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- Georg Friedrich Meierd,
öffentlichen ordentlichen Lehrers der Weltweisheit zu Halle,
und der Föniglichen Academie der Wiffenfchaften
in Derlin Mitgliedes,
Metaphyſi
Dritter Theil.
Schbucn ei Beroc
Mit koͤnigl. Pohl. und Churfuͤrſtl. Sachf. allergnädigfter Freyheit,
ERREICHTE HR I A
HAELE,
bey Johann Zuftinus Gebauer,
RZ
Die
Pſychologie.
Einleitung
die Pſychologie.
2 8: ar 9
* —* ED $. 471
Dr H CAR: die Metaphyſik, Die allererften
2 fi © T Grundfäge der ganzen menfchlichen
4:
ie} NS
— >> NY 2 Erfenntniß, abbandelt; fo muß fie,
AAN ihrer Natur nach, von allen mögli=
x & & ben Dingen handeln. Sie muß
| alfo folche Unterfuchungen anftellen,
welche auf alle mögliche Dinge angewendet werden Fönnen,
und es muß fein Ding möglich ſeyn, von welchem nicht
vieles von demjenigen gefagt werden Fünte, was in der
Metaphyſik abgehandelt wird. Mun find alle mögliche
Dinge entweder abftracte und allgemeine, oder es find ein-
zelme Dinge. Don den erften handelt die Dntologie, was
die allgemeinern Claffen derfelben betrift. Die einzelnen
Dinge find entweder unendlich, oder endlich und zufällig.
Bon dem unendlichen Dinge handelt die Metaphyſik, in
der natürlichen Gottesgelahrheit. Was aber die endlichen
Dinge betrift, fo ift von ihnen, in fo ferne fie, Durch ihre
3 ver⸗
6 Einleitung
verfchiedenen Verbindungen unter einander, Die verſchiede—
nen möglichen Welten ausmachen, in der Cofmologie ge-
handelt worden. Nun giebt es, in Abfiht au) die menſch—
lihe Erfenntnif, und die Brauchbarfeit derfelben, fonder-
lich ein Paar Arten der endlichen Dinge, mit denen fic) Die
menfäliche Erfenntniß ungemein vielfältig beſchaͤftiget,
nemlich die Körper und die endlichen Geifter. Bon den
Körpern handelt die Cofmologie, was Diejenigen Unterfu-
ungen derfelben betrift, die metaphyſiſch find: denn die
übrigen gehören in die phufifchen Wiſſenſchaften. Nun
find noch die endlichen Geifter übrig, und von denen han-
delt die Pfychologie, welche die dritte Wiffenfchaft der Me-
taphyſik it, Wer von den endlidyen Geiftern, und infon=
derheit von der menfchlihen Seele, gründlich handeln will,
der muß die Wahrheiten der Ontologie und Cofmologie
voraus feßen. Die Ontologie enthält die erften Grundfäge
eller Wiftenfchaften, und alfo auch der Pſychologie, und
in der Cofmologie werden diejenigen erften Grundſaͤtze uns
£erfucht, auf welche alle Diejenigen Wiſſenſchaften auf eine
nähere Art gegründet find, die von endlichen Dingen ing-
befonbere handeln. Da nun die Pſychologie von einer ge-
wiſſen Art der endlichen Dinge handelt, fo feßt fie ihrer
Matur nach nicht nur die Ontologie, fondern auch die
Eofmologie voraus, und folgt alfo in der Metaphnfif auf
beyde iegtgenannte Wiffenfihaften. Es würde eine groffe
UnbequemlichFfeit verurfachen, wenn man die Pfychologie
aus der Metaphyſik heraus reiffen, und fie als eine befon-
dere Wiffenfchaft abbandeln wolte. Man müfte entweder
in ihr Feine Gründlichfeit fuchen, oder man müfte unend-
lich viele ontologifche und cofmologifche Wahrheiten ihr
-einverleiben, und da würde fie gar zu weitläuftig werden,
Einige handeln von der Seele in der Maturlehre, weil fie
biefe als eine Wiſſenſchaft betrachten, die von den Na—
turen der Dinge handelt, Allein diefes ftreitet wider die
angenommene Erflärung der Naturlehre, indem man durch
Defelbe die Wiflenfchaft von den Naturen der Körper ver-
fteht.
in die Pfychologie. 7?
ſteht. Da nun die Natur der Geifter und der Seelen un—
endlich weit, von der Matur der Körper, verfchieden ift;
fo muß fie nach ganz andern Grundfägen beurtheilt wer-
den’, als die Natur der Körper, und es ift demnach ein
ungefchiftes Unternehmen, wenn man in einer und eben
derfelben Wiffenfchaft von der Natur der Körper und Gei-
fter zugleich handeln will,
$. 472%
Die Pfychologie ift die Wiffenfchaft von den Prä-
dicaten der Seele, die fie mit andern Seelen und Dingen
gemein hat: ober man fan auch fagen, daß fie von denje—
nigen Prädicaten der menfchlichen Seele handelt, die fie
mit andern gemein hat. Es fomt bey diefer Erklärung
vornemlich auf die genaue Beftimmung des Gegenftandes
an, von welchem die Pſychologie handeln fol. Und da
müffen wir zweyerley bemerken. Einmal handelt, die Pfy-
chologie, von der Seele. Wir nennen eine iedwede den—
kende Subftanz, die mit einem Körper in der genaueften
Berbindung fteht, eine Seele, wie aus dem folgenden er—
hellen wird. Da mir nun zeigen werden, daß alle endliche
Geifter mit Körpern vereiniget find, fo verftehen wir durch _
die Seelen alie endliche Geifter, alle menfchlihe Seelen,
und die Seelen aller vernünftigen und unvernünftigen
Thiere. Unterdeſſen handelt die Pſychologie, vornemlich
und am meitläuftigiten, von der menfchlichen Seele; weil
wir von den übrigen endlichen Geiftern und Seelen, auffer:
demjenigen, was fie mit der menfchlichen Seele gemein ha-
ben, wenig oder gar nichts mwiffen. Ks hat Weltweife
gegeben, welche den Weg der Erfahrung verlaften, und
eine Geifterlehre erfonnen haben, welche nichts anders als
ein philofophifcher Roman ift, weil fie auf lauter willführ-
lichen Begriffen berubet. Man hat in diefer Geifterlehre
um fo viel dreiſter lügen koͤnnen, weil man nicht im Stan:
de ift, dieſe Lügen, wenn fie mit Wahrfcheinlichkeit erfon-
nen worden, ganz und deutlich zu widerlegen. Allein die
neuern Weltweiſen haben erkannt, daß man am ficherften,
44 zur
8 Einleitung
zur Erkenntniß der endlichen Geifter, auf dem Wege der
Erfahrung gelange. Nun fonnen wir Feine Erfahrung
von den endlichen Geiſtern, als von unferer eigenen Geele,
erlangen, An ftat alfo die Geifterlehre abzubandeln, und
in derfelben die Pfychologie, ift es viel ficherer, wenn man
von der menfchlichen Seele handelt, weil wir unendlich
viel von derfelben aus der eigenen Erfahrung wiſſen. Und
wenn man die menfchliche Seele hat Fennen lernen, fo Fan
man bernach die übrigen denfenden Subftanzen in der
belt doch beffer Fennen lernen, als wenn man die Kennt:
niß der menfchlichen Seele nicht vorausſetzt. Wir han
deln alfo in ver Pſychologie vornemlich von der menfchli:
chen Seele, und hernach auch zugleich von den übrigen
endlichen Geiftern, und den Seelen aller vernünftigen und
unvernünftigen Thiere. Zum andern handelt die Pſycho—
logie nicht etrva von diefer und jener einzelnen Seele, und
demjenigen, was ihr vor allen übrigen Seelen eigenthüms
lich und allein zufome. Sondern fie handelt theils von
denyenigen, was allen Seelen und endlichen Geittern ohne
Ausnahme zufomt, theils von demjenigen, was den mei:
ſten derfelben zufomt, theils auch von einigen folchen Praͤ—
Dicaten, von denen man nicht einmal weiß, daß fie den
meiften Geelen zukommen, wenn es nur nicht foiche Pra-
Dicate find, Die einer einzigen Seele allein und eigenthuͤm—
lich zufommen,
$. 47. |
Wir fagen, daß die Pfychologie eine Wiffenfchaft fen,
und wir machen uns alfo dadurch anbeifchig, fie als eine
Wiffenfchaft abzubandeln. Folglich müffen wir alles, was
wir von der Seele fagen werden, aufs deutlichſte erflären,
ordentlich mit einander verbinden, eins aus dem andern
herleiten, und gründlich aus unumſtoͤßlichen Grundfägen
herleiten, und zur gröften Gewißheit bringen, deren eine
menfchliche Erkenntniß fabig it. Es fan freylich vieles
ın der Pfychologie vorfommen, welches wir fo deutlich und
gewiß zu erkennen nicht vermögend find. Allein alle Wiſ—
fenfchaften
in die Pfychologie. 9
fenfchaften enthalten dergleichen unvollfommene Theile,
und daraus folgt nichts weiter, als daß die Pfychologie
von den Weltweifen noch nicht zu der gröften Bollfommen-
heit gebracht worden. Es wird demnac) auf die Probe
anfommen, ob die Pſychologie fich als eine Wiffenfchafe
im ftrengiten Verſtande werde abhandeln laffen. Es gibt
Leute, welche dieſes in Zweifel ziehen, und zwar um eines
-doppelten rundes willen. Einmal fagen fie, fey die Pfy-
chologie eine fo fehwere Wiffenfchaft, Daß, wenn es ja noch
möglich feyn folte, nach unendlicher Mübe zu einer wab-
ren Wilfenfchaft in derfelben zu gelangen, es doch nicht
der Mühe wereh ſey. Es fey demnach nicht zu ratben,
eine fo fehmere Wiſſenſchaft zu unterfuchen, da man mit
leichterer Mühe andere Wiſſenſchaften abbandeln Fünne,
Allein wenn man auch annehmen wolte, Daß Die Pſycholo—
gie fo ausnehmend ſchwer ſey, wie man vorgibt, fo folge
daraus noch nicht, daß man fich durch diefe Schwierigfei-
ten müffe abfchrecfen laffen. Sondern es komt hier dar-
auf an, ob fie folche ungemein nüßliche und wichtige Wahr:
beiten enthalte, welche die angewandte Mühe reichlich be-
lohnen, Und hernach geben wir gerne zu, daß diefe Wiſ—
fenfchaft fehr fehmere Unterfuchungen enthalte, z. E. obdie-
Seele einfach oder materiel fey, ob fie nach) dem Tode des
Menfchen einen andern Körper befommen werde, und mas
dergleichen mehr it. Allein das wenigfte in derfelben ift
von folder Schwierigfeit. Die allermeiften und nüßlich-
ften Unterfuchungen in derfelben find fehr leicht, weil fie
auf unferer eigenen Erfahrung beruhen. Zum andern fa-
gen einige Weltweife, daß die Pfnchologie eine dem Men-
fehen unmögliche Wiffenfchaft fen. Die Seele fey ein fol-
ches verborgenes Wefen, daß wir Menfchen nicht in Stan-
de fenn, irgends etwas yon derfelben mit Deutlichfeit und
Gewißheit zu erfennen. Dieſe Weltweiſe pflegen diefen
Gedanfen, mit vieler Beredfamfeit, auszudehnen. Sie
ftellen die engen Grenzen des menfehlichen Verſtandes aufs
lebhaftefte vor, und fie berufen fich, zur Beftätigung ihrer
A5 allge—
10 Einleitung
allgemeinen Ausrufungen, auf einige ſpitzfuͤndige Fragen
von der Natur und dem Weſen der menſchlichen Seele,
welche wir Menſchen aufzulöfen freylich nicht, im Stande
find. Allein folche allgemeine Borwürffe beweifen nichts.
Wer geindlich zeigen wit, daß die Pfychologie eine uns
Menfchen unmögliche Wirfenfchaft fen, der muß nicht
bloß zeigen, daß manche Dinge in derfelben vorfommen,
die wir nicht mit gehöriger Deutlichfeit und Gewißheit
entfcheiden koͤnnen; fondern er muß diefe Wiflenfchaft
Sat für Saß durchgehen, und zeigen, daß alles, was
in derfelben gelehrt wird, dunkel, unveritandlich, falſch und
ungewiß ſey. Und das hat nod) Feiner, diefer Gegner
der Pfnchologie, getban. Sondern weil fie felbft, aus
Mangel des Verſtandes oder Willens, fo unmiflend in der
Erfenneniß ihrer Seele find, fo fuchen fie einen ehrbaren
Vorwand, womit fie ihre Unmiffenheit und Faulheit be—
mänteln wollen, und geben alfo vor, daß wir Menfchen
von unferer Seele gar nichts wiſſen fönnten. Es gibt
einige Weltweife, welche die Pfychologie, als einen Theil
der fo genannten verborgenen Weltweisheit anfeben,
in welcher von allen denjenigen Dingen gehandelt wird,
die wir nicht verftehen. Allein das heißt eben fo viel als
behaupten, daß die Pfychologie unmöglich ſey; und die
verborgene Weltweisheit ift gar Feine Weltweisheit, fon-
dern ein Regifter derjenigen Sachen, über welche wir
Menfchen gar nicht philofophiren Fönnen.
8§. 474
Die Pfuchologie wird in die erfahrende, und vers
nünftige $ehre von der Seele eingetheilt. Die erfahren»
de oder empirifche Pfychologie ift diejenige Willen:
ſchaft von der Seele, weldye auf eine nähere Art aus der
Erfahrung bergeleitet wird, In diefer Pſychologie fam-
fen wir alle Erfahrungen, die wir von den Würfungen
und Veränderungen unferer eigenen Seele haben Fünnen,
Wir unterfcheiden die verfchiedenen Veränderungen unferer
Seele von einander, und machen uns von denfelben, ver-
mittelft
in die Pfychologie. I
mittelft unferes innern Gefühls, deutliche Begriffe, und
alsdenn handeln wir in derfelben alles ab, was durd) einen
einzigen Schluß oder doc) durch einen Fürzern Beweis, aus
diefen unmittelbaren Erfahrungen von unferer eigenen See—
le, fließt. Wer diefe Pfychologie, nach den Regeln der
ſtrengſten Lehrart abbandeln will, der muß in derfelben nur
von feiner eigenen Seele handeln, weil er aus feiner eigenen
unmittelbaren Erfahrung nicht wiffen Fan, ob andere See—
len auch fo befchaffen find, wie die feinige. Diefe Pfycho-
logte ift fehr leicht, und fie erfodert nur vornemlich eine Ge—
fhidlichfeie Erfahrungen zu famlen, famt der dabey nötbi-
gen Behutſamkeit. Sie enthält das brauchbarfte, was in
der Pfychologie vorfomt. Die vernünftige Pfychologie
ift diejenige Wiffenfchaft von der Seele, welche aus dem
abftrasten Begriffe von der Seele, durch längere und weit:
fäuftigere Beweiſe, hergeleitet wird. Sie bemweift dasjeni-
ge, was man von feiner eigenen Seele in der empirifchen
Pſychologie erfannt hat, von allen menfchlichen Seelen; fie
handelt von der Natur und dem Wefen der Seele; fie han-
delt von folchen Sachen, die fchlechterdings durd) die Er-
fahrung nicht entfchieden werden fönnen; fie fucht die Grün-
de und Entftehungsart der Veränderungen der Seele zu
entdecken, und fie handelt von den übrigen endlichen Gei—
ftern und Seelen auffer der menfchlichen Seele. Und da
Fan man nicht leugnen, daß in diefer Pſychologie fehr ſchwe—
te Sachen vorfommen, ja viele folhe Sachen, welche mit
Hecht zu der verborgenen Weltweisheit gerechnet werden
müfjen. Wir merden es verfuchen, das nüßlichite und
— aus derſelben auf eine nuͤtzliche Art abzuhan—
eln.
$. 475.
— Die Pſychologie gehoͤrt unter diejenigen Wiſſenſchaf—
ten, welche uns den groͤſten Nutzen verſprechen, und in der
uͤbrigen menſchlichen Erkenntniß von einer ungemeinen
Brauchbarkeit find. Wir wollen nur, einen vierfachen Mu—
Ken, anmerken, Erſtlich enthält fie die eriten Gründe, fo
wohl
12 Einleitung
wohl der natürlichen, als auch der geoffenbarten Gottes:
gelahrheit. Die ganze Gottesgelahrheit berubet darauf,
daß mir uns, von GOtt und feinen Vollkommenheiten,
richtige Begriffe machen. Nun muͤſſen wir uns, in der
Gottesgelahrheit, ſonderlich angelegen ſeyn laſſen, diejeni—
gen Vollkommenheiten GOttes Fennen zu lernen, welche
zu ſeiner Natur gehoͤren, in ſo ferne er ein Geiſt it: ſeine
Allwiſſenheit, Weisheit, Guͤte, Gerechtigkeit, ſeine hoͤch—
ſte Vernunft, Freyheit wf. w. Wir würden uns von
alten diefen Vollkommenheiten gar feinen Begrif machen
koͤnnen, wenn wir fie nicht felbjt befäffen, und wenn wir
fie nicht durch unfer innerliches Gefühl aus der unmittel-
baren Erfahrung Fenneten. So wenig wir ung von einem
fechften Sinne einen Begrif machen fonnen, weil wir nur
fünf äufferliche Sinne befigen : fo wenig würden wir -
auch willen, was Verſtand, Vernunft, freyer Wille, Er:
fenntniß, Weisheit, Güte u. f. mw. fen, wenn wir nicht
alle diefe Bot fommenheiten ſelbſt befallen. Da wir nun
in der Pſychologie alle Bollfommenheiten, die zum Ber:
ftande und Willen eines Geiftes gehören, aufs genauefte
fennen lernen; fo werden wir durch Diefelbe, zu einer ge—
hoͤrigen Erkenntniß GOttes, vorbereitet. Je beſſer je-
mand die Pſychologie verſteht, ein deſto groͤſſerer Gottes—
gelehrter kan er werden. Je ſchlechter er aber in der
Pſychologie bewandert ift, defto weniger ift er im Stan-
de, in der Öottesgelahrheit auf eine GOtt anftändige und
richtige Art zu denfen. Die genaue Erfenntniß unferer
eigenen Seele ift der einzige Weg, zu einer genauen Er—
kenntniß GOttes zu gelangen. Wir Menfchen haben
überhaupt feinen andern Weg zur Erkenntniß GOttes zu
gelangen, als feine Werke. Unter allen Werfen GOt—
tes aber find die endlichen Geifter die einzigen Creaturen,
Die uns zu der ausfübrlichiten und deutlichften Erfenntniß
GOttes leiten, und die lernt man in der Pſychologie recht
fennen. Auſſerdem ift auch diefe Wiffenfchaft, zu der
uͤbernatuͤrlichen Gottesgelabrheit, auf eine — Br
rauch⸗
in die Pſychologie. 13
brauchbar. Sie feßt uns in den Stand, Natur und
Gnade von einander zu unterfcheiden, indem fie uns die
Natur der Seele erklärt, und zeigt, was in der Seele na-
türlich ift, und wie weit die Natur der Seele zu gehen
im Stande ift. Ja da die ganze Heylsordnung, der
Natur der Seele, recht gemaß und angemeſſen ift; fo Fan
ein Gottesgelehrter aus der Pfychologie die Gründe, von
der Einrichtung der Heylsordnung, lernen, und dadurch
überzeugte werden, daß GOtt in derfelben nichts fodere
und verordnet habe, welches der Natur der Seele wider:
fpricht.
+ 47 6,
Der andere Nusen der Pſychologie befteht darin,
daß fie, Die erften Gründe der ganzen practifchen Weit.
mweisheit, enthält. Alle unfer Wiſſen muß practifch feyn,
und es würde alfo die Pſychologie fehr unvollfommen
ſeyn, wenn fie feinen Einfluß in die practifchen Theile der
Weltweisheit hätte. Wir würden fein Ende finden,
wenn wir alle die befondere Mugen namhaft machen mol-
ten, die man ſich von diefer Wiffenfchaft, in allen Thei—
len der practifchen Weltweisheit, zu verfprechen bat. Wir
wollen nur, einige Hauptbetrachtungen, Darüber anftellen.
1) Die ganze practifche Weltweisheit handelt von Rech—
ten, und Pflichten. Nun flieflen, alle Rechte und Pflich—
ten, aus der Matur des freyen Willens, Folglich ift es
unmöglich, fich einen rechten Begrif von Rechten und
Pflichten zu machen, und noch weniger zu entfcheiden,
welches die wahren menfhlichen Rechte und Pflichten,
und welches die falfchen find, wenn man nicht aus der
Pſychologie, die wahre Natur der menfchlichen Seele,
und infonderheit ihres frenen Willens, fant den Schran—
fen defielben hat Eennen fernen.) : Man fan aljo ohne
Pſychologie, Feinen fichern und zuverlaßigen Schrit, in
der practifchen Weltweisheit thun, indem in derfelben die
ächten und wahren Gründe aller menfehlichen Rechte und
Pflichten enthalten find, Seitdem man in der Pſycho—
| logie
14 Einleitung
logie weiter gekommen, ſeitdem iſt auch die practiſche
Weltweisheit ungemein verbeſſert worden. Man hat
nicht einmal, den erſten Grundſatz der ganzen practiſchen
Weltweisheit, entdecken und beweiſen koͤnnen, bis man
nicht in der Pſychologie die Regel entdeckt hat, nach wel—
cher die ganze Begehrungskraft natuͤrlicher Weiſe wuͤrkt.
2) Die Selbſterkenntniß iſt die Grundpflicht, auf welcher
die Ausuͤbung aller uͤbrigen Pflichten gegen GOtt, uns
ſelbſt, und andere Dinge beruhet. Ohne Selbfterfennt-
niß Fan feine einzige Pflicht ausgeübt werden, je beffer
aber iemand fid) felbft erfennt, defto geſchickter iſt er zu
der Ausübung aller feiner Pflichten. Alle diejenigen Wiſ—
fenfchaften alfo, welche die Selbſterkenntniß befördern,
find zu der practifchen Weltweisheie nicht nur nüßlich,
fondern auch ganz unentbehrlih. Nun Fan niemand
leugnen, daß die Erfenntniß unferer Seele der allervors
nehmfte Theil der Selbfterfenntniß ſey. Indem alfo die
Pſychologie uns unfere Seele Fennen lehrt, leiſtet fie der
practifehen Weltweisheit einen unendlich groffen Dienft.
Und 3) fan, ein groffer Theil der Pflichten gegen uns
felbft, ohne Pſychologie weder entdeckt und erfant, noc)
ausgeübt werden. Alle Pflichten gegen uns felbft gehen,
auf die Verbefferung unferer felbft und unferes Zuftan-
des. Und der geöfte und wichtigfte Theil derfelben be:
trift die Verbefferung unferer Seele, und aller Kräfte der:
ſelben. Wie wollen wir alfo diefe Pflichten gegen unfere
Seele entdecken, beweifen und ausüben fönnen, wenn wir
nicht aus der Pfuchologie diefe Kräfte, ihre Matur und
die mannigfaltigen WBollfommenbeiten derfelben haben
Eonnen lernen ?_ Kurz, niemand ift im Stande, weder in
der Theorie noch in der Ausübung, ein guter Moralift
zu feyn, wenn er nicht in der Pſychologie, und ver Ers
kenntniß derfelben, eine groffe Vollkommenheit beſitzt.
. ATI.
Zum dritten ift die Pſychologie deswegen eine fo
nuͤtzliche Wiſſenſchaft, weil fie die erften Gründe aller
fchönen
in die Pfychologie. 15
fhönen Künfte und Wiffenfchaften enthält, Alle dieſe
KRünfte und Wiffenfchaften befchäftigen fih mit folchen
Gegenftänden, deren gehörige und erforderte Schönheit,
als welche Der Zweck aller dieſer Künfte und Wiſſen—
fhaften ift, von der Vollkommenheit der untern Erfennt-
nißfräfte der Seele abbanget, und von dem regelmäßi-
gen Gebrauche derfelben. Die ganze Theorie der fchö-
nen Künfte und Wiffenfchaften hanget alfo, von der Ein-
fiht in die Natur der untern Kräfte der Seele, ab,
und, die ganze Ausübung derfelben, von dem rechten Ge-
brauche diefer Kräfte Wer die wahren Kegeln ver
fhönen Künfte und Wiffenfchaften entdecken, erflären
und erweifen will, der muß die Natur der untern oder
finnlihen Kräfte der Seele verftehen ; und wer diefe
Kegeln recht beobachten will, der muß die untern Kräf-
te der Seele, in dem gehörigen Grabe der Vollfommen-
beit, befigen. Da wir nun durd) die Pfychologie, dieſe
Kräfte der Seele, ihre Natur und Vollkommenheit, fen-
nen lernen ; fo beruhen alle fehöne Künfte und Wiſſen—
fhaften, fo wohl der Theorie als auch der Ausübung nach,
auf der Pſychologie. Nur ein Menfch, der aus tiefer
Unwiſſenheit die fchönen Künfte und Wiffenfchaften ver-
achtet, Fan an der Erheblichkeit dieſes Nutzens der
Pfuchologie zweifeln. Wer aber weiß, mas für ein grof-
fer Theil der Bollfommenheit des Menfchen, und feiner
gefamten Ölücfeligfeit, auf der Ausübung der fchönen
Künfte und Wiffenfchaften berubet : der ift auch über-
zeugt, daß dieſer Mugen der Pfychologie, feiner Wichtig-
feit wegen, zureichend ift, diefe Wiffenfchaft allen ver.
nünftigen Leuten ungemein anzupreifen,
8§. 478.
„Endlich ift die Pfychologie viertens eine ungemein
nuͤtzliche Wiffenfchaft, weil fie die erften Gründe der
Bernunftlehre enthält, Die Bernunftlehre handelt von
der
16. Einleitung
der Erkenntniß, die wir durch die obern Erkenntnißkraͤfte
unferer Seele erlangen, und fie zeigt, wie wir fie erlan-
gen und zur möglichiten Vollkommenheit erheben follen.
Die ganze Theorie der Bernunftlebre beruber alfo auf der
Natur und Vollkommenheit der oben Erfenntnißkräfte,
und die Ausübung derfelben ift nur möglich, wenn man
diefe Kräfte in dem gehörigen Grade der Bollfommen:
beit befigt und gebraucht. Folglich) muß man, die obern
Erkenntnißkraͤfte der Seele, aufs genauefte kennen,
wenn man die Bernunftlehre zu einer gefunden und in der
That brauchbaren Willenfchaft machen wil. Da nun
die Pfychologie, die Natur der obern Erfenntnißkräfte,
des Berftandes und der Vernunft, erklärt: fo ift ohne
derfelben, eine wahre DBernunftlebre, unmöglich, In
den feholaftifchen Zeiten ward die Vernunftlehre mit un-
natürlichen, ganz willführlichen, falfchen und pedanti-
fihen Kegeln zu denfen angefült, und fie ward ein Ber:
derben des Verſtandes und der Vernunft, da fie ein
Verbefferungsmittel und eine beilfame Arzeney dieſer
Kräfte ſeyn ſolte. Allein das Fam daher, weil man
die Pſychologie nicht recht verstand, Machdem man
aber die Natur der Erfenntnißfräfte, durch die Pſycho—
fogie, beffer bat Fennen lernen, nachdem hat auch die Ver:
nunftlebre eine viel befiere Geftalt gewonnen, Nun
wiſſen alle vernünftige Gelehrte, wie nüßlich und unent:
behrlich einem iedweden Gelehrten eine gefunde Vernunft:
ehe fey. Folglich ift unwiderſprechlich Flar, daß die
Pſychologie auch deswegen eine fehr nüßlihe Wiffen-
fehaft fey, weil fie die wahren und erſten Gründe der
Bernunftlehre in fich enthalt. |
§. 479.
Aus allen diefen Betrachtungen, die wir über den
Nusen der Pſychologie angeftellet haben, erhellet dem—
nach, daß die Pſychologie eine Duelle vieler Wiſſenſchaf—
ten
in die Pfychologie. 17
ten fen, welche fehr nuͤtzlich und zu der gefamten Gluͤck—
feeligfeit eines Menfchen höchft unentbehrlich find. Ja
die ausführliche Abhandlung dieſer Wiffenfchaft wird ei=
nen jedweden aus der Erfahrung überzeugen, daß fie
mit angenehmen, lehrreichen und. brauchbaren Unterſu—
Hungen angefuͤlt ſey. Zu gleicher Zeit ift aus diefen
Unterfuhungen Flar, daß fie eine metapbufifhe Willen:
fhaft ſey, oder daß fie mit Recht zur Metaphyſik gerech-
net werde, weil fie eine Wiffenfchaft ift, welche Die erften
Gründe der menfchlichen Erfenntniß enthält, und der—
gleichen Wiflenfchaften gehören allemal zur Metaphnfif
$.3. Es mürde demnach ohne allen Grund gefcheben,
wenn man fie nicht, als einen Theil der Metaphy—
ſik, betrachten wolte,
3. Theil, | B Die
18 A AU
a I‘σ σα
Die empiriſche Pſychologie.
Der erſte Theil
von der sch
Wuͤrklichkeit der Seele.
$. 480. |
iv. müffen uns vor allen Dingen einen folchen Bes
grif von der Seele machen, vermöge defjen wir
fie von allen übrigen Dingen unterfcheiden, und
allemal wiffen koͤnnen, von was für einer Sache wir ves
den, wenn wir das Wort Seele brauchen, Und da ver
ſteht man durch die Seele ein Ding, welches ein Theil
eines andern Dinges ift, und denken Fan, oder welches fich
einiger Sachen bewußt feyn Fan. Einige Weltweife erflä-
von die Seele durch ein Ding, welches Vorjtellungen bat,
denft und begehrt. Allein diefe Erklärung ift falſch. Un—
fere Seele befindet fich ofte in einem Zuftande, in welchem
fie gar nicht denkt. Da fie nunalsdenn demohnerachtet
doch eine Seele ift: -fo fan man die Seele fich nicht immer
als ein Wefen vorftellen, welches denkt, Allein da fie doch
beftändig das Vermögen zu denken hat: ſo ift fie ein Ding,
welches denfen Fan, oder welches fidy feiner und anderer
Dinge bewußt feyn fan. Ueberdem ift GOtt auch ein
Ding, welches denft und denken Fan, niemand aber nenne
ihn eine Seele, weil er nicht als ein Theil eines andern
Dinges betrachtet werden fan. Eben fo nehmen einige
an, daß es endliche und erfihaffene Geifter in der Welt
gibt, welche mit feinen Körpern vereiniget find. Da die:
feiben nun denken koͤnnen, nicht aber Theile eines Dinges
find, von welchen man fagt, Daß es denkt, fo nenne man
N fie
Don der Wuͤrklichkeit der Seele, 19
‚ fie auch Feine Seelen. Folglich ſtelt ſich jederman unter
dem Wort, Seele, ein Ding vor, welches ein Theil eines
andern Dinges if, welchem andern. Dinge man Gedanken
zufchreibt, und melches denfen Fan. Go fagt man: Die
Thiere.denfen, und man ſtelt fich dieſelben als ein Ganzes
vor, deffen einer Theil denkt, und denfelben nennt man die
Seele des Thiers. Dieſe Erklärung der Seele ift eine
bioffe Worterklärung, und wir befümmern uns hier noch
um nichts weniger, als um die Natur und das Weſen
desjenigen Dinges, welches wir eine Seele nennen, Der—
jenige denkende Theil eines Ganzen, den wir eine Seele
‚nennen, mag Eörperlich oder unkörperlich feyn, oder er mag
befchaffen feyn wie er will, das Fan ums hier gleichviel geſ—
ten. Es gibt einige Materialiften, welche, gleich im An-
fange der Pfycholegie, Die Lehrer derfelben in Verwirrung
zu fegen fuchen. Sie fragen: was ift die Seele? Wenn
man nun antwortet: ein Ding, welches Denken kan; fo
fragen fie hönifch: was fie denn für ein Ding fey ? und
verlangen alfo, man folle ihnen gleich aufs nn die
Natur und das Wefen der Seele, erklären, Diefe Leute
folten erft die Art und Weife lernen, wie man durch die
Erfahrung, zu der Erfenntniß der Natur einer Sache, ges
langet. Wenn wir die Natur des Feuers erflären follen,
ſo fangen wir von den Würfungen des Feuers an, und ſa—
gen, daß es derjenige Körper fen, welcher leuchter,, waͤrmt
„und. brennt, und alsdenn unferfuchen wir nach und nad)
die Natur des Feuers, . Und eben fo müffen wir es, mit
der Seele, machen. - Wir wollen fie aus der Erfahrung
fennen lernen, und alfo müffen wie von ihren Wirkungen
den Anfang machen. Da nun das Die erfte Erfahrung
ift, die wir von unferer Seele haben, daß fie denkt, wie ich
gleic) zeigen will; fo gehn wir am ficherften und behutfam-
ften, wenn wir ung Die Seele anfangs nicht anders als ein
Ding vorftellen, welches denfen Fan.
$. 481.
Die ag, Erfahrung lehrt uns, daß wir benfen,
D.2 Es
20 Don der Woͤrklichkeit der Seele.
Es iſt dieſes ſo unleugbar, daß, wenn man auch daran
zweifeln wolte, ſelbſt der Zweifel in Gedanken beſteht, und
derſelbe uns alſo um ſo viel mehr uͤberzeugt, daß wir den—
ken. Wir ſind demnach denkende Weſen. Nun ſagt uns
eben die unleugbare Erfahrung, daß wir aus vielen Thei—
len beſtehen, von deren vielen wir nicht erfahren, daß ſie
denken. Wer fan jemals auf den thoͤrichten Einfal gera—
then, zu fagen: er erfahre, daß feine Fuͤſſe und Hände
denken ? Folglich ſagt uns die deutliche Erfahrung, daß
‚unfere Gedanfen in einem Theile von uns angetroffen wer-
den. Folglich iſt in uns, als denfenden Weſen, ein Theil,
welcher. denft, und alfo auch denken Fan. $. 61. Diefer
Theil iſt würflich, weil er fonft nicht denken Fönnte, indem
man, von der WürflichFeit der Wirkungen, allemal auf
die WürklichFeit der Urſach fchlieffen Fan, Folglich haben
wir eine Seele, oder es iſt eine Seele in uns würflich.
Geſetzt auch, es wolte jemand fagen, daß unfere Gedanken
nichts anders als Bewegungen in unferm Gebirne feyn:
fo ift uns dieſes jeßo noch nicht zuwider. Geſetzt, es wäre
‚dem alfo, fo wäre das Gehirne derjenige Theil in uns, wels
cher denken Fan, und.es wäre alfo unfere Seele. Man
muß die beyden Fragen forgfältig von einander unterfchei:
den: ob wir eine Seele haben, und ob wir eine Seele von
diefer oder jener Befchaffenheit haben? Die erfte Frage
fan fchlechterdings Fein vernünftiger Menfch in Zweifel
ziehen, und um die andere Frage befümmern wir uns bier
noch nicht. Ja, fagen manche Weltweife, dieſes laͤßt ſich
wohl hören. Allein wenn man von der Seele handelt,
und man fan gleich anfangs ihre Natur nicht deutlich zei-
gen, fo fan man auch ihre Handlungen und Würkfungen
nicht erklären, und alfo folte man von der Gecle lieber
ganz und gar ftille fehmeigen. Allein diefe Weltweifen
verwechfeln bier wiederum mancherlen. in anderes ift
es: die Würfungen einer Urfach überhaupt von einander
unterfcheiden, und deutlich erklaͤren; und ein anderes ift
es, Die Are und Weife zeigen, wie die Urfach durch ihre
Natur
Von der Wuͤrklichkeit der Seele. 21
Natur ihre Wuͤrkungen hervorbringt. Man kan das Bren⸗
nen und Leuchten von einander unterſcheiden, und ſich von
beyden einen deutlichen Begrif machen, ohne die Natur
des Feuers zu verſtehen. Wer aber die Entſtehungsart
des Brennens und Leuchtens deutlich erklaͤren will, der muß
freylich die Natur des Feuers einſehen. Nun wollen wir,
in der empiriſchen Pſychologie, die Entſtehungsart der dere
fhiedenen Veränderungen der Seele nicht vollftändig ers
flären. _ Sondern wir wollen nur, dieſe Veränderungen
und Würfungen felbft, deutlich Eennen lernen. Folglich
ilt es hier gar nicht nöthig, die Natur der Seele zu verſte—
ben. Aus diefem Beweiſe der Wirklichkeit unferer Seele
erhelfet demnach, daß Carteſius recht hat, wenn er fagt?
die Seele fey uns befanter als unfer Körper, oder wit
Fönnten leichter und eher überzeugt werden, daß wir eine
Seele, als daß wir einen Körper haben. Das erite fehlief-
fen wir unmittelbar aus unferm Gefühl, welches uns ver—
fihert, daß wir denfen, und es ift alfo fchlechterdings noth—
wendig, Daß efwas in uns fen, welches denkt, Daß mir
aber einen Korper haben, fehlieffen wir daher, weil unfere
Geele, einen folhen Körper fiehe, fühle, oder überhaupt
auffer fich empfindet. Und da muß erſt erwiefen werden,
daß diefe Empfindungen auf einen Gegenftand fich bezie-
ben, der auffer der Seele würflich ift. Diefer Beweis iſt
niche fo leicht, wie mancher fich einbildet. Wer da zwei-
feln wolte, ob er eine Seele habe, der würde eben durch
diefen Zweifel unmwiderfprechlich erweifen, daß er eine See—
le babe. Wer aber an der Wuͤrklichkeit feines Körpers,
zweifelt, der Fan durch viele feheinbare Gründe, die Wuͤrk—
lichkeit des Körpers, ungemwiß machen, Es bilden ſich
viele ein, daß es viel gewiſſer fen, daß mir einen Körper
als daß wir eine Seele haben. Das fomt aber daher,
teil wir uns von unferer Geburt an angewoͤhnt haben, von
unferm Sehen, Hören, oder überhaupt von unfern Auffer«
lichen Empfindungen auf die Wuͤrklichkeit derjenigen Din—
ge zu ſchlieſſen, welche diefelben verurfachen. Unfere Seele
37 fönnen
gi
22 Don der Wuͤrklichkeit der Seele.
koͤnnen wir aͤuſſerlich nicht empfinden, ſondern nur. inner:
lich. Wenn wir alfo bey unferer innerlichen Empfindung
eben fo. zu. fchlieffen gewohnt wären, fo würde jederman,
von. der Würflichkeic feiner Seele, eher und leichter gewiß
feyn, als von der Würflichfeit feines Körpers, |
.. 482
-. . Die Gedanfen * nichts anders als Accidenzien.
Diefer Sas ift fo Klar, Daß es noch niemanden eingefallen
iſt, zu fagen, daß ein Gedanfe eine Subftanz fey; weil
ein Gedanke nicht anders gedacht werden Fan, als eine
Beſtimmung und ein Prädicat eines andern Dinges $. 154.
Ja die Erfahrung überzeugt uns ſtuͤndlich, daß unfere Ge—
danken auf einander folgen, und da fie alſo nichts anders
als Veränderungen unferer Seele find $. 122. fo koͤnnen fie
auch um diefer Urſach willen nichts anders, als Accidenzien
unferer Seele, feyn. Nun fage ung zwar die Erfahrung
nicht, daß alle unfere Gedanken, den hinreichenden Grund
ihrer Wirklichkeit, in der Seele felbft haben: denn man:
he Gedanken entitehen auf eine fo ftille und leichte Ark,
Daß man bey ihnen nicht fühlen Fan, ob die Seele dabey
geſchaͤftig ſey, oder fich bloß leidend verhalte. Allein bey
manchen Gedanken fühlen wir es aufs Flärfte, daß Die
Seele ſich bemuͤht, fie zu winken. Folglich erfahren wir,
daß, einige unferer Gedanken, durch die. Seele ſelbſt ge—
wuͤrkt werden. Das Denken ermuͤdet uns ofte, und wird
uns ſauer, und. das, würde nicht gefhehen, wenn unfere
Seele ſich bey allen ihren Gedanfen bloß leidend verbielte,
Wenn wir in den. Wiſſenſchaften einer Sache ſcharf nach:
denken, wen wir auf dasjenige Achtung geben, was wir
leſen, hören oder fonft empfinden ; ſo fühlen wir esnur gar
zu Deutlich, daß in uns ein thätiges Weſen iſt, welches
durch feine Gefchäftigkeit die Gedanken würft, Folglich
hat die Seele eine Kraft zu denken, fie, ift eine denkende
Kraft und Subftanz $. 154. 158. Geſetzt auch, daß Viele
Gedanken nichts anders als bloffe $eiden feyn, fo Fan matt
doc) überzeugt werden, daß die Seele eine wahre —
ey,
Don der Würklichkeie der Seele: 83
ſey, wenn man nur überzeugt ift, daf fie einige Gedanken
ſelbſt wuͤrke. Und da erfahren wir das Beftreben, das
Demühen zu denken in unferer Seele, ofte fo klar, als
wir unfere eigene Gedanken und unfere Wuͤrklichkeit
fühlen,
$. 483. Ä
So viel wiſſen wir nun aus der Erfahrung, daß die
Seele eine denfende Subftanz ſey. Folglich iſt fie eine
folche Kraft, oder fie befist eine folhe Kraft, welche zum
Denken aufgelegt ift, welche gefchickt ift, Gedanken zu würs
fen. Alle Gedanken find Borftellungen. Die Kraft der
Seele ift demnach eine folhe Kraft, welche gefchidt ift,
Vorſtellungen zu würfen. Nun bekommen die Kräfte ihre
Mamen von den Würfungen, die fie hervorbringen. Folg-
lich ift unfere Seele eine Vorſtellungskraft. Nun fage
uns die Erfahrung, daß wir viele Theile diefer Welt in
unfern Gedanken uns vorftellen. Wir denken an uns felbft,
an andere Menfchen, an unendlich viele Körper, Veraͤn—
derungen und Begebenheiten, welche insgefamt Theile die—
fer Welt find. Folglich ift unfere Seele eine Vorſtel—
lungskraft diefer Welt, oder eine Kraft, welche fich diefe
Melt vorſtelt. Wir wollen dadurch noch nicht fagen, Daß
fi die Seele alles in der Welt ohne Ausnahme vorftelle,
fondern es ift uns genung, wenn wir bier nur annehmen,
Daß fich die Seele viele Theile der Welt vorftelle, fo Fan
man doch mit Wahrheit ſagen, Daß fie fich die Welt vors
fielle. So fagen wir, daß wir uns GDdre vorftellen, ob
es gleich feinem vernünftigen Menfchen einfält, zu be-
haupten, er ftelle fich alles vor, was in GOtt if, Und
eben fo ſagt man, man denke fi) felbft, ob wir gleich niche
alles denken, was in uns angetroffen wird, Dieſe Be-
trachtung wird dadurch vollfommen beftätiget, daß wir in
der Coſmologie erwiefen haben, daß eine jedwede Gub-
ſtanz in der Welt eine Vorftellungsfraft der Welt fey
$. 369. Mun leugnet niemand, daß unfere Seele eine
Subſtanz fey, welche in diefer Welt wuͤrklich ift, Folglich
D4 muß
24 Don der Wuͤrklichkeit der Seele.
muß auch von ihr dasjenige gelten, was wir von allen
Subſtanzen der Welt überhaupt erwieſen haben.
| 9. 484
Wir gedenfen viele Körper in diefer Welt, und find
ung ihrer Veränderungen bewufit. So find wir uns der
Luft, des Waffers, vieler Bäume u. ſ. w. und ihrer Ver—
änderungen bewußt. ine geringe Aufmerkfamfeit Fan
uns überzeugen, daß wir uns nicht aller derjenigen Korper,
der wir uns bewußt find, in. einem gleichen Grade bewußt
find. Sondern von einem Korper find wir uns immer
mehrerer Veränderungen bewußt, als von: dem andern,
Und da finder fich ein Körper, deſſen wir ung mehr bewußt
find, als aller übrigen Körper in der Welt, und den nen-
nen wir unſern Rörper, oder den Leib unferer Seele,
weil wir uns der Veränderungen feines andern Körpers
bewuße ſeyn fünnen, als vermittelft der Veränderungen
deffelben, deren wir uns bewußt find, und wir betrachten
ihn Daher als einen Theil von uns, Wenn ich einen
Baum fehe, fo Fan ich mir deffelben nicht anders bewußt
werden, als wenn id) die Berändernng merfe, die er ver—⸗
mittelft des Lichts in meinen Augen und alfo in meinem
Körper hervorbringt. Folglich find die Veränderungen
meines Körpers dasjenige, was fich meine Geele allemal
unmittelbar zunaͤchſt und zuerft vorftelt, wenn fie die Kör-
perwelt fich vorftele, und die Borftellung meines Körpers
und feiner Veränderungen ift das Mittel, wodurch meine.
Geele zu den Borftellungen anderer Körper in der Welt
gelangte. Sie ift fich alfo diefes Körpers in einem fo ho—
hen Grade bewußt, daß fie niemals in dieſem Puncte irre
werden, und denfelben mit andern Körpern verwechfeln
fan. Wir haben auch unfern Körper nicht etwa deswegen
zu erklären nöthig, damit dieſe Verwechſelung verhütee
werde; fondern wir haben uns von demfelben einen deutli=
chen Begrif machen wollen, weil wir dadurch in den Stand
gefegt werden, die Matur der Seele deutlicher zu erkennen.
Und gefegt auch, daß biefer Korper eine bloffe Einbildung
unferer
Don der Wuͤrklichkeit der Seele. 05
unferer Seele fen; fo lehrt Doc) Die Erfahrung, daß ein.
ieder fich beftandig als ein Ding vorftelie, welches aus ei-
ner Seele und aus einem Körper beftehe, Der erfte ift
der Theil des Menfchen , welcher denkt, er mag nun ein -
Körper fenn oder nicht; und der andere ift derjenige Koͤr—
per, vermöge defien fich die Seele anderer Körper bewußt -
iſt. Diefer unfer Körper iſt in diefer Welt auffer und ne=
ben andern Körpern würflich, er folgt auf andere Körper,
und andere Körper folgen auf ihn. Folglich hat unfer
Korper in der Welt eine beftimte Stellung, einen beftim-
ten Dr, ein beftimtes Alter, und eine beſtimte tage $.363,
wenigftens ftellen wir uns unfern Körper allemal, in einer:
gewiſſen beftimten Stellung in diefer Welt, vor.
§. 485.
Wenn wir ung gleih im Anfange der Pfochologie
einen binlänglichen Begrif von unferer Seele machen wol=-
len, fo muͤſſen wir fie uns nicht bloß als eine denfende Sub-
ffanz vorftellen, welche fich) die Welt vorftelt, fondern auch
als eine folhe Subſtanz, welche ſich die Welt nad) der
Stellung ihres Leibes in der Welt vorftell. Zu dem En:
de müffen wir uns aus F Erfahrung zuerft überzeugen,
daß unfere Seele deutliche, verworrene und dunkele Bor:
fiellungen habe. Die Erfahrung lehrt uns, daß wir ung
viele Dinge dergeftalt vorftellen, daß wir uns derfelben
nicht nur im Ganzen betrachtet bewußt find, fondern daß
wir uns auch zu gleicher Zeit einiger ihrer Theile und Merks
male bewußt find, und diefelben in ihrem Ganzen von ein⸗
ander unterfcheiden. Alle Wahrheiten in den Wilfen-
ſchaften, alle Definitionen find dergleichen Gedanken. So
ofte wir eine Rede vernemlich hören, und einen Menfchen
dergettalt fehen, daß wir die Theile feines Gefichts von ein-
ander unterfcheiden Fönnen, fo ofte haben wir dergleichen
Borftellungen. Da nun diefe Borftellungen deutlich find,
fo lehrt uns die unmittelbare Erfahrung, daß wir deutliche
Vorftellungen haben, Eben fo leicht iſt zu erweiſen, daß
wir viele verworrene Vorftellungen haben, indem wir uns
5 vieler
»5 Von der Wirklichkeit der Seele;
vieler Dinge zwar im Ganzen betrachtet bewußt find, und
fie von andern Dingen unterfcheiden Fönnen ; wir fünnen
aber nichts in ihnen von dem andern unterfcheiden, indem
wir uns Feines ihrer Theile oder Merkmale bewußt find. '
So haben wir verworrene Vorftellungen von den Farben,
yon den verfchiedenen Arten des Öefchmads, von den ficht-
baren Dingen, wenn wir fie in der Ferne fehen u. ſ. we
Nun fonnen wir zwar die Gegenwart der dunkeln Vor—
ftellungen in unferer Seele nicht unmittelbar erfahren, weil
wir uns ihrer nicht bewußt find, allein wir koͤnnen fie aus
unfern Erfahrungen beweiſen. Nemlich wir erfahren, daß
wir viele verrworrene Vorftellungen haben, Diefer Bor:
Stellungen find wir uns bewußt, oder wir unterfcheiden fie
von andern. Folglich erkennen wir ihren Unterfchied, oder
daß in ihnen was fen, was in andern nicht iſt. Das ift:
wir erkennen ihre Theile und Merkmale, weil das Bewußt⸗
feyn in der Erkenntniß der Merkmale befteht. Allein wir
find ung diefer Merkmale, bey einer verworrenen Vorftel-
lung, nicht bewußt; weil twidrigenfals die Vorstellung
nicht verworren fondern deutlich wäre, Folglich haben
wir, von den Merfmalen unferergperworrenen Borftellun
gen, folche Vorſtellungen, deren wir uns nicht bewuße find,
. Das iſt, mir ftellen fie uns vunfel vor. Alle verworrene
Borftellungen find aus dunkeln zufammengefegt, und mo
alfo jene find, da müffen aud) diefe feyn. Da wir nun
viele verworrene Borftelfungen haben, fo ift auch unleug-
bar, daß wir viele dunkele Vorftellungen in unferer Seele
haben. Der Inbegrif aller dunfeln Vorftellungen der
Seele wird der Grund der Seele genannt, weil fie die
Grundlage der ganzen menfchlichen Erfenntniß ausmachen.
Man fagt z. E. jemanden von Grunde feines Herzens
lieben. Es iſt demnach Flar, daß unfere Seele fich einige
Dinge in diefer Welt deutlich, einige verworren, und ei-
nige dunkel vorftelle, und daß fie eine Sache fich bald deut:
lich, bald verworren, bald dunkel vorſtelle.
$.486.
Von der Wuͤrklichkeit der Seele 27
. 486%
Weil die — die Lehre von den dunkeln Vor:
ſtellungen brauchen, um einige ihrer Meinungen daraus
zu erklaͤren, ſo iſt ſie von ihren Feinden nicht unangefoch—
ten geblieben, Man kan ſonderlich einen doppelten Ein—
wurf, wider die Wuͤrklichkeit der dunkeln Vorſtellungen in
unſerer Seele, machen. Einmal koͤnte man ſagen, daß
man von ihrer Wuͤrklichkeit nicht uͤberzeugt ſeyn koͤnne,
weil wir uns dieſer Vorſtellungen nicht bewußt ſeyn, und
man ſie alſo nicht erfahren Fan Man mi e fie dem-
nac) höchftens bloß als eine ungewiffe Meinung be—
trachten, welche die Weltweiſen angenommen haben,
um daraus einige Veraͤnderungen der Seele zu erklären.
Nun muß manfreylich zuaeftehen, Daß wir die dunkeln
Vorſtellungen nicht unmittelbar erfahren Fönnen. Allein
es ift thoͤricht, Dagienige zu leugnen, was man nicht aus
der unmittelbaren Erfahrung weiß, Wir Föünnen mittel:
barer Weife aus der Erfahrung uns, von der Wuͤrklich—
feit der dunkeln Borflellungen, überzeugen, wie ich in
dem vorhergehenden Abfaße gezeigt habe Wir find ung,
vermittelt der unmittelbaren Erfahrung, folcher Veraͤnde—
rungen unferer Seele bewußt, von denen wir erweifen koͤn—
nen, theils daß fie aus Dunkeln Borftellungen zuſammen—
gefest find, wie 3. E. unfere vermorrenen Borftellingen,
theils daß fie aus dunkeln Vorftellungen ihren Urſprung
nemen, wie kuͤnftig gezeigt werden wird. ‘ Folglich Fönnen
wir aus der Erfahrung beweifen, daß in der Seele Dun:
e Borftellungen find. Zum andern fönte man fagen,
es ſey nicht der Mühe werth, von den dunkeln Vorſtellnn—
gen zu handeln, weil fie Feinen Mugen haben, und weil fie
ols ein unnüger und unbrauchbarer Haufirath der Seele
angefeben werden müften. Allein man fagt diefes ohne
Grund. Wir werden uns überzeugen, daß alle unfere
deutliche Erkenntniß aus verworrenen Vorftellungen zu-
fammengefege ift, und wir haben fehon gefehen, daß alle
verworrene Erkenntniß ein Ganzes iſt/ welches aus dun⸗
keln
28 Don der Wuͤrklichkeit der Seele;
keln Theilen befteht. Die dunfeln Vorftellungen find alſo
die Materialien, das Chaos in der Geele, aus welchen die
fhöpferifche Kraft der Seele nach und nad), .alle ihre Elare
und deutliche Erkenntniß von diefer Welt, zufammenfeßt.
Hätten wir nun feine dunfeln Vorſtellungen, fo hätten
twir auch gar Feine flare Erkenntniß. Es find alfo diefel-
ben nicht nur nicht unnuͤtz, fondern fie find auch der Seele
ganz unentbehrlih. Ja wir werden Fünftig fehen, daß
es unendlich viele Veränderungen der Seele, fo wohl in
Abſicht auf ihre Erfenntnißfraft, als auch in Abſicht auf
ihre Begehrungskraft, gebe, welche in derfelben nicht ſtat
finden fönnten, wenn fie Feine dunfele Borftellungen hätte,
Wir fchreiben der Seele nicht bloß folche dunfele Vorftels
lungen zu, dergleichen wir allen einzeln GSubftanzen der
Welt beylegen $. 362. 368. 370, fondern wir behaupten
auch, daß die Seele ſich die Welt dunfel vorftelle, wie
aus dem Beweiſe des vorhergehenden Abfases erhellet.
$. 487.
Wenn wir achtung geben, wie unfere Seele fich die
Welt vorftelt, fo werben wir finden, daß wir uns. einige
Dinge bald deutlicher bald weniger deutlich, bald verworz
rener bald weniger verworren, bald dunkeler bald weniger
dunfel vorftellen, nach dem diefe Dinge von unferm Körper
entweder weiter entfernt find, oder nicht. Wenn wir eine
Sache weit in der Ferne fehen oder hören, fo koͤnnen wir
fie gar nicht wernehmen. Bewegen wir unfern Körper
naher hinzu, fo erblicken wir fie ganz verworren wie einen
Nebel, und hören ein vermwirrtes Getoͤſe. Geben wir noch
naher darauf zu, fo wird unfere Vorstellung immer Flärer,
bis fie endlich recht deutlich wird. Alsdenn Fan man recht
deutlich fehen, und hören, Folglich fagt uns die unleug-
bare Erfahrung, daß die verfchievene Deuklichfeit, Ver—
wirrung und Dunkelheit vieler unferer Vorftellungen, ihren
Grund, in der Stellung unferes Körpers in Abficht auf
die Gegenftände derfelben, haben. Folglich Fan, aus der
Stellung unfers Körpers, erkannt werden, warum un
unfere
Don der Wuͤrklichkeit der Seele. 9
unfere Seele einige Dinge deutlich, andere verworren, und
andere Dinge dunkel vorfielle, oder daß fie ſich die Welt
nach der Stellung ihres Koͤrpers in derſelben vor⸗
ſtelle. Ein jeder weiß dieſes, von Kindesbeinen an.
Wenn wir einen Redner recht hoͤren wollen, ſo geben wir,
unſerm Koͤrper, die dazu noͤthige Stellung, und ſo machen
wir es bey allen unfern Empfindungen. Wir koͤnnen hier
nicht annehmen, daß die Seele fi), in alten ihren Vor—
ftellungen, nach der Stellung ihres Körpers richte, auch
nicht, daß alle DeutlichFeit, Verwirrung und Dunkelheit
ihrer Erkenntniß, ſamt allen verfchiedenen Graden derfel-
ben, von der Stellung des Körpers abbangen, und eben fo
wenig, Daß die verfchiedene DeutlichFeit, Verwirrung und
Dunkelheit unferer Erfenntniß, ihren einzigen zureichenden
Grund, in der Stellung des Körpers’ habe. So meit fün-
nen wir bier noch nicht gehen. Es iſt uns bier genung,
‘wenn wir überzeugt find, Daß die Seele fich ofte in ihren
Vorſtellnngen, na) der Stellung ihres Körpers:in Der
Melt, richte. Man Fan auch bier noch 'nicht annehmen,
daß die Seele dergejtalt an die Stellung ihres Körpers ge—
bunden fen, daß fie ohne Körper fih die Welt gar nicht
deutlich, verworren oder dunkel N koͤnne.
9. 488.
Aus alle demjenigen, was ich von dem 481 Abſatze
an bis hieher abgehandelt habe, erhellet demnach, daß un—
ſere Seele eine Vorſtellungskraft oder eine Erkenntnißkraft
diefer Welt fen, welche fi) die Welt nach der Stellung
ihres Körpers in derfelben vorſtelt. In der vernünftigen
Pſychologie werden wir erweifen, daß diefes die Natur der
Seele ſey. Hier betrachten wir dieſen Sag nur als eine
Wahrheit, welche wir von unferer Seele aus der Erfah—
rung erwiefen haben. In der Cofmologie ift erwieſen wor«
den, daß eine jedwede Subſtanz in der Welt eine Kraft
fen, welche die Welt nad) ihrer eigenen Stellung in derfel-
ben vorftele $. 369. Folglich muß unfere Seele, weil fie
eine Subſtanz diefer Wele ift, ebenfals eine folhe Kraft
ſeyn,
30 Von der Wuͤrklichkeit der Seele.
ſeyn, welche die Welt nad) ihrer Stellung fic) vorftele. Nun
hanget die Stellung der Seele, von der Stellung des Koͤr—
pers, ab, weil jie in dem Körper wohnt. Folglich Fan
man fich, durch diefe Betrachtung, noch mehr von diefer
Wahrheit überzeugen, Man Fan-alfo mit Wahrheit fas
gen, daß es Subſtanzen in der Welt gibt, welche die Weit
nur nach ihrer eigenen Stellung vorftellen, und das find
die Theile, woraus die Korper zufammengefegt find ; daß
es aber auch) Subftanzen gebe, welche die Welt nach der
Stellung eines Körpers vorftellen, und das find die See-
Yen. Der Körper ift alfo der Gefichtspunet, aus welchen
‘die Seele in die Welt Iyinein fieht. Hätte fie keinen ſol—
chen Gefichtspunct, ſo würde fie einen Blick über die ganze
Welt mit einemmale werffen. Und weildadurd) ihre Vor—
ſtellungskraft würde überladen werden, fo. würde, in ihrer
ganzen Vorftellung von dieſer Welt, nichts als Dunkelheit
"angetroffen werden. Da fie aber ‚einen Öefichtspunct bat,
fo Fan fie aus demfelben, nach) einer dadurch beftimten Ord⸗
nung, Die Welt überfehen. Alsdenn fan fie, die Dinge,
die ihrem Körper am naͤchſten find, zuerjt und am meiſten
ſich vorftellen, und alsdenn ihren Blick immer auf entfern-
tere und entferntere Dinge werfen. Und dergejtalt Fan, in
ihren Borftellungen, Ordnung, Klarheit und Deutlichfeie
entſtehen.
9. 489. |
Da nun die Seele eine Vorftellungsfraft iſt oder bes
fist 9.488, fo it fie auch eine Erkenntnißkraft, weil Bor-
stellungen und Erkenntniß eineriey ſind. Wer alfo die
Kraft der Seele, und alfo die Seele. ſelbſt, vecht will Een-
nen lernen, der muß: die menfihliche. Erkenntniß aufs ges
nauefte unterfuchen. Die Erkenntniß ift Die Würfung
der Kraft der Seele, und wer die Würfungen recht
genau unterfucht, der lernt eben dadurch die würfenden
Urfachen, die Subftanzen und die Kräfte derfelben, recht
£ennen. Da wir nun in der Pfuchologie zur Abficht ha—
ben, die Seele und ihre Borftellungskraft genau Fennen
zu
——
Don der Wuͤrklichkeit der Seele. a1
zu lernen; fo müffen wir die menſchliche Erkenntniß, nebft
allen Veränderungen und Befchaffenheiten derfelben, außs
fühelich unterfuchen. Und da wir iegt den Anfang yon die—
fer Unterfuchung machen, fo wollen wir hier die Grade der
Erkenntniß überhaupt unterſuchen. Bey Diefen Graden
fan nur, von einer wahren Exfenntniß, die Rede feyn.
Kine wahre Erkenntniß ift eine Erkenntniß, Die niche
nur eine Erkenntniß zu fern feheint, fondern es aud) in der
That ift. Die Unwiſſenheit ift gar feine Erkenntniß,
oder der Mangel, die Abmwefenheit der Erkenntniß, und
der Irrthum ift eine Scheinerfenntniß, oder eine Erfennt-
niß, die nur eine Erfenntniß zu feyn fcheint, es aber in ber
That nicht iſt. "Manchmal komt es uns nur fo vor, als
wenn wir uns etwas vorftelfen, wir bilden es uns ein, es
iſt aber ein bloffes Blendwerk, und. wir haben in der That
gar Feine Vorſtellung. Alsdenn iſt unſere Erkenntniß ir—
rig und falſch, wie die Erkenntniß eines Menſchen, der ſich
eine ſchlechterdings untheilbare Materie vorſtelt. Weil
man dieſe Worte ſich vorſtelt, ſamt der Bedeutung eines
iedweden Worts, ſo kan man ſich leicht einbilden, als koͤn⸗
ne man die Bedeutungen aller dieſer Worte zuſammen ge—
nommen denken. Allein da man alsdenn nichts ſich vor—⸗
ſtelt, ſo hat derjenige eine irrige Erkenntniß, der da glaubt,
er ſtelle ſich eine ganz und ſchlechterdings untheilbare Ma—
terie vor. Manchmal duͤnkt es uns, als ſtelten wir uns
etwas vor, und wir thun es auch in der That, alsdenn ha—⸗
» ben mir eine wahre Erfennmiß, 3. E. wenn wir uns roth,
blau, ſchwarz vorftellen. Und manchmal haben wir feine
Erfenntniß, und es duͤnkt uns aud) nicht, als wenn wie
uns was vorftelten, und das ift die Unwiſſenheit. Die
wahre Erkenntniß ift eine Nealität, und hat zwey ihr ent=
> gegengefeßte Berneinungen, die Unmiffenheit und den Irr—
thum 6,48. Wenn eine Erfenntniß irrig und falfch ift,
fo ift deswegen nicht gleich alles in ihr falfch, fondern fie
Fan in verfchiedener Abficht wahr und falfch zugleich ſeyn.
3. E. wenn man ſich eine ſchlechterdings untheilbare Ma⸗
terie
32 Von der Wuͤrklichkeit der Seele.
terie vorftelt, fo find die Borftellungen, die wir von diefen
Wörtern und ihren Bedeutungen einzeln genommen haben,
eine richtige Erfenntniß. Wenn man aber diefe Bedeu:
“tungen zufammennimt, und fich einbildet, man ſtelle fich
* bey diefem Inbegriffe etwas vor, fo iſt unfere Erfennmig
irrig. Hier verhält es fic) als wie mitden Gemälden, welche
Ehimären abbilden, auf welchen die Meerfchweine in den
"Wäldern, und die wilden Schweine im Mteere herumlau-
“fen. Die einzeln Stuͤcke des Gemäldes, und die Farben,
"Haben eine Wahrheit, der Inbegrif aber it falſch. Nun
koͤnnen mir auf eine dreyfache Arc ſchlieſſen: 1) Je mehr
“uns eine wahre Erfenntniß vorftele, defto groͤſſer iſt ſie; je
weniger fie aber vorftelt, deſto Fleiner ift fir Die Bör-
ftellung einer einzigen Sache iſt ſchon eine Erkenntniß,
“und je mehr fie alfo enchält, deſto mannigfaltiger und grcf-
fer ift fie, mie ein Gemälde um fo viel gröffer ift, je meh—
rere und mannigfaltigere Gegenftände auf demfelben abge:
bilder find. 2) Je grofler der Gegenftand iſt, den eine
wahre Erkenntniß in feiner Gröffe vorſtelt, deſto geöffer iſt
die Erkenntniß: weil eine groſſe Sach@piel in fich enthält,
und eine folche Erfenntniß alfo vieles in Einem auf einmal
vorſtelt. 3) Ye richtiger die Erkenntniß iſt, deſto geöfler
iſt fie, je weniger richtig fie aber’ ift, deſto kleiner iſt fie.
Wenn eine Erfennenif noch fo weirläuftig wäre, wie ein
groſſer Roman, entbielte fie aber viel Irriges, fo wäre fie
doch klein; weil das Irrige in der That Feine Erfenntnig
ift, und alfo abgezogen werden muß, wenn man die wahre
Gröffe einer ſolchen Erfenntniß beftimmen will,
490,
Je mehr eine Erkenntniß vorftele und in fich enthält,
defto gröffer ift fie $. 489. Daber entſteht der erfte Grad
der Erkenntniß überhaupt, welcher ihr. zufome, in fo ferne
‚fie vieles vorftelt, und er wird die Weitlaͤuftigkeit der
Erkenntniß, ihr Neichthum oder ihre Ausdehnung ge-
nennt, Je mehr Sachen eine Erkenntniß vorfielt, je
mannigfaltiger Diefelben find, und je mehr fie von einem
Gegen:
Von der Wouͤrklichkeit der Seele, 33
Gegenftande vorftelt, deſto weitlaͤuftiger iſt fie, und alfo
auch vefto gröffer, Kine Erkenntniß aber iſt armſee—
lig, oder fie ift im fehr enge Grenzen eingefchrenft, wenn
fie nicht weitläuftig ift. Je weniger eine Erkenntniß über-
haupt vorftelf, oder je weniger von einem Gegenjtande,
deſto armfeeliger ift fie, und alfo auch defto kleiner. Eine
weitläuftige Erkenntniß verhält fih wie ein Gemälde, wel-
des eine groffe Gegend und unendlich viel in derfelben
vorftel. Das Auge Fan fi) an demfelben niche fat feben,
und es erblickt allerwegen die reichite Mannigfaltigfeit.
So fohreiben wir einem Gelehrten eine weitläuftige Ge—
lehrſamkeit, und einen reihen Schatz und Vorrath an
MWiffenfchaften, zu, wenn er fehr viele Theile der Gelehr—
ſamkeit gelernt hat, und von einem jedweden Theile eine
fehr weitläuftige Erfenntniß beſitzt. Wer wenig gelernt
Bat, befigt eine aumfeelige Gelehrſamkeit. Die Weitlaͤuf⸗
tigkeit dev Erfenntniß iſt unleugbar eine. Vollkommenheit.
Eine jedwede wahre Borftellung ift eine Realitaͤt, und alſo
eine Bollfommenheit $. 139. je weitläuftiger eine wahre
Erfenneni iſt, defto mehr wahre Borftellungen begreiff
fie in fih, und folglich deſto mehr Nealitäten, und fie ift
alfo um fo viel vollfommener, Die Vollkommenheit einer
Sache wird allemal, durch die Menge der mannigfaltigerw
Stuͤcke, vermehrt, die in derfelben zufammenftimmen 9.
97. Da nun in einer weitläuftigen Erfenntniß mehr Man—
nigfaltiges angetroffen wird, als in einer arımfeeligen, fo
ift auch jene volffommener als diefe, wenn fie übrigens
einander gleich find. Die Weitläuftigkeit und Armfeelig«
keit der Erfenntniß find die erfte Vollkommenheit und Une
vollfommenheit derfelben, welche ihe in Abficht auf den
Gegenftand zukommen.
. 491
Die andere Vollkommenheit und Unvollkommenheit,
welche der Erkenntniß in Abfiche auf ihren Öegenftand zu—
kommt, ift Die Gröffe und Kleinigkeit der Erkenntniß.
Eine ms ift groß, edel, wichtig, wenn fie
3. Theil, C grojle
34 Don der Wuͤrklichkeit der Seele.
groffe Dinge in ihrer Gröffe vorftelt; fie ift aber eine klei—
ne und getingfchägige Erkenntniß, wenn fie nicht groß
ift. Folglich ift eine Erfenntniß groß, wenn fie entweder
groffe Dinge vorftelt, oder von ihrem Gegenftande groſſe
Beſtimmungen, und wenn ihre Gegenſtaͤnde in ihr als
groſſe Dinge erſcheinen dergeſtalt, daß ſie der Groͤſſe der—
ſelben recht angemeſſen und proportionirt iſt. Wenn aber
im Gegentheil eine Erkenntniß, kleine und geringe Sachen,
in ihrer Groͤſſe vorſtelt; oder von groſſen Gegenſtoͤnden
nur die Kleinigkeiten und unerheblichern Umſtaͤnde; oder
wenn ſie der Groͤſſe wuͤrdiger Gegenftände nicht gemäß iſt,
ſondern wenn die Gegenſtaͤnde in ihr entweder groͤſſer oder
kleiner erſcheinen, als ſie ſind, ſo ii fie eine Eleine und ges
ringſchaͤtzige Erkenntniß. Bir dürfen bier, diefe Boll:
kommenheit und Unvollkommenheit der Erkenntniß, nicht
weiter ausführen, weil daffelbe in der Vernunftlehre und
Aeſthetik geſchieht. So viel aber iſt klar, daß eine Er—
kenntniß um ſo viel groͤſſer ſey, je wichtiger und edeler ſie
iſt F. 489. Es iſt dieſe Groͤſſe der Erkenntniß ohne Zwei—
fel eine Vollkommenheit der Erkenntniß, weil es eben ſo
viel iſt, als wenn man ſich vieles auf einmal vorſtelt, wenn
man groſſe Dinge erkennt $. 490. Und da es die Abſicht
der Erkenntniß ift, daß die Gegenftände dadurch abgebil-
det werden follen, fo ſtimt fie um fo viel beffer mit ihrem
Zwecke überein, wenn fie die Gegenftande in ihrer wahren.
Gröffe abbildet, oder wenn fie der Gröfle ihrer Gegenſtaͤn—
de proportionirt iſt. Und folglich ift fie um fo viel vollz
fommener $. 94. Und es ift demnach, die Kleinigkeit der
Erkenntniß, eine Unvollk ommenheit derſelben.
$. 492.
Auffer den Graden und Vollkommenheiten der Er-
Fenntniß, welche ihr in Abficht des Gegenftandes zuge
fehriepen werden, kommen ihr auch, in Abficht ihrer Be—
fchaffenheit, oder der Art. und Weiſe, wie fie die Gegen—
ftande in der Seele abbildet, gewiſſe Grade, Vollkommen—
heiten und Unvollfommenheiten zu. Unter denſelben ift Die
ah.
Von der Wuͤrklichkeit der Seele, 35
Wahrheit die erfte und vornehmite Vollkommenheit, obne
welcher gar feine andere Vollkommenheit in der Erkennt—
niß ftat finden fan, Eine falfche und irrige Erkenntniß
ftelt ung entweder gar nichts vor, oder ganz was anders,
als fie uns vorftellen fol $. 489. Da nun die Abſicht al-
ler Erkenntniß dahin. geht, einen gewiſſen Gegenſtand in
unferer Seele abzubilden : fo ftimt die falfche und irrige
Erkenntniß gar nicht mit ihrer Abfiche überein, und fie ift
alfo höchft unvollfommen $. 95. Folglich ift, Die Wahre
beit der Erfenntniß, unleugbar eine Vollkommenheit der—
felben, Nun gibt es, in der Wahrheit, verfchiedene Gra—
de 9.91. Folglich je richtiger die Erfenntniß ift, deſto
groͤſſer und vollfommener ift fie; je weniger richtig fie
aber ift, defto Fleiner und unvollfommener ift fie. Sie ift
aber um fo viel richtiger, je richtiger nicht nur Die einzeln
Dorftellungen, Begriffe, Urtheile u. ſ. w. find, woraus
fie zufantinengefegt ift; fondern auch je gröffer Die Ord—
nung iſt, nach welcher ihre verfchiedenen Theile einander
zugeordnet find, Da nun aus der Vernunftlehre befanne
ift, daß eine gröffere und merflichere Drönung in der Erz
fenntniß die Methode genennt wird, fo Fan feine Era
kenntniß ohne Methode ihre möglichfte Wahrheit erlangen.
Es gibt Leute, welche die Methode oder die Lehrart als. ei-
nen ſchulfuͤchſiſchen Zwang betrachten, den man fich felber
im Denfen anthut, und welcher hoͤchſtens nur dazu dient,
in den Schulen den Anfängern die erften Elemente der
Wiſſenſchaften defto bequemer einzuflöffen. Nun geben.
mir gerne zu, daß die Weltweiſen, die Lehre von der Me:
thode, in der Bernunftlehre mit vielen Schulfuͤchſereyen
verunſtaltet haben; allein kein gruͤndlicher Kenner der
Wahrheit fan alle Methode verwerffen. Alle Wahrheit
befteht in einer Drönung 6. 91. und man fan felbft der,
Lügen einen verführerifchen Schein der Wahrheit geben,
wenn man recht ordentlich lügt. Folglich ift eine Erfennt-
niß um fo viel wichtiger, je methodiſcher fie iftz je weniger
methedifch fie aber ift, oder wenn fie eine tumultuarifche
€ 2 Er
36 Von der Wuͤrklichkeit der Seele,
Erfenntniß ift, fo ift fie um fo viel unrichtiger. Eine Er:
kenntniß, welche in einem höhern Grade richtig ift, wird
eine genaue Erkenntniß genennt ; ift fie aber in einem
kleinern Grade richtig, fo heißt fie eine grobe Erkennt⸗
niß. Eine grobe Erfenntniß ift richtig, allein fie ift mic
vielen unrichtigen Vorftellungen untermengt. Wenn man
fih die Allgegenwart GDttes, als eine Ausdehnung und
Ergieffung des göttlichen Weſens durch die ganze Welt,
vorftelt, fo hat man in fo weit eine richtige Vorſtellung
von der Allgegenwart GOttes, in fo weit man fich diefelbe
als eine Gegenwart an allen Orten vorftelt, Syndem man
fich Diefelbe aber zugleich, als eine Ausdehnung des Wer
fens GOttes, vorftelt, indem macht man ſich von ihr eine
falfche Borftellung, und alfo ift, die angeführte Vorſtel—
hung der Allgegenwart GOttes, eine grobe Erkenntniß.
§. 493.
Man Fan fich, die Gröffe der Erkenntniß, auch noch
auf eine andere Art vorſtellen. Nemlich eine jedwede Vor—
ſtellung und Erkenntniß hat, wenn ſie in der Seele wuͤrk—
lich iſt, ihre Folgen $. 36, und fie enthält allemal einen
Grund von gewiſſen Folgen, Beranderungen und Wuͤrkun—
gen, welche fie in der Seele verurſacht. In ſo ferne fie
nun, einen Grund oder eine Urfach von gewiffen Berän-
derungen und Würfungen, enthalt, in fo ferne Fan man,
einer jedweden wuͤrklichen Erkenntniß in der Geele, eine
Kraft und Wuͤrkſamkeit zufchreiben S. 158. Je groͤſſer
num eine Erfenneniß ift, deſto mehrere und gröffere Ver—
änderungen wuͤrkt und verurfacht fie; je Fleiner fie aber iſt,
deſto wenigere und Fleinere Beränderungen wuͤrkt fie in der
Seele $.1606. Die Stärke einer Erkenntniß beſteht
in einer gröffern Kraft, die ihr zukomt, und eine ſolche Er-
kenntniß wird eine ftarke Erkenntniß genannt. Wenn
aber eine Erkenntniß eine kleinere Kraft befise, fo nennt
man diefe Kraft die Schwäche der Vorftellung, und
die Erkenntniß felbft wird eine ſchwache Erkenntniß
oder Dorftellung genannte, Eine ſtarke Vorſtellung ver-
urſacht
Von der Würklichkeit der Seele, 37
urſacht in der Seele, wenn fie entftehe, viele und groffe
Deränderungen, eine ſchwache aber wenige und Fleine; jene
verändert alfo den Zuftand der Seele in einem höhern Gra=
de, und diefe in einem kleinern. Wir fönnen es alfo fehr
ofte fühlen, welche Vorftellungen bey uns flarf oder
ſchwach, ftärfer als andere oder fehrmächer find, wenn wir
auf die Menge und Gröffe der Veränderungen achrung ges
ben, die fie in ung verurfachen.
8§. 494.
Wir muͤſſen noch genauer, die Stärfe und Schwä-
che unferer Borftellungen, fant dem Grunde derfelben, un-
terſuchen. Nemlich eine jedwede Vorftellung bat ihre‘
Merkmale, welche nichts anders find, als diejenigen Bor:
ftellungen, aus denen fie als aus ihren Theilen zufammens
gefegt ift $. 49. Eine jedwede wahre Vorſtellung ift in
Der Seele, eine Abbildung einer möglihen Sache $. 489,
und da alle mögliche Dinge viele Beftimmungen haben $.
66. 67, fo ift eine jedwede wahre Borjtellung nichts: an«
ders, als eine Borftellung vieler Beftimmungen, die wir
uns zufammengenommen in dem Gegenftande, als in dem
Subjecte, vorftellen. Wenn wir uns z. E. einen Trian⸗
gel vorſtellen, fo ſtellen wir uns ein Subject vor, in wel:
chem wir drey Seiten und drey Winkel erfennen. Folg—
lich beftehe die Vorftellung einer jedweden möglichen Sa—
che aus fo viel Borftellungen, als wir Beftimmungen in
derfelben erkennen, und diefe Borftellungen find die Theile
and Merkmale einer Borftellung. Nun hat eine jedwede
Borftellung, und alfo auch ein jedwedes Merfmal, eine
Kraft, und verurfacht alfo gewiſſe Beranderungen-$. 493.
Folglich ift eine Borftellung um fo viel ftärfer, je mehr
Merkmale fie infich enthält; weil alsdenn um fo viel mehr
Kräfte in ihr vereinigef find. - fe, weniger Merkmale fie
aber enthalt, defto ſchwaͤcher ift fi. Wenn nun eine dun—
fele Borftellung mehr Merkmale enthalt, als eine klare,
und eine verworrene mehr als eine deutliche :. fo Fan eine
dunfele Borfiellung ſtaͤrker ſeyn, als eine Klare, und eine
C 3 ver⸗
38 Von der Wirklichkeit der Seele.
verworrene Fan ftärfer feyn, als eine deutliche, Folglich
hanget, die Stärfe und Schwäche der Borftellungen, nicht
von ihrer Klarheit und Dunkelheit ab, fundern von der
Menge und Wenigkeit der Borftellungen, welche fie in ſich
enthalten. Wenige Merkmale Eönnen eine Borftellung
klar und deutlich machen, wie aus der Vernunftlehre be—
kannt ift, und es find demnach unfere Flärften und deutlich.
ſten Vorſtellungen ofte die allerſchwaͤchſten. Unterdeſſen
kan auch eine klare und deutliche Vorſtellung viel ſtaͤrker
ſeyn als eine dunkele und verworrene, nicht zwar um ihrer
Klarheit und Deutlichkeit willen, fondern weil es möglich
ft, daß fie mehr Merkmale enthaͤlt, als die dunfele und
verworrene Dieſes ift eine fehr wichtige Anmerkung,
welche Durch Die betruͤbte Erfahrung nur gar zu fehr beftä-
tiget wird. Die Flärften und deutlichften Vorſtellungen
der Wahrheit und Tugend find bey uns vielmals ſchwaͤ—
cher, als die dunfeln und vermorrenen Vorſtellungen, wel—
che uns die Sünde als veißend vorftellen. Bey dieſer Ge-
legenheit koͤnnen wir einige Begriffe erflären, wodurch diefe
Materie erläutert wird. In ſo ferne nemlich eine Bor:
ftellung viele Merkmale in ſich enthält, in fo ferne heißt fie
eine nachdrückliche Vorſtellung, wie z. E. die meta-
phorifchen BVorftellungen befchaffen find. Je nachdruͤckli—
cher demnach eine Vorſtellung iſt, defto ftärfer ift fie. Weil
nun die Redner und Dichter fich, in ihrem Vortrage, viel
nacydrücklicherer Vorſtellungen zu bedienen pflegen, als die
Gelehrten: fo find ihre Vorftellungen und Reden aud) fläre
fer als die Borftellungen der Gelehrten, Ausdrucke, wo⸗
durch nachdruͤckliche Vorſtellungen bezeichnet werden, heif-
fen nachdruͤckliche Ausdrucke, welche, wenn fie einzelne
Dinge ausdrucken, eigenthuͤmliche Namen genannt
werden. Die Vorſtellung eines einzeln Dinges ſtelt uns
ein Ding vor, welches durchgaͤngig beſtimt iſt, und alſo
unendlich viel in ſich enthält. Folglich haben ſolche Wor—
frellungen eine groffe Stärke, und fie find gewöhnlicher
Weiſe ftärfer und nachdruͤcklicher, als abftracte 3
j | un
‚Von der Wuͤrklichkeit der Seele. 39
und die Ausdrucke derfelben, als welche wenig in fich ent:
halten. Daher fomts, daß Redner und Dichter fo wenig
abftracte Begriffe vortragen, als ſich will thun laflen.
‚Star allgemeiner Ausdrude bedienen fie fih, eigenthümli-
cher Namen. Stat eines Helden überhaupt, denfen fie den
Alexander, und fie verwandeln abftracte Sachen in erdich-
tete Derfonen, fie machen aus der Gerechtigkeit eine Per:
fon, und wenn fie von einem Öeißigen reden wollen, nens
nen fie den Harpax.
. 495,
Durch eine ganze Vorftellung verfteht man einen
Inbegrif vieler Borftellungen, welche zufammengenommen |
Eine Vorftellung als ein Ganges ausmachen, Eine ganze
Borftellung ift einem Bilde ähnlich, auf welchen eine ganz
ze Sandfchaft abgemalt ift, und welches Baume, Haufer,
Thiere und hunderterley andere Sachen in Einem vorftelt.
Man Fan, durch eine ganze Vorftellung, zweyerley verſte—
hen. Einmal den Inbegrif aller Vorstellungen obne Aus—
nahme, die auf einmal in einem jediweden Augenblide in
unferer Seele wärflich find, und es müffen alfo dahin alle
dunfele, verworrene, Elare, deutliche Vorftellungen gerech-
net werden, die zugleich und auf einmal in der Seele würf:
lich find. Es ift demnach leicht zu begreifen, daß die
Geele in einem jedweden Augenblicke eine gewifle ganze
Borftellung habe, die in dem nächft folgendem Augenblide
geändert wird. Zum andern Fan man, durch eine ganze
Borftellung, eine jedwede Borftellung verfteben, in fo fer-
ne fie) aus mehrern Vorstellungen zufammengefegt ift. Die
Vorftellung von einem Menfchen ift eine ganze Vorſtel—
lung, weil fie die Borftellung deu Seele und des Körpers
in ſich enthält; und chen fo die Vorftellung, von einer
Stadt, von einer Malzeit u. ſ. w. Alle Merfmale einer
Boritellung nun, over alle Borftellungen, die mit andern
zuſammengenommen eine und eben Diefelbe ganze Borftel:
dung ausmachen, find Theile der Dorftellungen. So
ift Die Vorftellung von der Seele ein Theil von der Vor—
Ga ſtellung
48 Don der Wuͤrklichkeit der Seele.
ftellung von dem ganzen Menſchen. Daher ift ver Grund
der Seele, oder der Inbegrif aller Dunkeln Vorftelfungen,
welche neben den klaren zugleich in der Seele vorhanden
find, ein Theil der ganzen dermaligen Borjtellung der See-
le, und ev wird das Keld der dunkeln Dorftellungen
genannt, Das Feld der klaren, deutlichen, verwors
renen Vorſtellungen u. f. w. ift der Inbegrif aller kla—
ren, deutlichen, verworrenen Borftellungen, welche neben
andern Boritellungen zugleich) in der Seele angetroffen
werden. Dieſe Ausdrucke und Erklärungen haben den
Nutzen, daß fie uns die Mannigfaltigkeit der Vorſtellun—
gen, die auf einmal in unferer Seele bey einander da ſeyn
koͤnnen, lebhafter vorftellen. toch müßlicher aber iſt es
bier zu bemerken, was wir vergefellfchaftere Vorſtellungen
nennen, weil ſehr viel in Der Geele aus der. Vergeſellſchaf—
tung der Borjtellungen erklärt werden fan, Nemlich alle
Borftellungen, welche Theile einer und eben derſelben gan-
zen Vorstellung find, find mit einander vergefellfchaftete
DVorftellungen. Wenn ich an einem Orte gewefen, und
dafelbjt eine groffe Gefellfchaft angetroffen, fo habe ich eine
ganze Vorſtellung von der Gefellfchaft, und die Borftellun-
gen von den einzeln Derfonen find eben Dadurch mit einans
der vergefellfchafter. Diejenige Vorſtellung, welche unter
allen Borftellungen, vie mit ihr vergefellfchafter find, Die
ftärffte if, wird die herrſchende Vorftellung genannt.
-
Nenn daher die Seele in einem folchen Zuftanvde ſich bes
findet, in welcher die herrſchende Vorftellung dunkel ift, ſo
Fan man diefen Zuftand, den Zuftand oder das Reich
der Finſterniß, nennen; ift aber die herrſchende Vorftel-
lung klar, fo fan man Diefen Zuftand den Zuftsnd oder
das Reich des Lichts nennen. Selbſt der biblifche Ge—
brauch dieſer Wörter ſtimt, mit diefen Erklärungen, über-
ein. Ein frommer Menfch befindee fıch in dem Zuftande
des Lichts. Da derfelbe nun allemal nach feinem beften
Gewiſſen, folglich nad) feiner Flärften Erkenntniß, handelt;
fo find bey ihm, die klaren Vorſtellungen, gewöhnlicher
Weiſe
Von der Wuͤrklichkeit der Seele, 4
Weiſe die ſtaͤrkſten. Ein Gottloſer im Gegentheil han—
delt gewoͤhnlicher Weiſe nach den dunkeln Vorſtellungen
ſeiner Triebe, folglich ſind die dunkeln Vorſtellungen bey
ihm gewoͤhnlicher Weiſe die ſtaͤrkſten, und eben deswegen
iſt er ein Kind der Finſterniß. Wenn ein Menſch, aller
vernünftigen Vorſtellungen ohnerachtet, feine Feindfhaft
gegen jemanden nicht überwinden Fan, fo ſchiebt er Die
‚Schuld davon auf eine Antipatbie. indem er nun Da=
durch genungfam verfichert, Daß eine dunkele Vorſtellung
in feiner dermaligen Gefinnung viel ftärfer fen, als alle
feine Elaren und deutlichen Borftellungen, fo befennt er
eben dadurch, Daß er fich in dem Reiche der Finfternig
befinde, ’
6. 496,
Dasjenige, was wir bisher von der Geele erkannt
haben, ift die Kraft, wodurch fie ſich die Welt vorftelt,
Nun ſind die Kräfte Fleiner oder gröffer, nach dem fie Flei-
nere oder gröffere Wuͤrkungen bervorbringen $.160. Folg—
lic) 1) je weitläuftiger die Erkenntniß iſt, welche in Der
Seele würklic) ift, defto geöfler iſt die Kraft Derfelben $.
490. je mehr Theile demnach die ganze Borftellung der
Seele in fich begreift, je mehr Vorſtellungen in ihr verge-
ſellſchaftet jind, deſto gröffer muß ihre Kraft ſeyn $- 495-
Se weniger fie aber erkennt, defto Eleiner ift ihre Kraft.
2) Je gröffer die Erkenntniß der Seele ift, deſto gröffer ift
ihre Vorſtellungskraft 9. a9. Es ift alfo allemal ein
Beweiß der Stärfe der Seele, wenn fie groffe Gegenftan-
de überfehen, und in ihrer wahren Gröffe vorftellen Fan.
3) Se richtiger, ordentlicher und methodifcher die Erfennt-
niß iſt, deſto groͤſſer ift die Vorftellungsfraft der Serle $-
492. Irrige, grobe und unordentliche VBorftellungen, und
Arten zu denfen, find allemal ein Beweiß der Schwäche
der Vorftellungskraft der Seele. Wer vieles ordentlic)
überdenken will, der muß fo viel Stärke befigen, daß er
daſſelbe neben einander zugleic) denfen fan, Unordentlie
che Köpfe und Seinde dev Methode verrathen eben dadurch,
— * C5 die
42 Don der Wuͤrklichkeit der Seele.
die Schwäche ihres Verftandes, 4) Je ftärfer die Er:
kenntniß ift, defto gröffer iſt die Vorftellungskraft der
Seele $. 493. In dem Reiche des Sichts beweift alfo die
Seele, eine gröffere Stärfe und Kraft, als in dem Reiche
‚der Sinfterniß $. 495, weil fie vergleichungsweife zu re-
den, in jenem eine gröffere Erkenntniß befigt, alsin dieſem.
Wir werden in dem folgenden noch mehr Gründe unterfüs
chen, woraus verfchiedene Grade der Borftellungskraft der
Seele beurtbeilt werden koͤnnen.
WKERRKREH ERKENNE
Der andere Theil,
von dem
Erfenntnißvermögen der Seele.
Das erfte Eapitel,
von dem
Erfenntnißvermögen der Seele überhaupt,
497.
ie Seele iſt eine thaͤtige und geſchaͤftige Kraft, welche
ſich die Welt, nach der Stellung ihres Koͤrpers,
auf eine verſchiedene Art vorſtelt $. 488. Wenn
wir alfo die Seele aus ‘der Erfahrung recht wollen Fennen
lernen, fo müffen mir auf die verfihiedenen und mannig-
faltigen Würfungen achtung geben, durch welche fich diefe
Kraft auffere und gefchäftig erweift. So viele verfchiede-
ne Würfungen diefe Kraft nun würflich macht, auf fo viele
verfchiedene Arten Fan fie ſich auffern, und es gibt alfo fo
viele verfchiedene Vermögen, womit dieſe Kraft ausgeruͤ—
ftee it 9.170. Folglich müffen wir nach und nach, in der
empirifchen Pfychologie, Die verfchiedenen Vermögen der
Seele unterfuchen, in-fo weit fich diefelben durch die Er—
fabrung entdecken laſſen. Und da wollen wir diefe vers
ſchiedenen Bermögen in derjenigen Drdnung nach) ir
AD:
— — ——
Von dem Kıkenntnifvermögender Seele uͤberh. 43
abbandeln, nach welcher fie in der Natur felbft mit einan-
der verbunden find, und aus einander flieffen. Das erfte
Vermögen, welches wir in unferer Seele entdecken, ift das
Erkenntnißvermoͤgen, oder Das Vermögen etwas zu er—
fennen. In ſo ferne es alfo der Seele möglich if, viele
Dinge, fich felbit, ihre eigene Veränderungen, oder andere
Dinge zu erkennen, in fo_ferne befigt fie ein Erfenntniß-
vermögen, Nun lehrt uns die Erfahrung, daß die Seele
viele Dinge erfennt, und daß fie bey ihrer Erfenntniß ofte
thätig und geſchaͤftig iſt F. 482. 483. Was die Seele
würflich thut, muß fie auch thun Fönnen S. 61. Folglich
befist Die Seele ein Erfenntnißvermögen, welches nichts
anders ift, als die Möglichkeit der Erkenntnißkraft der
Welt, welche der Seele zufomt $. 483. 173. Kraft diefes
Erkenntnißvermoͤgens ift die Seele nichts anders als ein
Spiegel der Welt, welcher dazu geſchickt und aufgelegt ifk,
die Welt in fic) abzubilden, Diefes Erfenntnißvermögen
wird auch ofte der Verſtand genannt, wenn man dieſes
Wort in einer weitern Bedeutung nimt, als wir es G. 372
genommen haben. Unterdeſſen verurfacht es Wortftreitig-
feiten und Verwirrungen, wenn man ein jedwedes Erfenntz
nißvermögen Verſtand nennen will, weil man alsdenn auch
ohne weitere Unterfuchung allen Thieren- Berftand zufchreis
ben koͤnnte. Wir wollen alfo, das Wort Berftand, nie
mals in diefer weitern Bedeutung nehmen,
S. 498.
Unfere Seele erfennt einige Dinge flar, und einige
dunkel $. 485. Folglich muß ihr Erfenntnißvermögen ge—
fchie feyn, fo wohl klare als auch dunfele Erkenntuß zu.
würfen $. 497. Aus der Bernunftlehre ift fchon bekannt,
daß wir durch klare Erkenntniß eine Erfenntniß verfte-
ben, die man auch fonft Gedanken nennt, und deren wir
uns bewußt find. Wenn wir uns unferer Erfenntniß be=
wußtfind, ſe iſt es uns zu Muthe wie bey unferm Gefichte
an hellem Tage, da wir vermöge des Lichts Die fichtbaren
Dinge von einander unterfcheiden Fonnen. Wir find ung
alfy
44 Don dem Erkenntnißvermoͤgen
alfo einer Erkenntniß bewußt, wenn wir fie und ihren Ge:
genftand von andern Borftellungen und Sachen unterfchei-
den, und wenn wir erfennen, daß fie eben dieſe und feine
andere Borftellungen find. Unſere Geele erlangt alfo,
vermoͤge ihres Erkenntnißvermoͤgens, von einer Sache eine
klare Erkenntniß, wenn fie nicht nur diefelbe fich vorftelt,
fondern auch diejenigen Beftimmungen, wodurch fie von
andern Sachen verfchieden ift, das ift die Merkmale $. 49.
Folglich entfteht die Klarheit ver Erfenntniß, durch die
Vorſtellung derjenigen Merfmale, wodurch mir in den
Stand gefeßt werden, den Gegenftand für denjenigen zu er—
Fennen, der er ift, und ihn von andern zu unterfcheiden,
Eine dunkele Erkenntniß befteht alfo darin, wenn wir
Feine hinlänglichen Merkmale erkennen, wodurch wir den
Gegenftand für denjenigen erkennen koͤnnten der er ift, und
ihn von andern unterfcheiden. In fo ferne wir nun, durch
unfere Erkenntnißkraft, uns zwar eine Vorftellung von eis
ner Sache machen, diefelbe aber nicht fo fehr gebrauchen,
daß wir in dem Gegenftande uns auf einmal zulängliche
Merkmale und Unterfcheidungsftüce vorftellen, in fo ferne
haben wir eine dunfele Erfenntniß von derfelben Sache,
welche alfo Fein Gedanke ift, und mit feinem Bewußtſeyn
verbunden iſt. Es ift uns alsdenn überhaupt zu Muthe,
wie in der Finſterniß bey unferm Gefichte, da wir den Uns
rerfchied der fichtbaren Dinge nicht gewahr werden Fonnen,
indem alsdenn alle diefe Dinge einerlen ausfehen. Gleich:
wie alfo die Klarheit der Erkenntniß überhaupt in der Er-
kenntniß der Merkmale befteht, alfo befteht die Dunkelheit
in der Unwiſſenheit der Merkmale,
» 499%
Da die Klarheit der Erkenntniß, auf der Erfentniß
der Merkmale, berubet $. 498, fo Fan man die Natur der:
felben nicht gehörig einfeben, wenn man nicht die Befchaf-
fenheit der Merfmale, aus denen, als aus ihren Theilen,
die klare Erfenneniß ʒuſammengeſetzt iſt, genauer kennen
lernt. Nun koͤnnten wir zwar hier alle diejenigen, die ſich
von
der Seele überhaupt. 45
von diefer Sache unterrichten wollen, in die Vernunftlehre
verweiſen. Allein da diefes mit mancher Befchwerlichkeit
verbunden iſt, fo wollen wir, zur Bequemlichkeit unferer
Leſer, dieſe Materie hier fürzlich abhanden, Man Fan
nemlich die Merfmale auf eine zwenfache Art betrachten,
entweder als Gründe des Bewußtſeyns und der Klarheit
der Erkenntniß, und da verhalten fie fich wie Sichter, wel—
he einen Ort erleuchten $. 498, oder als Vorftellungen der
Beftimmungen, welche in den Gegenftänden der Erfennf-
niß angetroffen werden, und wodurch fie von einander ver—
fihieden find $. 49, Wenn man fie als Gründe des Be—
wußtſeyns betrachtet, fo Fönnen fie, wie alle Gründe über-
haupt, auf eine vierfache Art eingetheilt werden. ı) Sie
find entweder mittelbare oder unmittelbare Merkmale,
jene find diejenigen Merkmale, welche nur einen entjernten
und mittelbaren Grund des Bewußtſeyns enthalten, diefe
aber enthalten einen unmittelbaren Grund des Bewußt—
ſeyns $. 40. Jene find die Merfinale der Merkmale ei-
ner Sache: denn ein jedwedes Merfmal einer möglichen
Sache hat wiederum feine Merkinale, wedurd) es von an-
dern unterfchieden iſt; Diefe aber find zwar Merkmale einer
Sache, aber Feine Merkmale anderer Merfmale derfelben.
Wenn wir uns einen Begrif von unferer Seele machen, fo
fegen mir denfelben unmittelbar aus den Begriffen von ei—
nem Dinge, und von dem Bewußtſeyn, und der Moͤglich—
feit deflelben zufammen $. 480. und diefe Begriffe find
alfo, die unmittelbaren Merkmale des Begrifs von der
Seele. Wenn wir nun diefe Merfmale von neuem unter=
fuchen, und diejenigen Begriffe finden, aus denen fie zu—
fammengefest find, fo haben wir die mittelbaren Merkmale |
der Seele. Wenn wir von einer Sache weiter nichts als
mittelbare Merkmale erkennen, und folten wir deren aud)
noch fo viel uns vorftellen, fo koͤnnen wir uns derfelben
Sache doch nicht bewußt werden: weil alsdenn das Be—
wußtſeyn, ohne unmittelbaren Grund, und alſo ſchlechter—
dings durch einen Sprung entftehen müfte, und das ift un
möglic)
45 Don dem Krkennenifvermögen
möglich $. 327. Folglich entiteht, die Klarheit der Er—
kenntniß, aus der Erkenntniß ihrer unmittelbaren Merk—
male, und wenn wir uns einer Sache bewußt werden wolz
Ien, fo müfien wir Durch unfere Erkenntnißkraft diefe Merk
male zu entdeden fuchen, 2) Die Merkmale find,entwee
der zureichende, oder unzureichende Merkmale $. 34.
Jene verurfachen das Bewußtſeyn dergeftalt, daß auffer
ihnen feine mehrere Merkmale nöthig find, wenn wir uns
einer Sache bewußt werden wollen; dieſe fragen zwar zum
Bewußtſeyn das ihrigebey, allein fie allein genommen laf-
fen die Erfenneniß dunkel, Ein Merkmal kan allein uns
zureichend feyn, viele unzureichende Merkmale aber zufam-
mengenommen koͤnnen zureichend feyn, Wenn wir alfo
eine klare Erkenntniß haben, fo muß unſere Seele zurei—
chende Merkmale erkennen. Wir koͤnnen es auch allemal
aus der Erfahrung wiſſen, ob wir zureichende Merkmale
erkennen oder nicht, weil uns die Erfahrung allemal ſagen
kan, ob wir uns einer Erkenntniß wuͤrklich bewußt ſind
oder nicht. Ein und eben daſſelbe Merkmal kan einem
Menſchen, und in gewiſſen Umſtaͤnden, zureichend ſeyn,
einem andern aber und in andern Umſtaͤnden unzureichend,
5) Die Merfinale find entweder wichtigere oder uners
beblichere Merkmale $. 27. Jene find ein wichtigerer
Grund des Bewußtfeyns, indem aus ihnen ein ftärferes
Bewußtſeyn entſteht; dieſe aber find unerheblichere Gruͤn—
de des Bewußtſeyns, indem ſie uns nur die Kleinigkeiten
an den Gegenſtaͤnden zu erkennen geben. Daß ein Menſch
Verſtand, Vernunft und freyen Willen hat, iſt ein wich—
tiges Merkmal deſſelben, daß er aber lachen kan und zwey
Beine hat, find unerheblichere Merkmale. 4) Die Merk:
male find entweder fruchtbarere, oder unfiuchtbarere
Merkmale 9.27. jene entdecken ung viele und mannig-
faltige Unterfchiede des Dinges von vielen andern Dingen,
diefe aber nur wenige; durch jene Fünnen wir uns der Sa—
che öfter und in mehrern Faͤllen bewußt ſeyn, als durch
diefe. Daß der Menfch Vernunft bat, ift ein fruchtbare:
’ res
EEE N
ee, use
nn
—
der Seele überhaupt» 47
res Merkmal deffelben, als daß er denfen Fan: denn durch
das legte Fan man ihn nicht fo vielfältig von andern Din—
gen unterfcheiden, als durch jenes:
$. 500,
Wenn man die Merkmale, als Unterfcheidungsftüde
und Beſtimmungen der Gegenftände der Erkenntniß, be=
trachtet, fo find fe fo vielfach, als die Beftimmungen mog-
licher Dinge überhaupt 9.49. Sie find alfo 1) entweder
fhlechterdings norhwendige und ımveränderliche,
oder zufällige und. veraͤnderliche Merkmale $. 103. 105.
Zu jenen gehört das Weſen, die wefentlichen Stücke und
die Eigenfihaften der Dinge; zu dieſen aber die zufälligen
Beſchaffenheiten „und die Verhaͤltniſſe $. 100. 110. 111.
Jene find wichtigere und fruchtbarere Merkmale als dieſe,
weil fie. den Gegenſtaͤnden beſtaͤndig und in allen Fällen zu⸗
fommen, diefe aber. nicht $. 499. Vermoͤge jener Fam,
man ſich der Sache allemal bewußt werden, vermoͤge Diefer
aber nicht. Das Bermögen zu denfen ift ein nothwendi—
ges Merkmal der Seele, das wirkliche Denfen aber nur
ein zufälliges; und wenn man ſich Die Seele als ein Ding
vorſtelt, welches wirklich denkt, ſo kan man ſich derſelben
vermoͤge dieſer Vorſtellung unmöglich alsdenn bewußt wer-
den, wenn fie in dem Zuftande Dunfeler Borftellungen fich
befindet... 2) Die Merfmale find entweder eigenthuͤmli⸗
che Merkmale, oder ſolche, welche die e Sache mit an-
dern Dingen gemein bet $. 49. Jene fommen der
Sache allein und. ausfchlieffungsweife zu, und fie find alſo
zuveichender als, diefe, welche auch andern Dingen zukom—
men 9. 499. Folglich find jene beſſere Merfmale, als
diefe. Wenn man fih von einer Tugend nur dasjenige
vorftellen wolte, mas fie mit dem Laſter gemein bat, 3. E.
daß fie eine Sertigfeit ſey, wuͤrde man wohl recht mwiffen,
was eine Tugend fen? Endlich wollen wir noch 3) be»
merfen, daß Die Merkmale entweder bejshende, oder ver:
neinende Merkmale find. Jene ſtellen uns die Reali—
täten der Öegenftände vor, Diele aber die verneinenden Be—
ſtimmun⸗
48 Don dem Erkenntnißvermoͤgen
fimmungen derfelben S. 48. Daß; der Menfch Verftand
bat, ijt ein bejahendes und reefles Merkmal des Menfihen,
daß er aber feine Allwiffenheit befist, ift ein vernemendes
Merkmal. Jene find beifer, weil fie uns die Sache felbft
abbilden, und vorftellen was fie fen, diefe aber uns nur
vorftelfen was fie nicht fen. Alle unfere Borftellungen
find entweder bejahende sder verneinende Vorftelluns
gen, oder beides zugleich. In ſo ferne eine Vorſtellung
bejahend ift, in fo ferne ift fie aus bejahenden Merkmalen
zuſammengeſetzt. Freylich Fan es uns ofte feheinen, als
machten wir uns eine bejahende Borftellung von einer Sa—
che, da wir uns doch in der That nur verneinungsweife die—
felbe vorftellen; als wenn wir uns den Menfchen als ein
endliches und eingefchrenftes Ding vorftellen. Wenn wie
uns alfo eine wahrhaftig bejahende Borftellung von einer
Sache machen wolien, fo müffen wir uns diejenigen Reali—
täten des Gegenftandes vorjtellen, die es nicht bloß zu ſeyn
feheinen, fondern es auch in der That find. Im Gegen-
eheil ift eine Vorſtellung verneinend, in fo ferne fie vernei-
nende Merfmale enthält, und alsdenn ift fie entweder eine
ganz und durchaus verneinende Vorftellung, oder
nur eine zum Theil verneinende Vorftellung. Jene
muß aus lauter verneinenden Merkmalen beftehen, und
fein einziges bejabendes Merkmal in fich enthalten. Gie
muß uns feine Realität in dem Gegenftande vorftellen,
fondern lauter Verneinungen. Da folche Borftellungen
uns num den Gegenftand als ein bloß verneinendes Ding
vorftellen, ein folhes Ding aber unmöglich ift $. 131. fo
ftellen fie uns Nichts vor, und wer fich von einer möglichen
Sache eine bloß verneinende Vorſtellung macht, der ivrer.
Es ift daher ungereimt, wenn manche Leute aug guter Mei:
nung fagen, daß wir Menfchen uns, von GOtt und den
Geiftern, Feine andere Begriffe als bloß verneinende ma=
chen koͤnnen: denn das heißt eben fo viel als fagen, daß
wir ung von diefen Dingen Feine wahren Begriffe machen
koͤnnen. Eine Borftellung iſt nur zum Theil verneinend,
wenn
der Seele überhaupt, 49
wenn fie aus bejabenden und verneinenden Merkmalen zus
ſammengeſetzt ift, 3. & wenn wir uns den Menſchen als
ein Ding vorftellen, welches einen eingefchrenkten Berftand
bat. Manchmal find unfere Borftellungen in der That
bejahend, und fcheinen nur verneinend zu feyn, z. E. wenn
wir uns GOtt als ein Ding vorftellen, welches nicht ein-
geſchrenkt iſt. Wir reden bier von -Denenjenigen vernei-
nenden Borftellungen, welche nicht bloß verneinend zu feyn
fcheinen, fondern es auch in der That find,
J $. 501. hr
Gleichwie ein Tag immer heller ift als der andere,
und ein Licht in der Koͤrperwelt immer ftärfer fcheine als
Das andere; alſo lehrt uns auch Die Erfahrung, daß eine
klare Erkenntniß Fläver feyn Fan, als die andere. Und da
fan man, die verfchiedenen Grade der Klarheit der ‚Er:
fenneniß, nad) folgenden Regeln beurtheilen. 1) Je mehr
Merkmale eine Erkenntniß enthält, defto klaͤrer iſt fies je
weniger fie aber enchält, defto weniger klar iſt ſie. Ein
jedwedes Merkmal iſt als wie ein Lichttheilgen zu befvach-
ten, welches das feinige zu dem Lichte ‚und zu der Klarheit
der Erfenneniß beytraͤgt. Wenn alfo seine unter ziweyen
Vorſtellungen mehr Merfmale ‚enthalt als die andere, fo
iſt die erſte Flärer als die andere, wenn ihre Merkmale
fonft einander gleich find. Diejenige Borftellung ift alfo
allemal unter mehrern die Elarfte, welche die allermeiften
Merkmale enthält, wenn fie. übrigens; einander gleich find«
Und es gibt demnach einen Grad der Klarheit, „welcher aus
der Menge und Mannigfaltigfeis Der Merkmale. entiteht,
Daher die Nbeitläuftigkeit der Erkenntniß zugleich, einen
hoͤhern Grad der. Klarheit, verurfacht 9490, ; Und wir has
ben von einer Sache in diefer Abficht Die,allerflärfte- Bor-
ftellung, wenn wir alle ihre Merkmale ohne Ausnahme ‚erz
fennen. Da nun, durch ein jedwedes Merkmal, eine
Sache, wenigftens von Einer andern Sache, unterfchieden
werden Fan $. 49, fo ift unfere Erfennmiß um fo viel
Flärer, von je miehrern Dingen wir den Gegenftand ver=
3. Theil. D mittelſt
50 Von den Erkenntnißvermoͤgen
mittelſt derſelben unterfcheiden koͤnnen; von je wenigern
Dingen wir ihn aber unterfcheiden koͤnnen, deſto weniger
flar ie, Durch) die allerflärefte Borftellung find wir
vermögend den Gegenftand, von allen andern möglichen
Dingen, zu unterfcheiden. 2) Je beffer die Merfmale
find, die wir erfennen, defto klaͤrer iſt die Erkenntniß; je
fehlechter fie aber find, defto weniger klar ift die Erfennt:
niß. Je beſſer Die Merkmale find, Defto mehr tragen fie
zur Klarheit bey. Folglich verurfachen die zureichenden,
wichtigern, fruchtbarern, notbwendigen, eigenthümlichen
und bejahenden Merkmale eine gröffere Klarheit, als die
unzureichenden, unerheblichern, unfruchtbarern, zufälligen,
gemeinfchaftlichen und verneinenden Merfmale $.499.500.
Folglich verurſacht, die Gröffe der Erkenntniß, auch die
Klarheit derfelben $. 491. 3) Je flärer die Merfmale
erkannt werden, je klaͤrer ft die Erkenntniß; je weniger
klar fie aber erkannt werden, deſto weniger Elar ift diefelbe,
Ein Merfmal träge nur zu der Klarheit etwas bey, in fo
ferne es erkannt wird. Mun fege man zwey Borftellun:
gen, welche gleichoiel Merimale enthalten, man fege aber,
daß in der einen die Merkmale Ela, in der andern aber
dunkel find: fo iſt in Der erften eine groͤſſere Klarheit, als
in der andern. Folglich gibt es einen Grad der Klarheit,
welcher von der Klarheit der Merfmale abhanger. 4) Je
übereinftimmender, ähnlicher und gleicher die Dinge mit
dem Gegenitande der klaren Erfenntnif find, von denen
‚man ibn dermittelft derfelben unterfcheiden fan, deſto klaͤrer
ift fie; je verfchiedener fie aber von ihm find, defto weniger
Elar ift fie: denn es wird ein fehr ſchwaches Licht erfodert,
um ſchwarz und weiß von einander zu unterfcheiden, wenn
man aber zwey rothe Körper, die bey nahe einerley ausfes
hen, von einander unterfcheiden will, fo wird ein ftärferes
und hefleres Fiche dazu erfodert, Folglich muß eine Er:
kenntniß eine fehr geringe Klarbeit befigen, wenn fie nur
hinreichend ift, ven Gegenftand von ſolchen Dingen zu un-
terfiheiden, die himmelweit von ihm unterfchieden find. Iſt
| fie
ES EEE
der Ser ibeibaupt. EN
ö fie br zureichend, denſelben auch von ſolchen Dingen zu
unterſcheid ʒen, Die. in einer ſehr groſſen Uebereinſtimmuug
mit ihm ſtehen, fo muß fie ſehr klar ſeyn. 5) Se leichter
wir uns, Durch eine Erkenntniß, des Gegenſtandes be—
wußt ſon und ibn von andern Dingen unterſcheiden koͤn⸗
‚nen, deſto klaͤrer iſt die Erkenntniß; je ſchwerer wir aber
diefes, vermittelſt der Erkenntniß, zu thun im Stande ſind,
deſto weniger klar iſt ſie. Hier geht es uns uͤberhaupt, wie
bey unſerm Geſichte. Je leichter wir die ſichtbaren Ge—
genſtaͤnde von einander unterſcheiden koͤnnen, deſto groͤſſer
ift das Licht; je ſchwerer aber dieſes geſchehen Fan, deſto
weniger helfe ſcheint das Licht, wenigſtens was unſere Em⸗
plinbung deſſelben hecriſt.
502, :
On Auf eine aenliche dr verhält es * mit der Dun-
kelheit der Erkenntniß. Gleichwie eine Macht immer fie
ſterer iſt, als die andere; alſo iſt auch eine dunkele Erkennt—
niß immer dunkeler, als Die andere, Ein jedweder Man:
get der Klarheit in der Erkenntniß iſt eine Dunkelheit G.
498. Folglich iſt eine Erkenntniß in dem a llerkleinſten
Grade dunkel, menn fie nur nicht zureicht, den Gegenſtand
von einem einzigen Dinge, welches mit ihm bey nahe einer⸗
ley äft, auf die leichtefte Art zu, unterfcheiden. Alsdenn
fan die Erkenntniß zugleich, einen unendlich hoben Grad
der Klarheit, beſitzen H. 501. Eine Erkenntniß iſt alſo
um ſo viel dunkeler: 1) von je mehrern Dingen man durch
fie den Gegenſtand nicht unterfcheiden Fan, und je weniger
Merkmale fie enthält z, 2) je fchlechtere Merkmale fie, ent:
haͤlt; 3) je dunkeler und. je weniger klar dieſelben erkannt
werden; 4) von je verſchiedenern Dingen man, vermittelſt
derſelben, ven Gegenſtand nicht unterſcheiden Fan; und 5)
je mehr Kräfte man anwenden muß, wenn man: fich ver
mittelſt Derfelben des. Gegenftandes bewußt werden milk,
Eine Erkenntniß iſt demnach in ung die. allerdunfelfte,
wenn wir, nach) aller unferer angewandten Mühe, dennoch |
nicht im Stande find, vermittelft verfelben den Gegenftand
D 2 von
2 Don den Kıkenntnißvermögen
von irgends einem andern Dinge, und wenn es auch im
hoͤchſten Grade von ihm verfchieden wäre, zu unterfcheiz
den. Je geöffer die Klarheit einer Erkenntniß ift, deito
kleiner ift ihre Dunkelheit ; je kleiner aber jene ift, defto
gröffer ift diefe. Die Dunkelheit ind Klarheit der Er-
kenntniß grenzen an einander, wie Nacht und Tag. Je
mehr der Tag anbricht, defto mehr vergeht die Nacht, und
‚je mehr die Nacht einbricht, defto mehr verſchwindet das
Tageslicht. Die Verminderung der Dunkelheit in der
‚Erfenneniß ift eine Vermehrung ihrer Klarheit, gleichwie
die Verminderung der Klarheit eine Bermebrung der Duns
kelheit ift $. 501. |
| | ge? z
Es erhellet demnach aus dem vorhergehenden, da
die Klarheit einer Erkenntniß fonderlich, auf eine zweyfache
Art, vermehrt werden Fan. Einmal durch die Menge und
Mannigfaltigkeit der Merkmale, wie ein Zimmer des %-
bends in einem fehr hohen Grade erfeuchter werden Fan,
wenn fehr viele Sichter in demfelben brennen, Diefer Grad
der Klarheit der Erkenntniß, welcher aus der Vielheit der
Merkmale entfteht, wird die Lebhaftigkeit oder die leb⸗
bafte Verftändlichkeit der Erkenntniß genannt, und
eine Erfennenif, welche fehr viele Merkmale enchält, iſt
eine lebhafte Erkenntniß, eine Erkenntniß, welche der Aus:
dehnung nach. Elar iſt, "oder in welcher ein ausgebreitetes,
weit ausgedehntes und mannigfaltiges Licht angetroffen
wird, dergleichen die nachdruͤcklichen Vorſtellungen find $.
494. Und in dieſer Lebhaftigkeit befteht der Glanz der
Erkenntniß und einer Rede, gleichwie die Abwefenbeit
derfelben, die Trockenbeit der Erkenntniß, genannt
wird. In den fchönen Wiffenfchaften wird diefe Klarheit
der Erkenntniß weiter unterfucht, und die Redner und
Dichter bemühen fich, ihre Materie lebhaft auszuführen.
Folglich Fan man, alle metaphorifchen Vorſtellungen /und
Gleichniffe, als Beyſpiele von lebhaften Borftellungen, be—
trachten, und aus der Vernunftlehre gehören hieher Die
aus⸗
— TREE Sr
u — —
der Seele Ve 55
Susfährlichen Begriffe, die zugleich fehr viele Elare Merk:
male enthalten. _ Alle Borftellungen, wodurch andere Vor—
ſtellungen klar gemacht werden, heiſſen erlaͤuternde oder
auf klaͤrende Vorſtellungen, und ſie beſitzen eine erlaͤu⸗
ternde Kraft §. 493. So haben alle Merkmale eine er—
laͤuternde Kraft, weil ſie die Erkenntniß, deren Theile ſie
find, klar machen. Erleuchtende oder maleriſche Vor—
ſtellungen ſind diejenigen, wodurch andere Vorſtellungen
lebhaft gemacht werden, A man fihreibt ihnen eine er⸗
leuchtende Kraft zu, 5. E. alle Metaphern und Gleich)
niſſe find malerifche Borffellungen, und haben eine maleri⸗
ſche oder erleuchtende Kraft, Zum andern: gibe es einen
Grad der Klarheit, welcher aus der Gröffe und Klarheit
der Merkmale entfteht $. 501, und eine Erkenntniß wel⸗
che auf dieſe Art klaͤrer iſt, iſt der Staͤrke nach klaͤrer;
wie ein Zimmer in einem ſehr hohen Grade helle wird,
wenn in demſelben zwar wenige Lichter brennen, Die ‚aber
recht groß find, ‚und eine ftarfe-helle Flamme haben, wie
die Fackeln. Die Erfenntnif der entferntern Merkmale
verurfache dieſen Grad ‚der Klarheit: $. 499, wenn wir fie
durch Die logifche Zergliederung der Erkenntniß entdecken.
In der Vernunftlehre wird dieſer Grad der Klarheit ges
nauer unterfucht, indem dafelbft, von der Deutlichfeit und
Vollſtaͤndigkeit der Erkenntniß, ausführlich gehandelt wird.
Eine jeowede Definition ift ein, Exempel von einer Borftels
dung, die der Stärfe nad) Elärer it. -Weil nun aus der
Vernunftlehre erhellet, daß dieſer Grad der Klarheit; durch
Die Zergliederung der Er kenntniß erlangt wird, ſo kan man
alle Vorſtellungen erklaͤrende oder sergliedernde Dors
ftellungen nennen, wodurd) andere. Borftellungen deutli—
cher gemacht werden, und man ſchreibt ihnen eine zerglies
dernde Kraft zu, wie z. E. die Merkmale einer Definia
tion eine ſolche Kraft beſitzen. —
9. 504.
De Gewißheit der KErkenntniß, wenn man fie
als eine Befchaffenheit der Erkenntniß, und nicht als eine
RS 2
2
>
54 Von den Erkenntnißvermoͤgen
Beſchaffenheit des Gegenſtandes betrachtet $. 93, iſt, mie
aus der Vernunftlehre bekannt iſt, das Bewußtſeyn, oder
bie klare Erkenntniß, der Wahrheit. Da nun die Wahr:
heit der Dinge in der innerlichen Moͤglichkeit derſelben, und
darin beſteht, wenn fie zureichende Gründe haben $. 89,
ſo find wir von einer Sache gewiß, wenn mir uns, ihrer
Möglichkeit und ihrer wahren Gründe, bewußt find. Eine
Erkenntniß, die nicht gewiß ift, ift eine ungewiffe Er—⸗
kenntniß. Da nun alle klare Erkenntniß entweder ver—
worren, oder deutlich iſt 6. 485, fo iſt Die Gewißheit
unſerer Erkenntniß von zweyfacher Art. Einmal eine Ue⸗
berredung, welche eine verworrene, oder wie wir ſie her—
nach nennen werden, eine ſinnlich klare, Erkenntniß der
Wahrheit iſt, dergleichen wir bey unſern Empfindungen’
haben. Von diefer Art der Gewißheit, und ihren man-'
nigfaltigen Arten, handeln die ſchoͤnen Wiflenfchaften aus⸗
fuͤhrlich. Zum andern die Ueberzeugung, und die bee
ſteht in einer deutlichen Erfenntniß der Wahrheit. Won
diefer Gewißheit handele, die Vernunftlehre, ausführfich.
Nun hanger in unferer Erfenntniß, die Wahrheit und Ger
mißheit einer Vorftellung, ofte von einer andern Vorftel-
lung ab. Daher nennen wir diejenigen Vorſtellungen bes
weiſende Dorftellungen, aus denen die Wahrheit ande=
rer Vorftellungen erkannt werden fan, und man fchreibt
ihnen deswegen eine beweifende Kraft zu. So find
alle Beweiſe aller Wahrheiten ſolche Borftellungen, die
eine beweifende Kraft haben. Weberredende Vorftels
lungen find folche Borftellungen, wodurch andere Vorſtel—
lungen auf eine undeutliche Art gewiß werden, und fie ha—
ben eine überredende Rraft. Gut gewählte Gleichniſſe
und Fabeln haben, eine überredende Kraft. Weberzeus
gende Dorftellungen find folche, wodurch andere Vor—
Stellungen eine deutliche Gewißheit erlangen, und es wird
ihnen eine überzeugende Kraft zugefchrieben. So ha—
ben, alle Vorderſaͤße in den Vernunftſchluͤſſen, eine über
zeugende Kraft. Je richtiger unfere Erkenntniß iſt, und
der Seele überhaupt. 55
je Flärer unfere Erkenntniß der Wahrheit derfelben ift,
defto gemiffer ift unfere Erfenntniß. Dergleichen Bes
frachtungen, als in dieſem und dem vorhergehenden Abfage
angeftelt worden, enthalten die erften Gründe aller der
Künfte und Wiffenfchaften, welche die Regeln der Verbeſ—
ferung alier unferer Erkenntniß abhandeln, und ſe ſind alſo
von ungemein groſſen —
$. 5.
Die Klarheit und Sewifheit der Erkenntniß find
Grade, und Vollfommenheiten der Erfenntniß. Was
erſtlich Die Klarheit betrift, fo iſt unleugbar, daß fie groͤſſer
ift, als die dunfele Erkenntniß, wenn fie übrigens einana
der gleich find, . Man fege, daß der Gine ſich eine Sache
klar, und der andere dunfel vorftelle :. fo erkennt der erfte
die Sache, famt ihrem Unterſchiede und ihren hinreichenz
den Merfmalen, der andere aber erfennt nur die Sache,
nicht aber ihren Unterfchied. Folglich enthält eine Elare
Erkenntniß mehr in fich, als die dunfele $. 498, und fie
ift alfo groffer, als diefe $. 489. Je klaͤrer, lebhafter und
deutlicher alfo eine Erkenntniß iſt, deſto groͤſſer ift fie, folg-
lich auch defto vollfommener. Die Klarheit ift die Urfach,
warum die Erfenntniß befier mit ihrem Zwecke uͤberein—
ftimt, als wenn fiedunfel iſt; indemeine klare Erfenntniß
den Gegenftand viel beffer und meitläuftiger abbildet, als
die dunkele. Was zum andern die Gewißheit betrift, fo
ift vor fich Flar, Daß fie eine Groͤſſe und Vollkommenheit
der Erkenntniß fen, meil fie aus zwey Graden und Voll
fommenbeiten der Erfenntniß befteht, aus der Wahrheit
und aus der Klarheit zufammengenommen. Folglich je
gewiffer die Erkenntniß ift, deſto gröffer und vollfommener
iſt fie. Wir haben alfo bisher, fünf Hauptgrade und Voll:
Fommenheiten der Erkenntniß, erwiefen: die Weitläuftig-
Feit, die Gröfle, die Wahrheit, die Klarheit und die Ges
toißheit. Und es gibt alfo auch fünf Hauptunvollfommenheiten
der Erfenntniß, die Armfeeligkeit, Kleinigkeit, Unrichtig—
feit, Dunkelheit und Ungewißbeit der Erkenntniß. Gleich
Da4 wie
56 Von der Aufmerkſamkeit.
wie mim die Vorſtellungskraft der Seele, und die Seele
felbft, um fo viel geöffer und vollfommener ift, je weitlaͤuf⸗
tiger, groͤſſer, und richtiger ihre Erkenntniß und Vorſtel—
lungen find $. 496; alſo iſt fie auch um fo viel groͤſſer und
vollfommener, je klaͤrer und gemiffer ihre Erfenntniß und
Vorftellungen find, Je armfeeliger, Fleiner, unrichtiger,
Dunfeler, und ungemiffer die Erfenntniß der Seele ift,
defto Fleiner und unvollfonnmener ift ihre Vorſtellungskraft,
ja defto Eleiner und unvollfommener ift fie felbft. Und eben
fo müffen die verfchiedenen Grabe, Bollfommenbeiten und
Anvollfommenheiten, des Erfenntnifivermögens überhaupt
beurtheile werden.
e ⸗x XX——*——2
Der erſte Abſchnit,
von der Aufmerkſamkeit.
9. 506.
enn wir, die Natur des Erkenntnißvermoͤgens der
Seele uͤberhaupt, wollen recht kennen lernen, ſo
muͤſſen wir die Aufmerkſamkeit, und das Vermoͤgen zu ab—
ſtrahiren, unterſuchen, als welche die beyden Hauptvermö-
gen der Erkenntnißkraft find, durch deren eines fie auf gez
wiſſe Gegenftände gerichtet, und durch das andere von ge-
wiſſen Öegenftänden abgelenft wird. XDir geben nem«
lid) auf eine gewiſſe Dorftellung und ihren Gegen-
ftand achtung, wenn wir ung diefelben Elar vorftellen ;
oder flärer als andere; oder wenn wir uns einer Vorſtel—
lung und ihres Gegenftandes entweder bewußt, oder mehr
bewußt find als anderer. So ofte, wir denken, geben wir
auf die Borftellung und ihren Gegenftand achtung, und
wir miffen alfo aus unferer beftändigen Erfahrung, daß
wir achtung neben. Folglich haben wir ein Bermögen
achtung zu geben, welches die Aufmerkſamkeit genannt
wird, Wir abſtrahiren von einer Borftellung, wenn
mir fie verdunfeln, oder wenn wir fie uns Dunfeler vorftel-
fen als andere, und man fagt auch, Daß man von den Sa—
chen
Don der Aufmerkſamkeit. 57
chen abftrahire oder feine Gedanfen abziehe, von deren
Borftellung man abftrahir. So fagen wir, wenn wir‘
uns gewiſſe Gedanfen aus dem Sinne fhlagen wollen, daß.
man von ihnen abftrahire, indem man fie verdunfelt. And
wenn in einer Gefellfchaft eine verdrießliche Unterredung
aufs Tapet gebracht wird, fo abftrahire man von derfelben,
wenn niemand mehr Daran denkt, und wenn fie in den Ge—
müthern der gegenwärtigen Perfonen verdunfele wird. Wir,
erden in dem folgenden das Abftrahiren genauer unterfu=
chen, und mir wollen ung jeßo, mit der Natur der Aufz
merffamfeit, befhäftigen. Ein geringes Nachdenfen Fan
uns überzeugen, Daß mir auf eine Sache achtung geben,
wenn wir, unfere Erfenntnißfraft, auf diefelbe richten und.
lenken. Wenn mir alle dunfele Vorftellungen zufanımenz
nehmen, welche in unferer Seele auf einmalgegenmärtig find,
fo find fie eben deswegen Dunfel, wenn die Seele fich Die-
felben in einer Reihe auf einmal vorftelt, ohne daß fie fich
mit einer mehr befchäftiget, als mit der andern, Nun hat
uns die Natur eine Yufmerffamkeit gegeben, vermöge wel-
cher wir unfere Erkenntnißkraft, mit der Borftellung einer
gewiſſen Sache und ihrer Merfmale, vorzüglich beſchaͤfti—
gen Fonnen. Alsdenn richten wir, die Stärfe unferer Er-
Fenntnißfraft, mehr auf dieſe Vorſtellung, als auf andere,
und das heißt, wir geben auf diefelbe achtung. Folglich
geben mir achtung auf eine Sache, wenn wir uns bemuͤ—
ben, die Borftellung von derfelben gröfler zu machen, als
alle unfere dunfele Borftellungen, welche beftandig in un-
ferer Seele find, gervöhnlicher Weiſe zu feyn pflegen, Es
geht uns hier überhaupt, wie es uns geht, wenn mir eine
unzählige Menge Leute vor uns fehen. So bald wir un:
fere Augen auf eine Perfon insbefondere richten, und uns
diefelbe in einem höhern Grade vorftellen, als die übrigen,
fo bald geben wir auf fie achtung.
. 507«
Die Aufmerkſamkeit ift —* Quelle aller Klarheit der
Erkenntniß, und alles desjenigen, was dazu erfodert wird
D5 9.506.
58, Don der Aufmerkfamtkeit.
6.506. Es entſteht demnach) die Klarheit unferer Ers
fenntniß, wenn wir, vermittelft unferer Aufmerffamfeit,
aus der unendlichen Menge unferer dunkeln Borftellungen,
fo viele zufammen als eine ganze Vorſtellung uns vorftels
len, daß der Grad der Kraft, den Die Seele anwenden muß,
um fie zufammen. als ein Ganzes fich vorzuftelten, gröffer
ilt, als der Grad der Kraft, den fie auf die übrigen Vor:
ftellungen wenden muß. Alsdenn merft fie diefe ſtaͤrkere
Befchaftigung ihrer Erfennenißfraft, fie wird diefelbe ge:
wahr, und ift fich alſo derfelben Vorftellung bewußt. Nun
hat die Natur allen Kräften in der Welt gewiſſe Regeln
vorgefchrieben, die fie bey ihrer Würffamfeit beobachten $.
401. Folglich haben, alle Kräfte der Seele, ihre vorges
fhriebenen Regeln, und aljo auch die Aufmerkſamkeit.
Diefe Regel Fan folgendergeftalt ausgedruckt werden:
wenn man auf eine Sache schtung geben will, ſo
muß man fich von derfelben mehrere und gröffere
Merkmale, und zwar weniger dunkel, vorftellen,
als von andern Dingen. Aledenn wird die Borftellung
dieſer Sache klaͤrer $.501, und wir geben alfo auf fie ach—
tung $. 506. Gleichwie in der Korperwelt ein Korper
ungemein erleuchtet werden Fan, wenn man durch einen
Spiegel die Sonnenftralen auffängt, und fie auf denfelben
hinlenft: fo macht auch die Aufmerffamfeit die Erfenntniß
Elar, indem fie die Erkenntnißkraft auf fie und ihren Ge—
genftand richtet. Doch es ift uns hier genung, Daß ung
die Erfahrung lehrt, daß eine Vorftellung Elar oder Flärer
wird als vorher, wenn wir auf fie achtung geben, es mag
nun dieſes zugeben, wie es will. Wenn mir in einer
Schrift ein Wort nicht lefen Fönnen, oder wenn wir in der
Abenddemmerung ein Ding nicht erkennen koͤnnen, fo fehen
wir es ftarre an, und folglich geben wir auf daffelbe ach—
tung. Es lehrt uns aber aud) die Erfahrung, daß wir
alsdenn Die Sache klar erkennen.
68⸗
Wenn des Nachts der Mond im vollem Lichte glänzt,
jo
Von der Aufmerkſamkeit. 59:
fo erblaßt er, wenn die Sonne aufgeht, und wenn man in
einer heitern Mittagsitunde ein Licht anzündet, fo wirft. es
kaum einen merklichen Schein um fih. Man fagt. daher,
daft Das gröffere Licht Das Fleinere verdunfele. Nun Fan
uns ein geringes Nachdenken überzeugen, daß der Mond,
wenn die Sonne aufgeht, eben fo viel Licht noch in unfere
Augen fende, als in der Mitternachtsftunde, und daß die
Flamme eines angezuͤndeten Lichts, am hellen Tage, eben fo
ftarf in die Augen würfe, als des Nachts. Folglich. ver-
mindert und ſchwaͤcht, ein ftärferes Sicht, Das kleinere nicht
an fich felbft. Sondern diefe Erſcheinung trägt fid, in
unferm Gefichte, zu. Das gröffere Licht würft ftärfer auf
unfer Geficht, und verurfacht eine färfere Empfindung,
als das fleinere. Daher muß man den Satz: das gröffes
re Licht verdunfelt neben fich das Fleinere, fo verſtehen: eine
ftärfere Empfindung verdunfelt die ſchwaͤchere. Ja man
Fan überhaupt fagen, daß eine jedwede ftarfere Borftellung
eine jedwede andere Vorftellung, die ſchwaͤcher ift,. neben
fid) in der Seele verdunfele. Wenn wir neben einem ftar-
fen Schmerze einen fehwächern fühlen, fo merken wir den
legtern faum neben dem erftern. Leber dem Studieren
hoͤrt und ſieht man ofte bey.nahe gar nicht. Selbſt in der
gelehrten und vornehmen Welt vergißt man, neben der
Detrachtung der groffen Perfonen, die geringern. Daher
Leute, die nad) einer falfchen Politik handeln, fich fehr in
acht nehmen, daß fie Feine Collegen und Nachfolger befom-
men, die viel beffer find als fie felbft, damit fie felbft in der
Hiftorie durch diefelben nicht verdunfele werden. Man
fan, Diefe merfwirdige Erfcheinung in unferer Seele, aus
ber Natur der Aufmerkſamkeit fehr gut erklären. Unſere
Aufmerkſamkeit ift ſehr eingefchrenft, weil unfere Seele ein
endliches und zufälliges Ding ift. Folglich befigen wir,
diefes Erfenntnigvermögen, in einem gewiflen eingefchrenf-
ten Grade, welcher erfchöpft werden fan. Wenn alfo eine
ftärfere und fchwächere Vorſtellung zugleich in der Seele
iſt, ſo müflen wir eigen gröffeen Theil unferer Aufmerf;
ſamkeit
60 Don der Aufmerkfamteit,
famfeit auf die Betrachtung der erftern wenden: ‚weil. fie
eben dadurch ftärfer und flärer wird, ‚wenn wir in einem:
ſehr hohen Grade auf fie achtung geben $. 506. Folglich
behalten wir wenige Kräfte übrig, auf die ſchwaͤchere Borz.
ftellung achtung zu. geben. In fo ferne wir auf eine Bor=
ftellung nicht acht geben, die doch in unferer Seele vorhan—
den ift, in fo ferne abftrahiren wir von ihr, und mithin
wird fie verdunfelt $. 506. Folglich ift, eine jedwede ſtaͤr⸗
tere Borftellung in unferer Seele, ein Gegenftand und eine,
Würfung eines groffen Theils unſerer Aufmerkſamkeit,
und ein Hinderniß, warum wir auf eine fehwächere Vor,
ftellung nicht fo fehr achtung geben, als wir zu thun ver-
mögend gemwefen wären, wenn nicht fehen die ftärfere Vor—
ſtellung einen fo groſſen Theil unſerer Aufmerkſamkeit be—
ſchaͤftigte. Und es iſt alſo ganz natuͤrlich, daß die ſtaͤr⸗
kern Vorſtellungen in unſerer Seele die ſchwaͤchern verdun—
keln. Wenn wir zwey Vorſtellungen haben, deren die eine
ſtaͤrker und klaͤrer iſt als die andere, ſo vergleicht ſie unſere
Seele mit einander, und entdeckt den Unterſchied derſelben.
Sie wird alſo die Schwäche und die groͤſſere Dunkelheit
der letztern gewahr, und alfo wird in Der Erkenntniß der
Seele das fhwächere Sicht durch das ſtaͤrkere verdunkelt.
a, 500, ;
Wir koͤnnen unfere Borftellungen.auf eine vielfältige
Art zufammenfegen, und aus vielen. Borftellungen Eine
Vorſtellung machen, die wir als ein Ganzes anfehen. Und
da gefchieht es manchmal, daß wir auf alle Theile einer
folhen Borftellung niche gleich ftarf achtung ‚geben, oder ;
daß fie nicht alle einen gleichen Grad der Klarheit haben.
Eine folche Borfteltung, welche aufler den Merkmalen und
Theilen, auf welche man vornemlich achtung gibt, noch ei=
nige enthält, die nicht fo Elar find, und auf welche man nur
nebenbey und gleichfam im Vorbeygehen achtung gibt, wird
eine zuſammengeſetzte Vorftellung genannt, oder eine
Bprftellung, in welcher mehrere zufammengefaßt find. Eine
folche Vorſtellung befteht, als ein Ganzes, aus — ira
elluns
Don der Aufmerkſamkeit. 61
ſtellungen, als aus Theilen. Die erſte iſt die Haupt⸗
vorſtellung, und die andere die Nebenvorſtellung,
"oder der Hauptbegrif und der Nebenbegrif. Jene iſt der
Inbegrif derjenigen Merkmale, auf welchen man vornem—
lich und am meijten achtung gibt, und bie andere begreift
diejenigen Merkmale in fich,. auf die man nur nebenbey
achtung gib, Die Hauptvorſtellumg it viel Flärer, als
Die Mebenvorftelling; und wenn man fagt, daß eine Dor-
ſtellung der andern anhange oder anflebe, fo ift, dieſes
eben ſo viel, als wenn man fagte,, daß die erfte eine Mes
Benvorftellung der andern fey. Wenn man 3. E. fagt:
der unfterbliche Geift des Mienfchen, fo Fan entweder das
‚ort Geift ven Hauptbegrif, und unſterblich den Neben—
begrif ausdrucken, oder umgekehrt, nach dem es unſer Zweck
erfodert. Diefe Erflärungen find, in der Anwendung,
ſehr brauchbar. Es gefchicht fehr ofte, daß ſich in unfern
Mebenvorftellungen undermerkt viel Falfches einfehleiche,
Daher viele Irrthuͤmer und viele grobe Vorſtellungen ent;
ftehen. Und man muß alfo, bey der Ausbefferung der
Erfenntnif, die Nebenerftelliingen wicht aus der acht laſ⸗
fen. So geht es uns, mit dem Worte Einfluß. Wenn
mit fagen, daß Die Sehe in den $eiß' einen Einfluß babe,
fo denken wir daben vornemlich, Daß fie den Grund der
Wirklichkeit der Veränderungen des Leibes in fich enthalte,
Mebenbey aber ftelt man ſich vor, als wenn aus der Seele
etwas herübergehe in den Körper. Daher auch einige ei-
nen ſehr groben Einfluß der Seele in den ‚Körper angenom⸗
men haben, und eben Dadurch find fie in einen groffen Irr⸗
EURE geratben. Ban .
§.
Die ———— in Ve Grade, fahig
Ein Menſch hat immer eine groͤſſere Gabe achtung zu ge:
beit, als der andere, ja ein und eben derfelbe Menfch Fan
bato ftarfer bald fehtwächer, bald in einem gröffern bald in
einem Eleinern Grade auf eine Sache achtung geben. Und
da Fan man, die verſchiebenen Grade der Aufmerkſamkeit,
nach
62 | Don der Aufimertſamtet.
nach folgenden Regeln beurtheilen: Aufj ie mehrere Ge
‚genftande wir, entiveder zu gleicher Zeit, oder nach, und
nach und Furz Hinter einander, achtung geben koͤnnen, fo
daß wir feinen derfelben mit dem andern. verwechfeln, deſto
groͤſſer iſt die Au merkſamkeit. Folglich je mehrere und
mannigfaltigere Dinge wir zugleich oder hintereinander
denken, und klar erkennen koͤnnen, deſto groͤſſer iſt unſere
Gabe achtung zu geben. Sieber koͤnnen wir alle diejeni⸗
gen Gelehrten rechnen, Die ſehr viel wiſſen, und alle dieje—
gen, welche fehr viele Gefchäfte ohne Verwirrung zu ver⸗
richten im Stande ſind. Es gibt Leute, welche nur wenig
zu faſſen im Stande ſind. Wenn ſie wenige Geſchaͤfte von
einerley Art verrichten ſollen, ſo iſt es gut. Allein viele
Geſchaͤfte ſetzen ſie in Verwirrung, und ein einziger aufler-
ordentlicher Beſuch verderbt ihnen einen ganzen Tag, weil
er fie untuͤchtig macht, auf ihre orpenclichen Geſchaͤſte ihre
Gedanken zu — Und ſolche Leute haben eine ſehr
kleine Aufmerkſamkeit. 2) Je groͤſſer Die Gegenſtaͤnde
ſind, auf welche wir achtung geben koͤnnen, deſto groͤſſer
iſt die Aufmerkſamkeit. Es gibt einen gewiſſen kindiſchen
Fehler der Aufmerffamfeit, vermöge deſſen fie nur, auf
Kleinigkeiten die Gedanken eines Menſchen richtet, und an
groſſen Dingen. alles groffe überfieht, und. nur Die Kleinig—
keiten beobachtet. Kine Aufmerkſamkeit von dieſer Art
kan lange nicht ſo groß ſehn, als eine Aufmerffamfeit, wel⸗
che ſich nur auf groſſe Gegenſtaͤnde richtet, und an groffen
Dingen nur oder vornemlich Die geoffen Merkmale beobachs
tet. Diefer Grad der Aufmerkſamkeit ift die Quelle, von
alter Gröfle und Würdigkeit der, menfchlichen Erkenntniß
$. 491, und der Mangel deffelben verurfacht ihre Kleinig-
feit. 3) Je klaͤrer unfere Erfenntniß iſt, deſto groͤſſer iſt
die Aufmerkſamkeit. ‚Indem wir auf eine, Sache achtung
geben, fo machen wir einen gewiſſen Grad unferer Vorſtel—
Lunge öfraft in Abſicht auf diefelbe Sache. lebendig, und Die
Wuͤrkung diefes Lebens der Vorftelungsfraft ift die Klar—
heit der Vorſtellung Diefer Sache $. 506, Nun ift Die
Wir:
Von der Aufmerkſamkeit. 63
Würfung allemal der lebendigen Kraft gleich $. 255. Folge +.
lich je Flärer Die Borftellungen find, deſto eine gröffere Öa- .
be der Aufmerkſamkeit muß ein Menfch befigen; je ſchwaͤ—
cher aber das Licht der Erkenntniß ift, deſto kleiner iſt die
Aufmerkſamkeit. Wenn alſo ein Menſch eine gewiſſe Vor—
ſtellung viel klaͤrer machen kan, als viele andere ſehr klare
Borftellungen, fo muß er eine ſehr groſſe Aufmerkſamkeit
befigen : wie ein Gelehrter, welcher bey Hunger und Durſt,
bey Froft und Hige, mitten in groffen Gefelffchaften, den—
noch ftudieren fan. Es gibe Leute, die in ihrer Erfennts
niß ein helles Mittagslicht haben; es gibt aber auch Leute,
in deren ganzen Erkenntniß nur eine ſchwache Morgendem—⸗
merung anzutreffen iſt. Jene haben unleugbat eine gröf
fere Aufmerffamteit, als diefe. MD Se länger die Klare
heit einer Borftellung fortdaurt, deſto geöffer iſt Die Aufe
merffamfeit. Es gibt teure, in deren Erkenntniß es fo zu
reden lange Sommertage gibt, uͤnd die Aufmerkfämfeit
derfelben auf eine Sache daurt fehr lange fort. Es gibt
aber auch Seute, in deren Erkenntniß nur kurze Winterräge
find, und deren Aufmerffamkeit auf eine Sache daurt nur
Furze Zeit. Solche Leute ermüden gar zu bald, fie haben
kein Sigefleifeh, und Fönnen niemals lange auf eine Sade
achtung geben, Jene haben unleugbar eine gröffere Aufz
merffamfeit als diefe, und die Klarheit ihrer Grfenntniß
iſt von einer viel gröffern Dauer, als die Klarheit in der
Erfenntniß der legtern.
$. sur.
Bermöge des vorhergehenden fan man fonderlich ei—
nen’drenfachen Grad, und alfo auch eine dreyfache Voll—
kommenheit der Aufmerkfamkeit, anmerken. Einmal die
Ausdehnung der Aufinerkſamkeit, oder diejenige Voll⸗
kommenheit derſelben, vermoͤge welcher man im Stande
iſt, auf viele und mannigfaltige Dinge achtung zu geben,
entweder zu gleicher Zeit, oder zu verſchiedenen Zeiten und
nach und nach. Durch dieſe Vollkommenheit entſteht alle
Weitlaͤuftigkeit der Erkenntniß $. 490, und alle Grade
der
64 Don der Aufmerkſamkeit.
der Klarheit, welche auf der Menge der Merkmale: beru-
hen 9. 503. Wer Feine weit ausgedehnte Aufmerkſamkeit
beſitzt, der kan unmoͤglich dieſe Vollkommenheiten in ſeiner
Erkenntniß erreichen. Seine Einſichten werden jedesmal
in fehr enge Grenzen eingefchlojfen feyn, und da er nicht
vermögend ift, viel und mancherley Gefchäfte zu verrich—
ten, fo bat ihn die Natur bloß zu einer ruhigen, einfälti-
gen und einförmigen Sebensart beſtimt. Zum andern, die
Stärke der Aufmerkſamkeit befteht in derjenigen Volk
kommenheit der Aufmerkſamkeit, vermöge welcher, wir im
Stande find, eine Borftellung viel Elärer zu machen, als
andere überaus Flare Vorſtellungen. Durch dieſe Boll:
kommenheit entſtehen alle Grade der Klarheit, die auf der
groͤſſern Klarheit der Merkmale beruhen, und wir ſind eben
dadurch vermoͤgend, eine Sache tief einzuſehen, und alſo
eine, richtige und gewiſſe Erkenntniß zu erlangen. Und
drittens, die Fortſetzung der Aufmerkſamkeit, oder die⸗
jenige Bollkonpmenheit, vermöge welcher man im Stande
ift, lange Zeif auf eine Sache achtung zu geben. .,, Diefe
Vollkommenheit befordert, alle Vollkommenheiten der Er-
kenntniß. Sie fonnen. night. gleich in einem Augenblicte
allemal erlangt iDerden, fondern es verfließt ofte eine ge—
raume Zeit, ehe. mir ‚Die Weitlauftigkeit die Groͤſſe, die
Wahrheit, die Klarheit und die Gewißheit unſerer Er—
Fenntniß erlangen, und es iſt demnach unentbehrlich, daß
wir die ganze Zeit über unfere Aufmerkfamfeit auf die Ge⸗
genſtaͤnde derſelben richten. Ja durch dieſe Vollkommen—
heit erhalten wir, unſere — erlangte klare Erkenntniß;
und gleichwie die Ausdehnung und Staͤrke der Aufmerf-
famfeit die Schöpferinnen unferer Erkenntniß koͤnnen ge-
nannt werden, alfo ift die Sortfegung der Aufmerkſamkeit
die Erhalterin derfelben. Da nun offenbar ift, daß alle:
vollfommenere Erkenntniß, aus. den Vollkommenheiten
Der Aufmerkſamkeit, entjtebt : fo muß ein jedweder, der
feine Erfenntniß irgends auf eine Art verbeffern will, ent:
weder eine ſehr vollfommene Aufmerkſamkeit beſitzen,
oder
Von der Aufmerkſamkeit. 65
oder er muß dieſes fein Vermoͤgen vor allen Dingen gehoͤ⸗
tig verbeffern,
$. 512.
Die Aufmerkſamkeit ift nichts anders als ein Vermoͤ—
gen, die Borftellungsfraft der Seele auf gewiſſe beftimte
Gegenſtaͤnde zu lenken $. 506. Da mun diefe Kraft der
Seele ſich nad) der Sage und Stellung des menfchlichen
"Körpers richter, und wir uns die Öegenftände dunkeler,
Flärer oder deutlicher vorftellen, nachdem unfer Körper ge—
"gen fie geftele ift $. 487, fo geben wir auch, nach der Stel:
lung unferes Körpers, achtung. Folglich) richter fic) die
-Aufmerffamfeit nach) der Stellung des Körpers, und wenn
unſere Seele worauf achtung geben will, fo brauche fie zu
diefer Handlung nicht etiva eine eigene befondere wuͤrkſame
Kraft. Sondern das Achtunggeben ift nichts anders, als
eine Beftimmung und Handlung der Borftellungskraft,
vermöge welcher fich die Seele die Welt nach der Stellung
ihres Leibes vorftelt. Die Erfahrung ftimt damit vortref-
lich überein. Wenn wir worauf achfung geben wollen,
fo geben wir unferm $eibe eine gewiffe Stellung. Wir
gehen näher auf den Gegenftand zu, Wir horchen und
frisen die Ihren. Selbſt alsdenn, wenn wir allgemeinen
Wahrheiten nachdenken, Fönnen wir es merfen, daß wir
unferm Leibe eine gewiſſe Stellung geben. Wenn wir von
diefer Stellung des Leibes, welche zur Aufmerkſamkeit er=
fodert wird, einen recht beuflichen: Begrif hätten, fo wür-
den wir vielleicht den Grund entdecken, warum fir manch⸗
mal achtung geben koͤnnen, manchmal nicht, darum wir
manchmal beſſer acht haben koͤnnen, als ein anderesmal,
und was dergleichen mehr if. Ja man würde vielleicht
daraus begreiffen lernen, warum mir, in der Kindheit und
im hohen Alter, nicht fo gut achtung sans als in
dem männlichen Alter.
$. *
Von der Yufmerkfamfeit —** iſt, die Reflexion
* das Nachdenken, unterſchieden, und ſie iſt eine Art
3. Theil. E der
66 Don der Aufmerkſamkeit.
der Aufmerkſamkeit. Wir denken nemlich einer Vor⸗
ſtellung oder Sache nach, oder wir durchdenfen fie,
oder wir veflectiven über diefelbe, wenn wir unfere Aufmerk—
ſamkeit nad) und nach, auf die verfchiedene Theile einer
Borftellung oder Sache, richten; oder wenn wir ung einen
Theil nach dem andern klar vorftellen. Wenn wir einer
Sache nachdenken, fo durchlaufen wir fie mit unfern Ge—
danken, gleichfam von einem Ende bis zum andern, und
wir betrachten fie gleihfam vom, Haupte bis zum Fuͤſſen,
von hinten und von vornen. Wir ſetzen alsdenn unfere
Aufmerkfamfeit, auf die ganze Vorſtellung und ihren Ges
genttand, eine Zeitlang fort, und richten fie zugleich insbes
fondere auf den erften Theil. Alsdenn abftrahiren wir von
dieſem erften Theile, und richten unfere Aufmerffamfeit
auf den zweyten, und. fo geben wir von einem Theile zum
andern fort, bis wir dieſes Gefchäfte zu Ende gebrache
haben. Wer alfo einer Sache nachdenken will, der muß
nicht nur feine Aufmerkſamkeit, über das Ganze und einen
Theil, zugleich ausdehnen koͤnnen; fondern er muß fie auch
auf das Ganze fo lange fortfegen Fönnen, bis er nach und
nach. verfchiedene Theile defjelben Elar erkannt hat. Folg-
Yich feßt das Machdenfen fehon, einen hoͤhern Grad der
Aufmerffamfeit, voraus $. 510. und e8 Fan niemand nach⸗
denken, wer nicht ſchon eine groffe Gabe der Aufmerkſam—
keit beſitzt. Im Gegentbeil fan jemand zu einem gemwife
fen Grade der Aufmerkſamkeit geſchickt feyn, und er ift
deswegen noch nicht im Stande, einer Sache nachzudens
fen, wie wir bey Kindern fehen, bey denen das Nachden—
fen nach der Aufmerffamfeit mit den Jahren fomt, Nun
lehrt uns die Erfahrung, daß wir ofte unfern Vorſtellun—
gen und den, Öegenftänden derfelben nachdenken, indem
wir fie von verfchiedenen Seiten betrachten. Wenn wir
ein Gebäude inmendig und auswendig, und von allen. Geiz
ten betrachten, fe reflectiren wir über daſſelbe. Ja fo ofte
man von einer Sache redet, und viel nad) und nach von
ihr ſagt und erzehlt, fo -ofte muͤſſen wir derſelben nachden«
Een,
u A u ⏑—
—
Don der Aufmerkfamkeit. 67
£en, und nach und nad) unſere Aufmerkſamkeit auf alfes
Mannigfaltige richten, was wir von ihr fagen. Folglich
bat unfere Seele ein Vermögen, einer Sache nachzu⸗
denken, Da nun daffelbe nichts anders als eine Art der
Aufmerffamfeie ift, fo gilt von ibm alles, was von der
Aufmerkfamfeit erwiefen worden, Und da diefe nichts an—
ders als eine gewifle Art ift, wie fich die Vorſtellungskraft
der Seele nad). der Stellung ihres Leibes würkfam ermeift
6. 512, fo richtet fich auch das Nachdenken nach der Stel:
lung des Körpers, und wird durch Feine andere Kraft
‚würflich, als durch die Borftellungsfraft der Seele, Wenn
wir über ein Gebäude recht reflectiven wollen, fo müffen
wir unferm Körper die dazu gehörige Stellung: geben, und
ohne Zweifel Fonnen kleine Kinder deswegen noch nicht re—
flectiven, weil ihr Körper noch nicht Die dazu nöthige Stel
lung bat. Es erhellet aus diefer ganzen’ Betrachtung,
daß das Reflectiren nichts anders, als eine Abwechfelung
der Abftraction und Des Aufmerfens, in Abfiche auf die
Theile eines Ganzen, fey. Folglich entfteht das Nach:
denfen, indem wir die Zeit über, da wir das Ganze uns
klar voritellen, einen Theil uns klaͤrer vorftellen, als die
übrigen, und nachdem wir von diefem Theile abftrahiren,
wieder einen andern uns Flärer vorftelien, als die übrigen
u. ſ. w. Man fan demnach die Kegel, welche die Natur
unſerm DBermögen nachzudenken vorgefchrieben hat, fol:
gendergeftalt ausdrucken: Man ftelle fich von einem
Theile des Ganzen mehrere und wenigere dunkele
WierEmale vor, als von den übrigen Theilen, fo wird
er klaͤrer als die übrigen.
„514. |
Die Gegenſtaͤnde * Erkenntniß enthalten ſo un.
endlich viel und mancherley in ſich, daß wir in die groͤßte
Verwirrung unſerer Gedanken gerathen, wenn wir dieſel—
ben auf einen Blick uͤberſehen, und unſere Aufmerkſamkeit
nur auf ſie im Ganzen betrachtet richten. Unſere ſchwache
Erkenntnißkraft erblickt alsdenn zu viel auf einmal, und
Ea wird
68 Don der Auifinerkfamkeit.
wird überhäuft. Da hat uns nun die Natur das Ver:
mögen nachzudenken gegeben, damit wir eins nach dem an-
dern in Betrachtung zu ziehen, und alfo das Ganze befier
zu erkennen im Stande feyn mögen. Es hat aber auch)
diefes Vermögen nachzudenken verfchiedene Grade, welche
nach folgenden Regeln beurtheilt werden müffen: 1) Auf
je mehrere Theile und Merfmale des Ganzen wir unfere
Aufmerffamkeit nach) und nad) zu richten vermögend find,
defto geöffer und ausgedehnter ift unfere Reflexion. Es
ift daher ein Beweis eines ſehr groffen Nachdenkens, wenn
man von einer Sache tauſenderley mannigfaltige Stuͤcke
anmerken fan. Es gibt Leute, welche in Geſellſchaͤſten
find, und merkwuͤrdigen Begebenheiten beywohnen ‚die
aber faft gar nichts oder fehr wenig nachher zu erzeßlen
wiſſen, und diefe Leute haben eine fehr enge eingefchrenf-
te Gabe zu reflectiven. 2) Je gröffer die Merkmale und
Theile find, die man durch Die Neflerion entdeckt, defto
gröffer iſt dieſelbe. Es ift was Findifches, wenn man
zwar unendlic) viel in einer Sache beobachten Fan, wenn
daſſelbe aber lauter‘ Kleinigkeiten und unerhebliche Umſtaͤn—
de find. Es gibt Leute, welche, wenn ſie in Gefellfchaften
gewefen, ganze Tage lang davon ſchwatzen koͤnnen. Allein
da fie bloß die Kleidungen, die Mufter der Servietten, und
dergleichen Dinge angemerkt haben, fo ift ihre Gabe nach
zudenfen fehr klein. 3) Je ſtaͤrker und in einem je hoͤhern
Grade wir auf einen jedweden Theil achtung geben, folg:
lich je flärer wir uns einen jediweden Theil vorftellen,
deito färfer reflectiren wir. Es gibt $eute, die bey ihrem
Machdenfen flüchtig über die Theile, die fie nach und nach
denken, mit ihren Gedanfen hinglitſchen, und ſich Feinen
derfelben recht vorftellen, und diefe reflectiren in feinem
boben Grade. 4) Se länger man das Nachdenfen fort:
fegen Fan, defto geöffer ift e8 $. sro. Und 5) je leichter
es uns anfomt, nad) und nach die verſchiedenen Theile des
Ganzen zu entdecken, folglich je gefehwinder wir, einen
Theil nach) dem andern, durch unfere Aufmerkſamkeit recht
zu
—— Er ee TEE SE a
el
Don der Aufmerkſamkeit. 64
zu. befrachten vermögend find, eine defto gröffere Gabe des
Nachdenkens befigen wir, Wenn es einem Menfchen fehr
ſchwer wird, eine Sache zu durchdenfen, wenn die Zwi—
ſchenzeit fehr groß ift, die da vorbenftreicht, ehe er mit fei-
ner Aufmerkſamkeit von einem Theile zu einem andern fort
geht, fo muß er ein fchwaches Vermögen zum Machdenfen
befißen. Wenn er aber in der Gefchwindigfeit eine Sache
durchlaufen, und in derfelben unendlich viel in einem hoben
Grade der Klarheit gemahr werden fan, fo muß feine Ga⸗
be des Nachdenfens fehr groß feyn.
8§. 515.
Wenn wir über eine ganze Vorftellung und ihren Ge—
genftand reflectirt haben, und wirkwolten, nach geendig-
tem Nachdenken, unfere Aufmerkfamfeit nicht weiter mit
derſelben befchäftigen; fo würden wir zwar diefes Ganze
nach und nach ſtuͤckweiſe gedacht haben, allein wir würden,
dieſe durch das Machdenfen entdeckten Theile, uns nicht
zufammen als Eins vorftellen, und alſo würden wir nicht
das Öanze überfehen: Folglich Hat: ung die Natur noch
eine Art der Aufmerffamfeit verliehen, welche man das
Ueberdenken oder die Ueberlegung nennen Fan. Wir
überdenken eine Vorſtellung, ‚oder. wir überfehen fie im
Öanzen, oder wir faffen ihre durch das Machdenfen ent-
deckten Theile zufammen, wenn wir nach geendigtem Nach⸗
denken die Merkmale, die wir nach und nach gedacht ha—
ben, zufammen als Eins uns vorftellenz; und wenn wir
alfo, nach geendigtem Nachdenken, unfere Aufmerffamfeie
wiederum auf das Ganze richten. Wenn mir einer Bor-
ftellung nachdenken, ſo machen wir ung klare Begriffe von
einigen Merkmalen‘ derfelben, und diefe Begriffe folgen
währenden Machdenfens auf einander. Wenn wir nun
bernach alle diefe klaren Begriffe verfamlen, und auf ein-
mal in unferm Gemüthe, gleichfam neben einander geftelt,
gegenwärtig haben, fie zufammengenommen als eine ganze
Vorſtellung betrachten, und deraeftalt unfere Aufmerkſam⸗
keit wiederum auf das Ganze richten, ſo uͤberdenken wir
E 3 daſſelbe.
zo Don der Aufmerkfamteit,
daſſelbe. Durch das Nachdenfen zerlegen und zertheiten
wir das Ganze ih unferm Gemüthe, und durd) das Ueber:
Senken ſetzen wir. Diefe Theile wiederum zuſammen, und
machen daraus eine ganze Vorſtellung. Nun wiſſen wir
aus der Erfahrung, daß wir diefe Handlung ofte verrich⸗
ten, Folglich befigt unfere Seele das Vermögen, eine
ganze Borftellung zuüberdenken. Diefes Vermögen ift
uns Menſchen niche nur unentbehrlich, wenn wir deutliche
Erfenntniß erlangen wollen, wie wir Fünftig zeigen wers
den; fondern es ift uns’ auch zu unfern allermeiften Ge—
fhäften noͤhig. Wenn ein Kind lefen lernt, fo muß es
ſich nicht nur, vermöge des Nachdenkens, alle Buchftaben
eines Wortes nach und nach vorftellen; fondern es muß
diefelben auch zufammenfefen, und das ift nichts anders
als das Ueberdenken. Der Regent eines Landes muß den
ganzen Staat überdenken, und bey einem jedweden Ge—
fchäfte, welches ordentlich verrichtet werden fol, ift eben
diefes noͤthig. Wer ſich auf eine anftändige Art pußen
will, der muß alle Stücke feines, Putzes erſt einzeln betrach⸗
ten, und alsdenwfih im Ganzen überfehen. Da nun die
ganze Aufmerkſamkeit durch die Vorftellungsfraft der Welt
gewuͤrkt, und fih nach der Stellung des Leibes richtet $.
512, das Ueberdenfen aber eine Art der Aufmerffamfeit iſt;
fo richtet es fich ebenfals nach der Stellung des Leibes, und
wird durch die Vorftellungsfraft der Welt zur Würflichs
feit gebracht: oder es ift nichts anders als ein Vermoͤgen,
die Vorſtellungskraft der Welt auf eine gewiſſe Art zu
brauchen. Wir ſehen daher aus der Erfahrung, daß ofte
ohne unfere freywillige Bemuͤhung das Ueberdenfen, durch
die rechte Stellung des+ Leibes, befördert und verurſacht
wird.” Wenn ein General fein Regiment überfeben will,
fo Fan er diefes nimmermehr hun, wenn er nicht an dem
vechten Orte ſteht; und fo Fan man eben Diefes, in unzaͤh—
fig vielen andern Fällen, täglich beobachten. Die Regel,
nach welcher Bas Ueberdenfen fich richtet, Fan folgenderges
ſtalt ausgedrudt werden : Man denke die, ar =
Gh
Von der Aufmerkfamkeit, 71
Nachdenken nach und nach gedachten, Theile eines
Ganzen auf einmal neben einander.
6. 516.
Das Ueberdenken iſt ſchon an ſich ein gröferee Grab
Der Aufmerkſamkeit. Es wird, einmal, eine Ausdehnung
der Aufmerkſamkeit dazu erfodert, indem es eben darin be-
fieht, daß man feine Aufmerkſamkeit auf viele Theile eines
Ganzen zugleich richtet $. 515. Und zum andern wird auch,
die Fortfegung der Aufmerkfamfeit, dazu erfoders, indem
es nicht anders möglic) ift, als wenn man, nad) der Auf⸗
merffamfeit überhaupt, und nady dem Machvenfen, wel-
ches ohnedem fihon lange gedaurt hat $. 513, dennoch noch
im Stande ift, die Aufmerffamfeit auf die Sache noch
weiter fortzufegen, und fie wiederum auf das Ganze zu
richten, und es genauer mit einemmafe zu überfehen, als
es vorher gefchehen ift $. 5ıc. Folglich muß zwar derjes
nige, der eine Sache überdenken will, überhaupt achtung
geben und nachdenken koͤnnen; allein obgleich jemand fchon
achtung geben und nachdenken Fan, fo ift er deswegen noch
nicht gleich im Stande, eine Sache zuüberdenfen. Wir
fehen diefes an den Rindern, welche ofte fehon im Stande
find, alle Buchftaben eines Worts zu erfennen, da fiedoch
noch nicht vermögend find, fie zufammenzulefen, und das
ganze Wort zu überdenken. Und fo findet man erwachſe—
ne Leute genung, welche in ihren Gefchäften einen ſehr
merflichen Mangel diefes Vermögens an den Tag legen.
Mancher Gelehrter Fan alle einzelne Wahrheiten eines
Lehrgebaͤudes gefchickt denken, allein er iſt zu Furzfichtig,
als daß er das ganze Lehrgebaͤude ſolte überfehen koͤnnen.
Dergleichen Leute find wie die Handwerfsleute bey einem
Pallafte gut zu gebrauchen, um die einzeln Theile defjelben
auszuarbeiten ; allein fie find ungeſchickt, Baumeiſter zu
feyn, welche im Stande feyn müffen, den ganzen Grund-
riß immer vor Augen zu haben, und alfo das Ganze an:
zuordnen, Das Leberdenfen iſt alfo ein folcher Gran der
a »*6G 4 Auf⸗
72 Don der Aufmerkfamteit.
Aufmerffamfeit, welcher uns, zu dem Größten in allen urts
fern Handlungen und Gefchäften, geſchickt macht.
| $. 517.
Das Leberdenfen ift allemal ein höherer, und voll-
fommener Grad der Aufmerkfamfeit 9.516, Wenn man.
es nun wieder vor fich betrachtet, fo ift.es aud) an fich ver
fehiedener Grade und Vollkommenheiten fähig, welche nad)
folgenden Betrachtungen überhaupt beurtheilt werden müfz
fen. 1) Je mehr Flare Merfmale und Theile einer gan—
zen Borftellung, und je mannigfaltigere Theile derfelben,
wir überdenken koͤnnen, defto gröffer ift unfer Bermögen
eine Sache zu überdenken; je weniger flare Merkmale wir
aber zu überdenfen im Stande find, und je weniger man—
nigfaltig diefelben find, deſto Eleiner ift dieſes Vermögen.
Ein General, der ein ganzes Regiment geſchickt commanz
diren Fan, befißt lange noch nicht eine fo ausgebreitete Ga—
be eine Sache zu überfeben, als derjenige, welcher im
Stande ift, eine ganze Armee zu commandiren. 2) Se
wichtiger und gröffer die Theile find, die wir im Ueberden—
Een zufammenfaffen, defto gröffer und vollfommener ift die—
fes Vermögen; je Eleiner und unerheblicher fie aber find,
defto Fleiner und unvollfommener ift es $. 510. 3) Je
Flärer wir uns alle entdeckten Theile des Ganzen zuſam—
mengenommen vorftellen Fönnen, oder je weniger wir fie
ben dem Ueberdenfen mit einander verwechfeln, defto gröfs
fer und vollfommener ift diefes Vermögen, Es gibt Leu—
te, welche meitläuftige Gefchäfte auf dem Halfe haben.
indem fie nun eins über dem andern vergeflen, fo verras
then fie eben dadurch eine Schwäche ihres Ueberdenfens.
Diejenigen aber befißen eine groffe Stärfe und Vollkom—
menheit in diefem Vermoͤgen, welche den ganzen Plan ih:
rer meitläuftigen Gefchäfte beftändig vor Augen haben,
fein Gefchäfte mit dem andern vermengen, fondern ein je—
des zu gehöriger Zeit und an dem rechten Orte verrichten.
4) Je länger man das Leberdenfen fortfegen Fan, und je
leichter e8 ung wird, eine defto gröffere und SUN
Gabe
Von der Aufinerkfamkeit. 73
Gabe zum überdenken befigen wir, . Es gibt Leute, die es
nicht lange aushalten Fünnen, das Ganze eines Geſchaͤf—
tes zu überdenken. Sie ermüden gar zu balde, und.es
wird ihnen blutfauer, viel zu uͤberſehen. Und eben da;
Durch verrathen fie, eine groſſe Schwaͤche und Unvollfom:
menheit diefes ihres Vermoͤgens.
KERLE HH FH FE FE ER
Der andere Abfehnitt,
von dem DBermögen zu abftrahiren..
S. . 518.
De wir von vielen Vorſtellungen und Sachen abſtrahi⸗—
ren, ſo hat unſere Seele ein Vermoͤgen zu abſtra⸗
hiren, oder ein Vermoͤgen eine Vorſtellung zu verdunkeln,
ihre Klarheit zu vermindern, und ihre Dunkelheit zu ver—
mehren $. 506. Durch dieſes Vermoͤgen ſchlagen wir
uns gewiſſe Dinge aus dem Sinne, oder wir ſchlagen fie
aus der acht, und ziehen unfere Gedanken von. venfelben
ab, Man fonnte fagen, daß alle Dunkelheit unferer Er-
kenntniß aus Diefer Abftraction entftehe, gleichwie alle
Klarheit der Erfenntniß aus der Aufmerkſamkeit entfteht ;
oder daß fie die Nacht in unferer Seele verurfache, gleich:
tie die Yufmerffamfeit den Tag bringe. « Unterdeffen - ift
es dem Gebrauche zu reden gemäffer, wenn man dadurch
das Vermögen verfteht, eine Vorftellung, auf welche wir
achtung gegeben, wieberum zu verdunkeln. Mad) viefer
Erklärung würde alfo die Abftvaction allemal, auf eine
vorhergehende Aufmerffamfeit, folgen, und man koͤnnte
alfo nicht fagen, daß die Dunkelheit folcher: Vorftellungen
unferer Seele, auf welche wir noch niemals achtung gege-
ben haben, von der Abftraction herruͤhre. Die Aufmerf:
ſamkeit ift gleihfam die Hand, mit welcher die Seele in
ihrem Grunde $. 485, eine dunfele Vorftellung ergreift,
ſie in Die Höhe hebt, und dadurch) an das Tageslicht bringt ;
€ 5 alfo
74 Don dem Vermögen sur abftrabiren.
alfo beſteht die Abftraction darin, wenn die Seele ihre
Hand wiederum abzieht, die Borftellung wiederum in ißven
Grund berabfallen, und alfo verdunfeln läßt. Da wir
nun, wenn wir unfere Gedanken von einer Sache abzichen,
oder wenn wir abſtrahiren, nichts anders thun, als auf hoͤ—
ren, mit unferer Borftellungskraft die Vorftellung, derfels
ben in einem höhern Grade zu würfen; fo wird diefes Ge—
ſchaͤfte durch diefe Kraft wuͤrklich, und es gefchieht, wenn
diefe Kraft eine gewiſſe Befchäftigung unterläßt. Da
nun die Unterbrechung einer Handlung von Feiner andern
Kraft gefchieht, als von derjenigen, welche diefe Handlung
wuͤrkt; fo abftrahiren wir auch vermöge der Vorftellungs»
fraft der Welt. Und da wir ung die Welt nad) der Stel-
lung des Leibes vorftellen, und die Dunkelheit und Vers
dunfelung unferer Borftellungen in diefer Stellung gegrüns
det ift S. 4875 fo richtet ſich auch das Abſtrahiren nach
diefer Stellung. Die Erfahrung lehrt uns'vielfältig, daß
wir uns ofte eine Sache nicht eher aus dem Sinne ſchla⸗
gen fönnen, bis wir nicht unfern Dre verändert haben, Je
entfernter eine Sache der Zeit und dem Orte nad) von uns
ift, deſto leichter koͤnnen wir unſere Gedanken von ihr ab—
ziehen, je naͤher ſie uns aber deſto ſchwerer iſt daſſelbe.
g. |
Durch die Abftraction ntfeht in einer Vorſtellung
eine Dunfelbeit, die vorher nicht da war 8. 518. folglich
muß man alsdenn wenigere Merkmale, und weniger Elare’
Merkmale erkennen, als vorher $. 502. folglich richter fich,
das Vermögen zu abitrahiven, nach diefer Regel: Man
ftelle fich, von dem Begenftande, weniger und we—
niger Else Merkmale vor, als vorher. Es gibt Leute,
welche fich einen Kummer, oder irgends eine Urfach eines
quälenden DBerdrufles, aus dem Sinne fehlagen wollen,
Da fie aber beftandig von diefer Urfache veden, fie allen
$euten erzehlen, und unendlich viel davon ſchwatzen, fo han=
deln fie gerade ihrem Zwecke entgegen, weil fie die Anzal
und Klarheit der Merkmale vermehren, die fie beyde *
mehr
|
\
i
J
Don dem Vermögen zu abſtrahiren. 75
mehr vermindern ſolten. Das Vermoͤgen zu abſtrahiren
iſt eben fo wohl, als die Aufmerkſamkeit, verſchiedener Gra—
de fähig. Und zwar 1) je mehrere Vorftelungen wir ung
aus den Gedanken fhlagen fönnen, oder von je mehrern
Sehen wir abjtrahiren fönnen, defto gröffer ift unfer Ver—
mögen zu abftrahiren. Und darin bejteht die Ausdeh⸗
nung der Abftraction, vermöge welcher eine groffe und
weite Gegend in unferer Seele befchattet wird. Geſetzt,
daß ein Menfch in einer fehr groffen Gefellfchaft, wo viel
gefprochen, gefpielt, getanzt, und unendlich viel und man—
herlen gethan wird, dennoch feine Gedanken von allen dies
fen Dingen abziehen, "und von einer Sache mit jemanden
ohne Verwirrung verftändig reden Fan: fo befißt er eine
gröffere Gabe zu abftrahiren, als wenn er eben dieſe Un⸗
ferredung nur alsdenn halten Fan, wenn er mit dem andern
allein ift, und aufferdem wenig um und neben fich ſieht
und hört. 2) Je ſtaͤrker und Flärer die Borftellungen
find, Die man fi) aus dem Sinne ſchlagen fan, defto groͤſ⸗
fer ift das Vermögen zu abfirahiren. Es gehoͤrt eine
ſchlechte Kunft und Kraft dazu, eine Sache aus dem Sin:
ne zu fhlagen, die einen ſchwechen Eindruck in unfer Ge—
müth macht. Ein Fleiner Schmerz kan' uns im Studieren
nicht viel ftöhren, wer aber bey einem heftigen Schmerze
ftudieren Fan, der befißt eine groffe Gabe zu abftrahiren.
Und das ift die erfte Probe, von der Stärke unferer Ab⸗
firsction. 3) Se gröffer der Grad der Dunfelbeit ift,
den mir durch die Abftraction in einer Borftellung hervor—
bringen koͤnnen, defto gröffer ift das Vermögen zu abftras’
hiren, und das ift die andere Probe von der Stärfe unfes
rer Abftraction. Wenn wir fo zu reden nur einen dünner
Flor über eine Borftellung ziehen, durch welchen fie doch
noch ſehr fichtbar ift, fo abftrahiren wir nicht ftarf von ihr,
Wenn fie aber fo dunkel gemacht wird, daß mir fie gar
nicht mehr merken, und daß fie uns gar nicht mehr in die
Gedanken Fomt, fo abftrahiren wir recht ſtark von derſel—
ben. 4) Seleichter wir eine Vorſtellung ‚verdunfeln Füns
| nen,
76- Don dem Vermögen zu abſtrahiren.
nen, je leichter wir fie uns aus dem Sinne fehlagen Fönnen,
deſto groͤſſer iſt unſere Abftraction. Wenn ein. Ge:
lehrter ſich an ſeinen Studiertiſch ſetzt, und er muß mit
fremden Gedanken lange kaͤmpfen, ehe ſie ihm aus dem
Kopfe kommen, ſo hat er noch keine groſſe Gabe zu abſtra—
hiren. 5) Je laͤnger wir von einer Vorſtellung abſtrahi—
ren koͤnnen, oder je mehr Zeit vorbey geht, ehe ſie uns wie—
der in die Gedanken komt, deſto groͤſſer iſt die Abſtraction,
und darin beſteht die Fortſetzung der Abſtraction.
Wenn jemand fich eine Sache aus dem Sinne fchlägt, fie
komt ihm aber ‚immer und balde wieder in die Gedanken,
fo,ift..diefes ein Beweis der Schwäche feiner Abftraction.
Wer ſich aber eine Sache dergeftalt aus dem Sinne fehla=
gen: fan, daß fie ihm mider feinen Willen. entweder gar
nicht, oder in langer Zeit nicht wieder in. die Gedanken
Fomt, der bemeift dadurch die Gröffe feines Vermögens,
zu abftrahiren, In wie ferne diefe Grade der Abftraction
Vollkommenheiten find, wird ſich aus dem folgenden beur-
theilen laſſen.
8... 520%
Es, gibt "eine Art der Abftraction, welche wir die
Abfonderung der Porftellungen nennen wollen, und
fie. beftehe in der Abftraction eines Theils einer Vorftellung,
indem wir auf den übrigen allein acht haben. Wenn wir
uns einer ganzen Borftellung bewußt find, fo befteht diefelbe
ofte aus einigen Flaren Borftellungen, auf welche ‘wir
zugleich achtung geben. Wenn wir nun unfere Gedanken
von einem. oder mehreren Theilen der ganzen Borftellung ab«
ziehen, um im Stande zu ſeyn, unfere Aufmerffamfeit
auf die übrigen allein zu richten; fo verdunfeln wir jene
Theile, und fondern diefelben in unfern Gedancken von
den übrigen ab. Und daher nennt man diefe Art der Ab«
ftraction , die Abfonderung der Begriffe. Hieher gehört,
die logifche Abfonderung der Begriffe, als ein Benfpiel,
Wenn wir, nad) den Regeln der Bernunftlehre, von dem
Begriffe der philoſophiſchen Tugend, den Begrif der Tus
gend
Don dem Vermögen zu abftrabiren. 77
"gend abfondern, fo denfen wir nicht mehr an den Begrif
philoſophiſch, und find uns des Begrifs der Tugend allein
bewußt. Eben fo wenn ein Redner feinen Held auf der
beſten Seite vorftellen will, fo abſtrahirt er von allem, fo
nicht mit zu derfelden ‚gehört. Folglich gilt von der Abs
fonderung der Begriffe, oder von der Abjonderung der
Theile von dem Ganzen in unferm Gemüthe, alles dasje⸗
"nige, was wir bisher von der Abſtraction überhaupt er=
wieſen baben. © Und fie geſchieht alſo nach diefer Regel:
man ftelle fich von den Theile, den man abfondern
“will, wenigere und weniger klare Merkmale vor,
'als von den übrigen. Folglich je mehr Theile des Gan«
zen man abzufondern vermögend iſt, je länger und in eis
nem je böhern Grabe man fie verdunfeln Fan, und je leich—
ter Diefes geſchehen Fan, deſto gröffer ift das Vermögen zu
diefer Are der Abſtraction. Weil nun von einem “Begriffe
um fo viel mehr abgefondert werden muß,’ je abftracter er
ift, fo erhellet hieraus, warum, zu den abftracten Unter—
ſuchungen in den Wilfenfchaften, ein fo hoher und felte.
'ner Grad des Vermögens zu abftrahiren erfordert wird,
daß die wenigſten Menfchen fich zu den abftracten Wiſſen⸗
ſchaften ſchicken, und daß fie einen jedweden Anfänger in
denfelben fo ſchwer werden, IR MEER 8
| are A}
Da wir ein eingeſchrencktes Vermögen achtung zu
‚geben befigen, fo gefchieht es fehr oft, daß die Aufmerf.
famfeit auf einen gewiſſen Gegenftand vermindert wird,
und daß wir alfo genöthiget find von demfelben unfere Ge—
dancken abzuziehen, wenn wir auf verfchiedene andere Vor-
ftellungen achtung geben. Alsdenn fagen wir, daß wir
unfere Bedancken zerſtreuen, oder daß wir in unfern
Gedanfen zerftreuet find. Die Zerftrenung des Ge
muͤths befteht alfo in demjenigen Zuftande des Gemuͤths,
in welchem wir unfere Aufmerkſamkeit, auf fo viele andre
Borftellungen und deren Gegenftände, auf einmal oder
nach) und nad) richten, daß wir dadurch gehindert werden,
Dies
78 Don dem Vermoͤgen zu abfirabiren.
- biefelbe in einem gewiffen Grade auf einen gewiſſen Ge—
genftand zu Ienfen, Folglich wird unſere Aufmerkfamfeit
auf eine jede Sache, und die Klarheit.der Vorſtellung der⸗
feiben in unferm Gemüthe, allemal durch die Zerfireuung
‚bes Gemüths gehindert, weil fie. unfere eingefchrenfte
Aufmerkſamkeit erfchöpft, und uns wenige Kräfte derfelben
übrig läßt. So fagt man in der Öottesgelahrheit: dag
die irdifchgefinnten Menfchen, durch ihre fündlichen und
von der Religion verfchiedenen Gefchäfte, zerftreuet, und
dadurch an der gehörigen Aufmerffamkeit auf GOtt und
göttliche Dinge gehindert werden. So gibt es Leute, die
man ſchlechtweg zerftreuete Leute nenne, weil fie allemal an
fo viel andere Dinge denken, daß fie mitten in Gefellfcyafs
ten abwefend find, und aufdas Gegenwärtige nicht achtung
geben. Daher fie fo ausfehen, und handeln, und veben,
als wenn fie in ganz andern Umftänden ſich befanden, und
daher enefteht das Lächerliche in dem Character diefer Leute.
Bey der Zerftreuung des Gemüchs gefchieht, was in der
Körperwelt bey der Zerftreuung der tichtftralen erfolgt, in-
dem alsdenn Die Körper nicht recht erleuchtet werden. Wenn
wir im Gegentheil, nach der Zerſtreuung des Gemüths,
unfere Gedanken ‚von den vielen verſchiedenen Borftellun-
gen abziehen, und dadurch die Aufmerkſamkeit auf einen
gewiffen Gegenftand vermehren, fo famlen wir unfer
Bemüth, oder unfere Gedanken. „Die Samlung
des Gemuͤths befteht alfo in demjenigen Zuftande bes
Gemuͤths, in welchen wir die fremden Gedanken aus dem
Sinne ſchlagen, und unfere Aufmerffamfeit in einem hoͤ—
bern Grade auf einen gewiſſen Gegenftand richten, um
uns defjelben in einem defto höhern Grade bewußt zu feyn.
Bey der Zerftreuung waren, die Kräfte unſerer Aufmerkſam—
£eit, unter viele Gegenftände zertheilt. Wenn wir fie num
wiederum zufammen famlen, und mit vereinigter Süaft eis
nen gewiffen Gegenftand beleuchten, fo wird derjelbe um
fo viel Elärer, und. folglich ift die Samlung des Gemuͤths
ein Hinderniß der Zerftreuung defjelben $. 174. Go ſagt
man
a
Von dem Vermögen zu abſtrahiren. 79
man, daß ein Frommer ſein Gemuͤth ſamle, wenn er alle
fremde Dinge aus dem Sinne ſchlaͤgt, und ſich allein in
feinen Gedanken mit GOtt beſchaͤftiget. Bey der Sam-
lung des Gemüths werden gleichſam die Lichtftralen zu-
fammen gefamlet, und auf einen gerwiffen Punct gelenkt,
welcher eben dadurd) ein durchdringendes Licht bekomt.
ER
Aus der vorhergehenden Betrachtung Mi. Ai daß
die Aufmerkſamkeit nicht nur die Abftraction befürdere, fon-
dern auch daß, durch die Abftraction , Die Aufmerffamfeit
befördert werde, wenn beyde einen verfchiedenen Gegenftand
haben. Denn in fo ferne wir unfere Gedanfen von einer
Sache abziehen, in fo ferne fönnen wir unmöglid) auf die-
felbe achtung geben; und in fo ferne, mir. auf fie ahtung
geben, in fo ferne ift es. nicht möglid, daß wir fie uns aus
dem Sinne fchlagen folten $. 506. Folglich hindern, die
Aufmerkſamkeit und die Abftraction, einander in Abfiche
auf einen und eben denfelben Gegenftand. Allein wenn
‚von verfchiedenen Gegenftänden die Nede ift, fo verhält es
ſich ganz anders, Durch die Samlung des Gemüths,
folglich durch die Abftraction von fremden Sachen, befoͤr—
dern. wir die Aufmerkfamfeit auf andere Dinge $. 521.
Folglich ift die Abftraction von einer Sache ein Mittel,
wodurch die Aufmerffamfeit auf eine andere Sache beför=
dert wird. Indem wir von allen andern Sachen unfere
Gedanken abziehen, fo verdunfeln wir den ganzen Schau:
‚plaß der Seele, und fünnen alfo mit der ganzen ungetheile
ten Macht unferer Hufmerffamfeit, oder mit einem viel
Hröffern Theile derjelben als vorber, auf einen gewiſſen Ges
‚genftand fallen, und alfo denfelben um fo viel Flärer erfen«
nen. Wenn wir in einer ftillen Einſamkeit einer Sache
tief nachdenfen, fo. geht uns diefes Gefchäfte viel beffer von
ftatten, als mitten in einer lermenden Gefellfichaft. Und
im Gegentheil, wenn wir auf eine Sache recht acht ges
ben, fo behalten wir nicht viel Kraft übrig, auf andere
Dinge acht zu haben, daher es alsdenn fehr Teiche iſt, von
denen:
80 Von dem Vermögen zu abftrabiren.
denenſelben die Gedanfen abzuziehen : mie 3. E. ben dem
ftarfen Studieren, oder wenn man fonft in feinen Gedan-
ken vertieft ift, es fer leicht ift, von alien andern Dingen
zu abftrahiren. Je beſſer und ftärker alfo jemand abftra-
‘biren Fan, eine defto geöffere Gabe der Aufmerkſamkeit be-
fiße‘ er auch; und in einem je höhern Grade jemand ach-
tung geben Fan, defto befier Fan er auch abftrahiven. Und
bieraus@läße ſich beurtheilen, in wie ferne- die Abſtra—
ction eine Bollfommendeit unferer Seele fey, oder‘ nicht.
Nemlich bloß vor fih Fan fie Feine Vollkommenheit ſeyn,
weil ſie die Quelle der Dunkelheit der Erkenntniß if, und
die ift vor fich betrachtet affemal als eine Derneinung und
Unvollfommenheit anzufehen $.505. Allein da fie die Auf-
merkſamkeit, und alfo alle Klarheit unferer Erfenntniß, be-
fördert; fo ift fie als ein kleineres Uebel zu betrachten, wo-
Durch eine gröffere Vollkommenheit erhalten wird. Wenn
wir uns die ganze menfthliche Erkenntniß wie ein Gemäl-
de vorftellen, fo träge unfere Seele vermittelt der Auf:
merffamfeit die lichten Farben deffelben auf, und ge
der Abſtraction den noͤthigen Schatten.
er
| Gleichwie das kleinere Licht durch das groͤſſere ver⸗
dunkelt wird $. 508, alſo fan man ſagen, daß das groͤſſere
Ucht duch das kleinere glaͤnzender gemacht werde; oder
daß eine ſchwaͤchere Vorſtellung die Klarheit einer ſtaͤrke—
ren, Die mit ihr in der Seele zugleich‘ da ift, oder auf fie .
folgt oder vorhergeht, vermehre. Denn eine fchwächere
Vorſtellung erfodert nur einen fleinern Theil unſerer Auf⸗
merkſamkeit, ſie laͤßt uns alſo noch einen groſſen Sur
derfelben übrig, und mir find. alfo im Stande, auf eine
ſtaͤrkere Borftellung die von ihr verfchied en ift, um fo viel
mehr achtung zu geben, je weniger Aufmerffamfeit die
ſchwaͤchete erfodert. Folglich wird, die ſtaͤrkere Vorſtel—
lung, um fo viel klaͤrer werden. Ja wenn wir unſere Auf
merffamfeit auf eine ſchwaͤchere und ftärfere Borftellung
zugleich vichten, fo Fönnen wir um fo viel leichter, indem
mir
Don dem Vermögen zur abfirsbiren. 81
wir ſie mit einander vergleichen, ihren Unterfchied gewahr
werden, folglich Die gröffere Klarheit der ftärfern, das ift,
wir werden uns dadurch der ſtaͤrkern Vorftellung mehr be-
wußt, und alfo wird.die färfere Borftellung eben dadurch
fläver, wenn fie neben eine fchmächere geftele wird. Die
her fomt es, daß der Schatten in einem Gemälde, als wel:
her einen fehwächern Eindruf in unfer Geſicht macht als
die lichten Farben, dieſe legtern fo fehr erhöher. Und das
ift auch die Arfach, warum eine Sache, durch die ſchwaͤ—
ern Vorftellungen ihres Gegentheils, fo fehr erläutert
merden Fan; oder warum zwey Dinge, Die einander entge—
gengefeßt find, einander in unfern Gedanken erläutern, in—
dem man ihren Unterfchied alsdenn defto leichter gewahr
werden fan. Und hieraus folge zweyerley. Einmal, die
Neuigkeit ift ein Grund, warum. eine Vorftellung eine
gröffere Klarheit befomt, wenn fonft fein Hinderniß der
gröffern Klarheit vorhanden ift. Denn wenn eine Bor:
ftellung in unferer Seele neu ift, und fonft feine Hinderniß
da ift, fo folge fie allemal auf ſchwaͤchere Vorſtellungen,
und fie erhält eben dadurch elnen groͤſſern Grad der Klar:
heit: Doc fan man, aus der, Natur der Begehrungs-
fraft, nod) einen beffern Grund anführen. Nemlich der
nächte Zweck der Seele ift, Daß fie die Welt vorftelle, und
alfo Erkenntniß erlange. Eine jede neue Vorſtellung ift
alfo eine Eroberung, welche Die Seele macht. Und: da- fie
nun Diefelbe als eine Vermehrung ihrer Vollkommenheit
fühlt, fo faltfie mit einer defto groͤſſern Begierde darauf,
Und da fie alfo ihre Kraft um fo viel mehr anftrengt, fo
gibt fie auf das Neue ftärfer achtung, und eine Vorſtellung
ift Daher um ihrer, Meuigfeit willen Elärer, als fie fonft
würde gemwefen feyn. Jederman weiß aus der Erfahrung,
daß dieſes fich in der That fo verhalte. Was neu ift, dar—
an denken wir allemal mehr, als an andere Dinge, wenn
diefes fonft Durch Feine andere Urjach gehindert wird, Im
Gegentheil zum andern, ift, das Alter einer Borftellung,
ein Grund ihrer Berdunfelung, und warum mir von der—
3. Theil, 4 feiben
32 Von dem Vermoͤgen su abſtrahiren.
ſelben deſto leichter abſtrahiren, je aͤlter ſie iſt. Wir ſehen
ſie als eine Sache an, in deren Beſitze wir ſicher ſind, und
wir halten es fuͤr unnoͤthig, unſere Aufmerkſamkeit mit ihr
zu beſchaͤftigen. Und da uͤber dies unſere Aufmerkſamkeit
immer, durch neuere und neuere Gegenſtaͤnde, beſchaͤftiget
wird; ſo iſt es ganz natuͤrlich, daß eine Vorſtellung immer
um ſo viel dunkeler wird, je aͤlter ſie in der Seele wird, ſie
muͤſte denn durch andere Urſachen aufgeklaͤrt werden. Da—
ber komt es, daß wir auf Dinge, die wir taͤglich uns vor⸗
ftellen, nicht fonderlich acht haben. Bey dem Anfange
einer Malzeit ſchmeckt es uns allemal bejfer, als bey dem
Befchluffe derfelben.
KERZE HK HE RT RK ER EEK RK KK ER
Das andere. Capitel,
von dem
untern Erkenntnißvermoͤgen.
$. 524
Neter wir, von dem Erkenntnißvermoͤgen der Seele
uͤberhaupt, gehandelt haben; ſo muͤſſen wir nun, die
verſchiedenen Arten deſſelben, unterſuchen. Und da komt
zuerſt, das untere Erkenntnißvermoͤgen, zu betrachten vor.
Nemlich wir verſtehen, durch das untere Erkenntniß-
vermoͤgen, das Vermoͤgen undeutlicher Erkenntniß; oder
das Vermögen, Dinge ſich auf eine dunkele und verworre—
ne Are vorzuftellen. Sch babe in dem vorhergehenden er=
mwiefen, daß die Dunkelheit ein Eleinerer und geringerer
Grad der Erfenntniß fen, als die Klarheit $. 505. Da
nun eine verworrene Erkenntniß eine Elare Erkenntniß ift,
deren Theile und Merkmale dunkel find; eine deutliche Er—
Fenntniß aber eine folche klare Erkenntniß iſt, deren Theile
und Merkmale Flar find: fo befteht die Verwirrung in der
Dunfelbeit, und die DeutlichFeit in der Klarheit der Merf-
male. Folglich ift die verworrene Erkenntniß ein Fleinerer
und geringerer Brad der Erkenntniß, als die Deutliche Er-
| kennt⸗
Pon dein untern Erkenntnißvermoͤgen. &3
kenntniß. Es ift wahr, um anderer Urfachen willen, fan
die dunfele und verworrene Erkenntniß groͤſſer und volls
kommener feyn, als die Elare und deutliche. Allein wenn
fie in den übrigen Stücen einander’ gleich find, fo ift die
undeutlihe Erfenntniß allemal Fleiner und geringer, als die
deutliche. Folglich wird dasjenige Erfennenißvermögen,
modurch wir zur undeutlichen Erkenntniß aufgelegt find,
eben Deswegen das untere, Fleinere oder geringere Erkennt»
rißvermögen genannt, und es gehoͤret auch zu Dem gerittz
gern und fchlechtern Theile unferer Natur. Die undeurli:
che Erkenntniß wird auch die finnliche Erkenntniß ge:
nannt, weil fie entweder unmittelbar oder doch auf eine
nähere Art von den Sinnen herruͤhrt, wie aus den folgenz
den Unterfuchungen erhellen wird. Folglich wird auch,
das untere Erfennenißvermögen, das finnliche Erkennt⸗
nifvermögen genannt. Durch diefes Vermögen find
wir zu aller finnlichen, das ift zu aller dunfeln und ver:
worrenen, Erfenntniß aufgelegt. Und man darf niche
glauben, als wenn es feines Gegenftandes wegen fü ge—
nanne werde, und als wenn es fid) bloß mit Forperlichen
Dingen befchäftige, oder bloß mit andern Dingen, die in
unfere Sinne fallen. Wir koͤnnen ung auch andere Dinge
ſinnlich vorftellen, und es wird alfo um der Art und Bea
ſchaffenheit derjenigen Erfenntniß willen fo genannt, wel—
che durch dafielbe gemwürft wird, Da wir nun nicht nur
dunfele und verworrene Erfenneniß haben, fondern da auch
die Dunkelheit und Verwirrung unferer Erfenntniß, in der
Stellung unferes $eibes, gegründet ift $. 485. 487: fo hat
unfere Seele ein finnliches Erfenntnißvermögen, und e8
wird daſſelbe durch die Borftellungsfraft der Seele ge:
wuͤrkt, wodurch fie fich die Welt nad) der Stellung ihres
Leibes vorſtelt F. 488, Es ift demnach nichts anders als
eine gewiſſe Art und Weife, wie wir diefe Borftellungs-
fraft gebrauchen koͤnnen.
2
[3 25. j
Um das finnliche Erfenntnißvermögen defto genauer
52 Eennen
34 Don dem unten Erkenntnißvermoͤgen.
Eonnen zu lernen, muͤſſen wir bemerfen, daß es eine drey—
fache Art der Vorftellungen in unferer Seele würfe, Ein—
mal, die bloß dunkeln Borftellungen, Es find in unferer
Seele dunkele Borftellungen, deren wir uns gar nicht be:
-wußt find, und in denen nicht einmal der. Eleinfte Grad der
Klarheit angetroffen wird 9.480. Alle diefe Vorſtellun—
gen find, Würfungen des ſinnlichen Erkenntnißvermoͤgens.
Zum andern diejenigen verworrenen Borftellungen, deren
wir uns zroar bewußt find, in denen aber gar feine Deut-
YichEeit angetroffen wird, Dergleichen Borftellungen find
unfere Begriffe, von den verſchiedenen Arten der Farben,
des Geſchmacks, des Geruchs u. ſ. w. Und, bey der Her-
vorbeingung diefer Vorstellungen, befchäftiget ſich auch nur
Das finnliche Erkenntnißvermoͤgen. Zum dritten aber ha-
ben wir, viele Erkenntniß, die deutlich und undeutlich zu—
gleich iſt. Wir haben viele klare Borftellungen, von de-
nen wir einige Merkmale dunfel erkennen, und in fo ferne
find. ‚fie verworren und ſinnlich; einige ihrer; Merkmale
aber erkennen wir klar, und in fo ferne find fie
deurlih. Folglich haben wir finnlih klare Vorſtel—
lungen, in denen einige Deutlichfeit ift, und man nenne
diefelben auch finnliche Borftellungen, wenn der vornehmſte
Theil derfelben finnlich if. Wenn wir einen Daum fo
nahe fehen, Daß mir viele Zweige und Blätter von einan-
der unterfcheiden Eönnen, fo iſt dieſe finnliche Borftellung
zum Theil deutlich. ; Wenn man alfo z. E. fagt, Daß ein
Dichter finnlih denken müffe, fo wird. dadurch nicht alle
Deutlichfeit aus feinen Borftellungen verbannt. Wir ba-
ben.aber auch deutliche Borftellungen, in welchen viel ſinn—
liches, viele Verwirrung und Dunfelheit, angetroffen wird.
‘a, alle unfere deutlichen Borjtellungen, Ip, Anm, Zbeil
finnlih, Man.nehme die allerdeutlichiten Begriffe aus
den Wiflenfchaften, fo find wir nicht im Stande, diefelbe
dergeftalt zu zergliedern, daß wir nicht endlich auf Merf-
male fommen folten, die wir bloß verworren erfennen, Und
wenn wir alfo eine Borftellung beutlich nennen, ſo geſchieht
es nicht deswegen, als wenn fie nicht zugleich finnlic) waͤ—
et,
% ‚|
Don dem untern Erkenntnißvermoͤgen. #5
ve, ſondern weil der vornehmfte Theil derfelben deutlich iſt.
Solche Borftellungen nun, die deutlich und finnlich zugleich
find, werden niche durch Ein Erfonntnißvermögen allein
gewuͤrkt; fondern der finnliche Theil derfelben ift eine Wuͤr—
fung des untern Erfenntnißvermögens, und ihre Dedtlichs
feit wird durch den Verſtand gewuͤrkt.
$ 526,
Unfere meiften und gewöhnlichften Vorftellungen find
bloß finntiche, und alle unfere deutliche Erfenntnig ift zum
Theil ſinnlich $. 525. Folglich ift das. finnliche Erfennte
rißvermögen nie nur dasjenige Erfenntnigvermögen,
welches wir am meiſten brauchen, fondern welches ‚auch
beftändig in uns und bey aller. unferer Erkenntniß entiwes
der allein, oder in Gefellichaft des Verſtandes, gefchäftig
ift. Die Vorftelungen, welche durch dieſes Erfenntniß«
vermögen gewürft werden, koͤnnen nicht nur fehr lebhaft,
und der Stärke nad) in einem fehr hohen Grade klar feyn;
fondern fie koͤnnen auch viel ftärfer, als die deutlichen Vor—
ftellungen, ſeyn. Nemlich eine Borftellung ift lebhaft,
wenn fie klar ift und ſehr viele Merkmale enthält. $. 503.
Dazu wird nun nicht erfodert, daß diefe Merfmale Elar
find, fondern es Fönnen unendlich viele dunfele Merfmale
eine verworrene lebhafte Borftellung ausmadjen, wie z. E.
recht fchöne Metaphern, die uns ofte eine ganze Welt in ei—
nem Blicke überfehen laſſen. Folglich fönnen, lebhafte Vor⸗
ſtellungen, finnlic) feyn. Und da unendlich viele Stufen
der Klarheit, zwifchen der Dunkelheit und Deutlichkeit
der Erfenneniß, möglic) find, F. 503. fo fan eine Borftels
lung der Stärfe nach einen groffen Grad ver Klarheit has
ben, ohne daß fie deutlich iſt. Folglich koͤnnen wir, durch
das untere Erfenntnißvermögen, Borftellungen würfen,
die mit einem fehr ausgebreiteten und durchdringend hellem
che fhimmern, wie die Dichtfunft diefes Durch die Erfah—
rung ermeißt. And da die Stärfe einer Vorftellung, auf
der Menge ihrer Theile und Merkmale, beruhet, $. 493.
fo Fann eine finnliche Borftellung viel mehr Merfmale und
Theile in fich enthalten, als eine deutliche, Zur —2
53 eit
35 Von dem ımtern Erkenntnißvermoͤgen.
keit einer Vorſtellung iſt es ſchon genug, wenn ſie aus
zwey klaren Vorſtellungen zuſammengeſetzt iſt. Folglich
Fan eine ſinnliche, eine verworrene und dunkele Vorſtellung,
viel ſtaͤrker ſeyn, als eine deutliche. Ja bey ung Men«
ſchen geſchieht dieſes, wo nicht allemal, doch mehrentheils.
Weil unſer Verſtand ſo ſchwach iſt, fo muͤſſen wir ihm ſehr
wenig auf einmal vorſtellen, wenn er deutlich denken ſoll,
und es enthalten daher unſere deutlichen Vorſtellungen, in
ſo ferne ſie deutlich ſind, allemal ſehr wenig in ſich. Da—
her iſt bey ung die finnfiche Erkenntniß, wenigſtens ger
wöhnlicher Weife, ftärfer, als die deutliche, und wenn
wir die deutliche verftärfen wollen, fo müflen wir eine ſinn—
liche Borftellung mit ihr verfnüpfen, welche ung den Ge
genftand von eben der Seite vorttelt, als die deutliche.
Und Daher rührt unfer nanzes Verderben, daß die Sinn-
lidyFeit über den Verſtand herſcht. Wenn wir uns die
Suͤnde noch fo deutlich als .böfe vorftellen, fo iſt doch die
finnlihe Borftellung des Scheinguten in der Sünde flär«
fer, und wenn wir uns die Sünde nicht aud) finnlich als
böfe vorftellen, fo werden wir fie, vermöge der deutlichen
Vorſtellung, ſchwerlich laffen koͤnnen.
Be
Da nun das finnliche Erfenntnißvermögen fih bey
aller unferer Erkenntniß gefehäftig erweißt, und fo viel
- Macht über die ganze Seele ausübt, fo breitet fich Die groͤ—
fte Linvolfommenbeit über alle unfere Erfenntniß, und die
äufferfte Zerrüttung über die ganze Seele aus, wenn daffel-
be nicht aufs möglichfteverbeffert wird. Daher preißt fich
diejenige Wiflenfchaft von felbft ungemeinan, welche man
die Aeſthetik nennt , oder die Wilfenfchaft der Regeln,
wie wir eine Sache auf eine recht volflommene Art finnlich
erkennen und vortragen follen, In diefer Wiſſenſchaft
wird gezeigt, wie wir das untere Erfenntnißvermögen ver»
befiern, und recht gebrauchen follen. Und da alle ſchoͤnen
Künfte und Wiflenfhaften fih mit den Vollkommenheiten
der Dinge befdyäftigen, in fo ferne fie finnlic) erfannt wer»
den;
— ——
Von dem untern Erkenntnißvermoͤgen. 87
den; ſo kan man mit Recht ſagen, daß die Aeſthetik die
erſten Gründe aller ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften ent=
halte, und daß ſie alſo mit Recht, als eine allgemeine
Theorie aller dieſer Künfte und Wiſſenſchaften, koͤnne und
muͤſſe angefehen werden. Nunmehr wollen wir, alle bes
fondere Arten des finnlichen Erfenntnigvermögens, nad)
einander unterfuchen. Diefes Vermögen ift ein fehr zus
fammengefegtes Vermögen, und Fan fid) bald fo bald an-
ders an ben Tag legen, Es äuffert fi) überhaupt, wenn
wir die Aufmerkfamfeit auf einen Gegenftand im Ganzen
betrachtet richten, ohne über venfelben zu reflectiren, und
es ift alfo nichts anders als eine Aufmerffamfeit, welche
nur auf das Ganze gerichtet iſt, nicht aber zugleidy auf ei⸗
nige Theile deflelben. Allein nachdem diefe Aufmerkſam⸗
feit, auf diefe oder jene Gegenftände, auf verfhiedene Art
gerichtet ift, nachdem befomt das finnliche Erfenntnißvers
mögen verfchiedene Namen, und zergliedert fi) in die
verfchiedenen finnlihen Erfenntnißvermögen, die wir nun
nad) einander in derjenigen Drdnung durchgehen wollen,
nach welcher fie in der Seele felbft mit einander verfnüpft
find, und nach welcher eins aus dem andern folge.
KELLER ENT EKKERRRCKHFR K ERREGER GERD
Der erfte Abſchnit
von den Sinnen.
§. 528.
F ie allererften Gedanfen, deren wir uns in unferm Le⸗
ben bewußt find, find Empfindungen, und da ſie
feine andern Vorftellungen vorausſetzen, nn vielmehe
die Duellen aller unferer übrigen Erfenntniß find, fo müf
fen wir fie zuerft uuterſuchen. Wir erfahren es täglich,
daß wir uns unferes gegenwärtigen Zuftandes bewwufit find,
oder der Veränderungen, die in uns würflid) gegenwärtig
find, wenn wir an fie denfen, Folglich bat unfere Geele
Gedanken, von unferm gegenwärtigen Zufiande, Alle.
34 Ge⸗
88 Vaon den Sinnen.
Gedanken ſind Vorſtellungen, und unſere Seele hat demnach
Vorſtellungen unſeres gegenwärtigen Zuſtandes, und dieſe
Vorſtellungen werden Empfindungen genennt. Wir
empfinden demnach, in fo ferne wir uns unſern Zuſtand
vorftellen,; der in demjenigen Augenblicke wuͤrklich ift, wenn
wir uns ihn vorftellen. So fagen wir, daß wir den
Schmerz einer Krankheit. empfinden, wenn wir uns den-
felben alsdenn vorftellen, wenn er gegenmärtig iſt. Alle
Gedanken unferer gegenwärtigen Zuſtaͤnde find Empfin-
dungen, ‘allein wenn wir empfinden, find wir uns nicht ak |
lemal derjenigen gegenwärtigen Beränderungen bewußt, |
die wir empfinden; denn unfere Empfindungen fonnenauh |
dunfel feyn. Folglich find nicht alleunfere Empfindungen
Gedanfen, und klare Borftellungen, - Die unmittelbaren
Gegenftände aller unſerer Empfindungen find alfo Veraͤn—
derungen, die in ung felbft gegenwärtig find, welches gleich
in dem folgenden noch genauer gezeigt werden wird. Allein
da unfer gegenwärfiger Zuftand, famt allen urfern jedes:
mal. gegenwärtigen Veränderungen, ein Iheil des gegen-
wärtigen Zuftandes der Welt ift $. 300, fo find alle unfere
Empfindungen Vorſtellungen des Zuftandes der Welt, wels
cher. alsdenn gegenwärtig ijt, wenn wir die Empfindungen
haben. Wenn alfo unfere Seele ihre Empfindungen felbft
wuͤrkt, fo bedarf fie dazu Feiner andern Kraft, als derje-
nigen, wodurch fie ſich die Welt überhaupt nad) der Stels
lung ihres Leibes vorftelt $. 488. Wer ſich überhaupt die
Melt vorftelfen Fan, der Fan fich auch den gegenwärtigen
Zuftand derfelben vorftellen. Die Empfindungen werden
auch man I Erſcheinungen genennt, weil uns bie
Dinge’ in der Welt fo zu feyn feheinen, wie wir fie em:
pfinden.
$. 529.
Eine jedwede Empfindung ſtelt ung, unfern gegen«
wärtigen Zuftand, vor F. 528. Nun iſt unfer gegenwaͤr⸗
tiger Zuftand entweder ein Zuftand unferer Seele, ‚oder _
unferes $eibes, oder beydes zugleich, Folglich haben en
ne
Den den Sinnen. ‘89
eine doppelte Are der Empfindungen. Die erften ftellen
ung den gegenwärtigen Zuftand unferer Seele vor, und
das find innerliche Empfindungen; Die andern aber
ftellen uns den gegenwaͤrtigen Zuftand unferes Seibes vor,
und fie werden Sufferliche Einpfindungen genennt, Gie
heiffen nicht etwa auflerlich, ats wenn fie felbft auſſer der
Seele befindlid wären, mie ſich manche vorſtellen, als
wenn die äufferlichen Empfindungen in dem Körper befind«
lich wären; fondern fie beiffe@ fo, weil ihr Gegenftand
auffer der Seele befindlih ift. Die innerlihen Empfin-
dungen find ſelbſt, ſamt ihrem Gegenftande, in der Seele
befindlich. Wenn ich mir worftelle, was id} eben denke,
oder daß ich traurig, freudig bin u. ſ. w. fo iſt das eine in«
nerlihe Empfindung. Wenn ich aber fehe, höre, rieche
u. ſ. w. fo empfinde ich äufferlih, weil id) mir alsvenn -
Beränderungen meines Leibes vorftelle, Der Gegenftand
der innerlichen Empfindungen ift alfo allemal eine Berände-
rung der Seele; der unmittelbare und nächfte Gegenfland
der äufferlihen Empfindungen aber, iſt nicht etwa die
Sache, welche die Veränderung unſeres Körpers hervors
bringe, fondern diefe DWeränderung felbft. Wir fehen
3. Erempel die rothen Körper nicht felbft und unmittelbar,
fondern die Würfung verfelben in unfere Yugen. Und,
aus der Gegenwart diefer Würfung, ſchlieſſen wir die
Gegenwart der würfenden Urfach derſelben. Diefe Anmer—
fung ift ſehr wichtig, wenn man die Wahrheit der Em-
findungen gründlich prüfen will, Die meiften bilden ſich
faͤlſchlich ein, als wenn fie die auffer fich befindlichen Dinge
unmittelbar fähen, hörten u. f. w. allein ein geringes Nach⸗
denken fan einen jebweden, von der Unrichtigkeit Diefer
Einbildung, überzeugen.
si | st, 530,
Da unfere Seele unleugbar Empfindungen, und
zwar fo wohl innerliche als auch äufferliche bat h. 528. 529.
fo hat fie auch ein Vermögen zu empfinden; oder es ift
ihrer Kraft möglich, fid) ihren gegenwärtigen Zuftand vor
85 zuuſtel⸗
90 Don den Sinnen.
zuftellen. Diefes Vermögen wird der Sinn genannt.
Folglich hat die Seele dasjenige Erfenntnißvermögen, wel«
ches man ven Sinn zu nennen pflegt. Der Sinn ift ent
weder der innerliche Sinn, das ift, das Vermögen der
innerlihen Empfindungen, oder der Aufferliche Sinn.
Das ift, das Vermögen äufferlic) zu empfinden, Es ift
demnach vor ſich Elar, daß unfere Geele fo wohl einen in-
nerlihen, als auch einen änfferlihen Sinn befiße. Ber
möge des erftern ftelt fich die Seele ihren jedesmaligen ge—
genmärtigen eigenen Zuftand vor, vermöge Des andern
aber den gegenwärtigen Zuftand des $eibes. So nennen
wir das Geficht einen äufferlichen Sinn, weil wir durch
dafjelbe uns die gegenwärtigen Veränderungen unfers Koͤr⸗
pers vorftellen, welche durch das Licht in unfern Augen ber
vorgebracht werden. Da wir nun empfinden, indem wir,
auf die gegenwärtigen Veränderungen unferer Seele und
unſeres Leibes, achtung geben $. 506. 528. fo find die
Sinne unferer Seele nichts anders, als gewiſſe Arten der
Aufmerkſamkeit, vermöge welcher wir die Vorftellungsfraft
der Seele auf unfern gegenwärtigen Zuftand richten
§. 506,
$. 531.
Bey denen aͤuſſerlichen Sinnen müffen wir dakjenige,
mas der Geele zufomt, von demjenigen unterfcheiden, was
in dem Körper angetroffen wird. Die äufferlichen Sinne
und die Aufferlichen Empfindungen find Beftimmungen,
welche in der Seele angetroffen werden, und in dem Leibe
find die Werkzeuge ver Sinne, famt den materiellen Bil:
dern des Gehirns. Nemlich die Werkzeuge der Sin=
ne find Theile des Leibes, mit deren gehöriger Bewegung
eine äufferlihe Empfindung in der Seele zugleich da ift.
Die Werkzeuge der Sinne, wie z. E. die Augen, haben
eine gewifle Structur, und Einrichtung zu einem gemiffen
Zwerfe. Die Yugen find dergeftalt gebauet, daß fie das
Sicht auffangen, brechen, und dadurd) ein Bild von
fihtbaren Dingen bervorbringen Fonnen. Wenn nun eis
ne
‚Bon den Sinnen, gi
ne Bewegung in ihnen hervorgebracht wird, die ſo befchaf-
fen und eben fo groß ift, nicht gröfler und nicht Eleiner, als
ihr Zweck und ihre Structur erfordert, fo werden fie auf
eine gehörige Arc bewegt. Geſetzt man fehlage jemanden
in die Augen, fo entftehet zwar eine Bewegung in den
Augen; allein es entfteht Daher das Sehen nicht, weil die
fe Bewegung nicht fo befchaffen ift, mie es der Mechanis-
mus der Augen erfodert. Diefe gehörige Bewegung fan
nur in den Augen entftehen, wenn das Licht in dieſelben
falt, Allein wenn aud) das Licht in die Augen fälc, fo
enifteht Doch nod) nicht Die gehörige-Bewegung, wenn es
nicht in der rechten Maafle in die Hugen dringet, Ein
gar zu ſtarkes Licht blendet die en und man fan als⸗
denn fo wenig fehen, fo wenig man bey einem gar zu ſchwa⸗
chen Lichte zu fehen vermögend ift. Nun fagt uns zwar
die Erfahrung nicht, daß, durd) die gehörige Bewegung
der Werkzeuge der Sinne, die aufferliche Empfindung in
der Geele hervorgebracht werde; allein fie lehrt ung beftän-
dig, daß, wen Diefe Bewegung da ift, die Seele aud) alle-
mal äufferlih empfinde. Und daraus erhellet zugleich,
daß mit allen äufferlihen Empfindungen in dem Gehirn
eine Bewegung: verfnüpft fen, welche durch die gehörige
Bewegung der Werfzeuge ver Sinne gemürft wird, und
dieſe Bewegungen nennt man die materiellen Bilder
oder Dorftellungen. Wenn das Licht in die Augen faͤlt,
fo feße es den Sehenerven in Bewegung, und da derfelbe
fi) in dem Gehirne endiget, fo muß alsdenn nothwendig
in dem Gehirne, da wo fid) Diefer Nerve endiget, eine
Bewegung entftehen, melde feiner Urſach ähnlich und
gleihförmig ft. Einige Materialiften, welche die. Seele
für ein materielles Ding halten, nehmen an, daß die aͤuſ⸗
ferlichen Empfindungen nichts anders, als Diele materiels
len Bilder des Gehirnes find. Allein fie nehmen dieſes
ohne Bewelß an, und man Fan fid) durch ein geringes
Nachdenken überzeugen, daß bey den äufferlihen Empfin-
dungen dieſe materiellen Wilder auffer der Seele find, und
daß
92 Don den Sinnen.»
daß fie den nächften und unmittelbaren Gegenftand der aͤuſ—
ferlihen Empfindungen ausmachen. Das Sicht faͤlt in die
Augen, und entwirft von dem Körper, von welchem es ab—
pralt, ein genaues Gemälde hinten in dem Auge, und die:
fes Gemälde verurfacht einen Abdruck von ſich in dem Ge:
birne, und indem die Seele daffelbe gewahr wird, fo em-
pfinder fie aufferlih.. Es gehört in die Phnfiologie, und
nicht in Die Pfychologie, die Werkzeuge der Sinne, und
die materiellen Bilder, genauer zu unterfuchen. Wir be-
frachten fie nur hier, in fo weit als es nöthig ift, die Lehre
—— aͤuſſerlichen Empfindungen der Seele deutlicher zu
machen.
| Aa
Bey den — der Sinnen muß, der Em⸗
pfindungscreiß, und der Empfindungspunct, ſonderlich
bemerkt werden. Jener iſt der Inbegrif aller derjenigen
Orte, aus denen die Gegenſtaͤnde unſerer aͤuſſerlichen Em—
pfindungen, wenn ſie ſich in denenſelben befinden, noch auf
eine gehoͤrige Art die Werkzeuge der Sinne dergeſtalt be—
wegen koͤnnen, daß die Seele im Stande iſt, ſie klar oder
mit einem Bewußtſeyn zu empfinden. Wenn wir auf
freyem Felde um uns ſehen, fo ſcheints, als fen ein Circul
um uns gezogen, den mir den Horizont oder Gefichtscreiß
nennen. Go weit reichen unfere Augen. Was innerhalb
dieſem Circul da ift, das koͤnnen wir klar fehen, wenn fonft .
feine Hinderniß da ift. Und fo verhält fichs, mit allen
unfern übrigen äufferlichen Sinnen. Diefer Empfindungs-
creiß ift, bey verfchiedenen Perfonen, der Gröffe nach ge—
waltig verfchieden. Der eine Fan z. E. immer weiter fe-
ben, als der andere. In dem Empfindungscreife ift der
Empfindungspunct, das ift, derjenige Ort, welcher der
Empfindung am allergemäffeften iſt; oder welcher fo be-
fhaffen ift, daß die Gegenftände aus demfelben am aller-
beften in unfere Werkzeuge der Sinne würfen, und da-
durch die. befte Empfindung veranlaflen fonnen. 3. €.
bey unferm Gefichte haben mir einen Gefichtspunet, und
das
Don den Sinnen. 5
Das ift der. Ort, in welchem die fihtbaren Gegenftände we-
der zu weit von unfern Augen enffernt find, noc) denenfels
ben gar zu nahe find, und in welchem fie fo gerade vor uns
geftelt find, dag das Licht nach einer Perpendicularlinie in
unfere Augen fält. Wenn wir.eine Sache nur von Er
Geite anfehen, fo Fönnen wir. fie nicht vecht feher, und
eben fo wenig Fan man fie recht fehen, wenn fie unfetm Au-
ge entweder. zu nahe, oder zu. weit. von ihm entfernt iſt.
Und eben fo Fan man bey andern Sinnen einen Empfins
dungspunct gedenfen, der uns durch die Erfahrung fd be:
kannt ift, Daß ein jeder, wenn.er 3. E. eine Sache recht an-
fehen will, dieſelbe gerade vor fich in der gehörigen Entfer-
nung hält. _ Auch diefer Empfindungspunct ift, bey ver-
fehiedenen Menſchen, gewaltig verfchieden, der eine hat ein
Furzes Öeficht, der andere nicht, Und auch hier Fünnten
wir verfchiedene Betrachtungen anjtellen, wenn wir den
menſchlichen Körper genauer unferfuchen dürften, Wir
überlaffen aber diefes der Phyſiologie. Ein nachdenfender
Menſch wird in dieſer Sache, bewundernswuͤrdige Proben
der göttlichen Weisheit, bemerken... Z. E. das, Gejicht iſt
uns der nöthigfte und nuͤtzlichſte Sinn, durch welchen wir
zu dem gröften Theile unferer Erkenntniß gelangen. . Da—
ber hat auch daſſelbe den allergröften Empfindungscreiß
unter allen Sinnen, und wie koͤnnen nicht nur den Kopf
bin und ber drehen, ohne den ganzen Leib zu bewegen, fon:
dern unfere Augen find auch rund und beweglich, damit
man deſto gefcehwinder und leichter die Gegenftände in den
Empfindungspunct bringen koͤnne, als welches Das Sehen,
unendlich. befördert,
| $. 533. |
So viele Werkzeuge der Sinne als wir haben, fo
viele äufferliche Sinne befißt unfere Seele $. 531. Folg—
lich haben wir, fünf aufferlihe Sinne: 1) Das Beficht,
oder das Vermögen, Diejenigen. gegenwärtigen Veraͤnde—
rungen im Körper, oder Diejenigen materiellen Bilder ung
vorzuftellen, melche das Fichte Durch eine gehörige Bewe—
gung
94 Don den Sinnen.
gung in den Augen hervorbringt. 2) Das Geboͤr, oder
das Vermögen, diejenigen materiellen Bilder uns vorzu-
ftellen, welche der Schall durch Die gehörige Bewegung
der Ohren hervorbringt. 3) Der Beruch, oder dasjeni«
geVermoͤgen, wodurch wir uns diejenigen materiellen Bil:
der vorftellen, welche die Ausdünftungen der Körper, durch
eine gehörige Bewegung in der Naſe, hervorbringen.
4) Der Geſchmack ift dasjenige Vermögen, wodurch wire
uns die materiellen Bilder vorftellen, welche die Salze der
Körper, durch eine gehörige Bewegung in der Zunge, herz
vorbringen. Und 5) das Gefühl, dasjenige Vermögen,
wodurch wir ung diejenigen materiellen Bilder vorftellen,
welche die Körper durch eine gehörige Bewegung, die vorr
den vier vorhergehenden verfchieden ift, indem fie unſern
Körper allervegen berühren, wo Merven find, hervorbrin-
gen. Manche halten die vier erften Sinne für Arten des
Gefühls, und man müfte alfo fagen, daß z. E. das Geficht
nichts anders, als das Gefühl des Lichts, fen. Allein
wenn das Kcht fehr ftarf in unfere Augen fält, fo koͤnnen
wir gar leicht einfehen, daß das Gefühl des Lichts fehr weit
von dem Sehen deffelben verfihieden fen. Und eben fo
fühlen wir einen Schall, wenn er ſo ftarf in unfere Ohren
ftößt, daß es uns wehe thut, das ift aber Fein Gehör.
Nichts Fan bewundernswürdiger fenn, als wenn man die
fünf Werfzeuge der äufferlichen Sinne, die Augen, Ohren
u. f. w. genauer unterfucht, und nicht nur den vortreflichen
Bau derfelben betrachtet, fondern auch die Art ihrer gehoͤ—
rigen Bewegung. Es ift eine Schande, werm man fich
um diefe Unterfuchung nicht befünmert, allein fie gehört
niche in die Pſychologie. So viel ift alfo Flar, daß unfer
Leib nicht fehe, höre, ſchmecke, fühle und rieche, fondern
das thut die Seele. In dem $eibe find, bey den Auflerli-
chen Empfindungen, die gehörigen Bewegungen der Werf:
zeuge der Sinne, und die daher entftehenden materieffen
Bilder anzutreffen. In der Seele aber find Die Vorftel-
lungen dieſer Bilder, folglich auch das Geficht, a
U. . w.
—
a nn
— —
A u ee 7 _ a Fe
Von den Sinnen. 95
u.ſ. w. Man hat die Frage aufgeworfen : ob nicht, auffer
diefen fünf äufferlichen Sinnen, noch ein fechiter, fiebender
Sinn u. ſ. w. möglich ſey; und od es nicht Creaturen ge=
be, die mehr Sinne haben als wir, gleichwie es Creaturen
gibt, Die nicht einmal fo viel Aufferliche Sinne haben, als
wir befisen ? Wir fonnen diefe Fragen nicht verneinen,
denn es würde einen lächerlichen Stolz an den Tag legen,
wenn wir nur fünf Aufferliche Sinne für möglich halten
wolten, weil wir nicht mit mehrern derfelben von der Nas
tur ausgerüfter find. Allein da wir ung von diefen Sin-
nen, die wir nicht haben, eben fo wenig einen Begrif ma—
chen fünnen, als ein Blindgeborner weiß, was das Geficht
fen: fo fan man, von einem fechften oder fiebenden äufler-
lichen Sinne, nichts weiter ſagen. So viel fehen wir, daß,
uns unfere Sinne einen Öegenftand von verfchiedenen Sei-
ten zeigen. Was uns das Geſicht an einem Öegenftande
zeigt, das Fan uns das Gefühl nicht vorftellen. Man fege:
daß ein Blindgeborner durch das Gefühl eine Kugel und
einen Würffel genau habe kennen lernen, fo weiß er, wie ſich
diefe benden Körper anfuͤhlen laſſen. Nun fege man, er
werde fehend, und erblicfe von ferne dieſe beyden Körper,
fo wird er unmöglich wiffen fönnen, welcher die Kugel und
welcher der Würfel ift: denn er ftelt.fich num vor, wiediefe
beyden Körper ausfehen, allein das ift von demjenigen ſehr
unterſchieden, was wir uns vorſtellen, wenn wir dieſe Koͤr⸗
per befuͤhlen.
F. 534
Der verſchiedene Grad Staͤrke und Klarheit un—
ſerer aͤuſſerlichen Empfindungen hanget unter ander n, von
einem drenfachen Grunde, ab. 1) Bon der Gröffe der ge-
hörigen Bewegung, in den Werkzeugen der Sinne. Je
gröffer diefe Bewegung ift, deſto färfer und Flärer iſt die
äufferliche Empfindufl ; je ſchwaͤcher und Fleiner aber Diefe
Bewegung ift, deito ſchwaͤcher und dunfeler ift aud) die
aufferliche Empfindung: denn diefe Bewegung ift die Ur—
fach der Aufferlichen Empfindung, ie gröffer oder —
aber
win
96 Don den Sinnen.
aber. die Urſach iſt, deſto gröfier oder kleiner iſt die Wür-
fung $. 255, Bey hellem Mittage Eonnen, wir flärer fer
ben, und die Gegenſtaͤnde verurfachen uns eine ftärfere
Empfindung, als bey einer fhwachen Abenddemmerung,
und jederman fieht, Daß in dem erften alle die gehörige
Bewegung in den Augen ftärfer ift, als in dem andern.
Ein ftarfer Ton bringet eine gröffere Bewegung in den
Ohren hervor, als ein fehwacher, wir hören.aber jenen auch
klaͤrer und ftärfer, als Diefen, und. fo verhält es fih auch
mit allen übrigen Sinnen. 2) Bon der Gröffe des Ges
genftandes unferer Aufferlihen Sinne. Je groͤſſer der
Gegenftand if, deſto Elärer und ftärfer ift die aufferliche
Empfindung ; je Eleiner aber ‚der, Öegenftand ift, defto
fhwächer und dunfeler ift auch die äufferliche Empfindung.
Je geöffer der Gegenftand ift, eine deſto gröflere Bewe—
gung fan er in den Werkzeugen der Sinnen hervorbringen,
und deſto gröffer und ſtaͤrker ift alfo Die aͤuſſerliche Empfin—
Dung. Se Eleiner aber der Gegenſtand ift, eine defto klei—
tere Bewegung Fan er in den Werkzeugen der Sinnen her—
vorbringen, und alfo erwecken fie auch nur eine um fo viel
fehrwächere und dunfelere Empfindung. +... Groſſe Dinge
koͤnnen wir.befler feben, als Kleinigkeiten, und eine ſchwa—
ce: Stimme ‚Fan nicht fo ftarf gehoͤrt werden, als eine
ftarfe. 3) Bon. der Stellung der Gegenftände gegen den
Empfindungspunet: denn diefer Punct ift ein Grund der
Klarheit und Stärke der aufferlichen Empfindungen 9.532,
Se näher der Gegenftand dem Empfindungspunct ift, deſto
flärer und ftärfer koͤnnen wir ibn empfinden; je weiter er
aber von diefem Puncte entfernt ift, deſto ſchwaͤcher und
dunkeler empfinden wir denſelben. Je naher wir auf.einen
Gegenftand zugehen, defto klaͤrer koͤnnen wir ihn fehen, je
weiter wir aber. von demfelben weggeben, Defto weniger
Fonnen wir ihn fehen. Und fo 4 uns auch dieſes die
Erfahrung, bey allen unſern uͤbrigen aͤuſſerlichen Sinnen.
Re: Se
Se gröffer und vollfommener die Erfenneniß iſt,
welche
Don den Sinnen, 97
welche durch ein Erkenntnißvermoͤgen gewuͤrkt wird, deſto
groͤſſer und vollfommener ift diefes Vermögen ; je kleiner
und unvolffommener aber die Erkenntniß iſt, vefto kleiner
und unvollkommener ift das Erfenntnißvermögen $. 505.
Folglich je mehrere, mannigfaltigere und gröffere Empfin-
dungen ein Menfch hat, je Flärer, richtiger und geroiffer fei-
ne Empfindungen find, defto gröffer und vollkommener find
feine Sinne $. 489. 505. Folglich fünnen, die verfchiede-
nen Grade und Bollfommenbeiten der Sinne, nach folgen-
ven allgemeinen Regeln beurtheilt werden. 1) Je mehrere
und mannigfaltigere Dinge uns unfere Sinne vorftellen,
‚oder je mehrere und mannigfaltigere Empfindungen fie ung
verfchaffen, je gröffer und ausgebreiteter folglich ihr Em-
pfindungsereiß ift $. 532. deſto gröffer und vollfommener
find fie. Das Geficht eines Menfchen ift unleugbar voll—
fommener und gröffer, deſſen Gefichtscreiß gröffer it, als
das Goficht eines Menfchen, der nicht fo weit um fich fehen
fan, Daher werden unfere Sinne vollfommener, wenn
wir fehr viele Dinge zugleich, oder nach und nad) durch
die Länge ver Zeit. empfinden. 2) {je Feiner die Gegen-
ſtaͤnde find, die wir Flar zu empfinden im Stande find,
deſto gröffer find unfere Sinne. Ein Menfch hat unleugs
bar ein befferes Geficht als der andere, welcher Eleinere
Dinge fehen fan, als ein anderer, welcher diefelben nicht
zu fehen vermögend ift. 3) Se entferntere Dinge wir klar
empfinden koͤnnen, defto gröffer und vollfommener find un-
fere Sinne. in Menfch hat ein befferes Geficht und
Gehör, wenn er weit in Die Ferne ſehen und hören Fan, als
ein anderer, der nicht fo weit in Die Ferne fehen und hören
fan. 4) Se Eleiner die gehörige Bewegung in den Werk—
zeugen der Sinnen feyn darf, wenn wir etwas Flar empfin-
den wollen, deſto gröffer und vollfommener find unfere
Sinne, Wer bey einem ſchwachen tichte eben fo gut fe-
ben Fan, als ein anderer bey einem ftärfern Lichte, der hat.
unleugbar ein beſſeres Geficht als der andere, Nenn man
nahe und groffe Dinge empfinden will, die noch dazu Die
3. Theil. G Werk,
58 Von den Sinnen.
Werkzeuge unferer Sinne in einem fehr hohen Grade ges
hoͤrig bewegen, fo ift diefes fehr leicht, und es wird alfo
wenig Stärfe dazu erfodert. Es ift demnach ein Beweis
der Stärke unferer Sinne, wenn wir Fleine und weit ent-
fernte Gegenftande, und die eine ſehr fehwache Bewegung
in den Werfzeugen unferer Sinne machen, gut zu empfin=
den im Stande find. Und 5) je vollfommener und beffer
die Empfindungen ibree Befchaffenheit nach find, folglich
je richtiger, Elärer und gewifler wir Die Öegenftände em—
pfinden koͤnnen, defto gröffer und vollfommener find unfere
Sinne. Se unrichtiger, dunkeler, ungewiffer und zwei—
felhafter aber unfere Empfindungen find, deſto Eleiner,
ſchwaͤcher und unvoffommener find unfere Sinne,
$. 536.
Die Schärfe der Sinne befteht in dem gröffern
Grade der Sinne, und man ſchreibt jemanden fcharfe
Sinne zu, wenn feine Sinne groß und vollfommen find,
So fagt man, daß jemand ein fyarfes Geficht befige, wenn
ex fehr que ſehen kan. Stumpfe Sinne find merklich
Eleine, und unvollfommene Sinne. Wer nicht gut fehen
Fan, bat ein ſtumpfes Geficht. Und es erhellet demnach
aus dem vorhergehenden Abfage, was zur Schärfe und
Stumpf beit der Sinne gerechnet werden muß. Die Bol:
fommenbeit und Unvoliftommenheit der, Sinne ift fo genau,
mit dev Vollkommenheit und Unvollkommenheit der Werf-
zeuge der inne, verbunden, daß, ob man gleich nicht
deutlich genung begreiffen Fan, wie dieſes zugehe, Diefe
Sache ſich demobnerachtet auf diefe Art verhält, Die Er-
fahrung lehrt uns nemlich: 1) daß die üufferlichen Sinne
eines Menfchen um fo viel fehärfer find, je geſchickter Die
Werkzeuge feiner Sinne zu den gehörigen Dewegungen
find; daß fie aber um fo viel ftumpfer find, je ungefchickter
die Werkzeuge feiner Sinne zu dieſen Bewegungen find.
Schlechte Augen verratben allemal ein ſchlechtes Geficht,
gute Augen aber ein gutes Geſicht. Denn wenn die Werk—
zeuge der Sinne fehr gut find, fo iſt aud) Die gehörige Be—
wegung
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— —
Don den Sinnen, 99
wegung fehr gut, mithin auch die Empfindung, und alfo
aud) die Sinne 6. 535. Daher fomts, daß man einem
Menfchen, den Berftand und die Dumbeit, an den Augen
anfehen fan. Denn, aus der vortreflichen Befchaffenbeie
der Werkzeuge der Sinne, fchließt man mit Recht, auf
die vortrefliche Befchaffenheit der Sinne, und ein Menſch,
welcher recht gute Sinne bat, befige auch Die übrigen Er—
Eenntnißfräfte von Natur in einem hohen Grade, Und
man fan alfo, wenn die Werkzeuge der Sinne nichts tau—
gen, auf die fehlechte Befchaffenheit der Sinne und der
‚übrigen Erkenntnißfräfte, fehlieffen. 2) Daß. die äuffer-
lichen Sinne um fo viel fehärfer gemacht werden, je ge-
fchickter die Werfzeuge der Sinne zu den gehörigen Bewe—
gungen gemacht werden; und daß die Aufferlichen Sinne
um fo viel ftumpfer werden, je ungefchiskter die Werkzeuge
derfelben, zu den aehörigen Bewegungen, gemacht werden,
Im Alter wird Das Geſicht immer, ftumpfer, je truͤber die
Augen werden, und eben fo verhält es fich bey den übrigen
Sinnen, Je mehr aber die Augen eines Kindes mit der
Zeit geftärft werden, defto beffer Ternt es nad) und nad)
ſehen. Bey diefer ganzen Unterfuchung muͤſſen wir wohl
bemerfen, daß wir, zu den Werkzeugen der Sinne, nicht
nur diejenigen Theile derfelben vechnen, welche auf der
Dberfläche des Körpers fichrbar find, fondern auch diejeni—
gen, die innerhalb des Leibes find, famt dem ganzen Ner—
venbaue. Daher lehrt uns bie Erfahrung, daß durd)
mandje Krankheiten die aufferlichen Sinne ungemein ge-
ſchwaͤcht werden, weil fie die Nerven angreifen, und die-
felben zu den gehörigen Bewegungen ungefchictt machen.
ART
Eine Empfindung Fan nicht anders in uns würflich
feyn, als wenn ihr Gegenftand, oder derjenige unferer eige—
nen Zuftände und der Zuftände der Welt, den fie voritel-
Sen, gegenwärtig iſt; ift dieſer Gegenftand nicht mehr ges
genmärtig, fo hört aud) die Borftellung deffelben auf, eine
Empfindung zu feyn $. 528. gerishn find unfere i *
lichen
100 Von den Sinnen,
lichen Empfindungen fo bey einander, ober fie fol-
gen fo auf einander, wie die Zuftände unferer Seele
entweder bey einander gegemwärtig find, oder auf
einander folgen. Geſetzt, daß ich an eine Wahrheit
denfe und zugleich einen Verdruß in meiner Seele habe,
fo habe ich zwey innerliche Empfindungen auf einmal, wel⸗
che mir diefe beyden Veränderungen in meiner Seele als
zugleich gegenwärtig vorftellen. Geſetzt aber, daß ich jeßo
an GOtt denke, nach einiger Zeit an die Welt, und her—
nach an einen guten Freund: fo empfinde ich nicht etwa die
Gegenwart der andern VBorftellung eher als der erften, und
ſpaͤter als der dritten; fondern ich empfinde ihre Gegen:
wart in der Folge had) einander, wie fie in der Seele nach
einander gegenwärtig werden. Und das iſt alfo das Ges
ferz der innerlichen Einpfindungen. Bey unſern Auf
ferlichen Empfindungen verhält es fih, auf eine ahntiche
Ar. Unſere äufferlichen Empfindungen find ents
weder dergeftalt bey einander, oder folgen fo auf ein-
ander, wie entweder die Zuftände unferes Leibes bey
einander gegenwärtig find, oder nach und nach ge⸗
genwaͤrtig werden. Und das ift das Beferz der aͤuſ⸗
ferlichen Empfindungen. Geſetzt ic) fehe drey Men:
fchen neben einander ftehen, fo find die Empfindungen der:
felben in meiner Seele eben in der Ordnung neben einanz
der, als die Veränderungen in meinen Yugen. Und wenn
ich auf der Steaffe gebe, und es begegnet mir ein Menfch,
nach einiger Zeit ein Pferd, und alsdenn ein Hund: fo
empfinde ich das Pferd nicht eher als den Menfchen und
fpäter als. ven Hund, fondern in eben der Folge, als fie in
meine Augen fallen. Und unfere Empfindungen mujten
nothmwendig an diefe Gefige gebunden werden, wenn wir
uns anders diefe Welt eben als diefe Belt, und als Feine
andere, durch unfere Sinne vorftellen folten. Das fan
aber nicht anders gefehehen, als wenn wir nicht nur die ein-
zeln gegenwärtigen Theile der Welt empfinden, fondern
auch die Zuſammenordnung, in welcher fie in ver Welt
wirklich
— en: 2 ————
— —
Don den Sinnen. 101
wuͤrklich angetroffen werden. And von dieſen beyden Ge⸗
ſetzen kan man, mit leichter Muͤhe, das Geſetz der Em⸗
pfindungen uͤberhaupt abſtrahiren. Nemlich unſere
Empfindungen ſind dergeſtalt in der Seele beyſam⸗
men, oder folgen ſo auf einander, wie die Zuſtaͤnde
der Welt und unſere Zuſtaͤnde, welche die Gegen—
ſtaͤnde derſelben ſind, entweder wuͤrklich bey einan⸗
der gegenwaͤrtig ſind, oder auf einander folgen.
538.
Es iſt eine ſehr merkwuͤrdige Sache, daß unſere Em—
pfindungen vergleichungsweiſe unſere ſtaͤrkſten Vorſtellun⸗
gen ſind, oder daß unſere Empfindungen ſtaͤrker ſind, als
eine jedwede andere Vorſtellung, die keine Empfindung iſt,
wenn ſie uͤbrigens einander gleich ſind. Es verhaͤlt ſich
hier eben ſo, als wenn man in der Naturlehre behauptet,
daß Gold ſchwerer ſey als Silber. Niemand behauptet,
daß ein jedes Stuͤck Gold ſchwerer ſey, als ein jedes Stuͤck
Silber. Sondern daß, wenn man ein Stuͤck Gold und
ein Stuͤck Silber von gleicher Ausdehnung nimt, jenes
ſchwerer fen, als dieſes. Wir fagen demnach) nicht, daß
eine jedwede Empfindung ftärfer fey, als eine jedwede ans
dere Borftellung; fondern, daß eine Empfindung, meil fie
eine Empfindung ift, allemal ftärfer fey, als eine jedwede
andere Vorftellung, die übrigens ihr gleich ift. Und das
komt daher, theils weil fie uns gegenwärtige einzelne Din:
ge, das ift durchgängig beftimte Dinge, und alfo unend-
lich viel auf einmal, vorftelt $. 141, und fie ift alfo allemal
ein einzelner Begrif $. 494, tbeils weil fie uns Dinge vor-
flelt, die gegenwärtig, und alfo uns am nächften find, Nun
aber ftelt fich unfere Seele, die Dinge in der Welt, nad)
der Stellung ihres Leibes vor $. 488. Die Erfahrung
fehrt uns auch zur Gnuͤge, daß vergangene, zufünftige und
abwefende Dinge, z. E. Schmerz, Hunger, Durft, fange
nicht einen fo ftarfen Eindruck in unfer Gemuͤth machen,
als gegenwärtige, wenn wir fie empfinden, Da nun, durch
die ftärfern Borftellungen, die ſchwaͤchern verdunkelt wer-
6 5; den
102 Don den Sinnen.
den 6.508, fo erhellet daher, warum durch Empfindurs
gen, alle andere Vorſtellungen, fo leicht verdunfele und
verhindert werden. Heftige Schmerzen hindern das Stu—
dieren, über dem Gegenmwärtigen vergeflen wir des Ver—
gangenen und Zufünftigen, und man Fan fich nicht leichter
Grillen, Sorgen und andere Borftellungen aus dem Sinne
fchlagen, als wenn man ſich eine von ihnen verfchiedene
Empfindung verurfaht. Dieſe Betrachtung ift, um der
Eittenlehre willen, von einer groffen Wichtigkeit. Der
ganze irdifche Sinn, und die ganze Herrfchaft der Sinn:
lichkeit über die Vernunft, folglich Die ganze Duelle unſe—
res moraliſchen Berderbens, und unferer ganzen Unglüce
feeligfeit, rühren von der Stärfe unferer Empfindungen,
und von ihrem Uebergewichte über alle unfere übrige Vor—
ftellungen, ber. |
I $. 539,
Wir Menfchen würden fehr elend ſeyn, und es wuͤr—
de um unfere ganze Gluͤckſeeligkeit gefcheben feyn, wenn die
Empfindungen fo ftarf wären, daß fie gar nicht geſchwaͤcht,
und Durch) aar feine andere Vorſtellungen koͤnnten verdun—
felt, und verhindert werden, Allein Die gütige Natur bat
uns Mittel an die Hand gegeben, auch die Empfindungen
zu ſchwaͤchen und zu verdunfeln. Und das Fan auf eine
dreyfache Art gefchehen. ) Eine Empfindung Fan, durch
eine andere ftärfere Empfindung, verdrengt und verdunfele
werden: denn eine Empfindung Fan immer flärfer feyn, als
Die andere, und es iſt ganz natürlich, daß eine ſchwaͤchere
Empfindung durch eine ftärfere verdunfelt werde 9. 508.
So werden die Empfindungen der $eiden diefer Zeit in den
Frommen, durch die ftärfere Empfindung der Gnade GOt⸗
tes, verdunkelt, und wegen eines heftigern Schmerzes fühle
man einen Eleinern gar nicht merklich, 2) Eine ftarfe Em-
pfindung Fan, durch eine Menge anderer Empfindungen,
verdunfelt werden, deren eine jedivede zwar ſchwaͤcher ift,
die aber zufannmengenommen ftärfer find, als die erfte.
Alsdenn wird das Gemüth, unter viele andere Empfin-
x dungen
I
Don den Simen, 103
uf
dungen, zerftrenet, und eben dadurch wird die Eine ftärfes
ve Empfindung aus dem Sinne gefchlagen $. 521. 522,
So lindert man das Gefühl der Betrübniß, wenn man
viele Gefchäfte verrichtet, oder in angenehme Gefellfchaf-
ten geht. 3) Eine ffarfe Empfindung Fan, durch eine
ganze Menge anderer Borftellungen, die feine Empfin—
dungen find, verdunfelt werden, deren eine jede zivar
ſchwaͤcher ift als die Empfindung, die aber zufammenges
nommen fie an Stärfe uͤbertreffen. Alsdenn wird das
Gemuͤth unter andere Borftellungen ebenfals zerftreuet,
und von den Empfindungen abgezogen. So fan man,
manche fehmerzhafte Empfindungen, durchs Studieren ver=
dunkeln, und mitten im Studieren fieht und hört man
nichts. Ein Frommer Fan fich ofte in die Betrachtungen
der zufünftigen Dinge dergeftalt vertiefen, Daß er fo zu re—
den enfzüct wird, und die betrübenden Empfindungen von
den Leiden diefer Zeit Faum mehr merft. Und freylich muß
man zugeftehen, daß manchmal eine Empfindung fo ftarf
werden Fan, daß fie Durch nichts überwunden werden Fönne,
Alsdenn fünnen wir höchftens ihre Klarheit, durd) die anz
gegebenen Mittel, vermindern, niemals aber ganz verduns
Eeln: alsdenn aber komt uns die Natur felbit zu Hülfe,
wie wir balde fehen werden.
S. 53%
Ale Arten der Erkenntniß, und alle unfere Begier:
den und Derabfcheuungen, beruhen auf den Empfinduns
gen, wie wir Fünftig fehen werden, Es ift demnach ein
ſehr gefährlicher Serthum, wern man behaupten wolte, daß
wir über unfere äufferlichen Empfindungen gar Feine Herr—
ſchaft hätten. Alsdenn würde es um die Freyheit unferes
Willens gethan feyn, und man wuͤrde in der That, die
ganze practifche Weltweisheit, für ein Hirngefpinfte haften
müffen, wenn man behaupten müfte, daß alle unfere äuffer«
lichen Empfindungen fo nothwendig feyn, daß wir mit un:
ferm freyen Willen bey ihnen nichts ausrichten Fonnten.
Damit man fid) nun, von der Unrichtigkeit dieſes gefährli—
er 64 chen
104 Von den Sinnen;
chen Irrthums, vollfommen überführe, fo wollen mir zei:
gen, daß es uns auf eine vielfache Art möglich fey, ‚unfere
äufferlichen Empfindungen nad) unferm Belieben zu beför-
dern, oder zu verhindern. Wir koͤnnen frenlich nicht be-
haupten, daß wir, alfe unfere äufferlichen Empfindungen,
völlig in unferer Gewalt haben. Sondern die tägliche Er
fahrung lehrt uns nur, daß wir aufeine mannigfaltige Ark
vermögend find, ofte unfere äufferlichen Empfindungen zu be—
fördern und zu verhindern, und mehr braucht man nicht zu
erweifen, um die Freyheit der Seele, in Abficht auf ihre
äufferlichen Empfindungen, zu vertheidigen. Und da were
den, Die aufferlihen Empfindungen, erleichtert und. befoͤr—
dert: 1) wenn die Werkzeuge der Sinne, zu der gehoͤri—
gen Bewegung, wohl vorbereiter und geſchickt gemacht wer⸗
den. Alsdenn erfolget die gehörige Bewegung um fo viel
beſſe und mithin wird auch die Empfindung befördert
$. 536. Wenn man fih des Morgens den Schlaf aus
den Augen reibt, fo macht man eben dadurch die Augen, zu
derjenigen Bervegung, gefchickter, welche das Licht in ihnen
verurfachen muß, wenn wir fehen wollen. Und eben das
ber fomts, daß man durd) die Waffen der Sinne, als z. E.
durch die Kerngläfer, und Vergroͤſſerungsglaͤſer, die Aufferz
lihen Empfindungen befordern Fan, weil man fie als Mit:
tel betrachten fan, wodurch man die Werkzeuge der Sinne,
zu der gehörigen. Bewegung, vorbereitet, 2) Wenn man
den Gegenſtand in den Empfindungscreiß verfeßt, oder
wenn man fich felbft in Abficht auf denfelben in diefen Creiß
begiebt $. 532. Wenn man eine Sache recht fehen und
hören will, fo Fan das nicht anders gefchehen, als wenn
man fich derfelben nähert, wenn man fich an den Ort ver-
fügt, wo eine Sache zu fehen oder zu hören ift. 3). Wenn
man den Gegenftand entweder in den Empfindungspunct
ftelt, oder wenigftens demfelden fo nahe bringt, als moͤg—
lid), F. 532. Wenn man eine Sache recht fehen will, fo
hält man fie gerade vors Geficht in der gehörigen Entfer—
nung, und wenn man einen Kedner vecht vernehmlich hören
will,
ee — —
DE ET
Von den Sinnen 105
will, fo ftelt man ſich gerade vor ihm in der rechten Weite,
4) Sem man dem Körper, welchen man recht empfinden
ill diejenige Befchaffenheit entweder gibt oder. vermehrt,
Die. er haben muß, wenn er in den Werkzeugen der Sinne
Die gehörige Dervegung hervorbringen ſoll. Denn die Ge⸗
genſtaͤnde unferer aufferlichen Empfindungen, müffen, fo be-
Schaffen ſeyn, als erfodert wird, wenn ſie die Werkzeuge
unſerer Sinne in die gehörige Bewegung ſetzen ſollen.
Folglich befoͤrdert man die aͤuſſerliche Empfindung, wenn
man ihnen dieſe Beſchaffenheit gibt oder vermehrt $. 534.
Daher falzen wir die Speifen, damit man fie beſſer ſchme—
cke, und Daher Fomts, daß man bey.einem Wachslichte
beffer fehen Fan, als bey einer Lampe, in welcher Br— ennol
gebrannt wird, weil jenes ein reiner Sicht gibt, als dieſe.
5) Wenn dem Körper, welchen man empfinden will,
die gehörige Groͤſſe gibt, Damit er weder eine zu flarke,
noch eine zu ſchwache Bewegung, in den Werfzeugen un-
ſerer Sinne, verurfache: denn in beyden Fallen konnen wir
nicht vecht empfinden $. 534. Daher pugen wir das ticht,
enn wir beffer fehen wollen, und wer die Speifen in dem
gehörigen Grade fal; t, der befördert dadurch den Geſchmack
derſelben. 6) Wenn man die ftärfern fremden Empfin-
dungen, durch die Abftraction, h hindert: denn fo lange ſtaͤr⸗
kere Empfindungen in der Seele ſind, ſo lange koͤnnen die
ſchwaͤchern nicht empor kommen 9.539; will man alſo dieſe
befördern, fo muß man jene aus dem Sinne ſchlagen.
In einer ſtillen Einfamfeit klinget eine Muſik bejfer, als
mitten in einem ftarfen Geräufhe, Daher pflegen wir
Die Einfamkeid und Stille zu fuchen, wenn wir gemiffe
Empfindungen. befördern wollen. 7) Wenn man die Zer-
fireuung des Gemuͤths, unter fehr viele ſchwaͤchere Em—
pfindungen von anderer Art, durch eine gehörige Samlung
defjelben verhüter, und unterbricht : denn eben dadurch
räumt man, ‚ein ſtarkes Hinderniß gewiſſer Empfindungen,
aus Dem Wege $. 539. Wenn man daher in einer groſ—
fer. Geſellſchaft mie jemanden allein vertraut reden, und
©
5 ihn
106 Don den Sinnen.
ihn recht hören will, fo begibt man fich mit ihm in den ab»
gelegenften Winkel des Zimmers, und gibt auf nichts wei:
fer achtung, was in der übrigen Gefettfchaft vorgeht. Und
8) wenn man die Zerftreuung des Gemüths unter andere
Borftellungen von fremder Art, ob fie gleich Feine Empfin⸗
dungen find, durch die Samlung deffelben, unterbricht:
denn auch Durch Diefe Borftellungen werden die Empfin-
Dungen gehindert $. 559. Wenn man aber die Hinder-
niffe einer Sache aus dem Wege räumt, fo befördert man
fie. Wenn man eine gute Malzeit recht genieffen will, fo
ſchlaͤgt man alle Sorgen, alle gelehrten Betrachtungen, als
les Andenken feiner Gefchäfte aus dem Sinne, und eben
dadurch) wird die Empfindung ungemein befördert.
8§. 541.
Auf der andern Seite Fan man ofte, eine aͤuſſerliche
Empfindung, entweder ganz unterdrucfen und verhindern,
oder doch wenigftens ſchwaͤchen und vermindern, wenn
man das Gegentheil von alle demjenigen thut, wodurch fie
befürdert wird 6. 540. Folglich x) wenn man verhütet,
daß die Werkzeuge der Sinne, durch einen Gegenftand,
gar nicht auf eine gehörige Art bewegt werden : denn als—
denn Fan gar Feine äufferliche Empfindung entftchen. Wenn
mir die Augen bey dem Anblicke einer Sache verfchliefen,
oder wenn wir den Gegenftand aus dem Empfindungs-
creiffe wegfchaffen, indem wir entweder ihn von ung oder
uns von ihm weit genung entfernen; fo verhindern wir die
aufferliche Empfindung. 2) Wenn wirwenigftens es da-
hin bringen, daß der Gegenftand unfere Werfzeuge der
Sinne nicht fo ftarf bewegt, als zu der gröften Stärfe der
Empfindungen erfodert wird; fo verhindern wir zwar die
Empfindung nicht ganz, allein wir vermindern fie doch).
©» pflegen wir, bey einem beffen Fichte, die Augen halb
zuzuthun, Damit e8 nicht zu ftarf in unfere Augen falle,
und wenn wir die Hände vor die Ohren halten, fo ſchwoͤ—
chen wir das Gehör. 3) Wenn man den Öegenftand ent-
weder ganzlich aus dem Empfindungscreiffe entfernt, I:
do
Von den Sinnen, 107
doch von dem Empfindungspuncte fo weit entfernt, als
möglich iſt. In dem erſten Falle wird die Empfindung
ganz verhindert, in dem andern aber nur geſchwaͤcht. So
drehen mir Die Augen weg, wenn wir eine Sache entweder
gar nicht, oder nicht vecht fehen wollen. 4) Wenn man
dem Gegenftande die gehörige Befchaffenheit benimt, oder
wenigſtens vermindert, fo Fan er in dem erften Falle die
Werfzeuge der Sinne gar nicht gehörig bewegen, und alfo
fält die Empfindung weg, und in dem andern Fan er fie
nicht ftarf genung bewegen, und es wird demnach die Auf-
ferliche Empfindung geſchwaͤcht. So vermindern wir Die
Flamme eines Lichts, wenn wir das Geficht verdunfeln
wollen, 5) Wenn man den Gegenftand verhindert, daß
er uns gar nicht gegenwärtig werde, Denn da wir nur
gegenwärtige Dinge empfinden koͤnnen, fo fält alsdenn die
äufferliche Empfindung ganz weg. Wenn wir eine Perfon,
die uns zu fprechen verlangt, gar nicht vor uns laflen, fo
befommen wir auch von ihr Feine Empfindung. 6) Wenn
man fich eine ftärfere Empfindung erweckt, als diejenige ift,
die man verhindern will $. 539. So pflegt man einen
andern zu überfchreyen, wenn man ihn nicht hören will,
und wenn man einen uͤblen Geſchmack verfreiben will, fo
nimt man ein Stück Zucder in den Mund. 7) Wenn
man das Gemüch, unter viele verfchiedene Empfindungen
von anderer Art, zerſtreuet $. 539. Daher Fomts, daß
einem Kranken die Nächte befchmwerlicher find, als die Ta—
geszeiten, weil er des Tages vielerley fieht und hört, wo—
Durch er zerftreuet wird. 8) Wenn man das Gemuͤth un:
ter miele andere Borftellungen, Die Feine Empfindungen find,
zerſtreuet $. 539. Alsdenn wird die Empfindung wenig:
ftens geſchwaͤcht. So fan man fic) die Empfindung der
Krankheit durchs Studieren, durchs Leſen, durch die Un—
terredung mit andern ungemein ſchwaͤchen. Alle diefe Re—
gen beobachtet jederman, in unendlich vielen Fällen, ohne
ine Anweifung dazu zu haben, und es erbellet alfo daraus’
um fo viel mehr, daß #5 in der Gewalt eines jeden er
ſchen
108 Von den Sinne.
ſchen ſtehe, feine Aufferlihen Empfindungen ofte auf eine
mannigfaltige Art zu erleichtern, zu befordern und zu ver-
hindern, |
.. 1542.
Wir halten die Sinne für untere Erkenntnißvermoͤ—
gen, und halten fie für die erften derjenigen Erfenntnißver-
mögen ber Seele, aus denen das ganze untere Erfenntniß-
vermögen, als aus feinen Theilen, zufammengefegt iſt $.
524.: Um diefes zu erweifen, müffen wir darthun, daß alle
unfere Empfindungen entweder ganz finnlihe Borftellun,
gen find, in denen gar Feine Deutlichkeit iftz oder wenn
auch einige Empfindungen deutlich fenn folten, daß dennoch
in ihnen viele Dunfelbeit und Verwirrung angetroffen
werde, And diefes erhellet, aus der Natur unferer Em—
pfindungen, unleugbar. Sie ftellen ung allemal gegen
wärtige DBeränderungen, ſamt ihren Gegenſtaͤnden, vor,
folglich einzelne würfliche Dinge, welche Theile Diefer Welt
find $. 528.. Ein einzelnes Ding ift durchgängig beftimt
$. 141. und hat alfo unendlich viele Merkmale und Beſtim—
mungen. Und wenn es noch dazu in Diefer Welt wuͤrklich
ift, fo hat es, um des allgemeinen Zufammenbangs willen,
unendlich viel Gründe, Folgen und Verbältniffe $. 319.
Folglich ift eine jedwede unferer Empfindungen, weil fie
Fein abſtracter Begrif ift, fondern uns die Öegenftände als
einzelne und in diefer Welt durchgängig beftimte Dinge
vorftelt, ein Bild, welches unendlich viel auf einmal vor:
ftelt. Nun mag man eine feiner Empfindungen nehmen,
welche man will, fo wird man fich leicht überzeugen Fön-
nen, daß man fich in derfelben niemals alles deſſen bewußt
fen, was fie in fich enthält. Man feße, daß wir uns einen
Menfchen, durch unfer Gefiche, vorftellen: find wir uns
wohl alfer Lichttheilgen bewußt, die in unfere Augen drin-
gen? aller einzeln Bewegungen, in den verfchiedenen Thei⸗
len des Auges? aller einzeln Bewegungen in den Gefichts-
nerven, und dem Gehirne? Folglich find wir uns der we:
nigften dererjenigen Theile bewußt, woraus eine Empfin-
dung
Don den Sinnen. 109
dung befteht, wenn wir uns ja einiger derfelben bewußt ſeyn
folten. Folglich enthalten alle unfere Empfindungen viele
Dunfelbeit, und, wenn wir ung derſelben bewußt find, viele
Verwirrung. Wir haben viele dunkele und ganz verwor:
rene Empfindungen, und alsdenn ift gar Fein Zweifel, daß
unfere Sinne, in fo ferne fie dergleichen Empfindungen
verurfachen, zu dem untern Erfenntnißvermögen gehoͤren.
Allein wern wir auch deutliche Empfindungen haben, fo
find fie Doch allemal eines Theils, oder wohl gar groͤſten—⸗
eheils, dunkel und verworren. Alsdenn wuͤrkt der Ver:
ftand diefe Deutlichfeit in den Empfindungen, indem er mit
den Einnen zugleich gefchäftig ift, und die Sinne bringen
die Empfindung hervor, in fo ferne fie ſinnlich iſt $. 525
Folglih fan man mit Recht fagen, daß alle Empfindun⸗
gen finnliche Borftellungen find, und von dem untern Erz
kenntnißvermoͤgen gewürft werden. Und da die Aeſthetik,
von der Verbeſſerung und dem rechten Gebrauche aller
ſinnlichen Erkenntnißvermoͤgen, handelt $. 5275: fo han:
delt fie auch von der Verbefferung, und vem rechten Ge—
brauche der Sinne. Diefer Theil der Aeſthetik kan die
empiriſche Aeſthetik genannt werden, weil er vonder
Erfahrung handelt, und zeigt, wie man fie erlangen, ver.
beffern und vortragen fol. Die Erfahrung aber beiteht
in aller Erfenntniß, welcher wir uns vermittelft der Sinne
bewußt find, fie mag nun entiweder aus klaren Empfindun—
gen beſtehen, oder aus ſolchen klaren Borftellungen, die
wir auf eine nähere Art aus den Empfindungen herleiten.
Der Begrif von der Erfahrung wird fehon, in der Ver—
nunftlehre, mweitläuftig unterfucht.
$- 54. |
Eine der allerfehwerften und wichtigften Unterſuchun—
gen bey unfern Sinnen bejteht darin, ob unfere Empfin=
dungen mahr find, oder ob uns unfere Sinne betrügen ?
Weil alle unfere übrige Erkenntniß auf den Empfindungen
berubet, fo würde es um die Gemwißheit der ganzen menfch-
lichen Erfenntniß gethan feyn, wenn mir uns auf unfere
Sinne
116 Don den Sinnen
Sinne nicht verlaffen koͤnnten. Daher haben auch die all—
gemeinen Zweifler allemal ihre erfte Sorge dahin gerichtet
fenn laffen, unfere Sinne verdächtig zu machen. Wir
muͤſſen uns alfo zu überzeugen fuchen, Daß uns unfere
Sinne niemals betrugen ; fondern daß wir uns allemal
felbft bey Gelegenheit unſerer Empfindungen betrügen,
wenn ums unfere Sinne zu betrügen fcheinen, Nemlich
man verfteht, durch einen Betrug der Sinne, eine fal-
ſche Vorftellung, welche auf eine nähere Art von unfern
Sinne entweder in der Ihat, oder dem erften Anfcheine
nach abbanger. Alle unfere falfche Erfenntniß bat einigen
Grund in den Sinnen, und mir müften alfo, einen jedwe—
den Irrthum, einen Betrug der Sinne nennen, wenn wir
durch einen folchen Betrug eine jede falfche Borftellung
verftehen wollen, Die von den Sinnen abhanget. Da die—
fes nun wider allen Gebrauch zu reden iſt; fo veritehen
wir, durch einen Betrug der Sinne, nur eine folche falſche
Borftellung, die auf eine nähere Art von den Sinnen ab:
hanget. Wenn uns z. E. ein edigter Thurm von ferne
rund zu fern ſcheint, fo fagen wir, daß dieſes ein Betrug
unferer Sinne fey. |
54
Unfere Empfindungen entftehen unmittelbar, durch Die
Aufmerffamfeit auf gegenwärtige Dinge S. 528. Wenn
alfo unfere Seele eine Empfindung in ſich bervorbringen
will, fo braucht fie diefelbe nicht aus andern Borftellungen
berzuleiten, fondern fie braucht nur Die gegenwärtigen Dinz
ge anzufchauen ; ob gleich durch vorhergehende Worftch«
Iungen, die Aufmerkfamfeit beſtimt werden Fan, um gegen-
wärtige Dinge anzuſchauen. Allein die übrigen Vorſtel—
kungen ſtellen uns abwefende Dinge vor, und die Seele
tan fie nicht durch einen ohngefehren Zufall, oder fchlech-
terdings in füch durch einen Sprung hevoorbringen. Folg-
lich leitet fie diefelbe aus andern Borftellungen, Durch einen
Schluß, ber. Folglich muß ein Betrug der Sinne ent—
weder eine Empfindung feyn, und alsdenn wirde er von
den
ER FE TR
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RE SE A, C
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Don den Sinnen. 311
den Sinnen zumächft abbangen ; ober er iſt eine andere
Borftellung. Soll nun diefe andere Borftellung auf eine
nähere Art von den Sinnen abhangen, oder foll fie ein Be
trug der Sinne feyn, fo muß fie Die Seele aus einer Em;
pfindung vermittelt eines Schluſſes herleiten, Diefer
Schluß ift entweder ein VBernunftfchluß, „oder ein dunfeler
und verworrener Schluß. In dem erſten Falle ift fic) die
Seele einer Empfindung bewußt, und noch einer andern
Borftellung, die mit der Empfindung einen Theil gemein
bat, und aus diefen beyden Borftellungen leitet fie, als
aus zwey Borberfagen, den Betrug der Sinne, als einen
Schlußſatz, her. In dem andern Falle leitet fie zwar,
ven Betrug der Sinne, aus einer Empfindung, und einer
andern mit derfelben verfnüpften Borftellung her, Allein
fie ift ſich dieſer Borftellungen nicht befonders bewußt, und
fie verwechfelt demnach die falfche Boritellung, die fie aus
der Empfindung berleiter, mit der Empfindung felbft, oder
unterfcheidet fie nicht von einander, und bildet fich alfo ein,
daß fie Durch ihre Sinne die Borftellung erlange, die ein
Betrug der Sinne iſt. Dieſer legte Fehler wird, der
Fehler des SErfchleichens, genannt, - Erempel will ich,
der Kürze wegen, bis ins folgende verfparen.
$. 545. |
Was die Empfindungen felbft betrift, fo Fan man fich
aufs gewiffefte überzeugen, daß Feine derfelben falſch ſeyn
koͤnne, fondern daß: fie vielmehr zu den allerrichtigften
PVorftellungen gehören, deren unfere Seele irgends nur
fähig ift. Denn fie mögen entweder innerliche, ober Auf
ferliche Empfindungen, oder beydes zu gleicher Zeit feyn,
fo ftellen fie uns entweder gegenwärtige Veränderungen
unferer Seele, oder unferes Koͤrpers, oder beyde zu gleicher
Zeit vor $. 529, Folglich ftele uns eine jedwede Empfin-
dung gegenwärtige Beranderungen vor, und zwar fo, wie
fie bey einander entweder würklich find, oder auf einander
folgen $. 518.537. Folglich ftellen fie uns Sachen vor,
die in dieſer Welt würflich find, und alfo die groͤſte Wahr:
heit
112 \ Don den Sinnen
eit und Gewißheit haben, die endliche Dinge haben koͤn⸗
Jeit h
nen 9.345. Da nun eine jedwede Vorſtellung wahr ift,
die uns mögliche und wahre Sachen vorftelt, indem fie
alsdenn nicht nur eine Borftellung zu ſeyn fcheint, fondern
es auch) in der That if 9.489, fo find alle unfere Em—
pfindungen fo richtige und wahre Borftellungen, als nur
irgends eine Vorſtellung ſeyn Fan, und es iſt demnach feis
ne Empfindung ein Betrug der Sinne, oder unfere Sinne
betruͤgen uns niemals $. 545. Wir koͤnnen uns, von der
Richtigkeit dieſes Beweiſes, nod) durch verſchiedene Be:
trochtungen überzeugen. Einmal ift es allerdings gewiß,
daß wir viele Gewalt über unfere Empfindungen haben,
Allein diefe Gewalt erſtreckt fih nicht weiter, als fie ofte
zu befördern oder zu verhindern $. 540, 5ar. Es ſteht
nicht in unferer Gewalt, eine gegenwärtige Beränderung
anders zu empfinden, als es die Beſchaffenheit und Staͤrke
diefer Veraͤnderung mit fic) bringe. Wenn der Zucker auf
unferer Zunge zerfchmolzen ift, fo müffen wir die Verän:
derung, die er auf der Zunge verurfacht, fo empfinden, wie
wie fie empfinden. Folglich find unfere Empfindungen
Wuͤrkungen der gegemvärtigen Veränderungen, die nach
Geſetzen der Matur erfolgen, welche: nicht in unferer Ge—
malt ftehen. Da nun zwiſchen allen Würfungen und Ur:
fachen, eine Aehnlichkeit und Gleichheit iſt 9.254 255, fo
find auch alle unfere Empfindungen den Veränderungen in
uns ähnlich und gleich, die fie vorſtellenz und da fie alfo
mit denenfelben übereinftinimen, ſo find fie wahre Bilder
derfelben. Zum andern ift die Kraft unferer Seele eine
Kraft, welche fid) Diefe und Feine andere Welt vorftellen
foll. Wenn nun unfere Empfindungen falſch roären, fo
wuͤrden fie uns entweder ganz unmögliche Dinge vorftel:
Ion, oder Dinge die in diefer Welt nicht möglich find. In
beyden Fällen würden fie uns nicht, dieſe Welt, vorſtellen.
Und da die Unrichtigfeit unferer Empfindungen ſich, Durch
unfere ganze übrige Erkenntniß, verbreiten würde s fo
wuͤrde alsdenn unfere Seele, Feine Vorſtellungskraft diefer
Welt
Fe TE Eh —
Don den Sinnen. 113
Welt, ſeyn. Sie würde durch einen Syertbum in diefe
Melt verfegt worden ſeyn, und die Schuld davon würde
auf den Urheber der Welt zuruͤckfallen: weil er entweder
in diefe Welt denkende Subftanzen gefest haben würde,
die in eine andere Welt gehören ; oder weil er die übrige
Welt, den Empfindungen unferer Seele, nicht gemäß ein-
gerichtet hätte. Wenn man alfo, die unendliche Weisheit
des Urhebers der ganzen Welt, mit zu Nathe zieht, fo
Fan man nicht anders als annehmen, daß unfere Empfin-
dungen folche Abdrucke der gegenwärtigen Veränderungen
in uns find, welche einen foldhen Grad der Wahrheit ha-
ben, als erfodert wird, wenn wir uns Diefe Welt fo vor-
ſtellen follen, als es die Erreichung aller Abfichten-erfovert,
um welcher willen uns GDte erfihaffen bat.
$. 546.
Da nun, ein Betrug der Sinne, feine Empfindung _
felbft feyn Fan $. 545, fo ift er eine falfche Vorftellung, die
wir aus andern Borftellungen fchlieffen, entweder. durch
einen deutlichen Schluß, oder durch einen dunfeln und ver:
worrenen Schluß $. 544. ft das erfte, fo find wir ung
einer Empfindung und einer andern Borftellung, Die mic
jener einen Theil gemein hat, bewußt, und aus beyden iei-
ten wir Deutlich diejenige falfche Borftellung ber, die wie
einen Betrug der Sinne nennen, Und wenn das ift, fo
iſt unfer Vernunftſchluß Falfch, und er muß alfo, vermöge
deſſen, was ein jeder aus der Bernunftlehre weiß, entwe—
der in der Form oder in der Materie fehlen. Iſt das ertte,
fo entfteht der Betrug der Sinne, indem wir eine Empfin—
dung, mit einer andern wahren Borftellung, auf eine uns
richtige Art verfnüpfen, und alfo ift die Empfindung ſamt
den Sinnen an diefem Betruge unfchuldig. Gefest, daß
jemand einen vierecigten Thurm von ferne fieht, und den—
felben für rund hält, weil er ihm rund zu ſeyn fcheint, und
er mwolte fo ſchlieſſen: alle runde Körper fcheinen in der
Ferne rund, diefer Thurm ſcheint in der Ferne rund, und
alfo iſt er rund, Hier ift unleugbar, daß Die beyden eriten
3, Theil, H Soͤtze
114 Don den Sinnen,
Saͤtze wahr find, und daß der legte falſch ift, weil der
Schluß in der Form unrichtig ift. In der andern Figur
fan man niemals, bejabender Weiſe, fihliefien. Es ift
eben ein folher Schluß, als wenn man fchlieflen wolte:
der Menfch ift ein Sünder, nun ift der Teufel auch ein
Sünder, alfo ift der Teufel ein Menfh,. Kan man nun
wohl fagen, unfere Augen betruͤgen uns in diefem Falle?
Iſt der Bernunftfchluß in derMaterie faljch, fo müfte ent=
weder die Empfindung falfch ſeyn, eder die andere Vor—
ftellung. Das erfte ift nicht möglich. Folglich wenn wir
bey Gelegenheit einer Empfindung uns betrügen, und in
der Art zu fehlieffen nicht irren, fo verbinden wir mit der
Empfindung eine andere VBorftellung, die falfch ift, und die
wir durch ein Borurtheil für wahr halten. . Und alfo liegt,
auch in diefem Kalle, die Schuld des Betrugs der Sinne
nicht in unfern Empfindungen, fondern in unfern Vorur—
theilen. - Gefekt man wolte fo fchlieffen: Ein Körper bat
die Geftalt, die er uns von ferne zu haben fcheine, nun
ſcheint uns dieſer Thurm von ferne rund zu feyn, alfo ift er
würflich vund. Ein jedweder fieht, daß der erite Gas
falfch ift, und daß er folglich die Urfach, von der Unrich-
tigkeit des legten Saßes, ift. Da nun der Fehler des Er—
fhleihens in der That ein Schluß ift, nur daß wir uns
der verfchledenen Theile, aus denen er befteht, nicht bewußt
find; fo liegt auch in diefem Falle, die Schuld des Betrugs
der Sinne, entweder in der unrichtigen Art zu fchlieffen,
oder in Der Unvichtigfeit der andern Vorftellung, die wir
mit der Empfindung verfnüpfen. Wenn wir durch den
Fehler des Erfchleichens betrogen werden, fo bilden wir
uns um fo vielmehr ein, daß uns unfere Sinne betriegen,
weil wir uns ſelbſt nicht bewußt find, daß wir mit unfern
Empfindungen andere Borftellungen verbinden, und daraus
Schluͤſſe machen. Es duͤnkt uns demnach alsdenn, als
wenn wir weiter nichts thaͤten, als empfinden, und wir ſol—
ten manchmal drauf fchwören, daß eine Sache rund fen, weil
wir es unferm Beduͤnken nach mit unfern Augen feben.
$. 547+
Don den Sinnen, 115
§. 347.
Durch Blendwerke der Sinne, oder Gaufeleyan,
verfteht man ſolche Sachen oder Handlungen, die mit Fleiß
fo eingerichtet werden, daß dadurch die Sinne betrogen
werden koͤnnen. So machen Tafchenfpieler, falſche Pro-
pheten, Schwaͤrmer in der Religion, und wie alle uͤbrige
Gaukler heiſſen mögen, den Leuten ein Blendwerk vor, in-
dem fie fo geſchickt ihre Poſſen zu machen wiffen, daß man
ofte drauf ſchwoͤren folte, man fehe es mi£ feinen eigeten
Augen, daß etwas fo oder fo gefhehe, Kin Blendwerf
iſt entweder ein Eräftiges, oder ein unkräftiges Blend⸗
werk der Sinne. Aus jenem entſteht würflich ein Ber
trug der Sinne, aus biefem aber nicht. Wenn zwey $eute
einem Tafchenfpielse zufehen, fo find die Gaufeleyen deſſel—
ben in Abficht auf ven einen Eräftig, wenn berfelbe in der
That zu fehen glaubt, daß er ſich z. E. ein Meſſer in die
Augen fteche, in Abficht auf den andern aber unfräftig,
weldyer weiß, wie Diefe Poffen zugehen. Da nun aller
Betrug der Sinne aus Vorurtheilen, oder aus einer un-
richtigen Art zu fehlieffen entſteht $. 546, fo Fan feinem
Menſchen ein Eräftiges Blendwerf vorgemacht werden, der
von allen Borurtheilen frey ift, und der niemals auf eine
unrichtige Art ſchließt. Je mehr Vorurtheile aber jemand
im Kopfe bat, die auf Empfindungen fönnen angewendet
werden, und je groffer feine Fertigkeit iſt, aus wahren
Gründen auf eine falfche Art zu fchlieffen, defto mehr find
feine Sinne der Gefahr betrogen zu werden ausgefeßt, und
deſto leichter und öfter Fan ihm ein Fräftiges Blendwerk
‚vorgemacht werden. Mun ift wohl Fein Menfch zu finden,
der von allen Borurtheilen frey it, und der niemals auf
eine unrichtige Urt fließt. So weit fan es wohl ein
Menſch bringen, daß er nicht Teiche irrt, wenn er deutlich
fließt; allein wer ſchließt, bey allen feinen Empfinwungen,
deutlich? Folglich ift wohl Fein Menfch zu finden, der ſich
allemal vor dem Fehler des Erfchleichens hüten folte, Lind
folglich ijt Sein Menſch fo —2 und vorſichtig,
2 daß
116 Don den Simmern.
daß er von allem Betruge der Sinne fren feyn folte, und
daß er niemals durch ein Blendwerk Eräftig bezaubert were
den folse, Allein je dummer die Zeiten und Perfonen find,
defto leichter und häufiger find die Fräftigen Blendwerfe der
Sinne. Daher die Gaufler in der Religion niemals und
nirgends mebr Beyfall finden, als unter dem Pöbel, unter
dummen $euten, und in finftern Zeiten. Die Aufklärung
der Wiſſenſchaften entdeckt die Borurtheile der Welt, und
fegt alfo dem Betruge der Sinne mädjtige Hinderniffe in
den Weg.
§. 548.
Wenn man bedenft, wie viele groffe und gefährliche
Irrthuͤmer, aus den Betrügereyen der Sinne, z. E. aus
den Gaufeleyen in der Neligion, entftanden find, und noch
entftehen : fo wird man es für eine hachft wichtige Sache
Halten, einen Menfchen dafür in Sicherheit zu fegen. Nun
Fan diefes erftlich gefchehen, werm man, durch eine gefunde
Vernunftlehre, die Fertigkeit erlangt, aus angenommenen
Gründen auf eine richtige Art die Folgen herzuleiten. Und
zum andern, wenn man die Vorurtheile entdeckt, worauf
der Betrug der Sinne, und die Fräftige Würfung aller
Gaufeleyen, beruhet. Lind da wollen wir ein fünffaches
Borurtheil bemerfen, durch welches wir verleitet werden
Fönnen, bey Gelegenheit unferer Empfindungen auf falſche
Borftellungen zu gerathen, und es iſt zu wünfchen, daß
man noch mehrere Vorurtheile entdecke, die vielleicht hieber
gehören, 1) Das Vorurtheil des Thomas: wenn man
annimt, daß Öasjenige, was wir felbft nicht erfabs
ven, oder Elar einpfinden, nicht würklich, oder wohl
gar nicht einmsl möglich fey, und auch von andern
nicht erfabren werde, ob fie gleich in andern Um⸗
ftanden fich befinden als wır. Mac) diefem Borurs
theile leugnete Thomas die Auferftehung Chriftt, weil er
felbft ihn nicht gefehen hatte, ja er feßte fich es recht vor,
fie fo lange zu leugnen, bis er felbft ihn würde gefehen und
mit feinen Händen betafter haben. Cs ift aber ein a
ar
Don den Sinnen. 117
bar falfcher Sat. Was ich nichf empfinde, das fan mir .
nicht gegenwärtig ſeyn, oder ic) merfe wenigftens feine Ges
genmwart nit. Da aber meine Sinne nicht allwiſſend find,
fo fan es demohnerachtet gegenwärtig, wenigftens an ans
dern Orten und zu andern Zeiten feyn, und es Fan alfo von
andern $euten erfahren werden, Es ift daher fehr unges
reimt, wenn man anderer Leute Erfahrungen bloß deswe—
gen leugnet, weil man felbft fie nicht hat, wie die Freygeis
fter die übernatürlichen Erfahrungen der Frommen leugnen,
weil fie felbft fo unglückfeelig find, und diefelben nicht ha—
ben. Unterdeſſen begehen unendlich viele Leute den Fehler,
daß fie nach diefem Vorurtheile fhlieffen, und deshalb von
ihren Sinnen betrogen werden. So leugnen viele die Bes
wegung des Erbbodens, weil fie diefelbe nicht erfahren,
und daher glauben fie, daß man mit Händen greifen Fönne,
der Erdboden ftehe ftille, Allein ein anderes ift es, wenn
wir fagen: mir erfahren nicht, daß etwas fey; und ein an-
deres, wenn wir fagen: wir erfahren, daß es nicht fey.
Das erfte Fönnen wir unendlich ofte mit Wahrheit fagen,
wir erfahren z. E. die Bewegung der Erde nicht. Das
legte aber koͤnnen wir niemals, mit Wahrheit, fagen. Denn
Feine richtige Empfindung Fan verneinend fern. Sie müfte
uns aledenn was abmefendes vorftellen, allein wir empfins
den nur das Gegenwärtig. Folglich betruͤgen mir uns
allemal, vermöge diefes Vorurtheils, in unfern Exrfahruns
gen, wenn wir verneinende Erfahrungen machen, oder arte
nehmen, daß die Erfahrung ung unmittelbar unterrichte,
daß etwas nicht fey, oder daß es diefes oder jenes Praͤdicat
nicht habe. Daher verbergen die Tafchenfpieler die Ark,
wie fie etwas thun, vor den Hugen der Zufchauer, und eben
dadurch machen fie ihnen ein Blendwerf vor, weil Die meia
fen Menfchen dasjenige leugnen, was fie nicht ſehen.
2) Was mit einer gewiffen Dorftellung einigermafe
fen übereinftimt, das ſtimt gänzlich mit ihr überein,
oder ift fie felbft, Dieſer Sag ift offenbar falfch, weil
diejenigen Dinge, die einigermaffen einander ähnlich und
53 gleich
118 Von den Sinnen.
gleich find, doch fehr weit von einander unterſchieden ſeyn
koͤnnen. Dieſes Vorurtheil iſt ebenfals, eine ſehr fruchr-
bare Quelle des Betrugs der Sinne. Ein Menſch hat
z. E. in theologiſchen Buͤchern, die Beſchreibungen der übers
natürlichen Gnadenwuͤrkungen gelefen, oder er hat fich,
durch den mündlichen Unterricht, eine Vorftellung von den=
fefben gemacht. Nun fpühre er bey fih, wenn er etwa in
der Bibel lieſt, gewiſſe Veränderungen, die eine Aehnlich—
Feit mit vorerwehnter Borftellung haben. Ohne weiteres
Bedenken nimt er nun an, daß er die Gnade GOttes in
feiner Seele fühle. Und alle gründliche Gottesgelehrte wif-
fen, daß ein folder Menſch fich eben fo betrügen Fan, als
em Menfch, der in der Mache etwas hört oder fieht, und
um der Aehnlichkeit deſſelben willen, mit den Geſpenſterhi—
ſtorien, die er im Kopfe hat, ohne weitere Unterſuchung es
für. ein Geſpenſt hält, =) Dinge, die neben einander
wuͤrklich find, oder anf einander folgen, von denen
ift das eine die wuͤrkende Urſach des andern, vers
mittelft eines reellen Zinfluffes. Diefer Satz ift offens
Dar falfch. Unendlich viele Dinge, 3. E. Menfchen, find
in der Welt neben einander, oder folgen auf einander, die
zwar, um des allgemeinen Zufammenhangs willen mit eins
ander verbunden find, doch aber nicht fo, daß fie einander
durd) einen reellen, Einfluß zunächft, oder auf eine nähere
Art hervorbringen. Auf diefe Art betrügen fich manche
Aerzte, welche einem Kranken Arzeneyen geben, und die gu—
ten Beränderungen, welche auf den Gebrauch der Arzeneyen
folgen, für Würfungen der Arzenenen halten; eben fo, als
wenn alle merkwürdige Begebenheiten, die auf einen Co:
meten erfolgen, für Würfungen deffelben gehalten werden.
Diefes Vorurtheils bedienen ſich ebenfals die Tafchenfpieler.
Sie nehmen eine Handlung vor, welche zu dem, was fie
machen wollen, gar nichts beyträgt. Unterdeſſen da fie
diefelbe zugleich oder Furz vorher verrichten, fo bilder fich
der leichtgläubige Zufchauer ein, die Sache fen durch Diefe
Handlung gefihehen. 4) Was wir in einigen, vielen,
| oder
Don den Sinnen ug
oder in den meiften Dingen einer Art und Gattung
erfahren, das komt allen Dingen derfelben Art und
Gattung zu. Es it unnöthig zu fagen, daß diefer Sag
falfc) fen, denn jedermann fü eht, daß er von dem Beſon—
dern aufs &llgemeine auf eine unrichtige Are ſchließt. Uns
terdeſſen betruͤgen wir uns in unſern Empfindungen, ver⸗
moͤge dieſes Vorurtheils, ſo ofte, ſo ofte wir abſtracte und
allgemeine Vorſtellungen, Urtheile und Wahrheiten, fuͤr
Erfahrungen halten, und uns einbilden, die bloſſe Erfah—
rung zeige uns die Allgemeinheit einer Vorſtellung. Dieſes
iſt aber gar nicht moͤglich. Die bloſſe unmittelbare Erfah—
rung iſt allemal eine Empfindung, und folglich eine Vor—
ſtellung einzelner gegenwaͤrtiger Dinge, welche alſo keine
abſtracten und allgemeinen Dinge ſind. So betruͤgt ſich
ein jedweder, welcher durch ſeine Erfahrung zu 4 ſich
einbildet, daß es niemand mit ihm gut meyne, daß eine
Arzeney in allen Fällen aut fen, meil er fie in den meiften
für que befunden, u. fe w. 5) Die Sufferlichen Eins
pfindungen jtellen uns, die Defchaffenheiten und
Groͤſſen der Gegenftände felbft, vor 5; oder fie find
Bilder, welche uns nicht nur zunächft eine Befchaffenheie
in dem Gegenſtande vorftellen, fondern welche auch derfel-
ben aͤhnlich ſind. In diefem Irrthume ſtecken die aller-
meiſten Menſchen, und das iſt Die vornehmſte Urſach, war—
um nachdenkende Koͤpfe auf den Einfall gerathen ſind, zu
ſagen, daß die Sinne uns betruͤgen. Jederman bildet
fi) ein, er ſaͤhe es mit Augen, daß die Roͤthe in dem ro—
then Tuche ſey, u. ſ. w. Allein ein geringes Nachdenken
kan uns, von der Unrichtigkeit dieſer Einbildung, uͤberfuͤh—
ren. Sch will nur zwey Beyſpiele, zur Erläuterung, ans
führen. Geſetzt, wir fehen einen rothen Körper: fo mag
man eine Theorie von den Farben annehmen, welche man
will, fo ift unleugbar, daß die Lichtſtralen unter einem ge«
wiſſen Winkel, und in einer gewiſſen Stärke, zuruͤckgeworf⸗
fen werden, und in die Augen fallen. Dafelbft bringen fie
eine gewiſſe Bewegung hervor, und die empfindet die Seele,
24 und
120 Von den Sinnen,
und die nennen wir roth. Folglich Fan dieſe Empfindung,
weil fie uns eine Würfung der Lichtftralen vorftelt, Feine
Beichaffenheit des Gegenjtandes uns vorftellen, fondern der
Körper muß nur fo befdyaffen fenn, daß er das Licht derge«
ſtalt zurüchwirft, wie e8 zur Hervorbringung dieſer Würs
fung erfodert wird. Auf eine ähnliche Art verhält es ſich,
wenn uns ein viereckigter Thurm von ferne rund zu feyn
fheint. Aus der Optif Fan man lernen, daß die bLichtſtra—
len, die von einem eckigten Körper abprallen, endlich, nad)
den Gefegen der Bewegung, in einen Circul zufammen:
flieffen, und alfo müffen fie im Auge ein rundes Bild mas
chen. Folglich betrügen uns unfere Augen nicht, wenn fie
uns einen eckigten Körper von ferne als rund vorftellen,
fondera wir betrügen uns felbft, wenn wir uns einbilden,
daß die Körper accurat fo beſchaffen find, als die Würfun«
gen, die fie in den Werkzeugen unferer Sinne verurfadyen,
und die Empfindungen derfelben, Da nun die Werfjeuge
der Sinne, bey verfchiedenen Menfchen, verſchieden fenn
fonnen; fo Fan ich unmöglich wiſſen, ob meine Empfindun«
gen eben fo find, als die Empfindungen anderer Seute; Viel⸗
leicht find die Menfchen darin gewaltig von einander vera
fchieden, und vielleicht empfinde ich die Gröffe einer Elle
eben fo, nie derandere dreyvierthel Ellen empfindet. Oder
man feße, daß ich und ein anderer eine Gröffe fehen, die
wir alle beyde der Laͤnge nach eine Elle nennen ; gelegt, Daß
durch ein Wunderwerf die Empfindung, die der andere von
diefer Gröffe hat, in meine Seele verfegt würde: fo würde
vielleicht diefelbe eben die Empfindung fenn, die ic) gewoͤhn—
fichee Weife von einer Gröffe habe, die ich drenvierthel
Ellen zu nennen pflege. Dieſer Gedanfe wird vermuth-
lich, den meiften $efern, fehr felefam zu fenn feheinen; allein
man wird ben genauerem Nachdenken finden, daß er- nicht
ohne Grund angenommen werben Fan, -
549
Aus den vorhergehenden Unterfuchungen erhellet dem⸗
nach, daß wir, wenn wir verſichert ſind, daß wir keine
Vor⸗
Von den Sinnen. 121
Vorſtellung, die wir aus unſern Empfindungen herleiten,
für die Empfindungen felbft halten, uns völlig von der
Wahrheit unferer Empfindungen verfichert halten Fönnen,
und daß wir uns auf diefelben mit der ungezweifelften Zu-
verfiche verlaflen Eönnen. Folglich haben alle unfere Em-
pfindungen, die in der That Feine andere Vorftellungen als
Empfindungen find, und welche mit feinen andern Borftels
luungen untermengt find, eine völlige und ungezmweifelte
Gewißheit $. 504, Allein das ift eine ganz andere Frage:
ob wir Menfchen uns in allen Fällen zuverſichtlich auf un:
fere Empfindungen, oder auf diejenige Erfenntniß, die wir
für Empfindungen und Erfahrungen halten, verlaffen Eöns
nen? Wenn man bedenft, wie tief die Borurtheile bey ung
ſich einwurzeln fönnen, wie nafürlich e8 uns werden Fan,
nach ihnen zu fhlieffen, und mie unvermerfe wir den Feh—
ler des Erfchleichens begeben Fünnen: fo wird man gerne
zugeftehen, daß man die allergenauefte Unterſuchung anftel:
fen müffe, ehe man eine Erkenntniß, die wie für eine Er.
fahrung halten, für gewiß anfehen. Man muß erft unter
fuchen, ob das, was ntan für eine Empfindung hält, in der
That eine Empfindung fey. Alsdenn erft, und nicht eher,
fan man von ihrer Wahrheit überzeugt feyn. Da nun zu
diefer Unterfuchung fehr viel Nachdenken und Ueberlegung
erfodert wird, fo fan man leicht zeigen, daß der Weg ver
Erfahrung, fo wie ihn die Menfchen wandeln, eben ver
Gefahr zu irren ausgefeßt fen, als die übrigen Wege der
menfchlidyen Erkenntniß. Jederman weiß ja, daß Leute
ofte ihr Leben zum Pfande fegen folten, daß fie etwas mit
\ ‚ihren eigenen Augen gefehben. Sie zweifeln nicht im ge—
ringſten an der Wahrheit deffelben, und gleichwohl findet
man nur gar zu ofte, daß es falfch fey. Und das ift die
Urfah, warum felbft die Gelehrten, in ihren vermeinten
Erfahrungen, ofte einander widerfprechen.
$ 550.
Wir haben, bey unfern Empfindungen, noch) eine
merkwuͤrdige Veränderung anzumerken, Da nemlid) die
25 Empfin-
122 Von den Sinnen.
Empfindungen, wenn fie neu find, eben um ihrer Neuig—
feit willen, einen hohen Grad der Klarheit und Stärfe be-
fisen, wenn fein anderweitiges Hinderniß ihrer Klarheit
und Stärfe vorhanden ift $. 523, fo fan man aud) fagen,
daß die Empfindungen, wenn fie lange in der Geele fort:
Dauren, und nicht anderwerts woher einen Zufluß von ftär«
kerm Lichte erhalten, felbit durch die Zeit und ihr Alter vers
dunkelt und gefehwächt werden. Die Neuigkeit ift nicht,
die einzige Duelle der Klarheit der Empfindungen. Folge
lih Fan eine Empfindung lange fortdauren, und nady und
nad) immer Elärer und ftärfer werden, wenn z. E. ihr Ge
genftand, und deſſen Würfung in die Werkzeuge unferer
Sinne, vermehrt wird. Gefegt, daß ich eine Wunde be»
fomme: fo Fan die Empfindung des Schmerzes viele Wo-
hen hintereinander fortdauren, und mit der Zeit viel ftärfer
und heftiger werden, wenn die Wunde fid) immer mehr
und mehr verfchlimmert, und der Wundarzt genöthigee
wird, zu brennen und zu fehneiden, Allein wenn eine Em-
pfindung lange in der Geele fortdaurt, und durch Feine an-
derweitigen Urfachen vermehrt wird ; fo nimt, der Grad
ihrer Klarheit, von felbft mit der Zeit immer mehr und
mehr ab, je älter fie wird. Denn ihre Neuigkeit nime alle
Augenblick ab, und ihr Alter nimt beftändig zu, und fie
wird alfo natürlicher Weiſe von felbft immer dunfeler und
ſchwaͤcher. Dazu fomt noch, daß neben ihr beftändig im-
mer andere und andere Empfindungen und Borftellungen
entftehen, wodurd) die Aufmerkſamkeit zerftreuet, und von
diefer Empfindung abgezogen wird. Folglich wird ihre
Klarheit, durch andere Borftellungen, immer almälig ver-
minderts Daher fomts, daß wir manche Empfindungen
gar nicht mehr merfen, z. E. den gewöhnlichen Schlag des
Herzens, den kauf des Bluts, den Druck der $uft, ob man
gleid) unleugbar fieht, daß man diefe Dinge empfinde,
Wenn ein Verbrecher auf ven Beltungsbau gebracht wird,
fo ift ihm die neue Lebensart im Anfange unleidlich, endlih
empfindet er diefelbe nicht fonderlich, So gebt es auch, mit
allen
— — — —
DEE EHER... — —— ——— —
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Von den Sinnen. 123
allen angenehmen Sebensarten, im Anfange. Wer nad)
einer bisherigen fhlechtern Lebensart zuerft einen guten
Tiſch befomt, der hat die lebhafteften Empfindungen tes
Geſchmacks. Endlich wird er des guten Tifches gewohnt,
und er ift von den beften Gerichten, ohne fonderlich lebhafte
Empfindung. Dian fan überhaupt fagen, daß unfere Ems
pfindungen niemals, in einem gleichen Grade, fortdauren
fönnen, Denn fie werden entweder, durch eine anderwei—
tige Urſach, in ihrer Fortdauer Elärer und ſtaͤrker, oder nicht,
In dem legten Falle werden fie, von einem Augenblice zum
andern, dunfeler und ſchwaͤcher, wie ich gezeigt habe, ob
man gleich diefe Abnahme nicht alfobald merken Fan. Wenn
alfo eine Empfindung ihren höchften Grad erreicht hat, defs
fen fie in unferer Seele fähig iſt; fo nimt fie wieder ab,
weil es unmoͤglich if, daß fie gröffer werden folte. Daher
komts, daß, wenn Freude und Betruͤbniß am beftigften
find, fie wieder abnehmen. Sehr flarfe Empfindungen
haben Feine lange Dauer. Die ſtaͤrkſten Wollüfte find kurz,
mäßigere Empfindungen * koͤnnen laͤnger dauren.
5.
Aus der bisherigen Theorie von unſern Empfindun—
gen laſſen ſich, einige Zuſtaͤnde unſerer Seele, erklaͤren, wo⸗
bin wir vor allen Dingen den Schlaf und das Wachen
rechnen. Es gibt Leute, welche ſchlechterdings nicht zuge:
ben wollen, daß die Seele wache oder ſchlafe, und weldhe
ennehmen, daß diefe Veränderungen bloß unfern Leib an«
aehen. Nun geben wir gerne zu, Daß in dem Leibe, beym
Wachen und Schlafen, nothwendig gewifle Veränderungen
angetroffen werden müffen, und daß das Schlafen und Was
chen der Seele, von dieſen Veränderungen, abbange, Al:
lein wir müffen dasjenige, was bey ſolchen Zuftänden in
Ber Seele vorgeht, von demjenigen unterfcheiden, was da-
bey in dem Körper fi) zuträgt, und das erfte gehört in bie
Pinchologie, was aber in dem Korper vorgeht, muß in der
Phyſiologie unterfucht werden. Nun fagen wir, daß wir
wischen, wenn unfere aufferlichen Empfindungen Flar find;
oder
124 Don den Sinnen,
oder wenn wir uns, des gegenwärtigen Zuſtandes unferes
Körpers, bewußt find. Und wir wachen auf, wenn wir
anfımgen, ung des gegenwärtigen Zuftandes unferes Koͤr⸗
pers bewußt zu werden. Wenn mir frühmorgens aufivas
chen, fo werden wir uns unferes Körpers bewußt, und mir
werden ungdes Schlafzimmers, des Bettes bewußt, wir hören
und fehen, mit einem Bewußtſeyn. Se lange alfo nur eis
nige Aufferliche Empfindungen Elar find, fo lange wachen
wir. Wir fchlafen ein, wenn unfere äufferlihen Em—
pfindungen verdunfelt werden, und die Bewegungen unſe⸗
res $eibes, ohne welche wir nicht lebendig bleiben Fönnten,
bey nahe eben fo bleiben als im Wachen, z. E. der Puls-
ſchlag, der Umlauf des Bluts, die Verdauung. Einige
Veränderung geht freylich mit diefen Bewegungen beym
Einfchlafen vor, allein fie ift unmerklich. Der Schlaf
ift demnach derjenige Zuftand der Dunkelheit aller unferer
äufferlichen Empfindungen, in welchem diefe Lebensbewe—
gungen des $eibes, fo viel man merfen fan, eben fo bleiben
ats Im Wachen. Im Schlafe fonnen, wenn wir träumen,
unfere innerlichen Empfindungen klar bleiben, und folglich _
beruhet, der ganze Unterfchied des Wachens und des Schlafs,
wos die Seele betrift, auf den äufferlichen Empfindungen,
welche im Wachen Elar, im Schlafe aber ſaͤmtlich dunkel
find. Im Schlafe weiß man nicht, wo man ift, und felbft
die Rranfheiten des Leibes merft man ofte im Schlafe nicht.
Der Schlaf verſchaft unſerer Seele einen doppelten Bors,
theif, und eben Deswegen ift er der Seele natürlicher Weiſe
nothwendig. Einmal würde, die endliche Kraft unferer
Seele, ermübet werden, und endlich ganz mat werden,
menn fie ſich nicht im Schlafe wieder erholte, Endliche
Kraͤfte, die immer ohne Unterbrechung in einem hohen
Grade wuͤrkſam find, werden verdorben. Und zum an—
dern befommen nach dem Schlafe, unfere äufferliche Ems
pfindungen, wiederum eine Neuigkeit; und folglich be:
fördert der Schlaf die Klarheit derſelben. Beydes bes
ftäriget bey uns, Die tägliche Erfahrung. Und der Schlaf
ift
ee
u -
Don den Sinnen, 125
ift alfo der Schatten der Seele, welcher die Klarheit ber
Erkenntniß im Wachen erhöhet,
G. 552.
Da wir von unferer Geburf an, wenn wir wachen,
beftändig Flare Empfindungen haben, fo weiß ein jedweder
Menfd) aus feiner Erfahrung, wie klar feine Empfindun-
| gen gewöhnlicher Weife zu feyn pflegen. Bey einem jed-
weden Menfchen haben, Die Werfzeuge der Sinne, eine
gewiſſe bejtimte Einrichtung, und feine Aufmerkfamfeie
bat einen gewiffen Grad. Da nun von beyden, der Grad
| der Klarheit der Empfindungen, abbanget $. 536. 507, fo
ift der eine Menfch eines gröffern Grades der Klarheit in
feinen Empfindungen fähig, als der andere. Krankheiten
koͤnnen diefen Grad ungewöhnlich verändern, fehmächen
oder vermehren. Allein fo lange ein Menfch gefund ift,
fo lange haben feine Empfindungen einen gewiffen gewöhn:
lichen Grad ver Klarheit, den ein jeder Menfch aus der
Erfahrung recht gut Fennt, und alfobald wiſſen Fan, ob
feine Empfindungen diefen Grab haben, oder nicht. So
lange nun unfere Empfindungen diefen bey uns gemöhnli-
chen Grad der Klarheit haben, fo lange fagen wir, daß
wir bey uns felbft find, oder daf wir unferer mäch-
tig find. Alsdenn find wir in einem uns gewöhnlichen
Grade bewußt, mo wir find, mit wen wir reden, oder
ſonſt zu thun haben, welche Zeit es iſt u. few. Folglich
| fönnen wir alsdenn allen unfern Umftänden, in denen wir
ung befinden, gemäß denfen und handeln. Wenn nun
| einige Empfindungen in einem fo hohen und ungemöhnli-
chen Grade flar werden, daß alle übrige Empfindungen
| merflich durch fie verdiinfelt werden, fo wird man auffer
ſich gefesst, man ift nicht bey fich felbft, man ver⸗
| giße feiner ſelbſt. So Fan ein Menfch in heftigen Lei—
| denfchaften, durch Zorn, Rachgier, Liebe, auffer fic) gefeßt
| werden. Die Empfindung der Beleidigung wird bey ei-
| nem Zornigen fo lebhaft, daß er nichts weiter fieht und
hoͤrt. Er ift fih des Dres, der Zeit, und anderer Um—
ftände
126 Don den Sinnen.
jtande nicht mehr bewußt. Gr denkt nicht mehr an feine
eigene Würde, Daher redet ind handelt er ganz anders,
als feing;eigene Wuͤrde, und Die übrigen dermaligen Um-
ftände erfodern. Eben fo Fan ein Menfch, durch Schreck,
auffer fich gefeßt werden. Wenn ein Menſch durch inner—
lihe Empfindungen aufler fic) gefeßt wird, fo wird er ents
zuͤckt, und die Entzuͤckung if der. Zuftand der menfch-
lichen Seele, in welchem fie durch innerliche Empfindungen
auſſer fich gefegt wird. So entzücken Redner und®Dich-
ter, wenn fie fo ſchoͤne Gedanken in ihren Leſern und Zur
hörern hervorbringen, daß das Gefühl diefer Schönheiten
Diefelben ganz einnehmen, und fie aufier fich feßen. Und
das Fan ganz natürlid) zugeben, weil ein gröfferes Licht das
Fleinere verdunfele 9 508. Folglich gibt, es natürliche
Entzuͤckungen, welche durch die Natur der Seele, nad) den
Regeln der Veränderungen der Erkenntniß, und der Er-
Eenntnißvermögen, gewürft werden 6.1406, Eine Ent:
zuͤckung aber würde eine unnatürliche Veränderung der
Seele ſeyn, wenn fie nicht durch Die Matur der Seele, ſon—
dern durch) die Natur eines andern Dinges gewürkt würde
$. 413; und wenn fie nod) dazu Durch die Natur Feines
einzigen endlichen Dinges gewürft würde, fo wäre fie eine
übernatürlihe Entzuͤckung, und ein Wunderwerk in der
Seele $. 415. 414. Ein Weltweiler Fan nicht annehmen,
daß es in der menfchlichen Seele wuͤrklich übernatürliche
Entzükungen gebe. Er weiß nur von ihnen fo viel, als
er von allen übernatürlichen Begebenheiten und Wunder-
werfen weiß, nemlich daß fie an fi) und unter gewiſſen
Dedingungen möglich find $. 415. 451:470, Ein Menfch
fan manchmal mehr, manchmal weniger auffer fich gefegt
und entzuckt werden, nachdem Die Empfindung, die ihn
auffer fich feßt, einen gröffern oder Fleinern Grad der Klar-
heit bat, und nachdem fie alle übrige mehr oder weniger
verbunfele. Wenn eine Empfindung fo Elar ift, Daß fie
die ganze Aufmerkſamkeit bejchaftiget, und alle übrigen
ganz verdunkelt, fo Fan ein Menſch nicht ſtaͤrker auffer fich
gelegt
|
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® 2,
Don den Sinnen, 327
gefegt werden. Paulus ward, in den dritten Himmel, ent—
züdt. Er macht davon eine folche Befchreibung, welche
nicht nur unfere Erklärung beftätiget, fondern auch zeigt,
daß er in einem recht hohen Grade entzückt geweſen.
R 9. 553.
Nicht nur durch den Schlaf, und alsdenn, wenn der
Menfch auffer fich gefegt wird, wird der Grad der Klarheit
der Empfindungen merklich) vermindert, und wohl gar alle
Klarheit derfelben ganz vertilgtz fondern es gibt auch) noch
einen andern Zufall, durch welchen, eben diefe, Berande-
rung in unfern Empfindungen, hervorgebracht wird. Nem-
lich Die Klarheit und Stärfe der Empfindungen, fonderlich
der äufferlichen, hanget von der gehörigen Bewegung der
Werkzeuge der Sinne, der Merven und des Gehirns ab
6.536. Felglich müffen die Nerven, ftarf und geſchwinde
genung, bewegt werden fonnen. Nun können Die Nerven
durch Dünfte, die ins Gehirne fleigen, und in die Nerven
felbft dringen, fchlaf werden, und alsdenn bewegen fie fid)
langfamer und fchwächer, wie die Säyten einer Violine,
wenn fie nicht ſtraf genung angezogen find, einen ſchwaͤ—
chern Ton von fi) geben. Wie diefe Beränderung in der
Merven durch Dünfte, oder auf eine andere Art erfolge,
das mögen Diejenigen weiter und genauer unterfuchen, tel
che den menfchlichen Körper genauer betrachten, Ans ift
es bier genung, wenn wir anmerken, daß diefe Sache fich
in der That angezeigter Maaffen verhalte. Wenn nun die
Nerven famt dem Gebirne, durch Dünfke, zu der gehöri-
. gen Bewegung ungeſchickter gemacht werden; fo wird auch
der Grad der Klarheit ver Empfindungen, mitten im Was
chen, merflich vermindert. _ Und wenn diefe Dünfte von
dem Getränke herrühren, fo fage man, der Menſch wers
de berrunfen, rühren fie aber von einer Krankheit her,
fo wird er fehwindlicht, und fein Zuftand heißt der
Schwindel. Leute, die eine Anwandelung vom Schwin-
del bekommen, fagen felbit, es ſey ihnen, als wenn fie be—
trunken waren, Es fcheint ihnen, als wenn alles mit ihnen
in
107° Von den Sinnen.
in einem Greife herum gehe, und wenn der Schwindel
groß ift, fo hören und fehen fie nicht, fondern es wird ih-
nen ganz ſchwarz vor den Augen. Ein Betrunfener fieht
und hört auch nicht vecht, man muß ihm gewaltig in die
Ohren fehreyen, wenn er hoͤren foll, und er felbit vedet fo
lauf, als wenn andere Leute eben fo taub wären, als er
felbft. Dieſe beyden Zuftande beftätigen viele Stüde un-
ferer Theorie von den Empfindungen, welche wir bisher
vorgetragen haben,
$. 554
Endlich gebört audy noch hieher die Ohnmacht, und
der Tode. Kin Menſch faͤlt in Ohnmacht, wenn alle
feine äufferfihen Empfindungen ganz verdunfelt werden,
und zu gleicher Zeit diejenigen Bewegungen feines Leibes,
ohne welchen er nicht leben Fan, fehr merklich geſchwaͤcht
werden. im Schlafe werden diefe Bewegungen nicht
merflich vermindert; allein in der Ohnmacht hören fie zwar
nicht ganz auf, fie werden aber ofte fo ſchwach, daß man
kaum den Othem und den Pulsfchlag bemerfen Fan.
Manche ohnmächtige Leute werden wohl gar, für todt, ge—
halten. Und fo lange diefer Zuftand fortdaurt, fo lange
liege der Menſch in der Ohnmacht. Wenn aber nicht
nur alle äuffertichen Empfindungen der Seele verdunfelt
werden, fondern auch die Sebensbewegungen in dem Koͤr—
per ganz aufhören, fo ftiebt der Menſch, und es erfolge
der Todt deſſelben. Im Sterben hört der Puls zu fchla=
gen auf, der Othem entgeht dem Menfchen, und die Ma-
fehine des Körpers wird zerſtoͤhrt. Ob bey dem Todte des
Menfchen noch mehr Berändernngen vorgehen, das läßt
fich durch die bloffe Erfahrung niche ausmachen. So viel
aber wollen wir noch bemerfen, daß nicht nur die Ohn—
macht ein mitler Zuftand, zwifchen dem Schlafe und dem
Todte, fen; fondern daß auch dieſe drey Zuftände, was
die Seele betrift, einander fehr ahnlich find, indem in als
len dreyen, die Aufferlichen Empfindungen der Seele, ganz
verdunfele werden, Man Fan demnach, von einem
ven
en REN
|
|
|
|
Von den Sinnen. 129
ben auf den andern, mit vieler Wahrfcheinlichkeit ſchlieſſen.
Und gleichwie es einem Menfchen, wenn er einfchläft, nicht
übel zu Muthe ift, auch nicht in dem Augenblicke, da er
ohnmächtig wird, ob ihm gleich vorher übel zu Murhe ift;
fo kan man zwar zugeben, daß vor dem Todte viele aͤngſt—
liche Empfindungen vorhergehen fünnen, der Hugenblic
des Sterbens aber Fan Feine fehmerzbafte Empfindung vers
urfachen, weil der Todt die Seele in diefem Augenblicke
fuͤhlloß macht, oder weil er verurſacht, daß fie aufhört, fich
ibves Körpers bewußt zu ſeyn. Manche Menfchen, wenn
man auch von den moralifchen Betrachtungen über den
Tode abſtrahirt, fürchten ſich entfeglich vor dem Tode, weil
fie glauben, daß er ihnen die allerfchmerzhaftefte Empfin:
dung verurfachen' werde. Allein die Natur felbft zeigt
uns, durch den Schlaf und die Ohnmacht, daß man ſich
in Diefem Stuͤck gewaltig betrüge.
EEE ERKKKKER ET ERIK FF RR EEE
Der andere Abfchnitt,
von der Einbildungsfraft.
$. 555.
dag ir find ung, unferer vergangenen Veränderungen und
Zuftande, bewußt. Täglich erfahren wir diefes,
indem mir uns heute in unfern Gedanfen mwiederum vor-
ftellen fonnen, was wir vor einem Augenblicke, vor etli—
chen Stunden, Tagen und Jahren gefehen, gehört, ge—
ſchmeckt und überhaupt gedacht und empfunden haben,
Eine Kinbildung it eine Vorftellung, unferes vergange-
nen Zuftandes. Wenn wir an unfere vergangenen Zu—
ſtaͤnde und Veränderungen gedenfen, oder fie uns Far por-
ftelfen, fo haben wir auch eine Einbildung ; allein wir Eön-
nen auch dunfele Einbildungen haben, und alsdenn fteffen
wir uns, unfere vergangenen Zuftände, dunkel und ohne
Bewußtſeyn vor. Das Wor Ensilvung hat auch eine
fchlimme Bedeutung, indem man Darunter Falfche Morſtel—
3, Theil.
8— ungen
130 Don der Einbildungskraft.
Iungen überhaupt, und infonderheit von vergangenen Din
gen verfteht. So fagt man, daß ein Menfch ſich etwas
bloß einbilde, wenn er uns erzehlt, GOtt fen ihm erfchies
nen, oder er habe ein Öefpenft gefeben, und dadurd) wollen
wir zu verftehen geben, er mache fich eine falfche Vorſtel—
lung. Allein man braucht auch im gemeinen Leben dieſes
Wort in derjenigen Bedeutung, die wir ihm gegeben haben,
indem wir einem Menfchen eine ftarfe Einbildungsfraft
zufchreiben, wenn er uns vergangene Sachen fo lebhaft er=
zehlen Ean, daß es it, als wenn wir fie mit Augen ſaͤhen.
Da wir nun unleugbar Einbildungen haben, fo befißt auch
die Seele ein Erfenntnißvermögen, wodurch es ihr moͤg—
lich ift, fich ihre vergangenen Zuſtaͤnde wieder vorzuftellen,
und diefes Bermögen nennt man die Einbildungskraft,
oder die Phantaſie. Da wir uns nun durch Diefes Vers
mögen nichts anders als unfere vergangenen Zuftände vor—
ftelfen, diefe Zuftände aber zu den vergangenen Zuftänden
der Welt gehören; fo ift unfere Einbildungskraft nichts an—
ders als ein Vermögen, das Vergangene in der Welt ſich
vorzuftellen. And wenn die Seele ſelbſt Einbildungen in
fih würft, fo braucht fie dazu Feine andere Kraft, als Die
Borftellungskraft der Welt 9,488. Wenn die, Seele
durch diefe Kraft fich die Welt vorftelt, fo Fan fie ſich auch
vermöge derfelben das Vergangene vorftellen,. Und in fo
ferne befißt fie die Einbildunaskraft. Und da eine Einbil-
dung würflich wird, wenn die Borftellungskraft der, Seele
auf vergangene Dinge gerichtet wird; fo befteht vie Ein-
bildungskraft in nichts anders, als in der Aufmerkſamkeit
auf unfere ‚vergangenen Zuftande $. 506.
9. 550. -
Anfere Einbildungen find nichts anders als Wirder-
bolungen derjenigen Empfindungen, die wir vor denjenigen
Augenblicke, in welchen die Einbildung wuͤrklich wird, ges
babt haben, wir mögen fie nun entweder lange vorher, oder
Furz vorher gebabt haben. Nemlich eine Vorftellung
wird hervorgebracht, oder entwickelt, wenn ibre Dun-
kelheit
ee
at unz
an IE pe Du
Don der Einbildungskraft. 131
kelheit vermindert, und ihre Klarheit hervorgebracht und
- vermehrt wird. Sie wird eingevoickele, wenn ihre
Klarheit vermindert wird, wenn fie dunfel wird, und wenn
ihre Dunfelheit vermehrt wird. Sie wird aber wieder-
holt, oder von neuem hervorgebracht, wenn fie, nach—
dem fie eingewicelt worden, abermals entwickelt wird,
Nun find unfere Einbildungen nichts anders, als Borftel-
lungen unferer vergangenen Beränderungen $. 555. Ders
gangene Dinge find einmal gegenwärtig geweſen, und folg:
lich ftellen uns unfere Einbildungen Sachen vor, die wir
vordem, als fie gegenwärtig waren, empfunden haben $,
528. Damals, als wir fie empfunden, entwickelte fich ihre
Borftellung in uns $. 529. Diefe Empfindung ward mie
der Zeit wieder dunkeler, und alfo eingewicelt $. 350, und
durch die Einbildung wird fie von neuem hervorgebracht
$. 555. Folglich ift eine Einbildung nichts anders als eine
Empfindung, die wir vordem gehabt haben, und welche in
unferer Seele entfteht, wenn der Öegenftand derfelben ab:
weſend, oder ung nicht gegenwärtig if. Was mir nie
mals empfunden haben, das koͤnnen wir uns auch nicht ein:
bitven. Wer Fan fic) vorftellen, wie eine Speife geſchmeckt
hat, die er niemals gegeſſen? Folglich ift nichts in der Ein-
bildungsfraft, welches nicht vorher in den Sinnen gewe—
fen. Gleichwie GOtt der Welt durch die Schöpfung ihre
Würflichfeit gegeben, und ihr durch die Erhaltung ihre
Fortdauer gibt; alfo find die Sinne die Schöpfer der Bor:
ftelfungen von diefer Welt, und die Einbildungsfraft iftdie
Erhalterin diefer Borftellungen, Hätten wir feine Fin:
bildungskraft, fo würden wir eine Empfindung z. E. von
der votben Farbe, und wenn wir fie ſchon unendlich ofte ges
babe hatten, dennoch allemal, wenn wir was rothes fehen,
sie von neuem befommen, und fo, als damals, da wir
zum erften male was Rothes fahen,
§. 557.
Die Gegenftände aller unferer Einbildungen find dem—
nach Dinge, die wir vordem empfunden haben, die aber zu
J2 der
132 Don der Kinbildungskraft.
der Zeit, da wir fie uns durch die Einbildungskraft vorftel-
len, und in fo ferne wir fie uns durch diefe Kraft vorftellen,
abwefend find $. 556. Wir Fonnen uns alfo, Durch diefes
Erfenntnißvermögen, vorftellen: I) ganz vergangene Din:
ge, die gar nicht mehr gegenwärtig find, und die wir vor—
dem empfunden haben, 3. E. den Schmerz einer Kranfbeit,
die wir niemals wieder befommen. 2) Vergangene Em-
pfindungen von folhen Dingen, die zwar noch gegenwaͤr—
eig find, allein zu der Zeit fo weit von ung entfernt find,
daß wir fie nicht Elar empfinden koͤnnen, 3. E. wie ein gu—
ter Freund ausfieht, der jeßt noch lebt, aber anderswo woh—
net, als ich. 3) Das Vergangene an uns gegenwärtigen
Dingen, 3. E. wenn ein Bekanter vor meinen Augen
fteht, fo Fan ich mir einbilden, wie er vor einiger Zeit aus:
gefehen, oder wie feine Stimme klingt, ob er gleich nicht
vedet. Ja 4) wenn wir von einer Sache eine Empfin—
dung gebabt haben, fo iſt die Erneuerung dieſer Empfin—
dung allemal eine Einbildung, wenn fie nur nicht durch die
Sinne gefihieht, _ Denn wenn ich 3. E. eine Perſon fehe,
und nach einer Stunde febe ich fie wieder, fo wird meine
Empfindung, die ich vor der Stunde gehabt habe, erneuert,
allein das ift Feine Einbildung. Doch wenn man der Sa-
che genauer nachdenft, fo wird man erfennen, daß, die
Erneuerung einer Empfindung durch die Sinne, feine
Wiederholung einer vorhergehabten Empfindung fen, ſon—
dern eine neue Empfindung, welche aber von der vorherge—
henden unmerklich unterfchieden ift, das ift, die Seele em—
pfindet ein und eben diefelbe Sache zu zwey verfäriedenen
malen, und bat alfo zwey Veränderungen, die ihrer einzeln
Befchaffenheit nach von einander unterfchieden find. Allein
eine Einbildung iſt eben diejenige Borftellung, die wir vor
einiger Zeit gebabt haben, und welche eine Empfindung
geweſen iſt. Wenn ich eine Sache ofte zu verfchiedenen
Zeiten empfinde, fo ift es gleichfam, als wenn ich einen
Grofchen einnehme, und nach einiger Zeit wieder einen
Grofchen von eben demfelben Gepräge Wenn ich aber
eine
—
Von der Einbildungskraft. 133
eine Einbildung babe, fo ift es, als wenn ich einen Gro—
fhen eingenommen, und denfelben nach einiger Zeit wieder
in die Hände nehme. Die öftere Empfindung einer Sache
vermehrt die Anzal meiner Vorſtellungen, das thut aber
die Einbildung nicht. Gleichwie nun alle unfere äuffer:
liche Empfindungen, von materiellen Bildern in dem Ge—
hirne, begleitet werden $. 5315 alfo Fan man auch diefes
von den Einbilvungen um vieler Erfahrungen willen be-
haupten, wenigftens mit Wahrſcheinlichkeit. Kranfhei-
beiten, welche die Nerven und das Gehirn angreifen, ver-
urſachen eine aufferordentliche Würffamfeit der Einbil-
dungsfraft, und durch Verletzungen des Gehirns fan es
der Seele unmöglich werden, ihre Einbildungsfraft zu ge—
brauchen. Man Fan alfo annehmen, daß das materielle
Bild, welches bey der Empfindung in dem Gehirne ent«
ftanden ift, wiederum von neuem entſteht, wenn durch die
Einbildung diejenige Empfindung wiederholt wird, welche
mit dieſem Bilde vordem verfnüpfe war. Doc) es ift
nicht die Abfiche der Pfychologie, die Weranderungen des
Körpers, welche unfere Borftellungen begleiten, ausführ-
lich zu erklären. Und die Wahrheit zu fagen, fo haben
wir es in der Weltweisheit noch nicht fo weit gebracht, daß
wir diefe Beränderungen des Körpers hinlänglich erklären
koͤnnten.
$. 358.
Wenn wir, auf die Wuͤrkſamkeit unferer Einbildungs:
Evaft, achtung geben, fo Fan man fich nicht genung wun—
dern, wie fie von einer Borftellung einer vergangenen Sa:
che auf eine andere fall. Ein Paar gute Freunde, die fich
einander lange nicht gefehen haben, reden Stunden lang
mit einander, und zwar von faufenderley Sachen. Ge:
feßt ich fehe den Titius, den ich vor vier Jahren ben fei-
nen Eltern befucht, und dafelbft in einer grofien Geſellſchaft
geweſen; fo werden mir feine Eltern famt der Gefellfchaft
einfallen, und es wird mir auch einfallen, was dafelbft ge—
fprochen worden. Wenn man daher, mit einer Perfon,
4 a
33 in
154 Don der Einbildungstraft,
in Gefellfchaft und in ein Gefpräch gera 6, fo gibt ein Wort
Das andere, und man geräth von einer Vorſtellung auf die
andere, deren Gegenftände man vordem gelefen, gehört,
gefehen, oder irgends auf eine andere Art empfunden hat.
Wenn man alfo auf die Würfungen der Einbildungskraft
achtung gibt, fo wird man allemal bemerken: daß, ſo bald
wir eine Dorftellung bekommen, die vor einiger Zeit
ein Theil einer andern ganzen Vorftellung gewefen,
die wir wenigftens innerlich empfunden haben, daß,
fage ich, diefe Vorftellung die Einbildungskraft in
Bewegung fee, als welche vermittelft diefer Vor—
ftellung die vergangene ganze Vorftellung, und die
mit jener vergefellfehafteren Vorftellungen, wieder
ins Gemuͤth bringet. Und das nennt man die Derges
fellfehaftung der Vorftellungen, welche zugleich die
Regel der Kinbildungsfraft genannt wird, und man
Fan fie auch Fürzer fo ausdrucken: wenn uns eine Vorftel-
lung wieder ins Gemüth komt, die vordem ein Theil einer
‘andern in unferm Gemuͤth geweſen, fo komt uns diefe Bor:
frellung auch wieder ins Gemüth. Es fan demnacd) die
Einbildungskraft Feine unferer vergangenen Vorftellungen
wieder erneuern, wenn nicht eine Borftellung, die entweder
ein Theil derfelben, oder. mit ihr vergefellfchaftet geweſen
$. 495. ung wieder ing Gemüth gebracht wird, und daher
Heißt, diefe letztere Borftellung, die Vorftellung, welche
die Einbildungskraft lenkt. Und fie Fan entweder eine
Empfindung feyn, oder eine Einbildung, indem eine Vor—
ftellung einer vergangenen Sache uns immer wieder, auf
die Borftellungen anderer vergangenen Sachen, bringen
fan 2. E. wenn wir den Titius fehen, fo befommen wir
von ihm wieder eine Empfindung, die wir vordem von ihm
gehabt haben, und damals war diefe Empfindung ein Theil
von der Empfindung der ganzen Gefellfchaft, und fie war
mit der Empfindung von feinem Vater in unferm Gemuͤ—
the vergefelffchaftet. Daher Ienft fie die Einbildungskraft,
daß Diefelbe ung, die Borftellung von der ganzen gie
ſchaft
Don der Einbildungskraft. 335
ſchaft und von feinem Water, wieder ins Gemüth bringt.
Und nun fege man, daß mir fein Vater vor vielen Jahren
einen befondern Liebesdienſt eriwiefen, fo wird die Einbil«
dung von feinem Vater meine Einbildungsfraft fo lenken,
daß ich an diefen Liebesdienft gedenfe. Und fo Fan man
uͤberhaupt begreifen, wie die Einbildungskraft von einer
Sache auf die andere fallen Fan, Vorſtellungen, die mit
einander vergefellfchaftet find, find mit ihrer ganzen Vor—
ftellung und unter einander serbunden, weil alle Theile un-
fer einander und mit ihrem Ganzen verfnüpft find. Yun
Fan eins unter verfnüpften Dingen allemal, ein Erfennt«
nißgrund des andern, fern $.28. Folglich ift es möglich,
Daß unfere Seele, aus einer Borftellung, nicht nur dieje—
nige erkenne, von welcher fie vordem ein Theil gemefen,
fondern auch diejenigen, die mit ihr vergefellfchaftee gewe—
fen. Unterdeſſen können wir uns doc) nicht rühmen, daß
wir in allen befondern Fallen den Grund völlig einfehen
folten, warum die Einbildungsfraft, bey Gelegenheit einer
Borftellung, uns eben die Borftellung, mit welcher fie in
unferer Seele vergefellfchafter gewefen, wieder ins Gemuͤth
bringt, und Feine andere, mit welcher fie auch) zu einer ans
dern Zeit vergefellfchaftet gemwefen. Z. E. wenn ich einen
alten Befanten fehe, warum fält mir nicht alles ein, was
ich von ihm gefehen und gehört habe, oder irgends auf eine
andere Art von ihm gedacht babe, fondern nur einiges ?
Allein man Fan von einem Weltweiſen nur verlangen, daß
er überhaupt den Grund der DBeränderungen der Dinge
angebe. in befondern einzelnen allen find die Gründe
durchgängig beftimt, und enthalten alfo fo unendlich viel
Umftände und Beftimmungen, daß es von dem menfchlis
chen Berftande nicht einmal erwartet werden Fan, dieſelben
vollſtaͤndig anzuzeigen und einzufehen,
. -$. 559.
Wenn wir, die Einbildungen unter einander, und
mit den Empfindungen, in Abſicht auf ihre Stärfe und
Klarheit vergleichen, fo lehrt uns die Erfahrung folgende
5 4 Wahr:
130 Don der Einbildungskraft.
Wahrheiten: 1) Die Empfindungen find. vergleichungs-
weife klaͤrere und ſtaͤrkere Vorſtellungen, als die Einbil-
dungen. Wir fagen nicht, daß eine jede Empfindung klaͤ—
rer und ftärfer fen, als eine jede Ein bildung; ondern daß
jene klaͤrer und ftärfer fen, als dieſe, wenn Ih übrigens
einander gleich find. Die Einbildung des Abfterbens einer
geliebten Perfon Fan allerdings die Seele dergeftalt einneh-
men, daß wir den Gefchmack ver beften Speifen kaum
merken, und daß uns der Appetit zum Effen und Trinfen
auf einige Zeit ganz vergeht. Allein wenn man z. E. die
ftärffte und Flärfte Empfindung, deren unfere Seele fähig
ift, mit der ftärfften und Flärften Einbildung veraleicht ;
fo übertrife jene diefe an Klarheit und Stärfe, wie das
Sicht der Sonne das Mondenlicht überteift. Niemand fan
fih den Schmerz einer ausgeftandenen Krankheit fo klar
vorfteflen, als er denfelben empfunden hat; oder mitten in
der Krankheit überwiegt, die Empfindung des gegenmättiz
gen Elendes, die Borftellung der vergangenen angenehmen
Empfindungen unferer Geſundheit. Unſere Seele ftelt
ſich ja die Welt nach ihrer eigenen Sage, und nach der Stel:
lung ihres Körpers vor 6. 487. Das Gegenmwärtige aber
ift unferer Seele und ihrem Körper näher, als das Ber:
gangene. Folglich erhellet Daher, warym fie fich jenes
Elärer vorftelen Fönne, als diefes. Die materiellen Bil—
der in dem Gehirne find, bey den Einbildungen, lange
nicht fo’ ftark, als bey den Empfindungen, indem fie bey
den letztern durch gegenwärtige Dinge hervorgebracht wer:
den, bey den erftern aber nur mittelbarer Weiſe durch das
materielle Bild, welches diejenige Vorſtellung begleitet,
wodurc Die Einbildungskraft gelenft wird. Ueberdies
find die Einbildungen nur folche Vorjtellungen, von denen
die Seele weiß, daß fie diefelben ſchon vorher erlangt bat,
Folglich wird ihre Aufmerffamfeit durch fie nicht fo fehr
gereist, als durch die Empfindung : Denn eine jede Em—
pfindung ift eine neue Borftellung, welche Die Seele noch
niemals gehabt hat $.523.. 2) Keine Einbildung ii
i | ar
Don der Einbildungekraft. 137
&
klar und ſtark, als die Empfindung, die wir von eben dem
Gegenſtande gehabt haben; oder wir koͤnnen uns nichts ſo
klar und ſtark durch die Einbildungskraft wiederum vor—
ſtellen, als wir es empfunden haben. Niemand kan ſich
ſo klar und ſtark einen ausgeſtandenen Schmerz, eine Noth
die vergangen, eine Speiſe die er vor einigen Tagen ge—
noſſen hat, wiederum vorſtellen, als er ſie empfunden hat.
Es erhellet dieſes nicht nur aus dem kurz vorhergehenden
Satze, weil die Einbildungen uͤberhaupt ſchwaͤcher und
dunkeler ſind, als die Empfindungen; ſondern auch daher,
weil neben den Einbildungen allemal zugleich viele Em—
pfindungen in der Seele ſind, indem allemal die erſte Vor—
ſtellung, wodurch die Einbildungskraft gelenkt wird, eine
Empfindung ſeyn muß 6.558. Nun aber werden alle
andere Vorſtellungen, durch die Empfindungen, geſchwaͤcht
und verdunkelt $. 538. Durch die Empfindung bekomt
die (Seele den erften Eindruck von einer Sache, und die
Farben diefes Bildes find noch friſch. Die Einbildung iſt
diefes Bild, in fo ferne es ſchon eine Zeitlang gedaurt hat,
und almalig erblaffen die Farben deſſelben. Es ift wahr,
ofte ftelt fich ein Menfch das Vergangene, z. E. eine Be:
leivigung, viel lebhafter-vor, als er es empfunden hat;
allein alsdenn hat er nicht bloß eine Einbildung, fondern
eine Erdichtung, wodurch die VBorftellung des Vergange—
nen über die Wahrheit vermehrt wird. 3) Der Grad der
Klarheit und Stärke der Einbildung hanger, von dem
Grade der Klarheit und Stärfe der Empfindung, welche
durch jene erneurt wird, ab. Der je Flärer und ftärfer
eine vergangene Empfindung gewefen, deſto klaͤrer und
ftärfer ift die Einbildung derſelben; je ſchwaͤcher und dun-
£eler aber die vergangene Empfindung gewefen, defto ſchwaͤ—
cher und dunfeler ift die Einbildung derſelben. In dem
eriten Falle beitand die Empfindung aus mehrern Vor:
ftellungen, als in dem andern $. 494. 501. Folglich Fan,
vermöge der Bergefeltfchaftung der Vorftellungen, die Ein-
bildungskraft in dem erſten Falle mebr zufammen vor-
5 ftelfen,
138 Don der Einbildungskraft.
ſtellen, als in dem andern $. 558, und alfo ift auch in dem
erften Falle die Einbildung geöffer, als in dem andern,
Die Einbildung einer geöflern Empfindung ift eine Wie-
derholung einer groͤſſern Vorſtellung, als die Einbildung
einer Fleinern Empfindung. Wenn man eine vornehme
Perſon recht in der Nähe gefehen, fo Fan man ſich diefelbe
nachher viel Flärer wieder vorftellen, als wenn man fie nur
von ferne fehr ſchwach gefehen. Folglich je fhärfer unfere
Sinne find, defto Elärer find auch) unfere Empfindungen
8. 536. folglich Fönnen wir uns auch, durch unfere Einbil»
Dungsfraft, diejenigen Empfindungen viel Flärer wieder
vorfteffen, welche wir durch fehärfere Sinne erlangt haben,
als diejenigen, die wir durch ftumpfere Sinne erlangen:
denn diefe find ſchwach, und haben ein mattes Licht. Wir
fehen Daher, daß alte Leute ſich, durch ihre Einbildungs-
kraft, viel lebhafter dasjenige vorstellen koͤnnen, was ihnen
in der Jugend begegnet, denn damals waren ihre Sinne
fehr feharf und ihre Empfindungen fehr lebhaft; als was
ihnen im Alter begegnet, denn das Alter macht ihre Sinne
ſtumpf, und ihre Empfindungen fhwah. Daher loben
die Alten allemal die vergangenen Zeiten vor Den gegen=
waͤrtigen, und denken, die Zeiten hätten ſich verfehlimmert,
da fie doch vielmehr fich felbft verfchlimmert haben. Und
da das Gedächtniß auf der Einbildungskraft berubet, wie
wir Fünftig fehen werden, fo erhellet hieraus, wie natuͤrlich
es fey, daß alte Leute fich fehr gut der Begebenheiten ihrer
Jugend erinnern Eönnen, ob fie gleich Dinge vergeffen, die
manchmal wenige Stunden vorher gefchehen find,
S. 560,
4) Die Einbildung einer Sache, die wir öfter em-
pfunden und uns eingebildet haben, ift Flärer, als die Ein-
bildung einer Sache, Die wir feltener empfunden und uns
eingebifder haben. Oder je öfter wir eine Sache empfun-
den, und je öfter wir die Empfindung derfelben wiederholt
haben, deſto Flärer koͤnnen wir fie uns durch die Einbil-
dungskraft vorftellen 5 je feltener wir fie aber —
| haben,
Don der Einbildingstraft. 139.
haben, und je feltener wir diefe Empfindung erneurf haben,
deito ſchwaͤcher und dunfeler ift das Bild derfelben in unſe—
ver Einbildungskraft. Unfere Eltern haben wir unzählige:
mal gefehen, und an fie in ihrer Abweſenheit unendlich ofte
gedacht, wir Fonnen fie uns aber auch, nach) ihrem Tode fa
gar, fo lebhaft vorftellen, daß wir im Stande wären, fie
abzumalen. Man weiß aber Faum, wie eine Perfon aus—
fieht, Die wir einmal oder felten gefehen haben. Wenn
wir eine Stelle eines Buchs ofte lefen, fo Fünnen wir fie
endlich auswendig herfagen. Und das komt daher: in eis
nem jedrweden Augenblicke haben wir eine andere ganze Bor-
fiellung $. 495. Wenn mir alfo eine Empfindung ofte
zu verfchiedenen Zeiten haben und wiederholen, fo wird fie
ein Theil von mehrern ganzen VBorftellungen, und es ver-
gefelffchaften fich alfo mit ihr viele Nebenbegriffe und Merf-
male, wodurch es der Seele immer leichter wird, fie fich
von neuem vorzuftelien, und wodurch fie immer Elärer wird
$. 495. 503. Und in dem entgegengefesten Falle ift fie um
fo viel ſchwaͤcher und dunfeler, je feltener wir fie fehon ge—
habt haben. Bey unfern Empfindungen verhält es fich
ganz anders. Je feltener wir fie haben, und je feltener
wir fie uns durd) die Einbildungsfraft vorftellen, defto
neuer find fie uns, folglich auch defto lebhafte. Dinge
die mir fehr oft empfinden, und uns einbilden, werden alt,
und ihre Empfindung wird eben dadurch fehmwächer und
dunfeler $. 523. Wer täglih Wein erinft, der hat lange
nicht einen fo lebhaften Geſchmack von demfelben, als der—
jenige, der ihn ſelten trinkt. Wer fi in ein Frauenzim:
mer bloß finnlic) verliebt, der wird im Anfange durch ihren
Anblick entzüct. Heyrathet er es endlich, jo Fan er feine
Frau ohne merflihe Empfindimg anfehen, 5) Ye längere
Zeit verftrichen ift, ehe mir eine Empfindung durch die
Einbildung wiederholen, defto ſchwaͤcher und dunfeler ift
die Einbildung, wenn Fein anderer Grund zum Gegentheil
da ift; je Fürzer aber die Zwiſchenzeit ift, defto ſtaͤrker und
klaͤrer ift auch die Einbildung. Daher Fönnen wir ver-
gangene
140 Von der Kinbildungstraft,
gangene Dinge kurz nachher, wenn fie vergangen find, ung
ſehr lebhaft wieder vorftellen, je weiter fie aber in die ver:
gangene Zeif zurück gehen, defto weniger Elar Fönnen wir
fie uns worjtellen. Ein Unglück, welches wir geftern aus-
geftanden haben, fonnen wir. heute fehr. lebhaft denfen.
Eine Witwe hat, in den erſten Wochen der Trauer, ihren
Mann noch in frifchen Andenken. Allein, nad) zwanzig
Jahren, denkt man Faum an dergleichen Dinge. Unſere
Seele ftelt fic) die Welt, nach der Stellung ihres Körpers,
vor 6.487. Folglich, da ihr jüngft verfloffene Dinge naͤ—
ber find, als laͤngſt verflofiene Dinge; fo Fan fie auch jene
ſich flärer durch die Einbildungsfraft vorftellen, als diefe,
Zu dem fomt noch, daß die Seele, bey langft vergangenen
Dingen, nachher ihre Aufmerkſamkeit mit unendlich viel
mehr andern Borftellungen befchäftiget hat, als bey jüngft
verfloffenen Dingen. Und alfo behält fie bey jenen weni-
ger Kraft übrig, als bey dieſen, und alfo ftele fie fih auch
jene in einem Eleinern Grade vor, als diefe. 6) Die Ein—
bildung nicht lange vergangener Dinge, weil fie ftärfer und
Fläver ift, wie gleich jetzo gezeigt worden, verdunfelt die
Einbildung folcher Dinge, Die länger vergangen find, weil
diefelben fehwächer und dunfeler find $. 508. Die neuern
Begebenheiten verdrengen, aus den Unterredungen der
Menfchen, aliemal die alten Gefchichte. Wenn wir daher
zwey Dinge in einem gleichen Grade empfunden haben, fo
koͤnnen wir uns das jüngere klaͤrer einbilden, als das altere,
wenn Fein anderweitiger Grund zum Gegentheil da ift.
Wenn man. zweymal eine Krankheit gehabt hat, vor einem
Jahre und vor zwanzig Jahren, fo Fan man jene viel leich-
ter und Elärer fich wieder vorftellen, als dief. So wie
fih die Sachen in der vergangenen Zeit immer weiter ent—
fernen, fo verlöfchen nad) und nach, ihre Bilder in unferer
Einbildungsfraft, immer mehr und mehr,
S. 561,
Ein Menfch hat immer eine gröffere Einbildungsfrafe
als der andere, und bey einem Menfchen Fan die Einbil-
dungs⸗
Don der Einbildungskraft. 141
dungskraft zunehmen, fie Fan aber auch abnehmen. Und
da lajlen fich, Die verfchiedenen Grade diefes Erkenntniß—
vermögens, nad) folgenden Oründen beurtheilen : x) Se
mehr vergangene Dinge die Einbildungsfraft uns wieder
ins Gemüth bringen Fan, defto ausgebreiteter ift fie; je
weniger fie aber uns vorftellen fan, deſto Fleiner ift fie.
Daher fihreibt man denenjenigen, die unendlich viel von
demjenigen erzehlen Fönnen, was fie gelefen, ‚gebdrt und er—
fahren haben, eine groffe Einbildungskraft zu $. 496.
2) Je ſchwaͤcher wir e vergangenen Dinge empfunden
haben, die wir uns einbilden Fönnen, deſto groͤſſer ift unfere
Einbildungsfraft. Es gehört nicht viel Stärfe dazu, ſich
eine Sache wieder vorzuftellen, Die wir fehr ftarf empfun-
den haben. ein wenn wir eine Cache fehr ſchwach em—
pfunden haben, fo muß eine Einbildurgsfraft fehr ſtark
ſeyn, welche fich diefelbe dem chnerachtet wieder norftellen
fan 6.559. 3) Se feltener wir eine Vorſtellung in un
ferm Gemuͤthe erneurt haben, deſto gröffer ift die Einbil—
Dungsfraft, welche demohnerachtet Diefelbe wieder erneuern
fan. Denn zu der Erneuerung einer folchen Vorftellung
gehört mehr Stärke, als wenn wir eine Borftellung fehr
ofte gehabt haben S. 560. Wenn jemand eine Rede be-
halten Fan, Die er einige wenige mal gelefen oder gehört
hat, fo hat er eine gröffere Einbildungskraft, als wenn er
fie, um fie zu behalten, unzählige mal lefen und hören muß.
4) Nach je langerer Zeit uns, die Einbildungskraft, eine
Empfindung wieder ins Gemuͤth bringen fan, deſto gröffer
ift fie; meil wenig Kraft dazu erfodert wird, eine Empfin-
dung kurz nachher uns wieder ins Gemürh zu bringen 6.
560. Wenn uns ein Menfc Dinge erzehlen fan, die er
vor vielen Jahren gedacht hat, fo daß er unterdeflen gar
nicht wieder dran gedacht hat, fo muß er eine groffe Ein-
bildungsfraft befisen. 5) Zwiſchen je mehrern und gröf-
fern kurz vorhergehenden und begleitenden Borftellungen
die Einbildungsfraft wuͤrkſam ſeyn, und uns vergangene
Dinge wieder ins Gemüch bringen Fan, defto ftärfer und
groͤſſer
142 Von der Einbildungskraft.
gröffer iſt fie; weil fie, mitten unter fo vielen mächtigen
Hinderniffen, dennoch wuͤrkſam fenn fan. Wenn ver
ganze Schauplaß unferer Seele leer if, wenn wir vor der
Gefchäftigkeit unferer Einbildungskraft wenig oder nichts
gedacht haben, und wenn in dem Angenblice Feine andere
Gedanken in unferer Seele angetroffen werden, fo gehört
wenig Kraft dazu, vergangene Dinge uns vorzuitellen.
Mancher Fan feine auswendig gelernte Predigt auf feiner
Stube ohne Anftoß herfagen, allein, wenn er auf der Kan—
zel ſteht, ift er dazu nicht im Stande. 6) Je klaͤrer, rich⸗
tiger, gewiſſer und ſtaͤrker unſere Einbildungen ſind, deſto
groͤſſer iſt unſere Einbildungskraft. Daher haben diejeni—
gen eine ſtarke Einbildungskraft, welche nicht nur vornem=
Vic ihre vergangenen Wichtigften Empfindligen, und von
vergangenen Dingen das wichtigfte fich wiederum vorftel-
len, fondern melche fich alles diefes auch fo vorftellen koͤn—
nen, daß es ift, als hätten fie es jetzo gegenwärtig vor
ihren Augen,
$. 562.
Es ift eine fehr wichtige Frage: wie man die Em—
pfindungen von den Einbildungen unterfcheiden Fonne?
Der, wenn ich eine Empfindung habe woher Fan ich ver=
fichert ſeyn, daß es eine Empfindung und Feine Einbildung
fen? und wenn ich eine Einbildung babe: woher Fan ich
wiſſen, daß es eine Einbildung und feine Empfindung fen ?
Es gibt Weltweife, wie z. E. die Idealiſten, welche alle
unfere äufferlichen Empfindungen für bloffe Einbildungen
ausgeben, und die Zweifler geben vor, daß wir niemals
vermögend find, unfere Empfindungen von den Eiabildun—
gen zu unterfcheiden. Ja eben daher eneftehen viele Irr—
thümer in unfern Erfahrungen, und. alle Phantaftereyen
und Verruͤckungen des Gemüths, wenn wir unfere Einbil-
dungen für Empfindungen halten. Wir wollen demnach
unterſuchen, wodurch wir unfere Empfindungen und Ein—
biloungen von einander unterfcheiden koͤnnen. Erftlich
wenn unfer Gemuͤth fich, in dem gewöhnlichen und dr
lichen
Don der Einbildungstraft. 143
lichen Zuftande, befindet, fo ift diefe Unterfcheidung leicht, -
indem die Empfindungen viel Eläver und flärfer find, als
die Einbildungen $. 559. So leicht es uns iſt, das Licht
der Sonne von dem Mondenfcheine zu unterfcheiden, fo
leicht ift es uns auch in Diefem Zuftande, die Empfindun—
gen und Einbildungen, durch ihren fo merflich verfchiede-
nen Grad der Klarheit und Stärfe, zu unterfcheiden. Es
ift uns viel anders zu Mutbe, wenn wir eine Sache em:
pfinden, als wenn wir fie ung einbilden. Der Eindruck,
den eine Speife in unfere Seele macht, indem wir fie
würflich genieffen, ift ſehr merklich geöffer, als der Ein-
druck, den fie in uns macht, wenn wir, nachdem wir ſchon
gegeflen haben, uns wieder vorftellen, wie fie geſchmeckt
bat. Und eben das erfahren wir auch, bey allen unfern
übrigen Empfindungen. Allein das Gemüth Fan zum an:
dern in einen ungewöhnlichen Zuftand gerathen, in wel:
chem, durch Krankheiten oder andere Urfachen, die Em—
pfindungen ihre gewöhnliche Klarheit und Stärfe nicht ha—
«ben, und im Gegentheil die Einbildungen ungewöhnlich
flar und ftarf werden, fo daß fie entweder mit den Em—
pfindungen, mit denen fie zugleich in der Seele find, einer:
ley Grad der Klarheit und Staͤrke haben, oder fie wohl
gar an Klarheit und Stärfe übertreffen, Weil die Em:
pfindungen gewöhnlicher Weiſe, die klaͤrſten und ftärfften
Borftellungen unferer Seele, find; fo gewöhnt es fich die
Seele von Kindheit auf an, Diejenigen Borfteflungen würf:
licher Dinge für Empfindungen zu halten, welche jedesmal
die klaͤrſten und ftärfften find. Folglich ift es ganz natür:
lich, daß man, in dieſem ungewöhnlichen Zuftande, die
Einbildungen für Empfindungen bält, und glaubt, daß die
Sachen würflich in und auffer uns gegenwärtig find, Die
wir uns bloß einbilden, So geht es uns, wenn wir träu-
men, Mitten im Traume halten wie init der gröften Ge-
wißheit dafür, daß mir uns in ber That in den Umſtaͤn⸗
den befinden, die wir uns im Traume einbilden, und eben
das thun auch verrückte Leute, Alsdenn Fan man fich nicht
anders
144 Don der Einbildungskraft.
anders helfen, als durch das Nachdenken und Ueberlegen
der Umftände, Die Empfindungen fteilen uns unfern ge-
genwärtigen, und die Einbildungen unfern vergangenen
Zuftand vor 9.528. 55. Nun it es fhlechterdings un:
möglich, daß das Vergangene mit dem Gegenwärtigen
zugleich da ſeyn ſolte $. 228. FSolglih muß man, in die—
fem verwirrten Gemüthszuftande, auf alle feine gegenwär-
eigen, kurz vorhergehenden und zunächit bevorftehenden
Umftände achtung geben : denn die Empfindung Fan uns
nichts anders vorftellen, als was ſich recht in alle dieſe Um—
ftände paßt, feinem derfelben widerfpricht, und mit denfel-
ben aufs genauefte verbunden ift, und Diefes zwar um des
allgemeinen Zufammenbangs willen, der fich in dieſer Welt
befindet. Folglich it diejenige Borftellung eine Empfin—
dung, welche uns eine Sache als gegenwärtig vorftelt,
- welche fi) in alle unfere übrige Umſtaͤnde auf eine folcye Art
paßt. Diejenige aber ift eine Einbildung, welche uns: et=
was als gegenmwartig vorftelt, welches, wenn es gegenwaͤr—⸗
tig wäre, einen Widerſpruch in unferm gegenwärtigen Zu⸗
ftande verurfachen, und mit unfern übrigen gegenwärtigen
Umſtanden nicht verknüpft feyn] würde. So macht man
eg mit einem Kranken, wenn er phantafirt. Geſetzt, er
bilde fich ein, es ftehe ein Hund vor ihm, der Ihn beiffen
wolle; fo redet man ihm zu, und macht ihn auf feine anz
derweitigen gegenwärtigen Umftande aufmerffam. Man
zeigt ihm, daß die Thüren verfchlofen, und feine Freunde
um fein Bette ftehen, und man zeige ihm die Unmöglich-
keit, daß ein folcher Hund da feyn folte. Unterdeſſen be-
greift ein jeder, daß Das Gemuͤth, wenn es in diefem ver-
wirrten Zuftande ſich befindet, nicht im Stande ift, eine
ſolche Ueberlegung allemal anzuftellen, und es ift demnach
die Seele, wenn fie auch gleich nicht verrückt ift, und wacht,
nicht allemal im Stande, eine Einbildung von der Em:
pfindung zu unterfeheiden. Und das iſt ohne Zweifel eine
von denen Urfachen, warum, aller unferer Mühe ohnerach—
tet,
l
-
Von der Einbildungskraft. 145
tet, dennoch nicht alle Irrthuͤmer in unfern Erfahrungen
verhüter werben koͤnnen. |
| $. 563.
Weil auf der Einbildungsfraft das Gedaͤchtniß, und
noch andere Erfenntnißvermögen der Seele, beruben, wie
Fünftig erhellen wird: fo ift es eine fehr nügliche Srage:
wie die Einbildungen erleichtert und befördert werden koͤn—
nen? Und das fan auf folgende Art geſchehen. ı) Wenn
man dasjenige, was man fich ſehr leicht Durch die Einbil-
Dungsfraft in einem hohen Grade vorftellen will, recht klar
und ftarf zu empfinden fucht 6.559. Daher ift auch die
Einbildungskraft um fo viel gröffer und beffer, je beffer die
Sinne eines Menfchen find. Hier muß man alfo ſchon,
die Anftalten aufs zufünftige, zum voraus machen. Wem
wir vermuthen und vorherwiſſen, daß es ung Fünftig nöthig
fenn werde, eine Sache, die wir jego empfinden oder zu
empfinden im Begriffe ftehen, recht Flar und ſtark uns ein—
zubilden, fo müffen wir fie recht ſtark zu empfinden ſuchen.
Wenn jemand eine Nede öffentlich berfagen foll, fo lieſt er
fie nicht nur vorher über, fondern er Lieft fie ſich auch lauf
vor, damit er eine deſto ftärfere Empfindung, von den
Worten und ihrer Folge auf einander, befonime. 2) Wenn
man die Vorftellung der Sache ſehr ofte hat, und fehr ofte
erneurt $. 560. Daher pflegt man eine Nede unzählige
mal por ſich durchzulefen und berzufagen, wenn man fie
ohne Anftoß öffentlich berfagen will, 3) Wenn man in
den Zmwifchenzeiten, welche zwifhen den Erneuerungen die:
fer Borftellung vorbey gefloffen, lauter [hmwächere und dun—
felere Borftellungen gehabt hat: denn dergeftalt behält. fie
immer eine Meuigkeit, und wird durch Feine andere Bors
ftelfungen gehindert, Wer eine öffentliche Rede von Wid).
tigfeit halten foll, der pflege vorher alle Gefellfchaften zu
vermeiden, und thut fonft nichts erhebliches, als daß er of
ters fein Concept durchlieſt. Daher fomts, daß auf den
Dörfern, und in fleinen Städten, von einem merkwuͤrdi—
gen Borfalle, von einem Diebftale und dergleichen, Jahr
3. Theil, ERTL E: K und
146 Don der Einbildungskraft,
und Tag gefprochen wird, denn es traͤgt ſich unterdeſſen
nichts anderes merfwürdiges zu. 4) Wenn man ſich die
Sache, nit lange nad) der Empfindung, durch die Ein—
bildungsfraft vorzuftellen fucht, wenn fie noch im friſchem
Andenfen ift. Daher lieft der Redner kurz vorher, ehe er
den Nednerftul befteige, fein Concept noch einmal durch.
5) Wenn die kurz vorhergehenden Borftellungen von frems
der Art fehr ſchwach find, und wenige Klarheit haben,
Folglich muß man, vor der Würffamfeit der Einbildungs«
fraft, alle fremde Empfindungen verhüten, oder wenigfteng
fo ſchwach und dunkel zu machen fuchen, als möglid) ift,
damit die Einbildungskraft, wenn fie ihre Borftellungen
auf den Schaupfaß führen will, nicht. denſelben ſchon ganz
oder zu ſtark befege finde. Daher begeben fih Die Nedner
vorher in eine Stille und Einfamfeit, damit fie fremde und
ftarfe Empfindungen von anderer Art verhüten. 6) Wenn
zu der Zeit, da die Einbildungsfraft wurfen foll, alle frem=
de Vorftellungen und Empfindungen verhütet, oder doc)
gefhwächt und aus dem Sinne gefchlagen werben. Als—
denn werden die Hinderniffe der Einbildungsfraft aus dem
Wege geräumt, und alfo wird ihre Geſchaͤftigkeit befoͤrdert.
Ein Nedner, indem er feine Rede hält, ſucht nicht recht zu
fehen und zu hören, was un und neben ihm vorgeht, und
die Dichter begeben ſich in die Einfamfeit, wenn fie ihre
Einbildungskraft vecht erhigen wollen. And 7) wenn man
Fur; vor der Wuͤrkſamkeit der Cinbildungskraft, und zu
eben der Zeit, folde Empfindungen und andere Borftelluns
gen erweckt und denfeiben nachhängt, welche mit der Eins
bildung, die man befördern will, verwandt und ofte verges
ſellſchaftet geweſen find : denn dieſe Vorftellungen befördern
die Einbildungskraft $. 558. Dichter ‚geben fpagieren,
frinfen ein Glas Wein, fefen in andern Dichtern, wenn fie
ihre Einbildungsfraft recht erbißen wollen. Und wenn ein
Menſch feinen Freund durd) den Tod verlohren hat, und er
geht zu dem Grabe dejlelben, oder an Derter wo er ihn ofte
gefehen hat, fo denft er; bier modert mein Freund, da
ſprach
a a EEE —
Don der Einbildungskraft. 147
ſprach ich mit ihm, dort pflegte er zu fißen. Dergleichen
Gedanken erwecken, dag Andenken des Berftorbenen, aufs
lebhafteſte und ſtaͤrkſte. Diefe Kegeln enthalten den. Grund
zu der Gedaͤchtnißkunſt, diefer fo nörhigen und nüglichen
Kunſt: denn wir werden aus dem folgenden lernen, daß
das Gedaͤchtniß allemal, die Einbildungskreft und die
Vollkommenheit derfelben, vorausfege. Es ift uns ofte
fehr viel daran gelegen, daß uns eine Sache, die wir vor⸗
dem gedacht haben, wiederum einfalle, 3. E, Daß uns Die
Regeln unferes Verhaltens und unfere Pflichten zu gehörte
ger Zeit wiederum ins Gemuͤth fommen, und wir. fehen
demnach), wie nuͤtzlich es fey, daß wir wiffen, wie man eine
Einbildung erleichtern und befördern Fan, |
9. 564.
. .. Eben fo nöthig und nüglich iſt es auch, Daß wir zei⸗
gen, wie man eine Einbildung verhindern fünne. Wie
glücklich wären wir nicht, wenn wir Die erften Eindrücke
der Suͤnde in unfer Gemüth aus dem Sinne fchlagen, und
verurfachen Fonnten, daß die Einbildungskraft diefelben
nicht wieder erneuerte! wenn wir die Beleidigungen ver-
gefien, und alle Wiederholungen folcher Gedanken verhüten
- Fönnten, welche. unſer Gemuͤth beunrubigen, und uns zu
unordentlichen und fündlichen Begierden reisen! Die Kunft,
zu vergeſſen, ift uns Menfchen eben fo noͤthig, alsdieKunft
etwas zu behalten,; und fie beruhet darauf, daß man im
Stande fey, die Einbildungskraft zu. verhindern, daß fie
uns einen gewiflen vergangenen Gedanfen ‚nicht wieder ing
Gemüth bringe, Und das Fan, Durch die Beobachtung
folgender Regeln, geſchehen: 1) man perhindere entweder .
die Empfindung, derjenigen Sache ganz, deren Einbildung
man verhindern ill, denn man Fan ſich nichts eihbilden,
mas man gar nicht empfunden hat $. 556, oder man ſuche
wentgftens die Sache fo ſchwach und fo wenig Flar zu em⸗
pfinden, als möglich) ift, denn fo wird die Einbildung ders
felben menigftens nicht fonderlid) Elar und ftarf feyn 6 559.
In dem 540, — habe ic) gewieſen, wie man die Enw
82 pfindyns
148 Don der Einbildungskraft.
pfindungen verhindern fol, Wenn man die Sünde nur
nicht das eritemal verfucht, um die erften reißenden Em—
pfindungen derfelben zu verhüten, fo ift es nicht möglich,
has uns die Einbildungsfraft diefe Neigungen wieder ins
Gemuͤth bringe, und uns dadurd) zur Wiederholung derfels
ben Sünde verleite. So machen es edelbafte Leute, wels
che, um zu verhüten, daß ihnen ein eckelhafter Anblick nicht
lange Zeit in dem Gemüthe ſchwebe, eckelhafte Sachen gar
nicht betrachten, oder menigftens nicht recht anſehen.
2) Kan man die Empfindung der Sache nicht verhüten, fo
verhüte man doch die erften Wiederholungen derfelben durch
die Einbildungskraft : denn da ift es noch am leichteften,
weil die Einbildungsfraft nod) Feine Fertigkeit befist, eine
folhe Empfindung zu wiederholen? Wenn man aud) eine
verdrießliche Sache empfunden hat, wenn man nur nachher
nicht ofte davon redet, fondern die erften Wiederholungen
verhindert, fo Fan man der Einbildungskraft gar leicht eis
nen Schwung geben, vermöge deſſen fie nicht auf dieſe Em=
pfindung fält, fonderlic) wenn man 3) noch dazu, die Ges
ſchaͤftie gkeit der Einbildungskraft, durch andere Vorſtellun⸗
gen unterbricht, wenn fie auch gleich ſchwaͤcher ſeyn ſolten,
als die Einbildung, die man aus dem Sinne fihlagen und
verhindern will: denn ſelbſt Durch die Laͤnge der Zeit, durch
welche eine Einbildung fortdaurt, wird fie geſchwaͤcht $.
550. Wir fehen daher, daß ein Menſch, wenn er feinen
zärelichft, gelichten Ehegatten durch den Tod verlohren hat,
die Zeit über, da er genöthiger ift, die Trauer und das Bes
graͤbniß zu beſorgen, feinen empfundenen Verluſt ſich zwar
vorſtelt, aber lange nicht in einem ſo hohen Grade der
Staͤrke, als wenn er das Andenken an denſelben nicht,
durch fo viele zerſtreuende Vorſtellungen, unterbrechen haͤt—
te. 4) Wenn man die Erneuerung einer Borftellung
durch die Einbildungskraft fo lange verzögert, und aufs
ſchiebt, als möglich) ift, und unterdeffen viele andere Sachen
fehr lebhaft denkt. Denn dadurch wird nicht nur das Ger
müch auf ganz andere Sachen seine ſondern wenn uns
N diefelbe
—
Don der Kinbildungskraft, 149
Diefelbe Vorftellung ſamt ihrem Gegenftande wieder ein«
fälc, fo find es fehon Sachen, die lange vorbey find, und
ihre Einbildung iſt alfo natürlicher Weife ſchwaͤcher $. 560.
Daher Fomts, daß $eute von fehr vielen und groffen Ges
fchäften fehr leicht, über ein vergangenes Uebel, fich zufries
den geben, weil ihre Gefchäfte ihnen nicht erlauben, oft
daran zu gedenfen. Und weil in groffen Städten immer
was merfwürdiges fich zuträgt, fo wird von einer Sache
richt lange gefprochen. 5) Wenn man vorher, ehe die
Einbildungskraft wuͤrkſam wird, feine Aufmerkſamkeit in
einem hohen Grade mit andern Vorſtellungen, fonderlic)
mit fremden Empfindungen, welche mit derjenigen Einbil«
dung nicht vergefellfehaftet find, Die man verhindern will,
befchäftige. Denn alsdenn £rift die Einbildungsfraft
ſchon den Schauplag der Seele befeßt an, wenn fie ihre
Borftellung aufführen will, und fie wird alfo dadurch fehr
gehindert werden. Hieher Fan man ebenfals, gefchäftige
Leute und luftige Brüder, rechnen. Wenn bey folchen Leu⸗
fen ja einmal eine Einbildung, z. E. einer vergangenen Noth,
entftehen will, fo find fie vorher allemal mit fo vielen frem=
den Borftellungen befchäftiget gewefen, daß es fehr ſchwer
ja manchmal unmöglic) wird, daß eine ſolche Einbildung
folte Eönnen empor kommen. Daher ift es fo fehmer, daß
irdiſch gefinnte Leute, an ihre begangenen Sünden, gehoͤ—
rig denken folten. 6) Wenn zu der Zeit, da eine Eins
bildung in unferm Gemüthe angetroffen wird, die wir vers
hindern wollen, viele andere Borftellungen, Empfindungen,
Einbildungen u.f.w. in ung find, welche fehr klar gemacht
werden, unfere Aufmerffamfeit zerftreuen, und fie von der
genannten Einbildung ablenken: denn alsdenn verliebrt fie
fid) allmälig, in dem Gedrenge fo vieler fremden Vorſtel⸗
lungen. So geht ein Betrübter fpaGieren, in Gefellfhaf-
gen, er ftudiert, er lieft angenehme Schriften, und dadurd)
wird mwenigftene, das Andenken an bas vergangene Uebel,
gewaltig vermindert. - Das ift eine Urſach, warum der
Wein des Menfchen Herz erfreuet, und warum die Öriflen
$ 3 ver⸗
150 Don der Einbildbungskraft.
verfrunfen werden können. Denn die angenehmen Em-
pfindungen, welche der Wein erweckt, richten die Einbil-
dungskraft auf lauter ähnliche Gegenflände, und dadurd)
wird die betrübende Einbildung verdunfell. 7) Wenn
man diejenigen Empfindungen, Einbildungen, und über-
haupt diejenigen Vorftellungen verhindert, unterdruckt und
aus dem Sinne fehlägt, Die mit der Einbildung, welche
man verhindern will, vergefellfhafter gemefen: denn fonft
wuͤrden diefe Vorftellungen fie, wider unfern Willen, in
unferm Gemüthe erhalten. Cin Menfch, welcher das Ans
denken feines verftorbenen Freundes fhmwächen will, muß
die Derter vermeiden, wo fein Freund gerefen, fein Grab
nicht befuchen, und alles von ſich entfernen, was mit ihm
in einer ſehr nahen ie ee bat,
.
Die Einbildungskraft A * ſinnliches Erkenntniß⸗
vermögen, und gehört, als ein Theil, zu dem ganzen uns
tern Erkenntnißvermoͤgen 9. 524. Denn eine jedwede
Einbildung ift nicht einmal fo klar, als die Empfindung,
Die dadurch erneuert wird $. 559. Da nun, Die allerdeuts
lichſten Empfindungen fo gar, viele Dunfelheit und Ber-
wirrung in fih enthalten $. 542, fo find aud) noch viel.
mehr, alle Einbildungen, finnliche Vorſtellungen. Nems
lic) alle Einbildungen find entiweder ganz dunkel, oder ganz
verworren, obgleich Elar, oder deutlih. Die beyden eriten
Arten find unleugbar ganz finnliche Vorſtellungen, und
werben ganz allein Durch das untere Erfenntnißvermögen
gemürft. Die deutlichen Cinbildungen enthalten, ihrer
Deutlichkeit obnerachtet, viele Dunkelheit und Verwirrung,
weil fie nicht einmal fo Elar find, als unfere Empfindungen.
Folglich find fie zum Theil finnliche Vorftellungen, deren
Deutlichkeit durch den Verſtand hervorgebracht wird, wenn
er mit der Einbildungsfraft zugleich wuͤrkſam iſt. Folg—
lich rechnen wir, die Einbildungsfraft, mit Necht zu den
untern Erfenntnißvermögen unferer Seele. Und da die
Aeſthetik fich, mit dem ganzen unfern Er£enntnifvermö-
gen,
Don der Einbildungskraft. 151
gen, befchäftiget $. 527, fo zeige fie auch, wie man die Einst
bildungen verbeffern, und vortragen fol. Folglich zeige
fie auch, wie man die Einbildungkraft recht gebrauchen und
verbeffern foll.
6. 566.
Wir müffen noch, die Wahrheit und Unrichtigfeit
unferer Einbildungen, unterfuhen. Nemlich eine wahre
Einbildung ift eine Einbildung, welche mit der vorhers
gehenden Empfindung, die durch fie erneurt wird, völlig
einerley iſt. ine jedwede Einbildung aber ift eine eitele
oder falfche Hinbildung, wenn fie nihe wahr iſt. Man
Fan nicht verlangen, daß eine wahre Einbildung eben fü
klar und ftarf fey, als die vergangene Empfindung, denn
Das ift nicht nur unmöglich S. 559, fondern es ift aud)
überhaupt unleugbar, daß die Wahrheit nicht, von dem
Grade der Klarheit der Vorftellungen, abbange ‘$. 489.
Die Einbildungskraft fol, die Erhalterin unferer erlangten
Empfindungen, ſeyn. Wenn fie uns nun diefelben juft fo
miederum ins Gemuͤth bringt, wie wir fie gehabt haben,
obgleich ihre Klarheit abgenommen ; oder wenn fie ung ver⸗
gangene Dinge fo wiederum vorftelt, wie fie befchaffen ges
weſen, fo find die Vorftellungen, die fie ung gibt, in der
That Borftellungen vergangener Dinge, und folglich wahre.
Einbildungen. Wenn fie aber die vergangenen Empfin«
dungen vermehrt oder vermindert, oder irgends in Abſicht
auf ihren Gegenftand verändert; wenn fie uns z. E. eine
Begebenheit gröffer oder Fleiner worftelt, an einem andern
Orte, zu einer andern Zeit u, f. w. als fie gefchehen ift, fo
gibt fie ung falfche Einbildungen. Wenn wir uns vorftel«
len, daß mir etwas empfunden haben, fo wir doch nicht
empfunden, fo ift unfere Einbildung falfch. Daher entftes
ben, aus dem Betruge der Sinne, allemal auch falſche
Einbildungen, wenn wir ihm nicht bey Zeiten entdecken $.
548. Geſetzt, ith habe geftern etwas gefehen, bilde ich mir
heute ein, als wenn ich es vorgeftern aefehen hätte, fo iſt
meine Einbildung falfd). nn woblgeorönete, —*
4 e⸗
152 Von der Kinbildungskraft,
bezaͤumte, oder unter das och gebrachte inbildungs-
kraft iſt eine Einbitdungskraft, welche gewöhnlicher Weiſe
wahre Einbildungen hervorbringt; oder fie befteht in der
Fertigkeit, vergangene Empfindungen richtig zu miederhos
len. ine ungesäumte, unordentliche und ausſchwei—
fende Einbildungskraft bildet uns vergangene Empfin-
dungen gewöhnlicher Weiſe unrihtig ein, und fie beſteht
in der Fertigkeit, unrichtige Einbildungen zu erzeugen.
Man Fan nicht genung fagen, wie ſchaͤdlich die unrichtigen
Eindildungen find. Wenn ein Menſch ſich feinen vergan-
genen moralifchen Zuftand, feine begangenen Sünden, feine
Duffe und Bekehrung u. few. unrichtig vorftelt, fo ent«
ſteht daraus Schwärmerey, Stolz, Niederträchtigkeit, und
ter weiß wie viele andere Sünden. Folglich ift es ein
groſſes Unglück für einen Menfhen, wenn feine Einbil—
Dungsfraft ausfchmeifend wird, Man Fan noch einen Feh—
ler bemerfen, den man eine gar zu erhitzte Einbildungs⸗
Fraft nennen fan, wenn fie die Fertigkeit befigt, die Ein«
bildungen ungewöhnlich Elar und ftar zu machen, und
wohl gar noch färfer und flärer, als die Empfindungen.
ine gemäßigte Einbildungskraft im Gegentheil er.
zeugt nur die Einbildungen, in der gewöhnlichen Klarheit
und Stärke, Cine gar zu erhitzte Einbildungsfraft verure
ſacht alle Verruͤckung, Phantafterey und Schwaͤrmerey, wie
aus dem folgenden erhellen wird.
KARTE HET HK HK FF FE HK EEE €
Der dritte Abfehnit,
von dem fiharffinnigen Witze.
Ge 567.
We koͤnnen, die verſchiedenen Erkenntnißvermoͤgen un⸗
ſerer Seele, in zwey Claſſen abtheilen. Einige ber
ſchaͤftigen ſich bloß mit der Vorſtellung gewiſſer einzelnen
Dinge, und fie find alſo an gewiſſe einzelne Gegenſtaͤnde ge—
bunden. 3.€, die Sinne find uns bloß dazu gegeben,
da
Don dem feharffinnigen Wise. 153
Das Gegenmwärtige. zu erfennen, und. die Finbildungsfraft,
das Vergangene. Allein wir haben auch Erkenntnißver⸗
mögen, die an feine befondern einzelnen Gegenftände ge:
bunden find, fondern welche, in Geſellſchaft aller übrigen
Erfenntnißvermögen, wuͤrkſam find, und ung nur dazu ver
liehen worden, daß wir an denen Dingen, die ung ein ans
deres Erfenntnißvermögen vorftelt, gewiſſe Beſtimmungen
erkennen follen. Und bieher gehört der feharffinnige Witz,
den wir jetzo ausführlich unterfuchen wollen, Nemlich wir
willen aus der Erfahrung, daß wir die Uebereinftimmuns
gen unſerer Borftellungen und ihrer Gegenftände, ihre
Aehnlichkeit und Gleichheit u. fm. erfennen. So ge:
ſchieht es täglich, Daß ich denkes die Speife ſchmeckt eben
fo gut, als gefteen, oder vor einigen Tagen. Folglich bat
unfere Seele ein Bermögen, die Uebereinftimmungen der
Dinge zu erfennen .$.61,. welches Bermögen wir den Witz
im weitern Derftande nennen. Der Wis im engern
Verſtande ift entweder die Fertigkeit, die Uebereinftim-
mungen unferer Borftellungen und ihrer Gegenftände zu er⸗
Fennen; oder ein Wiß, der in einem höbern Grade bey ei-
nem Menſchen angetroffen wird. Daher nennt man man-
che Leute witzige Köpfe, nicht etiva weil fie überhaupt Wig
haben: denn den haben alle Menfchen ; fondern weil fie
einen merklich gröffern Wis haben, als viele andere Leute,
Sa manchen $euten fpricht man den Wis ab, und nennt fie
wißlofe Köpfe, nicht etwa weil fie gar Feinen Wis haben,
fondern weil ihr Wiß nicht merflich groß if. _ Der Wis
ift überhaupt nichts anders als, eine Aufmerffamfeit auf
die Uebereinftimmungen unferer Borftellungen, und ihrer
Gegenftände. $. 506, oder das Wermögen, die Vorſtel—
lungsfraft der. Seele auf Die Lebereinftimmungen der Din-
ge zu richten. = Und da Dinge einerley find, oder mit ein»
ander übereinftimmen, wenn in dem einen ein Merkmal
oder eine Beſtimmung ift, weiche aud) in dem andern ange-
troffen wird S. 49, fo fönnen wie die Hebereinfkimmungen,
unferer Vorftellungen und ihrer Gegenftände, nicht anders
Rz er⸗
154 Don den fcharffinnigen Wise.
erkennen, als wenn wir ihre gemeinfchaftlihen Merkmale
und Beſtimmungen erkennen. Die Regel des Witzes,
die er in feiner Wiürkfamfeit beobachte, Fan alfo fo ausge-
Drucke werden : wenn man fich das Merkmal, oder
die. Beftimmung des einen, als ein Merkmal und
eine Beſtimmung des andern vorftele, foftelt men
ſich beyde als einerley vor, oder man erkennt alsdenn
ihre Uebereinftimmung.. |
$. 568. *
Man darf nicht glauben, als wenn nur witzige Köpfe
den Wig nöthig. hätten. Sondern wir brauchen diefes
Bermögen beftandig, wenn wir zufammenhängend denfen
wollen. Damit man alfo, die unendliche Ausdehnung des
MWirfungscreiffes des Wiges, und feinen unendlich groffen
Nutzen in der menfchlichen Erkenntniß, einfehe; fo wollen
wir, die Gegenftände deffelben, etwas ausführlicher erzeh-
len. Zuerſt ift vor fich Flar, dag wir alle Begriffe von
allen Aehnlichkeiten, Gleichheiten und Proporfionen, von
allen innerlichen und äufferlichen, weſentlichen und auffer»
weſentlichen Liebereinftimmungen der Dinge, diefem Ver—
mögen zu Danfen haben. Und was für einen groſſen Theil,
der menfhlihen Erfenntniß, machen diefe Begriffe nicht
aus? Zum andern Fonnten wir gar Feine abftracten und
allgemeinen Begriffe, folglich gar Feine allgemeine Erfennt«
niß ohne Wis haben, und was würden wir alsdenn für
Greaturen feyn? Alle abftracten Begriffe, Taube, Hund,
Menſch, Ding, Geift u. ſ. m. ftellen uns die Aehnlichkei-
ten der Dinge, als von ihren übrigen Beftimmungen und
Verſchiedenheiten abgefondert, vor, und fie find demnach
Greaturen des Witzes. Zum dritten fonnten wir, ohne
Bis, Feine bejahenden Urtheile fällen : denn wir bejahen
ein Prädicat von dem Subjecte, wenn wir uns vorftellen,
daß es ihm zufomme ober mit ihm übereinftimme, Folg«
fid) würden wir nicht einmal, bey irgends einem unferer
Gedanken, wiſſen, daß es eben ber und Fein anderer Ge-
danke fen, wenn wir feinen Wis hätten, Viertens wuͤr⸗
den
Von den feharfjinnigen Wine, v5
den wir gar Feine Begriffe von Drönung, Vollkommenheit /
Wahrheit und Zufammenhang haben, wenn wir feinen
Wis befäffen: weil die Ordnung, in der Hebereinftimmung
des Beyfammenfeyns und der Folge der Dinge auf einan«
der, beſteht, und alle Bollfommenheit, Wahrheit und Zu:
fammenhang auf der Ordnung beruhet. in jeder nach»
denfender Leſer Fan alfo leicht erachten, daß der allergröfte
und wichtigfte Theil unferer Erkenntniß, durch Hilfe des
Wißes, erlangt wird,
Ab ac
Die verfchiedenen Grade, und Vollkommenheiten des
Witzes, beruben auf folgenden Gründen. 1) Sje mehrerer
Dinge Uebereinftimmungen der Wig entdecken Fan, vefto
gröffer ift er; je weniger aber derjenigen Dinge find, deren
Uebereinftimmung der Wis beobachtet, defto kleiner iſt er.
Daher fhreibt man jemanden mit Necht, einen groffen
Wis, zu, wenn er bey allen Gelegenheiten wißige Einfälle
hat. 2) Je unbekannter uns die Dinge find, deren Ueber:
einftimmung wir zu enfdecfen im Stande find, defto gröffer
ift unfer Wis. Es ift gar Feine Kunſt, die Uebereinftim-
mung ehr befannter Dinge einzufehen. Wenn wir Dinge
unendlich ofte gedacht haben, wenn fie uns täglich fo zu re:
den vor Augen ſchweben, fo fält uns ihre Uebereinſtim—
mung von felbft in die Augen, und es wird demnach, zur
Beobachtung derfelben, ein fehr Fleiner Wis erfodert. Was
fir Wis iſt wohl dazu nöthig, die Begriffe von einem Hun-
de, von einer Taube, von einem Pferde zu denken? 3) Je
verfchiedener die Dinge von einander find, deren Ueberein-
ftimmung wir entdecfen, defto gröffer ift ver Wis. Wenn
Dinge einander offenbar aͤhnlich und gleich find, wenn fie
bey nahe ganz mit einander übereinftimmen, fo darf man
nur einen flüchtigen Blick auf fie werfen, um ihre Ueberein:
ftimmung gewahr zu werben. Allein wenn fie in einem fo
hohen Grade von einander verfchieden find, daß fie dem
erften Anfehen nad) gar nicht mit einander übereinzuftim-
men feheinen, fo werden fiharfe Blicke dazu erfodert, ihre
Ueber:
156 Von dem febarffinnigen Wie.
Uebereinftimmung zu entdecfen. Daher ſchreibt man einem
Dichter einen groflen Wis zu, wenn er, von den verfchie-
denſten Dingen, feine. Metaphern und Gleichniffe entlehnen
kan. 4) Sge mehrere Uebereinftimmungen, Aehnlichkeiten,
Gleichheiten und Vergleihungsftüde der Wis entdecken
Fan; oder in eine je vielfältigere und mannigfaltigere Ver—
gleihung der Wiß, die mit einander verglichenen Dinge,
fegen Fan: defto gröffer ifter. Wenn man alfo neben den
Aehnlichkeiten zugleich die Gleichheiten, und neben diefen
zugleich die Aehnlichkeiten, folglich die Proportionen ent.
defen fan, fo ift es ein Beweis der Gröffe des Witzes.
Daher ift es bey einem Dichter ein Zeichen eines mangels
haften Wißes, wenn er. zwar Aehnlichkeiten entdeckt, aber
eine Sache mit unanftändigen Kleinigkeiten vergleicht, und
unter den verglichenen Dingen gar Feine Proportion . beob-
achtet, wodurch die Sleichniffe und Metaphern mebrentheils
höchft lächerlich und abgefhmackt werden, 5) e wichtis
ger und gröffer die Uebereinftimmungen find, die der Witz
entdeckt, defto aröffer iſter. Wenn man alſo die innerli-
chen, notbwendigen und mwefentlichen Lebereinftimmungen
entdeckt, fo legt man dadurch einen groffern Wis an den
Tag, als wenn man die äufferlichen, zufälligen und auffer-
wefentlichen Lebereinftimmungen der Dinge entdeckt. Da-
her die Wortfpiele, ein Zeichen eines unendlich Eleinen
Witzes, find. 6) Unfer Wig ift um fo viel gröffer, je
gröffer diejenigen fremden Vorſtellungen find, die vor der
Wuͤrkſamkeit des Wißes in der Seele dageweſen, und mit
ihr zugleih-vorhanden find. Alsdenn find viele Hinder-
niffe in der Seele da, und der Wis muß um fo viel flärfer
feyn, weil er vermögend ift, mitten unter fo vielen Bor»
ftellungen von anderer Art, feine Gedanken zu wirken,
Ein Menfch legt einen Fleinen Wis an den Tag, wenn er
erft fange fih vorbereiten, und alle fremde Gedanfen aus
dem Sinne ſchlagen muß, ehe fein Wis in Gang kommen
Fan, und wenn er von allen andern Gedanfen abftrahiren
muß, um wißig zu denken, Wer aber mitten in einem
Ge⸗
EEE
Don dem ſcharfſinnigen Witzʒe. 157
Geſpraͤche, oder wenn er die tiefſinnigſten Wahrheiten
durchdenkt, auf witzige Einfaͤlle geraͤth, der beweiſt dadurch
die Stärfe feines Witzes. 7) Je leichter und geſchwinder
der Wi die Uebereinftimmungen entdecken Fan, deſto ſtaͤr—
fer ter. Je ſchwerer es aber einem Menfchen anfomt,
wigig zu denfen, je langfamer fein Wig gebaͤhrt, deſto klei⸗
ner iſt er. Und 8) je klaͤrer, richtiger, gewiſſer und ſtaͤr⸗
ker ſich der Witz die Uebereinſtimmungen vorſtelt, deſto
gröffer ift er. Je ſchwaͤcher, dunkeler, unrichtiger, zwei⸗
felhafter aber die witzigen Gedanken ſind, deſto kleiner iſt
der Witz. Diefe Betrachtungen enthalten die erſten Grün.
de, aus denen, die Regeln wigig zu denken, Fönnen —
leitet werden,
$. 570. -
Wir wiſſen aus unferer täglichen Erfähring! daß wir
uns, der DBerfchiedenheiten der Dinge, bewußt find. Wir
unterfeheiden die Dinge von einander, und erfennen ihre
Unähnlichkeit, Ungleichheit, und wie die Berfehiedenheiten
der Dinge alle heifjen mögen. Folglich hat unfere Seele
ein Bermögen, den Unterfchied der Dinge, oder die Ber
fhiedenheiten ver Dinge zu erkennen, und diefes Erkennt.
nifivermögen wollen wir die Scharffinnigkeit im wei⸗
tern Derftande nennen. Die Scharffinnigfeie im
engern Verſtande ift die Fertigkeit, die Berfchiedenheiten‘
der Dinge zu erkennen; oder dag Vermögen, die Berfchies
denheiten der Dinge zu erkennen, wenn es merflic) groß
und vollfommen ift. Daher fpricht man, manchen Leuten,
die Scharfſinnigkeit ab. Nun iſt es unmöglich, daß ein
Menfch zu finden feyn folte, welcher gar Fein Vermögen bes
figen folte, die Verfchiedenheiten der Dinge zu erkennen,
Allein es fan viele Menfihen geben, denen Die Fertigkeit
dieſes Vermoͤgens fehlt, und welche dieſes Vermoͤgen in
feinem merklichen Grade, und in feiner merklichen Boll:
kommenheit, befißen. Die Scharffinnigkeit ift nichts an-
ders, als eine Aufmerffamfeit auf die Berfihiedenheiten der
Dinge $. 506, —* es komt der Seele die Scharffinnig-
keit
158 - Don dem fiharffinnigen Witze.
keit zu, indem es ihrer Vorſtellungskraft möglich ift, auf
die Berfchiedenheiten ihrer Gegenftande fich zu richten, oder
gerichtet zu werden. Und da Dinge von einander ver-
fhieden find, wenn in dem einen Merkmale und Beftim-
mungen angetroffen werden, die ihm eigen find, und welche
in dem andern nicht angetroffen werden, und ihm zumider
find .$. 49. fo entdeckt Die Seele die VBerfchiedenheiten der
Dinge, wenn fie diefe Merkmale erkennt, indem fie mehre—
re Dinge zugleich fih vorftele. Folglich fan man die Re-
gel der Scharfſinnigkeit, die fie in ihrer Wuͤrkſamkeit
beftändig beobachtet, ‚fulgendergeftale ausdrucfen : wenn
man fich die Merkmale oder Deftimmungen des eis
nen unter mebrern Dingen, als Merkmale und Be—
ſtimmungen, vorftele, die den andern nicht zukom⸗
men, fo erkennt ınan ihre Verſchiedenheit. Sind
diefe Merkmale Befchaffenheiten, fo entdeckt man die Un—
aͤhnlichkeit; find.es aber Gröffen, fo entdecke man die Uns,
gleichheit u. ſ. w. 9. 70,
el
Die Scharffinnigkeit ift ein Erfenntnifvermögen,
welches wir bey allen unfern Gedanfen nöthig haben, und
wovon ein fehr groffer Theil unferer Erkenntniß herruͤhrt.
Einmal. fönnen wir, ohne Scharfjinnigfeit, gar nicht den-
fen. So ofte wir uns einer Sache bewußt feyn wollen,
oder fo ofte wir denken wollen, fo ofte müffen wir fie, und
ihre Borftellung in unferer Seele, von andern unterſchei—
den. Und folglich würde unfere ganze Erkenntniß mie
einee ewigen Finfterniß bedeckt feyn, wenn wir Feine
Scharfſinnigkeit beſaͤſſen. Alle Klarheit, Deutlichkeit,
Ausfuͤhrlichkeit, Gewißheit unſerer Erkenntniß, ruͤhrt von
der Scharfſinnigkeit her. Zum andern wuͤrden wir keine
einzige Unterſcheidung in den Wiſſenſchaften einſehen koͤn—
nen, wenn wir Feine Scharfſinnigkeit beſaͤſſen, und es
würde demnach. die ganze menfchliche Erkenntniß, und bie
ganze Gelchrfamfeit, ein verworrenes Chaos feyn, wein.
wir Diefes Dermögen nicht beſaͤſſen. Zum dritten würden
wir
Von dein feharffinnigen Witze. 159
wir Feinen Begrif von der Umordnung, Unrichtigkeit, "Un:
pollfommenheit, Mangel, Berneinung, Untechrmäßigfeit
und Sr haben, wenn wir feine Scharffinnigfeit be>
faͤſſen. Alle diefe Sachen beftehen in einer Berfchieden-
heit der Dinge, und es Fan alſo ein jedweder $efer ſich
felbit, von der Richtigkeit diefer Anmerfung, überzeugen.
Die Erfahrung lehrt auch, Daß bey vielen Leuten, bloß der
Man Bi der Schärffinnigkeit, daran fchuld ift, daß fie ofte
das Sücherlihe und Unanftändige ihrer ae nicht
PIE koͤnnen.
a RR
Eben fo, als wir die Grade des Witzes ISDN
haben $. 569. Fünnen auch, Die unferfchiedenen und man-
nigfaltigen Grade der Scyarffinnigkeit betrachtet werden.
Nemlic 1) je mehrerer Dinge Verſchiedenheit man zu er-
fennen vermögend ift, defto groͤſſer ift unfere Scharflin-
nigkeit; je weniger Dinge wir aber von einander zu unter⸗
ſcheiden im Stande find, defto kleiner iſt dieſes unfer Er-
Eenntnißvermögen. Daher ſchreibt man jemanden eine
groffe Scharffinnigtelt zu, wenn er an einer Sache und in
46 z. E. lin einem Laſter, oder in einer Tugend, ſehr
vieles und, mancherley entdecken und don einander unter—
fheiden fan. 2). Se unbefanter die Dinge find, die wir
dennoch zu unferfheiden vermögend ſind, deſto groͤſſer iſt
die Scharfſinnigkeit. Es iſt gar Feine Kunſt, den Unter—
ſchied folcher Dinge zu erfennen, Die uns täglich vor Den
Augen ſchweben, mit denen wir in einer langen Bekannt⸗
(af ftehen, und die wir fehr lange betrachten. Wenn
wir aber, gleich bey der erften Befanntfchaft mit der Sa-
che, ihre KR De entdecken fönnen, fo muß un:
fere Scharfſinnigkeit groß feyn. 3) Se hheremftättiehs
der, ähnlicher und gleicher Diejenigen Dinge einander find,
deren Unterfchied. wir entdecken koͤnnen, defto geöffer ift un:
fere Scharflinnigfeit. Schwarz und weiß don eittander
zu unterfcheiden, Eofter gewiß wenig Nachdenken, Wenn
alſo Dinge offenbar von einander unterfchieden find, wenn
jie
»60 Don dem feharfjinnigen Wine.
fie ‚bey nahe gar ‚Feine Uebereinftimmung mit einander zu
haben fcheinen, alsdenn verräth man, Durch die Entdeckung
ihrer Berfchiedenheit, nur einen fehr geringen Grad der
Scharffinnigfeit. Allein dazu geboren ſchaͤrfere Blicke,
wenn man die Verſchiedenheit folher Dinge entdecken will,
welche bey nahe ganz einerley zu fern feheinen, und deren
Berfchiedenheit ſehr unmerklich und verſteckt iſt. Daher
diejenigen Gelehrten eine ausnehmende Scharfſinnigkeit an
den Tag legen, welche von den meiſten andern Menſchen
unbemerkte Unterſcheidungen entdecken, 4) Se mehrere
und mannigfaltigere Verſchiedenheiten, Unaͤhnlichkeiten
und Ungleichheiten, man entdecken kan, deſto groͤſſer iſt die
Scharfſinnigkeit. Es iſt alſo allemal ein Beweis der
Groͤſſe dieſes Vermoͤgens, wenn man im Stände iſt, Din⸗
ge ſo mit einander zu vergleichen, daß unendlich viele Un—
terſcheidungsſtuͤcke entdeckt werden. 5) Je groͤſſer Die
Verſchiedenheiten der Dinge, und je wichtiger und erhebfi-
cher fie find, welhe die Scharffinnigkeie entdeckt, deſto
gröffer ift dieſes Vermögen. Es ift alfo ein Beweis einer
gröffern Bollfommenbeit dieſes Erkenntnißvermoͤgens,
wenn man die innerlichen, nothwendigen und mefentlichen
Berfihiedenbeiten in den Dingen entdedt, als wenn man
nur Aufferliche, zufällige und auſſerweſentliche Berfchieden-
beiten gewahr wird, 6) Je ſtaͤrker die fremden Vorſtel
lungen find, welche vor der Würffämfeit der. Scharffin:
nigkeit in der Seele da geweſen, oder mit-ihr zugleich da
find,. deſto gröffer muß dieſes Vermögen feyn, wenn es
demohneraihtet im Stande ift, aller Diefer vielen Hinder:
niſſe ohnerachtet, fcharffinnig zu denken. Wer ſich vor:
laͤufig alle fremde Gedanken aus dem Sinne ſchlagen muß,
wenn er einen Unterſchied der Dinge einſehen will, und wer
zu eben der Zeit nichts anders denken muß, der verraͤth
die Schwache feiner Scharffinnigfeit, 7) Je leichter und
geſchwinder die Scharffinnigfeit Die Verſchiedenheiten ent-
decken Fan, deſto gröfler ift fie. Je ſchwerer es ihr aber
wird, einen Unterfchied einzufeben, und je langfamer Hai
Ne
Don dem feharfjinnigen Witzʒe. | 151
Einſicht erfolget, deſto ſchwaͤcher und kleiner iſt ſie; und
8) je ſtaͤrker und beſſer, je klaͤrer, richtiger und gewiſſer
die Scharfſinnigkeit den Unterſchied der Dinge erkennt,
deſto groͤſſer und vollkommener iſt ſie. Eine Scharfjin-
nigkeit muß ſehr klein und unvollkommen ſeyn, welche uns
nur ſehr ſchwache, dunkele, unrichtige und ungewiſſe Be—
griffe, von den Verſchiedenheiten der Dinge, verſchaffen
fan, ’
$.. 57.
Witzige Vorftellungen find alle Boritellungen,
welche von dem Wige gewürft werden. Go ofte wir alfo
uns die Hebereinftimmungen der Dinge vorftellen, fo ofte
haben wir wißige Vorſtellungen. emeiniglich verjteht
man, durch wigige VBorftellungen, nur diejenigen Vorſtel—
lungen der Webereinftimmungen der Dinge, welche durch
einen geöflern und vollfommenern Grad des Witzes ges
wuͤrkt werden, und man nennt fie auch manchmal alsdenn
Spielwerke des Witzes. Scharffinnige Dorftellun-
‚gen find alle Borftellungen, welche durch die Scharfſinnig—
keit gewuͤrkt werden; folglich alle Borftellungen der, Ver—
fchiedenheiten der Dinge. Manchmal aber nimt man die:
ſes Wort in einer engern Bedeutung, und verſteht Darun-
ter nur diejenigen Vorftellungen der Berfchiedenheiten der
Dinge, ‚welche durch einen gröffern und vollfommenern
Grad der Scharffinnigkeit gewuͤrkt werden, und alsdenn
heiffen fie auch feine Gedanken, oder Subtilitäten.
Nun find wie Menfchen den Irrthuͤmern bergeftalt unter
worffen, daß wie in allen Arten unferer Borjtellungen ir—
ren fönnen. Folglich gibt es auch falfche wisige, und fal=
fche fharflinnige Borftellungen. Jene beiffen ein Blend—
werk des Witzes, und viefe leere Spisfindigkeiten.
So ofte wir ung alfo Dinge als einerley vorftellen, die cs
richt find, oder fo ofte wir uns eine Uebereinftimmung uns
ter ihnen vorftellen, in welcher fie nicht fteben, oder fo ofte
wir fie uns in einem höhern oder gevingern Örade als einer:
ley vorftellen, als fie es in der That find: fo ofte macht
3. Theil, & uns
162 Von dem febarfjfinnigen Witze.
uns unfer Wis ein Blendwerf vor. Als wenn z. €. die
Materialiften die Gedanken der Seele, mit den materialis
ſchen Bildern des Gehirns, für einerley halten, und man
findet, in allen fehlechten Dichtern, genung Biendwerk des
Wiges. Eben fo find es leere Spisfindigkeiten, wenn man
fih Dinge als verfchieden vorfielt, die es nicht find, ‘oder
wenn man unter würflich verfchiedenen Dingen eine andere
Verfchiedenheit annime, als zwifchen ihnen Amgetroffen
wird, oder wenn man fie in einem höbern oder geringern
Grade für verfchieden hält, als fie es in der That find.
So unterfcheiden manche Weltweife, durch eine leere Spitz⸗
findigfeit, von den Gubftanzen und Aecidenzien die weſent—
lichen Stücke, da fie doc) nichts anders als Accidenzien
find, und fo find, die Schriften der Gelehrten in allen
Theilen der Gelebrfamkeit, mit dergleihen Spigfindigfeis
ten angefuͤt. Nun gibt es Gedanken, die weder durch
den Wis allein, noch durdy die Scharfjinnigfeit allein ges
wuͤrkt werden, fondern welche durch einen feharffinnigen
Wis, und durch eine witzige Scharffinnigfeit hervorge—
bracht werden, und man Fan diefelben finnreiche Vor-
frellungen nennen. Sind diefelben nun ſinnliche Vor—
fteflungen, und in einem hoben und merflichen Grade voll«
fommen, fo heiffen fie artige Einfaͤlle, und ein artiger
Einfall, bey dem man zunachft die Abficht Hat ein Sachen
zu erwecken, wird ein Scherz genannt. Es ift unnöthig
die Weitläuftigkeit zu begeben, und dieſe Erflärungen
durch Benfpiele zu erläutern; weil dergleichen Benfpiele
einem jedweden befannt find. Und id) babe dieſe Arten
der Borftellungen nicht nur in meiner Aeftherif, fondern
auch in meinen Gedanken von Scherzen ausführlich abge:
handelt,
$. 574
Alte Dinge in der Welt find theils einerlen, theils
von einander verfihieden, und es gibt eine allgemeine Aehn⸗
lichkeit, Unaͤhnlichkeit, Gleichheit und Ungleichheit unter
allen Dingen in der Welt $. 445. Wenn alfo die Geele,
ihre
Don den feharffinnigen Wise, 163
ihre Vorſtellungen der Uebereinftimmungen und Verfchie-
denheiten der Dinge, felbft würft, fo bedarf fie dazu Feiner
andern Kraft, als derjenigen, wodurch fie fich die Welt vor:
ftelt. Denn wenn fie ſich durch dieſe Kraft die Welt vor.
ftelt, mie fie ift, fo muß fie aud) nothwendig, Die Leber
einftimmungen und Berfchiedenheiten der Dinge in der
Welt, entdecken. Und folglidy werden alle wißigen und
ſcharfſinnigen Berftellungen, in fo ferne fie Handlungen der
Seele find, durch Die Borftellungskraft der Welt nach der
Stellung des Leibes gewuͤrkt $. 488. Man merft daher
auch bey Fleinen Kindern fchon, daß bey ihren Empfinvun:
gen, fo bald fie klar werden, ſich auch diefe Erfenntnißver-
mögen zu aͤuſſern anfangen, und eben das geſchieht bey al-
len übrigen Arten der Borftellungen, ohne daß man den
Vorſatz haben folte, die Lebereinftimmung oder Berfchie:
denheif zu entdecken; fondern wir erfennen in der Kindheit
die Uebereinftimmungen und Berfchiedenheiten der Dinge,
nachdem fie gegen unfern Körper fo oder anders geftelt find,
Nun lehrt uns ferner die Erfahrung, daß mir, die Ucber-
einftimmungen und Berfchiedenheiten, entmeder deutlich
oder undeutlich erfennen, Wir fünnen in einem Gleich—
niffe, in einer Allegorie, oder in den allgemeinen Begriffen
der Wiffenfchaften, die Lebereinftimmungen der Dinge fehr
deutlich denfen, und die Lebereinftimmungsftüce, welche
3. E. die endlichen Geifter und GOtt mit einander gemein
haben, nach) einander her erzählen. Allein wie ofte ſtellen
wir uns nicht, die Nehnlichfeiten der Dinge, bloß undeurs
lid) vor ? Eben fo verhält es ſich auch, mit den Verſchie—
denheiten der Dinge. Wir Fönnen fehr deurlich denfen,
wie GOtt von den Creaturen unterfchieden fen; allein die
verfchiedenen Arten der Farben, des Geruchs, des Ge:
fhmads w ſ. w. unterfcheiden wir nur undeutlich von ein-
ander. Folglich ift der Wig entweder ein finnlicher
Witz, oder ein vernünftiger. 'yener ift das Vermös
gen, die Webereinftimmungen der Dinge undeuelich zu er:
fennen, diefer aber das Vermögen diefelben deutlich zu er-
2 fennen,
164 Don dem feharfjinnigen Witzʒe.
kennen. Die finnliche Scharfjinnigkeit it das Ver—
mögen, die Berfchiedenheiten ver Dinge undeutlich zu er—
fennen, die vernünftige aber ift das Vermögen, dieſel—
ben deutlich zu erfennen. And es ift vor fich Flar, was
der finnliche und vernünftige feharfjinnige Witz fen.
Jener ift eins der vornehmſten und wichtigiten Stüde des
fihönen Geiftes. Folglich handelt auch die Aeſthetik von
der Berbeflerung, und den rechten Gebrauche des finnli=
hen feharffinnigen Wiges, desgleichen von den ſinnreichen
Gedanken, und dem Vortrage derfelben 9.527. Es ift
befonders, daß ein Menſch, nad) Verſchiedenheit feiner Les
bensart, feiner Hebungen, und feiner natuͤrlichen Einrich—
tung, in einigen Stuͤcken fehr ſinnreich denken Fan, in ans
dern aber fo fehlecht denkt, daß es fcheint, als babe er we—
der Wis noch Scharffinnigkeit, und daß er alsdenn von
$euten überfroffen wird, die viel fchlechtere Gemürbsfräfte
haben. So fan, ein Mathematiker und Metapbyfifer, eine
ungemeine und feltene Scharffinnigkeit in den Wiſſenſchaf⸗
ten an den Tag legen, und demohnerachtet nicht im Stan-
de fenn, das Lächerliche und Abgeſchmackte in der Kleidung
zu beobachten. ı Das madıt, die Erfenntnißvermögen un—
ſerer Seele koͤnnen nicht allwiffend werden, |
$. 575.
Alle Vermoͤgen unferer Seele beftehen in folchen:
Möglichkeiten zu handeln, vermöge deren die Seele, auch
in ihrer Verknüpfung, in welcher fie mit ihrem Leibe ftebt,
handeln fan. Folglich find fie ſaͤmtlich bedingte Vermoͤ⸗
gen $.170.° Da num, ein jedwedes groͤſſeres bedingtes
Bermögen,eine Fertigkeit genannt wird $. 177, fo find alle
geöffere und merklichere Grade aller Erfenntnißvermögen,
und aller übrigen Bermögen der Seele, Fertigfeiten. Die
Fertigkeiten der Erkenntnißvermoͤgen werben, theoretifche
Fertigkeiten, genannt, wohin z. E. der Wis und Die
Scharfſinnigkeit im engern Berftande, ſamt dem feharffin-
nigen Witze gehören $. 567. 570. 573, desgleichen die Fer—
tigkeit zu empfinden, und ſich etwas einzubilden. Durch
eine
Von dem feharffinnigen Wise, 165
eine Uebung verftcht man die öftere MWiederhofung einer
und eben derfelben Handlung; oder wenn man, zu verfchie-
Denen Zeiten, viele Handlungen von einerley Art vornimt,
So übt man ſich in einer Sprache, wenn man ofte in der:
felben Sprache redet und ſchreibt. Nun babe ich 9. 171.
erwiefen, daß eine Fertigfeit in einer Handlung. entftehr,
wenn man diefelbe ofte thut: dieſes gefihieht aber bey einer
jedweden Lebung, folglich Fan man durch Lebungen nicht
nur Fertigkeiten erlangen, die man nod) nicht gehabt, fons
dern auc) diejenigen, die man ſchon befigt, vermehren, So
fan man durch Hebung nicht nur eine Fertigkeit in einer
Sprache zu reden erlangen, Die man noch) gar nicht gehabt,
fondern man Fan auch, Durch Uebungen, die Fertigkeit in
einer Sprache gewaltig vermehren, Und eben das gilt
auch, von den Fertigkeiten der Seele, Alle Fertigkeiten
der Seele find entweder natürliche, oder übernatürliche $.
406 413. Die übernatürlichen Sertigkeiten können
auch, göttliche Gaben, genannt werden. So befamen die
Apoftel, durch ein Wunderwerf, Die Fertigkeit fremde
Sprachen zu reden, In der Weltweisheit Fan: man von
dieſen Fertigkeiten nichts weiter fagen, als was wir in der
Eofmologie, von allen hbernatürlichen Begebenheiten, ges
kehrt haben. So viel aber ift gewiß, daß Diefe Fertigkei—
ten nicht durch Uebungen erlangt werden, und wer nidje
alle Wunderwerfe leugnet, der muß fagen, daß man irre,
wenn man eine Fertigkeit Durch eine Seichtigkeit zu handeln
erklärt, welche man durch Uebung erlangt er müfle denn,
aus einer lächerlichen Halsftarrigkeit, diefe Erklaͤrung ‚wer:
theidigen, und fagen, Daß übernatürliche Sertigfeiten Feine
Sertigfeiten Fönnten genannt werben. Es bat Weltweife
gegeben, welche fo fehr geſchwaͤrmt haben, daß fie vorge:
geben, ihre Weltweisheit fey eine hbernatürliche Fertigfeit,
und ein folher Menfch nenne ſich einen Theofophus; Die
natürlichen Fertigkeiten werden entweder durch Die Hebung
nach und nad) erlangt, oder nicht. Jene heiſſen die er⸗
langten Sertigfeiteis, bey denen Feine — vor⸗
83 omt.
66 Don dem feharfjinnigen Witzʒe.
komt. Die legtern aber werden, angebohrne Sertigkei:
ten, genannt, Wer in der Erklärung fehon annimt, das
eine jediwede Fertigkeit Durch Hebung erlangt werde, der
nimt Feine angebohrne Fertigkeiten an, fondern er nennt
Das, was eine angebohrne Fertigkeit genannt wird, KIas
turgaben, oder angeborne und natürliche Geſchicklichkeiten.
"Allein das ift eine Kleinigkeit, und es enrfteht daher bloß
ein Streit über Worte. Die Hauptfache betrift die Fra—
ge: ob einem Menfchen, ein fo groffer Grad eines Ver—
mögens der Seele, koͤnne angebohren werden, den die mei=
ften Menfchen nur durch Hebung erlangen ? Und da muß
diefe Frage, bloß durch die Erfahrung, entfchieden werden.
Ein geborner Dichter bringt einen fo groffen Grad des
Witzes mit auf die Welt, den die meiften andern Men—
fehen erft durch Lebung erlangen muͤſſen. Man nehme
zwey Kinder, und übe fie in einerley Handlung auf einer:
ley Art. Warum komt eins dem andern, in fo furzer
Zeit, ofte unendlich weit vor? Man Fan bier feinen bef-
fern Grund angeben, als weil das erfte einen groflen Grad
der Erkenntnißvermoͤgen mit auf die Welt gebracht hat,
den das andere erft erlangen muß.
576.
Je gröffer eine Fertigkeit ift, deito leichter und ge-
ſchwinder wächft fie durch Uebung. Denn je gröffer die
Sertigfeit eines Menfchen in einer gewiſſen Handlung ift,
defto ofter, leichter, geſchwinder und in einem defto gröf-
fern Grade Fan er diefe Handlung wiederholen, oder fich
ferner üben, Je mehr er fih übe, defto gröffer wird die
Fertigkeit $. 17.. Wenn man eine Sprache lernt, fo fan
matt, die erften Uebungen, fehr ſchwer, langſam und in ei-
nem fehr Fleinen Grade verrichten, folglich nimt man die
eriten Wochen Faum merflich zu, endlich aber kan man in
einem Tage mehr zunehmen, als im Anfange in ganzen
Monathen. Aller Anfang in allen Handlungen ift ſchwer,
weil wir noch gar Feine, oder nur eine fehr Eleine Fertigkeit
in denfelben befigen, In einem je höbern Grade uns alfo
der
Von den fcharfjinnigen Wise, 167
der Wis, die Scharffinnigfeit, und alle übrige Bermögen
der Seele angebohren find, deſto leichter und geſchwinder
fan man fie durch Lebungen vermehren. Und dieſes be-
ftätiget die Erfahrung bey allen Kindern, die einerley Un—
terricht und Erziehung genieffen, deren ‚einige allemal in
einerley Zeit viel weiter fommen, als vie andern. Kin
Menfch der einen merklichen Mangel an Wise hat, wird
ein dummer Kopf genannt, und wen die Scharffinnigs
Feit merflich mangelt, ift ein ftumpfer Kopf. Und wenn
beyde Kräfte zuſammen bey einem Menfchen fehr Flein find,
fo wird er ein abgeſchmackter Menſch genannt. Da
nun, aufdem Wise und der Scharffinnigfeit, ein fo grof:
fer und wichtiger Theil der menfchlichen Erfenntniß beru-
het; fo erhellet daraus, wie elend die Erfenntniß abge:
ſchmackter Köpfe feyn müffe. Sie find zur gelehrten Er-
Fenntniß eben fo vollfommen ungeſchickt, als zur ſchoͤnen
Erkenntniß. Die allgemeinen abftracten Unterfuchungen
in den Wiſſenſchaften gaffen fie verdugt an, und fehen
nichts, und die fehönften und finnreichiten Gedanfen hören
fie mit aufgefpertem Munde an, es ſumt ihnen dabey im
Kopfe, und koͤnnen fich nicht begreifen, was fie dabey den-
fen follen. Auch in allen übrigen Gefchäften des menſch—
tichen tebens verrathen fie die Plumpheit ihres Gehirns,
alles greifen fie auf eine ungefihickte Art an, und fie fihei:
nen.von ber Natur ganz verwahrlofet zu feyn.
8. 577:
Damit man die Wichtigkeit des Wises und der
Scharfſinnigkeit noch befler erfenne, fo wollen wir noch
zweyerley bemerken. ° Einmal, alie Irrthuͤmer entftehen,
durch die Verblendung des Wiges. Denn, wenn wit itz
ren, halten wir entweder das Falfıhe für wahr, oder das
Wahre für falfch. Da nun das Wahre und Falſche him—
melweit von einander: unterfchieden find, fo koͤnnen mir
nicht andere irren, als wenn wir verfehiedene Dinge, in fo
ferne fie von einander unterfchieden find, für einerlen hal⸗
fein und es entftehen mac; alle Irrthuͤmer, durch ein
$ 4 Blend⸗
168 Don dem fcharffinnigen Wise,
Blendwerk des Wises 9.573. Die Erfahrung lehrt auch,
daß die wißigften Köpfe, wenn fie fich bloß auf die Ver-
gröfferung des finnfichen Wißes legen, die meiften und
groͤbſten Irrthuͤmer ausbeden, und Irrende koͤnnen auch
ihren Irrthuͤmern auf keine geſchicktere Art den Schein der
Wahrheit geben, als durch witzige Gedanken. Zum an—
dern kan kein Irrthum, ohne Scharfſinnigkeit, entdeckt,
und vermieden werden, Wir koͤnnen den Irrthum nicht
anders entdecken und vermeiden, als wenn wir das Wahre
von dem Falſchen unterſcheiden, und die Verſchiedenheit der—
jenigen Vorſtellungen und Sachen einſehen, aus deren
Verwechſelung der Irrthum entſtanden iſt; folglich nicht
anders, als vermittelſt der Scharffinnigfeit $. 570. Die
Serthümer geben daher allemal die Gelegenheit zu Subtiz _
litaͤten, und deren Erfindung. Wenn eine Wahrheit zu-
erst unter den Menfchen befannt gemacht wird, fo wird fie
fchlecht und recht vorgetragen, und geglaubt, Alsdenn fin-
ven ſich nad) und nach Seute, welche fie leugnen und Irr—
thuͤmer ausbeden, indem fie Sachen mit einander verwech—
jeln, die von einander verfchieden find. Was wollen nun,
die Freunde der Wahrheit, tbun ? Sie Fönnen fih nicht
anders helfen, als wenn fie durch Subtilitäten diefe Ver—
wirrungen entdecken: denn fie find das Gegengift der Irr—
thuͤmer. So iſt es, in der Gottesgelahrheit, gegangen,
da die theologifchen Subtilitäten erft entitanden find, nach-
dem die Kegereyen entftanden. Wer alfo ein Feind der
Eubtilitäten ift, der verräth entweder einen ftumpfen Kopf,
oder er iſt ein heimlicher Beförderer und Patron der Irr—
thümer, oder er befördert die Irrthuͤmer ohne fein Willen
und Willen. : Hieraus ift leicht zu erachten, was man von
denjenigen zu halten hat, welche die heutige Gottesgelahr—
heit als eine ſtroherne Wiffenfchaft verachten, und wuͤn—
fhen, daß fie in ihre erſte Einfalt wiederum zuruͤckkehren
möge. Ja hieraus: erheflet‘ zugleich, warum der Schein:
beweis eines Irrthums, und ein Einwurf wider eine
Wahrbeit, leichter und Fürzer vorgefragen werden Fan, als
die
Von dem Gedächtniffe. 169
die Beantwortung deffelben. Jener bedarf Feiner Scharf:
finnigfeit, wohl aber die leßtere. Und da die meiften
Menfchen, wenig Scharffinnigfeit und wahren Wis, bes
fisen, fo werden die Feinde dee Wahrheit allemal, unter
den Menfchen, mehr Befall finden, als ihre Bertheidi-
ger, Wie betrübt ift nicht, in diefem Puncte, das Schick,
fal der Menfchen !
RER KETTE FE FREE FEN KK KR HERR
Der vierte Abfchnitt,
Don dem Gedaͤchtniſſe.
9. 578.
Man ſtelt ſich das Gedaͤchtniß gemeiniglich als ein Be⸗
haͤltniß der Vorſtellungen vor, in welchem die Seele
dieſelben aufbewahrt, und aus welchem ſie dieſelben beduͤr—
fenden Falles wieder herausnimt. Nun kan man dieſe
Erklaͤrung zwar als ein ganz gutes Gleichniß anſehen, wo—
durch der Begrif von dem Gedaͤchtniſſe erlaͤutert werden
kan; allein man betruͤgt ſich, wenn man ſie fuͤr eine rich—
tige logiſche Erklaͤrung des Gedaͤchtniſſes haͤlt. Die Ein—
bildungskraft iſt eigentlich dasjenige Vermögen, welches
uns unfere vordem gehabten Vorftellungen wieder ins Ger
müth bringt, und das Gedaͤchtniß erkennt fie wieder für
diejenigen Borftellungen, die fie vordem gehabt hat. Nem—
lich wenn eine Borftellung, die wir ſchon gehabt haben,
uns wieder ins Gemuͤth Fomt, und mir erkennen, daß es
eben diejenige fey, Die wir vordem gehabt haben, fo erken⸗
nen wir fie wieder, oder wir erinnern uns derfelben.
Die Erinnerung befteht alfo in der Erfenntniß, daß die
Borftellung, welche uns die Einbildungsfraft wieder ins
Gemuͤth bringt, mit derjenigen einerley fen, die wir vor:
dem gehabt haben, Wir fagen auch, daß wir ung einer
Sache erinnern, wenn wir fie uns vorftellen, und zugleich
erfennen, daß es eben diefelbe Sache few, die wir vor die-
fer Zeit gefehen, gehört, oder auf irggnds eine andere Art
25 ung
!
{70 Don den Bebdächtniffe.
uns worgeftelt haben. Manchmal ftellen wir uns, unfere
vergangenen Borftellungen, famt ihren Gegenftänden, wie-
der vor, ohne uns zu erinnern, daß wir fie fhon gehabt
haben. Cs gefchiebe ofte, daß wir einen Menfchen fehen,
den wir ſchon vordem gefannt haben; aflein wir erinnern
uns beffelben nicht glei. So bald wir aber erfennen,
daß wir vordem zu der und der Zeit, oder an dem und dem
Orte, dieſen Menſchen ſchon geſehen haben, ſo bald ſagen
wir, daß wir uns ſeiner erinnern, oder ihn wieder erken—
nen. Ofte haben wir, vor einigen Tagen, etwas gelefen
oder gehört. Wir werden heute gefragt, ob mir es nicht
gelefen oder gehört haben? Manchmal Ffünnen wir uns
nicht erinnern, ob wir uns gleich vorftellen, was mir gele-
fen oder gehört haben follen. So bald wir aber erfennen,
daß es eben Das fey, was wir gelefen und gehört haben, fo
bald fagen wir, daß wir uns deflen erinnern. Es find
alfo zweyerley Veränderungen, Die nicht immer beyſammen
find : einmal eine vorhergehabte Borftellung wieder ins
Gemürh bringen, und zum andern derfelben fic) erinnern,
Das erfte thut die Einbildungsfraft, und fan ohne dem
legten gefchebenz das legte thut das Gedaͤchtniß, uud ſetzt
allemal das erfte voraus, Nemlich das Bedächtnif iſt
das Vermoͤgen, ſich derjenigen Vorſtellungen, die uns wie—
der ins Gemuͤth gebracht werden, zu erinnern. Da wir
nun taͤglich erfahren, daß unſere Seele ſich vergangener
Vorſtellungen erinnert, ſo haben wir unleugbar ein Ge—
daͤchtniß. Die Einbildungskraft bringt die Vorſtellungen,
welche ſo zu reden von dem Schauplatze der Seele abgetre—
ten ſind, wieder auf denſelben, und das Gedaͤchtniß erkennt
ſie wieder, oder ſtelt uns vor, daß es eben diejenigen ſind,
die ſchon auf demſelben dageweſen ſind. Folglich ſtelt uns
das Gedaͤchtniß, die Uebereinſtimmung einer gegenwaͤrti—
gen Einbildung mit der vergangenen Vorſtellung, in einem
ſolchen Grade vor, daß wir daher erkennen, daß ſie beyde
einerley ſind, oder daß jene keine andere Vorſtellung als
dieſe ſey. Dieſes ſtelt uns das Gedaͤchtniß entweder —
deutli
Don dem Gedächtniffe. | 171
deutlich vor, und das heißt das ſinnliche Gedaͤchtniß;
oder deutlich, und das iſt das vernuͤnftige Gedaͤchtniß
§. 574. So erinnern wir ung ofte deutlich ganzer Stellen,
die wir in Schriftftellern gelefen haben, und find uns ofte
vieler Merfnrale bewußt, woran wir uns einer Sache er—
innern; manchmal aber erinnern wir uns nur der Dinge,
auf eine verworrene Art, z. E. in dem fäglichen Umgange
mit Perfonen, die wir unzähligemal gefehen haben. Das
Gedaͤchtniß ift nichts anders, als die Aufmerffamfeit auf
die Uebereinftimmung einer gegenwärtigen Einbildung, mit
einer vergangenen Borftellung 9.567. Und es befteht-alfo
in nichts anders, als in Der Möglichfeit, unfere Vorſtel—
lungsfraft, auf die Uebereinftimmung der gegenwärtigen
Vorſtellungen mit den vergangenen, zu lenfen, Ohne
Einbildungskraft würden mir alle unfere Borftellungen
gleich wieder verliehren, und wenn wir eine Einbildungs-
fraft ohne Gedaͤchtniß befaflen, fo würden wir zwar unfere
einmal erlangten Borftellungen behalten, allein wenn auch
eine davon unzähligemal uns wieder ins Gemuͤth Fäme, fe
würden wir fie doc) allemal für eine ganz neue Vorſtellung
halten, die wir noch niemals gehabt hätten, und es würde
uns alfo der Vorrath unferer erlangten Borftellungen ei
nichts helfen,
$. 579.
Das Gedaͤchtniß fan unmöglich eher eine gegenmär-
tige Vorſtellung wieder für diejenige erfennen, die wir
fchon vorher einmal oder etlichemal gehabt haben, bis nicht
die Einbildungskraft, die vergangene Vorſtellung, uns wie—
der ins Gemuͤth gebracht hat $. 578. Und das fan, auf
eine zweyfache Art, gefchehen. Einmal wenn wir diejeni-
ge Sache jegt wieder empfinden, die wit ſchon vordem em⸗
pfunden haben, als wenn wir einen Menſchen ſehen, den
wir ſchon vordem geſehen haben. Alsdenn ſtelt die Ein-
bildungskraft, die vergangene Empfindung, neben die ge—
genwaͤrtige, und das Gedaͤchtniß erkennt alsdenn, daß bey—
de einerley ſind. Und zum andern, wenn uns die Einbil-
Dungs:
m Von dem Gedächtniffe.
dungskraft eine vergangene Vorftellung noch einmal ins
Gemuͤth bringt, und alsdenn eben die Vorftellung, fo wie
wir fie vordem ein anderesmal gehabt haben, neben jene
ftelt, da denn das Gedachtniß ebenfals erkennt, daß beyde
einerley find; als wenn wir z. E. einen abwefenden Freund
uns jeßo vorftellen, und erfennen, daß wir uns ihn jetzo
eben fo vorftellen, als wie wir ihn vor fo oder fo viel Zeit,
in diefen oder jenen Umftänden, gefehen und gefprochen has
ben. Es ift demnach klar, daß das Gedächtniß allemal,
die Würffamkeit der Einbildungsfraft, vorausſetze. Selbſt
aber ift es nichts anders, als eine Art des Witzes, indem
es nichts weiter thut, als daß «8 uns Die Hebereinftimmung
einer gegenwärtigen Borftellung, mit einer oder mebrern
unferer vergangenen Borftellungen, zu erkennen gibt $. 578.
567. Folglich wuͤrkt das Gedaͤchtniß allemal, nach folgen-
der Regel: wenn wir eine gegenwärtige Vorſtellung
mit vergangenen vergleichen, und in jener Merk⸗
male oder Theile gewabr werden, die wir auch in
diefen gewahr werden, fo ftellen wir fie uns als eis
nerlep vor, oder wir erinnern ums der vergangenen
.567. Da nun die Einbildungskraft fo wohl, als aud)
der Wis, durch die Vorftellungskfraft der Welt nach der
Stellung des Leibes gewuͤrkt wird $. 555. 574, fo wird aud)
das Gedächtniß, durch Diefe Kraft, geroürft, Und es iſt
demnach nichts anders, als eine gewiſſe Are und Weiſe, wie
ſich die Vorftellungskraft der Welt in der Seele änffern
und gefchäftig erweiſen Fan.
§. 58%
Die fägliche Erfahrung iehre uns, daß wir uns mans
cher vergangenen Borftellungen und Sachen ſehr leicht,
mancher aber fehr ſchwer oder gar nicht erinnern koͤnnen.
Wenn wir uns nun eine Sache dergeftalt vorftellen, daß
wir uns derfelben Fünftig fehr leicht wieder erinnern, koͤn—
nen, fo fagen wir, daß wir die Sache zu behalten fu«
chen, oder daß wir fie unferm Gedaͤchtniſſe anvertrauen
und einprägen.: Geſetzt, daß jemand, öffentlich eine Rede
halten
Don dem Gedaͤchtniſſe. 173
halten wolle, und daß er fie von Wort zu Wort auffihrei-
be: fo fucht er fie zu behalten, oder er memorirt fie, oder
er lernt fie ausmendig, wenn er verurfacht, Daß er alsdenn,
wenn er die Rede halten foli, fich derfelben fehr leicht erins
nert. Durch dieſes Gefchäfte befordern wir alfo das Ge—
daͤchtniß, und wir fehen aus dem vorhergehenden Abfaße,
daß dieſes nicht anders möglich) ift, als wenn wir die Em—
pfindung, die Einbildung, und den Wis aufs möglichfte
befördern. Wer alfo etwas behalten will, der muß 1)daf-
felbe ofte und in einem hohen Grade zu empfinden fuchen,
nad) den: Kegeln des 540. Abſatzes. Je öfter wir eine
Sache empfinden, und. in einem je höhern Grade wir fie
empfinden, defto leichter koͤnnen wir uns derfelben erinnern;
weil wir Dadurch in eine gröffere Bekanntſchaft mit, derfel=
ben Sache fommen, und. um fo vielmehr Merkmale an ihr
Fennen lernen, wodurch wir fie deſto leichter wieder erfens
nen fonnen, Daher: fomts, daß, wenn mir eine Perfon
bey vecht hellem Lichte fehen, und fie betrachten als wenn
mir fie durchſehen wolten, wir uns derfelben fehr,leicht wies
der erinnern koͤnnen. Sehen wir fie aber bey der Abend-
demmerung mit einem flüchtigen Blicke, fo können wir ung
derfelben manchmal nach einer Stunde nicht wieder eritie
nern. Daher pflegen diejenigen, welche fich auf eine df-
fentliche Rede vorbereiten, diefelbe, ſehr ofte durchzuleſen
und berzufagen, damit fie eine deſto öftere und ftärfere
Empfindung von derfelben befommen. 2) Man muß fich
die Sache fehr ofte und in einem hohen Grade, durch die
Einbildungsfraft, vorftellen, nach den Kegeln des 508, Ab⸗
faßes. Se öfter man ſich die Sache durch die Einbildungs-
Fraft vorftelt, und in einem je höhern Grade man diefes
thut, deſto leichter fan man fie behalten, So machen eg
alle diejenigen, ‚welche eine Nede auswendig fernen wollen,
indem fie diefelbe fehr ‚ofte auswendig vor ſich herfagen,
Nenn wir uns eine Sache fehr ofte, durch die Sinne und
Einbildungsfraft, vorftellen, fo entdecken wir eben fo leicht
die ebereinftimmung ber Borftellungen einer Sache zu
Ders
174 Don dem Gedaͤchtniſſe.
verſchiedenen Zeiten, als wir die Aehnlichkeiten der Dinge
die taͤglich uns vorkommen, erkennen, und als wir die Be—
griffe von einem Hunde, einer Taube, einem Pferde, in der
Kindheit erlangen, 3) Man ſuche Die Uebereinſtimmun—
gen, Aebnlichfeiten, Gleichheiten dererjenigen Borftelluns
gen einer Sache, Die man behalten will, in einem hoben
Grade zu erkennen, nad) den Regeln des 569. Abfaßes.
Folglich) muß man die Merfmale und Beftimmungen der
Sade, die man behalten will, allemal, fo ofte man fiefich
wieder vorftelt, recht ausführlich und Flar zu erfennen fu:
chen. Daher fomt es, daß wir ung einer Perfon fehr gut
erinnern fonnen, wenn wir fie das erftemal vom Haupte
bis zu Fuffe betrachten, und unendlich viel an ihr bemer:
fen, und wenn wir alle diefe mannigfaltigen Stüde ung
immer wieder vorftellen, wenn wir wieder von neuem an
fie gedenken ; und 4) muß man ſich aud) die Berfchiedenheit
der Sache, der man fich leicht erinnern will, von andern,
in einem hoben Grade der Bollfommenbeit vorftellen $.
572, damit man fie nicht mit andern verwechfele, und fich
einer andern Sache erinnere, wenn man fich ihrer erinnern
will. Wenn man fich die Begriffe in den Wiffenfchaften,
und ihre Benennungen, recht tief ins Gedaͤchtniß prägen
will, fo bemerft man’ ihren Unterfchied von denenjenigen
Begriffen und Namen, mit denen fie leicht verwechfelt wer:
den Fonnen, 2.
§. 581.
Wenn eine vergangene Vorſtellung uns wieder ins
Gemuͤth komt, fo find wir entweder im Stande, ung ders
felben zu erinnern, oder mir find dazu nicht vermögend,
Iſt das erfte, fo fagen wir, daß mir die Vorftellung und
ihren Gegenftand behalten haben, oder daß wir fie in
unferm Gedächtniffe haben, oder daß wir fie fehr wohl fen
nen. So fage ein Menfch, der nach vielen Jahren uns
befucht, daß wir ihn vielleicht nicht mehr Eennen. Wenn
wir ung nun feiner erinnern fonnen, fo fagen wir, daß wir
ihn noch ſehr wohl kennen, und daß wir fein Andenken er-
halten
Don dem Gedschtniffe. 175
halten haben. Wenn mir aber nicht vermögend find, uns
einer Borftellung und Sache wieder zu erinnern, fo fagen
- wir, daß wir fie vergeffen haben. Die Dergeffen-
heit iſt alfo das Unvermögen, fich einer Borftellung, Die
in unferm Gemüthe wieder hervorgebracht wird, zu erin:
nern; und fie befteht alfo in dem Mangel des Gedächtnif-
fes. So fagen wir, wenn ein Menfch zu uns Fomt, ind
fagt, er fen vor fo oder fo viel jahren bey uns gewefen,
daß wir diefes vergeffen haben, wenn wir uns deſſen nicht
erinnern koͤnnen. Im gemeinen Leben pflegt man auch zu
fagen, man habe eine Sache vergejlen, wenn fie ung gar
nicht wieder in die Gedanken fomt, Geſetzt, daß mich
jemand warum bitte, und ich zeichne es in meine Schrei»
betafel auf. Geſetzt, daß ich gar nicht in diefe Tafel ſehe,
und daß mir das aufgefragene Gefchäfte gar nicht wieder
einfält, fo pflegt man zu fagen, man habe es vergeffen,
Altein es gefchieht Hier zmeyerley, Einmal verläßt uns
die Einbildungsfraft, und bringe ung die vergangene Vor:
ftellung gar nicht wieder ins Gemuͤth. Daher entſteht
nun freylich nothwendig auch die Vergeſſenheit, allein die—
fer Mangel der Einbildungsfraft ift nicht felbft die Ver:
geflenbeit, Die Einbildungsfraft Fan ofte ihr Gefchäfte
verrichten, und man Fan demohnerachtet fagen, man habe
etwas vergeffen: denn es Fan uns eine vergangene Vorſtel—
lung wieder ins Gemuͤth gebracht werden, ohne daß mir
uns ihrer erinnern Fonnen, und alfo Haben wir fie demehn-
erachtet vergeffen. So geht es uns, wenn wir Wörter
vergeffen haben, die wir vordem gelernt hatten. Wenn
wir diefelben wieder leſen oder hören, fo erlangen wir wies
der die Vorftellungen, die wir vordem von ihnen gehabt
haben, und demohnerachtet müflen wir geftehen, daß wir
fie vergeffen Haben. Es ift ofte bemundernsmürdig, wie
unfere Seele manche Dinge vergeffen fan. Es hat $eute
gegeben, die ganze Wiffenfchaften, in denen fie groffe Mei-
fter geweſen, ganz wieder vergeffen baben, und manche
deute
+76 Von dem Gedächtnifje.
Seute haben ſich fo gar, ihres eigenen Namens, nicht mehr
erinnern koͤnnen.
g. 582
Wenn mir ung einer Sache erinnern wollen, fo find
wir ofte im Stande, uns derfelben in dem Augenblicke zu
erinnern, in welchem uns die Einbildungsfraft die verganz
gene Borftellung von derfelben wieder ins Gemüch bringt.
Alsdenn haben wir, die Sache, gar nicht vergefien. Wenn
wir einen Menfchen fehen, fo geſchieht es ofte, wenn er uns
ſehr befant ift, daß uns die Einbildungsfraft in dem Aus
genblicke, da er uns vors Öefichte komt, Die vergangenent
Borftellungen von ihm wieder ins Gemüch bringt, und daß
wir, in eben dem Augenblice, uns auch feiner erinnern.
Allein es gefchieht auch ofte, Daß wir uns einer Sache nicht
gleich wiederum erinnern Fünnen, wenn ihre Borftellung
uns wieder ins Gemuͤth komt. Es duͤnkt uns, als hätten
wir uns die Sache noch niemals vorgeftelt, und wir haben
fie alfo vergeffen. Mach einiger Zeit gefhieht es aber, daß
wir uns etwas vorftellen, vermittelft deflen wir uns deſſel⸗
ben wieder erinnern, und die Vergeſſenheit überwinden,
und daducch rufen wir diefe Suche wieder in unfer
Gedaͤchtniß zuruͤck. Und diefes gefghieht allemal, ‚oder
wenigſtens mebrentheils, vermittelft der Borftellungen, die
mit derjenigen vergefellfchafter waren, Die wir vergeſſen ha⸗
ben. Geſetzt, es werde von einer Perfon geſprochen, und
man fage, ich Eenne fie auch. Da gefchieht es nun manch⸗
mal, daß ich derfelben vergefien habe, und es Dünft mich,
als hätte ich Diefe Perfon niemals gekant, Allein wenn
ich eine Zeitlang an fie Denfe, und fonderlih wenn andere
fagen, fie wäre mit mie vordem an diefem oder jenem Drte,
in einer gewiſſen Gefeffchaft, gewefen, babe. diefes oder
jenes gethan, und was bergleichen Umſtaͤnde mehr find, fo
gebt mir ein Licht auf, ich erwache gleichſam von einem
tiefen Schlafe, und die Perfon zeigt ſich auf. dem Schau—
piaße meiner Seele, als wenn fie hinter ‚einem, Vorhange
bevoorfame, Folglich pflegen wir uns ofte einer Sache,
die
Von dem Bedächtniffe. 177
die wir vergeffen hatten, wiederum vermittelit folcher Vor—
ſtellungen zu erinnern, die mit ihr vordem in unferm Ges
muͤthe vergefellfchafter waren, und da fagen wir, daß wir
uns auf erwas befinnen. Wir haben alfo ein Vermoͤ—
gen, uns auf Sachen zu befinnen, die wir vergeffen hat—
ten, welches nach dieſer Kegel würftz man erinnere fich
einer Sache vermittelft der mit ihr vergefellfchaftes
ten Dorftellungen. So fünnen wir uns ofte vergange-
ner Sachen miederum, vermittelft der Vorſtellung des
Orts, erinnern, an welchem wir oder. die Sachen waren,
als mir fie fahen, hörten oder empfanden. Und das ift
das Gedaͤchtniß vermittelt des Dres. Eben fo be
finnen wir uns manchmal auf eine Sache vermiktelft der
Zeit, in welcher fie gefcheben, und vermittelt der Dinge,
Die mit ihr zugleich gefceheben., So pflegen auch gemeine
$eute fich gemifler Dinge zu erinnern, wenn fie ſich vorſtel—
len, fie feyn eben damals gefcheben, als fie Hochzeit gehals
tenu.f. m, Ja man kan fih auch auf gewiſſe Dinge,
vermittelft folcher Dinge, befinnen, die ihnen ahnlich find,
So geſchieht es ofte, daß man fich auf einen Namen wie:
der befinnt, wenn einem ein Wort einfält, welches faft eben
fo £lingt, oder vollfommen fo Flingt, ob es gleich eine ganz
andere Bedeutung hat. Da das Befinnen auf eine Sa:
che allemal eine Vergeſſenheit vorausfest, fo ift es eine
mangelhafte Art des Gedachtniffes. Unterdeſſen ift es doch
befjer, als wenn wir einer Sache ganz und gar vergeffen,
8. 583.
Das Gedaͤchtniß ift mannigfaltiger Vollkommenhei—
ten fähig, die man auch durch verfchiedene Benennungen,
fhon von langen Zeiten her, von einander unterfchieden
hat; mweil das Gedaͤchtniß eins von denenjenigen Vermoͤ—
) gen unferer Seele ift, welches man, fehon in den erften Zei-
ten der Weltweißbeit, fehr genau unterfucht hat: denn
die Würfungen und die Müslichfeit und Nothwendigkeit
defielben find fo augenfcheinlich, daß fie niemand unbemerfe
lafien Fan, der feine Seele irgends mit einiger Aufmerf:
3. Theil, M ſamkeit
178 Von den Gedbächtniffe.
famfeit unterfucht. Und da Eönnen,diefe Grade und Boll:
fommenheiten, folgendergeftalt von einander unterfchieden
werden. I) Je mehrerer und gröfferer Borftellungen und
Sachen wir uns erinnern Fonnen, defto geöffer und voll-
fommener ift unfer Gedaͤchtniß. Und ein Menfch, welcher
ein folches Gedaͤchtniß befißt, hat ein weit ausgedebntes -
oder groſſes Gedächtniß, und er Fan fehr viel behalten.
2. €. groffe Gelehrte, die eine ſehr weitlauftige Gelehrſam—
keit befigen, haben ein ſolches Gedaͤchtniß. Es ift eine
Unvollkommenheit, wern man wenig behalten Fan, und
wenn man fein Gedaͤchtniß, mit lauter Kleinigkeiten, an—
aefült Hat. 2) Je ſchwaͤcher die Einbildungskraft uns,
eine vergangene Sache, wieder ins Gemürh bringe, der
wir ung Demohnerachter wieder erinnern Fonnen, defto gröfs
fer ift das Gedaͤchtniß. Wenn uns die Einbildungskraft,
eine unferer vergangenen Borftellungen, in einem ſehr ho—
hen Grade der Stärfe und Lebhaftigkeit, wieder ins Ges
muͤth bringt; fo fallen uns die Kennzeichen, woran wit fie
wieder erkennen koͤnnen, um fo viel mehr in die Augen,
und es wird wenig Kraft Dazu erfodert, eine folche Vor—
fteffung wieder zu erkennen, Allein wenn ung die Einbil-
dungskraft, das Vergangene, nur mit fehwachen Zügen
wieder ins Gemuͤth bringt; fo beweift man’ eine befondere
Groͤſſe feines Gedächtniffes, wenn man fich derfelben dem-
öbnerachtet wieder erinnern Fan. 3) se feltener wir uns
eine Sache vorgeftelt haben, der wir uns erinnern koͤnnen,
deſto geöffer ift das Gedachtniß: denn wenn man Dinge
fehr oft gedacht hat, fo Fan man ſich derfelben ſehr leicht
erinnern, und es wird alfo zur Erinnerung derſelben wenig
Kraft erfodert. Und diefe Vollkommenheit des Gedächt:
niffes, vermöge deren es im Stande ift, uns auc) folcher
Dinge zu erinnern, Die wir felten uns vorgeftelt haben,
wird die Faͤhigkeit des Bedächtniffes genannt, und
man Fan, vermöge derfelben, geſchwinde etwas behalten.
Manche Rinder dürfen einen Spruch nur wenigemal hoͤ—
ven oder lefen, fo fonnen fie ihn auswendig, und Die haben
ein
x ei See ee a
Don dem Gedächtniffe. 179
ein fähiges Gedaͤchtniß; andere müffen unzahligemal den-
felben berfagen, ehe fie ihn auswendig fünnen. 4) Nach
je längerer Zeit wir uns einer Sache wieder erinnern koͤn—
nen, und mit je mehrern und flärkern Vorſtellungen von
anderer Art wir uns, die Zroifchenzeit über, befchäftiget
haben, defto groͤſſer iſt das Gedaͤchtniß. Es iſt gar zu
leicht, ſich einer Sache zu erinnern, die wir vor einem Aus
genblicke, oder vor Furzer Zeit, gefehen oder auf andere Arc
gedacht haben, und wenn wir in der Zmifchenzeit, welche
verflofien ift, feitdem wir zum leßtenmal diefelbe gedacht
haben bis auf den Augenblick, da wir uns ihrer erinnern,
wenig oder gar nichts fremdes gedacht haben. Alein wenn
wir in geraumer Zeit an eine Sache nicht gedacht haben,
wenn viele Jahre verfloſſen ſind, und wenn wir unterdeſſen
unſere Aufmerkſamkeit mit unendlich vielen andern Dingen
beſchaͤftiget haben: ſo muß ſich die Vorſtellung dieſer Sa—
che recht feſt unſerm Gemuͤthe eingepraͤgt haben, und wir
wollen daher dieſe Vollkommenheit die Feſugkeit des Ge⸗
daͤchtniſſes nennen, vermoͤge welcher wir etwas ſehr lange
behalten koͤnnen. Man wird gewoͤhnlicher Weiſe finden,
daß ein faͤhiges Gedaͤchtniß nicht feſte iſt, und ein feſtes
nicht faͤhig. Kinder, die geſchwinde etwas behalten koͤn—
nen, die koͤnnen es nicht lange behalten, und die das letzte
koͤnnen, koͤnnen gewoͤhnlicher Weiſe das erſte nicht. 5) Se
ſtaͤrker diejenigen fremden Vorſtellungen ſind, die vor der
Erinnerung in der Seele da geweſen, oder mit ihr zugleich
da find, deſto groͤſſer iſt das Gedaͤchtniß, wenn es demohn—
erachtet im Stande iſt, mitten unter ſo vielen Hinderniſſen
und Zerſtreuungen, eine Vorſtellung wieder zu erkennen.
Wenn man in der Seele eine voͤllige Stille und Einſam—
keit verurſacht, und nichts erhebliches von anderer Art
denkt, fo iſt es leicht z. E. ſich einer aufgeſchriebenen Re⸗
de, die man auswendig gelernt hat, zu erinnern, Wenn
man aber diefes mitten in einer groffen Berfamlung thun
foll, wo vorber ſchon viel Ceremoniel beobachtet worden,
fo muß das Gedaͤchtniß des Redners ſchon viel vollkomme⸗
Ma ner
180 Von dem Gedaͤchtniſſe.
ner ſeyn. Dieſe Vollkommenheit, mit der zweyten zuſam⸗
mengenommen, wird die Stärke des Gedaͤchtniſſes ge:
nannte. 6) Se lebhafter, richtiger, gewiſſer und ſtaͤrker
die Wiedererkennung des Vergangenen iſt, deſto groͤſſer iſt
das Gedaͤchtniß, und dieſe Vollkommenheit des Gedaͤcht⸗
niſſes wird die Munterkeit deſſelben genannt. Wer ein
ſolches Gedaͤchtniß beſitzt, der kan ſich gleichſam die ver—
gangenen Dinge fo lebhaft wieder vorſtellen, als wenn fie
jest vor feinen Augen gefchehen, und er pflegt auch felbit zu
fagen, daß es ihm fey, als gefchehen die Dinge erſt heute.
Und 7) jeleichter und fehneller wir uns einer vergangenen
Vorſtellung wieder erinnern, und je weniger wir noͤthig has
ben, uns auf diefelbe zu befinnen, deſto gröffer ift das Ge—
daͤchtniß, und diefe Vollkommenheit wollen wir die Hur—
tigkeit des Gedaͤchtniſſes nennen. Dieſe Vollkommen—
heiten ſind ſelten, in einem Menſchen, beyſammen. Die
Natur theilt ihre Gaben mit Proportion aus, dem einem
verleihet ſie dieſe Vollkommenheit des Gedaͤchtniſſes, dem
andern eine andere, Und wenn fie jemanden eine Boll:
fommenbeit nicht verliehen bat, fo bat fie ihm eine andere
defto reichlicher zugemeflen., Manche Seute Eönnen nicht
viel behalten, allein was fie behalten, behalten fie um fo
viel befler. Und diefe Anmerkung gilt auch bey allen übri-
gen Erfenntnißfräften, und den mannigfaltigen Bollfom:
menheiten derfelben.
S. 584.
Durch ein gutes oder glückliches Gedächtnif
verfteht man überhaupt ein jedwedes Gedaͤchtniß, in fo
ferne es in einem hoͤhern Grade vollfommen ift. Gleich:
wie nun, der Erfenntniß überhaupt, theils die Unwiſſen—
heit, theils der Irrthum entgegengefeßt ift $. 489, alfo
fan auch ben dem Gedächtnifle, und in Abficht auf daflelbe,
theils eine Unwiſſenheit, tbeils ein Irrthum gedacht wer:
den. Aus der erften läßt fich der Fehler des Gedächtnifs:
fes erflären, den man die Vergeßlichkeit nennt, und wor-
unter man einen RER Mangel des Gedächtniffes
ver-
|
|
|
|
Don dem Gedächtniffe. 181
verfteht. Ein Menfch ift vergeglih, in fo ferne fein Ges
daͤchtniß ausnehmend Flein und unvollfommen ift, und als=
denn befist der Menſch die unfeelige Gabe, leicht etwas zu
vergefien. So werden alte Leute mit der Zeit fo vergeßlich,
daß fie ſich ofte in dem folgenden Augenblicke nicht mehr
auf dasjenige befinnen fönnen, was fie den Augenblick vor-
her gefagt, gethan, gewolt oder gevacht Haben. Und ed
iſt vor fich Flar, daß aus der Bergeßlichfeit ein Mangel der
Erkenntniß, ober eine Unwiſſenheit entſtehe. Ein jedwes
der Irrthum, welcher von dem Gedaͤchtniſſe herr uͤhrt, wird
ein Gedaͤchtnißfehler genannt, Ein truͤgliches Ge-
daͤchtniß iſt ein Gedaͤchtniß, in fo fi ferne es fehlen Fan.
Nun Fönnen alle unſere Erfenntnißvermögen irren, folglich
iſt auch unfer Gedaͤchtniß nicht, vor allen Irrthuͤmern, fis
dier. Und man fan alſo mit Recht ſagen, daß unſer Ge⸗
daͤchtniß truͤglich ſey. Es gibt Leute, welche mit Fleiß, fo
ofte als fie etwas erzählen, Zufäge und andere Berände:
rungen in ihren Erzählungen machen, damit fie entweder
andern $euten nad) dem Munde reden, oder eine Gefell-
ſchaft beluftigen, oder einen wißigen Einfall anzubringen:
im Stande feyn mögen, oder was man fonft für einen
Grund, von diefer Art zu lügen und Wind zu machen, an:
geben fan. Solche Leute machen ihr Gedaͤchtniß noch trüg«
licher, indem fie ſich die Fertigkeit Gedächtnißfehler zu be-
geben vergeftalt angemwöhnen, daß fie endlich felbft ihre eige-
ne $ügen glauben. Allein wenn auch ein Menfd) aufs
forgfältigfte, feine vorhergehabten Borftellungen, fo wieder
zu denfen und zu erzehlen ſich bemüht, Als er fie vordem
gehabt hat, fo fan er ſich doch nicht allemal auf fein Ge:
daͤchtniß verlaffen, weil es überhaupt truͤglich if. Alte
Gedaͤchtnißfehler beftcehen darin, menn wir uns eine vers
gangene Vorftellung famt ihrem Gegenftande anders vor-
ftellen, als wir fie empfunden haben, und wenn unfer Ge»
daͤchtniß uns vorſtelt, als fen unſere jeßige Vorſtelſung eben
die vorige; folglich wenn es uns die jesige Borftellung, auf
eine andere Art, und in einem andern Grabe, als einerley
M 3 mit
182 Veaon dem Gedaͤchtniſſe.
mit der vorhergehenden vorſtelt, als ſie es in der That ſind.
Geſetzt daß ich in den Zeitungen geſtern geleſen hätte, daß
ein gewiſſer Prinz funfzigtaufend Mann marchiren laffe.
Geſetzt ich ftelle mir heute vor, daß ich geftern gelefen, er
laſſe fechzigtaufend marchiren : fo begehe ich einen Gedäacht-
nißfehler, wenn ich denfe, als hätte ich diefes geftern mit
meinen Augen gelefen. » Die Irrthuͤmer des Gedaͤchtniſſes
find demnach, Blendwerke des Wißes $. 573. Und es
iſt Elar, daß Leute, die einen ſtarken und lebhaften Witz
haben, fehr leicht eine Lebereinftimmung und Aehnlichkeit
entdecken Fönnen, die nicht vorhanden ift, und fie haben alſo
gewöhnlicher. Weife ein fehr erügliches Gedaͤchtniß. Das
ber fomts, daß man witzigen Hiftorienfchreibern, und wigl-
gen Leuten in ihren Erzehlungen, nicht leicht glauben darf,
zumal da fie ofte mit Fleiß lügen, um im Stande zu feyn,
einen wigigen Einfall-anzubringen. Wenn man einen Ge⸗
daͤchtnißfehler begeht, den man aber augenblicklich durch
ein kurzes Beſinnen wieder verbeſſert, ſo ſagt man: man
habe ſich verſprochen. Daher pflegt man auch in ſol⸗
chen Faͤllen zu hen, wenn uns der Gedächtnißfehler ſchon
entwifcht ift: wolte ich. fagen; und alsdenn fagt man die
Sade, wie fie gewefen it. Kin treues Gedaͤchtniß ift
ein Gedächtniß, welches nicht ſonderlich truͤglich iſt, und
es befigt die Fertigkeit, fih vor den Gedächtnißfeblern zu
hüten. Da man nun durch die Scharffinnigfeit, die Irr—
thuͤmer des Gedaͤchtniſſes, verhütet $. 580. 577, fo ver:
mehrt die Schavrffinnigfeit die Treue des Gedaͤchtniſſes.
Und da ein Menſch um fo viel fharffinniger ift, je verſtaͤn—
diger er ift, fo Fan man auch verftändigen Leuten eher glau-
ben, alg $euten, die wenig Verſtand und Scharffinnigkeif
beſitzen.
§. 585.
Die Gedaͤchtnißfehler find ſolche merkwuͤrdige Irrthuͤ—
mer, daß ſie eine Quelle vieler andern Irrthuͤmer ſeyn koͤn⸗
nen. Einmal koͤnnen aus ihnen leere Einbildungen, und
zwar auf eine doppelte Art, entſtehen: 1) Wenn eine vor«
her⸗
F
Don dem Gedschtniffe. 383
hergehende Einbildung mit einer nachfolgenden, durd) einen
Gedaͤchtnißfehler, in einem &rade für einerley gehalten
wird, da fie es nicht iſt: fo denken wir hernach, daß die
vorhergehende eben fo gervefen als die nachfolgende, und
wir ftellen uns alfo das Vergangene anders vor, als es
wuͤrklich gewefen, und folglich entftehe daher eine leere Eins
bildung $. 566. Geſetzt ich leſe in einer Zeitung, Daß ein
geroifler Prinz funfzigtaufend Mann, mardyiren laffe ; ges
fest ich lefe in einer andern Zeitung, daß er fechzigraufend
Mann marchiren laflez gefegt ich erzehle Diefes eine Gtuns
De drauf einem andern, und verfichere, Daß in beyden Zei:
tungen ftehe, dieſer Prinz laffe fechzigtaufend Mann mar:
chiren: fo ift offenbar, daß id) von demjenigen, was ich in
der erften Zeitung gelefen, eine falfche Einbildung habe.
2) Wenn eine vorhergehende Einbilbung, mit einer folgens
den Empfindung, im einem Grade für einerley gehalten
wird, da ſie es nihgift, fo denfe ich, daß die vergangene
Sache eben fo. gewefen, als Die gegenwärtige, indem mein
Gedaͤchtniß mid) beträgt. Folglidy habe ich ebenfals,: von
dem Berganaenen, eine falfche Einbildung. Geſetzt, daß
ich einen Menfchen vor- einiger Zeit in einem Zuſtande ge⸗
ſehen, da er fet gemefen ; gefeßt ich. fehe ihn jeßt, da er. ma⸗
gerer geworden: ‚fo Fan es fich zufragen, daß ich zu ihm
fage, er habe ſich nicht geändert. Folglich betruͤgt mid)
mein Gedaͤchtniß. Zum andern Fan durch einen Gedächt«
nißfebler fo gar ein Betrug der Sinne entftehen, wenn ic)
nemlich die falfiche Einbiloung, die ich habe, mit der ver-
gangenen Empfindung für einerley halte, und mir einbilde,
Daß meine Empfindung eben fo beſchaffen gemwefen oder be«
schaffen ſey, als die falfhe Einbildung $, 545. Dabin
koͤnnen ebenfals, die vorhergehenden Fälle, gerechnet wer
den. Ja daher komts, daß Seute, welche ihre Empfindun-
gen, die fie etwa in einer Mache gehabt, mit den Einbil«
dungen, bie fie von Kindes Beinen an von Gefpenftern ge=
Habt haben, für völlig einerley halten, nachher ‚die Gefpens
fterbiftorie erzeblen, und bey eeigtem Widerſpruch fi) auf
4 ihr
184 Don dem Gedächtniffe.
ihr Gedächtniß berufen, und verfichern, fie erinnerten fich
ſehr wohl, was fie Diefelbe Fracht gefeben oder gehört haͤt⸗
ten. Eben den Fehler begehen auch Gelehrte, welche ſich
die erfräumten Hypotheſen anderer Gelehrten in den Kopf
fesen, hernach allerley Experimente zur Beftätigung derfel«
ben machen, und alsdenn vorgeben, fie erinnerten fich voll:
kommen wohl, wie genau fie ihre Meinung durd) die Era
fahrung beftätiget gefunden.
§. 586,
Niemand, der ein gutes Gedaͤchtniß hat, bringt daf-
felbe in demjenigen Grade der Vollfommenheit auf die
Welt, in welchem er es nach) und nad) erlangt. Folglich
ift man ſchon in den älteften Zeiten auf die Gedanken ges
vafhen, eine Kunſt zu erfinden, das Gedächtniß zu verbefs
fern, und der Inbegrif aller diefer Regeln, das Gedaͤchtniß
zu verbeffern, wird die Gedaͤchtnißkunſt genannt, mel»
che, in fo ferne ſie von der Verbefferung des finnlichen Ges
dächtniffes handelt, ein Theil der Aeſthetik ift S. 527.
Wenn die Gedvähtnipfunft ohne Tadel ſeyn foll, fo muß
fie die Mittel lehren, alle Vollkommenheiten des Gedächt«
niffes ohne Ausnahme zu erlangen:- denn fie find uns alle
nöthig. Folglich muß man zeigen, wie man die Ausdehs
nung, die Stärfe, die Fähigkeit, die Hurtigkeit, die Treue,
und wie alle übrige Vollkommenheiten des Gedächtnifies
beiffen mögen, erlangen koͤnne und müffe. Die meiften,
welche eine Gedaͤchtnißkunſt gefchrieben haben, haben es
darin verfehen, daß fie nur gezeigt haben, wie man vieler»
ley gefhwinde behalten, und wie man fich deffelben hurtig
wiederum erinnern Eönne, Allein für die übrigen Vollkom—
menbeiten, deren einige noch viel wichtiger find, haben fie
fo wenig geforgt, daß fie vielmehr durch ihre Negeln dies
felben verhindern. And manche haben gar Förperliche Ar—
zeneymittel, zur Verbeſſerung des Gedächtniffes, angera-
then. Weil das Gedaͤchtniß auf der Einbildungskraft,und
folglid) auf materialifhen Bildern im Gchitne, und der
gehörigen Befchaffenheit der Nerven beruber ; fo fan 7
wo
Don den Dichtungsvermögen.: 185
wohl feyn, daß durch Arzeneymittel die Nerven ungemein
aeftärft, und alfo auf eine mittelbare Art das Gedaͤchtniß
befördert werde. Allein ſolche Mittel helfen nicht lange,
und bringen mehr Schaden. Es ift alfo beffer, wenn mann
folche Regeln in der Gedaͤchtnißkunſt vorfehreibt, welche aus
der Natur des Gedächtniffes flieffen. |
DERKHEKEREKKKEHK KHK GR HK FR HK X HK RR KR KH. Xx *
Der fünfte Abſchnit,
Don dem Dichtungsvermögen.
$. 587.
Wern nun die Seele ſich, durch ihre Sinne, einen
groſſen Vorrath an Vorſtellungen von einzeln Din⸗
gen, die in dieſer Welt wuͤrklich ſind, geſamlet hat; wenn
ſie dieſelben, vermittelſt der Einbildungskraft, aufhebt, und
wenn ſie dieſelben, bey ihrer Wiederholung, wieder fuͤr die
alten vermittelſt des Gedaͤchtniſſes erkennt; und wenn ſie,
vermittelſt des Witzes, nachdem ſie alle dieſe Begriffe von
den wuͤrklichen einzeln Dingen dieſer Welt, auf unendlich
mannigfaltige Art, gegen einander gehalten, eine groſſe
Anzal der Vorſtellungen ihrer Uebereinſtimmungen, und
alſo unendlich viele abſtracte und allgemeine Begriffe er⸗
lange hat: fo befißt fie nun genung Materialien, aus des
nen fie neue Borftellungen theils von einzeln Dingen, bie
fie nicht Elar empfunden hat, gleichfam durch eine Echöpf-
fung, zufammenfegen fan, theils von Gattungen und Ar-
ter, die fie nicht durch die Bergleichung derjenigen einzeln
Dinge, die fie felbft klar empfunden hat, abgefondert bat.
Und das ift das Gefchäfte des Dichtungsvermoͤgens.
Manche glauben, daß diefes Erkenntnißvermoͤgen nur die
poetifchen Erdichtungen, und andere dergleichen Erdichtun«
gen, erzeuge. Allem ein geringes Nachdenken Fan ung
überzeugen, daß es fich viel weiter erſtrecke. Nemlich wir
dichten oder erdichten, wenn wir Theile verfchicdener
Eindildungen, und Borftelungen folder abgefonderten Be
M 5
griffe
186 Don dem Dichtungsvermoͤgen.
Hriffe, die wir von unfern Flaren Empfindungen abgefon«
dert haben, uns zufammen als Einen Begrif vorftellen.
Folglich dichten wir: 1) wenn wir verfchiedene Einbilduns
gen nehmen, famt denenjenigen abſtracten Begriffen, die
wir bioß von unfern Elaren Empfindungen abgefondert Has
ben. 3. E wenn man fid) in feiner Einbildungsfraft ein
Schaaf, und einen redlich und einfaltig gefinnten Menfchen
vorftelt, famt den abftracten Begriffen, Schaafund Menſch.
2) Wenn man vieles von dieſen Einbildunaen, durch die
Abftraction, abſondert; z. E. von einem Schaafe, da es
feine Vernunft und Sprache hat, und von einem Menfchen,
daß er die menſchliche Geftalt habe. Und 3) wenn man
die übrigen Theile, durch Das Ueberdenfen, zuſammenfaßt
F. 5i5, z. E. ein Schaaf welches vernünftig denkt und res
def, wie ein unfchuldiger und ohne Falſch gefinnter Menſch,
fo haben wir ein erdichtetes Schaaf. Folglich befommen
wir, wenn wir Dichten, entweder eine Borftellung von eis
nem einzeln Dinge, dergleichen wir niemals Elar empfun«
den haben, wie z. E. das vorhin angeführte Schaaf; oder
die abftracte Vorftellung von einer Gattung oder Art der
Dinge, die wir nicht bloß von unfern klaren Empfindungen
abgefondert haben, oder Die aud) fülche einzelne Dinge un
ter fich begreift, Die wir niemals gejeben, oder irgends auf
eine andere Art Elar empfunden haben, So erlangen wir.
3. E. den Begrif von einer Subſtanz, welche die Welt bloß
dunkel vorſtelt. Den abſtracten Begrif von einer Sub⸗
ſtanz ſondern wir-bloß von unſern klaren Empfindungen
ab, und verbinden damit den Begrif von einer bloß dun-
Eeln Borftellung der Welt, und wir erlangen alfo dadurch
die Vorftellung von einer Gattung der Gubftanzen, die
ſolche einzelne Subftanzen unter. ſich begreift, die wir nie—
mals flar empfinden, Da nun diefe Beifpiele zugleich be—
weifen, daß unfere Seele dichter, fo haben wir aud) ein
foiches Erfenntnigvermögen, wodurd) wir dichten, und das
nennen wir das Dichrungsvermögen. Und weil daffel«
be in nichts anders beftebt, als in dem Bermögen, die Theile
| vieler
u ni
an ee -
—
Von den Dichtungsvermögen. 187
vieler Vorftellungen als ein Ganzes, folglich als einerley
mit Einem $. 147. vorzuftellen ; fo ift e8 eine gewiſſe Art
der Leberlegung $. 515, und des Wißes $. 567. Wenn
wir Fein Dichtungsvermögen befäffen, fo würden wir uns
Feine andere Dinge als möglich und wuͤrklich vorftellen koͤn⸗
nen, als welche wir klar empfinden, und wir wären alfo
nicht im Stande, uns mögliche Dinge einer andern Welt
vorzuftelfen, und noch viel weniger ivgends etwas Neues
zu erfinden, Cine jedwede neue Kleidermode fo gar wird
durch das Dichtungsvermoͤgen erfunden, indem wir als⸗
denn Beftimmungen eines Kleides zufammenfegen, die wir
noch niemals zufammen in einem Kleide empfunden haben.
588.
Vermöge desjenigen, was in dem vorhergehenden
Abſat⸗ angemerkt worden, erhellet demnach, daß die Sin—
ne, die Einbildungskraft, das Gedaͤchtniß und der Wis,
dem Dichtungsvermoͤgen den Stof darreichen, aus denen
es feine Gefchöpfe zufammenfegt. Alsdenn fondert Die Ab:
firaction, von den verfchiedenen „Empfindungen, Einbil:
dungen und abftracten Begriffen, welche die Scarffinnig:
feit, von einander unterſcheidet, Diejenigen. Theile ab, die
nicht mit in die exdichtete Vorftellung kommen follen, und
die übrigen Theile fielen wir uns, Durch Die Ueberlegung,
als ein Ganzes vor. Folglich it, das Dichtungsvermoͤ⸗
gen, nicht nur ein zufammengefeßtes Vermögen $. 170:
fondern da wir auch bisher gewiefen haben, daß alle ge=
nannte Erfenntnißvermögen, durch die Vorſtellungskraft
der Welt, nad) der Sage des Leibes in der Welt, gewürft
werben; fo ift auch unleugbar, daß das Dichtungsvermoͤ⸗
gen, durch eben diefe Kraft, gemwürfe werde, Und man
fan die Regel, nach) welcher viefes Wermögen wuͤrkt, folgens
bergeftalt ausdrucken: man ftelle fich die Theile ver⸗
ſchiedener Einbildungen, und abſtracten Begriffe,
als Eine ganze Vorſtellung vor. Alle Vorſtellungen,
welche von dem Dichtungsvermoͤgen gewuͤrkt werben, heiſ—
ps Erdichtungen. Sie flellen uns entweder ihren Ge⸗
genſtand
188 Von dem Dichtimgsvermögen,
genftand als ein einzefnes Ding ver, wenn 3. E. in einer
Fabel ein Schaaf redend eingeführt wird; oder als ein ab⸗
ftractes Ding, weldyes möglich) iſt, z. E. der Begrif von
einer Subftang, welche die Welt bloß dunfel vorftelt. Alle
Ervichtungen find entweder wahr, oder falfch S. 489. Die
falfchen Erdichtungen werden Chimären genannt, wovon
wir gleid) in dem folgenden Beyſpiele anführen werden.
Man kan aud) alle Erdichtungen in deutliche, und undeufs
liche eintheilen. Zu den leßtern gehören 3. E. die poeti—
fen Erdichtungen, welche wenigftens gröftentheils finnliche
Borftellungen find. Zu den erftern koͤnnen wir alle deutli:
che Begriffe vechnen, die wir, nach der Sprache der Vers
nunftlebre, durch die willführlihe Verbindung machen, als
der vorhinangeführte Begrif von einer Gubitanz, welche
ſich die Welt bloß dunkel vorſtelt. Folglich ift das Dich-
tungsvermoͤgen entweder ein finnliches, oder vernuͤnf⸗
tiges. Durch jenes werden die finnlichen Erdichtungen
gemacht, durch diefes aber die deutlichen und vernünftigen,
| $. 589. |
Ich werde balde zeigen, daß alle unfere Irrthuͤmer
aug Chimären beftehen, oder ihren Urfprung nehmen, und
es ift daher eine fehr wichtige Sache, daß mir unterfuchen,
in wie vielerley Fällen unfer Dichtungsvermögen irren kön⸗
ne, weil wir dadurch defto beffer in den Stand gefeßt wer⸗
den, die Irrthuͤmer in der menfchlichen Erkenntniß übers
haupt zu verhüten. Und dahin gehören folgende Fälle:
1) wenn man Theile verfchiedener Vorftellungen zufammenz
feßt, die einander fihlechterdings, oder unter einer ange
nommenen Bedingung, widerfprechen,; man mag fid) nun
alsdenn, den Gegenftand diefer Erdichtung, entweder als
ein abftractes Ding, oder als ein bloß mögliches, oder als
ein würfliches einzelnes Ding vorftellen: denn in feinem
möglichen und wuͤrklichen Dinge koͤnnen Beftimmungen
beyfammen feyn, die enander mwiderfprechen $. 23. Go
ift, ein materieller Mtomus, eine abftracte Chimäre $. 394,
oder wenn man ſich vorftellen wolte, daß ein endlicher Geiſt
möglich
Von dem Dichtungsverimögen, 189
möglich oder würflich feyn Fünnte, der allwiflend wäre, daß
der Schnee fünne getrocnet werden, und daß gebratene
Tauben in der Luft herum fliegen koͤnnten. Oder daß ein
Schaaf, in einer aͤſopiſchen Fabel, fo verfchlagen und liſtig
handele, als ein Fuchs. 2) Wenn man von ven Vorftels
lungen, die man in einer Erdichtung zufammenfegt, dieje-
nigen Theile abfondert, ohne welchen ihre Gegenftände entz
weder gar nicht möglic) feyn Fönnen, oder doch nicht unter
derjenigen Bedingung, unter weldyer man fie annimt; man
mag fid) nun hernach, die Öegenftände einer foldyen Era
Dichtung, entweder als allgemeine mögliche, oder als einzel=
ne mögliche und würflihe Dinge vorftellen. Folglich
heckt man Chimären aus, wenn man im Erdichten das
Weſen, die wefentlichen Stüde und die Eigenfchaften, ab:
fordern wolte 6. 66.67. 3. E. wenn man, von dem Be:
grif eines Menfchen, die Möglichkeit zu irren und zu füns
digen, und die Schranken des Berftandes abfondern wolte,
fo verfäle man auf Chimären; oder wenn man, dem Schaan»
fe in der Fabel, feine Eigenfchaften abfprechen wolte: denn
man will wiffen, wie ein Schaaf reden und handeln würde,
wenn es feine ganze Natur, in fo weit fie mit dem Vermoͤ⸗—
gen vernünftig zu veden und zu handeln beftehen Fan, bes
bielte. 3) Wenn man von der erdichtoten Sache alle zu«
fällige Befchaffenheiten und Berhältniffe abfondert, und
fid) diefelbe doch als ein einzelnes Ding vorftelt, welches in
diefer oder einer andern Welt wuͤrklich ift. Alsdenn Hecke
man eine ungereimte Chimäre aus, weil fein einzelnes zus
faͤlliges Ding, obne zufällige Beſchaffenheiten und Ver—
häleniffe, feyn Fan. Alsdenn denft man höchftens nur ab-
firacte allgemeine mögliche Dinge, die aber unmöglich als
einzelne Dinge würflich feyn fönnen. So find mandye
Weltweiſe auf die Chimäre gefallen, als wenn die Gegen«
ftände der abſtracten Begriffe in der That als einzelne Din-
ge würflic wären. 4) Wenn man, von der erdichteten
Sache, einige zufällige Befchaffenheiten und Verhaͤltniſſe
abfondert, ohne welchen dieſelbe Fein einzelnes Ding in der
Welt
190 Don dem Dichtungsvermoͤgen.
Welt fenn Fan, und wenn man an deren Stat feine andere
zufällige Befchaffenheiten und Verhaͤltniſſe ſetzt, welche die:
felbe durchgaͤngig beffimmen. Ohne Abfonderung einiger
ſolcher Beftimmungen fan man gar nichts erdichten. FTolg-
lich muß diefe Abfonderung erlaube feyn, nur muß man an⸗
dere an ihre Stelle fegen, wenn man fid) anders den Ge—
genftand, als ein einzelnes Ding in Diefer oder einer andern
Melt, vorftellen will. 3. E. Fein Ding Fan in diefer
Welt, ohne an einem Orte, wuͤrklich ſeyn. Geſetzt nun,
man wolte fagen, es wäre ein Menfch oder ein anderes
Ding in diefer Welt würklich, aber es befände ſich an gar
Eeinem Orte: fo ift diefe Borftellung eine Chimäre, Ein
anderes aber ift es, wenn etwas in Europa gefchehen, und
ich erdichte, daß es in Afien geſchehen; oder wenn man ein
Arcadien annimt, und dafelbft Schäfer erdichtet, die fonft
nirgendswo anzutreffen find. 5) Wenn man alle.bisher
angeführten Fehler vermeidet, fo Fan man doch noch auf
eine Chimäre verfallen, wenn man ein einzelnes Ding fic)
als würflic in dieſer Welt vorftelt, weldyes zwar, fo viel
wir von diefer Welt verftehen, in verfelben möglich ift,
demobnerachtet aber in derfelben nicht wuͤrklich feyn Fan.
Diefe Art der Ehimären ift die allererträglichfte, fie find
aber demohnerachtet falfche Erdichtungen. Denn wir ers
dichten manchmal eine Borftellung, deren Gegenftand aller
dings in dieſer Welt wuͤrklich it und feyn fan, z. E. wenn
jemand eine Mafchine erdichtet, Die er hernach wuͤrklich
macht. Folglich koͤnnen wir mit Grunde, diefe fünfte Art
der Erdichtungen, mit zu den Chimären rechnen. So bat
Lucian eine Frau erdichtet, und Plato eine Republik, welche
in diefer Welt nicht möglich find, und dergleichen Chinä«
ren Fommen ohne Zweifel in der Hifforie genung vor. Es
ift vor ſich klar, daß alle Chimaͤren aus der Verblendung
des Wißes, als aus ihrer erfien Quelle, entfliehen $. 577,
und daf fie nur, durch eine gute Scharfjinnigteit, verhuͤtet
werden Fonnen, x
$, 590%
Don dem Dichtungsvermögen, 191
$. 590,
Hus der Unrichtigkeit der Erdichtungen entftehen alle
unfere Irrthuͤmer, bey denen wir uns den Gegenftand als
ein mögliches oder zugleich würfliches Ding vorftellen, in
welchem alle die Beftimmungen beyſammen angetroffen
soerden, bie wir uns in unferm Irrthume beyfammen vora
fiellen; oder alle diefe Irrthuͤmer find Chimären $. 568,
z. E. der Irrthum der Materialiften, Ein Materialift
ſtelt fi) das Bermögen zu denken und die Materie als Eins
vor, under glaubt auch, daß ein folches Ding moͤglich und
wirflic) fen, welches Materie ift und denfen Fan. Folg⸗
lich ift, dieſer Irrthum, eine Chimäre. Inſonderheit aber
wollen wie bier bemerken, daß aus Chimären nicht nur
feere Einbildungen entſtehen Fonnen, fondern auc) der ‘De:
rug der Sinne, ſamt den Gedächtnißfehlern. Man fege,
daß wir uns eine vergangene Empfindung wieder von
neuem vorfiellen, und daß wir unvermerkt, durch unfer Er-
dichtungsvermoͤgen, etwas von ihr abfondern und mas
fremdes hinzuſetzen: fo haben wir eine Ervichtung $. 587.
Halten wir fie num bloß für eine Einbildung, und wenn
wohl gar der Gedächtnißfehler hinzukomt, vermöge deflen
wir uns gar wohl zu erinnern vermeinen, daß wir die Ga=
che vordem juft fo empfunden haben, fo haben wir eine fal-
ſche Einbitdung $. 566. Gefegt, ic) babe einen Menfchen
geftern in einem grünen Kleide gefehen, gefegt, ich ftelle
mir heute vor, daß er ein rothes angehabt, und bin aud)
wohl der Meinung, daß ich es mit meinen Augen gefeben,
fo habe ich eine Erdichtung gemacht, und bin dadurd) auf
eine falfche Einbildung gerathen. Diefer Fehler. ift ſehr
merfwürdig in der Hiftorie, indem mancher Hiftoricus
glaubt, daß er feine ausgeheckte Chimaͤre in bewährten
Schriftſtellern gelefen, oder von glaubwürdigen Zeugen ges
hört habe. a diefes geht gar fo weit, daß manche die
ungereimteften Chimären für Einbildungen halten, wie
mander Schwärmer in der Religion eine himärifche Er—
zehlung von feiner Bekehrung macht, und andere Seute für
gottloſe
192 Don den Dichtungsvermägen.
gottloſe Spötter häft, welche nicht glauben wollen, daß fei-
ne Befehrung fich eben fo zugetragen habe, als er erzehlt.
Zum andern entfteht auch, der Betrug unferer Sinne, aus
falfchen Erdichtangen. Denn wenn wir eine Empfindung
haben, fo fönnen wir uns nicht anders betrügen, als wenn
wir eine andere Borftellung, die feine Empfindung ift, das
mit verbinden, und denfen, daß wir die ganze Vorſtellung
bloß aus Empfindungen zufammengefegt haben. 3. E. dies
jenigen, welche durch einen Betrug Der Sinne, ein Ges
fpenft, zu fehen glauben, haben unleugbar eine falfhe Er-
dichtung im Kopfe, und halten diefelbe für nichts anders,
als für eine Empfindung. Man ficht demnach, wie ges
fährlic) das Dichtungsvermögen feyn Fan, und bey den
meiften Menfchen gewöhnlicher Weife zu feyn pflegt, wenn
man es nicht gehörig zu verbefjern ſucht.
NN
Kin fruchtbares, oder Kıfindungsteiches Dich-
tungsvermögen ift ein Dichtungsvermoͤgen, in fo..ferne
eg merflich und in einem hoͤhern Grade groß und vollkom—
men ift. Iſt es zu Ehimären fehr geneigt, oder. wenn es
leicht und gewöhnlicher Weife Chimären, die noch dazu ſehr
ungereimt find, ausheckt, wird es ein ausfchweifendes
Dichtungsvermögen genannt, wie alle ungehirnte Kos
manfchreiber haben. Beſitzt e8 aber die Fertigkeit, ſich
vor Chimären in acht zu nehmen, fo wollen wir es ein
wohlgeordnetes Dichtungsvermögen nennen. Da
diefes Vermögen auf vielen andern Erfenntnißvermögen bes
rubet, fo fege feine Bollfommenbeit, die Vollkommenheit
derfelben, voraus $. 588. Folglid) je groͤſſer und vollkom—
mener die Sinne, die Einbildungsfraft, das Gedaͤchtniß,
der Wis, die Scharffinnigkeit, die Aufmerffamkeit und,
Abftraction eines Menfchen find, famt der Erfenntniß, die
er durch diefe Erkenntnißvermoͤgen erlangt und erlangt hat,
befto gröffer und vollfommener ift aud) fein Vermögen zu
dichten. Inſonderheit Fönnen, die. verfchiedenen Grade
diefes Vermögens, nad) folgenden Kegeln beftimt werden :
ı) Bon
Von dem Dichtungsvermögen. 193
Von je mehrern und mannigfaltigern Einbildungen, und
abſtracten Begriffen, die Theile hergenommen werden, aus
denen die Erdichtung zuſammengeſetzt wird, deſto vollkom—
mener ift das Dichtungsvermoͤgen. So hat Homer in ſei—⸗
ner Iliade, von unendlich vielen andern Vorſtellungen, die
Theile feiner Erdichtung entlehnt. Es iſt bey nahe Feine
Wiſſenſchaft zu erdenfen, aus welcher er nicht etwas ent-
lehnt bat. Er ift erſt auf Reifen gegangen, und hat die
Sitten vieler Menfchen und Städte ſelbſt gefehen, che er
feine Erdichtung erfchaffen bat. 2) Ye wichtiger und
gröffer: diefe Theile find, die miteinander verbunden wers
den, deito gröffer ift das Dichtungsvermögen, Eben die:
fes fan man, von dem Homer, fagen. Wenn ein Mora:
lift und moralifher Dichter einen moralifchen Character
erdichten will, fo verräfh er eine fehlechte Gabe zu dichten,
wenn er den Character aus den Fleinften und unerheblich-
ften Zügen zufammenfegt. Wenn er aber z. E. hundert
GeisHälfe durch die Erfahrung hat Fennen lernen, und er
ift im Stande, von einem jedweden eine Art zu denken und
zu handeln zu nehmen, welche das Wefen und die Eigen:
ſchaften des Heißes reche ins Licht fesen, fo beweiſt er die
vortreflihe Befchaffenheit feines Dichtungsvermoͤgens.
3) Je richtiger, ordentlicher, Flärer und gemiffer alle diefe
Theile mit einander verbunden werden, und je eine ftärfere
Dorftellung die ganze Erdichtung ift, deſto vollfommener
ift das Dichtungsvermögen. Was für Ordnung, und
wahrfcheinliche Entwickelung der Begebenheiten, iſt niche
in der Iliade? Mic was für hellen, fchimmernden und
reitzenden Zügen drückt fich nicht, Die ganze Erdichtung, in
das Gemüth eines aufmerffamen tefers ein! Man glaubt,
Troja zu fehen, und die Schlachten der Griechen mit den
Trojanern. 4) Se leichter und gefchwinder wir eine Er:
Dichtung erfinnen fonnen, defto geöffer ift das Dichtungs:
vermögen. Wenn man fich auf eine Lügen lange befinnen
muß, wenn manı mit vieler Mühe im Luͤgen fortfommen
Ean, fo ift das Dichtungsvermögen ſchwach. Wer aber
33h N in
F
194 Don dem Dichtungsvermoͤgen.
in der Gefchwindigfeit, ohne fih darauf zu befinnen, eine
weitläuftige, wohl zufammenhangende und mwahrfcheinliche
Lügen erfinden fan, der lege dadurch die Munterfeit und
Stärfe feines Dichtungsvermögens an den Tag. 5) Fe
mehrere und ftärfere Borftellungen fremder Art, in dem
Gemüthe eines Menfchen, find, ein defto ftärferes Did)-
fungsvermögen muß er befißen, wenn er mitten unter die
fen Hinderniffen dennoch eine Erdichtung ausfinnen Fan.
So bewundert man die Stärke des Dichtungevermögens
eines Inquiſiten mit Necht, welcher vor dem Richter, und
unter den fürchterlichften VBorftellungen der Tortur und der
Strafen, dennoch) eine weitläuftige füge erdenfen Fan, ohne
darüber in Verwirrung zu gerathen. Die Xefthetif hans
delt weitläuftiger, von der Verbeſſerung des finnlichen Er—
dichtungsvermögens $. 527.
* g. 592.
Eine von den allerbewundernswuͤrdigſten Veraͤnde—
enngen der menſchlichen Seele iſt der Traum. Wenn ein
Menfch bey Berftande noch niemals geſchlafen bäfte, wie
Adam als er das erftemal einfchlief, fo wuͤrde er bey der
Anwandelung des Schlafs ins Aufferfte Entſetzen geratben,
Er würde nicht anders denfen koͤnnen, als er fange wieder
an zu vergehen. Mit der Augftlichiten Anftrengung feiner
Kräfte würde er fich feinem Untergange widerſetzen, bis
ihn endlich der Schlaf überwältigen wine. So find wir
demnach im tiefen Schlafe, das ijt in demjenigen Zu—
ftande, in welchem nicht nur unfere Aufferlichen Empfin-
dungen, fondern auch alle unfere uͤbrigen Vorftellungen,
ganz dunfel find, unferm Gefühl nach nicht beffer daran,
als wenn wir gar nicht würflicd) wären. Wir find ung
alsdenn weder unferer felbft, noch irgends einer andern
Sache, auch nur im geringften bewußt. Allein da gibt es
nun einen gewiffen Zrifchenzuftand, welcher Fein Wachen
und auch Fein tiefer Schlaf ift, und in diefem Zuftande
räumen wir, Gemeiniglich erflärt man die Träume durch
Flare Einbildungen, die wir im Schlafe haben, Allein
zweyer⸗
Don dem Dichtungsvermägen. 195
zweyerley fan man, wider diefe Erklärung, einwenden,
Erftlich der Traum, im Ganzen betrachtet, iſt eine Erdich—
fung, der wir uns bemußt find, welche frenlich aus Flaren
Einbildungen zufammengefegt if. Wenn der Traum, im
Ganzen betrachtet, eine Einbildung wäre, fo müfte ung
alles ſchon in der Welt begegnet feyn, was uns träumt,
und mie es uns traͤumt. Diefes aber ift, der Erfahrung,
zumider. Zum andern aber gefraue ich mir zu behaupten,
daß Die Seele niemals träumen fan, wenn fie fehläft, wenn
man nemlich durch den Schlaf den Zuftand verfteht, in
welchem die äufjerlichen Empfindungen ganz dunfel find,
Meine Meinung ift Diefe ; Der Traum fan nicht anders
entſtehen, als wenn einige Aufferliche Empfindungen fo Flar
find, als unfere Einbildungen gewöhnlicher Weiſe zu ſeyn
pflegen, ob fie gleich nicht fo Flar find, als fie im Wachen
zu ſeyn pflegen. Und Diefe Meinung wird, Durch folgende
Grunde, beftätiget : 1) Der allererfte Anfang der Wuͤrk—
faınfeit der Einbildungskraft entfteht, aus einer äufferlichen
Empfindung $. 558. Nun fan man, weder aus der Er-
fahrung, noch aus andern Gründen, darthun, daß eine
dunfele Empfindung, die Einbildungsfraft, dergeſtalt und
fo ſtark in Gang bringen Fonne, daß fie Flare Einbildun—
gen hervorbringe. Cine klare aufferliche Empfindung aber
ift diefes zu thin im Stande. Da nun der Traum aus
klaren Einbildungen befteht, fo fcheint es die Natur der
Einbildungsfraft zu erfodern, daß eine Flare aͤuſſerliche
Empfindung den Anfang zum Traume mache, 2) Sch
babe eine Erfahrung gehabt, welche dieſes vollfommen be-
ſtaͤtiget. Mir räumte, daß Leute über mich herfielen, ſich
meiner bemächtigten, mich auf die Erde warfen, und einen
Pfal mir zwifchen dem groffen und nächiten Zähe in die
Erde fhlugen. _ Ueber der Angft erwachte ich, und das
klare Gefühl des Pfals verwandelte fih in das Gefühl ei-
nes Strohhalms, der mir zwifchen die Zähen gekommen
war, Eben fo, wenn ich über dem Leſen einfchlafe, fo ge-
rathe ich den Augenblick in einen Traum, da es mir fcheint,
— af na — als
196 Don dem Dichtungsvermögen,
als wären die Buchltaben und Worte noch vor meinen
Augen. 3) Wenn man räumt, rubet man fo fanft nicht,
und man erholt fih auch) nicht fo ſehr durch den Schlaf, als
wenn man nicht träumt, und ein Trätumender liegt auch
uneuhiger im Bette. Folglich beftätiget diefe Beobach—
tung, daß der Traum unmöglich) in einem eigentlichen
Schlafe entftehen Fan, 4) In bißigen Krankheiten, wenn
man vollblütig ift, zu viel gegeffen und getrunken bat,
wenn ınan auf dem Rücken liegt, entftehen die Träume am
leichteften. Und da befindet man fich juft in folchen Um:
ftänden, in melchen die Nerven fo ſtark bewegt werden,
daß nothwendig einige Klarheit in den Aufferlichen Empfinz
dungen entftehen muß. Um dieſer Urfachen willen erkläre
ich, den Traum, folgendergeftalt. Nemlich der Schlum«
mer oder ver halbe Schlaf, ift der Zuſtand, in welchen
die Aufferlichen Empfindungen nicht alle ganz verdunfelt
find, ſondern in welchem einige derfelben zwar nicht fo Flar
find, als fie im Wachen zu feyn pflegen, aber ohngefehr fo
klar, als die Einbildungen zu feyn pflegen, und zwar fo,
daß die Sebensbewegungen des Körpers Feine merfliche
Veränderung leiden. Daher koͤnnen wir auch), dieſe Fla=
ren Empfindungen, von den Einbildungen. im Traume
nicht unterfcheiden, weil fie diefelben nicht an Klarheit
übertreffen. Der Traum iſt eine Erdichtung, der wir
uns im Schlummer bewußt find, und wir träumen, went
mir ſchlummern, und in diefem Zuftande Flare Erdichtun—
gen machen. Folglich iſt der Zuftand der, Seele, in wel—
chen fie träumt, ein Mittelzuſtand zwifchen dem Schlafe
und dem Wachen, wie die Dämmerung zwifchen der Mache
und dem beiien Tage. | \
n . 5093...
Man Fan alle Träume in natürliche, und unnatürliche
Träume eintheilen $. 406. 413. Yin natürlicher Tran
wird. durch die Borftellungskraft der Seele, nach den Re—
geln der Einbildungsfraft, des Dichtungsvermögens, des
Witzes und der Heberlegung, gewuͤrkt $. 515. 558. —
enn
Von den Dichtungsvermögen. 197
Wenn alfo ein Schlummer durch eine Aufferliche Urſach,
oder eine ftärfere Bewegung der Nerven, als fie im Schla—
fe zu haben pflegen, eine aufferliche Empfindung entftehe,
die zwar Flar ift, aber nicht fo Flar, als es im Wachen ge-
wöhnlich ift: fo Fan dadurch) die Einbildungsfraft rege ges
macht, und vermöge der Bergefellfchaftung der Borftele
lungen aus einer Einbildung in Dieandere geratben, Und da
fih die Seele verfelben bewuße ift, fo betrachtet fie Diefel«
ben als eine ganze Vorftellung, und die ift dasjenige, was
wir den Traum nennen. Man Fan freylich nicht verlan«
gen, Daß wir bey allen unfern nafürlichen Träumen erflä=
ven follen, wie die Seele eben auf dieſe und Feine andere
Einbildungen geraͤth. Allein deswegen hört ein Traum
nicht auf natürlich zu feyn, weil wir Me: fchen nicht volle
Fommen erklären Fonnen, warum eben der und Fein anderer
Traum, zu einer gewiffen Zeit, in unferer Seele entftan=
Den, Manche nehmen an, dab der Traum allemal durch
die Empfindungen veranlaft werde, welche wir des Tages
vorher gehabt haben. Wenn fie Daher geträumt haben, fo
nehmen fie fich Die Mühe, fich zu befinnen, was fie des Ta-
ges vorher gefprochen, gelefen, gehört oder fonft empfunden
haben, Allein nach meiner Theorie Fan ein Traum, durch
eine äufferlihe Empfindung, veranlaßf werden, welche wir
in Schlummer befommen, und welche mit den Empfin-
Dungen, Die wir des Tages vorher gehabt haben, feine
merEliche Aehnlichkeit hat. Unnatuͤrliche Traͤume find
ſolche Traͤume, welche durch die Vorſtellungskraft der See⸗
le, die da traͤumt, nicht gewuͤrkt werden. And wenn die—
felben Durch Die Natur gar Feines endlichen Dinges gewuͤrkt
werden, ſo ſind ſie uͤbernatuͤrliche Traͤume $. 413. Die
übernatürlichen. Träume Fonnen in der Weltweisheit nicht
anders beurtheilt werden, als wie mit Die übernatürlichen
Begebenheiten überhaupt in der Coſmologie unterfucht has
ben. Ob es unnatuͤrliche Träume gebe, die nicht uͤberna—
tuͤrlich find, ob 3. E. der Teufel einen Traum der menfch-
lichen Seele einblafen koͤnne, wobey fich die Seele bloß
'MmM3 ” feidents
198 Don dem Dichtungsvermögen.
leidentlich verhalte? ift fo leicht nicht zu entſcheiden, als
ſich manche vielleicht einbilden.
§. 594.
Unſere Traͤume haben auch eine doppelte merf:
wuͤrdige Beſchaffenheit. Einmal duͤnkt es uns, indem wir
traͤumen, daß ſie eine ungemeine Klarheit und sebhaftigfeit
haben. Sie glänzen in der Seele, wie der volle Mond in
einer heitern Macht... Freylich wenn wir erwachen, fo ver:
blafjen fie gegen die Klarheit der Empfindungen, mie der
volle Mond wenn der Tag anbricht. Allein fo lange wir
ſchlummern, find wir uns derfelben fehr bewußt. Und das
komt daher, weil unfere meiften äufferlichen Empfindun-
gen alsdenn dunkel find, und die wenigen, die Elar find,
nicht Flärer find, als unfere Einbildungen. Folglich wird
alsdenn das ſchwaͤchere Licht der Einbildungen und Erdich-
ungen nicht, wie im Wachen, durch das ftärfere Licht der
aufferlichen Empfindungen geſchwaͤcht und unterdruckt.
Unterdeffen find die Träume felbft von verfchiedener Klar:
beit. Einige ſind fo wenig Flar, daß wir uns ihrer, beym
Aufwachen, nicht erinnern koͤnnen; manche aber find in
einem fo hohen Grade Flar, daß wir uns ihrer fehr wohl
wieder erinnern Fonnen. Zum andern pflege man Die
Träume, in wahre und falfche, einzutheilen. Jene find
wahre Erdichtungen, diefe aber find Chimären $.588. Alfe
Träume enthalten nothwendig was falfches, weil wir ung
mitten im Traume einbilden, als feyn die Vorſtellungen im
Traume lauter E mpfindungen, und als befanden wir uns
in dem Augenblicke wuͤrklich in denen Umſtaͤnden, die wir
uns im Traume vorſtellen, und das iſt ein Irrthum. Un—
terdeſſen iſt es doch moͤglich, daß wir uns im Traume moͤg—
liche Sachen vorſtellen, und es iſt nicht unmoͤglich, daß der
ganze Traum ein Roman ſey, welcher alle aͤſthetiſche Wahr⸗
ſcheinlichkeit beſitzt. Allein mehrentheils ſind, unſere Traͤu⸗
me, die allerabgeſchmackteſten Chimaͤren. Und das komt
daher, ı weil im Traume, die Einbildungsfraft und das
Dichtungsvermögen, ihnen felbft überlaffen werden. Im
Wachen
Von dem Dichrungsvermögen. 199
Machen Fönnen wir, durch die Betrachtung unferes gegen-
wärtigen Zuftandes, allemal diefe Erfennenigvermögen im
Zaum halten, und ihnen einen andern Schwung geben,
wenn fieuns in eine Zauberwelt führen wollen, Allein
wenn mir träumen, häufen fie die Einbildungen auf ein
Gerathewohl zuſammen, und es ift ‚alfo natürlich, daß fte
ungebinderter und leichter fhmärmen, als wenn wir wa—
chen. Folglich ift es nicht möglich, im Traume ſich für
Ehimären zu hüten, und es fomt bloß aufs gute Glück an,
wenn wir einmal einen wahrfcheinlichen Traum ausheden.
7 «595.
Es gibt einige artige Beobachtungen bey den Träu-
men, die eine genauere Unterfuchung allerdings verdienen,
Ob die Träume was bedeuten, und ob wir aus ihnen zu:
Fünftige Dinge vorherfehen koͤnnen, das werde ich in dem
folgenden unterfuchen. Hier will ich nur dreyerley bemer-
fen. Einmal lehrt die Erfahrung, daß einige Leute mehr,
andere weniger träumen, uud das rührt überhaupt von der
verfchiedenen Gefchäftigkeit der Seele ber. Unterdeſſen
wäre es noch eine Frage: ob das viele Träumen eine Boll-
kommenheit, oder Unvollfommenheit der Seele fey? Mir
fcheine das erfte der Wahrheit gemäß zu ſeyn, weil eine
gröffere Gefchäftigfeit der Seele, überhaupt Davon zu res
den, eine Bollfommenbeit ift. Zum andern hat man ans
merfen wollen, daß manche Leute niemals geträumt haben,
bis kurz vor ihrem Tode, wie von dem Kayfer Nero erzehlt
wird. Hier müfte man erft völlig verfichert feyn, daß es
dergleichen Leute gebe, und hernach wäre es wohl der Muͤhe
werth, diefe Sache zu erflären. Drittens fcheint es eine
anmerfenswürdige Sache zu feyn, daß manche Träume
allgemein zu feyn fcheinen; oder daß entweder alle Mens
fehen, oder die meiften, oder doch unendlich viele fich ge-
wiffe Dinge im Traume vorftellen. 3. E. es träumt de—
nen Menfchen ofte, daß fie von einer Höhe herabfallen;
oder daß fie ſchreyen wollen, und nicht koͤnnen; oder daß
man fic) ankleiden will, und die Kleidungsftücde nicht fin=
4 den,
260 Von dem Dichtungsvermögen.
den, und nicht fertig werden Fan; oder daß man laufen
will und nicht fortkommen Fan, Diefen legten Traum hat
gewiß Homer fo wohl, als auch Virgil gehabt. Jener
führt, in dem zwey und zwanzigften Buche Der Jliade,
dieſen Traum als ein Gleichniß an, und dieſer thut eben
diefes, in dem zehnten Buche der Aeneis. Wenn man
den Grund von diefer Sache entdeckte, fo würde uns ohne
Zweifel ein geöfferes Licht, in der Theorie von den Trau-
men, aufgehen,
$. 596. ü
Eine von den erftaunenswirdigften Erfcheinungen
unter den Menfchen ift, die Krankheit dev Nachtiwandeler,
Ein Nachtwandeler träumt, und in feinem Körper ent:
ftehen durch den Traum folche merkliche Bewegungen, der—
gleichen im Wachen mit den Aufferlichen Empfindungen
verbunden zu feyn pflegen. 3. E. wenn ein Menſch im
Wachen an einen Dre hingehen will, fo bewegt fich fein
Körper dahin. Einem Nachtwandeler traͤumts, daß er
von einem Drfe zu dem andern hingehen wolle, und ohne
aufzuwachen nime fein Körper dieſe Bewegung vor. Viel—
leicht werden die Weltweifen niemals im Stande feyn, al-
les aus der Natur vollftandig zu erflären, was man bey
den Nachtwandelern beobachtet. Ein Nachtwandeler klet—
tere Höhen hinauf, von welchen ein Wachender berabftür-
zen und Hals und Bein brechen würde, und was derglei-
chen mehr ift. Allein, eine allgemeine Erklärung diefes
Wunders der Natur, läße ſich recht gut geben. Denn
erſtlich Fönnen die Traume einen groffen Grad der Stärfe
befommen, daß fie wenigftens bey nahe eben fo ſtark find,
als unfere Empfindungen im Wachen. Können nun die
Teßtern, Bewegungen im Körper, verurfachen, fo koͤnnen es
auch die erftern, zumal da nach meiner Theorie der Träu-
mende nur fehlummert, und viele klare äufferliche Empfin—
dungen haben fan. Folglich Fan ein Nachtwandeler fehen,
fühlen, hören u. kw. Zum andern find, mit den Aufferli=
chen Empfindungen und Einbildungen, materialifche Bil-
der
u ——
— —
— —
En
Pon dem Dichtungsvermögen. 2c1
der im Gehirne verbunden, welche im Schlummer eben die
Beivegungen im Körper verurfachen Fonnen, als im Wa—
chen. Folglich nehme ich-an, daß der Traum eines Nacht:
wandelers, viele Elare Aufferlihe Empfindungen, in fich
enthalte, und zwar merklich mehrere, als die Träume eines
Menfchen, der fein Nachtwandeler ift. Es müjten.alfo
die Herren Aerzte unterfuchen, woher es fomme, daß der
Tervenfaft bey manchen $euten, zur. Zeit ihres Schlafs,
nicht fo rubig werde, als bey Leuten, Die Feine Nachtwan—
deler find; fo würden fie vielleicht. den wahren Grund fin-
den, aus welchem in dem Körper dieſe Krankheit entſteht.
Seute, die im Schlafe reden, fich im Bette aufrichten, mit
den Händen viel um fich fehlagen, werden zwar Feine Nacht—
wandeler genant, allein ihr Zuftand ift, von dem Zuftande
eines Nachtwandelers, nur wie das Fleinere von dem grof.
fern unterfchieden. Dieſe meine Meinung von dem Nacht—
wandeln wird dadurch beftätiget, daß man fich, ohne auf:
zumachen, im Bette herumfehren Fan, Wenn wir wachen,
und wir haben lange auf einer Seite gelegen, fo befommen
wir eine unangenehme Empfindung, und deswegen legen
wir uns auf eine andere Seite. Kolglich muß diefes Her:
ummelzen durch eben eine folhe Empfindung entftehen, Die
aber nicht fo Elar ift, als im Wachen.
§. 597.
Hieher gehört auch noch der Zuftand eines Phanta:
ften, und Verruckten. Wer im Wachen einige Erdich:
tungen für Empfindungen hält, wird ein Phantaſt, ein
Schwärmer, ein Örillenfänger genannt. Wie viel Hifto:
rien hat man nicht von folchen $euten? ener dichtete fich
felbft eine grofle Nafe an, und er hielt diefes für eine Em—
pfindung, indem er die Groͤſſe feiner Naſe zu fehen und zu
fühlen glaubte, Und hieher koͤnnen alle phantaftifche,
hochmuͤthige und ‚verliebte : Leute gerechnet werden, ſamt
allen Schwärmern in der Religion, Und das rührt ohne
Zweifel Daher, wenn ein Menfch im Wachen, von feinen
\ Aufferlihen Empfindungen, zu ſehr feine Gedanfen abzieht,
5 und
202 Von dem Dichtungsvermögen.
und feinen Erdichtungen zu fehr nachhaͤngt. Alsdenn Fan
eine Erdichtung eine der klaͤrſten und ſtaͤrkſten Borftellun-
gen werden, und dergleichen Vorſtellungen bäle jederman
für Empfindungen. Wer aber feine Erdichtungen gar
nicht mehr von den Empfindungen unterfcheiden Fan, wer
feine Empfindungen für Erdichtungen hält, und feine Er:
Dichtungen für Empfindungen, der ift ein Derruckter, und
der Zuftand deffelben ift die Verruckung. Da diefelbe
von der Phantafterey nur, wie das Gröffere von dem Klei-
nern, unterfchieden iſt; fo entfteht fie aus eben den natür-
lichen Urfachen, wenn fie in einem höhern Grade vorhan—
den find. Wenn durch Krankheiten die materialifchen
Bilder, welche die Einbildungen begleiten, eben fo ftarf
oder noch ftärfer werden, als die materialifchen Bilder der
Empfindungen; oder wenn die legten, durch eine Merven>
franfheit, oder um einer Schwächung der Nerven willen
in einer Kranfbeit, ungewöhnlich gefehwächt werden, fo
phantaſirt die Seele, oder geräth wohl gar in eine Ver—
rucung.
2 EEK EE KK KK RE TFT FI —
Der, fechfte Abfchnitt,
Bon dem Bermögen vorherzufehen.
ge 598.
&% viele Menfchen ftehen in der Meinung, alsfey
die Vorberfehung zukünftiger Dinge ein Vorrecht
der Gottheit, und als fey die ganze Zukunft vor den Augen
aller Menfchen fehlechterdings verſchloſſen. Allein fie be-
trügen fich ganz unläugbar. Sie verwechfeln vorherfeben,
wahrfagen und prophecenen mit einander ; und weil wir
Menfchen die zukünftigen glücklichen und unglüclichen Zu:
fälle, nebft andern dergleichen Schickſaalen, nad) deren
Borherwiffen unfere unordentlihe Neugierigkeit durſtet,
nicht vorherfehen koͤnnen: fo fehließe man auf eine höchft
übereilte Art, daß wir das Zukünftige gar nicht bin
eben
Von den Vermögen vorbersufehen. 203
fehen im Stande find. Hätten wir Fein Vermögen, das
Zufünftige vorherzufehen, fo würden mir nichts begehren,
nichts verabfcheuen, nichts hoffen, nichts fürchten koͤnnen.
Wir würden weder vorfichtig noch Flug handeln koͤnnen,
und wir würden, mit einem Worte, fehr elende und naͤrri—
fehe Creaturen feyn. Die unleugbare und tägliche Erfah—
rung überzeugt uns, daß wir uns unferer zufünftigen Zu—
jtände bewußt find. Wir fünnen an den morgenden Tag,
‚ und das fünftige Jahr denken. Wir erkennen, daß wir
fterben werden, und es geht feine Stunde des Tages vor:
bey, da wir uns nichts Zufünftiges vorftellen folten, und
folte es auch nur gleich der nächftfolgende Augenblick feyn.
Die Vorftellungen unferes zufünftigen Zuftandes, fie mö-
gen nun £lar oder dunkel feyn, heiſſen Vorherſehungen;
und es befißt demnach unfere Seele ein Vermögen, zufünf-
tige Dinge zum voraus zu erfennen, und wir nennen die—
fes Vermögen das Vorberfehungsvermögen. Es be-
fteht daffelbe in nichts anders, als in der Aufmerkfamfeit
auf das Zufünftige $. 506. und in fo ferne es alſo unferer
Seele möglich ift, ihre VBorftellungsfraft auf die zukünfti-
gen Dinge zu richten, in fo ferne Fomt ihr diefes Erkennt—
nißvermögen zu. Und da, alle unfere zukünftigen Zuſtaͤn—
de, zu den zufünftigen Zuftänden der Welt gehören; fo itt,
unfer Borherfehungsvermögen, ein Bermögen, die zufünf-
tigen Zuftände der Welt zu erkennen, Alle unfere Vor:
herfehungen demnach, welche von uns felbft hervorgebracht
werden, werden durch die Vorftellungsfraft der Seele ge-
würft, vermöge welcher fie fich die Welt, nad) der Stel—
lung ihres $eibes, vorftelt $. 488.
« 5090.
Das Zukünftige, in fo ferne es zufünftig ift, ift noch
niemals wuͤrklich gemwefen, folglich haben wir es noch nie fo
empfunden, wie es zufünftig ift. Es ift demnach eine
jedwede Vorberfehung nichts anders, als eine Erdichtung,
und befteht alfo aus den Theilen unferer Empfindungen, die
wir jeßt in dem Augenblicke haben, wenn eine Borherfe-
bung
204 Von dem Vermögen vorherzuſehen.
hung in uns entſteht, und welche wir vordem gehabt haben
9. 587. 588. Folglich entſteht eine Vorherſehung in ung,
wenn eine gegenwaͤrtige Empfindung die Einbildungskraft
beſtimt, eine vergangene Empfindung uns wieder ins Ge—
muͤth zu bringen; wenn wir das, mas fie mit einander ge—
mein haben, abfondern, und die Theile, ‚wodurch fie von
einander unterfchieden find, zufammen als eine Borftellung
anfeben, und dieſes ift die Vorherſehung. Daher ſieht
unfere Seele das Zufünftige, nach dieſer Regel, vorher:
Wenn man eine $Einbildung und Empfindung, die
einen Theil mit einander gemein haben, mit einans
der vergleicht, und die in ihnen verfchiedenen Theile
in ine Vorftellung sufammenfaßt, fo ſieht man
das Zukuͤnftige vorher. Man Fan es ſich wie einen
Schluß vorftellen, in welchem die Einbildung der Dberfag
iſt, die Empfindung iſt der Unterfaß, und der Schlußſatz
iſt Die Vorherſehung. 3. E. meine Einbildungskraſt ſagt
mir, daß ich bisher alle Mittage um zwoͤlf Uhr zu ſpeiſen
gewohnt binz nun fage mir meine Empfindung, daß es
jetzt bald Zwoͤlfe ift, folglich fehe ic) vorher, daß ich balde
fpeifen werde, Oder ich habe eg erfahren, oder fonft-aus
Gründen ſchon ofte erfant, daß Verschwendung arm mache,
Ich fehe einen Menfchen, und feine Verſchwendung. Bey
dieſer Gelegenheit faͤlt mir die Wahrheit ein, die ich ſchon
laͤngſt erkannt habe, und daher entſteht die Borherfehung,
daß dieſer Menſch fih an den Bettelftab bringen werde,
Das Zufünftige laͤßt ſich auch nicht anders vorberfehen,
als aus feinen Örinden. Nun bat es feinen Grund in
dem Gegenmärtigen, und DBergangenen. Folglich muß,
man fi dieſes Durd) Die Einbildungskraft, und jenes durch
die Sinne vorſtellen, wenn man eine Vorherſehung erlan—
gen will. Die Erfahrung lehrt auch, daß ein Menſch um
fo viel weniger an die Zukunft denke, je weniger Erfah—
sung er befißt, als 3. E. in der Kindheit. Je älter man
wird, deſto vorfichtiger wird man, und defto mehr denkt
man an das Zukünftige, weil man mehr Erfahrung erlangt
hat,
Don dem Vermögen vorbersufeben. 205
bat. Das Gegentoärtige wird, wie Leibnitz fagt, Durchs
Vergangene gefehmwängert, und "gebührt das Zukünftige,
und hierin ſteckt die ganze natürliche Regel, nach welcher
wir das Zufünftige vorherſehen. Und hieraus iſt zu be:
greifen, welche zufünftige Dinge wir vorherſehen fünnen,
und welche wir vorherzufehen nicht vermögend ſind. Nem—
lich wir koͤnnen alles das Zufünftige vorberfehen, deſſen
Gründe, welche in unferm gegenwärtigen und vergange-
nen Zuſtande angetroffen werden, uns durch die Erfahrung
oder anders woher hinlänglich befannt find, wie 3. E. in
den vorbinangeführten Beyſpielen. Sind uns aber dieſe
Gründe unbekannt, weil wir entweder nicht auf fie acht ha—
ben, oder weil wir fie nicht erkennen Fonnen; fo koͤnnen wir
auch eine folche zukünftige Sache nicht vorherfehen , und
wenn fie auch gleich Den nächftfolgenden Augenblick würf:
fich werden folte, wie uns Diefes bey allen Vorfaͤllen be-
gegnet, die ſich ganz unvermuthet ereignen.
$. 606,
Wenn man die verfchiedene Klarheit und Stärke der °
Borherfehungen unter einander, und mit der Klarheit und
Staͤrke anderer Vorſtellungen vergleicht; fo koͤnnen wir
folgende Beobachtungen bemerken: 1) Die aufferlichen
Empfindungen, oder überhaupt die Empfindungen, find
der Art und Gattung nach) Flärere und ſtaͤrkere Vorſtellun—
gen, als die Borherfehungen. Wir behaupten nicht, daß
eine jede Empfindung Flärer und ftärfer ſey, als eine jed-
wede Vorherfehung: denn das würde der Erfahrung zu—
wider feyn. Aengſtliche Sorgen wegen des Zufinftigen
maden, einem Menfchen, alles Angenehme in feinem ges
genmwärtigen Zuftande unſchmackhaft, und unterdrucfen affe
Empfindung. deffelben. Sondern wir behaupten nur, daß
eine Empfindung und Borherfehung, wenn fie übrigens
einander glei) find, fich fo gegen einander verhalten, daß
jene eben deswegen Flärer und ftärfer ift. als diefe, weil fie
‚eine Empfindung iſt; und diefe eben Deswegen dunfeler
und ſchwaͤcher iſt als jene, weil fie eine Vorherſehung if,
Unfere
206 Vondem Dermmögen vorbersufehen.
Unfere Elärften und ſtaͤrkſten Empfindungen find allemal
£lärer und ftärfer, als unfere Flärften und ftärfften Vor—
berfehungen. Und diefes komt Daher, weil unfere Seele
fich die Welt, nach der Stellung ihres Leibes, vorftelt $. 488.
Da nun dasjenige, was wir empfinden, uns unmittelbar
gegenwärtig, und alfo naher ift, als was wir vorherſehen;
fo ift es auch ganz natürlich, daß unfere Empfindungen
ftärfer und Flärer find, als unfere Borherfehungen, _ Die
Seele hat einen Trieb, ihre Erkenntniß zu vermehren,
indem fie etwas empfindet, fo befindet fie fich juft im Er-
obern, und fie fale alfo hitziger über ihre Empfindungen
ber, als über ihre Borberfehungen, als welche ihr nur eine
Eroberung vorftellen, die fie Fünftig machen fol, und fie
denft alfo, es hat noch Zeit. Folglich verhäit ſich Die
Aufmerkfamkeit bey den Empfindungen würffamer, als
bey den Borberfehungen, und fie müffen alfo nothwendiger
Meife Flärer und ftarfer werden, als diefe, Da nun das
gröffere Licht das Fleinere unterdruckt $. 508. fo werden die
Borherfehungen von den Empfindungen ungemein verhin-
dert, geſchwaͤcht und unterdruckt. Und daher Fomts, daß
die Menfchen, über dem Gegenwärtigen, an das Zufünf-
tige zudenfen aus der Acht laffen; und daß fie alfo über dem
Gegenwärtigen das Zufünftige aus der Acht laffen. Daher
unterdrucen, die Empfindungen der gegenwärtigen Reitzun—
gen der Sünde, in einem jediweden Sünder, die Borberfe-
hungen der böfen Folgen derfelben. 2). Wir koͤnnen nichts
in einem folchen Grade der Klarheit und Staͤrke worberfe-
ben, als wir es Ffünftig empfinden, wenn es gegenwärtig
wird. Welchem Hungrigen fan eine Malzeit im Vorher—
fehen eben fo gut ſchmecken, als wenn er fie würflich thut?
Kein Uebel ſchmerzt uns eben fo fehr in der Vorherſehung,
als in der Empfindung. Und dieſes Fome nicht nur Daher,
weil die Vorherſehungen überhaupt dunkeler und ſchwaͤcher
find, als die Empfindungen, wie gleich jego erwiefen wor—
den; fondern weil auch. allemal; wenn eine Vorberfehung
in unferer Seele ift, neben derfelben viele Empfindungen
anderer
Don dem Vermögen vorherzuſehen. 207
anderer Gegenftände in ihr angetroffen werden, welche als
ftärfere Borftellungen die Borberfehung ſchwaͤchen. Hier
müffen wir vorausſetzen, daß die Vorſtellung, welche wir
für eine Vorherſehung halten, in der That nichts anders
als eine Vorherſehung ſey. Denn fonft iit befannt,. daß
man zum voraus eine Sache fich viel fchlimmer oder beffer
vorftellen Fan, als man fie in der That zu feyn befindet,
wenn fie gegenwärtig wird. So aͤngſtiget fid) mancher
über das Aderlaſſen, über ein feyerliches Eramen u, f. w.
entfeslich, weil er ſich zum voraus die fücchterlichfie Vor—
ftellung daven macht, welche alfo viel ſtaͤrker iſt, als die
Empfindung felbft, Allein alsdenn haben wir Feine bloffe
Vorherſehung, und wir behaupten nur, daß Feine Vorher—
fehung fo flar und ſtark fen, als die Empfindung, wenn
die vorhergefehene — we lc wird,
.. 601
3) Der Grad der Klarheit und Stärfe der Borber-
fehung ift, dem Grade der Klarheit uud Staͤrke der. zu⸗
kuͤnftigen Empfindung, proportionirt, welche die vorherge—
ſehene Sache unſerer Meinung nach in uns hervorbringen
wird, wenn ſie wuͤrklich werden wird. Oder je groͤſſer und
tmichtiger die zufünftige Sache unferer Meinung nad) feyn
wird, folglich. eine je gröffere Veränderung fie in ung her—
vorbringen wird, und je ftärfer und klaͤrer wir fie aiſo uns
ferer Meinung nach empfinden. werden, deſto Flärer und
ftärfer wird dadurch unfere Borherfehung. Je kleiner und
unerheblicher aber unferer Meinung nach) die zukünftige
Sache feyn wird, je Fleiner die Veränderung fenn wird, die
fie in ung verurfachen wird, und: je dunkeler und ſchwaͤcher
wir fie unferer Meinung nach empfinden werden, defto
ſchwaͤcher ift unfere Vorherſehung derfelben $. 49. Das
ber fomts, daß, wenn zwey Leute ein Uebel befürchten, der
eine eine viel ftärfere Borberfehung deffelben und eine groͤſ—
feze Furcht vor demfelben hat, als der andere; weil ſich der
erite daffelbe als ein viel gröfferes Lebel, und die zufünftiz
ge Empfindung deffelben viel fehmerzhafter vorftelt, als der
andere.
208 Von dem Vermögen vorbersufehen.
andere. Daher ift es ein gewöhnliches Mittel, ſich gewiſſe
ängftliche Sorgen aus dem Ginne zu ſchlagen, wenn man
die Sachen, die man beforge, für Kleinigkeiten anſieht,
und folten wir auch gleich in dieſem Stücke irren. 4) Je
öfter wir eine Sache empfunden, und Durch die Einbil-
dungskraft uns vorgeftele haben, deſto Flärer koͤnnen wir fie
auch vorherfehen; je felfener wir fie aber empfunden, und
durch die Einbildungstraft uns vorgeftelt haben, defto we:
niger Flar ift unfere Borherfehung derſelben. Denn die
Empfindung und die Einbildung find die Gründe ver Bor:
herfehung $. 599. und jederman weiß, daß die Folgen al-
lemal um fo viel groffer oder Fleiner find, je geöffer oder
Fleiner ihre Gründe find, Wie klar fonnen wir uns nicht
zum voraus vorftellen‘, wie ‚eine Speife ſchmecken werde,
die wir fehon ofte gegeffein Haben ? Je mehr Erfahrung ein
Arzt ſchon von gewiffen Krankheiten erlangt bat, defto leich-
tor Ean er die Abanderungen derfelben imeinem neuen Falle
vorherfehen. Folglich je ähnlicher die zufünftigen Dinge
Denenjenigen find, die wir ſchon ofte erfahren"haben, defto
leichter und Elärer koͤnnen wir fie vorherfehenz je weniger
Aehnlichkeit und Gleichheit fie aber mit den Dingen haben,
die wir ſchon ofte erfahren haben, deſto ſchwerer und weni-
ger Elar koͤnnen wir fie vorherſehen. 5) Die Einbildun:
gen find, der Art ımd Gattung nach, Flarere und ftärfere '
Borftellungen, als die Vorherſehungen. Nicht eine jede
Einbildung iſt klaͤrer und stärker, als eine jede Borherfe-
hung; fondern nur alsdenn, wenn fie übrigens einander
gleich find. - Linfere allerſtaͤrkſten und Elärften Einbildun-
gen find eben deswegen, weil fie Einbildungen find, klaͤrer
und ftärfer, als unfere klaͤrſten und ftärkiten Borberfehun:
gen. Denn eine Einbildung ift eine Wiederholung einer
Empfindung $. 555. und alſo eine Wiederholung der ftärfz
ſten Vorftellungen, deren wir fähig find; eine Borherfes
bung aber ftelt uns nur eine Empfindung dor, die wir erſt
Noch befommen follen. Bey jenen ift ſchon ein Anfag zu
einer Fertigkeit, wodurch die innere Empfindung der Ein
bildung
— ur
—
Don dem Vermoͤgen vorherzuſehen. 209
bildung befoͤrdert wird; bey dieſer aber nicht. Folglich
verdunkeln, auch die Einbildungen, die Vorherſehungen
6.508, Lehrt nicht die beſtaͤndige Erfahrung, daß die
Menſchen gewoͤhnlicher Weiſe mehr an das Vergangene,
als an das Zukuͤnftige, denken? Und nun kan man begrei—
fen, warum, unſer Vermoͤgen vorherzuſehen, uͤberhaupt eins
unferer ſchwaͤchſten Erkenntnißvermoͤgen if. Wenn es
wuͤrken will, hat es allemal mit zwey Feinden zu Fämpfen,
mit den Sinnen und der Einbildungsfraft, und man darf
ſich alfo nicht wundern, daß alle unfere Vorherſehungen zu—
| fammengenommen , gegen alle unfere Empfindungen und
Einbildungen gerechnet, ein fo fehwaches Licht haben. Sa
wir Fonnen nichts fo Flar-vorherfehen, als wir es uns ein:
bilden Fünnen, wenn übrigens alles gleich ift, und wenn
die Vorherſehung richtig iſt. Kan man fich wohl eben fo
| gut vorftellen, wie ſich ein Schaufpiel zeigen wird, welches
mir erft fehen mollen, als wie ſich ein Schaufpiel gezeigt
bat, welches wir ſchon gefehen haben? Und eben fo verhält
es fi) auch mit einem Uebel, welches uns bevorfteht, und
| welches wir fehon einmal ausgeftanden haben,
2 0%
6) Se entfernter eine Sache nod) in der Zukunft ift,
deſto dunfeler und fehwächer Fan deswegen ihre Vorherſe—
bung ſeyn; je näher fie uns aber bevorfteht, deſto Flärer
und ftärfer Fan auch ihre VBorherfehung ſeyn. Jene ift
weiter von uns entfernt, als diefe. Da unfere Seele nun
die Welt, nach der Stellung ihres $eibes, ſich vorftelt $. 488.
fo Fan fie auch jene nicht fo leicht und klar vorherfehen, als
dieſe. Wenn eine zufünftige Sache noch lange und weit
hinausgeſetzt ift, fo hat es noch lange Zeit, ehe fie uns was
angeht. Alſo hat die Seele nicht Anreigung genung, ihre
Aufmerffamfeit mit derfelben zu Defchäftigen, und es ift
alfo ganz natürlich, daß ihre Vorherſehung Flein ift. Steht
fie uns aber fehr nahe bevor, fo ift, fo zu reden, der Freund
oder Feind ſchon vor der Thüre, Die Seele nimt alſo
mehr Antheil an derfelben, und bat mehr Anreißung, ihre
‚+3, Theil. O Auf⸗
|
|
210 Don dem Vermögen vorbersufehen.
Aufmerkſamkeit mit derfelben zu befchäftigen, folglich muß
auch die Vorherſehung derfelben klaͤrer und flärfer fen.
Geſetzt es fürchte fich jemand vor einem bevorftehenden
Uebel, fo darf man ihm nur vorftellen, es fey noch lange
bin, ehe es werde würflid) werden, wenn man feine Vor—
berfehung ſchwaͤchen will, Daher Fonts, daß die meiften
Leute fo ſchwach an ihren Tod denfen, ob er ihnen gleich
manchmal nächitens bevorftehtz weil fie denfelben allemal
als noch fehr weit entfernt betrachten. So bald fie aber
eine gefährliche Krankheit befommen, fo bald denfen fie
ftärfer an den Tod, weil fie ſich denfelben als nahe bevor:
ftehend vorfiellen. Daher fomts, daß die Borherfehung
näherer zukünftiger Dinge, weil fie klaͤrer und ſtaͤrker ift,
die Vorherſehung entfernterer zukünftiger Dinge verdun-
kelt und fhwächt S. 508. Daher Fonts, daß wir Men-
ſchen mehr dieZufälfe, die uns in dieſem Leben bevorfiehen,
vorherfehen, als den Tod und den Zuftand nach dem Tode,
weil wir jene immer als näher bevorftehende Zufälle be=
trachten, ob wir ung gleich fehr ofte darin berrügen. And
wenn uns daher zwey oder mehr zufünftige Zufälle von
gleicher Wichtigkeit bevorftehen, die wir alie zu ihrer Zeit
im gleichen Grade empfinden werden, fo fehen wir denjeni-
gen in einem hoͤhern Grade vorher, der uns näher bevor=
fteht, als denjenigen, der weiter in der Zukunft von ung —
noch entfernt ift. 7) Se fihärfer der Sinn ift, deſſen
Empfindungen die zufünftige Sache ähnlich ift, und je
gröffer die Einbildungskraft ift, defto klaͤrer und ſtaͤrker
find die Vorherſehungen. Se ftumpfer aber die Sinne
find, und je Fleiner die Einbildungsfraft ift, defto Kleiner
ift die Borherfehung. In dem eriten Falle find die Em—
pfindungen und Einbildungen, weldye die Gründe der Bor-
berfehung find $. 599. ſehr ſtark und Fiar, folglich muß
auch die Vorberfehung, als die Folge derfelben, ftarf und
Elar ſeyn. In dem entgegengefegten Falle verhält es fich,
auf eine entgegengefeßte Art. Ein Leckermaul z. E. bat
eine viel lebhaftere und ftärfere Borberfebung einer guten
Malzeit,
Don dem Vermögen vorherzuſehen. a1
Malzeit, als ein anderer, der Feinen fo feinen und lebhaf-
ten Geſchmack der Zunge bat. Daher find, die Vorher—
fehungen der Freuden des ewigen Sebens, in diefem geben
fo ſchwach und dunfel, weil unfere irdifchen Ginne zu
ſtumpf find, als daß fie uns Empfindungen geben fünnten,
die eine merkliche Aehnlichkeit mit den zufünftigen Empfin-
dungen der Geeligen haben, welche fie durch verklaͤrte und
erhöhete Sinne erlangen werden,
——
Die deutliche Unterſcheidung der mannigfaltigen Gra—
de und Sollfommenheiten des Vermoͤgens, zufünffige
Dinge vorberzufehen, berubet auf folgenden Betrachfun-
genz 1) Ye mehr zufünftige Dinge, und je mehr’von
Einer zukünftigen Sache, wir vorberfehen Fünnen, defto
gröffer und vollfommener ift das Vorherſehungsvermoͤgen.
\ Se weniger zufünftige Dinge, und je weniger von Einer
zufümftigen Sache, wir vorherzufehen im Stande find,
defto Fleiner ift unfer Borherfehungsvermögen. Folglich
iſt es ein Beweis der Gröffe diefes Erkenntnißvermoͤgens,
wenn man ofte an das Zufünftige denkt, und fehr viele
Vorherſehungen hat. So bewundert man einen jeden klu—
gen Menfchen, wenn er auf fehr viele zufünftise Vorfälle
fich vorbereitet. 2) Je ſchwaͤcher der Eindruck ift, den
unferer Meinung nach) eine zufünftige Sache in unfere
Sinne Fünftig machen wird, defto ftärfer ift unfer Vorher—
\ fehungsvermögen, wenn wir fie demohnerachtet vorherfehen
| Fönnen: denn eine folche Sache vorberzufehen ift ſchwerer,
\ als etwas vorberzufehen, welches wir uns als eine fehr
\ wichtige zufünftige Beränderung vorftellen $. 601. 3) Je
\ weiter die Dinge in der Zufunft entferne find, die wir vor:
\ berfehen koͤnnen, defto gröffer ift unfer Vorherſehungsver—
F mögen: denn es ift viel leichter, fehr nahe bevorftehende
| Dinge vorberzufehen $. 602. Kin Menfc handele erft
aisdenn recht vorfichtig, wenn er ſchon von weiten Anftal-
ten auf zufünftige Dinge machen Fan. Wer aber erft An-
ſtalten macht, wenn ein Vorfall ſchon anfängt wuͤrklich zu
| I 2 werden,
212 Von dem Vermögen vorberzufehen.
werden, der legt eine fehr fehlechte Vorfichtigkeit an den
Tag. 4) Je feitener wir dasjenige, was wir vorherfehen
Eonnen, zum Theil ſchon empfunden, und durch die Einbil-
dungskraft uns vorgeftelt haben, deſto groͤſſer ift unfer Bor:
berfehungsvermögen $. 602. Wer ſolche zufünftige Din-
ge vorberfehen Fan, die unzählig ofte in der Welt zu ges
ſchehen pflegen, und faft täglich ſich zutragen, die er alfo
ſchon unzahligemal erfahren hat, der beweift Feine grofle
Stärfe feines Borberfehungsvermögens. Wer Fan es für
eine befondere Gefchicklichfeit halten, daß wir vorherfehen
koͤnnen, daß wir einmal fterben werden? Wer aber feltene
Vorfälle vorherfehen Fan, der muß ein groſſes Vorherſe—
hungsvermögen befisen. 5) Je mehrere und ftärfere Bors
ftellungen anderer Art, fremde Empfindungen und Einbils
dungen, in unferer Seele find, deren obnerachtet und mit:
ten unter welchen wir das Zufünftige vorberfehen können,
defto geöffer ift unfer Borberfehungsvermögen ; weil es,
mit fo vielen Hinderniffen umringt, dennoch wuͤrken fan.
Wenn man in einer flillen Einfamfeit und Muße den
Tod, oder andere zufünftige Dinge, vorherfieht, fo ift das
feine Kunſt. Wenn man aber mitten unter vielen Ge—
fchäften, mitten in. dem Tumulte der Welt, der Zufunft
eingedenf bleibt, fo baben wir ein groffes Vorherſehungs—
vermögen, 6) Se leichter und gefchwinder wir eine Bor:
herfehung des Zufünftigen bervorbringen Eönnen, defto
gröfler ft unfer Borherfehungsvermögen, Es ift aber um
fo viel kleiner, je länger wir darauf finnen müffen, und je
ſchwerer es uns wird, zukünftige Dinge vorherzufehen.
Und 7) je geoffer, klaͤrer, richtiger, gewiffer und ftärfer -
die Vorherſehungen find, deito gröffer ift das Vorherſe—
hungsvermögen. Wer fich mit dev Vorherſehung Eleiner
und unerheblicher Poffen befchäftiger, oder nur auf eine
fehr Dunfele, ungewiſſe und matte Art das Zufünftige vor=
berfehen Fan, der beweift dadurch die Unvollkommenheit
ſeines Vorherſehungsvermoͤgens.
8. 604.
Pon dem Vermögen vorhersufehen. 213
—684
Geſetzt daß wir eine Vorſtellung haben, woher wiſſen
wir, daß es eine Vorherſehung, und weder eine Empfin⸗
dung noch Einbildung ſey? Oder wodurch unterfcheiden
wir unfere Borherfehungen von unfern Empfindungen und
Einbildungen, und woher fönnen wir abnehmen, daß uns
eine Borftellung etwas Zufünftiges und nichts Gegenmärs
tiges und DBergangenes vorftelle? Diefe Frage ift aller
dings von groſſer Wichtigkeit. Es gibt eine Are der Ver
ruͤckung, in welcher ein Menſch, feine Vorherſehungen, für
Einbildungen oder Empfindungen haͤlt. Mancher aufge—
blaſener Thore denkt, er ſey das ſchon wuͤrklich, was er erſt
noch zu werden gedenkt, und mancher Candidat hat einen
Superintendenten erſt im Kopfe, und gebaͤrdet ſich doch
ſchon ſo, als waͤre er es ſchon wuͤrklich. Gibt es nicht
Leute genung, welche, die Vorherſehungen einer Krankheit,
fuͤr ein wuͤrkliches Gefuͤhl derſelben halten, und deshalb
ſchon Arzeneyen brauchen? Wenn unſer Gemuͤth ſich, in
ſeinem gewoͤhnlichen und ordentlichen Zuſtande, beſindet, ſo
iſt nichts leichter, als die Vorherſehungen, durd) ihre Fleis
nere Klarheit, von den Empfindungen und Einbildungen
zu unterſcheiden, als welche ſehr merklich klaͤrer und ſtaͤrker
ſind, als jene. Und dieſe Unterſcheidung koſtet uns in die—
ſem Falle eben fo wenig Mühe, als wenn wir die Morgen:
demmerung noch nicht fir den hellen Tag halten. Allein
unfer Gemüth fan ofte, in einen ungewöhnlichen Zuftand,
gerathen. Alsdenn koͤnnen die Empfindungen und Einbil-
dungen ungewöhnlich ſchwach und dunkel, und die Vorher—
fehungen ungewoͤhnlich ftarf und Elar werden, Da wir
nun gewohnt find, unfere Elärften und ſtaͤrkſten Vorſtellun—
gen würfliher Dinge, für Empfindungen und Einbildun—
gen zu halten; fo ift es ganz natürlich, daß wir, in dieſem
Zuftande, die Borherfehung für eine Empfindung oder Eins
bildung anfehen. Und da fan es nun freylich gefchehen,
daß wir durd) alles unfer Nachdenken nicht vermoͤgend fin®,
uns aus diefer Verwirrung herauszureiften. Allein es Fan
| ) 3 doch
214 Von dem Dermögen vorherzuſehen.
doc manchmal möglich) werden, diefe Verwirrung zu ent
decken, wenn wir auf die Umſtaͤnde achtung geben, Die
Borherfehung fielt uns das Zufünftige vor, die Empfin—
dung das Gegenwaͤrtige, und die Einbildung das Bergan-
gene, Nun iſt es ganz unmöglich, daß das Zukünftige ge:
genwärtig oder vergangen feyn folte. Wenn wir alfo auf
unfern ganzen gegenwärtigen, nächft vorhergehenden, und
nacht nachfolgenden Zuftand achtung geben ;. fo fönnen wir
feine Borftellung für. eine Einpfindung oder Einbildung
halten, Die uns etwas vorftele, welches unfern gegenwärti«
gen und vergangenen Umſtaͤnden widerfpricht, und in de-
nenfelben nicht im höchften Grade gegründet ift. Man bat
viele Erzehlungen von. Sterbenden, welche manchmal in
einem Schlafe zu liegen fiheinen, und wenn fie erwachen,
verfihern, daß fie im Himmel gewefen, und die Freuden
des ervigen Lebens wuͤrklich empfunden haben, Es ift ganz
natürlich, daß ein Frommer, wenn er fterben will, die ewis
ge Seeligfeit vorberfieht. Nun Ean entweder natürlicher,
oder übernatürlicher Weife, diefe Borherfehung einen auf
ferordentlichen Grad der Klarheit erreichen, zumal da die
fterbenden Werkzeuge der Sinne nicht im Stande find, fon«
derlich Flare und ftarfe Empfindungen und. Einbildungen zu
verurfahen. Allein fo bald ein ſolcher Sterbender fich fo
weit erholt, daß er ſich befinnen Ean, er fey noch nicht todt,
fo bald Fan er auch entdecken, daß er nur eine Borherfehung
des ewigen Lebens gehabt, und feine Empfindung : Denn
die ft nicht eher möglich, bis die Seele nicht würflich ihren
Leib verlaffen bar.
66
Man Fan die Vorherſehungen, auf eine mannigfalti-
ge Art, erleichtern und befördern: ı) wenn man zufünfti-
ge Dinge vorherfieht, die man Fünftig in einem hohen Gras
de der Klarheit und Stärfe empfinden wird $, 601. Wenn
man alfo eine Borherfehung erleichtern will, fo darf man
fi) nur den Gegenftand als eine ‚fehr wichtige Sache vor«
fiellen, die, wenn fie wuͤrklich werden wird, eine fehr araile
Ver⸗
Don dem Vermögen vorherzuſehen. 215
Veränderung in uns herporbringen, viel Schmerz oder viel
Vergnügen verurfachen werde. Go macht man es mit
leichtfinnigen $euten, um das Andenfen des Todes bey ih.
nen zu befördern. Man fucht ihnen die erſtaunliche Wich⸗
tigkeit deffelben recht lebhaft vorzuftellen, indem man fie
überzeugt, daß ihr ewiges Wohl oder Weh von demfelben
abhange. 2) Wenn man dasjenige, was man vorherfehen
will, fhon groffentheils und öfters empfunden hat $. 602,
Oder je ähnlicher die Vorberfehung vielen unferer Empfins
Dungen ift, defto leichter wird fie uns. Folglich Fan man
gewiffe zufünftige Worfälle leichter vorherfehen, wenn man
in den Vorfaͤllen ihrer Art viele Erfahrung erlangt, wie
man diefes an den Aerzten, die viele Erfahrung haben, bes
merfen Fan. 3) Wenn man dasjenige, was man vorher-
fehen will, groffentbeils und öfters durch die Einbildungs-
Fraft fi) vorgeftelt hat $. 601. Dder wenn es vielen uns
ferer Einbildungen in einem hohen Grade ähnlich ift, wo—
bin das vorhin angeführte Benfpiel ebenfals gerechnet wer⸗
den fan, 4) Wenn man eine Sache fihon ofte vorherges
fehen bat, fo wird die Vorherſehung immer leichter, weil
wir in Abſicht auf fie eine Fertigkeit erlangen $. 172. und
fie wird immer Flärer, weil fi) immer mehr und mehr Vor⸗
ftellungen mit ihr vereinbaren, je öfter wir fie haben, Denn
aledenn wird fie ein Theil von vielen ganzen Borftellungen,
und fie wird alſo nad) und nach immer mit mehr und mehr
andern Borftellungen Vergefellfihaftee 9. 495. Dieſes
vierte Mittel der Erleichterung der Borherfehungen Ean,
auf eine zweyfache Ark, verftanden werden. Cinmal wenn
man fchon viele Fälfe erlebt hat, in deren jedwedem wir et⸗
was vorhergefehen, fo wird es uns fehr leicht, wenn der
Fall ſich wieder zuträgt, auch eben das wieder vorherzufes
ben, was wir vordem fo ofte vorhergefehen haben, und die.
fes teift bey den Xerzten ein. Und zum andern koͤnnen wir
uns auch, eine Vorherfehung einer und eben derfelben zu⸗
kuͤnftigen Sache, ungemein erleichtern, wenn wir, ehe ſie
eho ſehr ofte an fie gedenken: denn dadurch werden
' 4 wir
210 Vondem Dermögen vorbersufeben,
wir mit derſelben immer befannter. So wird uns die Bor-
berfehung unfers Todes immer leichter und leichter, je öfter
‚wir an denfelben denken. 5) Wenn wir eine zufünftige
Sache fehr ofte zu verfchiedenen Zeiten vorherſehen, und
in den Zwifchenzeiten Eeine fremden fehr ſtarken Borftellun«
gen haben : denn fo wird unfer Gemuͤth nicht zerftreuet,
und die Borherfehung behält immer einige Neuigfelt. So
erleichtert man ſich das Andenfen des Todes ungemein,
wenn man in einer ftillen Einfamkeit einige Tage, aufler
dem Geräufche der Städte und der Welt, mit Todesges
danken zubringt, 6) Wenn wir uns, den Gegenftand der
Dorherfehung, als eine nahe bevorftehende Sache vorfiel«
Ien $. 602, So befördert man die tägliche Vorberfehung
des Todes, wenn man fich überzeugt, er koͤnne ftündlich ja
augenbliclich kommen. 7) Wenn man alle fremde Ems
pfindungen, Einbildungen und andere Borftellungen, wele
che vor der Vorherſehung in der Seele vorhergehen, oder
mit ihr zugleich da find, unterdruckt, verdunfelt und ſchwaͤcht:
denn das heißt fo viel als, durch die Wegräumung der
KHinderniffe der Vorherſehung, diefelbe befördern. Folglich
wird uns eine Borberfehung fehr leicht, wenn fie auf ſchwa—⸗
ce Borftellungen anderer Are folge, oder mit ihnen zugleich
da iſt. So wird die Vorherſehung des Todes befördert,
wenn man alle Gedanken, die das Andenken defelben in
unferer Seele verdrengen, verhindert und unterdruckt.
Und 8) wenn man diejenigen Borftellungen, Empfindun«
gen und Einbildungen, aus denen die Vorherſehung herge=
leitet wird $. 599. Die ihr ahnlich, und die mit ihr vergen
fellfehaftet find, fie mögen nun vor der Vorherſehung vor«
hergeben, oder mit ihr zugleich da feyn, befördert, verſtaͤrkt
und Flärer macht : denn eben dadurch wird die Vorherſe⸗
bung befördert, wenn man ihre Urfachen befördert. Co
erleichtert man fi) die Vorherſehung feines Todes, wenn
man die Gottesäcer beſucht, Beerdigungen verftorbener
Menfchen beywohnt u. ſ. w.
§. 606.
Don dem Dermögen vorherzuſehen. 217
S. 606.
Wir werden kuͤnftig fehen, daß alle Begierden und
Berabfcheuungen, folglich alle freye Handlungen der Men-
fhen, aus den Vorberfehungen entſtehen. Mithin hat, die
Unterfuchung der Beförderung fo wohl, als auch der Ver—
binderung der Borherfehungen, einen unendlich mannigfal-
tigen und wichtigen Nutzen, indem wir daher lernen Füns
nen, wie wir Begierden und DBerabfcheuungen erwecken
und unterdruden follen, und das muß man nothwendig
wiffen, wenn man rechtmäßig handeln will. Wir wollen
alfo aud) unterfuchen, wie wir eine Borherfehung verhin-
dern koͤnnen? Und das Fan, auf folgende Art, gefchehen.
1) Wenn die zukünftige Empfindung der Sache entweder
ganz, oder eines Theils gehindert wird, $. 541, fo fält auch
die Borherfehung ganz oder zum Theil weg $. 598, Folge
lich fält Die Borherfehung ganz oder zum Theil weg, wenn
man entweder Berurfacht, daß der Gegenſtand uns gar nicht
oder zum Theil nicht bevorftehe, oder wenn man ſich über:
zeugt, daß man geirret habe, indem man ſich die Sache als
zufünftig vorgeftele. Wenn fid) jeniand vor einem Uebel
fürchtet, ſo deukt vr nicht mehr dran, fo bald er überzeugt
ift, es werde ihn niemals betreffen; oder er fieht es nicht
mehr fo ftarf vorher, fo bald man ihn überzeugt, daß es
ihm nicht in einem fo hohen Grade bevorfiehe, als er fich
vorgefiele bat. 2) Wenn man dieienige Empfindung ver-
hindert, welche der vorhergeſehenen Sache ahnlich ift, und
welche der Grund der Mherſehung iſt S. 599. Wenn
jemand frank wird, fo fieht er den Tod vorher, wird nun
feine Krankheit gehoben, oder fchlägt er fie aus dem Sin«
ne, fo denkt er auch nicht an den Tod. 3) Wenn man die»
jenigen Einbildungen verhindert $. 564. welche der Vor—
berfehung ähnlich find, und die der Grund derfelben find $.
599. Wenn viele Menfchen um uns herum fterben, fo er»
weckt, die Vorſtellung diefer Todesfälle, die Vorherſehung
unferes eigenen Todes. _ Schlägt man nun diefelbe aus
dem Ginne, fo verſchwindet auch dig Vorherſehung.
25 4) Wenn
218 Don dem Vermögen vorbersufehen.
4) Wenn man die erften Vorherſehungen einer zukünftigen
Sache, verhindert: denn da ift es noch am leichteften, weil
man noch Feine Fertigkeit In denfelben erlangt hat. Wen
aͤngſtliche Sorgen des Zufünftigen wegen einfallen, der
* — am kluͤgſten, wenn er gleich im Anfange ihnen wi«
derſteht. uk fie ſich aber einmal in der Seele ein, fo
hält es fehr ſchwer, fie wieder aus derfelben zu vertreiben.
s) Wenn man eine Borberfehung unterbricht, und die Aufz
merffamfeie mit VBorftellungen anderer Art befchäftiger.
Solten diefelben auch gleich ſchwaͤcher feyn, als die Vorher⸗
fehung, die man unterdruden will; fo gewinnt man dod)
fo viel, daß fie gefhwädht wird. Go fan ein Menfch eine
quälende Sorge wenigftens ſchwaͤchen, wenn er ſich in ſei—
nen Gedanfen mit andern Borftellungen, mit Betradhtuns
gen der Güte GOttes, mie dem Studieren u. ſ. w. befchäfs
tiget. 6) Wenn man die vorhergefehene Sache auffchiebt,
oder ſich wenigſtens zu überzeugen ſucht, daß diefelbe uns
nic)t fo nahe bevorftehe, als man bisher gemeint hat 6.602.
So macht man es mit einem Kranken, der ſich gar zu ſehr
vor dem Tode fürchtet, und dadurch feine Krankheit ges
fäsrlicher macht. Man fucht ihn nicht zu überzeugen, daß
er gar nicht fterben werde, fondern daß er entweder an die—
fer Krankheit nicht ferben werde, oder nicht fo bald, als er
befürchte. 7) Wenn die fremden VBorftellungen, Ems
pfindungen und Einbildungen, welche voreiner Vorherſehung
vordergehen, oder mit ihr zugleich da find, verftärft wer-
ven: denn alsdenn wird das uͤth, unter fremde Vor—
ftellungen, zerftreuet. So fan jemand durd) eine luftige
Geſellſchaft, durch das Studieren, durch die beftändige und
fleißige Abwartung feiner Gefchäfte, die aͤngſtlichen Sor⸗
gen vermeiden. 8) Wenn nıan diejenigen Borftellungen,
Empfindungen, Einbildungen u. ſ. w, welche der Borber-
ſehung, die man hindern will, ähnlich find, aus denen fie
hergeleitet wird, und welche mit ihr vergeſellſchaftet find,
fie mögen nun vor ihr vorhergehen, „oder mit ihr zugleich in
ver Seele daſeyn, ganz verhindert oder ſchwaͤcht. 7—
alle
>
Von dem Dermögen vorbersufeben. 219
alle Gelegenheiten zu Todesbetrachtungen vermeidet, der
unterdrucft auch eben dadurch das Andenken an feinen eige—
nen Tod. Und daher komts, daß irdifchgefinnte Menſchen
der Ewigkeit uneingedenf find, weil fie auf eine unfeelige
Art, fonderlich die beyden legten Regeln, beobad)ten.
087,
Alle Borberfehungen find unleugbar ſinnliche Vorftel-
lungen. Sie find nicht einmal fo Flar, als unfere Empfin«
dungen und Einbildungen $. 600. 601, Da nun, alle
Empfindungen und Einbildungen, finnlihe Borftellungen
find F. 522. 565. fo find noch vielmehr die Vorherſehungen
finnlihe Vorſtellungen. Wir fönnen alle unfere Vorher—
fehungen, in zwey Arten, abtheilen. Zu ver erften gehös
ven Diejenigen, weiche ganz finnlid) find, fie mögen nun
entweder ganz dunkel, oder fie mögen Flar dabey aber ganz
verworren feyn. Diefe Borherfehungen werden unleugbar,
dur) das untere Erfenntnißvermögen, gewuͤrkt, und der
Verſtand hat dabey gar nichts zu thun $. 524. Zu der
andern aber rechnen wir diejenigen Borherfehungen, die
auch eine Deutlichfeit haben. Diefe fünnen bey uns nie«
mals ganz deutlich ſeyn, fondern fie find zum Theil finnlicye
Borftellungen. Diefes Sinnliche bringe das untere Er—
Fenntnißvermögen hervor, und der Verſtand Fomt dazu,
beleuchtet die hervorgebrachte Vorherſehung, und macht ſie
zum Theil deutlich $. 525. Folglich iſt, das Vorherſe—
hungsvermoͤgen unſerer Seele, ein unteres Erkenntnißver—
mögen, und die Aeſthetik handele weitlaͤuftig von dem red).
ten Gebrauch deffelben, von feiner DBerbefferung, und von
dem Bortrage der Vorherſehungen $. 527,
608
Unſere Borherfehungen Fönnen, mie unfere übrige Era
Fenntniß, entweder wahr oder falfch feyn, und vielleicht ifk,
in keiner Art unferer Erfenntniß, Die Unrichtigfeit fo haus
fig und fo ſchwer zu vermeiden, als in den Borherfehun-
gen; weil das Borherfehungsvermögen, unter allen unfern
Erfenntnißvermögen, das ſchwaͤchſte iſt. Eine wahre
Dow
220 Von dem Vermögen vorherzufehen.
Vorherſehung, oder ein Vorſchmack des Zukuͤnftigen, iſt
eine ſolche Vorherſehung, welche uns eben dasjenige vor
ſtelt, was mir empfinden, wenn der Gegenftand wuͤrklich
wird; folglich wenn die Borherfehung, mit der zußünftigen
Empfindung, in Abficht des Gegenftandes völlig einerley
ift, ob fie gleich nicht fo klar und ftarf als diefe Empfin⸗
dung iſt: denn das ift nicht möglih. Allein die Wahr—
heit einer Vorſtellung hanget auch nicht, von ihrer gröffern
oder Eleinern Klarheit und Stärfe, ab. Oder eine jedwede
Borberfehung ift wahr, wenn fie erfült wird. Nemiich
eine Vorberfebung geht in Erfüllung, oder geht aus,
oder wird erfült, wenn die vorhergefehene Sache empfun—
den wird; oder wenn die zufünftige Sache, welche vorher
gefehen worden, würklid; wird. Wenn demnad) eine Vors
herſehung nicht erfüle wird, oder wenn die zufünftige Sa-
che, die vorhergeſehen worden, ganz ausbleibe, oder nur
zum Theil würflich wird, oder anders, als man fie voraus«
gefehen, fo ift fie eine falfche Vorherſehung, die entives
der ganz folſch if, oder nur zum Theil. Es iſt ganz un«
noͤthig, diefe Begriffe durch Beyſpiele zu erläutern, wir
rollen nur noch zweyerley bemerken. Einmal, die falfchen
Borherfehungen find deswegen fo merfivürdia, meil fie die
Duelle aller practiſchen Irrthuͤmer find. Durch) eine fal«
fche Vorherſehung werden mir verleitet, Dinge zu hoffen
und zu befürchten, zu begehren und zu verabfcheuen, die
ung nicht bevorftehen, Ein Sünder zerarbeitet fih in der
Sünde, um eine vorhergeſehene Glückfeeligkeit zu erlangen,
die aber niemals erfolgt, Und fo kan man ſich fehr leicht
überzeugen, daß, alle vergebliche, thoͤrichte und fündliche
Handlungen und Unterlaffungen, aus,falfchen Vorherſehun—
gen entſtehen. Zum andern Fan, eine und eben diefelbe
wahre Vorherſehung, ofte zu verfihiedenen Zeiten in Er
fültung gehen. Denn mern mir etwas vorberfehen, fo
fehen wir nicht alles in demfelben vorher, und felten ſehen
wir feine ihm allein eigene Unterſcheidungsſtuͤcke vorher.
Folglich) koͤnnen wir von einem zukünftigen Falle juft das—
jenige
|
Von dem Dermögen das Zufunftige sc, 221
jenige vorherſehen, was er mit einigen andern ebenfals zu—
Fünftigen Fällen gemein bat. Lind es ift demnach Flar, daß
eine Vorherſehung etlichemal erfült werden fan. Dieſe
Anmerkung ift uns, in der Auslegung der Propheten, nuͤtz—
ih. Ofte behauptet der eine Ausleger, daß ſich eine Weil
fagung in der Bibel auf den Fall beziehe, und der andere
fagt, fie beziehe fi) auf einen andern Fall, und fie Eönnen
oft alle beyde Recht haben.
EHE KR FE FEFRGHE RL FH N KH HB NE KO HH GH KH HEN
Der fiebente Abfchnit,
von dem
Dermögen das Zukünftige vorauszuerfennen.
$. 609.
We das Gedaͤchtniß in Abſicht auf vergangene Dinge
iſt, das iſt dieſes Vermoͤgen in Abſicht auf zukuͤnf⸗
tige Dinge; und wie ſich das Gedaͤchtniß zu der Einbil—
dunskraft verhält, fo verhält fich diefes Erkenntnißvermoͤ⸗
gen, wovon wir jeko h handeln wollen, zu dem Vorherſe—
hungsvermögen, Nemlich die Einbitdungsfraft bringt
uns das Vergangene wieder ins Gemüth, und das Ges
daͤchtniß erfennt es wieder als einen alten Befannten. So
geht es aud) mit unferm Borberfehungsvermögen. Es
ftelt uns daffelbe eine zufünftige Empfindung und Sache
vor, und weiter thut es nichts. Komt alfo nichts anders
binzu, fo haben wir eine Vorherſehung, und wiſſen nicht,
daß es eine Vorherſehung ſey. So bald wir aber erfen-
nen, daß die Vorherfehung eben die Borftellung fen, als
die zufünftige Empfindung, oder daß die vorhergefehene
Sache eben diejenige fen, die wir Fünftig empfinden wer—
den, fo erkennen wir fie zum voraus; und wir wollen
die Vorſtellung der Uebereinſtimmung unſerer gegenwaͤrti—
gen Vorherſehung mit der kuͤnftigen Empfindung, die
Vorauserkennung nennen. Wir bedienen uns alsdenn,
wenn
222 Don dem Vermögen
wenn wir etwas vorauserfennen,' Diefer Nedensarten: ja
fo wirds feyn, fo wirds gefchehen, die Muſik wird fehon
Elingen, fo wird die Speife ſchmecken, ich fage dirs vorber,
daß Diefes oder jenes gefchehen werde, und was dergleichen
mehr ift. Da nun hieraus zugleich erhellet, daß wir vie-
le zufünftine Dinge vorauserfennen, fo haben wir auch‘
ein Vermögen zukünftige Dinge voraussuerkennen
8.61. Dieſes Vermögen ift nichts anders, als eine Auf-
merffamfeit auf die Uebereinftimmung der Vorherſehung
mit der zufünftigen Empfindung $. 506. Es feßt Die
Borberfehung voraus, und ift eine Art des Witzes $. 597.
Folglich entfteht, die Borauserfennung einer Sache, nach
der Regel des Wißes, nemlich: wenn man diejenigen
Vorſtellungen, welche die Vorherſehung und die
zufünftige Empfindung miteinander gemein haben,
erkennt, fd erkennt man die Uebereinſtimmung zwi:
ſchen bepden. Da nun alfe Erfenntnißvermögen, wel-
che bey der Vorauserkennung vorausgefegt werden, ſamt
der Aufmerkfamfeit und dem Wise, durch die Borftel-
lungskraft der Welt gewuͤrkt werden, rote bisher ift gezeigt
worden; fo wird auch das Vermögen, das Zufünftige
vorauszuerkennen, durch eben diefe Kraft gewuͤrkt.
S. 610,
Wenn wir das Zufünftige vorauserfennen, fo ge—
ſchieht diefes entweder auf eine bloß finnliche, eder auf ei-
ne deutliche Art $. 609. 574. Jene ift eine bIoß finnli-
cbe Dorauserkennung, welche eine Ahndung genenne
wird, wenn fie bloß dunfel ift. Das Vermögen zufünf-
tige Dinge finnlich vorauszuerfennen, wird die Erwar⸗
tung ähnlicher Fälle genennt. Bon Ahndungen Fan
man nicht viel fagen. Es wuͤrde freylich hoͤchſt laͤcherlich
feyn, wenn man alle Schwermürhigkeit, alle Beklemmung
des Herzens, und alle Beängftigungen, deren Gründe wir
nicht Elar erkennen, und welche ofte von Örilfen und dickem
Blute entftehen, für Ahndungen halten, und alle unange—
nehme Vorfälle, die einem nach folchen as =
' offen,
das Zukünftige vorsussuerkennen. 203
ſtoſſen, für Erfüllungen derſelben anfehen wolte. Allein es
würde auch auf der andern Seite thoricht feyn, wenn man,
alle Ahndungen vehtverfen wolte. Mur müffen wir noch)
bemerken, daß wir hier durch Ahndungen nice Diejenigen
Vorfälle verftehen, die da Zeichen zukünftiger Dinge feyn
follen, und fi) auffer unferer Seele zutragen ; wie man
fagt, daß in den Häufern der Sterbenden, Fur; vor ihrem
Tode, ſich dergleichen Ahndungen manchmal ereignen fol:
len. Was nun die Erwartung ähnlicher Fälle betrift, fo
erkennen wir, vermöne derfelben, das Zufünftige nicht etwa
auf eine deutliche Art nach) allgemeinen Wahrheiten zum
voraus; fondern auf eine undeutlihe Are, indem wir das
Zukünftige mit andern einzeln Vorfaͤllen, die ung befannt
find, vergleichen, und ihre Aehnlichkeit und Liebereinflim-
mung, durch den ſinnlichen Wis, erfennen. Folglich fon
nen wir, durch die Erwartung ähnlicher Fälle, auf eine
drenfache Art das Zukünftige vorauserfennen. 1) Wenn.
wir eine Borherfehung mit einer Einbildung, oder die zu»
Ffünftige Sache mit einer vergangenen, vergleichen, und er⸗
kennen, daß jene fo feyn werde als Diefe gervefen, und daß
unfere zukünftige Empfindung eben die feyn werde, die wir
fehon gehabt haben. Wir wollen nur ganz leichte Bey—
fpiele geben, die zugleich ermweifen, daß wir täglich folche
Borauserfennungen haben. Geſehzt es bittet jemand mid)
auf eine Speife zu Gafte, die ich fchon ofte gegeffen habe,
fo denfe ich: es wird mir eben fo gut ſchmecken, als vor fo
und fo viel Zeit, da ic) eben die Speife aß. 2) Wenn wir
eine Vorherſehung mit einer gegenwärtigen Empfindung,
oder einen zufünftigen Vorfall mit einem gegenwärtigen
Vorfalle vergleichen, und uns vorftellen, daß unfere kuͤnf⸗
tige Empfindung eben fo feyn werde, als unfere jegige Em—
pfindung, oder daß Fünftig eben das gefchehen werde, was
jego geſchieht. Als wenn man eine Speife genieft, die
einem gut ſchmeckt, wie ofte gefihieht es nicht, daß man
das Uebrige auf hebt und dabey denkt, morgen wird mirs
eben fo gut ſchmecken, als jetzt. 3) Wenn man etwas Zu-
kuͤnftiges
224 Von dem Vermögen
Eünftiges ſchon vorauserkannt hat, fo Fan man einen andern
zukünftigen Fall mit demfelben vergleichen, oder eine Vor—
herfehung mit einer andern Vorherſehung, und erfennen,
daß in dem andern Falle eben das gejchehen wäre, was in
dem erften gefchehen wird. Wenn jemand einem lieverli:
chen Menſchen zuredet, und ſagt: glaubt mir, es wird euch
fehlim gehen, id) fage es euch voraus; fo iſt es ganz na-
£ürlich, daß er zu feinem eigenen Sohne, der zubört, fagt:
merfe dir dis, es wird dir nicht beffer gehen, wenn du
nicht beffer wirft. Ein jeder Fan fich, aus der menfchlichen
Klugheit im gemeinen Leben, und aus der ganzen Praris
der Menfchen, weitläuftigere Beyſpiele von diefer Sache
erwaͤhlen. ⸗
$. in
Wenn wir eine zukuͤnftige Sache vorausſehen, und
wir erkennen, daß ſie eben diejenige ſey, die wir kuͤnſtig
empfinden werden, ‚fo erkennen wir fie manchmal zum vor—
aus vermittelft der Vorftellungen, die mit ihr vergefellfchaf
tet find, und alsdenn vermuthen wir, daß Fünftig etwas
gefchehen werde. Die Vermuthung iſt demnad) dasje«
nige Erfennenigvermögen, durch weldyes wir vorhergefehes
ne Dinge, vermittelt der mit ihnen vergefellfchafteten Vor—
“ flellungen, voraus erkennen; es mag nun diefes entweder
auf eine bloß finnliche, oder auf eine deutliche Art geſche—
ben. In dem erften Falle ift es, eine finnliche Dermus
hung. Vorſtellungen, die mit einander vergefellfchaftet
find, find mit einander verbunden $. 495. And da alfo
eine derſelben, ein Erkenntnißgrund der andern, feyn Fan
S.28. fo ift es überhaupt möglich), daß man zufünftige
* Dinge, vermittelt der mit ihnen vergefellfhafteten Bor:
ftellungen, zum voraus erfenne. Und die Erfahrung lehrt,
daß wir ein ſolches Bermögen, zufünftige Dinge zu vermus
then, befigen. So vermuthet man an einem heiffen Som«
mertage ein Gewitter, und zu Kriegeszeiten Hungersnoth,
weit Sommerhige und Gewitter, Krieg und Hungersnoth
vergeſellſchaftet zu feyn pflegen, Sicher Fan man and) Die
dere
2
das Zukünftige vorauszuerkennen. 225
vermuthete Einwilligung, worauf in Rechtshändeln fo viel
anfomt, als ein Benfpiel rechnen. Wenn ih im Damen
eines abwefenden Freundes etwas thun will, fo bemühe ich
mich zum voraus zu erkennen, ob er damit zufrieden feyn
werde, fo bald er erfahren wird, was ich gethan habe. Wie
fol ich aber diefes zum voraus erfennen ? Nun fält mir
ein, daß man mit einer Sache zufrieden ift, wenn man fie
fi) zugleich als etwas fehr nüßliches vorftel. Folglich
wenn ich etwas im Namen meines Freundes thue, fo ihm
niche fchädlich fondern nuͤtzlich ift, fo fchlieffe ich daher,
weil mein Freund Diefes erfennen wird, daß aud) feine Ge—
nehmhaltung erfolgen werde, weil diefelbe mit der Vorſtel—
lung des Nüslichen vergefellfchaftet zu feyn pflegt. Die
Vermuthung ift dasjenige bey der Vorauserfennung, was
das Befinnen bey der Erinnerung ift $. 582. und die Re—
gel,nach welcher fich unfere Bermuthung richtet, Liege felbft
offenbar in der Erklärung Derfelben.
$. 612,
Das Vermögen vorbergefehene Dinge auf eine deut-
liche Art zum voraus zu erfennen, wird die Dorfebung,
oder die Borficht genannt; und wenn wir das Zukünftige
auf eine deutliche Art vermuthen, fo nennen wir diefes die
vernünftige Vermuthung. Wenn wir etwas bloß: finn-
lic) vorauserfennen, fo ftellen wir uns zwey einzelne Fälle
vor, und zwar den erften finnlich durch die Einbildungs:
kraft oder durch die Sinne, oder durch das Vorherſehungs—
vermögen, und vergleichen Damit den andern Fall durch
den finnlichen Wis, und fchlieffen daher, ohne den Zuſam—
menhang deutlich einzufehen, daß in dem andern Kalle
eben das gefchehen werde, was wir in Dem erften bemerfen,
3. &. der Säufer Cajus wird fich krank faufen, weil wir
diefes fehon bey dem Titius und Sempronius erfahren ha-
ben. Allein bey der Vorſehung fehlieffen wir auf eine
deutliche Art das Zufünftige, entweder aus einer deutlich:
- erkannten allgemeinen Erkenntniß, worunter daſſelbe ge:
hört, oder aus den deutlich erfannten Gründen des Zukuͤnf—
3. Theil, P tigen,
226 Von dem Vermögen
tigen, welche in dem Vergangenen und Gegenmwärtigen ans
getroffen werden. So fan man deutlich vorauserfennen,
daß der Säufer Cajus fi) um feine Gefundheit bringen _
werde, entweder weil wir aus unendlich vielen Fällen. die:
fer Art den allgemeinen Saß abftrahirt, und mit Recht
oder Unrecht angenommen haben : Alle Säufer werden mit
der Zeit ungefund, folglich wird es auch Cajus merdenz
oder wenn wir, aus der Natur des übermäßigen Trinfens,
und der fhwächlichen Natur des Cajus, deutlich erkennen,
daß er ungefund werden müffe, So erfennen wir, alle
natürlihen Strafen und Belohnungen des menfchlichen
Verhaltens, deutlich zum voraus. Und in den meiften
Fällen, da man die zufünftige Einwilligung einer abwefen-
den oder minderjährigen Perfon vermuthet, gefchiehr es auf
eine deutliche Art.
$. 613,
Das Vermögen zukünftige Dinge vorauszuerfennen,
ift ein zufammengefeßtes Dermögen, und feßt viele der
übrigen Erfenntnißvermögen voraus. Je vollfonmener
nun Diejenigen Erfenntnißvermögen eines Menfchen find,
woraus das Vermögen der Borauserfennung befteht, und
die es vorausfeßt, deſto vollfommener und gröffer ift Diefes
Vermögen felbft. Folglich je vollfommener die Sinne,
die Einbildungsfraft, Das Gedaͤchtniß, das Vorherfehungss
vermögen, und der Wis bey einem Menfchen find, defto
gröffer undwollfommener ift auc) fein Vermögen zufünftis
ge Dinge vorauszuerfennen. Inſonderheit aber Fan man,
folgende Grade und Bollfommenbeiten, in diefem Vermoͤ—
gen von einander unterfcheiden. 1) Je mehrere und mans _
nigfaltigere zufünftige Dinge man vorauserfennen fan,
deſto beſſer ift es; folglich je mehr wir von einem bevorite-
henden Dinge vorauserfennen Fonnen, und je vollftändi-
ger und ausführlicher wir es zum voraus erfennen Fünnen,
defto vollkommener und gröffer iſt dieſes Vermögen. Das
ber bervundert man die Gröffe der Vorſicht eines Gene-
rals, wenn er für Proviant, für die Kranken, für die
Pferde,
das Zukünftige voraussuerkennen. 227
Pferde, für alle Vorfälle, die in einem Feldzuge fich ereig«
nen, ſorgt; kurz, wenn feine Vorſicht fich über alles er-
firedt. 2) Je gröffere und wichtigere zufünftige Dinge
wir vorauserfennen koͤnnen, und je gröffer dasjenige ift,
was mir von vorhergefehenen Dingen zum voraus erfen-
nen, deſto gröffer ift Diefes Vermögen, Die Borforge
eines Generals aͤuſſert fich fonderlich bey den wichtigern
Borfällen. Wer nur für Kleinigfeiten forget, der bemeift,
daß er dieſes Vermoͤgen in einem Fleinern und unvollfom:-
menern Grade befiße. 3) Je ſeltener die Vorfälle find,
und je feltener wir fie und ihres gleichen erfahren, vorher:
gefehen, oder auf eine andere Ark uns vorgeftelt haben, die
wir demohnerachtet voraus erkennen koͤnnen, deſto gröffer
und vollfommener iſt Diefes Vermögen. Es ift feine
Kunft, und es wird eine geringe Geſchicklichkeit dazu erfos
dert, Vorfälle voraus zu erkennen, die täglich geſchehen,
und die wir unendlich ofte erfahren haben und vorausfehen,
z. E. daß in einem bevorftehenden Jahre viele Menfchen
werden fterben und gebohren werden. Wenn man aber
rare Borfalle, die man felten denkt, vorauserfennen Fan,
fo beweift man dadurch eine viel gröffere Stärke in diefem
Vermögen, 4) Je ſchwaͤcher und weniger Elar die Vor—
herſehung der Sache iſt, die wir vorauserfennen koͤnnen,
deſto groͤſſer iſt dieſes Vermögen. Denn ift die Vorher⸗
ſehung ſehr klar und ſtark, ſo ſtelt ſie uns viele Merkmale
in einem hohen Grade vor, an denen wir die Sache leicht
vorauserkennen koͤnnen, und es iſt alfo dieſe Vorauserken—
nung alsdenn feine Kunſt. Allein wenn wir eine Sache
nur ſchwach, wie in einem Schattenrifie, vorberfeben, und
wir find Doch im Stande, aus dieſem ſchwachen Bilde die
Sache zum voraus zu erfennen, fo muß unfer Vermögen
zukuͤnftige Sachen voraus zu "erkennen fehr groß fen.
5) Je längere Zeit wir eine Sache zum voraus erfennen
koͤnnen, ehe fie gefchieht, oder je entfernter die Dinge in
der Zukunft find, die wir jum voraus zu erfennen vermoͤ—
gend find, fonderlich wenn in der Zwifchenzeit unfer Ge:
P 2 müth,
2 Von dem Vermögen
muͤth, mit vielen andern fehr ftarfen Vorftellungen von
fremder Art, befcyäftiget iſt; deſto ftärfer ift Diefes Ver—
mögen. Man bewundert einen Staatsmann, wenn er
Staatsperänderungen viele Jahre vorausfagen fan, und
fonderlich folche Veränderungen, die nicht in fein Depar—
tement gehören. 6) Zwifchen je ftärfern vorhergehenden
und begleitenden Borftellungen fremder Art wir eine Vor—
herfehung zum. voraus erfennen fonnen, deſto gröffer ift
diefes Vermögen; weil es alsdenn, fo vieler Hinderniffe
ohnerachtet, dennoch fein Gefchäfte verrichten Fan. 7) Je
hurtiger und geſchwinder man zufünftige Dinge zum vor—
aus erkennen Fan, folglich je weniger man noͤthig hat fie zu
vermuten, defto geöffer und ſtaͤrker iſt dieſes Vermoͤgen.
Und 8) in einem je höhern Grade der Klarheit, ver Rich—
tigfeit, der Gewißheit und der Stärke man das Zufünfti-
ge voraus erfennen Fan, deſto groͤſſer und vollfommener ift
diefes Erfenntnißvermögen. Man fan, alle groffe Bey—
fpiele der menſchlichen Vorſicht und Flugen Borforge fürs
Zukünftige, als Beyſpiele anfeben, wodurch man fich die—
fen ganzen Abſatz erläutern Fan. Und durch folche unfeug-
bare Benfpiele, 3. E. grofier Generale und Staatsminifter,
wird man zugleich überzeugt, daß es ein Menfch, in der
Vollkommenheit des Vermögens das Zukünftige vorausjus
erkennen, ſehr hoch bringen koͤnne.
—
Hier entſteht ganz natürlich Die Frage: ob die menſch—
liche Seele von Natur den Wahrfagergeift, oder die Gabe
wahrzufagen, befigen fonne ? Es finden fich nicht nur in
der Bibel viele Nachrichten von dieſer Gabe, fondern man
findet auch in der weltlichen Hiftorie dergleichen in groffer
Anzal. Ehe wir davon ein vernünftiges Urtheil fällen koͤn—
nen, müffen wir erſt die Begriffe aus einander feßen,
Memlich die Wahrſagergabe ift eine vecht geoffe, merf-
tiche und feltene Fertigkeit das Zufünftige zum voraus zu
erkennen; und Wahrſagungen find Borauserfennungen
zukünftiger Dinge, welche durch Die Wahrfagergabe ge:
wuͤrkt
net man auch gemeiniglich, zu dem Wahrfagergeifte, Die
3 E
das Zukuͤnftige vorauszuerkennen. 229
wuͤrkt werden. Dieſe Wahrſagergabe iſt entweder eine
uͤbernatuͤrliche Fertigkeit, oder eine natürliche $. 575. Jene
iſt die prophetiſche Gabe oder die Gabe zu weiſſagen;
und Prophezeyungen oder Weiſſagungen ſind Vor—
auserkennungen zukuͤnftiger Dinge, welche in der menſch—
lichen Seele uͤbernatuͤrlicher Weiſe gewuͤrkt werden. Von
dieſer Gabe koͤnnen wir in der Weltweisheit nichts weiter
ſagen, als was wir in der Coſmologie von den uͤbernatuͤr—
lichen Begebenheiten und Wunderwerken uͤberhaupt erwie—
ſen haben. Nur die Naturaliſten leugnen ihre Wuͤrklich—
keit, und wohl gar zugleich ihre Moͤglichkeit. Was aber
die natuͤrliche Wahrſagergabe betrift, ſo wuͤrde ſie entwe—
der eine angebohrne, oder durch Fleiß und Uebung erlangte
Fertigkeit ſeyn $. 575. Don jener Fan man den Wahrfa-
gergeift eines Mädgens zu !ydia, deſſen in der Apoftelge-
fchichte Meldung gefchieht, und den die Apoftel austrieben,
als ein Benfpiel anfehen. Wenn man nun diefe Frage:
ob es einen natürlichen Wahrfagergeift gebe? vernünftig
entfeheiden will; fo muß man erſt den Grad des Vermoͤ—
gens, zufünftige Dinge voraus zu erkennen, genauer beftim=
men, den man den Wahrfagergeift nennen will, Es ift
nicht zu leugnen, daß es ein Menfch, in der Borauserfen-
nung zufünftiger Dinge, fehr hoch bringen fünne, Allein
wenn ein Menfch etwas Zufünftiges vorauserfennt, und
er iſt fich entiveder allgemeiner Wahrheiten, oder einzelner
Erfahrungen und Gründe bewußt, aus denen er auf eine
Deutliche und klare Weiſe das Zufünftige ſchließt; fo nennt
man diefes Feine Wahrfagungen, und wenn auch Dazu nod)
fo eine groffe und vollfommene Fertigkeit erfodert würde,
Sondern wenn jemand folche Finftige Zufälle vorberfagen
Fan, die von ohngefehr gefchehen, Gluͤcks- und Ungluͤcks—
fälle, und ſolche zufünftige Vorfälle, deren Gründe in den
vergangenen und gegenwärtigen Begebenheiten der Welt
fo verborgen find, daß man fich ihrer nicht bewußt iſt; fo
ſchreibt man ihm, einen Wahrfagergeift, zu. Daher vech-
3 nt.
250 Von dem Vermögen
Entdeckung foicher vergangenen und gegenwärtigen Dinge,
die man nicht erfahren hat, Die man aus feinen allgemeis
nen Wahrheiten fehließt, und da man nicht zeigen Fan, wie
ein Menfch viefelben aus andern Gedanken herleitet. Als
wenn 3. E. jemand den Dre anzeigen Fan, wo eine verlohr:
ne Sache liegt, oder wenn jemand eine Begebenheit indem
Augenblicke weiß, da fie viele Meileweges von ihm ent-
ferne gefchieht: denn zur Entdeckung folcher vergangenen
und gegenwärtigen Dinge gehört ohne Zweifel eben fo viel
Kunft, als zu den eigentlichen Wahrfagungen. Ich ges
traue mir nicht, dieſes Geheimniß der Natur, zu erflären,
So viel ift erjtlich unleugbar, daß man die hiftorifche Rich-
tigkeit dieſer Sache ungezweifele machen muͤſſe. Man
muß bier, zwey Ausfchweifungen, vermeiden. Man muß,
dieſe Nachrichten, nicht ohne genaue Prüfung glauben ;
fonft müfte man alle Wahrfagungen der Zigeuner, der
Taffenweiber, der Chiromantiften, und aller derer Charlas
fane glauben, die ſich auf die mantifchen Künfte legen.
Und das fan fein vernünftiger Menfch thun, welcher die
Detrügereyen der Welt Eennt, und diefe Künfte gründlich
geprüft bat, Allein man würde fich auch übereilen, wenn
man alle diefe Nachrichten leugnen woltee Man würde
Diefes bloß deswegen thun müffen, weil man nicht begrei-
fen Fan, wie es natürlicherweife möglich ift, daß ein Menfch
wahrſage, und das ift eine einfältige und unverfchämte Arc
zu denfen. Zum andern fan man überhaupt, die Mög-
lichkeit des natürlichen Wahrfagergeifteg, begreiffen. Un—
ſere klare Erfenntniß beſteht aus dunfeln Vorftellungen,
als aus ihren erften Theilen. Folglich Fan, aus einer
Reihe dunkeler Borftellungen, endlich eine klare Erfennt-
niß hergeleitet werden und entftehen. Wenn alfo ein
Menfch ſich alle Gründe, woraus eine gewiſſe zufünftige
Sache enefteht, dunkel vorſtelt; fo ift es möglich, daß er
diefelbe zum voraus erfennt, ohne fich der Gründe bewußt
zu feyn, aus denen er fie berleitet, und aus denen fie enf=
ſteht. Und alsdenn wahrfagt er. Die Wahrfagungen
haben
|
.
|
das Sufunftige voraussuerfennen. 231
haben eine Aehnlichkeit mit den Zufällen in der Welt, wel—
che in Abficht auf unfere Erfenntniß von ohngefehr entfte-
ben. Sie find alfo Elare Vorſtellungen, deren Klarheit in
unferer Seele von ohngefehr entfteht. Und es ift alfo zu—
gleich begreiflich, daß man nad) Feiner Kunft fan wahrfa-
gen lernen, die eine binlängliche Gewißheit hätte. Und
wenn es alfo einen natürlichen Wahrfagergeift gibt, fo muß
derfelbe gröftentheils angebohren ſeyn. Die natürliche Ans
lage der Seele muß fie fehon beftimmen, die Gründe zu—
Künftiger Borfälle in einer folchen Drönung fich dunkel vor—
zuftellen, daß Daher eine klare Borauserfennung entſtehen
far. Mehr weiß ich, von Diefer merfwürdigen Sadıe,
nicht zu fagen,
65
In keiner Art unſerer Erkenntniß ſind wir, der Unwiſ—
ſenheit und dem Irrthume, ſo ſehr unterworfen, als wenn
wir das Zukuͤnftige vorauserkennen wollen. Und das kan
auch nicht anders ſeyn, weil die Erkenntnißvermoͤgen unfe-
rer Seele, wodurch wir das Zufünftige vorherfehen, und
vorauserfennen, vergleichungsweije die ſchwaͤchſten unter
allen unfern Erfennenifvermögen find, — Die Borauser-
fennung-einer- zukünftigen Sache ift entweder wahr, oder
falſch $. 489. Sn dem legten Falle halten wir eine falfche
Vorherſehung, die eine bloffe Erdichtung ift, $. 590. fie
mag nun entweder ganz oder nur zum Theil falfch ſeyn,
durch eine Verblendung unferes Witzes $. 577. fuͤr eine
mahre, und wir warten auf die Erfüllung derfelben, die
Doch entweder gar nicht erfolgt, oder doch nicht fo und in
dem Örade, als wir fie erwarten. Wenn wir deutlich ein-
fehen wollen, was zur völligen Nichtigkeit einer Vorauser—
Fennung erfodert wird; fo Dürfen wir nur unterfuchen, auf
wie mancherley Art wir betrogen werden fünnen, wenn wir
das Zufünftige vorauserfennen. Und dahin Fönnen, fols
gende Fälle, gerechnet werden. 1) Wenn mir eine vor-
bergefebene Sache mit einem vergangenen Falle, den mir
uns durd) die Einbildungskraft vorftellen, auf eine Art und
M 4 in
+
232 Von dem Vermögen
in einem Grade für einerley halten, in welchen fie es nicht °
it, Alsdenn bilden wir uns ein, das Zufünftige werde
wie das Vergangene feyn, und man befrügt ſich. So be
trüge fich der Sünder allemal, wenn er denkt, die zufünf:
tige Ausübung der Suͤnde werde ihm ein eben fo ftarfes
und lebbaftes Vergnügen verfchaffen, als vormals, da fie
ihm noch was neues war, 2) Wenn wir eine vorhergefe>
bene Sache mit einer gegenwärtigen, die wir empfinden,
auf eine Art und in einem Örade für einerley halten, in de—
nen fie es nicht iſt. Alsdenn hoffen oder fürchten wir, das
Zufünftige werde eben fo fern, als das Gegenwärtige, und
man beteügt fih. So läßt fich mancher, von der Ausuͤ—
bung der Tugend und vom Studieren, abſchrecken, weil er
glaubt, beydes werde ihm Fünftig allemal eben fo ſchwer
und verdrießlich feyn, als jege, Ein Liebhaber und ein
Freund, welche durch die erften Empfindungen der Liebe
bezaubert werden, verfprechen fich auch vielmals vergeblich,
daß fie in allen Fünftigen Zeiten, in dem Llmgange mit der
geliebten Perfon und dem Freunde, ein eben fo ftarfes und
reißendes Vergnügen empfinden werden, als jeßo, wenn
die Liebe noch neu und jung ift. 3) Wenn wir eine vor-
bergefehene Sache, mit einer andern vorbergefehenen Sa—
de, auf eine Art und in einem Grade für einerley halten,
in denen fie es nicht ift. Alsdenn glauben wir, daß die eine -
zukünftige Sache eben fo feyn werde, als eine andere zu:
Fünftige Sache, und wir betrügen uns. Geſetzt, man
habe einem Saͤufer vorherverfündiger, daß er fich Die
Schwindſucht an den Hals trinken werde; geſetzt, man
verfündige eben dieſes Schickſaal einem andern Säufer,
und fage ihm: es werde ihm eben fo geben, wie dem erſten;
fo Fan man fich doc) betrugen, wenn der andere eine ftär-
tere Seibesbefchaffenheit bat, als der erfte. 4) Wenn wir,
die Beſchaffenheit und den Grad der vorhergefehenen Sa—
che, aus Vorurtbeilen, oder aus falfchen allgemeinen Sä-
gen ſchlieſſen; oder aus andern deutlich erfannten Gründen,
welche falfch, und nicht fo befchaffen und fo groß find, als
wir
das Zukünftige voraussuerkennen, 233
mir annehmen. 3. E. wenn man annehmen"wolte, daß
dasjenige allemal erfolge, was ofte erfolget iſt. 3. E. wenn
man annehmen wolte: alle Säufer befommen die Schwind.
fucht, und man wolte deswegen, einem jedweden Gäufer,
diefes Schickfaal verfündigen, Eben fo betrügt man ſich
in der Vorſehung, wenn man die Natur der Sünden nicht
vecht einfieht, und deswegen den Sündern zufünftige Uebel
verfündiget, die niemals erfolgen. 5) Wenn man das
Zukünftige aus Borftellungen vermutbet, Die entweder gar
nicht mit demfelben vergefellfchafter find, oder doch nicht
allemal und auf eine nothwendige rt, Alsdenn betrüge
man fi, in der Vermuthung des Zufünftigen, Als wenn
man allemal eine Peft vermuthen wolte, fo ofte Krieg ge—
führe wird. Alle diefe Fehler muß man vermeiden, wenn
man das Zukünftige richtig vorauserfennen will,
. 610.
Noch eine Frage ift hier zu unterfuchen: nemlid) ob
die Träume etwas bedeuten; oder ob unfere Traume ung
manchmal zukünftige Sachen vorftellen, und ob man daher
nicht unrecht handele, wenn man aus den Träumen das
Zufünftige zum voraus zu erfennen ſucht? Wir wollen hier
zweyerley bemerfen. Einmal, wenn im Traume die Ein:
bildungsfraft nicht gar zu ftarfe, lebhafte und falſche Ein—
bildungen wuͤrkt, fo ift Fein Zuftand der Seele zu den Vor⸗
berfehungen gefchickter, als der Traum. Denn wenn wir
machen, fo find unfere Aufferlichen Empfindungen fo ftarf
und lebhaft, daß die Borherfehungskraft allemal, wenn fie
im Wachen würfen will, zu groſſe Hinderniffe antrift, Al—
fein wenn wir träumen, haben wir nur einige wenige Flare
aͤuſſerliche Empfindungen, die aber nicht ftärfer und Elärer
find, als die Einbildungen. Folglich fallen im Traume
diejenigen Hinderniffe weg, welche unfere Sinne dem Borz
herfehungevermögen in den Weg legen. Komt nun nod)
dazu, daß die Einbildungen, aus denen der Traum zufam«
mengefeßt ift, nicht ſonderlich ftarf und lebhaft find, fo faͤlt
auch das Hinderniß weg, welches durch die Einbildungs-
| P kraft
234 Von dem Vermögen das Zukünftige ıc.
Fraft dem Vorherfehungspermögen in den Weg gelegt wird
$. 600. 6or. Und wenn nun die Einbildungen, aus denen
der Traum befteht, ganz oder zum Theil wahr find, fo ftelt
fi) die Seele im Traume Empfindungen und Einbilduns
gen vor, aus denen fie die Borherfehungen herleiten Fan $.
599. Folglich koͤnnen wir, im Traume, das Zufünftige
vorherfehen, und es ift alfo möalich, daß wir, wenn wir
errmachen, aus den Träumen das Zufünftige vorauserfen:
nen fönnen. Es ift demnach eine groffe Uebereilung, wenn
man aus den Träumen gar nichts macht, und alle Traum
deuterey verwirft. Man müfte allen biftorifchen Glauben
verwerfen, wenn man alle Nachrichten von folchen Träus
men, die etwas bedeuten, leugnen wolte. Allein zum ans
dern fan man auch Teiche überzeugt werden, daß die wenig⸗
ften Träume der wenigften Menſchen etwas bedeuten koͤn—
nen. Denn gewöhnlicher Weile würfen, die Einbildungs»
fraft und das Dichtungsvermögen, im Traume fo lebhaft
und fo ftarf, und die allermeiften Menſchen venfen im Bas
chen fo felten an das Zufünftige, daß fie ohnedem Fein grof-
fes Vorberfehungsvermögen befißen, welches alfo um fo
viel weniger im Traume, der aus fo ftarfen Einbildungen
beſteht, wuͤrkſam werden fan. Dazu komt noch, daR die
meiften Träume fo erſtaunlich chimärifch find, daß, wenn
auch) in denfelben Borherfehungen enthalten fern folten, die»
felben doch falfch find $. 592. 594. Folglich ift es eine of
fenbare Thorheit, wern man alle Träume für bedeutend
hält, und alle Borftellungen eines Traums für Borherfe-
bungen halten will, Wenn man die Nachrichten von bes
deufenden Träumen ermägt, fo wird man allemal finden,
daß fie viel ordentlicher find, als die Träume gemeiniglid)
zu ſeyn pfleaen, und fie enthalten offenbare Merfmale ihrer
Wahrheit. Die Traumdenterey ift der Inbegrif der
Regeln, nach denen man, aus den Borberfehungen im
Traume, das Zufünftige vorauserfennen fan. Sie ift alfo
richt ganz zu vermwerfen, allein die Menfchen verftehen fie
bis diefe Stunde noch fehr ſchlecht. Die gemeinen —2
£ ücher
Don dem Beurtheilungsvermoͤgen. 235
bücher find viel zu tief unter den Horizont der menfchlichen
Bernunft erniedriget, als daß es nur einmal anftändig feyn
folte, ihre Dumheit deutlich zu erweiſen.
KAEKKEREKHKEK KK HH CK FF FE KK FE TE ES
Der achte Abfehnit,
Bon dem Beurtheilungsvermögen.
S. 617.
as Beurtheilungsvermögen gehört mit zu denenjenis
gen Erfenntnißvermögen, welche an Feine befondere
Art der einzelnen Dinge gebunden find; fondern welche bey
allen Gegenftänden unferer Erfenntniß gefchäftig feyn, und
mit allen unfern übrigen Erfenntnißvermögen zugleich und
gefellfchaftlich würfen koͤnnen. Nemlich wir beurtheilen
etwas, wenn wir uns feine Bollfommenbeit, oder Unvolls
kommenheit, oder beyde zugleich vorftellen. In fo ferne
wir uns alfo etwas, es mag nun Daffelbe eine Borftellung
oder der Gegenftand verfelben feyn, als gut, als vollkom⸗
men, als nuͤtzlich, als rechtmäßig, als fhon, als angenehm
u.f. w. oder als böfe, als unvollfommen, als ſchaͤdlich, als
unrechtmäßig, als baßlich, als unangenehm u. f. w. vora
ftellen, in fo ferne beurtheilen wire, Da uns nun die
Erfahrung lehrt, daß wir Sachen beurtheilen, fo haben
wir auch ein Bermögen unfere Borftellungen und ihre Ge-
genftände zu beurtheilen, es mögen nun Empfindungen,
oder Einbildungen, oder Borherfehungen, oder irgends an-
dere Borftellungen, famt ihren Gegenftänden feyn, und das
nennen wir das Beurcheilungsvermögen, Es ift dafs
feibe nichts anders als die Aufmerkfamfeit, auf die Volle
kommenheiten und Unvollfommenbeiten der Dinge $. 506.
Und unfere Seele befigt ein *Beurtheilungsvermögen, in fo
ferne es ihr möglich) ift, ihre Borftellungskraft auf die Boll:
fommenbeiten und Unvollfommenbeiten der Dinge zu rich.
ten. Und diefes Vermögen ift eine Art des Wißes, in fo
ferne
2335 Von den Beuctheilungsvermögen,
ferne es die Vollkommenheiten erfennt, 6. 568, in fo ferne
es aber die Unvollfommenheiten erkennt, ift es eine Art der
Scharfſinnigkeit S.571. Alle übrige Erkenntnißvermoͤgen,
felbft die übrigen Arten des Wiges und der Scharffinnigs
feit, ftellen dem Beurtheilungswermögen die Gegenftände
Dar, an denen es die Vollkommenheiten und Unvollfom-
mendeiten beobachtet. Da nun die Vollkommenheit einer
Sache in der Zufammenftimmung des Mannigfaltigen zu
Einer Realität, und die Unvollfommenbeit in dem Mangel
diefer Zufammenftinmung befteht $. 94. 95. fo wuͤrkt das
DBeurtheilungsvermögen nad) folgender Regel: wenn man
das Mannigfaltige in einer Sache als zufammens
fimmend, oder nicht zufammenftimmend erkennt,
ſo erkenne man die Vollkommenheit oder Unvoll⸗
kommenheit. Und da alle Dinge in der Welt vollfom«
men und unvollfommen zugleich find, fo werden alle Beur—
theilungen, durch Die Vorftellungskraft der Welt nach) der
Sage des Seibes, gewuͤrkt.
G 68
Wenn man in dem gemeinen eben jemanden viel
Verſtand und Ueberlegung zufcjreibt, und ihn einen ver:
ftändigen Menfchen nennt; fo denft man vornemlich ofte
dabey nichts anders, als er befiße eine groffe Beurtheilungs-
Eraft. Und da fan man, die verfehiedenen Grade und Boll:
kommenheiten diefes Erkenntnißvermoͤgens, folgendermaffen
aus einander feßen, 1) Je mehr der Zahl nad) und je
mannigfaltiger die Dinge find, deren Vollkommenheiten
und Unvollfommenheiten man erkennen fan, defto gröffer
iſt die Beurtheilungskraft. Es gibt Seute, die nur Dinge
von einer gewiffen Art beurtheilen Fönnen ; mancher Ge«
lehrter ift bloß Elug in dem Circul feiner Gelehrfamkeit, in
allen andern Dingen aber ein Narr. Und vergleichen Leu⸗
fe verraten, die enge Einfchrenfung ihres Erfenntnißver-
mögens, 2) Sye gröffer und wichtiger die Dinge find,
deren Bollfommenheiten und Unvollfommenheiten man er>
Fennen Fan, deſto groͤſſer ift das ie"
er
Von dem Beureheilungsvermsgen. 237
Wer nur, wie manches Frauenzimmer, den Puß, den Staat,
eine Malzeit, eine Galanterie beurtbeilen Fan, nebft andern
ſolchen Kleinigkeiten, der befigt eine Fleine Beurtheilungs»
kraft. 3) Se feltener, je weniger Elar, und je ſchwaͤcher
man fi) die Dinge vorftelt, die man dennoch beurtheilen
Fan, defto gröffer iſt dieſes Vermögen. Wenn man fid)
ein Ding fehr ofte, und in einem hohen Grade der Klare
heit und Stärfe, vorftelt, fo fallen einem fo zu reden von
feibft feine Bollfommenbeiten und Unvollfommenbeiten in
die Augen, und man braucht alfo zu ihrer Entdeckung fein
groffes Beurtheilungsvermögen. In dem enfgegengefeß-
ten Falle aber gehört mehr Stärke dazu, die Bollfommen«
heiten und Unvollfommenbeiten gewahr zu werden. 4) Je
‚mehrere und mannigfaltigere Vollkommenheiten und Un—
vollfommenheiten wir an den Dingen, die wir beurtheilen,
entdecken fünnen, in einem deſto höhern Grade der Voll
kommenheit befigen wir diefes Vermögen. &s gibt Leute,
welche eine fo eingefchrenfte Beurtheilungskraft befigen,
daß fie an einem Dinge nur einige wenige Vollkommen—
heiten und Unvollfommenbheiten erblicken, und gegen die
übrigen ganz blind find, 5) Se gröffere und wichtigere
Vollkommenheiten und Unvollfommenheiten wir zu entde—
en im Stande find, defto gröffer ift unfer Beurtheilungs-
vermögen, Wer an einem Gedichte nur das Regelmäßige
und Fehlerhafte in vem Sylbenmaaffe und dem Reime bes
urtheilt, der legt eine ſchlechte Beurtheilungsfraft an den
Tag. 6) Se ftärfer diejenigen fremden Borftellungen find,
welche vor der Gefchäftigfeit des Beurtheilungsvermögens
dagemwefen oder mit ihr zugleich da find, defto gröfler ift die—
fes Vermögen; wenn es, diefer Hinderniffe und dieſer Zer—
ftreuung des Gemüths ohneradhtet, die Vollkommenheiten
und Unvolllommenheiten gewahr werden Fan: z. E. wenn
man, mitten unter dem vielen Boͤſen, welches einem zuerft
in die Augen fält, als bey grofien Frevelthaten, an unfern
Feinden u. fe m, dennoch das Gute aud) entdecken fan;
und eben fo, wenn man mitten unter dem Öuten auch das
| Boͤſe
233 Von dem Beurtheilungsvermögen.
Boͤſe nicht unentdeckt läßt, und es nicht wie ein blinder
$iebhaber macht. 7) {je proportionirter, richtiger, Elärer,
gewiffer und ftärfer wir uns, die VBellfommenheiten und
Unvollfommenheiten der Dinge, vorstellen koͤnnen, deſto
ftärfer ift unfer Beurtheilungsvermögen. Und endlid)
8) ift es um fo viel gröffer und vollfommener, je burtiger
und geſchwinder es, die Bollfommenheiten und Unvollfom«
menbeiten der Dinge, entdeden fan. Wer nach langem
Nachſinnen, und erft nad) vielen ängftlichen Unterfuchuns
gen das Bollfommene und Unvollfommene in den Dingen
entdeckt, der verräth ein eben fo fehlechtes Beurtheilungs-
vermögen, als ein Menfch, welcher erft lange einen witzi—
gen Einfall, den er hört, überlegen muß, ehe er das Sinn⸗
veiche und Angenehme in demfelben gewahr werden Fan.
$. 619,
Wenn wir eine Sache beurtheilen, fo erfennen wir
ihre Bollfommenheiten und Unvollfommenheiten entweder
deutlich, oder auf eine undeutliche und finnliche Art. Folg-
lich haben wir, einmal, ein finnliches Beurtbeilungs-
vermögen, wodurch wir im Stande find, die Vollkom—
menbeiten und Unvollfommenbeiten der Dinge undeutlich,
Dunkel und verworren zu erfennen, und die Fertigkeit in
diefem Vermögen wird, der Geſchmack im weitern
Derftande, genennt. Im engern Berftande verſteht
man, durch ven Geſchmack, einen unferer fünf Aufferli-
hen Sinne, Hier brauchen wir das Wort fo, als in
denen Fällen, wo man fagt: ein Dichter babe einen guten
oder fehlechten Geſchmack, er verbeffere oder verfchlimmere
den Geſchmack feiner Landesleute u.f.w. Der Gefchmad
urtheilt von den Bollfommenheiten und Unvollkommenhei—
ten aller Dinge, fie mögen nun in unfere Sinne fallen
oder nicht, wenn es nur möglich ift, daß wir dieſe Boll:
fommenbeiten und Unvollfommenbeiten undeutlich erkennen,
Daher Fan ſich der Geſchmack auch zugleich mit unfern
Sinnen, wenn wir, die Gegenftände deffelben, fehen, hoͤ—
ven, fühlen u. ſ. w. würffam erweifen, Und daher ſchreibt
man
13
}
Von dem Deutthellungsvermogen, 239
man dem Geficht, dem Gehör, und einem jedweden Sinne
ein Urtheil zu, in fo ferne wir durch denfelben den Gegen:
ftand unferer Beurtbeilung, ſamt den Bollfommenbeiten
und Unvollfommenbeiten, die wir an ihm gewahr werden,
empfinden, So fagen wir: daßein Wort, nach) dem Ur:
theile der Dhren, gut oder nicht gut klinge; daß eine Klei-
dung einem Menfchen gut ſtehe, wenn man ſich anders auf
das Urtheil der Augen verlaffen dürfe u. few. Die Cris
tiE im weiteften Derftande ift die Kunft, welche die
Kegeln enthält, nach denen wir Dinge beurtheilen müffen.
Folglich giebt es auch eine Kunft den Geſchmack zu ver:
beſſern, und recht zu gebrauchen, und die wird in der
Aeſthetik abgehandelt; welche alfo in fo ferne mit Recht
eine eritifche Wiffenfchaft genennt werden fan 9.527. Wenn
man fagt, man müffe mit niemanden über den Geſchmack
ftreiten; fo ift diefes vornemlich von dem Urtheile der Sin-
ne zu verftehen: denn es ift möglich, Daß dem einen Men:
fhen eine Sache guf, und dem andern fehlecht Elingt, weil
fie verfchiedene Ohren haben. Und es ift überhaupt eine
elende Are zu ftreiten, wenn einer etwas leugnet, fo der
andere behauptet, und wenn beyde ihr Urtheil nur finnlich
fällen, und feinen Grund davon angeben koͤnnen. Es wür:
de aber fehr lächerlich feyn, wenn man daraus fehlieffen
rolte, daß man Feines Menfchen Geſchmack beurtbeilen,
tadeln, verbefiern oder widerlegen dürfe; und daß man
alfo einem jedweden ſeinen Geſchmack laſſen muͤſſe, ohne
ihm desmegeu mit Gründen Yu beunrubigen, und ohne
zu verfuchen, ihm zu überzeugen, daß dasjenige, was er
bisher für que gehalten, böfe, und was er für böfe gehalten,
gut fen. Zum andern haben wir auch ein vernünftiges
Beurtheilungsvermögen, durch welches wir uns die
Vollfommenbeiten und Unvollfommenbeiten deutlich, aus
deutlich erfanten Gründen, und nach allgemeinen Regeln
vorzuftellen im Stande find. Wer eine Fertigkeit in die:
fen Vermögen befißt, der wird ein Runftrichter im
weitern Derftande genennf, und durch die Critik im
wel-
246 Von dem Beurtheilungsvermögen.
weiteren Verftande fan man die Wiffenfchaft der Regeln
verftehen, die man beobachten muß, wenn men, die Boll:
fommenheiten und AUnvollfommenbeiten der Erkenntniß,
und ihrer Gegenftände, deutlich beurtheilen will. In der
Pernunftlehre z. E. werden, die Bollfonmenbeiten und
Unvollfommenheiten der gelebreen Erfenntniß, der ges
Ichrten Schriften u. f. w. deutlich beurtheilt. Hieraus iſt
begreiftich, daß es Sachen giebt, die man niche vernünftig
beurtheilen Fan, die aber dem ohnerachtet nad) dem Ge—
ſchmacke beurtheilet werden koͤnnen und müffen, z. E. viele
Kleidermoden, und andere dergleichen Kleinigkeiten.
$. 620,
Man tbeilt, die Fertigkeit im Beurtheilen, in eine
practifche und theoretifche ein. Jene wollen wir die pras
ctifche Beurtheilungskraft nennen, und fie ift eine Fer—
tigkeit, vorhergeſehene Borftellungen und Sachen zu beurs
theilen, Die’ Fertigkeit aber andere Borftellungen und
Sachen zu beurtheilen, ift die theoretifche Beurthei—
Iungstraft. Wir werden Fünftig überzeugt werden: daß
alle diejenige Erfenneniß, welche unfern Willen in Bewe—
gung fesen foll, folglich alle practifhe Erkenntniß, zugleich
nebft anderen Vorftellungen in Borherfebungen bevorftehen:
der Bollfommenheiten und Unvollfommenheiten, beftehen
müffe; und daß ohne folchen Borherfehungen, unfere Er-
kenntniß Eeinen Einfluß in unfer Verhalten haben, und
alfo unmöglich practifch feyn Fan, Es ift demnach klar,
daß wir eine Sache deswegen noch nicht practifch beurthei«
fen, wenn wir von ihren Vollkommenheiten und Unvoll-
kommenheiten ein Urtheil fällen: denn fonft wären alle un
fere Beurteilungen practiſch, und Feine einzige derfelben
Fönnte theoretifch genenne werden. Sondern wir beurtheiz
fon etwas alsdenn practifch, wenn wir es vorherfehen,
und es uns alſo als eine Sache voritellen, die mir hervors
bringen und verhindern Eönnen, und wenn wir zugleich er»
Eennen, worin feine Bollfommenbeiten und Unvollkom—
menbeiten beſtehen. Geſetzt es lieſt jemand eine N im.
Is
Don dem Beurtheilungsvermögen. 241
Birgil, und fuche die Schönheit derfelben zu erkennen, fo
beurtheilt er fie practifch, wenn er diefelbe als eine Schön:
beit betrachtet, die er in ähnlichen Fällen in feinen eigenen
Gedanken hervorbringen koͤnne. Wenn wir etwas beur-
theilen, fo beurtheilen wir es entweder vichtig oder falfch,
und folglich Fönnen, unfere DBeurtheilungen, entweder
wahre oder falfehe Seurtheilungen ſeyn. Die legten
ftellen uns in dem Gegenftande Bollfommenheiten und Un—
vollfommenheiten vor, Die entweder gar nicht, oder in ei-
nem andern Grade in demfelben angetroffen werden als wir
uns vorftellen, oder wie die Irrthuͤmer in der Beurthei-
lung der Dinge insgefamt befchaffen feyn mögen. Wenn
nun das Beurtheilungsvermögen die Fertigkeit befigt, die
Dinge unrichtig zu beurtbeilen, fo wird es ein voreiliges
Beuctheilungsvermögen genennt; weil die falfchen
Beurtheilungen wenigitens in den allermeiften Fällen, aus
Mebereilung entftehen, wenn man ſich nicht Zeit genung
nimt, die Sache genugfam zu unterfuchen, ehe man von
ähr ein Urtheil faͤlt. Ein voreiliger Geſchmack wird ein
verdorbener Geſchmack genennt. Wenn aber dag
DBeurtheilungsvermögen die Fertigkeit befist, fich vor fal-
fchen Beurtheilungen in acht zu nehmen, fo nennt man es
ein reifes Seurtheilungsvermögen; weil es fich alle-
mal, um reif zumerden, Die gehörige Zeit nimt. Ein rei-
fer Gefhmad wird, ein gereinigter Geſchmack, genent.
Die Reife des Beurtheilungsvermögens ift allerdings eine
geoffe Vollkommenheit deflelben 8. 618. fie ift aber nicht
die einzige, fondern man Fan nach Anleitung des 618 Ab-
faßes noch mehrere gedenken, 5. E. wenn man in Dingen,
die man nicht fonderlich Flar erfennt, dennoch viele Voll:
kommenheiten und Unvollfommenbeiten entdecken fan, fo
befist man ein Öucchdringendes Beurtheilungsvermoͤ⸗
gen. Und der Gefchmad ift ein feiner Geſchmack,
wenn er auch) die Fleinern Bollfommenheiten und Unvoll-
kommenheiten fcharffinnig entdecken kan. Doch die weite:
ve Unterfuchung der mannigfaltigen Bollfommenbeiten
3, Theil, >) und
242 Don dem Beseichnungsvermögen.
und Unvollfommenbeiten des Beurtheilungsvermögens,
gehört in die Eritif.
RER TFT HE TFT FROHES. FOR GGF HK HH HR - RR
Der neunte Abfchnitt,
Bon dem Bezeichnungsvermögen.
G. 621.
gen wir auf alie Arten unferer Erkenntniß Achtung
geben, fo werden mir leicht gewahr werden, daß
mir felten oder gar nicht ohne Zeichen denfen fonnen. In
unferer allgemeinen und abftracten Erfenntniß bedienen wir
uns der Worte, oder anderer willführlichen Zeichen, ver-
mittelft deren wir die abftracten DBorftellungen in unferm
Gemuͤthe gegenwärtig erhalten, und wenn wir einzelne
würfliche Dinge denken, fo heften wir, die Begriffe derfel-
ben, entweder an Worte, oder wir erkennen ihre Wuͤrk—
fichfeit aus andern Zeichen. Selbſt alsdenn, wenn wit
empfinden, feheint e8 zwar, als wenn wir die Gegenſtaͤn—
de unmittelbar erfenneten; allein ein geringes Nachdenken
fan ung überzeugen, daß wir, auſſer den Veraͤnderungen
unferer Seele, deren wir uns alsdenn bewußt find, alle
übrige Gegenftände unferer Empfindungen, aus gewiffen
Zeichen erfennen. Wenn wir etwas feben, fo fehen mir
daffelbe vermitteljt des materiellen Bildes, welches von
demfelben hervorgebracht wird, und das ift alfo das Zei:
hen, woraus wir die Würflichfeit des Gegenftandes er:
kennen $. 273. Diefe Betrachtung Fan uns alfo vollkom—
men überzeugen, daß wir mehrentbeils, in unferer Erkennt—
niß, Zeichen und bezeichnete Sachen, in ihrem bezeichnen:
den Zufammenhange, uns zufammen vorſtellen. Folg-
lich haben wir ein Erfenntnißvermögen, durch welches wir
Zeichen und Bedeutungen mit einander verbinden, und
wir wollen daffelbe das Dezeichnungsvermögen nen-
nen, Vermoͤge dieſes Erfenntnißvermögens ftellen. wir
uns
-
Don dem Beseichnungsvermögen. 243
uns entweder, eine Borftellung und ihren Gegenftand,
als ein Zeichen vor, und erkennen, vermittelft defielben,
eine andere Vorſtellung und ihren Gegenftand als die Be—
deutung; oder wir ftellen uns eine Borftellung und ihren
Gegenftand als eine Bedeutung vor, und verbinden da-
mit eine andere Borftellung und ihren Gegenftand, als ein
Zeichen. Es ift demnach das Bezeichnungsvermögen nichts
anders, als eine Aufmerffamfeit auf den bezeichnenden
Zufammenbang, in welchem unfere Borftellungen und ih-
re Gegenftände ihrer Matur nad) ftehen, oder in welchen
mir fie, irgend um eines andern Örundes willen, feßen
§. 506,
$.... 622.
Ein Zeichen ift alles dasjenige, woraus wir die Würf-
lichfeit einer andern Sache erfennen koͤnnen $.273. Wenn
wir nun unferfuchen,, wie es möglich ift, daß wir aus ei-
ner Sache, die Würflichkeit einer andern, erkennen koͤn—
nen; fo fan #8 auf eine zweifache Art gefchehen, nach dem
das Zeichen entweder natürlich oder willkürlich ift $. 274.
Iſt das erfte, fo ift, zwifchen dem Zeichen und der Be—
deutung, ihrer Natur nach ein Zufammenhang, wie zii:
fchen der Urfach und der Wuͤrkung. Und wenn wir nun
diefes aud) nur ein einzigesmal eingefehen haben, fo has
ben wir, einsunter beyden Dingen, unsals eine Urfach und
Das andere als eine Wuͤrkung, in ihrem narürlichen Zu—
fammenbange, zugleich vorgeftel. Folglich find, die
DVorftellungen von beyden, in unferm Gemuͤthe vergefell-
ſchaftet worden $. 495. Wenn uns alfo die Vorftellung
‚des einen wiederum ins Gemuͤth komt, fo fält uns auch,
nach) dem Geſetze der Einbildungsfraft, vie Vorftellung
des andern wieder ein $. 558. Folglich erfennen wir,
durch die Einbildungsfraft, das natürliche Zeichen, wenn
‚uns die Bedeutung insg Gemüth komt; und die Bedeu-
fung, wenn uns das natürliche Zeichen ins Gemuͤth komt.
Auf eine ähnliche Act werden, in unferm Gemüthe, die
willfürlichen Zeichen mit ihren Bedeutungen verbunden,
| N 2 in:
244 Vondem Bezeichnungsvermsgen.
indem mir fie mit einander vergefellfchaften, und folglich
falt uns bey dem einen hernach das andere ein. So
lernen wir eine Sprache. Ein Kind fieht einen Hund,
und man fpricht das Wort aus, daß es das Kind hört.
Dergeftalt wird der Begrif von dem Hunde, den das
Kind durchs Geficht bekomt, unendlich ofte mit dem Bes
griffe, den es von dem Worte Hund durchs Gehör be—
komt, vergefellfchafter. Und endlich fälle vem Kinde das
Wort ein, wenn ihm der Begrif von dem Hunde ing Ge:
müch komt, und der Begrif von dem Hunde, wenn ihm
der Name wiederum ins Gemüth gebracht wird, - Folgs
lich Ean man die Regel, nach welcher das Bezeichnungsver-
mögen würffam ift, folgendergeftalt ausdrucfen: Eine
von denen Porftellungen, welche mit einander ver=
gefellfehafter find, ift ein Mittel, die Wuͤrklichkeit
der andern zu erkennen. Wenn ein Arzt aus dem Puls:
fchlage, als aus einem natürlichen Zeichen, eine Krank—
heit erfennen will; fo Fan er diefes nicht eher thun, bis er
nicht vermöge des Unterrichts anderer, oder vermittelft feis
ner eigenen Erfahrung, die Borftellung von dem Puls:
fchlage und der Kranfheit mit einander vergefellfchaftet hat.
Nun kan man den bezeichnenden Zufammenhang entweder
deutlich, oder undeutlich und finnlich erfennen. Folglich)
haben mwir ein doppeltes Bezeichnungsvermoͤgen. in:
mal ein vernünftiges Bezeichnungsvermoͤgen, wo⸗
durch wir uns, den Zufammenbang der Zeichen mit ihren
Bedeutungen, deutlich voritellen. So fan man, aus
der Ungleichheit und Stärfe des Pulsfchlages, deutlich
die heftige und ungleichformige Bewegung des Bluts er-
Fennen, nach) der algemeinen Regel: die Urfach ift fo bes
fhaffen und fo groß als ihre Würfung. Zum andern
ein finnliches Bezeichnungsvermögen, wodurch wir,
den Zufammenhang der Zeichen mit ihren Bedeutungen,
undeutlich, verworren und dunfel erfennen. So erfennen
wir, aus den Worten eines Nedenden, was er denft, ob=
ne daß wir uns allemal, den Zufammenhang der Worte
mit
Don dem Bezeichnungsvermögen. 245
mit ihren Bedeutungen, deutlich vorftellen folten. Da
nun das ganze Bezeichnungspermögen vornemlich eine Art
der Einbildungsfraft ift, fo wird es durch die Borftellungs-
fraft der Welt, welche die Seele befißt, gemwürft $. 555.
Und das wird Dadurch noch mehr beitetiget, wenn wir er-
wägen, daß in der Welt ein bezeichnender Zufammenbang
fey $. 318. 448. Wenn alfo die Seele vermöge der Vor—
ftellungsfraft, die fie befist F. 488. die Welt ſich vor-
ftele; fo Fan fie fich auch den bezeichnenden Zufammenhang,
der in derfelben angetroffen wird, vorftellen, und. das heißt,
fie befigt ein Bezeichnungsvermögen,
6e
Eine der merkwuͤrdigſten Betrachtungen, welche wir
in dieſem Abſchnitte anſtellen koͤnnen, beſtehet in der Un—
terſuchung der anſchauenden und ſymboliſchen Erkenntniß,
‚ohne welcher wir unmöglich, die Natur der Begehrungs—
fraft, recht werden unterfuchen koͤnnen. Nemlich die
snfchauende Erkenntniß einer Sache beftehet darin,
wenn wir fie entweder ohne Zeichen erfennen, oder Doc)
eine groͤſſere und ſtaͤrkere Borftellung von ihr haben, als
von ihrem Zeichen, welches wir uns zugleich neben ihr vor—
ftellen. Der Gegenftand der anfchauenden Erfenntnif Fan
eine unferer Borftellungen feyn, oder eine andere Sache,
ja felbft die Zeichen, und wir Fonnen alfo Worte und ans
dere Zeichen auch anfchauend erfennen. Manche glauben,
daß bey Feiner anfchauenden Erkenntniß, Borftellungen
der Zeichen, angetroffen werden, Allein das ift der Er—
farung zuwider. Wenn wir in einer Gemuͤthsbewegung
find, fo haben wir alsdenn unleugbar eine anfchauende Erz
fenntniß der Sache, worüber unfer Gemüth in Bewegung
gefegt ift. Und wen Fan unbefant feyn, daß mir fehr
ofte, mitten in den Gemuͤthsbewegungen, reden koͤnnen,
und wir müflen alfo alsdenn nothwendig uns die Zeichen
vorftellen. Folglich fan auch die Erkenntniß anfchauend
feyn, wenn wir uns gleich die Zeichen des Gegenftandes
vorftellen, wenn nur die Vorftellung dev Sache gröfier
3 und
245 Von dem Bezeichnungsvermögen.
und ftärfer ift, als die Vorftellung der Zeichen. Freylich
ift die Erkenntniß einee Sache um fo viel anfchauender, je
gröffer fie felbft ift, und je Eleiner Daneben die Vorftellung
der Zeichen ift. Und fie fan nicht anfchauender feyn, als
wenn neben ihr. die Vorftellungen der Zeichen ganz ver-
ſchwinden, und wenn man die Sache ohne alle Zeichen fich
vorftele. Bey der anfchauenden Erkenntniß richten wir,
unfere Aufmerffamfeit, allein oder vornemlicdy auf Die
Borftellung der Sache, und mir abftrabiren entweder
ganz von ihren Zeichen, oder wir werfen nur nebenben,
einen matten und flüchtigen Blick, auf diefelben. Die fpm-
bolifche Erkenntniß einer Sache im Gegentheil befteht
darin, wenn wir uns die Zeichen in einem höhern Grade
vorftellen, als die Bedeutungen. Wir richten alsdenn
unfere Aufmerkſamkeit vornemlich auf die Vorftellung der
Zeichen, und erblicken durch diefelbe, hinter ihnen qleichfam
in der Ferne, die Sachen, die fie bedeuten. Se ftärfer
die Vorftellung der Zeichen ift, und je ſchwaͤcher daneben
die Borftellung der Sache ift, defto fombolifcher ift die
Erfenntniß; und fie Fan nicht fombolifcher feyn, als
wenn man fich und feine Aufmerkfamfeit, mit der Vor—
ftellung der Zeichen, fo fehr befchäftiget, daß man die
Sache felbft bey nahe fich gar nicht vorftelt. Von der
Richtigkeit dieſer Erklärungen muß man fich, durch feine
eigene Erfahrung, überzeugen. Man gebe alfo auf die
Fälle achtung, da man wovon redet, z. E. von einem
Unglüce, ohne daß man die Betrübniß fühlt; fo hat man
gewiß alsdenn eine fpmbolifche Erkenntniß. Iſt man aber
gerührt, fo iſt unfere Erkenntniß anfchauend,
. 24.
Unſer Bezeichnungsvermögen ſtelt uns, den bezeich-
nenden Zufammenhang, entweder auf eine richtige oder
unvichtige Art vor $. 489. Und da fan man, fonderlic)
auf eine Doppelte Art, irren: 1) wenn man etwas für ein
Zeichen hält, fo es nicht iſt. Alsdenn entſteht eine falfche
ſymboliſche Erkenntniß $. 623 und zwar durch ein Blend—
werk des Wißes 9.577. weil wir, etwas, fo Fein a
ı ’
|
Von dem Bezeichnungsvermögen. 247
iſt, für ein Zeichen halten, und weil wir alſo verfchiedene
Dinge für einerley anfehen, Durch diefen Irrthum fan
man entweder etwas für ein Zeichen halten, jo gar Fein
Zeichen ift; oder für ein anderes Zeichen, als es iſt; oder
für ein gröfferes oder Fleineres, vollfommeners oder unvoll-
fommeners Zeichen, als es ift. In diefem Irrthume
ftecfen wir z. E. allemal, fo ofte wir unfere Gedanfen
nicht recht ausdrucfen, fo Daß uns der andere nicht verſte—
ben fan, und wenn er aud) von feiner Seite alles thut,
was dazu nöthig ift, wenn man einen andern verftehen
will. Aus diefem Irrthume des Bezeichnungsnermögens
koͤnnen falfche Borberfehungen entftehen, wenn er in Abs
ficht auf die vorbedeutenden Zeichen begangen wird, oder
wenn man etwas für ein vorbedeutendes Zeichen hält, fo
es nicht ift $. 275.608. Und hieher Fan man die Irrthuͤ—
mer der Welt rechnen, vermöge deren man. die: Linien in
den Händen, und wer weiß wie viele andere Sachen, für
Zeichen zukünftiger Dinge hält. Und was noch ärger ift,
fo befeftiget man fich in diefen Irrthuͤmern, durch falfche
Borauserfennungen und Bermutbungen, fo gewaltig, daß
man durch nichts eines beflern belehre werden fan $. 615.
Man glaubt hundert Fälle zu wiffen, in denen diefe Sa—
chen was bedeutet haben, und man mag fagen was man
will, fo bleibt man bey diefer Meinung. 2) Wenn man
etwas für eine Bedeutung hält, fo es nicht ift. Alsdenn
geben wir den Zeichen eine ganz oder zum Theil andere
Bedeutung, als fie würflich) haben, und diefes gefchicht
ebenfals durch eine Berblendung des Wißes $. 577. Hie—
her gehört z. E. der Irrthum deverjenigen, die Die. Rede
eines andern nicht recht verftehen. Und esift vor fich Elar,
daß aus Diefem Irrthume, eine falfche anfchauende Erz
kenntniß, entftehen fonne $. 623,
8. 625.
Das Bezeihnungsvermögen ift, wie wir bisher bey
allen untern Erfenntnißvermögen gefehen haben, verfchie-
dener Grade und Bollfommenbeiten fähig, Nemlich ») je
D 4 meh⸗
248 Don dem Bezeichnungsvermögen.
mehrere Vorftellungen wir, als Zeichen und Bedeutungen
mit einander verbinden; folglic) jemehrere und mannigfal-
tigere Zeichen und Bedeutungen wir erfennen, deſto gröf-
fer ift das Bezeichnungsvermögen. 3. E. wenn jemand
fehr viele Sprachen verfteht. 2) Je gröflere Borftellun-
gen, als Zeichen und Bedeutungen, mit einander verbun-
den werden; folglich je gröffer und vollfommener die Zeis
chen find, die wir erfennen, und je wichtiger die Bedeutuns
gen find, deſto gröffer ift Das Bezeichnungsvermögen,
3) Je vollfommener der bezeichnende Zufammenbang ift,
in welchen wir die Zeichen mit ihren Bedeutungen feßen,
defto geöffer ift das DBezeichnungsvermögen. Folglich ift
es eine Probe der Stärke und Vollkommenheit diefes Vers
mögens, wenn man Sachen auf eine recht geſchickte Art
bezeichnen Fan. 4) Ze beſſer wir die Zeichen, ihre “Bes
deufungen, und ihren Zufammenhang erfennen koͤnnen;
folglich je richtiger, klaͤrer, gewiſſer und ftärfer, deſto
gröffer ift unfer Bezeichnungsvermögen. 5) Se ftärfer die
fremden Borftellungen find, welche entweder vor der Ger
fchäftigkeie diefes Vermoͤgens hergeben, oder mit ihr zus
gleich da find, defto ſtaͤrker ift diefes Vermögen, wenn e8
dieſer Hindernifle ohnerachter würfen Fan. Daher hält
man es mir Necht für eine Gefchicklichfeit eines Redners,
wenn er aller feiner Furcht ohnerachtet, mitten unter vie
lem Geräufche, und andern Dingen, die feine Sinne ftarf
rübren, dennoch feine Rede ohne Verwirrung balten Fan.
Und 6) je fehneller und burtiger diefes Vermögen wuͤrkt,
defto geöffer iftes, folglich je gefchwinder uns die Zeichen ein⸗
fallen, wenn wir uns die Bedeutungen vorftellen, und die
Bedeutungen, wenn wir ung die Zeichen vorftellen, Wer
fich in beyden Fällen evt lange und mühfam befinnen muß,
Der legt dadurch, eine groffe Schwäche und Unvollfom-
menheit feines Bezeichnungspermögens, an den Tag. Die—
fe Materie wird, in der allgemeinen Bezeichnungskunft,
weitläuftiger ausgeführt $. 276. und es gehört diefelbe in
die Aeſthetik, in fo ferne fie, von der Verbeflerung *
em
Von dem Derftande. 249
dem rechten Gebrauche des finntichen Bezeichnungsvermöds
gens, handelt $. 527. 622,
KEERRERKAR KK KH NR FE TFT HF KF KR FE LE NH KR —
Das dritte Eapitel,
von. dem
obern Erfenntnißvermögen,
Der erfte Abfchnit,
Bon dem Berfande
$ 626.
dem wir bisher von dem untern Erkenntnißvermoͤgen
gehandelt haben, fo folge nun die Unterſuchung des
obern, als der andern Helfte des ganzen Erkenntniß⸗
vermögens, welches die Seele befigt. Nemlich wir wifjen
aus unferer Erfahrung, daß. wir deutliche Erkenntniß has
ben, oder daß wir viele Dinge deutlich erkennen $. 485.
Folglich iſt es unferer Seele möglid), daß fie durch ihre
Borftellungskraft Dinge deutlich: erfennt S. 61. und fie be=
ſitzt alfo ein Bermögen deutlicher Erfenntniß, und Das nene
nen wir das obere Erkenntnißvermoͤgen; weil diedeuts
liche Erfenntniß ein höherer und gröfferer Grad der Era
kenntuiß ift, als die undeutliche $. 524. Diefes Bermd-
gen wird aud), der Berftand, genennt $. 372. und alsdenn
braucht man das Wort im der engern Bedeutung. In
weiterer Bedeutung verfteht man Darunter das Erfenntniß»
vermögen überhaupt S. 497. und ofte braucht man das
Wort in einer fo engen Bedeutung, daß man darunter nur
einen böhern Grad des obern Erfenntnißvermögens ver-
fteht, als wenn man fagt, es fen jemand ein verftändiger
oder ein unverftändiger Menfh. Hier wollen wir das
Wort dergeſtalt gebrauchen, daß wir darunter nur Dasjenis
ge Erfenntnißvermögen veritehen, wodurch wir im Stande
find, ung sine deutliche Vorſtellung von einer Sache zu
25 machen.
;o Von den Derftande,
machen, Der Verftand gehört zu denenjenigen Erfennte
nißvermögen, welche durch die Natur nicht, zu der Erfennt«
niß gewiſſer Arten der Dinge, beftimt find; fondern bie
dazu beftimt find, einen Öegenftand, er mag aud) feyn was
er will, auf eine gewiffe Art und Weife zu beleuchten, und
zu erfennen. Daher fan ſich aud) der Verftand, bey allen
möglichen Dingen, und allen Gegenftänden der Erfenntniß,
gefchäftig erweifen, And wir fehen auch aus unferer Er-
fahrung, daß unfer Verftand, mit allen unfern übrigen Er-
fenntnißvermögen, zugleich gefchäftig feyn fan Wenn
wir empfinden, fehen, hören u. ſ. w. fo macht der Verftand
ofte die Empfindung groffentheils deutlich, und fo aud) bey
den übrigen Arten der Erkenntniß. Folglich koͤnnte man,
fo viele verfchiedene Erkenntnißvermoͤgen, in dem Berftan«
de von einander unterfcheiden, als wir bisher in dem un:
tern Erfenntnißvermögen angemerkt haben. Wir Fünnten
alfo einen empfindenden Werftand gedenfen, ein Vermögen
die Empfindungen deutlich zu machen; einen einbildenden,
ein Vermögen die Einbildungen deutlich zu machen u. ſ. w.
Allein es ift der Natur gemäffer, wenn mir fogen, daß die
untern Erfenntnißvermögen ofte die Borftellung, die fie
vermöge ihrer Natur hervorgebracht haben, dem Berftande
zu weiterer Beleuchtung vorhalten; oder daß der Verſtand
die Borftellungen, die ein finnlihes Erfenntnißvermögen
hervorgebracht hat, beleuchte, und ofte eine Deutlichkeit in
ihnen verurfache.
$. 627.
Wenn wir uns eine deutliche Vorftellung machen, fo
heißt diefes nichts anders, als einige Fiare Vorftellungen
zufammenfaffen, und fie zufammengenommen als Eine gan»
se Borftellung anfehen. ine jede diefer Elaren Borftellun-
gen ftelt uns, wenigftens unferer Meynung nad), einen
Theil in dem Gegenftande vor. Folglich entſteht eine deut:
liche Vorſtellung einer Sache, wenn mir unfere Aufmerf-
famfeit nicht nur auf fie im Ganzen betrachtet richten H.
302, fondern aud) zugleich auf einige Theile derfelben, oder
wenn
h
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Don dem Derftande. 251
wenn wir die Sache durchdenken $, 513. und durch die
Ueberlegung, die klaren Borftellungen diefer Theile, in
Eins zufammenfaffen $. 515. und unterdeffen, von allem
übrigen, unfere Gedanfen abziehen S. 518. So machen
wir uns eine deutliche Vorſtellung von dem Lafter, wenn
wir es ung als eine Fertigkeit zu fündigen vorftellen, Hier
haben wir zwey klare Borftellungen von der Fertigkeit, und
von dem Sündigen, welche wir durd) das Nachdenken in
dem Laſter entdecken, und zugleich neben einander in der
Eeele klar erhalten können. indem wir fie nun zufam«
menfaſſen, fo ift, der deutliche Begrif von dem after, in
unferer Seele würflih. Wenn alfo die Aufmerffamfeit,
das Nachdenken, die Ueberlegung und das Vermoͤgen zu
abjtrahiren zugleich, eine und eben diefelbe Vorftellung, in
der gehörigen Drönung bearbeiten: fo wird fie deutlich, und
folglid) machen, diefe vier Erfenntnißvermögen zufammen-
genommen, den Berftand aus, welcher dem zufolge alfo ein
zufammengefeßtes Vermögen ift $. 170, Da nun Diele
Vermoͤgen, durch die Borftellungskfraft der Welt nad) der
Stellung des Leibes, gewürft werden $. 512. 513. 515. 518.
fo wird aud) der Berftand, durch eben diefe Vorſtellungs—
kraft, würflid. Und hieraus ift zugleich die Hegel der
Natur Flar, nach welcher unfer Berftand würkfam ift. Da
nemlid) die Ueberlegung allemal, das Nachdenken und die
Aufmerffamfeit, vorausfegt, fo Fan man diefe Regel ganz
furz fo ausdrucken: man überlege den Begenftand,
und fondere dasjenige ab, was nicht mit in Ueberle—⸗
gung gezogen wird, fo wird das Übrige deutlich.
"Allein dieſes Geſel, ift nur das Gefeg eines endlichen Ber:
ftandes, der unendlihe Verſtand GOttes braucht eine
Sache nicht zu durchdenken, und von andern zu abftrabis
ven, fondern er durchfchauet fie mit einem Blicke und auf
einmal, in der gröften Deutlichfeit, Aus diefer ganzen
Unterfuchung erheflet noch zweyerley. Kinmal, woher es
komme, daß bey uns Menfchen der Verſtand nicht vor den
Jahren komme; oder daß unfer Verftand, von unferer ii
urt
252 Don dem Verſtande.
burt anzurechnen, erſt mit der Zeit würkfam zu werden an«
fange. Denn da er die Fertigkeit in der Aufmerkfamfeit,
dem Nachdenken, ver Ueberlegung und der Abftraction vor=
ausfegt, wir aber diefe Fertigkeiten nur erft mit den Jah—
ren erlangen koͤnnen; fo fan auch unfer Verftand nicht eher
ſich würflich Auflern, bis nicht alle übrige Erkenntnißver⸗
mögen zu einer hinlänglichen Stärfe gekommen find. Zum
andern erhellet auch, Daß eine jedwede denkende Subftanz
des Verftandes fähig fen, welche ein Vermögen achtung zu
geben, nachzudenken, zu überlegen, und zu abftrahiren be-
fist, ja daß fie in allen Fällen deutlich denfen fünne, in
welchen diefe vier Handlungen des Erfenntnißvermögens
ftat finden koͤnnen; daß aber, wo auch nur eins diefer Era
Fenntnißvermögen fehlt, auch der Berftand nicht flat finden
koͤnne. Wo das Ganze feyn foll, da müflen alle Theile
ohne Ausnahme feyn ; wo aber aud) nur Ein Theil fehlt,
da Fan auch das Ganze nicht ftat finden $. 149.
628
In ſo ferne wir uns etwas durch den Verſtand vor⸗
ſtellen, das iſt, in fo ferne wir es deutlich erkennen, in fo
ferne begreifen wir es. So fagen wir, daß wir gar wohl
begreifen, wie der Regen entfteht, weil wir die Entftehungs-
art des Regens deutlich erfennen, und Diefelbe erklären koͤn—
nen. Begreiflich ift alles dasjenige, was deutlich erfant
werden Fan, oder was durch den Verſtand erkannt werden
fan. Wenn wir etwas empfinden, und folte es auch noch
fo klar feyn, fo fagen wir deswegen noch nicht, daß wir es
begreifen; fonft müften wir alles begreifen, was wir feben,
hören, oder irgends auf eine Art empfinden, und zwar fo
bald wir es empfinden. Und eben fo verhält es fich auch),
mit den übrigen finnlichen Erfenntnißvermögen, Wir mös
gen ung durd) diefelben eine Sache noch fo Elar und lebhaft
vorftellen, fo fagen mir desivegen doc) nicht, daß wir fie
begreifen. Alles Begreifen einer Sache ift alfo, ein Ges
fchäfte des Verftandes, Und da ift eine Sache entweder
an und vor fich betrachtet begreiflich, oder ——
weiſe
—
Don dem Derftande, 255
roeife. Szene ift fo befhaffen, daß fie an und vor fich bes
trachtet deutlidy erkannt werden Fan; oder daß fie diejenige
Beſchaffenheit bat, welche eine Sache haben muß, wenn
fie von irgends einem Verſtande deutlich erkannt werden
fol, Nun wird zu diefer Befchaffenheit weiter nichts er-
fodert, als daß eine Sache ein Ganzes fey, welches aus
verfchiedenen Theilen und Beftimmungen zufammengefege
if. Alles Mögliche Fan vorgeitele werden $. 23. Folge
lic) Fan alsdenn das Ganze mit feinen Theilen, und dem
Unterfchiede derfelben, als welcher auch mas moͤgliches ift,
vorgeftele werden. Die Borftellung einer Sache mit ihrem
Unterfcheide ift, eine klare Vorſtellung. Folglich Fan ein
ſolches Ganzes Flar vorgeftele werden, und feine Theile koͤn—
nen in ihm auch Elar vorgeftelt, und von einander
unterfchieden werden. ine ſolche Vorſtellung ift deutlich
S. 627. und es Fan alfo ein folhes Ganze deutlich erfant,
und begriffen werden. Ein jedwedes mögliches Ding enthält
das Wefen, weſentliche Stüde und Eigenfchaften F. 66. 67
die von einander unterfchieden find, Folglich ift ein jedwe⸗
des mögliches Ding ein Ganzes, welches viele von einan«
der verfchiedene Theile in ſich enthaͤt. Und alfo ift alles,
was möglich ift, an und vor fich betrachtet begreiflich.
Dasjenige aber ift besiehungsweife begreiflich, welches
von einem geroiffen Berftande deutlich erkant werden Fan;
und da ſagt man, daß es demjenigen begreiflic) fey, oder
von demjenigen begriffen werden fönne, der den Berftand
beſitzt, durch) welchen es deutlich erfant werden fan, oder
deffen Kräfte zureichend find, daſſelbe deutlich zu erkennen.
So fagen wir, daß uns Menfchen etwas begreiflich fey,
wenn der menfchliche Verſtand vermögend ift, daſſelbe
deutlich) zu erkennen,
6. 629.
Unbegreiflich ift alles dasjenige, was nicht deutlich
erfant, oder durch ben Verſtand nicht vorgeftelt werden
fan. Und es ift entweder an und vor fich betrachtet
unbegreiflich, oder nur beziehungsweiſe. Jenes Er
ſchlech⸗
254 Don dem Derfiande.
fehlechterdings nicht begriffen werden Fonnen, und es müs
fte ihm diejenige Befchaffenbeit ‘fehlen, die Dazu erfodert
wird, wenn ein Ding foll fonnen begriffen werden, Nun
fehlt, keinem möglichen Dinge, diefe Befchaffenheit $.628.
Folglich ift, das an und vor fich Unbegreifliche, Nichts
und fehlechterdings unmöglid,; Sagen, daß etwas an
und vor fich unbegreiflic) fey, beißt eben fo viel als fagen,
daß es fehlechterdings unmöglich fey, Und es ift demnach
ſehr unbedachtfam, wenn es Leute giebt, welche die Ge—
heimniſſe der Religion, und andere Sachen, die fie für
wahr und möglich halten, für fehlechterdings unbegreif—
lich ausgeben, um fie dadurch wunderbarer zu machen.
Dasjenige aber, was nur besiehungsweife unbegreif-
lich ift, it zwar an fih gar wohl begreiflich, allein die
Kräfte eines gewiffen Verſtandes reichen nicht zu, ‚Daffels
be deutlich zuerfennen. Und da fagt man, daß es demje-
nigen Dinge unbegreiflich fey, deſſen Berftand es nicht
deutlich erfennen Fan, und man ſagt auch, daß es über
den Beritand deffelben Dinges gebe, Da nun der menfch-
liche Berftand eingefchrenfe ift, fo Fan er nicht alle mög-
liche Dinge begreifen, Folglich Fönnen viele Dinge an
fich begreiflich feyn, fie koͤnnen auch wohl von andern end-
lichen Geiftern, die mehr Verſtand haben, begriffen wer—
den, undfie fünnen doch den Menſchen unbegreiflich feyn.
Ja da ein Menfch mehr Verftand haben Fan, als der an-
dere; fo Fan auch einem Menfchen dasjenige hegreiflich feyn,
was dem andern unbegreiflic iſt. Was fir ein unver-
fchämter Stolz ift es alfo nicht, wenn es $eute giebt, die
dasjenige, was fie nicht begreifen, entweder ganz und gar
leugnen, oder doch vorgeben, daß es allen Menfchen un:
begreiflich fen! Gleichfam als hätten fie, das ganze Maaß
des Verftandes, vonder Natur erhalten. Carteſius bielt
es für ein Kennzeichen ver Wahrheit einer Sache, wenn
fie begriffen werden koͤnne. Es ift wahr: alles was be-
griffen werden fan, ift möglic und wahr; alles was wir
in der Thatbegreifen, tft auch wahr; was er
unbe: |
Don dem Derftande, 255
unbegreiflich ift, ift falſch: allein wir Menfchen müffen
niemals fchlieffen, daß dasjenige falfch fey, was wir nicht
begreifen fonnen, Und da wir uns ofte einbilden koͤnnen,
als begriffen wir eine Sache, da wir fie doch nicht begrei-
fen; fo muß man mit groſſer Borfichtigkeit verfahren, wenn
wir etwas deswegen für wahr halten wollen, weil wir es
unferer Meinung nad) begreifen,
—
Wenn wir die Natur des Verſtandes genauer wollen
kennen lernen, ſo muͤſſen wir ſeine Wuͤrckung, die Deut—
lichkeit der Erkenntniß, noch weiter unterſuchen. Nem—
lich die Deutlichkeit beſteht in der Klarheit des Ganzen,
und einiger feiner Theile $. 627. Folglich je mehr Theile
und Merfmale einer ganzen Borftellung Elar erfannt wer:
den, je fläver, fo wohl der Stärfe als Ausdehnung nad)
6. 503. die Merkmale erfant werden, defto deutlicher ift die
Borftellung im Ganzen betrachtet. Folglich giebt es über-
haupt eine doppelte Arc der DeutlichFeit, oder der deutli-
chen Erfennmiß. 1) Kine ausgebreitetere Deutlich
Feit, oder eine Borftellung, die eine ausgedehntere Deut:
lichfeit hat, oder von welcher mehr Flare und lebhaftere
Merkmale erfant werden, als von andern deutlichen Bor:
ftellungen. Geſetzt man hätte von einer Vorſtellung drey
klare Merkmale erfant, fo ift ſie deutlich. Ihre Deutlich-
feit aber breitet fich über fie weiter aus, mern man zehn flare
Merkmale, und die Merkmale felbft lebhafter erkennt. Je
mehr wir alfo, der Ausdehnung nach, auf eine Vorftel-
fung im Ganzen betrachtet achtung geben, derfelben nad):
denken, und fie überlegen $. 511. 514. 517. defto mehr brei-
tet fich die Deutlichkeit über die Borftellung aus. Ye we—
niger wir aber, auf das Ganze, achtung geben; oder,
wenn mir auch genug achtung geben, je weniger wir nad)-
denken; oder, wenn wir auch genug nachdenken, je meni-
ger wir es überlegen: deſto weniger ausgedehnt ift und
wird die Deutlichkeit $. 627. Diejenige Vollkommenheit
des Berftandes, vermöge welcher er geſchickt ift, eine aus-
gebrei⸗
256 Don dem Derftande.
gebreitetere Deutlichfeit in der Erfenntniß hervorzubringen,
heit die Schönheit des Verſtandes. Man erlanget
diefelbe nach den Regeln der fchönen Wiffenfchaften, als
welche eben, in Abfiche auf den Verftand, den Zweck ba-
ben, feine Schönheit zu befördern. Wenn ein fchöner
Geift eine Sache deutlich erfenne und befchreibt, mit was
für einem Reichthume, und mit mas für einer Mannig-
faltigfeit der Merfmale, thut er diefes nicht? 2) Eine
Deutlichkeit, die der Stärke nach groß iſt, und fie
beſteht darin, wenn die Merkmale der Stärke nad) fehr
Elar, und wohl gar felbft auch deutlich find. Dergleichen
deucliche Borftellungen find, die logiſchen Erflärungen in
den Wiffenfchaften. Man ficht bey denfelben nicht auf
die Menge der Elaven Merfmale, fondern man befiehlt in
der VBernunftlehre ausdrücklich, daß die logifchen Erflä-
rungen fo wenig Merkmale in ſich enthalten follen, als
möglich ift. Allein man erklärt dieſe Merkmale wieder,
und zergliederf fie unendlich weit, bis man auf die allerer-
ften Begriffe der Menſchen komt. Folglich je ftärfer man
auf die Merkmale achtung giebt, ihnen nachdenfe, und ein
jedes derfelben überlegt, und je mehr man dabey von ans
dern Dingen abſtrahirt $, 511. 514. 517. 519. deſto deuf-
licher wird die Vorftellung der Stärfe nad) $. 627. Je
weniger man aber eine dieſer Handlungen, oder mehrere
derfelben verrichtet, defto weniger deutlich wird die Vorſtel⸗
Yung der Stärfenach betrachtet. Diejenige Vollkommenheit
des Berftandes, vermöge welcher er im Stande ift, einen gröfs
fern Grad der ftärfern Deutlichfeit in der Erkenntniß zu
würfen, wird die Tieffinnigfeit des Verftandes genant,
und vermöge derfelben erlangt man tiefe Einfichten. Die⸗
fe Vollkommenheit des Berftandes ift ein Zweck der hoͤhern
und ernfthaften Wiffenfchaften, indem man in denfelben
bemühee ift, die Tiefe der Einfichten in die Wahrheiten zu
befördern. Selten befigt ein Menfch, diefe benden Boll-
fommenbeiten des DVerftandes, zugleich. Einige haben
einen fehönen und Eeinen Fiefjinnigen Verſtand, * es
om⸗
Don dem Verftande, 257
kommen ihnen daher die höhern Wiffenfchaften trocken und
dunfel vor, und fie verachten diefelben. Andere haben
einen tieffinnigen Berftand, der gar nicht fehön ift, und
diefe Leute find gar zu abftracte Köpfe, und fehen die fchös
nen Wiffenfchaften als eine Tändeley und ein Spielwerf an.
NER
Hier läßt fich die berümte Frage unterfuchen : ob der
menſchliche Verſtand ein reiner Verſtand ſeyn Eönne;
oder ob er der Reinigkeit fähig fey? Wenn man dieſe
Frage gründlich entfcheiden will, fo muß man erft bejtim-
men, was man durch den reinen Verſtand verfteht, Und
da kan man fich, auf eine doppelte Art, erklären. Einmal
' Fan man annehmen, daß der reine Verftand ein Ver—
ſtand fey, welcher eine deutliche Erkenntniß wuͤrkt, die
gar feine Dunfelbeit und Verwirrung in fich enthält, Und
die Reinigkeit des Verſtandes würde alfo, vermöge
diefer Erfläarung, diejenige Bollfommenbeit des Berftan-
des fen, vermöge welcher er im Stande ift, ganz deut:
liche Borftellungen zu würfen, die gar nichts finnliches
mehr enthalten. Gleichwie wie nun das Waffer ganz rein
nennen, wenn es gar Feine Theile anderer Are in fich ent-
hält; alfo wird auch diefer Berftand rein genennt, weil in
feiner Würfung nichts fremdes, Feine Klarheit von ande-
rer Art, nichts Sinnliches angefroffen wird. Mach die:
fer Erfiärung Fan, der menfchliche Verftand, unmöglich
rein feyn und werden: denn unfere allerdeutlichften Vor:
ftellungen balten viel finnliches in fih $. 525. Da es aber
Weltweife giebt, welche der hoͤhern Meßkunſt nachrüh-
men, daß man durch fie einen reinen Berftand befomme; fo
Fan man von diefer ftrengen Erflärung abgeben, und zunt
andern, durch die Keinigkeit des Verftandes, einen
höhern Grad der Tiefjinnigfeit verſtehen. Und je tiefjin-
niger wir alfo eine Sache einfehen, deſto reiner wäre der
Berftand, weil um fo viel weniger Ginnlichfeit in der
Erkenntniß alsdenn zurück bleibt; gleichwie wir das Waſ—
fer ſchon rein nennen, wenn es nur niche merklich viel
3. Theil. R fremde
258 Von dem Derftande.
7
fremde Theile in ſich enthält. Mach dieſer Erklaͤrung kan
man nicht eher entfcheiden, ob der menfchliche Verſtand
rein feyn Fan, bis man fich darüber verglichen hat, welchen
Grad der Tieffinnigfeit man ſchon eine Reinigkeit des Ver—
ftandes nennen will. Geſetzt man fage, es fen fehon ein Be:
weiß der Reinigfeit des Verſtandes, wenn man eine Bor:
ftellung zwanzigmal zergliedern fan; fo muß man es pro—
biren, ob man vermögend fey, in die Merkmale einer Bor:
ftellung fo tief einzudringen, oder nicht ?
$. 632.
Ueberhaupt müffen, die verfchiedenen Grade und Boll
fommenheiten des Verſtandes, nach folgenden Regeln beur:
theilt werden: 1) je mehrere und mannigfaltigere Dinge
wir deutlich erkennen fünnen, deſto groͤſſer iſt der Ver—
ſtand. Wer nur wenige Dinge, oder nur Dinge von ei—
ner gewiſſen Art, deutlich erkennen kan, deſſen Berftand
ift in fehr enge Grenzen eingefchloffen. 2) Je gröffer und
wichtiger die Dinge find, die wir deutlich erkennen Fönnen,
und je wichtiger die Merfmale find, die wir an den Din-
gen entdecken, defto gröffer ift unfer Verstand. Ein Ver—
ftand, der ſich nur mit unerheblichen Kleinigkeiten befchäf:
tiget, muß nothwendig klein ſeyn. 3) Je fehöner der Ber:
ftand ift, deſto geöffer ift er $. 630. 4) Se tieffinniger
er iſt; defto groͤſſer iſt er $. 630. 5) Je mehrere und ſtaͤr—
kere Vorſtellungen von anderer Art, vor der Wuͤrkſam—
keit des Verſtandes, hergehen, oder mit ihr zugleich da
ſind, deſto groͤſſer und ſtaͤrker iſt der Verſtand, wenn er
dieſer Hinderniſſe ohnerachtet wuͤrken kan. Ein ſchwacher
Verſtand muß die Stille in der Seele abwarten, wenn er
wuͤrkſam ſeyn will. Und 6) je geſchwinder der Verſtand
die Deutlichkeit hervorbringen kan, und je leichter ſie ihm
wird, deſto groͤſſer iſter. Ein ſchwacher Verſtand arbei—
tet ſehr langſam, es wird ihm ſehr ſauer, und er ermuͤdet
ofte, ehe er ſein Geſchaͤfte zu Stande gebracht hat. Es
iſt aus dieſem allen klar, daß die Grade des Verſtandes,
von
Don dem Derftande. 259
von den Graden der Aufmerffamfeit, des Nachdenkens,
der Ueberlegung und der A abhangen $. 627.
§.
Wir ſagen, daß wir en Derftand brauchen,
wenn wir Durch denfelben die Deutlichfeir in der Erkennt—
niß würfen. Es wird überhaupt eine jedwede Kraft ge:
braucht, wenn die Accidenzien würflich werden, die durd)
diefelbe Kraft möglich find. Folglich brauchen wir ein
Erfenntnißvermögen, wenn wir die Erfenntniß und die
Art derfelben wuͤrklich machen, welche durch daffelbe in der
Seele möglid) find. So ofte wir alfo deutlich denfen, fo
ofte brauchen wir unfern Berftand. Und durch den Ge—
brauch des Derftandes verfteht man, die Fertigkeit in
der deutlichen Erkenntniß. Nun Fan man freylich nicht
behaupten, daß Diefer Gebrauch bey allen Geiftern eine er-
langte Fertigkeit fen; fo viel aber ift gewiß, daß bey uns
Menfchen Berftand nicht vor den Sahren fomme, und
daß wir nach und nach durch Uebungen zum Gebrauch des
Berftandes gelangen $. 627.575, Nun fan man, einen
vierfachen Grad des Gebrauchs des Berftandes, von ein-
ander unterfcheiden. x) Wenn in dem Inbegriffe aller
Borftellungen, die wir in einem Augenblicke haben, und
alfo in derjenigen ganzen Borftellung, auffer welcher Feine
andere Vorstellung in der Seele in einem gewiffen Augen-
blicke angetroffen wird, Deutlichfeit if. Und die ift fo
ofte da, fo ofte wir auch nur zweyer Vorftellungen, die
mir zugleich haben, uns bewußt find; denn alsdenn ent:
hält, unfere dermalige ganze Vorſtellung, einige Elare
Theile, und ift alfo deutlich. 2) Wenn aufferdem, in
unferer ganzen Borftellung, eine oder mehrere Borftellun:
gen als Theile angetroffen werden, die vor fich deutlich)
find. Alsdenn wird fhon mehr Berftand dazu erfodert,
weil in diefem Falle eine Deutlichfeit im Ganzen, und in
einem oder mehrern Theilen deffelben zugleich angetroffen
wird. Hieher gehoͤrt, wenn wir z. E. einen Menſchen,
ein Hauß, einen Baum, deutlich vor uns fehen. 3) Wenn
R 2 mir
260 Don dem Verftande,
wir abftracte Begriffe und allgemeine Wahrheiten es
erfennen, fo brauchen wir unfern Berftand in einem no
hoͤhern Grade, weil diefe deutliche Erfennenig ohne Tief-
finnigfeit nicht möglich ift $. 630. Und 4) wenn wir die
wefentlichen Stuͤcke und Eigenfihaften der Dinge erfennen,
und in ihnen von einander unterfcheiden. Dazu wird der
gröfte Verftand erfodert. Die untern Erkenntnißfräfte
jtellen uns nur, das Würflihe von den Dingen diefer
Welt, vor, und folglich die zufälligen Befchaffenbeiten und
Berhältniffe, und es gehört nicht viel Kunft dazu, in Dies
fer Erkenntniß Deutlichkeit zu erlangen, Allein wer das
Weſen, die wefentlichen Stüfe, und die Eigenfchaften
eines Dinges erfennen, und von einander unterfcheiden Fan,
der erkennt das Wichtigfte von denfelben, und bemeißt eine
geoffe Stärfe des Berftandes, ja den höchften Grad des
Gebrauchs deffelben,
$. 634
Aus der bisherigen Theorie laffen fich, einige Zuſtaͤn—
de und Befchaffenbeiten des menfchlichen Gemuͤths, erklaͤ—
ren, welche fehr merkwürdig find, Wir fehen aus der Er-
fahrung, daß der Gebrauch des Verſtandes bey uns exit
mit den Jahren Fomt, und daß es verfchiedene Grade Dies
fes Gebrauchs giebt $. 633. Folglich lehrt die Erfahrung,
daß nach der Geburt es eine geraume Zeit währt, ehe der
Menfch zu einem merflichen Gebrauche des Verſtandes ges
langt. Endlich merft man, daß ein Menfch eine Fertige
feit befomt, feinen Verſtand zu gebrauchen, weil er jich
Dadurch Aauffert, Daß er reden! lernt, So lange nun der
Menfch noch nicht einen fo groffen Gebrauch des Verſtan—
des erlangt bat, als zum Reden erfodert wird, fo lange
wird er eigentlich ein Kind genennt. Man braucht das
Wort auch in einer weitern Bedeutung, wenn die Eltern
ihre Rinder nennen, fie mögen fo alt und verftandig feyn,
als fie wollen. Hier aber verftehen wir das erfte Alter
eines Menfchen, welches man die Kindheit nennt. Nun
giebt es in dem gemeinen Leben der Menfchen gewiſſe wich-
tigere
Don dem Perftande, 261
tigere Gefchäfte, 3. E. Heyrathen, eine Haushaltung füh:
ven, DBerfräge errichten, Kinder erziehen und dergleichen,
welche, ohne einem gemwiffen geöffern Grade des Gebrauchs
des Berftandes, nicht gehörig verrichtet werden koͤnnen.
Wer nun no nicht einen fo groffen Gebrauch des Ver—
ftandes erlange-hat, als zu der gehörigen Verrichtung die-
fer Gefchäfte gewöhnlicher Weiſe erfodert wird, der wird,
unmündig genennt; wer aber einen fo groffen Gebrauch des
Berftandes erlangt bat, als dazu nöthig ift, Der heißt
mündig. Wir nehmen bier diefe Wörter in einer Ber
deutung, die fich auf die Natur felbft bezieht, und da Fan
der eine Menfch viel eher mündig werden, als der andere.
Ja es ift möglich, daß mancher Menfch, und wenn er
auch noch) fo alt werden folte, doch niemals in diefem Le—
ben mündig wird. Es haben demnach die’ bürgerlichen
Geſetze bier einen allgemeinen Durchſchnitt machen müffen,
indem fie die Mimdigfeit und den Anfang derfelben in ein
gewiſſes Jahr des menfchlichen Alters gefegt, und alsdenn
Fan jemand nach den bürgerlichen Geſetzen mündig ſeyn,
der es natürlicher Weife noch nicht ift, und unmündig, der eg
natürlicher Weife ſchon längft nicht mehr geroefen iſt. Wer
einen merflich Eleinern Gebrauch des Verſtandes hat, als
die allermeiften, die ihm am Alter gleich find, der wird
einfältig im böfen Verftande genennt. Die Natur
beobachtet, eine gewiſſe Art der Gleichheit. Die meiften
Menfchen von einem und eben demfelben Alter haben, ohn-
gefebr einen gleichen Grad des Verſtandes. Wer nun
hier merklich zurück bleibe, der ift ein einfältiger Tropf,
und er unterfcheidet fich fo augenfcheinlich, daß er das Ziel
des Hohngelächters aller derjenigen ift, die mit ihm von
gleichem Alter find. Und endlich nennen wir einen Men-
fhen wahnwitzig, bey welchen man gar feinen, oder
bey nahe feinen Gebrauch des Berftandes bemerkt, in ei-
nem Alter, in welchem er ſich doch ſchon ben den, allermei+
ſten Menfchen merklich aͤuſſert. Solche Menfchen bleibe
Rt
Kin⸗
262 Don der Dernunft.
Kinder fo lange fie leben, und man nennt fie aud) $eure,
die nicht recht bey Sinnen und bey Verſtande find.
\
DEREK ER KK FE TE KH FE FR FE FEN
Der andere Abfehnit,
Bon der Vernunft.
| $. 635.
(is fommen wir zu dem legten Erfenntnißvermögen,
welches wir in unferer Seele entdecken koͤnnen, und
welches man die Crone aller übrigen nennen Fan, weil fie
färntlich zu demſelben zufammenftimmen. Damit wir nun
die Bernunft recht Fennen lernen, fo müffen wir vorher be»
merfen, daß einige Erfenntnißvermögen in unferer Seele
angetroffen werden, die zwar der Vernunft ähnlic) find, die
aber mit verfelben nicht verwechfele werden müffen. Nem—
lich es lehrt die Frfahrung, daß wir den Zufammenbang
vieler Dinge einſehen. So ofte wir ung eine Sache als
einen Grund und eine Urfach, als eine Folge und Wuͤr—
fung, oder als etwas welches mit einer andern in einem
Berhältniffe ſteht, vorftellen: fo ofte ftellen wir uns, einen
Zufammenhang, vor. Folglich haben wir ein Erfenntnißs
vermögen, durch welches wir die Verbindungen der Dinge
einfehen. Durch diefes Vermögen verknüpfen wir nice
nur, unfere eigene Borftellungen, mit einander, und leiten
eine aus der andern her, das ift, wir ftellen uns vor, daß
die eine in der andern gegründet fen; fondern wir verfnüpfe
fen dadurch auch die Gegenftände unferer Borftellungen,
und fehen ihre Verbindungen ein. Ein Schluß ift eine
Erfenntniß des Zuſammenhangs einer Borftellung mit an.
dern Borftellungen; und wir fchlieffen eine Borftellung aus
der andern, in fo ferne wir erfennen, daß jene in dieſer ge—
gründer ift, Folglich ift, unfer Bermögen den Zufammen-
bang der Dinge zu erkennen, nichts anders, als ein Ver—
mögen Schlüffe zu machen. Diefes Vermögen ift a
nichts
Don der Vernunft, 268
nichts anders, als die Aufmerkfamkeit auf die Berbinduns
gen unferer Borftellungen, und ihrer Gegenftände $. 50.
Und da alle Dinge in der Welt, in einem allgemeinen Zu—
fammenhange, mit einander ftehen $. 319. fo erfennt die
Seele, wenn fie die Welt betrachtet, aud) den Zufammen-
hang vieler Dinge. Folglich wird, diefes Erkenntnißver—
mögen, durd) Feine andere Kraft der Seele gewürft, als
durch die Vorſtellungskraft, durd; welche fie fich die Welt
nad) der Stellung ihres Leibes vorftelt $.-488. Und da
Dinge mit einander verbunden find, wenn das eine den
Grund von dem andern in fich enthält 9. 28. fo Fan unfere
Seele den Zufammenhang zweyer Dinge nicht anders ers
kennen, als wenn fie in dem einen fich erwas vor,
ftelt, aus weichem fie erkennt, warum das andere
eben fo und nicht anders if. Und das ift die Regel,
wonach fid) diefes unfer Vermögen natürlicher Weife rich»
tet, wenn es den Zuſammenhang unferer Borftellungen und
ihrer Gegenftände erkennt.
$. 636. |
Wenn wir uns den Zuſammenhang unferer Borftel«
fungen und ihrer Gegenftände vorftellen, fo thun wir dieſes
entweder auf eine deutliche, oder auf eine undeutliche, dun⸗
fele und verworrene Art 6. 455. Daß mir das legte thun,
beftätiget unleugbar die Erfahrung. Wer ftelt fich nicht
vie Wärme, als eine Würfung des Feuers, vor? Allein
wie wenige £hun diefes manchmal deutlich ? Wenn id) ges
wohnt bin, des Morgens um ſechs Uhr aufzuftehn, und id)
höre die Uhr fechfe fhlagen, fo denfe ich: alfo ift es Zeit
aufsuftehn. Wer leitet den legten Gedanken täglich, auf
eine deutliche Art, aus der Borftellung ver Zeit her? Folg-
lich haben wir Erfenntnißvermögen, wodurd) wir uns, Die
Berbindungen unferer Vorftellungen und ihrer Gegenftäns
de, undeutlich vorftellen, und die werden die vernunft-
ähnlichen Erkenntnißvermoͤgen genannt, oder fhlechr«
weg, das Vernunftähnliche, weil fie darin der Vernunſt
ähnlich find, daß fie fih mit der Erkenntniß des Zufam-
NR 4 mens
264 Don der Vernunft.
menbangs befchäftigen.. Wenn mir eine Borftellung aus
andern auf eine undeutliche Art herleiten, fo machen wir
undentliche, finnlihe, dunfele, verworrene Schlüffe,
Und da müffen, zu den vernunftähnlicdyen Erfenntnißver«
mögen unferer Geele, folgende gerechnet werden : der
finnlihe Witz 9.574. Es erkenne ja derfelbe die Ueberein-
ſtimmungen der Dinge; nun ftehen aber alle Dinge, in fo
ferne fie mit einander übereinftimmen, einander ähnlidy und
gleich find, in einem Zufammenbange $. 214. 2) Die
finnlihe Scharffinnigkeit $. 574, denn durd) diefelbe erfen-
nen wir die Berfchiedenheit der Dinge, und alle Berfchie-
denheit ift ein Zufammenhang. 3) Das finnliche Gedächt«
niß, denn es ift daffelbe eine Art des Wißes $. 578. 579
4) Das finnlihe Dichtungsvermögen $. 588. denn es ift
eine Art des Wißes $. 587. 5) Das ſinnliche Beurtheis
Iungsvermögen und der Gefchmad, denn alle Bollfommen-
heit und Unvollfommenheit beruhet auf dem Zufammen:
hange des Mannigfaltigen, welches zu einer Nealität zu—
fammenftimet $. 617. 619. 6) Die Erwartung ähnlicher
Fälle, und die finnliche Vermuthung, denn fie ift eine Arc
Des Wißes $. 610. Und 7) das finnliche Bezeichnungs-
vermögen, denn es ftelt uns den bezeichnenden Zufammen-
bang vor $. 622. Gemeiniglich verftehen die Weltweifen,
durd das Bernunftähnliche, bloß die Erwartung ähnlicher
Fälle, Ohne Zweifel ift diefes Vermögen das vornehmfte
Stüd des Vernunftähnlichen, weil es in unendlich vielen
Fallen unter den Menfchen, und bey den unvernünftigen
Ihieren, die Stelle der Vernunft vertrit. Allein man
würde ohne genungfamen Grund, die übrigen angeführten
Erfenntnißvermögen, von dem Vernunftaͤhnlichen aus—
ſchlieſſen.
637.
Nun lehrt uns auch die Erfahrung, daß wir uns ofte,
die Verbindungen unſerer Vorſtellungen und. ihrer Gegen⸗
ſtaͤnde, deutlich vorſtellen. So koͤnnen wir ofte deutlich er—
kennen, wie eine Urſach ihre Wuͤrkung hervorbringt, und
wie
Don der Dernunft. 265
wie eine Vorftellung aus der andern fließt. So Fonnen
wir uns deutlich voritellen, daß alle Dinge einen Grund
haben, und wir erfennen alfo, daß dieſes Präpdicat allen _
- unter dem Subjecte enthaltenen Dingen zufomme, Wenn
wir ung nun auch deutlich vorftellen, daß GOtt ein Ding
fey, oder mit zu diefem Subjecte gehöre; fo erkennen wir
deutlich, daß, um diefer beyden Wahrheiten willen, anges
nommen werden muͤſſe, daß GOtt aud) einen Grund habe,
Es it demnach Elar, daß wir ein Vermögen befißen, den
Zufammenhang unferer Borftellungen und ihrer Gegenſtaͤn⸗
de deutlich zu erfennen, und Diefes Vermögen wird die
Vernunft genannt. Manche erflären die Vernunft, durch)
die Einfiche in den Zufammenhang der Wahrheiten. Als
lein diefe Einfiche ift zwar eine Würkung der Vernunft,
wir fonnen aber auch Jerthuͤmer und falfche Borftellungen
deutlich mit einander verfnüpfen. Und wenn man durd)
die Bernunft das Vermögen verfteht, den Zufammenhang
allgemeiner Wahrheiten deutlich einzufehen ; fo ift diefes
Bermögen ohne Zweifel eine höhere Art der Vernunft $.
633. Allein man Fan nicht die ganze Vernunft in fo enge
Grenzen einfchrenfen, weil man ofte vernünftige Ueberle—
gungen anſtelt über Dinge, bey denen man Feine allgemeine
Wahrheit denft. Mac) unferer Erklärung iſt alfo die Vers
nunft eine Art des VBerftandes, und der Verſtand, in fo
ferne er den Zufammenhang der Borftellungen und Dinge
erkennt, ift die Vernunft $. 626. Es wird demnach die
Vernunft nicht nur, durch die Vorftellungskraft der Welt
in der Seele, gewürft $. 635. 627. fondern es ift auch Elar,
daß, die natürliche Kegel der Vernunft, in der Verbindung
der Regel des Berftandes $, 627. mit der Kegel des Ber
mögens ben Zufammenhang zu erfennen $. 635. beftehe,
Und eben die Gründe, um welcher willen wir, in dem vor:
bergehenden Abfage, verfchiedene untere Erkenntnißvermoͤ⸗
gen zu dem DBernunftähnlichen gerechnet haben, nöthigen
uns auch bier zu fagen: daß der vernünftige Wis $. 574.
die vernünftige Scharffinnigkeit $. 574. das vernünftige
R 5 Gedaͤcht—
256 Von der Vernunft.
Gedaͤchtniß $. 578. das vernünftige Beurtheilungsvermoͤ⸗
gen $, 619, das vernünftige Dicytungsvermögen $. 588.
die Borfehung $. 612. und das vernünftige Bezeichnungs»
vermögen $. 622. gemwiffe Arten der Vernunft find. Und
es ift demnach die Vernunft, ein fehr zufammengefegtes
Bermögen unferer Seele 6. 170,
1638.
Wir nennen alles dasjenige vernünftig, oder der
Vernunft gemäß, was durd) irgends eine Bernunft erfannt
werden Fan; oder was bie Befchaffenheit hat, die eine Sa—
che haben muß, wenn fie von einer Vernunft erfannt und
eingefehen werden fol. Nun bejteht dieſe Befchaffenbeit
darin, daß eine Sache in der That in einem Zufammenhans
ge ftehe, einen Grund habe, oder eine Folge, oder beydes
zugleih. Denn, ift in einem Dinge ein Zufammenhang,
oder ſteht es in einem Zufammenhange, fo fan aud) diefer
Zufammenhang deutlich erfannt werden $. 628. und folg—
lid) ift es ein Gegenftand der Vernunft $. 637. Da nun
alle mögliche Dinge in einem: doppelten Zufammenhange $.
37. und alle Dinge in einer Welt in einem allgemeinen Zus
fammenhange ftehen $. 3194322, ja da, in einem jedweden
möglidyen Dinge, ein allgemeiner Zufammenhang ift $. 57-
fo find alle mögliche Dinge, und alle Wahrheiten, ver»
nünftig, oder der Vernunft gemäß. Unvernuͤnftig, oder
wider die Dernunft ift dasjenige, was durch gar feine
Vernunft erfannt werden Fan; und das ift allemal ſchlech—
terdings unmöglih. Das Linvernünftige muß entweder in
gar Feinem Zuſammenhange ftehen, und feinen Zufammen-
bang in ſich enthalten, und es muß ihm alfo diejenige Ber
ſchaffenheit fehlen, die ein Dina zu einem Gegenftande der
Vernunft macht, und alsdenn ift e8 ohne Zweifel was un-
gereimtes; oder fein Zuſammenhang muͤſte fchlechterdings
unbegreiflic) feyn, und auch alsdenn ift es was ungereim-
tes 9.639. Da biefes Wort ein fo harter Ausdrud if,
fo würde es unverantwortlich feyn, wenn wir dasjenige un
vernünftig nennen mwolten, was durch diefe oder jene we
nunft
Von der Vernunft. 267
nuaft nicht erfannt werden fan. Alsdenn wären alle Ge-
heimniſſe der Religion unvernünftige Sachen, weil wir fie
durch unfere Vernunft nicht begreifen koͤnnen. Folglich
wenn wir durch unfere Bernunft etwas richtig erfennen, fo
fönnen wir es allemal für vernünftig halten. Allein um
etwas für unvernünftig auszugeben, ift es nicht hinlaͤng⸗
lid) zu beweifen, daß wir Menfchen durch unfere Vernunft
daffelbe nicht einfchen Fonnen; fondern wir müffen erweis
fen, daß es fchlechterdings unmöglid) und ungereimt fey.
Alsdenn fönnen wir getroft behaupten, daß es der Vernunft
zuwider fey.
$. 639. |
Es gibt Leute, welche die Geheimniffe der Religion,
und andere Sachen, die fie mit ihrer Vernunft nicht be
greifen Fönnen, für Sachen ausgeben, die wider die Vers
nunft laufen. Da fie aber dadurch nichts weniger fagen
wollen, als daß ſolche Sachen ungereimte und fhlechters
dings unmögliche Dinge find : fo verwechfeln fie das Un—
vernünftige mit demjenigen, was über die Vernunft geht.
Nemlich da Feins unferer Erfenntnißvermögen allwiffend
feyn fan, fo hat ein jedwedes einen eingefchrenften $Er-
kenntnißcreiß, wie unfer Geficht in den Gefichtscreiß ein-
geſchloſſen ift, und es begreift derfelbe alle diejenigen Sa-
chen in fid), welche durd) ein jedes unferer Erkenntnißver—
mögen erfannt werden fönnen und müffen. Folglich bat
auch unfere eingefchrenfte Bernunft einen gewiffen Erfennt-
nigcreiß, welcher freylich nicht alle mögliche Dinge in fic)
begreift, fondern nur diejenigen, die wir vernünftig erken—
nen fönnen und follen. Was nun von unferer Vernunft
nicht erkannt werden Fan und foll, das ift auffer dem
Creiffe unferer Dernunft. Nun gehören dahin dreyer«
ley Sachen. Einmal diejenigen, die über unfere Ver—
nunft geben, und dahin gehören alle diejenigen Dinge,
die wir gar nicht vernünftig erkennen fünnen, und wenn wir
unfere Kräfte auch) noch fo fehr anftvengen folten: denn un-
fere Bernunft iſt dazu zu ſchwach. In folchen Dingen Fan
| man
268 Don der Vernunft.
man Feine Unmöglichkeit entdecken, man fan aus richtigen
Gründen ofte wiſſen, daß fie möglich find; allein man Fan,
ihre Möglichkeit und Wahrheit, nicht deutlich in ihrem
innerlichen Zufanmenhange einfeben, dahin z. E. die Ge—
Beimniffe der Religion gehören. Zum andern Diejenigen,
die unter unfere Dernunft erniedriger find. Solche
Dinge Fönnten wir vernünftig erkennen, allein es würde
unnoͤthig und unnüß feyn, ja es würde der Vollkommen—
beit unferer Vernunft zumider laufen, wenn wir fie mit
dieſen Kleinigkeiten befchäftigen wolten : denn wir würden
darüber verſaͤumen, fie mit nöthigern, nüglichern und wuͤr—
digern Gegenftänden zu befchäftigen. Die Gelehrten ver
ſehen es hierin ofte, wenn fie in den Wiflenfchaften Klei—
nigfeiten unserfuchen. Und da ein Menſch mit feiner Ders
nunft nicht alles begreifen fan, was alle Menfchen mit ih:
rer Bernunft zufammengenommen einſehen; fo Fan eg Drit=
tens Sachen geben, die zwar nicht über die Vernunft eines
gewiſſen Menfchen erhöhet find, Die auch nicht für feine
Vernunft zu fehlecht find, die aber dennoch auffer dem
Greiffe feinee Vernunft angetroffen werden, weil er durch
ihre Unterfuchung dasjenige vernünftig zu erfennen verfäus
men würde, was er durch feine Vernunft erfennen fol,
Wenn jemand z. E. ſich auf die Weltweisheit legt, fo iſt
die Arznengelahrheit auffer dem Ereiffe feiner Vernunft,
Folglich Ean es ſehr viele ja unendlich viele vernünftige und
vernunftmäßige Sachen geben, die über die Vernunft eis
nes Menfchen erhöhet, oder unter diefelbe erniedriget find,
oder doch auffer dem Creiffe feiner Vernunft angetroffen
werden, die aber demohnerachtet nicht unvernünftig find.
6.658. Wie abgeſchmackt handeln alfo nicht diejenigen,
welche alles dasjenige für unvernünftig ausgeben, was fie
mit ihrer Vernunft nicht einfehen, oder mit derfelben niche
einfehen koͤnnen? Solche Leute halten fich für ſtarke Gei—
fter, und verrathen doch eine lächerliche Schwäche ihrer.
Vernunft,
S, 640.
Von der Vernunft. 269
$. 640.
Da die Vernunft nichts anders als der Verftand ift,
in fo ferne er fich mit der Erfenneniß des Zufammenhangs
der Dinge befchäftiger $. 637. fo ift die DBernunft um jo
viel geöffer und vollfommener, je gröffer und vollfomme-
ner dieſer Verſtand iſt. Es fünnen demnad), die Grave
der Bernunft, eben fo beftimt werden, als die Grade des
Berftandes $. 632. Und es gibt fonderlich, eine vierfache
merfwürdige Bollfommenbeit der Bernunft. 1) Die
Schönbeit der Dernunft, oder die ſchoͤne Vernunft, in
fo ferne fie den Zuſammenhang der Dinge, mit einer weit
ausgedehnten Deutlichfeit, erfennt $. 630. 2) Die Rei:
nigkeit der Vernunft, oder die reine Vernunft, in ſo ferne
ſie einen Zuſammenhang, ohne merklich viele Sinnlichkeit,
deutlich einfieht $. 651. 3) Die Gruͤndlichkeit der
Vernunft, in ſo ferne ſie eine Sache in einem groſſen Zu—
ſammenhange, oder in ihrer Verbindung mit ſtaͤrkern und
entferntern Gründen einſieht. So ſchreibt man einer Wif:
fenfchaft eine Gründlichfeie zu, wenn fie die Wahrheiten
demonftrirt, das ift, wenn fie diefeiben aus den erften
Gründen berleitet, und wenn die Gründe fie fo ftarf be-
mweifen, Daß fie dadurch unumftößlich gewiß werden,
4) Eine erfindungsreiche Vernunft, in fo ferne fie
vieler Dinge Verbindungen, und eines Dinges viele und
mannigfaltige Verbindungen, mit fehr vielen und mannig=
faltigen Gründen einfieht. So fihreibt man einem Ge—
lehrten eine folche Bernunft zu, wenn er viele Beweisgruͤn—
de der Wahrheiten ausfpühren, und eine Wahrheit aus
vielen und mannigfaltigen Gründen bemweifen Fan.
$. 641.
Vernunftſchluͤſſe find diejenigen Vorftellungen,
die von der Vernunft gewuͤrkt werden. Folglich find eg
deutliche Vorftellungen des Zufammenhangs der Borftel-
lungen; oder wenn wir eine Borfteflung aus andern Vor—
ftellungen deutlich herleiten, fo machen wir Bernunftfchlüf
fe $. 637. Es find demnach, nicht alle Schlüffe, Ver—
nunft⸗
270 Von der Vernunft.
nunftſchluͤſſe $. 635. 636. und die Vernunftlehre zeigt aus-
fuͤhrlich, wie ein Vernunftſchluß zu einer ſolchen Voll—
kommenheit gebracht werden koͤnne, daß er den Namen ei-
nes gelehrten und logiſchen Vernunftſchluſſes verdiene. In
ſo ferne wir vernuͤnftig ſchlieſſen, in ſo ferne brauchen
wir unſere Vernunft, und der Gebrauch der Ver—
nunft iſt die Fertigkeit die Vernunft zu gebrauchen, wel—
che bey uns Menſchen eine durch Uebung mit der Zeit er—
langte Fertigkeit iſt F. 633. Die Verbeſſerung der Der:
nunft beſtehet darin, wenn man die Vernunft groͤſſer und
vollkommener macht; und man ſagt auch, daß man als—
denn die Vernunft anbaue, a nun diefes allemal ge—
fchieht, wenn man die Bernunft vecht gebraucht; fo ver:
beffert man, durch eine jediwede gelehrte und philofophifche
Erfenntniß einer würdigen Wahrheit, Die Vernunft, weil
man alsdenn allemal eine wichtige Sache in ihrem Zuſam—
menhange deutlich einſieht. Daher alle Wiſſenſchaften,
und alle Theile der Gelehrſamkeit, wenn ſie die gehoͤrige
Vollkommenheit haben, Mittel ſind, die Vernunft anzu—
bauen und zu verbeſſern. Nun ſind unſere Vernunſtſchluͤſ—
fe, wie alle Arten unferer Erkenntniß, entweder wahr oder
falfch $. 489. Folglich fchließt unfere Vernunft entweder
richtig, oder fie fchließt Falfch. In fo ferne fie das erfte
ehut, wird fie die gefunde Dernunft genennt, in fo ferne
fie aber das legte thut, heißt fie die Franfe oder verdorbes
ne Dernunft. Diejenigen, welche die Vernunft durch.
eine Einficht in den Zuſammenhang der Wahrheiten er-
Elären, wollen nicht zugeben, daß es eine verdorbene Ver—
nunft gebe, Allein das ift ein bloffer Wortftreit $. 637.
und die Erfahrung lehrt leider zur Genüge, mie fehr fich
die Menfchen, und fogar die Weltweifen und Gelehrten,
in ihren DBernunftfchlüffen verirren. So viel_aber ift
klar, daß es lächerlic) fen, wenn man, alle Irrthuͤmer
der Menfchen, der verdorbenen Vernunft zur Laſt legen
will, Es thun diefes die Feinde der Vernunft, welche
alles auffuchen, um die Vernunft anzufchwärzen, Alle
? b-
EL.
Don der Vernunft. 271
Abfcheulichfeiten des Heydenthums und des Aberglaubens
follen, Geburten der verdorbenen Bernunft, feyn. Allein
folche Leute verrathen einen groffen Mangel der Scharffin-
nigfeit, indem fie Dinge mit einander vermechfeln, die
doc) fehr verfchieden find. Alle unfere Erfenntnißfräfte
Fonnen irren, und das Vernunftaͤhnliche Ean falfch ſchlieſ—
fen $. 636. Ja man Fan fagen, daß die meilten Irrthuͤ—
mer der Menfchen von dem Bernunftäbnlichen entſtehen,
und daß die Vernunft an denfelben unfchuldig fey. So
viel aber ift gewiß, daß, gleichwie eine falfche Kegel zu
fhlieffen, wenn man fie für wahr annimt, die Bernunfe
verdirbt, indem fie diefelbe zu falfchen Bernunftfchlüffen
verleitet; daß alfo au) ein Irrthum des Vernunftaͤhnli—
chen die Vernunft verderben koͤnne, wenn man denfelben
als einen Grundſatz annimt, aus mweldyem man andere
leinungen deutlich herleitet, So verleitet uns z. E. das
Bernunftäbnliche, dasjenige für gut zu halten, was unſe—
rer Sinnlichfeit angenehm ift. Wenn man nun diefes als
eine ausgemahte Sache annimt, fo Fan fogar die Ver—
nunft eines Weltweifen fic) fo weit vergehen, daß fie durch
einen deutlichen Beweis überzeugt zu feyn glaubt, daß die
mwollüftigften Handlungen tinfchuldig fern. Man Fan daher
die Bernunft eine fleiſch liche Dernunft nennen, wenn
fie in ihren practifchen Schlüffen aus ſolchen Grundfägen
ſchließt, die falfch find, und der Sinnlichkeit wahr zu feyn
fheinen. Die gefunde Vernunft ift ein Tribunal, an
roelches alle Menfchen in ihren gelehrten Streitigkeiten,
appelliven. Ein jeder denft, er habe die gefunde Vernunft,
weil der Irrende niemals, fo lange ev irret, fieht, daß er
ivret. Allein es ift eine fehrwere Srage, wo die gefunde
Vernunft auf dem Erdboden angetroffen werde?
$. 642.
Wir haben bisher die Bernunft als ein Erfenneriß-
vermögen betrachtet, welches in einem denfenden Wefen
angervoffen wird. Man braucht Diefes Wort aber auch
noch in einer andern merfwürdigen Bedeutung, und ver-
ſteht
272 Von der Vernunft.
fteht darunter den Gegenftand der gefunden Vernunft.
Seibnig erflärt Daher Die Vernunft durch eine Kette der
Wahrheiten, und wenn man DBernunft und Erfahrung
und Offenbarung GOttes von einander unterfcyeidet, fo
braucht man das Wort in Ddiefer Bedeutung. And da
fan man die Vernunft, auf eine doppelte Art, erklären.
Einmal fan man darunter den Inbegrif aller wahren Ver—
nunfefchlüffe verftehen, oder aller allgemeinen Wahrheiten,
welche in einen deutlichen Zuſammenhang gefeßt werden
koͤnnen. Und nad) diefer Erflärung gehören alle allge=
meine Wahrheiten, felbft die von GOtt geoffenbarten, zu
der Bernunft, Zum andern ift es beffer, wenn man dar—
unter den Zuſammenhang aller derjenigen allgemeinen
Wahrheiten verjteht, die von den endlichen Geiftern, in-
fonderheit von den Menfchen, natürlicher Weife erfannt
werden koͤnnen. Und fo pflege man weder die willführliz
chen bürgerlichen Gefege, noch die geoffenbarten Wahrbeis
ten der Schrift, zur Vernunft zu rechnen. Wer alfo
Bernunft und Dffenbarung einander entgegenfeßt, Der ver
ftehe entweder Durch jene das Erkenntnißvermoͤgen, wo—
von wir bisher gehandelt haben, oder nicht. Thut er das
erite, fo handelt er ungereimt. Denn diefe Vernunft Fan
und muß nicht nur die Offenbarung GOttes, und die das.
rin enthaltenen Wahrheiten, in ihrer Verbindung deutlich
einfeben ; fondern die Dffenbarung würde auch unvernünf-
tig feyn, wenn fie diefer Vernunft entgegengefegt wäre
9. 638. Folglich Fan man diefe Bernunft nicht einmal -
vonder Offenbarung unterfcheiden, als wenn jene fich mit die:
fer gar nicht befchäftigen Eönte, oder dürfte, Thut er Das
legte, fo ift es auch ungereimt, Denn wenn die Dffenba-
rung diefer Vernunft entgegen geſetzt wäre, fo wäre fie
Wahrheiten entgegengefegt, und fie wäre alfo falfch.
Folglich ift die Offenbarung entweder ein Theil diefer Ver—
nunft nad) der erften Erflärung, oder fie ift, nach der ans
dern, von ihr verfchieden, durchaus aber ibr nicht entge=
gengefegt,
Das
Von der Gemürbsfäbigkeit. 27
Das vierte Eapitel,
Bon der Gemüthsfähigkeit.
§. 64.
iv haben bisher die einzeln Erfenntnißvermögen un-
ferer Seele unterfucht, in fo weit fie, aus der Er-
4 fahrung, erkannt werden fönnen. Da fie nun ins-
gefamt, Theile des ganzen Erfenntnißvermögens der Seele,
find; fo Fan man, über ihren ganzen Inbegrif, noch einige
fehr nügliche Betrachtungen anftellen. Ein jedes Erfennt-
nißvermögen ift, wie ein Ölied des ganzen Erfenntnißvers
mögens, zu betrachten; und gleichwie die Glieder des Lei—
bes in einer gewiflen Proportion ftehen, woher die Leibes
geftalt entſteht, alſo enefteht auch in der Geele, aus der
Proportion aller Erfenntnißvermögen gegen einander, eine
gewiſſe Geftalt des Gemuͤths, oder des ganzen Inbegrifs
aller Erfenntnißvermögen. Nemlich da unfere Seele ein
endliches und eingefhrenftes Ding ift, fo find auch alle ihre
Erfenntnißvermögen eingefchrenft. Folglich hat ein jed=
wedes derfelben, in einer jedweden Seele, einen gewiſſen
Grad, welcher durch eine endliche Zahl beftime werden Fan
6.190. Wenn wir alfo diefe Grade aufs genauefte aus-
meſſen Fönnten, fo würden mir eben fo wohl deutlich erfen-
nen fönnen, wie fie fich ihrer Gröffe nach gegen einander
verhalten, als wie wir dieſes, bey den Gliedern unferes $ei-
bes, zu thun im Stande find. Folglich würden wir deut-
lich erkennen koͤnnen, daß ein Erfenntnißvermögen entwe—
der dem andern gleich, oder gröffer oder Eleiner als daffelbe
fey, und um mie vieles gröffer oder Fleiner fey, als das an-
us
| dere. Wir würden 5. E. erfennen Fönnen, daß das Ge-
daͤchtniß eines Menfchen dreyßig gleich fen, und der Ver—
ftand zwanzig, und wir Fonnten alfo hernach fagen, daß
das Gedaͤchtniß zum Verftande ſich wie dreyßig zu zwan—
zig verhalte. Und, in dieſem Verhaͤltniſſe der Grade der
Erkenntnißvermoͤgen gegen einander, beſteht die Propor—
S
3. Theil. tion
274 Von der Gemüchsfäbigkeit.
I
tion unferer Erkenntnißvermoͤgen. Nun haben wir es
freylich in der Meßkunſt noch nicht fo weit gebracht, daß
wir Diefe Proportion deutlich und. genau folten erfennen
fonnen. Allein ein jeder fieht, Daß, unferer Unwiſſenheit
und unferes Unvermoͤgens ohnerachtet, fich dennoch unter
allen unfern Erfenntnißvermögen eine gewiſſe beftimte Pros
portion befindet, vermöge welcher das eine dem andern
gleich oder ungleich ift. Und: diefe Droportion heit die
SGemuͤthsfaͤhigkeit, oder die Gemuͤthsgeſtalt, oder der
Kopf, oder dasjenige, was die Franzofen das Genie eis
nes Menfchen nennen. Ein jedweder Menfch hat feinen
eigenen Kopf, und die Natur hat mit der gröften Mannig»
faltigfeit die Gemuͤther der Menfchen gebilder, daß man
fagen fan, ein Menfch babe eben fo wohl einen andern
Kopf, als man fagen muß, er habe ein anderes Geficht, als
alle übrige Menfchen,
$. 644.
In den meiften Menfchen ift, nach Auflage der un:
feugbaren Erfahrung, ein Erfennenißvermögen, welches
merklich geöffer ift, als alle übrige. Und von diefem Ber:
mögen befomt der Menfch, deffen Kopf man unterfucht,
oder auf defien Gemürhsfähigfeit man achtung gibt, den
Namen. 3. €. Ein wißiger Kopf oder Menfch) bat aus:
nehmend viel Wis, oder der Wiß ift bey demfelben das
ftärfjte und vollfommenfte Erfenntnifvermögen. Bey
einem fcharffinnigen Kopfe ift die Scharffinnigfeit das
gröfte Vermögen; bey einem vorfichtigen, die Borfehung;.
bey einem verftändigen vernünftigen Menfchen, der Ver:
ftand und die Vernunft u. f. m. Ueberhaupt fehreibt man
einem Menfchen einen muntern Kopf zu, wenn viele fei:
ner Erfennenißvermögen Fertigkeiten find ; oder wenn er
alle oder Die meiften Erfennenißvermögen in einem hohen
Grade beſitzt. Beſitzt er aber entweder in feinem, oderin
wenigen Erfenntnißvermögen, gar Feine oder Fleinere Fer
tigfeiten, fo heißt er ein langſamer Kopf. Ye mehrere
und gröffere theoretifche Fertigkeiten jemand bejißt, deſto
muns
Von der Gemuͤthsfaͤhigkeit. 275
muncrer ift fein Kopf, und defto vollfommener und ge:
fehickeer ift der Menfch. Es fan aber ein langfamer Kopf
in einen muntern verwandelt werden, und alsdenn wird er
aufgemuntert oder aufgeweckt. Wird aber ein munterer
Kopf in einen langfamen verwandelt, fo wird der Menfch
eingefchläfert, und er wird ein Schlummerkopf.
$ 645.
Durch die Verfchiedenheit der Köpfe bey verfchiede-
nen Menfchen werden eben, verfchiedene Menfchen, zu de—
nen verfchiedenen und mannigfaltigen Befchäftigungen,
aufgelegt, welche mit und nach Erfenntniß verrichtet wer-
den müffen. Die Glückfeeligfeit des ganzen menfchlichen
Gefchlechts, und eines jedweden Menfchen ins befondere,
erfodert eine unendliche Menge von Handlungen, welche
von unendlich verfchiedener Art find. Unendlich viele der:
felben müffen, mit und nach Erfenntniß, verrichtet werden,
und da wird zu einer Art diefer Handlungen eine Erkennt—
niß erfodert, die von derjenigen Erfenntniß unterfchieden
ift, welche zu einer andern Art diefer Handlungen erfodert
wird, Z. E. die Hiſtorie erfodert, wenn man fie lernen
will, viel Gedächtniß, aber feinen tieffinnigen Verſtand;
die Mathematif erfodert tieffinnigen Verſtand, aber Feine
Schönheit des Geiftes; und fo verhält es fi) auch, auffer
der Gelehrfamfeit, mit allen übrigen Arten der menſchli—
chen Befchäftigungen, Folglich wird ein Menfch, durch
feinen Kopf, eben zu einer gewiffen Art der menfchlichen
Gefchäfte aufgelegt, weil er, vermoͤge deſſelben, eben dieje—
nige Erfenntniß erlangen Fan, die zu ihrer Berrichtung er-
fodert wird. Und Gott hat den menfchlichen Gemüthern
eben fo viel verfchiedene Geftalten gegeben, damit ein jed-
wedes Gefchäfte, welches zur menfchlichen Gluͤckſeeligkeit
nöthig ift, unter den Menfchen Köpfe finde, die fich dazu
befonders ſchicken. Wie groß ift nicht Die Güte und Weis—
heit GOttes! Durch diefe Einrichtung des Kopfs eines je-
den Menfchen hat GOtt, einen jedweden, zu einer Lebens—
art. berufen, und wer diefem Rufe folget, der ift der Stim—
S 2 me
276 Don der Gemuͤthsfaͤhigkeit.
me Gdftes gehorfam, und er wird allemal in feiner Art
ein Meifter werden fönnen. Daher haben, die Köpfe der
Menfchen, ihre verfchiedenen Namen von dem Gegenſtan—
de befommen, zu deffen Erkenntniß fie befonders aufgelegt
find, 3. E. hiſtoriſche Köpfe find zur Hiftorie aufgelegt,
poetische, . philofophifche, mathematiſche, muficalifche Köpfe
u. ſ. w. Wie vortreflich wäre es alfo nicht, wenn man
die Köpfe junger. Seute forgfältig prüfte, und einen jedwe—
den zu den Befchäftigungen anführte, zu denen fein Kopf
von der Natur eingerichtet ift ! Doc müffen wir bemer-
fen, daß es ausnehmend vollfommene und gefchickte Köpfe
gibt, welche die Natur zu allen menfchlichen Gefchäften ge=
ſchickt gemacht hat, und die an den Graden ihrer Erkennt—
nifvermögen die allermeiften Menfchen übertreffen, und
wie Niefen hervorragen. Und da fünnen folche Köpfe alls
gemeine Köpfe genannt werden, weil fie fich zu allen Ge—
genftänden der menfchlichen Erfenntniß, und ihrer gehöri-
gen Erfenneniß, gut ſchicken. Solche Leute mögen fich
auf eine Wiffenfchaft legen, auf welche fie wollen, fie moͤ—
gen eine $ebensart ergreifen, welche fie wollen, und fie moͤ—
gen thun mas fie wollen, fie beweifen allemal, daß fie es
mit Gefchick ehun oder thun koͤnnen. Und man Fan einem
Menfchen einen böbern Kopf, ein groffes Genie zu—
fehreiben, in fo ferne er merflich groͤſſere Erkenntnißvermoͤ—
gen, vielmehr Verftand, Wis, Gedaͤchtniß u. few. beſitzt,
als die allermeiften Menfchen. Selten macht die Natur
folche Meifterftücke, allein fie beweiſt doc) ofte, wie vors
£reflich die menfchliche Natur ausgebildet werden koͤnne.
. 646.
Der Kopf eines Menfchen Fan ofte verändert werden,
und das gefchieht, fo ofte ein Erkenntnißvermoͤgen groͤſſer
wird oder fleiner als vorher, und zwar in Beziehung auf
die übrigen: denn alsdenn wird die Proportion derfelben
geändert q. 643. Es fan der Kopf eines Menfchen vers
ändert werden, ohne daß er deswegen einen Kopf von einer
andern Art befommen folte, wenn nemlich alle feine Er—
kenntniß⸗
Don der Gemuͤcthsfaͤhigkeit. 277
kenntnißvermoͤgen, nach einerley Proportion, ab- oder zu—
nehmen. Go fan jemand ein philofophifcher Kopf blei-
ben, und fein Kopf Fan doch auf diefe Art verändert wer:
den. Allein es fan auch der Kopf eines Menfchen, in ei-
nen Kopf von einer andern Art, verwandelt werden, wenn
feine Erfenntnißvermögen nicht nach Proportion vermehrt
und vermindert werden, fondern dergeftalt, daß unter ihnen
nachher eine andere Proportion entfteht, als vorher da ge=
wefen. Man feße, das Gedaͤchtniß eines Menfchen fey fo
groß als zwölf, und der Verſtand als fechfe, geſetzt dieſe
Vermögen würden noch einmal fo groß, das Gedaͤchtniß
vier und zwanzig und der Verſtand zwölf: fo ift in beyden
Fällen das Gedaͤchtniß noch einmal fo groß als der Ver—
ftand, und alfo ift zwar eine Veränderung in dem Kopfe
vorgegangen, allein die Proportion ift nicht verändert, und
der Menfc) hat, der Art nach, noch) den vorigen Kopf, ob—
gleich eine groffe Veränderung in demfelben vorgegangen.
Allein man feße, das Gedaͤchtniß werde nicht gröfler, aber
der Berftand werde fo groß als neune, fo ift die Propor-
tion geändert, das Gedaͤchtniß ift nicht mehr um die Nelfte,
fondern nur um den vierten Theil gröffer als der Berftand.
Folglich ift überhaupt begreiflich, wie ein poetifcher Kopf
in einen philofopbifchen, ein biftorifcher in einen poetifchen
verwandelt werden koͤnne u. ſ. w. Die Erfahrung lehrt,
Diefe Berwandelungen, auch) zur Genuͤge. Ja es ift mög-
lich, daß ein mımterer Kopf eingefchläfert werden, und ein
Schlummerkopf aufgeweckt werden Fan, wenn jener feine
Fertigkeiten verliehrt, und diefer viele Fertigkeiten erlangt.
Mancher junger Menfch ift ein langfamer Kopf, fo bald
er aber unter fremde Leute komt, fo wird er der munterfte
Menfh. Und mancher munterer Kopf ift, durch eine übel
verftandene Frömmigfeit, eingefchlafert worden $. 644.
Alle diefe Beränderungen bangen von den Lebungen ab,
wenn mir diefelben thun oder unterlaffen. In dem erften
alle werden die Erkenntnißvermoͤgen zu Fertigkeiten er-
hoͤhet, und in dem aydern verliehren wir Die einmal erlang-
©; ten
278 Don der Gemuͤthsfaͤhigkeit.
ten Fertigkeiten wieder $. 575. Folglich hanget auch, die
Veränderung des Kopfs, fehr von der Gewohnheit ab.
Nemlich wenn eine Fertigkeit fo groß wird, daß wir end-
lich nicht mehr auf die Handlung achtung geben dürfen,
wenn wir fie verrichten wollen, fo wird fie eine Gewohn⸗
beit genannt. Wenn wir eine Handlung fehr ofte thun,
fo wird fie fo alt, daß mir fie Feiner Aufmerkſamkeit mehr
würdigen $. 523. Folglich ift es ganz natürlich, daß wir
endlich eine Handlung ohne Aufmerffamfeit verrichten koͤn—
nen, wenn die Fertigkeit fehr groß wird. Alsdenn haben
mir die Handlung unendlich ofte gethan, und fie ift alfo
was fehr altes Wer aus Gewohnheit Flucht, der fluche
ohne Bewußtſeyn. Es ift demnach klar, daß die Ges
wohnheiten, und folglich auch unfere Lebensart und Erzie—
hung, als wovon unfere Gewohnheiten abhangen, einen
groffen Einfluß in die Veränderungen unferes Kopfs ha-
ben. Und daher ift begreiflich, wie der Kopf eines Men-
fchen verändert werden fan, wenn derfelbe in eine andere
Lebensart komt. Und manche Eltern find ſchuld daran,
daß ihre Kinder langſame Köpfe bleiben, weil fie dies
| felben fo fchlecht erziehen.
Der
DW. Eee 09, 22 279
Der dritte Theil, |
von dem
DBegehrungsvermögen.
Das erfte Eapitel,
- Don den näcyften Gründen des Begehrungs-
vermögens in der Seele.
Der erfte Abfchnit,
Bon der Gleichguͤltigkeit.
——
Misher haben: wir die eine Helfte unferer Seele, den
B Inbegrif ihrer Erkenntnißvermoͤgen unterſucht, und
wir wollen nun zu der Betrachtung ihrer andern
Helfte, oder des Inbegrifs aller ihrer Begehrungsvermös
gen, fortgehen. Ehe wir aber dieſe andere Art der Ver:
mögen unferer Seele betrachten koͤnnen, müffen wir vorber,
die naͤchſten Urfachen derfelben in der Seele, unterfuchen.
Wir werden Fünftig überzeugt werden, daß unfere Begeh-
rungsvermögen nicht anders, als Folgen unferer Erfennt:
nißvermögen, anzufehen find, und daß alle "Begierden und
Verabſcheuungen aus einer Erfenneniß entitehen. Allein
wir werden auch überzeugt werden, daß nicht, (aus einer
jedweden Erfenneniß, eine Begierde und Verabſcheuung
entftehe. Da nun diefes diejenige Erfenntniß ift, die uns
in einer Öleichgültigfeit gegen den Gegenftand läßt, fo
muͤſſen wir vor allen Dingen von der Gleichgültigfeit han—
deln, und hernach wollen wir die Eigenfchaften derjenigen
Erfenneniß unterfuchen, aus welcher Begierden und Ber:
abfcheuungen entſtehen. Memlich wir haben ein Beurtbei-
lungsvermögen, “und wir ftellen uns alfo von vielen Din-
gen ihre Bollfommenheiten oder Unvollkommenheiten, oder
beyde zugleich vor $. 617. Wenn wir uns die Vollkom—
| S4 menheit
280 Don der Gleichgültigkeit.
menbeit oder Unvollfommenbeit vorftellen, fo thun wir die-
fes entweder auf eine anfchauende oder fombolifche Art $.
623. Nun gefält uns eine Sache, wenn wir ihre Boll:
Fommenbeit auf eine anfchauende Art erkennen; oder wenn
wir fie uns anfchauend als gut, in fo ferne fie gut if, vor-
ftellen $. 99. Eine Sache Fan in vielerley Abficht gut
feyn, man Fan fie fi als nuͤtzlich, als ehrbar, als recht:
mäßig, als rühmlich vorftellen, und wer Fan alle Arten der
Vollfommenbeiten und der Güte einer Sache nambaft
machen? Wenn uns alfo etwas gefält, fo ift es genung,
wenn mir e8 uns nur irgends in einer Abficht als gut vor=
ftellen, wenn nur dieſes auf eine anfchauende Art gefchieht.
Kine Sache mißfält ung, wenn wir ihre Unvollfom-
menheit auf eine anfchauende Art erkennen; oder wenn wir
fie uns anfchauend als böfe vorftellen, in fo ferne fie böfe
ift $. 100, Nun Fan eine Sache in vielerley Abficht als
böfe vorgeftele werden, man Fan fie fich als ſchaͤdlich,
handlich, laſterhaft, gottlos u. f. w. vorftellen. Wenn
uns alfo etwas mißfält, fo ift es genung, wenn man es fich
irgends in einer Abficht als böfe vorftelt, wenn es nur auf
eine anfchauende Art gefchieht. Won der Nichtigkeit die-
fer Erklärungen muß fich ein jeder aus feiner eigenen Er—
fahrung überzeugen, und auf ſolche Fälle achtung geben,
da ihm etwas gefält oder mißfält. Da wird ernun alle
mal auf den erften Blick erkennen, daß er fich etwas als
gut oder als böfe vorftelle, wenn es ihm gefält oder miß-
fale. Wenn uns das Geficht einer Perfon gefält, fo hal-
ten wir es für ſchoͤn, mißfaͤlt es uns aber, fo halten wir eg
für haͤßlich. Allein das wichtigſte bey diefer Sache ift,
daß man ſich überzeuge, daß das Gefallen und Miffallen,
aus einer anfchauenden Erfenntniß, entftehe. Man rede
bundertmal von einem haͤßlichen Gefichte, oder von einer
efelhaften Speife, man wird nicht eher ein Mißfallen
fühlen, bis man nicht entweder ein folches Geficht fieht,
und eine folche Speife ſieht, ſchmeckt und riecht; oder bis
man nicht fo ſtark auf diefe Dinge achtung gibt, daß man
fie
Don der Gleichguͤltigkeit. 281
ſie in ihrer Abweſenheit wie vor den Augen hat. Und
eben fo verhaͤlt es ſich auch mit denen Dingen, die uns ge—
fallen folfen.. Was ung nun weder gefält noch mißfält,
das ift uns gleichgülcig, oder dagegen find wir gleihgül-
tig. Alles dasjenige ift uns demnac) gleichgültig, deſſen
Vollkommenheit wir weder anfchauend erkennen, noch die
Unvollkommenheit deffelben, was wir uns weder als gut
noch als böfe in irgends einer Abſicht anfchauend vorftellen.
So ift ein Menfch gegen die Ehre gleichgültig, wenn fie
ibm weder gefält noch mißfaͤlt, desgleichen gegen einen
Menfchen und deflen Zufälle.
l . 648.
Wenn uns etwas gleichgültig ift, fo ift es uns entwe—⸗
der ganz gleichgültig, oder nur eines Theils und in gewiſſer
Abſicht. Kine Sache ift uns ganz gleichgültig, wenn
wir fie uns in Feinerley Abficht als gut oder als böfe an-
ſchauend vorftellen ; oder wenn wir, feine einzige ihrer
Vollkommenheiten und Unvollfommenbeiten, anfchauen.
Don folhen Sachen fan ich Fein Benfpiel anführen: denn
wäre es gut gewählt, fo gefiele es uns im dieſer Abficht,
wäre es aber fchlecht gewählt, fo mißfiele es uns, und es
wäre uns alfo nicht ganz gleichgültig. Ich werde aber
balde aus Gründen zeigen, daß wir gegen viele Dinge
ganz gleichgültig find. ine Sache ift uns nur zum
Theil over besiehungsweife gleichgültig, wenn wir fie
uns. in gewiſſer Abficht weder als gut, nod) als böfe, an—
ſchauend vorftelfen; oder wenn wir weder eine gewiſſe be-
ftimte Bollfommenbeit, noch das Gegentheil derfelben, in
der Sache anfchauend gewahr werden. Geſetzt, daß ein
Ehrbegieriger dadurch fein Glück fucht, daß ihn gewiſſe
vornehme Perfonen hochachten und nicht verachten, fo Fan
er ofte mit Gleichgültigfeit anhören, daß er von andern
teuten gelobt und getadelt wird, wenn ihn nur Die vorneh-
men Perfonen, bey denen er fich in Hochachtung feßen will,
loben. Er ift deswegen gegen das Lob und den Tadel an-
derer Leute nicht ganz gleichgültig, fondern nur in fo ferne
S5 als
282 | Don der Gleichgultigkeit,
als er fieht, daß ihr Lob fein Glück nicht befördern, und
ihr Tadel daffelbe nicht hindern Fan. So fünnen uns ges
wiſſe Dinge gleichgültig ſeyn in Abficht auf unfere Geſund⸗
heit, weil wir fie weder als Mittel noch als KHinderniffe
derfelben anfchauend erkennen, und was dergleichen mehr
if. Nun fragt fihs, woher die Öleichgültigfeit entftehe?
Und da entfpringer fie, aus einer doppelten Quelle. Ein:
nal aus der gänzlichen Unmiffenheit einer Sache. Und
zwar erftlich, wenn uns eine Sache ganz unbefannt iſt,
wenn wir fie uns gar nicht vorftelfen, fo haben wir von ihr
gar feinen Begrif, und noch vielmeniger von ihrer Boll:
fommenbeit und Unvollfommenbeit, und folglich find uns
folche ganz unbefannte Dinge gänzlich gleichgültig. Wer
fih nun nicht für allwiffend halt, der muß nothwendig zu-
geftehen, daß ihm unendlic) viele Dinge ganz gleichgültig
find. Zum andern wenn uns eine Sache eines Theils un-
befannt ift, fo find wie zum Theil gegen fie gleichgültig, in
Abfiche der Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten,
die uns in der Sache unbefannt find. Daher fehen wir,
daß ofte unfere Gleichgültigkeit gegen eine Sache abnimt,
je mehr wir fie Fennen lernen, Anfaͤnglich Fan uns ein
Menfch fehr gleichgültig feyn, weil uns viele feiner Voll—
fommenbeiten oder Unvolifommenheiten unbefannt find,
die uns aber bey einer mehrern Befanntfchaft immer mehr
und mehr bekannt werden. Zum dritten Fan ung eine
Sache gleichgültig feyn, in fo ferne wir von ihren Boll-
Eommenbeiten und Unvollkommenheiten abftrabiren. Da-
ber, die abftracten Unterfuchungen. in den Wiſſenſchaften,
gemeiniglich unſer Gemuͤth gegen den Gegenſtand gleich—
gültig laſſen. Zum andern entſteht, die Gleichguͤltigkeit,
aus einer ſymboliſchen Erkenntniß. In ſo ferne wir uns
eine Sache bloß ſymboliſch vorſtellen, in ſo ferne haben
wir von ihr keine anſchauende Erkenntniß, und folglich kan
fie uns weder gefallen noch mißfallen. Haben wir von ei—
ner Sache gar feine andere als eine ſymboliſche Erkennt—
niß, fo bleiben wir gegen fie ganz gleichgültig, und folten
wir
Don der Gleichgultigkeir. 283
wir fie ung gleich ale vollkommen oder unvollfommen vor-
feffen. Und wenn wir uns die Vollkommenheit und Un-
vollfommenbeit der Sache anfchauend und ſymboliſch zu:
gleich vorftellen, fo bleiben und ſind wir allemal gegen fie
gleichgültig, in fo ferne wir fie uns ſymboliſch vorfteffen.
Die ſymboliſche Erkenntniß felbft Fan uns gefallen oder
mißfallen, weil wir fie in unferer-Seele fühlen, und alſo
anfchauend erkennen. Wir fagen nur, daß uns der Ge—
genftand gleichgültig bleibe, in fo ferne wir ihn ſymboliſch
erfennen. ° Man muß das Gefallen und Mißfallen über
die Zeichen der Sache, und über. die fymbolifche Erkennt:
niß nicht verwechfeln, mit dem Gefallen und Mißfallen
über die Sache. Ein Wortforfcher fan mit wielem Ber:
gnügen in der Bibel lefen, und er bleibt gegen ven inhalt
derfelben doch gleichgültig. Bey der fombolifchen Erfennt:
niß haben wir, eine ungemein ſchwache und Eleine Erfennt-
niß, von der Sache felbft : denn fie wird, durch die flär-
kere Borftellung der Zeichen, bey nahe ganz unterdruckt,
Folglich ift es nicht möglich, daß fie eine fo groſſe Wuͤr—
fung folte bervorbringen koͤnnen, als das Gefalien und
Mißfallen über die Sache ift. Daher fomts, daß, die ge:
fehrten Unterfuchungen der Dinge, unfer Gemüth in einer
fo groffen Gleichgültigfeit gegen Diefelben laſſen, weil fie
mehrentheils ganz oder größtentheils fpmbolifch find. Man
che Leute find gegen viele Güter diefer Welt, gegen Reich:
thum, Cron und Scepter, gegen die Ehre u. f. w. gleich:
gültig. Sie bilden fi) ein, es rühre diefes aus ihrer grof:
fen Srommigfeit und Tugend ber. Allein wenn man die
Sache genauer unterfucht, fo findet man, daß ihre Gleich:
gültigfeit entweder aus der Unmiffenheit, oder aus der ſym—
betifchen Erkenntniß, herruͤhrt. Wenn ein einfältiges
Bauerweib gegen alle Fonigliche Hoheit gleichgültig iſt, fo
fan man ihr diefes eben fo wenig zur Tugend anvechnen,
als wenn ein wilder Americaner, gegen viele Bequemlich-
feiten des Lebens, ganz unempfindlich) ift,
$. 649.
234 Von der Bleichgültigkeit.
| $. 649.
Fin ganz gleichgültiges Gemuͤth ift ein Gemuͤth,
in deffen ganzer Borftellung nicht eine einzige Borftellung
angetroffen wird, welche ein Gefallen oder Mißfallen ver-
urfaht, Ein Menfch würde alfo ein gänzlich gleichgültiges
Gemuͤth befigen, wenn er nicht die allergeringfte Vorſtel—
lung hatte, die ihm entweder felbft, oder deren Gegenftand
ihm geftele, oder mißfiele. So bald alfo ein Menfch nur
eine einzige allerfleinfte Vorſtellung beſitzt, die ihm ent—
weder felbft gefält oder mißfält, oder deren Gegenftand
ihm gefalt oder mißfaͤlt, fo bald ift fein Gemuͤth nicht mebr
ganz gleichgültig. Nun fan man fich leicht überzeugen,
daß das menfchliche Gemüth niemals, nicht einmal einen
einzigen Augenblif, in dem Zuftande einer gänzlichen
Gleichguͤltigkeit fich befinden koͤnne. Denn in einem fol
hen Zuftande Fan nicht die geringfte Begierde oder Vers
abfcheuung da feyn, wie aus dem Folgenden erhellen wird.
Folglich Fönnte auch alsdenn Feine Vorſtellung gewuͤrkt
werden, denn das gefchieht allemal durch eine Begierde,
Folglich müfte, in einem ſolchen Zuſtande, die Vorſtel—
lungskraft der Seele gar nicht thätig und würffam feyn,
und das ift fehlechterdings unmöglich, fo lange die Seele
würflich if. Wenn die Seele in einen Zuftande der
gänzlichen Gleichguͤltigkeit geriethe, fo würde fie unterge-
ben, und vernichtet werden $.169. Allein das Gemuͤth
ift eines Theils gleichgültig, wenn in ihm einige Vor
ftellungen wuͤrklich find, die entweder gar Fein Gefallen und
Mißfallen verurfachen, oder welche diefes in gewiſſer Ab-
ficht nicht ehun. Wenn alfo nicht alle Vorftellungen, die
zugleich in unferm Gemuͤthe find, in allen Abfichten Gefal—
fen oder Mißfallen erwecken, fo ift unfee Gemütb zum
Theil gleichgültig. Wenn gar Feine Gfeichgültigfeit in
unferm Gemuͤthe zu einer gewiſſen Zeie feyn folte, fo müs
fte zu derſelben Zeit Feine Unwiſſenheit und Feine fymboli:
fhe Erfenneniß in Abfiht auf die Dinge, die wir ung
vorftellen, in unſerm Gemuͤthe angetroffen werden, *
ein,
- Don der Gleichgüleigkeit. 285
fein, welcher Menfch Fan fih ruͤhmen, daß er auch nur
eine eingige Sache fo vollftändig einfehe, daß gar Feine
Unmiffenheit in Abficht auf diefelbe übrig fey,. Folglich
hält, auch in dieſem Stüde, die Natur eine Mittelftraffe.
Unfer Gemüth ift niemals ganz gleichgültig, es iſt aber
auch niemals. ohne alle Gleichguͤltigkeit.
9. 650.
Es ift bisher von denen Dingen gehandele worden,
von denen man fagt, daß fie einem Menfchen oder einem
andern denkenden Befen gleichgültig find, und wir haben
uns überzeugt, daß alles dasjenige einem Menfchen gleich:
gültig fen, wovon er feine Kenntniß bat, oder was er ſich
bloß ſymboliſch vorftele. Manchmal aber nenne man aud)
Dinge, an und vor fich betrachtet, gleichgültig. Die
Gleihgültigkeit, von der wir bisher geredet haben, befin=
det fich in der Erfenntniß eines denfenden Weſens, und
man fan, gegen die beften und fchlimiten Dinge, auf dies
fe Art gleichgültig feyn und bleiben. Allein man fchreibe
auch Dingen felbft,, fie mögen erfanne over nicht erfannt,
anfchauend oder ſymboliſch erfannt werden, eine Gleichguͤl—
tigkeit zu, und da verfteht man, durch gleichgültige
Dinge, folhe Dinge, die weder gut noch böfe find. Und
man theile fie ein in fehlechterdings gleichgültige Din-
ge, und in folhe Dinge, die beziehungsmweife gleichgültig
find. Jene find ſolche Dinge, die gar niche und in kei—
nerley Abfiche gut oder böfe find, Die weder eine Bollfom-
menheit noch Unvollfommenbeit haben und verurfachen.
Dergleihen Dinge find fehlechterdings unmoͤglich, venn
alle mögliche Dinge find vollfommen und gut $. 98. 99.
und alle endliche Dinge find gut und böfe zugleich $. 199.
Allein beztehungsweife gleichgültige Dinge find folche
Dinge, die weder zu einer gewiſſen Bollfommenbeit, noch
zu der ihr entgegengefeßten Unvollkommenheit, etwas bey—
tragen. So haben manche Gottesgelehrte Das Reiten,
Tanzen, Fechten, unter die gleichgültigen Dinge gerech-
net, weil fie nach ihrer Meinung die Frömmigkeit *
efoͤr⸗
286 Von dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen.
befördern, und auch nicht hindern, und alſo in Abficht
auf die Frömmigkeit gleichgültig find. In der beiten
Welt giebts auch folche gleichgültige Dinge nicht. Denn
da in diefer Welt ein fo groffer allgemeiner Zufammen-
bang ift, als in einer Welt feyn Fan $. 440. und da fon-
derlich alle Dinge wie Zwede und Mittel, und wie nüß:
liche Dinge, mit einander verbunden find $. 444. 446. fo
ift nichts in der beiten Welt, welches niche mit einer jed-
weden Vollkommenheit in diefer Welt in einer Verbin:
dung ftehen folte, und alfo Fan es in Feinerlen Abficht
gleichgültig feyn. Wenn mir alfo alle Dinge Dergeftalt
uns anfehauend vorftellen fönnten, wie fie befchaffen find,
fo wuͤrden mir gegen fein Ding gleichgültig feyn Fönnen,
Und das iſt Die Urfach, warum GOtt gegen Nichts aleich-
güleig it, mie wir in der natürlichen Gottesgelahrheit
zeigen werden,
EEK TFT TFT KT NR FH HR IE IR NH NE IR NE
Der andere Abfihnit,
Kon dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen.
$. 651, i
De Vergnuͤgen iſt der Zuſtand der Seele, welcher
daher entftehe, wenn uns etwas gefaͤlt; oder wel—
cher, aus der anfchauenden Erfenntniß der Vollkommen—
heit, enefteht. Oder man Fan auch fagen, es beſtehe in
derjenigen Beänderung oder Beſtimmung, welche die
Seele innerlich empfindet, wenn fie was guts ſich anſchau—
end vorſtelt. Wenn daher einige Weltweife das Vergnuͤ—
gen, durch eine Empfindung des Guten, erklären, fo muß
man dieſe Erffärung nur nicht fo verftehen, als wenn al-
les Vergnügen ein Vergnügen der Sinne und weiter nichts
wäre. Das Mißvergnuͤgen ift der Zuftand der Seele,
welcher daher entitebt, wenn ung efmas mißfältz oder
welcher , aus der anſchauenden Erfenneniß der Unnollfom-
menbeit,
J
Don den Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen. 287
menheit, entſteht. Oder man kan auch ſagen, das Miß—
vergnuͤgen beſtehe in derjenigen Veraͤnderung oder Beſtim⸗
mung, welche die Seele innerlich empfindet, wenn fie et:
mas Boͤſes anfchauend erfennt. Wenn daher einige das
Mißvergnügen, durch eine Empfindung des Boͤſen, er-
klaͤren: fo läßt fich diefe Erflärung recht gut vertheidigen,
wenn man nur nicht bloß das Mifverguügen der Sinne
drunter verfieht. Der Zuftand der Gleichguͤltigkeit iſt
der Zuſtand der Seele, in welchem ſie weder ein Vergnuͤgen
noch ein Mißvergnuͤgen empfindet. Die Richtigkeit die—
fer Erklaͤrungen erhellet, aus den Unterſuchungen des 647.
Abſatzes. Alles Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen entſtehet
entweder aus einer wahren anſchauenden Erkenntniß des
Guten und Boͤſen, oder aus einer falfchen. $. 489. Je—
ne heiffen ein wahres Vergnügen und ein wahres
Wifvergnügen, diefe aber ein Sceinvergnügen und
ein Scheinmißvergnüen. Das wahre Vergnügen
entiteht aus dem Anſchauen wahrer Vollkommenheiten und
Guͤter, in ſo ferne wir ſie richtig erkennen; und das wah—
re Mißvergnuͤgen aus dem Anſchauen der wahren Unvell-
fommenbeiten und Uebel, in fo ferne wir fie richtig erfen-
nen. So iſt das Vergnügen über GOtt, die Wahrheit
und Tugend, wahr, wenn wir uns alle diefe Dinge rich:
tig vorstellen. And eben fo ift das Mifvergrügen über
die Suͤnde, den Irrthum, die Krankheit, wahr, wenn
wir diefe Dinge richtig erfennen. Das Scheinvergnügen
entiteht entweder Daher, wenn mir ung das Boͤſe als gut,
cder das wahre Gute irrig vorftellen. Das Vergnügen
über die Sünde, in fo ferne fie Sünde ift, ift ein Schein-
vergnügen. Man Fan aber auch über GOtt ein Schein
vergnügen empfinden, wenn man fich ihn irrig vorſtelt.
Das Scheinmißvergnügen entfteht entweder daher, wenn
man fich Das Gute als boͤſe vorſtelt, oder wenn man ſich
wahre Uebel auf eine irrige Aceborſteit. So iſt das Miß—
vergnuͤgen uͤber die Tugend falſch, es kan aber auch je—
mand über die Sünde ein Scheinmißvergnuͤgen empfinden.
Wir
288 Von dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen.
Wir behaupten nicht, Daß das Scheinvergnügen gar Fein
Vergnügen, und das Scheinmißvergnügen gar fein Miß—
vergnügen fen: denn das ift unferm unleugbaren Gefühl
zumider. Sondern es ift falfh, weil in dem wahren
Vergnügen und Mißvergnügen unftreitig mehr Wahrheit
anzutrerfenjift, als in vem Scheinvergmügen und Schein:
mißvergnügen.
$. 652,
Bin einfaches Vergnügen entftehe aus der an-
fchauenden Erfenntniß einer einfachen Bollfommenheit, und
das einfache Wifvergnügen aus der anfcyauenden Er:
Fenntniß einer einfachen Unvollfommenbeitl. Das zus
ſammengeſetzte Vergnügen entitebt aus der anfchauen-
den Erfenntniß einer zufammengefegten und mannigfaltigen
Bollfommenheit, und das zufammengefeste Mißver⸗
gnügen aus der anfchauenden Erfenneniß einer zufante
fammengefesten und mannigfaltigen Unvollkommenheit $.
651. 97. les Bergnügen und Mißvergnügen, fo wir
in ung felbft erfahren, ift allemal zuſammengeſetzt; weil
wir ung alsdenn allemal viel Gutes und Boͤſes zugleich vor:
ftellen. Folglich fonnen wir fein Benfpiel, von dem ein-
‘ fachen Vergnügen und Mißvergnügen, anführen. Unter:
deſſen ift unleugbar, daß, das zufammengefegte Vergnuͤ—
gen, ein Inbegrif vieler einfachen Vergnügen ſey, gleich
wie das zufammengefeßte Mifvergnügen als ein Ganzes
betrachtet werden muß, welches aus vielen einfachen Miß—
vergnügen zufammengefegt ift, Das finnliche Dergnüs
gen und Mißvergnuͤgen enefteht aus einer finnlichen und
undeutlichen Erfenntnif des Guten und Böfen, welche
entweder bloß dunfel, oder verworren iftr wie z. E. das
Bergnügen und Mifvergnügen über eine angenehme, oder
efelhafte Speiſe. Hieher gehört das Vergnügen und
Wißvergnügen der Sinne, wenn der Gegenftand der-
felben eine gegenwärtige Sache ift, die wir empfinden,
3. E das Vergnügen über eine Muſik, einen fchönen Gar:
tn u. ſ. w. Das Bergnügen und Mifvergnügen der
Sinne
Don dem Vergnügen und Wißvergnügen. 289
Sinne ift allemal finnlich, allein nicht alles finnliche Ver—
gnügen und Mißvergnügen ift ein Vergnügen. und Miß-
vergnügen der Sinne. Man fan ein finnliches Vergnügen
und Mißvergnügen über GOtt, den Irrthum und andere
Dinge haben, die nicht in die Sinne fallen. Das ver.
nünftige Vergnügen und Mißvergnuͤgen entfteht,
aus einer deutlichen anfchauenden Erfenntniß des Guten
und Böfen, wie 3. E. das Vergnügen über die Gründ-
lich£eie ver Erkenntniß, u. ſ. w. Das vernünftige ift
nicht allemal wahr, und das finnliche nicht allemal falfch ;
fondern das Vergnügen und Mißvergnügen beyder Arten
fan wahr, oder falſch feyn. 3
| 653
Die Erfahrung lehrt uns, daß in der Seele, zu glei⸗—
her Zeit und in einem und eben demfelben Augenblicke,
Vergnügen und Mißvergnügen neben einander feyn Fönnen,
wenn in der dermaligen ganzen Vorftellung unferer Seele
einige Vorstellungen angetroffen werden, die ung gefallen,
und andere, die uns mißfallen $. 657. Alsdenn find Ver:
gnügen und Mißvergnügen mit einander vergefellfchafter
$. 495. Wenn nun alles Vergnügen der Seele zufam-
mengenommen ftärfer ift als das damit vergefellfchaftere
Mißvergnuͤgen, fo nennt man diefen Zuftand das Webers
gewicht des Dergnügens; ift aber das Mißvergnügen
ftärfer als das Vergnügen, welches mit ihm vergefellfchaf-
tet ift, fo nennt man diefen Zuftand das Vebergewicht
des Mißvergnuͤgens. Dieſe Zuſtaͤnde koͤnnen entweder
in Abſicht auf die ganze Vorſtellung angenommen werden,
welche in einer gewiſſen Zeit die ganze Seele ausfuͤlt; oder
in Abſicht auf einen gewiſſen beſondern Gegenſtand. In
der erſten Abſicht hat die Seele zu einer gewiſſen Zeit ein
uͤberwiegendes Vergnuͤgen, wenn alles ihr Vergnuͤgen,
welches zu derſelben Zeit in ihr wuͤrklich iſt, ſtaͤrker iſt, als
alles Mißvergnuͤgen, welches ſie zu derſelben Zeit empfin—
det. Und auf eine aͤhnliche Art kan ſie, ein uͤberwiegen—
des Mißvergnuͤgen, haben. In der andern Abſicht kan
3. Theil. T man
290 Von dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen.
man 3. E. fagen, daß ein Vater über feinen Sohn ein
überwiegendes Vergnügen babe, wenn fein DBergnügen
über denfelben ftärfer ift, als das Mißvergnügen über
denfelben. Und auf eine aͤhnliche Arc Fan man fagen,
daß ein Bater über feinen Sohn, oder über irgends einen anz
dern Gegenftand, ein überwiegendes Mißvergnügen em=
pfinde, In dem Lebergewicht des Vergnuͤgens iſt das:
Vergnügen nicht allemal Flärer, als das Mifvergnügen,
fondern diefes Fan Elarer feyn als jenes, welches demohner—
achtet ftärfer iſt: weil die ſtaͤrkſten Vorftellungen nicht al-
lemal die Elarften find, So fan ein Menfch, in dem Ue—
bergewichte des Vergnügens, fo traurig werden, daß er
meint. Und in dem Uebergewichte des Mißvergmügens if,
das Mißvergnügen, nicht, allemal Flärer, als das Ver:
gnuͤgen; fondern diefes Fan Flarer feyn als jenes, weiches
demohnerachtet ftärfer ift $. 494. So fan ein Menſch
einen verzehrenden Gram in ‚feiner Seele ernähren, und
dennoch in manchen Augenblicken luftig werden und lachen,
wenn er an feinen ram nicht denkt. Wenn nun das Ver—
gnügen eben fo ftarf ift, als das damit vergefellfchaftere
Nißvergnügen, fo nenne man dieſes den Zuftand des
Gleichgewichts. Wenn uns eine Sache im gleichen
Grade gefalt und mißfalt, fo befinden wir uns in Abfiche
auf Diefelbe in diefem Zuſtande. Und wir koͤnnen allemal
abnehmen, daß wir uns in dieſem Zuſtande befinden, ſo
ofte wir uns nicht entſchlieſſen koͤnnen, etwas zu thun oder
zu laſſen. Das Gleichgewicht iſt in Abſicht auf den Wil—
len, was die zweifelhafte Erkenntniß in Abſicht auf den
Verſtand iſt. Bey dieſer kan man gar nicht mit ſich ſelbſt
eins werden, ob man die Sache fuͤr wahr oder fuͤr falſch
halten ſolle; und bey jenem kan man nicht mit ſich ſelbſt
eins werden, ob man die Sache vielmehr begehren als ver-
abfcheuen, oder vielmehr verabfcheuen als begehren folle,
wie Fünftig erbeiien wird. Lnfer Wille befinder fich bey
dem Öleichgewichte in dem Zuftande einer Wage, welche
von beyden Seiten durch gleich ſtarke Gewichte gezogen wird,
und daber bat es eben Diefen Namen erbalten,
$.654.
Don dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen. zuı
$ 654.
Vergnügen und Mißvergnügen find Empfindungen
und Dorftellungen $. 651. Folgiich gilt von ihnen alles,
was wir von dem Berhältniffe der jtärfern und ſchwaͤchern
Borftellungen gegen einander erwielen haben $, 508. 538.
539. 523. Folglich Fonnen wir, ohne fernern Beweiß,
folgende Wahrheiten annehmen. ı) Durch ein ftärferes
Vergnügen werden nidye nur, die ſchwaͤchern Veranügen
von anderer Art, verdunfele; fondern auch die Mifver-
grügen, fie mögen nun neben demſelben zugleid) da feyn,
oder vor demfelben vorhergehen, oder auf daffelbe folgen.
Folglic wird in dem Lebergewichte des DBergnügens alles
Mißvergnügen, es mag nun zugleic) da feyn, oder vorher-
gegangen feyn, oder nachfolgen, verdunfele und unterdrucft.
Diefes erfährt ein jeder bey fic) felbft, wenn er recht ver⸗
gnüge ift. In den Umarmungen eines geliebteften Freun⸗
des vergiße man leicht aller mißvergnügten Umftände, und
Iuftige aufgeräumte Leute Eönnen nicht leicht durch ein Miß⸗
vergnügen niedergefchlagen werden, 2) Durch ein ftärfes
res Mißvergnügen wird nicht nur alles ſchwaͤchere Miß—
vergnügen von anderer Art verdunfele, fondern aud) alles
ſchwaͤchere Vergnügen, fie mögen nun neben demfelben zus
gleich in der Seele da feyn, oder vor demfelben vorherges
hen, oder auf daffelbe folgen. Folglich wird, indem Ueberge⸗
wichte des Misvergnügens, alles Bergnügen verdunfelt, welz
ches zugleich da ift, oder vorhergegangen, oder nachfolgt $.653.
Wenn ein Menſch ſich graͤmt, und auf irgend eine andere
Art überwiegend mißvergnuͤgt iſt, fo ſchmeckt ihm weder
Eſſen nod) Trinken, er ift gegen alle Neigungen fühlloß, er
ftele fi) das menſchliche Leben dergeftalt auf der fchlimmen
©eite vor, daß er der gröften Vergnügen zu vergeſſen
feheint, die er vordem genoffen bat. 3) Durch ein
fhmächeres Vergnügen werden, die ftärkern Vergnuͤgen
und Mißvergnügen von anderer Art, erhöhet und erleuch«
tet, die entweder mit ihm zugleich da find, oder die vor—
bergegangen find, oder die nachfolgen, Bey einem tugend«
T 2 baften
292 Von dem Vergnügen und Mißvergnügen.
haften Menfchen wird, das Vergnuͤgen über GOtt, und
das Mißvergnuͤgen uͤber das wahre Elend dieſes Lebens,
ungemein erhoͤhet, durch das ſchwache Vergnügen, wel
ches er uͤber die Guͤter dieſer Welt empfindet. 4) Durch
ein ſchwaͤcheres Mißvergnuͤgen wird, nicht nur das ſtaͤrkere
Mißvergnuͤgen von anderer Art, ſondern auch das ftärfere
Vergnügen erhöhet und erleuchtet, welche entweder mit
ihm in der Geele zugleich da find, oder vor ihm dageweſen
find, oder auf daffelbe folgen. Das ſchwaͤchere Mifver-
gnügen über das Gute bey einem Tugendhaften, erhöhet bey
ihm ungemein, Das Vergnügen über die geiftliche und ewi-
ge Glückfeligkeit, und das Mißvergnügen über die Sünde,
und die daher entftehende ewige und geiſtliche Ungluͤck—
ſeligkeit.
$. 655.
Unſer Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen iſt verſchiedener
Grade fähig, welche nach folgenden Regeln beurtheilt wer—
den koͤnnen. 1) Ueber je mehrere und mannigfaltigere
Bollfommenbeiten und Unvollfommenheiten das Vergnuͤ—
gen und Mißvergnügen entftehen, folglich je zufammenge«
fegter fie find, defto gröffer find fie $. 652. Ein Menſch
ift viel vergnügter, wenn er in feinem Zuftande viele Güs
ter antrift, die ihn vergnügen. Und wenn mißvergnügte
$eute ihr Mißvergnügen recht groß vorftellen wollen , fo
führen fie unendlich viele Urfachen defjelben an. 2) Je
gröffer das Gute und Böfe ift, je wichtiger und erheblicher
beydes ift, worüber unfer Vergnügen und Mißvergnügen
entfteben, defto geöffer find fi. Ein Vergnügen über ein
groffes Gut ift fo groß, als viele Vergnügen über Fleinere
Güter zufammengenommen, und eben fo verhält es fich aud)
mit dem Mißvergnügen. Daher fomt es, daß unfer
Vergnügen und Mißvergnügen dadurch) gewaltig vermehrt
werden, wenn wir uns den Gegenftand als was Groſſes
vorftellen, wenn es gleich nicht wahr feyn folte. Und wenn
zwey Perfonen ein Vergnügen und Mißvergnügen über
einerley Güter und Uebel empfinden, fo bat derjenige *
groͤſſer
Von dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen 293
gröffer Vergnügen und Mißvergnügen, der fie für gröffere
Güter und Uebel hält, als der andere. 3) Aus einer je
vollfommenern, gröffern und flärfern anfchauenden Er—
Fenntniß Das Vergnügen und Mifvergnügen entfteht,
folglich aus einer je richtigern, klaͤrern, deutlichern, leb-
baftern und gemiffern anfchauenden Erfenntniß, defto gröſ⸗
fer und vollfommener find fie. 4) Je groͤſſer und ftärfer
die Bergnügen und Mißvergnügen anderer Art find, zwi⸗
fhen denen oder mitten unter denen ein PBergnügen und
Mifvergnügen dennoch empfunden wird, defto gröffer und
ftärfer muß es feyn. Freylich, wenn fonft Fein Vergnügen .
und Mißvergnügen anderer Art in der Seele angetroffen
wird, oder wenn es fehr dunkel und ſchwach ift, fo Fan ein
gewilles Vergnügen oder Mißvergnügen fehr lebhaft em-
pfunden werden, weil das Gemüth alsdenn nicht zerfireuet
iſt; allein deswegen ift es nicht gleich um fo viel ftärfer.
Wenn aber z. E. das Vergnügen über GOtt, mitten un«
ter allen Mißvergnügen, weldyes ung die Sünde und an«
dere Uebel verurfachen, und mitten unter den Veranüguns
gen über andere Güter, dennoch in einer gehörigen Stärfe
fortdauern Ean, fo mufi e8 fehr groß feyn, weil es fo viele
Hinderniffe zu überwinden im Stande ift. Beny dieſer
Gelegenheit fönnen wir einige gewöhnliche Ausdrüce er»
Elären, und dadurch die Natur des Vergnuͤgens und Miße
vergnügeng etwas erläutern. Alles dasjenige ergoͤtzt oder
vergnuͤgt uns, welches eine Urſach des Vergnuͤgens iſt.
So ſagt man, daß die Tugend und Suͤnde die Menſchen
ergoͤtzen. Dasjenige, was das Vergnuͤgen vermehrt, wird
bequem oder angenehm genennt. So verſteht man,
durch die Beqemlichkeiten des Lebens, alles dasjenige, was
unſer Vergnuͤgen vermehrt. Und wenn man jemanden be—
ſucht, und man trift bey ihm ſchon Geſellſchaft an, ſo iſt
man ihm ein angenehmer Gaſt, wenn man ſein Vergnuͤgen
vermehrt. Unbequem iſt alles dasjenige, wodurch das
Vergnuͤgen vermindert wird; man nennt es auch unan—
genehm; als wenn man jemanden, zu einer unbequemen
2 Zeit,
294 Von dem Derrnügen und Mißvergnuͤgen.
Zeit, befucht. Durch Unbequemlichfeiten des Lebens vers
fteht man eben alles dasjenige, was unfer Vergnügen ver-
mindert. Dasjenige, wodurch das Mißvergnügen ver-
mehrt wird, heißt befchwerlich. So fält uns ein Bes
ſuch beſchwerlich, wenn man ſchon mißvergnüget ift, und
wenn uns derfelbe woran hinderlich fält, und alfo die Urs
ſachen unferes Mißvergnügens vermehrt, Was aber dag
Misvergnügen vermindert, das thut ums fanfte, oder
iſt nicht unangenehm, als wenn man eine Wunde bat,
fo wird ofte ein neuer Verband uns fehr fanfte thun. Und
ein Beſuch ift unsnicht unangenehm, wenn er unfer Miß-
vergnügen vermindert.
$.. 656.
Aus den Unterfuchungen der Grade des Vergnuͤgens
und Mißvergnügens laſſen fid) einige Erfahrungen erklären,
Die wir, von der unferfchiedenen Stärke des Vergnuͤgens
und Mißvergnügens, haben. Nemlich das Gute und
das Böfe, weldyes uns ergoͤht und mißvergnügt macht,
iſt entweder zu der Zeit, da wir das Vergnügen und Miß«
vergnügen darüber empfinden, gegenwärtig, oder es ift
vergangen, oder es ift zukünftig. Wenn das erfte ift, fo
empfinden mir innerlich oder zugleich Aufferli das Gute
und das Boͤſe, in den andern Fällen aber ftellen wir es
uns durd) die Einbildungsfraft vor, oder wir fehen es vor⸗
ber. Da nun die Empfindungen der Art nach ftärfere und
Flärere Borftellungen find, als die Einbildungen und Vor—
berfehungen $, 538. fo ift auch, das Vergnügen und Miß-
vergnügen über das Gegenwärtige, gewöhnlicher Weiſe
ſtaͤrker und Elärer, als das Vergnügen und Mißvergnügen
über das Vergangene und Zufünftige; und es ift daher
ganz natürlich, daß durch das erftere Die leßtern gewaltig
verhindert, verdunkelt und gefehwächt werden. Daher
lehrt uns die Erfahrung, daß man, über einen gegenwärz ,
tigen vergnügten oder mißvergnügten Augenblick, gar leicht
das Bergnügen und Mißvergnügen über vergangene und
zufünftige Dinge aus der Acht läßt, Unterdeſſen da a
ie
a
Don dem Vergnügen und Wißvergnügen. 295
die Empfindungen geſchwaͤcht, und verdunfele werden koͤn⸗
nen, $. 539. fo Fan ebenfals ein Mifvergnügen und Der
gnuͤgen, wenn es gleich über ein gegenmwärtiges Uebel oder
Gut entfteht, verhindert, verdunfele und geſchwaͤcht wer:
den, wenn man entweder ein vergangenes oder zukünfti-
ges Uebel und Gut ſich viel fhlimmer und beffer anſchauend
vorftelt ; oder wenn man, durch viele kleinere Mißvergnü-
gen und Vergnügen über das Vergangene und Zufünftige,
die Aufmerffamfeit zerſtreuet, daß fie zufammengenommen
viel ſtaͤrker und Fiärer werden, als das Mifvergnügen und
Bergnügen über das Gegenwärtige, So Fan ein Menſch
Durd) eine vergangene Moth, und durd) die ſchmerzhafte
Erinnerung vieler vergangenen Uebel, oder durch eine bes
vorſtehende Noch, und durd) die Befuͤrchtung vieler bevorz
fichenden Uebel, fo mißvergnüge werden, daß er das Ver—
gnügen über Effen und Trinken, und andere angenehme
gegenwärtige Umftände, kaum fühlt. And eben fo Fan
ein Menſch, den Betrachtungen vergangener und zufünftiger
Güter, fo ſehr nachhaͤngen, daß er feine gegenwärtigen
elenden Umftände Faum fühle, Ein fterbender Frommer
fühle kaum feine gegenwärtigen Schmerzen, Indem er ſich
in dem Vorſchmacke der ewigen Freuden zu verliehren ſcheint.
And wenn ein Vergnügen oder Mißvergnügen fo befchaffen
üft, daß das Gemuͤth ohne demfelben ſich entweder in dem
Zuftande der Gleihgültigfeit wenigftens bey nahe, ober
in dem Zuftande des Gleichgewichts befinden würde; ſo
iſt es bey nahe das einzige in der Seele, welches alfo gar
Feine Hinderniffe in derfelben antrift S. 651. 653. Folglich)
iſt es eben deswegen fo kbhaft, und es wird eben des»
wegen mit einen fo groffem Bewußtſeyn gefühlt,
weit die Aufmerffamfeit mit gefamleten Kräften dafs
feibe anfchauen fan F. 521. Phlegmatifcye Leute, die ein
träges einförmiges und ftilles Leben füren, find fi) eines
Schmauſſes wer weis wie ftarf und lange bewußt, Und
eben fo verhält es. fich auch mit den geringfien Schmerzen,
die fie in ihrem Körper fühlen.
T4 $. 657.
296 Von dem Vergnügen und Mißvergnügen.
$. 657. |
Es äuffert fi) bier noc) ein merfwürdiger Umftand,
durch welchen unfer Vergnügen und Mißvergnügen, einen
verfchiedenen Grad der Stärke, befomt, Memlich alles
Gute und Boͤſe Fan, in Abficht auf uns, in zwey Arten ab-
getheilt werden. Zu der erften gehören unfere Güter,
welche uns vollfommener machen, fie mögen nun entweder
unfere Seele, oder unfern Körper, oder unfern äufferli-
chen Zuftand vollfommener machen. Unſere Uebel ma-
chen uns felbft unvollflommener, entweder in Abficht unfe-
ver Seele, oder unferes Körpers, oder unferes Aufferlichen
Zuftandes. Die übrigen Güter und Uebel find, in Abfiche
auf uns, fremde Büter und Uebel. Die erftern Fan
man auch, eigenthümliche Güter und Uebel nennen.
Meine Gefundheit und Krankheit ift, in Abficht auf mich,
ein eigenthümliches Gut und Uebel; aber die Gefundheit
und Krankheit eines andern Menfchen ift, in Abficht auf
mich, ein fremdes Gut und Uebel. Doch kan etwas zu
beyden Arten zugleich, aber in verfchiedener Abficht , geho-
ren, wenn man an den Gütern und Uebeln anderer Antheil
nimt, 3. E. an der Gefundheit und Krankheit der Unfris
gen. Die eigenthümlichen Güter und Uebel find entwe—⸗
der innerliche und einheimifche, oder äufferliche Güter und
Liebel. Jene find in mir und meinem innerlichen Zuftande,
würflid, als Geſundheit und Krankheit; diefe aber auffer
mit, in meinem äufferlihen Zuftande, als Ehre, Reichthum,
Beratung, Berluft der zeitlichen Güter. Und nun fönnen wir,
zwey wichtige Anmerkungen, machen, Einmal, das Bergnü«
gen und Mißvergnuͤgen über eigenthümliche Güter und Uebel
ift gewöhnlicher Weife viel ftärfer, als über fremde, ob wir
gleich). erkennen, daß die legtern viel gröffer find, als die
erften. Und das fomt daher, weil wir uns unferer felbft
viel jtärfer bewußt find, als anderer Dinge. Und da wir
an den eigenthümlichen Gütern und Uebeln Antheil nehmen,
und bey ihnen intereßirt find, fo werden wir mehr gereißt
auf fie qchtung zu geben, als auf fremde, Bey ven leß-
tern denft man: was gehen fie mir an? Wenn uns die
Zähne
Von dem Vergnügen und Wißvergnügen. 297
Zähne wehe thun, fo fühlen wir den Schmerz ftärfer, als
den Schmerz, den ein Franfer Menfch vor unfern Augen
leider, ob wir gleich felbft erfennen, daß er viel mehr aus«
fteht,, als wir. Daher fomts, daß ein jeder Mothleiden-
der fich für den elendeften Menfchen hält, und daß er al-
lemal bereit ift, feine Noth mit anderer Noth zu vertaufchen,
Unfer eigen Glück freuer uns mehr, als das Gluͤck anderer
Leute. Und fremde Güter und Uebel machen uns nicht
eher vergnügt oder mißvergnügt, bis wir nicht irgends auf
eine Art an ihnen Antheil nehmen, und fie als unfer eigen
betrachten. in intereßirter Menfch ift, bey aller fremden
Noth, unempfindlich. Wer aber denft: ich bin ein
Menfc und nichts Menfchliches ift in Abficht auf mid)
ganz fremde, der fühlt au) die Moth feiner Nebenmen—
fhen. Folglich wächlt unfer Vergnügen und Mißvergni-
gen nicht vornemlich, durch die Vorftellung der Groͤſſe
des Guten und DBöfen in vem Gegenftande ; fondern vor-
nemlid) durd) die Gröffe des Antheils, den wir an ihnen
nehmen. Daher fönnen wir auch nicht verbunden werden,
fremde Menfchen überhaupt mehr zu lieben als unfere Bers
wandten, ob wir gleic) geſtehen müflen, daß fie viel voll-
fommener find als die legtern. Zum andern, die innerlis
chen Güter und Lebel erwecken ung gewöhnlicher Weite ein
ftärferes Vergnügen und Mißvergnügen, als die aufferli-
hen, weil fie uns näher angehen, und alfo unfere Aufmerk—
famfeit ftärfer befchäftigen. Der Berluft der Aufferlichen
Güter greift uns, wenn übrigens alles von beyden Geiten
gleich ift, nicht fo ffarf an, als Kranfheiten und dergleis
chen Uebel, die in unferm innerlichen Zuftande befindlich find.
Und welches äufferlihe Gut fan uns fo ftarf vergnügen,
als das Gefühl des guten Gemiffens ?
. 658.
Wenn mir ein Gut oder ein Uebel anfchauend erfen«
nen, fo ftellen wir uns entweder jenes bloß als gut, und
diefes bloß als böfe vor, oder wir ftellen ung den Gegen—
ftand als etwas gutes und böfes zugleicdy vor, Wenn wir
25 ung
298 Von dem Vergnügen und Mißvergnügen.
uns etwas bloß als gut anfchauend vorftellen, fo entſteht
Daher ein reines Vergnuͤgen; welches deswegen rein ge:
nannt wird, weil es mit feinem Mißvergnuͤgen untermengt
ift. Ein reines Vergnügen Fan entweder über. einen Ge—
genftand entstehen, welcher gar Feine Unvollfommenbeiten
an fich bat, wie z. E. das Vergnügen über GOtt; oder
über eine Sache, die wir bloß von ihrer guten, Seite be:
trachten. Alsdenn koͤnnen uns die Unvollfommenheiten
derfelben entweder unbekannt feyn, oder wir abftrabiren
von ihnen, oder wir ftellen ung viefelben bloß ſymboliſch
vor, So genießt fogar mancher Sünder über die Liebe,
über eine gute Malzeit, über die erften Ausübungen der
Sünde, ein reines Vergnügen, Wenn wir uns aber. et:
was bloß als ein Uebel anfchauend vorftellen, fo entftehe
daher ein blofjes Mlißvergnügen, welches mit gar kei⸗—
nem Dergnügen vermifche iſt. Ein bloffes Mißvergnüs
gen entſteht allemal, wenn uns an einer bofen Sache die
Vollkommenheiten derfelben ganz unbefanne find, oder
wenn wir von ihnen abftrahiren, oder wenn wir uns die—
felben bloß fymbolifch vorftellen. So geht es mehrentheils
uns Menfchen, wenn wir in eine Noth verwicelt find,
ir fehauen diefelbe anfangs bloß von der böfen Seite an,
und wenn ung auch jemand Die gute Seite derfelben zeigt,
fo ftellen wir uns diefelbe doch nur fombolifch vor. Nun
gefchiebt es fehr ofte, daß wir in einem Gegenftande feine
Bollfommenbeiten und Unvollfommenbeiten zugleich ans
fehauen, und alsdenn empfinden wir über denfelben zugleich
ein Bergnäügen und Mißvergnügen. And da ift, ein drey—
facher Fall, möglich. Erftlic) wenn das Vergnügen und
Mifvergnügen über eine und eben diefelbe Sache einander
. gleich find, wenigftens fo viel man merfen Fan, und als:
benn ftehen wir in dem Zuftande des Gleichgewichts
in Abficht auf diefelbe Sache. Dabin gehören alle
die Falle, in denen wir zwar geneigt find eine Sache zu
begehren oder zu verabſcheuen, allein in denen wir noch zu
keinem Enefchluffe kommen Fonnen, welches unter beyden
| man
|
|
|
Von dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen. 299
man thun will. Zum andern, wenn das Vergnügen über.
eine Sache ftärfer ift als das Mißvergnügen, welches wir:
zu eben der Zeit über diefelbe empfinden, und alsdenn ha—
ben wir ein füffes Mißvergnuͤgen, z. E. über eine vor-
trefliche ITuagoedie, oder wenn wir einem guten Freunde
einen Dienft leiften, der uns befchwerlich iſt. Zum drit—
ten, wenn das Mißvergnügen über eine Sache ftärfer ift,
als das Vergnügen, welches wir zu eben Der Zeit über
diefelbe empfinden, und alsdenn haben wir ein bitreres
Vergnuͤgen, und hieher gehören alle die Fälle, va man
etwas thut, welches ung mehr Verdruß als Vergnügen
macht, als wenn man mit Gewalt eine Arzeney nimt, Die
uns fehr efelhaft iſt. Nun find, alle endliche Dinge, gut
und böfe zugleich $. 199. Wenn man alfo ein endliches
Ding betrachtet, wie es in feinem ganzen Umfange be—
ſchaffen ift, fo muß es uns gefallen und mißfallen zugleich,
und fein einziges derfelben Fan uns ein veines Vergnügen,
oder ein bloffes Mifvergnügen geben. Wenn wir alfo
wollen, fo Fan uns allemal alles Böfe in der Welt einiges
Vergnügen geben, und man Fan es fich nicht befremden
lafjen, wenn alle zeitlichen Güter uns ein Mißvergnügen
verurfachen.
8§. 659
Eine Vollkommenheit, in fo ferne fie finnlich erkannt
wird, beißt eine Schönheit 5 und eine Unvollkommen—
heit, in fo ferne fie auf eben die Art erfannt wird, heiße
eine Haͤßlichkeit. Jederman gibt zu, daß das wahre
Schöne was guts und vollfommenes fey, und daß das
wahre Häßliche was bofes und unvollfommenes fey. Al—
lein man nennt eine Bollfommenbeit nicht eher ſchoͤn, bis
man fie nicht finnlich ſich vorftelt, und eine verworrene in-
nerliche Empfindung davon hat. Daher fagt man; der
Wein ſchmeckt ſchoͤn, eine Blume riecht ſchoͤn, eine Muſie
klingt ſchoͤn, ein Geſicht ſieht ſchoͤn aus. Und eben fo
nennt man eine Unvollkommenheit nicht eher haͤßlich, bis
man ſie nicht ſinnlich ſich vorſtelt, und eine verworrene in—
nerliche
300 Von dem Vergnügen und Mißvergnügen.
nerliche Empfindung davon bat. Daher ſagt man: eine
Speife fehmesft garftig oder haͤßlich, ein haͤßlicher Geruch,
ein haßliches Geſicht u. ſ. w. Es Fan fen, daß man diefe
Wörter ofte in einer andern Bedeutung nimtz allein wo
ift ein Wort zu finden, welches beftändig in einerley Be:
deutung gebraucht wird ? So viel aber ift Elar, daß das,
was wir die Schönheit nennen, alsbald verſchwindet, fo
bald man ſich feine Bollfommenbeit deutlich vorftelt, z. E.
wenn man fich die Accorde in der Mufic, Durch geometri-
ſche Berbältniffe in Zalen, vorftel. Und wenn man die
häßlich klingenden Tone eben fo vorftelt, fo fühlt man Die
Haͤßlichkeit gar nicht mehr. Da nun das Bollfommene
ein Bergnügen, und das Unvollfommene ein Mißvergnuͤ—
gen verurfacht, wenn beydes anfchauend erfannt wird $. 651.
fo ift es auch ganz natürlicd), daß uns das Schöne gefält
und das Häßliche mißfällt, wenn wir beydes anfchauend
erfennen, und es ift unmöglich, Daß das Vergnügen an den
Schönheiten und das Mifvergnügen über die Haßlichfei-
ten überhaupt eine Sünde feyn folte,
—
Alles unſer Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen iſt veraͤn—
derlich, weil es wuͤrkliche Beſtimmungen unſerer Seele
ſind, die ein endliches Ding iſt, und die Wuͤrklichkeit aller
endlichen Dinge veraͤnderlich ift $. 193. Beyde entſtehen
aus einer anfchauenden Erfenntniß, und fo bald diefelbe
verändert wird, werden fie auch verändert $. ds. Mun
ift unfere Erfenntniß, vielen und mannigfaltigen Veraͤnde—
rungen, unterworfen: bald wird fie Flarer, bald dunkeler;
bald ftärfer, bald fchwächer ; bald gröffer und den Gegen»
ftänden proportionirter, bald Eleiner ; bald verändert ſich
unfere wahre Erkenntniß in eine falfche, bald die falfche in
eine richtige; bald wird fie gewifler, bald ungewiſſer. Alle
diefe Beränderungen verändern auch, das Vergnügen und
Mißvergnügen, Ja das Vergnügen über eine Sache fan
ganz aufhören, wenn unfere Erfenntniß aufhört anfchaus
end zu feyn, und Fan wohl gar mit Recht oder Unrecht in
ein
Von dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen. 301
ein Mißvergnügen verwandelt werden, wenn wir die Sache
nicht mehr als gut, fondern als böfe betrachten. Auf eine
ähnliche Art kan das Mißvergnügen über eine Sache ganz
aufboren, und wohl gar in ein Bergnügen verwandelt wer:
den. Manchmal verändern fich auch die Gegenftände, das
Gute wird böfe, und das Böfe gut, und es ift alfo ganz
natürlich, daß fich unfer Vergnügen und Mißvergnügen
über folche Dinge ebenfals ändere. Es ift alfo unmögs
lih, und wider alle Erfahrung, daß wir irgends ein Ver—
gnügen und Mißvergnügen haben folen, welches ganz un-
veränderlich wäre. Unterdeſſen verfteht es fich von felbft,
daß einiges Vergnügen und Mißvergmügen ſchwerer ver-
andere werden Fan, als ein anderes, und da nennt man
jene ein beftändiges und Öauerhaftes Vergnügen und
Mißvergnügen, und die übrigen, die leichter geändert
werden fennen, heiſſen ein veränderliches oder vergäng-
liches Dergnügen und Mißvergnuͤgen. Es komt bier
nicht vornemlid), auf den Gegenjtand, an: denn unfer
Vergnügen über GOtt, und andere unveranderliche Dinge,
ift nur leider ofte gar zu veranderlich, Wenn ein Der:
gnügen und Mißvergnügen, auf einer richtigen und gewif-
fen Erfenntniß, beruber, fo ift es dauerhaft. Und fonder-
lich rechnet man, zu dem dauerhaften Bergnügen, alles Ber-
gnügen, welches nicht leicht ganz aufhören, und in ein
Mißvergnügen verwandelt werden fan; und zu dem dauer:
haften Mißvergnügen alles dasfenige, was nicht leicht auf:
hören, und in ein Vergnuͤgen verwandelt werden fan, Das
Bergnügen über die Sünde ift fehr veränderlih. Ehe
man fichs verfieht gehn dem Sünder die Augen auf,
und e8 verwandelt fich daffelbe in ein herbes
Mißvergnuͤgen.
ER DUB
Das
s02 Von dem Begehrungsvermoͤgen überhaupt.
A Das andere Capitel,
Don dem Begehrungsvermögen ſelbſt.
Der erjte Abfchnit, |
Bon dem Begehrungsvermögen überhaupt.
$. 661.
Wen wir uns einen recht deutlichen Begrif, von einer
Begierde und von einer Verabſcheuung, machen
wollen; fo muͤſſen wir dasjenige, was dabey in dem Koͤr—
per vorgeht, abfondern: denn das gehört nicht weſentlich
zu der Begierde und Berabfchenung, fondern es ift nur bey
manchen Begierden und Verabſcheuungen noͤthig, um fie
völlig zu vollſtrecken. Nun wollen wir uns nur Ein Beys
fpiel vorftellen, wenn wir hungern und eine Speife begeh—
ven, und eine andere verabfheuen. In dem erften Falle
fteflen wie uns ı) ein Vergnügen über die Speife vor,
nach welcher wir Verlangen tragen, Was uns gar nicht
gefält, das begehren wir auch nicht. 2) Wir fehen diefes
Bergmügen vorher, und erkennen, daß es in uns würflic)
gemacht werden koͤnne. Ganz unbefante Güter begehren
wie nicht, und was wir ung in Abficht auf uns als fein zu«
kuͤnftiges Gut vorstellen, Das begehren wir auc) nicht.
Niemand hungert nad) einer Speife, die ihm ganz unbe—
kannt ift, und welcher unverrückter Menfch begehrt die koͤ—
nigliche Würde, wenn er zwar ein Vergnügen drüber hat,
allein fie nicht als ein Gut vorberfieht, welches ihm bevor—
ftehe ? 3) Wir erfennen zum voraus, Daß dieſes Ver—
gnügen durch unfere Kräfte koͤnne hervorgebracht werden,
und wir bemühen uns daher, daflelbe zu würfen. And
daher entfteht es nun, daß wir durch unfern Körper alles
dasjenige thun, was bey dem Effen gefchieht, weil fonft
das Vergnügen über die Speife nicht entftehen fan. Un—
terdeffen fieht ein jedweder, daß in unferer Seele die gröfte
Begierde nach einer Speife feyn Fan, obgleich der Körper
die
Von dem Begehrungsvermögen überhaupt. 303
die Bewegungen nicht vornimt, welche wir vorzunehmen
‚pflegen, wenn wir eſſen. Folglich entſteht noch Feine “Ber
gierde, wenn wir gleich ein Bergnügen über ein bevorſte—
hendes Gut vorberfehen, fo lange wir nicht vorauserken—
nen, DaB es durch unfere Kraft hervorgebracht werden
koͤnne. Geſetzt, Daß mir morgen etwas fehr angenehmes
bevorftehe, und daß ich es auch vorherfehe: da ich erkenne,
daß es über mein Bermögen gebt, die Zeit zu befchleuni-
gen; fo werde ich auch nicht begehren, daß der morgende
Tag heute fommen foll, ich müfte denn in ver Bermwirrung
meiner Erfenntniß felbft nicht veche wiffen, was ich be-
gehre. Folglich begehren wir, wenn wir uns bemühen,
oder beftreben, oder wenn wir die Kraft unferer Geele be=
ftimmen, ein vorhergefehenes Vergnügen würflih zu mas
chen, oder eine vorbergefehene Vorſtellung, die uns ver:
gnügt, gegenwärtig zu machen. Die Hegierden find
Beſtrebungen, oder Bemühungen, oder Beftimmungen
der Kraft unferer Seele, ein vorbergefehenes Vergnügen
hervor zubringen. Nicht ein jedes Vergnuͤgen verurſacht
eine Begierde, und noch vielweniger iſt das re
felbft eine Begierde,
$. 662,
Nun fege man, daß ich eine Speife vor mir fehe, vor
der mir efele: fo verabfcheue ich fie, wenn ich fie nicht ges
nieſſe, und wenn ich wohl gar den erſten Biſſen, den ich
in den Mund geſteckt, wieder von mir werfe. Und da
lehrt die Erfahrung, daß bey dieſer Verabſcheuung folgen⸗
de Stuͤcke vorkommen. 1) Wir ſtellen uns ein Mißver—
gnuͤgen, eine Empfindung vor, die uns mißfaͤlt. Was
uns ganz gleichgültig ift, was uns gar nicht mißfält, dag
verabfcheuen wir auch nicht. 2) Wir fehen diefes Miß—
vergnügen vorher, und fellen uns vor, daß es uns bevorz
ſtehe. Gin Uebel mag uns noch fo unangenehm feyn, ftelz
len wir uns vor, daß mir vor demfelben ganz fidyer find,
und Daß e8 uns gar nicht bevorſtehe, ſo — wir
es AU) nicht; wir 4 denn, in der Verwirrung des
— Gemuͤths
304 Von dem degehrungsvermögen überhaupt.
Gemüths, ung einbilden, daß es uns bevorftehe, 3) Wir
erkennen zum voraus, Daß es durch unfere Kräfte koͤnne
gehindert werden, und wir bemühen uns daher, e8 zu ver:
hindern. Was wir uns als ein bevorftehendes aber ganz
unvermeidliches Uebel und Mißvergnuͤgen vorftellen, das
fan ung zwar einen groffen Schmerz verurfachen ;. allein
roir verabfcheuen es nicht, es müfte denn unfer Gemüth in
einer groflen Unordnung ſeyn. Kin Mifferhäter, der ge-
£öpft werden foll, wird zwar fehr mißvergnügt feyn Eönnen,
allein wer tadelt ihn nicht, wenn er feine Strafe verab-
feheuet, oder fich bemühet, fie zu hindern ? Folglich ver:
abfcheuen wir, wenn wir uns bemühen, oder beftreben,
oder wenn wir die Kraft unferer Seele beftimmen, ein vor—
bergefehenes Mifvergnügen, oder eine vorhergefehene Em—
pfindung, die uns mißfält, zu verhindern. Da nun etwas
gehindert wird, wenn fein Öegentheil wuͤrklich wird $. 174.
fo verabfcheuen wir eine Sache, wenn wir ihr Gegentheil
begehren. Die Verabfcheuungen find Beftrebungen,
oder Bemühungen, oder Beſtimmungen der Kraft unferer
Seele, ein vorhergefehenes Mißvergnügen zu verhindern.
Nicht ein jedwedes Mifvergnügen verurfacht eine Verab-
fheuung, und noch vielmweniger ift das bloffe Mißvergnü-
gen eine Verabſcheuung. Was der Körper bey den Ver—
abfcheuungen thut, gehört nicht felbft zu der Berabfcheuung:
denn unfere Seele Fan 3. E. eine Arzney verabfcheuen, und
mir ſchuͤtten fie doch manchmal mit Gewalt in den Hals,
Man Fan alfo fagen, daß, gleichwie die Begierden unferer
Seele nichts anders find, als Bemühungen ihrer Kraft,
eine vorhergefehene angenehme innerliche Empfindung her—
vorzubringen;, alfo die Berabfcheuungen derfelben in dem
Beftreben ihrer Kraft beftehen, vorbergefehene unangeneh⸗
me innerliche Empfindungen zu verhindern, |
$. 663.
Da wir nun begehren und verabfchenen, fo fan auch
die Seele begehren, und verabfcheuen $. 61. und fie befißt
alfo ein Vermögen dazu, und das ift das Begehrungs⸗
vermo⸗
Von dem Begehrungsvermoͤgen uͤberhaupt. 305
vermoͤgen. Man nennt es auch manchmal den Willen,
und da braucht man das Wort in einer weitern Bedeu—
tung. Ein geringes Nachdenken kan uns überzeugen, daß
da die Seele eine Borftellungsfraft der Wele ift, ihre ganze
Gefchäftigfeit darin ‚beftebe, Daß fie immer andere und an-
dere Vorftellungen in fich hervorbringt. Da nun darin
Das Begehren befteht, fo find die Begierden die Handlun-
gen der Kraft der Seele, und eine wuͤrkliche Seele begehrt
unaufbörlich, weil eine würfliche Subftanz unauf hoͤrlich
handeln muß $. 169. 164, Zugleich erhellet auch, aus den
bisherigen Erklärungen der Begierden und Verabſcheuun⸗
gen, das Geſetz, welches die Matur dem Begehrungsvermoͤgen
vorgeſchrieben hat. Nemlic): wenn wir von einem
vorhergefehenen Dergnügen erkennen, daß es durch
unfere Kraft Eönne hervorgebracht werden, fo be-
müben wir uns, es zu wirken, und das iſt das Gefeg,
nach welchem alle unfere Begierden entftehen $. 661. Und
wenn wir von einem vorbergefebenen Mißvergnü-
gen zum voraus erkennen, daß es durch unfere Kraft
Eönne gebindert werden, fo bemühen wir uns, es zur
verhindern. Diefes ift das Gefeß, nach welchem alle un-
fere Verabfcheuungen erfolgen $. 662, Daher ift klar,
Daß, der Grund aller unferer Begierden und Verabſcheu—
ungen, in angenehmen oder unangenehmen Vorherſehun—
gen und Borauserfennungen liege ; oder daß die Kraft un-
ferer Seele, durch vorhergehende angenehme und unanges
nehme Borherfehungen und Borauserfennungen, beitime
werde zu begehren und zu verabfiheuen. Freylich Fonnen
wir Begierden und Berabfehenungen haben, bey denen wir
uns der Beltimmungsgründe nicht bewußt find. Allein
Daraus folgt nicht, daß Feine folche Gründe vorhanden find.
Wenn eine Begierde und Berabfcheuung, oder, mit einent
Worte, eine Gefchäftigkeit der Borftellungsfraft ver Seele
nicht, aus einer. vorhergehenden Erfenntniß, entjtünde, fo
müfte fie entweder übernatürlicher Weiſe entfteben, oder
gar feinen Grund haben, und das letzte iſt lechieldings
3. Theil. u un⸗
56 von dem Begehrungsvermögen überhaupt.
unmöglich. Dieſe Gefeße des Begehrungsvermögens ent-
decken uns, die Weisheit und Güte des Urhebers unferer
Natur. Je unvollkommener ein Ding it, defto mehr Ber:
neinungen find in ihm, und defto mehr nähert es fid) dem
Nichts und dem Untergange; je vollfommener es aber ift,
defto weiter ift es von feinem Untergange und von dem
Nichts entfernt. Da nun unfere Seele, wie alle denfende
Weſen, einen Trieb zu ihrer Erhaltung, und einen Abſcheu
vor ihrem Untergange hat; fo äuffere fich beydes dadurch,
daß wir nichts anders begehren, als was wir uns als quf,
und nichts anders verabfcheuen, als was wir uns als böfe
vorfteffen. Dadurch ift Die Kraft der Seele beftimt, ihre
Vollkommenheit zu würfen und ihre Unvollfommenbeit zu
verhindern, und fich folglich immer weiter von dem Nichts
und dem Untergange zu entfernen. Ja da die Seele ein
Theil der beiten Welt ift, in dieſer Welt aber immer die
meiften und gröften Vollkommenheiten, die jedesmal in ihe
möglich find, hervorgebracht werden muͤſſen; fo Bat, das
Begehrungsvermögen der Seele, diefen Gefegen unterwors
fen werden müffen. Denn die denfenden Wefen find in
der Welt, unter der Aufficht GOttes, die Baumeifter,
welche nach) Einfichten den Bau der beften Welt fortfegen.
Sie muften alfo nothwendig fo eingerichtet werden, daß fie
nur dasjenige begehren Fonnen, was ihnen gut zu ſeyn
dünft, und dasjenige nur verabfihenen, was fie jich als boͤſe
vorftellen.
700m
Wir nehmen alfo durch die Erfahrung an, daß mir
nichts begehren Fönnen, als in fo ferne wir es uns als gut
vorftellen, und folte es auch gleich was böfes feyn; und daß
wir nichts verabfcheuen Fönnen, als in fo ferne wir eg ung
als böfe vorftetien, und folte es auch gleich was guts feyn.
Mit diefer Theorie Fan es vollfommen bejtehen, daß wir
viel Guts nicht begehren, und viel Böfes nicht verabfcheuen,
wie ung die Erfahrung lehrt. Memlich wir begehren das
Gute nicht: 1) mas uns ganz unbefannt iſt; denn *
an
Von dem Begehrungsvermoͤgen überhaupt, 307
fan uns nicht gefallen $. 648. und es ift unmöglich, daß
wir Güter begehren folten, die uns ganz unbefanne find,
2) Was wir bloß ſymboliſch erkennen. Gegen dergleichen
Güter find wir ganz gleichgültig $. 648. und Fönnen fie
alfo unmöglich begehren. Co erfennen viele Gelehrte
GOtt, die Tugend, die Religion; weil aber ihre Erfennt=
niß bloß ſymboliſch ift, fo haben fie Feine Begierde nach
diefen Dingen. 3) Was uns durch einen Irrthum miß—
faͤlt. Alsdenn ftellen wir ung das Gute als böfe vor, und
weil das Begehrungsvermögen blind ift, und durd) die Er:
Eenneniß geleitet wird, fo ift es fo weit entfernt, daß wir
daffelbe begehren folten, daß wir vielmehr daſſelbe verab:
ſcheuen. Weil vielen Menfchen die Tugend mißfält, fo
verabfcheuen fie Diefelbe. 4) Was uns zwar gefält, was
wir aber nicht vorherfehen. Alsdenn erkennen wir, daßes
ganz vergeblich fen, ein folches Gut zu begehren. Wem
gefaͤlt nicht die Allwiſſenheit, wenn wir fie in der Gottes—
gelahrheit gehörig unterfuhen? Allein welcher vernünftiger
Menfchbegehrt, alfwiffend zumerden? 5) Wasuns zwar
gefält, und was wir aud) vorberfehen, allein wovon wir
gar nicht zum vorauserfennen, daß es durd) unfere Kraft
Fönne hervorgebracht werden. Alsdenn erkennen wir die
Vergeblichkeit unferer Begierde darnach, und wir erwarten
diefes zufünftige Gut geruhig $. 661. Eben fo fan man
zeigen, daß wir viel Böfes gar nicht verabfcheuen: x) was
uns ganz unbekannt iſt. Solche Dinge Fönnen ung gar
nicht mißfallen $. 648. und folglic) Fönnen wir fie auch
nicht verabfcheuen. 2) Was wir uns bloß fombolifch vor-
ſtellen: denn gegen folhe Dinge find wir ebenfals ganz
gleichgültig $. 648. und da fie uns alfo nicht mißfallen, fo
verabfcheuen wir fie auch nicht. So haben viele Weltweiſe
eine Erfenntniß von dem Lafter, da diefelbe aber bloß ſym—
bolifch ift, fo verabfcheuen fie daffelbe nicht. 3) Was uns
gefält, weil wir es uns durch einen Irrthum als was Gu—
tes vorftellen. Es ift fo weit entfernt, daß mir fölche Uebel,
die uns gefallen, verabſcheuen folten, daß wir fie vielmehr
U 2 be⸗
308 Von dem Begehrungsvermögen überhaupt:
begehren. So begehren wir Menſchen das Laſter, weil
uns ein bezaubernder Irrthum verleitet, an demſelben ein
Vergnuͤgen zu finden, 4) Was uns zwar mißfält, was
wir aber gar nicht vorherfehen: denn wir erkennen, daß wir
eine ganz vergebliche Arbeit thun würden, wenn wir ders
gleichen Uebel verabfiheuen wolten, Denn da fie uns gar
nicht bevorftehen, wenigftens unferer Meinung nad), fo iſt
es auch ganz unnöthig, uns zu bemühen, fie zu verhindern.
So fünnen wir von manchen Krankheiten mit Berdruß re
den, weil wir fie aber nicht zu befürchten haben, fo verab⸗
feheuen wir fie auch nicht. 5) Was uns zwar mißfält,
und was wir auch vorberfehen, wovon mir aber nicht. zum
voraus erfennen, daß wir es durch unfere Kraft hindern
koͤnnen. Alsdenn betrachten wir es als’ ein ganz unver-
meidliches Uebel, wir unterwerfen uns demfelben, und wir
bemühen uns nur, es fo gut zu erfragen, als möglich iſt
§. 662.
—66 nit |
Wenn man die Begierden und Verabfeheuungen, it’
Abficht auf ihre Urfachen in der Seele, betrachtet; fo ent—
ſtehen fie famtlich) aus der anfchauenden Erfenntniß, aus
der Beurtbeilung der Dinge, aus dem Vergnügen und
Mißvergnügen, aus einer Vorherfehung, und Vorauser—
Eennung $ 663. . Nun werden, alle diefe Arten der Vor—
ftellungen, durch die Kraft der Seele gewuͤrkt, wodurd) fie
fich die Welt nach) der tage ihres Leibes vorftelt, wie indem
vorhergehenden gezeigt worden. Folglich müffen auch, Die:
Begierden und Verabſcheuungen, durch diefe Kraft ges
würfe werden. Wenn die VBorftellungskraft der Welt,
den binreichenden Grund der Begierden und Verabſcheuun—
gen, würflich macht; fo ift gar Fein Zweifel, daß fie nicht
auch diefelben felbft würflich machen folte. Betrachtet:
man aber die Begierden und Berabfcheuungen felbft, ihrer
wefentlichen Befchaffenheit nach; fo find fie nichts anders,
als die mannigfaltigen Gefchäftigfeiten und Handlungen
der Vorftellungskraft der Seele, Die Erfenntniß, welche.
in
Von dem Begehrungsvermoͤgen überhaupt. 309
in der Seele nach und nach wuͤrklich wird, wird entweder
bloß als eine Abbildung ihrer Gegenſtaͤnde betrachtet, und
in fo ferne hanget fie von den. verſchiedenen Erfenntnißver-
mögen ab; oder man betrachtet fie in Abficht auf ihre Her-
vorbringung durch die Kraft der. Seele, und info ferne
wird fie durch eine Begierde gewuͤrkt. Eine jede Kraft
‚Bandelt, wenn fie würflic) iſ. Und wer zweifelt daran,
daß eine handelnde Kraft ihre Handlungen würfe? In fo
ferne alfo die Borftellungskraft handelt, und dadurch ihre
Borftellungen würft, in fo ferne ift fie eine Begehrungs-
fraft. Die neuern Weltweiſen erklären die Seele durd)
eine Borftellungskraft der Welt, und man bat ihnen des-
wegen vorgeworfen, als wenn fie der Seele bloß einen Ber:
fand zufchreiben, fie in einen bloffen fodten Spiegel ver-
wandeln, und ihr Feinen Willen beylegen. Allein diefe
Leute verftehen die Sache nicht recht. . Der Berftand ift
ein bloſſes Vermögen, nicht aber die thaͤtige Vorſtellungs—
Fraft, die wir der Seele zufchreiben, Die Vorftellungen
find nicht bloffe Leiden, und eine Vorſtellungskraft ift fein
todter Spiegel. Und wenn mar bloß dasjenige betrachte,
was in der Seele felbit bey den Begierden und Verabſcheu—
‚ungen vorgeht; fo gefchieht dabey nichts weiter, als daß
wir uns bemühen, eine vorhergefehene Empfindung hervor-
zubringen, oder zu verhindern, Weil nun dieſes ofte niche
anders bewerfftelliget werden Fan, als wenn in der Kör-
permwelt, dee Gegenftand der Empfindung, mürklich ge:
macht oder verhindert wird; fo ift es eine Wirkung der
Begierden und Berabfcheuungen, weiche aus der Vereini—
gung der Seele mit dem Körper entfteht, daß wir durch
„den Körper unfere Begierden und Berabfeheuungen zu voll:
ſtrecken fuchen,
666,
$.
: Das Begehrungsvermögen ift verfchiedener Grabe
der Bollfommenheit fähig, welche überhaupt nach folgen-
den Kegeln beurtheilt werden fönnen. 1) Je mehrere und
mannigfaltigere Begierden und Berabfcheuungen mir auf
43 einmaf
sıo Vondemn Begehrungsvermoͤgen uͤberhaupt.
einmal oder nach und nach haben, je oͤfter wir begehren und
verabſcheuen, folglich je mehr Guts wir begehren und je
mehr Boͤſes wir verabſcheuen, deſto groͤſſer iſt das Begeh—
rungsvermoͤgen. Ein Menſch, der wenige Begierden und
Verabſcheuungen hat, der verraͤth eben dadurch eine groſſe
Schwaͤche feines Begehrungsvermoͤgens. 2) Je groͤſſer
und ſtaͤrker unſere Begierden und Verabſcheuungen ſind,
oder je groͤſſer das Gute und das Vergnuͤgen iſt, welches
wir durch eine Begierde wuͤrklich machen, und je groͤſſer
das Uebel und Mißvergnuͤgen iſt, welches wir zu verhin—
dern fuchen, defto geöffer ift unfer Begehrungsvermögen.
3) se geöffer und vollfommener die Urfachen unferer Be-
gierden und Berabfcheuungen find, folglich je gröfler und
vollfommener das Vergnügen und Mifvergnügen, die
Vorberfehung und Vorauserfennung, und die dazu gehöri-
gen Erfenntnißvermögen find, defto gröffer und vollfom-
mener ift das Begehrungsvermögen. Je Fleiner und un:
vollfommener aber diefe Urfachen find, defto Eleiner und
unvollfommener ift auch das Begehrungsvermögen. Die
Vollfommenheit und Unvollfommenheit des Begehrungs-
vermögens hanget alfo, von der Bollfommenheit und Un—
vollfommenheit des Erfenntnißvermögens, ab. Diefe
Grade Fünnen, in befondern Fällen, auf eine mannigfalti-
ge Art, mit einander vermifcht ſeyn. Die Kleinigkeit ei-
nes Örundes unferer Begierden Fan, durch die überfchweng-
liche Gröfle eines andern, fo reichlich erfegt werden, daß
dennoch eine ftarfe Begierde entftehen Fan. Ofte begehren
wir ein Gut fehr ftarf, deffen Worherfehung und Voraus:
erfennung fehr ſchwach ift, mern es ung nur ein ungemein
groſſes Vergnügen macht. Daher verabfcheuen wir man-
che Uebel, die unvermeidlich find, fehr ftarf, weil wir ein
fo erftaunliches Mißvergnügen drüber empfinden, daß mir
Faum merfen, daß es uns unvermeidlich fey. Aus allen
dieſen Uuterfuchungen erhellet demnach, daß die Begierden
und Berabfcheuungen unferer Seele bald gröffer bald Flei-
ner feyn £önnen, und da verfteht man, durd) Gemuͤths
bewes
Von dem Begebrungsvermögen überhaupt. zir
bewegungen oder Affecten, alle gröffere Begierden und
Verabſcheuungen, in fo ferne fie aus einer Flaren Erfennt:
niß entftehen. Wenn ein Menfc) liebt, haßt, ſich fürchter,
zornig iſt, fo befindet er fi in einer Gemuͤthsbewegung.
Nun Fan jederman aus feiner eigenen Erfahrung wiſſen,
daß er alsdenn merklich geoffe Begierden und Verabſcheu—
ungen habe, weil er in diefen Zuftanden fo fehr gefchäftig
ift, und daß er fich der Gründe bewußt fen, weswegen er
eine fo groffe Begierde und Verabſcheuung bat. Folglich
entftehen, die Gemuͤthsbewegungen, aus einer klaren Er:
kenntniß.
§. 667.
Wenn wir begehren und verabſcheuen, ſo haben wir
allemal Bewegungsgruͤnde, warum wir den Gegenſtand
begehren oder verabſcheuen. Denn wenn wir begehren, ſo
brauchen wir unſere Kraft, um etwas, das uns gut zu ſeyn
ſcheint, hervorzubringen, und wenn wir verabſcheuen, ſo
begehren wir, das Gegentheil einer Sache $. 661. 662.
Folglich haben wir, bey allen unfern Begierden und Berab-
fcheuungen, einen Zweck, den wir zur Abficht haben $.266.
267. Folglich entftehen, alle unfere Begierden und Ver—
abfcheuungen, aus Bewegungsgründen $. 267. welche des-
halb Triebfedern des Gemuͤths genannt werden, weil fie
die Kraft der Seele fpannen und anftrengen. Diefe Trieb-
federn des Gemuͤths beftehen nicht bloß, indem Vergnügen
und Mißvergnügen über den Gegenſtand felbft ; fondern
auc) in einer Vorherſehung und Borauserfennung, daß
wir im Stande find, den Gegenſtand hervorzubringen, oder
zu verhindern $. 663. 664. Folglich koͤnnen wir angetrie—
ben werden, etwas zu begehren, wenn wir uns nicht nur
daffelbe vor fic) als was Guts anſchauend vorftellen, fons
dern wenn wir. es aud) in den zufünftigen Umftänden be:
£rachten, und anſchauend erfennen, daß wir alle Mittel in
unferer Gewalt haben, oder haben koͤnnen, es hervorzu«
bringen, daß diefe Hervorbringung leichte fey, und daß die
Schwierigkeiten und Hinderniffe derfelben gehoben werden
14 fönnen.
312 Von dem Begehrungsvermoͤgen überhaupt.
koͤnnen. Und eben ſo werden wir nicht nur angetrieben et⸗
was zu verabſcheuen, wenn wir es vor ſich betrachtet als
etwas Boͤſes anſchauend erkennen, ſondern wenn wir es
auch in den zukuͤnftigen Umſtaͤnden anſchauen, und gewahr
werden, daß wir alle Mittel in unſerer Gewalt haben oder
haben koͤnnen, es zu verhindern, daß dieſe Verhinderung
leicht ſey, und daß die Schwierigkeiten derſelben nicht un—
uͤberwindlich ſind. Manche Redner bilden ſich ein, daß
ſie einem Menſchen, den fie antreiben wollen, etwas zu be—
gehren oder zu verabſcheuen, hinlaͤngliche Bewegungsgruͤn—
de vorgeſtelt haben, wenn ſie ihm daſſelbe als angenehm
oder unangenehm, als gut oder als boͤſe vorgeſtelt haben.
Allein wenn ſie vergeſſen, eine gehoͤrige Vorherſehung und
Vorauserkennung zugleich hervorzubringen, fo werden dieſe
Bewegungsgruͤnde niemals hinlaͤnglich ſeyn, eine Begierde
und Verabſcheuung zu erwecken. Nun theilt man alle
Erkenntniß in eine ruͤhrende Erkenntniß ein, und in
eine Erkenntniß, die nicht ruͤhrt. Jene wird auch im
weitern Verſtande eine lebendige Erkenntniß, und eine pra=
ctifche Erkenntniß genannt, und diefe heißt im weitern Ver:
ftande eine todte Erfenntniß. Jene beſteht in einer jed-
weden Erfenneniß, in fo ferne fie Bewegungsgründe ent-
hält; und in fo ferne eine Erfenntniß Feine Bewegungs⸗
gründe enthält, in fo ferne rüber fie nicht. Folglich ift alle
fombolifhe Erfenneniß, in jo ferne fie ſymboliſch ift, in
Abfiche auf ihren Gegenitand, und eine jedwede Erfennt-
niß, die uns gleichgültig läßt, eine Erfenneniß, die nicht
rührend ift $. 647. 648. Bloß die anfchauende Erkennt:
niß ift rührend $. 647. Wenn wir uns alfo in dem Zu-
ſtande eines reinen Vergnuͤgens, eines bloffen Mißvergnit- -
gens, des Uebergewichts des Vergnügens oder Mißvergnuͤ—⸗
gens, befinden; fo ift unfere dermalige ganze Borftellung,
rührend 9. 658, 653. Eine Erfenntniß, welche nicht rüb-
rend ift, wird eine fpeculativifche Erkenntniß genannt,
wenn fie font ſehr vollkommen iſt. Eine Erkenntniß fan
fehr weitlauftig, richtig, guoß, -Elar und gewiß feyn. er
ie
Von dem Begehrungsvermoͤgen überhaupt. 313
fie aber dieſer Vollkommenheiten ohnerachtet bloß ſymbo—
liſch ſeyn kan, ſo ruͤhrt ſie nicht. So haben viele Men—
ſchen eine vortrefliche Erkenntniß von GOtt, der ofte
nichts weiter fehlt, als daß fie nicht rührend ift. Daher
ſagt man, daß diefe Leute, Die ganze Lehre von GOtt, in
eine trockene Speculation verwandeln. Und hieraus er-
bellet nun, daß es auffer der Weitläuftigfeit, Groͤſſe,
Wahrheit, Klarheit und Gewißheit der Erkenntniß 9.489.
499. 491. 505. noch eine ſechſte Hauptvollfommenbeit der—
felben gebe, die von den übrigen unterfchieden ift, und von
ihnen nicht nothwendig abhanger, nemlich das Ruͤhrende
einer Erfennenig. Kine armfelige, kleine, falfche, dun—
fele und ungewifle Erfenntniß Fan rührend feyn. So viel
‘aber ift unleugbar, daß eine rührende Erkenntniß allemal
vollfommener ift, als eine Erfenneniß, die nicht ruͤhrt,
wenn fie übrigens einander gleich ſind. Jene ift unleug-
bar ftärfer als diefe, und alfo auch vollfommener $. 493.
Ja fie ſtimt zu mehrern Zwecken, weil fie gefchickt ift, Be—
gierden und Verabſcheuungen zu erwecken. Folglich je
rübrender die Erkenntniß ift, oder je mehrere und ftärfere
Begierden und Verabſcheuungen fie erwecken fan, je weits
läuftiger, groͤſſer, richtiger, Flärer und gewiſſer fie zu
gleicher Zeit ift, defto gröffer und vollfommener ift fie; je
weniger fie aber rühre, defto Eleiner und unvollffommener
iſt fie,
$. 668. |
Wenn wir begehren, fo frengen wir unfere Kraft an,
um ein vorbergefehenes DBergnügen, famt feinem Gegen»
ftande, hervorzubringen 9. 661, und wenn wir verabfcheuen,
fo firengen wir unfere Kraft an, um ein vorhergefehenes
Mißvergnügen, famt feinem Gegenftande ‚ zu verhindern
$. 662. Da nun die unleugbare Erfahrung lehrt, daß eis
ne Vorſtellung, ein Bergnügen und Mifvergnügen, eine
Sache ; immer fehwerer hervorzubringen und zu verhindern
iſt, als eine anderer fo Fan nicht ein jedes Bergnügen und
Mipvevgnügen durch eine jede Anftrengung unferer Kraft,
Us5 gewuͤrkt
314 Vondem Begehrungsvermoͤgen überhaupt.
gewürft und verhindert werden; fondern es wird, in einem
jedweden Falle, zu dem Ende ein gewiſſer beftimter Grad
unferer Kraft erfodert $. 255. Hierauf gründet fich, eine
‚doppelte Einthejlung unferer Begierden und Verabſcheuun⸗
gen. 1) Sie find entweder würkende Begierden und
Dersbfeheuungen, oder unwuͤrkende. Szene find fol.
he ftarfe Anftrengungen unferer Kraft, als nöthig ift, um
den begehrten Gegenftand würflih zu machen, und den
verabfcheuten. zu verhindern, Sind unfere DBegierden
und Verabſcheuungen nicht fo groß und ſtark, fo find fie
unwuͤrkend. Wir können allemal aus dem Erfolge abneb-
men, ob unfere Begierden und Berabfcheuungen würfend
find, oder nicht. Gefegt ein Menfch begehre die Tugend,
und verabfcheue das Laſter: übe er moürflic die Tugend
aus, und unterläße er wuͤrklich dag Safter; fo find ſeine Be—
giernen und Verabſcheuungen wuͤrkend: denn eine Würs
fung fan unmöglicd) erfolgen, wenn nicht die Handlung,
wodurch fie gewürft wird, groß genug ift. Wenn er aber
die Tugend nicht ausübt, und das Laſter nicht unterläßt ;
fo find feine Begierden und Verabſcheuungen ummürfend,
und wenn er auch ein nod) fo groſſes Gefchrey, von der
Aufeichtigkeit, feines Herzens , machen folte. Zum 2) find
die Begierden und Berabfcheuungen entweder entfchlief-
fende ,- befchlieffende Hegierden und Derabfcheuungen,
oder Begierden und Derabfeheuungen, die nicht ent:
fchliefjend find, oder die mit feinem Entſchluſſe verbuns
den ſind. Jene find fo groß, daß fie, unferer Vorauser⸗
kennung nach, hinlänglich find, den Gegenftand zu wuͤr⸗
Eon oder zu verhindern ; diefe aber find unſerm Beduͤnken
nad) kleiner, als zur Hervorbringung oder Verhinderung
des Gegenftandes nöthig ift. Wenn wir etwas befchlieflen,
fo find wir allemal verfichert, daß wir die Sache zu Stan-
de bringen werden. So lange wir aber eine Sache noch
nicht befchlieffen, fo lange fehen wir felbft, daß fie nicht zu
Stande fommen werde, wenn wir fie nicht ftärfer mit dee
Zeit begehren, als vor der Hand gefchieht. Nun Fönnen
wir
NULL V —
Von dem Begebrungsveumögen überhaupt. 313
wir uns, in diefem Stuͤcke, "gewaltig irren, Folglich ift
es, einmal, möglich, daß wir einen Grad unferer Kraft für
binlänglic halten Fönnen, um eine Sache hervorzubringen
oder zu verhindern, der doch nicht hinreichend ift: weil wir
unfere Kräfte durd) ein Bergröfferungsglaß betrachten, uns
mehr Gefchicflichfeit zutrauen als wir befißen , die fünfti-
gen Hinderniffe nicht fehen, oder ihre Wegräumung für
leichter halten als fie in ver That ift u. ſ. w. Folglich Eöns
nen, unfere befchlieffenden Begierden und Verabſcheuun—
gen, unmürkend feyn. Wie ofte befchlieffen wir Menfchen
nicht einen Rath, aus welchem nichts wird ? Der Natu⸗
raliſt entfchließe fi, vollfommen tugendhaft durch feine
eigenen Kräfte zu werden; allein er iſt dazu zu ohnmaͤchtig.
Und zum andern Fünnen wir unfere Kräfte für Eleiner bals
ten, als fie find, wir Fönnen ung weniger Geſchicklichkeit
zutrauen als wir haben, wir koͤnnen ung Hinderniffe vor-
ftellen wo feine find, und Fleine Hinderniffe Fonnen ung
unüberwindlich zu feyn feheinen u. f. wm. Folglich koͤnnen
wir aus Zaghaftigfeit ofte etwas nicht befchlieffen, und wir
machen es doc) wuͤrklich, und es koͤnnen alfo Begierden
und Berabfeheuungen würfend ſeyn, die nicht befchlieffend
find. Der Fromme geräth ofte in den Zuftand eines ängft-
lichen Gewiſſens, und da bildet er ſich ein, er werde eine
Verſuchung nicht überwinden fönnen ; wenn eg aber zum
Treffen fomt, fan ers doch. Mancher Studierender hat
ſich nicht entſchloſſen, ein groſſer Gelehrter zu werden. Er
ſtudiret zaghaftig fort, und or wo ein groffer Gelehrter.
Die rührende — — Begierden, und
Verabſcheuungen $. 667. So viel Arten der Begierden
und Verabſcheuungen es alfo giebt, in fo viel Arten Fan
man die rührende Erfenntniß abtheilen. Folglid) fan. man,
vermöge Des vorhergehenden Abfages, diefe Erfenntniß auf
eine zweyfache Weife eintheilen. Einmal in die lebendi-
ge, und todte Erkenntniß. Jene verurſacht würfende
Begierden und Berabfehenungen; und diefe verurfacht ent.
weder
316 Von dem Begehrumgsvermögen überhaupt.
weder gar feine Begierden und Verabſcheuungen, oder
Doch nur ſolche, die nicht würfend find, und folten fie auch
. ‚gleich enefchlieffend, und mit einem Borfage verbunden
fenn $.:669. So nimt man die Wörter, lebendige und
todte Erfenntniß, in einer engern Bedeutung, alses 9.667.
gefihehen iſt. So fagt man: daß ein unbefehrter Menſch
eine todte Erfenntnif von den göttlichen Wahrheiten babe,
weil er durch diefeibe nicht würflich from wird, ob man
gleich zugefteht, daß einem Unbefehrten die Frömmigkeit ge-
fallen fönne, daß er fie begehren fönne, und wohl gar fi)
entichlieffen Fönne, from zu feyn. Der Bekehrte aber bes
fomt, in der Wiedergeburt, eine lebendige Erfenntniß, und
die ift mit der Ausführung verbunden. Eine folde Er
kenntniß ift allemal zu den Handlungen zureichend, und fie
ift jederzeit mit der gehörigen Ausübung verbunden. Man
kan demnach allemal:aus dem Ausgange erfennen, ob bie
Erkenntniß lebendig oder todt fey. Eine jedwede rübrende
Erfenntriß bat eine ruͤhrende und bewegende Kraft,
welche in den Bewegungsgründen der Erfenntniß, die fie
in fich enthält, befteht $.667. Und das Leben der Er⸗
kenntniß befteht in derjenigen Kraft, wodurch fie würfen»
de Begierden und Verabſcheunngen verurfaht; die Kraft
einer todten Erfenntniß ift, eine todte Kraft der Er⸗
kenntniß. Nun ift vor fich Flar, daß das Leben der Er—
kenntniß eine Vollkommenheit fey, und alfo ift die lebendis
ge Erfenntniß volltommener als die todte. Zum andern
verurfacht eine rührende Erkenntniß entweder entſchlieſſende
Begierden und Berabfcheuungen, oder nur folhe Begier—
den und Berabfeheuungen, welche nicht entſchlieſſend find
$. 668. Jene ift eine vollftändig rührende Erkennt⸗
niß, welche demohnerachtet todt im enaern Verftande feyn
Fan; und diefe ift eine unvollftändig ruͤhrende Erkennt⸗
niß, welche demohnerachter lebendig im engern Berftans
de feyn fan $. 668. Jene enthält vollftändige Bewe⸗
gungsgründe, und man ſchreibt ihr eine völlig oder
vollftändig ruͤhrende Kraft zu; dieſe aber enthält un⸗
vollſtaͤn⸗
— — — en — —
U
*
Von dem Begehrungsvermoͤgen uͤberhaupt. 317
vollſtaͤndige Bewegungsgruͤnde, und man ſchreibt ihr
eine unvollſtaͤndig ruͤhrende Kraft zu. Wenn wir
noch nicht in gewiſſen Faͤllen zu einem Entſchluſſe kommen
koͤnnen, fo duͤnkt uns, daß wir die Sache noch nicht voͤl—
fig unterſucht haben, und wir haben alſo nur noch unvoll:
Ständige Bewegungsgründe. Wenn wir uns aber entfchlief-
fen, etwas zu thun oder zu unferlaffen ; fo bilden wir uns
wenioftens ein, daß nichts weiter zu unterfuchen übrig fey,
und unfere Bemwegungsgründe find, wenigftens unferer
Meinung nad), vollitändig. Auch bier ift ohne Beweiß
flar, daß eine vollftändig ruͤhrende Erkenntniß gröffer
und vollfommener fey, als eine unvolljtändig ruͤhrende,
wenn fie übrigens einander gleich find. _ Die allervollfom«
menfte rührende Erfenntniß ift lebendig, und rührt zugleich
auf eine vollitändige Art. Ob uns eine Erfenntniß volls
ftändig rühre oder nicht, das willen wir allemal aus unfe-
rer Erfahrung: denn wir find uns in allen Fällen bewußt,
ob mir den Gegenftand befchlieffen, oder ob wir ihn ohne
Vorſatz und Entſchluß begehren.
67b
Es iſt eine ſehr noͤthige Unterſuchung: ob unſer Be:
gehrungsvermoͤgen allemal Begierden und Verabſcheuun—
gen wuͤrke, welche den Gegenſtaͤnden und der Erkenntniß
derſelben proportionirt ſind, oder nicht? Wir wollen dieſe
Frage, in drey beſondere Fragen, zergliedern. 1) Sind
unſere Begierden und Verabſcheuungen allemal ſo groß,
nicht groͤſſer und kleiner, als die lebendige Erkenntniß, oder
als alle Bewegungsgruͤnde zuſammen genommen, wodurch
fie erweckt werden? Und dieſe Frage muͤſſen wir, ohne al—
le Einſchrenkung, bejahen. Die Begierden und Verab—
ſcheuungen ſind die Wuͤrkungen dieſer Bewegungsgruͤnde,
und dieſe bringen eben den Grad der Kraft der Seele in
Bewegung, wodurch jene gewuͤrkt werden. Nun iſt die
Wuͤrkung allemal, der lebendigen Kraft, gleich $. 255.
Folglich find, die Begierden und Berabfiheuungen, dem
geben der Erkenntniß gleich, Je rübrender die Erkenntniß
iſt,
318 Von dem Begebrungsvermögen überhaupt,
iſt, deſto gröffere Begierden und Verabſcheuungen wuͤrkt
fie; je weniger fie aber ruͤhrend iſt, deſto kleiner und ſchwaͤ—
er find die Begierden und Verabſcheuungen. Und in
diefem Berftande muß man fagen, daß das Begehrungs«
vermögen dem Erfenntnißvermögen proportionirt fey.
2) Sind unfere Begierden und Verabſcheuungen, der Ers
Eenntniß des Guten und Böfen, gleich, und fan man fagen:
daß wir alle die Dinge ftarf begehren, die wir uns als groffe
Güter, und ſchwach, die wir ung als kleine Güter vorftellen ;
und daß wir alle die Dinge ftarf verabfcheuen, die wir uns
als groffe Uebel vorftellen, und ſchwach, die wir uns als
Fleine Uebel vorftellen? Diefe Frage müffen wir verneinen.
Wir fonnen uns ofte zwey Güter vorftellen, das eine als
fehr groß und das andere als fehr Flein, und das Fleine bes
gehren wir doch ftärfer. So begehren viele Menfchen vie
zeitliche Glückfeligkeit viel ftärfer, als die ewige, ob fie
gleich) völlig überzeugt find, daß fie vielmals gröfler fen,
als die zeitliche. Und fo verhält es fid) auch mit den Heben,
die wir verabfeheuen. Die Stärke unferer Verabſcheuun⸗
gen richtet fihnicht allemal, nad) der Borftellung der Gröf-
fe der Unvollkommenheit in den Gegenftänden, Und das
komt daher, mweil wir, die Gröffe des Guten und Boͤſen,
uns todt und fymbolifch vorftellen koͤnnen. Ich Fan alfo
erkennen, daß das eine noch einmal fo gut und böfe fen,
als das andere; wenn ich mir nun das Gröffere nicht fo les
bendig 'vorftelle als das Kleinere, fo begehre und verab«
fcheue ich esnicht fo ſtark, als das Eleinere, Folglich find unfere
Begierden nicht allemal, unferer Erfenntniß der Grade
des Guten und Böfen in den Gegenftänden, proportionirt.
Und diefes ift eine wahre Unvollkommenheit, weil fie von
dem Mangel des Lebens unferer Erkenntniß herruͤhrt.
3) Sind unfere Begierden und Berabfcheuungen, den Ges
genftänden felbft, proportionire ? Kan ich allemal ſchlieſſen:
je beffer eine Sache ift, defto ftärfer begehren wir fie, je
fchlechter fie aber iſt, deſto ſchwaͤcher; und je gröffer ein Lies
bet ift, defto mehr, je Fleiner es aber ift, defto weniger
verabfcheuen wires? Die tägliche Erfahrung lehrt ung, *
unſern
Vondem Begehrungsvermoͤgen überhaupt. 319
unfern Begierden und Verabſcheuungen, das Gegentheil.
Und das komt von unferer Unmiffenheit her, weil uns, der
wahre Grad der Vollkommenheit und Unvollkommenheit
der Dinge, unbekannt ift, und weil wir ung groffe Dinge
als klein vorftellen Eönnen. Daher begehren und verad«
fcheuen wir groffe Dinge ſchwach, und Eleine ftarf. Das
Begehrungsvermögen ift alfo um fo viel vollfommener, je
proportionirter die Begierden und Verabſcheuungen dem
wahren Grade des Guten und Bösen in den Gegenftänden
find, und darin: befteht die Proportion des Begehrungss
vermögens mit den Gegenftänden felbft.
$. 67.
Wenn unfer Gemüt fich, in Abficht auf eine Sache,
in einen Öleichgerichte befindet, fo gefält ihm diefelbe und
mißfalt ihm im gleihem Grade $.653. Folglich find die
Dewegungsgründe, wodurch wir bewege werden, dieſe
Sache zu begehren, den Bewegungsgründen gleich, die
uns bewegen, fie zu verabfcheuen. Und wenn diefe Gleich“
beit vollfommen und gänzlich ift, fo ſteht unfer Gemüch
in einem vollEommenen Bleichgewichte $. 667. Da
nun, unfere Begierden und Berabfcheuungen, den Bewe—
gungsgründen gleich find $. 670. fo begehren und ver;
abfcheuen wir, in dem Zuftande des Gleichgewichts, den
Gegenftand zugleich, und zwarim gleichen Grade, Folg-
lich Fan man diefen Zuftand auch Durch denjenigen Zuftand
erklären, in welchem mir eine gemwiffe Sache zur gleicher
Zeit begehren und verabfiheuen, und zwar im gleichen
Grade. Daher Fan man auch, fo lange das Öleichgewiche
daurt, fich zu nichts entfchlieffen. Denn enefchlöffe ich mich,
' die Sache zu begehren, fo müfte ich mic) auch zugleich ent;
ſchlieſſen, fie zu verabfcheuen, weil die Berabfcheuung der
Begierde, in diefem Zuftande, gleihift. Folglich müfte
icch den Enefchluß faften, eine Handlung zugleich zu thun
' und zu unterlaffen. Iſt diefes wohl moͤglich? Wenn ic)
‚ mich entfchlieffe etwas zu thun, und es zugleich zu verab»
ſcheuen, fo reiffe ich mit der einen Hand nieder, was ich)
‚ mit der andern aufbaue, und ich widerfpreche mir felbft.
| So
320 Vondem Begehrungsvermögen überhaupt.
So lange ich alfo in einem Gleichgewichte ftehe, ſo lange
Fan ich mich nicht entſchlieſſen, ob ic) die Sache begehren
oder verabfcheuen will; und fo bald ich zu einem Entſchluſ⸗
fe fomme, fo bald ift das Gleichgewicht gehoben, ex fals
le nun auf eine Seite aus, auf weiche er will, und ich ge-
vathe alsdenn in den Zuftand des Uebergewichts $. 653.
das ift, in einen. Zuftand, in welchem wir eine Sache ent-
weder mehr begehren als. verabfcheuen, oder. mehr verab—
fheuen als begehren. Alsdenn macht uns die Sache
Vergnügen und Mißvergnügen zugleich, aber in einem
ungleichen Grade. Iſt das Vergnügen geöffer. als das
Mißvergnügen, fo begehren wir die Sache ftärker, als
mir fie verabfcheuen ; und zwar ift die Begierde um fo
viel jtärfer als die Verabſcheuung, um wie viel die Be—
wegungsgründe der Begierde groffer find, als die Bewe—
gungsgründe der Berabfiheuung. Iſt aber; das Mißver—
gnügen über. eine Sache ftärfer als das Vergnuͤgen
über eben diefelbe, fo verabfcheuen wir fie mehr als wir fie
begehren, und zwar ift die Berabfcheuung um fo viel ftärz
fer als die Begierde, um wie viel die Bewegungsgründe
der Berabfcheuung gröffer find, als die Bewegungsgründe
der Begierde $. 670. Es iſt demnach Elar, Daß man fich
einen höchft ungereimten und falfcehen Begrif von der Frey—
beit des Willens macht, wenn man fie durch das Vermoͤ⸗
gen erklärt, fich, in dem Zuftande des vollfommenen Gleich-
gewichts, in Abficht auf eine gewiſſe Handlung zu ent
f&lieffen, fie entweder zu thun oder zu unterlaffen: denn
wir haben gezeigt, daß in dem. Gleichgewichte des Ge—
muͤths fein Enefchluß möglich ift. Und es ift ſehr laͤcher—
lih, wenn man den Kath giebt, man folle in dem Gleich—
gewichte das ficherfte thun. Denn wenn man eing unter
zweyen begehren foll, und fie kommen uns beyde gleich que
und gleich bofe vor, ausgenommen daß uns das eine ſiche—
ver zu ſeyn feheint als das andere, fo ift das Gleichgewicht
fhon gehoben. Die gröffere Sicherheit des einen giebt
ung fchon, das Lebergewicht der Bewegungsgründe auf fei-
ner Seite, So ofte wir etwas ungern und mit —
willen
Don dem Begehrungsvermögen überhaupt, 321
willen thun oder unterlaffen, fo ofte befindet fich unfer Ge,
muͤth in dem Zuftande in Uebergewichts.
2,
Die bisherigen Betrachtungen überzeugen uns dem-
nah, daß der unmittelbare Öegenftand aller unferer Be—
gierden ein vorhergefehenes Bergnügen, und der ummittel-
bare Gegenftand aller unterer Berabfceheuungen ein vorher
gefehenes Mißvergnügen ſey. Manchmal haben unfere
Begierden weiter Feinen Gegenſtand, z. E. die Begierde
nad GOtt fan nichts anders feyn, als ein Beftreben nach
einer zufünftigen Empfindung des Bergnügens über GOtt.
Manchmal aber haben fie zu ihrem mittelbaren Gegenftan=
de eine zukünftige Sache, welche, wenn fie würflich wird,
das Vergnügen und das Mißvergnügen verurfacht, welz
ches wir zunächft begehren und verabfcheuen. Alsdenn
fließt, aus unfern Begierden und Verabſcheuungen, zus
gleich das Bemühen, dieſe zufünftige Sache hervorzubrin.
gen oder zu verhindern, als wenn wit z. E. eine Speiſe
begebren oder verabfcheuen. Aus alle diefem ift demnach
Elar, daß der Gegenftand aller unferer Begierden und Vers
abfcheuungen was zufünftiges fey, menigftens etwas, fo
wir uns als zufünftig. vorftellen, wir mögen uns nun in
diefem Stüde irren oder nicht. Folglich) koͤnnen wir. ges
genwaͤrtige und vergangene Saden, in fo ferne wir fie
uns als gegenwärtig und vergangen vorftellen, weder
begehren noch verabicheuen; indem es nicht möglich ift,
daß wir fie in fo ferne folten hervorbringen oder verhindern
koͤnnen. Unterdeſſen feheint diefes der Erfahrung zumider
zu feyn, indem wir uns über dergleichen Dinge freuen, und
betrüben, Freude aber iſt eine Begierde, und Betruͤbniß
eine Verabſcheuung. Allein bey genauerm Nachdenken
wird man finden, Daß wenn man vergangene und gegen=
wärtige Sachen zu begehen feheint, man nichts anders
begehrt, als die Fortdauer derfelben, oder die Wiederho—
kung des Vergnuͤgens über diefelben, oder die guten Folgen
und Würfungen, die wir uns davon verfprechen, Eben
3 Theil, E fo,
322 Von dem Begehrungsvermoͤgen uͤberhaupt.
ſo, wenn wir vergangene und gegenwaͤrtige Dinge zu ver—
abſcheuen ſcheinen, ſo verabſcheuen wir ihre Fortdauer, oder
die Wiederholung des Mißvergnuͤgens daruͤber, oder die
boͤſen Folgen derſelben, die wir vorherſehen. Alle dieſe
Sachen aber ſind, zukuͤnftige Sachen. Wenn wir ein
vergangenes Uebel verabſcheuen, fo ſtellen wir uns entwe—
der allemal vor, daß ſeine boͤſen Folgen noch nicht aufhoͤ—
ren, oder wir ſuchen das Mißvergnuͤgen zu verhindern,
welches die Erinnerung an daſſelbe verurſacht. Unterdeſ—
ſen geben wir zu, daß wir in der Verwirrung unſeres
Gemuͤths, und durch einen Irrthum, vergangene und
gegenwaͤrtige Dinge begehren und verabſcheuen koͤnnen,
wenn wir ſie uns als zukuͤnftig vorſtellen. Und wenn
wir durch eine Bedingung annehmen, daß etwas zukuͤnf⸗
tig ſey, ſo koͤnnen wir es begehren und verabſcheuen, und
wenn es auch gleich nicht einmal moͤglich iſt, und wenn
es auch gleich in dieſer Welt nicht moͤglich iſt und geſchieht.
So koͤnnen wir durch ein Gedicht, durch eine Tragoͤdie,
durch einen Roman, durch die Hiltorie ‚in eine andere Welr,
oder in Die vergangene Zeit zurücke gefeßt werden, und
folglich fan man fi) alsdenn fehr lebhaft Dinge als zu«
Fünftig vorftellen, die nicht zukünftig find. Und es iftal-
fo der Natur des Begehrungsvermögens nicht zumider,
wenn alsdenn Begierden und Berabfeheuungen entftehen,
J
KERE EHE HEHE FF HH FR FH HE KR a
Der andere Abfehnit,
Von dem finnlichen Begehrungsvermögen.
$. 673. k
If" unfere Begierden und Verabſcheuungen entitehen,
aus einer rührenden Erfenneniß $. 607. und es wird
alfo das Begehrungsvermoͤgen, durch das Erfenntnifver-
mögen, beſtimt; oder jenes it fo wohl feiner Möglichkeit,
als auch feiner Wuͤrklichkeit nach, in dieſem gegründer.
Nun
Von dem ſinnlichen Begebrungsvermögen. 323
Nun iſt die Erkenntniß entweder ſinnlich, oder deutlich
I 485. 524. Folglich entſtehen, die Begierden und Ver-
abſcheuungen, aus einer ruͤhrenden Erkenntniß, die ent—
weder ſinnlich, oder deutlich iſt. In dem erſten Falle ſind
es ſinnliche Begierden, und Verabſcheuungen. Durch
eine ſinnliche Begierde bemuͤhen wir uns, ein vorhergeſe—
henes ſinnliches Vergnuͤgen zu wuͤrken; und, die Bewe—
gungsgruͤnde einer ſolchen Begierde, ſind undeutliche Vor—
ſtellungen. Durch eine ſinnliche Verabſcheuung bemuͤhen
wir uns, ein vorhergeſehenes ſinnliches Mißvergnuͤgen zu
verhindern, und die Bewegungsgruͤnde einer ſolchen Ver—
abſcheuung, ſind undeutliche Vorſtellungen. Nun lehrt
ung die Erfahrung, daß wir ſinnlich begehren und verab-
jcheuen: wenn uns hungert und. durfte, wenn wir uns
fürchten, und in hundert andern Fällen, haben wir, finnli-
: he Begierden und Berabfcheuungen, Folglich haben wir
ein Bernögen, finnlich zu begehren und zu verabfcheuen,
und das nennen wir 068 untere oder finnliche Begeh⸗
rungsvermoͤgen. Das untere Erfenntnißvermögen ent-
hält, den hinreichenden Grund des untern Begehrungsver—
mögens in ſich, und die finnliche Erfenntniß ift der Grund
der-finnlichen Begierden und Verabfeheuungen, oder des
Gebrauchs des untern Begehrungsvermögens. Weil wir
ein finnliches Erfenntnißvermögen befißen, fo Fünnen wir
finnlich begehren und verabfcheuen; und weil wir ofte eine
finnliche Erfenntniß haben, die rührend ift, fo begehren
und verabfcheuen wir auch ofte ſinnlich. Alle unfere finn—
liche Begierden und Berabfcheuungen werden, durch die
Borftellungskraft der Welt, gewürft, welche unfere Seele
befigt $. 665. Und das untere Erfenntnißvermögen, mit
dem finnlichen Begehrungsvermögen zufammengenommen,
wird die Sinnlichkeit genennt, oder auch mit einem bibli:
ſchen Ausdrude das Sleifch,
- 9. 674
Ale finnliche Begierden und Verabſcheuungen ent:
fiehen aus undeutlichen “or: ein 9. 673, und
52 Das
#4 Vondem finnlichen Begehrungsvermoͤgen.
das werben finnliche Bewegungsgründe, oder finnli-
che Triebfedern des Gemüths genennt, Alle unfere finnlis
che Erfenntniß ift entweder ganz Dunfel, oder verworren
8.485. Folglich find, alle finnliche Bervegungsgründe,
von zweyerley Art, Einmal dunkele Hewegungsgruns
de, deren wir uns gar nicht bewußt find, Es entftehen
demnach), einige finnliche Begierden und Berabfiheuungen,
aus ganz dunfeln Vorftellungen, fo daß wir uns gar nicht
bewußt find, warum wir etwas begehren und verabfcheuen.
Wir koͤnnen uns diefer Begierden und Verabfcheuungen
felbft, auch wohl ihres Gegenjtandes, bewußt ſeyn; allein
wir find uns nicht bewußt, warum wir ihn begebren oder
verabfcheuen. So koͤnnen wie einen Abfcheu vor einem
Menfchen haben, daß wir ihn gar nicht leiden koͤnnen.
Wir fühlen diefen Abfcheu, und find uns deffelben bewußt,
und auch des Menfchen, den wir verabfcheuen; allein wir
wiſſen nicht, warum wir ihn verabſcheuen. Und eben ſo
koͤnnen wir eine ungemeine Neigung zu einem Menfchen
haben, deren Gründe wir nicht wiſſen. Zum andern
verworrene Bewegunsgruͤnde , deren wir ung zwar
bewußt find, aber nur auf eine verworrene Art, Und
wenn wir um derfelben willen etwas begehren oder verab-
feheuen, fo find wir uns nicht nur der Begierden und
Berabfcheuungen felbft, ſamt ihres Gegenftandes bewußt,
fondern auch derer Gründe, die uns dazu bewegen. So
haben wir ofte einen Abfcheu vor einem Menfchen, und
wir find uns der Gründe davon bewußt, wenn er 3. €,
eine lächerliche und efelhafte Aufführung bat. Dfte find
wir uns auch der Gründe bewußt, warum wir eine Nei—
gung zu einem Menfchen haben, weil er z. E. eine artige
gefallige und einfehmeichelnde Aufführung gegen uns beob-
achtet,
$. 67.
Bey denenjenigen Begierden und Verabſcheuungen,
welche aus bloß dunkeln Bewegungsgruͤnden entſtehen, iſt
nichts weiter mehr zu bemerken, als daß es einige derſelben
gibt,
Von dem finnlichen Bewegungsgruͤnden. 325
gibt, welche merklich geoß und ftarf find, Und da nennt
man die ſtarcken Begierden, welche aus bloß dunfeln Be:
wegungsgründen entftehen, natürliche Triebe, und man
Fan fie auch) blinde Triebe oder Begierden nennen, weil
wir ung ihrer Gründe nicht bewußt find, und alfo dadurch
die Gegenftände blindlings begehren. And fo Fan man
vielleicht dasjenige erflären, was mandie Spmpatbienennt,
und die natürliche Siebe, welche einige Weltweife fo gar
den Pflanzen zugefiprieben haben. So find Hunger und
Durſt, famt dem Triebe zum Benfchlafe, folche blinde
Triebe, Jederman weiß, daß es fehr heftige Begierden
find, und daß fie in ung rege werden, wenn wir auch am
ihre Bewegungsgründe gar nicht denfen. Die ftarken
Verabfcheuungen im Öegentheil, welche aus bloß, dunkeln
Bewegungsgruͤnden entſtehen, werden ein natuͤrlicher
Abſcheu genennt, und man fan fie auch einen blinden Ab-
fiheu nennen, weil wir dadurch Sachen verabfcheuen, ob
wir gleich nicht wiffen warum, und alfo auf eine blinde
Art. « Und vielleicht befteht darin dasjenige, was man eine
Antipathie , und einen natürlichen Haß nennt, welchen ei:
nige Weltweife, fo gar den Pflanzen sugefehrieben haben,
So haben wir, einen natürlichen Abfcheu, vor dem Tode.
Ein Wurm kruͤmt fich, wenn erfterben fol. Einige Welt
weife haben die Anmerkung gemacht, daß uns die Natur
blinde Triebe zu allen Dingen eingepflanzt habe, die fehlech-
terdings zu unferer eigenen Erhaltung und zur Erhaltung
unferes Gefchlechts erfodert werden, und einen blinden Ab-
fcheu vor allen Dingen, die unfern Untergang verurfachen.
Die meiften diefer Dinge find fo befchaffen, daß wir fie
nad) Elaren Bewegungsgründen nicht begehren und verab:
feheuen würden, Wer würde, wenn ihm die gewöhnlichen
Mahrungsmittel fehlen, ftinfend Waſſer und verfaultes
Fleiſch zu fih nehmen, wenn ihn nicht der blinde Hunger
und Durft dazu teiebe? Wer würde Kinder zeugen und
erziehen, wenn er alle Moth überlegte, die damit verbun:
den iſt, wenn nicht eine blinde Begierde ihn Dazu noͤthigte?
3 5
326 Don demfinnlichen Begehrungsvermoͤgen.
Es offenbarer fich alfo bier eine befondere Güte und Weis—
heit des Urhebers unferer Natur. Unter allen natürlichen
Trieben ift hier fonderlich noch die Neugierigkeit zu be—
merfen, oder der blinde Trieb, was Neues zu erkennen;
oder das was wir noch nicht erfant haben: fie mag nun
entweder eine biftorifche Neugierigkeit ſeyn, welche
uns zu einer hiſtoriſchen Erfenntniß; oder eine pbilofo:
pbifche, welche uns zu einer philoſophiſchen; over eine
mathematiſche, welche uns zu einer mathematifchen Er:
Fenntniß antreibt. Die Erfahrung lehrt uns, wie ftarf
bey uns diefe Begierde zu ſeyn pflege, und wir find uns der Be-
wegungsgründe bey den ftärkften Anwandelungender Neu—
gierigfeit fo wenig bewußt, daß wir vielmehr uns ofte
fhämen müffen, wenn wir die Gründe entwickeln, die
uns manchmal antreiben, was Neues zu erfennen, Und
dieſe Neugierigkeit ift ver Grund, warum, die Neuigkeit ei—
ner Vorftellung, eine Urfache ihrer Klarheit ift. - Durch
diefelbe wird die Borftellungsfraft der Seele in einem bo:
hen Grabe würffam gemacht, und folglich geben wir auf
das Neue in einem hohen Grade Achtung, und daher muß
nothwendig ein hoher Grad der Klarheit entftehn $. 507.
Mit der Neugierigkeit ift ofte die Derwunderung verbun⸗
den, welche in der 'anfchauenden Erfenntniß der Meus
igfeit einer Vorſtellung und ihres Gegenftandes befteht.
Sie ift weder eine Begierdenoch Verabſcheuung, ob gleich
beyde daher entftehen koͤnnen; weil wir ofte unendliche
Kleinigkeiten bewundern, und dabey in einem ruhigen Ge:
nuͤthszuſtande uns befinden fönnen. Die Erfahrung lehre
uns, daß wir nur folche Sachen bewundern, die wir bis-
ber noch nicht gewußt haben, und wenn wir uns über et=
was noch fo fehr verwundern, fo hören wir mit der Zeit
auf es zu bewundern, wenn es uns was altes wird. Da
ber iſt nun klar, daß das Wunderbare ein Grund der Klar—
heit und Lebhaftigkeit der Erkenntniß iſt, weil es die Neugie—
rigkeit reitzt, wodurch die Aufmerkſamkeit unendlich bez
foͤrdert wird. iR
6. 676.
Don dem finnlichen Begehrungsvermogen. 327
| $.. 676.
Von denenjenigen finnlichen Begierden und Verab—
fheuungen, welche aus einer Flaren Erfenntniß entjteben,
iſt ebenfals nichts weiter zu bemerken, als daß fie manch-
mal fehr groß und heftig werden koͤnnen, und man nennt
fie alsdenn ſinnliche Gemuͤthsbewegungen $. 666. Wer
auf fich felbft Achtung giebt, der wird finden, daß wenn
er liebt, fic) freuet, hoft, ſich fürchtet, betrübe iſt u.f. w.
allemal eine merklich groffe Begierde und Verabſcheuung
bey ihm angetroffen werde, und daß er fich allemal der Be—
wegungsgründe feiner Liebe, feines Zorns u, f. w. bewußt
ift, aber nur auf eine verworrene Art. Wir finden-daber,
daß die finnlichen Gemüthsbewegungen allemal aufhoren
oder geſchwaͤcht werden, fo bald die vernünftige Ueberle—
gung Die Dberhand behält, und fo bald wir die Urfachen
derfelben deutlich unterfuchen. Man nennt fie auch) Beun—
rubigungen bes Gemuͤths, weil fie nicht nur aus einer
hoͤchſt verworrenen Erfenntniß entftehen, fondern weil
auch Durch fie die Kraft der Seele fehr ftarf angegriffen
und angeftrengt wird, fo daß der Menfch dadurch, in ſei—
nen vernünftigen Weberlegungen und Gefchärten, geſtoͤhrt
wird, Sie heiffen auch $eidenfchaften, und es würde fehr
ungegründet feyn, wenn man fie desmegen fo nennen wol-
te, weil fih die Seele bey denenfelben bloß leidentlich ver-
bielte. Es ift vielmehr Flar, daß die Seele fid) niemals
thätiger, würffamer und gefchäftiger erweißt, als mitten
in den Seidenfchaften, und durch Diefelben. Leute, die kei—
ner ftarfen und vielen Seidenfchaften von Natur fähig find,
find auc) deswegen träge und phlegmatifche $eute. Es
fan feyn, daß manche geglaubt haben, die Leidenſchaft
werde durch Die heftige Bewegung des Bluts in dem Kör-
per, welche zu der Zeit einer Leidenſchaft in dem Korper an.
getroffen noird, hervorgebracht. And es entftehen manche
teidenfchaften fo plöglich, daß wir freylich nicht fühlen, wie
fie die Seele felbft würft, indem fie gleichfam wie eine
ſchwere Saft von auſſen ber auf die Geele fallen. Allein
4 a —
328 Von dem finnlichen Begehrungsvermoͤgen.
daraus folgt nichts weniger, als daß fie Feine Handlungen
der Seele find. Vielleicht hat man fie deswegen $eiden-
fhaften genennt, weil die Menfchen mehrentbeilst von
denfelben wie Sclaven beherrfcht werden, und meil fie nie—
mals eine völlige Herrfchaft über alle ihre $eidenfchaften
erlangen koͤnnen. Ofte entfteben fie wider ven Willen ei-
nes Menfchen, und ofte dauren fie auch wider feinen Wil-
len fort. - So viel-aber ift gewiß, daß es recht merfwür-
dige Veränderungen der Seele find. Sie find wie die
ftarfen Winde zu betrachten, welche den glücklichen Lauf
eines Schifs ungemein befördern, oder auch hindern koͤn—
nen, Die allermeiften Handlungen der Menfchen enefte:
hen aus ihren $Seidenfchaften, und fie verdienen alfo aller:
Dings eine recht ausführliche Linterfuchung. Man bat da»
ber eine eigene Wiſſenſchaft von ven Leidenſchaften, welche
man die Lehre von den Leidenfchaften nennt. Sie
iſt yon Dreyerley Art. Erftlic) die pfpchologifche Leh—
re von den Keidenfchaften handelt ihre Theorie ab, und
zeige ihre Natur und Befchaffenbeit, famt den Veraͤnde—
rungen, denen fie unterworfen find, und Die fie in der Sees
le verurfachen. Diefe Lehre handeln wir jeßo ab. Da
fie aber eine befondere Materie der Pfychologie ift, fo wuͤr—
de es eine Ausfchweifung feyn, wenn mir fie ausführlich
abhandeln wolten. Das muß in einer eigenen Abhand-
lung gefchehen, und wir wollen nur bier die Grundfäße
dieſer Sehre feftfegen. Zum andern, die äftbetifche Leh⸗
re von den Leidenfchaften zeigt, wie man fie erwecken,
vermehren, vermindern, unterdrücken und bezeichnen foll,
und fie gehört zur Aefthetif $. 527: Und zum dritten die
practifche Lehre von den Keidenfchaften handelt von
den Dflichten, die wir in Abficht auf diefelben zu beobach⸗
ten haben.
| $. 677.
Ale finnlihe Gemürhsbewegungen find entiveder ſtar⸗
fe Begierden, oder ftarfe Verabſcheuungen, oder beybes
zu gleicher Zeit 6. 676. Folglich Fan man fie, in rind
Als
Don dem finnlichen Begebrumgsvermögen. 329
Elaffen, abtheilen, 1) Diejenigen, welche in einer ftarfen
Degierde beftehen. Dieſe entſtehen allemal aus einem
ſtarken finnlichen Vergnügen, deſſen wir uns bewußt find
$. 661. 670. Und wenn alfo eine folche Leidenſchaft in der
Seele entfteht, fo muß zugleic) ein ftarfes Vergnügen ent:
ftehen, welches die ganze Summe des Bergnügens, fo alg-
denn in der Seele angetroffen wird, vermehrt, und daher
werden fie angenehme LKeidenfchaften genannt. Und
da durch ein ſtaͤrkeres Vergnügen die ſchwaͤchern Mifiver-
gnügen, welche zugleic) in der Seele find, vermindert wer
den $. 654. ſo werden fie aud) fanfte oder befänftigende
Leidenfchaften genannt $. 655. Eine jedwede angeneh-
me $eidenfhaft wird, eine Sreude, genannt. Diefer Aus:
druck ift fo allgemein, daß man fagt, man freue fich über
vergangene, gegenwärtige und zufünftige Dinge u. ſ. w.
Ein jeder weiß aus der Erfahrung, daß man durch eine
Freude noch) vergnügter gemacht wird, als man vorher war,
und daß durch die Freude das Mißvergnuͤgen, welches
etwa in uns würflic) ift, gewaltig gefchroäche und verdun—
felt wird. Wenn wir uns alfo freuen, fo haben wir eine
ftarfe Begierde, oder wir bemühen uns in einem hoben
Grade, ein finnliches Vergnügen, deffen wir uns bewußt
find, in ung zu würfen, hervorzubringen, zu erhalten, oder
zu wiederholen. 2) Diejenigen $eidenfchaften, welche in
einer ftarken Verabſcheuung beftehen $. 676. Diefe ent:
ftehen allemal aus einem ftarfen ſinnlichen Mißvergmügen,
deffen wir uns bewußt find $. 661. 675. und wenn alfo
eine folche Leidenſchaft enzfteht, fo werden wir mißvergnüg-
ter als wir vorher waren, weil die Summe alles Mifver:
gnügens unferer Seele dadurch zunimt. Daher werden
fie, beſchwerliche Leidenfchaften, genannt. Und da
Durch ein ſtaͤrkeres Mißvergnügen, das ſchwaͤchere Vergnuͤ—
gen, vermindert wird §. 654. fo werden wir durch folche
geidenfchaften weniger vergnügt, als wir vorber waren, und
fie Heifien demnad) unangenehme Leidenfchaften $. 655.
Eine jedwede unangenehme Seidenfchaft heißt Betruͤbniß.
E35 Die;
30 Von dem finnlichen Segehrungsvermögen,
Dieſer Ausdruck iſt ſo allgemein, daß man ſagt, man be—
truͤbe ſich uͤber vergangene, gegenwaͤrtige und zukuͤnftige
Gegenſtaͤnde, ja über die Gegenſtaͤnde aller unangenehmen
Seidenfchaften. - Ein jeder weiß aus feiner Erfahrung, daß
er durch eine Betrübniß noch mißvergnügter und weniger
vergnügt werde, als er den Augenblic vorher war, Wenn
wir uns betrüben, fo bemühen wir uns in einem hohen
Grade, ein finnliches Mifvergnügen, deflen wir uns bewußt
find, zu” verhindern, oder aus der Seele wegzufchaffen.
3) Die vermifchten Leidenfchaften beftehen in heftigen
Begierden und Berabfchenungen zufammengenommen, und
fie find vergleichungsweiſe die ftärfften teidenfchaften, 3. E.
der Zorn, Wenn wir die unangenehmen Leidenſchaften
unangenehm oder beſchwerlich nennen, ſo gefchieht dieſes
um ihres Grundes und nächften Gegenftandes willen, als
welche in einem finnlichen Mifvergnügen beſtehen. Allein
fie felbft find, wie alle Leidenfchaften, und alle natürlichen
Triebe und aller natürlicher Abfcheu, fehr grofie, folglich,
überhaupt Davon zu reden, vollfommene Begierden und
Berabfeheuungen $. 666. indem alfo die Seele folche
ftarfe Begierden und Verabſcheuungen bat, fühle fie die
Stärke ihrer Kraft, und die Vollkommenheit derfelben, und
folglich ift fie darüber vergnügt $. 647. Folglich verurfa-
chen, auch die unangenehmen Leidenfchaften, der Geele ein
Bergnügen, und man hängt ofte, einer Betruͤbniß, mit
Bergnügen nah. Diefes Vergnügen wird bey manden;
unangenehmen Leidenſchaften noch Dadurch vermehrr, daß
die Seele glaubt, fie habe Recht, und handele pflichtmäßig,
edelmüthig u. ſ. w. wenn fie traurig, zornig iſt u. ſ. w.
und daß fie fich vorftelt, fie fen vor den Uebeln ficher, wor—
über fie fich berrübt. Hieher gehört z. E. die Betrübniß,
die Durch eine Tragödie, und betrübte Hiftorie, in uns her-
vorgebrache wird,
. 678.
Bey unfern finnlichen Gemuͤthebewegungen treffen
wir zwey Erfcheinungen an, die fi) aus unferer Theorie
von
Von dein finnlichen degebrungsvermögen. 331
von dem Begehrungsvermögen fehr leicht erklären laffen.
Einmal lehrt die Erfahrung, daß die Zeit der Arzt der Lei—
denichaften fen, oder Daß die heftigften Gemüthsbeweguns
gen von ſelbſt mit der Zeit nachlaffen, und gänzlich auf hoͤ—
ven. Die Berrübniß über ven Todt einer geliebten Perfon
mag noch fo heftig feyn, Die Zeit vertilgt Diefelbe nach und
nah. Denn unfere Seele ift, beftändigen Veraͤnderun—
gen, unterroorfen, Wenn num eine Leidenfchaft entftehr,
fo ift fie was neues, und wird alfo fehr lebhaft empfunden
S. 550, rt fie nun nicht gar zu ftarf, fo fonnen wir, aller
unferer übrigen Gedanfen ohnerachtet, dennoch noch auf
ihre Urfachen achtung geben, und dergleichen Seidenfchaften
Fonnen alſo fehr lange dauren, Wenn fie aber fo heftig
geworden find als möglich, fo müflen fie verändert wer-
den. Nun koͤnnen fie niche zunehmen, alfo ift es natür-
lich, daß fie wieder von felbft abnehmen. Es dringen im—
mer mehrere und mehrere Gedanken in die Seele, wodurch
das Gemüth von den Urfachen der Leidenfchaft abgezogen
wird, und alfo muß fie abnehmen, Daher lehrt die Er:
fahrung, daß ein mäßiger Gram viele Jahre in der Seele
fortdauren Fan, eine fehr heftige Betrübniß aber daurt nicht
lange. Zum andern lehrt ung die Erfahrung, daß die hef—
tigſten Leidenſchaften unausfprechlich find, oder einen Men-
ſchen ſtum machen, Denn je heftiger die Leidenſchaft if,
deſto gröffer ift das Mißvergnuͤgen oder Vergnuͤgen, und
deſto ftärfer ift die anfchauende Erkenntniß $. 647. Se
ftärfer die anfchauende Erkenntniß ift, defto ſchwaͤcher und
dunfeler ift die pmbolifhe $. 625. Folglich geben wir
alsdenn wenig oder gar nicht, auf die Zeichen und Worte,
achtung. Und wir fönnen, in den heftigften $eidenfchaf:
ten, entweder gar nicht reden, oder fehr wenig und unter:
brochen. So bald man aber viel zu reden anfängt, fo
bald wird die ſymboliſche Erfenntniß ftarf, folglich die an—
fhauende ſchwach. Da nun alsdenn das Vergnügen und
Mipvergnügen abnimt, fo nimt auch die Leidenfchaft ab.
Wenn ein Menfch zornig ift, und dabey fehr viel fpricht,
fo
332 Von dem finnlichen Begehrungsvermögen.
fo ift fein Zorn nicht ſtark, und er ſchadet ihm nichts, weil
er ihn vom Herzen wegfpricht, wie man zu reden pflegt.
Ein ftummer Zorn ift allemal wüthender, und fehader ver
Gefundheit, Wer alfo vorgibt, er fühle eine ftarfe Leiden—
fchaft, der ift ein Lügner, wenn er mit vieler Beredfamkeit
uns dieſes fagen Fan, Diefes ift eine wichtige Anmerkung
für die Redner und Dichter, wenn fierdie Sprache der Lei—
denfchaften nachahmen wollen. Es ift ein lächerlicher Feb:
fer, wenn man in pathetifchen Stellen periodifch, zierlic),
mit vielen Öleichniffen, feine Gedanfen ausdruckt. Wer
in unangenehmen $eidenfchaften viel veder, braucht nicht
viel Troſt, er tröftee fich felbft, indem er durchs Neden
fein Herz erleichtert. Ein ftummer Betrübter aber braucht
Troft, und man hat ſchon fehr viel gewonnen, wenn man
ihn nur zum Reden bringt, und einen -geduldigen Zuhörer
abgibt,
$. 679.
Eine $eidenfchaft ift immer ftärfer als die andere,
und eine und eben Diefelbe Seidenfchaft Fan abnehmen und
vermehrt werden. Da fie nun insgefamt, ihren Bewe—
gungsgeünden, gleich find $. 670. fo werden ihre verſchie—
denen Grade durch Die verfchiedenen Grade ihrer Bewe—
gungsgründe verurfacht, und alles dasjenige, was diefe
Bemwegungsgründe vermehrt und ftärfer macht, das macht
auch die $eidenfchaften gröffer ; und was jene vermindert,
das ſchwaͤcht auch diefe., Folglich ı) je mehreres, man:
nigfaltigeres und zufammengefegteres finnliches Bergnügen
und Mißvergnügen, in den Bewegungsgründen der Lei—
denfchaften, enthalten ift, defto gröffer find die Leidenſchaf—
ten; je weniger aber in denfelben enthalten ift, defto Flei-
ner find fie. Folglich je mehr Guts wir uns zugleich vor:
fteflen, wenn wir uns freuen, und je mehr Böfes, wenn
wir uns betrüben, defto ftärfer iſt die Seidenfchaft. Wenn
daher jemand fich über eine gegenwärtige Sache freuet oder
betrübt, deren Bollfommenheit oder Unvollfommenbeit er
bloß empfindet, fo iſt feine Leidenſchaft ————
nicht
Von dem finnlichen Begehrungsvermögen. 333
wicht fo ftarf, als wenn er auch noch gutes und böfes an
dem Gegenſtande, durch die Einbildungsfraft, erkennt, und
vorherſieht. Daher lehrt uns die Erfahrung, daß Leute
in ſehr heftigen Seidenfchaften niche nur, Durch das gegen-
waͤrtige Gute an den Gegenftänden, erfreuet, und durch
das gegenwärtige Uebel betrübe werden; ſondern fie ver-
ftärfen ihre Freude und Betruͤbniß auch durch die Erinne-
rung, und Vorberfehung des vergangenen; und zufünftigen
Guten und Böfen in dem Gegenftande, So machts ein
Dankbarer, bey dem Genuffe einer gegenwärtigen Wohle
that. Er erinnere fich der fehon genoffenen Wohlthaten,
und er fiehe noch mehr Wohlthaten vorher, und feine Danf-
barfeit wird dadurch um fo viel feuriger. 2) Se gröffer
und wichtiger das Gute und Bofe ift, welches uns ein finn-
liches Vergnügen und Mißvergnuͤgen verurfacht, wenig—
ftens unferer Meinung nach, defto gröffer ift die $eiden-
ſchaft, welche dadurch erregt wird. Wenn wir über ein
Uebel berrübt find, fo betrachten wir es entweder als eine
Kleinigkeit, oder als ein fehr groffes Lebel. In denreriten
Falle find wie wenig betrübf, in dem andern aber in einem
hoben Grade. Wenn daher Leute über eine Kleinigkeit in
einen wuͤthenden Zorn geratben, fo betrachten fie Diefelbe
mitten im Zorne als eine fehr groffe Beleidigung, und wer—
den nod) zorniger, wenn man Diefes nicht zugeben will,
3) Se richtiger, lebhafter, gemiffer und rührender die Ber
wegungsgründe der $eidenfchaften, folglich das finnliche
Vergnuͤgen und Mißvergnügen, die Borherfehung und
Borauserfennung find, defto geöffer ift die Leidenſchaft S.
655. Wir fehen daher aus der Erfahrung, daß Leute in
beftigen Seidenfchaften fehr ſchwere, ja manchmal unmögli:
che, Dinge verlangen und unternehmen, weil die Vorber-
fehung und Borauserfennung fo lebhaft und gewiß ift. Ein
Zorniger will nichts geringers als den Untergang feines
Feindes, und eine jede Leidenſchaft ftele uns allemal den
Gegenftand als eine Sache vor, die wir mit unfern Kräf-
ten wuͤrklich machen oder verhindern Eönnen, |
| 6. 680,
334 Von dem finnlichen Begehrungsvermoͤgen.
680. u
Aus den mannigfaltigen Abaͤnderungen der Freude
entſtehen, verfhiedene Arten der angenehmen Leidenſchaften.
Und da fan die Freude über etwas Gegenwärtiges, oder
Vergangenes, oder Zufünftiges entftehen. Die Freude
über das Gegenwaͤrtige wird, die SrölichEeit, genannt;
Man fan ſie auch, die Luftigkeit, nennen. . In froͤlichen
und luftigen Gefellichaften freuet man fich, über das Ange:
nehme in dem gegenwärtigen ZJuftande. Wenn man frös
lich ift, fo freuet man fich über das Gegenwärtige um fei:
ner guten Folgen willen, und ‚indem man ſich bemübet,
das finnliche Bergnügen, über. das Gegenwaͤrtige zu erhal
ten, fortzufegen, und zu wiederhelen $. 672. Die Freu:
de über das Vergangene ift, die Zufriedenbeit. So it
ein Vater mit feinem Sohne zufrieden, wenn er fich über
feine bisherige gute Aufführung freuet, oder über eine Pro-
be feiner. Geſchicklichkeit, die er glücklich abgelegt bat. Die
Zufriedenheit entjteht über die noch fünftigen guten Folgen
des Vergangenen, und fie it ein Beftreben, das Vergnuͤ—
gen über dafielbe zu wiederholen und fortzufegen $. 672.
Wenn die Zufriedenheit über eine Handlung desjenigen
entfteht, der zufrieden ift, fo ift fie die Zufriedenheit mit
ſich felbft, oder die Beruhigung in ſich felbit. So ift
ein Menſch mit ſich felbft zufrieden, wenn er denft, er habe
feine Sachen gut gemacht, und wenn er fich über etwas
freuet, fo er felbit getban haft. ine Treude, welche darü-
ber entfteht, Daß uns ein gewiſſes Uebel nicht, mehr bevor-
fteht, it das Frohſeyn. So fagt man: ich bin froh,
daß diefes oder jenes nicht gefchehen ift. Ein Mifferhäter
ift froh, wenn ihm die zuerfannte Strafe gefchenft wird.
Die Freude über ein zufünftiges Gut entſteht entweder über
ein bevorftehendes Gut, fo wir uns als ungewiß, oder als
ganz gewiß bevorftehend vorftellen. In dem erften Falle
heifit fie die Hofnung, in dem andern aber die Zuvers
ſicht. Was wir hoffen, daran zweifeln wir noch, und
zwar mehr oder weniger, nad) dem die Hofnung aa oder
ſchwaͤ⸗
Don dem finnlichen Begehrungsvermögen. 335
ſchwaͤcher iſt. Was mir aber zuverfichtlich erwarten, an
deffen Erlangung zweifeln mir garnicht mehr. Wenn ein
General den Sieg bloß hoft, fo macht er immer auch) An-
falten zur Flucht. Wenn er ihn aber zuverfichtlich erwar-
tet, fo dent er gar nicht, daß es ihm fehlen Fönne, und er
theilt ſchon zum voraus die eroberten Länder aus, » Die
Freude über das Zukünftige wird das Derlangen genannt,
in fo ferne fie die Gegenwart des Zufünftigen heftig be—
gehrt. Folglich Fan Hofnung und Zuverfiche mic einem
Berlangen verbunden feyn, fte fönnen aber auch ohne dem⸗
felben feyn.” Gefest, ein Menfch freue fich über den be-
vorjtehenden Beſuch eines guten Freundes, fo begehrt er
manchmal, daß die Stunden verfürze werden möchten, er
Fan die Zeit nicht erwarten, und er wuͤnſcht, daß fein Freund
ſchon jegt Fommen möchte. Alsdenn hoft er diefen Beſuch
mit Verlangen, und er fagt hernach, er habe ein rechtes
Berlangen nad) feinem Freunde gehabt. = Ein zuverſichtli—
ches Verlangen nach einem Gute, welches ſchwer zu erlanıs
gen ift, heißt der Muth, und ein höherer Grad des Muths
ift die Kuͤhnheit. So geht ein Soldat muthig und fühn
in den Streit, wenn er aller Schwierigkeiten ohnerachtet
den Sieg erwartet, und die Zeit nicht erwarten Fan, bis
er zum Schlagen angeführt wird. Daher wächft der
Muth, wenn mit der Vermehrung der Schröierigfeit die
Zuverficht waͤchſt, nimt aber diefe ab, fo finft der Muth.
Daher fomts, daß das GlüE, den muthigen und fühnen
Seuten, beyfteht. Sn einer ſtarken Leidenſchaft ftrengen
wir unfere Kräfte gewaltig an, und folglich koͤnnen wir in
derfelben vielmehr ausrichten, als wenn das Gemuͤth durch
£eine Leidenſchaft erhitzt iſt.
$
. 81.
Die Ehrliebe ift die Freude über die Ehre. Ein
Ehrliebender betrachtet die Ehre als ein groſſes Gut, und
da er ſich alfo ein ftarfes Vergnügen von derfelben ver:
fpricht, fo thut er alles, was er Fan, um geehrt zu werden,
damit er dieſes Vergnügen genieffen möge, Die Per
über
336 Don dem finnlichen Begehrungsvermoͤgen.
über die Unvollkommenheit eines andern ift die bosbafte
Freude, oder die Ungunft, Man fagt, ‚es fälle jemand
ein ungünftiges Urtheil von dem andern, wenn er die Un—
vollfommenbeiten deffelben vorftelt und erzählt, und ſich
deshalb freuet. Wir fünnen uns auf verfchiedene Art ein-
bilden, Daß es uns gut und nüglich fey, wenn ein anderer
unvollfommen ift, und folglich ift es möglich, daß man
ſich über feine Unvollfommenbeiten freuen fan. In der
Eittenlehre wird erwiefen, daß dieſe Seidenfchaft allemal
fündlid fey. Die Verſpottung ift die boshafte Freude,
über die Schande einessandern. Dieſe Seidenfchaft ent=
fteht allemal, wenn ein anderer von uns, oder, von andern,
oder von fich felbft lächerlich und verächtlich gemacht, oder
irgends auf eine Art befchimpft wird, und wir ung Darüber
freuen. Die Freude über die Vollkommenheit eines an-
dern ift, die Liebe. Wenn wir eine Perfon oder eine an—
dere Sache lieben, fo betrachten wir eg als was quts, daß
fie vollfonmen ift, wir haben darüber ein Vergnügen, und
wir bemühen ung, diefes Vergnügen in uns hervorzubrin-
gen. Daher treibt uns auch die Liebe allemal an, wenn es
nöthig und möglich ift, den geliebten Gegenſtand vollfom-
men zu machen, und in feiner Vollkommenheit zu erhalten,
damit unfer Vergnuͤgen darüber erhalten werden Eönne,
Die Dankbarkeit iſt die Liebe des Wohlthaͤters, oder wenn
mir jemanden lieben um der Wohfthaten willen, die wir
von ihm genieffen, oder empfangen haben, oder erwarten,
Wenn uns jemand wohlthut, fo it es ganz natürlich, daß
wir ihn deswegen für vollfommen halten; und da wir an
diefer feiner Vollkommenheit fo viel Antheil nehmen, fo ift
das Vergnügen um fo viel ftärker $. 657. und es entſteht
daher, die Dankbarkeit, ganz natürlich, Die Liebe eines
Elenden ift die Barmherzigkeit. Diefe Leidenſchaft be—
fteht darin, wenn wir neben dem Elende die Vollkommen—
heit des Elenden betrachten, ein Vergnügen darüber fchöpfen,
und es als was guts arfehen, wenn er von feinem Elende
befreyet würde, Daher entſteht auch ans dev Barmher⸗-
zigkeit
| Von dem finnlichen Begehrungsvermögen. 337
zigkeie ein Bemühen, den Elenden von feinem Elende zu
befreyen. Die Liebe zu einem Gegenftande, den wir ver-
gleichungsweiſe fin vollfommen halten, heiſſet die Bunft.
Wenn ein Menfch unfer Günftling ift, oder wenn wir ihm
günftig find, fo vergleichen wir ihn mit andern, und be=
merfen in ihm eine Bollfommenheit, die wir bey andern
nicht anteeffen, Weil er uns nun ein Bergnügen verurfacht,
welches uns andere nicht verfchaffen, fo lieben wir ihn vors
zuͤglich, und das heißt, wir find ihm günftig. Die Siebe
zu einem Geringern als wir find, ift die Gewogenheit.
Wenn wir jemanden um feine Gewogenheit bitten, fo geben
wir eben dadurch zu verftehen, daß wir uns für geringer
halten als ihn, es mag nun diefes ein bloffes Ehrenwort,
oder unfere wahre Meinung ſeyn. Miemand verfichert ei-
nen andern, den er für feines gleichen hält, im Ernft feiner
Gewogenheit. Nur Bornehmere, Höhere, denen wir un«
terworfen find, haben das Recht, uns ihrer Gewogenheit
zu verfihern, Die Gemogenheit gegen jemanden, welcher
der ihm gewogenen Perfon gar nicht oder jehr wenig nüßlich
fenn fan, ift die Gnade. Wir betrachten diefes Wort
bier nicht als einen Titel, oder als ein Ehrenwort; denn da
ift mancher Edelman feinem Schneider, Kaufmann, Vers
malter u. |. iv. gnädig, da er doch von diefen $euten mehr
Nutzen hat, als er ihnen zu verfchaffen vermögend oder
Willens ift. Allein ein König erweiſet einem Unterthan ei
ne Gnade, und er hat von demfelben manchmal fo wenig
Vortheil zu erwarten, daß es kaum der Mühe werth ift,
deffelben Erwehnung zu thun, |
S.
682.
Auf eine ähnliche Art entftehen, aus den mannigfaltie
gen Abänderungen der Betruͤbniß, verfchiedene Arten der
unangenehmen $eidenfchaften. Wir koͤnnen ung betrüben
über gegenwärtige, vergangene und Eünftige Dinge, Die
Betruͤbniß über ein gegenmwärtiges Uebel ift der Harm,
oder der ram, oder das Härmen, Wenn wir ung grä«
men, fo find wir heftig über ein gegenmärtiges Uebel mißs
3. Theil, D] vers
338. Von dem finnlichen Begehrungsvermögen,
vergnügt, um feiner Ffünftigen übeln Folgen willen $. 672.
und wir bemühen uns, diefes Mißvergnügen aus unferer
Seele zu vertilgen, und die Fortfegung und Wiederholung
deffelben zu verhüten. So grämt ſich mancher über feinen
Geldmangel, der ihn drückt, oder über eine Krankheit, die
er am Halfe hat. Die Berrübniß über das Vergangene ift
die Traurigkeit, alsdenn trauren wir, und. tragen Leid
um etwas. So trauret man um den Verluſt eines Ver—
wandten oder Freundes, der geftorben if. Wenn wir
traurig find, fo verabfcheuen wir die bevorftehenden üblen
Rolgen eines vergangenen Uebels, und bemühen uns, das
Mißvergnügen darüber zu verhindern, und zu verfilgen.
Die Traurigkeit über etwas, welches der Traurige felbft ge—
than bat, ift die Reue, So bereuen wir unſere beganges
nen Sünden, wenn wir darüber traurig find, und uns bes
müben, die böfen Folgen derfelben zu verhindern, Wenn
wir uns über etwas Zufünftiges betrüben,, fo betrachten wir
es entweder als unausbleiblich und gewiß bevorftehend, oder
wir find nicht ganz gewiß, daß diefes Uebel kommen werde.
In dem legten Falle ift diefe Berrübniß die Beſorgniß,
und in dem erften die Furcht. Wenn wir ein Uebel bloß
beforgen, oder wenn uns die Zufunft bloß einen Kummer
macht, fo find wir noch nicht gewiß verfichert, daß das Ue—
bel eintreffen werde. Wenn wir uns aber vor einem Uebel
fürchten, fo fehen wir es als gewiß bevorftehend an. Die
Furcht bey den Soldaten ſetzt voraus, daß fie gewiß ver-
muthen, daß fie den Kürzern ziehen werden. Die Furcht
vor einem Uebel, welches wir uns als fehr groß vorftellen,
ift das Grauen. Man fagt, es graue einem, wenn eis
nem die Haut fehaudert, und die Haare zu Berge ſtehen,
folglich wenn man das befürchtete Uebel für fehr groß hält.
Wenn ung vor einem Uebel grauet, welches wir für ganz
unvermeidlich halten, fo ift diefes Grauen die Verzweifes
fung. Wir verftehen hier nicht bloß die gänzliche Berzwei-
felung , wenn ein Menfch nichts guts mehr hoff, und feine
gänzliche Unglückfeeligkeit für fo. unvermeidlich haͤlt, daß er
| ſie
Von dem finnlichen Begehrungsvermoͤgen. 339
fie mit Graufen hereinbrechen ſieht; fondern mir koͤnnen
auch verzweifeln an dem Aufkommen eines Franfen Freun-
des, an der Erlangung eines Amts u. ſ. m. und wir werden
durch diefe Verzmweifelung nicht einmal verfucht, uns zu er-
hängen oder zu erfäufen. Das Grauen über ein Uebel,
welches uns ganz unerwarfet und unverfehens überfäle, ift
der Schreck, und ein höherer Grad des Schrefs wird
die Beſtuͤrzung genannt; fonderlich wenn wir nicht gleich
wiſſen, ob dasjenige, worüber wir erſchrecken, gut oder
böfe fey, wir aber gewiß zu ſeyn glauben, daß es eins unter
beyden in einem fehr hohen Grade ſey. Jedermann wird
aus feiner eignen Erfahrung wiſſen, was Schred und Bes
ſtuͤrzung ſey, und er wird ſich alfo leicht von der Richtigkeit
diieſer Erklärungen überzeugen Fönnen,
aa 1:
Die Betrübniß über die Ungewißheit der Hofnung iſt,
die Rleinmürhigkeit. Ein Kleinmüthiger bat gute Hof
nung, allein er gibt zu ftarf auf die Gründe der Ungewiß—
beit der Hofnung achtung, und daher laßt er den Muth fins
fen, und wird Fleinmüthig. Die Betruͤbniß über den
Verzug einer Sache, nach welcher uns verlanger, ift die
Sehnfucht. Wenn man diefe $eidenfchaft fühlt, fo ſehnt
man fid) nach der Gegenwart der Sache, die man verlangt,
die Zeit wird einem zu lange, und iederman weiß, wie vers
drießlich diefer Zuftand ift. Die Berrübniß über eine Sa—
de, die wir uns vorher als gut vorgeftele haben, heiße der
Ueberdruß, oder der Efel, Wenn Eheleute einander
überdrüßig werden, oder wenn man einer $ebensart, oder
eines Menfchen, der ung zu lange und zu ofte befucht, übers
drüßig wird: fo verabfcheuer man, was man anfänglich
gerne gefehen, und man befomt einen Efel an Dingen,
Die einem vordem angenehm gervefen, Die Betrübniß über
‚die Verachtung ift die Schaam. Wenn wir uns fchä«
men, fo verdrießres uns, daß mir verachtet, verlacht und
verſpottet werden, und wir find deshalb berrübt. Die Bes
truͤbniß über die Unvollkommenheit eines andern ift das
N 2 Mitz
340 Von dem finnlichen Begehrungsvermögen.
Miitleiden, oder das Beyleid. Wenn wir Mitleiden mit
jemanden tragen, fo empfinden wir ein Mißvergnügen über
das Boͤſe, über die Noth, oder über irgends eine andere
Unvollfommenbeif , die wir in dem Gegenftande unferes
Mitleivens antreffen, und es beiteht in einem ftarfen Bes
muͤhen daſſelbe zu verhindern, und alfo die Unvollfommens
heit des andern aus dem Wege zu räumen. Die Berrübs
niß über die Vollkommenheit eines andern wird, der Haß,
genennt, Wenn wir einen gewiſſen Gegenftand haſſen, fo
betrachten wir die Bollfommenheit, das Gute, das Glück
deffelben, in Abficht auf uns, als etwas Böfes, weil fie uns
ferer Meinung nad) eine Hinderniß unferer Vollkommen—⸗
heit find, Und da ung diefes mißvergnügt macht, fo be«
muͤhen wir uns, indem mir den Gegenftand haflen, feine
Vollkommenheit irgends auf eine Art zu verhindern, und
es ift demnach der Haß ein Beftreben, den Gegenftand un:
vollfommener zu machen. Manchmal enrfteht der Haß das
ber, weil wir in der Meinung ftehen, als folten wir die
Vollkommenheit befißen, die mir bey dem andern antreffen.
Daher begehren wir diefe Vollkommenheit zu befigen, und
find darüber betrübt, daß fie ein anderer beſitzt. Dieſe Bes
trübniß ift eine befondere Art des Haffes, und wird der
Neid genennt. And der Zorn ift ein Schreck, oder eine
Beftirzung, welche aus einem Mißvergnügen über eine
Beleidigung entfteht, welche der Gegenftand, auf den wir
zuͤrnen, würflich gemacht hat, Diefe Seidenfchaft kan fehr
vermifche ſeyn. Sie Fan mit einer boßhaften Freude ver
bunden feyn, über die Unvollfommenpeiten, die wir dem
DBeleidiger verurfachen, und diefe Freude heißt die Rache
fücht ; fie Fan mit einem Mitleiden verbunden feyn, wenn
wir diejenige Perfon lieben, welche von dem Gegenftande
unfers Zorns beleidiget worden; mit der Schaam, wenn
ung der DBeleidiger an unferer Ehre gefränft hat u. f. w.
Und daher fomts daß der Zorn eine der heftigſten Leiden⸗
fchaften zu ſeyn pflegt.
S. 684.
Don dem ſinnlichen Begehrungsvermögen. 341
G. 684. |
Aus der bisherigen Theorie von den $eidenfchaften
laffen fich, ein Paar betrübte Zuftände des Gemuͤths, erfläs
ren, die Schwermurh und die Raferey, Nemlich die
Schwermurb ift der Zuftand des Gemürhs eines Wahns
wißigen, in welchem bloß die unangenehmen $eidenfchaften
herrſchen. Ein Schwermüthiger, oder ein melancholifcher
Menſch ift immer berrübt. Wenn er einen gewöhnlichen
Gebrauc) des Berftandes befäffe, fo würde er leicht einſe⸗
ben, daß er Feine Urſach zu einer beftändigen Betruͤbniß ba-
be. Folglich ift er in der That wahnwitzig $.634, Und
aus der Berrücfung Fan fehr leicht, die Schwermuth, ent»
ftehen. Ein verruͤckter Menfch hält, feine Einbildungen,
für Empfindungen 9.597. Wenn nun zum guten Gluͤcke
feine Einbildungsfraft, auf lauter angenehme Einbildun-
gen, fält, fe ift er ein luſtiger Berrückter, und träume was
chend von lauter Glückfeeligkeit. Faͤlt aber feine Einbil-
dungsfraft auf unangenehme Einbildungen, fo ift er ein
ſchwermuͤthiger Berrückter. Die Schwermuth Fan mand)=
mal aus einer Phantafterey entftehen, und man Fan fie als»
denn feine DBerrückung des Gemuͤths nennen, Es gibt
Schmwermüthige, die fonft gefunden Beritand haben, und
ihn auch durch ihr Verhalten an ven Tag legen, Allein eine
einzige betruͤbte Grille macht fie ſchwermuͤthig. Die Schwer:
muth, welche aus einem berrfchenden Zorne entſteht, ift die
Roferey. Ein Rafender ftele fih immer einen Feind vor,
der ihn beleidigen will, oder beleidiget hat. Daher wuͤthet
und ſchaͤumt er, und man muß ihn als einen Menfchen bes
trachten, der beftändig bereit ift, um fic) zu ſchlagen.
6 R
. 0685
Wir müffen diefe kurze Unterfuchung der menfchlis
chen Seidenfchaften noch, mit einigen allgemeinen Anmerfunz
gen begleiten. 1) Wenn man annimt, daß alle dieſe Lei—
denfchaften aus einer finnlichen Erfenntniß entftehen-, fo find
es lauter finnliche Gemürhsbewegungen, und alfo Fan man
fehr leicht erklären, was eine finnliche Liebe, ein finnliches
N 3 Mit⸗
312. Von dem finnlichen Begehrungsvermögen.
Mitleiden, eine finnliche Neue fey u.f.w. 2) Eine Seidens
haft Fan immer aus einer andern entftehen, und wenn man
die Lehre von den Leidenfchaften ausführlicher abhandelt, fo
muß man, diefe natürliche Verbindung der $eidenfchaften
unter einander, zeigen. Und diefe Verbindung kan nıan
leicht entdecken, wenn man ihre Erklärungen mit einander
vergleicht. 3) Diefe teidenfchaften koͤnnen, auf unendliche
Art, mit einander vergefellfchaftee werden, und da würde
es ohne Zweifel eine vergebliche Arbeit feyn, wenn ein Welt:
weifer e8 unternehmen wolte, alle mögliche Arten der Ver—
bindungen der Leidenfchaften zu beftimmen. Unterdeſſen it
es doch in befondern Fällen fehr gut, wenn man die menfchs
lichen Seidenfchaften will Eennen lernen, auf diefe Verbin:
dung achtung zu geben. 4) Wenn man fic) von der Rich—
tigkeit dererjenigen Erklärungen, die id) von den Leiden—
fhaften angenommen habe, überzeugen will; fo muß man
fih dadurch nicht irre machen laffen, wenn die Namen der
geidenfchaften etwa, in vielen Fällen , in einer andern Be:
deutung gebraucht werden, In diefen Namen herrſcht, ei-
ne babylonifche Verwirrung der Sprache. Mandymal ver
fieht man durch diefe Namen ein bloffes Vergnügen oder
Mipvergnügen, manchmal eine Begierde oder Verabſcheu—
ung die nicht ſtark ift, und der eine Weltweife erklärt einen
Namen einer Leidenſchaft fo, der andere anders, und ein
jeder meint, ev habe es am beften getroffen. Manchmal
benennt man, einen ganzen Inbegrif vieler Leidenfchaften,
mit dem Namen, wodurch wir etwa nur Eine Leidenſchaft
ausdruden, Ein vernünftiger Weltweiſer fieht hier vor
nemlich auf die Sache felbft. 5) Wir wollen nicht behaups
ten, daß wir alle einfache teidenfchaften ohne Ausnahme
nambaft gemacht haben, und wir überlaffen es alfo eines
jedweden eigenem Nachdenken, ob er, durch Hülfe der Era
fahrung, noch mehrere $eidenfchaften entdecken fan, denen
das menfchliche ———— unterwor⸗
en iſt. *
Der
I ee 3 Zur 2 3%
Der dritte Abfchnitt,
Don dem Willen.
S. 686. =
Mgendmel begehren wir etwas, weil wir ein vernuͤnfti⸗
9 ges Vergnügen darüber empfinden, weil wir es uns
Deutlich als gut vorſtellen, weil wir es deutlich vorberfeben,
‚and vernünftig vorauserfennen, daß wir vermögend find,
es wuͤrklich zu machen. So fönnen wir, Tugend und Ge—
lehrſamkeit, begehren. Eine Begierde, welche durch Deuts
liche Bewegungsgründe verurfache wird, heißt eine verz
nünftige Begierde, und alsdenn. wollen wir den Ge-
genſtand. Ofte verabfcheuen wir etwas, weil wir ein vers
nünftiges Mißvergnügen darüber empfinden, weil wir es
Deutlich als ein Uebel erfennen, weil wir es deutlich vorher—
-fehen, und vernünftig vorauserfennen, daß mir vermos
gend find, es zu verhindern. So fünnen wir, after und
Irrthum, verabfcheuen. Eine Berabfcheuung, welche
Durch deutliche Bewegungsgeünde verurfacht wird, beißt eis
ne vernünftige Verabſcheuung, oder ein Nichtwol⸗
len. Folglicy Haben wir ein Vermögen , etwas vernünftig
‘zu begehren und zu verabfcheuen, und diefes nennt man das
obere oder vernünftige Begehrungsvermoͤgen, oder es
ift der Wille. Man fagt: man wolle ejfen oder trinken,
oder man wolle nicht u. ſ. w. und da verſteht men, durch
diefes Wort, das ganze Begehrungsvermögen und auch fo
gar das finnfiche, daher man auch von einem Hunde ſagt:
er wolle freffen. Allein wir nehmen das Wort hier in einer
eingefchrenftern Bedeutung, und da verftceht man darunter
entweder Das ganze obere Begehrungsvermögen, fo. daß
man auch das Bermögen vernünftin zu verabſcheuen dahin
rechnet; oder man verfteht darunter bloß das Vermögen ver=
nünftig zu begehren, und fchließe davon das Vermögen vers
nuͤnftig zu verabfeheuen aus. Weil unfere Seele ein obes
res Erkenntnißvermoͤgen beſitzt, ſo iſt es ihr möglich, ver:
nünftig zu begehren und zu verabſcheuen, und folgliu, iſt
X N 4 der
=
34 Don dem Willen.
der Wille eine Folge des Berftandes. Und weil fie wuͤrk—
lich viele Dinge deutlich erfennt, fo begehrt und verabfcheuet
fie auch vernünftig, und es ift demnach, der Gebrauch des
Verſtandes, die Urſach der vernünftigen Begierden und Vers
abſcheuungen. Alles, was wir von dem Begehrungsver⸗
mögen überhaupt erwieſen haben $.661>672. das läßt fich
auch mit leichter Mühe auf den Willen anwenden, und das
Fan ein jeder vor fich ſelbſt hun. Wir wollen bier nurnoch,
eine einzige Anmerfung, machen, Nemlich wenn wir et-
was nach deutlichen Einfichten begehren, fo folge daraus
nicht, daß mir fein Gegentheil nach deutlichen Einfichten
verabfcheuen. Wir fünnen zwar fagen, daß wires verab-
fheuen, aber das fan nad) finnlicher und wohl ‚gar nad)
bloß dunfeler Erkenntniß gefchehen. Geſetzt ein Menſch
ſey fo böfe, daß er nach Ueberlegung und deutlicher Erfennts
niß das Laſter ausübe, fo würde er der gröfte Boͤſewicht
feyn, wenn er zugleich die Tugend nach deutlicher Erkennt⸗
niß verabfcheuete. Dadurch würde, feine lafterhafte Ge:
finnung, den höchften Grad erreichen. Mein, die Men»
fehenliebe befiehle uns, nicht alle lafterhafte Leute für fo boß⸗
haft zu halten. Diele verfelben verabfcheuen zwar die Tus
gend, allein fie kennen fie nicht recht, und haben ihre
Schönheit niemals vernünftig unterfucht. Sie verabfcheuen
fie alfo bloß ſinnlich, und alsdenn haben fie noch nicht ein
fo verderbtes Herz, als wenn fie die Tugend auch nad) deut«
licher Erfenntniß verabfcheueten. Diefe Betrachtung ift
fehr wichtig, wenn man die Boßheitsfünden der Menfchen
als ein Menfchenfreund mit Mäßigung beurtheilen mill,
und wenn man nicht dasjenige, was aus bloffer Nachläßig-
keit und Uebereilung gefchieht, für vorfegliche Boßheit hals
ten will, wie die Menfchenfeinde zu thun gewohnt find.
Eben fo wenig fan man fagen, daß ein Menſch, welcher
die Tugend vernünftig begehrt, gleich deswegen in einen fo
hoben Grade tugendhaft fey, daß er das Safter vernünftig
verabfcheue: denn er kann es bloß finnlich verabfcheuen.
$. 687.
'
Don dem Willen. 345
5. 687.
Alle unfere Begierden und Verabſcheuungen werden
durch vorhergehende Bewegungsgruͤnde, und durch eine leben⸗
dige Erkenntniß, beſtimt $.667. Folglich werden es auch
alle vernuͤnftige Begierden, und Verabſcheuungen. Die
Bewegungsgruͤnde dieſer Begierden und Verabſcheuungen
find die vernünftigen Bewegungsgruͤnde, und fie bes
ftehen in dem vernünftigen Bergnügen und Mifvergnügen,
und in der deutlichen Borherfehung und VBorauserfennung
derfelben. In diefen Bewequngsgründen beftebt das vers
nünftige Leben der Erkenntniß, und eine Erfenntniß,
welche vernünftige Bewegungsgründe enthält, ift eine vers
nünftig ruͤhrende Erkenntniß. Alle Triebfedern des
Gemüths find demnach entweder finnlihe, oder vernünftige
DBewegungsgründe S.667.674. Wenn man alfo fagen wols
te, daß mir etwas rollen oder nicht wollen Fünnten ohne
alle vernünftige Bewegungsaründe, fo behauptet man et-
was unmögliches und ungereimtes. Denn da es unmögs
lich ift, daß mir etwas ohne alle Bewegungsgründe begeh«
ren oder verabfcheuen folten $. 663. fo haben wir auch, bey
allen unfern vernünftigen Begierden und Berabfcheuungen,
DBewegungsgründe, Wären diefe nun nicht deutlich und
vernünftig, und wir molfen demohnerachtet, oder wolten
nicht, ſo hieſſe e das eben ſo viel als: wir beſtimten unſere
Kraft, um ein deutlich vorhererfanntes Vergnügen oder
Mifvergnügen zu mwürfen oder zu verhindern, denn das
heißt vernünftig begehren und verabſcheuen; mir hätten aber
feine deutliche Erfenntnig von demjenigen, was wir ver»
nünftig begehrten und verabfcheueten, wenn mir ohne deut:
liche Bewegungsgründe etwas wollen und nicht wollen koͤnn⸗
ten. Da nun diefes ein offenbarer Widerfpruc) ift, fo wers
den, alle unfere vernünftigen Begierden und Verabſcheuun—
gen, durch vorhergehende deutliche Bewegungsgründe be«
ftimt. Da wir nun, in dem Zuftande ver Gleichgültig-
feit, gar feine Bemwegungsgründe haben $. 651.667. fo ha⸗
ben wir auch in — keine vernuͤnftigen Bewegungs⸗
5 gruͤnde,
346 Von den Willen,
gründe, und folglich koͤnnen wir, "in diefem Zuftande, we—
der vernünftig begehren noch verabſcheuen. Diefe Wahr:
beit ift von manchen in den neuern Zeiten fehr beftritten wor=
den, indem man geglaubt hat, daß, wenn der Wille alles
mal durch vorhergehende vernünftige Bewegungsgruͤnde bes
ftimt werden folte, er Dadurch einer ‚folhen Nothwendigkeit
unterworfen werde, welche der Freyheit nachtheilig ift, Als
fein , wenn ich zur Unterfuchung der Freyheit komme, will
ich zeigen, daß es der Freyheit gar nicht nachtbeilig fen,
wenn man annimt, daß der Wille allemal durch vernünfs
tige Bewegungsgruͤnde beſtimt werdes Hier will ich nur
noch einige Einwuͤrfe beantworten, die man aus der Erfah:
rung wider diefe Wahrheit zu machen pflegte. Man beruft
ſich nemlich auf folche Fälle, 1) da man im gemeinen $eben
fagt, man wolle etwas eſſen oder nicht, eine Arzney nehmen
oder nicht, eine Handlung hun oder nicht; und da wiſſe
jederman, daß ein bloſſer Eigenſinn uns manchmal regiere,
und daß wir, in unendlich vielen ſolchen Fällen, nach gar
feinen deutlichen Einfichten uns verhalten. Allein ieder—
mann fieht, daß wir in ſolchen Fallen ſinnlich begehren und
verabfcheuen, und da haben wir Bewegungsgruͤnde, die
wir nicht deutlich erfennen. . 2) Man beruft fih auf Fälle,
da wir uns der Bewegungsgründe fchlechterdings nicht bes
wußt find: als wenn wir z. E. eine Speife nicht eſſen, einen
Menfchen nicht leiden koͤnnen, und wiſſen nicht warum.
Allen alsdenn haben wir dunfele Bewegungsgründe, und
begehren und verabfcheuen nad) denenfelben 9.674. Wir
behaupten ja nicht, daß wir bey allen unfern Begierden und
Berabfeheuungen Bewegungsgrümde haben, deren mir ung
bewußt find. Wir fagen, daß wir, bey allen unfern ver:
nünftigen Begierden und Berabfcheuungen, deutliche Bes
wegungsgründe haben müffen. 3) Man verwechfelt ofte, die
wahren und rechten Bewegungsgründe, und die falfchen und
unrechten mit einander, And wenn man daher findet, daß
ein Menfch etwas begehrt oder verabfcheuet, um folcher Be»
mwegungsgründe willen, Die “ und unrecht find, ſo fage
man,
Don dem Willen. 347
man, daß er es ohne Grund begehre oder verabſcheue. Als,
wenn man jemanden nichts zu Leide gethan hat, und er haßt
uns, ſo ſagt man, er haſſe uns ohne Urſach. Das heißt
aber in ſolchen Faͤllen nur ſo viel, als, er haſſe uns aus
einer eingebildeten Urſach, oder um keines wahren Grundes
willen, Allein wir behaupten nicht, Daß alle unſere ver⸗
nünftigen DBegierden und Berabfcheuungen, aus wahren
deutlichen Bewegungsgruͤnden, entftehen. 4) Man bes
ruft fih auf folche Fälle, in denen man zwifchen zwey Din-
gen wählen muß, die gleich gut oder gleich boſe find. Da
man fich nun alfo unmöglich eins beffer oder ſchlimmer vorz
ſtellen fan , als das andere, fo ift es eben fo viel, als wenn
wir etwas begehrten oder verabfcheueten, ohne es uns als
gu£ oder als böfe vorzuftellen, das ift, ohne alle Bewegungs⸗
gründe. Z. E. wenn ich, zwiſchen zwey Dueaten von
gleichen Gewichte und Schlage, einen wählen fol. Nun
will ich mich hier eben nicht, auf den Satz des Unterſchie—
des aller möglichen auffer einander befindlichen Dinge, be=
rufen, vermöge deſſen es Feine foihe Dinge gibt, die auffer
einander befindlich find, und die gleichgut oder gleichböfe
find: denn das würde hier nichts entfcheiden, weil es uns
leugbar unendlich viele Dinge gibt, deren Unterſchied wir
nicht erfennen koͤnnen, und der alfo in die Beftimmung un:
ferer Begierden und Verabſcheuungen feinen Einfluß ha—
ben fan, Sondern ich will nur bemerken, daß es unmoͤg⸗
lich fen, diefe beyden Dinge fich in einem fo gleichen Grade
des Lebens vorzuftellen, daß nicht auf der einen Seite ein
Ausſchlag feyn folte. ins unter beyden fält uns jederzeit
ftärfer in die Sinne, Wenn ic) zwey Ducaten vor mie
liegen fehe, fo ift es nothwendig, daß ich einen flärfer ans
fehe, als den andern. Da nun alfo jener auch mehr Ein-
Druck in mein Gemüth macht, fo habe ich von ihm eine lex
lebendigere Erkenntniß. Ferner, der mir zur rechten Hand
und am nächften liegt, ſtelt ſich mir als denjenigen vor, den
ich am leichteften befommen Fan, und man pflege daher zu
fagen ; der erſte der befte, Nun gehört, dieſe Betrachtung,
| auch
348 Don dem Willen.
auch mit zu den Bewegungsgruͤnden. Folglich |haben wir,
in ſolchen Faͤllen, ein Uebergewicht der Bewegungsgruͤnde.
Es iſt wahr, dieſes Uebergewicht iſt eine Kleinigkeit; allein
es gehoͤrt auch keine groſſe Begierde dazu, eins dem andern
vorzuziehen, wenn beyde, ſo viel wir wiſſen, gleich gut oder
gleich boͤſe ſind. Es wäre laͤcherlich, wenn wir in ſolchen
Fällen unſer Begehrungsvermoͤgen, durch ſehr groſſe und
wichtige Bewegungsgruͤnde, beſtimmen wolten.
„688.
Unſere vernünftige Begierden und Verabſcheuungen
koͤnnen groß oder klein, ſtark oder ſchwach ſeyn, und dieſe
verſchiedenen Grade erheffen aus dem 666 Abfage. Die
merflich groffen vernünftigen Begierden und Verabſcheu⸗
ungen ſind die vernuͤnftigen Gemuͤthsbewegungen,
und man kan derſelben eben ſo viele annehmen, als der ſinn⸗
lichen. Wenn Freude, Betruͤbniß, Siebe, Hofnung u. f.
w. aus deutlicher Erfenntniß entftehen, fo heiffen fie eine
vernünftige Freude, DBerrübniß, Liebe, und Hofnung.
Einige Weltweife lachen darüber, wenn man vernünftige
Gemüthsbewegungen onnimt, weil fie glauben, es fen Dies
fes ein fich felbft widerfprechender Begriff. Wenn mannun
fragt, warum fie Diefes glauben, fo antworten fies weil
alle Gemüthsbewegungen aus verworrener Erfenntniß enfs
ftehen. Und warum nehmen fie diefes an? Weil es, in
ihrer Erflärung einer Gemürhsbewegung, ſteht. Sie neh»
men es alfo an, weil fie es annehmen. ine fehöne Art zu
beweifen! Nun würde zwar in der Sache felbft es nichts
verfchlagen, man mag die flarfen vernünftigen Begierden
und Verabſcheuungen Gemüthsbewequngen nennen, oder
nicht, Ueber das Wort fan man fic) leicht vergleichen,
wenn man nur in der Sache einig ift. Allein man muß
auch, der Gewohnheit zu reden, ihr Necht mwiederfahren laſ—
fen. Man fage, wir follen GOtt lieben, die Freundfchaft
ift eine Siebe, wir follen ein DBertrauen auf OOtt ſetzen.
Sind das finnlihe Begierden? Muß ein Menfch nicht
Be und feine Freunde vernünftig lieben, und nach vu
lichen
Don dem Willen: 349
lichen Einfichten" ein Vertrauen auf GOtt fegen. Und fo
weiß jedermann, daß man, \wenigftens beynahe, alle Nas
men der Seidenfchaften auch in ſolchen Fällen braucht, da es
unleugbar ift, daß man eine vernünftige Begierde oder Ver—
abfcheuung andeuten wolle. Es ift demnach der gewohnlis
chen Art zu denken am gemäffeften, wenn man alle Ge—
müthsbewegungen in finnliche und vernünftige eintheilt,
6
. 689.
Alle vernünftige Begierden und Verabſcheuungen ents
ftehen aus einer deutlichen Erkenntniß 9.686. Dieſe Er—
kenntniß ift entweder bloß deutlich, oder fie ift einestheils
finnlih. Iſt das erfte, fo find fie bloß vernünftige
Begierden und Verabſcheuungen, und ein veiner
Wille ift ein Vermögen, bloß vernünftig zu begehren und
zu verabfceheuen, Ein folcher Wille fest, einen vollfoms
men reinen Verſtand, voraus 9.631. und folche Begierden
und Verabſcheuungen entftehen aus einem aanz deutlichen
Vergnügen und Mißvergnügen, aus einer bloß deutlichen
Vorherſehung und Borauserfennung $. 697. Da mir
Menfchen nun feinen ganz reinen Berftand haben, und da
alle unfere deutliche Erkenntniß einestheils ſinnlich iſt; fo
ift unfer Wille Eein reiner Wille, und feine unferer vernünf=
tigen Begierden und Verabſcheuungen ift bloß vernünftig,
fondern fie find fämtlich vermifcht, Nemlich vermifchte
vernünftige Begierden und Verabfeheuungen find
folhe, die zum theil vernünftige, zum theil aber finnliche
Begierden und Berabfceheuungen find. Wenn wir uns deuf-
lich und lebendig etwas als gut oder als böfe vorftellen, fo
ftellen wir uns daffelbe zugleich finnlic) als gut oder böfe vor,
Wenn wir nun daffelbe begehren, weil wir es ſinnlich und
deutlich zugleich erkennen, fo ift unfere ganze Begierde finn«
lich, in fo ferne fie aus der finnlichen, und vernünftig, in
fo ferne fie aus der vernünftigen Erfenntniß entfteht, Bloß
ſinnlich Eönnen wir vieles begehren und verabfcheuen, ja uns
fere meiften und gewoͤhnlichſten Begierden und Berab-
feheuungen find bloß ſinnlich. Allein alle unfere Beeminfigen
Cs
350 Don dem Willen,
Begierden und Berabfheuungen find vermifcht, einige mehr,
andere weniger. Und das bringt; uns einen groffen Vortheil.
Das mwenigite an einem Gegenftande ftellen wir uns deutlich
vor, und unfer bloffer Wille ift alfo ein fehr fehwaches und ohn⸗
mächtiges Vermögen. Wenn aber dieSinnlichkeit fich damit
vereiniget, fo ift unfere Kraft alsdenn ftärfer, und unfere Bes
gierden und Berabfeheuungen werden nicht nur viel mächtiger,
fondern fie werden auch * Gegenſtaͤnden proportionirter.
. 690,
Wenn mir vernünftig begehren, was wir finnlich
verabfcheuen; oder vernünftig verabfcheuen, was wir finn=
lich begebren, fo befteht darin der Streit des untern und
obern Begehrungsvermoͤgens, oder der Streit des
Fleifches und Geiftes, Wenn wir eine Arzney einnehmen
wollen, die uns einen abfcheulichen Geſchmack verurfacht,
oder wenn wir die Sünde nach deutlichen Gründen verabs
ſcheuen, und finnlich begehren, fo ftreiten Geift und Fleiſch
in uns mit einander. Nemlich weil unfer Wille nicht rein ift
$. 689. fo find, unfere deutlichen Bewegungsgründe, alle—
mal mit finntichen unfermenge. Da nun unfere finnliche
Erfenntniß uns eine Sache anders vorftelfen Fan, als die
deutliche: fo koͤnnen wir ung deutlich etwas als guf, bevors
ftchend, leicht vorftellen, was mir uns ſinnlich als boͤſe,
ſchwer, vorftellen, und umgekehrt, Folglich Fünnen uns
die deutlichen Bewegungsgründe eine Sache als begehrungs«
wuͤrdig vorftellen, welche uns die fünnlichen als verab«
ſcheuungswuͤrdig vorftellen, oder umgekehrt. Und da uns
alfo jene anders beftimmen als diefe, fo entſteht daher der
Streit des obern und untern DBegehrungsvermögens,
Wenn nun das Gegentheil ift, wenn uns die deutlichen und
finntichen Bewegungsgründe den Gegenftand einerley vor—
ſtellen, beyde als gut, oder beyde als böfe u. ſ. w. fo begeh⸗
ren wir ihn vernünftig und finnlich zugleich, oder wir verab⸗
ſcheuen ihn vernünftig und ſinnlich zugleic), und Darin bes
fteht die Uebereinſtimmung, oder Einigkeit des obern
und untern Begebrungsvermögens, 3. E. Wenn
ich
Don dan Pillen. 351
ich eine Arzney nach vernünftigen Gründen gebrauche, die
mir auch angenehm: ſchmeckt; oder wern ich eine efelhafte
Speife verabfiheue auch deswegen, meil ic) nach vernünfti=
ger Ueberlegung finde, fie fey meiner Geſundheit ſchaͤdlich.
Wenn nun das obere und untere Begehrungsvermögen mit
einander, ftreiten, fo fieget dasjenige, oder es überwindet,
Durch welches dev Gegenftand nach dem Streite befchloffen
wird. Geſetzt es folle jemand eine efelhafte Arzney einneh—
men, und er kaͤmpfe deshalb mit fich felbft : entſchließt er
fi, alles Ekels ohnerachtet, die Arzney zu nehmen, fo fieget
das obere Degehrungsvermögen, wenn er nemlich durch
vernünftige Borftellungen dazu bewogen wird ; entfchließt er
fi) aber, alles Zuredens ohnerachtet, die Arzney nicht. zu
nehmen, fo fieget das untere Begehrungsvermögen. Sonſt
fan auch noch ein Streit in dem obern Begehrungsvermös
gen und in dem untern, wenn man beyde allein betrachte,
angetroffen werden, , Man Fan eine Sache vernünftig be—
gehren und verabfcheuen zugleich, und eben fo fan man eine
Sache zugleich finnlich begeben und verabfcheuen. Denn
man Fan das Gute und Boͤſe, welches in einer Sache zu-
gleich) angetroffen wird, deutlich erkennen, und eben fo Fan
man beydes finnlidy erfennen. Alsdenn ſtreitet der Wille
mit fich ſelbſt, und eben fo ftreitet Das untere ‘Begehrungss
vermögen mit fi) felbft,
Zn $. 601,
Wenn ein Streit unter unfern Begierden und Ver⸗
abfcheuungen ift, fo fallen fie einander hinverlich, und in⸗
dem durch) Die Begierde die Kraft der Seele auf eine Seite
beitimt und gelenkt wird, fo wird fie durch die entgegenges
ſetzte Verabſcheuung auf Die andere Seite gezogen. Folge
lich wird unfere Kraft, in Abficht auf eine gemifle Hand⸗
lung, dadurch vermindert, und die Berrichtung derfelben
wird uns ſehr ſchwer. Wenn wir alfo eine Sache begehs
ren, fo wird fie uns um fo viel ſchwerer, je ftärker die Ver—
abfcheuung eben diefer Sache, in Vergleichung mit der Be—
gierde ‚nach derfelben, iſt. Und wenn wir etwas verab⸗
fcheuen,
352 Von dem Willen
fcheuen, fo wird uns die Unterlaffung einer Handlung um
fo viel ſchwerer, je gröffer die Begierde nad) eben dem Ges
genftande, in DBergleichung mit der Begierde nach demfel-
ben, ift. Wenn aber: Fein Streit unter unfern Begierden
und Verabſcheuungen ift, fo wird Feine durch die andere ges
hindert, die Kraft unferer Seele wird nicht Durch entgegens
gefegte Richtungen zertheilt, und das Gefchäfte wird ung
dadurch ungemein erleichtert, Wenn wir uns daher eine ge=
wiſſe Handlung erleichtern wollen; fo müffen wir, den Streit
unferer Begehrungsvermögen in Abficht auf diefelbe, zu
verhüten fuchen, und vielmehr eine freundfchaftliche Einigs
feit unter ihnen bervorbringen, erhalten oder wiederherftels
len, Einem Anfänger in der Tugend wird, die Tugend,
allemal fehr fauer. Er begehrt fie vernünftig, allein fein
finnticher Abſcheu für derfelben ift noch fehr groß; er verab-
ſcheuet das Laſter vernünftig, allein er begehrt es auch zus
gleich finnlih. Wenn es aber ein Menfd) erft fo weit ges
bracht hat, Daß er die Tugend bloß begehrt, und das Lafter
bloß verabfcheuet, fo hat er gewonnen. Alsdenn wird ihm
ſowohl die Ausübung der Tugend, als auch die Linterlaf-
fung des Safters, überaus leicht. Wenn wir über einen
Gegenftand nichts ale Vergnügen, oder nichts als Mißver:
gnügen, empfinden, fo begehren mir ihn entweder bloß,
oder wir verabfcheuen ihn bloß S. 663. Folglich herrſcht
alsdenn, unter unferm Begehrungsvermoͤgen und in denen-
felben, eine vollfommene Eintracht. Wenn wir in Abficht
auf einen Gegenftand gleichgültig find, fo ift, in unfern Bes
gehrungsvermögen, in Abfichtauf denfelben weder eine Einig«
feit noch ein Streit: denn wir begehren ihn alsdenn nicht,
und verabfcheuen ihn auch nicht $. 648. 683. Steht unfer
Gemuͤth, in Abficht auf einen Öegenftand, in einem Öleich-
gemwichte, fo ift ein Streit unter unfern Begierden und Bers
abfcheuungen, der von beyden Seiten, fo lange das Gleich,
gewicht fortdauert, mit gleicher Stärfe geführt wird, und
folglich fan, fo lange diefes Gleichgewicht währt, auf kei⸗
ner Seite ein Sieg entſtehen 9. 671. Nur indem Zuftande
des
Don dem Willen, 353
des Uebergewichts ift ein Streit, auf den ein Gieg folgt,
und fo oft eins der DBegehrungsvermögen den Sieg davon
trägt, fo oft.geräch die Seele in den Zuſtand des Ueberge—
wichts, der Ausſchlag mag nun entweder auf die Seite des
obern, oder auf die Seite des untern Begehrungsvermös
gens ausfallen $. 671.690, Mad) erfolgten Siege fan
manchmal eine vollkommene Einigkeit entftehen, wie bey eis
nem Tugendhaften in jenem $eben in Abjiche auf die Tugend
‚erfolgen wird; oder der Streit Fan immer nod) forfdauern,
wie die Tugendhaften immer fämpfen müffen, fo lange fie
ſich noch) in diefem Leben befinden. Dieſe Betrachtungen
Fan fich ein jedweder felbft, aus dem Vorhergehenden, er
laͤutern.
| Gr
Alte unfere vernünftige Begierden und Verabſcheuun—
gen find entweder befchlieffende, oder noch nichts befchliefiens
de Begierden und Berabfeheuungen $. 668. Die legten
heiſſen vorbergebende oder vorläufige vernünftige Bes
gierden und Verabſcheuungen, und man nenne den
Willen einen vorhergehenden Willen, in fofern er durch
ſolche Begierden und Berabfceheuungen würffam wird, die
noch nichts befchlieffen, bey denen wir uns alfo noch nicht
entfchlieffen, die Sache würflich auszuführen, und die noch
nicht in einem feften Vorſatze beftehen, die Handlung wuͤrk⸗
lich zu thun oder zu unterlaffen, die wir begehren oder vers
abfcheuen. Er wird der vorhergehende Wille genennt, weil
er aus unvolftändigen Bewegungsgründen entfteht S. 669,
und alfo eher da ift, ehe man den Gegenftand genugfam
unterfucht bat, Wer vorläufig etwas will, der begehrt die
Sache vernünftig; allein weil er beforge, es möchten fich
noch Umftände Auffern, die er noch nicht weiß, und die der
Sache ein ander Anfehen geben Fonnten, fo fehiebt er feinen
Entſchluß auf, bis er die Sache noch einmal und genauer
unterfucht haben wird. Geſetzt eine Mannsperfon fpreche
ein Frauenzimmer um die Ehe an, ift daffelbe eine vernünf-
tige und gehorfame Tochter, fo wird es ziwar geneigt feyn
5 Thal, 3 Fönnen,
354 Don dem Willen.
Eönnen, diefes Berfprechen zu thun, und es wird diefes au)
vorläufig entdecken Fonnen. Allein den Entſchluß fchiebe es
auf, bis die Einwilligung der Eltern erfolge. Es ift vor
fich Elar, daß der vorhergehende Wille in würktichen Be—
gierden und Berabfeheuungen beftehe, und alfo tein verftel«
ter und bloß vorgegebener Wille fy. Wenn man einem
andern bloß lügenhafter Weiſe weißmacht, man wolle et—
was; fo Fan man wohl gar vorgeben, man habe es befchlof-
fen, und das fan gar fein Wille genannte werden. Ja die
vorläufigen Begierden und Berabfcheuungen find Handluns
gen der Seele, folglich koͤnnen fie viele Beranderungen in
der Seele verurfachen, und durch Aufferliche Handlungen
ausbrechen. Der vorhergehende Wille ift alfo nicht etwa
ganz unwuͤrkſam, und ungefchäftig. So fan eine gehorfa-
me Tochter, durch ihren vorhergehenden Willen, angetries
ben werden, fich felbjt bey ihren Eltern um die Einwilli—
gung derfelben Mühe zu geben, und was dergleichen mehr
ift. Diejenigen vernünftigen Begierden und Berabfehenuns
gen aber, weiche befchlieffend find, heiffen nachfolgende,
oder endliche vernünftige Degierden und Verabſcheu⸗
ungen, oder Rathſchluͤſſe. Und der nachfoigende
Wille ift ver Wille, in fo fern er durch Rathſchluͤſſe würf-
fam wird. Rathſchluͤſſe werden nachfolgende Begierden und
Verabſcheuungen genennt, weil fie aus vollftändigen Bewe—⸗
gungsgründen entftehen $. 669, und erft alsdenn, wenn
man, mwenigftens feinem eigenen Bedünfen nach), den Ges
genftand genugfam unterfucht und überlege bat. Sie bes
ftehen in einem nach deutlichen Einfichten gefaßten Borfage,
etwas zu thun oder zu unterlaffen, und es verfteht ſich von
ſelbſt, daß es fehr oft gefchehen fan, daß wir unfere beften
Rathſchluͤſſe nicht ausführen koͤnnen F. 668,
$. 0693.
Wenn mir Menfchen einen Rathſchluß ſaſſen wollen,
fo ift es fehr felten möglich, daß mir auf einmal und in der
Geſchwindigkeit zu einem Entfchluffe folten Eommen koͤnnen.
Die Natur unfers Willens bringt das mit fich, daß wir al-
lemal
— — —
— — — —
BE Tg, —
Don dem Willen. 355
lemal dasjenige am ſtaͤrkſten begehren, oder beſchlieſſen, was
unſerm Beduͤnken nach das beſte iſt $. 665. Allein das
koͤnnen wir ſelten in einem Augenblicke ausmachen, was das
beſte ſey. Daher pflegen wir vorher, ehe wir einen Rath—
ſchluß fallen, eine Berathfchlagung mit uns felbft, oder mit
andern, anzuftellen. Und da beiteht, die Berathſchla⸗
gung, in dem Inbegriffe aller Handlungen der Erkennt
nißvermögen , die man vornimt, um die Bewegungsgrüns
de volftändig zu machen, vermöge welcher wir einen Rath—
ſchluß fallen wollen. Die Bewegungsgründe der menſchli⸗
chen Rathſchluͤſſe find theils deutlich, theils ſinnlich $. 689.
Folglich kan ein jedwedes Erfenntnißvermögen, es mag nun
zu dem obern oder zu dem untern Erfenntnißvermögen ge—
hören, etwas zu der Berathſchlagung beytragen. Die Erz
Fenntnißvermögen find gleichfam die Rathsherren, welche
zufammen fommen, und deren jedweder feine Stimme gibt,
wenn etwas befchloffen werden ſoll. Folglich ift man in der
Derathfchlagung bemüßt, alles dasjenige hinlänglich zu er
fennen, mas noͤthig ift, wenn die deutlichen Bewegungs:
gründe ſamt den undeurlichen hinlänglich werden follen, um
zu einem Rathſchluſſe und zu einer endlichen entfcheidenden
Willensmeinung zu gelangen. Daher müflen, bey einer
Berathichlagung, folgende Fragen aufgeworfen, und bes
antwortet werden : 1) Iſt der Gegenftand der Beratbfchlagung
und Das Gegentheil deffelben möglih? Unmöglihe Dinge
koͤnnen gar niche würflich werden, und bey nothwendigen
Dingen ift die Berarbfchlagung vergeblich, weil fie ohnedem
gefchehen. 2) Iſt beydes mir natürlicher Weife möglich?
Oder habe ich Kräfte, und Fan ich Kräfte genung haben,
den Gegenftand oder fein Gegentheil würflich zu machen ?
Und ift mir beydes fihlechterdings, und in gewiſſen Umftän-
den möglih? Denn was wir befchlieffen wollen, das müß
fen wir durch unfere Kräfte würflich machen koͤnnen. 3) Wie
viel Kräfte werden erfodert, um eine Sache oder ihr Ge:
gentheil wuͤrklich zu machen? damit ich wiſſen fönne, ob
ich Kräfte genung habe, . ich nicht etwa einen vergeblis
2 chen
350 Don dem Willen,
hen Entfchluß faſſe. Diefes fan man ofte nicht anders er—⸗
kennen, als wenn man einen Verſuch anſtelt. Wir ftellen
nemlich einen Verſuch an, oder wir verfuchen etwas, wenn |
wir ung zu einer Handlung entfchlieflen, Damit wir erſah⸗
ren, ob wir Kräfte dazu befißen, und wie viele Kräfte das |
zu erfodert werden, Go verfucht man, ob man die Gabe, |
ein Gedicht zu machen, befiße, wenn man dichtet, und ber= |
nac) beurtbeilt, ob in unfern Gedanfen eine wahre Poefie |
angetroffen werde, Die meiften, die worüber rathſchlagen,
vergeſſen es, Diefe Drey erften AUnterfuchungen genau anzu-
ftellen, und da fagt man, daß fie Schlöffer in die Luft
bauen. 4) Wie viel Guts mit der Sache verbunden ift,
wenn fie gefchieht? ob fie uns viele Bortheile bringe, in Abs
ficht der Seele, oder des Leibes, oder des äufferlichen Zus
ftandes, ob fie unfere zeitliche oder ewige Glückfeligkeit befoͤr⸗
dere, ob fie rechtmäßig, ehrbar, anſtandig u.f.m. Wie |
viel Guts zu erwarten, wenn fie nicht gefchieht? 6) Wie
viel Bofes mit der Sache verbunden, wenn fie gefchieht,
und 7) wenn fie nicht gefchieht? Da muß man den man=
nigfaltigen Schaden unterfucyen, ob fie unehrbar, ſchaͤnd⸗
lich, unanftandig, fündlic u.f.w. 8) Wie groß und wich-
tig der Nutzen und das Gute ift, welches mit ver Sache
verbunden ift, wenn fie gefchieht, und 9) wenn fie niche |
gefchieht ? Ein Vortheil fan manchmal fo gros ſeyn, als
viele andere zufammen genommen, und folglih muß man
bey der Berathſchlagung auch die Wichtigkeit der Vortheile,
die man von beyden Seiten zu erwarten hat, unterfuchen,
10) Wie groß und wichtig das Bofe ift, welches mit der '
Sache verbunden ift,, wenn fie gefchieht, und 11) wenn fie
nicht gefchieht? Denn ein Schaden Fan fo groß fern, wie
viele andere zufammengenommen. Wer alfo rathfchlagen
will, der muß nicht nur die Bewergungsgeüunde von |
beyden Seiten zäblen, das ift, erfennen, wie viel Guts
und Boͤſes von beyden Seiten zu erwarten iſt; fondern er
muß fie auch abwäggen, das ift, erfennen, wie groß das
Gute und Boͤſe von beyden Seiten ift. Sa er Em |
4
Don den Willen, 357
Beweggungsgrunde von bepden Seiten zuſammen⸗
rechnen, das ift, unterfuchen, wie vielen Bewegungs—
gründen zufammengenommen ein gewiſſer Öegengrund gleich
fey. Und fo fan er endlich die legte Frage 12) beantwors
ten: Welches unter beyden befler ſey, als Das andere, und
alfo befchloffen werden müfle? Und das heißt, das eine
dem andern vorzieben, wenn man erfennet, welches un=
ter beyden beffer fen, als das andere; und wenn nıan dasie-
nige, welches man dem andern vorgezogen bat, beſchließt,
fo erwäble man daffelbe, oder man ftelt eine Wahl an.
Ein jeder Fan felbft dieſe Kegeln auf ein Benfpiel anwenden,
3. E. wenn man rathſchlagt, was man für eine $ebensart
erwählen folle?
BERKER EEK KK LK. FI KK KH KR KH KK KR LK. KH N
Der vierte Abſchnit,
Von der Freyheit des Willens.
§. 604.
N fommen nun zu einer der wichtigften Unterfuchun-
gen der Pfychologie, Die Freyheit ift die Krone als
ler Vermögen der Seele, fie ift die Königin in der Seele,
der alle übrige Vermögen zu Gebothe ftehen müffen, und
wenn wir feine Srenbeit beſaͤſſen, fo würden wir weder füns
digen noch rechtmaͤßig handeln koͤnnen, wir würden weder
belohnt noch; beftraft werden Fonnen, und wir wären weder
einer Glückfeeligkeit noch Unglückfeeligkeit fähig. Da nun
die Lehre von der Freyheit ves Willens fo vielfältig und hef—
tig befteitten worden , fo ift fie mit einer unendlichen Menge
von Unterfeheidungen und Kunftwörtern angefült worden,
wodurch fie gewillermaffen ſehr ſchwer geworden. Wir
wollen demnach verfuchen, das Unnöthige wegzulaſſen, und
fie fo deutlich zu machen, als möglich if. Nun komt das
bey alles auf drey Stüde an, Erſtlich, wenn ein, Menſch
eine freye Handlung verrichten foll, fo muß er fie ſelbſt
33 durch
2
358 Von der Freyheit des Willens.
durch ſeine eigenen Kraͤfte verrichten. Zum andern muß er |
fie auch) durch feine eigenen Kräfte unterlaffen, oder fie auch
anders verrichten fönnen, als erfie verrichtet. Und drittens
muß er durch feine eigene Einfichten fich beftimmen , fie zu
thun oder zu unterlaffen, fie eben fo und nicht anders zu
verrichten, und diefe Einfichten müffen deutlich feyn Fönnen.
Daß diefes der wahre Begrif der Freyheit fen, will id)
fünftig beweifen, und es fommen alfo in diefem Abſchnitte
drey Hauptmaterien vor,
Von der Selbftthätigkeit.
$. 695
Ale Handlungen unferer Seele, oder alle unfere
Handlungen, find nicht nur an und vor fich betrachtet und
innerlich zufällig, fondern einige derfelben haben auch eine
groſſe bedingte Zufalligkeit $. 106. Erſtlich alle unfere
Handlungen find fchlechterdings zufällige Veränderungen
unferes Zuftandes, meil wir felbit zufällige Dinge find.
Wir haben bisher viele Unvollkommenheiten -unferee Seele
aus der Erfahrung angemerkt: in unferer Erkenntniß ift
viel Unmiffenheit, Dunfelheit, Ungewißheit, und was ders
gleichen mehr it. Folglich) haben weder wir noch unfere
Seele den höchften Grad der Nealität und Bollfommenbeit
6.190. Folglich find wir und unfere Seele endliche Dins
ge $. 191. und folglich auch zufällige Dinge $. 193. Die
Wuͤrklichkeit eines jedweden zufälligen Dinges ift, eine zus
fällige Befchaffenheit $. ı2r. Folglich) ift unfere ganze
Wuͤrklichkeit, und alles Wuͤrkliche in uns, in fo ferne es
wuͤrklich ift, eine zufällige Beſchaffenheit. Da nun alle
unfere Handlungen und Leiden zu unferer Wirklichkeit gehoͤ⸗
ven, indem e8 ungereime zu gedenken ift, daß ein bloß moͤg⸗
lihes Ding handele oder leide F. 164. fo find alle unfere
Handlungen und Leiden, auch die noch jedesmal zufünftiz
gen, an und vor fich betrachtet und innerlich zufällig, und
Feine derfelben iſt fchlechterdings nothiwendig, Indem wir
alfo
%
— —
8
Von der Freyheit des Willens. 350
alſo im Begriffe ſtehn, eine Handlung vorzunehmen, ſo iſt
dieſelbe in demſelben Augenblicke zufaͤllig, und es iſt alſo
nicht nur an ſich moͤglich, daß ſie wuͤrklich werde, ſondern
es iſt auch an ſich moͤglich, daß ſie nicht wuͤrklich werde.
Wir koͤnnen dieſes freylich nicht geradezu, aus der Erfah:
rung, annehmen. Es ſcheint uns zwar auf den erſten An—
blick, wenn wir im Begriffe ſtehen, etwas zu begehren oder
zu verabſcheuen, daß dieſe Begierde oder Verabſcheuung
auch nicht erfolgen koͤnne, und daß ſie alſo zufaͤllige
Handlungen ſind. Allein da der Fataliſt ſagen kan, daß
dieſes uns nur fo zu ſeyn ſchiene, ſich aber in der That nicht
ſo verhalte; fo baden wir aus unferer Endlichfeit uns übers
zeugen müffen, daß dem in der That alfo fey, und daß alle
unfere Handlungen, an und vor fich betrachte, zufällig
find. Zum andern lehrt uns nun die Erfahrung, daß, eis .
nige von unfern Handlungen, auch eine groſſe bedingte Zus
fälligfeit Haben, Denn das Gegentheil vieler unferer Hand⸗
iungen ift nicht nur an fich möglich), fondern es iſt aud) im
Zufammenhange mit vielen andern Dingen auffer uns moͤg⸗
lich. Wenn wir fpaßieren :gehen, wie viel Verbindungen
der Umstände find nicht möglich gewefen, unter denen wir
nicht wuͤrden fpaßieren gegangen feyn? Wenn es geregnet
hätte, mern der Wind zu flarf gewehet hätte, wenn uns
jemand befucht hätte u. f. w. fo würden wir nicht fpaßieren
gegangen fern. Wir behaupten nun zwar nicht von allen
unfern Handlungen, daß fie in einem hohen Grade hypo—
thetifch zufäflig find, fondern wir fagen nur, und das ift zu
unferer Abficht volltommen hinreichend, daß viele von uns
fern Handlungen eine groſſe bedingte Zufälligfeit haben, und
wenn fie noch zufünftig find, fo find fie bevorftehende Ber:
änderungen, die in einem hoben Grade zufällig find.
9. 696.
Wenn etwas, fo zufällig ift, in etwas nothmendiges
verwandelt wird; oder wenn es nothmendig wird, da esvor=
ber zufällig war; oder wenn es eine Nothwendigkeit befemt,
die es nicht hatte, fo wird es nothwendig gemacht,
34 und
”
360 Don der Freyheit des Willens.
und diefe Veränderung wollen wir die Noͤthigung nen-
nen. Wir fommen ofte in Umftände, da wir fo und nicht _
anders handeln koͤnnen, und diefe Umftände nöthigen uns
zu der Handlung, fie wird durch dieſe Umſtaͤnde nothwen—
dig, und wir würden dieſe Handlung haben unterlaffen Füns
nen, wenn wir nicht in dieſe Umftände gerathen wären;
wie z. E. ein Menfch, wenn er aus Noth bettelt, und aus
der Noth eine Tugend macht. Und da fihreibt man, dieſe
Noͤthigung, theils den Urſachen diefer Veränderung zu,
theils den Dingen, welche diefe Veränderung ausftehen.
Die Urfachen diefer Veränderung find, die nöthigenden Ur—
fahen. So noͤthiget uns der Hunger zum betteln, ein
Menfch nöthiget den andern, die Umftände der Zeit und
des Orts nöthigen uns manchmal zu einer Handlung. Man
fehreibt aber auch diefe Veränderung den Dingen zu, welche
dieſelbe leiden, So fagt man, daß ein Menſch genöthiget
worden etwas zu thun, oder zu unterlaffen. Man nennt
auch die Handlungen und $eiden, welche nothwendig ge
macht werden, abgenöthigte Handlungen und Leiden. Wenn
man etwas hißiges gefprochen, welches ein anderer uns übel
aufnimt, fo fagt man manchmal, es feyn ung diefe Worte
abgenörhiget worden. Wenn nun etwas nothwendig ge=
mache wird, fo wird es entweder fchlechterdings nothwendig,
da es vorher zufällig war, oder es bekommt nur eine be—
dingte Nothwendigkeit, die es vorher nicht hatte $.104. Iſt
das erite, fo Fan man, diefe Noͤthigung, eine unbedings
te Noͤthigung nennen. Und da iſt ſehr leicht zu ermeifen,
daß eine folhe Noͤthigung fehlechterdings unmöglich fey,
und daß nichts auf dieſe Art nothwendig gemacht werden
koͤnne. Denn wenn etwas zufällig ift, fo ift fein Gegen—
theil innerlich möglich, und wenn es fihlechterdings noth-
wendig würde, fo müfte diefes Gegentheil innerlich unmög-
lich werden $.104.105. Folglich müfte es die innerliche
Möglichkeit verliehren, und es müfte alfo diefelbe veränder:
lich ſeyn F. 122. Da fie nun ganz unverändertich ift S. 108.
327. fo bleibt dasjenige, was einmal innerlich a iſt,
eſtan⸗
Don der Freyheit des Willens, 361
beftändig innerlich möglich, und fan niemals innerlich un—
möglich werden. Wenn alfo etwas an ſich zufällig ift, fo
bleibt fein Gegentheil immer moͤglich, und es Fan demnach
feine zufällige Sache fhlechterdings nothwendig werden,
Wer alfo eine unbedingte Nöthigung in irgends einem Falle
annehmen wolte, der würde was ungereimtes behaupten,
Diejenigen alfo, welche glauben, daß der allgemeine Zus
ſammenhang in der Welt eine unbedingte Nothigung verur-
fache, denken vollfommen ungereimt. Wer ja ein Fataliſt
feyn will, der muß lieber annehmen, daß alles in der Welt
beftändig fehlechterdings nothwendig ſey. Denn das heißt
vernünftiger denken, als annehmen, daß die Veraͤnderun⸗
gen in der Welt an fich zufällig find, und daß fie durch den
Zufammendang in der Welt fchlechterdings nothwendig ge⸗
macht würden. Da nun alle unfere Handlungen zufällig
find $.695. fo iſt es fchlechterdings unmöglich, daß wir in
irgends einer derfelben, einer unbedingeen Nötbigung, füls
ten unterworfen werden Fünnen. Alle unfere Handlungen
bleiben vor ihrer Verrichtung, mitten in derfelben, und nad)
derfelben, beftändig zufällig. Cine Subftanz und eine Hand-
lung, in fo ferne fie nicht auf eine unbedingte Art genoͤthiget
werden, find frey von der unbedingten Noͤthigung.
Folglich befigen wir, in Abficht auf alle unfere Handlungen
ohne Ausnahme, diefe Freyheit. Wir find demnach in al-
len unfern Handlungen, fo wohl vor ihrer Verrichtung und
in derfelben, als aud) nad) derfelben, frey von diefer Nös
thigung, oder Eeine derfelben Fan uns, auf eine unbedingte
Art, abgenöthiger werden. Diefe Freyheit ift noch nicht
die Freyheit des Willens, ob fie gleich zu derſelben vorläu-
fig unentbehrlicy erfodert wird, und niemand Fan fie in
Zweifel ziehen, als wer ein Fataliſt iſt, und die Zufallig:
feit unferer Handlungen leugnet.
$. 697.
Eine felbfirhätige Handlung einer Subftanz ift
eine Handlung, welche diefe Subftanz felbft thut; oder wel-
che durch) die Kraft dev Subftanz felbjt, durch etwas, wel-
35 ches
362 Don der Stepbeit des Willens,
ches innerlich in der Subſtanz befindlic) ift, gewürft wird,
Man fehreibt daher die Selbftthätigkeit, einmal, den Hand-
lungen.einer Subſtanz zu, welche von einer Kraft gewuͤrkt
werden, welche innerlich) in der handelnden Gubftanz ange-
froffen wird ; und zum andern der Subſtanz, in fo ferne fie
durch ihre innerlichen Kräfte wuͤrkt. ine iedwede Sub»
ftanz iſt ein felbftthätiges Ding, und die Selbftrhätigkeie ift
eine Eigenfchaft aller Subftanzen. Wenn eine Subſtanz
handelt, fo handelt fie durch ihre innerliche Kraft, und alfo
handelt fie felbjt $.164. 159. Folglid) fan fein Ding eine
Subjtanz feyn, wenn es nicht felbjtchätig ift. Und eben fo
haben, alle Handlungen aller Subftanzen, eine Selbſtthaͤ—
tigkeit. ine Veränderung, die nicht felbitehätig ift, Fan
feine Handlung feyn. Es ſcheint alſo in der That überflüf
fig zu feyn, befonders von der Selbftchätigfeit zu handeln,
indem fie nichts anders als die Subſtantialitaͤt iſt. Allein
die menfchlihen Veränderungen find theils Handlungen,
theils Leiden, und da gibt man ihnen den Namen von dem,
was fie am meiften find. Sind es gröftentbeils, fo viel
uns nemlich duͤnkt, $eiden, fo nennt man es DBeränderuns
gen, die niche felbftrhätig find, in dem entgegengefesten Falle
aber nennt man es felbftchätige Veränderungen, Unterdeſ—
fen, wenn es der alte Gebrauch nicht mit fich brachte, in
der Lehre von der Freyheit, von der Selbſtthaͤtigkeit zu hans
deln; fo würde man, dieſe ganze Unterſuchung, leicht ents
behren Fönnen.
$ 698. |
Unſere Seele ift eine wahre Subſtanz F. 482. Folg—
lich iſt ſie eine wahrhaftig thaͤtige und geſchaͤftige Kraft
9.159. Sie handelt alſo nicht nur etwa dem Scheine nach,
jondern auch in der That 9.164. Wir fönnen bier freylich
nicht behaupten, daß alle Veränderungen unferer Seele,
alle Accidenzien und Borftellungen , die in ihr wuͤrklich wer
den, durch ihre eigene Handlungen gewürft werden, und
daß fic) die Seele, bey allen ihren Veränderungen, felbft-
thätig und gefchäftig erweiſe; denn das Fan durch die Er-
} fab-
Von der Freyheit des Willens. 363
fahrung nicht ausgemacht werden. Allein auf der andern
Seite wuͤrde es hoͤchſt ungereimt ſeyn, wenn man annehmen
wolte, daß die Seele niemals ſelbſt handele: denn das hieſ—
fe eben fo viel, als behaupten, daß die Seele gar Feine
Subftanz ſey. Da nun alle wahre Handlungen ſelbſtthaͤ—
tig find, und allen Subſtanzen, in fo ferne fie Subftan«
zen find, eine Selbſtthaͤtigkeit zukomt $. 697. fo ift auch un-
feve Seele ein wahrhaftig feibftthätiges Wefen, und es komt
ihr allemal diefe Selbftrhätigkeit zu, in fo ferne fie handelt,
Folglich find ‚viele Beränderungen unferer Seele, felbftthä>
tige Beränderungen. Ja man fan fagen, daß unfere Sees
le, die Gelbftehätigfeit, in einem hoben Grade befiße.
Denn je gröffer die Kraft einer Subſtanz ift, oder zu je
mehrern und gröffern Handlungen ihre Kraft zureicht 9.160,
eine defto gröffere Selbſtthaͤtigkeit Eome ihr zu S.6u7. Da
nun die Seele viele und groffe Handlungen verrichten, z. E.
wenn fie durch Gemuͤthsbewegungen gefchäftiggemacht wird :
fo hat fie eine geoffe Selbſtthaͤtigkeit.
$. 699.
Die Urſach, welche eine Subſtanz zu gewiffen Hand⸗
lungen oder Veränderungen nöthiget 9. 696. iſt entweder in
derfelben Subftanz felbft anzutreffen, oder auffer derfelben.
In dem letzten Falle muß auffer der Subſtanz, welche ges
nöthiget wird, eine andere oder mehrere andere Subftanzen
wuͤrklich feyn , welche in jene würfen, und fie dadurch nos
thigen S.166, Dieſes gefchieht entweder durch einen ideali-
fhen, oder durch einen reellen Einfluß 9.167. Der erfte
Fall macht, in der Lehre von der Freyheit, gar Feine
Schwierigkeit, Wenn mich jemand fo lange bittet, oder
wenn er fo lange mir zuredet, bis id) thue was er haben
will, und wenn ich mich aud) gleich dazu nicht freywillig
entfchliefles fo fieht ein jeder, daß ich, dieſer Nöthigung
ohnerachtet, felbft diefe Handlung verrichte. Allein wenn
eine Subftan; von einer andern , die auffer ihr wuͤrklich ift,
dureh einen reellen Einfluß, genöthiget wird; fo nennt mar,
diefe Art der Noͤthigung, die fehlechterdings fo genann⸗
ce
364 Don der Sreybeit des Willens.
te äufferliche Noͤthigung, oder Möthigung von auffen
her. Man feße, daß eine Srauensperfon überfallen und
genothzüchtiget wird, oder wenn ein Märtirer gebunden,
und zu den Altären der Goͤtzen geſchlept wird; fo iſt dieſe
Art der Noͤthigung, fo viel wir merken koͤnnen, eine ſchlech⸗
terdings fo genannte Noͤthigung von auffen het, Und da:
fieht ein jeder, daß Feine folche Noͤthigung, ben irgends eis
ner wahren Handlung, flat finden fan $. 167. Cine Ber-'
änderung, welche durch einen reellen Einfluß in einee Sub⸗
jtanz hervorgebracht wird, ift ein bloſſes Leiden, und Feine
Handlung. Folglich ift Feine wahre Subſtanz, in keiner
ihrer Handlungen, oder in fo ferne fie felbft thaͤtig iſt, ei⸗
ner ſolchen Noͤthigung unterworfen; ſondern ſie iſt, in allen
ihren Handlungen, frey von aller ſchlechterdings ſo ge⸗
nannten Aowcigung von auſſen her. Dieſe Freyheit
iſt eine nothwendige, und unausbleibliche Folge der Selbſt⸗
thaͤtigkeit. Und folglich iſt unſere Seele, in allen ihren
ſelbſtthaͤtigen Veraͤnderungen, oder in allen ihren wahren
Handlungen, frey von aller ſchlechterdings fo genannten aufs
ferlichen Möthigung. Wenn die Seele, in allen ihren Ber-
änderungen, dergeftalt von auſſen her genöthiget würde, fo
handelte fie niemals ſelbſt, und fie würde alfo feinen freyen
Willen haben. Folglich gehört diefe Freyheit zwar niche
mefentlich zur Freyheit des Willens, allein jene wird doch
zu diefer vorläufig unentbehrlid) erfodert. Wenn alfo einige
Feinde der Freyheit des Willens vorgeben, als werde die
Seele, durch eine Aufferliche unfichtbare Gewalt, in allen
ihren Beränderungen fehlechterdings wie eine Marionette ges
nöthiger; fo ſtoſſen fie freylic) dadurch, die Freybeit des
Willens der Seele, völlig über den Haufen. Allein man
muß erwarten, durch was für Gründe fie diefes Vorgeben
unterffügen, und woher fie beweifen wollen, daß unfere
Seele Feine wahre Subftanz fen, und feine Selbſtthaͤtigkeit
befige. Denn ehe diefes legte nicht erwieſen worden, ee
Fan diefes Borgeben gar nicht ſtat finden.
Bon
mn — — — — — — —
————— — — — —— ———— — —— — — —— — —— —— —
Von der Freyheit des Willens. 365
Von dem Willkuͤhr.
$. 700.
Ale Handlungen, die einem Dinge natuͤrlicher Weis
fe möglich find, fteben in der Gewalt deſſelben Din-
ges, fie mögen ihm nun überhaupt natürlicher Weiſe moͤg⸗
lich ſeyn, oder zugleich in diefem oder jenem Zuftande feiner
Natur $.408. Alle Handlungen ftehn alfo in unſerer Ge—
‚walt, welche wir, durch unfere eigene Natur, überhaupt
“und in gewiflen Umftänden, würflich machen koͤnnen. So
‚fteht es überhaupt in unferer Gewalt, unfündlich zu leben,
‚und in dem jegigen Zuftande unferes Verderbens fteht es
doch noch in unferer Gewalt, ehrbar und gerecht zu fenn.
‚Diejenigen guten Handlungen aber ftehn nicht in der
‚Gewalt eines Dinges, welche demfelben nicht natürlicher
Weiſe möglich find, fie mögen ihm nun fchlechterdings na=
türlich unmöglich feyn, oder nur in diefem und jenem Zus
ftande feiner Natur. 9.408. Wenn ein Ding durch feine
Natur etwas böfes thut, fo gefchieht diefes durch einen Man-
gel und Fehler der Natur deffelben. Wenn man aber fagt,
es ftehe etwas nicht in der Gewalt eines Dinges , fo betrach—
tet man daſſelbe als etwas, welches Durch eine gewiſſe Stärs
fe hervorgebracht wird, die wir aber bey demfelben Dinge,
von welchen die Rede ift, nicht antreffen. Folglich Fan
"man diefe Redensart nur von folchen Handlungen brauchen,
die gut find. So fteht es fchlechterdings nicht in der Ges
walt der Menfchen, GOtt ohne Sinnlichkeit zu erfennen
und zu dienen, und es fteht in dieſem jeßigen Leben nicht in
unferer Gewalt, GOtt ohne Sünde zu dienen. Wenn nun
eine Handlung in unferer Gewalt fteht, fo fteht ihr Gegen-
theil entweder auch, menigftens fchlechterdings, in unferer
Gewalt, oder nicht. Iſt das erfte, fo ift es ung natürlie
cher Weife möglich, die Handlung zu thun und zu unter-
laffen, und fie ift natürlicher Weife zufällig, 9.409. und da
fage man, daß fie frep fey, in Abficht auf die Ver—
richtung derfelben. Alsdenn fteht es bey folchen Handlun-
gen in unferer Gewalt, oder es ſteht uns frey, fie zu thun,
oder
366 Von der Freyheit des Willens.
oder zu unterlaſſen. Manchmal iſt es uns bey ſolchen Hand⸗
lungen viel leichter, ſie zu thun als ſie zu unterlaſſen, oder
ſie zu unterlaſſen als ſie zu thun; manchmal aber iſt uns bey⸗
des gleich leicht, und gleich ſchwer, und da gilt es uns
gleich, es mag von uns verlanget werden, daß wir etwas
thun oder unterlaſſen ſollen. Z. E. wenn wir uns den Tos
ba angewoͤhnt haben, fo hält es ſehr ſchwer es zu unter
lafien, manchmal aber fan es jemanden eben fo leicht fern,
das Tobackrauchen zu unterlaffen, als es zu thun. Alfe
Sünden und rehtmäßige Handlungen, alle Siebesdienfte,
furz alle freye Handlungen, find Beyſpiele von: Handlun⸗
gen, die frey find in Abfiche auf die Verrichtung. Diejes
nigen Handlungen aber, die zwar in unferer Gewalt ftehn,
deren Gegentheil aber ſchlechterdings natürlich unmöglich iſt,
ſind bloß natuͤrliche Handlungen. Sie ſind uns natürs
lich nothwendig 9.409. und wir koͤnnen fie zwar thun, aber
nicht unterlaffen. 3. E das Othemholen, die unmerfliche
Ausdünftung, daß wir uns die Weltduntel vorftellen u w.
OCT;
Wenn die Urfach, welche Die eHtränbersingen einer
Subſtanz, die einer Nöthigung unterworfen ift nothwen⸗
dig macht, in dieſer Subſtanz ſelbſt, als eine innere Be⸗
ſtimmung ‚ angetroffen wird, fo heißt dieſes die innerliche
Noͤthigung und lee wird die Subſtanz von innen
heraus genöthiget, Und die fan wiederum, auf eine dop⸗
pelte Art, angenommen werden, Cinmal Eönnte man an⸗
nehmen, daß die, Handlungen einer Subſtanz bloß durch
‚das Wefen diefer Subftanz beftimt, und dadurch nothwen>
dig aemacht werden, und Diefes it die fchlechterdings fo
genannte innerliche Noͤthigung. Dergleichen Hand⸗
lungen muͤſten alfo ihren hinreichenden Grund in dem We-
fen haben, ‚und dadas Wegen fchlechterdings nothwendig ift
$. 108. fo würden fie Eigenfchaften, und alfo fchlechterdings
nothivendig ſeyn $. 54. 109. Wenn man nun annehmen
wolte, daß eine Handlung zufällig gewefen wäre, daß fie
aber durch eine Veränderung dergeftalt beftime würde, "
ie
— ———— rn — —— er —— — zum
Don der Freyheit des Willens. 367
fie nachher Bloß in dem Wefen gegründet wäre; fo würde fie,
aus einer zufälligen Handlung, in eine fehlechterdings noth⸗
wendige vertvandelt. Da diefes aber fehlechterdings un-
möglich ift S. 696. fo fan auch, Feine zufällige Handlung ir-
gends einer Subftanz, einer fehlechterdings fo genannten in-
nerlihen Nöthigung, unterworfen werden. ja Feine ein-
zige zufällige Subftanz Fan, in irgends einer ihrer Hand»
lungen, einer ſolchen Nöthigung unterworfen werden. Denn
die Handlungen einer jeden zufälligen Subftanz gehören zu
ihrer Würflichkeit 5.164. Diefe Wirklichkeit ift eine zus
fällige Befchaffenheit $. ı2r. und hat demnach feinen hinrei-
chenden Grund in dem Wefen $.54. Folglich Fan, feine
Handlung einer zufälligen Subftanz, eine folhe Nothwen⸗
digkeit haben, welche daher rührte, daß fie zureichend durchs
Weſen beftime würde, Die fchlechterdings fo genannte ins
nerliche Noͤthigung ift alfo fchlechterdings unmöglich, wenn
man fie bey irgends einer zufälligen Subftanz annehmen
mwolte, Kine Subftanz, in fo ferne ihre Handlungen nicht
bloß durchs Wefen beftimt werden, iſt frey von der
feblechterdings ſo genannten innerlichen Noͤthigung.
Folglich komt, allen zufälligen Subftanzen, diefe Freyheit
zu. Da nun unfere Seele, nebft allen ihren Handlungen,
zufällig ift 9.695. fo ift unfere Seele frey von aller fchlech-
terdings fo genannten innerlichen Nöthigung, und alfo auch
in Abficht auf ihre felbftrhätigen Handlungen, und in Abs
ſicht dererjenigen, bey denen es in ihrer Gewalt ſteht, fie zu
hun und zu unterlaffen $. 698. 700.
2 702,
Zum andern Fan man eine innerliche Noͤthigung in eis
ner Subftanz gedenken, welche man die innerliche natuͤr⸗
liche Noͤthigung nennen fan, und welche in einer Sub-
ftanz flat finden fan, wenn einige ihrer Handlungen , die
fonft natürlicher Weife zufällig find, in natürlicher Weife
nothivendige Handlungen verwandelt werden. Alsdenn wird
eine Subſtanz durch ihre eigene Natur genoͤthiget, eine
Handlung zu thun, , die fonft unterlaffen werden koͤnnte, oder
eine
368 Don der Freyheit des Willens.
eine Handlung nicht zu thun, die fonft gefchehen koͤnnte.
Diefer Noͤthigung find, alle bloß natürliche Handlungen eis
ner Subftanz, unterworfen $. 700. Go fan eine Uhr,
durch ihre eigene Natur, zwar den Zeiger vorwärts bewe⸗
gen, aber nicht rüdwärts, und fie Fan ihn auch durch ihre
ſtatur nicht ftille ftehen laffen, Folglich erfolger, dieſe Be—
wegung des Zeigers, Durch eine innerliche natürlihe Noͤ—
thigung. Nun fönnen wir nicht leugnen, daß viele unferer
Handlungen, und viele Handlungen unferer Seele, bloß na—
türliche Handlungen find, Die Nothwendigkeit unferer
Natur treibt uns zum Hunger und Durft an, und wir koͤn—
nen uns des Hungers und Durftes nicht erwehren. Folg⸗
lich find wir, in vielen unferer Handlungen, einer innerlis
chen natürlichen Nöthigung unterworfen; und die Nothwen⸗
digkeit, welche daher entſteht, ift bloß eine natürliche und
bedingte, Feinesweges aber eine unbedingte und fataliftifche,
und fie hebt alfo, die innerliche Zufälligkeie und GSelbftthä-
tigfeit der bloß natürlichen Handlungen, nicht auf. Allein
da viele unferer Handlungen frey find in der Berrichtung,
und da wir fie, durch unfere Natur, eben fo wohl thun,
als auch unterlaffen Fonnen $. 700. fo find, viele unferer
Handlungen, nicht nur an fich, fondern auch natürlicher
Weiſe zufällig $. 409. Folglich werden wir durch unfere
Natur weder genöthiget, eine folhe Handlung zu thun,
noch fie zu unterlaffen, und folglich find wir in diefer Hands
lung frey von der. innerlichen natürlichen YIöcbt-
gung. Diefe Freyheit fomt einer jedweden Subſtanz zu,
in fo ferne fie durd) ihre Natur eine Handlung thun, und
auch unterlaffen fan. Wer alfo diefe Freyheit der See—
le abfprechen wolte, der müfte beweifen, daß fie zwar durch
ihre Natur alle ihre eigenen Handlungen, die fie verrichtet,
verrichten fonne; daß es aber nicht möglich fey, daß fie auch
nur eine einzige derfelben Durch ihre Natur folte unterlaſſen
fönnen; und mer diefen Beweis unternimt, der widerfpriche
der täglichen Erfahrung ins Angeficht, Ä
$, 70%
— — — —
—
— ——
er. ———
— —
|
Von der Freyheit des Willens. 369
843703,
Die Bewegungsgruͤnde, in fo ferne fie nach) dem Ge—
fege des VBegehrungsvermögens diefes Vermögen beſtim—
men, eine Handlung, die man thun und laffen Fan, zu bes
gehen, oder zu verabſcheuen, heiſſen das Belieben. Nicht
alle Bewegungsgruͤnde heiſſen, in allen Faͤllen, das Be—
lieben. Alle unſere Begierden und Verabſcheuungen ent—
ſtehen aus Bewegungsgruͤnden, und alſo auch die bloß na—
tuͤrlichen. Folglich werden ſie durch dieſe Gruͤnde, nach
dem Geſetze des Begehrungsvermoͤgens, beſtimt; allein
man ſagt nicht, daß ſie nach Belieben entſtehen. Geſetzt
ein Menſch ſey ungemein hungrig, weil er in vier und
zwanzig Stunden nichts zu eſſen hat bekommen koͤnnen;
geſetzt man frage ihn, warum er ſo hungrig ſey? ſo wird
er zwar den Grund anfuͤhren koͤnnen, daß er nemlich in ſo
langer Zeit nichts gegeſſen; allein er wuͤrde laͤcherlich han—
deln, wenn er fagen wolte: es beliebe ihm nun ſo. Im
Gegentheil, wenn er mit Fleiß eine lange Zeit gefaſtet, ſo
hat er eſſen, und auch nicht eſſen koͤnnen. Da er nun das
letzte erwaͤhlt hat, ſo kan er ſagen: es hungere ihn, weil
es ihm beliebt, eine lange Zeit nichts zu eſſen. So er—
waͤhlt man nach Belieben eine Lebensart, wenn man ſie hat
erwaͤhlen und auch nicht erwaͤhlen koͤnnen, wenn ſie uns
aber mehr gefallen als alle uͤbrigen, die man an ihrer ſtatt
haͤtte erwaͤhlen koͤnnen. Alles demnach, was zu den Be—
wegungsgruͤnden gehoͤrt, das muß auch zu dem Belieben
gerechnet werden. Nun ſagt man, daß eine Subſtanz
nach Belieben begehre und verabſcheue, wenn ſie bey
einer Handlung, die fie thun und laſſen Fan, nach Erkennt—
niß ihr DBegehrungsvermögen zu einem unter beyden bes
ſtimt; oder diefes Vermögen fo beftimt, wie aus ihrem ei-
genen Belieben erfannt werden Fan. Wenn mir alfo et-
was begehren, welches wir auch hätten verabfcheuen Fön-
nen, weil es uns gefält es zu begehren; oder wenn wir et-
was verabfcheuen, welches wir auch hätten begehren koͤn—
nen, weil es ung gefält, es zu verabfcheuen:; fo begehren
3. Theil, Aa und
579 Don der Freyheit des Willens.
und verabſcheuen wir nach Belieben. In allen Faͤllen, wo
wir waͤhlen, iſt es recht merklich, daß wir uns nach Belie—
ben entſchlieſſen. Folglich ſagt uns die Erfahrung, daß
wir ofte nach Belieben begehren und verabſcheuen. Folg—
lich haben wir auch ein Vermoͤgen, nach Belieben zu be—
gehren und zu verabſcheuen $. 61. und dieſes Vermoͤgen
wird das Willkuͤhr genannt, Daher ſagt man, man
habe willkuͤhrlich eine Lebensart erwaͤhlt, oder etwas gethan,
wenn man es nach) Belieben gethan oder unterlaſſen bat.
Ale Handlungen nun, bey denen es in der Gewalt einer
Gubftanz fteht, fie nach Belieben zu thun oder zu untere
Lafien, heiſſen willkuͤhrliche Jandlungen. Es gehören
dahin nicht nur Diejenigen Handlungen, die würflich nad)
Belieben beftimt werden, und Die man als unmittelbare
Wuͤrkungen, und als einen Gebrauch des Willführs- be—
£rachten muß; fondern aud) viele Handlungen, Die in der
That nicht Durch den Gebrauch des Willführs erfolgen,
bey denen wir aber doch das Willführ hatten brauchen Fon-
nen. Wenn ein Menſch noch nicht aus Gewohnheit fluchr,
fo muß er allemal, wenn er fluchen will, fein Willführ ges
brauchen; allein ifts ihm erjt zur Gewohnheit geworden,
fo brauche er fein Willkuͤhr niche mehr zu gebrauchen, und
er flucht in der That nicht mehr nach Belieben. In bey—
den Fällen aber ift, das Sluchen, eine willfürliche Hand-
lung. Und es iſt ausder täglichen Erfahrung Elar, daß vie—
Ye unferer Handlungen willführlich find. , Solche Hand.
lungen müffen felbftehatig, an fich und natürlicher Weife
zufällig feyn, folglich müffen fie feey ſeyn, von alfer unbe-
dingten Noͤthigung, von aller. fchlechterdings fo genanten
äufferlichen, und von aller inmerlichen Noͤthigung $. 696.
699. 701. 702, Nicht alles Begehrungsvermögen ift ein
Willkuͤhr, allein alles Willführ ift ein Begehrungsvermö-
gen, und diefes Vermögen ift allemal das Willführ, wenn
es etwas begehrt, welches wir auch hatten verabfcheuen
fonnen, und wenn es. etwas verabfcheuet, welches wir
auch hätten begehren Fonnen, Die Einwürfe, die man
wider
— —
Pa Zu —
—
ö— — ES So Sn nn ————— — —
Don der Freyheit des Willens, | 371
wider die Wahrheit machen Fan, daß wir Menfchen
mie einem Willführ begabt find, will ich bis zu Unterſu—
chung des freyen Willens verfparen.
$. 704.
Sch babe, in dem — Abſete, diejenigen
Arten der Noͤthigung angefuͤhrt, welche dem Willkuͤhr wi—
derſprechen, und mit demſelben nicht zu gleicher Zeit ſtat
finden koͤnnen. Allein es gibt gewiſſe Arten des Zwangs,
welche mit dem Willkuͤhr ſehr wohl beſtehen koͤnnen. Und
da muͤſſen wir erſt erklaͤren, was das heißt, gerne oder uns
gerne etwas thbun. Man fan fich nemlich bier, auf eine
zroenfache Art, erklären. Einmal begehren und verab⸗
ſcheuen wir gerne, was wir nad) Belieben begehren und
verabfcheuen. Und folglich thun wir aile unfere willkuͤhr—
lihen Handlungen gerne, und was wir willkuͤhrlich thun
oder unterlaſſen, das thun oder unterlaſſen wir gerne. So
würde man dieſe Redensart, dem Worte nach, erklaͤren.
Folglich iſt es der Natur der Seele zuwider, in irgends ei—
nem Falle, da wir vermoͤgend ſind eine Sache ſo wohl zu
begehren, als auch zu verabſcheuen, ungerne zu begehren
und zu verabſcheuen: denn das hieſſe eben ſo viel, als
ohne alle Bewegungsgruͤnde ſich entſchlieſſen, eins unter
beyden zu thun. Man koͤnnte zwar ſagen, daß wir in
allen Faͤllen, wo wir ohne Willkuͤhr begehren und verab—
ſcheuen, ungern begehren und verabſcheuen; allein ſo pflegt
man nicht zu reden. Zum andern iſt es dem Gebrauche
zu reden gemaͤſſer, wenn man dieſe Redensarten anders er—
klaͤrt. Und da ſagt man, man begehre etwas gerne,
wenn wir es auch verabſcheuen koͤnnten; allein wenn wir
es entweder gar nicht verabſcheuen, ober fo ſchwach, daß
die Begierde viel ſtaͤrker if, als diefe Berabfeheuung. Folg—
lich begehren und hun wir etwas gerne, wenn es uns ent-
weder ein reines Vergnügen macht, oder ein viel ſtaͤrkeres
Vergnügen als Mißvergnügen, und wenn alfo in unferm
Belieben, ein fehr groffes Lebergewicht des Bergnigens
über das Mißvergnügen, angetroffen wird, Wenn wir
Aa 2 hung⸗
372 Don der Sreyheit des Willens.
hungrig find, fo efjen wir eine Speife gerne, wenn fie uns
nicht das geringfte Mißvergnügen macht, wir nehmen aber
auch gerne eine Arzney ein, wenn fie uns zwar widerlic)
ſchmeckt, aber in einem fehr Eleinen Grade. Wir verab-
ſcheuen etwas gerne, wenn wir es zwar begehren koͤnn—
fen, wenn wir es aber entweder gar nicht begehren, oder fo
ſchwach, daß die Verabfcheuung viel ftarfer ift, als diefe
Begierde, Folglich verabfcheuen wir und unterlaflen et»
mas gerne, wenn es uns entweder nichts als Mißvergnuͤ—
gen macht, oder ein viel ftärferes Mifvergnügen als Ber:
gnügen, und wenn alfo in unferm Belieben, ein fehr grof-
fes Uebergewicht des Mifvergnügens über das Vergnügen,
angetroffen wird. So unterlaſſen wir den Genuß einer
Speife fehr gerne, wenn fie uns fo efelhaft ift, daß mir
nicht den geringften Appetit nach derfelben haben. Und
wir enthalten uns in Kranfheiten des Genuffes folcher
—— ——
Speiſen gerne, die mir auch bey gefunden Tagen nicht gar -
zu gerne gegeffen haben. Nun begebren wir eine Sas
che ungern, wenn, in unferm Belieben, ein ſchwaches
Uebergewicht des Bergnügens über das Mifvergnügen iſt;
wenn wir auch viele und ftarfe Bewegungsgründe haben,
fie zu verabfcheuen, und wenn wir fie zugleich fo ſtark ver:
abfcheuen, daß unfere Begierde nach derfelben nicht viel
ſtaͤrker iſſ. Wir verabfcheuen etwas ungern, wenn
in unferm Belieben, ein Eleines Uebergewicht des Mißver—
guügens über das Vergnuͤgen, angetroffen wird; wern wir
viele und ftarfe Bewegungsgründe haben, daſſelbe zu be:
gehren; und wenn wir es zugleich fo ftarf begehren, daß
die Verabſcheuung deffelben nicht viel ftarfer ift, als diefe
Begierde. So nehmen wir eine Arzney ungern ein, wenn
uns die Haut vor derfelben fihaudert, und wir enthalten
uns des Genuffes einer Speife ungern, wenn uns das
Waffer nach derfelben in dem Munde zufammenflieft.
Wenn wir nach diefer Erflärung etwas ungerne thun oder
unterlafien,, fo handeln wir demnach nach Belieben, und
alfo willführlich $. 703. a in allen diefen Fällen ift es
vecht
—
Don der Freyheit des Willens. 373
recht merklich, daß wir mit einem Willkuͤhr begabt ſind.
Denn alsdenn begehren und verabſcheuen wir, ein und eben
dieſelbe Sache, zu gleicher Zeit. Alſo iſt es ohne Wider—
rede klar, daß es in unſerer Gewalt ſteht, fie zu begehren
und zu verabfcheuen, Daß wir uns aber zu einem unter
beyden nach Belieben enrfchlieffen, Und was braucht es
weiter, um zu erweifen, daß wir ein Willführ haben?
705
Der Zwang befteht in ber Hervorbringung einer
Handlung, welche die Subſtanz, welche gezwungen wird,
ungerne thut. So fagt man, daß ein Menſch zum Sol
datenftande gezwungen werde, wenn er ein Soldat wird,
aber ungern; und eben fo brauchen wir das Wort in un-
endlich vielen Fällen im gemeinen Leben. Wenn man nun
die Frage unterfuchen will: ob der Zwang zu einer Hand-
fung, mit der Willkuͤhrlichkeit, beſtehen koͤnne oder nicht ?
fo müffen, die verfchiedenen Arten deſſelben, von einander
unterfehieden werden. Und da gibt es erftlich einen
feblechterdings fo genannten äufferlichen Zwang,
welcher in einer fchlechterdings fo genannten Aufferlichen
Noͤthigung zu einer Handlung befteht, wovon $. 699. ge-
handelt worden. ine folche erzwungene Handlung iſt gar
feine Handlung, fie ift ein blofies $eiden der gezwungenen
Subitanz, fie gefehieht gar nicht nach Belieben diefer Sub—
ftanz, und vielmehr wider alles Belieben derfelben. Da
fie alfo nicht einmal eine Handlung ift, fo fält bey ihr die
Selbftthätigfeit weg, und fie Fan unmöglid) eine willführ-
liche Handlung genannt werden. Wenn ein Menfch auf
die Art wozu gezwungen wird, fo wird ihm gar Feine Wahl
gelaffen, wie z. E. eine Frauensperfon, wenn fie wuͤrklich
genothzüchtiget wird, oder menn den Juden in Verfol—
gungszeiten mit folcher Gewalt Schweinefleifch in den Hals
gefteckt worden, daß es gar nicht in ihrem Vermoͤgen ge—
ftanden, es zu verhindern, oder es nicht hinunter zu fchlu-
den. Daher Ean auch, in der practifchen Weltweisheit,
ſehr leicht-erwiefen werden, Daß uns folche Veränderungen
Aa3 in
374 Don der Freyheit des. Willens’
in unferm Zuftande gar nicht, weder als vechtmäßige Hand⸗
lungen, noch als Sünden, zugerechnet werden koͤnnen.
Zum andern ſagt man auch, man thue alles dasjenige ge-
ziwungener Weife, was man ungerne thut, nach der andern
Erklärung des vorhergehenden Abſatzes. Und alsdenn ftele
man fich entweder vor, Daß das Fleine Uebergewicht in den
Berwegungsgründen, welches uns zur Handlung beftime,
von uns felbft durch unfere eigene Rathſchlagung bervor-
gebracht werde, oder von andern auffer uns, Iſt das
erfte, fo fagt man: daß man fich felbft gezwungen has
be, oder daß man fid) ſelbſt Gewalt angethan habe; und
in dem andern Falle fagt man, daß man von andern ge=
zwungen fey, und das wollen wir den gevwoiffermaffen fo
genannten Aufferlichen Zwang nennen. So fagt man:
man müffe ſich felbft zwingen eine Arzeney zu nehmen,
man habe fich zwingen müffen -das $achen zu verbergen,
oder feinen Unwillen nicht ausbrechen zu laffen, und was
dergleichen mehr if. Wenn ein Menfch zum Soldaten-
flande gezwungen wird, fo wird er-fo lange bedrohet, oder
es werden ihm auch wohl fo lange allerley Liebel und Linge-
maͤchlichkeiten verurfacht, bis endlic) das Webergewicht in
feinen Bewegungsgründen dahin ausfchlägt, daß er fich
zum Soldatenftande entfchließe. Und fo fommen unend-
lich viele Fälle vor, da ein Menfch ſich nicht nur felbft wo—
zu zwingt, fondern da er auch von andern Menfchen gewifs
ſermaſſen wozu Aufferlich gezwungen wird, es mag nun
beydes entweder mit Necht oder mit Unrecht gefchehen.
N 7064
Wenn ir uns felbit wozu zwingen, fo ift es fo weit
entfernt, daß wir alsdenn nicht willführlich handeln folten,
daß wir vielmehr in feinem andern Falle unfer Willkuͤhr fo
deutlich Auffern, als wenn wir uns felbit zwingen. - Als-
denn handeln wir nad) Belieben, und wir hätten auch an-
ders handeln Fonnen $. 704. Der Zwang, den wir ung
felöft anthun, rührt von einer vorläufigen Berathfchlagung
ber, und ev iſt eine Are dev Ueberwindung und Befiegung
; | unferer
*
Von der Freyheit des Willens. 375
unferer felbft, welche ein offenbarer Beweis des Willführs
find. Und wenn wir Aufferlid) gewiffermaflen wozu ges
zwungen werden, fo ift eben fo Flar, Daß wir nach Belie—
ben handeln, und daß es auch in unferm Vermögen geſtan—
den, die Handlung zu unterlaffen. Folglich fan, aud) die—
fer Zwang, das Willführ nicht aufbeben $. 705. Geſetzt
es wolle mich jemand zum Goldatenftande zwingen, fo
wird er fich meiner bemächtigen, und anfänglich durch bloffe
Drohungen mir eine Furcht einjagen: laſſe ich mich da—
durch bewegen, Soldatendienfte zu thun, fo handele ich of:
fenbar willführlih. Geſetzt aber er fehlage mich, und
überhäufe mid) mit wer weiß wie viel andern Uebel, de—
nen ich nur dadurch entgehen Fan, wenn ic) mich entfchliefs
fe, dasjenige zu thun, was er von mir verlangee: fo ift je=
derman befannt, daß derjenige nicht gezwungen werden Fan,
der Muth genung bat, wie 3. E. ein Märtiver, den Tod
auszuftehen. Laͤßt fih nun aber jemand mürbe machen,
und thut dasjenige, wozu man ihn zwingen will; fo thut
er es um den Uebeln zu entgehen, die man als Zivangs-
mittel roider ihn braucht, und alfo zieht er feiner Meinung
nad) ein Fleineres Uebel einem gröflern vor, und er handelt
Demnach) willführlih $. 703. Man fan zwar zugeben,
Daß die ſchmerzhaften Empfindungen, Durch) welche er ge=
zwungen wird, nicht felbftehätig find; allein die Regel, nach
welcher er handelt, daß er diefelben nemlich als ein gröfferes
Uebel anfiehet, welches zu vermeiden er dasjenige lieber
thus, wozu er gezwungen wird, rührt von ihm ſelbſt ber.
Folglich bleibt feine Handlung, die er aus Zwang thut,
Dennoch felbitthätig, und er hätte fie auch unterlaffen Füns
nen. Daher auch in der practifchen Weltweisheit erwie—
fen werden, fan, daß mir dennoch einer Handlung wegen
Verantwortung auf ung laden, ob mir gleich dieſelbe aus
Noth haben thun müffen, indem wir uns entweder felbft zu
derfelben gezwungen, oder indem mir gewiffermaffen äuffer:
lich, von auſſen ber, zu derfelben gezwungen werden, Un—
terdeſſen muß man geftehen, daß es ofte viel ſchwerer if,
Aa 4 die
376 Don der Freyheit des Willens.
die Handlung, wozu man gezwungen wird, zu unterlaffen,
als fie zu thun, und es ift unmöglid) einen dritten Weg zu
ergreifen. Folglich ift das Gegentheil unferes Verhaltens
in folchen Fällen eines Theils unmöglich, und eines Theils
ſehr ſchwer. Was fehr ſchwer ift, das hält man gemeinig-
lich für unmöglih. Folglich pflegt man in allen Noth—
fällen das DBerhalten, fo man erwäblt, als ein Berhalten
anzufeben, deſſen Gegentheil unmöglich ift. Daher fagt
man: man koͤnne nicht anders handeln, man folle einmal
fagen, ob man es anders habe machen koͤnnen? Und daher
ftelt man fich mit Recht eine gröffere Norhwendigfeit in den
Handlungen vor, wenn man gezwungen wird oder fich ſelbſt
zwingt, als wenn man gar feinem Zwange unterworfen
ift: dieſe Nothwendigkeit aber hebt, die Willführlichkeit
der Handlungen, nicht auf. Und hieher gehören noch die
Handlungen, die man aus Unwiſſenheit oder um |
eines Irrchums willen ungerne vornimt, das find
Handlungen, die man zwar nach Belieben thut, man wür-
de fie aber unterlaffen haben, wenn nicht eine Unwiffenheit, . |
oder ein Irrthum in uns anzutreffen wäre. So ſchwaͤn—
gerte Juda feine Schwiegertochter, weil er fie nicht kannte,
und weil er in der irrigen Meinung ftand, als fen fie eine
ihm fremde Perfon, er that aber unlaugbar die Handlung
felbft willführlih. Das ift aber eine andere Frage, ob die
nicht geſchehene Unterlaffung einer folhen Handlung als
willführlicy angefehen werden Fan? Die Berrichtung der
Handlung felbjt ift unleugbar mwillführlih. Allein die
nicht gefchebene Unterlaffung Fan nur alsdenn willführlich
feyn, wenn der Irrthum und die Unwiſſenheit hätten von
demjenigen vermieden werden koͤnnen, der durch fie verlei-
tet worden, eine Handlung zu thun. Man Fan alfo in der
practifchen Weltweisheit annehmen, daß folche Handlun-
gen manchmal fönnen zugerechnet werden, wenn fie nemlich
aus einer vermeidlichen Unwiſſenheit und aus einem ver—
meidlichen Irrthume entitehen, nicht aber wenn fie aus ei-
nem unvermeidlichen Irrthume, und aus einer unvermeid-
lichen
}
Don der Freyheit des Willens. 377
fichen Unwiſſenheit entſtehen. In dem legten Falle fan
zwar das übrige an der Handlung willfübrlich feyn, aber
nicht dasjenige, was aus Unwiſſenheit und Irrthume ent=
‚ steht. In dem erften Falle aber ift fie unftreitig willführ-
lich. Denn da die Unmiffenheit und der Irrthum hätte
vermieden werden koͤnnen, fo wäre eg möglic) gewefen, und
es hätte in der Gewalt des Handelnden geftanden, fich da-
bey nach Willführ zu verhalten $. 703.
206
Das Willführ ift, verfhhievener Grade der Vollkom—
menheit, fähig, welche nad) folgenden Kegeln beurtheilt
werden koͤnnen: 1) je mehrere und mannigfaltigere Hand-
lungen dafjelbe würft, defto vollfommener ift es. Folglich
je öfter ein Menfch willführlid) handelt, und in je verfchie-
denern Fällen und Umftänden, deſto gröffer und vollfom-
mener ift fein Willführ. 2) Se gröffer und wichtiger die
willführlichen Handlungen find, deſto gröffer und vollfom-
mener ift das Willführ. Und 3) je vollfommener das
Belieben ift, wonach man handelt, folglich je eine weitläuf-
tigere, gröffere, richtigere, klaͤrere, gewiſſere und lebendi-
gere Erfenneniß es ift, defto gröfler und vollfommener ift
das Willführ. Es iſt Daher ein fchlechter Beweis des
MWillführs, wenn man auf Befragen, warum man etwas
thue, fagt: es beliebe einemnun fo, und man fan gar nicht
fagen, warum es einem nun fo und nicht anders beliebt.
Und diefe Borftellung der Grade des Willführs leiter uns,
auf die Betrachtung des freyen Willens.
Bon der Frenbeit,
$. 708.
Das Willführ befteht in dem Vermögen etwas zu
thun oder zu lafien, zu begebren oder zu verabfcheuen, nach
Belieben 9 703. Diefes Belieben befteht entweder aus
deutlichen Bewegungsgründen, oder aus finnlichen, oder
aus beyden zugleic) $. 703. 687. 674. Folglich ift das
Willkuͤhr entweder ein Vermögen, nach einem finnlichen
Aa5 Belie—
378 "Don der Freyheit des Willens.
Belieben oder nach einem deutlichen, oder nach einem ver—⸗
mifihten zu begehren und zu verabfiheuen. Das erfte heißt
das finnliche Willkuͤhr, und es befteht in dem. Bermö-
gen, nach Belieben etwas finnlic) zu begehren, oder zu ber-
abfcheuen ; oder in dem Vermögen, eine Handlung nad)
ſinnlicher Erkenntniß zu thun oder zu unterlaffen ; oder es
befteht das ſinnliche Willführ in dem untern Begehrungs-
vermögen, in fo fern es fih mit einer Handlung befchäfti-
get, bey der es in unferer Gewalt fteht, fie zu. thun und zu
unterlaften. Nun begehren wir viele Dinge, die wir auch
verabfcheuen Fünnten, und wir verabfeheuen viele Dinge,
Die wir auch begehren Fonnten, und wir beftimmen uns da-
bey durch finnliche Bewegungsgründe, z. E. wenn wir Ef
fen und Trinken wählen, oder die Sarbe unferer Kleidun=
gen u. ſ. w. Folglich haben wir ein finnlihes Willkuͤhr.
Diele unſerer Handlungen find, ſinnlich willkuͤhrliche Hand-
lungen, Wir behaupten nicht von allen unfern Handlun=
gen, und wenn wir auch) nur diejenigen dahin rechnen wols
Yen, Die ihren Grund in finnlichen Bervegungsgründen ha⸗
ben, daß fie finnlich willkuͤhrlich ſind. Sondern wir vech-
nen nur dahin Diejenigen, bey denen beydes in unferer Ge;
malt fteht, fie nemlich zu thun oder zu unterlaffen, wenn
eins unter beyden gefchieht, und wir Dazu durch eine un-
deutliche Erfenntniß beftime werden. Die Freyheit, oder
die fittliche und moralifche Freyheit, oder der freye Wille,
oder das freye Willführ iſt das Vermögen, etivas zu bes
gehren oder zu — zu thun oder zu laſſen, nach
einem deutlichen Belieben, oder nach vernünftigen Einſich—
ten und Bewegungsgruͤnden; oder fie ift das Vermögen,
nach Belieben zu wollen, oder nicht zu wollen; oder fie ıft
das obere Begehrungsvermögen, in fo ferne es fich mit ei-
ner Sache oder Handlung befchäftiger, bey der es in ul
ver Gewalt fteht, fie zu thun oder zu unterlaffen. Der
Wille iſt nicht überhaupt frey: Denn er Fan manchmal et—
was begehven, welches zu verabfcheuen nicht in feiner Ge—
walt fteht, und er Fan etwas verabfcheuen, welches zu be-
gehren
e
Don der Freyheit des Willens: 379
gehren er nicht vermögend iſt. Alsdenn begehre und ver,
abfcheuet er zwar vernünftig, aber nicht frey. Die Frey—
beit wird entweder ein reiner, oder ein vermifchter Wille
fern $. 689. jene heißt eine reine Freyheit, dieſe aber
eine vermifchte, welche ein freyes und finnliches Will:
kuͤhr zugleich ift. Nun begehren und verabfcheuen wir vie:
les, nach deutlichen Einfihten. Wir behaupten nicht, Daß
alle unfere Begierden und Berabfcheuungen, daß alle unfe-
ve willkuͤhrlichen Begierden und Verabſcheuungen, und
eben ſo wenig, daß alle unſere vernuͤnftige Begierden und
Verabſcheuungen frey ſind, ſondern wir behaupten dieſes
nur von vielen derſelben. Und da lehrt uns die Erfab-
rung unleugbar, daß viele unferer Handlungen durch einen
freyen Willen beftimf werden, 5. E. wenn wir, nach einer
vernünftigen DBeratbfchlagung, etwas thun oder unterlaffen,
eine Lebensart erwählen u. f. w. Bolglich h haben wir einen
freven Willen, nicht zwar einen reinen, fondern einen ver:
mifchten $. 689. nd das iſt gut fine ung, weil fonft un-
fer freyer Wille ein fehr ſchwaches Vermögen feyn würde,
welches wenig augrichten koͤnnte. Weil es aber durch) die
Sinnlichkeit verſtaͤrkt ift, fo Fönnen wir durch unfere Frey—
heit mehr ausrichten, und unfere freyen Begierden und
Vererabſcheuungen Fonnen den Gegenftänden proportionivter
ſeyn.
® §. 709.
Das Willkuͤhr überhaupt, und infonderheit das finn-
liche und freye Willführ, find befondere Arten des Begeb-
tungsvermögens $. 703. 708, Da nun das ganze Bes
gehrungsvermögen, durch die Vorfiellungsfraft der Welt
nad) der Stellung des Leibes, gemürft wird $, 665. fo wird
aud) alles Willführ, durch eben diefe Kraft der Seele, ge-
wuͤrkt; oder die mwillführlichen und freyen Begierden ver
Seele find nichts anders als, Handlungen der Kraft, wel⸗
che die Seele befißt, und wodurch fie fid) die Welt nach der
Etellung ihres Leibes vorſtelt. Das. Geſetz des Willführs
Fan folgendergeflalt ausgedrude werden: Dep Handlun⸗
gen,
380 Don der Sreybeit des Willens.
4
gen, in Abficht auf welche es in meiner Gervalt
ftebt, fie zu thun oder zu tnterlaffen, begebre ich
Össjenige unter beyden was mir beliebt $. 703. Be
gebre ich eins unter beyden finnlich, fo ift dieſes das Geſetz
des finnlihen Willführs, begehre ich es aber vernünftig
nad) Belieben, fo befteht darin das Gefeß des freyen Wil«
lens. ine Subſtanz ift eine freye Subftanz, welche
mit einem freyen Willen begabt ift. Und fieye Hand⸗
lungen find folche Handlungen, in Abficht auf welche es
in der Gewalt einer freyen Subftanz fteht, ſich nad) Frey:
beit zu beftimmen , diefe Handlung entweder zu thun oder
zu unterlaffen, fie entweder fo oder anders zu hun. Wir
rechnen alſo, zu den freyen Handlungen, eine doppelte Art
der Handlungen. Einmal diejenigen, die wir thun, da
wir fie doch hätten unterlaffen Fönnen, oder unterlaffen, da
wir fie doc) hätten thun koͤnnen, oder fo thun und unter
laffen, da wir fie doch hatten anders thun und unterlaffen
fünnen, und zwar weil wir nach deutlichen Bewegungs—
gründen uns in der That beftimmen, eben fo und nicht ans
ders uns zu verhalten. Hieher Fönnen wir alle Fälle rechnen,
in welchen wir nad) einer vernünftigen Berathſchlagung
uns entfchiieffen, eine Handlung zu thun oder zu unterlaf-
fen. Zum andern find Handlungen aud) frey, Deren
Thun und Laſſen, und die Art von beyden zwar in unferer
Gewalt ftehen, die wir aber würflich nicht nach deutlichen
Einfichten vornehmen, wenn es uns nur möglid) gewefen
waͤre, daß wir zu der Zeit hätten nad) deutlichen Einſich—
ten, und nad) einem vernünftigen Belieben handeln koͤnnen.
Folglich bringe es die Natur unferer Freyheit mit ſich, daß
mir nicht nur alsdenn frey handeln fönnen, wenn wir durch
Die obern Kräfte unferer Seele handeln; fondern auch als«
denn, wenn diefe Kräfte ganz unmürffam find, und wir
bloß nach der Sinnlichfeit handeln, nur muß es in dem
legten Falle in unferer Gewalt ftehn, die Handlung, die ‘
roir nad) bloſſer Sinlichfeit verrichten, nad) Vernunft vors
zunehmen. So handelt ein Menſch frey, wenn er aus
Eigen«
Don der Srepheic des Willens. 381
Eigenfinn, aus Gewohnheit, aus $eidenfchaften handelt,
ob er in diefen Fällen gleich nach bloffer Sinnlichfeit han—
delt, wenn es nur in feiner Gewalt fteht, daß er dieſe
Handlungen nad) einem vernünftigen Belieben thun und
unterlaffen koͤnnen. Wenn wir nun alles zufammennehs
men, was bisher abgehandelt worden, fo koͤnnen wir alles
dasjenige deutlich hererzählen, was zu der Frenheit Des
Willens und der Handlungen erfodert wird. Einmal wer⸗
den vorläufig, folgende Stüde, erfodert: 1) die Selbſt—
thaͤtigkeit der Handlung $. 697, Eine Handlung, die
nicht felbftehätig ift, ift Eeine wahre Handlung, und folg-
lid) Fan fie auch nicht nach “Belieben verrichtet werden. Es
verfteht fid) von felbft, dag man eine freye Handlung felbft
thun muß, und man fan ſich zwar in Abſicht auf ein Lei⸗
den frey verhalten, aber ein Leiden, in fo ferne es ein Leis
den ift, Fan £eine freye Handlung feyn. Folglich erfodert,
der frene Wille, zum voraus eine Freyheit von dem
fehlehterdings fo genannten äufferlichen Zwange $. 705.
2) Die Zufälligfeit der Handlung; denn eine freye Hand-
fung muß koͤnnen gefchehen und auch nicht geſchehen, fo
oder anders gefchehen, und folglich muß ihr Gegentheil
möglich und fie felbft muß zufällig feyn. Daher wird vor
läufig zu der Freyheit, die Freyheit von der fehlechterdings
fo genannten Nöthigung erfodert $. 699. und auch infons
derheit von der fehlechterdings fo genannten innerlichen Noͤ—
tbigung $. 701. 3) Die natürliche Zufaͤlligkeit der Hand-
fung, oder es muß nicht nur in meiner Gewalt ftehen, die
Handlung zu thun, fondern auch fie zu unterlaffen,, fie nicht
nur fo, fondern auch anders zu thun. Folglich wird zu der
Freyheit vorläufig, die Freyheit von der innerlichen natuͤr—
lichen Noͤthigung, erfodert $.702. Zum andern wird
mefentlich zu der Freyheit der Handlung erfodert, daß fe
nach einem Belieben eben fo und nicht anders gefchehe,
welches deutlich und vernünftig iſt, oder doch wenigftens
dentlich feyn Fan, Folglich hat die Freyheit, wenn fie als
ein Vermögen der Seele betrachtet wird, zwar in ber
Vorſtel⸗
982 Von der Freyheit des Willens.
Vorſtellungskraft ihren Sitz, wie alle Vermoͤgen der See—
le; allein man kan doch ſagen, daß ſie zu dem Willen als
eine beſondere Art deſſelben gehöre, oder daß fie nichts an—
ders als ein Wille von einer befondern Art fen. Und weil
die Freyheit ohne deutiiches Belieben nicht feyn Fan, fo
jest fie allemal Berftand und Vernunft voraus, und Fan
in Feiner andern Subſtanz, als in einem Geifte, anges
troffen werden.
$. 710,
Lieber die Freyheit des Willens ift, eine doppelte fehr
wichtige Streitigfeit, entflanden. Cinmal giebe es Welt:
weife, welche ver menfchlichen Geele alle Freyheit des Wils
lens fchlechterdings abfprechen, man mag fie aud) erflären
wie man will. Zum andern giebt es einige, welche zuge:
ben, daß der menfchlihe Wille frey fen; allein fie find
mit uns wegen der Erklärung der Freyheit uneinig, und
geben vor, daß eine Freyheit nach unferer Erklärung gar
feine wahre Freyheit ſey. Diejenigen, welche dem Men
ſchen alle Freyheit abfprechen, berufen fih vornemlich auf
folgende Gründe, 1) Sie nehmen ein unmidertreibliches
Schickſaal in der Welt überhaupt an, und behaupten alfo,
daß alle Begierden und Verabſcheuungen des Menfchen,
und alle feine Handlungen, ſchlechterdings nothwendig
find, Es ift wahr, eine Handlung, die ſchlechterdings
nothwendig ift, Fan unmöglich frey feyn, weil eine freye
Handlung muß unterlaffen werden fünnen, und fie muß
alfo zufällig feyn. Wer alfo ein Fataliſt ift, und annimt,
daß alle unfere Handlungen einer fehledhterdings fo genann=
ten Möthigung unterworfen find; $. 696, der Fan unmoͤg⸗
lich dem Menfchen, einen freyen Willen, zufchreiben. Diez
fer Einwurf wird völlig gehoben, wenn man fich von fei-
ner eigenen Zufälligkeit, und von der Zufälligkeit aller fei«
ner Handlungen, überzeugt $. 695. Doc ich habe, die
Lehre von dem unmwibertreiblichen Schiefaal, ſchon in dee
Coſmologie binlänglic) widerlegt F. 308 3ır. Zum 2) leug«
nen einige deswegen die Freyheit des Menfihen, weil fie
glaus
Don der Freyheit des Willens, 383
‚glauben, daß alle Handlungen des Menfchen durch fein
Weſen hinreichend beſtimt werden, und daß alfo alle diefe
Handlungen, einer fchlechterdings fo genannten. innerlichen
Noͤthigung, unterworfen wären $, 701. Wenn dent alfo
wäre, fo müften alle unfere Handlungen ſchlechterdings
nothwendig feyn. Wer ſich alfo von feiner eigenen: Zufäls
digkeit gründlic) überzeugt . 695. der erfennt zugleich, daß
diefer Einwurf einen ungereimten ‚Einfall enthalte. Zum
3) wenden mand)e ein, und fagen, daß der Menſch vem
Strome der Dinge folgen müfle, wie er ihn fortreißt, der
Menſch möge auch Entfhlüffe faffen, was für weiche er
wolle, Der Menfd) fey wie ein Hund, welcher an einen
Saftıwagen angebunden ift, und weicher folgen muß, er
mag wollen oder nicht. Alſo babe der Menfch Feine Frey—
heit, in dieſer Welt etwas zu thun, oder zu laffen, weil
er zu ohnmaͤchtig ift, als daß er dasjenige folte ausführen
fönnen, was er fi) vornimt. Allein hier verwechfele mar
den freyen Willen, mit der Mache dasjenige auszuführen,
was man frey befehlofien bat. Wir Menfchen haben
feinen gar zu mächtigen, und noch viel weniger einen all-
mächtigen freyen Willen. Es würde auch ſchlecht genug
in der Welt hergeben, wenn alle Menfchen auch nur die
Helfte von demjenigen vollziehen Eönnten, was fie nach ih.
rev Sreybeit wollen. Allein deswegen hört unfer Wille
nicht auf frey zu ſeyn, weil er Feine groffe Mache befige:
fo wenig eine freye Republik etwas von ihrer Majeſtaͤt und
Freyheit verliehrt, wenn fie ſchwach iſt. Manche Gottes:
gelehrte verwechfeln die Freyheit und die Macht des Wils
lens mit einander, indem fie fagen, ein unbefehreer Menſch
habe feinen freyen Willen in Abficht auf das Gute, weil
er nicht Kraft genug hat das Gute zu thun. Zum 4) ba«
ben einige Seinde ver Freyheit ven Einfall, als wenn alle
Handlungen der Menfchen natürlich nothwendig wären, und
als würden fie insgeſamt durch eine innerliche natürliche
Noͤthigung befiimt S. 702. Es ift wahr, wenn diefes
Vorgeben Örund hätte, fo wäre es um die Freyheit unfers
Willens
384 Don der Srepheit des Willens.
Willens gethan. Wir geben auch zu, daß viele unferer
Handlungen natürlidy nothwendig find; es behauptet aber
aud) fein vernünftiger Bertheidiger der Freyheit, daß alle
unfere Handlungen frey find. Wir geben gleichfals zu,
daß vieles an denen Handlungen, die mir frey nennen,
natürlidy nothwendig fen; denn es Fomt uns nicht in. den
Sinn zu behaupten, Daß alles an denen freyen Handlungen
frey fey. Wenn aber der Gegner behauptet, daß alle un«
fere Handlungen, und alles Mannigfaltige aller unferer
Handlungen, natürlid) nothwendig fey; fo muß man er«
warten, was er deshalb zum Beweifeanführt. Die Fein«
de der Freyheit find ofte nur gewohnt, ihre Gegenmeinung
fühn zu fagen, ohne einmal eine Anftalt zu einem Beweiſe
zu machen. Wir behaupten, daß viele unferer Handlun:
gen, und vieles in denfelben, natürliher Weife zufällig
fey, und wir berufen uns deshalb auf die Erfahrung, wel«
he uns lehrt, daß es in unferer Gewalt ftehe, manche
Handlungen zu hun oder zu unterlaffen, und diefelben fo oder
anders einzurichten. Und 5) glaubt man berechtiget zu
feyn , deswegen dem Menfchen den freyen Willen abzufpre«
chen, meil er in allen feinen Handlungen einer Nöthigung
von auffen ber unterworfen fey, die der Natur der Frey—
heit zuwider ift. Und da beruft man ſich wieder auf zwey
Gründe inmalnimt man an, daß der allgemeine Rath»
ſchluß GOttes alles, und alfo aud) alle menſchliche Hand»
lungen, von Ewigkeit her fo beftimme, daß dem Menfchen
nicht mehr frey ſtehe, etwas darin zu ändern. Folglich
könne der Menfch Feine Freyheit haben, weil fie ihm zu
gar nichts nüße feyn würde. Allein diefer Einwurf üft leicht
zu heben. Der Rathſchluß GoOttes ift Fein unbedingter
Rathſchluß, und Fan mit der innerlichen und natürlichen
Zufälligkeit der Dinge in der Welt vollfommen beftehen,
wie aus der natürlichen Gottesgelahrheit erhellen wird.
Wenn alfo eine Handlung ihrer Natur nad) frey ift, fo
wird fie, durch den Rathſchluß GOttes, diefe Befchaffen«
heit nicht verlieren. Geſetzt Cajus komt in die Umftände,
daß
Don der Freyheit des Willens, 385
daß er fih entweder felbft ums Leben zu bringen gereiße
wird, oder daß er diefen Neigungen widerfteht. Geſetzt
er entfchließt fih nad) langer Berathſchlagung, fich felbft
zu ermorden, GoOtt hat von Emwigfeit her vorhergeſehen,
wie ſich die Freyheit des Cajus in allen Faͤllen, und alſo
auch in dieſem Falle, entſchlieſſen werde, und da er zugleich
erkannt, daß dieſer Selbſtmord in den Plan der ganzen
Schoͤpfung gehöre, fo bat er befcd)loffen, diefe That. ge—
fchehen zu laflen. Nun fan: Cajus freylich den Selbſt—
mord nicht ‚unterlaffen, allein das heißt fo viel, als, Die
Freyheit des; Cajus Fan nicht beydes zugleich, den Gelbft:
mord und. das Gegentheil deffelben, befchlieffen. Denn
der freye Wille muß, eins unter beyden, nur ermwählen.
Da nun in unferm Falle GOtt vorbergefehen, daß Cajus
den Selbſtmord wälen werde, fo beftimt fich, die Freyheit
des Cajus, in diefem Falle gewiß auf dieſe Seite. Kan
fie nun wohl, zu gleicher Zeit, das Gegentheil befchlieflen ?
Und hört nun wohl Deswegen diefer Selbftmord auf, frey
zu feyn? Es fcheint, als verlangten manche Leute von dem
freyen Willen, daß er ein Vermögen fern folle, in dem Aus
genblicke, da er eine Sache fo beftime, viefelbe auch ans
ders zu beftimmen. Allein da diefes ungereimt ift, fo muß
man von dem freyen Willen nichts verlangen, als was an
ſich möglih und chunlid if. Zum andern beruft man
fi), um die Freyheit des Menfchen über den Haufen zu
werfen, auf den allgemeinen Zuſammenhang der Dinge in
der Welt, in welchen die Seele eingeflochten ift, und wels
her dergeftalt auf die Seele würfe, daß er fie, wie ein
gewaltiger Strom, mit ſich fortreiffe, und es ihr alfo nicht
frey laffe, fich felbft zu beftimmen, und zwar nach eige-
nem Belieben. Auf diefen Einfall muß, verfchiebenes,
geantwortet werden. Erftlih, wenn der Zufannmenhang
in der Welt auf die Seele, durch einen ſchlechterdings ſo
genannten aͤuſſerlichen Zwang, würfte, und zwar in allen
ihren Veränderungen, fo wuͤrde fie Eeine Selbſtthaͤtigkeit
und Freyheit haben $. 705. Allein eine ſolche aͤuſſerliche
3, Theil, Bb Gewalt«
‚386 Von der Freyheit des Willens.
Gewaltthaͤtigkeit, welche durch den allgemeinen Zuſam⸗
menhang verurfache würde, wird-ohne Beweiß angenom⸗
men. Wir find aufs gemiflefte verſichert, daß die Seele
eine wahre Subftanz fey, und alfo ofte felbit handele,
Folglich Fan audy, der allgemeine Zufammenbang, die
Seele von auffen nicht fehlechterdings nöthigen. Zum am
dern geben wir zu, daß unſer freyer Wille zu ohnmächtig
ift, etwas wider ven Übrigen allgemeinen Zufammenhang
in der Welt auszurichten, und daß ſelbſt in unfern freven _
Handlungen vieles feyn Fan, welches durch den Zufammens
bang der Dinge auffer der Seele dergeſtalt beitimt wird,
daß es nicht frey ift. Und alfo fieht ſich die Seele freylich
in ihren Handlungen genöthiget, mit dem Strome fortzus
fhwimmen. Und drittens ſcheint es, als ftelle man ſich
den Menfchen, in dem allgemeinen Zufammenhange der
Dinge, als ein leblofes Stüce Holz vor, welches in einen
ſchnellen Strom geworfen wird; da man ſich ihn doch als
einen Waffertropfen vorftellen folte, der mit zudiefem fchnel-
len Strome als ein Theil gehört. Die Freyheit des Mens
ſchen gehört mit unter die Gründe, von denen, nach dem
algemeinen Zufammenhange der Dinge, alles in. der Welt
abbanget, und auch zu den Folgen aller übrigen Dinge
Wenn man alfo fagt, daß eine Handlung des Menfchen,
durch den allgemeinen Zuſammenhang, beftimt werde; fo
fagt man zu gleicher Zeit, daß fie auch durch die Freyheit
des Menfchen beftimt werde, und es ift alfo Flar, daß fie
in diefer Abſicht frey ſeyn koͤnne. Sch erinnere noch eins
mal, daß ich nicht behaupte, als wenn eine menſchliche
Handlung durch und durch frey feyn koͤnne, und was alfo
der übrige Zufammenhang ver Dinge in der Welt an der
Handlung beftimt, das iſt nicht frey.
Se
Was nun diejenigen Gegner betrift, welche ziwar dem
Menfchen die Freyheit des Willens zugeftehen, aber vorges
ben, daß fie ganz worin anders beſtehe, als unfere Erklaͤ—
rung mit fich bringen; fo ftoffen fie fi) daran, ve mir
ehau⸗
Don der Srepheitdes Willens, 367
behaupfen: eine freye Begierde, Verabſcheuung und Hands
lung werde allemal, durc) vorhergehende Bewegungsgrüne
de, beſtimt. Und da fagen fie, das fey Fein freyer Wille,
welcher durd) eine vorhergehende Erkenntniß beftimt wird;
fondern der freye Wille müfle etwas wollen oder nicht wol⸗
len, ohne einen weitern Grund zu haben, als weil er will
oder nicht will. Zum Behuf diefer Meinung berufen fich
die Gegner: 1) auf die Erfahrung. Sie fagen, ein Menfch
wolle ofte etwas auf eine freye Ark, und ſey fic) gar feiner
Gründe bewußt, warum er es wolle, wie z. . eigenfin-
nige Leute ofte zu thun gewohnt find. Allein bier verwechſelt
der Gegner, die finnlichen Begierden und Berabfcheuun:
gen, mit den vernünftigen. jene find feine Würfungen
des freyen Willens, und man Fan alfo nach ihnen, die
Natur der Freyheit, nicht beurtheiln. Wir geben alfo
zu, daß wir ofte etwas begehren oder verabfcheuen, thun
oder laſſen Fönnen, ohne uns der Gründe bewußt zu
feyn, die uns zu einem unter beyden beftimmen. Allein
daraus-folge nicht, daß in folchen Fällen gar Feine Beftim«
mungsgründe da find: denn wir können, nach dunfeln
DBemwegungsgründen, etwas begehren und verabfcheuen. Und
noch viel weniger folgt daraus, daß der freye Wille ein
Vermögen ſey, etwas zu wollen oder nicht zu wollen, ohne
vorhergehende Bemwegungsgründe, die ven Willen zu eis
„nem unter beyden beftimmen. Wenn man nun fagt, daß
man doch gleichwol in folhen Fällen, da man fich Feiner
Gründe bewußt ift, ofte frey handele; fo geben wir diefes
zu, nicht etwa als wenn folche Handlungen frey wären,
weil fie durch den Gebraud) der Freyheit gefheten, fondern
weil es in unferer Gewalt geftanden hat, fie nach Freyheit
und deutlichen Einfichten vorzunehmen, ob wir dieſes gleich
nicht würflich gethan haben $.709. Zum 2) ſchließt man:
wenn der freye Wille, durch vorhergehende deutliche Bes
wegungsgründe, beftimt wird, zu begehren und zu verab⸗
fheuen, fo entftehen diefe Begierden und Berabfcheuungen
fo nochwendig, daß fie — frey ſeyn Fönnenz und es
* 2
heiße
388 Von der Freyheitdes Willens.
heißt alfo eben fo viel, als der Seele alle Freyheiten abfpres
dien, wenn man fagen wolle, daß fie in dem Vermoͤgen
beitehe, nach deutlichen Einfichten zu wollen oder nicht zu
wollen. Wir fönnten diefen Einwurf ganz kurz abfertigen,
wenn mir fagten, daß der Gegner dasjenige vorausfege,
was erft erwieſen werden foll, nemlich daß die wahre Freys
heit nicht, durch vorhergehende Gründe, müffe beſtimt
werden. Allein wir wollen diefen Einwurf, auf eine lehr⸗
reichere Art, aus dem Wege zu räumen fuchen, und fols
gende Antworten bemerken, a) Es fteht gar nicht in dem
frenen Willen der Seele, ob fie nad) Bewegungsgründen
und Durch diefelben ihren Willen beftimmen will oder nicht,
wenn fie würflich nad) Freyheit handeln will; fondern das
Weſen und die Natur der Freyheit bringet diefes fo mit fid),
und es ift nothwendig, daß der freye Wille, durch veutlis
che Bewegungsgründe, beftime werde, wenn er erregt und
würffam gemacht werden fol, b) Wenn deutliche Bewe⸗
gunasgründe da find, fo Fan die freye Begierde und Vers
abſcheuung, welche in denfelben gegründet ift, nicht anders
als erfolgen, fie Fan nicht auffen bleiben. Und alfo entftes
ben die freyen Begierden und Berabfcheuungen, aus ihren
Bewegungsgründen, auf eine nothwendige Art. Allein
dieſe Nothwendigkeit ift Feine unmwidertreibliche und fatali=
ftifche Nothwendigkeit, weil die Bewegungsgründe, die
wir haben, zur Würflichfeit unferer Seele gehören, und
alfo zufällig find. c) Man Fan nicht einmal eigentlich fa«
gen, daß die Bewegungsgründe unfere freyen Begierden
und Verabſcheuungen nöthigen oder nothwendig machen
koͤnnen, indem fie als Accivenzien weder handeln noch han«
deln Fonnen. ya, wenn diefe Bewegungsgründe durch
den Eindruck, weldyen andere auffer ung befindliche Dinge
in der Seele machen, dergeftalt entftünden , daß die Seele
dabey felbft nicht gefchäftig ware; fo müfte man fagen, die
Seele werde von auffen fihlechterdings gezwungen, fich eis
ne Sache fo oder anders vorzuftellen S, 699, und folglich
würden die Begierden und Berabfcheuungen, welche >
ewe⸗
Don der Srepbeitdes Willens. 389
Bewegungsgründe entſtehen und erregt werden, unmöglich
frey ſeyn koͤnnen. Allein ob wir gleich zugeben, daß die
Seele durd die deutlichen Bewegungsgründe genoͤthiget
werde, etwas zu wollen odernicht zu wollen: fo iſt doc) die—
fe Noͤthigung Feine Nöthigung von auffen ber, indem die
DBewegungsgründe als innerliche Beftimmungen in ber
Seele felbit find. Man muß alfo vielmehr fagen, daß die
Seele fich felbft nöthiget, wenn fie nad) deutlichen Bewe—
gungsgründen will oder nicht. Sie felbft iſt es ja, welche
auf eine Vorftellung achtung giebt, derfelben nachdenkt,
und fie überlegt, welche den Öegenftand beurtheilt und ans
ſchauet, Fury fie ſelbſt ift es, welche eine Vorſtellung zu
einem deutlichen Bemwegungsgrunde macht, und fie felbjt
ift es alfo, welche durch die einzige Vorftellungsfraft, Die
fie befigt, eine Vorftellung zu einem vernünftigen Bewez .
gungsgrunde macht, und dadurd) ihren Willen erregt. Kan
dieſes, der Freyheit des Willens, nachtheilig feyn? Es ift
wahr, es ift dabey eine Nothwendigkeit: allein Fein Ding
ift ohne alle Nothwendigkeit möglih, und man muß alfo
entweder gar Feine Freyheit zugeben, uud das hieffe über
Worte freiten, oder man muß zugeben, daß die Freyheit
des Willens, mit diefer oder jener Nothwendigkeit, gar
wohl beftehen fünne. d) Man fan auch nicht fagen, daß
die Beftimmung des freyen Willens durd) deutliche Bewe—
gungsgründe eine innerliche natürliche Noͤthigung verurfas
che, als wodurch die Freyheit in der That über den Haus
fen geworfen werden wiirde $, 702. Denn ich mag durch deutli⸗
che Bewegungsgründe noch fo ſehr beftimt werden, fo bleibt
es doch allemal in dem Augenblicke möglich, daß meine
Seele von diefen Bewegungsgründen abftrahire, und fo
bald diefes gefchähe, fo bald würde die freye "Begierde oder
Berabfheuung, welche in diefen Bewegungsgruͤnden ges
gründet ift, auc) wegfallen, Folglich bleibt es, aller Bes
wegungsgründe ohnerachtet, doch noch unferer Seele mög»
lid), das Gegentheil zu thun. Folglich fan, die Beltim«
mung des freyen Willens durch deutliche Beregungsgrün-
Bb 3 de,
390 Von der Freyheit des Willens.
de, unmöglich eine ſolche Nothwendigkeit in der Handlung
wörudefüchen; daß fie deshalb nicht frey feyn koͤnnte. Wer
iſt ſo thoͤricht zu ſagen, ein Menſch handele gar nicht oder
weniger frey, wenn er nach einer reifen und langen Berath—
ſchlagung ſich wozu entſchließt, als wenn er dieſes bloß nach
Uebereilung und aus Eigenſinn thut?
$. 712.
Nachdem wir nun, den wahren Begrif der Freyheit
des Willens, feſtgeſeht haben; ſo wollen wir noch ver—
ſchiedene Betrachtungen, über die freyen Handlungen und
andere bieher gehörige Sachen, anftellen, welche diefen Be—
grif in ein noch gröfferes Licht feßen werden. Alle Hand-
Tungen unferer Seele find entweder Handlungen des obern
Begehrun gsvermoͤgens, oder eines der untern Begehrungs⸗
vermoͤgen. Die erſten find Handlungen, die mit Wil⸗
len geſchehen, und die andern ſind Handlungen, die
ohne Willen geſchehen. So ofte wir etwas begehren
oder verabſcheuen nach deutlichen Einſichten, fo ofte hans
delt die Seele mit Willen, oder fo ofte ift der Wille würf-
fam. Alle übrige Handlungen der Seele find, eine Ge—
fhäftigfeit des untern DBegehrungsvermögens. Man
Fan nicht fagen, daß alle Handlungen des Willens frey
find: denn es Fan unfere Seele etwas vernünftig begehren
oder verabfcheuen, welches natürlich nothwendig ift, und
in fo ferne ift diefe Begierde und Verabſcheuung nicht frey.
Allein fo ofte wir etwas vernünftiges begehren und verab-
fheuen, und es ift eine Sache die wir thun und auch laſ—
fen fönnen, fo ofte ift diefe Handlung des Willens frey.
Die Handlungen des finnlichen Begehrungsvermögeng find
allemal frey, wenn es in unferee Gewalt geftanden hätte,
dasjenige, was wir finnlich begehren und verabfcheuen, ver—
nünftig zu begehren und zu verabfcheuen, und wenn es ei-
ne Sache betrift, die wir fo wohl thun als auch laffen fün«
nen. Daher handeln wir Menfchen ofte frey, wenn mir
gleich bloß nad) Sinnlichkeit handeln, 3. E. in der Be—
trunkenheit in den ſinnlichen Gemürhsbewegungen f *
unſern
Don der Freyheit des Willens. 398
unfern Gewonbeiten u. fs m. wenn es nur in unferer Ge—
walt geftanden hätte, dieſe Handlungen nach. deutlichen
Bewegungsgründen zu thun oder zu laflen. Die Handa
kungen des Willens find entweder freywillige Handlun⸗
gen, oder Handlungen des Willens, die nicht frey-
vwoillig find, jene find vernünftige Begierden oder Verab—
fcheuungen, zu Denen wir gar nicht gezwungen werden,
oder vernünftige Handlungen, die wir gerne thun;, die leß=
ten aber find vernünftige Begierden und Berabfcheuungen,
zu denen wir uns entweder felbft zwingen, oder zu denen
mir von andern gezwungen werden 6.704: 705. Go fon:
nen wir eine gewiſſe Lebensart gerne oder ungerne vernünf-
tig begehren, oder verabfcheuen. Nicht alle freye Hand:
lungen find freymwillige oder unfreymwillige Handlungen:
denn es gibt freye Handlungen, die gar Feine Handlungen
des Willens find, die aber dem ohnerachtet frey find, weil wir
fie durch unfern Willen hätten verrichten Fönnen, ob wir es
gleich nicht gethan $. 709. Allein alle freymwillige und unfrey-
willige Handlungen find freye Handlungen, wenn es in uns
jerer Gewalt ſteht, fie zu thun oder zu laſſen $.706. Es ift
alfo nicht ein jedweder Zwang, der Freyheit des Willens,
zuwider, - Wenn wir alfo zehnmal mit Wahrheit fagen
fönnen, daß wir etwas nicht gerne gethan haben, fo folgt
daraus noch nicht, Daß wir nicht frey gehandelt, und daß
es uns weder als eine Sünde noch als eine vechtmäßige
Handlung koͤnne zugerechnet werden,
. . 713
| Man pfleat zu ER daß alle Sittlichfeie auf der
Freyheit des Willens beruhe, und es wird demnach zur
Erläuterung der Natur der Freyheit fehr viel beytragen,
wenn wir das Sittliche genauer erflären. Ks mwird diefes
Wort in fo unendlich vielen verſchiedenen Fallen gebraucht,
daß mir ung Eeinen beflern aligemeinen Begrif davon ma=
chen koͤnnen, als wenn wir alles fittlich oder moralifh in
weiterer Bedeutung nennen, was in einer nähern und
mertlihen Berbindung mit bem.fuenen Willen ſteht. Wol⸗
Bbaa te
392 Von der Freyheit des Willens.
fe man alles firtlih nennen, was mit der Freyheit ir—
gends auf eine Art verbunden ift: fo müften wir, um deg
allgemeinen Zufammenbangs in der Seele willen, alle ih—
re Veränderungen fietlid) nennen, und das wäre fehr
ungereimt. Folglich nennen wir nur dasjenige fietlich, was
mit der Freyheit auf eine nähere Art zufammenhängt.
Folglich nennt man alle freye Beſtimmungen, Handlungen,
DBegierden und Verabſcheuungen, fittliche Handlungen.
Sittliche Sertigkeiten jind, alle Fertigkeiten freyer Hand⸗
lungen. Der fittliche Zuftand ift der Zuftand, welcher
aus fittlichen Handlungen entſteht. Daher alle lafterhafte
und tugendhafte Zuftände, moralifche oder fittliche Zuftän-
de, genennt werden. Da nun alle Beflimmungen Gefes
ge haben $. 80, fo haben auch alle freye Handlungen Ge—
feße, Denen fie entweder gemäß find oder gemäß ſeyn fols
Ien, und diefe Regeln freyer Handlungen beiffen die fittliz
chen Geſetze. Je mehrere freye Handlungen ein fittlis
ches Gefes unter fich begreift, deſto gröffer ift es S. 81.
Folglich ift das gröfte und allgemeinfte fittliche Geſetz das.
jenige, in deſſen Umfang alle freye Handlungen ohne Aus—
nahme gehören, und welches fich alfo über alle freye Hand-
lungen erftreft. In der beften Welt gibt es allerdings,
ein folches ganz allgemeines fittliches Geſetz $. 436. und in
der fittlichen Weltweisheit, das ift, in demjenigen Thei=
Ie der MWeltweisheit, welcher die fietlichen Geſetze unter—
fucht, Die aus der Natur Fonnen unterfucht werden, muß
gezeigt werden, wie Diefes allgemeinfte fittliche Geſetz lau—
tet. Ich babe alle diefe Begriffe nur ganz kurz erflärt,
weil ic) fie hier bloß als Erempel von dem Sittlichen über:
haupt betrachte.
—W
Noch viel noͤthiger iſt es, daß wir unterſuchen, wo—
rin die moraliſche Moͤglichkeit und Unmöglichkeit beſtehe.
Diefe Wörter werben ofte in einer weitern, ofte aber in eis
ner engern Bedeutung gebraucht, Dasjenige wird mora⸗
liſch möglich in weiterer Bedeutung genennt, was
der
Don der Freyheit des Willens, 393
der Freyheit nicht zumider iſt; was, ohne Nachtheil der
Natur der Freyheit, gefchehen Fan; mas nicht anders ge:
ſchehen fan, als durch Frenheit, oder was nur in einer
Subftanz möglich ift, in fo ferne fie einen freyen Willen
hat. Daher haben alle moralifche Veränderungen, fie
mögen tugendhaft oder lafterhaft ſeyn, eine moralifche
Möglichkeit in weiterm Berftande, So ift es moralifch mög:
lich, daß wir eine freye Handlung um deutlicher Bewegungs:
gründe willen thun, es ift aber auch moralifch möglich,
daß wir fie um finnlicher Bewegungsgründe willen thun,
ja daß wir uns nicht einmal der Bewegungsgründe bewußt
find. Moraliſch unmöglidy in weiterer Bedeutung
äft alfo dasjenige, was der Natur der Freyheit widerfpricht ;
oder welches bloß um der Freyheit willen nicht gefcheben
fan, ob es gleich auf eine andere Art gefcheben koͤnnte;
oder welches, wenn es gefchähe, beweifen würde, daß die
Subſtanz, in welcher es gefchieht, feinen frenen Wilfen
habe. So iſt es moraliſch unmöglich, daß der freye Wille
ohne alle Bewegungsgründe, oder ohne vernünftige Bewe—
gungsgründe, etwas begehren oder verabfcheuen koͤnne.
Eben fo ift es moralifch unmöglih, daß ein Menfch eine
freye Handlung thun Fonnte, deren Bewegungsgründe gar
nicht deutlich feyn Fonnten. Zum andern aber braucht
man diefe Wörter auch in einer engeen Bedeutung, und
da nennt man dasjenige moralifch möglich in engerer
Bedeutung, was man fonft auch erlaubt und rechtmaͤſ—
fig nennt, oder dasjenige, was nur durch einen folchen
freyen Willen gefcheben Fan, der ſich nach den moralifchen
Gefegen und auf eine ihnen gemäfje Art beſtimt; oder
was, Den moralifchen Geſetzen, nicht widerſpricht. Mach
dieſer Erklärung haben nur diejenigen freyen Handlungen
eine moralifhe Möglichkeit , welche tugenöhaft find, oder
welche den moraliſchen Gefegen nicht widerfprechen. Mo—
raliſch unmöglich in engerer Bedeutung ift dasjenige,
was man fonft unerlaubt, fündlich und unrechtmäßig nent,
und man verfteht Darunter alles dasjenige, wasıdem freyen
D®b5 Wil:
394 Don der Freyheit des Willens.
Willen widerfpricht, in fo fern er fi) auf eine den morali⸗—
ſchen Geſetzen gemäße Art beitimt; oder dasjenige, was
den moralifchen Geſetzen zumider ift, daher find, alle Suͤn—
den und lafterbafte Handlungen, moraliſch unmöglich in
der engern Bedeutung,
ohren
Da wir alles dasjenige nothwendig nennen, deſſen
Gegentbeil unmöglich ift $. x03. fo bekomt das Nothwen-
dige verfchiedene Mamen, nachdem: die Unmöglichkeit be-
nannt wird, die in feinem Gegentheile anzutreffen iſt.
Wenn nun das Gegentheil einer Sache moralifch unmög= ı
lich ift, fo nenne man fie, zum Unterfchiede der übrigen
Arten der Nothwendigkeit, moralifch norhwendig. And
folglich fan man erſtlich dasienige moralifch norbwens
dig in weiterer Bedeutung nennen, deſſen Gegentbeil
in weiterer Bedeutung moralifch unmöglic) ift. Was dem:
nad) der Natur der Freyheit dergeftalt gemäß ift, daß ohne
ihm die Freyheit Feine Freyheit feyn würde, deſſen Gegen-
theil hebt alle Freyheit auf, und es ift demnach nach diefer
erften Erklaͤrung moralifch notbwendig. Co ift es mora—
liſch nothwendig, daß die Bewegungsgründe aller unferer
freyen Handlungen entweder würflich deutlich find, oder
feyn koͤnnen, und daß der freye Wille allemal durch deut:
lihe DBewegungsgründe beftimt werde. Zum andern
nennt man dasjenige movalifch nothwendig in engerer
Bedeutung, deflen Gegentheil unerlaubte it. Folglich
baben alle tugendhafte Handlungen eine folche moralifche
Nothwendigfeit, aber feine Sünde ift auf diefe Art noth-
wendig. Die moralifche Nöthigung, oder die Handlung
wodurch eine Handlung in engerer Bedeutung moralifch
nothwendig gemacht wird, heißt die Verpflichtung; und
die Verpflichtung zu einer Handlung, die derjenige ungern
thut, welcher verpflichtet wird, heißt der moralifche
Zwang. Diefe Begriffe müffen in der practifchen Welt-
weisheit weiter unterfuche werden, fo viel aber ift Elar, daß
bey der Verpflichtung zu einev Handlung nichts weiter
gebt,
Von der Freyheit des Willens, 395
geht, als daß es dadurch zu einer Günde gemacht wird,
wenn man die Handlung unterlaffen oder anders thun wols
te, als es die Verpflichtung erfodert. Und wenn ein Ge—
feggeber durch Strafen verbindet, fo ift es allemal ein mo=
ralifcher Zwang, weil die Strafen vorausfegen, daß Der
jenige, dem fie gedrohet werden, nicht gerne die Handlung
ehut. Nun iſt vor fich Elar, daß die moroliſche Noth—
wendigfeit, man mag fie nun in der erften oder andern Be—
deutung nehmen, die Freyheit des Willens vorausſetze, und
folglich Ean fie nicht nur mit der Freybeit beftehen, fondern
fie fan auch ohne Freyheit nicht ſtat finden. Folglich find
alle moralifch nothwendige, abgenöthigte und erzwungene
Handlungen frey, und es ift ungereimt, eine moralifch noth-
wendige Handlung zu gedenken, die nicht frey ift. Ja
wenn wir das allgemeine moralifche Geſetz bier vorausfe-
gen $. 713. fo ift eine jedwede freye Handlung demfelben
entweder gemäß, oder nicht. Iſt das legte, fo iſt fie un-
erlaubt, ift das erfte, fo ift fie moralifch nothwendig. Es
ift alfo lächerlich, wenn man denkt, daß die moralifche
Nothwendigkeit und die moralifhe Noͤthigung die Freyheit
auf hebe, wie ſich manche einbilden, daß Die Geſetze Die
Freyheit des Willens wo nicht aufheben, doch einſchrenken.
Ja man Ean fagen, daß der Begrif einer moralifhen Zu-
fältigkeie hoͤchſt ungereimt ſey. Denn eine moraliſch zu-
fällige Handlung wäre eine Handlung, die eben fo wohl
als ihr Gegentheil dem Gefege nicht widerſpraͤche. Und
wer Fan das behaupten? Folglich Fan unmoͤglich die mora—
liſche Nothwendigkeit, der Freyheit des Willens und den
Handlungen, widerfprechen,
Asa e3
Die Erfahrung lehrt uns, daß unfer freyer Wille mit
den Jahren wächft und zunimt, und wir merfen es, daß
er ben dem einen Menfchen groͤſſer ift, als bey dem andern.
Diefe Grade beruhen auf folgenden Betrachtungen: 1) je
mehrere vernünftige Begierden und Derabfcheuungen der
freye Wille in uns hervorzubringen vermögend iſt; oder je.
mehrere
396 Don der Freyheit des Willens,
mehrere und mannigfaltigere Güter wir vernünftig und
frey begehren, und je mehrere und mannigfaltigere Uebel
wir vernünftig und frey verabfcheuen, defto gröfler ift unfer
freyer Wille. Folglich iſt er um fo viel gröffer, je öfter
wir vernünftig frey begehren und verabſcheuen. Leute alfo,
die gewöhnlicher Weiſe, und in den meiften Fällen, nach
ihren Seidenfchaften, nach ihren natürlichen Trieben, und
überhaupt nach) ihrer Sinnlichkeit lieben, haſſen, fürchten
und borfen, thun und laffen, verraten eben dadurch den
geringen Grad und die fehlechte Befchaffenheit ihres freyen
Willens. 2) Je groͤſſere und ftärfere vernünftige Begier-
den und DBerabfcheuungen der freye Wille herporbringet,
defto gröffer und vollfommener ift er. Folglich je gröfler,
edeler und wichtiger die Güter find, die wir vernünftig frey
begebren, je gröffer und wichtiger die Mebel find, die wir
vernünftig frey verabfcheuen, je ftärfer die vernünftigen
Begierden und Berabfcheuungen find, und je proportionir=
‚ter fie den Gegenftänden find, defto vollfommener iſt der
freye Wille. Die gegenfeitige Befchaffenheit des frenen
Willens zeigt offenbar eine groffe Schwäche deſſelben an.
3) Je vollfommener das vernünftige Belieben ift, folglich
je deutlicher, vichtiger, gewiſſer und lebendiger es ift, durch
welches der freye Wille beſtimt reird, deſto vollfommener
iſt er. Hieraus folgt alfo zweyerley. Einmal ift es Fein
Beweis der Freyheit des Willens, wenn man aus Eigen-
finn etwas will, und wenn man feinen weitern Grund an—
führen Fan, als weil man will. Sondern je freyer ein
Weſen will und handelt, defto deutlicher ift fein Belieben,
und folglich ift es fi) um fo viel mehr feiner Bewegungs—
gründe bewußt. Es fan ofte meiner Unabhängigkeit von
einem andern gemäß feyn, daß ich ihm meine Bewegungs—
gründe nicht fage, und daß er zufrieden feyn muß, wenn
ev weiß, ich wolle etwas, Allein je weniger ich mir ſelbſt
meiner Bewegungsgruͤnde bewußt bin, deſto geringer ift
meine Freyheit. Und zum andern ift es allemal ein Zei—
chen einer Eleinen und unvolltommenen Freybeit, wenn man
das
!
ee
— nn —_ —
Von der Freyheit des Willens. 397
das DBofe will, und das Gute nicht will: weil alsdenn un:
fere Bewegungsgründe irrig find. Se richtiger fie aber
find, defto gröffer ift die Freyheit, Folglich ift es unter
andern ein Beweis der höchften und vollfommenften Frey:
heit, wenn man nur das Gute will, und nur das Böſe
verabſcheuet. Wie fehr irret alfo ein Sünder, wenn er
glaubt, daß er durch feine Sünden beweife, er fen ein recht
freyes Wefen!
8. 7.
Wenn wir uns felbft zu einer Handlung zwingen, fo
haben wir fo wohl ftarfe Bewegungsgründe fie zu thun,
als auch zu unterlaffen, und wir bringen felbft das Ueber:
gewicht auf einer Seite hervor $. 705. Geſchieht diefes
nun Durch eine vernünftige Weberlegung, und Zuſammen—
haltung der Gründe von beyden Seiten, oder ift es wenig—
ftens uns möglich gemwefen, daß es durch eine folche vernünf-
tige Ueberlegung hätte gefchehen Fönnen: fo ift cs fo weit
entfernt, daß eine folche Gewalt, die wir uns felbft anthun,
der Freyheit nachtbeilig feyn ſolte, Daß fie vielmehr ver au—
genfcheinlichfte Beweis aus der Erfahrung ift, daß mir
frey handeln koͤnnen $,. 706. 708. Alsdenn begehren und
verabfcheuen wir die Handlung zugleich, und wir fehen alfo,
Daß mir fie thun und unterlaffen Fonnen, daß wir uns aber
zu einem unter beyden entfchlieffen, weil es ung fo beliebt.
Wenn ein Menfch fich beffert, und er zwingt fich felbft,
durch feine eigene Ueberlegung, das tafter zu fliehen, und
die Tugend auszuüben, fo handele er offenbar auf eine freye
Art. Daher finden wir auch, daß Kinder, und alle gar
zu finnliche feute, die wenig Gebrauch ihrer Freyheit befi-
Ken, fich felbit nicht wozu zwingen fünnen, Und eben fo
verhält es fich auch, wenn man von andern wozu dergeftalt
gezwungen wird, daß fie in ung das Uebergewicht in un:
fern mit einander ftreitenden Bewegungsgründen hervor:
bringen $. 795. Man Fan zwar nicht fagen, daß alfe
Handlungen, zu denen wir auf diefe Art gezwungen wer:
den, frey feyn folten. Kinder und fehr einfältige Leute
koͤn⸗
398 Von der. Freyheit des Willens.
koͤnnen ofte, von ihren Eltern und. Borgefegten, zu Hand«
lungen gezwungen werden, die aber nicht frey feyn koͤnnen,
weil es nicht in dee Gewalt diefer Perfonen geftanden, fich
felbft bey diefem Zwange nach) Freyheit zu beftimmen. Al-
lein ofte find dergleichen erzwungene Handlungen frey, weil
es in dem Vermoͤgen der gezwungenen Perfon jteht, den
Zwang zu dulden, und doch das Gegentheil zu thun. Folg-
lich Fan ſich eine ſolche Perfon nach Freyheit beftimmen,
und ihre Handlungen find des Zwangs ohnerachtet fren.
Gefegt ein Menfch werde feiner Religion wegen verfolgt,
und man ftelle ihm die groͤſten Martern und den Tod vor,
um ihn dadurch zu nöthigen, feine Religion zu verleugnen :
ift es hier nicht möglich, daß ein Menfch eine folche Geſin—
nung babe, vermöge welcher er lieber ven Tod ausftehen,
als feine Religion verleugnen wolle? Er fan fich ja den
Tod als ein Fleiner Uebel vorftellen, und wenn er diefes un«
terlaßt, und fich zwingen läßt, feine Religion zu verleug-
nen, fo Fan diefe Berleugnung dennoch eine frene Hand»
lung feyn, ob fie glei) von ihm erzwungen worden, wenn
es ihm nur möglich gervefen wäre, eine vernünftige Ueber—
legung anzuftellen, und ſich den Tod als ein Eleiner Uebel
vorzuftellen, als die Verleugnung der Religion ift. Folg—
lich Fan fich ein Menſch nicht allemal von aller Schuld und
Strafe einer Handlung wegen frey fprechen, wenn er auch
gleich beweifen Fan, daß er von feinen Dbern, oder andern
geuten, dazu mit Gewalt gezwungen worden,
718,
Die legte, Betrachtung des vorhergehenden Abſatzes |
wird Dadurch noch mehr beftätiget, wenn wir die verfchie-
denen Arten des Zwangs unterfuchen, den wir ofte von an-
dern Leuten gewiſſer Maaffen leiden 9.705. Nemlich die:
fer Zwang befteht darin, wenn in unferm Belieben, wels
ches uns zu gleicher Zeit antreibt, eine Handlung zu thun
und zu unterlaffen, auf einer Seite ein Uebergewicht ift,
das ift, wenn wir uns die Handlung entweder mehr als
gut, oder mehr als böfe vorftellen, und wenn diefes Ueber:
gewicht
Von der Freyheit des Willens. 399
gewicht von andern in uns verurfache wird. Folglich Fan
man, auf eine doppelte Art, von andern wozu gezwungen
werden. Cinmal, wenn uns die Handlung mehr als que
denn als böfe vorgeſtelt wird, ob wir fie uns gleich als fehr
böfe vorjtellen. Und diefes gefchieht entweder finnlich, oder
deutlich. Iſt das erfte, fo nenne man es Reitzungen
oder Lockungen, ift das andere, fo nenne man es das An:
ratben. So wird ein Menfch von Berführern gereigt
und gelockt, was Boͤſes zu thun, wenn ibm, aller feiner
Gegenvorftellung ohnerachtet, das Boͤſe auf eine finnliche
Art fo reigend und angenehm vorgeftele wird, daß er es
endlich thut. So werden viele junge Leute, zu den Suͤn—
den der Wolluft, von andern durch Anreigungen genöthi-
get. Und eben fo ſagt man, daß ein Menfch auf Anrathen
eines andern etwas getban, wenn er es gerne unterlaffen
hätte, wenn ihm aber ein anderer fo ſtark zugevedet, und
durch viele deutliche Betrachtungen es als gut vorgeftelt,
bis er es gethan. Wir behaupten nicht, daß alle Hand-
lungen eines Menfchen, wozu er von andern gereißt wor:
den, und die er auf Anrathen anderer Menfchen gethan,
fren find. Allein fo viel ſieht ein jeder, daß viele folcher
Handlungen frey find, weil es ofte in der Gewalt eines
Menfchen fteht, den Lockungen und Rathgebungen anderer
$eute zu widerftehen. Zum-andern Fonnen wir von andern
gewiſſer Maaſſen wozu gezwungen werden, wenn fie, das
Uebergewicht in unfern Bewegungsgründen, dadurch ber:
vorbringen, daß fie uns Boͤſes vorftellen, und zwar entwe—
der finnlich oder deutlich. Iſt das erfte jo zwingen fie ung
durch Drobungen, ijt das andere fo zwingen fie uns durch
ihr Abrarhen. So fan jemand, durch Drohungen, von
feinen Vorgefegten gezwungen werden, wenn fie ihm bloß
ſinnlich vorftellen, daß fie ihn fchlagen, Hunger und Durft
ausftehen laffen wollen u. f. m. wenn er etwas nicht thun
wolle. Man Fan aber auch jemanden eine Handlung, die
er gerne thun möchte, fo lange deutlich als böfe vorftellen,
bis er fich endlich entſchließt, fie nicht zu chun, und alsdenn
LER: bat
406 Von der Sreybeit des Willens,
hat man fie ihm abgeratben. Und wenn man einen andern
dergeftalt zwingt, daß man fo lange foIche Dinge, die ihm
unangenehm find und mißfallen, wirklich macht, bis man
gewiß ift, Das Hebergewicht ſey in feinem Belieben hervor—
gebracht, und er entfihlieffe fich, das zu thun, wozu wir
ihn zwingen wollen, fo nenne man diefe Art des Zwangs
die Erpreſſung. So wird von einem neugeworbenen
Soldaten der Eyd erpreßt, wenn er fo lange gefchlagen
wird, bis er ſchwoͤrt. Nun fan man freylich nicht behau—
pten, daß alle Handlungen, wozu ein Menſch durch) Dro-
bungen, Abrathen und Erpreffung gezwungen wird, frey
fenn ſolten. Allein weil es doch ofte in der Gewalt eines
Menfchen fteht, welcher zu fterben vermögend iſt, dieſem
Zwange zu widerftehen; fo ift eine folche erziwungene Hand«
lung doch frey. Der Menfch hätte ſich ofte durch Dro—
bungen nicht follen erfchrecfen laffen, er hätte auf das Ab—
rathen anderer nicht hören, und er hätte ofte unter der
Duldung der Erpreffung lieber ſterben follen, als dasjenige
thun, wozu man ihn bat zwingen wollen, wie es 5. E. die
Märtiver gemacht haben,
. 719.
Bey unfern freyen Handlungen äuffert fih noch ein
Umftand, welcher fehr merkwürdig if. Nemlich unfere
freye Handlungen find entweder unmittelbar frey, oder nur
mittelbare Weiſe. Unmittelbar freye Handlungen
find diejenigen vernünftigen Begierden und Berabfcheuuns
gen, welche frey ſind: denn in denenſelben befteht die Ge—
fchäftigfeit des freyen Willens. Der freye Wille ift ein
Bermögen, folglih.eine Möglichkeit zu bandeln, Wenn
nun die Handlungen wuͤrklich werden, welche durch diefes
Vermögen möglid) find; fo wird der freye Wille gebraucht,
und diefer Gebrauch beiteht in dem Inbegriffe aller Hands
lungen der Seele, welche unmittelbar frey find. Und da
die Freyheit ein Vermoͤgen ift, nach deutlichem Belieben
zu begehren und zu verabfcheuen $. 708. fo koͤnnen die un:
mittelbar freyen Handlungen Feine andere fern, als diejeni-
gen
— f e ⸗—
Don der Freyheit des Willens. 401
gen vernuͤnftigen Begierden und Verabſcheuungen, welche
frey ſind. Alle uͤbrige freye Handlungen des Menſchen und
der Seele ſind mittelbar freye Handlungen, weil ſie eine
andere naͤchſte Urſach in dem Menſchen haben, als die Frey—
heit. Denn die Handlungen ſind auch frey, welche zwar
wuͤrklich nicht nach einem deutlichen Belieben geſchehen, aber
doch nach einem ſolchen Belieben haͤtten geſchehen koͤnnen
$. 700. Alsdenn hangen ſolche freye Handlungen nicht zu=
naͤchſt von der Freyheit ab, ſondern vermittelſt einer merkli—
chen Reihe vieler Veraͤnderungen, die erſt in der Seele vor—
hergehen muͤſſen, ehe fie wuͤrklich werden. Dieſe Hand⸗
lungen bringe die Freyheit nicht ſelbſt hervor, ſondern ver—
mittelſt anderer Vermoͤgen und Veraͤnderungen der Seele.
Geſetzt ein Menſch entſchließt ſich frey, ſich zu betrinken,
geſetzt daß er in der Trunkenheit wer weiß wie viele Thorhei—
| ten begeht: fo verrichtet er diefe Thorbeiten nicht durch die
Freyheit. Denn die fan er nicht in der Betrunkenheit
brauchen. Und alfo find es mittelbar freye Handlungen.
Zu folchen Handlungen gehören alle-Handlungen aller Er
kenntnißvermoͤgen, des ganzen untern Begehrungsvermägens
und des Körpers, welche nicht gefchehen feyn wuͤrden,
wenn der Gebrauch aller dieſer Kräfte nicht von der Freyheit
abhienge.
— ——
| In denen Handlungen der Seele und des Menfchen,
welche mittelbar frey find, beſteht die Herrſchaft der
Seele über ſich felbft, und in fo ferne Hat die Freyheit
‚ eine Herrfchaft über die übrigen Kräfte ver Seele und des
Menfchen, meil fie derfelben in biefer Abfiche zu Gebothe
ſtehen, und gleichfam auf ihren ‘Befehl wuͤrkſam oder ruhig
find. So finden wir aus der Erfahrung, daß wir, nad)
unferm deutlichen und vernünftigen Belieben, unfere Hufe
merffamfeit auf einen Gegenftand richten oder von demfels
ben abziehen, unfern Berftand brauchen, eine Leidenſchoft
erwecken koͤnnen oder nicht, Folglich befteht die Herrſchaft
der Seele über fich felbft in dem Vermögen, nach ihrem
3 Theil. je — ver⸗
402 Von der Stepheit des Willens.
vernünftigen Belieben, bald diefes bald jenes Vermögens
Handlungen bervorzubringen, und bald diefelben zu verhins
dern. je gröffer alfo der freye Wille ift, deſto gröffer ift
diefe Herrſchaft der Seele über fich ſelbſt. Wir fehen daher
auch, daß junge unverftändige Leute wenig Herrfchaft über
fich felbft haben. Nun ift fein Menfch, der den Gebrauch
des DBerftandes hat, möglich, deffen Seele gar feine Herr
ſchaft über fich felbit haben folte: widrigenfals mülte er gar
feine mittelbar freye Handlungen vornehmen fünnen. Als
lein folcher Leute gibt es fehr viele, die eine ausnehmend Flei-
ne Herrfchaft über fich felbft haben. Dabhin gehören alle
diejenigen, welche mehrentheils nad) ihrer Sinnlichkeit han«
deln, und welche einen Fleinen Grad des Gebrauchs ihres
Verſtandes und ihrer Bernunft beſitzen. Und diefer aus-
nehmende und groffe Mangel der Herrfihaft über fich ſelbſt
it, die moralifche Knechtſchaft im weitern Ver:
fiande. Daher nennt man alles dasjenige Enechrifch,
- wodurch diefe moralifche Rnechtfchaft befördert wird, und
alles dasjenige nennet man frey, wodurch die Herrfchaft der
Seele über ſich felbft befördert, und vermehrt wird, Weil
nun, durch die Wiffenfchaften, der Verſtand und die Bers
nunft fehr verbeffert wird, je beffer aber der Verſtand iſt,
defto gröffer auch die Freyheit und die Herrfchaft derfelben
feyn fan; fo Fan man deswegen auch diefe Willenfchaften
die freyen Künfte und Wiffenfchaften nennen, weil fie ihrer
Natur nach vortrefliche Mittel feyn koͤnnen, die Hervfchaft
der Seele über fich felbt zu vermehren. Wenn ein Menfch
aber immer feinen Seidenfchaften blindlings folgt, fo fan man
diejes eine knechtiſche und felavifche Art zu handeln nennen,
weil fie die moralifche Knechtſchaft be»
fordert,
ARFETTN Re
AKELNR
Das
| | U EI I 403
| Das dritte Kapitel,
Bon dem
Inbegriffe aller Begehrungsvermögen.
S.. ‚721.
as man durch den Kopf des Menfchen, in Abficht auf
feine Erfenntnißvermögen, verfteht, das nennt man
das Herz in Abficht auf die Begehrungsvermögen , oder die
Gemürhsart des Menſchen. Nemlich gleichwie bey einem
jedweden Menfchen alle Erfenntnißvermögen in einer folchen
Proportion ftehen, vermöge welcher fie entweder einander
gleich find, oder vermöge welcher eine auf eine beftimte Art
immer gröffer ift als die andere $. 643. alfo verhält fichs
auch eben fo, mit den Begehrungsvermögen. Ein Menfch
befigt viele Begebrungsvermögen, und zwar in einem bes
ftimten und eingefchrenften Grade. Nun fünnen wir zwar
diefen Grad nicht genau ausmeffen, allein demohnerachtet
muß er ausgemefjen werden Ffünnen, und folglich ift ein Be—
gehrungsvermögen in einem Menfchen, einem jedweden anz
dern Begehrungsvermögen, entweder gleich, oder, ungleich).
Und in dem legtern Falle ift es auf eine beftimte Art entwe—
der gröffer, oder Fleiner als das andere, Diefes Verhaͤltniß
der Gröffen aller Begehrungsvermögen des Menfchen gegen
einander wird, die Bemüthsart, oder das Herzgenannt,
Und da alle Begehrungsvermögen von dem Erkenntnißver—
mögen abhangen, wie wir bisher gefehen haben; fo richtet
ſich aud) das Herz eines Menfchen nach feinem Kopfe, und
die Berfchiedenheit der menfchlichen Gemuͤthsarten hanget,
von der Berfchiedenheit ihrer Gemürhsfähigfeiten, ab. Es
wuͤrde demnad) eine fehr nüßliche Unterfuchung ſeyn, wenn
man, aus der Mannigfaltigfeit der Köpfe der Menfchen,
die Mannigfaltigfeie ihrer Herzen ausführlicher berleitete,
als es bier in der Pfochologie geſchieht. Unterdeſſen ift es
doch dienlich , daß wir einige genauere Betrachtungen, über
die Mannigfaltigkeie der Bildung menfchlicher Herzen, an-
Ä Cc2 ſtellen.
404 Don dem Inbegriffe
ftellen. Und da entdeckt fich ein fehr wichtiger Unterſchied,
‚indem ein Menfch eine edle Gemüthsart hat, und der an—
dere eine niederträchtige. Kine edle Gemuͤthsart beftehe
in einer folhen Gemüthsart, vermöge welcher in einem
Menfchen, gewöhnlicher Weife, die obern Begehrungsver—
mögen herrſchen. Kin folcher Menſch handelt mehrentheits,
bey den wichtigern Vorfällen , nach vernünftigen uud deutli—
chen Einfichten, und wenn Geift und Fleiſch in ihm in ei-
nen Streit gerathen, fo fieget gewöhnlicher Weiſe der Geift.
Das fan man wohl von feinem Menfchen erwarten, daß die
untern Begehrungsvermögen niemals herrfchen follen. Die
edelſte Gemuͤthsart wird ofte, Durch eine Seidenfchaft, dahin
geriffen. Es ift alfo zu einer edlen Gemuͤthsart genung,
wenn nur der Menfch eine Fertigkeit beſitzt, vornemlich vers
möge der oben Begehrungsvermögen zu handeln. Eine
niederträchtige, oder gar zu niedrige Gemuͤthsart im
Gegentheil befteht in einer folchen Gemüthsart, vermöge
welcher gewöhnlicher Weife die untern Begehrungsvermös
gen herrſchen. Es ijt wohl fein erwachfener Menſch mög«
lich, welcher niemals vornemlidy nach Bernunft handeln
ſolte. Daher fehreibe man einem Menfchen mit Recht eine
gar zu niedrige Geſinnung und Gemüthsart zu, wenn er
nur mehrentheils nach Sinnlichkeit, nach natürlichen Trie—
ben und finnlichen Gemürbsbewegungen, handelt, und wenn,
in dem Streite des Fleffches mit dem Geifte, das Fleiſch ges
woͤhnlicher Weiſe den Sieg davon trägt. Dasjenige finnlis
che Begehrungsvermögen, welches bey einem Menfchen, uns
ter allen übrigen, das ſtaͤrkſte ift, wird der Hang des Men—
fchen genannt. So hat ein Ehrbegieriger einen Hang zur
Ehre, ein Wollüftiger zum finnlichen Vergnügen u. ſ. w.
Diefer Hang ift eine fehr merfwürdige Sache. Man far
einen Menfchen nicht leichter rühren und lenken, als wenn
man ihn bey feinem Hange ergreift, Und da die meiften
Menfchen Sclaven ihres Hanges find, fo Fönnen auch die
wenigſten Menfchen diejenigen Tugenden ausüben, Die ih—
rem Hange zuwider find,
$. 722
+
*
aller Begehrungsvermögen, 405
Ä $: 722.
Gleihmwie, durch die verfchiedene Einrichtung der
menfchlichen Köpfe, GOtt die Menfchen, zu allen verfchie-
denen Stücken der menfchlichen Gtückfeligkeit, geſchickt und
aufgelegt gemacht hat; $. 645. alfo hat er fie, durch die
Mannigfaltigfeie der Einrichtung ihres Herzens, Dazu ges
neigt machen wollen. Wenn ein Menfch eine Lebensart,
zur wahren Beförderung der menfchlichen Gluͤckſeligkeit, er-
“greifen und führen will; fo muß er nicht nur dazu geſchickt
feyn, und das ift er vermöge feines Kopfs, fondern er muß
auch Luft und Siebe zu derfelben haben, und die hat er ver
möge feines Herzens. Daher gibt es feine Art der menfchs
lichen Gefchäfte, welche zu dem ganzen Gebaͤude der menfch»
lichen Glückfeeligfeit erfodert werden, wozu nicht viele Seute
eine Meigung haben folten, In ſoferne nun ein jeder
Menſch, Durch feine Gemuͤthsart, zu einer gemwiffen Art der
Gegenftände unferer Begehrungsvermögen geneigt ift, in fo
ferne nennt man die Gemüthsart das Temperament dev
Seele, oder die Mifchung der Gemüthsneigungen. Wir
reden bier nicht von den Temperamenten des Seibes, und
mas diefelben für einen Einfluß auf das Gemüth haben:
das überlaffen, wir den Arzeneygelehrten. Sondern mir bes
frachten hier das Temperament, in fo weit es bloß und zu—
nächft die Geele angeht. Und da fan man mit Recht fa
gen, daß es, umzählig viele Arten der Temperamente der
©eele, gebe. Da nun ein jedwedes Temperament, auf
dem Berhältniffe der Gröflen aller Begehrungsvermögen ge-
gen einander, beruht $. 721. fo wird es geändert, fo bald
dieſes Verhaͤltniß verändert wird. Nun Fan dieſes Ber-
hältniß allerdings verändert werben. Go bald ein Begeh ⸗
rungsvermögen gröffer oder Kleiner wird, fo bald Fan ihr
Berhältniß gegen einander geähdert werden. Dun fönnen,
durch Uebungen und Gewehnheiten, die Bermögen unferer
Seele wachſen, und durd) Veränderungen der Uebungen
und Gewohnheiten fleiner werben, 6. 649. Folglich Fan
aud) das Temperament der Seele, durch Die Veränderung
Er 3 der
406 Don dem Tinbegriffe
der Uebungen, Gewohnheiten und $Sebensarten,, verändert
werden, Die Erfahrung beftätiget es auch zur Genuͤge.
ruſtige Leute werden fehr ofte niedergefchlagene Leute.
723.
Zur Erläuterung des DBegrifs von dem Tempera-
mente, und um feinen Nutzen defto mehr zu befördern, wol—
len wir einige der merfwürdigiien Abänderungen der Ge:
müthsarten der Menfchen betrachten, welche uns die tägli-
che Erfahrung an die Hand gibt. Dahin gehöret zufoͤr—
derft, daß einige Leute ein fchlaffes, träges, ungefchäftiges
und phlegmatifches Temperament befißen; andere aber ein
feuriges, thaͤtiges, wuͤrkſames und geſchaͤftiges. Eine
traͤge GBemüchsart befteht darin, wenn in derfelben, we—
nige und ſchwache Begierden und Verabſcheuungen, angettof-
fen werden. Ein Menfc von einer trägen Gemürhsart hat
wenige und ſchwache Berwegungsgründe. Sein Gemüth
ift geöftentheils gleichgültig, oder doch nicht ſehr ſtark ge—
ruͤhrt. Er begehrt wenig und verabſcheuet wenig, und er
ſucht fein gröftes Gut in der Ruhe und Unthaͤtigkeit. Go
wenig er aufgelegt ift viel Boͤſes zu thun, und groffes Uebel
in der Welt anzurichten, fo wenig ift er auch aufgelegt, viel
Gutes zu thun, und groffe Thaten zu verrichten. Weil aber
die Vollkommenheit einer Subſtanz überhaupt eine groffe
Gefchäftigkeit erfodert, fo ift diefer Gemuͤthscharacter, über-
haupt davon zu veden, fehr fchleht. Im Gegentheil ift
eine wuͤrkſame Gemuͤthsart, überhaupt davon zureden,
ein guter und vortreflicher Gemüthscharacter. Sie fomt
einem Menfchen zu, ver viele und groffe Begierden und
Berabfcheuungen hat. Ein ſolcher Menfd) hat ausnehmend
viele, und groffe Bewegungsgründe, Seine Erfenntniß
laͤßt ihn felten gleichgültig, ſondern fie erhitzt ihn, indem fie
— ruͤhrend und noch dazu in einem hohen Grade
iſt. Ein ſolcher Menſch iſt immer thaͤtig, er begehrt und
verabſcheuet viel. Und gleichwie er von Natur zu vielen
und groſſen Thaten aufgelegt iſt, alſo iſt er auch, wenn er
aufs Boͤſe faͤlt, ein rechter groſſer wuͤrkſamer gay af
um
aller Begehrungsvermoͤgen. 407
Zum andern find manche Gemüthsarten freudig, manche
niedergefchlagen. Eine freudige, luftige Gemuͤthsart
ift eine folche, in welcher das Vergnügen zu herrfchen pflegt.
Die luftigften Leute gerathen manchmal in betrübte Stunden,
in denen das Mißvergnuͤgen überhand nehmen fan. Allein
gervöhnlicher Weife herrſcht bey ihnen das Bergnügen. Das
ber folche Seute mehr zu den freudigen Gemuͤthsbewegungen
aufgelegt find, als zu den traurigen. Gerathen fie ja in
manche Betrübniß, fo koͤnnen fie leicht getröftet werden.
Es koſtet nicht viel Mühe, daß fie ihre Grillen verbannen,
und der Freude fich wieder überlaften. Eine niederges.
ſchlagene Gemuͤthsart im Gegentheil ift eine folhe, in
welcher das Mifvergnügen zu berrfchen pflegt. Die nies
dergefchlagenften Leute gerathen manchmal in fröliche Stuns
den, in denen das Vergnügen herrſcht. Allein das geſchieht
felten und währer nicht lange, Gewoͤhnlicher Weife hat,
das Mißvergnügen, bey ihnen die Oberhand. Sie find
mehr zu den fraurigen, als freudigen Gemüthsbervegungen
aufgelegt. Die leßten entftehen nur felten bey ihnen, find
ſchwach und dauren nicht lange. Sie bangen vielmehr be—
ftändig der Betrübniß nach, und fehlagen fich mit Grillen.
Ein freudiges Gemüth betrachtet, gewöhnlicher Weife, alle
Dinge allein oder vornemlich von der guten Seite, ein nies
dergefchlagenes aber von der fchlimmen. in der Sitten
lehre wird erwiefen, daß eine freudige Gemüthsart pflicht-
mäßig, eine niedergefchlagene aber fündlic) fey, wenn man
überhaupt davon redet,
$. 724.
Ferner ift das Gemüth eines Menfchen bienfam, oder
veft und unbiegfam. Eine biegfame Gemuͤthsart Fan
> leicht, zum Gegentheil, überwiegend geneigt werden. Ein
biegfamer Menſch ftelt fich eine Sache bloß als gut, oder
mehr als gut denn als böfe vor, er begehrt fie Daher entwe—
der allein, „der doc) ſtaͤrker, als er fie zugleich verabfcheuet.
Allein man fan ihn mit leichtee Mühe dahin bringen, daß
er eben diefe Sache entweder bloß verabfcheue, oder flärfer
Ec ⸗ ver⸗
408 Don dem Inbegriffe
. verabfcheue als begehre, weil feine Erfenntniß fehr leicht ver—
ändert werden Fan. Und eben fo Fan er fehr leicht dahin ge-
bracht werden, eine Sache zu begehren oder überwiegend zu
begehren, die er kurz vorher verabſcheuete. Kin folcher
Menfch faßt einen Vorſatz, und ehe man ſich es verjieht,
fo ändert er ihn. Ein folcher Menſch Fan eben fo leicht zum
Guten, als zum Boͤſen, geneigt werden, und es iſt alfo dieſe
Gemüthsart, in Abficht auf die Tugend, ein ſchlechter Ge⸗
muͤthscharacter. Eine unbiegſame Gemuͤthsart, ein
harter und veſter Sinn, kan ſehr ſchwer zum Gegentheil
überroiegend geneigt werden, Ein Menfch von diefer Ge-
muͤthsart Fan fehr ſchwer dahin gebracht werden, eine Sache
für gut zu halten und zu begehren, die er einmal verabfcheuer,
oder für böfe zu halten und zu verabfcheuen, die er einmal bes
gehrt. Er bleibt vefte auf feinem Sinne beftehen, "m
wenn es im Guten nefchieht, fü ift es ein vortreflicher
muͤthscharacter; gefchieht es aber im Boͤſen, fo iſt es ein
abfcheuliher Sinn, Kine bedschtfame Gemüthsart
wird einem Menfchen zugefchrieben, wenn er die Fertigkeit
zu bevathfchlagen befißt; hat er aber die Fertigkeit, ohne
Berathſchlagung zu begehren und zu verabſcheuen, fo wird
ihm eine unbedachtfi ame Gemuͤthsart zugefchrieben,
und er wird ein unbedachtſamer Menſch genannt. Die Uns
bedachtfamfeit ift allemal ein Fehler, und unbedachtfame
geute find kindiſch und leichtfinnig. Es ift allerdings übers
aus abgefihmadt, bey Kleinigkeiten eine lange und mühfas
me Beratbfchlagung anzuftellen ; allein wir erfodern janicht,
zu allee Bedachtſamkeit, eine groffe Berathfehlagung. Go
viel aber ift Flar, daß die Bedachtfamfeit ein fehr nöthiger
und vortreflicher Gemüthscharacter ſey, weil wir Menfchen
nicht im Stande find, aufeinen Blick zu erfennen, was in
einem jedweden Falle zu thun am beiten und rathfamften fey.
Ein bevachtfamer Menſch iſt entweder mehrentheils unent—
ſchloſſen, oder er iſt ein Menſch von kurzen Entſchlieſſun—
gen, ein reſoluter Menſch. Kine mehrentheils unent⸗
ſchloſſene Gemuͤthsart beſteht in einer ſolchen Gemuͤths⸗
art,
aller Begebrungsvermögen. 409
art, vermöge welcher man, nach angeftelter Berathſchla-
gung, ſehr ſchwer zu einem Entſchluſſe gelangen Fan. Ein
folder Menſch ift gar zu bedaͤchtlich, und will gar zu ficher
gehen, Es geht ihm wie denen Zweiflern, in Abficht auf
die Unterfuchung der Wahrheit. Und wenn fie diefelbe aud)
noch fo Elar erkannt haben, fo find fie doch nicht vermögend,
ihr ihren Befall zu geben, weil fie immer denfen, als hät:
ten fie Diefelbe noch nicht hinlaͤnglich unterſucht. Eben fo
geht es, unentfchloffenen $euten. Und wenn fie, noch fo
lange und weitläuftige Berathſchlagungen, angeftelt haben,
ſo duͤnkt fie doc) immer, es Fonne fich noch ein Umftand ers
eignen, der der Sache einen andern Ausſchlag gebe, und fie
fhieben daher ihren Entſchluß von einer Zeit zur andern
auf, Kin Wenfch von Eurzen Entfchlieffungen bat
eine folche bedachtfame Gemüthsart, vermöge welcher er,
nach einer Berathfihlagung, leicht einen Entſchluß faſſen
fan, Die Unentfchloffenheit des Gemuͤths ift ein gewaltiger
Fehler, weil wir in unendlich vielen Fallen eine Gelegenheit
ergreifen muͤſſen, die nicht auf uns wartet. Schieben wir
nun unſern Entfhluß gar zu lange auf, fo komt er mehren:
theils zu fpät, und hilft uns nichts, Die Entfchloffenheit
des Gemüths ift eine groffe Bollfommenheit, Vermoͤge
derfelben fan man ſich geſchwinde entſchlieſſen, fo wie cs die
Umftände mic fich bringen, und man Fan burch fie vielen
Uebeln entgehen, weil fie uns gefchwinde aus der Gefahr
derielben herausreißt.
8§. 725.
Durch Maximen, oder durch die gewöhnlichen Ge:
finnungen eines Menfchen, verfteht man Regeln, nad) de:
nen er zu handeln fid) angewöhnt hat; oder nad) denen er,
beitändig zu handein, entfchloffen ift. Wenn daher in ei»
nem Staate eine Marime angenommen wird, ſo entſchließt
man fich in geroiffen Borfallen nad) einer Regel, die man
als eine Staatsmarime feſt feßt, zu handeln. Go bat der
Geizige, der Hochmuͤthige, ja ein jeder Menfch, der nach
Einfichten zu handeln pflegt, feine Maximen. Wer num
Erz feine
41® Don den nbegriffe
feine Marimen ofte verändert, hat eine veränderliche
Gemuͤthsart. Ein veränderlicher Menfch ift heute lu—
ftig, weil er glaubt, ein Menfch müffe immer vergnügt
ſeyn; morgen aber niedergefchlagen, weil er denft, ein
Menſch müffe über feine Sünde eine melancholifche Reue
fühlen. Heute verſchwendet er, und morgen ift er knicke⸗
rigt. Kurz ein folcher Menfch ftime mi fich felbft nicht lanz
ge überein, und er hat ein gar zu biegfames Gemuͤth.
Wer die böfen und fündlihen Marimen leicht ändert, der
thut freylich gut; wer es aber aus Beränderlichfeit des Ge:
muͤths thut, der Fan eben fo leicht aud) feine guten Maris
men ändern: und folglich ift es nicht einmal was guts, wenn
man aus Beränderlichfeit und Lnbeftändigfeit des Ges
muͤths, die böfen und fündlichen Marimen leicht ändert,
Wer feine guten und rechtmäßigen Marimen felten und
ſchwer verändert, der hat eine beftändige Gemuͤthsart.
Die Beltändigfeit, oder Standhaftigfeit.des Gemürhs ift
ein vortreflicher Character. Sie madıt einen Menfchen zu
den ftandhaften Mann des Horas, den auch die Trüms
mer der eingeftürzten Welt unerfchrocken bedecken, und ein
jeder Menſch ift verpflichtet, im Guten beftändig zu feyn.
Wer feine böfen und fündlichen Marimen ſchwer und felten
ändert, hat eine halßſtarrige und hartnädigte Bemürbs«
art. Gleichwie die Beftändigfeit des Gemuͤths einen Men-
fehen bewahrt, daß er, wenn er auf dem guten Wege ift,
nicht leicht von demſelben abweiche; alfo erhält auch die
Halsftarrigkeit einen Menfchen im Boͤſen, daß es erftauns
ich ſchwer hält, daß er fich beffere. Ein halsftarriger Suͤn—
der ift viel fehlimmer, als derjenige, der im Boͤſen noch
veränderlich ift. Wer, wenn er etwas unternimt oder vers
fucht, den gehörigen Grad feiner Kräfte anwendet, oder fo
viel Kräfte, als nötbig it, dev verhält fich brav, und
thut genung, und feine Gemuͤthsart muß die Beſchaffen⸗
heit beſihen, vermöge welcher fie in einem jedweden Falle
genungfam erhißt wird, und fie hat die Fertigkeit, in einem
jedweben Falle , weder zu ſchwach noch zu ſtark zu begehren
und
aller Begehrungsvermögen, gu
und zu verabfcheuen. Diefe Gemüthsart ift ohne Zweifel
eine vortrefliche Gemüthsart, und fie ift die Mittelſtraſſe
‚ zroifchen zweyen Ausfihweifungen, zwifchen einer beftigen
und matten Gemüthsart. ine heftige Gemuͤthsart
wird einem Menfchen zugefchrieben, wenn er in feinen Un—
ternehmungen zu viel Kraft braucht. Sein Gemüth wird
gar zu fehr erhitzt, er begehrt zu ſtark und verabſcheuet zu
fehr, und alles foll unter feinen Handen zerbrechen. ine
foiche braufende Hige verdirbt, die meiften Unternehmungen.
Kine matte Gemuͤthsart im Gegentheil wird einem Men=
ſchen zugefchrieben, wenn er in feinen Unternehmungen zu
wenig Kraft braucht. Sein Gemüth wird gar zu wenig
erhigt, er begehrt zu ſchwach, und verabfcheuer zu wenig.
Er handelt zu langfam, und bringet groffe Dinge nicht zu
Stande, Er thut zu wenig, da der Heftige zu vielthut.
X ZuE Zu Zr SE 22 SEE ZU 22 SEE Zur Zur SE Zur Zr ZZ Zr 222 Ze Zr 2 Se er
Der vierte Theil,
von der
Gemeinfchaft der Seele mit dem Leibe.
S. 726.
achdem wir unfere Seele an und vor fich felbft be.
trachtet, und alles Mannigfaltige unterfucht haben,
mas ſich in ihr felbft, durch die Erfahrung und aus
derfelben, auf eine nähere Art entdecken und herleiten läßt:
fo müffen wir nunmehr aus ihr herausgeben, und fehen,
in was für einem Berhältniffe fie gegen den Körper fteht,
mit welchem zufammengenommen fie Ein Ding ausmacht,
welches wir den Menfchen nennen. Wir werden hier bloß,
auf die Erfahrung, gehen. Und es ift nicht zu leugnen,
daß man bier fehr weitläuftig feyn koͤnnte, wenn man die
Erfahrungen und Beobachtungen ohne Noth vervielfältigen,
und
a12 Von der Gemeinfchaft
und fonderlich die ungewöhnlichern Entdeckungen aus den
Schriften berühmter Aerzte ſamlen wolte. . Allein diefe Weite
läuftigfeie ift, von Feinem befondern Mugen. Tauſend Er-
fahrungen bemweifen ofte nur eine einzige Sache, und find
als befondere Fälle von Einer: Haupterfahrung anzufehen,
5a, wenn man in dieſer Sache fo verfahren wolte, daß ein
befonderer Mugen damit verbunden wäre; fo würde nöthig
feyn, daß man ven menfchlichen Körper eben fo genau vorz
her unferfuchte, als wir bisher unfere Seele betrachtet ha—
ben. Man müfte fonderlich, diejenigen Bewegungen und
Veränderungen des Leibes, ausführlich zu entdecken fuchen,
welche die mannigfaltigen VBorftellungen, Begierden und
Beränderungen unferer Seele begleiten , und da müfte man
vornemlich die mannigfaltige Befchaffenheit der materiellen
Borftellungen, und der Bervegungen des Gehirns und der
Nerven genau Fennen lernen. Alsdenn wuͤrde man, die
bewundernswuͤrdige Uebereinftimmung der Seele mit dem
Leibe, vecht ausführlich vorftellen Fönnen. Allein da wir
bis jetzt fo weit noch nicht zu gehen im Stände find, fo iſt
es ung genung, daß wir durch unleugbare Erfahrungen
zeigen, daß Leib und Seele in einander würfen, und daß fie
in der genaueften Gemeinfchaft mie einander ſtehen.
6. 772%
Vorerſt koͤnnea wir aus der Erfahrung unleugbar er-
weifen, daß die Seele in den Körper würfe, und in denfel-
ben einen Einfluß habe, und zwar aus einer doppelten uns
leugbaren Erfahrung. Einmal erfahren wir täglich, daß
unfere Seele ihren Körper willführlic) bewegen fan. Durch
eine willEübrliche Bewegung des Körpers verftehen
wir eine folche Bewegung deffelben, welche von einem Will
führ unferer Seele abhanget, deſſen wir uns bewußt find.
Man kan annehmen, daß viele Bewegungen unferes Kör-
pers von dem Willführ abbangen, deſſen wir ung nicht be—
wußt find, alg wenn mir fißen, und etwas aus den Haͤn⸗
den fallen laſſen, ſo thun wir geſchwind die Fuͤſſe N
ohne
der Seele mit dem Leibe, 413
ohne daß wir ung der Bewegungsgruͤnde bewußt find, wes⸗
wegen wir es thun, Dergleichen Bervegungen nennt man
nicht willführlich. Allein wenn mir eine Bewegung vor-
nehmen, die wir auch unterlaffen Fönten, und wenn wir dies
fes um folher Bewegungsgründe willen thun, der wir ung
bewußt find, fo nennt man diefe Bewegungen willkuͤhrlich,
z. E& wenn wir fpagieren gehn. Freye Bewegungen,
oder freywillige Bewegungen , find diejenigen willkuͤhrlichen
Bervegungen, die von dem freyen Willen abhangen; oder
die wir vornehmen, weiles uns nach unfern deutlichen Einfichs
ten fo und nicht anders beliebt. So fan ein Menfch, um
vernünftiger Einfichten und Bewegungsgründe willen, Die
er aus feiner Gefunöheit hernimt, fich eine Leibesbewegung
machen. Wenn wir fagen, daß in unferm Körper will
£ührliche und freymillige Bewegungen angetroffen werden,
fo fehreiben wir dem Körper Fein Wilfführ und feine Frey—
heit zu, als wenn diefe Bewegungen Wirfungen des Will:
führs und der Frenheit des Körpers wären. Sondern es
find mittelbar willführliche und freye Handlungen des Men⸗
fehen,, welche von dem Willführ und der Sreyheit der Seele
herrühren 9.719. Da nun, die Würftichkeit aller diefer
Bewegungen, hinreichend in dem Willführ, und alfo in
der Kraft, der Seele gegründet find; fo würft die Seele
in den Körper, und hat in denfelben einen Einfluß. Wenn
wir wollen, das ift, wenn die Kraft unferer Seele ange«
ftrengt wird, fo erfolgen diefe Bewegungen, und wenn wie
nicht wollen , fo erfolgen fie aud) nicht $. 166. Zum atıs
dern fan man, den Einfluß der Seele in den Körper, recht.
merklich in den Gemüthsbewegungen erfahren. Wenn mir
ung erfchrecfen, wenn wir zornig find, wenn wir ung fürche
ten, ja in allen eidenfchaften, komt das Blut in eine heftis :
ge Bewegung ; der Leib zittert, der Angftfchweiß bricht ung
aus; man läuft mit der gröften Gefchwindigfeit, man fan '
Laſten tragen, die man fonft kaum fortfchieben oder in: die
Höhe heben Fan, und was dergleichen mebr iſt. Wir fea
ben
414 Don der Gemeinfchaft
hen demnach, daß viele Bewegungen unferes Seibes nicht
nur ihrer Befchaffenheit, fondern auch ihrer Gröffe nad),
von der Kraft unferer Seele abhangen. Unſere Seele fan
den $eib nicht nur geſchwinde und langfam, zur Rechten oder
zur Sinfen bewegen; fondern je heftiger die Anftrengung der
Kraft der Seele in ihren Begierden ift, defto ftärfer iftauch
die Bewegung des Leibes. Man Fan alfo unmöglich die
Einmwürfung der Seele in den Körper leugnen, man müfte
denn dem Worte eine andere Bedeutung geben , und daruns
ter bloß einen veellen Einfluß verftchen. Und wenn man
auf die Erfahrung fleißig achtung gibt, fo laſſen ſich obne
Zweifel noch mehr Falle entdecken, in denen, der Einfluß
der Seele in den Körper, aus der Erfahrung erwieſen werz
den fan.
$. 728.
Auf der andern Seite läßt ſich auch fehr leicht aus
der Erfahrung erweifen, daß der Körper in die Geele wür«
fe, und in diefelbe einen Einfluß habe. Und das läßt ſich
fonderlich vecht augenfcheinlich, bey unfern äufferlichen Ems
- pfindungen, zeigen. Alsdenn find in unferer Seele Vor—
ftellungen ‚; deren Würflichkeit von der Kraft des Leibes abs
hanget. Wenn unfere Werkzeuge der Sinne in der gehös
rigen Bewegung find, fo find die Empfindungen in unferer
Seele, fie entftehen und vergehen mit diefen Bewegungen,
Ein Blinder hat gar feine folhe Empfindungen, dergleis
chen wir durchs Geficht bekommen; fo bald er fehend wird,
befomt er diefe Empfindungen. Wir haben oben in der
Unterfuchung unferee Sinne diefes ausführlich dargethan,
und fo gar gezeigt, daß unfere Empfindungen, ihren vers
ſchiedenen Graden nach, von dem Körper abhangen. Wenn
man alfo mit dem Worte, Einwürfung und Einfluß, kei—
nen gar zu. eingefhränften Begrif verbinden will, fo muß
man geftehen, Daß der Körper in die Seele würfe 8. 166.
Und wern ehe würden wir ein Ende finden, wenn wir alle
Erfahrungen namhaft machen wolten, aus denen der Ein.
fluß
der Seele mit dem Leibe, 415
fluß des Körpers in die Seele erhellee? Iſt unfer Körper
frank, wie viel leidet nicht die Seele davon! Ein unglüdlis
cher Schlag auf den Kopf macht die Seele verruͤckt, die
Trunfenheit verändert die Seele gewaltig. Die Dumbeit
und Stumpfheit der Seele rührt, von der Einrichtung ges
wiſſer Saferchen in dem Körper, ber, und was dergleichen
mehr it.
$ 729.
Aus den bisherigen Unterfuchungen erhellet demnach
viererley. Einmal regiert die Seele den Körper, oder
fie führe ein Regiment über denfelben, welches in der Herr⸗
fchaft der Seele über den Körper befteht; oder in dem Ber:
mögen, ihren Körper nah Willführ zu bewegen $. 727.
Diefe Herrfchaft über den Körper iſt freylich nicht allgemein,
weil in dem Körper viele Bewegungen angetroffen werden,
die nicht willführlich find. Allein dem ohnerachtet fan man
mit Necht die Seele, einen Herrn ihres Leibes, nennen.
Diefe Herrfchaft gründet ſich, von Seiten der Seele, auf
ihre Willführ und ihre Freyheit; und von Seiten des Leibes
darauf, daß er folcher Bewegungen fahig ift, die geſchehen
und unterlaffen werden, und auf verfchiedene Art eingerich-
tet werden Fönnen, Cine Uhr fan den Zeiger vorwärts,
aber fie Fan ihn nicht rücfwarts drehen, und wenn ein Stein
fortgerolt wird, fo ift es nicht möglich, wenn er nirgendswo
anftößt, daß er in einem Augenblice folte nach einer andern
Richtung fortrollen. Allein der menfchliche Körper ift ver-
geftalt gebauet, daß einige Bewegungen, z. E. wenn man
läuft, in einem Augenblicke geändert werden Fünnen, Man
Fan ftille ftehen, man fan nach einer andern Richtung den
$auf lenken, bald fan man gefchwinder bald langfamer laus
fen, ohne daß unfer Körper, durch den Stoß eines andern
Körpers, dazu von auffen her beftimt werden folte. Folge
lich ift es moͤglich, dieſe Bewegungen nach Willführ der
©eele einzurichten. Zum andern ift zwifchen $eib und See—
le eine gegenfeitige Gemeinſchaft, indem fie, durch einen ge=
gene
416 Don der Gemeinſchaft
genfeitigen Einfluß in einander, mit einander verbunden
find $. 727. 728.442. Folglich find, in beyden, harmonis
fee Veränderungen, In der Seele find viele Veraͤnde⸗
rungen, die mit dem Körper harmoniren oder übereinftims
men; und in dem Körper find viele Veränderungen, die
mit der Seele und ihren Veränderungen übereinftimmen.
Hieraus erhellet nun drittens, Daß Leib und Seele in einer
Vereinigung ftehen. Denn fie machen mich, als ein Gan-
zes, zufammengenonmmen aus. Folglich find fie Theile
Eines Dinges, und alfo mit einander vereiniget $. 72.
Und die Vereinigung des Leibes mic der Seele be«
ſteht in nichts anders, als in ihrer gegenfeitigen Gemeine
ſchaft, indem durd) diefelbe der Menſch als Eins, oder
als ein Ganzes, fortdaurt underhalten wird. Woraufnun
diefe Bereinigung beruhe, und worin das Band beftche,
wodurch Leib und Seele mit einander vereiniget find, das
unterfuchen mir nicht, und davon habe ich die Gründe im
der Cofmologie angeführt, als ich von der Harmonie aller
Subftanzen in der Welt gehandelt babe. Es ift aber aus
der Erfahrung klar, viertens, daß zwifchen der Seele und
ihrem $eibe die allergenauefte und gröfte Bereinigung ſey;
oder daß die Seele mit ihrem Leibe in einem hoͤhern Grade
vereiniget fen, als mit einem jedweden andern Körper, und
als mic einer jedweden andern endlichen Gubftanz auffer ihr
$. 484:
§. 730, t
Das find nun die Erfahrungen, die wir von der Ge«
meinfchaft der Seele mit ihrem Leibe Haben, und worauf als
les hinlänglich beruhet, was in den phyſiſchen und practis
{hen Wiſſenſchaften, ja felbft in dem gemeinen teben,
wahrhaftig practifch ift, und diefe Gemeinſchaft vorausſetzt.
Wir haben es alfo, wenn man auf die Anwendung und
den wahren Gebrauch der Pfychologie zur menſchlichen Glücks
feeligfeit ſieht, nicht nötbig, die Art und Weiſe zu unters
ſuchen, wie Leib und Seele in einander wuͤrken. So koͤn—
nen
der Seele mie dein Leibe, 417
nen mir, in dem menſchlichen $eben, allen nöthigen Nu—
en durch den Magnetftein uns verfchaffen, weil wir wiſ—
fen, daß er das Eifen an fich ziehe, ob wir gleich nicht wiſ—
fen, mie diefes zugehe, Ja durch die verfchiedenen Meis
nungen, welche die Maturlehrer deshalb angenommen has
ben, ift diefer Nutzen weder vermehrt noch vermindert, we⸗
der befördert noch gehindert worden, Und eben fo verhält es
ſich auch, mit der Gemeinfchaft der Seele und des Körs
pers, Wenn ich einen Menfchen ftrafen will, fo ift es ges
nung, daß, wenn z. €, fein Körper gefchlagen wird, ich
weiß, daß dadurch in der Seele ſchmerzhafte Empfindun—
gen entftehen, welche Bewegungsgründe feyn Eönnen, eine
Handlung, weswegen er gefchlagen wird, zu unterlaffen,
oder eine Handlung zu thun, oder ſich zu beffern u. ſ. w. ob
ich gleich niche. weiß, wie diefes zugeht. Es ift alfo gleichz
viel, was man deshalb für eine Meinung annehmen willt
fie müfte denn eine Meinung ſeyn, welche fonft andern un«
keugbaren Wahrheiten widerſpricht, und dadurch gefäbrlich
wird. Die Weltweifen folten alfo mie kaltem Blute, und
ohne Erbitterung und Haß, ihrer fonft löblichen Neube—
gierde ein Genügen leiften, und unterfuchen, ob Leib und
Seele durch einen natürlichen Einfluß, oder durch eine vors
herbeftimte Webereinftimmung, oder auf irgends eine andere
Art mit einander verbunden wären,
N
Man Fan auch unmöglid) die Art und Meife, wie
Leib und Seele in einander wuͤrken, erfahren. Unfere Em:
pfindungen und unmittelbaren Erfahrungen fagen uns bloß,
was gegenwärtig wuͤrklich iſt und gefchieht, nicht aber wie
es gefchieht, Wer Fan durch die bloffe Erfahrung erfens
nen, wie der Mordfchein enefteht, wie die Dünfte entſte—
ben? u.f.m. Folglich müffen die Weltweifen, bey Unters
ſuchung der Art und Weife, wie Leib und Seele in einander
würfen, mehrere Erfenntnigquellen gebrauchen, als die bloffe
Erfahrung. Unterdeffen gibt es doch Weltweife, welche glauben,
418 Don der Bemeinfchaft
die bloffe Erfahrung lehre ung, daß zwifchen Leib und Seele
ein reeller gegenfeitiger Einfluß fey. Allein man Ean fehr
leicht zeigen, wie fehr fie fich betrügen. Einmal die Er—
fahrung lehrt uns, daß der Körper in die Seele würfe,
wenn fie äufferlich empfindet S 728. und daß fie alfo in Dies
ſem Falle von dem Körper leide $. 164. allein wir erfah—
ven nicht, daß die Seele diefe Empfindungen durd) ihre ei=
gene Kraft würfe, und daß alfo der Leib in die Geele auf
eine idealifche Art würfe $.167. Wenn mir fehen, hören
u.f.m. fo entitehen die Empfindungen fo ftille und ruhig,
daß es fiheint, als wenn fich die Seele ſelbſt dabey nicht
angriffe. Eben fo erfahren wir, daß Bie Seele in den Kür:
per würft, wenn fie ihn willführlich bewegt $. 727. und daß
alfo der Körper in dieſem Falle von der Seele leidet $. 164.
Allein wie erfahren nicht, daß der Körper durch feine eigene
Kraft diefe Bewegung hervorbringe, und daß alfo die Sees
fe idealifch in den Körper würfe $. 167. Es ſcheint uns viels
mehr auf den erften Anblick unmöglich zu feyn, daß eine
Mafchine durch ihren Mechanismus, z. E. eine Stunde lang,
folle reden fönnen. Wenn nun jemand fließt: was mir
nicht erfahren, ift nicht würflih. Nun erfahren wir nicht,
daß die Seele ihre äufferlichen Empfindungen felbft würfe,
und der. Körper feine willführlichen Bewegungen. Folgs
lich thun fie es auch nicht felbft. Mithin verhalten fie ſich
bloß leidentlich, und wuͤrken alfo in einander auf eine reelle
Art: fo berubet, diefer Beweis, auf einem ungereimten
Oberſatze. Glaubt er nun, daß der Schlußfag eine Ems
pfindung fey, oder daß er den reellen Einfluß der Seele
und des Leibes in einander erfahre; fo betrügen ihn feine
Sinne, under begeht den Fehler des Erfchleihens $.548-
Zum andern lehrt ung die Erfahrung, daß, mit ben
barmonifchen Veränderungen des Leibes, gewiſſe Veraͤnde—
rungen in der Geele zugleich da find, oder auf jene folgen.
Wenn das Sicht gehörig in die Augen fält, fo ift es unaus«
bleiblich, daß in dem Augenblicke entweder eine Empfindung
in
der Seele mit dem Leibe, 419
in der Seele da fen, oder darauf erfolge. Und eben fo er:
fahren wir, daß mit den harmonifchen Veränderungen der
Seele, gewiffe Veränderungen des Leibes, zugleic) da find,
‘oder auf diefelben folgen. . Wenn ich fiße, und in meiner
Seele entfteht der Entſchluß aufzuftehen,, fo fteht mein Körs
per entweder in dem Augenblicke, oder nachher auf. Hie—
rauf gründen einige $eute ihr Vorgeben, als koͤnne man
gleihfam mit Händen greifen, daß $eib und Seele auf eine
reelle Art in einander würfen. Allein fie betrügen ſich ganz
offenbar. Sie fchlieffen unleugbar auf folgende Art: Din-
ge, deren Veränderungen bey einander da find, oder auf
einander folgen, mürfen auf eine reelle Art in einander.
$eib und Seele find fo befchaffen, daß ihre harmonifchen
Veränderungen beftandig bey einander da find, oder auf
einander folgen: alfo ift zwifchen ihnen ein reeller gegenfeitis
ger Einfluß, Iſt Diefes nicht ein ungereimter Schluß , da
der Oberſatz ganz offenbar falfch it? Wenn nun ein Welt⸗
weifer ſich noch) Dazu einbildet, daß der Schlußfaß eine Em⸗
pfindung und unmittelbare Erfahrung fen, fo betrügen ihn
feine Sinne, und er begeht den Fehler des Erfchleichens
8,548. Folglich Fan die bloffe Erfahrung, die Frage: von
der Art und Weife des Einfluffes der Seele und des
$eibes in einander, gar nicht enta
fcheiden.
>
et
— —
GT BEN I
Z — >
IN
J
Dd 2 Die
420 5 Er
Die
vernünftige Pſychologie.
Das erfte Capitel,
von der
Natur der menſchlichen Seele,
$- 732.
an fan nicht leugnen, daß die vernünftige Pſycho⸗
| logie einem Weltweifen eine reiche Gelegenheit an
die Hand gebe, feiner unordentlichen Neubegierde
zu froͤhnen. Sie unterfucht, unter andern, ſolche Mate:
rien von der menfchlichen Seele, welche fehlechterdings durch
die Erfahrung allein nicht "enfchieden werden koͤnnen.
Wenn nun ein WBeltweifer nicht, auf das Gründliche und
Nuͤtzliche, vornemlich fein Augenmerk richtet; fo verirret er
fich in einem Labyrinthe von Meinungen, welche ofte Feinen
‚andern Nutzen haben, als daß fie auf eine angenehme Art
Die ausfchtweifende Meubegierde befchäftigen. Und wer ein
erfindungsreiches Dichtungspermögen befißt, der Fan unend⸗
lic) viele Meinungen in diefem Theile der Metaphyſik aus«
hecken. Ich werde meinem Plane genau folgen, und nur
dasjenige unterfuchen, was meinen Einfichten nad) einen er—
bebtichen Nutzen hat, Und da will ich verfuchen, die Nas
tur der menfchlichen Seele vor allen Dingen feltzufegen,
$. 733.
Es ift unleugbar, daß man durch eine Seele einen
Theil eines ganzen Dinges verfteht, welches man fich als
ein denfendes Ding vorftelt, und welcher das Vermoͤgen zu
denken befißt $.480. Daher verfteht man, durch eine See⸗
le, eine denfende Subſtanz, welche mit einem Körper in
der genaueften Gemeinfchaft ſteht. Da nun, in der voll-
fommenften Welt, die allergröfte Ordnung und Vi
im⸗
*
1
Don der Natur der menfchlichen Seele. 421
ſtimmung unter allen ihren Theilen angetroffen wird, die
in einer Welt möglich iſt; S.440.430. fo fan man mit der
gröften Zuverficht annehmen, daß alle Seelen, welche mit
Körpern von einerley Art verbunden find , eine befondere Art
und Claſſe der Seelen ausmachen. Folglich Fan man die
menfchliche Seele, von allen übrigen Arten der Geelen,
durch den Körper unterfcheiden, mit welchem fie in der ges
naueften Bereinigung und Gemeinfchaft ſteht. So ift of⸗
fenbar , daß die Seele eines Hundes, von der Seele eines
Pferdes, durch Die Verfchiedenheit ihrer Körper unterfchieden
werden Fönne. Und wenn fich die Seele eines Hundes, zu
dem Körper eines Pferdes, eben fo gut ſchickte, als die See—
le des Pferdes: fo wäre Fein zureichen der Grund vorhanden,
warum der Körper eines Hundes auf eine fo öffenbare Art
anders eingerichtet wäre, als der Körper eines Pferdes, und
warum die Seele des Hundes vielmehr mit dem Körper ei>
nes Hundes, und nicht mit dem Körper eines Pferdes in
Die genauefte Gemeinfchaftgefegt wäre. Man fan demnach
mit einer vollfommenen Gewißheit annehmen: daß die
‚menfchliche Seele eine Seele fey , welche mit dem menfchs
lichen Körper in der genaueften Gemeinfchaft ſteht. Es
foll diefer Begrif nichts weiter als eine Worterklärung feyn,
und da es nicht in die Pfychologie gehört, den menfchtichen
Körper genauer zu unterfuchen; fo ift es bier genung, daß
ein jeder, einen folchen ausführlich Elaren Begrif von dena
felben, aus dem gemeinen Leben befist, vermöge deffen cr
denfelben allemal, von allen übrigen Körpern, hinlaͤnglich
unterfiheiven Fan. Freylich wenn wir die Natur desmenfch-
lichen Körpers, und feine innerlihe Structur, genauer
fennten; fo würde uns diefes ohne Zweifel, in den Ders
nunftfchlüffen der vernünftigen Pſychologie, fehr viel helfen.
Alsdenn würde man aus dieſer Structur vielleicht begreifen
fonnen, warum die menfchlihe Seele Berftand, Einbils
dungsfraft, und alle Bermögen befißt, die wir in der em—
piriſchen Pſychologie durch die Erfahrung entdeckt haben,
Allein da bis jeßt nod) Feine Hofnung, zu einer folchen ge—
D
3 nauen
422 Von der Natur der menfchlichen Seele.
nauen Kenntniß des menfchlichen Körpers, vorhanden iſt;
fo müffen wir bier mit dem Maaffe unferer Einfichten uns
begnügen, welches uns zu Theil geworden iftz wir muͤſſen
die Mängel unferer Einfichten in die Natur der menfchlichen
Seele aufrichtig erkennen, und dasjenige, was wir von ihr
wiſſen fonnen, nüglic) anwenden,
8. 734
Durch) ein Thier verfteht jederman ein Ding, wel-
ches aus einer Seele und 'aus einem Körper, die mit eins
ander in der genaueften Gemeinfchaft ſtehen, zuſammenge—
fegt ift, Miemand nennt die Engel, die Teufel, und ans
dere denfende Subſtanzen, Thiere, wenn er nicht zugleich
annimt, daß fie mie Körpern aufs genauefte vereinigt find.
Wer hat ſich es jemals einfallen laffen, GOtt ein Thier zu
nennen, wenn er fich überzeugt, daß es fehlechterdings uns
möglich fey, daß er mit einem Körper in der genaueften
Gemeinfchaft ftehe? Und eben fo wenig nennt man einen
bloſſen Körper, ein Ihier. Niemand nennt die Steine,
die Pflanzen, die Bäume, Thiere. Es ift wahr, es hat
Weltweife gegeben, welche die Bäume, die Sterne, den
Erdboden für Thiere gehalten haben, Allein alle diefe Welt
weiſen haben zugleich behauptet, daß diefe Körper Wohn:
pläge gewiffer Seeien find, welche diefe Körper bewegen,
vegieren und beherrfchen, Folglih muß ein Thier zwey
Theile haben, eine Seele und einen Körper, und beydemüfz
fen in der genaueften Bereinigung ftehen. Wenn die Geele
einen Körper nicht allemal zunaͤchſt empfindet, und denfel:
ben bewegt, fo Fan fie unmöglich mit ihm ein Thier aus:
machen: fonft fönnte z. E. die Seele eines Menſchen, und
das Haus, worin er wohnt, zufammengenommen ein Thier
ausmahen. Der Menſch ift nun dasjenige Thier, wel—
ches aus einer menfchlichen Seele und aus einem menfchli-
chen Körper zufammengefegt ift. Niemand nennt die menfch-
liche Seele allein, und eben fo wenig den bloffen menfchlis
chen Korper einen Menfchen, und diefe Erklärung ift alfo
der Durchgängigen Ars zu denken vollkommen gemäs, —7—
oͤnnte
Don der Natur der menfchlichen Seele. 433
Fonnte vielleicht eine Frage ſeyn, weldye manchen Schwie—
rigkeiten unterworfen iſt: ob alle Thiere, die von Menfchen
gebohren werden, wahre Menfchen find? Ob eine Mißge:
burth, die von Menfchen gebohren wird, ein wahrer
Menſch fey? Ob taub und blindgebohrne Leute Menfchen
find? Ob wahnmißige Leute Menfchen find? Allein ob ein
Thier, welches aus einer menfchlichen Seele und aus einent
menſchlichen Körper befteht, ein Menfch fen, daran Fan nie—
. mand mit Grunde zweifeln. Die meilten erflären, einen
Menfchen, durch ein vernünftiges Thier. Allein ob wir
gleich nicht leugnen, daß alle Menfchen vernünftige Thiere
find, fo werden wir doc) fünftig fehen, daß es vernünftige
Thiere gebe, die Feine Menfchen find. Folglich ift der Be—
grif von einem vernünftigen Thiere Fein hinlänglicher "Bes
geif, den Menfchen von allen übrigen Arten der vernünftis
gen Thiere zu unterfcheiden. Kinige erklären den Menfchen
durch dasjenige Thier, welches vernünftig iſt, und ein Ein—
wohner diefes Erobovens ift. Allein es ift, einmal, zwei⸗—
felhaft, ob der Menfch die einzige Art der vernünftigen
Thiere ift, welche diefen Eroboden bewohnt. Und eben fo
zweifelhaft ift es zum andern, ob der Menſch beftändig ein
Einwohner diefes Erdbodens fen? Unfer angenommener ‘Bes
geif ift wenigftens eine vollkommene Worterflärung. Alle
uns befannten Körper anderer Thiere find, von dem menfchs
lichen Körper, handgreiflich unterfehieden. Und wolte je
mand fagen, daß es vielleicht in andern Planeten vernünfs
tige Thiere geben Fonne, deren Körper der Art nad) von
dem menfchlihen Körper nicht unterfchieden find: fo muß
man erft, einen zulänglichen Berweis von diefer Muthmaſ—
fung, erwarten. Uns ift es vorjeßo, nach dem geringen
Maaffe unferer Einfichten, hinlänglich, daß wir durch uns
fere angenommene Erflärung den Meafchen, von allen ung
befannten andern Thieren, zureichend zu unterſcheiden vers
mögend find.
$. 735.
In der vernünftigen Pfuchologie Eönnen wir uns nicht
Dd 4 bloß,
424 Von der Natur der menfchlichen Seele.
bloß, mic einer Worterflärung der menfchlichen Seele, be=
gnuͤgen; fondern da wir in’ dieſer Wiſſenſchaft dasjenige,
-was wir von der menfchlichen Seele behaupten, aus ihrem
Weſen und aus ihrer Natur herleiten follen, fo müffen wir
eine Sacherklaͤrung von ihr feftfegen, oder einen Begrif,
welcher ung die Natur und das Wefen der menfchliden
Seele deutlich vorftel. Nun wollen wir annehmen, daß
die menfchliche Seele eine Subftanz fey, welche eine Vor—
ftellungsfraft diefer Welt ift, durch welche fie vermögend
äft, ſich die Welt eines Theils deutlich vorzuftellen, und
zwar nach der Stellung des menfchlichen Körpers in der
el, Wir fünnen erſt Fünftig beweifen, daß hierin die
Natur und das Wefen der menfchlichen Seele beftehe, und
wir wollen uns alfo jego nur überzeugen, daß diefer Satz
eine allgemeine Wahrheit ſey, welche von allen menfchlichen
Seelen ohne Ausnahm gefagt werden Fan. Und gefeßt
auch, daß wir die Allgemeinheit dieſer Wahrheit nicht mit
der vollfonmmenften Gewißheit ermeifen koͤnnten: fo würde
Diefes zwar darthun, Daß die vernünftige Pfychologie noch
eine fehr mangelhafte Wiffenfchaft fen; allein fie würde in
dieſem Stüce nicht ſchlechter ſeyn, als andere Wiffenfchafs
ten, in denen man die Erfahrungen a priore zu erklären und
zu beweifen fich bemühet. Die Naturlehre macht es eben
fo. Sie nimt ofte die Natur und das Wefen eines Koͤr—
pers willführlich als eine philofophifche Meinung an, und
mit der Zeit entdeft man ofte mit Gewißheit, daß fie ges
ärret, ober daß fie die Wahrheit getroffen habe. Die vers
nünftige Pſychologie, wenn man aufrichtig reden will, iſt
in vielen Stuͤcken noch in ihrer erſten Kindheit, und Fein
verftändiger Kenner würde eg fchlechterdings tadeln, wenn
wir diefen Satz bloß willkuͤhrlich annaͤhmen, und verfuch
ten, ob wir alles, was wir von der menfchlichen Seele aus
ver Erfahrung willen, aus demfelben herzuleiten im Stan:
de find. Doch, esift nicht nöthig, fo vielin diefem Puncte
nachzugeben, Ich will alle Gründe der Wahrheit diefes
Satzes, die mir befannt find, anführen, und meine Leſer
d mögen
Don der Natur der menfchlichen Seele. 425
mögen felbft beurtheilen , ob fie eine völlig ermeifende; Staͤr⸗
fe haben. Zuerft fan man , die Allgemeinheit diefer Wahr
heit, aus der Erfahrung fehlieffen, fo wohl wenn ich auf
mic) felbft fehe, als auch wenn ic) auf andere Menfchen ſe—
be. Betrachte ich mich ſelbſt, fo bin ich ein Menſch, und
meine Seele iſt eine menſchliche Seele. Nun habe ih mid)
durch die ganze empirifche Pfuchologie vollkommen überzeugt,
daß meine Seele eine Subftanz fey, welche eine Vorſtel—
lungskraft befißt, wodurd) fie fid) Die Welt, nad) der Stel:
fung ihres Leibes, theils Deutlich theils undeutlic) vorftelt.
Nun ſehe ich aufs deutlichfte, daß diefe Kraft, wenn man
ſich diefelbe bloß auf dieſe Arc vorftele, nicht meine einzelne
und mir eigenthümliche Befchaffenheit ausmache, wodurch
ich von allen übrigen Menfchen unterfchieden bin. Es wür-
de höchft lächerlich feyn, wenn mic) jemand fragen wolte,
wer ich wäre, und ich wolte ihm bloß zur Antwort geben,
daß ich eine Borftellungsfraft der Welt wäre u. ſ.w. Folg:
lic) gehört Diefes zu demjenigen, was ich mit allen menſch—
lichen Seelen gemein habe, und es find demnach alle menfch>
liche Seelen folche Subftanzen. Sehe ich nun auf andere
Menfchen, fo fagt mir die Erfahrung, daß alle Menfchen,
die ich Fenne, folche Körper haben, wie ich, und aus ih—
ron Reden, Schriften und Handlungen erfenne ich, daß
fie manchmal deutliche Erfenntniß haben, Nun weiß ich,
daß alles in der Welt aufs beſte mit einander übereinftimt.
Folglich muß ein Thier, deffen Körper mit meinem Körper
von einerley Art ift, und deffen Handlungen mit meinen
Handlungen ebenfals von einerley Art find, eine Seele has
ben, die mit der meinigen von leinerley Art ift. Es ift
wahr, ich treffe unter denen Dingen, die ih Menfchen nen=
ne, Kinder und wahnmißige Leute an. Allein was die
erften betrift, fo fagt mir die durchgängige Erfahrung, daß
fie mit der Zeit deutlich zu denfen und vernünftig zu hans
deln anfangen. Es fehlt ihnen alfo zwar, in der Kindheit,
die deutliche Borftellung der Welt; allein fie müflen doch
fon das Vermögen dazu befißen, weil fie fonft niemals
Dd5 zur
« I
426 Von der Natur der menfchlichen Seele. -
zue deutlichen Erfenntniß gelangen fönnten. Und mas
wahnmigige Leute betrift, fo merft man zwar bey ihs
nen niemals die würfliche deutliche Erkenntniß; allein da=
raus folge nicht, daß fie das Vermögen dazu auch nicht be—
figen folten. Daß alfo alle menfchliche Seelen Borftellungss
Eräfte der Welt find, melche vermögend find, fich die Welt -
nach der Stellung eines menſchlichen Körpers eines Theils
Deutlich vorzuftellen, ift Feiner Erfahrung zumider, esftime
mit allen unfern Erfahrungen überein, die wir von denen
uns befanten Menfchen haben, und es fan nicht der gering«
ſte Grund angeführt werden, warum wir es von den übri«
gen uns unbekannten Menfchen leugnen folten, Folglich
fan man es, als eine allgemeine Wahrheit, annehmen.
Wir verfahren hier mit eben der Gruͤndlichkeit als ein Nas
turlehrer, welcher ofte die $uft gewogen hat, und mit Zu—
verficht behauptet, daß alle Luft fchwer fey, ob es ihm
gleich nicht einfallen Fan, zu behaupten, daß er alle Luft
gewogen habe.
$.' "736%
Diefe Wahrheit Fan zum andern, durch eine Bes
trachtung aus der Coſmologie, beftätiget werden. Memlic)
eine jedivede Seele Fan denken, und folglich handeln, und
ift demnach eine Subftanz $.452. Die menfchliche Geele
ift alfo eine Subftanz, und zwar eine Gubftanz, welche
ein Theil der Welt ift. Alle Subftanzen in der Welt find
Borftellungsfräfte, welche die Welt nach ihrer Stellung in
derfelben vorftellen $.369. Diefe Subftanzen find entweder
denfende Subftanzen, oder nicht $.370. And die eriten
ftellen fich die Welt entweder nach der Stellung eines Leibes
vor, oder nicht. Die erften find entweder Geifter, oder
bloß finnliche Seelen $.372. Folglich) find einige Seelen zus
gleich Geifter, welche Vorftellungsfräfte der Welt find, die
fich die Welt eines Theils deutlich, nach der Stellung eines
teibes, vorftellen fonnen. Wenn nun diefer Leib ein menfch«
licher Körper ift, fo ift die Seele eine menfchliche Seele
8.733. Folglich können wir, durch die genauefte Einthei-
lung
Von der Natur der menfchlichen Seele‘ 427
fung aller unferer Begriffe, die wir von den Subftanzen dies
fer Welt haben, überzeugt werden, daß die menfchlichen
Seelen zu derjenigen Elaffe der Subftanzen der Welt gebös
ren, welche Borftellungskräfte der Welt find, die ſich die
Welt eines Theits deutlich, nach der Stellung des menſchli⸗
hen Körpers, vorftellen Eönnen. Hier mag ein jedweder
felbft nachdenken, ob er auch nur den allergeringften Grund
erdenfen koͤnne, warum er irgends eine menfchliche Seele,
zu einer andern Claſſe der Subftanzen in der Welt, rech—
nen wolle. $eute, deren Verſtand geneigt ift, allerwegen
Schwierigfeiten und Ziveifel zu vermutben, durch welche
fie fid) an der Ueberzeugung hindern laffen, ob fie gleich
nicht im Stande find, diefelben anzugeben, werden fagen:
vielleicht Fan es eine menfchliche Seele geben, die anders
befchaffen ift. Um dieſen Seuten etwas zu Gefallen zu thun,
wollen wir zugeben, daß vielleicht von Menfchen eine Creas
tur gebohren werden Fan, deren Seele anders befchaffen ift,
Allein alsdenn find diefe Creaturen Feine Menſchen, und
man wird auch alsdenn gewahr werden, daß die Körper
derfelben handgreiflich von den menfchlichen Körpern unter-
fehieden find. Diejenigen Thiere aber, deren Körper
menfchlihe Körper find, müffen auch Seelen von einer-
ley Art haben. Und alfo muß entweder gar Feine menſchli—
che Seele eine folhe Borftellungskraft der Welt ſeyn, als
wir angenommen haben, und das ift wider meine eigene
unleugbare Erfahrung; oder alle menfchlihe Seelen find,
ſolche Borftellungskräfte der Welt.
I. 31%
Zum dritten Fonnen wir uns, zur ‘Betätigung des
vorhergehenden, auf den Begrif berufen, den wir von ber
genaueften Gemeinfchaft haben, in welcher eine jedivede
Seele mit ihrem Körper ftehen muß. Es befteht diefelbe,
im Grunde betrachtet, in zwey Stuͤcken. Cinmal muß die
Seele ihren Körper empfinden, und, vermittelt dev Em—
pfindungen ihres eigenen Körpers, andere Dinge aufler
demfelben fehen, hören, oder auf eine andere Art empfinden.
Und
428 Von der Natur der menfchlichen Seele.
Und zum andern muß fie ihren Körper bewegen, und zwar
auf eine roillführliche Art. Dadurch ändert fie die Stel
lung ihres Leibes, und mithin auch die Empfindung des Lei—
bes, und anderer Dinge, und es müffen alfo viele ihrer Em⸗
pfindungen von ihrem Willkuͤhr abhangen $, 727.728. Könn:
te man wohl fagen, daß ein Körper der Körper einer Seele
fey, den fie nicht willführlich bewegen fan, und den fie nicht
allemal empfindet, wenn fie andere Körper empfindet? So
müfte man die Stube, worin ein Menfch wohnt, ven Kör-
per feiner Seele nennen koͤnnen. Da nun die menfchliche
Seele, mit dem menfchlihen Körper, in der genaueften
Gemeinſchaft fteht $. 733. fo muß fie den menfchlichen Koͤr⸗
per empfinden und will£ührlich beivegen, und es müffen alfo
Empfindungen in ihr ſeyn, die durch ihr Willführ hervor—
gebracht werden. Willführliche Veränderungen find wah—
ve Handlungen desjenigen Dinges, von deffen Willführ fie
abhangen $. 703. Folglich handelt die menfchliche Seele
wahrhaftig, und ift eine Kraft im engften Verſtande. Folgs
lich ift fie nicht etwa ein Accidenz, welches eine Gubftanz
zu ſeyn ſcheinet, fondern fie ift eine wahre Subſtanz $. 158.
159. Und da fie durch ihre Willfühe ofte Empfindungen
und alfo Vorftellungen wuͤrkt, fo ift fie eine Borftellungss
kraft. Diefe Empfindungen ftellen ihr ihren Körper vor,
der als eine theilbare Materie $. 392, ein veränderliches und
endliches Ding, und mithin ein Theil dev Welt ift. Folge
lich ift, die menfchliche Seele, eine Vorſtellungskraft diefer
Welt. Und da fie ſich ihren Körper bald fo, bald anders
vorftele, nachdem fie ihm, durch die willführlichen “Bewes
gungen, diefe oder eine andere Stellung gibt; fo ftelt fie
fich die Welt, nach der Stellung des menfchlichen Leibes in
derfelben, vor, Ale diefe Betrachtungen Fönnten, viel weits
läuftiger, ausgeführt werden. Allein da wir bier die ganze
empirifche Pfychologie vorausfegen koͤnnen, fo fan ein jeds
weder vor ſich felbft dieſe Ausführung verrichten.
+ 738:
Nun wollen wir aus diefem Begriffe, den wir von
der
-
Don der Natur der menfchlichen Seele. 429
der menfchlichen Seele feftgefeßt haben, dasjenige herleiten,
was mir von ihrer Natur überhaupt wiſſen. Und da müf-
fen wir vor allen Dingen bemerken, daß fie ein Geift fen.
Denn fie fan fic die Welt, eines Theils deutlich, vorftellen
8,735. Und da fie alfo ein Vermögen deutlicher Erkenntniß
befist, welches Berftand genennt wird; fo ift fie unleugbar
ein Geilt S.372. 373. Da wir Diefes daher fchlieffen, weil
fie denfen fan, und zu deutlicher Erfenntniß aufgelegt ift;
fo müffen wir eine Nedensart erläutern, welche dem erften
Anfehen nad) eine Schwierigkeit machen far. Man ſagt
nemlich auch, daß der Menfch venfe, und vernünftige und
deutliche Einfichten habe: daraus folgt aber nicht, daß der
Menfch im Ganzen betrachtet ein Geift fey. Sondern wenn
wir von einem Dinge fagen, daß es ein denkendes und ver=
nünftiges Wefen fey, fo ftellen wir es uns auf eine doppelte
Art vor. inmal als ein Ding, welches wie ein Ganzes
aus vielen auffer einander befindlichen Theilen befteht, unter
denen einer ift, melcher denkt und ein vernünftiges Wefen
iſt. Und nach diefer Erklärung ift der Menfch , ein denfen.
- des und vernünftiges Wefen. Und zum andern ftellen wir
es uns als eine einzige Subftanz vor, die nicht aus vielen
Subſtanzen befteht, und welche denkt und Verſtand hat,
Und fo muß man ſich die menfchliche Seele als ein denken.
des Wefen, und als einen Geift vorftellen. Wolte man fie
fich als viele Subftanzen zufammengenommen vorftellen, des
ren eine jedwede denft und deutlich) erfennt, fo wäre fie ein
Inbegrif vieler Geiſter. Einen folchen Inbegrif nennt man,
in der practifchen Weltweisheit, eine morslifche Perſon,
oder einen myſtiſchen Körper, wie 3. E. eine ganze Republik
auf diefe Weife vorgeftele wird. Allein die menfchliche
Seele ift, vermöge unferes Beweifes, ein einziger einzelner
vor fich beftehender Geift, und alfo eine einzige Gubftanz,
Da nun die Kraft im engften Berftande die Subftanz ift
$. 159. fo fan feine einzelne Subſtanz mehr, als eine einzige
thätige und gefchäftige Kraft, haben; meil fie fonft aus eben
fo viel Subftanzen beftehen müfte, als fie folche Kräfte beſaͤſſe.
Und
430 Von der Natur dev menfchlichen Seele.
Und esiftdemnach die menfchliche Seele nur eine einzige Kraft,
oder fie befigt nur eine einzige Kraft, welche die Borftellungss
kraft der Welt nach) der Stellung des menfchlichen Leibes ift.
097739. ENSR
Die menfchliche Seele ift, eine endliche und zufällige
Subftanz. Wir fönnen uns, von diefer Wahrheit, auf
eine doppelte Art überzeugen. Einmal ftelt fie fic) die Welt:
nad) der Stellung ihres Leibes, als aus einem Gefichts«
puncte, vor $. 735. Nun ift der Körper, als eine Mates
rie die ein Theil der Welt iſt, in beftändiger Bewegung
$. 388. und verändert alfo beftändia feinen Ort, und feine
Stellung $. 223. Diefe Stellung ift der Grund der Vor—
ftellungen der Seele, und da diefer Grund beftändig verän-
dere wird, fo find auch die Borftellungen der Seele, beftän-
digen Abanderungen, unterworfen $. 205. Die BVorftels
lungen find, innerliche Beftimmungen der Seele. Folglich
ift, in der menfchlichen Seele, eine Reihe beftändig auf
einander folgender innerlichen Beftimmungen. Da fie nun
alfo niemals innerlic) auf einmal wuͤrklich ft, mas fie feyn
Fan; fo ift fie ein endliches $. 195 und alfo ein zufälliges
Ding $. 193. Zum andern fan man, dieſe Wahrbeit,
folgendergeftalt ermweifen. Die menfchliche Seele ſtelt ſich
die Welt, nad) der Stellung ihres Leibes, nur eines Theils
deutlich vor $. 735. und fie bat alfo auch undeutliche Bor
ftellungen von der Welt. Die Deutlichfeit ift eine Kealis
tät, und die Undeutlichfeit der Erfenntniß eine Berneinung
und Unvollfommenbeit $. 505. Folglich iſt die menfchliche
Seele ein unvolltommenes Ding, und befißt nicht den aller—
höchften Grad der Realität, fondern nur einen ſolchen Grad
der Mealität, der noch gröffer feyn Fan. Ein folcher Grad
ift eine Einfchrenkung. $. 190. Folglich iſt, die menfchlis
che Seele, . ein eingefchrenftes und endliches Ding $. 191.
und alfo auch ein zufälliges Ding $. 193. Was zufällig ift,
das ift innerlich veranderlich S. 128. Folglich ift die menſch⸗
liche Seele innerlich veranderih. Es iſt alſo ungereimt,
eine menfchliche Seele zu denken, die innerlich ganz unver«
aͤnder⸗
Don dev Natur der menfchlichen Seele 43
anderlich ift, welche ein fchlechterdings nothmendiges Ding
ift, welche gar feine Unvollfommenheiten hat, und welche
wahrhaftig unendlich wäre, Wir werden diefe Solgerung
‚bald brauchen, um einige grobe Irrthuͤmer zu widerlegen,
R740:
Eine jedivede Subftanz in diefer Welt ftelt, die gans
ze Welt und alle ihre Theile, in fich vor; oder es ift in ihr
eine volftändige Abbildung aller Theile der Welt, der gan-
zen Welt und alles dejfen, was in ihr befindlic) ift, anzus
treffen. $.367. 365. Da nun die menfchliche Seele, eine
Subftanz in diefer Welt, iftz fo ift in ihr, eine Borftellung
der ganzen Welt, enthalten. Allein das ift noch nicht bins
länglich , wenn man fic) einen rechten Begrif von der Bor:
ftellungsfraft der Welt machen will, welche wir bisher der
menfchlichen Seele zugefchrieben haben. Nemlich wir müf-
fen auch behaupten, daß die-menfchliche Seele ſich alles in
der Welt, vermöge diefer ihrer Kraft, vorſtelle; oder daß
nichts in der Welt angetroffen werde, e8 mag nuneine Sub»
ftanz oder ein Accidenz feyn, welches nicht der Seele felbft,
durch ihre Vorftellungskraft, vorgeftelt und abgebildet wer»
de. Denn die menfchliche Seele muß fich nothwendig, eins
zelne Dinge diefer Welt, als einzelne Dinge vorftellen.
Man fan diefes, einmal, daher ſchlieſſen, meil fie vermöge
der genaueften Gemeinfchaft, in welcher fie mit dem menſch⸗
lichen Körper fteht, Empfindungen haben muß $. 737. Da
nun Empfindungen Borftellungen gegenmwärtiger, und alfo
einzelner Dinge find, welche in diefer Welt würflich find
9. 528. fo ftelt fich die menfchlicdye Seele, wenn fie empfins
det, einzelne Dinge als einzelne Dinge vor. Zum andern
fan man diefen Saß auch daher beweifen, weil widrigenfuls
alle Borftellungen unferer Seele abftracte Begriffe feyn muͤ—⸗
ften, und das ift unmöglich. Denn alle unfere Begriffe
find entweder abftracte Borftellungen, oder nicht. Jene
ftellen ung nicht alles in einem Dinge vor, fondern nur dag-
jenige, was es mit andern Dingen gemein hat. Wenn
man fich alfo zwar ein einzelnes Ding, aber nicht als ein
ein:
432. Von der Natur der menfchlichen Seele.
einzelnes Ding vorftelte, fo ſtelte man fich nicht feine durchs
gängige Beftimmung vor, $. 141. Alfo würde man fich
nicht alle feine Betimmungen, ſondern nur einige der
felben , vorftellen, und man häfte alfo von ihm nur einen
abftracten Begriff. Nun fan man zu feinem abftracten
Begriffe gelangen, wenn man nicht Begriffe bat, die gar
nicht abftrack find, und von denen man den abitracten Bes
grif abfondert. Folglich ift es unmöglich, daß eine menſch⸗
liche Seele lauter abftracte ‘Begriffe haben folte. Sie muß
demnach einige Begriffe haben, die gar nicht abftract find;
das ift, fie muß fid) einzelne Dinge in diefer Welt in ihrer
durchgangigen Beftimmung vorftellen, oder mit allen ihren
Beſtimmungen zufammengenommen. Nun gehört, zu der
Durchgangigen Beſtimmung der einzelnen Dinge in dieſer
Welt, daß fie, vermöge des allgemeinen Zufammendangs
$. 319. mit einem jedweden andern Theile der Welt vers
knuͤpft find. Folglich ftelt fich die menſchliche Seele, ein»
zelne Dinge in diefer Welt, als mit allen übrigen Theilen
der Welt verknüpft vor; folglich entweder als Gründe, oder
als Folgen der übrigen, oder als beydes zugleih. Nun ift -
es unmöglich, daß man ein Ding als mit einem andern
verbunden fich vorftellen fonne, wenn man ſich das andere
nicht auch zugleich vorftele. Wer Fan fic) vorftellen, daß
zwiſchen GOtt und der Welt eine Verbindung fey, wenn
man fich entweder GOtt allein, oder bloß die Welt vorftele? _ |
Folglich ftelt ſich die menfchliche Seele, vermöge ihrer Kraft,
die ganze Welt, und alle Theile derfelben ohne Ausnahme,
vor. Es ift nicht zu leugnen, daß diefer Saß fehr wider
ſinniſch zu feyn feheine, indem uns unfere eigene Erfahrung
lehrt, daß uns fo viele Dinge in diefer Welt unbekant find.
Ich foll mir alles in dieſer Welt vorftelfen, und ic) bin doch
fo unmiffend, daß das wenige, was ich von diefer Welt
weiß, gegen dasjenige, was mir von derfelben unbekannt ift,
wie nichts zu rechnen ift. Allein diefe ganze Schwierigkeit
entfteht daher, wenn man dunfele und Elare Borftellungen,
Borftellungen deren wir uns nicht bewuße find, und deren
wir
Don der Natur der menfehlichen Seele. 433
wir uns bewußt find, Gedanken und Borftellungen über:
haupt nicht von einander unterfcheider, Nichts ungereimz
teres koͤnnte gefagt werden, als wenn man behaupten wol—
te, Daß die menfchliche Seele ſich alles in der Welt klar
und mit einem Bewußtſeyn vorſtelle. Wir behaupten
alfo nur, daß die menfchliche Seele fich alles in der Wele
dunfel vorſtelle, und daß fie fich alfo deffen nicht bewußt
fey. Da wir nun alles uns unbefannt nennen, deffen wie
uns nicht bewußt find, und niemals bewußt geweſen find;
fo fonnen uns Menfchen, dieſer Wahrheit ohnerachter, un=
endlich viele Dinge in diefer Welt unbefannt feyn, und un—
fere Unwiſſenheit Fan mit ihr fehr wohl beſtehen. Und
man würde einen groffen Unverftand an den Tag legen,
wenn mar ung Schuld geben wolte, als legten wir der
menfchlichen Seele eine Allwiffenheit bey. Denn die Aff-
wiſſenheit beftebt, in der alferdeutlichiten Erfenntniß aller
möglichen Dinge. Die Erfenntniß aller Dinge in diefer
Welt aber, die wir der menfchlichen Seele zufchreiben, iſt
weder eine deutliche Borftellung, noch eine Erkenntniß aller
möglichen Dinge: denn alle Dinge in diefer Welt machen
nur, einen fehr Fleinen Theil von allen möglichen Dingen,
aus. Folglich fehreiben wir der menfchlichen Seele eine
folhe Vorſtellungskraft der Welt zu, vermoͤge welcher fie
ſich die ganze Welt, und alle ihre Theile ohne Ausnahme,
nach der Stellung des menfchlichen $eibes in derfelben, vor—
ſtelt.
J §. za x
Wenn man fid) von der vorhergehenden Wahrheit
überzeugt hat, fo fan man nun fehr Teiche begreifen, wie
aus diefer Borftellungskraft der Welt, alle Vermögen der
menſchlichen Seele, flieffen, Und zwar erſtlich was die
Erfenntnißvermögen betrift, fo Fan man folgendergeftalt
fohlieffen : Die menfchlihe Seele ftelt fich alles in der
Welt, nach der Stellung des menfchlichen Leibes, vor 9.
740. Alles, was in der Welt ıft, iſt entweder vergangen,
oder gegenwärtig, oder zufünftig. Folglich ſtelt fich die
3, Theil, Ge menſch⸗
434 Von der Natur der menfchlichen Seele.
menfchliche Seele erftlich alles Gegenwärtige vor, das ift,
fie empfindet, und hat alfo ein Vermögen zu empfinden,
oder Sinne $. 528. 530. Die Empfindungen der menfch-
lichen Seele find Borjtellungen aller Dinge in der Welt,
welche mit ihr in dem Augenblicke zugleich da find, wenn
fie empfindet, und zwar find diefe Vorstellungen mehr oder
weniger deutlich, verworren oder dunkel, nachdem ihre Ge—
genftände fich gegen den menfchlichen Körper verhalten.
Zum andern ftelt fi) Die menfchliche Seele, alles Vergan—
gene in der Welt, vor. Folglich bat fie Einbildungen,
und eine Einbildungskraft $. 555. Die Einbildungen der
Seele find die Borftellungen aller derjenigen Theile der
Melt, welche vor dem gegenwärtigen Augenblicke, da die
Seele diefe Einbildungen hat, vorhergegangen find, und
zwar find diefe Borftellungen mehr oder weniger deutlich,
verworren und Dunfel, nachdem fich ihre Gegenftände der
Stellung nad) gegen den menfchlichen Körper verhalten.
Drittens ſtelt fich die menfchlihe Seele alles Zukünftige
vor, und fie bat alfo Vorherſehungen, und ein Borherfes -
hungsvermögen $. 598. Die Borherfehungen der menfch-
lichen Seele find alfo Borftellungen aller derjenigen Dinge
in der Welt, welche auf denjenigen Augenblic, in welchem
die Seele diefe Borberfehung bat, folgen, und zwar find
diefe Borftellungen mehr oder weniger deutlich, verworren
und dunfel, nachdem fich ihre Gegenjtände der Stellung
nach gegen den Körper verhalten. Und eben fo koͤnnen wir
mit leichter Mühe alle Diejenigen Erfenntnißvermögen,
welche wir in der empirifchen Pfychologie in unferer eige—
nen Seele beobachtet haben, aus der Borftellungskraft der
Welt herleiten, und fie allen menfchlichen Seelen zufchrei:
ben. Ich babe fchon in der empirifchen Pfnchologie, bey
einem jedweden Erfenntnißvermögen, gewiefen, wie es aus
der Borftellungsfraft der Welt flieffe. Und es Fan alfo
nun ein jedweder felbft, von allen menfchlichen Seelen, eben
fo wohl erweifen, daß fie Wis, Gedaͤchtniß, Scharfſinnig—
keit u. ſ. w. befißen, als ich es jego von den Sinnen, von
der
Von der Natur der menfchlichen Seele. 435
der Einbildungskraft, und dem Borherfehungsvermögen
geriefen hab. Mur müffen wir, um der Gründlichkeie
willen, zmweyerley wohl bemerfen. Einmal muß man ein
Erfenntnißvermögen, und den Gebrauch defjelben, wohl
von einander unterfcheiden. Aus unferer Art zu fchlieffen
folgt nur, daß eine jedwede menfchliche Seele alle diejenige
Erkenntnißvermoͤgen befiße, die ic) von meiner eigenen
Seele aus der Erfahrung weiß. Demohnerachtet aber
fan es viele menfchliche Seelen geben, denen der Gebrauch
dieſes ober jenes Erfenntnißvermögens fehlt. Geſetzt daß
ein Menfch blind gebohren fen, fo ift unleugbar, daß ihm
der Gebrauch des Gefichts fehlt; allein daraus folgt noch)
nicht, daß ihm das Vermögen zu fehen ganz und gar fehle,
Zum andern verjteht man mehrentheils, durch ein Erfennt-
nißvermögen, eine Möglichkeit, fich gewiffer Dinge bewußt
zu werden, oder auf Diefelben achtung zu geben; daher fagt
man, der Blinde Fan nicht fehen. In unferm Beweiſe
aber müffen mir, durch ein Erfenntnißvermögen, über:
haupt die Möglichfeit verftehen, etwas fich vorzuftellen,
und wenn es auch gleich nur dunkel geſchieht. Folglich
behaupten wir nicht, daß die menfchlichen Seelen, in Ab:
ficht auf alle Dinge in der Welt, die fie fich dunkel vorftels
len und vorftellen fönnen, folche Erfenntnifvermögen be:
fisen, durch welche fie im Stande find, fich dertelben be—
mußt zu werben. Ich habe an einem andern Orte be:
hauptet, daß es noch mehr Sinne geben koͤnne, als wir
Menfchen befisen, und daß es Creaturen geben koͤnne, wel:
che mit denfelben begabt find. Das heißt nach unferer jeßis
gen Erklärung fo viel, als wir Menfchen ftellen uns alle
Gegenftände diefer Sinne vor, aber nur dunfel. # Weil
mir uns aber ihrer nicht bewußt werden Fonnen, fo fagen
wir, daß uns diefe Sinne fehlen, und mir fehreiben fie de—
nenjenigen Creaturen zu, von welchen wir annehmen, daß
fie vermögend find, fi) diefer Dinge bewußt zu. werden.
Und eben fo Fan man ohne Nachtbeil unferes Beweiſes zu—
Ee2 geben,
46 Vaon der Natur der menſchlichen Seele.
geben, daß es überhaupt noch mehrere Erkenntnißvermoͤ—
gen gebe, als wir Menfchen befigen.
——
Eben ſo leicht kan man erweiſen, daß alle menſchliche
Seelen alle Begehrungsvermoͤgen beſitzen, die wir in unſe—
ver eigenen Seele in der empiriſchen Pſychologie beobach—
tet haben. ine Begierde beftehet darin, wenn die Vor—
ftellungsfraft, durch eine Vorherſehung, und durch ein
Dergnügen und Mißvergnügen, bejtimt wird, eine Vor—
ftellung bervorzubringen, oder zu verbinden, Nun bat
die menfchliche Seele alle Erfenntnißvermögen, die zu einer
Begierde erfodert werden, die Borberfehungsvermögen,
die Beurtheilungsfraft, das Dermögen anfchauender Er—
fenntniß, und fie ift vermögend, Vergnügen und Mißver-
gnügen zu empfinden $. 741. Folglich Fan fie Bewegungs—
gründe haben. Nun ift fie eine Borjtellungskraft, und
fan alfo Borftellungen würfen, und zwar nach Bewe—
gungsgeünden. Könnte das legte niemals gefchehen, fo
Fonnte fie. gar Feine Bewegungsgründe haben : denn das
find eben folche Borftellungen, durch welche die Vorſtel—
Iungsfraft zu handeln beftime wird. Folglich bat die
menfchliche Seele ein Vermögen, nad) Bewegungsgründen
ihre Kraft zu beftimmen, eine Borftellung hervorzubringen |
oder zu verhindern, das ift, fie hat ein Vermögen zu be—
gehren und zu verabfcheuen. Und da fie endlich und zufälz
lig ift $. 739. fo müffen alle ihre Handlungen, alle ihre
Begierden und Verabſcheuungen, zufällig feyn, desgleichen
auch alle ihre Bewegunasgründe. Nenn fie alfo Bewe—
gungsgründe hat etwas zu begehren, fo muß es wenigftens,
wie wir vermöge unferer eigenen Erfahrung fehlieffen koͤn—
nen, manchmal moͤglich feyn, daß fie diefe Bewegungs—
gründe ändert, und ſich beftimmen koͤnne, daſſelbe zu ver-
abfcheuen. Folglich Fan fie einige Handlungen thun und
unterlafien, nach ihrem eigenen Belieben, und fie befißt
alfo ein Willfübr $. 703. Es folgt diefes auch daher,
weil fie ihren Körper willkuͤhrlich bewegen Fan $. Dr
Wir
Don der Natur der menfehlichen Seele, 437
Wir fonnen demohnerachtet zugeftehen, daß es menfchliche
Seelen geben fünne, in denen eine lange Zeit hindurch, kei—
ne einzige woillführliche Begierde und Verabſcheuung, und
gar Fein Gebrauch des Wiltführs angetroffen wird. Es
ift genung, wenn man uns zugibt, daß das Willführ aller
menfchlichen Seelen aus der Borftellungsfraft der Seele
folge, und daß es Feine menfchliche Seele gebe, der das
Willkuͤhr fchlechterdings widerſpricht.
= 783.
Wenn in einer Subftanz die Erfenntnißvermögen
angetroffen werden, fo befißt fie auch Begehrungsvermo-
gen $. 742. Wo alfo die finnlichen Erfenntnißvermögen
find, da find auch die finnlichen Begehrungsvermögen, und
wo Berftand ift, da ift auch der Wille 6. 686. Mum find
alle menfchliche Seelen Geifter, und haben alfo Berftand
6.738. Folglich haben alle menfhliche Seelen einen Bilz
Ion, oder ein vernünftiges DBegehrungsvermögen. Alle
menfchliche Seelen koͤnnen Bewegungsgründe haben $. 742.
Und da fie Verſtand befißen, fo koͤnnen diefelben. deutlich
und vernünftig ſeyn. Folglich Fan die Borfteflungskrafe
der menfohlichen Seele durch deutliche Bewegungsgründe
beftimt werden, und das heißt nichts anders, als: fie Fan
vernünftig begehren und verabfiheuen $. 687. Und wenn
man ſich nun überzeugt bat, daß alle menſchliche Seelen
ein Willkühr befigen, fo ift es ſehr Teiche fich zu überzeu-
gen, daß fie auch einen freyen Willen haben. Denn ha-
ben fie ein Willkuͤhr, fo koͤnnen fie ofte eine Handlung thun
oder unterlaffen nach eigenem Belieben, oder nach ihren ei—
genen Bewegungsgründen. Da Diefelben nun, tie gleich
jeßo erwiefen worden, deutlich) feyn koͤnnen: fo befißen alle
menfchliche Seelen ein Vermögen, nac) deutlichen Bewe—
gungsgründen manchmal eine Handlung zu thun oder zu
unterlaffen, und darin befteht ja die Freyheit des Willens
8.708. Wenn man fich von diefer Wahrheit vecht über-
zeugen will, fo muß man das Schmere in diefem Beweiſe
nicht bemaͤnteln. Nemlich zum Wilfführ und freyen Wil—
Ee3 len
433 Von der Natur der menfchlichen Seele:
len einer denfenden Subſtanz ift nicht hinlänglich, daß fie
nad) eigenen Bewegungsgründen, und nach eigenem ver-
nünftigen Belieben begehren und verabfcheuen koͤnne; und
diefes ift fehr leicht von allen menfchlichen Seelen zu erwei-
fen, wie aus meinen bisherigen Unterfuchungen erhellet:
fondern es muß auch erwiefen werden koͤnnen, daß es in
dem Bermögen diefer Subſtanz ftehe, wenn fie etwas nad)
DBewegungsgründen begehrt, eben vaffelbe zu verabfcheuen,
und wenn fie etwas nach Bewegungsgründen verabfcheuet,
eben dafjelbe auch zu begehren; oder daß fie nad) eigenem
Belieben Handlungen thun, und unterlaffen koͤnne $.709.
Nun Fan man diefes nicht gerade zu, aus der Zufälligfeit
der menfchlichen Seele, fhlieffen. ine jedwede Mafchine
in diefer Welt ift auch zufällig. Daraus folgt aber nicht,
daß fie die Handlung, welche fie durch ihre Natur verrich—
tet, auch durch eben diefelbe unterlaffen Eonne. Ja unfere
Seele thut unleugbar Handlungen, welche bloß natürlich
find $. 700. Und folte ſie dieſelben auch gleich nach deut:
lichen Bemwegungsgründen verrichten, fo find fie dennoch,
ihrer Zufälligkeit ohnerachtet, nicht frey, weil es nicht in
der Gewalt der Seele fteht, fie zu unterlaffen. Wer ſich
alfo überzeugen will, daß alle menfchliche Seelen ein Will-
führe überhaupt, und infonderheit einen freyen Willen, be-
fisen; der muß diefe Leberzeugung aus der Zufalligfeit al-
ler Handlungen der menfchlichen Seele herleiten, wenn er
Dabey feine eigene Erfahrung zu Nathe zieht. Ich weiß
es aus meiner unleugbaren Erfahrung, daß meine Geele
ofte eine Handlung zu thun und zu unterlaflen vermögend
iit, Eben diefes bemerfe ich auch von allen erwachfenen
Menfchen, die ich Fenne. Folglich gehört diefes nicht zu
den einzeln Befchaffenheiten, die meiner Seele allein und
ausfchlieffungsweife zukommen. Folglich müffen viele
Handlungen aller dev Seelen, die mit der meinigen zu einer
und eben derfelben Art gehören, gethan und gelaffen mer:
den koͤnnen. Folglich haben, alle menfchliche Seelen, ein
Willkuͤhr. Es wird diefes auch volllommen, durch den
Dau
|
Von der Natur der menfchlichen Seele. 439 |
Bau des menfchlichen Körpers, beftätiget. Es ift derfelbe
eine Mafchine, die voller Gelenfe ift, und mit unendlich
vielen ITriebfedern durchflochten ift. Es geben fo viele
Sehnen in die Hände, daß eine Hand in die Höhe geho—
ben und herunter gelaffen werden Fan, fie Fan zur Rechten
und zur Linken, vorwärts und rückwärts bewegt werden
u. ſ. w. Folglich ift der Körper fo eingerichter, daß er
willführlic) bewegt werden fan. Und es müffen alfo, um
der allgemeinen Harmonie der Dinge in der Welt willen,
in den menfchlichen Körpern Seelen wohnen, die mit Willz
Führ begabt find, |
$. 744.
Wir haben bisher erwiefen, daß alle menfchliche See-
len Geifter und Perfonen find, und daß fie Verſtand und
freyen Willen befisen. Folglich ift Feine menfchliche Seele
möglich, welche gar feinen. Berftand und freyen! Willen‘
haben folte, und welche weder ein Geift noch eine Perfon
wäre. Es fünnen demnach diefe Befchaffenbeiten von der
menfchlichen Seele gar nicht getrennt werden, fondern e8
find Eigenfchaften, oder wefentliche Stüce derfelben, die
ihr auf eine fchlechterdings nothwendige Art zufommen $.
66.67. &s ift wahr, der. Gebrauc) des Verftandes und
des freyen Willens ift nicht nothwendig, und es Fan dem:
nach menfchliche Seelen geben, wie z. &. Kinder und wahn⸗
mwißige $eute, welche Verſtand und Willen bloß als Ber-
mögen, und alfo nur der Möglichkeit nach, beſitzen. Und
von folchen menfchlichen Seelen fan man mit Recht fagen,
daß fie, wenn man bloß auf ihre Würflichfeit, und auf
die würfliche Befchaffenheit ihrer Erkenntniß und ihrer
Begierden fieht, Feine würflichen Geifter find; oder daß
fie nicht wuͤrklich, als Geifter und Perfonen, denfen, be—
gehren und handeln. Allein wenn man die geiftige Mas
eur, die Perfönlichkeit, den Berftand und den freyen Wil-
len, als Bermögen betrachtet, fo find fie von ver menfch-
lichen Seele fehlechterdings unzertrenlih. Es ift demnach)
vollfommen ungereimt, wenn man eine menſchliche Seele
Ee 4 den⸗
440 Von der Natur der menfchlichen Seele.
denfen wolte, welche gar nichts deutlich erkennen, gar nicht
frey handeln könnte, und welche gar Feine eigene Perfün-
lichkeit beſaͤſſe. Wenn alfo die Gottesgelehrten fagen, daß
die menfchlihe Seele Ehrifti feine eigene Perfönlichkeit
babe; fo müffen fie mit dem Worte Perfon eine ganz ande:
re Bedeutung verbinden, als wir damit verfnüpft haben.
Und es wäre lächerlich, wenn man verlangen wolte, GOtt
habe dem Adam entweder Feine Freyheit geben, oder die—
felbe ihm nehmen follen, damit er nicht gefündiget hätte:
denn es hieſſe diefes eben fo viel, als: GOtt habe etwas
fhlechterdings unmogliches und ungereimtes thun ſollen.
. 745.
Die menfchliche Seele muß als eine einzige Subftanz
betrachtet werden, Die nur eine einzige thatige, gefchäftige
und lebendige Kraft befißt $. 738. allein fie befißt, viele
derfchiedene Vermögen. Sie erfennt ja, begehrt und ver-
‚abfcheuet, und wir wollen nicht einmal, auf die verſchiede—
nen und mannigfaltigen Arten ihrer Erfenntniß und Be—
gierden, jeßo Acht geben. Nun muß man in einer jedwe—
ven Subftanz fo viele verfchiedene Vermögen annehmen, fo
viele verfchiedene Handlungen man bey ihr beobachtet $.
170. Erkennen, begehren und verabfcheuen, find von ein:
ander verfchiedene Handlungen. Folglich ift, das Vermoͤ—⸗
gen zu begehren, ein anderes Vermögen der menfchlichen
Seele, als das Vermögen zu erfennen. Es befigt dem-
nach, die menfchliche Seele, viele von einander verfchiede-
ne Bermögen, Da diefelben aber nichts anders als bloffe
Möglichkeiten zu handeln find, fo würde man ſich einen ofa
fenbar falfchen Begrif von der menfchlichen Seele machen,
wenn man fich alle ihre Bermögen als von einander abge-
fonderte, thätige und gefchäftige Kräfte, vorftellen wolte,
welche in einander würfen. Mur die einzige Vorftellungs-
kraft der Seele ift würffam, und verrichtet alle Handlunz
gen derſelben. Die verfchiedenen Vermoͤgen der Seele
aber find die verfchiedenen Arten, wie fich die Vorftellungs-
kraft auf eine mannigfaltige Art aͤuſſern, und gefchäftig er-
weifen
Don der Natur der menfchlichen Seele. 4Am
mweifen Fan. Es verhält fih auch fo in andern Fällen,
Wenn z.E. gefagt wird, daß die Sonnenftralen weich ma—
chen, trocknen, wärmen, erleuchten Fonnen, fo werden alle
dieſe Veränderungen, duͤrch einerley Kraft, gewürft, Die
verfchiedenen Vermögen der menfchlichen Seele flieffen, aus
der einzigen Borftellungsfraft $. 741. 742. 743. und find
——— Beſtimmungen derſelben, vermoͤge welcher ſie
bald F bald jene Handlung verrichten kan. Wenn man
alſo z. E. ſagt: der Verſtand des Menſchen wuͤrke in den
Willen, und babe einen Einfluß in denfelben; fo fan man
Diefe Kedensart, als eine uneigentliche Redeusart, und als
einen lebhaften Ausdruck, gerne gelten laſſen. Allein ei—
gentlich enthaͤlt ſie einen Irrthum, und wenn es ung ſcheint,
als würfe der Berftand in den Willen, fo gefchieht nichts
onders, als daß die einzige Vorftellungsfraft der Seele
eine deutliche Erkenntniß würft, und dadurch beftimt wird,
den Gegenftand, oder Die deutlich vorhererfante Empfin⸗
dung einer Sache, zu würfen,
; $. 746.
Man Fan von der menfchlichen Seele noch ein Ber:
mögen bemweifen, welches eine grofle Schwierigkeit verur-
facht, wenn man es aus der Borftellungskraft der Seele
berleiten will. Nemlich die menfchliche Seele befist ein
Vermoͤgen eine Bewegung hervorzubringen, und wir wol-
Ien daſſelbe das Bewegungsvermoͤgen nennen. Die—
ſes Vermoͤgen komt der Seele, auf eine doppelte Art, zu,
Einmal in Abſicht auf ihren Körper, in welchen fie will-
führliche Bewegungen hervorbringt 9. 737. Folglich hat
die menſchliche Seele ein Vermoͤgen, etwas auſſ er ſich in
Bewegung zu ſetzen, nemlich ihren Körper. Ja man fan
ſagen, daß ſie zu den Bewegungen aller Dinge, die auſſer
ihr in der Welt angetroffen werden, das ihrige beytrage.
Denn ſie ſteht, mit allen uͤbrigen Subſtanzen in der Welt,
in einem allgemeinen wuͤrkenden Zuſammenhange $. 442.
Folglich haben alle Bewegungen in der Welt, und alfo
auch Die Bewegungen ihres Leibes, in ihrer Kraft einen
Gez Grund
442 Von der Natur der menfchlichen Seele.
Grund ihrer Wuͤrklichkeit. Und da es ihr alfo möglich:
feyn muß, Dinge auffer fih in Bewegung zu feßen, fo be—
figt fie unleugbar ein Berwegungsvermögen. Zum andern
komt ihr, diefes Vermögen, auch in Abſicht ihrer felbft zu.
Sie iſt ja eine einzelne Subftanz in diefer Welt, und be-
findet fich alfo jederzeit an einem gewiſſen Orte $. 363. Ein
jedweder Dre ift, als ein Berhältniß, veränderlich $. 129.
Folglich Fan der Ort der Seele felbft verändert, das ift, fie
Fan bewegt werden $. 223. Und da alle Bewegungen in
der Welt in der Kraft der Seele, wie gleich jego gezeigt
worden, gegründet find: fo hat die menſchliche Seele ein
Vermögen, ſich felbit zu bewegen. So leicht als es ift,
fih davon zu überzeugen, daß unfere Seele in der That
ein folches Vermögen befiße; fo fehwer ift es, auf eine be-
greifliche Art zu erflären, daß die Bewegungen, welche die
Seele würft, durch ihre Borftellungsfraft gemürft werden,
So viel ift gewiß, daß fie durch diefe Kraft gewuͤrkt wer-
den. Alles was eine Subftanz thut, verrichtet fie durch
ihre Kraft. Mun hat die Seele nur eine einzige Kraft,
nemlich die Vorftellungsfraft, wodurch fie fich die Welt,
nach der Stellung ihres Leibes in der Welt, vorftelt $. 738.
Folglich müffen alle Bewegungen, welche die menfchliche
Seele würft, durch diefe Vorftellungsfraft gewürft wer—
den. Da aber, Bewegungen und Vorftellungen, fo him—
melweit von einander unterfchieden zu feyn fcheinen; fo
fheint es unmöglich zu ſeyn, Daß beyde durch eine und eben
diefelbe Kraft folten fönnen geroürfe werden. Ob ich mir
nun gleich nicht getraue, dieſe Sache völlig zu erflären, fo.
Fan man es fich doch einigermaffen begreiflich machen, wie
die Borftellungsfraft Bewegungen bervorbringen koͤnne.
Memlich die Seele bat, in einem jedweden Augenblicke,
eine Borftellung der ganzen Welt, nach der Stellung ihres
teibes, und nad) ihrer eigenen Stellung $. 369. 735. Folg-
lich ift, die jedesmalige Vorftellung der ganzen Welt in
der Seele, in dem dermaligen Drte ihres Leibes und ihrer !
felbft, als in ihrem Gefichtspuncte, gegruͤndet. Wenn
nun
Don der Natur der menfchlichen Seele. 443
nun dieſe Borftellung der ganzen Welt geändert wird, fo
muß aud) ihr Grund, oder der Ort des Seibes und der
Seele, geändert, und alfo muß der Leib und die Seele be-
wegt werden $. 206, Mun ändert fi, die Borftellung
der ganzen Welt in der Seele, beftändig S. 739. Folg—
lich muß auch der Gefichtspunct beftändig verändert, und
die Seele beftändig bewegt werden. {indem alfo die Seele
durch ihre Vorftellungskraft, ihre Vorſtellung der ganzen
Welt, beftändig verändert; fo verändert fie auch durch dieſe
Kraft beftändig ihren Gefichtspunet, das ift, ihren Dre,
und den Ort ihres Leibes. Es ift demnach flar, daß die
Seele durd) ihre Borftellungsfraft nicht nur ſich felbft, fon-
dern auch ihren $eib bewege. Solte nun gleich diefe Be—
trachtung nicht zureichen, völlig zu erklären, wie es zugebe,
daß durch eine Borftellungskfraft Bewegungen entitehenz
fo wird fie doch zureichend feyn, zu zeigen, daß es der Bors
ſtellungskraft nicht fchlechterdings widerfpreche, wenn man
annimt, Daß durch fie Bewegungen gemwürft werden,
. 747
Nun find wir im Stande, ung einen richtigen Be:
grif, von dem Wefen und der Natur der menſchlichen See—
le, zu machen. Nemlich die menfchliche Seele ift eine
Borftellungskraft, welche fi) die Welt, nach) der Stel:
lung des menfchlichen Leibes, eines Theils deutlich vorftelt
S. 735. Diefe Kraft ift die Subftanz der menfchlichen
Seele, und die menfchliche Seele felbft im Ganzen be-
trachtet. Nun ift das Wefen eines jedrveden Dinges fei-
ne imnerliche Möglichkeit $. 51. Folglich ift das Weſen
der menfchlichen Seele das Erfenntnißvermögen, fi)
die Welt, nad) der Stellung des menfchlichen $eibes, eines
Theils deutlich vorzuftellen $. 173. Und da die Natur ei-
nes jedweden Dinges, der Inbegrif aller innerlichen Be—
ftimmungen deffelben ift, welche Die Urfachen feiner Hand-
lungen und $eiden find $. 396. fo beſteht, die Natur der
menfchlichen Seele, in dem Inbegriffe aller innerlichen
Beftimmungen ihrer Borftellungsfraft der Welt, in fo
ferne
444 Von der Natur der menfchlichen Seele,
ferne fie durch die Stellung des menfchlichen Leibes in der
Welt eben fo und nicht anders beftime find. Wir haben
ja bisher gewiefen, daß aus dieſen Beftimmungen die
Wuͤrklichkeit aller Borftellungen, Begierden und Bewe-
gungen, flieffen, welche die Seele würft $. 740-746.
Folglich) haben wir uns überzeugt, daß in diefen Beftim-
mungen, in der That, die Natur der menfchlichen Seele,
beſtehe. Wir rechnen alfo, zu diefer Natur, nicht nur
das Wefen der Seele als einen Theil, fondern auch alle
Erfenntnißvermögen, alle Begehrungsvermögen, famt
dem Bewegungsvermögen, wie auch alle befondere wuͤrk⸗
liche Beftimmungen und zufällige Befchaffenheiten, welche
die Borftellungsfraft der menfchlichen Seele, durch die be-
fondere Stellung des menfchlichen Leibes in der Welt, er-
hält. Einem jedweden nachdenfenden Leſer muß, gleich
auf den erften Blick, Flar feyn, daß ein Menfch, dem die:
fe Natur einer gewiſſen menfchlihen Seele völlig befannt
wäre, im Stande feyn würde, vollfommen einzufehen,
warum diefe Seele die Welt fich eben fo und nicht anders
vorſtelt, warum eben diefe und Feine andere Borftellungen
in ihr mehr oder weniger Elar find, warum fie eben diefes
und nichts anders begehrt, Furz, warum eben diefe und
Feine andere natürlichen Veränderungen in ihr würflich
find. Ob wir nun gleich Feine Hofnung haben, irgends
einmal, zu einer fo. vollftandigen Erkenntniß der Natur
irgends einer menfchlichen Seele, zu gelangen: fo beftati-
get doch diefe Betrachtung, daß wir den wahren Begrif
der Natur der menfchlihen Seele angenommen haben,
Einige Weltweife fagen, daß, die Borftellungsfraft der
Welt felbft, die Natur der menfchlichen Seele fen. Al—
Yein diefe Kraft ift die Seele, und enthält alfo die Natur
der Seele in ſich, fie ift aber nicht felbft diefe Natur, Und
wenn einige fagen, daß das Wefen der Seele in diefer
Kraft beftebe, fo ift es ein gefährlicher Irrthum, wenn
man das Wort Wefen bier in derjenigen Bedeutung nimt,
welche wir ihm in der Ontologie bengelegt haben, Mad)
Dies
Von der Natur der menfchlichen Seele. 445
diefer Bedeutung ift, das Werfen, fchlechrerdings noth—
wendig. Die Borftellungsfraft der Welt aber, oder die
‚Seele felbft, ift ein zufälliges Ding $. 739.
. 743.
Alles demnach, was in der menfchlichen Seele durch
hre Vorſtellungskraft, vermöge ihrer verfchiedenen Ver—
mögen, nach der $age ihres Leibes, und nach den Gefegen
aller ihrer Vermoͤgen, mwürflich wird, ift in der menfch-
lichen Seele natürlich, oder es ift in ihr nicht überna-
türlih $..406.. So ift ein Traum natuͤrlich, wenn ihn
die Seele felbft, nad) den Gefegen der Einbildungsfraft,
des Dichtungsvermögens u. f. w. würft. Selbſt die
frenen Handlungen der Seele find, nach diefer eigentlichen
Erklärung des Worts, natürliche Handlungen. Und man
wuͤrde auf eine findifche Art mit dem Worte fpielen, wenn
man die freyen Handlungen niche für natürlich halten
wolte, weil fie nicht bloß natürlich find $. 700. Denn
durch bloß natürliche Handlungen verfteht man nicht
natürliche Handlungen überhaupt, fondern nur folche
natürliche Handlungen, die zugleich natuͤrlich nothwendig
find. Alles was nun in der menfchlichen Seele natürlich
ift, und auf andere natürliche Veränderungen derfelben
folgt, das erfolgt nach dem Laufe der Natur in der
menfchlichen Seele. Und was nad) diefem Laufe er:
folgt, famt allen denjenigen natürlichen Veränderungen,
welche in der Seele neben andern natürlichen Veraͤnderun⸗
gen zugleich da find, das gefchieht nach der Ordnung
der Natur in der menfchlichen Seele $. 410. 411. 412,
Es giebt demnach einen Lauf und eine Drdnung der Natur
in der menfchlichen Seele, welche wir durch Die ganze
Pſychologie bisher haben Fennen lernen. Wenn z. E. das
färfere Licht in der Seele das ſchwaͤchere verdunfelt, fo
gefchieht Diefes nach der Ordnung der Natur der menfchli-
chen Seele, und es gefchieht nad) dem Laufe ihrer Natur,
wenn auf ein Bergnügen eine Begierde erfolgt, oder wenn
eine Empfindung und $eidenfihaft nach und nach mic der
Zeit
I)
446 Von der Natur der menfehlichen Seele.
Zeit abnehmen. Im Gegentheil würde eine Veraͤnde—
rung in der menfchlichen Seele unnatuͤrlich feyn, wenn
fie durch die Kraft der Seele, nad) den Gefegen ihrer
verfehiedenen Vermögen nicht hervorgebracht würde; und
wenn fie noch dazu auch nicht, Durch die Natur irgends
eines andern endlichen Dinges, gewürft würde, fo wäre fie
in der menfchlichen Seele übernatürlich $. 413. Es
ift ungemein nüßlid), wenn man alles, was wir in der Coſ—
mologie von dem Natürlichen, Unnatürlichen und Ueber—
natürlichen, bemerft haben, auf die menfchliche Seele an-
wendet: denn das ift der einzige Weg, auf welchem man
den Unglauben und den Aberglauben vermeiden fan. Es
giebt Maturaliften, welche eben deswegen alles übernatür-
liche in der menfchlichen Seele leugnen, weil fie die Na—
fur derfelben fo wenig fennen. Es giebt aber auch Schwär:
mer und Abergläubifche, welche eben um diefer Urfach wil-
len vieles für übernatürlich in der Seele halten, fo doch fehr
natürlich it. Wer Matur und Gnade, das Natürliche
und Uebernatürliche in der menfchlichen Seele, von einan=
der unterfcheiden will, der muß die Kräfte ver Seele recht
genau kennen. Und da fich, aller diefer Erkenntniß ohn—
erachtet, Fein Menfch rühmen Fan, daß ihm in der Natur
der Seele nichts mehr unbefannt fey; fo wird fich niche
einmal der bejte Kenner der menfchlichen Seele rühmen,
daß er allemal im Stande fey, Natur und Gnade von ein-
ander zu unterfcheiden. Was foll man alfo von denen
geuten fagen, welche Faum miffen, daß fie eine Seele haben,
welche fih um ihre Kenntniß gar nicht befümmern, und
welche die Weltweißheit fo fehr verachten, daß fie fich gar
nicht einmal die Mühe nehmen, die Pfychologie zu unter:
fuchen, und welche ihrer tiefen Unwiſſenheit ohnerachtet fich
unterfangen, zu beftimmen, was in ihnen oder andern
Menfchen die Natur oder die Gnade thut. Solche Leute
werden, durch ihre erbarmliche Unmiffenbeit, verleitet, daß
fie einen jeden andächtigen Gedanfen, eine jede gottesfuͤrch—
tige Begierde, und wohl gar eine jede andächtige Träume:
tey
Don der Natur der menfchlichen Seele. 447
rey für eine übernatürlihe Würfung der Gnade GOttes
halten. Ja fie. geben wohl gar vor, Daß fie es vecht fühlen,
wie der Geift GOttes in ihrer Seele gefchäftig fey.
. 749%
Das Wort natürlich ift, in allen Wiflenfchaften, ei-
‚ner erftaunlichen Zweydeutigkeit unterworfen, fonderlich
wenn es von der menfchlichen Seele gebraucht wird. In
dem vorhergehenden Abfage habe ich diefes Wort, in feiner
eigentlichen Bedeutung, genommen, Damit man aber
die Wortftreitigkeiten in allen Fällen, wo diefes Wort ge-
braucht wird, defto beſſer vermeiden koͤnne; fo will ich noch
einige der vornehmften Bedeutungen anmerfen, welche die-
fes Wort manchmal befomt. — Einmal verwechfelt man
ofte, einen Theil der Natur der menfchlichen Seele, mit
der ganzen Natur, und nennt nur dasjenige natürlich, was
nur durch einen Theil der Natur gewürft wird. So ma-
chen es manche Gottesgelehrte. Die Erbfünde ift ein Theil
unferer Natur, und wenn fie von natürlichen Werfen der
Menfchen reden, fo verftehen fie darunter bloß die Hand-
lungen der Menfchen, die aus der Erbfünde flieflen, oder
in fo ferne fie aus derfelben flieffen. Daher wollen fie den
Naturwerken gar feine Rechtmäßigkeit zufchreiben, und
wenn man ihren Worten glauben folte, fo ift die Natur
der menfchlichen Seele ein fo vollfommenes Scheufal, daß
fo gar ihre Tugenden nur glänzende Safter find. Zum an-
dern giebt es gewiſſe befondere Beltimmungen, zufällige
Befchaffenheiten, und Zuftande der Natur, welche einen be-
fondern Namen befommen haben. Wasnun aus der Na—
tur der Seele fließt, in fo ferne fie auf eine gewiſſe beſon—
dere Urt beftimt, und eingerichtet ift, und in fo ferne fie
ſich in einem gewiſſen befondern Zuftande befindet, das be-
komt einen gemiffen befondern Namen, und das übrige
Natuͤrliche wird fehlechtweg natürlich genennt. 3. E.
was uns angebohren wird, heißt manchmal ſchlechtweg
natürlich, weil dasjenige Natürliche, was wir nach und
nach durch unfere Handlungen wuͤrklich machen, etwas er—
lang:
448 Von der Natur der menfehlichen Seele.
Tangtes genennt wird. Die angebornen Rechte beiffen na—
türliche Dechte, und das Recht über ein Haus, welches
man Fauft, beißt ein erfangtes Recht. Das Natürliche
heißt manchmal dasjenige, was nicht Fünftlich ift, weildas
Künftlihe, durch einen befondern regelmäßigen Gebrauc)
unferer Kräfte, bervorgebracht wird. In dem gefellfchaft-
lichen Zuftande entjtebt ein gewiffer Zuftand unferer Natur,
und was alfo auch auffer dem gefellfchaftlichen Zuftande in
uns natürlicher Weiſe ftat findet, das nennt man fchlecht-
weg natürlich. Man fagt, die Gewohnheit fey die andere
Natur, und daher nenne man dasjenige natürlich, was
nicht von den Gewonheiten abhanget. Desgleichen nennt man
auch natürlich, was nicht willführlich ift. Unterdeffen ſieht
ein jedweber, daß das Erlangte, Gefellfchaftliche, Willführli-
che, Künftliche u. ſ. w. ebenfals etwas Natürliches ift, wenn
es anders nicht ein Wunderwerf ſeyn fol. in verftändiz
ger Menſch Fan, bey den zweydeutigften Wörtern, fehr leicht
den Wortſtreit verhüten, wenn er fi) nur die Mühe giebt,
ſich mit feinem Gegner, über der Bedeutung derfelben, zu
verſtaͤndigen.
$. 750.
Wenn einige Weltweiſe von der Natur der menſchli—
chen Seele handeln, und fragen, worin dieſelbe beſtehe?
fo halten fie ee für ganz unentbehrlich, bey der Beant-
wortung diefer Frage zu unterfuchen, ob die Seele einfach
fey, oder nicht, ob fie eine Materie fen, oder ob fie Feine
Materie fey ? Einige bilden ſich wohl gar ein, daß man fo
lange gar nichts, oder fehr wenig von der Matur der
menfchlichen Seele verftehe, bis man nicht ausgemacht ha-
be, daß fie entweder eine einfache oder materielle Subſtanz
fey. Allein es nutzt uns, bey der Unterfuchung der Natur _
der Seele, fehr wenig, wenn wir uns in dieſe Unterfüs
hung einlaffen, Man mag entweder annehmen, daß die
Seele einfach fen, oder materiel, fo koͤnnen wir in benden
Fällen, mit gleihem Vortheil und mit gleicher Schwie—
rigkeit, die Vermögen und Kräfte der Seele, ihre Erfennts
niß
|
|
Von der Natur der menfchlichen Seele, 449
niß ihre Begierden, und die mannigfältigen Veraͤnderun—
gen derfelben erklären, Folglich iſt es in unferer Erkennt—
niß, und in unfern Unterfuchungen der menfchlichen Seele,
vergeblich, wenn man annimt, daß fie einfach, oder daß
fie materiel fey. Das einzige: was bier in Betrachtung
gezogen werden Fan, beſteht darin: ob der Materialifmus,
in Abficht auf die Lehre von der Unfterblichkeit der Seele,
gefährlich fey. Ich habenemlich in der Onkologie fo wohl,
els auch in der Coſmologie, die Gründe überhaupt angeführr,
warum ich die Lehre von den einfachen Dingen in meiner
Metaphyſik mie Stillfehweigen übergehe. Folglich Fan
ich mic) bier in gar Feine Unterfuchung über die Frage
einlaffen, ob die menfchliche Seele einfach oder marteriel
fey? Damit nun niemand denfe, als räumfe ich den Ma-
ferialifmus, der doch ein fo gefährlicher Serebum fen, niche
aus dem Wege; fo will ich zeigen, daß der pfychologt-
ſche Materialiſmus, oder die Meinung, daß die Seele
ein materielles, Förperliches, zufammengefegtes Dina fen,
gar nicht zu den gefährlichen Irrthuͤmern der Menfchen
müfle gerechnet werden, Ich habe fehon $. 361. erwiefen,
daß dev Materialifmus überhaupt in vielen Stuͤcken, die
ihm zur Saft gelegt werden, ohne alle Gefahr koͤnne an:
genommen werden. And es ift alfo hier weiter nichts nö-
thig, als zueigen, daß der pſychologiſche Materialift nichts
behaupte, welches der Linfterblichfeit ver Seele nachtheillg
fenn Fonne, Man rechnet auch diejenigen zu den Mates
tialiften, welche die menfchliche Seele für Feine Subſtanz,
fondern für ein bloſſes Accidenz des Körpers halten. Al:
lein diefe Weltweife irren handgreiflich, weil wir mit Ge—
wißheit eriwiefen haben, daß die Seele eine Subftanz fey,
‚und folglich Fan fie fein bloffes Accidenz des Körpers ſeyn.
Uebrigens aber fan es uns hier gleichviel gelten, ob der
Meaterialift die menfchliche Seele für einen materiellen Aro-
mus hält, und ein folcher Atomus ift überhaupt eine Chi—
märe $. 394. oder für eine mehr oder weniger fubtile Ma:
terie. Se viel ift alfo klar, daß einmal aus dem Mate:
3, Theil, Sf ria⸗
450 Bon der Natur der menſchlichen Seele.
rialifmus folge, daß die Seele fterben fonne. Denn alle
Materie in diefer Welt ift zufällig, und Fan folglich ihre
Wuͤrklichkeit verliehren. Es muß demnach eine materielle
Seele zu feyn aufhören, und fterben fönnen, Allein eben
Diefes muß auch derjenige behaupten, welcher die Seele für
eine einfache Subftanz hält. Gie ift dem ohnerachtet zus
fällig, und Fan dennod) fterben, Zum andern muß ein
pſychologiſcher Materialift behaupten, die Seele koͤnne
durch die Berwefung untergehen und fterben. Nemlich
die Verweſung eines Dinges befteht, in dem Untergan—
ge deffelden durch eine Zertheilung; oder wenn die Theile
aufier Theile von einander getrennt werden, und Das Ding,
welches aus ihnen zufammengefegt war, dadurch untergeht,
jo verweſet dafjelbe Ding. So vermwefer der menfchliche
Körper nad) dem Tode, indem er zertheilt wird, indem
feine auffer einander befindlichen Theile von einander fallen,
und von einander getrennt werden, und eben fo verfaule
das Holz u. ſ. w. Weil nun eine jedwede Materie theil-
bar ift $. 392. fo muß ein pſychologiſcher Materialift noth—
wendig behaupten, daß die menfchliche Seele verwefen, und
Durch die Verweſung untergehen und fterben fünne, Der
ganze Unterfchied eines Materialiften und eines Weltwei—
fen, welcher die Seele nicht für materiel halt, befteht alfo
in dieſem Puncte nur darin, daß, da beyde die Geele für
ferblich halten müffen, der erfte eine Art des Todes bey der
menfchlichen Seele für möglich hält, die der andere, weil
er fie für einfach hält, als fehlechterdings unmöglich anficht.
Alnterdeflen Fan doc) der Materialift daraus nicht fehlieflen,
daß die Seele würflic) verwefen werde, Wolte er fagen,
die menfchliche Seele beftehe aus einer eben fo groben Ma—
ferie als der Körper, und werde alfo im Tode durch eben
die Urfachen aufgelöft, durch welche ver Körper in Verwe—
fung gebt: fo erwartet ınan, bis diefe Stunde noch vergebs
lich, den Beweis diefes ganz willführlichen Einfals. Wer
die Lehre von der Unfterblichfeie der Seele gründlich unter:
ſucht, der weiß, daß das ewige Leben der Seele, und *
unauf⸗
Don der Natur der menfchlichen Seele. 451
unaufbörliche Fortdauer, von der Erhaltung und dem
Rathſchluſſe GOttes abhange. Da nun GDtr eben fo
wohl eine Materie ewig erhalten fan, als eine einfache
Subſtanz; fo Fan fi) ein Materialift eben fo leicht, durch
eben die Grundfäge, von der Unfterblichfeit und dem ewis
gen $eben der menfchlichen Seele, überzeugen, als derjenige,
welcher die Seele für einfac) hal, Es ift demnach) der
pfuchologifche Materialifmus, feiner Natur nach, ein fehr
unfchuldiger Syerthbum, und man Fan es daher eineg jedwe—
den eigenen Belieben anheim ftellen, ob er fich in die Uns
terfuchung Diefer Sache einlaffen will, oder nicht,
N
Es ift fehlechterdings unmöglich, daß ein endliches
Ding in ein unendliches folte verwandelt werden koͤnnen.
Denn ein endliches Ding ift zufällig $. 193. und ein unende
liches ift zugleich das nothwendige Ding $. 192, Folglich
müfte, durch diefe Berwandelung, etwas zufälliges in et—
was ſchlechterdings nothwendiges verwandelt werden, Das
Gegentheil des Zufälligen ift an fich möglich, aber das Ge—
gentheil des fchlechterdings nothwendigen ift an fich unmögs
lich $. 104. 106. Folglich müfte, bey diefer Verwan—
delung, das Gegentheil des Dinges feine innerlihe Möge
lichfeit verliehren und fchlechterdings unmöglich werden,
Allein die innerlihe Möglichfeie ift ſchlechterdings nothwen—
dig, und unveränderlic) N 108. 126. Was alfo einmal
innerlich moͤglich ift, das bleibt ewig und unveränderlich
auf diefe Art möglih. Und wenn ein Ding demnach eins
mal endlich und zufällig ift, fo bleibe fein Gegentheil bes
ftändig innerlich) möglich, und es bleibe alfo felbft unverän:
derlich, zufällig und endlich. Und es ift daher ungereimt zu
fagen , daß ein endliches Ding in ein unendliches verändert
werden Fonne. Das Endliche hat allemal gewiffe weſent⸗
liche und unveränderlibe Schranfen, welche ihm müften
genommen werden, wenn es unendlich werden folte, und
biefes zu behaupten ift offenbar abgeſchmackt. Nun ift, die
menſchliche Seele, ein endliches und zufälliges Ding $. 739»
Sf Folg⸗
452 Von der Natur der menfchlichen Seele.
Folglich iſt es ſchlechterdings unmöglich, daß ſie ein unend⸗
liches Ding werden ſolte. Die Vergoͤtterung iſt die
Verwandelung eines Menſchen, oder einer menſchlichen
Seele, in ein unendliches Ding. Undes ift demnach Flar,
daß die Vergoͤtterung unmoͤglich ſey. Kein Menſch Fan vers
göttert werden, Wenn man, die DBergötterungen
der Menfchen im Heydenthume und im Pabftthume, als
Berwandelungen der Menfchen in wahrhaftig unendliche
Wefen betrachtet; fo find es offenbare Ungereimtheiten.
Wenn aber darunter die Berfegung der Menfchen unter die:
jenigen Wefen verftanden wird, die zwar endlich find,
deren fich aber die höchfte Gottheit bedienet, um die Welt
zu regieren, und weldye daher eine ausnehmende Verehrung
verdienen: fo Fan man fie durch diefen Satz, den ich jeßo
ertviefen habe, nicht widerlegen, Und wenn ein Ehrift
glaubt, daß der Menfh JEſus, und fonderlich feine Seele,
durch Die Bereinigung mit der Gottheit, wahrhaftig uns
endlicy geworden, und in der That unendliche Vollkom⸗
menbeiten eigenthuͤmlich überfommen habe: fo behauptet
er in der That, daß die Menfchheit Chrifti vergöttert wors
den, und er behauptet alfo einen groben und abfcheulichen
Irrthum.
$. 752.
Alte endlihe Dinge koͤnnen, philofophifh und mas
thematifch, erfannt werden $. 191. Nun ift, erftlich, vie
menfchliche Seele ein endliches und zufälliges Ding $. 39.
Folglich Fan fie philofopdifh und mathematifch erkannt
werden, und es ift demnad) die Pſychologie eine mögliche
Wiſſenſchaft. In diefer Wiffenfchaft unterfucht man ja die
Befchaffenheiten und Gröffen der menſchlichen Seele, ihrer
verfchiedenen Kräfte und Veränderungen, auf eine vernünfs
tige und philoſophiſche Art, und es irren demnach diejenigen
gewaltig, welche die Pfychologie überhaupt fürein unmoͤg⸗
liches Unternehmen anfehen. Zum andern, ift der menfchs
liche Körper, wie alle Körper, ein endliches und zufälliges
Ding, Sofglich Fan er ebenfals philoſophiſch und Ms
Don der Natur der menfchlichen Seele. 453
matifch unterſucht werden, und alle diejenigen Wilfenfchaf:
ten, welche diefe Unterfuchungen zur Abfiche haben, find
möglihe Wiffenfchaften. Und da nun, driftens, der
Menſch aus einer menfchlicdyen Seele, und aus einem
menfchlichen Körper beftehtz fo beſteht er aus zwey endli-
chen und zufälligen Theilen, und ift alfo felbft ein endliz=,
ches und zufälliges Ding. Folglich Fan der Menfch, phiz
loſophiſch und mathematiſch, erfannt werden. Die An-
thropolsgie ift die Wiflenfchaft von dem Menfchen, und
fie ift eritiweder eine philofophifche, oder machemati-
ſche Anthropologie. Jene unterſucht die Beſchaffen⸗
heiten des Menſchen auf eine gelehrte Art, und dieſe ſeine
Groͤſſen. Die allgemeine Anthropologie beſchaͤftiget ſich
mit ſolchen Unterſuchungen, die alle Menſchen betreffen;
die beſondere aber unterſucht die Beſchaffenheiten der ver
ſchiedenen Arten der Menſchen, z. E. die Charactere der ver⸗
ſchiedenen Voͤlker. Dieſe Wiſſenſchaften ſind alſo insgeſamt
moͤglich, und wenn man ſie auf einen einzelnen Menſchen
anwendet, z. E. auf ſich ſelbſt, ſo entſteht daher die Kennt—
niß der Menſchheit, ſo wie ſie in dieſem oder jenem einzeln
Menſchen insbeſondere beſchaffen iſt. Die Anthropologie,
oder die Lehre von dem Menſchen, iſt fuͤr uns die allernoͤ—
thigſte, wichtigſte, fruchtbarſte und nuͤtzlichſte Wiſſenſchaft,
welche uns zu der Selbſterkenntniß verhilft, ohne welcher
mir auf keinerley Art gluͤckſelig werden koͤnnen. Daher
man mit Recht ſagen kan, daß alle unſer Wiſſen billig an—
thropologiſch ſeyn muͤſſe. Die ganze Pſychologie iſt ein
Theil der Anthropologie. Nun iſt nicht zu leugnen, daß
nichts ſchwerer zu erkennen ſey, als der Menſch, und daher
iſt eine Wiſſenſchaft noͤthig, welche man die Anthropo⸗
gnoſie nennt, welche die Kegeln enthält, die man beob«
achten muß, wenn man den Menfchen will kennen lernen,
Und es wäre zu wuͤnſchen, daß diefe Wiſſenſchaft
recht angebauet würde.
515 Das
454 Von den Derhältniffen der menfchlichen Seele
Das andere Capitel,
von den
Verhaͤltniſſen der menſchlichen Seele gegen an⸗
dere Dinge in der Welt.
§. 753.
CE ie menfchliche Seele iſt, als ein endliches wuͤrkliches
Ding $. 739. ein Theil diefer Welt $.292. Folglich
ift fie, auffer und neben den übrigen Subftanzen und Din-
sen, in der Welt würflih, und macht mit ihnen zufams
imengenommen die ganze Welt aus. indem fie alfo mits
sen unter den übrigen endlichen Dingen vor ſich wuͤrklich ift,
jo hat fie in der Welt einen beftimten Ort, und ſteht gegen
alle übrige Dinge auffer ihr in gewiſſen Berhältniffen S. 363.
Nun fommen, auffer einer jedweden menſchlichen Seele,
in dieſer Welt zuerft die übrigen menfchlihen Seelen zu
betrachten vor, und da wollen wir nicht nur bemerken, daf
eine jedwede menfchliche Seele, mit allen übrigen menſch⸗
lien Seelen, doc) in verfchiedenen Graden, ‚verbunden
ſey $. 319. fondern daß auch alle menfchliche Seelen eines
Theils von einander verfchieden find, andern Theils aber
auch eine allgemeine Aehnlichkeit und Gleichheit mit einans
der haben $. 201. 208» 217. Folglich find, erftlich, alle
menfchliche Seelen von einander unterſchieden, fie find
ſaͤmtlich einander unaͤhnlich und ungleich. Es ift demnach
ſchlechterdings unmöglich, daß es auch nur zwey menſchli⸗
che Seelen geben folte, die vollfommen einerley Erfennts'
niß und Degierden haben follen. Alle Menfchen find ein-
ander, in allen ihren Empfindungen, Einbildungen,
DBeurtheilungen, Bewegungsgründen, in allen Arten ihrer
Vorftellungen und DBegierden, unähnlid und ungleid) ;
fo viel Köpfe, fo viel Sinne, Und wer fan alfo verlan—
gen, daß ein anderer eben fo denfe und gefinnt fern folle,
als er ſelbſt? Eine jedwede menfchliche Seele befindet fid)
ja an einem andern Orte, als eine jedwede andere. Und E
ie
gegen andere Dinge in der Welt. 455
fie fich alfo die Welt aus einem andern Gefichtspuncke vor«
ftelt, als eine jediwede andere; fo muß fie aud) in allen ihr
ren Borftellungen, Begierden und Veränderungen, etwas
ihr eigenes haben, wodurch fie von allen übrigen menfchlis
chen Seelen verfchieden iſt. Unterdeſſen ift eine menfchli:
che Seele von der andern immer mehr verfchieden, als
von einer andern, und folglid fan und muß es einige
menfchliche Seelen geben, unter welchen eine fo groſſe Ver—
fchiedenheit angetroffen wird, als nur irgends zwifchen Din-
gen von einerley Art flat finden fan. Ja dieſes Fan gar fo
weit geben, daß die Verſchiedenheit einiger menfchlichen
Seelen fo groß ift, daß man vor derfelben ihre Aehnlichkeit
Faum merfen fan. Und dag beftätiget auch die Erfahrung.
ie erftaunlich verfchieden ift nicht Die Denfungsart und
Gefinnung eines Hottentotten, eines wilden Ymericaners,
von der Denfungsart und Gefinnung eines Europäers ?
Kaum folte man glauben, daß fie Dinge von einer Ark
wären ? Zum andern find auch alle menſchliche Seelen ein=
‚ander, in gewilfer Abſicht, ähnlich und gleich. Daher iſt
fein Bolf unter der Sonne auf dem Erdboden, mit dem
ein Menſch aus einer andern Voͤlkerſchaft nicht in eine Be—
Fanntfchaft gerathen, und fprechen fönnte. Und man Fan
fagen, daß manche menſchliche Seelen einander in einem
fo hohen Grade ähnlih und gleich feyn koͤnnen, was fo
wohl ihre Denfungsart als auch ihre Gefinnung betrift,
daß man ihre Verfchiedenheit nicht ſonderlich merken Fan.
Daher die fo genaue Hebereinftimmung, ver Meinungen und
Neigungen mancher Menfchen, entfteht. Da nun zugleid)
alle menfchlihe Seelen eine Vollkommenheit haben, fo
find fie den Graden ihrer Vollkommenheit nach ſaͤmtlich von
einander unferfchieden. Kine menſchliche Seele ift die un:
vollfommenfte, und eine die vollfommenfte unter allen, und
die legte ift ohne Zweifel die menſchliche Seele Chriſti $. 377.
Auch diefe Berhältniffe ver menſchlichen Seelen gegen ein«
ander fragen fehr viel, zu Der bewundernswuͤrdigen Voll⸗
kommenheit der ganzen ** bey. Es ſind in dieſer Welt,
fa uns
455 Von den Verhaͤltniſſen der menfeblichen Seele
unendlich viele menſchliche Seelen, wuͤrklich. Diefe find
ſaͤmtlich von einander verfchieden. Was für Manniafals
tigfeit und Abänderung iſt nicht in dem einzigen Gefchlech»
fe der denfenden Subſtanzen anzutreffen, welche wir vie
menichlichen Seelen nennen! Wie erfindungsreid) muß
nicht der göttliche Verſtand feyn, da er, ineinem einzigen Ge⸗
ſchlechte de denfenden Subftangen, fo eine unerforfchliche und
unendliche Mannigfaltigkeit anzubringen imStande gewefen !
§. 754.
Wenn wir hier vorausſetzen, daß es, auſſer den
menſchlichen Seelen, noch viele andere Arten denkender
Subſtanzen in der Welt gebe, Seelen der unvernuͤnftigen
Thiere und endliche Geiſter; fo koͤnnen wir ebenfals zweyer—⸗
ley behaupten. Erſtlich eine jedwede menſchliche Seele iſt,
von allen uͤbrigen denkenden Subſtanzen in der Welt, un«
terfhieden, von einigen mehr von andern weniger, And
es muß alfo denfende Wefen in der Welt geben, von wels
chen die menfchliche Seele in einem fo hohen Grade verfchies
den ift, daß es unmöglich iſt, daß in diefer Welt, zwi⸗
ſchen zwey denkenden Gubftanzen, noch eine gröffere Bers
ſchiedenheit feyn folte. Daher Fan es venfende Weſen ges
ben, von deren Denfungsart, Empfindungen, Gefinnuns
gen und Meigungen, wir uns gar feinen beftimten Begrif
machen fonnen. Und zum andern ift auch eine jede nrenfch-
liche Seele, allen übrigen denfenden Subftanzen, in diefer
Melt ähnlich und gleich, einigen mehr andern weniger.
Und es giebt alfo gemifle denkende Subitanzen in diefer
Welt, mit denen die menfrhlichen Seelen fo genau übereins
ftimmen, als nur irgends Dinge von verfchiedener Art mit
einander übereinftimmen Fönnen. Ein fleißiger Maturfor: -
ſcher wird daher gewahr werden, daß z. E. zmifchen man:
chen zamen Thieren und Menfchen, eine bewundernswürdi-
ge Webereinftimmung angetroffen wird. Auch diefe Be—
frachtung leitet einen nachdenfenden Menfchen, auf eine
angenehme Art, zu der Bewunderung der Tiefe der Weise
beit und der Erkenntniß GOttes. Wie nuͤtzlich und in
| nehm
gegen andere Dinge inder Welt. 457
nehm ift es nicht, wenn man die uns bekannten denfen-
den Welen in der Welt mit den Menfchen vergleicht, auf
ihre Handlungen achtung giebt, und daraus die Berfchie-
denheit und Webereinftimmung ihrer Denfungsarten und
Gefinnungen ,. mit Wahrfcheinlichkeit zu erkennen fucht.
I 75. |
Wenn wir bier vorausſetzen, daß diefe Welt die befte
fey, und daß es in derfelben, auffer den menſchlichen See—
len, noch andere endliche Geifter und denfende Subftanzen
gebe, dergleichen die Seelen der unvernünftigen Thiere find:
ſo ift unleugbar , daß die menfchliche Seele, mit allen die—
fen Geiftern und denfenden Subſtanzen, nicht nur in ei-
‚ner allgemeinen Verbindung ftehe, und daß fie alfo zur
Geifterwelt gehöre $. 375. fondern daß auch diefe ihre Ver⸗
‚bindung fo groß fen, als fie irgends in einer möglichen
Melt feyn Fan $. 434 Wir wiſſen freylich von diefer Ver—
bindung nicht viel zu fagen, unterdejien ift unleugbar, daß
es unmöglich fen, daß eine menfchliche Seele, mit mehrern
‚andern endlichen Geiftern und denfenden Subftanzen, in
einem gleihen Grade verbunden feyn folte, und auf eine
vollfonimen ähnliche Art S. 208-211. Folglich hat, in
der beiten Welt, eine jedwede menfchliche Seele einen ge
wiffen endlichen Geift, mit dem fie ftärfer verbunden ift,
als mit einem jedweden andern endlichen Geift. Und die-
fer Geift fteht entweder mit ihr in einer folchen Verbindung,
daß dadurd) ihre Vollkommenheit mehr befördert wird, als
‚ihre Unvollfommenbeit; oder ihre Unvollfommenbeit wird
‚dadurch mehr befördert, als ihre Bollfommenheit. In
dem erften Falle fan man diefen Geift den guten Geift,
den Schußengel, vder den Genius eines Menſchen nen=
nen, in dem andern Falle aber den böfen Beift. Folg—
lich hat eine jedwede menfchliche Seele entweder einen gu—
ten, oder böfen Geift, oder beyde zugleich, und zwar von
der Geburt an. Die heilige Schrift fest diefe Meinung
auſſer Zweifel, indem fie ung die guten Engel als gu-
te Geitter dee Menfchen befchreibt, und die Teufel als
815 die
458 Von den Derbältniffen der menfchlichen Seele
bie böfen Geifter. Chriftus verſichert, daß ein jedes Kind
feinen Engel habe. Undes ift befannt, daß die Meinung
yon dem Genius eines Menfchen, eine fehr alte philofophi«
fche Meinung, fey. Nur mufi man ſich bier in acht neh—
men, daß man nicht etwa, diefe Verbindung der menfc)«
lichen Seele mit einem guten oder böfen Geifte, gar zu
genau erklären und beftimmen wolle. Denn alsdenn ift es
fehr leicht, eine unendlihe Menge artiger Meinungen zu
erfinden; allein man erfindet- auch alsdenn nichts weiter,
als höchftens einen artigen philofophifchen Roman. So
Fan man auch) mit Recht fagen, daß eine jedwede menſch⸗
liche Seele mit allen übrigen denfenden Subſtanzen, die
feine Geifter find, in Verbindung ftehe, und zwar mit
einer am ſtaͤrkſten. Und diefes beftätiget die Erfahrung
bey den Thieren, mit denen wir zugleid) diefen Erdboden
“bewohnen. Wir Menfchen find in Abficht auf diefelben in
der That, was die Engel und Teufel, nad) Auflage der
Bibel, im Abſicht auf uns find, Mancher Menfch geht
unter den Thieren beftändig wie ein brüllender $öwe herum,
und ſucht welches er verfchlinge. Diele Thiere aber haben
auh an den Menfchen gute Engel, und gutthätige
Schutzgeiſter.
756
$. $
Weil in der beften Welt alle Theile, in der allergrö-
ſten Verbindung, mit einander ftehen $. 434, ſo ſteht auch
die menfchliche Seele, mit allen Körpern in derfelben, in
ber gröften Verbindung, die in der Welt möglid) ift. Sie
befteht an einem gewiſſen Orte, mitten unter den Körpern,
vor fih, und folglich Fan fie unmöglich allen Körpern in
der Welt gleich nahe feyn. Einige Körper find dem Orte
nach freylich fehr weit von ihr entfernt, und mit denen ſteht
fie in einer fehr entfernten Verbindung. Andere find ihr
näher, und mit denen ift fie auf eine nähere Art verbunden,
Ein Körper aber ift ihr dem Drte nad) der nächite, und
mit dem ift fie am nächften verbunden, Und da fie nun
in alle Körper wuͤrkt S. 442, fo Fan fie nur, am ua
un
gegen andere Dinge-in der Welt. 459
und unmittelbar, in denjenigen würfen, der ihr dem Or⸗
te nach) am naͤchſten ift $. 220. und das ift derjenige Kör-
per, mit dem fie in der genaueften Gemeinfchaft fteht, und
den man den ihrigen nennt, Diefe Sache hat nicht die ge—
tingfte Schwierigkeit, indem uns die Erfahrung lehrt, daß
unfere Seele in diefem Leben, mit einem gewiflen Körper,
in der allergenaueften Gemeinfchaft ftehe. Und bier fan
die Frage, von dem Sige der menſchlichen Seele, unter»
fucht werdens Nemlich man verfteht durch den Sir der
menfchlichen Seele den Inbegrif der Subftanzen, welche
dem Orte nach mit ihr auf eine nähere Are verbunden find,
Da nun ein jediweder Körper ein Inbegrif vieler Subſtan—
zen ift, fo Fan man denjenigen Körper den Sig der Geele
nennen, welcher mit ihr dem Drte nach auf eine nähere Art ver»
bunden ift. Daher fan man den Eroboden, den Sig ber
menſchlichen Seele, nennen, in Abſicht auf die übrigen
Planeten und groffen Weltförper. And es ift umleugbar,
daß der Seib einer jedweden menfchlichen Geele, unter allen
Körpern dieſes Erdbodens, ihr Siß fey, weil fie näher in
ihn wirft, als in alle andere Körper, Unſere Seele würft
unmittelbar, in ihren Körper, und wenn fie in andere
Körper würfen will, fo muß fie es vermittelft ihres Kör-
pers thun. Folglich wäre es ungereimt zu fagen, daß die
menfchliche Seele auffer ihrem $eibe, viele Meilmeges von
ihm entferne, feyn koͤnne: denn fo bald zwifchen ihr und
ihrem Körper andere Dinge wuͤrklich wären, fo bald koͤnn⸗
fe fie nicht mehr unmittelbar in ihn würfen,, und er würde
alfo nidye mehr ihr Korper feyn, In der ſtrengſten Bes
deutung verfteht man, durd den Sitz ver Seele, den
Theil ihres Leibes, dem fie dem Drte nad) am nädhiten iſt.
Denn da fie, als eine einzige einzelne Subftanz unmöglich),
allen Theilen ihres Seibes, gleich nahe feyn Fan; fo muß fie
einem Theile am nädhiten feyn, Und man Fan fagen, es
fey unferm Gefühle nach gewiß, daß die Seele im Gehir—⸗
ne fiße, Dafelbft fühlen wir unfere Gedanken, und wo
unfere Gedanken find, muß auch unfere Seele feyn. Und
du
460 Von den Verhaͤltniſſen dermenfchlichen Seele
Da die Seele vermittelft der Merven empfindet, und ihren
Körper willkuͤrlich bewegt ; fo fißt fie an dem Orte ihres Leibes,
wo alle Nerven zufammenflieffen, und das ift im Gehirne.
Dafelbft ift der Ort, wo der Sammelplaß aller unmittel—
baren barmonifchen Veränderungen des Körpers ift. Doc)
dieſe Unterfuchung ift mehr artig und neugierig, als nüß«
lich und wichtig.
9. 77. |
Unter allen Verhältniffen der menfchlichen Seele ge-
gen andere Dinge dieſer Welt, die aufler ihr befindlich find,
ift das wichtigfte, das Verhaͤltniß, in welchem fie gegen
ihren eigenen Körper fteht. Diefer Körper würde nicht der
ihrige feyn, wenn fie nicht mit ihm in der genaueften Öe-
meinfchaft ſtuͤnde, und wenn fie mit ihr niche ftärfer ver-
bunden und vereiniget wäre, als mit allen andern Dingen
auffer ihr $. 733. 737. Wenn wir nun vorausfegen, daß
diefe Welt die befte fen, fo ift klar, daß zwiſchen einer jed-
weden menfchlichen Seele und ihrem Körper die allergröfte,
ftärffte und mannigfaltigfte Uebereinftimmung angetroffen
erde, als nur irgends in einer Welt ſtat finden Fan $. 440.
Unter allen Dingen in der beften Welt ift die gröfte Ueber-
einftimmung, und zwiſchen $eib und Seele wird dieſe
Uebereinftimmung recht fichtbar und merklich. Wir wollen
uns bier nicht in die tieffinnigen und unnüßen Unterfuchun-
‚gen der Metaphyſik einlaffen, welche bey diefer Gelegenheit
entftanden find. Sondern wir wollen uns bier mit folchen 7
Betrachtungen über diefe Webereinftimmung befchäftigen, +
welche angenehmer und nüßlicher find. Und da wollen wir
verſuchen, dasjenige, was wir in der Cofmologie von der
Uebereinftimmung aller Theile der beften Welt überhaupt
gefagt haben, auf die Uebereinftimmung der menfchlichen
Seele mit ihrem Körper anzuwenden,
$. 758. yraiı
Zuvörderft ijt die menfchliche Seele, mit ihrem Kör:
per, durch den gröften Zufammenbang, der zwifchen einer
Urfach und ihrer Folge, und zwiſchen einer wuͤrkenden ME
gegen andere Dinge in der Wele. 461
fach und ihrer Wiürfung, ſtat finden Fan, verbunden, info
weit er nemlich in der beften Welt ſtat finden Fan $. 441.
442. Folglich ift, 1) die menfchliche Seele, die Urſach und
die wuͤrkende Urſach, aller natürlichen Veränderungen und
Bewegungen des Körpers. Indem Körper Fan Feine
Veränderung fo groß oder fo Elein, fo wichtig oder fo un-
erheblich feyn, welche nicht, wenn fie natürlich ift, in der
Seele und ihrer würffamen Kraft, ihrer Würflichfeit nach,
folte gegründet feyn. Folglich find alle natürliche Veran-
derungen des menfchlichen Körpers barmonifche Veraͤnde—⸗
rungen, und die Seele wuͤrkt iniden Körper nicht nur als:
denn, wenn fie denfelben willführlich bewegt, fondern auch
in allen übrigen Bewegungen, auch alsdenn, wenn man,
den Einfluß der Seele in den Körper, durch die Erfahrung
gar nicht merfen fan. 2) Der menfchliche Körper ift, die
Urfach und die würfende Urfach, aller natürlichen Verän-
derungen der Seele. In der Seele Fan Feine Veränderung
fo groß oder fo Elein, fo erheblich oder fo unerheblich feyn,
welche, wenn fie natürlich ift, nicht ihrer Wuͤrklichkeit nach, in
den thätigen Kräften des Körpers, folte gegründet ſeyn. Folg⸗
lich werden, alle natürlichen Borftellungen der Seele, ſamt
ihrer verfihiedenen Klarheit und allen übrigen Abaͤnderun—
gen, desgleichen alle Begierden und Verabſcheuungen, von
dem Körper verurfacht und gewuͤrkt. Und es find alfo, alle
natürliche Veränderungen der menfchlichen Seele, harmo—
niſch, und es würft der Körper nicht nur alsdenn in die See—
fe, wenn fie empfindet, fondern auch alsdenn, wenn man es
durch die Erfahrung nicht merken Fan, daß er in die Seele
wuͤrke. Es iſt demnad) eine gan; allgemeine Gemeinfchaft
zwifchen Leib und Seele, indem weder in der Seele, noch) in
dem Körper, eine einzige natürliche Veränderung angetrof:
fen wird, an welcher nicht der andere Theil einen thaͤtigen
und würffamen Antheil nime $. 442. 3) Indem die menfch-
liche Seele eine fo nahe unmittelbare und zureichende Urfach
der natuͤrlichen Veränderungen des Körpers, und der Kür:
per der natürlichen Beränverungen der Seele ift: fo find
dieſe
462 Von den Verhaͤltniſſen der menfchlichen Seele
diefe beyden Dinge auch, durch einen fo ftarfen und feften
würfenden Zufammenhang verbunden, als nur irgends in
einer Welt unter ihnen fat finden Fan. Das Band zivis
ſchen ihnen ift niche nur leicht geknuͤpft, fondern es ift fo feſt
zufammengefchnürt, als möglich. Die Beweife diefer Säße
find in der, Cofmologie dageweſen, und wir wollen nur noch
bemerfen, daß bier der Dre wäre, wo gefragt werden koͤnn—
te, wie diefer würfende Zufammenhang zwifchen Leib und
Seele erklärt werden müfle ?-ob diefe beyden Dinge durch
einen phnfifchen Einfluß in einander würfen, oder durd) die
vorherbeftimte Uebereinſtimmung, oder ob fie nur gelegent:
liche Urfachen von einander ſind? Allein ich babe in der
Eofmologie fhon den Grund angeführt, warum ich mich
in meiner Metaphyſik gar nicht, in die Unterfuchung diefer
Materie, einlafie.
$. 759.
Zum andern find Leib und Seele, auch ihrer Möglich
feit nach, in einem fo hoben Grade mit einander verbunden,
als nur irgends ein paar Dinge, in diefer Abficht, in der be:
ften Welt verknüpft fenn Fönnen $. 443. Leib und Seele
find nicht nur ihrer Wuͤrklichkeit nach in einander gegruͤn—
det, fondern auc) ihrer Möglichkeit nach. And man fan
alfo fagen, daß eben deswegen, eben diefe und Feine andere
Vorftellungen und Begierden, in der Seele möglich find,
weil ihr Körper eben fo und nicht anders möglich ift; und
daß eben deswegen, eben diefe und Feine andere Bewegun—⸗
gen, in dem menfchlichen Körper möglich find, weil die Seele
eben fo und nicht anders möglich ift. Gleichwie die ganze
Würflichfeit der Seele nicht ftat finden Fünnte, wenn fie
nicht in der Würflichfeit ihres Körpers gegruͤndet wäre, und
die WürflichFeie des Körpers nur fat finden Fan, wenn die
Seele auffer und neben ihm fo und nicht anders würflich
iſt: alfo verhält es fich auch fo,mit den MöglichFeiten diefer
beyden Dinge. Die Seele fan unmöglich fo möglich feyn,
als fte es in der That ift, wenn nicht eben ein folcher menfche
licher Körper auffer ihr möglich wäre, als in der That moͤg⸗
lich
gegen andere Dinge in der Welt. 463
lich ift, Und eben fo wenig koͤnnte der menfchliche Körper
eben fo möglich ſeyn, als er es iſt, wenn nicht aufler ihm
eben eine ſolche Seele möglich wäre, als es in der That ift.
Wenn man menfchlih von GOtt reden darf, fo Fan man
Daher fagen, daß GOtt ſchon in dem Reiche der Moͤglich—
keit, aus der Möglichkeie einer jedweden menfchlichen Seele,
erfannt babe, welcher unter allen möglichen menfülichen
Körpern der ihrige fey, indem Fein anderer möglicher menfch=
licher Körper mit ihr fo genau verbunden werden Fönnte, als
eben der ihrige. Es würde der Möglichkeit ver Scele, in
ihrem ganzen Umfange betrachtet, zumider ſeyn, wenn ein
anderer Körper mit ihr verbunden würde; und es mürde
der Möglichkeit des Körpers zuwider laufen, wenn eine an=
dere Seele mit ihm verbunden würde. Und gleichwie Leib
und Seele ihren Würklichfeiten nach, die fo genau mit ein—
ander verbunden find, Einen würflichen Menfchen ausma—
Ken; alfo machen fie, durch die genaue Verbindung ihrer
Möglichfeiten, das Wefen Eines Menfchen aus, oder
Einen möglichen Menfchen,
| §. 760.
Zum dritten ft, zroifchen der menfchlichen Seele und
ihren Körper, der allergröfte Zufammenbang, welcher auf
dem gegenfeitigen Mugen berubet, den fie einander verfchaf-
fen, anzutreffen, fo weit als es nemlich in der beften Welt
möglich ift 9.444. Denn was, einmal, die Seele betrift,
fo ift fie ihrem Körper fo nüßlich als möglich, und fie fchaft
ihm in der That fo viel Nutzen, als es in der beiten Welt
möglich ift. Alfe Bollfommenbeiten des Leibes find, fo wohl
ihrer Möglichkeit, als auch ihrer Würflichfeit nad), in der
Seele und dem Berhältniffe derfelben gegen den Körper ges
gründet $. 759. 758. und der Körper des Menfchen würde
nicht fo vollfommen feyn und werden, wenn er nicht mit
eben der menfchlichen Seele und Feiner andern verbunden
wäre. Die Erfahrung beftätiger Diefes, in fehr vielen Faͤl—
len, aufs unleugbarſte. Wenn die Seele im Tode von dem
Korper getrennt wird, fo verliehrt er alle feine erheblichen
Doll:
454 Vonden Derhältniffendermenfchlichen Seele
Vollkommenheiten. Eine gefunde und muntere Seele macht;
auch den Körper, gefund und munter, Die Geſchicklichkei—
ten der Seele breiten fi), bis in den Körper, aus, Auf der
andern Seite ift auch der Körper der Seele fo nüglich, und
fchaft ihr fo vielen Nutzen, ‚als in der beiten Welt möglich
ift. Alle Bollfommendeiten der Seele find, ihrer Moͤglich—
keit und Würflichfeit nach, in dem Körper, und feinem Ber:
hältniffe gegen die Seele, gegründet $. 759. 758. und die
Seele würde nicht fo vollfommen feyn und werden, als fie
ift und wird, wenn fie nicht eben mit diefem und Eeinem
andern Körper verbunden wäre. Die Gefundheit und Mun-
terfeit des Körpers befördert, die Gefundbeit und Munter-
feit der Seele. Die Bollfommenbeit der Werkzeuge der
inne befördert, die Bollfommenbeit der Erfenntniß und
der Erfennenigkräfte Und fo lehrt die Erfahrung noch in
mehrern Fällen, wie nüglich der Körper der Seele fen. Wir
leugnen nicht, daß Leib und Seele einander nicht auch ſchaͤd⸗
lich und nachtheilig ſeyn ſolten. Die Seele wird in vielen
Stuͤcken, durch den Koͤrper, und deſſen Krankheiten, 8
und andere Unvollkommenheiten, unvollkommen, und eben
ſo leidet auch der Koͤrper, wenn die Seele nvollkommen iſt.
Allein demohnerachtet muß man ſagen, daß Leib und Seele
einander in ihrer Vollkommenheit ſo ſehr befoͤrderlich ſind,
als in der beſten Welt moͤglich iſt. Und gleichwie, in ei—
nem vollkommenern Koͤrper, auch eine vollkommenere Seele
wohnt; alſo wohnt auch eine vollkommenere Seele in einem
vollkommenern Körper. Wir reden bier von den Vollkom—
menbeiten des Körpers, welche auf eine nähere Art zu dee
Gemeinſchaft der Seele mit dem Körper gehören? denn
frenlic muß man geftehen, daß in einem dem äufferlichen
Anfeben nach fehönen Körper nicht allemal auch eine ſchon⸗
Seele wohne.
. 761.
In der vollkommenſten — ſind alle Dinge einan⸗
der ſo ſehr aͤhnlich und gleich, oder mit einem Worte in ei—
nem ſo hohen Grade einander gleichfoͤrmig, als es irgends
in
| 2 gegen andere Dinge in der Welt, 465
in einer Welt möglich ift $. 445. ſolglich muß auch vierteng
«deswegen, zwifchen der menfchlichen Seele und ihrem Körs
per, der gröfte Zufammenhang feyn, der zwifchen ihnen moͤg⸗
lich ift, weil fie einander im böchften Grade gleichförmig
find. Die Seele ift iprem Körper, und der Körper feiner
Seele in einem fo hoben Grade ähnlich, als Dinge von vers
ſchiedener Art einander feyn koͤnnen. Und dahin fan man
rechnen, daß mit den Vorſtellungen der Seele materielle
Bilder im Gehirn, und mit den Begierden der Seele aͤhn⸗
liche Bewegungen der Glieder und des ganzen feibes, ver
* bunden find. Dumheit und Berftand, Freundlichkeit, Lies
be, Haß, Boßheit, und alle Seidenfchaften, werden fo
fihtbar auf dem Gefichte und überhaupt in dem Körper aus«
gedruckt, daß fie in demfelben abgemalt, nach dem Leben
etroffen, und gleichfam fichtbar werden. Folglich ift die
Seele fo befchaffen mie der Körper, und der Körper eines
jedweden Menſchen, wie feine Seele. Und man fan mit
Grunde annehmen, ob wir diefes gleich durch die Erfahrung
nicht völlig einfehen, daß zwifchen einer jedweden Seele und
ihrem Leibe eine fo groffe und vollfommene Aehnlichkeit fey,
daß fein anderer menfchlicher Körper fih, der Befchaffen«
heit nach, eben fo genau und gut für diefelbe ſchicken folte,
alseben der ihrige. And eben dieſes muß man auch von
der Gleichheit ſagen, welche zwifchen Leib und Seele fo groß
iſt, als fie irgends zwifchen Dingen von verfchiedener Arc
feyn Fan. Je groͤſſer und ftärfer die Kräfte der Geele find,
defto gröffer und ftärker find auch die Kräfte des Körpers,
die mit ihnen in Berbindung ftehen; je ſchwaͤcher aber jene
find, defto ſchwaͤcher find auch diefe. Je ſtaͤrker und ſchwaͤ—
cher die Vorftellungen und Begierden der Seele find, defto
ftärfer und fehwächer find auch Die harmonifchen Berändes
rungen und Bewegungen des Seibes, und umgekehrt. Kleis
ne Rinder haben noch fehr ſchwache Seelenfräfte, wie ſchwach
aber iſt nicht auch) der Körper? Wenn eine Krankheit den
Körper fchroächt, fo ſchwaͤcht fie auch die Seele. In den
Gemürhsbewegungen wird der Körper fehr ſtark und heftig
3, Theil, Gg be⸗
466 Von den Derbältniffen der menfchlichen Seele
u
bewegt, und je ftärfer die Bewegung der Werkzeuge der
Sinne ift, defto gröffer find auch die Empfindungen. Und
mer auf feine eigene Erfahrungen Achtung gibt, der wird
noch viel mehrere befondere Proben, von der ungemeinen
Gfeichförmigfeit der menfchlichen Seele mit ihrem Körper,
entdecken Fönnen. Und man fan fagen, daß eben fo viel
verfchiedene menfchliche Körper möglich find, als Seelen,
dergeftalt daß nur, für eine jedwede menfchliche Geele, - ein
einziger unter allen menfchlihen Körpern fich vecht ſchicke,
weil er ihr am gleichförmigften ift, und daß es unmöglich
fey, daß auch nur zwey menfchliche Körper möglich feyn fol-
ten, welche fich für eine gewiſſe menfchliche Seele im gleiz
chen Grade ſchicken, und derfelben im gleichen Grade anges
meffen feyn folten.
| $, 762.
Zum fünften ift, eine jedwede menfchliche Seele mit
ihrem Leibe, auch im möglichften Grade, als ein Zweck mit
feinem Mittel, verbunden, wenn mir einen mweifen Urheber
der ganzen Welt vorausfeßen $.446. Man fan alfo,
zweyerley, annehmen. Einmal, daß die Seele und ihre
möglichfte Bollfommenbeit ein Zweck fen, welcher durch den
Körper befördert und erhalten werden fol. Der Körper if
ja der Seele im höchften Grade nüglich $. 760. und wenn
man nun vorausfeßt, daß der Menſch das Werf eines weis
fen Urbebers fey, fo muß man fagen, daß diefer Lrheber,
einer jedweden menfchlichen Seele, eben deswegen, einen
ihr gemäffen Körper, gegeben habe, damit fie fo viele und
groffe Vollkommenheiten erlange, als es in der beften Welt
möglich ift. Wir fehen auch aus der Erfahrung, daß wir
unfern Körper beftändig und auf eine unendlich mannigfala
tige Art brauchen, um die verfchiedenen Bollfommenheiten
unferer Seele zu erlangen, was fo wohl die Erfenntnißfraft,
als auch die Begehrungsfraft derfelben betrift. Wir lefen
und hören, damit wir unfere Erfenntniß verbeffern u. ſ. w.
Allein die Seele ift auch) zum andern ein Mittel, welches zur
Abficht bat, die Vollkommenheit des menfchlichen ar fo
ehr
gegen andere Dinge in der Welt. 467
fehr zu befördern, als es möglich if. Sie ift ja ihrem
Körper im höchften Grade nuͤtzlich 9.760. Wenn man
nun vorausfeßt, daß der Menfch von einem weiſen Urheber
feine Würflichfeit und Einrichtung befommen habe: fo muß
man fagen, daß derfelbe einen jedweden menfchlichen Körper
auch) deswegen mit einer Seele verbunden habe, damit ders
felbe vermittelft der Seele eine fo groffe Vollkommenheit era
lange, als in der beften Welt möglich if, Die Erfahrung
lehrt uns auch, daß mir unfere Seele unendlich ofte, zum
Vortheil unferes Körpers, brauchen, und daß mwir fo ofte
unrecht handeln, als wir es nicht thun, Wir erfinnen die
verfchiedenen Mittel, die mannigfaltigen Vollkommenheiten
unferes Körpers zu erlangen; wir überlegen, was dem Körs
per fehadlich oder nuͤtzlich ift, und richten darnach die man—
nigfaltigen wilffübrlichen Bewegungen des Leibes ein u.f. w.
Nach der weifen Einrichtung des Lrhebers unferer Natur,
fol alfo nicht etwa unfere Seele fidy bloß von dem Körper
dienen laflen, und demfelben feine mannigfaltigen Dienfte
gar nicht wieder vergelten , fondern fie foll dem Körper mies
derum dienen, und fein beftes aufs möglichfte befördern.
. 763.
Zum fehlten gehört auch, zu der vortreflichen Ueber:
einftimmung einer menſchlichen Seele mit ihrem Körper,
daß die Seele das Mufter und Driginal ift, nach weichen
der Körper als eine Copie eingerichtet ift S.447. Hier
muß allerdings vorausgefeßt werden, daß der Menfch vor
einem meifeften Urheber feinen Urfprung genommen habe.
Da nun die groffe Aehnlichkeit und Gfeichförmigfeit, in wels
cher der Körper mit der Seele fteht, eine Vollkommenheit
des Menfchen ift $. 761. fo muß man fagen, daß GOtt
diefe, Vollkommenheit zur Abficht gehabt, und daß er alfo
eben deswegen, den menfchlichen Körper, fo und nicht an—
ders eingerichtet habe, damit er feiner Seele fo gleichfoͤrmig
fey, als möglid, GOtt hat die Seele, und ihre ganze
Einrichtung, als das Driginal angenommen, nad) weichem
er den Körper eingerichtet hat; oder er hat die ganze Anlage
Ög2 der
468 Von den Derböfltniffen der menfchlichen Seele
der Seele als den Plan betrachtet, nach welchem er das gan.
ze Gebäude des menfchlichen Leibes aufgeführt hat. Daher
fan man fagen, daß die ganze Seele durd) ihren Körper,
als in einer Statue, oder als in einem Gemälde, abgebildet,
oder als durch eine hieroglyphiſche Figur ausgedruckt ſey. Und
wenn wir den menfchlichen Körper recht genau fennen lers
nen, fo fönnen wir in demfelben, als in einem Abdruce,
die Befchaffenheit der menſchlichen Seele erblicken. So ers
feheinen alfo durch ihren Körper die menfchlidien Seelen in
der Körpermwelt, und es wird eben dadurch die Geifterwelt
in der Körperwelt gleichfam ſichtbar. F
$. 764.
Siebendens ift auch die menfchliche Seele mit ihrem
Körper, durch den groͤſten bezeichnenden Zufammenhang,
verbunden , der in der beften Welt möglich iſt 9.448. Die
Seele, und die Veränderungen derſelben, find Zeichen der
Beränderungen des Körpers; und der Körper, famt feinen
Einrichtungen und Veränderungen, iſt ein Zeichen der
Seele. Daher koͤnnen wir einem Menfchen, den Berftand
und die Dumbeit, an feinen Augen anfehen; wir koͤnnen feis
ne Siebe, feinen Haß, und feine Leidenſchaften überhaupt in
feinem Gefichte lefen u.f.w. Folglich find alle die Wiffen«
fchaften, welche Negeln enthalten, wie man den Menfchen
aus feinen Gefichtszügen, und andern Befchaffenbeiten und
Beränderungen feines Körpers, foll kennen lernen, über
haupt nicht zu verwerfen, ob fie gleich mit vielen Träume:
reyen angefült find. Wir milfen ja aus der täglichen Ers
fahrung, daß wir, die Gedanken und Gefinnungen anderer
Menfchen, unmöglich anders errathen fönnen, als vermits
telſt ihres Körpers, und der Beränderungen deffelben. Folg—
lich bedienen wir uns in der That, in unzählig vielen Faͤl—
len, des Körpers als eines Zeichens, um die Seele und ih»
ve Beranderungen zu erfennen,
$. 765. |
Diefe ganze vortrefliche, groffe und mannigfaltige
Uebereinftimmung der menſchlichen Seele mit ihrem Körper,
— die
gegen andere Dinge in der Welt. 469
die ich bisher befchrieben habe, gehört mit, als ein fehr
wichtiges Stück, zu der Uebereinftimmung des Reichs der
Gnaden mit dem Reiche der Natur, welche in der beften
Welt angetroffen wird $. 450. Die menfchliche. Seele ift
ein Geift, und gehört alfo mit zu der Geiſterwelt, und der
menfchliche Körper ift ein Theil der Koͤrperwelt. Die ver-
nünftigen Ihiere, welche in der Welt angetroffen werden,
find die merflichften und fefteften Bänder, durch welche die
Geiſterwelt mit der Koͤrperwelt recht genau verknüpft iſt;
oder fie find gleichfam die Derter in der Welt, wo das Keich
der Geifter mit dem Reiche der Körper, zunächft und uns
mittelbar grenzt und zufammenftöße. Folglich fließt aud) in
dem Menfchen, als einem Thiere, welches aus einem Geifte
und aus einem Körper zufammengefegt ift, Das Neid) der
Gnaden mit dem Reiche der Natur zufammen. Und dadie
menfchliche Seele, mit ihrem Leibe, in einer fo groffen und
mannigfaltigen Uebereinftimmung ſteht; fo ſtimt auch eben
deswegen in dem Menfchen,, als in Einer Perfon, oder als
in einem Subjecte, die Geifterwelt mit ver Körpermelt, das
Keich der Gnaden mit dem Reiche der Natur, in einem
folchen Grade überein, daß man den Menfchen gleichfam,
eine vecht fihtbare und merfliche Verbindung und Ueberein⸗
ftimmung der Geifterwele mit der Körperwelt, nennen fan.
Alles dasjenige, was ich $. 450. überhaupt von der Lebers
einftimmung des Neic)s der Natur mit dem Reiche der Gna⸗
den gefagt habe, Fan alfo auf den Menfchen, und auf die
Verbindung feiner Seele mit dem Körper, auf eine fehr nüißs
liche Art angewendet werden.
XxXXXMXX Xx RT KERN XMAx NH RO HK HS
Das dritte Kapitel,
Bon der Glücdkfeeligfeit und Ungluͤckſeeligkeit
der menfchlichen Seele.
9. 766.
ie Frage; worin die Glückfeeligfeit und Unglücfeeligs
feit der Menfchen, famt ihrer mannigfaltigen Veraͤn—
693 derung,
4790. Von der Blückfeeligkeit und Unglückfeeligkeit
derung, beftehe? ift eine der nöthigften, nüßlichften und
wichtigften Fragen. Alle unfer Dichten und Trachten gehe
auf unfere Glückfeeligkeit, und wir follen auch beftändig,
unfere Ölückfeeligkeit, fuchen und vermehren. Allein, Die
falfchen Begriffe, die wir uns von der Glückfeeligkeit und
Unglückfeeligkeit machen, find ſchuld daran, daß die wenig-
fen Menfchen die wahre Glückfeeligkeit fuchen, und noch
viel weniger erlangen, Wir wollen ung demnach bemühen,
uns einen richtigen, fruchtbaren und ausführlichen Begrif
von der menfchlichen Gluͤckſeeligkeit und Unglückfeeligfeit zu
machen. And da nun unleugbar ift, daß die Gluͤckſeelig⸗
Feit in dem Beſitze gewiffer Vollkommenheiten und Güter,
und die Unglückfeeligfeit in dem Befige gewiſſer Unvollkom—
menbeiten und Liebel beftehe : fo müflen wir erft zum voraus,
eine vierfache Eintheilung der menfchlichen Güter und Uebel,
unterfuchen, in fo weit Diefelben nemlich die Seele betreffen.
Die Vollkommenheiten und Unvollfommenheiten des Leibes
gehören in eine andere Wiffenfhaft, als die Pſychologie.
Einmal, alle Güter und Uebel der menfchlichen Seele find,
entweder fehlechterdings nothwendig, oder zufällig. Die
fhlechterdings nothwendigen Güter beftehen, in den wefent-
lichen und fchlechterdings nothwendigen Vollkommenheiten
der menfchlichen Seele, wohin z. E. die Vermögen der Sees
le gehören, in fo ferne fie Möglichkeiten gewiſſer Realitaͤ—
ten find. Die zufälligen Güter aber find, die zufällis
gen Vollfommenheiten der Seele und ihre Urfachen,
z. E. die Deutlichfeit der Erkenntniß, der Gebrauc)
des Berftandes und der Freyheit. Die fchlechterdings noth-
wendigen Uebel der menfchlichen Seele beftehen, in ihren
fchlechterdings nothivendigen Unvolltommenbeiten, und den
Gründen derfelben, z. E. die wefentlichen und ganz unver:
anderlihen Schranken der menfchlichen Vernunft. Die zus
fälligen Uebel find die zufälligen Unvollkommenheiten der
Seele, und die Urfachen derfelben, 3. E. die vermeidlichen
Irrthuͤmer, und andere vermeidliche Unvollfommenbeiten
der Erkenntniß. Zum andern gibt es natürliche Güter 1:
Uebel,
der menfchlichen Seele. 47ı
Uebel, Vollkommenheiten und Unvollfommenbeiten der
menfchlichen Seele, welche durch die Kräfte ihrer eigenen
Natur gewürft werden, z. E. Tugend und Laſter, Gelehr—
famfeitund feichte Erkenntniß u.f.w, Es gibt aber auch)
übernatürliche Güter, von denen ein Weltweiſer wenigitens
die Möglichkeit einfieht, z. E. der feeligmacyende Glaube;
Man fan auc) übernatürliche Uebel gedenken, nicht etwa,
als wenn GOtt, durch ein Wunderwerf, ein Uebel, in fo
ferne es böfe ift, wuͤrken Fönte, fondern weil uͤbernatuͤrlich
etwas gewürft werden Fan, welches, vermöge der Zulaſſung
GOttes, einer menfchlihen Seele in gewiſſer Abficht nach—
theilig feyn fan, z. E. wenn GOtt eine menſchliche Seele
übernatürlich ſtraft. Zum dritten gibt es innerliche Güter
und Uebel der menfchlichen Seele, welche zu ihrem: innerlis
chen Zuftande gehören, 3. E. Gelehrfamfeit und tugendhafte
Gefinnung, feichte irrige Erkenntniß und lafterhafte Geſin—
nung; und das find die einheimifchen Güter und Uebel: es
gibt aber auch äufferliche Güter und Uebel der menfchliden
Seele, z. E. Ehre und Schande $. 657. Und viertens
find alle Güter und Uebel der menfchlichen Seele in weitern
Berftande moralifch, welche mit der Freybeit derfelben in
einer nähern und merflichen Verbindung ſtehen 8. 713. Die
Güter und Uebel der menfchlichen Seele aber, die nicht mo»
ralich find, find diejenigen, die zufällig find, aber mit dem
freyen Willen in Feiner nähern Verbindung ftehen, z. E.
ein guter Gebrauch des Verſtandes ift ofte bey uns nicht
moralifch, und eben fo wenig ift die Verruͤckung manchmal
ein mioralich Uebel. Kein fchlechterdings nothwendiges
Gut oder Uebel it moraliſch. $. 709:
S. 707
Was bey einem Geifte moralifch ift, das ſteht, mit
feinem freyen Willen in einer nähern Verbindung. $ 713.
Nun fan etwas mit einem andern in Verbindung ſtehen,
wenn e8 entweder der Grund deffelben, oder die Folge, oder
beydes zugleich it, S. 28. Was alfo moralifdy im weitern
Berftande iſt, das iſt entweder ein näherer Grund der Frey—
Gs 4 heit
472 Von der Glückfeeligkeit und Unglückfeeligkeit
heit und eines geriffen moralifchen Zuftandes, oder einenä«
bere Folge, oder beydes zugleich. Dasjenige, was mitder
Freyheit, als eine Folge und Würfung, auf eine nähere
Art verbunden ift, das wird im engern Verſtande mo»
raliſch genannt, Die Wiedergeburth fo wohl, als auch
die Erbfünde find im weitern Berftande moralifch; weil fie
ohne freyen Willen, in feinem Menfchen, ftat finden koͤn—
nen? allein fie find feine Würfungen des freyen Willens
des Menfchen, fondern vorläufige Stüce, durch welche, als
durch Urfachen,, der freye Wille auf eine gewiſſe Weife be—
ſtimt wird, daß daher gewiffe moralifche Zuftände entftehen,
Die erſte ift ein Gut, welches moralifd) ift, wern das Wort
in der weitern Bedeutung gebraucht wird, und, die leßtere
iſt ein moralifcyes Lebel im weitern Beritande, Ein mos
raliſches But im engern Derftande ift ein Gut, wel-
ches auf eine nähere Art von der Sreyheit abhanget; oder
welches, als eine Würfung, auf eine nähere Art in der Frey:
beit gegründet ift, wie z. E. die Tugend was guts ift, und
auf eine näbere Art von der Freyheit abhanget. Eben fo
find auch, die Belohnungen unferer guten Handlungen, im
engern Berftande moralifche Güter. Die Seeligkeic ift
das Vergnügen über ven Beſitz der Bollfommenbeit, wel
che aus den moralifchen Gütern im engern Berftande enta
ſteht. Wir verftehen hier nicht bloß den ausnehmend grofs
fen Grad der Seeligkeit, den die Tugendhaften in der Ewig—
feit zu erwarten haben; fondern wir müffen die Erflärung
fo einrichten, daß fie auch, auf die geringern Grade der
Seeligkeit in diefem geben, angewendet werden fan. Und
da weiß jedermann, daß man die Geeligkeit, als eine Folge
und Würfung der Tugend und Froͤmmigkeit, betrachtet,
und fie iſt alfo eine Vollkommenheit, welche aus folchen
Gütern entfteht, die im engern Verſtande moralifch find.
Und wem fan unbefant fern, daß der Seelige ein Bergnüs.
gen empfinden müffe, indem eben darin dev Genuß der mo»
valifchen Güter im engern Berftande beftehe. Moraliſche
Uebel im engern Derftande find alle Uebel, welche von
der
der menfchlichen Seele. 473
der Freyheit auf eine nähere Art abhangen, oder die, als
Würfungen und Folgen, auf eine nähere Art mit der Frey—
heit verbunden find, wie z. E. die Sünden und Laſter, famt
den Strafen derfelben, dergleichen Uebel find. Aus allen
moralifchen Uebeln enefteht, wie aus allen Uebeln S. 137. eis
ne Unvollfommenheit, und die wird das morslifche Der-
derben genennt. Go verurfacht die Erbfünde fo wohl, als
auch die würfliche Sünde, famt dem after, ein moralifches
Derderben in dem Menfchen. Die Unſeeligkeit, oder die
Verdamniß, ift der Verdruß, den ein vernünftiges Weſen
empfindet, wenn es in fich ein moralifches Verderben ges
wahr wird, welches aus den moralifchen Uebeln im engern
Verſtande entfteht, Wir rechnen nicht bloß hieher den aus—
nehmend hohen Grad der Verdamniß, der den Safterhaften
in der Ewigkeit bevorfteht; fondern wir reden zugleich von
den Fleinern Graden der Lnfeeligkeit, welche fchon in diefem
seben fat finden koͤnnen. Und da weiß jedermann, daß die
Unſeeligkeit in einer Unvollkommenheit bejtehe, welche auf
eine nähere Art aus der Freyheit ihren Uefprung nimt, und
daß fie nichts bedeuten würde, wenn fie nicht gefühlt würde,
oder wenn der Unſeelige Eeinen Verdruß empfände,
§. 768.
Auſſer den moraliſchen Guͤtern und Uebeln im engern
Verſtande, ſamt ihren Folgen, der Seeligkeit nemlich und
der Unſeeligkeit, Fan es bey einem vernünftigen Weſen, noch
andere Vollkommenheiten und Unvollfommenheiten, geben,
die zufällig find, und das find die phyſiſchen Güter und
Vebel, wenn man diefes Wort, phyſiſch, in der engern
Bedeutung braucht: denn manchmal nimt man es fo weit:
läuftig, daß man darunter alle zufällige Güter und Lebel
verfteht, und alfo auc) die moralifichen. Nemlich phnfifche
Güter find alle Güter, die zufällig aber nicht moralifch find,
3. E. gefunde Bernunft, munterer Kopf u. ſew. Und phy—
fifche Uebel find alle Uebel, welche zufällig aber nicht mora=
lich find, z. E. Blödfinnigkeit, angebohrne Dumheit u.
f.w, Die Wohlfarth ift das Vergnügen über den Be—
| Ög5 | ſitz
474 Von der Glückfeeligkeie und Unglückfeeligkeit
fig phnfifcher Güter, und das Elend ift der Berdruß über
den Beſitz phnfifcher Uebel. Diefe Wörter werden freylich
ofte in andern Bedeutungen genommen, allein es fomt uns
bier vornemlich auf die Sache felbft an. Und da fehreibe
man feinem Dinge eine Wohlfarth oder ein Elend, um der
fhlechterdings nothwendigen und metaphnfifchen Güter und
Uebel willen, zu; fondern um der zufälligen willen. Und
wenn jemand zufällige Güter befißt, famt der daher entſte—
henden Bollfommenheit, er empfindet aber Fein Bergnüs
gen drüber, fo fan man diefen Beſitz zwar auch eine Wohl
farth nennnen, allein es fehle alsvenn noch der Genuß.
Der Begrif von der Wohlfart wird demnach fruchtbarer,
wenn man ihn fo einrichtet, wie ich gewiefen habe. Und
eben fo Fonnte man durch das Elend, fehon den Beſitz der
phnfifchen Uebel, und die Daher entjtehende Unvollfommen=
beit verfichen; allein der Begrif wird fruchtbarer und der
Erfahrung gemäffer, wenn man auch den Verdruß mit das
bin rechnet, weil ein Uebel, welches keinen Berdruß verurs
facht, nicht empfunden wird, und es ift alfo dem Gefühle
nad) eben fo gut, als wäre e8 gar nicht vorhanden. And
nun find wir im Stande zu erflären, was die Gluͤckſeelig⸗
keit und Ungluͤckſeeligkeit ſey. Memlich die Glückfeelig«
keit ift der Inbegrif der Seeligfeit und der Wohlfarth, und
die Ungluͤckſeeligkeit der Inbegrif der Unſeeligkeit und
des Elendes. Diefe Wörter gehören auch unter diejenigen
Wörter, deren Gebrauch fehr unbeitime iſt. Unterdeſſen
ift es Doch am gemöhnlichften, daß man nur vernünftig
freyen Wefen eine Glückfecligfeit oder Unglückfeeligkeit beys
lege. Und da pflege man einen elenden und fugendhaften
Elenden nicht glückfeelig zu nennen, weil ihm die Wohle
farth fehlt, ob er gleich feelig ift, Und eben fo wenig nenne
man ihn unglückfeelig, weil er nicht unfeelig obgleic) elend
ift. Eben fo wird ein glüclichee Bofewicht nicht glückfees
lig gepriefen,, weil er die Wohlfarth ohne Geeligfeit befißt,
man nenne ihn auch nicht unglücfeelig, weil er zwar unfees
tig aber nicht elend ift, in fo ferne er nemlich ein glücklicher
Döfewicht ift, $. 769.
der menfchlichen Seele. 475
G. 769.
Die Gluͤckſeeligkeit der menſchlichen Seele fan nie—
mals ganz rein fern, fondern fie ift allemal mit vielen zufäl-
ligen Uebeln untermenge, weil die menſchliche Seele ein end»
liches Ding ift $.198. Darin fehe ich keinen Widerfpruch,
zu fagen, daß die menfchliche Seele einen fo hohen Grad
der Glückfeeligkeit Haben koͤnne, welcher mit gar Feiner Lins
feeligfeit untermengt iſt; allein feine Gluͤckſeeligkeit ift bey
einem Menfchen möglich, welche mit gar Eeinen zufälligen
Uebeln unfermenge wäre. Geeligkeit und Unſeeligkeit,
Wohlfarth und Elend, find dergeftalt unter einander ges
menge, daß man nicht anders fagen Fan, als daß die
menſchliche Glückfeeligkeit, im Ganzen betrachtet, in
nichts anders beftehe, als in dem Uebergewichte der Glück.
feeligfeit über die Unglücfeeligfeit. Eben fo befteht, die
menfcbliche Ungluͤckſeeligkeit, in dem Uebergewichte
Der Unglücfeeligkeit über die Glückfeeligkeit. Denn fein
Menſch fan fo unglückfeelig feyn, daß er gar Feine zufälligen
Güter mehr befiße $.198, Das koͤnnte vieleicht feyn, daß
ein Menfc) in einen fo hohen Grad der Unſeeligkeit verſenkt
würde, daß er gar feine Seeligfeit mehr habe. Allein das
iſt unmöglich, daß er gar Feine zufälligen Vollkommenhei⸗
ten mehr haben und genieffen folte. Die Erfahrung beftati-
get wenigftens in diefem Leben, die Nichtigfeit Diefer Des
griffe. Wo ift der glückfeelige Menfch zu finden, der gar
nicht unglücfeelig, und der unglücfeelige, der gar niche
glückfeelig iſt?
$. 77%
Es ift ohne Zweifel Elar, daß die menfchliche Seele,
unendlich vieler verfchiedener Grade der Glückfeeligfeit und
Unglücfeeligkeit, fäbig fey. Dasjenige vernünftige Wefen
iſt unftreitig das allerglücfeeligfte, welches alle mögliche
Vollkommenheiten befist, und nicht die aeringfte Unvoll«
fommenbeit, und welches darüber das allergröfte und aller
vollfommenfte Vergnügen empfindet, Allein die menfchli-
che Seele iſt, eines folchen hohen Örades der Glückfeeligkeit,
nicht
476 Von der Blückfeeligkeit und Ungluͤckſeeligkeit
nicht fähig. Folglich müffen wir folgendergeftalt fehlieffen :
1) Se mehrere moralifche und phufifche Vollkommenheiten
die Seele befißt, und je weniger dergleichen Unvollkommen—
heiten; folglich je gröjfer der Zahl nach, das Uebergemicht
der Bollfommenheiten über die Unvollfommenheiten iſt,
defto glückfeeliger iſt die menfchliche Seele. Und fie würde
in diefer Abſicht den hoͤchſten Grad der Glückfeeligkeit erreis
chen, wenn fie gar Feine moralifche Unvollfommenpeiten hät
te, fondern fo viele moralifche und phyſiſche Vollkommen⸗
heiten, und fo wenige phyſiſche Unvollkommenheiten, als in
ihr zufammen ſtat finden koͤnnen. Im Gegentheil ift fie
um fo viel unglückfeeliger, je mehrere moralifche und phnfis
fche Unvollfommenheiten, und je weniger dergleichen Boll
kommenheiten fie befist; folglich je gröffer der Zahl nach, das
Uebergewiche der Unvollfommenheiten über die Bollfommen-
heiten, ift. 2) Je gröffere moralifche und phnfifche Voll:
fommenbeiten in der Seele angetcoffen werden, und je Fleis-
nere dergleichen Anvollfommenbeiten; folglich je gröffer,
auch in diefer Abficht, das Uebergewicht der Bollfommen-
beiten über die Unvollfommenbeiten ift, defto geöffer ift die
Gluͤckſeeligkeit der menfchlichen Seele. Sie ift aber um fo
viel unglückfeliger,, je gröffere moralifche und phyſiſche Un—
vollfommenbeiten fie befigt, und je Fleinere dergleichen Bolls
fommenheiten. Folglich je gröffer das Webergewicht der
Unvollkommenheiten, der Gröffe nach, über die Vollkom—
menheiten ift. 3) Je gröffer und vollfommener ihr Vergnuͤ—
gen über ihre eigene Vollkommenheit it, und mit je wenis
gern und Eleinern Mißvergnügen über ihre eigene Vollkom—
menheit es vermiſcht iſt, defto glückfeeliger ift die menfchliche
Seele. Gie fan in manchen Augenblicken, ihrem Gefühl
nach, einen hoͤchſten Grad der Gluͤckſeeligkeit genieffen, wenn
fie ein lebhaftes Vergnügen über ihre eigene Bollfommens
heiten empfindet, welches mit gar feinem Berdruffe über
ihre eigene Unvollfommenheiten vermengt ift, Allen folche
Empfindungen dauren, in diefem Leben, nicht lange. Se
groͤſſer im Gegentheil der Berdruß der Seele über ihre mo«
talifchen
der menfchlichen Seele, 077
ralifchen und phnfifchen Unvollfommenbeiten ift, und mit je
Eleineem DBergnügen über ihre eigene. Bollfommenbeiten er
untermengt ift, defto unglückfeeliger ift fie ihrem Gefühl
nach. - Und da Fan es allerdings Augenblicke geben, in de-
nen fic) die Seele, ihrer Empfindung nach, für Die uns
glückfeeligfte Creatur halten muß, wenn fie nemlich einen fo
lebhaften Verdruß über fic) felbft und ihre LUnvollfommen-
beit empfindet, daß fie über denfelben nicht das geringfte
Vergnügen über ſich felbft fühle. Hieraus ift alfo Elar, wo—
ber es fomt, daß viele Menfchen ofte ein Eleines Gut, als
ein wichtiges Stück ihrer Glückfeeligfeit, und ein Eleines
Uebel, als einen wichtigen Theil ihrer Unglückfeeligfeit, ans
fehen. Denn wenn ihnen jenes ein fehr groffes Vergnügen,
und diefes ein fehr grofjes Mißvergnügen- verurfacht , fo fön-
nen fie nicht anders urtheilen. Allein da diefes Bergnügen
und Mißvergnügen zu groß für die Gegenftände, und eines
Theils falfch iſt; fo ift es unvollfommen. Folglich vers
mehrt dieſes Mißvergnügen zwar die Unglückfeeligfeit eines
Menſchen, allein es ift dod) Elar, daß ein Menfch ſich fei«
nem Gefühl nad) für glückfeeliger oder unglückfeeliger halten
Eönne, als er es in der That ift.
E71
Es frage ſich nunmehr, ob eine jedwede menfchliche
Seele, in einem jediveden Augenblicfe ihrer Dauer, ent
weder glückfeelig oder unglückfeelig fey? Ehe wir diefe Sache
gründlic) entfcheiden koͤnnen, müffen wir erft einen allges
meinen Satz darthun, nemlich, daß es fehlechterdings un-
gereimt zu fagen ſey, es fünne ein Ding gut und böfe zus
gleich, und zwar im gleichen Grade, feyn. Geſetzt, es
fey ein Ding gut und böfe zugleich, es habe Bollfommen-
heiten und Unvollfommenheiten, wie alle endlihe Dinge
dergeftalt befchaffen find $.199. Geſetzt, man rechne alle
feine Bollfommenbeiten und Unvollfommenbeiten: vol!fom-
men zufammen, und es fände fid), daß die Summe der
eritern, der Summe der andern, vollig gleich wäre: fo
wäre dieſes Ding ein Ding, welches gut und böfe zugleich
und
473 Von der Blückfeeligkeie und Ungluͤckſeeligkeit
und zwar im gleichen Grade iſt. Es fragt ſich, ob ein fols
ches Ding moͤglich, oder wohl gar wuͤrklich ſey? Und da
behaupten wir, daß dieſes fchlechterdings nicht angehe.
Denn da ein folhes Ding eines Theils böfe ift, fohates
niche den hoͤchſten Grad der Realität und Vollfommendeit, |
und es ift demnad) eingefchränfe und endlich $. 190, 191.
folglich ift es auch ein zufälliges Ding $.193. Was zue
fällig ift, deſſen Gegentheil ift möglih $.105. Folglich
würde von einem folchen Dinge ein Gegentheil möglich feyn,
und zwar muͤſte diefes Gegentheil auſſer ihm möglid) und
wuͤrklich feyn fünnen: denn in feinem Dinge felbft fan, fein
Gegentheil, ftat finden. $.79. Folglich wenn ein Ding
gut und böfe zugleich im gleichen Grade möglich wäre, fo
wäre auffer ihm ein Ding möglich, welches ihm entgegenges
fegt wäre, und von welchem alfo verneinet werden müfte,
was von ihm bejahet, und bejahef, was von ihm verneinet
würde, Folglich hätte es einen Grad der Unvollfommens
heit, der dem Grade der Vollkommenheit diefes Dinges,
wovon geredet wird, gleich) wäre, und einen Grad der
Bollfommendeit, welcher dem Grade der Unvollfommen-
heit deſſelben gleich wäre, Folglich wären zwey Dinge auffer
einander möglich, welche, dem Grade der Bollfommenheit
und Unvollfommenheit nach, einander völlig gleich wären,
und das ift fchlechterdings unmöglich $.2ır. Gefest, die
Vollkommenheit eines Dinges fey viere gleich, und feine
Unvollfommenheit auch vieres denn es foll ja gut und böfe
zugleich im gleichen Grade feyn. Seinem Gegentbeile fehle
vier Grad Vollkommenheit, das ift, feine Unvollfommen«
heit ift fo groß als viere; und es fehle ihm aud) vier Grad
Unvollfommenheit, das ift, feine Vollkommenheit ift viere
gleih. Es lehrt demnach der Augenfchein, daß das Ge—
gentheil eines Dinges, welches gut und böfe zugleid) im glei⸗
chen Grade wäre, demfelben an Bollfommenheit oder Rea—
lität vollfommen gleich feyn muͤſte. Da es nun aber auffer
ihm möglich und wuͤrklich feyn müfte, fo ift ein ſolches
Ding offenbar, dem Satze des Unterfchiedes aller auffer
| einander
der menfchlichen Seele. 479
einander befindlichen möglichen Dinge zumider, und man
Fan alfo dergleichen Dinge gar nicht annehmen. Folglich
find alle endliche Dinge entweder mehr gut als böfe, und
die werden von ihrem gröffern Theile fchlechtweg gute Dins
ge genennt; oder fie find mehr bofe als gut, und Die wer—
den ebenfals fihlechtweg böfe genennt, weil fie gröftentheils
böfe find. Diefe Unterfuchungen fcheinen vielleicht manchen
fpisfindig zu ſeyn, allein wir werden ihren groffen Nutzen,
und ihre ungemeine Sruchbarfeit, alfobald gewahr werden.
—
Eine jedwede menſchliche Seele, ſie mag nun den Ge—
brauch der Vernunft und Freyheit beſitzen oder nicht, iſt eis
ne endliche Subftanz $.739. Solglich Fan fie niemals in eis
nem Zuftande fic) befinden, in welchem fie weder vollfom-
men noch unvollfonmen wäre 6.650. eben fo wenig als in
einem Zuftande, in welchem fie vollfommen und unvoll-
fommen zugleich, und zwar im gleichen Grade wäre $. 771
Folglich ift eine jedwede menfchliche Seele entweder mehr
vollfommen als unvollfommen, oder mehr unvollfommen
als vollfommen 9.771. In dem erften Falle befinder fie
fih in dem Zuftande der Wohlfarth, in dem andern aber
in dem Stande des Elendes $. 786. Folglich muß man
eben diefes von den Seelen der Kinder, der Wahnwisigen,
und von allen menfchlichen Seelen ohne Yusnahme fagen,
Was aber diejenigen Seelen der Menfchen betrift, welche
den Gebrauch der Freyheit haben, fo find fie einer Gluͤck?
feeligfeit faͤhig, und folglic) muß man von ihnen behaupten,
daß fie entweder glückfeelig oder unglückfeelig find. Denn
fie find, wie gleich jeßo ermwiefen worden, entweder in ei—
nem Zuftande der Wohlfarth, oder in einem Zuftande des
Elendes, Auſſerdem haben fie nun noch die Moralität oder
Eittlihfeit, weil fie ven Gebrauch ihrer Freyheit beſitzen.
Diefe Moralität Fan in ihnen nicht ganz gleichgültig ſeyn
6.650. fie fan aber auch nicht im gleichen Grade gut und
böfe fenn 9.771. Folglich ift fie moralifch entweder mehr
vollfommen als unvollfommen, oder umgekehrt, Folglich
iſt
480. Don der Glüchfecligkeit und Ungluͤckſeeligkeit
ift eine jedwede menfc)liche Seele, in einem jedrveden Au—
genblicke ihrer Dauer, wenn fie den, Gebrauch ihrer Frey⸗
heit hat, entweder feelig oder unfeelig $.767. Und es ift
demnach Flar, daß eine jedwede menſchliche Seele, die ven
Gebrauc ihrer Freyheit hat, entweder glückfeelig oder uns
gluͤckſeelig ſey $.768. Es gibt alfo weder in diefem $eben,
noch in jenem, gleichfam einen Mittelftand, von. welchem
man fagen koͤnnte, daß die menfchliche Seele in demfelben
weder wohl noch elend, weder feelig noch unfeelig, weder
glückfeelig noch unglückfeelig wäre.
8. 773.
Die menfchliche Seele mag fich in einem Zuftande bes
finden, in welchem fie will, fo wird fie, wie alle endliche
wuͤrkliche Dinge, beftändig verändert. Keine ihrer Ver—
änderungen, es mögen nun Handlungen oder Leiden feym,
Fan weder gut noch boͤſe ſeyn $.650. und eben fo wenig fan
eine einzige derfelben gut und bofe zugleich im gleichen Gra—
de feyn 9. 771. Folglich ift eine jede DBeränderung der
menfchlichen Seele, entweder mehr gut oder böfe, oder mehr
böfe als gut. it das erfte, fo träge fie mehr zur Vermeh—
rung der Vollkommenheit der Seele bey als der Unvollfomzs
menheit, und wenn es eine moralifche Veraͤnderung ift, fo
vermehrt fie die Seeligleit. Cine folche Veränderung wird
ſchlechthin gut genennt, und fie vermehrt die Gluͤckſeeligkeit.
In dem andern Falle träge fie mehr zur Vermehrung der
Unvollkommenheit als Vollkommenheit bey, und wenn es
eine moralifche Veränderung ift, fo vermehrt fie die Unſee—
ligfeit. Eine ſolche Veränderung wird fehlechthin böfe ge—
nenne, und fie vermehrt die Unglückfeeligfeit. Folglich Fan
die menfchliche Seele Feine Handlung vornehmen, und feine
Veränderung leiden, welche nicht entweder ihre Glückfeelig-
feit oder Unglückfeeligkeit vermehren folte. Sie Fan nie»
mals in dev Ölückjeeligfeit ftille ftehen, wenn fie in verfelben
nicht wächft, fo nimt fie in ipr ab. Denn menn fie ftiffe
ftehen koͤnnte: fo müfle die Veränderung, Die zu der Zeit
in ihr wuͤrklich ware, entweder weder gut noch böfe ſeyn,
und
der menfchlichen Seele. 481
und alſo weder die Gluͤckſeeligkeit vermehren noch vermins
dern; oder ſie muͤſte gleich viel zur Gluͤckſeeligkeit und Un—
glückfeeligfeit beytragen, beydes aber iſt ungereimt. Dies
fer Satz ift in der Sittenlehre von der äufferften Wichtig-
feit, indem es eine der gröften Wahrheiten ift, daß Feine
menfchliche Handlung fen, die nicht entweder gut oder bofe
wäre; oder die nicht entweder den Menfchen glückfeeliger
oder unglückfeeliger machen folte, und daß alfo die Meinung
von der Gleichgültigfeit einiger Handlungen ungereimt ſey.
$ 774%
Einige Weltweife erklären, die Gfückfeeligfeit, durch
einen ununterbrochenen Sorlanı oder Wachsthum in der
Vollkommenheit; und die Lnglückfeeligfeit, durch einen
ununterbrochenen Wachsthum in der Unvollfommenbheit,
Nun Fan man zwar zuaeftehen, daß die Bermehrung der
Bollfommenheit und Unvollfommenheit, in der Gluͤckſeelig—
feit und Unglückfeeligfeit, ftat finden koͤnne: allein wenn
man diefe Begriffe mit meinen bisherigen Unterfuchungen
vergleicht; fo Fan ein jeder von felbit einfehen, daß fie die
Sache nicht genau genung erklären. Sie geben uns aber
doch eine Gelegenheit, noch eine wichtige Betrachtung, über
die menſchliche Glückfecligfeit und Unglückfeeligkeit, anzu:
ſtellen. Dieſe Begriffe nemlich fcheinen fagen zu wollen,
‘daß ein Menfch, der einmal glücfeelig oder unglückfeelig ge:
worden, es ewig bleibe. nd die meiften ſtehn auch in den
Gedanken, als wenn es unmoglic) fey, daß ein Menfch,
der, fonderlich nach dem Tode, einmal glückfeelig geworden,
wiederum unglücfeelig werden; und daß derjenige, der ein-
mal unglücfeelig geworden, wiederum glücfeelig werden
folle. Wir wollen uns demnach überzeugen, daß alle menfch-
liche Glückfeeligkeit und Unglücfeeligfeit veränderlich fen.
Die menfhlihe Seele ift ja ein endliches und zufälliges
Ding $.739. und Fan alfo wohl etwas in ihr würflich ſeyn,
welches nicht veränderlih wäre? Ihre Gluͤckſeeligkeit und
Ungluͤckſeeligkeit beruhet ja auf unendlich vielen aufferlichen
und innerlichen Urfachen, die zufällig find, fonderlich auf
den frenen Handlungen, und was für. Abwechfelungen find
3, Theil, Hh alle
432 Von der Blüchfeeligkeit und Ungluͤckſeeligkeit :c,
alle diefe Dinge nicht unterworfen ? Und da fein Stillſtand,
in der Glückfeeligfeit und Unglückfeeligfeit ver Seele, müg-
lich ift $.773. fo wird fie beitändig entweder vermehrt, oder
vermindert. Sonderlich aber ift zu merfen, einmal, daß
eine menfchliche Seele, welche glückfeelig ift, wiederum un-
glückfeelig werden Fonne: indem es in ihrer Freyheit ſteht,
an ftat der guten Handlungen böfe vorzunehmen. Vielleicht
aber fan es einen gewiflen Grad der Gluͤckſeeligkeit geben,
der fo befchaffen ift, daß es der menfchlichen Seele, wenn
fie ihm erreicht hat, hypothetiſch unmoͤglich wird, wiederum
unglückfeelig zumerden. Und alsdenn hätteman eine Gluͤck—
fecligfeit erreicht, in deren Befiß man vollfommen ficher feyn
Fönnte. Es würde zwar Diefer Grad der Glückfeeligkeit ale
lemal zufällig bleiben, und alfo würde es allemal an und vor
fic betrachtet möglich bleiben, daß er verlohren gienge. Als
lein was an fich möglich ift, gefchieht deswegen noch nicht.
Sb es nun einen folchen Grad der menfchlichen Glücfeeligs
feit gebe, das läßt fich mit feiner Gewißheit ausmachen,
Zum andern muß man eben diefes, von der nenfelichen
Unglückfeeligfeit, fagen. Denn es beruhet diefelbe vornem—
lich, auf den moralifchen böfen Handlungen, Da diefe nun
frey find, fo fan der Menfch ftat derfelben gute Handlungen
thun, und folglidy Fan ein jedweder unglückfeeliger Menfch
glückjeelig werden. Vielleicht aber gibt es einen gemiffen
Grad der Unglückfeeligkeit, welcher fo befchaffen ift, daß es
dem Menfchen, der ihn einmal erreicht bat, hypothetiſch
unmöglich wird, glückfeelig zu werden. Alsdenn wäre der
Menfch in eine Unglückfeeligfeit verfunfen, aus welcher er in
alle Ewigfeit nicht würde errettet werden. Ob es aber ei—
nen folchen Grad der menfchlichen Unglückfeeligkeit gebe, das,
läßt fich ſchwerlich ausmachen. So viel ift unleugbar, daß
alle menfchliche Unglückfeeligfeit, fie mag auch fo groß ſeyn
als fie will, an und vor fich felbjt betrachtet zufällig fen,
und es bleibt demnach an fic) allemal möglich, daß der uns
glückfeelige Menfch aus einer jedweden Art, und aus einem
jedweden Grade der menſchlichen Unglückfeeligfeit, ervettet,
und von demfelben befreyes werde,
Das
|
ur Su > 483
Das vierte Eapitel,
von dem
Urfprunge der menfchlichen Seele,
775
De Frage, von dem Urſprunge der menſchlichen Seele,
iſt mehr artig und neugierig, als nuͤtzlich. Ihre
Entſcheidung hat nicht den geringſten merklichen Einfluß,
in die Beförderung und Erhaltung der menſchlichen Glück
feeligfeit, und weder die Siteenlehre, noch die Arzneygelahr«
beit, noch irgends eine andere practifhe Wiſſenſchaft und
Kunft hanget, von der Unterfuchung des Urfprungs der
menfchlihen Seele, ab. Das Practifche in der ganzen
menfchlichen Erfenntniß erfodert, von der Lehre von der
menfchlichen Seele, weiter nichts, als daß fie die verfchies
denen Kräfte der Seele aufs genauefte unterfuche, und das
fan gefchehen, ohne daß wir willen, wie die Seele ihren
Urfprung genommen hat. Unterdeſſen da unfere Seele, der
wichtigfte Theil von uns, ift; fo ift es eine erlaubte und an—
ftändige Neugierigfeit, wenn man ein Verlangen trägt zu
wiffen, tie fie ihren Urfprung genommen habe. Wir Mena
fehen Fönnen davon fehr wenig fagen, und ic) will die ver-
fchiedenen Meinungen der Weltweiſen von diefer Sache er-
zehlen, und fie beurtheilen, fo viel als es in der Kürze gez
ſchehen Fan,
$. 776.
Die Erfahrung lehrt, daß der Menfch gezeuger und
gebohren wird, und es ift unleugbar, daß die menfchliche
Seele dur) die Zeugung und Geburt eben denjenigen Kör-
per befomme, den wir auf diefem Erdboden und in dieſem
Leben haben. Diefer Körper mag nun vorher in einer an—
dern Geftalt, oder als eine rohe und ungeformte Materie,
oder irgends auf eine andere Art da gemefen fenn; fo iftdoch
fo viel gewiß, daß er die gegenwärtige Ausbildung, Ges
ftalt und Einrichtung, in der Zeugung erlanget, und wie
Diefes zugehe und erflärt werden koͤnne, dasmuß in der Phys
552 fiologie
484 Don dem Urſprunge
fiologie unterfucht werden. Nun wollen wir fo fchliefien :
die menfchliche Seele ift entweder ſchon, vor der Zeugung
des Menfchen, würflich vorhanden z oder fie wird, .indem -'
Augenblife der Zeugung, hervorgebracht; oder fie wird,
einige Zeitnachber, wuͤrklich. Das erſte ift, die Meinung
der Pröeriftentianer. in Präeriftentianer nimt an, daß
die Seele eines jediweden Menfchen ſchon längft vor feiner
Zeugung , in der Welt vorhanden gewefen. Und da fan er
fich wieder, auf eine doppelte Art, erklären. Einmal fan
er annehmen, daß die Seele nicht von Ewigfeit her gewe—
fen, fondern daß fie in der Zeit entjtanden, entweder im
Anfange der ganzen Welt, oder zu einer andern Zeit, Viele
nehmen an, daß die ganze Welt einen Anfang genommen,
und daß GOtt, gleih am erften Schöpfungstage, alle
Subftanzen der Welt, und alfo auch alle menfchliche Sees
len‘, erfchaffen habe. Zum andern fan er annehmen, daß:
die Seele von Ewigkeit ber geweſen, und da behauptet er
entweder zugleich, daß fie von Ewigkeit her als eine Würs
fung der göttlichen Kraft würflich geweſen, oder daß fie une
abhänglich da gewefen. Das legte iſt ein grober Irrthum,
wie in der natürlichen Gottesgelahrheit erwiefen werden wird.
Ob es aber auch ein Irrthum ſey, zu fagen, daß die menfchs
liche Seele, oder ein anderes endliches Ding, von Ewig«
Eeit her, als eine Würfung GOttes, vorhanden feyn Fönne,
das wird ebenfals in der natürlichen Gottesgelahrheit unter-
fucht werden.
$. 77%
Nun find manche der Meinung, daß die Seele in
dem Augenblicke der Zeugung oder nachher, wahrender
Schwangerſchaft der Mutter, entftehe. Meinem Beduͤn—
Fon nad) fan man es wohl fehmerlicy, durch irgends einen
Grund, wahrfcheinlih machen, daß, wenn man annimt, -
Die Seele eines Menfchen fey vor feiner Zeugung nicht wuͤrk⸗
lich gewefen, fie einige Zeit nach der Zeugung hervorges
bracht werde. Denn wolte man fich darauf berufen, daß
die Mutter erit nach einigen Wochen, feitdem fie ſchwanger
ge⸗
der menfchlichen Seele. 485
geworden, das Leben der Frucht fühle: fo bemeißt diefes
nichts, weil es unleugbar ift, daß die Frucht ſchon vorher
lebendig fen, ob gleich auf eine der Mutter unmerflihe Art,
Es fcheint es vielmehr die Ordnung der Natur zu erfodern,
daß die Seele alfobald da feyn müffe, fo bald ihr Körper
wuͤrklich wird, folglich in dem Augenblide der Zeugung:
meil er ſchon in dieſem Augenblicke einigermaffen die Ges
ſchicklichkeit befist, die ein Korper haben muß, wenn er
von einer Seele bewohnt werden fol. Diejenigen nun, wels
che behaupten, daß die Seele des Menfchen in dem Augenz
blife der Zeugung entftehe, erflären ihre Meinung auf eine
doppelte Art. Einige fagen, daß fie in dieſem Augenblicke
aus Nichts hervorgebracht werde, und fie werden die In—
ducianer genennt, Wir werden in der natürlichen Gottes—
gelabrheit fehen, daß man durch die Schöpfung die
Handlung verftehe, Durch welche ein Ding aus Nichts gew
würft, oder hervorgebracht wird $.175. Folglich behaup-
ten die Inducianer, daß, wenn ein Menfch von feinen El»
tern gezeugt wird, fein Leib durch den Saamen in den Leib
der Mutter verfegt werde, um dafelbjt ausgebildet zu wer⸗
den, und zu feiner Reife zu fommen, und daß feine Seele
in demfelben Augenblicke erfchaffen, und in die genauefte Ge⸗
meinfchaft mit dem $eibeverfegt werde. Sienehmen alfo an,
daß durch eine befondere Handlung der Körper in den Leib der
Mutter verfegt werde, oder in demfelben feine Anlage ber
fomme, und daß durch eine Schöpfung der Einwohner die
fes Gebäudes hervorgebracht, und in feine Wohnung alfo-
bald eingeführt werde, Andere aber nehmen an, daß die
‚Seele des Kindes bey der Zeugung aus den Eltern entftehe,
und die werden die Traducianer genennt, Sie behaup-
ten alfo, Daß die Seele aus Etwas entftehe, welches vorher
da gewefen, Einige fagen, fie entftehe aus den Seelen ver
Eltern, einige leiten fie aus der Seele des Vaters her, ei-
nige aus den Körpern der Eltern. 5a einige haben gemiffe
Zeugungsgeifter erdichtet, vermittelft welcher die Geele des
Kindes aus den Eltern gebildet würde, indem diefeiben, den
553 Stof
486 Von dem Urfprunge
Stof zu der neuen Seele, aus den Eltern nähmen, und fie
aus demfelben hervorbrächten, mie 5. E. ein Goldſchmid,
aus einem, Stüde Silber, etwas verfertiget. Die ganze
Meinung der Traducianer ift ungereimt, wie wir balde fe-
ben werden, und fonderlich die Meinung von den Zeugungss
geiftern. Das beißt verborgene Kräfte und Eigenfchaften
annehmen, um daraus die Erfcheinungen zu erklären: und
Das iſt, mie ein jeder aus der Bernunftlehre weiß, dem
Character der wahren Weltweisheit vollfommen zumider,
9. 778.
Wir haben noch eine Meinung, von dem Urfprunge
der menfchlichen Seele, zu unterfuchen, welche man die
Meinung der Crestianer nennt, vermöge welcher man be⸗
hauptet, daß. die menfchliche Seele aus Nichts ihren Urs
fprung habe; oder daß, eine jedwede menfchliche Seele,
erfchaffen fen. Der Creatianer fan annehmen, daß die
menfchliche Seele von Emigfeit her von GOtt gefchaffen fer,
das ift, daß fie als eine beftändige Würfung GOttes von
Ewigkeit her da gewefen, und er Fan alsdenn unmöglic) bes
haupten, daß fie aus einem Etwas, welches vor ihr ſchon
da gemefen wäre, entftanden fey; oder er fan annehmen,
daß dieſe ganze Welt einen Anfang gehabt, und daß vie
Seele, mit allen übrigen Subftanzen der Welt, gleich bey
dem erften Anfange der Schöpfung, von GOtt erſchaffen
fen; oder er fan annehmen, daß die Seele, in dem Aus
genblicke der Zeugung des Menfchen, oder einige Zeit nach⸗
ber, von GDre erfchaffen werde, Wenn wir nun diefe
Meinung mit den vorhergehenden Meinungen vergleichen,
fo erhelfet daraus erftlich, daß Fein Traducianer ein Creas
tianer, und Fein Creatianer ein Traducianer feyn Fünne:
denn ihre Meinungen widerfprechen einander aufs offenbar-
fie $.777. Der Traducianer fagt, die Seele entftehe aus
den Eltern, und alfo aus Etwas, welches vorher da gewe—
fen, ver Ereatianer aber leugnet dieſes. Wenn man alfo
erweifen fan, daß die Creatianer Recht haben, fo find eben
Dadurch die Traducianer vollig widerlegt. Zum andern,
alle Inducianer find Creatianer: denn fie behaupten, daß
die
|
|
der menfchlichen Seele. 457
die Seele aus Nichts entſtehe $. 777. Allein nicht ein jeder
Ereatianer ift ein Inducianer, weil er annehmen Fan, daß
die Seele ſchon vor der Zeugung des Menfchen erfchaffen
worden. Zum dritten, ein Präeriftentianer ift nicht noth—
wendig zugleich ein Creatianer. Er behauptet nur, daß die
Seele vor der Zeugung des Menfchen da gemefen, und da
fan er verfchiedene andere Irrthuͤmer, mit feiner fonft richti—
gen Meinung, verbinden. Er fan fagen: die Seele ift
von Emigfeit, ohne gefchaffen zu feyn, da gemefen; oder
fie ift ein Theil GOttes, und bey der Zeugung des Mene
fchen von GOtt abgefondert, und in die Materie gefenft ;
oder fie ift materiel, und fan alfo aus etwas vorhergehen=
- den, lange vor der Zeugung des Menfchen, entftanden ſeyn.
Er fan aber zugleid) ein Creatianer feyn, wenn er annimt,
daß die Seele vor der Zeugung des Menfchen erfchaffen fen.
Eben fo ift der Creatianer nicht nothwendig zugleich ein Prä=
eriftentianer „ weil er annehmen Fan, daß die Seele, erft bey
der Zeugung des Menfchen, oder nachher erfchaffenfey. Er
fan aber zugleich ein Präeriftentianer feyn, weil er annehmen
fan, daß die Seele vor der Zeugung des Menfchen erjchaf-
fen worden,
ö $. 779%
Was nun die bisher erklärten Meinungen von dem
Urſprunge der menfhlichen Seele betrift, fo befteht das ein-
zige, was mit Gewißheit entfchieden werden Fan, darin:
daß die Ereatianer überhaupt recht haben, und die Tradus
cianer irren. Denn feine einzelne endliche Subftanz, wenn
fie entfteht, Fan aus Etwas entftehen. ine Materie, ein
Ganzes, welches aus vielen auffer einander befindlichen
Subftanzen beteht, Fan allerdings aus Etwas entftehen,
welches vor ihr ſchon wuͤrklich iſt. Denn ihr Weſen be-
ſteht in der Art und Weife, wie ihre aufler einander befind-
lichen fubftantiellen Theile bey einander find $.182. Wenn
alfo gleich dieſe Theile würklic) find, fo ift die Materie dem-
ohnerachtet noch nicht wuͤrklich, fo lange fie einander nicht
auf Die Art zufammengeordnet find, wie fie es: in ihr
feyn muͤſſen. Folglich Fan eine Materie, die aus vielen
Hh 4 Sub⸗
488 Von dem Urfprunge
Subftanzen beftcht, dergeftalt entftehen, daß viele ihrer
Theile fehon vorher würflich find, und es ift alfo nicht no»
thig, daß fie aus Nichts entſtehe, fondern fie Fan aus Er-
was entftehen S.175. Allein in einer einzigen Subſtanz fan
‚nichts von einander unterfchieden werden, als das Gubftan-
tielle und ihre Accidenzien. $.154. Die Accidenzien koͤn—
nen nicht vor ihrer Subftanz wuͤrklich ſeyn, denn fie fönnen
nicht auffer der Subftanz würflich ſeyn $.156. Das Sub-
ſtantielle iſt die Subftanz felbft $. 157. und wenn es alfo vor
der Subftanz wuͤrklich wäre, fo wäre die Subftanz eher da,
ehe fie ivürflich wäre. Kan etwas ungereimteres gefagt
werden? Folglich Fan fein Theil einer einzeln Subſtanz
vor ihr da ſeyn, und folglich Fan Feine endliche Subftanz,
wenn fie entfteht, anders als aus Nichts entftehen 8. 175.
Die menſchliche Seele ift nur eine einzige Subſtanz $. 738.
und fie ift entweder von Ewigkeit her geweſen, oder fie ift
in der Zeit entftanden. Iſt das erfte, fo wäre es der un
gereimtefte Widerfpruch, wenn man fagen wolte, fie wäre
aus Etwas entftanden. Man muß alfo in diefem Falle fa
gen, daß fie von Ewigkeit her von GOtt aus Nichts gewuͤrkt
worden. Iſt das andere, fo ift fie aus Nichts hervorges
bracht. Folglich haben die Creatianer Recht $.778. Ob
fie aber von Ewigkeit her von GOtt erfchaffen und gewuͤrkt
worden; oder ob fie vor der Zeugung des Menfchen, 3. E.
im Anfange der ganzen Welt , oder in dem Augenblicke der
Zeugung von GoOtt erſchaffen worden : das ift nicht fo leicht
zu entfcheiden. In der natürlichen Gottesgelahrheit werde
ich, die Meinung von der Ewigkeit der endlichen Dinge, ges
nauer unferfichen. Hier will ich nur mit wenigem bemers
fen, daß es wahrfcheintich fen, daß die Seelen der Mens
ſchen, ſchon vor der Zeugung der Menfchen, da geweſen.
Denn wern man annimt, daß in der Welt Fein leerer Raum
ſey: fo fan GOtt keine neue Subftanz in die Welt fo zu
reden einfchieben, weil eine jedwede Subftanz in der Welt,
einen eigenen befondern Dre, haben muß. Und da alle
Subſtanzen in der Welt in einander wirfen, fo würde, durch
die Hervorbringung einer neuen Subſtanz, der allgemeine
ge:
der menfehlichen Seele. 489
gegenfeitige Einfluß in der Welt vergröffert, und es würden,
dunch die Hervorbringung einer einzigen neuen Subftanz, die
Kräfte aller übrigen vermehrt, welches nicht wahrfcheinlich
zu ſeyn feheint, !
| G. 780.
Die Meinung der Traducianer widerfpricht, der Mei«
nung der Creatianer, offenbar $. 778. Da nun die legte
wahr ift, $.779. fo muß die erfte falfch fern. Ein Tradu—
cianer mag fic) erflären wie er will, fo fält er ins unge
veimte, Wolte er fagen, evftlich, baß die Seele des Kin—
des aus den Seelen der Eltern entftinde: fo Fan man ihn
fragen, wie diefes zugehen folle? Nimt er die Zeugungs⸗
geifter zu Huͤlfe, fo macht er fich lächerlich $. 777. Sagt
er, daß die Seele ves Kindes aus den Seelen der Eltern
entftehe, wie ein Flaͤmlein aus einem andern Flaͤmlein ent:
zuͤndet wvird: ſo iſt dieſes ein bloſſes Gleichniß, welches
nichts erweiſet. Es iſt noch dazu ein ungluͤckliches Gleich—
niß, weil es ſich gar nicht paßt, indem eine Flamme von
der andern, durch eine Fortpflanzung der Bewegung, ent⸗
zuͤndet wird. Und wenn er ſagen wolte, daß ein Theil der
Seelen der Eltern von den uͤbrigen abgefondert, und zur
Seele des Kindes werde: fo muß dieſer Theil vor fich beftez
hen, und eine Subitanz feyn. Folglich müften die Seelen
der Eltern feine einzelne Subjtanzen, fondern Inbegriffe
vieler Subftanzen feyn, und das ift ungereimt 8.738. Nun
Fönnte zum andern ver Traductaner fagen, Daß die Seele
des Kindes aus den Leibern der Eltern entftehe. Folglich
müfte ein Theil ber Leiber der Eltern, bey der Zeugung des
Kindes, von den übrigen abgefondert, und zur Geele des
Kindes werden. Die Leiber der Citern beftehen, wie alle
Körper, aus vielen Subftanzen. Folglich wiirde bey der
Zeugung, entweder nur eine Subſtanz aus ven teibern der
Eltern abgefondert, und zur Seele des Kindes, oder ein fol: .
cher Theil, welcher aus vielen Subſtanzen befteht, Iſt das
legte, fo müfte die Geele des Kindes aus vielen Subftan-
zen beſtehen, und das ift ungereimt $. 738. Iſt vas erfte,
955 ſo
499 Don dem Urfprunge
fo entfteht die Seele des Kindes nicht, fondern fie ift ſchon
‚Jängft vor der Zeugung, als eine einzelne Subftanz, in den
$eibern der Eltern da geweſen. Folglich Ean, die Meinung
ber. Traducianer, auf Eeinerley Weife angenommen werden.
S., 75
Die unleugbare Erfahrung lehrt, daß die menfchlis
chen Seelen fortgepflanzt werden. Nemlich, da täglich
Menfchen gezeugt und gebohren werden, fo ift offenbar, daß
immer andere und andere menfchlihe Seelen mit folchen
Seibern vereiniget werden , dergleichen wir auf diefem Erds
boden haben. And das gefchieht durch eine beftändige Ver⸗
mehrung der Menfchen, indem die Kinder auf die Eltern
folgen, und von diefen gezeuat und gebohren werden. Die
Seelen der Kinder werden famt ihren $eibern aus den El—
tern herausgeführt, wie aus einem mütterlichen Erdreiche
eine Pflanze hervorbricht. Die Kinder gehen wie Colonien
aus ihren Eltern heraus, fie fangen an neue Pläge zu be:
wohnen, uhd werden dadurch von ihren Eltern abgefonder-
te Perſonen, welche vor ſich als denfende und vernünftige
Perfonen ihre Rolle zu fpielen anfangen, Auf die Weife
pflanzen fi Die menfchlichen Seelen fort, oder überhaupt
die Menfchen, und vermehren fich, wie die Pflanzen, und
alle andere Thiere, die wir auf dem Erdboden gewahr wer⸗
den. Diefe Abftammung der Menfchen, und infonderheit
ihrer Seelen, von einander, ift nun die Fortpflanzung
der menfchlichen Seele, welche überhaupt nichts in fid)
enthält, welches nicht, um der unleugbaren Erfahrung wil—⸗
len, mit der vollfommenften Gewißheit angenommen wer=
den Fan; obgleich, wie wir alfobald fehen werden, die weis
tere Erklärung diefer Fortpflanzung, fehr vieler Schwierige
keit und Ungewißheit unterworfen ift. Man fan alfo ans
nehmen, daß in der beiten Welt, eine doppelte Art der
denfenden Subftanzen und Geifter, angetroffen werden.
Zu der erften gehören diejenigen, welche nicht von einander
abftanımen, fondern die zugleich zum Bewußtſeyn ihrer
felbft gelanget find: mie die Bibel von den Engeln het
hert.
un Dre A
—
der menfchlichen Seele. 491
chert. Und zu der andern gehören Diejenigen, die von eins
ander abftanımen, und Dadurch eine nad) der andern zum
Bewußtſeyn gelangen. Beyde Arten find, in der beften
Melt, nöthig. Die Körpermelt iſt wie eine Stadt zu bes
trachten, von welcher, gleich vom Anfange an, eine gewiffe
Anzal Häufer aufgebauet worden, und da muften auf eins
mal fo viel denfende Subftanzen da feyn, als nöthig waren,
diefe Gebäude zu bewohnen. Und da war es alfo unnöthig,
Daß diefe denfende Subftanzen und Geifter einander forts
pflanzten. Allein diefe Stadt wird immer mehr angebauef,
und es werden immer mehr Gebäude, hinzugebauet. Folg«
lich würden die alten Einwohner nicht zureichen, dieſe neuen
Gebäude zu bewohnen, Und es hat es demnach der Urhe—
ber der Welt vergeftalt eingerichtet, daß einige denfende
Wefen, wie die menfchlichen Seelen, fortgepflanzt werden,
damit die Wohnpläße, welche nach und nad) fertig werden,
ihre Einwohner befommen.
$. 782.
Nun frage fichs, wo die Seele felbft, ihrer Subftanz
nach, bey ihrer Fortpflanzung herfomme? Die Erfahrung
lehrt uns weiter nichts, als daß immer andere und andere
menfchliche Seelen, durch) Die Zeugung und Geburt, mit
folhen Körpern vereiniget werden, dergleichen wir auf Dies
fem Erdboden haben, und daß fie dadurch zum Bewußtſeyn
ihrer felbft gelangen. Allein die Subftanz der Seele feibft
fan, ohne Bewußtfenn ihrer felbft, ſchon vorher da ges
weſen feyn, fie Fan aber auch nicht vorher da geweſen feyn,
Folglich fan man fi), bey der Fortpflanzung der menſch—
lichen Seelen, auf eine doppelte Art erklären, Ein—
mal wenn man annimt, daß, bey diefer Fortpflan—
zung, die menſchliche Seele ihrer So nach entftehe,
Und da muͤſte man annehmen, daß bey der Zeugung eines
Menfhen nicht nur fein Körper, fo wie er ihn auf dieſem
Erdboden hat, entſtehe; fondern daß auch feine Seele, wel⸗
che mit diefem Körper in der genaueften Gemeinfchaft fteht,
ihren Anfang nehme, und daß fie alfo vorher gar nicht wuͤrk—
lich,
493 Von dem Urſprunge
lich, ſondern eine bloß moͤgliche Subſtanz geweſen. Und
da Fan man ſich wiederum, auf eine dreyfache Art, erklaͤ—
ron. 1) Wenn man zugleich ein Traducianer ift, und an
nimt, daß die Seele des Menfchen, bey feiner Zeugung,
aus den Eltern entftehe, Allein diefe Meinung iſt falſch
$. 780. Alle Traducianer nehmen auch die Fortpflanzung
der menfchlichen Seele an: denn die fan Fein Menfch leug—
nen. Allein wer da fagt, die menfchlichen Seelen werden
fortgepflanze, ift nicht gleich ein Traducianer, weil er fich
auf verfchiedene andere Arten erklären fan, wie wir gleich
fehen werden. Und wenn ein Traducianer vorgeben folte,
daß er allein die Fortpflanzung der menfchlichen Geele bes
baupte, und daß feine Meinung in der Behauptung diefer
Fortpflanzung beftehe: fo verräth er feine tiefe Unwiſſenheit.
2) Wenn man zugleich ein Inducianer ift $. 777. und ans
nimt, daß GOtt, in dem Augenblide der Zeugung, die
Seele des Kindes ſchaffe, und fie mit dem erzeugten Körper
in Muterleibe vereinige. Diefe Meinung Fan, nach uns
fern jeßigen Einfichten, nicht mit völliger Gewißheit wider:
legt werden, fondern nur mit Wahrfcheinlichfeit , wenn man
nemlich die Meinung der Präeriftentianer wahrfcheinlich zu
machen im Stande ift 9.778. 3) Wenn man annimt, daß,
bey der Zeugung des Menfchen, die Seele des Kindes von
den Eltern, von der Seele des Vaters, oder von der Ges
le der Mutter, oder von beyden zugleich, aus Nichts her—
vorgebracht werde. Es ift ein groffer Unterfchied, ob man
fage: die Seele des Kindes entftehe aus den Eltern, oder
fie entftehe von den Eltern. In dem erften Falle ſagt man,
der Stof zu der Seele des Kindes werde aus den Eltern genom=
men, und das ift ungereimt $.790. In dem andern aber
fagt man, die Eltern find die würfenden Urſachen der Sees
le des Kindes. Auf eine ähnliche Art fagt man, daß ein
Tiſch aus dem Holze, und nicht von dem Holze entftehe, er
entſteht aber von dem Tifcher, nicht aber aus dem Tifcher.
Und hier Fan man fich wieder, auf eine doppelte Art, ers
klaͤren. Einmal fonnte man annehmen, daß die Seelen der
Eltern
der menfchlichen Seele. 493
Eitern eine folche Schöpferskraft befäffen, Durch welche fie
eine Subftanz ihrer Art aus Nichts hervorbringen koͤnnten,
fo daß GOtt dabey weiter nicht mitwürfe, als er, nach
Auffage der natürlichen Gottesgelahrheit, bey allen nakürlis
chen Handlungen der Creaturen würffam ſeyn muß: Als
lein diefe Meinung ift gar nicht, dem Character der wahren:
Weltweisheit, gemäß. Wir haben gar Feinen beftimten
Begrif von diefer Schöpfersfraft, und wir koͤnnen cs durch
feinen einzigen Grund wahrfcheinlich machen, daß eine end-
liche Subftanz eine fd mächtige Kraft haben folte, welche da-
zu erfodert wird, wenn eine andere endliche Subftanz aus.
Nichts hervorgebracht werden fol, Diefe Meinung fält
ohnedem weg, wenn man Die Meinung der Präeriftentianer
wahrfcheinlich macht $. 779. Zum andern Fünnte man ſa⸗
gen, daß GOtt, bey der Zeugung des Menfchen, das
Subftantielle der Seele des Kindes, famt den meiften und
gröften Realitäten derfelben, erfchaffe; daß aber die Seelen
der Eltern, in demfelben Augenblicke, bey der Hervorbrins
gung der Seele des Kindes, zugleic) würffam wären, und
in dem Augenblicke, da GDtt diefe Seele fchaft, die übris
gen eingefchränften Nealitäten hinzufuͤgten, und daß fie der—
geftalt die Mitfchöpfer der Seele des Kindes wären. GOtt
müfte alfo den Seelen der Eitern eine ſolche beſondere Kraft
aegeben haben, vermöge welcher fie im Stande wären, ei»
nige Subftanzen ihrer Art, zugleich in einer genauern Gefells
ſchaft mit GOtt, zu erſchaffen. Diefe Meinung würde, die
Fortpflanzung der Erbfünde, gut erklären. Allein das Fan
fein pbilofophifcher Entfcheidungsgrund feyn, meil die Erb»
finde auf eine andere Art entftehen Fan, und folten wir auc)
gleich diefe andere Art nicht angeben koͤnnen. Wir Mens
ſchen muͤſſen die geoffenbarten Wahrheiten annehmen, und
wenn wir auch gleich nicht im Stande find, fie phitofophifch
zu erflären. Auch diefe andere Meinung fält weg, wenn
man die Meinung der Präeriftentianer wahrfcheinlich macht
$.779. und fie it dem Character der wahren Weltweisheit
zumider, Sie erftäre, den Urſprung der menfchlichen See:
le,
494 Von dem Urfprunge
fe‘, aus einer verborgenen Eigenſchaft der Seelen der El—
tern. Wir haben auch von diefer Mirfchöpfersfraft feinen
beftimten Begrif,_und meines Willens ift man noch nicht
im Stande gewefen , einen wahren philofophifchen Grund
anzugeden, durch weichen fie nur einigermaffen wahrfcheins
lich) gemacht werden könnte.
$. 783.
Zum andern Fan man fih, bey der Fortpflanzung der
menfchlichen Seele, dergeftalt erflären, daß man annimt,
die Seele entftehe nicht bey der Zeugung, fondern fen ſchon
lange vorher entweder von Ewigkeit her, oder vom Anfan—
ge der Welt an wuͤrklich geweſen. Und da koͤnnte man
denn fagen, daß die Seele von Ewigkeit her oder in der Zeit
unmittelbar und allein von GOtt erfchaffen, und daß GOtt
zugleich einen unendlich Eleinen Körper zugerichtet, und ihn
alfobald mit der Seele in die genauefte Gemeinfchaft gefeßt.
Daher der ganze Menfch nach Leib und Seele, als ein un-
endlich kleines Thierchen, ſchon längft vor der Zeugung in
der Welt geweſen. ge weiter nun diefes Thierchen in der
vergangenen Zeit, von dem Zeitpuncte der Zeugung, Da eis
ne fo merfliche und groffe Veränderung mit ihm vorgeht,
und da esaus der Dunkelheit, in welcher es vorher ver«
fteckt gelegen, auf einen groͤſſern Schauplaß hervorgeht,
entferne iſt, defto unvollfommener ift es, defto dunfeler find
die Vorftellungen feiner Seele, und defto ungefchickter iſt
fein Leib zu den barmonifchen Veränderungen. Se näher
es aber diefem merkwürdigen Zeitpuncte ruckt, indem im:
mer feine nähere Boreltern auf feine entferntern folgen, deſto
mehr entwickelt fich feine Seele und fein Körper... Die Duns
felheit der Erfenneniß in jener nime immer mehr ab, und
der Körper wird immer zu den harmonifchen Veraͤnderun—⸗
gen gefchickter, bis endlic) der Zeitpunct der Zeugung komt.
Alsdenn wird diefes Thierchen, durch den männlichen Saas
men, in welchem es kurz vor der Zeugung fich befindet, das
ber man es auch ein Saamenthierchen nennt, in den Leib
der Mutter, als in ein fruchtbares Erdreich, verpflanzt, Und
da
der menfeblichen Seele 495
da fan man annehmen, daß die Seele den erften Schimmer
der Klarheit der Erfenntniß empfange, indem fie Furz vor»
her fih, vom Anfange ihrer Dauer an, nur bis zu dem
Grade der Dunkelheit durchgewunden, welcher der leßte vor
der Morgendemmerung in der Seele ift; und daß der Körs
per den erften Anfaß von derjenigen Einrichtung eines thierie
ſchen Körpers befomme, den unfere Körper auf diefem Erds
boden haben. Wenn man diefe Meinung annime, fo Fan
man ohne Schwierigfeit einfehen, woher die menfchliche
Seele gekommen, indem man zugleich die Meinung des
Creatianers und Präeriftentianers behaupte, Man darf
alfo nicht annehmen, daß den menfchlichen Geelen eine
Schöpfersfraft beygelegt werden Fünne, ihres gleichen her—
vorzubringen. Desgleichen ift auch der Urfprung eines
fo Fünftlich gebaueten Körpers, als der menfihliche ift, be»
greiflich, und man darf hernach nicht zu den feltfamen Eins
fällen feine Zuflucht nehmen, als wenn der menfchliche Kör-
per durch die bloffe Wärme im Mutterleibe gebildet würde,
oder als wenn die Seele der Mutter oder des Kindes diefen
Körper bauete, welche in der Phnfiologie weiter beurtheilt
werden muͤſſen. Hernach fan man auch fagen, daß die
Erfahrung diefer Meinung ſehr günftig fey. Die Natur:
forfcher Haben, in den Saamen der Thiere, Thierchen be«
obachtet, und da koͤnnen es alfo diejenigen feyn, von wel—
chen in diefer Meinung geredet wird. Unterdeſſen wollen
andere Naturforfcher, die Wuͤrklichkeit ſolcher Thierchen in
dem Saamen, leugnen. Und die fie behaupten, mollen
viele hundert in einem einzigen Tropfen bernerft haben, Da
nun wenigftens mehrentheils nur Ein Menfch gezeugt wird,
fo würde GOtt die allermeiften dieſer Thierchen vergebens
erfchaffen haben, Allein dawider Fan man einwenden , daß
wir die Abfichten GOttes bey. diefen Thierchen nicht alle
wiffen, und daß aus unferer Unwiſſenheit nichts gefchloffen
werden koͤnne. Ferner beobachtet man ben den Pflanzen,
daß diefelben in ihren Saamenförnern fchon vorher gebildet
find, ehe fie noch hervormachfen, da fie doch lange nicht fo
kunſt⸗
496 - Don dem Urſprunge
. Funftreiche Körper find, als die .tbierifhen. Und wenn
man auf das Yusbrüten der Ever unter den Vögeln achtung
gibt, fo Fan auf Feine andere, Art nur einigermaffen daffelbe
erklärt werden, als wenn man annimt, daß der ganze Vo—
gel als ein. Saamenthierchen ſchon in dem Eye angetroffen
werde,
; G' ‚784, a
Wenn man die, in dem vorhergehenden Abfage vor:
getragene, Meinung von ber Fortpflanzung der Menfchen
annimt, fo fan man die Frage aufwerfen: wo denn die
Thierchen, aus denen nach) und nad) diejenigen Menfchen
werden, die den Erdboden bevölfern, feit. dem Urfprunge
der Welt gewefen, und wie fie in den männlichen Saamen
fommen, damit fie vermittelft deffelben in den Leib der Mut—
ter verpflanze werden fönnen ? Und da Fan man wieder, eis
ne Doppelte Meinung, annehmen, Einmal koͤnnte man anneh—
men, daß diefe Thierchen hier und da, auffer den Men:
ſchen, auf den Eroboden zerjtreuet wären; daß fie in den
Pflanzen und andern Dingen befindlich wären, welche die
Menfchen zu ihren Nahrungsmitteln brauchen; daß fie,
durch den Genuß diefer Nahrungsmittel, in die $eiber der
Menfchen, ins Blut, und endlich, bey der Abfonderung
des Saamens, in denfelben verfegt würden. Doch dieſe
Meinung ft, um am gelindeften Davon zu urtheilen, höchft
unmwahrfcheinlich. Denn einmal wäre gar nicht zu begreis
fen, warum GEOtt zweyerley Gefchlechter der Menfchen zur
Fortpflanzung des menfchlichen Gefchlechts gemacht hätte,
da die Weiber mit den Männern eineriey Nahrungsmittel.
genieffen, und dadurch eben fo wohl die Saamenthierchen
in ihren Leib befommen koͤnnen, als die Männer, Und
zum andern geniejfen Die übrigen Thiere des Erdbodens mit
uns Menfchen einerley Nahrungsmittel, und pflanzen fich
auch eben fofort, als die Menfchen. Folglich Fönnte ein Saas
menthiercyen, woraus ein Menfch werden foll, in einen
Hund, und ein folches, woraus ein Hund werden foll, in
einen Menfchen Eommen, Allein die Thiere zeugen nur ime
mer
der menfeblichen Seile, 497
mer ihres gleichen. Wolteman eine unmittelbare Regierung
GOttes annehmen, vermöge welcher nur die Saamenthier-
chen in die Thiere ihrer Art geführt werden; oder wolte
man fagen, daß aus einem IThierchen ein Menfeh werden
fönne, wenn es in einen Menfchen komt, und ein Hund,
wenn es in einen Hund komt; oder daß nur die TIhierchen
in den Thieren ihrer Art betleiben koͤnnen, und daß ſie,
wenn ſie in Thiere anderer Art Fommen, wieder ausgewor—
fen werden, oder ausdunften: fo find diefe Einfälle entwes
der offenbar ungereimf, wie z. &. der zweyte, als welcher
dem Saße des zureichenden Örundes widerſpricht; oder fie
find doch ſo wenig philofopbifch, daß fie bloß auf ein Geras
thewohl, ohne den geringften wahrfcheinlichen Grund, ans
genommen werden.
g 785.
Zum andern Fan man annehmen, daß ein Saamen⸗
thierchen in dem andern ſtecke, daß ein jedweder Menſch
die Saamenthierchen aller ſeiner Nachkommen in ſeinem
Leibe habe, und daß ein jedwedes Saamenthierchen ſchon
in ſich, die Saamenthierchen aller ſeiner Nachkommen, ent⸗
halte. So haͤtte Adam olle Menſchen ſchon in feinen Len⸗
den getragen, und alſo auch z. E. das Saamenthierichen,
woraus Abraham geworden. Und in dieſem Saamenthierchen
lagen ſchon, alle Juden, als Saamenthierchen. Als nun
Abraham den Iſaac zeugte, ſo gieng Iſaac aus dem Leibe
ſeines Vaters heraus, und nahm mit ſich zugleich, in ſich
eingeſchloſſen, das ganze Geſchlecht feiner Nachkommen.
Und als dieſer den Eſau zeugte, ſo giengen mit dem alle
Saamenthierchen feiner Nachkommen fort, die in ihm eins
gefchloffen waren u. ſ. w. Und dergeftalt koͤnnte man recht
im eigentlichften Verſtande mit der heiligen Schrift fagen,
daß die Nachkommen in den Senden ihrer Vorfahren, vor
ihrer Geburt, wuͤrklich geweſen. Diefe Meinung macht
der Einbilbungsfraft die gewaltigfte Schwierigkeit, indem
es ganz unbegreiflich zu feyn feheint, wie in einem Saa—
menthierchen, welches Faum durch ein Bergröflerungsglaß
3, Theil, Ji geſehen
495 Von der Unfterblichkeit
geſehen werden kan, ſo viel tauſend andere Saamenthier—
chen Kaum haben koͤnnen, und dieſe muͤſſen auch wiede—
rum in einander ſtecken. Hier kan man ſich bloß auf die
unendliche Theilbarkeit der Materie berufen, indem Mil
lionen Theile in dem Raume eines Sandforns auffer und
neben einander feyn Fönnen. Uud da ben diefer Meinung
alle Schwierigkeiten wegfallen, welche die übrigen Mei:
nungen von dem Urfprunge der menfchlichen Seele verdäd)-
tig machen: fo Fan man diefelbe, für die wahrfcheinlichite,
alten. Ich Fonnte mich noch länger dabey aufhalten, als
lein ich babe nur die Abficht gehabt, fo viel von diefer Sa—
che zu fagen, als nörhig ift, um das eigene Nachdenken
der Sefer zu befördern. Meine $efer mögen alfo felbit beur—
teilen, welche Meinung unter denen angeführten fie, für
die wahrfcheinlichfte, halten wollen.
Das fünfte Eapitel,
Bon der Linfterblichkeit der menfihlichen Seele.
$. 786.
Hi ift der Ort, mo in der vernünftigen Pfychologie von
der Unfterblichfeit der menfch)lichen Seele, und dem
phyſiſchen fo wohl, als auch von dem moralifchen Zuftande
derfelben, nad) dem Tode des Menfchen und des Körpers,
gehandelt werden muß. Es ift eine unnuͤtze Neugierigfeit,
zu fragen, wie es unferer Seele vor unſerer Geburt erganz
gen: denn diefen Zuftand der Seele haben wir überftan=
den, und wir gerathen in Ewigkeit nicht wieder in denfelben.
Allein da wir alle fterben müffen, fo fteht uns der Zuftand
nach dem Tode unausbleiblicdy bevor, und es ift demnach
eine fehr wichtige Sache für uns Menfihen, daß wir uns
nicht nur Überzeugen, unfere Seele werde ewig leben, fon-
dern daß wir auch zum voraus zu erfennen fuchen, in was
für einen Zuftand unfere Seele nad) unferm Tode gerathen
werde, Allein ich werde diefe wichtige Materie, mic einem
ganz.
der menſchlichen Seele. 499
gaͤnzlichen Stillſchweigen, hier uͤbergehen. Ich habe, in
‚meinen Gedanken von dem Zuſtande der menſchlichen
Seele nach dem Tode, und in dem Verſuche eines ma⸗
thematiſchen Beweifes, daß die menfchliche Seele
ewig leben werde, desgleihen in den verfchiedenen Ver—
theidigungen diefer beyden Schriften, alles von diefer Ma—
terie ausgeführt, was fich, meinem Bedünfen nach, nach
unfern dermaligen Einfichten von derfelben vernünftig ſagen
fäßt. Und da ich nun nicht gerne in meiner Metaphyſik,
meine eigenen ſchon herausgegebenen Schriften, abfchreiben
möchte: fo will ich meine Leſer, die etwa begierig find zu
wiffen, was id) von der Unfterblichfeit der Seele, und ih—
tem Zuftande nach dem Tode behaupte, auf die angeführ-
ten beyden Schriften verweifen.
EEE KELLER HF HK HR HK FR KL RE FE NR EEE KR 8
Das fechfte Capitel,
von den
denfenden Subftanzen, welche auffer der menſch⸗
lichen Seele noch in der Welt angetroffen
werden.
$ 787.
rien wir num alles von der menfchlichen Seele ge⸗
fagt haben, was von ihr nach) unfern dermaligen Ein-
fichten in die Natur derfelben gefagt werden Fan: fo wollen
wir noch, zum Befchluß der Pfychologie, von den übrigen
Seelen, oder von den übrigen denfenden Subftanzen han—
deln, von denen wir entweder mit Gewißheit, oder mit
MWahrfcheinlichkeit, fagen koͤnnen, daß fie auffer der menfchs
lichen Seele in diefer Welt würflich find. Und da wollen
wir ung vor allen Dingen überzeugen, daß eine jedwede den«
kende endliche Subftanz, mit einem Körper, in der genaueften
Gemeinfchaft ftehe, mit demſelben ein Thier ausmache, und
daß fie alfo eine Seele fey, Nemlich eine jedwede denfen-
i2 de
500 Don den dentenden Subftanzen in der Welt
de Subftanz ift, in Diefer Welt, an einem gewiſſen Orte
wuͤrklich $. 363. 371. an welchem fie, mit Körpern umringt
ift. Da es nun unmöglich. ift, daß alle Körper. in dieſer
Melt ihr gleich nahe ſind: fo ift Ein Körper ihr der näd)-
fte, und es hat alfo, eine jedwede denfende Subitanz in die-
fer Welt, einen gewiſſen Sig $. 756. Nun wuͤrkt fie in
alle Körper in diefer Welt, und alle Körper würfen wieder-
um auf fie zurück; oder fie jteht, mit einem jedweden Kör-
per, in einem gegenfeitigen Einfluffe $. 442. Alleın da es
unmoͤglich ift, daß fie mit zwey Körpern in einer vollfom-
men gleichen Verbindung ftehen folte $.2ır. fo ftebt, eine
jedwede denfende Subftanz, mit Einem Körper, in dem al—
Iergröften gegenfeitigen Einfluſſe. Diefer Körper ift ihr
Sitz, weil fie in denfelben unmittelbar würft, und von dem:
felben unmittelbar leidet. Folglich würft fie in alle übrige
- Dinge inder Welt, und leider von ihnen, vermittelft diefes
Körpers, weil fie von ihr weiter entfernt find, als diefer
Korper. Ferner ftelt fie fich alles in der Welt vor $. 740.
nac) ihrer eigenen Stellung in der Welt $. 369. melche
durch den Körper beftimt wird, der ihr Siß iſt. Folglich
ſtelt fie ſich dieſen Körper unmittelbar vor, und die übrigen
Dinge nach ihrem Verbältniffe gegen diefen Körper; indem
es unmöglich ift, daß fie fich, alles in der Welt, in einem
gleichen Grade vorftellen folte $. aır. Folglich. hat, eine
jedwede denfende Subftanz in der Welt, einen Körper zu
ihrem Siße, mit dem fie ftärfer verbunden ift, als mit allen
übrigen, deſſen fie fich unmittelbar bewußt ift, in den fie
unmittelbar würft, von dem fie unmittelbar leidet, und vers
mittelſt deſſen fie ſich das übrige. in der Welt vorftelt, und
durch. welchen fie, mit den übrigen Dingen in der Welt, in
einem gegenfeitigen Einfluffe fteht. Da nun, ein folcher
Körper, der Körper einer Seele ift: fo haben alle denkende
Gubitanzen in der Welt einen Körper, und find demnad)
Seelen, Wenn man diefen Beweis, auffer dem Syſtem
der Pfychologie, abbandeln müfte : fo müfte er frenlich viel
weiter ausgeführt werden, wenn er überzeugend en
Hein
aauſſer der menfchlichen Seele." 7 szor
Allein ich habe nur fo viel fagen dürfen, als nöthig ift, um
den Leſern alles aus der ganzen Pfychologie ins Gedaͤchtniß
zu bringen, was diefem Beweife eine vollkommen überzeus
gende Stärfe geben fan.
$. 788.
Eine jedwede denfende Subftanz, oder eine jedwede
Eeele $.787. bat ein Vermögen zu denfen 9.371. Folg«
lich ein Erfenntnißvermögen $. 497. und alfo auch ein Be—
gehrungsvermögen $. 742. Sie hat alfo entweder bloß ein
finnliches Erfenntniß- und Begehrungsvermögen, oder zus
gleich ein oberes und vernünftiges 9.524. Iſt das erfte, fo
ift fie eine bloß finnlich denfende Subftanz 9.372. und man
nennt fie eine bloß finnliche Seele. it das legte, fo ift
fie ein Geift $. 372. und man nennt fie eine vernünftige
Seele. Ein Thier, welches eine bloß finnliche Seele bat,
wird ein unvernünftiges Thier genannt; hat es aber eine
vernünftige Seele, fo heißt es ein vernünftiges Thier.
Folglich ift der Menfc) ein vernünftiges Thier $.734. Was
die unvernünftigen Thiere betrift, fo ift unleugbar, daß in
der beiten Welt dergleichen Thiere wirklich find $. 445.
Denn da eg, feine Luͤcke in ver $eiter der Weſen, in der
beiten Welt gibt; fo muß es zwifchen ven GSubftanzen, die
bloß dunfele Borftellungen haben, und zwifchen den’ Gei-
ftern, auch bloß finnlich denfende Subitanzen geben. Da
nun dieſe Subftanzen Körper haben müffen 9.787. fo gibt
es unvernünftige Thiere in der beiten Welt. Allein ich
werde mich, in die weitere Unterfuchung der Lehre von den
unvernünftigen Thieren, nicht einlaffen : weil ich, in mei—
nem Verfüche eines neuen Lehrgebäudes von den
Seelen der unvernünftigen Thiere, diefe angenehme,
nüßliche und lehrreiche Materie (don ausführlich abgehan⸗
delt Babe.
789.
Alle endliche Seife in dieſer Melt find, denfende
Subftanzen $. 372. folglich fteht ein jedweder Derfelben, mit
einem Körper, in der genaueften Gemeinfhaft $..787. *
310 i⸗
502 Bon den denkenden Subftanzen in der Welt
iſt eine vernünftige Seele, welche mit ihrem Körper ein ver.
nünffiges Thier ausmacht $. 788. Wann es nun, auffer
den menfchlichen Seelen, noch mehr endliche Geifter in
Diefer Welt giebt; fo giebt es auch, auffer dem Menfchen,
noch mehr vernünftige Thiere in derfelben, und es ift dem—
nad) eine falfche Erklärung, wenn man den Menfchen durch
ein vernünftiges Thier erflären wolte. Es giebt Gelehrte ge-
nug, welche es leugnen, daß alle endliche Geifter Körper ha=
ben, und fie glauben, es fen ein ganz neuer Einfall. - Allein
Hordem war es eine Meinung, die fehr allgemein angenom⸗
men wurde, und es läßt fich daher die Erfcheinung der En—
gel und Teufel, derendie Schrift Erwehnung thut, gut ers
flären. Schreibt man, diefen Geiftern, Feine Leiber zu: fo
anuß man entiweder zu einem Wunderwerke feine Zuflucht
nehmen, und fagen, daß GDtt folchen Geiftern, die Zeitih-
rer Erfcheinung über, durch ein Wunderwerf Leiber gegeben,
oder man verfält auf allerley lächerliche Gedanken, als wenn
3. E. ein Engel ſich aus Luft einen Körper bauen Fönne,
Wir wollen bier, zwey Fragen, aufmwerfen. Einmal: Fan
man wohl beweifen, daß in diefer Welt auffer den Men-
ſchen, noch andere vernünftige Thiere, und endliche Geifter,
angetroffen werden? Die Bibel fegt, Diefe Sache, auffer
allen Zweifel. Allein wenn man Diefes aus der bloffen Ber:
nunft erweifen will, fo fan es meines Erachtens nicht an=
Ders gefäyehen, als wenn man fich aus der Aftronomie und der
Maturlehre überzeugt, daß der Mond, und alle Planeten
aunferer Sonne und der übrigen Firfterne, eine Einrichtung
haben, wie unfer Erdboden, und daß es die Abfichten GOt—
tes erfordern, daß diefelben mit vernünftigen Einwohnern bes
feßt find. Da nun ein jeder fieht, daß diefer Beweiß, in der
Pſychologie, nicht geführte werden Fan: fo will ich meine
$efer dieſerwegen, auf &« ntanellens Befpräche von mehr
als einer Welt, verweifen, welche ihnen in diefem Puncte,
eine vollfomntene Genugthuung leijten werden. Zum an
dern fan man die Frage aufwerfen: ob wir im Stande find,
die übrigen endlichen Beifter, nach unfern jegigen Einfichten,
bin
auſſer der menfchlichen Seele, 503
Binlänglich kennen zu lernen? Diefe Frage muß man ver:
neinen, Es ift wahr, in fo ferne fie unferer Seele aͤhnlich
find, in fo ferne fonnen wiruns von ihnen einen klaren Be—
grif machen. Allein wir befinden uns bier, in einer dop—
pelten Finſterniß. Einmal können wir nicht wiffen, wie
weit fich diefe Aehnlichkeit erſtrecke. Es fan Geifter geben,
die nicht fo viele Erfenntniß- und Begehrungsvermögen
befigen als wir, es fan aber auch welche geben, die deren
noch mehr haben als wir, von welchen wir unsaber gar Feine
Begriffe machen koͤnnen. Ja es Fan feyn, daß andere Geis
fter die Kräfte, die fie mit ung gemein haben, anders braus
‚hen, als wir, und wer Fan das errathen? Zum andern wifz
fen wir auch, die Unterfcheidungsftüce, nicht mit Gewiß—
heit und hinlaͤnglicher Klarheit anzugeben, wodurch die übriz
gen Arten der vernünftigen Thiere von uns verfchieben find.
Diefes müfte man aber doch wiſſen, wenn man fich einer
Kenntniß diefer Creaturen rühmen wolte: weil es eine fehr
mangelhafte Erfenntniß einer Sache ift, wenn man von
ihr bloß dasjenige weiß, was fie mit andern Dingen ges
mein bat. Es ift demnach die Seifterlehre in diefem Stuͤck
eine finftere Gegend, und ich will nur noch einige allgemei—
me Betrachtungen über die endlichen Geifter anftellen, mel-
che wenigftens manche irrige Einfälle der Menfchen in ih—
ver Blöffe darftellen werden.
$. 790.
Der wefentliche Grad des Verſtandes der menfchli=
chen Seele ift, aller Wahrfcheinlichfeie nach, fo wenig der
gröfte als der Fleinfte wefentliche Grad des Berftandes,
deffen ein endlicher Geift fahig ift. Folglich Fan es in der
Welt endliche Geifter geben, die mehr Verftand als die
Menfchen haben; es fan aber auch welche geben, die wenis
ger haben. Daher theile man alle endliche Geiſter, auffer
der menfchlichen Seele, ein, in höhere und niedrigere Geiz
fter, Ein höherer Beift ift ein endlicher Geift, der ei—
nen gröffern wefentlichen Grad des Berftandes befißt, als
die menfchliche Seele z derjenige aber, welcher einen Fleinern
$i4 weſent⸗
5°4 Don den denkenden Subftanzen in der Welt
wefentlichen Grad des Verftandes befist, als die menſchli—
che Seele, ift ein niedrigerer Beift. Es komt hiernicht,
auf den Gebrauch des Verftandes, an: denn der Fan viel
Fleiner fen, als der wefentliche Grad des Verftandes, als
welcher in einer bloſſen Möglichkeit befteht. Wir Men-
fhen brauchen felten unfern Berftand fo fehr, als es uns
möglich ift. Wenn alfo ein niedrigerer Geift weniger Ges
brauch des Berftandes haben folte, als die Menfchen ; fo
müfte ee noch unverftändiger feyn, als die Pinfel, die Dum—
fopfe und die Wahnmigigen unter den Menfchen, und koͤnn—
ce er alsdenn wohl noch, zu der Elaffe der vernünftigen We—
fen, gehören ? Mancher Menfch würde für Fein vernünftis
ges Gefchöpf gehalten werden koͤnnen, wenn er nicht die Unis
form der Menſchheit trüge. Und eben fo kan es, unterden
böhern Seiftern, ebenfals Dumföpfe geben, welche ihren Vers
ftand viel weniger brauchen, als viele Menfchen. Und was
alfo den Gebrauch des Verftandes betrift, fo Fünnen viele
Menfchen verftändiger fenn, als unendlic) viele höhere Geis
fter ; es koͤnnen aber auch viele niedrigere Geifter verftän-
diger fen, als unendlich viele Menfchen. Diejenigen endlis
chen Geifter auffer den menfchlichen Seelen, welche glückfes
lig find, heiffen gute Beifter, fie mögen nun höhere oder
niedrigere Geiſter ſeyn. So beſchreibt uns die heilige Schrift
die guten Eugel, als hoͤhere und gute Geiſter zugleich. Die—
jenigen aber, welche ungluͤckſelig find, heiſſen böfe Geiſter,
ſie moͤgen nun zugleich hoͤhere, oder niedrigere Geiſter ſeyn.
So beſchreibt uns. die heilige Schrift die Teufel als Geiz
fter, die unglückfelig und höhere Geifter zugleich find. Es
ſcheint allerdings fehwer zu begreifen zu feyn, wie ein ver=
nünftiges Wefen, einen fo groffen Verſtand, und einen fo
unvollfommenen Willen haben koͤnne, daß es zu gleicher
Zeit ein höherer und ein böfer Geift feyn koͤnne. Der Wil-
le wird durch den Berftand beftimt, und es fcheint demnach),
Haß ein vollfommener Verſtand allemal von einem vollfoms
menen Willen, und alfo von der Glückfeligkeit begleitet wer:
den müffe, Allein man muß bedenken, daß ein Wefen, *
ei⸗
—
auffer der menfchlichen Seele. 305
feinem groffen Berftande, auf Irrthuͤmer gerathen Fan, auf
eine trockene todte Erfenntnis, auf unnüße Speculativnen;
Und es fan demnach ein höherer Geift, feinen groflen Bers
ftand, auf eine folche Art brauchen, daß fein Wille nicht
diejenige Bollfommenbeit erlangt, welche zur Glückfeligfeit
erfodert wird. Haben wir nicht fehr groffe Gelehrte unter
den Menfchen, die aber lafterhaft find? Folglich Fan grofs
fer Berftand und böfer Wille, famt der Unglückfeligfeit, in
einer Perfon flat finden. Die groffen lafterhaften Gelehrten
machen eg alfo wahrfcheinlich, daß ſolche Ereaturen in der
Welt find, wie die Teufel.
$. 798.
Da ein jeder endlicher Geift, auffer der menfchlichen
Seele, einen Körper hat $. 789. ſo kan man dieſe Geiſter,
in Abſicht ihres Körpers, noch auf eine andere Art einthei—
len. Wir bemerken nemlich an unfern Körpern, und allen
Körpern diefes Erdbodeng, daß fie, durch ihre Schwere, bes
- ftändig zum Mittelpuncte dieſes Erdbodens getrieben wer—
den. Und weil die menſchlichen Koͤrper eine Schwere in
Abſicht des Erdbodens haben, ſo ſind wir Menſchen eben
deswegen Einwohner des Erdbodens. Man kan aber auch
Koͤrper gedenken, die weder in Abſicht unſeres Erdbodens,
noch in Abſicht irgends eines andern ganzen Weltkoͤrpers,
eine Schwere haben. Folglich kan man ſich, erſtlich, end—
liche Geiſter auſſer der menſchlichen Seele vorſtellen, deren
- Körper eine Schwere in Abſicht eines gewiſſen groſſen gan—
zen Weltförpers haben, und das find die Einwohner deffel-
ben Weltförpers. Die groffen Weltförper find entweder
PM aneten, oder Firfterne. Man Fan alfo endliche Geifter
gevenfen, welche durch ihren Körper an einen Planeten ge:
bunden find, wie wir Menfchen an den Erdboden, und da-
bey ift weiter Feine Schwierigfeit. Obes aber auch endliche
Beifter gibt, welche durch ihren Körper die Sonne, oder einen
andern Firftern, bewohnen, das ift fo leichte nicht zu ent—
fcheiden. Wenigftens würden, die vernünftigen Einwohner
der Sonnen, aus denfelben richt die uͤbrige Welt erblicken
Ji5 koͤn⸗
506 Don den denkenden Subftanzen in der Welt
fönnen, und es fcheint demnach nicht, daß eine Sonne fich
zu dem Wohnplage einer Subſtanz ſchicke, welche ihrer
Natur nach fich die ganze Welt nad) ihrer Stellung in der=
felben vorftellen fol. Weberdies, wenn auch die Sonnen
nicht von vernünftigen Gefchöpfen bewohnt werden, fo ha—
ben fie doch fchon Mugen genung, weil durch fie die Plane-
ten bewege, befruchtet, erleuchtet und gewaͤrmt werden.
Zum andern Fan man endliche Geifter gedenfen, deren Koͤr—
per gar Feine Schwere haben. Diefelben find alfo Feine
Einmobner irgends eines groffen Weltkörpers, und da fie
an feinen derfelben gebunden find, fo find fie gleichfam in
der Welt überal zu Haufe. Mach den Befchreibungen der
Dibel find die Engel und Teufel folche Geifter, die feine
beftändigen Einwohner eines Weltkorpers find,
G. 792.
Alle endliche Geifter, und wenn fie auch die höchften
wären, haben ein finnlichee Erfenntnißvermögen. Denn
ein endlicher Geift mag noch fo grofien Verſtand haben, fo
bat er doch allemal nod) einen eingefchränften, folglich niche
den gröften Verſtand $. 191. Folglich Fan fein endlicher
Geift, alle mögliche Dinge, aufs deutlichfte erfennen $.632.
Es ift demnach unleugbar, daß, in der allerdeutlichften Er—
fenntniß eines endlichen Geiftes, Undeutlichkeit, Verwir—
rung und Dunfelheit angetroffen wird. Da nun alfo ein
jedweder endlicher Geift eine finnliche Erkenntniß hat, wenn
er wuͤrklich ift, und überhaupt fein Berftand in ihm niche -
anders möglich ift, als wenn man die Möglichkeit der finn«
lihen Erfenntniß zugleich in ihm annimt: fo haben, alle
endliche Geifter, ein unteres und finnliches Erkenntnißver—
mögen $. 524. Es wird deswegen nicht behauptet, als
wenn alle endliche Geifter eben fo viel, nicht mehr und nicht
weniger, finnliche Erfenntnißvermögen befigen, als wie
Menfchen. Genung daß wir überhaupt überzeugt find,
daß alle endliche Geifter ein unteres Erfenntnißvermögen
haben. Und man fan fich alfo, einen jedweden endlichen
Geiſt, als eine Eubftanz vorftellen, welche fic) die *
deutli⸗
auffer der menfchlichen Seele. 507
deutlicher oder weniger deutlich, verworren oder dunkel,
vorſtelt, nachdem ſich die Gegenſtaͤnde, der Stellung nach,
gegen feinen Leb verhalten $. 789. 372. 373. Hieraus fol—
get alſo zweyerley. Einmal, ein jedweder endlicher Geiſt
kan irren. Denn da er ein unteres Erkenntnißvermoͤgen
beſitzt, ſo iſt er verworrener Erkenntniß faͤhig. Und da er
alſo verſchiedene Dinge mit einander verwirren und ver—
wechſeln kan, ſo kan er auch das Wahre mit dem Falſchen
vermengen, und das heißt, er kan irren. Es iſt demnach
kein endlicher Geiſt moͤglich, der gar nicht irren koͤnte.
Hieraus folgt zum andern, daß ein jeder endlicher Geiſt
das Gute verabſcheuen, und das Boͤſe begehren koͤnne.
Denn da er irren kan, ſo kan er ſich das Gute als boͤſe,
und das Boͤſe als gut vorſtellen. Folglich kan er jenes
verabſcheuen, und dieſes begehren $. 664. Und hieraus
wird von ſelbſt erhellen, daß ein jedweder endlicher Geiſt,
und wenn er auch noch ſo groß und gluͤckſelig iſt, demohn—
erachtet ſuͤndigen koͤnne, wenn er einen freyen Willen
beſitzt.
$. 793.
Wo das Erkenntnißvermoͤgen iſt, da iſt auch ein
Begehrungsvermoͤgen $. 742. Da nun alle endliche Gei—
ſter ein Erkenntnißvermoͤgen beſitzen, ſo haben ſie auch
ſaͤmtlich ein Begehrungsvermoͤgen. Und zwar hat, ein
jedweder endlicher Geiſt, ein doppeltes Erfenntnißvermö-
gen. Das obere oder den Verſtand, und folglich hat er
auch einen Willen, und er kan vernuͤnftig begehren und
verabſcheuen $. 743. Zum andern hat auch ein jedweder
endlicher Geift ein unteres Erfenntnißvermögen, und alfo
auch ein unteres Begebrungsvermögen, Es fan demehnz
erachtet Geifter in der Welt geben, die weniger oder auch
mehr Begehrungsvermögen befigen, als mir, und deren
Begierden und DBerabfcheuungen von den unſrigen fehr
unterfehieden find. Unterdefien iſt Fein endlicher Geift, und
feine denfende Subſtanz, möglich, welche blofle Erfennts
nißvermögen und gar feine Begehrungsvermögen befißen
folte :
508 Don den denkenden Subjtanzen inder Welt.
ſolte: denn ich habe oben ermwiefen, daß das Wirken der
Erkenntniß nichts anders als das Begehren ſey. Hier
frage fichs aber, ob alle endliche Geifter einen freyen Witz
In haben? So viel ift unleugbar, daß alle Geifter einen
Willen haben, allein ich getraue mir nicht zu behaupten,
daß der Wille aller Geifter fren fey. Denn es fan ein
Geift möglic) ſeyn, deffen vernünftige Begierden und Ber:
abfheuungen, ſamt allen übrigen Handlungen, ohne Aus»
nahme natürlich nothmendig find. Da es nun alfo nicht
in feiner Gewalt fteht, eine einzige derfelben zu thun oder
zu laffen, fo bat er zwar einen Willen, aber feine Frey—
heit des Willens $. 702.
$. 794. |
Alle endliche Geifter find entweder elend, oder fie ge-
nieflen einer Wohlfarth; und alle diejenigen unter ihnen,
die auffer dem Verſtande noch Sreyheit des Willens befigen,
find entweder glückfeelig oder unglückfeelig. Es wird diefes
eben fo bewiefen, als wir es won der menfchlichen Seele er-
wiefen haben $. 772. Ein glückfeeliger Geift nimt in fei-
ner Glückfeligfeit, entweder beftandig zu, oder er nimt
ab, oder bald ab bald zu. Der glückfeeligfte endfiche Geift
Fan wieder unglückfeelig werden, weil er mitten in feiner
hoͤchſten Glückfeeligfeit die Möglichkeit zu fündigen behält
$. 792. 773. 774. Kin unglücfeeliger Geijt nimt, in
feiner Unglückfeeligfeit, entweder beftändig zu, oder er
nimt ab, oder bald zu bald ab, und der unglücfeeligfte
Geift Fan wiederum glückfeelig werden 773.774. Es giebt
demnach Feine folchen endlichen Geifter, die den Gebrauch
der Freyheit haben, welche in einem folchen Zuftande der
Gleichguͤltigkeit fich befinden folten, in welchem fie weder
glückfeelig noch unglückfelig wären. Ueberhaupt Fan fein
Geift in einem Zuftande gedacht werden, in welchem er
weder vollfommen noch unvollfommen wäre.
$. 795.
Wenn man die wichtige Materie, von der Uufterblich-
keit der menfchlichen Seele, gruͤndlich unterfucht hat; fo
wird
auſſer der menſchlichen Seele. 509
wird man überzeugt, daß ihre Unſterblichkeit ihr zufom-
me, nicht weil fie ein Geift einer befondern Are ift, fon«
dern weibſie überhaupt ein’ Geift und ein denfendes Weſen
iſt. Undlman Fan alfo fehr leiche überzeuge werden, daß auf
eben die Art erwiefen werden Fonne, daß alle endliche Gei⸗
ſter ihrer Natur nach unſterblich ſind, und ewig leben.
Doch da ich, die Materie von der Unſterblichkeit, anders—
wo ausfuͤhrlich abgehandelt habe; ſo will ich mich dabey
nicht weiter aufhalten. Wir koͤnnen überhaupt alles von
allen endlichen Geiftern fagen, was wir von unferer Seele
yiffen, wenn wir nur. gewiß oder wahrfcheinlich, verfichere
find, daß es nicht zu den eigenthümlichen Unterfcheidungs-
fücken unferer Seele gehöre. Mur Fönnen wir freylich,
von dem letztern, fehr ofte Feine Gewißheie haben. Und
es ift Demnach vernünftig, wenn man fich in eine genauere
DBefchreibung der übrigen endlichen Geifter gar nicht ein-
läßt, fondern diefelbe müßigen Leuten überläßt, deren ge-
fhäftiger Wis doch etwas zu thun haben will, und fich
Daher mit artigen Träumen zu unterhals
‚ten pflegt.
EU DI NE,
Fort:
Sortfegung
des
Blicke der Metaphyſil.
UN Die Pſychologie.
A. Einleitung in die Pſychologie $. 471:479.
B. Die Pfychologie felöft. |
a. Die, empirifche Pſychologie. j
@, Bon der Mürklichfeit der Seele $. 490496.
ß. Bon dem Frfenntnifvermögen.
1. Bon dem Erfenntnißvermögen Überhaupt $. 497505.
a. Bon der Aufmerkſamkeit $. 506 : 517.
b. Bon dem Vermögen zu abftrahiren $. 518: 323.
2. Bon dem untern Erfenntnißvermögen
a, Ueberhaupt $. 524: 527.
b. Inſonderheit
1. Bon den Sinnen $. 528 :554.
2. Bon der Einbildungskraft $. 555 :566,
3. Von dem fharffinnigen Wise $. 567 : 577.
Von dem Gedächtniffe $. 378 586.
. Bon dem Dihtungsvermögen $. 597 2597.
. Bon dem Vorherfehungsvermögen $. 598: 608.
. Bon dem Vermögen voransjuerfennen $. 609:
616.
8. Bon dem Beurtheilungsvermögen $. 617-620,
9. Bon dem Bezeihnungsvermögen 621-625.
3. Bon dem obern Erfenntnißvermögen,
a. Von dem Berftande $. 626 :634.
b. Bon der Vernunft $. 635: 642.
4. Von der Gemüthsfähigkeit $. 643 :646.
y. Von dem Begehrungsvermögen.
1. Bon den nächften Gründen diefes Vermögens in der
Seele,
Nau a
a. Bon
a. Bon der Gleichgültigfeit $. 647 :650.
b. Vom Vergnügen und Mißvergnügen 6. 651: 660,
2. Bon vem Begehrungsvermögen felbft.
a. Von dem Begehrungsvermögen überhaupt $. 661⸗
672.
b. Von dem untern Begehrungsvermögen $. 673 : 685.
e. Bon dem obern Begehrungsvermögen $. 686: 693.
d. Bon der Freyheit des Willens $. 694,
x. Bon der Selbftthätigkeit $. 695 :699.
2. Von dem Willtühr $. 700 :707.
3. Von der Freyheit $. 708:720.
3. Bon dem Inbegriffe aller Begehrungssermögen
$. 7212725.
I Don der Gemeinfchaft der Seele mit dem Körper $. 726:
731.
b. Die vernünftige Piychologie.
1. Von der Natur der menfchlihen Seele $. 732752.
2. Bon den Verhältniffen der menfchlihen Seele gegen
andere Dinge in diefer Welt $. 753 :765.
3. Bon der Glückeligfeit und Unglückfeligfeit der menſch⸗
lihen Seele $. 766: 774.
4. Bon dem Urfprunge der menfchlichen Seele $. 775
785.
5. Bon der Unfterblihfeit der menfchlihen Seele 6.786.
6, Bon den übrigen denfenden Subftanzen in der Welt
auffer der menfchlichen Seele $. 787795.
—
[3 er . r 3
Georg Friedrich Meiers,
öffentlichen ordentlichen Lehrers der Weltweisheit zu Halle,
und der Eöniglihen Academie der Wilfenfchaften i
in Berlin Mitgliedes,
etaphyſik
Vierter Theil.
N "Nana
Si. re DULCI
IM
ſ
Mit koͤnigl. Pohl. und Churfuͤrſtl. Saͤchſ. allergnaͤdigſter Freyheit.
RT
HALLE,
bey Zohann Zuftinus Gebauer.
1759
Beſchluß
des Entwurfs der Metaphyſik.
IV. Die natürliche Gottesgelahrheit.
A. Die Einleitung $. 769: 811.
B. Die natuͤrliche Gottesgelahrheit ſelbſt.
a. Der Begrif von GOtt.
«. Die Erklärung des Begrifs von Gott 6.812 818.
£. Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes $. g19 + 826
y. Diejenigen Bollfommenheiten Gottes, die ihm zufom:
men, in fo ferne er nichtals ein Geift betrachtet wird.
a. Ueberhaupt $. 827.
b. Inſonderheit.
1. Das Wefen Gottes 6. 828: 832.
2. Die Würflichkeit Gottes $.%33 = 836.
3. Die Heiligkeit Gottes 6. 837 = 839.
4. Die Einheit Gottes $. 840. 841.
5. Die Wahrheit Gottes $. 842: 844.
6. Die Unveränderlichkeit und Nothwendigkeit Got
tes $. 845 : 852.
7. Die Unendlichkeit Gottes $. 853 856.
8. Die Ewigkeit Gottes $. 857 2859.
"9. Die Allmacht GHOttes $. 860 x 866.
30. Die einfache Befchaffenheit GOttes $. 867 :975
11. Es iſt nur ein einziger GOtt $.876 + 879.
12. Die Selbftftändigkeit GOttes $. 880. ggr.
13. Die Natur GOttes 5.882 885.
14. Die Unermeßlichfeit GOttes $. 885: 888.
15. Die Unerforfchlichfeit GOttes $.889 : 850.
d. Diejenigen Vollkommenheiten GOttes, die ihm zukoms
men, in fo ferne er ein Geift ift,
a. Ueberhaupt $. 891.
b. Inſonderheit.
#, Der Verftand GOttes.
a. Ueberhaupt $. 892.
b. Inſonderheit.
3. Die
0 52 26)
1. Die alfervolllommenfte Befchaffenheit der gott-
lihen Erkentniß $. 893 502.
2, Der Gegenfiand der gettlihen Erfentniß
$ 993. gr.
3. Die Weisheit GOttes $.912:920.
4. Die Allwiſſenheit $. 921.
£. Der Wille Gottes.
1. Das Vergnügen und Mißvergnuͤgen Gottes
6. 9227 930.
2. Der Wille Gottes überhaupt $. 9317938.
3. Die Freyheit des göttlichen Willens $. 939 : 942.
4. Die moralifche Heiligkeit Gottes $-943°945
‚5. Die Guͤtigkeit Gottes $ 946 = 949.
6. Die Serechtiafeit Gottes $ 950: 964.
7. Die Wahrhaftigkeit Gottes $. 995987.
8. Die Gluͤckſeligkeit Gottes $. 968970.
b. Die Handlungen Gottes.
&, Die Schöpfung der Welt,
a. Ueberhaupt 9. 971-
b. Ssnfonderbeit.
1. Die Befchaffenheit der Schöpfung $. 972 + 978.
2. Der Gegenftand ver Schopfung.
&. Veberbatipt 6: 979 + 987.
3. Snfonderheit vie beſte Welt $. 988 1000.
3. Der Zweck der Schopfung $. 100121015.
£. Die Vorfehung.
a, Ueberhaupt $. 1015: 1020.
b. Inſonderheit.
&. Der Eingang 1021.
ß. Die verfchiedenen Theile der göttlichen Vorfehung.
1. Die Erhaltung der Welt 6. 10227 1026,
2. Die Mitwirkung Gottes $. 102771034.
3. Die Allgegenwart Gottes $ 1035: 10408
4. Die göttliche Nenierung der Welt $: 10417 1044+
5. Die aöttliche Zulaffung des Bofen $ 19045: 1058.
6. Die Oberherrſchaft Gottes über He Welt $.1059:
1094:
7. Die Rathſchluͤſſe Gottes über die Welt $. 1065:
1071.
8. Die Offenbarung Gottes $. 1072 = 1090,
UN AUNT
Die
Die
natürliche
Gottesgelahrheit.
4. Theil. A
[207
Einleitung
in die
natürliche Gottesgelahrheit.
$. 796. |
Senn man die ganze menfchliche Erkent—
E niß überhaupt betrachtet, fie mag nun
in den Umfang der Gelehrfamfeit und
der freyen KRünfte gehören, oder zu der
gemeinen Erfentniß gerechnet werden:
u > fo erlangt fie ihre Schäßbarfeit nur da«
ber, wenn fie in einer gehörigen Beziehung auf die menſch⸗
liche Gluͤckſeligkeit ſteht. ine Erkentniß mag übrigens
noch fo richtig und vortreflih ſeyn, Fan fie auf Feinerley
Weiſe, zur Beförderung wenigftens eines Theils der gefam«
ten menfchlihen Glücfeligkeit, angewendet werden, fo iſt
fie nicht nur felbft, fondern auch das Beſtreben nach derfel«
ben, als ein gefhäftiger Müßiggang, anzuſehen. Ein
Menfcy handele als ein lächerlicher und verachtungswuͤrdi—
ger Thor, wenn er feine Zeit und Kräfte auf eine Erfent«
niß verſchwendet, die ihm in feiner Gluͤckſeligkeit nicht weis
ter forehilft, und über welcher er die Erkentniß nüglicherer
und nötbigerer Dinge verfaumt, Vermoͤge diefer Betrach«
. % 2 fung
4 Einleitung
tung iſt es wol unſtreitig, daß, die Lehre von Gott, die
allernuͤtzlichſte und unentbehrlichſte Erkentniß ſey, in welcher
alle uͤbrige Arten der menſchlichen Erkentniß, als ſo viele
Fluͤſſe und Stroͤme, wie in dem Oceane, zuſammen flieſſen
muͤſſen. In der Sittenlehre kan, aufs deutlichſte und un—
umſtoͤßlichſte, erwieſen werden: daß das hoͤchſte Gut, oder
die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit eines Menſchen, darin beſteht, wenn
er fo from iſt als moͤglich, und daß die Gottſeligkeit zu als
len Dingen nuße ſey, und die Verheiſſung diefes und des
zufünftigen gebens habe. Nun ift die höchfte Froͤmmigkeit,
ohne ver vollfommenften Erfentniß Gottes, unmöglid.
Folglich ift die Lehre von Gott eine Erkentniß, welche ung
geradezu auf den Gipfel unferer Glückfeligfeit leitet, ohne
welche unfere höchfte Gtückfeligfeit unmöglich ift, und wel:
che, bey allen übrigen Graden und Theilen unferer geſam—
ten zeitlichen und ewigen Glücfeligfeit, zum runde liegen
muß, wenn fie Theile unferer wahren Glückfeligfeit ſeyn
folfen. Alle übrige Theile und Arten der Gelehrfanikeit,
und der gefamten menfchlichen Erfentniß, koͤnnen alfo une
möglich die menfchliche Glücfeligfeit aufs befte befördern,
wenn fie nicht, auf eine entfernte und mittelbare Art, die
Erkentniß Gottes zur Abficht haben, und befördern. Kan
man mehr, zum Lobe einer Lehre und Erfentniß, fagen ?
Können wichtigere, fruchtbarere und nüßlichere Unterſu—
ungen angeftelt werden, als über Gott und goͤttliche Din-
ge? Gott und göttliche Dinge find von einem unendlichen
Umfange, und enthalten unbegreiflich vielmal mehr Mannig«
faltiges in fich, als die übrigen Gegenftände unferer Erfent«
niß, und wenn fie auch die allerreichften feyn folten. Sie
find die allererhabenften und edelften Gegenftände unferer
Unterfuchungen. Alle unfere Erfentnißfräfte koͤnnen fich
mit ihnen befchäftigen, und eine iedwede findet in ihnen un-
endlich viel Stof zu ihren Betrachtungen, Und man mag
alfo diefe Sache betrachten wie man will, fo muß man ges
ftehen, daß die Lehre von Gott, unter allen übrigen Arten
der menſchlichen Erkentniß, die allervortreflichite fen, und
zwar
in die natürliche Botiesgelabrbeit. 5
zwar in allen möglichen Abſichten. Wir gerathen alfo,
in unferer Metaphyſik, auf den allermichtigften und fchäß-
bariten Theil der menfhlichen Erfentniß, und der ganzen
Metaphyſik, indem wir im Begrif ftehen, die natürliche
Gottesgelahrheit zu unterfuchen. Die bisherigen Unterfus
chungen der Ontologie, der Kosmologie und der Pfycholo«
gie, haben es uns möglich) gemacht, eine reelle Erkentniß
von der Gottheit zu erlangen,
$- 797.
Man fönte, durch die Theologie oder Gottesgelahrheit,
eine jedwede Erkentniß von Gott, feinem Wefen, Eigenfchaf:
ten, Werfen und Bollfommenbeiten verftehen. Und man
müjte alsdenn einen iedweden Menfchen einen Theologen
nennen, welcher auch nur eine gemeine, bloß hiftorifche,
verworreneiund ungewiffe Erfentniß Gottes und görtlicher
Dinge befigt. Allein, ein fo weiter Umfang, den man durch
diefe Erflärung der Bedeutung diefes Worts geben würde,
wiederſpricht dem eingeführten Gebraudye dieſes Worte.
Man verfteht, durch die Gottesgelahrheit, eine philofophifche
und gelehrte Erkentniß Gottes; und weil die vollfommen=
fte gelehrte Erfentniß eine eigentlich fo genante Wiffenfchaft
ift, fo ift die Theologie eine Willenfchaft von Gott, Ders
ienige alfo verdient nur den Namen eines Theologen im ei—
gentlichen Berftande, wer eine ausführliche, Soft anftändige,
richtige, deutliche, gewifle und lebendige Erfentniß von Gore
und göttlichen Dingen befißt, weflen Erfentniß von Gott
zufammenhangend und ſyſtematiſch iſt; mer dasjenige, was
er von Gott behauptet, aus zuverläßigen Gründen ermeifen
fan: Eurz, wer feine ganze Erfentniß von Gott, den Re—
geln der DBernunftlehre gemäß, eingerichtet bat. Gibt es
- wol fehr viele Theologen unter denenjenigen, die man ihrer
Profeßion wegen fo zu nennen pflege? Die natürliche
Gottesgelahrheit iſt dem zu Folge die Wiſſenſchaft von
Gott, in ſo ferne ſie ohne Glauben erkant werden kan.
Der griechifche Name Theologie ift von manchen dem Buch—
ſtaben nad) evfläret worden, als wenn er einetehre bedeute,
%3 die
5 Einleitung
die von Gott herſtamme und von ihm offenbaret ſey, oder
die den Menſchen zu Gott fuͤhre und leite. Ob nun gleich
dieſe Gedanken an ſich richtig und gut find, fo weißt Doc) ie—
dermann, daß diefes Wort nichts anders bedeute, als eine
gehre, die von Gott handelt,
$. 798.
Aus diefer Erklärung der natürlichen Gottesgelahrheit
erhellet alfobald der Unterfchied, welcher ſich zwifchen ihr
und der geoffenbarten Gortesgelahrheit befindet. Sie ent—
hält nemlic) lauter folde Wahrheiten von Gott und göttlichen
Dingen, welche ohne Glauben erfant werden fonnen und
muͤſſen. Wir verftehen bier einen doppelten Glauben,
Einmal den menfihlichen Glauben, welcher der Beyfall ift,
den man einer Wahrheit gibt, um eines menfchlichen Zeuge
niffes willen. Wer, um eines blos menfchlichen Zeugnife
fes willen, eine Wahrheit von Gott und göttlichen Dingen
annimt, der folge in feiner theologifchen Erkentniß dem, Anz
ſehen eines bloſſen Menfhen, und er Fan auf diefem Wen
ge nimmermebr zu einer Wiffenfchaft, und unumſtoͤßlich
gewiffen philofopbifhen Erfentniß, von Gott gelangen,
Eine folhe Erfentniß aber foll, die natürliche Gottesges
lahrheit, ſeyn. Folglich muß man, Fein bios menfchliches
Zeugniß von Gott und göttlichen Dingen, als einen Erfläs
rungs » und Erweisgrund in diefer Wiſſenſchaft annehmen. |
Wir müflen in derfeiben Gott, fo zu reden, mit unfern eis
genen Augen betrachten, und dem Anfehen Feines Menfchen
folgen, und wenn derfelbe auch, in einem noch fo groffen
Hufe der Frömmigkeit und theologifchen Gelehrfamfeit, fte«
ben folte. Zum andern muß man bieher den göttlichen
Glauben rechnen, vermöge deffen wir von Gott und göttlis
en Dingen dasjenige für wahr halten, was in der heili—
gen Schrift für wahr ausgegeben wird, und zwar deswe—
gen, weil es in diefem Buche für wahr ausgegeben wird,
Und daher entſteht die geoffenbarte Gottesgelahrheit, welche
eine Lehre von Gott ift, in fo ferne fie durch den göttlichen Glau—
ben erkant wird. Man Fan demnach, zwifchen Be
Is
in die natuͤrliche Bottesgelahrheic, 2
lichen und geoffenbarten ©ottesgelahrheit, einen dreyfachen
Anterfchied bemerken, woraus zugleich erhellee, warum jene
eine natürliche genant wird. Erſtlich find fie, vermöge des
Erfentniß » und Beweisgrundes, von einander unterfchies
Den, Die geoffenbarte wird aus der übernatürlichen Dffen«
barung Gottes, welche in der heiligen Schrift enthalten ift,
erfant und erwieſen; die natürliche aber aus folchen Wahr«
heiten und Dingen, die blos natuͤrlich Durch unfere Vera
nunft erfant werden Fönnen, ohne daß zu ihrer Bekantma⸗
chung ein Wunderwerk gefchehen feyn folte. Daher Far
aud) die geoffenbarte Gottesgelahrheit manche Wahrheiten
enthalten, welche in der natürlichen ſchlechterdings nicht vor—
fommen fönnen, und von Denen man in der natürlichen
nicht die geringfte Bermuthung hat. Zum andern Fan und
muß, die natürliche Gottesgelahrheit, Durch die natürliche
gefunde Vernunft, welche nach der Vernunftlehre gem
braucht und ausgebeffert wird, erfant werden. Die gea
offenbarte Öottesgelahrheit aber fan Wahrheiten enthalten,
welche ohne übernatürlihe Erleuchtung des Berftandes
nicht hinlänglich erfant werden koͤnnen. Und drittens gibt
uns die natuͤrliche Gottesgelahrheit nur eine ſolche Erfentniß
von Gott, welche zu der natürlichen Religion, und zu der
auf derfelben beruhenden natürlichen Gluͤckſeligkeit des Men:
fhen Binreiht. Die geoffenbarte Gottesgelahrheit aber
fan ung eine folche i&rfentniß von Gott geben, welche,
zu einer übernatürlihen Froͤmmigkeit und Glücfeligfeit des
Menfchen, zureicht und erfordert wird, Folglich müffen
wir als vernünftige Menſchen, welche die Maturfräite ihres
Berftandes und ihrer Vernunft, nach) den Vorſchriften eis
ner gefunden DBernunftlehre, richtig und gehörig gebrauchen,
in der natürlichen Gottesgelahrheit, Gott, feine Bollfoms
menbeiten und Werke zu betrachten fuchen.
9. 799.
Wenn man, in der natürlichen Gottesgelahrheit, zu
einer wahren und reellen Wiflenfchaft von Sort gelangen will,
fo muß man freylich gewiffe Erkentnißgruͤnde annehmen,
44 nad)
g TR Einleitung
nach deren Anleitung man ſich, dieſe oder jene Begriffe von
Gott und goͤttlichen Dingen zu machen, bemüht. Und man
fan mit Wahrheit fagen, daß Fein Menfch eine fo ſchlechte
Erfentniß von Gott habe, der nicht nach Maasgebung ges
wiſſer Erfentnißgründe viefelbe erlangt haben folte. Mur
iſt es zu beflagen, daß bey den allermeiften Menſchen diefe
Erfentnißgründe nicht von rechter Art find, und es wird eis
ne überaus nüßlidye und wichtige Unterfuchung ſeyn, wenn
wir ung bey diefer Betrachtung länger aufhalten, Zu de—
nen unaͤchten und fhädlichen Erfentnißgründen der theolos
gifhen Erfeniniß rechne ich, fonderlich folgende drey Erz
Fentnißquellen. 1) Alle Borurtheile. Jederman weiß,
daß man, in allen Arten der menfchlihen Erfentniß, alle
Vorurtheile verhüten muß, wenn man zu einer richtigen
und reellen Einficht in eine Sache gelangen will. Allein, bey
der Erfentniß Gottes, ift dieſes ganz befonders zu beobach⸗
ten, Wenn wir Menfchen irgends, der Berblendung und
der Tyranney der Borurtheile, ausgefegt find; fo ift es in
der $ehre von Gott. Man ift ohne Bedenfen geneigt, das—
jenige in der Lehre von Gore für wahr zu halten, was ung
unfere Vaͤter vorgefhwaßt haben; was die Neligionspar«
they für wahr hält, in welcher wir geboren und erzogen
find; was berühmte Lehrer der Kottesgelahrheit lehren;
was $eute fagen, die in einem groffen Rufe der Frömmigkeit
und Heiligkeit ftehen; was, unter Androhung des Bannes,
zu glauben befohlen worden u. ſ. w. Sehr viele Lehrer der
Religion find fehr weit davon entfernt, die Begriffe von
göttlihen Dingen gehörig zu entwickeln und gründlich zu.
erweifen, daß fie blos, wenn fie eine theologifche Formel
vorgetragen haben, auf eine pathetifche Art verfichern: wer
zeitlich und ewig glückfelig werden wolle, müffe diefes für
wahr halten, und derjenige fen ein Kind des Teufels, der es
nicht glaube, und übrigens laffen fie es auf ein blofes Ges
rathewohl anfommen, was der andere bey Diefer Formel
denkt. Nimt fic jemand die edle Freyheit heraus, ihnen
wider ihre Lehre Einwürfe zu machen, fo beantworten fie
Dies
in die natürliche Gottesgelahrheit. 9
diefelben nicht, fondern verfichern, daß der Teufel ihn vor
fuche, fie vathen ihm fo lange zu beten, bis der Einwurf
verſchwindet, und wer diefem Rathe nicht folgt, den verflu—
chen fie als einen verftocten Boͤſewicht. Daher fümts,
daß fich unendlich viele Leute, die fonft dazu gefchicft wären,
nicht einmal unferftehen, in Religionsſachen felbit zu den—
fen; fondern fie folgen den Borurtheilen blindlings , welche
fie eingefogen haben. Man muß ſich demnach, in der na>
türlihen Gottesgelahrheit, über alle Vorurtheile erheben,
und nichts von Gott denfen und für wahr halten, als wo—
von man, aus den Achten Kenzeichen der Wahrheit, über-
zeugt werden Fan, daß es eine reelle und wahre Vorstellung
Gottes ſey. Man muß fich, aller. von Kindesbeinen an
eingefogenen Erfentniß von Gott, eine Zeitlang entfchla-
gen, fie weder für wahr nod) für falfch halten, fich als völ-
lig unwiſſend in der Lehre von Gott anftellen, und auf die—
fe Weife eine ächte Erfentniß von Gott zu erlangen trach—
ten. 2) Die in der Kindheit ausmwendig:gelernten Fors
meln, durch welche, nad) dem Vorgeben dererjenigen, wel—⸗
che den Kindern vdiefelben beybringen, theologifhe Wahr—
heiten ausgedruckt werden. Die Erfahrung lehret leider
zur Önüge, daß diejenigen, welche Kinder in der Religion
unterrichten, mehrentheils felbft Feine richtige und reelle
Erfentniß von Gott befisen, Und da fie den Kindern
diefe Formeln in den Jahren beybringen, in denen fie noch
nicht vermögend find, Gott und feine Bollfommenbeiten
zu denken: fo überläft man es in der That dem bloffen Ohn—
gefähr, was die Kinder bey diefen Formeln etwa denken,
Sie denken alfo entweder gar nichts reelles, oder nur das—
jenige bey diefen Formeln, was ihre Einbildungsfraft das
mit verbindet, Unterdeſſen verhindern, diefe dergeftalt ins
Gedächtniß gefafte Formeln, entweder in den reifen Jah—
ren alle wahre Erfentnig Gottes, oder verunftalten diefels
be auf eine ungeheure Weife, indem fie diefelbe mit den
groͤbſten Irrthuͤmern unfermengen, die um fo viel unmög«
licher wieder auszurotten find, je mehr fie durch die Vor—
a5 ur⸗
ie Einleitung
urtheile der Kindheit unterſtuͤtzt werden. Wer eine wahre
natürliche Erfentniß von Gott erlangen will, der muß die-
fe in der Kindheit gelernten Formeln und Religionsbefent-
niffe ganz beyſeite feßen, was die Bedeutungen betrift, die
er Damit bisher verbunden hat, er muß fie gan; von neuem
unterſuchen, den wahren Berftand derfelben ausfindig mas
chen, und denfelben nach den wahren Gründen der Erfents
niß Gottes aufs firengfte prüfen. Meines Erachtens wäre
es beſſer, wenn man Fleine Kinder gar Feine theologifchen
Formeln lehrte. Sondern man müjte ihnen , vermöge ih.
zer Empfindungen, klare Begriffe von. den Bollfommen-
heiten der Creaturen, von Weisheit, Güte, Macht, Ver—
ftand der Mienfchen u. f. w. benbringen, und wenn man
gewahr würde, daß fie fo viel Bernunft erlangte, um ein
vollfommenes Weſen zu denfen, fo müfte man fie von der
Creatur, als auf einer feiter, nad) und nach zu der Bora
ftellung der Gortheit hinauf fteigen laffen. Auf diefe Art
würde man ſich die Hofnung machen Fönnen, daß mehrere
Menſchen zu einer reellen und wahren Erkentniß Gottes ges
langen würden, als nad) der eingefürten Lehrart zu hoffen ift.
5) Die !chrgebäude der vermeinten geoffenbarten Neligios
nen, Die wahre Dffenbarung Gottes in ver heiligen
Schrift, und das richtige Sehrgebäude der geoffenbarten Re—
ligion, Fan auf keinerley Weife der Weltweisheit, und der
natürlichen Gottesgelahrheit, Hinderniffe in den Weg les
gen; man muß vielmehr fagen, daß die erfte der legten
ungemein befoͤrderlich ſey. Es würde zwar fehr abge:
ſchmackt feyn, wenn man Wahrheiten ver Weltweisheit
überhaupf, und infonderheit ver natürlichen Gottesgelahr-
heit, aus der heiligen Schrift erweifen wolte $. 797. allein
demohnerachtet hat die heilige Schrift einen zweyfachen grof-
fon Mugen in der Weltweisheit, und in der natürlicdyen
©sttesgelahrbeit. Einmal iſt fie ein vortrefliches Erfin—
dungsmittel philofophifcher Wahrheiten: denn fo bald ein
hriftlicher Weltweifer, eine Wahrheit der heiligen Schrift,
aus philoſophiſchen Grunden erwiefen bat, fo bald bat er
ein
in dienstürliche Gottesgelahrheit. ar
ein Recht, diefelbe als einen Theil feiner Weltweisheit an«
zufehen, And zum andern Fan ein Weltweifer ſich defto
leichter, in feinen Bernunftfehlüffen und philofophifchen Uns
terfuchungen, vor Irrthuͤmern hüten, wenn er beftändig ein
Auge auf die heilige Schrift richtet, und fich huͤtet, derſel—
ben zu widerfprechen. Daher lehrt auch die philofophifche
Hiftorie, daß Feine Weltweifen es, infonderheit in der na—
tuͤrlichen Erkentniß Gottes, fo hoch gebracht haben, als die
chriſtlichen; und ein chriftlicher Weltweifer würde fehr un-
dankbar gegen die heilige Schrift handeln, wenn er diefels
be deswegen für Feine wahre Offenbarung Gottes halten
wolte, weil er es in der natürlichen Gottesgelahrheit fo hoch
gebracht Hat: denn er würde vergeffen, daß er den gröften
Theil feiner Einfichten von der heiligen Schrift gefchenft
befemmen habe. Allein, wenn man die natürliche Gottes—
gelahrheit fo lange drehen und wenden wolte, bis fie dem—
jenigen tehrgebäude einer vermeinten geoffenbarten Religion,
weldyes in derjenigen Secte, in welcher wir erzogen find,
angenommen wird, gemäs wird: fo würde fie eine Scla—
vin dieſes Schrgebaudes werden, und man würde nicht die
geringfte Hofnung haben, durch diefelbe eine richtige Erz
kentniß Gottes zu erlangen, es müfte denn diefes blos von
ohngefähr gefcheben. Aus dieſem unvernünftigen Zwange
rührt es her, daß die natürliche Gottesgelahrheit eines Hey—
den, eines Türken, eines Papitten u. f. w. einander aufs
offenbarfte widerfprechen, und daß es die Weltweifen der ir—
“ rigen Religionspartheyen, in der natürlichen Erkentniß Got⸗
tes, niemals zu einer merklich groffen Vollkommenheit brins
gen Eönnen. Wir müffen demnach), in der natürlichen
Gottesgelahrheit, die befondern Sectenmeinungen Der vera
fhiedenen dafür gehaltenen geoffenbarten Religionen bey—
feite feßen, und uns in acht nehmen, daß wir fie niemals
als Entfcheidungsgründe philofophifcher Fragen in der nas
tuͤrlichen Gottesgelahrheit anfeben und gebrauchen,
$, 800;
12 00 Kinleitung
$. 800: | *
Wer nun im Gegentheil, in der natuͤrlichen Gottes—
gelahrheit, einen ſicherern Weg betreten will, um zu einer
reellen und richtigen Erkentniß Gottes zu gelangen, der
muß es ganz anders anfangen. Er muß vornemlich, die
Wirkungen Gottes und ſeiner Vollkommenheiten, in ſich
ſelbſt und andern Creaturen, durch den Weg der Erfahrung
richtig kennen lernen, und nach Maasgebung dieſer Erfent»
niß ſich, einen Begrif von Gott und feinen Bollfommen«
heiten, bilden. Wer die Natur der menfhlichen Erfente
nißfraft verftehet, der weiß: daß wir Feine andere Begtifs
fe haben fönnen, als welche entweder Empfindungen find,
oder abftracte Begriffe, oder willführliche. Die abjiracten
Begriffe ftellen uns dasjenige vor, was verſchiedene Ems
pfindungen mit einander gemein haben, und die willführlie
‚ben Begriffe werden, aus den Theilen verſchiedener
Empfindungen und abftracten Begriffe, zufammengefeßt.
Folglich ift es unwiderſprechlich, daß wir Menfchen in der
That nichts anders denken fönnen, als was wir entweder
ganz oder zum Theil empfunden haben, und was demjeni«
gen, was wir empfunden haben, ähnlich iſt. Da mir nun
von Gott nichts anders empfinden können, als feine Wirs
fungen in uns, und andern endlichen Dingen; fo Fönnen
wir, auf Feine andre Art, zu einer wahren Erfentniß Öot-
ces gelangen, als wenn wir einen veichen Vorrath an
Empfindungen, welche uns die Realitäten und Bollfoms
menheiten der Creaturen vorftellen und zu fühlen geben,
gefamlet haben, und fie uns auf eine übrigens gehörige
Art in Gott als einem Subjecte vorftellen. Gott hat, fogar
bey der geoffenbarten Religion, dieſen Weg erwählt, indem
ein Menfch von manchen Dingen gar feinen Begrif befoms
men Fan, bis er nicht wiedergeboren ift, und diefelben
alsdenn empfindet. Daher fomts ohne Zweifel, daß uns
die Dreyeinigkeit ein Geheimniß ift, weil wir in uns nichts
empfinden, was mit einer göttliben Perfon zu einer Art
der möglichen Dinge gehört, Wenn man nun dergeftalt,
durch
in die natürliche Gottesgelahrheit. 13
durch den Weg der Erfahrung, eine reelle Erkentniß Got«
tes erlangt, fo Fan man durch allgemeine Wahrheiten, und
durch die Erfentniß a priore, diefe Erfentniß von Gott in
ein philofophifches Syſtem bringen, und durd) diefen dop—
pelten Weg eine deutliche, vernünftige und gründliche Er-
Fentniß von Gott und göttlichen Dingen erlangen, Aus
diefer Betrachtung erhellet demnach einmal, warum man
in der Metaphyſik erft, die Ontologie, Cosmologie und
Pſychologie, lernen muß, ehe man die natürliche Gottes—
gelahrheit abhandeln fan. In den drey erften Wiffenfchaften
famlet man ſich, einen hinlänglichen Vorrath reeller Ers
kentniß von der Vollkommenheit eines möglichen Dinges,
vermöge deffen man fich in den Stand feßt, Gott und goͤtt—
liche Dinge in der That zu denfen. Zum andern, warum
man die Phufif, die Mathematif und alle reelle menfchli=
he Wiffenfchaften, als wahre Beförderungsmittel der Er—
fentniß Gottes betrachten Fan. Alle diefe Wiffenfchaften,
in fo ferne fie reel find, verfchaffen uns Begriffe von Re—
alitäten,, die von Gott abftammen, und folglich find fie
uns beförderlih, nach und nad) immer mehr reelle Erfent-
niß von Goft zu erlangen.
§. 80L
Es hat feiner Keligion „, und alfo auch nicht der nas
tuͤrlichen Gottesgelahrheit, iemals an Widerfachern gefehlt,
und es gibt feute, welche ſich ftarfe Geifter zu ſeyn dünfen,
die es für thöricht halten, wenn man fid) in der natürlichen
Gottesgelahrheit bemüht, eine deutliche und gründliche Erz
Fentniß von Soft zu erlangen. Dergleichen Leute, welche
alle andre Menfchen an Berftande und Scharffinnigkeit zu
übertreffen fich einbilden, machen fonderlicy eine dreyfache
Einwendung mider die natürliche Gottesgelahrheit über:
haupt. Einmal fagen fie, diefe ganze Wifjenfchaft fey un-
moͤglich, oder wenigftens für die menfchlichen Kräfte gar
zu ſchwer. Gott fey für uns Menfchen ein ganz unbegreifs
liches Weſen; der Menſch koͤnne nicht wiffen, was Gott
fen, kaum koͤnne er wiffen, daß ein Öott fen, und was ev
nicht
14 Ä Finleitung
nicht fen; er fen ein folches reines und ſchimmerndes Sicht,
daß unfer Verftand bey der Betrachtung deffelben, wie uns
fere Augen durch die beitere Sonne, gebiendet werde, daß
er nichts fehen koͤnne; unfer ungemein Eleiner und in vie
engften Schranken eingefchloffener Berftand Fünne unmög«
lich, den Begrif von einem unendlichen Dinge, fallen, und
was dergleichen Einfälle mehr find, welche halb wahr und
Halb falfch find, und aus denen unrichtig gefchloffen wird.
Es ift wahr, unfer Berftand Fan nicht alles in der Gottheit
erforfchen, und es iſt⸗ unmoͤglich, Daß er ſich einen Begrif
von Gott folte machen koͤnnen, der eben fo unendlich ifk,
als Gott feibft. Aller unferer Erfentniß Gottes ohnerach—
fet, wird uns allemal, das meiſte von Gott und in demjela
ben, unbefant, dunkel und undeutlid) bleiben. Allein das
raus folgt nicht, daß wir nichts von Gott einfehen und deutlich
erfennen koͤnnen. Wer nicht alles erfent, ver Fan doch wol
einiges einfehen. Und wenn diefe Gegner gründlich verfah—
ren wollen, fo müjfen fie unfere natürliche Gottesgelahrheit
von Saß zu Saß durchgehen, und gründlic) beweifen, daß
ein ieder entweder falfch und ungereimt fen, oder gar feinen
Sinn und Beritand habe. Diefen Beweis aber bat meines
Wiſſens, noch) Fein Gegner der natürlichen Öottesgelahrs
beit, unternommen, Zum andern fagt man, alles unfer
Wiſſen von Gott fey und bleibe, in diefem Leben, doch nur
ein biofies Stuͤckwerk, und es ſey alſo rathſamer, daß man
lieber in der Schre von Gott ganz unwiſſend bleibe, als feine
Zeit und Kräfte auf ein ſolches Flick- und Stuͤckwerk zu vers
jhwenden. Ein fehe feltfamer Einfall! Die Erkentniß
Gottes Fan nur ein Stuͤckwerk genant werden, in fo ferne
fie. ung nicht den ganzen Gott, und alles in ihm, feinen
Vollkommenheiten und Werfen, vorfielt, und in fo ferne
fie uns nur gleichfam einige Stüde von Gott vorftelt.
Der Gegner fchlieft alfo: weil wir nicht alles von Gott eins
ſehen, fo ift dasjenige, was wir von ihm erfennen, nichts
nüße; und ein jeder ſieht die Ungereimtheit diefer Folgen
rung. Alle unfer Willen iſt ein Stuͤckwerk, denn unfer
j Ders
in die natuͤrliche Bottesgelabrheit, i5
Berftand Fan nicht ein Sandforn völlig einfehen, folglich
müften wir, gar feine Erfentniß irgends einer Sache, zu
erlangen fuchen. Dieſe Gegner find wie manche Ver⸗
ſchwender anzufehen, welche, weil fie nicht reich werden
Fönnen, fid) arm machen, und welche Fleinere Summen mit
allem Fleiß verfch wenden, darum, weil es Feine groffen Suma
men find. Zum dritten machen einige Leute, die fich für
groffe Verehrer der geoffenbarten Religion ausgeben, wider
die natürliche Gottesgelahrheit einen Einwurf, der, wenn
man ihnen glauben foll, ungemein erbaulich, und dent
Character eines Wiedergebornen hoͤchſt anftändig ift. Sie
fagen: wir Menfchen find durch den Suͤndenfall fo fehr
verdorben, und unfer Berftand ift Durch denſelben derges
ftalt verfinftert , daß er in göttlichen Dingen ganz blind ge=
worden; die ihr felbft gelafiene Vernunft koͤnne von Gore
nichts wiffen, und ein Weltweifer mache fi) lächerlich, fo
bald er von Gott und göttlichen Dingen handele; wenigſtens
fey e8 heute zu Tage, da uns ein befferes !icht in der heilia
gen Schrift aufgeſteckt worden, thoͤricht und gefährlich,
wenn man durch die bloffe Vernunft Gott zu erfenner
frachten wolle. Diefer Einwurf ift ein Miſchmaſch von
Gedanken, die am beften mwiderlege werden koͤnnen, went
man fie deutlich auseinander ſetzt. Erſtlich iſt es unfeug«
bar übertrieben, und fan aus Gottes Wort nie erwiefen
werden, daß durch den Sündenfall unfer Berftand und un—
fere Vernunft dergeftalt verdorben feyn füllen, daß fie von
Gott gar nichts zu erfennen im Stande geblieben, Mar
ſchaft der geoffenbarten Neligion warlich gar feinen Vor—
£heil, wenn man das natürliche Berderben des Menfchen auf
eine chimärifche Art vermehret. Folglich it es offenbar
falfh, und der unleugbaren Erfahrung zuwider, wenn man
annimt, daß, die ihr felbft gelaffene Vernunft des verdora
beichen Menfchen, gar nidyts von Gott und göttlihen Dina
gen erkennen koͤnne. Zum andern gebe ich zu, daß die
Vernunft eines Chriften, ob er gleich nicht wiedergeboren
iſt, durch Huͤlſe der heiligen Schrift, es in der natürlichen
Got⸗
16 Einleitung
Gottesgelahrheit viel weiter bringen kan, als die Vernunft
eines andern Menſchen, der von dieſem hoͤhern Lichte gar
keinen Gebrauch macht oder machen kan. Drittens iſt das
Ucht der Offenbarung freylich beſſer, als das Licht der Ber
nunft; allein deswegen ift das legte nicht überflüßig und
unnöthig. jenes feßt diefes voraus, und ohne natürliche
Gottesgelahrheit Fan man unmöglid), von der GöttlichFeit der
heiligen Schrift, überzeugt werden. Diefer Einwurf alfo,
fo eine andächtige Geftalt er auch immer haben mag, ift
für die heilige Schrift fehr gefährlich, Wenn ein blofjer
Weltweifer nichts von Gore wiflen Fan, fo haben wir gar
feinen tüchtigen Grund, der uns bewegen Fönte, die heilige
Schrift als Gottes Wort anzunehmen. So find ofte dieje—
nigen, welche von ihrer Liebe zu Gottes Wort, und von ihe
rer Hochachtung gegen daffelbe, ein gewaltiges Geſchrey mas
chen, die gefährlidyften Feinde deffelben, weil fie im Ver—
borgenen die Gruͤnde und Stügen deffelben untergraben.
$+ 802,
Wenn die natürliche Gottesgelahrheit eine gehörige
Geftalt befommen foll, fo muß man fich in derfelben vor eis
nem doppelten Fehler in acht nehmen. Kinmal muß man
fi) durchaus hüten, damit man nicht, in der Meinung
Gott und göttliche Dinge wunderbar und bewunderungs-
würdig zu machen, in das Parvdore verfalle, Alles dasje-
nige ift parador, was eine Bewunderung verurfacht, weil
es mwiderfprechend zu ſeyn ſcheinet. Nun gibt es Leute,
die fi) nur fo lange über etwas verwundern, fo lange fie
daffelbe gar nicht verftehen, und fo lange es ihnen wider-
fprechend und unmöglich zu feyn feheinet. Solche Leute
verwandeln die ganze Erkentniß Gottes in ein Raͤthſel, wels
ches entweder gar nichts bedeutet, oder deffen Auflöfung viel
unnüße Mühe macht. Man Fan nicht genug ſagen, wie
ſehr die Erkentniß Gottes unter den Menſchen, durd) das
Beftreben nad) dem Paradoren, verdorben worden, Dies
fes Beſtreben verleitet ung nur gar zu ofte zu wahren Wider»
fprüchen in der Gottesgelahrheit, und folglich zu talıden
ls
in die natürliche Gottesgelahrheit. 17
Begriffen von Gott und göttlichen Dingen; die Gottheit
verſchwindet in unſern Gedanfen unter der Vorſtellung des
paradoren Raͤthſels, und indem man entweder den Schluͤſ—
fel zu dem Raͤthſel gar nicht finden Fan, oder zu viel Zeit und
Mühe auf die Auflöfung deffelben wenden muß, fo vergift
man in der That, Gott und göttliche Dinge zu denken; und
man feßt die wahre Erkentniß Gottes in Gefahr, von allen
denenjenigen verworfen zu werden, welche dergleichen Raͤth—
fel nicht auflöfen Eönnen, oder nicht auflöfen wollen, Ich
werde ofte Gelegenheit befommen, in dem Berfolge der nas
türlichen Gottesgelahrheit Benfpiele, welche hieher gehören,
anzuführen. So haben einige die Allgegenwart Öottes vors
geftelt, als wenn Gott vermöge derfelben nirgends und
doch allerıwegen fen ; und feine Unendlichkeit, als fey er ein
Eircul, deffen Mittelpunct allerwegen, und deſſen Umfang
nirgends anzutreffen if. Dies ift eine fehr fchlechte Art,
das Wunderbare zu erreichen. Gott und feine Bollfome
menbeiten werden, in unfern: Augen, allemal im höchften
Grade bemundernsmürdig, wenn wir fie felbft, nad) ihrer
wahren Natur, aufs ungefünftelfte und deutlichfte uns vor⸗
ftellen. Zum andern, muß man fid) hüten, damit man
nicht eine gewiffe Art der Erbauung, in dem Vortrage thes
ologifcher Wahrheiten, allein zum unmittelbaren und näd):
ften Zweck ſich vorfeße, diefe Erbaulichfeit zum einzigen
Kennzeichen theologifcher Wahrheiten annehme, und alle thes
ologifche Unterfuchungen übergehe oder für falfch halte, wels
che nicht auf diefe Art evbaulih find. Manche Leute reden
immer von der Erbauung, und fie verftehen doch nur, durch
eine erbauliche Erkentniß, eine finnlich rührende Erkentniß
göttlicher Dinge. Daher verwerffen fie alle deutlichen,
ſcharfſinnigen, gründlichen und theoretifchen Linterfuchuns
gen aöttlihher Wahrheiten, unter dem Namen unerbaulicher
Dinge, und fie verwandeln, die ganze Erkentniß Gottes,
in eine blos finnliche allegorifche Erkentniß, welche der ges
radefte Weg zu den groͤbſten Irrthuͤmern ift. Und da es finne
liche erbauliche Luͤgen gibt, fo tragen ſolche Leute ofte Fein
ur Theil, B Be⸗
18 Einleitung
\
Bedenken die unleugbarften Unmahrbeiten anzunehmen,
weil fie ihnen Gelegenheit geben, erbauliche Seufzer dabey
anzubringen. Die wahre Erbauung ift, von einem viel
weiten Umfange. Sie befteht, in einer jeden wahren
Berbefferung der practifchen und lebendigen Erfentnig Got—
tes. Folglich find alle theologifche Anterfuchungen erbaulic),
durch welche dieſe Erkentniß Gottes weitläuftiger, groͤſſer,
richtiger, klaͤrer und deutlicher, gewiſſer und gruͤndlicher,
und lebendiger gemacht werden Fan. Man kan alſo mit Wahr:
heit annehmen, daß alle Unterfuchungen der natürlichen Got—
tesgelahrheit erbaulich feyn müffen aber nac) der wahren Er—
Flärung diefes Worts. Dadurch aber wird, eine gründlis
he und deutliche Theorie görtliher Wahrheiten, fo wenig
aus dem Umfange der Gottesgelahrheit ausgefchloffen, daß
fie vielmehr nothmendig erfordert wird, weil Feine wahre
Erbauung ohne Theorie ſtat finden Fan.
$. 803.
Nachdem Ih, die wahre Natur und Beſchaffenheit
der natürlichen Gottesgelahrheit, bisher unterfudye habe, fo
ilt es nöthig, daß ich die verfchiedenen Eintheilungen ders
felden unterſuche. Und da ift eine der merkwuͤrdigſten
Eintheilungen, vermoͤge welcher ſie entweder eine angebor⸗
ne natuͤrliche ae oder Erfentniß Gottes
feyn fol, oder eine erlangte. Die erſte ift Deswegen merfs
wuͤrdig, teil viele, den ganzen Beweis der Wirklichkeit Gofa
tes, auf diefelbe gegründet haben, mit was für Rechte oder
Unrechte aber, werde ich in dem Folgenden beurtheiln. Es
fragt fi) demnach), was man durd) diefelbe verjtehe? Und
da hat man fi), auf eine drenfache Art, erklärt. Einmal
verftehet man darunter eine würfliche Elare, und mit einem
Bemwuftfeyn verfnüpfte, Borftellung Gottes, Man bat ans
genommen, daß ein Menfch fehon im Mutterleibe einen Fla«
ren Begrif von Gott habe, den ihm Gott felbft eingeprägt,
und den er bey feiner Geburt mit auf die Welt bringe, Diefer
ganze Einfall: beruhet auf falſchen Cartefianifchen Grunde
fügen, als wenn ein Kind im Mutterleibe ſchon denfen koͤn—
RN; ne,
in die natürliche Gottesgelahrheit. 19
ne, weil dns Weſen der Seele in Denken beſtehe, welches
doch falſch iſt. Unſere eigene Erfahrung Fan ung von dieſem
angebornen Begriffe Gottes nicht überzeugen, weil Fein
Menſch fich auf dasjenige befinnen Fan, was er im Mutter⸗
leibe ſchon gedacht haben fol, Aus andern Gründen der
Vernunft Fan, die Wuͤrklichkeit dieſes Begrifs, auch niche
erwiefen werden, Es ift demnach), die angeborne natürli-
che Gottesgelahrheit in diefem Berjtande, eine ohne genung-
famen Grund angenommene Meinung, welche noch dazu
den Wahrheiten vor der Natur der Seele, die wir in ber
Pſychologie feſtgeſetzt haben, widerſpricht. Wolte man
fagen, daß alle Menſchen einen Gott glauben, und daß
diefer allgemeine Glaube, genungfam eriweife, daß es einen
folchen angebornen Begrif von Gott gebe; fo ift diefes ein
ſchlechter Einfall. Denn gejegt auch, daß alle Menfchen
einen Gott glaubten, welches aber ‚Ho nicht falſch, doch
fehr zweifelhaft iſt; ſo Fan und muß, diefer allgemeine
‚Glaube, aus einem ganz andern Örunde hergeleitet werden.
Alle diejenigen „ welche einen Gott. glauben, halten die Er—
Eentniß Gottes für fo wichtig, daß fie dieſelbe allemal auf iha
re Rinder fortpflanzen. - Folglich Fonnen alle Menfchen
einen Gott glauben, und. doc) ven Flaren Begrif von dem⸗
felben erft nach ihrer Geburt empfangen haben, nemlich
durch den Unterricht, den fie von andern Menfchen geniefz
‘fen. Zum andern, Fonte man, durch Die angeborne na=
türliche Erfentnig Gottes, eine dunfele Vorftellung deflel-
ben verftehen, und da mülte man behaupten, daß alle
menſchliche Seelen fhon in Murterleibe eine dunfele Erfents
niß von Gott befißen, der fie fic) alſo nicht bewuſt find, die
fie durch die Geburt mit auf die Welt bringen, und welcher
fie fich ecft mit den Jahren bewuft werden, wenn ihre Ers
kentnißkraͤſte, fonderlid) die obern, zugenommen haben, und
fie durch den Unterricht anderer. Leute veranlaft werden, diefe
Erkentniß Gottes nad) und nad) zu entwicdeln. Wenn
man die angeborne natürliche Gottesgelahrheit auf diefe Ark _
erklärt, fo Fan man fie zugeftehen, Ich babe $. 740; ers
B 2 wie⸗
20 Einleitung
wieſen, daß ſich eine iedwede menſchliche Seele, und alſo
ſchon im Mutterleibe, alles in dieſer Welt dunkel vorſtelle.
Da nun die ganze Welt ein Werk Gottes iſt, und die
Wuͤrkungen einen Begrif von ihren Urſachen natürlicher
Weiſe erwecken ; fo Ean man es) wenigftens als möglich und
fehr wahrfcheinlicy anfehen, daß die menfchliche Seele be-
ftändig, von ihrem erften Urfprunge an, den Eindruck der
Gottheit in ihr habe, oder ein dunkeles Bild 'derfelben in
ihe angetroffen werde. Allein, nach diefer Erklärung Fan
man ſich gar feinen erheblichen Vortheil davon verfprechen,
wenn man eine angeborne natürliche Erfentniß Gottes ans
nime. Auf eben die Art find ung alle menfchliche Künfte
und Wiffenfchaften angeboren, und aus diefer angebornen
Erkentniß Gottes läft fih, Eeine Wahrheit der natürlichen
Gottesgelahrheit , erweifen. Zum dritten, haben einige,
die angeborne natürliche Gottesgelahrheit, dergeftalt erflärt,
dag fie darunter diejenigen Erfentnißfräfte verftehen, durch
weiche wir vermögend find, Gott und feine Bollfommen«
beiten zu erkennen, oder mit sinem Worte, Berftand und
Vernunft. Da uns nun VBerftand und Vernunft, mie
alle übrige Erfentnißfräfte, angeboren werden; fo ift ohne
alle Widerrede Flar, daß es, nach diefer Erklärung, in
allen Menfchen eine angeborne natürliche Erfentniß Gottes
gebe, Allein, wenn man ohne Anfehen der Perfon, und
ohne alles Vorurtheil, diefe Sache überlegt, fo beift es auf
eine lächerliche Art mit dem Worte fpielen, wenn man die
menfchliche Vernunft, in fo ferne fie geſchickt ift, Gott zu er-
Fennen, eine würflid,e Erkentniß Gottes nennen will. Auf
eben die Art Eönte unfere Vernunft eine angeborne Welt
weisheit, Arzeneyfunft, Nechtsgelahrheit, Sprachkunft u. f.
m. genant werden, Ja es gebe in der That ein angebornes
Schufter- und Schneiderhandwerf, meil allen Menichen
diejenigen Erfentnißvermögen angeboren find, durch welche
diefe Künfte gelernt und ausgeübt werden.
$. 804.
in die natürliche Gottesgelahrheit. al
S 804. |
Der angebornen natürlichen Gottesgelahrheit wird,
die erlangte natürliche Gottesgelahrheit, an die Geis
te gefeßt, und man verfieht darunter eine klare Erfentniß
von Gott und göttlichen Dingen, welche wir mit den Jah—
ren, durch den Gebrauch unferer Erfentnisfräfte, vermits
telft des Unterrichts anderer Menfchen, oder durch unfer
eigenes Nachdenken, ohne übernatürlihe Mitwuͤrkung Gots
tes, in ung heroorbringen. Diefe ausführliche Befchreis
bung ift zu gleicher Zeit ein binlänglicher Beweis, daß ee
dergleichen Gottesgelahrheit, wo nicht in allen Menſchen,
doch in unendlich vielen, zu allen Zeiten gegeben habe, und
noch gebe, Und fie ift entweder eine gemeine, oder eine
philofophifche und gelehrte natürliche Gortesgelahrs
beit. Die legtere ift die Wiffenfchaft von Gott, die ich
$. 797. erklärt habe. Die gemeine natürliche Gottes⸗
gelabrheit aber ift eine blos hiftorifche, unvollftändige,
verworrene und ungemwiffe Erkentniß goͤttlicher Wahrheiten,
vergleichen wir bey ungelehrten Seuten antreffen. Dieſe
Eintheilung fan man auch mit groffen Mugen, bey der ge=
offenbarten Gottesgelahrheit, andringen. Es gibt eine
gelehrte geoffenbarte Gottesgelahrhelt, und auch eine gemei«
ne geoffenbarte Erfentniß Gottes. Die erfte ift zur Sees
ligfeit und zur Wiedergeburt des Menfchen nicht nothwen—
Dig, und die leßtere Fan uns den groffen Nutzen nicht vers
fhaffen, den man fich, von einer philofophifc;en und ge:
lehren Einficht in den Zufammenhang der geoffenbarten
Wahrheiten, verheiffen Fan, 5. E. den Irrthum zu entdecken,
die Orthodoxie zu erhalten, die Einwuͤrfe wider diefelbe
zu beantworten u.f.m. Es wäre wohl der Mühe werth,
diefe Betrachtung heute zu Tage weiter aus einander zu
feßen, weil es in unfern Tagen viele Geiftliche gibt, welche
Veraͤchter und Feinde der gelehrten und philofophifchen ges
offenbarten Gottesgelahrheit find, und alles von ihrer Sei—
te thun, um diefelbe durch eine blos gemeine geoffenbarte
Gottesgelahrheit zu verdrengen; allein, die ausführliche
B 3 Uns
22 Einleitung J
Unterſuchung dieſer Sache gehoͤrt nicht in eine Einleitung in
die natuͤrliche Gottesgelahrheit. |
i $. 805.
Man theilt auch) die natürliche Gottesgelahrheit, in
eine vernünftige und Crperimentalgotteggelabrheit, ein.
Die narbrliche Experimentalgottesgelahrheit it Dies
jenige natürliche Wiſſenſchaft von Gott, welche dur) den
Weg der Erfahrung, oder a pofleriore, erlangt und be=
wieſen wird. In dieſer Gortesgelahrheit erlangt man, die
“Begriffe von Gott und göttlichen Dingen, nah Maasge—
bung unferee Empfindungen von ven Mealitäten in uns
felbft und andern Creaturen. Wir betrachten in derfelben
die ganze Welt als ein Werk Gottes, in welchem wir,
als in einem Spiegel, die göttlichen Vollkommenheiten ge«
wahr werden, und aus welchen wir die Wahrheiten von
Gott erweifen. Die vernünftige natürliche Gottes—
gelahrheit aber, ift eine Wiflenfchaft von Gott, die wir
aus der Bernunft, oder a priore, herleiten, In diefer Wifs
fenfchaft machen wir ung ‚den Begrif von Gott willführlich,
erweifen die Möglichfeit deffelben aus der Vernunft, und
erweifen daher dasjenige, mas wir von Gott behaupten,
In jener ftellen wir uns beftändig Gott als den Urheber der
Belt vor, und aus dieſem Gefichtspuncte ſuchen wir alles,
was wir von Bote willen, aus diefer Welt zu erkennen und
zu beweifen. In dieſer aber ftellen wir uns Gott als dag
allevvollfommenfte Ding vor, und leiten, aus der allerhöch«
fien Vollkommenheit, alles übrige her, was wir natürlia
cher Weife von Gott wiſſen. Wir wollen beyde Arten der
Erkentniß Gottes mit einander verbinden, indem es Gott
nicht nur werth ift, Daß man ihn auf alle mögliche Art zu
erkennen ſuche; fondern weil wir auch dadurch , eine gröffes
ve Deurlichkeit und Gründlichfeie in der Erkentniß Gottes,
erlangen koͤnnen. In der geoffenbarten Gottesgelahrbeit
redet man auch, von einer Erfahrungserfentniß Gottes und
göttlicher Dinge Allein es gibt viele, welche aus derfels
ben eine gefährliche Schwärmerey machen: indem fie ent
we⸗
in die natuͤrliche Bottesgelabrbeit. 03
weder glaubeu, daß ein Begnadigter die Gottheit unmik
telbar in feiner Seele fühle; oder daß er eininnerliches über=
natürliches, Sicht in feiner Seele habe, meiches, obne allen
eigenen Gebrauch feiner Erkentnißkraͤſte, alle Erkentniß
von Gott in ihm hervorbringe. Man fan aber aud), nady
Maasgebung meiner gegebenen Erklärung, die geoffenbars
te Gottesgelahrheit in eine Erfahrungserfentniß der geoffen-
barten Wahrheiten, und in eine vernünftige eintheilen. Ich
will nur noch) beyläufig zweyer Arten der natürlichen Got⸗
tesgelahrheit, Erwehnung thun, deren genauere Unterſu—
Hung vielmehr in die philofophifche Hiftorie, als hieher, ge—
hört, ich meine die bürgerliche und fabelhafte Gottes⸗
gelahrheit. Man verfteht, durch die erfte, die Lehrge—
bäude von göttlichen Dingen, welche durch die bürgerlichen
Geſetze in einem Staate eingeführt worden, und welche viel:
mehr auf politifchen Gründen, als auf Gründen der Wahr-
beit, beruhen. ° Nun finder man, in den Schriften der
Flügften Heyden, eine Menge Fabeln von den Göttern, die
fo abgefhmadt find, daß man nicht glauben Fan, daß Ho—
-mer, Horatz, Virgil und dergleichen groffe Geifter, fie fol-
ten geglaubt haben. Es haben demnad) einige angenom⸗
men, daß die Flügften Köpfe, unter Diefen Zabeln , ihre eigene
wahre Meinung von der Gottheit verſteckt haben, weil fie
ſich, der bürgerlichen Gottesgelahrheit wegen, nicht unters
ftehen dürfen, dieſelbe mit deutlichen Worten vorzutragen,
und man nennt fie daher Die fabelhafte Gottesgelahrbeit.
Diefe Sache ift fehr ſchwer auszumachen, weil diefe Fabeln
Närhfel find, zu denen die Schtüffel ſchon längft verlohren
gegangen,
§. 806.
Sch habe in dem Vorhergehenden ſchon nezeigt, daß
die natürliche Gottesgelahrheit deswegen nicht überflüßig und
unnoͤthig fen, weil wir ietzo, das höhere Licht der überna-
türlichen Offenbarung Gottes, zu befigen das Gluͤck haben,
Um dieſen Gedanfen noch bündiger zu erweifen, fo wollen
wir, den groflen Mugen der. natürlichen Gottesgelahrheit,
4 ge:
24 Finleitung
genauer aus einander feßen. Und da fragt fihs nicht fo
wol, was uns Menfchen die Erfentniß Gottes überhaupt
nuße, denn Das wird in der philofophifchen Gittenlehre aus—
führlicher gezeigt, wenn fie die mannigfaltige Verbindlichkeit
zu der Neligion darthut: fondern hier ift die Frage, was
man ſich, von einer gelehrten, philofophifchen und feientifis
fehen Erfentniß Gottes aus der Natur, für Mugen zu vers
fprechen habe? Und da wollen wir nur einen drenfachen
Nusen in Betrachtung ziehen, welche hinreichend find,
ihren Werth gnugfam anzupreifen. Cimmal enthält, die
natürliche Öortesgelahrheit, die erften Gründe der ganzen
practifchen Weltweisheit, und man Fan ohne fie, die Ber
bindlichkeit zu der ganzen natürlichen Pflicht, nicht in der
gehörigen Bollfommenbeit erweifen. Und diefer erfte Nutzen
Fan, durch folgende Betrachtungen, auffer allen Zweifel
gefeßt werden. 1) Der ganze Theil der practifchen Welt
mweisheit, welcher von der natürlichen Religion, oder von
den natürlichen Pflichten gegen Gott, handelt, berubet auf
der nafürlichen Gottesgelahrheit. Es ift unmöglich einen
Menfihen zuüberzeugen, daß er verbunden fen, Pflichten
gegen Gott zu beobachten, und ihn zu der Ausübung diefer
Pflichten zu bewegen, wenn er nichts von Gott weiß, oder
ihn wol gar leugnet. Es iſt wahr, ein Menfch, welcher
Gott leugnet, oder durch feine Schuld nichts von demfelben
weiß, ift demohnerachtet zur Religion verbunden; nemlich
durd) feine verſchuldete Unwiſſenheit, und durch feine Athes
ifterey Fan er ſich von den Pflichten gegen Gott nicht frey
madıen, er fündiget, daß er diefe Pflichten unterläft, und
er wird deshalb gewiß von dem gerechten Gott geftraft,
Alein fo lange er ein Atheift, und ganz unwiſſend in der
Gortesgelahrheit iſt; fo lange Fan man ihn, weder von
feinen Pflichten gegen! Gott überzeugen ‚'ncch zu der Aus—
übung derfelben bewegen. Folglich Fan, der ganze Theil
der practifchen Weltweisheit, welcher von den natürlichen
Pflichten gegen Gott handelt, weder ausführlicy erflärt,
noch philofophifch erwieſen werden, wenn man nicht die
Nds
in die natürliche Bottesgelabrbeit. 25
natürliche Gottesgelahrheit vorausfegt. Und da, in der
möglichften Ausuͤbung der Pflichten gegen Gott, unfere
allerhöchfte zeitliche und ewige Gluͤckſeeligkeit beſteht; fo iſt,
die natürliche Gottesgelahrheit, ein Grund des ganzen Ges
bäudes unferer Gluͤckſeeligkeit. Was für ein herrlicher
Mugen! 2) Keine der übrigen natürlichen Pflichten eines
Menfchen gegen fich felbft und andere Greaturen, weder
in dem natürlichen Zuftande, noch in den verfchiedenen Ge:
fellfchaften der Menfchen, Fan, in ihrer höchiten Verbind⸗
lichkeit und Vortreflichkeit, vernünftig und philoſophiſch er
kant werden, wenn man nicht die Wahrheiten der natürli-
chen Gottesgelahrheit vorausſetzt. Alle Naturgefege, und.
alle daher flieffende natürliche Pflichten, erlangen eine ihrer
ftärfften Berbindtichfeiten daher, wenn man, durch die na=
türliche Gottesgelahrheit, fich überzeugt hat, daß Gott uns
fer hoͤchſter Oberherr und Gefeggeber fey, und daß, alle
natürliche Pflichten, der natürlich geoffenbarte Wille deffels
ben find, Ueberdies wird in der philofophifchen Sittenlehre
erwiefen, daß, Feine Pflicht auffer der Religion, ihre hoͤchſte
und vollfommene Rechtmaͤßigkeit erlangen koͤnne, wenn
nicht, auffer den übrigen rechtmäßigen Bemegungsgründen,
die Ehre Gottes der legte und vornehmfte Bewegungsgrund
und Zweck derfelben ift. Nun fan man ſich nur durch die
natürliche Gottesgelahrheit überzeugen, daß diefes möglich
und nörhig it. Ein Atheift mag noch fo tugendhaft feyn,
er Fan in Eeinem einzigen Falle, die höchfte Nechtmäßigfeie
in irgend einer guten Handlung, erreichen. Unfere aller
beften Handlungen find nothwendig zu gleicher Zeit Sünden,
in fo ferne nicht, ihr vornehmfter Bewegungsgrund, aus
der Erkentniß Gottes hergenommen wird. Folglich Fonnen
die übrigen natürlichen Pflichten, auffer den Pflichten gegen
Gott, weder in der Theorie noch in der Ausübung, ohne
natürliche Gottesgelahrheit philoſophiſch betrachtet und aus:
geübt werden, 3) Mad) der iegigen Gefinnung der Men:
ſchen ift, der Eidſchwur, die vornehmite Stuͤtze aller Ber-
träge, und das feftefte Band der allermeiften Geſellſchaften,
B5 “und
26 Einleitung
und iſt alſo ein Mittel, welches, zu der Befoͤrderung der
menſchlichen Gluͤckſeeligkeit in dieſem Leben, unentbehrlich
erfordert wird. Nun iſt ohne Beweis klar, daß man, ohne
natuͤrliche Gottesgelahrheit, weder die Natur eines Eides
erklären, noch die natürliche Verbindlichkeit deſſelben erwei—
fen kan. Folglich iſt offenbar, daß, die Grundſaͤtze der
natürlichen Gottesgelahrheit, allerwegen in der practifchen
Weitweisheit vorausgefegt werden müffen.
$. 807.
Man Fan alfo mit Necht behaupten, daß die natürlis
che Religion, und infonderheit die natürliche Gottesgelahr⸗
heit, auch einen politifhen Nußen habe, indem fie Pflich—
ten, worauf der ganze gefellfchaftlihe Zuftand, und vie
Gluͤckſeeligkeiten deffelben, beruhen, befördert, erleichtert und
befeſtiget. Die Gottſeeligkeit ift zu allen Dingen nuͤtze,
und man fan alfo mit Wahrheit fagen, daß ein Menſch,
der eine gehörige natürliche Erkentniß von Gott beſitzt, allem
mal ein treuerer Gefellfehafter uno gehorfamerer Unterthan
fenn werde, als ein anderer. Diefer Gedanke hat, zu einer
Doppelten ausfchmeifenden Meinung, Gelegenheit gegeben,
Einmal haben manche diefen Gedanken dergeftalt übertrie-
ben, daß fie die ganze Lehre von Gott, als einen bloſſen po—
litiſchen Kunſtgrif, angefeben, den Eluge Köpfe erfunden,
un den Döbel in Zaum zu halten, und ihn defto beſſer
unter Das Joch der menfchlichen Herrfchaft zu bringen. Das
heiſt die ganze natürliche Gottesgelahrheit für eine Erdich—
tung ausgeben, und daß müfle doch erft erwiefen werden,
Es iſt freylich nicht zu leugnen, daß, in den verfchiedenen
Religionen der Völker, viele Lehren und Uebungen vorfoms
men, welche nur bloſſe politifche Erfindungen find; allein
daraus folge nicht, daß, die ganze natürliche Religion und
Gottesgelahrheit, nichts weiter ſey. Ja es iſt erlaubt
—
und aut, wenn ſich die Regenten der göttlichen Wahrheiten
als Mittel bedienen, um das wahre Staatsintereffe zu bes
fördern, wenn fie diefes nur nicht, für den einzigen. oder
vornehmſten Nusen der ganzen Lehre von Gott, halten,
Zum
in die natuͤrliche Gottesgelahrheit. 27
Zum andern, haben manche auf eine andere Art dieſen Ge—
danken uͤbertrieben, indem ſie annehmen, daß die Lehre von
Gott und die Religion, zur Wohlfart aller Geſellſchaften,
fo norhwendig erfordert würden, daß ohne denfelben gar kei—
ne Gefellichaft beſtehen koͤnne, und ein Staat, der aus
lauter Atheiften beftehe, fen ganz unmöglich. Freylich find
die meiften Arheiften nicht fo wohl aus Ueberzeugung Athei—
ften, als vielmehr deswegen, damit fie, mit einem ruhigen
Gemuͤth, alle Ungerechtigkeiten ausüben, und alle Schande
thaten begehen koͤnnen. Solche Atheiſten übertreteten alle
Gelege, und die koͤnnen Feine Geſellſchaft unter einander
errichten, indem Feiner vor dem andern ficher it. Allein,
die Pflihten, worauf die Wohlfartd aller Geſellſchaften
beruhen, koͤnnen ohne Gottesgelahrheit erwieſen, und
ohne Religion in fo weit ausgeübt werden, als es die Wohl—
farth des gefellfchaftlichen Zuftandes in diefem eben erfo=
‚ dert. Folglich) Fan auch ein Atheiſt ein ehrlicher, ehrbarer,
Dienftfertiger Menſch, und ein gehorfamer Unterthan der
Dbrigkeie ſeyn. Und. es ift demnach ungegründet, wenn
man den politifchen Nußen der natuͤrlichen Gottesgelahrbeie
gar zu fehr übertreibt, und ihr wol gar in allen Abfichten
eine politifche Unentbehrlichkeie zuſchreibt.
688
Der andere Nutzen der natuͤrlichen Gottesgelahrheit
beſteht darin, daß ſie die erſten Gruͤnde der Teleologie, oder
Der Wiſſenſchaft der goͤttlichen Abſichten, die er bey der
Einviheung, Erhaltung und Regierung der ganzen Welt,
und aller Dinge in derfelben, hat, enthalt, Diefe Wilfen«
ſchaft ift von ungemeiner Brauchbarkeit. Ohne ihr Fon«
nen wir diefe Welt unmöglich als ein Werf anfehen, welches
im Ganzen, und in allen feinen Theilen, das Werk des wei—
feften und gütigften Lichebers iſt; und folglich Fan man ohne
fie mit Gottes Borfehung nicht zufrieden ſeyn, und fich in
derfelbigen nicht berubigen. Und eben fo wenig Fan'man,
ohne diefer Wiſſenſchaft, ein gruͤndliches und zuverfichtiis
ches Vertrauen auf Gott ſetzen. And es ift unmöglich, daß
wir
28 Einleitung
wir irgends etwas in der Welt pflichtmaͤßig und tugendhaft
gebrauchen koͤnten, wenn uns die Zwecke Gottes bey dem—
felben unbefant find; weil aller Gebrauch einer Sache, wels
cher diefen Zwecken nicht gemäs ift, ein fündlicher Gebrauch,
und ein wahrer Misbrauc) derfelben iſt. Wir Eönnen uns
fern Berftand nicht recht gebrauchen, wenn wir nicht willen,
wozu ung Gott denfelben gegeben hat. Wir fünnen unfer
Geſicht nicht pflichtmaͤßig gebrauchen, wenn uns die Zwecke
unbefant find, um welcher willen uns Gott daffelbe gegeben
bat. Kein Thier, Feine Pflanze Fan rechtmäßig gebraucht
werden, wenn wir nicht wiſſen, zu was für Abfichten Gott -
diefe Dinge eingerichtet und verordnet hat. Die Zwecke
Gottes entdecken uns feinen Willen und feine Gefege, und
ohne Teleologie fonnen wir unmöglic) gehorfame Untertha—
nen Gottes feyn. Folglich koͤnnen wir durch diefe Wiffen«
fchaft gefchictt werden, alle Tugenden auszuüben, und durch
alles in und auffer uns, unfere und anderer Dinge wahre
Vollkommenheiten, zu befördern. Dieſe Wiſſenſchaft ift
demnad) eine vonden nöthigften, nüslichften und vortreflich«
ſten, und diejenige Wiflenfchaft ift eben fo nöthig, nüglich
und vortreflich, welche ung die eriten Gründe derfelben ent—
det. Nun thut dieſes die natürliche Gottesgelahrheit.
Sie beweiſt uns: daß ein allerweiſeſtes Weſen vorhanden
ſey, welches die Welt, und alles was drinnen iſt, nach
hoͤchſter Weisheit erſchaffen hat, erhaͤlt und regiert. Sie
uͤberzeugt uns alſo, daß alles in der Welt goͤttliche Abſich—
ten habe. Sie zeigt uns, worin dieſe Abſichten uͤberhaupt
beſtehen, und zeigt uns dadurch den Weg, auf welchem
wir in beſondern Faͤllen dieſen Abſichten nachſpuͤren, und
dieſelben gluͤcklich entdecken koͤnnen. Ohne Theologie kan,
gar keine Teleologie, ſtat finden.
9. 809.
Zum dritten, bat die natürliche Gottesgelahrheit ven
groffen Nutzen, daß fie die erften. Gründe der geoffenbarten
Gottesgelahrheit enehält, und jederman wird dieſes für einen
ungemein groffen Mugen halten, wer Fein Naturalift und
Frey⸗
in die natürliche Gottesgelahrbeit. 209
Freygeiſt ift, und folche Leute find nicht fo viel wereh, um
ihrenewegen, und um ſich den Einwuͤrfen derfelben nicht
auszuſetzen, diefen Mugen, in der Einleitung zu der natürli-
chen Gortesgelahrheit zu verfchweigen. Es fan aber auf
eine mannigfaltige Art erwiefen werden, daß, die natürlis
che Gottesgelahrheit, die erften Gründe der geoffenbarten
enthalte. 1) Ohne fie fan man fich gar nicht, vonder
Wuͤrklichkeit einer übernatürlichen Offenbarung, überzeugen.
Wenn man die lerere erweifen will, fo muß man ja als
gewiffe Wahrheiten vorausfegen: daß ein Gott ſey, daß
es eine göttlihe Vorfehung gebe, daß Gott im höchiten
Grade gütig und weiſe fen, daß er fich übernatürlich offen—
baren koͤnne, und daß diefe Offenbarung gemiffe Kennzeis
chen haben müffe, woran man fie erfennen , und von den
erdichteten Dffenbarungen unterfcheiden far. Nun find
dieſes lauter Wahrheiten, welche nur in der natürlichen Got—
tesgelahrheit richtig und gründlich ermiefen werden Fünnen.
2) Dhne fie fan man, die übernatürliche Dffenbarung, un«
möglid) wider die Einmwürfe vertheidigen, welche wider
fie aus der natürlichen Erfentniß Gottes gemacht werden ;
und eben fo wenig Fan man ohne fie, die Unrichtigkeit der
unächten und für übernatürlich ausgegebenen Dffenbarungen,
völlig und überzeugend dartbun. Die erlogenen Dffenbas
rungen enthalten vieles, welches demjenigen widerfpricht,
was die wahre natürliche Gortesgelahrheit von Gott und
göttlichen Dingen lehrt, und das ift allemal ein ficherer Bes
meis ihrer Unrichtigfeit. Folglich gehört die natürliche
Gottesgelahrheit zu den Richtern, welche entfcheiden müffen,
ob in der heiligen Schrift, oder in einem andern Buche, die
übernatürliche Offenbarung Gottes enthalten fey. Und es
gibt manche Einwuͤrfe wider die geoffenbarten Wahrbeiten
von Gott, weldye nur aus der natürlichen Gotteggelahrheit
beantwortet werden koͤnnen. Folglich ift fie gefchieft, einen
Ehriften, vor vernünftigen Zweifeln, an ven geoffenbarten
theologifchen Wahrheiten, zubewahren. 3) Die ganze ges
pffenbarte, Lehre von Gore ift, wie ich Fünftig erweifen will,
ein
30 j Einleitung
ein Zufaß zu der natürlichen Erfenntiß von Gott. Jene |
fegt diefe allerwegen voraus, und die Erfahrung lehrt auch,
Daß in der heiligen Schrift, die Wahrheiten der natürlichen
Gottesgelahrheit, überal wiederholt. werden. Folglich Ean,
die geoffenbarte Erfentniß Gottes, gar nicht verftanden
und überzeugend eingefehen werden, wenn man nicht die
natürliche Erfeneniß Gottes vorausfeßt. Die geoffenbar:
ten NBahrheiten von Gore müflen allemal, nah Maasges
bung ver natürlichen, erklärt werden. Und die Erfahrung
lehrt aud) leider mehr als zu fehr, daß diejenigen chriftlichen
Lehrer, welche in der natürlichen Gottesgelahrheit und Welta
weisheit fehr unerfabren find, mebrentheils auf ſolche finn«
liche, grobe und unrichtige Borftellungen ver aeoffenbarten
Wahrheiten verfallen, welche nichts anders als Aberglaus
ben und Schwärmerey verurfachen koͤnnen. Ich will mich
nicht länger bey diefer Materie aufhalten, weil ein jeder,
welcher die übernatürliche Gottesgetahrheit gründlid) lerne
und verfteht, ohnedem aus feiner eigenen Erfahrung weiß,
Daß er in derfelben fo zu reden feinen Schritt mit Zuver—
fihe thun fan, wenn er niche von der natürlichen Gottes—
gelahrheit gleichfam an der Hand geführt wird.
810.
Hieraus erhellet zugleich, daß man die natürliche
Gortesgelabrheit mit Recht, als einen Theil der Metaphy—
fi, betrachtet, und fie in derfelben abhandel. Sie ente
halt ja die eriten Gründe, eines fehr grofien Theile der
menfchlichen Erkentniß F. 806 » 809. Da nun zu der
Metaphyſik alle diejenigen Wiffenfchaften gerechnet werden
müffen, welche die erften Gründe ver menfchlichen Erfent:
niß enthalten $. 3. fo würde man ohne genugfamen Grund
handeln, wenn man fie von der Metaphyſik ausfchlieffen,
‚und fie in einem andern Theile der menfchlichen Gelehrſam—
Feit abhandeln wolte. Alles, was wir von Gott natürlicher
Weiſe wiſſen koͤnnen, Fan unter zwey Hauptbegriffe ges
bracht werden. Zu dem erften gehört alles-dasjenige, was
wir von Got hinlaͤnglich einfehen fönnen, ohne vorher feine
Hands
in die natürliche Gottesgelahrbeit. EN:
Handlungen in die Welt zu erflären, und, durch alle dica
| fe Betrachtungen, machen wir uns nad) und nad) einen
‚ rechten ausführlichen Begrif von Gott. Wir wollen alfo,
in dem erften Theile der natürlichen Gottesgelahrheit, von
dem Begriffe handeln, den wir uns von Gott madyen müfe
fen. Zum andern, wollen wir von den Handlungen Got—
tes, wodurch er in die Welt würft, handeln, und alles das⸗
jenige unterfuchen, was mit denfelben ‘auf eine nähere Art
verbunden ill,
S. gr
. Zum Befchluß der Einleitung in die natürliche Got—
tesgelahrheit will ich noch, den Character eines wahren Got⸗
tesgelehrten, entwerfen, als welcher die Regeln der Voll—
kommenheit enthält, die man beobachten muß, wenn man
eine recht vortrefliche Erfentniß von Gott erlangen will.
Ein Hortesgelehrrer ift nicht etwa ein jedweder, welcher
eine Erfentniß von Gott beſitzt; fondern derjenige verdient
nur diefen Namen, welcher eine Willenfchaft, oder eine
gründliche philoſophiſche und gelehrte Erfentriß, von Gore
und göttlichen Dingen, erlangt hat. Je vollfommener alfo
feine theologiſche Erkentniß ift, ein defto gröfferer Gottesge—
lehrter ift er; je unvollfommener und mangelhafter aber
feine Erfentniß von Gott befchaffen ift, ein defto fchlechtes
rer Gottesgelehrter ift er. Ber es alfo in der natürlichen
Gottesgelaheheit zu einem recht hohen Grade bringen, und
ein vollfommener Gottesgelehrter werden will, fo weit es
die Schwäche und Die engen Grenzen der menf&lichen Ver⸗
nunft erlauben: der muß folgende Negeln beobachten,
») e weitläuftiger die Gottesgelahrheit iſt, deſto vollfom«
mener iſt ſie. Je mehr ein Gottesgelehrter von Gott und
goͤttlichen Dingen weiß, deſto groͤſſer iſt er. Je armſeeli⸗
ger aber ſeine Eckenmß, und je tiefer und groͤſſer feine Uns
wiſſenheit in göttlidyen Dingen. ift, dejto unvollformener
iſt er. Man meiß alfo nicht, ob man lachen oder zornig
werden foll, mern es $eufe gibt, welche, mit vielem Schein
ber Andacht und Demuth, Befoͤrderer der theologiſchen RE
ms
32 Einleitung
wiſſenheit ſind, und dieſelbe als eine gottſeelige Einfalt und
Armuth des Geiſtes anpreiſen. Es iſt keine Narrheit zu
finden, welche nicht naͤrriſche Goͤnner und Befoͤrderer unter
den Menſchen haben ſolte. 2) Je groͤſſer, wichtiger und
fruchtbarer die Gottesgelahrheit iſt, deſto vortreflicher iſt
fie. Ein groſſer Gottesgelehrter muß nicht nur die unerheb«
lichen theologifchen Fragen vermeiden, und ſich blos mit
erheblichen, wichtigen, und fruchtbaren theologifchen Wahrheis
ten befchäftigen ; fondern er muß fich aud) in feinen Gedans
fen von göttlichen Dingen zu erheben fuchen, und diefelben,
auf eine der Gottheit würdige und anftändige Art zu denfen
fi) bemühen. Es ift demnach ein verachtungswuͤrdiger
Fehler eines Gottesgelehrten, wenn er auf eine kindiſche,
taͤndelnde, quängelnde und niedertraͤchtige Art von Gott.
denkt und redet, und das wol gar unter dem Scheine eines
findlichen und "vertraulichen Gemüchs. 3) Se richtiger
die Gottesgelahrheit ift, defto vollfommener ift fi. Ein
Gottesgelebrter, welcher von Gott und göttlicdyen Dingen,
auf eine unrichtige, irrige, unbeftimte und grobe Art, denkt,
iſt in fo ferne ein fchlechter Gortesgelehrter, und er ift nicht
zu entfchuldigen, wenn er diefe Irrthuͤmer durch Fleiß und
Gelehrfamfeit hätte vermeiden Fönnen. 4) Ye Flärer und
deutlicher die Erfentniß von Gore iſt, deito vollfommener
ift fie. Ein wahrer Gottesgelehrter muß demnach allerwe⸗
gen, das möglichfte Licht in feiner Erkentniß Gottes, ſuchen.
Er muß überall, fo weit es ihm die Schranfen feines Ver⸗
ſtandes — 5*— die groͤſte und mannigfaltigſte Klarheit,
Lebhaftigkeit, Deutlichkeit, Vollſtaͤndigkeit und Ausfuͤhr—
lichkeit ſeiner theologiſchen Erkentniß ſuchen. Und es iſt
ein groſſer Fehler, wenn man mit Fleiß uͤberall Finſterniß
in der Gottesgelahrheit ausbreitet; wenn man aus Faulheit,
um der Muͤhe des Nachdenkens und Erklaͤrens uͤberhoben
zu ſeyn, alles fuͤr Geheimniſſe ausgibt; und wenn man
wie ein myſtiſcher Gottesgelehrter, durch unverſtaͤndliche,
uͤbertriebene und weit hergeholte Metaphern und Allegorien,
die goͤttlichen Wahrheiten mit einem undurchſichtigen —
7)
in die natürliche Gottesgelahrheit. 33
bedeckt. 5) je gewifler, gründlicher und uͤberzeugender die
Gottesgelahrheit ift, defto vollfommener ift fi. in wah⸗
ver Gottesgelehrter muß alfo alles oder Doch Das meifte, was
er von Gott weiß, gründlich erweifen und demonftriren,
und-das übrige mwenigftens zu einer moralifchen Gewisheit
bringen. Wer nach bloffen Borurtheilen feine Meinung,
unter dem Scheine eines einfältigen und Gott gehorfamen
Glaubens, annimt, ift ein ſehr ſchlechter Gottesgelehrter,
6) Je practiſcher und lebendiger die Gottesgelahrheit iſt,
deſto vortreflicher iſt ſſe. Es iſt alſo ein groſſer Fehler,
wenn ein Gottesgelehrter eine blos ſpeculativiſche und todte
Erkentniß von Gott ſucht, welche zwar ſeinen Verſtand
beſchaͤftiget, allein feinen Willen nicht angreift. Ein fol-
cher Menfch ift nichts anders als ein tönend Erz, und eine
flingende Schelle. Er verleugnet die. Kraft der Gottesge—
lahrheit, und er ift nur als ein halber Gottesgelehrter zu
betrachten. Mac) diefem Furzen Entwurf Fan ein jeder
fid) felbft und andere Gottesgelehrte vernünftig beurtheilen,
und es wäre wohl der Mühe werth, daß diefer Entwurf
weiter ausgeführte würde, damit ein jeder Gottesgelehrter
ein Mufter habe, nad) welchem er fich beurtheilen
und bilden koͤnne.
4. Theil, C Die
“a
34 a 6
RO BOB ÄO DROP OR DRS FOR EDER OR ORDER Of OR CO
Die
natuͤrliche Gottesgelahrheit.
Der erſte Theil.
Der Begrif von GDLE.
Der erfte Abſchnitt.
Die Erklärung des Begrifs von GOtt.
$. 812.
enn man eine richtige Erflärung von GOtt feftfegen 7
will, fo muß man vor allen Dingen unterfuchen,
was alle Menfchen, die mit Aufrichtigkeit ihres
Herzens einen Gott glauben, mit diefem Worte für einen
Begrif verbunden haben: damit man nit etwa mit den
orte fpiele, und zwar dem Worte nad) einen Goft glaube,
in der That aber denfelben gänzlich Teugne. Und da lehrt
die ganze Gefchichte der Lehre von Gott unter den Menfchen,
daß alle diejenigen, welche aufrichtig einen oder mehrere Göt«
ter angenommen haben, durd) diefes Wort ı) ein Ding
verftehen, welches vor fich befteht, und ein thätiges und
würffames Weſen, oder, mit einem Worte, eine Subſtanz
iſt. Selbft diejenigen, welche der Bielgötterey ergeben ges
wefen find, haben alle ihre Gottheiten für Subftanzen gehals
ten. Man würde fich lächerlich machen, wenn man vere
fiherte: mar glaube einen Gott, und hielte denfelben doch
für ein Accivenz der Welt, indem man eben dadurd) die
Gortheit leugnen würde. 2) Muß Gott eine ſolche Sub»
ftanz feyn, welche auffer der Welt würflich ift, oder die eis
ne eigene Würflichfeit bat, welche auf eine folche reelle Art
von der Würflichfeit der Welt unterfchieden ift, daß fie we»
| bder
|
Ä
Die Erklärung des Begrifs von Bott. 35
der die Würflichkeit der Welt, noch ein Theil derfelben iſt.
So haben fo gar die Heiden einen befondern Dre angenom-
men, in welchem die Götter wohnen. 3) Muß Gott als
eine Subftanz betrachtet werden, welche fich mit der Welt
als mit ihrem Werfe befihäftiget, es fey nun, daß fie die
Melt geichaffen, oder zugleich fie erhält und regiert. Wer
einen Gott glauben wolte, von dem die Welt auf feinerley
Weiſe abhienge, der wide aus demfelben ein Ding ma—
chen, welches uns gar nichts angeht, und deſſen Unterfus
dung vollfommen unnüg und unnörbig wäre. Und 4) muß
Gott als eine folche vortreflihe Subftanz betrachtet werden,
welche an Vollkommenheit alle Dinge in der Welt übertrift,
Die Heyden find zwar fo blind gewefen, daß fie fi), bis
zu dem Begriffe des allervollkommenſten Wefens, nicht ha-
ben erheben koͤnnen: allein fie haben doch allemal ihren er«
dichteren Gottheiten vorzügliche Vollkommenheiten beyge—
legt, und folte es aud) blos eine vorzügliche Stärke und
Macht geweſen ſeyn. Wer alfs eine richrige Erklärung
oder Definition von Gott geben will, der muß einen folchen
deutlichen Begrif feftfegen,. in welchem diefe Merkmale
Gottes entweder ausdruͤcklich, oder durch eine leichte und
unleugbare Folgerung, enthalten find,
« 813:
Gleich bey dem erſten Schritte in der natürlichen
Gottesgelahrheit Hat man, mit einer felffamen Art von
$euten, eine Streitigkeit zu führen, welche vorgeben: es
ſey entweder unmöglic) oder dem höchften Wefen höchft un«
anftändig, wenn man eine Erklärung deielben gebe, Dies
fe Leute unterftügen, ihre Meinung, durch einen vierfachen
* Grund, Einmal fagen fies Gott habe feine Schranken,
und koͤnne nicht umgrenzt werden, Wenn man aber eine
Sache logiſch erkläre, ſo ſetze man ihr Schranken, folglich
ſey es ganz unmöglich, durch eine Erflärung zu fagen, was
Gott fey. Diefer ganze Gedanke beruhet auf einem Eindi.
ſchen und abgefhmadten Wortfpiele. Das lateinifche
Wort, definiren, Fan, feiner grammatifhen Abſtammung
& 2 nad),
ss Die Erklärung des Begrifs von Bott.
nah), fo viel heiſſen als, Schranfen fegen, Allein mie
ehöricht ift es nicht, auf eine folche Art zu denken! Durch
eine Definition verfteht ein jeder, welcher diefer Sache
kundig ift, eine folche Vorftellung einer Sache, welche deufs
lic) ift, und welche nicht mehr noch weniger in ſich enthält,
als noͤthig ift, wenn man die erflärte Sache von allen ana
dern möglichen Dingen unterfcheiden, und vermöge derfel-
ben allemal erkennen will, daß es eben die und Feine andere
Sache fy. Bleibt nun wol nody der geringite Schein
übrig, als wenn, durd) eine folche Vorftellung von Gott,
demſeiben Grenzen und Einfchrenfungen feines Welens ge⸗
geben würden? Zum andern fagt man: was wir erklären,
das begreifen wir, und flellen es uns eben dadurch als ein
begreiflihes Ding ggr.* Da nun Öort ganz unbegreiflid)
iſt, fo Fan er gar nicht von uns Menfchen erfläret werden,
Diefer Einwurf wird in dem Folgenden völlig gehoben wers
den, wenn ich von der Unbegreiflichfeit Gottes handeln wer⸗
be, Hier will id) nur bemerfen, daß der ganze Einwurf auf
einer Zweydeutigkeit beruhe. Verſteht man durd) die Un«
begreiflich£eit Gottes fo viel, daß es uns Menſchen unmögs
fich fen, alles in Gott dergeftalt zu verftehen und deutlich
zu erfennen, Daß uns nichts mehr unbefant, verborgen und
dunkel bleibe, fo ift Gott allerdings uns Menfchen unbes
greiflich. Allein Feine logifche Erklärung ſtelt uns alles,
was in der erklärten Sache angetroffen wird, ohne Ausnaha
me deutlich vor. Verſteht man aber, durd) Die Unbegreifa
lichkeit Gottes, fo viel, daß wir gar nichts von Gott deufs
lich erfennen koͤnnen, oder daß ung alle Deutlichkeit in der
Erkentniß Gottes unmöglich fey: fo würden wir freylich
den Begrif von Gott nicht erklären koͤnnen, wenn dieſe
Sache ſich fo verhielte. Allein ic) leugne, daß Gott auf
diefe Art uns Menſchen unbegreiflid) fey, und daß ic) dies
fes mit Grunde thue, wird fünftig ermwiefen werden, Cine
ehörichte Neigung zum Wunderbaren hat vieledazu verleitet,
die Unbegreiflichfeit Gottes auf eine fo übertriebene Art zu
behaupten, Zum dritten haben manche noch) den altväteri«
ſchen
rn nr
Die Erklaͤrung des Begrifs von Gott. 37
ſchen Begrif von einer Definition im Kopfe, als wenn ſie
eine Erzehlung der wuͤrkenden Urſach, der Materie, der
Form und der Zwecke der erklaͤrten Sache ſeyn muͤſte.
Gott bat freylich feine wuͤrkende Urſache und Feine Zwe—
de, um welcher willen er von feinem Urheber hervorgebracht
worden, und alfo fan er freylich auf eine fo thörichte Art
nicht erkläre werden. Allein ein jeder Schüler der Ver—
nunftlehre weiß, daß diefe Art der Erklärungen längft mit
Recht aus der vernünftigen Mode gefommen. Und vier
tens ſagt man: in einer Erklärung müffe man den hoͤhern
Degrif anführen, unter welchen die erflärte Sache als ein
nieöriger Begrif gehöre, und alsdenn die eigenthümlichen
Amterfheidungftücke derfelben. Dun fen es höchft unges
reimt und unanftändig, Gott, der das höchite Weſen ift,
als einen niedrigern Begrif unter einen höhern zu vechnen,
Allein auch dieſer Einwurf beruber, auf einem Findifchen
Wortſpiele. ine niedrigere Sache wird nicht fo genent,
iveil fie geringer ift; fondern weil fie nicht fo abftract, over
weil fie mehr beftimt ift, als diejenige, die man die höhere
nent. Da nun Gott gar fein abftractes Ding ift, fo ilt er
eins der niedrigfien Dinge, wenn man fi) der Nedensar«
ten der DBernunftlehre bedienen will, ohne Daß man dadurd)
etwas behauptet, welches feiner anbetungswürdigen Ho—
heit, vermöge welcher er alle andre Dinge, auch die grös
ſten und erhabenften, unendlicd) weit übertrift, nachteilig
feyn Fonte.
S. 814.
Ich werde in dem Folgenden zu zeigen Gelegenheit
haben, daß man unendlidy viele von einander verfchiedene
Erklärungen Gottes geben Eönne, die insgeſamt ihre Rich—
tigkeit haben. Da ich aber, in meiner natürlicyen Gottes»
gelahrheit, mit dem Beweife der Würftichkeit Gottes aus
der Erfahrung, den Anfang machen will: fo muß id) in mei»
ner Erflärung denjenigen Begrif von Gott annehmen, den
‘alle diejenigen haben, melde Gott aus diefer Welt, als
feinem Werke, fich vorftellen. Diejenigen, welche Gott a
| C 3 priore
ss Die Erklärung des Hegrifs von Gott.
priore zu erfennen fuchen, die nehmen, den Begrif des
allervollfommenften Dinges, als den erften Begrif an, den
fie fich von Gott machen, und aus welchem fie alles übrige,
was fie von Gott philoſophiſch wiflen, herleiten. Wer
aber Gott, feine Würklichfeit, und Vollfommenheiten aus
feinen Werfen erkennen will; der muß ſich denfelben, als
den Werfmeifter oder bie würfende Urfach der Welt, vorftele
len, welche von ihr verfchieden if, und mithin als ein ges
ſchaͤftiges Wefen oder Subſtanz. Folglich verfteht jeder
man, durch Sort, eine Subſtanz. Nun find alle Sub-
ftanzen entweder endliche Subftanzen, oder die unendliche
Subſtanz $. 190. Die endlihen Subftanzen, welche
würflich find, machen zufammen genommen die Welt aus
$. 292, folglich ift Bott eine unendliche Subftanz. Das
unendlihe Ding ift allemal auch zugleidy ein nothwendi—
ges Ding $. 192. Folglich muß man, durch das Wort
Gott, die nothwendige Subftanz verſtehen. Meine fols
genden Betrachtungen werden offenbar zeigen, daß diefe
Erflörung alles in ſich faßt, was zu dem richtigen Begrif—
fe von Gott erfordert wird. $. 812.
: 815
Die unendliche Subftanz bat gar feine Schranfen,
und befißt denjenigen Grad der Nealität, welcher ſchlech⸗
terdings der gröfte ift, dDergeftalt, Daß es ungereimt feyn wuͤr⸗
de, einen noch gröffern Grad zu gedenfen $. ı90. Nun
beſteht, in dem Grade der Mealität eines Dings, die
Vollkommenheit deffelben $. 155. Folglich ift Gott,
oder die unendliche Subftanz, dasjenige Ding, welches
fhlechterdings das allervollfonmmenfte, das allerreellefte
Ding, und alfo das allerbeite Ding ift, oder das hüch-
fte Gut an und vor fich betrachtet, $. 99. 131. 9%. Wer
fic) von Gott einen richtigen Begrif machen will, der muß
fih denfelben nicht nur als ein Ding vorftellen, welches
viel vollfommener ift, als die Menfchen, oder welches, in
diefer oder jener Claße der Dinge, das vollfommenfte ift.
Sondern er muß fich denfelben als ein Ding vorftellen, in
es
Die Erklaͤrung des Hegrifs von Gott. 39
ches vollfommener ift, als alle andre mögliche Dinge ohne
Ausnahme, dergeftalt, daß ein Ding, weldyes noch vollfome
mener wäre als Sort, fehlechterdings unmöglid) ift. Wenn
wir nun biemit, die verfchiedenen Grade der Vollkommen⸗
beit, vergleichen $. 97. fo erhellen daraus folgende Wahrs
beiten: ı) In Gott oder in dem vollfommenften Dinge,
find fo viele und mannigfaltige Beftimmungen, welche
auf Eins zufammenftimmen, als beyfammen möglid) find ;
denn die Bollfommenbeit ift um fo viel gröffer, je meh»
reres in einem Dinge angetroffen wird, welches zufammen»
ftime. 2) In Sort find die zufammenftimmenden Bes
ftimmungen fo groß, als fie irgends in einem möglichen
Dinge feyn fönnen: denn je gröffer die zufammenftims
menden Beſtimmungen eines Dinges find, defto gröffer ift
die Bollfommenheit defelben. 3) In Gott ftimt alles
zu fo vielen Beltimmungsgründen der Bollfommenheit zus
ſammen, als möglich iſt. 4) In Gore flimt alles zu fo
groſſen Beftimmungsgründen der Vollkommenheit zufame
men, als möglih ift. Denn zu je mehrern und gröffern
Beſtimmungsgruͤnden, weldye zufammen genommen ende
lih auf Eins hinauslaufen, das Mannigfaltige eines Din:
ges zuſammenſtimt, deſto gröffer ift feine Vollkommenheit.
5) Die Zufammenftimmung des Mannigfaltigen in Gott ift
fo groß, als irgends nur möglid),ift. So trocken aud) diefe
Betrachtungen, einem unpbilofophifchen Kopfe, zu feyn fchei«
nen mögen, fo fruchtbar werden wir diefelben in dem Folgen⸗
den finden. Ich will hier nur noch einen gewiffen Gedanken
widerlegen, welcher von mand)en mit groffem Eifer behaus
ptet wird, und welcher in der That ungereimt ift, Man fage
nemlid): man fönne in Gott Feine Bielheit gedenfen, und die
verfchiedenen Bollfommenheiten,weldye wir ihm beylegen, und
welche wir von einander unterfcheiden, feyn in der That nichts
von einander verfchiedenes. Allmacht, Weisheit, Gerechtig:
feit! u. ſ. mw. ſeyn in Gott nicht auf eine reelle Art von ein«
ander unterfchieden,, fondern das, was Allmacht fen, fey
auch Gerechtigkeit, und fie feyn nur nach unferer Art zu
— C4 den⸗
40 Die Erklärung des Begrifs von Gott.
denfen von einander unterſchieden. Mill man damit
etiwa nur fo viel fagen, als feyn die verſchiedenen Bollfoms
menbeiten Gottes nicht dergeftalt von einander unterfchieden,
daß fie von einander abgefondert und auffer einander wuͤrk⸗
lic) feyn: fo bat diefes feine vollkommene Richtigkeit. Will
man aber damit fo viel fagen, daß in Gott gar Feine meh«
rere Beſtimmungen angetroffen würden, welche in der
That in Gore felbft, auffer unferer Denfungsart, dur
reelle Unterfcheidungsftücfe von einander unterfchieden waͤ—
ren: fo ift diefer Gedanke offenbar falfh. Selbſt der er—
fie Begrif, den wir uns von Gott machen, und vermöge
defjen wir ihm die allerhöchfte Vollkommenheit zufchreiben,
erfordert nothwendig,, daß in ihm, die reellefte Vielheit
von einander unterfchiedener Nealitäten, angetroffen werde,
wie aus der “Betrachtung diefes Abfages erhelle. Ich
werde noch mehr Gelegenheit bekommen, diefen feltfamen
Gedanken zu widerlegen.
9. 816.
Man pflegt, alle Präadicate Gottes oder des allervoll:
fommenften Dinges, Vollkommenheiten Gottes zu nen=
nen, Und es ift demnach alles Mannigfaltige, was in
Gott von einander unterfchieden werden Fan, eine jede Be—
flimmung Gottes, eine Vollkommenheit. Und, zu diefer
Benennung, ift man vollfommen berechtiget. Wir wer
den balde fehen, daß eine jede Beſtimmung Gottes eine
Realitaͤt fey, und es ift in der Ontologie erwieſen worden,
daß eine iedwede Realität eine Vollkommenheit fen. Ends
liche Dinge haben viele verneinende und unvollfommene Bes
flimmungen, und wir würden uns alfo in unendlich vielen
Fällen unrichtig ausdruden, wenn wir alles in ihnen, mie
dem Namen der Bollfommenheit, beehren wolten. Bey
Gort Haben wir, diefen Irrthum, nicht zu befürchten, Es
ſcheint auch, als rede man nicht auf eine Gott gnugfame
anftandige Art, wenn man von feinen Prädicaten und Be—
fimmungen redet, Das Wort Vollkommenheit aber er»
wet uns einen hoben und edlen Begrif, und eg ift eine
wahre
Die Erklärung des Begrifs von Bott. 41
wahre Schönheit der theologifhen Sprache, wenn man
duch Volikommenheiten Gottes eben das verfteht, was
man Prädicate oder Beltimmungen Gottes nent. Es ers
hellet demnach, aus dem Vorhergehenden, zweyerley. ins
mal: in Gott, oder in dem aller vollfommenften Dinge, find
fo viele Realitäten und Vollkommenheiten beyfammen, als
zufammen möglid) find. Widrigenfals würden in dem volls
fommenften Dinge nicht fo viele zufammenftimmende Bes
flimmungen feyn, als benfammen möglid) find ; und fo viel
muͤſſen doc) in demjenigen Dinge beyfammen feyn, welches
das allervollfommenfte feyn full S. 31, Zum andern:
in Gott find alle mögliche Realitäten und Vollkommenheiten
bey einander, dergeftalt, daß ihm Feine einzige wahre Neas
litaͤt und Bollfommenbeit fehlt. Diefer Satz wird alfü-
bald Elar werden, fo bald man fid) überzeugt, daß alle Rea—
litaͤten bey einander möglid) find. Gott muß alle Realitäs
ten befißen, die bey einander möglich find. Sind nun alle
Kealitäten ohne Ausnahme bey einander moͤglich, fo muß
fie Gott alle befisen. Daß aber alle Realitäten bey einan«
der möglich find, erhellet daraus, weil Feine wahre Neali-
tät einer andern wahren Realität widerfprechen fan. Wenn
zwey Beſtimmungen einander widerfprechen, fo verneinet
Die eine was die andre bejahet. Folglid) muß die eine eine
verneinende Beftimmung feyn, und Fan alfo in fo ferne un«
möglich eine Realität feyn 9. 48. Folglich ift in Gott der
Inbegrif aller Realitäten und Bollfommenbeiten ohne Aus—
nahme, es fehlt ihm feine einzige. Das ift freylich uns
möglih), daß eben diefelben einzelnen Realitäten, melde
auffer Gott in denen endlichen Dingen zerftreuet würflich
find, in Gott würfiich feyn folten: denn alsdenn würden
alle endlichen Dinge in Gott, als ihrem gemeinfchaftlichen
Subjecte, enthalten feyn. Allein das behaupten wir auch
nicht, fondern diefe Meinung geht nur dahin, daß es Feine
Art und Gattung der Nealitäten geben Fan, von welcher
nicht eine einzelne Darunter begriffene Realität in Gott
wuͤrklich ſeyn ſolte. Weil es viele Gelehrte gibt, welche
C5 nicht
42 Die Erklaͤrung des Begrifs von Gott.
nicht einfehen, daß Feine wahre Realität einer andern is
derfprechen fönne; fo wollen fie nicht zugeben, daß in Gott
alle Realitäten, und alle Bollfommenheiten, ohne Yuss
nahme befindlich find. Sie machen daher einen Unter=
ſchied unter ſolchen Bollfommenheiten, welche fdylechters
dings Vollkommenheiten find; und unter foldhen, die es
nur in Beziehung auf die Mängel der Creaturen, und auf
ihre Bedürfniffe, find, Zu den legtern rechnen fie z. E.
das Gedaͤchtniß, welches nur deswegen eine Realität iſt,
weil unfere Gedanken nicht beftändia in unferm Gemuͤthe
gegenwärtig bleiben koͤnnen. Dieſe Gelehrten fehreiden,
die eriten Volltommenbeiten ohne Ausnahme, Gott zu,
nicht aber die legten, So gründlich diefe Eintheilung zu
ſeyn ſcheinet, fo nichtswuͤrdig ift fie, und ſcheint blos der
Gemaͤchlichkeit ihren Urfprung zu danfen zu haben, damit
man in beiondern Fällen dev Mühe eines fchärfern Machden«
fens überheben feyn koͤnne. Die letztern Arten der Bollfoms
menbeiten find entiveder Scheinrealitäten, oder Nealitäten
welche mit Verneinungen untermengt find. Iſt das erfte,
fo können fie freylich Gore nicht zugefchrieben werden, allein
es find auch Feine Realitäten und Bollfommenbeiten, z. E.
die Ausdehnung. Iſt das legte, fo befist Gott allemal
das Reelle von folhen Nealitäten, mit Ausfchlieffung der
Berneinungen, welche denfelben in den Creaturen anfleben.
3. €. die Gedult ift nicht ganz eine Realität. Das Res
elle in derfelben befteht darin, daß man ein Uebel nicht zu
ſtark verabfcheuet, und das fomt Gott zu. Das Unvolls
fommene in der Geduld aber befteht darin, daß fie bey ung
Menfchen ein Uebel vorausfeßt, welches in uns ein unan«
genehmes $eiden verurfahht, und das Fan man von Gott
nicht fagen. So bald wir demnach erwiefen haben, daß
etwas eine wahre Nealität fey, fo bald ift erwielen, daß es
Gott zukomme.
« 817.
In Gott, als dem allervollfommenften Dinge, iſt
alles Mannigfaltige, welches zuſammenſtimt, oder eine ied⸗
wede
Die Erklärung des Begrifs von Bott, 4
wede MNealität, welche in ihm angetroffen wird, fo groß,
als fie irgends in einem Dinge ſeyn Fan $, 8ı5. folglich ift
fie ſchlechterdings die allergröfte. Oder eine jedwede Realität
. Gottes hat den allergröften Grad ihrer Realität, und ift
fchlechterdings die allervollfommenfte Realität, Wenn
eine einzige Nealität in Gott nicht die allergröfte wäre, fo
Fönte fie noch gröffer und reeller feyn, als fie wuͤrklich iſt.
Folglich) hätte fie einen Grad, der noch gröffer ſeyn koͤnte.
Ein folher Grad ift eine Einfchrenfung F. 190. Folglich
hätte Gott Schranfen, und er wäre nicht die wahre unend⸗
liche Subſtanz, welches ungereimt ift. S: 814. Man muß
demnach die reelle Unendlichkeit Gottes ſich dergeftalt vors
ftellen, daß, einmal, Gott im Ganzen betrachtet feine
Schranfen hat, und zum andern, daß Feine einzige feiner
innerlichen Realitäten eingeſchrenkt ift, oder daß er in kei—
nerley Abficht innerlich eingeſchrenkt iſt. Iſt Feine feiner
innerlihen Realitäten eingefchrenft, fo befißt er fie alle im
höchften Grade, und eine Realität, die gröffer ift als die
göttliche, ift eine Chimäre. Und dadurch unterfcheidet ſich,
die reelle Unendlichfeit Gottes von der mathematifchen Un—
endlichkeit. Gott ift nicht eingefchrenft, und nichts in
Gott hat Schranfen. Tin einem mathematiſch unendli—
chen Dinge find entweder überall Schranken, die man aber
nicht angeben will und Fan, oder wenn ihm aud) diefe oder
jene Schranfen fehlen folten, fo ift es Doc) in vielen andern
feiner Realitäten wahrhaftig eingefchrenft. Und auch diefe
Betrahtung gibt ung, einen recht vortreflichen und frucht«
baren Grundfag der natürlichen Gottesgelahrheit, an Die
Sand. So bald wir nemlic) erwiefen haben, daß in Gott
eine gewiſſe Vollkommenheit angetroffen werde; fo bald ift
auch erwiefen worden, daß er fie in dem allerhöchften Gra⸗
de befiße. 3. E. hat Gott Verftand, fo muß fein Ver—
ftand der allergröfte und vollfommenfte feyn. Wenn wir
alfo die wahren Realitäten der Creaturen nehmen, und ih:
nen den höchften Grad zufchreiben, fo haben mir richtige
- Begriffe von görtlichen Bollfommenheiten.,
$.818.
44 Die Erklärung des Begrifs von Gore.
$. 818. |
Um den erften Begrif, den wir ung von Gott mas
chen, vollends zu vollenden, fo müffen wir noch bemerfen,
daß. man, wenn man fich Gert als das allervollfommenfte
Ding richtig vorftellen will, annehmen muß, daß in ihm
gar feine Berneinungen, oder verneinende Beftimmungen,
angetroffen werden. Denn eine iedwede Verneinung ift,
einer Realität, entgegengefegt $. 130, Wenn alfo in
einem Dinge auch nur eine einzige Berneinung angetroffen
wird, fo fehle ihm ganz gewiß eine mögliche Realität, Ein
Ding demnach), welches alle Realitäten ohne Ausnahme
befist, Fan unmöglich die geringfte Derneinung haben,
Gott Hat alle Realitäten $. 816. Folglich iſt in ihm nicht
Die geringfte Berneinung. Cs folgt eben diefes, aus dem
Begriffe der Unendlichkeit Gottes, Wenn in einem Dinge
eine Berneinung ift, fo fehlt ihm eine Nealität, und es
Bat alfo einen Grad der Realität, welcher noch gröffer feyn
fönte, indem e8 mehr Kealitäten haben koͤnte, als es wuͤrk—
ih hat. Kin folher Grad der Kealität ift ein Schran«
fen $. 190. Folglich verurfachen, alle Berneinungen, in
einem Dinge Einfchrenfungen feiner Realität. Gott hat
gar feine Schranken $. 814. 817. Folglich fan er auch
gar Feine Berneinungen haben. Er iſt, durch und durd),
lauter Realität. Nur muß man bier, die wahren Wera
neinungen, von den Gcheinverneinungen unterfcheiden.
Diele Realitäten fcheinen uns Berneinungen zu feyn, z. €,
wenn ein Ding nicht ausgedehnt, nicht Förperlich ift u.f. w.
Gott hat allerdings viele Scheinverneinungen, es ift aber
diefes unferer Meinung nicht zumider, weil eine Beſtim—
mung, welche nur dem Scheine nach eine Berneinung if,
eine wahre Kealität und Vollkommenheit ift. Lind hieraus
fließt ebenfals, ein ungemein wichtiger Grundſatz der nas
türlihen Gottesgelahrheit: daß man nemlich nicht nur alle
Berneinungen, welche wir in den endlichen Dingen antrefa
fen, von Gore verneinen muß; fondern Daß man auch
alle Berneinungen, melche mit denen Realitäten, die man
Gott
Die Erklärung des Begrifs von Bott. 45
Gott zufchreibt, in den endlichen Dingen vereinbarer find,
‘von denenfelben abfondern muß, wenn man fid) anders
einen folchen Begrif von Gott machen will, welcher feine
hoͤchſten Vollkommenheit anftändig iſt.
KEEEBESEELBETSEIE KM KEREMRR
Der andere Abſchnitt.
Der. Beweis der Wirklichkeit Gottes.
$. 819.
nie Wahrheit, daß ein Gore wuͤrklich fey,ift der Grund
Mi $ unferer höchften Gluͤckſeligkeit; und da fie alfo eine
der allerwichtigften Wahrheiten ift, fo verdient fie
allerdings, mit der allergröften Strenge und Sorgfalt ers
wieſen zu werden, Man muß auch zum Ruhme des menfch»
lichen Geſchlechts, und infonderheit der Weltweifen, geftes
hen, daß man zu allen Zeiten bemühet geweſen ift, einen
folhen Beweis zu finden, obgleich nicht jederman in diefer
Bemuͤhung glücklich gemefen ift. : Ehe ich diefen Beweis
ſelbſt führe, .roill ich zwenerley bemerfen. Einmal ift es
‘ein feltfamer Einfall, wenn man glaubt, daß, der einzige
wahre und befte Beweis der Wöürflichfeit Gottes, aus der
heiligen Schrift geführt werden Fonne und muͤſſe. Wenn
man diefen Einfall nicht der Einfalt derjenigen , die ihn ha—
ben, zu gufe halten müfte; fo Fönte man, diefe Leute, in
der That fiir Arheiften halten. Denn eine Wahrheit fan
nicht. eher aus der heiligen Schrift ermiefen werden, bis
man nicht überzeugt ift, daß diefes Buch eine beweifende
Kraft Habe. Nun fest diefe Kraft voraus, daß GOtt
alle Ausfprüche in der Bibel eingegeben habe, folglich. Fan
man diefen Ausfprüchen nicht eher trauen, bis man. nicht
überzeugt ift, daß ein Gott würflic fey. Wer alfo fagt,
daß man nur durdy: die heilige Schrift von der Würflich-
feit Gottes überzeugt werben koͤnne, der fagt in der That,
daß man gar Feine wahre Ueberzeugung von der Würflich«
keit
46 Der Beweis der Wuͤrklichkeit Bottes.
keit Gottes haben koͤnne. Und er ift alfo entweder ein
beimlicher Gottesleugner, oder doch ein Scepticus, wel—⸗
cher die Würklichfeit Gottes weder annimt noch vermirft,
Es ift demnad) eine unftreitige Sache, daß man nur durch
die bloffe Vernunft, als ein Weltweifer, von dem Dafeyn
einer Gortheit unumftößlich überzeugt werden koͤnne. Zum
andern ift hier nicht die Frage, don einem wahrfcheinlichen
und aͤſthetiſchen Beweife der WürflichFeit Gottes; fondern
von einer mathematifchen Demonftration derfelben. Man
pflegt einen Beweis diefer Wahrheit, aus der Nüglichkeie
und Unfchädlichfeit derfelben, zu führen Man fagt:
Wenn man einen Gott glaubt, fo bat man davon feinen
Schaden zu beforgen, wenn man auch irren folte, man hat
vielmehr davon einen groffen Nutzen, weil man dadurch zu
allen Tugenden angetrieben wird, und mit den allerfräftig«
ften Troftgründen in allen Zufällen diefes Lebens angefüle
wird. Wenn mar im Öegentheil Gore leugnet, fo feßt
man ſich der allergröften Gefahr aus, indem man ein We:
fen leugnet, deſſen unumfchrenfte Oberherrſchaft man,
wenigftens nach dem Tode, ohne Widerrede empfinden Ean.
Und wie würde 08 ung alsdenn ergehen? Es ift nicht zu
leugnen, daß diefer Beweis, mit einer rührenden Macht
der Beredſamkeit, ausgeführt, und in vielen Umftänden
mit groffen Mugen angewendet werden koͤnne. Allein es
müfte jemand gar nicht wiſſen, was zu einer vollfommenen
Ueberzeugung erfordert wird, wenn er denfelben für einen
unumftößlichen Beweis halten wolte. Die Borftellung
des Nutzens einer Wahrheit macht, die Erkentniß derfele
ben‘, nur practifd) und lebendig, fie fan aber diefelbe nicht
überzeugend und gewiß machen. Man muß vielmehr,
wenn man, mit einem freyen Verftande, und ohne Worurs
theil, die Wahrheit oder Unrichtigkeit eines Satzes untere
fuchen will, vor dem Beweiſe derfelben weder den Nutzen
noch den Schaden deffelben betrachten, damit man nicht
etwa wolle oder nicht wolle, daß er wahr oder falfdy fen.
Widrigenfals wird der Berftand ein Sclave des Willens,
und
"Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes. #7
und fteht in der Aufferften Gefahr und geöften Bereits
fchaft, fo wol eine Wahrheit als auch einen Irrthum zu
ergreifen, |
$. 820.
Wir Menfchen haben nur einen dreyfachen Weg,
wie wir eine Wahrheit erweifen fonnen: aus unferer eige—
nen Erfahrung, aus der Vernunft a priore, und aus
glaubwürdigen Zeugniffen. Da nun iederman weiß, daß
wir, durch den legten Weg, nur eine Wahrfcheinlichfeit
und moralifhe Gewißheit von einer Sache erlangen koͤn—
nen; fo wäre es lächerlich, wenn man in dem Falle, da
man eine mathematifche Gewißheit von einer Wahrheit er.
langen will, diefelbe durch Ausſagen der allerglaubmürdig-
ften Zeugen erhärten wolte. Wenn wir alfo die Wuͤrklich—
keit Gottes unumftößtich erweifen wellen, fo eröfnet fi)
uns nur ein doppelter Weg: unfere eigene Erfahrung, und
der Weg a prior. Man hat den Beweis der Wuͤrklich—
Eeit Gottes auf beyden Wegen verfucht, und wir, wollen
von dem erften den Anfang machen, Wenn man fagt: man
koͤnne die Wuͤrklichkeit Gottes, aus der Erfahrung, und
a pofteriore, unumftöglicdy erweiſen; fo verftehen diefes
marche, auf eine höchft abgeſchmackte und ſchwaͤrmeriſche
Art. Einmal, von übernatürlihen Erfahrungen der
Wirklichkeit Gottes. Wir wiflen aus der heiligen Schrift,
daß Gort vor Zeiten den Menfchen erfchienen, und durch
Wunderwerke feine Gegenwart offenbart bat, und daß er
noch heute zu Tage, in den Seelen der Wiedergebornen,
durch unmittelbare Gnadenmwürfungen ſich offenbare. Allein
das wäre höchftens nur ein chriſtlicher Beweis der Wuͤrk⸗
lichkeit Gottes, und niemand fan mit Zuverficht wiflen,
daß eine Veränderung in ihm eine Gnadenwirkung Gottes
fen, bis er fie nad) den Ausfprüchen der heiligen Schrift
richtig geprüft hat. Folglich feßt diefer ‘Beweis voraus,
daß man von der Göttlichfeit der heiligen Schrift, und alfo
von der Würklichfeit Gottes fehon überzeugt fey. Folg»
lich find, die bloffen Erfahrungen der übernatürlichen Gna—
den⸗
48 Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes.
denmürfungen Gottes in den Menfchen, Fein unumftößli«
her Beweis der Würflichfeie Gottes. Die Erfheinun:
gen Gottes durch Wunderwerke in den vorigen Zeiten has
ben zwar diejenigen Menfchen , welche diefelben erfahren has
ben, von der Würflichfeit Gottes überzeugen Fünnen ; als
lein für uns find fie, zu diefem Endzwede, unbraudbar.
Wir koͤnnen ja nicht eher, von ihrer Würflichkeit und
Richtigkeit, überzeugt feyn, als bis wir willen, daß die
beilige Schrift Gottes Wort fen, und aus diefem Buche
fan man, mie ich gezeigt habe, die Würflichfeit Gottes
nicht erweifen. Ueberdis ift es eine Schwärmerey, wenn
ein Wiedergeborner denft, er fühle in feinem Herzen un=
mittelbar die Subftanz Gottes. Denn das ift ganz uns
möglid), und verleitet einen Menfchen zu den aus ſchwei⸗
fendften Einbildungen. Zum andern, wenn von natürlis
Ken Erfahrungen; Gottes die Rede ift, fo ift es wahr: ala
les was wir in uns und auffer uns fühlen, fehen, hören,
und überhaupt erfahren, ift eine Würfung Gottes. Allein
wenn man Davon überzeugt feyn will, fo muß man fchon
vorher willen, daß ein Gott fey, welcher bey allen Veraͤn⸗
derungen in und auffer uns mitwürfe, Folglich ift es uns
möglich, durch unfere bloffen Empfindungen, von dem Da⸗
feyn Gottes, überzeugt zu werden, Und es würde ein fehr
grober Irrthum feyn, wenn man in dem Berftande fagen
wolte, man fehe überal die Gottheit, als wenn alle Dinge
in der Welt Theile Gottes wären. Folglich koͤnnen wir
nur aus der Erfahrung, von der Würflichkeit Gottes, übers
zeugt werden, wenn wir, Durch unfere innerlihen und äufs
ferlidyen Empfindungen, von der Würflichkeit dieſer Welt
überzeugt find, und alsdenn durch Bernunftfchlüffe gewiß
werden, daß diefe Welt nicht anders würflich feyn koͤnne,
als durch eine Würfung einer Gortheit. So erkennen wie
überhaupt, die Würflichkeit der Subftanzen, aus der Er—
fahrung. Wir fünnen nur die Xccidenzien und Wirkungen
ber Subftanzen empfinden, und unmittelbar erfahren, 3. E.
die Gedanken und Begierden unferer Seele, die Würfuns
gen
Der Beweis der Woͤrklichkeit Gottes, 49
gen der Koͤrper in die Werkzeuge unſerer Sinne. Und
wenn wir alsdenn, von der Wuͤrkung auf ihre Urſach,
ſchlieſſen; ſo werden wir uͤberzeugt, daß ſolche Subſtanzen
wuͤrklich ſeyn muͤſſen, ohne welchen dieſe Wuͤrkungen nicht
wuͤrklich ſeyn Fünnen. Das ift alſo der einzige mögliche
eg, wie wir von der Würflichfeit Gottes aus der Er—
fahrung richtig überzeugt werden Eonnen.
9. 821,
Was nun den Beweis der Würflichkeit Gottes aus
der Erfahrung felbft betrift, fo habe ich mir in Abficht def»
felben , in der Ontologie und Cofmologie, ſchon dergeftale
vorgearbeitet, daß er nunmehr überaus Eurz und leicht ges
führe werden fan.: Memlich: die Wele iſt unleugbar
würflich. Dieſe Erfahrung ift fo gewiß und unmider:
ſprechlich, daß man fich offenbar lächerlich machen würde,
wenn man daran zweifeln wolte, ob aud) wohl eine Welt
wuͤrklich vorhanden ſey. Da nun die Welt ein zufälliges
Ding ift $. 296. 297. 308. 309. 310. fo Fan fie nicht
anders würklich feyn, als eine Würfung einer würfenden
Urſach, welche auffer ihr würflich ift $. 307. Wenn die
Würfung wuͤrklich ift, fo ift aud) die würfende Urſach würfs
lich. Folglich ift, die würfende Urfach dieſer Welt, aufs
fer ihr vorhanden. Diefe würfende Urfad) ift Die noth—
wendige und unendliche Subftanz, weil Fein Fortgang der
Urfachen ins Unendliche möglich iſt F. 312. 315, Weil
‚alfo diefe Welt wuͤrklich ift, fo iſt auch eine unendliche
Subſtanz wuͤrklich. Dieſe Subftanz ift Gott $. 814
Folglich ift Gott wuͤrklich, und es ift demnach auch eine
nothwendige, unendliche und alfervollfommenfte Subftanz
möglih $. 61. Wider diefen Beweis koͤnnen nur die
Sataliften, diejenigen, welche einen Fortgang der Urſachen
ins Unendliche annehmen, und diejenigen, welche fagen, Die
Welt fen von ohngefehr entftanden, etwas einwenden.
Die erften leuanen die Zufälligfeit der Welt, die andern
leugnen die erfte Urſach der Welt, und die dritten leugnen
überhaupt, daß es noͤthig fey, Daß die Welt eine Urfache
4. Theil. D habe.
so Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes. _
babe. Allein da mir diefe Irrthuͤmer ſaͤmtlich, in der
Cofmologie, widerlegt haben; fo koͤnnen wir uns, auf uns
fern Beweis, völlig verlaſſen. Uebrigens aber feßt unfer
Beweis nur, die Zufälligfeit diefer würflichen Welt, vor«
aus, es mag fich übrigens jemand aud) nod) fo einen wuns
derlichen Begrif von verfelben machen. Geſetzt, es glaus
be jemand als ein Egoiſt, daß er allein die ganze Welt
ausmache, oder als ein Sydealift, daß alle Subſtanzen der
Welt Geifter find, oder als ein Materialift, daß alle Sub—
ftanzen Körper find: wenn er nur die Welt für zufällig
hält, fo muß er, wenn er fonft Eeinen atheiftijchen Irrthum
begt, einen Gott zugeben, Diefe Meinungen find alfo
nicht atheiſtiſch, und man hat nicht nöthig, wenn man die
Wuͤrklichkeit Gottes beweifen will, daß man erft diefe Irr—
thümer widerlege, Das bieffe ohne North Weitläuftigkeit
machen, und es ift allemal beffer, wenn man eine wichtige
Wahrheit bemeifen will, daß man den fürzeften Weg er-
wähle, um fie nicht unnöthiger Weife vielen Einwuͤrfen
blos zu ſtellen. Es ift alfo unbehurfam , erft ſolche Ser»
thümer, die nicht atheiftifch find, zu widerlegen, ehe man
die Würflichfeit Gottes beweilt. Wenn man zum Unglück
mit diefen Widerlegungen nicht zu ftande Fommen folte, fo
fteht man in Gefahr, mit dem Beweiſe der Wuͤrklichkeit
Gottes gar nichts auszurichten.
..822,
Man hat noch einige andere Beweife der Wirflich-
feit Gottes aus der Erfahrung geführe, deren unparthenis
fhe Beurtbeilung viel beytragen fan, um die Stärfe des
vorhergehenden Beweiſes recht einzufehen. ı) Es ift ein
gewöhnlicher Beweis, den man aus der vortreflichen Drde
nung diefes Weltgebaudes hernimt. Die Erfahrung lehrt
zu unferer Bewunderung, daß Sonne, Mond und Sterne
ſich nach einer dauerhaften Ordnung bewegen, daß die
Scelenfräfte ordentlich würfen u. fe w. Und wenn aud)
manches in der Welt unordentlich zu feyn fiheinen folte,
fo rührt diefes blos daher, weil uns die Regeln der Zuſam—
menor⸗
|
|
|
|
Der Beweis der Wirklichkeit Bottes. _ sı
menordnung der Dinge in der Welt oft unbefant find,
Gleichwie nun jederman, wenn er ein Blat Papier fieht,
auf welches Buchftaben mit einer foldyen Ordnung gefhries
ben find, daß fie eine verftändliche Rede ausmachen, mit
Hecht Ichlieft, daß ein verftändiger Urheber diefelben zu—
fammengefchrieben habe: alfo muß uns auc) die Ordnung
in der Welt überzeugen, daß ein verftändiges Wefen auf:
fer der Welt vorhanden fey, welches der Urheber derfelben
if. Die Schwäche diefes Beweifes fan, auf verfchiedene
Art, erwiefen werden. Einmal, gefegt ein Fatalift jagt:
die "vortrefliche Ordnung in der Welt ift fchlechterdings
nothwendig, und bat in dem Wefen der Welt felbft ihren
binreichenden Grund; fo Fan dieſe Drönung flat finden,
ohne daß fie von einem verftändigen Urheber auffer der Melt
berrühre. Unter den wefentlichen Bollfommenheiten ot.
tes ift ebenfals, die allervollkommenſte Ordnung, im höchiten
Grade anzutreffen. Würde es aber nicht unverftändig
feyn, wenn man daraus fehlieffen wolte, daß auffer Gore
ein verftändiges Wefen vorhanden wäre, welches in ihm
diefe Drdnung gewuͤrkt hätte? Wolte man nun, zum ans
dern fagen, bey der Welt verhalte es fich anders, indem
ihre Drdnung zufällig ift: fo gilt diefes nicht von affer Drd«
nung in der Welt, weil aud) in einer jedweden Welt eine
fhlechterdings norhwendige Ordnung angetroffen wird $.
336. Hernach iſt auch klar, daß man freylich ſchlieſſen
kan: wenn eine zufaͤllige Drdnung i in der Welt ift, fo muß
ein Gott feyn. Allein das ift eben unfer Beweis der Würf-
lichfeit Gottes aus der Zufälligfeit der Welt, welcher auf
ein Erempel angewendet wird, und er feßt alfo unfern Bes
weis voraus, Zum dritten Fan man nicht eher annehmen,
daß alles in der Welt nad) einer vortreflichen Drdnung ein—
gerichtet fen, bis man nicht überzeugt ift, daß alles in der
. Welt von Gott herrühre. Kin Atheiſt Fan, vor der Lie»
berzeugung von der Würftichfeit Gottes, nicht überzeugt
werden, daß in allen denen Faͤllen, wo wir keine Ordnung
finden Eönnen,, dem ohnerachtet eine vortrefliche Ordnung
D2 ’ ana
52 Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes.
angetroffen werde. 2) Der Beweis, der Wuͤrklichkeit Gots
tes aus den weiſen Abfichten aller Dinge in der Welt, ift
noch fhlechter als der vorhergehende. Das ift freylich una
leugbar, wenn alle Dinge in der Welt, und alle Beräns
derungen in derfelben, zu geriffen Abfichten verordnet find
und gefchehen, fo muß ein weifer Urheber der Welt vor:
handen ſeyn. Allein ehe man von der Würflichfeit Got:
tes überzeugt ift, Fan man unmöglicy mit Wahrfcheinlich«
feit behaupten, daß alle Dinge in der Welt Abfichten ha«
ben. Iſt man aber überzeugt, daß ein Gott fen, wel
cher die ganze Welt nad) höchiter Weisheit eingerichtet hat,
fo ijt alsdenn unleugbar, daß nichts in der Welt ohne Ab—
fichten fo und nicht anders fey. 3) Einige haben, die
MWürflichfeit Gottes, aus dem angebornen Begriffe von
Gott, und aus dem Derlangen nach dem Unendlichen,
welches in allen Menſchen angetroffen wird, ermeifen wol⸗
len. Diefes Verlangen nennert fie die Stimme der Natur -
und des Gewiſſens, welche uns beftändig zuruft, daß ein |
Sort ſey. Man führt zur Beſtaͤrkung diefes Beweifes an,
doß die Atheiften diefe Stimme nicht übertäuben Fönnen, |
fondern daß ihr Gewiſſen ihrer gottlofen Lehre allemal wis
derfprehe, Wider diefen Beweis ift verfchiedenes einzus
wenden. Einmal babe id) ſchon S. 803. gezeigt, wie
wenig von der angebornen Gottesgelahrheit zu halten fey.
Zum andern fan, das Berlangen nach dem Unendlichen,
‚aud) ein Verlangen nad) der Unfterblichfeit, und ein natuͤr—
licher Abſcheu vor dem gänzlichen Untergange feyn, woraus
aber die Wuͤrklichkeit Gottes nicht erwieſen werden Fan.
Zum dritten wird ohne Beweis angenommen, daß in allen
Menfchen fih), diefe Stimme der Natur, hören laffe.
Menfchen, welche in einer gänzlichen Unwiffenheit Gottes
und göttlicher Dinge erzogen werden, wiſſen gewiß von dies
fer Stimme nichts, welche ihnen zurufen folte, daß ein Gott
ſey. Zum vierten wird ohne Beweis angenommen, daß
es feinen Atheiften gegeben habe und geben fönne, welcher
in Abſicht auf feine Lehre ein völlig ruhiges Gewiſſen habe.
Und.
Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes, 53
Und wenn man auch fünftens zugeben molte, daß alfen
Atheiſten ihr eigenes Gewiſſen widerfpreche, fo Fan der
Arheift diefes zugeftehen. Er Fan fagen, die Lehre von
Gott fey ihm von Kindesbeinen an, mit den füffelten Ver—
heiſſungen und fürchterlichften Drohungen, eingeflößt, und
die Vorurtheile feiner Kindheit ſeyn ihm fo tief eingeprägt,
Daß er fie nicht los werden koͤnne. Man erfährt diefes
auch in andern Fällen. Wenn ein Menſch von einer fal-
fhen Religion fich zu der wahren bekehrt, fo wird er felten
Die Unruhe feines Gewiffens los werden, und vielleicht ift
fein Weltweifer, welcher Gefvenfter leugnet, der nicht
demohnerachtet ſich vor Gefpenftern fürchten folte. 4) Eis
nige beweifen die Würflichkeit Gottes aus der Uebereinſtim—
mung allee Völker, und fchlieffen: was alle Menfchen, die
den Gebrauch ihrer Vernunft haben, für wahr halten, Das
muß wahr ſeyn; nun aber glauben alle Menfchen, welche
den Gebraud) ihrer Vernunft haben, einen Gott. Allein,
erſtlich, wenn auch der ganze Beweis richtig wäre, fo ver=
urſacht er dennoch nur eine Wahrfcheinlichkeit, keineswe—
ges aber eine mathematifche Gewißheit. Was aus
menſchlichen Zeugniffen erwiefen wird, ift hoͤchſtens nur
moralifch gewiß. in folcher Beweis fchickt fid) nur für
- biftorifche Wahrheiten, nicht aber für dogmatifche, vdergleis
hen der Satz ift, daß ein Gott wuͤrklich ſey. Zum an⸗
- dern Fan es, allgemeine Irrthuͤmer des ganzen menfchlichen
Gefhlehts, geben. Es ift gewiß eine Zeit gewefen, da
man fager fan, daß alle verftorbene und Damals nod) lebens
de Menfchen geglaubt haben, daß der Erdboden ftille ſtehe,
und die Sonne fic) bewege, und es iſt diefes gleichwol Doc)
falſch. Zum dritten Fan man unmoͤglich beweifen, daß
alle Menfchen einen Gott glauben. Man bat ganze Böl-
fer entdeckt, welche nichts von Gott gemuft haben, und die
Arheiften machen unleugbar eine Ausnahme. Es ift fpaß-
haft zu fehen, mas manche fid) für feltfame Mühe geben,
um zu zeigen, daß es gar Feine wahre Atheiften gegeben
babe, und feine Völker, die von Gott nichts gewuft, Zur
D 3 Ehre
54 Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes.
Ehre des menfchlichen Gefchlechts wünfchte ich, daß diefe
Gelehrten in diefem Stuͤcke Recht hätten. Wenn ein chrifte |
licher Gortesgelehrter fi), auf diefen Beweis der Würfe
lichfeie Gottes, was zu gute hut: fo fan man ihm viertens
zugeben, daß alle Menfchen, welche ven Gebrauch ihres
Berftandes haben, einen Gott glauben, und man Fan dems
ohnerachtet zeigen, daß daraus die WürflichFeit Gottes
nicht folge. Denn das ganze menfchliche Gefchlecht ſtamt
von einem Menfchen her, welcher einen Gott geglaubt, und
folglich ift, diefer allgemeine Glaube der Menſchen, ein
Glaube, welcher von Vater auf Sohn fortgepflanzt wor—
den. Man müfte alfo durch natürliche Gründe erft zeigen,
um welcher Urfachen willen, der Stamvater des ganzen
menfchlihen Gefchlechts, einen Gott geglaubt, ehe man -
. Daraus nur ivgends einen Beweis für die Würflichfeit
Gottes hernemen koͤnte. So viel Fan man zugeben, daß
jederzeit die Elügften und wohlgefitteften Völker und Mens
fehen einen Gott geglaubt haben, Ob nun gleich daraus
nicht demonſtrirt werden Ean, daß ein Gott fen; fo Fünnen
Doch dadurch die Acheiften befchame werden , indem fie fich,
zu der Parthey der dummften Unmenfchen, durd) ihre Lehre
fhlagen. Aus diefem Abfage erhellet demnach, daß der
einzige unumftößliche Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes aus
der Erfahrung Fein anderer feyn fünne, als derjenige, wel—
der aus der Zufälligkeit der Welt und ihrer Theile geführt
wird. Ein ieder Wurm in der Welt, ein jedes Sonnens
ftäubchen, eine iede Blume ift ein Beweis der Wirklich.
keit Gottes, fo bald man von der Zufälligfeit eines folchen
Dinges überzeugt ift.
$. 822.
Es frage fih, ob man die WürflichFeit Gottes auch
a priore erweifen fonne? Einige leugnen dieſes, fie führen
aber feinen andern Beweis an, als weil fie durch einen
Macıtfpruch behaupten, daß der menfchlide Verſtand
nur im Stande fey, Gott aus der Erfahrung zu erkennen,
und das folte doch erft erwiefen werden. Weil Gott, als
er
Der Beweis der Woͤrklichkeit Gottes. 55
er vom Moſes gebeten wurde, ihm ſein Angeſicht zu zeigen,
antwortete, er ſolte ihm nur hintennach ſehen, weil er ſein
Angeſicht nicht ſehen könne: fo ſpielen manche auf eine laͤ⸗
cherliche Art mit Worten, und meinen, Gott ſage aus:
druͤcklich: der Menſch Eönne ihn a priore nicht erfennen.
Es komt bier blos auf die Erfahrung an, ob ein Weltweis
fer im Stande fey, einen richtigen Beweis der Würflic)s
Feir Gottes a priore zu führen? Mur muß man ſich einen
richtigen Begrif, von einem Beweiſe a priore, machen.
Wolte man fagen, zu einem folchen Beweiſe werde erfo«
dert: daß ein Menfch zu einem Flaren Begriffe der zu ers
weifenden Wahrheit gelangt feyn, und den ganzen Bes
weis erfunden haben müfle, ohne feine Erfahrungen vor«
auszufegen; fo gibt es freylich Feinen folchen Beweis der
Würflichfeit Gottes a priore. Allein auf die Weife haben
wir Menfchen gar feine Erfentniß a priore, indem wir
zu alle unferer Erfentniß vermittelft unferer Empfindungen
gelangen. Aber davon ift nicht die Ned. Sondern
wenn wir die Erfentniß einer Wahrheit ſchon erlangt haben,
fo fragt fihs, ob man einen folchen ‘Beweis derfelben ges
ben fan, in welchem fein einziger Vorderſatz angetroffen
wird, welcher ohne Erfahrung nicht gewiß fern Fünte?
Ein folder Beweis wird a priore geführt. Wenn wir
Durch die Erfahrung die Würfung des würflichen Gottes
empfinden, und daraus fchlieffen, daß er wuͤrklich und alfo
aud) möglich fey, fo erfennen wir ihn a pofteriore. Wenn
wir aber, nad) Maasgebung unferer Erfahrung, nad) und
nach einen Begrif von der unendlichen Subftanz erlangt
haben, alsdenn die innerliche Beſchaffenheit verfelben un—
terfuchen,, und deutlich einfehen, dafi fie innerlich möglic)
fen, und alsdenn ſchlieſſen, daß fie würflich vorhanden
feyn muͤſſe; fo nent jederman, welcher diefer Sachen kun—
dig iſt, diefen Beweis einen Beweis a priore, und wir
wollen verfuchen, einen folhen Beweis zu führen. Solte
aber auch jemand ſich von demfelben nicht überzeugen koͤn—
nen, fo Fan er völlig mit dem vorhergehenden zufrieden feyn,
D4 9.824
6 Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes
Garner
Wenn man alfo a priore erweiſen will, daß Gott
wuͤrklich ſey, ſo muß man erſt vorher ſeine Möglichkeit era.
weifen, und alsdenn, blos aus diefer Möglicyfeit, unum—
ſtoͤßlich darthun, daß er aud) würflic) fey. Das erfte fan
folgendergejtalt erwiefen werden, Gott ift die unendliche
und allervollfommenfte- Subftanz $. 814. Sı5. Folglich
iſt ev das allervollfommenfte Ding, in welchem gar feine
Verneinungen, fondern lauter Realitäten angetroffen wer—
den $. 818, Folglich find alle Beſtimmungen und Theile
Gottes, alle mannigfaltigen Merkmale Gottes, welche von
einander unterfchieden find, nicht nur Realitäten, fondern
auch ſolche Kealitäten, welche nichts verneinendes in fich
enthalten; oder in Gott ift gar Feine Unvollfommenbeit,
und feine Vollkommenheit, welche mit Unvollfommenheiten
untermengt wäre $. 817. Nun koͤnnen zwey Realitäten
und Bollfommenbeiten, in fo ferne fie dergleichen find,
einander unmoͤglich widerfprehen. Was einer Kealität
und Bollfommenheit widerfpricht, das iſt das Gegentheil
einer Nealität und Bollfommenbeit $. 79. Folglich eine.
Berneinung und Unvollfommenheit $. 48. 95 Folglich)
Fan, Eeine Realität der andern, wiverfprechen. Nun ift
Gott gleichfam ein Ganzes, welches aus lauter Realitäten
befteht, und es ift alfo unmöglich, daß in dem Umfange
der Gottheit ein Widerfprud) feyn folte. Nun ift ein Ding
möglich , welches Feinen Widerfpruch in ſich enthält $. 23.
Folglich it Sort ein mögliches Ding. Zur Beftärfung
diefes Beweiſes Fan, noch) verſchiedenes, angemerft wers
den. Einmal ift die innerlihe Möglichfeit unleugbar eine
Realität, weil alle übrige Realitäten auf ihr beruhen; und,
die innerlihe Unmöglichkeit, iſt die ärgfte Verneinung.
Gott hat alle Realitäten, und Feine Berneinungen $. 816.
8:18. Er hat demnach auch die innerliche Möglichkeit, und
er ift nicht innerfich unmöglich, Zum andern entfteht in
unfern Begriffen ein Widerſpruch, wenn wir uns ein Ding
als ein Subject vorftellen, und ein oder mehrere Prädicate
zu⸗
Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes, 57
zugleich von ihm bejahen und verneinen. Wenn wir uns
nun einen Begrif von Gott machen, ſo ſtellen wir uns ihn
als dasjenige Subject vor, in welchem alle Realitaͤten und
keine Verneinungen angetroffen werden. Alle Praͤdicate
Gottes ſind entweder Realitaͤten, oder Verneinungen. Die
erſten bejahen wir von Gott, und keine einzige derſelben
verneinen wir; und die letztern verneinen wir von Gott,
und keine einzige derſelben bejahen wir. Folglich iſt, unſer
Begrif von Gott, ein moͤglicher und wahrer Begrif. Und
da er uns alſo was moͤgliches vorſtelt, ſo iſt Gott ein moͤg⸗
liches Ding. Zum dritten würde es ein unzureichender
Beweis der Möglichkeit Gottes ſeyn, wenn wir fo fchlieifen
wolten: es gibt unendlich viele vollfommene Dinge, deren
eins immer vollfommener ift, als das andere. Folglich
muß eines darunter das allervollfommenfte ſeyn, und es ift
demnach ein allervollfommenftes Ding möglih. Hieraus
folgt nichts weiter, als daß ein Ding möglich fey, welches
in einer Reihe möglicher Dinge das allervollfommenfte iſt.
Gott aber muß das Ding feyn, welches fhlechterdings das
allervollEommenfte und reelle unendliche Ding ift.
$. 825. |
Da nun Gott, fo wiewir uns ihn unfer dem Begriffe
des allerwollfommenften, Dinges vorgeftelt haben, ein mög-
liches Ding iſt $. 824. fo ift es eine unumftößlich gemiffe
Wahrheit, daß er alle wahre Nealitäten in der That befige.
6. 816. Nun ift die Würflichfeit eine Nealität, welcye dem
Weſen eines Dinges nicht widerfpricht, fondern neben dems
ſelben möglich ift $. 65. Folglich hat Gott die Würflich«
keit, weil ec möglich iſt; und es ift demnach Gott ein Ding,
welches würflich vorhanden ift. Die Würklichfeit Fan auch
feiner andern Realität widerſprechen, weil eine iedwede
wahre Realität was Mögliches ift, und alfo würflich feyn
fan, a fo lange eine Nealität bloß moͤglich und nicht
wuͤrklich ift, fo lange fehle ihr eine Realität, und fie ift alfo
noch nicht fo groß, als fie feyn koͤnte. Da nun in Gote
alle Kealitäten den höchften Grad haben, $. 817, fo muß
| | D
5 eine
3 Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes.
eine iedwede die Würflichkeit haben, weil ihr widrigenfals
etwas an ihrer Nealität fehlen würde. Gott koͤnte alfo
nicht das allervollfommenfte Ding feyn, wenn er niche
würflih wäre Man fan die Würflichfeit Gottes, noch
auf eine andere Art, aus feiner innerlihen MöglichFeit her—
leiten, weil er nemlich eine nothwendige und unendliche
Subſtanz iſt $. 814. Das nothwendige Ding ift dasje—
tige, deſſen Würfiichfeit eine Kigenfchaft ift, oder in feis
ner innerlichen Moͤglichkeit und Wefen ihren hinreichenden
Grund bat 8. 119. Wenn nun ein Ding möglicy ift, und
fein Wefen bat, fo hat es auch zugleich alle feine Eigen—
ſchaften 9. 67. Gott ift möglich, als die nothmendige Sub:
ftanz $. 824. und folglidy hat er auch alle Eigenschaften
‘des nothwendigen Dinges, und mithin auch die Würflich-
feit. Die unendliche Subftanz ift alles dasjenige wuͤrklich,
mas fie innerlic) feyn Fan $. 194. Da fie oder Gott nun
möglich ift, fo Ean er feyn, folglich ift er auch würflich
vorhanden,
$. 826.
Der vorhin geführte Beweiß der Würflichfeit Got—
tes aus feiner innerlichen Möglichfeit wird, der Eartefianis
fche Beweis der Würflichkeit Gottes, genent, weil Carte-
ſius denfelben greöftentheils erfunden hat. Unterdeflen kon⸗
te Cartefius, in feinem Lehrgebaͤude, diefen Beweis nicht
richtig und vollftändig genung führen. Vermoͤge diefes
Lehrgebaͤudes mufte er annehmen, daß der DBegrif, den
wir von Gott und dem allervollfommenften Dinge haben,
von Gott felbft unmittelbar, und ohne Mitwürfung unferes
eigenen Verſtandes, hervorgebracht werde. Daraus fchlof
er, daß diefer Begrif wahr feyn müfle, weil uns widrigens
fals Gore einen falfchen Begrif einflöffen würde, welches
feiner Wahrhaftigkeit zuwider wäre, Allein zu geſchweigen,
daß daraus folgen würde, daß alle unfere Begriffe wahr
fenn, weil fie nach dieſem Lehrgebaͤude fämtlich allein von
Gott gewürft werden, welches Doch der Erfahrung zumider
iſt: fo ift offenbar, daß Cartefius, wenn er die a
eit
Der Beweis der WPürklichkeit Gottes. 59
keit Gottes aus feiner Möglichkeit erweift, die legte Daher
beweift, weil ein Gott vorhanden ift, welcher, vermöge feis
ner Wahrhaftigkeit, uns feinen andern als richtigen Begrif
von fich felbft einflöffen Fan, Under feßt demnad) ſchon
voraus, daß ein Gott fen, melches doch erft ermiefen wer:
den folte. In unferm Beweiſe aber iſt, diefer Fehler, ver—
mieden worden. Wir haben uns alfo einen doppelten Weg
gebahnt, wie wir die befondern Bollfommenheiten Gottes
in. dem Folgenden unterfuchen koͤnnen. In fo ferne wir
eine Bolltommenbeit Gottes, aus dem Begriffe des aller
vollfommenften Dings, erweifen und erklären werden, in
fo ferne erfennen wir fie aus der Vernunft und a priore.
In fo ferne wir fie aber daher erweifen und erflären, weil
diefe Welt eine Würfung Gottes ift, in fo ferne erfennen
wir fie aus der Erfahrung und a pofteriore. Ks wird
fehr nuͤtzlich ſeyn, wenn wir beyde Wege allerwegen mit
einander verbinden, wo es ung möglich ift. Wenn wie
nun in dem Folgenden, aus der allerhöchften Vollkommen—⸗
beit Gortes, erweifen werden, daß er eine Subſtanz feyn
müffe, welche auffer der Welt würflic) ift, und von wel-
cher die Welt abhanger: fo wird man überzeugt werden,
daß aud) durd) diefen Beweis a priore die WürflichFeit ei—
ner Gottheit dargethan fen, weldye uͤberhaupt fo befchaffen
iſt, wie ſich ein jeder einen Gott vorftellen muß, welcher nicht
mit dem Worte fpielen will. $. 812. Denn fonft Fonte
jemand zugeben, daß ein allerwollfommenftes Ding wuͤrk⸗
lich fen, daß aber derfelbe nichts anders fey, als diefe wuͤrk—
liche Welt im Ganzen betrachtet, und er würde alfo
in der That ein Acheift feyn.
3%. eh 2-8
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Der dritte Abſchnitt.
Diejenigen Vollfommenheiten Gottes, welche
in ihm vorgeftelt werden Eönnen, wenn man
ihn: gleich nicht ald einen Geift
betrachtet.
$. 827.
achdem wir nun überzeugt find, daß Gott nicht nur
2) moglich fondern auch wuͤrklich iſt; fo müffen wie
uns nunmehr bemühen, unfern Begrif von ihm aufs
möglidhfte zu erweitern und auszudehnen. Es ift leicht
geſagt, daß Gott alle Vollkommenheiten befige, und zwar
eine iedwede im höchften Grade; allein die wenigften Mens
ſchen bemühen ſich viel reelles, bey diefen Ausfprüchen, zu
gedenken. Es ift demnach nöthig, daß wir, fo viele und
mannigfaltige Realitäten Gottes, von einander in unfern
Gedanken richtig unterfcheiden, und auf eine reelle Arc
denken, als es die Schwaͤche unferes Berftandes erlaube,
Nun ift alles, was fid) in Gott von einander unterfcheis
den läft, eine Vollfommenheit, und zwar die gröfte in
ihrer Art, die möglid) ift. Folglich müffen wir ein jedes
Merfmal und Prädicat Gottes, ein jedes Mannigfaltige,
was wir in der Gottheit von andern unterfcheiden fönnen,
als die höchfte Realität in feiner Art gedenken: wenn mie
uns anders einen Begrif von Gore machen wollen, welcher
feiner höchften Vollfommenbeit anftändig it. Die Dolls
Eommenheiten Gottes koͤnnen, um unfere Unterfuchuns
gen derfelben zu erleichtern, auf eine doppelte Art einges
tbeilt werden. Kinmal in diejenigen, die ibm feblechs
terdings zukommen, und in diejenigen, welche ihm
beziehungsweiſe zugefchrieben werden $. 49. Die
erften Ein man fich in Gore deutlid) vorftellen, ohne fie in
einem Zufammenhange zu betrachten, 3. &, die Einheit
Got⸗
Das Wefen Gottes, 61
Gottes, das Welen Gottes u. f. m. Die legfern Fan
man gar nicht gedenken wenn man nicht, eine Berfnüpfung
derfelben mit andern Vollkommenheiten und Dingen in und
auſſer Gott, ſich vorftelt, z. €. die Herrfchaft des göttlichen
Verſtandes über feinen Willen, Zu den legtern gehören,
Die -allervollfommenften Berhältniffe Gottes gegen andere
Dinge auffer fi, 3. E. feine Allgegenwart. Zum andern
find die Vollkommenheiten Gottes entweder ruhende oder
wuͤrkende Dollfommenbeiten. Die legtern muß man
ſich allemal, als allervolltommenfte Handlungen Gottes,
voritellen. 3. E. die Rathſchluͤſſe Gottes, die Allmacht
u. fe w, Die erften aber fan man erklären, ohne fie als
- Handlungen zu betrachten, und fie koͤnnen demohnerachtet
einen Einfluß in feine Handlungen haben. 3. E. die Eins
heit Gottes. Wir wollen alfo in diefem Abfchnitte diejenia
gen Vollkommenheiten Gottes nach einander durchgehen,
weiche die Würkungen Gottes in die Welt nicht vorausfe«
gen, und welche ihm zugefchrieben werden koͤnnen, wenn
man ihn auch nicht als. einen Geift betrachtet, und zwar
in derjenigen Ordnung, in welcher fie am leichteften und
deutlichiten aus einander von uns Menfchen koͤnnen herge⸗
leitet werden.
Das Weſen Gottes.
9. 828.
Es behaupten einige, daß das Weſen Gottes fo un«
endlich weit über unfern Berftand erhaben fey, daß wir
Menfchen fchlechterdings nicht vermögend wären, zu fagen,
worin daffelbe beftehe, Allein man ſagt diefes zwar, es
hat aber noch niemand diefen Gedanken tüchtig bewieſen.
Man beruft ſich zwar auf eine unrecht verſtandene Unbe⸗
greiflichkeit Gottes uͤberhaupt, oder darauf, daß wir Men—
ſchen uns gar keinen reellen Begrif von dem Weſen eines
unkoͤrperlichen und geiſtigen Dinges machen koͤnten: allein
iederman ſieht, daß das erſte nichts beweiſt, und daß das
letzte ohne allen Grund angenommen wird. Wir wollen,
nach
61 Das Weſen Gottes.
nach unfern feftgefesten Grundfägen, fo fihlieffen: das
Weſen eines iedweden möglichen Dinges befteht, in der
innerlihen Möglichkeit deffelben $. 51. Folglich ift auch,
das Wefen Gottes, die innerlihe Möglichkeit der aller-
volltommenften Subftanz; oder die unendliche, allergröfte
und allervollfommenfte innerlihe Möglichkeit einer Subs
ſtanz. Und dahin gehört, eine doppelte innerliche Mög-
lichfeit Gottes: die eine, die ihm fchlechterdings zufomt,
und die andere,die ihm beziehungsweife zugefchrieben wird
S. 49. Gore ift, im allerhöchften Grade, innerlich und
ſchlechterdings möglich $. 817. 1) Se mehrere Realitäten
in einem Dinge bey einander moͤglich find, dergeftalt, daß
feine der andern widerfpricht, in einem deſto höhern Grade
ift daffelbe Ding innerlich) und ſchlechterdings möglich $. 29.
Nun find in GOtt, alle mögliche Realitäten, ohne Wider-
fpruch bey einander möglich $. 816. Folglich ift er, im
höchiten Grade, innerlich und fchlechterdings möglich.
2) Je gröffere Realitäten in einem Dinge bey einander
möglich find, fo daß feine der andern widerfpricht, in ei-
nem befto höhern Grade iſt daffelbe Ding innerlich und
fehlechterdings möglich $. 29, In Gott find, die aller.
gröften Realitäten, bey einander möglich $. 817. Folge
lich ift er, auch in dieſer Abſicht, im hoͤchſten Grade ins
nerlih und ſchlechterdings moͤglich. Und, diefer höchfte
Grad der innerlichen Möglichkeit Gottes, ift der eine Theil
feines göttlichen Wefens. Hier haben wir das erſte Erem-
pel, und wir werden deren nod) fehr viele befommen,
woraus exhellet, wie nüglicy Die Unterfuchungen der vers
fehiedenen Grade derjenigen Begriffe find, die wir vom
Anfange an in. der Metaphyſik angeftelt haben; indem wir
ung dadurd) nach und nach in den Stand gefeßt, die höch=
fte Vollkommenheit Gottes uns beſſer vorzuftellen, als es
ſonſt möglich feyn würde. Mancher denkt nichts, Dabey,
wenn man fagt, ein Ding fen möglicher als das andere,
und was Ean er denfen, wenn er fagt, Gott fen im hoͤch—
ften Grade möglih? Die Berfiherungen, daß SR alle
olls
|
|
Das Wefen Gottes, 63
Bollfommenheiten im höchften Grade befiße, find, in dem
Munde der meiften Menfchen, andächtige und theologifche
Complimente , die fie gegen Gott machen, und die in ih»
rem Munde eben fo wenig fagen, als wenn wir Menfchen
uns einander die allergelehrteften Männer nennen. Damit
nun die Gortesgelahrheic Fein bloffes theologiiches Complis
mentierbuch werde, fo muß man ſich allemal bemühen , die
höchiten Grade der Nealitäten Gottes deutlich zu denken.
S. 829.
Zu der innerlichen allervollfommenften Moͤglichkeit
Gottes, oder zu feinem göttlichen Weſen, gehört auch dies
jenige hoͤchſte Möglichkeit, die ihm zufomt, in fo ferne
feine Bollfommenbeiten, als Gründe und Folgen von eitt-
ander betrachtet, bey einander möglich find. Weil nem—
li, in einem iedweden möglichen Dinge, ein allgemeiner
Zufammenhang unter alfen feinen innerlihen Beftimmuns
gen, angetroffen wird $. 57. fo find auch, alle innerliche
Vollkommenheiten Gottes, durch einen allgemeinen Zu=
fammenbang mit einander verfnüpft. Und da alles, was
in Gore ift, die allergröfte Realität ift $. 817. fo iſt
auch, diefer allgemeine Zufammenhang aller Bollfommen«
heiten Gottes, der allergröfte, der möglich ift S. 56. Folg«
lich find, alle Vollkommenheiten Gottes, auch dergeftalt
ben einander möglidh: 1) daß eine iedwede, der Grund
aller übrigen, in Gott if. Nun beſitzt Gott alle mögliche
Realitäten $. gı6. Es ift demnach, eine iedwede Boll
kommenheit in Gott, der allerfruchtbarfte Grund, weil
er fo viele reelle Folgen hat, als möglich find $. 27.
2) Daß eine iedwede der Grund der allergröften Realitä«
ten ift, weil aus ihr die göttlichen Nealitäten, das ift die
allergröften, flieflen $. gı7. Es ift demnach, eine iede
Bollfommenbeit Gottes, ein fo wichtiger Grund der Rea—
‚litäten, als möglid 9, 27. 3) Daß eine iedwede als der
erfte Grund aller übrigen angefehen werden fan, weil aus
ihr alle uͤbrige mögliche Realitäten in Gott flieffen $ 40.
4) Daß eine iedwede der zuveichende Grund aller übrigen
iſt,
64 Das Weſen Gottes.
ift, weil alfe übrige aus ihe folgen S. 34. Folglich ift
eine iedwede göttliche Vollkommenheit der allergröfte zureie
chende reelle Grund, der irgends möglich if. 5) Daß
eine iedwede göttliche Vollkommenheit, eine Folge einer
iedweden andern insbefondere, und aller übrigen zuſam—
men genommen ift. Es hat demnad), eine iedwede güfte |
liche Vollkommenheit, unendlich viele zureichende, und uns
endlich groffe Gründe in Gott. In dem göttlichen We—
fen wird, alles durch einander, aufs vollfommenfte be—
ftimt, Ale Realitäten find fo feft in und durch einander
gefhlungen, Daß, die allervollfommenfte Harmonie, une
ter allen göttlichen Vollkommenheiten angetroffen wird.
Die göttlidien Vollkommenheiten machen gleicyfam einen
Circul aus, welcher allerwegen in fich felbft hineinläuft.
Man mag anfangen wo man will, fo findet man einen
Anfang der Reihe feiner Bollfommenbeiten, - weldyer zu.
gleich das Ende derfelben ift.
$. 830.
DBermöge der vorhergehenden Unterfuchungen befteht
alfo das Wefen Gottes darin, daß alle mögliche Realitäten
und Bollfommenheiten, und zwar eine. iediwede im: allera
hoͤchſten Grade, dergeftalt zugleid und bey einander mög«
lich find, daß fie niche nur einander nicht widerfprechen,
fondern aud) durch den allergröften allgemeinen Zuſam—
menhang mit einander verbunden find. Nun pflege man
ſich auch das Wefen eines Dinges als diejenige innerliche
Beltimmung defjelben vorzuftellen, welche in demfelben
Dinge, der erfte Grund aller feiner übrigen innerlichen
Beftimmungen ift $ 50. 51. Folglich ift das Wefen
Gottes diejenige innerliche Realitaͤt und Vollkommenheit
Gottes, aus weldyer alle übrige flieffen, oder welche der
erfte hinreichende Grund aller übrigen göttlichen Bollfoms
menheiten iſt. Und vermöge diefer Erflärung Fan, eine ieda
wede innerliche göttliche Vollkommenheit, als fein Wefen
angefehen werden; weil alle übrige aus einer iedweden,
als aus ihrer erſten Duelle, flieffen $- 829, Daher ift
das
Das Weſen Gottes. 65
das Weſen Gottes, von dem Wefen aller übrigen mögli:
chen Dinge, auch um diefer Urfach willen unendlich unter-
ſchieden; weil zwar, in allen übrigen möglichen Dingen,
ein allgemeiner Zufammenhang ihrer innerlichen Beftim«
mungen angetroffen wird, aber nicht in einem fo hohen
Grade, daß eine iedwede das Wefen feyn koͤnte. Wolte
man fagen, daß, vermöge diefer Betrachtung, Gott une
endlich viele Wefen haben müffe, fo viele nemlich als er
innerliche Bollfommenheiten befißt, da man doc) einem ied⸗
weden Dinge nur ein einziges Wefen zuſchreiben müffe: fo
fan, biefe Schwierigfeit, leicht gehoben werden. So
bald eine gewiſſe Vollkommenheit Gottes als fein Wefen
angenommen wird, fo bald Fan Feine andere feiner Voll—⸗
fommenheiten zugleich als fein Wefen angefehen werden,
Folglich hat Gore, in einer jedesmaligen Betrachtung feiner
Vollkommenheiten, nur ein einziges Weſen.
$. 831.
Aus den bisherigen Unterfuchungen erhellet alfo nicht
nur, daß es uns Menfchen überhaupt möglich fen, unſern
Begrif von Gott logifch zu erklären; fondern daß wir audy
im Stande find, von demfelben eine richtige Sacherklaͤrung
zu geben. Denn dur eine Sacherflärung verſtehen wir
eine folche Definition, welche das Wefen ber erklärten Sa—
che deutlich vorftelt. Solche Erklärungen find, in allen
unfern gelehrten und ſyſtematiſchen Unterfüchungen einer
Sache, die allererften Begriffe, welche wir uns von ders
felben machen, und aus welchen alles übrige hergeleitet
wird, was mir von derfelben Sache, auf eine gelehrte und
phitofophifche Art, erkennen. Da nun, eine iedwede ins
nerliche Vollkommenheit Gottes, als fein Wefen angefehen
werden fan 6. 830. fo Fünnen wir Menſchen unendlid) viele
Sacherklaͤrungen von Gott machen; weil, ein iediweder bes
ftimter Begrif von einer iedweden innerlichen Bollfommen-
heit Gottes, eine richtige Sacherflärung Gottes iſt. Freys
lich muß man, um den Circul im Beweiſen zu verhüten,
ſich dabey in acht nehmen, daß man diejenige inner.
4 Theil. E liche
66 Das Weſen Gottes.
liche Vollkommenheit Gottes, die man als fein Wefen ans
nimt, und deren beftimten Begrif man in dem Syſtem der
Gottesgelahrheit als den erſten Begrif von Gott feſtſetzt,
nicht etwa aus einer andern innerlichen Vollkommenheit
Gottes erweiſe. Allein dem allen ohnerachtet iſt es uns
Menſchen unmoͤglich, daß wir, aus einer iedweden uns
bekanten innerlichen Vollkommenheit Gottes, in einem gleis
chen Grade der Deutlichkeit und Leichtigkeit, alles uͤbrige,
was wir von Gott wiſſen, ſolten herleiten fonnen. Aus
der einen Fönnen wir die übrigen leichter und deutlicher
herleiten, als aus der andern; ja es fan eine innerliche Boll»
fommenheit Gottes feyn, aus welcher wir Menfchen nicht
im Stande find, alle übrigen herzuleiten, ob glei) in Gott
felbit alle übrige aus ihr flieflen ; weil wir, den allgemeinen
Zufammenhang der göttlichen Bollfommenbeiten , nicht
völlig einfehen. Folglic) müffen wir, in unferer Gotteg=
gelahrheit, diejenige innerliche Vollkommenheit Gottes als
fein Wefen annehmen, aus welcher wir die übrigen am
leichteften, deutlichiten und ungezwungenften herleiten koͤn—
nen; damit wir uns, die Erfentniß Gottes, nicht ohne
Moth zu fehwer und dunfel machen. Unterdeſſen ift es
fehr que, wenn wir uns gleichfam viele verfchiedene theolo⸗
gifche Lehrgebäude machen, und in dem einen die Vollkom⸗
menbeit Gottes als fein Wefen annehmen, und in dem ans
dern cine andere. Auf die Weife lernen wir, den vortrefli—
den Zufammenhang der gottlichen Bolltommenbeiten, mehr
einfehen, und indem die göttlichen Vollkommenheiten, in
verfchiedenen Ordnungen und aus verfehiedenen Gründen
hergeleitet werden, fo werden fie in ein mannigfaltiges Licht
gelegt, und unfere Erkentnis derfelben wird dadurch noth—
wendig deutlicher und gewiſſer. Es ift demnach) fehr zu
loben, wenn, verfchiedene Lehrer der Gottesgelahrheit, vers
ſchiedene Definitionen von Gott zum Grunde legen, wenn
diefelben fonft nur richtig find,
4. 332.
Dos Wefen Gottes, 67
| . 832.
Um das Wefen Gottes in feiner unendlichen Volle
Fommenheit, fo viel uns Menfchen möglich ift, noch beifer
uns vorzuftellen, fo ift es noc) nicht genung, daß wir uns
daffelbe als die erfte Duelle alter übrigen Bollfommenbeiten,
die in Gore felbft find, und deren Menge und Gröffe wahrs
baftig unendlich ift, vorftellen; fondern wir muͤſſen uns
auch überzeugen, daß es Die erfte Duelle der Wefen, aller
übrigen möglichen Dinge auffer Gott, fey. Oder die We—
fen aller endlichen Dinge, es mögen nun diefe Dinge würka
lic) fenn oder nicht, alle Wahrheiten, alles mit einem Worte,
in fo ferne es möglich ift, ift feiner Möglichfeit nad) in dem
Weſen Gottes, als in feinem allererfien Grunde, binreis
hend gegründet, Wenn Gott nicht möglich wäre, fo wäre
gar nichts möglich, es gäbe gar Feine Wahrheit, und eg
wäre gar feine Wiffenfchaft möglih. Denn weil Gott ein
Weſen hat, oder weil er möglich ift, fo find alle mögliche
Realitaͤten bey- einander möglich $. 816. Sind alle möge
liche Realitäten bey einander möglich, fo find auch einige
derfelben bey einander moͤglich. Folglich daß einige Rea⸗
litaͤten in einem Subjecte bey einander möglich find, ruͤhrt
daher, weil fie alle in Gott bey einander möglid) find, oder
weil Gott möglich ift und ein Wefen hat. Nun find, die
unendlich verfajiedenen Inbegriffe einiger neben einander
möglichen Realitäten, die Weſen oder innern Moͤglichkei⸗
ten. aller möglichen Dinge auffer Gott. Folglich iſt, das
Weſen Gottes, die Duelle der Wefen und der innerlichen
Möglichkeiten aller übrigen möglichen Dinge. So bald
nur einige Realitäten in einem Subjecte bey einander möge
lic) find, fo bald habe ich das’ Wefen eines endlichen Dins
- ges. Man Ean ſich alfo diefe wichtige Sache, unter fols
genden fhwachen Gleichniffe, vorftellen. Wenn man cie
nige Buchftaben des ganzen Alphabeths zufammen nimt, fo
haben wir ein Wort; und.alle mögliche Wörter aller möge
lichen Sprachen entftehen, wenn einige Buchflaben als ein
Ganzes genommen, werden, und alfo ift ein vollſtaͤndiges
E 2 Alpha»
68 Das Weſen Gottes.
Alphabeth die Duelle aller möglichen Wörter und Sprachen,
Das göttliche Wefen ift gleichlam das vollftändigfte Alpha—
beth aller möglichen Realitäten, und die Wefen aller übrigen
möglichen Dinge find alle mögliche Wörter, welche daraus
ihren Urfprung nehmen. Folglich Fan aud) Gott, aus der
volltommenften Erfentniß feines eigenen Weſens, die Mög«
lichkeiten und Wefen aller übrigen möglichen Dinge, gleich—
fan erfinden, zufammenfegen, und a priore herleiten,
Aus den bisherigen Betrachtungen, die wir über das We—
fen Gottes angeftellet haben, erhellet alfo abermals, daß blog
um des Wefens Gottes willen in ihm, eine unendliche Men:
ge verfchiedener Realitäten, fern muͤſſe, die auf eine reelle
Art von einander unterfchieden find. Und es erheller alfo
abermals, daß es ungereimt zu fagen fey, alles in Gott
fey ein und eben daffelbe, und nichts fen in Gott von dem
andern unterfchieden, als nur nad) unferer Art zu denken,
Die Würflichkeit Gottes.
6. 933.
Da Gott ein Ding ift, welches würflich ift; fo bes
fist er die Würflichfeit $. 60. und zwar im hoͤchſten Grade
$. 817. Oder die Wuͤrklichkeit Gottes iſt die allergröfte
und allervollfommenfte Würflichfeit, die möglid) iſt, dera
geftalt, daß es ungereimt wäre zu behaupten, es fen ein Ding
möglich, welches noch in einem höhern Grade würklich feyn
fönte, als Gott. Nun beftehe, die Würflichkeit eines.
Dinges, in dem Inbegriffe aller innerlichen Beftimmun«
gen, welche auffer feinem Wefen in ihm beyfammen mög:
lich find, oder in der Erfüllung feines Weſens $. 60,
Folglich ift Gott im höchften Grade würflich: 1) weil in
ihm, auffer feinem Wefen, Feine andern innerlihen Beſtim—
mungen angetroffen werden, als Realitäten $. 818. Geine
Wuͤrklichkeit fchlieft, nichts wahrhaftig Verneinendes, in
fih. Die Würklichkeit zufälliger Dinge enthält viele Vers
neinungen, allein ein iedes zufälliges Ding iſt auch jedes«
mal nur in einem Eleinen Grade wuͤrklich, und feine Würfs
lich.
Die Wuͤrklichkeit Gottes. 69
lichkeit Eönte immer gröffer ſeyn, als fie würflih it. 13. E.
fo waͤchſt unfere Würflichkeie beftändig, je mehr richtige
Erfentniß wir erlangen, und in fo ferne wir Menfchen im«
mer noch unmiffend bleiben, in fo ferne find mir nicht in
einem fo hohen Grade würflich, als es möglich ift. Bey
Gott verhält es fich ganz anders, Seine Würklichfeit
ſchlieſt, Eeine verneinende Beftimmung, in fih. 2) Weil
auffer feinem Wefen, alle übrige mögliche innerliche Reali—
täten, in ihm angetroffen werden $. 816. Gleichwie das
Weſen eines zufälligen Dinges nur, ein Inbegrif einiger
bey einander möglichen Realitäten, iſt; alfo befteht auch,
feine Würflichfeit, nur in einem Inbegriffe einiger bey
einander würflichen Realitäten. Gottes Weſen aber ift der
Inbegrif aller bey einander möglichen, und feine Würfs
lichkeit ift der Inbegrif aller bey einander würflichen Nea«
litäten , ohne die geringfte Ausnahme, 3) Weil eine ied⸗
wede Realität, die zu feiner Wuͤrklichkeit gehört, die aller⸗
gröfte und ohne alle Einfchrenkung iſt. Die Würflichfeie
eines endlichen Dinges fan, aus fehr vielen und groffen
Realitäten, beftehen; allein eine iedwede diefer Realitaͤten
ift eingeſchrenkt. Die würflichen Realitäten Gottes find
gar nicht eingefchrenfr, 4) Weil die Würklichkeie Gottes
ewig iſt. Anfang und Ende find Einfchrenfungen der
Wuͤrklichkeit und Dauer, folglich Verneinungen einer gröfe
fern Dauer $. 228. Da nun in Gott gar feine Vernei⸗
nungen find $. 818. fo ift die Würflichkeit Gottes ewig
F. 231. wovon in dem Folgenden noch ausführlicher gehan—⸗
delt werden wird. Indem wir alfo Gott die Wuͤrklichkeit
im höchften Grade zufchreiben, fo müffen wir uns feine
Wuͤrklichkeit, als die ewige, unumfchrenkte, allergröfte und
reellefte Erfüllung der allergröften Möglichkeit, oder des
allervollfommenften Weſens eines möglichen Dinges, vor—
ftellen. Und da mag man nun eine innerliche Vollkom—
menheit Gottes als fein Wefen anfehen, welche man will
$. 830. fo machen, alle übrige innerlihe Bollfommens
heiten Gottes, die allerhöchfte Würflichkeit Gottes aus.
E 3 3. E.
70 Die Wuͤrklichkeit Gottes;
3. E. mwolte man die höchfte Weisheit als Gotees Wefen
anfehen, fo befteht die Wuͤrklichkeit Gottes in der allmäch»
tigen, allergütigften, allergerechteften Bollziebung der Weiss
beit u. fe w. Nimt man die Allmacht als fein Wefen an,
fo beſteht feine Würflichkeit in der weiſeſten, gütigften, ges
rechteften Erfüllung der Allmacht u, fi w.
834. '
Was in Gott, oder in dem Umfange der Gortheit,
möglich ift, das ift auch in ihm wirklich; oder es Fan in
ihm nichts möglich feyn, mas nicht zugleich in ihm wuͤrklich
iſt. Es folge Diefes offenbar aus dem Beweife der Würfs
lichfeit Gottes a priore, indem wir blos daher, daß Gott
möglich. iſt, erwieſen haben, daß er auch würflich fey $. 825.
Sonft aber fan es noch auf eine andere Art bewiefen wer»
ben. Einmal, aus dem allerhöchften Grade feiner Würfs
lichkeit H. 833. Denn wenn in ihm eine, Realität blos
moͤglich, und nicht zugleich wuͤrklich wäre; fo fehlte in feis
ner Wuͤrklichkeit eine Nealität, und fie wäre alfo nicht die
allerhöchfte Wuͤrklichkeit, und die völlige Ausführung und
Erfüllung feines Wefens, Zum andern flieft diefes daher,
weil Gott, vermöge des Beweifes feiner Würflichkeie aus
der Erfahrung, die nothwendige und unendliche Subſtanz
it 9. 82. Die Würklichfeit der nothwendigen Subſtanz
ift eine Eigenſchaft 9. 119. Folglich ift fie in ihrem Wefen,
oder in ihrer innerlichen Möglichkeit zuveichend gegruͤndet
F. 54. Aus dem hinreichenden Grunde folgt die Folge
unausbleiblicy. Folglich flieſt, aus der Möglichkeit Got—
tes, feine Wirflichfeie, und was alfo in ihm möglid) ift,
muß auch in ihm würflich feyn. Das unendliche Ding ift
alles wirklich, was es fern Fan F. 194. Weil nun Gore
unendlich ift, fo iſt nichts in ihm möglich, was nicht zus
gleich in ihm wuͤrklich feyn folte, Folglich fan man in
Gott, von der Möglichkeit auf die Wirklichkeit, allemal
einen fichern Schluß machen. Es gehört diefes mit zu dem
böcyiten Grade der Wirklichkeit Gottes, wodurd) fie über
die Wirklichkeit aller übrigen würflichen Dinge unendlich
weit
Die Wuͤrklichkeit Gottes. 71
weit erhaben iſt. In einem endlichen Dinge ift allemal
viel möglich, welches nicht wuͤrklich ift. Das Wefen eines
- endlichen Dinges ift ein Project, welches in vielen Stuͤcken
‚gar nicht ausgeführt wird, und welches übrigens in feinem
Augenblide feiner Dauer völlig vollzogen werden kan. Es
bleibt jedesmal in einemiendlihen Dinge, bey dem bloffen
Projecte zu einer würflichen Ausführung... In Gott aber
ift, fo zu reden, Feine bloffe Projectmacherey möalih. Der
ganze Plan eines volllommenften Dinges, welcher in dem
göttlichen Wefen gleicdyfam aufs vollkommenſte gezeichnet
und entworfen ift, it durch die Würflichkeit Gottes in als
len Puncten und Stüden, aufs völligfte und vollkommen⸗
fte, ausgeführt, und von Ewigkeit zu Ewigkeit vollzogen,
9. 835.
Was in Gott, oder in dem Umfange der Gottheit,
nicht wuͤrklich ift, das iſt auch in ihm nicht möglid) , und
man Fan alfo allemal, wenn man erwiefen hat, daß etwas
in ihm nicht wuͤrklich iſt, fchlieffen, daß es auch in ihm
nicht möglich feyn koͤnne, und das zwar mit der gröften Zus
verfiht. Denn, wenn in ihm etwas nicht wuͤrklich und
dech moͤglich wäre: fo koͤnte man ja nicht allemal von feiner
röglichfeit auf feine Wuͤrklichkeit fehlieffen. Da nun
diefes, dem vorhergehenden Abfage, wiverfpricht: fo erfos
dert die Nothwendigkeit und die Unendlichfeit Gottes, ſamt
der allerhöchften Vollkommenheit feiner Wuͤrklichkeit, daß
Dasjenige in ihm nicht möglich fey, was in ihm nicht würfe
Lich ift. Seine Würklichfeit und Möglichkeit find allemal,
aufs unzertrenlichfte, mit einander verbunden. Was Gott
nicht iſt, das Fan er auch nicht feyn. Bey zufälligen Dins
gen verhält es fid) ganz anders. Was wir, mit andern
endlichen Dingen nicht find, das Fünten wir doch wol viel
mals ſeyn oder werden, In uns iſt allemal hie und da,
in unferm Umfange, eine unausgefülte Leere; und wenn
wir etwas nicht find, fo Fönnen wir doch noch den Troſt has
ben, daß mir es ſeyn und merden koͤnnen. Gott bedarf
diefes fchlechten Troftes nicht. u er etwas nicht ir
4 li N
72 Die Wuͤrklichkeit Gottes.
⸗
lich, ſo kan er es auch nicht ſeyn und werden. Und da es noch
dazu keine Realitaͤt und Vollkommenheit ſeyn kan, weil er
alle Realitäten ohne Ausnahme beſitzt: fo Fan die Abwefen«
beit deffen, was in ihm nicht wuͤrklich iſt, nicht einmal ein
Schmachten nad der Ausfüllung diefer Leere und Luͤcke ver
anlaffen, weil Feine wahre Luͤcke und teere in dem Wefen
Gottes feyn Fan,
S. 836.
In dem Nechte der Natur ift die berühmte Frage aufs
geworfen worden: ob es ein Recht der Natur eines Atheis
ften gebe? Diefe Trage ift ofte mit fo vieler Verwirrung
beantwortet worden, daß man in der That Dadurch nichts
entfchieden hat. Unterdeſſen wollen wir, die völlige Bes
antwortung diefer Frage, den Lehrern des Rechts der Natur
überlaffen, und von allen Wiffenfchaften überhaupt die Fra—
ge aufmwerfen: ob es irgends eine Wiſſenſchaft, Vernunft—
Iehre, Mathematik, Phyſik, und wie fie Namen haben
mögen, gebe oder geben fünne, wenn fein Gott wäre?
Diefe Frage Fan, auf eine zweyfache Weile, erflärt wer⸗
den. Kinmal, ob feine Willenfchaft erwiefen werden koͤn—
ne, ohne die Beweisgründe aus der Gottesgelahrheit herz
zunehmen ? Und das verneinen wir ſchlechterdings. Uns
fere Erkentniß und Bemweisgründe, woraus wir die Wahrz
beiten in ven Wiffenfchaften erklären und erweifen, find niche
allemal diejenigen Duellen, aus welchen die Möglichkeie
und Nichtigkeit derfelben feldft fließt. Folglich wenn auch
gleich Gott Die Duelle der Wahrheit aller Wiffenfchaften ift,
fo find wir Menfchen doch im Stande, von unzählig vielen
Wahrheiten eine Wiſſenſchaft zu erlangen, ohne unfere Era
fentniß derfelben aus theologifchen Wahrheiten herzuleiten.
So haben wir die Dntologie, Cofmologie und Pſychologie,
binlänglich erklärt und erwiefen, ohne daß wir dabey die
Lehre von Gott vorauszufegen nöthig gehabt haben folten,
So fan die Mathematik und Phyfit ohne Erkentniß Got—
tes, in einem hohen Grade der Vollkommenheit, , unterfuche
werben, Zum andern Fan man Die Frage fo abfaſſen: ob
Ä irgends
|
|
/
Die Heiligkeit Gottes. 3
irgends eine Wiffenfchaft ftat finden fünne, wenn in der
That die Atheiften Recht hätten, und wenn fein Gott waͤ⸗
ve? Und das muß auch verneinet werden. Wenn Gott
nicht mürflich wäre, fo wäre er auch nicht möglid) $- 835.
Folglich wäre alsdenn das goͤttliche Wefen nit. Nun
ift das göttliche Wefen, die Duelle der Möglichfeit und
Wahrheit aller Dinge und Wahrheiten $. 532. welche letz⸗
tere alfo wegfallen müffen, wenn ihre Duelle wegfält 9.43:
247. Folglich wenn fein Gott wäre, fo wären die Gegen:
fände der menfchlichen Wiffenfchaften weder möglich noch
wuͤrklich, und die legtern koͤnten fi) alfo mit Nichts be-
ſchaͤftigen; ja die Wiffenfchaften felbft wären nicht möglich,
‚ und es wäre niemand möglich und würflich, der diefelbe als
eine Erfentniß befißsen koͤnte. Diefe Wahrheit fcheint viel:
leicht manchen, eine unnüge Grübeley, zu fern. Allein
bey genauerm Nachdenken findet fihs, daß fie ungemein
viel dazu beyträge, den hohen Begrif von der Gottheit zu
vergröffern; indem, der Grad der Abhaͤnglichkeit aller
Dinge von Gott, dadurd) in ein ungemeines Licht gefege
wird. /
Die Heiligkeit Gottes.
$. 837.
Aus den bisherigen Betrachtungen, melde wir über
Gott angeftele haben, erhellet demnach), daß in dem ganzen
Umfange der Gottheit nichts als Kealität und Vollkommen—
heit angetroffen werde; und daß er alfo nichts anders, als
die pure laufere und reine Vollfommenbeit, fe, Da nun
eine iedwede Berneinung, welche in der That eine verneinens
de Beſtimmung ift, eine Unvollkommenheit und was Böfes
ift $. 137. 136. fo find in Gott gar feine Berneinungen, Un—⸗
vollfommenheiten und böfe Beftimmungen anzutreffen, ja
bergleihen find in ihm nicht einmal möglich. F. 835. Er
iſt nicht nur in der That, von allen Unvollfommenbeiten,
unendlid) frey und meit entfernt; fondern er ift auch derge—
false durchaus mit Vollkommenheit und Realität angefült,
Es; daß
74 Die Heiligkeit Gottes,
daß dadurch allen Unvollkommenheiten, der Eingang in die
Gottheit, fehlechterdings verwehrt und unmöglich gemacht
wird, Es muß diefes, von allen Arten ver Unvollfoms
menheiten und des Boͤſen, verftanden werden. In Cote
find weder nothwendige noch zufällige Linvollfommenbeiten
und Uebel, weder moraliſche noch phyſiſche, und wie fie
alle Namen Haben mögen, Syn ihm ft Fein metaphufifches
Uebel anzutreffen, es ift weder in dem ganzen Umfange feis -
nes Wefens, noc) in dem Umfange feiner Würflichfeit,
eine Unvollfommenheit. Kein Fleck, fein Mangel, fein
Fehler iſt in ihm anzutreffen, und zwar deswegen, weil er
den allerhöchften Grad der Vollkommenheit befist. Wenn
man alfo die Gortheie richtig gedenken will, fo muß man
ſich in ihrnicht die allergeringfte Unvollfommenheit voritellen,
Das ift uns Menfchen nun freylih wo nicht unmöglich,
doch unendlich ſchwer. Alle unfere Beariffe find endlich,
und theils vollfommen, theils unvollfommen. Da fie nun
Abbildungen der Dinge in unferm Gemuͤthe find, fo pflegen
wir den Gegenftänden alles zuzufchreiben, was in dieſen
Bildern enthalten it, Folglich ift es uns Menfchen bey
nahe natürlid) nothwendig, daß wir uns in Gott Unvolls
kommenheiten vorftellen. Unſere Erkentnißkraft verhält
ſich wie ein Spiegel, in welchen das reine und unbefleckte
Sonnenlicht ſcheint. Allein dieſer Spiegel iſt nicht in allen
Puncten vollkommen reines Glas, und vollkommen polirt.
Daher zeigen ſich in dem Abglanze der Sonne in dieſem Spies
gel viele Flecken, und man würde ſich augenfcheinlich bes
erügen, wenn man diefelben der Sonne ſelbſt zufchreiben
wolte. Wir müffen uns daher aufs forgfältigfte hüten,
daß wir, Die abgebildeten Unvollfommenheiten in unfern
Begriffen von Gott, nicht etwa ihm felbft zufchreiben,
.. 838,
Das Wort heilig wird, in verfchiedenen Bedeutun—⸗
gen, genommen. Bald verfteht man dadurd) folche Dins
ge, die zumächft zu gottesdienftlichen Handlungen beftime
find, als z. E. beilige Orte, Zeiten, Gefälle u, —
ald
Die Heiligkeit Gottes, B
Bald nent man dasjenige heilig,» deffen Verlegung oder
Beleidigung , als ein groſſes und abfcheutiches Verbrechen,
angefehen wird, als wenn man die, Perfonen der Fürften
heilig nent. Wir verbinden bier, mit dem Worte, einen
ähnlichen aber weitläuftigern Begrif, als das Wort in der
Sittenlehre bat, wenn man, durch ein beiliges Leben, 'eine
ſolche Ausübung der Tugend verfteht, durch welche fich der
Menfch immer mehr und mehr von der Sünde befreyet und
entfernt. Dieſe moralifche Heitigfeit werden wir auch, in
dem Folgenden, dem allervollfommenften Willen Gottes zus
fihreiben, und alsdenn erfennen, daß fie unter der Heilig-
keit uͤberhaupt mit begriffen fen. Die Heiligkeit bejteht
demnach in der Realität oder Bollfommenheit eines Dinges,
in fo ferne durch Diefelbe mehrere und groͤſſere Unvollkom—
menheiten deffelben von ihm abgefondert werden. Folglich)
beſteht die Heiligkeit eines Dinges in einem hoͤhern Grade
feiner Vollkommenheit, in fo ferne man denfelben als eine
Berhinderung einer groͤſſern Unvollkommenheit betrachtet.
Wenn man, die groͤſſere Vollkommenheit eines Dinges,
blos als eine Vollkommenheit betrachtet; ſo nent man ſie
keine Heiligkeit. In ſo ferne man aber dieſelbe, als eine
Hinderniß einer groſſen Unvollkommenheit, anſieht; folg«
lich in ſo ſerne man ſich vorſtelt, ein Ding habe eine ſo
groſſe Vollkommenheit, daß dadurch viele und groſſe Un—
vollkommenheiten in ihm verhindert, oder von demſelben
weggeſchaft und abgeſondert werden: in ſo ferne wird, dieſe
groſſe Vollkommenheit, eine Heiligkeit genent. Je meh—
rere und groͤſſere Unvollkommenheiten eines Dinges, durch
ſeine Vollkommenheiten, verhindert werden, und je ſtaͤrker
dieſelben durch dieſe verhindert werden, ein deſto heiligeres
Ding iſt daſſelbe. Gott iſt nicht nur heilig, ſondern auch
der Allerheiligſte, er beſitzt die allergroͤſte Heiligkeit: ı) Weil
er einen fo groffen Grad der Vollkommenheit befist, daß
durch denfelben alle Unvollfommenbeiten ohne Yusnahme in
ihm verhindert werden F. 832. 2) Weil, durd) den aller-
höchften Grad feiner Vollkommenheit, die gröften Unvoll:
kom⸗
76 Die Heiligkeit Gottes.
fommenheiten fo wol als auch die allerkleinften in ihm
verhindert werden. Er ift eine fo reine und lautefe und
unbeflefte Bollfommenheit, daß diefelbe nicht mit der als
lergeringften Unvollfommenpeit, geſchweige denn mit einer
gröffern, befehmußt ift. 3) Weil, durch diefen Grad der
goͤttlichen Vollkommenheit, alle Unvollfommenpheit in ihm
im allerböchften Grade verhindert wird, nemlic) dergeftalt,
Daß nicht einmal die allergeringfte Unvollkommenheit in ihm
innerlich möglich it. in Ding, welches nicht Sort ift,
mag nod) ſo heilig feyn, und es mag ſich noch fo fehr von
Unvollfommenbeiten los gemacht haben, es ift doc) nies
mals vor öenfelben völlig‘ ficher, weil fie allemal in ihm
möglid) bleiben. Der allerheiligfte Gott befindet fich, in
Abſicht auf alle Unvolifommenbeiten, in einer fo aroffen
und vollfommenen Sicherheit, daß Feine einzige verfelben
in ihm aud) nur im geringften Grade möglid) ift.
S. 839.
Es gibt Leute, welche vielleicht die gute aber ungluͤck—
lich ausgeführte Abficht Haben, das höchfte Wefen recht bes
wundernswuͤrdig vorzuftellen, und welche zu dem Ende bes
haupten: e8 fen uns Menfchen unmöglich, uns einen ans
dern als verneinenden Begrif von Gott zu machen; wie
wüßten nur was Gott nicht fen, wir Fönten uns aber nicht
vorftellen, was er ſey. Um diefen gefährlichen Gedanken
völlig zu widerlegen, wollen mir fo fchlieffen: wir Mens
ſchen fönnen ung entweder gar Feinen richtigen Begrif von
Gott machen, und wer das behaupten will, der muß alles
Dasjenige, was alle Gottesgelehrte und Weltweiſe von Gore
bisher gelehrt haben, völlig widerlegen; oder man gibt zu,
dan wir Menfchen ung richtige Begriffe, von Gott und feis
nen Bollfommenheiten, machen fönnen. Und in diefem
alle ift, aus der Heiligkeit Gottes, leicht zu erweifen,
daß Fein wahrer Begrif von Gott in der That verneinend
feyn Fan, Man fege einen Begrif von Gott, oder von
einer feiner Vollkommenheiten, welcher durch und durch gang
verneinend iſt: fo nimt man entweder an, daß Gott fo bes
ſchaffen
— *
Die Zeiligkeit Gottes. 77
ſchaffen iſt, wie dieſer Begrif ihn vorſtelt, oder daß er anders
beſchaffen iſt. Das erſte iſt ſchlechterdings ungereimt, denn
aledenn muͤſten in Gott in der That Verneinungen ange—
troffen werden. Nimt man das andere an, fo ift der Bes
grif falfch, und ftelt uns gar nichts vor $. 500. Folglich
Fan, fein wahrer Begrif von Get, ganz verneinend ſeyn.
Und eben fo wenig fan er, eines Theils verneinend feyn.
Ein bejahender Begrif, welcher einige verneinende Merk—
male enthält, ftelt uns den Gegenftand als ein Ding vor,
welches auffer feinen Realitäten einige Verneinungen ent
hält. In Gott ift Feine einzige Verneinung. Folglich
irren mir allemal, wenn wir uns Begriffe von Gott und
feinen Bollfommenbeiten machen, welche eines Theils in
der That verneinend find $. 500, Wenn wir alfo uns fols
che Begriffe von Gott machen wollen, welche feiner Heilig«
feit gemäs find; fo muͤſſen wir unfere Gedanfen von Gore
Heiligen, oder alle wahre verneinende Merkmale von ihnen
abfondern, Und darin befteht unter andern die heilige Ger
muͤthsfaſſung und Gefinnung, in welche ein Menſch fich
verjegen muß, wenn er von Gott denfen und reden will.
Und fie beſteht alfo nicht in einer ſchwermeriſchen Aufwal—⸗
lung und Erhißung einer finlichen Andacht, welche unfere
DBeariffe von Gott zu finnlich und verworren machen, und
fie alfo in der That mit zu vielen Theilen und Merfmalen ans
füllen, welche etwas Berneinendes und Unvollfommenes
vorstellen, und folglich in der That Feine heiligen Gedanfen
ſeyn koͤnnen. Unterdeſſen ift es uns Menfchen unmöglid),
alle Begriffe von Gott zu vermeiden, welche dem erften
Anfehen nad) verneinend find, und wodurch freyfich unends
lich viele Leute verführt werden, ſich in Gott etwas Ver:
neinendes vorzuftellen. Diefe betrübte Nothwendigkeit
entfteht, bey uns Menfchen, aus einer doppelten Duelle,
1) Wenn wir, wie es nothivendig ift, alle wahre Vernei—
nungen und Unvollfommenbeiten von Gott verneinen und
abftrahiren, und wir find nicht genungfam eingedenf, daß
wir alsdenn, wenn wir eine Verneinung verneinen, in der
That
8 Die Heiligkeit Gottes:
78 g
That.bejahen, und uns eine Realität vorftellen. Diefe
Unachtſamkeit ift fehuld daran, daß man fich ofte vorftele,
man fehreibe Gott mit Wahrheit Berneinungen zu, z. &
wenn wir mit Recht fagen, Gore ift nicht unvollfommen
und unbeilig. Kan uns nicht ein geringes Nachdenken
überzeugen, daß wir bier in der That etwas Reelles von
Gott bejaben? 2) Weil wir, viele verneinende Beſtim—
mungen und. Unvollfommenbeiten, mit bejahenden Worten
benant haben, z. E. Enolichkeit, Ausdehnung u. fe w.
fo find wir genöthiget, wenn wir Die entgegengefegten Voll⸗
kommenheiten Gott zufchreiben wollen, uns verneinend aus⸗
zudrucken, z. E. Gott iſt nicht endlich, nicht ausgedehnt,
Allein es find ja niche alle unfere Ausdrucke, von Gott und
feinen Bolltommenbeiten , fo beichaffen; fondern viele find
auch auf den erften Anblick bejahend, als Allmacht, Hei—
ligkeit u.f. w. Und derjenige übereile fich, welcher ſich
einbildet, daß alle verneinende Ausdrucke in der Sprache
der Menfchen wahre Berneinungen, und daß alle bejahende
Worte wahre Nealitäten bedeuten. Es verhält fid) diefes
ganz anders. Die Menfchen machen fid) zuerft von end«
lichen Dingen Begriffe, und gelangen vermittelft derfelben
nach und nad) zu den Begriffen von dem-Unendlichen. Da
nun noch dazu, die eriten Erfinder einer Sprache, nicht bea
fonders richtig gedacht haben; fo ift es daher gefommen,
daß man einige Realitäten der endlichen Dinge mit bejahens
den, und andere mit verneinenden Worten, , desgleichen eis
nige Berneinungen und Unvollfommenbeiten mit verneinena
den, und andere mit bejahenden Worten ausgedruckt hat.
Nachdem nun diefes einmal geſchehen, und unfere Spras
chen vornemlich den Begriffen von endlichen Dingen gemäs
eingerichtet worden; fo fieht man ſich genöthiger, wenn man
den Unterfchied Gottes von endlichen Dingen ausdrucken
will, denfelben fehr ofte mit verneinenden Worten auszus
drucden. Unterdeflen muß man fi, durd) diefe vernei«
nende Ausdrucke, nicht verleiten laffen, ihre Bedeutungen
als wahre Berneinungen Gott zuzufchreiben. Ganz anders
würde
Die Einheit Gottes. 79
wuͤrde es fich verhalten, wenn mir, fo zu reden, eine
Sprache der Götter oder. des Himmels verftünden. Als—
denn würden alle unfere theologifche Worte, Redensarten
und Nusfprüche, bejahen; und verneinende Ausdrucke würs
den nur in unferen Reden vorfommen , wenn man von end«
lichen Dingen redete, Ueberdis bilden ſich manche $eure
faͤlſchlich ein, als entftehe eine wahre Berneinung in unfern
Begriffen von Gott, wenn wir von denfelben die Vorſtel—
lungen des Unvollfommenen abfondern oder abftrahiren,
Allein eben dadurch verhüten wir, daß fich Feine wahre Vers
neinung in unfere tbeologifchen Beariffe einfchleiche,. Diefe
ganze Betrachtung ift in der Gottesgelahrheit von äufferfter
Wichtiafeit, weil wir ung allemal falfche und unanftändige
Begriffe von Gott machen, wenn wir nicht. fo, von Gott
und feinen Vollkommenheiten, denken und reden, wie es
diefe Betrachtung erfodert.
Die Einheit Gottes.
9. 840,
Es ift bey dieſer Vollkommenheit noch gar nicht die
Frage: ob nur ein einziger Gott würflich fey, oder ob
mehrere Götter vorhanden find; fondern ob derjenige Gott,
von dem wir bisher gehandelt haben, und von welchem wir
in dem Folgenden erweifen werden, daß auffer ihm feine
mehrere Götter vorhanden find, ob diefer Gott, fage ich,
eine Einheit befige. Und da nun, allen möglichen Din—
gen, die Einheit zukomt $. 73. fo ift auch Gott Ein Ding,
und nicht etwa fo zu veden eine zertheilte Menge vieler Din«
ge. Mun befist Gott, alle Bollfommenheiten, im aller
hoͤchſten Grade $. 817. folglich komt ihm auch die Einheit,
im allerböchiten und vollfommenften Grade, zu $. 72
Die Einheit beiteht, in ver Ungertrenlichkeit ver Beftims
mungen und Theile eines Dinges, In Gott find, auffer
den Realitäten, Feine andere Beſtimmungen $. 818. Folge
lich beitebe, die Einheit Gortes, in der vollfommenften
UnzertrenlichEeit feiner Realitäten, oder göttlidyen Vollkom—
mens
80 Die Einheit Gottes.
menheiten. Und das will dreyerley fagen: ı) In Gott
find, alle Realitäten und Vollkommenheiten ohne Ausnah«
me, und unzertrenlich bey einander. Die Einheit eines
Dinges ift um fo viel gröffer, je mehrere reelle Bejtimmun«
gen unzertrenlic in ihm bey einander find. Und es ent«
fteht demnach, der Begrif von der geöften Einheit Gottes,
oder von dem böchften Grade feiner Einbeit, indem wir in
ihm die Bereinigung aller möglichen Vollkommenheiten ges
denken. Weil Gott alfo das allervollfommenfte Ding iſt,
fo hat er aud) in diefer erften Abficht die Einheit im hoͤchſten
Grade $. 816. 2) In Gott find alle Bollfommenpeiten,
in fo ferne fie famtlich im höchiten Grade genommen wer-
den, unzertrenlich bey einander, Se gröffere reelle ‘Bes
flimmungen in einem Dinge unzertrenlich bey einander find,
defto gröffer ift feine Einheit, Wenn wir alfo Gott die grös
fte Einheit zufchreiben wollen, fo müffen mir uns vorftellen,
daß alle mögliche Vollkommenheiten, in fo ferne fie famt=
lic) im höchften Grade bey einander find, auf eine unzer⸗
£renliche Art mit einander verbunden find. Weil Gott das
allervollfommenfte Ding ift, fo befigt er alle Bollfommen«
heiten im hoͤchſten Grade. $. 817. und es flieſt alfo, auch
diefer höchfte Grad feiner Einheit, aus feiner höchiten Voll—
fommenheit. 3) In Gott find alle Vollkommenheiten,
und die allergröften Vollkommenheiten, in der allerſtarkſten
UnzertrenlichFeit bey einander; weil es ſchlechterdings uns
möglich ift, daß aud) nur eine einzige Vollkommenheit,
oder ein Grad einer Vollkommenheit, von den übrigen
folte koͤnnen getrent und in der That abgelondert werden,
So bald eine ſolche Trennung gefhähe, würde eine Vernei—
nung in Gott entftehen, und das ift fehlechterdings unmöge
lich. Es befteht demnach, die allerhoͤchſte Einheit Gottes,
in der allerftärfften und fefteften Vereinigung aller möglie
chen Bollfommenbeiten, und zwar wenn eine iedwede im
allerhöchiten Grade genommen wird. Um diefer vollfomas
menften Einheit Gottes willen ift es fehlechterdings unmög«
lich, daß auch nur eine einzige Realitaͤt, oder ein >
rad
Die Einheit Gottes, st
Grad derfelben, in Gott von den übrigen folte abaefondert
oder abaerifjen werden fönnen, fo daß Gott demohnerachtet
noch Gott bliebe. Bey den endlichen Dingen verhält
ſich es ganz anders. in Menſch z. E. ift Eins, in fo
- ferne menfchliche Realitäten in ihm vereiniget find. Allein
die Einheit eines Menfchen faßt fo wenig alle und die grö-
fien Realitäten in fih, daß es nicht einmal nöthig ift, daß
alle menfchliche Realitäten bey einander find. Ja wenn
auch eine feiner Realitäten von den übrigen abgefondert wird,
jo behält er doc) noch eine Einheit.
. Bar.
Den der Einheit Gottes müffen wir, noch zweyerleh,
bemerfen. Einmal, wenn man, vermöge des vorherges
benden Abfaßes, recht gelernt hat, worin der höchfte und _
vollfommenjte Örad der Einheit beſteht; fo ift man zugleich
überzeugt, daß es ein Gott allerdings anftändiger Name
und Begrif ift, wenn man ihn die vollfommene Einheit
nenf, und wenn man, den Begrif von der alleraröften und
vollfommenften Einheit, als den erften Begrif vor Gore
annimt. Die allervollfommenfte Einheit Fan einem Din:
ge nicht anders zugefchrieben werden, als wenn in ibm alle
mögliche Vollkommenheiten im hoͤchſten Grade aufs unzer—
frenlichte mit einander vereiniget find. Wenn alfo ein
Ding die allergeöfte Einheit befist, fo flieft daraus, daß
es alle Bollfommenbeiten, und zwar im höchften Grade, be—
fise. Folglich) Fan die hoͤchſte Einheit Gottes, fo trocken
und mager aud) diefer Begrif anfänglich zu ſeyn fcheinen
möchte, als das Wefen Gottes mit Recht angenommen
werde. Und wir haben hier ein Benfpiel, durch welches
"dasjenige beftätiger wird, was ich $, 830. 831. erwiefen habe;
daß nemlic), eine iedwede innerliche Vollkommenheit Got—
- tes, fein Wefen feyn Fan. Und wenn Pothagoras Gott
die geöfte Einheit nent, fo Fan diefer Name in einem Kopfe,
melcher durch die Ontologie erleuchtet worden, einen unges
mein groflen Begrif erweden. Zum andern müffen wir
uns, für einer Mißdentung diefer göttlichen Vollkommen—
4 Theil. F heit,
82 Die Wahrheit Gottes.
heit, im acht nehmen. Manche Gottesgelehrte glauben,
die höchfte Einheit Gottes wolle fo viel fagen, als wenn in
Gott Feine reelle Mannigfaltigfeit und Bielheit angetroffen
werde, und als wenn alles in Gott ein und eben daffelbe
fey. Allein hier verwechfelt man offenbar den Begrif der
Einheit, mit dem Begriffe, welcher entfteht, wern man fid)
Dinge als einerien vorftelt, und zwar als völlig einerley.
Die gröfte Einheit Fan unmöglih, ohne eine unendliche
Vielheit, gedacht werden. In der allergröften Einheit müffen
eben deswegen , weil fie vie gröfte und vollfommenfte feyn
ſoll, die allermeiften von einander verfchiedenen Realitäten
mit einander umgertrenlich verbunden feyn. Folglich Fönte
in Gott unmöglich die allergröfte Einheit ftat finden, wenn
alles in demfelben dergeftalt ein und eben daffelbe wäre, daß
fein veeller Unterfchied darunter fat fande, und daß, die
verfchiedenen Vollkommenheiten Gottes, nur nach unferer
Art zu denken von einander verſchieden wären,
Die Wahrheit Gottes.
S 542.
Die Wahrheit Gottes, von welcher hier gehandelt
erden foll, ift von feiner Wahrhaftigkeit unterfchieden,
von welcher in dem Folgenden gehandelt werden foll, und
welche in derjenigen Vollkommenheit befteht, vermöge wel⸗
cher Gott alsdenn, wenn er feinen Willen durch Worte ofa
fenbart, niemanden dadurch unvollfommener macht. Hier
verfiehen wir diejenige Bollfommenheit Gottes, vermöge
welcher er Feine erdichkete und ertraͤumte Gottheit iſt, Fein
falfcher Gott, fondern der wahre Gott, ein Wefen, wel
ches den Namen Gottes in aller Schärfe, und nach feiner
ftrengften ‘Bedeutung, verdient; oder dasjenige, was wir
in dev Ontologie die metaphyſiſche Wahrbeit genent haben.
Nun baben alle mögliche Dinge diefe Wahrheit, oder fie
flimmen mit den allgemeinen Örundfägen der menſchlichen
Erfentniß überein $. 90. Folglich muß auch der Gott,
deſſen Möglichkeit und Wuͤrklichkeit wir bisher ermiefen
haben,
Die Wahrheit Gottes, 83
haben, ein wahrer Gott ſeyn. Und zwar befißt Gott, diefe
Wahrheit, im böchften und vollfommenften Grade $. 817.
er ift unter allen möglichen Dingen dasjenige, weldyes im
allerhoͤchſten Grade ein wahres Ding iſt. Und das will
zweverlen fagen. 1) Er ſtimt im allerhöchften Örate, mit
ven Sage des Widerfpruchs, überein. Nun flimt ein
Ding mie dem Sage des Wiverfpruchs überein, in fo ferne
es innerlic) möglic) ift. Folglich beſitzt Gott den allerhöche
ften Grad der metaphyſiſchen Wahrheit, in fo ferne ihm bie
alfergröfte innerlihe Moͤglichkeit zukommt, fo wohl wenn man
ihn im Ganzen betrachtet, als wenn man eine iedwede feis
ner innerlichen göttlichen Bollfommenbeiten insbefondere
nimt $. 828. 2) Er ſtimt im allerhöchften Grade, mit
dem Sage des zureihenden Örundes, überein, und zwar
auf eine drenfache Weife. a) Weil unter feinen innerlis
chen Vollkommenheiten, der allergroͤſte allgemeine Zuſam—
menhang, angetroffen wird $. 829. Vermoͤge diefes Zus
fammendanges bat, eine iedwede innerliche Bollfommenbeit
Gortes, in ihm ſelbſt fo viele reelle Gründe, als nur eine
Vollkommenheit haben fan, fo groffe, wichtige, fruchtbare,
zureichende Gründe als möglich, ſo viele, groffe, wichtige,
fruchtbare und reelle Folgen, als möglich find; und es ift
Demnad), eine iedwede innerliche Vollkommenheit in Gott
ſelbſt, fo fehr gegründet, als nur ein möglich Ding gegrüns
det fenn Fan, und zwar fo feſt und unumftoßlich gegründet,
als irgends nur möglich ift. b) Weil er in ſich Die aller
meiſten, gröften und zureichendejten Gründe aller Mögliche
Feiten aller möglichen Dinge, aller Wahrheiten und aller
Wiſſenſchaften auffer fich enthält 9. 832, c) Weiler, wie
in dem Folgenden erwiefen werden wird, und fchon aus dem
Beweiſe ver Wirklichkeit Gottes aus der Erfahrung erhels
let, ven allervollfommenften zureichenden Grund der Würfe
lichkeit aller Dinge auffer fich enthält. Folglich ift er auch,
in dem Zufammenhange mit allen Dingen auffer ſich, möge
lich, und er beſitzt alfo auch die allergröfte bedingte Möglich-
feit 6, 29. indem er, in allen möglichen Berbindungen mit
52 allen
84 Die Waͤhrheit Gottes.
allen Dingen auffer fih, die allergröfte Möglichkeit bejist,
Kan ein Ding ein erbichtetes und erträumtes Unding feyn,
welches unendlich viele zureichende Gründe und Folgen hat,
die insgefamt beftätigen, daß ein foldhes Ding, wie wir
uns Gott bisher vorgeftele haben, gewiß und wahrhaftig da
feyn müfle? Mein, der Gott, den wir verehren, ift wahre
baftig der wahre Gott. Auffer ibm ift Fein Ding moͤglich,
weldyes eine Wahrheit haben Fan, die mit der feinigen in
ein begreiflihes Ebenmaas gefest werden Eönte.
$. 943.
Die metaphyſiſche Wahrheit der möglichen Dinge bes
ftedt in der Drdnung des Mannigfaltigen, fo in ihnen ans
getroffen wird F. 91. Da nun Gott diefe Wahrheit befige
$. 842. fo ift auch) unter feinen Bollfommenbeiten eine Ord—
nung anzutreffen, oder feine Vollkommenheiten find auf
eine ordentliche Art mit einander verfnüpft. Ja da in allen
möglichen Dingen eine Ordnung angetroffen wird $. 87.
und alle wahre Drönung eine Meatität iſt; fo muß aud) in
Gott Drdnung angetroffen werden, weil er nicht nur ein
mögliches Ding ift, fondern weil ihm aud) alle wahre Rea—
Iitäten ohne Yusnahm zufommen $. 816. Es ift aber
noch nicht genung, wenn man blos behauptet, daß in Gott
Ordnung angetroffen werde; fondern man muß auch fagen,
daß in ihm die allervollfommenfte und gröfte Ordnung, die
irgends nur möglid) ift, angetroffen werde. Und das will
folgendes fagen: 1) In Gott find die allermeiften Reali—
täten und Bollfommenbeiten mit einander zufammengeords
net, denn es find in ihm alle Realitäten bey einander $. 816.
Die Zufammenordnung der Unvollfommenbeiten ift in der
That eine Unordnung, und wenn in einem Dinge Boll«
fommenheiten ‚und Unvollkommenheiten bey einander find,
fo ift in fo ferne allemal neben der Ordnung auch Unords
nung anzutreffen, In Gott find gar Feine Unvollfommen«
heiten möglid) $. 818, Folglich ift die Drdnung in Gort
von einem uneflichen Umfange, weil in ihm alle mögliche
Bollfommenbeiten, und. gar Feine Unvollfommenbeiten. zus
ſam ⸗
Die Wahrheit Gottes, :85
fammengeordnet find. _ 2) In Gore find, die allergröften
Realitäten und Bollfommenbeiten, zufammengevrdnet.
Wenn in einem Dinge Bollftommenheiten zufammengeord«
net find, welche gröffer feyn Fönten, als fie find, fo iſt in
einem folchen Dinge allemal ein Mangel einer gröffern Drds
nung, und es fan alfo in ihm noch nicht Die allergröfte Ord—
nung angetroffen werden. 3) In Gott find alle Bollfoms
menheiten, nach den allermeiften wahren Kegeln, einander
zugeordnet, folglich nach allen möglichen wahren Kegeln.
Eine iedivede wahre Regel fließt aus einer wahren Realität,
und eine iedwede wahre Realität und Vollkommenheit gibe
eine wahre Regel $. 80. Da nun in Gott alle mögliche
Healitäten angetroffen werden, fo gibt eine iedwede diefer
Kealitäten eine Kegel, nach welcher ihr die übrigen zuges
ordnet find, Folglich ift in Gott, die mannigfaltigfte und
zufammengefegtefte Drönung $. 88. Das Necht der Na⸗
fur Gottes, wenn ic) fo veden darf, ift ein unendlich weit
läuftiges Syſtem der Regeln der Ordnung. 4) In Gott
find die Vollkommenheiten, nad) den allerſtaͤrkſten, wich—
tigften und gröften Negeln, zufammengeordnet. Denn bie
Regeln der Drdnung in Gott flieffen aus den allerftärfften
und geöften Realitaͤten, dergleichen alle Realitaͤten in Gott
find, und müflen alfo die allerftärfften Kegeln ſeyn $. 82.
Die Drdnung in Gott Fan Feine unerhebliche Drdnung feyn.
5) Alle Regeln der Drdnung in Gott flieffen insgefamt, aus
einer einzigen allgemeinen und böchften Regel, welche die
übrigen insgefamt in und unter fich begreift, weil widrigen«
fals es unmoͤglich wäre, daß allerwegen in Gott Ueberein—
ftimmung-fönte angetroffen werden. Diefe hoͤchſte Regel
fan man die Regel des Heften nennen: das Befte wer«
de dem Beſten zugeordnet; oder das Beſte in möglicdyen
Dingen werde dem Beſten zugeordnet. Das Alferbefte ift,
in einem iedweden Falle, die gröfte Nealität und Vollkom—
menheit. Da nun in Gott alle Bollfommenheiten die groͤ—
ften find, $. 817. fo ift offenbar, daß alles Manniafaltige
in Gott nad) dieſer Regel zufammengeordnet ift, Der In—
5 3 begrif
86 Die Wahrheit Gottes.
begrif aller möglichen Bollfommenheiten in Gott ift alle
fein Chaos der Vollkommenheiten, ſondern eine Vereini—
gung derſelben, in welcher die allerſchoͤnſte, vortreflichſte
und allergroͤſte Ordnung angetroffen wird, Seine Voll—
fommenheiten machen ein Concert aus, in welchem eine.
unverbeſſerliche Harmonie angetroffen wird. Gott wird
ein Gott der Ordnung genent, weil er die Ordnung liebt,
und in allen feinen Werfen auffer fich die möglichfte Ord—
nung hervorbringt und erhält. Er Fan aber aud) in Dies
ſem Verſtande ein Gott der Drdnung genent werden, weil
in ihm felbft die allergröfte Drdnung angetroffen wird, und
zwar ohne alle Unordnung. Alle Unordnung iff eine Ver—
neinung und Unvollfommenheit, und es ift alfo nicht einmal
möglich, daß, in dem Umfange der Gottheit, auch nur die
alfergeringite Unordnung folte angetroffen werden. Alle
Dinge auffer Gott enthalten, aller ihrer Drdnung ohner⸗
achtet, dennoch) immer viele Unordnung.
S. 844
Alle mögliche Dinge haben eine Gewisheit S. 93
Folglich muß auch Gott, diefe Realität und Bollfommens
heit, befißen $. 816. Der Gott, deſſen Möglichkeit und
Würflichkeit wir erwiefen haben, ift gewiß und wahrhafs
fig der wahre Gott. Er iſt noch dazu gewilfer ein wahres
mögliches Ding, als alle übrige möglihe Dinge, und die
Gewißheit, die ihm zufomt, ift die allergroͤſte $. 817.
1) Weit feine Wahrheit die allerhöchfte ift $. 842. und
ein Ding um eine fo viel gröffere Gewißheit hat, je gröfler
feine Wahrheit ift $. 90. 2) Weil feine Wahrheit, feine
Möglichkeit und Würflichfeit, aus den alfermeiften und
allergröften Gründen und Merfmalen der Wahrheit, des
monftrive und Elar erfant werden Fan. Und dahin gehören
folgende Gründe, a) Aus dem Weſen Gottes Fan, feine
Wirklichkeit, unumftößlich; erwiefen werden S. 825.
b) Eine iedwede Vollkommenheit in Gott ift ein untrüglis
ches Merkmal, und ein unumftöslicher Beweis, daß er
eine iedwede andere Bollfommenheit befiße 9. 829. 831,
Folg«
Die Wuͤrklichkeit Gottes. 97
Folglich hat eine iedwede Bollfommenheit in Gott unend-
lic) viele und groffe Beweisthümer ihrer Wahrheit. c) Ein
iedivedes mögliches Ding auffer Sort ift ein unumſtoͤslicher
Beweis, daß ein Gott fey, und daß er alle Vollfommens
heiten befiße; weil eine iedwede innerliche Vollkommenheit
das Wefen Gottes, und ein iedwedes mögliches Ding
eine Solge feines Weſens ift $. 832. 831. d) Ein iedwe—
des würfliches Ding auffer Gote ift zufällig, und alfo ein
unumftöslicher Beweis feiner Würflichkeit $. 821. folgs
lich auch feines Wefens, und aller feiner Vollkommenhei—
ten. Iſt wol eine aröffere Gewisheit möglich, als wenn
eine Wahrheit aus alle dem, was möglich und wuͤrklich ift,
einzeln und zufammen genommen, unumflöslid erwiefen
werden fan? Es ift Daher ein jeder Wurm, ein jedes
Kraut, ein jedes Sonnenſtaͤubchen eine matbematifche
Demonftration des wahren Gottes. Und es ift eine nüßlie
che, erbauliche und lobenswürdige Bemühung, wenn man,
ven Beweis ver Würflichfeit Gottes aus der Zufälligkeit
der Welt, auf viele befondere Arten der Dinge anwendet.
Dadurcd gewöhnt man die Menfchen an, fo wie es Gott
felbft Haben will, alle Dinge in der Welt als Prediger ver
Gottheit zu betrachten, und in und aus allen Dingen Die
Gottheit zu erfennen. Unterdeſſen da es uns Menfchen
unmöglich ift, in der That aus einem iediweden Dinge in
der Welt die Gottheit herzuleiten und zu erkennen, und mir
mit manchen Dingen in der XBelt nieverträchtige und Gore
unanftandige Begriffe verbinden: fo wäre es zu fabeln,
wenn man die edelften Theile der Welt übergeben, und fo
lange in einem Mifthaufen herum wuͤhlen wolte, bis wir
ihn zu einem Beweiſe der Gottheit geſchickt gemacht häfs
ten, Weil einige Gelehrte diefen Fehler begangen haben,
fo hat daher Swift die Satyre gemacht, weldye ven
Titel führt: erbauliche Betrachtung über
einen. Beefenfticl,
54 Die
BB. .; Die UnveränderlichEeit
Die
Unveränderlichfeit und Nothwendigkeit Gottes.
$ 845.
Wir fommen jegt zu einer Bollfommenbeit Goftes, 4
welche den-menfchlichen Berftand in eine fo groffe Verwir—
rung feiner Begriffe ftürzt, daß alle Bemühungen der Öots
tesgelebrten und Weltweiſen bisher vergeblich gewefen find,
diefeibe völlig aus dem Wege zu raͤumen. Wir wolleu
erſt dieſe göftlihe Vollkommenheit deutlich erweifen, und
alsdenn die Schwierigkeit aufrichtig anzeigen, ‚welche fie
uns in unferer Erfentniß verurſacht. Gott ift ein ſchlech—
terdings nothwendiges Ding, ja er ift die einzige nothwen—
dige Subſtanz, weil alle würfliche Dinge auffer Gott zus
fällige Dinge find, _ Es kan diefes, auf eine Doppelte Art,
erwiefen werden. Einmal erhellet, diefe göttliche Voll—
fommenbeit, aus dem Beweife der Wuͤrklichkeit Gottes
aus der Frfahrung $. Bar. Diefe Welt Fan nicht anders
wirklich feyn, als eine Würfung einer nothwendigen Sub»
ftanz oder würfenden Urſach, welche auffer ihr wuͤrklich iſt.
Da nun diefe würfende Urſach eben dasjenige Wefen iff,
welches wir Gott nennen: fo ift Gott das nothwendige
Ding, oder die nothwendige Subſtanz $. 117. 16. Zum .
andern erhellet, eben diefe Vollkommenheit Gottes, aufs
unleugbarfte, aus dem Begriffe des allervollfommenften
Dinges, und aus dem Beweife der Würflichkeit Gottes
a priore $, 825. Vermoͤge diefes Beweifes liegt, der hin—
reichende Grund der Wuͤrklichkeit Gottes, in feiner inner
lichen Möglichkeit, oder in feinem Weſen. Folglich ift fie
eine Eigenſchaft und fhlechterdings nothwendig $. 54. und
es ift demtiach Gott ein norhivendiges Ding $. 119. Dass
jenige ift ja fehlechterdings nothwendig, deſſen Gegentheil
fehlechterdings und innerlich unmoͤglich ift $. 104. Nun
ift es an und vor fich felbit ungereimt, einen wahren Gott
zu gedenken, welcher nicht würflich ift. Denn indem wir
einen wahren Gott gedenken, ftellen wir uns ein Ding vor,
welches
und Nothwendigkeit Gottes. 89
welches alle Realitäten ohne Ausnahme beſitzt $. 316. und
indem wir ihn als ein Ding gedenken wollen, dem die
Wirklichkeit fehlt; fo würden wir fügen, daß er vieleNiea«
litaten nicht habe, weil die Wuͤrklichkeit ein Inbegrif vieler
Realitaͤten ift. Folglich ift ein Gott, welcher nicht würfe
lich ift, ein Ding, welches zugleidy alle Nealitäten ohne
Ausnahme hat, und auch nicht hat, und das ift der offen«
barfte Witerfpruh. Da nun alfo, das Gegentheil der
Wuͤrklichkeit Gottes, in Gott fehlechterdings unmöglich iſt:
fo ift Gott nidht’nur wuͤrklich, ſondern er ift auch auf eine
fehlechterdings nothwendige Art und Weife wuͤrklich. Die
Würftichfeit Gottes ift eben fo nothmwendig als fein Weſen,
und als irgend eine mathematifche Wahrheit feyn fan. Co
wenig ſich ein Triangel ohne drey Winkel gedenken laͤſt, eben
fo wenig fan mit Wahrheit ein wahrer Gott ohne Würf.
lichfeit gedacht werden. Es laft ſich, dieſe Vollkommen—
heit Gottes, blos durch unfern nachdenkenden Berftand ges
denfen. Denn da alle Dinge, die wir, von Kindesbeinen
an, um, neben und in uns erfahren, zufällige Dinge find;
fo haben wir, feinen finlichen Begrif, von einer fchlechters
dings nothwendigen Würflichfei. Und daher rührt wol
vornemlic) die Schwierigkeit, von der ich in dem Folgenden
reden werde. Ja Daher Fomts wohl ohne Zweifel, daß
die allermeiften Gottesgelehrten und Weltweifen, aller ihrer
Theorie ohnerachtet, fid) dennod) vorftellen, daß der Gott,
fo wie er wuͤrklich ift, auch nicht wuͤrklich, fondern anders
würflich fenn koͤnte. Unterdeſſen würde es eine groffe Ueber.
eilung ſeyn, wenn man nun alfobald, um diefer Nothwen⸗
digkeit Gottes willen, fi) Gott als ein Ding vorftellen
wolte, welches allemal auf eine fhlechterdings nothwendige
Art würfte und handelte, und, was nod) ärger ift, als ein
Ding, welches in allen feinen Handlungen, den nothwen-
digen Gefegen eines blinden und unwidertreiblichen Schick—
fals, unterworfen wäre. Dieſe Sache wird fich erft in
dem Folgenden aufklären laffen.
55 S. 846,
go Die Unveränderlichkeit
. 846.
Aus der Nothwendigkeit der Wuͤrklichkeit Gottes,
welche nicht etwa eine bedingte Nothwendigkeit iſt: denn
die Wuͤrklichkeit aller zufaͤlligen Dinge in der Welt iſt auf
eine bedingte Art nothwendig; ſondern eine innerliche und
unbedingte, folgt zweyerley. Einmal iſt es unmoͤglich,
daß in Gott ſolche innerliche Beſtimmungen ſeyn koͤnten,
welche wir zufällige Beſchaffenheiten genent haben $. 54.
Alle ſeine innerliche Realitaͤten und Vollkommenheiten ſind
entweder weſentliche Stuͤcke, und die machen zuſammenge—
nommen fein Weſen aus; oder es find Eigenſchaften, wels
de zufammengenommen feine Mürflichfeit ausmadyen.
Und weiter bat Gott Feine andern innerlichen Beftimmuns
‚gen, Hätte er eine zufällige Befchaffenheit, fo wäre eine |
feiner innerlichen Kealitäten zufällig, und er wäre nicht das
nothwendige Ding 6. 118. Und da, die zufälligen Des
fhaffenbeiten, zwar einigen aber keinen zureichenden Grund
in dem Weſen desjenigen Dinges haben, dem fie zufom-
men $. 54. fo müfte das Weſen Gottes, wenn er zufäl-
lige Befchaffenheiten hätte, nicht der hinreichende Grund
aller feiner inmerlichen Nealitäten feyn, und das ift unmögs
lih $. 829. Wolte man dem Worte zufällige Beſchaffen—
heit eine andere Bedeutung geben, und hernach dergleichen
Befchaffenheiten ort zuſchreiben; fo würde man dadurch |
in der Sache nichts gewinnen, fondern einen unnüßen |
Wortftreit verurfahen. Es ift offenbar, daß Gore Feine |
folche innerlichen Beftimmungen haben fönne, welche in
Gore zufällig find, und nur auf eine unzureichende Art aus
feinem Weſen flieffen, man nenne nun dergleichen innerliche
Beftimmungen, wie man es für gut befindet. Zum andern
folgt daraus, daß Gott gar Feinen innerlichen Zuftand ha—
ben koͤnne, weil derfelbe nur in einer Subſtanz flat finden
Fan, welche zufällige Befchaffenbeiten hat, und in fo ferne
fie vergleichen hat $. 162. Es würde alfo ein unbequemer
und Gott unanftandiger Ausdruck feyn, wenn man fagen
wolre, daß Gott in dieſem oder jenem innerlichen Zuftande
ſich
und Nothwendigkeit Gottes. 91
fi befinde. Was aber den äufferlichen Zuftand betrift, fo
verhalt es fich damit ganz anders, weil derfelbe in den Vers
haͤltniſſen eines Dinges befteht, dergleichen wir Fünftig von
Gott erweiſen werden,
$. 847.
Aus der Nothwendigkeit Gottes, fo wie diefelbe in
dem Vorhergehenden erwiefen worden, folgt feine innerliche
Unveränderlichfeit. Gott iſt, vermöge der Nothwendig⸗
feit feiner Würflichfeit, ein Weſen, welches innerlich ganz
und fchlechterdinas umveränderlich it, Denn das noth⸗
wendige Ding iſt allemal auch innerlich und ſchlechterdings
unveränderlih S. 126. Da nun Gott das nothwendige
Ding iſt $. 842. fo find auch, alle feine innerlichen Bes
fimmungen und Vollkommenheiten, ſchlechterdings unvere
aͤnderlich. In Gott find, Feine andern innerlichen Bes
flimmungen als Bollfommenheiten, anzutreffen $. 818.
Wenn nun eine berfolben veraͤnderlich wäre, fo Fünte fie
von den übrigen nicht nur abgefondert werden, fondern an
ihrer flat Fönte aud) die entgegengefegte Unvollfemmenpei
in Gott würflich werden. Das erfte flreiter wider feine
aflervollfommenfte Einheit, vermöge welcher alle feine in—
nerlichen Vollkommenheiten fo feft mit einander vereiniget
find, Daß feine von Der andern getrent werden fan $. 840.
Und das andereift aud) ſchlechterdings unmöglich, weil gar
feine Unvollkommenheit in ihm moͤglich iſt $. 835. 818.
Folglich ift Gott Deftändig eben der Gott, der er ift, ohne
alle Abänderung, als welche nicht REN | in ihm möglich
ift. Diefe Unveränderlichfeit Gottes ift nicht nur ganz all⸗
gemein, und erftredt fich über feine gefamte innerliche Bes
ſchaffenheit: denn, feine Berhältniffe gegen die Dinge auffer
fich, Fönnen nicht unveränderlich ſeyn; fondern fie will aud)
zroeyerlen fagen. Einmal, Gott it ewig einerley und eben
daffelbe Ding, dergeftalt, daß es unmöglich ift, daß er
nach und nach immer andere und andere innerliche Beftim-
mungen befommen fönte. Er fan heute nicht feyn, was
er geftern nicht war, und er fan morgen nicht werben,
was
Ba - Die UnveränderlichEeit
mas er heute nicht iſt, und vordem nicht geweſen ift, was
nemlich feine innerlichen Vollkommenheiten betrift. Er ift
beftändig, von Ewigkeit zu Ewigkeit, einerley und eben -
daſſelbe allervollfommenfte Ding, Die endlichen und ver«
änderlichen Dinge, dergleichen wir Menfchen und alle übris
gen Dinge in der Welt find, find in allen Augenbliden
ihrer Dauer immer mas anders, als fie vorher gewefen.
Gott bleibt, auf eine unmandelbare Art, eben derfelbe.
Die veränderlichen Dinge find, in ihrer Würflichkeit, ein
ſchnellflieſſender Strom. Man fehe in demfelben auf einen
Punct, auf welchen man will, Nicht zwey Augenblice
hinter einander fieht man, ein und eben diefelben Waſſer⸗
theile. Sondern ein Tropfen frit immer, an die Stelle
eines andeın. Bey Gott verbält es fich ganz anders.
Zum andern muß man, vermöge der Unveraͤnderlichkeit
Gottes, behaupten, daß feine einzige feiner innerlichen
DBeftimmungen und Realitäten in ihm nicht wuͤrklich ſeyn
fonte, und daß alfo unmöglich Eönne angenommen werden,
daß an deren ftat das Gegenteil verfelben ihm zufommen
fonte. Denn da diefes Gegentheil nothwendig eine Un:
vollfommenheit feyn müfte, fo würde man behaupten müf
fen, es fey moͤglich, daß er nicht das allervolifommenfte
Ding wäre, und das ift fehlechterdings unmöglich. Auf
die Berhältniffe Gottes gegen die Welt fan und muß,
diefe Unveränvderlichfeit Gottes, nicht ausgedehnt werden. -
Denn da es, gar Feine fehlechterdings unveränderliche Ver—
Hältniffe irgends eines Dinges, geben fan $. 129. fo koͤn—
nen auch Gottes Berbältnifie nicht fchlechterdings unveräns
derlich ſeyn.
6. 848.
Aus der Unveraͤnderlichkeit Gottes folgt nothwendig,
daß ſich in Gott weder ein Entſtehen noch Vergehen geden⸗
fon laſſe: weil beydes eine Veraͤnderung iſt. $. 175. 176.
Und das muß, auf eine doppelte Art, verſtanden werden.
Einmal, Gott felbft Fan nicht entftehen und vergehen. Es
würde hoͤchſt ungereimt feyn, eine Gottheit zu verehren,
wel⸗
!
I]
| und Nothwendigkeit Gottes. Pr)
)
welche entftanden wäre; es fey nun daß man annehmen
wolte, fie ſey aus nichts entftanden, vder aus Etwas, Wenn
alfo die Heyden die Götter, deren Geburten und Entſte—
-Bungsarten fie zugleich angenommen, als höchfte Gottheiten
verehret haben , fo ift ihr erhum hödjft ungereimt. Und
eben fo abgeſchmackt würde es feyn, wenn man annehmen
wolte, daß der wahre Gott vergehen Fünte, es fey nun, daß
man eine Vernichtung veffelben annehmen, oder behaupten
wolte, daß nad) dem Untergange deffelben noch etwas von
ihm zurüchliebe. Zum andern ift es eben fo unmöglich),
daß, in dem Unfange der Gottheit, eine innerliche Beſtim⸗
mung und Vollkommenheit entjtehen oder vergehen koͤnte.
Wenn in einem Dinge etwas entfteht und vergeht, fo ift in
ihm etwas nach dem andern würflich, und alfo wird es im—
mer nad) und nad) ein anderes und anderes Ding, und es
fan alſo unmöglicy ein innerlich und fchlechterdings unver«
änderliches Ding feyn. Folglich Fan in Gore nichts, Fein
Gedanfe, feine Begierde, und irgends eine andere innerliche _
Beltimmung entftehen und vergehen. Sondern erift alles,
was er ift, ewig und bejtandig auf einmal,
.849,
| Nun fan aufs unmiderfprechlichfte erwiefen werden,
daß Gott eine folhe Subitanz fey, welche auffer der Welt
wuͤrklich ift; oder deren Würflichfeit, von der Würflichkeie
|
der Welt und aller Theile verfelben, auf eine reelle Art una 7
terfchieden ift, Es folgt diefes unmittelbar, aus dem Bes
weife der Würflichfeit Gottes aus der Erfahrung $. 821.
Vermoͤge diefes Beweiſes ift ein folcher Gott vorhanden,
welcher die würfende Urfache der Welt, und alfo eine Sub» |
ftanz ift,, die auffer der Welt würflich ift. Um ſich hievon
einen rechten ‘Begrif zu machen, muß dreyerley bemerkt wer⸗
den. Einmal die ganze Welt ift nidyt Gore, und Gott ift
nicht die Welt im Ganzen betradytet. $. 310. zı. Die
Welt ift ein Inbegrif endlicher und unvollfommener Dinge
$. 292. Gott aber iſt unendlich $. 914. Die Welt ift ein
zufälliges und veränderliches Ding $. 296, 299. Gott
aber
94 Die Linveränderlichkeit
aber ift das nothwendige und unveränderliche Ding $. 845.
8347. Die Welt Fan entftehen und vergehen $. 301. 304.
Gott aber nicht F. 8348. Kurz, es Fan auf eine vielfaitige Are
erwiefen werden, daß Gott und die Welt zwen Dinge find,
die einander dergeftalt entgegengefegt find, Daß ein unendli—
cher Widerfpruch entftehen würde, wenn man fie für ein
und eben daffelbe Ding halten wolte. Folglich ift auch uns
leugbar, daß, die Wuͤrklichkeit Gottes und der ganzen Welt,
zwey von einander unterfchiedene WürktichEeiten find. Zum
andern: Gore ift fein wirklicher Theil der Welt, er ift we—
der ein würfliches Accidenz der Welt, noch eine würfliche
Subſtanz, welche ein Theil derfelben it. Das erfte ift
hoͤchſt ungereimt, weil Gott eine Subſtanz ift, und das '].
andere ift eben fo ungereimt. Wäre Gott ein fubftantieller
Theil der Welt, fo wäre er ein endliches und zufälliges
Ding, weil alle würklichen Theile der Welt endlich find,
und er koͤnte nicht das allervollflommenfte Ding feyn, weil
Die ganze Welt unendlich vollkommener ift, als ein jeder Theil
derfelben, und wenn er auch noch fo vollfommen feyn folte,
Folglich ift, die Würklichfeit Gottes, Fein Theil der Wuͤrk—
lich£eie der Welt, Zum dritten: die Würflichfeic der
Welt fan aud) unmöglid) ein Theil der Wuͤrklichkeit Gottes
feyn. Die Welt ift weder das Wefen, noch ein wefentlid)
Stuͤck, nod) eine Eigenſchaft, noch eine zufällige Befchaffene
heit Gottes, noch irgends ein Accidenz, welches in Gott, als
feinem Subjecte, vorhanden wäre. Denn die Welt Fan
nicht anders, als auffer Gott, würflich feyn $. 310. Die’
Melt enthalt nothivendig, viele Unvollfommenheiten und
Derneinungen, in fid. Wäre fie nun in Gott würflich,
fo müften in ihm Unvollfommenbeiten nicht nur fern koͤnnen,
fondern auch wuͤrklich angetroffen werden, und das ift un:
möglid) $. 818. Und nach diefer dreyfachen Erklärung
muß man behaupten, daß Gore eine ſolche Subitanz fey,
welche eine Würflichfeit hat, die, von der Wuͤrklichkeit der
Welt und aller ihrer Theile, auf eine reelle Art abgeſondert
und unterjchieden ift, dergeftalt, daß Gott und die Welt
zwey
und Nothwendigkeit Gottes, 95
zwey Dinge find, deven ein iedwedes feine eigene und befons
dere Würflichfeit hat. Wenn man fagt, Gott fen auffer
der Welt würflich, fo Eönte es fcheinen, als leugne man da⸗
durch die Allgegenwart Gottes. Allein diefe Schwierigkeit
wird, in dem Folgenden, gehoben werden.
$. 850,
Durch diefe Betrachtung wird der theologifche
Spinozismus völlig widerlegt, oder der Irrthum, nach)
welchem man behaupter, daß die Nele nicht auffer Gott
würflich fen; fondern daß entweder Die Welt, im Ganzen
betrachtet, Gore fen, oder daß die Welt als ein Accidenz
in Sort, als in feinem Subjecte, würflih fy. Diefer
Irrthum iſt in der That ein atheiſtiſcher Irrthum, weil
alle diejenigen, die einen wahren Gott annehmen, unter
andern behaupten müffen, daß er eine von der Welt uns
terfchiedene Subſtanz fen, welche auffer der Welt würfs
lic) ift $. 812. Spinoza mag alfo in feiner Sittenlehre
. immerhin beweifen, daß ein Gott fen, er gehört doch unter
Die Atheiſten. Und fein Irrthum ift viel ätter, indem man
ſchon in dem Cicero eine Ermwehnung deffelben antrift. Dies
jenigen, weiche die Welt, im Ganzen betradjtet, fir Die Goft=
heit halten, werden aud) Pantcheiſten genent, und es ift ein
grober und gefährlicher Ausdrud, wenn man Gott das All
oder ein unbegreifliches All nennt; und wenn man fagt,
es fey fo fonnenklar, daß ein Gore vorhanden fey, daß
man nur feine Augen auftbun dürfe, denn alles was
man in und neben ſich fehe, fey Gott, Schon in der
Gofmologie $. 310. 311. und in dem vorhergehenden
Abfase, ift diefer Irrthum binlänglich widerleger worden,
Es fcheint aber, als fey er aus einer doppelten Duelle
entftanden. Einmal, wenn man überlegt hat, daß in
diefer Welt fo viel Bollfommenheit vorhanden fey, daß
wir das Ende derfelben nicht abfeben koͤnnen. Wenn man
nun fo unbedad)tfam gewefen, und nicht bedacht hat, daß
in diefer Welt nur fo viele und groffe Vollkommenheiten
feyn koͤnnen, als in einem endlichen Dinge, feiner Endlich»
keit
96 | Die Unveränderlichkeie
feit unbeſchadet, angetroffert werden koͤnnen: ſo hat man
leicht ausfchweifen und denken koͤnnen, daß diefe Welt das
fchlechterdings befte und allervollfommenfte Ding, und alfo'
Sort ſey. Man folte aber nur gedacht haben, daß die
Welt das allervollfommenfte endliche Ding fen; fo würde
man, auf Diefen ungereimten Irrthum, nicht gerathen
-feyn. Zum andern verwechfeln die Spinoziſten, ein vor
fic) beftehendes Ding, mit einem felbfiftändigen Dinge,
Das erſte Fan würftic) ſeyn, wenn eg gleich nicht in einem
andern Dinge, als in feinem Subjccte, vorhanden ift; das
legte aber fan würflich feyn, ohne als eine Würfung von
einer würfenden Urſach auffer fich abjubangen. Mun ift
unleugbar, daß die Theile der Welt durd) andere Dinge,
als durch ihre Urfachen, beſtimt werden, und alfo ihrer
Wuͤrklichkeit nad) von denfelben abhangen, dergeftalt, daß
fie nicht würflich werden, feyn und bleiben Fönnen, wenn fte
nicht von würfenden Urfachen in ihrer Wuͤrklichkeit unters
ftügt werden, Folglich ift Fein Ding in der Wele felbfts
fiandig, Wenn man durd) einen offenbaren Serthum an-
nimt, daß die Würfungen in ihren Urfachen, als in ihren
Subjecten, würflich find; fo muß man freylid) fagen, daß
alle Dinge in der Welt in Gott würflich find, und man
muß alſo ein Spingzift feyn. Allein wie leiche ift es nicht,
diefen falfchen Gedanken zu entdecken. Unfere Gedanfen
werden von unferer Seele gewuͤrkt, fie find durch Die Seele
wuͤrklich, und fie find zugleich als Accidenzien in der Seele
würflich,, und alfo nicht auffer derfelben. Kin Kind im
Gegentheil wird durch feine Eltern, als durch würfende
Urfachen, wuͤrklich; allein es ift nicht in feinen Eltern, als
in feinem Subjecte, und als ein Aceidenz derfelben würfs
lich. Und bieher fonnen auch alle Fälle gerechnet werden,
wenn ein Künftler ein Werk feiner Kunſt auffer ſich wuͤrk—
ih made. Folglich koͤnnen, die Dinge in der Welt,
freylich ihre MWürklichkeit nicht anders erhalten, als von‘
Gott und durch Gott; aber ihre Wirklichkeit ift nicht in
Gott, als in ihrem Subjecte, anzutreffen.
S. 85
und Nothwendigkeit Gottes. 97
$. 851.
Die Vollkommenheit Gottes, welche wir bisher in Bes
frachtung gezogen haben, verurfacht uns Menfchen , in uns
fern übrigen Begriffen von Gott, eine unendliche Schwies
tigkeit, Durch unfere bloffe Erfahrung ftellen wir uns Fein
Ding vor, melches in feiner Würflichfeit norhwendig und
unveränderlich if. Und da alle unfere übrigen Begriffe,
nad) Maasgebung unferer Erfahrungen, gebildet werden:
fo fan es nicht anders feyn, wir müffen, in unfern Bes
griffen von Gott, ofte in fehr viele Schwierigkeiten und
Verwirrungen gerathen. Dazu Eomt noch, daß alle unfere
Begriffe, durd) welche wir nad) und nad) zu den Bes
griffen von Gott und feinen Bollfommenheiten, gelangen,
uns Realitäten vorftellen, welche in endlichen und zufällis
gen Dingen angetroffen werden, und weldye daher mit fo
vielen Einfchrenfungen, Berneinungen und Umftänden vera
knuͤpft find, die in Gott gar nicht ftarfinden Eonnen. Wenn
wir daher in Gott eine Vollkommenheit erfennen, welcye
demjenigen, was mir in den zufälligen Dingen erfant has
ben, ähnlih, aber auch von demfelben fehr unterfchieden
ift: fo Ean es ofte gefchehen, daß wir diefen Unterfchied enta
weder gar nicht, oder nicht Elar und deutlich genung einfes
ben. Nun haben wir feine befondern Ausdrucke und Worz
te, wodurch wir die göttlichen Vollkommenheiten allein aus—
drucken fönten, Wenn wir daher diejenigen Worte braus
chen, deren wir uns auch bedienen, wenn wir, von zufällis
gen Dingen und ihren Bollfommenbeiten, reden: fo vers
bindet unfere Einbildungsfraft affemal mit denenfelben alles
das Unvollkommene, was mit denfelben in den zufälligen
Dingentverbunden iſt. Nun ift offenbar, daß dadurch, un«
fere Begriffe von Gott, falſch und der höchften Vollkom—
menheit Gottes unanftändig werden. 3. E. wenn wir
fehen, fo ftellen wie uns die Würfungen des Lichts in uns
fern Augen vor, und das thut auch Gott vermöge feiner
Allwiſſenheit. Allein unfer Sehen ift mit fo vielen Ums
ſtaͤnden verbunden, welche ſchlechterdings bey Gott nicht
4, Theil. G ſtat⸗
98 Die Unveränderlichkeit
ftatfinden koͤnnen. Wenn wir nun fagen: Gott fieht;
fo ift es wenigſtens bey den meiften Menſchen unvermeid-
lich, daß fie ſich vorftellen, Gott fehe fo, wie wir Mens
fihen feben, Daher haben die Gottesgelehrten ein unver⸗
gleichliches Mittel erfunden, wodurch fie verhüten, daß man
fi) in ſolchen Fällen feine falſchen und Gott unanftändis
gen Begriffe mache. Nemlich fie fagen: man müffe, fols
he Bollfommenheiten, dem hoͤchſten Weſen gleichniß⸗
weife und nach der Analogie zuſchreiben. 3. E. Gott
fieht gleichnißweiſe. Das will fo viel ſagen: vasjenige,
was in unferm Sehen veel und vollfommen ift, befist Gott
im höchften Grade, fo daß davon alles abgelondert werden
muß, was bey unferm Sehen aus unferer Einfchrenfung
herrühre, und der höchften Vollkommenheit Gottes wider:
ſpricht. Wenn wir alfo durch Ausdrucke und Redensars
ten, die von endlichen Dingen gebraucht werben, dent
allervollfommenften Weſen etwas gleichnißweiſe zufchreis
ben; fo bekennen wir dadurch unfere Unwiſſenheit. Wir
verfichern, daß wir den hoben Anterfchied einer folchen Boll
fommenbeit, fo wie fie in Gott und in den endlichen Din:
‚gen angetroffen wird, nicht binlänglich einfehen, Wir
warnen Dadurd) andere, daß fie in folchen Fällen ja niche
etwa etwas unvollkommenes und unanftändiges von Gott
denken, und wir muntern ung und andere auf, daß fie theils in
folchen Fallen das wahre Reelle in einer ſolchen Bollfommen«
beit dem höchften Wefen im hoͤchſten Grade und vorzüglich
zuſchreiben, theils aber auch alles Unvollfommene, weld)es
mit derfelben in den endlichen Dingen verbunden iſt, vor
ber forgfäitig abfondern, ehe fie diefeibe als eine göttliche
Bollfommendeit fi) in Gott vorftellen wollen. Gott ſieht
und hört gleichnigweife, Das foll fo viel ſagen: das mahre
Reelle in unfern Sehen und Hören befist Gott. im böchften
Grade. Allein wenn man von Gott fagen will, daß er fehe
und höre, fo muß man alles Unvollfommene abſondern,
was mit unferm Geſicht und Gehör verbunden ift.. Wer
diefe Sache unpartheyiſch überlege, der wird fo weit ent
fernt
und Nothwendigkeit Gottes, 99
ferne ſeyn, Diefe Art von Gott zu denken und zu. reden, zu
fadeln, Daß er vielmehr Die Beſcheidenheit und Behutſam—⸗
keit derjenigen Gottesgelehrten und Weltweifen loben wird,
die mit fo vieler Vorſichtigkeit von Gott denken und reden,
Allein dag würde eine gottlofe Schalfheit feyn, wenn man
gleichnißweiſe Gott etwas zuſchreibt, und man wolte damit
fo viel zu verftehen geben : man habe in Gott etwas —J
welches ungereimt und unmoͤglich iſt, man wolle aber nicht
gerne ſo zu reden das Geſchwuͤr anruͤhren, und mit der
Sprache herausruͤcken. Man bediene ſich daher dieſer Re—
densart nur, um die Gottheit bey Ehren zu erhalten, und
den Leuten die Augen nicht zu oͤfnen. Es iſt ganz was an⸗
ders, wenn man ſagt: man verſtehe etwas in Gott gar
nicht, oder nicht hinlaͤnglich, man koͤnne kein Wort und
feinen Begrif von demfelben finden, welche ohne alle Uns
anftändigfeit von Gott gebraucht werben koͤnnen; und was
anders ift es, wenn man fagt, man erblicke einen offenba«
ren Widerſpruch in der Gottheit, man wolle aber denſelben
nicht berühren, fondern über denſelben blindlings wegfchleis
chen. Das legte muß uns niemals in den Sinn kommen,
wenn wir gleichnißmeife von Gott Denfen und reden, Wenn
wir in theologifchen Begriffen und Sägen einen Wider⸗
ſpruch entdecken, fo müffen wir daraus nicht ſchlieſſen, daß
in Gott ſelbſt diefe Widerſpruch angetroffen werde, und daß
alfo Gott ein unmögliches Ding fen, welches nicht wiirflich
ift. Sondern wir müffen daraus fchlieffen, Daß diefe Bea
griffe und Saͤtze falſch find, und wir müffen daher fo ehr—
lic) feyn, und unfere bisherigen Meinungen von Gott
andern und verbefferh,
§. 852.
Wenn wir nun, auf bie vorbin beſchriebene Art,
gleichnißweiſe von Gott denfen und reden, fo Fan in ben
allermeiiten Fällen daher, gar Feine erhebliche und unübers
windlihe Schwierigkeit, entftehen. Allein es gibt gewiffe
innerlihe Realitäten und wuͤrkliche Beſtimmungen Got«
tes, welche unſere Erkentniß in eine ungemeine Verwir—
62 rung
100 Die UnveränderlichEeit
rung ffürzen, und alle Bemühungen find bisher vergeblich
gewefen, dieſe Verwirrung unferer Begriffe völlig aus dem
Wege zu räumen, Nemlich es ift eine vollfommen deut—
liche und ausgemachte Wahrheit, daß in Gott gar Feine
zufälligen Beſchaffenheiten ftatfinden koͤnnen; fondern daß
alle feine innerlichen Beftimmungen, die nicht zu feinem
Weſen gehören, Eigenichaften find, und aljo insgeſamt
eine unbedingte Nothwendigkeit haben $. 845. Nun bat
Gott gewifle innerliche Beftimmungen, z. €. feine frenen
Rathſchluͤſſe uͤber diefe Welt, welche im hoͤchſten Grade
frey find, wie unten erwielen werden wird. Cs iſt aus
der aefunden Vernunft unmiderfprechlich klar, daß freye
Handlungen eine Zufälligfeit haben müffen, und daß fie
alfo nicht in allen Abfichten fchlechterdings nothwendig
feyn fünnen. Sind diefe innerlihen Beltimmungen Got«
tes fchlechterdings nothwendig, oder zufällig? Iſt das erfte,
fo find z. E. vie göttlichen Rathſchluͤſſe nicht frey, und
Gott Fan unmöglich einen wahren freyen Willen befigen.
Iſt das andere, fo ift Gott ein zufälliges Ding. Wie foll
fih unfere Bernunft, aus diefem Labyrinthe, herausmwiceln ?
Ich befenne aufrichtig, meine Unmiffenheit in dieſem Puncte.
Es ift diefes eine Sache, die über meinen Berftand gebt,
und ich fehlieffe daraus, daß es eine Art der Eigenſchaften
gebe, von denen ic) Feinen netten Begrif habe, weil wir
dergleichen Cigenfchaften bey feinem endlichen Dinge ans
treffen. Es find nleichfam zufällige Befchaffenbeis
ten (analoga modorum), oder ſolche innerliche Beſtim—
mungen Gottes, welche zwar in dem göttlichen Wefen ihren
völligen binreichenden Grund haben, und, aus demfelben
allein, ihrer Möglichkeit und Wuͤrklichkeit nach, in Gott
flieſſen, die aber nur in fo ferne auf eine bedingte Art nothe
wendig find, in fo ferne ihre WürflichFeit in Gott die
Wirklichkeit zufälliger Dinge auffer Gott vorausfegt. Diefe
gleichfam zufälligen Befchaffenheiten Gottes find Feine zu—
fälligen Befchaffenkeiten, dergleichen wir bey uns und ane
dern endlichen Dingen antreffen: denn die haben Feinen
bins
und Nothwendigkeit Gottes. 107
binreihenden Grund in dem Weſen derjenigen Dinge, des
nen fie zufommen. Sie find ihnen aber ähnlich), in fo
ferne fie nur hypothetiſch nothwendig find, wie denn’ alle
zufällige Beſchaffenheiten aller Dinge in diefer Welt hypo—
thetiſch nothwendig find. Sie find wahre Eigenfihaften,
aber von allen Eigenfchaften aller endlihen Dinge darin
verfchieden,, weil die legtern gar Feine hypothetiſche Moths
wendizfeit haben, fondern in allen Abſichten ſchlechterdings
nothwendig find, Folglich Eönte man fagen, Daß die
gleichſam zufälligen Beſchaffenheiten Gottes diejenigen ine
nerlichen Beſtimmungen Gottes find, welche fi auf die
Wuͤrklichkeit zufälliger Dinge auffer Gott beziehen, z. &
feine Rathſchluͤſſe über die Welt. Mithin koͤnnen und muͤſ—
fen fie, auf eine doppelte Art, betrachtet werden. Einmal,
in fo ferne fie blos ihren völligen und binveichenden Grund
in Gott ſelbſt haben, und in diefer Abficht find fie Eigen»
haften, und fihlechterdings nothwendige Beſtimmungen
Gottes: ı) Weil, der hinreichende Grund ihrer Würflich«
feit, in dem Weſen Gottes liegt. Ein zufälliges Ding
fan eine zufällige Befchaffenheit auch nicht würflich haben:
denn durdy fein Wefen wird, die Wuͤrklichkeit feiner zufäls
ligen Befchaffenheiten, nicht hinreichend beftimt. Allein
alles, was in Gott würflidy iſt, und alfo auch feine gleich“
fan zufälligen Befchaffenbeiten, wird feiner Würflichkeit
nah, durchs Wefen Gottes, zureichend beftimt. 2) Weil,
der hinreichende Grund ihrer ewigen, beftändigen und uns
veränderlihen Fortdauer, in den Werfen Gottes. liegt.
Die Kardfhlüffe Gottes, welche wuͤrklich in ihm angetrofs
fen werden, find ewig und unveränderlich in ihm, Die
endlichen Dinge haben bald eine zufällige Befchaffenheit,
bald nicht, und an deren ftat eine andere. Wir Dienfchen
falten bald einen Rathſchluß, bald laffen wir ihn wiederum
fahren, und entfchlieffen uns anders. Wenn man aber
zum andern, dieſe gleichfam zufälligen Befchaffendeiten
Gottes, in ihrer Beziehung auf die endlichen wuͤrklichen
Dinge betrachtet, fo ı) find fie darin den zufälligen Be—
G 3 ſchaf⸗
102, Die Unveränderl, und Nothwendigkeit Bottes,
ſchaffenheiten endlicher Dinge ähnlich, daß fie die Würfe
lichkeit zufälliger Dinge auffer Gott vorausfegen, und
wenn alfo Diefe nicht würflich wären, fo wären jene aud)
in Gott nicht wuͤrklich, fondern an deren ftat von Ewigkeit
zu Ewigkeit andere. 3. E. wenn diefe Welt nicht wuͤrk⸗
lid) wäre, fo würde zwar die Begierde Gottes nach diefer
Welt, welche jego feinen Rathſchluß über diefe Welt aus—
macht, in ihm ewig würflich gewefen feyn, allein fie wuͤr⸗
de Fein Rathſchluß feyn, fondern es würde ein Rathſchluß
über eine andere Welt ewig in Gott gewefen fern. 2) Sie
haben eine hypothetiſche Nothwendigkeit im allerhoͤchſten
Grade. Die zufaͤlligen Beſchaffenheiten endlicher Dinge
haben nur hoͤchſtens, die groͤſte hypothetiſche Nothwendig⸗
keit, in derjenigen Welt, in welcher ſie wuͤrklich ſind. Die
gleichſam zufälligen Beſchaffenheiten Gottes aber haben, die
allergröfte hypothetiſche Nothwendigkeit, in dem Zufam:
menhange Öottes mit allen möglichen Dingen auffer Gott.
Folglich enthält das Wefen Gottes, in fo ferne es die Quelle
aller übrigen möglichen Dinge ift, den hinreichenden Grund,
warum, eben diefe und Feine andere gleichfan zufälligen
Defchaffenheiten Gertes, ewig, beftändig und unverändert
in Gott wirklich find. Es ift demnach Elar, daß diefe
gleichſam zufälligen Befchaffenheiten Gottes, die innerliche
Nochwendigfeit und Unveränverlichkeit Gottes, nicht auf—
heben; fondern daß ihre Veränderlichfeit, in ihrer Bezie—
bung auf die zufälligen Dinge auffer Gott, angetroffen
werde, Es ift aber in der Dntologie fehon erwieſen wor—
den, daß Fein Verhaͤltniß ſchlechterdings nothwendig und
unveränderlich feyn koͤnne. Unterdeſſen wird ein jeder Leſer
aus feiner Erfahrung erkennen, daß, dieſer Erklärung
ohnerachtet, noch viele Dunkelheit und Verwirrung in dies
fer Sache übrig bleibe. Wer diefen Knoten auf eine be⸗
greiflichere und leichtere Are auflöfen Fan, der wird
‚ohne Zweifel ein groffes Lob
verdienen,
Die
Die Unendlichkeit Bottes. 163
Die Unendlichkeit Gottes.
$. 853.
Die Unendlichkeit Gottes Fan, auf eine zweyfache Ark,
ermwiefen werden, Einmal erhellet fie, aus dem Beweiſe
der Würflichkeie Gottes aus der Erfahrung $. 821. Ders
möge diefes Beweiſes it Gott eine nothwendige Subſtanz,
ein Ding, welches nicht nur auffer der Welt würflich iſt,
fondern auch auf eine fchlechterdings nothwendige Ark,
Nun ift das norhwendige Ding zugleich wahrhaftig unends
lich S. 193. folglich ift Gott eine Subſtanz, welche in der
That und auf eine reelle Art unendlich if. Zum andern
flieft, die Unendlichkeit Gottes, aus feiner allerhöchiten
Vollkommenheit. Wenn man einen Öote glaubt, fo muß
man ſich denfelben als das Ding vorftellen, welches ſchlech—
terdings das alfervollfommenfte if, Folglich hat Gott
nicht nur alle Vollkommenheiten und Realitäten ohne Ausa
nahme, fondern auch eine iedwede im allerhoͤchſten Grode
8. 816. 817. Mun fan Fein höherer Grad der Reaglitaͤt
möglich feyn, als derjenige, welcher alle möglichen Realitaͤ—
ten und eine iedwede im höchiten Grade in fic) begreift,
Folglich beſitzt Gott, den allerhödhften Grad der Realität,
In diefem Grade beftehe die reelle Unendlichkeit $. 191.
Folglich ift Gott unendlich), oder durchgehends uneinges
ſchrenkt. Wäre Gott in irgends einer Abſicht eingefchrenft
und endlich, fo müfte er eine Realität oder Vollkommenheit
befisen, welche noch gröffer feyn Fonte. Alſo wäre fie fo,
wie fie in Gott wäre, nicht fehlechterdings die allergröfte
in ihrer Art, und es befäffe alfo Gore nicht die fchlechters
dings allergröften Vollkommenheiten, weldyes ungereimt
iſt $. gı7. Wenn man die Unendlichfeit Gottes gehörig
denken will, fo muß man fie, einmal, ja nicht mit der
mathematifchen Unendlichkeit verwechfen $. 191. Das
hieſſe in der That Gott befhimpfen und ungereime denken,
wenn mau ihn für ein mathematiſch unendlihes Ding
balten wolte. Man würde dadurd) weiter nichts fagen,
G 4 als:
104 Die Unendlichkeit Hottes.
als: entweder er habe Schranfen, man Fönne fie aber nicht
angeben , oder man wolle diefelben nicht angeben, oder wir
Menfchen Fönten uns nichts gröfferes vorftellen als Gott iſt,
oder er fen nur im diefer oder jener Abſicht nicht eingefchrenft.
Sondern wenn wir ung einen richtigen Begrif von Gottes
Unendlichfeit machen wollen , fo müffen wir uns ihn fehlech«
terdings, als das allervollfommenfte und reellefte Ding,
vorftellen, welches in keinerley Abficht eingeſchrenkt iſt, und
welches nicht nur alle Vollkommenheiten befigt, fondern
auch eine iedwede im allerhöchften Grade, und ohne alle
Einfchrenfung. Folglich befteht, die Unendlichkeit Gottes,
in demjenigen Grade der Nealität und Vollkommenheit,
welcher ſchlechterdings der gröfte it. Zum andern würde
man viel zu wenig denken, wenn man bie Unendlichkeit
Gottes blos auf feine Dauer einfchrenfen wolte, als wenn
er blos deswegen das unendliche Ding wäre, weil er ohne
Anfang und Ende ewig wuͤrklich iſt. Diefes gehört zwar |
mit zu der Unendlichkeit Gottes, allein die legtere begreift |
noch mehr in fih. Zum dritten würde es ein groffer Feh—
ler feyn, wenn man ſich einen groben finlihen Begrif von
der Unendlichkeit Gottes machen, und fich vorftellen wolte,
er fen Deswegen unendlich, weil er Feine Grenzen der Aus:
dehnung, feinen Limfang babe, und in Feinen eingefchrenf-
ten Raum eingefchloffen werden Fonne. Gott hat gar Feine
Ausdehnung, wie aus dem Folgenden erhellen wird, und er
iſt demohnerachtet wahrbaftig unendlich,
! $- 954.
Wenn man fich die UnendlicyFeit Gottes gehörig vor⸗
ftellen will, fo ift es nod) nicht genug, wenn man ihm im
Ganzen betrachtet viefe Vollkommenheit zufchreibt; fondern
man muß ihm diefelbe auch, in Abſicht auf alle feine inners
lichen Bollfommenbeiten, beylegen. Gott it nicht nur ein
unendliches Ding, fondern auch eine iedwede feiner innerlichen
Vollkommenheiten, Nealitäten und Beſtimmungen, fein |
Wefen, ein iedıvedes feiner weſentlichen Stüde, und eine
iedwede feiner Eigenfchaften, iſt wahrhaftig unendlich und
uns
Die Unendlichkeit Bottes. 105
uneingefehrenft. Seine Erfentniß, feine Macht, feine
Weisheit ift unendlih u. fe w. Denn wenn auch nur,
eine einzige feiner innerlichen Bollfommenbeiten, endlich
und eingefchrenft wäre; fo hätte Gott, in einer gemiffen
Abſicht, eine Einſchrenkung. Da er alfo nicht Durchges
hends uneingefchrenft ware, fo wäre er auch nicht das uns
endliche Ding, weil daffelbe gar Feine Schranfen haben
muß $. 191. ben diefes erhellet, aus dem ‘Begriffe der
allerhöchften Bollfommenbeit. Gott hat nicht nur alle
Vollkommenheiten zufammengenommen, fondern eine ied—
wede feiner innerlichen Bollfommenbeiten ift auch vie aller
geöfte 9, 817. Folglich hat Feine feiner innerlichen Boll:
fommenbeiten einen Grad ihrer Nealität, der noch gröffer
fenn Fönte, In einem folchen Grade befteht die Kinfchren.
fung F. 191. Folglich ift Feine innerfihe Bollfommen.
heit Gottes eingefchrenft, fondern eine iedwede ift unend«
lich. In Gott ift demnach eine unendliche Menge unend«
licher Bollfommenbeiten. a es find nicht nur in Gore
gar feine Schranken, fondern es find auch Feine in ihm
möglih. Denn alle Schranken find Verneinungen $. 191.
Nun find in Gott Feine Berneinungen moͤglich $. 818.
folglich ift es fehlechterdings unmöglich, daß entweder Gott,
oder eine feiner innerlichen Vollkommenheiten, folte koͤnnen
eingefchrenft werden. Und dadurch unterfcheider fi), die
göttliche Unendlichkeit, von einer iedweden Unendlichkeit,
die man einer Creatur in gewiffer Abficht beylegen Fan, Ges
fest 5. €. dieſe Welt habe gar Feine Grenzen der Aus—
dehnung, fondern die Reihe der Förperlichen Dinge gehe
wahrhaftig ohne alles Ende fort; fo wird deswegen die Welt
fein foiches unendliches Ding, als Gott ift. Sie hat als-
denn zwar Feine Grenzen der Yusdehnung, allein fie koͤnte
doch vergleichen haben, und alle ihre Theile find eingefchrenft,
Folglich ift und bleibe die Welt demohnerachtet, ein endli—
ches und eingefchrenftes Ding. ben fo, wenn man an—
nimt, daß die menfchlihe Seele ewig lebt, fo hat lhre
Dauer fein Ende, und alfo — feine Schran⸗
5 fen,
156 - Die Linendlichkeit Gottes,
Een. Allein da fie doch ein Ende nehmen fönte, und da fie
in einent iedweden Augenblide ihrer Dauer eingefchrenke
iſt, fo iſt fie demohnerachtet ein endliches Ding. Es ift
alfo ein Beweis, daß man Die wahre göttliche Unendlichfeie
fehr ſchlecht kenne, wenn man diejenigen, weiche der Welt
die Schranfen der Ausdehnung und der Fortdauer abfpres
chen, beſchuldiget, als legten fie der Welt eine görtliche
Vollkommenheit bey, und machten aus ihr in ver That
eine Gottheit,
$. 855,
Wir müflen, die reelle Unendlichkeit aller innerlichen
örtlichen Vollkommenheiten, noch genauer unterfuchen.
Nemlich Eeine einzige Realität und Vollkommenheit Fan in
einem Dinge wahrhaftig unendlich feyn, wenn nicht alle
übrigen möglichen Realitäten im höchften Grade mit ihr
verbunden, und mit ihr zugleich in eben demfelben Dinge
angetroffen werden. Eine iedwede Bollfommenbeit muß
einen hinreichenden Grund, und fie muß auch Folgen has
ben $. 34. 36. Dieſer hinreichende Grund, und diefe
Folgen, muͤſſen Realitäten und Vollkommenheiten feyn
$. 135. 134, Folglich gehöre es zu der Realitaͤt einer Bolla
kommenheit, daß fie Realitäten zu ihren Folgen und Grüns
den habe. In je mehren und gröffern Realitaͤten eine
Vollkommenheit alfo zureichend gegründet ift, und je meh—
vere und gröffere Realitaͤten auf eine zureichende Art aus ihe
folgen, defto reeller ift fie. Der allerhöchfte Grad der Re—
alität, das ift die Unendlichkeit einer Vollkommenheit, Fan
gar nicht ftatfinden, wenn fie nicht in allen übrigen allers
gröften Vollkommenheiten zureichend gegründet ift, und wenn
fie nicht der zureichende Grund aller übrigen allevgröften
Vollkommenheiten if. Wo der hinreichende Grund ift,
da ift auch allemal feine Folge, und wo die Felge ift, da ift
aud) ver zureichende Grund derſelben zugleich vorhanden,
Folglich Ean Feine einzige Vollkommenheit in einem Dinge
unendlich feyn, wenn nicht zugleidy neben ihr ‚alle übrige
Bolllommenbeiten im böchften Grade dergeftalt angetroffen
werden,
> en —
Die Unendlichkeit Bottes. 107
werden, daß fie mit ihr in der gröften, fefteften und vollkom—
menſten Berbindung ſtehen. Es koͤnte demnach Feine eins
zige goͤttliche Vollkommenheit eine reelle Unendlichkeit in
Gott haben, wenn ſie nicht mit allen uͤbrigen goͤttlichen
Vollkommenheiten zugleich in Gott angetroffen wuͤrde, mit
ihnen im hoͤchſten Grade verbunden waͤre, und mit ihnen
aufs aller vollkommenſte zuſammenſtimte. Hieraus erhellet
alſo dreyerley. Einmal: wo auch nur eine einzige goͤttli—
che Vollkommenheit angetroffen wird, da muͤſſen alle übris
gen zugleich) da feyn: und dasjenige Ding, welches eine
einzige göttliche Vollkommenheit befist, muß fie ſaͤmtlich bes
fisen, und mithin der wahre Gott ſeyn. Wenn daher eva
wieſen werden fan, daß Chriftus aud) nur eine einzige
göttliche Vollkommenheit, vermöge der Verficherung der
heiligen Schrift, beſitzt: fo iſt dargethan, Daß er der wahre
Gott ſey. Mur muß man fih hüten, daß man diefes
nicht etwa von einer Vollkommenheit verfiehe, die zwar eis
ner göttlichen Vollkommenheit ähnlich, die aber in der That
nicht unendlich it. Z. E. wenn man der Welt die Unend«
lichkeit in Abſicht ihrer Ausdehnung zufchreibt, fo ift diefelz
be feine göttliche Unendlichkeit. Und da man alfo Dadurd)
der Welt in der That Feine göttlihe Vollkommenheit zu-
ſchreibt, fo Fan auch daraus nicht gefchloffen werden, daß
man ihr alle übrigen göttlichen Bollfommenbeiten beylegen,
und fie als eine Gottheit anfehen müfle. Zum andern:
ein Ding, in welchem alle Bollfommenheiten angetroffen
werden, hat auch die allergröften Vollkommenheiten; denn
alle Vollkommenheiten faffen auch die allergrörten in fich.
Wenn ein Ding zwar alle Bolfommenheiten, aber nicht die
gröften, beſaͤſſe, fo fehlten ihm die höhern Grade der Voll—⸗
kommenheiten. Da nun diefe Grade auch Vollkommen—
beiten find, fo müfte ein folches Ding alle Vollkommen—
beiten befigen, und es müften ihm zugleich viele fehlen, und
das ift ein offenbarer Widerfpruch. Zum dritten wird
dasjenige beftätiget, was ich q. 831. bemerkt habe, nems
Lid) daß eine iedwede innerliche Vollkommenheit Bottes, als
das
108 Die LinendlichEeit Bottes,
das Wefen Gottes, angefehen werden fan, Denn da id)
jego erwiefen babe, daß Feine Bollfommenbeit unendlic)
ſeyn fonne, wenn fie nicht den hinreichenden Grund aller
übrigen hoͤchſten Bollfommenheiten enthält, aus dem hin:
reichenden Grunde aber feine Folge Fan hergeleitet werden:
fo kan eine iedwede innerliche Vollkommenheit Gottes, als
die erfte Duelle alier übrigen Bollfommenheiten in Gott,
angefehen werden. Da nun Diefe erfte Duelle das Weſen
Gottes ift, fo flieft es aus der Unendlichfeit Gottes, daß
eine iedwede innerliche göttliche Vollkommenheit fein Wefen
fey.
$. 856.
Um unfern Begrif von der Unendlichfeit Gortes, fo
weit es unferm eingefchrenkten Berftande moglich iſt, vollends
zu vollenden: jo muͤſſen wir noch bemerfen, daß in Gore
alles, alle innerlihe Realitäten, die in ihm moͤglich find,
auf einmal und zugleich würflid find: denn fo iſt das uns
endliche Ding befchaffen $. 194. Gott wird nicht etwa nad)
und nach dasjenige würklih, mas er feyn kan; fondern
feine Würflichfeit ift beftändig feinem unendlihen Wefen
gleich, feine Würftichfeie ift die Erfüllung feines ganzen
Weſens, und alles was durch fein Weſen in ihra möglich
ift, das ift beſtandig auf einmal da. Und aud) in diefem
Stuͤcke ift der unendliche Gott unendlich verfihieden,, von
allen endlichen Dingen, denen in diefer oder jener Abfiche
eine Unendlichkeit beygelegt wird. Geſetzt diefe Welt fey
ihrer Ausdehnung und Dauer nach unendlich), fo wird fie
doch nur nach und nach dasjenige wirklich, was fie feyn
fan. Sie ift in feinem Augenblicke ihrer Dauer alles in
der That, was fie feyn Fan, und ihre Wuͤrklichkeit ift nie—
mals ſo geos, als ihr Wefen. Das Wefen der Welt ift
ein Plan, der nur nach und nach ausgeführt wird, und
es ift Fein Zeitpunct möglich, in welchem er ganz ausges
führe wäre. Bey Gott aber verhält es ſich ganz anders,
Sein Weſen ift ein Plan, welcher durchaus in allen Punca
ten erjüle if. Er wird niche nad) und nach ausgeführt.
Sons
Die Ewigkeit Gottes. 109
Sondern alles in Gott ift auf einmal da. Wir haben
ſchon erwiefen, daß wir bey Gott, von der Moͤglichkeit
auf die Würflichkeit fchlieffen Fonnen. S. 854. Bey der
beften Welt Fan man einen aͤhnlichen Schluß machen, aber
auf eine fehr verfchiedene Art. Es iſt wahr, in der beften
Welt ift alles Reelle und Vollkommene würklih, was nur
irgends in einem endlichen Dinge möglich if. Wenn man
alfo erweifen fan, daß in der beften Welt etwas möglic)
ift, fo muß es auch irgends zu einer Zeit in ihr würflich ſeyn
oder werden. Allein daraus folgt nur, daß die befte Welt
nad) und nach werden muß, was fie feyn Fan, Sie ift
alfo, in Eeinem Puncte ihrer Dauer, die ganze befte Welt.
Allein, die Möglichkeit einer Vollkommenheit in Gott, ift
mit ihrer Würflichfeit zugleih da. Er wird alfo nicht nad)
und nad) das allervollfommenfte Ding, fondern er ift bes
ftändig in der That daſſelbe Ding, er ift in einem iedweden
Augenblice, in welchem eine Greatur an ihn denken Fan,
der ganze Gott, das ganze allerwollfommenfte Ding. Bon
_ einem endlichen würflichen Dinge Fan man, in allen Augens
blien feiner Dauer, fagen, daß es in einer Abſicht wuͤrk—
lich, und in einer andern zu qleicher Zeit nicht wuͤrklich fey.
Gott aber ift, im ftrenaften Berftande, beftandig würflich.
Es ift Eeine Abficht möglich, in welcher wir von ihm fagen
koͤnten, daß er nicht wuͤrklich ſey. Und alfo ift feine Würfe
licjkeit eben fo unendlich, als fein Weſen, und als irgends
eine andere feiner innerlichen Bollfommenbeiten feyn Fan,
Die Ewigkeit Gottes,
§. 857.
Bey der Ewigkeit Gottes ift es das ſchwerſte, daß
man fich die unendliche Fortdauer Gottes, nicht als eine
unendlic)e Zeit vorftelle. Zu dem Ende wollen wir erſt
vorläufig unterfuchen: ob man fagen Fünne, daß Sort in
der Zeit würflich fey, und in einer Zeit fortdaure? Um diefe
Frage gründlich zu entſcheiden, muͤſſen wir folgendes bes
merfen: 1) in Gott felbft, in dem ganzen Umfange der
Gott:
uo Die Ewigkeit Gottes.
Gottheit, und in der ganzen Strede, feiner” Fortdauer , ift
gar feine Zeitz und wenn auffer Gott gar Feine zufälligen
"Dinge vorhanden wären, fo würde überall gar eine Zeit
feyn und angetroffen werden. Denn die Zeit befteht in
der Ordnung Der Dinge, die nad) einander würflich find,
und auf einander folgen $. 183... Wo alfa Feine Reihe
folcher Dinge wuͤrklich iſt, Die auf einander folgen, da iſt
aud) feine Zeit möglic) und wuͤrklich. Mun ift Gott, ver
möge feiner Unendlichkeit, alles auf einmal und zugleich
wuͤrklich, was er innerlich ſeyn fan S. 856. Folglich iſt
in Gott nichts ſpaͤter oder eher wuͤrklich als das andere,
nichts folgt auf etwas anders, oder gebt vor ihm ber, ſon⸗
dern alles if auf einmal 0% Cs iſt demnach ſchlechter⸗
dings unmoͤglich, daß in Gott ſelbſt eine Zeit ſolte koͤnnen
angetroffen werden. Kein Gedanke in dem goͤttlichen Ver—
ſtande folgt auf den andern, keine Begierde und Neigung |
auf. die andere; fonbern er if alles, was er ift, geſtern und
heute, und derfeibe auch in Ewigkeit. Uns Menſchen if
es freylich unmöglich, eine Fortdauer ohne Zeit zu gedens
fen; weil alle unfere Exrfabrungsbegriffe, die wir von Der
Fortdauer der Dinge haben, den Begrif von einer Zeitfolge
in ſich ſchlleſſen. Man Fan daher auch nicht anders als
von Gott dergeſtalt reden, daß Die Redensarten ſich auf
die Zeit beziehen. Man Ean nicht anders als fagen : mas
Gott von Ewigfeit her geweſen, das ift er noch jeßt, und,
wird es Morgen und in alle Ewigkeit bleiben. Allein aus
unferer Art zu denken folgt nicht, daß in Gore felbft eine
Zeit ſeyn muͤſſe. Es folgt nur daraus fo viel, daß wir
nicht vermögend find, uns, von der Fortdauer Gottes, in
fo ferne fie Feine Zeitfolge in fich enthalt, einen bejahenden
und reellen Begrif zu machen. 2) Da auffer Gott, in
der Welt, eine Zeit würftich iſt; ſo Fan er aud) nicht dere
geftalt in der auffer ihm befindlichen Zeit wuͤrklich ſeyn, daß
er in Die Reihe ver auf einander folgenden Dinge, in deren
Ordnung die. Zeit befteht, als ein Theil gehörte... Denn
widrigenfals müfte er entweder auf andere Dinge folgen,
und
Die Ewigkeit Gottes. ııE
und fo hätte er einen Anfang gehabt; ober. es müften andere
Dinge auf ihn folgen, und alsdenn müfte er ein Ende neds
mens beydes aber iſt finlechterding® unmoͤglich . 848:
Wenn man alfo fagt: Gott ift geſtern, oder in der vorigen
Zeit, geweſen; fo muß man c8 nicht fo verſtehen, als wenn
die Dinge, die heute würflich find, auf ibn folgten. Und
wenn man fagt: Gott wird Fünftig feynz fo muß man es
nicht fo. verfiehen, als wenn Die vergangenen und gegen—
wärtigen Dinge vor ihm wuͤrklich gewefen wären. 3) Gott
ift ein immerwährendes Ding $. 231. Weil er nicht enf«
ftanden ift, fo ift er zugleich mit allen vergangenen Dingen,
und. alfo mit der ganzen vergangenen Zeit, da gewelen«
Und da er nicht vergehen Fan, fo ift er nicht nur mit ber
gegenwärtigen Zeit, und allen gegenwärtigen Dingen, zus
gleich würflichz -fondern er wird auch in allen zukünftigen
Zeiten, und mit allen zufünftigen Dingen, zugleich wuͤrk—
lich ſeyn. Und in dieſem Verftande fan man fagen, Gore
ift in allen Zeiten wuͤrklich. Neben ihm und auſſer ihm
flieſt, der ganze Strom der Zeit, ſamt allen Diagen, die
auf-einander foigen, dergeſtalt vorbey, daß er felbft mit
diefem Strome nicht fortgeriffen wird. Er ſelbſt bleibe
immer einerley und eben daſſelbe unveränderliche Ding, in
welchen nichts auf das andere folgt,
G. 858,
Gore ift, auf eine nothwendige und unendliche Krk,
würflicd) und immerwaͤhrend $. 857. Folglich Fan feine
Würklichkeit weder einen Anfang noch ein Ende haben,
Durch den Anfang befomt, die Wuͤrklichkeit eines Dinges,
eine Einfchrenfung und Grenze von vorne ber, und Durd)
das Ende befomt fie, eine Grenze von hinten her. Wenn
alſo, die Würftichkeit und Fortvauer Gottes, einen Anfang
und. ein Ende hatte; fo wäre fie eingefchrenft, und alfo
wäre die Wuͤrklichkeit Gottes nicht in der That und auf eine
reelle Art unendlich, und das ift ungereimt. Sa, wenn
ein Ding einen Anfang nimt, fo entfteht es; und wenn es
ein Ende nimt, fo vergeht es $. 228, 175. Nun ift es
ſchlech⸗
112 Die Ewigkeit Gottes.
fchlechterdings unmoͤglich, daß Gott entftehe oder vergehe
§. 848. Folglich ift Gott nicht nur, ohne Anfang und
Ende, wuͤrklich; fondern es ift aud) ſchlechterdings unmög-
lich, daß feine Fortdauer folte fönnen einen Anfang genom«
men haben, oder daß fie ein Ende folte nehmen koͤnnen.
Die Fortdauer ohne Anfang und Ende heift die Emigfeit
$. 231. folglich ift Gott ewig, und die Emigfeit ift eine
Bollfommenbeit, welche ihm in Abficht feiner Würflichfeit
zufomt, und zu der Unendlidjfeit derfelben gerechnet wer—
den muß, Denn da, alle feine innerlihen Bollfommens _
beiten, unendlic) find $. 854. fo muß auch feine Würflich»
feit und Fortdauer, weil fie eine innerliche Beftimmung
Gottes ift, die allergröfte unumfchrenfte und auf eine reelle
Art unendliche Würflichfeit feyn, und das Fünte fie ſchlech—
rerdings nicht feyn, wenn fie nicht ewig wäre.
809⸗
Wenn man ſich, einen Gott anſtaͤndigen Begrif, von
ſeiner Ewigkeit machen will; ſo iſt es noch nicht genung,
wenn man ſich dieſelbe blos als eine Fortdauer ohne Anfang
und Ende vorſtelt: denn es kan die Frage aufgeworfen
werden, ob nicht auch ein endliches Ding eine ſolche Ewig—
keit haben koͤnne? Und wenn man diefe Frage bejaher, fo
Fan diefe Ewigfeit Feine göttliche Bollfommenheit ſeyn, fon«
dern es muß noch mehr dazu kommen, wenn fie eine güffe
liche Vollkommenheit werden fol. Nemlich, wenn man
annehmen wolte, welches aber hier nicht entfchieden werden
Fan, daß ein endlihes Ding, z. E. die Welt, feinen Anfang
und fein Ende ihrer Wuͤrklichkeit habe, und alfo ewig fey:
fo würde doch eine folche Emigfeit, von der Emigfeit Got—
tes, oder von einer Ewigkeit, die eine göttliche Vollkom—
menheit ift, fehr unterfchieden feyn, nemlich auf eine vier«
face Weife. 1) Die ewige Dauer eines endlichen Dinges
würde beftändigen Abaͤnderungen, die auf einander in einer
ununterbrodjenen Reihe folgen, unterworfen fern, Kein
endliches Ding, wenn es wuͤrklich iſt, Fan auch nur zwey
Augenblicke Hinter einander eben daſſelbe Ding feyn, fon«
/ dern
Die Ewigkeit Gottes, 115
dern es wird immer efmas anderes und anderes, Die
Ewigkeit eines endlichen Dinges würde alfo, eine ununs
terbrochene Reihe auf einander folgender Abänderungen, in
fi) begreifen, die aber feinen Anfang genommen, und
welche auch fein Ende nehmen würde. Allein die Ewig—
Feit Gottes fehlieft, Feine Reihe auf einander folgender Bes
ſtimmungen, in fih $. 857. 23. Gott bleibt, in Ab«
fit feiner innerlichen Beftimmungen, beftändig eineriey
und eben derfelbe, durch die ganze unermeßliche Strecke
der Ewigkeit, 2) Die Emigfeit eines endlichen Dinges
fagt allerdings, daß es Eeinen Anfang und fein Ende habe.
Aber demohnerachtet Fönte, ein ewiges endliches Ding,
nicht ewig feyn, und alfo fo wol einen Anfang haben, als
auch ein Ende: denn weil das endliche Ding auch zufällig
iſt, fo ift das Gegentheil feiner Würflichfeit aud) an und
vor ſich betrachtet möglich, Die Emwigfeit Gottes aber
bejteht nicht nur darin, daß er wuͤrklich feinen Anfang
und fein Ende hat; fondern daß es aud) ſchlechterdings une
möglich ift, daß er einen Anfang und ein Ende folte haben
fönnen. 3) Die Ewigkeit eines endlichen Dinges ift eine
ſolche Fortdauer deffelben, welche zwar von vorne und von
hinten Feine Einfchrenfung hat, die aber in allen ihren übris
gen Theilen endlicy und eingeſchrenkt if. Man ftelle fich
die Fortdauer eines endlichen Dinges als eine Linie vor,
welche daffelbe Ding während feiner Fortdauer durchläuft:
iſt diefes Ding ewig, fo hat dieſe Linie weder einen Anfangs:
punct noch einen Endpunet, und ift alfo in diefer Abjiche
unendlich. Allein in allen übrigen Puncten diefer Linie ift
dieſes Ding nur eines Theils wuͤrklich, und hat in feinem
dieſer Puncte eine wahrhaftig unendliche Wuͤrklichkeit.
Allein, bey der Ewigkeit Gottes, verhält es fid) ganz ana
ders, In einem iedweden Puncte diefer Linie ift, der ganz
ze unendliche Gott, auf einmal würflih. Die ewige Dans
„er eines endlichen Dinges iſt alſo niemals eine unendliche
Wuͤrklichkeit deſſelben, allein die Ewigkeit Gottes iſt beſtaͤn⸗
dig eine wahrhaftig unendliche Wuͤrklichkeit deſſelben. *
H lich
4. Tbeil.
u14 Die Allmacht Gottes:
lich ift 4) die Ewigkeit eines endlichen Dinges nichts an—
ders, als eine mathematifh unendliche Zeit, welche in
alten ihren Augenblicken eingefchrenft ift, indem das ewige
endliche Ding in feinem derfelben alles auf einmal ift, was
es feyn Fan. Gottes Ewigkeit aber ift gar Feine Zeit, und
fan nicht einmal eine unendliche Zeit genent werden $. 857.
Hierans iſt offenbar, daß, wenn ein Weltweifer, der Welt
oder einem andern endlichen Dinge, die Ewigkeit zufchreibt,
er zwar vielleicht irren koͤnne; allein es würde einen groſſen
Mangel der Scharffinnigfeit verrathen, wenn man ihm
ſchuld geden wolte, als lege er demſelben eine göttliche Boll«
kommenheit bey.
Die Almacht Gottes.
S. 860,
Gott ifE ein vor fich beftehendes Ding, oder eine Sub⸗
ſtanz. Man koͤnte diefes zwar ohne Beweis annehmen,
vermöge des erften Begrifs, dem fich ein iediweder von Gott
machen muß, wenn er nicht in der That ein Arheift ſeyn will
S. 814. allein es iff gut, wenn wir uns davon durch einen
ordentlichen Beweis überzeugen, Und der fan, auf eine
doppelte Are, geführt werden, Einmal, aus vem Beweis
fe der Würflichfeie Gottes aus der Erfahrung. Vermoͤge
dieſes Beweifes ift die Welt, als eine Würfung einer wür« |
enden Urſach aufler ſich, wuͤrklich. Gott ift alfo die wuͤr⸗
kende Urſach der Welt. Alte würfende Urfachen find Sub:
Tanzen $ 244. Folglich ift Gore eine Subſtanz. Zum
andern erhellet eben diefes, aus dem Begrif des allervolls
kommenſten Dinges. Kein Accidenz, und wenn es auch
das allervollfommenfte in feiner Arc ſeyn folte, Fan das als
lervollfommenfte Ding feyn. Die thätige, gefchäftige und
würffame Kraft ift unleugbar eine Realität, und fein Accis
denz hat diefe Realität. Wenn alfo Gott ein Accidenz waͤ⸗
ve, fo fönte er unmöglich das allervollfommenfte Ding
feyn. Folglich erfodert es die allerhöchfte Vollkommenheit
Gottes, daß er vor fich beſtehe, und eine Subſtanz fey.
un
— —— — — —
Die Allmacht Gottes, 115
Nun haben alle Subftanzen eine thätige Kraft, oder fie be—
ſtehen vielmehr in einer ſolchen regen und gefchäftigen Kraft
$. 159. Folglich ift Gott ein thätiges, nefchäftiges und
würffames Ding, oder eine Kraft im ftrengften Verſtande.
Diefe Kraft ift das Subieet, in weichem alle übrige goͤttliche
Vollkommenheiten wuͤrklich find, und das find die Accidenzien
diefer unendlichen Subſtanz und Kraft, welche der wahre
Sort iſt. Es tragen zwar einige Bedenken zu fagen, daß
Gort Accidenzien habe, weil fie die Accidenzien mit den zUs
fälligen Beſchaffenheiten verwechfeln, dergleichen Gott un«
möglich) haben fan. Allein wir wollen uns mit niemanden,
über das Wort, flreiten. Wir haben die Accidenzien in
der Dntologie dergeſtalt erklärt, daß das Weſen, die we—
fentlichen Stüde, die Eigenfihaften, und alle Xealitäten,
ja alles was feine Subſtanz ift, Accidenzien genent werden
koͤnnen. Und nad) diefer Erklärung verurfadht das Wort
Hceidenz, wenn man es von Gore braucht, gar Feine Schwies
rigkeit. Mur muß man fid) hüten, daß man nicht denke,
ein Accidenz einer Sache fey allemal veraͤnderlich, und Füs
me derfelben nicht nothwendig zu.
9. 861.
Da das Vermögen zu bandeln das Werfen einer
Subſtanz ift, oder die Subftanz, in fo ferne fie als mög-
lid) betrachtet wird, und die Kraft im engern Verſtande vie
wuͤrkliche Subſtanz ift $.173. fo muß man fich, wenn man
ſich von der göttlichen Subftanz, oder von Öott, in fo ferne er
eine Subftanz ift, einen richtigen Begrif machen will, die
Gottheit folgendergeftalt vorſtellen. Das Welen Gottes
ift das unendliche Vermoͤgen, oder die allervollfommenfte,
gröfte und uneingefchrenfte MoüglichFeit zu handeln; und
der würfliche Gott, oder Gott feiner Würklichfeit nach be
trachtet, ift diejenige Kraft, diejenige wuͤrkſame, thätige und
geſchaͤftige Kraft, weiche die aliergröfte, allervollfommenfte
und unendliche Kraft it, Die Kraft Gottes hat alfo, eine
dreyfache Eigenſchaft. 1) Weil fie unendlich ift, fo ift fie
alles würflid) auf einmal, ihren innerlichen Beſtimmungen
9.2 nach,
116 Die Allmacht Gottes.
nad), was fie feyn fan $. 856. Folglich beſteht fie, in
einer beftändigen unendlichen Gefchäftigfeit und Thaͤtigkeit.
Gott Hat fein bloffes Vermögen, welches nicht zugleid)
eine eigentlich fo genante Kraft wäre. Die endlichen Sub«
ftanzen, 3. E. wirMenfchen, haben viele Vermögen, wel—
che feine thätigen Kräfte find. Unſer Berftand ift in der
Kindheit ein bloffes Vermögen, welches mit der Zeit erft
eine Kraft roird, und fo ofte wir nicht wuͤrklich deutlich den—
fen, fo ofte ift unfer Verſtand nichts weiter, als eine Mög:
lichfeit deutlich zu denfen. Bey Gott verhält es fi) ganz
anders. Er bat fein bloffes Bermöaen. Alle feine Ver«
mögen find zugleich Kräfte, und fein ganzes unendliches
Vermoͤgen ift, durch feine unendliche Kraft, von Emwig-
Feit zu Ewigkeit ohne Zeitfolge und Abänderung erfüllt, was
Die innerlichen Beſtimmungen deffelben betrift. 2) Die
Kraft Gottes ift die allerreellefte und vollfommenfte Kraft,
weil fie unendlich iſt. Mum ift eine Kraft der hinreichende
Grund der Würflichkeie der Accidenzien, welche insgefamt
entweder Realitäten oder Verneinungen find. $. 48. 158.
Folglich wuͤrkt eine Kraft entweder Realitäten, oder Vernei—
nungen. In ſo ferne eine Kraft Berneinungen würft, in
fo ferne ift fie der Grund derfelben, und fie ift alfo in fo fer-
ne eine DVerneinung $. 134. und unvollfommen. Da
nun die allerreellefte und vollfommenfte Kraft, gar Feine
Verneinungen und Unvollfommenheiten, haben Fan $. 8185
fo fan fie auch, Feine Berneinungen und Unvollkommenhei—
ten, würfen. Folglich ift es, um der allerhöchften Boll:
fommenheit der Kraft Gottes willen, unmoͤglich, daf fie
Unvollfommenbeiten würfen folte. In ſo ferne eine Kraft
Verneinungen wuͤrkt, in fo ferne ift in ihr allemal ein
Mangel einer gröffern Realität, wodurch fie vermögend ges
wefen wäre, die entgegenfegte Realität derfelben zu wuͤrken.
3) Weil die Kraft Gottes unendlich) ift, fo ift fie auch ſchlech—
terdings die gröfte Kraft, die möglich if. Da nun eine
Kraft um fo viel gröffer ift, je mehrere und gröffere reelle
Heeidenzien fie wirkt 9. 160, fo muß die allergröfte Kraft
ver⸗
Die Almacht Gottes; u?
vermoͤgend feyn, alle möglichen reellen Accidenzien zu wuͤr⸗
Een, auch. die allergröften. Folglich ift die göttliche Kraft
diejenige: Kraft, welche zureicht,, alle mögliche reelle Acci—
denzien zur, Würflichfeie zu bringen, In ſo ferne eine
Kraft Verneinungen würft, in fo ferne mangelt ihr eine
Realität, und fie ift alfo kleiner, als wenn fie feine Ver—
neinungen würfte, Wenn man alfo fagt: Gott fönne kei—
ne Verneinung, feine Unvollfommenheit, feine Sünde,
feine böfe Handlung thun; fo feheint es den Worten nad),
als fhreibe man ihm ein Unvermögen und eine Kraft zu,
die noch geöffer feyn koͤnte. Allein man thut gerade das
Gegentheil. Subftanzen, welche nicht die geöfte Kraft
haben, Fönnen eben, ihres Unvermoͤgens wegen, böfes
thun. Folglich hat eine Subftanz eben deswegen die aller
gröfte Kraft, weil fie nichts böfes thun fan, Dieſes
Scheinunvermögen ift ein wahres und reelles Bermögen,
S, 562,
Die allergröfte, unendliche und allervollfommenfte
Kraft Gottes ift dasjenige, was man die Allmacht nent
Es wird nemlid) eine iedwede Kraft eine Macht genant,
in fo ferne fie zureichend ift, etwas reelles zu wuͤrken;
und in fo ferne eine Kraft nicht zureichend ift,, eine Reali—
tät zu würfen, in fo ferne ift fie ohmmächtig. In fo ferne
alfo eine Kraft Berneinungen und UnvollEommenheiten
würft, in fo ferne ift fie eine wahre Ohnmacht. Die Alls
macht ift die Kraft, welche zureihend ift, alle möglidze
reelle Accidenzien zur Würflichfeit zu bringen. Da nun,
die allerhoͤchſte Kraft Gottes, eine ſolche Kraft iſt $. 861.
fo ift feine Kraft eine allmachtige Kraft, und Gore felbft ift
ein allmaͤchtiger Gott. Die Allmacht ift nicht etwa ein
bloffes Vermögen in Gott, fondern fie befteht in einer thaͤ—
tigen und würffamen Kraft, welche beftändig ohne Abäns
derung, von Emwigfeit zu Ewigkeit, in der allergröften und
unendlichen Anftrengung befteht, und alſo beftändig alle
möglichen reellen Accidenzien im höchflen Grade wuͤrkt.
Bermöge des Vorhergehenden ift es, ein nichtswürdiger
23 Eine
18 Die Allmacht Gottes.
Einwurf, wider die Allmacht Gottes, wenn man ſagt:
weil Gott nicht ſuͤndigen koͤnne, ſo koͤnne er nicht alles, und
er ſey alſo nicht allmaͤchtig. Denn in ſo ferne die Suͤnde
eine Suͤnde iſt, in ſo ferne iſt ſie was verneinendes und
unvollkommenes, und es rührt alſo von der Ohnmacht vers
nünftig freyer Gefchöpfe her, daß fie fündigen koͤnnen. Gott
fan alfo nicht nur nicht fündioen, weil fein Wille vollfommen
heilig ift, wie unten erwiefen werden wird; fondern er Fan
auch deswegen nicht fündigen, weil er allmächtig it. Wenn
man bie Allmacht durch eine Kraft erklärt, welche alles
Mögliche wuͤrklich machen fan; fo Fan man freylich, in eine
groffe Schwierigkeit, gerathen. Denn da die Sünde et—
was Mögliches ift, fo muß man entweder fagen, Gott, fan
fündigen, oder er Fan nicht allmächtig feyn. Allein‘ ic)
babe gezeigt, daß die Allmacht in der Kraft beftehe, welche
alfe mögliche reelle Accidenzien würken fan, Da nun die
Sünde, in fo ferne fie Sünde ift, Eein reelles Accidenz ift;
fo wird die Allmacht Gottes dadurch gar nicht eingeſchrenkt,
daß Gott nicht fündigen Fan.
$. 863.
Wenn man fich einen rechten Begrif von der Allmacht
Gottes machen will, fo ift es nöthig, das Verzeichniß ale
ler möglihen Dinge durchzulaufen, über welche fich die
Allmacht erftreft. Und da Fan man fo fehlieffen: eine
Subftanz würft, durch ihre Kraft, entweder in fic) felbft
Aeeidenzien, oder auffer fi), in andern Subſtanzen. Folge
lich wuͤrkt Gott, vermöge feiner Allmacht, erftlich in ſich
ſelbſt, alle feine göttlichen Vollkommenheiten, welche als
Accidenzien in ihm würflich find, Denn da fein Accidenz
wirklich feyn Fan, als durch eine Kraft $. 158, fo müffen |
auch die goͤttlichen Aceidenzien, feine gefamte unendliche
und allervollfommenfte Würflichfeit, durch eine Kraft ges
wuͤrkt werden. Und das ift die göftliche Kraft oder Alle
mache ſelbſt; teil widrigenfals, der hinreichende Grund
feiner Wuͤrklichkeit, nicht in ihm felbft angetroffen würde,
Nun find in Gore alle möglichen veellen Accidenzien, *
ie
|
|
Die Allmacht Gottes. 11g
die allergröften, beftändig von Emigfeit zu Ewigkeit würfs
lich. Folglich ift in Gott von Ewigkeit zu Emwigfeit, ohne
alle Abwechſelung und Abanderung, eine ſolche Anftrens
gung feiner göttlichen Kraft vorhanden, wodurd) alle moͤg⸗
lichen reellen Accidenzien im höchjten Örade in ihm gemürfe,
und bey ihrer Wuͤrklichkeit ununterbrochen erhalten werden,
Nenn demnach) Gott auch) auffer fich gar nichts wuͤrkte, fo
würde er Demohnerachtet wuͤrklich allmaͤchtig ſeyn. Die
meiſten machen ſich, von der Allmacht Gottes, einen dop⸗
peiten falfchen Begrif. Einmal ftellen fie ſich dieſelbe als
ein Bermögen vor, alles Mögliche aufler Gott zur Würfe
lichfeit zu bringen. Und durd) diefen falfhen Begrif wird,
die Würfung der Accidenzien in Gott felbit, von den es
genftänden feiner Allmacht mit Unrecht ausgefchloffen. Zum
andern ſtelt man fi), die Allmacht Gottes, als.ein Vers
mögen vor, durch welches Gott zwar alles Mögliche thun
fönne, allein er brauche niemals die ganze Stärfe feiner
allmaͤchtigen Kraft. Aber alsdenn ware in Bott eine bloffe
Mögliczkeie, die niemals zur Würklichkeit gebracht würde,
und das ift ungereimt. Nach meinem Begriffe im Ges
gentheil muß man zwar einraͤumen, daß Gott auffer fich
nicht alles Mögliche wuͤrklich mache; allein demohnerachtet
befteht, feine Allmacht, in einer würklichen unendlichen
Thärigkeit, indem er feine unendliche Würflichkeit in ſich
ſelbſt wuͤrkt, feine unendliche Allwiffenheit, feine Rath—
ſchluͤſſe, und: was man alles zu feinen eigenen würflichen
Accidenzien vechnen Fan.
$. 864.
Zum andern ift Gott, vermöge feiner Allmacht, auch)
im Stande, aufler ſich Realitäten zu würfen, welche in
ihm nicht wuͤrklich find, fondern in endlichen Subftanzen
auffer ihm. Denn da er, vermöge des Beweiſes feiner
Wuͤrklichkeit aus der Erfahrung, die mürfende Urfach die—
fer Welt ist, die würfende Urſach aber ihre Würfung durch
ihre Kraft würft $. 244. fo hat Gott, durch feine allmädı«
tige Kraft, auffer ſich etwas gewürft; und folglid) befigt er
4 fo
129 Die Allmacht Gottes.
ſo viel Staͤrke und Macht, als noͤthig iſt, um auſſer ſich
Dinge zur Wuͤrklichkeit zu bringen, und zwar beſitzt er
dieſe Macht im allerhoͤchſten Grade. Folglich kan Gott,
durch feine Allmacht, 1) alle endliche Subſtanzen auſſer
ſich zur Wuͤrklichkeit bringen. Eine endliche und zufaͤllige
Subſtanz kan, wie ein zufaͤlliges Ding uͤberhaupt, nicht
anders wuͤrklich ſeyn, als eine Wuͤrkung einer wuͤrkenden
Urſach, die auſſer ihr befindlich iſt F. 253. Welche wuͤr—
kende Urſach endlich Gott iſt F. 315. Folglich Fan eine zu—
faͤllige Subſtanz entweder gar nicht wuͤrklich ſeyn, und iſt
alſo ein Unding, oder Gott muß ſie durch ſeine Allmacht
wuͤrklich machen koͤnnen. Folglich kan Gott, durch ſeine
Allmacht, alle moͤgliche endliche Subſtanzen, alle endliche
Geiſter, und wie fie Namen haben mögen, wuͤrklich mas
hen. Ja da, die Würflichkeit einer endlichen Subſtanz,
ein reelles Accidenz ift, Gott aber durch feine Allmacht alle
reellen Accidenzien würfen fan $. 862. fo Fan er auch, alle
endliche Subftanzen, woürftih machen. Das will nicht
fo viel fagen, als wenn er alle möglichen endlichen Sub—
ftanzen zufammengenommen würflich machen Fönte: denn
das ift unmöglich, weil fonft alle mögliche Welten zufams
men auf einmal, oder nad) und nad), würflich werden
müften. Sondern es heift nur fo viel: wenn man eine
iediwede mögliche endliche Subftanz mit der Macht Gottes
vergieicht, fo ift Feine Darunter ein Werk, welches die Allı
macht überftiege, und für Gott zu fehwer feyn ſolte. In
diefem Stücke ift die Macht Gottes unendlid) weit, über
die Machr aller Creaturen, erhoben. Keine endliche Sub»
ffanz, und wenn fie auch noch fo viel Stärke haben folte,
Fan auffer ſich Subftanzen würfen, fondern nur Accidenzien
in Subftanzen, die ſchon mwinflich find. 2) Gott Fan
durch feine Allmacht, alle reelle Accidenzien auffer fich,
würflich machen, aud) die gröften und fehwerften: weil er,
durch feine Allmacht, alle reelle Accidenzien ohne Ausnah—
me wirfen Fan 6. 862. ya wer das fihwerere Fan, der
Tan auch ohnfehlbar das leichtere, Nun ift es Br ya
mes
|
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|
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Die Almscht Göttes. 128
fehmerer, eine Subftanz zu würfen, als ein reelles Accis
den; in einer fehon würflichen Subftanz. Folglich muß
auch Gott, durch feine Allmacht, alle reelle Accidenzien
auffer fich würfen fönnen. 3) Gott kan, durch feine Alle
macht, alle mögliche Welten wirflid) machen: Alle mög«
liche endliche Subftanzen machen, alle mögliche Welten,
aus. Da nun die Allmacht Öottes, alle mögliche endliche
Subſtanzen, wuͤrklich machen fan; fo erſtreckt ſich, feine
Allmacht, auch über alle mögliche Welten. Folglich Fan
er eben fo wol die befte unter allen möglichen Welten, als
auch die unvollfommenfte, und eine iediwede andere Welt
würflich machen $. 426. Da es aber unmöglich ift, daß
mehrere Welten zugleich, oder nad) und nad), folten würf«
li) werden Fünnen $. 334. fo ift es auch unmöglich, daß
Gott, durd) feine Allmacht, mehrere oder alle Welten zu—
fammen folte würflidd machen fünnen. Es heift nur fo
viels wenn man eine iedwede mögliche Welt, mit der All⸗
macht Gottes, vergleicht, fo überfteigt Feine derfelben die
Mache Gottes. 4) Die Wunderwerfe und übernatürlis
chen Begebenheiten, find möglid) und etwas reelles $. 415.
Folglich fan Gott, Durch feine Allmacht, übernatürlic)e
Dinge und Wunderwerfe verrichten $. 862. Und da feie
ne endliche Subftanz, übernatürlihe Begebenheiten und
Wunderwerke, thun fan $. 413. 414. fo iſt Gott, nad)
dem Ausfpruche der heiligen Schrift, derjenige, der allein
Wunder hut, So weit erſtreckt fi), der Würfungsfreis
der göftlihen Allmacht! Wer Fan, der Anzahl der mögli«
chen Dinge in und: auffer Gott, Schranfen fegen ?. oder
diefe Schranfen ſich nur als möglich vorftellen? Die Mache
Gottes ift alfo wahrhaftig unendlich und unumſchrenkt.
. 865.
Man weiß felbftnicht, was man dazu fagen foll, daß
manche Leute ſich von der Allmacht Gottes einen folchen Be-
geif machen, als koͤnne er, vermöge derfeiben, unmöglicye
Dinge möglich und wirklich machen, — Wenn man diefen
verworrenen Gedanken recht beurtbeilen will, fo muß man.
95 das
122 Die Allmacht Gottes.
das fehlechkerdings unmögliche von demjenigen unterfchei«
den, was zwar an ſich möglid, aber in gewiſſer Abſicht
unmöglich iſt. Erſtlich ift es hoͤchſt ungereimt zu fagen,
daß, dur die Allmacht Gottes, ſchlechterdings unmögs
liche Dinge folten fonnen möglidy und wuͤrklich gemacht
werden, Was fhlechterdings unmöglich ift, das iſt Nichts,
und mer alfo fihlechterdings unmögliche Dinge jwürflich
machen koͤnte, der Fönte in der That nichts. Dasjenige iſt
eben innerlich unmöglich, was gar nicht, und alfo aud)
nicht durch die göttliche Allmacht feyn fan. Diejenigen,
welche glauben, daß dadurd) die göttliche Allmacht Schrane
fen befomme, wenn man annimf, daß er nichts ſchlechter—
dings Unmögliches koͤnne; die müjlen ſich nothwendig, auf
eine lächerliche Ürt, das Nichts, das fchlechterdings Lina
mögliche, als Etwas oder als etwas Neelles vorftellen: ſonſt
koͤnten fie unmöglid) auf den albern Einfall geratben, als
wenn die Allmadıt Feine Allmacht ſeyn Eönte, wenn fie nicht
fehlechterdings unmögliche Dinge würflich machen Fönte,
Es ift demnach ungereimt, wenn man, ehe man die inners
liche Moͤglichkeit einer Sache aus andern Gründen erfant
bat, an die Allmacht Gottes appellirt, und deswegen, weil
Gott allmaͤchtig iſt, ſchlieſt, daß eine ſolche Sache moͤglich
ſey, und wuͤrklich werben köͤnne. Z. E. einige haben des—
wegen, weil Gott allmaͤchtig iſt, angenommen, daß die
Materie denken koͤnne, weil Gott durch ſeine Allmacht der
Materie das Vermoͤgen zu denken geben koͤnne, es moͤge
nun moͤglich oder unmoͤglich ſeyn, daß eine Materie denken
koͤnne. Allein, wenn das Denken dem Weſen der Mate—
rie widerſpricht, ſo kan auch Gott durch ſeine Allmacht der
Materie, das Vermoͤgen zu denken, nicht geben. Aber mit
denen Dingen verhaͤlt es ſich, zum andern, ganz anders, die
uns Menſchen nur unmoͤglich zu ſeyn ſcheinen, deren Moͤg—
lichkeit wir nicht begreifen koͤnnen, und die uns und allen
endlichen Dingen unmoͤglich ſind, oder welche weder durch
unſere, noch anderer endlichen Dinge Kräfte, wuͤrklich ges
macht werden koͤnnen. Denn alle dergleichen Dinge find
an
Die Allmacht Gottes. 123
| an fih möglich. Folglich Fan Gott, durch feine Allmacht,
alles hun, was nur dem Scheine nad) unmöglich ift, und
was die Kräfte aller endlichen Dinge überfteige. Und in
diefem Verſtande ift es wahr, daß bey Gore Fein. Ding
unmöglic) fen; das heift, Gott Fan durch feine Kraft alle
Dinge wirklich) machen, welche in der That Dinge oder an
fich möglich) find.
9. 866.
Wir haben erwiefen, daß die Allmacht Gottes Fein
bloffes Vermögen fen, fondern allemal im höchften Grade
thaͤtig fen $. 362. Es iſt fchon gezeigt worden, daß Dies
fes fic) in der That fo verhalte, in Abficht auf die Acciden—
zien, die Gott durch feine Allmache in fich felbft würfe S. 863.
Es frage fich nun, ob Gott auch in Abfiche auf dasjenige,
wes er auffer fih wuͤrkt, feine Allmacht in der That bes
weife, oder jederzeit im allechöchften und unendlichen Grade
wuͤrke? Wir wollen hier vorausfeßen, daß dieſe Welt vie
beite fey. Nun Fan unmöglich mehr, als eine Welt, wuͤrk⸗
lich feyn. Folglich Fan auch nicht mehr als eine Welt,
durch die Allmacht, auffer Gott gewürft werden $. 865.
Indem alfo Gore diefe einzige Welt wuͤrkt, braud)t er feine
Kraft in ver That in dem allerhöchften Grade, in welchen
die Kraft einer Subftanz gebraucht werden Fan, in fo fer
ne fie etwas auffer fid) würft, das ift auf eine allmächtige
Art, Ferner, da es unmöglid) ift, daß die befte Welt
auf einmal wuͤrklich fey, weil fie ein endliches Ding ift; fo
find} in derfelben, in einem iedweden Augenblice ihrer
Dauer, fo viele und groffe Realitäten auf einmal würflich,
als’ aufler Gott in demfelben Augenblick wuͤrklich fern Für
nen. Folglich fan, Durch) die Allmacht Gottes, unmöglich
mehr Realitaͤt auflee Gott gewuͤrkt werden, als wuͤrklich
gewuͤrkt wird. Es ift demnach offenbar, daß die Kraft
Gottes allemal, in Abficht auf die Dinge auffer Gott, im
allerhöchften Grade angeſtrengt, und mithin allmächtig fey.
Es iftdem zu Folge ebenfals ein Irrthum, wenn man die
Kraft Gottes in Abſicht auf die Dinge, die auſſer ihm find,
als
124 Die einfsche Befchaffenbeit Gottes.
als ein bloffes Vermögen betrachten wolte, als wenn Gott,
mehr thun Fonte, als ex wuͤrklich thut. Er bringe durch
feine Kraft beftändig, in und auffer fich, fo viel zur Würfs
lichkeit, als auf einmal und zugleich würflich feyn Fan.
Die einfache Befchaffenheit Gottes.
$. 867.
Ob ich mich gleich, in den vorhergehenden Theilen
meiner Metaphyſik, um der hin und wieder angeführten
Urfachen willen, beynahe in gar Feine Unterſuchung der
einfahen Dinge und Monaden eingelaflen babe: fo ift es
demohnerachtet möglid) und nöthig, daß ich hier von der
einfachen Befchaffenheit Gottes vornemlich verneinender
Weiſe handele, und zeige, daß er fein förperliches, und
fein im engern Verſtande zufammengefegtes Ding ſey. Es
fan diefes von Gott, aus feiner höchften Vollkommenheit,
fo deuelich ermwiefen werden, daß es gar nicht nöthig iſt,
bier die ſchweren und tieffinnigen Wahrheiten vorauszus
ſetzen: daß alle Subftanzen einfad) find, und das Feine
Materie denken koͤnne. Es läßt fich nemlich, die einfache
Befchaffenheit Gottes, auf eine doppelte Art ermweifen.
Erſtlich, wenn Gott ein im engern Berftande zufammens
gefegtes Ding wäre, fo wäre er nicht nur ausgedehnt, ſon⸗
dern er beftande auch aus vielen auffer einander würflichen
Subftanzen $. 181.185. Folglich wäreereine Materie $. 385.
Da nun alle Materie theilbar ift $. 392. fo koͤnte Gott zer⸗
theile werden. Folglic) Fönte feine Gröffe, und alfo eine feiner
innerlichen Beftimmungen $. 69 vermindert $. 187. und alfo
verändert werden $. 152. Es wäre demnach Gott innerlic)
veränderlidy S. 123. Alle, im engern Verſtande zufam«
mengefegten, Dinge find innerlich veränderlich und zufällig,
Gore ift innerlich unveränderlich, und nothwendig $. 847.
Folglich. ift er Fein zufammengefegtes, fondern ein einfaches
Ding, 6.178. Es würde bier einen Findifchen Wortftreit
verurfachen, wenn man das Wort, zufammengefeßtes Ding,
in der weitern Bedeutung nehmen, und ein iedwedes Ding
darun⸗
Die einfache Befhaffenbeit Gottes. 15
darunter verftehen wolte, in welchem viele Theile, ober von
) ’
' “einander verfchiedene Realitäten und Beftimmungen ange:
troffen werden. Denn in diefem Berftande ift Gott ein
Ganzes, welches aus unendlich vielen Nealitäten zufam:
mengefegt ift. Allein wenn man bier, durd) ein zufams
mengefeßtes Ding, ein folches Ding verfteht, wie man
bier thun muß, welches aus vielen auffer einander wuͤrkli⸗
hen Theilen und Subſtanzen beftehe: fo ift es unmöglich),
daß Gore ein folches zufammengefeßtes Ding folte feyn Fühe
nen. Zum andern Fan man, eben diefe Wahrheit, aus
der Unendlichkeit Gottes erweifen. Kein eigentlich zuſam⸗
mengefegtes Ding fan unendlid) feyn, Denn es beftehe
aus vielen auffer einander wuͤrklichen Theilen, und Sub»
ftanzen $. 179. 180. welche alfo innerlich von einander vers
fehieden find $. 208. 209, 210, 211. Alſo ift in dem eis
nen eine innerlihe Beftimmung, die in dem andern nicht
ift $. 200. Diefes Unterfcheidungsftück ift entweder eine
Realität, oder Verneinung 6. 48. ft das erſte, fo ift
‘derjenige Theil des zufammengefesten Dinges, welcher die—
J d geſetz g
ſelbe nicht hat, eingeſchrenkt, weil alle Verneinungen Ein«
fhrenfungen find. $. 190. Iſt das andere, fo ift derjeni-
ge Theil, welcher diefelbe hat, eingefchrenft. Folglich bat,
ein iedwedes im engern DBerftande zufammengefeßtes Ding,
eingefchrenfte und endliche Theile, folglich Fan daflelbe uns
moͤglich ein unendliches Ding fenn, ob es gleich marhema-
tiſch unendlicy feyn Fan. ort ift ein wahrhaftig unendli—
des Ding. $. 853. Und es ift demnach unmöglich, daß
Gott ein Ding feyn fünte, welches im engern Berftande
zufammengefeßt iſt. Diefer legte Beweis wird in dem Fol«
genden in ein noch gröfferes Licht gefegt werden, wenn ers
wiefen werden wird, daß nur ein einziger Gott würflich ſey:
denn diefe beyden Beweiſe find in der That völlig einerley.
9. 868.
Ein iedwede Materie, und ein iedweder Körper, iſt
ein im engern Berftande zufammengefeßtes Ding. 9. 225.
226. Was alfo in diefem Berftande nicht ua
etzt
126 Die einfuche Befchaffenheit Gottes,
ſetzt ift und fenn Fan, das ift aud) feine Materie und fein
Körper, und Fan auch dergleichen nicht ſeyn. Folglich ift
Gott weder ein materielles, noch ein Förperliches Ding,
oder er ift unkoͤrperlich F. 867. - Allein davon ift die Frage
unterſchieden: ob Gott einen Körper habe? Diejenigen, wel»
che die menfchliche Seele für ein einfaches und unförperliches
Ding balten, nehmen demohnerachtet, ohne ſich felbjt zu wis
derfprechen, an: daß die Seele mit einem Körper in der ge⸗
naueften Bereinigung ſtehe; oder daß die unförperliche
Seele einen Körper habe. Allein auch diefes läßt ſich, von
Gott, nicht fagen. Wenn der unförperliche Gott einen
Körper hätte, in dem Werftande, in welchem die Seele einen
Körper hat: fo wäre Goft ein Ganzes, wie wir Menfchen,
welches aus einer einfachen Subſtanz und aus einem Kor:
per zufammengefegt wäre. Folglich hätte er einen Theil,
welcher ein Körper wäre. Mun find alle Körper, wie
alle im engern Verſtande zufammengefegte Dinge, innerlic)
veränderlich und eingefchrenke $. 867. Folglich hätte Gott
einen veränderlichen und endlichen Theil, und er Fönte alfo
unmöglich das unendliche Ding feyn, als welches innerlid)
gar Feine Schranfen haben, und gar feinen Veränderungen
unterworfen feyn Fan. ya man Ean diefe Sache aud),
noch auf eine andere Art, erweifen. Memlich wir wiffen aus
der Pſychologie, daß der Körper einer denfenden Subſtanz
ihr Geſichtspunct fey, vermittelt deffen, und nad) Maasges
bung defjen, fie fi) die Welt bald dunkel bald Flar, bald mehr
oder weniger Elar vorftelt, und deffen fie fich bedient, fich
nad) und nach, immer mehrere und mehrere klare Vor—
ftellungen von den Dingen in der Welt, zu machen. Folg⸗
Kid) ift der Körper ein Hülfsmittel, deſſen fich eine endliche
denkende Subftanz bedient, wenn fie nicht in ihren Vor—
ftellungen, in eine unüberwindliche Dunkelheit und Verwir—
rung, gerathen will. Nun werden wir balde zeigen, daß
der allmächtige Berftand Gottes uneingefchrenfe ift, und
alfo unmöglich eines folhen Hülfsmittels benörhiger Inn
Fan, Ja wenn eine denkende Subftanz mit einem Körne
vert
Die einfache Befchaffenbeit Gottes. 127
vereiniget ift, fo würfen fie in einander, wir werben aber
bald erweifen, daß nichts auffer Gott in ihn wuͤrken koͤnne.
Folglich iſt es ungereimt zu ſagen, daß Gott einen Koͤrper
habe, ſo wie unſere Seele einen Koͤrper hat. Es iſt alſo ſehr
unbequem, wenn man Gott die Seele der Welt nennen wolte.
Als eine Gleichnißrede koͤnte man dieſe Benennung zur Noth
gelten laſſen, wenn man damit nur ſo viel ſagen wolte: daß
Gott die Welt belebe, beherſche, bewege und regiere, wie die
Seele ihren Koͤrper belebt, beherſcht, bewegt und regiert.
Allein wenn man dieſes Gleichniß zu weit ausdehnen, und
annehmen wolte, daß Gott ſich uͤbrigens gegen die Welt
ſo verhalte, und mit derſelben eben ſo vereiniget ſey, als ſich
die Seele gegen ihren Koͤrper verhaͤlt, und als ſie mit ihm
vereiniget iſt: fo wäre dieſes ein ſehr grober Irrthum. is
ne iedwede Seele wird, durch ihren Körper, auf eine uns
endlich mannigfaltige Art, in ihren Handlungen, und in
dem Gebrauche ihrer Kräfte, eingeſchrenkt, und cs müßte
alfo Gore der beffändigen Einſchrenkung feiner Würflichkeie
von auffen her unterworfen feyn, welches feiner Unendlich
keit und allerhöchften Bolllommenbeit widerſpricht.
S. 869.
Alles was ausgedehnt iſt, das ift auch ein im engern
Berftande zufammengefestes Ding; und was nicht auf dies
fe Art zufammengefeßt iſt, Das hat auch feine Ausdehnung
S. 185. Gott iſt nicht im engern Berftande zufammenges
fegt $. 867. folglid iſt er auch auf keinerley Weile ausge-
dehnt. In dem Umfange der Gottheit findet, gar feine
Ausdehnung, flat. Da nun, die Figur und Geftalt, ein
Grad der Ausdehnung iſt $. 215. und alfo nirgends ange—
troffen werden Fan, wo feine Yusdehnung ift; fo hat Cote
Feine Figur und Geftalt, und alle diejenigen machen fich
einen falfchen Begrif von Gott, welche ihm in ihren Ges
danfen eine Figur oder Geſtalt beylegen. Und hier muß
die Frage entfchieden werden: ob Gott in einem Raume,
und an einem gewiſſen Orte, wuͤrklich ſepy? Und da muß
man
28 .Dieeinfache Befchaffenbeit Gottes.
man folgendes, von einander, unterfcheiden. 1) In Gott
felbft, oder in dem Umfange der Gottheit felbit, ift gar
Fein Raum. Denn wo feine Dinge auffer und neben
einander würflich find, da ift fein Kaum; weil der Kaum,
in der Ordnung der auffer und neben einander ‚befindlicyen
Dinge, befteht $. 184. Da nun Bott ein einfaches Ding
ift S. 867. fo find zwar alle feine Realitäten und innerlichen
Beltimmungen, um feiner Unendlichkeit willen, zugleich
und auf einmal neben einander vorhanden; allein Feine der-
felben ift, auffer der andern, würflich. Folglich ift in
ort felbft fein Raum würflich , oder er felbft hat gar Feine
Ausdehnung, und alfo erfüllt er felbft gar feinen Kaum und
feinen Dre. Und wenn auffer Gott Feine zufammengefegte
Welt würflid) wäre, fo wäre überhaupt gar fein Raum
‚würflich vorhanden. 2) Gott fan feinen, auffer ihm bes
findlichen, Raum und ausgedehnten Dre ausfüllen: widri:
genfals müßte er, durch diefen ganzen Kaum und ausges
dehnten Drt, ausgebehnt feyn, und müßte alfo in der That
eine Ausdehnung haben, und das ift unmöglid. So fe
ben wir aus der Erfahrung, daß ein Gebäude, oder ein
anderer Körper, durch einen gewiſſen Kaum und ausges
dehnten Dre ſich erftrecfe. Und nach diefem Begriffe ift es
unmöglich, daß Gott einen Raum erfüllen, und in dem—
felben würflicy feyn folte. Es heift zwar in der heiligen
Schrift, daß Gott Himmel und Erden erfülle; allein- wir
werden bey der Allgegenwart Gottes ſehen, daß diefes ganz
was anders fagen wolle, nemlid), daß er an allen Drten
der Welt würfe, und daß dazu nicht nöthig fey, daß feine
Subſtanz dur den ganzen Weltraum ausgedehnt fey.
3) Gott ift auch nicht in dem Berftande in dem Weltraus
me mwürflich, als wenn er ein Theil der Reihe derjenigen
Dinge wäre, in deren Ordnung der Weltraum befteht.
Der Weltraum, oder der Raum, durch welchen die Welt
ausgedehnt ift, und aufler dem gibts Feinen andern Kaum, '
befteht in derjenigen Ordnung der auffer einander befindks
hen Theile ver Welt, welche aus ihrem Beyſammenſeyn
ent»
m u. IE —
a en
— — —
Die einfache Befchaffenbeit Gottes. 129
entſteht. Weil nun ein jeder Theil der Welt, auffer und
neben andern Theilen der Welt, wuͤrklich ift, fo iſt ein jeder
Theil der Welt, in dem Weltraume der Welt, wuͤrklich.
Gott aber ift Fein Theil der Welt, fondern er if auffer der
Welt würflih $. 849. Folglich it er auch nicht, in dem
Weltraume, wuͤrklich. Aber 4) da Gottes Subſtanz,
auffer und neben alten Subſtanzen diefer Welt, würflic)
iſt; fo ſteht er in fo ferne nothwendig in einem Verhaͤltniſſe
gegen dieſelben, vermoͤge deſſen er mit ihnen und neben ih—
nen auf eine gewiſſe Art wuͤrklich iſt. in ſolches Ber
hältniß ift der. Dre $. 216. Folglich fo bald man annimt,
daß auffer Gott etwas wuͤrklich ift, fo bald muß man ihm
auch) einen Ort zufchreiben. Die tiebhaber des Paradoren
in der natürlichen Gottesgelabrheit ſprechen Gott allen Ort
ab, und fagen: er fey nirgends und doch allerwegen. Wie
feltfam iſt diefes nicht gefprochen! Alle Schwierigkeit ent»
fteht aus den gemeinen Begriffen, die man fid) von dem
Orte eines Dinges macht. Gemeiniglich fteile man fich
den Dre zugleich mit einer Ausdehnung vor, und da Fan
freylich Fein Ding in einem Orte feyn, wenn es Feine Aus—
dehnung hat. Allein ich habe in der Ontologie deutlich ges
wiefen, daß ein Ding an einem Drte feyn Fan, wenn eg
gleid) Eeine Ausdehnung hat. Noch feltfamer ift es, wenn
man fich den Ort eines Dinges als ein Behaͤltniß vorftelit,
in welcher das Ding befindlid), und durch welches es ums
grenze und eingeſchrenkt wird. Nach diefem Begriffe Fan
freyüch Gott an keinem Orte feyn, allein das iſt ein vollig
falfeher Begrif, den man ſich von einem Orte macht, Und
auf eine ähnliche Art macht, die falſche Borftellung der All—
gegenwart Gottes, in diefer Sache eine Schwierigkeit.
Wenn man ſich diefelbe, als eine Ausbreitung der Gub»
ftanz Gottes durch den ganzen Weltraum, vorftelitz fo Fan
man freylich nicht fagen, daß er an einem Orte fey, Wenn
diefe ganze Betrachtung nicht dazu dienlich ware, manche
falfche und grobe Begriffe von Gott und feiner, Gegenwart
zu verhüten ‚fo würde fie zu den theologifchen Spitzfindig—
4. Theil, A) keiten
330 Die einfache Befchaffenheit Gottes;
£eiten gehören, bey denen man befier ehut, wenn man fie
mit einem gaͤnzlichen Stillfehweigen übergeht,
$. 870.
Hicher gehört die Frage: ob Goft groß fey, oder
ob man ihm eine Gröffe im eigentlichen Verſtande zufchrei-
ben fönne und müffe? Diefe Srage muß, mit Unterfchiede,
beantwortet werden. Einmal, verfteht man durch die
Gröffe die ausgedehnte Gröffe, oder die Bielheit der auffer
einander befindlichen Theile eines Dinges $. 186, fo Fan
ott unmöglich eine ſolche Gröffe haben, fo wenig als ir
gends eine feiner Bollfommenheiten dergleichen haben kan;
weil.er, um feiner einfachen Beſchaffenheit willen, gar
Feine folchen Theile hat, welche auffer einander wuͤrklich find.
Es zeugt alſo von einer ſehr fchlechten Scharflinnigfeit und
Einſicht in die Natur der Gröffen, wenn ein Menfch des
wegen in Gott fich Feine wahre Gröffe vorftellen Fan, weil
Gott Feine Fänge, Feine Breite und Feine andere Art der
ausgedehnten Gröffe haben Fan. Ein folder Menſch ſcheint
überhaupt viel zu gemein, und fo zu reden viel zu koͤrper⸗
Yich zu denken, als daß er gefchickt fenn folte, ſich einen
richtigen Begrif, von der unfürperlichen und unſichtbaren
Gottheit, zu machen. Allein wenn man zum andern, durch
die Gröffe eines Dinges überhaupt, die Menge und Biel»
heit feiner Realitäten verſteht 9. 76. fo hat Gott nicht nur
wahrhaftig eine Gröffe, fondern er felbft ift auch das gröfte
Ding, und eine iedivede feiner Realitäten ift in ihrer Art
die allergröfte, weil er alle mögliche und alfo die allermeis
ften Realitäten befigt $. 8:6. $17. Folglich Fan und muß
man fagen, daß er felbft den allerhöchften Grad der Voll:
kommenheit befise, und daß er eine iedwede Bollfommens
heit im allergröften Grade habe. $. 189. Es machen bier
einige Gelehrte groffe Schwierigkeiten, und fie lafjen ſich
durch die Liebe zum Paradoren verleiten, zu fagen: Gort
habe gar feine Gröffe, und er befiße alle Vollkommenhei—
ten ohne Grad. Allein alsdenn bedeuten alle Wörter
nichts, welche die böchften Grade anzeigen, wenn man
von
Die einfache Befchaffenbeit Bottes. 138
von Goff redet, und man müßte alfo nicht fagen: Cote fey
das vollfommenfte, das hoͤchſte, das gütigfte, das heilige
fie Wefen u, f. w. Und wie fol! man denn von Gott,
auf eine ihm anftändige Art, fih ausdrucken? Wir wol⸗
len hören, was das für Gründe find, um welcher willen
man, Gott und feinen Vollkommenheiten, alle Gröffe und
alle Grade abfpricht. Erftlih, fagt man, Fan eine iedwe—
de Gröffe vermehrt und vermindert, und alfo verändert wers
den. Wenn alfo Gott eine Gröffe hätte, fo koͤnte er ins
nerlich verändert werden, und das ift feiner Unveränderlichs
Feit zumider. Allein wenn man diefe Gelehrten fragt, wo—
her fie es erweifen, daß eine iedwede Gröffe vermehrt und
vermindert werden fonne; fo berufen fie fic) darauf, daß.
viele Weltweiſe die Gröffe durch dasjenige in einem Dinge
erklären, was vermehrt und vermindert werden fan. Gleich.
fam als wenn man, diefe Erklärung, ohne Widerrede ans
nehmen müßte! Aus der Ontologie ift Elar, daß fie falfch
iſt, und wir haben die Gröffe anders erflärt. Zum andern
ſagt man: eine iedwede Gröffe Fan gemeflen werden. Wenn
nun Gott eine Groͤſſe hätte, fo Eonte er ausgemeffen werben,
und er wäre alfo nicht unermeßlich und unendlich. _ Auch
diefer Einwurf fage fo viel, als gar nichts. Es nehmen
einige ohne allen genugfamen Grund an, daß alle Gröffen fo
ausgemeffen werden fonnen, wie wir Menfchen die Gröffen
auszumeffen pflegen, und das leugnen wir, Doch ich werde
dieſen Einwurf in dem Folgenden, wenn ich die Unermeßlich.
feit Gottes unterfuchen werde, noch befier aufklären. Zum
dricten fage man, wenn Gottes Vollkommenheiten einen
Grad hätten, fo wären-fie eingefchrenft: denn ein iedwe—
der Grad ift der. Schranfen eines unförperlichen Dingeg,
Allein hier fest man ohne allen Grund durch ein bloffes Vor—
urtheil voraus, daß diefe Erflärung der, Grade richtig ſey.
Wir haben die Grade in der Ontologie fo erflärt, daß fie
nicht nothwendig Schranken feyn dürfen, und es Fan alfo
ein Grad eine wahrhaftig unendliche Gröffe feyn. Zum
vierten ſagt man: ein iedweder Grad ſchlieſſe die Moͤglichkeit
J 2 in
132 Die einfache Befchaffenbeit Gottes,
in ſich, noch weiter zu zehlen, oder ein jeder Grad koͤnne
vergröffert werden. Wenn alfo Gott feine Vollkommenhei—
ten in einem Grade befäfle, fo müßte er koͤnnen gröffer mer
den, und das fey doch unmöglid. Allein das erfte nimt
man wieder ohne Örund an. Es ift falſch, daß ein jeder
Grad vermehret werden koͤnne, und alfo fällt auch diefe
Schwierigkeit weg. Wir feben bier in einem Benfpiele,
was man ſich felbit für Schwierigkeiten in andern Willen»
fhaften verurfacht, wenn man, die erften Begriffe der
menfihlichen Erkentniß, in der Ontologie nicht recht entwi—
delt; und daß man fich im Öegentheil, durch eine gründliche
und aufgeklärte Ontologie, den Weg durch alle andere Wifs
fenfchaften vortreflid) babne. Zugleich Fönnen wir hier, einen
ſtoͤrriſchen Eigenfin mancher Gelehrten, bemerken, Wenn
fie eine Sache erklärt oder definiert haben, und fie finden
hernach, daß ihre Erklaͤrung fi) auf gewiſſe Fälle, die uns
ter den erklärten Begrif gehören, nicht anwenden laffe; fo
ſolten fie daraus fehlieffen, daß ihre Erklärung falfch fey.
Allein das thun fie nicht, fondern fie widerfprechen lieber
dem gefunden Menfchenverftande, und behaupten die feltfams
ften Dinge, wie das Bis dieſes Abfages beftätiger.
71:
Aus diefen Unterfuchungen läßt ſich nunmehr beurtheis
fen: ob und wie ferne Gott abgebildet werden fonne? Es
Fomt bier alles darauf an, was man durch die Bilder oder
Abbildungen einer Sache verfteht. Und da wird diefes
Wort, in einer doppelten Bedeutung, genommen. Ein—
mal verfteht man, durch das Bild einer Sache, ein
Zeichen der Figur oder Geſtalt derfelben; oder dasjenige,
woraus man erkennen fan, was für eine Figur und Geftalt
die abgebildete Sache habe. Wenn man auf diefe Art ein
Bild von einem Dinge verfertiger, oder daffelbe abbilder;
fo ahmt man, wie ein Maler, die Figur deffelben nad),
und man verfertiget etwas, welches eben eine ſolche Figur
und Geftalt hat, als die abgebildete Sache. Da nun
Gott gar feine Figur und Geftalt hat $. 869, fo find ”
Ab⸗
J
Die einfache Beſchaffenheit Gottes. 133
Abbildungen Gottes in diefem Berftande unmöglih, und
verurfachen einen falfchen Begrif von Gott, Wir mürfen
uns demnach in acht nehmen, daß wir uns Öoft unter Feis
ner uns befanten Figur und Geftalt vorftellen, z. €. in
einer menjchlichen Geſtalt, oder in der Geftalt eines Sterns,
eines Thiers u. ſ. w. zumal da wir uns alle Dinge, die
eine uns befante Figur haben, nothwendig als endlid) und
eingefchrenft vorftellen müffen. Zur Erläuterung diefer
Sache fan man die Frage aufwerfen: mas man von den -
Bildern in den Kirchen zu halten habe? Ein iediweder fiebt,
daß die Bilder von Chrifto, den Heiligen, und den bibli—
fhen Hiftorien hieher gar nicht gehören; und wenn fie nicht
angebetet und zum Aberglauben gemißbraucht werden, fo
ift es fo weit entfernt, daß fie verworfen werden müßten,
daß fie vielmehr fehr gute Dienfte leiften, indem fie uns
die abgebildeten Sachen ins Gemüth bringen. Und der=
jenige, der folhe Kirchenbilder überhaupt beſtuͤrmt, han—
delt lächerlich, und aus einem blinden Secteneifer. Allein,
die Bilder der Gottheit felbft, find durchaus verwerflich.
Man koͤnte fie zwar, als hieroglyphiſche Figuren von Gott
und feinen Bollfommenheiten, vertheidigen; ‚allein der
Schade, den fie verurfachen, ift allemal groͤſſer, als ihr
Mugen. Die meiften Menfchen werden dadurd) verleitet,
Gott eben die Geftalt beyzulegen, welche fie. in dem Bilde
gewahr werden; und man. Fan zuverfichtlic) fagen, daß die
meiften Ehriften ſich Gott den Vater als einen alten Mann
vorftellen, meil er in. den Bilderbibeln und Kirchen derge—
ftalt abgebildet zu werben pflegt, Vielleicht ift das Hey:
denthum daher entftanden, daß man Gott, feine WBeis«
beit, feine Gerechtigkeit u. f. w. unter verfchiedenen hie—
roglyphiſchen Figuren abgebildet, und daß man endlich ent»
weder diefe Figuren felbft für Gottheiten gehalten, oder eine
iedwede verfelben für eine Abbildung einer befondern Gotts
beit angefehen hat. Gott hat daher fo ernftlich und nach»
druͤcklich, in dem zweyten Gebote, alle Bilder von fic)
verboten,
3: $, 872
134 Die einfache Beſchaffenheit Gottes.
$. 872,
Zum andern aber verfteht man, durch das Bild einer
Sache, manchmal eben dasjenige, was man: auch fonft
ein Ebenbild einer Sache nent, oder Etwas, welches der
Sache recht merklich und in einem hohen Grade ahnlich ift.
So wird ein Kind ein Ebenbild feines Waters genent, wenn
es recht merklich fo ausfieht, als fein Vater. Ein Ebens
bild Gottes iſt alfo ein jedes’Ding, in fo ferne, zwifchen
ihm und Gott, eine vorzügliche und gröffere Aehnlichkeit
angetroffen wird. Mun find alle mögliche Dinge Gott
aͤhnlich, und zwar in fo ferne fie volllommen find. Denn
in Gore find alle Vollfommenbeiten. Folglich Fan Fein
Ding Gott ähnlid) feyn, als in fo ferne es vollfommen ift;
und in fo ferne, ein Ding vollfommen ift, in fo ferne iſt es
gewiß Gott ähnlih. Allein weil, diefe Aehnlichkeit aller
möglicyen Dinge mit Gott, Feine vorzügliche und gröffere
Aehnlichkeit ift: fo werden nur diejenigen Dinge, die volls
Fommener find als andere, in Abficht ihrer vorziiglichen Volla
Fommenbeit, Ebenbilder Gottes nenent. Und je vollfoms
mener ein Ding ift, ein defto gröfferes Ebenbild Gottes ift
es. Der erfte Grundfag der practifchen Weltweisbeit, den
die Weltweifen annehmen: mache dich feibft durch alle dei—
ne freye Handlungen vollfommener, ift alfo eben fo viel,
als wenn man fagt: werde immer ein gröfferes Ebenbild
Gottes. Und wer Fan dawider, mit Grunde, etwas eins
wenden? Wenn man alfo nach diefem Begriffe urtheilt, fo
fan man diejenigen endlichen Dinge leicht beitimmen, wel—⸗
ce das Ebenbild Gottes an fid) fragen, und vorzüglich
nad) Gottes Bilde eingerichtet find. 1) Die befte Welt
im Ganzen betrachter ift, unter allen möglichen endlichen
Dingen , dasjenige, welches das gröjte Ebenbild Gottes
iſt, oder welches Gott ähnlicher ift, als alle übrige mögliche _
endliche Dinge, Denn fie ift, unter allen endlichen Dins
gen, das allervollfommenfte 5. 427. und wenn ein endlie
cher Geift, oder irgends ein anderes endlihes Ding, noch
fo vollkommen ift, fo Fan es doch unmöglich fo ie
eyn,
Die einfache Befchaffenheit Gottes, 135
feyn, als die ganze befte Well. Folglich ift, die ganze
beſte Welt, der beſte Abdruck, und der vollfommenfte Abs
| glanz der göttlichen Bollkommenheit, der aufler Gott mög«
lich iſt. 2) Die Theile der Welt find entweder Subſtan—
| zen oder Accidenzien $. 360. Da nun Gott Fein Accidenz,
| fondern eine Subftanz ift $. 860. fo iſt, zwifchen Gore
| und den endlichen GSubftanzen, eine gröffere Aehnlichkeit,
' als zwifchen Gott und den Accivenzien. Folglich find die
| endlichen Subftanzen ein gröfleres Ebenbild Gottes, als
ihre Mecidenzien. Dazu komt noeh), daß eine iedwede end«
lihe Subftanz vollfommener ift, als ihre Accidenzien:
‚ weil, die Vollkommenheit eines Accidenz, zugleid) eine
Vollfommenheit der Subftanz ift, in welcher es angetroffen
wird, welche überbis noch mehr Realitäten beſitzt. 3) Uns
ter allen endlichen Subftanzen find diejenigen, welche Geis
| fer find, vollfommener, als die übrigen $. 370. 371. 372»
373. Folglich tragen fie vorzüglich, vor denen übrigen ende
lihen Subftanzen, das Ebenbild Gottes an fi; zumal
da wir balde erweifen werden, daß Gott auch ein Geiſt fen,
und daß er alfo denen endlichen Geiftern in einem viel ho»
hern Grade ähnlich fey, als den übrigen endlichen Sub—
ftanzen. 4) Unter den endlichen Geiftern find die höhern
Geifter, oder welche mehr Verftand Haben, vollfommener,
als die niedrigern $. 790. und fie find alfo ein gröfferes
Ebenbild Gottes, als die legtern, Und unter den höhern
find die Höchften, oder, welche den gröften Berftand haben,
das gröfte Ebenbild Gottes; zumal da bald erwiefen wer—
den wird, daß Gott felbft den allergröften Werftand habe.
Da nun Weisheit und Klugheit Bollfommenheiten des Vera
ftandes find, fo gehören fie zu dem Ebenbilde Gottes in den
endlichen Geiſtern. Je mehr alfo ein Menſch feinen Ber:
ftand verbeffert, je mehr vernünftige Erfentniß und wahre
Gelehrſamkeit er befißt, je weifer und Elüger er ift, ein deſto
gröfferes Ebenbild Gottes iſter. Wie abgefchmadt und
untheologiich denken demnad) die andächtigen Feinde ber
Gelehrſamkeit, und der Berbefli lerung ber menfchlichen Ver⸗
54 nunfe!
136 Die einfache Befchaffenbeie Gottes.
nunft! 5) Unter ben höhern Geiftern find die guten, glück«
feligen und heiligen Geifter ein gröfferes Ebenbild Gottes,
als die böfen; weil fie vollfommener find als diefe, und
weil Gore felbft der allerheiligſte und glückfeligite Geiſt ift
$. 790. 838. Folglich erfodert, das Ebenbild Gottes in
den endlichen Geiftern und Menfchen, daß fie fi) fo viel
als möglich von allen Unvollfommenheiten, und fonderlich
von dem moralifchen Uebel und allen Sünden, entfernen,
Hieraus erhellet demnach, daß der Gedanfe mancher Got«
fesgelehrten in gemiffer Abſicht falſch ſey, wenn fie bes
haupten, daß diefes ein Vorzug der Menfchen vor allen
übrigen Creaturen fey, daß fie nad) dem Ebenbilde Gottes
gefchaffen worden, Es ift wahr, man Fan es mwenigftens
mit Wahdrfcheinlichkeit behaupten, daß der Menfch auf dem
Erdboden das einzige Geſchoͤpf ſey, welches vorzüglich nad)
dem Bilde Gottes gefchaffen worden. Allein in der ganzen
Welt gibt es gewiß Creaturen, welche ebenfals ein Ebens
bild Gottes find, und zwar in einem noch hoͤhern Grade,
als der Menſch. Es Fan auch ſeyn, daß das Ebenbild
Gottes in dem Menfchen, in mandyen Stücen, von dem
Ebenbitde Gottes in andern Creaturen verfchieden iſt, und
daß die heilige Schrift auf Diefe Unterfcheidungsftüde vor—
nemlich ſehe. Und da fie überhaupt nicht zur Abficht hat,
ung eine ausführliche Nachricht, von der Schöpfung andes
rer endiichen Geifter auffer den Menfchen, zu geben: fo
ſchweigt fie auch mit Recht von dem Ebenbilde Gottes in
andern Creaturen ftille, wenn fie die Schöpfung der Welt
erzehlt. |
ng 873.
Hier iſt es nöthig, von einem Irrthume zu handeln,
vor welchem fich die meiften Menfchen in acht nehmen Füna
nen, und welcher die ganze Erfentniß Gottes vergiftet,
Man nene diefen Irrthum den Anthropomorphiſmus,
und man fihreibt vermöge deſſelben Gotte Unvollfommen=
beiten zu. Es ift diefes offenbar ein Irrthum, meil Gott
gar feine Unvollffommenbeiten hat, und haben fan 8. ur
8
Die einfache Defchaffenbeie Gottes. 137
Es ift alfo hier nicht, fo wol nöthig, dieſen Irrthum zu
widerlegen, als vielmehr, zu zeigen, wie er entſteht, und
wie er vermieden werden muß. Die Erfahrung lehrt, da%
die Begriffe von den menſchlichen Accidenzien, von. den
menfchlichen Bollfommenheiten und Unvollkommenheiſen,
unfere alleverften Degriffe find, woraus wir alle unfere Be⸗
griffe von allen uͤbrigen Dingen herleiten. Folglich kan
man ſagen, daß wir gewohnt ſind, alle Vollkommenheiten
und Unvollkommenheiten anderer Dinge uns ſo vorzuſtellen,
als ſie in uns angetroffen werden; und daß wir uns von
einer Vollkommenheit und Unvollkommenheit gar keinen
Begrif machen koͤnnen, wenn wir nicht ſelbſt eine Vollkom⸗
menheit und Unvollkommenheit beſitzen, die ihr Ähnlich ift.
Sites nicht wahr, daß wir z. E denken, der Berftand
anderer Geifter fey völlig eben fo befchaffen, als der unfrige ?
Daher fonts nun, daß wir, beynahe auf eine nothwen=
Dige Art, uns in Gott menſchliche Unvollkommenheiten ver=
ftellen, oder uns ihn als einen Menſchen vorftellen. Und
deswegen wird diefer Irrthum eben mit einem folchen grie=
chiſchen Worte benent, welches eine Gleichförmigfeit mit
dem Menfchen anzeigt. Und er ift von doppelter Art. Erft-
lich ein gröberer Anthropomerphifinus, wenn man
Gott eine Figur und Geftale zuſchreibt. Das Heydenthum
fan überhaupt bieher gerechnet werden, famt dem Irrthu—
me), vermöge deffen man Gott eine menfchliche Geftalt zus
ſchreibt, und das ift ohne Widerrede unrecht $. 871. Un—
terdeſſen ſcheint dieſer Irrthum, bey den meiften Menſchen,
unvermeidlich zu ſeyn. Es gehoͤrt dazu ein ſcharfſinniger
metaphyſiſcher Kopf, wenn man ein Ding ohne Ausdeh—
nung und Figur denfen will, Folglich Eönnen fich die mei—
fin Menfchen Gott nicht anders vorftellen, als in einer
Geſtalt. Und da die Menfchen ihre eigene Geſtalt aus Ei-
genliebe für die befte halten, fo ift es ganz natürlich, daß
wir uns Goft mit einer menſchlichen Geſtalt vorftellen, Ci—
cero behauptet diefes in feinen philoſophiſchen Schriften fo
gar im Exnfte, und durch einen formlichen Beweis, Und
35 ein
138 Die einfache Befchaffenheit Gottes.
ein gewiſſer Sranzofe behauptet meines Erachtens mit Recht,
dag, wenn z. E. Die ‚Hunde Berftand hätten, und einen
Sort eher fo würden fie fich denfelben in der Geftalt
eines Hundes vorſtellen, weil fie aus Eigenliebe ihre eigene
Geftalt | für die fchönfte, befte und bequemfte halten würden,
Zu dieſem groben Anthropomorphiſmus werden die Men—
fchen, durch) die Bilder Gottes, mit Gewalt verleitet, und
es ift nicht aut, daß man den Kindern gemalte und gea
ſchnitzte Bilder zeigt, und dabey fagt: das ift der liebe
Gott. Unterdefien, wenn ein Menfch Gott eine Geſtalt
beylegt, und übrigens ihm alle göftliche Vollkommenheiten
in feinen Gedanken zufchreibt, fo Fan ihm diefer Irrthum
nichts fonderliches fhaden. Was foll man aber thun, um
Leute vor dieſem Irrthume zu bewahren, welche unmoͤglich
was anders denken koͤnnen, als was eine koͤrperliche Geſtalt
hat? Gott gibt uns dazu die Anweifung in dem andern Öes
Bote. Man überzeuge diefe Leute, daß fie ſich Gott unter
Feiner uns bekanten Geftalt vorftellen dürfen, und daß fie
ſich feine Subftanz als ein unſichtbares Weſen vorfteffen
müffen, von dem fie fich weiter Eeinen Begrif machen müfs
fen, als daß er Allmacht, Weisheit, Güte, und alle übris
ge Bollfommenheiten, von denen fie fich Begriffe zu mas
chen im Stande ſind, im — Grade beſitze.
Zun andern iſt dieſe li auch ein feiner oder
fubtiler Anthropomeorpbifmus, wenn man Gore andere
Unvollkommenheiten der endlichen Dinge z. E. der Men«
ſchen, auffer der Geftalt, zuſchreibt. Als wenn man denkt,
Gott uͤberlege eine Sache ſo wie wir Menſchen, er ſtelle
nach dieſer Ueberlegung eine Wahl an, er aͤndere feine Rath⸗
ſchluͤſſe, er zuͤrne wie wir Menfchen u ſ. w. Dieſer
Irrthum iſt eben ſo haͤuſig, und ſo ſchwer zu vermeiden,
als der vorhergehende. Die ſcharfſinnigſten Gottesgelehr⸗
ten Eönnen ſich kaum Davor in acht nehmen, und die froͤm⸗
h
ſten Leute behandeln Gott in ihren Gebeten wie einen Men—
ſchen, der wozu bewogen werden Fan, Es iſt leicht zu be
greis
Die einfache Beſchaffenheit Bottes. 139
greifen, woher diefer Irrthum fo fehr häufig iſt. Alle
unfere Begriffe, die wir ung von Gott und feinen Vollkom—
menbeiten machen, famt den Ausdrucken derfelben, find
von endlichen Dingen entlehnt, und ftellen uns viel unvolls
fommenes zugleich vor. Sie felbft find endliche Acciden—
zien, und enthalten viel Unvoiifommenheit. Da es nun
ganz natürlic) ift, daß wir, Die Gegenftände unferer Bes
griffe, eben fo befchajfen zu feyn glauben, als unfere Be—
griffe von denfelben befchaffen find: fo iſt es beynahe un
vermeidlih, daß wir Gott Unvollfommenbeiten zufchreis
ben, Bor diefem Irrthum fan man fich nur in acht neh—
men, wenn man genau achtang gibt, ob man gleichnißweiſe
von Gert denfe und rede oder nicht, und wenn man in dem
eriten Falle, alles Unvollfommene in unfern Begriffen, von
Gott abfondert S. 851. Folglich Fan man es als cine Laͤ⸗
fterung anfehen, wenn manche Feinde der Gottesgelahrheit
fagen , daß die ganze theologifche Erfentniß der Menfchen,
am gelindeften davon zu reden, ein feiner Anthropomors
phiſmus fey, und es fey alfo beſſer, von Gott gar nichts zu
denfen und zu fagen. Freylich verdient, die theologifche
Erfentniß der meilten Menfchen, diefen Namen. Allein,
man fan aud) nicht fagen, daß dieſer Irrthum allemal ſehr
ſchaͤdlich ſey. Es ift ofte beffer, die Wahrheit mit Serthüs
mern unfermengt zu erfennen, als fie gar nicht zu erfens
nen. So ift es zu der Gluͤckſeligkeit der Menfchen viel
beſſer, daß fie ſich die Rathſchluͤſſe Gottes als veränderlich
vorftellen, und zugleich glauben, daß fie Die beften find:
als daß fie von den Rathſchluͤſſen Gottes gar nichts wiſſen,
und die Begebenheiten der Welt als von Gott unabhängig
ſich vorftellen, In dem legten Falle fällt alles Vertrauen
aufj Gott, alles Geber, und alle Unterwerfung unter die
göttliche Vorſehung weg.
. 875«
Man fan den theologifchen Materialiſmus mit
Recht als eine Art des ‚Anthropomorphifmus:anfehen, ins
dem er derjenige Irrthum iſt, vermöge deſſen man Gott
für
170 Die einfache Beſchaffenheit Gottes,
für Fein einfaches, fondern für ein zufammengefegtes Ding
hält, mithin aud) für ein ausgedehntes, materielles und fürs
perliches Wefen. Weil Gott, um feiner Unveränderlich-
Feit und Unendlichfeit willen, einfach ift $. 862. fo ift es
feiner hoͤchſten Vollkommenheit zuwider, wenn man ihn für
eine Materie hält, und folte diefelbe übrigens auch noch fo
fein, zart und vollfommen ſeyn. Wir haben alfo nicht nos
thig, diefen Irrthum weiter zu widerlegen, fondern wir
wollen nur zwey Anmerfungen machen. Einmal ift es
wol unleugbar, daß die allermeiften Menfchen theologifhe
Materialifien find. Die Ungelehrten find es ohnedem auf
eine norhwendige Art, weil diefelben nicht im Stande find,
fid) einen reellen Begrif von einem einfachen Dinge zu mas
den. Sie müffen alfo entweder Gott gar nicht denken,
oder fie müfjen fich denfelben als was Materielles vorftellen.
Und felbft, die meiſten Gottesgelehrten und Weltweifen,
denfen eben fo. Die Alten-fagen zwar, Gott fey ein Geift;
aber fie verftehen durch einen Geift die allerfeinfte Materie,
das allerfubtilefte Feuer. Folglich Fan man fagen, daß
die Lehre von der einfachen Befchaffenbeit Gottes eine neue
Lehre der fpätern Zeiten fey „welche noch dazu wenig wahre
Anhänger bat. Vielleicht ift unter den alten Weltweifen
Pythagoras derjenige, welcher fie richtig behauptet hat,
indem er Gott eine Monas nene, welches eben fo viel heift,
als eine einfache Subftang. Zum andern ift, der theolo⸗
giſche Materialifmus, auch gar Fein gefährlicher und fchäd«
licher Sperthum, wenn er nur font mit feinen andern Irr⸗
thümern zufällige Weiſe verbunden iſt. Wenn ein theos
logifcher Materialift nur Gott Feine eingefchrenkte Figur und
Geftale beylegt, und ihm übrigens alle übrigen göttlichen
Bollfommenheiten zufthreibt, fo hat fein Irrthum nichts zu
bedeuten. Wolte man fagen, ein materieller Gott fey
doc) ein Unding, und folglicy fey der Materialift in der
That ein Atheifte: fo feßt man voraus, daß alle diejenigen
in der That Arheiften find, die fich einen falfchen Begrif
von Gore machen, Allein, alsdenn müßten alle Menfchen
Athe⸗
’
nn u a re ni — a ee u — iu — ———
Die einfache Befchaffenbeit Gottes. iys
Arheiften fern, weil niemand fo tollkuͤhn feyn und fügen
wird, daß er fich gar feinen falſchen Begrif von Gott mas
he. Wenn nur ein theologifcher Materialift, mit Auf⸗
richtigfeit feines Herzens, eine materielle Gortheit für mög»
lid) und wuͤrklich hält, und ihr alle übrigen göttlichen Boll:
fommendeiten zufchreibt: fo Fan er fo from feyn, als irgends
ein Menſch feyn Fan, und er Ean alfo zeitlich und ervig bey
feinem Irrthume glückfelig werden. So fanft if, das
Schickſal der Menichen, bey ihren Jerthuͤmern! Diejeni⸗
gen Irrthuͤmer, die am ſchwerſten zu vermeiden find, ſcha⸗
den uns am wenigften, Es ift alfo nicht der Mühe wert,
wider den theologifchen Materialifmus in einen fegermad)es
rifchen Eifer zu gerathen.
Es ift nur ein einziger Gott möglich
und wuͤrklich.
§. 876.
Diejenigen Gelehrten, welche, den Satz des Unter⸗
ſchiedes aller auffer einander befindlichen Dinge, nicht ken—
nen und annehmen, find nicht im Stande, auf-eine deut—
liche und unumftösliche Art, aus der Vernunft zu erweifen,
dag nur Ein Gott möglich und wuͤrklich ſey. Es haben
zwar einige gefchloffenz weil nur eine einzige Welt würflich
it, und Diefe einzige Welt ganz, aus Einem Gotte erfant
werden fan, fo ift Fein Grund vorhanden, warum man
mehr als einen Gott annehmen mwolte, und es gibt alfo nur
Einen Gott. Allein man Fan, wider diefen Beweis, vers
fhiedenes einwenden. Einmal erhellet Daraus höchfteng
nur, daß nur Ein Gott nöthig ſey; allein es muß erroiefen
werden, daß nur ein einziger Gott möglid) fey. Zum ans
dern Fonte man fagen, daß, da eine andere alg diefe Welt
wuͤrklich feyn koͤnte, auch alsdenn ein anderer Gott wuͤrklich
feyn fönte, und das ift auch unmöglid). Und drittens
Fönte man fagen, daß, da mir nicht alles in diefer Welt
kennen, vielleicht manches in derfelben angetroffen werben
Eonne, welches aus dem einzigen Gott nicht erfant werden
Fan.
142 Es ift nur ein einziger Bott
fan. Folglich erhellet daraus, daß nur eine einzige Welt
wuͤrklich ift, niche deutlich genug, Daß auch nur Ein Gore
würflich fey. Doch wir wollen andere dafür felbft forgen
laffen, wie fie ihre Beweiſe einzurichten für gut befinden,
Wenn wir bier als ausgemacht annehmen, daft alle auffer
einander befindlichen Dinge innerlich von einander unters
ſchieden, und alfo einander unähnlich und ungleich find
6. 208, 209, 210, 211. fo ift es fehr leicht zu erweifen, daß
mehrere Götter nicht nur nicht wuͤrklich, fondern auch)
ſchlechterdings unmöglich find. Denn wenn mehrere Götz
fer wären, fo wären mehrere unendliche Subftanzen möge
lich und würflih S. 914. Alle Subftanzen find auffer
einander befindlich S. 154. 191. Folglich müßten mehrere
Götter auffer einander möglic) und würflich feyn, und fie
müßten alfo innerlich von einander unterfchieden ſeyn. Mit
Hin müßte in dem einen Gotte eine innerlihe Beſtimmung
feyn, die in dem andern nicht wäre $. 200. Diefe wäre
entweder eine Nealität, oder eine Verneinung $. 48. Iſt
fie das erfte, fo würde der Gott, welcher diefelbe nicht hätte,
nicht alle Realitäten haben, und alfo ift er Fein Gott $. 816.
Iſt fie das andere, fo bat der Gott, in welchem fie befind⸗
lich it, eine Verneinung, und er Fan alfo Fein Gott feyn,
weil in dem wahren Gotte gar Feine Berneinung feyn Fan
$. 818. Folglich find, mehrere Götter, ſchlechterdings
unmöglih, Dieſer Beweis wird dadurch noch ungemein
beſtaͤrkt, wenn man bevenft, daß ein Ding, dem auch nur
eine einzige Realität fehlt, eingefchrenfe ift, und alfv Feine
einzige göttliche Vollkommenheit haben Fan, meil es fonft
alle übrigen zugleich haben müßte S. 855. Wider viefen
Beweis Fan nur, ein doppelter Einwurf, gemacht werden,
Einmal fünte man fagen, daß der Gott, dem eine Nealis
tät fehle, die der andere befißt, an deren flat eine andere
haben koͤnte, die eben fo gut ift, und eben ſo einen groffen
Werth befige. Allein alsdenn würden beyde Götter nicht
alle Realitäten ohne Ausnahme befißen, und folglich wäre
Feiner von benden der wahre Gott. Diejenigen, 9
nicht
möglich und wuͤrklich. 143
nicht ohne Einfchrenfung annehmen, daß Gott alle Neali>
täten beſitze, die mögen fehen, tie fie diefen Einwurf be—
antworten, Zum andern Fonte man fagen; mir hätten ja
felbft erwiefen, daß alle Realitäten in einem Subiecte zus
fammen genommen keinen Widerſpruch verurfachen. Wenn
man fie nun noch einmal in einem andern Subjecte zufans
men nehme, fo entftehe abermals Fein Wideripruch. Und
fo koͤnne man unendlich viele allervollkommenſte Subjecte
denken, die möglich, und nach unferer eigenen Art zu Demon
ſtriren wuͤrklich ſeyn $. 824. 825. Folglich feyn viele
Götter möglich, und würklich. Allein nad) unfern Grund—
fügen ift es zwar möglich), wenn man alle Nealitäten in eis
nem einzigen Subjecte annimt, Go bald man fie aber
insgefamt noch einmal, in einem andern auſſer dem erften
befindlichen Eubjecte, gedenken will, fo bald fällt man in
einen Widerſpruch, und denft was unmöglides. Aus
unferm Beweife erhellee alfo nit nur, daß auffer Einem
Gotte nicht mehr Götter würflid) find, fondern daß auch
nicht mehrere möglich find.
§. 877-
Der Jerthum, welcher der vorher ertwiefenen Wahr-
heit entgegen geſetzt ift, heift die Vielgoͤtterey, vermöge
welcher ein Menfch viele aufler einander befindlichen Götter
annimt. Mir dürfen diefen Irrthum nicht weiter wider:
legen, weil feine Ungereimtheit ſchon binlänglich aus dem
vorhergehenden Beweiſe erhellet. Man muß ihn aber,
von zweyerley, unterſcheiden. Einmal von der Abgoͤtte⸗
rey, vermoͤge welcher man einem Dinge, welches nicht
wahrer Gott iſt, einen göttlichen Dienſt leiſtet. Die Ab—
götterey ift ein moralifcher Fehler, und feine Unterfuchung
gehört in die Sittenlehre. Es ift wahr, aus der Vielgoͤt—
terey entſteht allemal auch die Abgötterey, es mögen nun
alle Götter, die ein Menfch annimt, falfche Götter feyn,
oder einer derfelben mag nur derwahre Gott fern. Allein
nicht ein iedweder Abgötter, und Goͤtzendiener ſteckt, feiner
Theorie nach, in dem Irrthume der Bielgötterey. Syn der
Sir
144 Es ift nur ein einziger Bott
Eittenlehre wird erwiefen, daß z. E. ein Menſch, welcher
ſich ſelbſt mehr liebt als Gott, in der That der Ubgötterey
ſchuldig fen, und ein folcher Menfc Fan in der That nur
einen einzigen Gott glauben. Zum andern ift, die Biel-
götterey, noch von dem Heydenthume unterfchieden,
Das legte befteht darin, wenn man, neben dem einzigen
wahren Gotte, ſolche Wefen göttlich verehrt, von denen
man glaubt, daß fie von dem wahren Gotte als Bediente
gebraucht werden, durch welche er die Welt regiert, wie
3. €. die Lehre von den Heiligen im Pabſtthume nichts ans
ders, als das alte Heydenthum unter riftlichen Namen,
it. "Ein Heyde Fan allerdings auch der Bielgötteren bes
ſchuldiget werden, wenn er die Untergottheiten in den Rang
der oberften Gottheit erhoͤhet. Allein das thut ein Heyde
nicht nothwendig. Diejenigen Chriſten, welche, aus den
drey Porfonen der Gottheit, drey auffer einander befindli-
liche Subftanzen machen, und die Menfchheit Chrifti ver-
goͤttern, finfen offenbar in den Irrthum der Bielgötteren.
Ja, fehr viele Chriſten verwandeln, die Engel und Teufel,
in Gottheiten. Wenn man aus der Erfahrung gelernt
bat, zu was für abfcheulichen Jrrthümern, Laſtern und Aber
glauben, das menfchliche Gefchlecht, durd) Die Vielgoͤtterey,
verleitet worden: ſo wird man ohne weitere Unterſuchung,
die Gefährlichkeit und Abſcheulichkeit der Vielgoͤtterey, eins
fehen. Wenn ein Menſch ſich nicht, bis zu dem wahren
Begriffe von einem aflervollfommenften Dinge, in die Höhe
ſchwingen Fan ; fo Fan er gar leicht eine Menge folcher Dinge
für würflich halten, deren ein iedwedes den Örad der Bolls
Eommenheit. befigt, den er zu einer Gottheit für hinlaͤnglich
hält, ° Und ich habe ſchon oben gezeigt, wie, aus den ’an«
fangs gut gemeinten Abbildungen der verfthiedenen Boll
Eommenbeiten Gottes, die Vielgoͤtterey entſtehen Fönnen,
. 878.
Da num der Gott, deſſen Moglichkeit und Würflich-
keit twir bisher unterfucht haben, dergeftalt Ein Gore iſt,
daß auffer ihm Fein anderes Ding möglic) und wuͤrklich ift,
wel:
möglich und würklich. 145
|
| welches ebenfals mit Recht ein Gott genent werden Fönte :
ſo iſt diefer unfer Gott ein einziger Gott $. 77. und zwar
iſt er, im allerhöchften und vorzüglichften Grade, ein einzi—
| ges Ding S. 817. und das will folgendes fagen. ı) Gott
beſitzt die allergröfte Einheit und Gröffe S. 940. 870. ders
geſtalt, daß in ihm die allermeiften und gröften Realitäten,
auf eine ſchlechterdings unzertrenliche Art, mit einander vers
‚ einiget find: Denn in einem ie hoͤhern Grade ein Ding ein
einziges genent werden foll, defto gröffer muß feine Einheit
feyn 9.77. 2) Gott iſt verfchieden von allen andern möge
‚lichen Dingen: denn von ie mehrern Dingen ein Ding vers
| ſchieden ift, in einem defto höhern Grave ift es ein einziges
‚Ding $. 77. Auſſer Gott iſt fein Ding möglich, welches
auch Gott feyn Fünte. in iedes endliches Ding bat feia
nes Gleichen. Der Begrif Gottes aber ift weder eine Gate
tung, nod) eine Art der Dinge, und folglicd) Fan Gott Fein
anderes Ding neben fich haben, welches mit ihm von einerley
Art feyn koͤnte. Folglich ift er der einzige in feiner Art,
wie man zu reden pflege. 3) ort ift verfchieden auch von
‚alien andern Dingen, welche die gröften und beften in ihrer
Art find, 3. E. von der beiten Welt und ihrer Natur, und
von den gröften endlichen Geiftern, vergeftalt, daß kein
‚anderes Ding, welches aud) das befte in feiner Arc ift, ein
Gott genant zu werden verdient: denn von ie gröffern Din—
‚gen ein Ding verfchieden ift, in einem deſto höhern Grade
iſt es ein einziges Ding $. 77. 4) Gott ift, von allen
andern möglichen Dingen, durch die allermeiften Unter⸗
fheidungsftücke, oder auf die mannigfaltigfte Art, oder in
Abficht auf alle feine Beftimmungen, unterfchieden, derge—
ftalt, daß er Feine einzige feiner Beftimmungen, fo wie fie
in ihm ift, mit irgends einem andern Dinge gemein batz
denn ie mannigfaltiger der Linterfchied eines Dinges von
andern ift, in einem deſto hoͤhern Grade ift es ein einziges.
Ding $. 77. . Eine iedwede innerliche Beftimmung Got⸗
tes ift, eine unendliche Realität $. 854. und eine folche
Realitaͤt Fan in feinem andern möglichen Dinge flat finden,
4, Theil, K weil
140 Es iſt num ein einziger Gott
weil e8 widrigenfals ein wahrer Gott feyn müßte $. 855.
Ja felbft, in feinen Berhältniffen gegen andere Dinge, iſt
er von allen andern möglichen Dingen unterfchieden, indem
es unmöglich ift, daß zwifchen zwey endlichen Dingen ein
ſolches Verhaͤltniß fat finden koͤnne, als zwifchen Gott und
den endlichen Dingen. 3. E. Gott verhält ſich zu allen
möglichen Dingen als die Duelle ihrer Möglichkeit, und
welches endliche Ding kan fid) gegen andere Dinge eben fo
verhalten? Ja indem Folgenden wird diefes, durch noch
mehrere Beyfpiele, beftätiget werden, Folglich it, in ala
len unendlich vielen innerlichen und äufferlihen Merkmalen
Gottes, etwas, wodurch er von allen andern möglichen
Dingen, einzeln und zufammengenommen, unterfchieden
iſt. 5) Gott ift von allen andern möglichen Dingen im
hoͤchſten Grade und unendlich unterfehieden, und zwar in
einem iedweden feiner Unterfheidungsftücke: denn ie gröffer
der Unterfchied eines Dinges von andern ift, in einem deſto
hoͤhern Grade ift es ein einziges Ding $. 77. Zwiſchen
einem iedweden andern möglichen Dinge und zwifchen Gore
ift cin wahrhaftig unendlicher Unterfchied, und zwar in Ab»
ſicht auf eine iedwede feiner aufferlichen und innerlichen Bolls
fommendeiten. 3. E. zwiſchen dem Berftande Gottes
und dem Berftande aller endlichen Geifter, ift ein unendli—
cher Abftand und Unterſchied. So muß man ſich dieſe
Vollfommenheit Gottes vorfiellen, wenn man es ſich auf
eine ihm würdige Art denken will, daß er im allerhöchften
Grade ein einziges Ding fen.
879.
8. j
Wenn mir diefe wichtige goͤttliche Vollkommenheit
noch genauer einfehen wollen, fo müjfen wir noch bemerken :
1) daß vermöge berfelben noch nicht genung ift, wenn man
fagt, daß Fein Ding auffer Gott möglich ift, welches beya
nahe ihm gänzlich ähnlich if. Sondern man muß ber
baupten, daß fein Ding, und wenn es au) übrigens das
vollfommenfte feiner Arc feon folte, möglich fen, welches
eine folche Aehnlichkeit mit Gott haben koͤnte, vermöge wel«
eher
— ——
a —
moͤglich und wuͤrklich. 147
cher keine wahrhaftig unendliche Unaͤhnlichkeit zwiſchen ihm
und Gott uͤbrig bliebe. Zwiſchen Gott, und allen moͤgli—
chen Dingen, iſt eine unendlich groſſe und mannigfaltige
Unähnlichkeit. Folglich Fan ein endliches Ding ewig in
feiner Aehnlichkeit mit Gott zunehmen, ohne daß feine Uns
Ähnlichkeit mit Gott nah Millionen Jahren merklich folce
vermindere feyn, dergeftalt, Daß man endlich in derfeiben
das Ende folte abfeben koͤnnen. 2) Es ift noch nicht ges
nung, wenn man fagt: daß Fein Ding auffer Gott möglich)
fey, welches beynahe gänzlich ihm gleid) feyn fol, Son—
dern man muß vielmehr fagen, daß fein Ding, und wenn
es auch das geöfte in feiner Art wäre, möglic) fey, welches
eine folche Gleichheit mit Gort haben folte, vermöge welcher
Feine wahrhaftig unendliche Ungleichheit zwiſchen Gott und
ihm übrig bliebe. Zwiſchen Gore und allen endlichen Din=
gen iſt, und bleibt nothwendig eine unendlich groſſe Ungleich=
heit. Ein endlicyes Ding mag noch fo groß feyn, feine
Gröffe ift immer eingefchrenfe. Und wenn man fie Mile
lionenmal nimt, und diefe Summe wiederum Millionenmal,
fo fomt doch allemal eine endliche Gröffe Heraus. Und
folglich) mag ein endliches Ding ewig in feiner Realität
wachen, es fan doc) niemals zwifchen feiner Gröffe und
der Gröffe Gottes eine Gleichheit entfiehen, und man Fan
fie niemals als einen Theil betrachten, der einige mal zu fi)
felbft genommen der Gröffe Gottes gleich) werden Fünte,
3) Durd) diefe Bollfommenheit Gottes aber wird nicht ges
leugnet, daß in Gort felbft unendlich viele und groffe Rea—
litäten angetroffen werden, weldje, ihrer unendlichen Ueber—
einftimmung, Aehnlichkeit und Gleichheit obnerachtet, den«
noch auf eine reelle und unendliche Art von einander vers
fehieden find $. 841. Denn alle feine Realitäten find une
endlich, und unendliche Dinge find einander unendlich Ahnn
lich und glei, Demohnerachter aber fünnen fie auch, in
Beziehung auf einander, unendlich verfehieden fin, weil
fonft alle Realitäten völlig einerley wären. Wie ſehr wird,
der Degrif von dem wahren Gotte, durch dieſe Betrach—
82 tung
148 Die Selbfiftändigkeit Gottes.
tung erhöher! Lind wie fehr muß nicht der Begrif von ihm,
von allen übrigen Begriffen, abgefondert und unterfchieden
werden, wenn er Gott anftandig werden foll!
Die Selbſtſtaͤndigkeit Gottes.
$. 880,
Die Selbſtſtaͤndigkeit Gottes wird auch, feine
Unabhaͤnglichkeit von allen auffer ihn befindlichen Din:
gen, von der Welt und allen ihren Theilen, genent, und
fie muß von der Subftantialität Gottes noch unterfchieden
werden, Weil Gore felbitftändig ift, fo muß er frenlich
auch vor fich beftehen, oder eine Subſtanz ſeyn; allein es
Fan ein Ding eine Subftanz feyn, und doch feine Selbfts
Mändigfeit haben, wie z. E. die endlichen Subſtanzen.
Gore ift eine Subftanz, in fo ferne er nicht in einem von
ihm verfchiedenen Dinge, als in feinem Subjecte, wie ein
Praͤdicat deflelben würklich ift, und in fo ferne feine Würfa
lichkeie nicht eine Beftimmung eines andern Dinges ſeyn
fan, Allein wir nennen ihn felbftftändig, in fo ferne er
feine Urfachen auffer fid) har; oder in fo ferne, der hinrei—
chende Grund feiner WürflichFeie, nicht auffer ihm ange—
troffen wird, fondern in ihm felbft. Da nun, das noch»
wendige und unendlihe Ding, zugleich felbftitandig ift
$. 238. Gott aber nothwendig und unendlich ift $. 845.
853. und den hinreichenden Grund feiner Wuͤrklichkeit in
ſich felbft hat $. 834. 863. fo ift er auch ſelbſtſtaͤndig.
Gott fteht durch feine eigene Gröffe, und er wird nicht von
auffenher getragen, und in feinem Dafeyn unterſtuͤtzt. Wir
Menfchen, und andere endlihe Dinge, müffen beftändig
ringsherum von auffen ber unterftügt werden, Die Luft,
die wir im ung ziehen, und alle um uns ber befindlichen
Dinge, unterhalten uns in unferer Würflichkeit, und wenn
alles um uns her über den Haufen fiele, fo würden wir
von ſelbſt in unfer Michts nachftürzen. Gottes Würklich«
feit aber ift in ihm allein fo feft gegründet, daß, wenn alles
auffer ihm vernichtet würde, er dennoch vor wie nad) aufs
voll:
Die Selbſtſtaͤndigkeit Bette. 10
vollfommenfte und unmwandelbarfte wuͤrklich bleiben würde;
und daß, wenn aud) auffer ihm unendlich viele Dinge würfe
lich find, dennoch feins derfelben, eine Urfach und Stuͤtze
feiner Wuͤrklichkeit, weder ift noch feyn Fan. Denn alles,
auffer Gott, ift endlich und zufällig. Die Würfungen
eines endlichen Dinges find nothwendig endlich und zufäls
lig 9. 255. Folglich, wenn Gott auffer fich Urfachen hätte,
fo müßte er endlich feun, und das ift unmöglich. Folglich
banget Gott nicht nur nicht würflich von Urfachen aufler
fih ab, fondern er fan auch unmöglich von irgends einer
Urfache auffer fih abbangen. Daher ift er auch, die
ſchlechterdings erſte Urſach aller feiner Wuͤrkungen $. 241.
Denn waͤre er irgends in einem Falle eine Zwiſchenurſach,
ſo muͤßte er ſelbſt wieder eine Urſach auſſer ſich haben, und
das iſt feiner allervollkommenſten Selbſtſtaͤndigkeit zuwider.
Man fan es alſo mit Recht als einen göttlichen Namen ans
fehen, wenn Gott von manchen fehlechtiveg die erfte Urſach
genent wird, zumal da in dem Folgenden erwiefen werden
wird, daß alle andere Urfachen nur Zwifchenurfachen find,
indem fie insgefamt von Gott abbangen.
.. 881
Wenn man fi), von der Selbftftändigkeit und Un⸗
abhängigfeit Gottes, einen völlig richtigen Begrif machen
will: fo muß man fich überzeugen, daß Gott auf keinerley
Weiſe, in Abficht auf feine innerlichen Beftimmungen, leise
den und fich leidentlich verhalten Fan, ‘Denn wenn irgends
eine feiner innerlichen Nealitäten ein Leiden feyn koͤnte, fo
müßte der hinreichende Grund ihrer Wuͤrklichkeit nicht in
Gore ſelbſt, fondern in andern Dingen auffer ihm anges
troffen werden $. 164. Folglich würde er in fo ferne, Urs
fachen feiner Würktichkeit, auffer fi) haben $. 235, und
das ift, feiner hoͤchſten Selbitftändigfeit, zuwider $. 880,
Und da alle Urſachen auſſer Gott endliche Dinge ſind, ſo
wuͤrde ein Leiden in ihm etwas Endliches ſeyn, wie ich in
dem vorhergehenden Abſatze gezeigt habe. Es haͤtte alſo
Gott innerliche Realitaͤten, welche nicht unendlich waͤren,
83 und
150 Die Selbfiftändigkeit Gottes,
und das ift fehlechterdings unmöglich d. 854. Folglich ift
Gott eine Subftanz, welche gar nicht leiden fan. Kan cr
nicht leiden, fo fan auch nichts auffer ihm in ihn würfen,
und in ihm einen Einfluß haben, es mag nun diefes von
einem reellen oder idealifchen Einfluffe verftanden werden
$. 166. 167. Und eben fo wenig Fan auch irgends eine
Subſtanz in ihn zurück würfen, wenn er in diefelbe würft
$. 168. Es iſt alfo falfch, wenn man fagt: wo ein Eins
Fuß iſt, da ift auch) eine Zuruͤckwuͤrkung. Von der Ein«
wuͤrkung und dem Einfluffe der endlichen Subſtanzen in
einander gilt diefes zwar $, 381. aber es ift falſch, wenn
von dem Einfluffe Gottes in die zufälligen Subſtanzen, und
in die Welt, die Rede if. Durch diefe Betrachtung wer-
den viele falfche Begriffe widerlegt, welche man ſich manch—
mal von Gott made. 3. E. wenn man denft, Gott
werde durch ein gläubiges Geber alsdenn, wenn es geſchieht,
bewogen, es zu erhören; der Menſch koͤnne in der Wieder«
geburt Gott dergeftalt widerftehen, daß er in Gott wuͤrke,
und ihn dadurch abbalte, fortzuwuͤrken; der Menſch kaͤmpfe
mit Gott in der Buffe und im Glauben, und was dergleis
hen Vorftellungen mehr find, welche anzeigen, daß ein
Menfch in die Gottheit hineinwürfen koͤnne. Gott iſt fo
unendlich weit über die Kräfte aller endlicdyen Dinge erho—
Den, daß er vor ihrem Einfluffe vollfommen ſicher ift.
Die Natur Gottes.
§. 882%
Da, die Natur eines iedweden Dinges, der Inbe—
grif derjenigen feiner innerlichen Beftimmungen ift, welche
die Gründe feiner Handlungen find *%G, 396. fo ift die Na⸗
tur Gottes der Inbegrif derjenigen innerlichen Beſtim⸗
mungen Gottes, melche die Gründe feiner Handlungen und
Wuͤrkungen in fich felbft, und auffer fi) in andern Din—
gen, enthalten. Da nun eine iedwede Subſtanz eine Na—
tur bat, und Gott überdis um feiner Selbftftändigkeit wil«
len nicht leider, fondern felbft handele $. 881. fo bat er
nicht
Die Natur Gottes. Ist
nicht nur eine Natur, fondern die göttliche Natur ift auch
unendlich und die aflervolffommenfte Natur, die irgends
nur möglih iſt F. 817. Sie begreift das göttliche We—
fen, feine allmächtige Kraft, und alfe feine übrigen: Bolls
fommenbeiten in fih, durch welche feine Handlungen bes
ftime werden, feine unendliche Güte, Weisheit, und wie
fie alle Namen haben mögen . 396. Damit man aber
den unendlichen Unterſchied der Natur Gottes, von der
Matur affer übrigen möglichen Dinge famt ihrer unendlts
hen Bollfommenbeit, beſſer einfehe, fo wollen wir fonders
lic) folgende Stüce bemerfen. 1) Die Natur Gottes ift
ein Inbegrif lauter unendlicher Nealitäten, und allerhöchtten
Vollkommenheiten: denn Gott Fan Feine andern innerlichen
Beſtimmungen haben, als Realitäten die unendlid) find
$. 818. 854. Syn der göttlichen Natur iſt nichts Vernei—
nendes, Unvollfommenes und Eingefehrenftes, fie ift volls
kommen Beilig S. 858. Die Naturen aller andern möglis
hen Dinge enthalten zwar viel Nealitat und Vollkommen⸗
beit, allein fie enthalten auch viele und groffe Unvollfoms
menheiten. Durch die Natur Gottes Fan feine Verneis
nung und Unvollfommenheit gewirkt werden, und die Na—
tur eines endlichen Dinges Fan nichts würken, was ganz
und durchgängig gut ift. 2) Die Natur Gottes enthält,
den hinreichenden würfenden Grund feiner Würfungen, in
und auffer ſich: denn fonft müßte er nicht nur von andern
Dingen auffer fi) abbangen, fondern er würde auch nicht
den binreihenden Grund der Würflichkeit anderer Dinge
auffer fi) enthalten H. gar. Enthielte die Natur Gottes
blog einen unzureichenden Grund feiner eigenen würflichen
Accidenzien, fo müßten andere Dinge auffer Gott vollends
das ihrige dazu betragen, damit die Accidenzien Gottes
ihren hinreichenden Grund erhielten, weil fie ohne hinrei—
chenden Grund nicht wirklich feyn Fönnen, und dag iſt der
Selbftftändigfeie Gottes zumider $. 850. Die Naturen
aller andern Dinge find fo ohnmaͤchtig, daß Feine derfeiben
den völligen hinreichenden Grund ihrer Handlungen enthals
KA ten
152 Die Natur Gottes,
ten fan. Ohne Beyhuͤlfe Gottes und. anderer Dinge Fan,
‚Feine Natur irgends eines andern Dinges, etwas würfen.
3) Die Natur Gortes ift felbftftändig, und folglich iſt
Gott, vermöge verfelben, fdhlechterdings die erfte Urſach
aller feiner Handlungen $. 880. Alle andere Dinge auffer
Gott aber find, vermöge ihrer Maturen, nur Zmwifchenur:
fachen ihrer Handlungen und Würfungen, und bangen in
ihrer Würfiamfeit von andern Urfachen ab, welche ihnen
die Wuͤrkſamdeit eines Theils geben, 4) Die Natur Got:
tes Fan ſich niemals leidentlich verhalten 6. 881. Die Nas
£uren aller andern Dinge aber verhalten ſich, im aller ihrer
Wirffamfeit, zugleich leidentlich, indem fie nicht nur von
Gott leiden, fondern auch von andern Dingen, welche ihnen
widerftehen und in. fie zurück mürfen. Die Natur eines
endlichen Dinges ift wie ein Rad in einer Uhr, welches zu—
gleich bewegt und, bewege wird, Die Natur Gottes aber
fest. alles in Bewegung, fie felbft aber wird gleichfam nur
durch, ſich ſelbſt bewegt. 5) Die Natur Gottes befindet
ſich allemal in einer unendlichen und unveränderlicyen Ges
ſchaͤftigkeit, alles iſt in ihe Thätigkeit $. 856. 861. Die
Naturen aller andern Dinge aber find ofte nur blofie Moͤg
lichfeiten zu handen. Bald wuͤrken fie mehr bald aber
weniger, niemals aber fo viel, als es an ſich möglich iſt.
. 883 |
Aus diefer Betrachtung der Natur Gottes flieffen fols
gende Wahrheiten. x) Alles was an fich möglich ift, das
ift in Abficht auf Gort natürlich möglich: denn die Natur
Gottes ift eine allmächtige Natur $. 883. 862. 408. Gott
Fan durd) feine Natur, alles mögliche wuͤrklich machen.
2) Was in Ablicht auf Gott natürlich unmöglich genene
werden foll, das muß an und vor fich betrachtet unmöglich
ſeyn. S. 408. 865. Den endlichen Dingen ift vieles na—
türlich unmöglich, was an fich gar wohl möglid) ift, denn
ihre Natur ift nicht allmaͤchtig, allein bey Gott verhält es
fih ganz anders, 3) Was an fich zufällig ift, das ift aud)
in Abſicht auf Gott natürlich zufällig 9. 409. nee fein
egens
Die Natur Gottes. 155
Gegentheil möglich ift $. 105. ſo Fan Gott durd) feine all«
mächtige Kraft fo wol das zufällige würfen, als aud) fein
Gegentheil, in fo ferne beydes was reelles it. Einem
“endlichen Dinge fan manches natürlic) ‚nothmendig feyn,
was an ſich zufällig ift. 4) Was in Abficht auf. Gott na=
türlich norhwendig ift, das muß fehlechterdings nothwendig
feyn: denn dasjenige iſt in Abficht auf Gott natürlich noth«
wendig, was er würfen Fan, aber nicht das Gegentheil defa
felben. Folglich muß das legte fehlechterdings unmöglich,
und das erſte fchlechterdings nothmendig ſeyn $. 409. 104,
5) Alle übernatürlihe Begebenheiten und Wundermwerfe
find, in Abficht auf Gott, natürlich möglich und zufällig
$. 864: Folglich find ſie auch in dem Berftande hypothe—
tiſch möglich, daß fie auffer fich eine Urſach haben, welche
Kräfte-genung beſitzt, fie bervorzubringen. Wenn alfo ein
Naturaliſt deswegen alle übernatürliche Begebenheiten und
Wunderwerfe leugnet, weil er in der Meinung fteht, daß
fie diefe hypothetiſche Möglichkeit nicht haben, fo irret er,
und Fan durch die bloffe Vernunft widerlegt werben S. 467.
$. 884,
Das Leben eines iedweden Dinges: befteht, in der
Dauer-feiner Natur 9. 396. Folglich ift, das Leben
Gottes, die Dauer feiner: göttlichen Natur; oder Gott
iſt eim lebendiger Gott, in fo ferne er. nicht nur, als der
wahre Gott, Die wahre, göttlihe Natur befist, fondern in
fo ferne auch Diefelbe in ihm fortdauert. $. 882, Nun fan
die Natur seines Dinges nicht anders wirklich feyn und
fortdauren, als in fo ferne ein Ding fo handelt und wuͤrk⸗
fam ift, als es feiner Natur gemaͤs ift. Folglich befteht,
Das Leben Gottes, in feiner, auf eine unendliche und aller—
vollfommenfte Art, würffamen und handelnden Natur,
Und es iſt ohne fernern Beweis Elar, daß Gott lebe, oder
lebendig fen. $. 882, Er wird in der heiligen Schrift vor«
züglic, der lebendige Gott genent, nicht nur zum Unterfchies
de non den falſchen Göttern, als welche Feine göttliche Na—
fur, und alfo auch Fein göttliches $eben haben, fondern
85 todte
154 Die Natur Gottes.
todte Goͤtzen find; fondern er fan auch mie Recht vorzüglich
der Schendige beiflen, weil das Leben Gottes das allervolle
fommenfte eben ift, und weil Gott im allerhöchften und
unendlichen Grade lebt. F. 817. md das will fonderlih _
zweyerley fagen. 1) Je gröffer und vollfommener die Natur
eines Dinges ift, defto gröffer ift fein Leben. Da nun, die
Natur Gottes, die allergröfte und vollfommenfte Natur
it $. 882. fo iſt in diefer erften Abficht, das Leben Gottes,
das allergröfte. Alles demnach), was wir in dem Vorher—
gehenden zur höchiten Vollkommenheit der Natur Gottes
gerechnet haben, das gehört auch zu dem höchften Grade
feines Lebens. 2) Je groͤſſer Die Dauer der Natur eines
Dinges ift, defto gröffer ift fein feben. Die Dauer der
Natur Gotees ift in allen Abfichten unendlich groß $. 854.
Sie ift ewig $. 858. fie iſt unveränderlih $. 847. und
beſteht in einer ununterbrodyenen allmächtigen Wirkfamfeit
$. 862. Die Natur ift die Duelle der Handlungen. Syn
fo ferne ein Ding feiner Natur gemäß handelt, in fo fern
iſt feine Natur wuͤrklich, und in fo ferne lebe daffelbe Ding.
Syn fo ferne es aber nicht handelt, in fo ferne ift feine Natur
nicht wuͤrklich, und in fo ferne ift es todt. Je mehrere und
gröffere Handlungen ein Ding vornimt, und ie ununterbroch«
ner diefes geſchieht, deſto lebendiger ift es. Keine endliche
Gubftanz lebt immer im möglichfien Grade, fie ift allemal
in gewilfer Abficht tode und unwuͤrkſam. Gott lebe durch«
aus, und er itin keinerley Abſicht als todt zu betrachten:
indem er beftändig auf eine allmächtige Art feine Natur
braucht, und fo viele und groffe Handlungen thut, als moͤg—
lich iſt. Chriſtus ſagt: mein Vater wuͤrkt bisher, und ich
würfe auch. Es it eine wahrhaftig göttliche Bollfommen«
heit, im hoͤchſten Gradegelchäftig zu feyn, und im höchften
Grade zu leben, San alfo wol Unthätigkeie, Unwuͤrkſam—
feit eine wahre Vollkemmenheit feyn? Se mehr wir thun
und würfen, deſto febendiger find wir, und defto gröffer
iſt unfere Vollkommenheit, weil wir dadurch Gott ähnlicher
werden. Es ift aljo ein wahrer Gedanke mancher Sitten⸗
lehrer,
Die Natur Gottes, 15
fehrer, daß man, bey der Ausmeſſung des menfchlichen tes
bens, die Stunden, die wir verfchlaffen, die wir mit Nichts—
thun verfchleudern, und die wir ohne vernünftige Handlungen
zubringen, abziehen müffe, wenn man willen wolte, wie
alt ein Menſch fey? Und da ift Elar, daß mancher Menfch
nur etwa zehn Jahr alt ift, welcher, nad) Ausſage der Kit
chenbuͤcher, fiebenzig Jahr erlebt hat; und daß mancher in
feinem zwanziaften Jahre ſtirbt, welcher in der That ein
ehrwürdiger achtzigjäbriger Öreis genent zu werden verdient,
Eine ungemein nügliche Betrachtung!
§. 885.
Die Unsterblichkeit beſteht, in der Unmöglichkeit zu
fterben. Da nun der Tod, in dem Ende der Natur eines
Dinges beſteht: fo ftirbe ein Ding, wenn fein leben aufhört
S. 396. Folglich ift ein Ding unfterblic), wenn es uns
möglich ift, daß fein Leben aufhoͤre. Iſt dieſes fehlechter=
dings unmöglich, fo ift ein Ding fhlechterdings unfterblich ;
ift es aber nur hypothetiſch unmöglich, fo ift das Ding nur
hypothetiſch, oder auf eine bedingte Art, unfterblih, Ich
habe diefe Begriffe, in meinen Gedanken von dem Zu⸗
ftande der Seele nach dem Tode, weitläuftig abges
handele, und hier iſt nicht noͤthig, Diefeiben weiter auszu«
fügen. Es würde viel zu wenig gefagt feyn, ja man würs
de auf eine geobe Art irren, wenn man behaupten wolte:
Gott fey auf eine bedingte Art unfterblich ; denn das hieſſe
fo viel, als, Gott koͤnne zwar fterben, allein unter einer
gewilfen Bedingung fey das Ende feines Lebens unmöglich.
Gore ift vielmehr fchlechterdings unfterblich, weil es ſchlech—
terdings unmoͤglich ift, daß er fein Leben folte verlieren Föne
nen. Das göttliche teben ift eine innerliche Vollkommen—
heit Gottes $. 854. und folglidy ſchlechterdings nothwen⸗
dig und unveränderli 6. 845. 849. 847. und fo wenig
fein geben einen Anfang bat nehmen fünnen, fo wenig Fan
es ein Ende nehmen 9.848. Folglich ift er fchlechterdings
unſterblich. Kein endliches Ding Fan ſchlechterdings un«
ſterblich ſeyn, weil eine iede endlihe Subjtanz ihre Wuͤrk—
lich:
156 Die Natur Gottes.
lichkeit, und alfo auch ihr eben, verlieren fan $. 176,
Folglich iſt Gott die einzige Subftanz, welche ſchlechterdings
unfterblich iſt. Er wird daher in der heiligen Schrift ders
jenige genent, der affein Unfterblichkeit hat. Die Unfterbs
lichkeit Gottes ift atfo, von der. Unſterblichkeit aller endlis
chen Subſtanzen, aller endlichen Geifter, und der menſch⸗
lichen Seelen, auf eine zweyfache Art, unterfchieden, Cine
mal, weil Gott allein. ſchlechterdings unſterblich iſt; alle
andere Dinge aber, welche uniterblich find, die find es nur
auf eine bedingte Art. Zum andern, weil die Unfterbliche
feit Gottes, in dem ewigen und unveränderlichen Befige,
des allergröften und vollfommenften Lebens, beſteht; das
ift, in einer unendlichen Thätigfeit Gottes, wohin auch der
beftändige und unendliche Gebrauch feines Verſtandes und
feines freyen Willens gehört, mie aus. dem Folgenden erhela
len. wird. Der unfterbliche Gort lebt nothwendig, beftans
dig und unmandelbar, im hoͤchſten und. vollkommenſten
Grade, Und darin beftehe die unendliche Bollfommenheit
feiner Unfterblichkeit, weiche alſo eine: goͤttliche Vollkom—
menbeit ift, die feinem endlichen Dinge mitgetheilt werden
fan. Kein anderes unfterbliches Ding lebe fo vollfommen,
und Fan alfo niemals auf die Are unfterbiich genent werden,
als das allervollfommenfte Weſen.
Die Unermeßlichkeit Gottes.
$. 886.
Unermeßlich heift dasjenige, was eine Gröffe hat,
welche nicht gemeffen werden fan. Wenn mir alfo bes
haupten wollen, daß nicht nur Gott im Ganzen betrachtet,
fondern aud) eine iedwede feiner innerlichen Vollkommenhei—
sen, unermeßlich fey: fo komt «8 nicht nur darauf an, daß
wir den wahren Grund der Unermeßlichkeit überzeugend ein-
fehen; fondern daß wir auch deutlich zeigen, in was für
einem Berftande Gort unermeßlid) genent werden Fan oder
nicht. Was das erfte betrift, fo wuͤrde es, einmal, irrig
ſeyn, wenn man deswegen Gott unermeßlich nennen wolte,
weil
Die Unermeßlichkeit Gottes. 157
weil nur Gröffen gemeffen werden fönten, Gott aber gar
keine Gröffe habe: denn das legte ift falſch, wie id) in dem
Vorhergehenden gezeigt habe $. 870, Zum andern würde
man noch unrichtiger denken, wenn man fo fehlieffen wolte :
mas foll gemeffen werden koͤnnen, das muß in die Laͤnge,
Breite und Höhe ausgemeflen werden koͤnnen. Nun baf
Gott gar Feine Ausdehnung, folglid) auch Feine Laͤnge,
Breite und Höhe; under fan alfo gar nicht gemeffen wer
den. Jederman kan fich leicht überzeugen, daß auch une
förperliche Groͤſſen gemeſſen werden Eonnen, obgleich niche
vermittelft folcher Maaßſtaͤbe, durch welche nur ausgedehnte
Gröffen gemefien werden koͤnnen. Leute, welche, wenn fie
das Wort mejfen hören, nur an Ellen und Scheffel denken
fönnen, die denfen viel zu koͤrperlich, als dag man mit
ihnen von folchen Unterfuchungen, als wir jego vor uns has
ben, gründlich folte reden koͤnnen. Und drittens würde
man am allerfeletfamften denfen , wenn man deswegen Gore
unermeßlic) nennen wolte, weil er feinen Umfang bat, fons
dern unendlich ausgedehnt ift: denn Gott hat gar Feine
Ausdehnung. Solche faifche Gedanken, als ic) jego wi:
verlegt babe, Fönnen leicht in einem Gelehrten entſtehen,
und ſich einmwurzeln, welcher auffer derjenigen Mathematif,
die fi; mit der Ausmeſſung der Gröffen ver ausgedehnten
und förperlichen Dinge bejchäftiget, fonft Feine gründliche
Wiſſenſchaft verfteht, Und ein Lingelehrter Fan ohnedem
bey ver Ausmeffung nichts anders gedenken, als Die Aus—
meffung ausgedehnter Dinge; weil im gemeinen $eben fonft
feine andere Gröffen gemeffen werden, als die wir in den
förperlichen Dingen antreffen.
§. 887.
Wenn man nun diefer göttlichen Vollkommenheit ge
nauer nachdenkt, fo fan man fich fehr leicht überzeugen:
daß es fehlechrerdings unmöglich fen, Gott, oder irgends
eine feiner innerlihen Bollfommenbeiten, auf die Ark zu
meffen, wie wir Menfchen die Gröffen auszumeflen pflegen 5)
ja daß wir Menfcher, Feine mögliche Art und Weife, zu
eier
158 Die Unermeßlichkeit Gottes,
erdenfen im Stande find, nach welcher wir Gott, ober
eine feiner innerlichen Bollfommenheiten, auszumeffen im
Stande fenn folten. Denn wenn wir Menfchen eine Gröffe
ausmeſſen follen, fo ift uns Fein anderer Weg befant, als
daß wir eine gewiſſe beftimte und eingefchrenfte Gröffe als
Eins annehmen, und hernach unterfüchen, wie ofte diefelbe
in der Gröffe, die wir meffen wollen, enthalten fey. Die I
legte muß alfo, der erften etliche mal genommen, gleid)
feyn. Folglich ift fie allemal eine cingefchrenfte Gröffe,
weil aus einer eingefchrenkten Gröffe, und wenn fie aud)
noch fo ofte zu fich felbft Hinzugefügt wird, dennoch nichts
anders als eine eingefchrenfte Gröffe entftehen fan. Mun
äft die Gröffe Gottes, und aller feiner innerlichen Vollkom—
menheiten, wahrhaftig unendlic) $. 853. 854. und es iſt
zwifchen ihr und allen endlichen Gröffen ein fo unendlicher
Unterſchied, daß die legten wie nichts gegen die erſten zu
rechnen find S. 878: 8709. Folglich Fan feine endliche
Gröffe, zum Maaßſtabe Gottes und feiner innerlichen Boll
fommenbeiten, angenommen werden. Und es ift alfo uns
leugbar, daß wir nicht nur Gott und feine innerliche Voll»
kommenheiten, nicht ausmeffen Fönnen; fondern daß wir
auch unmöglich eine Methode erfinnen fünnen, nad) wels
her wir hoffen Fonten, die unendliche Groͤſſe Gottes auszu—
meſſen. Wir müfjen alfo geſtehen, daß Gott, und alle
feine innerlihen Vollkommenheiten, uns unermeßlic) find.
Auf die Frage: wie groß Gott, feine Weisheit, feine All
macht, , oder irgends eine feiner innerlichen Vollkommenhei⸗
ten fey, koͤnnen wir Menfchen unmöglich eine deutliche und
beftimte Antwort geben. Und man fan auch mit Gewiß-
heit behaupten, daß feine endliche Subftanz, welche einer
Erkentniß Gottes fähig iſt, im Stande fey, die unendliche
Gröffe Gottes und feiner innerlihen Vollkommenheiten
auszumeflen, Denn eine iedwede Groͤſſe beſteht in der
Vielheit der Theile, und folglich bejteht, Die Groͤſſe Got—
tes, in einer wahrhaftig unendlichen Bielheit der Nealitäs
ten. Wer aifo die görtliche Gröffe ausrechnen wolte, der
müßte
Die Unermeßlichteit Gottes. 1:9
müßte einen deutlichen Begrif von derfelben haben, welcher
- aus fo viel klaren Begriffen zufammengefeßt wäre, als es
Kealitäten in Gore gibt, das ift, aus wahrhaftig unend⸗
lich-vielen klaren Begriffen. Dieſer deutliche Begrif iſt
alſo in der That unendlich, und eine goͤttliche Vollkom—
menheit, welche in feinem endlichen Dinge ſtat finden Fan
6. 855. Folglich ift Gott allen endlichen Dingen ſchlech—
terdings unermeßlich, und kein endlicher Geift Fan Gott
ausmeflen,
§. 888.
Unterdeffen ift es eine ganz andere Frage: ob Gott
ſich felbft, und eine jede feiner Vollkommenheiten, ausmefs
fen fonne, und ob alfo Gott, und eine jede feiner Vollkom⸗
menheiten, an ſich ermeßlic, fey? Man Fan und muß Dies
fes allerdings behaupten, Man muß nur das Mefien
felbft, und die Art der Ausmeflung, von einander unter
fcheiden. Das erfte ift nichts anders, als eine deutliche
Erfentniß der Gröffe $. 188. Da nun Gott eine Gröffe
bat $. 870 und alle möglihe Dinge deutlich vorgeftele
werden koͤnnen $. 628. fo Fan aud) die Gröffe Gottes deut⸗
lic) vorgeftelt, und alfo an fid) betrachtet ausgemeſſen wer⸗
den. Mun werden wir balde erweifen, daß der göttliche
Verſtand wahrhaftig unendlicher Begriffe faͤhig ſey, und
daß er alle mögliche Dinge aufs deuklichfte erkenne. Folge
lid) Ean Gott nicht nur fich felbft, und alle feine Vollkom—
menheiten, vollig ausmeſſen; fondern er thut e8 auch in
der That, indem er den allerdeutlichiten Begrif von feiner
eigenen Gröffe hat. Allein wenn von der Art der Ausmeſ—
fung die Rede ift, fo iſt es unmöglich, daß Gott auf die
Art ausgemeflen werden Fan, die uns Menfchen befant ift
$. 887. Und es ift ein blofjes Vorurtheil, wenn man an«
nimt, daß alle Groͤſſen eingeſchrenkt find, welche aus«
gemeſſen werben‘ Fonnen,
Die
100 SE ES
Die Unerforfihlichkeit Gottes.
6. 889.
Dieſe Vollkommenheit Gottes wird von manchen,
unter dem Scheine einer tiefen Verehrung Gottes, gemife
brauche, um die theologiſche Unwiſſenheit anzupreifen, und
aus Liebe zum dummen Wunderbaren vorzugeben: Gott
fey ein fo verborgenes Wefen, welches von uns Menfchen
gar nicht begriffen werden Font, Wenn das wahr wäre,
fo wären alle deutliche Borftellungen und Erklärungen Gotz
tes und feiner Bollfommenbeiten, famt allen fyftematifchen
Theologien unmöglich, und alle Gotresgelehrre und Welt:
weile handelten höchft ungereimt, welche eine Gottesgelahr⸗
heit mündlich oder fehriftlich vortragen. Allein diefer Ge«
danfe iſt Höchft ausfchweifend, falſch und gefährlich. Koͤn⸗
ten wir gar nichts von Gott begreifen, fo Eönten wir gar
Feine deutliche und vernünftige Erfentniß von Gott erlan⸗
gen, wir Fönten unfern Verſtand und unfere Vernunft
nicht zue Ehre Gottes brauchen, und aller) vernünftiger
Gottesdienſt wäre unmöglich. Allein es ift auch unge
reimt, eine folche Lnbegreiflichfeit Gottes zu behaupten,
Alle mögliche Dinge koͤnnen deutlich erkant, und begriffen
werden $, 623. Folglich ift Gott, und eine iediwede fei«
ner göttlichen Vollkommenheiten, an und vor fid) felbft bes
erachtet begreiflich. Ja wir Menfchen können Gott begreis
fen, weil wir, nad) Ausfage der ganzen natürlichen Gottes—
gelahrheit, eine ungemein deutliche Erfentnif Gottes und:
feiner Vollkommenheiten erlangen Eönnen, Mir fönnen
fo gar logifche Erklärungen von Gott und feinen Vollkom⸗
menheiten machen, die noch dazu Sacherklaͤrungen find
S. 8351. Es iſt in Wahrbeie ein gefährlicher und arheiftix
ſcher Ausdruck, wenn man ihn ftrenge beurtheilen will,
wenn man nemlich ſagt, Gott fey ein ſchlechterdings unbe«
greifliches Weſen: denn das heift eben fo viel als, Gott‘
fen ein Unding $.629. Und wenn man mit einigem Schein '
der Wahrheit behaupten will, daß wir Menfhen gar nichts
von
Die Unerforfchlichkeit Gottes. 161
von Gott begreifen Fünnen ; fo muß man alle Erklärungen
und deutliche Borftellungen von Gott und göttlichen Dins
gen, welche in der Gottesgelahrheit vorkommen, ſchlechter⸗
dings verwerfen, und ihre Ungereimtheit zeigen. Und das
bat bieher noch niemand thun fönnen, Der Deifmus, oder
die Meinung, vermöge welcher man behauptet, daß wir
Menfchen faſt aar nichts von Gott begreifen Eönnen, als
etwa nur daß er würflich fen, ift unleugbar ein Irrthum.
Der Deifte leugnet Gott nicht, allein er läft ihn in einer
ſolchen Dunfelheit wohnen, die von unfern Augen ſchlechter—
dings nicht durchdrungen werden Fan, Er erhoͤhet ihn
ohne Grund fo weit über unfern Gefichtsfreis, daß wir
ihm gar nicht erreichen Fonnen. Man Fan diefe Meinung
freylidy mit vielen, dem Scheine nach, andächtigen und
ehrfurchtsvollen Ausdrucken ausſchmuͤcken; allein folche red⸗
nerifche Figuren bemeifen nichts, und ehe ein Deift niche
alle deutliche Begriffe der Gottesgelahrheit gründlich wider—
legt, ehe Fan man feine ganze Lehre für nichts anders halten,
als für ein andächtig Flingendes unverftändiges Gewäfche,
$. 390%
Alfein mit dee Unerforfhlichfeit Gottes, und aller
feiner Vollkommenheiten, verhält es ſich ganz anders,
Die Erforſchung einer Sache beiteht in einer folchen
Erfentniß einer Sache, welche gar Feine Unwiſſenheit in
Abficht derfelben in ſich enthäl. Wir erforfchen alfo ein
Ding, wenn wir daflelde dergeftalt erkennen, daß ung nichts
von demfelben, nicht die geringfte Beftimmung deſſelben,
unbefant bleibt; wenn wir eine völlige hiftorifche, philofos
phiſche und mathematifche Erfentniß von demſelben haben ;
- "wenn wir fein Wefen, alle feine Eigenfchaften , innerliche
"Beftimmungen und Berhältniffe; alle feine Gründe, und
Folgen; alle Berfchiedenheiten feiner Merkmale, erkennen ;
und wenn wir alfo eine folche Elare und deutliche Erfentnif
von demfelben befigen, welche gar Feine Dunfelheit und
Verwirrung mehr in fid enthält. Die Erforfchlich,
feit eines Dinges befteht alfo, in der Möglichkeit einer
4, Tbeil, $ fol«
—
162 Die Unerforſchlichkeit Gottes.
ſolchen vollkommenen Erkentniß deſſelben. Nun Fan Gott,
und eine iede feiner Vollkommenheiten, auf eine fo vollkom—
mene Art erkant werden $. 889. Folglich iſt nicht nur
Gott, und eine iedwede feiner Vollkommenheiten, an fi)
ſelbſt erforſchlich; fondern wir werden aud) balde überzeugt
werden, daß Gott ſich felbft, und alle feine göttlichen Boll _
kommenheiten, durch feinen unendlichen Verſtand erforfd,e.
Allein wenn, von uns Menfchen und andern Creaturen,
die Rede ift, fo ift leicht zu erweifen, daß uns Gott und
alle feine Vollkommenheiten unerforſchlich find; oder daß
unfere Kräfte nicht zureichen, ihn und feine Bollfommen«
beiten zu erforſchen. Denn eine Erkentniß, durch welche
Gott und eine göttliche Vollkommenheit erforſcht wird, iſt
ein wahrhaftig unendlicher Begrif, welcher nur in einer
Subſtanz wuͤrklich feyn Ean, die alle übrigen unendlichen
-Bollfommenbeiten befißt. $. 855. Da wir und alle Crea«
turen nun wefentlich eingefchrenfe find; fo iſt es ſchlechter—
dings nothwendig, daß uns und ihnen allemal vieles In
der Gottheit unbefant bleiben muß, und es it demnach)
Gott, und eine iedwede goͤttliche Vollkommenheit, uns und
allen endlichen Dingen unerforfchlih. Allein das ift noch
nicht genung. Wir koͤnnen fein endliches Ding, fein Sand«
£orn erforſchen. Wir müflen alfo fagen, daß Gott im
hoͤchſten Grade unerforfhlich fey, und unendlich vielmals
anerforfchlicher, als alle andere Dinge, Denn ie mehr
in einer Sache uns und andern endlichen Dingen unbefant
bleiben muß, und ie geöffer die Nothwendigkeit diefer Uns
wiſſenheit iſt: defto unerforfchlicher ift diefelbe. Nun ente
hält’ Gott unendlich viel mehrere und gröffere Realitäten,
als alle andere Dinge, Folglich muß uns nothwendig viel⸗
mal mehr in Gott und feinen Bolfommenbeiten unbefane
bleiben, als in allen andern Dingen, und diefe Nothwen⸗
digkeit ift noch ‚dazu die groͤſte. Folglich ift Gott, und
eine iedwede göttliche Vollkommenheit, im hoͤchſten Grade
unerforſchlich, und wird es aud) ewig bleiben, und wenn
wir auch) noch fo fehr in der Erfenmiß Gottes wachfen folten,
Zu
Don den Vollkommenheiten Gottes. 163
Zu diefer Linerforfchlichfeit Gottes gehört auch feine Uner—
meßlichfeit S. 887. und es folgt aus ihr, daß alle unfer
Wiſſen von Gott und göttlichen Vollkommenheiten nur ein
Stuͤckwerk fen, das ift, daß wir nur einige Theile von Gott
erfennen Fönnen, und Daß es uns unmöglich fey, den gan«
zen Gott zu erfennen. Es gereicht dieſes allerdings zue
Demuͤthigung und Befhämung flolzer Öottesgelehrten und
Weltweiſen, welche ſich manchmal, durd) ihre heologifche
Gelehrſamkeit, dergeftalt aufbläher laffen, daß fie auf eine
verrückte Ark ſich einbilden, es fey für fie in der Gottesge—
lahrheit nichts mehr zu lernen übrig. Allein e8 würde auf
der andern Seite fehr unvernünftig fenn, wenn man deswe⸗
gen alle menſchliche Gottesgelahrheit verachten und vernad)-
läßigen wolte, weil fie nur ein Stuͤckwerk iſt: denn es ift
doch allemal beffer etwas, als gar nichts. Eine Erfentnif
Gottes, die gar Fein Stuͤckwerk ift, if eine göttliche Era
kentniß, deren Fein Gefchöpf fähig fenn und werden Fan,
EHE EEE TER EEE TEEN EI BIER EURTRLIHER
Der vierte Abſchnitt.
Don den VBollfommenheiten Gottes, die ihm
zukommen, in fo ferne er ein Geift ift.
$. 891.
ie haben ung bisher bemuͤhet, den Begrif von Gort,
in fo ferne man ihn bios als eine mögliche und
wuͤrkliche Subftanz betrachtet, recht vollfonmen
und ihm anftändig zu madyen, indern wir nur diejenigen
göttlichen Vollkommenheiten unterfuche haben, in Abfiche
auf welche ihm alle endliche Subſtanzen aͤhnlich find, Alle
endliche Subftanzen, ob fie gleich Feine Geiſter ſind, haben
eine Macht, eine Einheit, eine Wahrheit u. f. w. Allein,
alles diefes würde uns wenig nußen. Wenn Gott fein
Geift wäre, fo hätte er keinen Berftand, Feine Weisheit,
feine Güte, feine Gerechtigkeit, Feine Freyhelt u, f. w.
‘2 Wäre
164 Don den Dolltommenheiten Gottes.
Wäre eine folche Gottheit wol werth, daß man fie Fennen
lernte? Sie würde ohne Zweifel Feine beffere Zufriedenheit
mit ihr, und feine gröffere Hochachtung, ‚verdienen, als
der Klotz in der Zabel, den Jupiter zum Herrn über die
Froͤſche machte. Die bisherigen Betrachtungen find zwar
unentbehrlich gewefen, um uns einen richtigen und Gott
anftändigen Begrif von ihm zu machen. Allein, wenn
die Sehre von Gort uns Menfchen recht brauchbar, nüßlic),
troͤſtlich und practifch feyn fol; fo mürfen wir nicht nur
überzeugt werden, daß unfer Gott ein Geift fen, fondern
daß er auch, mit allen Vollkommenheiten eines Geiftes,
im höchften Grade prange, Und das Fan fehr leicht erwie-
fen werden. Eine iediwede Subſtanz ift, der Erkentniß
und DBorftellungen, fähig $. 369. Folglich gilt diefes
auch von Gott, weil er eine Subftanz ift $. 860. Die
Erfentniß ift eine Realität, und die Unwiſſenheit eine Vers
neinung. In Gott find alle Nealitäten F. 816. Folglich
hat Gott Erkentniß. Alle Dunkelheit und Berwirrung
der Erkentniß ift eine Berneinung, und die Deurlichfeit eine
Kealität $: 503. Folglicdy hat Gore deutliche Erfentniß
$. 816, 878. Ufo hat er auch das Vermögen deutlicher
Erkentniß $. 61. oder Verftand $. 372. Da nun eine
Subſtanz, welche Berftand befist, ein Geift iſt F. 373. fo
ift Gott ein Geift, und zwar der vollfommenfte Geift, weil
er überhaupt in allen Abſichten das aflervollfommenfte Ding _
it 9, 815. Es wird diefes dadurch vollfommen beftätiget,
wenn wir Gott, als die würfende Urſach viefer Welt, bes
erachten. In dieſer Welt finden wir überall die Spuren
der Weisheit, des Verftandes, der Güte, der Klugbeit,
und es ift unbegreiflich, wie diefe Welt ein Werf eines un—
verftändigen Weſens fern koͤnte. Alles ift nach überlegten
Grundregeln eingerichtet und zufammengeordnet, und es
ſchimmert allerwegen Die weifefte Wahl hervor. Diefe
Beobachtungen betätigen wenigftens die Wahrheit,
daß Gott ein Geiſt fey.
Die
I Hy N 165
Die erfte Abtheilung.
Der Verftand Gottes.
892.
Weit Gott ein du ift, fo hat er Verſtand $. 89r.
und zwar befigt er denfelben, als eine innerliche Vollkom⸗
menheit. Nun find alle innerliche Vollfommenheiten Gotz
tes unendlich, unveränderlich, und fehlechterdings die aller
gröften $. 847. 854. 870. Folglich befteht, einmal, der
Berftand Gottes nicht etwa in einem bloſſen Vermögen,
fondern zugleich, in der würflichen Erkentniß, und in der
Wuͤrkung aller Erkentniß, die durch den Verſtand Gottes
möglich ift $. 856. Zum andern ift, der Verſtand Got—
tes, unveränderlich. Folglich Ean Feine Erfentniß in ihm
eneitehen und vergeher. Sondern alle feine Erkentniß if,
von Ewigkeit zu Emigfeit, auf einmal, ohne alle Abaͤnde—
rung in ihm würklih. In ihm find Feine Borftellungen,
welche vor andern vorhergehen, und welche auf andere fol-
gen. Der Verftand Gottes ift mächtig und ftarf genung,
feine gefamte Erkentniß auf einmal zu faffen, zu fragen und
zu unterftüßen. Zum dritten iſt der göttliche Verſtand,
weil er unendlich ift, der gröfte, und ohne alle Schranfen.
Und das will fagen: 1) Der Berftand Gottes erfent, alle
mögliche Dinge, veutlih. Denn ie mehr Dinge ein Ber
ftand deutlich erfent, defto gröffer ift er S. 632. Der gröfte
Berftand muß alfo ale Dinge deutlich erfennen, welche
deutlich erfant werden koͤnnen. Nun fan alles, was moͤg⸗
lich it, deutlich erfant werden $. 628. Folglich erfent
Gore, durch feinen unendlichen DBerftand, alle mögliche
Dinge, und fein Berftand hat alfo den allergröften Umfang.
Wenn Gott ein einziges mögliches Ding nicht deutlich er»
£ente: fo müßte er entweder daſſelbe gar nicht erfennen, und
er wäre alfo unmiffend; oder er müßte es nur undeutlic)
erkennen, und alfo wuͤſte er feine Unterfcheidungsftüce nicht.
Alle Unwiffenheit ift eine Unvollfommenheit und Einfchrens
Eung des Berftandes, welche in Gott niche möglich find $. 818.
z Folg-
166 Der DVerftand Gottes,
Folglich iſt nothwendig in Gott, eine deutliche Erkentniß
alfer möglichen Dinge ohne Ausnahme, 2) Der Verſtand
Gottes erfent auch die allergröften Dinge, und ein iedes
Ding in feiner alfergröften Gröffe: denn ie groͤſſer die Dina
ge find, die ein Berftand erkent, deſto gröffer ift er d. 632,
Folglich erforfcht, der göttliche Verſtand, alle mögliche
Dinge $. 80, Er fieht alle mögliche Dinge vollfonmen
in ihrer Gröffe, Wichtigkeit und Fruchtbarkeit ein. 3) Der
Verſtand Gottes erfent alle Dinge aufs deutlichfter deun
ie deutlicher die Erkentniß ift, defto gröffer ift der Verſtand
$. 532. Der Verftand Gottes erkent alles, Folglich auch
alle Merkmale aller mörlihen Dinge, und alle Merfmale
der Merfmale, Sein. Berftand ift alfo der tiefite, indem
er alle Dinge fo durchdringt, daß ihm fein Merkmal ver
borgen bleibt, und er ift zugleich der teinfte Berftand, weil
in feiner Erfentniß Feine Dunkelheit und Verwirrung übrig
bleiben fan; indem diefe!be allemal aus der Unwiſſenheit der
Merkmale entſteht $. 630. 631, 2) Indem Gottes Vers
fand auf einmal, alle möglihe Dinge, in der gröften
Deutlichfeit erfent: fo erkent er ein iedwedes, mitten unter
unendlich vielen höchft verfchiedenen deutlichen Vorſtellun—
gen, dennoch) in dem hoͤchſten Grade der Deutlichkeit. Und
dieſes ift ein ausnehmender Beweis, der allmächtigen
Stärfe des göttlichen Verſtandes. Wenn unfer fehwacher
Verſtand etwas deutlich erkennen foll, fo muß er nur mit
wenigen Dingen auf einmal befchäftiget werden. Stelt
man ihm viel auf einmal und hinter einander vor, fo wird
er zerſtreuet, und Fan gar nicht mehr würfen und deutlich
denfen. Allein, der allmächtige Verftand Gottes Fan alles
auf einmal, in dem allerhöchften Grade der DeutlichEeit,
ohne Ermüdung, Zerftreuung und Verwirrung, von Emwig«
Feit zu Ewigkeit erkennen, Doch wir müffen, die höchite
Vollkommenheit des göttlichen Verſtandes, noch genauer
unterfuchen, und das Fan gefchehen, wenn wir vornemlic)
die höchfte Vollkommenheit der Erfentniß Gottes
weitläuftiger betrachten.
Die
O 67
Die allervollkommenſte Befchaffenheit der
göttlichen Erkentniß.
$. 893
J Es iſt alſo eine unwiderſprechliche Wahrheit: daß
Gott alle moͤgliche Dinge, in dem allerhoͤchſten Grade der
Vollkommenheit, erkenne. Wenn wie nun dieſe Wahr⸗
heit gehörig, zur wahren Verehrung Gottes, einſehen wol⸗
len; fo müflen wir vor allen Dingen ‚5 die Form und Bes
ſchaffenheit dieſer allervollkommenſten Erkentniß, zu bes
trachten ſuchen. Und da iſt unleugbar, daß die Erkentniß
Gottes in keinerley Abſicht ſinlich genant werden kan. Die
Erkentniß iſt ſinlich, in ſo ferne ſie dunkel und verworren,
oder mit einem Worte undeutlich iſt 9. 524. Nun iſt,
die Dunfelheit und Verwirrung der Erfentniß, eine Une
wiſſenheit der Merfinale $. 458. und folglich eine Berneia
nung und Unvollftommenheit, welche in der Erkentniß Got⸗
tes nicht flat finden Fan $. 892. Zu dem komt noch, daß
das Sinlihe in unferer Erkentniß von unferm Körper ab«
hanget. Gott hat feinen Körper $. 868. und Feine feiner
innerlichen Realitäten Fan, von andern Dingen auffer ihm,
abbangen $. 881. Folglich Fan feine Erkentniß auch, um
dieſer Lirfach willen, nicht fialich fyn. Was in Gott
nicht würflid) ift, das ift auch in ihm nicht möglich $. 835.
Folglich Fan Gott feine ſinliche Erfentniß haben, und er
hat demnach) Feine untern Erkentnißkraͤfte, feine Ginne,
Feine Einbildungsfraft, und wie fie alle Dramen haben mö«
gen $. 524 Frehylich iſt in allen unfern untern Erfente
nißkraͤften etwas Reelles, und man Fan Diefelben insgefame
Gott gleichnißweiſe zufchreiben S. 851. Durch unfere
Sinne z. €. flellen wir uns, das Gegenmwärtige in der
Weit, vor. Gott erfent alles Gegenwärtige, folglich em⸗
pfindet er, gleichnißweife zu reden. Allein man muß fich
wohl in acht nehmen, daß man nicht etwa Denfe: weil
Gott alles erkent, was wir durch unfere untern Erkentniß—
kraͤfte erkennen, fo fen dieſe ni Erkentniß eben fo beſchaf⸗
4 ven,
168 Die allervollEommenfte Befchaffenbeie
fen, als diejenige Erkentniß, die ung unfere untere Erkent⸗
nißkräfte von diefen Dingen geben, und e8 merde die Ers
Fentniß diefer Dinge von dem göttlichen Berftande eben fo
gewürft, als die finlihe Erkentniß derfeiben in uns von
unfern finlihen Erfentnißfräften bervorgebracht wird.
Der unendliche Verſtand Gottes vertrit in ihm zugleich die
Stelle aller unferer untern Erfentnißfräfte, und er erfent
durch denfelben alles dasjenige, was wir nur durch die uns
tern Erfentnißfräfte erkennen, und zwar ohne alle Sinliche
feit, indem es fhlechterdings unmöglich üt, daß ihm its
gends etwas dunkel und verworren feyn koͤnte. Man Fan
daher fehlechterdings nicht fagen, daß Gott abftrabive, oder
von einer Sache abftrahiren koͤnne: denn alsdenn müßte er,
die Borftellung derfelben in ſich, verdunfeln fönnen, und
Das iſt fchlechterdings unmoͤglich $. 506. Verſteht man
durch die Aufmerffamfeit das Bermögen, ſich eine Sache
Flärer vorzuftellen als andere Dinge, yon denen man unters _
deſſen abftrahirt, fo ift es ungereimt zu fagen, daß Gott
worauf acht babe. Allein da die Realität der Aufmerkſam⸗
Feit darin befteht, daß die Erkentnißkraſt würffam fen, und
die Borftellung einer Sache Flar mache $. 506. fo Fan man
fagen, daß Gore beftändig auf alle mögliche Dinge im
hoͤchſten Grade acht habe; und man fan, durd) die gütt«
lihe Aufmerffamfeit, die allerhöchfte, ewige, unveräna
derlicye und unendliche Anftrengung des görtlichen Verſtan—
des auf alle mögliche Dinge verftehen. Allein nachdenken
und überlegen Fan Gott nicht, weil er widrigenfals nad) und
nach) auf die Theile der Dinge acht haben, und. nachher fie
alle zufammen auf einmal fid) vorstellen müßte $. 513. 515.
Folglich wäre in Gott eine Zeitfolge, welches doch unmög«
lich ift S.847. Der göttlihe Verſtand denft Feiner Sache
fo nad), und überlegt fie auch nicht auf die Art, wie wir.
Sondern er durchbligt und durchſchauet, mit einem ewigen
unwandelbaren Blicke, alle mögliche Dinge beſtaͤndig der
geftale, daß er, alle Merkmale, Theile und Beſtimmun—
gen aller möglichen Dinge, auf einmal in der gröften Deut«
lich»
der göttlichen Erkentniß. 169
Hchkeit erfent, und er alfo gar nicht nöthig hat nach und
nad), durch ein Nachdenken und Ueberlegen, fie auf eine
mübfame Art zu fuchen und zu entdeden. \
. 894. h
Gottes Erfentniß aller möglichen Dinge iſt, eine ans
fhauende Erkentniß aller möglidyen Dinge. - Damit wir
uns von diefer Wahrheit gründlich überzeugen, fo. wollen
wir die Frage unterfuchens ob die Erfentni Gottes fym=
boliſch ſeyn koͤnne; oder ‚ob Gott irgends eine Sache ſym⸗
botifch erfenne? Und, da muß man allerdings behaupten,
erftlih, daß Gott alle mögliche und“ würfliche Zeichen,
Ausdrude, Worte und Sprachen aufs. vollfommenfte er
fonne: denn er erfent alle mögliche Dinge. Zum andern
erfent er, um eben der Urſach willen, alle bezeichnende Vers
fnüpfungen der Dinge, oder allen möglichen Zufammen»
hang aller Zeichen mit ihren Bedeutungen, und er ſieht alfo
aufs deutlichite ein, wie alle. Bedeutungen eines iedweden
Zeichens aus denfelben fönnen erfant werden. Zum dritten
erkent er auch aufs deutlichfte, alle ſymboliſche Erkentniß
aller Menfchen, und aller übrigen denfenden Creaturen:
denn er. weis alles. Wolke man. nun, diefe dreyfache Erz
kentniß, eine fombolifche Exfentniß nennen: fo müßte man
fagen, Gott habe die allervollfommenfte ſymboliſche Erkent⸗
niß. Allein dee Ausdruck ift unbequem, weil man, dur)
die ſymboliſche Erfentniß, eine andere Erkentniß verfteht,
weiche fich für Gott gar nicht ſchickt. Es würde nemlich,
erftlich, ein grober Irrthum feyn, wenn man. behaupten
wolte, daß Gort manche Dinge gar nicht erkennen würde,
wenn er fie nicht aus ihren Zeichen erfennete, und daß er
alfo. von diefen Dingen nur eine Erkentniß vermittelft ihrer
Zeichen babe, und: daß die Zeichen Mittel wären, durch
welche Gott feine Erfentniß diefer Dinge in feinem Berftan-
de erhält, und die Fortdauer derfelben würft. Dieſes ift
eine viel zu unvollfommene Erkentniß, als daß fie in Gore
jolte ftat finden koͤnnen. Alle mogliche Dinge und Wahr.
beiten haben zureichende Gründe ihrer Möglichkeit, die Feine
2.5 Zei⸗
170 Die allervolltommenfte Befchaffenbeie
Zeichen derfelben find. Da nun Gott alles aufs deutlichſte
erfent, fo hater auch die allergröfte und vollfommenfte Er-
kentniß aller Bedeutungen aller möglichen Zeichen, die er
duch die Vorftellungen der binreichenden Gründe ihrer
Wahrheit in fi) würklich made. Und folglich hat er, die
allervollkommenſte anfchauende Erfentnif aller möglichen
Dinge, Zum andern fan man unmöglich fagen, daß er ir
gends mehr auf eine Bedeutung achtung gebe, als auf
ihre Zeihen, und umgekehrt. Wenn wir eine anfchauende
Erkentniß von einer Sache haben, fo abftrahiren wir ent
weder ganz von allen ihren Zeichen, oder wir ſtellen uns
doch die Zeichen dunfeler und ſchwaͤcher vor, als die Be—
Deutungen $. 625. Der göttliche Verftand ſtelt fich allemal,
alle Dinge, mit ihren Zeichen zugleich in dem möglichften
Grade der Stärke und Deutlichfeit vor, und folglich ift, vie
Erkentniß der Sachen felbft, niemals in dem Verftande
Gottes ein Hinderniß der allervollfommenften Erkentniß
ihrer Zeichen.
8§. 895.
Der allervollkommenſte Verſtand Gottes ift zugleich
die allervollEommenfte Vernunft, und feine vollfommenfte
Erfentniß aller möglichen Dinge iſt zugleich, die allervere
nünftigfte Erkentniß aller möglichen Dinge Denn alle
mögliche Dinge koͤnnen vernünftig erfant werden $. 638.
Da nun der Verftand Gottes, alle möglihe Dinge, deuts
lich erfent $. 893. fo erfent er auch alle mögliche Dinge
deutlih in allen ihren Verbindungen, und in diefem Ver⸗
ftande ift, der Verſtand Gottes, zugleich die allervollfome
menfte Bernunft $. 697. Zu der allerhöchften Vollkom⸗ |
menheit der göttlichen Vernunft gehört: ı) daß Gott alle
mögliche Dinge, in ihrem Zufammenhange, erfent. Alle
moͤgliche Dinge find mit ihren Gründen und Folgen vers
fnüpft, und wenn Gott einen einzigen Zufammenhang eines
einzigen möglichen Dinges nicht erfennete, fo wäre in ihm
eine Unmiffenheit, und das ift unmöglid). 2) Daß Gott,
alle Verbindungen aller möglichen Dinge, ohne Ausnahme
erfent,
der göttlichen Erkentniß. i
erkent. Er erkent alle Gruͤnde und Urſachen eines ieden
Dinges, und einer ieden Wahrheit, die naͤchſten und ent—
ferntern, die erſtern, die Gruͤnde der Moͤglichkeit und
Wuͤrklichkeit, und er erkent auch, wie ein Ding aus einem
iedweden ſeiner Gruͤnde flieſt. Er erkent auch alle Folgen
eines iedweden möglichen Dinges, die naͤchſten und die ent⸗
fernteften, und er erfent auch, wie eine iedivede feiner Fola
gen aus demfelben flift. 3) Daß Gott, aud) die aller-
gröften Verbindungen ver Dinge, erfent. Da nun das
Mofen Gottes, der hinreichende Grund der Möglicyfeit
aller Dinge und Wahrheiten, it $. 832. fo erfent Gott alles
aus fi) felbft, und er leitet fo zu reden alles Mögliche aus
fi) felbft her. 4) Daß Gott alles diefes aufs allervollkom—
menfte, Drutlichfte, auf einmal, ohne Zeitfolge und Vers
änderung erfent. $. 892, ' Wenn man nun, durch einen
Bernunfifchluß, eine deutliche Erfentniß des Zufammen«
hanges dee Dinge verfteht; fo macht Gott, über alle mögs
liche Dinge, die allervollfommenften Bernunfefehlüffe, doch
fo, daß er die Vorderſaͤtze nicht eher denkt als die Schlußs
füge, Und bieraus läßt fich die Frage beantworten: ob
die Erfentnif Gottes eine Erfentniß der Dinge a pofterio-
re oder a priore fey ? Einige Öottesgelehrte tragen Beden⸗
fen, zu behaupten, daß Gott irgends eine Sache a potte-
riore erkenne. Und gemwilfermaffen muß man ihnen Recht
geben. Denn wenn man, einmal, behaupten wolte: daß
Gott irgends eine Sache und Wahrheit nur a pofteriore,
nicht aber zugleich a priore, erfenne; fo ift diefes unleugs
ba: ein Irrthum. Denn alle mögliche Dinge haben ihre
Gründe der Möglichkeit und Wirklichkeit, aus denen fie
erfant werden Fonnen, und alsdenn werden fie a priore (ta
fant. Sie haben aber auch ihre Folgen, aus denen fie
aud) erfant werden Fünnen, und wenn das gefchieht, fo wer—
ven fie a pofleriore erfant. Folglich koͤnnen alle mögliche
Dinge fo wola pofteriore, als aud) a priore erfant wer:
den $. 37. Wenn nun Gott irgends eine Sache und
Wahrheit bios a pofteriore erfente, fo feblte ihm eine moͤg⸗
liche
72 Die allervollkommenſte Hefchaffenbeit
liche Erkentniß, nemlich Die Erkentniß eben derfelben a-prio-
re, und das iſt um der allerhöchiten Vollkommenheit feines
Berftandes willen nicht möglih $. 842. Zum andern
wird die Erfentniß a pofteriore von einigen. noch auf eine
andere Art erklärt, die der höchften Vollkommenheit des
goͤttlichen Verſtandes noch mehr widerſpricht. Man ſagt
nemlich, man erkenne eine Sache a pofteriore, wenn man
fie nicht eher erfent, bis fie wuͤrklich ift, und bis man ihr
Dafeyn und ihre Wuͤrkungen erfährt, Eine folche Erfent:
niß feßt eine Unmiffenheit voraus, und ift alfo in Gott
fehlechterdings unmöglih. Im Gegentbeil aber, weil Gott
alle mögliche Dinge, aus allen ihren möglichen und würfll-
chen Folgen, erfent, wie ich erwiefen habe; fo erfent Gott
alle möglihe Dinge und Wahrheiten von Ewigfeit ber,
und alfo ehe manche Dinge würflich werden, a poftcriore,
doch fo, Daß er fie zugleich) aus feinem Wefen, und aus
allen übrigen Gründen ihrer Möglichkeit und Wirklichkeit,
a priore aufs allervollfommenjte erfent und einfieht.
S. 896.
Ich babe hier die befte Gelegenheit, zu unterfuchen,
ob man Gore, mit Anftändigfeit, den gröften Weltweiſen
nennen koͤnne? Weil man ihn den gröften Theologen nent,
fo haben es, manche Weltweife, auch gewagt, ihn den
vollfommenften Pbilofophen zu nennen, und das mache der
Weltweisheit in Wahrheit eine groffe Ehre. Wenn man,
den Begrif von einem Weltweiſen, von allen Unvollfoms
menbeiten reiniget, fo hat die Sache gar Feine Bedenklich—
feit. Ein Weltweifer ift derjenige, der eine recht vollkom—
mene vernünftige Erkentniß, von den Befchaffenheiten der
möglichen Dinge, befißt, in fo ferne fie ohne Glauben er
Fant werden fünnen, Nun erfent Gott aufs vernünftigfte,
deutlichfte, gewiſſeſte, tieffinnigfte, Eurz aufs vollfommen«
fte alle mögliche Beſchaffenheiten aller möglichen Dinge,
und es wäre lächerlich zu fagen, daß er irgends eine Erfents
niß durch den Glauben erlange, Folglich Fan er, wenn
man blos auf die rechte Bedeutung des Worts fieht, allere
dings
der göttlichen Erkentniß. 173
dings ber vollfommenite Philofophe genent werden. Allein
es würde eine Gorttesläfterung feyn, wenn man mit dem
Wort Philoſoph allerley Nebenbegriffe verbinden wolte,
wenn man darunter einen Gectirer, einen Zungendrefcher,
einen aufgeblafenen Thoren verftehen wolte, welcher härris
fhe und verwegene Meinungen mit vielem Geſchrey bes
hauptet u. f. m. und man wolte fid) unterftehen, das höch«
fe Wefen mit einer Benennung zu befhimpfen, welche fo
viel abgeſchmacktes anzeigte. Und weil die meiften Men
hen, von der Weltweisheit, einen fo ſchlechten Begrif
haben; fo ift es gar nichf zu ratben, mit diefem Namen
Gott zu benennen. Denn da Gott alle mögliche Dinge
und Künfte und Wiflenfchaften aufs vollfommenfte erfent,
fo fönte er mit eben dem Rechte der geöfte Juriſt, und Phis
lologe, der gröfte Schneider u. f. w. genent werden, und
wer wird diefes billigen? Es ſchickt fi) überhaupt nicht
wohl, die Erkentniß Gottes eine gelehrte und Funftmäßige
Erfentniß zu nennen, weil damit allemal der Begrif einer
funftmäßigen Erlangung der Erfeneniß verbunden ift. Un—
terdeffen ift es gewiß, daß in der Erkentniß Gottes, alle
wahre Realitäten und Bollfonimenheiten ber gelehrten und
funftmäßigen Erfentniß, im hoͤchſten Grade angetroffen
werden. _ Lie
F §. 897.
Doc damit wir den Begrif, von der höchften Voll.
kommenheit der göftlichen Erfentniß, noch beffer entwiceln
mögen, fo mollen wir zeigen, daß fie alle fehs Vollkom—
menbeiten der Erfentniß, die wir in der Pfychologie erwies
fen haben, im hoͤchſten Grade befige, und auf eine. gang
unumfchrenfte Art. Sie ift alfo erftlich von einem fo uner:
meßlichen Umfange, und einer ſolchen unumfchrenften. Aus»
dehnung, daß fie fehlechterdings die allerweitläuftigite Er—
kentniß ift, die gedacht werden Fan. $. 490. Denn 1)-ers
kent Gott alle mögliche Dinge, Wahrheiten, Künfte, Wiſ
fenfchaften, ohne alle Ausnahme, dergeftalt, daß in ihm
gar Feine Unmiffenheit ift, noch flat finden Fan. Wäre
ihm
ı74 Die allervollEommenfte Beſchaffenheit
ihm eine einzige Sache unbefant, fo fonte noch mehr erfard
erden, als Gott wüfte, und es twäre alſo noch ein gröfferer
Verſtand möglich, als der göttliche, weiches ungereimt it,
Zum 2) erfeut Gott, von einem iedweden möglidyen Din-
ge, alle Merkmale und Beftimmungen, fo daß ihm nichts
in irgends einem Gegenftande der Erfentniß verborgen und
unbefant ift, weil widrigenfals abermals eine Unwiſſenheit
in ihm feyn müßte, Nicht der geringfte Umftand einer
Sache, nicht die geringfte Veränderung eines Dinges, iſt
dem göttlichen Berftande unbefant. Sondern er erforfche
alles, auch die Tiefen der Gottheit. Alle Schaͤtze und Reich—
thümer, aller möglichen Erkentniß, find in dem göttlichen
Berftande anzutreffen, Wie viel Mitleiden verdienen nicht
diejenigen, weldye, unter dem Scheine eines andächtigen
Eifers, einen Menfchen von der Ausdehnung feiner Erkent⸗
niß abhalten, und welche glauben, die fromme Einfalt er—
fordere es, daß man nicht viel lerne, Je mehr Wahrhei—
ten man lernt, defto ähnlicher wird man Gott, und alle
Nachahmung Öortes iſt fo wol der wahren Froͤmmigkeit,
als auch unferer eigenen VBollfommenheit gemäß. Ob nun
gleich Gott ſelbſt auf keinerley Weiſe unroiffend genent wer—
den fan, fo weis er doch aufs allervollkommenſte, die Gren—
zen der Erkentniß aller Seelen und endlichen Geifter, was
fie nicht wien, wie groß ihre Unwiſſenheit ift, und, wie
weit fic) ihre Einfichten erſtrecken.
.. 898.
Zum andern ift, Die Erkentniß aller möglichen Din—
ge in dem göttlichen Berftande, im böchften Grade groß
und majeftätifc) S. 491. In Gott iſt Feine geringe, nichts«
würbige, unerhebliche und unfruchtbare Erkentniß: denn
alle diefe Arten der Erkentniß find unvollfommen, und in
Gottes Verſtande find die Unvollkommenheiten der Erfente
niß nicht einmal möglidy $. 818. 892. Dieſe Vollkom—
menheit der göttlichen Erkentniß begreift folgendes in ſich:
1) Gott erfent auch die allergröften, wichtigften und fruchte
barſten Gegenftande der Erfentniß, fie. mögen nun übrie
gens
der göttlichen Erkentniß. 175
gens Namen haben, wie fie wollen. 2) Er erfent alle
Dinge in ihrer Groͤſſe, Wichtigkeit und Fruchtbarkeit, und er
ſtelt fich nichts gröffer ober kleiner vor, als es in der That iſt:
denn beydes wäre entweder eine Unwiſſenheit, oder ein Irr⸗
thum. Man kan daher mit Wahrheit fagen, daß, in der
Erkentniß Gottes, nichts eine Kleinigkeit und unerhebliche
Sache ſey. Denn alles, was Gott erfent, ift enfiweder
etwas in ihm felbft, und das ift allemal eine unendlich groffe
Healität; oder eine Sache aufler ihm. Alles mögliche
auſſer Gott ift, feiner Befchaffenbeit nach), von einem uns
endlichen Werthe, indem es in diefer, oder in einer andern
möglichen Welt, mit allen übrigen Theilen der Welt, durch
einen allgemeinen Zufammenhang, verbunden ift, und in
fid) ſelbſt unendlich viele Beltimmungen bat. In unfern
Augen fan vieles eine Kleinigkeit ſeyn, weil wir nicht alle
feine Gründe, Folgen, Berhältniffe und innerliche Be—
fimmungen erfennen. Allein in den Yugen Gottes haben,
alle mögliche Dinge, einen fehr groffen Werth. Sie find
ja insgefamt Kolgen des göttlichen Wefens, und Fan eine
Sache eine nichtswuͤrdige und unerhebliche Kleinigkeit ſeyn,
welche eine fo. erhabene und unendlich groffe Duelle hat ?
Unterdeffen da wir Menfhen, und andere endliche Geiſter,
fehr viele nichtswürdige Erfentniß haben, da wir feine Sa⸗
che in ihrer wahren Gröffe einfehen, und da wir viele Din—
ge uns entweder Eleiner oder gröffer vorftellen, als fie in der
That find: fo erfent Gott aufs genauefte, alle Kleinigkeit
und Unerheblichkeit in der Erfentniß der Creaturen, und er
weis aufs vollfommenfte, in welcher Groffe ein iedes moͤg⸗
liches Ding, in der Erkentniß aller denfenden Creaturen,
erſcheint.
§. 899. |
Drittens iſt, die Erkentniß aller möglichen Dinge in
dem göttlichen Verftande, eine allergenauefte und richtigfte
Erkentniß: weil die göttliche Exrfentniß, alle Vollkommen-
heiten der Erkentniß, im höchften Grade beſitzt. Da nun
alle Wahrheit in der Ordnung beſteht 9, gr. fo At in ”
Re,
176 Die allervollfommenfte Beſchaffenheit
Erkentniß Gottes die allervollfommenfte Drdnung, und Gore
ſtelt fich alle mögliche Dinge, in der allerhöchften Drönung,
und aufe drdentlichfte vor. Er hat nicht nur die alfervoll«
fommenfte Erfentniß don allen Zufammenorönungen aller
möglihen Dinge, und von allen Drdnungen in allen mög«
lichen Dingen; er weis nicht nur aufs vollfommenfte, nach
welchen Drdnungen alle Dinge, und alles in allen, zuſam—
mengeordnet it; fondern feine Erfentniß felbft ift in ihm
die allerordentlichfte Erkentniß $. 843. Folglich ift, in der
Erkentniß Gottes, Eeine Unordnung, feine Erfentniß ift
nicht tumultuariſch, nicht falſch, grob und irrig: ob er
gleich, alle Irrthuͤmer aller endlichen Geifter, und aller
Seelen, alle falfhen und groben Begriffe derfelben, und
alles Unordentliche in ihrer Erfentniß aufs vollfommenfte
einficht. Der Irrthum ift fo weit von der Erkentniß Got«
tes entfernt, daß es fchlechterdings unmöglich ift, daß Gott
auch nur in einer Kleinigkeit fich folte irren Fönnen $. 818.
Der Irrthum entfteht allemal aus einer Unwiſſenheit, und
Verwechſelung des Wahren mit dem Falfchen S. 489. 492%
Da nun weder Unwiſſenheit nod) Verwirrung in Gott mög«
lic) ift S. 892, fo Fan Gott gar nicht irren und betrogen
werden, und darin befteht die Untruͤglichkeit Gottes.
Die Untruͤglichkeit ift die Unmöglichkeit zu irren, und fie ift
entweder eine bedingte oder unbedingte Untrüglichfeit S. 30.
Alte endliche Geifter und denkende Subjtanzen haben eine
eingefchrenfte Erfentnißkraft, und fönnen alfo nicht alles
deutlich und Elar erkennen. Folglich haben fie nothwendig
dunkele und verworrene VBorftellungen, und koͤnnen alfo
verfchiedene Dinge mit einander verwechſeln, und folglic)
fönnen fie irren. Es Fan daher, Fein enblicher Geift,
ſchlechterdings und unbedingt untruͤglich ſeyn. Kine bes
dingte Untrüglichfeit kan ein endlicher Geift erlangen, z. E.
durch eine groffe Fertigkeit gewiſſe Wahrheiten zu denken,
wodurch eg unmöglich wird, in die entgegengefegten Irr⸗
thuͤmer zu gerathen. So Fan ein Weltweifer eine fo groffe
Fertigkeit richtig zu fhlieffen erlangen, daß es ihm niemals
es
der göttlichen Erkentniß. 177
begegnet, unrichtig zu fehlieffen. Eben fo haben auch
Die Männer Gottes eine bedingte Untrügiichkeit gehabt,
indem ihr Berftand, durch die Eingebung Gottes, vor als
len Irrthuͤmern bewahrt worden. Allein Gott ift ſchlech—
ferdings untrüglich, und zwar im höchſten Grade, und
das will dreyerley ſagen. 1) Er irret in Feiner Vorſtellung,
da er doch alle mögliche Dinge erfent: denn ie mehrere
Wahrheiten iemand richtig erfent, deſto untrüglicher ift er,
Das ift Feine fonderliche Kunft, wenig ohne Jerthum zu
erfennen, und man verzeibet es einem Menfchen leicht, wenn
er unzählig viel weis und denkt, und durch die Menge und
Mannigfaltigkeit zu einem Irrthume verleitet wird. Allein,
bey der wahrhaftig unendlichen Weitlaͤuftigkeit der Erfente
niß Gottes, ift fein Verſtand dennoch ftarf genung, um
nichts mit einander zu verwechfeln. 2) Gott verwechfelt,
auch die gröften Wahrheiten, nicht mit irgends einem fals
fhen und irrigen Begriffe. Oder er ivret weder in dem,
was wir Kleinigfeiten nennen, noch in den qröften Din:
gen: denn er irret gar nicht. Und 3) find die Irrthuͤmer
in Hort nicht nur auf eine bedingte Art unmöglich, fordern
er iſt auch fehlechterdings untruͤglich. Er ift vor allem
Irrthume im hoͤchſten Grade ficher, und darf, fo zu reden,
nie auf feiner Hut ftehen, um fid) vor Irrthuͤmern in acht
zu nehmen.
$, 900.
Die! Erkentniß aller mögtichen Dinge ift, viertens,
in dem Berftande Gottes, die allerdeutlichfte Erkentniß, die
möglich ift. Folglich begreift und erforfcht, Ver göttliche
Berftand, alle mögliche Dinge aufs vollfommenfle, und
alfo auch alles dasjenige, was uns und andern endlichen
Geiftern unbegreiflich ift. In Abficht auf Gott iſt nichts
ein Geheimniß, und unbegreiflih,. Er bat vielmehr, von
alfen möglichen Dingen, die ausführlichite, vollitändiafte,
reinfte und tieffte Erkentniß. Alles ift vor feinem Verſtan⸗
de blos und entdeckt, und in dem ganzen Umfange der gütts
lichen Erkentniß ſchimmert das reinfte und heiterfte Licht
4,Cheil, M $. 892»
1738 Die allervollkommenſte Beſchaffenheit
G. 892.895. Es ill demnach), in der aöttlichen Erfente
niß, weder Dunkelheit, Verwirrung, Unausführlichkeit,
Unvollftändigfeit, und irgends ein anderer Mangel ver
Klarheit und Deutlichfeit wuͤrklich, noch irgends im aller»
geringften Grade moͤglich: weil, alle diefe Mängel des
tihts, Unvolltommenbeiten find S. Sıg. Und da alle
Beränderung in Gott, um feiner Unveränderlichfeit wils
len, unmoͤglich iſt; fo firalt feine Erfentniß ewig in einem
und eben demfelben Grabe der Deutlichfeit, ohne daß, its
gends eine deutliche Borftellung in ihm, folte mehr oder wer
niger Deutlich und dunkel werden Fönnen. In dem Vers
ftande Gottes ift es beftandig heller Tag, und es iſt in ihm
feine Abmwechfelung des Lichts und der Finfternig. Da aber
Gott alles weis, fo erfent er auch, aufs vollfommenfte und
deutlichſte, alle "Dunkelheit „Verwirrung, Unausführliche |
keit, Undeutlichkeit und Unvollftändigkeit der Erfentniß der |
endlichen Dinge. Und meil, alle endliche denfende Sub» |
ftanzen, mehr Dunkelheit als Klarheit in ihrer Erkentniß
haben; fo fan man auf eine poetifche Art fagen: daß der
Thron Gottes lauter Licht fon, Daß aber rings um denfelben
herum fi) Dunfelheit, Macht und Finfterniß ausbreite,
und daß er felbft in einem Lichte wohne, zu welchem nies
mand fommen Fan.
$: 901
Zum fünften it, die Erfentniß aller möglichen Dinge
in dem Verſtande Gottes, die allergemiffefte und zuverläß
figfte Erkentniß, die möglich if. Er erfent zwar, aufs
allervollkommenſte, alle Ungewißheit und Mängel der gröfs
fern Gewißheit in der menfchlichen Erfentniß, und in der
Erfentniß anderer endlichen Subftanjen; die Wahrfchein«
lichkeit, Unwahrſcheinlichkeit, Zweifelhaftigfeit, Zweifel,
Vorurtheile, Meinungen, moralifche Gewißheit, unauss
führliche und unvollftändige Gewißheit, Scheingewißheit
in der Erfentniß der Creaturen, und wie die Mängel der
allervollfommenften Gewißheit insgefamt heiffen mögen:
allein, in der Erkentniß Gottes felbit, Fan Fein Mangel
der
der görtlichen Erkentniß. 179
der gröften Gewißheit flat finden. Dem Berftande Got:
tes ift nichts ungewiß und zweifelhaft, nichts iſt ihm wahre
ſcheinlich und moraliſch gewiß, er muthmaßt nichts, Fein
Borurtheil Fan ihn blenden; fondern er erfent, alles Moͤg—
liche, in der ausführlichiten, volltandigften und gröften
Gewißheit S. 895: Je mehr Dinge und Wahrheiten
iemand klar erfent, aus ie mehren und gröffern Gründen
und Fölgen er fie erfent, ie groflere Wahrheiten, und ie
deurlicher er fie erkent, deſto gröffer ft die Gewißheit feiner
Erkentniß. Da nun Gott, alle moͤgliche Dinge und Wahrs
beiten, und alfo aud) die gröften erkent; da er fie im Zus
ſammenhange mit allen ihren Gründen und Folgen, den
nähern und entferntern, den unmittelbaren und erften und
legten, auch den gröften, und zwar aufs allerdeutlichite
erkent: fo ift gar Feine gröffere Gewißheit möglich , als die»
jenige, welche in der göttlichen Erkentniß angetroffen wird,
Man kan alfe fagen, daß Gott, alle möglidye Beweife
aller Wahrheiten, aufs vollfommenfte einſehe; und feine Er:
kentniß ift aifo die allervollfommenfte Wiſſenſchaft aller
moͤglichen Dinge, die allergeimdlichfte Erkentniß, in wel—
cher feine einzige feichte Vorftellung irgends einer Wahrheit
und möglichen Sache ftat finden Fans denn eine Willens
ſchaft ift eine deutliche Erkentniß einer Sache, aus unum—
ftößlich gewiflen Gründen, Folglich bat Gott, auch von
denenjenigen Dingen und Wahrheiten, die allervolifommens +
fte ſcientifiſche Erkentniß, von Denen wir Menfchen und ans
dere endiiche Dinge Feine eigentlid) fo genante Wifjenfchaft
haben koͤnnen.
Bon
Endlich zum fechsten ift, die Erfentniß aller möglis
hen Dinge, in dem Verſtande Gottes die allerlebendigfte
Erfentniß; weil das geben der Erkentniß eine wahre Rea—
litaͤt it $. 669, welche unmöglicy dem göttlichen Verſtan—
de fehlen Fan S. 892. Gott erfent, alle Vollkommenhei—
ten und Unvollfommenbeiten aller möglichen Dinge, an—
ſchauend aufs vollfommenfte $. 892. 394, Da nun, eine
M 2 folche
180 Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß.
folche Erkentniß, die lebendigfte Erkentniß iſt; fo erheffee
auch daraus, daß die Erfentnig Gottes die allerlebendigite
fen. Keine Erkeneniß Gottes ift todt, unwuͤrkſam, fpecus
Iativifd) und in einem geringern Grade lebendig, ale moͤg—
lich ift; ob er gleich aufs vollfommenfte das todte, fpecus
lativifhe, und alle Mängel des Lebens in der Erfentniß der
Greaturen, erfent. Weil ich, bey der Unterfuchung des
göttlichen Willens, diefe Vollkommenheit der göttlichen Era
fentniß nod) weiter ausführen werde, fo will ich von derſel⸗
ben an dieſem Orte nichts weiter fagen.
Der Gegenftand der göttlichen Erfentniß.
$. 903.
Da wir ung bisher bemuͤhet haben, uns, von der
allervollfommenften Befchaffenheit der göttlichen Erkentniß,
einen rechten Begrif zu machen: fo iſt es nöthig, die Ge—
genftände der göttlichen Erfentniß genauer zu unterfuchen ;
Damit, wenn wir fagen, Gott wiffe alles, wir bey dem
Worte Alles nicht etwa gar zu wenig denken, und dadurch
verleitet werden mögen, uns einen gar zu Fleinen Begrif
von dem unendlichen Umfange der göttlichen Erfentniß zu
machen. Und da nun, alle mögliche Gegenstände der Era
kentniß, entweder Gott oder Die möglichen Nelten, ſamt
ihren verfchiedenen Beſtimmungen, find: fo frage fichs
vor allen Dingen, ob Gott fi) felbft erkenne? Und dawi—
der laͤſt ſich, nicht der allergeringfte Zweifel, machen, Gott
erkent alle mögliche Dinge, und die gröften derfelben $. 892,
Da nun Gott, und feine Vollkommenheiten, nicht nur
mögliche Dinge find, ſondern aud) die allergröften: fo hat
er, von ſich felbft, die alfervollfommenfte Erfentniß. Wenn
Gott alles übrige wüfte, fich felbft aber nicht, fo hätte er
in ver That Feinen unendlichen Berftand : weil alle mögliche
Dinge auffer Gott zufammengenommen, feinen wahrhaftig ,
unendlichen Gegenftand der Erfentniß ‚ ausmachen, Sa
Gore würde nichts auffer ſich, in dem hoͤchſten Grade der
Vollkommenheit, wiffen, wenn er fic) felbft nicht ea
en,
Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 181
Denn, zu der allervollfommenften Erkentniß einer Sache,
wird unenthehrlich erfodert, daß fie aus ihrem erften Gruns
de erfant werde. Da nun Gott, den erften Grund aller
"möglichen Dinge, in ſich enthält S. &32. fo koͤnte Gott,
gar feine allervollfommenfte Erkentniß irgends eines mögli«
chen Dinges, haben, wenn er nicht die allervolifommenfte
Erkentniß von fich felbft hätte. in ieder Geift ift ſich
feiner felbft bewuft, und Fan es wenigftens feyn. Solte
alfo Gott, als der vollfommenfte Geift $. ggr. ſich felbft
nicht erfennen? Gott hat alfo die vollfommenfte Wiſſen—
fchaft von fich ſelbſt, er begreift ſich felbft, und erforfche fich
felbft, und alle feine Vollkommenheiten völlig, er ermißt
feine unendliche Gröffe, und hat von ſich felbft eine wahr«
Haftig unendliche Worftellung, welche nad) allen Abfichten
die allervollfommenfte ift $. 893902, Und da er den un«
endlichen Zufammenbang, und die allervollfommenfte Zus
fammenordnung feiner göttlichen Bollfommenbeiten, vers
möge welcher eine iede das Weſen ver übrigen ift $. 331.
aufs vollfommenfte einfieht: fo hat er, fo viele unendlidye
und verfehiedene Vorftellungen, von fich felbft, als er in«
nerlihe Bollfommenheiten befist, das ift unendlich viele,
Er erfent zugleicd) alle Vorftellungen, welche ſich die Crea—⸗
£uren von ihm machen, es mögen nun diefelden wahr oder
falſch ſeyn, und er weis, mie er aus einer iedweden Welt,
und aus einem iedweden endlichen möglichen Dinge vorge»
ſtelt werden Fönne, Und diefe allervollfommenfte Wiſſen⸗
ſchaft, die Gott von fich felbft hat, ift die allervollfommen=
fte Theologie $. 797. welche man die Öriginaltheologie
nent, meil fie das Mufter feyn muß, nach welchem die
Menſchen, und andere verftändige Creafuren, ihre Erkent⸗
niß Gottes einzurichten verbunden find $. 272, Wir Crea⸗
turen fönnen, in allen unfern Handlungen, Feine bejfere
» Kegel annehmen, als daß wir Gott nachahmen 9. 872
Folglich Fan Feine Erfentniß Gottes, Feine Theologie in
den Creaturen, vollfommen feyn, als in fo ferne fie dem
Mufter aller Theologie gleichförmig iſt. Dieſes fülten fi),
M 3 alle
182 Der Begenftand der göttlichen Erkentniß.
alle Gottesgelehrten und Weltweifen, gefagt fern laſſen;
ſo würde, die ganze Öpttesaelahrheit der Menfchen, mans
che Fehler und Mängel nicht haben, wodurch ſie fo fehr
verunftaltet wird. Gott Fan daher der allergröfte und voll
fommenfte Theologe genent werden $. 895. wenn man
nemlich von diefem Worte alle unanftändige Nebenbegriffe
abfondert, welche, durch die Thorheit der Theologen unter
den Menfchen, Damit verbunden worden,
6% 994.
Gore überfieht, mit feinem unendlichen Werftande,
alle mögliche Dinge S. 892. Folglich hat er aud) die als
lervollfommenfte und deutlichfte Erfentniß von allen Din:
gen, die auffer ihm möglich find, und von allen ihren möge
lichen Beftimmungen. Ohne diefer Erfentniß fonte er, .
von ſich felbft, nicht die allervollfommenfte Erfentniß has
ben. Denn man Ean fein Ding aufs allervollfommenite
erfennen, wenn man nicht alle feine Folgen einfieht $. 897.
Nun find, alle mögliche Dinge auffer Gott, Folgen feines
Wefens $. 332. Folglich erkent Gott eben deswegen, weil
er fich felbit aufs vollflommenfte kent, alles, was aufler ihm
moͤglich iſt. Mithin erfent er, im hoͤchſten Grade der
Vollkommenheit, alle mögliche Welten, die vollfommenfte
eben fo wohl, als die unvollfommenfte Well. Er weis
wie viel Welten möglich find, mie viel Theile eine iedwede
bet, wie groß und mie Flein die Bollfommenheit einer ied-
weden iſt; kurz, in feiner Welt ift ihm, auch nur das ale
lergeringite, verborgen. Diefe allervollfommenfte Erkent—
niß aller möglichen Welten in dem Berftande Gottes ift eine
innerliche Vollkommenheit Gottes, und fan alfo als das
Weſen Gottes angefehen werden, Folglich iſt es eine richs
tige und fhöne Definition Gottes, wenn man fagt: er ſey
dasjenige Ding, ober derjenige Geiſt, welcher fich alle
mönlicye Welten aufs deutlichfte und vollkommenſte vorftele
$. 331. Wenn man diefe Erflärung Gottes, in der nas
türlichen Ghottesgelahrheit, zum runde legen wolte; fo
würde man aus ihr, Die übrigen Wahrheiten diefer. Wiſſen—
fchaft,
Der Begenftand der görtlichen Erkentniß. 183
ſchaft, eben fo herleiten Fönnen, als man in der vernünfti>
gen Pfychologie aus der Erflärung der menſchlichen Seele,
daß fie eine Vorftellungsfraft diefer Welt fen, welche fic)
nach der Sage ihres Körpers diefelbe eines Theils deurlid)
vorftelt, das übrige von der menfchlichen Seele erweilt. Es
ift ein fehr unüberlegter Einfall, wenn man wider diefe Er—
flärung Gottes einwendet, daß Gott durch dieſelbe, als ein
blos todter Spiegel aller möglihen Welten, vorgeftelt
. werde, welcher Eeinen freyen Willen habe. Die Erfentniß
in Gott ift ja’ fein Leiden, fondern eine Handlung Gortes,
und der freye Wille darf in einer logiſchen Erklärung Got:
tes nicht erwehnt werden, wenn er nur aus derfelben rich—
tig erwiefen werden Fan,
$. 905.
Gott erforſcht, mit feinem Verſtande, alle mögliche
endliche Dinge, und da er alſo die allerweitlaͤuftigſte Er—
kentniß von allen endlichen Dingen bat S. 897. fo erkent
er auch aufs vollfommenfte alle ihre Beftimmungen, und
alſo auch die Wefen aller endlichen und zufälligen Dinge,
Und da nun fein Wefen, die Duelle der Beten aller endlis
chen Dinge, ift $. 332. fo erfent er, die Weſen aller end«
lichen Dinge, aufs deutlichfte als Folgen feines eigenen We—
fens, und leitet jene aus diefem durch feine göttliche Ver—
nunft ber $. 895. Diefe Wahrheit gibt ung Gelegenheit,
zwey berühmte Fragen der Gottesgelahrheit, zu unterfüs
hen. Die erfte befteht in diefer Frage: ob die Wefen der
Dinge auffer Gott, von dem göttlidhen Berftande, abhan-
gen? Wolte man etwa dadurch behaupten, daß der göttlis
che Berftand, die Wefen aller Dinge aufler Gott, gleichfam
ausgedacht und erfunden habe, fo wäre diefe Art der Bors
ftellung Gott fehr unanftändig. Die Wefen aller endlichen
Dinge find, in dem Wefen Gottes, als in ihrer eriten
Duclle, zureihend gegründet , und der göttliche Berftand
erfent, von Ewigkeit zu Ewigkeit, ohne alle Zeitfolge, ‚alte
Weſen aller endlichen Dinge aus dem Wefen Gottes. Lind,
diefe ewigen und unwandelbaren Borftellungen aller Weſen
M 4 aller
184 Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß.
aller endlichen Dinge, find Begriffe des göttlichen Vers
ftandes, welche den unmittelbaren Grund ihrer ewigen
Würflichfeit in dem Verſtande Gottes haben. Folglich
bangen , die göttlichen Begriffe von den Weſen aller endlis
chen Dinge, von dem goͤttlichen Verſtande ab; allein die—
fe Begriffe find ja nicdye die Wefen der Dinge auffer Gott,
fondern diefe Wefen beftehen in den Gegenftänden diefer Bes
griffe. Zum andern bat man die Frage aufgeworfen: ob
die Wefen der endlichen Dinge ewig find, odernicht? Wenn
man die Wefen vor fich betrachtet, fo beftehen fie in einer
blofjen Mögtlichkeit $. 5. Folglich find fie in fo ferne
nichts würfliches, und fortdauerndes $. 229. And da die
Ewigkeit eine Dauer ift $. 231. fo koͤnnen fie an fich nicht
ewig genent werden. Und wenn man fie ja ewig nennen
will, fo Fan man dadurd) nichts anders fagen wollen, als
daß fie fhlechterdings unveränderlich find $. 137. und daß
es alfo ungereimt fey, zu fagen, daß das Wefen irgends
eines Dinges ſolte einen Anfang oder ein Ende nehmen koͤn—
nen. 8. 175. Weil aber, in dem göttlihen Berftande,
von Ewigkeit zu Emigfeit, die VBorftellungen vor allen
Weſen aller endlichen Dinge wuͤrklich find $. 858. fo ha—
ben diefe Borftellungen in Gott eine wahre Ewigkeit. Es
wäre alfo ein wunderlicher Einfall, wenn man deswegen
die Ewigkeit der Wefen endlicyer Dinge leugnen molte,
weil die Ewigkeit eine göttliche Vollkommenheit fey, die
dem Weſen eines endlichen Dinges nicht bengelege werden
Fonne Denn in fo ferne, die Ewigfeit im eigentlichen
Berftande, den Wefen beygelegt wird; in fo ferne ift fie die
Ewigkeit der göftlihen Begriffe von den Wefen der Dinge,
und fie gehört alfo zu der Ewigfeit Gottes ſelbſt. Noch
feltfamer würde es feyn, wenn man fich auf die Allmache
Gottes berufen und fagen wolte: Gott Fönne durch diefelbe
neue Weſen machen, die vorher nicht möglich gewefen,
Denn die Allmacht Gottes erſtreckt ſich auf Feine ſchlechter—
dings unmöglichen Sachen S. 865. und fie bat es nur mit
ben WürklichFeiten dee Dinge zu thun, nicht aber mit ihren
inner«
Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 185
innerlichen Möglichfeiten, oder mit ihren Wefen $. 862,
Die Allmacht Gottes gibt den Dingen, die möglidy find,
oder ein Wefen haben, die Erfüllung deflelben oder die
Wuͤrklichkeit, und fie fest alfo bey ihren Gegenftänden dag
Wefen voraus. Was fein Weſen hat, Fan Gottes Alle
mache nicht würflich machen.
. 906,
Weil Gott, durch feinen unendlichen Verftand, alfe
möglihe Welten, aufs deutlichfie und vollfommenfte ſich
vorftelt $. 904. fo hat er auc) von diefer Welt, welche uns
ter allen moͤglichen Welten allein würflich ift, die allervolls
fommenfte Erkentniß. Um fi) von diefer göttlichen Era
kentniß eine rechte Vorftellung zu machen, fo muß man fol
gendes von derfelben bemerfen. 1) Gott hat von dieſer
Welt die alferdeutlichfte Erfentniß $. 900. und alfo ift,
feine Borftellung von diefer Welt, auf Feinerley Weiſe finlich
$. 893. Nun wird diefe Welt die fichtbare Welt genent,
in fo ferne fie finlich erfant wird. Es ftele ſich alfo dieſe
Welt, in dem göttlichen Berftande, nicht als die fichtbare
Welt vor, folglich auch nicht fo, wie fie ung in unfer Ges
ſicht, oder in einen andern unferer Sinne, faͤlt. 3. E.
Gore ſtelt fich die Farben, das Rothe, Grüne u, ſ. m.
nicht fo vor, als wir; fondern er unterfcheidet alle Lichtftras
len aufs deutlidfte von einander, ihre Zurüdprallung von
den Körpern, und den Grad ihrer Würfung in die Werks
zeuge unferer Sinne, wodurd) bey uns diejenige verwors
rene Empfindung verurfacht wird, welche wir die Farbe
nennen, Allein er felbft hat Feine folche verworrene Vors
ftellung von den Farben, als wir haben. Er unterfcheidee
in allen Körpern alle Subftanzen von einander, aus denen
fie zufammengefegt find; er erkent aufs deutlichfte, wie fie
in einander würfen, und wie dadurd) diejenige Frfcheinung
entfteht, die wir einen Körper nennen. Folglich durch«
fchauet Gott unveränderlich dieſe ganze Welt, und alle
Theile derfelben aufs deutlichfte, und er erfent zugleich aufg
deutlichſte, alle finliche REDE Una der fihtbaren Welt
25 in
186 Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß.
in allen Subftanzen und Seelen, und weis noch viel beffer,
als die Ereaturen felbjt, wie fi) eine iediwede derfelben die
fihtbare Welt vorftelt. 2) Gott erfent aufs deutlichfte alle
Subſtanzen, Seelen und Geifter , welche zufammengenom:
men die ganze Welt ausmachen. Keine verfelben ift ihm
unbefanf, und er weis aufs genauefte, wie viel Subſtan⸗
zen in der Welt, und in einem iedweden zufammengefegten
Theile derfelben, mwürftich find. Nun ift unleugbar, daß
ein iedes Sandforn aus viel hundert Subftanzen zufam«
mengefegt ift. Wie viele find in dem ganzen Erdboden, in
allen Firfternen und Planeten, in dem unermeßlichen Zwia
fehenraume derfelben? Wie unendlic) viel erfent Gott nicht!
3) Gott erfene alle Subftanzen, alle Seelen und Geifter,
aufs deutlichſte. Folglich erfent er alte ihre Beftimmuns
gen, Eigenfchaften, zufällige Befchaffenheiten, Verhaͤlt⸗
niffe, alle ihre mannigfaltigen Berfnüpfungen und Zufam«
menordnungen famt allen ihren Veränderungen. Cine ied»
wede Subſtanz wird, in einem iedweden Augenblicke, wer
rveis wie ofte verändert, Wie viele Veränderungen gehen
nicht in einer Stunde, in einem Jahre, in taufend Jahren,
in alle Ewigkeit, in allen Subftanzen der Welt zufammen«
genommen vor? Hier fchwindelt die menfchliche Vernunft.
Man rechne einmal nach, wie viel Muͤcken, wie viel Flies
gen, wie viele Baumblätter, nur in einem Sommer, in
einem Garten, angetroffen werden, und wie viele Veraͤn—
derungen fich in diefen Dingen zutragen, Wie viele ders
felben find nicht auf dem ganzen Erdboden in einem Syahre,
und in faufend Jahren? Wir Menſchen wiſſen nicht ein»
mal alle Arten der Fliegen, gefchweige denn alle einzelne
Dinge einer Are? Ein ieder Warffertropfen ift eine See voll
lebendiger Ereaturen. Alle Planeten und Firfterne find,
mit verfchiedenen Dingen, angefült. Alles weis Gott,
und was für ein Schauplaß in dem göttlichen Verſtande!
Folglich 4) erfene Gott infonderheit eine iede Seele, und
einen iedweden Geift, aufs deutlichite, und er wird deswe—
gen in der heiligen Schrift ein Herzenskuͤndiger genent,
Er
Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 137
Er weis alle unfere Begriffe und Vorftellungen, fie mögen
duntel, oder klar, oder deutlich feyu. Er zählt alle unfere
Vorstellungen, Gedanken und Begierden,, er weis unfere
Gedanken von ferne, und es find ihm die verborgenften
Schlupfwinkel unſers Herzens befant, und er kent ung viel
befier, als wir uns felbft zu erfennen im Stande find. Wie
ſchrecklich muß dieſes nicht allen Suͤndern feyn, indem es
gewiß ift, daß die allecheimlichften fündlichen Gedanken,
Abfichten und Begierden vor den Augen Gottes entdeckt da
liegen. Wie tröfttich aber ift es für einen Tugendhaften,
dag Gott alle feine guten Werfe und Veränderungen zähle,
aud) diejenigen, die feiner eigenen Aufmerkſamkeit entwi-
fen. 5) Da, in einer ieden Subftanz diefer Welt, fich
die ganze Welt anders abbildet, als in allen übrigen, fo
hat Bott von der ganzen Welt fo viele verfchiedene deutliche
Vorftellungen, als es Subftanzen in der Welt gibt, und
als in einer iedwweden Subftanz, vom Anfange ihrer Dauer
an bis in Ewigfeit, verfchiedene Zuftände angetroffen tere
den, Man vergleiche hier dasjenige, was ich $. 36%. 369.
ausgeführt habe; fo wird man, in die allertiefite Bewuns
derung der unendlichen Groͤſſe des göttlichen Verſtandes,
verfegt werden, welche bios daher begreiflich ift, daß Gott
fid) diefe Welt aufs allevvollfommenfte vorftelt. Die aller
weitläuftigfte Gelehrfamfeit eines Menfchen ift, wie ein
Waſſertroͤpfgen gegen bas groffe Weltmeer, zu rechnen.
Doc das ift noch) zu wenig gefagt, Es läft fich zwifchen
derfelben, und zwifchen der Erkentniß Gottes, gar Feine
Proportion annehmen.
$. 907.
Aus den bisherigen Betrachtungen haben die Gottes—
gelehrten, eine fehr nüßliche Eintheilung der göttlichen Era
kentniß, hergeleitet. Nemlich alle Dinge find entweder,
blos möglich, oder zugleidy würflih. Folglich gehört ala
les, was von allen möglichen Dingen erfant werden fan,
entweder zu ihrer MöglichFeit, oder zu ihrer Wirklichkeit.
Da nun Gort, alles in allen, aufs vollfommenfte erfene
$. 897.
188 Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß.
$. 897. 892. fo erfent er auch alles, was zu der Möglich“
keit allee Dinge gehört, fie mögen nun wuͤrklich oder niche
würflich feyn. Und das nent man die natürliche und
nothwendige Wiſſenſchaft Gottes, nicht etwa, weil
die übrige Erkentniß Gottes nicht ebenfals ihm natürlich
und nothwendig wäre; fondern weil, der Gegenftand diefer
Wiſſenſchaft, nicht von dem freyen Willen Gottes abhans
get. Vermoͤge diefer nothwendigen Wiffenfchaft erkent
Gott die Wefen, die wefentlichen Stüce, und die Eigen—
fhaften endlicher Dinge, als welche in bloffen Möglichfeis
ten beftehen. Ja, vermöge diefer Wiffenfchaft, erfent Gott
alles dasjenige, was wir uns in unfern abftracten Begriffen
vorftellen, und was wir die Gattungen und Arten der Dins
ge nennen: denn das gehört zu der innerlichen Möglichkeit
der Dinge. Und da nun, diefe Gattungen und Arten nicht
anders, aufler ihren Subjecten, als Vorftellungen in dem
Verſtande eines denkenden Dinges, wuͤrklich ſeyn Fönnen:
ſo gehoͤrt es mit zu dem Geſchaͤfte der Allmacht Gottes, daß
ſie, die Vorſtellungen aller moͤglichen Gattungen und Arten
der Dinge, in dem goͤttlichen Verſtande wuͤrklich macht.
Man kan dieſe goͤttlichen Begriffe keine abſtracten Begriffe
nennen, weil ſie Gott nicht durch den Weg der Abſtraction
mwürflih mache $. 893. Sondern da der goͤttliche Ver—
ftand, mit einem Blicke, alles in allen durchfchauet; fo etz
kent er zugleich alle mögliche Aehnlichkeiten aller möglichen
Dinge, und folglich auch alle Gattungen und Arten ders
felben,
6. 908.
Sort erfent, durch feinen unendlichen Verſtand, auch
alles dasjenige, was zu der Wuͤrklichkeit aller möglichen
endlichen Dinge gehört, oder alle Beftimmungen aller
wuͤrklichen endlichen Dinge, in fo ferne fie als würflich be—
frachtet werden . 907. Folglich hat er auch, die alferz
vollkommenſte und deutlichfte Willenfchaft, won der Wirk:
lichkeit allev Dinge in dieſer Welt, und affer Beftimmuns
gen und Veränderungen, welche zu Diefer Wuͤrklichkeit gez
hören
Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 189
hören F. 906. Und diefe göttliche Wiffenfchaft wird die
freye Wiſſenſchaft Gottes genent, weil ihr Gegenftand
von. dem freyen Willen Gottes abhanget, indem es von
demfelben eben herrührt, daß dieſe Welt würflich, und alfo
der Gegenftand der freyen Wiſſenſchaft Gottes geworden ift,
Da nun alles, was in diefer Welt würklich ift, entweder
zu den vergangenen, oder gegenwärtigen, oder zufünftigen
Dingen gehört: fo gehört, zu der freyen Willenfchaft Gola
tes, eine dreyfache Erkentniß. 1) Die allervollfonmenfte
Erfentniß alles deſſen, was in dieſer Welt vergangen ift,
und das iſt die götcliche Erinnerung, welche alles Neelle
im höchften Grade in fich enthält, was unfere Einbildungs«
fraft, und unfer Gedächtniß, wahrhaftig vollfommenes in
fic) begreifen, Gott erinnert ſich freylid) des Vergangenen
nicht auf die Art, wie wir; allein, diefe Are der Erinne—
rung, iſt auch nichts Reelles. Es find alfo dem unendlis
chen Verſtande fo wenig die vergangenen Eünden unbefant,
als die vergangenen guten Handlungen, Der Schauplatz
aller vergangenen Dinge zeige ſich, in dem göttlichen Vers»
ftande, in der gröften Deutlichfeit, und fo wenig etwas
Vergangenes Gott unbefant feyn Fan, fo wenig Fan er et⸗
was vergeffen. 2) Die allervollfommenfte Erfentniß alles
desjenigen, was iedesmal in der Welt gegenwärtig ift, und
die Fan man die fehende oder empfindende Erkentniß
Gottes nennen. Der göttliche Verftand fieht alles, was
in der gegenmärtigen Zeit würklich ift, und er befißt dem—
nad) alles, was in unfern Sinnen Reelles und Bollfoms
menes angefroffen wird, Gott empfindet freylich nicht, wie
wir das Gegenwaͤrtige empfinden $. 843. Allein, gleich.
nigweife Fan man allerdings fagen, daß er alles in der
Welt fieht und hört. Und da er ſich alfo, des gegenwaͤr—
tigen Zuftandes ver Welt, im höchften Grade bewuft ift;
fo macht er, und fehläft und ſchlummert nicht, mie die
Schrift rede. Im Schlummer und Schlafe verdunfeln
ſich die Borftellungen des Gegenwärtigen, in Gott aber Fan
Feine Borftellung verdunfele werden $. 893. 3) Die ale
| ler»
190 Der Begenftand der göttlichen Erkentniß.
fervollfonmmenfte DBorftellung alles defien, was in diefer
Welt zukünftig ift. Gott weis alles Zukünftige voraus, und
das iſt die göttliche Dorberfehung des Zufünftigen,
vermöge welcher der goͤttliche Verſtand, alles wahrhaftig
Vollkommene in allen unfern Vorberfehungsvermögen, im
allervollfommenften Grade beſitzt. Wir können alfo alle
Redensarten, welche von unfern Erfentnißfräften herge—
nommen find, von Gott und feinem Berftande brauchen,
In der heiligen Schrift heift es, daß Gott ven lieblichen
Gerud) der Opfer gerochen. Allein wir muͤſſen fie allemal
nur gleichnißweife von Gott gebrauchen, und alles Unvoll:
fommene abfondern, was fie zugleich mit anzeigen S. 851.
S. 909.
Wider die freye Wiſſenſchaft Gortes hat man zwey
Einmwürfe gemacht, welche allerdings eine Antwort verdies
nen, Einmal, ſagt man, fey es der höchiten Vollkommen⸗
heit Gottes unanftändig zu behaupten, daß er ſich alles aufs
deutlichfte vorftelle, was in diefer Welt würflich if. Es
ſeyn ja fo viele unendliche Kleinigkeiten in ver Welt vorhan«
den, daß ein Menſch fo gar fich befhimpfen und fündigen
würde, wenn er fich mit der Betrachtung derfelben beichäfs
tigen wolte. Man müßte ja, nad unferer Meinung bes
baupten, daß Gott alle Mücken, alle Fuͤſſe des Ungegiefers,
und alles was noch Fleiner ift, aufs genauefte wife; und
gereiche diefes nicht, zur Verkleinerung des hohen Begrife,
den wir ung von Gott zu machen verbunden find? Allein,
diefer Einfall iſt, ſehr Teiche, zu beantworten. In der
Erfentniß Gottes ift, nichts in diefer Welt, eine unerheb»
liche Kleinigkeit, wie ich diefes $. 898. erwieſen habe.
Bey uns Menfchen verhält es fich ganz anders. Weil wir
fein Ding erforfchen Fönnen, fo ift fehr vieles in diefer Welt,
welches wir uns als Kleinigkeiten vorftellen müffen. Und
da wir nicht allwiffend werden Fönnen, fo würden wir, über
der Unterfuhung folcher Dinge, eine Erkentniß anderer
Dinge verfaumen, deren Betrachtung uns noͤthiger und
nüglicher ift, Folglich würden wir fündigen und uns bes
ſchimpfen,
Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. ı9ı
fhimpfen, wenn wir uns bey der Erfentniß folcher Kleinigs
feiten aufhalten wolten. Bey Gore aber, weldyer alles
erforſcht, verhält es fic) ganz anders. Es trägt daher die
heilige Schrift Fein Bedenken, zu fagen, daß Gott alle
Haare auf unfern Häuptern zahle, und der Menfd) würde
gewiß als ein Narr handeln, welcher fich die Mühe neh:
men, und feine eigenen Haare zählen wolte. Zum andern
fagt man, es fey unmöglic), daß Gott alle zukünftigen
Dinge vorherwiſſen koͤnte. Es gebe nemlic) viele zufünfs
tige Dinge, welche von dem Willführ und der Freyheit
der Creaturen abbangen, Da nun, die willführlichen
Entfchlieffungen einer Creatur, durch) ihren vorhergehenden
Zuftand nicht beftimt werden: fo fen es ſchlechterdings une
möglic) vorher zu wiffen, wie ſich eine mie Willkuͤhr begabte
Creatur, in einem Fünftigen Falle, willführlich bejtimmen
werde. Folglich fonne Gott zum voraus niemals wiffen,
wie fich, die mit einem Willführ begabten Creaturen, in
allen künftigen Fällen beftimmen werden; fondern er erfens
ne diefes, famt allen Folgen veffelben , erit alsdenn, wenn
die willführliche Beftimmung gefbieht. Und fo wenig die
Allmacht Gottes eingeſchrenkt wird, wenn man behauptet,
fie Eönne feine fchlechterdings unmöalichen Sachen wuͤrklich
machen: eben fo wenig werde der Berftand Gottes einges
ſchrenkt, wenn er etwas nicht erfent, was fchlechterdings
nicht erfant werden fan. Das leßte hat allerdings feine
Richtigkeit. Der Berftand Gottes ift und bleibt wahrhaf«
tig unendlich, wenn er alles weis, was gewuſt werden far,
Allein ver ganze Einwurf beruht auf der falfchen Einbil-
dung, als wenn, die freyen und willführlichen Entfchliefe
fungen der Creaturen, durch einen ohngefehren Zufall ges
ſchehen, und feinen zureichenden Beftimmungsgrund in den
vorhergehenden Zuftänden der Welt hätten. Mac) unferm
$ehrgebäude, welches wir in der Pfychologie, von dem Wills
kuͤhr und der Freyheit der Creaturen, feftgefegt haben, han«
gen 3. E. alle freye und willführliche Enefchlieffungen der
Menfchen, von allen ihren vorhergehenden Zufländen, und
von
ı92 Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß.
von dem allgemeinen Zufammenhange in ver Welt, ab.
Wer alfo alles Vergangene und Gegenmärtige in ver Melt
aufs vollfommenfte weis, der erfent auch den völligen zu: -
reichenden Grund, weswegen fi) das Willführ und der
freye Wille einer Ereatur, in einem iedweden Falle, eben
fo und nicht anders beftimt. Folglich Fan Gott, alle wills
führliche und freye Entfdhlieffungen der Ereaturen, aus ihr
rem allererften Zuftande, in welchen fie ſich nach ihrem er«
ften Urfprunge befinden, aufs deutlichfte vorherfehen. Die:
jenigen, welche unfere Erflärungen des Willführs und des
freyen Willens nicht annehmen, die mögen fich felbft rathen,
und dafür forgen, mie fie diefen Einwurf gruͤndlich aus
dem Wege räumen,
ES,
Da Gott, alle Beftimmungen und Veränderungen
aller endlichen Dinge, aufs vollfommenfte weis, welche zu
ihrer Würflichfeit gehören $. 908. fo weis er aud) alles,
was zu der Würflichkeie anderer Welten gerechnet werden
muß. Oder er weis aufs vollfommenfte, mas gefchehen
und wuͤrklich gewefen feyn würde, wenn flat diefer Welt
eine andere würflic) geworden wäre. Und diefe Wiffen-
ſchaft in Gott wird die mitlere Wiſſenſchaft genent, weil
ihre Gegenftände das Mittel find zwifchen blos innerlich)
möglichen Dingen, und folchen Dingen, welche in diefer Welt
würflich vorhanden find, Meii Sott, alle mögliche Welten,
aufs vollforsmenfte erfent $. 904. fo befißt er allerdings
diefe mitlere Wiſſenſchaft. Und man muß, zu dem Ges
genftande diefer Wilfenfchaft, alles rechnen, was wuͤrklich
gemwefen ſeyn wuͤrde, wenn flat diefer Welt eine andere
wuͤrklich geworden wäre. Mun nehme man ein iedes Ding,
ein iedes Accidenz, eine iede Veränderung, die in Diefer
Welt würklic find, Wenn flat verfelben etwas anders
wuͤrklich geworden wäre, fo hätte es andere Gründe in allen
vorhergehenden Zuftänden der Welt, und andere Folgen in
allen nachfolgenden Zuftanden der Welt gehabt, und folge
lich wäre eine andere Welt würflih $. 330, Folglich)
gehört
Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 195
gehört alles, was flat deffen, fo in diefer Welt würflich ift
und gefchieht, hätte würflich feyn koͤnnen, zu einer andern
Melt, und ift alfo ein Gegenftand der mitlern Wiffenfchaft
Gottes, Vermoͤge diefer Wiſſenſchaft weis alfo Gott volle
fommen z. E. was gefchehen ſeyn würde, wenn Adam:
nicht gefündiget, wenn ein Menfch noc) länger gelebt hätte,
wenn ein Menſch eine gewiſſe Handlung nicht gethan hätte,
die er gethan hat u. fe w. Der Rutzen diefer Eintheilung
der göttlichen Erkentniß wird fih, bey der Unterfuhung
des goͤttlichen Willens, zeigen,
$. gut,
Die freye Erkentniß over Wiffenfchaft Gottes macht
uns Menfchen eine ſehr groſſe Schwierigkeit, wenn wir fie,
mit der göttlichen Unveränderlichfeit und Nothwendigkeit,
zufammenreimen wollen. Alle würflihe Dinge in ver
Welt werden aus zufünftigen in gegenwärtige, und aus
gegenwärtigen in vergangene Dinge verwandelt. Da nun
Gott untrüglich iſt $. 899, fo ſcheint es fehlechterdings
nothwendig zu ſeyn, daß er fich eine Sache nicht eher alg
gegenwärrig und vergangen vorfteile, als fie es wuͤrklich
wird. Es fcheint demnach, als müffe die freye Wiffene
ſchaft Gottes nach und nad) eben fo verändert werden, als
die Dinge in diefer Welt, mit der Zeit und nach und nach,
aus zufünftigen in gegenwärtige und vergangene Dinge vera
wandelt werden, Ans ift es freylich unmöglich, völlig
deutlich einzuſehen, wie bey der Veränderung der Gegen.
ftände, die Erfentnig Gottes, innerlich unverändert bleis
ben Fan: weil unfere Borfteilungen, einer beftändigen Abe
änderung, und einem unaufhörlichen Wechfel, unterworfen
find. Unterdeſſen Fönnen wir doch einigermaffen uns, aus
diefem Labyrinthe, herauswideln. Gott bat von Ewig—
feit ber alle Dinge in diefer Welt völlig erforfcht, es ift
ihm von denfelben nichts unbefant gewefen, und er hat fich
diefelben in einem fo hohen Grade vorgeitelt, als möglich
iſt S. 892. 856. Wenn alfo eine zukünftige Sache in
eine gegenwärtige verwandelt wird, fo wird fie zwar, aus
4. Theil. N einem
94 Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß.
einem Gegenftande ver Vorherfehung Gottes, ein Gegen«
ftand der fehenden Erkentniß F. 908. Allein die Erfenta
niß Gottes wird dadurch nicht vermehrt, und er erfene
nichts neues von dieſer Sache, welches er nicht fihon von
Ewigkeit her gewuſt hätte. Wenn alfo ja eine Beränden
rung in der Erkentniß Gottes vorgeht, fo werden blos, ihre
Berhältniffe gegen die Gegenftände auffer Gott, verändert,
und wer Gott für ein unveränderliches Wefen hält, der Fan
unmoͤglich behaupten, daß die Berhältniffe Gottes unvers
änderlid) find . 129. Eben fo, wenn eine gegenwärtige
Sache in der Welt in eine vergangene verwandelt wird, fo
wird fie, aus einem egenftande der fehenden Erkentniß
Gottes, in einen Öegenftand der göttlichen Erinnerung verz
wandelt $. 908, Allein, da Gott in alle Ewigkeit, alles
in der Welt, ſich im hoͤchſten Grade vorftellen wird, dera
geftalt, daß ihm nichts iemals unbefant werden wird $.897.
fo wird zwar, durch diefe Veränderung der Genenftände
der göttlichen Erkentniß, das Verhältniß der legtern gegen
Die eritern verändert; allein die görtliche Erkentniß felbft
bleibt eben fo groß, und fie verliehrt nichts reelles. Untere
deſſen fünnen wir diefe Schwierigkeit nicht völlig heben,
meil die freye Wiffenfchaft Gottes gleichfam eine zufällige
Defchaffenheit in Gott ift $. 852. Denn da es fehlechter-
Dings nothwendig ift, daß fie wahr fey 9. 899. fo fan ſich
Gott, vermöge derfelben, dieſe Welt und alles was in ders
feiben wuͤrklich iſt, nicht anders vorftellen, als es wuͤrklich
iſt. Nun iſt alles wuͤrkliche in der Welt zufällig, und
nur hypothetiſch nothwendig. Folglich iftes ſchlechterdings
nothwendig, daß es nur hypothetiſch nothwendig ſey, daß
keine andere Erkentniß endlicher Dinge, auſſer der Erkentniß
dieſer Welt, in dem göttlichen Verſtande die freye Wiſſenſchaſt
Gottes fey. Und fie ift alfo gleichſam eine zufällige Beſchaf⸗
fenheit Gottes. Da nun diefe Beſchaffenheiten Gottes ung,
eine unüberwindliche Schwierigkeit, verurfachen: fo müffen
wir, auch in dieſem Falle, uns mit dem Maaffe der Erfenta
niß begnügen, deffen unfer ſchwacher Berftand fähig iſt.
Die
AR MAUNK 195
Die Weisheit Gottes,
& 92%
Eine’ von den wichtigften Vollkommenheiten des göffe
fihen Berftandes befteht, in feiner unendlichen IBeisheit;
weil eben Dadurch), die allervollfommenfte Erfentniß Gottes,
für die Creaturen fo intereflant und vortheilhaft wird. Wenn
die Erkentniß Gottes übrigens noch fo vollfommen wäre,
befäffe Gott nicht zugleich die allergröfte Weisheit: fo wür-
de Gott unmöglich im Stande feyn, alles in dev Welt, und
die Schieffale einer ieden Creatur insbefondere, aufs vor-
theilhafteſte einzurichten. Konten wir wol alsdenn mit
der Borfehung Gottes zufrieden feyn, und uns in feiner Mes
gierung völlig beruhigen? Hätten wir alsdenn nicht ein
Recht, die Wege Gottes zu tadeln? Folglich muͤſſen wir
uns vollfommen, von der göttlichen Weisheit, zu uͤberzeu—
gen fuchen. Und da müjlen wir nothwendig bemerfen, daß
wir hier die Weisheit ais eine theoretifche Tugend betrach—
ten müffen. Die Wahl der beften Zwede und Mittel,
und die würflihe Ausführung eines weislich entworfenen
Plans, ſamt dem gehörigen Gebrauche aller Mittel, ift
vielmehr eine Würfung und eine Ausübung der Weisheit,
als daß man fie als ein Stuͤck der Weisheit felbft folte an:
ſehen Eönnen. Wir wollen alfo, durch die Weisheit im
weitern VDerftande, die Einfihe in den Zufammenhang
der Zwecke und Mittel verftehen, und fie wird eingerheile
in die Weisheit im engern Verſtande, und in die
Klugheit. Jene ift die Einfiche in den Zufammenbang
der Zwecke unter einander, und die andere eine Einficht in
den Zufammenhang der Mittel unter einander und mit ihren
Zwecken. In fo ferne etwas ein Zweck ift, in fo ferne ift
es ein Gegenftand der Weieheit; in fo ferne es aber ein
Mittel ift, in fo ferne ift es ein Öegenftand der Klugheit,
Die Weisheit befchäftiget fih mit der Erfindung dev Zwecke,
und die Klugheit mit der Erfindung der Mittel. Die
Weisheit entwirft einen weifen Plan, und die Klugheit
N 2 erfent
196 Die Weisheit Gottes.
erkent die Art und Meife, wie diefer Plan ausgeführt wer⸗
den Fan und muß. Es ſtehen einige in den Gedanken,
daß man die Weisheit, durd) eine Einſicht in den Zuſam—
menhang guterund rechtmäßiger Zwecke, erklären muͤſſe; da=
mit fie von der Argliſt unterfchieden werde, als weiche böfe
und unerlaubte Zwecke zu erdenfen fucht, Allein Diefer Uns
terſchied ift bier unnüg. Dasjenige, was andere Argliſt
nennen, ift ofte, formaliter betrachtet, eine beſſere Weis—
heit als eine andere: denn die Kinder der Sinfterniß find
ofte Elüger in ihrem Gefchled;te, als die Kinder des Lichts.
Und aus dem Begriffe der allerhoͤchſten Weisheit wird oh—
nedem folgen, daß die Zwecke Gottes insgeſamt gut und
rechtmäßig find. Wir wollen in diefer Abhandlung die
Weisheit in einer fo weiten Bedeutung nehmen, daß fie
aud) die Klugheit mit in fich begreift.
. 9.
Daß nun Gott die vollfommenfte Weisheit im allers
hoͤchſten Grade befiße, Fan erſtlich, aus der Betrachtung
diefes Weltgebaͤudes und aller Theile deſſelben, gezeigt wer—
den, Es ift ganz unbegreiflich, wie die Welt von einer würs
£onden Urfache hätte Fönnen hervorgebracht, und eingerich-
tet werben, welche nicht mit höchfter Weisheit begabt iſt.
Wenn man nur einen Wurm betrachtet, fo muß man er—
ftaunen, wie alle feine Gliedmaſſen vecht dazu eingerichtet
find, wie es das mannigfaltige Bedürfniß und die Vollkom—
menheit deffelben erfordert. Cine iedwede Pflanze ift, auf
eben die Art, eine Würfung der höchften Weisheit. Und
wenn man von diefer Vollkommenheit Gottes einen recht
ausgebreiteten und lebhaften Begrif, einen recht tiefen und
practifhen Eindruck, erlangen will; fo thut man fehr gut,
wenn man, durch Huͤlfe der Aftronomie , der Naturlehre,
der Hiftorie, der Anatomie und aller Wiſſenſchaſten, welche
ſich mit der Betrachtung diefer Welt beſchaͤftigen, Die Des
wundernswürdigen Spuren der göttlichen Weisheit allera
wegen zu entdecken ſucht. Allein, ein folder Beweis der
göttlichen Weisheit, iſt an diefem Orte zu weitläuftig. Wir
wollen
Die Weisheit Gottes. 197
mollen alfo, zum andern, diefe Vollkommenheit Gottes,
auf eine Fürzere Art darthun, ort befißt die allervoll«
fommenfte Bernunft $. 895. Folglich hat er die allervolls
fommenfte Einfiht, in den Zufammenhang aller möglichen
Ding. Da nun, die Verbindung aller möglichen
Zwecke und Mittel, mit zu dem Zuſammenhange aller
möglichen Dinge gehört: fo fieht aud) Gott diefen Zufams
menhang aufs vollfommenfte ein, und er ift demnach ein
mweifes Wefen. Die Weisheit ift fo unleugbar eine Reali⸗
tät, welche in Gott feyn muß $. 816. daß es eine Gottes.
läfterung feyn würde, wenn man auch nur das Gegentheil
in Gott als moͤglich annehmen wolte. Vielleicht Fonte man,
diefen Beweis, deswegen nod) für unzulänglich halten, weil
Daraus noch nicht Elar genung erhelle, daß Gott felbft Zwes
de habe, welche er begehrt, und nach welchen er handelt,
welches doc) zu der Weisheit eines weifen Wefens erfodert
wird. Allein, es wird diefes nicht nur aus der Unterfus
chung des göttlichen Willens erhellen, fondern es folget
auch aus unferm Bemweife. Denn wenn Gott die allervolls
kommenſte Einficht in den Zufammenbang der Zwecke und
Mittel befise, wie erwiefen worden, fo ift diefe Einſicht
auch die allerlebendigfte Erfentniß S. 902. Und folglich)
handelt auch, Gott felbft, nah Zweden,
$- 914.
Gott befige nicht nur eine fehr groffe Weisheit, ſon⸗
dern feine Weisheit ift auch die allergröfte, die allervoll«
Eommenfte, und eine wahrhaftig unendliche Weisheit $. 817.
Um uns nun einen Gott anftändigen Begrif von feiner
hoͤchſten Weisheit zu machen, fo müffen wir fechferley be—
merken. Cinmal: Gott hat die allerweitläuftigfte Erfente
niß und Wiftenfchaft, von dem Zufammenhange der Zwede
und Mittel $. 897. denn ie mehr ein weifes Weſen von
diefem Zufammenbange einfieht, defto vollkommener ift feine
Weisheit $. 912. Folglich erfent Gott aufs vollfommen«
fte: 1) alle möglichen Zwecke, dergeftalt, daß ihm Fein
einziger derfelben unbekant ift. en einem Weſen, *
N3 es
198 Die Weisheit Gottes,
ches mie Weisheit begabt ift, manche Zwecke unbefant find;
fo fan es um derfelben willen nicht handeln : zum Ungluͤck
koͤnnen ihm, eben die beften, unbekant feynz und wenn
ihm auch die beften nicht eben unbekant find, fo Fan es
doch nicht mit Zuverficht nach den beften Zwecken handeln,
weil immer zu beforgen ift, daß es noch beſſere Zwecke gebe,
als diejenigen, die ihm befant find. Folglich entftehen, aus
diefer Unwiſſenheit, unausbleiblid) viele Thorheiten, und
Mängel der Weisheit. Gott ift für Diefen Fehlern vollfonts
men ficher. Er weis, weldye Zwecke den Ereaturen unbekant
find, und daher Fan er auch die Handlungen derfelben auf
viele Zwecke leiten, um derentwillen die Creaturen diefelben
geroiß nicht vorgenommen haben, oder vornehmen. Und
folglich haben, die Unternehmungen der Menfchen, ofte
einen ganz unerwarteten Ausgang und Mugen, die feinem
Menfchen in die Gedanken haben kommen fünnen, 2) Gott
weis aufs vollfommenfte alle Beftimmungen, Beſchaffen⸗
beiten und Gröffen aller möalichen Zwede, alles Gute und
alle Bolltommenheiten und Nugen berfelben. Es ift ihm
nichts, in irgends einem möglichen Zwecke, verborgen,
Und er weis auch wie viel den Creaturen von denen Zwe—
en, um welcher willen fie würflich handeln, verborgen if,
und er ift daher im Stande, die Abfichten der Creaturen in
einem viel weitern Umfange ofte auszuführen, als fie es
ſelbſt im Sinne gehabt haben. 3) Gott weis aufs volle
kommenſte alle möglicdye Mittel überhaupt, und infonderheit
alle mögliche Mittel zu einem iediveden Zwecke insbefondere.
Er kent zugleich, ein iedes Mittel, vollig. Er weis alle
Beltimmungen, Befchaffenbeiten und Gröffen deſſelben.
Er weis, welche Mittel den Creaturen unbekant find, und
was ihnen von allen Mitten, die fie felbft wählen, unbes
Fane ift, und er ift daher im Stande, die Abfichten der
Creaturen durd) ganz andere Wege zu erreichen, als es dies
felben fich vorgenommen haben. Um diefer Bollfommen-
beie der. göttlichen Weisheit willen ift Gott im Stande,
iederzeit Die allerbeften Mittel zu erwählen. Wenn einem
weifen
Die Weisheit Gottes. 199
weifen Weſen, nicht alle Mittel, bekant find: fo koͤnnen ihm
zum Unglüc die beften Mittel unbefant feyn, wenigftens
muß es immer beforgen, daß es vielleicht noch beffere Mits
tel gebe, als diejenigen, die ihm befant find. Und daher
entſteht allemal unausbleiblich viel thörichtes. 4) Gott
weis aufs vollfonnmenfte alle mögliche Verbindungen aller
Zwecke unter einander, aller Mittel unter einander, und
aller Zwecke und Mittel mit einander. Folglich weis er:
welche Zwecke einander untergeordnet und zugeordnet find,
alle Nebenzwecke, alle entferntern und nähern Zwecke, Die
erften und nächften Zwecke, welcher Zweck wiederum ein
Mittel zu einem andern Zwecke ift, alle nähere und ent—
ferntere Mittel, die nächften Mittel und die entfernteiten,
wie durch ein jedes Mittel der Zweck erreicht werden koͤnne,
welches Mittel wiederum ein Zweck zu einem andern Mit
tel ift, alle Befchaffenheiten und Grade dieſer mannigfalti—
gen Verbindungen aller Zwecke und Mittel mit einander
u. ſ. wm. Daher ift Gott auch im Stande, iederzeit Die
Zwecke und Mittel recht mit einander zu verfnüpfen, und
den allervollfommenften Entwurf in allen Fällen zu machen.
Zugleich ijt ihm aufs vollkommenſte befant, welche Berbins
dungen der Zwecke und Mittel den Creaturen unbefant find:
daher auch begreiflih ift, warum die Entwürfe der Men:
ſchen ofte ganz anders ausgeführt werden, als die Menſchen
fih) vorgenommen haben. Die Menfchen verfnüpfen ofte,
Mittel und Zwecke, auf eine gewiſſe Art mit einander, und
nachdem fie lange nachgedacht haben, wie fie ihre Abſichten
und Mittel in ein wohlverfnüpftes Syftem bringen follen,
fo wird ofte unvermuthet ein Strich durd) ihre Rechnung
gemacht. Sie müffen das, was fie zuerft hun wolten,
bis auf die legte verfparen, und ihre Plane von binten
oder in der Mitten anfangen, und die Abfichten Gottes
werden vielmals durd) einen Zufammenhang ausgeführt,
der den Menſchen ganz unerwartet ift.
Na $. 015.
206 Die Weisheit Gottes.
$. 915.
Zum andern gehört, zu der aflervollfommenften Weis⸗
beit Gottes: daß er, die allergröfte und proportionirtefte
Erkentniß, von dem ganzen Zufammenhange aller möglis
chen Zwecke und Mittel hat $. 898. Und das will fehr
viel fagen, 1) Sort ftele ſich, feinen möglichen Zweck, als
geölfer oder als Eleiner, als befler oder als fchlechter vor,
als er in der That iſt; fondern er erfent einen iedweden volls
kommen in dem Grade feiner Vollkommenheit, der ihm
mürflic zufomt. Er weis, welches die Hauptzwede und
Meben;wece find, die höhern und die niedrigern; und die
festen Abſichten, in einer ieden Neihe der Zwecke, kent er
eben fo qut, als denjenigen, welcher fehlechterdings der erfte,
gröite und befte Zweck iſt. Er weis alfo, von den beften
Zwecken, daß fie die beften find. Die Greaturen begeben
in diefen Abfichten viele Thorheiten, die der hoͤchſten Weiss
beit Gottes aufs vollfommenfte befant find, Sie feben
fehr ofte gar nicht ein, wie groß oder Flein ein Zweck fen,
der ihnen fonft befant ift. Sie machen ofte aus einer Ab—
ficht viel, aus welcher fie wenig; und wenig, aus welcher
fie viel machen folten.. Und fie handeln ofte nad) der beten
Abſicht, und wiſſen es felbft nicht, daß ihre Abficht die
befte ſey. Kan das eine wahre Weisheit feyn? Gott im
Gegentheil Eent, aufs vollfommenfte , den wahren Werth
eines ieden möglichen Zwecks, und er fihäßt feinen Zweck
höher oder geringer, als er es verdient. 2) Gott erfent,
alle mögliche Mittel, in ihrer wahren Groͤſſe. Er ſchaͤtzt
Fein Mittel höher oder geringer, als es werth ift. Er Fent
den Grad der Guͤte eines iedweden Mittels, und er weis
aufs volffommenfte überhaupt, und in Abficht auf einen
iedweden Zweck, welches die alferbeften Mittel find. Das
her ift er auch im Stande, iederzeit die allerbeften und grös
ften Mittel zu erwaͤhlen. Die Creaturen fihägen ihre
Mittel nur gar zu ofte höher oder aeringer, als fie es vera
dienen. Die Mittel, worauf fie fich am meiften verlaffen,
find ofte die fchlechteften, und diejenigen, aus denen fie faft
gar
en
— — —
— — — —
— —— —
——— — —
— — —
Die Weisheit Gottes. 201
gar nichts gemacht haben, ſind nicht ſelten die allerbeſten.
3) Gott erkent die Staͤrke und den Grad der Verbindungen
aller Mittel und Zwecke mit einander. Er weis, wie viel
oder wie wenig ein iedwedes Mittel zu einem iedweden Zwe⸗
ce beytragen Fan, und wie unentbehrlich oder entbehrlic)
ein iedwedes Mittel zu feinen Zwecken ſey. Er fent die
Verbindung eines ieden Mittels mit den allerentfernteften
Zwecken, und er fieht, wie viel ein Mittel, Durch unend«
lich viele Zwifchenzivecfe, endlich) zu dem allerlegten Zwede
beytragen fan. Daher ift Gott aud) im Stande, eben fo
viele Mittel zu erwählen, als nöthig iſt, wenn er feinen
ganzen Zwec aufs völligfte erreichen will, O! welch eine
Tiefe der Weisheit Gottes!
.9iG.
Inſonderheit muͤſſen wir, bey dieſer Vollkommenheit
der goͤttlichen Weisheit, noch weiter ausfuͤhren, was das
ſagen will, daß Gott die allerbeſten Mittel in allen Faͤllen
wiſſe. Und wir muͤſſen daher, die Eigenſchaften der aller—
beſten Mittel, weiter ausfuͤhren. Und dahin gehoͤrt:
ı) daß fein Mittel das allerbeſte Mittel ſeyn Fan, welches
nicht ein Mittel zum beften Zwecke ift. Denn das aller
befte Mittel muß, den Grund der Würflichkeit der gröften
Vollkommenheit, in fich enthalten S. 99. Mun ift das.
jenige, von deſſen Wuͤrklichkeit das Mittel den Grund ent»
hält, der Zweck $. 268. Folglich Fan ein Mittel nur das
beite ſeyn, wenn eg ein Mittel des allervollfommenften oder
beften Zwecks ift: es mag nun diefer Zweck fchlechterdings,
oder nur in einem gewiffen Falle, und in einer gewiſſen
Keihe der Zwecke, ver befte feyn. In dem erften Falle
iſt dag Mittel fchlechterdings das allervollfommenfte und
befte, und in dem andern ift es nur das befte in einem gea
wiſſen Falle, und in einer gewiflen Reihe der Zwecke, Folge
lic) kent Gott aufs vollkommenſte ale Mittel zu den beften
Zwecken, und zwar in fo ferne, und wie, und in was für
einem Grade fie den beften Zweck befördern. Wenn iemand
gleich die Mittel zu den beften Zweden in Händen bat,
N5 weis
202 Die Weisheit Gottes.
weis er nicht, wie und in was für einem Grade fie den be«
fen Zweck befördern: ſo iſt er nicht im Stande, fie recht
zu gebrauchen, um den beften Zweck dadurch zu erreichen.
Es hilfe ihm alfo nichts, wenn er aud) die Mittel zu dem
beften Zwecke in Händen hat. Gott im Gegentheil ift vor
diefen Fehlern rider die Weisheit ficher, weil er von allen
Mitteln zu den beften Zwecken weis, mie fie ven beften
Zweck erhalten, und in was für einem Grade. Folglich
ift er eben deswegen auch im Stande, die beften Mittel
nicht anders und weder in einem böhern noch geringern -
Grade zu gebrauchen, als es der befte Zweck erfodert.
2) Die beften Mittel find auch) die fruchtbarften Mittel.
Se mehrere Zwede, Nusen, Vollkommenheiten und ie
mehr guts durch ein Mittel erhalten werben fan, und ie
mehr von einem gewiſſen Zwecke durch dafjelbe erreicht wer
den fan, defto fruchtbarer ift es S. 27. und mithin auch)
zugleich defto vollfommmener und beffer S. 99. Folglich
iſt das Mittel, welches entweder fehledhterdings, oder in
Abſicht auf einen gewiſſen Zweck, das befte iſt, zugleic)
auch fehlechterdings, oder in diefer Abficht, das fruchtbarfte,
Gott erfent aufs vollfommenfte die Fruchtbarkeit eines ied«
weden Mittels, und er Fan fich alfo von feinem Mittel
mehr oder weniger verfprechen, als in der That von ihm
erwartet werden fan. Er weis zwar, für wie fruchtbar
ein iedes Mittel von den Creaturen gehalten wird, und wie
viel oder wenig fie fih von einem iediweden Mittel verfpres
den; allein er felbft kent alle möglihe Mittel, auch in
diefem Stüfe, aufs genauefte. Daher ift er im Stande,
ſolche Mittel in allen Fällen zu erwählen, durch welche alle
Zwecke, und alles in einem iedweden Zwecke, erhalten
erden Fan, weswegen fie erwaͤhlt werden follen. 3) Die
beften Mittel find zugleich die gröften und wichtigften Mitz
tel. Se gröffere, edlere und wichtinere Zwede, Mugen,
Vollkommenheiten und Güter durch ein Mittel erhalten
werden koͤnnen, deſto wichtiger ift es $. 27. und deſto
beffer $. 99, . Folglich) muß das befte Mittel entweder
ſchlech⸗
Die Weisheit Gottes. 203
fchlechterdings das höchfte Gut auffer Gott, ober das wich—
tiofte in einem ieden Zwecke, zu befördern im Stande ſeyn.
Gott Font die allerwichtiaften Mittel, und er weis aufs voll
fommenfte die Wichtigkeit eines ieden Mittels z. E. ob es
den legten Zweck befördere, oder nur einen Zwiſchenzweck,
den höhern oder niedrigern, den Hauptzweck oder nur einen
Mebenzwek u. f. w. Daher ift Gott auch im Stande,
allemal die edelften, mwichtigften und vortreflihften Mittel
zu erwählen. 4) Die beften Mittel enthalten nicht mehr
und nicht weniger, als zu der Erreichung des Zwecks erfo⸗
dert wird, und fie find alfo vermögend, den Zweck aufs
genauefte zu erhalten, Wenn fie weniger enthielten, als
erfodert wird: fo wären fie unzureichende Mittel, und waͤ—
ren demnach nicht die fruchtbarften Mittel. Enthielten fie
etwas überflüßiges, fo trüge diefes nichts zum Zwecke bey,
und folglich würfte es nichts guts; weil alles wahre Gute,
welches durch ein Mittel verurfacht wird, zu dem Zwecke
defieiben gehört S. 266. Da es nun doch etwas wuͤrken
müßte $. 36. fo müßte es was böfes würfen, und folglich
wäre ein ſolches Mitcel nicht das altervollfommenfte. Es
ift allemal eine Thorheit, wenn man entweder Mittel era
wählt, welche den Zweck nicht erreihen; oder wenn man
was überflüßiges als ein Mittel erwählt, weil daffeibe in
der That Fein Mittel ift, und den Zweck hindert, Folge
lic) kent Gott aufs vollkommenſte diejenigen Mittel, welche
einem iedweden Zwecke, und auch nem beften Zwecke, dere
geftalt angemeſſen find, daß fie venfelben aufs genauefte
erhalten. Daher ift er aud) vermögend, foldye vortrefliche
Mittel in allen Fällen zu erwählen. 5) Die beften Mittel
find zugleich der allerfürzefte Weg, auf welchem man zu
einem gewiflen Zwecke gelangen Fan. Denn wenn man eis
nen Zweck durch ſolche Mittel erreicht, die denfelben aufs
genauefte erreichen, deren keins überflüßig ift, und deren
fo wenige find, ale möglich ift: fo wird diefes der Fürzes
fte Weg zu demfelben Zwecke genent. Nun find die
beiten Mittel, wie ich bisher erwielen habe, hinreichend zu
dem
204 Die Weisheit Gottes.
dem Zwecke, fie erhalten venfelben aufs genauefte, fie ent:
halten nichts überflüßiges, und es find alfo allemal deren fo
wenige als nöthig ift. Folglich geht derjenige, welcher die
beiten Mittel braucht, auch allemal den fürzeften Weg zu
feinen Sweden, Da nun Gott in allen Fällen die beften
Mittel aufs vollkommenſte Font, fo weis er auc) die Fürze-
ften Wege zu allen feinen Zwecken. Freylich koͤnnen wir
Menfchen fehr felten, in den Wegen Gottes, diefe Volle
Fommenbeit einfehen, Denn da ung nicht der ganze Zweck
Gottes befant ift, fo fheint uns alles dasjenige in den
Wegen Gottes überflüßig, und ein Ummeg zu fenn, mas
zu einem uns unbefanten Theile des ganzen Zwecks Gottes
führe,
$. 917.
Drittens gehört, zu der allervollfommenften Weis«
heit Gottes, daß er, den Zufammenhang aller Zwecke und
Mittel, aufs richtigfte und untrüglichfte einſieht. Seine
Weisheit Fan fih unmöglich, in irgends einem Falle, und
in irgends einer Abſicht, irren und betrügen 9. 899. Gott
fan feine Scheinzwecke haben, Feine fündlichen und böfen
Zwecke. Alle Zwecke Gottes find wahrhaftig gut. Kei—
nen Hauptzweck Fan er für einen Nebenzweck, und feinen
Mebenzweck für einen Hauptzweck halten. Eben fo unmög-
lic) ift es, daß er einen Zweck für beffer oder ſchlechter Hals
ten folte, alserift. Er kan feinen legten Zweck für einen
Mittelzweck, Feinen hoͤhern für einen niedrigern, feinen
entferntern für einen nähern halten, und umgekehrt, Er
kent alfo, alle mögliche Berbindungen und Zufammenord«
nungen aller möglichen Zwecke, aufs richtigſte, ohne alle
Gefahr zu irren. Eben fo wenig Fan fic) Gott, in Abfiche
der Mittel, betrügen. Gott fan Fein Scheinmittel für
ein wahres Mittel halten, er fieht Fein böfes Mittel für ein
gutes an, er Fan Fein Mittel für mehr oder weniger gut,
fruchtbar, wichtig und zureichend halten, als es in der That
ift, Er hält fein näheres Mittel für ein entfernteres, fein
Hauptmittel für ein Mebenmittel und umgekehrt, Kurzer
ſieht
Die Weisheit Gottes. 205
ſieht ein iedes Mittel, und alle mögliche Verbindungen aller
‚ möglichen Mittel, aufs richtigfte ein, ohne die geringſte
‚ Gefahr, fi) in irgends einem hieher gehörigen Stuͤcke zu
betrugen, Unterdeſſen, da ihm alle Irrthuͤmer der denfene
den Creafuren, aufs vollfommenfte befant find $. 899. fo
‚ weis er auch alle falfchen Vorftellungen, welche fich Diefels
ben von den Zwecken und Mitteln machen. Und da nun
diefe falfchen Vorftellungen, famt der Unwiſſenheit in Ab»
fiht auf den Zufammenhang der Zwecke und Mittel, die
eriten Quellen aller Wahrheiten und Thorbeiten der Mens
ſchen, und anderer mit Berftande begabten Creaturen, find?
fo erfent Gott, und zwar anfchauend $. 894, alle Narrheit
und Ihorheit in der Well. Das reelle und vollfommene,
welches bey dem Lachen und Spotten angetroffen wird, bes
fteht in der anfchauenden Erkentniß des Närrifchen und Thoͤ⸗
richten in dem Berhalten eines Menfchen. Folglich Fan
' man, mit der heiligen Schrift, fagen: daß Gott alle Ente
wuͤrfe und Rachſchlaͤge der Menfchen Fenne, welche feinen
Entwürfen zuwider find, daß er aber ihrer lache und fpotte,
Doch muß davon alles boshafte, fündliche und unvollkom—
mene abgefondert werden, fo mit unferer Berfpottung, und
mit unferm Lachen, leider! mehrentheils verbunden zu feyn
pflegt: denn das laͤſt fi), in dem allerheiligften Gotte, gar
nicht gedenfen.
— —— —— ———— —— —
— — — — rn ET _ —— — —
6. 918. |
Zum vierten befteht, die allerhöchfte Vollkommenheit
und Unendlichkeit der göttlichen NBeisheit, darin, daß er,
die allerflärfte und deutlichfte Einficht in den ganzen Zufams
menhang aller möglidyen Zwecke und Mittel, befigt. $.900,
Alte mögliche wahre Zwecke und Mittel ftellen ſich ihm, in allen
ihren möglichen Verbindungen und Zufammenordnungen,
ohne alle Dunfelheit und Berwirrung, in dem teinften
und heiterften ichte, ewig und unveränderlich var. Seine
unendliche Vernunft überfieht und durchſchauet, das ganze
Keich ver Weisheit, aufs deurlichfte. Keinen Zweck ſtelt
er fic) finlid als was guts vor, fondern er erfent, alles
Gute
|
l
Il
206 Die Weisheit Gottes.
Gute in den Zwecen und Mitteln, blos vernünftig. Wir
Menfchen und andere Creaturen, welche eine Weisheit bes
figen, verfpüren darin einen überaus groffen Mangel an
Weisheit und Klugheit, Daß wir uns die Zwecke und Mit—
£el ſehr felten deutlic) und vernünftig genung vorftellen, und
dag wir fie uns allemal, wenn wir fie auch vernünftig un«
ferfuchen, zugleich groffentheils finlich vorftellen. Daher
erwählen wir fo ofte faliche Zwecke und Mittel, und in una
jere Weisheit und Klugheit haben deshalb, alle unfere fins
lichen Kräfte, die Einbildungskraft, die natürlichen Trie—
be, die finlichen $eidenfchaften, das finlihe Temperament
u. f. w. einen beftändigen und gewaltigen Einfluß. Die
Weisheit Gottes ift, vor allen diefen Mängeln und Fehlern
der wahren Weisheit, vollkommen ficher, und es iſt ſchlech—
terdings unmöglich, daß fie auch nur im geringften durch
die Sinlichfeit folte Fönnen verunreiniget werden. Untera
deſſen weis Gott aufs vollfommenfte, wie fich alle mit Weis—
heit begabte Creaturen alle Zwecke und Mittel finlich vors
ftellen, und wie fie dadurch zu mannigfaltigen Narrheiten und
Thorheiten verleitet werden.
$. 919.
Die unendlihe Weisheit Gottes befteht fünftens dara
in, daß er, von allem möglichen Zulammenhange aller
Zwecke und Mittel, die allergewiſſeſte Erkentniß beſitzt.
S. 091. Er weis aufs allergewiſſeſte, welcher Zweck ein
wahrer oder falſcher Zweck ſey: wie groß und gut ein
Zweck ſey; was er fuͤr ein Zweck ſey, ob er ein letzter Zweck
ſey oder nicht, ein Hauptzweck oder ein Nebenzweck; wel⸗
cher Zweck ſchlechterdings, oder in gewifler Abſicht der bez
fte fen; welche Mittel wahre, oder falfche Mittel find;
welches überhaupt, und in allen Faͤllen, die befien Mittel
find, es ift ihm nicht etwa blos wahrfcheinlich, oder wol
gar zweifelhaft, ob er durch diefe oder jene Mittel den Zweck
überhaupt, oder in einem gewiſſen Grave, erreichen werdeß
fondern es ift ihm diefes alles gewiß. Daher auch die beiten
Mittel, in Abfidye der göttlichen Weisheit, ganz gewiſſe
| Mittel
|
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|
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|
|
|
|
|
Die Weisheit Gottes. 207
. Mittel find, indem fie nicht nur wahre Mittel find, fondern
indem auch Gott von ihrer Güte, und dem wahren Grade
derfelben, aufs vollfommenfte überzeugt ift. Es iſt ein
groſſer Fehler der Weisheit, den wir bey uns verfpüren,
daß wir mehrentheils, unfere weifen Entwürfe, auf wahr«
ſcheinliche Mutdmaffungen bauen, und es ofte auf gutes
Gluͤck wagen müffen, ob fie koͤnnen ausgeführt werden,
) oder nicht. Und wenn mir ofte glauben, daß wir eine
Sache aufs befte eingefaͤdelt haben, und mit der gröften
Zuverfiht die Erreichung unferer Abfichten erwarten, fo
fehen wir doch am Ende, daß wir uns betrogen haben. Ja
wenn wir auch manchmal würflicy die beften Mittel era
wähle haben, fo wiffen wir es doch nicht gewiß, und wie
muͤſſen immer mit einiger Furchtfamfeit handeln. Gott
— — — —
— — —
kent freylich alle Ungewißheit in der Weisheit und Klugheit
der Creaturen, allein er ſelbſt braucht nichts auf gutes Gluͤck,
und auf ein Gerathewohl, zu wagen, ſondern er iſt von ala
len Zwecken und Mitteln aufs vollkommenſte uͤberzeugt.
27030;
Endlich zum fechsten gehört, zu der allervollfommen«
ften Weisheit Gottes, daß er auch die alferlebendigfte Era
Fentniß des Zufammenhangs aller Zwecke und Mittel befigt ;
indem er, in dem höchiten Grade der Vollkommenheit, alles
Gute in allen Zwecken, Mitteln und Verbindungen derfels
ben, famt allen Graden diefes Guten, anfchauend erkent.
$. 902. 894. Die Weisheit Gottes ift nicht eine blos
theoretifche und fpeculativifche Weisheit, wie leider! nur
gar zu ofte die menfchlidye Weisheit und Klugheit befhaffen
it, Der Menfch ift ofte ein fehr Eluger Projectmacher,
er iſt aber auch nichts meiter als ein Projectmaher, Er
erwähle ofte die beften Mittel und Zwecke, er verbindet fie
geſchickt mit einander, und macht fehr gute Entwürfe,
Allein ee geht nicht weiter, fondern feine weifen Einfichten
find todt, und fönnen, Die gehörige Ausführung diefer Ent—
würfe, nicht hervorbringen. Gottes Erkentniß Fan nicht
todt feyn, und feine unendliche Weisheit ift allemal auch
im
208 Die Allwifjenhett Gottes.
im hoͤchſten Grade lebendig. Da nun diefes Leben fich in
dem Willen Auffert, fo werden wir davon balde ausführli-
cher handeln. Hier haben wir die göttliche Weisheit mur
in fo ferne betrachten müffen, in fo ferne fie gleichſam in
den göttlichen Berftand eingefchloffen ift.
Die Allwifjenheit Gottes,
$. gar.
Nunmehr ift e8 uns fehr leicht, uns von der goͤttli—
hen Bollfommendeit, die wir die Allwiſſenheit Gottes
nennen, einen hinlänglichen Begrif zu machen; fie bejteht
nemlich, in der vollfommenften Wiffenfchaft aller möglichen
Dinge. Da wir nun diefe Vollkommenheit Gottes bisher
ausführlich unterfucht, und erwiefen haben, daß er allwiſ—
fend fey; fo komt es bier lediglich, auf ziwey Fragen, an.
Einmal: was erfent Gott vermoöge feiner Allwiffenheit ? Und
da muß man anfworten: alle, Damit aber diefer Aus-
druck Fein bloffes theologifches Kompliment fey, fo muß
man, den Umfang aller möglichen Dinge, dergeftalt übers
denfen, wie wir es gethan haben $. 903-9206, Wer
felbft fehr wenig weis, und die Claffen der möglichen Dins
ge nicht ausführlich genung überdenft, der Fan unmöglich),
die Allwiffenheit Gottes, auf eine Gott anftändige Art den⸗
fen und ſich vorftellen. - Ein folcher Menfch ehrt Gott eben
fo wenig, als ein Ungelehrter, menn er jemanden einen
hochgelehrten Mann nent, weil er fieht, es wiſſe derfelbe
Dinge, die er ſelbſt nicht verfieht, Zum andern: wie er—
kent Gott, vermäge feiner Allwiſſenheit, alle mögliche Dins
ge? Und da muß man antworten: aufs vollfommenfte, fo
wie wir $. 893-902 gezeigt haben. Der Berftand Gots
tes ift alfo die Möglichkeit der Allwiſſenheit, oder das Bora
mögen allwiffend zu feyn, oder er ift die allervollfommenfte
und unendliche Möglichkeit der Erkentniß. Und die Alle
wiſſenheit ift die Würklichkeit des göttlichen Verftandes, oder
eine wahrhaftig unendliche, und eine Erkentniß, welche
ſchlechterdings die allergröfte iſt. &
e
EICH EN 209
Die andere Abtheilung.
Der Wille Gottes.
Das outtliche Vergnügen und Mifvergnugen,
\. 922.
Aus der Lehre von unferer Seele und andern Geiftern
in der Dfychologie ift es unleugbar, daß alle Begierden und
Berabfheuungen, folglich auch die ganze Begehrungefraft,
aus der Erfentniß flieffen, in fo ferne fie lebendig iſt, folg—
lich in fo ferne fie ein Bergnügen oder Mißvergnügen, oder
bendes zugleich, über den Gegenftand der Begierden und
Verabſcheuungen, erweckt. Es ift alfo unmöglid), die Natur
des göttlichen Willens gehörig zu unterfuchen, ehe man fid)
nicht, von dem Vergnuͤgen und Mißvergnügen Gottes, eis
nen rechten Begrif gemacht hat. Gott erkent, vermöge
feiner Allwiſſenheit, alle Vollkommenheiten und Unvollfoms
menbeiten, alles Gute und Bofe in allen möglichen Dingen
$. 897. und zwar auf eine anfchauende Art, und aufs volls
fommenfte $. 894. 392. Dun ift die anfchauende Erkent—
niß des Guten das Bergnügen, und die anfchauende Er—
kentniß des Böfen das Mifvergnügen $. 651... Folglich
bat Gott Vergnügen und Mißvergnügen, und zwar das
allergröfte, das allervollfommenfte, und das unendliche
Bergnügen und Mißvergnügen $. 817. welches von allen
Unvollfommenbeiten gereiniget ift, die mir bey unferm Ver—
gnügen und Mißvergnügen antreffen $. 818. Wir Fon-
nen uns von dieſer Wahrheit aud) daher überzeugen, weil
Gort alle möglihe Dinge aufs lebendigfte erfent $. 902.
Nun kan feine Erfentniß lebendig feyn, als in fo ferne fie,
Bergnügen und Mißvergnügen über den Gegenftand, ver—
urfacht $. 669. Folglich ift die Allwiſſenheit Gottes niche
unwuͤrkſam, fondern fie ift unveränderlid), mit dem aller
vollkommenſten Vergnügen und Mißvergnügen über die Ges
genftände der Erkentniß Gottes, verbunden. Man Fan
gar Eeine erhebliche Schwierigkeit dawider erregen, wenn
man Gott ein unendliches Vergnügen zuſchreibt. Allein
4, Theil. > das
210 Der Wille Gottes,
das koͤnte Gott unanftändig zu ſeyn feheinen, wenn man bes
hauptet, daß er aud) im höchften Grade mißvergnügt fey.
Unterdeffen rührt diefes blos daher, weil man mit dem
Worte Mißvergnügen folche Mebenbegriffe verfnüpft, wels
che ſich für Gore nicht ſchicken. Wenn wir fagen, daß wir
mißvergnügt find, fo ftellen wir uns dabey etwas quälens
des, beunruhigendes, beängfligendes und dergleichen mehr
vor, Und das läft fich freylich von Gott nicht gedenfen.
Da wir aber Fein bequemeres Wort haben, fo müffen wir
dabey nichts roeiter denken, als eine anfchauende und lebens
dige Erkentniß des Boͤſen. Das quälende bey unferm
Mißvergnügen entfteht nur daher, wenn das böfe, worüber
wir mißvergnügt find, uns felbjt betrif, Da nun Gott
vor allem Uebel vollfommen ficher iſt, fo führt fein Mißver⸗
gnuͤgen nichts beunrubigendes mitfih. Das göttliche Ber«
gnügen und Mißvergnügen ift, die Würfung der allervolle
fommenften anſchauenden Erfentniß aller möglichen Volle
fommenbeiten und Unvollfommenheiten, und Fan daher
nichts verneinendes und unvollfommenes in fid) enthalten.
Oder wern ja diefe Ausdrucke bedenklich zu fenn fcheinen fül«
ten, der fage: das Gott das allervollfommenfte Wohlgefale
len und Mißfallen habe.
$. 923.
3 '
Worin befteht denn nun aber die allerhöcjfte Volle
kommenheit und wahre Unendlichfeit des göttlichen Bergnüs
gens und Mißvergnügens? Es werden dazu, fieben Stüs
cke, erfodert. 1) Das göttlihe DBergnügen und Mifvers
gnügen ift von dem allerausgebreiteften Umfange, und von
einer unendlichen Weitläuftigkeit. Es iſt das reichfte, zu—
fammengefegtefte und mannigfaltigfte Vergnügen und Miß—
vergnügen, welches möglich ift $. 655. 922, Und dahin
gehoͤrt zweyerley. Einmal, über alle mögliche Dinge bat
Gott ein Vergnügen, oder Mifvergnügen, oder beydes zu
gleicher Zeit, dergeftalt, daß Fein möglich Ding ift, über
welches in Gott Feins unter beyden mwürflich wäre, Folg⸗
lic) ift Gott, gegen Feine moͤgliche Sache, ganz gleichgüls
tig
Der Wille Gottes, an
tig 6. 648. Widrigenfals müßte es entweder eine mög«
liche Sache geben, welche weder gut nod) böfe wäre, und
das ift unmöglic) $. 650. oder Gott müfite das Gute und
Boͤſe in derfelben nicht fennen, und das ift auch unmöglich
61.897. ober er müßte e8 zwar wiffen, aber nicht auf eine
anfchauende Art, und auch diefes ift nicht möglid) $. 894.
Folglich betrachtet Gott alle mögliche Dinge, fie mögen
nun übrigens Namen haben wie fie wollen, entweder mit
Vergnügen, oder mit Mißvergnügen, oder mit beyden zus
glei). Zum andern hat Gott, ein Vergnügen und Miß—
vergnügen, über alle Bollfommenheiten und Unvollfoms
menbeiten ohne Ausnahme, über alles Gute und Böfe in
allen möglichen Dingen zufammengenommen, und in einem
iedweden insbefendere. Keine einzige Vollkommenheit
oder Unvollkommenheit, in irgends einem möglichen Din
ge, Fan ihm gleichgültig feyn, indem er fie entweder gar
nicht Eennen müßte, oder auf Feine anfchauende Art. Gott
fan alfo auch, gegen Fein einziges mögliches Ding, bezie—
hungsweiſe, in gewiffer Abficht und eines theils gleichguͤltig
feyn $. 648. Kurz, alle Gleichguͤltigkeit ift eine Vernei—
nung und Unvollfommenheit, welche in dem allervollfoms
menften Wefen nicht einmal möglich if. Diejenigen Site
tenledrer irren alfo gewaltig, welche die Gleichguͤltigkeit,
und ftoifche Unempfindlichkeit, fo gar als das hoͤchſte Gut
der Menfchen anpreifen. Weil wir Menfchen nicht, alles
möglichen Bergnügens und Mifßvergnügens, fähig find;
fo müffen wir freylich das nöfhigere und nüßlichere, dem
unnöthigern und unnüßern, vorziehen. Folglich müffen
wir, manche Gleichgültigfeit, als ein Eleiners Uebel dulden
und erwählen, damit wir im Stande bleiben, dern pflicht«
mäßigen Vergnügen und Mißvergnügen nachzuhaͤngen.
Allein, an fich bleibe alle Gleichguͤltigkeit ein wahres Uebel,
welches in Gott gar nicht ftat finden Fan, weil fein unend«
licher Verſtand, alles möglichen reellen Bergnügens und
Mißvergnügens, fähig iſt.
O 2 6, 924.
212 Der Wille Gottes,
G. 924.
0) Das göftlihe Vergnügen und Mißvergnuͤgen ift
Das alleredelfte, gröfte, erhabenfte und proportionirtefte,
welches möglid) ift S. 655. 922. Und das will drenerley
fagen. Einmal, Gott hat auch ein Bergnügen und Miß—
vergnügen über die allergröften Bollfommenheiten und Una
vollfommenbeiten aller Dinge, und über die beiten und
fchlimften in ihrer Art: weil er fich über alle Bollfommen«
beiten vergnügt, und weil er über alle Unvollfommenbeiten
ein Mißvergnügen hat $. 923. Es ift eine groffe Unvolls
fommenbeit, wenn ein Menfch fich nur über die kleinern
Bollfommenbeiten vergnügt, und wenn ihn nur die Eleis
nern Unvollfommenbeiten mißfallen, indem er alsdenn die
groͤſſern überfieht, und fich als einen Findifchen Menfchen
characteriſirt. Bey Gott verhält jich diefes ganz anders.
Zum andern, da feine Bollfommenheit und Unvollfoms
menbeit irgends eines Dinges, in der Erfentniß Gottes,
eine Kieinigkeit feyn Fan $. 898. fo ift, alles Vergnügen
und Mißvergnügen Gottes über alle Vollkommenheiten und
Unvollfommenbeiten aller Dinge, aud) über diejenigen, die
in unfern Augen Kleinigkeiten find, von unendlich groffer
Wichtigkeit und Erheblichkeit. Wir Menfchen müffen uns
manches wahren PVergnügens und Mißvergnügens fchäs
men, meil ihre Gegenftände in Abficht auf uns Kleinig«
feiten find. Allein, bey Gott verhält ſich diefes ganz an—
ders, Und drittens ift, alles Vergnügen und Mißver—
gnügen Gottes, den Gegenftänden vollkommen proportio—
nirt. Sein Vergnügen über eine Sache fan nicht gröffer
oder kleiner ſeyn, als der wahre Grad ihrer Bollfommen«
heit, und fein Mißvergnügen über etwas fan nicht gröffer
oder Eleiner ſeyn, als der wahre Grad feiner Unvollfommens
beit. Das Gegentheil iſt unftreitig eine groſſe Unvollfoms
menheit, indem es entweder aus einer Unwiſſenheit, oder
aus einer irrigen Vorſtellung des wahren Grades der Volle
kommenheit und Unvollfommenbeit einer Sache, herruͤhrt.
$. 925,
Der Wille Gottes. a3
§. 92.
3) Das göttliche Vergnügen und Mißvergnügen ift
Das allerrichtigfte, welches möglich ift $. 655. g22. Kein
Vergnügen Gottes ift ein Scheinvergnügen, indem er wi—
drigenfals das Böfe als was Gutes anfehen müßte, Keine
Unvollfommenbeit, fein Uebel Fan ihm gefallen. Wenn
wir ein Scheinvergnügen über eine Sache empfinden, fo
feben wir entweder ihre Unvollfommenheiten als was guts
an, oder mir fehreiben ihr Vollkommenheiten zu, die fie
nicht hat, oder wir fchreiben ihr gröffere Bollfommenheiten
zu, als fie hat. Können, diefe Urfachen des Scheinvergnuͤ⸗
gens, in Gott wol möglich feyn? Folglich Fan man alles
mal untrüglich ſchlieſſen: was Gott gefält muß wahrhaftig
gut und vollfommen feyn, und zwar in dem Grade, als es
ihm gefält. Eben fo wenig fan, ein Mißvergnügen Got-
tes, ein Scheinmißvergnügen feyn, Wivrigenfals müßte
er entweder eine Bollfommenbeit für eine Unvollkommenheit
halten, oder er müßte einem Dinge eine Unvollkommenheit
zufchreiben, die es nicht has, oder er müfite eine Unvollkom⸗
menheit für gröffer halten als fie iſt; und das ift unmöglich),
Was Gott mißfälr, ift allemal wahrhaftig böfe, und zwar
in deinjenigen Grade, als es ihm mißfaͤlt. Auch in Dies
ſem Stüde ift, das göttliche Vergnügen und Mißvergnuͤ⸗
gen, unendlich weit über das unfrige erhaben, indem das
|. unfrige nur gar zu ofte, entweder ganz oder groffen Theils,
ein bloffes Scheinvergnügen und Scheinmißvergnügen iſt.
§. 926.
4) Das Vergnügen und Mißvergnügen Gottes if,
Das allerdeutlichfte und vernünftigfte Wohlgefallen an alle
Bollfommenbeiten, und Mißfallen an allen Unvollkommen—
beiten , welches möglich ift S. 655. 922, In Gore ift gar
fein finliches, dunkeles und verworrenes Vergnügen und
Mißvergnügen anzufreffen, als welches in demfelden nicht
einmal möglich ift $. 893. Was dem höchiten Weſen
gefält, das gefält ihm nach den veutlichiten und veiniten
Einfichten in feine Bollfommenheit, nicht aber nach einer
3 finlichen
214 Da Wille Gottes.
finlihen Borftellung derfelben. Folglich Fan, das göttliche
Vergnügen, gar niche mit unferee Wollujt verglichen wer—
den, welche in einem finlichen Gefühl einer Vollkommenheit
befteht. Was dem höchften Wefen mißfält, das mißfält
ihm nach der allerdeurlichften und reinſten Einſicht in feine
Unvollfommenheit, nicht aber nad) einer finlichen Borftels
lung derfelben. Es fan daher das göttliche Mißvergnügen
auch nicht, mit dem Schmerze und dem Berdruffe, vers
glichen werden, melche bey ung in einem finlichen Gefühl
eines Uebels beftehen. Und da, alle unfer Bergnügen und
Mißvergnügen, entweder ganz ober eines Theils finlich ift:
fo find wir auch nicht im Stande, uns recht faßlich zu ma—
chen, wie das Vergnügen und Mißvergnügen Gottes bes
fchaffen ift. Gott wohnt, auch in diefem Stüde, in einem
Lichte, wozu niemand auch nur blos in Gedanfen gelangen
Fan. Go ofte wie Gott ein Vergnügen und Mißvergnügen
zufchreiben,, fo ofte ftellen wir uns dabey etwas vor, wel⸗
ches ſich für Gore nicht ſchicke. Da nun in Gott nicht
einmal, ein finlihes DBergnügen und Mißvergnügen, flat
finden Fan; fo muß man ihm auch, alle Würfungen defe
felben, abfprechen. Folglich bat er Fein finliches Begeh—
tungsvermögen, Feine finlichen Begierden und Berabicheus
ungen $. 673. feine bloffe natürlichen Triebe und Abfcheue
$. 675. und feine finlichen $eidenfchaften $. 676. Feine fin
liche Siebe, feinen finlihen Zorn, Fein finliches Mitleiden,
und wie alle finliche $eidenfchaften insgefamt heiffen mögen,
Das feste hat, manchen Gottesgelehrten und Weltweiſen,
viele Schiwieriafeit gemacht, zumal da die heilige Schrift,
alle Benennungen der $eidenfehaften, von Gott gebraucht,
und iederman z. E. fagt, daß Gott die Menfchen liebe.
Man rettet fich bier gemeiniglich damit, daß man dem
hoͤchſten Wefen die $eidenfchaften gleichnißweiſe zufchreibe
$. 851. Wenn man afle $eidenfchaften für finliche Begier—
den und Verabſcheuungen hält, fo Fan man fi auch nicht
anders helfen, und es geht auch allerdings an, indem Gott
das reelle aller $eidenfchaften, mit Ausfchlieffung aller Un»
voll.
Der Wille Gottes. 215
vollfommenbeiten berfelben, befigt. Allein, in meinen Sehr.
gebäude habe ich einen feichtern Weg, indem ich verminfz
tige $eidenfchaften annehme $. 688. welche Gott zugefchrie«
Den werden müffen, wie aus dem folgenden erhellen wird,
Und ich werde die Weitläuftigfeit nicht begehen, und zeigen,
wie eine iedwede ung befante Seidenfchaft Gott, ohne Irr⸗
thum und Unanftändigkeie, koͤnne zugefchrieben werden.
Ein ieder Fan diefes ſelbſt thun, wenn er, die Erklärungen
der Seidenfchaften aus der Pfychologie, nimt, und das
wahre Bollfommene in denfelben von dem Unvollfommenen
abfondert.
$. 927.
5) Das Vergnügen und Mißvergnügen Gottes hat
bie allerhöchfte und vollfommenfte Gewißheit, die nur möge
lich ift $. 655. 922. Was Gott gefält, das ift fo beſchaf—
fen, daß er mit der vollkommenſten Gewißheit weis, es ſey
nicht nur wahrhaftig gut, fondern auch in eben dem Grade,
als es ihm gefaͤlt. Was ihm mißfaͤlt, davon weis er nicht
nur gewiß, daß es böfe fey, fondern daß es aud) in dem
Grade böfe fey, als es ihm mißfaͤlt. Kein Vergnügen
und Mifvergnügen Gottes an irgends einer Sache Fan
ungewiß, zweifelhaft, wahrfcheinlich oder unwahrfcheinlid)
feyn. Es gefält ihm nichts aus einem bloſſen Borurtbeil,
und aus einer Scjeinüberzeugung von der Gröffe deffelben ;
und eben fo wenig berubet, fein Mißfallen an irgends einer
Sade, auf einem fo fhledyten Grunde, Unfer Vergnuͤ—
gen und Mißvergnügen iſt nur gar zu ofte fo ſchluͤpfrig ge—
gründet, daß wir mit Feiner wahren Zuverficht demfelben
nachhängen koͤnnen.
§. 928,
6) Das Vergnügen Gottes und das Mißvergnuͤgen
deffelben , über alle Bollfommenbeiten und Unvollkommen—
heiten aller möglichen Dinge, ift auch) zugleich fo lebendig
als möglich $. 655. 922, In Gott ift weder ein unthäti-
ges und unwuͤrkſames Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen, noch
ein ſolches Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen, welches nicht
I) 4 wuͤrk⸗
216 Der Wille Gottes.
wuͤrkſam und gefhäftig genung if. Das Wohlgefallen
Gottes an einer Sache bringt allemal, fo viel Thaͤtigkeit
und Wuͤrkſamkeit der göttlichen Allmacht in Abſicht auf dies
felbe Sache, hervor, als möglich if. Und wenn dem
höchften Wefen eine Sache mißfält, fo wird dadurch), vie
allervollfommenfte Gefchäftigkeit dee göttlichen Allmacht in
Abſicht auf diefelbe Sache, verurfaht. Wir werden uns
balde, von diefer Vollkommenheit des göttlichen Vergnuͤgens
und Mißvergnügens, noch ausführlicher überzeugen, wenn
wir den goͤttlichen Willen felbjt genauer unterfuchen werden,
Wir Menfchen hängen ofte einem müßigen Vergnuͤgen
nad), indem wir durch daffelbe nicht genung zu Handlun=
gen, die demfelben gemäß find, angetrieben werden; wie
z. E. ein Menſch, welcher ein Vergnügen an der Tugend
empfindet, ob er ſich gleich Eeine Mühe gibt, die Tugend
zu erlangen, Und auf eine ähnliche Art Fan ein Menfch,
ein Mißvergnügen über die Sünden und Laſter, fühlen,
ohne daß er Dadurch angetrieben wird, fih Mühe zu geben,
Diefelben zu verhüten, Das göttliche Vergnügen und Miß«
vergnügen Fan unmöglich fo mat und ſchwach feyn, ſondern
es ift von der allergröften Stärfe,
5. 929. .
7) Das göttlihe Vergnügen und Mifvergnügen,
über alte Vollkommenheiten und Unvollfommenheiten aller
möglichen Dinge, iſt im hoͤchſten Grade unveränderlic),
dauerhaft, ewig und unabhänglich S. 655. 922. Gott
bat gar Fein vergängliches Bergnügen und Mißvergnügen,
ob ihm gleich alles vergänglicye Vergnügen und Mißver—
gnügen aller Creaturen befant ift $. 660. Was Gott
gefält, gefält ihm immer, ewig und unveränderlich; und
was ihm einmal mißfalt, das mißfält ihm immer, ewig und
unveränderlih. Nichts Fan fein Vergnügen und Mißver—⸗
gnügen vermehren oder vermindern, und es Fan ihm alfo
nichts befehmerlich, angenehm oder unangenehm feyn. Kein
Bergnügen Gottes Fan durch ein anders oder durch ein
Mißvergnuͤgen verdunfelt werden, und fein Mißvergnügen
Fan
Der Wille Gottes, 217
Fan auf eben diefe Art vermindert werben, Sondern,
alles mögliche wahre Vergnügen und Mißvergnügen, if
in Gott auf einmal und beyfammen , in einerley Grade der
Klarheit und Vollfommenbeit, beftändig würflih. Und
weil Gott überhaupt, von Eeinem Dinge auffer fi), ab—
banget S. 880. 881. fo hanget auch, Fein Vergnügen und
Mifvergnügen Gottes, von den Gegenftänden derfelben
auffer ihm in dem Verftande ab, als wenn fie das Bergnüs
gen und Mißvergnügen in Gott würften. Man muß alfo
nicht fagen: daß ein Ding auffer Gott ihm, ein Vergnuͤ—
gen oder Mifvergnügen, verurfache; fondern man muß
fagen, Gott vergnüge fi) an allen wahren Vollkommen—
beiten auffer fih, und er frage ein Mißfallen an allen Uns
vollfommenbeiten auffer fih. In Gore felbft ift, die einzige
Duelle alles feines Vergnügens und Mißvergnügens, Und
die Gegenftände derfelben auffer ihm mögen fich verändern,
wie fie wollen; fein Vergnügen und Mißvergnügen bleibt
demohnerachtet unverändert, GT
§. 930,
Alles, was Gott gefält oder mißfält , ift entweder
er felöft, und eine Realität, die in ihm würflid) ift, oder
es ift eine Sache aufler Gott. - Es ift fdhlechterdings uns
möglich, daß Gott über fich felbft, oder über irgends eine
feiner Realitäten und Vollkommenheiten, ein Mißvergnüs
gen haben folte. Denn diefes Mißvergnügen wäre entwes
der ein wahres Mißvergnügen, oder ein Scheinmißver—
gnuͤgen. Wäre das erfte, fo müßte in Gott etwas böfes
und unvollfommenes anzutreffen feyn, und das iſt unmög«
li) 6. 318. Wäre das andere, fo koͤnte Gott irren, und
das ift auch unmöglih S. 925. Folglich ift es unmöglich,
daß Gott an fic) felbft, oder an irgends einer feiner Bes
ftimmungen, ein Mißfallen tragen folte. Er genieft, ewig
und unveränderlich, über fich ſelbſt das allerveinfte und ale
lergroͤſte Vergnügen, welches mit gar feinem Mißvergnüs
gen untermenge ift, weil er ſich felbft, als das befte und
heiligfte Weſen, aufs vollfommenfte anſchauet. Die theo—
5 logiſche
218 Der göttliche Wille überhaupt,
logiſche Erfentniß, melde Gott von ſich felbft hat $. 903.
iſt eine fo angenehme Wilfenfchaft, welche nichts verdrießli«
ches, nichts mürrifhes und nichts wahrhaftig unangeneh-
mes enthält, Und man Fan, diefes höchfte Vergnügen
Gottes über fich felbft, die Zufriedenheit Gottes mit fid)
ſelbſt, oder feine Beruhigung in ſich felbft nennen. $. 680.
Alle Gottesgelehrte folten fi) auch in dieſem Stüce bemüs
ben, ihre Gottesgelahrheit der Erkentniß Gottes, die er
von ſich felbft befigt, gleichförmig zu machen. Eine Theo-
logie, welche den Menfchen finfter, niedergeſchlagen, mürrifch
und zanffüchtig macht, Fan in fo ferne Feine wahre Theolo-
gie ſeyn. Alle andere Dinge aber auffer Gott find endlich,
und folglich gut und böfe zugleid) $. 199. Folglich Fan
nichts auffer Gott ihm blos mißfallen, und er Fan aud)
über nichts auffer fid) ein reines Vergnügen haben. $. 658.
Alle Dinge auffer Gott, und alle ihre Beftimmungen,
Bollfommenbeiten und Unvollfommenbeiten, gefallen und
mißfallen ihm zugleich, fie mögen nun fo gut oder fo böfe
feyn, als fie wollen,
Der göttlihe Wille iiberhaupt.
ge 931.
Wir haben uns ſchon in der Pfychologie überzeugt,
daß ein ieder Geift nicht nur Verſtand, fondern auch einen
Pillen haben müffe, weil der Wille allemal mit dem Ver—
ftande verbunden ift $. 793. Da nun Gott ein Geift ift,
und Berftand bat, $. 891. fo muß er auch nothwendig eis
nen Willen haben. Man Fan fich aber noch deutlicher,
auf folgende Art, von der Würflichfeit des göttlichen Wil—
tens überzeugen. Nemlich eine Begierde iſt nichts anders,
als die Beltimmung der Kraft einer Subſtanz, eine Ers
Eentniß zu würfen, weil fie ihr gefält $. 66. Nun wird
die Allwiffenheit Gottes in ihm von Emwigfeit zu Ewigkeit
gemürft, und zwar durch feine eigene Kraft, weil er auf
keinerley Weiſe leiden, und von andern Dingen auffer fic)
abhangen Fan S. 880. 88. Die Altwiffenheit Gottes iſt
die
Der göttliche Wille überhaupt, 219
die allervolffommenfte Erkentniß $. gar. deren ſich Gore
ſelbſt bewuſt ift, und worüber er das allerwollfommenfte
Bergnügen genieft $. 930. Dieſes Vergnügen Gottes
ift zugleich im höchften Grade lebendig $. 928. Folglich)
wird, durch daffelbe, die allmächtige Kraft Gottes, aufs
vollfommenfte und unveränderlic), beftimt, die Allwiſſen⸗
heit zu würfen, Folglich begehrt Gott feine Allwiſſenheit,
und zwar um des allerdeutlichften Bergnügens willen, wel—
ches er über diefelbe genieft. Gottes Begierden find dem⸗
nach vernünftige Begierden, und er hat alſo eine vernünftis
ge Begehrungsfraft, oder einen Willen $. 686. welcher
der allervolifommenfte und alleraröfte Wille ift. $. 817.
Wer etwas begehrt, der verabſcheuet zugleid, das Gegens
theil deffelben .$. 662. Folglich ift, der Wille Gottes,
zugleich ein Bermögen vernünftig zu verabfcheuen. Durd)
den göttlichen Willen würft Gott nicht nur feine Allwiſſen—
heit, und alfo die allervollfommenfte Erkentniß von ſich
felbft ; fondern auch den Gegenftand der legfern, oder den
Inbegrif aller feiner görtlihen Vollkommenheiten, die ſei—
ne Wuͤrklichkeit ausmachen. Denn die Erfentniß, die
Gott von fich felbft hat, koͤnte nicht die allervollfommenfte
feyn, und fie koͤnte ihm nicht ein unendliches Vergnuͤgen
über fich felbft geben, wenn er nicht in der That das aller:
vollfommenfte Wefen wäre. Wenn alfo auch Gott, durch
feinen Willen, nichts auffer ſich hervorgebracht hätte und
noch mwürfte; fo würde er doch in ſich felbjt genungfam era
weiſen, daf er den allergröften und vollfommenften Willen
habe, meil die ewige, beftändige und unwandelbare Würs
fung feiner eigenen Wuͤrklichkeit, und infonderheie feiner
Allwiſſenheit, und feiner Erfentniß feiner felbft, in ihm
nicht anders moͤglich iſt, als ein Befchäfte und eine Würfe
famfeit des allervollkommenſten Willens. Und da nun
Gott feine allmädjtige Kraft, durch das allervollfommenfte
Vergnügen über ſich felbft, beitändig dergeſtalt beftimt,
daß dadurch die höchfte Bollfommenheit in ihm unveräns
derlich gewuͤrkt wird; fo verhindert er dadurch, in feiner
geſam⸗
220 Der goͤttliche Wille überhaupt,
gefamten Wiürflichfeit, alle Unvollfommenbeiten, weil fie
ihm mißfallen, und mithin verabfcheuer er fie fämtlich in
ſich felbft aufs vollfommenfte, und im höchften Grade. Wer
dieſe Betrachtung recht verftehen will, der muß ſich, aus
der Pſychologie, alles deffen erinnern, was von der Na—
fur der Begehrungsfräfte gefagt worden, : And ich muß
freylih geftehen, daß wo nicht alle, doch die meiften Got—
£esgelehrten und Weltweifen, bisher ohne affe weitere Un-
terfuchung angenommen haben, daß zwar alles, was auffer
Gott würflih ift, von feinem Willen abhange; daß aber
feine eigenen Vollkommenheiten , in fo ferne ihre Wuͤrklich⸗
feit von feiner eigenen Kraft herruͤhrt, nicht unter die Ge:
genftände feines Willens gerechnet werden müffen, Allein
äch habe gleich) ietzo das Gegentheil erwiefen,
Ge 032.
Gottes Wille ift der allergröfte und allervollkommen⸗
fte, welcher möglich ift. $. 931. Diefer höchfte Grad der
Vollkommenheit des Willens Fan eines Theils daher deutlich
erflärt werden, wenn man auf dasjenige fieht, was Gott
will, und davon wollen wir in dem folgenden handeln; ans
dern Theils aber daher, wenn man darauf fieht, mie Gott
etwas begehret oder verabfcheuer. S. 666. Diefer legte
Grad der Bollfommenheit des Willens Gottes befteht dars
in, daß, alle Begierden und Verabſcheuungen Gottes,
aus der Allwiſſenheit, aus der allervollfommenften Erkent—
niß aller möglihen Dinge, aus dem allervollfommenften
Vergnügen und Mißvergnügen, und alfo aus den alfervolfe
Fommenften Bewegungsgründen flieffen. In Gore iſt gar
Feine todte Erfentniß, feine ganze Allwiſſenheit lebt im höch-
ſten Grade $. 902. 928. Ks wird demnach, fein ganzer
Wille, und vie Thätigkeit deffelben, durch die allervollfoms
menfte Erfentniß aller Bollfommenheiten und Unvollfom:
menbeiten alter möglichen Dinge, beſtimt. Und da nun
dieſe Erkentniß wahrhaftig unendlich ift, fo ift auch, die
Würkfamkeit feines Willens, in der That unendlich, In—
fonderheit wird der unendliche Wille Gottes, durch die pro:
por:
Der örtliche Wille überhaupt. a2X
portionirtefte Erkentniß, und durch das proportionirtefte
Vergnügen und Mißvergnügen tiber die Gegenftände, be.
ftimt $. 898. 924. Folglich ift fein görtlicher Wille, eine
mal, feiner Erfentniß der Gegenftände volltonmen gleid).
Gott begehrt und verabfcheuet Feine Sache ftärfer oder
ſchwaͤcher, als er fic) den Grad ihrer Vollkommenheit oder
Unvollfommenheit vorftell. Und zum andern, da Gore
untrüglich ift, fo ftele er ſich eine Sache fihlechter, oder
beſſer vor, als fie in der That ift, Folglich begehrt und:
verabſcheuet Gott Feine Sache ftärfer oder ſchwoͤcher, als
es der wahre Grad ihrer Bollfommenheit oder Unvollkom—
menbeit verdient. Und der göttliche Wille iſt alfo, allen
Gegenftänden, aufs vollfommenfte proportionirt $. 67%
Bey uns Menfchen, und andern vernünftigen Creaturen,
verhält es fi) ganz anders. 1) Unfer Wille ift allemal,
mit der untern und finlihen Begehrungsfraft, vermengt.
Folglich find zwar beyde zufammen, unferer iedesmaligen
gefamten lebendigen Erfentniß des Gegenftandes, propors
tionirtz allein man fan wenigftens fehr felten fagen, daß
unfere vernünftigen Begierden und Verabſcheuungen, uns
ferer vernünftigen Erkentniß der Gegenftände, proportio—
nirt find, Bey Gott verhält ſich diefes ganz anders.
2) Wir fonnen fehr felten oder gar nicht, von unfern Bes
gierden und Verabſcheuungen, fagen, daß fie unferer gan«
zen Erkentniß der Gegenftände proportionirt find; weil,
in unferer Erfentniß, viele todte Borftellungen angetroffen
werden. Die ganze Erkentniß Gottes lebt, und es find
alfo, alle feine Begierden und Verabſcheuungen, feiner
ganzen Erkentniß der Gegenftände proportionirt. 3) Weil
mir uns die Gegenftände beffer oder ſchlimmer vorftellen
fönnen, und gemeiniglich vorftellen, als fie in der That
find; fo find auch, unfere Begierden und Berabfchenungen,
den Öegenftänden felbit nicht proportionirt. Sondern wir
begehren die Gegenftände entweder ftärfer oder fehwächer
als fie es verdienen, und eben fo verabfcheuen wir fie ent
weder ftärfer oder ſchwaͤcher, als fie es verdienen, Mit
dem
222 Der göttliche Wille überhaupt.
dem göttlichen Willen verhält es fich anders, und wir fon
nen daher mit der gröften Zuverſicht fehlieffen: was Gott
ftärfer begehrt als etwas anders, das muß beſſer feyn als
Das andere,
$. 933.
Die Begierden und Verabſcheuungen Gottes find
Beftimmungen feiner allmächtigen Kraft, etwas zu würfen
oder nicht zu würfen $. 931. welche von feiner Kraft felbft
herrühren, weil er auf feinerley Weife leiden fan $. 881.
Folglich find fie wahre Handlungen $. 164, und Gott bes
ſitzt die allerhöchfte Selbftrhätigfeit S. 607. Eriiftjadie
unendliche Subſtanz $. 814. und da cine iede würfliche
Subſtanz Handelt und felbftehätig ift, fo muß auch Gore
felbftehätig fenn, und zwar im hoͤchſten Grade: indem er
nicht nur auf eine allmächtige Art handelt, und fo viele
und groffe Handlungen durch feine eigne Kraft wuͤrkt, als
möglich ift; $.862. fondern indem er auch, in Feiner feiner
Handlungen, leiden Fan, nicht einmal auf eine idealifche Arc
6. 881. Es ift wahr, die endlichen Subſtanzen find auch
ſelbſtthaͤtig, aber fie felbit koͤnnen wenig thun, und in dem⸗
jenigen, was fie felbft thun, find fie nicht nur dem reellen
Einfluffe Gottes unterworfen, mie aus dem folgenden ers
hellen wird, fondern auch dem Einfluffe aller übrigen end»
lichen Subftanzen, mit denen fie zugleich wuͤrklich find S. 366.
Die Handlungen Gottes find von doppelter Art. Zu der
erften gehören diejenigen, durch welche er in ſich felbft feine
unendlichen Accidenzien, feine Allwiffenheit und die übrigen
gortlihen Vollkommenheiten, würft $. 931. 863. Und
zu der andern gehören diejenigen göttlichen Handlungen,
Durch welche er in andere Dinge auffer fich wirft, von des
nen wir in bem folgenden handeln werden. In beyden ift
er auf eine fo vollkommene Art ſelbſt gefchäftig und wuͤrk⸗
fam, daß es ungereimet zu fagen ift: feine Kraft werde,
durch irgends eine Urſach auffer ihm, in ihrer Geſchaͤftigkeit
beftimt, unterftüge und erhalten. Was er thut, das thut
er felbft.
$. 93%
Der göttliche Wille überhaupt, 223
$. 934
| Alles was Gottes Wille begehrt, das begehrt er auf
die allervollfommenfte Art $ 931. folglich nad) der aller
richtigften und untrüglichiten Erfentniß deffelben $. 932,
und es muß alfo mas Guts ſeyn. Es ift unmöglich, dag
ort eine Unvollfommenheit und etwas Boͤſes, in fo ferne
es böfe ift, folte begehren koͤnnen; meil er ſich widrigenfals
daffelbe als gut vorſtellen, und alfo irren müßte. Folg—
lich fan man allemal zuverfichtlich fhlieffen, daß alles Das»
jenige, was Gore will und begehrt, gut fen, darum weil
es Gott will. Und eben fo fan man fchlieffen, daß alles
dasjenige böfe fen, was Gott verabfcheuer, und zwar darum,
meil er es verabfcheuet. Denn mas der Wille Gottes ver:
abſcheuet, das verabfcheuet er auf die vollfommenfte Art
$. 931. folglich nach der allerrichtigften Erfentniß deffelben
$. 932. und es muß alfo etwas Böfes ſeyn. Wenn Gott
eine Bollfommenheit oder etwas Guts, in fo ferne es gut
ift, verabfcheuen koͤnte, fo müßte er es fich als was Boͤſes
vorftellen, und alfo irren Fönnen, melches fehlechterdings
unmoͤglich ift S. 899. Die Begierde Gottes nad) dem
Guten heift die göttliche Liebe des Guten, und feine
Berabfcheuung des Böfen heilt der göttliche Haß des
Höfen. Bende find innerliche Vollkommenheiten Gottes,
und alfo wahrhaftig unendlich $. 854. 1) Der Ausdehe
nung nach, indem er alle Bollfommenbeiten aller möglichen
Dinge liebt und begehrt, und alle Linvollfommenbeiten aller
Dinge haft und verabſcheuet. Wenn Gott irgends eine
Vollkommenheit nicht liebte, und irgends eine Unvollkom—
menheit nicht haßte: fo müßte er entweder feine Kentniß
von derfelben haben, und das ift unmöglich) F. 8y7. oder
er müßte von ihr abftrahiren, und das ift auch) unmöglich
$. 893, oder er müßte fie blos auf eine fumbolifche und todre
Art erfennen, und aud) Diefes iſt nicht möglich 9.902. Folge
li) liebt er afles liebenswürdige mo ers findet, und wenn
es aud) in Dingen feyn folte, die übrigens haſſenswuͤrdig
find. Und er haft alles haffenswürdige, wo ers findet,
und
224 Der göttliche Wille überhaupt.
und wenn es auch in Dingen feyn felte, die übrigens die
liebenswürdigften Dinge find. 2) Der Dauer nad), in«
dem fie ewig und unveränderlich in Gott find $, 358. Was
Gott einmal liebt, das liebt er von Ewigkeit zu Ewigkeit,
und was er haft, das haft er eben fo beftändig, eine
Siebe und fein Haß haben weder Anfang noch Ende. 3) Der
Stärfe nach, indem feine Liebe und fein Haß, den Gegen—
ftänden, aufs vollfommenfte proportionirt find 9. 932. Er
liebt und haft nichts in einem hoͤhern oder geringern Grave,
als es dem Grade feiner Vollkommenheit oder Unvollkom—
menheit gemäß ift. Es ift demnach ein fehr grober Irr—
thum, wenn manche glauben, daß der Haß Gottes z. E.
gegen eine iede Sünde, dergeftalt unendlich wäre, daß er
in Feiner Abficht gröffer feyn Eöntes denn alsdenn müßte eine
iede Sünde, in den Augen Gottes, die gröfte Sünde und
Das allergröfte Uebel feyn, welches doch ein offenbarer Irr—
thum feyn würde. Folglich Fan man auch, aus dem une
endlichen Haffe Gottes gegen die Sünde, eben fo wenig die
Ewigkeit der Höllenftrafe eriweifen, fo wenig daraus flieft,
daß eine iede Sünde in dem Urtheile Öottes eine ewige
Strafe verdiene.
§. 935.
Um uns, von der unendlichen Bollfommenheit des
göttlichen Willens noch einen deutlichern Begrif zu machen,
fo wollen wir, Die genaue Verbindung deffelben mit der
Allmacht Gottes, unterfuchen. Nemlich die Allmacht Got—
tes befteht nicht blos in einem DBermögen, fondern in einer
unendlich würffamen Kraft, und alle Handlungen Gottes,
wodurch er fo wol in fich felbft, als auch auffer ſich Reali—
täten würft, machen zufammengenommen den ganzen Ges
braud) ver Allmacht Gottes aus $. 862-866. Mun ift
“eine iedivede Handlung Gottes in ihrer Art die befte, indem
er durch eine iedwede die gröfte Nealitat würft, Die möglich
iſt F.817. Diefe Realität erfent Gott aufs vollfommenfte,
und infonderheit aufs Deutlichite und Iebendigfte $. 900,
902, dergeftalt, daß er Darüber das lebendigſte, ver
nünfrigfte
Der göttliche Wille überhaupt. 225
nünftigfte und proportionirtefte Vergnügen genieft S. 924.
926, 928. Und weil, unter allen feinen innerlichen Reali—
täten , der allergröfte allgemeine Zufammenbang angetroffen
wird $. 842. ſo ift, dieſes vollfommenfte Vergnügen, der
nächjte Bewegungsgrund zu diefer Handlung. Folglich
wird die allmächtige Kraft Gottes, bey einer ieden goͤttli—
chen Handlung, durch das vollfommenfte und vernünftiafte
Vergnügen über den Öegenftand derfelben beſtimt, denſel—
ben zu würfen; und es ift demnad), eine iedivede Hands
lung Gottes, eine vernünftige Begierde nach dem Gegen.
ftande, und alfo eine efchäftigkeit des göttlichen Willens,
Diefer Wille begreift alſo, in feinem Umfange, alle Hand—
lungen Gottes, und was Gott thut und würft, das will
er au) thun. Bey uns, und andern endlichen Geiftern,
verhält es fich ganz anders. Der Würfungsfreis unferes
Willens erſtreckt fich nicht über alle unfere Handlungen,
und mir nehmen unendlich viele Handlungen vor, welche
von unfern Willen nicht abbangen. - Alles aber, was Gott
thut, das thut er nad) dem allervollfemmenften Gefallen
und Mißfallen, und zu allen feinen Handlungen wird er,
durch die allervollfommenfte vernünftige Erkentniß, und
durch die allervollfommenften Bewegungsgründe, beftime
und bemogen.
$. 936.
Da die Liebe Gottes zum Guten, und der göttliche
Haß des Bölen, wahrhaftig unendlich find $. 934. fo will
Gott: 1) alle Gegenftände der Erfentniß, die er von fich
felbft hat, und welche Gegenftände Wirkungen feiner Äll—
macht find $. 803, Die Erkentniß, die Gott von fich
feibft bat, Fan nicht tod und unwürffam feyn $. 902. fon»
dern fie ijt eine unendlich lebendige Erkentniß. Folglich
wird Gott dadurch bewogen, alle feine würflichen unend—
lichen Realitäten zu wollen, und ewig zu würfen, und alle
Unvolltommenbeiten zu verabfcheuen, in fo ferne fie als Be—
flimmungen und Xceidenzien feiner felbft betrachtet werden
S. 930. Folglich will Gott z. E. iederzeit aufs befte, ohne
4. Theil, P alle
#26 Der göttliche Wille überhaupt.
alle - Mängel und Fehler, handeln, er will immer aufs
weifefte, aufs gütigfte, aufs beiligfte würffam feyn, fo ofte
er handelt u. fe w. 2) Gore will alle Gegenftände ver
nothwendigen Wiflenfchaft, in fo ferne fie gut find, und er
verabfcheuer fie aufs vollfommenfte, in fo ferne fie böfe find
$. 907. Dieſe nothwendige Wiſſenſchaſt muß ebenfals
im hoͤchſten Grade lebendig feyn $. 902. Folglich wird
der Wille Gottes durch diefelbe bewogen, vermöge der Alls
macht diefen Gegenftänden alle mögliche Wuͤrklichkeit zu
geben. Nun koͤnnen fie, auffer den endlichen Subftanzen,
feine andere Würflichfeit haben, als ihre vollfommenfte
Borftellung in dem göttlichen Berftande, Es befteht dem—
nad) das $eben diefer göttlichen Wiffenfchaft darin, daß
Gottes Kraft durch diefelbe, ewig und unveränderlich , bes
ftime wird, fie felbft zu würfen. 3) Gott will, alle Ges
genftände der mitlern Wiſſenſchaft, in fo weit fie gut find,
und verabfcheuet fie, in fo weit fie böfe find $. gıo. denn
fonft würde diefe Wiſſenſchaft eine todte Erfentniß feyn,
welches unmöglich ift 9. 902. Da nun die möglichen
Dinge aller möglichen Welten auffer unferer Welt Feine
rechte Würflichkeit haben, als in fo weit fie in dem göttlis
chen Berftande aufs vollfommenfte vorgeftelt werden: fo
äuffert ſich, das Leben der mitlern Wiffenfchaft Gottes, da—
durch, daß er durch) fie ewig und unveränderlic bewogen
wird, fie felbft in fich durch feine Kraft beffandig zu wuͤr⸗
fen. 4) Gott will die Gegenflände feiner freyen Wiſſen⸗
fchaft, in fo weit fie gut find, und verabfcheuet fie, in fo
weit fie böfe find $. 908. Denn die freye Wiſſenſchaft
Gottes ift fo lebendig, als möglih $. 902. Nun koͤnte
diefe Wiſſenſchaft nicht die freye in Gott feyn, wenn niche
diefe Welt auffer Gott würflich vorhanden wäre. Folglich
befteht das vollfommenfte Leben der freyen Wiſſenſchaft
Gortes darin, daß er nicht nur fie felbft in feinem Verſtan—
de, durch feine allmädjtige Kraft, wuͤrkt; fondern daß er
auc), diefe Welt und alle Theile derfelben, auffer fich zur
Wuͤrklichkeit bringe, in fo weit fie gut find, Dieſe Welt
fan
Der göttliche Wille überhaupt, 227
Fan ja nicht anders würflic) feyn, als durch eine Handlung
Gottes, und als eine Würfung veffelben $.821. Alle Hand:
Iungen Gottes bangen von feinem Willen ab $. 935. Folg«
lich wird der Wille Gottes, durch die freye Wiffenfchaft,
aufs vollfommenfte bewogen, diefe Welt und alles was
Drinnen iſt, in fo weit es gut iſt, dergeftalt zu begeben,
daß die Kraft Gottes dadurch angeftrengt wird, dieſe Welt
auffer Gott zu würfen, Die freye Wiſſenſchaft Gottes ift
die einzige Erkentniß Gottes, wodurd) er beftime wird,
auſſer fich zu wuͤrken. Durch) die übrige Erkentniß aller
übrigen Dinge aber wird, die göttliche Kraft, nur beſtimt,
in ſich ſelbſt, feine eigene höchfte Vollkommenheit, und die
vollfommenfte Erkentniß aller übrigen möglichen Dinge
auffer dieſer Welt, zu würfen.
$. 937.
Hieraus läft fich die berühmte Eintheilung des göft-
lichen Willens erflären, vermöge welcher er entweder ein
vorhergehender oder nachfolgender Wille ift 9. 692. Freys
lid) enthalten diefe Benennungen etwas Gott unanftändi-
ges, indem fie anzuzeigen fcheinen, daß ein Wille auf den
andern folge, welches in Gott nicht möalic) ift. Ya mans
che Erklärungen diefer beyden Arten des Willens verurfachen
aud) einige Nebenbegriffe, welche fich für Gore nicht ſchi—
den. Wir wollen gerade zu gehen, und nad) unfern Ein«
fihten, diefe beyden Arten des göttlichen Willens, erflären.
Nemlich fie beziehen ſich nur auf alle mögliche Dinge auffer
Gott, und da wird derjenige Wille Gottes der nachfols
gende, oder befchlieffende und würfende Wille Gottes
genent, vermöge deſſen Gott diefe wuͤrkliche Welt, und al
les was drinnen iſt, in fo weit es gut iſt, will und begehrt.
Der Bewegungsgeund diefes Willens ift die freye Wiſſen—
ſchaft Gottes, und diefer Wille Gottes ift derjenige Wille,
durch welchen die allmächtige Kraft beftimt wird, auffer
Gott zu würfen, und in die Welt einzuflieffen. Die Be-
gierden diefes Willens find, die Rarchfchlüffe Bottes
über diefe Welt 8. 936. 692. Der vorbergebende
P 2 Wille
228 Der göttliche Wille überhaupt,
Wille Bottes aber ift ver Wille Gottes, vermöge deſſen
er, Die Gegenftände der norhwendigen und freyen Wiflens
fehaft, begehrt, in fo ferne fie gut find $. 936. Dieſer
Wille Gottes ift Fein befchlieffender Wille, allein er ift doch
ernftlich, weil Gott alles Gute, ohne Berftellung und Heus
chelen, begehrt, was in andern möglichen endlichen Dine
gen auffer diefer Welt angetroffen wird. Diefer Wille ift
aud) nicht unthätig und unwürffam, fondern er hat einen
wahrhaftig reellen Einfluß in die göttlichen Rathſchluͤſſe;
denn die Boilfommenheiten der Gattungen und Arten der
mögliben Dinge, und folglich der Gegenftände ver noths
wendigen Wiffenfchaft Gortes, gehören mit zu allen Voll—
fommenbeiten der würflichen Dinge in diefer Welt, durch
deren Erfentniß er ewig bervogen wird, die leßtern zu bes
ſchlieſſen, und fie auffer fi) zu wuͤrken. Man Fan fi,
diefe wichtige Betrachtung, Durch ein berühmtes und merfs
wuͤrdiges Benfpiel, erläutern. Unſere Gottesgelehrten fa
gen: Gott will nad dem vorhergehenden Willen, daß alle
Menfchen felig werden, allein vermöge des nachfolgenden
Willens will er nur, daß einige felig werden. Es würde
fehr unanftändig fern, und es ift offenbar falſch, wenn
man fagen wolte: Gott habe in der heiligen Schrift, dem
menſchlichen Gefiblechte, ein fiebreiches Kompliment ges
macht, indem er gefagt, er wolle aller Menfchen Seligfeit,
es ſey aber nicht feine wahre Meinung. Sondern wenn
man die Menſchheit als eine Gattung betrachtet, fo ift fie
allen Menfchen gemein, und in allen Menfchen von einer:
ley Güte. Folglich find in fo ferne alle Menfchen, zur
Eeligfeit, im gleichen Grade fähig. Und, diefe Bollfom-
menheit der Menfchheit, erfent und will Gott. Tja es ift
eine Belt möglich, in welcher alle Menfchen felig gewor—
den wären, und da dieſes was guts iſt, fo will es Gott
auch und zwar ernftlih. Allein die würflichen Menfchen
in diefer Welt find nicht alle der Seligfeit fähig, und es
wäre nicht das Beſte, wenn alle Menfchen in diefer Belt
felig würden. Folglich hat Gott, dur) feinen nachfol-
genden
Der göttliche Wille überhaupt. 229
genden Willen, nur die Geligfeit einiger Menfchen be:
ſchloſſen; erftlich, weil fie diejenige Fähigkeit zur Seligfeit
beſitzen, um welcher willen Gott, nach feinem vorbergehen-
den Willen, die Seligkeit aller Menfchen will. Und folg«
lich ift der vorhergehende Wille würffam in ort, weil er
zu den Bewegungsgründen der göttlichen Rathſchluͤſſe ges
hört. Und zum andern, weil diefe Menfchen noch die
übrige Fähigkeit zur Seligkeit befisen, welche ein Menfch,
als ein einzelner Menfch betrachtet, befigen muß, wenn er
in diefer würflichen Welt in der That felig werden ſoll.
$._938.
Man fieht es als ein Stück der hoͤchſten Vollkommen⸗—
heit des görtlihen Willens an, daß er unausforſchlich iſt,
und es hat diefes auch feine vollfommene Richtigkeit Man
verfteht nemlich, durch einen unausforſchlichen Wil⸗
len, einen folhen Willen, deffen Bewegungsgruͤnde uner—
forfchlih find, oder nicht völlig deutlich erkant werden koͤn—
nen. Nun beftehen, die Bewegunasgründe des göttlichen
Willens, in feinem alervollfommenften Vergnügen und
Mißvergnügen $. 931. Diefes Beranügen und Mifvere
gnügen Gottes ift eine innerliche Bollfommenbeit Gottes,
welche uns und allen Creaturen unerforfhlich iſt $. 891.
Folglich fonnen weder wir Menfhen, noch andere Creatus
ren, den Willen Gottes ausforfhen, und in diefem Ver—
ftande muß, dem göttlichen Willen, eine Unausforfchlic)«
feit zugefihrieben werden. Es würde fehr ungereime feyn,
zu ſagen, daß der Wille Gottes ſchlechterdings und an fic)
"betrachtet unausforfchlich fey; denn Daraus würde folgen,
daß Sort feinen eigenen Willen nicht ausforfchen koͤnne, da
er fid) doch aller feiner Bewegungsgruͤnde, welche der
Menge und Gröffe nach unendlich find, aufs vollfommens
ſte und deutlichfte bevouft if, Diefe Vollkommenheit des
göttlichen Willens will auch nicht fo viel fagen, als wenn
Fein Menſch, und feine andere Ereatur, irgends einen gött«
lichen Bewequngsgrund deutlich erkennen koͤnte. Es ift
ung allerdings möglid), daß wir, viele Bewegungsgruͤn de
P 3 und
250 Der göttliche Wille überhaupt,
und Zwecke des Willens und der Rathſchluͤſſe Gottes, in
einem hoben Grade der Deutlichfeit erkennen. ya, dieſe
Deutlichfeit in der Erkentniß der göttlichen Bewegungss
gründe ift ung auch fehr nöthig, weil wir ung fonft in dem
göttlichen Willen nicht beruhigen, und die Weisheit und
Güte feiner Rathſchluͤſſe gar nicht würden erfennen fönnen.
Allein wer einige Bewegungsgründe des göttlichen Willens,
in einigem Grade der Deutlichkeit, erfent, der forfcht des.
wegen den göttlichen Willen nicht aus, Und wenn ein
Menſch fih, mit einer gehörigen Befcheidenheit, unterftehr,
zu unferfuchen, warum Gott-diefes oder jenes befchloflen
habe: den Fan und muß man nicht für nafeweis ausfchreye
en, und ihm vormwerfen, als leugne er die Unausforfchlich«
keit des göttlichen Willens. Es ift gar zu leicht zu erwei—
fen, daß der Wille Gottes, den Creaturen und uns Mens
fchen, im böchften Grade unausforfchlich fey.. Denn 1) ie
mehrere Bewegungsgründe eines Willens ung unbekant
find, deſto unausforfchlicher ift derfelbe. Nun Eönnen wir
Menfchen unendlich viele Bewegungsgründe des göttlichen
Willens gar nicht einmal erfennen, gefchweige denn erfors
schen. Alle Vollfommenheiten und Unvollkommenheiten
find Bewegungsgründe Gottes, alle Zwecke finds ebenfals,
Wie wenig erfennen wir davon? Zu einem ieden Nathe
ihluffe über ein iedes Ding in der Welt nime Gore, die
Dewegungsgründe, aus dem ganzen allgemeinen Zuſam—
menhange ber, und wie wenig Fünnen wir von demfelben
erfennen ? 2) Je mehr uns von einem ieden Bewegungs⸗
runde eines Willens unbefant bleibe, defto unausforſch—
ticher üft er uns. Wir fonnen feinen einzigen ung befanten
Bewegungsgrund Gottes erforfihen, es bleibt uns allemal
das meifte davon ganz unbefant, Alle Bewegungsgründe
Gottes find unendlicd) groß, weil er eine iede Vollkommen—
heit und Linvollfommenheit, in ihrem Berhältniffe gegen
alle mögliche Dinge, betrachtet S. 398. Folglich ift das—
jenige, was wir von einem uns befanten Bewegungsgrune
de und Zwecke Gottes erfennen, wie nichts gegen dasjenige
zu
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Die Freyheit des göttlichen Willens. 231
zu achte „, was uns von demſelben unbefant bleiben muß.
3) Je nothwendiger dieſe Unwiſſenheit der Bewegungs
gruͤnde Gottes iſt * deſto unausforſchlicher iſt fein Wille,
Wir befinden uns in der groͤſten Unmöglichkeit, die goͤtt⸗
lichen Bewegungsgruͤnde zu erforſchen. Folglich muͤſſen
wir allemal, wenn wir die Bewegungsgruͤnde, Zwecke und
Wege Gottes unferfuchen, mit der gröften Beſcheidenheit
zu Werke gehen; und allemal, wenn uns etwas in der Bora
fehung Gottes widerfinnifch, ober nicht vecht zu feyn fcheinf,
erkennen, daß diefes daher rühre, weil der Wille Gottes
uns unausforfehlich iſt.
Die Freyheit des goͤttlichen Willens.
Se 939.
Da Gott, im alferhöchften und vollfommenften Gras
de, eine felöftthätige Subftanz ift S. 933. fo thut er alle
feine Handlungen felbft, und. er befißt alfo Dasjenige vor-
laͤufige Stuͤck der Freyheit aufs vollfommenfte, ohne wel«
em fie in dem Willen eines Geiftes gar nicht ſtat finden
Fan, nemlich die Selbftshätigfeit S, 697. Alle Handluns
gen Gottes find von einer dreyfachen Ark. 1) Diejenigen,
wodurch Gott in fich felbft ſolche Realitäten wirft, die ſich
nicht auf diefe Welt und die Wuͤrklichkeit derfelben beziehen,
und weldye alfo Feine aleichfam zufälligen Befchaffenbeiten
Gottes find 9. 852. z. E. die Handlung Gottes, wo—
durch er feine nothwendige Wiſſenſchaft wuͤrkt. Dieſe
goͤttlichen Handlungen ſind zwar zugleich Beſchaͤftigungen
des goͤttlichen Willens, und flieffen aus den allervollkom—
menften Bewegungsaründen 6. 935, Allein da es in allen
Abſichten unmöglich iſt, daß Gott diefe Handlungen unter
taffen, oder anders thun koͤnte, als er fie thut, fo find es
- feine freven Handlungen Gottes, Folglich erſtreckt fih, die
Freyheit Gottes, nicht über feinen ganzen Willen, und Gott
will unendlich viel, fo er aber nicht auf eine freye Art will,
fondern auf eine ſchlechterdings norhivendige Art, Es wäre
aljo ein Irrthum, wenn man fagen wolte, daß alle Hand—
D 4 lun⸗
232 Die Freyheit des göttlichen Willens,
lungen Gottes frey wären ; weil Feine Handlung einer Sub—
ftanz frey feyn Fan, Die nicht von derfelben unterlaffen, oder
anders gethan werden fan, als fie würflid) gethan wird
$. 708. 2) Diejenigen Handlungen Gottes, wodurch
er in diefe Welt und alle ihre Theile würft, die Schöpfung,
die Mitwürfung, die Erhaltung der Welt, und alle Hand«
lungen, weldye zu der Vorſehung gehören, die Gott über
diefe Welt ausübt. Diefe Handlungen werden wir in dem
folgenden genauer unterfuchen, bier aber Eönnen wir ſchon
überzeugt feyn, daß Gott überhaupt folhe Handlungen
vornehme, weil diefe Weit würflidy ift, aber nicht anders
würflich feyn Fan, als eine Würfung Gottes, und alfo
durch eine Handlung Gottes $. 821. Da nun diefe Welt,
und eine iedwede Welt, zufällig ift S. 296. fo ift es moͤg⸗
lich, daß entweder gar Feine Welt würflic) wäre, oder
eine andere als die unſrige. Wenn gar Feine Welt würfa
lid) wäre, fo verrichtete Gott gar Feine Handlung in die
Welt. Und folglich koͤnte Gott, durch feine Allmacht,
alte diejenigen Handlungen unterlaffen, durch welche er in
diefe Welt wuͤrkt F. 862. Diefe Handlungen Gortes find
demnach gleihfam zufällige Befchaffenheiten $. 852. und
frey im Abficht auf die Ausübung. Dover es ift Gott, wenn
Dios feine Allmacht betrachtet wird, gleich viel, ob er diefe
Handlungen thut oder unterläft, beydes ift ihm durch feine
Kraft im höchften Grade möglid) $. 700. Wenn eine
andere Welt würflich wäre, fo würden dieſe Handlungen
anders feyn, 3. E. Gott würde die Welt alsdenn anders res
gieren, als iego. Folglich ift es der Macht Gottes eben-
fals gleichviel, und im hoͤchſten Grade möglich), diefe Hand-
lungen, wodurd) er in dieſe Welt würft, anders zu verriche
ten, als ießo. 3) Diejenigen Handlungen Gottes, wodurch
er in fid) feibft diejenigen Realitäten wuͤrkt, welche ſich auf
diefe Welt beziehen : die freye Wilfenfchaft $. 908. und
feine Rarbichlüffe, oder die Begierden und Verabſcheuun—⸗
gen feines nachfolgenden Willens $. 937. Wenn gar feis
ne Welt würflich wäre, fo würde Gott zwar alle Erkent⸗
niß
Die Freyheit des göttlichen Willens. _ 233
niß und alle Begierden und Berabfiheuungen haben, vie
er ießo Hatz allein Feine göttliche Erkentniß wäre eine freye
Wiſſenſchaft, und feine feiner Begierden und Berabfcheus
ungen ein Rathſchluß. Und wenn eine andere Welt würfz
lih wäre, fo wäre eine mitlere Wiſſenſchaft die freye, und
andere feiner Begierden und Berabfcheuungen wären Rath—
fhlüffe. Folglich gehört feine freye Erkentniß, famt allen
feinen Rathſchluͤſſen, zu den Handlungen Gottes, in deren
Abficht es Gott aleichviel it, wenn man auf feine Allmacht
fieht, ob er fie thut, oder unterlaft, oder anders verrichter.
Und es find alle feine Rathſchluͤſſe eben fo wohl, als feine
freye Wiffenfhaft, gleihfam zufällige Beſchaffenheiten
9.852. Wenn Gott gar feine Handlungen von der andern
und dritten Art verrichtete, fo hätte er gar Feine Freyheit in
Abfiche der Ausübung gewifler Handlungen $. 700. Und
er koͤnte alfo auch gar £einen freyen Willen haben $. 708.
940
Ale Handlungen Gortes find Handlungen feines
allervellfommenften Willens, und flieffen aus den allervoll«
fommenften Bewegungsgründen 9. 935. Folglich gilt dies
fes auch) von denenjenigen göttlichen Handlungen, die ihm der
Ausübung nach frey ftehen $.439. Folglich beftimt Gott,
ewig und unveränderlich, feinen allervollfommenften Wil
len, um feine freye Wiffenfchaft und feine Rathfchlüffe zu
begehren, und in ſich zu würfen, und alfo auch alle Hand«
fungen in dieſe Welt vorzunehmen, die er würflich thut.
Und zwar beſtimt er, feinen allervollfommenften Willen, eben
fo und nicht anders, obgleich feiner Allmacht das legte mög«
lid) wäre, um feines allervollfommenften Bergnügens wil—
len, welches er über feine freye Wiffenfchaft und feine Rath—
fchlüffe genieft $. 935. Und alfo um feines eigenen aller«
vollfommenften Beliebens willen $. 703. Es ift dem»
nad) klar, daß Gott fid) zu gewiſſen feiner Handlungen
ervig und unmandelbar beftimme, fie zu thun, ob er fie
gleich unterlaſſen koͤnte, und fie eben fo zu thun, ob er fie
gleich anders verrichten Eönte, deswegen, weil es ihm nun
5 fo
234 Die Freyheit des göttlichen Willens.
fo auf die vollfommenfte Art gefält und beliebt. Die Ue—
berzeugung von diefer Wahrheit wird dadurch in dent folz
genden noch beftärft werden, wenn wir werden erwiefen
haben, daß diefe Welt die befte fey. Denn alsdenn wird
offenbar feyn, daß Gott Feine beffere frene Wiſſenſchaft ha—
ben, und feine beffere Rathſchluͤſſe faſſen, und Feine beſſere
Handlungen thun Fan, als er iego freywillig in ſich wuͤrkt.
§. 9ai.
Da nun Gott einen ſolchen Willen beſitzt, vermoͤ⸗
ge deſſen er ſich, in unendlich vielen ſeiner Handlungen,
nach eigenem allervollkommenſten Belieben eben ſo und nicht
anders beſtimmen kan, und wuͤrklich beſtimt: ſo hat Gott
einen freyen Willen $. 708. und alle feine Handlungen,
welche gleihfam zufällige Befchaffenheiten find, find wahr⸗
baftig freye Handlungen $. 939. Und zwar ift, die Frey—
beit Gottes, die allerhöchfte und allervollfommenfte Freys
beit $. 817. 716. und das, um folgender Gründe infonders
beit, willen. 1) Weil er im Stande ift, die allermeiften
freyen Handlungen zu thun, und auch wuͤrklich fo ofte und
vielfältig frey handelt, als es möglich ift. Es wird diefes
eben dadurch beftätiget, weil Gott die befte Welt erichafs
fen, und die ift der Ausdehnung und Dauer nad) die geöfte
6.45%, Da nun Gott fo viele Handlungen in diefe Welt
vornimt, als fie Theile in ſich enthält, und zwar fo ofte,
als eine Beränderung in der Welt würflich wird: fo Fönte
Gott unmöglidy eine fo weitläuftige freye Wiſſenſchaft in fich
würfen, fo viele Rathſchluͤſſe faſſen, und fo vielfältig auffer
fih würfen, wenn eine andere als diefe Welt wuͤrklich wäre.
Und folglich ift es unmöglich, daß Gott mehr auf eine freye
Art thun koͤnte, als er wuͤrklich thut, da diefe Welt wuͤrk—
lich if. 2) Weiler vermögend ift, die allergröften frey«
en Handlungen zu thun, und weil ev auch würflich die als
Iergröften freyen Handlungen thut. Auch diefes wird das
durch beftätiget, weil or die beſte Welt würflid) gemacht
bat, und erhält. Denn alles, was in der beften Welt ifk,
das iſt in feiner Act Das gröfte S 430% Folglich Fönte
ort
|
Die Freyheit des gSttlichen Willens, 235
Gott unmöglich eine groͤſſere freye Wiſſenſchaft in fih wuͤr⸗
fen, gröffere Rathſchluͤſſe faſſen, und gröffere freye Hand—
lungen in andere Dinge auffer fi) vornehmen, als würflic)
geſchieht. 3) Weil er in allen feinen freyen Handlungen,
fih nach) dem allervoflfommenften ‘Belieben, durch das weit:
läuftigfte, gröfte und proportionirtefte, richtigfte, deut—
lichfte, gewiſſeſte und lebendigfte Wohlgefallen und Miß-
fallen an den Gegenftänden, eben fo und nicht anders von
Ewigkeit beftimt hat, und ewig beftimt $. 922-929.
Hieraus flieffen fonderlich zwen merfmürdige Folgen. ins
mal, die Sreyheit Gottes wird m allen Fällen, durch das
deutlichfte Belieben, beftimt, fo daß gar nichts finliches in
demfelben möglich und würflich ift $. 893. Folglich if,
der freye Wille Gottes, eine vollfommen reine Freyheit
$. 708. Der freye Wille aller endlichen Geifter ift alles
mal, mit dem finlihen Willführ, vermengt. Zum ats
dern, die Srenheit Gottes wird in allen Fällen, nach dem
richtigften und untrüglichiten Belieben, beſtimt $. 899.
Solglic muß dasjenige, was er frey begehrt, nothmendig
guf, und was er frey verabfcheuet, muß nothwendig bofe
ſeyn. Weil Gott alfo im höchften Grade frey will und
handelt, fo Fan er nur das Gute begehren und nur das
Böfe verabſcheuen. Wie lächerlich ift es alfo, wenn ein
Menfch es für eine Einfchrenfung feiner Freyheit anfiehr,
wenn ihm die Sünde verboten wird! Wer da fündiget, wer
das Döfe begehrt und das Gute verabſcheuet, der beweift
eben dadurch, daß er eine fehr eingefchrenkte Freyheit habe.
Und eben daher Eomts, daß die Laſter und Sünden unfere
Freyheit immer mehr und mehr einfchrenfen, ie häufiger fie
ausgeübt werden, und daß fie uns dem zu Folge zu wahren
Selaven machen. Wer die Freyheit Gottes leugnet, wird
ein theologifcher Satalift genent. Der theologifche Fa—
talifmus ift eine fehr gefährliche Meinung, Wenn Gott
nicht nach Freyheit handelt, fo find alte feine Handlungen
in die Welt fehlechterdings nothwendig, Folglich muß ala
les in der Welt, auf eine fchlechterdings nothwendige Art,
geſche⸗
236 Die Freyheit des göttlichen Willens,
gefhehen. Die alten Heyden unterwarfen, den Willen
des Jupiters, einem unvermeidlichen Schickſale. Und
eine Gottheit, welche nicht nad) Freyheit handelt, vers
dient Feine gottesdienftliche Verehrung, meil fie auf eine uns
vermeidliche Art die Schickſale der Creaturen eben fo und
nicht anders würfe.
| $. 942%
Wer fih) aus der Pfycholosie, von der wahren Na—
tur des freyen Willens, einen richtigen Begrif gemadır hat,
und denfelben mit der bisherigen Abhandlung vergleicht, der
wird darin feine andere erhebliche Schwierigkeit, welche Die
Freyheit des göttlichen Willens in unferer Erkentniß verur
ſachen fonte, finden, als welche daher entfteht, daß die
freyen Handlungen Gottes gleichfam zufällige Beſchaffen—
heiten feyn muͤſſen. ine Handlung, die in einer Sub»
ftanz fehlechterdings nothwendig ift, und von derfelben auf
eine ſchlechterdings nothwendige Art verrichter wird, Fan
durchaus nicht frey feyn. Wenn aljo Gott einen freyen
Willen haben foll, fo muß er Handlungen thun Fönnen und
wuͤrklich thun, die an ſich betrachtet zufällig und veränders
lid) find... Da nun diefes, der Nothwendigkeit und Unvers
änderlichfeit Gottes, zu widerfprechen ſcheint; fo Fan man
diefe Berwirrung in der Gottesgelahrheit nicht völlig heben,
fondern man muß lieber feine Unwiſſenheit erkennen, und
fi) hier eben fo verhalten, als ich überhaupt oben bey denen⸗
jenigen Bollfommenbeiten Gottes gewiefen habe, welche
gleihfam zufällige Befchaffenbeiten find $. 852. Um aber
übrigens, den Begrif von der göttlichen Freyheit, vor allen
falfchen Nebenbegriffen zu bewahren, und die Ueberzeugung
von der Freyheit des göttlichen Willens recht zu befeftigen,
muß man noch folgendes anmerfen. 1) Gott wird, zu ſei⸗
nen freyen Handlungen, nicht innerlicy fchlechterdings ges
nöfhiger und gezwungen $. 701. Widrigenfals müßten,
diefe Handlungen Gottes, durch fein Weſen dergeltalt noth—
wendig gemad)t werden, daß ihr Gegentheil Demfelben wis
derfpräche, und alfo in Gott ſchlechterdings unmöglid) wäre,
Folg—
Die Freyheit des göttlichen Willens. 237
Folglich wären fie fehlechterdings nothmendig, und Gott
hätte gar Feine Freyheit. Die theologifchen Fataliften glaus
ben, daß alle Handlungen Gottes durch fein Wefen derges
ftalt nothmendig gemacht würden. Allein die freyen Hand⸗
lungen Gottes, folglid) auch diejenigen, wodurch er in die
Welt wuͤrkt, koͤnnen nicht fchlechterdings nothwendig feyn,
weil ihr Gegentheil moalidy ift S. 939. 2) Gott wird
auch, zu feinen freyen Handlungen, nicht Durch feine güft«
liche Natur dergeftalt beftimt-und genöthiget, als wenn ihr
Gegentheil durch feine Kraft nicht mehr möglich wäre, und
als wenn fie fämtlich in Gott natuͤrlich nothwendig wären 9.
939. denn alsdenn würden fie anch nicht frey ſeyn S. 702. Gott
kan durch feine Allmacht alle feine freye Handlungen thun,
er Fönte aber auch ihr Gegentheil wwürflic) machen, Leugnet
man diefes, fo ftößt man ebenfals die Frenheit Gottes über
den Haufen. 3) Bott iſt, in allen feinen Handlungen,
frey von allem äufferlihen Zwange, meil fein Ding auffer
ihm in ihn würfen Fan $. 881. 705. Nichts fan ihm wis
derftehen, er Fan alles ausführen was er will, nichts Fan
ihm wider feinen Willen zwingen etwas zu thun, er Fan mes
der durch Drohungen, noch durch Reitzungen, noch durch
Anrathen, noch durch Abrathen, noch auf irgends eine an—
dere Art von auffen her, wozu gezwungen werden. Gr ift
über alles erhaben, und er handelt in allen Abfichten felbft,
nach eigenem unabhängigen Belieben. Diefes ift eine
Folge feiner allervollfommenften Freyheit. Allein man
würde fehr fehlecht denken, wenn man die ganze Frenbeit
Gottes darin feßen wolte, daß er von auflen her durch Feis
ne Gewalt gehindert werden fan, das zu thun was er will.
Das gehört zu feiner. Allmacht und Selbftftändigkeie, nicht
aber zu dem Weſen des freyen Willens,
Die moralifche Heiligkeit Gottes.
. 943.
Alle frene Handlungen Gottes, in fo ferne fie als in-
nerliche Beftimmungen ver Kraft Gottes betrachtet wer—
den, fönnen gar feine Unvollfommenbeiten in ſich enthalten,
fon«
238 Die moralifche Heiligkeit Gottes,
fondern fie find durchaus reel vollfommen und auf, und
zwar im böchften Grade $. 338. Da nun die Güte und
Bollfommenbeit einer freyen Handlung, die ide zukomt in
fo ferne fie frey ift, die morslifche Güte derfelben genent
wird $. 713. fo find alle freye Handlungen Gottes im hoͤch⸗
fien Grade moralifchh gu. Die moralifche Güte einer
freyen Handlung ift ihre Rechtmäßigkeit. Und es find
demnad), alle freye Handlungen Gottes, im böchften Gra«
de rechtmäßig. Gott handelt niemals anders, wenn er
frey handelt, als aufs rechtmäßigfte. Das unrechtmäßige,
moralifch böfe und fündliche einer freyen Handlung, ift ofa
fenbar eine wahre Berneinung und Unvollfommenbeit, wel«
che in Gott nicht ſtat finden fan q. 837. Man ftele fi,
die moralifche Güte einer freyen Handlung, als eine Necht«
maͤßigkeit vor, weil fie eben dadurch mit dem Rechte, oder
mit den moralifchen Gefegen, unter welche fie gehört, uͤber—
einftimt. Nun ift in Gott die allervollfommenfte Drdnung,
unter allen feinen Realitäten, im höchften Grade anzutrefa
fen $. 843. Folglich find auch, alle feine moralifche Volle
kommenheiten, und alle feine freye Handlungen, deren eine
iedwede in ihrer Ark die befte if, nad) den allervollkommen—
ften Regeln beftime und zufammengeorönet. Die Kegeln
der moralifchen Handlungen find, die moralifchen Gefege
$. 713. Folglich ftimmen, alle freye Handlungen Gottes,
mit den vollfommenften moralifchen Gefesen im hoͤchſten
Grade überein, und fie Fonnen daher im eigentlichiten Vera
ftande im höchften Grade rechtmäßig genent werden, Gleich.
wie der Saß: das Beſte werde dem Beften zugeords -
net, die Örundregel iſt, nach welcher alle innerliche Bes
flimmungen der Gottheit einander zugeordnet find; alfo iſt
der Satz: das moralifh Beſte werde auf eine freye
Art dem moralifch Beſten zugeordnet, die mora«
liſche Grundregel, nad) welcher, alle moralifche Vollkom—
menbeiten und freye Handlungen Gottes, einander zugeords
net werden. Und eben diefe Regel Fan, als der Grundſatz
des ganzen Rechts der göttlichen Natur, angejchen werden,
aus
Die moralifche Heiligkeit Gottes: 239
aus welchem alle befondere moralifche Regeln flieffen, wel«
che Gott in allen Fällen, in denen er frey handelt, aufs ge»
nauefte beobachtet. Es finden einige darin eine Bedenk—
tichkeit, zu fagen, daß Gott Gefege beobachte; weil fie an«
nehmen, daß alle Gefege Vorſchriften und Befehle eines
Dberherren find, dem man zu gehorchen verbunden iſt.
Freylich ift Gote, den Befehlen eines Oberherrn, nicht
unterworfen. Allein es ift falfch, daß ein iedwedes Gefeß
der Wille eines Oberherrn ſey. Und wenn man fagt,
Gott beobachte Feine Gelege, fondern fein eigener Wille jey
fein einziges Geſetz: fo fan man dieſes zugeftehen, wein
man dadurch zu verftehen geben will, daß Die Geſetze, nad)
welchen Gott feine freyen Handlungen einrichtet, in ihm
felbft und allein ihren hinreichenden Grund haben, Das
wäre aber ein gottlofer Gedanke, wenn man fagen wolte:
man müffe freylich geftehen, daß Gott allemal Hecht babe,
wie man diefes von einem defpotifchen Tyrannen fagen müffe,
dem man nicht wiverfprechen dürfe, Wer fo denft, der
überlege nicht, daß alle frene Handlungen ſchon an ſich bes
trachtet, um ihrer innern Befchaffenheit willen, gut oder
böfe find, und daß der allervollfommenfte Wille Gottes
nicht etwa deswegen etwas gut macht, weil ers will, ſon—
dern daß er deswegen etwas will, weil es guf, und in feis
ner Art das Befte ift, Wer fic) aus dem vorhergehenden
von unfern Begriffen, die wir von den Gefegen gegeben
haben, überzeugte hat, der wird Feine Schwierigkeit ma—
hen zu fagen, daß Gott, fo ofte er frey handelt, Die allera
hoͤchſten und beften moralifchen Geſetze aufs vollfommenite
beobachte, und daß alfo allen feinen freyen Handlungen,
die allerhöchfte Rechtmäßigkeit, und Uebereinftimmung mic
den moralifchen Gefegen, zufomme,
{ $. 944»
Wenn die freyen Handlungen eines frenen Weſens
moralifch gut und rechtmäßig find, fo iſt auch der freye
Wille deffelben moralifch gut und vollfommen: weil vie
freyen Handlungen Wirkungen des freyen Willens find,
Da
240 Die moralifche Heiligkeit Bottes.
Da nım alle freye Handlungen Gottes im höchften Grade
rechtmäßig find 9. 943. fo komt nicht nur ihnen felbft, fon«
dern auch dem freyen Willen Gottes, die allerhöchfte mo»
raliſche Vollkommenheit zu, welche der Inbegrif aller gött-
lichen Vollkommenheiten ift, die von der Freyheit feines
Willens herrühren, oder welche in ihm würflich find, weil
fein Wille frey ift, und welche in ihm nicht koͤnten wuͤrklich
feyn, wenn er feinen freyen Willen hätte Wir werden
gleich in dem folgenden, einige der merfwürdigften Arten
diefer Vollkommenheiten, befonders unterfuchen z. Er feine
Gerechtigfeit, feine Gütigfeit u. f. w. Hier wollen wir
nur noch bemerken, daß, die böchfte moralifche Vollkom—
menheit Gottes, feine moraliſche Heiligkeit ſey. Denn
wenn in einem Dinge eine Bollfommenheit würflich ift,
fo wird eben dadurch die entgegengefegte Unvollkommenheit
in demfelben verhindert, und von ihm entfernt. Folglich
muß, die allerhöchfte moralifche Vollkommenheit Gottes,
als ein Hinderniß aller moralifchen Unvollfommenheiten in
Gott angefehen werden. Dun wird eine iedwede gröffere
Vollkommenheit, in fo ferne fie eine Verhinderung einer
gröffern Unvollkommenheit ift, eine Heiligkeit genent $. 838.
Folglich ift, die höchfte moralifche Vollkommenheit Gottes,
die allervollfonmenfte moralifche Heiligkeit Gottes. Und
die wird, erſtlich, dem Willen Gottes in fo ferne er frey
iſt zugefchrieben, und fie begreift folgendes in fich. ı) Gottes
freyer Wille begehrt, nur alle zufällige Bolllommenbeiten,
aufs vollfommenfte. Gott begehrt zwar auch alle fchlec)-
terdings nothrvendige Vollkommenheiten, um feiner Heilige
feic überhaupt willen; aber das ift Feine freye Begierde,
Um feiner moralifchen Heiligkeit willen begehrt er alle zus
fällige Vollkommenheiten aufs proportionirtefte, nach den
allervollfommenften Bewegungegründen aufs unveränders
lichfte, Folglich gehört, zu feiner moralifchen Heiligkeit,
die allervollkommenſte und unendliche Liebe zu allem zufäls
ligen Guten S. 934. Um der moralifchen Heiligkeit Gota
tes willen Ean er alfo Feine zufällige Unvollfommenbeik lieben,
und
Die moralifche Heiligkeit Gottes. 241
und feine zufällige Vollkommenheit mehr oder weniger lies
ben, als fie es verdient, 2) Der freye Wille Gottes ver-
abfcheuet, nur alle, zufällige Unvollfommenbeiten, aufs
vollfommenfte. Gott verabfcheuet zwar auch, alle fchlech«
terdings nothwendige Unvollfommenbeiten, um feiner Heiz
lig£eit überhaupt willen; allein das ift Feine frene Verab—
fheuung. Um feiner moralifchen Heiligkeit willen verabs
ſcheuet er alle zufällige Unvolltommenheiten aufs proportige
nirteite, nad) den allervollfommentten Bewegurgsgründen,
aufs unveränderlichfte. Es gehört alfo, zu feiner morali-
ſchen Heiligkeit, der allervollfommenfte und unendliche Haß
alles zufälligen Böfen, und aller Sünden $. 934. Des.
wegen Fan er feine zufällige Unvollfommenbeit begehren,
und er fan auch, um eben der Urfach willen, Feine derfels
ben ſtaͤrker oder ſchwaͤcher verabfcheuen, als fie e3 verdient.
Zum andern fehreibt man auch, die moralifche Heiligkeit,
den freyen Handlungen Gottes felbft zu, in fo ferne dieſel—
ben insgefamt im höchften Grade rechtmäßig find, und in
fo ferne alſo, in Feiner derfeiben, irgends etwas moraliſch
böfe oder fündliche angetroffen werden Fan, - Wenn auch
nur, in einer einzigen frenen Hardlung Gottes, irgends
etwas fündliches angetroffen würde; fo wäre in derfelben
etwas zufälliges böfe, welches einen Grund in dem freyen
Willen Gottes hätte. Und da diefer Grund was Boͤſes
fenn müßte $. 35. fo wäre der Wille Gottes nicht vollfoms
, men moraliſch heilig, und das ıft unmöglich),
« 945.
Alle freye Handlungen Gottes find fo, mie er fie thut,
in Gott moraliſch nothwendig S. 7:5. Es will diefes nicht
| fo viel fagen, als wenn alie freye Handlungen Gottes der»
geitalt, auf eine gewiſſe beftimte Art, durch feinen frenen
Willen beftimt würden, daß fie Dadurch zugleid) in Gott
natürlich) und fehlechterdings nothwendig gemacht würden :
denn auf die Art würde, der frene Wille Gottes, feine
) Frenpeit felbft vernichten. Ob gleich der frene Wille Got.
tes ſich ewig und unveränderlich, nur auf eine einzige Art,
| 4 Then, N nem»
“-
’
1
242 Die moralifche Heiligkeit Gottes.
nemlich in allen Fällen aufs rechtmäßigfte, beſtimt: fo hat
Gott demohnerachtet eine Kraft, weldye, wenn man blos -
‚auf die Hervorbringung einer Handlung fieht, anders hats
deln fönte. Sondern da, eine rechtmäßige Handlung, in
dem Berftande moralifch nothwendig genent wird, in fo
ferne ihr Öegentheil einem freyen Willen, in fo ferne er mo«
raliſch vollfommen it, mwiderfprichts fo find alle freye
Handlungen Gottes im höchften Grade moralifch nothwen—
dig, weil eg der höchften moralifchen Heiligkeit feines Wils
lens zumider feyn würde, wenn er auch nur im geringften
anders handeln wolte, als er würflich fren handelt. Folg—
lich wird Gott, durch feine moralifche Heiligkeit, verpflich—
tet, eben ſo und nicht anders frey zu handeln, als er wuͤrk⸗
lic) handelt. Manche glauben, daß dadurch in der That
die Freyheit Gottes über den Haufen falle, wenn man an:
nimt, daß er nicht anders als allemal aufs rechtmäßigfte,
um feiner moralifchen Heiligkeit willen, zu bandeln im
Stande fen. Allein man Fan nicht genung fagen, wie ver«
wirt foiche Leute denken. Sie behaupten, daß Fein Geilt
frey handele, wenn er nicht wenigftens manchmal, um feis
ne Freyheit darzuthun, fündige. Allein auf die Art Fünte
nur ein Sünder einen freyen Willen haben, und wir wür«
den im Stande der Unfchuld Feine Sreyheit gehabt haben,
ja in dem fünftigen Zuftande der Herrlichkeit müßte unfere
Freyheit verlohren gehen. Eine erbärmliche Freyheit, wel
che man mit der Sünde erfaufen müßte!
Die Gütigfeit Gottes.
$. 046.
Man muß die Güte eines Dinges, von der Gütigs
keit defjelben, unterſcheiden. Ein Ding it gut, in fo fers
ne es vollfommen ift S. 99. Da nun Gott das allervolls
kommenſte Ding ift, fo ift er ein guter Gott, das allerbefte
Ding, und es fomt ihm die allerhöchfte Güte zu, Allein,
bier betrachten wir, die Guͤtigkeit eines Dinges, als eine
Bollfommenheit feines Willens, und verftehen darunter die
Dis
⁊
Die Suͤtigkeit Gottes. ‚243
Beſtimmung und Neigung des Willens eines Geiſtes, arts
dere Dinge in einem höhern Grade vollfommen zu machen,
Die Gütigkeit eines Dinges oder eines Geiftes fegt allemal
andere Dinge voraus, gegen welche er gütig iſt: denn die
Gütigfeit gebt niemals auf das gütige Wefen ſelbſt. Und
ob ung gleich Wind und Wetter in einem hohen Grade volle
fommen machen, fo fhreibt man diefes Doc) niemals ihrer
Guͤtigkeit zu. Wenn wir iemanden bitten, er folle doch
fo gütig feyn, und diefes oder jenes in Abficht auf uns thun:
fo verlangen wir allemal, ev folle feinen Willen dergeftale
neigen und beftimmen, daß e8 zu unferm groffen Bortheile
gereihe. Eine WPobltbar it eine gütige Handlung, oder
eine Handlung, melche aus Gürigfeit gegen denjenigen,
dem die Wohlthat erwiefen wird, herrührt, und welche dem
‚andern-in einem hohen Grade nüßlich ift, oder weiche ihn
in einem höhern Grade vollfommen macht. Nicht eine ied⸗
wede Handlung, die einem andern nüßlich ift, wird eine
Wohlthat genent. Man fan iemanden unendlich viele Fleis
nere Bortheile verfchaffen, man Fan ihm den rechten Weg
zeigen, man fan ihm Waſſer aus unferm Brunnen fchöpfen,
und fein Licht von unferm Lichte anzünden laffen. Allein,
wer rechnet, folche Kleinisfeiten, unter die Wohlthaten ?
Ja es Fan etwas in Abficht des einen eine Wohlthat, und
in Abſicht eines andern Feine Wohlthat feyn, wenn der Bora
theil, den man beyden dadurch verfibaft, in Abjicht des
eriten groß und in Abſicht des andern Elein it, 3. E. wenn
man einem Armen und Reichen einın Thaler fchenfte,
Folglich Fan man nur Handlungen Wohlthaten nennen, in
fo ferne fie einem andern in einem hoben Grade nuͤtzlich find.
Sie müffen aber auch) zugleich, aus dev Guͤtigkeit des Wohl—
thäters, herruͤhren. Unſere bitterften Feinde verfchaffen
uns ofte, durch ihre Verfolgungen, gröffere Bortheile, als
unfere beften Freunde. Weil fie aber nicht die Abficht und
Neigung haben, uns Gurs zu thun, indem fie uns gewiß
nicht verfolgen würden , wenn fie vorher müßten, wie viel
Bortheile fie uns Dadurd) weſchaſtenẽ ſo kan man ihnen
N, 2 ihre
\
244 Die Gütigkeit Gottes.
ihre Verfolgungen nicht als Wohlthaten anrechnen, bie fie
ans ermweifen. Es ift demnach einerley, ob ich ein Wefen
ein gütiges, oder ob ich es ein wohlthuendes und wohlthäs
tiges Wefen nenne, und die Gütigfeit ift die Neigung des
Willens, andern Dingen Wohlthaten zu erweifen. Die
Ermeifung” der Wohlthaten ift die Geſchaͤftigkeit und Wuͤrk⸗
lichkeit der Guͤtigkeit.
$. 947.
Die Gütigfeit eines Whlthaters iſt verſchiedener
Grade fähig, die nach folgenden Regeln überhaupt beur—
theilt werden Fonnen. 1) Je mehrere und mannigfaltigere
MWohlthaten iemand auszutheilen bereit ift, und würflic)
austheilt, defto gütiger ift er, oder deſto gröffer iſt ſeine Guͤ—
tigkeit. Cine einzige Wohlthat rührt ſchon aus einer Guͤ—
tigfeit her, und diefe muß alfo nothwendig groß feyn, wenn
fie viele und mancherley Wohlthaten einem andern Dinge,
oder mehrern andern Dingen mittheilt. 2) Se gröflere,
wichtigere und fruchtbarere Wohlthaten iemand auszutheis
len bereitwillig ift, und wuͤrklich austheilt, defto gröffer ift
feine Gütigfeit. So ift es eine gröffere Wohlthat und Hits
tigkeit, wenn man einen jungen Menfchen in den Stand
fest, zeitlebens fein Ausfommen, durd) feinen eigenen
Fleis und durch feine eigene Geſchicklichkeit, zu erwerben,
als wenn man ihm fonft allerlen Gefchenfe made. Man
muß alfo, die Gröffe der Wohlthaten, nad) der Menge,
Gröffe und Fortdauer ihres Nutzens durch die folgenden
Zeiten, beurtheilen, 3) Je mehrern Dingen ein gütiges
Weſen wohlzuthun bereitwillig ift, und in der That wohl»
thut, defto gröffer ift feine Gurigfeit, und deſto ausgebreis
teter ift der Umfang derfelben, Der Woblthäter eines ganz
zen Volks ift unitreitig ein gröfferer Wohlthäter, als der
Wohlthaͤter einer einzelnen Perfon, 4) Se würdiger und
gröffer die Dinge find, denen die Gütigfeit wohlzuthun be
reit ift, und würflich wohlehut, defto gröffer it fie. Wenn
eine Wohlthat an eine unwürdige Perfon verſchwendet wird,
fo ift fie derfelben nicht fähig, und indem fie fic) diefelbe
nicht
ET
Die Guͤtigkeit Gottes. 245
nicht zu. nutze machen Fan, fo geht eine folhe Wohlthat ver⸗
loren, und ift in der That feine Wohlthat. Eine Gütig«
£eit, welche die Wohlthaten nicht nach Würdigfeit austheile,
ift blind, und in der That eine fehr ſchlechte Gütigfeit.
Denn 5) ie vol!fommener und gröffer die Neigung und
Begierde, nad) der Austheilung der Wohlthaten, bey dem -
Wohlthaͤter ift, deſto vollfommener ift feine Guͤtigkeit.
Folglich ift die Guͤtigkeit um fo viel vollfommener und gröfe
fer, durch ie beſſere Bewegungsgründe fie zum Wohlthun
bewogen wird, Mac) ie weitläuftigern, proportionirteren,
richtigern, deutlichern, gemiffern und lebendigern Einfiche
ten in die Güte und Gröffe ver Wohlthaten, und in die
Wuͤrdigkeit dererjenigen, denen fie mitgetheilt werden, fie
ſich alfo richtet, deſto gröffer ift die Guͤtigkeit. Es iſt
demnach eine fehr fhlechte Guͤtigkeit, welche Scheinwohl«
thaten austheilt, welche eine bios finliche Leidenſchaft iſt,
und welche ohne alle Proportion ihre Wohlthaten austheilt,
indem fie unmürdigern Perfonen mehr zu gute thut, als
wuͤrdigern. Verdienen wol manche Mütter den Namen
gütigee Mütter, welche ihre Kinder, durch ihre vermeinten
Wohlthaten, verziehen ?
$. 948.
Alles würfliche Gute, alle würflihe Bollfommen-
heiten aller endlichen Dinge, die in diefer Welt wuͤrklich
find, alles was diefen Dingen in diefer Welt wahrhaftig
nüglich ift, das ift eine Würfung der freyen Handlungen
Gottes in die Welt S. 939. Alle diefe Handlungen will
Gott, nach feinem unendlichen Wohlgefallen $. 940. Folg:
Lich ift der Wille Gottes bereitwillig, allen aufler ihm bes
findlichen Dingen Vollfommenbeiten zu gewähren, und er
theile ihnen, aud) würflich Wohlthaten aus. Er ift dem—
nach nicht nur ein gütiger Gott, fondern er ift auch wuͤrk—
lic) der Wohlthaͤter feiner Gefhöpfe $. 946. und zwar im
alterhöchften Grade $. 817. ort iſt das allergütigfte
Weſen, und er ift der allerhöchfte und vollfommenfte IBohl
thäter $. 947. 1) Weil er allen endlichen Dingen, die
9 in
246 Die Guͤtigkeit Gottes.
in diefer Welt wuͤrklich find, ohne alle Ausnahme Wohle
thaten erwielen hat, noch erweilt, und in allen folgenden
Zeiten erweifen wird. Alle Gefhöpfe, von dem geringften
Wurme an bis auf den erhabenften Seraph, von dem
fleinften Stäubchen an bis auf die gröfte Sonne, find Ge—
genttande der göttlichen Guͤtigkeit. Denn alle Dinge in
dieſer Welt haben viele zufällige Güter, welche insgeſamt
von Gott herrühren, und die er Durch feine unendliche Liebe
zum Guten begehrt, ie find alfo Würfungen der götte
lichen Geneigtheit zum Wohlthun. Und da vor fich Flar
ift, Daß cin blos möglihes Ding, Fein Gegenftand der
Gütinfeit, feyn kan; fo ift in dieſer Abficht Feine aröflere
Guͤtigkeit moͤglich, als diejenige, welche alten endlichen
mwürflichen Dingen wohlthut, und die unleugbar Gott zus
komt. Gin vortreflicher Troft für einen ieden Menſchen!
Bir Fonnen zuverfichtlich wiſſen, daß der gütige Gott, bey
der Austheilung feiner Wohlthaten, niemanden vergißt.
2) Weiler, einem iedweden endlichen Dinge, um fo viel
mehrere und gröffere Wohlthaten zuflieffen läft, ie würdiger
daſſelbe ff; und um fo viel wenigere und Fleinere, ie un—
wuͤrdiger daſſelbe der göttlichen Wohlthaten ift. Denn der
goͤttliche Wille, und folglich auch die Gütigfeit deſſelben
$. 946. iſt den Gegenftänden im allerhöchften Grade pro—
portionirt S. 032. Es ift allemal eine blinde und unvers
nünftige Gütigfeit eines Wohlthärers, wenn er iemanden
mehr oder weniger wohlthut, als derfelbe werth iſt. Thut
er ihm weniger wohl, fo macht er denfelben durch feine
Wohlthaten nicht in einem fo hohen Grade vollfommen, als
möglid) ift. Und thut er ihm mehr wohl, fo Fan derfelbe
die Wohlthaten nicht gehörig anwenden, und fie gereichen
ihm abermals mehr zum Verderben, als zum Vortheil.
Gott ift auch deswegen das allergütigfte Weſen, weil Feine
Creatur, vernünftizer und gegründeter Weife, mehr Guts
von Gott erwarten Fan, als fie würflich von ihm empfängt.
Ein Menfch Fan alfo die tröftliche Zuverficht fallen, daß
er, feinem ihm gebührenden Theil an der Guͤtigkeit Gottes,
ewig
Die Guͤtigkeit Gottes. 247
ewig und unausbleiblich haben werde; und daß er immer
mehrere und gröffere Wohlthaten von Gott zu ermarten
babe, ie würdiger und empfänglicher er derfelben wird,
Eine vortrefliche Aufmunterung zur Tugend, und zur bes
ftändigen Bermehrung des Fleiffes in derfelben! 3) Weil
ort denen endlichen Dingen in der Welt fo viele Wohlthas _
ten austheilt, als möglich, und es fehlechterdings unmoͤg⸗
lich ift, daß eine Guͤtigkeit mehr Guts thun koͤnne, als die
göttliche. Alles zufällige würkliche Gute in der Welt, mo
es ſich auch nur befindet, ift eine göttliche Wohlthat. Die
fhlechterdings nothmwendigen Bollfommenheiten der Creas
turen find zwar aud) in Gott gegründet; allein da fie Feine
Wuͤrkungen des freyen Willens Gottes find, fo fan man
fie aud) nicht als göttliche Wohlthaten anfehen. Die zus
fälligen Vollkommenheiten der. endlichen Dinge aber find,
ohne Ausnahme, göttliche Wohlthaten. Wir Menfchen
haben unfere Würflichfeit, die Tugend, unfer Leben, uns
fere gefunde Bernunft, und alles Gute, was in uns nicht
ſchlechterdings nothwendig ift, der göttlichen Gütigfeit zu
verdanken. Täglich und augenbliclidy leben, weben und
find wir in einem Meere der göttlichen Wohlthaten. 4) Weil
die Wohlthaten Gottes fo groß find, ala möglihd. Die
allergröften Güter der endlichen Dinge in diefer Welt, wels
che zufällig find, find zugleich göttliche Wohlthaten. Ta
auch diejenigen Güter, welche in unfern Augen unendlich)
klein zu feyn feheinen, find nad) der Abficht Gottes unend—
lich groß $. 898. Denn ein iedıwedes zufälliges Gute in
diefer Welt ift, in dem allgemeinen Zufammenhange ver
Welt, eine Folge unendlich vieler Urfahen, und eine Urs
fach unendlich vieler Folgen durch alle folgende Zuftände
der Welt. Mithin ertheilt Gott, einem iediweden Dinge
in diefer Welt, eine iedwede Wohlthat in Beziehung auf
die ganze Welt, Und man fan alfo mit Recht fagen, daß
ein iedwedes zufälliges Gute in diefer Welt, wenn es wie
eine Wohlthat Gottes betrachtet wird, von einer unendlis
chen Wichtigkeit und Fruchtbarkeit ſey. Und es ift dem
24 nad)
248 Die Bütigkeit Gottes.
nach) feine Wohlthat Gottes, als eine Kleinigkeit, anzufe-
ben, 5) Weil er alle feine Wohlthaten, nach den allervoll«
fommenjten Bewegungsgründen, austheilt, Seine Gü-
figfeit ijt Fein blinder zärtlicher Trieb der Natur, oder eine
finliche Leidenſchaft. Sondern die allerweitläuftigiie, pro«
portionirtefte, richtiafte, deutlichſte, gemiffefte und leben«
digſte Einficht in die Natur und Gröffe der Wohlthaten,
und der Würdigfeit derer Dinge, denen’er Guts thut, ift
die Maafiregel, nach welcher er nicht nur geneigt ift, alle
feine Wohlthaten auszutbeilen, fondern nach welcher er
wuͤrklich alle feine Wohlthaten austheilt. Wie närrifc) ift
es nicht, wenn manche Menicyen glauben, Gott werde in
Abſicht auf fie gleichfam ein Auge zudruͤcken, und es mit
ihnen fo genau nicht nehmen, 6) Weil er, ewig und uns
veraͤnderlich, gütig ift. So lange Gefchöpfe wuͤrklich feyn
werden, und ewig werden dergleichen vorhanden fenn, fo
lange wird er ohne Maaf und Ziel Wohlthaten austheilen.
Der allergütigfte Gott wird des Wohlthuns nicht überdrüf:
fig, und der Vorrath feiner Wohlthaten ift ganz unerfchöpfs
ih. Wir wollen es den Moraliften überlaffen, dieſe Vor—
ftellung der allerhöchften Gütigfeit Gottes aufs fruchtbarfte
anzumenden, und aus derfelben alle tröftliche, aufmunterns
de und practifcye Folgerungen herzuleiten,
$- 949. |
Die Gütigfeit Gottes hat verfhicdene Namen bes
fommen, nachdem fie bald auf diefe bald auf eine andere
Art betrachtet wird F. 680. 681. 1) Sie heift die Kies
be Gottes zu den Gefchöpfen, in fo ferne fie eine
Freude Gottes über die Vollkommenheit derfelben ift, Vers
möge feiner allerhoͤchſten Guͤtigkeit gegen alle Gefchöpfe bes
gehrt er, die Vollkommenheit derfelben , in dem möglid)=
ften Grade. Eine ftarfe Begierde nach der Vollkommen—
heit eines Dinges ift eine Freude über diefelbe, und folglich
die Liebe diefes Dinges. Alſo liebet Sort alle Dinge in
diefer Welt, in fo weit fie liebenswürdig find, aufs volle
fommenfte, nad) allen Graden feiner unendlichen Gütigkeit
S. 94%
!
Die Gütigkeit Gottes. 249
6. 948. Und da num die Menfchen mit zu diefen Dingen
gehören, fo liebt er auch alle Menfchen, und es ift in ihm
die allervollfommenfte Menfchenliebe. Er ift der allergröfte
Menfchenfreund, und feine Liebe und Freundfehaft ift nicht
eine blos unthätige Meigung, fondern die thätigfte und
wuͤrkſamſte Gürigkeit, die irgends nur möglich ift. 2) Die
Gürigfeit und Liebe Gottes zu den Geichöpfen ift zugleich)
eine eifrige Liebe, in fo ferne er will, daß feine Gelieb—
ten ihn wiederum auf eine provortionirte Art lieben follen.
So ift der Lebhaber eiferfüchtig auf die geliebte Perfon,
wenn er. darüber berrübt ift, daß fie ihn entweder feiner
Meinung nad) nicht wieder liebe, oder nicht ſtark genung,
oder daß fie die ihm fehuldige Siebe auf einen andern Gegens
ftand lenkt. Mun wird in der Sittenlehre erwiefen, daß
die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit vernünftiger Creaturen erfordere,
daß fie Gott über alle Dinge lieben; und daß es ihre hoͤch⸗
fie Unglückfeligkeit fey, wenn fie Gott gar nicht lieben, oder
nicht ftarf genung, oder wenn fie den höchften Grad ihrer
Siebe, den fie Gore fehuldig find, auf fich felbit oder ein
anderes Gefchöpf lerfen. ort will alles Gute, und vers
abfcheuer alles Böfe $. 934. Folglich liebt er alle vernünfe
tige Creaturen dergeftalt, daß er will, fie follen ihn wieder
im höchften Grade lieben, und daß er es verabfcheuet und
haft, wenn fie eg nicht thun. Folglich ift er, in feiner
Liebe zu den Menfchen, und andern vernünftigen Gefchöpfen,
im höchften Grade eiferſuͤchtig. Doch muß man, von der
Bedeutung diefes Worts, alles unvollfommene abfondern,
was wir in der Eiferfucht eines Menfchen antreffen, und
welches Gott unanftändig ift. 3) Die Gütigfeit Gottes
gegen alle Gefchöpfe heift das göttliche Mitleiden, oder
die Erbarmung Gottes, indem er auch diejenigen Ge—
fchöpfe liebt, weiche elend und unglückfelig find, und zwar
dergeftalt, daß er ihre Ungluͤckſeligkeit aufs Fraftigite verab—
ſcheuet, weil er alles Böfe unendlich haft $. 934. Alle
Suͤnden, alles Elend, und alle Unvollfommenheiten, weldye
zu der Unglücfeligfeit der Menfchen und anderer Geſchoͤpfe
25 gehoͤ⸗
250 Die Gütigkeit Gottes:
gehören, find ein Gegenftand des göttlichen Mitleidens.
Sein Mitleiden ift allgemein, er erbarmt fich aller. elenden
und unglückfeligen Gefcjöpfe, und alfo auch aller Menfchen,
Er Fan fein Vergnügen über ihr Elend, und über ihre Uns
glückfeligfeit, fchöpfen, und er freuet ſich darüber Feineswes
ges. Sondern fein göftliches Erbarmen beſteht zugleich
in der möglichften Gefchäftigfeit, um das Elend und die
Unglücfeligfeit der endlidyen Dinge, welche fich in denfelben
befinden, aufs möglichfte zu vermindern, oder ganz zu hea
ben. 4) Weil die Gefchöpfe in ihrer Vollkommenheit un=
endlich von einander verſchieden find, fo daß ein iedwedes
eine vorzüglic;e Bollfommenheit befigt: fo liebt Gott nicht,
alle endliche Dinge, im gleichen Grade, Sondern er liebt
ein iedwedes Gefchöpf, welches vor allen übrigen eine vor«
zügliche Vollkommenheit befigt, eben um dieſer Vollkom—
menheit willen ftärfer, als die übrigen. Folglich ift, feine
allgemeine Siebe und Guͤtigkeit gegen alle endliche Dinge,
zugleich eine allgemeine Gewogenheit Gottes, in fo
fern er, gegen die vorzüglichen Vollkommenheiten der Crea«
turen vor einander, nicht gleichgültig feyn Fan, fondern
in fo ferne er eine iedwede Creatur, auch um ihrer vorzüg-
lichen Bollfommenbeit willen, befonders und vorzüglic)
auf eine proportionirte Art liebe. Ein Menfch Fan alfo ges
wiß verfichert ſeyn, daß er ein Günftling, und gleichſam
ein Schooßfind Gottes, werde, wenn er fich vor andern
Menfchen an Vollkommenheit hervorthut. 5) Alle endlis
che Dinge find geringer als Gott, indem fie nicht nur in
Abfiche auf ihre Vollkommenheit unendlid) tief unter Gott
erniedriget find; fondern indem er auch, wie aus dem Fol«
genden erhellen wird, ihr böchfter Dberherr ift. Folglich
ift, die Siebe Gottes gegen alle endliche Dinge, die goͤttli⸗
che Wohlgewogenheit, indem er, des Bywuſtſeyns ihrer
Miedrigfeit ohnerachtet, dennod) ihnen günftig und gewogen
ift. Er ift der allergröfte Gönner aller Gefchöpfe. 6) Kein
endlihes Ding fan Gott, den geringften Nutzen, verfchafe
fen, Folglich hat Gott, von feiner unendlichen Gewogen«
heit
Die Bütigkeit Gottes. 251
heit gegen alle endliche Dinge in der Welt, feinen Nusen,
und feine Wohlgewogenheit ift daher die Gnade Gottes
gegen alle Befchöpfe, und infonderheit gegen diejenigen,
weiche mit Verftand und Freyheit begabt find. Man kan
auch feine Gütigfeit deswegen eine Gnade nennen, weil feis.
ne Creatur, die Wohlthaten Gottes, ihm abverdienen kan,
wie wir balde meitläuftiger ermeifen wollen. Und da
7) eine fehr ftarfe Liebe die Treue genent wird, wenn fie
zugleich beftändig und dauerhaft ift, wie z. E. die Liebe
eineg treuen Freundes; fo ift, die göttliche Liebe und Guͤtig—
feit, eine Treue Gottes, oder eine treue Liebe und Freund⸗
fehaft, in fo ferne fie nicht nur fo ſtark ift, als möglich, fon«
dern in fo ferne fie aud) ewig und unveränderlic) in Gott ift.
Wir koͤnnen uns alfo auf den treuen Cote verlaffen, und
dürfen nicht beforgen, daß wir, in fo ferne wir liebenswürs
Dig find, die Liebe und Freundſchaft Gottes irgends zu einer
Zeit verlieren koͤnten. Und endlich 5) ift auch, die Guͤtig⸗
feit Gottes gegen die Gefchöpfe, zugleidy eine Betrübniß
über ihre Unvollfommenbeit, und infonderheit ein Zorn
über alle Sünden. Denn Gott haft unendlich, aus Liebe
zu den endlichen Dingen, alle ihre zufälligen Unvolllommen-
heiten, um fie von denfelben aufs möglichfte zu befreyen.
Diefer vollfommene Haß Gottes erftreckt fich auch über
alle Sünden, und ift ein Unwille über diefelben, in fo ferne
fie als Beleidigungen betrachtet werden, Unterdefien muß
von dem Haffe, von der Betruͤbniß, und von dem Zorne
Gottes, alles abgefondert werden, was eine Unvollkom—
menbeit ift, indem fie Thätigkeiten der allervollfommenften
Guͤtigkeit Gottes find, die er gegen alle feine Gefchöpfe
begt.
Die Gerechtigkeit Gottes,
$. 950.
Die meiften machen ſich, von der Gerechtigkeit Got—
es, einen fo fürchterlichen Begrif, daß fie fi) vermöge def»
felben Gott als einen harten, unbarmherzigen, unerbitlichen
und
aa. Die Gerechtigkeit Gottes,
und ftrengen Richter vorftellen, weld;er ein Wohlgefallen
daran findet, feine Gefchöpfe zu züchtigen, und zu trafen.
Die Borftellung der göttlichen Gerechtigkeit erweckt in ih—
nen nichts anders, als Schref und bange Furcht, und
fie koͤnnen gar nicht begreifen, daß Gott eben deswegen um
fo viel gütiger und liebenswürdiger ift, und um fo viel mehr
Vertrauen von unferer Seite verdient, ie gerechter er iſt.
Wir mülfen uns einen viel beffern Begrif von der Gercd)«
tigkeit machen, und uns überzeugen, daß fie der hödhfte
und vollfommenfte Grad der Gütigfeit ſey. Ks ift noch
lange nicht genung, wenn man die Öerechtigfeit, eine Bes
lohnung des Guten und eine Beftrafung des Böfen, nent:
denn das ift die Würfung der Gerechtigkeit, und nicht das
Weſen verfelbene Und wenn manche die Gerechtigkeit,
durch die Liebe zum Guten und durch den Haß des Boͤſen
er£lären: fo verwechfelt man fie mit ver Heiligkeit des Wils
lens, aus welcher zwar die Gerechtigkeit entfteht, in wel:
cher aber das Wefen der Gerechtigkeit nicht beſteht. In
der Sittenlehre wird das Wort aud) etwas anders erklärt,
indem man, durch Öerechte, tugendhafte Leute verfteht, in
fo ferne fie ven Gefegen ein Genuͤgen geleiftet, und deswe⸗
gen die gebührende Belohnung verdient haben, Hier nehs
men wir das Wort in dem Verſtande, in welchem es z. E.
von einem Nichter gebraucht wird, und wir verftehen, durch
die (Berechrtigfeit, eine proportionirte Guͤtigkeit gegen
Geifter oder vernünftige Wefen,. Die Gütigfeit Fan ſich
auf alle Arten ver Dinge erftrefen, und man fan eben fo
wohl gegen unvernünftige Thiere fich gütig verhalten, als
gegen vernünftige Weſen. Allein, wer fagt wol im Ernft,
und im eigentlichen Verſtande, daß man Gerechtigkeit ges
gen Pferde und Hunde ausübe ? Die Gerechtigkeit kan nur,
von und unter vernünftig freyen Wefen oder Perfonen, und
gegen diefelbe ausgeübt werden. Daß fie aber eine Are der
Guͤtigkeit fey, wird aus unfern folgenden Unterfuchungen klar
werden, aus denen erhellen wird, daß fie entweder eine bes
Iohnende oder eine beftrafende Gerechtigkeit fey. Die erfte
iſt
Die Gerechtigkeit Gottes. 253
iſt umleugbar eine Guͤtigkeit gegen diejenigen Perfonen, die
fie belohnt. Die andere fheint zwar, dem erften Anfehen
nach), Feine Gürigkeit zu feyn; allein wer wolte wol fagen,
daß ein Fürft gütig wäre, oder daß ein Vater gütig wäre,
der gar nicht ſtraft? Entweder die geftrafte Perfon, oder
andere werden, durch wahre Strafen, vollfommener, und
es ift alfo alle Gerechtigkeit eine wahre Guͤtigkeit. Wo
bleibe denn nun das fürchterliche, welches man ſich bey der:
felben vorftelt ? Nun Fan man fidy leicht überzeugen, daß,
eine Gütigfeit ohne Gerechtigkeit, eine blinde, läppifche, uns
vernünftige Güte fey, indem fie ihre Wohlthaten, wie eine
läppifche Mutter, ohne Verdienſt und Würdigfeit, und
ohne alle Proportion, austheil. Die Gerechtigkeit aber
wird von iederman für die Tugend gehalten, weldye einem
iediveden das Seinige gibt, was ihm gebührt und zufonit,
und welche alfo einem iediweden zuwaͤget, was Gein iſt.
Da nun die einem iedweden gebührenden Wohlthaten dieje⸗
nigen find, die feiner: Würdigfeit und feinen Berdienften
proportionirt find; fo befteht, die Gerechtigkeit, in einer
proportionirten Gütigfeit gegen Perfonen, und fie ift alfo
ein Grad der Gütigfeit, ohne welchem diefe unmöglich ihre
höchfte Vollkommenheit haben und erlangen Fan. Dieje⸗
nigen Wohlthaten, welche einer Perfon und der Würdig«
feit derfelben proportionirt find, find zugleich die beften Mit—
tel ihrer höchften Gluͤckſeligkeit. Denn befomt fie Fleinere
Wohlthaten, fo fan fie dadurch nicht fo viel Vollkommen⸗
heit erlangen, als ihr möglich ift. Bekomt fie gröffere, fo
iſt fie nicht im Stande fie recht zu gebrauchen, denn fie
überfteigen ihre Fähigkeit. Folglich find, die proportionir«
ten Wohlthaten, zugleich der höchften Weisheit gemäß,
Wenn alfo ein gütiges Wefen feine Gütigkeit, nach den Res
geln der Weisheit, beftimt, mäßiget und gefchäftig ermeift,
fo theilt es nur proportignirte Wohlthaten aus. Daher
hat Leibnitz die Gerechtigkeit vortreflich erflärt, wenn ev
fagt: fie fey eine nad) Weisheit beftimte Gütigfeit. ine
iedwede guͤtige Murter iſt ungerecht, welche gegen ihre Kin⸗
der
24. Die Gerechtigkeit Gottes.
der nicht auf eine weiſe Art gütig ift. Daher lehrt die Er—
fabrung, daß die Guͤtigkeit unverftändiger und thoͤrichter
Leute, obrigkeitlicher Perfonen und Fürften, viel mehr Scya«
ven anrichtet als Nutzen fhaft, fo aar ben denen Leuten, ges
gen welche fie fid) äuffertz und das deswegen, weil fie nicht
zugleich eine Gerechtigkeit ift.
TS
Die Gerechtigkeit ift unleugbar verfchiedener Grade
fähig ‚; welche nach folgenden Regeln beurtheilt werden Eöns
nen. 1) Gegen ie mehrere Prrfonen fich die Gerechtigkeit
aͤuſſert, defto gröffer ift fie. Folglich verfaat, der allerge—
rechtigfte, niemanden die Gerechtigteit. Die allergröfte
Gerechtigkeit aͤuſſert ſich gegen alle endliche Geifter, die
wuͤrklich find, Die gröften und geringften vernünjtigen Weſen
haben einen Antheil an derieiben. Es ift ein groffer Man:
gel der Gerechtigkeit, und eine wahre Ungerechtigkeit, wenn
ein Richter irgends iemanden, welcher ihn um Gerechtigkeit
bietet, diefelbe verfage. 2) Je mehrere Wohithiten nad)
Gerechtigkeit ausgetheilt werden, defto gröffer iſt ſe. Wer
alle feine Wohlthaten, nicht nur die gröften, fondern auch
die Fleinften, nicht nur die Fleinften, fondern auch die grös
ften, nach Gerechtigkeit austheilt, der iſt in dieſer Abjicht,
und in feiner Urt der alfergerechtefte. 3) Je genauer die |
Proportion zwifchen ven Wohlthaten und der Würvigfeie |
derer Perfonen, denen fie mitgerheilt werden, beobachtet
wird, deſto gröffer ift die Gerechtigkeit: denn, in der Bes
obachtung diefer Proportion, befteht eben das Weſen der
Gerechtigkeit. 4) Je vollfemmener diefe Proportion er=
kant wird, folglich ie ausführlicher, proportionicter , rich—
tiger, deutlicher, gewiffer und lebendiger die Erfentniß Dies
fer Proportion, und die Einficht in die Beichaffenheit und
Gröffe der Wohlthaten, und in die Würdigfeit der Perſo—
nen ift, nach welcher und durch welche die Gerechtigkeit be—
ftimt wird, eben diefe und Eeine andere gröffere oder Eleinere
Wohlthaten, eben diefer und Feiner andern Perfon, zu er—
theilen, defto gröffer ift die Gerechtigkeit. 5) Je volltom«
mener,
Die Gerechtigkeit Gottes, 255
mener, dauerhafter, beftändiger und flärfer die Liebe und
Neigung, zu der proporrionirten Austheilung der Wohltha«
ten, ift, defto groͤſſer und vollfommener ift die Gerechtig—
keit $. 950. 947. Hieraus Fönnen vortrefliche Regeln der
Verwaltung aller Gerechtigkeit hergeleitet werden, und man
Fan aud) daraus, die Mängel und Fehler der menſchlichen
Gerechtigkeit, deutlich beurtheilen lernen.
Ä $. 952. |
Gott ift im allerhoͤchſten Grade guͤtig, und theilt alle
feine Wohlthaten nach der genaueften, und in der höchiten
Vollkommenheit erfanten, Proportion aus $. 948. Folge
lic) ift Gore nicht nur gerecht $. 950. fondern er ift es aud)
in dem allerhöchften und vollfommenften Grade S.951. 817.
Er ift gegen alle endliche Geiſter in dieſer Welt gütig, und
zwar weder in einem gröffern noch Fleinern Grade, als es
ein ieder werth ift und verdient. Diefer allerhöchfie Grad
der göttlichen Gerechtigkeit faßt folgendes in fih. D Gott
ift gerecht gegen alle endliche Geifter in diefer Welt ohne
Ausnahm, fie mögen fo erhaben oder fo niedrig feyn, als
fie wollen. Gott verfagt niemanden die Gerechtigkeit, alle
vernünftigfreyen Creaturen Eönnen fich ganz gewiß drauf
verlaffen, daß ihnen beftändig von Seiten Gottes Gered)«
tigkeit widerfahren fey, in allen gegenwärtigen Augenbli⸗
en widerfahre, und in allen folgenden Zeiten widerfah⸗
ven werde. 2) Gott theilt, alle feine Wohlthaten, den
vernünftigen Creaturen auf eine gerechte Art aus, fie mös
gen fo grofle oder fo Eleine Wohlthaten feyn, als fie wollen.
Da nun, alle zufällige Güter und Vollkommenheiten der
vernünftigen Ereaturen, Wohlthaten Gottes find $. 948.
fo hat ein iedwedes vernünftiges Gefchöpf in der Welt juft
fo viel zufällige Vollkommenheiten, leibliche und geiftlicye,
zeitliche und ewige u, ſ. w. als daffelbe werth it. Gott
mißt einem iedweden Menfchen fein täglich Brod, feine Ge—
ſundheit, fein geben, und alle feine wahren Güter, nach)
Gerechtigkeit zu. 3) Gott theilt, allen vernünftigen Ge—
ſchoͤpfen, alle Güter nad) der genaueften Proportion mit,
Ders
256- Die Gerechtigkeit Gottes,
dergeftalt, daß fein Menſch, und fein anderes vernünftie
ges Wofen, mehr Guts unter irgends einem Scheine des
Rechts von Gott erwarten fan, als e8 wuͤrklich befißt; und
es darf auch nicht befürdhten, daß es weniger Guts em—
pfange, oder empfangen habe, oder Fünftig empfangen wer«
de, als es werth iſt. Es ift alfo ſehr unvernünftig, wenn
ein Menfch fo dreift ift, und von Gott mehrere und gröffere
Wohlthaten erwartet, als er werth if. Und es ift eben
fo unvernänftig, wenn er murt, und glaubt, es gehe ihm
in diefer Welt nicht fo gut, als er es verdient. Diefe Uns
zufriedenheit rührt offenbar aus einer ſtolzen Eigenliebe ber,
und fie beichuldiger ven gerechteften Gott einer Ungerechtige
feit. Freylich fünnen wir Menſchen in der Erfahrung
nicht allemal, die höchite Gerechtigkeit des göttlichen Ber
haltens, einfehen, indern es uns ofte fdyeint, als gebe es
manchem Menſchen beffer oder fehlechter, als er es verdient.
Alein, alle göttliche Vollkommenheiten find uns unaus«
forfhlih, und wir müflen uns in diefem Falle mit der all»
gemeinen Leberzeugung befriedigen, daß Gott gar nicht un«
gerecht handeln koͤnne. 4) Gott erkent, dieſe Proporrion
aller feiner WBohlthaten, mit der gefamten Würdigfeir aller
endlichen Geifter , aufs volltommenfte, aufs ausführlichite,
proportionirtefte, vichtigite, deutlichite, gewiſſeſte und les
bendigſte. Und durch diefe allervoflfommenfte Erkentniß
wird eben, fein heiligfter Wille, beftändig beftimt, aufs als
lergerechtefte zu handeln, Gott beurtheilt, die Wuͤrdigkeit
einer Perfon, nicht blos in ihren befondern Umftänden, fons
dern in ihrem Berhältriffe gegen die ganze beite Welt. Daher
verdiente manchmal ein Menſch vor fich eine Wohlthat, allein
das Ganze würdedarunter leiden, wenn fie ihm ertheilt würde,
Keine finliche Leidenfchaft, kein Irrthum, Feine andere unvoll—
fommene Bewegungeurfachen fünnen einen Einfluß, in die
görtliche Gerechtigkeit, haben. Und 5) ift die Gerechtigkeit
Gottes beftändig und unveränderlich, in dem höchften Grade
der Bollfommenheit, gefdhäftig, indem Gott alle Wohlthaten,
die er aufs proportionirtefte austheilt, ewig und unendlich liebt.
§. 953.
Die Gerechtigkeit Gottes, 257
$. 953.
Wir müffen die Gerechtigkeit Gottes noch genauer
betrachten, und da fie fich, mit der Austheilung der Bes
Iohnungen und Strafen, befchäftiger: fo müffen wir erft
überhaupt, die Natur einer Belohnung und Strafe, unter«
ſuchen. Ein Lohn, oder eine Belohnung, ift ein Gur,
welches zufällig ift, und Feine freye Handlung desjenigen,
welcher belohnt wird, und welches einer Perfon um, ihrer
rechtmäßigen Handlungen willen ertheilt wird, Es ift una
leugbar, daß ein Lohn etwas Guts feyn müffe, weil er mie
drigenfals eine bloffe Scheinbelohnung feyn würde, Und
da die Belohnung eine Sache feyn muß, welcher man vera
Iuftig gehen fan, und der man blos theilhaftig wird, unter
der Bedingung, wenn man rechtmäßig handelt: fo ift ein
ieder Lohn etwas zufälliges, welches aber Feine freye Hand—
lung desjenigen, der belohnt werden foll, fenn muß. Dars
um foll er eben gewifle freye Handlungen vornehmen, das
mit er den Sohn empfange. Folglich ift der Sohn etwas,
welches mit freyen Handlungen verknuͤpft wird, damit die
Vorherſehung und Erwartung deſſelben, ein Bewegungs»
grund für eine Perfon fen, diefe Handlungen zu thun. Es
glauben einige, daß nur ein Oberherr feinen Untergebenen
sohn austheilen Fönne; allein e8 wird diefes ohne genung-
famen Grund behauptet, und es ift hier nicht nöthig, deffel«
ben in der Erklärung der Belohnungen Erwehnung zu
thun, meil alle “Belohnungen der endlichen Geifter, die fie
von Gott empfangen, ohnedem von ihm als ihrem Dbera
bern herruͤhren. Es iſt unnöthig, diefe Erklärung durch
ein Beyſpiel zu beftätigen, weil diefes ein ieder Leſer vor fich
thun Fan, Auf eine ähnliche Art muß, die Strafe, er—
Elärt werden. Sie iſt ein zufälliges Uebel, welches Feine
freye Handlung derjenigen Perfon ift, die beftraft wird, und
welches derfelben um ihrer freyen böfen Handlungen, ober
um ihree Sünden willen, zugefügt wird. Es ift ohne Bes
meis Elar, daß die Strafe allemal ein Uebel feyn muß,
Iſt fie ein bloffes Scheinübel, foift fie auch nur eine Schein«
4, Theil, —R ſtrafe;
258 Die Gerechtigkeit Gottes:
firafe; und ob fie gleich) ein wahres Uebel ift, fo fan und
muß fie zugleich was Guts feyn, welches vielen Nutzen ha-
ben fan. Die freyen böfen Handlungen einer Perfon find
dasjenige, was beftraft wird, und fie koͤnnen alfo nicht ſelbſt
die Strafe feyn. Sondern die Strafe ift ein anderes zus
fälliges Uebel, welches nicht fchlechterdings nothwendig und
unvermeidlich feyn fan, weil man der Strafe muß entges
hen fönnen. Sie ift alfo ein Uebel, weldyes mit den Suͤn—
den deswegen verbunden wird, damit eine Perfon daſſelbe
vorberfehe, es verabfcheue, und dadurch bewogen werde,
die Sünden zu unterlaffen. Es behaupten einige, daß alle
Strafen von einem Oberherrn herruͤhren müffen. Allein
man Ean diefes nicht allgemein mit Grunde behaupten, und
da Gott ohnedem der höchfte Dberherr aller endlichen Geie
fter ift; fo Haben wir in der natürlichen Gottesgelahrheit
nicht nöthig, diefen Umftand weiter auszuführen. Auch bier
ift es unnöthig, daß ich, diefe Erflärung der Strafen, aus:
führlich durch ein Beyſpiel erläutere,
9.
Alle Strafen und Belohnungen find entweder natüra
liche, oder willführlihe Strafen und Belohnungen, Kir
natürlicher Lohn ift ein folher Sohn, welcher aus der
Natur der rechtmäßigen Handlung, und der Perfon wel
che fie hut, als eine Würfung , nad) der Ordnung der
Matur, entſteht. Wenn ein Menſch fleißig, nach den
Regeln einer vernünftigen Logik, ſtudirt; fo erlangt er eine
gute Gelehrfamfeit, und die iſt eine natürliche Würfung
feines Verſtandes und feines Studirens, ſolglich ein natürs
licher Lohn feines Fleiſſss. Eine natuͤrliche Strafe,
ift eine Strafe, welche aus der Natur der Sünde und des
Suͤnders, als eine Würfung, nad) der Ordnung der Na—
eur, entſteht. Wer unmäßig ißt und trinkt, der verurfad)e
fi Krankheiten, und das geht fo natürlich zu, daß man
es aus der Matur des menfchlichen Körpers zureichend ers
Elären fan. Ob ſolche natürliche Würfungen, und gute
und böfe Folgen unferer freyen Handlungen, in der That
den
Die Gerechtigkeit Bottes; 259
den Namen der Belohnungen und Strafen verdienen, das
werde ich gleich in dem Folgenden auszumachen fuchen.
Fine willEübrliche Belohnung ift ein folcher Lohn,
welcher nicht anders zureichend erfant werden fan, als aus
dem Willführ desjenigen, welcher diefen Lohn ertheilt, Aus
der bloffen Natur einer rechtmäßigen Handlung, und ihres
Urhebers, Fan unmoͤglich erfant werden, warum eben dies
fer und fein anderer willführlicher Lohn mit derfelben ver-
bunden wird; fondern man muß dabey allemal, auf den
freyen Willen desjenigen, ſehen, welcher denfelben ertheilt.
3. E. wenn iemand dem andern eine Summe Geld zum
Sohne gibt. Eine willführliche Strafe ift eine folche
Strafe, welche nicht anders zureichend erfant werden fan,
als aus dem Willführ desjenigen, welcher flraft, Aus der
bloffen Natur der Sünde und des Sünders fan unmög-
lic) erfant werden, warum eben diefe und Feine andere
willkuͤhrliche Strafe mit der Sünde verbunden wird, fen-
dern man muß dabey allemal, auf den freyen Willen des—
jenigen fehen, welcher diefe Strafe dem Sünder zufügt , z.
E. wenn der Diebftal, mit dem Galgen, beftraft wird.
Vebernsrürliche Strafen und Belohnungen müffen,
durch ein Wundermwerf, und, durd) eine übernatürliche Hand=
lung Gottes würfli gemacht, und mit gewiſſen freyen
Handlungen verbunden werden. Als Gott die Aufrührer
unter Anführung des Abiram mit Feuer vertilgte, fo ftrafte
er durch ein Wunderwerk; und die übernatürlichen Tröftun«
gen, die Gott in dem Herzen der Gläubigen würft, find
übernatürliche Belohnungen Gottes,
$. 955.
Die belohnende Gerechtigkeit ift diejenige Ge—
rechtigfeit, welche rechtmäßige Handlungen belohnt; oder
fie ift die Gerechtigkeit, in fo ferne fie die guten freyen Hands
lungen belohnt. Je mehrere Perfonen die Gerechtigkeit bes
lohnt, und ie mehrere ihrer Handlungen fie belohnt, ie pros
portionirter die Belohnungen find, und ie vollfommener
und befler die Neigung und ‘Begierde zur proportionirten
N 2
Balz
260 Die Gerechtigkeit Bottes.
Belohnung des Guten ift, defto greöffer und vollfommener
ift die belohnende Gerechtigkeit. Da nun alles in der
Welt, feine Folgen und Würfungen, bat 9. 36. 318. fo
haben auch), alle freye gute Handlungen der endlichen Geis
ſter, unausbleiblicdy ihre natürlichen Würfungen, welche
niche nur gut find, fondern aud) zufällig $. 134. und alfo
eine Wohlthat Gottes $. 948. Folglich made fich ein
ieder endlicher Geift, durch eine iedwede gute freye Hand«
lung, einer görtlihen Wohlthat würdig, welcher er fonft
nicht werth wäre. Da nun Gott feine Wohlthaten, nad)
Berdienft und Würdigfeit, austheilt S. 952. fo belohnt
er Die guten freyen Handlungen der endlichen Geifter, oder
er gibt ihnen Wohlthaten, um ihres guten freyen Verhaltens
willen $. 953. Er beſitzt alfo eine belohnende Gerechtig«
feit, und zwar in einem unendlichen und in dem allervolls
fommenften Grade $. 817. » Folglic) ı) belohnt Sort alle
endliche Geifter, die in diefer Welt würflich find. Man
fan mit Zuverfichet fagen, daß Fein endlicher Geift fo böfe
feyn Fünne, daß er, die ganze Zeit feiner Dauer hindurch,
gar Feine andere freye Handlungen als Sünden thun folte.
Gott läft nichts Gutes, in den ärgften Sündern, unbe—
lohnt. Wenn ein einziger endlicher Geift eine Belohnung
verdient hätte, die er von Gott nicht befäme; fo erftreckte
fich, die Guͤtigkeit und Gerechtigkeit Gottes, nicht über alle
endliche Geifter, und wäre alfo eingefchrenft. Ja wenn
aud) iemand behaupten wolte, daß es endliche Geiſter gabe,
die gar Feine Belohnung verdienten: fo wollen wir uns jet
darüber nicht ftreiten; fondern es ift bier genung, wenn
wir behaupten, daß Gott alle endliche Geiſter befohne, die
gutes thun, und zwar in fo ferne fie gutes thun, 2) Gott
belohnt alle gute freye Handlungen, die gröften fo wol als
auch die allerfleinften. Wenn Gore eine einzige gute Hands
fung nicht belohnte, fo müßte er entweder nicht willen, dafs
fie gefchehen wäre; oder fie müßte natürlicher Weife, Feine
guten zufälligen Würfungen, bervorbringen; oder Gott
müßte, diefe gute Würfungen, nicht als eine Wohlthat,
um
Die Gerechtigkeit Gottes. 261
um dieſer Handlung willen, in der Welt würflih machen.
Da nun alles diefes unmöglich ift, fo ift offenbar, daß von
Gott alle freye gute Handlungen aller Menfchen, und aller
andern vernünftigen Creaturen, belohnt werden, Dieſes
ift eine vortrefliche Aufmunterung zum Guten, indem wir
gewiß verfichere feyn Eönnen, daß wir nie umfonft Guts
thun. 3) Die Belohnungen Gottes find allemal den Hand⸗
lungen, welche belohnt werden, aufs genauefte proportio«
nirt, und die göttlichen Belohnungen find niemals Fleiner
oder gröffer, als e8 die Handlungen verdienen. in ieder
endlicher Geift befomt feinen befchiedenen, und ihm gebuͤh⸗
renden Theil. 4) Die Belohnungen Gottes ſind Wuͤr—
kungen ſeines allervollkommenſten Willens, und er theilt
ſeine Belohnungen, nach der allervollkommenſten Erkentniß
der Wuͤrdigkeit der Perſonen, der Groͤſſe und Befchaffen«
heit der Belohnungen, und ihrer Proportion mit den freyen
guten Handlungen, aus.
. 956.
Aus dem Begriffe, der unendlichen belohnenden Ges
rechtigkeit Gottes, Fan fehr leicht erwiefen werden, daß die
natürlichen guten Würfungen der rechtmäßigen Handlungen
vernünftiger Gefchöpfe, welche wir natürliche Belohnungen
genent haben S. 954. in der That diefen Namen verdies
nen. Man würde in der That fehr feichte denfen, wenn
man geradezu fchlieffen wolte: weil alle vechtmäßige Hands
lungen vernünftiger Gefhöpfe natürlicher Weife gute Fol—
gen haben, fo ift mit ihnen aflen eine Belohnung verbuns
den, Denn eine Belohnung findet nur flat, wenn ein gut—
thätiges Wefen, mit einer rechtmäßigen Handlung einer
andern Perfon, etwas Guts verbindet, um der Nechtmäfs
figfeit ihrer Handlung millen. Folglich muß es aus diefer
Rechtmäßigkeit einen Bewegungsgrund hernehmen, um
diefes Gute mit der Handlung zu verbinden, und dadurch
wird daffelbe erft eine Belohnung. Nun ift offenbar, daß,
da alle zufällige Güter der Creaturen Wohlthaten Gottes
find $. 948. auch) die zufälligen und natürlichen guten Fol—
N 3 gen
262 Die Gerechtigkeit Gottes.
gen der rechtmäßigen Handlungen vernünftiger Gefchöpfe
göttliche Wohlthaten find, zu deren Ertheilung Gott die
Bewegungsgründe, aus allen übrigen Befchaffenheiten die—
fer Geſchoͤpfe, folglih auch aus der Rechtmäßigkeit ihrer
freyen Handlungen, bernimt $. 948. Folglich find, alle
diefe guten Folgen der rechtmäßigen Handlungen vernünfti«
ger Gefchöpfe, Belohnungen Gottes, und heiflen mit Recht
natürliche Belohnungen, welche Gott zunächft durch feine
belohnende Gerechtigkeit austheilt $. 955. Manche Gota
tesgelehrte machen eine groffe Schwierigfeit zu fagen, daß
unfere gute Werfe von Gott belohnt werden. Allein es iſt
diefes ein bloffer Wortftreit, welcher leicht gehoben werden
Fan. Erfilich ift unleugbar, daß, da die Gütigfeit Got«
tes zugleich eine Gnade ift S. 949. und alle Wohlthaten
und Belohnungen Gottes von feiner, Gütigfeit herrühren? _ |
daß, fage id), alle Belohnungen Gottes ein Önadenlohn
find. Zum andern, wenn, bey Gott einen Sohn verdienen,
fo viel heift, als; Diejenigen rechtmäßigen Handlungen und
guten Werke thun, die Gott aus Gnaden belohnt, und
ohne denen Gott niemanden diefe Belohnungen ertheilt: fo
müffen, alle vernünftige Creaturen, ihre Belohnungen bey
Gore verdienen. Gott belohnt niemanden ohne Berdienft
und Würdigfeit, fonft wäre feine Gütigfeit nicht proportio—
nirt, und fie wäre alfo Feine Gerechtigkeit. Zum dritten,
wenn ein verdienter Sohn ein Sohn ift, auf welchen derje—
nige ein eigentliches Recht hat, der ihn empfängt, und den
er alfo von dem andern mit Gewalt fodern und erpreffen |
fan: fo it es höchft ungereimt zu fagen, daß eine Creatur
einen Lohn bey Gott verdienen koͤnne. Kan eine Ereatur
Gore mit Gewalt wozu zwingen ? Folglich iſt der göttliche
Sohn Fein folcher Sohn, dergleichen wir etwa unfern Bedien=
sen geben. Zum vierten verfteht man manchmal, durd)
einen verdienten Sohn, einen ſolchen Lohn, deſſen Befchaf:
fenheit und Gröffe verabredet, und durd) einen eigentlichen
Vertrag oder Contract beftimt worden, z. E. der Sohn
der Handwerksleute. Und auch nach diefer Erklärung ift
es
Die Berechtigkeit Gottes. 263
es unmöglich, daß eine Creatur bey Gott einen Sohn verdies
nen koͤnne.
$. 957.
Die belohnende Gerechtigkeit Gottes macht uns Men⸗
fhen in unferer Erfentniß gar Feine Schwierigkeit, weil die
Belohnung des Guten offenbar, mit der Gütigfeit des allers
vollfommenften Dinges, beftehen fan, Allein wenn man
behauptet, daß Gott auch Strafen austheile; fo entftehen
daraus viele Widerſpruͤche in unferer Erkentniß, indem fich
manche Gott entweder als einen harten, grimmigen und rach⸗
füchtigen Oberherrn vorftellen, oder auf die andere Aus—
ſchweifung gerathen, und nicht einfehen fönnen, wie bie
Strafgerechtigkeit mit der Güte Gottes beftehen Fonne. Wir
wollen diefe Sache, nad) unferm beften Gewiſſen, aus ein«
ander fegen, und nicht nur, aus feiner allervollfommenften
Guͤtigkeit, zeigen, daß er alle Sünder zu ftrafen bereitiwile
fig fey, fondern daß er aud) in der That alle würfliche Suͤn⸗
den in dieſer Welt ftrafe, Alle freye unrechtmaͤßige Handa
fungen find Sünden, und ein Sünder ift derjenige,
welcher fündiget, oder in welchem moralifche Uebel und Lins
vollfommenheiten angetroffen werden. Wir wollen es der
practifchen Weltweisheit überlaffen , dieſe Begriffe meitläufs
tiger zu unterfuchen und aufzuflären, und mollen nur noch
bemerken, daß ein Unſchuldiger derjenige genent wird,
welcher eine gewiffe Sünde nicht begangen hat, oder in wels
chem einige moralifche Uebel nicht angetroffen werden. Wer
ganz unfchuldig ift, in dem iſt gar fein moraliſch Uebel.
Allein es Fan iemand ein Sünder und ein Unfchuldiger zus
glei) feyn in verfchiedener Abſicht, und da wird ein iedwe—
der in Abficht aller derjenigen Sünden unfchuldig genent,
die er weder begangen hat, noch begeht, und an denen er
feinen moralifchen Antheil genommen, Nun fan ein Süns
der fonft fehr viele und groffe Bollfommenbeiten befigen,
und wenn man alfo alles in allen rechnet, fo fan ein Süns
der vollfommener feyn, als mancher Unfchuldiger, Allein,
wenn übrigens alles von beyden Seiten einander gleich iſt,
R4 ſo
264 Die Berechtigkeit Gottes.
fo ift der Unſchuldige nothwendig vollfommener, als ber
Sünder. Folglich liebe Gott, um feiner proportionirteften
Guͤtigkeit willen, den Unfchuldigen ftärfer als den Sünder,
und will ihm mehrere und geöffere Wohlthaten erweifen, als
dem Sünder $. 948. Folglich) will Gott dem Sünder, |
um feiner Sünden willen, einige Wohlthaten nicht zuflief-
fen laffen, und er begehrt fie alfo nicht in Abficht des Suͤn—
ders. Was Gott nicht begehrt, das verabfcheuet er, weil
feine Gleichgültigfeit in ihm ftat finden Fan $. 923. Folg—
lich verabfcheuet Gott einige Wohlthaten, nicht an fich be—
trachtet, fondern in Abficht des Sünders, oder er verab«
fheuet ihre Ertheilung, in fo ferne fie dem Sünder geſchieht.
Was Gott verabfiheuet, deffen Gegentheil begehrt er.$. 662.
Folglich will Gott, das Gegentheil einiger Wohlthaten, in
Abfiche des Sünvers. Das Gegentheil diefer Wohlthaten
muß ein zufälliges Uebel ſeyn, weil es fid) auf die Sünde
und alfo auf eine freye Handlung bezieht. Folglich will
Gott, daß in einem Sünder, um der Sünden willen, Aus
fällige Uebel würflich werden. Da nun dergleichen Uebel
Strafen find $. 953. fo will Gott die Sünden aller Suͤn—
der ftrafen; oder Gottes Wille ift geneigt, alle Sünder um
aller ihrer Sünden willen zu ftrafen, Doc Gott ift nicht
nur geneigt zu ftrafen, fondern er ftraft auch wuͤrklich alle
Sünden, welche in diefer Welt geſchehen. Denn diefe
Sünden haben insgefamt ihre natürliche Würfungen $. 36.
318, welche böfe find, weil aus einer böfen Duelle nur boͤſe
Folgen entftehen fünnen $. 133. NMün Fan in der Welt,
ohne Gottes freyen Willen, nichts würflich werden $. 934.
Folglich will Gott, daß aus allen Sünden zufällige Uebel
entfteben, und zwar will er diefes, weil er die Sünden als
was böfes und unrechtmäßiges erfent, indem er feine Bea
wegungsgründe, aus allen Bollfommenbeiten und Unvolle
fommenheiten der Dinge, hernimt. Folglich find, diefe
natürlichen böfen Wuͤrkungen aller Sünden in der Welt,
natürliche Strafen, die unausbleiblich find, und von Gott
berühren, Und folglich ftraft Gott wuͤrklich alle =
5
Die Gerechtigkeit Bottes, 265
Es würde ein fehr feichter Gedanfe feyn, wenn man fagen
wolte: alle Sünden baben natürlicher weife böfe Folgen,
und werden alfo natürlich geftraft $. 954. Denn eine
folhe Folge fan nicht eher den Namen einer Strafe verdie«
nen, bis man nicht erwiefen hat, daß ein vernünftig freyes
Weſen vorhanden fey, welches, diefen Zufammenhang zwi—
fehen diefen Folgen und den Sünden, auf eine freye Art
wuͤrkt, und zwar deswegen, weil es den Bewegungsgrund
dazu aus der Unrechtmäßigfeit der Sünde hernimt, und das
ift es eben, was wir ießo von Gott erwiefen haben. Folg—
lich gibe es natürliche Strafen allee Sünden, welche zus
gleich göttlihe ‚Strafen find; oder es ift Feine natürlicye
Strafe möglich), welche nicht zugleich) eine göttliche
Strafe ift. |
$. 958.
Gott hat nicht nur die Bereitwilligkeit, alle Sünden
aller Sünder zu ftrafen, fordern er ftraft auch wuͤrklich
die Sünden aller Sünder in diefer Welt, und zwar deswe—
gen, weil er auf eine proportionirte Art gütig ift $. 957.
folglich weil er gereche if; denn die proportionirte Gütigs
feit gegen Geifter ift Serechtigkeit $. 950. Gott beſitzt
demnach eine ſolche Gerechtigkeit, vermöge welcher er ftraft,
und folglich Ffomt ihm auch die Strafgerechtigkeit zu,
und zwar im allerhöchften und vollfommenften Grade $. 952.
817. Und diefer höchfte Grad der göttlichen Strafgeredhtig-
feit begreift, folgende Stüde, in fih. 1) Gott ftraft alle
Eünder ohne Ausnahme: denn ie mehr Sünder beftraft
werden, defto gröffer ift die Strafgerechtigfeit. Kein Suͤn—
der Fan, den göttlichen Strafen, entgehen, Und diefes
folte billig bey allen Sündern einen ſchreckenden Eindruf -
machen, indem ein iedweder verfichert feyn Fan, daß er
unmöglich den göttlihen Strafen, auf eine der gefunden
Vernunft befante Art, entgehen fan. 2) Gott ftraft alle
Sünden aller Sünder ohne Ausnahme, von der gröften
an, bis auf die allerfleinfte: denn ie mehrere Sünden die
Strafgerechtigkeit beftraft, defto groͤſſer it fi. Es Fan
R5 keine
266 Die Berechtigte Gottes.
Feine Sünde fo Flein in unfern Augen feyn, und fo heimlich
gefhehen, welche nicht dem allwiffenden Gotte bekant ift,
von feinem allerheiligften Willen verabſcheuet, und von feis
ner Strafgerechtigfeit beftraft wird. Diefes beftätiget auch
die Erfahrung und Vernunft dadurch, weil alle Sünder
ihre unausbleiblichen natürlidyen Strafen haben, 3) Alle
Strafen Gottes find denen Sünden aufs allergenauefte pro«
portionirt, indem Feine gotsliche Strafe gröffer oder Eleiner
ift, als der Sünder durch feine Sünde verdient hat. Gleich—
wie es eine Thorheit und Befchimpfung Gottes ift, wenn
man befürchtet, Gott werde jemanden härter ftrafen, als
er e3 verdient; alfo ift es eben fo unvernünftig, wenn ein
Sünder fid) damit fehmeicheln wolte, daß er eine gelindere
Strafe von Gott empfangen werde, als feine Thaten werth
find. 4) Die Strafen Gottes find Wuͤrkungen feines als
lervollfommenften Willens, under theilt fie, vermöge fei«
ner allervollfommenften Einſicht in die Strafbarfeit der
Sünden und des Suͤnders, und in die Proportion der
Strafen mit denfelben, aus. Kein finlicher Bewegungss
grund, feine finliche Leidenfchaft, Feine fündliche Begierde
reißt ihn zur Beftrafung der Sünder, Sondern er firaft,
weil fein allerheiligfter Wille alle Sünden, auf die allervoll«
kommenſte Urt, haßt, und verabfcheuet S. 434. und meil
er, aus unendlicyer Güte gegen die Menfchen, und gegen
andere endliche Geifter, über alle ihre Sünden auf eine ihm
anftändige Art zornig ift $. 949. Man nent die Straf:
aerechtigkeit Gottes auch die rächende Gerechtigkeit
Gottes, und die Strafen Gottes werden auch eine Rache
genent, und zwar alsdenn, wenn durd) fie der Schaden
wieder erfegt und gut gemacht wird, welcher durch die Suͤn—
ben, in andern Creaturen, und in dem Sünder felbft, vers
urfacht worden, und wenn Gott z. E. einen Menfchen uns
ter andern deswegen ftraft, meil er andere Menfchen beleis
diget hat. Wenn man die Rache fo erklärt, fo enthält fie
nichts, welches der Heiligkeit Gottes zumider wäre.
$. 959.
*
Die Gerechtigkeit Bottes. 267
$. 959. ;
Es haben einige die Strafgerechtigfeit Gottes geleug«
net, wie unfer andern in den neuern Zeiten der befan«
te Dippel getban hat. Mun geht es uns hier nichts an,
zu unterfuchen, wie dieſer Irrthum, dem $ehrgebäude
mancher Gottesgelehrten, widerfpricht. Sondern wir wols
len bier nur einige Einwürfe wider die Strafgerechtigfeie
Gottes beantworten, die uns Öelegenheit geben, diefe goͤtt—
liche Bollfommenheit in ein noch gröfleres Licht zu ſetzen.
Erftlich ſagt man: Gott fey die Liebe, und im allerhöchften
Grade gütig. Nun Fönne, die Begierde zu frafen, mit
der Liebe nicht beftehen, folglich Fönne Gott feine Strafges
rechtigfeit haben. Allein aus unferer Betrachtung erhellet
‚ gerade das Gegentheil, indem wir gezeigt haben, daß Gore
nicht im hoͤchſten Grade gütig feyn Fönte, wenn er die Sün«
der nie ſtrafte. Freylich machen es die Menfchen meh:
rentheils fo, daß fie Diejenigen haſſen, welche fie ftrafen,
und daß fie nicht eher ftrafen, bis fie über den andern zora«
nig geworden. Go folte es aber nicht fenn. Eltern hans
dein allemal unvernünftig, wenn fie ihre Kinder im Zorn
ftrafen. Gott ftraft aus Haß gegen die Sünde, und aus
Siebe zum Sünder, Folglich find, alle feine Strafen,
wahre väterlihe Zuͤchtigungen. Zum andern fchlieft man
fo: wer nicht beleidiget werden fan, der Fan auch niche
firafen, nun fan Gott nicht beleidiget werden, alfo fan er
auch) nicht ftrafen. Allein beyde VBorderfäge find falfch.
Ein Oberherr ftraft mit Recht manche Verbrechen, wodurch
er ſelbſt nicht beleidiget worden. Und wenn man zweifel,
ob Gott durch die Sünden beleidiget werde, jo gefchiehe
diefes blos, um der Zmwendeutigfeit des Worts beleidigen
willen. Freylich Fan Gott nicht in dem Verſtande belei—
Diget werden, als wenn, durch die Sünden der Creaturen,
ihm ein innerliher Schaden zugefügt würde, oder ein Vers
luft feiner innerlihen Bollfommenheiten: denn das ift
fchlechterdings unmöglich, Allein in der Sittenlehre wird
eriviefen, daß alle Sünden Berlegungen der Ehre Gottes
find,
268 Die Gerechtigkeit Gottes.
find. Danun, die Ehre Gottes, eine feiner Aufferlichen
Vollkommenheiten ift: fo wird durch alle Sünden diefe
Vollkommenheit vermindert, und Gott alfo beleidiger. In
der GSittenlehre wird, diefer Gedanke, viel deutlicher aus
einander gefeßt, Zum dritten ſagt man: alle Strafen find
ein Uebel. Da nun Gott alles Böfe verabfcheuer, fo Fan
er unmoͤglich ftrafen wollen. Freylich begehrt Gott die
Strafen nicht, in fo ferne fie was böfes find, er hat an den—
felben fein Wohlgefallen, und er vergnügt ſich nicht darüber,
daß er durch Strafen den Sündern wehe thut, Folglich
ftraft er nicht auf eine rachgierige oder rachfüchtige Art, als
wenn er fih, über die Unvollkommenheit der geftraften
Sünder, freuen koͤnte. Nenn alfo Gott ftraft, fo Fan
man fagen, er thue e8 mit Widermwillen und ungerne. Allein,
mie ‚läft es fich nun begreifen, daß Gott demohnerachtet
ftrafe ? Diefe Sache verdient eine genauere Unterfuchung,
$. 960.
Alle göttlihe Strafen aller Sünden in diefer Welt
find Begebenheiten, weldye in der Welt würflic) find, und
fie müffen alfo als einzelne durchgängig beftimte Dinge, die
endlich find, beurtheilet werden, und fie find alfo gut und
böfe zugleih $. 141. 199. 250. 306. Folglich Fan man,
alle Begebenheiten in der Welt, mithin aud) alle Sünden
und Strafen derfelben, auf eine dreyfache Art betrachten,
Einmal, in fo ferne fie gut find, es mag nun diefe Güte
in den nothmwendigen, oder phnfifchen, oder moralifchen
Vollkommenheiten beftehen, oder in allen dreyen zugleich ;
furz in fo ferne fie, etwas reelles, find. Der Inbegrif aller
Healitäten einer ‘Begebenheit der Welt, und folglid) auch
einer Sünde und Strafe derfelben, wird das entfernte
Materiale einer Begebenheit, und infonderheit einer fols
chen, welche böfe iſt, genent. Weil es ſchlechterdings un«
möglich ift, daß eine böfe Begebenheit durch und durch böfe
feyn Eonte $. 131. fo haben, alle böfe Begebenheiten in der
Welt, alle Sinden und Strafen, ein ſolches Materiale;
und wenn man fie, in diefer Abficht, materialiter —
0
Die Gerechtigkeit Gottes. 269
fo fondert man in Gedanken alles böfe und unvollfommene
von ihnen ab, und man Fan ſich diefelben alsdenn nicht an«
ders, als was Guts, vorftellen. Zum andern, in fo ferne
fie böfe find, man mag nun dahin ihre nothiwendigen, oder
pbnfifhen, oder moralifchen Unvollfommenbeiten rechnen,
oder alle dreye zugleich; Furz in fo ferne fie, etwas verneis
nendes, find. Der Inbegrif aller Berneinungen einer
Degebenheit der Welt, und folglich auch einer Sünde und
Strafe, wird das Formale einer Begebenbeit, und infon«
derheit einer foldyen, die böfe ift, genent. Alle böfe Be—
gebenheiten, alle Sünden und Strafen, haben diefes Fors
male, weil fie fonft gar nichts böfes wären; und wenn man
fie formaliter betrachtet, jo fondert man in Gedanfen, alle
ihre Realitäten, von ihren DBerneinungen ab, und betrad)«
tet die legten allein, folglich find fie in dieſer Abſicht was
boͤſes und nichts gutes. Drittens kan man auch, in allen
Begebenheiten der Welt, ihre durchgaͤngige Beſtimmung
betrachten, und die nennen die Gelehrten das naͤchſte
Materiale der Begebenheit, welches demnach alle Boll:
kommenheiten und Unvollkommenheiten derſelben ohne Aus»
nahme in ſich begreift, und alſo zugleich das entfernte Mas
teriale und Formale, Mithin find in diefer Betrachtung
alle ‘Begebenheiten, alle Sünden und Strafen, gut und
böfe zugleih. Folglich ift es überflüßig, diefe Begeben«
beiten anders zu beurtheilen, als in den beyden erften Abs
fihten. Da nun Gott alles Gute liebt und will, wo er es
findet, und alles Böfe haft und verabfcheuet, es mag aud)
angetroffen werden, wo es will $. 934. fo liebt Gott alle
Begebenheiten ver Welt, alle Sünden und Strafen, wenn
fie materialiter genommen werden; er haft und verabfcheuer
fie aber, wenn fie formaliter betrachtet werden, oder in fo
ferne fie was böfes find. Folglich will Gott, durch feine
Strafgerechtigfeit , niemals das Formale der Strafen,
Die Strafen, in fo ferne fie was böfes find, mißfallen
Gott, und er verabfcheuer fi, Allein, weil fie zugleich
was guts find, indem es, der vollfommenften Proportion
der
270 Die Gerechtigkeit Gottes;
der göftlihen Wohlthaten mit der Würdigfeit der Perfonen,
zuwider wäre, wenn auch nur eine einzige Sünde nicht ge=
firaft würde 6. 957. indem die ganze Ordnung der
Natur aufgehoben werden müßte, wenn eine Sünde nicht
natürlich geftraft würde S. 954. indem durch die Strafe,
der Sünder oder andere an feinem Beyſpiele, gebeflere
werden, und die Wiederholung der Sünde verhütet wird ;
indem der Schade, den die Sünde verurfacht, vergütet
wird, und indem fonft viele gute Würfungen, aus der Be—
ftrafung der Sünden, entftehen koͤnnen, nachdem die be«
fondern Umftände derfelben es mit ſich bringen: fo ift eg,
der Heiligkeit und Güte des göttlichen Willens, vollkom—
men gemäß, daß er um diefer Urfachen willen, die Stra«
fen dee Sünden, begehrt. Es ift ja ohnedem unmöglich,
daß Gott irgends etwas auffer fi) begehren folte, was
ganz gut wäre. Folglich Fan ort nur etwas auffer ſich
rollen, weil es mehr gut als bofe iſt; und wenn wir, die
Zulaffung des Böfen in der Welt, werden unterfucd)t has
ben; fo werden wir überzeugt werden, daß alle göttliche
Strafen Begebenheiten find, welche mehr guf als böfe find,
und ohne welchen diefe Welt nicht die befte feyn Fönte, Aus
dem Anfange diefes Abfages laͤſt fich zunleich beurtheilen,
was man von einer gewöhnlichen Eintheilung der Beloh⸗
nungen und Strafen, in bejahende oder pofitive und in
verneinende, zu halten habe. Durch eine bejahende Be—
lohnung verftehe man die Ertheilung eines Guts, melches
die Perfon noch nicht gehabt hat, die belohnt wird; und
durch eine verneinende, die Befreyung von einem Uebel,
welches die Perfon gehabt haf, oder welches ihr bevorfteht;
z. E. wenn ein $andesherr einem Unterthan ein Geſchenk
im Gelde gibt, fo ift es eine pofitive Belohnung, und wenn
er ihn von einem befchmwerlichen Dienfte befreyet, fo ift Dies
fes eine verneinende Belohnung. Kine verneinende Strafe
wird genent, wenn man einer Perfon etwas Guts zur
Strafe entzieht, z. E. wenn iemand von einem Amte blos
abgefegt wird; und eine bejabende Strafe ift, wenn man
ieman⸗
ns man nn a ns
Die Gerechtigkeit Gottes. ayı
jemanden zur Strafe ein Uebel zufügt, welches er noch nicht
gehabt hat, z. E. Gefängnig. Wenn man von diefen
Saden nicht nach der gröften philoſophiſchen Strenge hans
delt, fo Fönnen diefe Eintheilungen flat finden. Allein,
wenn man diefe Sache recht genau unterſucht, fo Fan Feine
Belohnung, in fo ferne fie eine Belohnung feyn foll, etwas
verneinendes fenn, denn fie ift etwas Guts und Reelles;
und Feine Strafe formaliter betrachtet Fan etwas Pofitives
und Reelles feyn, denn fie ift etwas Boͤſes und Bernei-
nendes.
8§. 961.
Bey der Gerechtigfeit Gottes ift, noch) eine wichtige
Stage, auszumachen: ob es nemlih, auch willführliche
Strafen und Belohnungen Gottes, gebe? Wir müffen dies
fe Frage bier blos als Weltweife beantworten, und es den
Gottesgelehrten zu entfcheiden überlaffen, ob aus der heilis
gen Schrift erwiefen werden koͤnne, Daß es dergleichen Stra=
fen und Belohnungen Gottes gebe? So viel ift gewiß, daß,
wenn Gott willführlid belohnt, er dieſes durd) feine beloh—
nende Gerechtigkeit thue; und wenn er willführlich ftraft,
er diefes durch feine Strafgerechtigkeit thue S. 955. 958.
Es komt alfo bier lediglich, auf. die Frage, an: ob aus der
bloflen Vernunft, entweder aus der Erfahrung oder a prio-
re, erwiefen werden koͤnne, daß twürflich in diefer Welt,
willführliche Belohnungen und Strafen Gottes, vorhans
den find ? Und da müffen wir folgendes bemerfen, ı) Wenn
man, durch willführliche Belohnungen und Strafen Got—
tes, ſolche verfteht, Die von feinem freyen Willen herruͤh—
ren; fo ift es unumftöslid) gewiß, daß, alle natürlichen
Belohnungen und Strafen, zugleich witlführliche göttliche
- Belohnungen und Strafen find. Denn die Würflichkeit
der ganzen Welt, der Naturen der Dinge, und ihrer man—
nigfaltigen Ordnungen, rührt von dem freyen Willen Got—
tes ber. Folglich erfolgen, alle natürliche Belohnungen
und Strafen, nad; dem Willen Gottes, und wenn Gott
nicht gewole hätte, fo würden fie nicht erfolgen 6. 954.
Wenn
272 Die Gerechtigkeit Gottes,
Menn alfo ein Weltweiſer ‚ die willkuͤhrlichen Belohnun« |
gen und Strafen Gottes, nad) diefer Erklärung leugnen
wolte, fo würde er gröblic) irren. 2) Es ift unleugbar,
daß die Menfchen einander dergeftalt willführlich belohnen -
und firafen, daß diefe Belohnungen und Strafen nicht durch _
+ die Natur derjenigen, die fie empfangen, und durch die
Natur ihrer freyen Handlungen, als durch wuͤrkende Urfa«
chen, geroürfe werden. Nun Fan nichts in der Welt, ohne
dem freyen Willen Gottes, würflid) werden. Folglich
find, alle willkuͤhrlichen menſchlichen Belohnungen und
Strafen, zugleich göttliche willführliche Belohnungen und
Strafen im ftrengften Berftande $. 954. In ſo weit dies
fe menfhlichen Belohnungen und Strafen gerecht find, in
fo weit biltiget fie Gott, und in fo weit find fie offenbar fei«
ner höchften Gerechtigkeit gemäß. _ Daher wird in der heis
ligen Schrift, alle vechtmäßige Obrigkeit, als die Stathale
terin Gottes vorgeftell. In ſo weit aber diefelben unge:
recht und unvernünftig find, in fo weit läft fie Gott zu, wie
aus dem Folgenden erhellen wird, und er thut Diefes frey«
lich aus Urfahen, die uns überhaupt unausforfchlich find,
und die uns in befondern Fällen, wenigftens in dieſem $eben,
ganz unbefant bleiben. 3) Eben fo unleugbar ift es, daß
alle übernatürliche Belohnungen und Strafen, und diejenie
gen, welche durch ein Wunderwerk wuͤrklich gemacht, und
mit manchen freyen Handlungen der endlichen Geifter vers
Enüpft werden, willführliche Strafen und Belohnungen
Gottes find. Denn da fie unmöglich), von der Natur der
endlichen Geifter ſelbſt, berrübren koͤnnen, fondern ledig«
lich von Gott und feinem freyen Willen abftammen $. 864,
939. fo find es göttliche willkuͤhrliche Belohnungen und
Strafen $: 954. Allein das ift eine andere Frage: ob ein
Weltweifer, aus der bloffen Vernunft, von der Würflic
keit diefer willführlichen Belohnungen und Strafen Gottes,
überzeugt feyn Fonne? Und das muß man verneinen, denn
aus der bloffen Vernunft laͤſt ſich nichts weiter erweifen, als
die innerliche Möglichkeit folcher Strafen und u,
ot⸗
Die Gerechtigkeir Gottes. 273
Gottes $. 415. und ihre hypothetiſche Möglichkeit, in Ab—
fiht auf die Allmacht Gottes $. 883. Folglich fodert man
von einem Weltweifen mit Unrecht, daß er die Wärflich-
keit Diefer wilführlichen Strafen und Belohnungen Gottes
behaupte, ob er gleich unrecht handeln würde, wenn er fie
fehledjterdings leugnete. Ja wenn aud) iemand ein Natus
valift ſeyn, und die Würflichfeit der übernatürlichen Stra«
fen und Belohnungen leugnen wolte; fo würde er zwar its
ren, allein man würde ihn nicht befchuldigen Fünnen, daß
er alle willfrbrlihe Belohnungen und Strafen Gottes
leugne. Denn es gibt willführliche Strafen und Beloh—
nungen Gottes, die nicht übernatürlicd) find, mie aus den
beyden verhergehenden Betrachtungen diefes Abfages erhel⸗
let. Und mod) viel weniger Fan iemand der Naturalifterey
befchuidiget werden, wenn er diefe oder jene göttliche Bes
fohnung und Strafe, die in der heiligen Schrift dafür aus—
gegeben wird, nicht blog deswegen für übernatürlich hält,
weil fie in der übernatärlihen Offenbarung Gottes verbeife
fen und angedrohet worden if. 4) Nun Fan man noch
fragen: ob es ſolche willführliche Delohnungen und Strafen
Gottes gebe, welche nicht natürlich, auch nicht menfchlich,
und aud) nicht übernatürlich find ? Und hieher gehört die bu
rühmte Unterfuchung, ob die Gluͤcks- und Unglücksfälle in
der Welt, Strafen und Belohnungen Gottes, find? Nem—
lich durch das Glück verfteht man, den Zufammenfluß
der Urfachen in der Belt auffer den vernünftigen Creaturen,
wodurch) in diefen ſolche Bollfommenbeiten oder Unvollkom—
menheiten gewürft werden, die nicht moralifch find, Wer—
den Vollfommenbeiten dadurch gewürft, fo heilt es das
' gute Glück, werden aber dadurch Unvollkommenheiten
gewuͤrkt, fo heift es Ungluͤck. Die Würfungen des Aus
| ten Glüds find glückliche, und des Ungluͤcks ungluͤck⸗
liche Zufaͤlle, oder Begebenheiten. Aus dieſer kurzen
Erklaͤrung iſt klar, daß, wenn die gluͤcklichen Zufaͤlle Be—
lohnungen, und die ungluͤcklichen Strafen find; fie dennoch
keine natürlichen Würfungen der freyen Handlungen Der
4 Theil, S Crea⸗
274 . Die Gerechtigkeit Gottes.
Ereaturen find, und es koͤnnen alfo Feine natürlichen Stra»
fen und Belohnungen feyn. Eben fo wenig find fe über«
natürliche und menfchliche Strafen und Belohnungen
$. 954. Da fie aber von dem freyen Willen Gottes, wie
alle Begebenheiten in der Welt, abhangen: fo müßte fie
Gott willkuͤhrlich, mit dem freyen Verhalten der endlichen
Geifter, verknüpfen, und es wären alfo allerdings willführ«
liche Strafen und Belohnungen Gottes. ch habe diefe
wichtige Materie, in meinen Bedanken vom Glück und
Unglück, meitläuftig abgehandelt, und ic) will alfo hier
fein Wort mehr, von derfelben fagen.
$. 962, |
Wenn die Gerechtigkeit ihre höchfte Vollkemmenheit
erreichen foll, fo muß fie mit Langmuth, mi Unpartheys
lichkeit, und mit Billigkeit verbunden feyn. Die göttliche
Gerechtigkeit ift, mit allen diefen Bollfommenbeiien, im
hoͤchſten Grade ausgeziert., Was die erfte berrift, die
Langmuth, fo wird fie aud) die Geduld des Richters ges
nent, wenn man fagt, er trage Geduld mit einem Suͤnder.
Und ſie beſteht in der Gerechtigkeit, in fo ferne ſie die Stra-
fen nur alsdenn ergehen laͤſt, wenn ſich die beſte Gelegen-
eit zu ſtrafen ereignet. Z. E. eine Strafe bringet oftenur
g g
alsdenn die gehörige Wuͤrkung hervor, wenn fie zu rechter
gelegener Zeit, und an den gehörigen Orten, verhängt und
vollzogen wird. Wir fehen Daher aus der Erfahrung, Daß
manche Eltern ihre Kinder ofte flrafen; allein weil fiees
niemals bey der beiten Gelegenheit thun, fo werden ihre
Kinder dadurd) fo wenig gebeffert, daß diefelben dadurch
nur noch verftockter gemacht werden. Man macht fid) von
der Langmuth manchmal den falfchen Begrif, als wenn fie
allemal die Strafe auffchieben müßte. Allein die Erfah—
rung lehrt, daß es manchmal die befte Zeit zu ftrafen iſt,
wenn bie Strafe ohne Verzögerung auf die Sünde folgt,
manchmal aber ift es beſſer, wenn man fie auffchiebt. Ein
Maenſch, welcher im Zorne und in der erften Hiße deffelben
flraft, Fan nicht langmuͤthig feyn, weil es ihm alsdenn un-
moͤg ·
Die Gerechtigkeit Gottes. 27
möglich fält, alle Umftände recht zu überlegen. Da es nun
offenbar ift, daß eine Strafe, welche zu der gelegenften
Zeit, und überhaupt ben der beften Gelegenheit, dem Suͤn—
der zugefügt wird, befler ift, als eine Strafe, welche zu
ungelegener Zeit, und in fehledhten Umftänden wuͤrklich ge⸗
macht wird, indem jene nothwendig mehr Nutzen ſchaft als
dieſe: ſo iſt es ein Fehler der Strafgerechtigkeit, wenn ſie
nicht langmuͤthig iſt. Gott weis, vermoͤge feiner Allwiſ⸗
ſenheit, die allerbeſten Gelegenheiten aller ſeiner Strafen,
aufs lebendigſte $. 921. er begehrt fie aufs proportionirs
teſte $. 932. und er ift alfo im hoͤchſten Grade langmuͤthig.
Die Gerechtigkeit ift eine, durch Weisheit gemäßigte, Guͤ—
tigkeit. Wenn alfo Gott ftraft, fo firaft er aus Güte, und
feine Strafen find die beften Mittel, die Sünden und ihre
Folgen aufs möglichfte zu hindern, Nun koͤnten fie niche
die beten Mittel zu diefem Zwecke feyn, wenn fie nicht der
Zeit, dem Orte und allen übrigen Umftänden, im hoͤchſten
Grade gemäß wären. Wer nicht langmüthig ift, der
überlegt nicht Flüglich alle Umftände und Gelegenheiten der
Strafen. Da nun Gott niemals unweife handeln fan, fo
ift aud) feine Sangmuth unendlich, Unterdeſſen muß es
allemal feiner hoͤchſten Weisheit lediglich anheim geſtelt
werden, wie geſchwind oder langſam er ſtrafen will, indem
kein menſchlicher Verſtand daſſelbe beurtheilen kan. Man—
cher Dieb wird gleich bey dem erſten Diebſtale ertapt, und
empfaͤngt ſeine Strafe fuͤr dieſe beſondere Suͤnde. Man—
cher empfängt fie erſt nad) unzaͤhligen Diebftälen, und
mancher wird in diefem geben gar nicht unter den Menichen,
feiner Dieberey wegen, geftraft, Wer Fan hier, die Wege
Gottes, erforſchen? Genung, wir wiffen überhaupt, daß
Gott allemal bey der beften Gelegenheit ftrafe, und das
muß uns zu unferer Beruhigung genung feyn. Es haben
mand)e angenommen: daß Hort die Sangfamfeit der Stra:
fen, durd) die Groͤſſe derfelben, erfeße, oder daß er um fo
viel härter ſtraſe, ie länger er Die Strafe auffchicht, Allein
es Fan diefes, einen abſcheulichen Verſtand, haben, Wurde
62 nicht
276 Die Gerechtigkeit Gottes.
nicht ein ieder Sünder es mit Recht lieber fehen, daß er ge-
ſchwind mit einer Fleinern Strafe durchfomme, als daß er
lange warten müffe, um defto härter geftraft zu werden ?
Allein, fo viel fan man mit Recht behaupten, daß Gott
nach feiner Weisheit mand)e befondere Strafen auffchiebe,
weil er vorherfiehe, daß der Sünder in der Sünde unter
deffen fortfahren, feine Schuld haufen, und alsdenn eine
geöffere Strafe verdienen werde. Und da fan ein Fall
möglid) feyn, in welchen es güfiger ift, wenn viele Suͤn—
den auf einmal proportionirt geftraft werden. Doc) iſt es
allemal beſſer, wenn ein Menſch ſich beſcheidet, in die
Maaßregeln der goͤttlichen Strafgerechtigkeit gar nicht ein—
dringen zu wollen, die er bey der Beſtrafung der Suͤnden
in beſondern Fällen beobadıtet.
S. 963.
Da die Unpartheylichkeit, das Gegentheil von der
Partheylichkeit iftz fo Fonnen wir uns von jener am leich«
teften einen richtigen Begrif machen, wenn wir diefe vor
ber erklären. Nemlich die Parcheplichkeit befteht in
der Neigung, oder Fertigkeit, aus finlichen Bewegungs»
gründen ‚, die noch dazu falfch find, etwas zu entfcheiden,
oder ein Endurtheil darüber zu fallen, Wenn die Frage
it, ob etwas wahr oder falſch ‚ gut oder boͤſe, recht oder
unrecht fen, Furz, fo ofte wir urtheilen follen, welches unter
zwey einander widerfprechenden Urtheilen wahr fen; fo follen
wir diefe Frage entfcheiden, - Wenn wir uns nun entfchliefe
fen, unfere Entfcheidung zu geben, und zwar durch folche
Bewegungsgruͤnde, welche nicht die richtigen Entſcheidungs—
gründe find, und noch dazu aus unfern finlichen $eidenfchaf:
ten, Neigungen u, f. w. bergenommen find; fo urtheilen
wir partheyifch oder nach Parthenlichkeit. 2. E. wenn
ein Runftrichter ein Buch lobt, weil fein vornehmer Göns
ner daſſelbe geſchrieben hat, ſo lobt er daſſelbe parthenifch :
denn ein Buch ift deswegen nicht gut, weil es ein vorneh-
mer Mann gefehrieben, und der Kunſtrichter wird ohne
Zweifel durch Schmeicheley zu einem ſolchen Urtheile vers
leitet.
Die Gerechtigkeit Bottes, 277
feitet, Eben fo ift es eine Partheylichkeit, wenn ein Rich
ter einer Parthey recht gibt, weil er mit ihr berwand ift,
weil fie mächtig ift, weil er Gefchenfe von ihr befommen
bat u. ſ. w. Das ift Eeine Partheylichkeit zu nennen,
wenn man überhaupt etwas nad) falfchen Gründen entfcheis
det, 3. E. wenn ein Richter einem Gefege einen irrigen
Verſtand zufchreibt, und vermöge defjelben einen Rechts⸗
handel unrichtig entfcheidet. a ein partheyifches Urtheil
ift nicht allemal falſch, weil ein Schuß, welcher falfche
Borderfäge hat, einen wahren Schlußfaß haben Fan. Ein
Buch, welches partheyifdy gelobt wird, Fan in der That
gut feyn. Die Unpartheylichkeit befteht alfo in der Ab-
neigung, eine Sache nad) falfchen finlichen Bewegungs«
gründen zu entfcheiden. Kin Richter ift unpartheyiſch,
wenn er die Nechtshändel nach folchen Gründen entfcheider,
welche überhaupt die rechten Entſcheidungsgruͤnde find, 3. E.
nach den Gefegen, und wenn er dabey weder feinen finli»
chen Seidenfchaften, noch andern finlidhen Neigungen Gehör
gibt, und folte er auch gleid) irren. Kin unpartheyifches
VUrtheil Fan ebenfals falfch feyn. ben fo urtheilt ein Kunſt⸗
richter unpartheyifch von einem gelehrten Buche, wenn er
es nach den Kegeln der Vernunftlehre beurtheilt, denn das
find. die rechten Beurtheilungsgründe folher Schriften.
Nun find in Gott eben fo wenig finliche Bewegungsgründe,
als falfche Vorftellungen möglid) $. 893. 899. Folglich)
ift es fchlechterdings unmöglich, daß er partheyifch feyn
koͤnte. Und da fein allerheiligfter Wille, alle Unvollfom«
menbeiten, unendlidy verabfcheuet $. 944. fo verabfcheuer
ev unendlich, alle Entfcheidungen nad) falfchen finlichen Be—
wegungsgründen, und er ift alfo im hoͤchſten Grade unpars
theyiſch. Folglich beweift er auch allemal, in ber Verwal—
tung ſeiner allerhoͤchſten Gerechtigkeit, die allervollfommens
fte Unpartheylichkeit. Er theilt, alle feine Belohnungen
und Strafen, nad) dem wahren Verdienfte der Perfonen
aus, fie mögen jung oder alt, vornehm oder gering, Chris
jten oder Heyden feyn u. f. m. Und das druckt die heilige
S3 Schrift
278 Die Gerechtigkeit Gottes.
Schrift fo aus; bey Gott ift Fein Anfehen der Perfon, fon
dern unter allerley Bol, wer ihn fürchtet und recht thut,
der ift ihn angenehm. Kin menfchlicher Richter mag
noch fo unpartheyifdy fern, er ift nur gar zu ofte, den
Schwachheiten der menfchlichen Natur, auf feinem Rich—
terftule unterworfen. Er fürchtet fich, dem vornehmen,
mächtigen und ihm fonft angenehmen Verbrecher , unrecht
zu fprechen. Und der arme, unangefehene, geringe
muß es fich gefallen laffen, daß er fein Recht verliehrt.
Kein Menfch Hat diefes bey Gott zu befürchten, indem er
gewiß feyn fan, daß fein Umftand den Richterfpruch Got—
tes über ihn beftimt, welcher feiner Natur nach) gar feinen
Einfluß, in die Rechtmäßigkeit und Unrechtmäßigfeit feis
nes Berhaltens, haben fan.
$. 964.
Das Wort Billigkeit bat, in den practifhen Wiſ—
fenfchaften,, verfchiedene Bedeutungen befommen. Man
fagt 5. E. daß derjenige Menſch billig mit iemanden ver.
fahre, melcher ein Verhalten unterläft, welches er zwar
nach den Regeln des firengften Rechts vornehmen Fünte,
welches aber den innerlichen Pflichten der Menfchenliebe
und Großmuth zumider ift. Allein mir veden hier von ver
Billigkeit eines Nichters, und welche ſich in der Berwals
tung der Gerechtigkeit gefchäftig erweift, und da verfteht
man dur die Billigkeit eine unpartheyiſche Gerechtig—
keit, oder die Gerechtigkeit, in fo ferne fie unpartheyiſch ift.
Wenn iemand den Lohn, melchen er austheilt, nad) der
Wuͤrdigkeit der Berdienfte einrichtee, und nicht nach dent
Anfehen der Perfon; folglich wenn feine Belohnungen nad)
den Kegeln einer fehenden, vernünftigen und vollfommenen
Guͤtigkeit beftimt und ausgetheilt werden, fo find fie ein
billiger Sohn. Eben fo ift eine Strafe billig, wenn fie
der Sünder wohl verdient hat, und wenn fie ohne Anfehn
der Perfon, um des Werths der Sünde willen, folglich
nach den Negeln der Guͤtigkeit, felbft gegen den Sünder, er⸗
theile wird, Alsdenn fagt man: man erfenne, n is
I
Die Wahrhaftigkeit Bottes; 279
Richter recht und billig handele, wenn man gewahr wird,
daß er, nach den aͤchten und wahren Beftimmungsgrün.
den der Gerechtigkeit, belohne und ſtrafe. Nun ift Gore
nicht nur im allerhoͤchſten Grade gerecht 9. 952. fondern
auch unpartheyiich $. 963. Folglic) ift er auch), im ale
lerhöchiten und vollfommenften Grade, billig. Es Fan
freylich ung Menfchen ofte fcheinen , daß Gott zu hart oder
zu gelinde ftrafe, daß er zu viel oder zu wenig belohne, ‚weil
uns der göttliche Wille unerforfchlic ift $. 958. In ſol⸗
chen Falten fan man freylich, die Billigfeit der göttlichen
Strafen und Belohnungen, nicht einfehen. So bald uns
aber manchmal, bey dem Ausgange einer Begebenheit, die
Augen aufgehen, und fo bald wir die Unpartheylichkeit Got⸗
tes in ſolchen Fällen gemahr werden: fo bald fehen wir
auch, mie billig das Berhalten Gottes fen. Und es ift zu
hoffen, daß wir erft in der Ewigkeit, die Billigkeit der
Berwaltung der Gerechtigkeit Gottes in diefem Leben, techt
eikennen werden,
Die Wahrhafigkeit Gottes.
. 065.
| Man fagt: Gott koͤnne nicht befrügen, und er Fünne
auch nicht betrogen werben, Das legte ift, vermöge feis
ner Untrüglichfeit, nothiwendig; indem eg fchlechterdings
unmöglich ift, daß irgends auf eine Art ein Irrthum, in
feinem Berftaude, wirflich gemacht werden Eonne S. 899»
Wenn man aber fagt, Gott koͤnne nicht betrügen: fo komt
hier alles, auf den wahren Begrif der Aufrichtigfeit und
Wahrhaftigkeit, an. Gemeiniglic) macht man fi), von
der Aufrichtigfeit und Wahrhaftigkeit, einen fo unbeftimten
Begrif, daß vermöge deſſelben diefe Wörter, bald eine Tus
gend, bald ein Safter, bedeuten, Denn wenn man fagt,
daß fie Fertigkeiten find, alsdenn, wenn man durd) Zei⸗
chen in iemanden eine Erfentniß bervorbringt, die Wahrs
beit an den Tag zu legen: fo müßte folgen, daß es allemal
ein Mangel der Aufrichtigkeit fey, wenn man iemanden die
84 Wahr
280 . Die Wahrhaftigkeit Gottes.
Wahrheit nicht ſagt, oder ihn wol gar in einen Irrthum
ſtuͤrzt. Folglich müßte es der Aufrichtigkeie gemäß feyn,
alles auszuplaudern, was man weis, und wenn aud) nod)
fo viel Unheil daraus entftehen folte. ine elende Aufrich-
tigkeit! Ein ieder vernünftiger Menfch wird wünfchen, daß
feine Freunde niemals, auf eine fo dumme und lieblofe Art,
aufrichtig mit ihm umgehen mögen. Es befteht demnach,
die wahre Aufrichtigkfeit, in einer Neigung oder Fertige
keit alsdenn, wenn durdy Zeichen eine Erfentniß in dem
andern hervorgebracht werden foll, auf eine gütige Art da-
bey zu verfahren. Der Aufrichtige ift gegen den andern
gütig, und will fein Beftes befördern. Wenn er ihm nun
feine Meinung, und feinen Willen, durch äufferliche Zeis
Gen eutderfen will, oder wenn er überhaupt in ihm eine
Erfeneniß, vermittelit gewiſſer Zeichen, bervorbringen will:
fo thut ers, in fo weit e8 das Befte des andern erfodert.
Sieht er, daß es das wahre Beſte des andern erfodere, daß
er Die Wahrheit erfenne: fo entdeckt er ihm die Wahrheit.
Gicht er aber, daß es das wahre Beſte des andern erfo-
dere, daß er in Unwiſſenheit und Irrthuͤmer, als in Elei»
nere Uebel, geftürzt, und in denfelben erhalten werden
muͤſſe, um gröfiere Unvollfommenbeiten zu verhuͤten; fo iſt
08 der achten Aufrichtigkeit gemäß, diefe Unwiſſenheit und
Serehümer in dem andern zu veranlaffen und zu dulden,
Folglich handelt derjenige nicht gleich betrüglich, welcher
dem andern einen Irrthum beybringt, oder ihn in demfel«
ben unterhält. Sondern derjenige ift falfch und betrüglich,
melcher, zum Machtbeil des Beſten des andern, dieſes
thut. Die wahre Aufrichtigfeit ift allemal, mit wahrer
Weisheit, verbunden; welche, die vollkommenſten Mittel
des Beſten des andern, genau überlegt und gebraucht,
9. 966.
Die ganze Welt, und alles was in derfelben würf:
lich iſt und geſchieht, ift eine Würfung des freyen Willens
Gottes, und feines nad)folgenden und befchlieflenden Wil
lens $, 939, 941, 937. folglich) aud) eine Wirkung Pin
voll⸗
|
Die Wahrhaftigkeit Gottes. 291
vollfommenften Erfentniß, Weisheit, Heiligkeit , Guͤtig—
keit und Gerechtigkeit $. 943-964. 932. Nun iſt, eine
iedwede Würfung, ein Zeichen ihrer würflichen Urfachen
$. 274. Es hat demnach Gott, feine Erkentniß und ale
lervollkommenſte Willensmeinung, durch alles, was in der
Welt wuͤrklich ift, bezeichnet. Und da er vernünftige Ereas
turen in diefe Welt gefeßt hat, weiche aus diefen Zeichen
ihre Bedeutungen erkennen; und da fo wol diefe Zeichen,
als aud) ihre Erfentniß und Auslegung, welche in den vers
nünftigen Creaturen würflich ift, eine Wuͤrkung des freyen
Millens Gottes ift: fo würft er in diefen Creaturen durch
Zeichen die Erfentniß von fich felbft, von feiner Erkentniß
und Willensmeinung ; oder er bezeichnet diefe Stücke den
> vernünftigen Ereaturen. Ueberdis ift unter den Theilen
der Welt ein allgemeiner bezeichnender Zufammenhang, und
die vernünftigen Creaturen erlangen alle ihre Erfentniß, von
allen Dingen auffer Gott, vermitteift dieſes Zuſammenhan—
ges $. 318, und alles diefes ift eine Wuͤrkung Gottes.
Man fan alfo mit Rede fagen, daß Gott, als die erfte
Urſach, durch Zeichen, in allen vernünftigen Creaturen,
alle ihre Erkentniß von ihm felbjt und allen andern Dingen,
bervorbringe. Dun verhält fid) Gott, in allen möglidyen
Fällen, gegen alle Ereaturen aufs gütiofte und meifefte
9. 948. 913. folglich auch in denen Fällen, in denen er
durch Zeichen, in den vernünftigen Creaturen, eine Erfent-
niß hervorbringt, und er ift alfo im hoͤchſten Grade auf»
richtig. $. 966. 817. Diefer höchfte Grad der Aufrichtig-
feit Gottes begreift, folgende Stuͤcke, in fih. 1) Gott
beweift ſich, gegen alle denfende und vernünftige Creaturen,
aufrichtig; indem alle Erfentniß in der Welt, eine Würs
fung feiner Aufrichtigkeit, if. 2) Er bezeichnet fo viel
von fich felbft, von feiner Willensmeinung, und von andern
Dingen, und zwar in allen Fällen, als es der höchften
Weisheit und Güte gemäß iſt; das iſt, fo viel, als es das
Beſte einer ieden einzeln denkenden Creatur, und das allge—
meine Beſte der ganzen Welt, erfodert, nicht mehr und
S 5; nicht
282 Die Wehrhaftigkeit Gottes.
nahe weniger. 3) Er bedient fich dazu iederzeit der aller»
beiten Zeichen $. 916. Es ift demnach der Aufrichtigkeit
Gottes nicht zumider, wenn er die vernünftigen Creaturen
in einer Unwiſſenheit und in einem Irrthume laͤſt, oder in
denfelben finfen laft: weil ofte Dadurch), als durch Fleinere
Uebel, ein aröfferes Uebel vermieden, und alfo eine aröffere
Vollkommenheit erlangt wird. Carteſius ſchlieſt alfo nicht
gründlich, wenn er annimt: diefer oder jener Begrif wird
von Gott hervorgebracht, alfo muß er wahr fenn. Denn
er Fan, aus einer weifen und gütigen Zulaffung Gottes,
auch falfch fenn.
. 967:
Die Aufrichtigfeit aͤuſſert fih, bey der Bezeichnung
der Willensmeinung und der Meinungen desjenigen über-
haupt, der aufrichtig fich gegen iemanden beträgt. Nun
gibt es eine doppelte Art der Zeichen, durch welche man
iemanden etwas entdecken und bezeichnen Fan; einmal Wor⸗
te und Reden, fie mögen nun ausgefprochen oder gefchrie»
ben werden, und zum andern, andere Zeichen. Es fan
fih demnach, die Aufrichtigfeie, auf eine Doppelte Are
äuffern. Einmal bey dem Gebrauche folcher Zeichen, die
feine Worte und Reden find, und von diefer Art der Aufs
richtigkeit können wir aus der bloffen Vernunft überzeugt
werden, daß Gott diefelbe im höchften Grade befiße $. 966,
Und zum andern diejenige Aufrichtigfeit, weiche ſich als—
denn äuffert, wenn jemanden durch eine Rede etwas entdeckt
und bezeichnet wird, und da heift fie die Wahrhaftig⸗
keit. Wenn alfo der Wahrhafte fein Plauderer und Waͤ—
ſcher feyn foll, fo muß er nicht alles fagen was er weis, und
was er felbft für wahr hält; fondern er muß, nad) den Res
geln der wahren Weisheit und Gütigkeit, verfahren, und
durch feine Worte und Reden eine folhe Erfentniß in dem
andern hervorbringen, die feiner höchften Vollkommenheit,
und dem wahren Beſten deflelben, gemäß find. Wenn
man nun frage: ob Gott auch diefe Bolifommenbeit befiße,
und ob er ein wahrbafter Gore ſey? fo komt alles auf die
| Stage
Die Wahrhaftigkeit Gottes, 283
Frage an: ob Gott geredet habe, oder ob er Durch eine Re—
de den Menfchen etwas entdeckt habe? Gott Fan nicht an—
| ders reden, als durch ein Wunderwerk: indem er entweder
durch feine Allmacht in der Luft die Töne der Worte würft,
welche einige Menfchen alsdenn hören koͤnnen; oder indem
er die Borftellungen der Worte in den Seelen einiger Men—
fehen unmittelbar und übernatürlidy würft, welche diefelben
hernach ausfprechen und auffchreiben, Damit fie vor. andern
gehört oder gelefen werden. Mun Fan man zwar durd) Die
Vernunft, aus blos philofophifchen Wahrheiten, überzeugt
werden, daß das Reden Gottes, wie alle Wunderwerke
überhaupt, an fich betrachtet möglich fey, und durch die Als
mad)t Gottes gewürft werden fünne S. 864. Allein die
bloſſe Bernunft fan uns nicht überzeugen, daß diefes Wun-
derwerk wuͤrklich gefchehen, und daß Gore würflich geredet
habe. Folglich Eönnen wir aud), in der natürlichen Got«
tesgelahrheit, nicht überzeugend bemweifen, daß Gott in der
That die Wahrhaftigkeit befise. So viel ift unumftöslich
gewiß: wenn es der höchften Weisheit und Güte Gottes
gemäß ift, daß Gott durd) eine Rede den Menſchen, oder
andern vernünftigen Creaturen, etwas bezeichne und enta
dee; fo find feine Reden im hoͤchſten und vollfommenften:
Grade wahrhaftig, und Gott befigt alsdenn and) die Wahrs
haftigfeit im allervollfommenften Grade, Wenn alfo die
Öottesgelehrten erwieſen haben, daß die heilige Schrift
Gottes Wort fen: fo ift unleugbar, daß man fich völlig
auf daffelbe verlaffen fönne. Und es ift aus dem y65 Ab»
fuße Flar, daß diejenigen Gottesgelehrten, welche gemäßige
urtheilen, recht haben, wenn fie behaupten, daß es dem göfte
lichen Anſehen der heiligen Schrift, und der Wahrhaftig«
feit Gottes nicht mwiderfpreche, wenn au) in der heiligen
Schrift einige unerhebliche Irrthuͤmer enthalten feyn folten,
als z. E. mande hiſtoriſche und chronologiſche Fehler,
Unterdeffen muß, die völlige Entſcheidung diefer Sache,
den Gottesgelehrten anheim geftelt bleiben,
Die
234 | KEITEN
Die Gluͤckſeligkeit Gottes.
§. 968.
Da die Gluͤckſeligkeit in dem Inbegriffe aller dererje⸗
nigen Bollfommenbeiten befteht, die zufammengenommen
die Vollkommenheit eines Geiftes ausmachen $. 768. fo
wird zu derfelben theils der Befig aller diefer Vollkommen⸗
heiten erfordert, theils aber aud) der Genuß derfelben, oder
das Bewuſtſeyn derfelben, und das Vergnügen über diefels
ben. Wenn ein vernünftiges Weſen zwar Vollkommen⸗
heiten befäffe, allein es wäre ſich derfelben nicht bewuſt, und
es genöffe über diefelben Fein Bergnügen ; fo wäre feine Bolle
fommenheit, mit der Bollfommenheit eines Baumes, von _
einerley Art. Könte man fie wol, eine Gluͤckſeligkeit, nens
nen? Und wäre fie wol eine. Vollkommenheit, welche fid)
für ein vernünftig denkendes Wefen ſchickt? Beyde Stüde
der Gluͤckſeligkeit befise Gott, Denn wag, erfilic), den
wuͤrklichen Beſitz der Vollkommenheit betrift, fo hat Gott
alle mögliche wahre Bollfommenheiten $. 816. und infon.
derbeit alle möglihe wahre Vollkommenheiten, deren ein
vernünftig freyes Wefen foͤhig it: denn er ift der allervoll«
fommenfte Geift $. 891. - Folglich Fan man, die gefamte
Vollkommenheit Gottes, in drey Claſſen abtheilen, 1) Dies
jenigen weiche fchlechterdings in allen Abfichten nothwendig
find, und die machen zufammengenommen ‚ die allerhöchfte
metaphnfifche Bollfommenheit Gottes, aus $.09. 2) Dies
jenigen Bollfommenheiten Gottes, die nicht moralifc) find,
indem fie nicht auf eine nähere Art von der Freyheit des gütt«
lichen Willens abbangen, und diefe zufammengenommen
fönnen, die höchfte phufifche Vollkommenheit Gottes, ges
nene werden. Es ift wahr, alle Bollfommenbeiten Got
tes haben aud) ihren erften Grund in der göttlichen Freyheit
S. 855. Allein daraus folge nicht, daß fie alle moralifch
find, weil zu einer moralifchen Bollfommenbeit erfordert
wird, daß fie einen nähern hinreichenden Grund in der Frey«
heit des Willens habe $. 713. 3) Diejenigen Bollkoms
mens
‚Die Sluͤckſeligkeit Gottes. 285
»menheiten Gottes, die moralifd) find, welche zuſammenge⸗
nommen feine ällerhöchfte moralifche Heiligkeit ausmachen
$. 944. Zum andern genieft Gott, über feine gefamte
Bolltommenheit, das allerhöchfte und vollfommenfte Ver—
gnügen $. 930. Da nun die meralifche Vollkommenheit,
famt dem vernünftigen Vergnügen über diefelbe, die Gelig«
Feit ift F. 767. fo befißt Gort eine Geligfeit, oder er ift
ſelig. Und da er auſſerdem auch die übrigen Vollkom—
menbeiten eines Geiftes befist, famt dem Vergnügen über
diefelben , fo ift er in dem Beſitze der Ölückfeligfeit, oder
er ift ein glückfeliges IBefen $. 768.
$. 909.
Die Gluͤckſeligkeit, und die Geligfeit Gottes, ift
fehlechterdings die allergröfte und aflervollfommenfte $. 968.
817. dergeftalt, daß er mit Recht der allerfeligfie und aller
glückfeliafte Geift Fan genent werden, und daß eine iede
Seligkeit und Gluͤckſeligkeit eine Chimäre ift, welche als
noch gröffer angenommen wird, als die Seligfeit und Gluͤck—
feligfeit Gottes. Diefer allerhöchfte Grad der göttlichen
Gluͤckſeligkeit begreift folgendes in fih $. 770. 1) Gott
befist alle mögliche metaphyſiſche, phyſiſche und moraliſche
Bolltommenheiten ohne Ausnahme, und zwar eine iedwede
in dem allerhöchften Grade F. 968. 816. 817. Folglich
ift Feine gröffere Gluͤckſeligkeit möglich), als die göttliche,
weil fie in dem wuͤrklichen Beige aller möglichen Bollfom«
menbeiten im höchften Grade, fonderlich der allergröften
Bolltommenheiten des Berftandes und des Willens, beftehr,
Und Fan eine Glücfeligfeit gröffer fenn, als diejenige, wel—
che in dem Befige der allermeiften und allergröften Vollkom—
menbeiten befteht ? Die menfchliche Giückfeligfeit mag noch
fo groß feyn, es bleibt allemal für einen Menfchen noch) viel
zu verlangen übrig, Cine Ereatur fühle, in dem allerhöch«
ften Befige ihrer Güter und Vollkommenheiten, noch alles
mal viele leere Plaͤte, oder unausgefülte Leeren, welche ein
Verlangen nach mehrern Gütern verurfachen. Daher fan
man ſich, von der Gluͤckſeligkeit einer vernünftigen Crea—
eur,
286 Die Glücfeligkeit Gottes,
tur, feinen andern Begrif machen, als daß fie, unter an⸗
dern, in einem beftändigen Wachsthume in der Vollkom—
menbeit beftehe. Gottes Ölücfeligfeit fan niemals wach⸗
fen, und der Genuß feiner Vollkommenheiten wird niemals,
durch eine ſchmachtende Sehnfucht nach mehrern Bollfoms |
menbheiten, geftöhrt. 2) Gott ift, vermöge feiner Heilige
keit 9. 838. 944, von allen Linvollfommenheiten, von al-
lem moralifchen Uebel, und von aller Unglückfeligfeit in eis
nem fo hoben Grade frey, daß nicht einmal die geringfte
Unvollkommenheit in ihm möglich iſt. Die gröfte Glüc-
feligfeit einer vernünftigen Creatur ift allemal, fo zu reden,
verunteiniget, und verfalzen, indem fie jederzeit mit Unvoll—
fommenheiten unfermengt iſt. Ein endlicher Geift mag
noch fo glückfelig feyn, er muß doc) immer auf feiner Huf
ftehen, Damit er nicht einen Theil feiner Gluͤckſeligkeit ver—
lieve, und in Die enfgegengefegte Unglücfeligfeit ſtuͤrze.
Gott ift fo vollkommen, in dem Beſitze feiner allerhöchften
Vollkommenheit, ficher, daß ihn nicht einmai der Gedanke
beunrubigen Ean, als fey es möglid), einen Theil derfelben
zu verlieren. 3) Gott genieft feine unendliche Bollfoms
menheit in dem allerhöchften Grade, und auf die allervolls
fommenfte Art, indem er das allervernünftigfte, reinfte und
volltommenfte Vergnügen über diefelbe genieft $. 930. Ein
endlicher Geift mag noch fo vollfommen feyn, er ift ſich doch)
niemals feiner Vollkommenheit im höchften Grade bemuft,
und fein Vergnügen über ſich ſelbſt ift allemal, mit mans
chem Mißvergnügen, über ſich felbjt untermengt. Folglid)
wird, die Glückfeligkeit Gottes, niemals durd) einen beunru—
higenden Gedanken, durd) eine Berrübniß über fich ſelbſt,
oder durch eine Unzufriedenheit mit fich felbft, geitöhrt und
unterbrochen. 4) Gott ift ewig und unveränderlich glück«
felig, indem nicht nur, der Beſitz feiner unendlichen Volle
kommenheit, fondern aud) das unendliche Vergnügen über
denfeiben, weder abnehmen noch zunehmen, noch auf irgends
eine andere Art verändert werden fan. Die Giücfeligfeit
eines endlicyen Geiftes Fan bald vermehrt bald vermindert
weis
|
|
|
Die Gluͤckſeligkeit Gottes. 287.
werden, und er Fan niemals ſchlechtweg glücfelig genent
werden, als wenn feine Gluͤckſeligkeit waͤchſt und zunimt,
5) Gott ift beftändig in einem unendlichen Grade gluͤckſelig,
indem er, in einem iedweden Puncte feiner ewigen Dauer,
feine ganze unendliche Glücffeligkeit auf einmal wuͤrklich be-
ſitzt $. 856. Der glückfeligfte endliche Geift befigt niemals
feine ganze Glücfeligkeit auf einmal, fondern feine Volls
kommenheiten fo wol, als aud) fein Vergnügen darüber,
find nur nach und nach in ihm wuͤrklich. 6) Gott befißt,
feine Höchfte und unendliche Glückfeligkeit, auf eine ſelbſt⸗
fiändige Art; indem Fein Theil feiner Glückjeligfeit, von
irgends einer Urſach auffer ihm, herrührt. In der Gotts
heit ſelbſt ift die ewige Duelle der unendlichen Gluͤckſeligkeit,
weiche nie verfiegen oder vertrocknen fan S. 880, 881. Er
bat, feinen Theil feiner Gluͤckſeligkeit, einem Wohlthäter zu
verdanken, und er darf fie von auſſen her nicht erwarten,
Ein endlicher Geift ift in feiner Gtückfeligfeit wie ein Baum,
der an den Wajferbächen gepflanzt ift. Hundertauſend Urs
fachen auffer ihn müffen zufammenflicfien, um ihn glücjes
fig zu machen, und feine Glückfeligfeit zu unterftügen und
zu erhalten. Tauſend Unglücsfälle fonnen fich auffer ihm
zufragen, die einen fehädlichen Einfluß in ihn haben. Auffer
Gott mag es noch fo betrübt hergehen, er hat in diefer Ab⸗
fie für feine Gtückfeligkeit gar nichts zu befosgen. ‘Die
Gluͤckſeligkeit Gottes ift ein Gebäude, welches durch feine
eigene Gröffe feft und unbeweglich fteht, Man Fan daher
auch nicht mit Necht fagen, daß Gore gluͤcklich fey, weil
das Gluͤck einer Perfon in einer ſolchen Vollkommenheit
derfelben bejteht, welche in Urſachen auffer ihr gegründet
it F. 961.
§. 970.
Aus der allerhoͤchſten Gluͤckſeligkeit Gottes folgt zu—
gleich, daß er das allerhoͤchſte Weſen ſey. Kin höheres
. Ding oder Wefen, oder ein Ding aus einer höhern Sphäre,
ift ein iedes Ding, in fo ferne es vollfommener ift, als ein
anders, Man Eönte zwar auch bieber rechnen, it ein
ing
238 Die Glückfeligkeit Gottes,
Ding hoher genent wird als ein anders, wenn es der Ober-
herr deſſelben ift; allein von der Dberherrfchaft Gottes wird,
bey einer andern Gelegenheit, füglicher gehandelt werden.
Hier fehen wir nur auf den vorzüglichen und hoͤhern Grad
der Vollfommenheit eines Dinges, wenn man ſich daflelbe
als ein Ding vorftellen will, welches über andere erhoͤhet
oder erhaben if. Da nun Gott das allervollfommenfte
Ding, und der allervollfommenfte Geift ift $. 815. 891.
und zwar dergeftalt, daß Fein Ding möglich ift, welches
eben fo vollfommen, geſchweige denn noch vollfommener
ſeyn Eönte, als Gott $. 878. fo iſt er ſchlechterdings, und
auf die vollfommenfte Art, das hoͤchſte Wefen, und der
allerhöchfte Geift. Seine Vollkommenheit ift fo unendlich
weit, über alle Bollfommenheit aller andern moͤglichen
Dinge, erhaben; daß man gar Feine Propsrtion, zwiſchen
diefen beyden Bollfommenheiten, als moͤglich gedenken Fan.
Folglich ift auch Gott über alte mögliche Welten, über die
allergröfte und vollfommenfte Welt, unendlid) weit erha—
ben. Und wenn man, die ganze Bollfommenbeit aller
endlichen Dinge, millionenmal zu ſich felbft binzugethan
hat, fo bat man die Bollfommenbeit Gottes nod) lange
nicht erreicht. Gott heift alfo mit Recht, mit einem unend«
lihen Vorzuge, der Hohe und Erhabene. Er fist auf
einem Throne erhöhet, der über alles hervorragt, und e8
ift fehlechterdings unmöglich, daß ein endlicher Geift,
fo zu reden, ſich ihm zur Seite fegen
koͤnte.
UORAR 20)
Der andere Theil,
Die Handlungen Gottes in die Melt,
Der erfte Abſchnitt.
Die Schöpfung der Welt,
§. 97.
isher haben wir uns Mühe gegeben, uns einen recht
vollkommenen Begrif von Gott, durch die blojte
gefunde Vernunft, zu mahen. Nunmehr wol-
len wir die Ihaten Gottes, oder feine Handlungen, betrach—
ten, Durch welche er aufler fich etwas thut, wuͤrkt oder vers
richtet. Nemlich das vornehmfte, was der Begrif von
Gott in fich enthält, beiteht darin, daß er die allervoll«
fommenfte würflihe Subftanz it $. 814. Da nun eine
iedwede würfliche Subftanz, durch Handlungen, fid) würf.
fam, thätig und gefchäftig erweift $. 169. fo Fan es nicht
anders feyn, Gott muß handeln. Und durch die Unterfu-
ung der mannigfaltigen Handlungen Gottes lernen wir
ihn noch genauer kennen, weil ſich nicht nur feine Allmacht,
fondern aud) alle feine moraliſche Bollfommenbeiten in ſei—
nen Handlungen hervorthun, und würffam erweifen. Die
Handlungen Gottes find von zwenfacher Art S. 863. 864.
Zu der erften gehören Diejenigen, Durch welche Gott in ſich
felbft, feine eigenen Accidenzien, wuͤrkt, 3. €. feine All:
wiſſenheit, feine Rathſchluͤſſe u, ſ. w. Und von diefer
Art der göttlichen Handlungen ift, in dem vorhergehenven,
ſchon binlänglid) gehandelt worden ; fo daß wir aus der blof«
fen Bernunft von feinen andern bieher gehörigen Handlun«
gen Gottes etwas willen, als von denen wir in dem Borber-
‚ gehenden gehandelt haben. Zu der andern Art gehören
‚ diejenigen Handlungen Gottes, wodurd) er in andere Din—
ge auſſer fih würft. Da nun auffer Gott nichts anders
4. Theil. T wuͤrk⸗
290° Die Befchaffenheit der Schöpfung,
wuͤrklich ift, als diefe Welt, und alles was zu derfelben
gehört: fo Fan Gott, wenn er auffer fich würft, Feine an.
dere Handlungen thun, als durch welche er in dieſe Welt
wirkt. Und die find von doppelter Art. Einmal diejenis
gen, die zu der Schöpfung der Welt gehören; und zum
andern diejenigen, welche zu der görtlidyen Borfehung über
diefe Welt gehören. Wenn roir beyde Arten der göttlichen
Handlungen werden erwogen haben, fo werden wir erfen-
nen, in was für einem hohen Grade wir, die Welt und
alles was in derfelben ift, von Gore abbangen,
Die Befchaffenheit der Schöpfung.
§. 97%
Die Schöpfung ift eine Handlung, wodurch eine
würfende Urfach etwas auſſer fich aus Nichts würft; oder
man fagt, daß etwas erfcehaffen merde, wenn es von einer -
wuͤrkenden Urſach auffer fi) aus nichts gemürft wird. Man
fagt niemals im eigentlichen Berftande, daß eine Subſtanz,
wenn fie in fi) felbft etwas würft, daſſelbe in fic) erfihaffe,
ob man gleich dieles in einem uneigentlichen Verſtande fagen
fan, Sondern da es vor fi) Flar ift, daß Fein Ding fid)
ſelbſt erſchaffen koͤnne, weil es fonft müßte wuͤrklich handeln,
ehe es wuͤrklich waͤre: ſo iſt offenbar, daß eine Subſtanz
oder wuͤrkende Urſach, wenn fie etwas ſchaft, daſſelbe auf
ſer ſich wuͤrkt, und zwar aus Nichts. Denn wenn iemand
etwas wuͤrkt aus Materialien, die vorher ſchon wuͤrklich
geweſen ſind, z. E. wenn er ein Gebaͤude auffuͤhrt; ſo
nent niemand dieſes eine Schöpfung. Von der erſchaffenen
Sache muß, gar keiner ihrer Theile, vorher wuͤrklich gewe⸗
fen ſeyn 6. 175. Nun fragt ſichs, ob die Schöpfung alles
mal, den Anfang und das Entſtehen der erſchaffenen Gas
che, in fich fhlieffe. Es behaupten diefes einige Gelehrte,
und fie erklären daber die Schöpfung, durch die Hervors
bringung der erfchaffenen Sache, aus Nichts. Und ieders
man gibt zu, daß eine Sache, welche hervorgebracht wird,
einen Anfang nehme, und entſtehe. Allein wenn man bie
Schöpfung
Die Beſchaffenheit der Schöpfung. 291
Schöpfung fo erflärt, jo it man fihon aus Partheylichkeit
der Meinung geneigt, daß diefe Welt nit von Ewigkeit
her gemefen ſey. Damit mir nun in dem folgenden unpare
thehiſch und gruͤndlich, die Svage zu unterfuchen im Stande
ſeyn mögen: ob diefe Welt einen Anfang gehabt habe oder
niche ? fo wollen wir die Schöpfung ganz unparthepifch er-
flären, und fagen, daß fie eine Handlung fey, wodurch
etwas aus Nichts gewürkt wird. Nun ift unfeugbar, daß
Got z. E. feine Allwiſſenheit, von Ewigkeit her, ohne _
Anfang gewuͤrkt habe. Folglich laͤſt es diefe Erklärung der
Schöpfung unausgemadht, ob die erfihaffene Sache Des»
wegen, weil fie erfchaffen worden, einen Anfang genommen
Babe, vder nicht: und fo muß, eine unpariheyifche Erklaͤ⸗
rung der Schöpfung, befhaffen fern. Ein Schöpfer
einer Sache ift Die würfende Urfach derfelben, welche fie
aus Nichts würft, oder würflid) macht.
$. 973.
Mad) diefer Erklärung der Schöpfung Fan, aus der
Vernunft, unmwiberfprechlich erwiefen werden, daß Gott
ber Schöpfer diefer Wele fen, oder daß Gott die Welt er-
fehaffen habe. Denn diefe Welt Fan nicht anders wuͤrklich
fenn, als eine Würfung Gottes, welche auffer ihm vorhan—
den ift $. 82, Mun iſt fie würflich vorhanden, alfo ift
fie eine Würfung Gottes, welche auffer ihm vorhanden ift,
Eine iedwede Würfung hat, den binreichenden Grund ih—
ver Wirklichkeit, in einer Handlung ihrer würfenden Urſach
G. 244. Folglich hat Gort eine Handlung vorgenommen,
wodurch er die Welt auffer fid) gerwürft hat. Nun hat er
diefe Handlung entweder von Emigfeit her vorgenommen,
fo daß die Welt feinen Anfang gehabt, fondern dafi fie als
eine beftändige Würfung Gottes auffer und neben ihm mwürfs
lich geweſen; oder nicht, ſondern dergeſtalt, daß die Welt
einen Anfang genommen hat. Iſt das erſte, fo iſt es un—
möglid), daß ein Theil der Welt vor derfelben wuͤrklich ges
weſen feyn folte, und wenn alfo Gott die Welt von Ewig—
Feit ber gewürft bat, fo hat er ie * Nichts gewuͤrkt. Iſt
das
>92 Die Befchaffenheit der Schöpfung.
das andere, fo ift die Welt entftanden, Nun fan fie nicht
anders entftehen, als aus Nichts S. 302. Folglich) mag
man annehmen, was man will, fo iſt unleugbar, daß die
Wuͤrklichkeit der Welt dergeſtalt in einer Handlung Gottes
gegruͤndet ſey, durch welche die Welt auſſer Gott, als eine
Wuͤrkung feiner allmaͤchtigen Kraft $. 864. aus Nichts
gewürft worden, Eine foldye Handlung ift eine Schöpfung
$. 972. Folglich ift Gore der Schöpfer der Welt, und
die Welt ift von Gott erfchaffen worden. Es erhellet zu:
gleich aus diefem Beweiſe, daß die Welt ihrer Zufälligkeit
wegen nicht anders wuͤrklich feyn Fan, als durch die
Schöpfung, welche Gore verrichtet bat, fie mag nun von
Ewigkeit her gewefen feyn, oder fie mag einen Anfang ges
habt haben.
| $. 974.
Und bier entfteht die wichtige Frage: ob die Welt
mürflich von Ewigkeit ber gewefen, oder ob fie einen An—
fang genommen habe? Wenn man diefelbe gruͤndlich ent«
fcheiden will, fo muß man zum voraus zweyerley bemerken.
Einmal muß man fehr wohl unterjcheiden, ob man dieſe
Frage einem Weltweifen, oder einem Ehriften, zur Beant—⸗
wortung vorlegt? Ein Chriſt muß fie, aus der heiligen
Schrift, beantworten. Die gemeine Meinung gebt das
hin, daß die heilige Schrift ausdrüdlid, den Anfang der
Welt behaupte, und alfo fehlechterdings leugne, daß die
Melt von Ewigkeit her gewefen. Unterdeſſen gibt es aud)
einige, welche mit vieler Wahrfcheinlichkeit behaupten, daß
alles dasjenige, was die heilige Schrift von dem Anfange
der Welt ſagt, nur von der gegenwärtigen Einrichtung des
Erdbodens zu verftehen fey; und daß alfo, die Lehre von
der Ewigkeit der Welt, im Ganzen betrachtet, vollfoms
men mit der Schöpfungsbiftorie, welche in der heiligen
Schrift angetroffen wird, beftehen Fonne, Unterdeſſen müfs
fen wir diefe Sache den Öottesgelehrten zu entſcheiden übers
iaſſen, und es ift hier blos die Frage: ob man, aus dem
bloffen Sichte der Vernunft, willen koͤnne, daß die Welt
entwe⸗
Die Befchaffenheit oe Schöpfung. 293
entweder von Ewigkeit her geweſen fey, oder daß fie einen
Anfang gehabt Habe? Zum andern ift es eine Srage, die
allerdings bejahet werden muß: ob die Welt von Gott ges
fchaffen fey? Denn wenn man die Schöpfung dergeftalt er⸗
Flärt, daß es unausgemadht bleibt, ob die erfchaffene Sache
einen Anfang haben müffe oder nicht; fo Fan aus der bloſſen
Bernunft unumftöglich erwiefen werden, daß die Welt
von Gott erfchaffen fen, ja daß fie nicht anders wuͤrklich
feyn koͤnne, als durch die Schöpfung Gottes $. 972.
Wenn alſo auch ein Weltweifer behauptet, daß die Welt
von Emigfeit her gemefen ; fo befchuldiger man ihn doc)
mit Unrecht, daß er die Schöpfung der Welt leugne. Ein
ftumpfer Kopf, welcher, aus Mangel der Scharffinnigfeit,
bey ver Schöpfung nicht alles Mannigfaltige gehörig von
einander unterfcheiden Far, der läft fich nicht bedeuten,
Sondern wenn er hört, daß man fage, die Welt fen von
Ewigkeit her geweſen; fo fehreyet er gleich in dem Tone eis
nes Ketzermachers, man leugne die Schöpfung der Welt.
Allein ein vernünftiger Weltweifer muß fich gar nicht Die
Mühe geben, ſich mit einem foldhen verwirten Kopfe, in
eine Streitigfeit über dieſe ſchwere Materie, einzulaffen.
§. 975.
Wenn man nun die eigentliche Frage entfcheiden foll:
ob die Belt von Ewigkeit her aewefen, oder ob fie in der
Zeit entftanden, und einen Anfang gehabt habe? fo müffen
wir die Gründe von beyden Seiten gründlich prüfen, und
aisdenn acht haben, was daher für eine Entfheidung gelei—
tet werden fan. Diejenigen, welche glauben, daß es aus
der gefunden Bernunft fehr leicht erwieſen werden koͤnne,
daß die Welt nicht von Ewigkeit her geweſen fenn Fünne,
fondern daß fie einen Anfang gehabt haben mülle: Die be—
rufen fih), fo viel mir befant ift, auf folgende Beweis—
gründe, 1) Die Meinung von der Ewigkeit der Welt fey
atheiftifch, weil daraus folgen würde, daß in der Welt ein
Fortgang der Urfachen ins Unendliche ftat finde, und dieſer
Fortgang ſey nicht nur eine ungereimte Meinung, fondern
Tg auch
294 Die Befchaffenbeit der Schöpfung.
auch eine Berleugnung der Würflichkeit Gottes, Allein
sch habe ſchon $. 314. deutlich gewiefen, daß die Sehre von
dem unendlichen Sortgange der Urfachen in der Welt, von
der Emigfeit der Welt, fehr unterfchieden fey; und daß
Derjenige, welcher die leßte behauptet, nicht nothwendig
auch die erfte behaupten müffe. Der Fortgang der Urfas
chen in der Welt ins Unendliche ift Deswegen nicht unge—
reimt, weil die Welt ohne Anfang feyn müfite; fondern
weil vermöge deffelben die Welt zufällig, und doc) zugleich
Feine erfte nothwendige Urſach auffer fih haben müßte,
2) Die Ewigkeit fey eine wahrhaftig unendliche und goͤtt⸗
liche Vollkommenheit, weldye Feinem endlichen und zufaͤlli—
gen Dinge, dergleichen die Welt nothwendig ſeyn müffe,
zufommen fünne, Lind wenn man demnach der Welt die
Emigfeit beylege, fo müffe man ihr auch, alle übrige goͤtt⸗
liche Bollfommenheiten, zufchreiben $. 855. und fie müßte
alfo der wahre Gott fern. Allein diefee Einwurf ift ſchon
völlig widerlegt worden, indem ich S. 859. erwiefen babe,
Daß es eine Ewigkeit geben Fan, welche Feine göttliche Boll
kommenheit ft, und welche mit der EndlichFeit und Zufäle
ligfeit eines Dinges gar wohl befteben fan, 3) Weil eine
Schöpfung eines Dinges, welches feinen Anfang bat, ein
ungereimter Begeif ift: indem alle Schöpfung eine Hervor-
bringung einer Sache ift, und folglich den Anfang der era
fhaffenen Sache nothwendig in ſich fehlieft. Diefer Eins
wurf verwandelt, dieſe ganze Streitigfeit, in einen nichtis
gen und Findifchen Wortftreit. Es ift die Frage: ob die
Würklichkeit dev Welt in einer freyan Handlung Gottes ders
geſtalt gegründet fey, daß Gott allein die würfende Urfach
der Welt fen, und daß vor der Welt nichts wuͤrklich gewe⸗
fen, aus weichen, als aus Meteriolien, Gott die Welt
würklih gemachte? Diefe Frage muß man bejahen, die
Welt mag nun einen Anfang gehabt haben oder nicht. Wie
wollen wir nun, dieſe Hendlung, nennen? Nent man fie
die Schöpfung, fo iſt unleugbar, daß die Melt erfchaffen
worden, und es folge Daraus nicht, daß fie einen Anfang
gehabt
Die Beſchaffenheit der Schöpfung. 295
gehabt habe. Will man diefe Handlung aber nicht die
Schöpfung nennen, weil man eigenfinniger Weife annimf,
daß die erfchaffene Sache einen Anfang haben müffe: fo
Fan man ohne Bedenken fagen, es fey ungewiß, ob die
Welt erfchaffen fen. Denn wenn auch iemand alsdenn
behaupten wolte, daß die Welt nicht erfchaffen fey ; fo. gibe
er demohnerachtet zu, daß die Welt nicht anders würflich
feyn fünne, als eine freye Wuͤrkung Gottes. Und es komt
warlich, in diefer wichtigen Sache, nit auf das Wort
Schöpfung an. 4) Weil die Welt, wenn fie von Emig-
keit her gewefen wäre, ein unendliches und von Gott unab»
haͤngliches Ding feyn müßte, welches ungereimt iſt. Frey⸗
lic), wenn man erweifen Fönte, daß eine iedwede Ewigkeit,
eine wahre Unendlichkeit und Unabhaͤnglichkeit des ewigen
Dinges, wäre; fo wäre aus der bloffen Bernunft offenbar,
daß die Welt niche von Ewigkeit ber gemwefen feyn koͤnne.
Allein das erſte Fan nimmermehr erwiefen werden, als durch
eine Berwechfelung, des wahren AUnendlichen, mit dem
mathematifch Unendlichen S. 859. Wenn man fagt, die
Nele fey zufällig und von Ewigkeit ber gemwefen, fo muß
man annehmen, daß fie als eine Würfung Gottes mit Gott
zugleih und beftändig dagemwefen. Und fo wenig, der
| Schein eines tichts von dem Fichte unabhänglic) ift, weil
er nicht nach) demfelben entfteht, fondern i immer zugleich mit
dem Lichte da iſt: eben fo wenig hebt, die Emwigfeit der
Welt, ihre Abhänglichfeit von Gott auf, wenn man nur
fonft feinen anderweitigen Irrthum, mit der Meinung von
der Ewigkeit der Welt, vergeſellſchaftet. Die AbHänglich-
Feit dee Welt von Gore flieſt aus. ihrer Zufälligkeit, nicht
aber allein daraus, daß fie einen Anfang gehabt. Es ift
wahr, wenn fie einen Anfang gehabt hat, fo muß fie von
einer Urſach aufler ſich abhangen; weit alle Dinge, Die ein
nen Anfang haben, zufällig find, und fid) ſelbſt nicht her—
vorbringen koͤnnen. Allein wenn auch ein Ding feinen
Anfang hat, wenn eg nur zufällig iſt: fo bleibt es doch ein
abhängtiches Ding. Wenn diefer Einwurf eine beweiſende
2 4 Et aͤrke
296 Die Befchaffenbeit der Schöpfung.
Stärke haben foll, fo muß erwielen werden: daß ein Ding,
weiches Feinen Anfang bat, eben deswegen nicht zufällig
feyn Fan, und das ift bisher noch nicht ermiefen worden,
5) Weil die Dauer eines iedweden zufälligen Dinges, und
aifo auc) der Welt, eine Zeit ausmache, und folglid) einer
Zshl gleich fey. Da nun eine iebwede Zahl von einer
Einheit anfange, fo müfle auc) die Welt einen Anfang
haben. Allein es ift falfch , daß eine iedwede Zahl von
einer Einheit anfange. Es Fan in der Mathematik erwies
fen werden, daß eine Zahl möglich ſey, welche wahrhaftig
ins Unendliche fort zertheile werden Fan, und diefe Zahl
fänger von feiner Einheit an. Alfo muß erft ermiefen wer«
den, daß die Zahl der Jahre der Welt eine ſolche Zahl fen,
weiche von einer Einheit anfängt, und es feßt alfo diefer
Einwurf ſchon voraus, was dod) erft ermiefen werden folte,
6) Weil, nad) allen warfcheinlichen biftorifchen Nachrich-
ten, man Feine Nachrichten hat, die älter wären, als ohn«
gefehr fechstaufend Jahr. Wenn nun die Welt.von Ewig⸗
feit her geweſen, fo wäre‘ e8 unbegreiflich, wie alle ältere
Nachrichten ſchlechterdings verlohren gegangen. Ich babe
fhon F. 316. gewiefen, daß diefer ganze Beweis ſchlechter—
dings in die Weltweisheit nicht gehört, und es ift hier blos
die Frage, ob man die Ewigkeit ver Welt blos philofophifc)
erweifen Fonne, Ueberdis Fan man fagen, daß ohngefehr
vor fechstaufend Jahren, die ießige Einrichtung des Erd«
bodens, entftanden, und folglich Fan die ganze Welt doch
von Ewigkeit her gewefen feyn, und es ift alsdenn fehr be=
greiflich, warum wir Menfchen feine Nachrichten von den
ältern Zeiten haben, 7) Es fen ganz unbegreiflich, wie
ein zufälliges Ding Fönne von Ewigkeit her gewefen feyn.
Allein dieſer Finfall will gar nichts ſagen. Was uns Mena
ſchen unbegreiflich it, das Fan demohnerachtet wahr feyn,
Und man kan nicht eher annehmen, daß die Ewigfeit eines
endlichen Dinges ſchlechterdings unbegreiflich fen, bis man
icht aus anderweitigen Gruͤnden, Die Ungereimtheit diefer
Roigkeit, erwiefen hat. Man Fan vielmehr, das Gegen—
theil,
Die Befchaffenbeit der Schöpfung. 297
theit, behaupten. Alles was wir in der Welt natürlicher
weiſe erfahren, ſtamt von andern endlichen Dingen ab, und
es ift alfo unferer gefamten Erfentniß gemäß, und uns
deswegen faßlich, wenn man annimt, daß es fo von Eiwig-
keit her gemefen. Und im Gegentheil, weil wir niemals
einen Urfprung eines Dinges aus Nichts erfahren, fo Fön»
nen wir nicht begreifen, wie die Welt einen Anfang aus
Nichts haben Fünne,
| $. 976.
Aus dem vorhergehenden Abfage erbellet demnach), daß
aus der blofjen Vernunft nicht erwiefen werden koͤnne, daß
die Welt einen Anfang gehabt habe. Allein man würde
ſehr unphilofophifdy denken, wenn man daraus fchlieffen
wolte, daß alfo die Welt würflich feinen Anfang gebabt
habe: venn es fan vieles wahr ſeyn, ob wir es gleich aus
der Vernunft nicht erweifen koͤnnen. Vielleicht aber Fan
aus der Vernunft erwiefen werden, daß die Welt von Ewig-
feit her gewefen? Wir wollen, die philofophifchen Gründe
für die Ewigkeit der Welt, prüfen. Es ift nicht der Mir
he werth zu fagen, daß es ein elender Beweis fey, wenn
man annimt, die Welt müfle ewig ſeyn, weil wir nicht be.
greifen koͤnnen, wie es möglich fey, daß fie aus Nichts ent«
ftanden. Zwey Gründe fcheinen, die Ewigkeit der Welt,
zu ermeifen, 1) Die Welt fan nicht anders gewürft wer-
den, als durch eine Beftimmung und Anftrengung der all»
mädtigen Kraft Gottes. Wenn nun die Welt einen Anz
fang gehabt hätte, fo müßte, diefe Beltimmung der Kraft
Gottes, nicht ewig in Gott geweſen feyn, und es müßte alfo
Gott innerlich verändert worden feyn, wenn er die Welt in
der Zeit erfchaffen. Es ift eine nichtige Ausflucht, wenn
man fagt, Gott habe zwar von Emigfeit her befchloffen, die
Welt zu ſchaffen; aber er habe, die Vollziehung diefes
Rathſchluſſes, aufgefihoben, gleichfam als wenn diefer Auf.
fhub, Feine Veränderung in der Beftimmung der Kraft
Gottes, vorausfegte. Die Kraft Gottes ift entweder von
Ewigkeit her, in einem fo hohen Grabe, beſtimt gewefen,
5 als
298 DieBefchaffenbeit der Schöpfung.
als zu der Hervorbringung der Welt erfodert worden, oder
nicht. Iſt das legte, fo iſt fie, da Gott die Welt würk-
lich erfchaffen , in einem hoͤhern Grade beftimt worden, und
alfo ift fie verändert, Iſt das erſte, warum ift die Welt
Dadurd) nit, von Emigfeit her, würklich geworden? Aufs
fer Gott war ja, fein Hinderniß, vorhanden, Und wols
‚te man fagen, dieſes Hindernig babe darin beftanden, weil
eine ewige Welt unmöglid), und die Allmacht Gottes nichts
unmögliches hun fünne: fo ſetzt man voraus, was doc) erſt
erwiefen werden foll, Allein diefer Grund für die Ewigkeit
der Welt fan, auf eine zweyfache Art, entkraͤftet werden.
Einmal, diefe Anftrengung der Kraft Gottes, wodurch er
die Welt erfchaffen hat, ift eine freye Beftimmung Gottes,
und alfo gleichfam eine zufällige Befchaffenbeit 9. 85%
ir Menfıhen fönnen fie alfo freylich, mit der Unveränder»
lichfeie Gottes, nicht zufanımenreimen ; allein daraus folge
nicht, Daß fie nicht wuͤrklich mit derfelben beftehen koͤnne.
Zum andern beweijt Diefer Beweis zu viel, Denn es würde
Daraus folgen, daß in der Welt gar nichts einen Anfang ha—
be. Alles was in der Welt würflich wird, und einen An—
fang nimt, das wird, Durch eine Beſtimmung der Kraft
Gottes, gewuͤrkt, in fo ferne es was Neelles ift. Folglich
fan es mit der Unveränderlichkeit Gottes beftehen, daß er
durch feine Kraft Dinge auffer ſich hervorbringt, die nicht
von Ewigkeit her gewefen; ob unfer ſchwacher Berftand
gleid) nicht zu begreifen im Stande ift, mie dieſes mit der
Unveränderlichfeit Gottes beftehen koͤnne. 2) Wenn bie
Welt einen Anfang gehabt, und denfelben durch, die Schö«
pfung befommen hat, fo hat Gott in ein blog mögliches Ding
auffer fih würfen müflen. Allein ein blos möglich Ding
ift auffer Gott nicht vorhanden, weil diefes Borhandenfeyn
eine Wuͤrklichkeit if. Alſo fcheint es unmöglich zu feyn,
daß eine Subftanz in ein anderes Ding würfe, welches gar
nicht wuͤrklich, fondern blos moͤglich iſt. Es ift wahr,
wir koͤnnen Diefes gar nicht begreifen. Alle unfere Begrif—
fe geraiben dadurch in Verwirrung. Allein da wir in Dies
fer
Die Befchaffenbeit der Schöpfung. 299
fee Sache den innerlicgen Widerſpruch nicht deutlich entdes
cken Eönnen, fo iſt fie auch fein klarer entfcheidender Beweis
grund diefer Sahe. Da mir num feine philofophifchen
Gründe, weder fir noch wider die Ewigkeit der Welt, bes
Fant find, auſſer denenjenigen, welche ich bisher beurtheilt
habe: fo muß meines Erachtens ein Weltweifer, blos als
ein Weltweifer betrachtet, die Ewigfeit der Welt weder
annehmen, nod) verwerfen, fondern ſich hier als einen vers
nünftigen Zweifler verhalten. Wir wollen alfo, die ganze
Frage von der, Ewigfeit der Welt, den Gottesgelehrten fo
lange zur Entſcheidung aus der heiligen Schrift anheim ftele
len, bis man aus der gefunden Vernunft, tüchtigere Grüns
de, entweder für die Ewigkeit der Welt, oder roider Diefelbe
’
wird entdeckt haben.
8§. 977.
Wenn man ſich, von der Schoͤpfung, einen rechten
Begrif machen will, ſo muß man ſich dieſelbe als eine freye
Handlung Gottes vorſtellen. Denn alle Handlungen Got—
tes, wodurch er auffer fid) würft, find frey S. 939. Da
nun die Schöpfung der Welt eine ſolche Handlung iſt 8. 972.
fo ift fie eine frene Handlung Gottes; oder Gott hat, durch
feinen freyen Willen, die Welt erfchaffen. Es ift dem«
nach offenbar ein Irrthum, wenn man ſich die Welt zwar
als eine Wirkung Gottes vorftellen, fie aber als eine nas
tuͤrlich nothwendige Würfung deſſelben anfehen wolte: als
wenn Gott bey der Schöpfung nicht nach Sreyheit, fondern
durch) die phyſiſche Nothwendigkeit feiner Natur gezwungen,
gehandelt hätte. Oder als wenn Gott, in und bey der
Chöpfung der Welt, als eine bios phyſiſche Urfach ge
fepäftig gemefen wäre, welche mit keinem freyen Willen bes
gabt ift: wie z. E. das Licht den Schein würft, oder wie
sie den Umlauf des Bluts, oder die unmerkliche Ausduͤn—
ftung, in unferm Körper wuͤrken. Nun wird eine iedwede
Urfad) einer freyen Handlung, und aller Würfungen, wels
che durch eine freye Handlung derfelben gemürft werden, des
Urheber diefer Handlung und Würfung genent; und die
freyen
3200 Die Befchaffenbeit der Schöpfung.
freyen Handlungen, famt den Wirkungen derfelben, beiffen
die Thaten oder Werke eines Urhebers. Folglich ift
Gott der Urheber der Schöpfung und der erfchaffenen Welt,
die Schöpfung ift eine That Gottes, und die Welt ein Werf
Gottes. ine iedwede wuͤrkende Urſach wuͤrkt, ihre Wür«
Fungen, durch Handlungen $. 244. Diefe Handlungen
find entweder freye Handlungen, oder nicht. Iſt das letzte,
fo werden die würfenden Urſachen, die mit gar feinem frey⸗
en Willen begabt find, oder in fo ferne fie nicht durch freye
Handlungen ihre Würfungen hervorbringen, Feine Urheber
genent. Wer fagt wol, daß ein Sturmmwind der Urheber
der Bermüftungen fey, die er anrichtee? oder, daf die un⸗
vernünftigen Thiere, die Urheber ihrer Würfungen, find?
oder daß der Menfch, der Urheber des Umlaufs des Bluts
in feinem Körper, fen? Folglich Fan nur eine würfende llrs
fach), ein Urheber einer Handlung und Würfung, genent
werden, welche nicht nur mit Freyheit begabt ift, fondern
auch durch Diefelbe, diefe Handlung und Wuͤrkung, würfe
lih macht. 3. E. der Urheber oder Autor eines Buchs.
Es ift ohne weitläuftigem Beweis Flar, daß Gott allein der
Urheber der Schöpfung und der Welt fey, weil er Feinen
Gebülfen dabey weder gehabt hat, noch haben fönnen.
Auffer Gott ift nichts als die Welt, und ihre Theile, Fein
endlich Ding aber Fan ſich felbft würfen und erfchaffen.
978.
Es haben ſich manche einen hoͤchſt abgeſchmackten
Begrif von der Schöpfung gemacht, indem fie angenom=-
men, daß die Welt, indem fie gefchaffen worden, aus
Gott herausgefloffen, wie der Schein des Fichts aus dem.
felben ausflieft. Die gnoftifchen und cabbaliftifchen Lehrer
Baben daraus, ein fo ungeheures Lehrgebaͤude, ausgehedt,
welches Feiner vernünftigen Widerlegung werth ift, wenn
man die Hauptfache, oder den Ausfluß der Welt aus Gott
überhaupt, widerlegt hat. Memlih die Schöpfung
der Welt durch einen Ausfluß aus Bote müßte darin
bejtepen, daß die Welt aus dem Weſen Gortes, oder aus
etwas,
Die Sefchaffenheit der Schöpfung. 300
etwas, welches in Gott als ein Theil würflich gewefen,
würflih gemadjt worden. Diefer Theil müßte aus der
Gottheit berausgegangen, und als der Stof der Welt von
Gott bearbeitet, und ausgebauet worden ſeyn. Wenn
man fagt, die Welt fen von Gott, durd) einen Einfluß in
die Welt, gewürft: fo beift dieſes fo viel, die Welt fey
von Gott als ihrer wuͤrkenden Urſach gewürft worden, indem
er auffer ſich gewuͤrkt. Allein wenn man fagt, die Welt fey
aus Gott hervorgefloffen; fo ftelt man ſich Gott gar nicht,
oder menigftens nicht blos als die würfende Urſach der Welt
vor. Sondern man nimt an, daß die Materialien und
der Stof der Welt das göttliche Wefen fen, oder ein Theil
Gottes, welcher von der Gottheit getrent worden, und aus
welchem die Welt ihren Urfprung genommen. Und bie
Ungereimtheit einer folhen Schöpfung der Welt erhellet
fonderlich, aus folgenden Betrachtungen. Cinmal, wäre
alsdenn die Welt nicht aus Nichts wuͤrklich geworden,
Denn wenn fie aus Gott herausgefloffen wäre, fo wäre der
Stof der Welt vorher in Gott ſchon würflich gewefen, und
folglid) wäre ein Theil der Welt ſchon vor ihr wuͤrklich ges
wefen. Nun aber fan eine Welt nicht anders würflic)
werden, als aus Nichts $. 302. Folglich ift es unmög»
lich, daß diefe Welt, durd) einen Ausfluß aus Gott, folte
fönnen würflich geworden feyn. Zum andern müßte, bey
einem folchen Ausfluffe, etwas unendliches in etwas endlis
ches verwandelt worden feyn. Denn entweder das ganze
Weſen Gottes, oder ein Theil deffelben, oder überhaupt
eine innerliche Nealität Gottes, müßte in einen Theil der
\ Welt verwandelt feyn. Nun find alle innerliche Realitäten
Gottes wahrhaftig unendlich, nothwendig und unverander«
lich S. 854. 846. Folglich Ean Feine derfelben verändert
' werden, und am allerwenigften eine ſolche Berwandelung
ausſtehen, vermöge welcher fie ein Theil der Welt, das if,
ein endliches und zufälliges Ding, würde. Folglich wis
derfpricht es der hoͤchſten Vollkommenheit Gottes, zu fagen,
daß die Welt aus ihm herausgeflojfen ſey. Ja drittens
| ſtreitet,
302 Die Befchaffenheit der Schöpfung.
ſtreitet, dieſes närrifche Schrgebaude, auch wider die ein.
fache Beichaffenheit Gottes. Denn diejenige innerliche
Realitaͤt Gottes, welche, bey dem Ausfluffe der Welt aus
der Gottheit, aus derfelben herausgegangen, müßte ſich
von den übrigen in der That losgerijfen und entfernt haben,
und hierauf aufler Gott wuͤrklich ſeyn koͤnnen. Es mühte
demnad) Gott foldye Realitäten bejigen, die auffer einan—
der würflich feyn koͤnten, und er wäre alfo im eigentlichen
Verſtande zufammengefegt und materiel, und das ift unges
reimt $. 867. Unterdeſſen Fan man nicht alle diejenigen,
welche fic) des Ausdrucks bedienen, und fagen, daß die
Welt aus Gott geflofien, beſchuldigen, als wenn fie dieſes
abgeſchmackte chrgebäude behaupteten. Manche koͤnnen ihn
vielleicht auf eine poetiſc he Art brauchen, und eben Das das
bey denfen, was wir den Einfluß Gottes in die Welt nen«
nen. Denn es iſt unleugbar, daß die Schöpfung der
Welt ein Einfluß Gottes in die Weir fen $. 166. und nod)
dazu ein reeller $. 167. weil fic) die Welt dabey bios lei—
denrlic) verhalten hat , indem fein endliches Ding eine Wür-
kung feiner eigenen Kraft feyn Fan, weil es fonft ſelbſtſtaͤn—
dig fenn müßte, und das ift unmöglich S. 239. Wenn
man nun den Einfluß einer Subftanz fich finlich vorftelt, fo
ſcheint es, als wenn aus ihr, indem fie in andere Dinge
wuͤrkt, eine Kraft ausgehe. Allein der Ausdruc des Aus.
fluſſes aus Gott ijt doch allemal ein grober Ausdruck, wels
cher uns unvermerft verleiten Fan, uns einen falfchen Bes
geif, von der Schöpfung der Welt, zu machen. Die
ſcholaſtiſchen Weltweifen haben angenommen, daß die Wuͤr⸗
fungen, vor ihrem Urſprunge, in ihren Urſachen verborgen
lägen. Und diefer Gedanke fan einen Menſchen leicht vers
feiten, zu glauben, daß die Welt in Gott verborgen gele=
gen, und bey ihrer Schöpfung aus ihm berausgegangen
fy. Die ganze Widerlegung diefer Meinung dient uns
dazu, Daß wir ung wenigftens Feinen falſchen Begrif von
der Schöpfung machen, da wir nicht im Stande find, in
einem merklihen Grade Die Art und Weiſe —
wie
Der Gegenftand der Schöpfung. 303
wie es zugegangen, daß Gott die Welt aus Nichts wuͤrk⸗
ih gemacht,
Der Gegenftand der Schöpfung.
$. 979.
Aus dem — —— iſt uͤberhaupt unleugbar,
daß der ganze Gegenſtand der Schoͤpſung nichts anders ſeyn
koͤnne, als dieſe Welt. Denn Gott kan nichts erſchaffen,
als endliche Dinge auſſer fi) S.972. Nun iſt auſſer Gott,
nur dieſe einzige Welt, wuͤrklich $. 334. Folglich iſt,
nur dieſe Welt, der einzige wuͤrkliche Gegenſtand der Schoͤ—
pfung. Es iſt wahr, es haͤtte ſtat dieſer Welt eine iedwede
andere moͤgliche Welt koͤnnen wuͤrklich werden, und dieſel—
be waͤre alsdenn der Gegenſtand der Schoͤpfung geweſen.
Und man muß alſo behaupten, daß Gott vermöge feiner
Allmacht, eine iedwede mögliche Welt, hätte erfchaffen Fün«
nen, Allein er Dat nur würflic) eine einzige Welt erfchafs
fen, und das ift die unſrige. Damit wir uns aber, von
der unendlichen Bollfommenheit der Schöpfung, einen rech«
ten Begrif machen, und überzeugend erfennen mögen, daß fie
eine Handlung Gottes fey, wobey fich feine hoͤchſte Weisheit,
Güte, und überhaupt feine hoͤchſte Vollkommenheit würks
fan eriviefen: fo müffen wir den Gegenftand der Schöpfung
ausführlicher befrachten, und nicht nur zeigen, was Gott
in diefer Welt gefchaffen und nicht gefchaffen habe, fondern
wir müffen auch darthun, daß Gott nichts vortreflichers
babe fchaffen fönnen, ale was er würflich gefcharfen hat,
Nun iſt die Welt ein Ganzes, weldyes aus vielen Subftan»
zen, als aus feinen Grundtheilen, befteht, und die Acci—
denzien derfelben find aud) Theile der Mel, Was alfo
erftlich die Subftanzen der Welt betrift,, fo find fie ſaͤmtlich
von Gott erfchaffen worden. Denn alle Subftanzen, aus
denen die Welt als aus ihren erften Theilen zuſammengeſetzt
iſt, find endliche und zufällige Dinge $. 360. welche alfo
nicht anders wuͤrklich ſeyn Fönnen, als Würfungen, die
Gore durch eine Handlung würflid) gemacht Hat $. 258.
531.
304 Der Gegenftsnd der Schöpfung.
821 Wenn nun diefe Subftanzen nicht aus Nichts, fon:
dern aus einer Materie, welche vor ihnen ſchon da geweſen,
von Gott gewuͤrkt wären ; fo wäre die ganze Welt nid)t aus
Nichts gewürft. Da nun das legte ungereimt ift $. 973.
fo hat Gott durd) eine Handlung auffer ſich alle Subftan«
zen, welche in diefer Welt würflich find, aus Nichts ge»
würft. Diefe Handlung ift die Schöpfung 9.972. Folge
lic) find alle Subftanzen diefer Welt von Gott erfcyaffen
worden, und es iſt unmöglich, daß fie anders als von Gott
erfchaffene Dinge wirklich feyn Eönten. Kine Creatur
ift eine Subftanz, welche von Gott erfchaffen werden; oder
welche nicht anders würflic) ſeyn fan, als duch die Schös
pfung. Folglich find alle Subftanzen diefer Welt, alle
Seelen, alle Geifter, alle menſchliche Seelen, alle Ele»
mente der Körper, und alles was in den Körpern diefer
Welt fubftantiel iſt, Creaturen Gottes; oder Gott hat,
alle viefe Dinge, erfchaffen. Wenn man fid) überzeugt
hat, daß alle Subftanzen, Seelen und Geijter einfache Dins
ge find; fo fan man, aus der einfachen Beſchaffenheit der.
felben, noch auf eine andere Art überzeugt werden, daß Feine
endliche Subjtanz anders wuͤrklich feyn und werden Fan,
als aus Nichts, oder durd) die Schöpfung. Ein Körper
fan wuͤrklich ſeyn, ohne daß ihn Hort erfchaffen habe, weil
er nad) und nach aus Theilen, die vorher da find, entſtehen
fan. Folglich koͤnnen in diefer Welt Körper wuͤrklich wers
den, welche von Gott nicht erfchaffen worden, wie die fäg«
liche Erfahrung zur Genüge beftätige. Weil aber alle -
Körper aus Gubftanzen, als aus ihren Elementen, beftes
ben, fo ift unleugbar, daß Gott den Stof zu allen Körs
pern, die in der Welt nach und nach entſtehen, erfchaffen
babe.
$. 93%
Was aber zum andern die Accidenzien, ober die
würflicyen Beſtimmungen ver Subftanzen diefer Welt, bes
trift, weiche ebenfals Theile der Welt find; fo find Diefeiben
nicht insgefamt, von Gott, erfchaffen. Sondern man
muß
— — nn —— >
Der Gegenſtand der Schöpfung. s05
muß diefelben in diejenigen eintheilen , welche den endlichen
Subftanzen von Gott anerfchaffen worden, und in dieje—
nigen, welche fie nach und nad), während der Zeit ihrer
Dauer, durd) ihre eigene Kraft, unter dem Einfluffe Got«
£es, in fid) oder andern Theilen der Welt würfen. Mems
lid) indem Gott eine Subitanz diefer Welt fehaft, gibt er
ihr dadurch die Würflichkeit S. 972, Die Würflicyfeie
beſteht in einem Inbegriffe gemiffer innerlichen Beftimmuns
gen, und Accidenzien $. 60. Folglich würft Gott, durch)
die Schöpfung einer Subftanz, in verfelben gewiſſe reelle
Xceidenzien, und dag find diejenigen Beftimmungen , wel
che allen Subjtanzen diefer Welt von Gott anerfchaffen
worden, So bald aber eine Subftanz wuͤrklich ift, wuͤrkt
fie durch ihre eigene Kraft, in fi) und andern Dingen,
Xceidenzien, und diefe legtern gehören nicht mit zu dem (es
genftande der Schöpfung, fondern fie find, wie aus bem
Folgenden erhellen wird, der Gegenftand der göttlichen Vor—
fehung. Folglich Fan man fagen, daß Gott eigentlich nur
die Subftanzen diefer Welt erfhaffen habe, und daß die
erften reellen und würflichen Accidenzien derſelben dasjenige
find, was Sort, durch die Schöpfung der Subjtanzen,
ihnen anerjhaffen hat. Wenn man fegt, daß die Sub:
ftanzen diefer Welt einen Anfang gehabt haben, fo gehe
man bis auf den erften Augenblick ihres Dafeyns zurück,
Alle innerliche reelle Beftimmungen auffer ihrer MoglichFeit,
welche ihre Würflichfeit in diefem erften Augenblicke ihres
Dafenns ausmachten, find dasjenige, mas ihnen von Gore
anerjchaffen worden. Alle übrigen veellen Accidenzien aber,
welche, nach diefem erften Yugenblife, nad) und nad) in
diefen Subſtanzen würflih werden, und welche ihre Kork.
dauer ausmachen, gehören nicht mit zu dem Gegenitande
der Schöpfung; fondern fie werben durch die Kräfte der
erichaffenen Subftanzen felbft, als durch ihre nächften Ur—
ſachen, gemürft ; indem eine Subſtanz durd) die Schöpfung
eben in den Zuftand verfeßt wird, in welchem fie ſelbſt ihre
eigenen und anderer endlichen Dinge Accidenzien wuͤrken Far,
4, Theil, u Man
306 Der Begenftand der Schöpfung.
Man fege die menfchlice Seele, als ein Beyfpiel. Es
würde unfchiflich feyn zu fagen, daß z. E. die Gelehr«
famfeit, die ein Menfch nad) und nad) erlangt, von Gott
in der Seele deffelben erfchaffen werde. Allein fo viel ift
gewiß, daß Gort einer iedweden menfchlichen Seele, unter
andern Accidenzien, eine gewiſſe Erfentniß anerfchaffen ha=
be, und das find die dunfeln Borftellungen, welche, in
dem erften Augenblicke des Dafeyns der menſchlichen Seele,
in ihe würflich gewefen, und wodurch fie fo zu reden den
erften Schwung befommen, durch melden ihre Borftel«
lungskraft in Bewegung gefegt worden, fo daß fie feit Die»
fem Augenblide ununterbrochen gefchäftig ift, um nach und
nach) andere und andere Borftellungen zu würfen, und in
fich hervorzubringen. ben das Fan man von der Bewe—
gung fagen, indem es nothmwendig ift, daß die erfte Bewe—
gung in der Welt den Subftanzen von Gott anerfchaffen
worden, und daß er Daher aud) deswegen der erfte Beweger
der Welt genent werden Fan,
$. var.
Es ift eine Frage aufgeworfen worden: ob nemlic)
Gore, die Subftanzen diefer Welt, in einem Augenblicke,
und in einem untheilbaren Theile der Zeit erfchaffen habe?
Her ob die Schöpfung der Subftanzen in der Welt eine
foldye Handlung Gottes fey, mweldye durch viele auf einan«
der folgende Zeitpuncte fortgedaurt, wie etwa die voͤllige
Ausbauung unferes Erdbodens eine ſolche Handlung Got:
tes gewefen, welche nad) der Erzehlung Mofes fechs Tage
gedaurt? Diefe Frage ift mehr neugierig als nüglih, und
man fan fie in zwey Fragen zergliedern. Cinmal, ift die
Schoͤpfung einer iediweden einzelnen Subſtanz, vor fic) als
fein genommen, eine foldye Handlung Gorres, welche in
einem Augenblife und untheilbaren Zeitpuncte ganz volle
bracht ift; oder eine folche, welche aus Theilen befteht, die
auf einander folgen, und während weicher in der That eine
Zeit verfloffen, ehe fie vollbracht worden? Die Beantwors
tung diefer Frage beruber lediglich darauf, ob die Subſtan⸗
zen
Der Gegenftand der Schöpfung. 307
zen einfache, oder im eigentlichen Berftande zufammenges
fegte Dinge, find? $. 179. Iſt das legte, fo haben fie
Theile, welche auffer einander würflic find, und deren
einer nach dem andern von Gott erfchaffen werden fan.
Folglich kan über der Schöpfung der Subſtanzen eine Zeit
verflieifen, wie nad) Mofes ‘Bericht über der Schöpfung
des Erdbodens. Iſt aber eine Subftanz einfach), fo bat
fie feine Theile auffer Theilen, Folglich Fan fie nicht ans
ders erfchaffen werden, als auf einmal, und in einem un»
theilbaren Zeitpuncte. Doc) da ich, in meiner Metaphyſik,
die Natur der einfachen Dinge, nicht ausführlich unter»
fucht habe; ſo Fan ich auch, diefe Frage, nicht weitläuftie
ger beantworten. Zum andern Fan man die Frage folgen
dergeftalt einrichten? ob alle endliche Subſtanzen, welche
in diefer Welt würflich find, ohne Ausnahme zu einer Zeik,
alle auf einmal zufammen genommen, von Gott erfchaffen
worden, dergeſtalt, daß mwährender Fortdauer der Welt,
Eeine einzige Subſtanz der Welt erfchaffen werde: oder ob
Gott nad) und nach, immer mehrere und mehrere Subftan-
zen, bervorbringe? Nimt man das erfte an, und fege
voraus, daß die Welt einen Anfang gehabt habe, fo muß
man fagen: daß alle Seelen, alle endliche Seifter, und alle
Eiemente der Körper ohne Ausnahme, gleich bey dem erften
Anfange der Welt von Gott gemürft worden. Nimt man
das andere an, fo Fan man fagen, daß die Seelen der Thies
ve und Menfchen bey ihrer Zeugung von Gott erfcyaffen
werden, und daß alfo Gott noch täglich neue Subftanzen,
dur) die Schöpfung, in der Welt bervorbringe, welche
vorher nicht dageweſen find. Welche, unter viefen beyden
Meinungen, fol man annehmen? ch geftehe, daß ic)
nad) meinen Einfichten bier nichts, aus den bloffen Grund«
fügen der Weltweisheit, entfcheiden fan, und ich will mich
alfo hierbey nicht weitläuftiger aufhalten, Ich würde mich
ohne Zweifel in eine unendliche Unterſuchung verwiceln,
und es ſcheint mir nicht, daß fich diefes der Mühe verlohne.
U 2 §. 982.
308 Der Gegenftand der Schöpfung.
6 982%
Wir haben bisher unterfuht, was Gott erfchaffen
habe, over mas zu dem Öegenftande der Schöpfung gerec)«
‚net werden muß. Mun müffen wir auch unterfudhen, was
Gort nicht erfchaffen habe? Und da ift vor allen Dingen
leicht zu erweifen, daß es fehlechterdings unmöglich fey:
daß Gott der Welt, und irgends einer Greatur in derfel«
ben, eine unabhängliche Fortdauer hätte anerfchaffen, oder
anerfchaffen fönnen. Denn eine iedwede endlidye Subftanz
it, in allen Augenblicken ihrer Dauer, endlich und zufaͤl—
fig. Folglich Fan fie in feinem derfelben anders wuͤrklich
ſeyn, als eine Würfung wuͤrkender Urſachen auffer ihr
$. 258. folglich als eine Würfung Gottes $. gar. Mits
bin kan feine endliche Subitanz anders fortdauren, ober in
irgends einem Augenblicke ihres Dafeyns auf eine andere
Art wuͤrklich ſeyn, als ein abhaͤngliches Ding $. 237.
Wenn ein endliches Ding auch nur in einem einzigen Aus
genblicke feiner Dauer, feiner Würflichfeit nad), von Gott
unabhängig wäre: fo. hätte, in demfelben Augenblicke, fele
ne Würflichkeit feinen binreichenden Grund in Urſachen
auffer ihm. Folglich koͤnte es wuͤrklich feyn, ohne eine Ur-
ſach auffer fi) zu haben, und es wäre alfo in demfelben
Augenblide ein felbfiftändiges Ding $. 2537. Folglich
wäre es dus nothwendige und unendlithe Ding $. 238.
Wenn alfo Gore der Welt, und irgends einer Creatur, eine
unabhängliche Fortdauer anerfchaffen hätte; fo hätte er fie,
aus einem zufälligen und endlichen Dinge, in ein nothwen«
diges und unendliches verwandelt. Da nun diefes ſchlech-
terdings unmöglich ift $. 751. fo hat auch Gore, durch
feine Allmacht, feinem von ihm erfchaffenen Dinge, eine
unabhängliche Zortdauer anerſchaffen fönnen $. 865. Wenn
man fid) alfo, von der Schöpfung der Welt, einen richtis
gen Begrif machen will; fo muß man ſich diefelbe nicht als
eine göttliche Handlung vorftellen, durch welche die Welt
dergeftalt aus Michts gemürft worden, daß fie nachher
während ihrer Dauer nicht nörbig habe, von Gott in =
| ort
0071000000000 1 — — — — —— ——
Der Gegenftand der Schöpfung, 309
Fortdauer unterftüge zu werben. Dieſe Wahrheit wird im
dem Folgenden noch weiter unterfucht werden, wenn wir
zeigen werden, daß Gott die Welt nicht nur erfchaffen habe,
fondern daß er fie auch erhalte.
$. 983.
Der wahre, vollftändige und einzige Gegenftand der
Schöpfung ift, die reelle Würklichkeit der Welt und ihrer
Theile S. 972. Was alfo nicht, zu der Wuͤrklichkeit der
Melt, und der endlichen Subſtanzen in derfelben, gehört,
das gehört auch) nicht zu dem Gegenftande der Schöpfung,
oder das ift nicht von Sort erfchaffen worden. Nun ges
hört, die innerliche Möglichkeit der Welt und aller ihrer
Theile, oder das Wefen der Welt und ihrer Theile, nicht
mit zu ihrer Würflichfeit S. 60. Folglich ift es unges
reimt zu fagen, daß Gott das Wefen der Welt und ihrer
Theile, die wefentlichen Stuͤcke und Eigenfchaften derfelben,
erſchaffen habe; daß er neue Wefen fehaffen Fonne, daß er
dem Adam ein anderes Wefen anerfchaffen koͤnnen, und
was dergleichen twunderliche Einfälle mehr find. Die ganze
innerlihe Möglichfeit, und das Weſen aller Dinge auffer
Gott, ift auf eine fehlechrerdings nothwendige Art, in dem
Weſen Gottes, zureichend gegründet S. 832. nicht aber in
dem freyen Willen Gottes, in feiner Allmacht, und in der
Schöpfung. Es ift offenbar unfinnig zu fagen, dad Gott
ein Wefen, oder eine innerliche Möglichkeit, fhaffe. Denn
etwas fchaffen, heift etwas würfen. Folglich muß das Era
ſchaffene nicht etwas blos mögliches, fondern was wuͤrkliches
ſeyn, und folglich kan es nicht das Wefen einer Sache feyn.
Unterdeffen müffen wir hier das Wefen fo nehmen, wie es
in der Ontologie erflärt worden $. 51. Wolte man daruns
ter eine Subftanz verftehen,, oder die ganze Beſchaffenheit
einer Sache, und aledenn die Dinge in der Welt, von Gott
erſchaffene Wefen, nennen: fo würde man einen ‚leeren
Wortſtreit erregen, und deutliche Wahrheiten ohne Noth
in Verwirrung fegen. Man Fan aud) nicht einmal fagen,
daß Gott, den Dingen in der Welt, ihr Wefen anerfc)afs
u3 fen
310 Der Begenftand der Schöpfung.
fen babe $ 980. Man müßte denn, das Wort, verbres
ben, und jagen: einer Ereatur ſeyn alle ihre Beftimmun«
gen anerfhaffen. Da nun, das Wefen der Ereaturen,
eine Beſtimmung derfelben iftz fo müßte man fagen, daß
Gott, allen Dingen in der Welt, ihr Wefen durch die
Schöpfung gegeben, und mitgetheilt habe. Allein, da
würde man abermals, einen Eindifchen Wortftreit , erregen,
Wer der Sache gehörig nachdenft, der finder, daß die We—
fen aller erichaffenen Dinge die Entwürfe derfelben find, -
deren ewige Begriffe in dem göttlichen Berftande die Urbils
der find, nad) denen Gott durch die Schöpfung ihre Würfs
lichkeit eingerichter hat. Folglich hat Gott die Wefen nicht
erfchaffen,, oder den Dingen anerfchaffen; fondern er hat
die Würflichkeit der Welt, und aller ihrer Theile, nad)
Maapgebung ihres Wefens, als ein weifer Baumeifter,
durch die Schöpfung eingerichtet. Da nun, das metaphy:
ſiſche Uebel der endlichen Dinge, die Einſchrenkung des
Weſens derfelben ift $. 137. fo gebört es mit zu dem Wefen
derfelben, und es ift alfo weder von Gott erfchaffen, noch
don endlichen Dingen in viefer Welt anerfchaffen' worden.
Und wenn wir in dem Folgenden zeigen werden, daß alle
Einden, und alle übrigen zufälligen Uebel in der Welt,
aus Dem metaphufifchen Uebel der Ereaturen flieffen: fo
wird alsdenn klar werden, daß dieſe Uebel nicht in der
Schöpfung, und alfo auch nicht in dem Willen Gottes, ge:
gründet find.
S. 984.
Wenn man diefer legten Betrachtung genauer nach»
denft, fo wird man leicht überzeugt werden fönnen, daß es
ungereimt zu fagen fen: Gott habe irgends etwas Böfes
erſchaffen, in fo ferne eg böfe ift, oder in fo ferne es formas
liter betrachtet wird. Denn alle Sünden, alle Unvoll«
fommenbeiten, alles Uebel, kurz, alles Böfe in fo ferne es
böfe iſt, befteht in einer Verneinung $. 960. 132. Nun
fan, durch feine Handlung Gottes, eine Berneinung ger
wuͤrkt werden $, 864. 939. Widrigenfals müßte in der
Des
Der Gegenftand der Schöpfung. zur
Beftimmung der göftlihen Allmacht, in feinem Willen,
kurz, es müßte innerlich in Gott, ein Grund einer Berneis
nung würflich fenn. Alle Gründe der Berneinungen find
Verneinungen $. 133. Folglich müßte in Gott eine Ber-
neinung ſeyn. Da nun diefes fehlechrerdings unmöglich iſt
$. 818. ſo iſt es ungereimt zu fagen, daß Gott irgendg eine
Unvollfommenbeit, in fo ferne fie eine Unvollfommenbeit
ift, erfchaffen habe. Alle Schwierigkeit, die hier gemacht
merden fan, entiteht daher, weil ſich fein Uebel denken läft,
welches blos ein Uebel, oder ein blos verneinendes Ding
wäre $. 131. Alles Böfe demnach, was wir in dieſer Welt
bey den erichaffenen Dingen antreffen, ift zugleich was Guts
und Reelles, in fo ferne es moͤglich und würflih ift. In⸗
dem wir alfo 3. E. gedenken, daß Gott den Teufel und
andere böfe Creaturen erfchaffen habe; fo Itellen wir uns un
vermerft vor, daß er fie erſchaffen, in fo ferne fie böfe find,
Allein hierin ftet, eine groffe Verwirrung der Begriffe.
Es ift unmöglid), daß Gott aufler ſich uneingefchrenfte
Dinge hätte erfchaffen follen: denn das hiefle fo viel als,
lauter wahre Götter fchaffen. Folglich ift es unmoͤglich,
andere Nealitäten zu erfchaffen, als welche nicht die gröften
find. Indem alfo Gott eine Realität wuͤrklich macht, wel
che nicht die gröfte ift, fo befteht in der Abmwefenheit des
gröffern Grades die Einfchrenfung, und alles Böfe formas
liter betrachtet. Es ift daffelbe alfo nicht mas würfliches,
fondern ein Mangel einer groͤſſern Wuͤrklichkeit, und es ift
offenbar, daß derfelbe fein Gegenftand der Schöpfung feyn
fonne. Wir wollen hier vorausfegen, daß die fo genanten
unvernünftigen Thiere Feine Bernunft "haben. Diefe Ab;
mefenheit der Vernunft ift nichts, in der Seele diefer Thies
te, würflich vorhandenes; fondern ihre Erkentnißkraft ift
ihrer Nealität nach Fleiner , als die Kraft einer vernünftigen
Creatur. Indem alſo Gott die Seelen diefer Thiere er«
— * ſo hat er reelle Vorſtellungskraͤfte hervorgebracht,
die aber kleiner ſind, als die Geiſter. Folgt aber wol
— daß, die Unvernunft diefer Thiere, eine Würfung
14 des
512 Der Gegenſtand der Schöpfung.
des Willens und der Kraft Gottes ſey? Auf eine ähnliche
Art Fan man es ſich überhaupt deutlich machen, daß Gore
feine Unvollkommenheit der Creaturen, nichts böfes im
der Welt erfchaffen habe, in fo ferne es formaliter betrad)«
tet wird. |
$. 985.
Hirraus Fan zualeich erwiefen werben, es ſey unmoͤg⸗
lid), daß Gott der Urheber der Sünde, und irgends eines
andern zufälligen Uebels in diefer Welt, ſeyn koͤnne, in fo
ferne es formaliter betrachtet wird. Es Fan diefe wichtige
Wahrheit, auf eine doppelte Art, erwiefen werden. Eins
mal, aus der moraliſchen Heiligkeit, und hoͤchſten Vollkom—
menbeit des göttlichen Willens $. 944. Denn Gott Fan
unmöglich der Urheber einer Sache genent werden, die er
nicht will $. 977. Mun will Gort nichts böfes, in fo
ferne es böfe ft. Alle Unvolltommenbeiten, alle Berneis
nungen, alle Sünden, altes Uebel, in fo ferne fie böfe find,
mißfallen Gott, und werden, von feinem allerheiligiten
Willen, verabfcheuer und unendlich gehaßt $. 934. Folg⸗
lich Fan er Fein zufälliges Uebel, Feine Sünde in diefer Welt,
begehren, alfo auch nicht frey begehren, alfo auch nicht
durd) eine freye Handlung würfen, folglich Fan er nicht der
Urheber veffelben feyn. Zum andern fan man, den Bes
weis, auch) forgenderaeftalt einrichten? wenn Gott der Urs
heber irgends einer Sünde, und irgends eines zufälligen
Uebels, in fo ferne es ein Uebel ift, wäre; fo läge, der
Grund einer zufälligen Verneinung, in einer freyen Hands
lung Öottes S. 977, folalid) in dem freyen Willen, und
in dem freyen Gebrauche der Kraft Gottes. Da nun Dies
fer Grund eine Verneinung ift $. 134. fo wäre in Gore
eine Berneinung, und das ift unmoͤglich $. gg. Es ift
daher unleugbar, daß Gott auf Eeinerley Weile, die würe
kende Urſach und der Urheber irgends einer zufälligen Ans
vollfommenbeic und einer Sünde, ſeyn fünne, in fo ferne
fie als was böfes betrachtet werden. Wenn Gott, irgends
auf eine Art, der Urheber einer zufälligen ——
eit
Der Gegenftand der Schöpfung: 313
heit in der Welt wäre; fo brächte er fie, durch feine Hand⸗
lungen in die Welt, hervor. Alle diefe Handlungen. Got⸗
tes find frey 6. 939. Folglich thaͤte Gott folche freye
Handlungen, die böfe Wuͤrkungen hervorbrächten, Die dem⸗
nad) moralifc) böfe und Sünden wären. Nun fan Gott
nicht fündigen $. 944. Folglich fan er aud) nicht der
unmittelbare Urheber irgends einer Sünde, und eines an⸗
dern zufälligen Uebels in der Welt ſeyn. Es Fonnen frey«
lich dawider mandye Einmwürfe gemacht werden ; allein wir
"wollen diefelben beantworten , wenn wir in dem Folgenden,
die göttliche Zulaffung des Boͤſen inder Welt, unterfuchen
werden. - K ;
$. 986. Ä |
Jederman weis, dag man nicht nur felbft fündigen,
und der Urheber feiner eigenen Sünden fern Fan; fondern
daß man auch durch andere Menfchen fündigen, und an
ihren Sünden einen moralifchen Antheil nehmen Fan, indem
man der mittelbare.Urbeber derfelben wird. Man fönte
nemlich einen iedweden Urheber, die moralifche Urſach ſei⸗
ner Werke, nennen, indem man, durd) eine moralifche
Urſach im weitern Derftande, eine iedwede würfende
Urfache verftehen kan, welche auf eine freye und moralifche
Art, oder durch freye Handlungen, ihre Würfungen wuͤrkt.
Und fo würde, ein ieder Urheber einer Sache, ihre mora«
liſche Urfach, zum Unterſchiede der phufifchen Urfachen, ge=
nent, welche legtere folche würfende Urſachen find, die ihre
Wuͤrkungen durch Handlungen würfen, die nicht frey find,
es mögen nun diefe würfende Urfachen übrigens mit einem
frenen Willen begabt feyn, oder nicht. So ift der Menſch
eine blos phyſiſche Urſach von vielen feiner Handlungen,
und alle Subftanzen auffer ven Geiftern find, in aller ihrer
Geſchaͤftigkeit, blos als phyſiſche Urfachen zu betrachten.
Allein, in den moralifhen Difeiplinen, nimt man Das
Wort in einer eingefehrenftern Bedeutung, und verſteht
durch eine morslifche Urſach ım engern Derftande
den Urheber einer Handlung oder Sache, vermittelft des
| Us freyen
314 Der Gegenſtand der Schöpfung.
freyen Willens einer andern Perſon. Wenn iemand ben
freyen Willen einer Perfon, durch Bewegungsgründe,
durch Neigungen oder Drohungen, durch Anrathen oder
Abrathen, durch Verführung, durch Erpreffung, oder
Durch irgends eine andere Handlung, wodurch derfelben
Borftellungen des Guten oder Böfen beygebracht werden, ders
geſtalt beftimt, daß fie diejenige freye Handlung vornimt,
welche er wünfche: fo wird er Die moralifche Urfach im en«
gern Verſtande von diefer Handlung, und allen ihren mo«
ralifchen Folgen. Folglich fan man durch das bloffe Bey»
fpiel, welches man einem andern gibt, die moralifche Urs
fach im engern Berftande, oder der mittelbare Urheber feis
nes freyen Verhaltens werden. 3. E. wenn man ieman-
den zum Guten fräftig ermahnt, fo wird man die moralis
ſche Urſach im engern Berftande von feinem guten Verhal-⸗
ten. Und eben fo nimt man an den Sünden anderer Leute
einen moralifchen Antheil, wenn man fie zu denfelben vers
führt, Es ift unmöglid), daß Gott, auch in diefem Vers
ftande, die moralifche Urfach der Sünden, und des zufällis
gen moralijchen Uebels in diefer Welt, feyn koͤnte. Denn
die Sünden und alle moralifche Uebel, fermaliter betrachtet,
haben, ihren nächften Grund, in Berneinungen und Un:
vollkommenheiten der Beſtimmung des freyen Willens der
vernünftigen Ereaturen. Wenn nun Gott, diefe unvoll.
fommene Beftimmung, durch eine freye Handlung wuͤrkte,
und das müßte er thun, wenn er von den Sünden die mo»
ralifche Urfach im engern Berftande feyn folte: fo müßte, in
feiner freyen Handlung, und alfo aud) in feinem freyen Wil
len, eine Berneinung feyn. Da diefes nun unmöglich ift
$. 944. fo kan er auch nicht, der mittelbare Urheber der
Sünden und des moralifchen Uebels in der Welt, feyn.
8§. 987.
Die heilige Schrift fagt, daß Gott Fein Verfucher
zum Boͤſen ſey, und daß er niemanden verfuche, und wir
koͤnnen, eben diefe Wahrheit, auch aus der Vernunft ers
weiſen. in Verſucher zum Boͤſen ift derjenige, —
er
Der Gegenſtand der Schöpfung. 315
cher einer Perfon Bemegungsgründe zur Sünde, in fo fer⸗
ne fie formaliter betrachtet wird, einflöft, oder an die Hand
gibt. Oder man verfucht iemanden zum Böfen, wenn
man, fo viel an ung liegt, im engern Berftande die mora«
lifche Urfach feiner Sünden wird. Wir nehmen das Wort
bier gleich in der böfen Bedeutung, und unterſcheiden diefe
Verfuhung von der Verſuchung überhaupt, wenn man
iemanden auf die Probe ftelt, einen Verſuch mit ihm mad),
und ihn in folche Umſtaͤnde ſetzt, in Denen er fündigen und
auch nicht fündigen fan. Man fege, daß ein Herr gerne
wiflen will, vb fein Bedienter ehrlich fen oder nicht. Ges
ſetzt, er legt ihm eine Summe Geld in den Weg: fo ſtelt
er ihn auf die Probe, und führt ihn in Verfuchung. Iſt
das unrecht? Kan man einen folhen Herrn einen Berfucher
zum Boͤſen nennen, und ihn befchuldigen, daß er feinen
Bedienten zum Diebftal verleitet habe? Man fege, der
Bediente findet das Geld, und fämpft. mit ſich felbft, ob
er es feinem Herrn entwenden foll, oder nicht. Geſetzt, er
fagt es einem Mitbedienten. Wenn ihn nun derfelbe über«
redet, er folle es dem Herrn entwenden, fo ift der Mitbe—
diente der Berfucher zum Böfen. So verfuchte der Teu«
fel, unfere erfte Mutter, zur Sünde. Er gab ihr nicht
blos Bewegungsgründe zum Genuß der verbotenen Frucht,
in fo ferne derfelbe materialiter betrachtet wird ; fondern als
Eva das Formale diefer Sünde, oder die Abweichung von
Gottes Gebot, vorftelte; fo überredete er fie, zu diefer Ab«
weichung. Da es nun unmöglic) ift, daß Gott im engern
Berftande die moralifche Urfach irgends einer Sünde feyn
fans. 986. fo ift es aud) unmöglich, daß er irgends einen
Menfchen, oder eine andere vernünftige Creatur, zum Boͤ⸗
fen verfuchen fan. Es ift wahr, Gore hat unfere erſte
» Eltern auf die Probe geftelt und in Berfuhung geführt, in«
dem er fie in ſolche Umftände gefegt, daß fie rechtmäßig
handeln und auch fündigen konten, indem er einen Baum
gepflanzt, und den Genuß feiner Frucht verboten, Allein
eben dadurch bat er bewiefen, daß er fie nicht zum Boͤſen
ver⸗
316 Dieſe Welt iſt die beſte.
verfucht,, weil er ihnen Feine Bermegungsgründe zum Unge⸗
horſam, wol aber zum Gegentheil, gegeben. Aus dieſen
bisherigen Abhandlungen ift alfo Flar, daß weder die Suͤn⸗
de, noch irgends ein anderes Uebel in der Welt, in fo ferne
es formaliter betradjtet wird, gleichfam in gerader Linie von
Sort abſtamme. ;
Diefe Welt ift die befte.
$. 988:
Wenn man, den Öegenftand der Schöpfung, gehoͤ⸗
rig betrachten will, fo ift es nod) lange nicht genung, wenn
man ſich überzeugt, daß er alle endliche Subitanzen, die
-auffer Gott wuͤrklich find, in fich begreife. Denn mern
Gott au), unter allen möglidyen Welten, die allerelendefte
und unvollfommenfte ausgeſucht und erfchaffen hätte: fo
toürde man demohnerachtet fagen fünnen und müffen, daß
er alsdenn alle auffer ihm würfliche endliche Subftanzen er
fchaffen hätte. Folglich ift es noͤthig, fid) von der höchften
Vollkommenheit diefer Welt zu überzeugen. Das Werk
lobt den Meifter. Soll alfo die Welt, und die Schöpfung
derfelben, eine Dffenbarung aller Bollfommenbeiten Gottes
feyn ; fo muß Gott nichts befferes durch die Schöpfung haben
wuͤrken fönnen, als diefe Welt. Wenn iemand zu verſchie—
denen Zeiten verfehiedene Werfe hervorbringt, fo fehadet es
nichts, wenn etwa die erftern nicht recht gelingen. Er fan
es in den folgenden immer beffer machen, als in den vorher
gehenden. Allein wenn iemand nur ein einziges Werf lie⸗
fert, fo ift feine Ehre auf ewig zu Schanden gemacht, wenn
er ſich in demfelben nicht als den vollfommenften Meifter
beweiſt. Nun Fan nur eine einzige Welt würftich feyn, und
Das ift die unfrige. Hat es nun Gott bey der Schöpfung
diefer Welt verfehen, und häfte er eine beffere Weit fchaffen
fönnen, als die unſrige: fo ift es unmöglich, feine höchfte
Ehre in Sicherheit zu ftellen. Es ift alfo unbegreiflich,
wie ein wahrer Verehrer Gottes fyftematifch auf den Eins
fall gerathen fan, daß diefe Welt nicht die befte fen. a
nicht
‚Diefe Welt ift die befie, 317
nicht zufammenhängend denft, dem Fan es nicht zugemuthet
werden, daß er fich felbft in feinen Meinungen nicht widers
fprechen folte. Allein wenn Gottesgelehrte und Weltweiſe
fo wiberfprechend denken: fo ift es zweifelhaft, ob man fie
blinde Verehrer Gottes nennen foll, oder ob man fie als
heimliche und boshafte Feinde der Ehre Gottes betrachten
ſoll, welche es recht darauf anzufangen ſcheinen, die höchfte
Ehre Gottes mit unauslöfnlichen Schandfleden zu beſu⸗
deln, Wir wollen alfo uns bemühen, ächte Verehrer Got⸗
tes zu feyn, und uns aufs gemiffefte überzeugen: daß das
einzige Werf Gottes, welches er hervorgebracht hat, das
allerbefte fey, und das ſich alle Vollkommenheiten Gottes,
bey DBerfertigung deffelben, im hoͤchſten Grade gefchäftig.
erwiefen haben.
8§. 989,
Man muß fich in der That wundern, daß es Leute
geben Fan, welche ein Bedenken tragen, diefe vortrefliche
Wahrheit in Zweifel zu ziehen, da fie auf eine fo deutliche
Art, aus der höchften Vollkommenheit und Heiligkeit des
göttlichen Willens, ermwiefen werden fan. Wir wollen erſt
unfern Beweis führen, und alsdenn die Bedenklichkeiten
der Gegner diefer Wahrheit prüfen. Und da muß man
ſich zum voraus überzeugen, daß Gott die Würflichkeit dies
fer Welt begehrt und gewolt habe; oder daß er, von Ewig⸗
feit her, gewolt habe, daß diefe Welt und feine andere
wuͤrklich ſeyn folle. Denn die Schöpfung der Welt ift eine
freye Handlung Gottes $. 977. Folglich hat ſich Gott, nach
feinem allervollfommenften Belieben, und nad) feiner allers
deutlichſten freyen Wiſſenſchaft, beftime, eben dieſe und kei⸗—
ne andere Welt zu fhaffen $. 940, 939. Die Beltim«
mung, ber allmächtigen Kraft Gottes, narh deutlicher Era
kentniß, ift das göttliche Wollen. Folglich) ift ohne Wis
derrede Flar, daß Gott diefe Welt habe ſchaffen wollen.
Gore ift in der Schöpfung diefer Welt dergeftalt im höchften
Grabe felbftrhätig geweſen, daß es fo gar fchlechterdings un«
möglich ift, daß er ſich dabey nur jm geringften leidentlich
hätte
318 Diefe Welt ift die beſte.
hätte follen verhalten Eönnen $. 933. Folglich ift die Schö-
pfung der Welt durchaus, im allerhöchften Grade, eine eis
gene Handlung Gottes, welche in einem Gebrauche und in
einer Beſtimmung der allmächtigen Kraft, Gottes befteht
$. 864. Folglich ift fie zugleich eine Begierde, und ein
Wollen Gottes. S. 935. welches alfo in den allervollfom-
menften Einfichten und Bewegungsgruͤnden, gegründet ift.
Nun hätte Gott die Schöpfung diefer Welt unterlaffen füns
nen, er hätte gar Feine Welt fchaffen fönnen, und er hätte
eine andere Welt fchaffen fünnen: weil es möglid) ift, daß
diefe Welt nicht würflich geworben, daß gar Feine Welt,
oder eine andere ftat dieſer würftich geworden, und weil
Gott durch feine Allmacht alle mögliche Dinge wuͤrklich ma⸗
chen Fan $. 862. Folglid) ift die Schöpfung diefer Weit,
in Abfiht der Allmacht Gottes, eine Handlung, die der
Ausübung nach frey iſt, und fie bat alfo alle Eigenfchaften
einer wahren freyen Handlung. Die Gegner ver Lehre von
der beiten Welt fönnen diefes fchlechterdings nicht leugnen,
wenn fie nicht den abſcheulichſten Irrthum behaupten, und
theologifche Fataliften fern wollen. Haͤtte Gott feine an»
dere als diefe Welt fchaffen koͤnnen, fo müßte Feine andere
als diefe Welt möglich feyn, und fie wäre alfo fehlechter-
dings nothwendig, und weder fie felbit noch irgeuds etwas
in derfelben koͤnte zufällig fenn, Hätte Gott, bey der
Schöpfung diefer Welt, nicht frey gehandelt, fo wäre er
eine blos phyſiſche Urfach der Welt, und die Welt wäre
nichts anders als eine phnfifche und blos natürliche Wuͤrkung
Gottes, und fie koͤnte unmöglich das Werf eines meifen,
gütigen und moralifch heiligen Werfmeifters feyn. Wenn
wir fagen, daß Gore diefe Welt begehrte und gewolt habe,
fo verfteht ſich Diefes nur in fo ferne die Welt que if. Da
fie aber endlich, und alfo auch zugleich böfe iſt; fo iſt vor
fid) Elar, daß Gott das Boͤſe in der Welt verabfcheue,
Und da er fie wirklich gemacht hat, fo hat er fie mehr be«
gehrt als verabfcheuet. Kine iedwede andere mögliche
Welt begehrt, und verabſcheuet Gott auch zugleich. Allein
da
—— — —
— — 3 *
Dieſe Welt iſt die beſte. 319
da er keine derſelben wuͤrklich macht, ſo verabſcheuet er ſie
in einem hoͤhern Grade, als er ſie begehrt.
990. | |
Da es nun unleugbar ift, daß Gott die Wuͤrklich⸗
keit dieſer Welt dergeftalt begehrt und gewolt hat, daß eben
durch diefes Wollen, feine almächtige Kraft, in einem fo
hohen Grade beftimt und angeftvengt worden, als zu der
Wuͤrkung diefer Welt erfordert worden: fo hat Gott Diefe
Welt, durch eine würfende Begierde, gewolt 9.668, Und
da er fich felbft, aufs deutlichſte und untrüglichfte, Fent
$. 903, fo hat er diefe Welt und ihre Würklichkeit in einem
fo hohen Grade gewolt, daß er felbft gewuſt, feine Kraft
reiche zu, die Welt dadurd) zu würfen. Folglich ift, feine
Begierde nad; der Wuͤrklichkeit diefer Welt, eine beſchlieſ⸗
fende Begierde $. 668. Und Gore hat alfo befchloffen,
oder von Ewigkeit ber den Rathſchluß gefaßt, dieſe Welt
zur Wuͤrklichkeit zu bringen F. 692, Weil alfo diefe Welt,
durch den freyen Willen Gottes, mwürflicy geworden, fo
bat erfie zu fhaffen befchloffen. Nun begehrt Gott zwar
alle übrige mögliche Welten, in fo ferne fie gut und volls
Fommen find $. 936. Allein da Feine derfelben, durch dies
fe Begierde Gottes, oder durch diefes göttliche ABollen,
weder wuͤrklich geworden, noch in Ewigkeit wuͤrklich wer
den wird: fo ift diefer Wille Gottes ein bloffer vorhergehender
Wille, und Fein befchlieffender und würfender Wille $. 937.
Es ift offenbar ungereimt, wenn man fagen wolte, daß
Gott irgends eine andere Welt, auffer der unfrigen, wuͤr⸗
fend gewolt habe: denn, durch eine iedwede würfende Bes
gierde, wird der Gegenftand wuͤrklich. Und wenn man
fagen wolte, Gott habe eine andere Welt auffer der unfri»
gen auch zu fehaffen befchloffen; fo müßte er fich betrogen,
und einen Entſchluß gefaßt haben, der nicht ausgeführt
wird, Da nun die befchlieffenden und würfenden Begier—
den gröffer und flärfer find, als diejenigen, die nicht bes
fchlieffend und mürfend find $. 668. fo ift offenbar, daß
ort die Würflicyfeie dieſer Welt in einem böhern Grade
gemwolt
320 Diefe Welt ift die befte,
gewolt und begehrt habe, als die Wuͤrklichkeit aller übrigen
möglichen Welten. Oder Gott hat, in einem höhern Gras
de, diefe Welt fchaffen mwollen,. als irgends eine andere
möglidie Welt, Auch diefe Wahrheit ift fo unleugbar,
daß nur ein unmiffender und verwirrter Kopf diefelbe in
Zweifel ziehen fan. Kan man auch nur mit einiger Wahr«
fcheinlichkeit annehmen, daß Gott, die Wuͤrklichkeit irgends
einer andern Welt auffer der unfrigen, durch feinen ewigen
Rathſchluß befchloffen habe? Oder, daß ein befchlieifendes
Wollen ein Eleineres und ſchwaͤcheres Wollen fenn koͤnne,
als ein folches, wodurd) der Gegenftand nicht befchloffen
und wuͤrklich gemacht wird ?
| $- 991.
Hieraus folge nun unmwiderfprechlich, daß diefe Welt,
unter allen möglidyen Welten, die vollfommenfte, beite und
gröfte fey. Denn Gott hat die Würflichkeie dieſer Welt
ftärfer begehrt und gemolt, als die Wuͤrklichkeit einer ied«
weden andern möglichen Welt S. 990. Nun iſt der Wille
Gottes, nicht nur der göttlichen Erkentniß, ſondern aud)
den Gegenftänden felbft, aufs genauefte und vollfommenite
proportionirt $. 932. dergeftalt, daß er nicht nur dasjeni⸗
ge Ding, welches er ftärfer begehrt als etwas anderes, ſich
als ein befferes Ding vorftellen muß, als das andere; fon«
dern daß auch dieſes Ding felbit beifer fenn muß, als das ana
dere. Da Gott nun diefe Welt ftärfer begehrt, als eine
iedwede andere; fo muß fie auch beffer feyn, als alle andere,
und Gott muß fie ſich aud) als beffer voritellen, als die
übrigen, Und da er nicht irren Fan, fo muß fie auch würfs
lich beffer feyn, als alle übrige $. 899. Hieraus folge
alfo zweyerley. Einmal, diefe Welt ift beſſer und voll«
fommener als die übrigen möglichen Welten, dergeftalt, daß
Feine Welt möglich ift, in welcher eine gröffere Bollftoms
menheit ftat finden Fönte, als in diefer Welt angetroffen
wird, Da alfo diefe Welt eine fo groffe Vollkommenheit
in fich enthält, als in einer Welt möglich ift, und als in
£einer andern möglichen. Welt ftat finden Fan: fo it fie die
allera
I
ii
I
|
|
1%
Diefe Welt ift die befte, 321
allervollfommenfte, befte und aröfte Welt $. 427: ır fo
ferne Gott erfant hat, daß diefe Welt befier fey, als alle
übrige mögliche Welten, und in fo ferne er fie deswegen zn
fchaffen befchloffen hat; in fo ferne faget man, Gott habe
diefe Welt allen übrigen vorgezogen, und fie unter allen
übrigen erwählt $. 693. Wir koͤnnen und müffen aljo
alles dasjenige, was wir in der Cofmologie von der beften
Melt erwiefen haben $. 426450. auf diefe Welt anwen«
den, und das Fan ein iedweder Leſer vor fich felbft hun.
Zum andern muß, in diefer Welt mehr Guts, und mehr
Bollfommenheit angetroffen werden, als Böfes und Lnvolle
fommenheit, Denn Gote hat diefe Welt, wie alle endliche
Dinge, zugleich begehrt und verabſcheuet; aber fein Wohls
gefallen an diefer Welt ift ſtaͤrker, als fein Mißfallen an
derſelben $. 991. Folglich muß er, um der Proportion
‚ feines Willens willen $. y32. fi mehr Guts als Boͤſes
in diefer Welt vorgeftelt haben; und, um der Unträglich-
feit feiner Erkentniß willen 9. 899. muß demnach mehr
Guts als Böfes, in diefer Welt, würklicdy fern, Keine
andere mögliche Welt auffer der unfrigen hat Gott zu ſchaf⸗
fen befchloffen: und fie müffen alfo entweder vor fich betrach—
tet mehr böfe und unvollfommen als guet und vollfommen
ſeyn, und Gort bat fie alfo mehr verabſcheuet als begehrt;
oder fie müffen, in Vergleichung mit der unſrigen, fchlec)«
fer und unvollfommener feyn, als die unfrige,
$. 902.
Die Lehre von der beiten Welt ift eine fo wichtige und
annehmungsmwürdige Lehre, daß man von ihr fagen Fan,
was Cicero von der Unfterblic)feit der Seele gefagt hat:
nemlih, daß, wenn fie auch ein Irrthum feyn folte, fie
doch) ein Irrthum fey, welcher für uns Menfchen fo nüß.
lich, angenehm und troſtreich iſt, daß wir alles mögliche
anwenden müffen, um ihn nicht für einen Irrthum zu eve
fennen. Denn die befte Welt ift eben die befte, weil ein
iedweder Theil derfelben fo vollfommen ift, als möglich.
Es * es alſo kein Menſch — haben, als in der beſten
‚Theil, Welt,
592 Diefe Welt iſt die beſte.
Welt, und daraus flieſt das Vertrauen auf Gott, und die
wahre Zufriedenheit und Beruhigung des Gemuͤths in allen
Vorfaͤllen des Lebens, ſamt der hofnungsvolleſten und frös
lichſten Ausſicht in die ganze Zukunft. Wer alſo ſein eige—
ner Henker ſeyn will, der mag ſich ſelbſt aufs empfindlichſte
beleidigen, und ſagen, daß dieſe Welt nicht die beſte ſey.
Es verlohnt ſich alſo wol der Muͤhe, daß wir den vorhin
angeführten Beweis von der Wahrheit, daß dieſe Welt
die befte fen, noch auf eine andere Are vortragen ,; die viels
leichte für manche Leute faßlicyer und überzeugender ift.
Nemlich, wenn diefe Welt nicht, unter allen möglichen
Welten, die befte wäre; fo müßte entweder Feine befte Welt
möglic) feyn, oder es ift unter allen möglichen Welten eine
die beſte. Das erfte ift ungereimt F. 426. Es haben in
der That, einige Feinde der Lehre von der beften Welt, die
feltfame Ausflucht ergriffen, und gefagt, daß es eine philos
fophifche Träumerey fey, zu behaupten, daß unzählig viele
Welten möglich feyn. Allein da diefe Ausflucht, die Zus
faͤlligkeit dieſer Welt, über den Haufen wirft; fo fieht man,
zu was für gefährlichen Ausflüchten ein Menſch, durch die
Beſtuͤrmung einer Wahrheit, verleitet werden Fan. Cs
Fan alfo mit Bernunft gar nicht geleugnet werden, Daß viele
Welten moͤglich find, und daß fie alle in einem gewiſſen
Grade vollkommen find, dergeſtalt, daß eine unter denfel:
ben die vollkommenſte und beite iſt. Wenn alfo eine befte
Welt möglich, die einzige würfliche aber, die Gott erfchafs
fen hat, nicht die. befie iſt; ſo muß ein Grund vorhanden
ſeyn, warum die befte Welt nicht mürflich geworden. Nun
liege der binreichende Grund, warum eine Welt würflich
oder nicht würflich geworden, in Gott. Folglich hat Gott
entweder eine Erfentniß von der beiten Welt gehabt, oder
nicht. Das legte ift ungereimt, und ftreitet wider die All—
wiffenheit Gottes. Es hat demnach Gott von Ewigkeit
ber gewuft, welche unter allen möglichen Welten die befte
ift S. 904. Iſt eine befte Welt möglich, und hat fie
Gore gewuft, und bat fie doch nicht wuͤrklich gemacht: fo
bat
— ——— ee
Diefe Welt ift die befte. 328
hat er fie entweder wuͤrklich machen koͤnnen, ober nicht. Das
legte iſt ungereimt, weil es der Allmacht Gottes widerſpricht
$. 864. Woran liege nun, in aller Welt, vie Schuld ?
Eine befte Welt ift möglich, Gott hat eine Erkentniß von
ihr gebabt, und er hat auch Macht genung beſeſſen, fie
wuͤrklich zu machen, und wenn er fie doch nicht wuͤrklich ge—
macht, fo muß er fie nicht haben fehaffen wollen. Folglich
ift, feine Erfentniß von der beiten Belt, entweder ganz
todt geweſen, oder nicht fo lebendig, als die Erfentniß von
einer andern fehlechtern Well. Das erfte it unmöglic)
$. 902. und das andere ebenfals $. 924. Kin gröfleres
Gut erfene Gott allemal lebendiger, als ein Fleineres.
Und es ift unmöglich und gottesläfterlich zu gedenfen, daß
Gott das beffere erkennen, und doch das ſchlechtere begeh⸗
ren fonne. Man mag alfo diefe Sache betrachten, wie
man will; fo ift es der hoͤchſten Vollkommenheit Gottes
zuwider, wenn man leugnef, daß diefe Welt die befte fen.
Und das wird, aus der folgenden Unterfuhung, nod)
deutlicher erhellen,
G. 993.
Wir wollen nemlich die Lehre von der beften Welt,
mit einigen göttlichen Vollkommenheiten, vergleichen, wel⸗
che alle übrige in fich faffen, und ung überzeugen, daß Die
befte Welt die einzige Welt fey, bey deren Schöpfung diefe
Vollkommenheiten im hoͤchſten Grade haben offenbaret wer«
den Fönnen; und daß Gott, durch die Schöpfung einer
iedweden andern Welt, nicht würde in der That erwieſen
haben, daß er diefe Vollfommenheiten im höchften Grade
befige. ° Und wir wollen fonderlih, vier Vollkommenhei-
ten Gottes, in Betrachtung ziehen. 1) Die Allmacht Cote
tes. Aus der Unterfuchung diefer Bollfommenbeit in dem
vorhergehenden erhellee, daß Gott nur allmaͤchtig würfe,
oder feine Allmacht in der That beweife, wenn er fo viel
mögliche Dinge auf einmal oder nad) und nad) würflic)
mache, als auf einmal oder nach und nad) würklich feyn
Eonnen, Würfe er weniger, fo beftehe feine Allmacht in
2 einer
524 Diefe Welt ift die befte,
einer bloſſen Möglichkeit zu handeln, nicht aber in einer
wuͤrklichen Thätigfeit, und das ift unmöglich F. 862866,
Prun würkt Gott, durd) feine Allmacht, entweder in ſich
ſelbſt feine Realitäten, oder auffer fid) in die Welt, In
der erften Abſicht würde Gore in der That allmächtig gewe—
fen und geblieben feyn, wenn er auch aufler fid) gar Feine
Welt erfehaffen hätte. In ſich felbft wirft Gott, von
Ewigkeit zu Emigfeit unveränverlich, alle mögliche Reali—
täten im hoͤchſten Grade, und es ift fhlechterdings unmög«
lich, daß eine Kraft noch mehr folte würfen koͤnnen. Ale
lein da die Allmacht auch, erfodert, daß er auffer fih end—
liche Dinge würfe, fo hat er entweder die befte Welt er—
fchaffen, oder nicht die befte. Die beſte Welt ift auch alles
mal die gröfte Welt $. 43% Folglich ift Feine andere
mögliche Welt fo groß als die befte, und enthält nicht fo
viel endliche Dinge, als auf. einmal oder nach und nach
auffer Gott würflich feyn Fonten. Gott möd)te.alfo eine
Melt erfchaffen haben, welche er gewolt, wenn fie nicht die
befte ift, fo hätte er auffer fich nody mehr wuͤrken koͤnnen,
als er wuͤrklich gethan. Würde er nicht, ein eingefchrenfs
tes Vermögen auffer fich zu wuͤrken, dadurch an den Tag
gelegt haben? Und da nur eine einzige Welt wuͤrklich feyn
Fan, würde er wol in Ewigkeit eine einzige Gelegenheit
wiederum befommen haben, feine unendliche Allmacht auffer
fich zu offenbaren? Iſt aber diefe Welt die beite, ‚fo hat
Gore fo viel aufler fid), auf einmal und nad) und nach), ges
wirft als möglich ift, und es ift unmöglich, daß noch mehr
auffer Gott folte gerwürft werden koͤnnen. Folglich ift es
der Allmacht Gottes zuwider, zu fagen, daß diefe Welt
nicht die befte fey, indem die befte Welt, der einzige mög«
liche Beweis der unendlichen Würffamfeit der allmaͤchtigen
Kraft, auffer Gott ift. 2) Die Gütigfeit, und alle damit
verwandte Vollkommenheiten Gottes $. 948. Gott fan
nur gütig feyn, in fo ferne er Dinge aufler fich vollkomme—
ner macht. Hätte er nun nicht die befte Welt erfchaffen,
fo würde ex, einmal, nicht fo viele und groſſe endliche Sur
würfs
— —
Diefe Welt ift die beſte. 325
wuͤrklich gemacht haben, als auffer ihm hätten würflich ſeyn
koͤnnen. Folglich hätte er es fich felbft unmöglich gemacht,
fo vielen Dingen wohl zu thun, als möglich ift, das ift, er
hätte vie höchfte Gefchäftigfeit feiner Guͤtigkeit felbft ver:
hindert. Zum andern find in Feiner Welt, auffer der beften,
die endlichen Dinge fo vollfommen, als möglih. Folg—
lid; hätte Soft, wenn er eine andere Welt als die beite er
fchaffen hätte, nicht fo viele und groffe Wohlthaten austhei-
fen Fönnen, als möglid if. Er häfte alfo entweder die
höchfte Guͤtigkeit gar nicht befeffen, oder nur als eine bloſſe
Möglichkeit, und beydes ift ungereimt. Die befte Belt
äft dev einzige Beweis der würflichen unendlichen Guͤtigkeit
Gottes, indem fie nicht nur die meiften endlichen Dinge
in fi) begreift, ja alle mögliche endliche Dinge, die zugleich
oder nad) und nad) auffer Gott würflic) feyn koͤnnen; fon-
dern indem auch die endlichen Dinge unmöglich) mehrere,
beffere und gröffere Wohlthaten von Gott empfangen koͤn—
nen, als in der beften Welt. Die Feinde der beiten Welt
mögen alfo zufehen, wie fie die höchfte Guͤtigkeit Gottes,
was ihre Wuͤrklichkeit betrift, darthun koͤnnen, und wir
wollen es ihnen ſelbſt aͤberlaſſen, daß ſie ſich des kraͤftigſten
Troſtes, den eine Creatur haben Fan, berauben. 3) Die
moralifche Heiligkeit Gottes $. 944. Die Schöpfung der
Melt ift eine freye Handlung. Mun ift eine iedwede freye
Handlung eine Sünde, weldye nicht die allerbefte in ihrer
Arc iſt. Wenn alfo Gott eine Schöpfung verrichtet hätte,
welche nicht die allerbefte ift, fo hätte er gefündiger. Hätte
er num nicht die befte Welt erfchaffen, fo wäre diefe Schoͤ—
pfung nicht die befte, weil eine ſchlechte Würfung einer
Handlung allemal ein Beweis ift, daß diefe Handlung ſelbſt
nicht die befte ift. Ein wahrer Verehrer Gottes erfchrict,
wenn ihm der verfluchenswürdige Gedanke einfält, daß
Gott fündige oder gefündiget babe, Die befte Welt aber
iſt der einzige würfliche Beweis, daß Gott im hoͤchſten Gras
de moralifch heilig fey. Alsdenn ift fein freyer Rathſchluß,
diefe Welt zu fehaffen, ohne alle Sünde, und die Vollzie—
3 bung
326 Diefe Welt ift die befte.
bung deffelben ebenfals, 4) Die unendliche Weisheit Got⸗
ses F. 913. Da in der beten Welt die meiften und gröften
Vollkommenheiten würklih werden, fo daß aufler Gore
nicht mehrere und gröffere würflich werden fünnen ; und da
diefelben in der beften Welt auf eine fo vollfommene Art
würflich gemacht werden, daß fie in Feiner andern möglis
chen Welt noch beffer gewuͤrkt werden koͤnten: fo Fan nur
in der beiten Welt, der Plan der unendlihen Weisheit,
ausgeführt werden. Die Schöpfung einer iedweden an-
dern Welt ift eine thörichte Handlung, oder eine Hands
fung, die nicht nach der vollfommenften Weisheit gefchieht.
Es ift demnad) klar, daß Gore, feine unendliche Vollkom—
menbeit, nur in der beften Welt, in ihrer Unendlichkeit,
offenbaren koͤnnen. Es muß iemand in der That, entwe⸗
der durch bloffe Borurtheile wider die Lehre von der beften
Welt verblendet werden, oder er muß fehr elende Begriffe
von der Allmacht, Güte, Weisheit und Heiligkeit Gottes
haben, wenn er das Herz hat, diefe Lehre in Zweifel zu
ziehen.
$- 994.
Da es nun aber doch viele verftändige Männer geges
ben hat, welche diefe Lehre in Zweifel gezogen haben; fo
wollen wir ihre Einwürfe hören, und beurtheilen. Ich will
bier nicht diejenigen wiederholen, welche auf einem bloffen
Mißverjtändnig beruhen, und die ich ſchon $. 428. aus dem
Wege geräumt habe. Es ift auch nid,t der Mühe werth,
alle diejenigen fchlechten Einfälle zu beantworten, welche
witzig und fatyrifch feyn, und diefe Lehre lächerlich machen
follen: denn fie beruhen auf einem feichten Wiße, und koͤn—
nen nicht cher mit Verftande angebracht werden, bis nicht
eriwiefen worden, daß diefe Lehre falfch ey. Wenn man«
her Witzling hört, daß ein Weltweifer über eine Noth
klagt: fo fragt er ihn fchalfhaft, ob diefe Welt nicht die bes
fte ſey? Gleichſam als wenn man behaupten müßte, daß in
der beiten Welt Feine wahre Noth fey, und als wenn man
mit einer fteifchen Unempfindlichfeit dieſelbe anfehen müffe.
Die
a — ———
Diefe Welt ift die beſte. 337
Die Wahrheit finder allemal ihre Spoͤtter. Wir wollen,
diefe unzeitigen Wiglinge, ihrem Schickſale überlaffen,
und die Zeit geruhig erwarten, in welcher fie ihre Thorheit,
mit den Gottlofen in dem Buche der Weisheit, beweinen
werden, und wir wollen ernfthaftere Einmwürfe aus dem
Wege raͤumen. Wir fönnen hieher, folgende Einwürfe,
rechnen. 1) Einige ftoffen fich daran, wenn man fagt,
Gott habe unter allen möglidyen Welten die befte ausge:
ſucht, diefelbe erwählt, und zu ſchaffen befchloffen : weil
alle Wahl eine Ueberlegung vorausfeßt, und auf diefelbe
folgt, Da nun in Gott nichts auf das andere folgen Fan,
fo koͤnne auch Gore nicht wählen. Diefer ganze Einwurf
ift, einmal, fehr kindiſch, weil er nur den Ausdruck diefer
Sache betrift, und höchftens nichts anders erweiſt, als es
fey unbequem, zu fagen, Gott habe die befte Welt erwaͤhlt.
Wenn wir alle theologifche Wahrheiten verwerfen molten,
deren Ausdrude eine Unbequemlichkeit verurfachen , fo müß»
ten wir beynahe die ganze Gottesgelahrheit vermerfen.
Zum andern ift es eine Unvollfommenpheit einer Wahl, wenn
der Wählende erft lange nachdenken muß, welches das befte
ift, Das Heelle in der Wahl befteht darin, daß man er
Fenne, welches unter mehrern Dingen das Beſte fey, und
daß man es deshalb befchlieffe. Indem nun Gott, von
Ewigkeit zu Ewigkeit, alle mögliche Welten und ihre Boll«
kommenheit, mit einem unwandelbaren Blicke, aufs deut⸗
lichite erkent; fo erfent er aud) zugleich, ohne Zeitfolge und.
Nachdenken, welche die beite ift, und da er diefes zugleich
von Emwigfeit her aufs lebendigfte erfant hat, fo hat er Dies
felbe zugleich befchloffen. Und fo fan man, nad) diefer Ers
flärung, ohne alle Unbequemlichfeit fagen, daß Gott uns
ter allen möglichen Welten die befte ausgefucht, und erwaͤhlt
babe. 2) In diefer_ Welt ſey ungemein viel Böfes, viel
Sünde und andere Uebel. Wenn nun diefe Welt die beite
wäre, fo müßte fie deswegen die befte feyn, meil fie fo viel
Boͤſes in ſich enthält, und fie müßte um des Böfen willen
von Gott erwaͤhlt worden ſeyn, welches doch ungereimt zu
L4 ſagen
328 Diefe Welt iſt die beſte.
ſagen iſt. Auf dieſen Einwurf muß verſchiedenes geant-
wor’et werben, Einmal iſt offenbar, daß eine Welt, wel⸗
che die befte fern fol, fchlechterdings unmöglich ift, wenn
fie gar nichts Boͤſes in fic) enthält, Die befte Welt muß
Feine Gottheit feyn, fondern fie ift und bleibt ein endliches
Ding, folglich enthält fie viele nothwendige und zufällige
Uebel $, 199 Zum andern ift allerdings wahr, daß,
nach unferm $ehrgebäude, diefe Welt nicht eben dieſe Welt
ſeyn Fönte, wenn auch nur eine einzige Sünde, oder ein
anderes Uebel, nicht in ihr wuͤrklich wäre, welches in ihr
würflih ift 9. 33°. Folglich Eönte fie auch nicht die befte
feyn, weil eben diefe und feine andere Welt die befte ift.
Allein daraus folge drittens nicht, daß fie um des Böfen
willen, welches in ihr angetroffen wird, die befte fey, in
dem DBerftande, als wenn diefes Böfe, in fo ferne es bofe
ift, die Vollkommenheit der Welt vermehrte: denn das iſt
unmöglih. Sondern wir fagen, daß diefes Böfe mit fo
vielem Guten vergefellfchafter fen, daß durch das legte die
böchfte Vollkommenheit der Welt befördert wird, mie ic)
in dem Folgenden bey der Unterfuchung der göttlichen Zus
laffung des Bofen, deutlicher zeigen will. Folglich) Fan man
auch viertens nicht fagen, daß Gott diefe Welt um des Dos
fen willen, welches in ihr angetroffen wird, erwählt habe,
Sondern er hat fie, um des vielmals gröffern Guten willen,
erwählt, welches nur, in Gefellfchaft mit diefem Bofen, in
diefer Welt hat wuͤrklich werden koͤnnen.
$. 995. }
3) Wenn diefe Welt die befte wäre, fo müßte folgen,
Daß fie nicht fo gut ſeyn würde als fie ift, wenn fie nicht alles
Das Boͤſe in fich enthielte, welches in ihr würflich ift. Nun,
aber fey offenbar, daß wenn alles Gute, welches in dieſer
Welt anzufreffen ift, fo bliebe als jego, und wenn ftat des
Boͤſen, welches in ihr gefchieht, das entgegengefegte Gute
würflih würde z. E. flat der Sünden die enfgegengefeß«
fen guten Handlungen: fo würde alsdenn mehr Guts in der
Welt ſeyn, und fie wäre alsdenn unleugbar beſſer als jie
ietzo
Diefe Welt iſt die befte. 323
ietzo iſt. So einen groffen Schein der Wahrheit diefer
° Einwurf auch immer haben mag, fo ungegründer ift er
demohnerachtet. Er fegt den unmöglichen Fall voraus:
daß alles Böfe von diefer Welt fönte abgefondert werden,
ohne daß dadurch Das Gute in dieſer Welt wegfiele. Wir
behaupten, wenn das Boͤſe in dieſer Welt weggeſchaft würs
de, fo würde fo viel Guts zugleich mit wegfallen, daß es
gar nicht in demfelben Grade wieder erſetzt werden koͤnte.
Folglich müflen die Gegner vorher erweifen, daß dieſer Fall
moͤglich fey, und das bat meines Wiſſens bisher noch nie⸗
mand gethan. Aus unferm Beweiſe folgt, daß dieſe Welt,
fo wie fie wuͤrklich iſt, folglich in fo ferne fie alles Boͤſe in
fi enthält, was in ihr wuͤrklich iſt, die befte fey; und es
folgt alfo daraus, daß der Fall, den der Gegner bey diefem
Einmurfe vorausfeßt, ſchlechterdings unmöglid ſey.
Hieraus erhellet zugleich, daß der Einwurf nichts fagen
will, daß nemlich die Welt befler geweſen feyn würde, wenn
die Menfchen in dem Stande der Unſchuld geblieben wären,
und wenn weder Die Teufel noch andere endliche Geifter ges
fündiget haften, Denn es iſt offenbar, daß alsdenn eine
andere Welt hätte wuͤrklich feyn müffen, und daß alfo Gott,
gleich bey dem erften Anfange der endlichen Dinge, eine
andere Einrichtung mit denfelben machen müffen. In dies
fer, das ift in der beiten, Welt ift, die Fortdauer des
Standes der Unſchuld, auf eine bedingte Art unmöglic) ge⸗
wefen, 4) Diefe Welt fey allerdings, fo wie fie durd) die
Schöpfung von Gott eingerichtet worden, die allerbefte ge»
weſen. Allein fie habe, auf eine zmenfache Art, koͤnnen
fortgeſetzt werden: erftlich als die befte, wenn alle dernänf-
tige Ereaturen in dem Stande der Unfhuld beharret wären;
und zum andern als eine verfhlimmerte Welt, und fo fey
fie nunmehr nicht mehr die befte, nachdem rn viele vers
uͤnftige Creafuren ihre anerfchaffene Unfchuld verlohren,
und gefündiget haben. Man Fan nicht genung ſagen, wie
wenig philofophifc) diefer ganze Einwurf if. Cinmal be:
weißt er höchftens weiter nichts, als daß ein gewiffer Theil
5 oder
330 Diefe Welt ift die befte.
oder Zuftand diefer Welt fchlechter fen, als ein anderer,
und das muß man zugeben. Wenn man behauptet, daß
diefe Welt die befte fey; fo behauptet man diefes von ihr,
wenn man fie im Ganzen betradytet, von ihrem Urſprunge
an bis in alle Ewigkeit. Es fält einem aber nicht ein, zu
behaupten, daß alle auf einander folgende Theile und Zus
ftände der Welt im gleichen Grade gut und vollkommen
find, als welches unmöglich if. Zum andern fegt man
auf die unrichtigfte Weife voraus, Daß die Welt nad) ihrem
Anfange auf eine doppelte Art hätte koͤnnen fortgefeget wer
den, als die befte, und auch nicht als die befte; oder daß
zwey, in ihrer Fortdauer von einander höchft verfchiedene,
Welten doc) einen und eben denfelben Anfang hätten has
ben fönnen. Um des allgemeinen Zufammenhangs willen
werden, die nachfolgenden Zuftände der Welt, immer
durch die vorhergehenden beftimt.: Nachdem alfo Gott den
erften Zuftand der Welt eben fo eingerichtet Hat, als er
wuͤrklich gethan; fo hat auch) diefe Welt nicht anders forte
geſetzt werden koͤnnen, als fie wuͤrklich fortgeſetzt worden.
Und drittens bat ja Gore aufs untrüglichfte vorbergefehen,
daß diefe Welt eben fo fortgefege werden würde, als es
würflich gefchehen. Da er nun feine Bewegungsgründe,
Diefe Welt zu wählen, nicht etwa blos aus ihrem Anfange
hergenommen, fondern aus allen ihren Theilen und aus ih⸗
ter ganzen Fortdauer, fo hat er aud) alles Böfe gewuſt,
was in derfelben würflich ift. Und da er fie nun demohns
erachtet erwaͤhlt, fo muß er erfant haben, daß in ihr dem-
ohnerachtet mehr Guts angerroffen werde, als in einer ied⸗
weden andern Welt.
$. 996. wi?
5) Alles Bofe und alle Sünde in diefer Welt werde
nothivendig, weil fonft die befte Welt nicht feyn koͤnte; ja
man koͤnne alle Sünden entfchuldigen, weil ohne ihnen die
Welt nicht die befte feyn Fönne, ya man fünne wol gar
fagen, der Menſch fey verbunden zu fündigen, indem er
fi) um die ganze Welt dadurch böchft verdient mache, und
als
\
Diefe Welt iſt die befte. 831
als ein vortreflicher Patriot fich felbft Unvollfommenheiten
verurfache, um das allgemeine Beſte der ganzen Welt zu
befördern. Ich antworte erftlic): Alles Boͤſe, was in
dieſer Welt würflich gefhieht, iſt allerdings in derfelben
nothwendig, aber nur auf eine bedingte Art. Und diejenis
gen, welche befürchten, daß dieſes der Zufälligfeit der Suͤn⸗
de und der Freyheit des Sünders zumider fey, die müflen,
ihre Begriffe von der Zufälligfeit und Nothwendigkeit,
durch die Ontologie aufklären. Die Gegner fönnen uns
möglich ermweifen, dal; aus unferer $ehre eine unbedingte
Nothwendigkeit des Böfen in der beften Welt folge, Zum
andern fan man, durch die Lehre von der beften Welt, die
göttliche Zulaffung des Böfen nicht nur entfchuldigen, fons
dern auch vollfommen rechtfertigen, und eben zu diefem En—⸗
de iſt dieſe Sehre erfunden worden. Allein das Boͤſe felbft
wird Dadurch nicht entſchuldiget, oder für was Guts gehals
ten werden müffen, indem wir behaupten, daß das Boͤſe
feiner Natur nad) nicht das Gute verurfahe. Und alfo
bleibt, das Böfe in der beften Welt, wahrhaftig was böfes.
Und zum dritten hanget das Gute, um deflentwillen Gott
die Sünden in der beiten Welt zulöft, nicht von dem frey:
en Willen des Sünders ab. Es fan alfo au) für ihn fein
Bewegungsgrund feyn, welcher ihn verbinden Fönte, zu
fündigen. Sondern es hanget von der göttlichen Vorſe—
bung ab, welche das Böfe zum Guten lenkt. Folglich
bleibt ein iedwedes vernünftiges Gefchöpf verbunden, alle
Sünden zu vermeiden. Und da Gott gewuſt hat, welche
vernünftige Gefchöpfe diefe Pflicht verlegen werden; fo hat
er mit allen Sünden fo viel Guts, und fo überfchmwenglich
groffe Vortheile vergefellfchafter, daß diefe Welt demohners
achtet beffer ift, als alle übrige mögliche Welten. 6) Dies
fe Lehre ftreite, wider die Freyheit des göttlichen Willens,
Indem nur eine einzige Welt die befte fen, fo habe er Feine
andere wählen fönnen, und er habe alfo nicht frey gewählt,
Ich antworte erftlich: es ift moralifdy nothivendig gewefen,
daß Gott eben diefe und Feine andere Welt gewählt, indem
er
332 | Diefe Welt ift die befte.
er durch eine andere Wahl würde gefündiget haben, Die
moralifche Nothwendigkeit aber ift, der Freyheit, keines—
weges zuwider. Zum andern ſteckt hier freylich eine Schwie⸗
tigkeit, die wir nicht deutlich genung heben koͤnnen, indem
die Wahl der beften Welt eine gleichfam zufällige Beſchaf⸗
fenheit Gottes if, Zum dritten beruhet, der ganze Eins
murf, auf einem falfchen Begriffe ver Freyheit, als wenn
fie nicht durch Bewegungsgründe beftimt werden müßte,
Wie lächerlich ift es nicht zu fagen, daß ein freyes Weſen,
um feine Freyheit auſſer Zweifel zu ſetzen, das ſchlechtere
wählen muͤſſe! Die allervollkommenſte Freyheit wähle alles
mal das befte, und fie bleibe nicht nur eine Freyheit, fondern
fie ift auch eben deswegen die allergröfte Freybeit.
997:
7) Wenn diefe Welt die befte ware, fo koͤnte ein ied—
weder Menfch alle Augenblick verurfahen, daß fie nice
mehr die befte bliebe, Denn wenn aud) nur das allerges
ringfte in diefer Welt anders wäre, als es wuͤrklich ift; fo
wäre die Welt nicht mehr diefe Welt, mithin auch nicht
mehr die beſte. Nun fege man einen Menfchen, welcher
eben im Begriffe fteht, eine freye Handlung zu thun, oder
zu unterlaffen: fo gehört es entweder zu der beften Welt,
daß diefe Handlung gefchieht oder niht. Man nehme an
mas man will, fo Fan der Menfch, weil es eine freye Hands
dung ift, gerade das Gegentheil thun, und er Fan alfo es
dahin bringen, daß diefe Welt aufhört die befte zu feyn.
Ich antworte erftlih: Wenn die Menſchen, und andere
mit Freyheit begabte Creaturen, zugleich) die Mache befäffen,
alle ihre freye Entſchluͤſſe würflidy auszuführen ; fo fähe es
freylich, um die Erhaltung der beften Welt, fehr mißlich
aus, Allein das ift eben eine von den Urfahen, warum
fo viele menſchliche Entfchlüffe unausgeführt bleiben, weil
Gore die befte Welt erfihaffen hat. Er hat demnad) eine
folche Einrichtung gemacht, daß alle diejenigen freyen Ent;
ſchluͤſſe der Menfchen, und anderer mit Freyheit begabten
Creaturen, unerfült bleiben muͤſſen, indem ihre Ausfüh-
rung
\
—
Diefe Welt ift die befte. 333
rung durch den Zuſammenhang der Dinge verhindert wird,
deren Ausführung verurfachen würde, daß diefe Welt nicht
mehr die befte wäre. Zum andern find die mit Freyheit
begabten Creaturen niemals, in ihren freyen Entfchlieffun.
gen, unabhänglic). Sondern Gott, durd) feine Mitwür-
fung, und der ganze Zufammenhang in der Welt, haben
einen beftändigen Einfluß in die Beftimmung des frenen _
Willens ver Creaturen. Folglich entichlieffen fich die freye
en Creaturen allemal, in ihrer freyen Beſtimmung, zu⸗
gleich nach Maaßgebung diefes Einfluffes, und es ift alſo
hypothetiſch unmöglich, daß eine mit Freyheit begabte Creas
fur einen freyen Entfehluß folte fallen koͤnnen, durch wels
chen diefe Welt aufhören koͤnte, die befte zu feyn. Zum
dritten muß der freye Wille einer Creatur, wenn er fi)
wuͤrklich beftimt, fi nur auf eine einzige Art beftimmen, ent⸗
weder eine Handlung zu thun, oder zu unferfaffen. Diefe
einzige Beftimmung in allen Fällen hat, ihren hinreichen«
den Grund, unter andern in den ganzen vorhergehenden
Zuftande einer freyen Creatur, Folglich liegt ſchon, in
dem erften Anfange der Wuͤrklichkeit einer mit Freyheit bes
gabten Ereatur, der hinreichende Grund, aus welchem
Gott hat vorherfehen koͤnnen, und würflich untruͤglich vors
bergefehen hat, tie fie in allen Eünftigen Fällen ihre Frey⸗
heit beftimmen wird. Da nun Gott Feine andere ver
nünftige Creaturen erfchaffen hat, als die er wuͤrklich ere
fchaffen bat: fo ift gar nicht zu beforgen, daß irgend
eine derfeiben fich wuͤrklich, in irgends einem Falle, anders
auf eine freye Art beftimmen werde, als Gott mit der
gröften Gewißheit vorhergefehen hat. Er hat demnach die
Melt als die befte ermählen koͤnnen, in welcher, aller frey—
en Entfchlieffungen aller vernünftigen Creaturen ohnerad)»
tet, dennoch mehr Vollkommenheit wuͤrklich ift, als in allen
übrigen möglichen Welten. Folglich ift es in dieſer Welt auf
eine bedingte Art unmoͤglich, daß irgends eine vernünftige
Creatur ihren freyen Willen dergeftale wuͤrklich beftimmen
folte, daß dadurch) diefe Welt aufhören folte, die befte zu feyn.
§. 498.
34 Dieſe Welt iſt die beſte.
$. 998.
8) Es fey der Allmacht und Weisheit Gottes zumis
der, zu behaupten, daß, wenn er die befte Welt habe
ſchaffen wollen, er eben die unfrige habe wählen muͤſſen.
Ein ieder Künftler, wenn er etwas vortrefliches gemacht
bat, Eönne abermals etwas eben fo vortrefliches machen,
und die Werfe feiner Kunft verbeffern. Folglich fen eg
der Allmacht Gottes und feiner Weisheit moͤglich, um
menfchlic von Gott zu reden, noch etwas beſſeres auszus
denfen und zu verfertigen, als diefe Welt if. Folglich
fen diefe Welt nicht die befte. Auf diefen Einwurf Iäft
fid) foigendes antworten. Erſtlich iſt es fchlechterdings
unmoͤglich, daß mehr als eine einzige Welt die befte ſey.
Denn alle mögliche Welten find Dinge, welche auffer ein
ander möglich ſeyn müffen, weil eine Welt, die in einer
andern möglich iſt, Eeine Wele ift, fondern ein Theil derje-
nigen Welt, in welcher fie möglich ift S. 292. Nun ift
die ganze Vollkommenheit einer Welt ein Accidenz derfels
ben, welches nicht aufjer ihr, fondern in ihr angetroffen
wird S. 156. Folglich find, die Vollkommenheiten ver:
fchiedener Welten, ſolche Vollkommenheiten, welche auffer
einander möglich find, Wenn nun aud) nur zwey Welten
möglich wären, welche einander an Bollfommenbeit vollig
gleich wären: fo waͤren zwey Vollkommenheiten auffer eins
ander möglich, welche einander vollfommen gleich wären,
und das ift ſchlechterdings unmöglih $. 211. Folglich ift
nur eine einzige Welt die befte, und es ift ſchlechterdings
unmöglich, daß Gott durch feine Allmacht eine andere
Welt fehaffen Fönte, welche eben fo gut iſt, als die unfrige
8.865. Zum andern, wenn man überzeugt iſt, daß unſre
Melt die befte ift, fo ſieht man von felbft ein, daß es uns
gereimt fey zu fagen, Gottes Weisheit koͤnne nod) eine beffes
ve Welt, fo zu reden, ausdenfen, und feine Allmacht fon«
ne noch eine beſſere Welt wuͤrklich machen, als die unfrige;
und man begreift zu gleicher Zeit, daß dadurch Meder der
Weisheit noch Allmacht Gottes Schranken gefege werden,
Diefe
|
Diefe Welt ift die beſte. 335
Diefe beyden Vollkommenheiten würden vielmehr einge:
ſchrenkt werden, wenn man fagen wolte, Gott fünne noch)
was befferes machen, -als er würflid) gemacht hat: denn
daraus würde folgen, daß diefe göttlichen Bollfommenheis
ten nicht, in dem möglichften Grade der Realität, würfe
fam wären. Und drittens ift, das Gleichniß von einem
menfchlichen Kuͤnſtler, fehr fehlecht angebracht, _ Ein fols
cher Künftler Fan niemals ein Werf verfertigen, welches
fhlechterdings in feiner Art das befte if, Und da er in
feiner Kunſt zunehmen fan und muß, fo fan er frenlich in
feiner Geſchicklichkeit wachfen, und alfo feine eigenen bis«
berigen Meifterftücke verbeffern. Und wenn man fagt, daß
ein foldyer Künftler Werfe verfertigen fan, die eben fo guf
find, als die vorhergehenden ; fo Fan man diefes nicht im
fhärfften Verftande fagen, fondern nur in dem Berftande,
weil wir nicht im Stande find, den Unterfihied ihrer Güte
und Bollfommenheit durch die Erfahrung zu bemerfen.
$. 999.
9) Die ganze Lehre, daß diefe Welt die befte fen,
fey nur eine philofophifche Meinung, eine ungemiffe Lehre,
die man angenommen babe, um entweder was neues zu
fagen, oder daraus gewiſſe Erfcheinungen in diefer Welt zu
erklären. Folglich müffe man fie unter die philofophifchen
Einfälle rechnen, die man nad) Belieben annehmen oder
verwerfen koͤnne. Dieſen Einfall haben einige Gelehrte
gehabt, um vielleicht die Hige der ftreitenden Partheyen,
welche in diefer Lehre uneins find, zu mäßigen, Allein es
ift ein fehr unüberlegter Einfall.” Einmal, gefegt diefe
Lehre wäre eine bloffe philofophifhe Hypotheſe, fo würde
daraus nicht folgen, daß fie falfc) fey: denn es gibt auch
wahre Hypotheſen. Sondern es würde daraus nur folgen,
daß fie ungewiß fey, und noch von feinem Weltweifen
gründlich demonftrirt worden. Wer diefes mit Vernunft
fagen will, der muß vorher, alle Beweife diefer Lehre,
grüntlic) widerlegen. Wir Halten unfern Beweis für eine
wahre Demonftration, und nehmen alfo diefe Lehre nicht
als
336 Diefe delt iſt die befte.
als eine philofophifhe Meinung an, fondern als eine uns
umftöslich gewifle Wahrheit. Zum andern geben wir
gerne zu, daß diefe Lehre allen denenjenigen, die fie nicht
vermerfen, die aber entweder aus Unmiffenheit, oder aus
Mangel des Verftandes, oder aus Faulbeit die Demons
ftration derfelben nicht einfehen fonnen oder wollen, eine
bloffe philoſophiſche Meinung ſey. Allein daraus folge
nicht, daß fie, in der Erfentniß aller Weltweifen, auch
nichts anders als eine bloffe philofophifche Meinung fey.
Es ift eine eitele Einbildung eines Menfchen, wenn er glaubt,
daß eine Sehre allen Menfchen eine bloffe Meinung fey, die
er unter Feiner befjern Geftalt kent: weil er glaubt, andere
Menſchen Fönten nicht mehr Berftand, Einſicht und Fleis
befigen, als er felbft. Zum dritten ift es wahr, daß diefe
Sehre zu dem Ende erfunden worden, Die Zulaffung des
Boͤſen in der Welt zu erflären; allein daraus folge nicht,
daß fie nichts weiter als eine ungewiffe Meinung fey, die
man nad) ‘Belieben annehmen oder verwerfen koͤnne. Das
leßte zeigt ohnedem eine Öleichgültigkeit gegen die Wahrheit
an, die unmoͤglich rühmlich feyn fan, Zum vierten Fan
man nicht einmal fagen, daß dieſe Lehre eine neue Lehre fey,
ob diefes gleich Fein Einwurf wider ihre Wahrheit feyn Fan,
als nur nad) dem Urtheil folcher ſchwachen Köpfe, welche
nach dem Vorurtheile des Alterthums und der Neuigkeit
eine Lehre beurtheilen. Moſes fage: Gott ſahe an alles
was er gemacht hatte, und fiehe da, es war das befte, oder
die befte Welt. Ihales der Milefier pflegte allen denenje⸗
nigen, welche ihn fragten, mas das beſte ſey, zu antwor—
ten, die Welt, Und Cicero ſagt ausdruͤcklich, dieſe Welt
ift die befte, Nun muß man freylid fagen, daß diefe
Weltweiſen es in dem Berftande behauptet haben, daß diefe
Welt das befte Ding, und alfo Sort feibft ſey. Es folgt
aber doch daraus fo viel, daß diefe Wahrheit ſchon den
Alten, gleichfam in einer Morgendemmerung, bekant gea
mwefen, und daß Leibnitz der erſte Weltweiſe fey, welcher fie
an das helle Tageslicht bervorgezogen Dat, 10) at
ehre
Diefe Welt ift die befte, 337
Lehre ſtreite wider die heilige Schrift, welche ausdruͤcklich
ſage, daß dieſe Welt im Argen liege, und daß nach dem
juͤngſten Tage eine beſſere Welt entſtehen werde. Die
bloſſe Anfuͤhrung dieſes Einwurfs iſt eine Wiverlegung deſ—
ſelben. Die heilige Schrift ſagt, daß dieſe Welt, oder
das menfchliche Geſchlecht im Argen liege, und daß der
Zuftand diefer Welt nach dem jüngften Tage beiler ſeyn
werde, als der gegenwärtige Zuftand. Ste redet alfo
nicht von der Welt im Ganzen betrachtet wie wir, und Fan
alfo unferer $ehre nicht widertprechen. Alle Stellen der
heiligen Schrift, welche viel böfes von der Welt fagen, res
den unleugbar nicht von der Welt im Ganzen betrachtet.
$. 1000,
Endlich 11) wendet man ein, daß diefe Lehre der Er⸗
fahrung widerſpreche, als welche einen iedweden uͤberzeugen
koͤnne, daß in dieſer Welt mehr Boͤſes als Guts angetrof⸗
fen werde. Gie lehre ung, daß diefe Belt nichts anders
als ein Jammerthal fen, in weldyem überall nichts als Worb,
Sammer und Elend, angetroffen werde. Folglich fen,
die Lehre von der beiten Welt, eine abftracte philofophifche
Grrilienfaͤngerey, welche durch die tägliche Erfahrung wider:
legt werde, Man Fan nicht genung fagen, wie elend diefer
Einwurf if. a) Höchitens Fonnen wir Menſchen nur
erfahren, daß das menfchliche Leben, in dem gegenwärtigen
Zuftande unferes natürlichen $ebens, ein Jammerthal fen,
in welchem mehr Boͤſes als Guts angetroffen werde. Man
gebe diefes eine Zeitlang zus folge wol daraus, daß in der
ganzen Welt mehr Böfes als Guts fey ? Der ganze Frdbos
den ift kaum wie ein Sonnenftäubchen, in Beraleichung
mit der ganzen Welt, zu betrachten, und unfer ießiges Le—
ben ift wie nichts, gegen die lange Ewigkeit, zu rechnen.
Können wir iego erfahren, daß in allen groſſen Weltförpern
mehr Böfes als Guts fey, und daß es ewig fo bleiben wer⸗
de? Folglich ift es eine offenbare Jüge, wenn man fagt,
daß aus der Erfahrung offenbar erhelle, Daß in dieſer ganzen
Welt mehr Bofes als Guts angetroffen werde, b) Wenn
4. Theil. I wir
-
338 Diefe Welt ift die befte,
wir auch nur, von dem gegenwärtigen natürlichen geben der
Menfchen in dem Stande der Sünden, reden; fo ift es
auch erlogen, daß die Erfahrung lehre, es fey mehr Böfes
als Guts in der Well, Denn Einmal fönnen wir nicht
alles Gute und Boͤſe erfahren, um eine genaue Ausrech—
nung anzuftellen, und zu erfahren, daß die Summe alles
Boͤſen gröffer fey, als die Summe alles Guten. Zum
andern überfehen wir Menfchen mehrentheils das Gute, und
richten unfere Gedanfen blos oder vornemlich auf das Böfe,
Einige wenige Wochen, in denen man Franf ift, verurfa«s
chen, daß man vergift, man Dringe vielmehr Tage in Ges
fundheit als in Krankheit zu; und einige friegerifche Jahre
zwingen ung zu vergefjen, daß viel mehr Friede in der Welt
fey als Krieg u. fe w. Dieſes bemeilt offenbar, daß we—
niger Boͤſes als Guts in der Welt fen, indem das Bofe
feiner Seltenheit wegen mehr Meuigfeit hat, und alfo leb—
- hafter empfunden wird. Das Gute ift fo häufig, daß
man deffen gewohnt wird, und nicht fo ſtark darauf achtung
gibt. Auch ift die melancholifhe Gemürhsfaffung der
Menfchen an diefem Urrheile ſchuld, vermöge welcher fie,
den Sauf der Welt, blos oder vornemlich von der fchlimmen
Seite anfehen. Dieſe Leute kommen mir vor, als ein
Menſch, welcher in den prächtiaften Föniglichen Pallaft ges
führe würde. Wenn derfelbe nun, mit verfihloffenen Au:
gen, gerade zu ins heimliche Gemach rennen, und fich blos
in demſelhen umfehen, und alsdenn fagen wolte: was für
ein elendes Gebäude! Man trift in demfelben nichts als
Unflat an; würde ein folder Menſch nicht für den gröften
Narren gehalten werden müffen? c) Diefe Gegner feheis
nen, daß fie nicht eher glauben wollen, diefe Welt fey die
befte, bis fie nicht, ihre vorzügliche Vollkommenheit vor
allen übrigen möglichen Welten, erfahren haben. Wir
wollen, die Gerechtigkeit ihrer Foderung, prüfen. Eine
mal, verftehen fie Durch einen Beweis, daß dieſe Welt die
beite fen, welcher aus der Erfahrung geführt wird, einen
ſolchen, der aus einem Borderfaße hergeleitet wird, welcher
eine
—
Der Zweck der Schöpfung. 339
eine unmittelbare Erfahrung iſt: fo ift unfer Beweis, den
wir geführt haben $. 99. ein folder Beweis, Er fängt
mit diefem Sage an: dieſe Welt ift würflich, und diefer ift
unleugbar eine unmittelbare Erfahrung. Allein, zum an«
dern, verlangen diefe Gegner ohne Zweifel, einen andern
Beweis aus der Erfahrung. Wenn man unter mehrern
Sorten Wein vie beite ausfuchen mill, fo Foftet man eine
iedwede, man vergleicht den Geſchmack einer iedweden mit
den übrigen, und da ſchmeckt man, welche die befte fey,
Folglich wollen vielleicht diefe Gegner es empfinden, wie
ſichs in einer iedweden möglichen Welt leben laffe, und als—
denn fühlen, wo es am beiten if. Da man nun nichts
empfinden Fan, als was wuͤrklich und gegenwärtig ift; fo
koͤnnen diefe Gegner nicht eher befriediget werden, bis nicht
eine iedwede mögliche Welt wuͤrklich ift, und big fie niche,
durch eine unmöglihe Entzuͤckung aus diefer Welt, nach
und nad) in alle übrige Welten verfegt werden. Da nun
diefes niemals gefchehen Fan, fo werden diefe Gegner in
N Emigfeit zu ihrer eigenen Strafe nicht überzeugt werden,
) fie müßten denn die Ungereimtheit und Narrheit ihrer Fode—
rung einfehen lernen.
Der Zweck der Schöpfung.
S. 1001.
Um unfern Begrif von der Schöpfung diefer Welt
noch mehr zu erhöhen, fo müffen wir uns überzeugen, daß
fie eine Handlung ſey, welche im höchften Grade weife ift;
oder daß Gott dieſe Welt, nad) höchfter Weisheit, erfchafe
fen habe. Wenn Gott bey der Schöpfung diefer Wele
nicht nach Weisheit gehandelt hatte, fo würde in der Welt
ein gemifies blindes Ohngefehr herrfchen, und es würden
entweder alle, oder doch unendlich viele, Begebenheiten in
der Welt fich dergeftalt zutragen, daß fie Feine Abfichten
hätten, und wie wäre es moͤglich, daß ſich die vernünftigen
Ereaturen in Abficht derfelben rechtmäßig verhalten fönten ?
Es ijt fehr leic)t zu erweifen, daß Gott, bey der Schöpfung
y 2 diefer
340 Der Zweck der Schöpfung.
diefer Welt, gewiſſe Abfichten gehabt habe, um melcher
willen er fie unter allen möglichen Welten auserwählt, und
durch die Schöpfung zur Würflichfeit gebracht hat. Denn,
die Schöpfung diefer Welt, ift eine freye Handlung Gottes
$ 977. Folglich hat Gott, die Wuͤrklichkeit dieſer Welt,
gewolt. Er hat demnach Bewegungsgründe gehabt, die
feinen allervollfommenften Willen von Ewigfeit her bejtimt
haben, diefe Welt zu wollen. Er bat fich alfo etwas
Guts lebendig vorgeftelt, um deffentwillen er die Welt
wuͤrklich machen wollen, damit diefes Gute erhalten werde
$. 686, 687. Da nun diefes Gute ein Zweck ift $. 269.
267. fo hat Gott diefe Welt, um eines Zwecks willen, er:
ſchaffen, und folglic) ift feine Weisheit bey der Cchöpfung
diefer Welt gefhäftig gewefen, und zwar im höchften Gras
..
en — —
de, oder dieſe Welt iſt ein Werk der allergroͤſten und aller ⸗
vollkommenſten Weisheit; weil es unmöglich iſt, daß Gott,
wenn er weiſe handelt, nicht im hoͤchſten Grade weiſe han—
dein folte $. 913. Die Weisheit gehört unter diejenigen
Vollkommenheiten, welche zunaͤchſt den Willen eines ver:
nünftigen Wefens beftimmen, Wenn alfo die Welt nicht
nach höchfter Weisheit erfchaffen wäre, fo koͤnte fie feine
Würfung des allervollfommenften Willens feyn. Dieſe
Welt ift das einzige Werk Gottes, auffer welchem er nichts
von Emigfeit zu Ewigkeit auffer ſich hervorbringt. Wäre
fie alfo nicht das vollfommenfte Meiſterſtuͤck der hoͤchſten
Weisheit, fo hätte Gott die einzige Gelegenheit vorbenger
hen laffen, nach böchfter Weisheit zu handeln. Seine
Weisheit wäre alfo entweder ein bloſſes Vermögen ohne
Thätigfeit, oder er befäfle nur die höchite Weisheit als die
vollfommenfte fpeeulativifche Projectmacherey; und beydes
ift unmöglih, und der höchften Vollkommenheit Gottes
im böchften Grade unanftändig. |
«1002,
Da nun Gott die Welt, um eines gewiflen Zwecks
willen, evfchaffen bat, $. 1001. fo fan er, um feiner aller»
hoͤchſten Untrieglichkeit willen $. 899. die Welt, um Feiner
Schein.
VE
Der Zweck der Schöpfung. 341
Scheinzwecke willen, erfhaffen haben. Sondern, die
" göttlichen Abfichten bey diefer Welt, find wahre Zwecke
S. 917. Folglich wahre Bollfommenheiten , welche durch
‚ die erfchaffene Welt, und die Creaturen, als Würfungen
‚ hervorgebracht werden $.266. 269. Ein iedweder Zweck
iſt eine Folge und Würfung der Mittel, und des Gebraud)s
| derfelben. Es muß demnach auch der ganze göttliche Zweck,
‚ um deffentwillen Gott diefe Welt erfchaffen hat, fo etwas
Guts und eine folhe Vollkommenheit feyn, welche durch die
Creaturen gewuͤrkt und hervorgebracht wird, Diefe Boll:
kommenheit ift entweder in Gott felbft, oder auffer Gott in
der Welt wuͤrklich; weil, auffer Gott und der Welt, gar
" nichts wuͤrklich iſt. Das erfte ift, um der Selbftftändig«
keit Gottes willen, fehlechterdings unmöglich 9.880. Denn
der Zweck hanget allemal von feinen Mitteln, als von feis
nen Urfachen, ab $.268. Wenn nun der Zweck der Welt,
" eine innerliche Realität und Vollkommenheit Gottes, wäre ;
| fo würde Gott, von der Welt, abhangen. Da nun diefes
ſchlechterdings unmöglich iſt, fo befteht der Inbegrif aller
Zwecke Gottes, um welcher willen er die Welt gefchaffen
hat, in folhen Vollkommenheiten, welche in der Welt und
den Creaturen felbft würflich werden. Wenn man alfo
ſagt: daß Gott die Welt, um fein felbft willen, erfchaffen
babe; fo muß man diefes nicht fo verftehen, als wenn er
ſich felbft zu Gute diefe Welt erfchaffen; oder es fey die
Welt deswegen von ihm gewürft worden, damit er entweder
durch) diefelbe innerlihe Vollkommenheiten erlange, die er
noch nicht gehabt, oder damit diejenigen, die er ſchon ges
habt, dadurch erhalten und vermehrt werden: denn das iſt
ſchlechterdings unmöglih,. Sondern wenn man fagt, daß
Gott die Welt um fein felbft willen erfchaffen habe; fo muß
diefes fo verftanden werden, daß er es gethan, damit er
von den Creaturen geehrt werde. Wir werden aber hernach
fehen, daß diefe Ehre Gottes eine Erfentniß feiner Boll:
fommenheiten fen, weldye als eine Vollkommenheit in den
endlichen Geiftern, und alfo in der Welt, wuͤrklich a
5 es
>
®
342 Der Sweck der Schöpfung,
Gemeiniglich fagt man, daß der Ießte Zweck Gottes bem,
der Welt feine Ehre, und der Mittelzweck die Bolltommens
beit, ver Creaturen ſey. Diefes erflärt und verfteht man
vielfältig ſo widerſinniſch, daß man diefe Ehre Gottes, als
eine Vollkommenheit, anſieht, welche in Gott würklich ift,
und welche von der Vollkommenheit der Creaturen verfchies
den iſt. Aus dem folgenden wird erhellen, daß diefe Sahe
ganz anders erklärt werden muß.
6. 1003,
Wir haben uns alfo überzeugt, daß die ganze Welt,
und alles was in derfelben würklich ift und gefchieht, als
ein Mittel zu gewiſſen Zwecken betrachtet werden müffe, um
welcher willen Gott die ganze Welt wuͤrklich gemacht. Es
iſt alfo eine Wiſſenſchaft möglich), in welcher diefe göttlichen
Zwecke, um welcher willen er die Welt würklich gemacht,
unterfucht werden, und diefe Wilfenfchaft wird die Telcos
logie genent, In derfelben bemühet man fih, die Zwecke
Gottes überhaupt, und in befondern Fällen, zu entdecken;
und die Frage, warum dieſe oder jene Creaturen in der
Welt find, 3. E. die Pflanzen, die Thiere, das Wafler
u. f. w. gehört allemal in viefe Wiffenfchaft. Sie wird,
in zwey Theile, abgetheil. Der erſte heift die pbyfis
ſche Teleologie, und fie handele von ven görtlihen Zwe-
cken in der Koͤrperwelt. Sie unterfücht die göttlichen Ab:
fichten der Körper, und ihrer Veränderungen fo wol in
einzeln Körpern, als aud) in der Körperwelt, Hieher ger
hört 3. E. die Unterfuchung, warum Gott alle Arten der
Kräuter, der Pflanzen und der Thiere erfchaffen hat; aus
was für Abfichten die Winde wehen, Donner, Blitz, Ne
gen, Hagel u. ſ. w. in der Welt find; aus was für Ab«
fihten uns Gott, ein iedes Glied unferes Körpers, gege
ben u. ſ. w. Der andere Theil der Teleologie wird die
pneumstifche Teleologie genent, und fie unterfucht die
göttlichen Abfichten in der Geifterwel. Hier wird nicht
nur überhaupt unterſucht, um welcher Abfichten willen
Gore die Geifter in der Welt, und infonderheit Die u
lichen
Der Zweck der Schöpfung. 343
N. lichen Seelen erfchaffen: fondern es werden auch, die goͤtt⸗
lichen Abjichten aller ihrer Erkentniß- und Begehrungs«
| Eräfte, und aller ihrer Veränderungen unterfucht. 3. E.
warum Gott uns Menfchen Berftand, Gedaͤchtniß u. f. w.
gegeben, warum er die Sünden zugelaffen, warum er die
Sünden firafe, und was dergleichen mehr it. Dieſe
Wiſſenſchaft ift eine von den nüglichiten menfchlihen Wie
fenfchaften, und es wäre zu wünfchen, daß fie mit meh—
rerm Fleiſſe angebauet würde, als bisher gefchehen ift.
Einmel lernt man durch diefelbe, die unermeßliche Tiefe
der göttlichen Weisheit, die er durch diefe Welt offenbart
bat, befier aneben. Diefe Welt ift nur in fo ferne ein
Mittel des Ruhms Gottes, in fo ferne alles in derfelben
nach höchfter Weisheit eingerichter ift, Folglid fan man
\ nicht eher, Die höchfte Vollkommenheit der Welt, zum
Preife des Schöpfers gebührend einfehen, bis man nicht
die göttlichen Aofichten erfent, und fieht, wie vortreflid)
diefelben in dieſer Welt erreicht und ausgeführt werden,
Zum andern fan man, ohne diefer Willenfchaft, vie ges
famte menfhlihe Pflicht niemals recht ausüben. Wir
fönnen nur rechtmäßig handeln, in fo ferne wir, bey allen
unfern freyen Handlungen, die göttlichen Abfichten zu un«
fern Abfichten annehmen; und in fo ferne wir, alle unfere
Kräfte, und alle Dinge auffer uns, zu den Abfichten ges
brauchen, um welcher willen fie uns Gott gegeben, und in
diefer Welt hervorgebracht hat. Wir wollen alfo, die er»
ften Grundſaͤtze diefer vortreflichen und hoͤchſt nüßlichen
Wiſſenſchaft, weitläuftiger unterfuchen.
§. 1004.
Ueberhaupt ift unleugbar, daß Gott diefe Welt nicht
nur auf eine weiſe Art eingerichtet und erfchaffen habe, fon«
dern auch auf die allerweifelte Art, Ddergeftalt, daß es
ſchlechterdings unmoͤglich ift, daß noc) ein weiferer Plan
fönte entworfen werden, als derjenige ift, den Gott zu
diefer Welt entworfen hat, und daß es eben fo unmöglic)
ift, daß derfelde noch weifer und beffer ausgeführt werben
4 Fonte,
344 Der Zweck der Schöpfung.
Fonte, als es in diefer Welt gefchehen ift, und noch gefchieht
S. 1001. 903. Es würde allemal ein Mangel der göttlis
chen Weisheit feyn, wenn Gort eine Welt hätte ſchaffen
fönnen, welche den Kegeln der höchften Weisheit noch ges
mäffer wäre, als die unfrige; und dis würde noch dazu ein
folder Mangel feyn, den Gott in Ewigkeit nicht wieder gut
machen Fönte, weil auffer diefer einzigen Welt Feine andere
würflid) wird, Gott beißt, in ſich felbft, die allerhöchfte
Weisheit S. 912-920, Da nun diefelbe im höchften Gras
de lebendig ift $. 920. fo handelt er allemal nad) derfelben,
und folglich hat er auch diefe Welt nach derfelben erfchafe
fen. Folglich hat Gott, bey der Schöpfung diefer Welt,
‚nicht nur fo viele Zwecke zur. Abficht gehabt, fondern auch
fo groffe und vortrefliche, als möglich find. Er hat diea
felben auf die vollfommenfte Art mit einander verbunden,
dergeftale, daß immer der eine ein Mittel zu dem andern
ift, bis fie endlich in einem einzigen Zwecke, als dem hoͤch—
ften und vortreflichften, zufammenflieffen, Alle diefe Zwecke
erhält er in diefer Welt, unausbleiblich und gewiß, durd)
die meiften und beften Mittel, welche auf die vollfommens
fte Art mit einander verbunden find: dergeſtalt, daß eins
immer ein Mittel zu dem andern wird, bis fie fo viele und
groſſe Zwecke auf die befte Art erreichen, als irgends nur
in einer Welt möglich if. Damit nun, diefe vortrefliche
Wahrheit, in ein nod) gröfferes Licht gefeßt werde; fo mols
len wir uns, aus der $ehre von der beften Welt, überzeus
gen, daß diefe Welt würflich nach allerhöchfter Weisheit
eingerichtet fey. Und wir wollen daher, folgende Säge,
ausführen.
§. 1005,
Erftlih, eine iedwede zufällige Vollkommenheit,
welche in der Welt und allen Theilen derfelben wuͤrklich if
und wird, und welche Gott den Ereaturen nicht anerfchafe
fen hat, ift ein Zweck Gottes, weswegen er die Welt er»
Schaffen bat. Denn eine iedwede diefer Vollkommenheiten
iſt eine Folge und Würfung der Welt, welche Gott "m von
wige
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ie Wa u ———
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A
2]
v
Der zweck der Schöpfung. 345
Ewigkeit her, aufs deutlichite und lebendigſte, vorgeftele
bat $.902. und unendlidy geliebt 6.934. Folglich gehört
fie mit zu den Bemwegungsgründen, um welcher willen er
diefe Welt wuͤrklich gemacht. Es ift demnach, eine iedwe—
de diefer Vollkommenheiten etwas, welches ſich Gott als
gut vorgeftelt, und deswegen die Welt würflich gemacht
bat, damit daffelbe zur Würflichfeie Eomme, Und alfe ift
eine iedwede diefer Wollfommenbeiten ein Zweck, warum
Gott die Welt erfchaffen Hat. Die anerichaffenen Volle
fommenheiten der Creaturen fünnen Feine Zwecke der Welt
feyn, weil fie, durch nichts anders in der Welt, erlangt
werden. Sondern fie find die erften Mittel, welche Gore
würflid) gemacht hat, damit dadurch nad) und nach, alle
übrigen zufälligen Vollkommenheiten der ganzen Welt und
aller Theile derfelben, erhalten werden. Nun find alle
wahre Mugen, welche die Subftanzen in der Welt einans
der verſchaffen, famt allen wahren Mugen aller Berändes
rungen, Begebenheiten und Dingen in der Welt, zufällige
Bollfommenheiten, welche den Dingen in der Welt nicht
anerichaffen worden $. 259. Folglich find, alle wuͤrkliche
wahre Nutzen der Dinge in der Welt, Abfichten Gottes,
warum er die Welt erfchaffen hat. Diefe Wahrheit ift ein
vortreflicher Grundfaß der Teleologie, indem wir dadurd)
in den Stand gefeßt werden, die göttlichen Abfichten zu era
finden. 3. E. wenn man willen wolte, warum Gott
Schaafe und gemiffe Kräuter erfchaffen habe: fo darf man
nur durch Verfuche, Erfahrungen und andere Wege, die
wahren Nusen aller diefer Dinge zu erkennen ſuchen. Man
fan z. E. mit Zuverficht fagen, Gott habe unter andern
deswegen Schaafe erfcharfen, damit ihre Wolle uns zur
Kleidung diene, und gewiffe Kräuter, damit wir dadurch
gewiſſe Krankheiten heilen Fünnen. So haben Noth und
Elend den wahren Nußen, daß wir uns in der Geduld und
andern Tugenden üben fünnen, und darin befteht auch die
Abſicht Gottes, warum er über die Menfchen dergleichen
Zufälle verhänger, Nun I Welt die beſte $, u
5 n
346 Der Zweck der Schöpfung.
Syn der beiten Welt find viel mehr zufällige Vollkommenhei—
ten, als in irgends einer andern möglichen Welt $. 426.
Folglich Hätte Gott, bey Feiner andern Welt, fo viele Zwecke
zur Abſicht haben und erreichen fönnen, als bey diefer Welt.
Es ift demnach) diefe Welt deswegen ein Werk der höchiten
Weisheit, oder fie ift der höchften Weisheit Gottes gemäß;
weil Gott unmöglih mehr Zwede zur Abficht haben und
erreichen koͤnnen, als er bey diefer Welt ſich vorgefegt hat,
und durch diefelbe würflich erreicht. Wer ift im Stande,
die göttlichen Zwecke durchzuzehlen? Man müßte ja alle
Theile der Welt, alle Geifter, alle Thiere, alle Sonnen»
ftäubchen Eennen, und alle ihre zufälligen Vollkommenhei—
ten und Mugen, vom Anfange der Welt an bis in alle
Ewigkeit. Und das ift, uns Menfchen, unmöglid. Wir
werden ewig der Weisheit Gottes, die er bey der Schoͤ—
pfung der Welt erwieſen hat, nachfpüren Fönnen, wir wers
den ewig immer mehr und mehr Zwecke Gottes entdecken
fönnen; wir werden aber auch ewig, von der Entdeckung
aller Zwecke Gottes, unendlich weit entfernt bleiben muͤſſen.
§. 1006.
Zum andern: Gott hat die Welt um der allergröften
und beften Zwecke willen erfchaffen, die irgends nur mög»
lich find. Denn erftlich, weil alle zufällige Bollfommens
beiten und Mugen in diefer Welt, welche den Creaturen
nit anerfchaffen worden, Zwecke Gottes find; $. 1005.
fo find es auch die gröften und beften, Folglich find auch,
die allergröften dieſer Vollkommenheiten und Nutzen, Abs
fichten Gottes, um welcher willen er die Welt erfchaffen hat.
Zum andern, da feine Welt fo groffe Bollfommenbeiten in
fich enthält, ale die befte $. 426. fo hätte Gott, bey kei⸗
ner andern Welt, fo groffe und vortrefliche Zwecke zur Ab»
fiht haben koͤnnen, als bey diefer. In der beften Welt
hat ein iedwedes Ding eine fo groſſe Vollkommenheit, als
möglich ift. Folglich hat Gott, bey dieſer Welt, die Höchite
Vollkommenheit eines iedweden Theils der Welt zur Abſicht
gehabt, die in dem ganzen Zufammenhange der Welt mög«
lich
—— —
Der Zweck der Schöpfung. 347
lich ift. Zum dritten, in der göttlichen weifen Einrichtung
dieſer Welt ift, Eeine zufällige Bollfommenbeit in derfelben,
als eine unerhbliche Kleinigkeit anzufehen $. 898. fondern
eine iedwede ift von unendlicher Wichtigkeit, und Frucht⸗
barkeit, Hätte Gott eine andere als die befte Welt erfchafs
fen, fo hätte er unmöglich fo groſſe und vortreflihe Zwecke
zur Abficht Haben und erreichen Eonnen, als nunmehr, da
er die beſte Welt erfihaffen hat. Ks ift demnach diefe
Welt auch unter andern deswegen eine Würfung der hoͤch—
fien Weisheit Gottes, weil fie diejenige ift, Durch welche
allein, die allergröften und beiten Zwecke, erreicht werden
fonnen $. 915. Es ift fehlechterdings unmöglid), daß
Gott durch eine andere Welt eben fo groffe und gute Zwede,
oder noch gröffere und beffere hätte erreichen koͤnnen, als
durch diefe Welt. ine iedwede befondere Abficht Gottes
bey einem iedweden Theile diefer Welt bezieht fid) , in der
göttlichen Einrichtung, aufs Öanze, und es ift uns Men«
fhen unmoͤglich, aud) in diefer Abfiche die goͤttliche Weis—
heit völlig einzuſehen.
$. 1007.
Zum dritten: ein iedwedes würflihes Ding in der
Welt, es mag eine Subſtanz oder ein Accidenz fern, eine
DBegebenheit in der Geifterwelt oder in der Körperwelt, es
mag die ganze Welt feyn, oder ein Theil derſelben, ift, in
fo ferne es gut ift, ein Mittel zu den göttlichen Zwecken,
und ift auch deswegen von Gott würflich gemacht worden,
weil eg ein Mittel zu feinen Abfichten if. Denn ein ieds
wedes mürfliches Ding auffer Gott iſt eines Theils auf, und
muß in fo ferne eine oder mehrere gute Folgen haben, mel-
che zufällige Bollfommenbeiten find, die in der Welt würfs
lih werden S, 444. Da nun, alle diefe Vollkommen—
heiten, goͤttliche Zwecke find $. 1005. fo ift, ein iedwedes
würfliches Ding in der Welt, ein Mittel zu den aöttlichen
Abfihten. Da nun Bott dieſes, um feiner Allwiſſenheit
mwillen, gerouft hat, und zwar auf eine lebendige Art $, 902.
fo
348 Der Zweck der Schöpfung.
fo iſt dieſes zugleich ein Bewegungsgrund, warum Gore
alles, was in der Welt würflich ift, gewürft hat, nemlich
weil es ein Mittel zu feinen Abfichten if. Nun ift dieſe
Welt, weil fie die befte ift, zugleich die gröfte $.430. Folge
lic enthält fie mehr würfliche Theile, als eine iedwede an«
dere Welt. Es find demnach, in diefer Welt, mehrere
und mannigfaltigere Mittel zu den göttlichen Abfichten, als
in irgends einer andern möglichen Welt; und es ift un«
möglich, daß Gott mehrere Mittel zu feinen Zwecken hätte
wuͤrklich machen koͤnnen, als in diefer Welt würflich. ans
getroffen werden. Folglich ift, auch in diefer Abſicht, die
beite Belt ein Werder höchften und unendlichen Weisheit
Gottes. Man fan alfo mit Recht fagen, daß nichts in
Diefer Weit angetroffen werde, welches nicht durch die Weiss
beit Gottes, als ein Mittel zu feinen Zwecken, verordnet
worden. Denn wenn irgends etwas in der Welt fein Mita
tel zu den göttlichen Abfichten waͤre, fo müßte eg entweder
gar nicht gut feyn, und das iſt unmoͤglich; oder es iſt eines
Theils gut. Iſt das legte, fo hat es entweder gute Folgen,
oder nicht. Das legte ift unmöglih. Folglich hat alles
in der Welt feinen Mugen, und es erreicht alfo göttliche Ab—
fihten $. 1005. Wenn es nun von Gott nicht als ein
Mittel zu Diefen Abfichten erwählt worden, fo müßte Gott
entweder nicht willen, daß dadurch feine Abfichten erreicht
werden, oder er müßte es auf eine blog todte Art erfennen,
und das iſt ungereimt. Was für ein Troft für uns-Men-
fhen! Es mag uns begegnen, was da will; fo Eönnen wir
verfichert feyn, daß es ung nicht von ohngefehr widerfah«
re, fondern daß Gott dadurch, die beiten und heilfamften
Abfichten, zu erreichen fuhe. Freylich Fan das Böfe in
der Welt, in fo ferne es böfe iſt, Fein Mittel zu den göft-
lichen Abfichten ſeyn; meil entweder Gottes Abfichten böfe
feyn müßten, oder eg müßte aus dem Boͤſen mas Guts ents
ftehen Fonnen, welches beydes unmöglich if. Sondern
wir werden Fünftig fehen, daß das Boͤſe in der Welt mit
vielem Guten vergefellfchafter fen, und daß das erfte Kr
laſſen
Der Zweck der Schöpfung. 349
laffen werde, damit durch das legte die göttlichen Abfichten
erreicht werden,
$. 1008.
Zum vierten, diefe ganze Welt, und alles was in
derfelben wuͤrklich it, ift ein iedwebeg in feiner Art das
beſte Mittel zu den göttlichen Abfichten, und auch deswe—
gen von Gott erwählt und würflich gemacht worden, Denn
durd) Feine Welt fan, fo viele und groffe Vollkommenheit,
entftehen, als durch die beite. Da nun diefe Welt die beſte
ift, fo ift fie, das fruchtbarfte und wichtigfte Mittel, zu
den beften göttlichen Zwecken. Ueberdis ift ein iedes Ding
in der Welt jo vollkommen, als moͤglich iſt. Folglich hat
es auch fo viele und groffe Nutzen, als irgends nur möglich
ift, und es iſt nichts in der beften Welt, ohne welchem dieſe
Welt die befte feyn Fönte. Mithin trägt alles in der Welt
das feinige zur hoͤchſten Bollkommenbeit, welche auffer Gore
möglich ift, bey. Und es ift demnad) alles in der Welt
nicht nur ein Mittel zu dem beften Zwecke, fondern es ift
auch ein iedes in feiner Art das allerbefte Mittel 9. 916.
Wenn in der beften Welt irgends etwas überflüßiges wäre,
fo müßte Gott, bey der Einrichtung diefer Welt, wider feis
ne hoͤchſte Weisheit gehandelt haben, und das ift unmög-
lich, ja es ftreitet auch) wider den Begrif der beften Welt.
In diefer Welt ift alles fo befchaffen, daß ohne vemfelben
diefe Welt nicht die befte feyn koͤnte. Folalidy trägt alles,
das feinige, zur hoͤchſten Bollfommenbeit der Welt bey.
Ailes diefes hat Hort von Emwigfeit her aufs vollfommenfte
und lebendigfte gewuft, und er hat demnach alles iin der
Welt, in fo ferne es gut ift, erwaͤhlt, beſchloſſen und wuͤrk—
li) gemacht, weil er erfant, daß alles in feiner Art das
befte Mittel zu den beften Zwecken ſey. Freylich Fünnen
mir auch diefes, nicht durd) die Erfahrung, einfehen, und
unfere Furzfichtigen und mangelhaften Einfichten reißen uns
ofte zu glauben, daß die Wege Gottes, oder die Mittel
deren ſich Gore bedient, beffer fenn koͤnten, als fie in der
That find, Allein man muß, diefen verwegenen und alber»
nen
350 Der Zweck der Schöpfung.
nen Gedanken, durch die allgemeine Ueberzeugung von der
böchiten Weisheit Gottes, zu unterdrucken fuchen. Dies
jenigen, welche nicht annehmen, daß diefe Welt die befte
fen, die mögen zufehen, wie fie das Tadeln der Wege Got«
tes, auf eine gründliche Art, verhindern Eönnen.
$. 1009, —
Endlich, fuͤnftens, ſind auch in dieſer Welt, alle
Zwecke und Mittel, auf die beſte und vollkommenſte Art,
mit einander verbunden. Denn da dieſe Welt die beſte iſt,
ſo iſt auch in ihr der allergroͤſte und vortreflichſte allgemeine
Zuſammenhang unter allen ihren Theilen, der in keiner
Welt ſo vollkommen und groß ſeyn kan, und der uͤberhaupt
auſſer Gott nicht beſſer und groͤſſer möglich iſt F. 440450.
Nun ſind alle Zwecke und Mittel Gottes, die er nach ſei—
ner hoͤchſten Weisheit von Ewigkeit her aufs vollkommen⸗
fte gewuſt, und die er durch die Schöpfung diefer Welt
würfiic gemacht, Theile der beften Welt. Folglich ftehen
fie aud) wuͤrklich, unter und mit einander, in der allervoll-
fommenften allgemeinen Verbindung. Folglich find fie
insgeſamt dergeftalt einander zugeordnet und untergeordnet,
mie es die höchfte Vollkommenheit, die auffer Gott mög«
lich ift, erfodert. Sie laufen alfo insgefamt in einen Zweck
als den legten zufammen, und madıen insgefame den beften,
gewiſſeſten, untrüglichften und fürzeften Weg zu dem allera
böchiten Zwede aus. Folglich Fan man mit Recht fagen,
daß die Schöpfung diefer Welt eine fo weile That Gottes
fen, daß es fehlechterdings unmöglich ift, daß Gott noch
meifer hätte handeln koͤnnen. Und folglich hat Gore, die
Linendlichfeit feiner Weisheit, durch die Schöpfung diefer
Welt in der That erwiefen.
$. 1010.
Nachdem wir nun überhaupt die göttlichen Abfichten, _
um welcher willen er diefe Welt erfchaffen hat, unterfuche
haben: fo wollen wir verfuchen, ob wir einige diefer Abfich-
ten infonderheit beftimmen, und ausmachen koͤnnen, welches
der legte Zweck, oder der Endzweck diefer Welt, fey. Und
da
Der Zweck der Schöpfung. 551
da wir uns überzeugen wollen, daß derfelbe, in der Ehre
Gottes und in der Religion, beftehe; fo müflen wir erſt,
die Begriffe von der Religion, feftfegen. Nemlich die
Ehre einer Perfon befteht, in der Erfentniß ihrer geöffern
Vollkommenheiten; oder in dem Urtheile, vermöge deſſen
ihr geöffere Bollfommenheiten zugefihrieben werden. Wenn
iemand feine eigenen gröffern Vollkommenheiten erfent; und
diefelben ſich in feinem eigenen Urtheile zufchreibt, fo ehrt er
ſich ſelbſt. Erkennen aber andere feine gröffern Vollkom—
menheiten, und fehreiben fie ihm in ihrem Urtheile zu, fo
wird er von andern geehrt, und das find feine Derehrer.
Es iſt ein bloffer Wortftreie und ein Eigenfinn, wenn man
füylechterdings fagen wolte, daß niemand fich felbit ehren
Fonte. Wenn aber iemand von andern geehrt wird, fo it
diefe feine Ehre Feine Nealität und Vollkommenheit, mel
che in ihm, als der geehrten Perfon, würflich iſt; fondern fie
it in feinen Berehrern wuͤrklich, und der Gegenftand diefer
Ehre ift in der geöhrten Derfon würflih, Es behaupten
einige, daß man jemanden nur ehre, wenn man ihm mos
ralifche Vollkommenheiten zufchreibt. Allein man Fan ies
manden auch ehren, wenn man ihm Bollfommenheiten zus
fhreibt, die nicht moralifch find. So ift es eine wahre
Ehre Gottes, wenn man ihn, als ein allmaͤchtiges und all—
wiffendes Wefen, verehre. Go viel aber ift gewiß, daß
eö niemals für eine Ehre gehalten wird, wenn man ieman«
ben Eleinere Bollfommenheiten zuſchreibt. Wer wird es
für eine Ehre halten, wenn man von einen Gelehrten fagen
wolte, er koͤnne gut lefen und ſchreiben? Ein ieder Verehrer
ſtelt ſich die Vollkommenheit, um welcher willen er iemans
den ehrt, als eine gröffere Vollkommenheit vor, durch welche
derfeibe gleihfam über andere hervorragt, er mag nun in
dieſem Stüce irren oder nicht, oder es mag diefe Vollkom—
menheit in der That groß feyn, oder nicht. Ein höherer
Grad der Ehre wird, der Ruhm, genen. Wir rühmen
und preifen iemanden, wenn man ihm entweder fehr grofie
Vollkommenheiten zufchreibe, oder wenn man wenigitens
feine
352 Der Zweck der Schöpfung.
feine Vollkommenheiten, als fehr groffe und erhabene Volle
fommenbeiten, ſich vorftelt. Der Ruhm Gottes, oder
die Ehre Gottes, befteht demnach in einer vollfommenern
Erfentniß feiner göttlichen Bollfommenbeiten. Und diefe
Ehre ift von doppelter Art, Einmal die Ehre, wodurd)
Gore ſich felbft ehrt. Gott erfent ſich felbft, und alle feine
unendlichen‘ Bollfommenbeiten, im höchften Grade $. 903.
Folglich ift in ihm die allervollfommenfte Verehrung feiner
felbft, ewig und unveränderlich, würflih. Allein da diefe
Ehre Gottes eine innerlihe Vollkommenheit Gottes ift,
fo Fan fie unmöglic) der Zweck feyn, um deifentwillen Gott
diefe Belt erfchaffen bat $. 1002. Folglich Fan fie hier
nicht, in Betrachtung, gezogen werden, Wir reden alfo
von der andern Ehre Gottes, welche in der Erfentniß der
Greaturen beftcht, die fie von Gott und feinen Vollkom—
menbeiten haben, und welche alfo eine Nealität ift, die in
der Welt wuͤrklich ift. Es Fan fich ein iedweder leicht
überzeugen, daß nur mit Verſtand begabte Ereaturen, oder
endiiche Geilter, Gott erfennen und ihm verehren koͤnnen.
Folglich verſtehen wir hier, durch die Ehre oder den Ruhm
Gottes, eine vollfommenere Erfentnif der höchften Bollfom»
menheiten Gottes, weldye in den würklichen endlichen Geis
ftern angetroffen wird.
S. cr,
Wenn ein endlicher Geift, eine folche vollfommene
Erkentniß von den göttlichen Vollkommenheiten hat, daf
fie lebendig ift; folglic) daß fie ihn, und feinen freyen Wil«
len, bewegt, das Gute zu begehren und zu hun, und dag
Boͤſe zu verabfcheuen und zu unterlaffen: ſo verberriis
cher er die Ehre Gottes, oder fo dient er Gott. Die
Verherrlichung der Ehre Gottes, und der Dienft Gottes,
beſteht alfo in einem foldyen freyen und rechtmäßigen Wera
halten eines endlichen Geiftes, welches den Bollfonmen«
heiten Gottes gemaß iſt; oder wozu er die Bewegungs»
gründe, aus der Ehre Gottes, hernimt: z. E, wenn er niche
fündiget, weil er erfent, daß Gott alle Sünden um feiner
Ges
Der — der Schoͤpfung. 353
Gerechtigkeit willen ftrafe, und wenn er rechtmäßig handelt,
weil er erfent, daß Gott, um feiner Gerechtigkeit willen,
alle rechtmäßige Handlungen belohne. Wenn alfo vernünf.
tige Ereaturen Gott dienen, fo bat Gott davon Feinen Bora
theil zu erwarten, als wenn er durch diefen Dienft innerlich
vollfommener werden Fünte, Und alſo iſt es lächerlich,
wenn manche Neligionsfpötter deswegen über die Religion
laden, weil fie denfen, man behaupte, daß Gott durch
den Dienft, den ihm die Creaturen leiften, vollfommener
werde. Ber diefes glaubt, der denkt freylich ungereimt, -
Allein fein vernünftiger Kenner der Religion macht fich,
einen folchen falfhen Begrif, von dem Gottesdienfte. Und
wenn eine vernünftige Creatur, nad) unferm Begriffe, Gore
dient; fo find, feine freye Handlungen, die unmittelbaren
Wuͤrkungen feiner Begriffe von den göttlichen Vollkommen—
beiten. Und danun die Wirkungen, die Erkentnißmit—
tel ihrer Urfachen, find: fo ſchimmern alsdenn, die Bor:
ftellungen der göttlichen Vollfommenbeiten, aus den Hands
lungen einer vernünftigen Creatur hervor, und fie feßen dies
felben alfo in ein gröfferes Licht und verherrlichen fie. Dies
fe Ehre Gottes, mit dem Dienfte Gottes zufammengenom»
men, machen die Aeligion aus. Die Ehre Gottes iſt
der theoretifche Theil der Religion, und in einer iedweden
Religion liege, eine Schre von Gott, zum Grunde, Der
Dienft Gottes ift der practifche Theil der Religion. Und
das ganze Wefen der Religion befteht, in einer folchen voll-
fommenen Erfentniß der göttlichen Bollfommenbeiten, mwel«
he lebendig it. Die weitere Unterfuchung diefes Begrifs
gehört, in die Sittenlehre,
$. 1012.
Die Religion iſt verfchiedener Grade der Vollkom—
menheit fähig, welche, nach folgenden Regeln, beurtheilt
werden müffen, 1) Te mehrere endliche Geifter Gott ehren
und ihm dienen, defto gröffer ift die Ehre Gortes, der
Dienft Gottes, und die Keligion; folglich, ie mehr Ber,
ehrer und Diener Gott hat. Wenn alfo fo viele endliche
4 Theil, 3 Gei—
354 Der zweck der Schöpfung.
Geifter auffer Gott würflich find, als möglid), und wenn
fo viele derfelben feine Werehrer und Diener find, als mög«
lich; fo hat in diefer Abficht die Religion, den allerhoͤchſten
Grad, erreiht. 2) Se gröffere und vollfommenere end«
liche Geiſter Gott ehren und ihm dienen, deſto vollfom-
mener iſt die Religion. - Die Ehre, die man von einem
unverftändigen Menfchen empfängt, iſt warlich eine fchlech«
te Ehre. Wenn alfo die allergröften, höchften und gluͤck—
feligften Geifter wuͤrklich find, die möglich find, und wenn
diefelben Gott ehren und ihm dienen, fo ift aud) in diefer
Abſicht die Religion die gröfte, welche möglid) ift. 3) Je
meitläuftiger die Ehre und der Dienft Gottes ift, defto gröfs
fer ift die Religion; folglich ie mehrere goͤttliche Bolls
fommenbeiten, und ie mehr von einer iediweden, die endlis
lichen Geifter erfennen, ie mehrere freye Hanvlungen fie
um Gottes willen thun, ie mehr Bewegungsgründe fie zu
ihrem DBerhalten aus der Erfentniß Gottes hernehmen, und
ie öfter fie diefes thun, defto vollfommener ift die Religion.
In diefer Abſicht ift alfo die Religion die gröfte, wenn ein
endlicher Geift alles von Gott erfent, was er zu erfennen
im Stande ift, und wenn er alle feine freye Handlungen um
Gottes willen thut, und noch dazu zu einer iedweden derſel⸗
ben fo viele Bervegungsgründe aus Gott hernimt, als mög«
lich ft. 4) Je gröffere und erhabenere Begriffe fid) die
endlichen Geifter von Gott machen, ie wichtiger die Bes
wegungsgründe. find, welche fie aus denfelben bernehmen,
und ie gröffer die Handlungen find, welche fie um derfelben
willen thun, defto aröffer ift Die Religion. Die allervolls
fommenfte Religion eines endlichen Geiftes befteht alfo dar⸗
in, wenn er fich, die allergröften und Gott anftändigften
Begriffe, von den göttlichen Vollkommenheiten macht, die
ihm möglid) find, wenn er um derſelben willen die alleredels
ften und vortreflichften Handlungen thut, und wenn die Ehre
Gottes fein vornehmfter und ſtaͤrkſter Bewegungsgrund,
und der legte Zweck aller feiner Handlungen ift. 5) Je
volllommener die Erkentniß der göttlichen Vollkommenhei ·
ten,
Der Zweck der Schöpfung. 355
gen, und der aus derfelben hergeleiteten Bewegungsgründe
iſt, deſto gröffer ift die Religion : folglich ie Elärer, richti—
ger, gewiffer und lebendiger dieſe Erkentniß ift. Es beſteht
demnach, Die gröfte und volllommenfte Religion eines end«
lien Geiftes, darin: wenn feine theologifche Erkentniß
nicht klaͤrer, vichtiger, gewiffer und lebendiger in ihm fenn
fonte, als fie wuͤrklich iſt; und wenn feine Bewegungs«
gründe, Die er aus der Ehre Gottes zu feinem rechtmäßigen
Verhalten hernimt, eben in einem fo hohen Grade klar,
richtig, gewiß und lebendig find $,1010, 1011.
$. 101,
| Nunmehr ift leicht zu erweifen, daß Gottes Abfiche
bey der Schöpfung diefer Welt nicht nur dahin gegangen,
die Religion in der Welt zu befördern, fondern auch den
+ allerhöchften Grad derfelben, der möglicy gemefen. Denn
die Ehre Gottes, der Dienft Gottes und die Religion, find
unleugbar zufällige Vollkommenheiten vernünftiger Creatu-
ren. Die Ehre Gottes iſt eine vollfommenere Erkentniß
des allervollfommenften und würdigften Gegenſtandes unfes
ver Erfenmiß. Und fan wol diefelbe, eine Unvollfommen«
beit, feyn? Der Dienft Gottes beftcht in rechtmäßigen
Handlungen, die um der beften Bewegungsgründe, ober
um der Ehre Gottes willen, vorgenommen werden. Und
Fan das wol was Boͤſes feyn? Es ift fo. weit entfernt, daß
Die Religion etwas Boͤſes feyn Fünte, daß man vielmehr in
der Sittenlehre leicht erweiſen kan, daß die höchfte Volle
fommenbeit und Glücfeligfeit einer vernünftigen Creatur
darin befteht, wenn fie Gort in dem höchften Grade, der
ihr möglich ift, ehrt, und ihm dient. Da nun alle zufäls
lige Bollfommenbeiten in der Welt, welche Gott den Ere«
turen nicht anerfchaffen hat, Zwecke find, um weldyer mil«
len Gott diefe Welt erfchaffen bat $. 1005. fo ift aud) die
Ehre und der Dienft Gottes, oder mit einem Worte die
Keligion, ein göttlicher Zweck diefer Welt. Und da Gore
diefe Welt, um des allerbeften Zwecks willen, erſchaffen
bar $, 1004, fo ift auch), der göttliche Zweck diefer Belt, ver
2 aller⸗
356 Der Zweck der Schöpfung. Pr
allerhöchfte Grad der Religion, der auffer Gott möglich ift.
Saft uns fehen, wie Gott diefe Welt zu diefer Abſicht ein
gerichtet habe! Und da Fan man ſich Teiche überzeugen, daß,
da diefe Welt die befte ift, Feine Welt möglich ſey, in wels
cher und durch welche Die Religion, in einem eben fo hoben
oder noch höhern Grade, erlangt werden koͤnte, als in dies
fer Welt. Denn 1) find in der beften Welt mehrere und
mannigfaltigere vernünftige Creaturen, als in irgends einer
andern Welt angetroffen werden $. 430. Folglich hat
Gott wuͤrklich mehr Geifter erfchaffen, als er würde haben
thun Fönnen, wenn er eine iedwede andere Welt zur Würfe
lichkeit gebracht hätte, Nun Fan niemand Gott verehren
und ihm dienen, ais wenn er ein endlicher Geift ift. Folg-
lich ift es unmöglid), daß auffer Gott, mehrere Verehrer
und Diener Gortes, wuͤrklich feyn fünten, als in der That
vorhanden find. Diefe Betrachtung Fan man ſich dadur
ungemein beftätigen, wenn man nicht nur ohngefehr über:
zähle, wie viele Millionen Menſchen auf dem Erbboden
mwürflid) gewefen, noch wuͤrklich find, und täglich geboren
werden; fondern wenn man fid) aud) überzeugt, daß alle
Planeten, und deren gibt es um alle Firfterne, welche un«
zahlbar find, mit vernünftigen Einwohnern angefüle find,
Dabin fan man aud) rechnen, was die heilige Schrift,
von der unzähligen Menge ver Engel, ſagt. 2) In der
beften Wels find auch) die gröften, beften und glückfeligften
endlichen Geifter würflich, jo daß Feine gröffern und volls
Fomnern Geiſter auffer Gore würflich fern Fünnen, als
auffer ihm iego mürflich vorhanden find $. 430. ort
hat alfo wuͤrklich in diefer Welt, fo viele und groffe endliche
Geifter, erfchaffen, als einzeln und zufammengenommen,
den höchften Grad der Religion, der nur irgends möglich
ift, auf einmal oder nach und nad) in alle Ewigkeit wuͤrk—
lid) machen. 3) Gott hat alle Dinge in der Welt fo ein.
gerichtet, daß ein iedwedes in feiner Art das befte Mirtef
iſt, Durch welches die vernünftigen Creafuren, zur beiten
Erfeneniß der göttlichen Bollfommenbeiten, gelangen koͤn—
nen
Der Zweck der Schöpfung. 557
nen. Denn alfes in der Welt, in fo ferne es que ift, iſt
eine Würfung Gottes, und folglich ein Erkentnißmittel der
göttlichen Vollkommenheiten 9. 257. Selbit das Böfe in
der Welt ft ein Erfentnigmitiel Gottes und feiner Vollkom⸗
menheiten, weil es, wie aus den Folgenden erhellen wird,
von Gort aufs gürigite und weifefte zugelaffen worden. Sa,
da diefe Welt die befte ift, fo iſt alles in derfelben in feiner
Art fo gut als möglich, und folglich das allerbeite Erfents
nißmittel der göttlichen Vollkommenheiten; fo daß aus kei—
ner andern Welt, die Vollkommenheiten Gottes, auf eine
fo vortrefliche Art bervorftralen, als ans diefer Welt. Alle
Dinge in diefer Welt auffer den vernünftigen Creaturen, die
unvernünftigen Thiere, die Pflanzen, die Kräuter, die Ges
ftirne, und wie fie alle Namen haben mögen, find entfern«
tere Mittel der Ehre Gottes, indem fie irgends auf eine
Art, den Geiitern in Diefer Welt, zu der Religion bebälf:
lich find. Und die vernünftigen Creaturen find die naͤchſten
Mittel der Religion, oder die eigentlichen Derehrer und
Diener Gottes, Indem nun Gore diefe ganze Welt, und
alles was drinnen ift, dergeftalt eingerichtet, daß Daraus
feine Bollfommenheiten viel beffer erfant werden Fünnen,
als aus irgends einer andern Welt, ja fo gut als nur mög«
lich ift; und indem er, fo viele und vortrefliche Verehrer
feiner Vollkommenheiten, erfchaffen hat, daß Feine mehrern
und beffern auffer ihm wuͤrklich ſeyn koͤnnen: fo iſt nicht nur
die Religion überhaupt ein Zweck Gottes, um deffentwils
len er dieſe Welt erfchaffen hat, fondern diefer Zweck Gottes
befteht auch wuͤrklich in dem allerhöchften Grade der Reli:
gion, welcher auffer Gott möglid) ift. \
. 1014.
Mod) leichter Fan erwiefen werden, daß Gott zu dem
Ende diefe Welt erichaffen habe, damit die endlichen Gei—
fter nicht nur glückfelig werden mögen; fondern Damit fie
auch eine fo groſſe Gluͤckſeligkeit erlangen mögen, als in der
beften Welt möglid) ift, oder als ohne Nachtheil der Regeln
der allerhöchften Güte und Weisheit geſchehen fan, Denn
3 alle
358 Der Zweck der Schöpfung.
alte zufälligen Vollkommenheiten der Creaturen, welche ih«
nen nicht anerfchaffen worden, find Abfichten Gottes, um
welcher willen er die Welt erfchaffen hat $. 1005. Nun
iſt, die höchſte Gluͤckſeligkeit, Wohlfartd und Seligkeit ver
endlichen Geifter in diefer Welt, eine zufällige Vollkom—
menbeit in diefer Welt S. 768. welche ihnen nicht aner—
ſchaffen werden koͤnnen, weil diefer höchfte Grad nur nach
und nad) erlangt werden Fan. Folglich ift, die Gluͤckſelig—
feit der vernünftigen Creaturen, ein göftlicher Zweck der
Schöpfung, und zwar ift es der höchfte Grad derfelben, weil
Gott bey der Schöpfung diefer Welt, die möglichite Volle
kommenheit aller Creaturen, zur Abficht gehabt hat $. 1006.
Und auch) diefe Abfiche hat Sort dadurd) aufs volifommenfte
ausgeführt, indem er die beite Welt erfchaffen hat. In
Feiner andern Welt Fan es Geifter geben, die eben fo gluͤck
Telig oder noch glückfeliger fenn koͤnten, als die Geifter in der
beften Welt, Diefe zweyte Abfiche ift um der erften willen,
oder um der Ehre Gortes willen, nothwendig. Denn nur
©eifter Fonnen Gott unmirtelbar verebren, und feine Ehre
verherrlichen, und zwar nur in fo ferne fie glückfelig find,
Die ganze Religion ift ein Stück der Seligkeit, und der
Gluͤckſeligkeit eines Geiftes $. 1011. 768. Folglich ie
glücfeliger ein Geiſt ift, defto gefchicfter ift er, die Ehre
Gottes und feinen Dienft zu befördern. Folglich Fan die
hoͤchſte Religion, ohne der hoͤchſten Gluͤckſeligkeit der Geis
ſter, in diefee Welt nicht befördert werden, und weil alfo
Gott jene zur Abficht gehabt hat, fo hat er auch diefe zum
Zwecke gehabt, Man würde ſehr feichte denken, wenn
man hieraus fihlieffen wolte, daß alfo in diefer Welt fein
Menſch, oder irgends eine andere vernünftige Creatur, uns
glückjelig feyn koͤnte, weder in der Zeit noch in alle Ewige _
feit. Denn, einmal, fan man, durch die bisherigen Ente _
deefungen der Weltweisheit, nicht deutlich und mit Ges
wißdeit entſcheiden, ob es der höchften Vollkommenheit der
befien Welt gemäß oder zuwider fen, daß einige vernünftige
Creaturen in alle Ewigkeit unglückfelig werden. Zum an
dern
Der Zzweck der Schöpfung. 359
dern Fan eine vernünftige Creatur zu einer Zeit unglückfelig,
und zu einer andern glücfelig feyn, und demohnerachtet,
alles in allen gerechnet, in einem fo hohen Grade glücfelig
ſeyn, als es in der beiten Welt möglid) ift. Folglich koͤn⸗
nen wir nichts weiter behaupten, als daß Gott die beite
Welt unter andern Abfichten aud) desivegen erfchaffen babe,
damit alle vernünftige Creaturen, einzeln und zufammens
genommen, glückfeliger feyn und werden mögen, ais fie in
ärgends einer andern Welt würden geworden feyn, und daß
fie einen fo hohen Grad der Glückfeligkeit erreichen, als «8
nach den Regeln der allerhöchften Guͤte und Weisheit möge
lich iſt.
$ 1015.
Nun müflen wir nod) beftimmen, welches die legte
Abfiche der Welt fen, oder welche unter allen göttlichen Abs
ſichten, um derentwillen er vie Welt erjchaffen haf, der
Endzweck fey $, 270. Dieſer legte Zweck befteht, in dem
hoͤchſten Grade der Vollkommenheit ver beften Welt. Denn
alle übrige Vollkommenheiten der Welt tragen das ihrige,
zu diefem höchften Grade, by. Da fie alfo Mittel deffel«
ben find, fo find alle zufällige Bolltonimenkeiten der Welt,
auffer der hoͤchſten, Mittel derſelben; und folglich ift fie
derjenige Zweck Gottes, zu welchem ſich alle übrige als
Mittel verhalten, und fie ift demnach der feßte Zweck Gots
tes, Gott fan nur wahre Vollfommenheiten, zu feinen
Abfihten, machen S. 917. und ie gröffer eine Vollkommen⸗
beit der Welt ift, zu einer deſto entferntern und hoͤhern
Abficht nimt fie Gott an S. 915. Folatich ift fein legter
Zweck die höchfte Vollkommenheit der beften Welt, oder
der höchfte Grad der Vollkommenheit der deften Welt, Nun
befteht, die hoͤchſte Bollfommenheit eines Dinges, in der
Zufammenftimmung aller Theile defjelben zu einem Zwecke
6. 97. Derjenige Zweck alfo, zu welchen alles in ver
Welt zufanmenftimt, ift die höchfte Vollkommenheit, und
alfo der legte Zweck der beften Welt. Nun it alles in der
beiten Wels ein Mittel zu dem hoͤchſten Grade der Religion,
3.4 wel⸗
360 Der Zwec der Schoͤpfung.
welcher auffer Gott möglich it $. 1013. Folglich ift, der
leßte Zweck der beiten Welt, diefer höchfte Grad der Ehre
und des Dienftes Gottes, oder, mit einem Worte, der Re—
ligion. Weil nun die Geifter die vollkommenſten Theile der
Welt find, fo ift ihre übrige Gluͤckſeligkeit, nach der Nelis
gion, der nächfte Mittelzweck, um deſſentwillen Gott die
beite Welt erfchaffen hat. Gemeiniglich fagt man: daß
der legte Zweck Gottes feine Ehre, und der nächte nach
diefem, die Gluͤckſeligkeit der Menfchen und anderer vers
ninftigen Creaturen, fey. Allein es ftecft in diefem Ge—
Danfen etwas falfches, als wenn die Ehre Gottes und die
Religion eine Vollkommenheit fey, welche von der Glückfe,
ligfeit der vernünftigen Creaturen unterfchieden iſt, da doch
in derfelben der hoͤchſte Grad diefer Gluͤckſeligkeit befteht,
Man denft viel richtiger, wenn man fagt: daß der legte
und böchfte Zweck Gottes, warum er die befte Welt ers
fchaffen, ver allerhöchfte Grad der Glückfeligkeit der ver-
nünftigen Gefchöpfe fen, und daß der nächitfleinere Grad
ihrer Glückfeligkeie derjenige Mittelzweck fey, welcher nach
der Religion der göfte ift. Es ift demnach abermals Elar,
daß Gott die Welt, blos aus Liebe zu den
Ereaturen, gefchaffen
habe,
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Der andere Abfihnitt.
Die Vorſehung Gottes.
Die erfte Abteilung.
Von der Vorſehung Gottes überhaupt. |
$. 1016,
ir kommen nunmehr zu der andern Hauptart der Tha⸗
W ten, und der Handlungen Gottes, durch welche er
in andere Dinge, die auſſer ihm wuͤrklich ſind,
wuͤrkt, und die werden in der Vorſehung Gottes zuſammen⸗
gefaft. Die Schöpfung ift diejenige Handlung Gottes,
aus welcher begreiflich ift, warum die Welt, und alles was
fie in ſich enthält, wuͤrklich ift; und die Vorſehung begreift
alle Handlungen und Einflüffe Gottes in die Welt in fih,
welche fie als ein fortdaurendes Ding vorausfeßen. Die
Schöpfung wuͤrkt die Welt als eine Wuͤrkung Gottes, und
die Vorſehung bearbeitet fie als eine Würfung Gottes, die
fchon da ift. Jene ift eine Handlung Gottes in die Welt,
welche ihre Wuͤrklichkeit nicht vorausfegt; die Vorſehung
Gottes aber ift eine folhe Handlung in die Weit, welche
ihre Würklichkeit vorausfegt, Man Fan alfo die gött
liche Vorſehung überhaupt, durch diejenige Handlung
Gottes in die Welt, erflären, durch welche er nad) und
nach , einer iedweden erfchaffenen Sache, fo viele zufällige
Vollkommenheiten verurfacht, als nach hödhfter Güte und
Weisheit möglich iſt. Wenn wir alle Handlungen Gottes,
welche zu der Vorfehung gehören, nad) und nad) ‚werden
durchgegangen haben; fo werden wir, von der Nichtigkeit
und Fruchtbarkeit diefer Erklärung , völlig überzeugt wer⸗
den. Man fan ſich diefe Erklärung, durch ein Gleihniß,
erläutern, Wenn fic jemand ein Haus bauet, oder einen
Garten anlegt, fo ift das gleichfam eine Schöpfung. Wenn
5 er
362 Von der Dorfehung Gottes überhaupt.
er aber, als ein guter Wirth, fein gebauetes Haus, und
feinen angelegten Garten, beforgt: fo übt er eine Borfehung
über diefelben aus. Man fan die göttlihe Borfehung auch
fo erflären, daß fie in der Handlung Gottes beftehe, durch
welche er nach und nad) alle Zwecke, um welcher willen ex
die Welt erfchaffen bat, durch diefelbe und ihre Theile zu
erlangen ſucht, und wuͤrklich erlangt,
$. 1017.
Daß nun Gott die Welt nicht nur erfchaffen habe,
fondern daß er auch über diefelbe, fo lange fie fortdaurt,
und alfo von der Schöpfung an bis in alle Ewigkeit, eine
Vorſehung ausübe: das Fan, folgendergeftalt, erwiefen
werden. Die befte Welt ift ein fortbaurendes Ding, und
wird in Ewigkeit fortdauren. Nun ift es unmoͤglich,
Daß Die ganze Welt, und ein ieder Theil derfelben, alle zus
fällige Bollfommenbeiten, die fie nad) den Regeln der hoͤch—
ften Güte haben müffen, auf einmal haben folten; und daß
alle Zwecke, warum Gott die befte Welt erfchaffen hat, auf
einmal folten erhalten werden. Es ift fein Zeitpunct der
ganzen Fortdauer der beiten Welt möglich, in welchem die
Welt die ganze befte Welt wäre, alle ihre Vollkommenhei—
ten auf einmal hätte, und alle ihre Zwede auf einmal er—
reichte. Und eben fo verhält es ſich auch, mit allen Thei—
Ien der beiten Welt. Folglich werden, in der beften Welt,
nur nach und nad) bis in alle Ewigfeit, alle zufällige Voll—
fommenheiten, und folglich auch alle Zwecke Gottes $. 1005,
die zur beften Welt noͤthig find, und deren Wuͤrklichkeit die
hoͤchſte Güte und Weisheit erfodert, wuͤrklich. Nun Fan
diefes nicht ohne Einfluß Gottes in die Welt, und auf eine
von Gott unabhängige Ark gefchehen F. 982. ine ied-
wede zufällige Vollkommenheit, welche während der Forts
dauer der Welt wirklich wird, iſt eine Würfung der thäti-
gen und gefhäftigen Güte und Weisheit Gottes $. 1005.
948. Folglich nimt Gott, während der Fortdauer der
Welt, eine folche Handlung ver, wodurch er nach und
nad) die befte Wels würkt, wodurch er nad) und nad) *
Don der Vorfehung Bottes überhaupt. 363
Abfihten der Schöpfung ausführt, und wodurch er nach
und nad, allen erfchaffenen Dingen, fo viele zufällige Voll—
kommenheiten verfchaft, als die höchfte Güte und Weisheit
erfodert, Es hat alfo Sort nicht nur die Welt erfchaffen,
fondern er übe auch eine Vorſehung über diefelbe aus,
$. 1016,
$. 1018,
Die Vorſchung ‚ welche Gott uͤber die ganze Welt
ausübt, Fan aud) mit Recht, die Sorge Gottes für die
Welt, _genent werden; oder indem Gott die Borfehung
ausuͤbt, fo forget er zugleich für die Well. Denn man
forget für eine Sache, wenn man nicht nur die Mittel ih—
ver Vollkommenheit ausfindig macht, fondern auch würflic)
gebraucht, um fie vollfommener zu machen. Nun bat
Sort von Ewigkeit her, aufs vollfommenfte, und nad)
böchiter Weisheit, die beften Mittel erfant und erwählt,
durch welche alle Dinge in der Welt nach und nad) ihre
möglichfte Bollfommenbeit erlangen, und diefe Mittel mache
er nach und nach durch feine Borfehung wuͤrklich $. 1016,
Folglich forget Gott durd) feine Borfehung für die ganze
Welt, und für alle Dinge, die in derſelben würflich find.
Es verftehe fi von felbft, daß man von der Sorge, die
Gott für diefe Welt trägt, alles ängftliche, ausfchmweifende
und unvollfommene abfondern muß, mas mit den -menfdye
lichen Sorgen nur gar zu häufig verbunden zu ſeyn pflege.
Man muß vielmehr fagen, daß Gott aufs vollfommenfte
für die Welt forge, und daß er die allerhöchfte Borfehung
über diefe Welt ausübe, Denn 1) für ie mehrere und
geöffere Dinge geſorgt wird, defto gröffer ift die Sorge und
die Borfehung. Nun forget Gore für alle Dinge in diefer
Welt, indem Fein würfliches endlihes Ding einen Yugens
blick, ohne Gottes Borfehung und Borforge, fortdauren,
und vollkommen werden Fan $. 1017. Folglich vergift
Gott, in feiner Borfehung, Feine Creatur. Er forge fo
wol für die geöften, als auch für die Fleinften, und zwar
für die legtern nicht blos vor 1 betrachtet als für Kleinige
feiten,
64 Von der Dorfehung Gottes, überbaupt.
feiten,, fondern in ihrer. Beziehung aufs Ganze. Mas
für ein Troft für uns Menfchen! Ein Menfch mag immer:
bin andern Menfchen noch fo gering, ungeachtet und ver-
geſſen zu fenn ſcheinen, er Fan allemal verfichert ſeyn, daß
Gott für ihn eben fo wohl forge, als für die gröften und
vornehmften Perſonen. Die Fleinften Vorfälle unferes tes
bens ftehen, eben fo wohl als Die gröften, unter der Vorſe—
bung Gottes. Und da in diefer Welt, als in der beften,
viel mehrere und gröffere Dinge und Beränderungen wuͤrk—
lic) find, als in irgends einer anvern Welt: fo hat Gort
würflich fo viel zu beforgen, und er beforgt auch in der That
Durch feine Borfehung fo viel, als möglid) ift, vergeftalt,
daß Feine Vorſehung möglich ift, meldje fid) noch über
mehrere und gröffere Dinge erftrecfen Fonte, als die Borfes
bung Gottes über die befte Welt, und die göttliche Dorfes
bung ift alfo in diefer Abfiche in der That die aflergröfte,
Man bewundert e8 mit Necht an einem General, wenn er
für alles in feiner Armee forget, und nichts vergift. Allein
wie wenig ift Das nicht gegen dasjenige, was Gott beforgt,
indem ihm verrnöge feiner Allwiffenheit nichts unbefant ift,
was in dieſer Welt würflich ift, oder gefchieht. 2) Je
beftändiger, ununterbrochener und dauerhafter die Vorſe—
hung ift, deſto gröffer und vollfommener ift fie. Gottes
Vorſehung daurt, von der Schöpfung an bis in alle Ewig—
keit, ununterbrochen und unausgefeßt fort, und iſt alfo auch)
in diefer Abficht die aröfte und vollfommenftee Gott wird
nie müde für die Creaturen zu forgen, er unterläft feine
Sorge für die Welt niemals, er forget Tag und Nacht uns
' ausgefeßt für. alles. Und wenn weder wir felbft, noch an—
dere Menfchen, zu gewiffen Zeiten und in gewiflen Umftan«
den, für uns forgen, oder forgen koͤnnen: fo fünnen wir
doch verfichert feyn, daß alsdenn Gott für uns alle mögliche
Sorge trägt. 3) Je weiſer, gütiger und gerechter die
Sorge und Vorfehung iſt, oder ie vollfommener dadurd)
der Gegenftand gemacht wird, vefte vollfommener und
gröffer ift fie. Gott forget aufs allerweifefte, gütigfte und
y j ge⸗
Don der Vorſehung Gottes überhaupt, 365
gerechteſte für die Welt, und alle Ereaturen, "und feine
Vorſehung ift eine Handlung feiner hoͤchſten Weisheit,
Guͤtigkeit und Gerechtigkeit $. 1016. 913. 948. 952.
Folglich) it, die Vorfehung Gottes, die allervollfommenite.
Und diefes flieft auch, aus der Lehre von der beften Welt.
Folglich wird eine iedwede Creatur in diefer Welt, durch
die Vorfehung Gottes, nad) und nad) fo vollfommen, als
möglich) ift. Und folglich Fan feine Creatur, von der Vor—
fehung Gottes, eine gröffere Vollkommenheit fodern und er»
warten, als fie würflich von derfelben empfängt.
S. 1019, J
Es gibt Leute, welche weder die Wuͤrklichkeit Gottes
leugnen, noch daß die Welt von Gott geſchaffen worden,
und fie geben alſo zu, daß fie ohne Gott nicht habe wuͤrk—
li) werden koͤnnen. Allein fie leugnen die Vorſehung
Gottes, und behaupten, daß Gott, nachdem er die Welt
gefchaffen, ſich weiter um diefelbe nicht befümmere, nicht
für diefelbe forge, und auf feinerley Weife fih, nad) der
Schöpfung, mit ihr befchäftige, oder in diefelbe würfe,
Man nent diefen Irrthum den Epicyreifchen Irrthum,
weil Epicur nad) feinem $Sehrgebaude denfelben behauptet
bat, Diejenigen, welche diefen Irrthum annehmen, mas
chen fonderlich folgende Einwürfe wider die goͤttliche Bora
ſehung. 1) Es fey ganz unnöthig, daß Gott, nachdem
er die Welt gefchaffen, in diefelbe zu würfen fortfahre, und
für fie forge; weil die Welt, nachdem fie von Gott erihafs
fen worden, ohne feine fernere Vorſorge fortdauren koͤnne.
Gleichwie ein Uhrmacher, wenn er eine vortrefliche Uhr ver-
fertiget hat, nicht weiter nöthig bat, in diefelbe zu würfen,
indem fie ohne feinen Einfluß richtig fortgeht, bis etwas
daran verdorben wird. Allein an der Welt, als an dem
beften Werke des vortreflihen Baumeifters, fünne nichts
verdorben werden. Folglich fey die Vorſehung Gottes
ganz unnöthig, und Gott koͤnne nichts unnöthiges thun.
Diefer ganze Einwurf ift, fehon in dem vorhergehenden,
völlig widerlegt worden S. 982. Es ift unmöglich), daß
die
366 Von der Dorfehung Bottes überhaupt,
die Welt in ihrer Fortdauer von ort unabhängig fern
folte, und es ift eine chimaͤriſche Vortreflichkeit der Welt,
wenn man fich diefelbe dergeftalt vorftelt, daß fie ohne be«
ftandige Vorforge Gottes, nad) ihrer Schöpfung von Gott,
foridauren Fonte. Und folglic) ift diefes nur eine Schein«
vortreflichfeit der Welt, welche der beften Welt nicht hat
koͤnnen anerfihaffen werden. Wir werden von der Nich«
tigkeit diefer Antwort, noch beffer überzeugt werden, wenn
wir in dem Folgenden alle diejenigen Handlungen Gottes
in die Welt unterfuchen werden, ohne welchen die Welt
nicht fortdauren Fan, und welche zufanımengenommen die
Borfehung Gottes ausmachen. Das Gleihniß von einem
Uhrmacher, oder von einem andern Künftler, ift fehr fchleche
angebracht. Die fubftantiellen Theile eines folhen Werks
der menfchlichen Kunft bangen ja nicht, von dem menfch«
lichen Künftler, ab; fondern nur einige Accidenzien derfels
ben, welche in diefen Theilen freylicy fortdauren fönnen,
ohne daß fich der Künfkler weiter um diefelben bekuͤmmere.
Allein. bey der Welt verhält es fid) ganz anders, indem
auch die Subftanzen, aus denen fie, als aus ihren erſten
Theilen, beſteht, von Cote gewürft werden und von ihm
abhangen. 2) Es fireite wider die höchfte Gluͤckſeligkeit
Gottes, daß er beftändig für die Nele forgen müffe, Man
folte nur bedenken: wie viele Mühe, Verdruß, Arbeit,
fchlaflofe Nächte es fofte, wenn ein Hausvater nur für eine
Familie forgen muͤſſe. Und was fey, eine Familie, gegen
die ganze Wele? Epicur hat, diefen Einwurf, fonderlich.
ſehr ftar getrieben. Er nahm an, daß das höchfte Gut
in dem DBergnügen beftehe, und daß Gott alfo beftändig,
in dem Genuffe des allerhoͤchſten Vergnuͤgens, ftehen müffe.
Folglich koͤnne er fih, um die Welt, nicht befümmern.
Allein diefer ganze Einwurf rührt, aus dem Anthropomors
phiſmus, ber $. 873: 874. wenn man fic) Öott, als einen
ſchwachen Menfchen, vorftele. Aller quälender Verdruß,
und alle befehwerlide Mühe, weiche die Sorgen verur«
fachen, rühren entweder daher, wenn man nicht alles vor⸗
ber
Don der Vorſehung Gottes überhaupt. 367
ber weis, was fich mit dem Öcgenftande zutragen Fan, und.
ofte unerwartet ein Strich durch unfere Projecte gemacht
wird; oder, wern man Abfichten dat, die nicht ausge—
führe werden koͤnnen; oder, wenn man nicht Macht genung
hat, dasjenige auszuführen, was man will; oder, daß
nicht alles nach unferm Willen geht; oder, daß unfere ein=
gefchrenften Kräfte ermüdet werden; oder, daß man zu
ausfchweifend forget: kurz, fie rühren allemal, aus einer
Unvolllommendeit, ber, Allein, dem allwiffenden, allera
weifeften und allmächtigen Gotte, Fan die Borfehung gar
Feinen quälenden Verdruß, und Feine beſchwerliche Mühe,
machen. Sie verurfacht ihm, vielmehr ein unendliches
Vergnügen, weil fie in der allervollkommenſten Geſchaͤftig⸗
feit feiner höchften Vollkommenheiten befteht.
. 1020,
3) Wenn die Vorſehung Gottes fi) über alles in
der Welt erfirefte, und wenn Gott für alles in der Welt
forgte: fo müßte er aud) für alle Kleinigkeiten und Sappalis
en forgen, und das fey der hoͤchſten Vollfommenheit Gots
tes unanftändig. Wäre es nicht lächerlid) zu fagen, daß
Gottes Vorforge ſich, auf eine iedivede Muͤcke und Käfes
mülbe, erſtrecke, daß er fie ofte aus Todesgefahren ervette,
daß fie ohne feinen Willen feinen Fuß verlegen Eonne? Ich
antworte einmal: wir haben diefem Einwurfe in dem Vor⸗
hergehenden fihon völlig vorgebauet, indem wir ermiefen
baben, daß Nichts in diefer Welt, in der Erkentniß Got—
tes, eine nichtewürdige und verachtungswerthe Kleinigkeit
fen S. 898. Wenn auch) nur das geringfte in diefer Welt
anders wäre, als es wuͤrklich ift; fo wäre Diefe Welt, und
alfo aud) die beite Welt, nicht wuͤrklich. Folglich erlangen,
alle Dinge in diefer Welt, in dem Urtheile Gottes, welcher
alles aufs deutlichfte erfent, und alfo einfieht, wie viel ein
iedwedes derfelben zur böchiten Vollkommenheit der Welt
beträgt, und daß ohne demſelben dieſe Belt nicht die befte
ſeyn Eönte, einen hinlänglichen Werth, wodurch aud) diejes
nigen Dinge, welche in unfern Augen die gröften —
eiten
368 Von der Vorfehung Gottes überhaupt,
feiten zu feyn fcheinen, der Borforge Gottes würdig werden.
Zum andern, wenn eine Mücke, oder eine andere dergleichen
Ereatur der Vorſehung Gottes nicht werth wäre, jo wäre
fie auch) der Schöpfung nicht würdig. Und wo folte, eine
ſolche Creatur, bergefommen ſeyn? Folglich ift nichts in
diefer Welt, für die Borfehung Gottes, zu ſchlecht und zu
gering. Die heilige Schrift ffimt Damit volltommer, übers
ein, indem fie verfichert, daß fein Eperling vom Dache
falle ohne Gottes Willen, und daß Gott alle Thiere des
Feldes ernaͤhre. Und was ift, in unfern Augen, der Tod
eines Sperlings? 4) Wenn es eine höchft, weife und gütis
ge Vorfehung Gottes gäbey fo würde es nicht jo unordent-
lid) und verwirt in der Welt hergeben. Betrachtet man
nun dag Reich der Natur, was für Unordnung entdecke ſich
dafelbft! Eine paradififche Gegend wird von einem Unge—
witter verheert, und fan eine weife Borfehung ihre eigenen
Anordnungen zerftöhren? Betrachtet man die moralifche
Welt, fo fieht es dafelbft noch wunderlicher aus, Den
Tugendbaften geht es fehr ſchlecht, und ven Lafterhaften
wohl. Der Narr erlangt feine Abfichten, und der Weife
nicht. Und wenn man $uft hat, fo Fan man diejen Einwurf
mit groffer Beredfamfeit ausfhmücen. Ich antivorte
zweyerley. Kinmal werde ic) in dem Folgenden, bey der
Unterſuchung der göttlichen Zulaflung des Böfen in der
Welt, diefen Einwurf aus dem Wege räumen, Und zum
andern folge daraus nur fo viel, daß wir, die Veranal—
tungen der göttlihen Vorſehung, nicht erforfehen koͤnnen.
Wir verftehen die allerwenigften Regeln der höchften Weiss
heit, und Güte. Folglich Fan in diefer Welt unendlich
viel gefd,ehen, wovon wir weder erfahren, noch fonft voͤl⸗
lig einfehen koͤnnen, daß es der hoͤchſten Weisheit und. Guͤ—
te Gottes gemäß ſey. Allein es ift eine elende Art zu den—
fen, wenn wir, den Mangel unferer Einfichten, als einen
Grund anfehen, dasjenige zn leugnen, was wir
nicht völlig einzufehen im Stande
find.
Die
2
UT RAU 364
KR REERKEKRFEEKTKEFEE NT. N FT TR KO KR KR N KK EEE
Die andere Abtheilung.
Don der Vorfehung Gottes infonderheit.
S. 1021, Ä
kachdem mir die Vorfehung Gottes überhaupt betrach.
N tet haben, fo muͤſſen wir nun, die verſchiedenen Theis
le derfelben, in Erwegung ziehn. Die Vorfehung
Gottes ift nicht etwa eine einfache Handlung, die in allen
Faͤllen einerley ift, wie etwa die Schöpfung. Gott mag
eine Subſtanz ſchaffen, melde er will: die Handlung,
die er deshalb vornimt, iſt in allen Fallen was ihr We—
fen und ihre innerliche Befchaffenheit betrift, ‚einerlen. Als
lein die Vorſehung Gottes ift eine fehr zufammengefegte
Handlung Gottes, welche nidyt nur aus vielen, fondern
auch aus mannigfaltigen, Handlungen Gottes in vie
Melt beiteht, Und wenn wir, alle diefe mannigfalti«
" gen Handlungen Gottes, werben unterfucht haben ; fo wer⸗
| den wir nicht nur die göttliche Vorſehung beffer verftehen,
ſondern wir werden auch von ihrer Wuͤrklichkeit, noch auge
1) führlicher und deutlicher, überzeugt werden,
Die Erhaltung der Welt.
.. 9.:1022,
Die Erhaltung einer Sache ift die Handlung,
wodurch ihre Fortdauer gemürft wird, und wer eine Gache
‚ erhält, der ift der Erhalter derfelben. So fagen wir,
daß wir einen Menſchen erhalten, wenn wir ihm Effen und
Trinken verfhaffen, oder wenn wir ihn, wenn er ins Wafa
fer geftürzt, aus demfelben herausziehn: indem wir eben
dadurch Handlungen vornehmen, wodurd wir die Forte
Dauer des Lebens eines Menfchen wuͤrken. Nun lehrt ung
die Erfahrung, daß diefe Welt feit ihrer Schöpfung fort.
daurt, Sie fan aber, in feinem Augenblice ihrer Forts
dauer, auf eine von Gott unabhängige Art wuͤrklich ſeyn
4, Theil. Ya und
370 Die Erhaltung der delt.
und fortdauren $. 982. Sondern fie iff, in einem ied«
weden Augenblicke ihrer Dauer, ein zufälliges Ding, wel—
es nicht anders als eine Würfung der göttlichen Kraft,
und einer göttlichen Handlung, würflic) fenn fan $. 821.
Folglich wirft, die auffer der Welt befindiiche Subftans,
oder Sort, durch eine Handlung, beftändig, und ununters
brochen die Fortdaner der Welt, in einem iedweden Augen—
blicke verfeiben. Und es iſt demnach unwiderfprechlich Elar,
daß Gott nicht nur der Schöpfer, fondern auch der. Erhals
ter dieſer Welt ſey. Es ift eine nichtige Ausflucht, die wir
fon aus dem Wege geräumt haben, wenn man fagen
wolte: Gott habe die Subſtanzen vier Welt nur erfchaffen
duͤrfen, fo daurfen fie vor fid) for, indem eine iedwede
Subftanz vor fih wuͤrklich ſeyn, und alfo auch fortdau«
ren könne, Allein man verwechfele bier, ziweyerley, mit
einander. Ein anderes iftes, wenn man fagt: eine Sub«
ftanz daure vor ſich fort; und ein anderes ift es, wenn man
fage: fie Daure auf eine felbftftändige und unabhängige Art
fort. Das erfte will fo viel fagen: eine Subſtanz daurt
dergeftalt fort, daß fie, in feinem Augenblicke ihrer Dau«
er, in einem andern Dinge als in ihrem Subjecte fortdau⸗
re, And fo dauren die Subftanzen diefer Welt fort, indem
fie auffer Gott, durch Die ganze Zeit ihrer Dauer, wuͤrklich
find $. 8850. Das leßte aber will fo viel ſagen: daß vie
Welt dergeftalt fortdaure, daß es Augenblicke ihrer Dauer |
gebe, in welchen ihre Würklichfeit gar Feinen hinreichenden
Grund in einer Handlung Gottes habe, und das ift uns
möglih $. 982. Und eben hieraus folgt, daß die Welt
nur, durch die Erhaltung Gottes, fortdauren koͤnne, und
würflic fortdaure. Die Erhaltung der Welt ift unleug«
bar, ein. Theil der göttlichen DBorfehung. Denn es ift
unmöglich, daß diefe Welt, oder irgends ein Theil derfele
ben, nach und nach die möglichfte Vollkommenheit erlangen
folte, wenn fie nicht fortdauren, indem nicht nur die Forte
dauer ſelbſt eine gröffere Bolffommenbeit iſt; fondern auch
eine Bedingung, obne welcher unmöglich nad) und nad),
immer
Die Erhaltung der Welt. 371
immer mehrere und mehrere Vollkommenheiten, in einem
endlichen Dinge wuͤrklich werden koͤnnen. Folglich gehört,
die Erhaltung der Welt, zu den Handlungen Gottes, wo—
durch er nach und nach fo viel Vollkommenheiten in den er
fchaffenen Dingen wuͤrklich macht, als nach ven Kegeln der
höchiten Güte und Weisheit möglich if. Und eg gehört
demnach die Erhaltung der Welt zu der göttlichen Borfes
bung, und Borforge für alle erichaffene Dinge $. 1016,
Nr: 202,
Wenn man fich, von der göttlichen Erhaltung diefer
Welt, einen rechten Begrif machen will, fo muß man vie:
rerley von derfelben bemerfen. Einmal, fie ift ein Einfluß
Gottes in die Welt: denn fie ift eine Handlung Gottes,
wodurch er in die Welt würft $. 1022. Nun ift Sort eine
Subſtanz, welche aufler der Welt würklih ift $. 849.
Folglich würft er in ein Ding auffer fich, indem er die Wele
erhalt; und eine iedwede Handlung, Durch welche eine
Subſtanz in ein anderes Dina auffer fich würfe, wird ein
Einfluß genent $. 166. Zum andern ift, die göttliche Er—
haltung der Welt, ein reeller Einfluß Gottes in die Welt.
Denn die Welt ift ein endliches und zufälliges Ding, und
£an alfo, den Hinreichenden Grund feiner Wirklichkeit und
Fortdauer, nicht in ſich felbft Haben ; ober Feinendliches Ding
Ean, durch feine eigene Kraft, feine Wirklichkeit und Forka
dauer würfen $. 239. Es Fan zwar, indem es fortdaurt,
Durch feine eigenen Handlungen in fich ſelbſt, verſchiedene
Accidenzien, würfen, welche zu feiner Wuͤrklichkeit und
Fortdauer gehören; allein es ift unmöalich, daß es, durch
feine eigene Handlung, die fubftantielle Fortdauer feiner felbft
würfen folte. Folglich verhält fid) die Welt, bey ihrer Erz
haltung von Gott, blos leidentlidy, und indem alfo Gore
die Welt erhält, fo thut er diefes durch einen reellen Einfluß
$ 167% Zum dritten iſt die Erhaltung ein beftändiger,
unausaefegter und ununterbrochener Einfluß Gottes in die
Melt, von der Schöpfung an bis in alle Ewigkeit; weil
die Welt, in feinem — ihres Daſeyns, fortdau-
02
ven
312 | Die Erhaltung der delt.
ren fan, ohne von Gott erhalten zu werden $.1022. Wenn
Gott feine Hand von der Welt abzöge, und aud) nur einen
Augenblic diefen feinen Einfluß in die Welt unterlaffen wol
te: fo würde fie blos dadurch vernichtet werden, und verge—
hen. Zum vierten IE, die göftliche Erhaltung der Belt,
eine freye Handlung Gortes; weil fie zu denenjenigen göft-
fihen Handlungen gehört, wodurch Gott in andere Dinge
auffer fih würft $. 930. 940. 941. Er entfchlieft fich
alfo, zu der Erhaltung diefer Welt, durch die allervollkom—
menften Berwegungsgründe, oder weil er aufs vollfome«
menfte weis, daß diefe Welt die befte it. Da nun die
Schöpfung der Welt ebenfals, ein reeller und freyer Ein⸗
fluß Gottes in die Welt, ift $. 972. 977. fo ift, die Era
haltung der Welt, nichts anders, als eine fortgefeste Schd-
pfung ; oder indem Gott die Welt erhält, fegt er Die Hands
lung in die Welt fort, wodurd) er fie erichaffen hat. Es
haben einige, aus einer übertriebenen Siebe zum Paradoren,
diefes fo. verftanden, als wenn die Welt alle Augenblice
vernichter, und wiederum aus Nichts von Gott hervorges
bracht würde. Allein es ift nicht dev Mühe werth, die Un—
gereimtheit diefes Einfalles weitläuftig zu erweifen.
.. 109%.
Wenn man fich, die Erhaltung der Welt, derge—
ftalt vorftellen will, daß man nicht etwa auf den Irrthum
gerathe, als thue Gott zu wenig, indem er die Welt er⸗
hält: fo muß man, die verfchiedenen Arten der Erhaltung
einer Sache, wohl von einander unterſcheiden. Cs gibt
nemlich fonderlic) eine vierfache Art, wie eine Sache erhals
ten werden Fan. 1) Eine unmittelbare Erhaltung, wel—⸗
che in einer Handlung befteht, die den nächiten zureichenden
Grund der Fortdauer einer Sache enthält. Oder der Era
Balter einer Sache erhält fie auf eine unmittelbare Ark,
wenn er in der That in diefelbe würft, und dadurch ihre
Fortdauer verurfaht. So Fan man fagen, daß eine Arzes
ney unfer Leben erhalte, und fo ijt Effen und Trinfen ein
Erbaltungsmittel unferes Lebens, und unferer Geſundheit.
Aus
Die Erhaltung der Melk, 373
Aus dem geführten Beweiſe erhellet, daß Gott auf diefe
Art die Welt erhalte $. 1022, 1023. 2) ine mittelbare
Erhaltung, welche wiederum auf eine doppelte Art erkläre
werden fan, Einmal, wer die Hinderniffe der Fortdauer
einer Sache aus dem Wege räumt, der erhält fie auf eine
mittelbare Art. So fagen wir, daß wir das Leben eines -
Menfchen erhalten, wenn mir ihn aus dem Waffer ziehn,
oder aus einer andern Lebensgefahr erretten. Es ift offene
bar, daß wir alsdenn nichts weiter thun, als daß wir, die
KHinderniffe der Fortdauer des Lebens, aus dem Wege räus
men, Nun fan man, von der Welt im Ganzen betrachtet,
nicht fagen, daß fie von Gott auf eine folche Ark erhalten
werde: denn es ift gar fein Hinderniß ihrer Fortdauer mög»
lich und wuͤrklich, welches Gott wegſchaffen koͤnte, um ihre
Fortdauer zu erhalten. Allein was die einzeln Theile der
Belt betrift, Menfchen, Thiere und andere Dinge: fo ge:
rathen fie, mitten in der Welt, ofte in ſolche Umftände, daß
fih ihrer längern Fortdauer Hinderniffe in den Weg legen.
Wenn nun diefelben aus dem Wege geräumt werden, wie
doch unzählig ofte gefchieht, fo ift diefes eine wuͤrkliche Be—
gebenheit in der Welt, welche von Sort abhange. Und
folglich erhält Gott, die einzelnen Theile diefer Welt, ofte
dergeftale mittelbarer Weife, daß er die Hinderniffe ihrer
längern Fortdauer aus dem Wege räumt, Nur muß man
nicht denfen , daß in diefen Fallen Gott, zur Erhaltung
diefer Dinge, nichts meiter thue, und daß er fie nicht aud)
zugleich unmittelbar erhalte. 3. E. wenn Gott einen Mens
ſchen aus einer Sebensgefahr errettet, fo erhält er das Leben
deſſelben nicht nur auf eine mittelbare Art, fondern auch zus
gleich) auf eine unmittelbare Ar, Zum andern Fan man
fagen, daß man eine Sache mittelbarer Weife erhalte, wenn
man ihr die Mittel ihrer Fortbauer verfchaft. So erhalten
wir das $eben eines Menſchen, wenn wir ihm Effen und
Trinken geben. Auch auf diefe Art erhält Gott die Dinge in.
der Welt, indem er einem iedweden die Mittel feiner Forte
dauer verfchaft: den Pflanzen Regen und Sonnenfchein,
Aa 3 den
374 Die Erhaltung der Welt.
den Thieren ihre Nahrungsmittel u. f m. Auch hier
wäre es zu wenig gefagt, wenn man behaupten wolte, daß
Gott nur auf diefe Art manche Dinge erhalte, er muß fie
aufferdem allemal auch zugleich unmittelbar erhalten. So
Fönte ein Menſch unmöglich länger fortdauren, wenn er auch
Eſſen und Trinken genung hätte, wenn Gott nicht zugleich
feine Würflichfeit, in einem iedweden Augenblicke feiner
Fortdauer, unmittelbar wuͤrkte. 3) Eine Erhaltung im
verneinenden Berftande, wenn die Handlung unterlaflen
wird, wodurch der Untergang einer Sache gewürft werden
würde, So erhalten wir z. E. ein Kleid, ein Glas und
dergleichen Dinge, indem wir durch Feinen Einfluß in die
felben ihre Würflichfeit, und die Fortfegung derfelben,
würfen; fondern indem wir fie fehonen, und die Handlunae
gen unterlaffen, wodurd) fie Fönten verdorben und zerbrochen
. werden, oder durch welche ihr Untergang gewuͤrkt oder be«
fhleuniget werden würde. Nun iſt offenbar, daß Gott
durch feine Allmacht eine Handlung thun Fünte, wodurch
fo gar die ganze Welt würde vernichtet werden. Indem
alfo Gott der Erhalter diefer Welt ift, fo erhält er fie frey«
lich verneinender Weiſe, indem er diejenige Handlung uns
‚terläft, wodurch die Welt vernichtet werden würde. Allein
Das iſt zu wenig geſagt. Wenn Gott bey ver Erhaltung
der Welt nichts weiter thaͤte, fo würde in der That die Welt,
auf eine von Gott unabhängige Art, fortdauren. Da nun
dieſes unmöglich ift $. 982. fo iſt die göttliche Erhaltung
diefer Welt 4) eine Erhaltung im bejahenden Verſtande,
indem Gore beftändig in der That eine reelle Handlung,
durd) feine allmaͤchtige Kraft, würft, wodurd) er die Forts
dauer der Welt verurfacht.
$. 1025.
Wir müffen noch den Gegenftand der göttlichen Era
haltung diefer Welt betrachten, und die Frage genauer uns
terſuchen: was Gott, durd) feinen erhaltenden Einfluß in
die Welt, eigentlich unmittelbar würfe? Und das ift, mit
einem Worte, dasjenige, was bey der Fortdauer der Subs
ſtanzen
u u — —— — ——
Die Erhaltung der Welt. 37
ſtanzen in der Welt, bey allen ihren Veränderungen, die
fie durch ihre eigene Kräfte würfen, zum Gennde, liege,
Denn was Gott erfchaffen hat, und was nicht anders würflich
ſeyn Fan, als durch die Schöpfung, das muß Gott auch
erhalten, und das Fan nicht anders forfdauren, als durch
die göttliche Erhaltung. Denn die Erhaltung ft nicht nur,
die Fortfegung der Schöpfung $.-1023. fondern da Gott
auch feinem Dinge, eine unabhängige Dauer, anerichaffen
koͤnnen $. 982. fo fan Fein erfchaffenes Ding, ohne goͤtt⸗
liche Erhaltung, fortdauren. Folglich find, die Gegen—
ftände der Schöpfung, auch die Gegenftände der Erhals
tung. Folglich erhält Gott alle Subftanzen der Welt,
alle Seelen, alle Geifter, kurz alle fubftantielle Theile die:
fer Welt, in einem iedweden Augenblicke ihrer Fortdauer
$. 979. Und zwar wuͤrkt Gott, durch die unmittelbare
und bejahende Erhaltung, dasjenige in der Würklichfeit
der Subſtanzen diefer Welt, was diefelben durch ihre eia
gene Kraft niche würfen fönnen, und was als würflich
vorausgefeßer werden und zum Grunde liegen muß, wenn
fie durch ihre eigene Kraft handeln, und dadurd) allerley
würftiche Veraͤnderungen in fid) ſelbſt Hervorbringen ſollen.
Die übrigen Accidenzien, welche zur Wuͤrklichkeit und Forte
dauer der Subflanzen diefer Welt gehören, und welche fie
durch ihre eigene Kraft wuͤrken, die find niche blos ein Ges
genitand der unmittelbaren Erhaltung Gottes, indem fie
zugleich von den Creaturen felbft gemürft werden,
$. 1026.
Im Gegentheil ift auch leicht zu beftimmen, was in
dieſer Welt von Gott nicht erhalten wird, und was alfo
nicht mit, zu dem Gegenſtande der göttlichen Erhaltung
dieſer Welt, gerechnet werden muß. Nemlich weil die
Erhaltung nichts anders ift, als die Kortfegung der Schös
pfung $. 1023. fo ift unleugbar, daß dasjenige von Gott
nicht erhalten werde, was er nicht erfchaffen bat. Mur
hat Gott die Wefen der Dinge, und alles was eine innerlis
che Möglichfeit derfelben ift, nicht erfcheften, folglich auch
Aa 4 nicht
316 Die Erhaltung der Welt.
nicht das metaphfifche Webel der Dinge in dieſer Welt
$. 983, Desgleichen auch nicht das Formale der zufälliz
gen, und moralifchen Uebel $. y84. Folglich erhält Gore
auch nicht, weder die Weſen ver Dinge in der Welt, noch
ihre metaphyſiſchen Uebel oder ihre fehlechterdings nothmwen-
digen Unvollfommenheiten, noch ihre phufifchen und moras
Iifchen Uebel, Unvolltommenheiten und Sünden, in fo ferne
fie formaliter oder als Verneinungen betrachtet werden.
Wenn Gore irgends ein würfliches Uebel in der Welt, als
ein Uebel betrachtet, erhielte: fo würde er der Urheber defe
felben feyn; weil die Erhaltung eine freye Handlung Gottes
iſt $. 1023. 977.° Mun aber ift das legte unmöglich
$. 985. folglich auch) das erſte. Nun fönte man aber eins
wenden und fagen, durch was für eine Kraft dieſe angeführ«
ten Dinge fortdaurten ? Wenn fie von Gott nicht erhalten -
werden, fo muß in den Creaturen felbft der hinreichende
Grund ihrer Fortdauer liegen, und folglich Eönten die Creas
turen, auf eine von Gort unabhängige Art, etwas würfen.
Allein ic antworte erftlich : die Wefen der Dinge, und als
leg was eine innerlihe Möglichkeit derfelben ift, haben Feine
Würflichfeit, und alfo auch Feine Fortdauer $.22y. Oder
die innerlihe Möglichkeit ift nichts würfliches, und fort:
daurendes, Da nun die Erhaltung eine Handlung ifk,
wodurch die Fortdauer gemwürft wird $. 1022, foift es wi:
derfprechend zu fagen, daß die Wefen und innerlichen Mög«
lichEeiten der Dinge von Gott erhalten werden: denn fie be—
dürfen gar Feiner Erhaltung, und find derfelben gar nicht
fähig. Zum andern, ein iedwedes Uebel in fo ferne es ein
Uebel iſt, ift eine bloffe Verneinung, und nichts Reelles
9.137. Die Würflichfeit ift etwas Neelles $. 65. Folg«
lic) fan Fein Uebel, in fo ferne es ein Uebel ift, eine Wuͤrk—
lichfeit haben. Sondern es beſteht daffelbe allemal, in
einer Abwefenheit einer gröffern Würklichkeit einer Reali—
tät. 3. E. wenn die Erkentniß in einem höhern Grade
würflich feyn koͤnte, als fie ift, fo fagt man, daß eine Un«
wiſſenheit vorhanden-fey. Judem alfo Gott, durch feinen
| erhals
— — —
Die Mitwuͤrkung Gottes. 577
erhaltenden Einfluß, die wuͤrklichen und eingefehrenften Rea⸗
litäten der Ereaturen erhält, fo find die Verneinungen vor«
handen, ohne daß fie von Gott gewürft und erhalten wer
den. Ob nun daraus folge, dag Gott Schuld an der
Suͤnde der Creaturen habe oder nicht, das wird fi) in dem
Folgenden erörtern laffen. Hier ift es genung, wenn wir
uns überzeugen, daß Fein Uebel, feine Sünde, in fo ferne
diefe Dinge Verneinungen find, und formaliter betrachter
werden, der göttlichen Erhaltüng bedürfe und fähig ſey.
Die Mitwirkung GOttes.
$. 1027:
Aus den bisherigen Betrachtungen Fan man fi) ſchon,
einen groffen Begrif von der ungemeinen Abhänglichkeit
aller Subftanzen in der Welt von Gott, machen; indem
wir durch diefelben überzeugt find, daß Feine derfelben dafeyn
fönte, wenn fie nicht von Gott erfchaffen wäre, und daß
feine derfelben auch nur einen Augenblick fortvauren Fönte,
wenn fie nicht von Gott erhalten würde. Allein, das ift
noch nicht genung. Sondern wir wollen uns auch über»
zeugen, daß Feine endlihe Subſtanz, ohne Hülfe und
Mitwürfung Gottes, auch nur die allergeringfte Handlung
thun koͤnte, und daß fi, in der ganzen weiten Welt, Feine
Veränderung und Begebenheit zutrage, wobey Gott nicht
mit im Spiele feyn folte, wie man zu reden pflegt. Mems
lich, wenn man von einer Subſtanz fagt, daß fie mitwürfe,
fo muß eine andere Subftanz dafeyn, welche als eine wuͤr⸗
fende Urſach, durch eine Handlung, eine Veränderung
wirft, und die erfte Subſtanz muß auch zugleich, eine
Miturfach diefer Veränderung, fern $. 240. Nun moͤ—
gen die Subftanzen diefer Welt würfen, mas und fo oft fie
wollen, fo find fie doch ſelbſt Würfungen Gottes, vermöge
der Schöpfung und Erhaltung $. 979. 1025. Folglich
find fie insgefamt Zwifchenurfachen aller ihrer Würfungen,
welche dem hoͤchſten Weſen untergeordnet find $. 241. Es
ift demnach) Gott ſchlechterdings die alleverfte Urfach aller
Yas Ber.
378 Die Mitwürkung Gottes.
Veränderungen in der Welt, meil er auffer fich Feine Urſach
feiner felbft hat d. 880. und alle endliche Subftanzen find
nur Zwifchenurfachen ihrer eigenen Würkfungen, Folglich
ift Gott eine Miturfad) aller Veränderungen in der Welt,
welche durch die Kräfte der Creaturen gewuͤrkt werden, und
man muß alfo fagen, daß er bey allen diefen Beränderuns
gen mitwürfe $. 240. Man fege eine endliche Subftanz,
welche man will: man feße, daß fie eben im Begriffe ftehr,
durch ihre Kraft eine Handlung zu thun, und dadurd) in
fi) felbft, oder in andern Dingen, eine Veränderung ber
vorzubringen:- fo muß in diefem Augenblicke ihre Kraft
würflic) feyn und fortdauren. Nun ift diefes nicht anders
moͤglich, als durch) die Erhaltung Gottes F. 1022. Folge
lic) iit die Kraft der Creaturen, in aller ihrer Wuͤrkſamkeit,
eine Würfung Gottes, Und mern Gott in demfelben Aus
genblife, da eine Creatur handeln will, feine Hand von
derfelben abzöge: fo würde fie vernichtet werden, und koͤnte
fie alsdenn wol die Handlung verrichten? Folglid) liegt, in
dem Einfluffe Gottes in alle endlihe Subſtanzen, zugleid)
einer derer Gründe, ohne welchen, feine einzige Handlung
und Veränderung in der Welt, würflich werden koͤnte. Und
es iſt demnach unleugbar, daß Gott, bey allen Werändes
rungen in der Welt, welche durch die Kräfte der endlichen
Subſtanzen gerwürft werden, mitwürfe. Bey diefer Mita
wuͤrkung Gottes, wenn man fid) von derfelben richtig über-
zeugen will, muß man zwey Abmege vermeiden. Einmal
muß man den endlichen Subftanzen nicht zu wenig zufchrei«
ben, und gar fo weit geben, daß man annehmen wolte,
Gott würfe alle Veränderungen in der Welt allein. Als«
denn würden die Creaturen, Feine eigene Thätigfeit und
würkfame Kraft, behalten. Sie würden feine Subftan«
zen bleiben, fondern bloffe Hccidenzien werden. Die cartes
fianifche Weltweisheit hat fich in diefen Abweg verivret, und
man fan daher fagen, daß fie ven Saamen des fpinofiftifchen
Lehrgebaͤudes enthalte. Zum andern muß man den Creatus
ven, auch nicht zu viel in ihrer Wuͤrkſamkeit, zuſchreiben,
und
Die Mitwuͤrkung Gottes. 379
und annehmen, daß fie irgends eine Handlung, ohne Got⸗
tes Beyhuͤlfe und Mitwürfung, verrichten koͤnten. Denn
das hieſſe eben fo viel, als fagen: daß eine Creatur, in ei—
ner gewiſſen Abficht, von Gott unabhängig ſeyn Fönte, und
das dit fehlechterdings unmöglic).
. 1028.
Man Fan behaupten, daß Gott, bey einer iedweden
Veränderung in der Welt, welche Durch die Kräfte der
Creaturen gewürft wird, auf eine doppelte Art mitwürfe,
nemlich mittelbarer Weife fo wol, als auch unmittelbarer
Weile. Denn alle Veränderungen in der Welt, welche
durd) die Kräfte der Creaturen gewürft werden, find erſt⸗
lich Handlungen, in Abficht dererjenigen Creaturen, durch
‚Deren Kräfte fie gewuͤrkt werden $. 164. Zum andern ges
ſchehen, alle diefe Veränderungen, in gemiffen Subftans
zen. Weil nun alle Subftanzen diefer Welt, auf eine alle
gemeine Art, in einander würfen, und einen Einfluß in
einander haben $. 442. fo Fan, eine iedwede Veränderung
der Subftanzen diefer Welt, als eine Würfung anderer end«
lichen Subftanzen auffer ihr, und. alfo als ein Leiden, an⸗
gefehen werden F. 164, Wenn man nun, eine iedwede
natürliche Veränderung in der Welt, als ein Leiden betrach—
tet: fo hat fie ven Grund ihrer Würflichfeit, aufler den
Subftanzen, in weldyen fie wuͤrklich ift, in andern endlichen
Subitanzen, und den Kräfte derfeiben. Diefe Kräfte find,
in ihrer Würffamfeit, Wirkungen Gottes S, 1027. Folge
dich ift Gott, in dieſer Abfiche, die entferntere würfende
Urfach aller natürlichen Veränderungen in ber Welt, und
er wuͤrkt bey denenfelben , in fo ferne fie Leiden find, auf
eine mittelbare Art mit 6. 245. Wenn man aber, die na«
türlichen Veränderungen in der Welt, als Handlungen der
Greaturen betrachtet: fo find fie eine Würffamfeit und Thaͤ⸗
tigfeit endlicher Subftanzen, welche von Gott in dem Au—
genblice ihrer Thätigkeit erhalten werden müffen $. 1027.
Folglich Fan man in diefer legten Abficht behaupten, daß
Gott bey denen ſelben unmittelbar mitwürfe, $, 245. Dies
8
380 Die Mitwuͤrkung Gottes,
fes legte Fan leicht zu weit ausgedehnt werden. Denn wenn
man fagt, daß eine iedwede Handlung einer ieden endlichen
Subftanz ein Stüd ihrer Würklichkeit ſey, und daß, weil
Gott durch einen unmittelbaren Einfluß alle Augenblick die
Wirklichkeit der Creaturen erhalte, er auch durch einen unmit ⸗
telbaren Einfluß alle Handlungen der Creaturen würfe: fo
ſteckt, in diefem Gedanfen, ein doppelter Irrthum. Eins
mal feßt man ohne Beweis voraus, daß Gott, durd) feine
Erhaltung, alle einzelne Theile der Wuͤrklichkeit der Crea«
turen unmittelbar würfe. Allein ich habe $. 1025. den
Gegenftand der göftlichen Erhaltung , anders beftimt, und
zwar, wie ich hoffe, nad Maaßgebung tuͤchtiger Gründe.
Zum andern würde daraus folgen, daß die Creaturen felbft
gar nicht Handelten. Denn wenn Gott, nad) diefer Erkläs
rung, alle Beränderungen der Ereaturen unmittelbar würft,
fo bleibt in Feiner Veränderung, die fi) in der Welt na⸗
türlicher Weife zuträgt, etwas übrig, welches durd) die
Kräfte der Ereaturen felbft gewürft werden koͤnte. Wenn
alfo, die Handlungen der Creaturen, wahre Handlungen
derfelben bleiben follen, fo fan man die unmittelbaren Mits
würfungen Gottes bey denfelben nicht anders annehmen, als
daß fie in derjenigen Handlung Gottes beftehen,, durch wels
che er in dem Augenblicke, da eine Creatur handelt, fie felbft
und ihre Kraft würftoder erhält,
$. 1029,
Gott kan durch feine Allmacht, nur Realitäten, wuͤr⸗
fen $. 864. Da nun, die Mitwürfung Gottes, eine -
Handlung feiner allmächtigen Kraft ift $. 1027. 861. fo
würft er, bey allen Veränderungen in der Welt, mit, in
fo ferne fie reel que und vollfommen find, nicht aber in fo
ferne fie Berneinungen find. Alle Veränderungen in der
Melt, welche durch die Kräfteder Crearuren gewuͤrkt werden,
find, wie alle endliche Dinge, gut und böfe zugleich$. 199.
In fo ferne fie gut find, find ihre würfende Urfachen, die
Creaturen, dem höchften Wefen auf eine mefentliche Art un«
tergeorbnet; in fo ferne fie aber böfe find, in fo ferne find
die
Die Mitwärkung Gottes. 381
die Creaturen, dem höchften Wefen, auf eine zufällige Art
untergeordnet F. 242, Folglich Fan auch Gott nicht die
Urfach des Böfen in der Welt ſeyn, ob er gleich bey allem
Böfen, welches in der Welt wuͤrklich geſchieht, mitwuͤrkt
G.243. Alles Böfe in der Welt, welches würflich gefchiebt,
alles Unglück, alle Sünde, alles moralifche Uebel, kurz alles
zufällige Uebel, ift zugleich was Guts $. 131. Gott würfe
alfo bey demfelben mit, in fo ferne es gut ift, oder in fo
ferne es materialiter betrachtet wird; nicht aber in fo ferne
es böfe ift, oder in fo ferne es formaliter betrachtet wird
$. 960. Aa da die Mitwürfung Gottes eine Handlung
deſſelben in die Welt ift, fo ift fie eine freye Hanolung
‘6. 939. 940. gg. Wenn Gott alfo, bey einer natürs
lid) oder moralifch böfen Handlung in der Belt, in fo fer«
ne fie formaliter betrachtet wird, mitwürfte: fo würde er der
Urheber des Böfen $. 977. und das.ift fehlechterdings uns
möglih $. 985. Wir müffen freylich behaupten, daß
Eeine Sünde und feine Schandthat in der Welt ohne Got⸗
tes Beybülfe und Mitwuͤrkung, gefchehen und vollbracht
werden fan. Denn wenn z. &. Gott nicht in dem Augen⸗
blife, da ein Dieb ftiehle, feine Kraft erhielte; wie wolte
er fremdes Gut begehren, und nach demfelben feine Hand
ausſtrecken Fönnen? Jedoch indem man Günden und
Schandthaten nent, fo denft man allein ober vornemlid)
das fündliche in denfelben, und man bedenft nicht, daß
in denſelben viel natürlich Guts angetroffen wird, dem die
Sunde, oder die Abweichung von dem Gefeße, anklebt.
Folglich ſcheint es daher manchen feuten eine Öottesläftes
rung zu feyn, wenn man fagt, daß Gott bey allen Sünden
in dber Welt mitwürfe. Allein bey folchen wichtigen Unter
ſuchungen muß man, nad) dem erſten Anfcheine der Sachen,
| ſich nicht richten.
$. 1030. |
Die Mitwürfung Gottes, bey allen natürlichen Ber.
änderungen: in der Welt, ift unleugbar ein Stück feiner
allervollfommenften Borfehung. Denn, zu der Bollkom«
men»
182 Die Mitwuͤrkung Gottes,
Pe]
menheit einer Subftanz, gehört auch ihre Thaͤtigkeit und
Gefchäftigfeit, und fie erlangt nad) und nach, ihre vera
ſchiedenen natürlidyen Vollkommenheiten, theils durch ihre
eigenen Handlungen, theils durch die Veränderungen, die
fie durch den Einfluß anderer endlichen Subftanzen leider.
Indem alfo Gott, bey aflen Veränderungen der Creaturen,
mitwuͤrkt, und zwar in fo ferne fie reel und gut find, und
in fo ferne fie Realitäten und Bollfornmenbeiten in der Welt
verurfachen: $.1029. fo nimt er eine Handlung vor, durd)
welche er nach und nad) den Creaturen, fo viele und groffe
Bolltommenbeiten, verfhaft, als in der beften Welt mög-
lich it, Folglich gehört, diefe Mitwuͤrkung Gottes, zu
der Gefchäftigfeit feiner Vorſehung über die Welt, und ift
ein Theil derfelben $. 1016. Und die Gottesgelehrten uns
terfcheiden mit echt, eine dreyfache Arc der Mitwuͤrkung
Gortes von einander. Die erfte wird die natürliche oder
phyſiſche Mitwuͤrkung Gottes genent, und fie befteht in
derjenigen Handlung Gottes, wodurd) er in dem Augenblis
de, da eine endlihe Subſtanz würft, ihre Kraft wuͤrkt
und erhält. Durch diefe Mitwürfung verfchaft Gott allen
Greaturen, zu allen ihren Handlungen, die würkliche reelle
Kraft; und es Fan demnad) Feine Subftanz in der Welt,
ohne diefer Mitroürfung Gottes, irgends etwas thun, uns
ternehmen und ausrichten. Es ift aus dem Borhergehenden
ungezweifelt gewiß $. 1027. daß Gott, bey allen Veraͤnderun⸗
gen der Ereaturen, auf dieſe Art mitwürfe, und man nene
dieſe Mitwuͤrkung Öortes eine natürliche oder phyſiſche, zum
Unterfchiede von der moraliſchen, von welcher wir gleich in
dem Folgenden handeln werden. Sie wird auch) die alls
gemeine Mitwürfung Gottes, genent: erftlid), weil
fie ſich über. .alle endliche Subſtanzen in der Welt erftreckt,
es mögen Geifter oder andere Gubftanzen fern. Kein
Thier, Feine Pflanze, Fein Körper, Eein Sonnenſtaͤubchen
ift, von dieſer Mitwuͤrkung Gortes, ausgefchloffen. Kein
Vogel fliege durch die Luft, ohne Hülfe Gottes. Keine
Pflanze ziehe den Nabrungssfaft an fich, ohne Mitwuͤrkung
Gottes.
Die Mitwuͤrkung Gottes: 383
Gottes. Kein Planer bewegt fih am Himmel, obne der⸗
felben. Kein Geift denke, ohne Hülfe Gottes, Kurz, alles
in der Welt regt und bewege fich, mit Hülfe der Mitwürs
- fung Gottes, und man fan zu einer ieden Creatur und einer
iedweden Subſtanz, mit Recht fagen: ohne Gott koͤnt ihr
nichts thun. Iſt es nicht ein thoͤrichter Hochmuth, wenn
ein Menſch irgends etwas Guts, weiches er gethan hat, ala
fein auf feine eigene Rechnung fehreibt, und es als ein Ver⸗
dienſt betrachtet, an welchem Niemand auffer ihm irgends
einen Anſpruch machen fan. Zum andern wird, dieſe
Mitwürfung Gottes, eine allgemeine genent, weil fie ſich
über alle Veränderungen und Handlungen, welche in der
Melt gefchehen find, noch gefchehen, und Eünftig geſchehen
werden, erftrecft: fienögen nun Gedanken oder Bewegungen
fen, fie mögen freye Handlungen feyn oder nicht, fie mögen
Sünden oder rechtmäßige Handlungen feyn, fie mögen zur
Geiſterwelt gehören oder zur Körperwelt, fie mögen beſchaf⸗
fen feyn, wie fie wollen.” So wenig, ohne der natürlichen
Mitwürfung Gottes, der Menſch from feyn, oder andere
Tugenden ausüben Fan; eben fo wenig fan er auch, ohne
derfelben, fündigen.
§. 1031.
Die andere Art der göttlichen Mitwürfung ift die
moralifhe Mitwuͤrkung Gottes, wodurch er.die mo«
ralifche Urfach im engern Berftande, von einigen freyen
Handlungen vernünftiger Creaturen, wird. NMenılid) die
moralifche Urſach im engern Berftande nimt eine freye Hand⸗
lung vor, wodurch fie den freyen Willen eines andern vers
nünftigen Weſens beftimt, eine gewifle freye Handlung zu
thun 6. 982, Nun Fan der freye Wille nicht anders bes
ſtimt werden, als durch Bewegungsgruͤnde. Folglich würft,
die moraliſche Urfach im engern Berftande, auf eine freye
Art, in einem andern vernünftigen Wefen Bewegungsgrüns
de zu freyen Handlungen. Da fie nun eben dadurch eine
Miturfache diefer freyen Handlungen wird, indem diefelbe
nicht gefchehen wuͤrden, wenn die Bewegungsgründe nicht
da
384 Die Mitwuͤrkung Gottes,
da wären: fo wuͤrkt fie bey diefen freyen Handlungen mit
$. 240. und zwar auf eine moralifche Art, weil alles dabey
dergeitalt vorgeht, wie es der Natur des freyen Willens ges
maͤß iſt. Nun kan fehr leicht erwwiefen werden, daß Gott, bey
allen rechtmaͤßigen freyen Handlungen aller vernünftigen
Creaturen in der Welt, auf eine moralifche Art mitwürfe,
Denn Gott belohnt, alle rechtmäßigen Handlungen aller
vernünftigen Creaturen $. 955. 956. Dieſe Belohnuns
gen find die Bewegungsgründe, wodurch vernünftige Crea«
turen bewogen werden, diefe Handlungen zu hun. Eben
diefe Belohnungen machen die höchfte Glückfeligkeit der vers
nünftigen Creaturen aus, welche Gott zum höchften Zwecke
aller Dinge in der beften Welt gemacht hat: $. 1015. Da
nun die Zwecke Gottes die Bewegungsgründe für die ver⸗
nünftigen Creaturen find, um rechtmäßig zu handeln; fo
ift ohne Widerrede Elar, daß Gott, allen vernünftigen Erea«
turen, die allervollfommeniten Bewegungsgründe, zu allen
rechtmäßigen Handlungen, an die Hand gegeben. Wenn
nun ein Menfch oder eine andere vernünftige Creatur, wuͤrk—
lic) Durch diefe Bewegungsgründe ſich enefchlieft, rechtmaͤſ—
fig zu handeln; fo fan fie weder diefelben gehörig erfennen,
nod) nah Maafgebung derfelben wollen und handeln, ohne
Mitwuͤrkung Gottes $. 1027. Folglich ift Gott die moras
liſche Urſach im engern Berftande von allen rechtmäßigen
Handlungen aller vernünftigen Creaturen, oder er würft,
bey allen diefen Handlungen, auf eine moralifche Art mit.
Er gibt vemnad) allen vernünftigen Creaturen, zu allen ihren
rechtmäßigen Handlungen, das Wollen und das Bollbringen,
und zwar nad) feinem Wohlgefallen, weil aud) diefe moralifche
Mitwürkfung Gottes eine freye Handlung Gottes ift.
. 1032,
Die moralifhe Mitwirkung Gottes, in fo ferne fie
zu der natürlichen hinzukomt, und mit derfelben vergefells
fehaftet wird, heift die befondere Mitwuͤrkung Gottes,
zum Unterfchiede von der allgemeinen. Nemlich wenn. eine
vernünftige Ereatur, auf eine vechtmäßige Art handelt, ß
wuͤrkt
Die Mitwuͤrkung Gottes. 385
wuͤrkt Gott auf eine Doppelte Art mi. Einmal auf eine
natürliche Art, indem er, wie bey allen übrigen Handluns
gen und Beränderungen in der Welt, die Kraft einer ver-
nünftigen Creatur in dem Augenblicke wuͤrkt und erhält, in
welchem fie alle diejenigen Veränderungen wuͤrklich macht,
welche zufammen genommen die freye rechtmäßige Handlung
ausmachen $. 1030, Und zum andern zugleich auf eine mora⸗
liſche Art $. 1031. Und diefe doppelte Mitwürfung Gottes zus
fammen genommen wird, Die befondere göttliche Mitwürfung,
genent: erſtlich, weil fie ſich nicht über alle endliche Sub—
ftanzen erſtreckt, fondern nur über die endlichen Geifter, oder
vernünftigen Creaturen in der Well. Es ware ungereimt
zu fagen, daß Gott, bey der Handlung eines unvernünftis
gen Thiers,auf eine moraliſche und befondere Art mitwürfe,
Zum andern, weil fi) diefe Mitwürkfung Gottes nicht, mit
allen Handlungen der endlichen Geifter, fondern nur mit
freyen Handlungen befchäftige. Wir Menfchen und an«
dere vernünftige Creaturen nehmen viele Handlungen vor,
die nicht frey find, und die find zwar ein Öegenftand ver
phnfiichen und allgemeinen, nicht aber der moralifchen und
befondern Mitwürfung Gottes. Und zum dritten, weil
fie fich nicht mit allen freyen Handlungen der Creaturen be«
fchäftiget, fondern nur mit den rechtmäßigen, in fo ferne
fie, vechtmäßig find. Und, in diefer befondern Mitwürfung
Gottes, befteht die berzenslenfende Kraft Gottes.
Die Senkung der Herzen Fan nichts anders feyn, als die Be—
ſtimmung des Willens, zu gewiffen Entfchlüffen und Hands
lungen, Durch Bemwegungsgründe, Da nun Gott, durd)
diefe feine Mitwürkung, den freyen Willen aller Menfchen,
und aller vernünftigen Creaturen, zu allem Guten beftimt,
was fie thun: fo muß es der herzensienfenden Kraft Got—
tes zugefchrieben werden, wenn ein Safterhafter fid) bekehrt,
wenn ein Menfc) fi einer Witwe und Wanfe erbarmt,
wenn Friegführende Märhte fih zum Frieden enefchlieffen
uf m.
4. Theil, BR 8,1033,
386 Die Mitwuͤrkung Gottes.
§. 1033.
Da Gott kein Verſucher zum Boͤſen, und zu irgends
einer Suͤnde, ſeyn kan; ſo iſt es unmoͤglich, daß er die
moraliſche Urſach im engern Verſtande von irgends einer
Suͤnde ſeyn koͤnne F. 987. Nun kan nur iemand bey
einer freyen Handlung moraliſch mitwuͤrken, wenn er die
moraliſche Urſach im engern Verſtande von derſelben wird
6. 1032. Folglich iſt es unmöglich, daß Gott auf eine
moralifche und befondere Art mitwuͤrken folte, wenn die
Menfchen, oder andere vernünftige Creaturen, fündigen
und moralifd) böfe Handlungen vornehmen, in fo ferne fie
formaliter betrachtet werden. Die Bewegungsgründe zur
Sünde, in fo ferne fie formaliter oder als Sünde betrachtet
wird, find ein bloß Blendwerf, welches aus Unwiſſenheit
und Irrthum zufammengefegt ift, und es ift alfo eine bloſſe
VBerneinung. Kan Gott Berneinungen würfen? Folglich
muß man behaupten, daß Gott bey allen Sünden, die in
der Welt gefchehen, bey allen moraliſch böfen Handlungen |
der vernünftigen Creaturen, zwar mitwürfe, aber nur auf |
eine natürliche und allgemeine Art, nicht aber zugleich auf
eine moralische und befondere Reife. Man Fan alſo fagen,
dag Gott mit einem iedweden Menfchen auf eine befondere
Art fey, wenn, fo lange und in fo ferne er rechtmäßig han⸗
delt; daß er ihn aber ven Augenblick verlaſſe, fo bald er
fündiger. Und auf diefe Arc wird Gott ofte, in der heilis
gen Schrift, vorgeitelt,
.« 1034
Die dritte Art der göttlichen Mitwuͤrkung wird, die
allerbeſonderſte Mitwuͤrkung Gottes, genent, und
fie beſteht in berjenigen Handlung Gottes, wodurch er, Die
übernatürlichen Begebenheiten und Wunderwerke, in der
Welt wirft. Memlich in der beften Welt haben, alle
Handlungen und Veränderungen der Creaturen, die Abs:
ſicht, die höchfte Vollkommenheit der beften Welt, folglich)
die hoͤchſte Neligion und Gluͤckſeligkeit der Geifter zu beför-
dern $. 1015. Nun thut Gott, in der beften Welt, nicht
eher
Die Mitwuͤrkung Gottes. 387
eher etwas übernatürlih und durch ein Wundermerf, bis
die höchfte Vollkommenheit derfelben nicht mehr natürlicher
Weiſe erhalten werden Fan S. 460. So ofte alfo Gore
eine übernatürliche Begebenheit und ein Wunderwerk würf«
lich macht, fo ofte wird er eine Miturſach aller Creaturen,
welche ihnen dadurch behülflidy wird, die höchfte Vollfoms
menbeit der beften Welt, und alfo den höchften Zweck, um
deflentwillen Sort die Welt erfchaffen hat, zu erreichen,
Folglich ift die Handlung Gottes, wodurch er übernatüt
liche Begebenheiten und Wunderwerke in diefer Welt würft,
in der That eine Mitwuͤrkung Gottes, Und fie wird die
allerbefonderfte göttliche Mitwürfung genent, weil fie fich
nur, über die allerbefonderften Fälle in der Welt, erſtreckt.
Ob nun Gott in der That auf diefe dritte Art mitwuͤrke,
das fan aus der bloffen Weltweisheit nicht entfchieden wer⸗
den. So viel ift gewiß, er Fan auf diefe Art vermöge feis
ner Allmache mitwürfen $. 864. Allein, ob feine höchfte
Weisheit und Güte, desgleichen ob die hoͤchſte Vollkom—
menbeit der beften Welt, diefe Mitwürfung Gottes mand)-
mal erfordern, oder ob fie diefelbe niemals verftatten, das
fan durch die bloffen Grundfäge der gefunden Bernunft
nicht entfcyieden werden.
Die Allgegenmwart Gottes.
$. 1035.
Nachdem wir die Mitwürfung Gottes unterfacht ha«
ben, fo find wir im Stande, von der Allgegenwart Gottes
zu handeln: denn fie befteht in diefer allgemeinen Mitwürs
fung Gottes, Nemlich da eine Subftanz der andern gegens
wärtig iſt, in fo ferne fie in diefelbe auf eine nähere Art,
oder wol gar zunächft und unmittelbar, wuͤrkt $. 177.
Gott aber, indem er alle Subftangen der Welt erhält, und
bey allen ihren Handlungen und Veränderungen mitwürft,
in eine iedwede derfelben unmittelbar würft $. 1023. 1028,
fo ift er nicht nur allen Subftanzen diefer Welt gegenwär.
ig, fondern er ift ihnen auch unmittelbar und zunaͤchſt ge.
——86 gen,
388 Die Allgegenwart Öottes.
genwaͤrtig. Es würde ein fehr unbequemer und Gott uns
anftändiger Ausdruck feyn, wenn man ſagen wolte, er Des
rügre alle Subſtanzen diefer Well, Denn wenn eine
Eubitanz die andere berühren foll, fo muß nicht nur die
erfte in Die andere würfen, fondern die andere muß auch in
die erfte würken $. 177. Nun fan, Feine Subftanz viefer
Melt, in Bott würfen F. 831. Folglich fan man aud)
nicht fagen, daß Gott, indem ver allen Subftanzen diefer
Welt unmittelbar zugegen und gegenwärtig ift, Diefelben
berühre. Es ift auch zu diefer Gegenwart Gottes noch
nicht genung, wenn man fagt, daß er mit allen Subftan
zen diefer Welt, in einem iedweden gegenwärtigen Augen,
blicke der Zeit, zugleih würflich fen; fondern es wird zu
verfelben erfodert, daß er in alle Subftanzen der Welt bes
ftändig unmittelbar würfe, und das ift bisher erwiefen wor-
den. Diefe Gegenwart Gottes iſt alfo eine Würkung feiner
Allmacht, und befteht in der beitändigen Geſchaͤftigkeit der»
felben, und in ihrer ununterbrochenen Beſchaͤftigung mit
allen Dingen aufler Gott. Von diefer Gegenwart Gottes
bey allen würflichen Subftanzen muß die Redensart unter
fchieven werden, wenn man fagt: daß alle Dinge, alle
vergangene, gegenwärtige und zufünftige Dinge, vor
feinen Augen, oder in feiner Allwiſſenheit, gegenwärtig
find. So fagen wir ofte zu einem Freunde, von dem wir
wegreifen: daß mir mit den Gedanfen, oder mit unferm
Gemütbe, bey ihm bleiben wollen. Allein, man würde in
der That die Allgegenwart Gottes leugnen, wenn man
nichts anders darunter verftehen wolte, als daß Gott in feis
nen Gedanken bey allen Dingen ſey. Gott bar freylic),
ewig und unveränderlich, gegenwärtige Gedanken von allen
möglihen Dingen, und alſo aud) von allen wuͤrklichen
Dingen in diefer Melt, indem er ſich beftänvig derfelben
aufs vollffommenfte bewuft ift, und an fie obne Aufhoͤren
und Abänderung denkt. Allein, wenn man nicht mit dem
Worte fpielen will, fo muß man behaupten, daß die Ger
genwart Gottes darin beflebe, Daß er In alle
diefer
Die Allgegenwart Gottes, 389
diefer Wett beftandig und unmittelbar durch feine Alls
mache mwürfe,
S. 1036,
Da Gott, allen Subftanzen diefer Welt, unmittel-
bar gegenwärtig iſt: $. 2035. fo iſt er auch allen Körpern
in der Welt gegenwärtig, und zwar iſt er ihnen ebenfals
zunaͤchſt und unmittelbar gegenwärtig, und zwar innerlich
oder aufs innigſte. Nemlich wenn ein Ding allen Sub»
Ranzen, woraus ein Körper, als aus feinen Theilen, zus
fanımengefest ift, unmittelbar gegenwärtig ift, fo fagt man,
daß es dem Körner aufs innigfte gegenwärtig ſey.
Denn einige ver Subftanzen, woraus ein Körper beſteht,
find inwendig in ihm, in feinem Mittelpunete, und nicht
weit von demfelben entfernt, andere find in feiner Oberfläche
befindlih. Wenn nun ein Ding allen Subftanzen, woraus
ein Körper befteht, unmittelbar gegenwärtig ift: fo ift es
niche nur äufferlich demfelben gegenwärtig, fondern auch
änwendig in feinen innerfien und verborgenften Theilen,
Nun ift Gott allen Subftanzen, woraus die Körper diefer
Melt beftehen, unmittelbar gegenwärtig S. 1035. Folge
lich ifter, allen Körpern diefer Welt, aufs innigfte gegen
waͤrtig. Man nehme, unfern Erdboden, zum Benfpiel
an. Man reife in Gedanfen auf der Oberfläche deſſelben
in alle Sünder herum, in alle Städte, Flecken, Inſeln.
Es ift Fein Plaß auf der Oberfläche veffelben, wo Gott
nicht unmittelbar gegenwärtig wäre. Man gehe bis auf
den Grund des Meers, auch dafelbft it Sort. Man fteige
in die tiefiten Klüfte der Erden hinunter, in alle unterirdie
ſche Gänge, bis in den Mittelpunct des Erbbodens: auch
daſelbſt ift die Gottheit unmittelbar gegenwärtig. Folglich
ift Gott, dem Erdboden, aufs innigfte gegenroärtig. Und
da diefes von affen übrigen groffen Weltförpern, und von
allen Eleinern Körpern auf denfelben, ailt: fo kan man fagen,
daß er mit feiner Gegenwart Himmel und Erden erfülle,
Wie die Luft durch alle Körper geht, und fie ausfült: fo
durchdringen, die Ausfluͤſſe der goͤttlichen Kraft, alle Körs
Bb 3 ver
590 Die Allgegenwart Bottes,
per durch und durch, und fülfen fie aus. Wenn eine Gub-
ftanz nicht, aus vielen Subftanzen, zufammengefegt ift;
fo wäre es eine Nedensart, Die gar nichts bedeutete, wenn
man fagen wolte, daß Gott derfelben aufs innigfte gegen»
waͤrtig wäre. Aus diefer Wahrheit ift der paradore Satz
entftanden: Gott ift auffer allen Dingen, aber nicht ausges
ſchloſſen, und er ift innerhalb allee Dinge, und doch nicht
eingefchloffen. Gore ift nemlich feiner Subftanz nach, von
allen würflihen Subftanzen und Körpern, dergeftalt ab»
gefondert, daß er feine eigene Würklichfeit bat und behält,
und daß feine Wuͤrklichkeit mit der Würflichfeit Feines
Dinges in der Welt vermifcht wird, und in eins zufams
menflieft. Allein er ift deswegen nicht ausgefchloflen, das
ift, er fan demohnerachtet in alle auffer ihm befindliche
Dinge, und in die innerften Theile der Körper, unmittels
bar würfen. Gore ift in allen Dingen. Das muß blos
von den Körpern verftanden werden, und zwar nur von
der innigften Gegenwart Gottes, Er ift aber nicht einges
ſchloſſen in irgends einen Körper, als wenn feine Subftanz,
dem Orte nad), mitten in dem Umfange irgends eines Körs
‚pers eingefchloffen wäre, als wir etwa in einem Haufe eins
gefchloffen find, und als wenn er nicht zugleich, allen uͤbri⸗
gen Dingen auffer demfelben Körper, unmittelbar gegen-
wärtig wäre. Wer diefen paradoren Satz anders erflärt,
der mag felbft dafür forgen, wie er feine Erklärung vettet.
$. 1037.
Gott ift diefer Welt, im allerhöchften und vollfom-
“menften Grade, gegenwärtig. 1) Weil er allen Subftan:
zen der Welt, allen Elementen der Körper, allen Seelen,
allen Geiſtern gegenwärtig ift, und allen Körpern aufs in-
nigfte. Ran eine gröffere Gegenwart erdacht werden, als
welche ſich über alle Subftanzen in der Welt erftreft? Nun
ift diefe Welt die befte und groͤſte $. 991. 430. Folglich
enthält fie mehr Subftanzen in ſich, als irgends eine andere
mögliche Welt, Hätte nun Gott eine andere Welt erfchafs
fen, fo fönte er. unmöglich fo vielen Dingen gegenwärtig
feyn,
Die Allgegenwart Gottes. s91
feyn, ale nunmehr, da er die befte Welt zur Wuͤrklichkeit
gebracht hat. Folglich ift nur die befte Welt diejenige, in
welcher Gott feine Gegenwart im höchften Grade beweifen
und offenbaren fan. 2) Weiler allen Subftanzen diefer
Welt beftändig, in allen Augenblicken ihrer Dauer, von
der Schöpfung an bis in alle Ewigkeit, gegenwärtig iſt:
indem feine einzige derfelben einen Augenblick, ohne unmit:
telbaren Einfluß Gottes, fortdauren Fan. 3) Weil er als
len Subftanzen der Welt, in Abficht aller ihrer Veraͤnde—
rungen und Handlungen, gegenwärtig ift $. 1035, Die
Ereaturen leben in der Gegenwart Gottes, und durch Dies
felbe, wie die Fiſche im Waffer und durch daſſelbe. Die
Allgegenwart ift der vollfommenfte und hoͤchſte Grad der
Gegenwart. Folglich ift Gore allgegenwärtig. Nun ift
fein Dre in der Welt, wo nicht eine endliche Subftanz feyn,
und eine Veränderung alle Augenblick gefchehen folte. Es
ift demnach Gott an allen Orten der Welt, in dem ganzen
unermeßlichen Weltraume, unmittelbar gegenmärtig. Er
it alfo allerrvegen, und allenthalben, daher man aud) die
Allgegenwart Gottes eine Allenthalbenheit deffelben nennen
fan. Aus unfern bisherigen Beweifen folgt gar noch nicht,
daß die güttlihe Subftanz, dem Orte nad), allerwegen
mürflich vorhanden fey. Sondern wir behaupten bis jet
nichts weiter, als daß die unmittelbaren Einflüffe der alle
mächtigen Kraft Gottes, an allen Drten der Welt, im Himas
mel und auf Erden, auf allen Planeten, kurz, überall ans
zutreffen find. Oder es ift fein Ort in der ganzen Welt
ausfindig zu machen, an welchen Gott nicht in die daſelbſt
befindlihen Subftanzen beftändig und unmittelbar würfen
ſolte. Der Würfungskreis der göttlichen. Kraft ift die
ganze Welt, und es ift Fein Winfel in derfelben anzutrefz
fen, welcher nicht mit Einflüffen der Allmacht angefült feyn
ſolte. Wer dieſes leugnen will, der muß erweiſen, baß
irgends eine Subſtanz in diefer Welt, ohne, göttliche Ers
haltung fortdauren, und ohne Mitwuͤrkung Gottes ban-
deln koͤnne.
er Bb a $, 1038.
392 Die Allgegenwart Gottes,
. 1038.
Abgleich Gott, A Subitanzen der Welt, beftän«
dig unmittelbar gegenwärtig ift; fo muß man doch behaup⸗
ten, daß er einer Subſtanz gegenmwärfiger feyn kan, als
einer andern, und daß er einer und eben derfelben Subſtanz
zu’ einer Zeit gegenwärtiger ſeyn Fan, als zu einer andern,
Denn feine Gegenwart befteht in feiner Mitwürfung $. 1035,
Wenn alfo in einer Subftanz mehrere und gröffere Veraͤn⸗
derungen würflich find, als in einer andern: fo würft auch
Gott bey den erften öfter, und in einem höhern Grade, mit,
als bey der andern, folglic) ift er auch jener in einem hoͤ⸗
bern Grade gegenwärtig, als diefer. Eben fo Fan, eine
und eben diefelbe Subſtanz, zu einer Zeit, in einem höbern
Grade verändert werden und gefchäftig feyn, als zu einer
andern, und Gore ift ihr alfo in der erften Zeit gegenwärtis
ger, als in der andern, Folglich ie mehrere und mannigs
feltigere Handlungen eine Subftanz thut, ie gröffer, zu«
fanımengefeßter, reeller und beffer diefe. Handlungen find,
deſto gröffer ift in Abficht auf fie die Gegenwart Gottes,
und es bat fich alfo diefelde Subftanz, der Allgegenwart
Gottes, in einem defto hoͤhern Grade zu erfreuen. Auch
bierin ftedt, eine vortreflihe Aufmunterung, zum beftän«
Digen gröften Sleiffe in der Tugend und allem Guten; weil
ein Menfch alsdenn verfichert feyn Ean, daß er allemal als⸗
denn, wenn er viel Öutes hut, unter einem reichen Einfluffe
Gottes, feiner Weisheit, Güte und alfer Vollkommenhei—
ten, ſteht, welche fich ben feinen Handlungen in die Crea—
turen gefchäftig erweifen. Die Allgegemvart Gottes bea
greift ſonderlich, eine dreyfache Art der göttlichen Gegen«
wart, in fih. 1) Die allgemeine und natürliche
Gegenwart, welche in der natürlichen und allgememen
Mitwuͤrkung Gottes befteht $. 1030. Durch dieſe Ges
genwart ift ev aflen Subſtanzen, Körpern, Geiftern und
Seelen gegenwärtig, den Frommen fo wol als aud) den
Sündern, den Seeligen nicht mehr als den Verdamten.
Düne dieſer Gegenwart Gottes Fan keine Creatur fortbaus
ven,
Die Allgegenwart Gottes. 393
ren, und auch nur die geringfte und fhlechtefte Handlung
verrichten, 2) Die befondere Gegenwart Gottes,
welche auch die Gnadengegenwart Gottes im philofophi«
ſchen Verftande genent werden fan, und fie beſteht in der
befondern Mitwuͤrkung Gottes $. 1032, Durd) diefe Ge«
genwart ift Gott, nur den vernünftigen Creaturen, gegens
wärtig, und zwar nur in fo ferne fie rechtmäßig und tugend⸗
baft handeln, Keiner andern Ereatur ift Gott auf diefe
Art gegenwärtig, und eben fo wenig einem Sünder, in fo
ferne er fündiget, Wenn ein Menfch rechtmäßig handelt,
ſo nahet fi) Gore zu ihm; fündiget er aber, fo entfernt er
fih von ihm, Folglich ie tugendhafter und froͤmmer ein
Menfch wird, deſto mehr nähert er ſich Gott, weil ihm
Gott nach feiner Onadengegenwart immer gegenmärtiger
wird. 3) Die Übernatürliche Gegenwart Gottes
beſteht, in feiner allerbefonderften Mitwürfung $. 1034,
Folglich) ift Gott nur alsdenn und daſelbſt auf diefe Art ge
genwärtig, wenn und wo er Wunderwerfe thut, und über-
natürliche Begebenheiten würflih macht. Ein Weltweifer
Fan alfo nicht entfcheiden, ob Gott irgends an einem Orte
der Welt, und irgends zu einer Zeit, auf diefe Art gegen—
wärtig ſey ober geweſen fey. Und die Gottesgelehrten Füns
nen, vielleicht auf Diefe Are, die übernatürliche Gegenwart
der Menfchheit Chrifti am beften behaupten,
$. 1039.
Die Allgegenwart Gottes ift eine von denenjenigen
göttlichen Bollfommenheiten, weldye den gröften Mißdeus
£ungen unterworfen iſt, und von denen fich viele einen höchft
soiderfinnifchen Begrif machen. Es ift demnad) unentbehra
lich nothwendig, Daß wir die vornehmften diefer falfchen
Begriffe prüfen, um fie forgfältig in unferer Erkentniß zu
verhüten, Erſtlich ift es offenbar falfch, wenn man glaubt,
daß die Allgegenwart Gottes darin beftehe, daß fein Wefen
und feine Subftanz, auf eine zertheilte Art, durch die gan—
ze Welt ausgebreitet fen, dergeftalt, daß man allerwegen
einen Theil dev Gottheit anträfe, und auf die Art fagen koͤn⸗
‚3b 5 ne,
394 Die Allgegenwart Bottes,
ne, Gore fey allerwenen. Soiftz. E. die $uft auf un.
ferm Erdboden allgegenwärtig, denn man trift überall $uft
an, Allein es ift offenbar, daß der Theil der Luft, twels
her an einem Orte würflich ift, nicht diejenige Luft if,
welche an einem andern Orte ift, und daß alfo nur eine
Materie auf diefe Art gleihfam allgegenwärtig fern fan.
Sort aber ift ein einfaches, unförperliches und unzertheiltes
Ding $. 867. 868. Folglich Fan Fein Theil von ihm art
einem, und ein anderer an einem andern Orte wuͤrklich und
gegenwärtig feyn, weil er gar Feine folchen Theile hat, wel—
che von einander abgefondert, und auffer einander wuͤrklich
feyn Fönten. Wo Gore ift, da ift er ganz und unzertheilt,
nach feinem Wefen und nach feiner Subſtanz. Folglich ift
Gott, einer iedweden Subſtanz diefer Welt, ganz und auf
eine unzertheilte Art unmittelbar gegenwärtig. &s ift dem«
nach auch, zum andern, ein falſcher Begrif von der Allges
genmwart Gottes, wenn man fich diefelbe, als eine Ausdeh«
nung der göttlichen Subſtanz durd) den ganzen Weltraum,
vorftellen wolte: denn die Subftanz Gottes hat gar Feine
Ausdehnung $. 869. Folglich find es metaphorifche Vor:
ſtellungen, die ung leicht zu einem Irrthum verleiten koͤn—
nen, wenn man fagt: die Allgegenwart Gottes fey der
Raum der Welt; noir ſchwimmen in der Allgegenwart Got
tes, als die Fifche im Waffer; Gott fey ein Circul, deffen
Umfang nirgends und deifen Mittelpunct alleriwegen fen;
daß wir in der göttlichen Subſtanz, als in unferm Gubjecte,
leben und weben, und mas dergleichen finlihe Vorſtellun—
gen mehr find. Man Fan fie, in fo ferne fie nicht offenbar
mwiderfprechend find, als poetifche Vorftellungen brauchen,
und mit der Schrift fagen, daß Gott Himmel und Erde
erfüffe. Allein man muß fic) hüten, daß man deshalb der
Subftanz Gottes Feine Ausdehnung zufchreibe.
S, 1040.
Man hat angenommen, daß Fein Ding in ein anders
unmittelbar würfen fünne, welches von ihm entferne ift.
Da nun Gott, in alle Subftanzen diefer Welt, befländig
un:
Die Allgegenwart Gottes. 305
2
unmittelbar würft; fo müffe er feiner Subſtanz nad), einer
ieden Subſtanz diefer Welt, fo nahe feyn, daß zwifchen
feiner derfelben und der göttlichen Subſtanz etwas Reelles
würklich feyn koͤnne. Folglich fey Gott, nicht nur feiner
Wuͤrkſamkeit nah), an allen Drten der Welt unmittelbar
gegenwärtig, fondern aud) feiner Subſtanz nad). Und
diefer Gedanfe macht alle Schwierigkeit, wenn man ſich
die Allgegenwart Gottes dergeftalt vorftelt. Allein es fteckt,
in demfelben, viel falfhes. Denn erftlich ift unleugbar,
und fan, mit der Unendlichkeit und hoͤchſten Bollfommen«
beit der Subftanz Gottes, völlig beitehen, daß die güftliz
che Subftanz auffer und neben allen würflichen endlichen
Subftanzen, und alfo an einem gemwiffen Drte würflich vors
benden fey $. 869. Da nun feine einfache Subftan;, an
mehrern von einander entfernten Orten, zugleic) ihrer Subs
ftantialitäe nach mwürflich feyn Fan; weil fie widrigenfals
mehrmal, auffer fich felbft, wuͤrklich feyn müßte: fo iſt es
unmöglich, daß die göttliche Subftanz, ihrer Subftantialis
tät nad), auf dem Erdboden und in den übrigen Pianeten,
und an allen Orten der Welt würflich ſeyn, oder fubfiftiren
folte. Zum andern it es ja fchlechterdings unmoͤglich, Daß
zwey auffer einander befindliche Subftanzen, an einem und
demfelben Drte, fubfiftiren oder würflich ſeyn folten $. 218,
Folglich ift es unmöglich, daß die Subſtanz Gottes felbft
an allen den Orten würflich feyn folte, in welchen die end«
lichen Subftanzen vorhanden find. Widrigenfals müßten,
alle endliche Subftanzen, in der göttlichen als in ihrem
Subjecte vorhanden ſeyn, und das ift die verdamte !ehre
des Spinoza. Und drittens, wenn man nun fagt, daß
auf diefe Arc, die Subftanz Gottes, von vielen Subſtan⸗
zen diefer Welt, fehr weit entfernt feyn würde, und daß
fie alfo in diefelben nicht unmittelbar würfen Fönte : fo habe
ich diefem Einwurfe ſchon $. 220. vorgebeuget. Sch
babe dafelbft erwiefen, daß man es ohne tüchtigen Beweis
annime, als Fünne Feine Subftanz in die andere unmittels
bar würfen „ wenn fie nicht dichte und zunächft neben der
andern
’
396 Die göttliche Regierung der Welt.
andern würflih wäre Folglich ift Gott, feinem reellen
und wuͤrkſamen Einfluffe nad), nicht ferne von irgends eis
ner endlichen Subftanz in der Welt, und er ift alfo in Ab -
fit auf diefen Einfluß, allen Subftanzen der Welt, an
allen Orten, unmittelbar gegenwärtig. Allein feine unend»
liche und unumfchrenfte alfervollfommenfte Subftanz ift an
einem Orte würflich, welcher von den Oertern, wo die end⸗
lichen Subftanzen würflid find, insgefamt auf eine reelle
Arc unterfchieven iſt. Es gibt freylich Gelehrte genung,
welche nicht im Stande find, einen Ort ohne Einfchren«
fung zu denken; allein, das Unvermögen zu denfen man
eher Leute, ift Fein Einwurf wider eine deutliche Wahrheit,
‚Die göttliche Regierung der Welt.
$. 1041,
Die Regierung der Welt, wovon wir ießo handeln
wollen, muß, mit der Ausübung der Oberherrfchaft Got—
tes über die Welt, nicht verwechfele werden. Es ift wahr,
aus der Dberherrfchaft Gottes über die Welt flieft zugleich
das Recht Gottes, die Welt nach feinem allerhöchften elge-
nen Belieben zu regieren, und, die göftliche Regierung der
Melt, ift auch in der That ein Stud der Verwaltung der
Oberherrſchaft Gottes über die Well. Allein wir wollen
hier dieſe Regierung betrachten, ohne auf das Recht zu fe-
ben, durch welches Gott dazu berechtigee wird... Und fo
pflegen mir auch ofte, die Nenierung eines Hausweſens, zu
betrachten, ohne auf das Recht der Dberherrfehaft zu feben,
wodurch der Verwalter eines Landguts berechtiget wird,
daffelbe zu regieren, Nemlich die Regierung beſteht in
derjenigen Handlung, wodurch nad) und nach, immer
mehrere Mittel zu entferntern Zwecken, würklich gemacht
werden. Ein Kind, und ein Wahnmißiger, koͤnnen we:
der fich felbft noch ihr Aufferliches Vermögen regieren; fon«
dern fie müffen Bormünder haben, weil fie nicht aufs Zus
Fünftige feben, und ſchon von weiten Anftalten auf entferne
tere Zwede machen koͤnnen. Und um eben der Urſache wils
len
Die göttliche Regierung der Welt. 397
fen Fan auch niemand, im heftigen Zorne, und andern fehr
ſtarken finlichen $eidenfchaften, ſich felbft vegieren. Sin
Hausvater aber regiert fein Hausweſen, wenn er die Ber
forgung und Ausſtattung feiner noch Eleinen Töchter zur Ab-
ficht hat, wenn er im Frühjahre auf die Beduͤrfniſſe des
Fünftigen Winters, und im Winter auf die Fünftige Ernd⸗
te fein Augenmerk richtet. Wenn er Bäume pflanzt, um
nad) vielen Jahren das Obſt zu erndten. Kurz, wenn er
nach und nach), auch fehun von weiten, alle noͤthige Anſtal⸗
ten zu allen Eünftigen Bedürfniffen mache. Eben fo wird
eim Sand regiert, wenn man Kriegesheere errichtet, die
Zeughäufer anfült, Feftungen anlegt, Fabricken errichtet,
Geld famlet, um der Eünftigen Bedürfniffe des Staats
willen. Kurz, die Regierung einer Sache ift nichts anders,
als die würfliche Ausführung, der Entwürfe der Weisheit
und Klugheit, in Abficht auf diefelbe Sache. Fulglid) ift
eine iedwede Regierung um fo viel vollfommener, ie meifer
und Flüger derjenige Entwurf ift, welcher durd) dieſelbe
swürflich ausgeführt wird. Folglich 1) ie mehrere entferns
tere Zwecke durch die Regierung erhalten werden, deflo
vollfommener ift fi. Es ift eine fehr ſchlechte Regierung,
bey welcher man nur etwa einen einzigen Zweck vor Augen
bat. Die volllommenfte Regierung eines Fürften muß,
alle Abfichten des Staats, vor Augen haben. 2) Je wid):
tiger und beffer alle Zwecke find, die eine Regierung vor
Augen bat, defto vollfommener ift fie. 3) Se beffer alle
diefe Zwecke mit einander verbunden werden, dergeftalt, daß
feiner den andern in der Ausführung verhindert, fondern
daß immer einer den andern befördert, bis fie ſaͤmtlich auf
einen allerhoͤchſten und vollfommenften Zweck hinauslaufen,
defto vollkommener ift fie. 4) Je befler und zufammenhän«
gender die Mittel find, welche die Negierung nad) und nad)
würflich macht, defto vollfommener ift fi. Folglich ie
fruchtbarer,, ficherer und gewiſſer, kuͤrzer, mannigfaltiger,
und überhaupt ie vollfommener dieſe Mittel find, defto gröfe
fer und beffer ift die Regierung. Und 5) ie mehrere, mans
nigfal⸗
398 Die göttliche Regierung der Welt.
nigfaltigere und gröffere Dinge regiert werden, defto gröf-
fer ift fi. Die Regierung eines Eleinen Hausweſens ift
nicht fo groß, als die Regierung eines groſſen Königreichs ;
weil die leßtere viel mehrere, und mannigfaltigere, und
wichtigere Gefc)äfte zu beforgen hat, als die erfte.
. 1042,
Nun ift es unleugbar, daß Gott diefe Welt mürflich
regiere. Denn er bat diefe Welt, nad) hoͤchſter Weisheir,
erfchaffen $. 1001. Nun ift es unmöglid, daß, alle
göttliche Abjichten der Welt, auf einmal und in kurzer Zeit
erreicht werden folten, fondern es gibt Abfichten Gottes,
die in alle Ewigkeit erreicht werden müffen. Folglich hat
Gott, bey der Schöpfung diefer Welt, die allerentferntes
ften Zwede zur Abficht gehabt. Und indem er alle Dinge
in der Welt erhält, und mit denenfelben unabläßig mit:
wuͤrkt, fo nimt er beftändig und unabläßig Handlungen
vor, wodurch nad) und nad) immer mehr und mehr Mittel
in der Welt zu ihren entfernten Abfichten, ja zu den allers
entfernteften, würflid) werden. Folglich regiert Gott diefe
Welt würflih $. 1041. und es ift, diefe göttliche Regie—
rung der Welt, ein Stuͤck feiner Borfehung über die Welt
$. 1016. Es ift ja ohne Widerrede Flar, daß ben diefer
Welt, der allerweiſeſte und Elügfte Entwurf zu einem Sy.
ftem endlicher Dinge, zum Grunde liege. Wenn nun Gott
diefen Entwurf nicht würflich nad) und nad), durch feine
Borfehung, ausführte: fo müßte erentweder dazu die Macht
nicht befigen, und das iſt unmöglich; oder es müßte ihm
an guten Willen fehlen, und aud) das iſt ungereimt zu
fagen, Folglich ift Gott nicht nur der Negierer der Welt,
fondern feine Regierung ift auch die allergröfte und vollfoms
menfte, welche möglich iſt, und zwar erhellet diefes daher,
weil diefe Welt die befte iſt. Denn ı) ift die beſte Welt
die gröfte, und enthält alfo viel mal mehrere und gröffere
Dinge zu regieren, als irgends eine andere mögliche Welt.
Härte Gott nicht die befte Belt erfchaffen, fo würde er es
fich ſelbſt unmöglich gemacht haben, eine Probs der aller.
hoͤch ·
Die göttliche Regierung der Welt. 399
hoͤchſten Regierung abzulegen. So aber Fan nichts mehres
res, gröfjeres und wichtigeres zu regieren gedacht werden,
als der Umfang der-ganzen beiten Well, Er regiert die
Geijterwelt fo wohl, als aud) die Körperwelt; er regiert
die Begebenheiten des Erdbodens fo wohl, als auch aller
andern Weltförper; er regiert alles in dieſer Welt derge—
ftalt, daß es unmöglich ift, Daß er noch mehrere und gröfe
fere und mannigfaltigere Dinge folte regieren Eönnen, als
er würflich regiert. 2) In der beiten oder in diefer Welt
erreicht Gott, durch feine Borfehung, Die allermeiften Zwede,
viel mehrere und mannigfaltigere Zwede, als er würde
haben erreichen Fönnen, wenn er eine andere Welt erfchaffen
hätte $. 1004. 1005, Folglich ift, die göttliche Regie
rung dieſer Welt, die gröfte und vollfommenfte, indem er
fo viele Zwecke dabey zur Abficht bat, als möglid) ift, und
zwar die allerentfernteften; denn auch diejenigen zufälligen
Bollfommenheiten der Kreaturen, welche einmal in der uns
endlichen Ewigkeit, nad) Millionen der Millionen Jahr—
hunderte, werden würflid) werden , find Abfichten Gottes,
zu Denen er nad) und nach die nöthigen Anſtalten macht.
3) Syn diefer als der beften Welt erreicht Gott, durch feine
Vorſehung, die allerbeften und gröften Zwede, indem er
die allerhöchfte Bollfommenbeit einer iedweden Creatur, Die
in der beiten Welt möglich ift, durch feine Beranftaltungen
und Einridytungen, zu erlangen trachtet, und auch würflich
erlangt $. 1006, Folglich ift, die görtliche Regierung
der beften Welt, die vollfommenfte ‚ indem er nad) und.
nach, die Mittel zu den allerbeften Zwecken, wuͤrklich macht.
4) In diefer als der beften Welt erreicht Gott, durch feine.
Vorſehung, alle feine unendlich vielen allerbeften Zwecke,
in ihrer allerbeften Berbindung, dergeftalt, daß fie alle insges
famt, die höchfte Neligion und Ehre Gottes, würflich bes.
fordern $. 1009. 1010. Folglich beſteht die allerhöchfte
und vollfommenfte göttliche Regierung vieler Welt darin,
daß er durch alles feine Ehre befördert, und nad) und nach
alles dergeſtalt würklich macht, daß endlich) der böchite Grad
der
400 Diegöttliche Regierung der Welt.
der Religion daher entfteht. Und 6) regiert Gott Diefe
Welt aufs vollfommenfte und im höchften Grade, weil in
ihr, als in der beften Welt, die meiften und allerbeften
Mittel in der allervollfommenften Verbindung, das ganze
Syſtem der göttlichen Zwecke, durch die Mitwürfung Gots
tes’ aufs vollfommenfte erreihen $. 1007. 1008. 1009,
Es iſt demnach ein wahrer Unfinn eines Meufchen, wenn er
die göttlidye Regierung der Welt tadelt. Es ift wahr,
wir konnen nicht allemal in der gegenwärtigen Zeit etfah«
ren, daß Gort die Dinge in der Welt aufs befte regiere.
Allein es ift eine wahre Marrheit, wenn ein Menſch alles
mit Augen fehen, und mit Handen greifen will, was er
für wahr halten ſoll. Unterdeſſen Eonnen wir doch, wenn
wir den Ausgang einer Begebenheit erwarten, von hinten
ber ofte, mit Vergnügen, und Bewunderung der göttlie
hen Regierungsfunft, erfahren, wie gut Gott diefelbe rex
giert habe, und zwar. beffer, als wir felbft würden haben
hun koͤnnen. Solche Betrachtungen ber die Vorfälle
des menſchlichen $ebens, wenn fie vergangen find, und
ihren Ausgang gewonnen haben, befeftigen ung in der Lies
berzeugung , daß Gott diefe Welt, und alles was drinnen
iſt, aufs weifefte, gütigfte und gerechtefte regiere. Und wir
Menſchen folten demnach fleißig, ſolche Betrachtungen,
anſtellen.
4. 1043:
Die goͤttliche Regierung dieſer Welt faßt ſonderlich,
zwey merkwuͤrdige Handlungen Gottes, in ſich, die man
mit eigenen und beſondern Namen zu benennen pflegt.
1) Die Beſtimmung der Dinge in der Welt, oder
diejenige Handlung der göttlichen Regierung, wodurch den
Kräften, Handlungen, Veränderungen und Zuftänden der
erfchaffenen Dinge, gewiſſe Örenzen gefegt werden; oder
wodurd, allen wuͤrklichen Dingen, Maaß und Ziel gefeßt
wird. Die Erfahrung fehret ja unleugbar, daß das Leben
der Menſchen ein gewiſſes Ziel hat, daß alle Noth eine ges
wiffe Zeit daurt, daß alle Kriege in dev Welt eine *
aͤnge
Die göttliche Regierung der WDelt. 401
Laͤnge haben: Kurz, daß alles in der Welt, feine gemiffen
Grenzen, babe, Nun hanget alles, in fo ferne es würflich
ift, von Gottes Erhaltung, Mitwürfung und Regierung
ab $. 1027. 1041, Folglich Fan Fein Ding groͤſſer ſeyn,
als es die goͤttliche Regierung zulaft, und alfo hat Gott
fhon von Ewigkeit her alles beftimt, wie groß es feyn fol,
wie weit es ſich erſtrecken fol, wie lange es dauren fol, wie
bey dem Meere, zu welchem Gott gefagt hat: bis hieher
folft du fommen und weiter nicht, und bier follen ſich legen
deine ftolzen Wellen. Es ift ja unfeugbar, daß ein iedes
Ding.in der Welt, eine iedwede Kraft, Handlung, “Des
gebenheit, Veraͤnderung Eurz, ein ieder Theil in der Welt,
eben fo wie er wuͤrklich ift, zur beften Welt gehöre. Wäre
er nun gröffer oder Fleiner als er ift, fo wäre diefe Welt
nicht diefe Welt, und alfo auch nicht die befti, Da nun,
die Schranfen und Grenzen der Theile der Welt, ihre
wahre Gröffe ausmachen $. 190. fo märe diefe Welt nicht
die befte, wenn nicht alle Theile derfeiben, eben diefe und
feine andern zufälligen Grenzen, hätten. Folglich würs
den, die Theile der Welt, die göttlichen Abfichten nice
aufs befte erreichen, wenn fie nicht eben fo und nicht anders
eingefehrenft wären, als fie in der That find. Nun ban-
get, die ganze befte Welt, von sem Raͤthſchluſſe und der
Regierung Gottes ab $. 1042. 990. Folglich hat Gore,
die zufälligen Echranfen aller Dinge in der Welt, nicht
nur von Ewigkeit her befchlofien ; jondern, Durch feine Re—
gierung und ganze Borfehung, Fan auch nichts in der Welt
Fleiner oder gröfler feyn, als es dieſem Rathſchluſſe gemäß
iſt. Und es ift demnach nicht nur, alles in der Welt, ſchon
von Ewigkeit her beftimt worden, fondern es erfolget aud),
diefer Beſtimmung gemäß, aufs genaueſte. Go fan z. E.
fein Menſch länger leben, als das von Gott beftimte Ziel
feines Lebens zuläft.e. Und hieraus folgt, ein unendlicher
Troſt, in allen Widerwärtigfeiten des Sebens, Gott hat
das Maaf aller Noth abgewogen, und ziwar nad) den guͤ⸗
tigften und weifeften Maaßregeln. Ein Menfch Fan aliv
4, Theil, Ge nicht
402 Die göttliche Regierung der Welt.
nichf eher von der Noth befreyet werden, bis diefes Maaß
erfült ift, und wenn es erfült ift, fo fan ihm weiter Fein
Haar gefrümt werden. Und wenn unfere Feinde noch fo
fehr wider uns erbittere find, und wer weis wie viel Böfes
mider uns im Sinne haben, fie fünnen uns doch nicht mehr
Boͤſes würflich zufügen, als der weifefte und gütigfte Gott
beftime hat, 2) Die göttliche Kenkung aller Hands
lungen der Ereaturen, oder diejenige Handlung Gottes,
wodurch er die Handlung einer Creatur zu Mitteln feiner
Zwecke macht, ob fie gleich von der Creatur felbft nicht zu .
diefeom Ende vorgenommen wird. Es ift unleugbar, daß
Gott, alles in der Melt, entweder zu einem Mittel feiner
beſten Zwecke macht, oder doc) fo einrichtet, daß es diefels
ben nicht hindert S. 1007, 1008, und diefes thut er, vers
mittelft feiner allervollfommenften Regierung der Welt
S. 1042, Mun ift erftlid, offenbar, daß es in diefer Welt
unendlich viel wuͤrkſame Dinge gibt, Körper und unver
nünftige Ihiere, welche ihrer Natur nach ſich der göttlichen
Abfichten nicht bewuſt feyn, und alfo um derfelben willen
ihre Handlungen nicht vornehmen fünnen. Ale Handluns
gen und Veränderungen diefer Dinge werden von Gott ges
lenkt, indem er durch diefelben aufs befte feine Abfichten
erreicht. Zum andern find, die allermeiften Zwecke Gofs
fes, den vernünftigen Creaturen ganz unbefant. Wenn
alfo diefe Creaturen, in ihrer Art, auch noch fo weife, vers
nünftig und rechtmäßig handeln; fo find fie doch nicht im
Stande, um folder Zwecke Gottes willen zu handeln, die
ihnen unbefant find. Folglich lenkt Gott, auch diefe Hand»
lungen der vernünftigen Creaturen, auf feine Zwede, Zum
dritten koͤnnen die vernünftigen Creaturen ofte folche Zwecke
zur Abficht haben, welche ven göttlichen Abfichten Gottes
zumider find, indem fie entweder böfe und fündliche Zwecke
fich) vorfegen, oder folche an fich gute Zwecke, welche nicht
mit in den Plan der göttlichen Weisheit gehören, Wenn
nun Gott diefen Creaturen völlig ihren Willen laffen wolre,
fo würden die göttlichen Abfichten nicht, erreicht werden.
Folg⸗
Die göttliche Regierung der Welt. 403
Folalich lenkt Gott, dieſe Handlungen der vernünftigen
Creaturen, dergeftalt, daß fie entweder ihre Abfichten gar
nicht erreichen, oder anders als fie gewolt, oder daß fie,
ohne und wider ihren Willen, die göttlichen Abfichten be:
fördern müffen. Der Menfch denkts, Gott lenfts. Der
Menſch meints ofte bofe, Gott aber lenkts zum Guten,
So hat Gott, die Verfolgungen des Chriftenthums, aufs
herrlichite zur Beförderung deflelben, wider die Meinung
der Verfolger, gelenftz und, das feindfelige Verhalten der
Brüder Joſephs, batfe einen ganz unerwarteten vortreflis
chen Ausgang,
G. 1044.
Diefe Materie ift eine fo fruchtbare, vortrefliche,
fröftliche und erbauliche Materie, daß fie beftändig überlege.
zu werden verdient, Damit man nad) und nad), Durch die
Erfahrung, fie immer beffer einfehen lerne. Wir wollen
daher noch, ein Paar wichtige Betrachtungen, binzufügen.
1) Die göttliche allervollfommenfte Negierung der Welt
aͤuſſert ſich, auf eine recht merflihe und bewundernsmwür-
dige Art, bey den Glücks - und Linglücsfällen in der Welt,
Weil wir Menfchen, die natürlichen Urſachen und Entftes
hungsarten diefer Vorfälle, nicht einfehen $. 961. fo wäre
es freylich ein abergläubifches Vorurtheil, wenn man fie
für Wunderwerfe halten und glauben wolte, als wenn Gott
bey ihnen unmittelbarer befdjäftiget wäre, als bey andern
natürlichen Begebenheiten in der Welt, Die Henden find
vermuthlich durch diefes Vorurtheil verleitet worden, eine
eigene Glücsgöttin zu erdidyten. Allein, fo viel ift gewiß,
daß alle glückliche und ungluͤckliche Zufälle in der Welt, wie
alles übrige in der Welt, von dem goͤttlichen Rathſchluſſe,
von der Mitwürfung und Regierung Gottes, abbangen,
und daß er diefelben braucht, um feine Abfichten zu befoͤr⸗
dern, und alle Abfichten der vernünftigen Creaturen dadurch
zu bindern, welche feinem meifeften Plane, den er zu diefer
Welt entworfen hat, zumider find. Co erfahren wir ofte
in der Welt, daß manche menfchliche Unternehmungen in
2 ihrem
404 Die göttliche Regierung der Welt,
ihrem Anfange ſchwach, und andern lächerlich zu ſeyn fehei-
nen, fo daß Fein Menfch vermuther, daß fie gelingen koͤn—
nen. Allein fie werden mit fo vielem unerwarteten Glück
begünftiget, daß fie zum Erftaunen der Welt ausgeführt
werden, Wer hätte denken follen, daß ein fo fehlechter
Moͤnch, als Luther war, ein fo groffes Werk folte ausfüh-
ren Fonnen? Die Keformationsgefchichte aber lehrt, daß
es geſchehen, und zwar durch Hülfe folcher unerwarteten
Vorfälle, die fein Menſch vermuthen koͤnnen. Eben fo
werden, manche menfchliche Unternehmungen, aufs beſte
eingefädelt. Jederman erwartet, mit Zuverficht, den vor=
gefegten Ausgang. Und fiehe va! Ehe man fichs verfieht,
trägt fid) ein Unglück zu, welches alles zernichtet, und einen
Strich durch die ganze menfchliche Rechnung macht. Aus
diefem ©efichtspuncte folte man, die glücklichen und uns
glücklichen Zufälle in der Welt, betrachten; fo würde man
in ihnen und durch fie den Finger Gottes beſſer erkennen,
und mit einem Gott geheiligten Gemuͤthe diefe Vorfälle in
der Welt fo annehmen und anwenden, wie es Gott haben
will, 2) Auf eine ähnliche Art äuffere fich, die göttliche
allervollflommenfte Regierung der Welt, durch das Gute,
und durch die Bollfommenbeiten , weiche er in die Maturen
aller erfchaffenen Dinge gelegt hat. Diefe zufälligen Boll.
fommenbeiten rühren ebenfals, wie alles zufällige Gute,
von Gore her, und werden durch feine Regierung der Welt,
zu Mitteln feiner Zwecke, gemaht F. 1042. Folglich
muß man fagen, daß Gott durd) diefelben, einen iedweden
Menſchen, und eine iedwede Creatur, zu denenjenigen
guten Handlungen und Lebensarten berufen, verordnet und
ausgerüftet habe, wozu fie durch diefelben gefchicft und auf—
gelegt find. Folglich fan man diefe Naturgaben, als eis
nen göttlichen Beruf, und als eine göttliche Beftimmung
anfehen, und wer diefer Stimme feiner Natur folge und
gehorcht,, der folgt und gehorcht der Stimme Gottes. Es
it demnach) ein bewundernswürdiges Stuͤck der görtlichen
Kegierung der Welt, daß er z. E. die Naturgaben unter
den
Die Zulaffung des Boͤſen in der Welt. 405
den Menfchen fo mannigfaltig ausgetheilt hat, daß man zu
alten nüglichen Künften, Willenfchaften und Lebensarten,
welche zur möglichften Glücfeligkeit des menfihlichen Ge—
fehlechts erfodert werden, unter den Menfchen Leute finder,
‚ welche zu einer iediveden derfelben vorzüglich vor vielen ans
dern, mit den gehörigen Naturgaben, ausgeruͤſtet find,
Die Zulaſſung des Boͤſen in der Welt.
1045.
Alle diejenigen, welche ſich einen richtigen Begrif
von Gott machen, ſtellen ſich denſelben allemal als ein hoͤchſt
guͤtiges, heiliges und weiſes Weſen vor, von welchem
nichts anders, als was Gut iſt, herruͤhren fan, und wels
‚ches alles Boͤſe verabſcheuet. Wenn man nun Diefe ganze
Welt als ein Werf Gortes betrachtet, und man ſtelt ſich
diefelbe von der guten Seite vor: fo findet man nicht die
allergeringfte Schwierigkeit zu fagen, daß fie eine Würfung
Gottes ſey, und von feiner Schöpfung und Borfehung bers
rühre, Allein, da nun in diefer Welt, auffer dem Öuten,
fo viel Böfes angetroffen wird, und da in derfelben fo viel
Sünden, Ungluͤcksfaͤle, Kammer, Noch und Elend anges
troffen wird: woher rührt alles diefes Böfe? Komt es
von Gott ber? Hat er ein Woh!gefallen an demfelben ?
Kan ers nicht Kindern? Iſt es vielleicht, in Abficht auf
Gore, nichts Böfes? Iſt etwa eine böfe und feindfelige
Gottheit vorhanden, welche, unfer die guten Wuͤrkungen
des guten Gottes, das Boͤſe miſcht? Bekuͤmmert ſich Gott
etwa nicht weiter um die Welt, nachdem er fie erfchaffen
hat? Oder was foll man ſonſt, für eine Urſach Davon, an—
geben? Diefe Sache ift von ie her ein Stein des Anftofies,
unter nachdenfenden Köpfen, geweſen. So viel ift uns
feugbar: daß, das ſchlechterdings nothwendige Uebel in
der Welt, Eeine erhebliche Schwierigkeit machen far. Es
befteht in den wefentiichen Einſchrenkungen der endlichen
Dinge, und ohne denfelden wären fie Gottheiten, denn
man alfo verlangen wolte, Gort hätte die Welt ohne Dies
eg ſem
406 Die Zulaffung des Boͤſen in der Welt.
ſem Uebel 'erfchaffen follen: ſo hätte Gott lauter Götter
jchaffen müffen, und das ift höchft ungereimt. 2) Keine
Sünde, und fein anderes zufälliges Lebel, in fo ferne cs
formaliter betrachtet wird, Fan von irgends einer Handlung:
Gottes herrühren. Denn es ift in fo ferne nichts anders
als eine Berneinung, und feine Handlung Gottes Fan der
Grund einer Verneinung feyn $. 864. Folglich frage
fihs, woher es in der Welt rührt ; und wie es, ohne Vera
letzung der höchiten Güte und Weisheit Gottes, im der
Welt fenn fan? Es ſchrenken einige dieſe Frage blos, auf
die Zulaſſung der Suͤnde in der Welt, ein. Es iſt wahr,
es macht diefe Zulajfung den vornehmften Theil diefer Frage
aus. Allein die übrigen zufälligen Uebel in diefer Belt,
weiche feine Sünden find, machen ebenfals eine Schwies
tigkeit, weil ohne Gottes Willen nichts in diefer Wele
würflich feyn und werden fan. Wir. wollen alfo überhaupt
unferfuchen, wie alles zufällige Uebel in diefer Welt, mit
den Grundregeln der höchften Güte und Weisheit Gottes,
jufammengereimt werden Fönne ?
$. 1046.
Alle zufälligen Uebel, und die zufälligen Unvollkom—
menbeiten in der Welt, find von doppelter Art. Zu der
erften gehören alle Unvollfommenbeiten , welche nicht auf
eine nähere Art von dem freyen Willen der Ereaturen ab»
Dangen. Und zu der legten gehören die moralifchen Unvoll⸗
kommenheiten, welche auf eine nähere Art von dem freyen
Willen der Creaturen abhangen, wohin nicht nur die Suͤn—
den, oder die moralifchböfen und unrechtmäßigen Handlun«
gen der Creaturen gehören, fondern auch die Strafen der
Einden, alle böfen meralifchen Zuftände, die Unfeligfeit,
die Verdamniß, die Unglückfeligkeie mancher vernünftigen
Gefchöpfe, und wie die moralifchen Uebel insgefamt Nas
men haben mögen $. 766. 767. 768. Nun wird die eufte
Suͤnde allemal ein Suͤndenfall, oder ein Fall fehlechte
weg, genent. Go würde die allererfte Sünde, welche in
Diejer ganzen Welt dergeſtalt gefchehen, daß, vor ihr noch
gar
Die Zulaſſung des Böfen in der Welt. 407
gar Feine Sünde in diefer Welt wuͤrklich geweſen, im ftreng-
ſten Berftande der Süundenfall fönnen genent werden. Die
erſte Sünde unferer erften Eltern nennen wir ihren Suͤn—
denfall, und auch den Sündenfall des menſchlichen Ge-
ſchlechts, weil vor derfelben Feine andere menfhliche Sünde
vorhergegangen ift. Und auf eine ähnliche Art fagen wir,
daß, wenn ein Menfch eine Sünde von einer gewiffen Arc
zum alleverftenmal begeht, er falle oder zu Falle komme.
Es ift eine gewoͤhnliche Vorftellung, wenn man fich einen
Menfchen, in fo ferne er rechtmäßig handele, als einen
Menfchen vorftelt, welcher auf dem Wege der Tugend aufs
recht ſteht und wandelt. Es ift alfo ganz natürlich, daß
man diefe Altegorie fortſetzt. und fagt, daß ein Menſch
falle, wenn er zu fündigen anfangt. Wenn nun ein Menſch
oder ein anderer endlicher Geift fündiget, fo muß es ihm
möglid) feyn zu fündigen $. 61. und diefe Moͤglichkeit ift
das Vermögen zu fündigen oder zu fallen, und es
ift entweder ein unbedingtes oder ein bedingtes Vermögen
zu fündigen $. 170. Das unbedingte Vermögen zu
fü undigen it die innerlihe Moͤglichkeit zu fündigen; wenn
es einem Geifte an und vor fich betrachtet, feinem Weſen
nach, moͤglich iſt, zu ſuͤndigen, und id) werde alſobald ers
weiſen, daß alle endliche Geifter diefes Vermögen zu füns
digen befißen, Das bedingte Dermögen zu fi ündigen
ift die bedingte Moͤglichkeit zu fündigen, wenn es einem
Geifte, auch unter gemiffen Umftänden, und in gemiffen
Verbindungen mit andern Dingen auffer ihm, möglich if,
zu fündigen, Das Gegentheil deffelben, oder die bedingte
Unmöglichkeit zu fündigen, wenn ein Geift unter gewiſſen
Umftänden nicht fündigen Fan, ob es gleich an und vor
ſich ſelbſt möglich wäre, wird die Beſtaͤtigung im Bus
ten genent, 3. E. wenn ein endlidyer Geift, mit der
Zeit, eine fehr groffe Fertigkeit erlangt, die Tugend zu bes
gehren und auszuüben, und das Laſter zu verabfcheuen und
- zu unterlaffen, fo Fan es endlich um diefes Grades feiner
Fertigkeit willen unmöglich werden, daß er fündige, und
Cc 4 als»
408 Die Zulaffung des Boͤſen in der Welt.
alsdenn ift er im Guten beftätige. So fagen die Gortes«
gelehrten, daß Adam, wenn er die Verſuchung glücklich
wuͤrde uͤberſtanden haben, von Bott im Öuten würde ſeyn
beftätiger worden, das ift, es würde in allen folgenden Zeie
ten auf eine bedingte Art unmöglich geworden ſeyn, daß er
bey irgends einer Gelegenheit gefündiget hätte, -
$. 1047. |
Das unbedingte Vermoͤgen zu fündigen und zu fallen
iſt, eine innerliche Möglichkeit der Sünde F. 1046. und
gehört zum Wefen eines endlichen Geiftes. Denn vermöge
dieſes Weſens ift, ein iedweder endlicher Geiſt, feinem Ver—
ſtande nach eingefchrenfe S. 792. Folglich iſt es unmoͤg⸗
ih, daß ein endlicher Geift alte Dinge aufs deutlichfte er»
Ferne. Er bat demnach ein Vermögen, verfchievene Dinge
mit einander zu verwechfeln, und alfo zu irren $. 577«
Aus der Moalichfeit zu irren folgt die Möglichkeit, daß ein
endlicher. Geiſt das Gute für böfe, und das Böfe für gut
halten koͤnne. Da nun alle Sünden darin beftehen, wenn
man das Gute frey verabfcheuet, weil man es für. böfe hält,
und wenn man das Boͤſe frey begehrt, weil man es für gut
hält: fo folgt, aus der Einfchrenfung des Wefens aller end»
lichen Geifter, das unbedingte Vermoͤgen zu fündigen fchlechs
terdings nothwendig. Folglich iſt daffelbe, in einem ied-
weden endlichen Goiſte, auf eine fehlechterdings nothwendige
Art anzutreſfen $. 108. Und da es unleugbar eine Unvolle
kommenheit ift, fo gehört es zum metaphufifchen Hebel der
endlichen Geifter 6. 100, welches von Feinem endlichen
Geifte getrent, und abgefondert werden far. Da nun
ort die Weſen der Dinge, und das metaphyſiſche Uebel,
nicht erſchaffen hot $. 983. ja da er nichts fehlechterdings
unmoͤgliches fhaffen Fan F. 865. fo ift es, erftlich, unges
reimt zu fagen, daß Gott dem Menfchen , und andern ends
lichen Geiftern, das unbedingte Vermögen zu fündigen ans
erfchaffen, oder durch die Schöpfung gegeben habe. Gott
Fan, von diefem Vermögen, auf keinerley Weife die Urſach,
oder der Urheber, feyn. And, zum andern, ift es ſchlech—
ter⸗
Die Zulaffung des Höfen in der VVele. 409
terdings unmöglich, daß Gott Hätte Menſchen, oder andere
vernünftige Ereaturen , ſchaffen koͤnnen, die fehlechterdings
nicht hätten ſuͤndigen koͤnnen. in Geift, welcher fehlech-
terdings niche foll ſuͤndigen Fünnen muß feinem Verſtande
und feinem Willen nad) unendlich heilig, und alfo eine
wahre Gottheit, ſeyn. Die unbebingte Unmöglichkeit zu
fündigen ift eine aöttlihe Bollfommenbeit, welche Feiner
Ereatur anerihaffen werden Fan. Wie feltfam denken nicht
diejenigen, welche Gott deswegen für den Lrheber der Suͤn—
de halten, weil er unfere erften Eltern durch die Schöpfung
nicht dergeſtalt eingerichter, daß fie fihlechterdings nicht
hätten fündigen koͤnnen. Ueberhaupt muß man fagen, daß
Feine endlihe Subftanz möglich fen, weiche eine Handlung
thun fünte, die nicht eines Theils böfe ift. Denn das We—
fen und die Kraft einer iedweden endlichen Subſtanz ift
eingefehrenft, und mit Unvollfommenhiiten untermengt.
Alle Handlungen endlicher Subftanzen flieffen alfo allemal,
eines Theils, aus den Unvollfommenheiten des Wefens,
und der Kraft derfelben, und müffen alfo in fo ferne böfe
feyn $. 133. 134. Folglich haben alle endliche Subftan-
zen, auf eine fchlechterdings nothwendige Art, dieſe weſent—
liche Unvollfommenheit, oder das unbedingte Vermögen
boͤſe und unvollfommen zu handeln, oder durch ihre Hand:
lungen was Böfes, Berneinendes und Linvollfommenes zu
wuͤrken. Indem Gort die endlichen Subftanzen erfchaffen,
fo hat er nichts anders als eingefhrenfte Nealitäten ſchaf—
fen fönnen, und.es find demnach zwar die eingefchrenften
Realitäten erſchaffen, aber nicht ihre Einfchrenfungen, und
alfo aud) nicht das unbedingte Bermögen böfe zu handeln,
oder Boͤſes zu thun.
$. 1048.
Ein iedweder Sündenfall ift, wie eine iedwede Suͤn⸗
de, eine freye Handlung; gleichwie, eineiedwede zufällige Uns
vollfommenheit in der Welt, eine Veränderung der Crea—
turen iſt $. 1046. Nun wuͤrkt Gott, bey allen Berände-
ungen der Greaturen, mit $. 1030, Folglich koͤnte Feine
gez Crea⸗
410 Die öulafjung des Höfen in der Welt.
Creatur böfe und unvollfommene Handlungen thun, und
feine vernünftige Creatur Fönte fündigen und fallen, ohne
Gottes Mitwürfung und Beyftand, Allein da er dadurch
nur die Miturfacd) des Materiellen, oder des Reellen in den
böfen Handlungen und Sünden, feyn fan, nicht aber von
derh Formale derfelben $, 1029. 1033. fo ift er weder der
Urheber, noch im eigentlichen Verftande die moralifche Ur—
ſach, eines Sündenfalls oder einer Sünde, oder irgends
eines zufälligen Uebels in der Welt $. 985. 986. 987.
Kurz, das verneinende der zufälligen Uebel und der Suͤn—
den in diefer Welt, dasjenige, weswegen fie was Boͤſes
find, Fan unmöglich) in gerader Linie von Gott abftamnıen.
Gott hat, dur) feine Handlungen auffer fich, eingeſchrenkte
Realitaͤten erfchaffen, und er hat Feine andere fchaffen Fon
nen. Diefe eingeſchrenkten Nealitäten der Kräfte der Crea—
£uren erhält er nur, bey feiner Mitwürfung und durch dies
felbe. Wenn nun eine endliche Subftanz handelt, fo Fan
fie nur eine eingefchrenfte Kealität oder reelle Kraft brau—
chen, um die Handlung zu verrichten, und folglich Fan fie
feine unendlich reelle und gufe Handlung verrichten, Diefe
Abwefenheit der Realitäten in den Handlungen der Creatu⸗
ren, in fo ferne fie zufällig iſt, iſt das zufällige Uebel aller
böfen Handlungen und Sünden. Dieſes flieft aus der Ab»
wefenheit einer gröffern Nealität der Kräfte der Creaturen,
und dieſe ift eine Folge des metaphufifchen Uebel. Folg«
lich ift, dieſes Uebel, die erfte Duelle alles zufälligen Uebels,
und aller Sünden, in der Well. Und wenn man nun
weiter fragt, aus was für einer Duelle das metaphyſiſche
Uebel flieft: fo Hüte man fih, daß man nicht etwa ftill«
fehweigend vorausfege, als müffe es einen reellen Grund
haben, denn das iſt fchlechterdings unmöglich. Sondern
inden ber göttliche Verſtand gleichfam die Weſen aller
endlichen Dinge erfunden, fo hat er in dem einen diefe, und
in den andern andere Realitäten zufammenfaffen müffen,
in feinem aber alle im höchiten Grade: denn das iſt Das
göttliche Wefen $. 832. Indem alfo Gott, in einem ied⸗
weden
Die Zulsfjung des Höfen in der Welt. zu
weden Weſen eines iedweden endlichen Dinges, nur einige
Realitaͤten zufammengefaßit bat; fo. macht der Mangel der
übrigen’das metaphyſiſche Uebel aus, aus welchem alles
übrige Uebel berflieft. Folglich Fan Gott Feine einzige
Handlung vornehmen, wovon das metaphyſiſche Hebel der
endlichen Dinge eine Folge wäre.
S. 1049.
Alle zufällige wuͤrkliche Uebel in diefer Welt find eben
deswegen, weil fie-zufällig find, fo befchaffen, daß ihr Ge—
gentheil möglicy ift. S. 105. Diefes Gegentheil ift ein
Hinderniß derfelben, und wenn dafjelbe würflich wäre, fo
würden fie nicht wirklich feyn werden, oder bleiben $. 174.
Folglich koͤnnen, alle zufällige Uebel in diefer Welt, ver-
hindert werden, wenn man nemlid) blos auf dasjenige fieht,
was an und vor fi) felbft betrachtet möglid) iſt. Nun fan
Sort, durdy feine Allmacht, alles wuͤrklich machen, was
an ſich möglid) ift $. 862. Folglich) Fan Gott, alle zufaͤl—
ligen Uebel in diefer Welt, verhindern, Gott hätte ja, vers
möge diefer Allmacht, diefe Welt gar nicht wuͤrklich machen
koͤnnen, fondern eine andere mögliche Well, Und wenn
er diefes gethan hätte, fo würden eben die zufälligen Uebel,
die iego würflich find, nicht würklich geworden feyn, Alle
Sünden und alle Sündenfälle find freye Handlungen $,1046.
Folglich find fie zufällige Uebel, und Unvollfommenbeiten
$. 709. Folglich Fan Gott, durd) feine Allmacht, alle
Sünden, und einen iedweden Gündenfall: verhindern.
Das madıt eben die ganze Schmwierigfeit, in der Frage von
der Zulaſſung des Boͤſen. Weil Gott alles zufällige Böfe
und alle Sünden hätte hindern koͤnnen, er es aber gleichwol
nicht gethan hat: fo feheint er der Urheber der Sünden zu
feyn, und wider die höchite Güte und Weisheit gehandelt
zu haben. Wolte man fagen, Gott hätte fehlechterdings,
das zufällige Uebel und Die Sünden in diefer Welt, nicht
hindern Fönnen: fo müßte es fehlechterdings unmöglich fenn, -
fie zu hindern, und fie müßten alfo ſchlechterdings nothwen«
dig ſeyn. Es gabe alfo in der That gar feine Sünden,
und
ga Die Zulaffung des Höfen in der Welt.
und man müßte fagen, daß alles Uebel in der Welt durch
ein blindes und umwidertreiblihes Schickſal in derfelben an«
getroffen würde: und dos ift, der Zufälligkeit der Welt,
zuwider. Es ift wahr, es Ean feine Welt wuͤrklich ſeyn,
in welcher gar keine zufaͤlligen Uebel vorhanden waͤren
§. 198. Alleine es iſt eine Welt moͤglich, in welcher gar
Feine Sünden gefchehen. Folglich hätte Gott diefe Welt
fchaffen Fonnen, und er hätte alfo alle Sünden ohne Aus«
nahme verhindern koͤnnen. Ob er num gleich Feine Weit
fchaffen fönnen, in welcher gar feine zufälligen Uebel wuͤrk—
lich find; fo hätte er dod) eine Welt würflich machen koͤn⸗
nen, in welcher diejenigen zufälligen Uebel nicht würflich
gewefen feyn würden, die in diefer Welt würllich find.
Und er hätte alfo allerdings alle zufälligen Uebel verhindern
koͤnnen, welche in diefer Welt angetroffen werden.
G. 1050,
Man fan eine freye Handlung, auf eine doppelte
Art, verhindern. Einmal auf eine moralifhe, und zum
— *— auf eine phyſiſche Art. Die moraliſche Verhin—
derung beſteht darin, wenn man Bewegungsgruͤnde zum
Gegentheil einer freyen Handlung wuͤrklich macht. Wenn
iemand eine freye Handlung thun will, und man bringt
ihm irgends auf eine Art Bewegungsgruͤnde bey, ſie zu
unterlaſſen; fo hindert man, die Ausübung oder Verrich—
tung diefer Handlung, auf eine moralifche Art, ben fo,
wenn iemand eine freye Handlung unterlaffen will, und
man bringt ihm irgends auf eine Art Bewegungsgründe
bey, fie zu thun, fo hindert man ihn, auf eine moralifche
Art, an der Unterlaflung der Handlung. Folglich fo ofte
man durch Zureden, durch Anrathen und Abrathen, durch
Befehle, Rathſchlaͤge, Gefege, Drohungen, durch unfer
Beyſpiel, durch Berheiffungen, Ermahnungen u. f. w.
den freyen Willen eines andern beftimt, anders zu hans
deln, als es fonft würde gefchehen ſeyn: fo ofte wird, ein
gewifles freyes Verhalten, moralifc) gehindert. Folglich
find alle Berbote, und alle Verbindungen zum rechtmaͤßi⸗
gen
Die Zulaffung des Bsfen in der Wele. 413
gen Verhalten, moralifche Verhinderungen der Sünden,
Gefegt das ein Menſch im Zorn einen andern ſchlagen will,
gefegt man redet ihm fo einnehmend und nachdrücklich zu,
daß er diefe Handlung ſelbſt unterläft: fo hindert man ihn,
an diefem Ausbruche feines Zorns, auf eine moralifche Art,
Nun bat Gott, in der beften Welt, allen Geiftern die grös
ften Bewegungsgründe zu ihrer höchften Gluͤckſeligkeit gege—
ben, indem er diefelbe, zum leßten und vornehmiten Zwecke
der ganzen Welt, gemacht hat $ 1015. 1031. 1032, Cine
iedwede Sünde ift das Gegentheif der Gluͤckſeligkeit, und
befördert die Unglücfeligfeit der endlichen Geiſter S. 767.
768. Folglich bat Gott, allen endlichen Geiftern, Bewe⸗
gungsgründe zum Gegentheil aller Sünden gegeben, und
er verhindert demnach alle Sünden in diefer Welt auf eine
moralifche Art, und a'fo auch allen Sündenfall $. 1046.
Diefes wird, durch die practifche Weltweisheit, ganz auss
führlich auffer allen Zweifel gefegt. Sie erklärt und erweiſt
die Naturgeſetze, welche örtliche Gefege find. Nun find
alle Sünden durch das Naturgefes verboten, und alfo auf
diefe Art von Gott auf eine moralifche Art verhindert wor—
den. Desgleichen verbinden uns die Naturgefege, Feine
andere als rechtmäßige Handlungen zu thun. Da nun dies
felben, das Gegentheil'der Sünden, find: fo hat Gott
alle endliche Geiſter, durch das Naturgeſetz, zum Öegen«
theil aller Sünden verpflichtet, und es ift alfo unwiderſprech—
lich Elar, daß er alle Sünden auf eine moralifche Art in
diefer Welt verhindert hat.
§. 1051.
Die phyſiſche Verhinderung einer freyen hands
lung bejteht in einer iedweden Verhinderung derfelben, die
nicht moralifh ift, oder welche nicht Durch Bewegungs»
gründe zum Gegentheil gefchieht. Geſetzt daß iemand eis
nen andern im Zorne fehlagen wolte, gefegt man läuft ihm
entgegen, und hält ihn feft, Dis der Zorn verraucht , oder
bis der andere entlaufen iſt: fo hindert man ihn, an diefer
Handlung, auf eine phnfifche Ar. Nun find alle Sün-
den,
414 Die Zulsffung des Höfen in der Welt.
den, und alle Sündenfälle, freye Handlungen $. 1046.
folglich find fie aud) Frey in der Yusübung, und folche
Handlungen die phyſiſch zufällig find S. 700, Alſo it
ihr Gegentheil phyſiſch möglich, welches, wenn es würf-
lich gemacht wird, eine phyſiſche Verhinderung der Sünde
ift. Nun fan Gott, durd) feine Allmacht, alles mögliche
würflich machen 6. 862, Folglich fan Gott, alle Sün-
den in diefer Welt, auf eine phufifche Art verhindern. Die
Erfahrung lehrt auch zur Önüge, daß Gore wuͤrklich
viele Sünden auf diefe Arc verhindert. Wenn alle Sün«
der alle ihre Sünden zur Würflichfeit bringen koͤnten, fo
würde die Welt untergehen müffen. So aber müffen fie
ofte wider ihren Willen ihre Sünden unterlaffen, weil ihnen
die Gelegenheit fehle, oder weil fic) ein unglüclicher Zufall
zuträgt, der ibhen hinderlich fält, oder weil irgends auf
eine Art die Sachen und Umftände einen ſolchen kauf neh»
men, daß es ihnen unmöglich fält, die Sünde zu vollzies
ben. Da nun alles diefes von der göttlichen Vorſehung
berrühre, fo it aus der Erfahrung offenbar, daß Gott
wuͤrklich viele Sünden auf eine phnfifche Art in diefer Welt
verhindere, Es haben einige, um die Unfchuld Gottes
bey ven Sündenfalle Adams zu retten, angenommen, daß
Gore denfelben nicht anders habe verhindern koͤnnen, als
er häfte entweder den Adam vernichten, oder ihm feine
Freyheit nehmen, und ihn in der That in ein unvernünftie
tiges Thier verwandeln müffen. Da nun beydes fchlimmer
für das menſchliſche Gefchlecht gewefen wäre, als die Zulafe
fung des Sündenfalls: fo fen es beffer, und alfo der Weis:
heit und Güte Gottes anftändiger geweien, daß er den
Suͤndenfall zugelaſſen. Es ift wahr, wenn ort eines
unter beyden gerban, umd den Adanı entiweder vernichten,
oder ihm den Gebraud) feines freyen Willens genoinmen
hätte, fo wäre der Sündenfall auf eine phyſiſche Art verhin—
dert worden, Allein es iſt nicht eins unter beyden nöthig
gewefen, fendern Adam bat Fönnen würflich bleiben, und
den vollen Gebrauch feiner Freyheit behalten koͤnnen, und
die
Die Zulafjung des Boͤſen in der Welt. 415
die, Sünde Hätte doch koͤnnen phyſiſch verbindere werden
z. €, Gore hätte nur den Adam niemals dürfen verfuchen
laffen, oder er hätte nur in der Verfuchungsftunde die ‘Bes
wegungsgründe zur Sünde ſchwaͤchen, oder die gegenfeiti-
gen Bewegungsgründe ftärfen dürfen, wie ers noch ofte
bey den, Gläubigen macht: fo wiirde Adam nicht gefündiget
haben, Kurz, Gott hätte auf verfchiedne Art, alle Sünden
in diefer Welt, auf eine phyſiſche Art verhindern koͤnnen.
§. 1052,
Die Zulaſſung der Sünde befteht, in der Unter—
laffung der Verhinderung derfelben. Wenn man eine Suͤn⸗
de irgends auf eine Art verhindern Eönte, man thut es aber
nicht, fo läft und gibt man zu, daß fie gefchehe. Wer
eine Sünde nicht hindert, weil es ihm unmöglich ift fie zu
hindern, von dem fan man nicht fagen, daß er fie zulafle.
Wer alfo eine Sünde zuläft, der muß Kräfte und Mittel
in Händen haben, fie zu verhindern, Nachdem alfo Die
mögliche Verhinderung der Sünde befchaffen ift, nachdem
it ihre Zulaffung von verfchiedener Befchaffenheit. Es gibe
alfo erſtlich eine moralifche Zulaffung der Sünde, wenn
man die moralifche Verhinderung derfelben unterläft, und
alsdenn erlaubt man die Sünde Nun hat Gott, alle
Sünden ohne Ausnahme, moraliſch verhindert 9. 1050.
Folglich hat er diefe Verhinderung in feinem Falle unterlafs
fen, und es iſt alfo unwiderfprechlich gewiß, daß Gott Feine
Sünde und feinen Sündenfall erlaubt, oder moralifch zu=
laͤſt. Widrigenfals müßte er einige Sünden nicht verbos
ten, und den endlichen Geiftern Feine Bewegungsgründe
gegeben haben, fie zu unterlaffen, und er müßte alfo einige
Sünden nicht trafen, welches doc) feiner höchften Gerech—
tigfeit zuwider ift $. 958. Zum andern gibt es eine
pbyfifche Zulaſſung der Sünde, welche in der Unter»
laffung der phufifchen Hinderung derfelben befteht. Wenn
man eine Sünde auf eine phnfifche Art verhindern Fönte,
man thut es aber nicht, fo laͤſt man fie auf eine phnfifche
Are zu, Nun geſchehen wuͤrklich, viele Sünden, in biefer
Welt,
46 Die ulaffung des Boͤſen in der Welt.
Melt, Gott hat endliche Geifter gefcheffen, von denen
er aufs gewiſſeſte vorhergefehen hat, daß fie nicht nur Süns
den thun merden, fondern aud) wie ofte fie fündigen wer—
den, was für Sünden fie thun werden, und wie groß ihre
Suͤnden in allen Abfichten feyn werden. Er hätte, alle
diefe Sünden ohne Ausnahme, phyſiſch verhindern Fönnen
S. 1051. Folglich gefchehen alle diefe Sünden, weil fie
von Gott nicht phyſiſch verhindert werden, das ift, Gott
laft alte diefe Sünden auf eine phofifche Art zu. Ohne
Gottes Zulaffung fönte, feine Sünde, gefchehen. Wir
nehmen den Satz, daß in diefer Welt Sünden wuͤrklich
find, aus der Erfahrung an, wir koͤnnen aber aus der blof-
fen Weltweisheit, die Gröffe und den weiten Umfang der
Sünde in diefer Welt, nicht fo gut einfehen, als nad) Aus«
fage der heiligen Schrift. Denn, erftlih, wiſſen wir aus
der Weltweisheit nicht, daß es, auffer dem menſchlichen
Gefchlechte, noch mehrere Sünder in diefer Welt gebe.
Die heilige Schrift aber fagt uns, daß es noch viele ver«
nünftige Creaturen auffer den Menfchen gibt, die auch Sün-
der find, Zum andern wiflen wir aus der Weltweisheit
nicht, daß alle Sünden der Menfhen, auffer dem Sünden.
falle unferer erften Eltern, bey ihren Nachfommen aus der
Erbfünde entftehen. Zum dritten willen wir auch nicht,
daß alle Menjchen fündigen, und eben fo wenig, viertens,
dan Fein Sünder blos natürlicher Weiſe ſich wieder von der
Suͤnde völlig frey machen koͤnne. Und fünftens ift es cine
der blosien Bernunft unbefante Wahrheit, daß die Men
fchen auf keinerley Weife in diefem $eben von der Sünde
ganz befreyer werden koͤnnen Unterdeſſen haben diefe Wahr:
beiten, in unfere iegige, Unterſuchung, feinen Einfluß.
; 1605
Nach allen dieſen Unterſuchungen entſteht nun die
Frage: warum Gott alles zufällige Uebel, welches in Dies
fer Welt würflich iſt, und alle Sünden, welche in diefer
Welt würflich geſchehen, und den Sündenfall einiger vers
nünftigen Creaturen, welche vorber Feine Sünder gemwefen,
in
Die Zulaffung des Höfen in der LDele, Aı7
in dieſer Welt phnfifch zulaffe? Und wie diefe Zulaffung des
Boͤſen, mit der höchiten Vollkommenheit Gottes, und
fonderlich mit feinen moralifchen Vollkommenheiten, beſte⸗
hen koͤnne? Nemlich dieſe Welt iſt, ſo wie ſie wuͤrklich iſt,
die beſte $. 991. Wenn nun itgends etwas in der Welt
anders wäre und gefchehe, als es wuͤrklich if und gefchieht,
fo wäre fie nicht diefe, und alfo auch nicht die befte Welt.
Hirte nun Gore alle zufälligen Uebel in dieſer Welt, und
Suͤnden, phyſiſch verhindern wollen, ſo waͤre dieſe Wale
eine One Welt, und alfo nicht die beſie. Die goͤttliche
Zulaſſung des Boͤſen in der Welt iſt alſo ein Mittel, wo—
durch die beſte Welt wuͤrklich gemacht worden, und von
Gott erhalten wird. Aller Suͤnden, und alles zufaͤlligen
Uebels in dieſer Welt, ohnerachtet, iſt dennoch mehr Guts
als Boͤſes in der Welt, und mehr Guts als wuͤrklich ge—
worden waͤre, wenn Gott eine iedwede andere Welt ge—
ſchaffen hätte. Da num Gott wider feine hoͤchſte Vollkom—
menheit, Güte, Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligkeit und
Allmacht gehandelt hätte, wenn er eine andere als die befte
Welt erfchaffen hätte $. 989-1000, fo ijt Die göttliche Zu—
laffung des Boͤſen eine Handlung, weldye der höchften Boll
fommenheit Gottes gemäß ift, und ohne welcher Gott dies
felbe nicht im böchften Grade in feinen Werfen bewiefen,
haͤtte. Cr hätte eine Welt aufler dieſer fehaffen mögen
weiche er gewolt hätte; fo hätte er nicht fo gütig, fo weife’
fü heilig, fo allmächtig gehandelt, als er nun gethan hat,
da er diefe Welt erfchaffen hat, in welcher, alles zufälligen
Uebels und aller Sünden ohnerachtet, doc) mehr Bollfom-
menbeit enthalten ift, und die Neligion famt der Gtückfeligs
feit der endlichen Geifter mehr befördert wird, als in und
Durch eine iediwede andere mögliche Welt hätte aefchehen
Fönnen. Gott läft alfo alles Böfe, welches in diefer Welt
wuͤrklich ift und geſchieht, als ein Eleiner Uebel zu, damit
ein gröffer Uebel verhüter, und bie allergröfte Bollfommens
heit, welche auffer Gott möglich iſt, erhalten werde. Dieſe
allerhoͤchſte Vollkommenheit kan nur in der beſten Welt er—
4 Theil, Dd langt
48 Die Zulaffung des Höfen in der Welt.
langt werden, folglich in derjenigen Welt, in weldjer alle
die Uebel wuͤrklich find und gefcheben, welche in diefer Wele
wuͤrklich find und gefchehen. Folglich wird diefe Welt nicht
etwa, durch das Boͤſe in derfelben, die befte, in fo ferne
es böfe ift, denn in diefer Abficht Fan es nichts Guts verurs
ſachen; fondern fie wird, durd) die göftliche Zulaffung des
Boͤſen, die befte, weil Gott erfant hat, daß alles dieſes
Böfe, und alle Sünden, welche in der Welt würflich find,
mit dem Guten dergeftalt vergefellfchaftee find, daß die
böchfte Vollkommenheit auffer Gott nicht würde erhalten
werden können, wenn diefelben verhindert würden, Gott
handelt alfo, bey der Zulaffung des Böfen in der Welt,
nach der Negel, welche ver höchften Weisheit, Güte, Ges
rechtigfeit und Heiligkeit gemäß iſt, nemlich: ein Fleineres
Uebel muß zugelaffen werden, wenn ohne demfelben ein gröf«
feres Uebel nicht verhütet, und ein gröfferes Gut nicht er»
reicht werden koͤnte. Mur ein unvernünftiger Thor macht
das Uebel ärger, indem er alle Eleinere Uebel ohne Ausnah—⸗
me verhüten will. Diefe wichtige Frage von der Zulaffung
des Böfen in der Welt ift eben die Veranlaſſung der Erfin«
dung der wichtigen Wahrheit, daß diefe Welt die befte ift,
geweſen. Der berühmte Bayle machte die wißigften Eins
würfe wider Gott, indem er zu behaupten fuchte, daß man
unmöglich begreifen koͤnne, woher das Boͤſe in der Welt
gefommen, mern man nicht auffer dem guten Gotte eine
eben fo mächtige aber böfe und ſchaͤdliche Gottheit anneh—⸗
me, und alsdenn behaupte, daß gleich wie der gute Gott
der Urheber alles Guten in der Welt ſey, alſo auch von dem
boͤſen Gotte alles Boͤſe in der Welt herruͤhre. Leibnitz bes
mühete ſich dieſe Einwuͤrfe gründlich aus dem Wege zu
räumen, und da fand er, daß die Lehre von der beiten Welt
die ganze Schwierigkeit vollkommen auflöfe,
. 1054,
Diefe Materie von der im höchften Grabe güfigen,
weiſen und heiligen göttlichen Zulaffung des Böfen in der
Welt, ift von einer fo groffen Wichtigkeit, deß fie aller-
dings
Die Zulaffung des Höfen in der Welt. 49
dings noch eine weitere Erläuterung bedarf. And wir wer⸗
den fie in ein gröfleres Licht ſetzen koͤnnen, wenn mir die
Einwürfe beantworten, die dawider gemacht werden fönnen.
Und dahin gehören folgende Einwürfe, 1) Wenn Gote
alle Sünden in diefer Welt verhindert hätte, fo würde die
Welt eben: fo gut oder noch beffer geweſen feyn, als fie ietzo
ift. Folglich har Gott tadelnswürdig gehandelt, daß er
die Sünden in der Welt zugelaflen hat. Ich antworte:
es ift wahr, wenn diefe Welt ohne die Sünden, die in ihr
gefchehen, eben fo gut oder noch befler gewefen fenn würde,
als fie iego iſt; fo koͤnte die göttliche Zulaſſung des Böfen
unmöglid), mit feinen hoͤchſten Vollkommenheiten, beftes
ben. Allein ich babe oben, als ich die Einwürfe wider die
Lehre von der beiten Welt geprüft habe, diefe Schwierig.
feie {bon aus dem Wege geräumt, indem ich erwiefen
habe, es fey falich, daß diefe Welt eben fo gut oder noch
befier geweſen ſeyn würde, wenn alle Sünden in derfelben
wären verhindert worden, 2) Wenn Gott dem Adam und
allen Geiftern, welche durch ihren Sündenfall die Sünde
in die Welt eingeführt haben, einen gröffern Grad der Boll
kommenheit anerſchaffen hätte, als er würflich gethan Hat,
fo wären fie glei) im Guten beftätiget worden, und fie hät
ten alfo nicht aefündiger. Da nun Got das erfte nicht ges
than hat, fo ift er [huld daran, daß die Sünde entftanden,
und er iſt alfo der Urheber aller Sünden, Ich antworte
dreyerley. Erſtlich heift diefes eben fo viel als verlangen,
daß Gott uns Menſchen, und. andere Geifter, weiche ges
fündiget haben, gar nicht Habe fchaffen follen. Denn wenn
Adam mit einem gröffeen Grade der Vollfommenbeit er.
ſchaffen worden wäre, als er wuͤrklich iſt, fo wäre er ja eine
andere vernünftige Creatur geweſen, und folglich nicht ders
felbe Menſch, der er gemefen ift. Solten wir es wol lies
ber fehen, daß uns Gott gar nicht aus unferm Nichts ber
vorgezogen hätte? Zum andern muß man, die Guͤte Gottes,
nicht ohne feine Weisheit und Gerechtigkeit betrachten. Es
ſcheint freylicy ver Güte gemäfler zu feyn, daß Gott den
Dd 2 Adam
420 Die Zulsffung des Boͤſen in der Welt.
Adam mit einer gröffern Vollkommenheit erfchaffen Habe,
Alein die Gegner müffen beweifen, daß diefer gröffere Grad
der Vollkommenheit auch der höchften Weisheit Gottes, der
Unpartheylichfeit feiner Gütigfeit, und der vollfommenften
Proportion derfelben, gemäß fey. Wenn Gott einer Crea—
tur eine Wohlthat erweifen foll, fo Fan er nicht bios auf diefe
Greatur allein fehen, fondern er muß zugleich fürs ganze
allgemeine Befte der vollfommenften Welt forgen. Wenn
man den Adam mitten aus dem Zufammenhange der ganı
zen Welt herausreift, fo wäre es für ihn beffer gemwefen,
wenn ihn Gott gleich in einem fo hohen Grade der Voll
kommenheit erſchaffen hätte, daß er dadurch alfobald im
Guten wäre beftätiget worden. Allein es wäre, für die
ganze Welt, fehlimmer gewefen. Zum dritten ſetzt, diefer
ganze Einwurf, den Sag voraus: Wer iemanden nicht ein
gröffere Wohlthat erweift, der ift fehuld Daran, wenn der an—
dere die Fleinere Wohlthat mißbraucht, Allein diefer Sag
ift offenbar falfh. Geſetzt ich ſchenke iemanden fünf Tha—
ler, und er bringe fie liederlich duch: bin ich deswegen
der Urheber feiner Liederlichkeit, weil ich ihm nicht zehn Tha—
ler gefchenft habe? Wer Fan fo feltfam denfen? 3) Wer
ein Uebel nicht verhindert, weldyes er hätte verhindern koͤn⸗
nen, der ift der Urheber deſſelben. Dun bat Gott das
Boͤſe in der Welt nicht verhindert, da er es dod) hätte vers
hindern koͤnnen. Alſo ift er der Urheber alles Böfen, und
aller Sünden in der Welt. In diefem Einmwurfe wird
verfchiedenes mit einander verwechfel, Man muß wohl
unferfcheiden, ob iemand etwas durch feine Macht, und ob
er es zugleich) durch die höchfte Guͤte und Weisheit verhins
dern koͤnte. Es ift wahr, wenn man auf die Allmacht
ſieht, fo hätte Gott allerdings alle Sünden in der Welt Hinz
dern Eönnen. Allein, der Gebrauch der göttlichen Allmacht,
ift allemal der höchften Güte und Weisheit Gottes gemäß,
Folglich behaupten wir, vermöge der bisher eriwiefenen
Wahrheiten, daß Gott, durch die Verhinderung aller Suͤn⸗
den vermöge feiner Allmacht, wider feine hoͤchſte Weis:
heit
ß
Die Zulaffung des Boͤſen in der Welt, 421
heit und Güte gehandelt haben würde, Es ift alfo unges
reimt zu fagen, Daß derjenige der Urheber einer Sünde fen,
der fie durd) feine Macht hätte hindern fonnen, es aber
nicht gethan hat, Wer aber durch feine Macht nicht nur
eine Sünde hindern Fönte, fondern wer aud) zugleich Durch
feine höchfte Güte und Weisheit diefes zu thun verbunden
geweſen wäre, und thut es gleichwol doch nicht, der wird
der Urheber diefer Sünde. Nun müffen die Gegner ers
mweifen, daß Gott, ohne Verlegung der höchften Güte und
Weisheit, und ohne mehr Guts zu hindern und mehr Boͤ⸗
fes zu veranlaffen, alle Sünden in diefer Welt hätte hin—
dern koͤnnen. Allein das hat bisher noch niemand, mit
einigem Scheine der Wahrfcheinlichfeit, erweifen Fünnen,
Folglich behaupten wir, daß Gott würde gefündiger, Daß
er wuͤrde unmeife, ungütig und unheilig gehandelt haben,
wenn er alle Sünden hätte hindern mollen. Folglich ift,
Die phufifche Zulaffung der Sünde, eine rechtmäßine Hand«
lung Gottes: indem, das Bofe formaliter betrachtet, noch
Dazu von Feiner göttlichen Handlung, als eine Würfung,
herruͤhrt. Und da Gott alfo, in Abfiht der Sünden und
des Bofen, nichts pofitives durch feine Kraft gethan hat,
in fo ferne man die Sünden und das Böfe formaliter be-
trachtet, fondern da er noch dazu alle‘ Sünden morclifch
verhindert und blos die phyſiſche Verhinderung unter»
laſſen hat, und zwar vermöge ber Regeln der hoͤchſten Guͤ—
te und Weisheit: fo hat Gott gar feinen Antheil an der
Suͤnde, welcher ihn zum Urheber der Sünde machen fönte,
‚ 1055.
Zum 4) macht man den Einwurf, daß Gott alſo
Boͤſes thue, oder wenigſtens zulaſſe, Damit Guts daraus er⸗
folge. Es wiſſe aber iederman, daß man ſuͤndige, wenn man
Boͤſes thut, damit Guts daraus erfolge, und daß die gute
Abſicht allein, eine Handlung, nicht ganz rechtmäßig und
unſuͤndlich mache, Wenn man alfo gleich fage, Daß Gott
das Boͤſe in der Welt zugelafen, damit dadurch die beite
Welt erhalten werde; fo werde, fein Verhalten, Dadurch
OR den⸗
422 Die Zulafjung des Höfen in der Welt.
dennoch nicht gerechtfertige. Hierauf muß, verfchiede-
nes, geantivortet werden, Erſtlich, das Boͤſe thun,
und das Böfe zulaffen, ift gewaltig von einander unterfcyie-
den. Man muß nichts böfes thun, damit guts daraus er
folge; allein es ift erlaubt und rechtmäßig, ofte das Böfe
zujulaffen, damit ein gröfferes Liebel dadurch verhütet wer—
de. Don Gott fan man auf keinerley Weile fagen, daß
er das Boͤſe in der Welt, in fo ferne es böfe ift, thue, oder
durch feine Handlungen würfe $. 864. 983: 984: 985.
986. 987. 1026, 1033. 1048. Es muß alfo niemand fa«
gen, daß Gott das Bofe in der Welt, in fo ferne es böfe
it, mürfe, damit die höchfte Vollfommenbeit der Welt
erhalten werde; fondern daß er daflelbe zulaffe, weil ohne
demfelben auch diejenigen Mittel nicht Fönten wuͤrklich wer⸗
den, wodurch nach und nach die höchfte Vollkommenheit
der Welt erreicht wird, Zum andern ift es unmöglid), daß
eine Verneinung, oder das Boͤſe in fo ferne es böfe ift, oder
das Formale des Böfen, ein Mittel einer Realitaͤt, oder
einer Bollfommenbeit, oder eines Guten, feyn Fönte $. 133,
134. Folglich ift es ungereimt zu fagen, daß Gott das
Boͤſe und alle Sünden in der Welt zugelaffen habe, damit
durch diefelben, in fo ferne fie was böfes find, oder durch
ihr Formale, die hoͤchſte Vollkommenheit der Welt erreicht
werde, Es hat demnad) Gott das Boͤſe, in fo ferne es
böfe ift, nicht einmal zu dem Ende zugelaffen, damit das
durch die höchfte Vollkommenheit der beften Welt erlange
werde. Sondern Gott hat, drittens, um einer doppelten
Urſach willen, alles zufällige Uebel in der Welt, und alle
Sünden, zugelaffen. Einmal, weil alle Sünden und alle
Uebel ein Materiale haben, oder zugleich was guts und
vollfommenes find $. 960. und meil durch das Gute,
welches in allen Sünden und Uebeln angetroffen wird, viel
mehr Guts in der Welt gewuͤrkt wird, als durd) das For—
male derfelben Böfes verurfacht wird. Durch Hurerey
und Ehebruch ift mancher vechtfchaffener und nüglicher
Menfh in die Welt gefommen, welcher mit allen he
AM⸗
Die Zulsffung des Höfen in der Welt. 43
Nachkommen, ohne diefen Sünden, ewig Nichts geblieben
feyn wuͤrde. Durch die Verſchwendung eines Menfchen
finden, unendlich viele andere Menfchen, ihre Nahrung.
Alte Noth und alles Elend ift die befte Tugendfchule, und
es find ungemein nügliche Unterfuhungen, wodurch man
den groffen und mannigfaltigen Nutzen zeigt, welcher durch
das Materiale der Sünden, und anderer Uebel in der Welk,
enefteht. Wer da denkt, daß durch folhe Betrachtungen
die Sünden entfchuldiget und gerechrfertiget werden, der
verräth dadurch, daß er eine fehr ſchlechte Einficht in die
Eittenlehre habe. Zum andern fan das Boͤſe mit dem
Guten dergeftalt untermengt und vergefellfchaftee feyn, daß
derjenige, welcher das Gute haben will, auch das Boͤſe
zulaffen muß. Und fo verhält fihs mit den zufälligen
Uebeln in der Welt, und deswegen hat fie Gott zugelaffen.
Unfer Heyland hat diefen Gedanken, durch) ein vorfrefliches
Gleichniß, erläutert. Ein Haußherr fäet guten Saamen
auf feinen Acer, und der Feind füet Unkraut dazroifchen,
Beydes geht auf, Die Wurzeln des Unfrauts ſchlingen
ſich, unter die Wurzeln des guten Getraides. Kan man
wol fagen, daß das Unkraut eine wirkende Urſach des Ges
traides it? Allein, wenn man es in gemiffen Umftänden
z. E. wenn das Getraide ſchon groß ift, ausrotten mwolte,
fo würde man viel gutes Getraide zugleich zerfreten und aus—
roften. Und folglich muß, beydes untereinander gemengt,
aufmachfen. So ift, das Gute in der Welt, mit Böfen
untermenge. Geſetzt, ein König hat einen vortreflichen Ges
neral und Staatsminifter, roelcher die Wohlfart des Staats
im Kriege und im Frieden ungemein befördert. Geſetzt,
diefer Mann bure und breche die Ehe, er aebe feinen Ars
beitern ihren Sohn nicht, und betrüge viele Privatperfonen.
Wer wird wol fagen, daß diefe Verbrechen Mittel find,
wodurch in ihm die Gefchicklichkeiten gewuͤrkt und befördert
werden, die ihn zu einen dem Staate fo nüßlichen General
und Staatsminifter machen? Und gleichwol find feine Laſter
und Tugenden fo vereinbart in feiner Perfon, daß derjenige,
Dd 4 wel·
424 Die Zulaffung des Boͤſen in der Welt.
welcher, zur Befriedigung vieler Privatperfonen, dieſen
Ehebrecher und Betrüger aus dem Staate wegſchaffen wol.
te, auch zugleich den groffen General und Staatsminifter
entfernen, und dadurch dem Staate viel mehr Schaden als
Nutzen verfchaffen würde. Und wer alfo, dieſen vortreflis
hen Mann, zum überwiegenden Nutzen des Baterlandes
behalten will, der muß auch zugleich den Ehebrecher und
Betrüger dulden, Und wenn ein König das legte thur,
fan man wol fagen, daß er Boͤſes thue, damit Guts
draus erfolge? Und fan man fagen, daß er der Urheber
diefes Ehebruchs und diefer Betruͤgereyen ſey? Ohne Zwei⸗
fel werden wir in der Emigfeit erfahren, daß aller Zeit Lei—
den nicht wert) fen, der Herrlichkeit, die an uns offenbart
. werben fell, und diefe Erfahrung wird uns alsdenn antreis
Den, daß wir Gott ewig auch dafür danken, daß er alles
Boͤſe und alle Sünden, fo in der Welt würflich gefcheben,
zugetaften babe, und alsdenn wird uns nicht einmal der Ges
Danfe einfallen, als fen Gert diefer Zulaffung des Bofen
wegen zu fadeln. Die heilige Schrift gibt noch mehr Bes
trachtungen an die Hand, wodurch diefe Sache beftätiger
wird. Hätte Gott die Sünde nicht zugelaffen,, fo wäre die
Menfchwerdung Chrifti, und fein ganzes Berföhnungss
werf, mit allen feinen herrlichen Würfungen, nicht erfolge.
Und, über einen Sünder der Buffe thut, ift mehr Freude im
Himmel, als über neun und neunzig ©erechte, welche der
Buffe nicht bedürfen. Im Himmel fan, feine blinde und
ungegründete Freude, fat finden. Folglich muß es viel
beffer fenn, daß Gort die Sünden in der Welt zugelaflen,
als wenn er fie insgefamt gehindert haͤtte.
$. 1056.
Einige Gottesgelehrte und Weltmeife haben, die
Hechtfertigung Gottes bey der Zulaffung der Sünden in der
Belt, auf eine zweyſache andere Art, als wir gethan haben,
unternommen. Erſtlich, fagen einige: Gott habe diefe
Melt, zu feiner allerböchften Ehre, erfchaffen. Folglich
müffe er die Welt dergeftalt einrichten, daß dadurch alle feine
Boll.
Die Zulaffung des Boͤſen in der Welt. 425
Bollfommenheiten offenbart werden. Es müffe demnach
Gott auch feine Strafgerechtigfeit, in der Welt und durch “
Diefelbe, offenbaren. Da diefes nun nicht anders gefche
hen koͤnne, als wenn Sünden in der Welt gefchehen, damit
Gott Gelegenheit befomme, feine Strafgerechtigkeit aufs
vollfommenfte zu erweilen: fo habe er, Diefer Uxfach wes
gen, die Sünden gefchehen laſſen. Es ſteckt allerdings in
diefem Gedanfen viel Wahrheit, allein er enthält auch eine
abfcheuliche Borftellung von Gott. Es fan diefer Gedanfe
auch fo verftanden werden, als habe fich Gott die Gegen-
ftände feiner Strafgerechtigfeit mit Fleis verfchaft, damit
er diefe feine Vollkommenheit gefhäftig erweifen koͤnne.
Kan man ſich einen barbarifchern Tyrannen vorftellen, als
einen König, der feine Unterthanen verleiten und in die
Nothwendigkeit verfegen wolte, Verbrechen zu begehen,
Damit er eine Gelegenheit befomme, feine Strafgerechtigs
feit an ihnen zu üben? Mein, fo gottesläfterlich muß man
von Sort nicht denfen. Sondern wenn diefer Gedanfe
Gott anftändig feyn foll, fo muß man denfelben folgenders
geftalt aus einander fegen. Man muß nemlich, auf die
in dem vorhergehenden ausgeführte Ark, zeigen, Daß übers
haupt die Zulaffung des Böfen mehr Bortheil verfchaffe,
und allen Vollkommenheiten Gottes gemäffer fey, als die
Verhinderung aller Sünden. Und wenn man dadurch
überzeugt ift, Daß Gott, bey der Zulaffung der Sünde,
guͤtiger, beiliger und weifer gehandelt babe, als wenn er fie
hätte verhindern mollen: fo iſt es alsdenn ein Vortheil,
welcher bey Gelegenheit der Sünden entfteht, daß Gott,
Durch Die befte Welt, auch feine Strafgerechtigkeit auf eine
viel vollfommenere Art offenbart, als wenn er alle Sünden
hätte hindern, und eine andere als die befte Welt fchaffen
wollen. Zum andern retten einige, die Unſchuld Gottes
bey der Zulaffung der Sünde, folgendergeftalt. Gie fügen:
Gott hat alles aufs befte geſchaffen, den erfien Menfchen
und alle Seifter, Die nefüntiget haben. Er hat ihnen einen
freyen Willen gegeben und gelaffen, und er bat es ihnen
Dd 5 ſelbſt
426 Die Zulaffung des Höfen in der Welt.
ſelbſt überlaffen, ob fie im Guten beharren , oder ob fie füne
digen wollen. ort Fan alfo nichts dafür, daß diefe ver—
nuͤnftigen Creaturen die fchlimmere Parthey ergriffen. Man
Fan nicht genung fagen, mie elend, unphilofophifc und
feichte, diefe ganze Entfcheidung diefer wichtigen Sache ift.
Wenn Gott nicht aufs untrüglichite vorhergefehen hätte,
welche vernünftige Creaturen ihre Freyheit zur Sünde miß«
brauchen würden; wenn es ihm nicht moͤglich geweſen waͤ⸗
re, lauter folche vernünftige Creaturen zu ſchaffen, welche
niemals gefündiget hätten; wenn er nicht bey allen Sünden
mitwwürfte, und wenn die Sünder ohne feine Mitwuͤrkung
ihren freyen Willen mißbrauchen koͤnten, die fehliimmere
Parthey zu ergreifen; wenn er nicht auf vielfältige Art alle
Sünden, der Freyheit der Sünder unbeſchadet, phyſiſch
hindern fönte, und wenn die vernünftigen Creaturen, wel⸗
che gefündiget haben, durch den Mißbrauch ihrer Freyheit
eine andere Welt verurfachen Eönten, als Gott von Ewig«
keit her zu fehaffen befchloffen hat: fo würde man auf dieſe
Art, die Unſchuld Gottes bey der Zulaffung der Sünden in
diefer Welt, voten Eonnen. Allein, da das Gegentbeil
aller diefer vorausgefesten Bedingungen, aus, den Grund«
fägen der gefunden Vernunft, unumſtoͤslich ermwiefen wer»
den Fan, wie ich in der vorhergehenden Unterfuchung ges
zeigt babe; fo Fan man auf diefe Art unmöglich gruͤndlich
überzeugt werden, daß die göttliche Zulaffung des Boͤſen in
der Welt, ohne Nachtheil feiner allerhöchften Güte, Weis:
beit und ‚Heiligkeit, habe geſchehen koͤnnen, und wuͤrklich
gefchehen jey. Hieraus erhellet von neuem, tie wichtig
die Schre won der beten Welt fey, indem fie einen Knoten
auflöft, ver unendlich vielen Leuten, einen unüberwindlichen
Zweifel wider die Heiligkeit Gottes und feine Vorſehung,
verurfache bat, und noch verurſacht.
$. 1057.
Die görtlihe Zulaffung des Böfen in der Welt ift
eine Handlung Gottes, wodurch er die möglichite Vollkom—
menheie der ganzen Welt und aller Creaturen befördert, und
ohne
Die Zulaffung des Höfen in der Melk, 427
ohne welcher alle Zwecke Gottes nicht nad) und nad) aufs
befte würden erhalten werden $. 1053. Indem alfo Gott,
alles moraiifche Uebel, auf eine moraliſche Art verhintyert
bat, und beftändig verhindert F. 1050. und indem er nichts
böfes in der Welt geſchehen läft, als ohne deffen phufifihen
Zulaffung feine Zwecke, und die hoͤchſte Vollkommenheit
der Welt, nicht aufs befte würden erhalten werden koͤnnen:
fo ift, die göttliche Zulaffung des Böfen in der Welt, eine
Borforge Gottes für die Welt, oder eine Handlung, wel⸗
che zu feiner Vorſehung gehört $. 1016, a fie iſt eine
der wicheigften, und merfiwürdigften Handlungen der göftlis
chen Vorſehung. Denn die zufälligen Uebel, und die
Sünden formaliter betrachtet, find Hinderniſſe der Zwecke
Gottes, und der Vollkommenheit der Ereaturen. Wenn
man nun, ofler Hinderniffe ohnerachtet, feinen Zweck er
veicht, und die Wolfart derer Dinge, die unferer Borfors
ge anvertrauet find, befördert, und felbft die Hinderniffe
derfelben dergeftalt zu lenken weis, daß um fo viel mehr
Vollkommenheit entfieht: fo legt man dadurch, eine der
merfwürdigiten Proben der weifen und gütigen Vorſorge
für eine Sache, ab. Folglich ift, die göttliche Zulaffung
des Döfen in der Welt, ein Gefchäfte der Borfehung Gota
tes über die Welt, welches für uns Menfchen fo vortheils
haft ift, daß wir aus der Lehre derfelben, fo wie wir diefel«
be vorgetragen haben, den berlichften Nutzen haben koͤn—
nen, inmal, gewährt fie uns den allerfräftigften und
edelften Troft in allen Widermärtigfeiten. Unſer ießiges
$eben ift unleugbar mit vieler Noth, mit vielem Ungluͤcke,
Sammer und Elende, durchwuͤrkt. Es iſt gar zu leicht,
daß ein Menſch dadurch niedergefchlagen wird, meland)os
liſch verzagt, und daß er zu einem quölenden Murren
wider Gott verleitet wird. Was hilft ihm alles diefes ?
Er maht nur feine Noth dadurch gröffer, und beſchwerli—
her zu tragen. Durch die !ehre vom der göttlichen Zulafs
fung des Böfen koͤnnen wir ung fräftig überzeugen, daß
alle Noch mit einem viel geöffern Gut vergefellfchaftet fey,
und
423 Die Zulafjung des Höfen in der Welt.
und daß fie von Gott aus den väterlichiten, gütigften und
weifeften Abfichten, zugelaffen werde. Sollen wir uns,
durch das Gefühl eines Fleinern Liebels, verzagt und unruhig
machen laſſen, von dem wir wiffen, daß mit demfelben ein
viel gröfferer Vortheil vergefellfchaftee fey? Zum andern
ſchaft uns diefe Lehre, auch in Abficht unferer eigenen und
anderer Menfchen Sünden, einen groſſen Mugen. Sie
zeigt ung, daß wir uns über die Sünden in der Welt nicht
zu fehr ereifern müffen, fondern daß wir unfere und anderer
Menfchen Sünden, wenn fie einmal geſchehen ſind, zum
Guten anwenden muͤſſen. Ja daß wir uns einer edlen und
großmuͤthigen Buſſe befleißigen ſollen, indem wir, aus
unſern begangenen Suͤnden, ſo viel Vortheile ziehen, als
moͤglich iſt. Mancher Hienfch hält es für ein Zeichen einer
heiligen Tugend, wenn er, gegen die Sünden anderer Men:
(chen, fih als ein unerbittlicher, unverföhnlicher und barba—
rifcher Richter verhält, wenn er die Sünden nie auf der gus
£en Seite betrachtet, aufs härtefte den Suͤndern und ihren
Suͤnden flucht, und das menſchliche Gefchleche wie eine
Moördergrube betrachtet, welche nichts weiter verdiente, als
daß fie der Teufel mit einemmale holte und mit fich fort»
führte. Wenn er felbft Buffe thut, fo befteht feine Buffe
in einer niederträchtigen und wahrhaftig! unnügen Bejams
merung der vergangenen Sünden, und indem er fich als
einen Sünder betrachtet, ſieht er ſich als eine durchaus nichts⸗
wuͤrdige Creatur an. Dieſe ganze Lehre von der goͤttlichen
Zulaſſung der Suͤnden kan uns zeigen, wie wir, wenn wir
gefallen ſind, auf eine er Art wiederum aufftehen follen.
. 1058,
Bey diefer wichtigen Materie müffen mir noch einen
merfiürdigen Irrthum widerlegen, welchen man den Ma⸗
nichaͤiſmus nent, vermoͤge deſſen man einen Urheber alles
Boͤſen in der Melt annimt, der eben fo mächtig ift, als
der Gott, den wir bisher haben fennen lernen. Ein Mas
nichäer nimt zwey Götter an, deren Feiner von dem andern
abhänget. ‘Der erfte ift der gute Gott, welcher böchft weite,
gütig,
Die Zulaſſung des Boͤſen in der WDelt. 429
gütig, heilig und überhaupt Höchft vollfommen if. Weil
nun diefer Gott nichts anders als Guts thun Fan, fo it er
der Urheber alles deffen in der Welt, was gut iſt. Der
andere Gott ift der böfe Gott, welcher weder heilig, noch
gütig, noch weife, noch gerecht ift, und welcher lauter Lö»
fes thut. Er ift an Macht dem guten Gotte glei), und
als diefer eine gute Welt gefchaffen bat, fo bat der büfe
Gott das Böfe hineingemengt, ohne daß es der gute Gott
hindern Fönnen. Und folglich nimt man den böfen Gott,
als den Urheber alles Böfen, und aller Sünden in der Welt,
an. Diefer Irrthum hat feinen Namen von einem geroife
fon Manes befommen, ob er gleich nicht der Erfinder ‚defe
felben geweſen if; fondern diefer Irrthum ift einer der: Ale
teften, indem ihn ſchon Zoroafter angenommen hat. Man
fan, den Urfprung diefes Irrthums unter den Menfchen,
auf eine doppelte Urt erklären. Einmal, wenn man ans
nimt, daß die erften, welche demfelben Beyfall gegeben ha⸗
ben, ihn auf eine nachdenfende und ſyſtematiſche Art erfuns
den haben. Diefe Männer haben fid) ohne Zweifel bemuͤ⸗
het, die Urfachen alles deffen, was in der Welt angetroffen
wird und gefchieht, in Gott und feinen Vollkommenheiten
zu finden. Da es ihnen nun, nad) ihren damaligen Eins
fihten, unmöglich zu feyn gefchienen, daß das Boͤſe in der
Welt feinen Urfprung von dem guten Gotte nehmen fünnen,
und da fie zugleich ohne genungfamen Grund angenommen
haben, daß ein Urheber deffelben auffer der Welt müffe
wuͤrklich ſeyn: fo ift es natürlicher Weiſe nothwendig, daß
fie auf die Meinung von der Würflichfeit einer böfen Gott:
heit, gerathen müffen. Oder man Fan zum andern, den
Urfprung diefes Irrthums, aus einer mündlichen Ueberlie—
ferung, und nad) und nad) verdorbenen Nachricht von
dem wuͤrklichen Urfprunge der Sünde in der Welt, herlei—
ten. Die beilige Schrift benachrichtiget uns, daß einer
der gröften erfchaffenen Geifter zuerft gefündiger, und daß
diefer Teufel nicht nur unendlich viele andere endliche Geis
fter in fein DBerderben verwickelt, und fie zu der Sünde ver—
führt
430 Die Zulsfjung des Höfen in der Welt.
führt habe, fondern daß er aud) ber Urheber aller Suͤnden
unter den Menſchen geworden, indem er unfere erſten EI.
tern zum Sünvenfalle verleitet hat. Hieraus hat man
nad) und nad) die böfe manichäijche Gottheit machen Fönnen,
und die Erfahrung lehrt auch, Daß unendlich viele Chrijten
arıs dem Teufel in der That eine böfe Gottheit machen.
Tiefer ganze Irrthum fan, auf eine mannigfaltige Art,
widerlegt werden. Einmal haben wir bisher, den Urfprung
und die Zulaffung des Dölen in der Welt, auf eine foldye
Art: erflärt, daß der ganze Grund mwegfält, um deſſentwil⸗
len es nöthig wäre, einen böfen Gott anzunehmen. Zum
antıern ift es ungereimt, ein Welen zu. gedenfen, welches
allr naͤchtig ſeyn foll, ohne Die übrigen goͤttlichen Vollkom⸗
mernheiten zugleich zu befißen. Wenn der böfe Gott eben
fo maͤchtig ift als ver gute, fo muß er eine jo groffe Mache
befigen als der gute. Da er nun.aljo eine wahrhaftig göfts
liche Bollfommenheit bejist, fo muß er auch alle übrige bes
ſitzen $.855. und mithin auch hoͤchſte Weisheit, Güte, Heis
ligkeit, und Fan er wol ein bofer Gott fenn? Zum dritten
ift der böfe Gott entweder eine wahrhaftig unendliche und
nothmendige Subſtanz, oder eine endliche und zufällige,
Iſt das erfte, fo iſt er Die allervollfommenfte Subitanz,
und alfo Fein böfer Gott. Iſt das andere, fo ilt er die
Würfung des guten Gottes, und da haben wir die ganze
Schwierigkeit von neuem, wie es nemlich mit der höchiten
Bollfommenheit des guten Gottes beitehen fünne, daß er
eine fo genante.böfe Gortheit zur Wuͤrklichkeit gebracht,
welche fo viel Unheil in der Welt anrichte. Zum vierten
menn man einen guten und böjen Gott zugleih anrimt,
welche einander an Macht und Stärke gleich find; fo iſt,
feiner von benden, allmaͤchtig. Und da alfo bende eine eine
geſchrenkte Macht beiigen, fo find beode endliche Subitans
zen, und feiner unter benden verdient den Namen der Gotts
heit. Denn es iſt offenbar, daß der böfe Sort nichts guts
würfen fan, und es fehlt ihm aljo die höchite reelle Kraft,
Folglich iſt er fein wahrer Gott. Der gute Gott fon das
oͤſe,
N gr N
Die Oberherrſchaft Gottes über die Welt. agı
Boͤſe, welches der böfe Gott thut, nicht hindern. Da nun
diefe Hinderung mas mögliches und guts ift, fo fan ver
gute Gott, nach dem Fehrgebäude der Manichäer, nicht
alles mögliche Gute thun, und er hat alfo Feine wahre All-
macht, und ift Fein wahrer Sort. Es Fan demnach auf
verfchiedene Art, die Ungereimtbeit des manichäifchen Lehr⸗
gebäudes, ermwiefen werden.
Die Oberherrfihaft Gottes über die Welt.
$. 1059. |
Alle diejenigen, welche fich einen Begrif von einem
Sorte gemacht haben, haben ſich nicht nur denfelben als
die würfende Urfach der Welt vorgeftelt, fondern aud) zus
gleich als den höchften Oberherrn der Welt und aller Crea—
turen, Wir wollen, diefes Verhaͤltniß Gottes gegen die
Ereaturen, genauer unterfuchen. Das Wort, Recht,
wird manchmal fo gebraucht, daß man darunter Gefege,
oder einen Inbegrif der Gefege verſtehet. Wir wollen es
hier als eine Beſchaffenheit einer Perfon anfehen, und das»
jenige darunter verftehen, was man fonft auch eine Befug«
niß zu einer Sache oder Handlung nen. Nemlich das
Recht ift ein moralifches Vermögen, oder eine Möglich.
feit eine Handlung zu thun, welche ven Gefegen nicht zumis
der if, Wer ein Recht zu einer Handlung hat, der fan
fie hun, ohne daß er dadurd) wider die Gefege handelt;
und wer ein Recht zu einer Sache bat, der Ean in Abficht
auf diefelbe fich auf eine gewiſſe Art verhalten, ohne daß die
Gelege diefes fein Verhalten verhindern und mißbilligen.
Wer z. E. in einer gemiffen Gegend das Recht zu jagen
bat, der Fan daſelbſt jagen, und es ift fein Gefeg vorhans
den, welches ihm daran hinberlich fallen folte. Wer aber
das Recht zu jagen in einer gewiffen Gegend nicht befigt,
der verlegt Gefege, wenn er jagt. Folglich ift das Recht
eine Freyheit eine Handlung zu thun, welche aus den Ge—
fegen flieft; und nachdem die Gefege verfchieden find, nach»
dem find auch die Rechte von verfchiedener Art. Das
Hecht
432 Die Oberherrſchaft Gottes über die Welt.
Recht einer Perfon, über eine Sache zu befchlieffen was
ihr irgends nur gefälfig ift, ift das völlige Eigenthums⸗
recht, und wer ein folches Necht über eine Sache befißt,
der ift Herr über dieſelbe. Mer völliger Herr über eine
Summe Geld ift, der Fan diefes Geld verfchenfen, weg—
werfen, auf Intereſſe austhun, verzehren, verfpielen, vera
thun, kurz, er Fan damit anfangen was er will, nemlich
nach den äufferlichen Rechten, wenn er nur niemanden durch
den Gebrauch oder Mißbrauch feines Geldes beleidiget.
Das völlige Eigenthumsrecht über Perfonen, oder vernünfs
tige freye Wefen, wird die höchfte Oberherrſchaft ge⸗
nent, oder die vollfommene oberherrſchaftliche Gewalt,
wie 3. E ein fouverainer und defpotifcher König, eine fol
che Dberherrfchaft, über feine Unterthanen befist. In der
practifchen Weltweisheit müffen, alle diefe Begriffe, frey—
lich viel weitläuftiger und genauer unterfucht werden. Als
lein bier koͤnnen wir uns, mit diefen kurzen Erflärungen
derfelden, begnügen.
6. 1060,
Alle freye Handlungen Gottes find, im allerhöchften
Grade, rechtmäßig $. 943. Folglich Eönnen fie insgefamt,
ohne Verlegung irgends eines Gefeges, gefchehen, und find
alfo im hoͤchſten und vollfommenften Grade moraliſch mög=
lid. Gott fan vemnad) alle diefe Handlungen, fo wie er
fie wirklich thut, verrichten, ohne daß irgends ein wahres
moralifches Gefeg ihm, ein moralifches Hinderniß, in den
Weg legen folte. Folglich bat Gott das allervollkommenſte |
moralifhe Vermögen, oder Recht, zu allen feinen freyen
Handlungen, indem alle feine freye Handlungen allen mo—
ralifchen Gefegen, und aud) den allerwichtigften aufs voll
fommenfte gemäß find. Gott handelt demnach) allemal,
wenn er frey handele, mit dem hoͤchſten und vollkommen—
ſten Rechte, fo wie er handelt S, 1059, Es würde fehr
unanftäandig feyn zu fagen, daß man freylich behaupten
müfle, Gott handele mit dem gröften Rechte, fo wie er
handelt; weil er keinen Oberherrn habe, der ihn zur Ver—
alfa
* —
— —
Die Oberherrſchaft Gottes uͤber die Welt. 433
antwortung ziehen koͤnne: denn auf die Art muͤßte man ſich
Gott, als einen unumſchrenkten Tyrannen, vorſtellen.
Sondern wenn man die Rechte Gottes auch ſo pruͤft, wie
man die Rechte der Menſchen zu unterſuchen gewohnt iſt,
das iſt, nach den Geſetzen: ſo iſt offenbar, daß Gott, durch
keine ſeiner freyen Handlungen, weder feiner eigenen Voll—
kommenheit, noch der Vollkommenheit irgends einer Crea—
tur, zuwider handelt, und daß er alſo niemanden beleidiget.
Aus dem ganzen Syſtem aller wahren moraliſchen Geſetze
erhellet demnach, daß Gott alles, was er thut, mit dem
vollkommenſten Rechte thut. Nun hat er die Welt frey
erſchaffen, er erhaͤlt und regiert ſie, und uͤbt die ganze Vor—
ſehung uͤber alle Dinge in der Welt auf eine freye Art aus,
und zwar alles dieſes ſo, wie ers beſchloſſen hat, nach ſeinem
eigenen allerhoͤchſten Belieben $. 941. 990. Folglich hat
Gott nicht nur uͤber dieſe Welt und alle Dinge in derſelben
beſchloſſen, was ihm ſelbſt gefaͤllig geweſen; ſondern, weil
dieſes Beſchlieſſen eine goͤttliche freye Handlung iſt, ſo hat
er auch dazu das vollkommenſte Recht. Folglich find alle
Creaturen und die ganze Welt fein vollfommenftes Eigen—
thum, oder er ift der hoͤchſte Eigenthumsherr der ganzen
Welt, und alles deſſen, was fie in fich enthält $. 1059.
Es weis ja iederman, daß man ein rechtmäfjiger Cigen«
thumsberr alles deſſen ift und wird, was man, durch den
rechtmäßigen Gebrauch feiner eigenen Kräfte, zur Würks
lich£eit bringt. Nun ift die ganze Welt, und eine iedwede
Creatur, eine Würfung, die Gott, durch den rechtmäßi«
gen Gebraud) feiner eigenen Kraft, würflid) gemacht hat,
Folglich laͤſt ſich auch auf diefe Art, das Eigenthumsrecht
Gottes über die Welt, erweifen. Und indem er feinen
Gehülfen bey der Schöpfung der Welt gebabt hat, fo Fan
auch fein anderes Weſen, einen vechtsaegründeten Ans
fpruch auf einen Theil des Eigentbumsrechts Gottes an die
Welt, machen. „Es ift befant, daß man, auch durch eis
nen Bertrag, ein Kigenthumsrecht über eine Sache befom»
men fan, Allein es wäre lächerlic) zu fagen, daß Gott
4, Theil, Ee mit
234 Die Öberberrfchaft Gottes über die Welt.
mit den Creaturen einen DBertrag gemacht, und ein Buͤnd⸗
Aiß errichtet, wodurd er die Herrfchaft über diefelben mic
der Genehmhaltung der Creaturen befomnen. Denn was
die Creaturen betrift, die Feine Geifter find, fo koͤnnen dies
felben ſchlechterdings Feinen Vertrag mit iemanden eingeben,
Und was die endlicdyen Geifter betrift, fo ift es unmöglich,
daß zwiſchen ihnen und Gert ein ſolches Buͤndniß errichtet
werden Fönte, moraus ein eigentlihes Recht entftünde.
Denn Gott Fan auf die Art den endlichen Geiftern weder
etwas verfprechen, denn fonft müßten ihn die endlicyen Geis
fter zwingen koͤnnen, fein Wort zu halten; noch etwas an«
nehmen, denn feine Creatur fan ihm etwas verfprechen,
welches nicht vorher fchon feine wäre. Es flieft demnach, das
Eigenthumsrecht Gottes über die Creaturen, aus der voll-
fommenjten Abhänglichfeit derjelben von Gott, und aus
der moralifcdyen Heiligfeit Gottes,
| $. 1061,
Das Eigenthumsrecht Gottes ift das allervollfom»
menfte und gröfte, welches irgends nur möglich ift: 1) weil
Gott von fo vielen und groffen Dingen der Eigenthumsherr
ift, daß es ſchlechterdings unmöglich ift, daß ein Herr ein
gröfferes und ausgebreiteters Eigenthum fulte befißen koͤn—
nen, als Gott. Denn diefe Welt ift die befte und gröfte,
und es ift unmöglid), daß auffer Gott noch mehrere und
gröffere endlihe Dinge würflich ſeyn koͤnten, als die befte
Welt in ſich enthält. Und da nun Gott, auf ein iedwedes
würfliches Ding, ein Eigenthumsrecht hat S. 1060, fo ift
diefes Recht Gottes, in Abfiht auf den Gegenftand deffele
ben, das allergröfte und vollfommmenfte, welches möglich
ift. Und in diefer Abficht Fan man nicht nur mit Recht
fagen, daß Gott ein reicher Gott ſey, fondern daß er auch
der allerreichfte Herr fey. 2) Weil das Eigenthumsrecht
Gottes nicht blos in einer moralifchen Moͤglichkeit beftehr,
mit allen Dingen in der Welt zu fehalten und zu walten,
wie es ihm felbft gefallig it; fondern weil Sort diefes Recht,
in feinem ganzen Umfange, gebraucht. Er bat nicht nur
das
Die Oberherrſchaft Gottes über die Welt. 433
das Neche über alles in der Welt zu befchlieffen, was ihm
gefällig ift, fondern er hat auch würflicy über alles in der
Welt befchloffen, was ihm gefällig if. Und er bat es
nicht nur befchloffen, fondern er führt feine Rathſchluͤſſe auch
würflih aus, Er erhält alles in der Welt, würft mir,
regiert alles, lenkt alles, bejtimt alles, nach eigenem aller«
hoͤchſten Wohlgefallen. Kin Ding erhält er lange, ein
anderes kurze Zeit; daß eine laͤſt er entitehen, das andere
untergehen, fo wie es ihm felbft beliebt. Das menfchliche
Eigenthumsrecht befteht mehrentheils in einer bloffen Mög«
lichkeit, und es ift unmöglich, daß ein Menfch alle feine
Eigenthumerechte ſolte beſtaͤndig brauchen koͤnnen. 3) Weil
Gott dieſes Eigenthumsrecht von ſich ſelbſt hat, und auf
eine unabhaͤngige Art braucht. Niemand hat ihm, das
Eigenthumsrecht über irgends ein Ding in der Welt, ges
geben, feine Creatur Fan jich der Herrfchaft Gortes entzies
ben, feine Creatur fan ihm Schranfen feßen, ihm etwas
von feinem Eigenthum entwenden, den Gebrauch feines
Eigentbumsrechts hindern, und ihn diefes Gebrauchs mes
gen zur Verantwortung ziehen. Folglich iſt fein Eigene
thumsrecht unabhangig, und es koͤnnen demfelber , weder
auf eine phyſiſche noch moraliſche Art, Schranken geſetzt,
und Hinderniſſe in den Weg gelegt werben. Wenn eine
vernünftige Creatur ein Eigenthumsrecht befist, fo beſitzt
fie es allemal auf eine von Gott abhängige Art, als eine
Wohlthat Gottes 4) Weil das hömite Eigen: humsrecht
Gortes über die Creaturen, allen wahren moraliidhen Ges
fegen ohne Ausnahme, gemäß ift, nicht nur den äufferlichen
Zwangsgeſetzen, ſondern auch den innerlichen nicht nur
den Regeln ver Gerechtigkeit, ſondern auch den Regeln der
Billigkeit. Durch vieles Eigenthumsrecht Gottes wird
nicht nur Feine Creatur beleidiget, und um dag ihrige ges
bracht; fondern ee gereicht auch zu ihrer möglichften Roll
Eommenheit, daß fie ein Eigenthum Gottes if, Wir
Menfchen befigen ofte ein Kigenthumsrecht tiber eine Sas
che, und Fein Richter Fan uns daflelbe abjprechen, Allein,
Ee 2 nach
436 Die Öberberrfchaft Bottes über die Welt.
nad) den Kegeln des Gemiffens, Fame unfer Eigenthum
ofte nach Billigkeit andern Menfchen zu. Gottes Eigen«
thumsrecht ift feinem einzigen wahren Gefege zuwider, weil
es fonft eine Sünde feyn würde, 5) Weil Gott, fein höch«
ftes Eigenthumsrecht, beftändig aufs redhtmäßiafte, heis
ligfte, weifefte, gerechtefte, zum gröften Bortheil der Erea«
turen, und zu feiner hoͤchſten Ehre, braucht: denn er fan
gar nicht fündigen, Wir Menfchen fündigen nur gar zu
ofte, durch den Gebrauch unferes Eigenthbumsrechts, wider
die Ehre Gottes, wider unfer eigenes Beſte, wider unfere
Ehre u. fe w. Es fan uns freylich Fein menſchlicher
Richter, diefes fündlichen Gebrauchs unferes Eigenthums⸗
rechts wegen, zur Verantwortung zieben; allein wir bewei>
fen doch dadurd), daß wir unfere Herrfchaft über eine Sa«
che nicht aufs vollfommenfte brauchen. Der Gebraud)
des Eigenthumsrechts Gottes über alle Creaturen ift volls
£ommen heilig, und ohne Tadel; und indem die Creaturen
felbft dadurch aufs möglichfte vollfommen werden, fo ges
höre, diefer Gebrauch, mit zu der Borfehung Gottes über
die Welt $. 1016. Wir fehen aus diefer Betrachtung,
daß, da Gott ohne Zweifel ein unumſchrenktes Eigen«
thumsrecht befißt, ob er gleich bey dem Gebrauche deilelben
alle wahre Gefege beobachtet; daß, fage ic, das Eigen«
thumsrecht dadurch nicht eingefchrenft wird, wenn man es
nicht anders gebraucht, als es die Ehre Gottes, die Ehr—
barfeit, die Menfchenliebe und alle Pflichten verftatten.
Mancher Menfch glaubt, man wolle ihn um feine Herrfchaft
bringen, wenn man ihn ernftlich ermahne, fein Geld nicht
zu verfpielen, oder auf eine andere fündliche Art durchzu—
bringen. Der Thor begreift nicht, daß Gott, der doc)
der allerunumfchrenftefte Herr ift, bey dem Gebrauche ſei—
nes Rechts, uns ein ganz anderes Mufter der Nachfolge.
gibt, ohne daß fein Recht dadurch eingefchrenft wird,
8§. 1062.
Weil Gott, das allervollfommenfte und gröfte Ei.
genthumsrecht, uͤber alle Greaturen befißt, und ausübt
§. 1061,
—
Die Oberherrſchaft Gottes über die WDelt. 437
S. 1061. fo befißt er aud) diefes Recht, und übt es aus
über alle vernünftige Creaturen, und alfo Defißt er über
diefe!ben die allerhöchite Oberherrſchaft $. 1059. Gott ift
der allervollfommenfte Dberherr: weil würflih, in diefer
als der beiten Belt, mehrere und gröffere vernünftige
Greaturen feiner Herrfchaft unterworfen find, als geweſen
feyn würden, wenn er eine andere Welt erfchaffen hätte,
und weil alfo feine Herrfchaft wuͤrklich in Abficht auf den
Gegenſtand die allergröfte ift; weil er, diefe Oberherrſchaft,
beftändig und ewig würflich ausübt; weil er, diefe Ober:
herrſchaft, unabhängig von ihm felbft befist, und ihm nice
mand an der Ausübung derfelben binderlich fallen Fan; und
endlich weil fie, dem Rechte und der würflichen Ausübung
nach, vollfommen heilig und rechtmäßig ift $. 1061. Bere
möge diefer Oberherrſchaft über die Geifter in diefer Welt
hat Gott, alles über alle Geifter in der Welt, beſchloſſen,
was ihm felbit gefällig geweſen, und er führe diefen Rath—
ſchluß vollkommen nach eigenem allerhöchften Belieben aus,
Zu diefer Dberherrfchaft Gottes über die Geifter in der
Welt gehört infonderheit, daß er ihr Gefeggeber if, Nem⸗
lich) wenn man, die endlichen Geifter, als ein Eigenthum
Gottes betrachtet, fo fan man fie entweder betrachten, in
fo ferne fie mit Freyheit begabt find, oder man Fan fie anders
betrachten. Syn der legren Abficht ift, die Herrſchaft Got—
tes über die Geifter, dem Rechte und dem Gebrauche nach,
mit dem göttlichen Eigenthumsrechte über alle übrige Crea⸗
furen einerlen, und bedarf alfo bier Feiner befondern Aus»
führung. Allein wenn man unterfucht wie Gott die Gei—
fter beherrſche, in fo ferne fie einen freyen Willen haben;
fo komt bier alles auf die Gefeggebergewalt an, und auf
ven Gebrauch derfelben: denn durch diefen Gebraud) wird
eben ein Geift beherrſcht, in fo ferne er mit Vernunft und
Freyheit begabt if. Derjenige nemlich gibt ein Ges
fe, oder fehreibt Gefeße vor, welcher der Urheber der Vers
bindfichfeie der moralifchen Gefege ift. Ein iedes moralie
fches Gefeg ift eine Regel, welche vorfchreibt, welche freye
Ce 3 Hands
458 Die ®berberrfchaft Gottes über die Welt.
Handlung getban und welche gelaffen werden foll, mie eine
freye Handlung gefchehen foll, und wie fie nicht gefchehen
foll Auſſer dieſer Regel ift, in einem moralifchen Gefege,
auch die Verbindlichkeit, daffelbe zu beobachten, und die
entiteht Daher, wenn, mit der Beobachtung des Geleßes,
Belohnungen und mit der Webertretung Strafen verbuns
den werden, Nun fan z E ein Staatsminilter, die Regel
des bürgerlichen Geſetzes, ausdenfen und verfertigen, weil
er ihm aber die Verbindlichkeit nicht geben fan, fo gibt er
das Geſetz nicht. Der Landesherr aber ift der Urheber ver
Berbindlichkeit, und er gibt alfo das Geſetz. Der Geſetz⸗
geber ift Demnach derjenige, welcher das Recht hat, Ge—
ſetze zu zeben Kin Rathgeber Fan mir Kegeln vorjchreis
Den, er fan mich ermahnen, Gefege zu beobachten; allein
weil er weder trafen noch belohnen Fan, fo gibt er feine Ge—
ſetze. Nun fan der freye Wille nur, durch moralifche Re—
geln, gelenft und regiert werden. Ber alfo ein vernünftig
frenes Weſen beherrfchen will, in fo ferne es frey ift, der
muß ihm Gefege vorfchreiben, und derjenige ift alfo ein
Dberherr eines Geiſtes, wer fein Gefeßgeber ift. Da nun
Gott, vermöge feines allerhöchften Eigenthumsrechts über
alle Geifter in diefer Welt, über fie befchlieilen fan, mas
er will: $. 1054. fo kan er auch alle Geifter verbinden,
und er hat alfo das Recht ihnen Gefeße zu geben. Folglich
ift Gott, um feiner höchften Oberberrfchaft über alle endliche
Geifter willen, der höchfte und vollfommenfte Geſetzgeber
derfelben.
$. 1063,
- Wenn wir ung, von der .allervollfommenften, unum—
fehrenften und böchften Gefesgebergewalt Gottes, einen
rechten Begrif machen wollen, fo. müffen wir ſonderlich,
den allervollfommenften Gebrauch derfelben, unterfuchen.
Denn, aus dem alferhöchiten Eigenthumsrechte Gottes uͤber
alle endliche Geiſter, folgt, vermoͤge der vorhergehenden
Unterſuchungen, von felbft: daß Gott dieſe Gewalt von
ſich ſelbſt und unabhaͤngig, dene; daß er fie über er
Bei
Die Oberherrſchaft Gottes über die Welt. 439
Geift deswegen befiße, weil derfelbe fich feiner Herrſchaft
von freyem Stuͤcken unterworfen; daß, diefe Gefeßgebers
gewalt Gottes, allen moralifchen Gefeßen gemäß ſey, und
niche nur recht. fondern auch billig iſt; daß Gott über kei—
nen Geift fich, unbefugter Weife, die Gefeßgebergewalt an⸗
maffe, und daß fie allen göttlichen Vollkommenheiten aufs
vollfommenfte gemäß fey. Was aber ven Gebraud) diefer
Gewalt betrift, fo müffen wir uns überzeugen, daß. Gott
feine allerhoͤchſte Geſetzgebergewalt aufs vollkommenſte vers
malte, und eben dadurd) alle endliche Geifter, als vernünfs
tigfreye Wefen, aufs vollkommenſte beherrſche. Und dahin
gehören folgende Stuͤcke. 1) Gott hat würflich, allen end«
lichen Geiftern, in allen ihren freyen Handlungen , fo viel
Gefege vorgefchrieben als möglih. Denn er bat alle Suͤn⸗
den verboten, und alle rechtmäßige Handlungen geboten.
Die practifhe Weltweißheit erweift diefes deutlich, indem
alle Naturgefege von Sort abftammen, und fid) über alle
freye Handlungen der Menfchen erſtrecken $. 1050. 1052,
Gott hat feine Ehre, und die höchite Gluͤckſeligkeit der end«
lichen Geifter, zur legten Abficht der beften Welt gemacht
$. 1015. und eben daher entfteht die würfliche Verbindlich"
keit der Geifter , alle ihre freye Handlungen nad) den goͤtt⸗
lichen Gefeßen, welche aus feinen Zwecken flieſſen, einzus
richten. 2) Die göttlichen Geſetze find die allerbeften, in—
dem fie insgefamt aus den allerbeften Zwecken flieffen, Gott
verwaltet demnach , feine Gefeßgebergewalt, zugleich als.
der liebreichite Water, indem ein iedwedes feiner Gefeße ein
Mittel der möglichiten Glückfeligkeit dererjenigen ift, die er
dazu verbindet. Er ift alfo fein harter Gefeßgeber, deſſen
Gefege zum Verderben gereichen, fondern fein Joch ift fanft
und feine Saft ift leicht. Folglich macht Gott, durch die
Ausübung feiner Gefeggeberwalt, die vernünftigen Crea«
turen fo vollfommen, als möglich ift, und es ift demnach
diefe Ausübung ein Stüd feiner Borfehung über die endli—
chen Geifter $. 1016. 3) Gott belohnt alle Beobachtung
feiner Gefeße, und beftraft alle Uebertretung derfelben aufs
Ee 4 propor⸗
440 Die Oberherrſchaft Gottes über die Welt.
proportionirteſte, und es gehoͤrt demnach, die allervollkom⸗
menſte Ausuͤbung der Gerechtigkeit Gottes, zur allervoll⸗
Fommenften Ausübung feiner Geſetzgebergewalt $. 955«
958. Ein menfchlicher Gefeßgeber hat nicht Macht genung,
alle Beobachtung feiner Gefege zu belohnen, und alle Lies
bertretung derfelben zu ftrafen, er erfährt nicht alle Be—
obachtung und Uebertretung, und er Fan alfo niemals
feine Geſetze völlig ausführen. ort bat alle Glückfeligkeit
und Unglückfeligkeit aller endlichen Geifter in feiner Gewalt,
er weis alle Beobadytungen und Lebertretungen feiner Ges
feße aufs genauefte,, und er belohnt würflich jene, und be
ftraft diefe ohne Ausnahme aufs proportionirtefte. 4) Gott
rechnet wuͤrklich, allen endlichen Geiftern, alle ihre Beobs
achfungen und Lebertretungen feiner Cefege, nach feiner
Allwiſſenheit zu, indem er aufs vollfommenfte alles weis,
wovon fie die Urheber find, und ob es nad) feinen Gefegen
rechtmäßig oder unrechtmäßig if. Und da fan man mit -
Recht ſagen, daß Gort ein Richter aller endlichen Geifter
fen, fie zu Verantwortung ziehe, und daß ein ieder endlicher
Geiſt Sort Nechenfchaft, feines gefamten moralifchen Ver—
baltens wegen, ablegen müfle. Und 5) Fein endlidyer Geift
“Fan, ohne Zulaffung Gottes, feine Gefege übertreten
$. 1052. Ein menfchlicher Gefeggeber muß ſichs wider
feinen Willen gefallen laffen, daß feine Gefege übertreten
werden. Allein ohne Zulaffung Gottes fan, keins feiner ,
Gefege, verlegt werden. Wer die practifche Weltweisheit
verfteht, der Fan diefe vortrefliche Materie viel weitläuftiger
ausführen, und das ift auch einem ieden zu rathen, weil
fie fo fruchtbar und practifch ift,
$. 1064.
Hieraus folge nun, daß man die ganze Geifterwelt,
den Inbegrif aller wuͤrklichen vernünftigen Creaturen, als
einen Staat und als ein gemeines Wefen betrachten Fan,
von welhem Gott das monarchifche und defpotifche Dbers
haupt ift, In dem gefellfchaftlichen Rechte, und in der
Staatskunſt, wird ausführlich gewiefen, daß man die höch-
fte
Die Oberherrſchaft Gottes über die Welt. 441
fie Macht des Oberherrn, von feiner höchften Gewalt,
unterfcheiden muß. Nemlich die höchfte Gewalt eines
Oberherrn befteht in feinem Rechte, diejenigen Weſen
zu beherrfchen, deren Oberherr er ift, wohin vornemlich die
ganze Gefeßgebergemwalt gehört. Wenn man diefe höchfte
Gewalt ausführlich unterſucht, fo fieht man, daft fie ver
ſchiedene Rechte in fich enchält z. E. das Recht zu ftrafen,
das Recht über Leben und Todt, das Recht über das Eigen«
thum der Unterthanen u. f. w. Der Inbegrif aller Rechte,
welche zuſammengenommen die hoͤchſte Gewalt ausmachen,
wird die Majeſtaͤt genent; und alle diejenigen vernünftis
gen Wefen, welche verbunden find, Die Ausübung der
Majeftät in Abſicht ihrer zu leiden, und derfelben gemäß.
zu handeln, find die Unterthanen eines Oberherrn.
Die hoͤchſte Macht eines Oberherrn befteht iin den
Kräften deſſelben, die zureichend find, feine ganze Majeftät
in Ausübung zu bringen, wohin 3. E. bey einem menſchli—
chen Oberherrn, Geld und Soldaten und dergleichen Mit-
tel gehören, wodurch es ihm phyſiſch möglich) wird, feine
oberberrfchaftlichen Nechte in Ausübung zu bringen. Wenn
man nun eine gewiſſe Anzal Geifter nimt, fo wird derjenige
unter ihnen der Monarch genent, welcher ganz allein uns
ter ihnen die höchfte Macht und Gewalt über die übrigen
befist.. Wenn man die ganze Majeftät und höchfte Macht
in einer Republik nimt, fo wird derjenige Menſch in der»
felben der Monarch genent, melcher entweder die ganze
hoͤchſte Macht und Gewalt allein befißt, oder den gröften
Theil derfelben. In dem erften Falle ift er ein defpotifcher,
fouverainer und unumfchrenfter Monarch, wie z. E. der
König in Franfreich, in dem andern aber ein eingeſchrenk⸗
ter Monarch, wie ;3. E. der König in Engelland. Nun
ift Gott der höchfte Dberherr aller endlichen Geifter in die-
fer Welt $. 1062. Folglich find alle vernünftige Creatus
ren Unterthanen Gottes, und die ganze Geifterwelt wird
daher die Stadt Gottes genent. ort allein ift nur all»
maͤchtig, indem die Allmacht, als eine göttliche Vollkom—
Eez mens
440 Die Öberberrfchaft Gottes über die Welt.
proportionirtefte, und es gehört demnach, die allervollfom-
menfte Ausübung der Gerechtigkeit Gottes, zur allervoll—
kommenſten Ausübung feiner Gefeßgebergemalt $. 955
958. Ein menfchlicher Gefeßgeber hat nicht Macht genung,
alle Beobachtung feiner Gefege zu belohnen, und alle Lies
bertretung derfelben zu ftrafen, er erfährt nicht alle Des
obachtung und Uebertretung, und er Fan alfo niemals
feine Geſetze völlig ausführen. Gott hat alle Glückfeligkeit -
und Unglückfeligkeit aller endlichen Geifter in feiner Gewalt,
er mweis alle Beobadytungen und Lebertretungen feiner Ges
ſetze aufs genauefte,, und er belohnt würflich jene, und bes
ftraft diefe ohne Ausnahme aufs proportionirtefte. 4) Gott
rechnet wuͤrklich, allen endlichen Geiftern, alle ihre Beob⸗
achfungen und Webertretungen feiner Gefege, nach feiner
Allwiffenheit zu, indem er aufs vollfommenfte alles weis,
wovon fie die Urheber find, und ob es nad) feinen Gefegen
rechtmäßig oder unrechtmäßig if. Und da fan man mit -
Recht ſagen, daß Gott ein Richter aller endlichen Geifter
fen, fie zu Verantwortung ziehe, und daß ein ieder endlicher
Geiſt Sort Nechenfchaft, feines gefamten moralifchen Ver—
baltens wegen, ablegen müfle. Und 5) Fein endlidyer Geift
Fan, ohne Zulaffung Gottes, feine Geſetze übertreten
$. 1052. Ein menfchlicher Gefeggeber muß ſichs wider
feinen Willen gefallen laffen, daß feine Gefege übertreten
werden. Allein ohne Zulaffung Gottes fan, keins feiner ,
Gefege, verlegt werden, Wer die practifche Weltweisheit
verfteht, der Fan diefe vortrefliche Materie viel weitläuftiger
ausführen, und das iſt auch einem ieden zu rathen, weil
fie fo fruchtbar und practiſch iſt.
$. 1064.
Hieraus folgt nun, daß man die ganze Geifterwelk,
den Inbegrif aller wuͤrklichen vernünftigen Creaturen, als
einen Staat und als ein gemeines Wefen betrachten Fan,
von welhem Gott das monarchifche und defpotifche Dbers
haupt ift, In dem gefellfchaftlichen Rechte, und in der
Staatsfunft, wird ausführlich gemiefen, daß man die höch»
fte
Die Oberherrſchaft Gottes Uber die Welt. 44r
fie Mache des Oberherrn, von feiner hoͤchſten Gewalt,
unterfcheiden muß. Nemlich die böchfte Gewalt eines
Oberherrn befteht in feinem Rechte, diejenigen Wefen
zu beherrfchen, deren Dberherr er ift, wohin vornemlich die
ganze Gefeggebergemwalt gehört. Wenn man viefe höchfte
Gewalt ausführlich, unterfücht, fo ſieht man, daft fie ver-
Ichiedene Rechte in fich enchält z. E. das Recht zu ftrafen,
Das Recht über Leben und Tode, das Recht über das Eigen«
thum der Unterthanen u. f. w. Der Inbegrif aller Rechte,
welche zufarnmengenommen die höchfte Gewalt ausmachen,
wird die Majeſtaͤt genent; und alle diejenigen vernünftis
gen Wefen, welche verbunden find, die Ausübung der
Majeftät in Abfiche ihrer zu leiden, und derfelben gemaͤß
zu handeln, find die Unterebanen eines Oberherrn.
Die hoͤchſte Macht eines Oberherrn befteht iin den
Kräften deſſelben, die zureichend find, feine ganze Majeftät
in Ausübung zu bringen, wohin 3. €. bey einem menfchli«
chen Dberheren, Geld und Soldaten und dergleichen Mit⸗
tel gehören, wodurd) es ihm phyſiſch moͤglich wird, feine
oberherrfchaftlichen Nechte in Ausübung zu bringen. Wenn
man nun eine gewiſſe Anzal Geifter nimt, fo wird derjenige
unter ihnen der Monarch genent, welcher ganz allein uns
ter ihnen die höchfte Macht und Gewalt über die übrigen
befist. Wenn man die ganze Majeftät und höchfte Macht
in einer Republik nimt, fo wird derjenige Menſch in der
felben der Monarch genent, welcher entweder die ganze
hoͤchſte Macht und Gewalt allein befißt, oder den gröften
Theil derfelben. In dem erften Falle ift er ein defpotifcher,
fouverainer und unumfchrenfter Monarch, wie z. E. der
König in Frankreich, in dem andern aber ein eingeſchrenk⸗
ter Monarch, wie 5. &. der König in Engelland. Nun
ift Gott der höchfte Dberherr aller endlichen Geifter in die-
fer Welt $. 1062. Folglich find alle vernünftige Creatus
ren Unterthanen Gottes, und die ganze Geifterwelt wird
daher die Stadt Gottes genent. Gott allein ift nur all,
maͤchtig, indem die Allmacht, als eine göttliche Vollkom—
Eez mens
442 Die Öberherrfchaft Bottes über die Welt.
mienheit, feinem endlichen Geiſte zufommen fan $. 855.
Und folglich befist Gott, unter allen wuͤrklichen Geiftern,
allein die allerhoͤchſte unumfchrenfte und unzertheilte Macht,
Er allein hat das Leben und den Tod aller endlichen Geifter
in. feiner Gewalt, von feiner Macht hanget ihre ganze Würf:
lichkeit ab, und fie koͤnnen ohne dem Einfluffe feiner Mache
nichts thun. Er allein befist auch, die höchfte Gewalt
üler alle endliche Geiſter. Kein endlicher Geift ift der
Werkmeiſter und Urheber des Dafeyns aller übrigen, und
es; Fan alſo Fein endlicher Geift, der erfte Eigenthumsherr
aller übrigen, feyn. Kein endlicher Geift Fan allen übrigen,
in allen ihren freyen Handlungen, Gefege vorfchreiben, in.
dern er fie weder alle Fent, noch ein Herzensfündiger ſeyn
fan. Und wenn auc) ein endlicher Geift eine vechtmäßige
Herrſchaft über einige andere hat, fo ift fie eine Wohlthat, die
er von Gott empfangen bat, und er ift ein Vaſall und Lehns—
träger Gottes. Folglich befist auch, Gott allein, die hoͤch⸗
fte Gewalt über alle endliche Geiſter. Er ift demnach
nicht nur der Monarch, fondern auch der defpotifche Mon—
arch aller envlichen Geifter, und es fomt ihm auch in dies
fer Abſicht die allerhöchfte Majeftär zu $. 970. Weil in
der beften Welt fo viele und groſſe endliche Geifter würflich
find, als auffer Gore würflich feyn koͤnnen, fo ift es unmög-
lich, daß ein Monarch mehrere und gröffere Unterthanen ha«
ben fönne, als Gott. Und da die Madıt und Majeftäc
Gottes überdis, dem Rechte und dem Gebrauche nach, die
volffommenften und geöften find $. 1059-1063. fo ift Gore
fhlechterdings der allergröfte, vollfommenfte und unum«
fhrenftefte Monarch. Wenn man, diefes Verhaͤltniß
Gottes gegen die endlichen Geifter, nad) den Begriffen der
Staatsfunft weiter ausführt, fo entfteht daher eine fehr era
bauliche Betrachtung, in welche wir ung -aber
hier nicht einzulafjen nöthig |
haben,
Die
AR TAURO 443
Die Rathſchluͤſſe Gottes über diefe Welt,
$. 1065.
Gleichwie, die Schöpfung der Welt, nichts anders
ift, als die würflihe Vollzjiehung und Ausführung des
Rathſchluſſes Gottes, vermöge deſſen Gore den Entſchluß
von Emigteit her gefaßt hat, diefe Welt würflic zu machen
$. 990. alto ift auch die Husübung der ganzen Vorſehung
nichts anders, als eine Vollziehung der göttlichen Kath:
fhlüffe über die Fortdauer der Welt, welche nad) und nach
geſchieht. Man fan alfo nicht nur die Schöpfung der
Welt, fondern auch die ganze göttliche Vorſehung, beffer
einfehen lernen, wenn man die Nathfchlüffe Gottes genauer
unterſucht. Es gehört freylich, dieſe Abhandlung, zu der
Unterfuchung der Natur des göttlichen Willens, Weil
man aber, manche Befchaffenheiten der Rathichlüffe Got—
tes über diefe Welt, nicht hinlänglidy genung unterfuchen
fan, wenn man nicht eine Abhandlung der Schöpfung und
Borfehung vorausfekt, fo ift hier der Dre, wo diefe Rath—
fhlüffe genauer unterfucht werden müflen. Was übers
haupt ihre Natur betrift,, fo find fie Handlungen und TIhäs -
tigkeiten des göttlichen Willens, und alfo des allervollfoms
menften Willens $. 937. Folglich find fie volltommen
heilig, weife, gerecht, gütig, und mit einem Worte der
allerhöchften Vollkommenheit Gottes im höchften Grade ges
mäß, indem fie Würfungen afler göttlichen Vollkommen—
heiten find. Insbeſondere müflen wir, folgende Eigen—
ſchaften des Rathſchluſſes Gottes über diefe Welt, anmerken.
1) Alle Rathſchluͤſſe Gottes über dieſe Welt find im höchften
Grade frey, oder Thätigfeiten der allerhödjften und voll
fommenften Freyheit Gottes. Denn alle Handlungen
Gottes in die Welt, und alle Befhäftigungen Gottes mit
derfelben, find freye Handlungen Gottes $. 939. 940, 941.
Da nun, ein ieder Rathſchluß Gottes über diefe Welt, eine
Beſchaͤftigung Gottes mit der Welt, und ein Borfaß Got:
tes iſt, indie Welt zu würfen $. 937. fo find, alle Rath»
ſchluͤſſe
444 Die Ratbfehlüffe Gottes über diefe Welt.
ſchluͤſſe Gottes über diefe Welt, im allerhöchften und voll«
Fommenften Grade frey. Folglich haben fie insgefamt ih»
ren hinreichenden Grund in der allerdeutlichften, untrüglich
ften, genaueften, proportionirteften, kurz in der allervoll-
fommenften Erkentniß der ganzen Welt, aller ihrer Theile,
und- aller Vollkommenheiten und Unvollfommenbeiten der»
felben $. 940. 941. 932, Oder Gott hat, alle ſeme Rath—
ſchluͤſſe über diefe Welt, nicht erwa blindlings, ohne Ein«
fiht und Bemuftfeyn feiner Bewegungsgründe, auf ein Ge⸗
rathewohl und eigenfinniger Weiſe gefaßt; fondern nach)
Maaßgebung der allervollfommenften Einfihr in die ganze
Beſchaffenheit, und Gröffe aller Dinge in der Welt.
2) Die Rathſchluͤſſe Gottes über diefe Welt find innerliche
Bollfommenheiten Gottes $, 937. Da nun die innerlichen
Vollkommenheiten Gottes unveränderlic find $. 847. fo
find aud) alle Rathſchluͤſſe Gottes unveränderlich und ewig
in Gott 9. 858. Freplich find fie gleichfam zufällige Bes
ſchaffenheiten Gottes, und es ſteckt alfo in ihnen etwas,
welches wir nicht fallen und begreifen Eönnen $. 852. Als
lein fo viel ift unleugbar, daß Fein Rathſchluß Gortes ente
ftehen und vergehen fan, Gott Fan nichts befchlieffen und
hernach feinen Rathſchluß wieder ändern, fo daß die befchlof-
ſene Sache entweder gar nicht erfolge, oder anders erfolge,
als fie vorher befchloffen worden. Folglich Fan feine Crea—
tur durchs Gebet, oder auf eine andere Art, Gott zur Aens
derung eines Narhfchluffes bewegen. Alles was in diefer
Belt wuͤrklich nach und nad) gefchieht, das ift eben fo,
sie es gefchieht, vermöge der untrüglihen Allwiſſenheit
Gottes, von Ewigkeit her befchloffen worden, und es erfolge
nunmehr ganz gewiß und unausbleiblich fo, wie es befchlof«
fen worden ift. Und bievon find auch), die freyen Hands
lungen der vernünftigen Creaturen, nicht ausgenommen,
Wenn eine vernünftige Creatur fich in einem gemiffen Falle
frey entfchlieft, fo ft es unmöglich, daß fie zugleich die
Handlung thun und nicht chun fan. Da nun nur eins
unter benden gefchehen muß, Gott aber aufs untrüglichfte,
alle
Die Rathſchluͤſſe Gottes über dieſe Welt. 445
alle Bewegungsgruͤnde der freyen Creaturen, in allen Faͤl—
len vorhergeſehen hat: ſo hat er auch ewig, ohne Nachtheil
der Freyheit und Zufälligkeit der Creaturen, einen unveräns
derlichen Rathſchluß, über das freye Verhalten der vernünfs
tigen Creaturen, faffen fönnen, Wenn die Kathfchlüffe
Gottes Feine gleichfam zufälligen Befchaffenbeiten Gottes
wären, ſo würde ihre Unveränderlichfeit , der Freyheit und
Zufälligfeit der Creaturen, nachtheilig ſeyn. Da ſich aber
diefe Sache anders verhält, fo koͤnnen nur diejenigen in
dieſer Sache was nachtheiliges beforgen, welche die Freys
beit und die Beftimmung derfelben in gewiffen Fällen fich,
als ein blindes Ohngefehr, und als ein Würfelfpiel voritels
len, und welche glauben, daf eine freye Handlung fo lan—
ge ganz ungewiß, und ohne Nothwendigkeit, bleiben müffe,
bis fie gefchehen ift. Allein wer fo denft, hat gar feine
Einficht in die Natur des freyen Willens, welche ihn in
den Stand feßen koͤnte, diefe wichtige Sache richtig und
gründlich zu beurtheilen. Es ift demnach auch unmöglich,
daß Gott erft in ver Zeit einen Rathſchluß über irgends
eine Sache faflen koͤnte. Sondern alle Rathſchluͤſſe Gottes
über. diefe Welt find von Ewigkeit her in ihm gemwefen,
und werden beftändig in alle Ewigkeit in ihm würklid)
bleiben,
S. 1066,
3) Ale Rathſchluͤſſe Gottes über diefe Welt find uns
widerftchlich, oder nichts auffer Gott fan, die Vollziehung
aller feiner Rarbfchlüffe in allen Puncten, verbindern.
Keine Gewalt Fan fi), der Ausführung der göttlichen
Rathſchluͤſſe, widerfegen, Denn alle Dinge auffer Gott
find zufällig, und folglich find es auch alle Hinderniſſe, wels
che fic der Vollziehung der göttlichen Rathſchluͤſſe in den
Weg legen Fonten 6. 296. Da nun, das Gegentbeil
aller diefer Hinderniffe, möglich ift $. 105. fo Fan Gore
durch feine Allmacht, alle Hinderniffe der Bollziehung feiner
Rathſchluͤſſe, aus dem Wege räumen $. 862. Folglich)
Fan nichts, die Bollziehung der göttlichen Rathſchluͤſſe, aufs
halten,
448 Die Rarhfchlüffe Bottes über diefe Welt.
Und es wuͤrde alfo, ein iedweder anderer Rathſchluß, über
mwenigere Dinge fid) erftrecfe haben, als der Rathſchluß
Gottes über diefe Welt, Was für ein eröftlicher und
fruchtbarer Gedanke! Nichts Fan uns in der Welt begegnen,
fein Unfall, Feine Noth, unfere Feinde koͤnnen ung fein
Haar Frümmen, wenn es nicht von Gott befchloffen worden.
Die Rathſchluͤſſe Gottes find im höchften Grade frey, güs
tig, weife und gerecht $. 1065. Folglich muß alles, was
Gott über uns befchloffen hat, zum beften gereichen. 5) Der
Rathſchluß Gottes über endliche Dinge ift nur ein einziger
Rathſchluß. Denn es ift nur eine einzige Welt wuͤrklich, und
es ift unmoͤglich, daß noch eine andere Welt folte würflic)
werden koͤnnen $. 334. Alles, was Gott befchlieft, wird
wuͤrklich, denn fonft müßte er fich in feinen Rathfchlüffen -
betrogen haben, oder er müßte aus Ohnmacht feine Rath«
fhlüffe nicht ausführen koͤnnen. Was alfo aufler Gott
nicht würflich iſt, daß hat er auch nicht befchloffen. Er
bat demnach Feine andere mögliche Welt als diejenige, welche
würflich ift, befchloffen, desgieichen Fein endliches Ding,
was nicht ein Theil diefer Welt ift, und er bat über die
Dinge in dieſer Welt nichts weiter befchloflen,, als was in
diefer Welt wirklich ift und gefchieht. Da nun alles,
was in dieſer Welt wuͤrklich ift und geſchieht, nur zufame
mengenommen eine einzige Welt ausmacht: fo machen auch,
alle Rathſchluͤſſe Gottes über alle würfliche Theile diefer
Welt, und die Beränderungen derfelben, zufammengenoms
men, einen göttlichen Rathſchluß aus, aufler welchem, -
fein einziger Rathſchluß über irgends eine Sache auffer
Gott, in Gott würflih ift. Es ift demnach, der Kath«
ſchluß Gottes über endliche Dinge, nur ein einziger 9. 77.
Und diefen Rathſchluß Gotttes Fan man fi), wenn man
ihn auf eine menfchliche Art fich vorftelt, als einen Bernunfte
ſchluß folgender Geftalt voritellen: Der Inbegrif der beiten
endlichen Dinge auffer Gott werde wuͤrklich; nun iſt diefe
Welt der Inbegrif der beften endlichen Dinge; alfo foll diefe
Welt würflich werden. Der Oberfag iſt: Die Kegel der
Natur
Die Rathſchluͤſſe Gottes über diefe Wele. 449
Natur des göttlichen Willens. Gleichwie unfere Begchs
rungskraft beftändig nach diefer Regel wuͤrkt: was wir
uns lebendig als gut vorftellen, das begehren wir; alfo bes
gehrt der’ göttliche Wille in allen Fällen nach dem Dberfage
diefes Schluffes $. 932. Und er wird der Vorſatz Got;
tes genent. Der Unterfaß ift dte Vorberfehbung Bots
tes, vermöge welcher Gott aufs vollfommenfte erfant hat,
daß unter allen möglichen Welten diefe Welt die allerbefte
fey. Und der Rathſchluß Gottes ift der Schlußſatz. Mur
muß man, durch diefe menfchliche Boritellung, nicht verleis
tet werden, zu glauben, als wenn Gott nad) und nad) feis
nen Rathſchluß gefaßt, nachdem er den Oberſatz feſtgeſetzt,
und alsdenn durch eine lange Ueberlegung den Linterfaß ges
funden: denn in Gott gefchicht alles auf einmal ohne alle
Zeitfolge 9 857.
§. 1068.
Es fragt ſich hier, ob es auch befondere oder partie
eulaive Rathſchluͤſſe Gottes gebe? Dver, man Fan diefe
Frage auch fo abfaffen : ob Gott in befondern Fällen etwas
beſchloſſen habe, oder befchlieffe? Es komt hier alles, auf
die Erflärung der beſondern Raͤthſchluͤſſe Gottes, an.
Erftlich fan man darunter, die Theile des einzigen und all—
gemeinen Rathſchluſſes Gottes, verftehen. Alles was in
diefer Welt wuͤrklich ift und geſchieht, in allen vergangenen,
gegenwärtigen und zufünftigen Zeiten, hat Gott befdlof-
fen. Folglich find fo viele Rathfchlüffe Gortes ewia in Gore
gewefen, als es würfliche Theile und Beränderungen in
‚der Welt gibt, welche zufammengenommen den einzigen
und allgemeinen Rathſchluß Gottes über die Welt, als ein
Ganzes, ausmachen. Und es iſt demnach unleugbar, daß
in Gott befondere Rathſchluͤſſe würftich find. So iſt der
Rathſchluß Gottes, vermöge deſſen Gott befchloffen hat,
mie lange ein ieder Menfch leben foll, ein befonderer Rath⸗
ſchluß Gottes. Zum andern aber hat man, die beſondern
Rathſchluͤſſe Gottes, auf eine doppelte Art erflärt, welche
ungereimt und der Bollffommenbeit Gottes hoͤchſt zuwider
40 Die Ratbfeblüffe Gottes über diefe Welt.
ift. Einmal verftehen einige,“ durch beſondere Rathſchluͤſſe
Gottes, ſolche Rathſchluͤſſe Gottes über einzelne Dinge und
Begebenheiten der Welt, welche den allgemeinen Kath»
fehluffe Gottes widerfprechen. So Haben einige angenom⸗
men, Gott habe befchloffen, alle Menfchen felig zu machen;
allein er habe von diefem Rathſchluſſe viele Ausnahmen ges
macht, und über diefen und jenen Menfchen befchloffen, daß
er nicht felig werden ſolle. Allein in diefem Exempel ift es
‚falfch, daß Sort die Seligfeit aller Menfchen befchloffen
habe, und es ift überhaupt ungereimt, einen ſolchen Wis
derfpruch unter göttlichen Narbfchlüffen anzunehmen. Wenn
fid) iemand in feinen Rathſchluͤſſen widerfpricht, fo muß er
in dem einen oder. in beyden zugleich die Sache nicht recht
überlegen. Und fan man diefes von Gott gedenfen ? Und
es ift offenbar, daß einer unter beyden einander widerfpres
chenden Rathſchluͤſſen ohne alle Nutzen ift, und auch diefes
fan von Gott nicht gedacht werden, Alles was Gott bes
ſchlieſt, gefchieht würflih. Da nun zwey einander wider
fprechende Rathſchluͤſſe nicht vollzogen werden Fünnen; fo
ift e8 ungereimt zu fagen, daß Gott in einem befondern
Falle etwas befchloffen babe, welches dem allgemeinen
Rathſchluſſe deffelben widerfpricht. Zum andern haben eis
nige, die befondern Rathſchluͤſſe Gottes, fo erflärt, daß
er dergleichen Rathiehlüffe in der Zeit, nach Beduͤrfniß der
vorkommenden Fälle, falle. Sie fagen, Gott habe in ſei—
nem ewigen allgemeinen Rathfchluffe nicht alle Fälle, wel:
he von dem Willführ der Ereaturen abhangen, vorherfeben,
und alfo aud) nichts über diefelben befchlieflen Fönnen $.909. _
Folglich habe er in feinem allgemeinen Rathſchluſſe, und
in dem allgemeinen Entwurfe zu der ganzen Welt, bie und
da viele leere Plaͤtze und weife Luͤcken gelaſſen. Und wenn
er nun in der Zeit erfahre, wie fich eine mit Willführ bes
gabte Creatur willkuͤhrlich beſtimme, fo falle er in ver Zeit
einen Rathſchluß über dieſe Begebenheit, welcher zwar in
dem allgemeinen Rathſchluſſe nicht enthalten fen, demfelben
aber auch nicht widerjpreche, Allein, aud) dergleichen bes
fonbere
Die Rarbfehlüffe Gottes über diefe Welt, 451
fondere Rathſchluͤſſe Gottes, find unmöglich. Sie fegen
nicht nur den Irrthum voraus, als wenn Gott dasjenige
in der Welt, was von dem Willführ und der Frenbeit der
Creaturen abhanget, nicht vorherfehen koͤnne; fondern Gore
wuͤrde auch veränverlicy feyn, wenn er in der Zeit etwas
beichlöffe, und das ift unmöglich $. 856. 847. 909. In
dem allgemeinen ewigen Rathſchluſſe Gottes ift, wie Leibnitz
fagt, fein weiſes und unbefchriebenes Papier übrig ges
blieben; oder es ift Eein zufünftiger Fall in der Welt vers
‚geflen worden , der nicht in demfelben durch den görtlichen
Rathſchluß wäre beftimt und feſtgeſetzt worden.
S. 1069.
Es ift noch die wichtige Frage zu unterfuchen , ob
es unbedingte Rathſchluͤſſe Gottes gebe, oder ob alle göttlis
che Rarbfchlüfle bedingt find? In den vorigen Zeiten, da
man noch nicht die Natur des frenen Willens mit geböriger
Gewißheit Fante, da machte diefe Frage viele Weitlaͤuf—
tigfeit in ihrer Unterfuhung. Auc) diejenigen heute zu
Tage, welche aus der Pſychologie nicht gelernet haben, daß
alle Begierden und Verabſcheuungen, eine Erkentniß der
Bollfommenheiten und Unvollfommenbeiten des Gegenſtan—
des , vorausießen, und aus derfelben als aus ihrem “Bes
mwegungsgrunde flieffen, die werden in diefer Sache frenlich
viele Schwierigfeiten finden. Ich will erſt nach unferm
Lehrgebaͤude, die wahre Beichaffenheit der örtlichen Rath»
fhlüffe, in diefer Abſicht darthun. Memlicy alle Rath—
fhlüffe Gottes find vernünftige Begierden, und alfo Hands
lungen und Ihätigfeiten des göttlichen Willens $. 437.
Der göttlihe Wille ift nicht nur feiner allervollkommenſten
Erfentniß der Gegenftände, fondern aud) der Vollkommen—
heit und Unvollfommenbeit der Gegenſtaͤnde ſelbſt aufs voll
fommenfte proportionirt $. 932, Folglich flieffen nicht nur,
alle Rathſchluͤſſe Gottes, aus der allervollfommenften Erz
Fentniß des Grades der Vollkommenheit und Unvollkom—
menheit des Gegenftandes, als aus ihrem Bewegungss
grunde, fondern fie find auch derfelben aufs vollkommenſte
fa pro⸗
452 Die Rathſchluͤſſe Gottes über diefe Welt.
proportionirt. So müffen wir z. E. fagen: Gott hat bes
fchloffen, daß ein Menfch foll geboren werden, weil er vor
bergefehen, daß ohne diefen Menfchen diefe Welt nicht die
befte feyn koͤnte; er hat befchloffen, diefem Menfchen etwas
Guts zu geben, weil er vorhergefehen, daß diefer Menfch
deffelben werth ift, daß er ihn um diefes Gute bitten werde,
daß er es nüglic) anwenden werde, und was dergleichen
mehr ift; er hat befchloffen dieſem Menfchen ein gewiſſes
Gut nicht zu geben, weil er vorhergefehen, daß er deſſen
nicht werth fey, daß er es nicht gut anwenden werde, daß
er ihn nicht darum bitten werde v. f. wm. . Wenn dieſe
Sache ſich nicht alfo verhielte, und wenn, bey einem güft«
fichen Rathſchluſſe, die vorhererfante Vollkommenheit und
Unvollfommenheit des Gegenftandes, gar nicht der Bewe⸗
gungsgrund Gottes zu dieſem Rathſchluſſe wäre; fo müßte
Gott entweder, die ganze DBefchaffenheit des Gegenftandes
feines Rathſchluſſes, erfant haben, oder nicht. Das
legte ift wider feine Allwiſſenheit $. g21. Folglich hat
Gott, ‚die Befchaffenheit afler Gegenftände feiner Rath—
fehlüffe, von Emigfeit ber erfant. Und da es unmoͤglich ift,
dag Gott von einer Erkentniß abftrahiren, und ſich bey ir
gends einer feiner Handlungen diefelbe aus dem Sinne ſchla⸗
gen fönne $. 893. fo ift, neben und bey allen Rathſchluͤſſen
Gottes, in feinem Berftande , die allerdeutlichfte Erkentniß
des Grades der Bollfommenheit und Unvollfommenheit der
Gegenftände diefer Rathſchluͤſſe, ewig und unveränderlich
und beftändig würflich, fo daß Gott, indem er feine Kath»
ſchluͤſſe faßt, fih diefer Erfentniß zugleich aufs vollfom.
menfte bemwuft it. Wenn nun Gott feine Rathſchluͤſſe
nicht um diefer Erfentniß willen faßte, fo wäre fie Fein Be—
mwegungsgrund zu denfelben, fie wäre Feine lebendige fondern
eine todte Erfentniß, und das ift unmöglich, weil Feine
Erkentniß Gottes todt feyn fan S.902. Aus diefer Betrach—
tung ift demnach Flar, daß fid) Gott, in allen feinen Rathſchluͤſ—
fen, nad) der Befcharfenheit und Würdigfeit der Gegen«
ftände richte, und daß er über nichts irgends etwas be.
ſchlieſſe
Die Ratbfehlüffe Gottes über diefe WOele. 433
fchlieffe, als nad) Maaßgebung der aufs genauefte erfanten
Befchaffenbeit und Würdigfeit des Gegenftandes,
S, 1070.
Wenn man fagt, ein Oberherr verlange und wolle
etiwas abfolut und ſchlechterdings, fo verfteht man mand)»
mal darunter fo viel, als er habe befchloffen, daß etwas ges
ſchehen folle, ohne daß er deshalb Gegenvorftellungen ans
zunehmen Willens ſey. Er macht alfo ſchon zum voraus
befant, daß fid) feiner feiner Unterthanen eine Hofnung mas
chen dürfe, als werde er irgends durch ein Mittel, zu der
Aenderung feines Borfaßes, vermocht werden fönnen. Auf
diefe Art Fünte man, durch abfolute Rathſchluͤſſe, foldye ver
ftehen, die unveränderlich find, und welche unausbleiblid)
gewiß, alles Widerftrebens und aller Gegenvorftellung
ohnerachtet, vollzogen werden müffen. Und auf diefe Arc
mären, alle göttliche Rathſchluͤſſe, abfolute oder unbe«
dingte Rathſchluͤſſe. Einige haben diefe Rathſchluͤſſe auch
ſo erklaͤrt, daß ſie ſagen, Gott wolle und beſchlieſſe etwas
abſolut, wenn er wolle, daß etwas geſchehen ſolle, ohne die
Bedingung vorauszuſetzen; wenn es durch die Ordnung der
Natur geſchehen kan. Auf dieſe Art wuͤrde Gott, alle
uͤbernatuͤrlichen Begebenheiten und Wunderwerke in der
Welt, auf eine unbedingte Art gewolt und beſchloſſen haben,
alle natuͤrlichen Begebenheiten aber auf eine bedingte Art.
Allein, dieſe Erklaͤrungen, ſind nicht die gewoͤhnlichen Be—
deutungen dieſer Ausdrucke in der Gottesgelahrheit. Durch
unbedingte oder abſolute Rathſchluͤſſe Gottes verſteht
man ſolche, welche nicht durch die vorhergeſehene Vollkom—
menheit oder Unvollkommenheit des Gegenſtandes, als durch
ihren Bewegungsgrund, beſtimt werden, Ein unbeding«
ter Rathſchluß ift ein blinder Rathſchluß, und man faßt
denfelben, ohne daben auf die Befchaffenheit des Gegen»
ftandes zu fehen. Kin bedingter Bathſchluß im Ge-
gentheil ift ein Rathſchluß, welcher aus der vorhergefehenen
Vollkommenheit oder Unvollfemmenheit des Gegenftandes,
als aus feinem Bewegungsgrunde, flieft. Er ift ein fehen«
Sf 3 der
454 Die Rarbfchlüffe Bottes uͤber dieſe Welt.
der Rathſchluß, und wird nach Maaßgebung der Befchafr
fenheit des Gegenftandes gefaßt. Es ift unmöglih, und
der höchften Vollkommenheit Gottes höchft verfleinerlich
und zumider, wenn man fagt, daß Gott unbedingt etwas
befehlieffe oder befd;lieffen koͤnne. Alle Rathſchluͤſſe Gottes
über diefe Welt, und alle Theile und Begebenheiten in der»
felben, find bedingte Rathſchluͤſſe F. 1060. Der theolos
gifche Abſolutiſmus ift der Irrthum, vermöge deffen
man unbedingte Rathſchluͤſſe Gottes annimt, und er ift eine
der ungeheureften Lehren, die jemals erdacht worden find,
Vermoͤge diefes Jerthums ftelt man fid) Gott vor, als
wenn er, da er die Welt zu ſchaffen befchloffen, und unter
allen möglichen Dingen diejenigen ausgefucht, welche zufam«
mengenommen diefe Welt ausmachen, fid, gleichſam die
Augen feft verbunden, und in das Chaos aller möglichen
Dinge gefahren, auf ein Gerathewohl um fic) gegriffen,
und was er von obngefehr zu fallen befommen, alfobald
zu fchaffen befchloffen. Mach diefem Rathſchluſſe habe er,
aus einer Art der Neugierigkeit, fich die Augen aufgebuns
den, um zu fehen, was er erwählt, und da habe er bes
ſchloſſen, diefen Dingen alle Befchaffenbeiten zu geben, die
fie nunmehr als Theile dieſer Welt haben, und die entwe—
der gut oder böfe find. Wie unanftändig heift diefes niche
von Gore denken? Folglid) hat auch Gott feinen unbes
dingten Willen, das iſt, einen Willen, deffen Bewe—
wegungsgründe nicht aus der Befchaffenheit des Gegenftans
des genommen find. Sondern Gottes Wille ift ein bes
dinger Wille, das it, ein Wille, deſſen Bewegungss
gründe, aus der erfanten Bollfommenheit und Unvollfom«
menheit des Gegenftandes, genommen werden. Gott
begehrt nur eine Sache, weil er erfent, daß fie que ift;
und er verabfcheuet nur Dinge, weil er erfent, daß fie böfe
find,
$. 1071.
Hieraus läßt fich, die Lehre von der Prädeftination,
deutlich erflären. Man nimt diefes Wort manchmal in
einer
Die Rathſchluͤſſe Gottes über diefe Welt. 455
einer weitern Bedeutung, und verfteht, durch die göttliche
Vorberbeftimmung, oder Prädeftination, einen iedwe—
den goͤttlichen Rathſchluß über eine Sache, die noch zufünfs
eig iſt. Mach diefer Erklärung find alle Rathſchluͤſſe Got
tes Borberbeitimmungen, fo lange fie noch nicht vollzogen
werden, und fo lange ihre Gegenftände noch zukünftig find.
Folglich muß man behaupten, daß alles zufünftige in diefer
Welt von Gott in feinem Rathſchluſſe, ſchon von Ewigkeit
ber, zum voraus beitimt worden, und daß alles, diefer Borhers
beftimmung gemäß, aufs genauefte erfolge $. 1067. Allein
man nimt, dieſes Wort, in einer. engern Bedeutung.
Nemlich einige Geiſter find in diefer Welt ewig glüclelig,
wohin z. E. diejenigen Menfchen gehören, welche nad) ib«
rem Tode ewig felig werden; und einige Geifter find ewig
unglüclelig, wie diejenigen Menfchen, welche verdamt wers
den. Oder weil wir bier nicht ausmachen fünnen, ob die
Verdamniß ewig währe, oder ein Ende nehme: fo ift doc)
' fo viel gewiß, daß einige Geifter in diefer Welt unglückfes
lig find, und daß einige Menfchen wenigftens auf eine Zeite
lang verdamt werden. Mun hanget alles in der Welt,
von dem Rathfchluffe Gottes, ab $. 1007. Folglich hat
Gott, die ewige Gtückfeligfeit aller Geifter und Menfchen
in der Welt, weldye würflid) ewig alückfeliq werden, von
Ewigkeit her befchloflen, und das iſt die göttliche Vorherbe—
ftimmung diefer vernünftigen Creaturen zur ewigen Glücks
feligfeit, oder Gott hat dieſe vernünftigen Creaturen, von
Ewigkeit ber, zur ewigen Glücffeligfeit verordnet. Im
Gegentheil derjenige Rathſchluß Gottes, wodurch Gott
von Ewigkeit her befchloffen hat, die Unglückfeligkeit einiger
vernünftigen Creaturen zuzulaffen, e8 mag nun dieſelbe
ewig oder nur eine Zeitlang dauren, wird die göttliche
Derwerfung genent, Durch diefen Rathſchluß Gottes
find, diefe vernünftige Creaturen, entweder auf ewig ver«
morfen, wenn Gott befchloffen hat, ihre Unglücjeligkeit
ervig zuzulaffen, oder nur auf eine Zeitlang, wenn Gott bes
ſchloſſen hat, ihre Ungluͤckſeligkeit nur auf eine Zeitlang zus
Sf4. zulaflen,
456 Die Rathſchluͤſſe Bottes über diefe Welt.
zulaffen. Beyde Rathſchluͤſſe koͤnnen unmöglich unbedinge
ſeyn, fondern fie find bedingt $. 1070. Gott hat einige
Geifter zur Glückfeligfeit verordnet, weil er vorhergefehen
bat, daß fie derfelben fähig und werth find; und er hat ei—
nige Öeifter verworfen, weil er vorhergefehen, daß fie der
G:ücfeligkeit unfähig und unwerth, und der Unglückfelig-
keit werth find. in Drädeftinarisner ift derjenige,
welcher, die göttliche Borherbeitimmung, und Verwerfung
einiger vernünftigen Creaturen, für unbedingte Rathſchluͤſſe
hält. Diefer Irrthum iſt höchft unvernünftig, und ges
fährlih S. 10706, Derjenige iſt Fein Präveftinatianer,
welcher füge, daß Gott alles zum voraus in diefer Welt
unmiderruflich beſtimt und feftgefegt habe; fondern wer da
glaubt, daß diefes, in Abſicht der Gluͤckſeligkeit und Une
gtäckfeligfeit der endlichen Geifter, auf eine unbedingte Art
geſchehen. Vermoͤge diefes Irrthums müßte man, um alles
gorifc Die Sache zu erläutern, fagen: daß Gott fid) die
Augen fett verfchloffen, und blindlings unter den Menſchen
herum gegriffen. Wen er, von ohngefehr und blindlings,
mit der vechten Hand erhafcht, den habe er zur rechten Hand
geitelt, und die übrigen zur linfen Hand. Hierauf habe
er feſtgeſetzt, die erften follen felig, und die andern verdamt
werden. Nun habe er fich die Augen geöfnet, und gedadht:
ih muß doch diejenigen fennen lernen, die ich zur Selig
keit verordnet, und die idy verworfen habe. Unter den er—
ften habe er den Paulus angetroffen, und weil der nun
ſchlechterdings feliq werden follen, fo habe er befchloffen, ihn
der Seligfeit fähig und werth zu machen, Unter den an-
dern habe er den Judas Iſcharioth angetroffen, und weil
der num fehlechterdings verloren gehen follen, fo babe er
befchloffen, ihm nicht den beharrlichen Glauben zu geben.
2Ber fan, bey diefer verfluchten Lehre, einen Fräftigen Be—
megungsgrund behalten, fih um die Erlangung feiner
Gluͤckſeligkeit zu bemühen? Wenn man aber annimt, daß,
die göttliche Vorherbeſtimmung und Verwerfung, bedingte
Rathſchluͤſſe find; fo iſt wahr, alle diejenigen endlichen 9
ter
Die Offenbarung Bottes, 457
fter werden unausbleiblich glückfelig, die Gott zur Glücfes
ligfeit vorberbeftimt hat, diejenigen aber gehen unausbleib:
lid) verloren, die er verworfen hat, Es fan auch nies
mand, weder durch Das Gebet, noch durch andere Mittel,
Gott bewegen, feine einmal gefaßten Rathſchluͤſſe zu ändern,
und nicht zu vollziehen. Allein das von Gott untrüglic)
vorhirgeiehene Geber, und die untrüglich vorhergeſehene
Unterlaſſung deffelben, gehören zu den Bemegungsgründen,
wodurch Gott beivogen worden, einigen Menfchen die ges
betenen Güter zu geben, andern aber fie nicht zu geben,
Folglich ſtoͤßt unfere $ehre von der Unveränderlichfeit, Uns
widerruflichkeit und Unwiderftehlichkeit der göttlichen Rath—
ſchluͤſſe, wenn fie bedinge find, unfere Verbindlichkeit zum
Gebet und zu andern Pflihten, wodurch mir unsder
Gluͤckſeligkeit fahig und werth machen, nicht über den
Haufen.
Die Offenbarung Gottes.
$. 1072.
Die legte Handlung der göttlichen Vorſehung, welche
uns durch die bioffe gefunde Bernunft befant ift, befteht
in derjenigen göttlichen Handlung, wodurd) er ſich den Creas
turen offenbaret oder befantmadt. Ofte braucht man
dieſes Wort ſchlechtweg, als wenn man fagt, daß eine
Wahrheit aus der göttlichen Offenbarung erhelle, und man
verſteht darunter die übernatürliche Offenbarung Gottes in
der heiligen Schrift. Allein hier nehmen wir es in einer
weitern Bedeutung, und verftehen, durch die Offenba⸗
rung überhaupt oder im weitern VDerftande, die Hands
lung Gottes, wodurch er den Ereaturen feine Meinung bes
zeichnet : oder fie ift die Bezeichnung der göttlidien Meis
nung, welche von Gott felbft gefchehen ift , um den Creatu—
ren feine Meinung befant zu machen. Da nun die Offen«
barung eine folhe Handlung ift, wodurch er auffer fich in
die Creaturen, oder in die Welt würft, fo ift fie eine freye
Handlung Gottes $. 939, ee wenn, eine Defantmas
f5 dung
458 Die Offenbarung Gottes,
hung einer göttlichen Meinung, eine Offenbarung Gottes
foll genent werden, fo muß Gort felbft von derfelben der Urs
heber ſeyn. Gefegt, ein Menſch madje einem andern,
etwas von Gott und feinem Sinne und feiner Meinung,
befant: fo ift diefe Befantmachung Feine Offenbarung, in
fo ferne man fich den Menfchen als den Urheber derfelben
vorftelt, Stelt man fih aber Gott als den Urheber derfel»
ben vor, fo fagt man, daß Gott fich durch einen Menfchen
einem andern offenbare. Durd) die Meinung Gottes muß
man, fo wol die Sinnesmeinung, als aud) die Willensmeis
nung Gottes, verftehen. gene ift eine Erkentniß, die in
Gore it, und die Gott für wahr hält, als wie wir fagen,
Daß unfere Meinung in denenjenigen Borftellungen beftebt,
die wir für wahr halten. Die Sinnesmeinung Öortes alfo ift
ein Inbegrif wahrer Erkentniß, oder ein Inbegrif der Wahr-
beiten, fie mögen nun von Gott und feinen Bollfommenheiten
handeln, oder von uns Menfchen, oder von andern Dingen,
Die Willensmeinung Gottes aber begreift alles Dasjenige in
fih, was Gott will, z. E. was Gott befehloffen hat, was er
von den Ereaturen will gethan und gelaffen wiffen u. f. w.
Und wenn wir fagen, daß die Offenbarung eine von Gott
ſelbſt geſchehene Bezeichnung fey, fo muß man alle Arten
der Zeichen verftehen, die Gott brauchen fan, um feine
Sinnes- und Willenemeinung den Creaturen befant zu mas
chen. Indem fih Gort alfo einer Creatur offenbart, fo
macht er gewiffe Dinge und Veränderungen wuͤrklich, des
ven fich verftändige und nachdenfende Creaturen als Mittel
bedienen koͤnnen, um dadurch zu einer Erfentnig der Sin:
nes» und Willensmeinung Gottes zu gelangen. Folglic)
erlangen die Creaturen, durch die Offenbarung Gottes, eine
Erkentniß von der göttlichen Erfentnig und den Gegenftän:
den derfelben fo wol, als auch von feinem Willen und Rath.
ſchluͤſſen. Nun iftes fhlechterdings unmöglich, daß eine Ereas
eur die ganze Erfentniß, und den ganzen Willen Gottes, folte
erfennen koͤnnen: denn beyde find allen Creaturen unausforfc)«
lich $. 890. Gott mag fi) demnach nod) fo deutlich und
aus«e
Die Offenbarung Gottes, | 459
ausführlich offenbaren, es ift ganz unmöglich, daß er, feine
ganze göttlihe Meinung, den Creaturen befant machen folte,
Und es ift gar Fein Einwurf wider die Richtigkeit der Goͤtt—
lichfeit einer Offenbarung, wenn in derfelben vieles fo zu
reden ausgelaffen und verfchwiegen tworden, oder wenn durch
diefelbe nicht alle Unwiſſenheit ver Greaturen gehoben wird,
Man muß es demnach lediglich der göttlichen Weisheit und
Güte, und feiner Vorſehung, anheim ftellen, was und wie
viel er durch eine Offenbarung den Creaturen befantmachen,
und verborgen bleiben laflen will. So viel ift zuverläßig
gewiß, daß Gore, durch feine Offenbarung, alles ven Crea—
turen bekantmacht, deſſen Bekantmachung zur böchften
Vollkommenheit der Welt, zur Erreichung der Abfichten
Gottes, und zur gröften Gluͤckſeligkeit der vernünftigen
Creaturen, erfodert wird. Alles dasjenige aber verſchweigt
er in feiner Offenbarung, und laßt die Unwiſſenheit deffel-
ben in den Creaturen zu, deffen Erkentniß den Creaturen, zu
ihrer höchften Glückjeligfeit, und zur gröften Vollkommen—
beit der Welt, nicht nöthig ift $, 1016. Diefe legte Bes
trachtung müffen wir, reider die unordentliche Wiffensbe-
gierde der Menfchen, wohl bemerfen. Was Gott z. E,
in der Bibel verſchwiegen hat, das möchten wir gar zu gers
ne wiſſen, wir erdenfen deshalb hundert Meinungen, und
gerathen in unendliche Spisfindigfeiten. Was er aber in
derfelben gefagt bat, das ſcheint uns ein Stuͤckwerk zu feyn,
mit dem man unzufrieden zu feyn Urfach habe.
75,
Die erfte Are der Offenbarung Gottes ift die natuͤr⸗
liche Offenbarung, durch welche ſich Gott auf eine folche
Art den Creaturen offenbart, die nicht übernatürlich ift, und
bey welcher alfo aud) gar Fein Wunderwerf vorgeht. Nun
ift Gott der Urheber der ganzen Natur $. 977. Folglic)
fan man fagen, daß alle Erfentniß, welche wir Menfchen,
oder andere Creaturen, von der Sinnes- und Willensmei»
nung Gottes natürlicher Weife, und durd) den bloß natür-
lichen Gebrauch natürlicher Erfentnigmittel erlangen, ein
Werf
463 Die Öffenbarung Gottes.
Merk der freyen Handlung und Vorſehung Gottes, und
alfo eine Dffenbarung Gottes fey S. 1072. Denn, erft«
lich , iſt die ganze Welt, alles was drinnen ift, und der
ganze Zufammenhang in derfelben, eine Würfung der
Macht und des Rathſchluſſes Gottes; folglich ein Zeichen,
woraus der Rathſchluß Gottes, folglich der Wille Gottes,
und die Bewegungsgründe deſſelben, erfant werden fünnen
$. 278. Da nun diefe Welt die befte ift, fo ift fie auch
bergeitalt von Gott eingerichtet, daß aus ihr, und aus als
lem was fie in ſich enthält, die göttlichen Bollfommenbeis
ten, feine Rathfchlüffe, fein Wille, und feine Erfentniß
aufs beſte erfant werden koͤnnen F. ıc13. Zum andern
hat er die befte Welt mit vernünftigen Creaturen angefült,
welche durch ihre Natur im Stande find, aus der Betrachs
tung der Werfe Gottes auf ihren Urheber zu fchlieffen, und
aus der Welt feine Bollfommenheiten, feine Sinnes- und
MWillensmeinung, zu erkennen. Und wenn diefe Creatus
ren diefes wuͤrklich thun, fo geſchieht es vermittelft der Mit—
mürfung Gottes S. 1027. und es ift demnach eine natürliche
Dffenbarung Gottes. Die Erfahrung lehrt, daß Gott fich
natürlicher Weife uns Menfchen offenbaret habe, und noch
beftändig offenbar. Die ganze natürliche Gottesgelahrs
heit ift eine natürliche Offenbarung Gottes, desaleichen die
ganze practifche Weltweisheit, als welche uns lehrt, mas
Gott von uns will gethan und gelaffen wiflen. Ja man
Fan fagen, daß, alle wahre Erfentniß nüglicher Dinge,
Wahrheiten und Wiffenfchaften, in fo weit fie. von uns
Menfchen natürlicher Weile erfant und erlangt wird, eine
natürliche Offenbarung Gottes fey; meil fie ung allemal ein
Stüd der göttlidyen Alwirengeir, und alfo eine Sinnes⸗
meinung Gottes, bekantmacht. Diefe Offenbarung Gottes
wird auch das Licht der Vernunft und Matur genent, des⸗
gleichen eine mittelbare und entfernte Offenbarung, weil
Gott ſich vermittelft der Natur in derfelben befantmacht,
und nicht fo unmittelbar dabey handelt, als bey der überna«
eürlichen Offenbarung. Und da Gott fic) allen Menfchen,
und
Die GÖffenbarung Gottes. 461
und allen vernünftigen Creaturen, auf diefe Art offenbar,
fo nent man fie die allgemeine Offenbarung. Sie beift
aber vornemlich die natürliche, erftlich weil das Erkentniß⸗
mittel derfelben die Natur ift, die Welt, Die natürlichen
Dinge, natürlich befante Wahrheiten u. f. w. Ben der
übernatürlichen Offenbarung erfent man Gott, aus und ver—
mittelft übernatürlicher Begebenheiten und Wunderwerfe,
Zum andern, weil die blojfe Natur, der bloß natürliche
Gebrauc, der Kräfte der Natur, und die bloß natürliche
Verbeſſerung derfelben, zureichen, Gott durch die natürli«
che Dffenbarung zu erkennen , ohne daß es nöthig ſeyn folte,
daß unfer Berftand vorher übernatürlich erleuchtet werde,
$. 1074.
Die Mittel, deren ſich Gott bey feiner natürlichen
Dffenbarung bedient, und wodurch er ſich, feine Vollkom—
menbeiten, und feine Sinnes- und Willensmeinung, den
Greaturen bekantmacht, find überhaupt alle endliche würf:
liche Dinge, Denn alie diefe Dinge find Würfungen Got:
tes, und feines allervollfommenften Rathſchluſſes 6. 973,
1067. Nun fan, aus einer iedweden Würfung, die Bes
fchaffenheit und Gröffe ihrer würfenden Urfach erkant wers
den $. 257. Folglich ift, ein iedes endliches würfliches
Ding, ein von Gottes frenen Willen ermwähltes und verords
netes Zeihen und Erfentnißmittel, woraus vernünftige
Creaturen ihn felbft, feine Vollkommenheiten, feinen Rath:
ſchluß, -foiglic) aud) die Bewegungsgruͤnde deffelben, und
alſo fo wol die Willens - als aud) die Sinnensmeinung Gots
tes, zu erkennen im Stande find. Und alfo ift, ein ied—
wedes endliches würflihes Ding, ein Dffenbarungsmittel
Gottes, deffen ſich Gott frey bedient, um ſich natürlicher
Weife den Creaturen zu offenbaren. Ben Diefer Wahrheit
muß folgendes angemerkt werden. 1) Alle Dinge in der
Welt, in fo ferne fie gut find, bangen geradezu von der
Macht, von der Borfehung und von dem Rathſchluſſe Got—
tes, ab. Gott will fie in diefer Abſicht, und billiger fie.
Folglich offenbart Gott, Durch das Gute in der Welt, ges
rade⸗
462 Die Offenbarung Gottes.
radezu und unmittelbar feine höchfte Bollfommenbeit, undfei-
nen Willen. Allein auch 2) das Boͤſe in der Welt hanget, von
der weifeften und gütigften Zulaffung Gottes, ab. Folg«
lich offenbart er Durch daffelbe uns unmittelbar feinen uns
endlichen Haß des Boͤſen, mittelbarer Weife aber auch
feine höchfte Güte, Weisheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit.
3) Eine iedwede Subftanz diefer Welt ift eine Kraft, wel«
he die Welt vorftelt $. 367. und zwar die befte Welt,
folglich) das allerbefte Werk des gütigften, weiſeſten und
vollfommenften Urhebers. Es ift demnach eine iedwede
Subſtanz gleichfam eine Statue in der Welt, welche den
Schöpfer der Welt in feiner Herrlichkeit bezeichnet und ofs
fenbart. Da nun, ein iedwever Körper, ein Yrbegrif
vieler Subftanzen ift $. 226. fo find auch alle Körper in der
Welt Dffenbarungsmittel, wodurch Gott ſich natürlicher
Weife den Ereaturen befantmaht. Man Ean allo fagen,
daß Gott die ganze Welt dergeftalt eingerichtet hat, daß er
fi) unſerer Seele durch alle Subftanzen und Körper, mit
denen fie umgeben ift, offenbart und zu erfennen gibt. Ale
les was wir um und neben ung fehen und hören, oder its
gends auf eine andere Art empfinden, ift ein Werf Gottes,
aus welchem feine Vollkommenheit, fein Rathſchluß und
feine Meinung hervorftralt, Wir koͤnnen ſchmecken und ſe—
hen wie freundlich Gott ift, weil alles Öute und Angenehme,
was wir ſchmecken und fehen, eine Würfung der göttlichen
Güte ift. 4) Die Seele ſelbſt ift ein Mittel, wodurch fich
Gore ihr offenbart. Sie felbft ift eine Würfung Gottes,
alles, was fie in fich felbit fühlt und empfindet, ift eine
Würfung des göttlichen Rathſchluſſes, ſeiner Vorſehung
und aller damit verfnüpften Bollfommenheiten. Wer alfo
von feiner Seite gehörig nachdenkt, der mag feine Aufmerk—
famfeit auf fich felbft lenfen, oder auſſer fich auf alles übrige,
was in der Welt ift. Alles auſſer und in ihm ruft ihm zu,
daß ein Gott fey , welcher heilig, aqütig und im höchtten
Grade vollfommen fen, weldyer das Gute wolle und dag
Boͤſe verabſcheue. Und es laͤßt ſich demnach Gott UN
unbe⸗
Die Offenbarung Gottes. 463
unbezeugt an einer iedweden vernünftigen Creatur, indem
er, durch die Würfungen feiner Macht, das ift, durd)
alles in der Welt, ſich allen vernünftigen Creaturen natüra
lich offenbart. Wenn man nun nod) bedenft, daß die befte
Welt das allergröfte und vortreflichfte Ebenbild Gottes fen
S. 372. fo wird man nod) leichter überzeugt werden, daß
diefe ganze Welt, uud alles was drinnen, das allervollfom-
menfte Mittel fen, wodurch fid) Gott den endlichen Gei—
fern natürlig;er Weiſe offenbart.
a, $. 1075,
Alle Wahrheiten, welche wir Menfchen und andere
vernünftige Creaturen, aus den bisher angeführten Offene
barungsmitteln Gottes, natürlicher Weife erkennen, fie mös
gen nun von Gott oder von andern Dingen handeln, ters
den von Gott durd) feine Allwiffenheit erfant und gehören
alfo zu der Sinnesmeinung Gottes. Folglich) erlangen die
vernünftigen Greaturen, alle ihre wahre Erkentniß, die fie
natürlicher Weife erlangen, durdy die natürliche Offenba=
rung Gottes, Mun fragt fihs, mie Gott natürlicher
Weiſe feine Willensmeinung, den vernünftigen Ereaturen,
offenbart habe? Und das ift, auf eine zweyfache Weiſe, ges
ſchehen. ı) Daß Gore die ganze NBelt fo eingerichtet hat,
daß die vernünftigen Creaturen im Stande find, aus ders
felben natürlicher Weife die Zwecke Gottes zu erfennen,
Denn Gott will feine Zwecke erfült willen, und er erhält
fie auch in der That. Wer aljo die göttlichen Abfichten
entdeckt, der entdeckt dasjenige, was Gott will. Nun hat
Gott diefe Welt fo eingerichtet, daß ein Ding dem andern
nußt, und daß immer mehr Guts nad) und nad) entjteht,
und zwar durch die mannigfaltigen Berbindungen, in welche
die Theile der Welt gerathen 8. 444. und ein ieder wah⸗
ver Nutzen, und eine iedwede zufällige Vollkommenheit,
welche in der Welt entſteht, iſt eine Abficht Gottes. $, 1005,
Folglich entdeckt uns Gott natürlicher Weiſe feine Abfid)-
ten, und alfo auch feine Willensmeinung, durch die Nu—
Gen der Dinge, Indem wir alfo alle Dinge in ber Welt
gebraus
464 Die Offenbarung Gottes,
gebrauchen, und fo fehr und mannigfaltig zu nugen fuchen,
als möglich ift, indem offenbart uns Gott natürlicher Weiſe
feine Willensmeinung. 2) Daß er uns in den Stand ges
fegt hat, feine Rathſchluͤſſe, weldye unleugbar zu feiner
Willensmeinung gehören, orte natürlicher Weile zu erfens
nen. Denn Gott hat dasjenige in einem iedweden Falle
befchloffen, mas in demielben Falle das beite ift $. :c67.
Folglich fönnen wir natürlicher Weife erkennen, was Gott
befchloffen Hat, wenn und fo ofte wir natürlich erfennen
fönnen, was das Beſte if. Nun find wir das le&te als
femal nachher zu erfennen im Stande, wenn eine Sache
ſchon gefchehen ift, indem wir gewiß willen, daß eine ied—
wede Sache, fo mie fie ift und gefchieht, zur beiten Belt
gehört. Zum voraus fönnen wir zwar felten gewiß, aber
doc) ofte mwahrfcheinlih, erkennen, was das beite feyn
wird. Folglich bat Gott, den vernünftigen Creaturen,
feine Rathſchluͤſſe in fo weit natürlicher Weife offenbart, in
fo weit er es ihnen natürlicher Weife moͤglich gemadjt hat,
zu erkennen, was in der Reihe der endlichen Dinge das
Befte if. Wenn wir alfo in einem gewiflen Falle begierig
find, den Rathſchluß Gottes zu willen, fo müjfen wir ju
erkennen fuchen, was unter alle demjenigen, fo ſich zutragen
kan, das Beſte iſt. Können wir daffelbe nicht ausfindig
machen, fo müffen wir daraus fchlieffen, daß es uns Gore
nicht offenbaren wolle, oder Daß er es vor uns verborgen
habe, was er in einem gewiflen Falle befchloffen bat.
Hieraus folgt alfo, daß, die ganze practiſche Weltweisheit,
eine natürliche Offenbarung des goͤttlichen Willens ſey.
Denn alle unfere Pflichten befteben in freyen Handlungen,
in fo) weit. fie den göttlichen Zwecen gemaß find, und um
derfelben willen vorgenommen werden, und die ganze natüre
liche Pflicht ift in dem Satze zufammengefaßt: Thue alles
mal das Beſte, in fo ferne du es natürlicher Weite zu er—
£ennen im Stande bift. Gott Nat demnach den Menſchen
feinen Willen natürlicher Weite offenbart, indem er es ihnen
möglich gemacht bat, die natürlichen Pflichten zu erkennen.
9. 1076.
Die Offenbarung Gottes. 465
$. 1076.
Aus allen vorhergehenden Betrachtungen erhelfer zur
Genüge, daß, aller vortreflihen Einrichtung diefer Were
ohnerachtet, vermöge welcher fie fo gefchickt ift, daß fich
Gott durch diefelbe den vernünftigen Creaturen natürlicher
Weife offenbare, diefe Offenbarung nicht anders würklich
erfolgen Fonne, als wenn die vernünftigen Creaturen ihre
Vernunft, famt allen übrigen Erfentnißkräften, in dem ge«
börigen Grade der Vollfommenheit und des Fleiſes würfe
lid) brauchen, um diefe Welt, und alles was drinnen ift,
recht zu betrachten, und durch diefe Berrachtung zu einer
würflihen Erfentniß Gottes zu gelangen. Es wird dent
nah, von Seiten der vernünftigen Creaturen, zu der nas
türlichen Offenbarung Gottes erfordert: 1) eine groffe Fer—
tigfeit des rechten Gebraud)s des Verſtandes, und der ges
funden Bernunft. Je gröffer und vollfommener diefe
Kräfte, und der Gebrauch derfeiben, ben einem endlichen
Geiſte find, defto beifer Fan fich Gott ihm natürlicher Weife
offenbaren; ie Fleiner und unvollfonmener fie aber find,
deito weniger Fan fich Gott demfelben, durd) die natürliche
Dffenbarung, befantmachhen. 2) Eine recht vollfommene,
weitläuftige, groffe, richtige, deutliche und practiſche Era
fentniß der Dinge in der Welt, der Geifterwelt und der
Körperivelt, der Aftronomie, der Naturlehre, der Welt
weisheit, und aller Willenfchaften, welche fih, mit der
Unterfuchung der Naturen der Dinge in der Welt, befchäfe
tigen. Je beſſer viele Erkentniß ben einem endlichen Geiite
ift, defto beffer erfent er die Mittel der natürlichen Offen—
bacung, und deſto beiler offenbart fich alfo ihm Gott na—
türlicher Weife. Je fihlechter aber diefe Erkentniß bey einem
endlichen Geifte iſt, deſto weniger Fan er auch, durch die
natürliche Offenbarung, von Gott erkennen. 3) Eine
groffe teleologiſche Erkentniß, oder Einſicht in die Mugen
und göttlichen Abfichten der Dinge in der Welt $. 1075.
Je beffer diefe Erfentniß bey einem endlichen Geifte iſt,
defto beffer offenbart fich ihm Gott natürlicher Weiſe; ie
4, Theil, Gg ſchlechter
466 Die Öffenbarung Gottes.
fchlechter fie aber ift, defto unvollfommener ift bey ihm bie
natürliche Offenbarung. 4) Eine vollfommenere Einficht
in die übrigen Arten des Zufammenhangs der Dinge in
diefer Welt, weil alle diefe Arten, Mittel ver natürlichen
Dffenbarung, find $. 1074. Je vollfommener diefe Era
kentniß in einem endlichen Geifte ift, deſto beffer erfent er
Gott durch die natürliche Dffenbarung ; ift aber diefe Er—
kentniß in einem endlichen Geifte fehr ſchlecht, fo ift aud),
feine Erkentniß Gottes durd) die natürliche Offenbarung,
fehr unvelllommen. Nun Fennen und müffen wir, der
göttlichen Vorſehung, mit der vollfommenften Zuverfiche
zutrauen, daß er, einem iedweden endlichen Geifte, ſich
würflid) in demjenigen Grade der Vollkommenheit natürs
licher Weile offenbare, der in der beften Welt, oder ohne
Nachtheil der höchften Güte und Weisheit, möglich ift
S. 1016, Allein wenn wir, mit diefen Betrachtungen, die
Beſchaffenheit des menfchlichen Gefchlechts vergleichen ; fo
fan uns wahrfcheinlihh werden, daß die bloffe natürliche
Offenbarung nicht zureichend ſey, die höchfte Ehre Gottes
und die gröfte Glücfeligfeit der Menfchen würflic zu er«
langen. Denn die meilten Menfchen brauchen ihre Ber:
nunft ſehr ſchlecht, und haben die elendefte Erfentniß von
den Werfen und Zwecken Gottes, Die meiften Menfchen
bleiben, in ihren Betrachtungen, bey der Oberfläche der
Creaturen ftehen, und fihlieffen nicht weiter fort bis auf
den Schöpfer. Die wahren Weltweiſen Haben allemal eine
Eleine unfichtbare Kirche ausgemacht, und wenn die chrift«
lichen Weltweifen die heilige Schrift nicht als ein Huͤlfs—
mittel dev Weltweisheit brauchten, fo würde es um die
Weltweisheit fehr fhlecht unter den Menfchen ausfehen,
Folglich Fan man zuverſichtlich behaupten, daß, die bloffe
ihr felbft gelaffene Vernunft der Menfchen, durch die natürs
liche Dffenbarung, eine ungemein mangelhafte, fchlechte, und
zu der hoͤchſten Glückfeligkeit der Menfchen unzureichende
Erfentniß von Gott, und feiner Sinnes- und Willensmei«
nung, erlangen Fan. Durch diefe Betrachtung Fan ein
Theologe
Die Offenbarung Gottes. 467
Theologe auf die vernünftige und wahrfcheinlihe Muthmaf-
fung gebracht werden, daß eine übernatürliche Dffendarung
Gottes unter den Menfchen nöthig fey, und wuͤrklich unter
denfelben angetroffen werde,
% 9e,1077: |
Die andere Art der görtlihen Offenbarung ift die
Offenbarung im engern Verftande, oder diejenige Of—
fenbarung Gottes, welche übernatürlicher Weife, oder durch
ein Wunderwerf geſchieht. Diefe Offenbarung wird vie
nähere und unmittelbare Offenbarung genent, weil Gott,
bey den übernatürlichen Begebenheiten, allemal in einem
hoͤhern Grade unmittelbar gefhäftig it, als bey den natuͤr⸗
lichen Begebenheiten, Und wenn die Gottesgelehrten be—
haupten, daß Gott die ganze heilige Schrift den Männern
Gottes eingegeben habe, fo ift diefe Eingebung dasjenige,
was wir hier die Offenbarung im engern Berftande nennen,
Wenn wir uns von diefer Offenbarung einen rechten Begrif
machen wollen, fo müflen wir viererlen bemerken, Erſtlich,
es ift möglih, dag Gott fih, allen endlichen Geiftern,
auch übernatürlich offenbart habe. Allein da wir nicht die
geringfte wahrfcheinliche Nachricht Haben, ob fid) Gott an—
dern endlichen Geiftern auffer den Menfchen übernatürlich
offenbart habe, und wir als Chriften blos wiffen, daß eine
ſolche übernatürliche Offenbarung unter den Menfchen ges
ſchehen, und noch dazu nicht einmal fo, daß alle einzelne
Menfchen eineNachricht von diefer Dffenbarung gehabt has
ben: fo kan man, die übernatürliche Offenbarung, mit
Kecht eine befondere oder practiculaire Offenbarung Gotteg
nennen, Zum andern, die Mittel, deren ſich Gott bey der
übernatürlichen Dffenbarung bedient, find nicht, wie bey
der natürlichen, die natürlichen Dinge und Begebenheiten
in der Welt; fondern fie find von anderer Art, und können
verfchieden fern. So wiſſen wir als Chriften, daß Gore
fi übernatürlich offenbart habe durch Reden, die gewiſſe
Perſonen gebört haben; durch eine Schrift, Die er gewiſſen
Perfonen eingegeben; durch Träume; durchs Loos; durchs
g.2 Urim
468 Die Offenbarung Gottes.
Urim und Tummin; durd) Entzüfungen u. fe w. Zum
dritten iſt, die Arc und Weife diefer Offenbarung, allemal
übernatürlic) und ein Wunderwerk; da im Gegentheil, bey
der natürlichen Offenbarung Gottes, alles natürlich zugeht.
Und viertens Fan, durch diefe übernatürliche Offenbarung,
den Menfchen eine Wahrheit befantgemacht werden, wels
che fie nicht nur begreifen Eönnen, fondern welche fie auch
natürlicher Weife zu erkennen im Stande find. Go hat
Hort viele Wahrheiten in der Bibel eingegeben, welche
nicht über den natürlichen Verſtand der Menfchen gehen,
und die von den Menfchen auch natürlicher Weife erfant
werden fonnen. Da nun alle übernatürliche Begebenheis
ten in der Welt, Würfungen der allerbefonderften Mit
mwürfung Gottes, find $. 1034. fo ift auch unleugbar, daß
Gott, wenn er fich übernarürlich offenbart, dadurch aufs
allerbefonderfte mit den Creaturen mitwürfe, um feinen
gröften Zweck, die höchfte Religion, und die gröfte Glück.
feligfeit der Menfchen, zu befördern.
. 1078.
Es ift, bey der Erklärung der übernatürlichen Dffen-
barung Gottes, eine nöthige und nügliche Unterfuchung,
mern man die verfchiedenen Arten, wie ſich Gott überna-
türlich offenbaren Fan, genauer auseinander feßt. Gie Fan
nemlich, auf eine zweyfache Art, gefchehen. 1) Wenn
Gott übernatürlih, und durch ein Wunderwerf, eine Er—
kentniß einer Wahrheit in einem endlichen Geifte wuͤrkt.
Und das fan wiederum, auf eine vierfache Art, geſchehen.
Erftlich, wenn Sort, eine folhe Vorftellung, in einem end=
lichen Geifte unmittelbar würft, die in ihm ganz neu ift,
und die er vorher niemals, durd) den natürlichen Gebraud)
feiner Erfenmißfräfte, in fich gewürft bat. Wir Fonnen
hieher rechnen die unausfprechlichen Worte des Lebens, mel»
che Paulus in einer Entzuͤckung gehört, und die er nicht im
Stande war, mit ähnlichen Beariffen zu vergleichen, und
alsdenn mit befanten Worten auszudrucken. Wir finden,
ſehr wenige Benfpiele von dieſer Offenbarung, in der heilis
gen
Die Öffenbarung Gottes. 469
gen Schrift. Es wiirde auch fehr wenig Nutzen haben,
wenn Gott ſich ofte auf diefe Art offenbart hätte. Denn
ein Menfch, der einer folchen Dffenbarung gewuͤrdiget wird,
befindet jich juft in den Umftänden des Apoftels Paulus,
welcher von diefer Dffenbarung zwar felbft Nutzen hatte,
diefes Nutzens aber feinen andern Menfchen theilhaftig mas
hen Fonte, indem er nicht im Stande war, die ihm geofe
fenbarte Erfentniß andern mitzutbeilen. Zum andern,
wenn Gott, in einem endlichen Seifte, folche Borftellungen,
die er durch den natürlichen Gebrauch feiner Erfentnißfräfte
‚erlangt hat, zu einer Zeit wiederum erweckt und klar macht,
in welcher es natürlicher Weife nicht gefchehen wäre. Ale
denn muß Bott, das Gedächtnif und die Aufmerkfamfeit ei⸗
nes folhen Geiftes, übernatürlicher Weife in Wuͤrkſamkeit
fegen, und juft auf diefe und Feine andere Borftellung len—
fen. So muß man die Fingebung erflären, wenn die
Männer Gottes in der heiligen Schrift Begebenheiten und
andere Sachen aufgefchrieben, die fie durch ihre eigene Er—
fahrung, und durch andere natürliche Wege, erfant hatten.
Zum dritten, wenn Gott die Erfentmißfräfte eines endli—
chen Geiftes übernatürlicyer Weife beſtimt, eine Reihe fols
cher Begriffe zu würfen, die einzeln ihm längft natürlicher
Weiſe befant geweſen, die aber in ihrer Zufammenfeßung
etwas vorftellen, welches derfelbe Geift natürlicher Weife
nicht würde haben erfennen koͤnnen. Hieher Fonnen wir,
die Schöpfungshiftorie, rechnen. Es ift Fein einziger eins
zelner Begrif in derfelben anzutreffen, den nicht Mofes und
alle Menfchen natürlicher Weiſe befisen, Allein fie ftellen
zufammengenommen eine Art der Schöpfung vor, Die fein
Menſch natürlicher Weife wiffen fan. Zum vierten, wenn
Gott die Erfentnißkräfte eines endlichen Geiftes beftimt,
folche natürliche und ihm längft befante Begriffe zu würfen,
die aber als Metaphern eine geheime Bedeutung haben, die
derfelbe Geift natürlicher Weiſe nicht würde haben erfennen
fonnen. So find, die meiften geoffenbarten Wahrheiten,
offenbart worden. Gott hat, die befanten und natürlichen
93 Borftels
470 Die Öffenbarung Gottes,
Borftellungen von einem Vater, Sohn und Geift, in der
Seele der Apoftel erweckt, und durch fie, als durch uneis
gentliche Borftellungen, die Dreyeinigkeit offenbart. Wenn
nun Gott auf diefe erfte Art ſich z. E. einem Menfchen of⸗
fenbart bat, fo iſt nur, bey der erſten Hervorbringung dies
fer Erfentniß, ein Wunderwerf nöthig geweſen. Hernach
bat der Menfch, dieſe einmal erlangte Erkentniß, durd)
fein Gedaͤchtniß ganz natürlich ofte wiederum hervorbringen
fonnen; er hat diefe Erfentniß natürlicher Weife Flärer und
vollfommener machen, fie andern natürlicher Weiſe vortras
gen Fönnen, und andere Menfchen haben natürlicher Weife
eben diefelbe Erfentniß erlangen konnen. Widrigenfals
müßte Gott 3. E. die Vorftellung der Dreyeinigfeit, in
allen Ehriften durch ein Wunderwerf hervorbringen, und
zwar fo ofte, als fie an diefe Borftellung venfen. 2) Wenn
Gore übernatürlicher Weife, und durch ein Wundermerf,
gewiſſe Zeichen würflidy macht, welche die Menfchen natürs
licher Weife empfinden, und durd) die Betrachtung derfel-
ben natürlicher Weiſe ihre Bedeutungen erkennen, welche
die Wahrheit vorftellen, die Gott offenbart. Man feße
fid) in die Stelle Mofes, oder andrer Menfchen, zu denen
Gott geredet, Hier hat Gott nur durd ein Wunderwerf
Töne in der Luft würflich machen dürfen, übrigens ift alles
natürlich zugegangen. , Mofes hat diefe Worte blos natürs
lich gebört, und weil es Worte gewefen, die ihm befant
waren, fo bat er ganz natürlich ihre Bedeutungen erfant.
Eben fo verhält es ſich, mit der heiligen Schrift. Nach—
dem diefe Schrift durdy ein Wunderwerf einmal wuͤrklich
gemacht worden, müffen wir Menfchen bios natürlicher
Weife die Sprache derfelben leſen und verftehen lernen ;
mern wir in diefem Buche lefen, fo aefchieht es natürlicher
Weiſe; und es würde eine lächerliche Schwärmerey feyn
zu glauben, daß ein Menfch alles diefes natürlicher Weife
nicht thun koͤnte. Demohnerachtet fan und muß man be=
baupten, daß wenn ein Menfch natürlicher Weife ven Ber:
fand der heiligen Schrift eingefehen, diefe Einficht nicht
eber
Die Offenbarung Gottes. ar
eher zum Zwecke diefes Buchs zureiche, bis fie nicht durch
die übernatürliche Erleuchtung den Grad des Lebens befoms
men, durch welchen ver Menfch wiedergeboren wird. Es
ift in der That ein laͤcherlicher Irrthum, wenn mand)e Des
haupten, daß man die Bibel, ohne natürlichen Gebrauch
der Vernunft und anderer Erfentnißfräfte, leſen müffe,
Auf die Are dürfte nur ein Ungelehrter Gott um die Erleuch«
tung bitten, und das Hebräifche und Griechifche in der Bis
bel ftarre angaffen, fo fünte er eben fo wohl zur Einfiche
in den Berftand der ‘Bibel aelangen, als der befte Grieche
und Hebräer,
$. 1079.
Es fan von einem Weltweiſen gar nicht erwartet und
gefodert werden, daß er, die Würflichfeit einer überna«
türlihen Offenbarung Gottes, aus der bloffen Vernunft
erweife $. 462. Wir Fönnen hiernur dreyerley behaupten,
Einmal, es ift an und vor fich betrachtet möglich, daß Gore
ſich übernatürlicher Weife den Menſchen offenbare $. 415.
Zum andern, ift die übernatürlihe Offenbarung, auch in
Abficht der Allmacht Gottes, auf eine bedingte Art mög»
lich; oder Gott Fan, wenn er will, fich den Mienfchen, und
andern vernünftigen Greaturen, übernatürlicher Weiſe offens
baren $. 864. Und drittens ift fo viel gewiß, daß Gore
ſich würklich den Menfchen, und andern vernünftigen Crea⸗
turen, in der beften Welt übernatürlicher Weife offenbare,
wenn und fo ofte die böchften Abfichten der beiten Welt,
durch die bloffe natürliche Dffenbarung, nicht erreicht wers
den können, Denn diefe Welt ift eben die befte, weil das
durch die beften Zwecke, die Gore wuͤrklich zur Abficht ges
habt hat, ganz gewiß erreiche werden, Könten nun diefe
Zwecke, ohne übernatürlihe Dffenbarung, nicht erreicht
werden; fo wuͤrde dieſe Welt nicht die befte feyn, und Gore
würde feinen allerweifeften Plan entweder nicht ausführen
koͤnnen, oder nicht ausführen wollen, wenn er die überna«
türliche Offenbarung nicht wuͤrklich gemacht haͤtte. Und
wer kan das behaupten? Und da gibt es zwey Falle, in des
Gg 4 nen
472 Die Offenbarung Gottes.
nen die uͤbernatuͤrliche Offenbarung Gottes in der beften
Welt nicht nur nothmendig ift, fondern auch ganz gewiß
wuͤrklich gejchieht. 1) Wenn eine gewiſſe Erkentniß zu
den höchiten Abfichten Gottes, z. E. zur höchften Religion
und Gluͤckſeligkeit der Menfchen in der beften Welt, unente
behrlich it, dergeftalt, daß diefe Abfichten ohne diefer Erz
Fentniß nicht völlig erreicht werden fönnen, und dieſe Erfent:
niß iſt fo beichaffen, daß fie von den vernünftigen Ereatus
ren gar nicht natürlicher Weife erlangt werden Fan: fo muß
Gott, um ſeiner Weisheit und Güte willen, damit die
beite Welt erhalten werde, ein Wunderwerf thun, und
dieſe Erkentniß übernatürlich offenbaren 9. 459. Hieher
Fonnen wir, die Dffenbarung der Geheimniffe der chriftlis
chen Religion, rechnen. 2) Wenn eine gewiſſe Erkentniß
zu den höchiten Abfichten Gottes eben fo, wie in dem vor«
hergehenden alle, unentberlich erfodert wird, und fie Eonte
Zwar natürlicher Weiſe erlangt werden, aber nicht in demjes
nigen Grade der Vollfommenheit, als zu der Erreichung
der götclichen Abfichten erfodert wird, fo muß fie Gott übers
natürlich in der beiten Welt offenbaren $. 457. Und bieher
Fönnen wir wieder, zwey Betrachtungen, rechnen. Gin:
mal, es ift möglich, daß einige Menfchen, z. E. Welt
weiſe, blos natürlicher Weife eine hinreichende Erfentniß von
manchen göttlichen Wahrheiten, z. E. von der Allmacht
Gottes, erlangen, allein die allerwenigiten Menfchen find
dieier natürlichen Erkentniß fähig. Wie wenige haben fo
viel tiefiinnigen Verſtand, als zu der natürlichen Erkentniß
Diefer Wahrheiten erfodert wird ? Und Fönnen alle $eute von
groflem Beritande fo Funftmäßig ftudiren, daß fie Welt:
weite werden fönnen? Wenn wir alfo Feine übernatürliche
Offenbarung hätten, fo würden unendlich wenige Menfchen,
eine merfliche Erfentniß von Gott, erlangen. Ks hat
demmach Gott in der heiligen Schrift die ganze natürliche
Offenbarung übernatürlich offenbart, weil auf die Art uns
endlich viele Menfchen zu einer Erkentniß Gottes gelangen,
welche zwar einige Menfdyen natürlich erlangen ur,
aller⸗
Die Öffenbarung Gottes. 433
allermeiften aber würden in einer gänzlichen Unwiſſenheit
dieier Wahrheiten geblieben fevn. Zum andern Fan eine
Erkentniß durch die natürliche Drfenbarung erlangt werben,
allein es iſt möglich, daß fie Durch die übernatürliche Offen—
barung viel vollfommener wird, weitlauftiger, wichtiger,
richtiger, klaͤrer, gewiller und lebendiger, z. E. die Lehre
von der Sünde $ 1052. Tin allen diefen angeführten Fäls
len mug Gott, um feiner Güte und Weisheit willen, eine
übernatürliche ffenbar ung würflid) machen. Wenn ein
Freygeiſt auf eine vernünftige Art beweifen will, daß es
feine übernatürliche Offenbarung Gottes gebe: fe muß er
darthun, daß Diele angeführten Fälle ſich in der beften Welt
gar nicht zutragen. Und meines Wiffens hat, noch Fein
Feind der uͤbernatuͤrlichen Neligion, diefen Beweis mit eini=
ger Wahrjcheinlich£eit geführt. Sind die Freygeifter alfo
wol fuͤrchterliche Feinde der übernatürlichen Offenbarung ?
Im Gegentheil müffen auch die Goftesgelehrten, wenn fie
die Nothwendigkeit einee übernatürlichen Dffenbarung ers
weiſen wollen, wenigſtens wahrfcyeinlich und mit einer mo»
ralifchen Gewißheit darthun, daß die angezeigten Fälle in
der That ſich würflich zutragen. Mit einer völligen Ges
wißheit Fan freylich diefer Beweis, aus der Vernunft, nicht
gerührt werden $. 462. Allein es ift hinlaͤnglich, wenn
er nur mit einer moralifhen Gewißheit geführt wird. Und
wenn man, den Beweis der Nothwendigkeit der übernatürs
lichen Offenbarung, nicht einmal zu einer moralifcyen Ge:
wißheit und überwiegenden Wahrfcheinlichfeit bringen kan;
fo ift es befler, man wagt ihn gar nicht. Ein ſolcher Be-
weis mag hernach mit noch ſo viel andaͤchtigen Seufzern,
über die Blindheit der Vernunft, und über das menfchliche
Verderben, durchwebt werden, er bleibt doch ein elender
Beweis, der Feine wahre Ueberzeugung würft, und der
nur den Naturaliften einen Vorwand verfchaft, bie uͤber⸗
natürliche Offenbarung mit einigem Scheine zu verwerfen,
weil fie im Stande find, einen fo fehlechten Beweis über
den Haufen zu werfen,
Gg5 6.1080.
474 Die Öffenbarung Gottes:
$. 1080,
Die dritte Art der göttlichen Offenbarung ift die Of⸗
fenbarung im engften Verftande, welche man auch
allemal im Sinne hat, wenn man von einer Dffenbarung
ſchlechtweg redet, als z. E. wenn man fagt, man koͤnne
etwas aus der Vernunft und Offenbarung beweifen, Es
beftehe diefelbe in der übernatürlihen Offenbarung folcher
Sachen und Wahrheiten, welche von den Creaturen natür-
licher Weife gar nicht erfant werden koͤnnen, z. E. die Ofe
fenbarung der Schöpfungshiftorie, der Geheimniffe der
hriftlihen Religion u. fe w, Obgleich die Creaturen
folhe Wahrheiten, wenn fie einmal offenbart worden, na«
türlicher Weiſe weiter unterfuchen, fid) ihrer erinnern, von
denenjenigen natürlich Iernen Fönnen, denen fie offenbart
worden, fie natürlicher Weife deutlicher machen, und auf
mannigfaltige Art gebrauchen und anwenden Fönnen: fo
würden fie Doc) ewig unter den Menſchen, und andern ver⸗
nünftigen Creaturen, unbefant geblieben feyn, und bleiben .
müffen, wenn fie Gott nicht irgends auf eine Art überna«
türlich befantgemacht hätte Go unterfcheiden, die Got—
tesgelehrten, die Eingebung von der Offenbarung. Sie
ſagen, alles in der heiligen Schrift iſt den Berfaflern ein«
gegeben, oder imengern Berftande offenbart worden; allein
es ift ihnen nicht alles offenbart worden, das ift, nicht im
engften Berftande; weil die wenigften Wahrheiten in der
heiligen Schrift folhe Wahrheiten find, welche die Mena
ſchen natürlicher Weife gar nicht zu erfennen im Stande ges
weſen. Dun erhellet aus dem erften indem vorhergehenden
Abfage angeführten Falle, wenn eine ſolche Dffenbarung im
engften Berftande in der beften Welt möglicdy, nothwendig
und würklich ift. Und es ift aus diefem Abſatze zugleich
klar, was die Feinde und Freunde diefer Dffenbarung erz
weiſen müffen, wenn fie Diefelbe entiweder auf eine vera
Ständige Art widerlegen, oder ihre Nothwendigkeit erweifen
wollen.
$. 1081.
Die Offenbarung Gottes. 478
$. 1081.
Da fo viele Schriften und mündliche Ueberlieferun-
gen unter den Menfchen angetroffen werden, welche für
übernatürlihe Dffenbarungen Gottes gehalten werden; fo
muß es gewiſſe Kennzeichen der wahren und Achten, und
der erlogenen übernatürlichen Dffenbarungen geben, wodurch
man fie von einander unterfcheiden fan. Diefe Kennzeichen
müffen dergeftalt befchaffen fenn, daß eine iedwede Dffen«
barung übernatürlich ift, welche dieſelben an fich bat, und
Daß eine iedwede Dffenbarung falfch und erdichter ift, bey
welcher man das Gegentheil derfelben antrift. Der wahren
Weltweisheit und gefunden Vernunft fomt es zu, dieſe
Kennzeichen feftzufegen. Und da haben wir ſchon in dem
vorhergehenden $. 1079. eriwiefen: daß, eine wahre über«
natürliche Offenbarung Gottes, die höchften Zwecke Gottes,
die höchfte Religion und Gfückfeligkeit der Menfchen, in eis
nem höhern Grade befördern muß, als die bloß natürliche;
indem fie entweder zu diefen Abfichten unentbehrliche Wahr«
heiten entdeckt, die natürlicher Weife unbefant find, oder
indem fie eine ausführlichere, gröffere, richtigere, Elärere, ge—
wiffere und lebendigere Erfentniß diefer Wahrheiten vers
ſchaft, als die bloß natürliche Dffenbarung. Wenn nun
im Öegentheil, eine dafür gehaltene übernatürliche Dffenbas
rung, diefe Beichaffenheit nicht hat: wenn fie die höchfte
Religion und Gtücfeligkeit der Menfchen nicht in einem hoͤ—
bern Grade befördert, als die bloß natürliche Offenbarung;
wenn fie entweder gar Feine zu diefen Abfichten nöthigen
Wahrheiten entdeckt, die natürlicher Weife von den Ereas
turen nicht erfant werden Fönnen, oder wenn fie feine aus—
führlichere, gröffere, richtigere, Elärere, gemiflere und leben
digere Erkentniß Gottes verfchaft, als die natürliche Dffens
barung: fo ift nicht der allergeringfte Grund vorhanden,
warum man fie für eine wahre übernatürliche Offenbarung
halten koͤnte. Was natürlicher Weiſe eben fo gut erhalten
werden Fan, als übernatürlicher Weife, das gefchiebt in Dies
fer Welt durch Fein Wunderwerk S, 461, Folglich ift es,
der
476 Die Offenbarung Gottes.
der Weisheit und höchften Vollkommenheit Gottes, zuwider,
eine folche Dffenbarung für übernatürlic) zu halten. Man
nehme, das apoernphifche Buch Tobias, bier zum Bey»
fpiele an. Wenn man aud) die Irrthuͤmer, und die aber
gläubifhen und feltfamen Erdichtungen, welche in demfels
ben enthalten find, nicht in ‘Betrachtung ziehen wolte, fo
Fan man doch unmöglich zeigen, daß ohne diefem Bud)e die
übernatürliche Religion nicht eben fo vollfommen feyn wuͤr⸗
de, als fie ift, und es entdeckt weder nöthige Wahrheiten,
noch gibt es ihnen ein gröfferes Sicht, und eine groͤſſere Ges
wißheit. Es wird alfo mit Recht, für feinen Theil der
übernatürlihen Dffenbarung, gehalten.
S. 1082.
Es ift ein untrügliches Kennzeichen, ohne welchem
eine Offenbarung unmöglich übernatürlid) feyn Fan, daß fie
nemlich der natürlihen Dffenbarung, und der gefunden
Vernunft, nicht widerfprechen muß. Denn die wahre na=
türliche Dffenbarung ftamt von Gott her, und macht uns
die Sinnes- und Willensmeinung Gottes befant $. 1073.
Die übernatürliche Offenbarung muß diefes ebenfals thun
6. 1077. Wenn num diefe jener widerfpräche, fo müßte
in der Sinnes- und Willensmeinung Gottes ein Wider«
fpruch feyn: er müßte eine und eben diefelbe Sache für
wahr und für falſch halten, er müßte eine und eben diefelbe
Sache befchlieffen und nicht befchlieffen, wollen und nicht
wollen. Da nun diefes unmoͤglich ift: fo fan, die wahre
übernatürliche Offenbarung, der natürlichen Offenbarung,
den natürlich befanten Wahrheiten, und der gefunden Ber.
nunft, nicht widerfprechen. Und was denenfelben wider
fpriht, das Fan weder eine göttliche Dffenbarung im engern,
noch im engften Verftande fern $. 1077. 1080. Wenn
wir alfo in einem Buche foldye Widerfprüche finden, wo—
durch die natürliche Dffenbarung und die gefunde Vernunft
über den Haufen geworfen werden würden, fo it es ein uns
srügliches Kennzeichen, daß daſſelbe feine übernatürliche
Dffenbarung feyn koͤnne. Was in dem Buche Tobias von
dem
Die Offenbarung Bottes. 477
dem Eheteufel, und deffen Vertreibung durd) eine Fifchles
ber, gemeldet wird, ift fo offenbar: der gefunden Vernunft
zumider, daß diefes Buch unleugbar feine übernatürliche
Dffenbarung feyn fan. Wir Eonnen freylich nicht fchlieffen,
was ber natürlichen Dffenbarung, ven natürlich befanten
Wahrheiten, und der gefunden Vernunft, nicht wider.
fpricht, das ift eine übernatürlicye Offenbarung: denn fonjt
müßte, manches philoſophiſche Buch, eine übernatürliche
Dffenbarung fenn. Sondern fo Fan man ſchlieſſen: was
voll ſolcher Widerfprüche ift, oder was der natürlichen Of⸗
fenbarung und der gefunden Bernunft mwiderfpricht, das
Fan unmöglich eine übernatürliche Dffenbarung feyn. Nur
muß man freylich, die wahre natürliche Offenbarung, und
die gefunde Vernunft, zum Probierfteine annehmen, Ein
ieder Menſch hält feine eigene natürliche Erfentniß von Gott,
wenn fie gleic) voller Irrthuͤmer ift, für die narürliche Dfe
fenbarung, und feine eigenen Vernunftſchluͤſſe, wenn
fie auch) noch) fo falfch find, für die Vernunft. Folglich ift
es fo gar nothwendig, und ein Vortheil der übernatürlichen
Dffenbarung, daß fie der falfchen natürlichen Offenbarung
und der verdorbenen Vernunft widerfpricyt; indem fie eben
dadurch ein Hülfsmittel wird, die natürliche Offenbarung,
die Vernunft und die Weltweisheit zu verbeffern. Allein
der wahren natürlichen Offenbarung, der gefunden Ver—
nunft, und denen durch fie natürlich erfanten Wahrheiten,
Fan die wahre übernatürliche Dffenbarung nicht widerjpres
chen. Widrigenfals müßte fie unvernünftige, ungereimte
Jerthuͤmer enthalten, wodurch Gott in der That dasjenige
widerlegen würde, was er in der natiftlichen Offenbarung
fefttgefeßt hat. Ja wenn ein Irrthum ung unübermindlic)
und unfchädlich wäre, fo koͤnte man eg mit der Aufrichtig«
Feit Gottes wohl zufammenreimen, daß er denfelben in der
üdernatürlihen Offenbarung zugelaſſen $. 966. Allein
mir reben bier von Irrthuͤmern, die der gefunden Vernunft
zuwider find, und deren Unrichtigfeit wir alfo durch unfere
Bernunft einfehen Eounen, Folglich würde Gott ungütig
gegen
478 Die Offenbarung Gottes.
gegen uns gehandelt haben, wenn er uns erftlich eine Wahr
heit, durch die gefunde Vernunft, offenbarf, und uns in
den Stand gefegt hätte, fie einzufehen, und er hätte derfels
ben, in der übernatürlichen Offenbarung, mwiderfprechen wol⸗
len. Indem es uns unmöglid) ift, daß wir zwey wider
fprechende Säge zugleich für wahr halten folten: fo hätte
uns Gott in die Nothwendigkeit gefegt, entweder der geſun⸗
den Vernunft zu entfagen, oder feine übernatürliche Dffen«
barung zu verwerfen. Und beydes ift unfrer höchften Glück:
feligfeit und der Religion zuwider, indem wir ohne geſun—
de Bernunft gar nicht glückfelig werden, und die Religion
ausüben Fönnen, und, wenn eine übernatürliche Dffenbas
rung wuͤrklich ift, diefelbe ebenfals zu diefen Zwece unent—
behrlich iſt. Hieraus ift alfo Elar, daß die gefunde Vers
nunft und Weltweisheit, bey der uͤbernatuͤrlichen Dffenba«
zung, allerdings viel zu fprechen haben, ie müffen die—
felbe prüfen, und fie find berechtiger, fie aliobald zu ver-
werfen, wenn fie ihnen widerfpricht. Folglich find fie Die
rechtmäßigen Richter der übernatürlichen Offenbarung, mels
che unterfuchen müffen, ob fie aͤcht, oder erlogen und unters
gefchoben ift,
$. 1083.
Wenn man von der übernatürlihen Offenbarung res
def, fo bedient man ſich auch zu gleicyer Zeit des Worts
Ölauben, und wir wollen diefen Glauben, zum Unterfchiede
der übrigen Arten des Glaubens, den theologifchen nennen,
Aus der Vernunftlehre ift bekant, daß der Glaube überhaupt
der Beyfall fen, den wir einer Sache und Wahrheit um
des Anfehens eines Zeugen willen geben. Oder wenn ie
mand verfichere, daß etwas wahr fen, und er fteht bey ung
in einem fo geoffen Anſehen, daß wir es auch um feiner
Berfiherung, oder um feines Zeugniffes willen, für wahr
halten, wir mögen nun übrigens noch andere Gründe der
Wahrheit deffelben erfennen, oder nicht, fo glauben wir diefe
Sache. Nun fan die ganze übernatürliche Offenbarung
mit Recht, als ein Zeugniß Gottes von allen den Sachen
und
Die Offenbarung Gottes, 479
und Wahrheiten, angefehen werden, welche er in und durch
diefelbe offenbart hat. Folglich ift der Beyfall, den wir
der übernatürlihen Offenbarung geben, und durch welchen
wir fie, und alles was fie verfichert, als wahr annehmen,
der theologifche Glaube, wenn man ihn als eine Hand»
lung unferes Verftandes, oder fubjective betrachte, Man
nimt aber das Wort auch ofte fo, Daß man Darunter den
Gegenſtand diefes Glaubens verfteht, oder den Inbegrif ale
Jer derjenigen Sachen und Wahrheiten, dieman, um ver
Verſicherung der übernatürlicyen Dffenbarung willen, für
wahr halten muß, und das wollen wir die theologifchen
Glaubenswahrheiten, oder Glaubensſachen nennen,
Da nun, in der übernatürlichen Offenbarung Gottes,
theils folche Wahrheiten enthalten feyn koͤnnen, die natuͤrli—
cher Weife von den Creaturen nicht erfant werden Eönnen,
theils aber aud) folche, die zwar von den Creafuren natürlis
cher Weife erfant werden fünnen, aber nicht auf. eine fo
vollfommene Art, als es durch Hülfe der übernatürlichen
Dffenbarung gefchieht: $. 1079. fo ift nicht eine iedwede
theologifche Glaubenswahrheit fo befhaffen, daß fie von
den Menfchen gar nicht natürlic) erfant werden fan. Oder
es Eönnen viele Wahrheiten feyn, welche mit Recht zum
theologifchen Glauben gerechnet werden, und die demohn—
erachtet auch natürlicher Weife erfant werden Fönnen. Diefe
Wahrheiten find Glaubenswahrheiten, in fo ferne fie, um
der Berficherung der übernatürlichen Offenbarung willen,
angenommen, und Durch biefelbe erfanf werden. Sie find
aber auch zugleich natürlich befante Wahrheiten, philoſo—
phifche Wahrheiten, u. f. w. in fo ferne fie, Durch) die blofs
fen Kräfte unferer gefunden Vernunft, koͤnnen erfant wer—
den. Man muß diefes legte wohl bemerken wider diejeni—
gen, einmal, weldye an der GörtlichFeit der heiligen Schrift,
und an ihrer Eingebung von Gott, zweifeln, meil das
meifte in derfelben natürlicher Weile unter den Menfchen
bekant geweſen iſt. Das it fein zulänglicher Grund zu bes
baupten, ‚daß diefe Sachen nicht übernatürlich offenbart
vor“
480 Die Offenbarung Gottes,
worden. Zum andern auch wider diejenigen, welche es
£adeln, und unter dem verhaßten Namen des Bernünfteins,
und eines nafeweifen Mißbrauchs der Vernunft, vermers
fen, wenn vernünftige Gottesgelehrte, die theologifchen
Ötaubenslehren, auch aus der Vernunft und Weltweisheit
zu erklären und zu erweifen fuchen, das feßte ift fehr nuͤtzlich,
weil man alsdenn überzeugt wird, daß Gott eine foldye Lehre
zweymal offenbart babe,
$. 1084.
MWeil es unmöglich iſt, daß die übernatürliche Offen—
barung der gefunden Vernunft widerfprechen ſolte $. 1082.
fo fan auch Feine theologifche Glaubenswahrheit, einer nas
türlich befanten Wahrheit, widerfprechen $. 1083. Denn
unter zwey einander widerfprechenden $ehren und Sachen
ift die eine wahr, und die andere ift falfh. Nenn alfo,
eine theologifche Glaubenswahrheit, einer natürlich befans
ten Wahrheit widerfpräche, fo ift es unmöglid), daß bende
zugleich Wahrheiten feyn folten. Alsdenn müßte entweder
die natürlich befante Wahrheit Feine Wahrheit feyn, over
die Glaubenswahrheit Fan feine Wahrheit fenn. In dem
Reiche der Wahrheit felbft, welches alle mögliche Wahrs
beiten in fich begreift, Fan unmöglih ein Widerfpruch ans
getroffen werden. - Allein weil wir Menfchen niemals beur-
theilen koͤnnen, ob gewiſſe Säße, Lehren oder Sachen, eine
ander widerfprechen oder nicht widerfprechen, als in fo ferne
wir fie uns vorftellen: fo wird dadurch die Unterſuchung,
ob Vernunft und Glaube einander widerfprechen,, in gewiß
fen Fällen fehr fehwer. So wie ſich viele Leute die natuͤr—
lichen Wahrheiten durch ihre Vernunft, und die Glaubens.
mahrheiten durd) ihren theologifchen Glauben, voritellen,
ift unter denfelben ein fehr ftarfer Widerfpruh. Denn
wenn die Vernunft eines Menfchen verdorben ift, und fal«
ſche Dinge als Vernunftwahrbeiten annimt, oder diefe
Wahrheiten unrichtig fich vorftelt, fo muß fie frenlich dem
wahren theologifchen Glauben ofte ins Angefiht wider:
ſprechen koͤnnen. So Fommen in der falfchen NBeltweisheit
viele
— —
Die Offenbarung Gottes. 481
viele Saͤtze vor, welche der heiligen Schrift widerſprechen.
Allein alsdenn muß man nicht ſagen, daß die geſunde Vers
nunft der heiligen Schrift widerfpreche; fondern daß die
Unvernunft, die verdorbene Vernunft, die Afterweltweis-
heit der heiligen Schrift widerfpreche. _ Und das fan un—
möglich ein Beweis ihrer Unrichtigkeie feyn, weil ein fo dums
mer Feind ihr widerfprihe, Möchten doch nur die Frey»
geifter erjt beweifen, daß ihre Vernunft gefund, und ihre
Weltweisheit richtig fen! Allein Stolz und Eigenliebe beres
den einen Menfchen, Diefes allemal als ausgemacht voraus.
zufegen. Ein ieder, der an die gefunde Vernunft appels
lirt, appellive blos an feine eigene, Ein ſchoͤner Oberrich-
ter! Auf der andern Seite fan, der theölogifche Glaube
mancher $eute, ein falfcher Glaube, ein Aberglaube feyn,
indem fie entweder eine erlogene Dffenbarung für die überna=
türliche halten, oder die Zeugniffe der wahren uͤbernatuͤrli—
chen Offenbarung unrecht erflären und verſtehen. Und die»
fer Aberglaube fan, der gefunden Vernunft, ‚allerdings
widerfprechen. Eigenliebe und Stolz bereden auch bier
Türken, Juden, Heyden und Ehriften, daß fie ihr Glau—
benslehrgebäude, fo wie fie es annehmen, für das wahre
halten, Und fie verwerfen daher alle Säge der Weltweis«
beit, welche demſelben miderfprechen. Es ift nicht zu vers
muthen, daß, vor der Wiederbringung aller Dinge, diefer
Streit zwifchen Vernunft und Glauben aufhören wird;
denn bis dahin wird es immer verdorbene Vernunft, und
Aberglauben unter den Menfchen geben. Allein der ächte
theologifche Glaube, und die gefunde Vernunft, koͤnnen
einander unmöglid) widerſprechen; fondern fie ftimmen mit
einander aufs richtigfte überein, weil Gore ihr gemeinfchafte
licher Bater ift,
6. 1085.
Es ift eine berühmte Trage: ob bie übernatürliche
Hfenbarung Dinge enthalten könne, welche wider die Bers
nunft oder unvernünftig find? Bayle bat diefes in den
4. Theil, Hh Neu:
482 Die Öffenbarung Gottes,
neuern Zeiten zu behaupten gefucht, und $eibnig hat deut⸗
lich gerviefen, Daß man dasjenige, mas wider die Vernunft
ift, von demjenigen unterfcheiden müffe, was über diefelbe
geht. Was wider die Vernunft ift, und was wir Mens
ſchen dafür erfennen, das ift, nach unferer wahren Ueber⸗
zeugung, unmöglich und ungereimt $. 638. Folglich fan,
die übernatürliche Dffenbarung, und der theofogifche Glaube;
nichts enthalten, was wider die Vernunft ft $. 108%
1083. Und dasjenige, wovon wir Menfchen richtig erken—
nen, daß es wider die Vernunft iſt, das Fan unmöglid)
eine übernatürliche Offenbarung ſeyn, nicht einmal im enge
ſten Verftande, So koͤnnen wir richtig erweifen, daß die
Transfubftantiation widerfprechend und unvernünftig ſey.
Folglich Fan fie unmöglid) in der heiligen Schrift enthalten
ſeyn, und wenn fiein einer Stelle derfelben enthalten wärg,
fo wäre diefelbe Stelfe gewiß untergefchoben. Allein was
über unfere Vernunft, ja über die Vernunft aller endlichen
Geifter, ‘geht, das it deswegen doch moͤglich und wahr, nur
wir Eönnen eg natürlicher Weife nicht erfennen und verftes
ben S. 639. Su einer iedweden Offenbarung im engſten
Verſtande find Dinge, welche wir natürlicher Weife nicht
erkennen koͤnnen, enthalten $. 108% Folglich enthält
diefe Offenbarung Sachen und Wahrheiten, welche über
die Vernunft der Ereafuren, und infonderbeit der Menfchen,
erhoͤhet find. Und hieher gehören die cheologifchen Bes
beimniffe, oder dasjenige in den Ölaubensfachen, mas
über die Vernunft der Menfchen erhöbet iſt, oder was uns
unbeoreiflich ift. Es gibt auch fonft Geheimniſſe z. E. in
der Maturlehre, indem wir alles fo zu nennen pflegen, was
wir wuͤrklich nicht begreifen, und nicht begreifen koͤnnen. Man
fan auch, durch ein theologifches Geheimniß, eine Sache ver«
ftehen, welche uns Menſchen fo lange unbefant geblieben, bis
fie übernatürlich offenbart worden, und welche mir niemals
wuͤrden haben erkennen fonnen, wenn fie ung nicht wäre
übernatürlich offenbart worden. Es gibt alfo, eine dops
pelte Art der theologiſchen Geheimnifie. Einmal folche,
Die
Die Offenbarung Gottes. 483
die uns unmöglich anders, als durch die übernatürlihe Of
fenbarung, haben befant werden koͤnnen; und zum andern
folhe, die noch dazu uns unbegreiflich bleiben, wenn fie
uns auch übernatürlich befantgemacht worden. Es Ean
demnach theologiſche Geheimniffe geben, die wir mit unfe:
rer Bernunft begreifen koͤnnen, nachdem fie uns übernatürs
lich befantgemadhe worden, Wenn es alfo eine Offenba-
barung im engften Berftande gibt, fomuß fie thestogifche
Geheimniffe enthalten. Alle Gebeimniffe find nur bezie«
hungsweiſe Geheimniffe, nemlich in Abfiche der Creaturen,
über deren Bernunft fie erhöbet find, Und es gibt gar Feine
Geheimniſſe, die fhlechterdings unbegreifli wären, und
nicht einmal von Gottes Vernunft begriffen werden Fönten
6. 629. Es ift alfo wenigftens eine unbedachtfame Re—
densart, wenn manche, aus einer blinden Hochadjtung der
theologifchen Geheimniſſe, um fie recht verehrungsmürdig
zu machen, fagen, daß fie ganz unbegreiflich wären: denn
das heift fo viel, als fie für unmögliche und ungereimte Sa:
chen ausgeben. Und eben fo wenig muß man fagen, daß
die theologifchen Geheimnifje wider die Vernunft find, ob
fie gleich über die Vernunft gehen; indem mir fie entweder,
Durch unfere Vernunft, ohne übernatürliche Offenbarung,
gar nicht würden haben erfennen fünnen, oder nicht begreis
fen koͤnnen, wenn fie uns auch gleich uͤbernatuͤrlich offenbart
worden,
8. 1086
Diefe Materie verdient, um der Feinde der chriftlis
chen Religion willen, noch eine weitere Erläuterung. Man
bat den Saß angenommen: daß man die Vernunft gefana
gen nehmen muͤſſe unter den Geherſam des Ölaubens, und
man fan ihn auf eine doppelte Art erflären, 1) Wenn
auch die Vernunft klar und beurlich einfehen fönne, daß
etivas ungereimt, falfch und unvernünftig fey, ſo muͤſſe man
es demohnerachtet durch den Glauben blindlings für wahr
halten, und der Bernunft fehlechterdings ein Stillſchweigen
ba aufs
484 Die Öffenbarung Gottes,
auflegen, und ihr gebieten, daß fie nicht weiter wider eine
ſolche Glaubenslehre muchfen ſolle. Dieſe Erklärung bat
der ſchalkhafte Bayle angenommen, und ohne Zweifel wi:
der feine wahre Meinung gefagt, daß dadurch der Glaube
vecht verebrungswürdig gemadyt werde, Er fagt, die
chriftliche Religion werde allemal, wenn fie ſich auf freyem
Felde in ein Gefecht mit der gefunden Vernunft einlaffe, ges
fchlagen, weil diefe ihre Lngereimtheit offenbar darthun
könne. Allein alsdenn muͤſſe ſich die chriſtliche Religion,
unter die Canonen des Glaubens, ziehen, und da fey fie
vor den Anfällen der Vernunft ſicher. Es gäbe alfo eine
doppelte Wahrheit, eine Wahrheit der Vernunft und des
Glaubens, die einander widerfprechen. Allein ein ieder
Berftändiger fieht, daß diefe Erklärung falſch und hoͤchſt
unvernünftig fey. Das heift in der That die übernatürliche
Keligion leugnen, und es ift unfinnig zu fodern, daß wir
etwas für wahr halten follen, deſſen Ungereimtbeit wir
durch unfere Vernunft einfehen fonnen. Und auf die Art
Ean, aller Aberglaube, vertheidiget werden. Der Papift
fan fagen, es ift wahr, nad) der Vernunft ift die Trans»
fubtantiation offenbar ungereimt; allein ich ziehe mich uns
ter die Canonen des Glaubens zuruͤck, und der befiehle uns,
fie zu glauben, Auf die Art koͤnnen, alle Lingereimtbeis
ten alter falfchen Neligionen, vertheidiget werden, 2) Wenn
in der übernatürlihen Dffenbarung Sachen und Wahrheis
ten vorkommen, die nicht wider aber über die Vernunft
find, fo muß man fie deswegen nicht verwerfen, ſondern
durch den Glauben annehmen, . Das ift eine vernünftige
Kegel, indem eg hoͤchſt unvernünftig ift, alles dasjenige
zu leugnen, was über unfere DBernunft geht. Folglich
muß ein vernünftiger Chriſt ſich bemühen, alles in der hei—
ligen Schrift entweder durch feine Vernunft einzufeben,
und deutlich zu erfennen, daß es möglich und wahr ift;
oder er muß ſich wenigftens bemühen, deutlich zu erkennen,
daß es feinen Widerfprud) in fich enthalte, Und wenn er
aud) in dem legten Falle nicht deutlich einfehen folte, daß
es
Die Offenbarung Gottes. 485
es möglich fen, fo muß er doch aus Gehorſam gegen den
theologifchen Ölauben ihm Beyfall geben.
§. 10897
Aus den bisherigen Betrachtungen Fan man fich, von
dem Verhaͤltniſſe der natürlichen Dffenbarung gegen die
übernatürliche, der gefunden Vernunft gegen den theologis
fihen Glauben, und der Weltroeisheit gegen die geoffenbarte
Gottesgelahrheit, eine Vorſtellung machen, die fehr frucht⸗
bar iſt. Die natürliche Offenbarung nemlich enthält alle
Wahrheicen von Gott und andern Dingen in ſich, die wir
natürlicher Weife erlangen, und die wir zu unferer böchften
Gluͤckſeligkeit zu wiſſen nöthig haben. Diefe Erkentniß
wird durch die geſunde Vernunft erlangt, und in der Welt—
weisheit wird ſie dergeſtalt verbeſſert, daß ſie nicht nur zu
einer gelehrten Erkentniß erhaben wird, ſondern daß auch
diejenigen, welche fie beſitzen, eine vorzuͤgliche Geſchicklich—
feit dadurch erhalten, die natürliche Dffenbarung Gottes
unter den Menfchen, durch einen mündlichen und fchrifte
lichen‘ Vortrag, auszubreiten. Wahre Weltweife find
. dernnad) die Prediger der natürlichen Dffenbarung, und die
Apoftel, die Gott in die Welt gefande bat, um diefe Offen
barung unter den Menfchen auszubreiten. Die übernas
türliche Dffenbarung enthält eheils Wahrheiten, die in der
natürlichen fehlen, theils gibt fie die natuͤrlich befanten
Wahrheiten beffer zu erfennen, und fügt alfo dasjenige zu
der natürlichen hinzu, was ihr fehle, und ohne welchem fie
die höchfte Abficht Gottes nicht erreichen Fan. Die übers
natürlihe Offenbarung ift alfo der Zufaß, welcher zu der
natürlichen hinzufommen muß, damit durch fie zufammen«
genommen, die höchfte Neligion und Glücfeligkeit der Men—
fhen, befördert werde, welche in der beften Welt, und um
der höchften Güte und Weisheit Gottes willen, nöthig find,
Der theologiſche Glaube erfent diefen Zufaß, und nimt ihn
an, und er ift alfo eine Ergänzung der gefunden Bernunft,
Und diefer Glaube wird in der geoffenbarten Gottesgelahr⸗
Hh 3 heit
486 Die Offenbarung Gottes.
heit dergeftalt verbefiert, daß er eine gelehrte Erfentnig
wird. Diefe Erfentniß folten die Prediger der geoffenbars
ten Religion befigen, damit fie, als wahre Apoftel, deſto
geſchickter wären, bie übernatürtihe Offenbarung, durch
einen geſchickten mündlichen und fohriftlichen Vertrag, untee
den Menſchen auszubreiten und zu befördern. Wie unfins
nig und lächerlich ift es nicht, wenn beyde Arten der Apos
fiel, da fie von einem Dberheren zu einerley Abficht gefande
und berufen find, einander anfeinden, einander ihren Beruf
fireitig machen, und einander den Mund ftopfen, und ein
Stillſchweigen auflegen wollen! Ohne Zweifel find diejenis
gen, welche diefes thun, falfche Apoftel, fie mögen nun
entweder vorgeben, daß fie Die wahre natürliche, oder die
wahre übernatürtiche Offenbarung predigen,
6. 1088.
Da Gott nun ganz gewiß ſich allen vernünftigen
Creaturen natürlich offenbart bat 6. 1073. 1074. 1075.
und aljo feine Sinnes- und Willensmeinung durch Zeichen
befantgemacht hat $, 1072. fo Hat er daben, mit der ala
lervollkommenſten Aufrichtigkeit, gehandelt $. 966, Und
alle Offenbarung Gottes ift ein Stück feiner Vorſehung,
weil er dadurch für die Gluͤckſeligkeit der vernünftigen Crea⸗
£uren forget, und feine Zwecke nach und nad) unter denfela
ben befördert $. 1016. Wenn alfo Feine Borfehung Got—
tes wäre, fo gäbe es auch feine Dffenbarung Gottes. Und
eben fo muß man auch, von der übernatürlichen Dffenba«
zung ©ottes, urteilen. Wenn e8 eine folche Dffenba«
rung gibt, die durch Worte, durch eine muͤndliche oder ge—
fihriebene Rede, gefchehen ift, fo ift Gott in derfelben im
böchften Grade wahrhaftig $. 967. Er verhält fi in
Der übernatürlichen Offenbarung als ein Zeuge, indem er
feine Sinnes- und Willensmeinung für wahr ausgibt, das
mit fie diejenigen vernünftigen Creaturen fir wahr halten
und glauben, denen er fich dergeftalt offenbart. Nun ift
Gott fhlechterdings untruͤglich, und weis die A
aufs
Die Offenbarung Gottes. 487
aufs vollfommenfte $. 899. Folglich befist er die Tuͤch—
tigkeit eines Zeugen im böchften Grade, und da er nun. zus
gleich der aufrichtigfte und wahrbaftigfte Zeuge ift, fo Fan
man dasjenige mit der gröften Gewißheit und Zuverfiche
glauben, was er gefage und offenbart bat, Jederman weis
aus der DBernunftlehre, daß zu der Gewißheit des Glau«
bens, oder wenn man mit Vernunft und Gemißheit etwas
glauben will, nichts weiter nötbig fen, als daß man von
der Glaubwürdigkeit der Zeugen, von ihrer Tuͤchtigkeit und
Aufrichtigkeit, genungfam überzeugt fen. Da alle Mens
fhen irren und betrügen Fönnen, fo Fan man von feinem
menfhlihen Zeugen unumftöglich darthun, daß er tüchtig
und aufrichtig ſey. Allein von Gore ift diefes unumſtoͤßlich
gewiß, und alfo verurfachen, die göttlichen Zeugnifle, eine
unumſtoͤßliche und mathematifcye Gewißheit. Wenn alfo
‚ein Gottes gelehrter eine Glaubenewahrbeit erweifen will, fo
iſt es nicht nöthig, fie aus den innerlichen Kennzeichen
der Wahrheit herzuleiten. Sondern er darf nur, erftlich,
beweifen, daß ein theologifcher Satz in einer canonifchen
Stelle der heifigen Schrift enthalten fey; und zum andern,
Daß er ihn recht, nach) den Kegeln einer vernünftigen Aus—
legungskunſt, verftanden habe, Alsdenn Fan er mit Zuvers
ficht fagen, daß er wahr fey.
$. 1089.
Ein Naturalift leugnet überhaupt, alle übernatürliche
Begebenheiten in der Welt $. 464. Da nun die übernas
türliche Offenbarung eine übernatürliche Begebenheit iſt, fo
leugnet er auch diefe Dffenbarung, und da wird ev in dieſer
Abfiche ein Naturaliſt im engern Verſtande genent,
Derjenige ift noch Fein Naturalift im engern Verſtande,
welcher etwa feugnet, daß diefes oder jenes Buch in der
Bibel nicht canonifch fen; oder daß die Bibel nicht fo von
Gott eingegeben ſey, wie es manche annehmen; oder dafs
diefe oder jene chriftliche Lehre falfch fey, weil man feiner
Meinung nad) die Bibel unrecht verſteht; oder daß eine
94 Lehre
—
488 Die Offenbarung Gottes,
Lehre ein Geheimniß ſey, ob man fie gleich. dafür hält,
Ja es fan iemand leugnen z. E. ein Heyde, daß die Bi—
bei Gottes Wort fen, und er ift demohnerachtet Fein Na—
turaliſt. Derjenige ift ein Naturalift im engern Beritans
de, welcher behauptet, daß gar Feine übernatürlihe Offen
barung Gottes geſchehen fey, und daß alfo weder die Bibel,
noch der Alcoran, noch irgends ein anderes Bud, die übers
natürliche Offenbarung Gottes enthalte, Ich habe fchon
in der Cofmologie $.:464:470. das Lehrgebäude der Pas
turaliſten hinlänglich. beurtheilt, in fo weit. es philofophifch
beurtheilt werden fan. Und wenn ein Maturalift deswegen
die übernatürliche Offenbarung verwirft, meil er meint, daß
alles, was in der “Bibel auffer den natürlich befanten Wahr—
heiten vorfomt, unvernünftig fey, und. wider Die gefunde
Vernunft laufe: fo Eönnen wir ihn in der Weltweisheit
nicht widerlegen, fondern er ift ein Feind: für die Gottesge—
lehrten. Durch einen Freygeiſt verfteht man denjenigen,
welcher die Religion verwirft, Verwirft er nur die übers
natürliche Religion, oder diejenige Religion, welche auf der
uͤbernatuͤrlichen Dffenbarung beruhet, fo ift er ein Maturas
liſt, und alle Naturaliften find. zugleich folche Freygeiſter.
Verwirft er aber zugleich alfe natürliche Religion, fo muß
er die ganze natürliche Dffenbarung, und die ganze natürs
liche Gottesgelahrheit, verwerfen. Und diefe Freygei—
fteren iſt im böchften Grade rafend, und Fan Durch unfere
ganze natürliche Gottesgelahrheit völlig widerlegt werden.
$. 1090.
Zum Beſchluß der natürlichen Gottesgelahrheit muß
ich) noch eines Irrthums Erwehnung thun, welcher der menfch«
lichen Bernunft zur gröften Schande gereicht, und man
muß dem menfchlichen Gefchlecht Glück wünfchen, daß er
zu allen Zeiten fehr wenig Benfall gefunden. Ich meine die
Acheifterep oder Gottesleugnung, den Irrthum, vermöge
deffen man leugnet, daß ein Gort fy. Wir dürfen uns
bey der Widerlegung der Arbeijten nicht aufhalten, denn un:
fere
Die Offenbarung Gottes. 489
fere ganze natürliche Gottesgelahrheit ift eine Widerlegung
derfelben. Wir wollen nur, zwey Anmerfungen, machen,
Einmal, alle Atheiften leugnen auch nothwendig alle übers
natürliche Begebenheiten: denn die find ohne Gott nicht
wuͤrklich. Allein ein Naturaliſt ift nicht nothwendig ein
Atheiſt, wie ich diefes in der Coſmologie Deutlich gezeigt habe.
Ein Acheift muß frenlich alle Religion und alle Pflichten ges
gen Gott leugnen, allein Deswegen leugnet er nicht alle übris
gen Pflithten; weil die Pflichten gegen ung felbft, gegen ans
dere Menfchen, und die Verbindlichkeiten der menfchlichen
Geſellſchaften erwiefen werden koͤnnen, ohne vorauszufeßen,
daß ein Gott ſey. Es Fan frenlich freche und dumme Atheis
fien geben, welche nicht nach) Ueberzeugung Atheiften find;
fondern welche diefen Irrthum muthwillig erwählen, um
ihr Gewiſſen zu erfticken, und alle Safter ohne Gewiſſensbiſſe
auszuüben. Allein das find rafende, mit denen man kei—
nen vernünftigen Streit über eine Schre anfangen fan. Cs
bat ehrbare, friedfertige und tugendhafte Atheiften gegeben,
welche gute Bürger geweſen find. Zum andern wollen
wir noch, die vornehmften Arten der Atheiften, unterfuchen.
Und dahin gehören ı) die practifchen Acheiften, welche
zwar einen Gott annehmen, allein aus ihrer Erkentniß Got
tes nicht den geringften Bewegungsgrund zu ihrem VBerhal-
ten hernehmen. Sie leben alfo als wenn fein Gott wäre, und
verleugnen, durch ihr ganzes Verhalten, dasjenige Weſen,
fo fie mit ihrem Munde befennen. Die ganze Welt ift
voll foldyer Arheiften, allein das ift ein Safter, und fein Irr—
thum. 2) Die tbeoretifchen Atheiſten leugnen Gott,
und das find Diejenigen, von denen wir handeln, Und man
theilt fie wieder in eine doppelte Clafie ein. a) Die unwif«
fenden Acheiften, oder die aus Unwiſſenheit Atheiften
find, welche feinen Gott glauben, weil fie gar feinen Be—
arif von demfelben haben, Auf die Art wären , alle kleine
Kinder, Arheiften. Und wenn man das Wort fo braucht,
fo entfteht ein bloffes Wortfpiel. Es Fan niemand etwas
leugnen, wovon er einen Begrif hat, Unterdeſſen hat
Hh 5 man
490 Die Offenbarung Gottes:
man bey der biftorifchen Frage, ob es Völker gebe ober ge=
geben habe, die nichts von Gott gewuft? und wovon
ich oben gehandelt habe $. 822. diefe Voͤlker atheiſtiſche
Voͤlker genent. b) Die leugnenden Atheiften, das find
die eigenttichen Atheilten, welche eine Erfentniß von Gott
haben, und ihn demohnerachtet leugnen. Und hieher ges
hören &) die pantheiſtiſchen Acheiſten, welche die Welt
im Öanzen betrachtet für Gott halten, wie Spinoʒza gethan,
und wir haben diefelbe $. 850. widerlegt. A) Diejenigen,
welche Gott und die Welt von einander anterfcheiden, und
Demohnerachter die Würflichfeit Gottes leugnen. Da nun
dieſe Atheiften gezwungen find, den Grund von der Würfs
lichkeit der Welt anzugeben ; fo bat der eine die Lehre von
dem nothwendigen Schickſal ergriffen, der andere hat zu
dem blinden Ohngefehr feine Zuflucht genommen, der dritte
zu dem Fortgange der Lirfachen ins Linendliche, und ein ieder
diefer Atheiſten hat es wie ein Menſch gemacht, welcher ins
Waſſer fält, und aus blinder Angft nad) einem Schatten
oder ſchwachen Reiſig greift, um ſich zu retten. Da wir
nun alle diefe Irrthuͤmer hin und wieder widerlegt haben,
fo haben wir in unferer Metaphyſik die Srügen der Atheiftes
rey über den Haufen geworfen, Und derjenige ift auf dem
rechten Wege feiner höchften Gluͤckſeligkeit, welcher fich,
durch eine gründliche Metaphyſik, nach und nad) den Weg,
zu einer richtigen und gründlichen Ueberzeugung von
Gore und feinen hoͤchſten Vollkommen—
heiten, babnt,
Er BD IE,
* Sn
Regi⸗
Regiſter
uͤber die vier Theile der Metaphyſik.
Die Zahlen weiſen auf die 99.
4.
bälard 64
Abgeſchmackter Menfch 376
Absoͤtterey 877
Abhaͤngliches Ding 237. iſt zufällig 239
Abhaͤnglichkeit 239
Abnutzung 263
Abrathen 718
Abſcheu natuͤrlicher 675
Abſicht 267
Abſolutiſmus der theologiſche 1070
Abſondern. Dinge werden von einander abgeſondert 71
Abfonderung der Vorſtellungen 520
Abſtraction Ausdehnung derfelben 519. Staͤrke der Abs
firastion ib. Fortfegung ib. Regel ib.
Abſirahiren von einer Vorſtellung. 506, befoͤrdert die Aufs
merkiamfeit 522
Abweſenheit 177
Accidenz 154. 357. 360, 863. find in den Subſtanzen wuͤrk—
lich 156. Scheinaccidenz 154
Achtung geben auf gewiſſe Vorſtellung und ihren Gegen;
ftand 506
Aehnlichkeit 70. 214
Aeſthetik 527. empiriſche 542
Uffesten ſ. Gemuͤthsbewegungen.
Ahn
492 Regifter
Ahndung 610
All unbenreifliches 850 , gefährlicher Ausdruck ib.
Aller groͤſte =
Allerkleinſte
Allgegenwart Gottes 1035. allgemeine und natuͤrliche Se
befondere ib. übernatürliche ib. Prüfung der falfcben
Begriffe 1039. 1040
Allmacht 862. Beantwortung des Einwurfs ib. 861. wuͤrkt
in Gott feine Accidenzien 863. Realitaten der endlichen
Subſtanzen 864. Widerlegung des falfchen Begrifs 863.865
Allwiſſenheit Gottes | 921
Alter 217. KRolgerungswahrbeiten hieraus 218
Anaxagoras 379
Zinfang 228
Angenehm 655
Anrathen
Anthropognoſie
Anthropologie 752. philoſophiſche ib. mathematiſche ib. —
gemeine ib. beſondere ib.
In revemetybiema⸗ 873. groͤberer ib. feinerer Be
Apoſtel 1087
Atheiſten 312. 806. — gꝛi. 822. verſchiedene Arten der⸗
ſelben 1090
Atheiſterey 1000
Aufmerkſamkeit — richtet ſich nach der Stellung des a
pers 5ı2. Duelle aller Klarheit der Erfentniß ib. Regeln
derjelben 3508. verſchiedene Grade so. Ausdehnung der
Yufınerffamfeit sı. Gtarfe ib. Fortſetzung derfelben ib.
Aufrichtigkeit 965. Gottes iſt die vollfommenfte 966
Uugenblid 230. ein Ding ift in einem Augenblick ib.
Ausdehnung 185. Eigenfhaft der Körper 379. ausgedehntes
Ding 185. beſitzt eine Tragbeit 385
Auodruck 277
Ausdrüde ſchriftliche 277. nachdruͤckliche 494
Auslegen 276
Auolegungskunſt 276. allgemeine: ib,
Uusmeffen 188
Ausnahme 83. mahre ib. Grade 84. Scheinausnahme
ib. finden in der beiten Welt ſtatt 437. find die kleineſten
438. vierfacher Nugen der Unterfuchung bievon zu
Jul:
REED.
—
über dievier Theile der Metaphyſic. 493
Auſſer ſich geſetzt, man iſt nicht bey ſich ſelbſt 552
Auſſerordentlich 338. ſchlechterdings auſſerordentlich ib.
iſt eine Chimare 339. beziehungsweiſe auſſerordentlich ib.
4 >.
Barmherzigkeit 681
Bayle 1085. 1086
Bedeutung des Zeicheng 273. 448
Begebenheit 250. welche beziehungsweiſe durch einem
ESprung geſchiehet 349. ſchlechterdings natuͤrliche 406.
natürliche 413. uͤbernatuͤrliche ib. wie fern fie auſſeror—
dentlich find 421. ob fie durch einen Sprung geſchehen
422. in einem Augenblit 424. verurfacht eine groffe
Veraͤnderung in der Welt 454. 455: 456. wenn ſie ſich er-
eignen 457. 459: wenn fie nicht geichehben 458. werben
durch keines zufälligen Dinges Natur gewürfer 416. ge—
fihiehet wider den Lauf der Natur 419. wider die Hrd-
nung der Natur 420. Möglichkeit der übernatürlichen Bes
gebenheiten in der beiten Welt 451. 452
Begehren 661. Kalle in welchen wir dag Gute nicht begeh⸗
ven 664. etwas gerne begehren 704. ungern begehren ib.
Degehrungspermögen 663. Geſetz davon 663. Grade
und Vollkommenheiten 666. Ob e8 den Gegenftanden
proportioniete Begierden und Verabfiheuungen würfe 670.
untere finlihe 673. obere vernünftige 686. Gtreit des
untern und obern Begehrungsvermögend 69. Uebereinſtim—
mung, Einheit des unteru und obern Begehrungsvermögeng
690. 6g1
Begierden 661. GBegenftand derfelben 672. wirkende Ser
gierden 668. unwuͤrkende ib. entfchlieffende ib. die
nicht entſchlieſſend find ib. ſinliche 673. vernünftige 686,
-blos vernünftige 639. vermiſchte vernünftige ib. vorber-
gehende vernünftige 692, nachfolgende vernünftige ib,
Gottes find wahre Handlungen 933. erſtrecken fih auf al-
les Bute 934
Begriffe von Gott, wodurch fie falfch werben 851
Degreiflih 628. an und vor fich betrachtet begreiflich ib.
beziehungsweiſe begreiflich ib,
Sehalten, wir fuchen eine Sache zu behalten 583
Belicben
494 Begifter
Belieben 703
Belohnung natuͤrliche, 954. 956. willkuͤrliche ib. über
natürliche ib, verneinende 950. . bejahende ib. ob es
willfurliche gebe 961
Bequem 655
Berathſchlagungen | 693
Berühren 177
Berührung 177. Eigenſchaft der Subffangen 380,
Beſchaffenheit zufällige 54. 68. 110. 129, eines Dinges
69. gleichfani sufallige Beichaffenbeiten 852
Befinnen fich auf etwas 582. Regel ib,
Beforaniß 682
Beſte | 99
Beſtimmen 46. beſtimt ſeyn ib.
Beſtimmung der Dinge in der Welt 1043
Beſtimmungen, die einer Gache fehlechemeg zukommen 49»
die ihr beziehungsweiſe zukommen ib. innerliche ib. Got—
tes 852. aͤuſſerliche ib. eigenthuͤmliche, gemeinſchaftliche
ib. allgemeiner Zuſammenhang derſelben 57. 58. zufaͤllige
find veranderlich 129. eine demſelben Grunde gemaffe Bes
ſtimmung 28
Deftinmungsgrund ber Vollkommenheit 04
Seltimmungsgründe 47
Beſtaͤrzung 682
Beſchwerlich 655
Betrachten eine Sache fuͤr ſich 29
Betruͤbniß A779 677
Betrunken, der Menfch wird betrunken 53
Beurtheilen etwas 617°
Beurtheilungen wahre 520. falſche ib.
Beurtbeilungsvermögen 620. voreiliged ib. durchdrit-
gendes ib, Regel ib. Grade diefes Vermögens 618. ſin⸗
liches 619. vernünftiges ib. veifes ib, practifche Beur—
theilungsfraft 620. theoretifche ib,
Bewegung 223. 338. Regeln der Bewegung 402. will:
kuͤrliche — des Koͤrpers 727. freye ib.
Bewegungsgeünde 267. vollſtaͤndige 669. unvollſtaͤndige
ib. ſinliche ib. 674. dunkle ib, 674. verworrene ib.
vernunftige 687. Beantwortung der Einwürfe ib.
Bewe.
——
uͤber die vier Theile der Mletspbyfil. 495
Bewegungsgründe von benden Seiten zählen 693
e > z von beyben Seiten zufammen rechnen 693
Bewegungskraft 224. Eigenſchaft der Subſtanzen 369
der Körper 387. 388
Bewegungsurſachen 267
Bewegunge verwoͤgen 746
Bezeichnen 276
Bezeichnete Sachen 273
Bezʒeichnungskunſt 273
Bezeichnungsvermoͤgen 621. Irrthuͤmer hiebey 624.
Kegel dieſes Vermoͤgens 622. vernuͤnftiges ib. finlicheg
ib. Grade und Vollkommenheiten dieſes Vermoͤgens 625
Beziehungen 49
Bild einer Sache g7r. was von den Bildern in der Kirche
zu halten 871
Bilder, materielle 551
Billigkeit 964
Boͤſe 100. beſtehet in einer Verneinung 137. Bulaffung
des Boͤſen in der Welt 1045
Brav ſich verhalten 725
Breit 22k
Breite 221
€,
Cabbaliſtiſche Lehrer 978
Carteſius 481. 629. 803. 826
Characteriſtik 276. erfindende ib. mantifche ib.
Chimaͤre 598. Urfprung der Irthuͤmer 589. 590
Chaos, Ungereimtheit deffelben 303
Cicero 212. 326. 992
Cohaͤriren 384
Copie 272
Cosmologie, Annehmlichkeit derſelben 281. allgemeine,
metaphyſiſche 282. betrachtet die Welt uͤberhaupt 283.
empiriſche 284. vernünftige ib. Nutzen in der Piycho>
Iogie 285. im der natürlichen und geoffenbarten Gottes:
gelabrheit 286. in der Narurlehre 287. in der Sitten:
lehre 288. iſt eine metaphyſiſche Wiſſenſchaft 290
Creatianer 773. 779. 780
Crestur
Ara 979
Erik ins weitern Verffande 619. im weiteſten Berftande ib.
> D, Dank⸗
496 Begiſter
D. !
Dankbarkeit 68:
Dauer 229. immerwahrende Dauer 231
Dauerhaftes Ding 230
Deiſmus 889
Democritus 394
Deutlichkeit, audgebreitete 63%. die der Staͤrke nach
groß iſt ib,
Dialect 270
Dichten 587
Dichtungsvermoͤgen 587. Regel nach welcher es wuͤrkt 588
Grade 591. in wie vielerley Faͤllen es irren koͤnne? 589
ſinliches 588. vernuͤnftiges ib. fruchtbares, erfindungs
reiches 591. ausſchweifendes ib. wohlgeordnetes ib,
Ding 65. 108. 130. Nutzen von dieſer Abhandlung 146
hat ſein Weſen und weſentliche Stuͤcke 66. Eigenſchaf—
ten 67. heiſt Eins 72. ein einziges Ding 77. 145. zu—
faͤlliges 117. nothwendiges 117. 118. wird veraͤndert 122
dreyfache Gattung eines Dinges ib. gaͤnzlich, durchgaͤn—⸗
gig beſtimtes 140. einzelnes 141. 213. wuͤrklich und be—
ſtimt 145. kan nicht vor ſich ſelbſt beſtehen 154. es ent—
ſtehet 175. 176. aus Nichts ib. aus Etwas ib. verge—
bet ib. fein Dina kan zweymal würklich feyn 2:3. ein
Ding banget von andern ab 237 allgemeines 141
142. hoͤheres ib: 970. niedriges ib. ſtetiges Ding 219
Dinge werden von einander abgefondert, getrennet 71. find
unzertvenlich beyfammen ib. werden init einander vereinis
get 72. einander entgegengefeßt 79. zuſammengeord—
nete 85. zufommenflimmende 94. alle Dinge haben Rea—
Vitaten 131. Arten der Dinge 143. Gattungen der Din»
ge ib. allgemeine find nicht würflich 145. weite, weit—
lauftige Dinge 215. die dichte bey einander find 219. die
von einander entfernt find ib. alle Dinge find mit ein—
ander verknüpft 214. ein vor ſich beſtehendes wird ver»
wechfelt mit dem Selbſtſtaͤndigen 850
Dienft Gottes 1013. Gott dienen 101
Dippel 959
Drobungen 718
Dunkelheit der Erkentniß 503
Durchdenken 513
| über die vier Theile der Metaphyſik. 497
Durchdringlich
Dynamic 160, philoſophiſche ib. mathematifche ib.
IE,
Fbenbild 372. das groͤſte ift die beſte Welt 872
Egoiſt Widerlegung 431. 821
Ehre 1010. Gottes 1010. die Ehre Gottes wird verherrlis
che IOII
Ehrliebe 681
een ber Sache 54. 67. nothwendig 110. unveraͤu⸗
erli
Finbildung 555. wahre 566. falſche ib. ———
derſelben mit den Empfindungen 559. 560. Unterſchied
von Empfindungen >62
Einbildunaen werden erleichtert 563. verhindert *
Einbildungekraft 555. gehoͤrt zum untern Erkentnißver—
mögen 565. Gegenſtand derſelben 556. 579. Grade und
Vollkommenheiten 561. wohlgeordnete 566. ungezaͤumte
ib. Regel der Einbildungskraft 558. gar zu erhitzte 566.
gemaͤßigte ib.
Einfach 178
Zinfalle artige | 574
Einfaͤltig im böfen Verſtande 63
Finfluß 166. Eigenfchaft der Subffangen 380, reeller ea
idealifcher iD.
Eingeſchrenkt 190
Eigenthumsrecht das völlige 1059. Gott iſt das allervolls
fommenfte 1662. erſtrecket fich über alle Ersaturen 1061
Einheit 72. 73: 75: unbedingte, metaphyſiſche 72. iſt
unveränderlich 127. bedingte ib. Nothwendigkeit ders
felben 112. der Welt 328. doppelte Einheit derfelben 329»
Gottes 840
Eins 72
Eitelkeiten 48
Elemente der Körper 590, 391
Elend 768
Empfanglichkeit 170
Empfinden | 528
Empfindungen 528. innerliche 537. aufferliche ib. Geſetz
hievon 537. Grund der werfipiednen Grade 534: 535:
4 Theil, Fi find
408 Regifter
find unfere ſtaͤrkſte Vorftelungen 539. Mittel, dieſelbe zu
fihwächen 539. 550. zu befördern 540. Verminderung
und Unterdruckung 541. find finliche Vorſtellungen 542.
wahre und richtige 543. 544. 545. ob wir ung auf die—
felben verlaften können 549. Vergleichung mit der Einbil«
dung 559. 560. Unterſcheid von Einbildungen 662
Empfindungsereis 532
Empfindungspunct 532
Ende 228
Endlich 191. 195. iſt zufällig 193. veränberlich 196. gut
und böfe 197. 199. im ihm ft ein zufalligeg Uebel und
Gute möglich) 198. eine zufallige Vollkommenheit und
Unvollfommenheit1g8. hanget von andern auffer fich ab 239
Endzweck 270
Entfernung 219
Entſchlieſſung, ein Menſch von kurzen Entſchlieſſungen 724
Entzuͤckung 552. ein Menſch wird entzuͤckt ib,
Epicurs Meinung vom Urſprung der Welt 926. von den
Körperchen 394
Frbarmung Gottes 949
Erbauung 802
Erdichten 587
Erdichtung 65
Erdichtungen 588. aus der Unrichtigkeit derfelben entſtehen
Irrthuͤmer 590
Erfahrung 542
Erforſchlichkeit eines Dinges 890
Erforſchung einer Sache 890
Erfuͤllung des ganzen 148
Erdoͤtzen, es ergoͤtzt ung 655
Erxhalter 1022
Erhaltung einer Sache 1022. 1023. verſchiedene Arten der⸗
ſelben 1024. Gegenſtand der goͤttlichen Erhaltung dieſer
Welt 1025. 1026
Erinnern ſich einer Sache 578
Erinnerung, göttliche 908
Erinnerungszeichen 275
Erkennen etwas voraus 609. wir erkennen eine Sache
wieder 578
Er:
über die vier Theile der Metapbyfit. 499
Erkentniß, wahre 489. Grade 492. 496. 501. Weitlaͤuf⸗
tigfeit der Erfentniß 490. groſſe, edle, wichtige gr.
arınfelige 490. Kleine, gerinafibagige 491. irriqe, fal-
fibe 489. Dunkelheit der Erkentniß 488. genaue 492.
grobe ib. Staͤrke einer Erkentniß 403 ſtarke Erfent-
nig ib. schwache ib. Flare 498. Regeln der verfchiede-
nen Grade diefer Erfenmiß 501. 505. dunkele Erfents
NIE . . A 488. 498. 50%
Erkentniß Gottes ift nicht firfich 893. ſondern anſchau⸗
end 894. ob fie ſymboliſch feyn Eönne 894. ob fie eine
Erfenenig a priore oder a polteriore fey 895. Umfang
derfelben 897. Bröffe 898. Nichtigkeit 899. zuverlaf
fiofte go2, allerlebendigfte ib. Gegenſtand derfelben iſt
Gott ſelbſt 903. alle mögliche Dinge und ihre Beſtim—
mungen 904. alle Wefen der endlichen Dinge 905. dieſe
wirkliche Welt 906. fehende Erfenmiß Gottes 908
Erkentnißvermoͤgen 497. untere 524. obere 626. vers
nunftaͤhnliche Erfentnißvermögen 636. finliche ib. würft
eine dreyfache Vorftellung in unirer Geele 525. beweiſt
fich bey aller unferer Erkentniß gefchäftig 426. 427. Leb⸗
baftigfeit der Erkentniß, lebhafte Verſtaͤndlichkeit der Er:
fentniß 503. Glanz der Erfentnig ib. Trockenheit der
Erfentniß 503. eine Erkentniß ift der Staͤrke nach Hlarer ib.
Gewißheit der Erkentniß 504. 505. ungewiſſe ib. ans
ſchauende 623. ſymboliſche ib. ruͤhrende 667. vollſtaͤn—
dig ruͤhrende 669. unvollſtaͤndig ruͤhrende ib. vollſtaͤn—
dig ruͤhrende Kraft derſelben ib. unvollſtandig ruͤhrende
Kraft ib. Erkentniß, die nicht ruͤhret ib. ſpeculativi—
ſche ib. lebendige 660. Leben der Erkentniß ib. pers
nuͤnftiges Leben der Erkentniß 687. ruͤhrende Kraft ders
ſelben ib. todte ib. todte Kraft der Erkentniß 669. vers
nuͤnftig ruͤhrende Erfentniß 687
Erkentnißquelle 336. unaͤchte und ſchaͤdliche der theologi—
ſchen Erkentniß 799
Erpreſſung 719
Erſcheinungen 528
Erſtes Ding 228
Erwaͤhlen 69
Erwartung aͤhnlicher Faͤlle 610
Etwas a1. 23
3.3 Ewig
500 Begiſter
Ewigkeit 231. 232. Gottes 857. ob ein endlich Ding eine
ſolche Ewigkeit habe 859
F.
Faͤbigkeit 170. Grade 171. unbedingte ib. bedingte ib.
Fatum ſ. Schickſal
Fataliſt 308. 415.695. 696. 710. 821. allgemeine 308. bes
fondere, particulaire, ib. tbeologifche 309. 941. coſsmo⸗
Yosifche id. Stoiſche ib. Aftrologiiche ib.
Schler des Erfchleichens 544
Sertigkeit 171. erleichtert die Handlungen 172
Fertigkeiten theoretifche 575. übernatürliche ib. die er-
langten ib. angeborne ib. fitliche 713
Figur 215
Flaͤche 222. mathematiſche ib.
Fleiſch 673
Stüchtiges Ding 230
Solgen 122
Solge des Grundes 28, 246:249. verknuͤpfte, mit einan-
der verbunden ib. 39. alles hat feine Folgen 36. Nußen
hievon 36. einander zugeordnete Folgen 38. einander
untergeordnete ib.- die unmittelbare nachfte 40. 41. 42.
mittelbare entfernte ib. aͤhnliche Haben ahnliche Gründe
204:206. inder Welt 317
Sortgang ber Urfachen in der Welt ing unendliche 312. der '
Erumlinichte circullinichte unendliche Fortgang der Urfachen
313 der geradlinichte unendliche Fortgang der Urfachen
in der Welt ib. Ungereimtheit derfelben 314. 315. 316
Sorm einer Gache
L
Sormale einer Beacbenheit —*
Sortpflanzung der menfchlichen Seele 781. 782. 783
Steude 677. boshafte 681
reygeiſt 1089
Froͤlichkeit 680
Frohſeyn 680
Frey von ber unbedingten Noͤthigung 696. von aller ſchlech⸗
terdings fo genanten Noͤthigung 699. von der innerlichen
natuͤrlichen Noͤthigung 702
— —
Step: 7
über die vier Theile der Mleraphyfil,. 501
Steyheit 708. dahin gehörige Stüde 709. reine 708.
vermiſchte ib. Hebung der Einwürfe 710. 711. Grade
der Freyheit 716. Gottes ift die allerhöchfte 941
Fruchtbarkeit 27
Suche 682
: 6.
Ganzes 147. iſt mit allen feinen Theilen zuſammengenom⸗
men einerley 149
Gattungen der Dinge 143. allerniedrigſte ib. einander un—
tergeordnete ib. hoͤchſte ib. Unterſchied der Gattungen 144
Gebrauch einer Sache 263. 264. des Verſtandes 637,
_ wahrer 263. Scheingebrauch, daraus flieffende Bon
ten 264
Gedaͤchtniß 578. Regel, nach welcher es wirkt 379. Gra⸗
de und Vollkommenheiten deffelben 583. ſinliches ib. vers
nuͤnftiges ib. wir praͤgen es unſerm Gedaͤchtniß ein 580.
wir rufen die Sache wieder in unſer Gedaäͤchtniß 582. Ges
daͤchtniß vermittelft Des Dres ib. ausgedehntes, groffed 583.
Feſtigkeit des Gedächtniffes ib. Staͤrke ib. Munterfeit ib.
Hurtigkeit ib. Fahigleit ib. gutes und gluͤckliches 584.
trügliches ib. treues ib. Gedachtnißfehler ib. Duelle
vieler Irrthuͤmer 585. Gedaͤchtnißkunſt 586
Gedanken 498. 482. wir zerſtreuen unſere Gedanken 521.
wir ſamlen unſere Gedanken ib. feine Gedanken 573
Gefuͤhl 533
Begenftand 280
Begentheil einer Sache 103
Gegenwart 177
Begenwöärtige Dinge 228. es iſt dem Körper aufs innigſte
gegenwärtig 103
Bebeimniß
423
ni fe, theologifche 1085. doppelte Are derfelben Bi
ehor
Geiſt 373. guter Geiſt eines Menſchen 755. boͤſer Geiſt *
höherer 790. niedriger ib.
Beifter haben eine Vorſtellungskraft 377: find enbliche Din
ge ib. einander ahnlich und unabnlich ib. einer unter
ihnen iff der volllommenſte ib. fie find unter den Subſtan⸗
zen die vollfommenften ib. Harmonie derſelben 450, ba:
| Si 3 ' ben
502 . Begiſter
ben einen Körper 789. Eintheilung derſelben in Abſicht
ihres Körpers 791. haben ein Erfentnißvermögen 792. Bes
gehrungsvermögen 793. glückjelig oder ungluͤckſe—
lig 794: unfterblih 795. tragen dag Ebenbild Gottes 872
Beitierwelt 375. wird von Bote monarchiſch regieret
“1063. 1064
Gelegenheit 251. die erwartet werden muß ib. die man
fich ſelbſt machen Ean ib.
Bemeinfbaft aller Subſtanzen der beften Welt 4 der
Seele mit dem Körper A. 727
Gemütb, Serfireuung des Gemuͤths 721. NT is Bes
förderungsmittel der Aufmerkſamkeit 522 523. ganz gleichs
gültiges 949. eines Theils sleichgültiges ib.
Bemürbeart 721. edle ib. niedertrachtige ib. trage 723.
würkfame ib, freudige ib. niedergefchlagene ib. bieg—
fame 724. unbiegſame ib. bedachtſame ib. unbedacht⸗
fame ib. eine mebrentbeild unbeſchloſſene ib. veraͤnder—
liche 725. beſtaͤndige ib. halsſtarrige ib. heftige ib.
matte ib.
Gemuͤthsbewegungen 666. ſinliche 676. vernuͤnf⸗
tige 688
Gemuͤthsfaͤhigkeit 643
Gemuͤthsgeſtalt 643
Genie 643. groſſes *
Genius eines Menſchen 755
Gerechtigkeit 950.958.959. Grade 951. belohnende 955.
raͤchende Gerechtigkeit Gottes os
Beruch
533
Geſchmack 533, im weitern Verflande 619. verdorbener 620%
feiner ib.
Belege, ſittliche 713
Befegaeber 1062. derjenige gibt ein Gefeg ib. Geſetzgeber⸗
gewalt Gottes 1063
Beiht 533
Befichtepunct der Seele 488
Bewalt, böchfte, eines Oberherrn 1064
Gewißheit der Sache 93. Grade ib. der Welt im ganzen
341. 342. in ihren Theilen 343. 345. iſt ihre hypothe⸗
tifche Nothwendigkeit 346. der Erkentniß 504. aller⸗
hoͤchſte in Gott 844
N
3
über die vier Theile der Metaphyſik. 503
Bewöhnliche Dinge 338
GBewohnbeit | 646
Gewogenbeit Gottes, allgemeine 049
Glauben, menfohlicher 798. görtlicher ib. £heologifcher ——
Blaubenswabrbeiten 1083. widerfprechen nicht der geſun⸗
den Bernunft 1084. 1085
Bleichförmiges ausgedehntes Ding 579. ungleichförmigeg
ausgedehntes ib.
Gleichgewicht des Vergnuͤgens 653. Zuſtand des Gleich»
gewichts ib. Zuſtand des Gleichgewichts in Abſicht auf die—
ſelbe Sache 658. vollkommen Gleichgewicht 671
Gleichguͤltig 647. eine Sache iſt ung gleichgültig 648. fie
iſt und nur zum Theil, beziehungsweife gleichgültig ib. ein -
ganz gleichgultiges Gemüth 649. das Gemürh iff eined
Theils gleichgültig ib. gleichgultige Dinge 650. ſchlech⸗
terdings gleichgültige ib. beziehungsweiſe gleichgültige ib.
Bleichbeit 7% 214
Bleihnifwweife von Gott reden 851
Gluͤck 961
Gluͤckſeligkeit 700. menſchliche ib. 796. Grade 770.
1014. veranderlich 774. Gottes 968. iſt die —
menſte 969
Gnade 681. Gottes gegen alle Geſchoͤpfe 949
Gnoſtiſche Lehrer 978
Bott iſt eine Subſtanz 812. ob von ihm eine Erklaͤrung zu
geben 813. 831. 889. eine unendliche 815. 817. der voll⸗
fommenfte 816. 817. ob in ihm eine Vielbeit fey 815.
in ihm find feine DVerneinungen 818. 839. Wouͤrklichkeit
a priore 823-826. 833. 834. 835. Beurtheilung einiger
Beweiſe 819. 821. 822. Wefen Gotted 828-832. Hei⸗
figfeit 837 fa. Einheit 840. 841. Wahrheit 842. Gott
der Drönung 843. Nothwendigkeit und Unveranderlichs
feit 845. kan nicht entftehen noch vergeben 848. eine
Subſtanz die auffer der Welt mürflich 849. Unendlich—
feit 853. Ewigkeit 857. Allmacht 860. Einfache Bes
fchaffenheit deſſelben 867. ob Bott einen Körper habe 868.
eine Gröffe 870. ob er in einem Naume fey 869. 0b
und wie fern er abgebildet werden könne? 871. es ift mır
ein Bee möglich und mürklich 876. Selbſtſtaͤndigkeit
880, Natur Gottes 882. Leben 884, Unfterblichkeit 885.
314 i Un⸗
50 Begiſter
Unermeßlichkeit Gottes 886. ob Gott ſich ſelbſt ausmeſſen
koͤnne 888. Unerforſchlichkeit 889. Untruͤglichkeit ib.
Geiſt 891. Verſtand 893. Erkentniß Gottes ib. ob er
der groͤſte Weltweiſe zu nennen 896. Weisheit gı2, All⸗
wiſſenheit 921. Wille 922. Freyheit des goͤttlichen Wil⸗
lens 939. moraliſche Heiligkeit 943. Guͤtigkeit 946. iſt
der aroͤſte Wohlthaͤter 948. 958. Gerechtigkeit 450. Lang⸗
muͤthig 962. Wahrhaftigkeit 065. 1088 Schoͤpfer 972.
nicht der Urheber der Suͤnde 985. 1033. 1048. Vorſehung
1016. Erhalter 1022. iſt allen Körpern aufs innigſte ges
genwaͤrtig 1037. iſt diefer Welt im hoͤchſten Grade gegen⸗
wärtig ib. Oberherrſchaft Gottes 1059. Rathſchluͤſſe Got:
tes über diefe Welt ıc65
Bottesgelabrheit, natürliche 797. geoffenbarte gelehrte
804. gemeine ib. Unterſchied der natürlichen und geofs
fenbarten 798: - Natur und Beſchaffenheit derfelben 802.
angeborne natürliche 803. erlangte natürliche go4. ges
lehrte natürliche ib. gemeine ib. natürliche experimental
Gottesgelabiheit 805. vernünftig natürliche ib. bürgers
liche und fabelbafte ib. Nutzbarkeit derfelben in der pras
ctiſchen Weltiweisheit 806. 807. in der Teleologie 808
in dev geoffenbarten Gottesgelahrheit 809. iſt ein heil
der Metaphyſik 810
Gottesgelehrter gix
Gottesverleugnung 1090
Grad 189
Grauen 682
Groͤſſe 69. 76. 151. koͤrperliche 186. 389. welche gemeſſen
wird 188. der Welt 354. Beſchaffenheit dieſer Groͤſſe 355.
Folgen hieraus 356. Gottes, Beantwortung der Einwuͤrfe 870°
Groͤſſer 150
Grund 27. Folgen des Grundes 28. fruchtbarer ib. wich⸗
tiger ib. unfruchtbarer ib. zureichender 34. Satz des
zureichenden Grundes ib. Hebung der Einwuͤrfe 35. Nu—
Ken 41244. unzureichender Grund ib, der mittelbare,
entfernte, weitere 40. der erſte ib, Smwifchengründe 40
Gruͤnde, einander zugeordnete 38. einander untergeordnete ib.
einerley Gründe, einerley Folgen 204, 255. 266
Grund der Seelen 485
Bunft i 681
But
über die vier Theile der Mletaphyfit. 505
But 09. wenn es nicht begehret wird 664. weſentlich, me⸗
taphyſiſch gut 99. 139. alles Gute ift eine Realität 139.
das höchfte metaphyſiſche Gut ib. das hoͤchſte zufällige ib.
moralifch Gut im engern Verſtande 767. od ein Ding auf
und böfe zugleich fey 771. Belkstigung im Guten en
Büre einer Sache 99. Gottes moralifche
Büter unfere 657. eingenthinnliche ib. innerliche, Äufferfiche
fremde ib. vierfache Eintheilung der Güter unfrer Seele 766.
phyſiſche 768
Bätigeit 946. Grade derfelben 947, Gottes EB
5.
Sandeln 164
Sandlung 164. Erleichterung der Handlung 172. er
einfache 165. zufammengefeßte ib. Zufaͤlligkeit derfelben
695. felbfichätige 697. iſt frey im Abfiche auf daffelbe
Ding 700. Diejenige HYandlunaen ſtehen nicht in
‚der Gewalt defjelden Dinges 700. fie ſtehen in der Gewalt
des Dinges ib. blos natürliche ib. freye 709. 717.
zveyfache Arten derſelben 709. die mit Willen gefchehen
712. die ohne Willen gefchehen ib. freymwillige ib.
Sandlungen des Willens, die nicht frey find 7ı2. willkuͤr—
liche 793. die man aus Unmiffenheit oder Irrthums willen
vornimmt 706. fittliche 713. unmittelbar freye 719. mits
telbar freye ib. freye Handlungen Gottes 933. 938. 939.
971. Schwierigkeit Hiebey 942. Rechtmaßigfeit derfelben
943. moralifche Nothwendigkeit derfelben 945
ang 72L
Zaͤßlichkeit 659
Ham, 682
Zarmonie 56. die gröfte in der beffen Welt 440. ar.
442. 443. 444. 445. 440. 4477 448
ZSaß 683. gbifiher 694 des Boͤſen 934. 960. Gegenſtaͤnde
936
Seilig 838
Heiligkeit Gottes 838. 839. moraliſche 944
Serrfchaft der Seele uͤber ſich ſelbſt 20
Serz ſ. Gemuͤthsart
Serzensfündiaer 906
Serzenslenkende Kraft Gottes 1032
Si ey:
506 Begiſter |
Seydenthum 877
Sieroglyphen 27
Sinderniß 174
Soch 221
Söbe 221
Sofnung 680
ZHuͤlfe 245
| Ai 2
Idealiſt 374. 562. 821
Inducianer — —
JIrrthum 489. atheiſtiſcher 880. epicuriſcher 1019
Re
Rind 634
Rlarbeit 501
Alein 150
Aleiner 151
Rleinmüthigfeit 683
Klugheit 912
Rnechtifch 720
Knechtſchaft moralifche im weitern Verffande 720
Ropf 643. fan verändert werden 646. munterer 644.
langfamer ib. aufgenmunterter ib. - durch Berfihiedenheit
der Köpfe entftehen die verfchiedene Befchaftigungen 645.
höherer 645. dummer 576. ſtumpfer ib. allgemeine Köpfe
N "64
Rörper mathematifihe 222. phyſiſche 326. Inbegrif a
Subſtanzen id. 357. Eigenſchaften der Körper 379=
387. Theilbarkeit derfelben 392. Würklichkeit des Koͤr⸗
pers 481. unſer Körper 488. Natur und‘ Wefen der
Rörper 389. 398. Harmonie derfelben 449. Würfung
des Körpers in die Geele 728
Rörperchen 394. 395
Rörperliches © Ding 473
Aörpermelt 403
Kraft im weitern Verſtande 158. im engern Verſtande 158. Gra⸗
de 160. 163. iſt eine Kraft 159 369. lebendige 173. todte ib.
erfeutrnde Kraft 503. zergliedernde ib. bemeifende ib. 504.
uber
über die vier Theile der MTerapbrfil. 507
überzeugende 504. uͤberredende ib. ruͤhrende, bewegende
669. vollſtaͤndig rührende, unvollſtandig rührende ib.
Gottes, dreyfache Eigenfchaften derfelben 861
Ruͤhnheit 680
Kunſirichter im weitern Verſtande 619
2,
Lage 219
Eangmuth 962
Lang 221
Laͤnge 221
Lauf 410. es erfolgt nach dem Laufe der Natur in der
menfchlichen Seele 748. die Begebenheit geſchiehet nach
dem Laufe der Natur 412
eben 396. Gottes 884
Lebhaftigkeit der Erkentniß 503
Lehre von den Leidenfihaften 676. pſychologiſche Rehre von
den Leidenfchaften ib. aͤſthetiſche ib. practifche ib.
Leib unſrer Seele 484
Keibnig 35. 207. 642. 950
Leicht
174
Keiden 164. zufammengefeßte Leiden 165. einfache ib.
reelle ib. idealifche 167
Reidenfhaften angenehme 677. fanfte ib. beſchwerliche
ib. unangenehme ib. vermifchte ib. Doppelte Erfah-
. zung von den Feidenfihaften 678. Grabe derfelben 6790.
Anmerkung hierüber 695. Ob Gott Leidenfchaften zufom-
men ’ 926
Lenkung göttliche aller Dinge
1043
Letztes Ding ü
Liebe 681. göttliche Liebe des Guten 934. 960. Gegen:
flande 836. Gottes zu dem Gefihöpfen 949. eifrige
ib
16.
Linie 681. mathematiſche ib.
Kohn 953. natürlicher 954. willkuͤrlicher ib.
M.
Macht 862. die hoͤchſte eines Oberherrn 1064
Mächtia feyn feiner ſelbſt 552
Majeftsr 1064
Male:
508 Begiſter
Walebranche =
Maͤnget
Mandel welcher dem Schein nach nur eine Ausnahme iſt %
Manichälfmus 1058: Widerlegung dieſes JIrrthums ib.
Mantic 276
Maine 402
Maßſtab 188
Materiale einer Begebenheit, entferntes 960. naͤchſtes ib.
Materialiſmus theologiſcher 361. 875. pſychologiſcher 361.
iſt Fein gefaͤhrlicher Irchum 750. coſtologiſcher 361.
Materialiſt 361. allgemeiner ib. eogmolsaifiher ib.
Materialiften theologiſche find die meiften Menfhen 875
Materie 225. ob fie unendlich theilbar ſey 393. erfke 390.
aus welcher das Ding beſtehet oder entſtehet 280. im
welcher die Beſtimmung befindlich iſt 280
Materielles Ding 4225
Materielle Welt 403
Maximen
Mechaniſmus
Menſch 734. kan philoſophiſch und insbe Pe
werden 152
Merkmale, mittelbare 499 unmittelbare ib. zureichende ib.
unzureichende ib. wichtige ib. unerbebliche ib, fruchtbare ib.
unfruchtbare ib. fchlechrerdings notbwendige und unveranderlis
che 500. zufällige undveranderliche ib. eigenthuͤmliche ib. welche
die Sache mie andern Dingen gemein hat ib. beiahende is.
verneinende- ib.
Meſſen 108
Metaphyſic gewaͤhret die erſten Gründe der Wiſſenſchaften 1. 2.
Erklärung 3. iſt eine Wiſſenſchaft 4. Vortreflichkeit und Nutz⸗
barkeit derſelben 5. Grade der Vollkommenheit derſelben 6.
kuͤnſtliche 7. natuͤrliche ib. Verhaͤltniß der kuͤnſtlichen
gegen die natuͤrliche ß. Nutzen der kuͤnſtlichen 9. wird
laͤcherlich und veraͤchtlich gemacht 10. Hebung der Vor:
wuͤrfe 11216. Theile derſelben ib.
Mißbrauch, wahrer 263. Scheinmißbrauch ib.
Wißfallen, eine Sache mißfaͤlt uns 647
Mißvergnuͤgen 651. Grade 655. 656. wahres ib. Schein⸗
mißvergnuͤgen ib. einfaches 652. zuſammengeſetztes ib.
ſinliches
über die vier Theile der WMetapbyfit. 59
ſinliches ib. Mißvergnügen der Sinne ib, vernünftige
Mifveranigen ib. _ Be Mifvergnügeng 653,
bloſſes Mißvergnuͤgen 658. ſuͤſſes beſtaͤndiges, dau⸗
erhaftes 660. veraͤnderliches, A
WMißveranügen Botted 9:2. weiter Umfang deffelben 9234
das alleredelite und proportionirteſte 924. allerrichtigſte 925.
allerdeutlichſte und vernuͤnftigſte 926. von der groͤſten Ge⸗
wißheit 927. lebendig 928. unveraͤnderlich 929. Ges
genſtand deſſelben 930
Witleiden 683. goͤttliches 949
Wittel 268. 279. Hauptmittel 269. Nebenmittel ib.
Mitwuͤrkung Gottes 1027. doppelte Art derſelben 1028.
Gegenſtand derſelben 1029. natürliche, phyſiſche 1030.
allgemeine ib. moraliſche 1031, beſondere 1032. aller⸗
beſonderſte 1034
Möglich, eine mögliche Sache 23. an ſich möglich, fehlechs
terdings innerlich auf eine unbedingte Are möglich 29. auf
eine bedingte Art, aufferlich unter einer Bedingung möge
lich ib. alles mögliche hat fein Welen 58. weſentliche
Stuͤcke 59. mögliche Dinge find einander ahnlich 201. vers
bunden 214. gleich ib. einerley ib. was in der Wels
möglich 343. was unmöglich ib. einem Dinge iſt das na⸗
tuͤrlicher Weiſe moͤglich 408. ſchlechterdings natuͤrlich moͤg⸗
lich ib. moraliſch moͤglich in weiter Bedeutung 714. in
enger Bedeutung ib.
Moͤglichkeit, unbedingte 29. 108. bedingte 29. Gottes
824. 825
Monarch 1064. ein deſpotiſcher ib. ein eingeſchrenkter *
Moralifch im weitern Verſtande 713. im engern Verſtande 767
Mundart einer Sprache 278
Mundig 634
Muſter 272. das erffe ib,
Muth 680
I.
Nachahmen einem Dinge 272
Ylababmung 272
Nachbild 272
Nachdenken einer Sache 513
Nachtwandeler 596
Name
510 ‚Begifter
Ylame, eigenthümlicher “494
Natur eines Dinges 396. Gottes 882. Fulgerungswahr:
beiten 883. der menfchlichen Seele 747. der Natur zu:
wider 407. gemäß ib. ganze Natur 399. iſt endlich und
zufallig 400. Regeln der Natur 401. Unterfchied der
Natur Gottes und der endlichen Dinge 833
Naturaliſmus im weitern Verſtande 464. im engern Ver:
ande 464. 1089
Yraturalift 464.883. verfchiedene Claffen derfelben 465 469
Naturgaben 576
Naturlehre im weitern Verſtande 398. im engern Verſtande ib,
Natuͤrlich 210. 749. der menſchlichen Seele natürlich 748
Naturrecht im weiteften Verflande 4uı
Naturreich 403
| 683
Neugierigkeit 675. hiſtoriſche ib. pbilofophifche ib. ma—
thematiſche ib.
Nichtes 21. 24
Nicht wollen 686
Noͤthigung 696. unbedingte ib. Unmoͤglichkeit derſelben ib.
frey von der unbedingten Nothigung ib. ſchlechterdings fo
genante Aufferliche 699. die innerliche 701. die ſchlechter—
dings ſo genante innerliche ib. frey von der ſchlechterdings
fo genanten innerlichen ib. innerliche natürliche 702
Ylotbwendig 103. Folaerungsmwahrbeiten 107. unveraͤnder⸗
lich 125. Feiner Vermehrung und Verminderung fabig 152.
unendlich 193. Eigenfchaften deffelben 118. 119. Beſchaf—
fenbeit eines nothmendigen Dinges 117q. ſchlechterdings
innerlich an fich nothwendig 104. aͤuſſerlich auf bedingte
Art ib, natürlicher Weife 409. es wird etwas nothwen—
dig gemacht 696. moraliſch nothwendig in enger Bedeu—
tung 715. moralifih nothwendig in weiterer Bedeutung ib.
Nothwendigkeit 103. inmerliche, unbedingte 104. Fol⸗
gen hieraus 107. aufferliche, bedingte ib. hypothetiſche
Nothwendigkeit der Welt 347. Beantwortung der Schwie—
tigfeiten ib. Gottes 845. Folgen 46. Schwierigkeit
hiebey 851. 852
Ylusen 259. eine Sache hat den Nutzen ib,
,Vuͤtzlich 259. Folgen 262. 264. 265
Nuͤglichkeit 259. Grade 261
— ber:
N
—
über die vier Theile der Metaphyſik. su
ww, O.
Oberherrſchaft, hoͤchſte 1050. 1061. 1062
Offenbarung im weiter Verftande 1072. natürliche 1073.
Mittel deren fich Gore dey derjelben bedienet 1074. was
auf Seiten der Menfchen dazu erfordert werde 1076
s = = imengern Verſtande, uͤbernatuͤrliche 1077. verfchies
dene Art, wie fie geicheben Eonne 1078. Möglichkeit ders
felben 1079. Nothwendigkeit und Gemwißheit id. im eng»
ſten Verftande 1080. Kennzeichen der achten und falfchen
" 1081. widerfpricht nicht der gefunden Vernunft 1082. 1088,
ob die übernatürliche Dinge enthalte, die unvernünftig find
1085. Verhaltniß der nasurlichen gegen die uͤbernatuͤr⸗
liche 1087
Ohngefaͤhr blindes 326. Widerlegung ib,
Ohnmacht, der Menſch faͤlt in Ohnmacht 554, er liegt im
Ohnmacht ib.
Ontologie 18. 19. Nutzen derſelben 20
Ordinaͤre 338
Ordentlich 338
Ocrdnung 85. geſchiehet nach Regeln 86. iſt in einem
ieglichen möglichen Dinge 87. Grade ib. einfache ib.
zufammengefeste ib. wenn fie nothwendig oder zufällig
iſt 113. zufällige iſt veranderlich ib. allgemeine der Welt
335. doppelte Drdnung der Welt 335. gemeinſchaftliche
Reyein derielben 337. Drdnung der Natur 4ın eine
Begebenbeit erfolgt nach der Ordnung der Natur 412. allers
groͤſte in der bejten Welt 435. in Gott 843
Original 272
Originaltheologie 903
Ort 216. hieraus flieffende Wahrheiten 218. Ort und Zeit
verändern die Sachen nicht 253
D.
Dantbeiften 850
Partbeplichkeit 963
Perfon 373. moralifche 738
Phantaft 597
Plato 313
Prädeftinatianer 1071
Pröeriftentianer 776. 778. 782. 783
in:
512° Bengsſiſter
Principium einer Sache 235. aͤuſſerliches ib. innerliches ih,
hieraus flieſſende Regeln 246249
Prophetiſche Gabe 614
Prophezeyungen 614
Pythagoras 841. 875
Pſychologie 471. 472. Wiſſenſchaft 4785. Beantwortung
der Einwuͤrfe ib. empiriſche 474. vernuͤnftige ib. 732.
735. Nuͤtzlichkeit derſelben in der Gottesgelahrheit 475.
in der practiſchen Weltweisheit 476. in den ſchoͤnen Kuͤn⸗
ſten und Wiſſenſchaften 477. in der Vernunftlehre 478.
Quelle vieler Wiſſenſchaften 479
&.
Quelle der Möglichkeit 336
Quintilian 343
B.
Rachſucht 683
Raſerey 684
Kathſchluͤſſe 692. Gottes 850. uͤber dieſe Welt 937. find
frey 1065. unveraͤnderlich ib. unwiderſtehlich 1006. all⸗
gemein 1007. ob es beſondere Rathſchluͤſſe Gottes gebe?
1068. ob es unbedingte gebe? 1069. unbedingte 1070.
ein bedingter ib.
Kaum 184. ein Ding iſt ein Raum 185. erfuͤlt einen
Raum ib. Urſache und Grund davon 365
Realität 48. offenbare Realitaͤten 49. verſteckte, verbor⸗
gene ib. führt Vollfommenbeit mit fich 138. alle Reali⸗
täten find mas gutes 139. Gott iſt die allervollkom⸗
menffe 817
Recht | 4, 1059
Rede 277.
Rechtmaͤßigkeit 943
Reelles Ding 132
Reellefte Ding 132
Reflectiren 513. Grade 514
Regel 80. Grade derfelben 91 84. wahre ib. 83. fals
ſche ib. ſtarke 82. ſchwache ib. eine Höhere ib. . eine
niedrige ib. der Vollkommenheit 96. gemeinſchaftliche
der Welt 338, eine einzige allerböchfte in der beſten En —
ege
’
uͤber die vier Theile der MTetapbyfil. 513
Kegel des beiten in der Welt 451. 453. des beffen in der Nas
tur ib. 432. 453. der Natur 401. der Bewegung ib.
Regeln der Ordnung der Natur zu. des Beſten 843
Regierung, göttliche, der Welt 1041. iſt die gröffe und allers
vollfommenfte | — 1042. 1044
Reich der Macht zı18. der Weisheit ib. der Gnaden 375.
Uebereinſtimmung deffelben mit dem Naturreiche 765. der
Natur 403. Harmonie mie dem Naturreiche 450. des
Lichts 495. der Finfterniß ib.
Reisungen 718
Religion ıor. Grade 1012. DBerehrer derfelben 1013
Keue 682
Xuhe 223. 1010, Gottes ib,
S.
Sache, mögliche 23. verfnüpfte, unverfnüpfte 28. vor fich
felbft betrachtete 29. bat einen Grund und Folge 37. laͤſt
fich beffimmen 47: einerley 49. von einander verfchiedene ib,
man unterfcheider Sachen von einander ib. blos mögliche 59.
zufällige find veranderlich 128. zwey mit einander verbunz
dene Sachen find mit einer dritten verbunden 39°
Samlung des Gemuͤths 521
Sanfte, eine Sache thut ung fanfte 655
Sar des Widerfpruchs 21. 22. Folgen hieraus 24. des
Grundes 32. Beweis 33. Folgen 37. des zureichenden
Grundes 34. Beweis ib. dreyfache Eintheilung hiebey 35.
FZolgerungsfage 39. 40. 44. der unmöglichen ganzlichen
Nebereinffimmung auffer einander befindlichen Dinge 207.
Beweis 208.211. Alterthum dieſes Satzes 212. Beants
wortung der Einwürfe ‚ib.
Schaam 683
Schade 260
Schoaͤdlich 260. hergeleitete Folgen 262. 263
Schädlickeit 200. Grade 261
Scharfſinnigkeit im weitern Verſtande 570. im engern Vers
ſtande ib. Regel ih. Nutzen und Nothwendigkeit dieſes Ver—
moͤgens 571. 577. Grade 572. ſinliche 574. vernuͤnftige ib.
Scheinbar 25
Scherz 57
3
Schlaf 551. mir fehlafen ein ib. wir find im tiefen Schlaf 592.
der Menfch wird eingefchlafert 644
Schidfal 303. vernünftiges und fehendes ib. blindes un,
widertreibliches ib. Widerlegung deffelben 309. türkifches ib.
4. Tbeil, Kk ſtoi⸗
514 | Regifter
ſtoiſches ib. aftrologifihes ib. ſpinoziſtiſches Zıo, Wider⸗
legung ib. mechanifches, phyſiſches 405
Schlimſte 100
Schloͤſſer in der Luft bauen 636
Schlummer 592
Schluß 635
Schiüfle, undeutliche 38
Schoͤnheit es
Schöpfer eined Dinged 972. diefer Welt
Schöpfung 777. 972. iſt eine freye Handlung Gottes —*
989. weiſe 1001. 1004. Gegenſtand derſelben 979. 980
981. 988. was nicht erſchaffen 981984. Zweck derſel⸗
ben 1001. wahrer 1002. weiſer 1004: 1009. die Reli⸗
gion 1013. Gluͤckſeligkeit dev endlichen Geiſter 1014. 1015
ss = der Welt durch einen Ausfluß aus Gott 978
Schranken 190. 191, _ wefentliche ib. auffermweientliche ib.
Schred 682
‚Schreiben N 277
Schugengel eines Menfchen 755
Schwer 173
Schwer muth 684
Schwindel 553. der Menſch wird ſchwindlicht ib.
Seele 472. 480. MWürklichkeit aus der Erfahrung 480. bens
ende Kraft und Subftanz 482. ſtellet fich die Welt vor 483.
bat deutliche, dunkele und verworrene Borftellungen 485.487-
488. ſtellet fich die Welt nach ter Stellung ibres Leibes ın ders
felden vor 487. Gefichtspunct derfeiben 588. Grund der
Seele 485. Selbftthatigkeit 698. frey von der fehlechters
dings fo genanten innerlichen Noͤthigung 701. Herrfchaft der:
felben uber ſich ſelbſt 720. Gemeinfchaft mit dem Körper 726.
730. regieret den Leib 729. Worterklarung der menfchlichen
Geele 733. Sacherllärung 735. ihre Vorſtellungskraft 735.
736. 737: iſt ein Geilt 738. 744. zufallige und endliche
Subſtanz 739. ſtelt ſich die Welt ohne Ausnahme vor 740.
bat ein Erkenenifvermögen 741. Begehrungsvermögen 742
743. freyen Willen 743: Perfönlichkett 744. Bewegungse
vermögen 746. Weſen und Natur 747. wird nie unends
lich 751. Verſchiedenheit und Gleichheit mit andern Geelen
753. 754. Verbindung derfelben mit andern Geiſtern 755.
mit allen Körpern 756. Verhaltniß mit ihrem Körper 758:
755: iſt entweder gluskielig oder ungluͤckſelig 772. mehr
gluͤckſelig oder mebr ungluckjelig 773: Urſprung derfelben
779. 777. mo fie bey ihrer Sortpflanzung hergekommen 782.
ſinliche Seele 788. vernuͤnſtige Ib.
Sehn⸗
über die vier Theile der Metaphyſik. 515
Sehnſucht 883
Selbſtſtaͤndiges Ding 237. it nothwendig und unendlich 238
Seloftfiändigkeit 239. Gottes 880 ſeq.
Seligkeit 767
Seltene Dinge 338
Seltenbeit 150
Siegen 690
Sintichkeit 673
Sinn 550. Grade der Vollkommenheit derfelben 533. 535. in,
nerliche ib. aufferliche ib. ob auffer den fünf Sinnen noch
mebrere find 533. ob fie uns betrugen 543.545.549. Werk:
zeuge der Ginne 531. 536. Scharfe der Sinne ib. ſtumpfe
Sinne ib. Betrug der Ginne 543. Grund und Urſache bie:
von 546. Blendwerf der Sinne 547. Urſache der Irrthuͤ⸗
mer 548. kraͤftiges 547. unkraͤftiges ib.
Sinnesmeinung Gottes 1072
Sittlich in weiter Bedeutung 713
Sig der menfchlichen Seele 756
Sorge ſ. Vorlebung.
Sorgen für eine Sache 1018
Spiroza, Meinung vom Schickſal 310. 850. Widerlegung
deffelben 310. Zu. von Wunderwerfen 417
Spinoziſmus, theologifcher 850
Spirfinnigkeiren , leere 873
Sprache, befondere 278. allgemeine ib.
Sprecden 277
Sprung, es geſchiehet etwas fhlechterdings durch einen
Sprung 327
Stade Gotted | 1064
Störfe 82
| 216
Stelle, Stellung eines Dinges
Stille feyn bey fich, mir find bey ung flille 552
Strafe 053. 958. matürlihe 954. 960. willkuͤrliche ib.
ob es folche gebe? 961. ubernatürliche id» verneinende 900.
bejabende ib.
Strafgerechrigkeit Gottes 958. Hebung der Einwuͤrfe 959. 960
Subject 280
Subftanz 154. zweyfache Vorſtellungsart hievon 157. Scheins
ſubſtanz 155. eine iede Subſtanz ift eine Kraft 159. handelt
- wenn fie wurffich ift 169. umendliche 190. 815. 861. noth—
wendige ı61. Fan nicht entitehen oder untergehen 176. zu—
fallige 168
Subftanzen berühren fich einander 177. von einander entfernte,
ob fie in einander würken fönnen 220. ob mur eine einzige
Kt ſey
516 Regifter
ſey zo. auſſer der unendlichen find noch mebrere endfiche Zur.
find die Grundtheile der Welt 357. koͤnnen nicht durch die
Sinne beobachtet werden 361. Eigenſchaften derielben 362.
ob fie einfach oder zufammengefegt find? 361. auffer einan—⸗
der befindlich 363 Undurchdringlichfeit 264. daraus der
Raum und die Ausdehnung in der Welt entſtehet 365. alges
meiner Zufammenbang derſelben 369. eine iede derfelben iſt
ein Erkentnißgrund der ganzen Welt 367. Erklaͤrung bievon
368 eine Kraft 366. fchlafende 370. denfende 371. iſt
des Verftandes fabig 670. hat einen Körper und iſt eine
Geele ib. blos finlich denfende 372. verſtaͤndige 373.
drey Hauptgattüngen derfelben 374. handelt nach Gedan»
Een oder nach Maafgebung ihrer Gedanken 376. _ allaemei:
ner gegenfeitiaer Einfluß derfelben 380- Zuruͤckwuͤrkung der
andern leidenden Subſtanzen 381. find bey einander 333.
feſter Zufammenhang derfelben 394. verandern ihren Zu:
ftand beffandig 386. herrſchende 389. eine iede, wenn fie
wuͤrklich ift, bat eine Narur 397. Gelbftehätigkeit 697. iſt
frey von aller fehlechterdings fo genanten Noͤthigung von aufs
fen ber 369. von der fehlechterdings fo genanten innerlichen
Nörhigung 701. von der innerlichen natürlichen Nöthigung
702. begebret und verabfcheuet nach Belieben 703. eine
freye Subſtanz 709. find ein gröffer Ebenbild Gottes als
die Arcidenzien 872. ob fie in einem Augenblick erfihaffen ggr
Sünden 957. Vermoͤgen zu fündigen, zu fallen 1046. dag
unbedingte ib. 1047. bedinate ib. Zulaffung der Sünde
1052. moralifche ib. phyſiſche ib-
Suͤndenfall 1046. warum ihn Gott zugelaffen 1053. Ein:
wuͤrfe 1054:1058
Sünder 957
T. |
Teleologie Arten 1003
Temperament der Geele 722
Thaten des Urhebers 977
Theilbar 188
Theilbarkeit 188. Eigenſchaft der Körper 392
Theile 147- alle Theile der Welt haben eine beſtimte Wahrbeie
und Gewißheit 345. dreyfache Gattung der Theile der
Welt 357
Theologe 797
Theologie 797
Theoſophus 575
Thier
über die vier Theile der Mletspbyfit. 517
Thier 734. 735. unvernünftiged 788. vernünftiges ib. ver;
nünftige auffer dem Menſchen 789
Thiecchen, woraus die Menfchen werden 784-785
Tiefe 221
Tieffinnigkeit des Verſtandes 630
Tod 397.554. der Menſch ſtirbt ib.
Traducianer 777.778. Widerlegung 779:782
Traͤgbeit 224.386.388. Eigenfchaft der Körper 385
Traum 592. doppelte Befchaffenheit der Traume 594. Arten
593. Beobachtung bey denfelben 595. ob Traume was bes
deuten 616
Traumdeuterey 616
Traͤumerey 92
Traurigkeit 682
Treue GOttes 949
Trockenheit der Erkentniß 503
Uebel 137. Arten derſelben ib.657. Eintheilung der Uebel un-
ſrer Seele 766. 767.768
Ueberdenken sız. Kegel ib. ift ein gröfferer Grad der Auf:
merkfamfeit 516. Grade deffelben 517
Weberdruß 883
Hebereinftimmen nur eines Theild 200. zwey mit einem Dritz
ten uͤbereinſtimmende Dinge 202
Webereinftimmung, Arten 200
Uebereinftimmung der Geifter- und Koͤrperwelt 403
Vebereinffimmungen 49
Vebereinftimmungsftüde 49
Uebergewicht des Vergnuͤgens und Mißvergnuͤgens 653
Ueberlegung 515
Uebernatuͤr lich 748
Uebernatuͤrliche Begebenheiten 413
Ueberredung 504
Ueberzeugung 504
Uebung 576
Umſtaͤnde 250. der kleineſte veraͤndert eine Sache 252
Unabhaͤnglichkeit GOttes 880. 881
Unaͤhnlichkeit 70. 214
Unangenehm IE
Unaufhoͤrlichkeit
Unbegreiflich 629. an und vor ſi unbegreiflich ib.
hungsweiſe ib.
Unbequem 655
Unbeſtimt 46
Kk 3 Un⸗
sı8 - Begifter
Anding ‘es
Undurchdringlich
Unendliches Ding 191. 194. metaphyſiſch ib. ER
ib. iſt ſchlechterdings unveranderlich 192. nothwendig ib.
Unendlichkeit Unterſcheid der mathematiſchen und reellen 306
Unendlichkeit GOttes 853: 856
Unermeßlich 886
Ungereimt 26
Ungleichbeit \ 70.214
N:olüd 6x
901
Ungluͤck eligkeit 700. menſchliche ib. verſchiedene Grade 70
Unmoͤglich 21. offenbar unmoͤglich ib. verſteckter Weiſe un—
moͤglich ib. innerlich, an und vor ſich, ſchlechterdings auf ei⸗
ne uͤnbedingte Art unmöglich 30. aͤuſſerlich, auf eine bedings
te Art unmöglich ib. allgemeine hieraus flieffende Wahrhei—
ten 31. einem Dinge it das feblechterdings natürlich uns
möglich 408. nur beziehungsweiſe unmöglich ib. moralifch
unmöglich ın weiterer Bedeutung 714. moralifch unmöglich
in engerer Bedeutung
Unmöglickeie wahre 25. Scheinunmoͤglichkeit ib. indie
30. aufferliche HR
Unmündig 4
Unnarüclich 413. es ift der menfihlichen Geele — *
Unordnung 85.86. 87. 103.
Unpartheylichkeit 963
Unſchaͤdlich 260. 262
Unichuldiger h 087
Unfeliakeie 767. menfchliche ift veranderlich 774
Untierblichkeit der Seele 786
Untergang 176
Unterfcheid des niedrigen Dinged 144. der Gattungen h.
der Arten ib.
Unterfcheiden Sachen von einander 49
Unterfcbeidungsjtücke ib.
Unterbrochenes Ding 219
Unterthanen eines Oberherrn 1064
Unrbeilbar 187
Untbeilbarfeit " hi;
Untruͤglichkeit GOttes
Unveraͤnderliches Ding 124. 125. iſt ſchlechterdings th
Dig
Unveränderlichkeit 124. aufferlühe ib. innerliche ib. beding—
te ib. unbedingte ib. Folgerungswahrheiten hieraus 125.
GOttes 845. 87
über die vier Theile der Metaphyſik. 519
Unvermoͤgen blos natürliches
408
linvernünftig 638
Unvolltommenbeit 95. 136
Unwiſſenheit 489
Unzertrenlichkeit
71
Urſache 235.243 246 249. verurſachtes Ding 235. innerli—
che ib. aͤuſſerliche ib. Miturfache 240. 242. eine Urſache
komt mit der andern zufammen. 240. einzige Haupturfache
ib. Nebenurſache ib. sureichende 241. unzureichende id.
einander zugeordnete ib. einander untergeordnete ib. erſte,
legte 441. Zwiſchenurſache ib. naͤhere ib. entferntere ib,
mittelbare ib. unmittelbare ib. wuͤrkende im weitern Vers
ſtande 245. im engern VBerftande ıb. fehlende Urſachen ib.
helfende ib. formelle 280. materielle Urfache der Dinge
ib. moraliſche im weitern Verſtande 986. im engern Ber:
(tande ib.
Urheber 977
Urſprung 396
Verabſcheuen 662. etwas gerne verabſcheuen 704. ungern
verabſcheuen ib.
Verabicheuungen 662. Gegenſtaͤnde derfelben 672. Geſetz
693. Entſtehungsgrund derfilben 665. wirkende 608. uns
murfende ib. entjchlieffende iv. Die nicht entſchlieſſend find
668. finliche 673. vernunftige 686. bios vernunftige ib.
vorhergebende vernünftige 692. nachfolgende vernünftige id.
GOttes find wahre Handlungen
933
Veränderliches Ding DR \ 123
Veraͤnderlichkeit 123. innerliche ib. aufferliche ib. bedingte
ib. unbedingteib. Folgerungswahrheiten hieraus 12
Veränderung ı22. innerliche ib. aufferliche, ib. harmoni—
fihe der Seele und des Leibes
729
Verbrauch J 263
Verderben moraliſches 767
Verehrer
1010
Vereinigung des Leibes mit der Seele 729.730. Beantwor⸗
tung des Einwurfs 31
Verhinderung moralifche 1050. phyſiſche Verhinderung einer
freyen Handlung
1051
Vergangene Dinge _ 228
Vergeſſenheit 581. wir haben etwas vergeffen ib.
Vergeßlichkeit 554
Vergnügen 651. Grade 655.656. wahres ib. Echeinvers
gnuͤgen ib. einfaches 652. zufammengefegtes ib. ſinliches id,
Kk4 ver⸗
522 Regifter
m,
Mahl | 693
Weabnwitig 634
Wahr IR 25
Weabrbaftigkeit Gottes 965. 967.
Wahrbeit einer Gache. Grabe gr. Arten 89. 90. im aanzen
341. der Theile 343. 344. 345. iſt eine hypothetiſche Noth⸗
wendigkeit 346
MWabrebeit GOttes 842
Wahrſager Babe 614. ob die menſchliche Seele eine habe ib.
Wahrſagungen 614
Weisheit gi. GOttes 913. Eigenſchaften 914-920.
Welt, Bedeutung dieſes Worts 291. Erklaͤrung 293. Eigen.
ſchaften derſelben 295 307 310. 311. 315. 316. 320332. 354
358-3065. 375. algemeiner Zuſammenhang in derfelden 317°
324. in derfelben iff Fein ohngefahrer Zufall ib: ob etwas
durch) einen Sprung in Derfelben gefchebe 327. ob aus der
Einheit derfelben auf die Einheit GOttes zu fehlieffen 878.
dem unendlichen Wesen ahnlich 333. Wuͤrklichkeit der einzi⸗
gen 334. gemeinfchaftliche Regeln in derfelben 337. meras.
phyſiſche Wahrheit 341:343. hypothetiſche Nothwendigkeit
346. die allerunvollkommenſte 426. die allervollkommenſte
427. die beſte 427. Eigenſchaften 430.433 438. idealiſche
iſt nicht die beſte 432. unſre iſt die beſte 989. :994. ob
fie ewig ſey 859. 974 076. die ſichtbare 906 der Fabeln
92. Erhaltung der Welt 1022
Weltweiſen ſtoiſche, Meinung von der Welt 34
Weltweisheit der faulen 391. atomiſtiſche 394. corpuſculaͤri—
ſche 395. mechaniſche 405. verborgene 473. ſittliche 714
Wenig 151
Werte Gottes | 973
Werkzeug 245. der Gimme ELSE
.MWertb" 261
Weſen 51. 52. 53. Grundwahrbeiten hieraus 61 feg. noth⸗
wendiges 117. 1u89. unveranderlich 127. der menfchlichen Sees
le 747. Gottes 828. 829. 832. ob die Wefen der Dinge
von feinem Berftande abhangen 905. ob fie ewig find . ib.
Mefentliche Stuͤcke 50. 51. fihlechterdings nothwendig 127.
nothwendig 9
Wichtigkeit 27
Miderfprechend | 72
Widerſpruch 25. Arten 25.26
Widerſtand
Mille 686. Arten 689.692
Wille
— — —
— —
\
über die vier Theile der Metaphyſik. 523
Mille GOttes Gegenftände 931. 936. iſt den Gegenftänhen
propottioniyt 932. felbftehatig 933. genaue Verbindung def
felben mit der Ain tarht 935. Arten 037: 938. 1070
Willensmeinung GOttes 1072. natürliche Offenbarung der>
felben 1075
Willkuͤhr 703: Gefeß 709. verfchiedene Grade 707.708.
Wiſſenſchaft ob es eine gebe, wenn Fein GOtt ware 830. GOt—⸗
tes natürliche und .nothivendige 907. freye 908. 909. mit:
lere gio. Schwierigkeit fü fie mit GOttes Unveranderlichkeit
zuſammen zu reimen gu
min 567. Regel id. Nutzen 568. Grade und Vollkommen⸗
heiten s69. witzige Boritellungen 373 Spielwerk des Wis
tzes 573. Blendwerk deffelden ib. Duelleder Irrthuͤmer 5377.
Arten
574
Woblfart ng) 758
MWoblgewogenbeit göttliche 949
Woblthar 046.948
Wollen 089
Worte
277
Wunderwerke 414. ob fie in der Welt möalich find 415. wie
fie gewuͤrkt werden 416.418. 422.424. find auſſe vorbentliche
Begebenheiten 421. find einer Erflarung fabia 423. Gröffe
derſelben 425. Möglichkeit derfelben in der beften her 451.
torbivendigkeit ib. Unmoͤglichkeit 458. Nutzbarkeit der Leh⸗
re von denſelben 463
Wanderwerke in Abſicht auf ung 417. Arten „450. 460
Wuͤrklichkeit 60. Regeln 61. Kigenfchaft der Wirklichkeit
eined Dinges 117. GOttes 819. Beweis der Wuͤrklichkeit
GOttes a priore 823:%25. a pofteriore 819 822
Wuͤrkung 2447249. Arten derfelben 245. 254 255. 257.381
I:
Zahl
Zeichen 273. 279. Arten ib. Benennung der Wunderwerke Fi
3eit 183. Eintheilung
227
Zerſtreuung des Gemuͤths 521
Zertheilen 187
Zertheilung natuͤrliche 187
Zertrenlichkeit 71
dorn 683 Gottes 949
Zufall ohngefahver 325. iſt nicht in der Welt ib. ob etwas
durch einen ohngefahren Zufall geſchehe 327
Zufaͤlle glückliche 961. ungluͤckliche ib.
Zufaͤllig 409
du⸗
524 Regifter über die vier Theile der Metaphyſik.
Zufällige Beſchaffenheiten 409
Zufaͤlliges Ding 105. Eigenſchaften 106. 107. 128. 176. 193
Zufaͤlligkeit einer Sache 105. innerliche, unbedingte 106. aufs
ſerliche, bedingte ib.
Zufriedenheit 680
Sufünfrige Dinge 228. haben eine Wahrheit und Gewiß—
beit | 345
Sufammenbang 28. in der Welt 317. 318. iſt velkhichen
56. 273. 403. wuͤrkender Zufammenhang der Dinge 245.
443. der Zwecke und der Mittel 272. der Gubitanzen 366
Zufgmmenordnnng 85. 86
Zuſemmen geſetzt 178:182
Zuffand 162. iſt verfchieben 163. 164. der Weit 300. der
Finſterniß 495. des Lichts ib. der Gleichgultigfeit 651.
des Gleichgewichts 653, des Uebergewichtd 671. der fittlis
che Zuſtand 713
Swara 705. gefchicht auf doppelte Art 718 ſchlechterdings
fo genanter Aufferlicher ib. gewiſſermaſſen fo genanter auſſer⸗
licher ib. bebt das Willkuͤhr nicht auf 705. nicht die Frey-
beit 717. moraliicher 715
Swed 266. mahrer, guter ib. Scheinzweck, falicher und boͤ—
fer ib. völliger 270. 271. der richt völlig it ib. Mitzweck
ib. Hauptzwe ib. Nebenzwecke ib. entfernterer 270.
weiterer ib. unmittelbarer ib. nachfter ib. Mittelzweck ib.
niedriger und naher ib.
Swifchengründe 40
Meier, Georg Freidrich
685 Metaphysik
MA Th.3-4
1'735
Th.3-4
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