHELM 

Meine   Zeit 4 

Philosophie  .     .     .     .  • 35 

Lichter 87 

Schlacht  an  der  Marne 45 

Bekenntnis 97 

Der  Baum 112 

Herbst 117 

Ausgleich 119 

Betrachtungen i34 

Aufsuchung i4o 

Erscheinung i4i 

Sehnsucht i49 

Reifung i52 

Phantasie 170 

Einleitung 289 

Der  Bettler 244 

Ergriffenheit 268 

Erfüllung 268 

Einheit 285 

LASKEH-SCHÜLER,  ELSE 

Senna  Hoy 59 

Meiner  Mutter 60 

Ein  Lied  der  Liebe 9^ 

Mein  Liebeslied 95 

Doktor  Benn 100 

Ein  Lied ^02 

3i3 


Abschied 102 

Versöhnung io4 

An  Gotl i48 

Zebaoth i48 

Abraham  und  Isaak i48 

Mein   Volk 229 

Und  suche  Gott 2  45 

Gebet 277 

LEONHARD, RUDOLF 

Der  seraphische  Marsch 206 

Prolog  zu  jeder  kommenden  Revolution 221 

Der  tote  Liebknecht 249 

Abendlied 275 

LICHTENSTEIN,   ALFRED 

Die  Dämmerung 11 

Nebel 22 

Ausflug 22 

Sommerfrischö 26 

Die  Schlacht  bei  Saarburg 46 

Spaziergang 82 

Mädchen 92 

In  den  Abend 121 

LOTZ,  ERNST  WILHELM 

Glanzgesang 82 

Ich  flamme  das  Gaslicht  an 84 

Wir  fanden  Glanz qS 

Und  schöne  Raubtierflecken 98 

In  gelben  Buchten 118 

Aufbruch  der  Jugend 174 

OTTEN,KARL 

Gott i53 

Des  Tagdomes  Spitze 169 

Arbeiter! 181 

Für   Martinet igß 

Die  Thronerhebung  des  Herzens 200 

An  die  Besiegten 267 

3i4 


KUBINER,    LUDWIG 

Die  Stimme i8i 

Die  Engel 2o4 

Denket          2o5 

Der  Mensch 234 

Die  Ankunft 268 

SCHICKELE,  RENß 

Bei  der  Einfahrt  in  den  Hafen  von  Bombay 87 

Die  Leibwache 88 

Sonnenuntergang 120 

Der  Knabe  im  Garten 121 

Mondaufgang i24 

Ode  an  die  Engel i56 

Der  rote  Stier  träumt 177 

Großstadtvolk 187 

Heilige   Tiere   ...I 2  53 

Pfingsten 269 

Abschwur 269 

STADLER,    ERNST 

Abendschluß 12 

Tage 16 

Der  Aufbruch 4o 

In  der  Frühe 97 

Vorfrühling 117 

Fahrt  über  die  Kölner  Rheinbrüoke  bei  ISacht  .     .     .  127 

Der  Spruch i45 

Anrede i49 

Zwiegespräch i5i 

Form  ist  Wollust 271 

STRAMM, AUGUST 

Untreu 2  4 

Schwermut 36 

Verzweifelt 37 

Wache 46 

Patrouille 46 

Sturmangriff 46 

Blüte 95 

Wunder 96 

3i5 


Dämmerung 98 

Abendgang 99 

Vorfrühling 116 

Traum 126 

Allmacht 102 

TRAKL,  GEORG 

De  Profundis 27 

Ruh  und  Schweigen 28 

In  den  Nachmittag  geflüstert 28 

An  den  Knaben  Elis 58 

Elis 58 

Helian 68 

Der  Herbst  des  Einsamen 118 

Abendlied 122 

Sebastian  im  Traum i38 

Gesang   des   Abgeschiedenen 286 

WERFEL,  FRANZ 

Fremde  sind  wir  auf  der  Erde  alle 3;^ 

Der  Krieg 4i 

Der  Ritt 5i 

Trinklied 61 

Warum   mein  Gott ^4 

Wir  nicht "yS 

Der  dicke  Mann  im  Spiegel 79 

Der  schöne  strahlende  Mensch 83 

Hekuba 90 

Als  mich  dein  Wandeln  an  den  Tod  verzückte  .  107 

Die  Träne i35 

Gesang i36 

Ballade  von  Wahn  und  Tod i38 

Ich  habe  eine  gute  Tat  getan i46 

Ich  bin  ja  noch  ein  Kind i58 

Aus   meiner  Tiefe 167 

Revolutionsaufruf 211 

Der  gute  Mensch 236 

An  den  Leser 239 

Vater  und  Sohn 2^3 

Eine  alte  Frau  geht 2  56 

Lächeln  Atmen  Schreiten        262 

3i6 


Das  Maß  der  Dinge 270 

Veni  Creator  spiritus 270 

Ein  geistliches  Lied 282 

Die  Leidenschaftlichen 288 

Ein  Lebenslied 287 

WOLFENSTEIN,   ALFRED 

Städter 10 

Bestienhaus 10 

Verdammte  Jugend 19 

Nacht  im  Dorfe 26 

Die  gottlosen  Jahre 33 

Das  Ilerz 719 

Glück  der  Äußerung 171 

Chor ig3 

Kameraden iq3 

Der  gute  Kampf 216 

Hingebung  des  Dichters 25i 

Andante  der  Freundschaft 259 

Die  Friedensstadt 266 

ZECH, PAUL 

Fabrikstraße  tags 19 

Sorlicrmädchen 20 

Fräser 21 

Musik  der  Sterne ^7 

Aus  den  Fenstern  eines  Kesselhauses 80 

Der  Wald 1 1 1 

Die  Häuser  haben  Augen  aufgetan 121 

Ich  ahne  Dich i5o 

Die  neue  Bergpredigt 181 

Mai-Nacht 188 

An  meinen  Sohn 2/io 

Das  ist  die  Stunde 284 


Gedruckt  bei  Poeschel  dl  Trepte  in  Leipzig 


ERNST  ROWOHLT  VERLAG/    BERLIN  W35 


Walter  Hasenclever 

DER  RETTER 

Dramatische    Dichtung 
Geheftet  M  5.60  Gebunden  M  5.40 

Walter  Hasenclever 

DER  POLITISCHE  DICHTER 

(Umsturz  und  Aufbau,  Heft  2) 
Geheftet  M  1.20 

Johannes  R.  Becher 

EWIG  IM  AUFRUHR 

(Umsturz  und  Aufbau,   Heft  7) 
Geheftet  M  1.20 

Rudolf  Leonhard 

KAMPF  GEGEN  DIE  WAFFE! 

(Umsturz  und  Aufbau,  Heft  5) 
Geheftet  M  1.20 

Rudolf  Leonhard 

ALLES   UND  NICHTS! 

Aphorismen 
Geheftet  M  8.50  Gebunden  M  12.50 


ERNST  ROWOHLT   VERLAG  /  BERLIN  W  35 
Martin  Beradt 

DIE  VERFOLGTEN 

Geheftet  M  8.50,  gebunden  M  12.50,  in  Halbleder  M20. — 
Max  Krell 

DIE  MARINGOTTE 

Roman 

Umschlagzeichung  von  Rudolf  Großmann 

Geheftet  M  8.50,  gebunden  M  12.50,  in  Halbleder  M20. — 

Louis  Couperus 

BABEL 

Deutsch  von  Else  Otten 

Umschlaglithographie  von  Adolf  Propp 

Geheftet  M  8.50,  gebunden  M  12.50,  in  Halbleder  M20. — 

Hermann  Kesser 

DIE  STUNDE 
DES  MARTIN  JOCHNER 

Roman  aus  der  vorletzten  Zeit 
Geheftet  M  5. —  Gebunden  M  8, — 

Hermann  Kesser 

SUMMA    SUMMARUM 

Tr a  gikomödie 
Geheftet  M  4.50  Gebunden  M  7. — 


BEI    KURT  WOLFF  VERLAG   /  MÜNCHEN 


sind  von  den  Mitarbeitern  dieses  Buches   erschienen: 


JOHANNES  R.  BECHER 

An  Europa.    Gedichte 

Päan  gegen  die  Zeit.   Gedichte 

Verbrüderung.   Gedichte 

* 

GOTTFRIED    RENN 

Gehirne.  Novellen 

• 

IWAN    GOLL 

Dithyramben 

* 

WALTER  HASENCLEVER 

Der  Jüngling.   Gedichte 

Der  Sohn.  Drama 

Tod    und    Auferstehung.     Neue 

Gedichte 

Das  unendHche  Gespräch.  Eine 

nächtliche   Szene 

* 

GEORG   HEYM 

Der  Dieb.  Novellen 

Der  ewige   Tag.  Gedichte 

ümbra  vitae.  Gedichte  aus  dem 

Nachlaß 

* 

KURT  HEYNICKE 

Das  namenlose   Angesicht 

Gedichte 

WILHE  I.M   KLEMM 

Ergriffenheit.  Gedichte 

• 

ELSE   LASKER-SCHÜLER 

Gedichte 


ERNST  WILHELM  LOTZ 
Wolkenüberflaggt.  Gedichte 
• 
KARL    OTTEN 
Der  Sprung  aus  dem  Fenster 
Erzählungen 
* 
LUDWIG    RUBINER 
Das  Ipmmlische  Licht.  Gedichte 
• 
ERNST  STADLER 
Der  Aufbruch.  Gedichte 
* 
GEORG   TRAKL 
Die  Dichtungen,  Erste  Gesamt- 
ausgabe 
Gedichte 
Sebastian  im  Traum.    Gedichte 
• 
FRANZ   WERFEL 
Der  Weltfreund.  Gedichte 
Wir  sind.  Neue  Gedichte 
Einander.  Oden  —  Lieder — Ge- 
stalten 

Der  Gerichtstag.   Gedichte 
Die  Versuchung.   Ein  Gespräch 
Gesänge    aus  den   drei   Reichen 

(Ausgewählte  Gedichte) 
Nicht  der  Mörder,  der  Ermor- 
dete ist  schuldig 
• 
ALFRED  WOLFENSTEIN 
Die   Nackten.  Eine  Dichtung 


RUDOLF    LEONHARD 

Polnische  Gedichte 
Äonen  des  Fegefeuers.  Aphoris- 


.men 


PAUL   ZECH 

Der  schwarze  Baal.  Novellen 

Terzett  der  Sterne.  Sonette 

Die   eiserne  Brücke.    Gedichte 


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