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Full text of "Metaphysik"

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- Georg Friedrich Meierd, 
öffentlichen ordentlichen Lehrers der Weltweisheit zu Halle, 


und der Föniglichen Academie der Wiffenfchaften 
in Derlin Mitgliedes, 


Metaphyſi 


Dritter Theil. 





Schbucn ei Beroc 
Mit koͤnigl. Pohl. und Churfuͤrſtl. Sachf. allergnädigfter Freyheit, 
ERREICHTE HR I A 
HAELE, 
bey Johann Zuftinus Gebauer, 
RZ 





Die 


Pſychologie. 








Einleitung 
die Pſychologie. 


2 8: ar 9 
* —* ED $. 471 

Dr H CAR: die Metaphyſik, Die allererften 
2 fi © T Grundfäge der ganzen menfchlichen 






4: 


ie} NS 
— >> NY 2 Erfenntniß, abbandelt; fo muß fie, 
AAN ihrer Natur nach, von allen mögli= 
x & & ben Dingen handeln. Sie muß 
| alfo folche Unterfuchungen anftellen, 
welche auf alle mögliche Dinge angewendet werden Fönnen, 
und es muß fein Ding möglich ſeyn, von welchem nicht 
vieles von demjenigen gefagt werden Fünte, was in der 
Metaphyſik abgehandelt wird. Mun find alle mögliche 
Dinge entweder abftracte und allgemeine, oder es find ein- 
zelme Dinge. Don den erften handelt die Dntologie, was 
die allgemeinern Claffen derfelben betrift. Die einzelnen 
Dinge find entweder unendlich, oder endlich und zufällig. 
Bon dem unendlichen Dinge handelt die Metaphyſik, in 
der natürlichen Gottesgelahrheit. Was aber die endlichen 
Dinge betrift, fo ift von ihnen, in fo ferne fie, Durch ihre 
3 ver⸗ 


6 Einleitung 


verfchiedenen Verbindungen unter einander, Die verſchiede— 
nen möglichen Welten ausmachen, in der Cofmologie ge- 
handelt worden. Nun giebt es, in Abfiht au) die menſch— 
lihe Erfenntnif, und die Brauchbarfeit derfelben, fonder- 
lich ein Paar Arten der endlichen Dinge, mit denen fic) Die 
menfäliche Erfenntniß ungemein vielfältig beſchaͤftiget, 
nemlich die Körper und die endlichen Geifter. Bon den 
Körpern handelt die Cofmologie, was Diejenigen Unterfu- 
ungen derfelben betrift, die metaphyſiſch find: denn die 
übrigen gehören in die phufifchen Wiſſenſchaften. Nun 
find noch die endlichen Geifter übrig, und von denen han- 
delt die Pfychologie, welche die dritte Wiffenfchaft der Me- 
taphyſik it, Wer von den endlidyen Geiftern, und infon= 
derheit von der menfchlihen Seele, gründlich handeln will, 
der muß die Wahrheiten der Ontologie und Cofmologie 
voraus feßen. Die Ontologie enthält die erften Grundfäge 
eller Wiftenfchaften, und alfo auch der Pſychologie, und 
in der Cofmologie werden diejenigen erften Grundſaͤtze uns 
£erfucht, auf welche alle Diejenigen Wiſſenſchaften auf eine 
nähere Art gegründet find, die von endlichen Dingen ing- 
befonbere handeln. Da nun die Pſychologie von einer ge- 
wiſſen Art der endlichen Dinge handelt, fo feßt fie ihrer 
Matur nach nicht nur die Ontologie, fondern auch die 
Eofmologie voraus, und folgt alfo in der Metaphnfif auf 
beyde iegtgenannte Wiffenfihaften. Es würde eine groffe 
UnbequemlichFfeit verurfachen, wenn man die Pfychologie 
aus der Metaphyſik heraus reiffen, und fie als eine befon- 
dere Wiffenfchaft abbandeln wolte. Man müfte entweder 
in ihr Feine Gründlichfeit fuchen, oder man müfte unend- 
lich viele ontologifche und cofmologifche Wahrheiten ihr 
-einverleiben, und da würde fie gar zu weitläuftig werden, 
Einige handeln von der Seele in der Maturlehre, weil fie 
biefe als eine Wiſſenſchaft betrachten, die von den Na— 
turen der Dinge handelt, Allein diefes ftreitet wider die 
angenommene Erflärung der Naturlehre, indem man durch 
Defelbe die Wiflenfchaft von den Naturen der Körper ver- 


fteht. 








in die Pfychologie. 7? 


ſteht. Da nun die Natur der Geifter und der Seelen un— 
endlich weit, von der Matur der Körper, verfchieden ift; 
fo muß fie nach ganz andern Grundfägen beurtheilt wer- 
den’, als die Natur der Körper, und es ift demnach ein 
ungefchiftes Unternehmen, wenn man in einer und eben 
derfelben Wiffenfchaft von der Natur der Körper und Gei- 
fter zugleich handeln will, 
$. 472% 

Die Pfychologie ift die Wiffenfchaft von den Prä- 
dicaten der Seele, die fie mit andern Seelen und Dingen 
gemein hat: ober man fan auch fagen, daß fie von denje— 
nigen Prädicaten der menfchlichen Seele handelt, die fie 
mit andern gemein hat. Es fomt bey diefer Erklärung 
vornemlich auf die genaue Beftimmung des Gegenftandes 
an, von welchem die Pſychologie handeln fol. Und da 
müffen wir zweyerley bemerken. Einmal handelt, die Pfy- 
chologie, von der Seele. Wir nennen eine iedwede den— 
kende Subftanz, die mit einem Körper in der genaueften 
Berbindung fteht, eine Seele, wie aus dem folgenden er— 
hellen wird. Da mir nun zeigen werden, daß alle endliche 
Geifter mit Körpern vereiniget find, fo verftehen wir durch _ 
die Seelen alie endliche Geifter, alle menfchlihe Seelen, 
und die Seelen aller vernünftigen und unvernünftigen 
Thiere. Unterdeſſen handelt die Pſychologie, vornemlich 
und am meitläuftigiten, von der menfchlichen Seele; weil 
wir von den übrigen endlichen Geiftern und Seelen, auffer: 
demjenigen, was fie mit der menfchlichen Seele gemein ha- 
ben, wenig oder gar nichts mwiffen. Ks hat Weltweife 
gegeben, welche den Weg der Erfahrung verlaften, und 
eine Geifterlehre erfonnen haben, welche nichts anders als 
ein philofophifcher Roman ift, weil fie auf lauter willführ- 
lichen Begriffen berubet. Man hat in diefer Geifterlehre 
um fo viel dreiſter lügen koͤnnen, weil man nicht im Stan: 
de ift, dieſe Lügen, wenn fie mit Wahrfcheinlichkeit erfon- 
nen worden, ganz und deutlich zu widerlegen. Allein die 
neuern Weltweiſen haben erkannt, daß man am ficherften, 

44 zur 


8 Einleitung 


zur Erkenntniß der endlichen Geifter, auf dem Wege der 
Erfahrung gelange. Nun fonnen wir Feine Erfahrung 
von den endlichen Geiſtern, als von unferer eigenen Geele, 
erlangen, An ftat alfo die Geifterlehre abzubandeln, und 
in derfelben die Pfychologie, ift es viel ficherer, wenn man 
von der menfchlichen Seele handelt, weil wir unendlich 
viel von derfelben aus der eigenen Erfahrung wiſſen. Und 
wenn man die menfchliche Seele hat Fennen lernen, fo Fan 
man bernach die übrigen denfenden Subftanzen in der 
belt doch beffer Fennen lernen, als wenn man die Kennt: 
niß der menfchlichen Seele nicht vorausſetzt. Wir han 
deln alfo in ver Pſychologie vornemlich von der menfchli: 
chen Seele, und hernach auch zugleich von den übrigen 
endlichen Geiftern, und den Seelen aller vernünftigen und 
unvernünftigen Thiere. Zum andern handelt die Pſycho— 
logie nicht etrva von diefer und jener einzelnen Seele, und 
demjenigen, was ihr vor allen übrigen Seelen eigenthüms 
lich und allein zufome. Sondern fie handelt theils von 
denyenigen, was allen Seelen und endlichen Geittern ohne 
Ausnahme zufomt, theils von demjenigen, was den mei: 
ſten derfelben zufomt, theils auch von einigen folchen Praͤ— 
Dicaten, von denen man nicht einmal weiß, daß fie den 
meiften Geelen zukommen, wenn es nur nicht foiche Pra- 
Dicate find, Die einer einzigen Seele allein und eigenthuͤm— 
lich zufommen, 


$. 47. | 
Wir fagen, daß die Pfychologie eine Wiffenfchaft fen, 

und wir machen uns alfo dadurch anbeifchig, fie als eine 
Wiffenfchaft abzubandeln. Folglich müffen wir alles, was 
wir von der Seele fagen werden, aufs deutlichſte erflären, 
ordentlich mit einander verbinden, eins aus dem andern 
herleiten, und gründlich aus unumſtoͤßlichen Grundfägen 
herleiten, und zur gröften Gewißheit bringen, deren eine 
menfchliche Erkenntniß fabig it. Es fan freylich vieles 
ın der Pfychologie vorfommen, welches wir fo deutlich und 
gewiß zu erkennen nicht vermögend find. Allein alle Wiſ— 


fenfchaften 


in die Pfychologie. 9 


fenfchaften enthalten dergleichen unvollfommene Theile, 
und daraus folgt nichts weiter, als daß die Pfychologie 
von den Weltweifen noch nicht zu der gröften Bollfommen- 
heit gebracht worden. Es wird demnac) auf die Probe 
anfommen, ob die Pſychologie fich als eine Wiffenfchafe 
im ftrengiten Verſtande werde abhandeln laffen. Es gibt 
Leute, welche dieſes in Zweifel ziehen, und zwar um eines 
-doppelten rundes willen. Einmal fagen fie, fey die Pfy- 
chologie eine fo fehwere Wiffenfchaft, Daß, wenn es ja noch 
möglich feyn folte, nach unendlicher Mübe zu einer wab- 
ren Wilfenfchaft in derfelben zu gelangen, es doch nicht 
der Mühe wereh ſey. Es fey demnach nicht zu ratben, 
eine fo fehmere Wiſſenſchaft zu unterfuchen, da man mit 
leichterer Mühe andere Wiſſenſchaften abbandeln Fünne, 
Allein wenn man auch annehmen wolte, Daß Die Pſycholo— 
gie fo ausnehmend ſchwer ſey, wie man vorgibt, fo folge 
daraus noch nicht, daß man fich durch diefe Schwierigfei- 
ten müffe abfchrecfen laffen. Sondern es komt hier dar- 
auf an, ob fie folche ungemein nüßliche und wichtige Wahr: 
beiten enthalte, welche die angewandte Mühe reichlich be- 
lohnen, Und hernach geben wir gerne zu, daß diefe Wiſ— 
fenfchaft fehr fehmere Unterfuchungen enthalte, z. E. obdie- 
Seele einfach oder materiel fey, ob fie nach) dem Tode des 
Menfchen einen andern Körper befommen werde, und mas 
dergleichen mehr it. Allein das wenigfte in derfelben ift 
von folder Schwierigfeit. Die allermeiften und nüßlich- 
ften Unterfuchungen in derfelben find fehr leicht, weil fie 
auf unferer eigenen Erfahrung beruhen. Zum andern fa- 
gen einige Weltweife, daß die Pfnchologie eine dem Men- 
fehen unmögliche Wiffenfchaft fen. Die Seele fey ein fol- 
ches verborgenes Wefen, daß wir Menfchen nicht in Stan- 
de fenn, irgends etwas yon derfelben mit Deutlichfeit und 
Gewißheit zu erfennen. Dieſe Weltweiſe pflegen diefen 
Gedanfen, mit vieler Beredfamfeit, auszudehnen. Sie 
ftellen die engen Grenzen des menfehlichen Verſtandes aufs 
lebhaftefte vor, und fie berufen fich, zur Beftätigung ihrer 

A5 allge— 


10 Einleitung 


allgemeinen Ausrufungen, auf einige ſpitzfuͤndige Fragen 
von der Natur und dem Weſen der menſchlichen Seele, 
welche wir Menſchen aufzulöfen freylich nicht, im Stande 
find. Allein folche allgemeine Borwürffe beweifen nichts. 
Wer geindlich zeigen wit, daß die Pfychologie eine uns 
Menfchen unmögliche Wirfenfchaft fen, der muß nicht 
bloß zeigen, daß manche Dinge in derfelben vorfommen, 
die wir nicht mit gehöriger Deutlichfeit und Gewißheit 
entfcheiden koͤnnen; fondern er muß diefe Wiflenfchaft 
Sat für Saß durchgehen, und zeigen, daß alles, was 
in derfelben gelehrt wird, dunkel, unveritandlich, falſch und 
ungewiß ſey. Und das hat nod) Feiner, diefer Gegner 
der Pfnchologie, getban. Sondern weil fie felbft, aus 
Mangel des Verſtandes oder Willens, fo unmiflend in der 
Erfenneniß ihrer Seele find, fo fuchen fie einen ehrbaren 
Vorwand, womit fie ihre Unmiffenheit und Faulheit be— 
mänteln wollen, und geben alfo vor, daß wir Menfchen 
von unferer Seele gar nichts wiſſen fönnten. Es gibt 
einige Weltweife, welche die Pfychologie, als einen Theil 
der fo genannten verborgenen Weltweisheit anfeben, 
in welcher von allen denjenigen Dingen gehandelt wird, 
die wir nicht verftehen. Allein das heißt eben fo viel als 
behaupten, daß die Pfychologie unmöglich ſey; und die 
verborgene Weltweisheit ift gar Feine Weltweisheit, fon- 
dern ein Regifter derjenigen Sachen, über welche wir 
Menfchen gar nicht philofophiren Fönnen. 


8§. 474 

Die Pfuchologie wird in die erfahrende, und vers 
nünftige $ehre von der Seele eingetheilt. Die erfahren» 
de oder empirifche Pfychologie ift diejenige Willen: 
ſchaft von der Seele, weldye auf eine nähere Art aus der 
Erfahrung bergeleitet wird, In diefer Pſychologie fam- 
fen wir alle Erfahrungen, die wir von den Würfungen 
und Veränderungen unferer eigenen Seele haben Fünnen, 
Wir unterfcheiden die verfchiedenen Veränderungen unferer 
Seele von einander, und machen uns von denfelben, ver- 
mittelft 


in die Pfychologie. I 


mittelft unferes innern Gefühls, deutliche Begriffe, und 
alsdenn handeln wir in derfelben alles ab, was durd) einen 
einzigen Schluß oder doc) durch einen Fürzern Beweis, aus 
diefen unmittelbaren Erfahrungen von unferer eigenen See— 
le, fließt. Wer diefe Pfychologie, nach den Regeln der 
ſtrengſten Lehrart abbandeln will, der muß in derfelben nur 
von feiner eigenen Seele handeln, weil er aus feiner eigenen 
unmittelbaren Erfahrung nicht wiffen Fan, ob andere See— 
len auch fo befchaffen find, wie die feinige. Diefe Pfycho- 
logte ift fehr leicht, und fie erfodert nur vornemlich eine Ge— 
fhidlichfeie Erfahrungen zu famlen, famt der dabey nötbi- 
gen Behutſamkeit. Sie enthält das brauchbarfte, was in 
der Pfychologie vorfomt. Die vernünftige Pfychologie 
ift diejenige Wiffenfchaft von der Seele, welche aus dem 
abftrasten Begriffe von der Seele, durch längere und weit: 
fäuftigere Beweiſe, hergeleitet wird. Sie bemweift dasjeni- 
ge, was man von feiner eigenen Seele in der empirifchen 
Pſychologie erfannt hat, von allen menfchlichen Seelen; fie 
handelt von der Natur und dem Wefen der Seele; fie han- 
delt von folchen Sachen, die fchlechterdings durd) die Er- 
fahrung nicht entfchieden werden fönnen; fie fucht die Grün- 
de und Entftehungsart der Veränderungen der Seele zu 
entdecken, und fie handelt von den übrigen endlichen Gei— 
ftern und Seelen auffer der menfchlichen Seele. Und da 
Fan man nicht leugnen, daß in diefer Pſychologie fehr ſchwe— 
te Sachen vorfommen, ja viele folhe Sachen, welche mit 
Hecht zu der verborgenen Weltweisheit gerechnet werden 
müfjen. Wir merden es verfuchen, das nüßlichite und 
— aus derſelben auf eine nuͤtzliche Art abzuhan— 
eln. 


$. 475. 
— Die Pſychologie gehoͤrt unter diejenigen Wiſſenſchaf— 
ten, welche uns den groͤſten Nutzen verſprechen, und in der 
uͤbrigen menſchlichen Erkenntniß von einer ungemeinen 
Brauchbarkeit find. Wir wollen nur, einen vierfachen Mu— 
Ken, anmerken, Erſtlich enthält fie die eriten Gründe, fo 
wohl 


12 Einleitung 


wohl der natürlichen, als auch der geoffenbarten Gottes: 
gelahrheit. Die ganze Gottesgelahrheit berubet darauf, 
daß mir uns, von GOtt und feinen Vollkommenheiten, 
richtige Begriffe machen. Nun muͤſſen wir uns, in der 
Gottesgelahrheit, ſonderlich angelegen ſeyn laſſen, diejeni— 
gen Vollkommenheiten GOttes Fennen zu lernen, welche 
zu ſeiner Natur gehoͤren, in ſo ferne er ein Geiſt it: ſeine 
Allwiſſenheit, Weisheit, Guͤte, Gerechtigkeit, ſeine hoͤch— 
ſte Vernunft, Freyheit wf. w. Wir würden uns von 
alten diefen Vollkommenheiten gar feinen Begrif machen 
koͤnnen, wenn wir fie nicht felbjt befäffen, und wenn wir 
fie nicht durch unfer innerliches Gefühl aus der unmittel- 
baren Erfahrung Fenneten. So wenig wir ung von einem 
fechften Sinne einen Begrif machen fonnen, weil wir nur 
fünf äufferliche Sinne befigen : fo wenig würden wir - 
auch willen, was Verſtand, Vernunft, freyer Wille, Er: 
fenntniß, Weisheit, Güte u. f. mw. fen, wenn wir nicht 
alle diefe Bot fommenheiten ſelbſt befallen. Da wir nun 
in der Pſychologie alle Bollfommenheiten, die zum Ber: 
ftande und Willen eines Geiftes gehören, aufs genauefte 
fennen lernen; fo werden wir durch Diefelbe, zu einer ge— 
hoͤrigen Erkenntniß GOttes, vorbereitet. Je beſſer je- 
mand die Pſychologie verſteht, ein deſto groͤſſerer Gottes— 
gelehrter kan er werden. Je ſchlechter er aber in der 
Pſychologie bewandert ift, defto weniger ift er im Stan- 
de, in der Öottesgelahrheit auf eine GOtt anftändige und 
richtige Art zu denfen. Die genaue Erfenntniß unferer 
eigenen Seele ift der einzige Weg, zu einer genauen Er— 
kenntniß GOttes zu gelangen. Wir Menfchen haben 
überhaupt feinen andern Weg zur Erkenntniß GOttes zu 
gelangen, als feine Werke. Unter allen Werfen GOt— 
tes aber find die endlichen Geifter die einzigen Creaturen, 
Die uns zu der ausfübrlichiten und deutlichften Erfenntniß 
GOttes leiten, und die lernt man in der Pſychologie recht 
fennen. Auſſerdem ift auch diefe Wiffenfchaft, zu der 
uͤbernatuͤrlichen Gottesgelabrheit, auf eine — Br 

rauch⸗ 


in die Pſychologie. 13 


brauchbar. Sie feßt uns in den Stand, Natur und 
Gnade von einander zu unterfcheiden, indem fie uns die 
Natur der Seele erklärt, und zeigt, was in der Seele na- 
türlich ift, und wie weit die Natur der Seele zu gehen 
im Stande ift. Ja da die ganze Heylsordnung, der 
Natur der Seele, recht gemaß und angemeſſen ift; fo Fan 
ein Gottesgelehrter aus der Pfychologie die Gründe, von 
der Einrichtung der Heylsordnung, lernen, und dadurch 
überzeugte werden, daß GOtt in derfelben nichts fodere 
und verordnet habe, welches der Natur der Seele wider: 


fpricht. 
+ 47 6, 


Der andere Nusen der Pſychologie befteht darin, 
daß fie, Die erften Gründe der ganzen practifchen Weit. 
mweisheit, enthält. Alle unfer Wiſſen muß practifch feyn, 
und es würde alfo die Pſychologie fehr unvollfommen 
ſeyn, wenn fie feinen Einfluß in die practifchen Theile der 
Weltweisheit hätte. Wir würden fein Ende finden, 
wenn wir alle die befondere Mugen namhaft machen mol- 
ten, die man ſich von diefer Wiffenfchaft, in allen Thei— 
len der practifchen Weltweisheit, zu verfprechen bat. Wir 
wollen nur, einige Hauptbetrachtungen, Darüber anftellen. 
1) Die ganze practifche Weltweisheit handelt von Rech— 
ten, und Pflichten. Nun flieflen, alle Rechte und Pflich— 
ten, aus der Matur des freyen Willens, Folglich ift es 
unmöglich, fich einen rechten Begrif von Rechten und 
Pflichten zu machen, und noch weniger zu entfcheiden, 
welches die wahren menfhlichen Rechte und Pflichten, 
und welches die falfchen find, wenn man nicht aus der 
Pſychologie, die wahre Natur der menfchlichen Seele, 
und infonderheit ihres frenen Willens, fant den Schran— 
fen defielben hat Eennen fernen.) : Man fan aljo ohne 
Pſychologie, Feinen fichern und zuverlaßigen Schrit, in 
der practifchen Weltweisheit thun, indem in derfelben die 
ächten und wahren Gründe aller menfehlichen Rechte und 
Pflichten enthalten find, Seitdem man in der Pſycho— 
| logie 


14 Einleitung 


logie weiter gekommen, ſeitdem iſt auch die practiſche 
Weltweisheit ungemein verbeſſert worden. Man hat 
nicht einmal, den erſten Grundſatz der ganzen practiſchen 
Weltweisheit, entdecken und beweiſen koͤnnen, bis man 
nicht in der Pſychologie die Regel entdeckt hat, nach wel— 
cher die ganze Begehrungskraft natuͤrlicher Weiſe wuͤrkt. 
2) Die Selbſterkenntniß iſt die Grundpflicht, auf welcher 
die Ausuͤbung aller uͤbrigen Pflichten gegen GOtt, uns 
ſelbſt, und andere Dinge beruhet. Ohne Selbfterfennt- 
niß Fan feine einzige Pflicht ausgeübt werden, je beffer 
aber iemand fid) felbft erfennt, defto geſchickter iſt er zu 
der Ausübung aller feiner Pflichten. Alle diejenigen Wiſ— 
fenfchaften alfo, welche die Selbſterkenntniß befördern, 
find zu der practifchen Weltweisheie nicht nur nüßlich, 
fondern auch ganz unentbehrlih. Nun Fan niemand 
leugnen, daß die Erfenntniß unferer Seele der allervors 
nehmfte Theil der Selbfterfenntniß ſey. Indem alfo die 
Pſychologie uns unfere Seele Fennen lehrt, leiſtet fie der 
practifehen Weltweisheit einen unendlich groffen Dienft. 
Und 3) fan, ein groffer Theil der Pflichten gegen uns 
felbft, ohne Pſychologie weder entdeckt und erfant, noc) 
ausgeübt werden. Alle Pflichten gegen uns felbft gehen, 
auf die Verbefferung unferer felbft und unferes Zuftan- 
des. Und der geöfte und wichtigfte Theil derfelben be: 
trift die Verbefferung unferer Seele, und aller Kräfte der: 
ſelben. Wie wollen wir alfo diefe Pflichten gegen unfere 
Seele entdecken, beweifen und ausüben fönnen, wenn wir 
nicht aus der Pfuchologie diefe Kräfte, ihre Matur und 
die mannigfaltigen WBollfommenbeiten derfelben haben 
Eonnen lernen ?_ Kurz, niemand ift im Stande, weder in 
der Theorie noch in der Ausübung, ein guter Moralift 
zu feyn, wenn er nicht in der Pſychologie, und ver Ers 
kenntniß derfelben, eine groffe Vollkommenheit beſitzt. 


. ATI. 
Zum dritten ift die Pſychologie deswegen eine fo 
nuͤtzliche Wiſſenſchaft, weil fie die erften Gründe aller 
fchönen 





in die Pfychologie. 15 


fhönen Künfte und Wiffenfchaften enthält, Alle dieſe 
KRünfte und Wiffenfchaften befchäftigen fih mit folchen 
Gegenftänden, deren gehörige und erforderte Schönheit, 
als welche Der Zweck aller dieſer Künfte und Wiſſen— 
fhaften ift, von der Vollkommenheit der untern Erfennt- 
nißfräfte der Seele abbanget, und von dem regelmäßi- 
gen Gebrauche derfelben. Die ganze Theorie der fchö- 
nen Künfte und Wiffenfchaften hanget alfo, von der Ein- 
fiht in die Natur der untern Kräfte der Seele, ab, 
und, die ganze Ausübung derfelben, von dem rechten Ge- 
brauche diefer Kräfte Wer die wahren Kegeln ver 
fhönen Künfte und Wiffenfchaften entdecken, erflären 
und erweifen will, der muß die Natur der untern oder 
finnlihen Kräfte der Seele verftehen ; und wer diefe 
Kegeln recht beobachten will, der muß die untern Kräf- 
te der Seele, in dem gehörigen Grabe der Vollfommen- 
beit, befigen. Da wir nun durd) die Pfychologie, dieſe 
Kräfte der Seele, ihre Natur und Vollkommenheit, fen- 
nen lernen ; fo beruhen alle fehöne Künfte und Wiſſen— 
fhaften, fo wohl der Theorie als auch der Ausübung nach, 
auf der Pſychologie. Nur ein Menfch, der aus tiefer 
Unwiſſenheit die fchönen Künfte und Wiffenfchaften ver- 
achtet, Fan an der Erheblichkeit dieſes Nutzens der 
Pfuchologie zweifeln. Wer aber weiß, mas für ein grof- 
fer Theil der Bollfommenheit des Menfchen, und feiner 
gefamten Ölücfeligfeit, auf der Ausübung der fchönen 
Künfte und Wiffenfchaften berubet : der ift auch über- 
zeugt, daß dieſer Mugen der Pfychologie, feiner Wichtig- 
feit wegen, zureichend ift, diefe Wiffenfchaft allen ver. 
nünftigen Leuten ungemein anzupreifen, 


8§. 478. 

„Endlich ift die Pfychologie viertens eine ungemein 
nuͤtzliche Wiffenfchaft, weil fie die erften Gründe der 
Bernunftlehre enthält, Die Bernunftlehre handelt von 

der 


16. Einleitung 


der Erkenntniß, die wir durch die obern Erkenntnißkraͤfte 
unferer Seele erlangen, und fie zeigt, wie wir fie erlan- 
gen und zur möglichiten Vollkommenheit erheben follen. 
Die ganze Theorie der Bernunftlebre beruber alfo auf der 
Natur und Vollkommenheit der oben Erfenntnißkräfte, 
und die Ausübung derfelben ift nur möglich, wenn man 
diefe Kräfte in dem gehörigen Grade der Bollfommen: 
beit befigt und gebraucht. Folglich) muß man, die obern 
Erkenntnißkraͤfte der Seele, aufs genauefte kennen, 
wenn man die Bernunftlehre zu einer gefunden und in der 
That brauchbaren Willenfchaft machen wil. Da nun 
die Pfychologie, die Natur der obern Erfenntnißkräfte, 
des Berftandes und der Vernunft, erklärt: fo ift ohne 
derfelben, eine wahre DBernunftlebre, unmöglich, In 
den feholaftifchen Zeiten ward die Vernunftlehre mit un- 
natürlichen, ganz willführlichen, falfchen und pedanti- 
fihen Kegeln zu denfen angefült, und fie ward ein Ber: 
derben des Verſtandes und der Vernunft, da fie ein 
Verbefferungsmittel und eine beilfame Arzeney dieſer 
Kräfte ſeyn ſolte. Allein das Fam daher, weil man 
die Pſychologie nicht recht verstand,  Machdem man 
aber die Natur der Erfenntnißfräfte, durch die Pſycho— 
fogie, beffer bat Fennen lernen, nachdem hat auch die Ver: 
nunftlebre eine viel befiere Geftalt gewonnen, Nun 
wiſſen alle vernünftige Gelehrte, wie nüßlich und unent: 
behrlich einem iedweden Gelehrten eine gefunde Vernunft: 
ehe fey. Folglich ift unwiderſprechlich Flar, daß die 
Pſychologie auch deswegen eine fehr nüßlihe Wiffen- 
fehaft fey, weil fie die wahren und erſten Gründe der 
Bernunftlehre in fich enthalt. | 


§. 479. 

Aus allen diefen Betrachtungen, die wir über den 
Nusen der Pſychologie angeftellet haben, erhellet dem— 
nach, daß die Pſychologie eine Duelle vieler Wiſſenſchaf— 

ten 





in die Pfychologie. 17 


ten fen, welche fehr nuͤtzlich und zu der gefamten Gluͤck— 
feeligfeit eines Menfchen höchft unentbehrlich find. Ja 
die ausführliche Abhandlung dieſer Wiffenfchaft wird ei= 
nen jedweden aus der Erfahrung überzeugen, daß fie 
mit angenehmen, lehrreichen und. brauchbaren Unterſu— 
Hungen angefuͤlt ſey. Zu gleicher Zeit ift aus diefen 
Unterfuhungen Flar, daß fie eine metapbufifhe Willen: 
fhaft ſey, oder daß fie mit Recht zur Metaphyſik gerech- 
net werde, weil fie eine Wiffenfchaft ift, welche Die erften 
Gründe der menfchlichen Erfenntniß enthält, und der— 
gleichen Wiflenfchaften gehören allemal zur Metaphnfif 
$.3. Es mürde demnach ohne allen Grund gefcheben, 
wenn man fie nicht, als einen Theil der Metaphy— 
ſik, betrachten wolte, 





3. Theil, | B Die 


18 A AU 
a I‘σ σα 


Die empiriſche Pſychologie. 
Der erſte Theil 


von der sch 
Wuͤrklichkeit der Seele. 
$. 480. | 


iv. müffen uns vor allen Dingen einen folchen Bes 
grif von der Seele machen, vermöge defjen wir 
fie von allen übrigen Dingen unterfcheiden, und 

allemal wiffen koͤnnen, von was für einer Sache wir ves 
den, wenn wir das Wort Seele brauchen, Und da ver 
ſteht man durch die Seele ein Ding, welches ein Theil 
eines andern Dinges ift, und denken Fan, oder welches fich 
einiger Sachen bewußt feyn Fan. Einige Weltweife erflä- 
von die Seele durch ein Ding, welches Vorjtellungen bat, 
denft und begehrt. Allein diefe Erklärung ift falſch. Un— 
fere Seele befindet fich ofte in einem Zuftande, in welchem 
fie gar nicht denkt. Da fie nunalsdenn demohnerachtet 
doch eine Seele ift: -fo fan man die Seele fich nicht immer 
als ein Wefen vorftellen, welches denkt, Allein da fie doch 
beftändig das Vermögen zu denken hat: ſo ift fie ein Ding, 
welches denfen Fan, oder welches fidy feiner und anderer 
Dinge bewußt feyn fan. Ueberdem ift GOtt auch ein 
Ding, welches denft und denken Fan, niemand aber nenne 
ihn eine Seele, weil er nicht als ein Theil eines andern 
Dinges betrachtet werden fan. Eben fo nehmen einige 
an, daß es endliche und erfihaffene Geifter in der Welt 
gibt, welche mit feinen Körpern vereiniget find. Da die: 
feiben nun denken koͤnnen, nicht aber Theile eines Dinges 
find, von welchen man fagt, Daß es denkt, fo nenne man 


N fie 











Don der Wuͤrklichkeit der Seele, 19 


‚ fie auch Feine Seelen. Folglich ſtelt ſich jederman unter 
dem Wort, Seele, ein Ding vor, welches ein Theil eines 
andern Dinges if, welchem andern. Dinge man Gedanken 
zufchreibt, und melches denfen Fan. Go fagt man: Die 
Thiere.denfen, und man ſtelt fich dieſelben als ein Ganzes 
vor, deffen einer Theil denkt, und denfelben nennt man die 
Seele des Thiers. Dieſe Erklärung der Seele ift eine 
bioffe Worterklärung, und wir befümmern uns hier noch 
um nichts weniger, als um die Natur und das Weſen 
desjenigen Dinges, welches wir eine Seele nennen, Der— 
jenige denkende Theil eines Ganzen, den wir eine Seele 
‚nennen, mag Eörperlich oder unkörperlich feyn, oder er mag 
befchaffen feyn wie er will, das Fan ums hier gleichviel geſ— 
ten. Es gibt einige Materialiften, welche, gleich im An- 
fange der Pfycholegie, Die Lehrer derfelben in Verwirrung 
zu fegen fuchen. Sie fragen: was ift die Seele? Wenn 
man nun antwortet: ein Ding, welches Denken kan; fo 
fragen fie hönifch: was fie denn für ein Ding fey ? und 
verlangen alfo, man folle ihnen gleich aufs nn die 
Natur und das Wefen der Seele, erklären, Diefe Leute 
folten erft die Art und Weife lernen, wie man durch die 
Erfahrung, zu der Erfenntniß der Natur einer Sache, ges 
langet. Wenn wir die Natur des Feuers erflären follen, 
ſo fangen wir von den Würfungen des Feuers an, und ſa— 
gen, daß es derjenige Körper fen, welcher leuchter,, waͤrmt 
„und. brennt, und alsdenn unferfuchen wir nach und nad) 
die Natur des Feuers, . Und eben fo müffen wir es, mit 
der Seele, machen. - Wir wollen fie aus der Erfahrung 
fennen lernen, und alfo müffen wie von ihren Wirkungen 
den Anfang machen. Da nun das Die erfte Erfahrung 
ift, die wir von unferer Seele haben, daß fie denkt, wie ich 
gleic) zeigen will; fo gehn wir am ficherften und behutfam- 
ften, wenn wir ung Die Seele anfangs nicht anders als ein 
Ding vorftellen, welches denfen Fan. 
$. 481. 


Die ag, Erfahrung lehrt uns, daß wir benfen, 
D.2 Es 


20 Don der Woͤrklichkeit der Seele. 


Es iſt dieſes ſo unleugbar, daß, wenn man auch daran 
zweifeln wolte, ſelbſt der Zweifel in Gedanken beſteht, und 
derſelbe uns alſo um ſo viel mehr uͤberzeugt, daß wir den— 
ken. Wir ſind demnach denkende Weſen. Nun ſagt uns 
eben die unleugbare Erfahrung, daß wir aus vielen Thei— 
len beſtehen, von deren vielen wir nicht erfahren, daß ſie 
denken. Wer fan jemals auf den thoͤrichten Einfal gera— 
then, zu fagen: er erfahre, daß feine Fuͤſſe und Hände 
denken ? Folglich ſagt uns die deutliche Erfahrung, daß 
‚unfere Gedanfen in einem Theile von uns angetroffen wer- 
den. Folglich iſt in uns, als denfenden Weſen, ein Theil, 
welcher. denft, und alfo auch denken Fan. $. 61.  Diefer 
Theil iſt würflich, weil er fonft nicht denken Fönnte, indem 
man, von der WürflichFeit der Wirkungen, allemal auf 
die WürklichFeit der Urſach fchlieffen Fan, Folglich haben 
wir eine Seele, oder es iſt eine Seele in uns würflich. 
Geſetzt auch, es wolte jemand fagen, daß unfere Gedanken 
nichts anders als Bewegungen in unferm Gebirne feyn: 
fo ift uns dieſes jeßo noch nicht zuwider. Geſetzt, es wäre 
‚dem alfo, fo wäre das Gehirne derjenige Theil in uns, wels 
cher denken Fan, und.es wäre alfo unfere Seele. Man 
muß die beyden Fragen forgfältig von einander unterfchei: 
den: ob wir eine Seele haben, und ob wir eine Seele von 
diefer oder jener Befchaffenheit haben? Die erfte Frage 
fan fchlechterdings Fein vernünftiger Menfch in Zweifel 
ziehen, und um die andere Frage befümmern wir uns bier 
noch nicht. Ja, fagen manche Weltweife, dieſes laͤßt ſich 
wohl hören. Allein wenn man von der Seele handelt, 
und man fan gleich anfangs ihre Natur nicht deutlich zei- 
gen, fo fan man auch ihre Handlungen und Würkfungen 
nicht erklären, und alfo folte man von der Gecle lieber 
ganz und gar ftille fehmeigen. Allein diefe Weltweifen 
verwechfeln bier wiederum mancherlen. in anderes ift 
es: die Würfungen einer Urfach überhaupt von einander 
unterfcheiden, und deutlich erklaͤren; und ein anderes ift 
es, Die Are und Weife zeigen, wie die Urfach durch ihre 

Natur 








Von der Wuͤrklichkeit der Seele. 21 


Natur ihre Wuͤrkungen hervorbringt. Man kan das Bren⸗ 
nen und Leuchten von einander unterſcheiden, und ſich von 
beyden einen deutlichen Begrif machen, ohne die Natur 
des Feuers zu verſtehen. Wer aber die Entſtehungsart 
des Brennens und Leuchtens deutlich erklaͤren will, der muß 
freylich die Natur des Feuers einſehen. Nun wollen wir, 
in der empiriſchen Pſychologie, die Entſtehungsart der dere 
fhiedenen Veränderungen der Seele nicht vollftändig ers 
flären. _ Sondern wir wollen nur, dieſe Veränderungen 
und Würfungen felbft, deutlich Eennen lernen. Folglich 
ilt es hier gar nicht nöthig, die Natur der Seele zu verſte— 
ben. Aus diefem Beweiſe der Wirklichkeit unferer Seele 
erhelfet demnach, daß Carteſius recht hat, wenn er fagt? 
die Seele fey uns befanter als unfer Körper, oder wit 
Fönnten leichter und eher überzeugt werden, daß wir eine 
Seele, als daß wir einen Körper haben. Das erite fehlief- 
fen wir unmittelbar aus unferm Gefühl, welches uns ver— 
fihert, daß wir denfen, und es ift alfo fchlechterdings noth— 
wendig, Daß efwas in uns fen, welches denkt, Daß mir 
aber einen Korper haben, fehlieffen wir daher, weil unfere 
Geele, einen folhen Körper fiehe, fühle, oder überhaupt 
auffer fich empfindet. Und da muß erſt erwiefen werden, 
daß diefe Empfindungen auf einen Gegenftand fich bezie- 
ben, der auffer der Seele würflich ift. Diefer Beweis iſt 
niche fo leicht, wie mancher fich einbildet. Wer da zwei- 
feln wolte, ob er eine Seele habe, der würde eben durch 
diefen Zweifel unmwiderfprechlich erweifen, daß er eine See— 
le babe. Wer aber an der Wuͤrklichkeit feines Körpers, 
zweifelt, der Fan durch viele feheinbare Gründe, die Wuͤrk— 
lichkeit des Körpers, ungemwiß machen, Es bilden ſich 
viele ein, daß es viel gewiſſer fen, daß mir einen Körper 
als daß wir eine Seele haben. Das fomt aber daher, 
teil wir uns von unferer Geburt an angewoͤhnt haben, von 
unferm Sehen, Hören, oder überhaupt von unfern Auffer« 
lichen Empfindungen auf die Wuͤrklichkeit derjenigen Din— 
ge zu ſchlieſſen, welche diefelben verurfachen. Unfere Seele 


37 fönnen 


gi 


22 Don der Wuͤrklichkeit der Seele. 


koͤnnen wir aͤuſſerlich nicht empfinden, ſondern nur. inner: 
lich. Wenn wir alfo bey unferer innerlichen Empfindung 
eben fo. zu. fchlieffen gewohnt wären, fo würde jederman, 
von. der Würflichkeic feiner Seele, eher und leichter gewiß 
feyn, als von der Würflichfeit feines Körpers, | 
.. 482 

-. . Die Gedanfen * nichts anders als Accidenzien. 
Diefer Sas ift fo Klar, Daß es noch niemanden eingefallen 
iſt, zu fagen, daß ein Gedanfe eine Subftanz fey; weil 
ein Gedanke nicht anders gedacht werden Fan, als eine 
Beſtimmung und ein Prädicat eines andern Dinges $. 154. 
Ja die Erfahrung überzeugt uns ſtuͤndlich, daß unfere Ge— 
danken auf einander folgen, und da fie alſo nichts anders 
als Veränderungen unferer Seele find $. 122. fo koͤnnen fie 
auch um diefer Urſach willen nichts anders, als Accidenzien 
unferer Seele, feyn. Nun fage ung zwar die Erfahrung 
nicht, daß alle unfere Gedanken, den hinreichenden Grund 
ihrer Wirklichkeit, in der Seele felbft haben: denn man: 
he Gedanken entitehen auf eine fo ftille und leichte Ark, 
Daß man bey ihnen nicht fühlen Fan, ob die Seele dabey 
geſchaͤftig ſey, oder fich bloß leidend verhalte. Allein bey 
manchen Gedanken fühlen wir es aufs Flärfte, daß Die 
Seele ſich bemuͤht, fie zu winken. Folglich erfahren wir, 
daß, einige unferer Gedanken, durch die. Seele ſelbſt ge— 
wuͤrkt werden. Das Denken ermuͤdet uns ofte, und wird 
uns ſauer, und. das, würde nicht gefhehen, wenn unfere 
Seele ſich bey allen ihren Gedanfen bloß leidend verbielte, 
Wenn wir in den. Wiſſenſchaften einer Sache ſcharf nach: 
denken, wen wir auf dasjenige Achtung geben, was wir 
leſen, hören oder fonft empfinden ; ſo fühlen wir esnur gar 
zu Deutlich, daß in uns ein thätiges Weſen iſt, welches 
durch feine Gefchäftigkeit die Gedanken würft, Folglich 
hat die Seele eine Kraft zu denken, fie, ift eine denkende 
Kraft und Subftanz $. 154. 158. Geſetzt auch, daß Viele 
Gedanken nichts anders als bloffe $eiden feyn, fo Fan matt 
doc) überzeugt werden, daß die Seele eine wahre — 

ey, 





Don der Würklichkeie der Seele: 83 


ſey, wenn man nur überzeugt ift, daf fie einige Gedanken 
ſelbſt wuͤrke. Und da erfahren wir das Beftreben, das 
Demühen zu denken in unferer Seele, ofte fo klar, als 
wir unfere eigene Gedanken und unfere Wuͤrklichkeit 
fühlen, 
$. 483. Ä 
So viel wiſſen wir nun aus der Erfahrung, daß die 
Seele eine denfende Subftanz ſey. Folglich iſt fie eine 
folche Kraft, oder fie befist eine folhe Kraft, welche zum 
Denken aufgelegt ift, welche gefchickt ift, Gedanken zu würs 
fen. Alle Gedanken find Borftellungen. Die Kraft der 
Seele ift demnach eine folhe Kraft, welche gefchidt ift, 
Vorſtellungen zu würfen. Nun bekommen die Kräfte ihre 
Mamen von den Würfungen, die fie hervorbringen. Folg- 
lich ift unfere Seele eine Vorſtellungskraft. Nun fage 
uns die Erfahrung, daß wir viele Theile diefer Welt in 
unfern Gedanken uns vorftellen. Wir denken an uns felbft, 
an andere Menfchen, an unendlich viele Körper, Veraͤn— 
derungen und Begebenheiten, welche insgefamt Theile die— 
fer Welt find. Folglich ift unfere Seele eine Vorſtel— 
lungskraft diefer Welt, oder eine Kraft, welche fich diefe 
Melt vorſtelt. Wir wollen dadurch noch nicht fagen, Daß 
fi die Seele alles in der Welt ohne Ausnahme vorftelle, 
fondern es ift uns genung, wenn wir bier nur annehmen, 
Daß fich die Seele viele Theile der Welt vorftelle, fo Fan 
man doch mit Wahrheit ſagen, Daß fie fich die Welt vors 
fielle. So fagen wir, daß wir uns GDdre vorftellen, ob 
es gleich feinem vernünftigen Menfchen einfält, zu be- 
haupten, er ftelle fich alles vor, was in GOtt if, Und 
eben fo ſagt man, man denke fi) felbft, ob wir gleich niche 
alles denken, was in uns angetroffen wird, Dieſe Be- 
trachtung wird dadurch vollfommen beftätiget, daß wir in 
der Coſmologie erwiefen haben, daß eine jedwede Gub- 
ſtanz in der Welt eine Vorftellungsfraft der Welt fey 
$. 369. Mun leugnet niemand, daß unfere Seele eine 
Subſtanz fey, welche in diefer Welt wuͤrklich ift, Folglich 
D4 muß 


24 Don der Wuͤrklichkeit der Seele. 


muß auch von ihr dasjenige gelten, was wir von allen 
Subſtanzen der Welt überhaupt erwieſen haben. 
| 9. 484 
Wir gedenfen viele Körper in diefer Welt, und find 
ung ihrer Veränderungen bewufit. So find wir uns der 
Luft, des Waffers, vieler Bäume u. ſ. w. und ihrer Ver— 
änderungen bewußt. ine geringe Aufmerkfamfeit Fan 
uns überzeugen, daß wir uns nicht aller derjenigen Korper, 
der wir uns bewußt find, in. einem gleichen Grade bewußt 
find. Sondern von einem Korper find wir uns immer 
mehrerer Veränderungen bewußt, als von: dem andern, 
Und da finder fich ein Körper, deſſen wir ung mehr bewußt 
find, als aller übrigen Körper in der Welt, und den nen- 
nen wir unſern Rörper, oder den Leib unferer Seele, 
weil wir uns der Veränderungen feines andern Körpers 
bewuße ſeyn fünnen, als vermittelft der Veränderungen 
deffelben, deren wir uns bewußt find, und wir betrachten 
ihn Daher als einen Theil von uns, Wenn ich einen 
Baum fehe, fo Fan ich mir deffelben nicht anders bewußt 
werden, als wenn id) die Berändernng merfe, die er ver—⸗ 
mittelft des Lichts in meinen Augen und alfo in meinem 
Körper hervorbringt. Folglich find die Veränderungen 
meines Körpers dasjenige, was fich meine Geele allemal 
unmittelbar zunaͤchſt und zuerft vorftelt, wenn fie die Kör- 
perwelt fich vorftele, und die Borftellung meines Körpers 
und feiner Veränderungen ift das Mittel, wodurch meine. 
Geele zu den Borftellungen anderer Körper in der Welt 
gelangte. Sie ift fich alfo diefes Körpers in einem fo ho— 
hen Grade bewußt, daß fie niemals in dieſem Puncte irre 
werden, und denfelben mit andern Körpern verwechfeln 
fan. Wir haben auch unfern Körper nicht etwa deswegen 
zu erklären nöthig, damit dieſe Verwechſelung verhütee 
werde; fondern wir haben uns von demfelben einen deutli= 
chen Begrif machen wollen, weil wir dadurch in den Stand 
gefegt werden, die Matur der Seele deutlicher zu erkennen. 
Und gefegt auch, daß biefer Korper eine bloffe Einbildung 
unferer 


Don der Wuͤrklichkeit der Seele. 05 


unferer Seele fen; fo lehrt Doc) Die Erfahrung, daß ein. 
ieder fich beftandig als ein Ding vorftelie, welches aus ei- 
ner Seele und aus einem Körper beftehe, Der erfte ift 
der Theil des Menfchen , welcher denkt, er mag nun ein - 
Körper fenn oder nicht; und der andere ift derjenige Koͤr— 
per, vermöge defien fich die Seele anderer Körper bewußt - 
iſt. Diefer unfer Körper iſt in diefer Welt auffer und ne= 
ben andern Körpern würflich, er folgt auf andere Körper, 
und andere Körper folgen auf ihn. Folglich hat unfer 
Korper in der Welt eine beftimte Stellung, einen beftim- 
ten Dr, ein beftimtes Alter, und eine beſtimte tage $.363, 
wenigftens ftellen wir uns unfern Körper allemal, in einer: 
gewiſſen beftimten Stellung in diefer Welt, vor. 


§. 485. 

Wenn wir ung gleih im Anfange der Pfochologie 
einen binlänglichen Begrif von unferer Seele machen wol=- 
len, fo muͤſſen wir fie uns nicht bloß als eine denfende Sub- 
ffanz vorftellen, welche fich) die Welt vorftelt, fondern auch 
als eine folhe Subſtanz, welche ſich die Welt nad) der 
Stellung ihres Leibes in der Welt vorftell. Zu dem En: 
de müffen wir uns aus F Erfahrung zuerft überzeugen, 
daß unfere Seele deutliche, verworrene und dunkele Bor: 
fiellungen habe. Die Erfahrung lehrt uns, daß wir ung 
viele Dinge dergeftalt vorftellen, daß wir uns derfelben 
nicht nur im Ganzen betrachtet bewußt find, fondern daß 
wir uns auch zu gleicher Zeit einiger ihrer Theile und Merks 
male bewußt find, und diefelben in ihrem Ganzen von ein⸗ 
ander unterfcheiden. Alle Wahrheiten in den Wilfen- 
ſchaften, alle Definitionen find dergleichen Gedanken. So 
ofte wir eine Rede vernemlich hören, und einen Menfchen 
dergettalt fehen, daß wir die Theile feines Gefichts von ein- 
ander unterfcheiden Fönnen, fo ofte haben wir dergleichen 
Borftellungen. Da nun diefe Borftellungen deutlich find, 
fo lehrt uns die unmittelbare Erfahrung, daß wir deutliche 
Vorftellungen haben, Eben fo leicht iſt zu erweiſen, daß 
wir viele verworrene Vorftellungen haben, indem wir uns 


5 vieler 


»5 Von der Wirklichkeit der Seele; 


vieler Dinge zwar im Ganzen betrachtet bewußt find, und 
fie von andern Dingen unterfcheiden Fönnen ; wir fünnen 
aber nichts in ihnen von dem andern unterfcheiden, indem 
wir uns Feines ihrer Theile oder Merkmale bewußt find. ' 
So haben wir verworrene Vorftellungen von den Farben, 
yon den verfchiedenen Arten des Öefchmads, von den ficht- 
baren Dingen, wenn wir fie in der Ferne fehen u. ſ. we 
Nun fonnen wir zwar die Gegenwart der dunkeln Vor— 
ftellungen in unferer Seele nicht unmittelbar erfahren, weil 
wir uns ihrer nicht bewußt find, allein wir koͤnnen fie aus 
unfern Erfahrungen beweiſen. Nemlich wir erfahren, daß 
wir viele verrworrene Vorftellungen haben, Diefer Bor: 
Stellungen find wir uns bewußt, oder wir unterfcheiden fie 
von andern. Folglich erkennen wir ihren Unterfchied, oder 
daß in ihnen was fen, was in andern nicht iſt. Das ift: 
wir erkennen ihre Theile und Merkmale, weil das Bewußt⸗ 
feyn in der Erkenntniß der Merkmale befteht. Allein wir 
find ung diefer Merkmale, bey einer verworrenen Vorftel- 

lung, nicht bewußt; weil twidrigenfals die Vorstellung 
nicht verworren fondern deutlich wäre, Folglich haben 
wir, von den Merfmalen unferergperworrenen Borftellun 
gen, folche Vorſtellungen, deren wir uns nicht bewuße find, 
. Das iſt, mir ftellen fie uns vunfel vor. Alle verworrene 
Borftellungen find aus dunkeln zufammengefegt, und mo 
alfo jene find, da müffen aud) diefe feyn. Da wir nun 
viele verworrene Borftelfungen haben, fo ift auch unleug- 
bar, daß wir viele dunkele Vorftellungen in unferer Seele 
haben. Der Inbegrif aller dunfeln Vorftellungen der 
Seele wird der Grund der Seele genannt, weil fie die 
Grundlage der ganzen menfchlichen Erfenntniß ausmachen. 
Man fagt z. E. jemanden von Grunde feines Herzens 
lieben. Es iſt demnach Flar, daß unfere Seele fich einige 
Dinge in diefer Welt deutlich, einige verworren, und ei- 

nige dunkel vorftelle, und daß fie eine Sache fich bald deut: 
lich, bald verworren, bald dunkel vorſtelle. 


$.486. 


Von der Wuͤrklichkeit der Seele 27 


. 486% 

Weil die — die Lehre von den dunkeln Vor: 
ſtellungen brauchen, um einige ihrer Meinungen daraus 
zu erklaͤren, ſo iſt ſie von ihren Feinden nicht unangefoch— 
ten geblieben, Man kan ſonderlich einen doppelten Ein— 
wurf, wider die Wuͤrklichkeit der dunkeln Vorſtellungen in 
unſerer Seele, machen. Einmal koͤnte man ſagen, daß 
man von ihrer Wuͤrklichkeit nicht uͤberzeugt ſeyn koͤnne, 
weil wir uns dieſer Vorſtellungen nicht bewußt ſeyn, und 
man ſie alſo nicht erfahren Fan Man mi e fie dem- 
nac) höchftens bloß als eine ungewiffe Meinung be— 
trachten, welche die Weltweiſen angenommen haben, 
um daraus einige Veraͤnderungen der Seele zu erklären. 
Nun muß manfreylich zuaeftehen, Daß wir die dunkeln 
Vorſtellungen nicht unmittelbar erfahren Fönnen. Allein 
es ift thoͤricht, Dagienige zu leugnen, was man nicht aus 
der unmittelbaren Erfahrung weiß, Wir Föünnen mittel: 
barer Weife aus der Erfahrung uns, von der Wuͤrklich— 
feit der dunkeln Borflellungen, überzeugen, wie ich in 
dem vorhergehenden Abfaße gezeigt habe Wir find ung, 
vermittelt der unmittelbaren Erfahrung, folcher Veraͤnde— 
rungen unferer Seele bewußt, von denen wir erweifen koͤn— 
nen, theils daß fie aus Dunkeln Borftellungen zuſammen— 
gefest find, wie 3. E. unfere vermorrenen Borftellingen, 
theils daß fie aus dunkeln Vorftellungen ihren Urſprung 
nemen, wie kuͤnftig gezeigt werden wird. ‘ Folglich Fönnen 
wir aus der Erfahrung beweifen, daß in der Seele Dun: 

e Borftellungen find. Zum andern fönte man fagen, 
es ſey nicht der Mühe werth, von den dunkeln Vorſtellnn— 
gen zu handeln, weil fie Feinen Mugen haben, und weil fie 
ols ein unnüger und unbrauchbarer Haufirath der Seele 
angefeben werden müften. Allein man fagt diefes ohne 
Grund. Wir werden uns überzeugen, daß alle unfere 
deutliche Erkenntniß aus verworrenen Vorftellungen zu- 
fammengefege ift, und wir haben fehon gefehen, daß alle 
verworrene Erkenntniß ein Ganzes iſt/ welches aus dun⸗ 

keln 


28 Don der Wuͤrklichkeit der Seele; 


keln Theilen befteht. Die dunfeln Vorftellungen find alſo 
die Materialien, das Chaos in der Geele, aus welchen die 
fhöpferifche Kraft der Seele nach und nad), .alle ihre Elare 
und deutliche Erkenntniß von diefer Welt, zufammenfeßt. 
Hätten wir nun feine dunfeln Vorſtellungen, fo hätten 
twir auch gar Feine flare Erkenntniß. Es find alfo diefel- 
ben nicht nur nicht unnuͤtz, fondern fie find auch der Seele 
ganz unentbehrlih. Ja wir werden Fünftig fehen, daß 
es unendlich viele Veränderungen der Seele, fo wohl in 
Abſicht auf ihre Erfenntnißfraft, als auch in Abſicht auf 
ihre Begehrungskraft, gebe, welche in derfelben nicht ſtat 
finden fönnten, wenn fie Feine dunfele Borftellungen hätte, 
Wir fchreiben der Seele nicht bloß folche dunfele Vorftels 
lungen zu, dergleichen wir allen einzeln GSubftanzen der 
Welt beylegen $. 362. 368. 370, fondern wir behaupten 
auch, daß die Seele ſich die Welt dunfel vorftelle, wie 
aus dem Beweiſe des vorhergehenden Abfases erhellet. 
$. 487. 

Wenn wir achtung geben, wie unfere Seele fich die 
Welt vorftelt, fo werben wir finden, daß wir uns. einige 
Dinge bald deutlicher bald weniger deutlich, bald verworz 
rener bald weniger verworren, bald dunkeler bald weniger 
dunfel vorftellen, nach dem diefe Dinge von unferm Körper 
entweder weiter entfernt find, oder nicht. Wenn wir eine 
Sache weit in der Ferne fehen oder hören, fo koͤnnen wir 
fie gar nicht wernehmen. Bewegen wir unfern Körper 
naher hinzu, fo erblicken wir fie ganz verworren wie einen 
Nebel, und hören ein vermwirrtes Getoͤſe. Geben wir noch 
naher darauf zu, fo wird unfere Vorstellung immer Flärer, 
bis fie endlich recht deutlich wird. Alsdenn Fan man recht 
deutlich fehen, und hören, Folglich fagt uns die unleug- 
bare Erfahrung, daß die verfchievene Deuklichfeit, Ver— 
wirrung und Dunkelheit vieler unferer Vorftellungen, ihren 
Grund, in der Stellung unferes Körpers in Abficht auf 
die Gegenftände derfelben, haben. Folglich Fan, aus der 
Stellung unfers Körpers, erkannt werden, warum un 

unfere 


Don der Wuͤrklichkeit der Seele. 9 


unfere Seele einige Dinge deutlich, andere verworren, und 

andere Dinge dunkel vorfielle, oder daß fie ſich die Welt 
nach der Stellung ihres Koͤrpers in derſelben vor⸗ 

ſtelle. Ein jeder weiß dieſes, von Kindesbeinen an. 

Wenn wir einen Redner recht hoͤren wollen, ſo geben wir, 

unſerm Koͤrper, die dazu noͤthige Stellung, und ſo machen 

wir es bey allen unfern Empfindungen. Wir koͤnnen hier 
nicht annehmen, daß die Seele fi), in alten ihren Vor— 
ftellungen, nach der Stellung ihres Körpers richte, auch 

nicht, daß alle DeutlichFeit, Verwirrung und Dunkelheit 
ihrer Erkenntniß, ſamt allen verfchiedenen Graden derfel- 
ben, von der Stellung des Körpers abbangen, und eben fo 

wenig, Daß die verfchiedene DeutlichFeit, Verwirrung und 

Dunkelheit unferer Erfenntniß, ihren einzigen zureichenden 
Grund, in der Stellung des Körpers’ habe. So meit fün- 
nen wir bier noch nicht gehen. Es iſt uns bier genung, 
‘wenn wir überzeugt find, Daß die Seele fich ofte in ihren 
Vorſtellnngen, na) der Stellung ihres Körpers:in Der 
Melt, richte. Man Fan auch bier noch 'nicht annehmen, 
daß die Seele dergejtalt an die Stellung ihres Körpers ge— 
bunden fen, daß fie ohne Körper fih die Welt gar nicht 
deutlich, verworren oder dunkel N koͤnne. 

9. 488. 

Aus alle demjenigen, was ich von dem 481 Abſatze 
an bis hieher abgehandelt habe, erhellet demnach, daß un— 
ſere Seele eine Vorſtellungskraft oder eine Erkenntnißkraft 
diefer Welt fen, welche fi) die Welt nach der Stellung 
ihres Körpers in derfelben vorſtelt. In der vernünftigen 
Pſychologie werden wir erweifen, daß diefes die Natur der 
Seele ſey. Hier betrachten wir dieſen Sag nur als eine 
Wahrheit, welche wir von unferer Seele aus der Erfah— 
rung erwiefen haben. In der Cofmologie ift erwieſen wor« 
den, daß eine jedwede Subſtanz in der Welt eine Kraft 
fen, welche die Welt nad) ihrer eigenen Stellung in derfel- 
ben vorftele $. 369. Folglich muß unfere Seele, weil fie 
eine Subſtanz diefer Wele ift, ebenfals eine folhe Kraft 

ſeyn, 


30 Von der Wuͤrklichkeit der Seele. 


ſeyn, welche die Welt nad) ihrer Stellung fic) vorftele. Nun 
hanget die Stellung der Seele, von der Stellung des Koͤr— 
pers, ab, weil jie in dem Körper wohnt. Folglich Fan 
man fich, durch diefe Betrachtung, noch mehr von diefer 
Wahrheit überzeugen, Man Fan-alfo mit Wahrheit fas 
gen, daß es Subſtanzen in der Welt gibt, welche die Weit 
nur nach ihrer eigenen Stellung vorftellen, und das find 
die Theile, woraus die Korper zufammengefegt find ; daß 
es aber auch) Subftanzen gebe, welche die Welt nach der 
Stellung eines Körpers vorftellen, und das find die See- 
Yen. Der Körper ift alfo der Gefichtspunet, aus welchen 
‘die Seele in die Welt Iyinein fieht. Hätte fie keinen ſol— 
chen Gefichtspunct, ſo würde fie einen Blick über die ganze 
Welt mit einemmale werffen. Und weildadurd) ihre Vor— 
ſtellungskraft würde überladen werden, fo. würde, in ihrer 
ganzen Vorftellung von dieſer Welt, nichts als Dunkelheit 
"angetroffen werden. Da fie aber ‚einen Öefichtspunct bat, 
fo Fan fie aus demfelben, nach) einer dadurch beftimten Ord⸗ 
nung, Die Welt überfehen. Alsdenn fan fie, die Dinge, 
die ihrem Körper am naͤchſten find, zuerjt und am meiſten 
ſich vorftellen, und alsdenn ihren Blick immer auf entfern- 
tere und entferntere Dinge werfen. Und dergejtalt Fan, in 
ihren Borftellungen, Ordnung, Klarheit und Deutlichfeie 


entſtehen. 


9. 489. | 

Da nun die Seele eine Vorftellungsfraft iſt oder bes 

fist 9.488, fo it fie auch eine Erkenntnißkraft, weil Bor- 
stellungen und Erkenntniß eineriey ſind. Wer alfo die 
Kraft der Seele, und alfo die Seele. ſelbſt, vecht will Een- 
nen lernen, der muß: die menfihliche. Erkenntniß aufs ges 
nauefte unterfuchen. Die Erkenntniß ift Die Würfung 
der Kraft der Seele, und wer die Würfungen recht 
genau unterfucht, der lernt eben dadurch die würfenden 
Urfachen, die Subftanzen und die Kräfte derfelben, recht 
£ennen. Da wir nun in der Pfuchologie zur Abficht ha— 
ben, die Seele und ihre Borftellungskraft genau Fennen 
zu 


—— 


Don der Wuͤrklichkeit der Seele. a1 


zu lernen; fo müffen wir die menſchliche Erkenntniß, nebft 
allen Veränderungen und Befchaffenheiten derfelben, außs 
fühelich unterfuchen. Und da wir iegt den Anfang yon die— 
fer Unterfuchung machen, fo wollen wir hier die Grade der 
Erkenntniß überhaupt unterſuchen. Bey Diefen Graden 
fan nur, von einer wahren Exfenntniß, die Rede feyn. 
Kine wahre Erkenntniß ift eine Erkenntniß, Die niche 
nur eine Erkenntniß zu fern feheint, fondern es aud) in der 
That ift. Die Unwiſſenheit ift gar feine Erkenntniß, 
oder der Mangel, die Abmwefenheit der Erkenntniß, und 
der Irrthum ift eine Scheinerfenntniß, oder eine Erfennt- 
niß, die nur eine Erfenntniß zu feyn fcheint, es aber in ber 
That nicht iſt. "Manchmal komt es uns nur fo vor, als 
wenn wir uns etwas vorftelfen, wir bilden es uns ein, es 
iſt aber ein bloffes Blendwerk, und. wir haben in der That 
gar Feine Vorſtellung. Alsdenn iſt unſere Erkenntniß ir— 
rig und falſch, wie die Erkenntniß eines Menſchen, der ſich 
eine ſchlechterdings untheilbare Materie vorſtelt. Weil 
man dieſe Worte ſich vorſtelt, ſamt der Bedeutung eines 
iedweden Worts, ſo kan man ſich leicht einbilden, als koͤn⸗ 
ne man die Bedeutungen aller dieſer Worte zuſammen ge— 
nommen denken. Allein da man alsdenn nichts ſich vor—⸗ 
ſtelt, ſo hat derjenige eine irrige Erkenntniß, der da glaubt, 
er ſtelle ſich eine ganz und ſchlechterdings untheilbare Ma— 
terie vor. Manchmal duͤnkt es uns, als ſtelten wir uns 
etwas vor, und wir thun es auch in der That, alsdenn ha—⸗ 
» ben mir eine wahre Erfennmiß, 3. E. wenn wir uns roth, 
blau, ſchwarz vorftellen. Und manchmal haben wir feine 
Erfenntniß, und es duͤnkt uns aud) nicht, als wenn wie 
uns was vorftelten, und das ift die Unwiſſenheit. Die 
wahre Erkenntniß ift eine Nealität, und hat zwey ihr ent= 
> gegengefeßte Berneinungen, die Unmiffenheit und den Irr— 
thum 6,48. Wenn eine Erfenntniß irrig und falfch ift, 
fo ift deswegen nicht gleich alles in ihr falfch, fondern fie 
Fan in verfchiedener Abficht wahr und falfch zugleich ſeyn. 
3. E. wenn man ſich eine ſchlechterdings untheilbare Ma⸗ 

terie 


32 Von der Wuͤrklichkeit der Seele. 


terie vorftelt, fo find die Borftellungen, die wir von diefen 
Wörtern und ihren Bedeutungen einzeln genommen haben, 
eine richtige Erfenntniß. Wenn man aber diefe Bedeu: 
“tungen zufammennimt, und fich einbildet, man ſtelle fich 
* bey diefem Inbegriffe etwas vor, fo iſt unfere Erfennmig 
irrig. Hier verhält es fic) als wie mitden Gemälden, welche 
Ehimären abbilden, auf welchen die Meerfchweine in den 
"Wäldern, und die wilden Schweine im Mteere herumlau- 
“fen. Die einzeln Stuͤcke des Gemäldes, und die Farben, 
"Haben eine Wahrheit, der Inbegrif aber it falſch. Nun 
koͤnnen mir auf eine dreyfache Arc ſchlieſſen: 1) Je mehr 
“uns eine wahre Erfenntniß vorftele, defto groͤſſer iſt ſie; je 
weniger fie aber vorftelt, deſto Fleiner ift fir Die Bör- 
ftellung einer einzigen Sache iſt ſchon eine Erkenntniß, 
“und je mehr fie alfo enchält, deſto mannigfaltiger und grcf- 
fer ift fie, mie ein Gemälde um fo viel gröffer ift, je meh— 
rere und mannigfaltigere Gegenftände auf demfelben abge: 
bilder find. 2) Je grofler der Gegenftand iſt, den eine 
wahre Erkenntniß in feiner Gröffe vorſtelt, deſto geöffer iſt 
die Erkenntniß: weil eine groſſe Sach@piel in fich enthält, 
und eine folche Erfenntniß alfo vieles in Einem auf einmal 
vorſtelt. 3) Ye richtiger die Erkenntniß iſt, deſto geöfler 
iſt fie, je weniger richtig fie aber’ ift, deſto kleiner iſt fie. 
Wenn eine Erfennenif noch fo weirläuftig wäre, wie ein 
groſſer Roman, entbielte fie aber viel Irriges, fo wäre fie 
doch klein; weil das Irrige in der That Feine Erfenntnig 
ift, und alfo abgezogen werden muß, wenn man die wahre 
Gröffe einer ſolchen Erfenntniß beftimmen will, 
490, 

Je mehr eine Erkenntniß vorftele und in fich enthält, 
defto gröffer ift fie $. 489. Daber entſteht der erfte Grad 
der Erkenntniß überhaupt, welcher ihr. zufome, in fo ferne 
‚fie vieles vorftelt, und er wird die Weitlaͤuftigkeit der 
Erkenntniß, ihr Neichthum oder ihre Ausdehnung ge- 
nennt, Je mehr Sachen eine Erkenntniß vorfielt, je 
mannigfaltiger Diefelben find, und je mehr fie von einem 

Gegen: 





Von der Wouͤrklichkeit der Seele, 33 


Gegenftande vorftelt, deſto weitlaͤuftiger iſt fie, und alfo 
auch vefto gröffer, Kine Erkenntniß aber iſt armſee— 
lig, oder fie ift im fehr enge Grenzen eingefchrenft, wenn 
fie nicht weitläuftig ift. Je weniger eine Erkenntniß über- 
haupt vorftelf, oder je weniger von einem Gegenjtande, 
deſto armfeeliger ift fie, und alfo auch defto kleiner. Eine 
weitläuftige Erkenntniß verhält fih wie ein Gemälde, wel- 
des eine groffe Gegend und unendlich viel in derfelben 
vorftel. Das Auge Fan fi) an demfelben niche fat feben, 
und es erblickt allerwegen die reichite Mannigfaltigfeit. 
So fohreiben wir einem Gelehrten eine weitläuftige Ge— 
lehrſamkeit, und einen reihen Schatz und Vorrath an 
MWiffenfchaften, zu, wenn er fehr viele Theile der Gelehr— 
ſamkeit gelernt hat, und von einem jedweden Theile eine 
fehr weitläuftige Erfenntniß beſitzt. Wer wenig gelernt 
Bat, befigt eine aumfeelige Gelehrſamkeit. Die Weitlaͤuf⸗ 
tigkeit dev Erfenntniß iſt unleugbar eine. Vollkommenheit. 
Eine jedwede wahre Borftellung ift eine Realitaͤt, und alſo 
eine Bollfommenheit $. 139. je weitläuftiger eine wahre 
Erfenneni iſt, defto mehr wahre Borftellungen begreiff 
fie in fih, und folglich deſto mehr Nealitäten, und fie ift 
alfo um fo viel vollfommener, Die Vollkommenheit einer 
Sache wird allemal, durch die Menge der mannigfaltigerw 
Stuͤcke, vermehrt, die in derfelben zufammenftimmen 9. 
97. Da nun in einer weitläuftigen Erfenntniß mehr Man— 
nigfaltiges angetroffen wird, als in einer arımfeeligen, fo 
ift auch jene volffommener als diefe, wenn fie übrigens 
einander gleich find. Die Weitläuftigkeit und Armfeelig« 
keit der Erfenntniß find die erfte Vollkommenheit und Une 
vollfommenheit derfelben, welche ihe in Abficht auf den 
Gegenftand zukommen. 
. 491 

Die andere Vollkommenheit und Unvollkommenheit, 
welche der Erkenntniß in Abfiche auf ihren Öegenftand zu— 
kommt, ift Die Gröffe und Kleinigkeit der Erkenntniß. 
Eine ms ift groß, edel, wichtig, wenn fie 

3. Theil, C grojle 


34 Don der Wuͤrklichkeit der Seele. 


groffe Dinge in ihrer Gröffe vorftelt; fie ift aber eine klei— 

ne und getingfchägige Erkenntniß, wenn fie nicht groß 
ift. Folglich ift eine Erfenntniß groß, wenn fie entweder 
groffe Dinge vorftelt, oder von ihrem Gegenftande groſſe 
Beſtimmungen, und wenn ihre Gegenſtaͤnde in ihr als 

groſſe Dinge erſcheinen dergeſtalt, daß ſie der Groͤſſe der— 
ſelben recht angemeſſen und proportionirt iſt. Wenn aber 
im Gegentheil eine Erkenntniß, kleine und geringe Sachen, 
in ihrer Groͤſſe vorſtelt; oder von groſſen Gegenſtoͤnden 
nur die Kleinigkeiten und unerheblichern Umſtaͤnde; oder 
wenn ſie der Groͤſſe wuͤrdiger Gegenftände nicht gemäß iſt, 
ſondern wenn die Gegenſtaͤnde in ihr entweder groͤſſer oder 
kleiner erſcheinen, als ſie ſind, ſo ii fie eine Eleine und ges 
ringſchaͤtzige Erkenntniß. Bir dürfen bier, diefe Boll: 
kommenheit und Unvollkommenheit der Erkenntniß, nicht 
weiter ausführen, weil daffelbe in der Vernunftlehre und 
Aeſthetik geſchieht. So viel aber iſt klar, daß eine Er— 
kenntniß um ſo viel groͤſſer ſey, je wichtiger und edeler ſie 
iſt F. 489. Es iſt dieſe Groͤſſe der Erkenntniß ohne Zwei— 
fel eine Vollkommenheit der Erkenntniß, weil es eben ſo 
viel iſt, als wenn man ſich vieles auf einmal vorſtelt, wenn 
man groſſe Dinge erkennt $. 490. Und da es die Abſicht 
der Erkenntniß ift, daß die Gegenftände dadurch abgebil- 
det werden follen, fo ſtimt fie um fo viel beffer mit ihrem 
Zwecke überein, wenn fie die Gegenftande in ihrer wahren. 
Gröffe abbildet, oder wenn fie der Gröfle ihrer Gegenſtaͤn— 
de proportionirt iſt. Und folglich ift fie um fo viel vollz 
fommener $. 94. Und es ift demnach, die Kleinigkeit der 
Erkenntniß, eine Unvollk ommenheit derſelben. 

$. 492. 

Auffer den Graden und Vollkommenheiten der Er- 
Fenntniß, welche ihr in Abficht des Gegenftandes zuge 
fehriepen werden, kommen ihr auch, in Abficht ihrer Be— 
fchaffenheit, oder der Art. und Weiſe, wie fie die Gegen— 
ftande in der Seele abbildet, gewiſſe Grade, Vollkommen— 
heiten und Unvollfommenheiten zu. Unter denſelben ift Die 

ah. 





Von der Wuͤrklichkeit der Seele, 35 


Wahrheit die erfte und vornehmite Vollkommenheit, obne 
welcher gar feine andere Vollkommenheit in der Erkennt— 
niß ftat finden fan, Eine falfche und irrige Erkenntniß 
ftelt ung entweder gar nichts vor, oder ganz was anders, 
als fie uns vorftellen fol $. 489. Da nun die Abſicht al- 
ler Erkenntniß dahin. geht, einen gewiſſen Gegenſtand in 
unferer Seele abzubilden : fo ftimt die falfche und irrige 
Erkenntniß gar nicht mit ihrer Abfiche überein, und fie ift 
alfo höchft unvollfommen $. 95. Folglich ift, Die Wahre 
beit der Erfenntniß, unleugbar eine Vollkommenheit der— 
felben, Nun gibt es, in der Wahrheit, verfchiedene Gra— 
de 9.91. Folglich je richtiger die Erfenntniß ift, deſto 
groͤſſer und vollfommener ift fie; je weniger richtig fie 
aber ift, defto Fleiner und unvollfommener ift fie. Sie ift 
aber um fo viel richtiger, je richtiger nicht nur Die einzeln 
Dorftellungen, Begriffe, Urtheile u. ſ. w. find, woraus 
fie zufantinengefegt ift; fondern auch je gröffer Die Ord— 
nung iſt, nach welcher ihre verfchiedenen Theile einander 
zugeordnet find, Da nun aus der Vernunftlehre befanne 
ift, daß eine gröffere und merflichere Drönung in der Erz 
fenntniß die Methode genennt wird, fo Fan feine Era 
kenntniß ohne Methode ihre möglichfte Wahrheit erlangen. 
Es gibt Leute, welche die Methode oder die Lehrart als. ei- 
nen ſchulfuͤchſiſchen Zwang betrachten, den man fich felber 
im Denfen anthut, und welcher hoͤchſtens nur dazu dient, 
in den Schulen den Anfängern die erften Elemente der 
Wiſſenſchaften defto bequemer einzuflöffen. Nun geben. 
mir gerne zu, daß die Weltweiſen, die Lehre von der Me: 
thode, in der Bernunftlehre mit vielen Schulfuͤchſereyen 
verunſtaltet haben; allein kein gruͤndlicher Kenner der 
Wahrheit fan alle Methode verwerffen. Alle Wahrheit 
befteht in einer Drönung 6. 91. und man fan felbft der, 
Lügen einen verführerifchen Schein der Wahrheit geben, 
wenn man recht ordentlich lügt. Folglich ift eine Erfennt- 
niß um fo viel wichtiger, je methodiſcher fie iftz je weniger 
methedifch fie aber ift, oder wenn fie eine tumultuarifche 

€ 2 Er 


36 Von der Wuͤrklichkeit der Seele, 


Erfenntniß ift, fo ift fie um fo viel unrichtiger. Eine Er: 
kenntniß, welche in einem höhern Grade richtig ift, wird 
eine genaue Erkenntniß genennt ; ift fie aber in einem 
kleinern Grade richtig, fo heißt fie eine grobe Erkennt⸗ 
niß. Eine grobe Erfenntniß ift richtig, allein fie ift mic 
vielen unrichtigen Vorftellungen untermengt. Wenn man 
fih die Allgegenwart GDttes, als eine Ausdehnung und 
Ergieffung des göttlichen Weſens durch die ganze Welt, 
vorftelt, fo hat man in fo weit eine richtige Vorſtellung 
von der Allgegenwart GOttes, in fo weit man fich diefelbe 
als eine Gegenwart an allen Orten vorftelt, Syndem man 
fich Diefelbe aber zugleich, als eine Ausdehnung des Wer 
fens GOttes, vorftelt, indem macht man ſich von ihr eine 
falfche Borftellung, und alfo ift, die angeführte Vorſtel— 
hung der Allgegenwart GOttes, eine grobe Erkenntniß. 
§. 493. 

Man Fan fich, die Gröffe der Erkenntniß, auch noch 
auf eine andere Art vorſtellen. Nemlich eine jedwede Vor— 
ſtellung und Erkenntniß hat, wenn ſie in der Seele wuͤrk— 
lich iſt, ihre Folgen $. 36, und fie enthält allemal einen 
Grund von gewiſſen Folgen, Beranderungen und Wuͤrkun— 
gen, welche fie in der Seele verurſacht. In ſo ferne fie 
nun, einen Grund oder eine Urfach von gewiffen Berän- 
derungen und Würfungen, enthalt, in fo ferne Fan man, 
einer jedweden wuͤrklichen Erkenntniß in der Geele, eine 
Kraft und Wuͤrkſamkeit zufchreiben S. 158. Je groͤſſer 
num eine Erfenneniß ift, deſto mehrere und gröffere Ver— 
änderungen wuͤrkt und verurfacht fie; je Fleiner fie aber iſt, 
deſto wenigere und Fleinere Beränderungen wuͤrkt fie in der 
Seele $.1606. Die Stärke einer Erkenntniß beſteht 
in einer gröffern Kraft, die ihr zukomt, und eine ſolche Er- 
kenntniß wird eine ftarke Erkenntniß genannt. Wenn 
aber eine Erkenntniß eine kleinere Kraft befise, fo nennt 
man diefe Kraft die Schwäche der Vorftellung, und 
die Erkenntniß felbft wird eine ſchwache Erkenntniß 
oder Dorftellung genannte, Eine ſtarke Vorſtellung ver- 


urſacht 


Von der Würklichkeit der Seele, 37 


urſacht in der Seele, wenn fie entftehe, viele und groffe 
Deränderungen, eine ſchwache aber wenige und Fleine; jene 
verändert alfo den Zuftand der Seele in einem höhern Gra= 
de, und diefe in einem kleinern. Wir fönnen es alfo fehr 
ofte fühlen, welche Vorftellungen bey uns flarf oder 
ſchwach, ftärfer als andere oder fehrmächer find, wenn wir 
auf die Menge und Gröffe der Veränderungen achrung ges 
ben, die fie in ung verurfachen. 
8§. 494. 
Wir muͤſſen noch genauer, die Stärfe und Schwä- 
che unferer Borftellungen, fant dem Grunde derfelben, un- 
terſuchen. Nemlich eine jedwede Vorftellung bat ihre‘ 
Merkmale, welche nichts anders find, als diejenigen Bor: 
ftellungen, aus denen fie als aus ihren Theilen zufammens 
gefegt ift $. 49. Eine jedwede wahre Vorſtellung ift in 
Der Seele, eine Abbildung einer möglihen Sache $. 489, 
und da alle mögliche Dinge viele Beftimmungen haben $. 
66. 67, fo ift eine jedwede wahre Borjtellung nichts: an« 
ders, als eine Borftellung vieler Beftimmungen, die wir 
uns zufammengenommen in dem Gegenftande, als in dem 
Subjecte, vorftellen. Wenn wir uns z. E. einen Trian⸗ 
gel vorſtellen, fo ſtellen wir uns ein Subject vor, in wel: 
chem wir drey Seiten und drey Winkel erfennen. Folg— 
lich beftehe die Vorftellung einer jedweden möglichen Sa— 
che aus fo viel Borftellungen, als wir Beftimmungen in 
derfelben erkennen, und diefe Borftellungen find die Theile 
and Merkmale einer Borftellung. Nun hat eine jedwede 
Borftellung, und alfo auch ein jedwedes Merfmal, eine 
Kraft, und verurfacht alfo gewiſſe Beranderungen-$. 493. 
Folglich ift eine Borftellung um fo viel ftärfer, je mehr 
Merkmale fie infich enthält; weil alsdenn um fo viel mehr 
Kräfte in ihr vereinigef find. - fe, weniger Merkmale fie 
aber enthalt, defto ſchwaͤcher ift fi. Wenn nun eine dun— 
fele Borftellung mehr Merkmale enthalt, als eine klare, 
und eine verworrene mehr als eine deutliche :. fo Fan eine 
dunfele Borfiellung ſtaͤrker ſeyn, als eine Klare, und eine 
C 3 ver⸗ 


38 Von der Wirklichkeit der Seele. 


verworrene Fan ftärfer feyn, als eine deutliche, Folglich 
hanget, die Stärfe und Schwäche der Borftellungen, nicht 
von ihrer Klarheit und Dunkelheit ab, fundern von der 
Menge und Wenigkeit der Borftellungen, welche fie in ſich 
enthalten. Wenige Merkmale Eönnen eine Borftellung 
klar und deutlich machen, wie aus der Vernunftlehre be— 
kannt ift, und es find demnach unfere Flärften und deutlich. 
ſten Vorſtellungen ofte die allerſchwaͤchſten. Unterdeſſen 
kan auch eine klare und deutliche Vorſtellung viel ſtaͤrker 
ſeyn als eine dunkele und verworrene, nicht zwar um ihrer 
Klarheit und Deutlichkeit willen, fondern weil es möglich 
ft, daß fie mehr Merkmale enthaͤlt, als die dunfele und 
verworrene Dieſes ift eine fehr wichtige Anmerkung, 
welche Durch Die betruͤbte Erfahrung nur gar zu fehr beftä- 
tiget wird. Die Flärften und deutlichften Vorſtellungen 
der Wahrheit und Tugend find bey uns vielmals ſchwaͤ— 
cher, als die dunfeln und vermorrenen Vorſtellungen, wel— 
che uns die Sünde als veißend vorftellen. Bey dieſer Ge- 
legenheit koͤnnen wir einige Begriffe erflären, wodurch diefe 
Materie erläutert wird. In ſo ferne nemlich eine Bor: 
ftellung viele Merkmale in ſich enthält, in fo ferne heißt fie 
eine nachdrückliche Vorſtellung, wie z. E. die meta- 
phorifchen BVorftellungen befchaffen find. Je nachdruͤckli— 
cher demnach eine Vorſtellung iſt, defto ftärfer ift fie. Weil 
nun die Redner und Dichter fich, in ihrem Vortrage, viel 
nacydrücklicherer Vorſtellungen zu bedienen pflegen, als die 
Gelehrten: fo find ihre Vorftellungen und Reden aud) fläre 
fer als die Borftellungen der Gelehrten, Ausdrucke, wo⸗ 
durch nachdruͤckliche Vorſtellungen bezeichnet werden, heif- 
fen nachdruͤckliche Ausdrucke, welche, wenn fie einzelne 
Dinge ausdrucken, eigenthuͤmliche Namen genannt 
werden. Die Vorſtellung eines einzeln Dinges ſtelt uns 
ein Ding vor, welches durchgaͤngig beſtimt iſt, und alſo 
unendlich viel in ſich enthält. Folglich haben ſolche Wor— 
frellungen eine groffe Stärke, und fie find gewöhnlicher 
Weiſe ftärfer und nachdruͤcklicher, als abftracte 3 
j | un 


‚Von der Wuͤrklichkeit der Seele. 39 


und die Ausdrucke derfelben, als welche wenig in fich ent: 
halten. Daher fomts, daß Redner und Dichter fo wenig 
abftracte Begriffe vortragen, als ſich will thun laflen. 
‚Star allgemeiner Ausdrude bedienen fie fih, eigenthümli- 
cher Namen. Stat eines Helden überhaupt, denfen fie den 
Alexander, und fie verwandeln abftracte Sachen in erdich- 
tete Derfonen, fie machen aus der Gerechtigkeit eine Per: 
fon, und wenn fie von einem Öeißigen reden wollen, nens 
nen fie den Harpax. 
. 495, 

Durch eine ganze Vorftellung verfteht man einen 
Inbegrif vieler Borftellungen, welche zufammengenommen | 
Eine Vorftellung als ein Ganges ausmachen, Eine ganze 
Borftellung ift einem Bilde ähnlich, auf welchen eine ganz 
ze Sandfchaft abgemalt ift, und welches Baume, Haufer, 
Thiere und hunderterley andere Sachen in Einem vorftelt. 
Man Fan, durch eine ganze Vorftellung, zweyerley verſte— 
hen. Einmal den Inbegrif aller Vorstellungen obne Aus— 
nahme, die auf einmal in einem jediweden Augenblide in 
unferer Seele wärflich find, und es müffen alfo dahin alle 
dunfele, verworrene, Elare, deutliche Vorftellungen gerech- 
net werden, die zugleich und auf einmal in der Seele würf: 
lich find. Es ift demnach leicht zu begreifen, daß die 
Geele in einem jedweden Augenblicke eine gewifle ganze 
Borftellung habe, die in dem nächft folgendem Augenblide 
geändert wird. Zum andern Fan man, durch eine ganze 
Borftellung, eine jedwede Borftellung verfteben, in fo fer- 
ne fie) aus mehrern Vorstellungen zufammengefegt ift. Die 
Vorftellung von einem Menfchen ift eine ganze Vorſtel— 
lung, weil fie die Borftellung deu Seele und des Körpers 
in ſich enthält; und chen fo die Vorftellung, von einer 
Stadt, von einer Malzeit u. ſ. w. Alle Merfmale einer 
Boritellung nun, over alle Borftellungen, die mit andern 
zuſammengenommen eine und eben Diefelbe ganze Borftel: 
dung ausmachen, find Theile der Dorftellungen. So 
ift Die Vorftellung von der Seele ein Theil von der Vor— 
Ga ſtellung 


48 Don der Wuͤrklichkeit der Seele. 


ftellung von dem ganzen Menſchen. Daher ift ver Grund 
der Seele, oder der Inbegrif aller Dunkeln Vorftelfungen, 
welche neben den klaren zugleich in der Seele vorhanden 
find, ein Theil der ganzen dermaligen Borjtellung der See- 
le, und ev wird das Keld der dunkeln Dorftellungen 
genannt, Das Feld der klaren, deutlichen, verwors 
renen Vorſtellungen u. f. w. ift der Inbegrif aller kla— 
ren, deutlichen, verworrenen Borftellungen, welche neben 
andern Boritellungen zugleich) in der Seele angetroffen 
werden. Dieſe Ausdrucke und Erklärungen haben den 
Nutzen, daß fie uns die Mannigfaltigkeit der Vorſtellun— 
gen, die auf einmal in unferer Seele bey einander da ſeyn 
koͤnnen, lebhafter vorftellen. toch müßlicher aber iſt es 
bier zu bemerken, was wir vergefellfchaftere Vorſtellungen 
nennen, weil ſehr viel in Der Geele aus der. Vergeſellſchaf— 
tung der Borjtellungen erklärt werden fan, Nemlich alle 
Borftellungen, welche Theile einer und eben derſelben gan- 
zen Vorstellung find, find mit einander vergefellfchaftete 
DVorftellungen. Wenn ich an einem Orte gewefen, und 
dafelbjt eine groffe Gefellfchaft angetroffen, fo habe ich eine 
ganze Vorſtellung von der Gefellfchaft, und die Borftellun- 
gen von den einzeln Derfonen find eben Dadurch mit einans 
der vergefellfchafter. Diejenige Vorſtellung, welche unter 
allen Borftellungen, vie mit ihr vergefellfchafter find, Die 
ftärffte if, wird die herrſchende Vorftellung genannt. 


- 


Nenn daher die Seele in einem folchen Zuftanvde ſich bes 


findet, in welcher die herrſchende Vorftellung dunkel ift, ſo 
Fan man diefen Zuftand, den Zuftand oder das Reich 
der Finſterniß, nennen; ift aber die herrſchende Vorftel- 
lung klar, fo fan man Diefen Zuftand den Zuftsnd oder 
das Reich des Lichts nennen. Selbſt der biblifche Ge— 
brauch dieſer Wörter ſtimt, mit diefen Erklärungen, über- 
ein. Ein frommer Menfch befindee fıch in dem Zuftande 
des Lichts. Da derfelbe nun allemal nach feinem beften 
Gewiſſen, folglich nad) feiner Flärften Erkenntniß, handelt; 
fo find bey ihm, die klaren Vorſtellungen, gewöhnlicher 

Weiſe 


Von der Wuͤrklichkeit der Seele, 4 


Weiſe die ſtaͤrkſten. Ein Gottloſer im Gegentheil han— 
delt gewoͤhnlicher Weiſe nach den dunkeln Vorſtellungen 
ſeiner Triebe, folglich ſind die dunkeln Vorſtellungen bey 
ihm gewoͤhnlicher Weiſe die ſtaͤrkſten, und eben deswegen 
iſt er ein Kind der Finſterniß. Wenn ein Menſch, aller 
vernünftigen Vorſtellungen ohnerachtet, feine Feindfhaft 
gegen jemanden nicht überwinden Fan, fo ſchiebt er Die 
‚Schuld davon auf eine Antipatbie. indem er nun Da= 
durch genungfam verfichert, Daß eine dunkele Vorſtellung 
in feiner dermaligen Gefinnung viel ftärfer fen, als alle 
feine Elaren und deutlichen Borftellungen, fo befennt er 
eben dadurch, Daß er fich in dem Reiche der Finfternig 
befinde, ’ 

6. 496, 


Dasjenige, was wir bisher von der Geele erkannt 
haben, ift die Kraft, wodurch fie ſich die Welt vorftelt, 
Nun ſind die Kräfte Fleiner oder gröffer, nach dem fie Flei- 
nere oder gröffere Wuͤrkungen bervorbringen $.160. Folg— 
lic) 1) je weitläuftiger die Erkenntniß iſt, welche in Der 
Seele würklic) ift, defto geöfler iſt die Kraft Derfelben $. 
490. je mehr Theile demnach die ganze Borftellung der 
Seele in fich begreift, je mehr Vorſtellungen in ihr verge- 
ſellſchaftet jind, deſto gröffer muß ihre Kraft ſeyn $- 495- 
Se weniger fie aber erkennt, defto Eleiner ift ihre Kraft. 
2) Je gröffer die Erkenntniß der Seele ift, deſto gröffer ift 
ihre Vorſtellungskraft 9. a9. Es ift alfo allemal ein 
Beweiß der Stärfe der Seele, wenn fie groffe Gegenftan- 
de überfehen, und in ihrer wahren Gröffe vorftellen Fan. 
3) Se richtiger, ordentlicher und methodifcher die Erfennt- 
niß iſt, deſto groͤſſer ift die Vorftellungsfraft der Serle $- 
492. Irrige, grobe und unordentliche VBorftellungen, und 
Arten zu denfen, find allemal ein Beweiß der Schwäche 
der Vorftellungskraft der Seele. Wer vieles ordentlic) 
überdenken will, der muß fo viel Stärke befigen, daß er 
daſſelbe neben einander zugleic) denfen fan,  Unordentlie 
che Köpfe und Seinde dev Methode verrathen eben dadurch, 
— * C5 die 


42 Don der Wuͤrklichkeit der Seele. 


die Schwäche ihres Verftandes, 4) Je ftärfer die Er: 
kenntniß ift, defto gröffer iſt die Vorftellungskraft der 
Seele $. 493. In dem Reiche des Sichts beweift alfo die 
Seele, eine gröffere Stärfe und Kraft, als in dem Reiche 
‚der Sinfterniß $. 495, weil fie vergleichungsweife zu re- 
den, in jenem eine gröffere Erkenntniß befigt, alsin dieſem. 
Wir werden in dem folgenden noch mehr Gründe unterfüs 
chen, woraus verfchiedene Grade der Borftellungskraft der 
Seele beurtbeilt werden koͤnnen. 


WKERRKREH ERKENNE 


Der andere Theil, 


von dem 


Erfenntnißvermögen der Seele. 
Das erfte Eapitel, 


von dem 
Erfenntnißvermögen der Seele überhaupt, 
497. 


ie Seele iſt eine thaͤtige und geſchaͤftige Kraft, welche 

ſich die Welt, nach der Stellung ihres Koͤrpers, 

auf eine verſchiedene Art vorſtelt $. 488. Wenn 

wir alfo die Seele aus ‘der Erfahrung recht wollen Fennen 
lernen, fo müffen mir auf die verfihiedenen und mannig- 
faltigen Würfungen achtung geben, durch welche fich diefe 
Kraft auffere und gefchäftig erweift. So viele verfchiede- 
ne Würfungen diefe Kraft nun würflich macht, auf fo viele 
verfchiedene Arten Fan fie ſich auffern, und es gibt alfo fo 
viele verfchiedene Vermögen, womit dieſe Kraft ausgeruͤ— 
ftee it 9.170. Folglich müffen wir nach und nach, in der 
empirifchen Pfychologie, Die verfchiedenen Vermögen der 
Seele unterfuchen, in-fo weit fich diefelben durch die Er— 
fabrung entdecken laſſen. Und da wollen wir diefe vers 
ſchiedenen Bermögen in derjenigen Drdnung nach) ir 
AD: 


— — —— 


Von dem Kıkenntnifvermögender Seele uͤberh. 43 


abbandeln, nach welcher fie in der Natur felbft mit einan- 
der verbunden find, und aus einander flieffen. Das erfte 
Vermögen, welches wir in unferer Seele entdecken, ift das 
Erkenntnißvermoͤgen, oder Das Vermögen etwas zu er— 
fennen. In ſo ferne es alfo der Seele möglich if, viele 
Dinge, fich felbit, ihre eigene Veränderungen, oder andere 
Dinge zu erkennen, in fo_ferne befigt fie ein Erfenntniß- 
vermögen, Nun lehrt uns die Erfahrung, daß die Seele 
viele Dinge erfennt, und daß fie bey ihrer Erfenntniß ofte 
thätig und geſchaͤftig iſt F. 482. 483. Was die Seele 
würflich thut, muß fie auch thun Fönnen S. 61. Folglich 
befist Die Seele ein Erfenntnißvermögen, welches nichts 
anders ift, als die Möglichkeit der Erkenntnißkraft der 
Welt, welche der Seele zufomt $. 483. 173. Kraft diefes 
Erkenntnißvermoͤgens ift die Seele nichts anders als ein 
Spiegel der Welt, welcher dazu geſchickt und aufgelegt ifk, 
die Welt in fic) abzubilden, Diefes Erfenntnißvermögen 
wird auch ofte der Verſtand genannt, wenn man dieſes 
Wort in einer weitern Bedeutung nimt, als wir es G. 372 
genommen haben. Unterdeſſen verurfacht es Wortftreitig- 
feiten und Verwirrungen, wenn man ein jedwedes Erfenntz 
nißvermögen Verſtand nennen will, weil man alsdenn auch 
ohne weitere Unterfuchung allen Thieren- Berftand zufchreis 
ben koͤnnte. Wir wollen alfo, das Wort Berftand, nie 
mals in diefer weitern Bedeutung nehmen, 
S. 498. 

Unfere Seele erfennt einige Dinge flar, und einige 
dunkel $. 485. Folglich muß ihr Erfenntnißvermögen ge— 
fchie feyn, fo wohl klare als auch dunfele Erkenntuß zu. 
würfen $. 497. Aus der Bernunftlehre ift fchon bekannt, 
daß wir durch klare Erkenntniß eine Erfenntniß verfte- 
ben, die man auch fonft Gedanken nennt, und deren wir 
uns bewußt find. Wenn wir uns unferer Erfenntniß be= 
wußtfind, ſe iſt es uns zu Muthe wie bey unferm Gefichte 
an hellem Tage, da wir vermöge des Lichts Die fichtbaren 
Dinge von einander unterfcheiden Fonnen. Wir find ung 

alfy 


44 Don dem Erkenntnißvermoͤgen 


alfo einer Erkenntniß bewußt, wenn wir fie und ihren Ge: 
genftand von andern Borftellungen und Sachen unterfchei- 
den, und wenn wir erfennen, daß fie eben dieſe und feine 
andere Borftellungen find. Unſere Geele erlangt alfo, 
vermoͤge ihres Erkenntnißvermoͤgens, von einer Sache eine 
klare Erkenntniß, wenn fie nicht nur diefelbe fich vorftelt, 
fondern auch diejenigen Beftimmungen, wodurch fie von 
andern Sachen verfchieden ift, das ift die Merkmale $. 49. 


Folglich entfteht die Klarheit ver Erfenntniß, durch die 


Vorſtellung derjenigen Merfmale, wodurch mir in den 
Stand gefeßt werden, den Gegenftand für denjenigen zu er— 
Fennen, der er ift, und ihn von andern zu unterfcheiden, 
Eine dunkele Erkenntniß befteht alfo darin, wenn wir 
Feine hinlänglichen Merkmale erkennen, wodurch wir den 
Gegenftand für denjenigen erkennen koͤnnten der er ift, und 
ihn von andern unterfcheiden. In fo ferne wir nun, durch 
unfere Erkenntnißkraft, uns zwar eine Vorftellung von eis 
ner Sache machen, diefelbe aber nicht fo fehr gebrauchen, 
daß wir in dem Gegenftande uns auf einmal zulängliche 
Merkmale und Unterfcheidungsftüce vorftellen, in fo ferne 
haben wir eine dunfele Erfenntniß von derfelben Sache, 
welche alfo Fein Gedanke ift, und mit feinem Bewußtſeyn 
verbunden iſt. Es ift uns alsdenn überhaupt zu Muthe, 
wie in der Finſterniß bey unferm Gefichte, da wir den Uns 
rerfchied der fichtbaren Dinge nicht gewahr werden Fonnen, 
indem alsdenn alle diefe Dinge einerlen ausfehen. Gleich: 
wie alfo die Klarheit der Erkenntniß überhaupt in der Er- 
kenntniß der Merkmale befteht, alfo befteht die Dunkelheit 
in der Unwiſſenheit der Merkmale, 


» 499% 

Da die Klarheit der Erkenntniß, auf der Erfentniß 
der Merkmale, berubet $. 498, fo Fan man die Natur der: 
felben nicht gehörig einfeben, wenn man nicht die Befchaf- 
fenheit der Merfmale, aus denen, als aus ihren Theilen, 
die klare Erfenneniß ʒuſammengeſetzt iſt, genauer kennen 


lernt. Nun koͤnnten wir zwar hier alle diejenigen, die ſich 
von 





der Seele überhaupt. 45 


von diefer Sache unterrichten wollen, in die Vernunftlehre 
verweiſen. Allein da diefes mit mancher Befchwerlichkeit 
verbunden iſt, fo wollen wir, zur Bequemlichkeit unferer 
Leſer, dieſe Materie hier fürzlich abhanden, Man Fan 
nemlich die Merfmale auf eine zwenfache Art betrachten, 
entweder als Gründe des Bewußtſeyns und der Klarheit 
der Erkenntniß, und da verhalten fie fich wie Sichter, wel— 
he einen Ort erleuchten $. 498, oder als Vorftellungen der 
Beftimmungen, welche in den Gegenftänden der Erfennf- 
niß angetroffen werden, und wodurch fie von einander ver— 
fihieden find $. 49, Wenn man fie als Gründe des Be— 
wußtſeyns betrachtet, fo Fönnen fie, wie alle Gründe über- 
haupt, auf eine vierfache Art eingetheilt werden. ı) Sie 
find entweder mittelbare oder unmittelbare Merkmale, 
jene find diejenigen Merkmale, welche nur einen entjernten 
und mittelbaren Grund des Bewußtſeyns enthalten, diefe 
aber enthalten einen unmittelbaren Grund des Bewußt— 
ſeyns $. 40. Jene find die Merfinale der Merkmale ei- 
ner Sache: denn ein jedwedes Merfmal einer möglichen 
Sache hat wiederum feine Merkinale, wedurd) es von an- 
dern unterfchieden iſt; Diefe aber find zwar Merkmale einer 
Sache, aber Feine Merkmale anderer Merfmale derfelben. 
Wenn wir uns einen Begrif von unferer Seele machen, fo 
fegen mir denfelben unmittelbar aus den Begriffen von ei— 
nem Dinge, und von dem Bewußtſeyn, und der Moͤglich— 
feit deflelben zufammen $. 480. und diefe Begriffe find 
alfo, die unmittelbaren Merkmale des Begrifs von der 
Seele. Wenn wir nun diefe Merfmale von neuem unter= 
fuchen, und diejenigen Begriffe finden, aus denen fie zu— 
fammengefest find, fo haben wir die mittelbaren Merkmale | 
der Seele. Wenn wir von einer Sache weiter nichts als 
mittelbare Merkmale erkennen, und folten wir deren aud) 
noch fo viel uns vorftellen, fo koͤnnen wir uns derfelben 
Sache doch nicht bewußt werden: weil alsdenn das Be— 
wußtſeyn, ohne unmittelbaren Grund, und alſo ſchlechter— 
dings durch einen Sprung entftehen müfte, und das ift un 

möglic) 


45 Don dem Krkennenifvermögen 


möglich $. 327. Folglich entiteht, die Klarheit der Er— 


kenntniß, aus der Erkenntniß ihrer unmittelbaren Merk— 
male, und wenn wir uns einer Sache bewußt werden wolz 
Ien, fo müfien wir Durch unfere Erkenntnißkraft diefe Merk 
male zu entdeden fuchen, 2) Die Merkmale find,entwee 
der zureichende, oder unzureichende Merkmale $. 34. 
Jene verurfachen das Bewußtſeyn dergeftalt, daß auffer 
ihnen feine mehrere Merkmale nöthig find, wenn wir uns 
einer Sache bewußt werden wollen; dieſe fragen zwar zum 
Bewußtſeyn das ihrigebey, allein fie allein genommen laf- 
fen die Erfenneniß dunkel, Ein Merkmal kan allein uns 
zureichend feyn, viele unzureichende Merkmale aber zufam- 
mengenommen koͤnnen zureichend feyn, Wenn wir alfo 
eine klare Erkenntniß haben, fo muß unſere Seele zurei— 
chende Merkmale erkennen. Wir koͤnnen es auch allemal 
aus der Erfahrung wiſſen, ob wir zureichende Merkmale 
erkennen oder nicht, weil uns die Erfahrung allemal ſagen 
kan, ob wir uns einer Erkenntniß wuͤrklich bewußt ſind 
oder nicht. Ein und eben daſſelbe Merkmal kan einem 
Menſchen, und in gewiſſen Umſtaͤnden, zureichend ſeyn, 
einem andern aber und in andern Umſtaͤnden unzureichend, 
5) Die Merfinale find entweder wichtigere oder uners 
beblichere Merkmale $. 27. Jene find ein wichtigerer 
Grund des Bewußtfeyns, indem aus ihnen ein ftärferes 
Bewußtſeyn entſteht; dieſe aber find unerheblichere Gruͤn— 
de des Bewußtſeyns, indem ſie uns nur die Kleinigkeiten 
an den Gegenſtaͤnden zu erkennen geben. Daß ein Menſch 
Verſtand, Vernunft und freyen Willen hat, iſt ein wich— 
tiges Merkmal deſſelben, daß er aber lachen kan und zwey 
Beine hat, find unerheblichere Merkmale. 4) Die Merk: 
male find entweder fruchtbarere, oder unfiuchtbarere 
Merkmale 9.27. jene entdecken ung viele und mannig- 
faltige Unterfchiede des Dinges von vielen andern Dingen, 
diefe aber nur wenige; durch jene Fünnen wir uns der Sa— 
che öfter und in mehrern Faͤllen bewußt ſeyn, als durch 
diefe. Daß der Menfch Vernunft bat, ift ein fruchtbare: 

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— 


der Seele überhaupt» 47 


res Merkmal deffelben, als daß er denfen Fan: denn durch 
das legte Fan man ihn nicht fo vielfältig von andern Din— 
gen unterfcheiden, als durch jenes: 

$. 500, 

Wenn man die Merkmale, als Unterfcheidungsftüde 
und Beſtimmungen der Gegenftände der Erkenntniß, be= 
trachtet, fo find fe fo vielfach, als die Beftimmungen mog- 
licher Dinge überhaupt 9.49. Sie find alfo 1) entweder 
fhlechterdings norhwendige und ımveränderliche, 
oder zufällige und. veraͤnderliche Merkmale $. 103. 105. 
Zu jenen gehört das Weſen, die wefentlichen Stücke und 
die Eigenfihaften der Dinge; zu dieſen aber die zufälligen 
Beſchaffenheiten „und die Verhaͤltniſſe $. 100. 110. 111. 
Jene find wichtigere und fruchtbarere Merkmale als dieſe, 
weil fie. den Gegenſtaͤnden beſtaͤndig und in allen Fällen zu⸗ 
fommen, diefe aber. nicht $. 499. Vermoͤge jener Fam, 
man ſich der Sache allemal bewußt werden, vermoͤge Diefer 
aber nicht. Das Bermögen zu denfen ift ein nothwendi— 
ges Merkmal der Seele, das wirkliche Denfen aber nur 
ein zufälliges; und wenn man ſich Die Seele als ein Ding 
vorſtelt, welches wirklich denkt, ſo kan man ſich derſelben 
vermoͤge dieſer Vorſtellung unmöglich alsdenn bewußt wer- 
den, wenn fie in dem Zuftande Dunfeler Borftellungen fich 
befindet... 2) Die Merfmale find entweder eigenthuͤmli⸗ 
che Merkmale, oder ſolche, welche die e Sache mit an- 
dern Dingen gemein bet $. 49. Jene fommen der 
Sache allein und. ausfchlieffungsweife zu, und fie find alſo 
zuveichender als, diefe, welche auch andern Dingen zukom— 
men 9. 499. Folglich find jene beſſere Merfmale, als 
diefe. Wenn man fih von einer Tugend nur dasjenige 
vorftellen wolte, mas fie mit dem Laſter gemein bat, 3. E. 
daß fie eine Sertigfeit ſey, wuͤrde man wohl recht mwiffen, 
was eine Tugend fen? Endlich wollen wir noch 3) be» 
merfen, daß Die Merkmale entweder bejshende, oder ver: 
neinende Merkmale find. Jene ſtellen uns die Reali— 
täten der Öegenftände vor, Diele aber die verneinenden Be— 

ſtimmun⸗ 


48 Don dem Erkenntnißvermoͤgen 


fimmungen derfelben S. 48. Daß; der Menfch Verftand 
bat, ijt ein bejahendes und reefles Merkmal des Menfihen, 
daß er aber feine Allwiffenheit befist, ift ein vernemendes 
Merkmal. Jene find beifer, weil fie uns die Sache felbft 
abbilden, und vorftellen was fie fen, diefe aber uns nur 
vorftelfen was fie nicht fen. Alle unfere Borftellungen 
find entweder bejahende sder verneinende Vorftelluns 
gen, oder beides zugleich. In ſo ferne eine Vorſtellung 
bejahend ift, in fo ferne ift fie aus bejahenden Merkmalen 
zuſammengeſetzt. Freylich Fan es uns ofte feheinen, als 
machten wir uns eine bejahende Borftellung von einer Sa— 
che, da wir uns doch in der That nur verneinungsweife die— 
felbe vorftellen; als wenn wir uns den Menfchen als ein 
endliches und eingefchrenftes Ding vorftellen. Wenn wie 
uns alfo eine wahrhaftig bejahende Borftellung von einer 
Sache machen wolien, fo müffen wir uns diejenigen Reali— 
täten des Gegenftandes vorjtellen, die es nicht bloß zu ſeyn 
feheinen, fondern es auch in der That find. Im Gegen- 
eheil ift eine Vorſtellung verneinend, in fo ferne fie vernei- 
nende Merfmale enthält, und alsdenn ift fie entweder eine 
ganz und durchaus verneinende Vorftellung, oder 
nur eine zum Theil verneinende Vorftellung. Jene 
muß aus lauter verneinenden Merkmalen beftehen, und 
fein einziges bejabendes Merkmal in fich enthalten. Gie 
muß uns feine Realität in dem Gegenftande vorftellen, 
fondern lauter Verneinungen. Da folche Borftellungen 
uns num den Gegenftand als ein bloß verneinendes Ding 
vorftellen, ein folhes Ding aber unmöglich ift $. 131. fo 
ftellen fie uns Nichts vor, und wer fich von einer möglichen 
Sache eine bloß verneinende Vorſtellung macht, der ivrer. 
Es ift daher ungereimt, wenn manche Leute aug guter Mei: 
nung fagen, daß wir Menfchen uns, von GOtt und den 
Geiftern, Feine andere Begriffe als bloß verneinende ma= 
chen koͤnnen: denn das heißt eben fo viel als fagen, daß 
wir ung von diefen Dingen Feine wahren Begriffe machen 
koͤnnen. Eine Borftellung iſt nur zum Theil verneinend, 

wenn 





der Seele überhaupt, 49 


wenn fie aus bejabenden und verneinenden Merkmalen zus 
ſammengeſetzt ift, 3. & wenn wir uns den Menſchen als 
ein Ding vorftellen, welches einen eingefchrenkten Berftand 
bat. Manchmal find unfere Borftellungen in der That 
bejahend, und fcheinen nur verneinend zu feyn, z. E. wenn 
wir uns GOtt als ein Ding vorftellen, welches nicht ein- 
geſchrenkt iſt. Wir reden bier von -Denenjenigen vernei- 
nenden Borftellungen, welche nicht bloß verneinend zu feyn 
fcheinen, fondern es auch in der That find, 
J $. 501. hr 
Gleichwie ein Tag immer heller ift als der andere, 
und ein Licht in der Koͤrperwelt immer ftärfer fcheine als 
Das andere; alſo lehrt uns auch Die Erfahrung, daß eine 
klare Erkenntniß Fläver feyn Fan, als die andere. Und da 
fan man, die verfchiedenen Grade der Klarheit der ‚Er: 
fenneniß, nad) folgenden Regeln beurtheilen. 1) Je mehr 
Merkmale eine Erkenntniß enthält, defto klaͤrer iſt fies je 
weniger fie aber enchält, defto weniger klar iſt ſie. Ein 
jedwedes Merkmal iſt als wie ein Lichttheilgen zu befvach- 
ten, welches das feinige zu dem Lichte ‚und zu der Klarheit 
der Erfenneniß beytraͤgt. Wenn alfo seine unter ziweyen 
Vorſtellungen mehr Merfmale ‚enthalt als die andere, fo 
iſt die erſte Flärer als die andere, wenn ihre Merkmale 
fonft einander gleich find. Diejenige Borftellung ift alfo 
allemal unter mehrern die Elarfte, welche die allermeiften 
Merkmale enthält, wenn fie. übrigens; einander gleich find« 
Und es gibt demnach einen Grad der Klarheit, „welcher aus 
der Menge und Mannigfaltigfeis Der Merkmale. entiteht, 
Daher die Nbeitläuftigkeit der Erkenntniß zugleich, einen 
hoͤhern Grad der. Klarheit, verurfacht 9490, ; Und wir has 
ben von einer Sache in diefer Abficht Die,allerflärfte- Bor- 
ftellung, wenn wir alle ihre Merkmale ohne Ausnahme ‚erz 
fennen. Da nun, durch ein jedwedes Merkmal, eine 
Sache, wenigftens von Einer andern Sache, unterfchieden 
werden Fan $. 49, fo ift unfere Erfennmiß um fo viel 
Flärer, von je miehrern Dingen wir den Gegenftand ver= 
3. Theil. D mittelſt 


50 Von den Erkenntnißvermoͤgen 


mittelſt derſelben unterfcheiden koͤnnen; von je wenigern 
Dingen wir ihn aber unterfcheiden koͤnnen, deſto weniger 
flar ie, Durch) die allerflärefte Borftellung find wir 
vermögend den Gegenftand, von allen andern möglichen 
Dingen, zu unterfcheiden. 2) Je beffer die Merfmale 
find, die wir erfennen, defto klaͤrer iſt die Erkenntniß; je 
fehlechter fie aber find, defto weniger klar ift die Erfennt: 
niß. Je beſſer Die Merkmale find, Defto mehr tragen fie 
zur Klarheit bey. Folglich verurfachen die zureichenden, 
wichtigern, fruchtbarern, notbwendigen, eigenthümlichen 
und bejahenden Merkmale eine gröffere Klarheit, als die 
unzureichenden, unerheblichern, unfruchtbarern, zufälligen, 
gemeinfchaftlichen und verneinenden Merfmale $.499.500. 
Folglich verurſacht, die Gröffe der Erkenntniß, auch die 
Klarheit derfelben $. 491. 3) Je flärer die Merfmale 
erkannt werden, je klaͤrer ft die Erkenntniß; je weniger 
klar fie aber erkannt werden, deſto weniger Elar ift diefelbe, 
Ein Merfmal träge nur zu der Klarheit etwas bey, in fo 
ferne es erkannt wird. Mun fege man zwey Borftellun: 
gen, welche gleichoiel Merimale enthalten, man fege aber, 
daß in der einen die Merkmale Ela, in der andern aber 
dunkel find: fo iſt in Der erften eine groͤſſere Klarheit, als 
in der andern. Folglich gibt es einen Grad der Klarheit, 
welcher von der Klarheit der Merfmale abhanger. 4) Je 
übereinftimmender, ähnlicher und gleicher die Dinge mit 
dem Gegenitande der klaren Erfenntnif find, von denen 
‚man ibn dermittelft derfelben unterfcheiden fan, deſto klaͤrer 
ift fie; je verfchiedener fie aber von ihm find, defto weniger 
Elar ift fie: denn es wird ein fehr ſchwaches Licht erfodert, 
um ſchwarz und weiß von einander zu unterfcheiden, wenn 
man aber zwey rothe Körper, die bey nahe einerley ausfes 
hen, von einander unterfcheiden will, fo wird ein ftärferes 
und hefleres Fiche dazu erfodert, Folglich muß eine Er: 
kenntniß eine fehr geringe Klarbeit befigen, wenn fie nur 
hinreichend ift, ven Gegenftand von ſolchen Dingen zu un- 
terfiheiden, die himmelweit von ihm unterfchieden find. Iſt 

| fie 





ES EEE 


der Ser ibeibaupt. EN 
ö fie br zureichend, denſelben auch von ſolchen Dingen zu 
unterſcheid ʒen, Die. in einer ſehr groſſen Uebereinſtimmuug 
mit ihm ſtehen, fo muß fie ſehr klar ſeyn. 5) Se leichter 
wir uns, Durch eine Erkenntniß, des Gegenſtandes be— 
wußt ſon und ibn von andern Dingen unterſcheiden koͤn⸗ 
‚nen, deſto klaͤrer iſt die Erkenntniß; je ſchwerer wir aber 
diefes, vermittelſt der Erkenntniß, zu thun im Stande ſind, 
deſto weniger klar iſt ſie. Hier geht es uns uͤberhaupt, wie 
bey unſerm Geſichte. Je leichter wir die ſichtbaren Ge— 
genſtaͤnde von einander unterſcheiden koͤnnen, deſto groͤſſer 
ift das Licht; je ſchwerer aber dieſes geſchehen Fan, deſto 
weniger helfe ſcheint das Licht, wenigſtens was unſere Em⸗ 
plinbung deſſelben hecriſt. 
502, : 
On Auf eine aenliche dr verhält es * mit der Dun- 
kelheit der Erkenntniß. Gleichwie eine Macht immer fie 
ſterer iſt, als die andere; alſo iſt auch eine dunkele Erkennt— 
niß immer dunkeler, als Die andere, Ein jedweder Man: 
get der Klarheit in der Erkenntniß iſt eine Dunkelheit G. 
498. Folglich iſt eine Erkenntniß in dem a llerkleinſten 
Grade dunkel, menn fie nur nicht zureicht, den Gegenſtand 
von einem einzigen Dinge, welches mit ihm bey nahe einer⸗ 
ley äft, auf die leichtefte Art zu, unterfcheiden. Alsdenn 
fan die Erkenntniß zugleich, einen unendlich hoben Grad 
der Klarheit, beſitzen H. 501. Eine Erkenntniß iſt alſo 
um ſo viel dunkeler: 1) von je mehrern Dingen man durch 
fie den Gegenſtand nicht unterfcheiden Fan, und je weniger 
Merkmale fie enthält z, 2) je fchlechtere Merkmale fie, ent: 
haͤlt; 3) je dunkeler und. je weniger klar dieſelben erkannt 
werden; 4) von je verſchiedenern Dingen man, vermittelſt 
derſelben, ven Gegenſtand nicht unterſcheiden Fan; und 5) 
je mehr Kräfte man anwenden muß, wenn man: fich ver 
mittelſt Derfelben des. Gegenftandes bewußt werden milk, 
Eine Erkenntniß iſt demnach in ung die. allerdunfelfte, 
wenn wir, nach) aller unferer angewandten Mühe, dennoch | 
nicht im Stande find, vermittelft verfelben den Gegenftand 
D 2 von 


2 Don den Kıkenntnißvermögen 


von irgends einem andern Dinge, und wenn es auch im 
hoͤchſten Grade von ihm verfchieden wäre, zu unterfcheiz 
den. Je geöffer die Klarheit einer Erkenntniß ift, deito 
kleiner ift ihre Dunkelheit ; je kleiner aber jene ift, defto 
gröffer ift diefe. Die Dunkelheit ind Klarheit der Er- 
kenntniß grenzen an einander, wie Nacht und Tag. Je 
mehr der Tag anbricht, defto mehr vergeht die Nacht, und 
‚je mehr die Nacht einbricht, defto mehr verſchwindet das 
Tageslicht. Die Verminderung der Dunkelheit in der 
‚Erfenneniß ift eine Vermehrung ihrer Klarheit, gleichwie 


die Verminderung der Klarheit eine Bermebrung der Duns 


kelheit ift $. 501. | 
| | ge? z 
Es erhellet demnach aus dem vorhergehenden, da 

die Klarheit einer Erkenntniß fonderlich, auf eine zweyfache 
Art, vermehrt werden Fan. Einmal durch die Menge und 
Mannigfaltigkeit der Merkmale, wie ein Zimmer des %- 
bends in einem fehr hohen Grade erfeuchter werden Fan, 
wenn fehr viele Sichter in demfelben brennen, Diefer Grad 
der Klarheit der Erkenntniß, welcher aus der Vielheit der 
Merkmale entfteht, wird die Lebhaftigkeit oder die leb⸗ 
bafte Verftändlichkeit der Erkenntniß genannt, und 
eine Erfennenif, welche fehr viele Merkmale enchält, iſt 
eine lebhafte Erkenntniß, eine Erkenntniß, welche der Aus: 
dehnung nach. Elar iſt, "oder in welcher ein ausgebreitetes, 
weit ausgedehntes und mannigfaltiges Licht angetroffen 
wird, dergleichen die nachdruͤcklichen Vorſtellungen find $. 
494. Und in dieſer Lebhaftigkeit befteht der Glanz der 
Erkenntniß und einer Rede, gleichwie die Abwefenbeit 
derfelben, die Trockenbeit der Erkenntniß, genannt 
wird. In den fchönen Wiffenfchaften wird diefe Klarheit 
der Erkenntniß weiter unterfucht, und die Redner und 
Dichter bemühen fich, ihre Materie lebhaft auszuführen. 
Folglich Fan man, alle metaphorifchen Vorſtellungen /und 
Gleichniffe, als Beyſpiele von lebhaften Borftellungen, be— 
trachten, und aus der Vernunftlehre gehören hieher Die 

aus⸗ 


— TREE Sr 


u — — 


der Seele Ve 55 


Susfährlichen Begriffe, die zugleich fehr viele Elare Merk: 
male enthalten. _ Alle Borftellungen, wodurch andere Vor— 
ſtellungen klar gemacht werden, heiſſen erlaͤuternde oder 
auf klaͤrende Vorſtellungen, und ſie beſitzen eine erlaͤu⸗ 
ternde Kraft §. 493. So haben alle Merkmale eine er— 
laͤuternde Kraft, weil ſie die Erkenntniß, deren Theile ſie 
find, klar machen. Erleuchtende oder maleriſche Vor— 
ſtellungen ſind diejenigen, wodurch andere Vorſtellungen 
lebhaft gemacht werden, A man fihreibt ihnen eine er⸗ 
leuchtende Kraft zu, 5. E. alle Metaphern und Gleich) 
niſſe find malerifche Borffellungen, und haben eine maleri⸗ 
ſche oder erleuchtende Kraft, Zum andern: gibe es einen 
Grad der Klarheit, welcher aus der Gröffe und Klarheit 
der Merkmale entfteht $. 501, und eine Erkenntniß wel⸗ 
che auf dieſe Art klaͤrer iſt, iſt der Staͤrke nach klaͤrer; 
wie ein Zimmer in einem ſehr hohen Grade helle wird, 
wenn in demſelben zwar wenige Lichter brennen, Die ‚aber 
recht groß find, ‚und eine ftarfe-helle Flamme haben, wie 
die Fackeln. Die Erfenntnif der entferntern Merkmale 
verurfache dieſen Grad ‚der Klarheit: $. 499, wenn wir fie 
durch Die logifche Zergliederung der Erkenntniß entdecken. 
In der Vernunftlehre wird dieſer Grad der Klarheit ges 
nauer unterfucht, indem dafelbft, von der Deutlichfeit und 
Vollſtaͤndigkeit der Erkenntniß, ausführlich gehandelt wird. 
Eine jeowede Definition ift ein, Exempel von einer Borftels 
dung, die der Stärfe nad) Elärer it. -Weil nun aus der 
Vernunftlehre erhellet, daß dieſer Grad der Klarheit; durch 
Die Zergliederung der Er kenntniß erlangt wird, ſo kan man 
alle Vorſtellungen erklaͤrende oder sergliedernde Dors 
ftellungen nennen, wodurd) andere. Borftellungen deutli— 
cher gemacht werden, und man ſchreibt ihnen eine zerglies 
dernde Kraft zu, wie z. E. die Merkmale einer Definia 
tion eine ſolche Kraft beſitzen. — 
9. 504. 

De Gewißheit der KErkenntniß, wenn man fie 

als eine Befchaffenheit der Erkenntniß, und nicht als eine 
RS 2 


2 
> 


54 Von den Erkenntnißvermoͤgen 
Beſchaffenheit des Gegenſtandes betrachtet $. 93, iſt, mie 
aus der Vernunftlehre bekannt iſt, das Bewußtſeyn, oder 
bie klare Erkenntniß, der Wahrheit. Da nun die Wahr: 
heit der Dinge in der innerlichen Moͤglichkeit derſelben, und 
darin beſteht, wenn fie zureichende Gründe haben $. 89, 
ſo find wir von einer Sache gewiß, wenn mir uns, ihrer 
Möglichkeit und ihrer wahren Gründe, bewußt find. Eine 
Erkenntniß, die nicht gewiß ift, ift eine ungewiffe Er—⸗ 
kenntniß. Da nun alle klare Erkenntniß entweder ver— 
worren, oder deutlich iſt 6. 485, fo iſt Die Gewißheit 
unſerer Erkenntniß von zweyfacher Art. Einmal eine Ue⸗ 
berredung, welche eine verworrene, oder wie wir ſie her— 
nach nennen werden, eine ſinnlich klare, Erkenntniß der 
Wahrheit iſt, dergleichen wir bey unſern Empfindungen’ 
haben. Von diefer Art der Gewißheit, und ihren man-' 
nigfaltigen Arten, handeln die ſchoͤnen Wiflenfchaften aus⸗ 
fuͤhrlich. Zum andern die Ueberzeugung, und die bee 
ſteht in einer deutlichen Erfenntniß der Wahrheit. Won 
diefer Gewißheit handele, die Vernunftlehre, ausführfich. 
Nun hanger in unferer Erfenntniß, die Wahrheit und Ger 
mißheit einer Vorftellung, ofte von einer andern Vorftel- 
lung ab. Daher nennen wir diejenigen Vorſtellungen bes 
weiſende Dorftellungen, aus denen die Wahrheit ande= 
rer Vorftellungen erkannt werden fan, und man fchreibt 
ihnen deswegen eine beweifende Kraft zu. So find 
alle Beweiſe aller Wahrheiten ſolche Borftellungen, die 
eine beweifende Kraft haben. Weberredende Vorftels 
lungen find folche Borftellungen, wodurch andere Vorſtel— 
lungen auf eine undeutliche Art gewiß werden, und fie ha— 
ben eine überredende Rraft. Gut gewählte Gleichniſſe 
und Fabeln haben, eine überredende Kraft. Weberzeus 
gende Dorftellungen find folche, wodurch andere Vor— 
Stellungen eine deutliche Gewißheit erlangen, und es wird 
ihnen eine überzeugende Kraft zugefchrieben. So ha— 
ben, alle Vorderſaͤße in den Vernunftſchluͤſſen, eine über 
zeugende Kraft. Je richtiger unfere Erkenntniß iſt, und 


der Seele überhaupt. 55 


je Flärer unfere Erkenntniß der Wahrheit derfelben ift, 
defto gemiffer ift unfere Erfenntniß.  Dergleichen Bes 
frachtungen, als in dieſem und dem vorhergehenden Abfage 
angeftelt worden, enthalten die erften Gründe aller der 
Künfte und Wiffenfchaften, welche die Regeln der Verbeſ— 
ferung alier unferer Erkenntniß abhandeln, und ſe ſind alſo 
von ungemein groſſen — 


$. 5. 

Die Klarheit und Sewifheit der Erkenntniß find 
Grade, und Vollfommenheiten der Erfenntniß. Was 
erſtlich Die Klarheit betrift, fo iſt unleugbar, daß fie groͤſſer 
ift, als die dunfele Erkenntniß, wenn fie übrigens einana 
der gleich find, . Man fege, daß der Gine ſich eine Sache 
klar, und der andere dunfel vorftelle :. fo erkennt der erfte 
die Sache, famt ihrem Unterſchiede und ihren hinreichenz 
den Merfmalen, der andere aber erfennt nur die Sache, 
nicht aber ihren Unterfchied. Folglich enthält eine Elare 
Erkenntniß mehr in fich, als die dunfele $. 498, und fie 
ift alfo groffer, als diefe $. 489. Je klaͤrer, lebhafter und 
deutlicher alfo eine Erkenntniß iſt, deſto groͤſſer ift fie, folg- 
lich auch defto vollfommener. Die Klarheit ift die Urfach, 
warum die Erfenntniß befier mit ihrem Zwecke uͤberein— 
ftimt, als wenn fiedunfel iſt; indemeine klare Erfenntniß 
den Gegenftand viel beffer und meitläuftiger abbildet, als 
die dunkele. Was zum andern die Gewißheit betrift, fo 
ift vor fich Flar, Daß fie eine Groͤſſe und Vollkommenheit 
der Erkenntniß fen, meil fie aus zwey Graden und Voll 
fommenbeiten der Erfenntniß befteht, aus der Wahrheit 
und aus der Klarheit zufammengenommen. Folglich je 
gewiffer die Erkenntniß ift, deſto gröffer und vollfommener 
iſt fie. Wir haben alfo bisher, fünf Hauptgrade und Voll: 
Fommenheiten der Erkenntniß, erwiefen: die Weitläuftig- 
Feit, die Gröfle, die Wahrheit, die Klarheit und die Ges 
toißheit. Und es gibt alfo auch fünf Hauptunvollfommenheiten 
der Erfenntniß, die Armfeeligkeit, Kleinigkeit, Unrichtig— 
feit, Dunkelheit und Ungewißbeit der Erkenntniß. Gleich 

Da4 wie 


56 Von der Aufmerkſamkeit. 


wie mim die Vorſtellungskraft der Seele, und die Seele 
felbft, um fo viel geöffer und vollfommener ift, je weitlaͤuf⸗ 
tiger, groͤſſer, und richtiger ihre Erkenntniß und Vorſtel— 
lungen find $. 496; alſo iſt fie auch um fo viel groͤſſer und 
vollfommener, je klaͤrer und gemiffer ihre Erfenntniß und 
Vorftellungen find, Je armfeeliger, Fleiner, unrichtiger, 
Dunfeler, und ungemiffer die Erfenntniß der Seele ift, 
defto Fleiner und unvollfonnmener ift ihre Vorſtellungskraft, 
ja defto Eleiner und unvollfommener ift fie felbft. Und eben 
fo müffen die verfchiedenen Grabe, Bollfommenbeiten und 


Anvollfommenheiten, des Erfenntnifivermögens überhaupt 
beurtheile werden. 
e ⸗x XX——*——2 
Der erſte Abſchnit, 
von der Aufmerkſamkeit. 
9. 506. 

enn wir, die Natur des Erkenntnißvermoͤgens der 
Seele uͤberhaupt, wollen recht kennen lernen, ſo 
muͤſſen wir die Aufmerkſamkeit, und das Vermoͤgen zu ab— 
ſtrahiren, unterſuchen, als welche die beyden Hauptvermö- 
gen der Erkenntnißkraft find, durch deren eines fie auf gez 
wiſſe Gegenftände gerichtet, und durch das andere von ge- 
wiſſen Öegenftänden abgelenft wird.  XDir geben nem« 
lid) auf eine gewiſſe Dorftellung und ihren Gegen- 
ftand achtung, wenn wir ung diefelben Elar vorftellen ; 
oder flärer als andere; oder wenn wir uns einer Vorſtel— 
lung und ihres Gegenftandes entweder bewußt, oder mehr 
bewußt find als anderer. So ofte, wir denken, geben wir 
auf die Borftellung und ihren Gegenftand achtung, und 
wir miffen alfo aus unferer beftändigen Erfahrung, daß 
wir achtung neben. Folglich haben wir ein Bermögen 
achtung zu geben, welches die Aufmerkſamkeit genannt 
wird, Wir abſtrahiren von einer Borftellung, wenn 
mir fie verdunfeln, oder wenn wir fie uns Dunfeler vorftel- 
fen als andere, und man fagt auch, Daß man von den Sa— 


chen 


Don der Aufmerkſamkeit. 57 


chen abftrahire oder feine Gedanfen abziehe, von deren 
Borftellung man abftrahir. So fagen wir, wenn wir‘ 
uns gewiſſe Gedanfen aus dem Sinne fhlagen wollen, daß. 
man von ihnen abftrahire, indem man fie verdunfelt. And 
wenn in einer Gefellfchaft eine verdrießliche Unterredung 
aufs Tapet gebracht wird, fo abftrahire man von derfelben, 
wenn niemand mehr Daran denkt, und wenn fie in den Ge— 
müthern der gegenwärtigen Perfonen verdunfele wird. Wir, 
erden in dem folgenden das Abftrahiren genauer unterfu= 
chen, und mir wollen ung jeßo, mit der Natur der Aufz 
merffamfeit, befhäftigen. Ein geringes Nachdenfen Fan 
uns überzeugen, Daß mir auf eine Sache achtung geben, 
wenn wir, unfere Erfenntnißfraft, auf diefelbe richten und. 
lenken. Wenn mir alle dunfele Vorftellungen zufanımenz 
nehmen, welche in unferer Seele auf einmalgegenmärtig find, 
fo find fie eben deswegen Dunfel, wenn die Seele fich Die- 
felben in einer Reihe auf einmal vorftelt, ohne daß fie fich 
mit einer mehr befchäftiget, als mit der andern, Nun hat 
uns die Natur eine Yufmerffamkeit gegeben, vermöge wel- 
cher wir unfere Erkenntnißkraft, mit der Borftellung einer 
gewiſſen Sache und ihrer Merfmale, vorzüglich beſchaͤfti— 
gen Fonnen. Alsdenn richten wir, die Stärfe unferer Er- 
Fenntnißfraft, mehr auf dieſe Vorſtellung, als auf andere, 
und das heißt, wir geben auf diefelbe achtung. Folglich 
geben mir achtung auf eine Sache, wenn wir uns bemuͤ— 
ben, die Borftellung von derfelben gröfler zu machen, als 
alle unfere dunfele Borftellungen, welche beftandig in un- 
ferer Seele find, gervöhnlicher Weiſe zu feyn pflegen, Es 
geht uns hier überhaupt, wie es uns geht, wenn mir eine 
unzählige Menge Leute vor uns fehen. So bald wir un: 
fere Augen auf eine Perfon insbefondere richten, und uns 
diefelbe in einem höhern Grade vorftellen, als die übrigen, 
fo bald geben wir auf fie achtung. 


.  507« 
Die Aufmerkſamkeit ift —* Quelle aller Klarheit der 
Erkenntniß, und alles desjenigen, was dazu erfodert wird 


D5 9.506. 


58, Don der Aufmerkfamtkeit. 


6.506. Es entſteht demnach) die Klarheit unferer Ers 
fenntniß, wenn wir, vermittelft unferer Aufmerffamfeit, 
aus der unendlichen Menge unferer dunkeln Borftellungen, 
fo viele zufammen als eine ganze Vorſtellung uns vorftels 
len, daß der Grad der Kraft, den Die Seele anwenden muß, 
um fie zufammen. als ein Ganzes fich vorzuftelten, gröffer 
ilt, als der Grad der Kraft, den fie auf die übrigen Vor: 
ftellungen wenden muß. Alsdenn merft fie diefe ſtaͤrkere 
Befchaftigung ihrer Erfennenißfraft, fie wird diefelbe ge: 
wahr, und ift fich alſo derfelben Vorftellung bewußt. Nun 
hat die Natur allen Kräften in der Welt gewiſſe Regeln 
vorgefchrieben, die fie bey ihrer Würffamfeit beobachten $. 
401. Folglich haben, alle Kräfte der Seele, ihre vorges 
fhriebenen Regeln, und aljo auch die Aufmerkſamkeit. 
Diefe Regel Fan folgendergeftalt ausgedruckt werden: 
wenn man auf eine Sache schtung geben will, ſo 
muß man fich von derfelben mehrere und gröffere 
Merkmale, und zwar weniger dunkel, vorftellen, 
als von andern Dingen. Aledenn wird die Borftellung 
dieſer Sache klaͤrer $.501, und wir geben alfo auf fie ach— 
tung $. 506. Gleichwie in der Korperwelt ein Korper 
ungemein erleuchtet werden Fan, wenn man durch einen 
Spiegel die Sonnenftralen auffängt, und fie auf denfelben 
hinlenft: fo macht auch die Aufmerffamfeit die Erfenntniß 
Elar, indem fie die Erkenntnißkraft auf fie und ihren Ge— 
genftand richtet. Doch es ift uns hier genung, Daß ung 
die Erfahrung lehrt, daß eine Vorftellung Elar oder Flärer 
wird als vorher, wenn wir auf fie achtung geben, es mag 
nun dieſes zugeben, wie es will. Wenn mir in einer 
Schrift ein Wort nicht lefen Fönnen, oder wenn wir in der 
Abenddemmerung ein Ding nicht erkennen koͤnnen, fo fehen 
wir es ftarre an, und folglich geben wir auf daffelbe ach— 
tung. Es lehrt uns aber aud) die Erfahrung, daß wir 
alsdenn Die Sache klar erkennen. 


68⸗ 
Wenn des Nachts der Mond im vollem Lichte glänzt, 
jo 





Von der Aufmerkſamkeit. 59: 


fo erblaßt er, wenn die Sonne aufgeht, und wenn man in 
einer heitern Mittagsitunde ein Licht anzündet, fo wirft. es 
kaum einen merklichen Schein um fih. Man fagt. daher, 
daft Das gröffere Licht Das Fleinere verdunfele. Nun Fan 
uns ein geringes Nachdenken überzeugen, daß der Mond, 
wenn die Sonne aufgeht, eben fo viel Licht noch in unfere 
Augen fende, als in der Mitternachtsftunde, und daß die 
Flamme eines angezuͤndeten Lichts, am hellen Tage, eben fo 
ftarf in die Augen würfe, als des Nachts. Folglich. ver- 
mindert und ſchwaͤcht, ein ftärferes Sicht, Das kleinere nicht 
an fich felbft. Sondern diefe Erſcheinung trägt fid, in 
unferm Gefichte, zu. Das gröffere Licht würft ftärfer auf 
unfer Geficht, und verurfacht eine färfere Empfindung, 
als das fleinere. Daher muß man den Satz: das gröffes 
re Licht verdunfelt neben fich das Fleinere, fo verſtehen: eine 
ftärfere Empfindung verdunfelt die ſchwaͤchere. Ja man 
Fan überhaupt fagen, daß eine jedwede ftarfere Borftellung 
eine jedwede andere Vorftellung, die ſchwaͤcher ift,. neben 
fid) in der Seele verdunfele. Wenn wir neben einem ftar- 
fen Schmerze einen fehwächern fühlen, fo merken wir den 
legtern faum neben dem erftern. Leber dem Studieren 
hoͤrt und ſieht man ofte bey.nahe gar nicht. Selbſt in der 
gelehrten und vornehmen Welt vergißt man, neben der 
Detrachtung der groffen Perfonen, die geringern. Daher 
Leute, die nad) einer falfchen Politik handeln, fich fehr in 
acht nehmen, daß fie Feine Collegen und Nachfolger befom- 
men, die viel beffer find als fie felbft, damit fie felbft in der 
Hiftorie durch diefelben nicht verdunfele werden. Man 
fan, Diefe merfwirdige Erfcheinung in unferer Seele, aus 
ber Natur der Aufmerkſamkeit fehr gut erklären. Unſere 
Aufmerkſamkeit ift ſehr eingefchrenft, weil unfere Seele ein 
endliches und zufälliges Ding ift. Folglich befigen wir, 
diefes Erfenntnigvermögen, in einem gewiflen eingefchrenf- 
ten Grade, welcher erfchöpft werden fan. Wenn alfo eine 
ftärfere und fchwächere Vorſtellung zugleich in der Seele 
iſt, ſo müflen wir eigen gröffeen Theil unferer Aufmerf; 

ſamkeit 


60 Don der Aufmerkfamteit, 


famfeit auf die Betrachtung der erftern wenden: ‚weil. fie 
eben dadurch ftärfer und flärer wird, ‚wenn wir in einem: 
ſehr hohen Grade auf fie achtung geben $. 506. Folglich 
behalten wir wenige Kräfte übrig, auf die ſchwaͤchere Borz. 
ftellung achtung zu. geben. In fo ferne wir auf eine Bor= 
ftellung nicht acht geben, die doch in unferer Seele vorhan— 
den ift, in fo ferne abftrahiren wir von ihr, und mithin 
wird fie verdunfelt $. 506. Folglich ift, eine jedwede ſtaͤr⸗ 
tere Borftellung in unferer Seele, ein Gegenftand und eine, 
Würfung eines groffen Theils unſerer Aufmerkſamkeit, 
und ein Hinderniß, warum wir auf eine fehwächere Vor, 
ftellung nicht fo fehr achtung geben, als wir zu thun ver- 
mögend gemwefen wären, wenn nicht fehen die ftärfere Vor— 


ſtellung einen fo groſſen Theil unſerer Aufmerkſamkeit be— 
ſchaͤftigte. Und es iſt alſo ganz natuͤrlich, daß die ſtaͤr⸗ 


kern Vorſtellungen in unſerer Seele die ſchwaͤchern verdun— 


keln. Wenn wir zwey Vorſtellungen haben, deren die eine 
ſtaͤrker und klaͤrer iſt als die andere, ſo vergleicht ſie unſere 


Seele mit einander, und entdeckt den Unterſchied derſelben. 


Sie wird alſo die Schwäche und die groͤſſere Dunkelheit 


der letztern gewahr, und alfo wird in Der Erkenntniß der 
Seele das fhwächere Sicht durch das ſtaͤrkere verdunkelt. 
a, 500, ; 
Wir koͤnnen unfere Borftellungen.auf eine vielfältige 
Art zufammenfegen, und aus vielen. Borftellungen Eine 
Vorſtellung machen, die wir als ein Ganzes anfehen. Und 
da gefchieht es manchmal, daß wir auf alle Theile einer 


folhen Borftellung niche gleich ftarf achtung ‚geben, oder ; 


daß fie nicht alle einen gleichen Grad der Klarheit haben. 
Eine folche Borfteltung, welche aufler den Merkmalen und 
Theilen, auf welche man vornemlich achtung gibt, noch ei= 
nige enthält, die nicht fo Elar find, und auf welche man nur 
nebenbey und gleichfam im Vorbeygehen achtung gibt, wird 
eine zuſammengeſetzte Vorftellung genannt, oder eine 
Bprftellung, in welcher mehrere zufammengefaßt find. Eine 
folche Vorſtellung befteht, als ein Ganzes, aus — ira 

elluns 





Don der Aufmerkſamkeit. 61 


ſtellungen, als aus Theilen. Die erſte iſt die Haupt⸗ 

vorſtellung, und die andere die Nebenvorſtellung, 
"oder der Hauptbegrif und der Nebenbegrif. Jene iſt der 
Inbegrif derjenigen Merkmale, auf welchen man vornem— 
lich und am meijten achtung gibt, und bie andere begreift 
diejenigen Merkmale in fich,. auf die man nur nebenbey 
achtung gib, Die Hauptvorſtellumg it viel Flärer, als 
Die Mebenvorftelling; und wenn man fagt, daß eine Dor- 
ſtellung der andern anhange oder anflebe, fo ift, dieſes 
eben ſo viel, als wenn man fagte,, daß die erfte eine Mes 
Benvorftellung der andern fey. Wenn man 3. E. fagt: 
der unfterbliche Geift des Mienfchen, fo Fan entweder das 
‚ort Geift ven Hauptbegrif, und unſterblich den Neben— 
begrif ausdrucken, oder umgekehrt, nach dem es unſer Zweck 
erfodert. Diefe Erflärungen find, in der Anwendung, 
ſehr brauchbar. Es gefchicht fehr ofte, daß ſich in unfern 
Mebenvorftellungen undermerkt viel Falfches einfehleiche, 
Daher viele Irrthuͤmer und viele grobe Vorſtellungen ent; 
ftehen. Und man muß alfo, bey der Ausbefferung der 
Erfenntnif, die Nebenerftelliingen wicht aus der acht laſ⸗ 
fen. So geht es uns, mit dem Worte Einfluß. Wenn 
mit fagen, daß Die Sehe in den $eiß' einen Einfluß babe, 
fo denken wir daben vornemlich, Daß fie den Grund der 
Wirklichkeit der Veränderungen des Leibes in fich enthalte, 
Mebenbey aber ftelt man ſich vor, als wenn aus der Seele 
etwas herübergehe in den Körper. Daher auch einige ei- 
nen ſehr groben Einfluß der Seele in den ‚Körper angenom⸗ 
men haben, und eben Dadurch find fie in einen groffen Irr⸗ 
EURE geratben. Ban . 


§. 

Die ———— in Ve Grade, fahig 
Ein Menſch hat immer eine groͤſſere Gabe achtung zu ge: 
beit, als der andere, ja ein und eben derfelbe Menfch Fan 
bato ftarfer bald fehtwächer, bald in einem gröffern bald in 
einem Eleinern Grade auf eine Sache achtung geben. Und 
da Fan man, die verſchiebenen Grade der Aufmerkſamkeit, 


nach 


62 | Don der Aufimertſamtet. 


nach folgenden Regeln beurtheilen: Aufj ie mehrere Ge 
‚genftande wir, entiveder zu gleicher Zeit, oder nach, und 
nach und Furz Hinter einander, achtung geben koͤnnen, fo 
daß wir feinen derfelben mit dem andern. verwechfeln, deſto 
groͤſſer iſt die Au merkſamkeit. Folglich je mehrere und 
mannigfaltigere Dinge wir zugleich oder hintereinander 
denken, und klar erkennen koͤnnen, deſto groͤſſer iſt unſere 
Gabe achtung zu geben. Sieber koͤnnen wir alle diejeni⸗ 
gen Gelehrten rechnen, Die ſehr viel wiſſen, und alle dieje— 
gen, welche fehr viele Gefchäfte ohne Verwirrung zu ver⸗ 
richten im Stande ſind. Es gibt Leute, welche nur wenig 
zu faſſen im Stande ſind. Wenn ſie wenige Geſchaͤfte von 
einerley Art verrichten ſollen, ſo iſt es gut. Allein viele 
Geſchaͤfte ſetzen ſie in Verwirrung, und ein einziger aufler- 
ordentlicher Beſuch verderbt ihnen einen ganzen Tag, weil 
er fie untuͤchtig macht, auf ihre orpenclichen Geſchaͤſte ihre 
Gedanken zu — Und ſolche Leute haben eine ſehr 
kleine Aufmerkſamkeit. 2) Je groͤſſer Die Gegenſtaͤnde 
ſind, auf welche wir achtung geben koͤnnen, deſto groͤſſer 
iſt die Aufmerkſamkeit. Es gibt einen gewiſſen kindiſchen 
Fehler der Aufmerffamfeit, vermöge deſſen fie nur, auf 
Kleinigkeiten die Gedanken eines Menſchen richtet, und an 
groſſen Dingen. alles groffe überfieht, und. nur Die Kleinig— 
keiten beobachtet. Kine Aufmerkſamkeit von dieſer Art 
kan lange nicht ſo groß ſehn, als eine Aufmerffamfeit, wel⸗ 
che ſich nur auf groſſe Gegenſtaͤnde richtet, und an groffen 
Dingen nur oder vornemlich Die geoffen Merkmale beobachs 
tet. Diefer Grad der Aufmerkſamkeit ift die Quelle, von 
alter Gröfle und Würdigkeit der, menfchlichen Erkenntniß 
$. 491, und der Mangel deffelben verurfacht ihre Kleinig- 
feit. 3) Je klaͤrer unfere Erfenntniß iſt, deſto groͤſſer iſt 
die Aufmerkſamkeit. ‚Indem wir auf eine, Sache achtung 
geben, fo machen wir einen gewiſſen Grad unferer Vorſtel— 
Lunge öfraft in Abſicht auf diefelbe Sache. lebendig, und Die 
Wuͤrkung diefes Lebens der Vorftelungsfraft ift die Klar— 
heit der Vorſtellung Diefer Sache $. 506, Nun ift Die 

Wir: 


Von der Aufmerkſamkeit. 63 


Würfung allemal der lebendigen Kraft gleich $. 255. Folge +. 
lich je Flärer Die Borftellungen find, deſto eine gröffere Öa- . 
be der Aufmerkſamkeit muß ein Menfch befigen; je ſchwaͤ— 
cher aber das Licht der Erkenntniß ift, deſto kleiner iſt die 
Aufmerkſamkeit. Wenn alſo ein Menſch eine gewiſſe Vor— 
ſtellung viel klaͤrer machen kan, als viele andere ſehr klare 
Borftellungen, fo muß er eine ſehr groſſe Aufmerkſamkeit 
befigen : wie ein Gelehrter, welcher bey Hunger und Durſt, 
bey Froft und Hige, mitten in groffen Gefelffchaften, den— 
noch ftudieren fan. Es gibe Leute, die in ihrer Erfennts 
niß ein helles Mittagslicht haben; es gibt aber auch Leute, 
in deren ganzen Erkenntniß nur eine ſchwache Morgendem—⸗ 
merung anzutreffen iſt. Jene haben unleugbat eine gröf 
fere Aufmerffamteit, als diefe. MD Se länger die Klare 
heit einer Borftellung fortdaurt, deſto geöffer iſt Die Aufe 
merffamfeit. Es gibt teure, in deren Erkenntniß es fo zu 
reden lange Sommertage gibt, uͤnd die Aufmerkfämfeit 
derfelben auf eine Sache daurt fehr lange fort. Es gibt 
aber auch Seute, in deren Erkenntniß nur kurze Winterräge 
find, und deren Aufmerffamkeit auf eine Sache daurt nur 
Furze Zeit. Solche Leute ermüden gar zu bald, fie haben 
kein Sigefleifeh, und Fönnen niemals lange auf eine Sade 
achtung geben, Jene haben unleugbar eine gröffere Aufz 
merffamfeit als diefe, und die Klarheit ihrer Grfenntniß 
iſt von einer viel gröffern Dauer, als die Klarheit in der 
Erfenntniß der legtern. 
$. sur. 

Bermöge des vorhergehenden fan man fonderlich ei— 
nen’drenfachen Grad, und alfo auch eine dreyfache Voll— 
kommenheit der Aufmerkfamkeit, anmerken. Einmal die 
Ausdehnung der Aufinerkſamkeit, oder diejenige Voll⸗ 
kommenheit derſelben, vermoͤge welcher man im Stande 
iſt, auf viele und mannigfaltige Dinge achtung zu geben, 
entweder zu gleicher Zeit, oder zu verſchiedenen Zeiten und 
nach und nach. Durch dieſe Vollkommenheit entſteht alle 
Weitlaͤuftigkeit der Erkenntniß $. 490, und alle Grade 

der 


64 Don der Aufmerkſamkeit. 


der Klarheit, welche auf der Menge der Merkmale: beru- 
hen 9. 503. Wer Feine weit ausgedehnte Aufmerkſamkeit 
beſitzt, der kan unmoͤglich dieſe Vollkommenheiten in ſeiner 
Erkenntniß erreichen. Seine Einſichten werden jedesmal 
in fehr enge Grenzen eingefchlojfen feyn, und da er nicht 
vermögend ift, viel und mancherley Gefchäfte zu verrich— 
ten, fo bat ihn die Natur bloß zu einer ruhigen, einfälti- 
gen und einförmigen Sebensart beſtimt. Zum andern, die 
Stärke der Aufmerkſamkeit befteht in derjenigen Volk 
kommenheit der Aufmerkſamkeit, vermöge welcher, wir im 
Stande find, eine Borftellung viel Elärer zu machen, als 
andere überaus Flare Vorſtellungen. Durch dieſe Boll: 
kommenheit entſtehen alle Grade der Klarheit, die auf der 
groͤſſern Klarheit der Merkmale beruhen, und wir ſind eben 
dadurch vermoͤgend, eine Sache tief einzuſehen, und alſo 
eine, richtige und gewiſſe Erkenntniß zu erlangen. Und 
drittens, die Fortſetzung der Aufmerkſamkeit, oder die⸗ 
jenige Bollkonpmenheit, vermöge welcher man im Stande 
ift, lange Zeif auf eine Sache achtung zu geben. .,, Diefe 
Vollkommenheit befordert, alle Vollkommenheiten der Er- 
kenntniß. Sie fonnen. night. gleich in einem Augenblicte 
allemal erlangt iDerden, fondern es verfließt ofte eine ge— 
raume Zeit, ehe. mir ‚Die Weitlauftigkeit die Groͤſſe, die 
Wahrheit, die Klarheit und die Gewißheit unſerer Er— 
Fenntniß erlangen, und es iſt demnach unentbehrlich, daß 
wir die ganze Zeit über unfere Aufmerkfamfeit auf die Ge⸗ 
genſtaͤnde derſelben richten. Ja durch dieſe Vollkommen— 
heit erhalten wir, unſere — erlangte klare Erkenntniß; 
und gleichwie die Ausdehnung und Staͤrke der Aufmerf- 
famfeit die Schöpferinnen unferer Erkenntniß koͤnnen ge- 
nannt werden, alfo ift die Sortfegung der Aufmerkſamkeit 
die Erhalterin derfelben. Da nun offenbar ift, daß alle: 
vollfommenere Erkenntniß, aus. den Vollkommenheiten 
Der Aufmerkſamkeit, entjtebt : fo muß ein jedweder, der 
feine Erfenntniß irgends auf eine Art verbeffern will, ent: 
weder eine ſehr vollfommene Aufmerkſamkeit beſitzen, 

oder 





Von der Aufmerkſamkeit. 65 


oder er muß dieſes fein Vermoͤgen vor allen Dingen gehoͤ⸗ 
tig verbeffern, 
$. 512. 

Die Aufmerkſamkeit ift nichts anders als ein Vermoͤ— 
gen, die Borftellungsfraft der Seele auf gewiſſe beftimte 
Gegenſtaͤnde zu lenken $. 506. Da mun diefe Kraft der 
Seele ſich nad) der Sage und Stellung des menfchlichen 
"Körpers richter, und wir uns die Öegenftände dunkeler, 
Flärer oder deutlicher vorftellen, nachdem unfer Körper ge— 
"gen fie geftele ift $. 487, fo geben wir auch, nach der Stel: 
lung unferes Körpers, achtung. Folglich) richter fic) die 
-Aufmerffamfeit nach) der Stellung des Körpers, und wenn 
unſere Seele worauf achtung geben will, fo brauche fie zu 
diefer Handlung nicht etiva eine eigene befondere wuͤrkſame 
Kraft. Sondern das Achtunggeben ift nichts anders, als 
eine Beftimmung und Handlung der Borftellungskraft, 
vermöge welcher fich die Seele die Welt nach der Stellung 
ihres Leibes vorftelt. Die Erfahrung ftimt damit vortref- 
lich überein. Wenn wir worauf achfung geben wollen, 
fo geben wir unferm $eibe eine gewiffe Stellung. Wir 
gehen näher auf den Gegenftand zu, Wir horchen und 
frisen die Ihren. Selbſt alsdenn, wenn wir allgemeinen 
Wahrheiten nachdenken, Fönnen wir es merfen, daß wir 
unferm Leibe eine gewiſſe Stellung geben. Wenn wir von 
diefer Stellung des Leibes, welche zur Aufmerkſamkeit er= 
fodert wird, einen recht beuflichen: Begrif hätten, fo wür- 
den wir vielleicht den Grund entdecken, warum fir manch⸗ 
mal achtung geben koͤnnen, manchmal nicht, darum wir 
manchmal beſſer acht haben koͤnnen, als ein anderesmal, 
und was dergleichen mehr if. Ja man würde vielleicht 
daraus begreiffen lernen, warum mir, in der Kindheit und 
im hohen Alter, nicht fo gut achtung sans als in 
dem männlichen Alter. 

$. * 

Von der Yufmerkfamfeit —** iſt, die Reflexion 
* das Nachdenken, unterſchieden, und ſie iſt eine Art 

3. Theil. E der 


66 Don der Aufmerkſamkeit. 


der Aufmerkſamkeit. Wir denken nemlich einer Vor⸗ 
ſtellung oder Sache nach, oder wir durchdenfen fie, 
oder wir veflectiven über diefelbe, wenn wir unfere Aufmerk— 
ſamkeit nad) und nach, auf die verfchiedene Theile einer 
Borftellung oder Sache, richten; oder wenn wir ung einen 
Theil nach dem andern klar vorftellen. Wenn wir einer 
Sache nachdenken, fo durchlaufen wir fie mit unfern Ge— 
danken, gleichfam von einem Ende bis zum andern, und 
wir betrachten fie gleihfam vom, Haupte bis zum Fuͤſſen, 
von hinten und von vornen. Wir ſetzen alsdenn unfere 
Aufmerkfamfeit, auf die ganze Vorſtellung und ihren Ges 
genttand, eine Zeitlang fort, und richten fie zugleich insbes 
fondere auf den erften Theil. Alsdenn abftrahiren wir von 
dieſem erften Theile, und richten unfere Aufmerffamfeit 
auf den zweyten, und. fo geben wir von einem Theile zum 
andern fort, bis wir dieſes Gefchäfte zu Ende gebrache 
haben. Wer alfo einer Sache nachdenken will, der muß 
nicht nur feine Aufmerkſamkeit, über das Ganze und einen 
Theil, zugleich ausdehnen koͤnnen; fondern er muß fie auch 
auf das Ganze fo lange fortfegen Fönnen, bis er nach und 
nach. verfchiedene Theile defjelben Elar erkannt hat. Folg- 
Yich feßt das Machdenfen fehon, einen hoͤhern Grad der 
Aufmerffamfeit, voraus $. 510. und e8 Fan niemand nach⸗ 
denken, wer nicht ſchon eine groffe Gabe der Aufmerkſam— 
keit beſitzt. Im Gegentbeil fan jemand zu einem gemwife 
fen Grade der Aufmerkſamkeit geſchickt feyn, und er ift 
deswegen noch nicht im Stande, einer Sache nachzudens 
fen, wie wir bey Kindern fehen, bey denen das Nachden— 
fen nach der Aufmerffamfeit mit den Jahren fomt, Nun 
lehrt uns die Erfahrung, daß wir ofte unfern Vorſtellun— 
gen und den, Öegenftänden derfelben nachdenken, indem 
wir fie von verfchiedenen Seiten betrachten. Wenn wir 
ein Gebäude inmendig und auswendig, und von allen. Geiz 
ten betrachten, fe reflectiren wir über daſſelbe. Ja fo ofte 
man von einer Sache redet, und viel nad) und nach von 
ihr ſagt und erzehlt, fo -ofte muͤſſen wir derſelben nachden« 

Een, 


u A u ⏑— 


— 


Don der Aufmerkfamkeit. 67 


£en, und nach und nad) unſere Aufmerkſamkeit auf alfes 
Mannigfaltige richten, was wir von ihr fagen. Folglich 
bat unfere Seele ein Vermögen, einer Sache nachzu⸗ 
denken, Da nun daffelbe nichts anders als eine Art der 
Aufmerffamfeie ift, fo gilt von ibm alles, was von der 
Aufmerkfamfeit erwiefen worden, Und da diefe nichts an— 
ders als eine gewifle Art ift, wie fich die Vorſtellungskraft 
der Seele nad). der Stellung ihres Leibes würkfam ermeift 
6. 512, fo richtet fich auch das Nachdenken nach der Stel: 
lung des Körpers, und wird durch Feine andere Kraft 
‚würflich, als durch die Borftellungsfraft der Seele, Wenn 
wir über ein Gebäude recht reflectiven wollen, fo müffen 
wir unferm Körper die dazu gehörige Stellung: geben, und 
ohne Zweifel Fonnen kleine Kinder deswegen noch nicht re— 
flectiven, weil ihr Körper noch nicht Die dazu nöthige Stel 
lung bat. Es erhellet aus diefer ganzen’ Betrachtung, 
daß das Reflectiren nichts anders, als eine Abwechfelung 
der Abftraction und Des Aufmerfens, in Abfiche auf die 
Theile eines Ganzen, fey. Folglich entfteht das Nach: 
denfen, indem wir die Zeit über, da wir das Ganze uns 
klar voritellen, einen Theil uns klaͤrer vorftellen, als die 
übrigen, und nachdem wir von diefem Theile abftrahiren, 
wieder einen andern uns Flärer vorftelien, als die übrigen 
u. ſ. w. Man fan demnach die Kegel, welche die Natur 
unſerm DBermögen nachzudenken vorgefchrieben hat, fol: 
gendergeftalt ausdrucken: Man ftelle fich von einem 
Theile des Ganzen mehrere und wenigere dunkele 
WierEmale vor, als von den übrigen Theilen, fo wird 
er klaͤrer als die übrigen. 


„514. | 

Die Gegenſtaͤnde * Erkenntniß enthalten ſo un. 
endlich viel und mancherley in ſich, daß wir in die groͤßte 
Verwirrung unſerer Gedanken gerathen, wenn wir dieſel— 
ben auf einen Blick uͤberſehen, und unſere Aufmerkſamkeit 
nur auf ſie im Ganzen betrachtet richten. Unſere ſchwache 
Erkenntnißkraft erblickt alsdenn zu viel auf einmal, und 
Ea wird 


68 Don der Auifinerkfamkeit. 


wird überhäuft. Da hat uns nun die Natur das Ver: 
mögen nachzudenken gegeben, damit wir eins nach dem an- 
dern in Betrachtung zu ziehen, und alfo das Ganze befier 
zu erkennen im Stande feyn mögen. Es hat aber auch) 
diefes Vermögen nachzudenken verfchiedene Grade, welche 
nach folgenden Regeln beurtheilt werden müffen: 1) Auf 
je mehrere Theile und Merfmale des Ganzen wir unfere 
Aufmerffamkeit nach) und nad) zu richten vermögend find, 
defto geöffer und ausgedehnter ift unfere Reflexion. Es 
ift daher ein Beweis eines ſehr groffen Nachdenkens, wenn 
man von einer Sache tauſenderley mannigfaltige Stuͤcke 
anmerken fan. Es gibt Leute, welche in Geſellſchaͤſten 
find, und merkwuͤrdigen Begebenheiten beywohnen ‚die 
aber faft gar nichts oder fehr wenig nachher zu erzeßlen 
wiſſen, und diefe Leute haben eine fehr enge eingefchrenf- 
te Gabe zu reflectiven. 2) Je gröffer die Merkmale und 


Theile find, die man durch Die Neflerion entdeckt, defto 


gröffer iſt dieſelbe. Es ift was Findifches, wenn man 
zwar unendlic) viel in einer Sache beobachten Fan, wenn 
daſſelbe aber lauter‘ Kleinigkeiten und unerhebliche Umſtaͤn— 
de find. Es gibt Leute, welche, wenn ſie in Gefellfchaften 
gewefen, ganze Tage lang davon ſchwatzen koͤnnen. Allein 
da fie bloß die Kleidungen, die Mufter der Servietten, und 
dergleichen Dinge angemerkt haben, fo ift ihre Gabe nach 
zudenfen fehr klein. 3) Je ſtaͤrker und in einem je hoͤhern 
Grade wir auf einen jedweden Theil achtung geben, folg: 
lich je flärer wir uns einen jediweden Theil vorftellen, 
deito färfer reflectiren wir. Es gibt $eute, die bey ihrem 
Machdenfen flüchtig über die Theile, die fie nach und nach 
denken, mit ihren Gedanfen hinglitſchen, und ſich Feinen 
derfelben recht vorftellen, und diefe reflectiren in feinem 
boben Grade. 4) Se länger man das Nachdenfen fort: 
fegen Fan, defto geöffer ift e8 $. sro. Und 5) je leichter 
es uns anfomt, nad) und nach die verſchiedenen Theile des 
Ganzen zu entdecken, folglich je gefehwinder wir, einen 
Theil nach) dem andern, durch unfere Aufmerkſamkeit recht 

zu 





—— Er ee TEE SE a 


el 


Don der Aufmerkſamkeit. 64 


zu. befrachten vermögend find, eine defto gröffere Gabe des 
Nachdenkens befigen wir, Wenn es einem Menfchen fehr 
ſchwer wird, eine Sache zu durchdenfen, wenn die Zwi— 
ſchenzeit fehr groß ift, die da vorbenftreicht, ehe er mit fei- 
ner Aufmerkſamkeit von einem Theile zu einem andern fort 
geht, fo muß er ein fchwaches Vermögen zum Machdenfen 
befißen. Wenn er aber in der Gefchwindigfeit eine Sache 
durchlaufen, und in derfelben unendlich viel in einem hoben 
Grade der Klarheit gemahr werden fan, fo muß feine Ga⸗ 
be des Nachdenfens fehr groß feyn. 
8§. 515. 

Wenn wir über eine ganze Vorftellung und ihren Ge— 
genftand reflectirt haben, und wirkwolten, nach geendig- 
tem Nachdenken, unfere Aufmerkfamfeit nicht weiter mit 
derſelben befchäftigen; fo würden wir zwar diefes Ganze 
nach und nach ſtuͤckweiſe gedacht haben, allein wir würden, 
dieſe durch das Machdenfen entdeckten Theile, uns nicht 
zufammen als Eins vorftellen, und alſo würden wir nicht 
das Öanze überfehen: Folglich Hat: ung die Natur noch 
eine Art der Aufmerffamfeit verliehen, welche man das 
Ueberdenken oder die Ueberlegung nennen Fan. Wir 
überdenken eine Vorſtellung, ‚oder. wir überfehen fie im 
Öanzen, oder wir faffen ihre durch das Machdenfen ent- 
deckten Theile zufammen, wenn wir nach geendigtem Nach⸗ 
denken die Merkmale, die wir nach und nach gedacht ha— 
ben, zufammen als Eins uns vorftellenz; und wenn wir 
alfo, nach geendigtem Nachdenken, unfere Aufmerffamfeie 
wiederum auf das Ganze richten. Wenn mir einer Bor- 
ftellung nachdenken, ſo machen wir ung klare Begriffe von 
einigen Merkmalen‘ derfelben, und diefe Begriffe folgen 
währenden Machdenfens auf einander. Wenn wir nun 
bernach alle diefe klaren Begriffe verfamlen, und auf ein- 
mal in unferm Gemüthe, gleichfam neben einander geftelt, 
gegenwärtig haben, fie zufammengenommen als eine ganze 
Vorſtellung betrachten, und deraeftalt unfere Aufmerkſam⸗ 
keit wiederum auf das Ganze richten, ſo uͤberdenken wir 

E 3 daſſelbe. 


zo Don der Aufmerkfamteit, 


daſſelbe. Durch das Nachdenfen zerlegen und zertheiten 
wir das Ganze ih unferm Gemüthe, und durd) das Ueber: 
Senken ſetzen wir. Diefe Theile wiederum zuſammen, und 
machen daraus eine ganze Vorſtellung. Nun wiſſen wir 
aus der Erfahrung, daß wir diefe Handlung ofte verrich⸗ 
ten, Folglich befigt unfere Seele das Vermögen, eine 
ganze Borftellung zuüberdenken. Diefes Vermögen ift 
uns Menſchen niche nur unentbehrlich, wenn wir deutliche 
Erfenntniß erlangen wollen, wie wir Fünftig zeigen wers 
den; fondern es ift uns’ auch zu unfern allermeiften Ge— 
fhäften noͤhig. Wenn ein Kind lefen lernt, fo muß es 
ſich nicht nur, vermöge des Nachdenkens, alle Buchftaben 
eines Wortes nach und nach vorftellen; fondern es muß 
diefelben auch zufammenfefen, und das ift nichts anders 
als das Ueberdenken. Der Regent eines Landes muß den 
ganzen Staat überdenken, und bey einem jedweden Ge— 
fchäfte, welches ordentlich verrichtet werden fol, ift eben 
diefes noͤthig. Wer ſich auf eine anftändige Art pußen 
will, der muß alle Stücke feines, Putzes erſt einzeln betrach⸗ 
ten, und alsdenwfih im Ganzen überfehen. Da nun die 
ganze Aufmerkſamkeit durch die Vorftellungsfraft der Welt 
gewuͤrkt, und fih nach der Stellung des Leibes richtet $. 
512, das Ueberdenfen aber eine Art der Aufmerffamfeit iſt; 
fo richtet es fich ebenfals nach der Stellung des Leibes, und 
wird durch die Vorftellungsfraft der Welt zur Würflichs 
feit gebracht: oder es ift nichts anders als ein Vermoͤgen, 
die Vorſtellungskraft der Welt auf eine gewiſſe Art zu 
brauchen. Wir ſehen daher aus der Erfahrung, daß ofte 
ohne unfere freywillige Bemuͤhung das Ueberdenfen, durch 
die rechte Stellung des+ Leibes, befördert und verurſacht 
wird.” Wenn ein General fein Regiment überfeben will, 
fo Fan er diefes nimmermehr hun, wenn er nicht an dem 
vechten Orte ſteht; und fo Fan man eben Diefes, in unzaͤh— 
fig vielen andern Fällen, täglich beobachten. Die Regel, 
nach welcher Bas Ueberdenfen fich richtet, Fan folgenderges 
ſtalt ausgedrudt werden : Man denke die, ar = 
Gh 





Von der Aufmerkfamkeit, 71 


Nachdenken nach und nach gedachten, Theile eines 
Ganzen auf einmal neben einander. 


6. 516. 

Das Ueberdenken iſt ſchon an ſich ein gröferee Grab 
Der Aufmerkſamkeit. Es wird, einmal, eine Ausdehnung 
der Aufmerkſamkeit dazu erfodert, indem es eben darin be- 
fieht, daß man feine Aufmerkſamkeit auf viele Theile eines 
Ganzen zugleich richtet $. 515. Und zum andern wird auch, 
die Fortfegung der Aufmerkfamfeit, dazu erfoders, indem 
es nicht anders möglic) ift, als wenn man, nad) der Auf⸗ 
merffamfeit überhaupt, und nady dem Machvenfen, wel- 
ches ohnedem fihon lange gedaurt hat $. 513, dennoch noch 
im Stande ift, die Aufmerffamfeit auf die Sache noch 
weiter fortzufegen, und fie wiederum auf das Ganze zu 
richten, und es genauer mit einemmafe zu überfehen, als 
es vorher gefchehen ift $. 5ıc. Folglich muß zwar derjes 
nige, der eine Sache überdenken will, überhaupt achtung 
geben und nachdenken koͤnnen; allein obgleich jemand fchon 
achtung geben und nachdenken Fan, fo ift er deswegen noch 
nicht gleich im Stande, eine Sache zuüberdenfen. Wir 
fehen diefes an den Rindern, welche ofte fehon im Stande 
find, alle Buchftaben eines Worts zu erfennen, da fiedoch 
noch nicht vermögend find, fie zufammenzulefen, und das 
ganze Wort zu überdenken. Und fo findet man erwachſe— 
ne Leute genung, welche in ihren Gefchäften einen ſehr 
merflichen Mangel diefes Vermögens an den Tag legen. 
Mancher Gelehrter Fan alle einzelne Wahrheiten eines 
Lehrgebaͤudes gefchickt denken, allein er iſt zu Furzfichtig, 
als daß er das ganze Lehrgebaͤude ſolte überfehen koͤnnen. 
Dergleichen Leute find wie die Handwerfsleute bey einem 
Pallafte gut zu gebrauchen, um die einzeln Theile defjelben 
auszuarbeiten ; allein fie find ungeſchickt, Baumeiſter zu 
feyn, welche im Stande feyn müffen, den ganzen Grund- 
riß immer vor Augen zu haben, und alfo das Ganze an: 
zuordnen, Das Leberdenfen iſt alfo ein folcher Gran der 
a »*6G 4 Auf⸗ 


72 Don der Aufmerkfamteit. 


Aufmerffamfeit, welcher uns, zu dem Größten in allen urts 
fern Handlungen und Gefchäften, geſchickt macht. 

| $. 517. 

Das Leberdenfen ift allemal ein höherer, und voll- 
fommener Grad der Aufmerkfamfeit 9.516, Wenn man. 
es nun wieder vor fich betrachtet, fo ift.es aud) an fich ver 
fehiedener Grade und Vollkommenheiten fähig, welche nad) 
folgenden Betrachtungen überhaupt beurtheilt werden müfz 
fen. 1) Je mehr Flare Merfmale und Theile einer gan— 
zen Borftellung, und je mannigfaltigere Theile derfelben, 
wir überdenken koͤnnen, defto gröffer ift unfer Bermögen 
eine Sache zu überdenken; je weniger flare Merkmale wir 
aber zu überdenfen im Stande find, und je weniger man— 
nigfaltig diefelben find, deſto Eleiner ift dieſes Vermögen. 
Ein General, der ein ganzes Regiment geſchickt commanz 
diren Fan, befißt lange noch nicht eine fo ausgebreitete Ga— 
be eine Sache zu überfeben, als derjenige, welcher im 
Stande ift, eine ganze Armee zu commandiren. 2) Se 
wichtiger und gröffer die Theile find, die wir im Ueberden— 
Een zufammenfaffen, defto gröffer und vollfommener ift die— 
fes Vermögen; je Eleiner und unerheblicher fie aber find, 
defto Fleiner und unvollfommener ift es $. 510. 3) Je 
Flärer wir uns alle entdeckten Theile des Ganzen zuſam— 
mengenommen vorftellen Fönnen, oder je weniger wir fie 
ben dem Ueberdenfen mit einander verwechfeln, defto gröfs 
fer und vollfommener ift diefes Vermögen, Es gibt Leu— 
te, welche meitläuftige Gefchäfte auf dem Halfe haben. 
indem fie nun eins über dem andern vergeflen, fo verras 
then fie eben dadurch eine Schwäche ihres Ueberdenfens. 
Diejenigen aber befißen eine groffe Stärfe und Vollkom— 
menheit in diefem Vermoͤgen, welche den ganzen Plan ih: 
rer meitläuftigen Gefchäfte beftändig vor Augen haben, 
fein Gefchäfte mit dem andern vermengen, fondern ein je— 
des zu gehöriger Zeit und an dem rechten Orte verrichten. 
4) Je länger man das Leberdenfen fortfegen Fan, und je 
leichter e8 ung wird, eine defto gröffere und SUN 

Gabe 





Von der Aufinerkfamkeit. 73 


Gabe zum überdenken befigen wir, . Es gibt Leute, die es 
nicht lange aushalten Fünnen, das Ganze eines Geſchaͤf— 
tes zu überdenken. Sie ermüden gar zu balde, und.es 
wird ihnen blutfauer, viel zu uͤberſehen. Und eben da; 
Durch verrathen fie, eine groſſe Schwaͤche und Unvollfom: 
menheit diefes ihres Vermoͤgens. 


KERLE HH FH FE FE ER 


Der andere Abfehnitt, 
von dem DBermögen zu abftrahiren.. 


S. . 518. 

De wir von vielen Vorſtellungen und Sachen abſtrahi⸗— 
ren, ſo hat unſere Seele ein Vermoͤgen zu abſtra⸗ 
hiren, oder ein Vermoͤgen eine Vorſtellung zu verdunkeln, 
ihre Klarheit zu vermindern, und ihre Dunkelheit zu ver— 
mehren $. 506. Durch dieſes Vermoͤgen ſchlagen wir 
uns gewiſſe Dinge aus dem Sinne, oder wir ſchlagen fie 
aus der acht, und ziehen unfere Gedanken von. venfelben 
ab, Man fonnte fagen, daß alle Dunkelheit unferer Er- 
kenntniß aus Diefer  Abftraction entftehe, gleichwie alle 
Klarheit der Erfenntniß aus der Aufmerkſamkeit entfteht ; 
oder daß fie die Nacht in unferer Seele verurfache, gleich: 
tie die Yufmerffamfeit den Tag bringe. « Unterdeffen - ift 
es dem Gebrauche zu reden gemäffer, wenn man dadurch 
das Vermögen verfteht, eine Vorftellung, auf welche wir 
achtung gegeben, wieberum zu verdunkeln. Mad) viefer 
Erklärung würde alfo die Abftvaction allemal, auf eine 
vorhergehende Aufmerffamfeit, folgen, und man koͤnnte 
alfo nicht fagen, daß die Dunkelheit folcher: Vorftellungen 
unferer Seele, auf welche wir noch niemals achtung gege- 
ben haben, von der Abftraction herruͤhre. Die Aufmerf: 
ſamkeit ift gleihfam die Hand, mit welcher die Seele in 
ihrem Grunde $. 485, eine dunfele Vorftellung ergreift, 
ſie in Die Höhe hebt, und dadurch) an das Tageslicht bringt ; 
€ 5 alfo 


74 Don dem Vermögen sur abftrabiren. 


alfo beſteht die Abftraction darin, wenn die Seele ihre 
Hand wiederum abzieht, die Borftellung wiederum in ißven 
Grund berabfallen, und alfo verdunfeln läßt. Da wir 
nun, wenn wir unfere Gedanken von einer Sache abzichen, 
oder wenn wir abſtrahiren, nichts anders thun, als auf hoͤ— 
ren, mit unferer Borftellungskraft die Vorftellung, derfels 
ben in einem höhern Grade zu würfen; fo wird diefes Ge— 
ſchaͤfte durch diefe Kraft wuͤrklich, und es gefchieht, wenn 
diefe Kraft eine gewiſſe Befchäftigung unterläßt. Da 
nun die Unterbrechung einer Handlung von Feiner andern 
Kraft gefchieht, als von derjenigen, welche diefe Handlung 
wuͤrkt; fo abftrahiren wir auch vermöge der Vorftellungs» 
fraft der Welt. Und da wir ung die Welt nad) der Stel- 
lung des Leibes vorftellen, und die Dunkelheit und Vers 
dunfelung unferer Borftellungen in diefer Stellung gegrüns 
det ift S. 4875 fo richtet ſich auch das Abſtrahiren nach 
diefer Stellung. Die Erfahrung lehrt uns'vielfältig, daß 
wir uns ofte eine Sache nicht eher aus dem Sinne ſchla⸗ 
gen fönnen, bis wir nicht unfern Dre verändert haben, Je 
entfernter eine Sache der Zeit und dem Orte nad) von uns 
ift, deſto leichter koͤnnen wir unſere Gedanken von ihr ab— 


ziehen, je naͤher ſie uns aber deſto ſchwerer iſt daſſelbe. 
g. | 
Durch die Abftraction ntfeht in einer Vorſtellung 


eine Dunfelbeit, die vorher nicht da war 8. 518. folglich 


muß man alsdenn wenigere Merkmale, und weniger Elare’ 


Merkmale erkennen, als vorher $. 502. folglich richter fich, 


das Vermögen zu abitrahiven, nach diefer Regel: Man 


ftelle fich, von dem Begenftande, weniger und we— 
niger Else Merkmale vor, als vorher. Es gibt Leute, 
welche fich einen Kummer, oder irgends eine Urfach eines 
quälenden DBerdrufles, aus dem Sinne fehlagen wollen, 
Da fie aber beftandig von diefer Urfache veden, fie allen 
$euten erzehlen, und unendlich viel davon ſchwatzen, fo han= 
deln fie gerade ihrem Zwecke entgegen, weil fie die Anzal 
und Klarheit der Merkmale vermehren, die fie beyde * 

mehr 





| 
\ 
i 
J 


Don dem Vermögen zu abſtrahiren. 75 


mehr vermindern ſolten. Das Vermoͤgen zu abſtrahiren 
iſt eben fo wohl, als die Aufmerkſamkeit, verſchiedener Gra— 
de fähig. Und zwar 1) je mehrere Vorftelungen wir ung 
aus den Gedanken fhlagen fönnen, oder von je mehrern 
Sehen wir abjtrahiren fönnen, defto gröffer ift unfer Ver— 
mögen zu abftrahiren. Und darin bejteht die Ausdeh⸗ 
nung der Abftraction, vermöge welcher eine groffe und 
weite Gegend in unferer Seele befchattet wird. Geſetzt, 
daß ein Menfch in einer fehr groffen Gefellfchaft, wo viel 
gefprochen, gefpielt, getanzt, und unendlich viel und man— 
herlen gethan wird, dennoch feine Gedanken von allen dies 
fen Dingen abziehen, "und von einer Sache mit jemanden 
ohne Verwirrung verftändig reden Fan: fo befißt er eine 
gröffere Gabe zu abftrahiren, als wenn er eben dieſe Un⸗ 
ferredung nur alsdenn halten Fan, wenn er mit dem andern 
allein ift, und aufferdem wenig um und neben fich ſieht 
und hört. 2) Je ſtaͤrker und Flärer die Borftellungen 
find, Die man fi) aus dem Sinne ſchlagen fan, defto groͤſ⸗ 
fer ift das Vermögen zu abfirahiren. Es gehoͤrt eine 
ſchlechte Kunft und Kraft dazu, eine Sache aus dem Sin: 
ne zu fhlagen, die einen ſchwechen Eindruck in unfer Ge— 
müth macht. Ein Fleiner Schmerz kan' uns im Studieren 
nicht viel ftöhren, wer aber bey einem heftigen Schmerze 
ftudieren Fan, der befißt eine groffe Gabe zu abftrahiren. 
Und das ift die erfte Probe, von der Stärke unferer Ab⸗ 
firsction. 3) Se gröffer der Grad der Dunfelbeit ift, 
den mir durch die Abftraction in einer Borftellung hervor— 
bringen koͤnnen, defto gröffer ift das Vermögen zu abftras’ 
hiren, und das ift die andere Probe von der Stärfe unfes 
rer Abftraction. Wenn wir fo zu reden nur einen dünner 
Flor über eine Borftellung ziehen, durch welchen fie doch 
noch ſehr fichtbar ift, fo abftrahiren wir nicht ftarf von ihr, 
Wenn fie aber fo dunkel gemacht wird, daß mir fie gar 
nicht mehr merken, und daß fie uns gar nicht mehr in die 
Gedanken Fomt, fo abftrahiren wir recht ſtark von derſel— 
ben. 4) Seleichter wir eine Vorſtellung ‚verdunfeln Füns 
| nen, 


76- Don dem Vermögen zu abſtrahiren. 


nen, je leichter wir fie uns aus dem Sinne fehlagen Fönnen, 
deſto groͤſſer iſt unſere Abftraction. Wenn ein. Ge: 
lehrter ſich an ſeinen Studiertiſch ſetzt, und er muß mit 
fremden Gedanken lange kaͤmpfen, ehe ſie ihm aus dem 
Kopfe kommen, ſo hat er noch keine groſſe Gabe zu abſtra— 
hiren. 5) Je laͤnger wir von einer Vorſtellung abſtrahi— 
ren koͤnnen, oder je mehr Zeit vorbey geht, ehe ſie uns wie— 
der in die Gedanken komt, deſto groͤſſer iſt die Abſtraction, 
und darin beſteht die Fortſetzung der Abſtraction. 
Wenn jemand fich eine Sache aus dem Sinne fchlägt, fie 
komt ihm aber ‚immer und balde wieder in die Gedanken, 
fo,ift..diefes ein Beweis der Schwäche feiner Abftraction. 
Wer ſich aber eine Sache dergeftalt aus dem Sinne fehla= 
gen: fan, daß fie ihm mider feinen Willen. entweder gar 
nicht, oder in langer Zeit nicht wieder in. die Gedanken 
Fomt, der bemeift dadurch die Gröffe feines Vermögens, 
zu abftrahiren, In wie ferne diefe Grade der Abftraction 
Vollkommenheiten find, wird ſich aus dem folgenden beur- 
theilen laſſen. 

8... 520% 

Es, gibt "eine Art der Abftraction, welche wir die 
Abfonderung der Porftellungen nennen wollen, und 
fie. beftehe in der Abftraction eines Theils einer Vorftellung, 
indem wir auf den übrigen allein acht haben. Wenn wir 
uns einer ganzen Borftellung bewußt find, fo befteht diefelbe 
ofte aus einigen Flaren Borftellungen, auf welche ‘wir 
zugleich achtung geben. Wenn wir nun unfere Gedanken 
von einem. oder mehreren Theilen der ganzen Borftellung ab« 
ziehen, um im Stande zu ſeyn,  unfere Aufmerffamfeit 
auf die übrigen allein zu richten; fo verdunfeln wir jene 
Theile, und fondern diefelben in unfern Gedancken von 
den übrigen ab. Und daher nennt man diefe Art der Ab« 
ftraction , die Abfonderung der Begriffe. Hieher gehört, 
die logifche Abfonderung der Begriffe, als ein Benfpiel, 
Wenn wir, nad) den Regeln der Bernunftlehre, von dem 
Begriffe der philoſophiſchen Tugend, den Begrif der Tus 

gend 





Don dem Vermögen zu abftrabiren. 77 


"gend abfondern, fo denfen wir nicht mehr an den Begrif 
philoſophiſch, und find uns des Begrifs der Tugend allein 
bewußt. Eben fo wenn ein Redner feinen Held auf der 
beſten Seite vorftellen will, fo abſtrahirt er von allem, fo 
nicht mit zu derfelden ‚gehört. Folglich gilt von der Abs 
fonderung der Begriffe, oder von der Abjonderung der 
Theile von dem Ganzen in unferm Gemüthe, alles dasje⸗ 
"nige, was wir bisher von der Abſtraction überhaupt er= 
wieſen baben. © Und fie geſchieht alſo nach diefer Regel: 
man ftelle fich von den Theile, den man abfondern 
“will, wenigere und weniger klare Merkmale vor, 
'als von den übrigen. Folglich je mehr Theile des Gan« 
zen man abzufondern vermögend iſt, je länger und in eis 
nem je böhern Grabe man fie verdunfeln Fan, und je leich— 
ter Diefes geſchehen Fan, deſto gröffer ift das Vermögen zu 
diefer Are der Abſtraction. Weil nun von einem “Begriffe 
um fo viel mehr abgefondert werden muß,’ je abftracter er 
ift, fo erhellet hieraus, warum, zu den abftracten Unter— 
ſuchungen in den Wilfenfchaften, ein fo hoher und felte. 
'ner Grad des Vermögens zu abftrahiren erfordert wird, 
daß die wenigſten Menfchen fich zu den abftracten Wiſſen⸗ 
ſchaften ſchicken, und daß fie einen jedweden Anfänger in 
denfelben fo ſchwer werden, IR MEER 8 

| are A} 

Da wir ein eingeſchrencktes Vermögen achtung zu 
‚geben befigen, fo gefchieht es fehr oft, daß die Aufmerf. 
famfeit auf einen gewiſſen Gegenftand vermindert wird, 
und daß wir alfo genöthiget find von demfelben unfere Ge— 
dancken abzuziehen, wenn wir auf verfchiedene andere Vor- 
ftellungen achtung geben. Alsdenn fagen wir, daß wir 
unfere Bedancken zerſtreuen, oder daß wir in unfern 
Gedanfen zerftreuet find. Die Zerftrenung des Ge 
muͤths befteht alfo in demjenigen Zuftande des Gemuͤths, 
in welchem wir unfere Aufmerkſamkeit, auf fo viele andre 
Borftellungen und deren Gegenftände, auf einmal oder 
nach) und nad) richten, daß wir dadurch gehindert werden, 

Dies 


78 Don dem Vermoͤgen zu abfirabiren. 


- biefelbe in einem gewiffen Grade auf einen gewiſſen Ge— 
genftand zu Ienfen, Folglich wird unſere Aufmerkfamfeit 
auf eine jede Sache, und die Klarheit.der Vorſtellung der⸗ 
feiben in unferm Gemüthe, allemal durch die Zerfireuung 
‚bes Gemüths gehindert, weil fie. unfere eingefchrenfte 
Aufmerkſamkeit erfchöpft, und uns wenige Kräfte derfelben 
übrig läßt. So fagt man in der Öottesgelahrheit: dag 
die irdifchgefinnten Menfchen, durch ihre fündlichen und 
von der Religion verfchiedenen Gefchäfte, zerftreuet, und 
dadurch an der gehörigen Aufmerffamkeit auf GOtt und 
göttliche Dinge gehindert werden. So gibt es Leute, die 
man ſchlechtweg zerftreuete Leute nenne, weil fie allemal an 
fo viel andere Dinge denken, daß fie mitten in Gefellfcyafs 
ten abwefend find, und aufdas Gegenwärtige nicht achtung 
geben. Daher fie fo ausfehen, und handeln, und veben, 
als wenn fie in ganz andern Umftänden ſich befanden, und 
daher enefteht das Lächerliche in dem Character diefer Leute. 
Bey der Zerftreuung des Gemüchs gefchieht, was in der 
Körperwelt bey der Zerftreuung der tichtftralen erfolgt, in- 
dem alsdenn Die Körper nicht recht erleuchtet werden. Wenn 
wir im Gegentheil, nach der Zerſtreuung des Gemüths, 
unfere Gedanken ‚von den vielen verſchiedenen Borftellun- 
gen abziehen, und dadurch die Aufmerkſamkeit auf einen 
gewiffen Gegenftand vermehren, fo famlen wir unfer 
Bemüth, oder unfere Gedanken. „Die Samlung 
des Gemuͤths befteht alfo in demjenigen Zuftande bes 
Gemuͤths, in welchen wir die fremden Gedanken aus dem 
Sinne ſchlagen, und unfere Aufmerffamfeit in einem hoͤ— 
bern Grade auf einen gewiſſen Gegenftand richten, um 
uns defjelben in einem defto höhern Grade bewußt zu feyn. 
Bey der Zerftreuung waren, die Kräfte unſerer Aufmerkſam— 
£eit, unter viele Gegenftände zertheilt. Wenn wir fie num 
wiederum zufammen famlen, und mit vereinigter Süaft eis 
nen gewiffen Gegenftand beleuchten, fo wird derjelbe um 
fo viel Elärer, und. folglich ift die Samlung des Gemuͤths 
ein Hinderniß der Zerftreuung defjelben $. 174. Go ſagt 

man 


a 


Von dem Vermögen zu abſtrahiren. 79 


man, daß ein Frommer ſein Gemuͤth ſamle, wenn er alle 


fremde Dinge aus dem Sinne ſchlaͤgt, und ſich allein in 
feinen Gedanken mit GOtt beſchaͤftiget. Bey der Sam- 
lung des Gemüths werden gleichſam die Lichtftralen zu- 
fammen gefamlet, und auf einen gerwiffen Punct gelenkt, 
welcher eben dadurd) ein durchdringendes Licht bekomt. 
ER 

Aus der vorhergehenden Betrachtung Mi. Ai daß 
die Aufmerkſamkeit nicht nur die Abftraction befürdere, fon- 
dern auch daß, durch die Abftraction , Die Aufmerffamfeit 
befördert werde, wenn beyde einen verfchiedenen Gegenftand 
haben. Denn in fo ferne wir unfere Gedanfen von einer 
Sache abziehen, in fo ferne fönnen wir unmöglid) auf die- 
felbe achtung geben; und in fo ferne, mir. auf fie ahtung 
geben, in fo ferne ift es. nicht möglid, daß wir fie uns aus 


dem Sinne fchlagen folten $. 506. Folglich hindern, die 


Aufmerkſamkeit und die Abftraction, einander in Abfiche 
auf einen und eben denfelben Gegenftand. Allein wenn 


‚von verfchiedenen Gegenftänden die Nede ift, fo verhält es 


ſich ganz anders, Durch die Samlung des Gemüths, 
folglich durch die Abftraction von fremden Sachen, befoͤr— 
dern. wir die Aufmerkfamfeit auf andere Dinge $. 521. 
Folglich ift die Abftraction von einer Sache ein Mittel, 
wodurch die Aufmerffamfeit auf eine andere Sache beför= 
dert wird. Indem wir von allen andern Sachen unfere 
Gedanken abziehen, fo verdunfeln wir den ganzen Schau: 


‚plaß der Seele, und fünnen alfo mit der ganzen ungetheile 


ten Macht unferer Hufmerffamfeit, oder mit einem viel 
Hröffern Theile derjelben als vorber, auf einen gewiſſen Ges 
‚genftand fallen, und alfo denfelben um fo viel Flärer erfen« 
nen. Wenn wir in einer ftillen Einſamkeit einer Sache 
tief nachdenfen, fo. geht uns diefes Gefchäfte viel beffer von 
ftatten, als mitten in einer lermenden Gefellfichaft. Und 
im Gegentheil, wenn wir auf eine Sache recht acht ges 
ben, fo behalten wir nicht viel Kraft übrig, auf andere 
Dinge acht zu haben, daher es alsdenn fehr Teiche iſt, von 

denen: 


80 Von dem Vermögen zu abftrabiren. 


denenſelben die Gedanfen abzuziehen : mie 3. E. ben dem 
ftarfen Studieren, oder wenn man fonft in feinen Gedan- 
ken vertieft ift, es fer leicht ift, von alien andern Dingen 
zu abftrahiren. Je beſſer und ftärker alfo jemand abftra- 
‘biren Fan, eine defto geöffere Gabe der Aufmerkſamkeit be- 
fiße‘ er auch; und in einem je höhern Grade jemand ach- 
tung geben Fan, defto befier Fan er auch abftrahiven. Und 
bieraus@läße ſich beurtheilen, in wie ferne- die Abſtra— 
ction eine Bollfommendeit unferer Seele fey, oder‘ nicht. 
Nemlich bloß vor fih Fan fie Feine Vollkommenheit ſeyn, 
weil ſie die Quelle der Dunkelheit der Erkenntniß if, und 
die ift vor fich betrachtet affemal als eine Derneinung und 
Unvollfommenheit anzufehen $.505. Allein da fie die Auf- 
merkſamkeit, und alfo alle Klarheit unferer Erfenntniß, be- 
fördert; fo ift fie als ein kleineres Uebel zu betrachten, wo- 
Durch eine gröffere Vollkommenheit erhalten wird. Wenn 
wir uns die ganze menfthliche Erkenntniß wie ein Gemäl- 
de vorftellen, fo träge unfere Seele vermittelt der Auf: 
merffamfeit die lichten Farben deffelben auf, und ge 
der Abſtraction den noͤthigen Schatten. 
er 

| Gleichwie das kleinere Licht durch das groͤſſere ver⸗ 
dunkelt wird $. 508, alſo fan man ſagen, daß das groͤſſere 
Ucht duch das kleinere glaͤnzender gemacht werde; oder 





daß eine ſchwaͤchere Vorſtellung die Klarheit einer ſtaͤrke— 
ren, Die mit ihr in der Seele zugleich‘ da ift, oder auf fie . 


folgt oder vorhergeht, vermehre. Denn eine fchwächere 
Vorſtellung erfodert nur einen fleinern Theil unſerer Auf⸗ 
merkſamkeit, ſie laͤßt uns alſo noch einen groſſen Sur 
derfelben übrig, und mir find. alfo im Stande, auf eine 
ſtaͤrkere Borftellung die von ihr verfchied en ift, um fo viel 
mehr achtung zu geben, je weniger Aufmerffamfeit die 
ſchwaͤchete erfodert. Folglich wird, die ſtaͤrkere Vorſtel— 
lung, um fo viel klaͤrer werden. Ja wenn wir unſere Auf 
merffamfeit auf eine ſchwaͤchere und ftärfere Borftellung 
zugleich vichten, fo Fönnen wir um fo viel leichter, indem 
mir 








Don dem Vermögen zur abfirsbiren. 81 


wir ſie mit einander vergleichen, ihren Unterfchied gewahr 

werden, folglich Die gröffere Klarheit der ftärfern, das ift, 
wir werden uns dadurch der ſtaͤrkern Vorftellung mehr be- 
wußt, und alfo wird.die färfere Borftellung eben dadurch 
fläver, wenn fie neben eine fchmächere geftele wird. Die 
her fomt es, daß der Schatten in einem Gemälde, als wel: 
her einen fehwächern Eindruf in unfer Geſicht macht als 
die lichten Farben, dieſe legtern fo fehr erhöher. Und das 
ift auch die Arfach, warum eine Sache, durch die ſchwaͤ— 
ern Vorftellungen ihres Gegentheils, fo fehr erläutert 
merden Fan; oder warum zwey Dinge, Die einander entge— 
gengefeßt find, einander in unfern Gedanken erläutern, in— 
dem man ihren Unterfchied alsdenn defto leichter gewahr 
werden fan. Und hieraus folge zweyerley. Einmal, die 
Neuigkeit ift ein Grund, warum. eine Vorftellung eine 
gröffere Klarheit befomt, wenn fonft fein Hinderniß der 
gröffern Klarheit vorhanden ift. Denn wenn eine Bor: 
ftellung in unferer Seele neu ift, und fonft feine Hinderniß 
da ift, fo folge fie allemal auf ſchwaͤchere Vorſtellungen, 
und fie erhält eben dadurch elnen groͤſſern Grad der Klar: 
heit: Doc fan man, aus der, Natur der Begehrungs- 
fraft, nod) einen beffern Grund anführen. Nemlich der 
nächte Zweck der Seele ift, Daß fie die Welt vorftelle, und 
alfo Erkenntniß erlange. Eine jede neue Vorſtellung ift 
alfo eine Eroberung, welche Die Seele macht. Und: da- fie 
nun Diefelbe als eine Vermehrung ihrer Vollkommenheit 
fühlt, fo faltfie mit einer defto groͤſſern Begierde darauf, 
Und da fie alfo ihre Kraft um fo viel mehr anftrengt, fo 
gibt fie auf das Neue ftärfer achtung, und eine Vorſtellung 
ift Daher um ihrer, Meuigfeit willen Elärer, als fie fonft 
würde gemwefen feyn. Jederman weiß aus der Erfahrung, 
daß dieſes fich in der That fo verhalte. Was neu ift, dar— 
an denken wir allemal mehr, als an andere Dinge, wenn 
diefes fonft Durch Feine andere Urjach gehindert wird, Im 
Gegentheil zum andern, ift, das Alter einer Borftellung, 
ein Grund ihrer Berdunfelung, und warum mir von der— 

3. Theil, 4 feiben 


32 Von dem Vermoͤgen su abſtrahiren. 


ſelben deſto leichter abſtrahiren, je aͤlter ſie iſt. Wir ſehen 
ſie als eine Sache an, in deren Beſitze wir ſicher ſind, und 
wir halten es fuͤr unnoͤthig, unſere Aufmerkſamkeit mit ihr 
zu beſchaͤftigen. Und da uͤber dies unſere Aufmerkſamkeit 
immer, durch neuere und neuere Gegenſtaͤnde, beſchaͤftiget 
wird; ſo iſt es ganz natuͤrlich, daß eine Vorſtellung immer 
um ſo viel dunkeler wird, je aͤlter ſie in der Seele wird, ſie 
muͤſte denn durch andere Urſachen aufgeklaͤrt werden. Da— 
ber komt es, daß wir auf Dinge, die wir taͤglich uns vor⸗ 
ftellen, nicht fonderlich acht haben. Bey dem Anfange 
einer Malzeit ſchmeckt es uns allemal bejfer, als bey dem 
Befchluffe derfelben. 


KERZE HK HE RT RK ER EEK RK KK ER 


Das andere. Capitel, 
von dem 


untern Erkenntnißvermoͤgen. 


$. 524 

Neter wir, von dem Erkenntnißvermoͤgen der Seele 
uͤberhaupt, gehandelt haben; ſo muͤſſen wir nun, die 
verſchiedenen Arten deſſelben, unterſuchen. Und da komt 
zuerſt, das untere Erkenntnißvermoͤgen, zu betrachten vor. 
Nemlich wir verſtehen, durch das untere Erkenntniß- 
vermoͤgen, das Vermoͤgen undeutlicher Erkenntniß; oder 
das Vermögen, Dinge ſich auf eine dunkele und verworre— 
ne Are vorzuftellen. Sch babe in dem vorhergehenden er= 
mwiefen, daß die Dunkelheit ein Eleinerer und geringerer 
Grad der Erfenntniß fen, als die Klarheit $. 505. Da 
nun eine verworrene Erkenntniß eine Elare Erkenntniß ift, 
deren Theile und Merkmale dunkel find; eine deutliche Er— 
Fenntniß aber eine folche klare Erkenntniß iſt, deren Theile 
und Merkmale Flar find: fo befteht die Verwirrung in der 
Dunfelbeit, und die DeutlichFeit in der Klarheit der Merf- 
male. Folglich ift die verworrene Erkenntniß ein Fleinerer 
und geringerer Brad der Erkenntniß, als die Deutliche Er- 
| kennt⸗ 





Pon dein untern Erkenntnißvermoͤgen. &3 


kenntniß. Es ift wahr, um anderer Urfachen willen, fan 
die dunfele und verworrene Erkenntniß groͤſſer und volls 
kommener feyn, als die Elare und deutliche. Allein wenn 
fie in den übrigen Stücen einander’ gleich find, fo ift die 
undeutlihe Erfenntniß allemal Fleiner und geringer, als die 
deutliche. Folglich wird dasjenige Erfennenißvermögen, 
modurch wir zur undeutlichen Erkenntniß aufgelegt find, 
eben Deswegen das untere, Fleinere oder geringere Erkennt» 
rißvermögen genannt, und es gehoͤret auch zu Dem gerittz 
gern und fchlechtern Theile unferer Natur. Die undeurli: 
che Erkenntniß wird auch die finnliche Erkenntniß ge: 
nannt, weil fie entweder unmittelbar oder doch auf eine 
nähere Art von den Sinnen herruͤhrt, wie aus den folgenz 
den Unterfuchungen erhellen wird. Folglich wird auch, 
das untere Erfennenißvermögen, das finnliche Erkennt⸗ 
nifvermögen genannt. Durch diefes Vermögen find 
wir zu aller finnlichen, das ift zu aller dunfeln und ver: 
worrenen, Erfenntniß aufgelegt. Und man darf niche 
glauben, als wenn es feines Gegenftandes wegen fü ge— 
nanne werde, und als wenn es fid) bloß mit Forperlichen 
Dingen befchäftige, oder bloß mit andern Dingen, die in 
unfere Sinne fallen. Wir koͤnnen ung auch andere Dinge 
ſinnlich vorftellen, und es wird alfo um der Art und Bea 
ſchaffenheit derjenigen Erfenntniß willen fo genannt, wel— 
che durch dafielbe gemwürft wird, Da wir nun nicht nur 
dunfele und verworrene Erfenneniß haben, fondern da auch 
die Dunkelheit und Verwirrung unferer Erfenntniß, in der 
Stellung unferes $eibes, gegründet ift $. 485. 487: fo hat 
unfere Seele ein finnliches Erfenntnißvermögen, und e8 
wird daſſelbe durch die Borftellungsfraft der Seele ge: 
wuͤrkt, wodurch fie fich die Welt nad) der Stellung ihres 
Leibes vorſtelt F. 488, Es ift demnach nichts anders als 
eine gewiſſe Art und Weife, wie wir diefe Borftellungs- 
fraft gebrauchen koͤnnen. 


2 


[3 25. j 
Um das finnliche Erfenntnißvermögen defto genauer 
52 Eennen 


34 Don dem unten Erkenntnißvermoͤgen. 


Eonnen zu lernen, muͤſſen wir bemerfen, daß es eine drey— 
fache Art der Vorftellungen in unferer Seele würfe, Ein— 
mal, die bloß dunkeln Borftellungen, Es find in unferer 
Seele dunkele Borftellungen, deren wir uns gar nicht be: 
-wußt find, und in denen nicht einmal der. Eleinfte Grad der 
Klarheit angetroffen wird 9.480. Alle diefe Vorſtellun— 
gen find, Würfungen des ſinnlichen Erkenntnißvermoͤgens. 
Zum andern diejenigen verworrenen Borftellungen, deren 
wir uns zroar bewußt find, in denen aber gar feine Deut- 
YichEeit angetroffen wird, Dergleichen Borftellungen find 
unfere Begriffe, von den verſchiedenen Arten der Farben, 
des Geſchmacks, des Geruchs u. ſ. w. Und, bey der Her- 
vorbeingung diefer Vorstellungen, befchäftiget ſich auch nur 
Das finnliche Erkenntnißvermoͤgen. Zum dritten aber ha- 
ben wir, viele Erkenntniß, die deutlich und undeutlich zu— 
gleich iſt. Wir haben viele klare Borftellungen, von de- 
nen wir einige Merkmale dunfel erkennen, und in fo ferne 
find. ‚fie verworren und ſinnlich; einige ihrer; Merkmale 
aber erkennen wir klar, und in fo ferne find fie 
deurlih. Folglich haben wir finnlih klare Vorſtel— 
lungen, in denen einige Deutlichfeit ift, und man nenne 
diefelben auch finnliche Borftellungen, wenn der vornehmſte 
Theil derfelben finnlich if. Wenn wir einen Daum fo 
nahe fehen, Daß mir viele Zweige und Blätter von einan- 
der unterfcheiden Eönnen, fo iſt dieſe finnliche Borftellung 
zum Theil deutlich. ; Wenn man alfo z. E. fagt, Daß ein 
Dichter finnlih denken müffe, fo wird. dadurch nicht alle 
Deutlichfeit aus feinen Borftellungen verbannt. Wir ba- 
ben.aber auch deutliche Borftellungen, in welchen viel ſinn— 
liches, viele Verwirrung und Dunfelheit, angetroffen wird. 
‘a, alle unfere deutlichen Borjtellungen, Ip, Anm, Zbeil 
finnlih,  Man.nehme die allerdeutlichiten Begriffe aus 
den Wiflenfchaften, fo find wir nicht im Stande, diefelbe 
dergeftalt zu zergliedern, daß wir nicht endlich auf Merf- 
male fommen folten, die wir bloß verworren erfennen, Und 
wenn wir alfo eine Borftellung beutlich nennen, ſo geſchieht 


es nicht deswegen, als wenn fie nicht zugleich finnlic) waͤ— 


et, 


% ‚| 





Don dem untern Erkenntnißvermoͤgen. #5 


ve, ſondern weil der vornehmfte Theil derfelben deutlich iſt. 
Solche Borftellungen nun, die deutlich und finnlich zugleich 
find, werden niche durch Ein Erfonntnißvermögen allein 
gewuͤrkt; fondern der finnliche Theil derfelben ift eine Wuͤr— 
fung des untern Erfenntnißvermögens, und ihre Dedtlichs 
feit wird durch den Verſtand gewuͤrkt. 
$ 526, 
Unfere meiften und gewöhnlichften Vorftellungen find 

bloß finntiche, und alle unfere deutliche Erfenntnig ift zum 
Theil ſinnlich $. 525. Folglich ift das. finnliche Erfennte 
rißvermögen nie nur dasjenige Erfenntnigvermögen, 
welches wir am meiſten brauchen, fondern welches ‚auch 
beftändig in uns und bey aller. unferer Erkenntniß entiwes 
der allein, oder in Gefellichaft des Verſtandes, gefchäftig 
ift. Die Vorftelungen, welche durch dieſes Erfenntniß« 
vermögen gewürft werden, koͤnnen nicht nur fehr lebhaft, 
und der Stärke nad) in einem fehr hohen Grade klar feyn; 
fondern fie koͤnnen auch viel ftärfer, als die deutlichen Vor— 
ftellungen, ſeyn. Nemlich eine Borftellung ift lebhaft, 
wenn fie klar ift und ſehr viele Merkmale enthält. $. 503. 
Dazu wird nun nicht erfodert, daß diefe Merfmale Elar 
find, fondern es Fönnen unendlich viele dunfele Merfmale 
eine verworrene lebhafte Borftellung ausmadjen, wie z. E. 
recht fchöne Metaphern, die uns ofte eine ganze Welt in ei— 
nem Blicke überfehen laſſen. Folglich fönnen, lebhafte Vor⸗ 
ſtellungen, finnlic) feyn. Und da unendlich viele Stufen 
der Klarheit, zwifchen der Dunkelheit und Deutlichkeit 
der Erfenneniß, möglic) find, F. 503. fo fan eine Borftels 
lung der Stärfe nach einen groffen Grad ver Klarheit has 
ben, ohne daß fie deutlich iſt. Folglich koͤnnen wir, durch 
das untere Erfenntnißvermögen, Borftellungen würfen, 
die mit einem fehr ausgebreiteten und durchdringend hellem 
che fhimmern, wie die Dichtfunft diefes Durch die Erfah— 
rung ermeißt. And da die Stärfe einer Vorftellung, auf 
der Menge ihrer Theile und Merkmale, beruhet, $. 493. 
fo Fann eine finnliche Borftellung viel mehr Merfmale und 
Theile in fich enthalten, als eine deutliche, Zur —2 

53 eit 


35 Von dem ımtern Erkenntnißvermoͤgen. 


keit einer Vorſtellung iſt es ſchon genug, wenn ſie aus 
zwey klaren Vorſtellungen zuſammengeſetzt iſt. Folglich 
Fan eine ſinnliche, eine verworrene und dunkele Vorſtellung, 
viel ſtaͤrker ſeyn, als eine deutliche. Ja bey ung Men« 
ſchen geſchieht dieſes, wo nicht allemal, doch mehrentheils. 
Weil unſer Verſtand ſo ſchwach iſt, fo muͤſſen wir ihm ſehr 
wenig auf einmal vorſtellen, wenn er deutlich denken ſoll, 
und es enthalten daher unſere deutlichen Vorſtellungen, in 
ſo ferne ſie deutlich ſind, allemal ſehr wenig in ſich. Da— 
her iſt bey ung die finnfiche Erkenntniß, wenigſtens ger 
wöhnlicher Weife, ftärfer, als die deutliche, und wenn 
wir die deutliche verftärfen wollen, fo müflen wir eine ſinn— 
liche Borftellung mit ihr verfnüpfen, welche ung den Ge 
genftand von eben der Seite vorttelt, als die deutliche. 
Und Daher rührt unfer nanzes Verderben, daß die Sinn- 
lidyFeit über den Verſtand herſcht. Wenn wir uns die 
Suͤnde noch fo deutlich als .böfe vorftellen, fo iſt doch die 
finnlihe Borftellung des Scheinguten in der Sünde flär« 
fer, und wenn wir uns die Sünde nicht aud) finnlich als 
böfe vorftellen, fo werden wir fie, vermöge der deutlichen 
Vorſtellung, ſchwerlich laffen koͤnnen. 


Be 
Da nun das finnliche Erfenntnißvermögen fih bey 
aller unferer Erkenntniß gefehäftig erweißt, und fo viel 
- Macht über die ganze Seele ausübt, fo breitet fich Die groͤ— 
fte Linvolfommenbeit über alle unfere Erfenntniß, und die 
äufferfte Zerrüttung über die ganze Seele aus, wenn daffel- 
be nicht aufs möglichfteverbeffert wird. Daher preißt fich 
diejenige Wiflenfchaft von felbft ungemeinan, welche man 
die Aeſthetik nennt , oder die Wilfenfchaft der Regeln, 
wie wir eine Sache auf eine recht volflommene Art finnlich 
erkennen und vortragen follen, In diefer Wiſſenſchaft 
wird gezeigt, wie wir das untere Erfenntnißvermögen ver» 
befiern, und recht gebrauchen follen. Und da alle ſchoͤnen 
Künfte und Wiflenfhaften fih mit den Vollkommenheiten 
der Dinge befdyäftigen, in fo ferne fie finnlic) erfannt wer» 
den; 





— —— 





Von dem untern Erkenntnißvermoͤgen. 87 


den; ſo kan man mit Recht ſagen, daß die Aeſthetik die 
erſten Gründe aller ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften ent= 
halte, und daß ſie alſo mit Recht, als eine allgemeine 
Theorie aller dieſer Künfte und Wiſſenſchaften, koͤnne und 
muͤſſe angefehen werden. Nunmehr wollen wir, alle bes 
fondere Arten des finnlichen Erfenntnigvermögens, nad) 
einander unterfuchen. Diefes Vermögen ift ein fehr zus 
fammengefegtes Vermögen, und Fan fid) bald fo bald an- 
ders an ben Tag legen, Es äuffert fi) überhaupt, wenn 
wir die Aufmerkfamfeit auf einen Gegenftand im Ganzen 
betrachtet richten, ohne über venfelben zu reflectiren, und 
es ift alfo nichts anders als eine Aufmerffamfeit, welche 
nur auf das Ganze gerichtet iſt, nicht aber zugleidy auf ei⸗ 
nige Theile deflelben. Allein nachdem diefe Aufmerkſam⸗ 
feit, auf diefe oder jene Gegenftände, auf verfhiedene Art 
gerichtet ift, nachdem befomt das finnliche Erfenntnißvers 
mögen verfchiedene Namen, und zergliedert fi) in die 
verfchiedenen finnlihen Erfenntnißvermögen, die wir nun 
nad) einander in derjenigen Drdnung durchgehen wollen, 
nach welcher fie in der Seele felbft mit einander verfnüpft 
find, und nach welcher eins aus dem andern folge. 


KELLER ENT EKKERRRCKHFR K ERREGER GERD 


Der erfte Abſchnit 
von den Sinnen. 


§. 528. 

F ie allererften Gedanfen, deren wir uns in unferm Le⸗ 
ben bewußt find, find Empfindungen, und da ſie 

feine andern Vorftellungen vorausſetzen, nn vielmehe 
die Duellen aller unferer übrigen Erfenntniß find, fo müf 
fen wir fie zuerft uuterſuchen. Wir erfahren es täglich, 
daß wir uns unferes gegenwärtigen Zuftandes bewwufit find, 
oder der Veränderungen, die in uns würflid) gegenwärtig 
find, wenn wir an fie denfen, Folglich bat unfere Geele 
Gedanken, von unferm gegenwärtigen Zufiande, Alle. 
34 Ge⸗ 


88 Vaon den Sinnen. 


Gedanken ſind Vorſtellungen, und unſere Seele hat demnach 
Vorſtellungen unſeres gegenwärtigen Zuſtandes, und dieſe 
Vorſtellungen werden Empfindungen genennt. Wir 
empfinden demnach, in fo ferne wir uns unſern Zuſtand 
vorftellen,; der in demjenigen Augenblicke wuͤrklich ift, wenn 
wir uns ihn vorftellen. So fagen wir, daß wir den 
Schmerz einer Krankheit. empfinden, wenn wir uns den- 
felben alsdenn vorftellen, wenn er gegenmärtig iſt. Alle 
Gedanken unferer gegenwärtigen Zuſtaͤnde find Empfin- 


dungen, ‘allein wenn wir empfinden, find wir uns nicht ak | 


lemal derjenigen gegenwärtigen Beränderungen bewußt, | 
die wir empfinden; denn unfere Empfindungen fonnenauh | 
dunfel feyn. Folglich find nicht alleunfere Empfindungen 
Gedanfen, und klare Borftellungen, - Die unmittelbaren 
Gegenftände aller unſerer Empfindungen find alfo Veraͤn— 
derungen, die in ung felbft gegenwärtig find, welches gleich 
in dem folgenden noch genauer gezeigt werden wird. Allein 
da unfer gegenwärfiger Zuftand, famt allen urfern jedes: 
mal. gegenwärtigen Veränderungen, ein Iheil des gegen- 
wärtigen Zuftandes der Welt ift $. 300, fo find alle unfere 
Empfindungen Vorſtellungen des Zuftandes der Welt, wels 
cher. alsdenn gegenwärtig ijt, wenn wir die Empfindungen 
haben. Wenn alfo unfere Seele ihre Empfindungen felbft 
wuͤrkt, fo bedarf fie dazu Feiner andern Kraft, als derje- 
nigen, wodurch fie ſich die Welt überhaupt nad) der Stels 
lung ihres Leibes vorftelt $. 488. Wer ſich überhaupt die 
Melt vorftelfen Fan, der Fan fich auch den gegenwärtigen 
Zuftand derfelben vorftellen. Die Empfindungen werden 
auch man I Erſcheinungen genennt, weil uns bie 
Dinge’ in der Welt fo zu feyn feheinen, wie wir fie em: 
pfinden. 
$. 529. 

Eine jedwede Empfindung ſtelt ung, unfern gegen« 
wärtigen Zuftand, vor F. 528. Nun iſt unfer gegenwaͤr⸗ 
tiger Zuftand entweder ein Zuftand unferer Seele, ‚oder _ 
unferes $eibes, oder beydes zugleich, Folglich haben en 

ne 








Den den Sinnen. ‘89 


eine doppelte Are der Empfindungen. Die erften ftellen 
ung den gegenwärtigen Zuftand unferer Seele vor, und 
das find innerliche Empfindungen; Die andern aber 
ftellen uns den gegenwaͤrtigen Zuftand unferes Seibes vor, 
und fie werden Sufferliche Einpfindungen genennt, Gie 
heiffen nicht etwa auflerlich, ats wenn fie felbft auſſer der 
Seele befindlid wären, mie ſich manche vorſtellen, als 
wenn die äufferlichen Empfindungen in dem Körper befind« 
lich wären; fondern fie beiffe@ fo, weil ihr Gegenftand 
auffer der Seele befindlih ift. Die innerlihen Empfin- 
dungen find ſelbſt, ſamt ihrem Gegenftande, in der Seele 
befindlich. Wenn ich mir worftelle, was id} eben denke, 
oder daß ich traurig, freudig bin u. ſ. w. fo iſt das eine in« 
nerlihe Empfindung. Wenn ich aber fehe, höre, rieche 
u. ſ. w. fo empfinde ich äufferlih, weil id) mir alsvenn - 
Beränderungen meines Leibes vorftelle, Der Gegenftand 
der innerlichen Empfindungen ift alfo allemal eine Berände- 
rung der Seele; der unmittelbare und nächfte Gegenfland 
der äufferlihen Empfindungen aber, iſt nicht etwa die 
Sache, welche die Veränderung unſeres Körpers hervors 
bringe, fondern diefe DWeränderung felbft. Wir fehen 
3. Erempel die rothen Körper nicht felbft und unmittelbar, 
fondern die Würfung verfelben in unfere Yugen. Und, 
aus der Gegenwart diefer Würfung, ſchlieſſen wir die 
Gegenwart der würfenden Urfach derſelben. Diefe Anmer— 
fung ift ſehr wichtig, wenn man die Wahrheit der Em- 
findungen gründlich prüfen will, Die meiften bilden ſich 
faͤlſchlich ein, als wenn fie die auffer fich befindlichen Dinge 
unmittelbar fähen, hörten u. f. w. allein ein geringes Nach⸗ 
denken fan einen jebweden, von der Unrichtigkeit Diefer 
Einbildung, überzeugen. 


si | st, 530, 

Da unfere Seele unleugbar Empfindungen, und 
zwar fo wohl innerliche als auch äufferliche bat h. 528. 529. 
fo hat fie auch ein Vermögen zu empfinden; oder es ift 
ihrer Kraft möglich, fid) ihren gegenwärtigen Zuftand vor 

85 zuuſtel⸗ 


90 Don den Sinnen. 


zuftellen. Diefes Vermögen wird der Sinn genannt. 
Folglich hat die Seele dasjenige Erfenntnißvermögen, wel« 
ches man ven Sinn zu nennen pflegt. Der Sinn ift ent 
weder der innerliche Sinn, das ift, das Vermögen der 
innerlihen Empfindungen, oder der Aufferliche Sinn. 
Das ift, das Vermögen äufferlic) zu empfinden, Es ift 
demnach vor ſich Elar, daß unfere Geele fo wohl einen in- 
nerlihen, als auch einen änfferlihen Sinn befiße. Ber 
möge des erftern ftelt fich die Seele ihren jedesmaligen ge— 
genmärtigen eigenen Zuftand vor, vermöge Des andern 
aber den gegenwärtigen Zuftand des $eibes. So nennen 
wir das Geficht einen äufferlichen Sinn, weil wir durch 
dafjelbe uns die gegenwärtigen Veränderungen unfers Koͤr⸗ 
pers vorftellen, welche durch das Licht in unfern Augen ber 
vorgebracht werden. Da wir nun empfinden, indem wir, 
auf die gegenwärtigen Veränderungen unferer Seele und 
unſeres Leibes, achtung geben $. 506. 528. fo find die 
Sinne unferer Seele nichts anders, als gewiſſe Arten der 
Aufmerkſamkeit, vermöge welcher wir die Vorftellungsfraft 
der Seele auf unfern gegenwärtigen Zuftand richten 
§. 506, 
$. 531. 

Bey denen aͤuſſerlichen Sinnen müffen wir dakjenige, 
mas der Geele zufomt, von demjenigen unterfcheiden, was 
in dem Körper angetroffen wird. Die äufferlichen Sinne 
und die Aufferlichen Empfindungen find Beftimmungen, 
welche in der Seele angetroffen werden, und in dem Leibe 
find die Werkzeuge ver Sinne, famt den materiellen Bil: 
dern des Gehirns. Nemlich die Werkzeuge der Sin= 
ne find Theile des Leibes, mit deren gehöriger Bewegung 
eine äufferlihe Empfindung in der Seele zugleich da ift. 
Die Werkzeuge der Sinne, wie z. E. die Augen, haben 
eine gewifle Structur, und Einrichtung zu einem gemiffen 
Zwerfe. Die Yugen find dergeftalt gebauet, daß fie das 
Sicht auffangen, brechen, und dadurd) ein Bild von 


fihtbaren Dingen bervorbringen Fonnen. Wenn nun eis 
ne 








‚Bon den Sinnen, gi 


ne Bewegung in ihnen hervorgebracht wird, die ſo befchaf- 
fen und eben fo groß ift, nicht gröfler und nicht Eleiner, als 
ihr Zweck und ihre Structur erfordert, fo werden fie auf 
eine gehörige Arc bewegt. Geſetzt man fehlage jemanden 
in die Augen, fo entftehet zwar eine Bewegung in den 
Augen; allein es entfteht Daher das Sehen nicht, weil die 
fe Bewegung nicht fo befchaffen ift, mie es der Mechanis- 
mus der Augen erfodert. Diefe gehörige Bewegung fan 
nur in den Augen entftehen, wenn das Licht in dieſelben 
falt, Allein wenn aud) das Licht in die Augen fälc, fo 
enifteht Doch nod) nicht Die gehörige-Bewegung, wenn es 
nicht in der rechten Maafle in die Hugen dringet, Ein 
gar zu ſtarkes Licht blendet die en und man fan als⸗ 
denn fo wenig fehen, fo wenig man bey einem gar zu ſchwa⸗ 
chen Lichte zu fehen vermögend ift. Nun fagt uns zwar 
die Erfahrung nicht, daß, durd) die gehörige Bewegung 
der Werkzeuge der Sinne, die aufferliche Empfindung in 
der Geele hervorgebracht werde; allein fie lehrt ung beftän- 
dig, daß, wen Diefe Bewegung da ift, die Seele aud) alle- 
mal äufferlih empfinde. Und daraus erhellet zugleich, 
daß mit allen äufferlihen Empfindungen in dem Gehirn 
eine Bewegung: verfnüpft fen, welche durch die gehörige 
Bewegung der Werfzeuge ver Sinne gemürft wird, und 
dieſe Bewegungen nennt man die materiellen Bilder 
oder Dorftellungen. Wenn das Licht in die Augen faͤlt, 
fo feße es den Sehenerven in Bewegung, und da derfelbe 
fi) in dem Gehirne endiget, fo muß alsdenn nothwendig 
in dem Gehirne, da wo fid) Diefer Nerve endiget, eine 
Bewegung entftehen, melde feiner Urſach ähnlich und 
gleihförmig ft. Einige Materialiften, welche die. Seele 
für ein materielles Ding halten, nehmen an, daß die aͤuſ⸗ 
ferlichen Empfindungen nichts anders, als Diele materiels 
len Bilder des Gehirnes find. Allein fie nehmen dieſes 
ohne Bewelß an, und man Fan fid) durch ein geringes 
Nachdenken überzeugen, daß bey den äufferlihen Empfin- 
dungen dieſe materiellen Wilder auffer der Seele find, und 

daß 


92 Don den Sinnen.» 


daß fie den nächften und unmittelbaren Gegenftand der aͤuſ— 
ferlihen Empfindungen ausmachen. Das Sicht faͤlt in die 
Augen, und entwirft von dem Körper, von welchem es ab— 
pralt, ein genaues Gemälde hinten in dem Auge, und die: 
fes Gemälde verurfacht einen Abdruck von ſich in dem Ge: 
birne, und indem die Seele daffelbe gewahr wird, fo em- 
pfinder fie aufferlih.. Es gehört in die Phnfiologie, und 
nicht in Die Pfychologie, die Werkzeuge der Sinne, und 
die materiellen Bilder, genauer zu unterfuchen. Wir be- 
frachten fie nur hier, in fo weit als es nöthig ift, die Lehre 
—— aͤuſſerlichen Empfindungen der Seele deutlicher zu 
machen. 


| Aa 

Bey den — der Sinnen muß, der Em⸗ 
pfindungscreiß, und der Empfindungspunct, ſonderlich 
bemerkt werden. Jener iſt der Inbegrif aller derjenigen 
Orte, aus denen die Gegenſtaͤnde unſerer aͤuſſerlichen Em— 
pfindungen, wenn ſie ſich in denenſelben befinden, noch auf 
eine gehoͤrige Art die Werkzeuge der Sinne dergeſtalt be— 
wegen koͤnnen, daß die Seele im Stande iſt, ſie klar oder 
mit einem Bewußtſeyn zu empfinden. Wenn wir auf 
freyem Felde um uns ſehen, fo ſcheints, als fen ein Circul 
um uns gezogen, den mir den Horizont oder Gefichtscreiß 
nennen. Go weit reichen unfere Augen. Was innerhalb 
dieſem Circul da ift, das koͤnnen wir klar fehen, wenn fonft . 
feine Hinderniß da ift. Und fo verhält fichs, mit allen 
unfern übrigen äufferlichen Sinnen. Diefer Empfindungs- 
creiß ift, bey verfchiedenen Perfonen, der Gröffe nach ge— 
waltig verfchieden. Der eine Fan z. E. immer weiter fe- 
ben, als der andere. In dem Empfindungscreife ift der 
Empfindungspunct, das ift, derjenige Ort, welcher der 
Empfindung am allergemäffeften iſt; oder welcher fo be- 
fhaffen ift, daß die Gegenftände aus demfelben am aller- 
beften in unfere Werkzeuge der Sinne würfen, und da- 
durch die. befte Empfindung veranlaflen fonnen. 3. €. 
bey unferm Gefichte haben mir einen Gefichtspunet, und 
das 








Don den Sinnen. 5 


Das ift der. Ort, in welchem die fihtbaren Gegenftände we- 
der zu weit von unfern Augen enffernt find, noc) denenfels 
ben gar zu nahe find, und in welchem fie fo gerade vor uns 
geftelt find, dag das Licht nach einer Perpendicularlinie in 
unfere Augen fält. Wenn wir.eine Sache nur von Er 
Geite anfehen, fo Fönnen wir. fie nicht vecht feher, und 
eben fo wenig Fan man fie recht fehen, wenn fie unfetm Au- 
ge entweder. zu nahe, oder zu. weit. von ihm entfernt iſt. 
Und eben fo Fan man bey andern Sinnen einen Empfins 
dungspunct gedenfen, der uns durch die Erfahrung fd be: 
kannt ift, Daß ein jeder, wenn.er 3. E. eine Sache recht an- 
fehen will, dieſelbe gerade vor fich in der gehörigen Entfer- 
nung hält. _ Auch diefer Empfindungspunct ift, bey ver- 
fehiedenen Menſchen, gewaltig verfchieden, der eine hat ein 
Furzes Öeficht, der andere nicht, Und auch hier Fünnten 
wir verfchiedene Betrachtungen anjtellen, wenn wir den 
menſchlichen Körper genauer unferfuchen dürften, Wir 
überlaffen aber diefes der Phyſiologie. Ein nachdenfender 
Menſch wird in dieſer Sache, bewundernswuͤrdige Proben 
der göttlichen Weisheit, bemerken... Z. E. das, Gejicht iſt 
uns der nöthigfte und nuͤtzlichſte Sinn, durch welchen wir 
zu dem gröften Theile unferer Erkenntniß gelangen. . Da— 
ber hat auch daſſelbe den allergröften Empfindungscreiß 
unter allen Sinnen, und wie koͤnnen nicht nur den Kopf 
bin und ber drehen, ohne den ganzen Leib zu bewegen, fon: 
dern unfere Augen find auch rund und beweglich, damit 
man deſto gefcehwinder und leichter die Gegenftände in den 
Empfindungspunct bringen koͤnne, als welches Das Sehen, 
unendlich. befördert, 


| $. 533. | 

So viele Werkzeuge der Sinne als wir haben, fo 

viele äufferliche Sinne befißt unfere Seele $. 531. Folg— 
lich haben wir, fünf aufferlihe Sinne: 1) Das Beficht, 
oder das Vermögen, Diejenigen. gegenwärtigen Veraͤnde— 
rungen im Körper, oder Diejenigen materiellen Bilder ung 
vorzuftellen, melche das Fichte Durch eine gehörige Bewe— 


gung 


94 Don den Sinnen. 


gung in den Augen hervorbringt. 2) Das Geboͤr, oder 
das Vermögen, diejenigen materiellen Bilder uns vorzu- 
ftellen, welche der Schall durch Die gehörige Bewegung 
der Ohren hervorbringt. 3) Der Beruch, oder dasjeni« 
geVermoͤgen, wodurch wir uns diejenigen materiellen Bil: 
der vorftellen, welche die Ausdünftungen der Körper, durch 
eine gehörige Bewegung in der Naſe, hervorbringen. 
4) Der Geſchmack ift dasjenige Vermögen, wodurch wire 
uns die materiellen Bilder vorftellen, welche die Salze der 
Körper, durch eine gehörige Bewegung in der Zunge, herz 
vorbringen. Und 5) das Gefühl, dasjenige Vermögen, 
wodurch wir ung diejenigen materiellen Bilder vorftellen, 
welche die Körper durch eine gehörige Bewegung, die vorr 
den vier vorhergehenden verfchieden ift, indem fie unſern 
Körper allervegen berühren, wo Merven find, hervorbrin- 
gen. Manche halten die vier erften Sinne für Arten des 
Gefühls, und man müfte alfo fagen, daß z. E. das Geficht 
nichts anders, als das Gefühl des Lichts, fen. Allein 
wenn das Kcht fehr ftarf in unfere Augen fält, fo koͤnnen 
wir gar leicht einfehen, daß das Gefühl des Lichts fehr weit 
von dem Sehen deffelben verfihieden fen. Und eben fo 
fühlen wir einen Schall, wenn er ſo ftarf in unfere Ohren 
ftößt, daß es uns wehe thut, das ift aber Fein Gehör. 
Nichts Fan bewundernswürdiger fenn, als wenn man die 


fünf Werfzeuge der äufferlichen Sinne, die Augen, Ohren 


u. f. w. genauer unterfucht, und nicht nur den vortreflichen 
Bau derfelben betrachtet, fondern auch die Art ihrer gehoͤ— 
rigen Bewegung. Es ift eine Schande, werm man fich 
um diefe Unterfuchung nicht befünmert, allein fie gehört 
niche in die Pſychologie. So viel ift alfo Flar, daß unfer 
Leib nicht fehe, höre, ſchmecke, fühle und rieche, fondern 
das thut die Seele. In dem $eibe find, bey den Auflerli- 
chen Empfindungen, die gehörigen Bewegungen der Werf: 
zeuge der Sinne, und die daher entftehenden materieffen 
Bilder anzutreffen. In der Seele aber find Die Vorftel- 
lungen dieſer Bilder, folglich auch das Geficht, a 

U. . w. 


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A u ee 7 _ a Fe 








Von den Sinnen. 95 


u.ſ. w. Man hat die Frage aufgeworfen : ob nicht, auffer 
diefen fünf äufferlichen Sinnen, noch ein fechiter, fiebender 
Sinn u. ſ. w. möglich ſey; und od es nicht Creaturen ge= 
be, die mehr Sinne haben als wir, gleichwie es Creaturen 
gibt, Die nicht einmal fo viel Aufferliche Sinne haben, als 
wir befisen ? Wir fonnen diefe Fragen nicht verneinen, 
denn es würde einen lächerlichen Stolz an den Tag legen, 
wenn wir nur fünf Aufferliche Sinne für möglich halten 
wolten, weil wir nicht mit mehrern derfelben von der Nas 
tur ausgerüfter find. Allein da wir ung von diefen Sin- 
nen, die wir nicht haben, eben fo wenig einen Begrif ma— 
chen fünnen, als ein Blindgeborner weiß, was das Geficht 
fen: fo fan man, von einem fechften oder fiebenden äufler- 
lichen Sinne, nichts weiter ſagen. So viel fehen wir, daß, 
uns unfere Sinne einen Öegenftand von verfchiedenen Sei- 
ten zeigen. Was uns das Geſicht an einem Öegenftande 
zeigt, das Fan uns das Gefühl nicht vorftellen. Man fege: 
daß ein Blindgeborner durch das Gefühl eine Kugel und 
einen Würffel genau habe kennen lernen, fo weiß er, wie ſich 
diefe benden Körper anfuͤhlen laſſen. Nun fege man, er 
werde fehend, und erblicfe von ferne dieſe beyden Körper, 
fo wird er unmöglich wiffen fönnen, welcher die Kugel und 
welcher der Würfel ift: denn er ftelt.fich num vor, wiediefe 
beyden Körper ausfehen, allein das ift von demjenigen ſehr 
unterſchieden, was wir uns vorſtellen, wenn wir dieſe Koͤr⸗ 
per befuͤhlen. 
F. 534 
Der verſchiedene Grad Staͤrke und Klarheit un— 
ſerer aͤuſſerlichen Empfindungen hanget unter ander n, von 
einem drenfachen Grunde, ab. 1) Bon der Gröffe der ge- 
hörigen Bewegung, in den Werkzeugen der Sinne. Je 
gröffer diefe Bewegung ift, deſto färfer und Flärer iſt die 
äufferliche Empfindufl ; je ſchwaͤcher und Fleiner aber Diefe 
Bewegung ift, deito ſchwaͤcher und dunfeler ift aud) die 
aufferliche Empfindung: denn diefe Bewegung ift die Ur— 
fach der Aufferlichen Empfindung, ie gröffer oder — 
aber 


win 


96 Don den Sinnen. 


aber. die Urſach iſt, deſto gröfier oder kleiner iſt die Wür- 
fung $. 255, Bey hellem Mittage Eonnen, wir flärer fer 
ben, und die Gegenſtaͤnde verurfachen uns eine ftärfere 
Empfindung, als bey einer fhwachen Abenddemmerung, 
und jederman fieht, Daß in dem erften alle die gehörige 
Bewegung in den Augen ftärfer ift, als in dem andern. 
Ein ftarfer Ton bringet eine gröffere Bewegung in den 
Ohren hervor, als ein fehwacher, wir hören.aber jenen auch 
klaͤrer und ftärfer, als Diefen, und. fo verhält es fih auch 
mit allen übrigen Sinnen. 2) Bon der Gröffe des Ges 
genftandes unferer Aufferlihen Sinne. Je groͤſſer der 
Gegenftand if, deſto Elärer und ftärfer ift die aufferliche 
Empfindung ; je Eleiner aber ‚der, Öegenftand ift, defto 
fhwächer und dunfeler ift auch die äufferliche Empfindung. 
Je geöffer der Gegenftand ift, eine deſto gröflere Bewe— 
gung fan er in den Werkzeugen der Sinnen hervorbringen, 
und deſto gröffer und ſtaͤrker ift alfo Die aͤuſſerliche Empfin— 
Dung. Se Eleiner aber der Gegenſtand ift, eine defto klei— 
tere Bewegung Fan er in den Werkzeugen der Sinnen her— 
vorbringen, und alfo erwecken fie auch nur eine um fo viel 
fehrwächere und dunfelere Empfindung. +... Groſſe Dinge 
koͤnnen wir.befler feben, als Kleinigkeiten, und eine ſchwa— 
ce: Stimme ‚Fan nicht fo ftarf gehoͤrt werden, als eine 
ftarfe. 3) Bon. der Stellung der Gegenftände gegen den 
Empfindungspunet: denn diefer Punct ift ein Grund der 
Klarheit und Stärke der aufferlichen Empfindungen 9.532, 
Se näher der Gegenftand dem Empfindungspunct ift, deſto 
flärer und ftärfer koͤnnen wir ibn empfinden; je weiter er 
aber von diefem Puncte entfernt ift, deſto ſchwaͤcher und 
dunkeler empfinden wir denſelben. Je naher wir auf.einen 
Gegenftand zugehen, defto klaͤrer koͤnnen wir ihn fehen, je 
weiter wir aber. von demfelben weggeben, Defto weniger 
Fonnen wir ihn fehen. Und fo 4 uns auch dieſes die 
Erfahrung, bey allen unſern uͤbrigen aͤuſſerlichen Sinnen. 
Re: Se 
Se gröffer und vollfommener die Erfenneniß iſt, 
welche 





Don den Sinnen, 97 


welche durch ein Erkenntnißvermoͤgen gewuͤrkt wird, deſto 
groͤſſer und vollfommener ift diefes Vermögen ; je kleiner 
und unvolffommener aber die Erkenntniß iſt, vefto kleiner 
und unvollkommener ift das Erfenntnißvermögen $. 505. 
Folglich je mehrere, mannigfaltigere und gröffere Empfin- 
dungen ein Menfch hat, je Flärer, richtiger und geroiffer fei- 
ne Empfindungen find, defto gröffer und vollkommener find 
feine Sinne $. 489. 505. Folglich fünnen, die verfchiede- 
nen Grade und Bollfommenbeiten der Sinne, nach folgen- 
ven allgemeinen Regeln beurtheilt werden. 1) Je mehrere 
und mannigfaltigere Dinge uns unfere Sinne vorftellen, 
‚oder je mehrere und mannigfaltigere Empfindungen fie ung 
verfchaffen, je gröffer und ausgebreiteter folglich ihr Em- 
pfindungsereiß ift $. 532. deſto gröffer und vollfommener 
find fie. Das Geficht eines Menfchen ift unleugbar voll— 
fommener und gröffer, deſſen Gefichtscreiß gröffer it, als 
das Goficht eines Menfchen, der nicht fo weit um fich fehen 
fan, Daher werden unfere Sinne vollfommener, wenn 
wir fehr viele Dinge zugleich, oder nach und nad) durch 
die Länge ver Zeit. empfinden. 2) {je Feiner die Gegen- 
ſtaͤnde find, die wir Flar zu empfinden im Stande find, 
deſto gröffer find unfere Sinne. Ein Menfch hat unleugs 
bar ein befferes Geficht als der andere, welcher Eleinere 
Dinge fehen fan, als ein anderer, welcher diefelben nicht 
zu fehen vermögend ift. 3) Se entferntere Dinge wir klar 
empfinden koͤnnen, defto gröffer und vollfommener find un- 
fere Sinne. in Menfch hat ein befferes Geficht und 
Gehör, wenn er weit in Die Ferne ſehen und hören Fan, als 
ein anderer, der nicht fo weit in Die Ferne fehen und hören 
fan. 4) Se Eleiner die gehörige Bewegung in den Werk— 
zeugen der Sinnen feyn darf, wenn wir etwas Flar empfin- 
den wollen, deſto gröffer und vollfommener find unfere 
Sinne, Wer bey einem ſchwachen tichte eben fo gut fe- 
ben Fan, als ein anderer bey einem ftärfern Lichte, der hat. 
unleugbar ein beſſeres Geficht als der andere, Nenn man 
nahe und groffe Dinge empfinden will, die noch dazu Die 

3. Theil. G Werk, 


58 Von den Sinnen. 


Werkzeuge unferer Sinne in einem fehr hohen Grade ges 
hoͤrig bewegen, fo ift diefes fehr leicht, und es wird alfo 
wenig Stärfe dazu erfodert. Es ift demnach ein Beweis 
der Stärke unferer Sinne, wenn wir Fleine und weit ent- 
fernte Gegenftande, und die eine ſehr fehwache Bewegung 
in den Werfzeugen unferer Sinne machen, gut zu empfin= 
den im Stande find. Und 5) je vollfommener und beffer 
die Empfindungen ibree Befchaffenheit nach find, folglich 
je richtiger, Elärer und gewifler wir Die Öegenftände em— 
pfinden koͤnnen, defto gröffer und vollfommener find unfere 
Sinne. Se unrichtiger, dunkeler, ungewiffer und zwei— 
felhafter aber unfere Empfindungen find, deſto Eleiner, 
ſchwaͤcher und unvoffommener find unfere Sinne, 
$. 536. 

Die Schärfe der Sinne befteht in dem gröffern 
Grade der Sinne, und man ſchreibt jemanden fcharfe 
Sinne zu, wenn feine Sinne groß und vollfommen find, 
So fagt man, daß jemand ein fyarfes Geficht befige, wenn 
ex fehr que ſehen kan. Stumpfe Sinne find merklich 
Eleine, und unvollfommene Sinne. Wer nicht gut fehen 
Fan, bat ein ſtumpfes Geficht. Und es erhellet demnach 
aus dem vorhergehenden Abfage, was zur Schärfe und 
Stumpf beit der Sinne gerechnet werden muß. Die Bol: 
fommenbeit und Unvoliftommenheit der, Sinne ift fo genau, 
mit dev Vollkommenheit und Unvollkommenheit der Werf- 
zeuge der inne, verbunden, daß, ob man gleich nicht 
deutlich genung begreiffen Fan, wie dieſes zugehe, Diefe 
Sache ſich demobnerachtet auf diefe Art verhält, Die Er- 
fahrung lehrt uns nemlich: 1) daß die üufferlichen Sinne 
eines Menfchen um fo viel fehärfer find, je geſchickter Die 
Werkzeuge feiner Sinne zu den gehörigen Dewegungen 
find; daß fie aber um fo viel ftumpfer find, je ungefchickter 
die Werkzeuge feiner Sinne zu dieſen Bewegungen find. 
Schlechte Augen verratben allemal ein ſchlechtes Geficht, 
gute Augen aber ein gutes Geſicht. Denn wenn die Werk— 
zeuge der Sinne fehr gut find, fo iſt aud) Die gehörige Be— 

wegung 


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Don den Sinnen, 99 


wegung fehr gut, mithin auch die Empfindung, und alfo 
aud) die Sinne 6. 535. Daher fomts, daß man einem 
Menfchen, den Berftand und die Dumbeit, an den Augen 
anfehen fan. Denn, aus der vortreflichen Befchaffenbeie 
der Werkzeuge der Sinne, fchließt man mit Recht, auf 
die vortrefliche Befchaffenheit der Sinne, und ein Menſch, 
welcher recht gute Sinne bat, befige auch Die übrigen Er— 
Eenntnißfräfte von Natur in einem hohen Grade, Und 
man fan alfo, wenn die Werkzeuge der Sinne nichts tau— 
gen, auf die fehlechte Befchaffenheit der Sinne und der 
‚übrigen Erkenntnißfräfte, fehlieffen. 2) Daß. die äuffer- 
lichen Sinne um fo viel fehärfer gemacht werden, je ge- 
fchickter die Werfzeuge der Sinne zu den gehörigen Bewe— 
gungen gemacht werden; und daß die Aufferlichen Sinne 
um fo viel ftumpfer werden, je ungefchiskter die Werkzeuge 
derfelben, zu den aehörigen Bewegungen, gemacht werden, 
Im Alter wird Das Geſicht immer, ftumpfer, je truͤber die 
Augen werden, und eben fo verhält es fich bey den übrigen 
Sinnen, Je mehr aber die Augen eines Kindes mit der 
Zeit geftärft werden, defto beffer Ternt es nad) und nad) 
ſehen. Bey diefer ganzen Unterfuchung muͤſſen wir wohl 
bemerfen, daß wir, zu den Werkzeugen der Sinne, nicht 
nur diejenigen Theile derfelben vechnen, welche auf der 
Dberfläche des Körpers fichrbar find, fondern auch diejeni— 
gen, die innerhalb des Leibes find, famt dem ganzen Ner— 
venbaue. Daher lehrt uns bie Erfahrung, daß durd) 
mandje Krankheiten die aufferlichen Sinne ungemein ge- 
ſchwaͤcht werden, weil fie die Nerven angreifen, und die- 
felben zu den gehörigen Bewegungen ungefchictt machen. 


ART 
Eine Empfindung Fan nicht anders in uns würflich 
feyn, als wenn ihr Gegenftand, oder derjenige unferer eige— 
nen Zuftände und der Zuftände der Welt, den fie voritel- 
Sen, gegenwärtig iſt; ift dieſer Gegenftand nicht mehr ges 
genmärtig, fo hört aud) die Borftellung deffelben auf, eine 
Empfindung zu feyn $. 528. gerishn find unfere i * 
lichen 


100 Von den Sinnen, 


lichen Empfindungen fo bey einander, ober fie fol- 
gen fo auf einander, wie die Zuftände unferer Seele 
entweder bey einander gegemwärtig find, oder auf 
einander folgen. Geſetzt, daß ich an eine Wahrheit 
denfe und zugleich einen Verdruß in meiner Seele habe, 
fo habe ich zwey innerliche Empfindungen auf einmal, wel⸗ 
che mir diefe beyden Veränderungen in meiner Seele als 
zugleich gegenwärtig vorftellen. Geſetzt aber, daß ich jeßo 
an GOtt denke, nach einiger Zeit an die Welt, und her— 
nach an einen guten Freund: fo empfinde ich nicht etwa die 
Gegenwart der andern VBorftellung eher als der erften, und 
ſpaͤter als der dritten; fondern ich empfinde ihre Gegen: 
wart in der Folge had) einander, wie fie in der Seele nach 
einander gegenwärtig werden. Und das iſt alfo das Ges 
ferz der innerlichen Einpfindungen. Bey unſern Auf 
ferlichen Empfindungen verhält es fih, auf eine ahntiche 
Ar. Unſere äufferlichen Empfindungen find ents 
weder dergeftalt bey einander, oder folgen fo auf ein- 
ander, wie entweder die Zuftände unferes Leibes bey 
einander gegenwärtig find, oder nach und nach ge⸗ 
genwaͤrtig werden. Und das ift das Beferz der aͤuſ⸗ 
ferlichen Empfindungen. Geſetzt ic) fehe drey Men: 
fchen neben einander ftehen, fo find die Empfindungen der: 
felben in meiner Seele eben in der Ordnung neben einanz 
der, als die Veränderungen in meinen Yugen. Und wenn 
ich auf der Steaffe gebe, und es begegnet mir ein Menfch, 
nach einiger Zeit ein Pferd, und alsdenn ein Hund: fo 
empfinde ich das Pferd nicht eher als den Menfchen und 
fpäter als. ven Hund, fondern in eben der Folge, als fie in 
meine Augen fallen. Und unfere Empfindungen mujten 
nothmwendig an diefe Gefige gebunden werden, wenn wir 
uns anders diefe Welt eben als diefe Belt, und als Feine 
andere, durch unfere Sinne vorftellen folten. Das fan 
aber nicht anders gefehehen, als wenn wir nicht nur die ein- 
zeln gegenwärtigen Theile der Welt empfinden, fondern 
auch die Zuſammenordnung, in welcher fie in ver Welt 
wirklich 


— en: 2 ———— 





— — 








Don den Sinnen. 101 


wuͤrklich angetroffen werden. And von dieſen beyden Ge⸗ 
ſetzen kan man, mit leichter Muͤhe, das Geſetz der Em⸗ 
pfindungen uͤberhaupt abſtrahiren. Nemlich unſere 
Empfindungen ſind dergeſtalt in der Seele beyſam⸗ 
men, oder folgen ſo auf einander, wie die Zuſtaͤnde 
der Welt und unſere Zuſtaͤnde, welche die Gegen— 
ſtaͤnde derſelben ſind, entweder wuͤrklich bey einan⸗ 
der gegenwaͤrtig ſind, oder auf einander folgen. 
538. 

Es iſt eine ſehr merkwuͤrdige Sache, daß unſere Em— 
pfindungen vergleichungsweiſe unſere ſtaͤrkſten Vorſtellun⸗ 
gen ſind, oder daß unſere Empfindungen ſtaͤrker ſind, als 
eine jedwede andere Vorſtellung, die keine Empfindung iſt, 
wenn ſie uͤbrigens einander gleich ſind. Es verhaͤlt ſich 
hier eben ſo, als wenn man in der Naturlehre behauptet, 
daß Gold ſchwerer ſey als Silber. Niemand behauptet, 
daß ein jedes Stuͤck Gold ſchwerer ſey, als ein jedes Stuͤck 
Silber. Sondern daß, wenn man ein Stuͤck Gold und 
ein Stuͤck Silber von gleicher Ausdehnung nimt, jenes 
ſchwerer fen, als dieſes. Wir fagen demnach) nicht, daß 
eine jedwede Empfindung ftärfer fey, als eine jedwede ans 
dere Borftellung; fondern, daß eine Empfindung, meil fie 
eine Empfindung ift, allemal ftärfer fey, als eine jedwede 
andere Vorftellung, die übrigens ihr gleich ift. Und das 
komt daher, theils weil fie uns gegenwärtige einzelne Din: 
ge, das ift durchgängig beftimte Dinge, und alfo unend- 
lich viel auf einmal, vorftelt $. 141, und fie ift alfo allemal 
ein einzelner Begrif $. 494, tbeils weil fie uns Dinge vor- 
flelt, die gegenwärtig, und alfo uns am nächften find, Nun 
aber ftelt fich unfere Seele, die Dinge in der Welt, nad) 
der Stellung ihres Leibes vor $. 488. Die Erfahrung 
fehrt uns auch zur Gnuͤge, daß vergangene, zufünftige und 
abwefende Dinge, z. E. Schmerz, Hunger, Durft, fange 
nicht einen fo ftarfen Eindruck in unfer Gemuͤth machen, 
als gegenwärtige, wenn wir fie empfinden, Da nun, durch 
die ftärfern Borftellungen, die ſchwaͤchern verdunkelt wer- 

6 5; den 


102 Don den Sinnen. 


den 6.508, fo erhellet daher, warum durch Empfindurs 
gen, alle andere Vorſtellungen, fo leicht verdunfele und 
verhindert werden. Heftige Schmerzen hindern das Stu— 
dieren, über dem Gegenmwärtigen vergeflen wir des Ver— 
gangenen und Zufünftigen, und man Fan fich nicht leichter 
Grillen, Sorgen und andere Borftellungen aus dem Sinne 
fchlagen, als wenn man ſich eine von ihnen verfchiedene 
Empfindung verurfaht. Dieſe Betrachtung ift, um der 
Eittenlehre willen, von einer groffen Wichtigkeit. Der 
ganze irdifche Sinn, und die ganze Herrfchaft der Sinn: 
lichkeit über die Vernunft, folglich Die ganze Duelle unſe— 
res moraliſchen Berderbens, und unferer ganzen Unglüce 
feeligfeit, rühren von der Stärfe unferer Empfindungen, 
und von ihrem Uebergewichte über alle unfere übrige Vor— 
ftellungen, ber. | 

I $. 539, 

Wir Menfchen würden fehr elend ſeyn, und es wuͤr— 
de um unfere ganze Gluͤckſeeligkeit gefcheben feyn, wenn die 
Empfindungen fo ftarf wären, daß fie gar nicht geſchwaͤcht, 
und Durch) aar feine andere Vorſtellungen koͤnnten verdun— 
felt, und verhindert werden, Allein Die gütige Natur bat 
uns Mittel an die Hand gegeben, auch die Empfindungen 
zu ſchwaͤchen und zu verdunfeln. Und das Fan auf eine 
dreyfache Art gefchehen. ) Eine Empfindung Fan, durch 
eine andere ftärfere Empfindung, verdrengt und verdunfele 
werden: denn eine Empfindung Fan immer flärfer feyn, als 
Die andere, und es iſt ganz natürlich, daß eine ſchwaͤchere 
Empfindung durch eine ftärfere verdunfelt werde 9. 508. 
So werden die Empfindungen der $eiden diefer Zeit in den 
Frommen, durch die ftärfere Empfindung der Gnade GOt⸗ 
tes, verdunkelt, und wegen eines heftigern Schmerzes fühle 
man einen Eleinern gar nicht merklich, 2) Eine ftarfe Em- 
pfindung Fan, durch eine Menge anderer Empfindungen, 
verdunfelt werden, deren eine jedivede zwar ſchwaͤcher ift, 
die aber zufannmengenommen ftärfer find, als die erfte. 
Alsdenn wird das Gemüth, unter viele andere Empfin- 

x dungen 


I 





Don den Simen, 103 


uf 


dungen, zerftrenet, und eben dadurch wird die Eine ftärfes 
ve Empfindung aus dem Sinne gefchlagen $. 521. 522, 
So lindert man das Gefühl der Betrübniß, wenn man 
viele Gefchäfte verrichtet, oder in angenehme Gefellfchaf- 
ten geht. 3) Eine ffarfe Empfindung Fan, durch eine 
ganze Menge anderer Borftellungen, die feine Empfin— 
dungen find, verdunfelt werden, deren eine jede zivar 
ſchwaͤcher ift als die Empfindung, die aber zufammenges 
nommen fie an Stärfe uͤbertreffen. Alsdenn wird das 
Gemuͤth unter andere Borftellungen ebenfals zerftreuet, 
und von den Empfindungen abgezogen. So fan man, 
manche fehmerzhafte Empfindungen, durchs Studieren ver= 
dunkeln, und mitten im Studieren fieht und hört man 
nichts. Ein Frommer Fan fich ofte in die Betrachtungen 
der zufünftigen Dinge dergeftalt vertiefen, Daß er fo zu re— 
den enfzüct wird, und die betrübenden Empfindungen von 
den Leiden diefer Zeit Faum mehr merft. Und freylich muß 
man zugeftehen, daß manchmal eine Empfindung fo ftarf 
werden Fan, daß fie Durch nichts überwunden werden Fönne, 
Alsdenn fünnen wir höchftens ihre Klarheit, durd) die anz 
gegebenen Mittel, vermindern, niemals aber ganz verduns 
Eeln: alsdenn aber komt uns die Natur felbit zu Hülfe, 
wie wir balde fehen werden. 

S. 53% 

Ale Arten der Erkenntniß, und alle unfere Begier: 
den und Derabfcheuungen, beruhen auf den Empfinduns 
gen, wie wir Fünftig fehen werden, Es ift demnach ein 
ſehr gefährlicher Serthum, wern man behaupten wolte, daß 
wir über unfere äufferlichen Empfindungen gar Feine Herr— 
ſchaft hätten. Alsdenn würde es um die Freyheit unferes 
Willens gethan feyn, und man wuͤrde in der That, die 
ganze practifche Weltweisheit, für ein Hirngefpinfte haften 
müffen, wenn man behaupten müfte, daß alle unfere äuffer« 
lichen Empfindungen fo nothwendig feyn, daß wir mit un: 
ferm freyen Willen bey ihnen nichts ausrichten Fonnten. 
Damit man fid) nun, von der Unrichtigkeit dieſes gefährli— 
er 64 chen 


104 Von den Sinnen; 


chen Irrthums, vollfommen überführe, fo wollen mir zei: 
gen, daß es uns auf eine vielfache Art möglich fey, ‚unfere 
äufferlichen Empfindungen nad) unferm Belieben zu beför- 
dern, oder zu verhindern. Wir koͤnnen frenlich nicht be- 
haupten, daß wir, alfe unfere äufferlichen Empfindungen, 
völlig in unferer Gewalt haben. Sondern die tägliche Er 
fahrung lehrt uns nur, daß wir aufeine mannigfaltige Ark 
vermögend find, ofte unfere äufferlichen Empfindungen zu be— 
fördern und zu verhindern, und mehr braucht man nicht zu 
erweifen, um die Freyheit der Seele, in Abficht auf ihre 
äufferlichen Empfindungen, zu vertheidigen. Und da were 
den, Die aufferlihen Empfindungen, erleichtert und. befoͤr— 
dert: 1) wenn die Werkzeuge der Sinne, zu der gehoͤri— 
gen Bewegung, wohl vorbereiter und geſchickt gemacht wer⸗ 
den.  Alsdenn erfolget die gehörige Bewegung um fo viel 
beſſe und mithin wird auch die Empfindung befördert 
$. 536. Wenn man fih des Morgens den Schlaf aus 
den Augen reibt, fo macht man eben dadurch die Augen, zu 
derjenigen Bervegung, gefchickter, welche das Licht in ihnen 
verurfachen muß, wenn wir fehen wollen. Und eben das 
ber fomts, daß man durd) die Waffen der Sinne, als z. E. 
durch die Kerngläfer, und Vergroͤſſerungsglaͤſer, die Aufferz 
lihen Empfindungen befordern Fan, weil man fie als Mit: 
tel betrachten fan, wodurch man die Werkzeuge der Sinne, 
zu der gehörigen. Bewegung, vorbereitet, 2) Wenn man 
den Gegenſtand in den Empfindungscreiß verfeßt, oder 
wenn man fich felbft in Abficht auf denfelben in diefen Creiß 
begiebt $. 532. Wenn man eine Sache recht fehen und 
hören will, fo Fan das nicht anders gefchehen, als wenn 
man fich derfelben nähert, wenn man fich an den Ort ver- 
fügt, wo eine Sache zu fehen oder zu hören ift. 3). Wenn 
man den Gegenftand entweder in den Empfindungspunct 
ftelt, oder wenigftens demfelden fo nahe bringt, als moͤg— 
lid), F. 532. Wenn man eine Sache recht fehen will, fo 
hält man fie gerade vors Geficht in der gehörigen Entfer— 
nung, und wenn man einen Kedner vecht vernehmlich hören 

will, 


ee — — 


DE ET 


Von den Sinnen 105 


will, fo ftelt man ſich gerade vor ihm in der rechten Weite, 
4) Sem man dem Körper, welchen man recht empfinden 
ill diejenige Befchaffenheit entweder gibt oder. vermehrt, 
Die. er haben muß, wenn er in den Werkzeugen der Sinne 
Die gehörige Dervegung hervorbringen ſoll. Denn die Ge⸗ 
genſtaͤnde unferer aufferlichen Empfindungen, müffen, fo be- 
Schaffen ſeyn, als erfodert wird, wenn ſie die Werkzeuge 
unſerer Sinne in die gehörige Bewegung ſetzen ſollen. 
Folglich befoͤrdert man die aͤuſſerliche Empfindung, wenn 
man ihnen dieſe Beſchaffenheit gibt oder vermehrt $. 534. 
Daher falzen wir die Speifen, damit man fie beſſer ſchme— 
cke, und Daher Fomts, daß man bey.einem Wachslichte 
beffer fehen Fan, als bey einer Lampe, in welcher Br— ennol 
gebrannt wird, weil jenes ein reiner Sicht gibt, als dieſe. 
5) Wenn dem Körper, welchen man empfinden will, 
die gehörige Groͤſſe gibt, Damit er weder eine zu flarke, 
noch eine zu ſchwache Bewegung, in den Werfzeugen un- 
ſerer Sinne, verurfache: denn in beyden Fallen konnen wir 
nicht vecht empfinden $. 534. Daher pugen wir das ticht, 

enn wir beffer fehen wollen, und wer die Speifen in dem 
gehörigen Grade fal; t, der befördert dadurch den Geſchmack 
derſelben. 6) Wenn man die ftärfern fremden Empfin- 
dungen, durch die Abftraction, h hindert: denn fo lange ſtaͤr⸗ 
kere Empfindungen in der Seele ſind, ſo lange koͤnnen die 
ſchwaͤchern nicht empor kommen 9.539; will man alſo dieſe 
befördern, fo muß man jene aus dem Sinne ſchlagen. 
In einer ſtillen Einfamfeit klinget eine Muſik bejfer, als 
mitten in einem ftarfen Geräufhe, Daher pflegen wir 
Die Einfamkeid und Stille zu fuchen, wenn wir gemiffe 
Empfindungen. befördern wollen. 7) Wenn man die Zer- 
fireuung des Gemuͤths, unter fehr viele ſchwaͤchere Em— 
pfindungen von anderer Art, durch eine gehörige Samlung 
defjelben verhüter, und unterbricht : denn eben dadurch 
räumt man, ‚ein ſtarkes Hinderniß gewiſſer Empfindungen, 
aus Dem Wege $. 539. Wenn man daher in einer groſ— 
fer. Geſellſchaft mie jemanden allein vertraut reden, und 

© 


5 ihn 


106 Don den Sinnen. 


ihn recht hören will, fo begibt man fich mit ihm in den ab» 
gelegenften Winkel des Zimmers, und gibt auf nichts wei: 
fer achtung, was in der übrigen Gefettfchaft vorgeht. Und 
8) wenn man die Zerftreuung des Gemüths unter andere 
Borftellungen von fremder Art, ob fie gleich Feine Empfin⸗ 
dungen find, durch die Samlung deffelben, unterbricht: 
denn auch Durch Diefe Borftellungen werden die Empfin- 
Dungen gehindert $. 559. Wenn man aber die Hinder- 
niffe einer Sache aus dem Wege räumt, fo befördert man 
fie. Wenn man eine gute Malzeit recht genieffen will, fo 
ſchlaͤgt man alle Sorgen, alle gelehrten Betrachtungen, als 
les Andenken feiner Gefchäfte aus dem Sinne, und eben 
dadurch) wird die Empfindung ungemein befördert. 
8§. 541. 

Auf der andern Seite Fan man ofte, eine aͤuſſerliche 
Empfindung, entweder ganz unterdrucfen und verhindern, 
oder doch wenigftens ſchwaͤchen und vermindern, wenn 
man das Gegentheil von alle demjenigen thut, wodurch fie 
befürdert wird 6. 540. Folglich x) wenn man verhütet, 
daß die Werkzeuge der Sinne, durch einen Gegenftand, 
gar nicht auf eine gehörige Art bewegt werden : denn als— 
denn Fan gar Feine äufferliche Empfindung entftchen. Wenn 
mir die Augen bey dem Anblicke einer Sache verfchliefen, 
oder wenn wir den Gegenftand aus dem Empfindungs- 
creiffe wegfchaffen, indem wir entweder ihn von ung oder 
uns von ihm weit genung entfernen; fo verhindern wir die 
aufferliche Empfindung. 2) Wenn wirwenigftens es da- 
hin bringen, daß der Gegenftand unfere Werfzeuge der 
Sinne nicht fo ftarf bewegt, als zu der gröften Stärfe der 
Empfindungen erfodert wird; fo verhindern wir zwar die 
Empfindung nicht ganz, allein wir vermindern fie doch). 
©» pflegen wir, bey einem beffen Fichte, die Augen halb 
zuzuthun, Damit e8 nicht zu ftarf in unfere Augen falle, 
und wenn wir die Hände vor die Ohren halten, fo ſchwoͤ— 
chen wir das Gehör. 3) Wenn man den Öegenftand ent- 
weder ganzlich aus dem Empfindungscreiffe entfernt, I: 

do 





Von den Sinnen, 107 


doch von dem Empfindungspuncte fo weit entfernt, als 
möglich iſt. In dem erſten Falle wird die Empfindung 
ganz verhindert, in dem andern aber nur geſchwaͤcht. So 
drehen mir Die Augen weg, wenn wir eine Sache entweder 
gar nicht, oder nicht vecht fehen wollen. 4) Wenn man 
dem Gegenftande die gehörige Befchaffenheit benimt, oder 
wenigſtens vermindert, fo Fan er in dem erften Falle die 
Werfzeuge der Sinne gar nicht gehörig bewegen, und alfo 
fält die Empfindung weg, und in dem andern Fan er fie 
nicht ftarf genung bewegen, und es wird demnach die Auf- 
ferliche Empfindung geſchwaͤcht. So vermindern wir Die 
Flamme eines Lichts, wenn wir das Geficht verdunfeln 
wollen, 5) Wenn man den Gegenftand verhindert, daß 
er uns gar nicht gegenwärtig werde, Denn da wir nur 
gegenwärtige Dinge empfinden koͤnnen, fo fält alsdenn die 
äufferliche Empfindung ganz weg. Wenn wir eine Perfon, 
die uns zu fprechen verlangt, gar nicht vor uns laflen, fo 
befommen wir auch von ihr Feine Empfindung. 6) Wenn 
man fich eine ftärfere Empfindung erweckt, als diejenige ift, 
die man verhindern will $. 539. So pflegt man einen 
andern zu überfchreyen, wenn man ihn nicht hören will, 
und wenn man einen uͤblen Geſchmack verfreiben will, fo 
nimt man ein Stück Zucder in den Mund. 7) Wenn 
man das Gemüch, unter viele verfchiedene Empfindungen 
von anderer Art, zerſtreuet $. 539. Daher Fomts, daß 
einem Kranken die Nächte befchmwerlicher find, als die Ta— 
geszeiten, weil er des Tages vielerley fieht und hört, wo— 
Durch er zerftreuet wird. 8) Wenn man das Gemuͤth un: 
ter miele andere Borftellungen, Die Feine Empfindungen find, 
zerſtreuet $. 539. Alsdenn wird die Empfindung wenig: 
ftens geſchwaͤcht. So fan man fic) die Empfindung der 
Krankheit durchs Studieren, durchs Leſen, durch die Un— 
terredung mit andern ungemein ſchwaͤchen. Alle diefe Re— 
gen beobachtet jederman, in unendlich vielen Fällen, ohne 
ine Anweifung dazu zu haben, und es erbellet alfo daraus’ 
um fo viel mehr, daß #5 in der Gewalt eines jeden er 
ſchen 


108 Von den Sinne. 


ſchen ſtehe, feine Aufferlihen Empfindungen ofte auf eine 
mannigfaltige Art zu erleichtern, zu befordern und zu ver- 
hindern, | 
.. 1542. 

Wir halten die Sinne für untere Erkenntnißvermoͤ— 
gen, und halten fie für die erften derjenigen Erfenntnißver- 
mögen ber Seele, aus denen das ganze untere Erfenntniß- 
vermögen, als aus feinen Theilen, zufammengefegt iſt $. 
524.: Um diefes zu erweifen, müffen wir darthun, daß alle 
unfere Empfindungen entweder ganz finnlihe Borftellun, 
gen find, in denen gar Feine Deutlichkeit iftz oder wenn 
auch einige Empfindungen deutlich fenn folten, daß dennoch 
in ihnen viele Dunfelbeit und Verwirrung angetroffen 
werde, And diefes erhellet, aus der Natur unferer Em— 
pfindungen, unleugbar. Sie ftellen ung allemal gegen 
wärtige DBeränderungen, ſamt ihren Gegenſtaͤnden, vor, 
folglich einzelne würfliche Dinge, welche Theile Diefer Welt 
find $. 528.. Ein einzelnes Ding ift durchgängig beftimt 
$. 141. und hat alfo unendlich viele Merkmale und Beſtim— 
mungen. Und wenn es noch dazu in Diefer Welt wuͤrklich 
ift, fo hat es, um des allgemeinen Zufammenbangs willen, 
unendlich viel Gründe, Folgen und Verbältniffe $. 319. 
Folglich ift eine jedwede unferer Empfindungen, weil fie 
Fein abſtracter Begrif ift, fondern uns die Öegenftände als 
einzelne und in diefer Welt durchgängig beftimte Dinge 
vorftelt, ein Bild, welches unendlich viel auf einmal vor: 
ftelt. Nun mag man eine feiner Empfindungen nehmen, 
welche man will, fo wird man fich leicht überzeugen Fön- 
nen, daß man fich in derfelben niemals alles deſſen bewußt 
fen, was fie in fich enthält. Man feße, daß wir uns einen 
Menfchen, durch unfer Gefiche, vorftellen: find wir uns 
wohl alfer Lichttheilgen bewußt, die in unfere Augen drin- 
gen? aller einzeln Bewegungen, in den verfchiedenen Thei⸗ 
len des Auges? aller einzeln Bewegungen in den Gefichts- 
nerven, und dem Gehirne? Folglich find wir uns der we: 
nigften dererjenigen Theile bewußt, woraus eine Empfin- 

dung 








Don den Sinnen. 109 


dung befteht, wenn wir uns ja einiger derfelben bewußt ſeyn 
folten. Folglich enthalten alle unfere Empfindungen viele 
Dunfelbeit, und, wenn wir ung derſelben bewußt find, viele 
Verwirrung. Wir haben viele dunkele und ganz verwor: 
rene Empfindungen, und alsdenn ift gar Fein Zweifel, daß 
unfere Sinne, in fo ferne fie dergleichen Empfindungen 
verurfachen, zu dem untern Erfenntnißvermögen gehoͤren. 
Allein wern wir auch deutliche Empfindungen haben, fo 
find fie Doch allemal eines Theils, oder wohl gar groͤſten—⸗ 
eheils, dunkel und verworren. Alsdenn wuͤrkt der Ver: 
ftand diefe Deutlichfeit in den Empfindungen, indem er mit 
den Einnen zugleich gefchäftig ift, und die Sinne bringen 
die Empfindung hervor, in fo ferne fie ſinnlich iſt $. 525 
Folglih fan man mit Recht fagen, daß alle Empfindun⸗ 
gen finnliche Borftellungen find, und von dem untern Erz 
kenntnißvermoͤgen gewürft werden. Und da die Aeſthetik, 
von der Verbeſſerung und dem rechten Gebrauche aller 
ſinnlichen Erkenntnißvermoͤgen, handelt $. 5275: fo han: 
delt fie auch von der Verbefferung, und vem rechten Ge— 
brauche der Sinne. Diefer Theil der Aeſthetik kan die 
empiriſche Aeſthetik genannt werden, weil er vonder 
Erfahrung handelt, und zeigt, wie man fie erlangen, ver. 
beffern und vortragen fol. Die Erfahrung aber beiteht 
in aller Erfenntniß, welcher wir uns vermittelft der Sinne 
bewußt find, fie mag nun entiweder aus klaren Empfindun— 
gen beſtehen, oder aus ſolchen klaren Borftellungen, die 
wir auf eine nähere Art aus den Empfindungen herleiten. 
Der Begrif von der Erfahrung wird fehon, in der Ver— 
nunftlehre, mweitläuftig unterfucht. 
$- 54. | 
Eine der allerfehwerften und wichtigften Unterſuchun— 
gen bey unfern Sinnen bejteht darin, ob unfere Empfin= 
dungen mahr find, oder ob uns unfere Sinne betrügen ? 
Weil alle unfere übrige Erkenntniß auf den Empfindungen 
berubet, fo würde es um die Gemwißheit der ganzen menfch- 
lichen Erfenntniß gethan feyn, wenn mir uns auf unfere 
Sinne 


116 Don den Sinnen 


Sinne nicht verlaffen koͤnnten. Daher haben auch die all— 
gemeinen Zweifler allemal ihre erfte Sorge dahin gerichtet 
fenn laffen, unfere Sinne verdächtig zu machen. Wir 
muͤſſen uns alfo zu überzeugen fuchen, Daß uns unfere 
Sinne niemals betrugen ; fondern daß wir uns allemal 
felbft bey Gelegenheit unſerer Empfindungen betrügen, 
wenn ums unfere Sinne zu betrügen fcheinen, Nemlich 
man verfteht, durch einen Betrug der Sinne, eine fal- 
ſche Vorftellung, welche auf eine nähere Art von unfern 
Sinne entweder in der Ihat, oder dem erften Anfcheine 
nach abbanger. Alle unfere falfche Erfenntniß bat einigen 
Grund in den Sinnen, und mir müften alfo, einen jedwe— 
den Irrthum, einen Betrug der Sinne nennen, wenn wir 
durch einen folchen Betrug eine jede falfche Borftellung 
verftehen wollen, Die von den Sinnen abhanget. Da die— 
fes nun wider allen Gebrauch zu reden iſt; fo veritehen 
wir, durch einen Betrug der Sinne, nur eine folche falſche 
Borftellung, die auf eine nähere Art von den Sinnen ab: 
hanget. Wenn uns z. E. ein edigter Thurm von ferne 
rund zu fern ſcheint, fo fagen wir, daß dieſes ein Betrug 
unferer Sinne fey. | 


54 

Unfere Empfindungen entftehen unmittelbar, durch Die 
Aufmerffamfeit auf gegenwärtige Dinge S. 528. Wenn 
alfo unfere Seele eine Empfindung in ſich bervorbringen 
will, fo braucht fie diefelbe nicht aus andern Borftellungen 
berzuleiten, fondern fie braucht nur Die gegenwärtigen Dinz 
ge anzufchauen ; ob gleich durch vorhergehende Worftch« 
Iungen, die Aufmerkfamfeit beſtimt werden Fan, um gegen- 
wärtige Dinge anzuſchauen. Allein die übrigen Vorſtel— 
kungen ſtellen uns abwefende Dinge vor, und die Seele 
tan fie nicht durch einen ohngefehren Zufall, oder fchlech- 
terdings in füch durch einen Sprung hevoorbringen. Folg- 
lich leitet fie diefelbe aus andern Borftellungen, Durch einen 
Schluß, ber. Folglich muß ein Betrug der Sinne ent— 
weder eine Empfindung feyn, und alsdenn wirde er von 
den 


ER FE TR 


——— 3m ee mn 


— =>» 


RE SE A, C 


— — 


Don den Sinnen. 311 


den Sinnen zumächft abbangen ; ober er iſt eine andere 
Borftellung. Soll nun diefe andere Borftellung auf eine 
nähere Art von den Sinnen abhangen, oder foll fie ein Be 
trug der Sinne feyn, fo muß fie Die Seele aus einer Em; 
pfindung vermittelt eines Schluſſes herleiten,  Diefer 
Schluß ift entweder ein VBernunftfchluß, „oder ein dunfeler 
und verworrener Schluß. In dem erſten Falle ift fic) die 
Seele einer Empfindung bewußt, und noch einer andern 
Borftellung, die mit der Empfindung einen Theil gemein 
bat, und aus diefen beyden Borftellungen leitet fie, als 
aus zwey Borberfagen, den Betrug der Sinne, als einen 
Schlußſatz, her. In dem andern Falle leitet fie zwar, 
ven Betrug der Sinne, aus einer Empfindung, und einer 
andern mit derfelben verfnüpften Borftellung her, Allein 
fie ift ſich dieſer Borftellungen nicht befonders bewußt, und 
fie verwechfelt demnach die falfche Boritellung, die fie aus 
der Empfindung berleiter, mit der Empfindung felbft, oder 
unterfcheidet fie nicht von einander, und bildet fich alfo ein, 
daß fie Durch ihre Sinne die Borftellung erlange, die ein 
Betrug der Sinne iſt. Dieſer legte Fehler wird, der 
Fehler des SErfchleichens, genannt, - Erempel will ich, 
der Kürze wegen, bis ins folgende verfparen. 


$. 545. | 

Was die Empfindungen felbft betrift, fo Fan man fich 

aufs gewiffefte überzeugen, daß Feine derfelben falſch ſeyn 
koͤnne, fondern daß: fie vielmehr zu den allerrichtigften 
PVorftellungen gehören, deren unfere Seele irgends nur 
fähig ift. Denn fie mögen entweder innerliche, ober Auf 
ferliche Empfindungen, oder beydes zu gleicher Zeit feyn, 
fo ftellen fie uns entweder gegenwärtige Veränderungen 
unferer Seele, oder unferes Koͤrpers, oder beyde zu gleicher 
Zeit vor $. 529, Folglich ftele uns eine jedwede Empfin- 
dung gegenwärtige Beranderungen vor, und zwar fo, wie 
fie bey einander entweder würklich find, oder auf einander 
folgen $. 518.537. Folglich ftellen fie uns Sachen vor, 
die in dieſer Welt würflich find, und alfo die groͤſte Wahr: 
heit 


112 \ Don den Sinnen 


eit und Gewißheit haben, die endliche Dinge haben koͤn⸗ 
Jeit h 


nen 9.345. Da nun eine jedwede Vorſtellung wahr ift, 
die uns mögliche und wahre Sachen vorftelt, indem fie 
alsdenn nicht nur eine Borftellung zu ſeyn fcheint,  fondern 
es auch) in der That if 9.489, fo find alle unfere Em— 
pfindungen fo richtige und wahre Borftellungen, als nur 
irgends eine Vorſtellung ſeyn Fan, und es iſt demnach feis 
ne Empfindung ein Betrug der Sinne, oder unfere Sinne 
betruͤgen uns niemals $. 545. Wir koͤnnen uns, von der 
Richtigkeit dieſes Beweiſes, nod) durch verſchiedene Be: 
trochtungen überzeugen. Einmal ift es allerdings gewiß, 
daß wir viele Gewalt über unfere Empfindungen haben, 
Allein diefe Gewalt erſtreckt fih nicht weiter, als fie ofte 
zu befördern oder zu verhindern $. 540, 5ar. Es ſteht 
nicht in unferer Gewalt, eine gegenwärtige Beränderung 
anders zu empfinden, als es die Beſchaffenheit und Staͤrke 
diefer Veraͤnderung mit fic) bringe. Wenn der Zucker auf 
unferer Zunge zerfchmolzen ift, fo müffen wir die Verän: 
derung, die er auf der Zunge verurfacht, fo empfinden, wie 
wie fie empfinden. Folglich find unfere Empfindungen 
Wuͤrkungen der gegemvärtigen Veränderungen, die nach 
Geſetzen der Matur erfolgen, welche: nicht in unferer Ge— 
malt ftehen. Da nun zwiſchen allen Würfungen und Ur: 
fachen, eine Aehnlichkeit und Gleichheit iſt 9.254 255, fo 
find auch alle unfere Empfindungen den Veränderungen in 
uns ähnlich und gleich, die fie vorſtellenz und da fie alfo 
mit denenfelben übereinftinimen, ſo find fie wahre Bilder 
derfelben. Zum andern ift die Kraft unferer Seele eine 


Kraft, welche fid) Diefe und Feine andere Welt vorftellen 


foll. Wenn nun unfere Empfindungen falſch roären, fo 
wuͤrden fie uns entweder ganz unmögliche Dinge vorftel: 
Ion, oder Dinge die in diefer Welt nicht möglich find. In 
beyden Fällen würden fie uns nicht, dieſe Welt, vorſtellen. 
Und da die Unrichtigfeit unferer Empfindungen ſich, Durch 
unfere ganze übrige Erkenntniß, verbreiten würde s fo 
wuͤrde alsdenn unfere Seele, Feine Vorſtellungskraft diefer 

Welt 


Fe TE Eh — 





Don den Sinnen. 113 


Welt, ſeyn. Sie würde durch einen Syertbum in diefe 
Melt verfegt worden ſeyn, und die Schuld davon würde 
auf den Urheber der Welt zuruͤckfallen: weil er entweder 
in diefe Welt denkende Subftanzen gefest haben würde, 
die in eine andere Welt gehören ; oder weil er die übrige 
Welt, den Empfindungen unferer Seele, nicht gemäß ein- 
gerichtet hätte. Wenn man alfo, die unendliche Weisheit 
des Urhebers der ganzen Welt, mit zu Nathe zieht, fo 
Fan man nicht anders als annehmen, daß unfere Empfin- 
dungen folche Abdrucke der gegenwärtigen Veränderungen 
in uns find, welche einen foldhen Grad der Wahrheit ha- 
ben, als erfodert wird, wenn wir uns Diefe Welt fo vor- 
ſtellen follen, als es die Erreichung aller Abfichten-erfovert, 
um welcher willen uns GDte erfihaffen bat. 
$. 546. 

Da nun, ein Betrug der Sinne, feine Empfindung _ 
felbft feyn Fan $. 545, fo ift er eine falfche Vorftellung, die 
wir aus andern Borftellungen fchlieffen, entweder. durch 
einen deutlichen Schluß, oder durch einen dunfeln und ver: 
worrenen Schluß $. 544. ft das erfte, fo find wir ung 
einer Empfindung und einer andern Borftellung, Die mic 
jener einen Theil gemein hat, bewußt, und aus beyden iei- 
ten wir Deutlich diejenige falfche Borftellung ber, die wie 
einen Betrug der Sinne nennen, Und wenn das ift, fo 
iſt unfer Vernunftſchluß Falfch, und er muß alfo, vermöge 
deſſen, was ein jeder aus der Bernunftlehre weiß, entwe— 
der in der Form oder in der Materie fehlen. Iſt das ertte, 
fo entfteht der Betrug der Sinne, indem wir eine Empfin— 
dung, mit einer andern wahren Borftellung, auf eine uns 
richtige Art verfnüpfen, und alfo ift die Empfindung ſamt 
den Sinnen an diefem Betruge unfchuldig. Gefest, daß 
jemand einen vierecigten Thurm von ferne fieht, und den— 
felben für rund hält, weil er ihm rund zu ſeyn fcheint, und 
er mwolte fo ſchlieſſen: alle runde Körper fcheinen in der 
Ferne rund, diefer Thurm ſcheint in der Ferne rund, und 
alfo iſt er rund, Hier ift unleugbar, daß Die beyden eriten 

3, Theil, H Soͤtze 


114 Don den Sinnen, 


Saͤtze wahr find, und daß der legte falſch ift, weil der 
Schluß in der Form unrichtig ift. In der andern Figur 
fan man niemals, bejabender Weiſe, fihliefien. Es ift 
eben ein folher Schluß, als wenn man fchlieflen wolte: 
der Menfch ift ein Sünder, nun ift der Teufel auch ein 
Sünder, alfo ift der Teufel ein Menfh,. Kan man nun 
wohl fagen, unfere Augen betruͤgen uns in diefem Falle? 
Iſt der Bernunftfchluß in derMaterie faljch, fo müfte ent= 
weder die Empfindung falfch ſeyn, eder die andere Vor— 
ftellung. Das erfte ift nicht möglich. Folglich wenn wir 
bey Gelegenheit einer Empfindung uns betrügen, und in 
der Art zu fehlieffen nicht irren, fo verbinden wir mit der 
Empfindung eine andere VBorftellung, die falfch ift, und die 
wir durch ein Borurtheil für wahr halten. . Und alfo liegt, 
auch in diefem Kalle, die Schuld des Betrugs der Sinne 
nicht in unfern Empfindungen, fondern in unfern Vorur— 
theilen. - Gefekt man wolte fo fchlieffen: Ein Körper bat 
die Geftalt, die er uns von ferne zu haben fcheine, nun 
ſcheint uns dieſer Thurm von ferne rund zu feyn, alfo ift er 
würflich vund. Ein jedweder fieht, daß der erite Gas 
falfch ift, und daß er folglich die Urfach, von der Unrich- 
tigkeit des legten Saßes, ift. Da nun der Fehler des Er— 
fhleihens in der That ein Schluß ift, nur daß wir uns 
der verfchledenen Theile, aus denen er befteht, nicht bewußt 
find; fo liegt auch in diefem Falle, die Schuld des Betrugs 
der Sinne, entweder in der unrichtigen Art zu fchlieffen, 
oder in Der Unvichtigfeit der andern Vorftellung, die wir 
mit der Empfindung verfnüpfen. Wenn wir durch den 
Fehler des Erfchleichens betrogen werden, fo bilden wir 
uns um fo vielmehr ein, daß uns unfere Sinne betriegen, 
weil wir uns ſelbſt nicht bewußt find, daß wir mit unfern 
Empfindungen andere Borftellungen verbinden, und daraus 
Schluͤſſe machen. Es duͤnkt uns demnach alsdenn, als 
wenn wir weiter nichts thaͤten, als empfinden, und wir ſol— 
ten manchmal drauf fchwören, daß eine Sache rund fen, weil 
wir es unferm Beduͤnken nach mit unfern Augen feben. 
$. 547+ 





Don den Sinnen, 115 


§. 347. 

Durch Blendwerke der Sinne, oder Gaufeleyan, 
verfteht man ſolche Sachen oder Handlungen, die mit Fleiß 
fo eingerichtet werden, daß dadurch die Sinne betrogen 
werden koͤnnen. So machen Tafchenfpieler, falſche Pro- 
pheten, Schwaͤrmer in der Religion, und wie alle uͤbrige 
Gaukler heiſſen mögen, den Leuten ein Blendwerk vor, in- 
dem fie fo geſchickt ihre Poſſen zu machen wiffen, daß man 
ofte drauf ſchwoͤren folte, man fehe es mi£ feinen eigeten 
Augen, daß etwas fo oder fo gefhehe, Kin Blendwerf 
iſt entweder ein Eräftiges, oder ein unkräftiges Blend⸗ 
werk der Sinne. Aus jenem entſteht würflich ein Ber 
trug der Sinne, aus biefem aber nicht. Wenn zwey $eute 
einem Tafchenfpielse zufehen, fo find die Gaufeleyen deſſel— 
ben in Abficht auf ven einen Eräftig, wenn berfelbe in der 
That zu fehen glaubt, daß er ſich z. E. ein Meſſer in die 
Augen fteche, in Abficht auf den andern aber unfräftig, 
weldyer weiß, wie Diefe Poffen zugehen. Da nun aller 
Betrug der Sinne aus Vorurtheilen, oder aus einer un- 
richtigen Art zu fehlieffen entſteht $. 546, fo Fan feinem 
Menſchen ein Eräftiges Blendwerf vorgemacht werden, der 
von allen Borurtheilen frey ift, und der niemals auf eine 
unrichtige Art ſchließt. Je mehr Vorurtheile aber jemand 
im Kopfe bat, die auf Empfindungen fönnen angewendet 
werden, und je groffer feine Fertigkeit iſt, aus wahren 
Gründen auf eine falfche Art zu fchlieffen, defto mehr find 
feine Sinne der Gefahr betrogen zu werden ausgefeßt, und 
deſto leichter und öfter Fan ihm ein Fräftiges Blendwerk 
‚vorgemacht werden. Mun ift wohl Fein Menfch zu finden, 
der von allen Borurtheilen frey it, und der niemals auf 
eine unrichtige Urt fließt. So weit fan es wohl ein 
Menſch bringen, daß er nicht Teiche irrt, wenn er deutlich 
fließt; allein wer ſchließt, bey allen feinen Empfinwungen, 
deutlich? Folglich ift wohl Fein Menfch zu finden, der ſich 
allemal vor dem Fehler des Erfchleichens hüten folte, Lind 
folglich ijt Sein Menſch fo —2 und vorſichtig, 

2 daß 


116 Don den Simmern. 


daß er von allem Betruge der Sinne fren feyn folte, und 
daß er niemals durch ein Blendwerk Eräftig bezaubert were 
den folse, Allein je dummer die Zeiten und Perfonen find, 
defto leichter und häufiger find die Fräftigen Blendwerfe der 
Sinne. Daher die Gaufler in der Religion niemals und 
nirgends mebr Beyfall finden, als unter dem Pöbel, unter 
dummen $euten, und in finftern Zeiten. Die Aufklärung 
der Wiſſenſchaften entdeckt die Borurtheile der Welt, und 
fegt alfo dem Betruge der Sinne mädjtige Hinderniffe in 
den Weg. 
§. 548. 

Wenn man bedenft, wie viele groffe und gefährliche 
Irrthuͤmer, aus den Betrügereyen der Sinne, z. E. aus 
den Gaufeleyen in der Neligion, entftanden find, und noch 
entftehen : fo wird man es für eine hachft wichtige Sache 
Halten, einen Menfchen dafür in Sicherheit zu fegen. Nun 
Fan diefes erftlich gefchehen, werm man, durch eine gefunde 
Vernunftlehre, die Fertigkeit erlangt, aus angenommenen 
Gründen auf eine richtige Art die Folgen herzuleiten. Und 
zum andern, wenn man die Vorurtheile entdeckt, worauf 
der Betrug der Sinne, und die Fräftige Würfung aller 
Gaufeleyen, beruhet. Lind da wollen wir ein fünffaches 
Borurtheil bemerfen, durch welches wir verleitet werden 
Fönnen, bey Gelegenheit unferer Empfindungen auf falſche 
Borftellungen zu gerathen, und es iſt zu wünfchen, daß 
man noch mehrere Vorurtheile entdecke, die vielleicht hieber 
gehören, 1) Das Vorurtheil des Thomas: wenn man 
annimt, daß Öasjenige, was wir felbft nicht erfabs 
ven, oder Elar einpfinden, nicht würklich, oder wohl 
gar nicht einmsl möglich fey, und auch von andern 
nicht erfabren werde, ob fie gleich in andern Um⸗ 
ftanden fich befinden als wır. Mac) diefem Borurs 
theile leugnete Thomas die Auferftehung Chriftt, weil er 
felbft ihn nicht gefehen hatte, ja er feßte fich es recht vor, 
fie fo lange zu leugnen, bis er felbft ihn würde gefehen und 
mit feinen Händen betafter haben. Cs ift aber ein a 

ar 











Don den Sinnen. 117 


bar falfcher Sat. Was ich nichf empfinde, das fan mir . 
nicht gegenwärtig ſeyn, oder ic) merfe wenigftens feine Ges 
genmwart nit. Da aber meine Sinne nicht allwiſſend find, 
fo fan es demohnerachtet gegenwärtig, wenigftens an ans 
dern Orten und zu andern Zeiten feyn, und es Fan alfo von 
andern $euten erfahren werden, Es ift daher fehr unges 
reimt, wenn man anderer Leute Erfahrungen bloß deswe— 
gen leugnet, weil man felbft fie nicht hat, wie die Freygeis 
fter die übernatürlichen Erfahrungen der Frommen leugnen, 
weil fie felbft fo unglückfeelig find, und diefelben nicht ha— 
ben. Unterdeſſen begehen unendlich viele Leute den Fehler, 
daß fie nach diefem Vorurtheile fhlieffen, und deshalb von 
ihren Sinnen betrogen werden. So leugnen viele die Bes 
wegung des Erbbodens, weil fie diefelbe nicht erfahren, 
und daher glauben fie, daß man mit Händen greifen Fönne, 
der Erdboden ftehe ftille, Allein ein anderes ift es, wenn 
wir fagen: mir erfahren nicht, daß etwas fey; und ein an- 
deres, wenn wir fagen: wir erfahren, daß es nicht fey. 
Das erfte Fönnen wir unendlich ofte mit Wahrheit fagen, 
wir erfahren z. E. die Bewegung der Erde nicht. Das 
legte aber koͤnnen wir niemals, mit Wahrheit, fagen. Denn 
Feine richtige Empfindung Fan verneinend fern. Sie müfte 
uns aledenn was abmefendes vorftellen, allein wir empfins 
den nur das Gegenwärtig. Folglich betruͤgen mir uns 
allemal, vermöge diefes Vorurtheils, in unfern Exrfahruns 
gen, wenn wir verneinende Erfahrungen machen, oder arte 
nehmen, daß die Erfahrung ung unmittelbar unterrichte, 
daß etwas nicht fey, oder daß es diefes oder jenes Praͤdicat 
nicht habe. Daher verbergen die Tafchenfpieler die Ark, 
wie fie etwas thun, vor den Hugen der Zufchauer, und eben 
dadurch machen fie ihnen ein Blendwerf vor, weil Die meia 
fen Menfchen dasjenige leugnen, was fie nicht ſehen. 
2) Was mit einer gewiffen Dorftellung einigermafe 
fen übereinftimt, das ſtimt gänzlich mit ihr überein, 
oder ift fie felbft, Dieſer Sag ift offenbar falfch, weil 
diejenigen Dinge, die einigermaffen einander ähnlich und 

53 gleich 


118 Von den Sinnen. 


gleich find, doch fehr weit von einander unterſchieden ſeyn 
koͤnnen. Dieſes Vorurtheil iſt ebenfals, eine ſehr fruchr- 
bare Quelle des Betrugs der Sinne. Ein Menſch hat 
z. E. in theologiſchen Buͤchern, die Beſchreibungen der übers 
natürlichen Gnadenwuͤrkungen gelefen, oder er hat fich, 
durch den mündlichen Unterricht, eine Vorftellung von den= 
fefben gemacht. Nun fpühre er bey fih, wenn er etwa in 
der Bibel lieſt, gewiſſe Veränderungen, die eine Aehnlich— 
Feit mit vorerwehnter Borftellung haben. Ohne weiteres 
Bedenken nimt er nun an, daß er die Gnade GOttes in 
feiner Seele fühle. Und alle gründliche Gottesgelehrte wif- 
fen, daß ein folder Menſch fich eben fo betrügen Fan, als 
em Menfch, der in der Mache etwas hört oder fieht, und 
um der Aehnlichkeit deſſelben willen, mit den Geſpenſterhi— 
ſtorien, die er im Kopfe hat, ohne weitere Unterſuchung es 
für. ein Geſpenſt hält, =) Dinge, die neben einander 
wuͤrklich find, oder anf einander folgen, von denen 
ift das eine die wuͤrkende Urſach des andern, vers 
mittelft eines reellen Zinfluffes. Diefer Satz ift offens 
Dar falfch. Unendlich viele Dinge, 3. E. Menfchen, find 
in der Welt neben einander, oder folgen auf einander, die 
zwar, um des allgemeinen Zufammenhangs willen mit eins 
ander verbunden find, doch aber nicht fo, daß fie einander 
durd) einen reellen, Einfluß zunächft, oder auf eine nähere 
Art hervorbringen. Auf diefe Art betrügen fich manche 
Aerzte, welche einem Kranken Arzeneyen geben, und die gu— 
ten Beränderungen, welche auf den Gebrauch der Arzeneyen 
folgen, für Würfungen der Arzenenen halten; eben fo, als 
wenn alle merkwürdige Begebenheiten, die auf einen Co: 
meten erfolgen, für Würfungen deffelben gehalten werden. 
Diefes Vorurtheils bedienen ſich ebenfals die Tafchenfpieler. 
Sie nehmen eine Handlung vor, welche zu dem, was fie 
machen wollen, gar nichts beyträgt. Unterdeſſen da fie 
diefelbe zugleich oder Furz vorher verrichten, fo bilder fich 
der leichtgläubige Zufchauer ein, die Sache fen durch Diefe 
Handlung gefihehen. 4) Was wir in einigen, vielen, 

| oder 








Don den Sinnen ug 


oder in den meiften Dingen einer Art und Gattung 
erfahren, das komt allen Dingen derfelben Art und 
Gattung zu. Es it unnöthig zu fagen, daß diefer Sag 
falfc) fen, denn jedermann fü eht, daß er von dem Beſon— 
dern aufs &llgemeine auf eine unrichtige Are ſchließt. Uns 
terdeſſen betruͤgen wir uns in unſern Empfindungen, ver⸗ 
moͤge dieſes Vorurtheils, ſo ofte, ſo ofte wir abſtracte und 
allgemeine Vorſtellungen, Urtheile und Wahrheiten, fuͤr 
Erfahrungen halten, und uns einbilden, die bloſſe Erfah— 
rung zeige uns die Allgemeinheit einer Vorſtellung. Dieſes 
iſt aber gar nicht moͤglich. Die bloſſe unmittelbare Erfah— 
rung iſt allemal eine Empfindung, und folglich eine Vor— 
ſtellung einzelner gegenwaͤrtiger Dinge, welche alſo keine 
abſtracten und allgemeinen Dinge ſind. So betruͤgt ſich 
ein jedweder, welcher durch ſeine Erfahrung zu 4 ſich 
einbildet, daß es niemand mit ihm gut meyne, daß eine 
Arzeney in allen Fällen aut fen, meil er fie in den meiften 
für que befunden, u. fe w. 5) Die Sufferlichen Eins 
pfindungen jtellen uns, die Defchaffenheiten und 
Groͤſſen der Gegenftände felbft, vor 5; oder fie find 
Bilder, welche uns nicht nur zunächft eine Befchaffenheie 
in dem Gegenſtande vorftellen, fondern welche auch derfel- 
ben aͤhnlich ſind. In diefem Irrthume ſtecken die aller- 
meiſten Menſchen, und das iſt Die vornehmſte Urſach, war— 
um nachdenkende Koͤpfe auf den Einfall gerathen ſind, zu 
ſagen, daß die Sinne uns betruͤgen. Jederman bildet 
fi) ein, er ſaͤhe es mit Augen, daß die Roͤthe in dem ro— 
then Tuche ſey, u. ſ. w. Allein ein geringes Nachdenken 
kan uns, von der Unrichtigkeit dieſer Einbildung, uͤberfuͤh— 
ren. Sch will nur zwey Beyſpiele, zur Erläuterung, ans 
führen. Geſetzt, wir fehen einen rothen Körper: fo mag 
man eine Theorie von den Farben annehmen, welche man 
will, fo ift unleugbar, daß die Lichtſtralen unter einem ge« 
wiſſen Winkel, und in einer gewiſſen Stärke, zuruͤckgeworf⸗ 
fen werden, und in die Augen fallen. Dafelbft bringen fie 


eine gewiſſe Bewegung hervor, und die empfindet die Seele, 
24 und 


120 Von den Sinnen, 


und die nennen wir roth. Folglich Fan dieſe Empfindung, 
weil fie uns eine Würfung der Lichtftralen vorftelt, Feine 
Beichaffenheit des Gegenjtandes uns vorftellen, fondern der 
Körper muß nur fo befdyaffen fenn, daß er das Licht derge« 
ſtalt zurüchwirft, wie e8 zur Hervorbringung dieſer Würs 
fung erfodert wird. Auf eine ähnliche Art verhält es ſich, 
wenn uns ein viereckigter Thurm von ferne rund zu feyn 
fheint. Aus der Optif Fan man lernen, daß die bLichtſtra— 
len, die von einem eckigten Körper abprallen, endlich, nad) 
den Gefegen der Bewegung, in einen Circul zufammen: 
flieffen, und alfo müffen fie im Auge ein rundes Bild mas 
chen. Folglich betrügen uns unfere Augen nicht, wenn fie 
uns einen eckigten Körper von ferne als rund vorftellen, 
fondera wir betrügen uns felbft, wenn wir uns einbilden, 
daß die Körper accurat fo beſchaffen find, als die Würfun« 
gen, die fie in den Werkzeugen unferer Sinne verurfadyen, 
und die Empfindungen derfelben, Da nun die Werfjeuge 
der Sinne, bey verfchiedenen Menfchen, verſchieden fenn 
fonnen; fo Fan ich unmöglich wiſſen, ob meine Empfindun« 
gen eben fo find, als die Empfindungen anderer Seute; Viel⸗ 
leicht find die Menfchen darin gewaltig von einander vera 
fchieden, und vielleicht empfinde ich die Gröffe einer Elle 
eben fo, nie derandere dreyvierthel Ellen empfindet. Oder 
man feße, daß ich und ein anderer eine Gröffe fehen, die 
wir alle beyde der Laͤnge nach eine Elle nennen ; gelegt, Daß 
durch ein Wunderwerf die Empfindung, die der andere von 
diefer Gröffe hat, in meine Seele verfegt würde: fo würde 
vielleicht diefelbe eben die Empfindung fenn, die ic) gewoͤhn— 
fichee Weife von einer Gröffe habe, die ich drenvierthel 
Ellen zu nennen pflege. Dieſer Gedanfe wird vermuth- 
lich, den meiften $efern, fehr felefam zu fenn feheinen; allein 
man wird ben genauerem Nachdenken finden, daß er- nicht 
ohne Grund angenommen werben Fan, - 


549 
Aus den vorhergehenden Unterfuchungen erhellet dem⸗ 
nach, daß wir, wenn wir verſichert ſind, daß wir keine 
Vor⸗ 








Von den Sinnen. 121 


Vorſtellung, die wir aus unſern Empfindungen herleiten, 
für die Empfindungen felbft halten, uns völlig von der 
Wahrheit unferer Empfindungen verfichert halten Fönnen, 
und daß wir uns auf diefelben mit der ungezweifelften Zu- 
verfiche verlaflen Eönnen. Folglich haben alle unfere Em- 
pfindungen, die in der That Feine andere Vorftellungen als 
Empfindungen find, und welche mit feinen andern Borftels 
luungen untermengt find, eine völlige und ungezmweifelte 
Gewißheit $. 504, Allein das ift eine ganz andere Frage: 
ob wir Menfchen uns in allen Fällen zuverſichtlich auf un: 
fere Empfindungen, oder auf diejenige Erfenntniß, die wir 
für Empfindungen und Erfahrungen halten, verlaffen Eöns 
nen? Wenn man bedenft, wie tief die Borurtheile bey ung 
ſich einwurzeln fönnen, wie nafürlich e8 uns werden Fan, 
nach ihnen zu fhlieffen, und mie unvermerfe wir den Feh— 
ler des Erfchleichens begeben Fünnen: fo wird man gerne 
zugeftehen, daß man die allergenauefte Unterſuchung anftel: 
fen müffe, ehe man eine Erkenntniß, die wie für eine Er. 
fahrung halten, für gewiß anfehen. Man muß erft unter 
fuchen, ob das, was ntan für eine Empfindung hält, in der 
That eine Empfindung fey. Alsdenn erft, und nicht eher, 
fan man von ihrer Wahrheit überzeugt feyn. Da nun zu 
diefer Unterfuchung fehr viel Nachdenken und Ueberlegung 
erfodert wird, fo fan man leicht zeigen, daß der Weg ver 
Erfahrung, fo wie ihn die Menfchen wandeln, eben ver 
Gefahr zu irren ausgefeßt fen, als die übrigen Wege der 
menfchlidyen Erkenntniß. Jederman weiß ja, daß Leute 
ofte ihr Leben zum Pfande fegen folten, daß fie etwas mit 
\ ‚ihren eigenen Augen gefehben. Sie zweifeln nicht im ge— 
ringſten an der Wahrheit deffelben, und gleichwohl findet 
man nur gar zu ofte, daß es falfch fey. Und das ift die 
Urfah, warum felbft die Gelehrten, in ihren vermeinten 
Erfahrungen, ofte einander widerfprechen. 


$ 550. 
Wir haben, bey unfern Empfindungen, noch) eine 
merkwuͤrdige Veränderung anzumerken, Da nemlid) die 
25 Empfin- 


122 Von den Sinnen. 


Empfindungen, wenn fie neu find, eben um ihrer Neuig— 
feit willen, einen hohen Grad der Klarheit und Stärfe be- 
fisen, wenn fein anderweitiges Hinderniß ihrer Klarheit 
und Stärfe vorhanden ift $. 523, fo fan man aud) fagen, 
daß die Empfindungen, wenn fie lange in der Geele fort: 
Dauren, und nicht anderwerts woher einen Zufluß von ftär« 
kerm Lichte erhalten, felbit durch die Zeit und ihr Alter vers 
dunkelt und gefehwächt werden. Die Neuigkeit ift nicht, 
die einzige Duelle der Klarheit der Empfindungen. Folge 


lih Fan eine Empfindung lange fortdauren, und nady und 


nad) immer Elärer und ftärfer werden, wenn z. E. ihr Ge 
genftand, und deſſen Würfung in die Werkzeuge unferer 
Sinne, vermehrt wird. Gefegt, daß ich eine Wunde be» 
fomme: fo Fan die Empfindung des Schmerzes viele Wo- 
hen hintereinander fortdauren, und mit der Zeit viel ftärfer 
und heftiger werden, wenn die Wunde fid) immer mehr 
und mehr verfchlimmert, und der Wundarzt genöthigee 
wird, zu brennen und zu fehneiden, Allein wenn eine Em- 
pfindung lange in der Geele fortdaurt, und durch Feine an- 
derweitigen Urfachen vermehrt wird ; fo nimt, der Grad 
ihrer Klarheit, von felbft mit der Zeit immer mehr und 
mehr ab, je älter fie wird. Denn ihre Neuigkeit nime alle 
Augenblick ab, und ihr Alter nimt beftändig zu, und fie 
wird alfo natürlicher Weiſe von felbft immer dunfeler und 
ſchwaͤcher. Dazu fomt noch, daß neben ihr beftändig im- 
mer andere und andere Empfindungen und Borftellungen 
entftehen, wodurd) die Aufmerkſamkeit zerftreuet, und von 
diefer Empfindung abgezogen wird. Folglich wird ihre 
Klarheit, durch andere Borftellungen, immer almälig ver- 
minderts Daher fomts, daß wir manche Empfindungen 
gar nicht mehr merfen, z. E. den gewöhnlichen Schlag des 
Herzens, den kauf des Bluts, den Druck der $uft, ob man 
gleid) unleugbar fieht, daß man diefe Dinge empfinde, 
Wenn ein Verbrecher auf ven Beltungsbau gebracht wird, 


fo ift ihm die neue Lebensart im Anfange unleidlich, endlih 


empfindet er diefelbe nicht fonderlich, So gebt es auch, mit 
allen 


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Von den Sinnen. 123 


allen angenehmen Sebensarten, im Anfange. Wer nad) 
einer bisherigen fhlechtern Lebensart zuerft einen guten 
Tiſch befomt, der hat die lebhafteften Empfindungen tes 
Geſchmacks. Endlich wird er des guten Tifches gewohnt, 
und er ift von den beften Gerichten, ohne fonderlich lebhafte 
Empfindung. Dian fan überhaupt fagen, daß unfere Ems 
pfindungen niemals, in einem gleichen Grade, fortdauren 
fönnen, Denn fie werden entweder, durch eine anderwei— 
tige Urſach, in ihrer Fortdauer Elärer und ſtaͤrker, oder nicht, 
In dem legten Falle werden fie, von einem Augenblice zum 
andern, dunfeler und ſchwaͤcher, wie ich gezeigt habe, ob 
man gleich diefe Abnahme nicht alfobald merken Fan. Wenn 
alfo eine Empfindung ihren höchften Grad erreicht hat, defs 
fen fie in unferer Seele fähig iſt; fo nimt fie wieder ab, 
weil es unmoͤglich if, daß fie gröffer werden folte. Daher 
komts, daß, wenn Freude und Betruͤbniß am beftigften 
find, fie wieder abnehmen. Sehr flarfe Empfindungen 
haben Feine lange Dauer. Die ſtaͤrkſten Wollüfte find kurz, 
mäßigere Empfindungen * koͤnnen laͤnger dauren. 
5. 

Aus der bisherigen Theorie von unſern Empfindun— 
gen laſſen ſich, einige Zuſtaͤnde unſerer Seele, erklaͤren, wo⸗ 
bin wir vor allen Dingen den Schlaf und das Wachen 
rechnen. Es gibt Leute, welche ſchlechterdings nicht zuge: 
ben wollen, daß die Seele wache oder ſchlafe, und weldhe 
ennehmen, daß diefe Veränderungen bloß unfern Leib an« 
aehen. Nun geben wir gerne zu, Daß in dem Leibe, beym 
Wachen und Schlafen, nothwendig gewifle Veränderungen 
angetroffen werden müffen, und daß das Schlafen und Was 
chen der Seele, von dieſen Veränderungen, abbange, Al: 
lein wir müffen dasjenige, was bey ſolchen Zuftänden in 
Ber Seele vorgeht, von demjenigen unterfcheiden, was da- 
bey in dem Körper fi) zuträgt, und das erfte gehört in bie 
Pinchologie, was aber in dem Korper vorgeht, muß in der 
Phyſiologie unterfucht werden. Nun fagen wir, daß wir 
wischen, wenn unfere aufferlichen Empfindungen Flar find; 

oder 


124 Don den Sinnen, 


oder wenn wir uns, des gegenwärtigen Zuſtandes unferes 
Körpers, bewußt find. Und wir wachen auf, wenn wir 
anfımgen, ung des gegenwärtigen Zuftandes unferes Koͤr⸗ 
pers bewußt zu werden. Wenn mir frühmorgens aufivas 
chen, fo werden wir uns unferes Körpers bewußt, und mir 
werden ungdes Schlafzimmers, des Bettes bewußt, wir hören 
und fehen, mit einem Bewußtſeyn. Se lange alfo nur eis 
nige Aufferliche Empfindungen Elar find, fo lange wachen 
wir. Wir fchlafen ein, wenn unfere äufferlihen Em— 
pfindungen verdunfelt werden, und die Bewegungen unſe⸗ 
res $eibes, ohne welche wir nicht lebendig bleiben Fönnten, 
bey nahe eben fo bleiben als im Wachen, z. E. der Puls- 
ſchlag, der Umlauf des Bluts, die Verdauung. Einige 
Veränderung geht freylich mit diefen Bewegungen beym 
Einfchlafen vor, allein fie ift unmerklich. Der Schlaf 
ift demnach derjenige Zuftand der Dunkelheit aller unferer 
äufferlichen Empfindungen, in welchem diefe Lebensbewe— 
gungen des $eibes, fo viel man merfen fan, eben fo bleiben 
ats Im Wachen. Im Schlafe fonnen, wenn wir träumen, 


unfere innerlichen Empfindungen klar bleiben, und folglich _ 


beruhet, der ganze Unterfchied des Wachens und des Schlafs, 
wos die Seele betrift, auf den äufferlichen Empfindungen, 
welche im Wachen Elar, im Schlafe aber ſaͤmtlich dunkel 
find. Im Schlafe weiß man nicht, wo man ift, und felbft 
die Rranfheiten des Leibes merft man ofte im Schlafe nicht. 
Der Schlaf verſchaft unſerer Seele einen doppelten Bors, 
theif, und eben Deswegen ift er der Seele natürlicher Weiſe 
nothwendig. Einmal würde, die endliche Kraft unferer 
Seele, ermübet werden, und endlich ganz mat werden, 
menn fie ſich nicht im Schlafe wieder erholte, Endliche 
Kraͤfte, die immer ohne Unterbrechung in einem hohen 
Grade wuͤrkſam find, werden verdorben. Und zum an— 
dern befommen nach dem Schlafe, unfere äufferliche Ems 
pfindungen, wiederum eine Neuigkeit; und folglich be: 
fördert der Schlaf die Klarheit derſelben. Beydes bes 
ftäriget bey uns, Die tägliche Erfahrung. Und der Schlaf 

ift 


ee 


u - 








Don den Sinnen, 125 
ift alfo der Schatten der Seele, welcher die Klarheit ber 


Erkenntniß im Wachen erhöhet, 


G. 552. 
Da wir von unferer Geburf an, wenn wir wachen, 
beftändig Flare Empfindungen haben, fo weiß ein jedweder 
Menfd) aus feiner Erfahrung, wie klar feine Empfindun- 


| gen gewöhnlicher Weife zu feyn pflegen. Bey einem jed- 


weden Menfchen haben, Die Werfzeuge der Sinne, eine 
gewiſſe bejtimte Einrichtung, und feine Aufmerkfamfeie 
bat einen gewiffen Grad. Da nun von beyden, der Grad 


| der Klarheit der Empfindungen, abbanget $. 536. 507, fo 


ift der eine Menfch eines gröffern Grades der Klarheit in 
feinen Empfindungen fähig, als der andere. Krankheiten 
koͤnnen diefen Grad ungewöhnlich verändern, fehmächen 
oder vermehren. Allein fo lange ein Menfch gefund ift, 
fo lange haben feine Empfindungen einen gewiffen gewöhn: 
lichen Grad ver Klarheit, den ein jeder Menfch aus der 
Erfahrung recht gut Fennt, und alfobald wiſſen Fan, ob 
feine Empfindungen diefen Grab haben, oder nicht. So 
lange nun unfere Empfindungen diefen bey uns gemöhnli- 
chen Grad der Klarheit haben, fo lange fagen wir, daß 
wir bey uns felbft find, oder daf wir unferer mäch- 
tig find. Alsdenn find wir in einem uns gewöhnlichen 
Grade bewußt, mo wir find, mit wen wir reden, oder 
ſonſt zu thun haben, welche Zeit es iſt u. few. Folglich 


| fönnen wir alsdenn allen unfern Umftänden, in denen wir 


ung befinden, gemäß denfen und handeln. Wenn nun 


| einige Empfindungen in einem fo hohen und ungemöhnli- 


chen Grade flar werden, daß alle übrige Empfindungen 


| merflich durch fie verdiinfelt werden, fo wird man auffer 


ſich gefesst, man ift nicht bey fich felbft, man ver⸗ 


| giße feiner ſelbſt. So Fan ein Menfch in heftigen Lei— 
| denfchaften, durch Zorn, Rachgier, Liebe, auffer fic) gefeßt 
| werden. Die Empfindung der Beleidigung wird bey ei- 
| nem Zornigen fo lebhaft, daß er nichts weiter fieht und 
hoͤrt. Er ift fih des Dres, der Zeit, und anderer Um— 


ftände 


126 Don den Sinnen. 


jtande nicht mehr bewußt. Gr denkt nicht mehr an feine 
eigene Würde, Daher redet ind handelt er ganz anders, 
als feing;eigene Wuͤrde, und Die übrigen dermaligen Um- 
ftände erfodern. Eben fo Fan ein Menfch, durch Schreck, 
auffer fich gefeßt werden. Wenn ein Menſch durch inner— 
lihe Empfindungen aufler fic) gefeßt wird, fo wird er ents 
zuͤckt, und die Entzuͤckung if der. Zuftand der menfch- 
lichen Seele, in welchem fie durch innerliche Empfindungen 
auſſer fich gefegt wird. So entzücken Redner und®Dich- 
ter, wenn fie fo ſchoͤne Gedanken in ihren Leſern und Zur 
hörern hervorbringen, daß das Gefühl diefer Schönheiten 
Diefelben ganz einnehmen, und fie aufier fich feßen. Und 
das Fan ganz natürlid) zugeben, weil ein gröfferes Licht das 
Fleinere verdunfele 9 508. Folglich gibt, es natürliche 
Entzuͤckungen, welche durch die Natur der Seele, nad) den 
Regeln der Veränderungen der Erkenntniß, und der Er- 
Eenntnißvermögen, gewürft werden 6.1406, Eine Ent: 
zuͤckung aber würde eine unnatürliche Veränderung der 
Seele ſeyn, wenn fie nicht durch Die Matur der Seele, ſon— 
dern durch) die Natur eines andern Dinges gewürkt würde 
$. 413; und wenn fie nod) dazu Durch die Natur Feines 
einzigen endlichen Dinges gewürft würde, fo wäre fie eine 
übernatürlihe Entzuͤckung, und ein Wunderwerk in der 
Seele $. 415. 414. Ein Weltweiler Fan nicht annehmen, 
daß es in der menfchlichen Seele wuͤrklich übernatürliche 
Entzükungen gebe. Er weiß nur von ihnen fo viel, als 
er von allen übernatürlichen Begebenheiten und Wunder- 
werfen weiß, nemlich daß fie an fi) und unter gewiſſen 
Dedingungen möglich find $. 415. 451:470, Ein Menfch 
fan manchmal mehr, manchmal weniger auffer fich gefegt 
und entzuckt werden, nachdem Die Empfindung, die ihn 
auffer fich feßt, einen gröffern oder Fleinern Grad der Klar- 
heit bat, und nachdem fie alle übrige mehr oder weniger 
verbunfele. Wenn eine Empfindung fo Elar ift, Daß fie 
die ganze Aufmerkſamkeit bejchaftiget, und alle übrigen 
ganz verdunkelt, fo Fan ein Menſch nicht ſtaͤrker auffer fich 

gelegt 


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| 





— TTS — 








® 2, 
Don den Sinnen, 327 


gefegt werden. Paulus ward, in den dritten Himmel, ent— 
züdt. Er macht davon eine folche Befchreibung, welche 
nicht nur unfere Erklärung beftätiget, fondern auch zeigt, 
daß er in einem recht hohen Grade entzückt geweſen. 


R 9. 553. 

Nicht nur durch den Schlaf, und alsdenn, wenn der 
Menfch auffer fich gefegt wird, wird der Grad der Klarheit 
der Empfindungen merklich) vermindert, und wohl gar alle 
Klarheit derfelben ganz vertilgtz fondern es gibt auch) noch 
einen andern Zufall, durch welchen, eben diefe, Berande- 
rung in unfern Empfindungen, hervorgebracht wird. Nem- 
lich Die Klarheit und Stärfe der Empfindungen, fonderlich 
der äufferlichen, hanget von der gehörigen Bewegung der 
Werkzeuge der Sinne, der Merven und des Gehirns ab 
6.536. Felglich müffen die Nerven, ftarf und geſchwinde 
genung, bewegt werden fonnen. Nun können Die Nerven 
durch Dünfte, die ins Gehirne fleigen, und in die Nerven 
felbft dringen, fchlaf werden, und alsdenn bewegen fie fid) 
langfamer und fchwächer, wie die Säyten einer Violine, 
wenn fie nicht ſtraf genung angezogen find, einen ſchwaͤ— 
chern Ton von fi) geben. Wie diefe Beränderung in der 
Merven durch Dünfte, oder auf eine andere Art erfolge, 
das mögen Diejenigen weiter und genauer unterfuchen, tel 
che den menfchlichen Körper genauer betrachten, Ans ift 
es bier genung, wenn wir anmerken, daß diefe Sache fich 
in der That angezeigter Maaffen verhalte. Wenn nun die 
Nerven famt dem Gebirne, durch Dünfke, zu der gehöri- 
. gen Bewegung ungeſchickter gemacht werden; fo wird auch 
der Grad der Klarheit ver Empfindungen, mitten im Was 
chen, merflich vermindert. _ Und wenn diefe Dünfte von 
dem Getränke herrühren, fo fage man, der Menſch wers 
de berrunfen, rühren fie aber von einer Krankheit her, 
fo wird er fehwindlicht, und fein Zuftand heißt der 
Schwindel. Leute, die eine Anwandelung vom Schwin- 
del bekommen, fagen felbit, es ſey ihnen, als wenn fie be— 
trunken waren, Es fcheint ihnen, als wenn alles mit ihnen 

in 


107° Von den Sinnen. 


in einem Greife herum gehe, und wenn der Schwindel 
groß ift, fo hören und fehen fie nicht, fondern es wird ih- 
nen ganz ſchwarz vor den Augen. Ein Betrunfener fieht 
und hört auch nicht vecht, man muß ihm gewaltig in die 
Ohren fehreyen, wenn er hoͤren foll, und er felbit vedet fo 
lauf, als wenn andere Leute eben fo taub wären, als er 
felbft. Dieſe beyden Zuftande beftätigen viele Stüde un- 
ferer Theorie von den Empfindungen, welche wir bisher 
vorgetragen haben, 


$. 554 

Endlich gebört audy noch hieher die Ohnmacht, und 

der Tode. Kin Menſch faͤlt in Ohnmacht, wenn alle 
feine äufferfihen Empfindungen ganz verdunfelt werden, 
und zu gleicher Zeit diejenigen Bewegungen feines Leibes, 
ohne welchen er nicht leben Fan, fehr merklich geſchwaͤcht 
werden. im Schlafe werden diefe Bewegungen nicht 
merflich vermindert; allein in der Ohnmacht hören fie zwar 
nicht ganz auf, fie werden aber ofte fo ſchwach, daß man 
kaum den Othem und den Pulsfchlag bemerfen Fan. 
Manche ohnmächtige Leute werden wohl gar, für todt, ge— 
halten. Und fo lange diefer Zuftand fortdaurt, fo lange 
liege der Menſch in der Ohnmacht. Wenn aber nicht 
nur alle äuffertichen Empfindungen der Seele verdunfelt 
werden, fondern auch die Sebensbewegungen in dem Koͤr— 
per ganz aufhören, fo ftiebt der Menſch, und es erfolge 
der Todt deſſelben. Im Sterben hört der Puls zu fchla= 
gen auf, der Othem entgeht dem Menfchen, und die Ma- 
fehine des Körpers wird zerſtoͤhrt. Ob bey dem Todte des 
Menfchen noch mehr Berändernngen vorgehen, das läßt 
fich durch die bloffe Erfahrung niche ausmachen. So viel 
aber wollen wir noch bemerfen, daß nicht nur die Ohn— 
macht ein mitler Zuftand, zwifchen dem Schlafe und dem 
Todte, fen; fondern daß auch dieſe drey Zuftände, was 
die Seele betrift, einander fehr ahnlich find, indem in als 
len dreyen, die Aufferlichen Empfindungen der Seele, ganz 
verdunfele werden, Man Fan demnach, von einem 
ven 


en REN 





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Von den Sinnen. 129 
ben auf den andern, mit vieler Wahrfcheinlichkeit ſchlieſſen. 
Und gleichwie es einem Menfchen, wenn er einfchläft, nicht 
übel zu Muthe ift, auch nicht in dem Augenblicke, da er 
ohnmächtig wird, ob ihm gleich vorher übel zu Murhe ift; 
fo kan man zwar zugeben, daß vor dem Todte viele aͤngſt— 
liche Empfindungen vorhergehen fünnen, der Hugenblic 
des Sterbens aber Fan Feine fehmerzbafte Empfindung vers 
urfachen, weil der Todt die Seele in diefem Augenblicke 
fuͤhlloß macht, oder weil er verurſacht, daß fie aufhört, fich 
ibves Körpers bewußt zu ſeyn. Manche Menfchen, wenn 
man auch von den moralifchen Betrachtungen über den 
Tode abſtrahirt, fürchten ſich entfeglich vor dem Tode, weil 
fie glauben, daß er ihnen die allerfchmerzhaftefte Empfin: 
dung verurfachen' werde. Allein die Natur felbft zeigt 
uns, durch den Schlaf und die Ohnmacht, daß man ſich 
in Diefem Stuͤck gewaltig betrüge. 


EEE ERKKKKER ET ERIK FF RR EEE 
Der andere Abfchnitt, 
von der Einbildungsfraft. 


$. 555. 

dag ir find ung, unferer vergangenen Veränderungen und 
Zuftande, bewußt. Täglich erfahren wir diefes, 

indem mir uns heute in unfern Gedanfen mwiederum vor- 
ftellen fonnen, was wir vor einem Augenblicke, vor etli— 
chen Stunden, Tagen und Jahren gefehen, gehört, ge— 
ſchmeckt und überhaupt gedacht und empfunden haben, 
Eine Kinbildung it eine Vorftellung, unferes vergange- 
nen Zuftandes. Wenn wir an unfere vergangenen Zu— 
ſtaͤnde und Veränderungen gedenfen, oder fie uns Far por- 
ftelfen, fo haben wir auch eine Einbildung ; allein wir Eön- 
nen auch dunfele Einbildungen haben, und alsdenn fteffen 
wir uns, unfere vergangenen Zuftände, dunkel und ohne 
Bewußtſeyn vor. Das Wor Ensilvung hat auch eine 
fchlimme Bedeutung, indem man Darunter Falfche Morſtel— 


3, Theil. 


8— ungen 


130 Don der Einbildungskraft. 


Iungen überhaupt, und infonderheit von vergangenen Din 
gen verfteht. So fagt man, daß ein Menfch ſich etwas 
bloß einbilde, wenn er uns erzehlt, GOtt fen ihm erfchies 
nen, oder er habe ein Öefpenft gefeben, und dadurd) wollen 
wir zu verftehen geben, er mache fich eine falfche Vorſtel— 
lung. Allein man braucht auch im gemeinen Leben dieſes 
Wort in derjenigen Bedeutung, die wir ihm gegeben haben, 
indem wir einem Menfchen eine ftarfe Einbildungsfraft 
zufchreiben, wenn er uns vergangene Sachen fo lebhaft er= 
zehlen Ean, daß es it, als wenn wir fie mit Augen ſaͤhen. 
Da wir nun unleugbar Einbildungen haben, fo befißt auch 
die Seele ein Erfenntnißvermögen, wodurch es ihr moͤg— 
lich ift, fich ihre vergangenen Zuſtaͤnde wieder vorzuftellen, 
und diefes Bermögen nennt man die Einbildungskraft, 
oder die Phantaſie. Da wir uns nun durch Diefes Vers 
mögen nichts anders als unfere vergangenen Zuftände vor— 
ftelfen, diefe Zuftände aber zu den vergangenen Zuftänden 
der Welt gehören; fo ift unfere Einbildungskraft nichts an— 
ders als ein Vermögen, das Vergangene in der Welt ſich 
vorzuftellen. And wenn die Seele ſelbſt Einbildungen in 
fih würft, fo braucht fie dazu Feine andere Kraft, als Die 
Borftellungskraft der Welt 9,488. Wenn die, Seele 
durch diefe Kraft fich die Welt vorftelt, fo Fan fie ſich auch 
vermöge derfelben das Vergangene vorftellen,. Und in fo 
ferne befißt fie die Einbildunaskraft. Und da eine Einbil- 
dung würflich wird, wenn die Borftellungskraft der, Seele 
auf vergangene Dinge gerichtet wird; fo befteht vie Ein- 
bildungskraft in nichts anders, als in der Aufmerkſamkeit 
auf unfere ‚vergangenen Zuftande $. 506. 
9. 550. - 
Anfere Einbildungen find nichts anders als Wirder- 
bolungen derjenigen Empfindungen, die wir vor denjenigen 
Augenblicke, in welchen die Einbildung wuͤrklich wird, ges 
babt haben, wir mögen fie nun entweder lange vorher, oder 
Furz vorher gebabt haben. Nemlich eine Vorftellung 
wird hervorgebracht, oder entwickelt, wenn ibre Dun- 
kelheit 


ee 


at unz 


an IE pe Du 











Don der Einbildungskraft. 131 


kelheit vermindert, und ihre Klarheit hervorgebracht und 
- vermehrt wird. Sie wird eingevoickele, wenn ihre 
Klarheit vermindert wird, wenn fie dunfel wird, und wenn 
ihre Dunfelheit vermehrt wird. Sie wird aber wieder- 
holt, oder von neuem hervorgebracht, wenn fie, nach— 
dem fie eingewicelt worden, abermals entwickelt wird, 
Nun find unfere Einbildungen nichts anders, als Borftel- 
lungen unferer vergangenen Beränderungen $. 555. Ders 
gangene Dinge find einmal gegenwärtig geweſen, und folg: 
lich ftellen uns unfere Einbildungen Sachen vor, die wir 
vordem, als fie gegenwärtig waren, empfunden haben $, 
528. Damals, als wir fie empfunden, entwickelte fich ihre 
Borftellung in uns $. 529. Diefe Empfindung ward mie 
der Zeit wieder dunkeler, und alfo eingewicelt $. 350, und 
durch die Einbildung wird fie von neuem hervorgebracht 
$. 555. Folglich ift eine Einbildung nichts anders als eine 
Empfindung, die wir vordem gehabt haben, und welche in 
unferer Seele entfteht, wenn der Öegenftand derfelben ab: 
weſend, oder ung nicht gegenwärtig if. Was mir nie 
mals empfunden haben, das koͤnnen wir uns auch nicht ein: 
bitven. Wer Fan fic) vorftellen, wie eine Speife geſchmeckt 
hat, die er niemals gegeſſen? Folglich ift nichts in der Ein- 
bildungsfraft, welches nicht vorher in den Sinnen gewe— 
fen. Gleichwie GOtt der Welt durch die Schöpfung ihre 
Würflichfeit gegeben, und ihr durch die Erhaltung ihre 
Fortdauer gibt; alfo find die Sinne die Schöpfer der Bor: 
ftelfungen von diefer Welt, und die Einbildungsfraft iftdie 
Erhalterin diefer Borftellungen, Hätten wir feine Fin: 
bildungskraft, fo würden wir eine Empfindung z. E. von 
der votben Farbe, und wenn wir fie ſchon unendlich ofte ges 
babe hatten, dennoch allemal, wenn wir was rothes fehen, 
sie von neuem befommen, und fo, als damals, da wir 
zum erften male was Rothes fahen, 


§. 557. 
Die Gegenftände aller unferer Einbildungen find dem— 
nach Dinge, die wir vordem empfunden haben, die aber zu 
J2 der 


132 Don der Kinbildungskraft. 


der Zeit, da wir fie uns durch die Einbildungskraft vorftel- 
len, und in fo ferne wir fie uns durch diefe Kraft vorftellen, 
abwefend find $. 556. Wir Fonnen uns alfo, Durch diefes 
Erfenntnißvermögen, vorftellen: I) ganz vergangene Din: 
ge, die gar nicht mehr gegenwärtig find, und die wir vor— 
dem empfunden haben, 3. E. den Schmerz einer Kranfbeit, 
die wir niemals wieder befommen. 2) Vergangene Em- 
pfindungen von folhen Dingen, die zwar noch gegenwaͤr— 
eig find, allein zu der Zeit fo weit von ung entfernt find, 
daß wir fie nicht Elar empfinden koͤnnen, 3. E. wie ein gu— 
ter Freund ausfieht, der jeßt noch lebt, aber anderswo woh— 
net, als ich. 3) Das Vergangene an uns gegenwärtigen 
Dingen, 3. E. wenn ein Bekanter vor meinen Augen 
fteht, fo Fan ich mir einbilden, wie er vor einiger Zeit aus: 
gefehen, oder wie feine Stimme klingt, ob er gleich nicht 
vedet. Ja 4) wenn wir von einer Sache eine Empfin— 
dung gebabt haben, fo iſt die Erneuerung dieſer Empfin— 
dung allemal eine Einbildung, wenn fie nur nicht durch die 
Sinne gefihieht, _ Denn wenn ich 3. E. eine Perſon fehe, 
und nach einer Stunde febe ich fie wieder, fo wird meine 
Empfindung, die ich vor der Stunde gehabt habe, erneuert, 
allein das ift Feine Einbildung. Doch wenn man der Sa- 
che genauer nachdenft, fo wird man erfennen, daß, die 
Erneuerung einer Empfindung durch die Sinne, feine 
Wiederholung einer vorhergehabten Empfindung fen, ſon— 
dern eine neue Empfindung, welche aber von der vorherge— 
henden unmerklich unterfchieden ift, das ift, die Seele em— 
pfindet ein und eben diefelbe Sache zu zwey verfäriedenen 
malen, und bat alfo zwey Veränderungen, die ihrer einzeln 
Befchaffenheit nach von einander unterfchieden find. Allein 
eine Einbildung iſt eben diejenige Borftellung, die wir vor 
einiger Zeit gebabt haben, und welche eine Empfindung 
geweſen iſt. Wenn ich eine Sache ofte zu verfchiedenen 
Zeiten empfinde, fo ift es gleichfam, als wenn ich einen 
Grofchen einnehme, und nach einiger Zeit wieder einen 
Grofchen von eben demfelben Gepräge Wenn ich aber 

eine 


— 





Von der Einbildungskraft. 133 


eine Einbildung babe, fo ift es, als wenn ich einen Gro— 
fhen eingenommen, und denfelben nach einiger Zeit wieder 
in die Hände nehme. Die öftere Empfindung einer Sache 
vermehrt die Anzal meiner Vorſtellungen, das thut aber 
die Einbildung nicht. Gleichwie nun alle unfere äuffer: 
liche Empfindungen, von materiellen Bildern in dem Ge— 
hirne, begleitet werden $. 5315 alfo Fan man auch diefes 
von den Einbilvungen um vieler Erfahrungen willen be- 
haupten, wenigftens mit Wahrſcheinlichkeit. Kranfhei- 
beiten, welche die Nerven und das Gehirn angreifen, ver- 
urſachen eine aufferordentliche Würffamfeit der Einbil- 
dungsfraft, und durch Verletzungen des Gehirns fan es 
der Seele unmöglich werden, ihre Einbildungsfraft zu ge— 
brauchen. Man Fan alfo annehmen, daß das materielle 
Bild, welches bey der Empfindung in dem Gehirne ent« 
ftanden ift, wiederum von neuem entſteht, wenn durch die 
Einbildung diejenige Empfindung wiederholt wird, welche 
mit dieſem Bilde vordem verfnüpfe war. Doc) es ift 
nicht die Abfiche der Pfychologie, die Weranderungen des 
Körpers, welche unfere Borftellungen begleiten, ausführ- 
lich zu erklären. Und die Wahrheit zu fagen, fo haben 
wir es in der Weltweisheit noch nicht fo weit gebracht, daß 
wir diefe Beränderungen des Körpers hinlänglich erklären 
koͤnnten. 
$. 358. 

Wenn wir, auf die Wuͤrkſamkeit unferer Einbildungs: 
Evaft, achtung geben, fo Fan man fich nicht genung wun— 
dern, wie fie von einer Borftellung einer vergangenen Sa: 
che auf eine andere fall. Ein Paar gute Freunde, die fich 
einander lange nicht gefehen haben, reden Stunden lang 
mit einander, und zwar von faufenderley Sachen. Ge: 
feßt ich fehe den Titius, den ich vor vier Jahren ben fei- 
nen Eltern befucht, und dafelbft in einer grofien Geſellſchaft 
geweſen; fo werden mir feine Eltern famt der Gefellfchaft 
einfallen, und es wird mir auch einfallen, was dafelbft ge— 
fprochen worden. Wenn man daher, mit einer Perfon, 


4 a 


33 in 


154 Don der Einbildungstraft, 


in Gefellfchaft und in ein Gefpräch gera 6, fo gibt ein Wort 
Das andere, und man geräth von einer Vorſtellung auf die 
andere, deren Gegenftände man vordem gelefen, gehört, 
gefehen, oder irgends auf eine andere Art empfunden hat. 
Wenn man alfo auf die Würfungen der Einbildungskraft 
achtung gibt, fo wird man allemal bemerken: daß, ſo bald 
wir eine Dorftellung bekommen, die vor einiger Zeit 
ein Theil einer andern ganzen Vorftellung gewefen, 
die wir wenigftens innerlich empfunden haben, daß, 
fage ich, diefe Vorftellung die Einbildungskraft in 
Bewegung fee, als welche vermittelft diefer Vor— 
ftellung die vergangene ganze Vorftellung, und die 
mit jener vergefellfehafteren Vorftellungen, wieder 
ins Gemuͤth bringet. Und das nennt man die Derges 
fellfehaftung der Vorftellungen, welche zugleich die 
Regel der Kinbildungsfraft genannt wird, und man 
Fan fie auch Fürzer fo ausdrucken: wenn uns eine Vorftel- 
lung wieder ins Gemüth komt, die vordem ein Theil einer 
‘andern in unferm Gemuͤth geweſen, fo komt uns diefe Bor: 
frellung auch wieder ins Gemüth. Es fan demnacd) die 
Einbildungskraft Feine unferer vergangenen Vorftellungen 
wieder erneuern, wenn nicht eine Borftellung, die entweder 
ein Theil derfelben, oder. mit ihr vergefellfchaftet geweſen 
$. 495. ung wieder ing Gemüth gebracht wird, und daher 
Heißt, diefe letztere Borftellung, die Vorftellung, welche 
die Einbildungskraft lenkt. Und fie Fan entweder eine 
Empfindung feyn, oder eine Einbildung, indem eine Vor— 
ftellung einer vergangenen Sache uns immer wieder, auf 
die Borftellungen anderer vergangenen Sachen, bringen 
fan 2. E. wenn wir den Titius fehen, fo befommen wir 
von ihm wieder eine Empfindung, die wir vordem von ihm 
gehabt haben, und damals war diefe Empfindung ein Theil 
von der Empfindung der ganzen Gefellfchaft, und fie war 
mit der Empfindung von feinem Vater in unferm Gemuͤ— 
the vergefelffchaftet. Daher Ienft fie die Einbildungskraft, 
daß Diefelbe ung, die Borftellung von der ganzen gie 

ſchaft 


Don der Einbildungskraft. 335 


ſchaft und von feinem Water, wieder ins Gemüth bringt. 
Und nun fege man, daß mir fein Vater vor vielen Jahren 
einen befondern Liebesdienſt eriwiefen, fo wird die Einbil« 
dung von feinem Vater meine Einbildungsfraft fo lenken, 
daß ich an diefen Liebesdienft gedenfe. Und fo Fan man 
uͤberhaupt begreifen, wie die Einbildungskraft von einer 
Sache auf die andere fallen Fan, Vorſtellungen, die mit 
einander vergefellfchaftet find, find mit ihrer ganzen Vor— 
ftellung und unter einander serbunden, weil alle Theile un- 
fer einander und mit ihrem Ganzen verfnüpft find. Yun 
Fan eins unter verfnüpften Dingen allemal, ein Erfennt« 
nißgrund des andern, fern $.28. Folglich ift es möglich, 
Daß unfere Seele, aus einer Borftellung, nicht nur dieje— 
nige erkenne, von welcher fie vordem ein Theil gemefen, 
fondern auch diejenigen, die mit ihr vergefellfchaftee gewe— 
fen. Unterdeſſen können wir uns doc) nicht rühmen, daß 
wir in allen befondern Fallen den Grund völlig einfehen 
folten, warum die Einbildungsfraft, bey Gelegenheit einer 
Borftellung, uns eben die Borftellung, mit welcher fie in 
unferer Seele vergefellfchafter gewefen, wieder ins Gemuͤth 
bringt, und Feine andere, mit welcher fie auch) zu einer ans 
dern Zeit vergefellfchaftet gemwefen. Z. E. wenn ich einen 
alten Befanten fehe, warum fält mir nicht alles ein, was 
ich von ihm gefehen und gehört habe, oder irgends auf eine 
andere Art von ihm gedacht babe, fondern nur einiges ? 
Allein man Fan von einem Weltweiſen nur verlangen, daß 
er überhaupt den Grund der DBeränderungen der Dinge 
angebe. in befondern einzelnen allen find die Gründe 
durchgängig beftimt, und enthalten alfo fo unendlich viel 
Umftände und Beftimmungen, daß es von dem menfchlis 
chen Berftande nicht einmal erwartet werden Fan, dieſelben 
vollſtaͤndig anzuzeigen und einzufehen, 

. -$. 559. 

Wenn wir, die Einbildungen unter einander, und 
mit den Empfindungen, in Abſicht auf ihre Stärfe und 
Klarheit vergleichen, fo lehrt uns die Erfahrung folgende 

5 4 Wahr: 


130 Don der Einbildungskraft. 


Wahrheiten: 1) Die Empfindungen find. vergleichungs- 
weife klaͤrere und ſtaͤrkere Vorſtellungen, als die Einbil- 
dungen. Wir fagen nicht, daß eine jede Empfindung klaͤ— 
rer und ftärfer fen, als eine jede Ein bildung; ondern daß 
jene klaͤrer und ftärfer fen, als dieſe, wenn Ih übrigens 
einander gleich find. Die Einbildung des Abfterbens einer 
geliebten Perfon Fan allerdings die Seele dergeftalt einneh- 
men, daß wir den Gefchmack ver beften Speifen kaum 
merken, und daß uns der Appetit zum Effen und Trinfen 
auf einige Zeit ganz vergeht. Allein wenn man z. E. die 
ftärffte und Flärfte Empfindung, deren unfere Seele fähig 
ift, mit der ftärfften und Flärften Einbildung veraleicht ; 
fo übertrife jene diefe an Klarheit und Stärfe, wie das 
Sicht der Sonne das Mondenlicht überteift. Niemand fan 
fih den Schmerz einer ausgeftandenen Krankheit fo klar 
vorfteflen, als er denfelben empfunden hat; oder mitten in 
der Krankheit überwiegt, die Empfindung des gegenmättiz 
gen Elendes, die Borftellung der vergangenen angenehmen 
Empfindungen unferer Geſundheit. Unſere Seele ftelt 
ſich ja die Welt nach ihrer eigenen Sage, und nach der Stel: 
lung ihres Körpers vor 6. 487. Das Gegenmwärtige aber 
ift unferer Seele und ihrem Körper näher, als das Ber: 
gangene. Folglich erhellet Daher, warym fie fich jenes 
Elärer vorftelen Fönne, als diefes. Die materiellen Bil— 
der in dem Gehirne find, bey den Einbildungen, lange 
nicht fo’ ftark, als bey den Empfindungen, indem fie bey 
den letztern durch gegenwärtige Dinge hervorgebracht wer: 
den, bey den erftern aber nur mittelbarer Weiſe durch das 
materielle Bild, welches diejenige Vorſtellung begleitet, 
wodurc Die Einbildungskraft gelenft wird. Ueberdies 
find die Einbildungen nur folche Vorjtellungen, von denen 
die Seele weiß, daß fie diefelben ſchon vorher erlangt bat, 
Folglich wird ihre Aufmerffamfeit durch fie nicht fo fehr 
gereist, als durch die Empfindung : Denn eine jede Em— 
pfindung ift eine neue Borftellung, welche Die Seele noch 
niemals gehabt hat $.523.. 2) Keine Einbildung ii 

i | ar 


Don der Einbildungekraft. 137 
& 


klar und ſtark, als die Empfindung, die wir von eben dem 
Gegenſtande gehabt haben; oder wir koͤnnen uns nichts ſo 
klar und ſtark durch die Einbildungskraft wiederum vor— 
ſtellen, als wir es empfunden haben. Niemand kan ſich 
ſo klar und ſtark einen ausgeſtandenen Schmerz, eine Noth 
die vergangen, eine Speiſe die er vor einigen Tagen ge— 
noſſen hat, wiederum vorſtellen, als er ſie empfunden hat. 
Es erhellet dieſes nicht nur aus dem kurz vorhergehenden 
Satze, weil die Einbildungen uͤberhaupt ſchwaͤcher und 
dunkeler ſind, als die Empfindungen; ſondern auch daher, 
weil neben den Einbildungen allemal zugleich viele Em— 
pfindungen in der Seele ſind, indem allemal die erſte Vor— 
ſtellung, wodurch die Einbildungskraft gelenkt wird, eine 
Empfindung ſeyn muß 6.558. Nun aber werden alle 
andere Vorſtellungen, durch die Empfindungen, geſchwaͤcht 
und verdunkelt $. 538. Durch die Empfindung bekomt 
die (Seele den erften Eindruck von einer Sache, und die 
Farben diefes Bildes find noch friſch. Die Einbildung iſt 
diefes Bild, in fo ferne es ſchon eine Zeitlang gedaurt hat, 
und almalig erblaffen die Farben deſſelben. Es ift wahr, 
ofte ftelt fich ein Menfch das Vergangene, z. E. eine Be: 
leivigung, viel lebhafter-vor, als er es empfunden hat; 
allein alsdenn hat er nicht bloß eine Einbildung, fondern 
eine Erdichtung, wodurch die VBorftellung des Vergange— 
nen über die Wahrheit vermehrt wird. 3) Der Grad der 
Klarheit und Stärke der Einbildung hanger, von dem 
Grade der Klarheit und Stärfe der Empfindung, welche 
durch jene erneurt wird, ab. Der je Flärer und ftärfer 
eine vergangene Empfindung gewefen, deſto klaͤrer und 
ftärfer ift die Einbildung derſelben; je ſchwaͤcher und dun- 
£eler aber die vergangene Empfindung gewefen, defto ſchwaͤ— 
cher und dunfeler ift die Einbildung derſelben. In dem 
eriten Falle beitand die Empfindung aus mehrern Vor: 
ftellungen, als in dem andern $. 494. 501. Folglich Fan, 
vermöge der Bergefeltfchaftung der Vorftellungen, die Ein- 
bildungskraft in dem erſten Falle mebr zufammen vor- 

5 ftelfen, 


138 Don der Einbildungskraft. 


ſtellen, als in dem andern $. 558, und alfo ift auch in dem 
erften Falle die Einbildung geöffer, als in dem andern, 
Die Einbildung einer geöflern Empfindung ift eine Wie- 
derholung einer groͤſſern Vorſtellung, als die Einbildung 
einer Fleinern Empfindung. Wenn man eine vornehme 
Perſon recht in der Nähe gefehen, fo Fan man ſich diefelbe 
nachher viel Flärer wieder vorftellen, als wenn man fie nur 
von ferne fehr ſchwach gefehen. Folglich je fhärfer unfere 
Sinne find, defto Elärer find auch) unfere Empfindungen 
8. 536. folglich Fönnen wir uns auch, durch unfere Einbil» 
Dungsfraft, diejenigen Empfindungen viel Flärer wieder 
vorfteffen, welche wir durch fehärfere Sinne erlangt haben, 
als diejenigen, die wir durch ftumpfere Sinne erlangen: 
denn diefe find ſchwach, und haben ein mattes Licht. Wir 
fehen Daher, daß alte Leute ſich, durch ihre Einbildungs- 
kraft, viel lebhafter dasjenige vorstellen koͤnnen, was ihnen 
in der Jugend begegnet, denn damals waren ihre Sinne 
fehr feharf und ihre Empfindungen fehr lebhaft; als was 
ihnen im Alter begegnet, denn das Alter macht ihre Sinne 
ſtumpf, und ihre Empfindungen fhwah. Daher loben 
die Alten allemal die vergangenen Zeiten vor Den gegen= 
waͤrtigen, und denken, die Zeiten hätten ſich verfehlimmert, 
da fie doch vielmehr fich felbft verfchlimmert haben. Und 
da das Gedächtniß auf der Einbildungskraft berubet, wie 
wir Fünftig fehen werden, fo erhellet hieraus, wie natuͤrlich 
es fey, daß alte Leute fich fehr gut der Begebenheiten ihrer 
Jugend erinnern Eönnen, ob fie gleich Dinge vergeffen, die 
manchmal wenige Stunden vorher gefchehen find, 
S. 560, 

4) Die Einbildung einer Sache, die wir öfter em- 
pfunden und uns eingebildet haben, ift Flärer, als die Ein- 
bildung einer Sache, Die wir feltener empfunden und uns 
eingebifder haben. Oder je öfter wir eine Sache empfun- 
den, und je öfter wir die Empfindung derfelben wiederholt 
haben, deſto Flärer koͤnnen wir fie uns durch die Einbil- 

dungskraft vorftellen 5 je feltener wir fie aber — 
| haben, 


Don der Einbildingstraft. 139. 


haben, und je feltener wir diefe Empfindung erneurf haben, 
deito ſchwaͤcher und dunfeler ift das Bild derfelben in unſe— 
ver Einbildungskraft. Unfere Eltern haben wir unzählige: 
mal gefehen, und an fie in ihrer Abweſenheit unendlich ofte 
gedacht, wir Fonnen fie uns aber auch, nach) ihrem Tode fa 
gar, fo lebhaft vorftellen, daß wir im Stande wären, fie 
abzumalen. Man weiß aber Faum, wie eine Perfon aus— 
fieht, Die wir einmal oder felten gefehen haben. Wenn 
wir eine Stelle eines Buchs ofte lefen, fo Fünnen wir fie 
endlich auswendig herfagen. Und das komt daher: in eis 
nem jedrweden Augenblicke haben wir eine andere ganze Bor- 
fiellung $. 495. Wenn mir alfo eine Empfindung ofte 
zu verfchiedenen Zeiten haben und wiederholen, fo wird fie 
ein Theil von mehrern ganzen VBorftellungen, und es ver- 
gefelffchaften fich alfo mit ihr viele Nebenbegriffe und Merf- 
male, wodurch es der Seele immer leichter wird, fie fich 
von neuem vorzuftelien, und wodurch fie immer Elärer wird 
$. 495. 503. Und in dem entgegengefesten Falle ift fie um 
fo viel ſchwaͤcher und dunfeler, je feltener wir fie fehon ge— 
habt haben. Bey unfern Empfindungen verhält es fich 
ganz anders. Je feltener wir fie haben, und je feltener 
wir fie uns durd) die Einbildungsfraft vorftellen, defto 
neuer find fie uns, folglich auch defto lebhafte. Dinge 
die mir fehr oft empfinden, und uns einbilden, werden alt, 
und ihre Empfindung wird eben dadurch fehmwächer und 
dunfeler $. 523. Wer täglih Wein erinft, der hat lange 
nicht einen fo lebhaften Geſchmack von demfelben, als der— 
jenige, der ihn ſelten trinkt. Wer fi in ein Frauenzim: 
mer bloß finnlic) verliebt, der wird im Anfange durch ihren 
Anblick entzüct. Heyrathet er es endlich, jo Fan er feine 
Frau ohne merflihe Empfindimg anfehen, 5) Ye längere 
Zeit verftrichen ift, ehe mir eine Empfindung durch die 
Einbildung wiederholen, defto ſchwaͤcher und dunfeler ift 
die Einbildung, wenn Fein anderer Grund zum Gegentheil 
da ift; je Fürzer aber die Zwiſchenzeit ift, defto ſtaͤrker und 
klaͤrer ift auch die Einbildung. Daher Fönnen wir ver- 

gangene 


140 Von der Kinbildungstraft, 


gangene Dinge kurz nachher, wenn fie vergangen find, ung 
ſehr lebhaft wieder vorftellen, je weiter fie aber in die ver: 
gangene Zeif zurück gehen, defto weniger Elar Fönnen wir 
fie uns worjtellen. Ein Unglück, welches wir geftern aus- 
geftanden haben, fonnen wir. heute fehr. lebhaft denfen. 
Eine Witwe hat, in den erſten Wochen der Trauer, ihren 
Mann noch in frifchen Andenken. Allein, nad) zwanzig 
Jahren, denkt man Faum an dergleichen Dinge. Unſere 
Seele ftelt fic) die Welt, nach der Stellung ihres Körpers, 
vor 6.487. Folglich, da ihr jüngft verfloffene Dinge naͤ— 
ber find, als laͤngſt verflofiene Dinge; fo Fan fie auch jene 
ſich flärer durch die Einbildungsfraft vorftellen, als diefe, 
Zu dem fomt noch, daß die Seele, bey langft vergangenen 
Dingen, nachher ihre Aufmerkſamkeit mit unendlich viel 
mehr andern Borftellungen befchäftiget hat, als bey jüngft 
verfloffenen Dingen. Und alfo behält fie bey jenen weni- 
ger Kraft übrig, als bey dieſen, und alfo ftele fie fih auch 
jene in einem Eleinern Grade vor, als diefe. 6) Die Ein— 
bildung nicht lange vergangener Dinge, weil fie ftärfer und 
Fläver ift, wie gleich jetzo gezeigt worden, verdunfelt die 
Einbildung folcher Dinge, Die länger vergangen find, weil 
diefelben fehwächer und dunfeler find $. 508. Die neuern 
Begebenheiten verdrengen, aus den Unterredungen der 
Menfchen, aliemal die alten Gefchichte. Wenn wir daher 
zwey Dinge in einem gleichen Grade empfunden haben, fo 
koͤnnen wir uns das jüngere klaͤrer einbilden, als das altere, 
wenn Fein anderweitiger Grund zum Gegentheil da ift. 
Wenn man. zweymal eine Krankheit gehabt hat, vor einem 
Jahre und vor zwanzig Jahren, fo Fan man jene viel leich- 
ter und Elärer fich wieder vorftellen, als dief. So wie 
fih die Sachen in der vergangenen Zeit immer weiter ent— 
fernen, fo verlöfchen nad) und nach, ihre Bilder in unferer 
Einbildungsfraft, immer mehr und mehr, 
S. 561, 
Ein Menfch hat immer eine gröffere Einbildungsfrafe 
als der andere, und bey einem Menfchen Fan die Einbil- 
dungs⸗ 





Don der Einbildungskraft. 141 


dungskraft zunehmen, fie Fan aber auch abnehmen. Und 
da lajlen fich, Die verfchiedenen Grade diefes Erkenntniß— 
vermögens, nad) folgenden Oründen beurtheilen : x) Se 
mehr vergangene Dinge die Einbildungsfraft uns wieder 
ins Gemüth bringen Fan, defto ausgebreiteter ift fie; je 
weniger fie aber uns vorftellen fan, deſto Fleiner ift fie. 
Daher fihreibt man denenjenigen, die unendlich viel von 
demjenigen erzehlen Fönnen, was fie gelefen, ‚gebdrt und er— 
fahren haben, eine groffe Einbildungskraft zu $. 496. 
2) Je ſchwaͤcher wir e vergangenen Dinge empfunden 
haben, die wir uns einbilden Fönnen, deſto groͤſſer ift unfere 
Einbildungsfraft. Es gehört nicht viel Stärfe dazu, ſich 
eine Sache wieder vorzuftellen, Die wir fehr ftarf empfun- 
den haben. ein wenn wir eine Cache fehr ſchwach em— 
pfunden haben, fo muß eine Einbildurgsfraft fehr ſtark 
ſeyn, welche fich diefelbe dem chnerachtet wieder norftellen 
fan 6.559. 3) Se feltener wir eine Vorſtellung in un 
ferm Gemuͤthe erneurt haben, deſto gröffer ift die Einbil— 
Dungsfraft, welche demohnerachtet Diefelbe wieder erneuern 
fan. Denn zu der Erneuerung einer folchen Vorftellung 
gehört mehr Stärke, als wenn wir eine Borftellung fehr 
ofte gehabt haben S. 560. Wenn jemand eine Rede be- 
halten Fan, Die er einige wenige mal gelefen oder gehört 
hat, fo hat er eine gröffere Einbildungskraft, als wenn er 
fie, um fie zu behalten, unzählige mal lefen und hören muß. 
4) Nach je langerer Zeit uns, die Einbildungskraft, eine 
Empfindung wieder ins Gemuͤth bringen fan, deſto gröffer 
ift fie; meil wenig Kraft dazu erfodert wird, eine Empfin- 
dung kurz nachher uns wieder ins Gemürh zu bringen 6. 
560. Wenn uns ein Menfc Dinge erzehlen fan, die er 
vor vielen Jahren gedacht hat, fo daß er unterdeflen gar 
nicht wieder dran gedacht hat, fo muß er eine groffe Ein- 
bildungsfraft befisen. 5) Zwiſchen je mehrern und gröf- 
fern kurz vorhergehenden und begleitenden Borftellungen 
die Einbildungsfraft wuͤrkſam ſeyn, und uns vergangene 
Dinge wieder ins Gemüch bringen Fan, defto ftärfer und 

groͤſſer 





142 Von der Einbildungskraft. 


gröffer iſt fie; weil fie, mitten unter fo vielen mächtigen 
Hinderniffen, dennoch wuͤrkſam fenn fan. Wenn ver 
ganze Schauplaß unferer Seele leer if, wenn wir vor der 
Gefchäftigkeit unferer Einbildungskraft wenig oder nichts 
gedacht haben, und wenn in dem Angenblice Feine andere 
Gedanken in unferer Seele angetroffen werden, fo gehört 
wenig Kraft dazu, vergangene Dinge uns vorzuitellen. 
Mancher Fan feine auswendig gelernte Predigt auf feiner 
Stube ohne Anftoß herfagen, allein, wenn er auf der Kan— 
zel ſteht, ift er dazu nicht im Stande. 6) Je klaͤrer, rich⸗ 
tiger, gewiſſer und ſtaͤrker unſere Einbildungen ſind, deſto 
groͤſſer iſt unſere Einbildungskraft. Daher haben diejeni— 
gen eine ſtarke Einbildungskraft, welche nicht nur vornem= 
Vic ihre vergangenen Wichtigften Empfindligen, und von 
vergangenen Dingen das wichtigfte fich wiederum vorftel- 
len, fondern melche fich alles diefes auch fo vorftellen koͤn— 
nen, daß es ift, als hätten fie es jetzo gegenwärtig vor 
ihren Augen, 
$. 562. 


Es ift eine fehr wichtige Frage: wie man die Em— 
pfindungen von den Einbildungen unterfcheiden Fonne? 
Der, wenn ich eine Empfindung habe woher Fan ich ver= 
fichert ſeyn, daß es eine Empfindung und Feine Einbildung 
fen? und wenn ich eine Einbildung babe: woher Fan ich 
wiſſen, daß es eine Einbildung und feine Empfindung fen ? 
Es gibt Weltweife, wie z. E. die Idealiſten, welche alle 
unfere äufferlichen Empfindungen für bloffe Einbildungen 
ausgeben, und die Zweifler geben vor, daß wir niemals 
vermögend find, unfere Empfindungen von den Eiabildun— 
gen zu unterfcheiden. Ja eben daher eneftehen viele Irr— 
thümer in unfern Erfahrungen, und. alle Phantaftereyen 
und Verruͤckungen des Gemüths, wenn wir unfere Einbil- 
dungen für Empfindungen halten. Wir wollen demnach 
unterſuchen, wodurch wir unfere Empfindungen und Ein— 
biloungen von einander unterfcheiden koͤnnen.  Erftlich 


wenn unfer Gemuͤth fich, in dem gewöhnlichen und dr 
lichen 





Don der Einbildungstraft. 143 


lichen Zuftande, befindet, fo ift diefe Unterfcheidung leicht, - 
indem die Empfindungen viel Eläver und flärfer find, als 
die Einbildungen $. 559. So leicht es uns iſt, das Licht 
der Sonne von dem Mondenfcheine zu unterfcheiden, fo 
leicht ift es uns auch in Diefem Zuftande, die Empfindun— 
gen und Einbildungen, durch ihren fo merflich verfchiede- 
nen Grad der Klarheit und Stärfe, zu unterfcheiden. Es 
ift uns viel anders zu Mutbe, wenn wir eine Sache em: 
pfinden, als wenn wir fie ung einbilden. Der Eindruck, 
den eine Speife in unfere Seele macht, indem wir fie 
würflich genieffen, ift ſehr merklich geöffer, als der Ein- 
druck, den fie in uns macht, wenn wir, nachdem wir ſchon 
gegeflen haben, uns wieder vorftellen, wie fie geſchmeckt 
bat. Und eben das erfahren wir auch, bey allen unfern 
übrigen Empfindungen. Allein das Gemüth Fan zum an: 
dern in einen ungewöhnlichen Zuftand gerathen, in wel: 
chem, durch Krankheiten oder andere Urfachen, die Em— 
pfindungen ihre gewöhnliche Klarheit und Stärfe nicht ha— 
«ben, und im Gegentheil die Einbildungen ungewöhnlich 
flar und ftarf werden, fo daß fie entweder mit den Em— 
pfindungen, mit denen fie zugleich in der Seele find, einer: 
ley Grad der Klarheit und Staͤrke haben, oder fie wohl 
gar an Klarheit und Stärfe übertreffen, Weil die Em: 
pfindungen gewöhnlicher Weiſe, die klaͤrſten und ftärfften 
Borftellungen unferer Seele, find; fo gewöhnt es fich die 
Seele von Kindheit auf an, Diejenigen Borfteflungen würf: 
licher Dinge für Empfindungen zu halten, welche jedesmal 
die klaͤrſten und ftärfften find. Folglich ift es ganz natür: 
lich, daß man, in dieſem ungewöhnlichen Zuftande, die 
Einbildungen für Empfindungen bält, und glaubt, daß die 
Sachen würflich in und auffer uns gegenwärtig find, Die 
wir uns bloß einbilden, So geht es uns, wenn wir träu- 
men, Mitten im Traume halten wie init der gröften Ge- 
wißheit dafür, daß mir uns in ber That in den Umſtaͤn⸗ 
den befinden, die wir uns im Traume einbilden, und eben 
das thun auch verrückte Leute, Alsdenn Fan man fich nicht 

anders 


144 Don der Einbildungskraft. 


anders helfen, als durch das Nachdenken und Ueberlegen 
der Umftände, Die Empfindungen fteilen uns unfern ge- 
genwärtigen, und die Einbildungen unfern vergangenen 
Zuftand vor 9.528. 55. Nun it es fhlechterdings un: 
möglich, daß das Vergangene mit dem Gegenwärtigen 
zugleich da ſeyn ſolte $. 228. FSolglih muß man, in die— 
fem verwirrten Gemüthszuftande, auf alle feine gegenwär- 
eigen, kurz vorhergehenden und zunächit bevorftehenden 
Umftände achtung geben : denn die Empfindung Fan uns 
nichts anders vorftellen, als was ſich recht in alle dieſe Um— 
ftände paßt, feinem derfelben widerfpricht, und mit denfel- 
ben aufs genauefte verbunden ift, und Diefes zwar um des 
allgemeinen Zufammenbangs willen, der fich in dieſer Welt 
befindet. Folglich it diejenige Borftellung eine Empfin— 
dung, welche uns eine Sache als gegenwärtig vorftelt, 
- welche fi) in alle unfere übrige Umſtaͤnde auf eine folcye Art 
paßt. Diejenige aber ift eine Einbildung, welche uns: et= 
was als gegenmwartig vorftelt, welches, wenn es gegenwaͤr—⸗ 
tig wäre, einen Widerſpruch in unferm gegenwärtigen Zu⸗ 
ftande verurfachen, und mit unfern übrigen gegenwärtigen 
Umſtanden nicht verknüpft feyn] würde. So macht man 
eg mit einem Kranken, wenn er phantafirt. Geſetzt, er 
bilde fich ein, es ftehe ein Hund vor ihm, der Ihn beiffen 
wolle; fo redet man ihm zu, und macht ihn auf feine anz 
derweitigen gegenwärtigen Umftande aufmerffam. Man 
zeigt ihm, daß die Thüren verfchlofen, und feine Freunde 
um fein Bette ftehen, und man zeige ihm die Unmöglich- 
keit, daß ein folcher Hund da feyn folte. Unterdeſſen be- 
greift ein jeder, daß Das Gemuͤth, wenn es in diefem ver- 
wirrten Zuftande ſich befindet, nicht im Stande ift, eine 
ſolche Ueberlegung allemal anzuftellen, und es ift demnach 
die Seele, wenn fie auch gleich nicht verrückt ift, und wacht, 
nicht allemal im Stande, eine Einbildung von der Em: 
pfindung zu unterfeheiden. Und das iſt ohne Zweifel eine 
von denen Urfachen, warum, aller unferer Mühe ohnerach— 
tet, 


l 


- 





Von der Einbildungskraft. 145 


tet, dennoch nicht alle Irrthuͤmer in unfern Erfahrungen 
verhüter werben koͤnnen. | 


| $. 563. 

Weil auf der Einbildungsfraft das Gedaͤchtniß, und 
noch andere Erfenntnißvermögen der Seele, beruben, wie 
Fünftig erhellen wird: fo ift es eine fehr nügliche Srage: 
wie die Einbildungen erleichtert und befördert werden koͤn— 
nen? Und das fan auf folgende Art geſchehen. ı) Wenn 
man dasjenige, was man fich ſehr leicht Durch die Einbil- 
Dungsfraft in einem hohen Grade vorftellen will, recht klar 
und ftarf zu empfinden fucht 6.559. Daher ift auch die 
Einbildungskraft um fo viel gröffer und beffer, je beffer die 
Sinne eines Menfchen find. Hier muß man alfo ſchon, 
die Anftalten aufs zufünftige, zum voraus machen. Wem 
wir vermuthen und vorherwiſſen, daß es ung Fünftig nöthig 
fenn werde, eine Sache, die wir jego empfinden oder zu 
empfinden im Begriffe ftehen, recht Flar und ſtark uns ein— 
zubilden, fo müffen wir fie recht ſtark zu empfinden ſuchen. 
Wenn jemand eine Nede öffentlich berfagen foll, fo lieſt er 
fie nicht nur vorher über, fondern er Lieft fie ſich auch lauf 
vor, damit er eine deſto ftärfere Empfindung, von den 
Worten und ihrer Folge auf einander, befonime. 2) Wenn 
man die Vorftellung der Sache ſehr ofte hat, und fehr ofte 
erneurt $. 560. Daher pflegt man eine Nede unzählige 
mal por ſich durchzulefen und berzufagen, wenn man fie 
ohne Anftoß öffentlich berfagen will, 3) Wenn man in 
den Zmwifchenzeiten, welche zwifhen den Erneuerungen die: 
fer Borftellung vorbey gefloffen, lauter [hmwächere und dun— 
felere Borftellungen gehabt hat: denn dergeftalt behält. fie 
immer eine Meuigkeit, und wird durch Feine andere Bors 
ftelfungen gehindert, Wer eine öffentliche Rede von Wid). 
tigfeit halten foll, der pflege vorher alle Gefellfchaften zu 
vermeiden, und thut fonft nichts erhebliches, als daß er of 
ters fein Concept durchlieſt. Daher fomts, daß auf den 
Dörfern, und in fleinen Städten, von einem merkwuͤrdi— 
gen Borfalle, von einem Diebftale und dergleichen, Jahr 

3. Theil, ERTL E: K und 


146 Don der Einbildungskraft, 


und Tag gefprochen wird, denn es traͤgt ſich unterdeſſen 
nichts anderes merfwürdiges zu. 4) Wenn man ſich die 
Sache, nit lange nad) der Empfindung, durch die Ein— 
bildungsfraft vorzuftellen fucht, wenn fie noch im friſchem 
Andenfen ift. Daher lieft der Redner kurz vorher, ehe er 
den Nednerftul befteige, fein Concept noch einmal durch. 
5) Wenn die kurz vorhergehenden Borftellungen von frems 
der Art fehr ſchwach find, und wenige Klarheit haben, 
Folglich muß man, vor der Würffamfeit der Einbildungs« 
fraft, alle fremde Empfindungen verhüten, oder wenigfteng 
fo ſchwach und dunkel zu machen fuchen, als möglid) ift, 
damit die Einbildungskraft, wenn fie ihre Borftellungen 
auf den Schaupfaß führen will, nicht. denſelben ſchon ganz 
oder zu ſtark befege finde. Daher begeben fih Die Nedner 
vorher in eine Stille und Einfamfeit, damit fie fremde und 
ftarfe Empfindungen von anderer Art verhüten. 6) Wenn 
zu der Zeit, da die Einbildungsfraft wurfen foll, alle frem= 
de Vorftellungen und Empfindungen verhütet, oder doc) 
gefhwächt und aus dem Sinne gefchlagen werben. Als— 
denn werden die Hinderniffe der Einbildungsfraft aus dem 
Wege geräumt, und alfo wird ihre Geſchaͤftigkeit befoͤrdert. 
Ein Nedner, indem er feine Rede hält, ſucht nicht recht zu 
fehen und zu hören, was un und neben ihm vorgeht, und 
die Dichter begeben ſich in die Einfamfeit, wenn fie ihre 
Einbildungskraft vecht erhigen wollen. And 7) wenn man 
Fur; vor der Wuͤrkſamkeit der Cinbildungskraft, und zu 
eben der Zeit, folde Empfindungen und andere Borftelluns 
gen erweckt und denfeiben nachhängt, welche mit der Eins 
bildung, die man befördern will, verwandt und ofte verges 
ſellſchaftet geweſen find : denn dieſe Vorftellungen befördern 
die Einbildungskraft $. 558. Dichter ‚geben fpagieren, 
frinfen ein Glas Wein, fefen in andern Dichtern, wenn fie 
ihre Einbildungsfraft recht erbißen wollen. Und wenn ein 
Menſch feinen Freund durd) den Tod verlohren hat, und er 
geht zu dem Grabe dejlelben, oder an Derter wo er ihn ofte 
gefehen hat, fo denft er; bier modert mein Freund, da 


ſprach 





a a EEE — 


Don der Einbildungskraft. 147 


ſprach ich mit ihm, dort pflegte er zu fißen. Dergleichen 
Gedanken erwecken, dag Andenken des Berftorbenen, aufs 
lebhafteſte und ſtaͤrkſte. Diefe Kegeln enthalten den. Grund 
zu der Gedaͤchtnißkunſt, diefer fo nörhigen und nüglichen 
Kunſt: denn wir werden aus dem folgenden lernen, daß 
das Gedaͤchtniß allemal, die Einbildungskreft und die 
Vollkommenheit derfelben, vorausfege. Es ift uns ofte 
fehr viel daran gelegen, daß uns eine Sache, die wir vor⸗ 
dem gedacht haben, wiederum einfalle, 3. E, Daß uns Die 
Regeln unferes Verhaltens und unfere Pflichten zu gehörte 
ger Zeit wiederum ins Gemuͤth fommen, und wir. fehen 
demnach), wie nuͤtzlich es fey, daß wir wiffen, wie man eine 
Einbildung erleichtern und befördern Fan, | 

9. 564. 

. .. Eben fo nöthig und nüglich iſt es auch, Daß wir zei⸗ 
gen, wie man eine Einbildung verhindern fünne. Wie 
glücklich wären wir nicht, wenn wir Die erften Eindrücke 
der Suͤnde in unfer Gemüth aus dem Sinne fchlagen, und 
verurfachen Fonnten, daß die Einbildungskraft diefelben 
nicht wieder erneuerte! wenn wir die Beleidigungen ver- 
gefien, und alle Wiederholungen folcher Gedanken verhüten 


- Fönnten, welche. unſer Gemuͤth beunrubigen, und uns zu 


unordentlichen und fündlichen Begierden reisen! Die Kunft, 
zu vergeſſen, ift uns Menfchen eben fo noͤthig, alsdieKunft 
etwas zu behalten,; und fie beruhet darauf, daß man im 
Stande fey, die Einbildungskraft zu. verhindern, daß fie 
uns einen gewiflen vergangenen Gedanfen ‚nicht wieder ing 
Gemüth bringe, Und das Fan, Durch die Beobachtung 
folgender Regeln, geſchehen: 1) man perhindere entweder . 
die Empfindung, derjenigen Sache ganz, deren Einbildung 
man verhindern ill, denn man Fan ſich nichts eihbilden, 
mas man gar nicht empfunden hat $. 556, oder man ſuche 
wentgftens die Sache fo ſchwach und fo wenig Flar zu em⸗ 
pfinden, als möglich) ift, denn fo wird die Einbildung ders 
felben menigftens nicht fonderlid) Elar und ftarf feyn 6 559. 
In dem 540, — habe ic) gewieſen, wie man die Enw 
82 pfindyns 


148 Don der Einbildungskraft. 


pfindungen verhindern fol, Wenn man die Sünde nur 
nicht das eritemal verfucht, um die erften reißenden Em— 
pfindungen derfelben zu verhüten, fo ift es nicht möglich, 
has uns die Einbildungsfraft diefe Neigungen wieder ins 
Gemuͤth bringe, und uns dadurd) zur Wiederholung derfels 
ben Sünde verleite. So machen es edelbafte Leute, wels 
che, um zu verhüten, daß ihnen ein eckelhafter Anblick nicht 
lange Zeit in dem Gemüthe ſchwebe, eckelhafte Sachen gar 
nicht betrachten, oder menigftens nicht recht anſehen. 
2) Kan man die Empfindung der Sache nicht verhüten, fo 
verhüte man doch die erften Wiederholungen derfelben durch 
die Einbildungskraft : denn da ift es noch am leichteften, 
weil die Einbildungsfraft nod) Feine Fertigkeit befist, eine 
folhe Empfindung zu wiederholen? Wenn man aud) eine 
verdrießliche Sache empfunden hat, wenn man nur nachher 
nicht ofte davon redet, fondern die erften Wiederholungen 
verhindert, fo Fan man der Einbildungskraft gar leicht eis 
nen Schwung geben, vermöge deſſen fie nicht auf dieſe Em= 
pfindung fält, fonderlic) wenn man 3) noch dazu, die Ges 
ſchaͤftie gkeit der Einbildungskraft, durch andere Vorſtellun⸗ 
gen unterbricht, wenn fie auch gleich ſchwaͤcher ſeyn ſolten, 
als die Einbildung, die man aus dem Sinne fihlagen und 
verhindern will: denn ſelbſt Durch die Laͤnge der Zeit, durch 
welche eine Einbildung fortdaurt, wird fie geſchwaͤcht $. 
550. Wir fehen daher, daß ein Menſch, wenn er feinen 
zärelichft, gelichten Ehegatten durch den Tod verlohren hat, 
die Zeit über, da er genöthiger ift, die Trauer und das Bes 
graͤbniß zu beſorgen, feinen empfundenen Verluſt ſich zwar 
vorſtelt, aber lange nicht in einem ſo hohen Grade der 
Staͤrke, als wenn er das Andenken an denſelben nicht, 
durch fo viele zerſtreuende Vorſtellungen, unterbrechen haͤt— 
te. 4) Wenn man die Erneuerung einer Borftellung 
durch die Einbildungskraft fo lange verzögert, und aufs 
ſchiebt, als möglich) ift, und unterdeffen viele andere Sachen 
fehr lebhaft denkt. Denn dadurch wird nicht nur das Ger 
müch auf ganz andere Sachen seine ſondern wenn uns 
N diefelbe 


— 





Don der Kinbildungskraft, 149 


Diefelbe Vorftellung ſamt ihrem Gegenftande wieder ein« 
fälc, fo find es fehon Sachen, die lange vorbey find, und 
ihre Einbildung iſt alfo natürlicher Weife ſchwaͤcher $. 560. 
Daher Fomts, daß $eute von fehr vielen und groffen Ges 
fchäften fehr leicht, über ein vergangenes Uebel, fich zufries 
den geben, weil ihre Gefchäfte ihnen nicht erlauben, oft 
daran zu gedenfen. Und weil in groffen Städten immer 
was merfwürdiges fich zuträgt, fo wird von einer Sache 
richt lange gefprochen. 5) Wenn man vorher, ehe die 
Einbildungskraft wuͤrkſam wird, feine Aufmerkſamkeit in 
einem hohen Grade mit andern Vorſtellungen, fonderlic) 
mit fremden Empfindungen, welche mit derjenigen Einbil« 
dung nicht vergefellfehaftet find, Die man verhindern will, 
befchäftige. Denn alsdenn £rift die Einbildungsfraft 
ſchon den Schauplag der Seele befeßt an, wenn fie ihre 
Borftellung aufführen will, und fie wird alfo dadurch fehr 
gehindert werden. Hieher Fan man ebenfals, gefchäftige 
Leute und luftige Brüder, rechnen. Wenn bey folchen Leu⸗ 
fen ja einmal eine Einbildung, z. E. einer vergangenen Noth, 
entftehen will, fo find fie vorher allemal mit fo vielen frem= 
den Borftellungen befchäftiget gewefen, daß es fehr ſchwer 
ja manchmal unmöglic) wird, daß eine ſolche Einbildung 
folte Eönnen empor kommen. Daher ift es fo fehmer, daß 
irdiſch gefinnte Leute, an ihre begangenen Sünden, gehoͤ— 
rig denken folten. 6) Wenn zu der Zeit, da eine Eins 
bildung in unferm Gemüthe angetroffen wird, die wir vers 
hindern wollen, viele andere Borftellungen, Empfindungen, 
Einbildungen u.f.w. in ung find, welche fehr klar gemacht 
werden, unfere Aufmerffamfeit zerftreuen, und fie von der 
genannten Einbildung ablenken: denn alsdenn verliebrt fie 
fid) allmälig, in dem Gedrenge fo vieler fremden Vorſtel⸗ 
lungen. So geht ein Betrübter fpaGieren, in Gefellfhaf- 
gen, er ftudiert, er lieft angenehme Schriften, und dadurd) 
wird mwenigftene, das Andenken an bas vergangene Uebel, 
gewaltig vermindert. - Das ift eine Urſach, warum der 


Wein des Menfchen Herz erfreuet, und warum die Öriflen 
$ 3 ver⸗ 


150 Don der Einbildbungskraft. 


verfrunfen werden können. Denn die angenehmen Em- 
pfindungen, welche der Wein erweckt, richten die Einbil- 
dungskraft auf lauter ähnliche Gegenflände, und dadurd) 
wird die betrübende Einbildung verdunfell. 7) Wenn 
man diejenigen Empfindungen, Einbildungen, und über- 
haupt diejenigen Vorftellungen verhindert, unterdruckt und 
aus dem Sinne fehlägt, Die mit der Einbildung, welche 
man verhindern will, vergefellfhafter gemefen: denn fonft 
wuͤrden diefe Vorftellungen fie, wider unfern Willen, in 
unferm Gemüthe erhalten. Cin Menfch, welcher das Ans 
denken feines verftorbenen Freundes fhmwächen will, muß 
die Derter vermeiden, wo fein Freund gerefen, fein Grab 
nicht befuchen, und alles von ſich entfernen, was mit ihm 
in einer ſehr nahen ie ee bat, 


. 

Die Einbildungskraft A * ſinnliches Erkenntniß⸗ 
vermögen, und gehört, als ein Theil, zu dem ganzen uns 
tern Erkenntnißvermoͤgen 9. 524. Denn eine jedwede 
Einbildung ift nicht einmal fo klar, als die Empfindung, 
Die dadurch erneuert wird $. 559. Da nun, Die allerdeuts 
lichſten Empfindungen fo gar, viele Dunfelheit und Ber- 
wirrung in fih enthalten $. 542, fo find aud) noch viel. 
mehr, alle Einbildungen, finnliche Vorſtellungen. Nems 
lic) alle Einbildungen find entiweder ganz dunkel, oder ganz 
verworren, obgleich Elar, oder deutlih. Die beyden eriten 
Arten find unleugbar ganz finnliche Vorſtellungen, und 
werben ganz allein Durch das untere Erfenntnißvermögen 
gemürft. Die deutlichen Cinbildungen enthalten, ihrer 
Deutlichkeit obnerachtet, viele Dunkelheit und Verwirrung, 
weil fie nicht einmal fo Elar find, als unfere Empfindungen. 
Folglich find fie zum Theil finnliche Vorftellungen, deren 
Deutlichkeit durch den Verſtand hervorgebracht wird, wenn 
er mit der Einbildungsfraft zugleich wuͤrkſam iſt. Folg— 
lich rechnen wir, die Einbildungsfraft, mit Necht zu den 
untern Erfenntnißvermögen unferer Seele. Und da die 
Aeſthetik fich, mit dem ganzen unfern Er£enntnifvermö- 


gen, 








Don der Einbildungskraft. 151 


gen, befchäftiget $. 527, fo zeige fie auch, wie man die Einst 
bildungen verbeffern, und vortragen fol. Folglich zeige 
fie auch, wie man die Einbildungkraft recht gebrauchen und 
verbeffern foll. 

6. 566. 

Wir müffen noch, die Wahrheit und Unrichtigfeit 
unferer Einbildungen, unterfuhen. Nemlich eine wahre 
Einbildung ift eine Einbildung, welche mit der vorhers 
gehenden Empfindung, die durch fie erneurt wird, völlig 
einerley iſt. ine jedwede Einbildung aber ift eine eitele 
oder falfche Hinbildung, wenn fie nihe wahr iſt. Man 
Fan nicht verlangen, daß eine wahre Einbildung eben fü 
klar und ftarf fey, als die vergangene Empfindung, denn 
Das ift nicht nur unmöglich S. 559, fondern es ift aud) 
überhaupt unleugbar, daß die Wahrheit nicht, von dem 
Grade der Klarheit der Vorftellungen, abbange ‘$. 489. 
Die Einbildungskraft fol, die Erhalterin unferer erlangten 
Empfindungen, ſeyn. Wenn fie uns nun diefelben juft fo 
miederum ins Gemuͤth bringt, wie wir fie gehabt haben, 
obgleich ihre Klarheit abgenommen ; oder wenn fie ung ver⸗ 
gangene Dinge fo wiederum vorftelt, wie fie befchaffen ges 
weſen, fo find die Vorftellungen, die fie ung gibt, in der 
That Borftellungen vergangener Dinge, und folglich wahre. 
Einbildungen. Wenn fie aber die vergangenen Empfin« 
dungen vermehrt oder vermindert, oder irgends in Abſicht 
auf ihren Gegenftand verändert; wenn fie uns z. E. eine 
Begebenheit gröffer oder Fleiner worftelt, an einem andern 
Orte, zu einer andern Zeit u, f. w. als fie gefchehen ift, fo 
gibt fie ung falfche Einbildungen. Wenn wir uns vorftel« 
len, daß mir etwas empfunden haben, fo wir doch nicht 
empfunden, fo ift unfere Einbildung falfch. Daher entftes 
ben, aus dem Betruge der Sinne, allemal auch falſche 
Einbildungen, wenn wir ihm nicht bey Zeiten entdecken $. 
548. Geſetzt, ith habe geftern etwas gefehen, bilde ich mir 
heute ein, als wenn ich es vorgeftern aefehen hätte, fo iſt 
meine Einbildung falfd). nn woblgeorönete, —* 

4 e⸗ 


152 Von der Kinbildungskraft, 


bezaͤumte, oder unter das och gebrachte inbildungs- 
kraft iſt eine Einbitdungskraft, welche gewöhnlicher Weiſe 
wahre Einbildungen hervorbringt; oder fie befteht in der 
Fertigkeit, vergangene Empfindungen richtig zu miederhos 
len. ine ungesäumte, unordentliche und ausſchwei— 
fende Einbildungskraft bildet uns vergangene Empfin- 
dungen gewöhnlicher Weiſe unrihtig ein, und fie beſteht 
in der Fertigkeit, unrichtige Einbildungen zu erzeugen. 
Man Fan nicht genung fagen, wie ſchaͤdlich die unrichtigen 
Eindildungen find. Wenn ein Menſch ſich feinen vergan- 
genen moralifchen Zuftand, feine begangenen Sünden, feine 
Duffe und Bekehrung u. few. unrichtig vorftelt, fo ent« 
ſteht daraus Schwärmerey, Stolz, Niederträchtigkeit, und 
ter weiß wie viele andere Sünden. Folglich ift es ein 
groſſes Unglück für einen Menfhen, wenn feine Einbil— 
Dungsfraft ausfchmeifend wird, Man Fan noch einen Feh— 
ler bemerfen, den man eine gar zu erhitzte Einbildungs⸗ 
Fraft nennen fan, wenn fie die Fertigkeit befigt, die Ein« 
bildungen ungewöhnlich Elar und ftar zu machen, und 
wohl gar noch färfer und flärer, als die Empfindungen. 
ine gemäßigte Einbildungskraft im Gegentheil er. 
zeugt nur die Einbildungen, in der gewöhnlichen Klarheit 
und Stärke, Cine gar zu erhitzte Einbildungsfraft verure 
ſacht alle Verruͤckung, Phantafterey und Schwaͤrmerey, wie 
aus dem folgenden erhellen wird. 


KARTE HET HK HK FF FE HK EEE € 


Der dritte Abfehnit, 
von dem fiharffinnigen Witze. 


Ge 567. 
We koͤnnen, die verſchiedenen Erkenntnißvermoͤgen un⸗ 
ſerer Seele, in zwey Claſſen abtheilen. Einige ber 
ſchaͤftigen ſich bloß mit der Vorſtellung gewiſſer einzelnen 
Dinge, und fie find alſo an gewiſſe einzelne Gegenſtaͤnde ge— 
bunden. 3.€, die Sinne find uns bloß dazu gegeben, 
da 


Don dem feharffinnigen Wise. 153 

Das Gegenmwärtige. zu erfennen, und. die Finbildungsfraft, 
das Vergangene. Allein wir haben auch Erkenntnißver⸗ 
mögen, die an feine befondern einzelnen Gegenftände ge: 
bunden find, fondern welche, in Geſellſchaft aller übrigen 
Erfenntnißvermögen, wuͤrkſam find, und ung nur dazu ver 
liehen worden, daß wir an denen Dingen, die ung ein ans 
deres Erfenntnißvermögen vorftelt, gewiſſe Beſtimmungen 
erkennen follen. Und bieher gehört der feharffinnige Witz, 
den wir jetzo ausführlich unterfuchen wollen, Nemlich wir 
willen aus der Erfahrung, daß wir die Uebereinftimmuns 
gen unſerer Borftellungen und ihrer Gegenftände, ihre 
Aehnlichkeit und Gleichheit u. fm. erfennen. So ge: 
ſchieht es täglich, Daß ich denkes die Speife ſchmeckt eben 
fo gut, als gefteen, oder vor einigen Tagen. Folglich bat 
unfere Seele ein Bermögen, die Uebereinftimmungen der 
Dinge zu erfennen .$.61,. welches Bermögen wir den Witz 
im weitern Derftande nennen. Der Wis im engern 
Verſtande ift entweder die Fertigkeit, die Uebereinftim- 
mungen unferer Borftellungen und ihrer Gegenftände zu er⸗ 
Fennen; oder ein Wiß, der in einem höbern Grade bey ei- 
nem Menſchen angetroffen wird. Daher nennt man man- 
che Leute witzige Köpfe, nicht etiva weil fie überhaupt Wig 
haben: denn den haben alle Menfchen ; fondern weil fie 
einen merklich gröffern Wis haben, als viele andere Leute, 
Sa manchen $euten fpricht man den Wis ab, und nennt fie 
wißlofe Köpfe, nicht etwa weil fie gar Feinen Wis haben, 
fondern weil ihr Wiß nicht merflich groß if. _ Der Wis 
ift überhaupt nichts anders als, eine Aufmerffamfeit auf 
die Uebereinftimmungen unferer Borftellungen, und ihrer 
Gegenftände. $. 506, oder das Wermögen, die Vorſtel— 
lungsfraft der. Seele auf Die Lebereinftimmungen der Din- 
ge zu richten. = Und da Dinge einerley find, oder mit ein» 
ander übereinftimmen, wenn in dem einen ein Merkmal 
oder eine Beſtimmung ift, weiche aud) in dem andern ange- 
troffen wird S. 49, fo fönnen wie die Hebereinfkimmungen, 
unferer Vorftellungen und ihrer Gegenftände, nicht anders 
Rz er⸗ 


154 Don den fcharffinnigen Wise. 


erkennen, als wenn wir ihre gemeinfchaftlihen Merkmale 
und Beſtimmungen erkennen. Die Regel des Witzes, 
die er in feiner Wiürkfamfeit beobachte, Fan alfo fo ausge- 
Drucke werden : wenn man fich das Merkmal, oder 
die. Beftimmung des einen, als ein Merkmal und 
eine Beſtimmung des andern vorftele, foftelt men 
ſich beyde als einerley vor, oder man erkennt alsdenn 
ihre Uebereinftimmung.. | 
$. 568. * 

Man darf nicht glauben, als wenn nur witzige Köpfe 
den Wig nöthig. hätten. Sondern wir brauchen diefes 
Bermögen beftandig, wenn wir zufammenhängend denfen 
wollen. Damit man alfo, die unendliche Ausdehnung des 
MWirfungscreiffes des Wiges, und feinen unendlich groffen 
Nutzen in der menfchlichen Erkenntniß, einfehe; fo wollen 
wir, die Gegenftände deffelben, etwas ausführlicher erzeh- 
len. Zuerſt ift vor fich Flar, dag wir alle Begriffe von 
allen Aehnlichkeiten, Gleichheiten und Proporfionen, von 
allen innerlichen und äufferlichen, weſentlichen und auffer» 
weſentlichen Liebereinftimmungen der Dinge, diefem Ver— 
mögen zu Danfen haben. Und was für einen groſſen Theil, 
der menfhlihen Erfenntniß, machen diefe Begriffe nicht 
aus? Zum andern Fonnten wir gar Feine abftracten und 
allgemeinen Begriffe, folglich gar Feine allgemeine Erfennt« 
niß ohne Wis haben, und was würden wir alsdenn für 
Greaturen feyn? Alle abftracten Begriffe, Taube, Hund, 
Menſch, Ding, Geift u. ſ. m. ftellen uns die Aehnlichkei- 
ten der Dinge, als von ihren übrigen Beftimmungen und 
Verſchiedenheiten abgefondert, vor, und fie find demnach 
Greaturen des Witzes. Zum dritten fonnten wir, ohne 
Bis, Feine bejahenden Urtheile fällen : denn wir bejahen 
ein Prädicat von dem Subjecte, wenn wir uns vorftellen, 
daß es ihm zufomme ober mit ihm übereinftimme, Folg« 
fid) würden wir nicht einmal, bey irgends einem unferer 
Gedanken, wiſſen, daß es eben ber und Fein anderer Ge- 


danke fen, wenn wir feinen Wis hätten, Viertens wuͤr⸗ 
den 


Von den feharfjinnigen Wine, v5 


den wir gar Feine Begriffe von Drönung, Vollkommenheit / 
Wahrheit und Zufammenhang haben, wenn wir feinen 
Wis befäffen: weil die Ordnung, in der Hebereinftimmung 
des Beyfammenfeyns und der Folge der Dinge auf einan« 
der, beſteht, und alle Bollfommenheit, Wahrheit und Zu: 
fammenhang auf der Ordnung beruhet. in jeder nach» 
denfender Leſer Fan alfo leicht erachten, daß der allergröfte 
und wichtigfte Theil unferer Erkenntniß, durch Hilfe des 
Wißes, erlangt wird, 


Ab ac 

Die verfchiedenen Grade, und Vollkommenheiten des 
Witzes, beruben auf folgenden Gründen. 1) Sje mehrerer 
Dinge Uebereinftimmungen der Wig entdecken Fan, vefto 
gröffer ift er; je weniger aber derjenigen Dinge find, deren 
Uebereinftimmung der Wis beobachtet, defto kleiner iſt er. 
Daher fhreibt man jemanden mit Necht, einen groffen 
Wis, zu, wenn er bey allen Gelegenheiten wißige Einfälle 
hat. 2) Je unbekannter uns die Dinge find, deren Ueber: 
einftimmung wir zu enfdecfen im Stande find, defto gröffer 
ift unfer Wis. Es ift gar Feine Kunſt, die Uebereinftim- 
mung ehr befannter Dinge einzufehen. Wenn wir Dinge 
unendlich ofte gedacht haben, wenn fie uns täglich fo zu re: 
den vor Augen ſchweben, fo fält uns ihre Uebereinſtim— 
mung von felbft in die Augen, und es wird demnach, zur 
Beobachtung derfelben, ein fehr Fleiner Wis erfodert. Was 
fir Wis iſt wohl dazu nöthig, die Begriffe von einem Hun- 
de, von einer Taube, von einem Pferde zu denken? 3) Je 
verfchiedener die Dinge von einander find, deren Ueberein- 
ftimmung wir entdecfen, defto gröffer ift ver Wis. Wenn 
Dinge einander offenbar aͤhnlich und gleich find, wenn fie 
bey nahe ganz mit einander übereinftimmen, fo darf man 
nur einen flüchtigen Blick auf fie werfen, um ihre Ueberein: 
ftimmung gewahr zu werben. Allein wenn fie in einem fo 
hohen Grade von einander verfchieden find, daß fie dem 
erften Anfehen nad) gar nicht mit einander übereinzuftim- 
men feheinen, fo werden fiharfe Blicke dazu erfodert, ihre 
Ueber: 


156 Von dem febarffinnigen Wie. 


Uebereinftimmung zu entdecfen. Daher ſchreibt man einem 
Dichter einen groflen Wis zu, wenn er, von den verfchie- 
denſten Dingen, feine. Metaphern und Gleichniffe entlehnen 
kan. 4) Sge mehrere Uebereinftimmungen, Aehnlichkeiten, 
Gleichheiten und Vergleihungsftüde der Wis entdecken 
Fan; oder in eine je vielfältigere und mannigfaltigere Ver— 
gleihung der Wiß, die mit einander verglichenen Dinge, 
fegen Fan: defto gröffer ifter. Wenn man alfo neben den 
Aehnlichkeiten zugleich die Gleichheiten, und neben diefen 
zugleich die Aehnlichkeiten, folglich die Proportionen ent. 
defen fan, fo ift es ein Beweis der Gröffe des Witzes. 
Daher ift es bey einem Dichter ein Zeichen eines mangels 
haften Wißes, wenn er. zwar Aehnlichkeiten entdeckt, aber 
eine Sache mit unanftändigen Kleinigkeiten vergleicht, und 
unter den verglichenen Dingen gar Feine Proportion . beob- 
achtet, wodurch die Sleichniffe und Metaphern mebrentheils 
höchft lächerlich und abgefhmackt werden, 5) e wichtis 
ger und gröffer die Uebereinftimmungen find, die der Witz 
entdeckt, defto aröffer iſter. Wenn man alſo die innerli- 
chen, notbwendigen und mwefentlichen Lebereinftimmungen 
entdeckt, fo legt man dadurch einen groffern Wis an den 
Tag, als wenn man die äufferlichen, zufälligen und auffer- 
wefentlichen Lebereinftimmungen der Dinge entdeckt. Da- 
her die Wortfpiele, ein Zeichen eines unendlich Eleinen 
Witzes, find. 6) Unfer Wig ift um fo viel gröffer, je 
gröffer diejenigen fremden Vorſtellungen find, die vor der 
Wuͤrkſamkeit des Wißes in der Seele dageweſen, und mit 
ihr zugleih-vorhanden find. Alsdenn find viele Hinder- 
niffe in der Seele da, und der Wis muß um fo viel flärfer 
feyn, weil er vermögend ift, mitten unter fo vielen Bor» 
ftellungen von anderer Art, feine Gedanken zu wirken, 
Ein Menfch legt einen Fleinen Wis an den Tag, wenn er 
erft fange fih vorbereiten, und alle fremde Gedanfen aus 
dem Sinne ſchlagen muß, ehe fein Wis in Gang kommen 
Fan, und wenn er von allen andern Gedanfen abftrahiren 


muß, um wißig zu denken, Wer aber mitten in einem 
Ge⸗ 


EEE 





Don dem ſcharfſinnigen Witzʒe. 157 


Geſpraͤche, oder wenn er die tiefſinnigſten Wahrheiten 
durchdenkt, auf witzige Einfaͤlle geraͤth, der beweiſt dadurch 
die Stärfe feines Witzes. 7) Je leichter und geſchwinder 
der Wi die Uebereinftimmungen entdecken Fan, deſto ſtaͤr— 
fer ter. Je ſchwerer es aber einem Menfchen anfomt, 
wigig zu denfen, je langfamer fein Wig gebaͤhrt, deſto klei⸗ 
ner iſt er. Und 8) je klaͤrer, richtiger, gewiſſer und ſtaͤr⸗ 
ker ſich der Witz die Uebereinſtimmungen vorſtelt, deſto 
gröffer ift er. Je ſchwaͤcher, dunkeler, unrichtiger, zwei⸗ 
felhafter aber die witzigen Gedanken ſind, deſto kleiner iſt 
der Witz. Diefe Betrachtungen enthalten die erſten Grün. 
de, aus denen, die Regeln wigig zu denken, Fönnen — 
leitet werden, 
$. 570. - 

Wir wiſſen aus unferer täglichen Erfähring! daß wir 
uns, der DBerfchiedenheiten der Dinge, bewußt find. Wir 
unterfeheiden die Dinge von einander, und erfennen ihre 
Unähnlichkeit, Ungleichheit, und wie die Berfehiedenheiten 
der Dinge alle heifjen mögen. Folglich hat unfere Seele 
ein Bermögen, den Unterfchied der Dinge, oder die Ber 
fhiedenheiten ver Dinge zu erkennen, und diefes Erkennt. 
nifivermögen wollen wir die Scharffinnigkeit im wei⸗ 
tern Derftande nennen. Die Scharffinnigfeie im 
engern Verſtande ift die Fertigkeit, die Berfchiedenheiten‘ 
der Dinge zu erkennen; oder dag Vermögen, die Berfchies 
denheiten der Dinge zu erkennen, wenn es merflic) groß 
und vollfommen ift. Daher fpricht man, manchen Leuten, 
die Scharfſinnigkeit ab. Nun iſt es unmöglich, daß ein 
Menfch zu finden feyn folte, welcher gar Fein Vermögen bes 
figen folte, die Verfchiedenheiten der Dinge zu erkennen, 
Allein es fan viele Menfihen geben, denen Die Fertigkeit 
dieſes Vermoͤgens fehlt, und welche dieſes Vermoͤgen in 
feinem merklichen Grade, und in feiner merklichen Boll: 
kommenheit, befißen. Die Scharffinnigkeit ift nichts an- 
ders, als eine Aufmerffamfeit auf die Berfihiedenheiten der 
Dinge $. 506, —* es komt der Seele die Scharffinnig- 

keit 


158 - Don dem fiharffinnigen Witze. 


keit zu, indem es ihrer Vorſtellungskraft möglich ift, auf 
die Berfchiedenheiten ihrer Gegenftande fich zu richten, oder 
gerichtet zu werden. Und da Dinge von einander ver- 
fhieden find, wenn in dem einen Merkmale und Beftim- 
mungen angetroffen werden, die ihm eigen find, und welche 
in dem andern nicht angetroffen werden, und ihm zumider 
find .$. 49. fo entdeckt Die Seele die VBerfchiedenheiten der 
Dinge, wenn fie diefe Merkmale erkennt, indem fie mehre— 
re Dinge zugleich fih vorftele. Folglich fan man die Re- 
gel der Scharfſinnigkeit, die fie in ihrer Wuͤrkſamkeit 
beftändig beobachtet, ‚fulgendergeftale ausdrucfen : wenn 
man fich die Merkmale oder Deftimmungen des eis 
nen unter mebrern Dingen, als Merkmale und Be— 
ſtimmungen, vorftele, die den andern nicht zukom⸗ 
men, fo erkennt ınan ihre Verſchiedenheit. Sind 
diefe Merkmale Befchaffenheiten, fo entdeckt man die Un— 
aͤhnlichkeit; find.es aber Gröffen, fo entdecke man die Uns, 


gleichheit u. ſ. w. 9. 70, 


el 

Die Scharffinnigkeit ift ein Erfenntnifvermögen, 
welches wir bey allen unfern Gedanfen nöthig haben, und 
wovon ein fehr groffer Theil unferer Erkenntniß herruͤhrt. 
Einmal. fönnen wir, ohne Scharfjinnigfeit, gar nicht den- 
fen. So ofte wir uns einer Sache bewußt feyn wollen, 
oder fo ofte wir denken wollen, fo ofte müffen wir fie, und 
ihre Borftellung in unferer Seele, von andern unterſchei— 
den. Und folglich würde unfere ganze Erkenntniß mie 
einee ewigen Finfterniß bedeckt feyn, wenn wir Feine 
Scharfſinnigkeit beſaͤſſen. Alle Klarheit, Deutlichkeit, 
Ausfuͤhrlichkeit, Gewißheit unſerer Erkenntniß, ruͤhrt von 
der Scharfſinnigkeit her. Zum andern wuͤrden wir keine 
einzige Unterſcheidung in den Wiſſenſchaften einſehen koͤn— 
nen, wenn wir Feine Scharfſinnigkeit beſaͤſſen, und es 
würde demnach. die ganze menfchliche Erkenntniß, und bie 
ganze Gelchrfamfeit, ein verworrenes Chaos feyn, wein. 
wir Diefes Dermögen nicht beſaͤſſen. Zum dritten würden 
wir 


Von dein feharffinnigen Witze. 159 


wir Feinen Begrif von der Umordnung, Unrichtigkeit, "Un: 
pollfommenheit, Mangel, Berneinung, Untechrmäßigfeit 
und Sr haben, wenn wir feine Scharffinnigfeit be> 
faͤſſen. Alle diefe Sachen beftehen in einer Berfchieden- 
heit der Dinge, und es Fan alſo ein jedweder $efer ſich 
felbit, von der Richtigkeit diefer Anmerfung, überzeugen. 
Die Erfahrung lehrt auch, Daß bey vielen Leuten, bloß der 
Man Bi der Schärffinnigkeit, daran fchuld ift, daß fie ofte 
das Sücherlihe und Unanftändige ihrer ae nicht 


PIE koͤnnen. 


a RR 

Eben fo, als wir die Grade des Witzes ISDN 
haben $. 569. Fünnen auch, Die unferfchiedenen und man- 
nigfaltigen Grade der Scyarffinnigkeit betrachtet werden. 
Nemlic 1) je mehrerer Dinge Verſchiedenheit man zu er- 
fennen vermögend ift, defto groͤſſer ift unfere Scharflin- 
nigkeit; je weniger Dinge wir aber von einander zu unter⸗ 
ſcheiden im Stande find, defto kleiner iſt dieſes unfer Er- 
Eenntnißvermögen. Daher ſchreibt man jemanden eine 
groffe Scharffinnigtelt zu, wenn er an einer Sache und in 
46 z. E. lin einem Laſter, oder in einer Tugend, ſehr 
vieles und, mancherley entdecken und don einander unter— 
fheiden fan. 2). Se unbefanter die Dinge find, die wir 
dennoch zu unferfheiden vermögend ſind, deſto groͤſſer iſt 
die Scharfſinnigkeit. Es iſt gar Feine Kunſt, den Unter— 
ſchied folcher Dinge zu erfennen, Die uns täglich vor Den 
Augen ſchweben, mit denen wir in einer langen Bekannt⸗ 
(af ftehen, und die wir fehr lange betrachten. Wenn 
wir aber, gleich bey der erften Befanntfchaft mit der Sa- 
che, ihre KR De entdecken fönnen, fo muß un: 
fere Scharfſinnigkeit groß feyn. 3) Se hheremftättiehs 
der, ähnlicher und gleicher Diejenigen Dinge einander find, 
deren Unterfchied. wir entdecken koͤnnen, defto geöffer ift un: 
fere Scharflinnigfeit. Schwarz und weiß don eittander 
zu unterfcheiden, Eofter gewiß wenig Nachdenken, Wenn 
alſo Dinge offenbar von einander unterfchieden find, wenn 


jie 


»60 Don dem feharfjinnigen Wine. 


fie ‚bey nahe gar ‚Feine Uebereinftimmung mit einander zu 
haben fcheinen, alsdenn verräth man, Durch die Entdeckung 
ihrer Berfchiedenheit, nur einen fehr geringen Grad der 
Scharffinnigfeit. Allein dazu geboren ſchaͤrfere Blicke, 
wenn man die Verſchiedenheit folher Dinge entdecken will, 
welche bey nahe ganz einerley zu fern feheinen, und deren 
Berfchiedenheit ſehr unmerklich und verſteckt iſt. Daher 
diejenigen Gelehrten eine ausnehmende Scharfſinnigkeit an 
den Tag legen, welche von den meiſten andern Menſchen 
unbemerkte Unterſcheidungen entdecken, 4) Se mehrere 
und mannigfaltigere Verſchiedenheiten, Unaͤhnlichkeiten 
und Ungleichheiten, man entdecken kan, deſto groͤſſer iſt die 
Scharfſinnigkeit. Es iſt alſo allemal ein Beweis der 
Groͤſſe dieſes Vermoͤgens, wenn man im Stände iſt, Din⸗ 
ge ſo mit einander zu vergleichen, daß unendlich viele Un— 
terſcheidungsſtuͤcke entdeckt werden. 5) Je groͤſſer Die 
Verſchiedenheiten der Dinge, und je wichtiger und erhebfi- 
cher fie find, welhe die Scharffinnigkeie entdeckt, deſto 
gröffer ift dieſes Vermögen. Es ift alfo ein Beweis einer 
gröffern Bollfommenbeit dieſes Erkenntnißvermoͤgens, 
wenn man die innerlichen, nothwendigen und mefentlichen 
Berfihiedenbeiten in den Dingen entdedt, als wenn man 
nur Aufferliche, zufällige und auſſerweſentliche Berfchieden- 
beiten gewahr wird, 6) Je ſtaͤrker die fremden Vorſtel 
lungen find, welche vor der Würffämfeit der. Scharffin: 
nigkeit in der Seele da geweſen, oder mit-ihr zugleich da 
find,. deſto gröffer muß dieſes Vermögen feyn, wenn es 
demohneraihtet im Stande ift, aller Diefer vielen Hinder: 
niſſe ohnerachtet, fcharffinnig zu denken. Wer ſich vor: 
laͤufig alle fremde Gedanken aus dem Sinne ſchlagen muß, 
wenn er einen Unterſchied der Dinge einſehen will, und wer 
zu eben der Zeit nichts anders denken muß, der verraͤth 
die Schwache feiner Scharffinnigfeit, 7) Je leichter und 
geſchwinder die Scharffinnigfeit Die Verſchiedenheiten ent- 
decken Fan, deſto gröfler ift fie. Je ſchwerer es ihr aber 
wird, einen Unterfchied einzufeben, und je langfamer Hai 

Ne 


Don dem feharfjinnigen Witzʒe. | 151 


Einſicht erfolget, deſto ſchwaͤcher und kleiner iſt ſie; und 
8) je ſtaͤrker und beſſer, je klaͤrer, richtiger und gewiſſer 
die Scharfſinnigkeit den Unterſchied der Dinge erkennt, 
deſto groͤſſer und vollkommener iſt ſie. Eine Scharfjin- 
nigkeit muß ſehr klein und unvollkommen ſeyn, welche uns 
nur ſehr ſchwache, dunkele, unrichtige und ungewiſſe Be— 
griffe, von den Verſchiedenheiten der Dinge, verſchaffen 
fan, ’ 


$.. 57. 

Witzige Vorftellungen find alle Boritellungen, 
welche von dem Wige gewürft werden. Go ofte wir alfo 
uns die Hebereinftimmungen der Dinge vorftellen, fo ofte 
haben wir wißige Vorſtellungen. emeiniglich verjteht 
man, durch wigige VBorftellungen, nur diejenigen Vorſtel— 
lungen der Webereinftimmungen der Dinge, welche durch 
einen geöflern und vollfommenern Grad des Witzes ges 
wuͤrkt werden, und man nennt fie auch manchmal alsdenn 
Spielwerke des Witzes. Scharffinnige Dorftellun- 
‚gen find alle Borftellungen, welche durch die Scharfſinnig— 
keit gewuͤrkt werden; folglich alle Borftellungen der, Ver— 
fchiedenheiten der Dinge. Manchmal aber nimt man die: 
ſes Wort in einer engern Bedeutung, und verſteht Darun- 
ter nur diejenigen Vorftellungen der Berfchiedenheiten der 
Dinge, ‚welche durch einen gröffern und vollfommenern 
Grad der Scharffinnigkeit gewuͤrkt werden, und alsdenn 
heiffen fie auch feine Gedanken, oder Subtilitäten. 
Nun find wie Menfchen den Irrthuͤmern bergeftalt unter 
worffen, daß wie in allen Arten unferer Borjtellungen ir— 
ren fönnen. Folglich gibt es auch falfche wisige, und fal= 
fche fharflinnige Borftellungen. Jene beiffen ein Blend— 
werk des Witzes, und viefe leere Spisfindigkeiten. 
So ofte wir ung alfo Dinge als einerley vorftellen, die cs 
richt find, oder fo ofte wir uns eine Uebereinftimmung uns 
ter ihnen vorftellen, in welcher fie nicht fteben, oder fo ofte 
wir fie uns in einem höhern oder gevingern Örade als einer: 
ley vorftellen, als fie es in der That find: fo ofte macht 

3. Theil, & uns 


162 Von dem febarfjfinnigen Witze. 


uns unfer Wis ein Blendwerf vor. Als wenn z. €. die 
Materialiften die Gedanken der Seele, mit den materialis 
ſchen Bildern des Gehirns, für einerley halten, und man 
findet, in allen fehlechten Dichtern, genung Biendwerk des 
Wiges. Eben fo find es leere Spisfindigkeiten, wenn man 
fih Dinge als verfchieden vorfielt, die es nicht find, ‘oder 
wenn man unter würflich verfchiedenen Dingen eine andere 
Verfchiedenheit annime, als zwifchen ihnen Amgetroffen 
wird, oder wenn man fie in einem höbern oder geringern 
Grade für verfchieden hält, als fie es in der That find. 
So unterfcheiden manche Weltweife, durch eine leere Spitz⸗ 
findigfeit, von den Gubftanzen und Aecidenzien die weſent— 
lichen Stücke, da fie doc) nichts anders als Accidenzien 
find, und fo find, die Schriften der Gelehrten in allen 
Theilen der Gelebrfamkeit, mit dergleihen Spigfindigfeis 
ten angefuͤt. Nun gibt es Gedanken, die weder durch 
den Wis allein, noch durdy die Scharfjinnigfeit allein ges 
wuͤrkt werden, fondern welche durch einen feharffinnigen 
Wis, und durch eine witzige Scharffinnigfeit hervorge— 
bracht werden, und man Fan diefelben finnreiche Vor- 
frellungen nennen. Sind diefelben nun ſinnliche Vor— 
fteflungen, und in einem hoben und merflichen Grade voll« 
fommen, fo heiffen fie artige Einfaͤlle, und ein artiger 
Einfall, bey dem man zunachft die Abficht Hat ein Sachen 
zu erwecken, wird ein Scherz genannt. Es ift unnöthig 
die Weitläuftigkeit zu begeben, und dieſe Erflärungen 
durch Benfpiele zu erläutern; weil dergleichen Benfpiele 
einem jedweden befannt find. Und id) babe dieſe Arten 
der Borftellungen nicht nur in meiner Aeftherif, fondern 
auch in meinen Gedanken von Scherzen ausführlich abge: 
handelt, 


$. 574 
Alte Dinge in der Welt find theils einerlen, theils 
von einander verfihieden, und es gibt eine allgemeine Aehn⸗ 
lichkeit, Unaͤhnlichkeit, Gleichheit und Ungleichheit unter 
allen Dingen in der Welt $. 445. Wenn alfo die Geele, 
ihre 


Don den feharffinnigen Wise, 163 


ihre Vorſtellungen der Uebereinftimmungen und Verfchie- 
denheiten der Dinge, felbft würft, fo bedarf fie dazu Feiner 
andern Kraft, als derjenigen, wodurch fie fich die Welt vor: 
ftelt. Denn wenn fie ſich durch dieſe Kraft die Welt vor. 
ftelt, mie fie ift, fo muß fie aud) nothwendig, Die Leber 
einftimmungen und Berfchiedenheiten der Dinge in der 
Welt, entdecken. Und folglidy werden alle wißigen und 
ſcharfſinnigen Berftellungen, in fo ferne fie Handlungen der 
Seele find, durch Die Borftellungskraft der Welt nach der 
Stellung des Leibes gewuͤrkt $. 488. Man merft daher 
auch bey Fleinen Kindern fchon, daß bey ihren Empfinvun: 
gen, fo bald fie klar werden, ſich auch diefe Erfenntnißver- 
mögen zu aͤuſſern anfangen, und eben das geſchieht bey al- 
len übrigen Arten der Borftellungen, ohne daß man den 
Vorſatz haben folte, die Lebereinftimmung oder Berfchie: 
denheif zu entdecken; fondern wir erfennen in der Kindheit 
die Uebereinftimmungen und Berfchiedenheiten der Dinge, 
nachdem fie gegen unfern Körper fo oder anders geftelt find, 
Nun lehrt uns ferner die Erfahrung, daß mir, die Ucber- 
einftimmungen und Berfchiedenheiten, entmeder deutlich 
oder undeutlich erfennen, Wir fünnen in einem Gleich— 
niffe, in einer Allegorie, oder in den allgemeinen Begriffen 
der Wiffenfchaften, die Lebereinftimmungen der Dinge fehr 
deutlich denfen, und die Lebereinftimmungsftüce, welche 
3. E. die endlichen Geifter und GOtt mit einander gemein 
haben, nach) einander her erzählen. Allein wie ofte ſtellen 
wir uns nicht, die Nehnlichfeiten der Dinge, bloß undeurs 
lid) vor ? Eben fo verhält es ſich auch, mit den Verſchie— 
denheiten der Dinge. Wir Fönnen fehr deurlich denfen, 
wie GOtt von den Creaturen unterfchieden fen; allein die 
verfchiedenen Arten der Farben, des Geruchs, des Ge: 
fhmads w ſ. w. unterfcheiden wir nur undeutlich von ein- 
ander. Folglich ift der Wig entweder ein finnlicher 
Witz, oder ein vernünftiger. 'yener ift das Vermös 
gen, die Webereinftimmungen der Dinge undeuelich zu er: 
fennen, diefer aber das Vermögen diefelben deutlich zu er- 

2 fennen, 


164 Don dem feharfjinnigen Witzʒe. 


kennen. Die finnliche Scharfjinnigkeit it das Ver— 
mögen, die Berfchiedenheiten ver Dinge undeutlich zu er— 
fennen, die vernünftige aber ift das Vermögen, dieſel— 
ben deutlich zu erfennen. And es ift vor fich Flar, was 
der finnliche und vernünftige feharfjinnige Witz fen. 
Jener ift eins der vornehmſten und wichtigiten Stüde des 
fihönen Geiftes. Folglich handelt auch die Aeſthetik von 
der Berbeflerung, und den rechten Gebrauche des finnli= 
hen feharffinnigen Wiges, desgleichen von den ſinnreichen 
Gedanken, und dem Vortrage derfelben 9.527. Es ift 
befonders, daß ein Menſch, nad) Verſchiedenheit feiner Les 
bensart, feiner Hebungen, und feiner natuͤrlichen Einrich— 
tung, in einigen Stuͤcken fehr ſinnreich denken Fan, in ans 
dern aber fo fehlecht denkt, daß es fcheint, als babe er we— 
der Wis noch Scharffinnigkeit, und daß er alsdenn von 
$euten überfroffen wird, die viel fchlechtere Gemürbsfräfte 
haben. So fan, ein Mathematiker und Metapbyfifer, eine 
ungemeine und feltene Scharffinnigkeit in den Wiſſenſchaf⸗ 
ten an den Tag legen, und demohnerachtet nicht im Stan- 
de fenn, das Lächerliche und Abgeſchmackte in der Kleidung 
zu beobachten. ı Das madıt, die Erfenntnißvermögen un— 
ſerer Seele koͤnnen nicht allwiffend werden, | 
$. 575. 

Alle Vermoͤgen unferer Seele beftehen in folchen: 
Möglichkeiten zu handeln, vermöge deren die Seele, auch 
in ihrer Verknüpfung, in welcher fie mit ihrem Leibe ftebt, 
handeln fan. Folglich find fie ſaͤmtlich bedingte Vermoͤ⸗ 
gen $.170.° Da num, ein jedwedes groͤſſeres bedingtes 
Bermögen,eine Fertigkeit genannt wird $. 177, fo find alle 
geöffere und merklichere Grade aller Erfenntnißvermögen, 
und aller übrigen Bermögen der Seele, Fertigfeiten. Die 
Fertigkeiten der Erkenntnißvermoͤgen werben, theoretifche 
Fertigkeiten, genannt, wohin z. E. der Wis und Die 
Scharfſinnigkeit im engern Berftande, ſamt dem feharffin- 
nigen Witze gehören $. 567. 570. 573, desgleichen die Fer— 
tigkeit zu empfinden, und ſich etwas einzubilden. Durch 

eine 


Von dem feharffinnigen Wise, 165 


eine Uebung verftcht man die öftere MWiederhofung einer 
und eben derfelben Handlung; oder wenn man, zu verfchie- 
Denen Zeiten, viele Handlungen von einerley Art vornimt, 
So übt man ſich in einer Sprache, wenn man ofte in der: 
felben Sprache redet und ſchreibt. Nun babe ich 9. 171. 
erwiefen, daß eine Fertigfeit in einer Handlung. entftehr, 
wenn man diefelbe ofte thut: dieſes gefihieht aber bey einer 
jedweden Lebung, folglich Fan man durch Lebungen nicht 
nur Fertigkeiten erlangen, die man nod) nicht gehabt, fons 
dern auc) diejenigen, die man ſchon befigt, vermehren, So 
fan man durch Hebung nicht nur eine Fertigkeit in einer 
Sprache zu reden erlangen, Die man noch) gar nicht gehabt, 
fondern man Fan auch, Durch Uebungen, die Fertigkeit in 
einer Sprache gewaltig vermehren, Und eben das gilt 
auch, von den Fertigkeiten der Seele, Alle Fertigkeiten 
der Seele find entweder natürliche, oder übernatürliche $. 
406 413. Die übernatürlichen Sertigkeiten können 
auch, göttliche Gaben, genannt werden. So befamen die 
Apoftel, durch ein Wunderwerf, Die Fertigkeit fremde 
Sprachen zu reden, In der Weltweisheit Fan: man von 
dieſen Fertigkeiten nichts weiter fagen, als was wir in der 
Eofmologie, von allen hbernatürlichen Begebenheiten, ges 
kehrt haben. So viel aber ift gewiß, daß Diefe Fertigkei— 
ten nicht durch Uebungen erlangt werden, und wer nidje 
alle Wunderwerfe leugnet, der muß fagen, daß man irre, 
wenn man eine Fertigkeit Durch eine Seichtigkeit zu handeln 
erklärt, welche man durch Uebung erlangt er müfle denn, 
aus einer lächerlichen Halsftarrigkeit, diefe Erklaͤrung ‚wer: 
theidigen, und fagen, Daß übernatürliche Sertigfeiten Feine 
Sertigfeiten Fönnten genannt werben. Es bat Weltweife 
gegeben, welche fo fehr geſchwaͤrmt haben, daß fie vorge: 
geben, ihre Weltweisheit fey eine hbernatürliche Fertigfeit, 
und ein folher Menfch nenne ſich einen Theofophus; Die 
natürlichen Fertigkeiten werden entweder durch Die Hebung 
nach und nad) erlangt, oder nicht. Jene heiſſen die er⸗ 
langten Sertigfeiteis, bey denen Feine — vor⸗ 
83 omt. 


66 Don dem feharfjinnigen Witzʒe. 


komt. Die legtern aber werden, angebohrne Sertigkei: 
ten, genannt, Wer in der Erklärung fehon annimt, das 
eine jediwede Fertigkeit Durch Hebung erlangt werde, der 
nimt Feine angebohrne Fertigkeiten an, fondern er nennt 
Das, was eine angebohrne Fertigkeit genannt wird, KIas 
turgaben, oder angeborne und natürliche Geſchicklichkeiten. 
"Allein das ift eine Kleinigkeit, und es enrfteht daher bloß 
ein Streit über Worte. Die Hauptfache betrift die Fra— 
ge: ob einem Menfchen, ein fo groffer Grad eines Ver— 
mögens der Seele, koͤnne angebohren werden, den die mei= 
ften Menfchen nur durch Hebung erlangen ? Und da muß 
diefe Frage, bloß durch die Erfahrung, entfchieden werden. 
Ein geborner Dichter bringt einen fo groffen Grad des 
Witzes mit auf die Welt, den die meiften andern Men— 
fehen erft durch Lebung erlangen muͤſſen. Man nehme 
zwey Kinder, und übe fie in einerley Handlung auf einer: 
ley Art. Warum komt eins dem andern, in fo furzer 
Zeit, ofte unendlich weit vor? Man Fan bier feinen bef- 
fern Grund angeben, als weil das erfte einen groflen Grad 
der Erkenntnißvermoͤgen mit auf die Welt gebracht hat, 
den das andere erft erlangen muß. 
576. 

Je gröffer eine Fertigkeit ift, deito leichter und ge- 
ſchwinder wächft fie durch Uebung. Denn je gröffer die 
Sertigfeit eines Menfchen in einer gewiſſen Handlung ift, 
defto ofter, leichter, geſchwinder und in einem defto gröf- 
fern Grade Fan er diefe Handlung wiederholen, oder fich 
ferner üben, Je mehr er fih übe, defto gröffer wird die 
Fertigkeit $. 17.. Wenn man eine Sprache lernt, fo fan 
matt, die erften Uebungen, fehr ſchwer, langſam und in ei- 
nem fehr Fleinen Grade verrichten, folglich nimt man die 
eriten Wochen Faum merflich zu, endlich aber kan man in 
einem Tage mehr zunehmen, als im Anfange in ganzen 
Monathen. Aller Anfang in allen Handlungen ift ſchwer, 
weil wir noch gar Feine, oder nur eine fehr Eleine Fertigkeit 
in denfelben befigen, In einem je höbern Grade uns alfo 

der 





Von den fcharfjinnigen Wise, 167 


der Wis, die Scharffinnigfeit, und alle übrige Bermögen 
der Seele angebohren find, deſto leichter und geſchwinder 
fan man fie durch Lebungen vermehren. Und dieſes be- 
ftätiget die Erfahrung bey allen Kindern, die einerley Un— 
terricht und Erziehung genieffen, deren ‚einige allemal in 
einerley Zeit viel weiter fommen, als vie andern. Kin 
Menfch der einen merklichen Mangel an Wise hat, wird 
ein dummer Kopf genannt, und wen die Scharffinnigs 
Feit merflich mangelt, ift ein ftumpfer Kopf. Und wenn 
beyde Kräfte zuſammen bey einem Menfchen fehr Flein find, 
fo wird er ein abgeſchmackter Menſch genannt. Da 
nun, aufdem Wise und der Scharffinnigfeit, ein fo grof: 
fer und wichtiger Theil der menfchlichen Erfenntniß beru- 
het; fo erhellet daraus, wie elend die Erfenntniß abge: 
ſchmackter Köpfe feyn müffe. Sie find zur gelehrten Er- 
Fenntniß eben fo vollfommen ungeſchickt, als zur ſchoͤnen 
Erkenntniß. Die allgemeinen abftracten Unterfuchungen 
in den Wiſſenſchaften gaffen fie verdugt an, und fehen 
nichts, und die fehönften und finnreichiten Gedanfen hören 
fie mit aufgefpertem Munde an, es ſumt ihnen dabey im 
Kopfe, und koͤnnen fich nicht begreifen, was fie dabey den- 
fen follen. Auch in allen übrigen Gefchäften des menſch— 
tichen tebens verrathen fie die Plumpheit ihres Gehirns, 
alles greifen fie auf eine ungefihickte Art an, und fie fihei: 
nen.von ber Natur ganz verwahrlofet zu feyn. 


8. 577: 

Damit man die Wichtigkeit des Wises und der 
Scharfſinnigkeit noch befler erfenne, fo wollen wir noch 
zweyerley bemerken. ° Einmal, alie Irrthuͤmer entftehen, 
durch die Verblendung des Wiges. Denn, wenn wit itz 
ren, halten wir entweder das Falfıhe für wahr, oder das 
Wahre für falfch. Da nun das Wahre und Falſche him— 
melweit von einander: unterfchieden find, fo koͤnnen mir 
nicht andere irren, als wenn wir verfehiedene Dinge, in fo 
ferne fie von einander unterfchieden find, für einerlen hal⸗ 


fein und es entftehen mac; alle Irrthuͤmer, durch ein 
$ 4 Blend⸗ 


168 Don dem fcharffinnigen Wise, 


Blendwerk des Wises 9.573. Die Erfahrung lehrt auch, 
daß die wißigften Köpfe, wenn fie fich bloß auf die Ver- 
gröfferung des finnfichen Wißes legen, die meiften und 
groͤbſten Irrthuͤmer ausbeden, und Irrende koͤnnen auch 
ihren Irrthuͤmern auf keine geſchicktere Art den Schein der 
Wahrheit geben, als durch witzige Gedanken. Zum an— 
dern kan kein Irrthum, ohne Scharfſinnigkeit, entdeckt, 
und vermieden werden, Wir koͤnnen den Irrthum nicht 
anders entdecken und vermeiden, als wenn wir das Wahre 
von dem Falſchen unterſcheiden, und die Verſchiedenheit der— 
jenigen Vorſtellungen und Sachen einſehen, aus deren 
Verwechſelung der Irrthum entſtanden iſt; folglich nicht 
anders, als vermittelſt der Scharffinnigfeit $. 570. Die 
Serthümer geben daher allemal die Gelegenheit zu Subtiz _ 
litaͤten, und deren Erfindung. Wenn eine Wahrheit zu- 
erst unter den Menfchen befannt gemacht wird, fo wird fie 
fchlecht und recht vorgetragen, und geglaubt, Alsdenn fin- 
ven ſich nad) und nach Seute, welche fie leugnen und Irr— 
thuͤmer ausbeden, indem fie Sachen mit einander verwech— 
jeln, die von einander verfchieden find. Was wollen nun, 
die Freunde der Wahrheit, tbun ? Sie Fönnen fih nicht 
anders helfen, als wenn fie durch Subtilitäten diefe Ver— 
wirrungen entdecken: denn fie find das Gegengift der Irr— 
thuͤmer. So iſt es, in der Gottesgelahrheit, gegangen, 
da die theologifchen Subtilitäten erft entitanden find, nach- 
dem die Kegereyen entftanden. Wer alfo ein Feind der 
Eubtilitäten ift, der verräth entweder einen ftumpfen Kopf, 
oder er iſt ein heimlicher Beförderer und Patron der Irr— 
thümer, oder er befördert die Irrthuͤmer ohne fein Willen 
und Willen. : Hieraus ift leicht zu erachten, was man von 
denjenigen zu halten hat, welche die heutige Gottesgelahr— 
heit als eine ſtroherne Wiffenfchaft verachten, und wuͤn— 
fhen, daß fie in ihre erſte Einfalt wiederum zuruͤckkehren 
möge. Ja hieraus: erheflet‘ zugleich, warum der Schein: 
beweis eines Irrthums, und ein Einwurf wider eine 
Wahrbeit, leichter und Fürzer vorgefragen werden Fan, als 

die 


Von dem Gedächtniffe. 169 


die Beantwortung deffelben. Jener bedarf Feiner Scharf: 
finnigfeit, wohl aber die leßtere. Und da die meiften 
Menfchen, wenig Scharffinnigfeit und wahren Wis, bes 
fisen, fo werden die Feinde dee Wahrheit allemal, unter 
den Menfchen, mehr Befall finden, als ihre Bertheidi- 
ger, Wie betrübt ift nicht, in diefem Puncte, das Schick, 
fal der Menfchen ! 


RER KETTE FE FREE FEN KK KR HERR 


Der vierte Abfchnitt, 
Don dem Gedaͤchtniſſe. 


9. 578. 

Man ſtelt ſich das Gedaͤchtniß gemeiniglich als ein Be⸗ 
haͤltniß der Vorſtellungen vor, in welchem die Seele 
dieſelben aufbewahrt, und aus welchem ſie dieſelben beduͤr— 
fenden Falles wieder herausnimt. Nun kan man dieſe 
Erklaͤrung zwar als ein ganz gutes Gleichniß anſehen, wo— 
durch der Begrif von dem Gedaͤchtniſſe erlaͤutert werden 
kan; allein man betruͤgt ſich, wenn man ſie fuͤr eine rich— 
tige logiſche Erklaͤrung des Gedaͤchtniſſes haͤlt. Die Ein— 
bildungskraft iſt eigentlich dasjenige Vermögen, welches 
uns unfere vordem gehabten Vorftellungen wieder ins Ger 
müth bringt, und das Gedaͤchtniß erkennt fie wieder für 
diejenigen Borftellungen, die fie vordem gehabt hat. Nem— 
lich wenn eine Borftellung, die wir ſchon gehabt haben, 
uns wieder ins Gemuͤth Fomt, und mir erkennen, daß es 
eben diejenige fey, Die wir vordem gehabt haben, fo erken⸗ 
nen wir fie wieder, oder wir erinnern uns derfelben. 
Die Erinnerung befteht alfo in der Erfenntniß, daß die 
Borftellung, welche uns die Einbildungsfraft wieder ins 
Gemuͤth bringt, mit derjenigen einerley fen, die wir vor: 
dem gehabt haben, Wir fagen auch, daß wir ung einer 
Sache erinnern, wenn wir fie uns vorftellen, und zugleich 
erfennen, daß es eben diefelbe Sache few, die wir vor die- 
fer Zeit gefehen, gehört, oder auf irggnds eine andere Art 
25 ung 


! 


{70 Don den Bebdächtniffe. 


uns worgeftelt haben. Manchmal ftellen wir uns, unfere 
vergangenen Borftellungen, famt ihren Gegenftänden, wie- 
der vor, ohne uns zu erinnern, daß wir fie fhon gehabt 
haben. Cs gefchiebe ofte, daß wir einen Menfchen fehen, 
den wir ſchon vordem gefannt haben; aflein wir erinnern 
uns beffelben nicht glei. So bald wir aber erfennen, 
daß wir vordem zu der und der Zeit, oder an dem und dem 
Orte, dieſen Menſchen ſchon geſehen haben, ſo bald ſagen 
wir, daß wir uns ſeiner erinnern, oder ihn wieder erken— 
nen. Ofte haben wir, vor einigen Tagen, etwas gelefen 
oder gehört. Wir werden heute gefragt, ob mir es nicht 
gelefen oder gehört haben? Manchmal Ffünnen wir uns 
nicht erinnern, ob wir uns gleich vorftellen, was mir gele- 
fen oder gehört haben follen. So bald wir aber erfennen, 
daß es eben Das fey, was wir gelefen und gehört haben, fo 
bald fagen wir, daß wir uns deflen erinnern. Es find 
alfo zweyerley Veränderungen, Die nicht immer beyſammen 
find : einmal eine vorhergehabte Borftellung wieder ins 
Gemürh bringen, und zum andern derfelben fic) erinnern, 
Das erfte thut die Einbildungsfraft, und fan ohne dem 
legten gefchebenz das legte thut das Gedaͤchtniß, uud ſetzt 
allemal das erfte voraus, Nemlich das Bedächtnif iſt 
das Vermoͤgen, ſich derjenigen Vorſtellungen, die uns wie— 
der ins Gemuͤth gebracht werden, zu erinnern. Da wir 
nun taͤglich erfahren, daß unſere Seele ſich vergangener 
Vorſtellungen erinnert, ſo haben wir unleugbar ein Ge— 
daͤchtniß. Die Einbildungskraft bringt die Vorſtellungen, 
welche ſo zu reden von dem Schauplatze der Seele abgetre— 
ten ſind, wieder auf denſelben, und das Gedaͤchtniß erkennt 
ſie wieder, oder ſtelt uns vor, daß es eben diejenigen ſind, 
die ſchon auf demſelben dageweſen ſind. Folglich ſtelt uns 
das Gedaͤchtniß, die Uebereinſtimmung einer gegenwaͤrti— 
gen Einbildung mit der vergangenen Vorſtellung, in einem 
ſolchen Grade vor, daß wir daher erkennen, daß ſie beyde 
einerley ſind, oder daß jene keine andere Vorſtellung als 
dieſe ſey. Dieſes ſtelt uns das Gedaͤchtniß entweder — 
deutli 


Don dem Gedächtniffe. | 171 


deutlich vor, und das heißt das ſinnliche Gedaͤchtniß; 
oder deutlich, und das iſt das vernuͤnftige Gedaͤchtniß 
§. 574. So erinnern wir ung ofte deutlich ganzer Stellen, 
die wir in Schriftftellern gelefen haben, und find uns ofte 
vieler Merfnrale bewußt, woran wir uns einer Sache er— 
innern; manchmal aber erinnern wir uns nur der Dinge, 
auf eine verworrene Art, z. E. in dem fäglichen Umgange 
mit Perfonen, die wir unzähligemal gefehen haben. Das 
Gedaͤchtniß ift nichts anders, als die Aufmerffamfeit auf 
die Uebereinftimmung einer gegenwärtigen Einbildung, mit 
einer vergangenen Borftellung 9.567. Und es befteht-alfo 
in nichts anders, als in Der Möglichfeit, unfere Vorſtel— 
lungsfraft, auf die Uebereinftimmung der gegenwärtigen 
Vorſtellungen mit den vergangenen, zu lenfen, Ohne 
Einbildungskraft würden mir alle unfere Borftellungen 
gleich wieder verliehren, und wenn wir eine Einbildungs- 
fraft ohne Gedaͤchtniß befaflen, fo würden wir zwar unfere 
einmal erlangten Borftellungen behalten, allein wenn auch 
eine davon unzähligemal uns wieder ins Gemuͤth Fäme, fe 
würden wir fie doc) allemal für eine ganz neue Vorſtellung 
halten, die wir noch niemals gehabt hätten, und es würde 
uns alfo der Vorrath unferer erlangten Borftellungen ei 
nichts helfen, 


$. 579. 

Das Gedaͤchtniß fan unmöglich eher eine gegenmär- 
tige Vorſtellung wieder für diejenige erfennen, die wir 
fchon vorher einmal oder etlichemal gehabt haben, bis nicht 
die Einbildungskraft, die vergangene Vorſtellung, uns wie— 
der ins Gemuͤth gebracht hat $. 578. Und das fan, auf 
eine zweyfache Art, gefchehen. Einmal wenn wir diejeni- 


ge Sache jegt wieder empfinden, die wit ſchon vordem em⸗ 


pfunden haben, als wenn wir einen Menſchen ſehen, den 
wir ſchon vordem geſehen haben. Alsdenn ſtelt die Ein- 
bildungskraft, die vergangene Empfindung, neben die ge— 
genwaͤrtige, und das Gedaͤchtniß erkennt alsdenn, daß bey— 
de einerley ſind. Und zum andern, wenn uns die Einbil- 

Dungs: 


m Von dem Gedächtniffe. 


dungskraft eine vergangene Vorftellung noch einmal ins 
Gemuͤth bringt, und alsdenn eben die Vorftellung, fo wie 
wir fie vordem ein anderesmal gehabt haben, neben jene 
ftelt, da denn das Gedachtniß ebenfals erkennt, daß beyde 
einerley find; als wenn wir z. E. einen abwefenden Freund 
uns jeßo vorftellen, und erfennen, daß wir uns ihn jetzo 
eben fo vorftellen, als wie wir ihn vor fo oder fo viel Zeit, 
in diefen oder jenen Umftänden, gefehen und gefprochen has 
ben. Es ift demnach klar, daß das Gedächtniß allemal, 
die Würffamkeit der Einbildungsfraft, vorausſetze. Selbſt 
aber ift es nichts anders, als eine Art des Witzes, indem 
es nichts weiter thut, als daß «8 uns Die Hebereinftimmung 
einer gegenwärtigen Borftellung, mit einer oder mebrern 
unferer vergangenen Borftellungen, zu erkennen gibt $. 578. 
567. Folglich wuͤrkt das Gedaͤchtniß allemal, nach folgen- 
der Regel: wenn wir eine gegenwärtige Vorſtellung 
mit vergangenen vergleichen, und in jener Merk⸗ 
male oder Theile gewabr werden, die wir auch in 
diefen gewahr werden, fo ftellen wir fie uns als eis 
nerlep vor, oder wir erinnern ums der vergangenen 

.567. Da nun die Einbildungskraft fo wohl, als aud) 
der Wis, durch die Vorftellungskfraft der Welt nach der 
Stellung des Leibes gewuͤrkt wird $. 555. 574, fo wird aud) 
das Gedächtniß, durch Diefe Kraft, geroürft, Und es iſt 
demnach nichts anders, als eine gewiſſe Are und Weiſe, wie 
ſich die Vorftellungskraft der Welt in der Seele änffern 


und gefchäftig erweiſen Fan. 
§. 58% 

Die fägliche Erfahrung iehre uns, daß wir uns mans 
cher vergangenen Borftellungen und Sachen ſehr leicht, 
mancher aber fehr ſchwer oder gar nicht erinnern koͤnnen. 
Wenn wir uns nun eine Sache dergeftalt vorftellen, daß 
wir uns derfelben Fünftig fehr leicht wieder erinnern, koͤn— 
nen, fo fagen wir, daß wir die Sache zu behalten fu« 
chen, oder daß wir fie unferm Gedaͤchtniſſe anvertrauen 
und einprägen.: Geſetzt, daß jemand, öffentlich eine Rede 

halten 


Don dem Gedaͤchtniſſe. 173 


halten wolle, und daß er fie von Wort zu Wort auffihrei- 
be: fo fucht er fie zu behalten, oder er memorirt fie, oder 
er lernt fie ausmendig, wenn er verurfacht, Daß er alsdenn, 
wenn er die Rede halten foli, fich derfelben fehr leicht erins 
nert. Durch dieſes Gefchäfte befordern wir alfo das Ge— 

daͤchtniß, und wir fehen aus dem vorhergehenden Abfaße, 
daß dieſes nicht anders möglich) ift, als wenn wir die Em— 
pfindung, die Einbildung, und den Wis aufs möglichfte 
befördern. Wer alfo etwas behalten will, der muß 1)daf- 
felbe ofte und in einem hohen Grade zu empfinden fuchen, 
nad) den: Kegeln des 540. Abſatzes. Je öfter wir eine 
Sache empfinden, und. in einem je höhern Grade wir fie 
empfinden, defto leichter koͤnnen wir uns derfelben erinnern; 
weil wir Dadurch in eine gröffere Bekanntſchaft mit, derfel= 
ben Sache fommen, und. um fo vielmehr Merkmale an ihr 
Fennen lernen, wodurch wir fie deſto leichter wieder erfens 
nen fonnen, Daher: fomts, daß, wenn mir eine Perfon 
bey vecht hellem Lichte fehen, und fie betrachten als wenn 
mir fie durchſehen wolten, wir uns derfelben fehr,leicht wies 
der erinnern koͤnnen. Sehen wir fie aber bey der Abend- 


demmerung mit einem flüchtigen Blicke, fo können wir ung 


derfelben manchmal nach einer Stunde nicht wieder eritie 
nern. Daher pflegen diejenigen, welche fich auf eine df- 
fentliche Rede vorbereiten, diefelbe, ſehr ofte durchzuleſen 
und berzufagen, damit fie eine deſto öftere und ftärfere 
Empfindung von derfelben befommen. 2) Man muß fich 
die Sache fehr ofte und in einem hohen Grade, durch die 
Einbildungsfraft, vorftellen, nach den Kegeln des 508, Ab⸗ 
faßes. Se öfter man ſich die Sache durch die Einbildungs- 
Fraft vorftelt, und in einem je höhern Grade man diefes 
thut, deſto leichter fan man fie behalten, So machen eg 
alle diejenigen, ‚welche eine Nede auswendig fernen wollen, 
indem fie diefelbe fehr ‚ofte auswendig vor ſich herfagen, 
Nenn wir uns eine Sache fehr ofte, durch die Sinne und 
Einbildungsfraft, vorftellen, fo entdecken wir eben fo leicht 
die ebereinftimmung ber Borftellungen einer Sache zu 

Ders 


174 Don dem Gedaͤchtniſſe. 


verſchiedenen Zeiten, als wir die Aehnlichkeiten der Dinge 
die taͤglich uns vorkommen, erkennen, und als wir die Be— 
griffe von einem Hunde, einer Taube, einem Pferde, in der 
Kindheit erlangen, 3) Man ſuche Die Uebereinſtimmun— 
gen, Aebnlichfeiten, Gleichheiten dererjenigen Borftelluns 
gen einer Sache, Die man behalten will, in einem hoben 
Grade zu erkennen, nad) den Regeln des 569. Abfaßes. 
Folglich) muß man die Merfmale und Beftimmungen der 
Sade, die man behalten will, allemal, fo ofte man fiefich 
wieder vorftelt, recht ausführlich und Flar zu erfennen fu: 
chen. Daher fomt es, daß wir ung einer Perfon fehr gut 
erinnern fonnen, wenn wir fie das erftemal vom Haupte 
bis zu Fuffe betrachten, und unendlich viel an ihr bemer: 
fen, und wenn wir alle diefe mannigfaltigen Stüde ung 
immer wieder vorftellen, wenn wir wieder von neuem an 
fie gedenken ; und 4) muß man ſich aud) die Berfchiedenheit 
der Sache, der man fich leicht erinnern will, von andern, 
in einem hoben Grade der Bollfommenbeit vorftellen $. 
572, damit man fie nicht mit andern verwechfele, und fich 
einer andern Sache erinnere, wenn man fich ihrer erinnern 
will. Wenn man fich die Begriffe in den Wiffenfchaften, 
und ihre Benennungen, recht tief ins Gedaͤchtniß prägen 
will, fo bemerft man’ ihren Unterfchied von denenjenigen 
Begriffen und Namen, mit denen fie leicht verwechfelt wer: 
den Fonnen, 2. 

§. 581. 

Wenn eine vergangene Vorſtellung uns wieder ins 
Gemuͤth komt, fo find wir entweder im Stande, ung ders 
felben zu erinnern, oder mir find dazu nicht vermögend, 
Iſt das erfte, fo fagen wir, daß mir die Vorftellung und 
ihren Gegenftand behalten haben, oder daß wir fie in 
unferm Gedächtniffe haben, oder daß wir fie fehr wohl fen 
nen. So fage ein Menfch, der nach vielen Jahren uns 
befucht, daß wir ihn vielleicht nicht mehr Eennen. Wenn 
wir ung nun feiner erinnern fonnen, fo fagen wir, daß wir 
ihn noch ſehr wohl kennen, und daß wir fein Andenken er- 

halten 








Don dem Gedschtniffe. 175 


halten haben. Wenn mir aber nicht vermögend find, uns 
einer Borftellung und Sache wieder zu erinnern, fo fagen 
- wir, daß wir fie vergeffen haben. Die Dergeffen- 
heit iſt alfo das Unvermögen, fich einer Borftellung, Die 
in unferm Gemüthe wieder hervorgebracht wird, zu erin: 
nern; und fie befteht alfo in dem Mangel des Gedächtnif- 
fes. So fagen wir, wenn ein Menfch zu uns Fomt, ind 
fagt, er fen vor fo oder fo viel jahren bey uns gewefen, 
daß wir diefes vergeffen haben, wenn wir uns deſſen nicht 
erinnern koͤnnen. Im gemeinen Leben pflegt man auch zu 
fagen, man habe eine Sache vergejlen, wenn fie ung gar 
nicht wieder in die Gedanken fomt, Geſetzt, daß mich 
jemand warum bitte, und ich zeichne es in meine Schrei» 
betafel auf. Geſetzt, daß ich gar nicht in diefe Tafel ſehe, 
und daß mir das aufgefragene Gefchäfte gar nicht wieder 
einfält, fo pflegt man zu fagen, man habe es vergeffen, 
Altein es gefchieht Hier zmeyerley, Einmal verläßt uns 
die Einbildungsfraft, und bringe ung die vergangene Vor: 
ftellung gar nicht wieder ins Gemuͤth. Daher entſteht 
nun freylich nothwendig auch die Vergeſſenheit, allein die— 
fer Mangel der Einbildungsfraft ift nicht felbft die Ver: 
geflenbeit, Die Einbildungsfraft Fan ofte ihr Gefchäfte 
verrichten, und man Fan demohnerachtet fagen, man habe 
etwas vergeffen: denn es Fan uns eine vergangene Vorſtel— 
lung wieder ins Gemuͤth gebracht werden, ohne daß mir 
uns ihrer erinnern Fonnen, und alfo Haben wir fie demehn- 
erachtet vergeffen. So geht es uns, wenn wir Wörter 
vergeffen haben, die wir vordem gelernt hatten. Wenn 
wir diefelben wieder leſen oder hören, fo erlangen wir wies 
der die Vorftellungen, die wir vordem von ihnen gehabt 
haben, und demohnerachtet müflen wir geftehen, daß wir 
fie vergeffen Haben. Es ift ofte bemundernsmürdig, wie 
unfere Seele manche Dinge vergeffen fan. Es hat $eute 
gegeben, die ganze Wiffenfchaften, in denen fie groffe Mei- 
fter geweſen, ganz wieder vergeffen baben, und manche 

deute 


+76 Von dem Gedächtnifje. 


Seute haben ſich fo gar, ihres eigenen Namens, nicht mehr 
erinnern koͤnnen. 
g. 582 


Wenn mir ung einer Sache erinnern wollen, fo find 
wir ofte im Stande, uns derfelben in dem Augenblicke zu 
erinnern, in welchem uns die Einbildungsfraft die verganz 
gene Borftellung von derfelben wieder ins Gemüch bringt. 
Alsdenn haben wir, die Sache, gar nicht vergefien. Wenn 
wir einen Menfchen fehen, fo geſchieht es ofte, wenn er uns 
ſehr befant ift, daß uns die Einbildungsfraft in dem Aus 
genblicke, da er uns vors Öefichte komt, Die vergangenent 
Borftellungen von ihm wieder ins Gemüch bringt, und daß 
wir, in eben dem Augenblice, uns auch feiner erinnern. 
Allein es gefchieht auch ofte, Daß wir uns einer Sache nicht 
gleich wiederum erinnern Fünnen, wenn ihre Borftellung 
uns wieder ins Gemuͤth komt. Es duͤnkt uns, als hätten 
wir uns die Sache noch niemals vorgeftelt, und wir haben 
fie alfo vergeffen. Mach einiger Zeit gefhieht es aber, daß 
wir uns etwas vorftellen, vermittelft deflen wir uns deſſel⸗ 
ben wieder erinnern, und die Vergeſſenheit überwinden, 
und daducch rufen wir diefe Suche wieder in unfer 
Gedaͤchtniß zuruͤck. Und diefes gefghieht allemal, ‚oder 
wenigſtens mebrentheils, vermittelft der Borftellungen, die 
mit derjenigen vergefellfchafter waren, Die wir vergeſſen ha⸗ 
ben. Geſetzt, es werde von einer Perfon geſprochen, und 
man fage, ich Eenne fie auch. Da gefchieht es nun manch⸗ 
mal, daß ich derfelben vergefien habe, und es Dünft mich, 
als hätte ich Diefe Perfon niemals gekant, Allein wenn 
ich eine Zeitlang an fie Denfe, und fonderlih wenn andere 
fagen, fie wäre mit mie vordem an diefem oder jenem Drte, 
in einer gewiſſen Gefeffchaft, gewefen, babe. diefes oder 
jenes gethan, und was bergleichen Umſtaͤnde mehr find, fo 
gebt mir ein Licht auf, ich erwache gleichſam von einem 
tiefen Schlafe, und die Perfon zeigt ſich auf. dem Schau— 
piaße meiner Seele, als wenn fie hinter ‚einem, Vorhange 
bevoorfame, Folglich pflegen wir uns ofte einer Sache, 

die 





Von dem Bedächtniffe. 177 


die wir vergeffen hatten, wiederum vermittelit folcher Vor— 
ſtellungen zu erinnern, die mit ihr vordem in unferm Ges 
muͤthe vergefellfchafter waren, und da fagen wir, daß wir 
uns auf erwas befinnen. Wir haben alfo ein Vermoͤ— 
gen, uns auf Sachen zu befinnen, die wir vergeffen hat— 
ten, welches nach dieſer Kegel würftz man erinnere fich 
einer Sache vermittelft der mit ihr vergefellfchaftes 
ten Dorftellungen. So fünnen wir uns ofte vergange- 
ner Sachen miederum, vermittelft der Vorſtellung des 
Orts, erinnern, an welchem wir oder. die Sachen waren, 
als mir fie fahen, hörten oder empfanden. Und das ift 
das Gedaͤchtniß vermittelt des Dres. Eben fo be 
finnen wir uns manchmal auf eine Sache vermiktelft der 
Zeit, in welcher fie gefcheben, und vermittelt der Dinge, 
Die mit ihr zugleich gefceheben., So pflegen auch gemeine 
$eute fich gemifler Dinge zu erinnern, wenn fie ſich vorſtel— 
len, fie feyn eben damals gefcheben, als fie Hochzeit gehals 
tenu.f. m, Ja man kan fih auch auf gewiſſe Dinge, 
vermittelft folcher Dinge, befinnen, die ihnen ahnlich find, 
So geſchieht es ofte, daß man fich auf einen Namen wie: 
der befinnt, wenn einem ein Wort einfält, welches faft eben 
fo £lingt, oder vollfommen fo Flingt, ob es gleich eine ganz 
andere Bedeutung hat. Da das Befinnen auf eine Sa: 
che allemal eine Vergeſſenheit vorausfest, fo ift es eine 
mangelhafte Art des Gedachtniffes. Unterdeſſen ift es doch 
befjer, als wenn wir einer Sache ganz und gar vergeffen, 
8. 583. 

Das Gedaͤchtniß ift mannigfaltiger Vollkommenhei— 
ten fähig, die man auch durch verfchiedene Benennungen, 
fhon von langen Zeiten her, von einander unterfchieden 
hat; mweil das Gedaͤchtniß eins von denenjenigen Vermoͤ— 
) gen unferer Seele ift, welches man, fehon in den erften Zei- 
ten der Weltweißbeit, fehr genau unterfucht hat: denn 
die Würfungen und die Müslichfeit und Nothwendigkeit 
defielben find fo augenfcheinlich, daß fie niemand unbemerfe 
lafien Fan, der feine Seele irgends mit einiger Aufmerf: 

3. Theil, M ſamkeit 


178 Von den Gedbächtniffe. 


famfeit unterfucht. Und da Eönnen,diefe Grade und Boll: 
fommenheiten, folgendergeftalt von einander unterfchieden 
werden. I) Je mehrerer und gröfferer Borftellungen und 
Sachen wir uns erinnern Fonnen, defto geöffer und voll- 
fommener ift unfer Gedaͤchtniß. Und ein Menfch, welcher 


ein folches Gedaͤchtniß befißt, hat ein weit ausgedebntes - 


oder groſſes Gedächtniß, und er Fan fehr viel behalten. 
2. €. groffe Gelehrte, die eine ſehr weitlauftige Gelehrſam— 
keit befigen, haben ein ſolches Gedaͤchtniß. Es ift eine 
Unvollkommenheit, wern man wenig behalten Fan, und 
wenn man fein Gedaͤchtniß, mit lauter Kleinigkeiten, an— 
aefült Hat. 2) Je ſchwaͤcher die Einbildungskraft uns, 
eine vergangene Sache, wieder ins Gemürh bringe, der 
wir ung Demohnerachter wieder erinnern Fonnen, defto gröfs 
fer ift das Gedaͤchtniß. Wenn uns die Einbildungskraft, 
eine unferer vergangenen Borftellungen, in einem ſehr ho— 
hen Grade der Stärfe und Lebhaftigkeit, wieder ins Ges 
muͤth bringt; fo fallen uns die Kennzeichen, woran wit fie 
wieder erkennen koͤnnen, um fo viel mehr in die Augen, 
und es wird wenig Kraft Dazu erfodert, eine folche Vor— 
fteffung wieder zu erkennen, Allein wenn ung die Einbil- 
dungskraft, das Vergangene, nur mit fehwachen Zügen 
wieder ins Gemuͤth bringt; fo beweift man’ eine befondere 
Groͤſſe feines Gedächtniffes, wenn man fich derfelben dem- 
öbnerachtet wieder erinnern Fan. 3) se feltener wir uns 
eine Sache vorgeftelt haben, der wir uns erinnern koͤnnen, 
deſto geöffer ift das Gedachtniß: denn wenn man Dinge 
fehr oft gedacht hat, fo Fan man ſich derfelben ſehr leicht 
erinnern, und es wird alfo zur Erinnerung derſelben wenig 
Kraft erfodert. Und diefe Vollkommenheit des Gedächt: 
niffes, vermöge deren es im Stande ift, uns auc) folcher 
Dinge zu erinnern, Die wir felten uns vorgeftelt haben, 
wird die Faͤhigkeit des Bedächtniffes genannt, und 
man Fan, vermöge derfelben, geſchwinde etwas behalten. 
Manche Rinder dürfen einen Spruch nur wenigemal hoͤ— 
ven oder lefen, fo fonnen fie ihn auswendig, und Die haben 

ein 


x ei See ee a 





Don dem Gedächtniffe. 179 


ein fähiges Gedaͤchtniß; andere müffen unzahligemal den- 
felben berfagen, ehe fie ihn auswendig fünnen. 4) Nach 
je längerer Zeit wir uns einer Sache wieder erinnern koͤn— 
nen, und mit je mehrern und flärkern Vorſtellungen von 
anderer Art wir uns, die Zroifchenzeit über, befchäftiget 
haben, defto groͤſſer iſt das Gedaͤchtniß. Es iſt gar zu 
leicht, ſich einer Sache zu erinnern, die wir vor einem Aus 
genblicke, oder vor Furzer Zeit, gefehen oder auf andere Arc 
gedacht haben, und wenn wir in der Zmifchenzeit, welche 
verflofien ift, feitdem wir zum leßtenmal diefelbe gedacht 
haben bis auf den Augenblick, da wir uns ihrer erinnern, 
wenig oder gar nichts fremdes gedacht haben. Alein wenn 
wir in geraumer Zeit an eine Sache nicht gedacht haben, 
wenn viele Jahre verfloſſen ſind, und wenn wir unterdeſſen 
unſere Aufmerkſamkeit mit unendlich vielen andern Dingen 
beſchaͤftiget haben: ſo muß ſich die Vorſtellung dieſer Sa— 
che recht feſt unſerm Gemuͤthe eingepraͤgt haben, und wir 
wollen daher dieſe Vollkommenheit die Feſugkeit des Ge⸗ 
daͤchtniſſes nennen, vermoͤge welcher wir etwas ſehr lange 
behalten koͤnnen. Man wird gewoͤhnlicher Weiſe finden, 
daß ein faͤhiges Gedaͤchtniß nicht feſte iſt, und ein feſtes 
nicht faͤhig. Kinder, die geſchwinde etwas behalten koͤn— 
nen, die koͤnnen es nicht lange behalten, und die das letzte 
koͤnnen, koͤnnen gewoͤhnlicher Weiſe das erſte nicht. 5) Se 
ſtaͤrker diejenigen fremden Vorſtellungen ſind, die vor der 
Erinnerung in der Seele da geweſen, oder mit ihr zugleich 
da find, deſto groͤſſer iſt das Gedaͤchtniß, wenn es demohn— 
erachtet im Stande iſt, mitten unter ſo vielen Hinderniſſen 
und Zerſtreuungen, eine Vorſtellung wieder zu erkennen. 
Wenn man in der Seele eine voͤllige Stille und Einſam— 
keit verurſacht, und nichts erhebliches von anderer Art 
denkt, fo iſt es leicht z. E. ſich einer aufgeſchriebenen Re⸗ 
de, die man auswendig gelernt hat, zu erinnern, Wenn 
man aber diefes mitten in einer groffen Berfamlung thun 
foll, wo vorber ſchon viel Ceremoniel beobachtet worden, 


fo muß das Gedaͤchtniß des Redners ſchon viel vollkomme⸗ 
Ma ner 


180 Von dem Gedaͤchtniſſe. 


ner ſeyn. Dieſe Vollkommenheit, mit der zweyten zuſam⸗ 
mengenommen, wird die Stärke des Gedaͤchtniſſes ge: 
nannte. 6) Se lebhafter, richtiger, gewiſſer und ſtaͤrker 
die Wiedererkennung des Vergangenen iſt, deſto groͤſſer iſt 
das Gedaͤchtniß, und dieſe Vollkommenheit des Gedaͤcht⸗ 
niſſes wird die Munterkeit deſſelben genannt. Wer ein 
ſolches Gedaͤchtniß beſitzt, der kan ſich gleichſam die ver— 
gangenen Dinge fo lebhaft wieder vorſtellen, als wenn fie 
jest vor feinen Augen gefchehen, und er pflegt auch felbit zu 
fagen, daß es ihm fey, als gefchehen die Dinge erſt heute. 
Und 7) jeleichter und fehneller wir uns einer vergangenen 
Vorſtellung wieder erinnern, und je weniger wir noͤthig has 
ben, uns auf diefelbe zu befinnen, deſto gröffer ift das Ge— 
daͤchtniß, und diefe Vollkommenheit wollen wir die Hur— 
tigkeit des Gedaͤchtniſſes nennen. Dieſe Vollkommen— 
heiten ſind ſelten, in einem Menſchen, beyſammen. Die 
Natur theilt ihre Gaben mit Proportion aus, dem einem 
verleihet ſie dieſe Vollkommenheit des Gedaͤchtniſſes, dem 
andern eine andere, Und wenn fie jemanden eine Boll: 
fommenbeit nicht verliehen bat, fo bat fie ihm eine andere 
defto reichlicher zugemeflen., Manche Seute Eönnen nicht 
viel behalten, allein was fie behalten, behalten fie um fo 
viel befler. Und diefe Anmerkung gilt auch bey allen übri- 
gen Erfenntnißfräften, und den mannigfaltigen Bollfom: 
menheiten derfelben. 


S. 584. 

Durch ein gutes oder glückliches Gedächtnif 
verfteht man überhaupt ein jedwedes Gedaͤchtniß, in fo 
ferne es in einem hoͤhern Grade vollfommen ift. Gleich: 
wie nun, der Erfenntniß überhaupt, theils die Unwiſſen— 
heit, theils der Irrthum entgegengefeßt ift $. 489, alfo 
fan auch ben dem Gedächtnifle, und in Abficht auf daflelbe, 
theils eine Unwiſſenheit, tbeils ein Irrthum gedacht wer: 
den. Aus der erften läßt fich der Fehler des Gedächtnifs: 
fes erflären, den man die Vergeßlichkeit nennt, und wor- 
unter man einen RER Mangel des Gedächtniffes 

ver- 


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Don dem Gedächtniffe. 181 


verfteht. Ein Menfch ift vergeglih, in fo ferne fein Ges 
daͤchtniß ausnehmend Flein und unvollfommen ift, und als= 
denn befist der Menſch die unfeelige Gabe, leicht etwas zu 
vergefien. So werden alte Leute mit der Zeit fo vergeßlich, 
daß fie ſich ofte in dem folgenden Augenblicke nicht mehr 
auf dasjenige befinnen fönnen, was fie den Augenblick vor- 
her gefagt, gethan, gewolt oder gevacht Haben. Und ed 
iſt vor fich Flar, daß aus der Bergeßlichfeit ein Mangel der 
Erkenntniß, ober eine Unwiſſenheit entſtehe. Ein jedwes 
der Irrthum, welcher von dem Gedaͤchtniſſe herr uͤhrt, wird 
ein Gedaͤchtnißfehler genannt, Ein truͤgliches Ge- 
daͤchtniß iſt ein Gedaͤchtniß, in fo fi ferne es fehlen Fan. 
Nun Fönnen alle unſere Erfenntnißvermögen irren, folglich 
iſt auch unfer Gedaͤchtniß nicht, vor allen Irrthuͤmern, fis 
dier. Und man fan alſo mit Recht ſagen, daß unſer Ge⸗ 
daͤchtniß truͤglich ſey. Es gibt Leute, welche mit Fleiß, fo 
ofte als fie etwas erzählen, Zufäge und andere Berände: 
rungen in ihren Erzählungen machen, damit fie entweder 
andern $euten nad) dem Munde reden, oder eine Gefell- 
ſchaft beluftigen, oder einen wißigen Einfall anzubringen: 
im Stande feyn mögen, oder was man fonft für einen 
Grund, von diefer Art zu lügen und Wind zu machen, an: 
geben fan. Solche Leute machen ihr Gedaͤchtniß noch trüg« 
licher, indem fie ſich die Fertigkeit Gedächtnißfehler zu be- 
geben vergeftalt angemwöhnen, daß fie endlich felbft ihre eige- 
ne $ügen glauben. Allein wenn auch ein Menfd) aufs 
forgfältigfte, feine vorhergehabten Borftellungen, fo wieder 
zu denfen und zu erzehlen ſich bemüht, Als er fie vordem 
gehabt hat, fo fan er ſich doch nicht allemal auf fein Ge: 
daͤchtniß verlaffen, weil es überhaupt truͤglich if. Alte 
Gedaͤchtnißfehler beftcehen darin, menn wir uns eine vers 
gangene Vorftellung famt ihrem Gegenftande anders vor- 
ftellen, als wir fie empfunden haben, und wenn unfer Ge» 
daͤchtniß uns vorſtelt, als fen unſere jeßige Vorſtelſung eben 
die vorige; folglich wenn es uns die jesige Borftellung, auf 
eine andere Art, und in einem andern Grabe, als einerley 
M 3 mit 


182 Veaon dem Gedaͤchtniſſe. 


mit der vorhergehenden vorſtelt, als ſie es in der That ſind. 
Geſetzt daß ich in den Zeitungen geſtern geleſen hätte, daß 
ein gewiſſer Prinz funfzigtaufend Mann marchiren laffe. 
Geſetzt ich ftelle mir heute vor, daß ich geftern gelefen, er 
laſſe fechzigtaufend marchiren : fo begehe ich einen Gedäacht- 
nißfehler, wenn ich denfe, als hätte ich diefes geftern mit 
meinen Augen gelefen. » Die Irrthuͤmer des Gedaͤchtniſſes 
find demnach, Blendwerke des Wißes $. 573. Und es 
iſt Elar, daß Leute, die einen ſtarken und lebhaften Witz 
haben, fehr leicht eine Lebereinftimmung und Aehnlichkeit 
entdecken Fönnen, die nicht vorhanden ift, und fie haben alſo 
gewöhnlicher. Weife ein fehr erügliches Gedaͤchtniß. Das 
ber fomts, daß man witzigen Hiftorienfchreibern, und wigl- 
gen Leuten in ihren Erzehlungen, nicht leicht glauben darf, 
zumal da fie ofte mit Fleiß lügen, um im Stande zu feyn, 
einen wigigen Einfall-anzubringen. Wenn man einen Ge⸗ 
daͤchtnißfehler begeht, den man aber augenblicklich durch 
ein kurzes Beſinnen wieder verbeſſert, ſo ſagt man: man 
habe ſich verſprochen. Daher pflegt man auch in ſol⸗ 
chen Faͤllen zu hen, wenn uns der Gedächtnißfehler ſchon 
entwifcht ift: wolte ich. fagen; und alsdenn fagt man die 
Sade, wie fie gewefen it. Kin treues Gedaͤchtniß ift 
ein Gedächtniß, welches nicht ſonderlich truͤglich iſt, und 
es befigt die Fertigkeit, fih vor den Gedächtnißfeblern zu 
hüten. Da man nun durch die Scharffinnigfeit, die Irr— 
thuͤmer des Gedaͤchtniſſes, verhütet $. 580. 577, fo ver: 
mehrt die Schavrffinnigfeit die Treue des Gedaͤchtniſſes. 
Und da ein Menſch um fo viel fharffinniger ift, je verſtaͤn— 
diger er ift, fo Fan man auch verftändigen Leuten eher glau- 
ben, alg $euten, die wenig Verſtand und Scharffinnigkeif 
beſitzen. 


§. 585. 
Die Gedaͤchtnißfehler find ſolche merkwuͤrdige Irrthuͤ— 
mer, daß ſie eine Quelle vieler andern Irrthuͤmer ſeyn koͤn⸗ 
nen. Einmal koͤnnen aus ihnen leere Einbildungen, und 


zwar auf eine doppelte Art, entſtehen: 1) Wenn eine vor« 
her⸗ 


F 





Don dem Gedschtniffe. 383 


hergehende Einbildung mit einer nachfolgenden, durd) einen 
Gedaͤchtnißfehler, in einem &rade für einerley gehalten 
wird, da fie es nicht iſt: fo denken wir hernach, daß die 
vorhergehende eben fo gervefen als die nachfolgende, und 
wir ftellen uns alfo das Vergangene anders vor, als es 
wuͤrklich gewefen, und folglich entftehe daher eine leere Eins 
bildung $. 566. Geſetzt ich leſe in einer Zeitung, Daß ein 
geroifler Prinz funfzigtaufend Mann, mardyiren laffe ; ges 
fest ich lefe in einer andern Zeitung, daß er fechzigraufend 
Mann marchiren laflez gefegt ich erzehle Diefes eine Gtuns 
De drauf einem andern, und verfichere, Daß in beyden Zei: 
tungen ftehe, dieſer Prinz laffe fechzigtaufend Mann mar: 
chiren: fo ift offenbar, daß id) von demjenigen, was ich in 
der erften Zeitung gelefen, eine falfche Einbildung habe. 
2) Wenn eine vorhergehende Einbilbung, mit einer folgens 
den Empfindung, im einem Grade für einerley gehalten 
wird, da ſie es nihgift, fo denfe ich, daß die vergangene 
Sache eben fo. gewefen, als Die gegenwärtige, indem mein 
Gedaͤchtniß mid) beträgt. Folglidy habe ich ebenfals,: von 
dem Berganaenen, eine falfche Einbildung. Geſetzt, daß 
ich einen Menfchen vor- einiger Zeit in einem Zuſtande ge⸗ 


ſehen, da er fet gemefen ; gefeßt ich. fehe ihn jeßt, da er. ma⸗ 


gerer geworden: ‚fo Fan es fich zufragen, daß ich zu ihm 
fage, er habe ſich nicht geändert. Folglich betruͤgt mid) 
mein Gedaͤchtniß. Zum andern Fan durch einen Gedächt« 
nißfebler fo gar ein Betrug der Sinne entftehen, wenn ic) 
nemlich die falfiche Einbiloung, die ich habe, mit der ver- 
gangenen Empfindung für einerley halte, und mir einbilde, 
Daß meine Empfindung eben fo beſchaffen gemwefen oder be« 
schaffen ſey, als die falfhe Einbildung $, 545. Dabin 
koͤnnen ebenfals, die vorhergehenden Fälle, gerechnet wer 
den. Ja daher komts, daß Seute, welche ihre Empfindun- 
gen, die fie etwa in einer Mache gehabt, mit den Einbil« 
dungen, bie fie von Kindes Beinen an von Gefpenftern ge= 
Habt haben, für völlig einerley halten, nachher ‚die Gefpens 
fterbiftorie erzeblen, und bey eeigtem Widerſpruch fi) auf 


4 ihr 


184 Don dem Gedächtniffe. 


ihr Gedächtniß berufen, und verfichern, fie erinnerten fich 
ſehr wohl, was fie Diefelbe Fracht gefeben oder gehört haͤt⸗ 
ten. Eben den Fehler begehen auch Gelehrte, welche ſich 
die erfräumten Hypotheſen anderer Gelehrten in den Kopf 
fesen, hernach allerley Experimente zur Beftätigung derfel« 
ben machen, und alsdenn vorgeben, fie erinnerten fich voll: 
kommen wohl, wie genau fie ihre Meinung durd) die Era 
fahrung beftätiget gefunden. 
§. 586, 

Niemand, der ein gutes Gedaͤchtniß hat, bringt daf- 
felbe in demjenigen Grade der Vollfommenheit auf die 
Welt, in welchem er es nach) und nad) erlangt. Folglich 
ift man ſchon in den älteften Zeiten auf die Gedanken ges 
vafhen, eine Kunſt zu erfinden, das Gedächtniß zu verbefs 
fern, und der Inbegrif aller diefer Regeln, das Gedaͤchtniß 
zu verbeffern, wird die Gedaͤchtnißkunſt genannt, mel» 
che, in fo ferne ſie von der Verbefferung des finnlichen Ges 
dächtniffes handelt, ein Theil der Aeſthetik ift S. 527. 
Wenn die Gedvähtnipfunft ohne Tadel ſeyn foll, fo muß 
fie die Mittel lehren, alle Vollkommenheiten des Gedächt« 
niffes ohne Ausnahme zu erlangen:- denn fie find uns alle 
nöthig. Folglich muß man zeigen, wie man die Ausdehs 
nung, die Stärfe, die Fähigkeit, die Hurtigkeit, die Treue, 
und wie alle übrige Vollkommenheiten des Gedächtnifies 
beiffen mögen, erlangen koͤnne und müffe. Die meiften, 
welche eine Gedaͤchtnißkunſt gefchrieben haben, haben es 
darin verfehen, daß fie nur gezeigt haben, wie man vieler» 
ley gefhwinde behalten, und wie man fich deffelben hurtig 
wiederum erinnern Eönne, Allein für die übrigen Vollkom— 
menbeiten, deren einige noch viel wichtiger find, haben fie 
fo wenig geforgt, daß fie vielmehr durch ihre Negeln dies 
felben verhindern. And manche haben gar Förperliche Ar— 
zeneymittel, zur Verbeſſerung des Gedächtniffes, angera- 
then. Weil das Gedaͤchtniß auf der Einbildungskraft,und 
folglid) auf materialifhen Bildern im Gchitne, und der 
gehörigen Befchaffenheit der Nerven beruber ; fo fan 7 

wo 


Don den Dichtungsvermögen.: 185 


wohl feyn, daß durch Arzeneymittel die Nerven ungemein 
aeftärft, und alfo auf eine mittelbare Art das Gedaͤchtniß 
befördert werde. Allein ſolche Mittel helfen nicht lange, 
und bringen mehr Schaden. Es ift alfo beffer, wenn mann 
folche Regeln in der Gedaͤchtnißkunſt vorfehreibt, welche aus 
der Natur des Gedächtniffes flieffen. | 


DERKHEKEREKKKEHK KHK GR HK FR HK X HK RR KR KH. Xx * 


Der fünfte Abſchnit, 
Don dem Dichtungsvermögen. 


$. 587. 
Wern nun die Seele ſich, durch ihre Sinne, einen 
groſſen Vorrath an Vorſtellungen von einzeln Din⸗ 
gen, die in dieſer Welt wuͤrklich ſind, geſamlet hat; wenn 
ſie dieſelben, vermittelſt der Einbildungskraft, aufhebt, und 
wenn ſie dieſelben, bey ihrer Wiederholung, wieder fuͤr die 
alten vermittelſt des Gedaͤchtniſſes erkennt; und wenn ſie, 
vermittelſt des Witzes, nachdem ſie alle dieſe Begriffe von 
den wuͤrklichen einzeln Dingen dieſer Welt, auf unendlich 
mannigfaltige Art, gegen einander gehalten, eine groſſe 
Anzal der Vorſtellungen ihrer Uebereinſtimmungen, und 
alſo unendlich viele abſtracte und allgemeine Begriffe er⸗ 
lange hat: fo befißt fie nun genung Materialien, aus des 
nen fie neue Borftellungen theils von einzeln Dingen, bie 
fie nicht Elar empfunden hat, gleichfam durch eine Echöpf- 
fung, zufammenfegen fan, theils von Gattungen und Ar- 
ter, die fie nicht durch die Bergleichung derjenigen einzeln 
Dinge, die fie felbft klar empfunden hat, abgefondert bat. 
Und das ift das Gefchäfte des Dichtungsvermoͤgens. 
Manche glauben, daß diefes Erkenntnißvermoͤgen nur die 
poetifchen Erdichtungen, und andere dergleichen Erdichtun« 
gen, erzeuge. Allem ein geringes Nachdenken Fan ung 
überzeugen, daß es fich viel weiter erſtrecke. Nemlich wir 
dichten oder erdichten, wenn wir Theile verfchicdener 
Eindildungen, und Borftelungen folder abgefonderten Be 
M 5 


griffe 


186 Don dem Dichtungsvermoͤgen. 


Hriffe, die wir von unfern Flaren Empfindungen abgefon« 
dert haben, uns zufammen als Einen Begrif vorftellen. 
Folglich dichten wir: 1) wenn wir verfchiedene Einbilduns 
gen nehmen, famt denenjenigen abſtracten Begriffen, die 
wir bioß von unfern Elaren Empfindungen abgefondert Has 
ben. 3. E wenn man fid) in feiner Einbildungsfraft ein 
Schaaf, und einen redlich und einfaltig gefinnten Menfchen 
vorftelt, famt den abftracten Begriffen, Schaafund Menſch. 
2) Wenn man vieles von dieſen Einbildunaen, durch die 
Abftraction, abſondert; z. E. von einem Schaafe, da es 
feine Vernunft und Sprache hat, und von einem Menfchen, 
daß er die menſchliche Geftalt habe. Und 3) wenn man 
die übrigen Theile, durch Das Ueberdenfen, zuſammenfaßt 
F. 5i5, z. E. ein Schaaf welches vernünftig denkt und res 
def, wie ein unfchuldiger und ohne Falſch gefinnter Menſch, 
fo haben wir ein erdichtetes Schaaf. Folglich befommen 
wir, wenn wir Dichten, entweder eine Borftellung von eis 
nem einzeln Dinge, dergleichen wir niemals Elar empfun« 
den haben, wie z. E. das vorhin angeführte Schaaf; oder 
die abftracte Vorftellung von einer Gattung oder Art der 
Dinge, die wir nicht bloß von unfern klaren Empfindungen 
abgefondert haben, oder Die aud) fülche einzelne Dinge un 
ter fich begreift, Die wir niemals gejeben, oder irgends auf 
eine andere Art Elar empfunden haben, So erlangen wir. 
3. E. den Begrif von einer Subſtanz, welche die Welt bloß 
dunkel vorſtelt. Den abſtracten Begrif von einer Sub⸗ 
ſtanz ſondern wir-bloß von unſern klaren Empfindungen 
ab, und verbinden damit den Begrif von einer bloß dun- 
Eeln Borftellung der Welt, und wir erlangen alfo dadurch 
die Vorftellung von einer Gattung der Gubftanzen, die 
ſolche einzelne Subftanzen unter. ſich begreift, die wir nie— 
mals flar empfinden, Da nun diefe Beifpiele zugleich be— 
weifen, daß unfere Seele dichter, fo haben wir aud) ein 
foiches Erfenntnigvermögen, wodurd) wir dichten, und das 
nennen wir das Dichrungsvermögen. Und weil daffel« 


be in nichts anders beftebt, als in dem Bermögen, die Theile 
| vieler 


u ni 


an ee - 


— 





Von den Dichtungsvermögen. 187 


vieler Vorftellungen als ein Ganzes, folglich als einerley 
mit Einem $. 147. vorzuftellen ; fo ift e8 eine gewiſſe Art 
der Leberlegung $. 515, und des Wißes $. 567. Wenn 
wir Fein Dichtungsvermögen befäffen, fo würden wir uns 
Feine andere Dinge als möglich und wuͤrklich vorftellen koͤn⸗ 
nen, als welche wir klar empfinden, und wir wären alfo 
nicht im Stande, uns mögliche Dinge einer andern Welt 
vorzuftelfen, und noch viel weniger ivgends etwas Neues 
zu erfinden, Cine jedwede neue Kleidermode fo gar wird 
durch das Dichtungsvermoͤgen erfunden, indem wir als⸗ 
denn Beftimmungen eines Kleides zufammenfegen, die wir 
noch niemals zufammen in einem Kleide empfunden haben. 
588. 
Vermöge desjenigen, was in dem vorhergehenden 
Abſat⸗ angemerkt worden, erhellet demnach, daß die Sin— 
ne, die Einbildungskraft, das Gedaͤchtniß und der Wis, 
dem Dichtungsvermoͤgen den Stof darreichen, aus denen 
es feine Gefchöpfe zufammenfegt. Alsdenn fondert Die Ab: 
firaction, von den verfchiedenen „Empfindungen, Einbil: 
dungen und abftracten Begriffen, welche die Scarffinnig: 
feit, von einander unterſcheidet, Diejenigen. Theile ab, die 
nicht mit in die exdichtete Vorftellung kommen follen, und 
die übrigen Theile fielen wir uns, Durch Die Ueberlegung, 
als ein Ganzes vor. Folglich it, das Dichtungsvermoͤ⸗ 
gen, nicht nur ein zufammengefeßtes Vermögen $. 170: 
fondern da wir auch bisher gewiefen haben, daß alle ge= 
nannte Erfenntnißvermögen, durch die Vorſtellungskraft 
der Welt, nad) der Sage des Leibes in der Welt, gewürft 
werben; fo ift auch unleugbar, daß das Dichtungsvermoͤ⸗ 
gen, durch eben diefe Kraft, gemwürfe werde, Und man 
fan die Regel, nach) welcher viefes Wermögen wuͤrkt, folgens 
bergeftalt ausdrucken: man ftelle fich die Theile ver⸗ 
ſchiedener Einbildungen, und abſtracten Begriffe, 
als Eine ganze Vorſtellung vor. Alle Vorſtellungen, 
welche von dem Dichtungsvermoͤgen gewuͤrkt werben, heiſ— 
ps Erdichtungen. Sie flellen uns entweder ihren Ge⸗ 
genſtand 


188 Von dem Dichtimgsvermögen, 


genftand als ein einzefnes Ding ver, wenn 3. E. in einer 
Fabel ein Schaaf redend eingeführt wird; oder als ein ab⸗ 
ftractes Ding, weldyes möglich) iſt, z. E. der Begrif von 
einer Subftang, welche die Welt bloß dunfel vorftelt. Alle 
Ervichtungen find entweder wahr, oder falfch S. 489. Die 
falfchen Erdichtungen werden Chimären genannt, wovon 
wir gleid) in dem folgenden Beyſpiele anführen werden. 
Man kan aud) alle Erdichtungen in deutliche, und undeufs 
liche eintheilen. Zu den leßtern gehören 3. E. die poeti— 
fen Erdichtungen, welche wenigftens gröftentheils finnliche 
Borftellungen find. Zu den erftern koͤnnen wir alle deutli: 
che Begriffe vechnen, die wir, nach der Sprache der Vers 
nunftlebre, durch die willführlihe Verbindung machen, als 
der vorhinangeführte Begrif von einer Gubitanz, welche 
ſich die Welt bloß dunkel vorſtelt. Folglich ift das Dich- 
tungsvermoͤgen entweder ein finnliches, oder vernuͤnf⸗ 
tiges. Durch jenes werden die finnlichen Erdichtungen 
gemacht, durch diefes aber die deutlichen und vernünftigen, 


| $. 589. | 

Ich werde balde zeigen, daß alle unfere Irrthuͤmer 

aug Chimären beftehen, oder ihren Urfprung nehmen, und 
es ift daher eine fehr wichtige Sache, daß mir unterfuchen, 
in wie vielerley Fällen unfer Dichtungsvermögen irren kön⸗ 
ne, weil wir dadurch defto beffer in den Stand gefeßt wer⸗ 
den, die Irrthuͤmer in der menfchlichen Erkenntniß übers 
haupt zu verhüten. Und dahin gehören folgende Fälle: 
1) wenn man Theile verfchiedener Vorftellungen zufammenz 
feßt, die einander fihlechterdings, oder unter einer ange 
nommenen Bedingung, widerfprechen,; man mag fid) nun 
alsdenn, den Gegenftand diefer Erdichtung, entweder als 
ein abftractes Ding, oder als ein bloß mögliches, oder als 
ein würfliches einzelnes Ding vorftellen: denn in feinem 
möglichen und wuͤrklichen Dinge koͤnnen Beftimmungen 
beyfammen feyn, die enander mwiderfprechen $. 23. Go 
ift, ein materieller Mtomus, eine abftracte Chimäre $. 394, 
oder wenn man ſich vorftellen wolte, daß ein endlicher Geiſt 
möglich 





Von dem Dichtungsverimögen, 189 


möglich oder würflich feyn Fünnte, der allwiflend wäre, daß 
der Schnee fünne getrocnet werden, und daß gebratene 
Tauben in der Luft herum fliegen koͤnnten. Oder daß ein 
Schaaf, in einer aͤſopiſchen Fabel, fo verfchlagen und liſtig 
handele, als ein Fuchs. 2) Wenn man von ven Vorftels 
lungen, die man in einer Erdichtung zufammenfegt, dieje- 
nigen Theile abfondert, ohne welchen ihre Gegenftände entz 
weder gar nicht möglic) feyn Fönnen, oder doch nicht unter 
derjenigen Bedingung, unter weldyer man fie annimt; man 
mag fid) nun hernach, die Öegenftände einer foldyen Era 
Dichtung, entweder als allgemeine mögliche, oder als einzel= 
ne mögliche und würflihe Dinge vorftellen. Folglich 
heckt man Chimären aus, wenn man im Erdichten das 
Weſen, die wefentlichen Stüde und die Eigenfchaften, ab: 
fordern wolte 6. 66.67. 3. E. wenn man, von dem Be: 
grif eines Menfchen, die Möglichkeit zu irren und zu füns 
digen, und die Schranken des Berftandes abfondern wolte, 
fo verfäle man auf Chimären; oder wenn man, dem Schaan» 
fe in der Fabel, feine Eigenfchaften abfprechen wolte: denn 
man will wiffen, wie ein Schaaf reden und handeln würde, 
wenn es feine ganze Natur, in fo weit fie mit dem Vermoͤ⸗— 
gen vernünftig zu veden und zu handeln beftehen Fan, bes 
bielte. 3) Wenn man von der erdichtoten Sache alle zu« 
fällige Befchaffenheiten und Berhältniffe abfondert, und 
fid) diefelbe doch als ein einzelnes Ding vorftelt, welches in 
diefer oder einer andern Welt wuͤrklich ift. Alsdenn Hecke 
man eine ungereimte Chimäre aus, weil fein einzelnes zus 
faͤlliges Ding, obne zufällige Beſchaffenheiten und Ver— 
häleniffe, feyn Fan. Alsdenn denft man höchftens nur ab- 
firacte allgemeine mögliche Dinge, die aber unmöglich als 
einzelne Dinge würflich feyn fönnen. So find mandye 
Weltweiſe auf die Chimäre gefallen, als wenn die Gegen« 
ftände der abſtracten Begriffe in der That als einzelne Din- 
ge würflic wären. 4) Wenn man, von der erdichteten 
Sache, einige zufällige Befchaffenheiten und Verhaͤltniſſe 
abfondert, ohne welchen dieſelbe Fein einzelnes Ding in der 

Welt 


190 Don dem Dichtungsvermoͤgen. 


Welt fenn Fan, und wenn man an deren Stat feine andere 
zufällige Befchaffenheiten und Verhaͤltniſſe ſetzt, welche die: 
felbe durchgaͤngig beffimmen. Ohne Abfonderung einiger 
ſolcher Beftimmungen fan man gar nichts erdichten. FTolg- 
lich muß diefe Abfonderung erlaube feyn, nur muß man an⸗ 
dere an ihre Stelle fegen, wenn man fid) anders den Ge— 
genftand, als ein einzelnes Ding in Diefer oder einer andern 
Melt, vorftellen will. 3. E. Fein Ding Fan in diefer 
Welt, ohne an einem Orte, wuͤrklich ſeyn. Geſetzt nun, 
man wolte fagen, es wäre ein Menfch oder ein anderes 
Ding in diefer Welt würklich, aber es befände ſich an gar 
Eeinem Orte: fo ift diefe Borftellung eine Chimäre, Ein 
anderes aber ift es, wenn etwas in Europa gefchehen, und 
ich erdichte, daß es in Afien geſchehen; oder wenn man ein 
Arcadien annimt, und dafelbft Schäfer erdichtet, die fonft 
nirgendswo anzutreffen find. 5) Wenn man alle.bisher 
angeführten Fehler vermeidet, fo Fan man doch noch auf 
eine Chimäre verfallen, wenn man ein einzelnes Ding fic) 
als würflic in dieſer Welt vorftelt, weldyes zwar, fo viel 
wir von diefer Welt verftehen, in verfelben möglich ift, 
demobnerachtet aber in derfelben nicht wuͤrklich feyn Fan. 
Diefe Art der Ehimären ift die allererträglichfte, fie find 
aber demohnerachtet falfche Erdichtungen. Denn wir ers 
dichten manchmal eine Borftellung, deren Gegenftand aller 
dings in dieſer Welt wuͤrklich it und feyn fan, z. E. wenn 
jemand eine Mafchine erdichtet, Die er hernach wuͤrklich 
macht. Folglich koͤnnen wir mit Grunde, diefe fünfte Art 
der Erdichtungen, mit zu den Chimären rechnen. So bat 
Lucian eine Frau erdichtet, und Plato eine Republik, welche 
in diefer Welt nicht möglich find, und dergleichen Chinä« 
ren Fommen ohne Zweifel in der Hifforie genung vor. Es 
ift vor ſich klar, daß alle Chimaͤren aus der Verblendung 
des Wißes, als aus ihrer erfien Quelle, entfliehen $. 577, 
und daf fie nur, durch eine gute Scharfjinnigteit, verhuͤtet 
werden Fonnen, x 


$, 590% 


Don dem Dichtungsvermögen, 191 


$. 590, 

Hus der Unrichtigkeit der Erdichtungen entftehen alle 
unfere Irrthuͤmer, bey denen wir uns den Gegenftand als 
ein mögliches oder zugleich würfliches Ding vorftellen, in 
welchem alle die Beftimmungen beyſammen angetroffen 
soerden, bie wir uns in unferm Irrthume beyfammen vora 
fiellen; oder alle diefe Irrthuͤmer find Chimären $. 568, 
z. E. der Irrthum der Materialiften, Ein Materialift 
ſtelt fi) das Bermögen zu denken und die Materie als Eins 
vor, under glaubt auch, daß ein folches Ding moͤglich und 
wirflic) fen, welches Materie ift und denfen Fan. Folg⸗ 
lich ift, dieſer Irrthum, eine Chimäre. Inſonderheit aber 
wollen wie bier bemerken, daß aus Chimären nicht nur 
feere Einbildungen entſtehen Fonnen, fondern auc) der ‘De: 
rug der Sinne, ſamt den Gedächtnißfehlern. Man fege, 
daß wir uns eine vergangene Empfindung wieder von 
neuem vorfiellen, und daß wir unvermerkt, durch unfer Er- 
dichtungsvermoͤgen, etwas von ihr abfondern und mas 
fremdes hinzuſetzen: fo haben wir eine Ervichtung $. 587. 
Halten wir fie num bloß für eine Einbildung, und wenn 
wohl gar der Gedächtnißfehler hinzukomt, vermöge deflen 
wir uns gar wohl zu erinnern vermeinen, daß wir die Ga= 
che vordem juft fo empfunden haben, fo haben wir eine fal- 
ſche Einbitdung $. 566. Gefegt, ic) babe einen Menfchen 
geftern in einem grünen Kleide gefehen, gefegt, ich ftelle 
mir heute vor, daß er ein rothes angehabt, und bin aud) 
wohl der Meinung, daß ich es mit meinen Augen gefeben, 
fo habe ich eine Erdichtung gemacht, und bin dadurd) auf 
eine falfche Einbildung gerathen.  Diefer Fehler. ift ſehr 
merfwürdig in der Hiftorie, indem mancher Hiftoricus 
glaubt, daß er feine ausgeheckte Chimaͤre in bewährten 
Schriftſtellern gelefen, oder von glaubwürdigen Zeugen ges 
hört habe. a diefes geht gar fo weit, daß manche die 
ungereimteften Chimären für Einbildungen halten, wie 
mander Schwärmer in der Religion eine himärifche Er— 
zehlung von feiner Bekehrung macht, und andere Seute für 

gottloſe 


192 Don den Dichtungsvermägen. 


gottloſe Spötter häft, welche nicht glauben wollen, daß fei- 
ne Befehrung fich eben fo zugetragen habe, als er erzehlt. 
Zum andern entfteht auch, der Betrug unferer Sinne, aus 
falfchen Erdichtangen. Denn wenn wir eine Empfindung 
haben, fo fönnen wir uns nicht anders betrügen, als wenn 
wir eine andere Borftellung, die feine Empfindung ift, das 
mit verbinden, und denfen, daß wir die ganze Vorſtellung 
bloß aus Empfindungen zufammengefegt haben. 3. E. dies 
jenigen, welche durch einen Betrug Der Sinne, ein Ges 
fpenft, zu fehen glauben, haben unleugbar eine falfhe Er- 
dichtung im Kopfe, und halten diefelbe für nichts anders, 
als für eine Empfindung. Man ficht demnach, wie ges 
fährlic) das Dichtungsvermögen feyn Fan, und bey den 
meiften Menfchen gewöhnlicher Weife zu feyn pflegt, wenn 
man es nicht gehörig zu verbefjern ſucht. 


NN 

Kin fruchtbares, oder Kıfindungsteiches Dich- 
tungsvermögen ift ein Dichtungsvermoͤgen, in fo..ferne 
eg merflich und in einem hoͤhern Grade groß und vollkom— 
men ift. Iſt es zu Ehimären fehr geneigt, oder. wenn es 
leicht und gewöhnlicher Weife Chimären, die noch dazu ſehr 
ungereimt find, ausheckt, wird es ein ausfchweifendes 
Dichtungsvermögen genannt, wie alle ungehirnte Kos 
manfchreiber haben. Beſitzt e8 aber die Fertigkeit, ſich 
vor Chimären in acht zu nehmen, fo wollen wir es ein 
wohlgeordnetes Dichtungsvermögen nennen. Da 
diefes Vermögen auf vielen andern Erfenntnißvermögen bes 
rubet, fo fege feine Bollfommenbeit, die Vollkommenheit 
derfelben, voraus $. 588. Folglid) je groͤſſer und vollkom— 
mener die Sinne, die Einbildungsfraft, das Gedaͤchtniß, 
der Wis, die Scharffinnigkeit, die Aufmerffamkeit und, 
Abftraction eines Menfchen find, famt der Erfenntniß, die 
er durch diefe Erkenntnißvermoͤgen erlangt und erlangt hat, 
befto gröffer und vollfommener ift aud) fein Vermögen zu 
dichten. Inſonderheit Fönnen, die. verfchiedenen Grade 
diefes Vermögens, nad) folgenden Kegeln beftimt werden : 
ı) Bon 


Von dem Dichtungsvermögen. 193 


Von je mehrern und mannigfaltigern Einbildungen, und 
abſtracten Begriffen, die Theile hergenommen werden, aus 
denen die Erdichtung zuſammengeſetzt wird, deſto vollkom— 
mener ift das Dichtungsvermoͤgen. So hat Homer in ſei—⸗ 
ner Iliade, von unendlich vielen andern Vorſtellungen, die 
Theile feiner Erdichtung entlehnt. Es iſt bey nahe Feine 
Wiſſenſchaft zu erdenfen, aus welcher er nicht etwas ent- 
lehnt bat. Er ift erſt auf Reifen gegangen, und hat die 
Sitten vieler Menfchen und Städte ſelbſt gefehen, che er 
feine Erdichtung erfchaffen bat. 2) Ye wichtiger und 
gröffer: diefe Theile find, die miteinander verbunden wers 
den, deito gröffer ift das Dichtungsvermögen, Eben die: 
fes fan man, von dem Homer, fagen. Wenn ein Mora: 
lift und moralifher Dichter einen moralifchen Character 
erdichten will, fo verräfh er eine fehlechte Gabe zu dichten, 
wenn er den Character aus den Fleinften und unerheblich- 
ften Zügen zufammenfegt. Wenn er aber z. E. hundert 
GeisHälfe durch die Erfahrung hat Fennen lernen, und er 
ift im Stande, von einem jedweden eine Art zu denken und 
zu handeln zu nehmen, welche das Wefen und die Eigen: 
ſchaften des Heißes reche ins Licht fesen, fo beweiſt er die 
vortreflihe Befchaffenheit feines Dichtungsvermoͤgens. 
3) Je richtiger, ordentlicher, Flärer und gemiffer alle diefe 
Theile mit einander verbunden werden, und je eine ftärfere 
Dorftellung die ganze Erdichtung ift, deſto vollfommener 
ift das Dichtungsvermögen. Was für Ordnung, und 
wahrfcheinliche Entwickelung der Begebenheiten, iſt niche 
in der Iliade? Mic was für hellen, fchimmernden und 
reitzenden Zügen drückt fich nicht, Die ganze Erdichtung, in 
das Gemüth eines aufmerffamen tefers ein! Man glaubt, 
Troja zu fehen, und die Schlachten der Griechen mit den 
Trojanern. 4) Se leichter und gefchwinder wir eine Er: 
Dichtung erfinnen fonnen, defto geöffer ift das Dichtungs: 
vermögen. Wenn man fich auf eine Lügen lange befinnen 
muß, wenn manı mit vieler Mühe im Luͤgen fortfommen 
Ean, fo ift das Dichtungsvermögen ſchwach. Wer aber 

33h N in 


F 


194 Don dem Dichtungsvermoͤgen. 


in der Gefchwindigfeit, ohne fih darauf zu befinnen, eine 
weitläuftige, wohl zufammenhangende und mwahrfcheinliche 
Lügen erfinden fan, der lege dadurch die Munterfeit und 
Stärfe feines Dichtungsvermögens an den Tag. 5) Fe 
mehrere und ftärfere Borftellungen fremder Art, in dem 
Gemüthe eines Menfchen, find, ein defto ftärferes Did)- 
fungsvermögen muß er befißen, wenn er mitten unter die 
fen Hinderniffen dennoch eine Erdichtung ausfinnen Fan. 
So bewundert man die Stärke des Dichtungevermögens 
eines Inquiſiten mit Necht, welcher vor dem Richter, und 
unter den fürchterlichften VBorftellungen der Tortur und der 
Strafen, dennoch) eine weitläuftige füge erdenfen Fan, ohne 
darüber in Verwirrung zu gerathen. Die Xefthetif hans 
delt weitläuftiger, von der Verbeſſerung des finnlichen Er— 
dichtungsvermögens $. 527. 
* g. 592. 

Eine von den allerbewundernswuͤrdigſten Veraͤnde— 
enngen der menſchlichen Seele iſt der Traum. Wenn ein 
Menfch bey Berftande noch niemals geſchlafen bäfte, wie 
Adam als er das erftemal einfchlief, fo wuͤrde er bey der 
Anwandelung des Schlafs ins Aufferfte Entſetzen geratben, 
Er würde nicht anders denfen koͤnnen, als er fange wieder 
an zu vergehen. Mit der Augftlichiten Anftrengung feiner 
Kräfte würde er fich feinem Untergange widerſetzen, bis 
ihn endlich der Schlaf überwältigen wine. So find wir 
demnach im tiefen Schlafe, das ijt in demjenigen Zu— 
ftande, in welchem nicht nur unfere Aufferlichen Empfin- 
dungen, fondern auch alle unfere uͤbrigen Vorftellungen, 
ganz dunfel find, unferm Gefühl nach nicht beffer daran, 
als wenn wir gar nicht würflicd) wären. Wir find ung 
alsdenn weder unferer felbft, noch irgends einer andern 
Sache, auch nur im geringften bewußt. Allein da gibt es 
nun einen gewiffen Zrifchenzuftand, welcher Fein Wachen 
und auch Fein tiefer Schlaf ift, und in diefem Zuftande 
räumen wir, Gemeiniglich erflärt man die Träume durch 
Flare Einbildungen, die wir im Schlafe haben, Allein 

zweyer⸗ 





Don dem Dichtungsvermägen. 195 


zweyerley fan man, wider diefe Erklärung, einwenden, 
Erftlich der Traum, im Ganzen betrachtet, iſt eine Erdich— 
fung, der wir uns bemußt find, welche frenlich aus Flaren 
Einbildungen zufammengefegt if. Wenn der Traum, im 
Ganzen betrachtet, eine Einbildung wäre, fo müfte ung 
alles ſchon in der Welt begegnet feyn, was uns träumt, 
und mie es uns traͤumt. Diefes aber ift, der Erfahrung, 
zumider. Zum andern aber gefraue ich mir zu behaupten, 
daß Die Seele niemals träumen fan, wenn fie fehläft, wenn 
man nemlich durch den Schlaf den Zuftand verfteht, in 
welchem die äufjerlichen Empfindungen ganz dunfel find, 
Meine Meinung ift Diefe ; Der Traum fan nicht anders 
entſtehen, als wenn einige Aufferliche Empfindungen fo Flar 
find, als unfere Einbildungen gewöhnlicher Weiſe zu ſeyn 
pflegen, ob fie gleich nicht fo Flar find, als fie im Wachen 
zu ſeyn pflegen. Und Diefe Meinung wird, Durch folgende 
Grunde, beftätiget : 1) Der allererfte Anfang der Wuͤrk— 
faınfeit der Einbildungskraft entfteht, aus einer äufferlichen 
Empfindung $. 558. Nun fan man, weder aus der Er- 
fahrung, noch aus andern Gründen, darthun, daß eine 
dunfele Empfindung, die Einbildungsfraft, dergeſtalt und 
fo ſtark in Gang bringen Fonne, daß fie Flare Einbildun— 
gen hervorbringe. Cine klare aufferliche Empfindung aber 
ift diefes zu thin im Stande. Da nun der Traum aus 
klaren Einbildungen befteht, fo fcheint es die Natur der 
Einbildungsfraft zu erfodern, daß eine Flare aͤuſſerliche 
Empfindung den Anfang zum Traume mache, 2) Sch 
babe eine Erfahrung gehabt, welche dieſes vollfommen be- 
ſtaͤtiget. Mir räumte, daß Leute über mich herfielen, ſich 
meiner bemächtigten, mich auf die Erde warfen, und einen 
Pfal mir zwifchen dem groffen und nächiten Zähe in die 
Erde fhlugen. _ Ueber der Angft erwachte ich, und das 
klare Gefühl des Pfals verwandelte fih in das Gefühl ei- 
nes Strohhalms, der mir zwifchen die Zähen gekommen 
war, Eben fo, wenn ich über dem Leſen einfchlafe, fo ge- 
rathe ich den Augenblick in einen Traum, da es mir fcheint, 
— af na — als 


196 Don dem Dichtungsvermögen, 


als wären die Buchltaben und Worte noch vor meinen 
Augen. 3) Wenn man räumt, rubet man fo fanft nicht, 
und man erholt fih auch) nicht fo ſehr durch den Schlaf, als 
wenn man nicht träumt, und ein Trätumender liegt auch 
uneuhiger im Bette. Folglich beftätiget diefe Beobach— 
tung, daß der Traum unmöglich) in einem eigentlichen 
Schlafe entftehen Fan, 4) In bißigen Krankheiten, wenn 
man vollblütig ift, zu viel gegeffen und getrunken bat, 
wenn ınan auf dem Rücken liegt, entftehen die Träume am 
leichteften. Und da befindet man fich juft in folchen Um: 
ftänden, in melchen die Nerven fo ſtark bewegt werden, 
daß nothwendig einige Klarheit in den Aufferlichen Empfinz 
dungen entftehen muß. Um dieſer Urfachen willen erkläre 
ich, den Traum, folgendergeftalt. Nemlich der Schlum« 
mer oder ver halbe Schlaf, ift der Zuſtand, in welchen 
die Aufferlichen Empfindungen nicht alle ganz verdunfelt 
find, ſondern in welchem einige derfelben zwar nicht fo Flar 
find, als fie im Wachen zu feyn pflegen, aber ohngefehr fo 
klar, als die Einbildungen zu feyn pflegen, und zwar fo, 
daß die Sebensbewegungen des Körpers Feine merfliche 
Veränderung leiden. Daher koͤnnen wir auch), dieſe Fla= 
ren Empfindungen, von den Einbildungen. im Traume 
nicht unterfcheiden, weil fie diefelben nicht an Klarheit 
übertreffen. Der Traum iſt eine Erdichtung, der wir 
uns im Schlummer bewußt find, und wir träumen, went 
mir ſchlummern, und in diefem Zuftande Flare Erdichtun— 
gen machen. Folglich iſt der Zuftand der, Seele, in wel— 
chen fie träumt, ein Mittelzuſtand zwifchen dem Schlafe 
und dem Wachen, wie die Dämmerung zwifchen der Mache 
und dem beiien Tage. | \ 


n . 5093... 

Man Fan alle Träume in natürliche, und unnatürliche 
Träume eintheilen $. 406. 413. Yin natürlicher Tran 
wird. durch die Borftellungskraft der Seele, nach den Re— 
geln der Einbildungsfraft, des Dichtungsvermögens, des 
Witzes und der Heberlegung, gewuͤrkt $. 515. 558. — 
enn 





Von den Dichtungsvermögen. 197 


Wenn alfo ein Schlummer durch eine Aufferliche Urſach, 
oder eine ftärfere Bewegung der Nerven, als fie im Schla— 
fe zu haben pflegen, eine aufferliche Empfindung entftehe, 
die zwar Flar ift, aber nicht fo Flar, als es im Wachen ge- 
wöhnlich ift: fo Fan dadurch) die Einbildungsfraft rege ges 
macht, und vermöge der Bergefellfchaftung der Borftele 
lungen aus einer Einbildung in Dieandere geratben, Und da 
fih die Seele verfelben bewuße ift, fo betrachtet fie Diefel« 
ben als eine ganze Vorftellung, und die ift dasjenige, was 
wir den Traum nennen. Man Fan freylich nicht verlan« 
gen, Daß wir bey allen unfern nafürlichen Träumen erflä= 
ven follen, wie die Seele eben auf dieſe und Feine andere 
Einbildungen geraͤth. Allein deswegen hört ein Traum 
nicht auf natürlich zu feyn, weil wir Me: fchen nicht volle 
Fommen erklären Fonnen, warum eben der und Fein anderer 
Traum, zu einer gewiffen Zeit, in unferer Seele entftan= 
Den, Manche nehmen an, dab der Traum allemal durch 
die Empfindungen veranlaft werde, welche wir des Tages 
vorher gehabt haben. Wenn fie Daher geträumt haben, fo 
nehmen fie fich Die Mühe, fich zu befinnen, was fie des Ta- 
ges vorher gefprochen, gelefen, gehört oder fonft empfunden 
haben, Allein nach meiner Theorie Fan ein Traum, durch 
eine äufferlihe Empfindung, veranlaßf werden, welche wir 
in Schlummer befommen, und welche mit den Empfin- 
Dungen, Die wir des Tages vorher gehabt haben, feine 
merEliche Aehnlichkeit hat. Unnatuͤrliche Traͤume find 
ſolche Traͤume, welche durch die Vorſtellungskraft der See⸗ 
le, die da traͤumt, nicht gewuͤrkt werden. And wenn die— 
felben Durch Die Natur gar Feines endlichen Dinges gewuͤrkt 
werden, ſo ſind ſie uͤbernatuͤrliche Traͤume $. 413. Die 
übernatürlichen. Träume Fonnen in der Weltweisheit nicht 
anders beurtheilt werden, als wie mit Die übernatürlichen 
Begebenheiten überhaupt in der Coſmologie unterfucht has 
ben. Ob es unnatuͤrliche Träume gebe, die nicht uͤberna— 
tuͤrlich find, ob 3. E. der Teufel einen Traum der menfch- 


lichen Seele einblafen koͤnne, wobey fich die Seele bloß 
'MmM3 ”  feidents 


198 Don dem Dichtungsvermögen. 


leidentlich verhalte? ift fo leicht nicht zu entſcheiden, als 
ſich manche vielleicht einbilden. 


§. 594. 

Unſere Traͤume haben auch eine doppelte merf: 
wuͤrdige Beſchaffenheit. Einmal duͤnkt es uns, indem wir 
traͤumen, daß ſie eine ungemeine Klarheit und sebhaftigfeit 
haben. Sie glänzen in der Seele, wie der volle Mond in 
einer heitern Macht... Freylich wenn wir erwachen, fo ver: 
blafjen fie gegen die Klarheit der Empfindungen, mie der 
volle Mond wenn der Tag anbricht. Allein fo lange wir 
ſchlummern, find wir uns derfelben fehr bewußt. Und das 
komt daher, weil unfere meiften äufferlichen Empfindun- 
gen alsdenn dunkel find, und die wenigen, die Elar find, 
nicht Flärer find, als unfere Einbildungen. Folglich wird 
alsdenn das ſchwaͤchere Licht der Einbildungen und Erdich- 
ungen nicht, wie im Wachen, durch das ftärfere Licht der 
aufferlichen Empfindungen geſchwaͤcht und unterdruckt. 
Unterdeffen find die Träume felbft von verfchiedener Klar: 
beit. Einige ſind fo wenig Flar, daß wir uns ihrer, beym 
Aufwachen, nicht erinnern koͤnnen; manche aber find in 
einem fo hohen Grade Flar, daß wir uns ihrer fehr wohl 
wieder erinnern Fonnen. Zum andern pflege man Die 
Träume, in wahre und falfche, einzutheilen. Jene find 
wahre Erdichtungen, diefe aber find Chimären $.588. Alfe 
Träume enthalten nothwendig was falfches, weil wir ung 
mitten im Traume einbilden, als feyn die Vorſtellungen im 
Traume lauter E mpfindungen, und als befanden wir uns 
in dem Augenblicke wuͤrklich in denen Umſtaͤnden, die wir 
uns im Traume vorſtellen, und das iſt ein Irrthum. Un— 
terdeſſen iſt es doch moͤglich, daß wir uns im Traume moͤg— 
liche Sachen vorſtellen, und es iſt nicht unmoͤglich, daß der 
ganze Traum ein Roman ſey, welcher alle aͤſthetiſche Wahr⸗ 
ſcheinlichkeit beſitzt. Allein mehrentheils ſind, unſere Traͤu⸗ 
me, die allerabgeſchmackteſten Chimaͤren. Und das komt 

daher, ı weil im Traume, die Einbildungsfraft und das 
Dichtungsvermögen, ihnen felbft überlaffen werden. Im 
Wachen 





Von dem Dichrungsvermögen. 199 


Machen Fönnen wir, durch die Betrachtung unferes gegen- 
wärtigen Zuftandes, allemal diefe Erfennenigvermögen im 
Zaum halten, und ihnen einen andern Schwung geben, 
wenn fieuns in eine Zauberwelt führen wollen, Allein 
wenn mir träumen, häufen fie die Einbildungen auf ein 
Gerathewohl zuſammen, und es ift ‚alfo natürlich, daß fte 
ungebinderter und leichter fhmärmen, als wenn wir wa— 
chen. Folglich ift es nicht möglich, im Traume ſich für 
Ehimären zu hüten, und es fomt bloß aufs gute Glück an, 
wenn wir einmal einen wahrfcheinlichen Traum ausheden. 


7 «595. 

Es gibt einige artige Beobachtungen bey den Träu- 
men, die eine genauere Unterfuchung allerdings verdienen, 
Ob die Träume was bedeuten, und ob wir aus ihnen zu: 
Fünftige Dinge vorherfehen koͤnnen, das werde ich in dem 
folgenden unterfuchen. Hier will ich nur dreyerley bemer- 
fen. Einmal lehrt die Erfahrung, daß einige Leute mehr, 
andere weniger träumen, uud das rührt überhaupt von der 
verfchiedenen Gefchäftigkeit der Seele ber. Unterdeſſen 
wäre es noch eine Frage: ob das viele Träumen eine Boll- 


kommenheit, oder Unvollfommenheit der Seele fey? Mir 


fcheine das erfte der Wahrheit gemäß zu ſeyn, weil eine 
gröffere Gefchäftigfeit der Seele, überhaupt Davon zu res 
den, eine Bollfommenbeit ift. Zum andern hat man ans 
merfen wollen, daß manche Leute niemals geträumt haben, 
bis kurz vor ihrem Tode, wie von dem Kayfer Nero erzehlt 
wird. Hier müfte man erft völlig verfichert feyn, daß es 
dergleichen Leute gebe, und hernach wäre es wohl der Muͤhe 
werth, diefe Sache zu erflären. Drittens fcheint es eine 
anmerfenswürdige Sache zu feyn, daß manche Träume 
allgemein zu feyn fcheinen; oder daß entweder alle Mens 
fehen, oder die meiften, oder doch unendlich viele fich ge- 
wiffe Dinge im Traume vorftellen. 3. E. es träumt de— 
nen Menfchen ofte, daß fie von einer Höhe herabfallen; 
oder daß fie ſchreyen wollen, und nicht koͤnnen; oder daß 
man fic) ankleiden will, und die Kleidungsftücde nicht fin= 

4 den, 


260 Von dem Dichtungsvermögen. 


den, und nicht fertig werden Fan; oder daß man laufen 
will und nicht fortkommen Fan, Diefen legten Traum hat 
gewiß Homer fo wohl, als auch Virgil gehabt. Jener 
führt, in dem zwey und zwanzigften Buche Der Jliade, 
dieſen Traum als ein Gleichniß an, und dieſer thut eben 
diefes, in dem zehnten Buche der Aeneis. Wenn man 
den Grund von diefer Sache entdeckte, fo würde uns ohne 
Zweifel ein geöfferes Licht, in der Theorie von den Trau- 
men, aufgehen, 
$. 596. ü 


Eine von den erftaunenswirdigften Erfcheinungen 
unter den Menfchen ift, die Krankheit dev Nachtiwandeler, 
Ein Nachtwandeler träumt, und in feinem Körper ent: 
ftehen durch den Traum folche merkliche Bewegungen, der— 
gleichen im Wachen mit den Aufferlichen Empfindungen 
verbunden zu feyn pflegen. 3. E. wenn ein Menſch im 
Wachen an einen Dre hingehen will, fo bewegt fich fein 
Körper dahin. Einem Nachtwandeler traͤumts, daß er 
von einem Drfe zu dem andern hingehen wolle, und ohne 
aufzuwachen nime fein Körper dieſe Bewegung vor. Viel— 
leicht werden die Weltweifen niemals im Stande feyn, al- 
les aus der Natur vollftandig zu erflären, was man bey 
den Nachtwandelern beobachtet. Ein Nachtwandeler klet— 
tere Höhen hinauf, von welchen ein Wachender berabftür- 
zen und Hals und Bein brechen würde, und was derglei- 
chen mehr ift. Allein, eine allgemeine Erklärung diefes 
Wunders der Natur, läße ſich recht gut geben. Denn 
erſtlich Fönnen die Traume einen groffen Grad der Stärfe 
befommen, daß fie wenigftens bey nahe eben fo ſtark find, 
als unfere Empfindungen im Wachen. Können nun die 
Teßtern, Bewegungen im Körper, verurfachen, fo koͤnnen es 
auch die erftern, zumal da nach meiner Theorie der Träu- 
mende nur fehlummert, und viele klare äufferliche Empfin— 
dungen haben fan. Folglich Fan ein Nachtwandeler fehen, 
fühlen, hören u. kw. Zum andern find, mit den Aufferli= 
chen Empfindungen und Einbildungen, materialifche Bil- 

der 


u —— 


— — 


— — 


En 





Pon dem Dichtungsvermögen. 2c1 


der im Gehirne verbunden, welche im Schlummer eben die 
Beivegungen im Körper verurfachen Fonnen, als im Wa— 
chen. Folglich nehme ich-an, daß der Traum eines Nacht: 
wandelers, viele Elare Aufferlihe Empfindungen, in fich 
enthalte, und zwar merklich mehrere, als die Träume eines 
Menfchen, der fein Nachtwandeler ift. Es müjten.alfo 
die Herren Aerzte unterfuchen, woher es fomme, daß der 
Tervenfaft bey manchen $euten, zur. Zeit ihres Schlafs, 
nicht fo rubig werde, als bey Leuten, Die Feine Nachtwan— 
deler find; fo würden fie vielleicht. den wahren Grund fin- 
den, aus welchem in dem Körper dieſe Krankheit entſteht. 
Seute, die im Schlafe reden, fich im Bette aufrichten, mit 
den Händen viel um fich fehlagen, werden zwar Feine Nacht— 
wandeler genant, allein ihr Zuftand ift, von dem Zuftande 
eines Nachtwandelers, nur wie das Fleinere von dem grof. 
fern unterfchieden. Dieſe meine Meinung von dem Nacht— 
wandeln wird dadurch beftätiget, daß man fich, ohne auf: 
zumachen, im Bette herumfehren Fan, Wenn wir wachen, 
und wir haben lange auf einer Seite gelegen, fo befommen 
wir eine unangenehme Empfindung, und deswegen legen 
wir uns auf eine andere Seite. Kolglich muß diefes Her: 
ummelzen durch eben eine folhe Empfindung entftehen, Die 
aber nicht fo Elar ift, als im Wachen. 
§. 597. 

Hieher gehört auch noch der Zuftand eines Phanta: 
ften, und Verruckten. Wer im Wachen einige Erdich: 
tungen für Empfindungen hält, wird ein Phantaſt, ein 
Schwärmer, ein Örillenfänger genannt. Wie viel Hifto: 
rien hat man nicht von folchen $euten? ener dichtete fich 
felbft eine grofle Nafe an, und er hielt diefes für eine Em— 
pfindung, indem er die Groͤſſe feiner Naſe zu fehen und zu 
fühlen glaubte, Und hieher koͤnnen alle phantaftifche, 
hochmuͤthige und ‚verliebte : Leute gerechnet werden, ſamt 
allen Schwärmern in der Religion, Und das rührt ohne 
Zweifel Daher, wenn ein Menfch im Wachen, von feinen 


\ Aufferlihen Empfindungen, zu ſehr feine Gedanfen abzieht, 


5 und 


202 Von dem Dichtungsvermögen. 


und feinen Erdichtungen zu fehr nachhaͤngt. Alsdenn Fan 
eine Erdichtung eine der klaͤrſten und ſtaͤrkſten Borftellun- 
gen werden, und dergleichen Vorſtellungen bäle jederman 
für Empfindungen. Wer aber feine Erdichtungen gar 
nicht mehr von den Empfindungen unterfcheiden Fan, wer 
feine Empfindungen für Erdichtungen hält, und feine Er: 
Dichtungen für Empfindungen, der ift ein Derruckter, und 
der Zuftand deffelben ift die Verruckung. Da diefelbe 
von der Phantafterey nur, wie das Gröffere von dem Klei- 
nern, unterfchieden iſt; fo entfteht fie aus eben den natür- 
lichen Urfachen, wenn fie in einem höhern Grade vorhan— 
den find. Wenn durch Krankheiten die materialifchen 
Bilder, welche die Einbildungen begleiten, eben fo ftarf 
oder noch ftärfer werden, als die materialifchen Bilder der 
Empfindungen; oder wenn die legten, durch eine Merven> 
franfheit, oder um einer Schwächung der Nerven willen 
in einer Kranfbeit, ungewöhnlich gefehwächt werden, fo 
phantaſirt die Seele, oder geräth wohl gar in eine Ver— 
rucung. 

2 EEK EE KK KK RE TFT FI — 


Der, fechfte Abfchnitt, 
Bon dem Bermögen vorherzufehen. 


ge 598. 

&% viele Menfchen ftehen in der Meinung, alsfey 
die Vorberfehung zukünftiger Dinge ein Vorrecht 

der Gottheit, und als fey die ganze Zukunft vor den Augen 
aller Menfchen fehlechterdings verſchloſſen. Allein fie be- 
trügen fich ganz unläugbar. Sie verwechfeln vorherfeben, 
wahrfagen und prophecenen mit einander ; und weil wir 
Menfchen die zukünftigen glücklichen und unglüclichen Zu: 
fälle, nebft andern dergleichen Schickſaalen, nad) deren 
Borherwiffen unfere unordentlihe Neugierigkeit durſtet, 
nicht vorherfehen koͤnnen: fo fehließe man auf eine höchft 
übereilte Art, daß wir das Zukünftige gar nicht bin 
eben 











Von den Vermögen vorbersufehen. 203 


fehen im Stande find. Hätten wir Fein Vermögen, das 
Zufünftige vorherzufehen, fo würden mir nichts begehren, 
nichts verabfcheuen, nichts hoffen, nichts fürchten koͤnnen. 
Wir würden weder vorfichtig noch Flug handeln koͤnnen, 
und wir würden, mit einem Worte, fehr elende und naͤrri— 
fehe Creaturen feyn. Die unleugbare und tägliche Erfah— 
rung überzeugt uns, daß wir uns unferer zufünftigen Zu— 
jtände bewußt find. Wir fünnen an den morgenden Tag, 
‚ und das fünftige Jahr denken. Wir erkennen, daß wir 
fterben werden, und es geht feine Stunde des Tages vor: 
bey, da wir uns nichts Zufünftiges vorftellen folten, und 
folte es auch nur gleich der nächftfolgende Augenblick feyn. 
Die Vorftellungen unferes zufünftigen Zuftandes, fie mö- 
gen nun £lar oder dunkel feyn, heiſſen Vorherſehungen; 
und es befißt demnach unfere Seele ein Vermögen, zufünf- 
tige Dinge zum voraus zu erfennen, und wir nennen die— 
fes Vermögen das Vorberfehungsvermögen. Es be- 
fteht daffelbe in nichts anders, als in der Aufmerkfamfeit 
auf das Zufünftige $. 506. und in fo ferne es alſo unferer 
Seele möglich ift, ihre VBorftellungsfraft auf die zukünfti- 
gen Dinge zu richten, in fo ferne Fomt ihr diefes Erkennt— 
nißvermögen zu. Und da, alle unfere zukünftigen Zuſtaͤn— 
de, zu den zufünftigen Zuftänden der Welt gehören; fo itt, 
unfer Borherfehungsvermögen, ein Bermögen, die zufünf- 
tigen Zuftände der Welt zu erkennen, Alle unfere Vor: 
herfehungen demnach, welche von uns felbft hervorgebracht 
werden, werden durch die Vorftellungsfraft der Seele ge- 
würft, vermöge welcher fie fich die Welt, nad) der Stel— 
lung ihres $eibes, vorftelt $. 488. 


« 5090. 

Das Zukünftige, in fo ferne es zufünftig ift, ift noch 
niemals wuͤrklich gemwefen, folglich haben wir es noch nie fo 
empfunden, wie es zufünftig ift. Es ift demnach eine 
jedwede Vorberfehung nichts anders, als eine Erdichtung, 
und befteht alfo aus den Theilen unferer Empfindungen, die 
wir jeßt in dem Augenblicke haben, wenn eine Borherfe- 

bung 


204 Von dem Vermögen vorherzuſehen. 


hung in uns entſteht, und welche wir vordem gehabt haben 
9. 587. 588. Folglich entſteht eine Vorherſehung in ung, 
wenn eine gegenwaͤrtige Empfindung die Einbildungskraft 
beſtimt, eine vergangene Empfindung uns wieder ins Ge— 
muͤth zu bringen; wenn wir das, mas fie mit einander ge— 
mein haben, abfondern, und die Theile, ‚wodurch fie von 
einander unterfchieden find, zufammen als eine Borftellung 
anfeben, und dieſes ift die Vorherſehung. Daher ſieht 
unfere Seele das Zufünftige, nach dieſer Regel, vorher: 
Wenn man eine $Einbildung und Empfindung, die 
einen Theil mit einander gemein haben, mit einans 
der vergleicht, und die in ihnen verfchiedenen Theile 
in ine Vorftellung sufammenfaßt, fo ſieht man 
das Zukuͤnftige vorher. Man Fan es ſich wie einen 
Schluß vorftellen, in welchem die Einbildung der Dberfag 
iſt, die Empfindung iſt der Unterfaß, und der Schlußſatz 
iſt Die Vorherſehung. 3. E. meine Einbildungskraſt ſagt 
mir, daß ich bisher alle Mittage um zwoͤlf Uhr zu ſpeiſen 
gewohnt binz nun fage mir meine Empfindung, daß es 
jetzt bald Zwoͤlfe ift, folglich fehe ic) vorher, daß ich balde 
fpeifen werde, Oder ich habe eg erfahren, oder fonft-aus 
Gründen ſchon ofte erfant, daß Verschwendung arm mache, 
Ich fehe einen Menfchen, und feine Verſchwendung. Bey 
dieſer Gelegenheit faͤlt mir die Wahrheit ein, die ich ſchon 
laͤngſt erkannt habe, und daher entſteht die Borherfehung, 
daß dieſer Menſch fih an den Bettelftab bringen werde, 
Das Zufünftige laͤßt ſich auch nicht anders vorberfehen, 
als aus feinen Örinden. Nun bat es feinen Grund in 
dem Gegenmärtigen, und DBergangenen. Folglich muß, 
man fi dieſes Durd) Die Einbildungskraft, und jenes durch 
die Sinne vorſtellen, wenn man eine Vorherſehung erlan— 
gen will. Die Erfahrung lehrt auch, daß ein Menſch um 
fo viel weniger an die Zukunft denke, je weniger Erfah— 
sung er befißt, als 3. E. in der Kindheit. Je älter man 
wird, deſto vorfichtiger wird man, und defto mehr denkt 
man an das Zukünftige, weil man mehr Erfahrung erlangt 

hat, 





Don dem Vermögen vorbersufeben. 205 


bat. Das Gegentoärtige wird, wie Leibnitz fagt, Durchs 
Vergangene gefehmwängert, und "gebührt das Zukünftige, 
und hierin ſteckt die ganze natürliche Regel, nach welcher 
wir das Zufünftige vorherſehen. Und hieraus iſt zu be: 
greifen, welche zufünftige Dinge wir vorherſehen fünnen, 
und welche wir vorherzufehen nicht vermögend ſind. Nem— 
lich wir koͤnnen alles das Zufünftige vorberfehen, deſſen 
Gründe, welche in unferm gegenwärtigen und vergange- 
nen Zuſtande angetroffen werden, uns durch die Erfahrung 
oder anders woher hinlänglich befannt find, wie 3. E. in 
den vorbinangeführten Beyſpielen. Sind uns aber dieſe 
Gründe unbekannt, weil wir entweder nicht auf fie acht ha— 
ben, oder weil wir fie nicht erkennen Fonnen; fo koͤnnen wir 
auch eine folche zukünftige Sache nicht vorherfehen , und 
wenn fie auch gleich Den nächftfolgenden Augenblick würf: 
fich werden folte, wie uns Diefes bey allen Vorfaͤllen be- 
gegnet, die ſich ganz unvermuthet ereignen. 
$. 606, 

Wenn man die verfchiedene Klarheit und Stärke der ° 
Borherfehungen unter einander, und mit der Klarheit und 
Staͤrke anderer Vorſtellungen vergleicht; fo koͤnnen wir 
folgende Beobachtungen bemerken: 1) Die aufferlichen 
Empfindungen, oder überhaupt die Empfindungen, find 
der Art und Gattung nach) Flärere und ſtaͤrkere Vorſtellun— 
gen, als die Borherfehungen. Wir behaupten nicht, daß 
eine jede Empfindung Flärer und ftärfer ſey, als eine jed- 
wede Vorherfehung: denn das würde der Erfahrung zu— 
wider feyn. Aengſtliche Sorgen wegen des Zufinftigen 
maden, einem Menfchen, alles Angenehme in feinem ges 
genmwärtigen Zuftande unſchmackhaft, und unterdrucfen affe 
Empfindung. deffelben. Sondern wir behaupten nur, daß 
eine Empfindung und Borherfehung, wenn fie übrigens 
einander glei) find, fich fo gegen einander verhalten, daß 
jene eben deswegen Flärer und ftärfer ift. als diefe, weil fie 
‚eine Empfindung iſt; und diefe eben Deswegen dunfeler 
und ſchwaͤcher iſt als jene, weil fie eine Vorherſehung if, 

Unfere 


206  Vondem Dermmögen vorbersufehen. 


Unfere Elärften und ſtaͤrkſten Empfindungen find allemal 
£lärer und ftärfer, als unfere Flärften und ftärfften Vor— 
berfehungen. Und diefes komt Daher, weil unfere Seele 
fich die Welt, nach der Stellung ihres Leibes, vorftelt $. 488. 
Da nun dasjenige, was wir empfinden, uns unmittelbar 
gegenwärtig, und alfo naher ift, als was wir vorherſehen; 
fo ift es auch ganz natürlich, daß unfere Empfindungen 
ftärfer und Flärer find, als unfere Borherfehungen, _ Die 
Seele hat einen Trieb, ihre Erkenntniß zu vermehren, 
indem fie etwas empfindet, fo befindet fie fich juft im Er- 
obern, und fie fale alfo hitziger über ihre Empfindungen 
ber, als über ihre Borberfehungen, als welche ihr nur eine 
Eroberung vorftellen, die fie Fünftig machen fol, und fie 
denft alfo, es hat noch Zeit. Folglich verhäit ſich Die 
Aufmerkfamkeit bey den Empfindungen würffamer, als 
bey den Borberfehungen, und fie müffen alfo nothwendiger 
Meife Flärer und ftarfer werden, als diefe, Da nun das 
gröffere Licht das Fleinere unterdruckt $. 508. fo werden die 
Borherfehungen von den Empfindungen ungemein verhin- 
dert, geſchwaͤcht und unterdruckt. Und daher Fomts, daß 
die Menfchen, über dem Gegenwärtigen, an das Zufünf- 
tige zudenfen aus der Acht laffen; und daß fie alfo über dem 
Gegenwärtigen das Zufünftige aus der Acht laffen. Daher 
unterdrucen, die Empfindungen der gegenwärtigen Reitzun— 
gen der Sünde, in einem jediweden Sünder, die Borberfe- 
hungen der böfen Folgen derfelben. 2). Wir koͤnnen nichts 
in einem folchen Grade der Klarheit und Staͤrke worberfe- 
ben, als wir es Ffünftig empfinden, wenn es gegenwärtig 
wird. Welchem Hungrigen fan eine Malzeit im Vorher— 
fehen eben fo gut ſchmecken, als wenn er fie würflich thut? 
Kein Uebel ſchmerzt uns eben fo fehr in der Vorherſehung, 
als in der Empfindung. Und dieſes Fome nicht nur Daher, 
weil die Vorherſehungen überhaupt dunkeler und ſchwaͤcher 
find, als die Empfindungen, wie gleich jego erwiefen wor— 
den; fondern weil auch. allemal; wenn eine Vorberfehung 


in unferer Seele ift, neben derfelben viele Empfindungen 
anderer 


Don dem Vermögen vorherzuſehen. 207 


anderer Gegenftände in ihr angetroffen werden, welche als 
ftärfere Borftellungen die Borberfehung ſchwaͤchen. Hier 
müffen wir vorausſetzen, daß die Vorſtellung, welche wir 
für eine Vorherſehung halten, in der That nichts anders 
als eine Vorherſehung ſey. Denn fonft iit befannt,. daß 
man zum voraus eine Sache fich viel fchlimmer oder beffer 
vorftellen Fan, als man fie in der That zu feyn befindet, 
wenn fie gegenwärtig wird. So aͤngſtiget fid) mancher 
über das Aderlaſſen, über ein feyerliches Eramen u, f. w. 
entfeslich, weil er ſich zum voraus die fücchterlichfie Vor— 
ftellung daven macht, welche alfo viel ſtaͤrker iſt, als die 
Empfindung felbft, Allein alsdenn haben wir Feine bloffe 


Vorherſehung, und wir behaupten nur, daß Feine Vorher— 


fehung fo flar und ſtark fen, als die Empfindung, wenn 
die vorhergefehene — we lc wird, 
.. 601 

3) Der Grad der Klarheit und Stärfe der Borber- 
fehung ift, dem Grade der Klarheit uud Staͤrke der. zu⸗ 
kuͤnftigen Empfindung, proportionirt, welche die vorherge— 
ſehene Sache unſerer Meinung nach in uns hervorbringen 
wird, wenn ſie wuͤrklich werden wird. Oder je groͤſſer und 
tmichtiger die zufünftige Sache unferer Meinung nad) feyn 
wird, folglich. eine je gröffere Veränderung fie in ung her— 
vorbringen wird, und je ftärfer und klaͤrer wir fie aiſo uns 
ferer Meinung nach empfinden. werden, deſto Flärer und 
ftärfer wird dadurch unfere Borherfehung. Je kleiner und 
unerheblicher aber unferer Meinung nach) die zukünftige 
Sache feyn wird, je Fleiner die Veränderung fenn wird, die 
fie in ung verurfachen wird, und: je dunkeler und ſchwaͤcher 
wir fie unferer Meinung nach empfinden werden, defto 
ſchwaͤcher ift unfere Vorherſehung derfelben $. 49. Das 
ber fomts, daß, wenn zwey Leute ein Uebel befürchten, der 
eine eine viel ftärfere Borberfehung deffelben und eine groͤſ— 
feze Furcht vor demfelben hat, als der andere; weil ſich der 
erite daffelbe als ein viel gröfferes Lebel, und die zufünftiz 


ge Empfindung deffelben viel fehmerzhafter vorftelt, als der 
andere. 


208 Von dem Vermögen vorbersufehen. 


andere. Daher ift es ein gewöhnliches Mittel, ſich gewiſſe 
ängftliche Sorgen aus dem Ginne zu ſchlagen, wenn man 
die Sachen, die man beforge, für Kleinigkeiten anſieht, 
und folten wir auch gleich in dieſem Stücke irren. 4) Je 
öfter wir eine Sache empfunden, und Durch die Einbil- 
dungskraft uns vorgeftele haben, deſto Flärer koͤnnen wir fie 
auch vorherfehen; je felfener wir fie aber empfunden, und 
durch die Einbildungstraft uns vorgeftelt haben, defto we: 
niger Flar ift unfere Borherfehung derſelben. Denn die 
Empfindung und die Einbildung find die Gründe ver Bor: 
herfehung $. 599. und jederman weiß, daß die Folgen al- 
lemal um fo viel groffer oder Fleiner find, je geöffer oder 
Fleiner ihre Gründe find, Wie klar fonnen wir uns nicht 
zum voraus vorftellen‘, wie ‚eine Speife ſchmecken werde, 
die wir fehon ofte gegeffein Haben ? Je mehr Erfahrung ein 
Arzt ſchon von gewiffen Krankheiten erlangt bat, defto leich- 
tor Ean er die Abanderungen derfelben imeinem neuen Falle 
vorherfehen. Folglich je ähnlicher die zufünftigen Dinge 
Denenjenigen find, die wir ſchon ofte erfahren"haben, defto 
leichter und Elärer koͤnnen wir fie vorherfehenz je weniger 
Aehnlichkeit und Gleichheit fie aber mit den Dingen haben, 
die wir ſchon ofte erfahren haben, deſto ſchwerer und weni- 
ger Elar koͤnnen wir fie vorherſehen. 5) Die Einbildun: 


gen find, der Art ımd Gattung nach, Flarere und ftärfere ' 


Borftellungen, als die Vorherſehungen. Nicht eine jede 
Einbildung iſt klaͤrer und stärker, als eine jede Borherfe- 
hung; fondern nur alsdenn, wenn fie übrigens einander 
gleich find. - Linfere allerſtaͤrkſten und Elärften Einbildun- 
gen find eben deswegen, weil fie Einbildungen find, klaͤrer 
und ftärfer, als unfere klaͤrſten und ftärkiten Borberfehun: 
gen. Denn eine Einbildung ift eine Wiederholung einer 
Empfindung $. 555. und alſo eine Wiederholung der ftärfz 
ſten Vorftellungen, deren wir fähig find; eine Borherfes 
bung aber ftelt uns nur eine Empfindung dor, die wir erſt 
Noch befommen follen. Bey jenen ift ſchon ein Anfag zu 


einer Fertigkeit, wodurch die innere Empfindung der Ein 


bildung 


— ur 


— 


Don dem Vermoͤgen vorherzuſehen. 209 


bildung befoͤrdert wird; bey dieſer aber nicht. Folglich 
verdunkeln, auch die Einbildungen, die Vorherſehungen 
6.508, Lehrt nicht die beſtaͤndige Erfahrung, daß die 
Menſchen gewoͤhnlicher Weiſe mehr an das Vergangene, 
als an das Zukuͤnftige, denken? Und nun kan man begrei— 
fen, warum, unſer Vermoͤgen vorherzuſehen, uͤberhaupt eins 
unferer ſchwaͤchſten Erkenntnißvermoͤgen if. Wenn es 
wuͤrken will, hat es allemal mit zwey Feinden zu Fämpfen, 
mit den Sinnen und der Einbildungsfraft, und man darf 
ſich alfo nicht wundern, daß alle unfere Vorherſehungen zu— 
| fammengenommen , gegen alle unfere Empfindungen und 
Einbildungen gerechnet, ein fo fehwaches Licht haben. Sa 
wir Fonnen nichts fo Flar-vorherfehen, als wir es uns ein: 
bilden Fünnen, wenn übrigens alles gleich ift, und wenn 
die Vorherſehung richtig iſt. Kan man fich wohl eben fo 
| gut vorftellen, wie ſich ein Schaufpiel zeigen wird, welches 
mir erft fehen mollen, als wie ſich ein Schaufpiel gezeigt 
bat, welches wir ſchon gefehen haben? Und eben fo verhält 
es fi) auch mit einem Uebel, welches uns bevorfteht, und 
| welches wir fehon einmal ausgeftanden haben, 
2 0% 

6) Se entfernter eine Sache nod) in der Zukunft ift, 
deſto dunfeler und fehwächer Fan deswegen ihre Vorherſe— 
bung ſeyn; je näher fie uns aber bevorfteht, deſto Flärer 
und ftärfer Fan auch ihre VBorherfehung ſeyn. Jene ift 
weiter von uns entfernt, als diefe. Da unfere Seele nun 
die Welt, nach der Stellung ihres $eibes, ſich vorftelt $. 488. 
fo Fan fie auch jene nicht fo leicht und klar vorherfehen, als 
dieſe. Wenn eine zufünftige Sache noch lange und weit 
hinausgeſetzt ift, fo hat es noch lange Zeit, ehe fie uns was 
angeht. Alſo hat die Seele nicht Anreigung genung, ihre 
Aufmerffamfeit mit derfelben zu Defchäftigen, und es ift 
alfo ganz natürlich, daß ihre Vorherſehung Flein ift. Steht 
fie uns aber fehr nahe bevor, fo ift, fo zu reden, der Freund 
oder Feind ſchon vor der Thüre, Die Seele nimt alſo 
mehr Antheil an derfelben, und bat mehr Anreißung, ihre 
‚+3, Theil. O Auf⸗ 








| 
| 







210 Don dem Vermögen vorbersufehen. 


Aufmerkſamkeit mit derfelben zu befchäftigen, folglich muß 
auch die Vorherſehung derfelben klaͤrer und flärfer fen. 
Geſetzt es fürchte fich jemand vor einem bevorftehenden 
Uebel, fo darf man ihm nur vorftellen, es fey noch lange 
bin, ehe es werde würflid) werden, wenn man feine Vor— 
berfehung ſchwaͤchen will, Daher Fonts, daß die meiften 
Leute fo ſchwach an ihren Tod denfen, ob er ihnen gleich 
manchmal nächitens bevorftehtz weil fie denfelben allemal 
als noch fehr weit entfernt betrachten. So bald fie aber 
eine gefährliche Krankheit befommen, fo bald denfen fie 
ftärfer an den Tod, weil fie ſich denfelben als nahe bevor: 
ftehend vorfiellen. Daher fomts, daß die Borherfehung 
näherer zukünftiger Dinge, weil fie klaͤrer und ſtaͤrker ift, 
die Vorherſehung entfernterer zukünftiger Dinge verdun- 
kelt und fhwächt S. 508. Daher Fonts, daß wir Men- 
ſchen mehr dieZufälfe, die uns in dieſem Leben bevorfiehen, 
vorherfehen, als den Tod und den Zuftand nach dem Tode, 
weil wir jene immer als näher bevorftehende Zufälle be= 
trachten, ob wir ung gleich fehr ofte darin berrügen. And 
wenn uns daher zwey oder mehr zufünftige Zufälle von 
gleicher Wichtigkeit bevorftehen, die wir alie zu ihrer Zeit 
im gleichen Grade empfinden werden, fo fehen wir denjeni- 
gen in einem hoͤhern Grade vorher, der uns näher bevor= 
fteht, als denjenigen, der weiter in der Zukunft von ung — 
noch entfernt ift. 7) Se fihärfer der Sinn ift, deſſen 
Empfindungen die zufünftige Sache ähnlich ift, und je 
gröffer die Einbildungskraft ift, defto klaͤrer und ſtaͤrker 
find die Vorherſehungen. Se ftumpfer aber die Sinne 
find, und je Fleiner die Einbildungsfraft ift, defto Kleiner 
ift die Borherfehung. In dem eriten Falle find die Em— 
pfindungen und Einbildungen, weldye die Gründe der Bor- 
berfehung find $. 599. ſehr ſtark und Fiar, folglich muß 
auch die Vorberfehung, als die Folge derfelben, ftarf und 
Elar ſeyn. In dem entgegengefegten Falle verhält es fich, 
auf eine entgegengefeßte Art. Ein Leckermaul z. E. bat 
eine viel lebhaftere und ftärfere Borberfebung einer guten 

Malzeit, 





Don dem Vermögen vorherzuſehen. a1 


Malzeit, als ein anderer, der Feinen fo feinen und lebhaf- 
ten Geſchmack der Zunge bat. Daher find, die Vorher— 
fehungen der Freuden des ewigen Sebens, in diefem geben 
fo ſchwach und dunfel, weil unfere irdifchen Ginne zu 
ſtumpf find, als daß fie uns Empfindungen geben fünnten, 
die eine merkliche Aehnlichkeit mit den zufünftigen Empfin- 
dungen der Geeligen haben, welche fie durch verklaͤrte und 
erhöhete Sinne erlangen werden, 

—— 

Die deutliche Unterſcheidung der mannigfaltigen Gra— 
de und Sollfommenheiten des Vermoͤgens, zufünffige 
Dinge vorberzufehen, berubet auf folgenden Betrachfun- 
genz 1) Ye mehr zufünftige Dinge, und je mehr’von 
Einer zukünftigen Sache, wir vorberfehen Fünnen, defto 
gröffer und vollfommener ift das Vorherſehungsvermoͤgen. 
\ Se weniger zufünftige Dinge, und je weniger von Einer 
zufümftigen Sache, wir vorherzufehen im Stande find, 
defto Fleiner ift unfer Borherfehungsvermögen. Folglich 
iſt es ein Beweis der Gröffe diefes Erkenntnißvermoͤgens, 
wenn man ofte an das Zufünftige denkt, und fehr viele 
Vorherſehungen hat. So bewundert man einen jeden klu— 
gen Menfchen, wenn er auf fehr viele zufünftise Vorfälle 
fich vorbereitet. 2) Je ſchwaͤcher der Eindruck ift, den 
unferer Meinung nach) eine zufünftige Sache in unfere 
Sinne Fünftig machen wird, defto ftärfer ift unfer Vorher— 
\ fehungsvermögen, wenn wir fie demohnerachtet vorherfehen 
| Fönnen: denn eine folche Sache vorberzufehen ift ſchwerer, 
\ als etwas vorberzufehen, welches wir uns als eine fehr 
\ wichtige zufünftige Beränderung vorftellen $. 601. 3) Je 
\ weiter die Dinge in der Zufunft entferne find, die wir vor: 
\ berfehen koͤnnen, defto gröffer ift unfer Vorherſehungsver— 
F mögen: denn es ift viel leichter, fehr nahe bevorftehende 
| Dinge vorberzufehen $. 602. Kin Menfc handele erft 
aisdenn recht vorfichtig, wenn er ſchon von weiten Anftal- 
ten auf zufünftige Dinge machen Fan. Wer aber erft An- 
ſtalten macht, wenn ein Vorfall ſchon anfängt wuͤrklich zu 
| I 2 werden, 


212 Von dem Vermögen vorberzufehen. 


werden, der legt eine fehr fehlechte Vorfichtigkeit an den 
Tag. 4) Je feitener wir dasjenige, was wir vorherfehen 
Eonnen, zum Theil ſchon empfunden, und durch die Einbil- 
dungskraft uns vorgeftelt haben, deſto groͤſſer ift unfer Bor: 
berfehungsvermögen $. 602. Wer ſolche zufünftige Din- 
ge vorberfehen Fan, die unzählig ofte in der Welt zu ges 
ſchehen pflegen, und faft täglich ſich zutragen, die er alfo 
ſchon unzahligemal erfahren hat, der beweift Feine grofle 
Stärfe feines Borberfehungsvermögens. Wer Fan es für 
eine befondere Gefchicklichfeit halten, daß wir vorherfehen 
koͤnnen, daß wir einmal fterben werden? Wer aber feltene 
Vorfälle vorherfehen Fan, der muß ein groſſes Vorherſe— 
hungsvermögen befisen. 5) Je mehrere und ftärfere Bors 
ftellungen anderer Art, fremde Empfindungen und Einbils 
dungen, in unferer Seele find, deren obnerachtet und mit: 
ten unter welchen wir das Zufünftige vorberfehen können, 
defto geöffer ift unfer Borberfehungsvermögen ; weil es, 
mit fo vielen Hinderniffen umringt, dennoch wuͤrken fan. 
Wenn man in einer flillen Einfamfeit und Muße den 
Tod, oder andere zufünftige Dinge, vorherfieht, fo ift das 
feine Kunſt. Wenn man aber mitten unter vielen Ge— 
fchäften, mitten in. dem Tumulte der Welt, der Zufunft 
eingedenf bleibt, fo baben wir ein groffes Vorherſehungs— 
vermögen, 6) Se leichter und gefchwinder wir eine Bor: 
herfehung des Zufünftigen bervorbringen Eönnen, defto 
gröfler ft unfer Borherfehungsvermögen, Es ift aber um 
fo viel kleiner, je länger wir darauf finnen müffen, und je 
ſchwerer es uns wird, zukünftige Dinge vorherzufehen. 
Und 7) je geoffer, klaͤrer, richtiger, gewiffer und ftärfer - 
die Vorherſehungen find, deito gröffer ift das Vorherſe— 
hungsvermögen. Wer fich mit dev Vorherſehung Eleiner 
und unerheblicher Poffen befchäftiger, oder nur auf eine 
fehr Dunfele, ungewiſſe und matte Art das Zufünftige vor= 
berfehen Fan, der beweift dadurch die Unvollkommenheit 
ſeines Vorherſehungsvermoͤgens. 


8. 604. 





Pon dem Vermögen vorhersufehen. 213 


—684 

Geſetzt daß wir eine Vorſtellung haben, woher wiſſen 

wir, daß es eine Vorherſehung, und weder eine Empfin⸗ 
dung noch Einbildung ſey? Oder wodurch unterfcheiden 
wir unfere Borherfehungen von unfern Empfindungen und 
Einbildungen, und woher fönnen wir abnehmen, daß uns 
eine Borftellung etwas Zufünftiges und nichts Gegenmärs 
tiges und DBergangenes vorftelle? Diefe Frage ift aller 
dings von groſſer Wichtigkeit. Es gibt eine Are der Ver 
ruͤckung, in welcher ein Menſch, feine Vorherſehungen, für 
Einbildungen oder Empfindungen haͤlt. Mancher aufge— 
blaſener Thore denkt, er ſey das ſchon wuͤrklich, was er erſt 
noch zu werden gedenkt, und mancher Candidat hat einen 
Superintendenten erſt im Kopfe, und gebaͤrdet ſich doch 
ſchon ſo, als waͤre er es ſchon wuͤrklich. Gibt es nicht 
Leute genung, welche, die Vorherſehungen einer Krankheit, 
fuͤr ein wuͤrkliches Gefuͤhl derſelben halten, und deshalb 
ſchon Arzeneyen brauchen? Wenn unſer Gemuͤth ſich, in 
ſeinem gewoͤhnlichen und ordentlichen Zuſtande, beſindet, ſo 
iſt nichts leichter, als die Vorherſehungen, durd) ihre Fleis 
nere Klarheit, von den Empfindungen und Einbildungen 
zu unterſcheiden, als welche ſehr merklich klaͤrer und ſtaͤrker 
ſind, als jene. Und dieſe Unterſcheidung koſtet uns in die— 
ſem Falle eben fo wenig Mühe, als wenn wir die Morgen: 
demmerung noch nicht fir den hellen Tag halten. Allein 
unfer Gemüth fan ofte, in einen ungewöhnlichen Zuftand, 
gerathen. Alsdenn koͤnnen die Empfindungen und Einbil- 
dungen ungewöhnlich ſchwach und dunkel, und die Vorher— 
fehungen ungewoͤhnlich ftarf und Elar werden, Da wir 
nun gewohnt find, unfere Elärften und ſtaͤrkſten Vorſtellun— 
gen würfliher Dinge, für Empfindungen und Einbildun— 
gen zu halten; fo ift es ganz natürlich, daß wir, in dieſem 
Zuftande, die Borherfehung für eine Empfindung oder Eins 
bildung anfehen. Und da fan es nun freylich gefchehen, 
daß wir durd) alles unfer Nachdenken nicht vermoͤgend fin®, 
uns aus diefer Verwirrung herauszureiften. Allein es Fan 
| ) 3 doch 


214 Von dem Dermögen vorherzuſehen. 


doc manchmal möglich) werden, diefe Verwirrung zu ent 
decken, wenn wir auf die Umſtaͤnde achtung geben, Die 
Borherfehung fielt uns das Zufünftige vor, die Empfin— 
dung das Gegenwaͤrtige, und die Einbildung das Bergan- 
gene, Nun iſt es ganz unmöglich, daß das Zukünftige ge: 
genwärtig oder vergangen feyn folte. Wenn wir alfo auf 
unfern ganzen gegenwärtigen, nächft vorhergehenden, und 
nacht nachfolgenden Zuftand achtung geben ;. fo fönnen wir 
feine Borftellung für. eine Einpfindung oder Einbildung 
halten, Die uns etwas vorftele, welches unfern gegenwärti« 
gen und vergangenen Umſtaͤnden widerfpricht, und in de- 
nenfelben nicht im höchften Grade gegründet ift. Man bat 
viele Erzehlungen von. Sterbenden, welche manchmal in 
einem Schlafe zu liegen fiheinen, und wenn fie erwachen, 
verfihern, daß fie im Himmel gewefen, und die Freuden 
des ervigen Lebens wuͤrklich empfunden haben, Es ift ganz 
natürlich, daß ein Frommer, wenn er fterben will, die ewis 
ge Seeligfeit vorberfieht. Nun Ean entweder natürlicher, 
oder übernatürlicher Weife, diefe Borherfehung einen auf 
ferordentlichen Grad der Klarheit erreichen, zumal da die 
fterbenden Werkzeuge der Sinne nicht im Stande find, fon« 
derlich Flare und ftarfe Empfindungen und. Einbildungen zu 
verurfahen. Allein fo bald ein ſolcher Sterbender fich fo 
weit erholt, daß er ſich befinnen Ean, er fey noch nicht todt, 
fo bald Fan er auch entdecken, daß er nur eine Borherfehung 
des ewigen Lebens gehabt, und feine Empfindung : Denn 
die ft nicht eher möglich, bis die Seele nicht würflich ihren 
Leib verlaffen bar. 
66 
Man Fan die Vorherſehungen, auf eine mannigfalti- 
ge Art, erleichtern und befördern: ı) wenn man zufünfti- 
ge Dinge vorherfieht, die man Fünftig in einem hohen Gras 
de der Klarheit und Stärfe empfinden wird $, 601. Wenn 
man alfo eine Borherfehung erleichtern will, fo darf man 
fi) nur den Gegenftand als eine ‚fehr wichtige Sache vor« 
fiellen, die, wenn fie wuͤrklich werden wird, eine fehr araile 
Ver⸗ 





Don dem Vermögen vorherzuſehen. 215 


Veränderung in uns herporbringen, viel Schmerz oder viel 
Vergnügen verurfachen werde. Go macht man es mit 
leichtfinnigen $euten, um das Andenfen des Todes bey ih. 
nen zu befördern. Man fucht ihnen die erſtaunliche Wich⸗ 
tigkeit deffelben recht lebhaft vorzuftellen, indem man fie 
überzeugt, daß ihr ewiges Wohl oder Weh von demfelben 
abhange. 2) Wenn man dasjenige, was man vorherfehen 
will, fhon groffentheils und öfters empfunden hat $. 602, 
Oder je ähnlicher die Vorberfehung vielen unferer Empfins 
Dungen ift, defto leichter wird fie uns. Folglich Fan man 
gewiffe zufünftige Worfälle leichter vorherfehen, wenn man 
in den Vorfaͤllen ihrer Art viele Erfahrung erlangt, wie 
man diefes an den Aerzten, die viele Erfahrung haben, bes 
merfen Fan. 3) Wenn man dasjenige, was man vorher- 
fehen will, groffentbeils und öfters durch die Einbildungs- 
Fraft fi) vorgeftelt hat $. 601. Dder wenn es vielen uns 
ferer Einbildungen in einem hohen Grade ähnlich ift, wo— 
bin das vorhin angeführte Benfpiel ebenfals gerechnet wer⸗ 
den fan, 4) Wenn man eine Sache fihon ofte vorherges 
fehen bat, fo wird die Vorherſehung immer leichter, weil 
wir in Abſicht auf fie eine Fertigkeit erlangen $. 172. und 
fie wird immer Flärer, weil fi) immer mehr und mehr Vor⸗ 
ftellungen mit ihr vereinbaren, je öfter wir fie haben, Denn 
aledenn wird fie ein Theil von vielen ganzen Borftellungen, 
und fie wird alſo nad) und nach immer mit mehr und mehr 
andern Borftellungen Vergefellfihaftee 9. 495. Dieſes 
vierte Mittel der Erleichterung der Borherfehungen Ean, 
auf eine zweyfache Ark, verftanden werden. Cinmal wenn 
man fchon viele Fälfe erlebt hat, in deren jedwedem wir et⸗ 
was vorhergefehen, fo wird es uns fehr leicht, wenn der 
Fall ſich wieder zuträgt, auch eben das wieder vorherzufes 
ben, was wir vordem fo ofte vorhergefehen haben, und die. 
fes teift bey den Xerzten ein. Und zum andern koͤnnen wir 
uns auch, eine Vorherfehung einer und eben derfelben zu⸗ 
kuͤnftigen Sache, ungemein erleichtern, wenn wir, ehe ſie 
eho ſehr ofte an fie gedenken: denn dadurch werden 

' 4 wir 


210 Vondem Dermögen vorbersufeben, 


wir mit derſelben immer befannter. So wird uns die Bor- 
berfehung unfers Todes immer leichter und leichter, je öfter 
‚wir an denfelben denken. 5) Wenn wir eine zufünftige 
Sache fehr ofte zu verfchiedenen Zeiten vorherſehen, und 
in den Zwifchenzeiten Eeine fremden fehr ſtarken Borftellun« 
gen haben : denn fo wird unfer Gemuͤth nicht zerftreuet, 
und die Borherfehung behält immer einige Neuigfelt. So 
erleichtert man ſich das Andenfen des Todes ungemein, 
wenn man in einer ftillen Einfamkeit einige Tage, aufler 
dem Geräufche der Städte und der Welt, mit Todesges 
danken zubringt, 6) Wenn wir uns, den Gegenftand der 
Dorherfehung, als eine nahe bevorftehende Sache vorfiel« 
Ien $. 602, So befördert man die tägliche Vorberfehung 
des Todes, wenn man fich überzeugt, er koͤnne ftündlich ja 
augenbliclich kommen. 7) Wenn man alle fremde Ems 
pfindungen, Einbildungen und andere Borftellungen, wele 
che vor der Vorherſehung in der Seele vorhergehen, oder 
mit ihr zugleich da find, unterdruckt, verdunfelt und ſchwaͤcht: 
denn das heißt fo viel als, durch die Wegräumung der 
KHinderniffe der Vorherſehung, diefelbe befördern. Folglich 
wird uns eine Borberfehung fehr leicht, wenn fie auf ſchwa—⸗ 
ce Borftellungen anderer Are folge, oder mit ihnen zugleich 
da iſt. So wird die Vorherſehung des Todes befördert, 
wenn man alle Gedanken, die das Andenken defelben in 
unferer Seele verdrengen, verhindert und unterdruckt. 
Und 8) wenn man diejenigen Borftellungen, Empfindun« 
gen und Einbildungen, aus denen die Vorherſehung herge= 
leitet wird $. 599. Die ihr ahnlich, und die mit ihr vergen 
fellfehaftet find, fie mögen nun vor der Vorherſehung vor« 
hergeben, oder mit ihr zugleich da feyn, befördert, verſtaͤrkt 
und Flärer macht : denn eben dadurch wird die Vorherſe⸗ 
bung befördert, wenn man ihre Urfachen befördert. Co 
erleichtert man fi) die Vorherſehung feines Todes, wenn 
man die Gottesäcer beſucht, Beerdigungen verftorbener 
Menfchen beywohnt u. ſ. w. 


§. 606. 





Don dem Dermögen vorherzuſehen. 217 


S. 606. 

Wir werden kuͤnftig fehen, daß alle Begierden und 
Berabfcheuungen, folglich alle freye Handlungen der Men- 
fhen, aus den Vorberfehungen entſtehen. Mithin hat, die 
Unterfuchung der Beförderung fo wohl, als auch der Ver— 
binderung der Borherfehungen, einen unendlich mannigfal- 
tigen und wichtigen Nutzen, indem wir daher lernen Füns 
nen, wie wir Begierden und DBerabfcheuungen erwecken 
und unterdruden follen, und das muß man nothwendig 
wiffen, wenn man rechtmäßig handeln will. Wir wollen 
alfo aud) unterfuchen, wie wir eine Borherfehung verhin- 
dern koͤnnen? Und das Fan, auf folgende Art, gefchehen. 
1) Wenn die zukünftige Empfindung der Sache entweder 
ganz, oder eines Theils gehindert wird, $. 541, fo fält auch 


die Borherfehung ganz oder zum Theil weg $. 598, Folge 


lich fält Die Borherfehung ganz oder zum Theil weg, wenn 
man entweder Berurfacht, daß der Gegenſtand uns gar nicht 
oder zum Theil nicht bevorftehe, oder wenn man ſich über: 
zeugt, daß man geirret habe, indem man ſich die Sache als 
zufünftig vorgeftele. Wenn fid) jeniand vor einem Uebel 
fürchtet, ſo deukt vr nicht mehr dran, fo bald er überzeugt 
ift, es werde ihn niemals betreffen; oder er fieht es nicht 
mehr fo ftarf vorher, fo bald man ihn überzeugt, daß es 
ihm nicht in einem fo hohen Grade bevorfiehe, als er fich 
vorgefiele bat. 2) Wenn man dieienige Empfindung ver- 
hindert, welche der vorhergeſehenen Sache ahnlich ift, und 
welche der Grund der Mherſehung iſt S. 599. Wenn 
jemand frank wird, fo fieht er den Tod vorher, wird nun 
feine Krankheit gehoben, oder fchlägt er fie aus dem Sin« 
ne, fo denkt er auch nicht an den Tod. 3) Wenn man die» 
jenigen Einbildungen verhindert $. 564. welche der Vor— 
berfehung ähnlich find, und die der Grund derfelben find $. 
599. Wenn viele Menfchen um uns herum fterben, fo er» 
weckt, die Vorſtellung diefer Todesfälle, die Vorherſehung 
unferes eigenen Todes. _ Schlägt man nun diefelbe aus 
dem Ginne, fo verſchwindet auch dig Vorherſehung. 

25 4) Wenn 


218 Don dem Vermögen vorbersufehen. 


4) Wenn man die erften Vorherſehungen einer zukünftigen 
Sache, verhindert: denn da ift es noch am leichteften, weil 
man noch Feine Fertigkeit In denfelben erlangt hat. Wen 
aͤngſtliche Sorgen des Zufünftigen wegen einfallen, der 
* — am kluͤgſten, wenn er gleich im Anfange ihnen wi« 
derſteht. uk fie ſich aber einmal in der Seele ein, fo 
hält es fehr ſchwer, fie wieder aus derfelben zu vertreiben. 
s) Wenn man eine Borberfehung unterbricht, und die Aufz 
merffamfeie mit VBorftellungen anderer Art befchäftiger. 
Solten diefelben auch gleich ſchwaͤcher feyn, als die Vorher⸗ 
fehung, die man unterdruden will; fo gewinnt man dod) 
fo viel, daß fie gefhwädht wird. Go fan ein Menfch eine 
quälende Sorge wenigftens ſchwaͤchen, wenn er ſich in ſei— 
nen Gedanfen mit andern Borftellungen, mit Betradhtuns 
gen der Güte GOttes, mie dem Studieren u. ſ. w. befchäfs 
tiget. 6) Wenn man die vorhergefehene Sache auffchiebt, 
oder ſich wenigſtens zu überzeugen ſucht, daß diefelbe uns 
nic)t fo nahe bevorftehe, als man bisher gemeint hat 6.602. 
So macht man es mit einem Kranken, der ſich gar zu ſehr 
vor dem Tode fürchtet, und dadurch feine Krankheit ges 
fäsrlicher macht. Man fucht ihn nicht zu überzeugen, daß 
er gar nicht fterben werde, fondern daß er entweder an die— 
fer Krankheit nicht ferben werde, oder nicht fo bald, als er 
befürchte. 7) Wenn die fremden VBorftellungen, Ems 


pfindungen und Einbildungen, welche voreiner Vorherſehung 


vordergehen, oder mit ihr zugleich da find, verftärft wer- 
ven: denn alsdenn wird das uͤth, unter fremde Vor— 
ftellungen, zerftreuet. So fan jemand durd) eine luftige 
Geſellſchaft, durch das Studieren, durch die beftändige und 


fleißige Abwartung feiner Gefchäfte, die aͤngſtlichen Sor⸗ 


gen vermeiden. 8) Wenn nıan diejenigen Borftellungen, 
Empfindungen, Einbildungen u. ſ. w, welche der Borber- 
ſehung, die man hindern will, ähnlich find, aus denen fie 
hergeleitet wird, und welche mit ihr vergeſellſchaftet find, 
fie mögen nun vor ihr vorhergehen, „oder mit ihr zugleich in 
ver Seele daſeyn, ganz verhindert oder ſchwaͤcht. 7— 

alle 


> 





Von dem Dermögen vorbersufeben. 219 


alle Gelegenheiten zu Todesbetrachtungen vermeidet, der 
unterdrucft auch eben dadurch das Andenken an feinen eige— 
nen Tod. Und daher komts, daß irdifchgefinnte Menſchen 
der Ewigkeit uneingedenf find, weil fie auf eine unfeelige 
Art, fonderlich die beyden legten Regeln, beobad)ten. 


087, 

Alle Borberfehungen find unleugbar ſinnliche Vorftel- 
lungen. Sie find nicht einmal fo Flar, als unfere Empfin« 
dungen und Einbildungen $. 600. 601, Da nun, alle 
Empfindungen und Einbildungen, finnlihe Borftellungen 
find F. 522. 565. fo find noch vielmehr die Vorherſehungen 
finnlihe Vorſtellungen. Wir fönnen alle unfere Vorher— 
fehungen, in zwey Arten, abtheilen. Zu ver erften gehös 
ven Diejenigen, weiche ganz finnlid) find, fie mögen nun 
entweder ganz dunkel, oder fie mögen Flar dabey aber ganz 
verworren feyn. Diefe Borherfehungen werden unleugbar, 
dur) das untere Erfenntnißvermögen, gewuͤrkt, und der 
Verſtand hat dabey gar nichts zu thun $. 524. Zu der 
andern aber rechnen wir diejenigen Borherfehungen, die 
auch eine Deutlichfeit haben. Diefe fünnen bey uns nie« 
mals ganz deutlich ſeyn, fondern fie find zum Theil finnlicye 
Borftellungen.  Diefes Sinnliche bringe das untere Er— 
Fenntnißvermögen hervor, und der Verſtand Fomt dazu, 
beleuchtet die hervorgebrachte Vorherſehung, und macht ſie 
zum Theil deutlich $. 525. Folglich iſt, das Vorherſe— 
hungsvermoͤgen unſerer Seele, ein unteres Erkenntnißver— 
mögen, und die Aeſthetik handele weitlaͤuftig von dem red). 
ten Gebrauch deffelben, von feiner DBerbefferung, und von 
dem Bortrage der Vorherſehungen $. 527, 

608 


Unſere Borherfehungen Fönnen, mie unfere übrige Era 
Fenntniß, entweder wahr oder falfch feyn, und vielleicht ifk, 
in keiner Art unferer Erfenntniß, Die Unrichtigfeit fo haus 
fig und fo ſchwer zu vermeiden, als in den Borherfehun- 
gen; weil das Borherfehungsvermögen, unter allen unfern 
Erfenntnißvermögen, das ſchwaͤchſte iſt. Eine wahre 

Dow 


220 Von dem Vermögen vorherzufehen. 


Vorherſehung, oder ein Vorſchmack des Zukuͤnftigen, iſt 
eine ſolche Vorherſehung, welche uns eben dasjenige vor 
ſtelt, was mir empfinden, wenn der Gegenftand wuͤrklich 
wird; folglich wenn die Borherfehung, mit der zußünftigen 
Empfindung, in Abficht des Gegenftandes völlig einerley 
ift, ob fie gleich nicht fo klar und ftarf als diefe Empfin⸗ 
dung iſt: denn das ift nicht möglih. Allein die Wahr— 
heit einer Vorſtellung hanget auch nicht, von ihrer gröffern 
oder Eleinern Klarheit und Stärfe, ab. Oder eine jedwede 
Borberfehung ift wahr, wenn fie erfült wird. Nemiich 
eine Vorberfebung geht in Erfüllung, oder geht aus, 
oder wird erfült, wenn die vorhergefehene Sache empfun— 
den wird; oder wenn die zufünftige Sache, welche vorher 
gefehen worden, würklid; wird. Wenn demnad) eine Vors 
herſehung nicht erfüle wird, oder wenn die zufünftige Sa- 
che, die vorhergeſehen worden, ganz ausbleibe, oder nur 
zum Theil würflich wird, oder anders, als man fie voraus« 
gefehen, fo ift fie eine falfche Vorherſehung, die entives 
der ganz folſch if, oder nur zum Theil. Es iſt ganz un« 
noͤthig, diefe Begriffe durch Beyſpiele zu erläutern, wir 
rollen nur noch zweyerley bemerken. Einmal, die falfchen 
Borherfehungen find deswegen fo merfivürdia, meil fie die 
Duelle aller practiſchen Irrthuͤmer find. Durch) eine fal« 
fche Vorherſehung werden mir verleitet, Dinge zu hoffen 
und zu befürchten, zu begehren und zu verabfcheuen, die 
ung nicht bevorftehen, Ein Sünder zerarbeitet fih in der 
Sünde, um eine vorhergeſehene Glückfeeligkeit zu erlangen, 
die aber niemals erfolgt, Und fo kan man ſich fehr leicht 
überzeugen, daß, alle vergebliche, thoͤrichte und fündliche 
Handlungen und Unterlaffungen, aus,falfchen Vorherſehun— 
gen entſtehen. Zum andern Fan, eine und eben diefelbe 
wahre Vorherſehung, ofte zu verfihiedenen Zeiten in Er 
fültung gehen. Denn mern mir etwas vorberfehen, fo 
fehen wir nicht alles in demfelben vorher, und felten ſehen 
wir feine ihm allein eigene Unterſcheidungsſtuͤcke vorher. 
Folglich) koͤnnen wir von einem zukünftigen Falle juft das— 
jenige 


| 


Von dem Dermögen das Zufunftige sc, 221 


jenige vorherſehen, was er mit einigen andern ebenfals zu— 
Fünftigen Fällen gemein bat. Lind es ift demnach Flar, daß 
eine Vorherſehung etlichemal erfült werden fan. Dieſe 
Anmerkung ift uns, in der Auslegung der Propheten, nuͤtz— 
ih. Ofte behauptet der eine Ausleger, daß ſich eine Weil 
fagung in der Bibel auf den Fall beziehe, und der andere 
fagt, fie beziehe fi) auf einen andern Fall, und fie Eönnen 
oft alle beyde Recht haben. 


EHE KR FE FEFRGHE RL FH N KH HB NE KO HH GH KH HEN 


Der fiebente Abfchnit, 
von dem 


Dermögen das Zukünftige vorauszuerfennen. 
$. 609. 

We das Gedaͤchtniß in Abſicht auf vergangene Dinge 
iſt, das iſt dieſes Vermoͤgen in Abſicht auf zukuͤnf⸗ 

tige Dinge; und wie ſich das Gedaͤchtniß zu der Einbil— 
dunskraft verhält, fo verhält fich diefes Erkenntnißvermoͤ⸗ 
gen, wovon wir jeko h handeln wollen, zu dem Vorherſe— 
hungsvermögen, Nemlich die Einbitdungsfraft bringt 
uns das Vergangene wieder ins Gemüth, und das Ges 
daͤchtniß erfennt es wieder als einen alten Befannten. So 
geht es aud) mit unferm Borberfehungsvermögen. Es 
ftelt uns daffelbe eine zufünftige Empfindung und Sache 
vor, und weiter thut es nichts. Komt alfo nichts anders 
binzu, fo haben wir eine Vorherſehung, und wiſſen nicht, 
daß es eine Vorherſehung ſey. So bald wir aber erfen- 
nen, daß die Vorherfehung eben die Borftellung fen, als 
die zufünftige Empfindung, oder daß die vorhergefehene 
Sache eben diejenige fen, die wir Fünftig empfinden wer— 
den, fo erkennen wir fie zum voraus; und wir wollen 
die Vorſtellung der Uebereinſtimmung unſerer gegenwaͤrti— 
gen Vorherſehung mit der kuͤnftigen Empfindung, die 
Vorauserkennung nennen. Wir bedienen uns alsdenn, 
wenn 


222 Don dem Vermögen 


wenn wir etwas vorauserfennen,' Diefer Nedensarten: ja 
fo wirds feyn, fo wirds gefchehen, die Muſik wird fehon 
Elingen, fo wird die Speife ſchmecken, ich fage dirs vorber, 
daß Diefes oder jenes gefchehen werde, und was dergleichen 
mehr ift. Da nun hieraus zugleich erhellet, daß wir vie- 
le zufünftine Dinge vorauserfennen, fo haben wir auch‘ 
ein Vermögen zukünftige Dinge voraussuerkennen 
8.61. Dieſes Vermögen ift nichts anders, als eine Auf- 
merffamfeit auf die Uebereinftimmung der Vorherſehung 
mit der zufünftigen Empfindung $. 506. Es feßt Die 
Borberfehung voraus, und ift eine Art des Witzes $. 597. 
Folglich entfteht, die Borauserfennung einer Sache, nach 
der Regel des Wißes, nemlich: wenn man diejenigen 
Vorſtellungen, welche die Vorherſehung und die 
zufünftige Empfindung miteinander gemein haben, 
erkennt, fd erkennt man die Uebereinſtimmung zwi: 
ſchen bepden. Da nun alfe Erfenntnißvermögen, wel- 
che bey der Vorauserkennung vorausgefegt werden, ſamt 
der Aufmerkfamfeit und dem Wise, durch die Borftel- 
lungskraft der Welt gewuͤrkt werden, rote bisher ift gezeigt 
worden; fo wird auch das Vermögen, das Zufünftige 
vorauszuerkennen, durch eben diefe Kraft gewuͤrkt. 
S. 610, 
Wenn wir das Zufünftige vorauserfennen, fo ge— 
ſchieht diefes entweder auf eine bloß finnliche, eder auf ei- 
ne deutliche Art $. 609. 574. Jene ift eine bIoß finnli- 
cbe Dorauserkennung, welche eine Ahndung genenne 
wird, wenn fie bloß dunfel ift. Das Vermögen zufünf- 
tige Dinge finnlich vorauszuerfennen, wird die Erwar⸗ 
tung ähnlicher Fälle genennt. Bon Ahndungen Fan 
man nicht viel fagen. Es wuͤrde freylich hoͤchſt laͤcherlich 
feyn, wenn man alle Schwermürhigkeit, alle Beklemmung 
des Herzens, und alle Beängftigungen, deren Gründe wir 
nicht Elar erkennen, und welche ofte von Örilfen und dickem 
Blute entftehen, für Ahndungen halten, und alle unange— 
nehme Vorfälle, die einem nach folchen as = 
' offen, 


das Zukünftige vorsussuerkennen. 203 


ſtoſſen, für Erfüllungen derſelben anfehen wolte. Allein es 
würde auch auf der andern Seite thoricht feyn, wenn man, 
alle Ahndungen vehtverfen wolte. Mur müffen wir noch) 
bemerken, daß wir hier durch Ahndungen nice Diejenigen 
Vorfälle verftehen, die da Zeichen zukünftiger Dinge feyn 
follen, und fi) auffer unferer Seele zutragen ; wie man 
fagt, daß in den Häufern der Sterbenden, Fur; vor ihrem 
Tode, ſich dergleichen Ahndungen manchmal ereignen fol: 
len. Was nun die Erwartung ähnlicher Fälle betrift, fo 
erkennen wir, vermöne derfelben, das Zufünftige nicht etwa 
auf eine deutliche Art nach) allgemeinen Wahrheiten zum 
voraus; fondern auf eine undeutlihe Are, indem wir das 
Zukünftige mit andern einzeln Vorfaͤllen, die ung befannt 
find, vergleichen, und ihre Aehnlichkeit und Liebereinflim- 
mung, durch den ſinnlichen Wis, erfennen. Folglich fon 
nen wir, durch die Erwartung ähnlicher Fälle, auf eine 
drenfache Art das Zukünftige vorauserfennen. 1) Wenn. 
wir eine Borherfehung mit einer Einbildung, oder die zu» 
Ffünftige Sache mit einer vergangenen, vergleichen, und er⸗ 
kennen, daß jene fo feyn werde als Diefe gervefen, und daß 
unfere zukünftige Empfindung eben die feyn werde, die wir 
fehon gehabt haben. Wir wollen nur ganz leichte Bey— 
fpiele geben, die zugleich ermweifen, daß wir täglich folche 
Borauserfennungen haben. Geſehzt es bittet jemand mid) 
auf eine Speife zu Gafte, die ich fchon ofte gegeffen habe, 
fo denfe ich: es wird mir eben fo gut ſchmecken, als vor fo 
und fo viel Zeit, da ic) eben die Speife aß. 2) Wenn wir 
eine Vorherſehung mit einer gegenwärtigen Empfindung, 
oder einen zufünftigen Vorfall mit einem gegenwärtigen 
Vorfalle vergleichen, und uns vorftellen, daß unfere kuͤnf⸗ 
tige Empfindung eben fo feyn werde, als unfere jegige Em— 
pfindung, oder daß Fünftig eben das gefchehen werde, was 
jego geſchieht. Als wenn man eine Speife genieft, die 
einem gut ſchmeckt, wie ofte gefihieht es nicht, daß man 
das Uebrige auf hebt und dabey denkt, morgen wird mirs 
eben fo gut ſchmecken, als jetzt. 3) Wenn man etwas Zu- 

kuͤnftiges 





224 Von dem Vermögen 


Eünftiges ſchon vorauserkannt hat, fo Fan man einen andern 
zukünftigen Fall mit demfelben vergleichen, oder eine Vor— 
herfehung mit einer andern Vorherſehung, und erfennen, 
daß in dem andern Falle eben das gejchehen wäre, was in 
dem erften gefchehen wird. Wenn jemand einem lieverli: 
chen Menſchen zuredet, und ſagt: glaubt mir, es wird euch 
fehlim gehen, id) fage es euch voraus; fo iſt es ganz na- 
£ürlich, daß er zu feinem eigenen Sohne, der zubört, fagt: 
merfe dir dis, es wird dir nicht beffer gehen, wenn du 
nicht beffer wirft. Ein jeder Fan fich, aus der menfchlichen 
Klugheit im gemeinen Leben, und aus der ganzen Praris 
der Menfchen, weitläuftigere Beyſpiele von diefer Sache 
erwaͤhlen. ⸗ 
$. in 
Wenn wir eine zukuͤnftige Sache vorausſehen, und 
wir erkennen, daß ſie eben diejenige ſey, die wir kuͤnſtig 
empfinden werden, ‚fo erkennen wir fie manchmal zum vor— 
aus vermittelft der Vorftellungen, die mit ihr vergefellfchaf 
tet find, und alsdenn vermuthen wir, daß Fünftig etwas 
gefchehen werde. Die Vermuthung iſt demnad) dasje« 
nige Erfennenigvermögen, durch weldyes wir vorhergefehes 
ne Dinge, vermittelt der mit ihnen vergefellfchafteten Vor— 
“ flellungen, voraus erkennen; es mag nun diefes entweder 
auf eine bloß finnliche, oder auf eine deutliche Art geſche— 
ben. In dem erften Falle ift es, eine finnliche Dermus 
hung. Vorſtellungen, die mit einander vergefellfchaftet 
find, find mit einander verbunden $. 495. And da alfo 
eine derſelben, ein Erkenntnißgrund der andern, feyn Fan 
S.28. fo ift es überhaupt möglich), daß man zufünftige 
* Dinge, vermittelt der mit ihnen vergefellfhafteten Bor: 
ftellungen, zum voraus erfenne. Und die Erfahrung lehrt, 
daß wir ein ſolches Bermögen, zufünftige Dinge zu vermus 
then, befigen. So vermuthet man an einem heiffen Som« 
mertage ein Gewitter, und zu Kriegeszeiten Hungersnoth, 
weit Sommerhige und Gewitter, Krieg und Hungersnoth 
vergeſellſchaftet zu feyn pflegen, Sicher Fan man and) Die 
dere 


2 





das Zukünftige vorauszuerkennen. 225 


vermuthete Einwilligung, worauf in Rechtshändeln fo viel 
anfomt, als ein Benfpiel rechnen. Wenn ih im Damen 
eines abwefenden Freundes etwas thun will, fo bemühe ich 
mich zum voraus zu erkennen, ob er damit zufrieden feyn 
werde, fo bald er erfahren wird, was ich gethan habe. Wie 
fol ich aber diefes zum voraus erfennen ? Nun fält mir 
ein, daß man mit einer Sache zufrieden ift, wenn man fie 
fi) zugleich als etwas fehr nüßliches vorftel. Folglich 
wenn ich etwas im Namen meines Freundes thue, fo ihm 
niche fchädlich fondern nuͤtzlich ift, fo fchlieffe ich daher, 
weil mein Freund Diefes erfennen wird, daß aud) feine Ge— 
nehmhaltung erfolgen werde, weil diefelbe mit der Vorſtel— 
lung des Nüslichen vergefellfchaftet zu feyn pflegt. Die 
Vermuthung ift dasjenige bey der Vorauserfennung, was 
das Befinnen bey der Erinnerung ift $. 582. und die Re— 
gel,nach welcher fich unfere Bermuthung richtet, Liege felbft 
offenbar in der Erklärung Derfelben. 
$. 612, 

Das Vermögen vorbergefehene Dinge auf eine deut- 
liche Art zum voraus zu erfennen, wird die Dorfebung, 
oder die Borficht genannt; und wenn wir das Zukünftige 
auf eine deutliche Art vermuthen, fo nennen wir diefes die 
vernünftige Vermuthung. Wenn wir etwas bloß: finn- 
lic) vorauserfennen, fo ftellen wir uns zwey einzelne Fälle 
vor, und zwar den erften finnlich durch die Einbildungs: 
kraft oder durch die Sinne, oder durch das Vorherſehungs— 
vermögen, und vergleichen Damit den andern Fall durch 
den finnlichen Wis, und fchlieffen daher, ohne den Zuſam— 
menhang deutlich einzufehen, daß in dem andern Kalle 
eben das gefchehen werde, was wir in Dem erften bemerfen, 
3. &. der Säufer Cajus wird fich krank faufen, weil wir 
diefes fehon bey dem Titius und Sempronius erfahren ha- 
ben. Allein bey der Vorſehung fehlieffen wir auf eine 
deutliche Art das Zufünftige, entweder aus einer deutlich: 
- erkannten allgemeinen Erkenntniß, worunter daſſelbe ge: 
hört, oder aus den deutlich erfannten Gründen des Zukuͤnf— 

3. Theil, P tigen, 


226 Von dem Vermögen 


tigen, welche in dem Vergangenen und Gegenmwärtigen ans 
getroffen werden. So fan man deutlich vorauserfennen, 
daß der Säufer Cajus fi) um feine Gefundheit bringen _ 
werde, entweder weil wir aus unendlich vielen Fällen. die: 
fer Art den allgemeinen Saß abftrahirt, und mit Recht 
oder Unrecht angenommen haben : Alle Säufer werden mit 
der Zeit ungefund, folglich wird es auch Cajus merdenz 
oder wenn wir, aus der Natur des übermäßigen Trinfens, 
und der fhwächlichen Natur des Cajus, deutlich erkennen, 
daß er ungefund werden müffe, So erfennen wir, alle 
natürlihen Strafen und Belohnungen des menfchlichen 
Verhaltens, deutlich zum voraus. Und in den meiften 
Fällen, da man die zufünftige Einwilligung einer abwefen- 
den oder minderjährigen Perfon vermuthet, gefchiehr es auf 
eine deutliche Art. 
$. 613, 

Das Vermögen zukünftige Dinge vorauszuerfennen, 
ift ein zufammengefeßtes Dermögen, und feßt viele der 
übrigen Erfenntnißvermögen voraus. Je vollfonmener 
nun Diejenigen Erfenntnißvermögen eines Menfchen find, 
woraus das Vermögen der Borauserfennung befteht, und 
die es vorausfeßt, deſto vollfommener und gröffer ift Diefes 
Vermögen felbft. Folglich je vollfommener die Sinne, 
die Einbildungsfraft, Das Gedaͤchtniß, das Vorherfehungss 
vermögen, und der Wis bey einem Menfchen find, defto 
gröffer undwollfommener ift auc) fein Vermögen zufünftis 
ge Dinge vorauszuerfennen. Inſonderheit aber Fan man, 
folgende Grade und Bollfommenbeiten, in diefem Vermoͤ— 
gen von einander unterfcheiden. 1) Je mehrere und mans _ 
nigfaltigere zufünftige Dinge man vorauserfennen fan, 
deſto beſſer ift es; folglich je mehr wir von einem bevorite- 
henden Dinge vorauserfennen Fonnen, und je vollftändi- 
ger und ausführlicher wir es zum voraus erfennen Fünnen, 
defto vollkommener und gröffer iſt dieſes Vermögen. Das 
ber bervundert man die Gröffe der Vorſicht eines Gene- 
rals, wenn er für Proviant, für die Kranken, für die 


Pferde, 





das Zukünftige voraussuerkennen. 227 


Pferde, für alle Vorfälle, die in einem Feldzuge fich ereig« 
nen, ſorgt; kurz, wenn feine Vorſicht fich über alles er- 
firedt. 2) Je gröffere und wichtigere zufünftige Dinge 
wir vorauserfennen koͤnnen, und je gröffer dasjenige ift, 
was mir von vorhergefehenen Dingen zum voraus erfen- 
nen, deſto gröffer ift Diefes Vermögen, Die Borforge 
eines Generals aͤuſſert fich fonderlich bey den wichtigern 
Borfällen. Wer nur für Kleinigfeiten forget, der bemeift, 
daß er dieſes Vermoͤgen in einem Fleinern und unvollfom:- 
menern Grade befiße. 3) Je ſeltener die Vorfälle find, 
und je feltener wir fie und ihres gleichen erfahren, vorher: 
gefehen, oder auf eine andere Ark uns vorgeftelt haben, die 
wir demohnerachtet voraus erkennen koͤnnen, deſto gröffer 
und vollfommener iſt Diefes Vermögen. Es ift feine 
Kunft, und es wird eine geringe Geſchicklichkeit dazu erfos 
dert, Vorfälle voraus zu erkennen, die täglich geſchehen, 
und die wir unendlich ofte erfahren haben und vorausfehen, 
z. E. daß in einem bevorftehenden Jahre viele Menfchen 
werden fterben und gebohren werden. Wenn man aber 
rare Borfalle, die man felten denkt, vorauserfennen Fan, 
fo beweift man dadurch eine viel gröffere Stärke in diefem 
Vermögen, 4) Je ſchwaͤcher und weniger Elar die Vor— 
herſehung der Sache iſt, die wir vorauserfennen koͤnnen, 
deſto groͤſſer iſt dieſes Vermögen. Denn ift die Vorher⸗ 
ſehung ſehr klar und ſtark, ſo ſtelt ſie uns viele Merkmale 
in einem hohen Grade vor, an denen wir die Sache leicht 
vorauserkennen koͤnnen, und es iſt alfo dieſe Vorauserken— 


nung alsdenn feine Kunſt. Allein wenn wir eine Sache 





nur ſchwach, wie in einem Schattenrifie, vorberfeben, und 
wir find Doch im Stande, aus dieſem ſchwachen Bilde die 
Sache zum voraus zu erfennen, fo muß unfer Vermögen 
zukuͤnftige Sachen voraus zu "erkennen fehr groß fen. 
5) Je längere Zeit wir eine Sache zum voraus erfennen 
koͤnnen, ehe fie gefchieht, oder je entfernter die Dinge in 
der Zukunft find, die wir jum voraus zu erfennen vermoͤ— 
gend find, fonderlich wenn in der Zwifchenzeit unfer Ge: 

P 2 müth, 


2 Von dem Vermögen 


muͤth, mit vielen andern fehr ftarfen Vorftellungen von 
fremder Art, befcyäftiget iſt; deſto ftärfer ift Diefes Ver— 
mögen. Man bewundert einen Staatsmann, wenn er 
Staatsperänderungen viele Jahre vorausfagen fan, und 
fonderlich folche Veränderungen, die nicht in fein Depar— 
tement gehören. 6) Zwifchen je ftärfern vorhergehenden 
und begleitenden Borftellungen fremder Art wir eine Vor— 
herfehung zum. voraus erfennen fonnen, deſto gröffer ift 
diefes Vermögen; weil es alsdenn, fo vieler Hinderniffe 
ohnerachtet, dennoch fein Gefchäfte verrichten Fan. 7) Je 
hurtiger und geſchwinder man zufünftige Dinge zum vor— 
aus erkennen Fan, folglich je weniger man noͤthig hat fie zu 
vermuten, defto geöffer und ſtaͤrker iſt dieſes Vermoͤgen. 
Und 8) in einem je höhern Grade der Klarheit, ver Rich— 
tigfeit, der Gewißheit und der Stärke man das Zufünfti- 
ge voraus erfennen Fan, deſto groͤſſer und vollfommener ift 
diefes Erfenntnißvermögen. Man fan, alle groffe Bey— 
fpiele der menſchlichen Vorſicht und Flugen Borforge fürs 
Zukünftige, als Beyſpiele anfeben, wodurch man fich die— 
fen ganzen Abſatz erläutern Fan. Und durch folche unfeug- 
bare Benfpiele, 3. E. grofier Generale und Staatsminifter, 
wird man zugleich überzeugt, daß es ein Menfch, in der 
Vollkommenheit des Vermögens das Zukünftige vorausjus 
erkennen, ſehr hoch bringen koͤnne. 
— 

Hier entſteht ganz natürlich Die Frage: ob die menſch— 
liche Seele von Natur den Wahrfagergeift, oder die Gabe 
wahrzufagen, befigen fonne ? Es finden fich nicht nur in 
der Bibel viele Nachrichten von dieſer Gabe, fondern man 
findet auch in der weltlichen Hiftorie dergleichen in groffer 
Anzal. Ehe wir davon ein vernünftiges Urtheil fällen koͤn— 
nen, müffen wir erſt die Begriffe aus einander feßen, 
Memlich die Wahrſagergabe ift eine vecht geoffe, merf- 
tiche und feltene Fertigkeit das Zufünftige zum voraus zu 
erkennen; und Wahrſagungen find Borauserfennungen 
zukünftiger Dinge, welche durch Die Wahrfagergabe ge: 

wuͤrkt 





net man auch gemeiniglich, zu dem Wahrfagergeifte, Die 
3 E 


das Zukuͤnftige vorauszuerkennen. 229 


wuͤrkt werden. Dieſe Wahrſagergabe iſt entweder eine 
uͤbernatuͤrliche Fertigkeit, oder eine natürliche $. 575. Jene 


iſt die prophetiſche Gabe oder die Gabe zu weiſſagen; 


und Prophezeyungen oder Weiſſagungen ſind Vor— 
auserkennungen zukuͤnftiger Dinge, welche in der menſch— 
lichen Seele uͤbernatuͤrlicher Weiſe gewuͤrkt werden. Von 
dieſer Gabe koͤnnen wir in der Weltweisheit nichts weiter 
ſagen, als was wir in der Coſmologie von den uͤbernatuͤr— 
lichen Begebenheiten und Wunderwerken uͤberhaupt erwie— 
ſen haben. Nur die Naturaliſten leugnen ihre Wuͤrklich— 
keit, und wohl gar zugleich ihre Moͤglichkeit. Was aber 
die natuͤrliche Wahrſagergabe betrift, ſo wuͤrde ſie entwe— 
der eine angebohrne, oder durch Fleiß und Uebung erlangte 
Fertigkeit ſeyn $. 575. Don jener Fan man den Wahrfa- 
gergeift eines Mädgens zu !ydia, deſſen in der Apoftelge- 
fchichte Meldung gefchieht, und den die Apoftel austrieben, 
als ein Benfpiel anfehen. Wenn man nun diefe Frage: 


ob es einen natürlichen Wahrfagergeift gebe? vernünftig 


entfeheiden will; fo muß man erſt den Grad des Vermoͤ— 
gens, zufünftige Dinge voraus zu erkennen, genauer beftim= 
men, den man den Wahrfagergeift nennen will, Es ift 
nicht zu leugnen, daß es ein Menfch, in der Borauserfen- 
nung zufünftiger Dinge, fehr hoch bringen fünne, Allein 
wenn ein Menfch etwas Zufünftiges vorauserfennt, und 
er iſt fich entiveder allgemeiner Wahrheiten, oder einzelner 
Erfahrungen und Gründe bewußt, aus denen er auf eine 
Deutliche und klare Weiſe das Zufünftige ſchließt; fo nennt 
man diefes Feine Wahrfagungen, und wenn auch Dazu nod) 
fo eine groffe und vollfommene Fertigkeit erfodert würde, 
Sondern wenn jemand folche Finftige Zufälle vorberfagen 
Fan, die von ohngefehr gefchehen, Gluͤcks- und Ungluͤcks— 
fälle, und ſolche zufünftige Vorfälle, deren Gründe in den 
vergangenen und gegenwärtigen Begebenheiten der Welt 
fo verborgen find, daß man fich ihrer nicht bewußt iſt; fo 
ſchreibt man ihm, einen Wahrfagergeift, zu. Daher vech- 


3 nt. 


250 Von dem Vermögen 


Entdeckung foicher vergangenen und gegenwärtigen Dinge, 
die man nicht erfahren hat, Die man aus feinen allgemeis 
nen Wahrheiten fehließt, und da man nicht zeigen Fan, wie 
ein Menfch viefelben aus andern Gedanken herleitet. Als 
wenn 3. E. jemand den Dre anzeigen Fan, wo eine verlohr: 
ne Sache liegt, oder wenn jemand eine Begebenheit indem 
Augenblicke weiß, da fie viele Meileweges von ihm ent- 
ferne gefchieht: denn zur Entdeckung folcher vergangenen 
und gegenwärtigen Dinge gehört ohne Zweifel eben fo viel 
Kunft, als zu den eigentlichen Wahrfagungen. Ich ges 
traue mir nicht, dieſes Geheimniß der Natur, zu erflären, 
So viel ift erjtlich unleugbar, daß man die hiftorifche Rich- 
tigkeit dieſer Sache ungezweifele machen muͤſſe. Man 
muß bier, zwey Ausfchweifungen, vermeiden. Man muß, 
dieſe Nachrichten, nicht ohne genaue Prüfung glauben ; 
fonft müfte man alle Wahrfagungen der Zigeuner, der 
Taffenweiber, der Chiromantiften, und aller derer Charlas 
fane glauben, die ſich auf die mantifchen Künfte legen. 
Und das fan fein vernünftiger Menfch thun, welcher die 
Detrügereyen der Welt Eennt, und diefe Künfte gründlich 
geprüft bat, Allein man würde fich auch übereilen, wenn 
man alle diefe Nachrichten leugnen woltee Man würde 
Diefes bloß deswegen thun müffen, weil man nicht begrei- 
fen Fan, wie es natürlicherweife möglich ift, daß ein Menfch 
wahrſage, und das ift eine einfältige und unverfchämte Arc 
zu denfen. Zum andern fan man überhaupt, die Mög- 
lichkeit des natürlichen Wahrfagergeifteg, begreiffen. Un— 
ſere klare Erfenntniß beſteht aus dunfeln Vorftellungen, 
als aus ihren erften Theilen. Folglich Fan, aus einer 
Reihe dunkeler Borftellungen, endlich eine klare Erfennt- 
niß hergeleitet werden und entftehen. Wenn alfo ein 
Menfch ſich alle Gründe, woraus eine gewiſſe zufünftige 
Sache enefteht, dunkel vorſtelt; fo ift es möglich, daß er 
diefelbe zum voraus erfennt, ohne fich der Gründe bewußt 
zu feyn, aus denen er fie berleitet, und aus denen fie enf= 
ſteht. Und alsdenn wahrfagt er. Die Wahrfagungen 

haben 


| 
. 
| 





das Sufunftige voraussuerfennen. 231 


haben eine Aehnlichkeit mit den Zufällen in der Welt, wel— 
che in Abficht auf unfere Erfenntniß von ohngefehr entfte- 
ben. Sie find alfo Elare Vorſtellungen, deren Klarheit in 
unferer Seele von ohngefehr entfteht. Und es ift alfo zu— 
gleich begreiflich, daß man nad) Feiner Kunft fan wahrfa- 
gen lernen, die eine binlängliche Gewißheit hätte. Und 
wenn es alfo einen natürlichen Wahrfagergeift gibt, fo muß 
derfelbe gröftentheils angebohren ſeyn. Die natürliche Ans 
lage der Seele muß fie fehon beftimmen, die Gründe zu— 


Künftiger Borfälle in einer folchen Drönung fich dunkel vor— 


zuftellen, daß Daher eine klare Borauserfennung entſtehen 
far. Mehr weiß ich, von Diefer merfwürdigen Sadıe, 
nicht zu fagen, 
65 
In keiner Art unſerer Erkenntniß ſind wir, der Unwiſ— 
ſenheit und dem Irrthume, ſo ſehr unterworfen, als wenn 
wir das Zukuͤnftige vorauserkennen wollen. Und das kan 
auch nicht anders ſeyn, weil die Erkenntnißvermoͤgen unfe- 
rer Seele, wodurch wir das Zufünftige vorherfehen, und 
vorauserfennen, vergleichungsweije die ſchwaͤchſten unter 
allen unfern Erfennenifvermögen find, — Die Borauser- 
fennung-einer- zukünftigen Sache ift entweder wahr, oder 
falſch $. 489. Sn dem legten Falle halten wir eine falfche 
Vorherſehung, die eine bloffe Erdichtung ift, $. 590. fie 
mag nun entweder ganz oder nur zum Theil falfch ſeyn, 
durch eine Verblendung unferes Witzes $. 577. fuͤr eine 
mahre, und wir warten auf die Erfüllung derfelben, die 
Doch entweder gar nicht erfolgt, oder doch nicht fo und in 
dem Örade, als wir fie erwarten. Wenn wir deutlich ein- 
fehen wollen, was zur völligen Nichtigkeit einer Vorauser— 
Fennung erfodert wird; fo Dürfen wir nur unterfuchen, auf 
wie mancherley Art wir betrogen werden fünnen, wenn wir 
das Zufünftige vorauserfennen. Und dahin Fönnen, fols 
gende Fälle, gerechnet werden. 1) Wenn mir eine vor- 
bergefebene Sache mit einem vergangenen Falle, den mir 
uns durd) die Einbildungskraft vorftellen, auf eine Art und 
M 4 in 


+ 


232 Von dem Vermögen 


in einem Grade für einerley halten, in welchen fie es nicht ° 
it, Alsdenn bilden wir uns ein, das Zufünftige werde 
wie das Vergangene feyn, und man befrügt ſich. So be 
trüge fich der Sünder allemal, wenn er denkt, die zufünf: 
tige Ausübung der Suͤnde werde ihm ein eben fo ftarfes 
und lebbaftes Vergnügen verfchaffen, als vormals, da fie 
ihm noch was neues war, 2) Wenn wir eine vorhergefe> 
bene Sache mit einer gegenwärtigen, die wir empfinden, 
auf eine Art und in einem Örade für einerley halten, in de— 
nen fie es nicht iſt. Alsdenn hoffen oder fürchten wir, das 
Zufünftige werde eben fo fern, als das Gegenwärtige, und 
man beteügt fih. So läßt fich mancher, von der Ausuͤ— 
bung der Tugend und vom Studieren, abſchrecken, weil er 
glaubt, beydes werde ihm Fünftig allemal eben fo ſchwer 
und verdrießlich feyn, als jege, Ein Liebhaber und ein 
Freund, welche durch die erften Empfindungen der Liebe 
bezaubert werden, verfprechen fich auch vielmals vergeblich, 
daß fie in allen Fünftigen Zeiten, in dem Llmgange mit der 
geliebten Perfon und dem Freunde, ein eben fo ftarfes und 
reißendes Vergnügen empfinden werden, als jeßo, wenn 
die Liebe noch neu und jung ift. 3) Wenn wir eine vor- 
bergefehene Sache, mit einer andern vorbergefehenen Sa— 
de, auf eine Art und in einem Grade für einerley halten, 
in denen fie es nicht ift. Alsdenn glauben wir, daß die eine - 
zukünftige Sache eben fo feyn werde, als eine andere zu: 
Fünftige Sache, und wir betrügen uns. Geſetzt, man 
habe einem Saͤufer vorherverfündiger, daß er fich Die 
Schwindſucht an den Hals trinken werde; geſetzt, man 
verfündige eben dieſes Schickſaal einem andern Säufer, 
und fage ihm: es werde ihm eben fo geben, wie dem erſten; 
fo Fan man fich doc) betrugen, wenn der andere eine ftär- 
tere Seibesbefchaffenheit bat, als der erfte. 4) Wenn wir, 
die Beſchaffenheit und den Grad der vorhergefehenen Sa— 
che, aus Vorurtbeilen, oder aus falfchen allgemeinen Sä- 
gen ſchlieſſen; oder aus andern deutlich erfannten Gründen, 
welche falfch, und nicht fo befchaffen und fo groß find, als 
wir 





das Zukünftige voraussuerkennen, 233 


mir annehmen. 3. E. wenn man annehmen"wolte, daß 
dasjenige allemal erfolge, was ofte erfolget iſt. 3. E. wenn 
man annehmen wolte: alle Säufer befommen die Schwind. 
fucht, und man wolte deswegen, einem jedweden Gäufer, 
diefes Schickfaal verfündigen, Eben fo betrügt man ſich 
in der Vorſehung, wenn man die Natur der Sünden nicht 
vecht einfieht, und deswegen den Sündern zufünftige Uebel 
verfündiget, die niemals erfolgen. 5) Wenn man das 
Zukünftige aus Borftellungen vermutbet, Die entweder gar 
nicht mit demfelben vergefellfchafter find, oder doch nicht 
allemal und auf eine nothwendige rt, Alsdenn betrüge 
man fi, in der Vermuthung des Zufünftigen, Als wenn 
man allemal eine Peft vermuthen wolte, fo ofte Krieg ge— 
führe wird. Alle diefe Fehler muß man vermeiden, wenn 
man das Zukünftige richtig vorauserfennen will, 
. 610. 

Noch eine Frage ift hier zu unterfuchen: nemlid) ob 
die Träume etwas bedeuten; oder ob unfere Traume ung 
manchmal zukünftige Sachen vorftellen, und ob man daher 
nicht unrecht handele, wenn man aus den Träumen das 
Zufünftige zum voraus zu erfennen ſucht? Wir wollen hier 
zweyerley bemerfen. Einmal, wenn im Traume die Ein: 
bildungsfraft nicht gar zu ftarfe, lebhafte und falſche Ein— 
bildungen wuͤrkt, fo ift Fein Zuftand der Seele zu den Vor⸗ 
berfehungen gefchickter, als der Traum. Denn wenn wir 
machen, fo find unfere Aufferlichen Empfindungen fo ftarf 
und lebhaft, daß die Borherfehungskraft allemal, wenn fie 
im Wachen würfen will, zu groſſe Hinderniffe antrift, Al— 
fein wenn wir träumen, haben wir nur einige wenige Flare 


aͤuſſerliche Empfindungen, die aber nicht ftärfer und Elärer 


find, als die Einbildungen. Folglich fallen im Traume 
diejenigen Hinderniffe weg, welche unfere Sinne dem Borz 
herfehungevermögen in den Weg legen. Komt nun nod) 
dazu, daß die Einbildungen, aus denen der Traum zufam« 
mengefeßt ift, nicht ſonderlich ftarf und lebhaft find, fo faͤlt 
auch das Hinderniß weg, welches durch die Einbildungs- 

| P kraft 





234 Von dem Vermögen das Zukünftige ıc. 


Fraft dem Vorherfehungspermögen in den Weg gelegt wird 
$. 600. 6or. Und wenn nun die Einbildungen, aus denen 
der Traum befteht, ganz oder zum Theil wahr find, fo ftelt 
fi) die Seele im Traume Empfindungen und Einbilduns 
gen vor, aus denen fie die Borherfehungen herleiten Fan $. 
599. Folglich koͤnnen wir, im Traume, das Zufünftige 
vorherfehen, und es ift alfo möalich, daß wir, wenn wir 
errmachen, aus den Träumen das Zufünftige vorauserfen: 
nen fönnen. Es ift demnach eine groffe Uebereilung, wenn 
man aus den Träumen gar nichts macht, und alle Traum 
deuterey verwirft. Man müfte allen biftorifchen Glauben 
verwerfen, wenn man alle Nachrichten von folchen Träus 
men, die etwas bedeuten, leugnen wolte. Allein zum ans 
dern fan man auch Teiche überzeugt werden, daß die wenig⸗ 
ften Träume der wenigften Menſchen etwas bedeuten koͤn— 
nen. Denn gewöhnlicher Weile würfen, die Einbildungs» 
fraft und das Dichtungsvermögen, im Traume fo lebhaft 
und fo ftarf, und die allermeiften Menſchen venfen im Bas 
chen fo felten an das Zufünftige, daß fie ohnedem Fein grof- 
fes Vorberfehungsvermögen befißen, welches alfo um fo 
viel weniger im Traume, der aus fo ftarfen Einbildungen 
beſteht, wuͤrkſam werden fan. Dazu komt noch, daR die 
meiften Träume fo erſtaunlich chimärifch find, daß, wenn 
auch) in denfelben Borherfehungen enthalten fern folten, die» 
felben doch falfch find $. 592. 594. Folglich ift es eine of 
fenbare Thorheit, wern man alle Träume für bedeutend 
hält, und alle Borftellungen eines Traums für Borherfe- 
bungen halten will, Wenn man die Nachrichten von bes 
deufenden Träumen ermägt, fo wird man allemal finden, 
daß fie viel ordentlicher find, als die Träume gemeiniglid) 
zu ſeyn pfleaen, und fie enthalten offenbare Merfmale ihrer 
Wahrheit. Die Traumdenterey ift der Inbegrif der 
Regeln, nach denen man, aus den Borberfehungen im 
Traume, das Zufünftige vorauserfennen fan. Sie ift alfo 
richt ganz zu vermwerfen, allein die Menfchen verftehen fie 
bis diefe Stunde noch fehr ſchlecht. Die gemeinen —2 

£ ücher 





Don dem Beurtheilungsvermoͤgen. 235 


bücher find viel zu tief unter den Horizont der menfchlichen 
Bernunft erniedriget, als daß es nur einmal anftändig feyn 
folte, ihre Dumheit deutlich zu erweiſen. 


KAEKKEREKHKEK KK HH CK FF FE KK FE TE ES 


Der achte Abfehnit, 
Bon dem Beurtheilungsvermögen. 


S. 617. 

as Beurtheilungsvermögen gehört mit zu denenjenis 

gen Erfenntnißvermögen, welche an Feine befondere 

Art der einzelnen Dinge gebunden find; fondern welche bey 
allen Gegenftänden unferer Erfenntniß gefchäftig feyn, und 
mit allen unfern übrigen Erfenntnißvermögen zugleich und 
gefellfchaftlich würfen koͤnnen. Nemlich wir beurtheilen 
etwas, wenn wir uns feine Bollfommenbeit, oder Unvolls 
kommenheit, oder beyde zugleich vorftellen. In fo ferne 
wir uns alfo etwas, es mag nun Daffelbe eine Borftellung 
oder der Gegenftand verfelben feyn, als gut, als vollkom⸗ 
men, als nuͤtzlich, als rechtmäßig, als fhon, als angenehm 
u.f. w. oder als böfe, als unvollfommen, als ſchaͤdlich, als 
unrechtmäßig, als baßlich, als unangenehm u. f. w. vora 
ftellen, in fo ferne beurtheilen wire, Da uns nun die 
Erfahrung lehrt, daß wir Sachen beurtheilen, fo haben 
wir auch ein Bermögen unfere Borftellungen und ihre Ge- 
genftände zu beurtheilen, es mögen nun Empfindungen, 
oder Einbildungen, oder Borherfehungen, oder irgends an- 
dere Borftellungen, famt ihren Gegenftänden feyn, und das 
nennen wir das Beurcheilungsvermögen, Es ift dafs 
feibe nichts anders als die Aufmerkfamfeit, auf die Volle 
kommenheiten und Unvollfommenbeiten der Dinge $. 506. 
Und unfere Seele befigt ein *Beurtheilungsvermögen, in fo 
ferne es ihr möglich) ift, ihre Borftellungskraft auf die Boll: 
fommenbeiten und Unvollfommenbeiten der Dinge zu rich. 
ten. Und diefes Vermögen ift eine Art des Wißes, in fo 


ferne 


2335 Von den Beuctheilungsvermögen, 


ferne es die Vollkommenheiten erfennt, 6. 568, in fo ferne 
es aber die Unvollfommenheiten erkennt, ift es eine Art der 
Scharfſinnigkeit S.571. Alle übrige Erkenntnißvermoͤgen, 
felbft die übrigen Arten des Wiges und der Scharffinnigs 
feit, ftellen dem Beurtheilungswermögen die Gegenftände 
Dar, an denen es die Vollkommenheiten und Unvollfom- 
mendeiten beobachtet. Da nun die Vollkommenheit einer 
Sache in der Zufammenftimmung des Mannigfaltigen zu 
Einer Realität, und die Unvollfommenbeit in dem Mangel 
diefer Zufammenftinmung befteht $. 94. 95. fo wuͤrkt das 
DBeurtheilungsvermögen nad) folgender Regel: wenn man 
das Mannigfaltige in einer Sache als zufammens 
fimmend, oder nicht zufammenftimmend erkennt, 
ſo erkenne man die Vollkommenheit oder Unvoll⸗ 
kommenheit. Und da alle Dinge in der Welt vollfom« 
men und unvollfommen zugleich find, fo werden alle Beur— 
theilungen, durch Die Vorftellungskraft der Welt nach) der 
Sage des Seibes, gewuͤrkt. 
G 68 
Wenn man in dem gemeinen eben jemanden viel 
Verſtand und Ueberlegung zufcjreibt, und ihn einen ver: 
ftändigen Menfchen nennt; fo denft man vornemlich ofte 
dabey nichts anders, als er befiße eine groffe Beurtheilungs- 
Eraft. Und da fan man, die verfehiedenen Grade und Boll: 
kommenheiten diefes Erkenntnißvermoͤgens, folgendermaffen 
aus einander feßen, 1) Je mehr der Zahl nad) und je 
mannigfaltiger die Dinge find, deren Vollkommenheiten 
und Unvollfommenheiten man erkennen fan, defto gröffer 
iſt die Beurtheilungskraft. Es gibt Seute, die nur Dinge 
von einer gewiffen Art beurtheilen Fönnen ; mancher Ge« 
lehrter ift bloß Elug in dem Circul feiner Gelehrfamkeit, in 
allen andern Dingen aber ein Narr. Und vergleichen Leu⸗ 
fe verraten, die enge Einfchrenfung ihres Erfenntnißver- 
mögens, 2) Sye gröffer und wichtiger die Dinge find, 
deren Bollfommenheiten und Unvollfommenheiten man er> 
Fennen Fan, deſto groͤſſer ift das ie" 
er 


Von dem Beureheilungsvermsgen. 237 


Wer nur, wie manches Frauenzimmer, den Puß, den Staat, 
eine Malzeit, eine Galanterie beurtbeilen Fan, nebft andern 
ſolchen Kleinigkeiten, der befigt eine Fleine Beurtheilungs» 
kraft. 3) Se feltener, je weniger Elar, und je ſchwaͤcher 
man fi) die Dinge vorftelt, die man dennoch beurtheilen 
Fan, defto gröffer iſt dieſes Vermögen. Wenn man fid) 
ein Ding fehr ofte, und in einem hohen Grade der Klare 
heit und Stärfe, vorftelt, fo fallen einem fo zu reden von 
feibft feine Bollfommenbeiten und Unvollfommenbeiten in 
die Augen, und man braucht alfo zu ihrer Entdeckung fein 
groffes Beurtheilungsvermögen. In dem enfgegengefeß- 
ten Falle aber gehört mehr Stärke dazu, die Bollfommen« 
heiten und Unvollfommenbeiten gewahr zu werden. 4) Je 
‚mehrere und mannigfaltigere Vollkommenheiten und Un— 
vollfommenheiten wir an den Dingen, die wir beurtheilen, 
entdecken fünnen, in einem deſto höhern Grade der Voll 
kommenheit befigen wir diefes Vermögen. &s gibt Leute, 
welche eine fo eingefchrenfte Beurtheilungskraft befigen, 
daß fie an einem Dinge nur einige wenige Vollkommen— 
heiten und Unvollfommenbheiten erblicken, und gegen die 
übrigen ganz blind find, 5) Se gröffere und wichtigere 
Vollkommenheiten und Unvollfommenheiten wir zu entde— 
en im Stande find, defto gröffer ift unfer Beurtheilungs- 
vermögen, Wer an einem Gedichte nur das Regelmäßige 
und Fehlerhafte in vem Sylbenmaaffe und dem Reime bes 
urtheilt, der legt eine ſchlechte Beurtheilungsfraft an den 
Tag. 6) Se ftärfer diejenigen fremden Borftellungen find, 
welche vor der Gefchäftigfeit des Beurtheilungsvermögens 
dagemwefen oder mit ihr zugleich da find, defto gröfler ift die— 
fes Vermögen; wenn es, diefer Hinderniffe und dieſer Zer— 
ftreuung des Gemüths ohneradhtet, die Vollkommenheiten 
und Unvolllommenheiten gewahr werden Fan: z. E. wenn 
man, mitten unter dem vielen Boͤſen, welches einem zuerft 
in die Augen fält, als bey grofien Frevelthaten, an unfern 
Feinden u. fe m, dennoch das Gute aud) entdecken fan; 
und eben fo, wenn man mitten unter dem Öuten auch das 
| Boͤſe 





233 Von dem Beurtheilungsvermögen. 


Boͤſe nicht unentdeckt läßt, und es nicht wie ein blinder 
$iebhaber macht. 7) {je proportionirter, richtiger, Elärer, 
gewiffer und ftärfer wir uns, die VBellfommenheiten und 
Unvollfommenheiten der Dinge, vorstellen koͤnnen, deſto 
ftärfer ift unfer Beurtheilungsvermögen. Und endlid) 
8) ift es um fo viel gröffer und vollfommener, je burtiger 
und geſchwinder es, die Bollfommenheiten und Unvollfom« 
menbeiten der Dinge, entdeden fan. Wer nach langem 
Nachſinnen, und erft nad) vielen ängftlichen Unterfuchuns 
gen das Bollfommene und Unvollfommene in den Dingen 
entdeckt, der verräth ein eben fo fehlechtes Beurtheilungs- 
vermögen, als ein Menfch, welcher erft lange einen witzi— 
gen Einfall, den er hört, überlegen muß, ehe er das Sinn⸗ 
veiche und Angenehme in demfelben gewahr werden Fan. 
$. 619, 

Wenn wir eine Sache beurtheilen, fo erfennen wir 
ihre Bollfommenheiten und Unvollfommenheiten entweder 
deutlich, oder auf eine undeutliche und finnliche Art. Folg- 
lich haben wir, einmal, ein finnliches Beurtbeilungs- 
vermögen, wodurch wir im Stande find, die Vollkom— 
menbeiten und Unvollfommenbeiten der Dinge undeutlich, 
Dunkel und verworren zu erfennen, und die Fertigkeit in 
diefem Vermögen wird, der Geſchmack im weitern 
Derftande, genennt. Im engern Berftande verſteht 
man, durch ven Geſchmack, einen unferer fünf Aufferli- 
hen Sinne, Hier brauchen wir das Wort fo, als in 
denen Fällen, wo man fagt: ein Dichter babe einen guten 
oder fehlechten Geſchmack, er verbeffere oder verfchlimmere 
den Geſchmack feiner Landesleute u.f.w. Der Gefchmad 
urtheilt von den Bollfommenheiten und Unvollkommenhei— 
ten aller Dinge, fie mögen nun in unfere Sinne fallen 
oder nicht, wenn es nur möglich ift, daß wir dieſe Boll: 
fommenbeiten und Unvollfommenbeiten undeutlich erkennen, 
Daher Fan ſich der Geſchmack auch zugleich mit unfern 
Sinnen, wenn wir, die Gegenftände deffelben, fehen, hoͤ— 
ven, fühlen u. ſ. w. würffam erweifen, Und daher ſchreibt 

man 


13 
} 


Von dem Deutthellungsvermogen, 239 


man dem Geficht, dem Gehör, und einem jedweden Sinne 
ein Urtheil zu, in fo ferne wir durch denfelben den Gegen: 
ftand unferer Beurtbeilung, ſamt den Bollfommenbeiten 
und Unvollfommenbeiten, die wir an ihm gewahr werden, 
empfinden, So fagen wir: daßein Wort, nach) dem Ur: 
theile der Dhren, gut oder nicht gut klinge; daß eine Klei- 
dung einem Menfchen gut ſtehe, wenn man ſich anders auf 
das Urtheil der Augen verlaffen dürfe u. few. Die Cris 
tiE im weiteften Derftande ift die Kunft, welche die 
Kegeln enthält, nach denen wir Dinge beurtheilen müffen. 
Folglich giebt es auch eine Kunft den Geſchmack zu ver: 
beſſern, und recht zu gebrauchen, und die wird in der 
Aeſthetik abgehandelt; welche alfo in fo ferne mit Recht 
eine eritifche Wiffenfchaft genennt werden fan 9.527. Wenn 
man fagt, man müffe mit niemanden über den Geſchmack 
ftreiten; fo ift diefes vornemlich von dem Urtheile der Sin- 
ne zu verftehen: denn es ift möglich, Daß dem einen Men: 
fhen eine Sache guf, und dem andern fehlecht Elingt, weil 
fie verfchiedene Ohren haben. Und es ift überhaupt eine 
elende Are zu ftreiten, wenn einer etwas leugnet, fo der 
andere behauptet, und wenn beyde ihr Urtheil nur finnlich 
fällen, und feinen Grund davon angeben koͤnnen. Es wür: 
de aber fehr lächerlich feyn, wenn man daraus fehlieffen 
rolte, daß man Feines Menfchen Geſchmack beurtbeilen, 
tadeln, verbefiern oder widerlegen dürfe; und daß man 
alfo einem jedweden ſeinen Geſchmack laſſen muͤſſe, ohne 
ihm desmegeu mit Gründen Yu beunrubigen, und ohne 
zu verfuchen, ihm zu überzeugen, daß dasjenige, was er 
bisher für que gehalten, böfe, und was er für böfe gehalten, 
gut fen. Zum andern haben wir auch ein vernünftiges 
Beurtheilungsvermögen, durch welches wir uns die 
Vollfommenbeiten und Unvollfommenbeiten deutlich, aus 
deutlich erfanten Gründen, und nach allgemeinen Regeln 
vorzuftellen im Stande find. Wer eine Fertigkeit in die: 
fen Vermögen befißt, der wird ein Runftrichter im 
weitern Derftande genennf, und durch die Critik im 
wel- 


246 Von dem Beurtheilungsvermögen. 


weiteren Verftande fan man die Wiffenfchaft der Regeln 
verftehen, die man beobachten muß, wenn men, die Boll: 
fommenheiten und AUnvollfommenbeiten der Erkenntniß, 
und ihrer Gegenftände, deutlich beurtheilen will. In der 
Pernunftlehre z. E. werden, die Bollfonmenbeiten und 
Unvollfommenheiten der gelebreen Erfenntniß, der ges 
Ichrten Schriften u. f. w. deutlich beurtheilt. Hieraus iſt 
begreiftich, daß es Sachen giebt, die man niche vernünftig 
beurtheilen Fan, die aber dem ohnerachtet nad) dem Ge— 
ſchmacke beurtheilet werden koͤnnen und müffen, z. E. viele 
Kleidermoden, und andere dergleichen Kleinigkeiten. 
$. 620, 

Man tbeilt, die Fertigkeit im Beurtheilen, in eine 
practifche und theoretifche ein. Jene wollen wir die pras 
ctifche Beurtheilungskraft nennen, und fie ift eine Fer— 
tigkeit, vorhergeſehene Borftellungen und Sachen zu beurs 
theilen, Die’ Fertigkeit aber andere Borftellungen und 
Sachen zu beurtheilen, ift die theoretifche Beurthei— 
Iungstraft. Wir werden Fünftig überzeugt werden: daß 
alle diejenige Erfenneniß, welche unfern Willen in Bewe— 
gung fesen foll, folglich alle practifhe Erkenntniß, zugleich 
nebft anderen Vorftellungen in Borherfebungen bevorftehen: 
der Bollfommenheiten und Unvollfommenheiten, beftehen 
müffe; und daß ohne folchen Borherfehungen, unfere Er- 
kenntniß Eeinen Einfluß in unfer Verhalten haben, und 
alfo unmöglich practifch feyn Fan, Es ift demnach klar, 
daß wir eine Sache deswegen noch nicht practifch beurthei« 
fen, wenn wir von ihren Vollkommenheiten und Unvoll- 
kommenheiten ein Urtheil fällen: denn fonft wären alle un 
fere Beurteilungen practiſch, und Feine einzige derfelben 
Fönnte theoretifch genenne werden. Sondern wir beurtheiz 
fon etwas alsdenn practifch, wenn wir es vorherfehen, 
und es uns alſo als eine Sache voritellen, die mir hervors 
bringen und verhindern Eönnen, und wenn wir zugleich er» 
Eennen, worin feine Bollfommenbeiten und Unvollkom— 
menbeiten beſtehen. Geſetzt es lieſt jemand eine N im. 

Is 


Don dem Beurtheilungsvermögen. 241 


Birgil, und fuche die Schönheit derfelben zu erkennen, fo 
beurtheilt er fie practifch, wenn er diefelbe als eine Schön: 
beit betrachtet, die er in ähnlichen Fällen in feinen eigenen 
Gedanken hervorbringen koͤnne. Wenn wir etwas beur- 
theilen, fo beurtheilen wir es entweder vichtig oder falfch, 
und folglich Fönnen, unfere DBeurtheilungen, entweder 
wahre oder falfehe Seurtheilungen ſeyn. Die legten 
ftellen uns in dem Gegenftande Bollfommenheiten und Un— 
vollfommenheiten vor, Die entweder gar nicht, oder in ei- 
nem andern Grade in demfelben angetroffen werden als wir 
uns vorftellen, oder wie die Irrthuͤmer in der Beurthei- 
lung der Dinge insgefamt befchaffen feyn mögen. Wenn 
nun das Beurtheilungsvermögen die Fertigkeit befigt, die 
Dinge unrichtig zu beurtbeilen, fo wird es ein voreiliges 
Beuctheilungsvermögen genennt; weil die falfchen 
Beurtheilungen wenigitens in den allermeiften Fällen, aus 
Mebereilung entftehen, wenn man ſich nicht Zeit genung 
nimt, die Sache genugfam zu unterfuchen, ehe man von 
ähr ein Urtheil faͤlt. Ein voreiliger Geſchmack wird ein 
verdorbener Geſchmack genennt. Wenn aber dag 
DBeurtheilungsvermögen die Fertigkeit befist, fich vor fal- 
fchen Beurtheilungen in acht zu nehmen, fo nennt man es 
ein reifes Seurtheilungsvermögen; weil es fich alle- 
mal, um reif zumerden, Die gehörige Zeit nimt. Ein rei- 
fer Gefhmad wird, ein gereinigter Geſchmack, genent. 
Die Reife des Beurtheilungsvermögens ift allerdings eine 
geoffe Vollkommenheit deflelben 8. 618. fie ift aber nicht 
die einzige, fondern man Fan nach Anleitung des 618 Ab- 
faßes noch mehrere gedenken, 5. E. wenn man in Dingen, 
die man nicht fonderlich Flar erfennt, dennoch viele Voll: 
kommenheiten und Unvollfommenbeiten entdecken fan, fo 
befist man ein Öucchdringendes Beurtheilungsvermoͤ⸗ 
gen. Und der Gefchmad ift ein feiner Geſchmack, 
wenn er auch) die Fleinern Bollfommenheiten und Unvoll- 
kommenheiten fcharffinnig entdecken kan. Doch die weite: 
ve Unterfuchung der mannigfaltigen Bollfommenbeiten 

3, Theil, >) und 


242 Don dem Beseichnungsvermögen. 


und Unvollfommenbeiten des Beurtheilungsvermögens, 
gehört in die Eritif. 


RER TFT HE TFT FROHES. FOR GGF HK HH HR - RR 


Der neunte Abfchnitt, 
Bon dem Bezeichnungsvermögen. 


G. 621. 


gen wir auf alie Arten unferer Erkenntniß Achtung 
geben, fo werden mir leicht gewahr werden, daß 
mir felten oder gar nicht ohne Zeichen denfen fonnen. In 
unferer allgemeinen und abftracten Erfenntniß bedienen wir 
uns der Worte, oder anderer willführlichen Zeichen, ver- 
mittelft deren wir die abftracten DBorftellungen in unferm 
Gemuͤthe gegenwärtig erhalten, und wenn wir einzelne 
würfliche Dinge denken, fo heften wir, die Begriffe derfel- 
ben, entweder an Worte, oder wir erkennen ihre Wuͤrk— 
fichfeit aus andern Zeichen. Selbſt alsdenn, wenn wit 
empfinden, feheint e8 zwar, als wenn wir die Gegenſtaͤn— 
de unmittelbar erfenneten; allein ein geringes Nachdenken 
fan ung überzeugen, daß wir, auſſer den Veraͤnderungen 
unferer Seele, deren wir uns alsdenn bewußt find, alle 
übrige Gegenftände unferer Empfindungen, aus gewiffen 
Zeichen erfennen. Wenn wir etwas feben, fo fehen mir 
daffelbe vermitteljt des materiellen Bildes, welches von 
demfelben hervorgebracht wird, und das ift alfo das Zei: 
hen, woraus wir die Würflichfeit des Gegenftandes er: 
kennen $. 273. Diefe Betrachtung Fan uns alfo vollkom— 
men überzeugen, daß wir mehrentbeils, in unferer Erkennt— 
niß, Zeichen und bezeichnete Sachen, in ihrem bezeichnen: 
den Zufammenhange, uns zufammen vorſtellen. Folg- 
lich haben wir ein Erfenntnißvermögen, durch welches wir 
Zeichen und Bedeutungen mit einander verbinden, und 
wir wollen daffelbe das Dezeichnungsvermögen nen- 
nen, Vermoͤge dieſes Erfenntnißvermögens ftellen. wir 

uns 


- 

















Don dem Beseichnungsvermögen. 243 


uns entweder, eine Borftellung und ihren Gegenftand, 
als ein Zeichen vor, und erkennen, vermittelft defielben, 
eine andere Vorſtellung und ihren Gegenftand als die Be— 
deutung; oder wir ftellen uns eine Borftellung und ihren 
Gegenftand als eine Bedeutung vor, und verbinden da- 
mit eine andere Borftellung und ihren Gegenftand, als ein 
Zeichen. Es ift demnach das Bezeichnungsvermögen nichts 
anders, als eine Aufmerffamfeit auf den bezeichnenden 
Zufammenbang, in welchem unfere Borftellungen und ih- 
re Gegenftände ihrer Matur nad) ftehen, oder in welchen 
mir fie, irgend um eines andern Örundes willen, feßen 
§. 506, 
$.... 622. 


Ein Zeichen ift alles dasjenige, woraus wir die Würf- 
lichfeit einer andern Sache erfennen koͤnnen $.273. Wenn 
wir nun unferfuchen,, wie es möglich ift, daß wir aus ei- 
ner Sache, die Würflichkeit einer andern, erkennen koͤn— 
nen; fo fan #8 auf eine zweifache Art gefchehen, nach dem 
das Zeichen entweder natürlich oder willkürlich ift $. 274. 
Iſt das erfte, fo ift, zwifchen dem Zeichen und der Be— 
deutung, ihrer Natur nach ein Zufammenhang, wie zii: 
fchen der Urfach und der Wuͤrkung. Und wenn wir nun 
diefes aud) nur ein einzigesmal eingefehen haben, fo has 
ben wir, einsunter beyden Dingen, unsals eine Urfach und 
Das andere als eine Wuͤrkung, in ihrem narürlichen Zu— 
fammenbange, zugleich vorgeftel. Folglich find, die 
DVorftellungen von beyden, in unferm Gemuͤthe vergefell- 
ſchaftet worden $. 495. Wenn uns alfo die Vorftellung 


‚des einen wiederum ins Gemuͤth komt, fo fält uns auch, 


nach) dem Geſetze der Einbildungsfraft, vie Vorftellung 
des andern wieder ein $. 558. Folglich erfennen wir, 
durch die Einbildungsfraft, das natürliche Zeichen, wenn 


‚uns die Bedeutung insg Gemüth komt; und die Bedeu- 


fung, wenn uns das natürliche Zeichen ins Gemuͤth komt. 
Auf eine ähnliche Act werden, in unferm Gemüthe, die 
willfürlichen Zeichen mit ihren Bedeutungen verbunden, 

| N 2 in: 


244 Vondem Bezeichnungsvermsgen. 


indem mir fie mit einander vergefellfchaften, und folglich 
falt uns bey dem einen hernach das andere ein. So 
lernen wir eine Sprache. Ein Kind fieht einen Hund, 
und man fpricht das Wort aus, daß es das Kind hört. 
Dergeftalt wird der Begrif von dem Hunde, den das 
Kind durchs Geficht bekomt, unendlich ofte mit dem Bes 
griffe, den es von dem Worte Hund durchs Gehör be— 
komt, vergefellfchafter. Und endlich fälle vem Kinde das 
Wort ein, wenn ihm der Begrif von dem Hunde ing Ge: 
müch komt, und der Begrif von dem Hunde, wenn ihm 
der Name wiederum ins Gemüth gebracht wird, - Folgs 
lich Ean man die Regel, nach welcher das Bezeichnungsver- 
mögen würffam ift, folgendergeftalt ausdrucfen: Eine 
von denen Porftellungen, welche mit einander ver= 
gefellfehafter find, ift ein Mittel, die Wuͤrklichkeit 
der andern zu erkennen. Wenn ein Arzt aus dem Puls: 
fchlage, als aus einem natürlichen Zeichen, eine Krank— 
heit erfennen will; fo Fan er diefes nicht eher thun, bis er 
nicht vermöge des Unterrichts anderer, oder vermittelft feis 
ner eigenen Erfahrung, die Borftellung von dem Puls: 
fchlage und der Kranfheit mit einander vergefellfchaftet hat. 
Nun kan man den bezeichnenden Zufammenhang entweder 
deutlich, oder undeutlich und finnlich erfennen. Folglich) 
haben mwir ein doppeltes Bezeichnungsvermoͤgen. in: 
mal ein vernünftiges Bezeichnungsvermoͤgen, wo⸗ 
durch wir uns, den Zufammenbang der Zeichen mit ihren 
Bedeutungen, deutlich voritellen. So fan man, aus 
der Ungleichheit und Stärfe des Pulsfchlages, deutlich 
die heftige und ungleichformige Bewegung des Bluts er- 
Fennen, nach) der algemeinen Regel: die Urfach ift fo bes 
fhaffen und fo groß als ihre Würfung. Zum andern 
ein finnliches Bezeichnungsvermögen, wodurch wir, 
den Zufammenhang der Zeichen mit ihren Bedeutungen, 
undeutlich, verworren und dunfel erfennen. So erfennen 
wir, aus den Worten eines Nedenden, was er denft, ob= 
ne daß wir uns allemal, den Zufammenhang der Worte 

mit 














Don dem Bezeichnungsvermögen. 245 


mit ihren Bedeutungen, deutlich vorftellen folten. Da 
nun das ganze Bezeichnungspermögen vornemlich eine Art 
der Einbildungsfraft ift, fo wird es durch die Borftellungs- 
fraft der Welt, welche die Seele befißt, gemwürft $. 555. 
Und das wird Dadurch noch mehr beitetiget, wenn wir er- 
wägen, daß in der Welt ein bezeichnender Zufammenbang 
fey $. 318. 448. Wenn alfo die Seele vermöge der Vor— 
ftellungsfraft, die fie befist F. 488. die Welt ſich vor- 
ftele; fo Fan fie fich auch den bezeichnenden Zufammenhang, 
der in derfelben angetroffen wird, vorftellen, und. das heißt, 
fie befigt ein Bezeichnungsvermögen, 
6e 

Eine der merkwuͤrdigſten Betrachtungen, welche wir 
in dieſem Abſchnitte anſtellen koͤnnen, beſtehet in der Un— 
terſuchung der anſchauenden und ſymboliſchen Erkenntniß, 


‚ohne welcher wir unmöglich, die Natur der Begehrungs— 


fraft, recht werden unterfuchen koͤnnen. Nemlich die 
snfchauende Erkenntniß einer Sache beftehet darin, 
wenn wir fie entweder ohne Zeichen erfennen, oder Doc) 
eine groͤſſere und ſtaͤrkere Borftellung von ihr haben, als 
von ihrem Zeichen, welches wir uns zugleich neben ihr vor— 
ftellen. Der Gegenftand der anfchauenden Erfenntnif Fan 
eine unferer Borftellungen feyn, oder eine andere Sache, 
ja felbft die Zeichen, und wir Fonnen alfo Worte und ans 
dere Zeichen auch anfchauend erfennen. Manche glauben, 
daß bey Feiner anfchauenden Erkenntniß, Borftellungen 
der Zeichen, angetroffen werden, Allein das ift der Er— 
farung zuwider. Wenn wir in einer Gemuͤthsbewegung 
find, fo haben wir alsdenn unleugbar eine anfchauende Erz 
fenntniß der Sache, worüber unfer Gemüth in Bewegung 
gefegt ift. Und wen Fan unbefant feyn, daß mir fehr 
ofte, mitten in den Gemuͤthsbewegungen, reden koͤnnen, 
und wir müflen alfo alsdenn nothwendig uns die Zeichen 
vorftellen. Folglich fan auch die Erkenntniß anfchauend 
feyn, wenn wir uns gleich die Zeichen des Gegenftandes 
vorftellen, wenn nur die Vorftellung dev Sache gröfier 

3 und 


245 Von dem Bezeichnungsvermögen. 


und ftärfer ift, als die Vorftellung der Zeichen. Freylich 
ift die Erkenntniß einee Sache um fo viel anfchauender, je 
gröffer fie felbft ift, und je Eleiner Daneben die Vorftellung 
der Zeichen ift. Und fie fan nicht anfchauender feyn, als 
wenn neben ihr. die Vorftellungen der Zeichen ganz ver- 
ſchwinden, und wenn man die Sache ohne alle Zeichen fich 
vorftele. Bey der anfchauenden Erkenntniß richten wir, 
unfere Aufmerffamfeit, allein oder vornemlicdy auf Die 
Borftellung der Sache, und mir abftrabiren entweder 
ganz von ihren Zeichen, oder wir werfen nur nebenben, 
einen matten und flüchtigen Blick, auf diefelben. Die fpm- 
bolifche Erkenntniß einer Sache im Gegentheil befteht 
darin, wenn wir uns die Zeichen in einem höhern Grade 
vorftellen, als die Bedeutungen. Wir richten alsdenn 
unfere Aufmerkſamkeit vornemlich auf die Vorftellung der 
Zeichen, und erblicken durch diefelbe, hinter ihnen qleichfam 
in der Ferne, die Sachen, die fie bedeuten. Se ftärfer 
die Vorftellung der Zeichen ift, und je ſchwaͤcher daneben 
die Borftellung der Sache ift, defto fombolifcher ift die 
Erfenntniß; und fie Fan nicht fombolifcher feyn, als 
wenn man fich und feine Aufmerkfamfeit, mit der Vor— 
ftellung der Zeichen, fo fehr befchäftiget, daß man die 
Sache felbft bey nahe fich gar nicht vorftelt. Von der 
Richtigkeit dieſer Erklärungen muß man fich, durch feine 
eigene Erfahrung, überzeugen. Man gebe alfo auf die 
Fälle achtung, da man wovon redet, z. E. von einem 
Unglüce, ohne daß man die Betrübniß fühlt; fo hat man 
gewiß alsdenn eine fpmbolifche Erkenntniß. Iſt man aber 
gerührt, fo iſt unfere Erkenntniß anfchauend, 
. 24. 

Unſer Bezeichnungsvermögen ſtelt uns, den bezeich- 
nenden Zufammenhang, entweder auf eine richtige oder 
unvichtige Art vor $. 489. Und da fan man, fonderlic) 
auf eine Doppelte Art, irren: 1) wenn man etwas für ein 
Zeichen hält, fo es nicht iſt. Alsdenn entſteht eine falfche 
ſymboliſche Erkenntniß $. 623 und zwar durch ein Blend— 
werk des Wißes 9.577. weil wir, etwas, fo Fein a 

ı ’ 





| 


Von dem Bezeichnungsvermögen. 247 


iſt, für ein Zeichen halten, und weil wir alſo verfchiedene 
Dinge für einerley anfehen, Durch diefen Irrthum fan 
man entweder etwas für ein Zeichen halten, jo gar Fein 
Zeichen ift; oder für ein anderes Zeichen, als es iſt; oder 
für ein gröfferes oder Fleineres, vollfommeners oder unvoll- 
fommeners Zeichen, als es ift. In diefem Irrthume 
ftecfen wir z. E. allemal, fo ofte wir unfere Gedanfen 
nicht recht ausdrucfen, fo Daß uns der andere nicht verſte— 
ben fan, und wenn er aud) von feiner Seite alles thut, 
was dazu nöthig ift, wenn man einen andern verftehen 
will. Aus diefem Irrthume des Bezeichnungsnermögens 
koͤnnen falfche Borberfehungen entftehen, wenn er in Abs 
ficht auf die vorbedeutenden Zeichen begangen wird, oder 
wenn man etwas für ein vorbedeutendes Zeichen hält, fo 
es nicht ift $. 275.608. Und hieher Fan man die Irrthuͤ— 
mer der Welt rechnen, vermöge deren man. die: Linien in 
den Händen, und wer weiß wie viele andere Sachen, für 
Zeichen zukünftiger Dinge hält. Und was noch ärger ift, 
fo befeftiget man fich in diefen Irrthuͤmern, durch falfche 
Borauserfennungen und Bermutbungen, fo gewaltig, daß 
man durch nichts eines beflern belehre werden fan $. 615. 
Man glaubt hundert Fälle zu wiffen, in denen diefe Sa— 
chen was bedeutet haben, und man mag fagen was man 
will, fo bleibt man bey diefer Meinung. 2) Wenn man 
etwas für eine Bedeutung hält, fo es nicht ift. Alsdenn 
geben wir den Zeichen eine ganz oder zum Theil andere 
Bedeutung, als fie würflich) haben, und diefes gefchicht 
ebenfals durch eine Berblendung des Wißes $. 577. Hie— 
her gehört z. E. der Irrthum deverjenigen, die Die. Rede 
eines andern nicht recht verftehen. Und esift vor fich Elar, 
daß aus Diefem Irrthume, eine falfche anfchauende Erz 
kenntniß, entftehen fonne $. 623, 
8. 625. 

Das Bezeihnungsvermögen ift, wie wir bisher bey 
allen untern Erfenntnißvermögen gefehen haben, verfchie- 
dener Grade und Bollfommenbeiten fähig, Nemlich ») je 

D 4 meh⸗ 


248 Don dem Bezeichnungsvermögen. 


mehrere Vorftellungen wir, als Zeichen und Bedeutungen 
mit einander verbinden; folglic) jemehrere und mannigfal- 
tigere Zeichen und Bedeutungen wir erfennen, deſto gröf- 
fer ift das Bezeichnungsvermögen. 3. E. wenn jemand 
fehr viele Sprachen verfteht. 2) Je gröflere Borftellun- 
gen, als Zeichen und Bedeutungen, mit einander verbun- 
den werden; folglich je gröffer und vollfommener die Zeis 
chen find, die wir erfennen, und je wichtiger die Bedeutuns 
gen find, deſto gröffer ift Das Bezeichnungsvermögen, 
3) Je vollfommener der bezeichnende Zufammenbang ift, 
in welchen wir die Zeichen mit ihren Bedeutungen feßen, 
defto geöffer ift das DBezeichnungsvermögen. Folglich ift 
es eine Probe der Stärke und Vollkommenheit diefes Vers 
mögens, wenn man Sachen auf eine recht geſchickte Art 
bezeichnen Fan. 4) Ze beſſer wir die Zeichen, ihre “Bes 
deufungen, und ihren Zufammenhang erfennen koͤnnen; 
folglich je richtiger, klaͤrer, gewiſſer und ftärfer, deſto 
gröffer ift unfer Bezeichnungsvermögen. 5) Se ftärfer die 
fremden Borftellungen find, welche entweder vor der Ger 
fchäftigkeie diefes Vermoͤgens hergeben, oder mit ihr zus 
gleich da find, defto ſtaͤrker ift diefes Vermögen, wenn e8 
dieſer Hindernifle ohnerachter würfen Fan. Daher hält 
man es mir Necht für eine Gefchicklichfeit eines Redners, 
wenn er aller feiner Furcht ohnerachtet, mitten unter vie 
lem Geräufche, und andern Dingen, die feine Sinne ftarf 
rübren, dennoch feine Rede ohne Verwirrung balten Fan. 
Und 6) je fehneller und burtiger diefes Vermögen wuͤrkt, 
defto geöffer iftes, folglich je gefchwinder uns die Zeichen ein⸗ 
fallen, wenn wir uns die Bedeutungen vorftellen, und die 
Bedeutungen, wenn wir ung die Zeichen vorftellen, Wer 
fich in beyden Fällen evt lange und mühfam befinnen muß, 
Der legt dadurch, eine groffe Schwäche und Unvollfom- 
menheit feines Bezeichnungspermögens, an den Tag. Die— 
fe Materie wird, in der allgemeinen Bezeichnungskunft, 
weitläuftiger ausgeführt $. 276. und es gehört diefelbe in 
die Aeſthetik, in fo ferne fie, von der Verbeflerung * 

em 


Von dem Derftande. 249 
dem rechten Gebrauche des finntichen Bezeichnungsvermöds 


gens, handelt $. 527. 622, 





KEERRERKAR KK KH NR FE TFT HF KF KR FE LE NH KR — 
Das dritte Eapitel, 
von. dem 


obern Erfenntnißvermögen, 


Der erfte Abfchnit, 
Bon dem Berfande 
$ 626. 


dem wir bisher von dem untern Erkenntnißvermoͤgen 
gehandelt haben, fo folge nun die Unterſuchung des 
obern, als der andern Helfte des ganzen Erkenntniß⸗ 
vermögens, welches die Seele befigt. Nemlich wir wifjen 
aus unferer Erfahrung, daß. wir deutliche Erkenntniß has 
ben, oder daß wir viele Dinge deutlich erkennen $. 485. 
Folglich iſt es unferer Seele möglid), daß fie durch ihre 
Borftellungskraft Dinge deutlich: erfennt S. 61. und fie be= 
ſitzt alfo ein Bermögen deutlicher Erfenntniß, und Das nene 
nen wir das obere Erkenntnißvermoͤgen; weil diedeuts 
liche Erfenntniß ein höherer und gröfferer Grad der Era 
kenntuiß ift, als die undeutliche $. 524.  Diefes Bermd- 
gen wird aud), der Berftand, genennt $. 372. und alsdenn 
braucht man das Wort im der engern Bedeutung. In 
weiterer Bedeutung verfteht man Darunter das Erfenntniß» 
vermögen überhaupt S. 497. und ofte braucht man das 
Wort in einer fo engen Bedeutung, daß man darunter nur 
einen böhern Grad des obern Erfenntnißvermögens ver- 
fteht, als wenn man fagt, es fen jemand ein verftändiger 
oder ein unverftändiger Menfh. Hier wollen wir das 
Wort dergeſtalt gebrauchen, daß wir darunter nur Dasjenis 
ge Erfenntnißvermögen veritehen, wodurch wir im Stande 
find, ung sine deutliche Vorſtellung von einer Sache zu 
25 machen. 


;o Von den Derftande, 


machen, Der Verftand gehört zu denenjenigen Erfennte 
nißvermögen, welche durch die Natur nicht, zu der Erfennt« 
niß gewiſſer Arten der Dinge, beftimt find; fondern bie 
dazu beftimt find, einen Öegenftand, er mag aud) feyn was 
er will, auf eine gewiffe Art und Weife zu beleuchten, und 
zu erfennen. Daher fan ſich aud) der Verftand, bey allen 
möglichen Dingen, und allen Gegenftänden der Erfenntniß, 
gefchäftig erweifen, And wir fehen auch aus unferer Er- 
fahrung, daß unfer Verftand, mit allen unfern übrigen Er- 
fenntnißvermögen, zugleich gefchäftig feyn fan Wenn 
wir empfinden, fehen, hören u. ſ. w. fo macht der Verftand 
ofte die Empfindung groffentheils deutlich, und fo aud) bey 
den übrigen Arten der Erkenntniß. Folglich koͤnnte man, 
fo viele verfchiedene Erkenntnißvermoͤgen, in dem Berftan« 
de von einander unterfcheiden, als wir bisher in dem un: 
tern Erfenntnißvermögen angemerkt haben. Wir Fünnten 


alfo einen empfindenden Werftand gedenfen, ein Vermögen 


die Empfindungen deutlich zu machen; einen einbildenden, 
ein Vermögen die Einbildungen deutlich zu machen u. ſ. w. 
Allein es ift der Natur gemäffer, wenn mir fogen, daß die 
untern Erfenntnißvermögen ofte die Borftellung, die fie 
vermöge ihrer Natur hervorgebracht haben, dem Berftande 
zu weiterer Beleuchtung vorhalten; oder daß der Verſtand 
die Borftellungen, die ein finnlihes Erfenntnißvermögen 
hervorgebracht hat, beleuchte, und ofte eine Deutlichkeit in 
ihnen verurfache. 
$. 627. 

Wenn wir uns eine deutliche Vorftellung machen, fo 
heißt diefes nichts anders, als einige Fiare Vorftellungen 
zufammenfaffen, und fie zufammengenommen als Eine gan» 
se Borftellung anfehen. ine jede diefer Elaren Borftellun- 
gen ftelt uns, wenigftens unferer Meynung nad), einen 
Theil in dem Gegenftande vor. Folglich entſteht eine deut: 
liche Vorſtellung einer Sache, wenn mir unfere Aufmerf- 
famfeit nicht nur auf fie im Ganzen betrachtet richten H. 


302, fondern aud) zugleich auf einige Theile derfelben, oder 
wenn 


h 





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Don dem Derftande. 251 


wenn wir die Sache durchdenken $, 513. und durch die 
Ueberlegung, die klaren Borftellungen diefer Theile, in 
Eins zufammenfaffen $. 515. und unterdeffen, von allem 
übrigen, unfere Gedanfen abziehen S. 518. So machen 
wir uns eine deutliche Vorſtellung von dem Lafter, wenn 
wir es ung als eine Fertigkeit zu fündigen vorftellen, Hier 
haben wir zwey klare Borftellungen von der Fertigkeit, und 
von dem Sündigen, welche wir durd) das Nachdenken in 
dem Laſter entdecken, und zugleich neben einander in der 
Eeele klar erhalten können. indem wir fie nun zufam« 
menfaſſen, fo ift, der deutliche Begrif von dem after, in 
unferer Seele würflih. Wenn alfo die Aufmerffamfeit, 
das Nachdenken, die Ueberlegung und das Vermoͤgen zu 
abjtrahiren zugleich, eine und eben diefelbe Vorftellung, in 
der gehörigen Drönung bearbeiten: fo wird fie deutlich, und 
folglid) machen, diefe vier Erfenntnißvermögen zufammen- 
genommen, den Berftand aus, welcher dem zufolge alfo ein 
zufammengefeßtes Vermögen ift $. 170, Da nun Diele 
Vermoͤgen, durch die Borftellungskfraft der Welt nad) der 
Stellung des Leibes, gewürft werden $. 512. 513. 515. 518. 
fo wird aud) der Berftand, durch eben diefe Vorſtellungs— 
kraft, würflid. Und hieraus ift zugleich die Hegel der 
Natur Flar, nach welcher unfer Berftand würkfam ift. Da 
nemlid) die Ueberlegung allemal, das Nachdenken und die 
Aufmerffamfeit, vorausfegt, fo Fan man diefe Regel ganz 
furz fo ausdrucken: man überlege den Begenftand, 
und fondere dasjenige ab, was nicht mit in Ueberle—⸗ 
gung gezogen wird, fo wird das Übrige deutlich. 


"Allein dieſes Geſel, ift nur das Gefeg eines endlichen Ber: 


ftandes, der unendlihe Verſtand GOttes braucht eine 
Sache nicht zu durchdenken, und von andern zu abftrabis 
ven, fondern er durchfchauet fie mit einem Blicke und auf 
einmal, in der gröften Deutlichfeit, Aus diefer ganzen 
Unterfuchung erheflet noch zweyerley. Kinmal, woher es 


komme, daß bey uns Menfchen der Verſtand nicht vor den 


Jahren komme; oder daß unfer Verftand, von unferer ii 
urt 


252 Don dem Verſtande. 


burt anzurechnen, erſt mit der Zeit würkfam zu werden an« 
fange. Denn da er die Fertigkeit in der Aufmerkfamfeit, 
dem Nachdenken, ver Ueberlegung und der Abftraction vor= 
ausfegt, wir aber diefe Fertigkeiten nur erft mit den Jah— 
ren erlangen koͤnnen; fo fan auch unfer Verftand nicht eher 
ſich würflich Auflern, bis nicht alle übrige Erkenntnißver⸗ 
mögen zu einer hinlänglichen Stärfe gekommen find. Zum 
andern erhellet auch, Daß eine jedwede denkende Subftanz 
des Verftandes fähig fen, welche ein Vermögen achtung zu 
geben, nachzudenken, zu überlegen, und zu abftrahiren be- 
fist, ja daß fie in allen Fällen deutlich denfen fünne, in 
welchen diefe vier Handlungen des Erfenntnißvermögens 
ftat finden koͤnnen; daß aber, wo auch nur eins diefer Era 
Fenntnißvermögen fehlt, auch der Berftand nicht flat finden 
koͤnne. Wo das Ganze feyn foll, da müflen alle Theile 
ohne Ausnahme feyn ; wo aber aud) nur Ein Theil fehlt, 
da Fan auch das Ganze nicht ftat finden $. 149. 
628 
In ſo ferne wir uns etwas durch den Verſtand vor⸗ 
ſtellen, das iſt, in fo ferne wir es deutlich erkennen, in fo 
ferne begreifen wir es. So fagen wir, daß wir gar wohl 
begreifen, wie der Regen entfteht, weil wir die Entftehungs- 
art des Regens deutlich erfennen, und Diefelbe erklären koͤn— 
nen. Begreiflich ift alles dasjenige, was deutlich erfant 
werden Fan, oder was durch den Verſtand erkannt werden 
fan. Wenn wir etwas empfinden, und folte es auch noch 
fo klar feyn, fo fagen wir deswegen noch nicht, daß wir es 
begreifen; fonft müften wir alles begreifen, was wir feben, 
hören, oder irgends auf eine Art empfinden, und zwar fo 
bald wir es empfinden. Und eben fo verhält es fich auch), 
mit den übrigen finnlichen Erfenntnißvermögen, Wir mös 
gen ung durd) diefelben eine Sache noch fo Elar und lebhaft 
vorftellen, fo fagen mir desivegen doc) nicht, daß wir fie 
begreifen. Alles Begreifen einer Sache ift alfo, ein Ges 
fchäfte des Verftandes, Und da ift eine Sache entweder 
an und vor fich betrachtet begreiflich, oder —— 
weiſe 


— 


Don dem Derftande, 255 


roeife. Szene ift fo befhaffen, daß fie an und vor fich bes 
trachtet deutlidy erkannt werden Fan; oder daß fie diejenige 
Beſchaffenheit bat, welche eine Sache haben muß, wenn 
fie von irgends einem Verſtande deutlich erkannt werden 
fol, Nun wird zu diefer Befchaffenheit weiter nichts er- 
fodert, als daß eine Sache ein Ganzes fey, welches aus 
verfchiedenen Theilen und Beftimmungen zufammengefege 
if. Alles Mögliche Fan vorgeitele werden $. 23. Folge 
lic) Fan alsdenn das Ganze mit feinen Theilen, und dem 
Unterfchiede derfelben, als welcher auch mas moͤgliches ift, 
vorgeftele werden. Die Borftellung einer Sache mit ihrem 
Unterfcheide ift, eine klare Vorſtellung. Folglich Fan ein 
ſolches Ganzes Flar vorgeftele werden, und feine Theile koͤn— 
nen in ihm auch Elar vorgeftelt, und von einander 
unterfchieden werden. ine ſolche Vorſtellung ift deutlich 
S. 627. und es Fan alfo ein folhes Ganze deutlich erfant, 
und begriffen werden. Ein jedwedes mögliches Ding enthält 
das Wefen, weſentliche Stüde und Eigenfchaften F. 66. 67 
die von einander unterfchieden find, Folglich ift ein jedwe⸗ 
des mögliches Ding ein Ganzes, welches viele von einan« 
der verfchiedene Theile in ſich enthaͤt. Und alfo ift alles, 
was möglich ift, an und vor fich betrachtet begreiflich. 
Dasjenige aber ift besiehungsweife begreiflich, welches 
von einem geroiffen Berftande deutlich erkant werden Fan; 
und da ſagt man, daß es demjenigen begreiflic) fey, oder 
von demjenigen begriffen werden fönne, der den Berftand 
beſitzt, durch) welchen es deutlich erfant werden fan, oder 
deffen Kräfte zureichend find, daſſelbe deutlich zu erkennen. 
So fagen wir, daß uns Menfchen etwas begreiflich fey, 
wenn der menfchliche Verſtand vermögend ift, daſſelbe 
deutlich) zu erkennen, 
6. 629. 

Unbegreiflich ift alles dasjenige, was nicht deutlich 
erfant, oder durch ben Verſtand nicht vorgeftelt werden 
fan. Und es ift entweder an und vor fich betrachtet 
unbegreiflich, oder nur beziehungsweiſe. Jenes Er 

ſchlech⸗ 


254 Don dem Derfiande. 


fehlechterdings nicht begriffen werden Fonnen, und es müs 
fte ihm diejenige Befchaffenbeit ‘fehlen, die Dazu erfodert 
wird, wenn ein Ding foll fonnen begriffen werden, Nun 
fehlt, keinem möglichen Dinge, diefe Befchaffenheit $.628. 
Folglich ift, das an und vor fich Unbegreifliche, Nichts 
und fehlechterdings unmöglid,; Sagen, daß etwas an 
und vor fich unbegreiflic) fey, beißt eben fo viel als fagen, 
daß es fehlechterdings unmöglich fey, Und es ift demnach 
ſehr unbedachtfam, wenn es Leute giebt, welche die Ge— 
heimniſſe der Religion, und andere Sachen, die fie für 
wahr und möglich halten, für fehlechterdings unbegreif— 
lich ausgeben, um fie dadurch wunderbarer zu machen. 
Dasjenige aber, was nur besiehungsweife unbegreif- 
lich ift, it zwar an fih gar wohl begreiflich, allein die 
Kräfte eines gewiffen Verſtandes reichen nicht zu, ‚Daffels 
be deutlich zuerfennen. Und da fagt man, daß es demje- 
nigen Dinge unbegreiflich fey, deſſen Berftand es nicht 
deutlich erfennen Fan, und man ſagt auch, daß es über 
den Beritand deffelben Dinges gebe, Da nun der menfch- 
liche Berftand eingefchrenfe ift, fo Fan er nicht alle mög- 
liche Dinge begreifen, Folglich Fönnen viele Dinge an 
fich begreiflich feyn, fie koͤnnen auch wohl von andern end- 
lichen Geiftern, die mehr Verſtand haben, begriffen wer— 
den, undfie fünnen doch den Menſchen unbegreiflich feyn. 
Ja da ein Menfch mehr Verftand haben Fan, als der an- 
dere; fo Fan auch einem Menfchen dasjenige hegreiflich feyn, 
was dem andern unbegreiflic iſt. Was fir ein unver- 
fchämter Stolz ift es alfo nicht, wenn es $eute giebt, die 
dasjenige, was fie nicht begreifen, entweder ganz und gar 
leugnen, oder doch vorgeben, daß es allen Menfchen un: 
begreiflich fen! Gleichfam als hätten fie, das ganze Maaß 
des Verftandes, vonder Natur erhalten. Carteſius bielt 
es für ein Kennzeichen ver Wahrheit einer Sache, wenn 
fie begriffen werden koͤnne. Es ift wahr: alles was be- 
griffen werden fan, ift möglic und wahr; alles was wir 
in der Thatbegreifen, tft auch wahr; was er 

unbe: | 











Don dem Derftande, 255 


unbegreiflich ift, ift falſch: allein wir Menfchen müffen 
niemals fchlieffen, daß dasjenige falfch fey, was wir nicht 
begreifen fonnen, Und da wir uns ofte einbilden koͤnnen, 
als begriffen wir eine Sache, da wir fie doch nicht begrei- 
fen; fo muß man mit groſſer Borfichtigkeit verfahren, wenn 
wir etwas deswegen für wahr halten wollen, weil wir es 
unferer Meinung nad) begreifen, 
— 

Wenn wir die Natur des Verſtandes genauer wollen 
kennen lernen, ſo muͤſſen wir ſeine Wuͤrckung, die Deut— 
lichkeit der Erkenntniß, noch weiter unterſuchen. Nem— 
lich die Deutlichkeit beſteht in der Klarheit des Ganzen, 
und einiger feiner Theile $. 627. Folglich je mehr Theile 
und Merfmale einer ganzen Borftellung Elar erfannt wer: 
den, je fläver, fo wohl der Stärfe als Ausdehnung nad) 
6. 503. die Merkmale erfant werden, defto deutlicher ift die 
Borftellung im Ganzen betrachtet. Folglich giebt es über- 
haupt eine doppelte Arc der DeutlichFeit, oder der deutli- 
chen Erfennmiß. 1) Kine ausgebreitetere Deutlich 
Feit, oder eine Borftellung, die eine ausgedehntere Deut: 
lichfeit hat, oder von welcher mehr Flare und lebhaftere 
Merkmale erfant werden, als von andern deutlichen Bor: 
ftellungen. Geſetzt man hätte von einer Vorſtellung drey 
klare Merkmale erfant, fo ift ſie deutlich. Ihre Deutlich- 
feit aber breitet fich über fie weiter aus, mern man zehn flare 
Merkmale, und die Merkmale felbft lebhafter erkennt. Je 
mehr wir alfo, der Ausdehnung nach, auf eine Vorftel- 
fung im Ganzen betrachtet achtung geben, derfelben nad): 
denken, und fie überlegen $. 511. 514. 517. defto mehr brei- 
tet fich die Deutlichkeit über die Borftellung aus. Ye we— 
niger wir aber, auf das Ganze, achtung geben; oder, 
wenn mir auch genug achtung geben, je weniger wir nad)- 
denken; oder, wenn wir auch genug nachdenken, je meni- 
ger wir es überlegen: deſto weniger ausgedehnt ift und 
wird die Deutlichkeit $. 627. Diejenige Vollkommenheit 
des Berftandes, vermöge welcher er geſchickt ift, eine aus- 

gebrei⸗ 


256 Don dem Derftande. 


gebreitetere Deutlichfeit in der Erfenntniß hervorzubringen, 
heit die Schönheit des Verſtandes. Man erlanget 
diefelbe nach den Regeln der fchönen Wiffenfchaften, als 
welche eben, in Abfiche auf den Verftand, den Zweck ba- 
ben, feine Schönheit zu befördern. Wenn ein fchöner 
Geift eine Sache deutlich erfenne und befchreibt, mit was 
für einem Reichthume, und mit mas für einer Mannig- 
faltigfeit der Merfmale, thut er diefes nicht? 2) Eine 
Deutlichkeit, die der Stärke nach groß iſt, und fie 
beſteht darin, wenn die Merkmale der Stärke nad) fehr 
Elar, und wohl gar felbft auch deutlich find. Dergleichen 
deucliche Borftellungen find, die logiſchen Erflärungen in 
den Wiffenfchaften. Man ficht bey denfelben nicht auf 
die Menge der Elaven Merfmale, fondern man befiehlt in 
der VBernunftlehre ausdrücklich, daß die logifchen Erflä- 
rungen fo wenig Merkmale in ſich enthalten follen, als 
möglich ift. Allein man erklärt dieſe Merkmale wieder, 
und zergliederf fie unendlich weit, bis man auf die allerer- 
ften Begriffe der Menſchen komt. Folglich je ftärfer man 
auf die Merkmale achtung giebt, ihnen nachdenfe, und ein 
jedes derfelben überlegt, und je mehr man dabey von ans 
dern Dingen abſtrahirt $, 511. 514. 517. 519. deſto deuf- 
licher wird die Vorftellung der Stärfe nad) $. 627. Je 
weniger man aber eine dieſer Handlungen, oder mehrere 
derfelben verrichtet, defto weniger deutlich wird die Vorſtel⸗ 
Yung der Stärfenach betrachtet. Diejenige Vollkommenheit 
des Berftandes, vermöge welcher er im Stande ift, einen gröfs 
fern Grad der ftärfern Deutlichfeit in der Erkenntniß zu 
würfen, wird die Tieffinnigfeit des Verftandes genant, 
und vermöge derfelben erlangt man tiefe Einfichten. Die⸗ 
fe Vollkommenheit des Berftandes ift ein Zweck der hoͤhern 
und ernfthaften Wiffenfchaften, indem man in denfelben 
bemühee ift, die Tiefe der Einfichten in die Wahrheiten zu 
befördern. Selten befigt ein Menfch, diefe benden Boll- 
fommenbeiten des DVerftandes, zugleich. Einige haben 
einen fehönen und Eeinen Fiefjinnigen Verſtand, * es 

om⸗ 


Don dem Verftande, 257 


kommen ihnen daher die höhern Wiffenfchaften trocken und 
dunfel vor, und fie verachten diefelben. Andere haben 
einen tieffinnigen Berftand, der gar nicht fehön ift, und 
diefe Leute find gar zu abftracte Köpfe, und fehen die fchös 
nen Wiffenfchaften als eine Tändeley und ein Spielwerf an. 
NER 
Hier läßt fich die berümte Frage unterfuchen : ob der 
menſchliche Verſtand ein reiner Verſtand ſeyn Eönne; 
oder ob er der Reinigkeit fähig fey? Wenn man dieſe 
Frage gründlich entfcheiden will, fo muß man erft bejtim- 
men, was man durch den reinen Verſtand verfteht, Und 
da kan man fich, auf eine doppelte Art, erklären. Einmal 
' Fan man annehmen, daß der reine Verftand ein Ver— 
ſtand fey, welcher eine deutliche Erkenntniß wuͤrkt, die 
gar feine Dunfelbeit und Verwirrung in fich enthält, Und 
die Reinigkeit des Verſtandes würde alfo, vermöge 
diefer Erfläarung, diejenige Bollfommenbeit des Berftan- 
des fen, vermöge welcher er im Stande ift, ganz deut: 
liche Borftellungen zu würfen, die gar nichts finnliches 
mehr enthalten. Gleichwie wie nun das Waffer ganz rein 
nennen, wenn es gar Feine Theile anderer Are in fich ent- 
hält; alfo wird auch diefer Berftand rein genennt, weil in 
feiner Würfung nichts fremdes, Feine Klarheit von ande- 
rer Art, nichts Sinnliches angefroffen wird. Mach die: 
fer Erfiärung Fan, der menfchliche Verftand, unmöglich 
rein feyn und werden: denn unfere allerdeutlichften Vor: 
ftellungen balten viel finnliches in fih $. 525. Da es aber 
Weltweife giebt, welche der hoͤhern Meßkunſt nachrüh- 
men, daß man durch fie einen reinen Berftand befomme; fo 
Fan man von diefer ftrengen Erflärung abgeben, und zunt 
andern, durch die Keinigkeit des Verftandes, einen 
höhern Grad der Tiefjinnigfeit verſtehen. Und je tiefjin- 
niger wir alfo eine Sache einfehen, deſto reiner wäre der 
Berftand, weil um fo viel weniger Ginnlichfeit in der 
Erkenntniß alsdenn zurück bleibt; gleichwie wir das Waſ— 
fer ſchon rein nennen, wenn es nur niche merklich viel 
3. Theil. R fremde 





258 Von dem Derftande. 


7 


fremde Theile in ſich enthält. Mach dieſer Erklaͤrung kan 
man nicht eher entfcheiden, ob der menfchliche Verſtand 
rein feyn Fan, bis man fich darüber verglichen hat, welchen 
Grad der Tieffinnigfeit man ſchon eine Reinigkeit des Ver— 
ftandes nennen will. Geſetzt man fage, es fen fehon ein Be: 
weiß der Reinigfeit des Verſtandes, wenn man eine Bor: 
ftellung zwanzigmal zergliedern fan; fo muß man es pro— 
biren, ob man vermögend fey, in die Merkmale einer Bor: 
ftellung fo tief einzudringen, oder nicht ? 


$. 632. 

Ueberhaupt müffen, die verfchiedenen Grade und Boll 
fommenheiten des Verſtandes, nach folgenden Regeln beur: 
theilt werden: 1) je mehrere und mannigfaltigere Dinge 
wir deutlich erkennen fünnen, deſto groͤſſer iſt der Ver— 
ſtand. Wer nur wenige Dinge, oder nur Dinge von ei— 
ner gewiſſen Art, deutlich erkennen kan, deſſen Berftand 
ift in fehr enge Grenzen eingefchloffen. 2) Je gröffer und 
wichtiger die Dinge find, die wir deutlich erkennen Fönnen, 
und je wichtiger die Merfmale find, die wir an den Din- 
gen entdecken, defto gröffer ift unfer Verstand. Ein Ver— 
ftand, der ſich nur mit unerheblichen Kleinigkeiten befchäf: 
tiget, muß nothwendig klein ſeyn. 3) Je fehöner der Ber: 
ftand ift, deſto geöffer ift er $. 630. 4) Se tieffinniger 
er iſt; defto groͤſſer iſt er $. 630. 5) Je mehrere und ſtaͤr— 
kere Vorſtellungen von anderer Art, vor der Wuͤrkſam— 
keit des Verſtandes, hergehen, oder mit ihr zugleich da 
ſind, deſto groͤſſer und ſtaͤrker iſt der Verſtand, wenn er 
dieſer Hinderniſſe ohnerachtet wuͤrken kan. Ein ſchwacher 
Verſtand muß die Stille in der Seele abwarten, wenn er 
wuͤrkſam ſeyn will. Und 6) je geſchwinder der Verſtand 
die Deutlichkeit hervorbringen kan, und je leichter ſie ihm 
wird, deſto groͤſſer iſter. Ein ſchwacher Verſtand arbei— 
tet ſehr langſam, es wird ihm ſehr ſauer, und er ermuͤdet 
ofte, ehe er ſein Geſchaͤfte zu Stande gebracht hat. Es 
iſt aus dieſem allen klar, daß die Grade des Verſtandes, 

von 





Don dem Derftande. 259 


von den Graden der Aufmerffamfeit, des Nachdenkens, 
der Ueberlegung und der A abhangen $. 627. 


§. 

Wir ſagen, daß wir en Derftand brauchen, 
wenn wir Durch denfelben die Deutlichfeir in der Erkennt— 
niß würfen. Es wird überhaupt eine jedwede Kraft ge: 
braucht, wenn die Accidenzien würflich werden, die durd) 
diefelbe Kraft möglich find. Folglich brauchen wir ein 
Erfenntnißvermögen, wenn wir die Erfenntniß und die 
Art derfelben wuͤrklich machen, welche durch daffelbe in der 
Seele möglid) find. So ofte wir alfo deutlich denfen, fo 
ofte brauchen wir unfern Berftand. Und durch den Ge— 
brauch des Derftandes verfteht man, die Fertigkeit in 
der deutlichen Erkenntniß. Nun Fan man freylich nicht 
behaupten, daß Diefer Gebrauch bey allen Geiftern eine er- 
langte Fertigkeit fen; fo viel aber ift gewiß, daß bey uns 
Menfchen Berftand nicht vor den Sahren fomme, und 
daß wir nach und nach durch Uebungen zum Gebrauch des 
Berftandes gelangen $. 627.575, Nun fan man, einen 
vierfachen Grad des Gebrauchs des Berftandes, von ein- 
ander unterfcheiden. x) Wenn in dem Inbegriffe aller 
Borftellungen, die wir in einem Augenblicke haben, und 
alfo in derjenigen ganzen Borftellung, auffer welcher Feine 
andere Vorstellung in der Seele in einem gewiffen Augen- 
blicke angetroffen wird, Deutlichfeit if. Und die ift fo 
ofte da, fo ofte wir auch nur zweyer Vorftellungen, die 
mir zugleich haben, uns bewußt find; denn alsdenn ent: 
hält, unfere dermalige ganze Vorſtellung, einige Elare 
Theile, und ift alfo deutlich. 2) Wenn aufferdem, in 
unferer ganzen Borftellung, eine oder mehrere Borftellun: 
gen als Theile angetroffen werden, die vor fich deutlich) 
find. Alsdenn wird fhon mehr Berftand dazu erfodert, 
weil in diefem Falle eine Deutlichfeit im Ganzen, und in 
einem oder mehrern Theilen deffelben zugleich angetroffen 
wird. Hieher gehoͤrt, wenn wir z. E. einen Menſchen, 
ein Hauß, einen Baum, deutlich vor uns fehen. 3) Wenn 

R 2 mir 


260 Don dem Verftande, 


wir abftracte Begriffe und allgemeine Wahrheiten es 
erfennen, fo brauchen wir unfern Berftand in einem no 
hoͤhern Grade, weil diefe deutliche Erfennenig ohne Tief- 
finnigfeit nicht möglich ift $. 630. Und 4) wenn wir die 
wefentlichen Stuͤcke und Eigenfihaften der Dinge erfennen, 
und in ihnen von einander unterfcheiden. Dazu wird der 
gröfte Verftand erfodert. Die untern Erkenntnißfräfte 
jtellen uns nur, das Würflihe von den Dingen diefer 
Welt, vor, und folglich die zufälligen Befchaffenbeiten und 
Berhältniffe, und es gehört nicht viel Kunft dazu, in Dies 
fer Erkenntniß Deutlichkeit zu erlangen, Allein wer das 
Weſen, die wefentlichen Stüfe, und die Eigenfchaften 
eines Dinges erfennen, und von einander unterfcheiden Fan, 
der erkennt das Wichtigfte von denfelben, und bemeißt eine 
geoffe Stärfe des Berftandes, ja den höchften Grad des 
Gebrauchs deffelben, 
$. 634 
Aus der bisherigen Theorie laffen fich, einige Zuſtaͤn— 
de und Befchaffenbeiten des menfchlichen Gemuͤths, erklaͤ— 
ren, welche fehr merkwürdig find, Wir fehen aus der Er- 
fahrung, daß der Gebrauch des Verſtandes bey uns exit 
mit den Jahren Fomt, und daß es verfchiedene Grade Dies 
fes Gebrauchs giebt $. 633. Folglich lehrt die Erfahrung, 
daß nach der Geburt es eine geraume Zeit währt, ehe der 
Menfch zu einem merflichen Gebrauche des Verſtandes ges 
langt. Endlich merft man, daß ein Menfch eine Fertige 
feit befomt, feinen Verſtand zu gebrauchen, weil er jich 
Dadurch Aauffert, Daß er reden! lernt, So lange nun der 
Menfch noch nicht einen fo groffen Gebrauch des Verſtan— 
des erlangt bat, als zum Reden erfodert wird, fo lange 
wird er eigentlich ein Kind genennt. Man braucht das 
Wort auch in einer weitern Bedeutung, wenn die Eltern 
ihre Rinder nennen, fie mögen fo alt und verftandig feyn, 
als fie wollen. Hier aber verftehen wir das erfte Alter 
eines Menfchen, welches man die Kindheit nennt. Nun 
giebt es in dem gemeinen Leben der Menfchen gewiſſe wich- 
tigere 


Don dem Perftande, 261 


tigere Gefchäfte, 3. E. Heyrathen, eine Haushaltung füh: 
ven, DBerfräge errichten, Kinder erziehen und dergleichen, 
welche, ohne einem gemwiffen geöffern Grade des Gebrauchs 
des Berftandes, nicht gehörig verrichtet werden koͤnnen. 
Wer nun no nicht einen fo groffen Gebrauch des Ver— 
ftandes erlange-hat, als zu der gehörigen Verrichtung die- 
fer Gefchäfte gewöhnlicher Weiſe erfodert wird, der wird, 
unmündig genennt; wer aber einen fo groffen Gebrauch des 
Berftandes erlangt bat, als dazu nöthig ift, Der heißt 
mündig. Wir nehmen bier diefe Wörter in einer Ber 
deutung, die fich auf die Natur felbft bezieht, und da Fan 
der eine Menfch viel eher mündig werden, als der andere. 
Ja es ift möglich, daß mancher Menfch, und wenn er 
auch noch) fo alt werden folte, doch niemals in diefem Le— 
ben mündig wird. Es haben demnach die’ bürgerlichen 
Geſetze bier einen allgemeinen Durchſchnitt machen müffen, 
indem fie die Mimdigfeit und den Anfang derfelben in ein 
gewiſſes Jahr des menfchlichen Alters gefegt, und alsdenn 
Fan jemand nach den bürgerlichen Geſetzen mündig ſeyn, 
der es natürlicher Weife noch nicht ift, und unmündig, der eg 
natürlicher Weife ſchon längft nicht mehr geroefen iſt. Wer 
einen merflich Eleinern Gebrauch des Verſtandes hat, als 
die allermeiften, die ihm am Alter gleich find, der wird 
einfältig im böfen Verftande genennt. Die Natur 
beobachtet, eine gewiſſe Art der Gleichheit. Die meiften 
Menfchen von einem und eben demfelben Alter haben, ohn- 
gefebr einen gleichen Grad des Verſtandes. Wer nun 
hier merklich zurück bleibe, der ift ein einfältiger Tropf, 
und er unterfcheidet fich fo augenfcheinlich, daß er das Ziel 
des Hohngelächters aller derjenigen ift, die mit ihm von 
gleichem Alter find. Und endlich nennen wir einen Men- 
fhen wahnwitzig, bey welchen man gar feinen, oder 
bey nahe feinen Gebrauch des Berftandes bemerkt, in ei- 
nem Alter, in welchem er ſich doch ſchon ben den, allermei+ 
ſten Menfchen merklich aͤuſſert. Solche Menfchen bleibe 
Rt 


Kin⸗ 


262 Don der Dernunft. 


Kinder fo lange fie leben, und man nennt fie aud) $eure, 
die nicht recht bey Sinnen und bey Verſtande find. 


\ 
DEREK ER KK FE TE KH FE FR FE FEN 


Der andere Abfehnit, 
Bon der Vernunft. 


| $. 635. 

(is fommen wir zu dem legten Erfenntnißvermögen, 
welches wir in unferer Seele entdecken koͤnnen, und 
welches man die Crone aller übrigen nennen Fan, weil fie 
färntlich zu demſelben zufammenftimmen. Damit wir nun 
die Bernunft recht Fennen lernen, fo müffen wir vorher be» 
merfen, daß einige Erfenntnißvermögen in unferer Seele 
angetroffen werden, die zwar der Vernunft ähnlic) find, die 
aber mit verfelben nicht verwechfele werden müffen. Nem— 
lich es lehrt die Frfahrung, daß wir den Zufammenbang 
vieler Dinge einſehen. So ofte wir ung eine Sache als 
einen Grund und eine Urfach, als eine Folge und Wuͤr— 
fung, oder als etwas welches mit einer andern in einem 
Berhältniffe ſteht, vorftellen: fo ofte ftellen wir uns, einen 
Zufammenhang, vor. Folglich haben wir ein Erfenntnißs 
vermögen, durch welches wir die Verbindungen der Dinge 
einfehen. Durch diefes Vermögen verknüpfen wir nice 
nur, unfere eigene Borftellungen, mit einander, und leiten 
eine aus der andern her, das ift, wir ftellen uns vor, daß 
die eine in der andern gegründet fen; fondern wir verfnüpfe 
fen dadurch auch die Gegenftände unferer Borftellungen, 
und fehen ihre Verbindungen ein. Ein Schluß ift eine 
Erfenntniß des Zuſammenhangs einer Borftellung mit an. 
dern Borftellungen; und wir fchlieffen eine Borftellung aus 
der andern, in fo ferne wir erfennen, daß jene in dieſer ge— 
gründer ift, Folglich ift, unfer Bermögen den Zufammen- 
bang der Dinge zu erkennen, nichts anders, als ein Ver— 
mögen Schlüffe zu machen.  Diefes Vermögen ift a 
nichts 





Don der Vernunft, 268 


nichts anders, als die Aufmerkfamkeit auf die Berbinduns 
gen unferer Borftellungen, und ihrer Gegenftände $. 50. 
Und da alle Dinge in der Welt, in einem allgemeinen Zu— 
fammenhange, mit einander ftehen $. 319. fo erfennt die 
Seele, wenn fie die Welt betrachtet, aud) den Zufammen- 
hang vieler Dinge. Folglich wird, diefes Erkenntnißver— 
mögen, durd) Feine andere Kraft der Seele gewürft, als 
durch die Vorſtellungskraft, durd; welche fie fich die Welt 
nad) der Stellung ihres Leibes vorftelt $.-488. Und da 
Dinge mit einander verbunden find, wenn das eine den 
Grund von dem andern in fich enthält 9. 28. fo Fan unfere 
Seele den Zufammenhang zweyer Dinge nicht anders ers 
kennen, als wenn fie in dem einen fich erwas vor, 
ftelt, aus weichem fie erkennt, warum das andere 
eben fo und nicht anders if. Und das ift die Regel, 
wonach fid) diefes unfer Vermögen natürlicher Weife rich» 
tet, wenn es den Zuſammenhang unferer Borftellungen und 
ihrer Gegenftände erkennt. 
$. 636. | 
Wenn wir uns den Zuſammenhang unferer Borftel« 
fungen und ihrer Gegenftände vorftellen, fo thun wir dieſes 
entweder auf eine deutliche, oder auf eine undeutliche, dun⸗ 
fele und verworrene Art 6. 455. Daß mir das legte thun, 
beftätiget unleugbar die Erfahrung. Wer ftelt fich nicht 
vie Wärme, als eine Würfung des Feuers, vor? Allein 
wie wenige £hun diefes manchmal deutlich ? Wenn id) ges 
wohnt bin, des Morgens um ſechs Uhr aufzuftehn, und id) 
höre die Uhr fechfe fhlagen, fo denfe ich: alfo ift es Zeit 
aufsuftehn. Wer leitet den legten Gedanken täglich, auf 
eine deutliche Art, aus der Borftellung ver Zeit her? Folg- 
lich haben wir Erfenntnißvermögen, wodurd) wir uns, Die 
Berbindungen unferer Vorftellungen und ihrer Gegenftäns 
de, undeutlich vorftellen, und die werden die vernunft- 
ähnlichen Erkenntnißvermoͤgen genannt, oder fhlechr« 
weg, das Vernunftähnliche, weil fie darin der Vernunſt 
ähnlich find, daß fie fih mit der Erkenntniß des Zufam- 
NR 4 mens 


264 Don der Vernunft. 


menbangs befchäftigen.. Wenn mir eine Borftellung aus 
andern auf eine undeutliche Art herleiten, fo machen wir 
undentliche, finnlihe, dunfele, verworrene Schlüffe, 
Und da müffen, zu den vernunftähnlicdyen Erfenntnißver« 
mögen unferer Geele, folgende gerechnet werden : der 
finnlihe Witz 9.574. Es erkenne ja derfelbe die Ueberein- 
ſtimmungen der Dinge; nun ftehen aber alle Dinge, in fo 
ferne fie mit einander übereinftimmen, einander ähnlidy und 
gleich find, in einem Zufammenbange $. 214. 2) Die 
finnlihe Scharffinnigkeit $. 574, denn durd) diefelbe erfen- 
nen wir die Berfchiedenheit der Dinge, und alle Berfchie- 
denheit ift ein Zufammenhang. 3) Das finnliche Gedächt« 
niß, denn es ift daffelbe eine Art des Wißes $. 578. 579 
4) Das finnlihe Dichtungsvermögen $. 588. denn es ift 
eine Art des Wißes $. 587. 5) Das ſinnliche Beurtheis 
Iungsvermögen und der Gefchmad, denn alle Bollfommen- 
heit und Unvollfommenheit beruhet auf dem Zufammen: 
hange des Mannigfaltigen, welches zu einer Nealität zu— 
fammenftimet $. 617. 619. 6) Die Erwartung ähnlicher 
Fälle, und die finnliche Vermuthung, denn fie ift eine Arc 
Des Wißes $. 610. Und 7) das finnliche Bezeichnungs- 
vermögen, denn es ftelt uns den bezeichnenden Zufammen- 
bang vor $. 622. Gemeiniglich verftehen die Weltweifen, 
durd das Bernunftähnliche, bloß die Erwartung ähnlicher 
Fälle, Ohne Zweifel ift diefes Vermögen das vornehmfte 
Stüd des Vernunftähnlichen, weil es in unendlich vielen 
Fallen unter den Menfchen, und bey den unvernünftigen 
Ihieren, die Stelle der Vernunft vertrit. Allein man 
würde ohne genungfamen Grund, die übrigen angeführten 
Erfenntnißvermögen, von dem Vernunftaͤhnlichen aus— 
ſchlieſſen. 
637. 


Nun lehrt uns auch die Erfahrung, daß wir uns ofte, 
die Verbindungen unſerer Vorſtellungen und. ihrer Gegen⸗ 
ſtaͤnde, deutlich vorſtellen. So koͤnnen wir ofte deutlich er— 
kennen, wie eine Urſach ihre Wuͤrkung hervorbringt, und 

wie 





Don der Dernunft. 265 


wie eine Vorftellung aus der andern fließt. So Fonnen 
wir uns deutlich voritellen, daß alle Dinge einen Grund 
haben, und wir erfennen alfo, daß dieſes Präpdicat allen _ 


- unter dem Subjecte enthaltenen Dingen zufomme, Wenn 


wir ung nun auch deutlich vorftellen, daß GOtt ein Ding 
fey, oder mit zu diefem Subjecte gehöre; fo erkennen wir 
deutlich, daß, um diefer beyden Wahrheiten willen, anges 
nommen werden muͤſſe, daß GOtt aud) einen Grund habe, 
Es it demnach Elar, daß wir ein Vermögen befißen, den 
Zufammenhang unferer Borftellungen und ihrer Gegenſtaͤn⸗ 
de deutlich zu erfennen, und Diefes Vermögen wird die 
Vernunft genannt. Manche erflären die Vernunft, durch) 
die Einfiche in den Zufammenhang der Wahrheiten. Als 
lein diefe Einfiche ift zwar eine Würkung der Vernunft, 
wir fonnen aber auch Jerthuͤmer und falfche Borftellungen 
deutlich mit einander verfnüpfen. Und wenn man durd) 
die Bernunft das Vermögen verfteht, den Zufammenhang 
allgemeiner Wahrheiten deutlich einzufehen ; fo ift diefes 
Bermögen ohne Zweifel eine höhere Art der Vernunft $. 
633. Allein man Fan nicht die ganze Vernunft in fo enge 
Grenzen einfchrenfen, weil man ofte vernünftige Ueberle— 
gungen anſtelt über Dinge, bey denen man Feine allgemeine 
Wahrheit denft. Mac) unferer Erklärung iſt alfo die Vers 
nunft eine Art des VBerftandes, und der Verſtand, in fo 
ferne er den Zufammenhang der Borftellungen und Dinge 
erkennt, ift die Vernunft $. 626. Es wird demnach die 
Vernunft nicht nur, durch die Vorftellungskraft der Welt 
in der Seele, gewürft $. 635. 627. fondern es ift auch Elar, 
daß, die natürliche Kegel der Vernunft, in der Verbindung 
der Regel des Berftandes $, 627. mit der Kegel des Ber 
mögens ben Zufammenhang zu erfennen $. 635. beftehe, 
Und eben die Gründe, um welcher willen wir, in dem vor: 
bergehenden Abfage, verfchiedene untere Erkenntnißvermoͤ⸗ 
gen zu dem DBernunftähnlichen gerechnet haben, nöthigen 
uns auch bier zu fagen: daß der vernünftige Wis $. 574. 
die vernünftige Scharffinnigkeit $. 574. das vernünftige 

R 5 Gedaͤcht— 


256 Von der Vernunft. 


Gedaͤchtniß $. 578. das vernünftige Beurtheilungsvermoͤ⸗ 
gen $, 619, das vernünftige Dicytungsvermögen $. 588. 
die Borfehung $. 612. und das vernünftige Bezeichnungs» 
vermögen $. 622. gemwiffe Arten der Vernunft find. Und 
es ift demnach die Vernunft, ein fehr zufammengefegtes 
Bermögen unferer Seele 6. 170, 

1638. 

Wir nennen alles dasjenige vernünftig, oder der 
Vernunft gemäß, was durd) irgends eine Bernunft erfannt 
werden Fan; oder was bie Befchaffenheit hat, die eine Sa— 
che haben muß, wenn fie von einer Vernunft erfannt und 
eingefehen werden fol. Nun bejteht dieſe Befchaffenbeit 
darin, daß eine Sache in der That in einem Zufammenhans 
ge ftehe, einen Grund habe, oder eine Folge, oder beydes 
zugleih. Denn, ift in einem Dinge ein Zufammenhang, 
oder ſteht es in einem Zufammenhange, fo fan aud) diefer 
Zufammenhang deutlich erfannt werden $. 628. und folg— 
lid) ift es ein Gegenftand der Vernunft $. 637. Da nun 
alle mögliche Dinge in einem: doppelten Zufammenhange $. 
37. und alle Dinge in einer Welt in einem allgemeinen Zus 
fammenhange ftehen $. 3194322, ja da, in einem jedweden 
möglidyen Dinge, ein allgemeiner Zufammenhang ift $. 57- 
fo find alle mögliche Dinge, und alle Wahrheiten, ver» 
nünftig, oder der Vernunft gemäß. Unvernuͤnftig, oder 
wider die Dernunft ift dasjenige, was durch gar feine 
Vernunft erfannt werden Fan; und das ift allemal ſchlech— 
terdings unmöglih. Das Linvernünftige muß entweder in 
gar Feinem Zuſammenhange ftehen, und feinen Zufammen- 
bang in ſich enthalten, und es muß ihm alfo diejenige Ber 
ſchaffenheit fehlen, die ein Dina zu einem Gegenftande der 
Vernunft macht, und alsdenn ift e8 ohne Zweifel was un- 
gereimtes; oder fein Zuſammenhang muͤſte fchlechterdings 
unbegreiflic) feyn, und auch alsdenn ift es was ungereim- 
tes 9.639. Da biefes Wort ein fo harter Ausdrud if, 
fo würde es unverantwortlich feyn, wenn wir dasjenige un 
vernünftig nennen mwolten, was durch diefe oder jene we 

nunft 








Von der Vernunft. 267 


nuaft nicht erfannt werden fan. Alsdenn wären alle Ge- 
heimniſſe der Religion unvernünftige Sachen, weil wir fie 
durch unfere Vernunft nicht begreifen koͤnnen. Folglich 
wenn wir durch unfere Bernunft etwas richtig erfennen, fo 
fönnen wir es allemal für vernünftig halten. Allein um 
etwas für unvernünftig auszugeben, ift es nicht hinlaͤng⸗ 
lid) zu beweifen, daß wir Menfchen durch unfere Vernunft 
daffelbe nicht einfchen Fonnen; fondern wir müffen erweis 
fen, daß es fchlechterdings unmöglid) und ungereimt fey. 
Alsdenn fönnen wir getroft behaupten, daß es der Vernunft 
zuwider fey. 
$. 639. | 

Es gibt Leute, welche die Geheimniffe der Religion, 
und andere Sachen, die fie mit ihrer Vernunft nicht be 
greifen Fönnen, für Sachen ausgeben, die wider die Vers 
nunft laufen. Da fie aber dadurch nichts weniger fagen 
wollen, als daß ſolche Sachen ungereimte und fhlechters 
dings unmögliche Dinge find : fo verwechfeln fie das Un— 
vernünftige mit demjenigen, was über die Vernunft geht. 
Nemlich da Feins unferer Erfenntnißvermögen allwiffend 
feyn fan, fo hat ein jedwedes einen eingefchrenften $Er- 
kenntnißcreiß, wie unfer Geficht in den Gefichtscreiß ein- 
geſchloſſen ift, und es begreift derfelbe alle diejenigen Sa- 
chen in fid), welche durd) ein jedes unferer Erkenntnißver— 
mögen erfannt werden fönnen und müffen. Folglich bat 
auch unfere eingefchrenfte Bernunft einen gewiffen Erfennt- 
nigcreiß, welcher freylich nicht alle mögliche Dinge in fic) 
begreift, fondern nur diejenigen, die wir vernünftig erken— 
nen fönnen und follen. Was nun von unferer Vernunft 
nicht erkannt werden Fan und foll, das ift auffer dem 
Creiffe unferer Dernunft. Nun gehören dahin dreyer« 
ley Sachen. Einmal diejenigen, die über unfere Ver— 
nunft geben, und dahin gehören alle diejenigen Dinge, 
die wir gar nicht vernünftig erkennen fünnen, und wenn wir 
unfere Kräfte auch) noch fo fehr anftvengen folten: denn un- 
fere Bernunft iſt dazu zu ſchwach. In folchen Dingen Fan 

| man 


268 Don der Vernunft. 


man Feine Unmöglichkeit entdecken, man fan aus richtigen 
Gründen ofte wiſſen, daß fie möglich find; allein man Fan, 
ihre Möglichkeit und Wahrheit, nicht deutlich in ihrem 
innerlichen Zufanmenhange einfeben, dahin z. E. die Ge— 
Beimniffe der Religion gehören. Zum andern Diejenigen, 
die unter unfere Dernunft erniedriger find. Solche 
Dinge Fönnten wir vernünftig erkennen, allein es würde 
unnoͤthig und unnüß feyn, ja es würde der Vollkommen— 
beit unferer Vernunft zumider laufen, wenn wir fie mit 
dieſen Kleinigkeiten befchäftigen wolten : denn wir würden 
darüber verſaͤumen, fie mit nöthigern, nüglichern und wuͤr— 
digern Gegenftänden zu befchäftigen. Die Gelehrten ver 
ſehen es hierin ofte, wenn fie in den Wiflenfchaften Klei— 
nigfeiten unserfuchen. Und da ein Menſch mit feiner Ders 
nunft nicht alles begreifen fan, was alle Menfchen mit ih: 
rer Bernunft zufammengenommen einſehen; fo Fan eg Drit= 
tens Sachen geben, die zwar nicht über die Vernunft eines 
gewiſſen Menfchen erhöhet find, Die auch nicht für feine 
Vernunft zu fehlecht find, die aber dennoch auffer dem 
Greiffe feinee Vernunft angetroffen werden, weil er durch 
ihre Unterfuchung dasjenige vernünftig zu erfennen verfäus 
men würde, was er durch feine Vernunft erfennen fol, 
Wenn jemand z. E. ſich auf die Weltweisheit legt, fo iſt 
die Arznengelahrheit auffer dem Ereiffe feiner Vernunft, 
Folglich Ean es ſehr viele ja unendlich viele vernünftige und 
vernunftmäßige Sachen geben, die über die Vernunft eis 
nes Menfchen erhöhet, oder unter diefelbe erniedriget find, 
oder doch auffer dem Creiffe feiner Vernunft angetroffen 
werden, die aber demohnerachtet nicht unvernünftig find. 
6.658. Wie abgeſchmackt handeln alfo nicht diejenigen, 
welche alles dasjenige für unvernünftig ausgeben, was fie 
mit ihrer Vernunft nicht einfehen, oder mit derfelben niche 
einfehen koͤnnen? Solche Leute halten fich für ſtarke Gei— 
fter, und verrathen doch eine lächerliche Schwäche ihrer. 
Vernunft, 


S, 640. 


Von der Vernunft. 269 


$. 640. 

Da die Vernunft nichts anders als der Verftand ift, 
in fo ferne er fich mit der Erfenneniß des Zufammenhangs 
der Dinge befchäftiger $. 637. fo ift die DBernunft um jo 
viel geöffer und vollfommener, je gröffer und vollfomme- 
ner dieſer Verſtand iſt. Es fünnen demnad), die Grave 
der Bernunft, eben fo beftimt werden, als die Grade des 
Berftandes $. 632. Und es gibt fonderlich, eine vierfache 
merfwürdige Bollfommenbeit der Bernunft. 1) Die 
Schönbeit der Dernunft, oder die ſchoͤne Vernunft, in 
fo ferne fie den Zuſammenhang der Dinge, mit einer weit 
ausgedehnten Deutlichfeit, erfennt $. 630. 2) Die Rei: 
nigkeit der Vernunft, oder die reine Vernunft, in ſo ferne 
ſie einen Zuſammenhang, ohne merklich viele Sinnlichkeit, 
deutlich einfieht $. 651. 3) Die Gruͤndlichkeit der 
Vernunft, in ſo ferne ſie eine Sache in einem groſſen Zu— 
ſammenhange, oder in ihrer Verbindung mit ſtaͤrkern und 
entferntern Gründen einſieht. So ſchreibt man einer Wif: 
fenfchaft eine Gründlichfeie zu, wenn fie die Wahrheiten 
demonftrirt, das ift, wenn fie diefeiben aus den erften 
Gründen berleitet, und wenn die Gründe fie fo ftarf be- 
mweifen, Daß fie dadurch unumftößlich gewiß werden, 
4) Eine erfindungsreiche Vernunft, in fo ferne fie 
vieler Dinge Verbindungen, und eines Dinges viele und 
mannigfaltige Verbindungen, mit fehr vielen und mannig= 
faltigen Gründen einfieht. So fihreibt man einem Ge— 
lehrten eine folche Bernunft zu, wenn er viele Beweisgruͤn— 
de der Wahrheiten ausfpühren, und eine Wahrheit aus 
vielen und mannigfaltigen Gründen bemweifen Fan. 

$. 641. 

Vernunftſchluͤſſe find diejenigen Vorftellungen, 
die von der Vernunft gewuͤrkt werden. Folglich find eg 
deutliche Vorftellungen des Zufammenhangs der Borftel- 
lungen; oder wenn wir eine Borfteflung aus andern Vor— 
ftellungen deutlich herleiten, fo machen wir Bernunftfchlüf 
fe $. 637. Es find demnach, nicht alle Schlüffe, Ver— 


nunft⸗ 


270 Von der Vernunft. 


nunftſchluͤſſe $. 635. 636. und die Vernunftlehre zeigt aus- 

fuͤhrlich, wie ein Vernunftſchluß zu einer ſolchen Voll— 
kommenheit gebracht werden koͤnne, daß er den Namen ei- 

nes gelehrten und logiſchen Vernunftſchluſſes verdiene. In 
ſo ferne wir vernuͤnftig ſchlieſſen, in ſo ferne brauchen 
wir unſere Vernunft, und der Gebrauch der Ver— 
nunft iſt die Fertigkeit die Vernunft zu gebrauchen, wel— 
che bey uns Menſchen eine durch Uebung mit der Zeit er— 
langte Fertigkeit iſt F. 633. Die Verbeſſerung der Der: 
nunft beſtehet darin, wenn man die Vernunft groͤſſer und 
vollkommener macht; und man ſagt auch, daß man als— 
denn die Vernunft anbaue, a nun diefes allemal ge— 
fchieht, wenn man die Bernunft vecht gebraucht; fo ver: 
beffert man, durch eine jediwede gelehrte und philofophifche 
Erfenntniß einer würdigen Wahrheit, Die Vernunft, weil 
man alsdenn allemal eine wichtige Sache in ihrem Zuſam— 
menhange deutlich einſieht. Daher alle Wiſſenſchaften, 
und alle Theile der Gelehrſamkeit, wenn ſie die gehoͤrige 
Vollkommenheit haben, Mittel ſind, die Vernunft anzu— 
bauen und zu verbeſſern. Nun ſind unſere Vernunſtſchluͤſ— 
fe, wie alle Arten unferer Erkenntniß, entweder wahr oder 
falfch $. 489. Folglich fchließt unfere Vernunft entweder 
richtig, oder fie fchließt Falfch. In fo ferne fie das erfte 
ehut, wird fie die gefunde Dernunft genennt, in fo ferne 
fie aber das legte thut, heißt fie die Franfe oder verdorbes 
ne Dernunft. Diejenigen, welche die Vernunft durch. 
eine Einficht in den Zuſammenhang der Wahrheiten er- 
Elären, wollen nicht zugeben, daß es eine verdorbene Ver— 
nunft gebe, Allein das ift ein bloffer Wortftreit $. 637. 
und die Erfahrung lehrt leider zur Genüge, mie fehr fich 
die Menfchen, und fogar die Weltweifen und Gelehrten, 
in ihren DBernunftfchlüffen verirren. So viel_aber ift 
klar, daß es lächerlic) fen, wenn man, alle Irrthuͤmer 
der Menfchen, der verdorbenen Vernunft zur Laſt legen 
will, Es thun diefes die Feinde der Vernunft, welche 


alles auffuchen, um die Vernunft anzufchwärzen, Alle 
? b- 





EL. 


Don der Vernunft. 271 


Abfcheulichfeiten des Heydenthums und des Aberglaubens 
follen, Geburten der verdorbenen Bernunft, feyn. Allein 
folche Leute verrathen einen groffen Mangel der Scharffin- 
nigfeit, indem fie Dinge mit einander vermechfeln, die 
doc) fehr verfchieden find. Alle unfere Erfenntnißfräfte 
Fonnen irren, und das Vernunftaͤhnliche Ean falfch ſchlieſ— 
fen $. 636. Ja man Fan fagen, daß die meilten Irrthuͤ— 
mer der Menfchen von dem Bernunftäbnlichen entſtehen, 
und daß die Vernunft an denfelben unfchuldig fey. So 
viel aber ift gewiß, daß, gleichwie eine falfche Kegel zu 
fhlieffen, wenn man fie für wahr annimt, die Bernunfe 
verdirbt, indem fie diefelbe zu falfchen Bernunftfchlüffen 
verleitet; daß alfo au) ein Irrthum des Vernunftaͤhnli— 
chen die Vernunft verderben koͤnne, wenn man denfelben 
als einen Grundſatz annimt, aus mweldyem man andere 

leinungen deutlich herleitet, So verleitet uns z. E. das 
Bernunftäbnliche, dasjenige für gut zu halten, was unſe— 
rer Sinnlichfeit angenehm ift. Wenn man nun diefes als 
eine ausgemahte Sache annimt, fo Fan fogar die Ver— 
nunft eines Weltweifen fic) fo weit vergehen, daß fie durch 
einen deutlichen Beweis überzeugt zu feyn glaubt, daß die 
mwollüftigften Handlungen tinfchuldig fern. Man Fan daher 
die Bernunft eine fleiſch liche Dernunft nennen, wenn 
fie in ihren practifchen Schlüffen aus ſolchen Grundfägen 
ſchließt, die falfch find, und der Sinnlichkeit wahr zu feyn 
fheinen. Die gefunde Vernunft ift ein Tribunal, an 
roelches alle Menfchen in ihren gelehrten Streitigkeiten, 
appelliven. Ein jeder denft, er habe die gefunde Vernunft, 
weil der Irrende niemals, fo lange ev irret, fieht, daß er 
ivret. Allein es ift eine fehrwere Srage, wo die gefunde 
Vernunft auf dem Erdboden angetroffen werde? 

$. 642. 

Wir haben bisher die Bernunft als ein Erfenneriß- 
vermögen betrachtet, welches in einem denfenden Wefen 
angervoffen wird. Man braucht Diefes Wort aber auch 
noch in einer andern merfwürdigen Bedeutung, und ver- 

ſteht 


272 Von der Vernunft. 


fteht darunter den Gegenftand der gefunden Vernunft. 
Seibnig erflärt Daher Die Vernunft durch eine Kette der 
Wahrheiten, und wenn man DBernunft und Erfahrung 
und Offenbarung GOttes von einander unterfcyeidet, fo 
braucht man das Wort in Ddiefer Bedeutung. And da 
fan man die Vernunft, auf eine doppelte Art, erklären. 
Einmal fan man darunter den Inbegrif aller wahren Ver— 
nunfefchlüffe verftehen, oder aller allgemeinen Wahrheiten, 
welche in einen deutlichen Zuſammenhang gefeßt werden 
koͤnnen. Und nad) diefer Erflärung gehören alle allge= 
meine Wahrheiten, felbft die von GOtt geoffenbarten, zu 
der Bernunft, Zum andern ift es beffer, wenn man dar— 
unter den Zuſammenhang aller derjenigen allgemeinen 
Wahrheiten verjteht, die von den endlichen Geiftern, in- 
fonderheit von den Menfchen, natürlicher Weife erfannt 
werden koͤnnen. Und fo pflege man weder die willführliz 
chen bürgerlichen Gefege, noch die geoffenbarten Wahrbeis 
ten der Schrift, zur Vernunft zu rechnen. Wer alfo 
Bernunft und Dffenbarung einander entgegenfeßt, Der ver 
ftehe entweder Durch jene das Erkenntnißvermoͤgen, wo— 
von wir bisher gehandelt haben, oder nicht. Thut er das 
erite, fo handelt er ungereimt. Denn diefe Vernunft Fan 
und muß nicht nur die Offenbarung GOttes, und die das. 
rin enthaltenen Wahrheiten, in ihrer Verbindung deutlich 
einfeben ; fondern die Dffenbarung würde auch unvernünf- 
tig feyn, wenn fie diefer Vernunft entgegengefegt wäre 
9. 638. Folglich Fan man diefe Bernunft nicht einmal - 
vonder Offenbarung unterfcheiden, als wenn jene fich mit die: 
fer gar nicht befchäftigen Eönte, oder dürfte, Thut er Das 
legte, fo ift es auch ungereimt, Denn wenn die Dffenba- 
rung diefer Vernunft entgegen geſetzt wäre, fo wäre fie 
Wahrheiten entgegengefegt, und fie wäre alfo falfch. 
Folglich ift die Offenbarung entweder ein Theil diefer Ver— 
nunft nad) der erften Erflärung, oder fie ift, nach der ans 
dern, von ihr verfchieden, durchaus aber ibr nicht entge= 
gengefegt, 
Das 








Von der Gemürbsfäbigkeit. 27 


Das vierte Eapitel, 
Bon der Gemüthsfähigkeit. 


§. 64. 

iv haben bisher die einzeln Erfenntnißvermögen un- 

ferer Seele unterfucht, in fo weit fie, aus der Er- 

4 fahrung, erkannt werden fönnen. Da fie nun ins- 
gefamt, Theile des ganzen Erfenntnißvermögens der Seele, 
find; fo Fan man, über ihren ganzen Inbegrif, noch einige 
fehr nügliche Betrachtungen anftellen. Ein jedes Erfennt- 
nißvermögen ift, wie ein Ölied des ganzen Erfenntnißvers 
mögens, zu betrachten; und gleichwie die Glieder des Lei— 
bes in einer gewiflen Proportion ftehen, woher die Leibes 
geftalt entſteht, alſo enefteht auch in der Geele, aus der 
Proportion aller Erfenntnißvermögen gegen einander, eine 
gewiſſe Geftalt des Gemuͤths, oder des ganzen Inbegrifs 
aller Erfenntnißvermögen. Nemlich da unfere Seele ein 
endliches und eingefhrenftes Ding ift, fo find auch alle ihre 
Erfenntnißvermögen eingefchrenft. Folglich hat ein jed= 
wedes derfelben, in einer jedweden Seele, einen gewiſſen 
Grad, welcher durch eine endliche Zahl beftime werden Fan 
6.190. Wenn wir alfo diefe Grade aufs genauefte aus- 
meſſen Fönnten, fo würden mir eben fo wohl deutlich erfen- 
nen fönnen, wie fie fich ihrer Gröffe nach gegen einander 
verhalten, als wie wir dieſes, bey den Gliedern unferes $ei- 
bes, zu thun im Stande find. Folglich würden wir deut- 
lich erkennen koͤnnen, daß ein Erfenntnißvermögen entwe— 
der dem andern gleich, oder gröffer oder Eleiner als daffelbe 
fey, und um mie vieles gröffer oder Fleiner fey, als das an- 


us 


| dere. Wir würden 5. E. erfennen Fönnen, daß das Ge- 
daͤchtniß eines Menfchen dreyßig gleich fen, und der Ver— 


ftand zwanzig, und wir Fonnten alfo hernach fagen, daß 


das Gedaͤchtniß zum Verftande ſich wie dreyßig zu zwan— 


zig verhalte. Und, in dieſem Verhaͤltniſſe der Grade der 


Erkenntnißvermoͤgen gegen einander, beſteht die Propor— 
S 


3. Theil. tion 


274 Von der Gemüchsfäbigkeit. 


I 
tion unferer Erkenntnißvermoͤgen. Nun haben wir es 
freylich in der Meßkunſt noch nicht fo weit gebracht, daß 
wir Diefe Proportion deutlich und. genau folten erfennen 
fonnen. Allein ein jeder fieht, Daß, unferer Unwiſſenheit 
und unferes Unvermoͤgens ohnerachtet, fich dennoch unter 
allen unfern Erfenntnißvermögen eine gewiſſe beftimte Pros 
portion befindet, vermöge welcher das eine dem andern 
gleich oder ungleich ift. Und: diefe Droportion heit die 
SGemuͤthsfaͤhigkeit, oder die Gemuͤthsgeſtalt, oder der 
Kopf, oder dasjenige, was die Franzofen das Genie eis 
nes Menfchen nennen. Ein jedweder Menfch hat feinen 
eigenen Kopf, und die Natur hat mit der gröften Mannig» 
faltigfeit die Gemuͤther der Menfchen gebilder, daß man 
fagen fan, ein Menfch babe eben fo wohl einen andern 
Kopf, als man fagen muß, er habe ein anderes Geficht, als 
alle übrige Menfchen, 


$. 644. 

In den meiften Menfchen ift, nach Auflage der un: 
feugbaren Erfahrung, ein Erfennenißvermögen, welches 
merklich geöffer ift, als alle übrige. Und von diefem Ber: 
mögen befomt der Menfch, deffen Kopf man unterfucht, 
oder auf defien Gemürhsfähigfeit man achtung gibt, den 
Namen. 3. €. Ein wißiger Kopf oder Menfch) bat aus: 
nehmend viel Wis, oder der Wiß ift bey demfelben das 
ftärfjte und vollfommenfte Erfenntnifvermögen. Bey 
einem fcharffinnigen Kopfe ift die Scharffinnigfeit das 
gröfte Vermögen; bey einem vorfichtigen, die Borfehung;. 
bey einem verftändigen vernünftigen Menfchen, der Ver: 
ftand und die Vernunft u. f. m. Ueberhaupt fehreibt man 
einem Menfchen einen muntern Kopf zu, wenn viele fei: 
ner Erfennenißvermögen Fertigkeiten find ; oder wenn er 
alle oder Die meiften Erfennenißvermögen in einem hohen 
Grade beſitzt. Beſitzt er aber entweder in feinem, oderin 
wenigen Erfenntnißvermögen, gar Feine oder Fleinere Fer 
tigfeiten, fo heißt er ein langſamer Kopf. Ye mehrere 
und gröffere theoretifche Fertigkeiten jemand bejißt, deſto 

muns 








Von der Gemuͤthsfaͤhigkeit. 275 


muncrer ift fein Kopf, und defto vollfommener und ge: 
fehickeer ift der Menfch. Es fan aber ein langfamer Kopf 
in einen muntern verwandelt werden, und alsdenn wird er 
aufgemuntert oder aufgeweckt. Wird aber ein munterer 
Kopf in einen langfamen verwandelt, fo wird der Menfch 
eingefchläfert, und er wird ein Schlummerkopf. 


$ 645. 

Durch die Verfchiedenheit der Köpfe bey verfchiede- 
nen Menfchen werden eben, verfchiedene Menfchen, zu de— 
nen verfchiedenen und mannigfaltigen Befchäftigungen, 
aufgelegt, welche mit und nach Erfenntniß verrichtet wer- 
den müffen. Die Glückfeeligfeit des ganzen menfchlichen 
Gefchlechts, und eines jedweden Menfchen ins befondere, 
erfodert eine unendliche Menge von Handlungen, welche 
von unendlich verfchiedener Art find. Unendlich viele der: 
felben müffen, mit und nach Erfenntniß, verrichtet werden, 
und da wird zu einer Art diefer Handlungen eine Erkennt— 
niß erfodert, die von derjenigen Erfenntniß unterfchieden 
ift, welche zu einer andern Art diefer Handlungen erfodert 
wird, Z. E. die Hiſtorie erfodert, wenn man fie lernen 
will, viel Gedächtniß, aber feinen tieffinnigen Verſtand; 
die Mathematif erfodert tieffinnigen Verſtand, aber Feine 
Schönheit des Geiftes; und fo verhält es fi) auch, auffer 
der Gelehrfamfeit, mit allen übrigen Arten der menſchli— 
chen Befchäftigungen, Folglich wird ein Menfch, durch 
feinen Kopf, eben zu einer gewiffen Art der menfchlichen 
Gefchäfte aufgelegt, weil er, vermoͤge deſſelben, eben dieje— 
nige Erfenntniß erlangen Fan, die zu ihrer Berrichtung er- 
fodert wird. Und Gott hat den menfchlichen Gemüthern 
eben fo viel verfchiedene Geftalten gegeben, damit ein jed- 
wedes Gefchäfte, welches zur menfchlichen Gluͤckſeeligkeit 
nöthig ift, unter den Menfchen Köpfe finde, die fich dazu 
befonders ſchicken. Wie groß ift nicht Die Güte und Weis— 
heit GOttes! Durch diefe Einrichtung des Kopfs eines je- 
den Menfchen hat GOtt, einen jedweden, zu einer Lebens— 
art. berufen, und wer diefem Rufe folget, der ift der Stim— 

S 2 me 


276 Don der Gemuͤthsfaͤhigkeit. 


me Gdftes gehorfam, und er wird allemal in feiner Art 
ein Meifter werden fönnen. Daher haben, die Köpfe der 
Menfchen, ihre verfchiedenen Namen von dem Gegenſtan— 
de befommen, zu deffen Erkenntniß fie befonders aufgelegt 
find, 3. E. hiſtoriſche Köpfe find zur Hiftorie aufgelegt, 
poetische, . philofophifche, mathematiſche, muficalifche Köpfe 
u. ſ. w. Wie vortreflich wäre es alfo nicht, wenn man 
die Köpfe junger. Seute forgfältig prüfte, und einen jedwe— 
den zu den Befchäftigungen anführte, zu denen fein Kopf 
von der Natur eingerichtet ift ! Doc müffen wir bemer- 
fen, daß es ausnehmend vollfommene und gefchickte Köpfe 
gibt, welche die Natur zu allen menfchlichen Gefchäften ge= 
ſchickt gemacht hat, und die an den Graden ihrer Erkennt— 
nifvermögen die allermeiften Menfchen übertreffen, und 
wie Niefen hervorragen. Und da fünnen folche Köpfe alls 
gemeine Köpfe genannt werden, weil fie fich zu allen Ge— 
genftänden der menfchlichen Erfenntniß, und ihrer gehöri- 
gen Erfenneniß, gut ſchicken. Solche Leute mögen fich 
auf eine Wiffenfchaft legen, auf welche fie wollen, fie moͤ— 
gen eine $ebensart ergreifen, welche fie wollen, und fie moͤ— 
gen thun mas fie wollen, fie beweifen allemal, daß fie es 
mit Gefchick ehun oder thun koͤnnen. Und man Fan einem 
Menfchen einen böbern Kopf, ein groffes Genie zu— 
fehreiben, in fo ferne er merflich groͤſſere Erkenntnißvermoͤ— 
gen, vielmehr Verftand, Wis, Gedaͤchtniß u. few. beſitzt, 
als die allermeiften Menfchen. Selten macht die Natur 
folche Meifterftücke, allein fie beweiſt doc) ofte, wie vors 
£reflich die menfchliche Natur ausgebildet werden koͤnne. 
. 646. 
Der Kopf eines Menfchen Fan ofte verändert werden, 
und das gefchieht, fo ofte ein Erkenntnißvermoͤgen groͤſſer 
wird oder fleiner als vorher, und zwar in Beziehung auf 
die übrigen: denn alsdenn wird die Proportion derfelben 
geändert q. 643. Es fan der Kopf eines Menfchen vers 
ändert werden, ohne daß er deswegen einen Kopf von einer 
andern Art befommen folte, wenn nemlich alle feine Er— 
kenntniß⸗ 











Don der Gemuͤcthsfaͤhigkeit. 277 


kenntnißvermoͤgen, nach einerley Proportion, ab- oder zu— 
nehmen. Go fan jemand ein philofophifcher Kopf blei- 
ben, und fein Kopf Fan doch auf diefe Art verändert wer: 
den. Allein es fan auch der Kopf eines Menfchen, in ei- 
nen Kopf von einer andern Art, verwandelt werden, wenn 
feine Erfenntnißvermögen nicht nach Proportion vermehrt 
und vermindert werden, fondern dergeftalt, daß unter ihnen 
nachher eine andere Proportion entfteht, als vorher da ge= 
wefen. Man feße, das Gedaͤchtniß eines Menfchen fey fo 
groß als zwölf, und der Verſtand als fechfe, geſetzt dieſe 
Vermögen würden noch einmal fo groß, das Gedaͤchtniß 
vier und zwanzig und der Verſtand zwölf: fo ift in beyden 
Fällen das Gedaͤchtniß noch einmal fo groß als der Ver— 
ftand, und alfo ift zwar eine Veränderung in dem Kopfe 
vorgegangen, allein die Proportion ift nicht verändert, und 
der Menfc) hat, der Art nach, noch) den vorigen Kopf, ob— 
gleich eine groffe Veränderung in demfelben vorgegangen. 
Allein man feße, das Gedaͤchtniß werde nicht gröfler, aber 
der Berftand werde fo groß als neune, fo ift die Propor- 
tion geändert, das Gedaͤchtniß ift nicht mehr um die Nelfte, 
fondern nur um den vierten Theil gröffer als der Berftand. 
Folglich ift überhaupt begreiflich, wie ein poetifcher Kopf 
in einen philofopbifchen, ein biftorifcher in einen poetifchen 
verwandelt werden koͤnne u. ſ. w. Die Erfahrung lehrt, 
Diefe Berwandelungen, auch) zur Genuͤge. Ja es ift mög- 
lich, daß ein mımterer Kopf eingefchläfert werden, und ein 
Schlummerkopf aufgeweckt werden Fan, wenn jener feine 
Fertigkeiten verliehrt, und diefer viele Fertigkeiten erlangt. 
Mancher junger Menfch ift ein langfamer Kopf, fo bald 
er aber unter fremde Leute komt, fo wird er der munterfte 
Menfh. Und mancher munterer Kopf ift, durch eine übel 
verftandene Frömmigfeit, eingefchlafert worden $. 644. 
Alle diefe Beränderungen bangen von den Lebungen ab, 
wenn mir diefelben thun oder unterlaffen. In dem erften 
alle werden die Erkenntnißvermoͤgen zu Fertigkeiten er- 
hoͤhet, und in dem aydern verliehren wir Die einmal erlang- 

©; ten 


278 Don der Gemuͤthsfaͤhigkeit. 


ten Fertigkeiten wieder $. 575. Folglich hanget auch, die 
Veränderung des Kopfs, fehr von der Gewohnheit ab. 
Nemlich wenn eine Fertigkeit fo groß wird, daß wir end- 
lich nicht mehr auf die Handlung achtung geben dürfen, 
wenn wir fie verrichten wollen, fo wird fie eine Gewohn⸗ 
beit genannt. Wenn wir eine Handlung fehr ofte thun, 
fo wird fie fo alt, daß mir fie Feiner Aufmerkſamkeit mehr 
würdigen $. 523. Folglich ift es ganz natürlich, daß wir 
endlich eine Handlung ohne Aufmerffamfeit verrichten koͤn— 
nen, wenn die Fertigkeit fehr groß wird. Alsdenn haben 
mir die Handlung unendlich ofte gethan, und fie ift alfo 
was fehr altes Wer aus Gewohnheit Flucht, der fluche 
ohne Bewußtſeyn. Es ift demnach klar, daß die Ges 
wohnheiten, und folglich auch unfere Lebensart und Erzie— 
hung, als wovon unfere Gewohnheiten abhangen, einen 
groffen Einfluß in die Veränderungen unferes Kopfs ha- 
ben. Und daher ift begreiflich, wie der Kopf eines Men- 
fchen verändert werden fan, wenn derfelbe in eine andere 
Lebensart komt. Und manche Eltern find ſchuld daran, 
daß ihre Kinder langſame Köpfe bleiben, weil fie dies 
| felben fo fchlecht erziehen. 





Der 





DW. Eee 09, 22 279 
Der dritte Theil, | 


von dem 


DBegehrungsvermögen. 
Das erfte Eapitel, 


- Don den näcyften Gründen des Begehrungs- 


vermögens in der Seele. 
Der erfte Abfchnit, 
Bon der Gleichguͤltigkeit. 


—— 

Misher haben: wir die eine Helfte unferer Seele, den 
B Inbegrif ihrer Erkenntnißvermoͤgen unterſucht, und 
wir wollen nun zu der Betrachtung ihrer andern 
Helfte, oder des Inbegrifs aller ihrer Begehrungsvermös 
gen, fortgehen. Ehe wir aber dieſe andere Art der Ver: 
mögen unferer Seele betrachten koͤnnen, müffen wir vorber, 
die naͤchſten Urfachen derfelben in der Seele, unterfuchen. 
Wir werden Fünftig überzeugt werden, daß unfere Begeh- 
rungsvermögen nicht anders, als Folgen unferer Erfennt: 
nißvermögen, anzufehen find, und daß alle "Begierden und 
Verabſcheuungen aus einer Erfenneniß entitehen. Allein 
wir werden auch überzeugt werden, daß nicht, (aus einer 
jedweden Erfenneniß, eine Begierde und Verabſcheuung 
entftehe. Da nun diefes diejenige Erfenntniß ift, die uns 
in einer Öleichgültigfeit gegen den Gegenftand läßt, fo 


muͤſſen wir vor allen Dingen von der Gleichgültigfeit han— 


deln, und hernach wollen wir die Eigenfchaften derjenigen 
Erfenneniß unterfuchen, aus welcher Begierden und Ber: 
abfcheuungen entſtehen. Memlich wir haben ein Beurtbei- 
lungsvermögen, “und wir ftellen uns alfo von vielen Din- 
gen ihre Bollfommenheiten oder Unvollkommenheiten, oder 
beyde zugleich vor $. 617. Wenn wir uns die Vollkom— 

| S4 menheit 


280 Don der Gleichgültigkeit. 


menbeit oder Unvollfommenbeit vorftellen, fo thun wir die- 
fes entweder auf eine anfchauende oder fombolifche Art $. 
623. Nun gefält uns eine Sache, wenn wir ihre Boll: 
Fommenbeit auf eine anfchauende Art erkennen; oder wenn 
wir fie uns anfchauend als gut, in fo ferne fie gut if, vor- 
ftellen $. 99. Eine Sache Fan in vielerley Abficht gut 
feyn, man Fan fie fi als nuͤtzlich, als ehrbar, als recht: 
mäßig, als rühmlich vorftellen, und wer Fan alle Arten der 
Vollfommenbeiten und der Güte einer Sache nambaft 
machen? Wenn uns alfo etwas gefält, fo ift es genung, 
wenn mir e8 uns nur irgends in einer Abficht als gut vor= 
ftellen, wenn nur dieſes auf eine anfchauende Art gefchieht. 
Kine Sache mißfält ung, wenn wir ihre Unvollfom- 
menheit auf eine anfchauende Art erkennen; oder wenn wir 
fie uns anfchauend als böfe vorftellen, in fo ferne fie böfe 
ift $. 100, Nun Fan eine Sache in vielerley Abficht als 
böfe vorgeftele werden, man Fan fie fich als ſchaͤdlich, 
handlich, laſterhaft, gottlos u. f. w. vorftellen. Wenn 
uns alfo etwas mißfält, fo ift es genung, wenn man es fich 
irgends in einer Abficht als böfe vorftelt, wenn es nur auf 
eine anfchauende Art gefchieht. Won der Nichtigkeit die- 
fer Erklärungen muß fich ein jeder aus feiner eigenen Er— 
fahrung überzeugen, und auf ſolche Fälle achtung geben, 
da ihm etwas gefält oder mißfält. Da wird ernun alle 
mal auf den erften Blick erkennen, daß er fich etwas als 
gut oder als böfe vorftelle, wenn es ihm gefält oder miß- 
fale. Wenn uns das Geficht einer Perfon gefält, fo hal- 
ten wir es für ſchoͤn, mißfaͤlt es uns aber, fo halten wir eg 
für haͤßlich. Allein das wichtigſte bey diefer Sache ift, 
daß man ſich überzeuge, daß das Gefallen und Miffallen, 
aus einer anfchauenden Erfenntniß, entftehe. Man rede 
bundertmal von einem haͤßlichen Gefichte, oder von einer 
efelhaften Speife, man wird nicht eher ein Mißfallen 
fühlen, bis man nicht entweder ein folches Geficht fieht, 
und eine folche Speife ſieht, ſchmeckt und riecht; oder bis 
man nicht fo ſtark auf diefe Dinge achtung gibt, daß man 

fie 


Don der Gleichguͤltigkeit. 281 


ſie in ihrer Abweſenheit wie vor den Augen hat. Und 
eben fo verhaͤlt es ſich auch mit denen Dingen, die uns ge— 
fallen folfen.. Was ung nun weder gefält noch mißfält, 
das ift uns gleichgülcig, oder dagegen find wir gleihgül- 
tig. Alles dasjenige ift uns demnac) gleichgültig, deſſen 
Vollkommenheit wir weder anfchauend erkennen, noch die 
Unvollkommenheit deffelben, was wir uns weder als gut 
noch als böfe in irgends einer Abſicht anfchauend vorftellen. 
So ift ein Menfch gegen die Ehre gleichgültig, wenn fie 
ibm weder gefält noch mißfaͤlt, desgleichen gegen einen 
Menfchen und deflen Zufälle. 
l . 648. 

Wenn uns etwas gleichgültig ift, fo ift es uns entwe—⸗ 
der ganz gleichgültig, oder nur eines Theils und in gewiſſer 
Abſicht. Kine Sache ift uns ganz gleichgültig, wenn 
wir fie uns in Feinerley Abficht als gut oder als böfe an- 
ſchauend vorftellen ; oder wenn wir, feine einzige ihrer 
Vollkommenheiten und Unvollfommenbeiten, anfchauen. 
Don folhen Sachen fan ich Fein Benfpiel anführen: denn 
wäre es gut gewählt, fo gefiele es uns im dieſer Abficht, 
wäre es aber fchlecht gewählt, fo mißfiele es uns, und es 
wäre uns alfo nicht ganz gleichgültig. Ich werde aber 
balde aus Gründen zeigen, daß wir gegen viele Dinge 
ganz gleichgültig find. ine Sache ift uns nur zum 
Theil over besiehungsweife gleichgültig, wenn wir fie 
uns. in gewiſſer Abficht weder als gut, nod) als böfe, an— 
ſchauend vorftelfen; oder wenn wir weder eine gewiſſe be- 
ftimte Bollfommenbeit, noch das Gegentheil derfelben, in 
der Sache anfchauend gewahr werden. Geſetzt, daß ein 
Ehrbegieriger dadurch fein Glück fucht, daß ihn gewiſſe 
vornehme Perfonen hochachten und nicht verachten, fo Fan 
er ofte mit Gleichgültigfeit anhören, daß er von andern 
teuten gelobt und getadelt wird, wenn ihn nur Die vorneh- 
men Perfonen, bey denen er fich in Hochachtung feßen will, 
loben. Er ift deswegen gegen das Lob und den Tadel an- 
derer Leute nicht ganz gleichgültig, fondern nur in fo ferne 
S5 als 


282 | Don der Gleichgultigkeit, 


als er fieht, daß ihr Lob fein Glück nicht befördern, und 
ihr Tadel daffelbe nicht hindern Fan. So fünnen uns ges 
wiſſe Dinge gleichgültig ſeyn in Abficht auf unfere Geſund⸗ 
heit, weil wir fie weder als Mittel noch als KHinderniffe 
derfelben anfchauend erkennen, und was dergleichen mehr 
if. Nun fragt fihs, woher die Öleichgültigfeit entftehe? 
Und da entfpringer fie, aus einer doppelten Quelle. Ein: 
nal aus der gänzlichen Unmiffenheit einer Sache. Und 
zwar erftlich, wenn uns eine Sache ganz unbefannt iſt, 
wenn wir fie uns gar nicht vorftelfen, fo haben wir von ihr 
gar feinen Begrif, und noch vielmeniger von ihrer Boll: 
fommenbeit und Unvollfommenbeit, und folglich find uns 
folche ganz unbefannte Dinge gänzlich gleichgültig. Wer 
fih nun nicht für allwiffend halt, der muß nothwendig zu- 
geftehen, daß ihm unendlic) viele Dinge ganz gleichgültig 
find. Zum andern wenn uns eine Sache eines Theils un- 
befannt ift, fo find wie zum Theil gegen fie gleichgültig, in 
Abfiche der Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten, 
die uns in der Sache unbefannt find. Daher fehen wir, 
daß ofte unfere Gleichgültigkeit gegen eine Sache abnimt, 
je mehr wir fie Fennen lernen, Anfaͤnglich Fan uns ein 
Menfch fehr gleichgültig feyn, weil uns viele feiner Voll— 
fommenbeiten oder Unvolifommenheiten unbefannt find, 
die uns aber bey einer mehrern Befanntfchaft immer mehr 
und mehr bekannt werden. Zum dritten Fan ung eine 
Sache gleichgültig feyn, in fo ferne wir von ihren Boll- 
Eommenbeiten und Unvollkommenheiten abftrabiren. Da- 
ber, die abftracten Unterfuchungen. in den Wiſſenſchaften, 
gemeiniglich unſer Gemuͤth gegen den Gegenſtand gleich— 
gültig laſſen. Zum andern entſteht, die Gleichguͤltigkeit, 
aus einer ſymboliſchen Erkenntniß. In ſo ferne wir uns 
eine Sache bloß ſymboliſch vorſtellen, in ſo ferne haben 
wir von ihr keine anſchauende Erkenntniß, und folglich kan 
fie uns weder gefallen noch mißfallen. Haben wir von ei— 
ner Sache gar feine andere als eine ſymboliſche Erkennt— 
niß, fo bleiben wir gegen fie ganz gleichgültig, und folten 

wir 


Don der Gleichgultigkeir. 283 


wir fie ung gleich ale vollkommen oder unvollfommen vor- 
feffen. Und wenn wir uns die Vollkommenheit und Un- 
vollfommenbeit der Sache anfchauend und ſymboliſch zu: 
gleich vorftellen, fo bleiben und ſind wir allemal gegen fie 
gleichgültig, in fo ferne wir fie uns ſymboliſch vorfteffen. 
Die ſymboliſche Erkenntniß felbft Fan uns gefallen oder 
mißfallen, weil wir fie in unferer-Seele fühlen, und alſo 
anfchauend erkennen. Wir fagen nur, daß uns der Ge— 
genftand gleichgültig bleibe, in fo ferne wir ihn ſymboliſch 
erfennen. ° Man muß das Gefallen und Mißfallen über 
die Zeichen der Sache, und über. die fymbolifche Erkennt: 
niß nicht verwechfeln, mit dem Gefallen und Mißfallen 
über die Sache. Ein Wortforfcher fan mit wielem Ber: 
gnügen in der Bibel lefen, und er bleibt gegen ven inhalt 
derfelben doch gleichgültig. Bey der fombolifchen Erfennt: 
niß haben wir, eine ungemein ſchwache und Eleine Erfennt- 
niß, von der Sache felbft : denn fie wird, durch die flär- 
kere Borftellung der Zeichen, bey nahe ganz unterdruckt, 
Folglich ift es nicht möglich, daß fie eine fo groſſe Wuͤr— 
fung folte bervorbringen koͤnnen, als das Gefalien und 
Mißfallen über die Sache ift. Daher fomts, daß, die ge: 
fehrten Unterfuchungen der Dinge, unfer Gemüth in einer 
fo groffen Gleichgültigfeit gegen Diefelben laſſen, weil fie 
mehrentheils ganz oder größtentheils fpmbolifch find. Man 
che Leute find gegen viele Güter diefer Welt, gegen Reich: 
thum, Cron und Scepter, gegen die Ehre u. f. w. gleich: 
gültig. Sie bilden fi) ein, es rühre diefes aus ihrer grof: 
fen Srommigfeit und Tugend ber. Allein wenn man die 
Sache genauer unterfucht, fo findet man, daß ihre Gleich: 
gültigfeit entweder aus der Unmiffenheit, oder aus der ſym— 
betifchen Erkenntniß, herruͤhrt. Wenn ein einfältiges 
Bauerweib gegen alle Fonigliche Hoheit gleichgültig iſt, fo 
fan man ihr diefes eben fo wenig zur Tugend anvechnen, 
als wenn ein wilder Americaner, gegen viele Bequemlich- 
feiten des Lebens, ganz unempfindlich) ift, 


$. 649. 


234 Von der Bleichgültigkeit. 


| $. 649. 

Fin ganz gleichgültiges Gemuͤth ift ein Gemuͤth, 
in deffen ganzer Borftellung nicht eine einzige Borftellung 
angetroffen wird, welche ein Gefallen oder Mißfallen ver- 
urfaht, Ein Menfch würde alfo ein gänzlich gleichgültiges 
Gemuͤth befigen, wenn er nicht die allergeringfte Vorſtel— 
lung hatte, die ihm entweder felbft, oder deren Gegenftand 
ihm geftele, oder mißfiele. So bald alfo ein Menfch nur 
eine einzige allerfleinfte Vorſtellung beſitzt, die ihm ent— 
weder felbft gefält oder mißfält, oder deren Gegenftand 
ihm gefalt oder mißfaͤlt, fo bald ift fein Gemuͤth nicht mebr 
ganz gleichgültig. Nun fan man fich leicht überzeugen, 
daß das menfchliche Gemüth niemals, nicht einmal einen 
einzigen Augenblif, in dem Zuftande einer gänzlichen 
Gleichguͤltigkeit fich befinden koͤnne. Denn in einem fol 
hen Zuftande Fan nicht die geringfte Begierde oder Vers 
abfcheuung da feyn, wie aus dem Folgenden erhellen wird. 
Folglich Fönnte auch alsdenn Feine Vorſtellung gewuͤrkt 
werden, denn das gefchieht allemal durch eine Begierde, 
Folglich müfte, in einem ſolchen Zuſtande, die Vorſtel— 
lungskraft der Seele gar nicht thätig und würffam feyn, 
und das ift fehlechterdings unmöglich, fo lange die Seele 
würflich if. Wenn die Seele in einen Zuftande der 
gänzlichen Gleichguͤltigkeit geriethe, fo würde fie unterge- 
ben, und vernichtet werden $.169. Allein das Gemuͤth 
ift eines Theils gleichgültig, wenn in ihm einige Vor 
ftellungen wuͤrklich find, die entweder gar Fein Gefallen und 
Mißfallen verurfachen, oder welche diefes in gewiſſer Ab- 
ficht nicht ehun. Wenn alfo nicht alle Vorftellungen, die 
zugleich in unferm Gemuͤthe find, in allen Abfichten Gefal— 
fen oder Mißfallen erwecken, fo ift unfee Gemütb zum 
Theil gleichgültig. Wenn gar Feine Gfeichgültigfeit in 
unferm Gemuͤthe zu einer gewiſſen Zeie feyn folte, fo müs 
fte zu derſelben Zeit Feine Unwiſſenheit und Feine fymboli: 
fhe Erfenneniß in Abfiht auf die Dinge, die wir ung 
vorftellen, in unſerm Gemuͤthe angetroffen werden, * 

ein, 





- Don der Gleichgüleigkeit. 285 


fein, welcher Menfch Fan fih ruͤhmen, daß er auch nur 
eine eingige Sache fo vollftändig einfehe, daß gar Feine 
Unmiffenheit in Abficht auf diefelbe übrig fey,. Folglich 
hält, auch in dieſem Stüde, die Natur eine Mittelftraffe. 
Unfer Gemüth ift niemals ganz gleichgültig, es iſt aber 
auch niemals. ohne alle Gleichguͤltigkeit. 

9. 650. 

Es ift bisher von denen Dingen gehandele worden, 
von denen man fagt, daß fie einem Menfchen oder einem 
andern denkenden Befen gleichgültig find, und wir haben 
uns überzeugt, daß alles dasjenige einem Menfchen gleich: 
gültig fen, wovon er feine Kenntniß bat, oder was er ſich 
bloß ſymboliſch vorftele. Manchmal aber nenne man aud) 
Dinge, an und vor fich betrachtet, gleichgültig. Die 
Gleihgültigkeit, von der wir bisher geredet haben, befin= 
det fich in der Erfenntniß eines denfenden Weſens, und 
man fan, gegen die beften und fchlimiten Dinge, auf dies 
fe Art gleichgültig feyn und bleiben. Allein man fchreibe 
auch Dingen felbft,, fie mögen erfanne over nicht erfannt, 
anfchauend oder ſymboliſch erfannt werden, eine Gleichguͤl— 
tigkeit zu, und da verfteht man, durch gleichgültige 
Dinge, folhe Dinge, die weder gut noch böfe find. Und 
man theile fie ein in fehlechterdings gleichgültige Din- 
ge, und in folhe Dinge, die beziehungsmweife gleichgültig 
find. Jene find ſolche Dinge, die gar niche und in kei— 
nerley Abfiche gut oder böfe find, Die weder eine Bollfom- 
menheit noch Unvollfommenbeit haben und verurfachen. 
Dergleihen Dinge find fehlechterdings unmoͤglich, venn 
alle mögliche Dinge find vollfommen und gut $. 98. 99. 
und alle endliche Dinge find gut und böfe zugleich $. 199. 
Allein beztehungsweife gleichgültige Dinge find folche 
Dinge, die weder zu einer gewiſſen Bollfommenbeit, noch 
zu der ihr entgegengefeßten Unvollkommenheit, etwas bey— 
tragen. So haben manche Gottesgelehrte Das Reiten, 
Tanzen, Fechten, unter die gleichgültigen Dinge gerech- 
net, weil fie nach ihrer Meinung die Frömmigkeit * 
efoͤr⸗ 


286 Von dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen. 


befördern, und auch nicht hindern, und alſo in Abficht 
auf die Frömmigkeit gleichgültig find. In der beiten 
Welt giebts auch folche gleichgültige Dinge nicht. Denn 
da in diefer Welt ein fo groffer allgemeiner Zufammen- 
bang ift, als in einer Welt feyn Fan $. 440. und da fon- 
derlich alle Dinge wie Zwede und Mittel, und wie nüß: 
liche Dinge, mit einander verbunden find $. 444. 446. fo 
ift nichts in der beiten Welt, welches niche mit einer jed- 
weden Vollkommenheit in diefer Welt in einer Verbin: 
dung ftehen folte, und alfo Fan es in Feinerlen Abficht 
gleichgültig feyn. Wenn mir alfo alle Dinge Dergeftalt 
uns anfehauend vorftellen fönnten, wie fie befchaffen find, 
fo wuͤrden mir gegen fein Ding gleichgültig feyn Fönnen, 
Und das iſt Die Urfach, warum GOtt gegen Nichts aleich- 
güleig it, mie wir in der natürlichen Gottesgelahrheit 
zeigen werden, 


EEK TFT TFT KT NR FH HR IE IR NH NE IR NE 


Der andere Abfihnit, 
Kon dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen. 


$. 651, i 
De Vergnuͤgen iſt der Zuſtand der Seele, welcher 


daher entftehe, wenn uns etwas gefaͤlt; oder wel— 

cher, aus der anfchauenden Erfenntniß der Vollkommen— 
heit, enefteht. Oder man Fan auch fagen, es beſtehe in 
derjenigen Beänderung oder Beſtimmung, welche die 
Seele innerlich empfindet, wenn fie was guts ſich anſchau— 
end vorſtelt. Wenn daher einige Weltweife das Vergnuͤ— 
gen, durch eine Empfindung des Guten, erklären, fo muß 
man dieſe Erffärung nur nicht fo verftehen, als wenn al- 
les Vergnügen ein Vergnügen der Sinne und weiter nichts 
wäre. Das Mißvergnuͤgen ift der Zuftand der Seele, 
welcher daher entitebt, wenn ung efmas mißfältz oder 
welcher , aus der anſchauenden Erfenneniß der Unnollfom- 
menbeit, 


J 





Don den Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen. 287 


menheit, entſteht. Oder man kan auch ſagen, das Miß— 
vergnuͤgen beſtehe in derjenigen Veraͤnderung oder Beſtim⸗ 
mung, welche die Seele innerlich empfindet, wenn fie et: 
mas Boͤſes anfchauend erfennt. Wenn daher einige das 
Mißvergnügen, durch eine Empfindung des Boͤſen, er- 
klaͤren: fo läßt fich diefe Erflärung recht gut vertheidigen, 
wenn man nur nicht bloß das Mifverguügen der Sinne 
drunter verfieht. Der Zuftand der Gleichguͤltigkeit iſt 
der Zuſtand der Seele, in welchem ſie weder ein Vergnuͤgen 
noch ein Mißvergnuͤgen empfindet. Die Richtigkeit die— 
fer Erklaͤrungen erhellet, aus den Unterſuchungen des 647. 
Abſatzes. Alles Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen entſtehet 
entweder aus einer wahren anſchauenden Erkenntniß des 
Guten und Boͤſen, oder aus einer falfchen. $. 489. Je— 
ne heiffen ein wahres Vergnügen und ein wahres 
Wifvergnügen, diefe aber ein Sceinvergnügen und 
ein Scheinmißvergnüen. Das wahre Vergnügen 
entiteht aus dem Anſchauen wahrer Vollkommenheiten und 
Guͤter, in ſo ferne wir ſie richtig erkennen; und das wah— 
re Mißvergnuͤgen aus dem Anſchauen der wahren Unvell- 
fommenbeiten und Uebel, in fo ferne wir fie richtig erfen- 
nen. So iſt das Vergnügen über GOtt, die Wahrheit 
und Tugend, wahr, wenn wir uns alle diefe Dinge rich: 
tig vorstellen. And eben fo ift das Mifvergrügen über 
die Suͤnde, den Irrthum, die Krankheit, wahr, wenn 
wir diefe Dinge richtig erfennen. Das Scheinvergnügen 
entiteht entweder Daher, wenn mir ung das Boͤſe als gut, 
cder das wahre Gute irrig vorftellen. Das Vergnügen 
über die Sünde, in fo ferne fie Sünde ift, ift ein Schein- 
vergnügen. Man Fan aber auch über GOtt ein Schein 
vergnügen empfinden, wenn man fich ihn irrig vorſtelt. 
Das Scheinmißvergnügen entfteht entweder daher, wenn 
man fich Das Gute als boͤſe vorſtelt, oder wenn man ſich 
wahre Uebel auf eine irrige Aceborſteit. So iſt das Miß— 
vergnuͤgen uͤber die Tugend falſch, es kan aber auch je— 
mand über die Sünde ein Scheinmißvergnuͤgen empfinden. 

Wir 


288 Von dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen. 


Wir behaupten nicht, Daß das Scheinvergnügen gar Fein 
Vergnügen, und das Scheinmißvergnügen gar fein Miß— 
vergnügen fen: denn das ift unferm unleugbaren Gefühl 
zumider. Sondern es ift falfh, weil in dem wahren 
Vergnügen und Mißvergnügen unftreitig mehr Wahrheit 
anzutrerfenjift, als in vem Scheinvergmügen und Schein: 
mißvergnügen. 
$. 652, 

Bin einfaches Vergnügen entftehe aus der an- 
fchauenden Erfenntniß einer einfachen Bollfommenheit, und 
das einfache Wifvergnügen aus der anfcyauenden Er: 
Fenntniß einer einfachen Unvollfommenbeitl. Das zus 
ſammengeſetzte Vergnügen entitebt aus der anfchauen- 
den Erfenntniß einer zufammengefegten und mannigfaltigen 
Bollfommenheit, und das zufammengefeste Mißver⸗ 
gnügen aus der anfchauenden Erfenneniß einer zufante 
fammengefesten und mannigfaltigen Unvollkommenheit $. 
651. 97. les Bergnügen und Mißvergnügen, fo wir 
in ung felbft erfahren, ift allemal zuſammengeſetzt; weil 
wir ung alsdenn allemal viel Gutes und Boͤſes zugleich vor: 
ftellen. Folglich fonnen wir fein Benfpiel, von dem ein- 
‘ fachen Vergnügen und Mißvergnügen, anführen. Unter: 
deſſen ift unleugbar, daß, das zufammengefegte Vergnuͤ— 
gen, ein Inbegrif vieler einfachen Vergnügen ſey, gleich 
wie das zufammengefeßte Mifvergnügen als ein Ganzes 
betrachtet werden muß, welches aus vielen einfachen Miß— 
vergnügen zufammengefegt ift, Das finnliche Dergnüs 
gen und Mißvergnuͤgen enefteht aus einer finnlichen und 
undeutlichen Erfenntnif des Guten und Böfen, welche 
entweder bloß dunfel, oder verworren iftr wie z. E. das 
Bergnügen und Mifvergnügen über eine angenehme, oder 
efelhafte Speiſe. Hieher gehört das Vergnügen und 
Wißvergnügen der Sinne, wenn der Gegenftand der- 
felben eine gegenwärtige Sache ift, die wir empfinden, 
3. E das Vergnügen über eine Muſik, einen fchönen Gar: 


tn u. ſ. w. Das Bergnügen und Mifvergnügen der 
Sinne 


Don dem Vergnügen und Wißvergnügen. 289 


Sinne ift allemal finnlich, allein nicht alles finnliche Ver— 
gnügen und Mißvergnügen ift ein Vergnügen. und Miß- 
vergnügen der Sinne. Man fan ein finnliches Vergnügen 
und Mißvergnügen über GOtt, den Irrthum und andere 


Dinge haben, die nicht in die Sinne fallen. Das ver. 


nünftige Vergnügen und Mißvergnuͤgen entfteht, 
aus einer deutlichen anfchauenden Erfenntniß des Guten 
und Böfen, wie 3. E. das Vergnügen über die Gründ- 
lich£eie ver Erkenntniß, u. ſ. w. Das vernünftige ift 
nicht allemal wahr, und das finnliche nicht allemal falfch ; 
fondern das Vergnügen und Mißvergnügen beyder Arten 
fan wahr, oder falſch feyn. 3 
| 653 
Die Erfahrung lehrt uns, daß in der Seele, zu glei⸗— 
her Zeit und in einem und eben demfelben Augenblicke, 
Vergnügen und Mißvergnügen neben einander feyn Fönnen, 
wenn in der dermaligen ganzen Vorftellung unferer Seele 
einige Vorstellungen angetroffen werden, die ung gefallen, 
und andere, die uns mißfallen $. 657. Alsdenn find Ver: 
gnügen und Mißvergnügen mit einander vergefellfchafter 
$. 495. Wenn nun alles Vergnügen der Seele zufam- 
mengenommen ftärfer ift als das damit vergefellfchaftere 
Mißvergnuͤgen, fo nennt man diefen Zuftand das Webers 
gewicht des Dergnügens; ift aber das Mißvergnügen 
ftärfer als das Vergnügen, welches mit ihm vergefellfchaf- 
tet ift, fo nennt man diefen Zuftand das Vebergewicht 
des Mißvergnuͤgens. Dieſe Zuſtaͤnde koͤnnen entweder 
in Abſicht auf die ganze Vorſtellung angenommen werden, 
welche in einer gewiſſen Zeit die ganze Seele ausfuͤlt; oder 
in Abſicht auf einen gewiſſen beſondern Gegenſtand. In 
der erſten Abſicht hat die Seele zu einer gewiſſen Zeit ein 
uͤberwiegendes Vergnuͤgen, wenn alles ihr Vergnuͤgen, 
welches zu derſelben Zeit in ihr wuͤrklich iſt, ſtaͤrker iſt, als 
alles Mißvergnuͤgen, welches ſie zu derſelben Zeit empfin— 
det. Und auf eine aͤhnliche Art kan ſie, ein uͤberwiegen— 
des Mißvergnuͤgen, haben. In der andern Abſicht kan 
3. Theil. T man 


290 Von dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen. 


man 3. E. fagen, daß ein Vater über feinen Sohn ein 
überwiegendes Vergnügen babe, wenn fein DBergnügen 
über denfelben ftärfer ift, als das Mißvergnügen über 
denfelben. Und auf eine aͤhnliche Arc Fan man fagen, 
daß ein Bater über feinen Sohn, oder über irgends einen anz 
dern Gegenftand, ein überwiegendes Mißvergnügen em= 
pfinde, In dem Lebergewicht des Vergnuͤgens iſt das: 
Vergnügen nicht allemal Flärer, als das Mifvergnügen, 
fondern diefes Fan Elarer feyn als jenes, welches demohner— 
achtet ftärfer iſt: weil die ſtaͤrkſten Vorftellungen nicht al- 
lemal die Elarften find, So fan ein Menfch, in dem Ue— 
bergewichte des Vergnügens, fo traurig werden, daß er 
meint. Und in dem Uebergewichte des Mißvergmügens if, 
das Mißvergnügen, nicht, allemal Flärer, als das Ver: 
gnuͤgen; fondern diefes Fan Flarer feyn als jenes, weiches 
demohnerachtet ftärfer ift $. 494. So fan ein Menſch 
einen verzehrenden Gram in ‚feiner Seele ernähren, und 
dennoch in manchen Augenblicken luftig werden und lachen, 
wenn er an feinen ram nicht denkt. Wenn nun das Ver— 
gnügen eben fo ftarf ift, als das damit vergefellfchaftere 
Nißvergnügen, fo nenne man dieſes den Zuftand des 
Gleichgewichts. Wenn uns eine Sache im gleichen 
Grade gefalt und mißfalt, fo befinden wir uns in Abfiche 
auf Diefelbe in diefem Zuſtande. Und wir koͤnnen allemal 
abnehmen, daß wir uns in dieſem Zuſtande befinden, ſo 
ofte wir uns nicht entſchlieſſen koͤnnen, etwas zu thun oder 
zu laſſen. Das Gleichgewicht iſt in Abſicht auf den Wil— 
len, was die zweifelhafte Erkenntniß in Abſicht auf den 
Verſtand iſt. Bey dieſer kan man gar nicht mit ſich ſelbſt 
eins werden, ob man die Sache fuͤr wahr oder fuͤr falſch 
halten ſolle; und bey jenem kan man nicht mit ſich ſelbſt 
eins werden, ob man die Sache vielmehr begehren als ver- 
abfcheuen, oder vielmehr verabfcheuen als begehren folle, 
wie Fünftig erbeiien wird.  Lnfer Wille befinder fich bey 
dem Öleichgewichte in dem Zuftande einer Wage, welche 
von beyden Seiten durch gleich ſtarke Gewichte gezogen wird, 
und daber bat es eben Diefen Namen erbalten, 

$.654. 





Don dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen. zuı 


$ 654. 

Vergnügen und Mißvergnügen find Empfindungen 
und Dorftellungen $. 651. Folgiich gilt von ihnen alles, 
was wir von dem Berhältniffe der jtärfern und ſchwaͤchern 
Borftellungen gegen einander erwielen haben $, 508. 538. 
539. 523. Folglich Fonnen wir, ohne fernern Beweiß, 
folgende Wahrheiten annehmen. ı) Durch ein ftärferes 
Vergnügen werden nidye nur, die ſchwaͤchern Veranügen 
von anderer Art, verdunfele; fondern auch die Mifver- 
grügen, fie mögen nun neben demſelben zugleid) da feyn, 
oder vor demfelben vorhergehen, oder auf daffelbe folgen. 
Folglic wird in dem Lebergewichte des DBergnügens alles 
Mißvergnügen, es mag nun zugleic) da feyn, oder vorher- 
gegangen feyn, oder nachfolgen, verdunfele und unterdrucft. 
Diefes erfährt ein jeder bey fic) felbft, wenn er recht ver⸗ 
gnüge ift. In den Umarmungen eines geliebteften Freun⸗ 
des vergiße man leicht aller mißvergnügten Umftände, und 
Iuftige aufgeräumte Leute Eönnen nicht leicht durch ein Miß⸗ 
vergnügen niedergefchlagen werden, 2) Durch ein ftärfes 
res Mißvergnügen wird nicht nur alles ſchwaͤchere Miß— 
vergnügen von anderer Art verdunfele, fondern aud) alles 
ſchwaͤchere Vergnügen, fie mögen nun neben demfelben zus 
gleich in der Seele da feyn, oder vor demfelben vorherges 
hen, oder auf daffelbe folgen. Folglich wird, indem Ueberge⸗ 
wichte des Misvergnügens, alles Bergnügen verdunfelt, welz 
ches zugleich da ift, oder vorhergegangen, oder nachfolgt $.653. 
Wenn ein Menſch ſich graͤmt, und auf irgend eine andere 


Art überwiegend mißvergnuͤgt iſt, fo ſchmeckt ihm weder 


Eſſen nod) Trinken, er ift gegen alle Neigungen fühlloß, er 
ftele fi) das menſchliche Leben dergeftalt auf der fchlimmen 
©eite vor, daß er der gröften Vergnügen zu vergeſſen 
feheint, die er vordem genoffen bat. 3) Durch ein 
fhmächeres Vergnügen werden, die ftärkern Vergnuͤgen 
und Mißvergnügen von anderer Art, erhöhet und erleuch« 
tet, die entweder mit ihm zugleich da find, oder die vor— 
bergegangen find, oder die nachfolgen, Bey einem tugend« 
T 2 baften 


292 Von dem Vergnügen und Mißvergnügen. 


haften Menfchen wird, das Vergnuͤgen über GOtt, und 
das Mißvergnuͤgen uͤber das wahre Elend dieſes Lebens, 
ungemein erhoͤhet, durch das ſchwache Vergnügen, wel 
ches er uͤber die Guͤter dieſer Welt empfindet. 4) Durch 
ein ſchwaͤcheres Mißvergnuͤgen wird, nicht nur das ſtaͤrkere 
Mißvergnuͤgen von anderer Art, ſondern auch das ftärfere 
Vergnügen erhöhet und erleuchtet, welche entweder mit 
ihm in der Geele zugleich da find, oder vor ihm dageweſen 
find, oder auf daffelbe folgen. Das ſchwaͤchere Mifver- 
gnügen über das Gute bey einem Tugendhaften, erhöhet bey 
ihm ungemein, Das Vergnügen über die geiftliche und ewi- 
ge Glückfeligkeit, und das Mißvergnügen über die Sünde, 
und die daher entftehende ewige und geiſtliche Ungluͤck— 
ſeligkeit. 

$. 655. 

Unſer Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen iſt verſchiedener 
Grade fähig, welche nach folgenden Regeln beurtheilt wer— 
den koͤnnen. 1) Ueber je mehrere und mannigfaltigere 
Bollfommenbeiten und Unvollfommenheiten das Vergnuͤ— 
gen und Mißvergnügen entftehen, folglich je zufammenge« 
fegter fie find, defto gröffer find fie $. 652. Ein Menſch 
ift viel vergnügter, wenn er in feinem Zuftande viele Güs 
ter antrift, die ihn vergnügen. Und wenn mißvergnügte 
$eute ihr Mißvergnügen recht groß vorftellen wollen , fo 
führen fie unendlich viele Urfachen defjelben an. 2) Je 
gröffer das Gute und Böfe ift, je wichtiger und erheblicher 
beydes ift, worüber unfer Vergnügen und Mißvergnügen 
entfteben, defto geöffer find fi. Ein Vergnügen über ein 
groffes Gut ift fo groß, als viele Vergnügen über Fleinere 
Güter zufammengenommen, und eben fo verhält es fich aud) 
mit dem Mißvergnügen. Daher fomt es, daß unfer 
Vergnügen und Mißvergnügen dadurch) gewaltig vermehrt 
werden, wenn wir uns den Gegenftand als was Groſſes 
vorftellen, wenn es gleich nicht wahr feyn folte. Und wenn 
zwey Perfonen ein Vergnügen und Mißvergnügen über 
einerley Güter und Uebel empfinden, fo bat derjenige * 

groͤſſer 











Von dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen 293 


gröffer Vergnügen und Mißvergnügen, der fie für gröffere 
Güter und Uebel hält, als der andere. 3) Aus einer je 
vollfommenern, gröffern und flärfern anfchauenden Er— 
Fenntniß Das Vergnügen und Mifvergnügen entfteht, 
folglich aus einer je richtigern, klaͤrern, deutlichern, leb- 
baftern und gemiffern anfchauenden Erfenntniß, defto gröſ⸗ 
fer und vollfommener find fie. 4) Je groͤſſer und ftärfer 
die Bergnügen und Mißvergnügen anderer Art find, zwi⸗ 
fhen denen oder mitten unter denen ein PBergnügen und 
Mifvergnügen dennoch empfunden wird, defto gröffer und 
ftärfer muß es feyn. Freylich, wenn fonft Fein Vergnügen . 
und Mißvergnügen anderer Art in der Seele angetroffen 
wird, oder wenn es fehr dunkel und ſchwach ift, fo Fan ein 
gewilles Vergnügen oder Mißvergnügen fehr lebhaft em- 
pfunden werden, weil das Gemüth alsdenn nicht zerfireuet 
iſt; allein deswegen ift es nicht gleich um fo viel ftärfer. 
Wenn aber z. E. das Vergnügen über GOtt, mitten un« 
ter allen Mißvergnügen, weldyes ung die Sünde und an« 
dere Uebel verurfachen, und mitten unter den Veranüguns 
gen über andere Güter, dennoch in einer gehörigen Stärfe 
fortdauern Ean, fo mufi e8 fehr groß feyn, weil es fo viele 
Hinderniffe zu überwinden im Stande ift. Beny dieſer 
Gelegenheit fönnen wir einige gewöhnliche Ausdrüce er» 
Elären, und dadurch die Natur des Vergnuͤgens und Miße 
vergnügeng etwas erläutern. Alles dasjenige ergoͤtzt oder 
vergnuͤgt uns, welches eine Urſach des Vergnuͤgens iſt. 
So ſagt man, daß die Tugend und Suͤnde die Menſchen 
ergoͤtzen. Dasjenige, was das Vergnuͤgen vermehrt, wird 
bequem oder angenehm genennt. So verſteht man, 
durch die Beqemlichkeiten des Lebens, alles dasjenige, was 
unſer Vergnuͤgen vermehrt. Und wenn man jemanden be— 
ſucht, und man trift bey ihm ſchon Geſellſchaft an, ſo iſt 
man ihm ein angenehmer Gaſt, wenn man ſein Vergnuͤgen 
vermehrt. Unbequem iſt alles dasjenige, wodurch das 
Vergnuͤgen vermindert wird; man nennt es auch unan— 
genehm; als wenn man jemanden, zu einer unbequemen 

2 Zeit, 


294 Von dem Derrnügen und Mißvergnuͤgen. 


Zeit, befucht. Durch Unbequemlichfeiten des Lebens vers 
fteht man eben alles dasjenige, was unfer Vergnügen ver- 
mindert. Dasjenige, wodurch das Mißvergnügen ver- 
mehrt wird, heißt befchwerlich. So fält uns ein Bes 
ſuch beſchwerlich, wenn man ſchon mißvergnüget ift, und 
wenn uns derfelbe woran hinderlich fält, und alfo die Urs 
ſachen unferes Mißvergnügens vermehrt, Was aber dag 
Misvergnügen vermindert, das thut ums fanfte, oder 
iſt nicht unangenehm, als wenn man eine Wunde bat, 
fo wird ofte ein neuer Verband uns fehr fanfte thun. Und 
ein Beſuch ift unsnicht unangenehm, wenn er unfer Miß- 
vergnügen vermindert. 

$.. 656. 

Aus den Unterfuchungen der Grade des Vergnuͤgens 
und Mißvergnügens laſſen fid) einige Erfahrungen erklären, 
Die wir, von der unferfchiedenen Stärke des Vergnuͤgens 
und Mißvergnügens, haben. Nemlich das Gute und 
das Böfe, weldyes uns ergoͤht und mißvergnügt macht, 
iſt entweder zu der Zeit, da wir das Vergnügen und Miß« 
vergnügen darüber empfinden, gegenwärtig, oder es ift 
vergangen, oder es ift zukünftig. Wenn das erfte ift, fo 
empfinden mir innerlich oder zugleich Aufferli das Gute 
und das Boͤſe, in den andern Fällen aber ftellen wir es 
uns durd) die Einbildungsfraft vor, oder wir fehen es vor⸗ 
ber. Da nun die Empfindungen der Art nach ftärfere und 
Flärere Borftellungen find, als die Einbildungen und Vor— 
berfehungen $, 538. fo ift auch, das Vergnügen und Miß- 
vergnügen über das Gegenwärtige, gewöhnlicher Weiſe 
ſtaͤrker und Elärer, als das Vergnügen und Mißvergnügen 
über das Vergangene und Zufünftige; und es ift daher 
ganz natürlich, daß durch das erftere Die leßtern gewaltig 
verhindert, verdunkelt und gefehwächt werden. Daher 


lehrt uns die Erfahrung, daß man, über einen gegenwärz , 


tigen vergnügten oder mißvergnügten Augenblick, gar leicht 
das Bergnügen und Mißvergnügen über vergangene und 
zufünftige Dinge aus der Acht läßt, Unterdeſſen da a 

ie 


a 


Don dem Vergnügen und Wißvergnügen. 295 


die Empfindungen geſchwaͤcht, und verdunfele werden koͤn⸗ 
nen, $. 539. fo Fan ebenfals ein Mifvergnügen und Der 
gnuͤgen, wenn es gleich über ein gegenmwärtiges Uebel oder 
Gut entfteht, verhindert, verdunfele und geſchwaͤcht wer: 
den, wenn man entweder ein vergangenes oder zukünfti- 
ges Uebel und Gut ſich viel fhlimmer und beffer anſchauend 
vorftelt ; oder wenn man, durch viele kleinere Mißvergnü- 
gen und Vergnügen über das Vergangene und Zufünftige, 
die Aufmerffamfeit zerſtreuet, daß fie zufammengenommen 
viel ſtaͤrker und Fiärer werden, als das Mifvergnügen und 


Bergnügen über das Gegenwärtige, So Fan ein Menſch 


Durd) eine vergangene Moth, und durd) die ſchmerzhafte 
Erinnerung vieler vergangenen Uebel, oder durch eine bes 
vorſtehende Noch, und durd) die Befuͤrchtung vieler bevorz 
fichenden Uebel, fo mißvergnüge werden, daß er das Ver— 
gnügen über Effen und Trinken, und andere angenehme 
gegenwärtige Umftände, kaum fühlt. And eben fo Fan 
ein Menſch, den Betrachtungen vergangener und zufünftiger 
Güter, fo ſehr nachhaͤngen, daß er feine gegenwärtigen 
elenden Umftände Faum fühle, Ein fterbender Frommer 
fühle kaum feine gegenwärtigen Schmerzen, Indem er ſich 
in dem Vorſchmacke der ewigen Freuden zu verliehren ſcheint. 


And wenn ein Vergnügen oder Mißvergnügen fo befchaffen 


üft, daß das Gemuͤth ohne demfelben ſich entweder in dem 
Zuftande der Gleihgültigfeit wenigftens bey nahe, ober 
in dem Zuftande des Gleichgewichts befinden würde; ſo 
iſt es bey nahe das einzige in der Seele, welches alfo gar 
Feine Hinderniffe in derfelben antrift S. 651. 653. Folglich) 
iſt es eben deswegen fo kbhaft, und es wird eben des» 
wegen mit einen fo groffem Bewußtſeyn gefühlt, 
weit die Aufmerffamfeit mit gefamleten Kräften dafs 
feibe anfchauen fan F. 521. Phlegmatifcye Leute, die ein 
träges einförmiges und ftilles Leben füren, find fi) eines 
Schmauſſes wer weis wie ftarf und lange bewußt, Und 
eben fo verhält es. fich auch mit den geringfien Schmerzen, 
die fie in ihrem Körper fühlen. 

T4 $. 657. 


296 Von dem Vergnügen und Mißvergnügen. 


$. 657. | 

Es äuffert fi) bier noc) ein merfwürdiger Umftand, 
durch welchen unfer Vergnügen und Mißvergnügen, einen 
verfchiedenen Grad der Stärke, befomt, Memlich alles 
Gute und Boͤſe Fan, in Abficht auf uns, in zwey Arten ab- 
getheilt werden. Zu der erften gehören unfere Güter, 
welche uns vollfommener machen, fie mögen nun entweder 
unfere Seele, oder unfern Körper, oder unfern äufferli- 
chen Zuftand vollfommener machen. Unſere Uebel ma- 
chen uns felbft unvollflommener, entweder in Abficht unfe- 
ver Seele, oder unferes Körpers, oder unferes Aufferlichen 
Zuftandes. Die übrigen Güter und Uebel find, in Abfiche 
auf uns, fremde Büter und Uebel. Die erftern Fan 
man auch, eigenthümliche Güter und Uebel nennen. 
Meine Gefundheit und Krankheit ift, in Abficht auf mich, 
ein eigenthümliches Gut und Uebel; aber die Gefundheit 
und Krankheit eines andern Menfchen ift, in Abficht auf 
mich, ein fremdes Gut und Uebel. Doch kan etwas zu 
beyden Arten zugleich, aber in verfchiedener Abficht , geho- 
ren, wenn man an den Gütern und Uebeln anderer Antheil 
nimt, 3. E. an der Gefundheit und Krankheit der Unfris 
gen. Die eigenthümlichen Güter und Uebel find entwe—⸗ 
der innerliche und einheimifche, oder äufferliche Güter und 
Liebel. Jene find in mir und meinem innerlichen Zuftande, 
würflid, als Geſundheit und Krankheit; diefe aber auffer 
mit, in meinem äufferlihen Zuftande, als Ehre, Reichthum, 
Beratung, Berluft der zeitlichen Güter. Und nun fönnen wir, 
zwey wichtige Anmerkungen, machen, Einmal, das Bergnü« 
gen und Mißvergnuͤgen über eigenthümliche Güter und Uebel 
ift gewöhnlicher Weife viel ftärfer, als über fremde, ob wir 
gleich). erkennen, daß die legtern viel gröffer find, als die 
erften. Und das fomt daher, weil wir uns unferer felbft 
viel jtärfer bewußt find, als anderer Dinge. Und da wir 
an den eigenthümlichen Gütern und Uebeln Antheil nehmen, 
und bey ihnen intereßirt find, fo werden wir mehr gereißt 
auf fie qchtung zu geben, als auf fremde, Bey ven leß- 
tern denft man: was gehen fie mir an? Wenn uns die 


Zähne 








Von dem Vergnügen und Wißvergnügen. 297 


Zähne wehe thun, fo fühlen wir den Schmerz ftärfer, als 
den Schmerz, den ein Franfer Menfch vor unfern Augen 
leider, ob wir gleich felbft erfennen, daß er viel mehr aus« 
fteht,, als wir. Daher fomts, daß ein jeder Mothleiden- 
der fich für den elendeften Menfchen hält, und daß er al- 
lemal bereit ift, feine Noth mit anderer Noth zu vertaufchen, 
Unfer eigen Glück freuer uns mehr, als das Gluͤck anderer 
Leute. Und fremde Güter und Uebel machen uns nicht 
eher vergnügt oder mißvergnügt, bis wir nicht irgends auf 
eine Art an ihnen Antheil nehmen, und fie als unfer eigen 
betrachten. in intereßirter Menfch ift, bey aller fremden 
Noth, unempfindlich. Wer aber denft: ich bin ein 
Menfc und nichts Menfchliches ift in Abficht auf mid) 
ganz fremde, der fühlt au) die Moth feiner Nebenmen— 
fhen. Folglich wächlt unfer Vergnügen und Mißvergni- 
gen nicht vornemlich, durch die Vorftellung der Groͤſſe 
des Guten und DBöfen in vem Gegenftande ; fondern vor- 
nemlid) durd) die Gröffe des Antheils, den wir an ihnen 
nehmen. Daher fönnen wir auch nicht verbunden werden, 
fremde Menfchen überhaupt mehr zu lieben als unfere Bers 
wandten, ob wir gleic) geſtehen müflen, daß fie viel voll- 
fommener find als die legtern. Zum andern, die innerlis 
chen Güter und Lebel erwecken ung gewöhnlicher Weite ein 
ftärferes Vergnügen und Mißvergnügen, als die aufferli- 
hen, weil fie uns näher angehen, und alfo unfere Aufmerk— 
famfeit ftärfer befchäftigen. Der Berluft der Aufferlichen 
Güter greift uns, wenn übrigens alles von beyden Geiten 
gleich ift, nicht fo ffarf an, als Kranfheiten und dergleis 
chen Uebel, die in unferm innerlichen Zuftande befindlich find. 
Und welches äufferlihe Gut fan uns fo ftarf vergnügen, 
als das Gefühl des guten Gemiffens ? 


. 658. 

Wenn mir ein Gut oder ein Uebel anfchauend erfen« 
nen, fo ftellen wir uns entweder jenes bloß als gut, und 
diefes bloß als böfe vor, oder wir ftellen ung den Gegen— 
ftand als etwas gutes und böfes zugleicdy vor, Wenn wir 

25 ung 


298 Von dem Vergnügen und Mißvergnügen. 


uns etwas bloß als gut anfchauend vorftellen, fo entſteht 
Daher ein reines Vergnuͤgen; welches deswegen rein ge: 
nannt wird, weil es mit feinem Mißvergnuͤgen untermengt 
ift. Ein reines Vergnügen Fan entweder über. einen Ge— 
genftand entstehen, welcher gar Feine Unvollfommenbeiten 
an fich bat, wie z. E. das Vergnügen über GOtt; oder 
über eine Sache, die wir bloß von ihrer guten, Seite be: 
trachten. Alsdenn koͤnnen uns die Unvollfommenheiten 
derfelben entweder unbekannt feyn, oder wir abftrabiren 
von ihnen, oder wir ftellen ung viefelben bloß ſymboliſch 
vor, So genießt fogar mancher Sünder über die Liebe, 
über eine gute Malzeit, über die erften Ausübungen der 
Sünde, ein reines Vergnügen, Wenn wir uns aber. et: 
was bloß als ein Uebel anfchauend vorftellen, fo entftehe 
daher ein blofjes Mlißvergnügen, welches mit gar kei⸗— 
nem Dergnügen vermifche iſt. Ein bloffes Mißvergnüs 
gen entſteht allemal, wenn uns an einer bofen Sache die 
Vollkommenheiten derfelben ganz unbefanne find, oder 
wenn wir von ihnen abftrahiren, oder wenn wir uns die— 
felben bloß fymbolifch vorftellen. So geht es mehrentheils 
uns Menfchen, wenn wir in eine Noth verwicelt find, 
ir fehauen diefelbe anfangs bloß von der böfen Seite an, 
und wenn ung auch jemand Die gute Seite derfelben zeigt, 
fo ftellen wir uns diefelbe doch nur fombolifch vor. Nun 
gefchiebt es fehr ofte, daß wir in einem Gegenftande feine 
Bollfommenbeiten und Unvollfommenbeiten zugleich ans 
fehauen, und alsdenn empfinden wir über denfelben zugleich 
ein Bergnäügen und Mißvergnügen. And da ift, ein drey— 
facher Fall, möglich.  Erftlic) wenn das Vergnügen und 
Mifvergnügen über eine und eben diefelbe Sache einander 
. gleich find, wenigftens fo viel man merfen Fan, und als: 
benn ftehen wir in dem Zuftande des Gleichgewichts 
in Abficht auf diefelbe Sache. Dabin gehören alle 
die Falle, in denen wir zwar geneigt find eine Sache zu 
begehren oder zu verabſcheuen, allein in denen wir noch zu 


keinem Enefchluffe kommen Fonnen, welches unter beyden 
| man 


| 
| 
| 





Von dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen. 299 


man thun will. Zum andern, wenn das Vergnügen über. 
eine Sache ftärfer ift als das Mißvergnügen, welches wir: 
zu eben der Zeit über diefelbe empfinden, und alsdenn ha— 
ben wir ein füffes Mißvergnuͤgen, z. E. über eine vor- 
trefliche ITuagoedie, oder wenn wir einem guten Freunde 
einen Dienft leiften, der uns befchwerlich iſt. Zum drit— 
ten, wenn das Mißvergnügen über eine Sache ftärfer ift, 
als das Vergnügen, welches wir zu eben Der Zeit über 
diefelbe empfinden, und alsdenn haben wir ein bitreres 
Vergnuͤgen, und hieher gehören alle die Fälle, va man 
etwas thut, welches ung mehr Verdruß als Vergnügen 
macht, als wenn man mit Gewalt eine Arzeney nimt, Die 
uns fehr efelhaft iſt. Nun find, alle endliche Dinge, gut 
und böfe zugleich $. 199. Wenn man alfo ein endliches 
Ding betrachtet, wie es in feinem ganzen Umfange be— 
ſchaffen ift, fo muß es uns gefallen und mißfallen zugleich, 
und fein einziges derfelben Fan uns ein veines Vergnügen, 
oder ein bloffes Mifvergnügen geben. Wenn wir alfo 
wollen, fo Fan uns allemal alles Böfe in der Welt einiges 
Vergnügen geben, und man Fan es fich nicht befremden 
lafjen, wenn alle zeitlichen Güter uns ein Mißvergnügen 
verurfachen. 
8§. 659 


Eine Vollkommenheit, in fo ferne fie finnlich erkannt 
wird, beißt eine Schönheit 5 und eine Unvollkommen— 
heit, in fo ferne fie auf eben die Art erfannt wird, heiße 
eine Haͤßlichkeit. Jederman gibt zu, daß das wahre 
Schöne was guts und vollfommenes fey, und daß das 
wahre Häßliche was bofes und unvollfommenes fey. Al— 
lein man nennt eine Bollfommenbeit nicht eher ſchoͤn, bis 


man fie nicht finnlich ſich vorftelt, und eine verworrene in- 


nerliche Empfindung davon hat. Daher fagt man; der 
Wein ſchmeckt ſchoͤn, eine Blume riecht ſchoͤn, eine Muſie 
klingt ſchoͤn, ein Geſicht ſieht ſchoͤn aus. Und eben fo 
nennt man eine Unvollkommenheit nicht eher haͤßlich, bis 
man ſie nicht ſinnlich ſich vorſtelt, und eine verworrene in— 

nerliche 


300 Von dem Vergnügen und Mißvergnügen. 


nerliche Empfindung davon bat. Daher ſagt man: eine 
Speife fehmesft garftig oder haͤßlich, ein haͤßlicher Geruch, 
ein haßliches Geſicht u. ſ. w. Es Fan fen, daß man diefe 
Wörter ofte in einer andern Bedeutung nimtz allein wo 
ift ein Wort zu finden, welches beftändig in einerley Be: 
deutung gebraucht wird ? So viel aber ift Elar, daß das, 
was wir die Schönheit nennen, alsbald verſchwindet, fo 
bald man ſich feine Bollfommenbeit deutlich vorftelt, z. E. 
wenn man fich die Accorde in der Mufic, Durch geometri- 
ſche Berbältniffe in Zalen, vorftel. Und wenn man die 
häßlich klingenden Tone eben fo vorftelt, fo fühlt man Die 
Haͤßlichkeit gar nicht mehr. Da nun das Bollfommene 
ein Bergnügen, und das Unvollfommene ein Mißvergnuͤ— 
gen verurfacht, wenn beydes anfchauend erfannt wird $. 651. 
fo ift es auch ganz natürlicd), daß uns das Schöne gefält 
und das Häßliche mißfällt, wenn wir beydes anfchauend 
erfennen, und es ift unmöglich, Daß das Vergnügen an den 
Schönheiten und das Mifvergnügen über die Haßlichfei- 
ten überhaupt eine Sünde feyn folte, 
— 

Alles unſer Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen iſt veraͤn— 
derlich, weil es wuͤrkliche Beſtimmungen unſerer Seele 
ſind, die ein endliches Ding iſt, und die Wuͤrklichkeit aller 
endlichen Dinge veraͤnderlich ift $. 193. Beyde entſtehen 
aus einer anfchauenden Erfenntniß, und fo bald diefelbe 
verändert wird, werden fie auch verändert $. ds. Mun 
ift unfere Erfenntniß, vielen und mannigfaltigen Veraͤnde— 
rungen, unterworfen: bald wird fie Flarer, bald dunkeler; 
bald ftärfer, bald fchwächer ; bald gröffer und den Gegen» 
ftänden proportionirter, bald Eleiner ; bald verändert ſich 
unfere wahre Erkenntniß in eine falfche, bald die falfche in 
eine richtige; bald wird fie gewifler, bald ungewiſſer. Alle 
diefe Beränderungen verändern auch, das Vergnügen und 
Mißvergnügen, Ja das Vergnügen über eine Sache fan 
ganz aufhören, wenn unfere Erfenntniß aufhört anfchaus 
end zu feyn, und Fan wohl gar mit Recht oder Unrecht in 

ein 








Von dem Vergnügen und Mißvergnuͤgen. 301 


ein Mißvergnügen verwandelt werden, wenn wir die Sache 
nicht mehr als gut, fondern als böfe betrachten. Auf eine 
ähnliche Art kan das Mißvergnügen über eine Sache ganz 
aufboren, und wohl gar in ein Bergnügen verwandelt wer: 
den. Manchmal verändern fich auch die Gegenftände, das 
Gute wird böfe, und das Böfe gut, und es ift alfo ganz 
natürlich, daß fich unfer Vergnügen und Mißvergnügen 
über folche Dinge ebenfals ändere. Es ift alfo unmögs 
lih, und wider alle Erfahrung, daß wir irgends ein Ver— 
gnügen und Mißvergnügen haben folen, welches ganz un- 
veränderlich wäre. Unterdeſſen verfteht es fich von felbft, 
daß einiges Vergnügen und Mißvergmügen ſchwerer ver- 
andere werden Fan, als ein anderes, und da nennt man 
jene ein beftändiges und Öauerhaftes Vergnügen und 
Mißvergnügen, und die übrigen, die leichter geändert 
werden fennen, heiſſen ein veränderliches oder vergäng- 
liches Dergnügen und Mißvergnuͤgen. Es komt bier 
nicht vornemlid), auf den Gegenjtand, an: denn unfer 
Vergnügen über GOtt, und andere unveranderliche Dinge, 
ift nur leider ofte gar zu veranderlich, Wenn ein Der: 
gnügen und Mißvergnügen, auf einer richtigen und gewif- 
fen Erfenntniß, beruber, fo ift es dauerhaft. Und fonder- 
lich rechnet man, zu dem dauerhaften Bergnügen, alles Ber- 
gnügen, welches nicht leicht ganz aufhören, und in ein 
Mißvergnügen verwandelt werden fan; und zu dem dauer: 
haften Mißvergnügen alles dasfenige, was nicht leicht auf: 
hören, und in ein Vergnuͤgen verwandelt werden fan, Das 
Bergnügen über die Sünde ift fehr veränderlih. Ehe 
man fichs verfieht gehn dem Sünder die Augen auf, 
und e8 verwandelt fich daffelbe in ein herbes 
Mißvergnuͤgen. 


ER DUB 


Das 


s02 Von dem Begehrungsvermoͤgen überhaupt. 


A Das andere Capitel, 
Don dem Begehrungsvermögen ſelbſt. 


Der erjte Abfchnit, | 
Bon dem Begehrungsvermögen überhaupt. 
$. 661. 


Wen wir uns einen recht deutlichen Begrif, von einer 
Begierde und von einer Verabſcheuung, machen 
wollen; fo muͤſſen wir dasjenige, was dabey in dem Koͤr— 
per vorgeht, abfondern: denn das gehört nicht weſentlich 
zu der Begierde und Berabfchenung, fondern es ift nur bey 
manchen Begierden und Verabſcheuungen noͤthig, um fie 
völlig zu vollſtrecken. Nun wollen wir uns nur Ein Beys 
fpiel vorftellen, wenn wir hungern und eine Speife begeh— 
ven, und eine andere verabfheuen. In dem erften Falle 
fteflen wie uns ı) ein Vergnügen über die Speife vor, 
nach welcher wir Verlangen tragen, Was uns gar nicht 
gefält, das begehren wir auch nicht. 2) Wir fehen diefes 
Bergmügen vorher, und erkennen, daß es in uns würflic) 
gemacht werden koͤnne. Ganz unbefante Güter begehren 
wie nicht, und was wir ung in Abficht auf uns als fein zu« 
kuͤnftiges Gut vorstellen, Das begehren wir auc) nicht. 
Niemand hungert nad) einer Speife, die ihm ganz unbe— 
kannt ift, und welcher unverrückter Menfch begehrt die koͤ— 
nigliche Würde, wenn er zwar ein Vergnügen drüber hat, 
allein fie nicht als ein Gut vorberfieht, welches ihm bevor— 
ftehe ? 3) Wir erfennen zum voraus, Daß dieſes Ver— 
gnügen durch unfere Kräfte koͤnne hervorgebracht werden, 
und wir bemühen uns daher, daflelbe zu würfen. And 
daher entfteht es nun, daß wir durch unfern Körper alles 
dasjenige thun, was bey dem Effen gefchieht, weil fonft 
das Vergnügen über die Speife nicht entftehen fan. Un— 
terdeffen fieht ein jedweder, daß in unferer Seele die gröfte 
Begierde nach einer Speife feyn Fan, obgleich der Körper 
die 





Von dem Begehrungsvermögen überhaupt. 303 


die Bewegungen nicht vornimt, welche wir vorzunehmen 


‚pflegen, wenn wir eſſen. Folglich entſteht noch Feine “Ber 


gierde, wenn wir gleich ein Bergnügen über ein bevorſte— 
hendes Gut vorberfehen, fo lange wir nicht vorauserken— 
nen, DaB es durch unfere Kraft hervorgebracht werden 
koͤnne. Geſetzt, Daß mir morgen etwas fehr angenehmes 
bevorftehe, und daß ich es auch vorherfehe: da ich erkenne, 
daß es über mein Bermögen gebt, die Zeit zu befchleuni- 
gen; fo werde ich auch nicht begehren, daß der morgende 


Tag heute fommen foll, ich müfte denn in ver Bermwirrung 


meiner Erfenntniß felbft nicht veche wiffen, was ich be- 
gehre. Folglich begehren wir, wenn wir uns bemühen, 
oder beftreben, oder wenn wir die Kraft unferer Geele be= 
ftimmen, ein vorhergefehenes Vergnügen würflih zu mas 
chen, oder eine vorbergefehene Vorſtellung, die uns ver: 
gnügt, gegenwärtig zu machen. Die Hegierden find 


Beſtrebungen, oder Bemühungen, oder Beftimmungen 


der Kraft unferer Seele, ein vorbergefehenes Vergnügen 
hervor zubringen. Nicht ein jedes Vergnuͤgen verurſacht 
eine Begierde, und noch vielweniger iſt das re 
felbft eine Begierde, 

$. 662, 

Nun fege man, daß ich eine Speife vor mir fehe, vor 
der mir efele: fo verabfcheue ich fie, wenn ich fie nicht ges 
nieſſe, und wenn ich wohl gar den erſten Biſſen, den ich 
in den Mund geſteckt, wieder von mir werfe. Und da 


lehrt die Erfahrung, daß bey dieſer Verabſcheuung folgen⸗ 


de Stuͤcke vorkommen. 1) Wir ſtellen uns ein Mißver— 
gnuͤgen, eine Empfindung vor, die uns mißfaͤlt. Was 
uns ganz gleichgültig ift, was uns gar nicht mißfält, dag 
verabfcheuen wir auch nicht. 2) Wir fehen diefes Miß— 
vergnügen vorher, und fellen uns vor, daß es uns bevorz 
ſtehe. Gin Uebel mag uns noch fo unangenehm feyn, ftelz 
len wir uns vor, daß mir vor demfelben ganz fidyer find, 
und Daß e8 uns gar nicht bevorſtehe, ſo — wir 
es AU) nicht; wir 4 denn, in der Verwirrung des 

— Gemuͤths 


304 Von dem degehrungsvermögen überhaupt. 


Gemüths, ung einbilden, daß es uns bevorftehe, 3) Wir 
erkennen zum voraus, Daß es durch unfere Kräfte koͤnne 
gehindert werden, und wir bemühen uns daher, e8 zu ver: 
hindern. Was wir uns als ein bevorftehendes aber ganz 
unvermeidliches Uebel und Mißvergnuͤgen vorftellen, das 
fan ung zwar einen groffen Schmerz verurfachen ;. allein 
roir verabfcheuen es nicht, es müfte denn unfer Gemüth in 
einer groflen Unordnung ſeyn. Kin Mifferhäter, der ge- 
£öpft werden foll, wird zwar fehr mißvergnügt feyn Eönnen, 
allein wer tadelt ihn nicht, wenn er feine Strafe verab- 
feheuet, oder fich bemühet, fie zu hindern ? Folglich ver: 
abfcheuen wir, wenn wir uns bemühen, oder beftreben, 
oder wenn wir die Kraft unferer Seele beftimmen, ein vor— 
bergefehenes Mifvergnügen, oder eine vorhergefehene Em— 
pfindung, die uns mißfält, zu verhindern. Da nun etwas 
gehindert wird, wenn fein Öegentheil wuͤrklich wird $. 174. 
fo verabfcheuen wir eine Sache, wenn wir ihr Gegentheil 
begehren. Die Verabfcheuungen find Beftrebungen, 
oder Bemühungen, oder Beſtimmungen der Kraft unferer 
Seele, ein vorhergefehenes Mißvergnügen zu verhindern. 
Nicht ein jedwedes Mifvergnügen verurfacht eine Verab- 
fheuung, und noch vielmweniger ift das bloffe Mißvergnü- 
gen eine Verabſcheuung. Was der Körper bey den Ver— 
abfcheuungen thut, gehört nicht felbft zu der Berabfcheuung: 
denn unfere Seele Fan 3. E. eine Arzney verabfcheuen, und 
mir ſchuͤtten fie doch manchmal mit Gewalt in den Hals, 
Man Fan alfo fagen, daß, gleichwie die Begierden unferer 
Seele nichts anders find, als Bemühungen ihrer Kraft, 
eine vorhergefehene angenehme innerliche Empfindung her— 
vorzubringen;, alfo die Berabfcheuungen derfelben in dem 
Beftreben ihrer Kraft beftehen, vorbergefehene unangeneh⸗ 
me innerliche Empfindungen zu verhindern, | 
$. 663. 

Da wir nun begehren und verabfchenen, fo fan auch 
die Seele begehren, und verabfcheuen $. 61. und fie befißt 
alfo ein Vermögen dazu, und das ift das Begehrungs⸗ 

vermo⸗ 





Von dem Begehrungsvermoͤgen uͤberhaupt. 305 


vermoͤgen. Man nennt es auch manchmal den Willen, 
und da braucht man das Wort in einer weitern Bedeu— 
tung. Ein geringes Nachdenken kan uns überzeugen, daß 
da die Seele eine Borftellungsfraft der Wele ift, ihre ganze 
Gefchäftigfeit darin ‚beftebe, Daß fie immer andere und an- 
dere Vorftellungen in fich hervorbringt. Da nun darin 
Das Begehren befteht, fo find die Begierden die Handlun- 
gen der Kraft der Seele, und eine wuͤrkliche Seele begehrt 
unaufbörlich, weil eine würfliche Subftanz unauf hoͤrlich 
handeln muß $. 169. 164, Zugleich erhellet auch, aus den 
bisherigen Erklärungen der Begierden und Verabſcheuun⸗ 
gen, das Geſetz, welches die Matur dem Begehrungsvermoͤgen 
vorgeſchrieben hat. Nemlic): wenn wir von einem 
vorhergefehenen Dergnügen erkennen, daß es durch 
unfere Kraft Eönne hervorgebracht werden, fo be- 
müben wir uns, es zu wirken, und das iſt das Gefeg, 
nach welchem alle unfere Begierden entftehen $. 661. Und 
wenn wir von einem vorbergefebenen Mißvergnü- 
gen zum voraus erkennen, daß es durch unfere Kraft 
Eönne gebindert werden, fo bemühen wir uns, es zur 
verhindern. Diefes ift das Gefeß, nach welchem alle un- 
fere Verabfcheuungen erfolgen $. 662, Daher ift klar, 
Daß, der Grund aller unferer Begierden und Verabſcheu— 
ungen, in angenehmen oder unangenehmen Vorherſehun— 
gen und Borauserfennungen liege ; oder daß die Kraft un- 
ferer Seele, durch vorhergehende angenehme und unanges 
nehme Borherfehungen und Borauserfennungen, beitime 
werde zu begehren und zu verabfiheuen. Freylich Fonnen 
wir Begierden und Berabfehenungen haben, bey denen wir 
uns der Beltimmungsgründe nicht bewußt find. Allein 
Daraus folgt nicht, daß Feine folche Gründe vorhanden find. 
Wenn eine Begierde und Berabfcheuung, oder, mit einent 
Worte, eine Gefchäftigkeit der Borftellungsfraft ver Seele 
nicht, aus einer. vorhergehenden Erfenntniß, entjtünde, fo 
müfte fie entweder übernatürlicher Weiſe entfteben, oder 
gar feinen Grund haben, und das letzte iſt lechieldings 

3. Theil. u un⸗ 


56 von dem Begehrungsvermögen überhaupt. 


unmöglich. Dieſe Gefeße des Begehrungsvermögens ent- 
decken uns, die Weisheit und Güte des Urhebers unferer 
Natur. Je unvollkommener ein Ding it, defto mehr Ber: 
neinungen find in ihm, und defto mehr nähert es fid) dem 
Nichts und dem Untergange; je vollfommener es aber ift, 
defto weiter ift es von feinem Untergange und von dem 
Nichts entfernt. Da nun unfere Seele, wie alle denfende 
Weſen, einen Trieb zu ihrer Erhaltung, und einen Abſcheu 
vor ihrem Untergange hat; fo äuffere fich beydes dadurch, 
daß wir nichts anders begehren, als was wir uns als quf, 
und nichts anders verabfcheuen, als was wir uns als böfe 
vorfteffen. Dadurch ift Die Kraft der Seele beftimt, ihre 
Vollkommenheit zu würfen und ihre Unvollfommenbeit zu 
verhindern, und fich folglich immer weiter von dem Nichts 
und dem Untergange zu entfernen. Ja da die Seele ein 
Theil der beiten Welt ift, in dieſer Welt aber immer die 
meiften und gröften Vollkommenheiten, die jedesmal in ihe 
möglich find, hervorgebracht werden muͤſſen; fo Bat, das 
Begehrungsvermögen der Seele, diefen Gefegen unterwors 
fen werden müffen. Denn die denfenden Wefen find in 
der Welt, unter der Aufficht GOttes, die Baumeifter, 
welche nach) Einfichten den Bau der beften Welt fortfegen. 
Sie muften alfo nothwendig fo eingerichtet werden, daß fie 
nur dasjenige begehren Fonnen, was ihnen gut zu ſeyn 
dünft, und dasjenige nur verabfihenen, was fie jich als boͤſe 
vorftellen. 
700m 

Wir nehmen alfo durch die Erfahrung an, daß mir 
nichts begehren Fönnen, als in fo ferne wir es uns als gut 
vorftellen, und folte es auch gleich was böfes feyn; und daß 
wir nichts verabfcheuen Fönnen, als in fo ferne wir eg ung 
als böfe vorftetien, und folte es auch gleich was guts feyn. 
Mit diefer Theorie Fan es vollfommen bejtehen, daß wir 
viel Guts nicht begehren, und viel Böfes nicht verabfcheuen, 
wie ung die Erfahrung lehrt. Memlich wir begehren das 
Gute nicht: 1) mas uns ganz unbefannt iſt; denn * 
an 











Von dem Begehrungsvermoͤgen überhaupt, 307 


fan uns nicht gefallen $. 648. und es ift unmöglich, daß 
wir Güter begehren folten, die uns ganz unbefanne find, 
2) Was wir bloß ſymboliſch erkennen. Gegen dergleichen 
Güter find wir ganz gleichgültig $. 648. und Fönnen fie 
alfo unmöglich begehren. Co erfennen viele Gelehrte 
GOtt, die Tugend, die Religion; weil aber ihre Erfennt= 
niß bloß ſymboliſch ift, fo haben fie Feine Begierde nach 
diefen Dingen. 3) Was uns durch einen Irrthum miß— 
faͤlt. Alsdenn ftellen wir ung das Gute als böfe vor, und 
weil das Begehrungsvermögen blind ift, und durd) die Er: 
Eenneniß geleitet wird, fo ift es fo weit entfernt, daß wir 
daffelbe begehren folten, daß wir vielmehr daſſelbe verab: 
ſcheuen. Weil vielen Menfchen die Tugend mißfält, fo 
verabfcheuen fie Diefelbe. 4) Was uns zwar gefält, was 
wir aber nicht vorherfehen. Alsdenn erkennen wir, daßes 
ganz vergeblich fen, ein folches Gut zu begehren. Wem 
gefaͤlt nicht die Allwiſſenheit, wenn wir fie in der Gottes— 
gelahrheit gehörig unterfuhen? Allein welcher vernünftiger 
Menfchbegehrt, alfwiffend zumerden? 5) Wasuns zwar 
gefält, und was wir aud) vorberfehen, allein wovon wir 
gar nicht zum vorauserfennen, daß es durd) unfere Kraft 
Fönne hervorgebracht werden. Alsdenn erkennen wir die 
Vergeblichkeit unferer Begierde darnach, und wir erwarten 
diefes zufünftige Gut geruhig $. 661. Eben fo fan man 
zeigen, daß wir viel Böfes gar nicht verabfcheuen: x) was 
uns ganz unbekannt iſt. Solche Dinge Fönnen ung gar 
nicht mißfallen $. 648. und folglic) Fönnen wir fie auch 
nicht verabfcheuen. 2) Was wir uns bloß fombolifch vor- 
ſtellen: denn gegen folhe Dinge find wir ebenfals ganz 
gleichgültig $. 648. und da fie uns alfo nicht mißfallen, fo 
verabfcheuen wir fie auch nicht. So haben viele Weltweiſe 
eine Erfenntniß von dem Lafter, da diefelbe aber bloß ſym— 
bolifch ift, fo verabfcheuen fie daffelbe nicht. 3) Was uns 
gefält, weil wir es uns durch einen Irrthum als was Gu— 
tes vorftellen. Es ift fo weit entfernt, daß mir fölche Uebel, 
die uns gefallen, verabſcheuen folten, daß wir fie vielmehr 

U 2 be⸗ 


308 Von dem Begehrungsvermögen überhaupt: 


begehren. So begehren wir Menſchen das Laſter, weil 
uns ein bezaubernder Irrthum verleitet, an demſelben ein 
Vergnuͤgen zu finden, 4) Was uns zwar mißfält, was 
wir aber gar nicht vorherfehen: denn wir erkennen, daß wir 
eine ganz vergebliche Arbeit thun würden, wenn wir ders 
gleichen Uebel verabfiheuen wolten, Denn da fie uns gar 
nicht bevorftehen, wenigftens unferer Meinung nad), fo iſt 
es auch ganz unnöthig, uns zu bemühen, fie zu verhindern. 
So fünnen wir von manchen Krankheiten mit Berdruß re 
den, weil wir fie aber nicht zu befürchten haben, fo verab⸗ 
feheuen wir fie auch nicht. 5) Was uns zwar mißfält, 
und was wir auch vorberfehen, wovon mir aber nicht. zum 
voraus erfennen, daß wir es durch unfere Kraft hindern 
koͤnnen. Alsdenn betrachten wir es als’ ein ganz unver- 
meidliches Uebel, wir unterwerfen uns demfelben, und wir 
bemühen uns nur, es fo gut zu erfragen, als möglich iſt 
§. 662. 
—66 nit | 

Wenn man die Begierden und Verabfeheuungen, it’ 
Abficht auf ihre Urfachen in der Seele, betrachtet; fo ent— 
ſtehen fie famtlich) aus der anfchauenden Erfenntniß, aus 
der Beurtbeilung der Dinge, aus dem Vergnügen und 
Mißvergnügen, aus einer Vorherfehung, und Vorauser— 
Eennung $ 663. . Nun werden, alle diefe Arten der Vor— 
ftellungen, durch die Kraft der Seele gewuͤrkt, wodurd) fie 
fich die Welt nach) der tage ihres Leibes vorftelt, wie indem 
vorhergehenden gezeigt worden. Folglich müffen auch, Die: 
Begierden und Verabſcheuungen, durch diefe Kraft ges 
würfe werden. Wenn die VBorftellungskraft der Welt, 
den binreichenden Grund der Begierden und Verabſcheuun— 
gen, würflich macht; fo ift gar Fein Zweifel, daß fie nicht 
auch diefelben felbft würflich machen folte. Betrachtet: 
man aber die Begierden und Berabfcheuungen felbft, ihrer 
wefentlichen Befchaffenheit nach; fo find fie nichts anders, 
als die mannigfaltigen Gefchäftigfeiten und Handlungen 
der Vorftellungskraft der Seele, Die Erfenntniß, welche. 
in 


Von dem Begehrungsvermoͤgen überhaupt. 309 


in der Seele nach und nach wuͤrklich wird, wird entweder 
bloß als eine Abbildung ihrer Gegenſtaͤnde betrachtet, und 
in fo ferne hanget fie von den. verſchiedenen Erfenntnißver- 
mögen ab; oder man betrachtet fie in Abficht auf ihre Her- 
vorbringung durch die Kraft der. Seele, und info ferne 
wird fie durch eine Begierde gewuͤrkt. Eine jede Kraft 
‚Bandelt, wenn fie würflic) iſ. Und wer zweifelt daran, 
daß eine handelnde Kraft ihre Handlungen würfe? In fo 
ferne alfo die Borftellungskraft handelt, und dadurch ihre 
Borftellungen würft, in fo ferne ift fie eine Begehrungs- 
fraft. Die neuern Weltweiſen erklären die Seele durd) 
eine Borftellungskraft der Welt, und man bat ihnen des- 
wegen vorgeworfen, als wenn fie der Seele bloß einen Ber: 
fand zufchreiben, fie in einen bloffen fodten Spiegel ver- 
wandeln, und ihr Feinen Willen beylegen. Allein diefe 
Leute verftehen die Sache nicht recht. . Der Berftand ift 
ein bloſſes Vermögen, nicht aber die thaͤtige Vorſtellungs— 
Fraft, die wir der Seele zufchreiben, Die Vorftellungen 
find nicht bloffe Leiden, und eine Vorſtellungskraft ift fein 
todter Spiegel. Und wenn mar bloß dasjenige betrachte, 
was in der Seele felbit bey den Begierden und Verabſcheu— 
‚ungen vorgeht; fo gefchieht dabey nichts weiter, als daß 
wir uns bemühen, eine vorhergefehene Empfindung hervor- 
zubringen, oder zu verhindern, Weil nun dieſes ofte niche 
anders bewerfftelliget werden Fan, als wenn in der Kör- 
permwelt, dee Gegenftand der Empfindung, mürklich ge: 
macht oder verhindert wird; fo ift es eine Wirkung der 
Begierden und Berabfcheuungen, weiche aus der Vereini— 
gung der Seele mit dem Körper entfteht, daß wir durch 
„den Körper unfere Begierden und Berabfeheuungen zu voll: 


ſtrecken fuchen, 
666, 


$. 
: Das Begehrungsvermögen ift verfchiedener Grabe 
der Bollfommenheit fähig, welche überhaupt nach folgen- 
den Kegeln beurtheilt werden fönnen. 1) Je mehrere und 


mannigfaltigere Begierden und Berabfcheuungen mir auf 
43 einmaf 


sıo Vondemn Begehrungsvermoͤgen uͤberhaupt. 


einmal oder nach und nach haben, je oͤfter wir begehren und 
verabſcheuen, folglich je mehr Guts wir begehren und je 
mehr Boͤſes wir verabſcheuen, deſto groͤſſer iſt das Begeh— 
rungsvermoͤgen. Ein Menſch, der wenige Begierden und 
Verabſcheuungen hat, der verraͤth eben dadurch eine groſſe 
Schwaͤche feines Begehrungsvermoͤgens. 2) Je groͤſſer 
und ſtaͤrker unſere Begierden und Verabſcheuungen ſind, 
oder je groͤſſer das Gute und das Vergnuͤgen iſt, welches 
wir durch eine Begierde wuͤrklich machen, und je groͤſſer 
das Uebel und Mißvergnuͤgen iſt, welches wir zu verhin— 
dern fuchen, defto geöffer ift unfer Begehrungsvermögen. 
3) se geöffer und vollfommener die Urfachen unferer Be- 
gierden und Berabfcheuungen find, folglich je gröfler und 
vollfommener das Vergnügen und Mifvergnügen, die 
Vorberfehung und Vorauserfennung, und die dazu gehöri- 
gen Erfenntnißvermögen find, defto gröffer und vollfom- 
mener ift das Begehrungsvermögen. Je Fleiner und un: 
vollfommener aber diefe Urfachen find, defto Eleiner und 
unvollfommener ift auch das Begehrungsvermögen. Die 
Vollfommenheit und Unvollfommenheit des Begehrungs- 
vermögens hanget alfo, von der Bollfommenheit und Un— 
vollfommenheit des Erfenntnißvermögens, ab. Diefe 
Grade Fünnen, in befondern Fällen, auf eine mannigfalti- 
ge Art, mit einander vermifcht ſeyn. Die Kleinigkeit ei- 
nes Örundes unferer Begierden Fan, durch die überfchweng- 
liche Gröfle eines andern, fo reichlich erfegt werden, daß 
dennoch eine ftarfe Begierde entftehen Fan. Ofte begehren 
wir ein Gut fehr ftarf, deffen Worherfehung und Voraus: 
erfennung fehr ſchwach ift, mern es ung nur ein ungemein 
groſſes Vergnügen macht. Daher verabfcheuen wir man- 
che Uebel, die unvermeidlich find, fehr ftarf, weil wir ein 
fo erftaunliches Mißvergnügen drüber empfinden, daß mir 
Faum merfen, daß es uns unvermeidlich fey. Aus allen 
dieſen Uuterfuchungen erhellet demnach, daß die Begierden 
und Berabfcheuungen unferer Seele bald gröffer bald Flei- 
ner feyn £önnen, und da verfteht man, durd) Gemuͤths 

bewes 








Von dem Begebrungsvermögen überhaupt. zir 


bewegungen oder Affecten, alle gröffere Begierden und 
Verabſcheuungen, in fo ferne fie aus einer Flaren Erfennt: 
niß entftehen. Wenn ein Menfc) liebt, haßt, ſich fürchter, 
zornig iſt, fo befindet er fi in einer Gemuͤthsbewegung. 
Nun Fan jederman aus feiner eigenen Erfahrung wiſſen, 
daß er alsdenn merklich geoffe Begierden und Verabſcheu— 
ungen habe, weil er in diefen Zuftanden fo fehr gefchäftig 
ift, und daß er fich der Gründe bewußt fen, weswegen er 
eine fo groffe Begierde und Verabſcheuung bat. Folglich 
entftehen, die Gemuͤthsbewegungen, aus einer klaren Er: 
kenntniß. 
§. 667. 

Wenn wir begehren und verabſcheuen, ſo haben wir 
allemal Bewegungsgruͤnde, warum wir den Gegenſtand 
begehren oder verabſcheuen. Denn wenn wir begehren, ſo 
brauchen wir unſere Kraft, um etwas, das uns gut zu ſeyn 
ſcheint, hervorzubringen, und wenn wir verabſcheuen, ſo 
begehren wir, das Gegentheil einer Sache $. 661. 662. 
Folglich haben wir, bey allen unfern Begierden und Berab- 
fcheuungen, einen Zweck, den wir zur Abficht haben $.266. 
267. Folglich entftehen, alle unfere Begierden und Ver— 
abfcheuungen, aus Bewegungsgründen $. 267. welche des- 
halb Triebfedern des Gemuͤths genannt werden, weil fie 
die Kraft der Seele fpannen und anftrengen. Diefe Trieb- 
federn des Gemuͤths beftehen nicht bloß, indem Vergnügen 
und Mißvergnügen über den Gegenſtand felbft ; fondern 
auc) in einer Vorherſehung und Borauserfennung, daß 
wir im Stande find, den Gegenſtand hervorzubringen, oder 
zu verhindern $. 663. 664. Folglich koͤnnen wir angetrie— 
ben werden, etwas zu begehren, wenn wir uns nicht nur 
daffelbe vor fic) als was Guts anſchauend vorftellen, fons 
dern wenn wir. es aud) in den zufünftigen Umftänden be: 
£rachten, und anſchauend erfennen, daß wir alle Mittel in 
unferer Gewalt haben, oder haben koͤnnen, es hervorzu« 
bringen, daß diefe Hervorbringung leichte fey, und daß die 
Schwierigkeiten und Hinderniffe derfelben gehoben werden 

14 fönnen. 


312 Von dem Begehrungsvermoͤgen überhaupt. 


koͤnnen. Und eben ſo werden wir nicht nur angetrieben et⸗ 

was zu verabſcheuen, wenn wir es vor ſich betrachtet als 

etwas Boͤſes anſchauend erkennen, ſondern wenn wir es 
auch in den zukuͤnftigen Umſtaͤnden anſchauen, und gewahr 
werden, daß wir alle Mittel in unſerer Gewalt haben oder 
haben koͤnnen, es zu verhindern, daß dieſe Verhinderung 

leicht ſey, und daß die Schwierigkeiten derſelben nicht un— 

uͤberwindlich ſind. Manche Redner bilden ſich ein, daß 

ſie einem Menſchen, den fie antreiben wollen, etwas zu be— 
gehren oder zu verabſcheuen, hinlaͤngliche Bewegungsgruͤn— 

de vorgeſtelt haben, wenn ſie ihm daſſelbe als angenehm 

oder unangenehm, als gut oder als boͤſe vorgeſtelt haben. 

Allein wenn ſie vergeſſen, eine gehoͤrige Vorherſehung und 

Vorauserkennung zugleich hervorzubringen, fo werden dieſe 

Bewegungsgruͤnde niemals hinlaͤnglich ſeyn, eine Begierde 
und Verabſcheuung zu erwecken. Nun theilt man alle 

Erkenntniß in eine ruͤhrende Erkenntniß ein, und in 

eine Erkenntniß, die nicht ruͤhrt. Jene wird auch im 

weitern Verſtande eine lebendige Erkenntniß, und eine pra= 

ctifche Erkenntniß genannt, und diefe heißt im weitern Ver: 

ftande eine todte Erfenntniß. Jene beſteht in einer jed- 

weden Erfenneniß, in fo ferne fie Bewegungsgründe ent- 

hält; und in fo ferne eine Erfenntniß Feine Bewegungs⸗ 

gründe enthält, in fo ferne rüber fie nicht. Folglich ift alle 

fombolifhe Erfenneniß, in jo ferne fie ſymboliſch ift, in 

Abfiche auf ihren Gegenitand, und eine jedwede Erfennt- 

niß, die uns gleichgültig läßt, eine Erfenneniß, die nicht 

rührend ift $. 647. 648. Bloß die anfchauende Erkennt: 

niß ift rührend $. 647. Wenn wir uns alfo in dem Zu- 

ſtande eines reinen Vergnuͤgens, eines bloffen Mißvergnit- - 

gens, des Uebergewichts des Vergnügens oder Mißvergnuͤ—⸗ 

gens, befinden; fo ift unfere dermalige ganze Borftellung, 

rührend 9. 658, 653. Eine Erfenntniß, welche nicht rüb- 

rend ift, wird eine fpeculativifche Erkenntniß genannt, 

wenn fie font ſehr vollkommen iſt. Eine Erkenntniß fan 

fehr weitlauftig, richtig, guoß, -Elar und gewiß feyn. er 

ie 





Von dem Begehrungsvermoͤgen überhaupt. 313 


fie aber dieſer Vollkommenheiten ohnerachtet bloß ſymbo— 
liſch ſeyn kan, ſo ruͤhrt ſie nicht. So haben viele Men— 
ſchen eine vortrefliche Erkenntniß von GOtt, der ofte 
nichts weiter fehlt, als daß fie nicht rührend ift. Daher 
ſagt man, daß diefe Leute, Die ganze Lehre von GOtt, in 
eine trockene Speculation verwandeln. Und hieraus er- 
bellet nun, daß es auffer der Weitläuftigfeit, Groͤſſe, 
Wahrheit, Klarheit und Gewißheit der Erkenntniß 9.489. 
499. 491. 505. noch eine ſechſte Hauptvollfommenbeit der— 
felben gebe, die von den übrigen unterfchieden ift, und von 
ihnen nicht nothwendig abhanger, nemlich das Ruͤhrende 
einer Erfennenig. Kine armfelige, kleine, falfche, dun— 
fele und ungewifle Erfenntniß Fan rührend feyn. So viel 
‘aber ift unleugbar, daß eine rührende Erkenntniß allemal 
vollfommener ift, als eine Erfenneniß, die nicht ruͤhrt, 
wenn fie übrigens einander gleich ſind. Jene ift unleug- 
bar ftärfer als diefe, und alfo auch vollfommener $. 493. 
Ja fie ſtimt zu mehrern Zwecken, weil fie gefchickt ift, Be— 
gierden und Verabſcheuungen zu erwecken. Folglich je 
rübrender die Erkenntniß ift, oder je mehrere und ftärfere 
Begierden und Verabſcheuungen fie erwecken fan, je weits 
läuftiger, groͤſſer, richtiger, Flärer und gewiſſer fie zu 
gleicher Zeit ift, defto gröffer und vollfommener ift fie; je 
weniger fie aber rühre, defto Eleiner und unvollffommener 
iſt fie, 
$. 668. | 
Wenn wir begehren, fo frengen wir unfere Kraft an, 
um ein vorbergefehenes DBergnügen, famt feinem Gegen» 
ftande, hervorzubringen 9. 661, und wenn wir verabfcheuen, 
fo firengen wir unfere Kraft an, um ein vorhergefehenes 
Mißvergnügen, famt feinem Gegenftande ‚ zu verhindern 
$. 662. Da nun die unleugbare Erfahrung lehrt, daß eis 
ne Vorſtellung, ein Bergnügen und Mifvergnügen, eine 
Sache ; immer fehwerer hervorzubringen und zu verhindern 
iſt, als eine anderer fo Fan nicht ein jedes Bergnügen und 
Mipvevgnügen durch eine jede Anftrengung unferer Kraft, 
Us5 gewuͤrkt 


314 Vondem Begehrungsvermoͤgen überhaupt. 


gewürft und verhindert werden; fondern es wird, in einem 
jedweden Falle, zu dem Ende ein gewiſſer beftimter Grad 
unferer Kraft erfodert $. 255. Hierauf gründet fich, eine 
‚doppelte Einthejlung unferer Begierden und Verabſcheuun⸗ 
gen. 1) Sie find entweder würkende Begierden und 
Dersbfeheuungen, oder unwuͤrkende. Szene find fol. 
he ftarfe Anftrengungen unferer Kraft, als nöthig ift, um 
den begehrten Gegenftand würflih zu machen, und den 
verabfcheuten. zu verhindern, Sind unfere DBegierden 
und Verabſcheuungen nicht fo groß und ſtark, fo find fie 
unwuͤrkend. Wir können allemal aus dem Erfolge abneb- 
men, ob unfere Begierden und Berabfcheuungen würfend 
find, oder nicht. Gefegt ein Menfch begehre die Tugend, 
und verabfcheue das Laſter: übe er moürflic die Tugend 
aus, und unterläße er wuͤrklich dag Safter; fo find ſeine Be— 
giernen und Verabſcheuungen wuͤrkend: denn eine Würs 
fung fan unmöglicd) erfolgen, wenn nicht die Handlung, 
wodurch fie gewürft wird, groß genug ift. Wenn er aber 
die Tugend nicht ausübt, und das Laſter nicht unterläßt ; 
fo find feine Begierden und Verabſcheuungen ummürfend, 
und wenn er auch ein nod) fo groſſes Gefchrey, von der 
Aufeichtigkeit, feines Herzens , machen folte. Zum 2) find 
die Begierden und Berabfcheuungen entweder entfchlief- 
fende ,- befchlieffende Hegierden und Derabfcheuungen, 
oder Begierden und Derabfeheuungen, die nicht ent: 
fchliefjend find, oder die mit feinem Entſchluſſe verbuns 
den ſind. Jene find fo groß, daß fie, unferer Vorauser⸗ 


kennung nach, hinlänglich find, den Gegenftand zu wuͤr⸗ 


Eon oder zu verhindern ; diefe aber find unſerm Beduͤnken 
nad) kleiner, als zur Hervorbringung oder Verhinderung 
des Gegenftandes nöthig ift. Wenn wir etwas befchlieflen, 
fo find wir allemal verfichert, daß wir die Sache zu Stan- 
de bringen werden. So lange wir aber eine Sache noch 
nicht befchlieffen, fo lange fehen wir felbft, daß fie nicht zu 
Stande fommen werde, wenn wir fie nicht ftärfer mit dee 
Zeit begehren, als vor der Hand gefchieht. Nun Fönnen 


wir 


NULL V — 





Von dem Begebrungsveumögen überhaupt. 313 


wir uns, in diefem Stuͤcke, "gewaltig irren, Folglich ift 
es, einmal, möglich, daß wir einen Grad unferer Kraft für 
binlänglic halten Fönnen, um eine Sache hervorzubringen 
oder zu verhindern, der doch nicht hinreichend ift: weil wir 
unfere Kräfte durd) ein Bergröfferungsglaß betrachten, uns 
mehr Gefchicflichfeit zutrauen als wir befißen , die fünfti- 
gen Hinderniffe nicht fehen, oder ihre Wegräumung für 
leichter halten als fie in ver That ift u. ſ. w. Folglich Eöns 
nen, unfere befchlieffenden Begierden und Verabſcheuun— 
gen, unmürkend feyn. Wie ofte befchlieffen wir Menfchen 
nicht einen Rath, aus welchem nichts wird ? Der Natu⸗ 
raliſt entfchließe fi, vollfommen tugendhaft durch feine 
eigenen Kräfte zu werden; allein er iſt dazu zu ohnmaͤchtig. 
Und zum andern Fünnen wir unfere Kräfte für Eleiner bals 
ten, als fie find, wir Fönnen ung weniger Geſchicklichkeit 
zutrauen als wir haben, wir koͤnnen ung Hinderniffe vor- 
ftellen wo feine find, und Fleine Hinderniffe Fonnen ung 
unüberwindlich zu feyn feheinen u. f. wm. Folglich koͤnnen 
wir aus Zaghaftigfeit ofte etwas nicht befchlieffen, und wir 
machen es doc) wuͤrklich, und es koͤnnen alfo Begierden 
und Berabfeheuungen würfend ſeyn, die nicht befchlieffend 
find. Der Fromme geräth ofte in den Zuftand eines ängft- 
lichen Gewiſſens, und da bildet er ſich ein, er werde eine 
Verſuchung nicht überwinden fönnen ; wenn eg aber zum 
Treffen fomt, fan ers doch. Mancher Studierender hat 
ſich nicht entſchloſſen, ein groſſer Gelehrter zu werden. Er 
ſtudiret zaghaftig fort, und or wo ein groffer Gelehrter. 


Die rührende — — Begierden, und 
Verabſcheuungen $. 667. So viel Arten der Begierden 
und Verabſcheuungen es alfo giebt, in fo viel Arten Fan 
man die rührende Erfenntniß abtheilen. Folglid) fan. man, 
vermöge Des vorhergehenden Abfages, diefe Erfenntniß auf 
eine zweyfache Weife eintheilen. Einmal in die lebendi- 
ge, und todte Erkenntniß. Jene verurſacht würfende 
Begierden und Berabfehenungen; und diefe verurfacht ent. 

weder 


316 Von dem Begehrumgsvermögen überhaupt. 


weder gar feine Begierden und Verabſcheuungen, oder 
Doch nur ſolche, die nicht würfend find, und folten fie auch 
. ‚gleich enefchlieffend, und mit einem Borfage verbunden 
fenn $.:669. So nimt man die Wörter, lebendige und 
todte Erfenntniß, in einer engern Bedeutung, alses 9.667. 
gefihehen iſt. So fagt man: daß ein unbefehrter Menſch 
eine todte Erfenntnif von den göttlichen Wahrheiten babe, 
weil er durch diefeibe nicht würflich from wird, ob man 
gleich zugefteht, daß einem Unbefehrten die Frömmigkeit ge- 
fallen fönne, daß er fie begehren fönne, und wohl gar fi) 
entichlieffen Fönne, from zu feyn. Der Bekehrte aber bes 
fomt, in der Wiedergeburt, eine lebendige Erfenntniß, und 
die ift mit der Ausführung verbunden. Eine folde Er 
kenntniß ift allemal zu den Handlungen zureichend, und fie 
ift jederzeit mit der gehörigen Ausübung verbunden. Man 
kan demnach allemal:aus dem Ausgange erfennen, ob bie 
Erkenntniß lebendig oder todt fey. Eine jedwede rübrende 
Erfenntriß bat eine ruͤhrende und bewegende Kraft, 
welche in den Bewegungsgründen der Erfenntniß, die fie 
in fich enthält, befteht $.667. Und das Leben der Er⸗ 
kenntniß befteht in derjenigen Kraft, wodurch fie würfen» 
de Begierden und Verabſcheunngen verurfaht; die Kraft 
einer todten Erfenntniß ift, eine todte Kraft der Er⸗ 
kenntniß. Nun ift vor fich Flar, daß das Leben der Er— 
kenntniß eine Vollkommenheit fey, und alfo ift die lebendis 
ge Erfenntniß volltommener als die todte. Zum andern 
verurfacht eine rührende Erkenntniß entweder entſchlieſſende 
Begierden und Berabfcheuungen, oder nur folhe Begier— 
den und Berabfeheuungen, welche nicht entſchlieſſend find 
$. 668. Jene ift eine vollftändig rührende Erkennt⸗ 
niß, welche demohnerachtet todt im enaern Verftande feyn 
Fan; und diefe ift eine unvollftändig ruͤhrende Erkennt⸗ 
niß, welche demohnerachter lebendig im engern Berftans 
de feyn fan $. 668. Jene enthält vollftändige Bewe⸗ 
gungsgründe, und man ſchreibt ihr eine völlig oder 
vollftändig ruͤhrende Kraft zu; dieſe aber enthält un⸗ 

vollſtaͤn⸗ 


— — — en — — 


U 
* 


Von dem Begehrungsvermoͤgen uͤberhaupt. 317 


vollſtaͤndige Bewegungsgruͤnde, und man ſchreibt ihr 
eine unvollſtaͤndig ruͤhrende Kraft zu. Wenn wir 
noch nicht in gewiſſen Faͤllen zu einem Entſchluſſe kommen 
koͤnnen, fo duͤnkt uns, daß wir die Sache noch nicht voͤl— 
fig unterſucht haben, und wir haben alſo nur noch unvoll: 
Ständige Bewegungsgründe. Wenn wir uns aber entfchlief- 
fen, etwas zu thun oder zu unferlaffen ; fo bilden wir uns 
wenioftens ein, daß nichts weiter zu unterfuchen übrig fey, 
und unfere Bemwegungsgründe find, wenigftens unferer 
Meinung nad), vollitändig. Auch bier ift ohne Beweiß 
flar, daß eine vollftändig ruͤhrende Erkenntniß gröffer 
und vollfommener fey, als eine unvolljtändig ruͤhrende, 
wenn fie übrigens einander gleich find. _ Die allervollfom« 
menfte rührende Erfenntniß ift lebendig, und rührt zugleich 
auf eine vollitändige Art. Ob uns eine Erfenntniß volls 
ftändig rühre oder nicht, das willen wir allemal aus unfe- 
rer Erfahrung: denn wir find uns in allen Fällen bewußt, 
ob mir den Gegenftand befchlieffen, oder ob wir ihn ohne 
Vorſatz und Entſchluß begehren. 
67b 

Es iſt eine ſehr noͤthige Unterſuchung: ob unſer Be: 
gehrungsvermoͤgen allemal Begierden und Verabſcheuun— 
gen wuͤrke, welche den Gegenſtaͤnden und der Erkenntniß 
derſelben proportionirt ſind, oder nicht? Wir wollen dieſe 
Frage, in drey beſondere Fragen, zergliedern. 1) Sind 
unſere Begierden und Verabſcheuungen allemal ſo groß, 
nicht groͤſſer und kleiner, als die lebendige Erkenntniß, oder 
als alle Bewegungsgruͤnde zuſammen genommen, wodurch 
fie erweckt werden? Und dieſe Frage muͤſſen wir, ohne al— 
le Einſchrenkung, bejahen. Die Begierden und Verab— 
ſcheuungen ſind die Wuͤrkungen dieſer Bewegungsgruͤnde, 
und dieſe bringen eben den Grad der Kraft der Seele in 
Bewegung, wodurch jene gewuͤrkt werden. Nun iſt die 
Wuͤrkung allemal, der lebendigen Kraft, gleich $. 255. 
Folglich find, die Begierden und Berabfiheuungen, dem 
geben der Erkenntniß gleich, Je rübrender die Erkenntniß 


iſt, 


318 Von dem Begebrungsvermögen überhaupt, 


iſt, deſto gröffere Begierden und Verabſcheuungen wuͤrkt 
fie; je weniger fie aber ruͤhrend iſt, deſto kleiner und ſchwaͤ— 
er find die Begierden und Verabſcheuungen. Und in 
diefem Berftande muß man fagen, daß das Begehrungs« 
vermögen dem Erfenntnißvermögen proportionirt fey. 
2) Sind unfere Begierden und Verabſcheuungen, der Ers 
Eenntniß des Guten und Böfen, gleich, und fan man fagen: 
daß wir alle die Dinge ftarf begehren, die wir uns als groffe 
Güter, und ſchwach, die wir ung als kleine Güter vorftellen ; 
und daß wir alle die Dinge ftarf verabfcheuen, die wir uns 
als groffe Uebel vorftellen, und ſchwach, die wir uns als 
Fleine Uebel vorftellen? Diefe Frage müffen wir verneinen. 
Wir fonnen uns ofte zwey Güter vorftellen, das eine als 
fehr groß und das andere als fehr Flein, und das Fleine bes 
gehren wir doch ftärfer. So begehren viele Menfchen vie 
zeitliche Glückfeligkeit viel ftärfer, als die ewige, ob fie 
gleich) völlig überzeugt find, daß fie vielmals gröfler fen, 
als die zeitliche. Und fo verhält es fid) auch mit den Heben, 
die wir verabfeheuen. Die Stärke unferer Verabſcheuun⸗ 
gen richtet fihnicht allemal, nad) der Borftellung der Gröf- 
fe der Unvollkommenheit in den Gegenftänden, Und das 
komt daher, mweil wir, die Gröffe des Guten und Boͤſen, 
uns todt und fymbolifch vorftellen koͤnnen. Ich Fan alfo 
erkennen, daß das eine noch einmal fo gut und böfe fen, 
als das andere; wenn ich mir nun das Gröffere nicht fo les 
bendig 'vorftelle als das Kleinere, fo begehre und verab« 
fcheue ich esnicht fo ſtark, als das Eleinere, Folglich find unfere 
Begierden nicht allemal, unferer Erfenntniß der Grade 
des Guten und Böfen in den Gegenftänden, proportionirt. 
Und diefes ift eine wahre Unvollkommenheit, weil fie von 
dem Mangel des Lebens unferer Erkenntniß herruͤhrt. 
3) Sind unfere Begierden und Berabfcheuungen, den Ges 
genftänden felbft, proportionire ? Kan ich allemal ſchlieſſen: 
je beffer eine Sache ift, defto ftärfer begehren wir fie, je 
fchlechter fie aber iſt, deſto ſchwaͤcher; und je gröffer ein Lies 
bet ift, defto mehr, je Fleiner es aber ift, defto weniger 


verabfcheuen wires? Die tägliche Erfahrung lehrt ung, * 
unſern 

















Vondem Begehrungsvermoͤgen überhaupt. 319 


unfern Begierden und Verabſcheuungen, das Gegentheil. 
Und das komt von unferer Unmiffenheit her, weil uns, der 
wahre Grad der Vollkommenheit und Unvollkommenheit 
der Dinge, unbekannt ift, und weil wir ung groffe Dinge 
als klein vorftellen Eönnen. Daher begehren und verad« 
fcheuen wir groffe Dinge ſchwach, und Eleine ftarf. Das 
Begehrungsvermögen ift alfo um fo viel vollfommener, je 
proportionirter die Begierden und Verabſcheuungen dem 
wahren Grade des Guten und Bösen in den Gegenftänden 
find, und darin: befteht die Proportion des Begehrungss 
vermögens mit den Gegenftänden felbft. 


$. 67. 

Wenn unfer Gemüt fich, in Abficht auf eine Sache, 
in einen Öleichgerichte befindet, fo gefält ihm diefelbe und 
mißfalt ihm im gleihem Grade $.653. Folglich find die 
Dewegungsgründe, wodurch wir bewege werden, dieſe 
Sache zu begehren, den Bewegungsgründen gleich, die 
uns bewegen, fie zu verabfcheuen. Und wenn diefe Gleich“ 
beit vollfommen und gänzlich ift, fo ſteht unfer Gemüch 
in einem vollEommenen Bleichgewichte $. 667. Da 
nun, unfere Begierden und Berabfcheuungen, den Bewe— 
gungsgründen gleich find $. 670. fo begehren und ver; 
abfcheuen wir, in dem Zuftande des Gleichgewichts, den 
Gegenftand zugleich, und zwarim gleichen Grade, Folg- 
lich Fan man diefen Zuftand auch Durch denjenigen Zuftand 
erklären, in welchem mir eine gemwiffe Sache zur gleicher 
Zeit begehren und verabfiheuen, und zwar im gleichen 
Grade. Daher Fan man auch, fo lange das Öleichgewiche 
daurt, fich zu nichts entfchlieffen. Denn enefchlöffe ich mich, 
' die Sache zu begehren, fo müfte ich mic) auch zugleich ent; 
ſchlieſſen, fie zu verabfcheuen, weil die Berabfcheuung der 
Begierde, in diefem Zuftande, gleihift. Folglich müfte 
icch den Enefchluß faften, eine Handlung zugleich zu thun 
' und zu unterlaffen. Iſt diefes wohl moͤglich? Wenn ic) 
‚ mich entfchlieffe etwas zu thun, und es zugleich zu verab» 
ſcheuen, fo reiffe ich mit der einen Hand nieder, was ich) 
‚ mit der andern aufbaue, und ich widerfpreche mir felbft. 
| So 


320 Vondem Begehrungsvermögen überhaupt. 


So lange ich alfo in einem Gleichgewichte ftehe, ſo lange 
Fan ich mich nicht entſchlieſſen, ob ic) die Sache begehren 
oder verabfcheuen will; und fo bald ich zu einem Entſchluſ⸗ 
fe fomme, fo bald ift das Gleichgewicht gehoben, ex fals 
le nun auf eine Seite aus, auf weiche er will, und ich ge- 
vathe alsdenn in den Zuftand des Uebergewichts $. 653. 
das ift, in einen. Zuftand, in welchem wir eine Sache ent- 
weder mehr begehren als. verabfcheuen, oder. mehr verab— 
fheuen als begehren. Alsdenn macht uns die Sache 
Vergnügen und Mißvergnügen zugleich, aber in einem 
ungleichen Grade. Iſt das Vergnügen geöffer. als das 
Mißvergnügen, fo begehren wir die Sache ftärker, als 
mir fie verabfcheuen ; und zwar ift die Begierde um fo 
viel jtärfer als die Verabſcheuung, um wie viel die Be— 
wegungsgründe der Begierde groffer find, als die Bewe— 
gungsgründe der Berabfiheuung. Iſt aber; das Mißver— 
gnügen über. eine Sache ftärfer als das Vergnuͤgen 
über eben diefelbe, fo verabfcheuen wir fie mehr als wir fie 
begehren, und zwar ift die Berabfcheuung um fo viel ftärz 
fer als die Begierde, um wie viel die Bewegungsgründe 
der Berabfcheuung gröffer find, als die Bewegungsgründe 
der Begierde $. 670. Es iſt demnach Elar, Daß man fich 
einen höchft ungereimten und falfcehen Begrif von der Frey— 
beit des Willens macht, wenn man fie durch das Vermoͤ⸗ 
gen erklärt, fich, in dem Zuftande des vollfommenen Gleich- 
gewichts, in Abficht auf eine gewiſſe Handlung zu ent 
f&lieffen, fie entweder zu thun oder zu unterlaffen: denn 
wir haben gezeigt, daß in dem. Gleichgewichte des Ge— 
muͤths fein Enefchluß möglich ift. Und es ift ſehr laͤcher— 
lih, wenn man den Kath giebt, man folle in dem Gleich— 
gewichte das ficherfte thun. Denn wenn man eing unter 
zweyen begehren foll, und fie kommen uns beyde gleich que 
und gleich bofe vor, ausgenommen daß uns das eine ſiche— 
ver zu ſeyn feheint als das andere, fo ift das Gleichgewicht 
fhon gehoben. Die gröffere Sicherheit des einen giebt 
ung fchon, das Lebergewicht der Bewegungsgründe auf fei- 
ner Seite, So ofte wir etwas ungern und mit — 

willen 

















Don dem Begehrungsvermögen überhaupt, 321 


willen thun oder unterlaffen, fo ofte befindet fich unfer Ge, 
muͤth in dem Zuftande in Uebergewichts. 
2, 

Die bisherigen Betrachtungen überzeugen uns dem- 
nah, daß der unmittelbare Öegenftand aller unferer Be— 
gierden ein vorhergefehenes Bergnügen, und der ummittel- 
bare Gegenftand aller unterer Berabfceheuungen ein vorher 
gefehenes Mißvergnügen ſey. Manchmal haben unfere 
Begierden weiter Feinen Gegenſtand, z. E. die Begierde 
nad GOtt fan nichts anders feyn, als ein Beftreben nach 
einer zufünftigen Empfindung des Bergnügens über GOtt. 
Manchmal aber haben fie zu ihrem mittelbaren Gegenftan= 
de eine zukünftige Sache, welche, wenn fie würflich wird, 
das Vergnügen und das Mißvergnügen verurfacht, welz 
ches wir zunächft begehren und verabfcheuen. Alsdenn 
fließt, aus unfern Begierden und Verabſcheuungen, zus 
gleich das Bemühen, dieſe zufünftige Sache hervorzubrin. 


gen oder zu verhindern, als wenn wit z. E. eine Speiſe 


begebren oder verabfcheuen. Aus alle diefem ift demnach 
Elar, daß der Gegenftand aller unferer Begierden und Vers 
abfcheuungen was zufünftiges fey, menigftens etwas, fo 
wir uns als zufünftig. vorftellen, wir mögen uns nun in 
diefem Stüde irren oder nicht. Folglich) koͤnnen wir. ges 


genwaͤrtige und vergangene Saden, in fo ferne wir fie 


uns als gegenwärtig und vergangen vorftellen, weder 
begehren noch verabicheuen; indem es nicht möglich ift, 
daß wir fie in fo ferne folten hervorbringen oder verhindern 
koͤnnen. Unterdeſſen feheint diefes der Erfahrung zumider 
zu feyn, indem wir uns über dergleichen Dinge freuen, und 
betrüben, Freude aber iſt eine Begierde, und Betruͤbniß 
eine Verabſcheuung. Allein bey genauerm Nachdenken 
wird man finden, Daß wenn man vergangene und gegen= 
wärtige Sachen zu begehen feheint, man nichts anders 
begehrt, als die Fortdauer derfelben, oder die Wiederho— 
kung des Vergnuͤgens über diefelben, oder die guten Folgen 
und Würfungen, die wir uns davon verfprechen, Eben 

3 Theil, E fo, 


322 Von dem Begehrungsvermoͤgen uͤberhaupt. 


ſo, wenn wir vergangene und gegenwaͤrtige Dinge zu ver— 
abſcheuen ſcheinen, ſo verabſcheuen wir ihre Fortdauer, oder 
die Wiederholung des Mißvergnuͤgens daruͤber, oder die 
boͤſen Folgen derſelben, die wir vorherſehen. Alle dieſe 
Sachen aber ſind, zukuͤnftige Sachen. Wenn wir ein 
vergangenes Uebel verabſcheuen, fo ſtellen wir uns entwe— 
der allemal vor, daß ſeine boͤſen Folgen noch nicht aufhoͤ— 
ren, oder wir ſuchen das Mißvergnuͤgen zu verhindern, 
welches die Erinnerung an daſſelbe verurſacht. Unterdeſ— 
ſen geben wir zu, daß wir in der Verwirrung unſeres 
Gemuͤths, und durch einen Irrthum, vergangene und 
gegenwaͤrtige Dinge begehren und verabſcheuen koͤnnen, 
wenn wir ſie uns als zukuͤnftig vorſtellen. Und wenn 
wir durch eine Bedingung annehmen, daß etwas zukuͤnf⸗ 
tig ſey, ſo koͤnnen wir es begehren und verabſcheuen, und 
wenn es auch gleich nicht einmal moͤglich iſt, und wenn 
es auch gleich in dieſer Welt nicht moͤglich iſt und geſchieht. 
So koͤnnen wir durch ein Gedicht, durch eine Tragoͤdie, 
durch einen Roman, durch die Hiltorie ‚in eine andere Welr, 
oder in Die vergangene Zeit zurücke gefeßt werden, und 
folglich fan man fi) alsdenn fehr lebhaft Dinge als zu« 
Fünftig vorftellen, die nicht zukünftig find. Und es iftal- 
fo der Natur des Begehrungsvermögens nicht zumider, 
wenn alsdenn Begierden und Berabfeheuungen entftehen, 


J 
KERE EHE HEHE FF HH FR FH HE KR a 


Der andere Abfehnit, 
Von dem finnlichen Begehrungsvermögen. 


$. 673. k 
If" unfere Begierden und Verabſcheuungen entitehen, 
aus einer rührenden Erfenneniß $. 607. und es wird 
alfo das Begehrungsvermoͤgen, durch das Erfenntnifver- 
mögen, beſtimt; oder jenes it fo wohl feiner Möglichkeit, 
als auch feiner Wuͤrklichkeit nach, in dieſem gegründer. 
Nun 








Von dem ſinnlichen Begebrungsvermögen. 323 


Nun iſt die Erkenntniß entweder ſinnlich, oder deutlich 
I 485. 524. Folglich entſtehen, die Begierden und Ver- 
abſcheuungen, aus einer ruͤhrenden Erkenntniß, die ent— 
weder ſinnlich, oder deutlich iſt. In dem erſten Falle ſind 
es ſinnliche Begierden, und Verabſcheuungen. Durch 
eine ſinnliche Begierde bemuͤhen wir uns, ein vorhergeſe— 
henes ſinnliches Vergnuͤgen zu wuͤrken; und, die Bewe— 
gungsgruͤnde einer ſolchen Begierde, ſind undeutliche Vor— 
ſtellungen. Durch eine ſinnliche Verabſcheuung bemuͤhen 
wir uns, ein vorhergeſehenes ſinnliches Mißvergnuͤgen zu 
verhindern, und die Bewegungsgruͤnde einer ſolchen Ver— 
abſcheuung, ſind undeutliche Vorſtellungen. Nun lehrt 
ung die Erfahrung, daß wir ſinnlich begehren und verab- 
jcheuen: wenn uns hungert und. durfte, wenn wir uns 
fürchten, und in hundert andern Fällen, haben wir, finnli- 
: he Begierden und Berabfcheuungen, Folglich haben wir 
ein Bernögen, finnlich zu begehren und zu verabfcheuen, 
und das nennen wir 068 untere oder finnliche Begeh⸗ 
rungsvermoͤgen. Das untere Erfenntnißvermögen ent- 
hält, den hinreichenden Grund des untern Begehrungsver— 
mögens in ſich, und die finnliche Erfenntniß ift der Grund 
der-finnlichen Begierden und Verabfeheuungen, oder des 
Gebrauchs des untern Begehrungsvermögens. Weil wir 
ein finnliches Erfenntnißvermögen befißen, fo Fünnen wir 
finnlich begehren und verabfcheuen; und weil wir ofte eine 
finnliche Erfenntniß haben, die rührend ift, fo begehren 
und verabfcheuen wir auch ofte ſinnlich. Alle unfere finn— 
liche Begierden und Berabfcheuungen werden, durch die 
Borftellungskraft der Welt, gewürft, welche unfere Seele 
befigt $. 665. Und das untere Erfenntnißvermögen, mit 
dem finnlichen Begehrungsvermögen zufammengenommen, 
wird die Sinnlichkeit genennt, oder auch mit einem bibli: 
ſchen Ausdrude das Sleifch, 
- 9. 674 
Ale finnliche Begierden und Verabſcheuungen ent: 
fiehen aus undeutlichen “or: ein 9. 673, und 
52 Das 


#4 Vondem finnlichen Begehrungsvermoͤgen. 


das werben finnliche Bewegungsgründe, oder finnli- 
che Triebfedern des Gemüths genennt, Alle unfere finnlis 
che Erfenntniß ift entweder ganz Dunfel, oder verworren 
8.485. Folglich find, alle finnliche Bervegungsgründe, 
von zweyerley Art, Einmal dunkele Hewegungsgruns 
de, deren wir uns gar nicht bewußt find, Es entftehen 
demnach), einige finnliche Begierden und Berabfiheuungen, 
aus ganz dunfeln Vorftellungen, fo daß wir uns gar nicht 
bewußt find, warum wir etwas begehren und verabfcheuen. 
Wir koͤnnen uns diefer Begierden und Verabfcheuungen 
felbft, auch wohl ihres Gegenjtandes, bewußt ſeyn; allein 
wir find uns nicht bewußt, warum wir ihn begebren oder 
verabfcheuen. So koͤnnen wie einen Abfcheu vor einem 
Menfchen haben, daß wir ihn gar nicht leiden koͤnnen. 
Wir fühlen diefen Abfcheu, und find uns deffelben bewußt, 
und auch des Menfchen, den wir verabfcheuen; allein wir 
wiſſen nicht, warum wir ihn verabſcheuen. Und eben ſo 
koͤnnen wir eine ungemeine Neigung zu einem Menfchen 
haben, deren Gründe wir nicht wiſſen. Zum andern 
verworrene Bewegunsgruͤnde , deren wir ung zwar 
bewußt find, aber nur auf eine verworrene Art, Und 
wenn wir um derfelben willen etwas begehren oder verab- 
feheuen, fo find wir uns nicht nur der Begierden und 
Berabfcheuungen felbft, ſamt ihres Gegenftandes bewußt, 
fondern auch derer Gründe, die uns dazu bewegen. So 
haben wir ofte einen Abfcheu vor einem Menfchen, und 
wir find uns der Gründe davon bewußt, wenn er 3. €, 
eine lächerliche und efelhafte Aufführung bat. Dfte find 
wir uns auch der Gründe bewußt, warum wir eine Nei— 
gung zu einem Menfchen haben, weil er z. E. eine artige 
gefallige und einfehmeichelnde Aufführung gegen uns beob- 


achtet, 
$. 67. 


Bey denenjenigen Begierden und Verabſcheuungen, 
welche aus bloß dunkeln Bewegungsgruͤnden entſtehen, iſt 
nichts weiter mehr zu bemerken, als daß es einige derſelben 

gibt, 








Von dem finnlichen Bewegungsgruͤnden. 325 


gibt, welche merklich geoß und ftarf find, Und da nennt 
man die ſtarcken Begierden, welche aus bloß dunfeln Be: 
wegungsgründen entftehen, natürliche Triebe, und man 
Fan fie auch) blinde Triebe oder Begierden nennen, weil 
wir ung ihrer Gründe nicht bewußt find, und alfo dadurch 
die Gegenftände blindlings begehren. And fo Fan man 
vielleicht dasjenige erflären, was mandie Spmpatbienennt, 
und die natürliche Siebe, welche einige Weltweife fo gar 
den Pflanzen zugefiprieben haben. So find Hunger und 
Durſt, famt dem Triebe zum Benfchlafe, folche blinde 
Triebe, Jederman weiß, daß es fehr heftige Begierden 
find, und daß fie in ung rege werden, wenn wir auch am 
ihre Bewegungsgründe gar nicht denfen. Die ftarken 
Verabfcheuungen im Öegentheil, welche aus bloß, dunkeln 
Bewegungsgruͤnden entſtehen, werden ein natuͤrlicher 
Abſcheu genennt, und man fan fie auch einen blinden Ab- 
fiheu nennen, weil wir dadurch Sachen verabfcheuen, ob 
wir gleich nicht wiffen warum, und alfo auf eine blinde 
Art. « Und vielleicht befteht darin dasjenige, was man eine 
Antipathie , und einen natürlichen Haß nennt, welchen ei: 
nige Weltweife, fo gar den Pflanzen sugefehrieben haben, 
So haben wir, einen natürlichen Abfcheu, vor dem Tode. 
Ein Wurm kruͤmt fich, wenn erfterben fol. Einige Welt 
weife haben die Anmerkung gemacht, daß uns die Natur 
blinde Triebe zu allen Dingen eingepflanzt habe, die fehlech- 
terdings zu unferer eigenen Erhaltung und zur Erhaltung 
unferes Gefchlechts erfodert werden, und einen blinden Ab- 
fcheu vor allen Dingen, die unfern Untergang verurfachen. 
Die meiften diefer Dinge find fo befchaffen, daß wir fie 
nad) Elaren Bewegungsgründen nicht begehren und verab: 
feheuen würden, Wer würde, wenn ihm die gewöhnlichen 
Mahrungsmittel fehlen, ftinfend Waſſer und verfaultes 
Fleiſch zu fih nehmen, wenn ihn nicht der blinde Hunger 
und Durft dazu teiebe? Wer würde Kinder zeugen und 
erziehen, wenn er alle Moth überlegte, die damit verbun: 
den iſt, wenn nicht eine blinde Begierde ihn Dazu noͤthigte? 


3 5 


326 Don demfinnlichen Begehrungsvermoͤgen. 


Es offenbarer fich alfo bier eine befondere Güte und Weis— 
heit des Urhebers unferer Natur. Unter allen natürlichen 
Trieben ift hier fonderlich noch die Neugierigkeit zu be— 
merfen, oder der blinde Trieb, was Neues zu erkennen; 
oder das was wir noch nicht erfant haben: fie mag nun 
entweder eine biftorifche Neugierigkeit ſeyn, welche 
uns zu einer hiſtoriſchen Erfenntniß; oder eine pbilofo: 
pbifche, welche uns zu einer philoſophiſchen; over eine 
mathematiſche, welche uns zu einer mathematifchen Er: 
Fenntniß antreibt. Die Erfahrung lehrt uns, wie ftarf 
bey uns diefe Begierde zu ſeyn pflege, und wir find uns der Be- 
wegungsgründe bey den ftärkften Anwandelungender Neu— 
gierigfeit fo wenig bewußt, daß wir vielmehr uns ofte 
fhämen müffen, wenn wir die Gründe entwickeln, die 
uns manchmal antreiben, was Neues zu erfennen, Und 
dieſe Neugierigkeit ift ver Grund, warum, die Neuigkeit ei— 
ner Vorftellung, eine Urfache ihrer Klarheit ift. - Durch 
diefelbe wird die Borftellungsfraft der Seele in einem bo: 
hen Grabe würffam gemacht, und folglich geben wir auf 
das Neue in einem hohen Grade Achtung, und daher muß 
nothwendig ein hoher Grad der Klarheit entftehn $. 507. 
Mit der Neugierigkeit ift ofte die Derwunderung verbun⸗ 
den, welche in der 'anfchauenden Erfenntniß der Meus 
igfeit einer Vorſtellung und ihres Gegenftandes befteht. 
Sie ift weder eine Begierdenoch Verabſcheuung, ob gleich 
beyde daher entftehen koͤnnen; weil wir ofte unendliche 
Kleinigkeiten bewundern, und dabey in einem ruhigen Ge: 
nuͤthszuſtande uns befinden fönnen. Die Erfahrung lehre 
uns, daß wir nur folche Sachen bewundern, die wir bis- 
ber noch nicht gewußt haben, und wenn wir uns über et= 
was noch fo fehr verwundern, fo hören wir mit der Zeit 
auf es zu bewundern, wenn es uns was altes wird. Da 
ber iſt nun klar, daß das Wunderbare ein Grund der Klar— 
heit und Lebhaftigkeit der Erkenntniß iſt, weil es die Neugie— 
rigkeit reitzt, wodurch die Aufmerkſamkeit unendlich bez 
foͤrdert wird. iR 

6. 676. 





Don dem finnlichen Begehrungsvermogen. 327 


| $.. 676. 

Von denenjenigen finnlichen Begierden und Verab— 
fheuungen, welche aus einer Flaren Erfenntniß entjteben, 
iſt ebenfals nichts weiter zu bemerken, als daß fie manch- 
mal fehr groß und heftig werden koͤnnen, und man nennt 
fie alsdenn ſinnliche Gemuͤthsbewegungen $. 666. Wer 
auf fich felbft Achtung giebt, der wird finden, daß wenn 
er liebt, fic) freuet, hoft, ſich fürchtet, betrübe iſt u.f. w. 
allemal eine merklich groffe Begierde und Verabſcheuung 
bey ihm angetroffen werde, und daß er fich allemal der Be— 
wegungsgründe feiner Liebe, feines Zorns u, f. w. bewußt 
ift, aber nur auf eine verworrene Art. Wir finden-daber, 
daß die finnlichen Gemüthsbewegungen allemal aufhoren 
oder geſchwaͤcht werden, fo bald die vernünftige Ueberle— 
gung Die Dberhand behält, und fo bald wir die Urfachen 
derfelben deutlich unterfuchen. Man nennt fie auch) Beun— 
rubigungen bes Gemuͤths, weil fie nicht nur aus einer 
hoͤchſt verworrenen Erfenntniß entftehen, fondern weil 
auch Durch fie die Kraft der Seele fehr ftarf angegriffen 
und angeftrengt wird, fo daß der Menfch dadurch, in ſei— 
nen vernünftigen Weberlegungen und Gefchärten, geſtoͤhrt 
wird, Sie heiffen auch $eidenfchaften, und es würde fehr 
ungegründet feyn, wenn man fie desmegen fo nennen wol- 
te, weil fih die Seele bey denenfelben bloß leidentlich ver- 
bielte. Es ift vielmehr Flar, daß die Seele fid) niemals 
thätiger, würffamer und gefchäftiger erweißt, als mitten 
in den Seidenfchaften, und durch Diefelben. Leute, die kei— 
ner ftarfen und vielen Seidenfchaften von Natur fähig find, 
find auc) deswegen träge und phlegmatifche $eute. Es 
fan feyn, daß manche geglaubt haben, die Leidenſchaft 
werde durch Die heftige Bewegung des Bluts in dem Kör- 
per, welche zu der Zeit einer Leidenſchaft in dem Korper an. 
getroffen noird, hervorgebracht. And es entftehen manche 
teidenfchaften fo plöglich, daß wir freylich nicht fühlen, wie 
fie die Seele felbft würft, indem fie gleichfam wie eine 
ſchwere Saft von auſſen ber auf die Geele fallen. Allein 

4 a — 


328 Von dem finnlichen Begehrungsvermoͤgen. 


daraus folgt nichts weniger, als daß fie Feine Handlungen 
der Seele find. Vielleicht hat man fie deswegen $eiden- 
fhaften genennt, weil die Menfchen mehrentbeilst von 
denfelben wie Sclaven beherrfcht werden, und meil fie nie— 
mals eine völlige Herrfchaft über alle ihre $eidenfchaften 
erlangen koͤnnen. Ofte entfteben fie wider ven Willen ei- 
nes Menfchen, und ofte dauren fie auch wider feinen Wil- 
len fort. - So viel-aber ift gewiß, daß es recht merfwür- 
dige Veränderungen der Seele find. Sie find wie die 
ftarfen Winde zu betrachten, welche den glücklichen Lauf 
eines Schifs ungemein befördern, oder auch hindern koͤn— 
nen, Die allermeiften Handlungen der Menfchen enefte: 
hen aus ihren $Seidenfchaften, und fie verdienen alfo aller: 
Dings eine recht ausführliche Linterfuchung. Man bat da» 
ber eine eigene Wiſſenſchaft von ven Leidenſchaften, welche 
man die Lehre von den Leidenfchaften nennt. Sie 
iſt yon Dreyerley Art. Erftlic) die pfpchologifche Leh— 
re von den Keidenfchaften handelt ihre Theorie ab, und 
zeige ihre Natur und Befchaffenbeit, famt den Veraͤnde— 
rungen, denen fie unterworfen find, und Die fie in der Sees 
le verurfachen. Diefe Lehre handeln wir jeßo ab. Da 
fie aber eine befondere Materie der Pfychologie ift, fo wuͤr— 
de es eine Ausfchweifung feyn, wenn mir fie ausführlich 
abhandeln wolten. Das muß in einer eigenen Abhand- 
lung gefchehen, und wir wollen nur bier die Grundfäße 
dieſer Sehre feftfegen. Zum andern, die äftbetifche Leh⸗ 
re von den Leidenfchaften zeigt, wie man fie erwecken, 
vermehren, vermindern, unterdrücken und bezeichnen foll, 
und fie gehört zur Aefthetif $. 527: Und zum dritten die 
practifche Lehre von den Keidenfchaften handelt von 
den Dflichten, die wir in Abficht auf diefelben zu beobach⸗ 
ten haben. 
| $. 677. 

Ale finnlihe Gemürhsbewegungen find entiveder ſtar⸗ 
fe Begierden, oder ftarfe Verabſcheuungen, oder beybes 
zu gleicher Zeit 6. 676. Folglich Fan man fie, in rind 

Als 





Don dem finnlichen Begebrumgsvermögen. 329 


Elaffen, abtheilen, 1) Diejenigen, welche in einer ftarfen 
Degierde beftehen. Dieſe entſtehen allemal aus einem 
ſtarken finnlichen Vergnügen, deſſen wir uns bewußt find 
$. 661. 670. Und wenn alfo eine folche Leidenſchaft in der 
Seele entfteht, fo muß zugleic) ein ftarfes Vergnügen ent: 
ftehen, welches die ganze Summe des Bergnügens, fo alg- 
denn in der Seele angetroffen wird, vermehrt, und daher 
werden fie angenehme LKeidenfchaften genannt. Und 
da durch ein ſtaͤrkeres Vergnügen die ſchwaͤchern Mifiver- 
gnügen, welche zugleic) in der Seele find, vermindert wer 
den $. 654. ſo werden fie aud) fanfte oder befänftigende 
Leidenfchaften genannt $. 655. Eine jedwede angeneh- 
me $eidenfhaft wird, eine Sreude, genannt. Diefer Aus: 
druck ift fo allgemein, daß man fagt, man freue fich über 
vergangene, gegenwärtige und zufünftige Dinge u. ſ. w. 
Ein jeder weiß aus der Erfahrung, daß man durch eine 
Freude noch) vergnügter gemacht wird, als man vorher war, 
und daß durch die Freude das Mißvergnuͤgen, welches 
etwa in uns würflic) ift, gewaltig gefchroäche und verdun— 
felt wird. Wenn wir uns alfo freuen, fo haben wir eine 
ftarfe Begierde, oder wir bemühen uns in einem hoben 
Grade, ein finnliches Vergnügen, deffen wir uns bewußt 
find, in ung zu würfen, hervorzubringen, zu erhalten, oder 
zu wiederholen. 2) Diejenigen $eidenfchaften, welche in 
einer ftarken Verabſcheuung beftehen $. 676. Diefe ent: 
ftehen allemal aus einem ftarfen ſinnlichen Mißvergmügen, 
deffen wir uns bewußt find $. 661. 675. und wenn alfo 
eine folche Leidenſchaft enzfteht, fo werden wir mißvergnüg- 
ter als wir vorher waren, weil die Summe alles Mifver: 
gnügens unferer Seele dadurch zunimt. Daher werden 
fie, beſchwerliche Leidenfchaften, genannt. Und da 
Durch ein ſtaͤrkeres Mißvergnügen, das ſchwaͤchere Vergnuͤ— 
gen, vermindert wird §. 654. fo werden wir durch folche 
geidenfchaften weniger vergnügt, als wir vorber waren, und 
fie Heifien demnad) unangenehme Leidenfchaften $. 655. 
Eine jedwede unangenehme Seidenfchaft heißt Betruͤbniß. 

E35 Die; 


30 Von dem finnlichen Segehrungsvermögen, 


Dieſer Ausdruck iſt ſo allgemein, daß man ſagt, man be— 
truͤbe ſich uͤber vergangene, gegenwaͤrtige und zukuͤnftige 
Gegenſtaͤnde, ja über die Gegenſtaͤnde aller unangenehmen 
Seidenfchaften. - Ein jeder weiß aus feiner Erfahrung, daß 
er durch eine Betrübniß noch mißvergnügter und weniger 
vergnügt werde, als er den Augenblic vorher war, Wenn 
wir uns betrüben, fo bemühen wir uns in einem hohen 
Grade, ein finnliches Mifvergnügen, deflen wir uns bewußt 
find, zu” verhindern, oder aus der Seele wegzufchaffen. 
3) Die vermifchten Leidenfchaften beftehen in heftigen 
Begierden und Berabfchenungen zufammengenommen, und 
fie find vergleichungsweiſe die ftärfften teidenfchaften, 3. E. 
der Zorn, Wenn wir die unangenehmen Leidenſchaften 
unangenehm oder beſchwerlich nennen, ſo gefchieht dieſes 
um ihres Grundes und nächften Gegenftandes willen, als 
welche in einem finnlichen Mifvergnügen beſtehen. Allein 
fie felbft find, wie alle Leidenfchaften, und alle natürlichen 
Triebe und aller natürlicher Abfcheu, fehr grofie, folglich, 
überhaupt Davon zu reden, vollfommene Begierden und 
Berabfeheuungen $. 666. indem alfo die Seele folche 
ftarfe Begierden und Verabſcheuungen bat, fühle fie die 
Stärke ihrer Kraft, und die Vollkommenheit derfelben, und 
folglich ift fie darüber vergnügt $. 647. Folglich verurfa- 
chen, auch die unangenehmen Leidenfchaften, der Geele ein 
Bergnügen, und man hängt ofte, einer Betruͤbniß, mit 
Bergnügen nah. Diefes Vergnügen wird bey manden; 
unangenehmen Leidenſchaften noch Dadurch vermehrr, daß 
die Seele glaubt, fie habe Recht, und handele pflichtmäßig, 
edelmüthig u. ſ. w. wenn fie traurig, zornig iſt u. ſ. w. 
und daß fie fich vorftelt, fie fen vor den Uebeln ficher, wor— 
über fie fich berrübt. Hieher gehört z. E. die Betrübniß, 
die Durch eine Tragödie, und betrübte Hiftorie, in uns her- 
vorgebrache wird, 
. 678. 

Bey unfern finnlichen Gemuͤthebewegungen treffen 

wir zwey Erfcheinungen an, die fi) aus unferer Theorie 
von 








Von dein finnlichen degebrungsvermögen. 331 


von dem Begehrungsvermögen fehr leicht erklären laffen. 
Einmal lehrt die Erfahrung, daß die Zeit der Arzt der Lei— 
denichaften fen, oder Daß die heftigften Gemüthsbeweguns 
gen von ſelbſt mit der Zeit nachlaffen, und gänzlich auf hoͤ— 
ven. Die Berrübniß über ven Todt einer geliebten Perfon 
mag noch fo heftig feyn, Die Zeit vertilgt Diefelbe nach und 
nah. Denn unfere Seele ift, beftändigen Veraͤnderun— 
gen, unterroorfen, Wenn num eine Leidenfchaft entftehr, 
fo ift fie was neues, und wird alfo fehr lebhaft empfunden 
S. 550, rt fie nun nicht gar zu ftarf, fo fonnen wir, aller 
unferer übrigen Gedanfen ohnerachtet, dennoch noch auf 
ihre Urfachen achtung geben, und dergleichen Seidenfchaften 
Fonnen alſo fehr lange dauren, Wenn fie aber fo heftig 
geworden find als möglich, fo müflen fie verändert wer- 
den. Nun koͤnnen fie niche zunehmen, alfo ift es natür- 
lich, daß fie wieder von felbft abnehmen. Es dringen im— 
mer mehrere und mehrere Gedanken in die Seele, wodurch 
das Gemüth von den Urfachen der Leidenfchaft abgezogen 
wird, und alfo muß fie abnehmen, Daher lehrt die Er: 
fahrung, daß ein mäßiger Gram viele Jahre in der Seele 
fortdauren Fan, eine fehr heftige Betrübniß aber daurt nicht 
lange. Zum andern lehrt ung die Erfahrung, daß die hef— 
tigſten Leidenſchaften unausfprechlich find, oder einen Men- 
ſchen ſtum machen, Denn je heftiger die Leidenſchaft if, 
deſto gröffer ift das Mißvergnuͤgen oder Vergnuͤgen, und 
deſto ftärfer ift die anfchauende Erkenntniß $. 647. Se 
ftärfer die anfchauende Erkenntniß ift, defto ſchwaͤcher und 
dunfeler ift die pmbolifhe $. 625. Folglich geben wir 
alsdenn wenig oder gar nicht, auf die Zeichen und Worte, 
achtung. Und wir fönnen, in den heftigften $eidenfchaf: 
ten, entweder gar nicht reden, oder fehr wenig und unter: 
brochen. So bald man aber viel zu reden anfängt, fo 
bald wird die ſymboliſche Erfenntniß ftarf, folglich die an— 
fhauende ſchwach. Da nun alsdenn das Vergnügen und 
Mipvergnügen abnimt, fo nimt auch die Leidenfchaft ab. 
Wenn ein Menfch zornig ift, und dabey fehr viel fpricht, 

fo 


332 Von dem finnlichen Begehrungsvermögen. 


fo ift fein Zorn nicht ſtark, und er ſchadet ihm nichts, weil 
er ihn vom Herzen wegfpricht, wie man zu reden pflegt. 
Ein ftummer Zorn ift allemal wüthender, und fehader ver 
Gefundheit, Wer alfo vorgibt, er fühle eine ftarfe Leiden— 
fchaft, der ift ein Lügner, wenn er mit vieler Beredfamkeit 
uns dieſes fagen Fan, Diefes ift eine wichtige Anmerkung 
für die Redner und Dichter, wenn fierdie Sprache der Lei— 
denfchaften nachahmen wollen. Es ift ein lächerlicher Feb: 
fer, wenn man in pathetifchen Stellen periodifch, zierlic), 
mit vielen Öleichniffen, feine Gedanfen ausdruckt. Wer 
in unangenehmen $eidenfchaften viel veder, braucht nicht 
viel Troſt, er tröftee fich felbft, indem er durchs Neden 
fein Herz erleichtert. Ein ftummer Betrübter aber braucht 
Troft, und man hat ſchon fehr viel gewonnen, wenn man 
ihn nur zum Reden bringt, und einen -geduldigen Zuhörer 
abgibt, 
$. 679. 

Eine $eidenfchaft ift immer ftärfer als die andere, 
und eine und eben Diefelbe Seidenfchaft Fan abnehmen und 
vermehrt werden. Da fie nun insgefamt, ihren Bewe— 
gungsgeünden, gleich find $. 670. fo werden ihre verſchie— 
denen Grade durch Die verfchiedenen Grade ihrer Bewe— 
gungsgründe verurfacht, und alles dasjenige, was diefe 
Bemwegungsgründe vermehrt und ftärfer macht, das macht 
auch die $eidenfchaften gröffer ; und was jene vermindert, 
das ſchwaͤcht auch diefe., Folglich ı) je mehreres, man: 
nigfaltigeres und zufammengefegteres finnliches Bergnügen 
und Mißvergnügen, in den Bewegungsgründen der Lei— 
denfchaften, enthalten ift, defto gröffer find die Leidenſchaf— 
ten; je weniger aber in denfelben enthalten ift, defto Flei- 
ner find fie. Folglich je mehr Guts wir uns zugleich vor: 
fteflen, wenn wir uns freuen, und je mehr Böfes, wenn 
wir uns betrüben, defto ftärfer iſt die Seidenfchaft. Wenn 
daher jemand fich über eine gegenwärtige Sache freuet oder 
betrübt, deren Bollfommenheit oder Unvollfommenbeit er 
bloß empfindet, fo iſt feine Leidenſchaft ———— 

nicht 














Von dem finnlichen Begehrungsvermögen. 333 


wicht fo ftarf, als wenn er auch noch gutes und böfes an 
dem Gegenſtande, durch die Einbildungsfraft, erkennt, und 
vorherſieht. Daher lehrt uns die Erfahrung, daß Leute 
in ſehr heftigen Seidenfchaften niche nur, Durch das gegen- 
waͤrtige Gute an den Gegenftänden, erfreuet, und durch 
das gegenwärtige Uebel betrübe werden; ſondern fie ver- 
ftärfen ihre Freude und Betruͤbniß auch durch die Erinne- 
rung, und Vorberfehung des vergangenen; und zufünftigen 
Guten und Böfen in dem Gegenftande, So machts ein 
Dankbarer, bey dem Genuffe einer gegenwärtigen Wohle 
that. Er erinnere fich der fehon genoffenen Wohlthaten, 
und er fiehe noch mehr Wohlthaten vorher, und feine Danf- 
barfeit wird dadurch um fo viel feuriger. 2) Se gröffer 
und wichtiger das Gute und Bofe ift, welches uns ein finn- 
liches Vergnügen und Mißvergnuͤgen verurfacht, wenig— 
ftens unferer Meinung nach, defto gröffer ift die $eiden- 
ſchaft, welche dadurch erregt wird. Wenn wir über ein 
Uebel berrübt find, fo betrachten wir es entweder als eine 
Kleinigkeit, oder als ein fehr groffes Lebel. In denreriten 
Falle find wie wenig betrübf, in dem andern aber in einem 
hoben Grade. Wenn daher Leute über eine Kleinigkeit in 
einen wuͤthenden Zorn geratben, fo betrachten fie Diefelbe 
mitten im Zorne als eine fehr groffe Beleidigung, und wer— 
den nod) zorniger, wenn man Diefes nicht zugeben will, 
3) Se richtiger, lebhafter, gemiffer und rührender die Ber 
wegungsgründe der $eidenfchaften, folglich das finnliche 
Vergnuͤgen und Mißvergnügen, die Borherfehung und 
Borauserfennung find, defto geöffer ift die Leidenſchaft S. 
655. Wir fehen daher aus der Erfahrung, daß Leute in 
beftigen Seidenfchaften fehr ſchwere, ja manchmal unmögli: 
che, Dinge verlangen und unternehmen, weil die Vorber- 
fehung und Borauserfennung fo lebhaft und gewiß ift. Ein 
Zorniger will nichts geringers als den Untergang feines 
Feindes, und eine jede Leidenſchaft ftele uns allemal den 
Gegenftand als eine Sache vor, die wir mit unfern Kräf- 
ten wuͤrklich machen oder verhindern Eönnen, | 
| 6. 680, 


334 Von dem finnlichen Begehrungsvermoͤgen. 


680. u 

Aus den mannigfaltigen Abaͤnderungen der Freude 
entſtehen, verfhiedene Arten der angenehmen Leidenſchaften. 
Und da fan die Freude über etwas Gegenwärtiges, oder 
Vergangenes, oder Zufünftiges entftehen. Die Freude 
über das Gegenwaͤrtige wird, die SrölichEeit, genannt; 
Man fan ſie auch, die Luftigkeit, nennen. . In froͤlichen 
und luftigen Gefellichaften freuet man fich, über das Ange: 
nehme in dem gegenwärtigen ZJuftande. Wenn man frös 
lich ift, fo freuet man fich über das Gegenwärtige um fei: 
ner guten Folgen willen, und ‚indem man ſich bemübet, 
das finnliche Bergnügen, über. das Gegenwaͤrtige zu erhal 
ten, fortzufegen, und zu wiederhelen $. 672. Die Freu: 
de über das Vergangene ift, die Zufriedenbeit. So it 
ein Vater mit feinem Sohne zufrieden, wenn er fich über 
feine bisherige gute Aufführung freuet, oder über eine Pro- 
be feiner. Geſchicklichkeit, die er glücklich abgelegt bat. Die 
Zufriedenheit entjteht über die noch fünftigen guten Folgen 
des Vergangenen, und fie it ein Beftreben, das Vergnuͤ— 
gen über dafielbe zu wiederholen und fortzufegen $. 672. 
Wenn die Zufriedenheit über eine Handlung desjenigen 
entfteht, der zufrieden ift, fo ift fie die Zufriedenheit mit 
ſich felbft, oder die Beruhigung in ſich felbit. So ift 
ein Menſch mit ſich felbft zufrieden, wenn er denft, er habe 
feine Sachen gut gemacht, und wenn er fich über etwas 
freuet, fo er felbit getban haft. ine Treude, welche darü- 
ber entfteht, Daß uns ein gewiſſes Uebel nicht, mehr bevor- 
fteht, it das Frohſeyn. So fagt man: ich bin froh, 
daß diefes oder jenes nicht gefchehen ift. Ein Mifferhäter 
ift froh, wenn ihm die zuerfannte Strafe gefchenft wird. 
Die Freude über ein zufünftiges Gut entſteht entweder über 
ein bevorftehendes Gut, fo wir uns als ungewiß, oder als 
ganz gewiß bevorftehend vorftellen. In dem erften Falle 
heifit fie die Hofnung, in dem andern aber die Zuvers 
ſicht. Was wir hoffen, daran zweifeln wir noch, und 
zwar mehr oder weniger, nad) dem die Hofnung aa oder 
ſchwaͤ⸗ 














Don dem finnlichen Begehrungsvermögen. 335 


ſchwaͤcher iſt. Was mir aber zuverfichtlich erwarten, an 
deffen Erlangung zweifeln mir garnicht mehr. Wenn ein 
General den Sieg bloß hoft, fo macht er immer auch) An- 
falten zur Flucht. Wenn er ihn aber zuverfichtlich erwar- 
tet, fo dent er gar nicht, daß es ihm fehlen Fönne, und er 
theilt ſchon zum voraus die eroberten Länder aus, » Die 


Freude über das Zukünftige wird das Derlangen genannt, 


in fo ferne fie die Gegenwart des Zufünftigen heftig be— 
gehrt. Folglich Fan Hofnung und Zuverfiche mic einem 
Berlangen verbunden feyn, fte fönnen aber auch ohne dem⸗ 
felben feyn.” Gefest, ein Menfch freue fich über den be- 
vorjtehenden Beſuch eines guten Freundes, fo begehrt er 
manchmal, daß die Stunden verfürze werden möchten, er 


Fan die Zeit nicht erwarten, und er wuͤnſcht, daß fein Freund 


ſchon jegt Fommen möchte. Alsdenn hoft er diefen Beſuch 
mit Verlangen, und er fagt hernach, er habe ein rechtes 
Berlangen nad) feinem Freunde gehabt. = Ein zuverſichtli— 
ches Verlangen nach einem Gute, welches ſchwer zu erlanıs 
gen ift, heißt der Muth, und ein höherer Grad des Muths 
ift die Kuͤhnheit. So geht ein Soldat muthig und fühn 
in den Streit, wenn er aller Schwierigkeiten ohnerachtet 
den Sieg erwartet, und die Zeit nicht erwarten Fan, bis 
er zum Schlagen angeführt wird. Daher wächft der 
Muth, wenn mit der Vermehrung der Schröierigfeit die 
Zuverficht waͤchſt, nimt aber diefe ab, fo finft der Muth. 
Daher fomts, daß das GlüE, den muthigen und fühnen 
Seuten, beyfteht. Sn einer ſtarken Leidenſchaft ftrengen 
wir unfere Kräfte gewaltig an, und folglich koͤnnen wir in 
derfelben vielmehr ausrichten, als wenn das Gemuͤth durch 
£eine Leidenſchaft erhitzt iſt. 

$ 


. 81. 

Die Ehrliebe ift die Freude über die Ehre. Ein 
Ehrliebender betrachtet die Ehre als ein groſſes Gut, und 
da er ſich alfo ein ftarfes Vergnügen von derfelben ver: 
fpricht, fo thut er alles, was er Fan, um geehrt zu werden, 
damit er dieſes Vergnügen genieffen möge, Die Per 

über 


336 Don dem finnlichen Begehrungsvermoͤgen. 


über die Unvollkommenheit eines andern ift die bosbafte 
Freude, oder die Ungunft, Man fagt, ‚es fälle jemand 
ein ungünftiges Urtheil von dem andern, wenn er die Un— 
vollfommenbeiten deffelben vorftelt und erzählt, und ſich 
deshalb freuet. Wir fünnen uns auf verfchiedene Art ein- 
bilden, Daß es uns gut und nüglich fey, wenn ein anderer 
unvollfommen ift, und folglich ift es möglich, daß man 
ſich über feine Unvollfommenbeiten freuen fan. In der 
Eittenlehre wird erwiefen, daß dieſe Seidenfchaft allemal 
fündlid fey. Die Verſpottung ift die boshafte Freude, 
über die Schande einessandern. Dieſe Seidenfchaft ent= 
fteht allemal, wenn ein anderer von uns, oder, von andern, 
oder von fich felbft lächerlich und verächtlich gemacht, oder 
irgends auf eine Art befchimpft wird, und wir ung Darüber 
freuen. Die Freude über die Vollkommenheit eines an- 
dern ift, die Liebe. Wenn wir eine Perfon oder eine an— 
dere Sache lieben, fo betrachten wir eg als was quts, daß 
fie vollfonmen ift, wir haben darüber ein Vergnügen, und 
wir bemühen ung, diefes Vergnügen in uns hervorzubrin- 
gen. Daher treibt uns auch die Liebe allemal an, wenn es 
nöthig und möglich ift, den geliebten Gegenſtand vollfom- 
men zu machen, und in feiner Vollkommenheit zu erhalten, 
damit unfer Vergnuͤgen darüber erhalten werden Eönne, 
Die Dankbarkeit iſt die Liebe des Wohlthaͤters, oder wenn 
mir jemanden lieben um der Wohfthaten willen, die wir 
von ihm genieffen, oder empfangen haben, oder erwarten, 
Wenn uns jemand wohlthut, fo it es ganz natürlich, daß 
wir ihn deswegen für vollfommen halten; und da wir an 
diefer feiner Vollkommenheit fo viel Antheil nehmen, fo ift 
das Vergnügen um fo viel ftärker $. 657. und es entſteht 
daher, die Dankbarkeit, ganz natürlich, Die Liebe eines 
Elenden ift die Barmherzigkeit. Diefe Leidenſchaft be— 
fteht darin, wenn wir neben dem Elende die Vollkommen— 
heit des Elenden betrachten, ein Vergnügen darüber fchöpfen, 
und es als was guts arfehen, wenn er von feinem Elende 
befreyet würde, Daher entſteht auch ans dev Barmher⸗- 

zigkeit 


| Von dem finnlichen Begehrungsvermögen. 337 


zigkeie ein Bemühen, den Elenden von feinem Elende zu 
befreyen. Die Liebe zu einem Gegenftande, den wir ver- 
gleichungsweiſe fin vollfommen halten, heiſſet die Bunft. 
Wenn ein Menfch unfer Günftling ift, oder wenn wir ihm 
günftig find, fo vergleichen wir ihn mit andern, und be= 
merfen in ihm eine Bollfommenheit, die wir bey andern 
nicht anteeffen, Weil er uns nun ein Bergnügen verurfacht, 
welches uns andere nicht verfchaffen, fo lieben wir ihn vors 
zuͤglich, und das heißt, wir find ihm günftig. Die Siebe 
zu einem Geringern als wir find, ift die Gewogenheit. 
Wenn wir jemanden um feine Gewogenheit bitten, fo geben 
wir eben dadurch zu verftehen, daß wir uns für geringer 
halten als ihn, es mag nun diefes ein bloffes Ehrenwort, 
oder unfere wahre Meinung ſeyn. Miemand verfichert ei- 
nen andern, den er für feines gleichen hält, im Ernft feiner 
Gewogenheit. Nur Bornehmere, Höhere, denen wir un« 
terworfen find, haben das Recht, uns ihrer Gewogenheit 
zu verfihern, Die Gemogenheit gegen jemanden, welcher 
der ihm gewogenen Perfon gar nicht oder jehr wenig nüßlich 
fenn fan, ift die Gnade. Wir betrachten diefes Wort 
bier nicht als einen Titel, oder als ein Ehrenwort; denn da 
ift mancher Edelman feinem Schneider, Kaufmann, Vers 
malter u. |. iv. gnädig, da er doch von diefen $euten mehr 
Nutzen hat, als er ihnen zu verfchaffen vermögend oder 
Willens ift. Allein ein König erweiſet einem Unterthan ei 
ne Gnade, und er hat von demfelben manchmal fo wenig 
Vortheil zu erwarten, daß es kaum der Mühe werth ift, 
deffelben Erwehnung zu thun, | 
S. 














682. 

Auf eine ähnliche Art entftehen, aus den mannigfaltie 
gen Abänderungen der Betruͤbniß, verfchiedene Arten der 
unangenehmen $eidenfchaften. Wir koͤnnen ung betrüben 
über gegenwärtige, vergangene und Eünftige Dinge, Die 
Betruͤbniß über ein gegenmwärtiges Uebel ift der Harm, 
oder der ram, oder das Härmen, Wenn wir ung grä« 
men, fo find wir heftig über ein gegenmärtiges Uebel mißs 

3. Theil, D] vers 





338. Von dem finnlichen Begehrungsvermögen, 


vergnügt, um feiner Ffünftigen übeln Folgen willen $. 672. 
und wir bemühen uns, diefes Mißvergnügen aus unferer 
Seele zu vertilgen, und die Fortfegung und Wiederholung 
deffelben zu verhüten. So grämt ſich mancher über feinen 
Geldmangel, der ihn drückt, oder über eine Krankheit, die 
er am Halfe hat. Die Berrübniß über das Vergangene ift 
die Traurigkeit, alsdenn trauren wir, und. tragen Leid 
um etwas. So trauret man um den Verluſt eines Ver— 
wandten oder Freundes, der geftorben if. Wenn wir 
traurig find, fo verabfcheuen wir die bevorftehenden üblen 
Rolgen eines vergangenen Uebels, und bemühen uns, das 
Mißvergnügen darüber zu verhindern, und zu verfilgen. 
Die Traurigkeit über etwas, welches der Traurige felbft ge— 
than bat, ift die Reue, So bereuen wir unſere beganges 
nen Sünden, wenn wir darüber traurig find, und uns bes 
müben, die böfen Folgen derfelben zu verhindern, Wenn 
wir uns über etwas Zufünftiges betrüben,, fo betrachten wir 
es entweder als unausbleiblich und gewiß bevorftehend, oder 
wir find nicht ganz gewiß, daß diefes Uebel kommen werde. 
In dem legten Falle ift diefe Berrübniß die Beſorgniß, 
und in dem erften die Furcht. Wenn wir ein Uebel bloß 
beforgen, oder wenn uns die Zufunft bloß einen Kummer 
macht, fo find wir noch nicht gewiß verfichert, daß das Ue— 
bel eintreffen werde. Wenn wir uns aber vor einem Uebel 
fürchten, fo fehen wir es als gewiß bevorftehend an. Die 
Furcht bey den Soldaten ſetzt voraus, daß fie gewiß ver- 
muthen, daß fie den Kürzern ziehen werden. Die Furcht 
vor einem Uebel, welches wir uns als fehr groß vorftellen, 
ift das Grauen. Man fagt, es graue einem, wenn eis 
nem die Haut fehaudert, und die Haare zu Berge ſtehen, 
folglich wenn man das befürchtete Uebel für fehr groß hält. 
Wenn ung vor einem Uebel grauet, welches wir für ganz 
unvermeidlich halten, fo ift diefes Grauen die Verzweifes 
fung. Wir verftehen hier nicht bloß die gänzliche Berzwei- 
felung , wenn ein Menfch nichts guts mehr hoff, und feine 
gänzliche Unglückfeeligkeit für fo. unvermeidlich haͤlt, daß er 
| ſie 


Von dem finnlichen Begehrungsvermoͤgen. 339 


fie mit Graufen hereinbrechen ſieht; fondern mir koͤnnen 
auch verzweifeln an dem Aufkommen eines Franfen Freun- 
des, an der Erlangung eines Amts u. ſ. m. und wir werden 
durch diefe Verzmweifelung nicht einmal verfucht, uns zu er- 
hängen oder zu erfäufen. Das Grauen über ein Uebel, 
welches uns ganz unerwarfet und unverfehens überfäle, ift 
der Schreck, und ein höherer Grad des Schrefs wird 
die Beſtuͤrzung genannt; fonderlich wenn wir nicht gleich 
wiſſen, ob dasjenige, worüber wir erſchrecken, gut oder 
böfe fey, wir aber gewiß zu ſeyn glauben, daß es eins unter 
beyden in einem fehr hohen Grade ſey. Jedermann wird 
aus feiner eignen Erfahrung wiſſen, was Schred und Bes 
ſtuͤrzung ſey, und er wird ſich alfo leicht von der Richtigkeit 
diieſer Erklärungen überzeugen Fönnen, 

aa 1: 

Die Betrübniß über die Ungewißheit der Hofnung iſt, 
die Rleinmürhigkeit. Ein Kleinmüthiger bat gute Hof 
nung, allein er gibt zu ftarf auf die Gründe der Ungewiß— 
beit der Hofnung achtung, und daher laßt er den Muth fins 
fen, und wird Fleinmüthig. Die Betruͤbniß über den 
Verzug einer Sache, nach welcher uns verlanger, ift die 
Sehnfucht. Wenn man diefe $eidenfchaft fühlt, fo ſehnt 
man fid) nach der Gegenwart der Sache, die man verlangt, 
die Zeit wird einem zu lange, und iederman weiß, wie vers 
drießlich diefer Zuftand ift. Die Berrübniß über eine Sa— 
de, die wir uns vorher als gut vorgeftele haben, heiße der 
Ueberdruß, oder der Efel, Wenn Eheleute einander 
überdrüßig werden, oder wenn man einer $ebensart, oder 
eines Menfchen, der ung zu lange und zu ofte befucht, übers 
drüßig wird: fo verabfcheuer man, was man anfänglich 
gerne gefehen, und man befomt einen Efel an Dingen, 
Die einem vordem angenehm gervefen, Die Betrübniß über 
‚die Verachtung ift die Schaam. Wenn wir uns fchä« 
men, fo verdrießres uns, daß mir verachtet, verlacht und 
verſpottet werden, und wir find deshalb berrübt. Die Bes 
truͤbniß über die Unvollkommenheit eines andern ift das 


N 2 Mitz 








340 Von dem finnlichen Begehrungsvermögen. 


Miitleiden, oder das Beyleid. Wenn wir Mitleiden mit 
jemanden tragen, fo empfinden wir ein Mißvergnügen über 
das Boͤſe, über die Noth, oder über irgends eine andere 
Unvollfommenbeif , die wir in dem Gegenftande unferes 
Mitleivens antreffen, und es beiteht in einem ftarfen Bes 
muͤhen daſſelbe zu verhindern, und alfo die Unvollfommens 
heit des andern aus dem Wege zu räumen. Die Berrübs 
niß über die Vollkommenheit eines andern wird, der Haß, 
genennt, Wenn wir einen gewiſſen Gegenftand haſſen, fo 
betrachten wir die Bollfommenheit, das Gute, das Glück 
deffelben, in Abficht auf uns, als etwas Böfes, weil fie uns 
ferer Meinung nad) eine Hinderniß unferer Vollkommen—⸗ 
heit find, Und da ung diefes mißvergnügt macht, fo be« 
muͤhen wir uns, indem mir den Gegenftand haflen, feine 
Vollkommenheit irgends auf eine Art zu verhindern, und 
es ift demnach der Haß ein Beftreben, den Gegenftand un: 
vollfommener zu machen. Manchmal enrfteht der Haß das 
ber, weil wir in der Meinung ftehen, als folten wir die 
Vollkommenheit befißen, die mir bey dem andern antreffen. 
Daher begehren wir diefe Vollkommenheit zu befigen, und 
find darüber betrübt, daß fie ein anderer beſitzt. Dieſe Bes 
trübniß ift eine befondere Art des Haffes, und wird der 
Neid genennt. And der Zorn ift ein Schreck, oder eine 
Beftirzung, welche aus einem Mißvergnügen über eine 
Beleidigung entfteht, welche der Gegenftand, auf den wir 
zuͤrnen, würflich gemacht hat, Diefe Seidenfchaft kan fehr 
vermifche ſeyn. Sie Fan mit einer boßhaften Freude ver 
bunden feyn, über die Unvollfommenpeiten, die wir dem 
DBeleidiger verurfachen, und diefe Freude heißt die Rache 
fücht ; fie Fan mit einem Mitleiden verbunden feyn, wenn 
wir diejenige Perfon lieben, welche von dem Gegenftande 
unfers Zorns beleidiget worden; mit der Schaam, wenn 
ung der DBeleidiger an unferer Ehre gefränft hat u. f. w. 
Und daher fomts daß der Zorn eine der heftigſten Leiden⸗ 
fchaften zu ſeyn pflegt. 


S. 684. 








Don dem ſinnlichen Begehrungsvermögen. 341 


G. 684. | 

Aus der bisherigen Theorie von den $eidenfchaften 
laffen fich, ein Paar betrübte Zuftände des Gemuͤths, erfläs 
ren, die Schwermurh und die Raferey, Nemlich die 
Schwermurb ift der Zuftand des Gemürhs eines Wahns 
wißigen, in welchem bloß die unangenehmen $eidenfchaften 
herrſchen. Ein Schwermüthiger, oder ein melancholifcher 
Menſch ift immer berrübt. Wenn er einen gewöhnlichen 
Gebrauc) des Berftandes befäffe, fo würde er leicht einſe⸗ 
ben, daß er Feine Urſach zu einer beftändigen Betruͤbniß ba- 
be. Folglich ift er in der That wahnwitzig $.634, Und 
aus der Berrücfung Fan fehr leicht, die Schwermuth, ent» 
ftehen. Ein verruͤckter Menfch hält, feine Einbildungen, 
für Empfindungen 9.597. Wenn nun zum guten Gluͤcke 
feine Einbildungsfraft, auf lauter angenehme Einbildun- 
gen, fält, fe ift er ein luſtiger Berrückter, und träume was 
chend von lauter Glückfeeligkeit. Faͤlt aber feine Einbil- 
dungsfraft auf unangenehme Einbildungen, fo ift er ein 
ſchwermuͤthiger Berrückter. Die Schwermuth Fan mand)= 
mal aus einer Phantafterey entftehen, und man Fan fie als» 
denn feine DBerrückung des Gemuͤths nennen, Es gibt 
Schmwermüthige, die fonft gefunden Beritand haben, und 
ihn auch durch ihr Verhalten an ven Tag legen, Allein eine 
einzige betruͤbte Grille macht fie ſchwermuͤthig. Die Schwer: 
muth, welche aus einem berrfchenden Zorne entſteht, ift die 
Roferey. Ein Rafender ftele fih immer einen Feind vor, 
der ihn beleidigen will, oder beleidiget hat. Daher wuͤthet 
und ſchaͤumt er, und man muß ihn als einen Menfchen bes 
trachten, der beftändig bereit ift, um fic) zu ſchlagen. 
6 R 


. 0685 

Wir müffen diefe kurze Unterfuchung der menfchlis 

chen Seidenfchaften noch, mit einigen allgemeinen Anmerfunz 
gen begleiten. 1) Wenn man annimt, daß alle dieſe Lei— 
denfchaften aus einer finnlichen Erfenntniß entftehen-, fo find 
es lauter finnliche Gemürhsbewegungen, und alfo Fan man 
fehr leicht erklären, was eine finnliche Liebe, ein finnliches 
N 3 Mit⸗ 


312. Von dem finnlichen Begehrungsvermögen. 


Mitleiden, eine finnliche Neue fey u.f.w. 2) Eine Seidens 
haft Fan immer aus einer andern entftehen, und wenn man 
die Lehre von den Leidenfchaften ausführlicher abhandelt, fo 
muß man, diefe natürliche Verbindung der $eidenfchaften 
unter einander, zeigen. Und diefe Verbindung kan nıan 
leicht entdecken, wenn man ihre Erklärungen mit einander 
vergleicht. 3) Diefe teidenfchaften koͤnnen, auf unendliche 
Art, mit einander vergefellfchaftee werden, und da würde 
es ohne Zweifel eine vergebliche Arbeit feyn, wenn ein Welt: 
weifer e8 unternehmen wolte, alle mögliche Arten der Ver— 
bindungen der Leidenfchaften zu beftimmen. Unterdeſſen it 
es doch in befondern Fällen fehr gut, wenn man die menfchs 
lichen Seidenfchaften will Eennen lernen, auf diefe Verbin: 
dung achtung zu geben. 4) Wenn man fic) von der Rich— 
tigkeit dererjenigen Erklärungen, die id) von den Leiden— 
fhaften angenommen habe, überzeugen will; fo muß man 
fih dadurch nicht irre machen laffen, wenn die Namen der 
geidenfchaften etwa, in vielen Fällen , in einer andern Be: 
deutung gebraucht werden, In diefen Namen herrſcht, ei- 
ne babylonifche Verwirrung der Sprache. Mandymal ver 
fieht man durch diefe Namen ein bloffes Vergnügen oder 
Mipvergnügen, manchmal eine Begierde oder Verabſcheu— 
ung die nicht ſtark ift, und der eine Weltweife erklärt einen 
Namen einer Leidenſchaft fo, der andere anders, und ein 
jeder meint, ev habe es am beften getroffen. Manchmal 
benennt man, einen ganzen Inbegrif vieler Leidenfchaften, 
mit dem Namen, wodurch wir etwa nur Eine Leidenſchaft 
ausdruden, Ein vernünftiger Weltweiſer fieht hier vor 
nemlich auf die Sache felbft. 5) Wir wollen nicht behaups 
ten, daß wir alle einfache teidenfchaften ohne Ausnahme 
nambaft gemacht haben, und wir überlaffen es alfo eines 
jedweden eigenem Nachdenken, ob er, durch Hülfe der Era 
fahrung, noch mehrere $eidenfchaften entdecken fan, denen 
das menfchliche ———— unterwor⸗ 
en iſt. * 


Der 




















I ee 3 Zur 2 3% 


Der dritte Abfchnitt, 
Don dem Willen. 


S. 686. = 
Mgendmel begehren wir etwas, weil wir ein vernuͤnfti⸗ 
9 ges Vergnügen darüber empfinden, weil wir es uns 
Deutlich als gut vorſtellen, weil wir es deutlich vorberfeben, 


‚and vernünftig vorauserfennen, daß wir vermögend find, 


es wuͤrklich zu machen. So fönnen wir, Tugend und Ge— 
lehrſamkeit, begehren. Eine Begierde, welche durch Deuts 
liche Bewegungsgründe verurfache wird, heißt eine verz 
nünftige Begierde, und alsdenn. wollen wir den Ge- 
genſtand. Ofte verabfcheuen wir etwas, weil wir ein vers 
nünftiges Mißvergnügen darüber empfinden, weil wir es 
Deutlich als ein Uebel erfennen, weil wir es deutlich vorher— 


-fehen, und vernünftig vorauserfennen, daß mir vermos 


gend find, es zu verhindern. So fünnen wir, after und 
Irrthum, verabfcheuen. Eine Berabfcheuung, welche 
Durch deutliche Bewegungsgeünde verurfacht wird, beißt eis 
ne vernünftige Verabſcheuung, oder ein Nichtwol⸗ 
len. Folglicy Haben wir ein Vermögen , etwas vernünftig 


‘zu begehren und zu verabfcheuen, und diefes nennt man das 


obere oder vernünftige Begehrungsvermoͤgen, oder es 
ift der Wille. Man fagt: man wolle ejfen oder trinken, 
oder man wolle nicht u. ſ. w. und da verſteht men, durch 
diefes Wort, das ganze Begehrungsvermögen und auch fo 
gar das finnfiche, daher man auch von einem Hunde ſagt: 
er wolle freffen. Allein wir nehmen das Wort hier in einer 
eingefchrenftern Bedeutung, und da verftceht man darunter 
entweder Das ganze obere Begehrungsvermögen, fo. daß 
man auch das Bermögen vernünftin zu verabſcheuen dahin 
rechnet; oder man verfteht darunter bloß das Vermögen ver= 
nünftig zu begehren, und fchließe davon das Vermögen vers 


nuͤnftig zu verabfeheuen aus. Weil unfere Seele ein obes 


res Erkenntnißvermoͤgen beſitzt, ſo iſt es ihr möglich, ver: 
nünftig zu begehren und zu verabſcheuen, und folgliu, iſt 
X N 4 der 


= 


34 Don dem Willen. 


der Wille eine Folge des Berftandes. Und weil fie wuͤrk— 
lich viele Dinge deutlich erfennt, fo begehrt und verabfcheuet 
fie auch vernünftig, und es ift demnach, der Gebrauch des 
Verſtandes, die Urſach der vernünftigen Begierden und Vers 
abſcheuungen. Alles, was wir von dem Begehrungsver⸗ 
mögen überhaupt erwieſen haben $.661>672. das läßt fich 
auch mit leichter Mühe auf den Willen anwenden, und das 
Fan ein jeder vor fich ſelbſt hun. Wir wollen bier nurnoch, 
eine einzige Anmerfung, machen, Nemlich wenn wir et- 


was nach deutlichen Einfichten begehren, fo folge daraus 


nicht, daß mir fein Gegentheil nach deutlichen Einfichten 


verabfcheuen. Wir fünnen zwar fagen, daß wires verab- 
fheuen, aber das fan nad) finnlicher und wohl ‚gar nad) 
bloß dunfeler Erkenntniß gefchehen. Geſetzt ein Menſch 
ſey fo böfe, daß er nach Ueberlegung und deutlicher Erfennts 
niß das Laſter ausübe, fo würde er der gröfte Boͤſewicht 
feyn, wenn er zugleich die Tugend nach deutlicher Erkennt⸗ 
niß verabfcheuete. Dadurch würde, feine lafterhafte Ge: 
finnung, den höchften Grad erreichen. Mein, die Men» 
fehenliebe befiehle uns, nicht alle lafterhafte Leute für fo boß⸗ 
haft zu halten. Diele verfelben verabfcheuen zwar die Tus 
gend, allein fie kennen fie nicht recht, und haben ihre 
Schönheit niemals vernünftig unterfucht. Sie verabfcheuen 
fie alfo bloß ſinnlich, und alsdenn haben fie noch nicht ein 
fo verderbtes Herz, als wenn fie die Tugend auch nad) deut« 
licher Erfenntniß verabfcheueten. Diefe Betrachtung ift 
fehr wichtig, wenn man die Boßheitsfünden der Menfchen 
als ein Menfchenfreund mit Mäßigung beurtheilen mill, 
und wenn man nicht dasjenige, was aus bloffer Nachläßig- 
keit und Uebereilung gefchieht, für vorfegliche Boßheit hals 
ten will, wie die Menfchenfeinde zu thun gewohnt find. 
Eben fo wenig fan man fagen, daß ein Menſch, welcher 
die Tugend vernünftig begehrt, gleich deswegen in einen fo 
hoben Grade tugendhaft fey, daß er das Safter vernünftig 
verabfcheue: denn er kann es bloß finnlich verabfcheuen. 


$. 687. 


' 








Don dem Willen. 345 


5. 687. 

Alle unfere Begierden und Verabſcheuungen werden 
durch vorhergehende Bewegungsgruͤnde, und durch eine leben⸗ 
dige Erkenntniß, beſtimt $.667. Folglich werden es auch 
alle vernuͤnftige Begierden, und Verabſcheuungen. Die 
Bewegungsgruͤnde dieſer Begierden und Verabſcheuungen 
find die vernünftigen Bewegungsgruͤnde, und fie bes 
ftehen in dem vernünftigen Bergnügen und Mifvergnügen, 
und in der deutlichen Borherfehung und VBorauserfennung 
derfelben. In diefen Bewequngsgründen beftebt das vers 
nünftige Leben der Erkenntniß, und eine Erfenntniß, 
welche vernünftige Bewegungsgründe enthält, ift eine vers 
nünftig ruͤhrende Erkenntniß. Alle Triebfedern des 
Gemüths find demnach entweder finnlihe, oder vernünftige 
DBewegungsgründe S.667.674. Wenn man alfo fagen wols 
te, daß mir etwas rollen oder nicht wollen Fünnten ohne 
alle vernünftige Bewegungsaründe, fo behauptet man et- 
was unmögliches und ungereimtes. Denn da es unmögs 
lich ift, daß mir etwas ohne alle Bewegungsgründe begeh« 
ren oder verabfcheuen folten $. 663. fo haben wir auch, bey 
allen unfern vernünftigen Begierden und Berabfcheuungen, 
DBewegungsgründe, Wären diefe nun nicht deutlich und 
vernünftig, und wir molfen demohnerachtet, oder wolten 
nicht, ſo hieſſe e das eben ſo viel als: wir beſtimten unſere 
Kraft, um ein deutlich vorhererfanntes Vergnügen oder 
Mifvergnügen zu mwürfen oder zu verhindern, denn das 
heißt vernünftig begehren und verabſcheuen; mir hätten aber 
feine deutliche Erfenntnig von demjenigen, was wir ver» 
nünftig begehrten und verabfcheueten, wenn mir ohne deut: 
liche Bewegungsgründe etwas wollen und nicht wollen koͤnn⸗ 
ten. Da nun diefes ein offenbarer Widerfpruc) ift, fo wers 
den, alle unfere vernünftigen Begierden und Verabſcheuun— 
gen, durch vorhergehende deutliche Bewegungsgründe be« 
ftimt. Da wir nun, in dem Zuftande ver Gleichgültig- 
feit, gar feine Bemwegungsgründe haben $. 651.667. fo ha⸗ 
ben wir auch in — keine vernuͤnftigen Bewegungs⸗ 

5 gruͤnde, 


346 Von den Willen, 


gründe, und folglich koͤnnen wir, "in diefem Zuftande, we— 
der vernünftig begehren noch verabſcheuen. Diefe Wahr: 
beit ift von manchen in den neuern Zeiten fehr beftritten wor= 
den, indem man geglaubt hat, daß, wenn der Wille alles 
mal durch vorhergehende vernünftige Bewegungsgruͤnde bes 
ftimt werden folte, er Dadurch einer ‚folhen Nothwendigkeit 
unterworfen werde, welche der Freyheit nachtheilig ift, Als 
fein , wenn ich zur Unterfuchung der Freyheit komme, will 
ich zeigen, daß es der Freyheit gar nicht nachtbeilig fen, 
wenn man annimt, daß der Wille allemal durch vernünfs 
tige Bewegungsgruͤnde beſtimt werdes Hier will ich nur 
noch einige Einwuͤrfe beantworten, die man aus der Erfah: 
rung wider diefe Wahrheit zu machen pflegte. Man beruft 
ſich nemlich auf folche Fälle, 1) da man im gemeinen $eben 
fagt, man wolle etwas eſſen oder nicht, eine Arzney nehmen 
oder nicht, eine Handlung hun oder nicht; und da wiſſe 
jederman, daß ein bloſſer Eigenſinn uns manchmal regiere, 
und daß wir, in unendlich vielen ſolchen Fällen, nach gar 
feinen deutlichen Einfichten uns verhalten. Allein ieder— 
mann fieht, daß wir in ſolchen Fallen ſinnlich begehren und 
verabfcheuen, und da haben wir Bewegungsgruͤnde, die 
wir nicht deutlich erfennen. . 2) Man beruft fih auf Fälle, 
da wir uns der Bewegungsgründe fchlechterdings nicht bes 
wußt find: als wenn wir z. E. eine Speife nicht eſſen, einen 
Menfchen nicht leiden koͤnnen, und wiſſen nicht warum. 
Allen alsdenn haben wir dunfele Bewegungsgründe, und 
begehren und verabfcheuen nad) denenfelben 9.674. Wir 
behaupten ja nicht, daß wir bey allen unfern Begierden und 
Berabfeheuungen Bewegungsgrümde haben, deren mir ung 
bewußt find. Wir fagen, daß wir, bey allen unfern ver: 
nünftigen Begierden und Berabfcheuungen, deutliche Bes 
wegungsgründe haben müffen. 3) Man verwechfelt ofte, die 
wahren und rechten Bewegungsgründe, und die falfchen und 
unrechten mit einander, And wenn man daher findet, daß 
ein Menfch etwas begehrt oder verabfcheuet, um folcher Be» 


mwegungsgründe willen, Die “ und unrecht find, ſo fage 
man, 








Don dem Willen. 347 


man, daß er es ohne Grund begehre oder verabſcheue. Als, 
wenn man jemanden nichts zu Leide gethan hat, und er haßt 
uns, ſo ſagt man, er haſſe uns ohne Urſach. Das heißt 
aber in ſolchen Faͤllen nur ſo viel, als, er haſſe uns aus 
einer eingebildeten Urſach, oder um keines wahren Grundes 
willen, Allein wir behaupten nicht, Daß alle unſere ver⸗ 
nünftigen DBegierden und Berabfcheuungen, aus wahren 
deutlichen Bewegungsgruͤnden, entftehen. 4) Man bes 
ruft fih auf folche Fälle, in denen man zwifchen zwey Din- 
gen wählen muß, die gleich gut oder gleich boſe find. Da 
man fich nun alfo unmöglich eins beffer oder ſchlimmer vorz 
ſtellen fan , als das andere, fo ift es eben fo viel, als wenn 
wir etwas begehrten oder verabfcheueten, ohne es uns als 
gu£ oder als böfe vorzuftellen, das ift, ohne alle Bewegungs⸗ 
gründe. Z. E. wenn ich, zwiſchen zwey Dueaten von 
gleichen Gewichte und Schlage, einen wählen fol. Nun 
will ich mich hier eben nicht, auf den Satz des Unterſchie— 
des aller möglichen auffer einander befindlichen Dinge, be= 
rufen, vermöge deſſen es Feine foihe Dinge gibt, die auffer 
einander befindlich find, und die gleichgut oder gleichböfe 
find: denn das würde hier nichts entfcheiden, weil es uns 
leugbar unendlich viele Dinge gibt, deren Unterſchied wir 
nicht erfennen koͤnnen, und der alfo in die Beftimmung un: 
ferer Begierden und Verabſcheuungen feinen Einfluß ha— 
ben fan, Sondern ich will nur bemerken, daß es unmoͤg⸗ 
lich fen, diefe beyden Dinge fich in einem fo gleichen Grade 
des Lebens vorzuftellen, daß nicht auf der einen Seite ein 
Ausſchlag feyn folte. ins unter beyden fält uns jederzeit 
ftärfer in die Sinne, Wenn ic) zwey Ducaten vor mie 
liegen fehe, fo ift es nothwendig, daß ich einen flärfer ans 
fehe, als den andern. Da nun alfo jener auch mehr Ein- 
Druck in mein Gemüth macht, fo habe ich von ihm eine lex 
lebendigere Erkenntniß. Ferner, der mir zur rechten Hand 
und am nächften liegt, ſtelt ſich mir als denjenigen vor, den 
ich am leichteften befommen Fan, und man pflege daher zu 
fagen ; der erſte der befte, Nun gehört, dieſe Betrachtung, 
| auch 


348 Don dem Willen. 


auch mit zu den Bewegungsgruͤnden. Folglich |haben wir, 
in ſolchen Faͤllen, ein Uebergewicht der Bewegungsgruͤnde. 
Es iſt wahr, dieſes Uebergewicht iſt eine Kleinigkeit; allein 
es gehoͤrt auch keine groſſe Begierde dazu, eins dem andern 
vorzuziehen, wenn beyde, ſo viel wir wiſſen, gleich gut oder 
gleich boͤſe ſind. Es wäre laͤcherlich, wenn wir in ſolchen 
Fällen unſer Begehrungsvermoͤgen, durch ſehr groſſe und 
wichtige Bewegungsgruͤnde, beſtimmen wolten. 


„688. 

Unſere vernünftige Begierden und Verabſcheuungen 
koͤnnen groß oder klein, ſtark oder ſchwach ſeyn, und dieſe 
verſchiedenen Grade erheffen aus dem 666 Abfage. Die 
merflich groffen vernünftigen Begierden und Verabſcheu⸗ 
ungen ſind die vernuͤnftigen Gemuͤthsbewegungen, 
und man kan derſelben eben ſo viele annehmen, als der ſinn⸗ 
lichen. Wenn Freude, Betruͤbniß, Siebe, Hofnung u. f. 
w. aus deutlicher Erfenntniß entftehen, fo heiffen fie eine 
vernünftige Freude, DBerrübniß, Liebe, und Hofnung. 
Einige Weltweife lachen darüber, wenn man vernünftige 
Gemüthsbewegungen onnimt, weil fie glauben, es fen Dies 
fes ein fich felbft widerfprechender Begriff. Wenn mannun 
fragt, warum fie Diefes glauben, fo antworten fies weil 
alle Gemüthsbewegungen aus verworrener Erfenntniß enfs 
ftehen. Und warum nehmen fie diefes an? Weil es, in 
ihrer Erflärung einer Gemürhsbewegung, ſteht. Sie neh» 
men es alfo an, weil fie es annehmen. ine fehöne Art zu 
beweifen! Nun würde zwar in der Sache felbft es nichts 
verfchlagen, man mag die flarfen vernünftigen Begierden 
und Verabſcheuungen Gemüthsbewequngen nennen, oder 
nicht, Ueber das Wort fan man fic) leicht vergleichen, 
wenn man nur in der Sache einig ift. Allein man muß 
auch, der Gewohnheit zu reden, ihr Necht mwiederfahren laſ— 
fen. Man fage, wir follen GOtt lieben, die Freundfchaft 
ift eine Siebe, wir follen ein DBertrauen auf OOtt ſetzen. 
Sind das finnlihe Begierden? Muß ein Menfch nicht 
Be und feine Freunde vernünftig lieben, und nach vu 
lichen 








Don dem Willen: 349 


lichen Einfichten" ein Vertrauen auf GOtt fegen. Und fo 
weiß jedermann, daß man, \wenigftens beynahe, alle Nas 
men der Seidenfchaften auch in ſolchen Fällen braucht, da es 
unleugbar ift, daß man eine vernünftige Begierde oder Ver— 
abfcheuung andeuten wolle. Es ift demnach der gewohnlis 
chen Art zu denken am gemäffeften, wenn man alle Ge— 
müthsbewegungen in finnliche und vernünftige eintheilt, 
6 


. 689. 

Alle vernünftige Begierden und Verabſcheuungen ents 
ftehen aus einer deutlichen Erkenntniß 9.686. Dieſe Er— 
kenntniß ift entweder bloß deutlich, oder fie ift einestheils 
finnlih. Iſt das erfte, fo find fie bloß vernünftige 
Begierden und Verabſcheuungen, und ein veiner 
Wille ift ein Vermögen, bloß vernünftig zu begehren und 
zu verabfceheuen, Ein folcher Wille fest, einen vollfoms 
men reinen Verſtand, voraus 9.631. und folche Begierden 
und Verabſcheuungen entftehen aus einem aanz deutlichen 
Vergnügen und Mißvergnügen, aus einer bloß deutlichen 
Vorherſehung und Borauserfennung $. 697. Da mir 
Menfchen nun feinen ganz reinen Berftand haben, und da 
alle unfere deutliche Erkenntniß einestheils ſinnlich iſt; fo 
ift unfer Wille Eein reiner Wille, und feine unferer vernünf= 
tigen Begierden und Verabſcheuungen ift bloß vernünftig, 
fondern fie find fämtlich vermifcht, Nemlich vermifchte 
vernünftige Begierden und Verabfeheuungen find 
folhe, die zum theil vernünftige, zum theil aber finnliche 
Begierden und Berabfceheuungen find. Wenn wir uns deuf- 
lich und lebendig etwas als gut oder als böfe vorftellen, fo 
ftellen wir uns daffelbe zugleich finnlic) als gut oder böfe vor, 
Wenn wir nun daffelbe begehren, weil wir es ſinnlich und 
deutlich zugleich erkennen, fo ift unfere ganze Begierde finn« 
lich, in fo ferne fie aus der finnlichen, und vernünftig, in 
fo ferne fie aus der vernünftigen Erfenntniß entfteht, Bloß 
ſinnlich Eönnen wir vieles begehren und verabfcheuen, ja uns 
fere meiften und gewoͤhnlichſten Begierden und Berab- 
feheuungen find bloß ſinnlich. Allein alle unfere Beeminfigen 

Cs 


350 Don dem Willen, 


Begierden und Berabfheuungen find vermifcht, einige mehr, 
andere weniger. Und das bringt; uns einen groffen Vortheil. 
Das mwenigite an einem Gegenftande ftellen wir uns deutlich 
vor, und unfer bloffer Wille ift alfo ein fehr fehwaches und ohn⸗ 
mächtiges Vermögen. Wenn aber dieSinnlichkeit fich damit 
vereiniget, fo ift unfere Kraft alsdenn ftärfer, und unfere Bes 
gierden und Berabfeheuungen werden nicht nur viel mächtiger, 
fondern fie werden auch * Gegenſtaͤnden proportionirter. 
. 690, 

Wenn mir vernünftig begehren, was wir finnlich 
verabfcheuen; oder vernünftig verabfcheuen, was wir finn= 
lich begebren, fo befteht darin der Streit des untern und 
obern Begehrungsvermoͤgens, oder der Streit des 
Fleifches und Geiftes, Wenn wir eine Arzney einnehmen 
wollen, die uns einen abfcheulichen Geſchmack verurfacht, 
oder wenn wir die Sünde nach deutlichen Gründen verabs 
ſcheuen, und finnlich begehren, fo ftreiten Geift und Fleiſch 
in uns mit einander. Nemlich weil unfer Wille nicht rein ift 
$. 689. fo find, unfere deutlichen Bewegungsgründe, alle— 
mal mit finntichen unfermenge. Da nun unfere finnliche 
Erfenntniß uns eine Sache anders vorftelfen Fan, als die 
deutliche: fo koͤnnen wir ung deutlich etwas als guf, bevors 
ftchend, leicht vorftellen, was mir uns ſinnlich als boͤſe, 
ſchwer, vorftellen, und umgekehrt, Folglich Fünnen uns 
die deutlichen Bewegungsgründe eine Sache als begehrungs« 
wuͤrdig vorftellen, welche uns die fünnlichen als verab« 
ſcheuungswuͤrdig vorftellen, oder umgekehrt. Und da uns 
alfo jene anders beftimmen als diefe, fo entſteht daher der 
Streit des obern und untern DBegehrungsvermögens, 
Wenn nun das Gegentheil ift, wenn uns die deutlichen und 
finntichen Bewegungsgründe den Gegenftand einerley vor— 
ſtellen, beyde als gut, oder beyde als böfe u. ſ. w. fo begeh⸗ 
ren wir ihn vernünftig und finnlich zugleich, oder wir verab⸗ 
ſcheuen ihn vernünftig und ſinnlich zugleic), und Darin bes 
fteht die Uebereinſtimmung, oder Einigkeit des obern 
und untern Begebrungsvermögens, 3. E. Wenn 


ich 








Don dan Pillen. 351 


ich eine Arzney nach vernünftigen Gründen gebrauche, die 
mir auch angenehm: ſchmeckt; oder wern ich eine efelhafte 
Speife verabfiheue auch deswegen, meil ic) nach vernünfti= 
ger Ueberlegung finde, fie fey meiner Geſundheit ſchaͤdlich. 
Wenn nun das obere und untere Begehrungsvermögen mit 
einander, ftreiten, fo fieget dasjenige, oder es überwindet, 
Durch welches dev Gegenftand nach dem Streite befchloffen 
wird. Geſetzt es folle jemand eine efelhafte Arzney einneh— 
men, und er kaͤmpfe deshalb mit fich felbft : entſchließt er 
fi, alles Ekels ohnerachtet, die Arzney zu nehmen, fo fieget 
das obere Degehrungsvermögen, wenn er nemlich durch 
vernünftige Borftellungen dazu bewogen wird ; entfchließt er 
fi) aber, alles Zuredens ohnerachtet, die Arzney nicht. zu 
nehmen, fo fieget das untere Begehrungsvermögen. Sonſt 
fan auch noch ein Streit in dem obern Begehrungsvermös 
gen und in dem untern, wenn man beyde allein betrachte, 
angetroffen werden, , Man Fan eine Sache vernünftig be— 
gehren und verabfcheuen zugleich, und eben fo fan man eine 
Sache zugleich finnlich begeben und verabfcheuen. Denn 
man Fan das Gute und Boͤſe, welches in einer Sache zu- 
gleich) angetroffen wird, deutlich erkennen, und eben fo Fan 
man beydes finnlidy erfennen. Alsdenn ſtreitet der Wille 
mit fich ſelbſt, und eben fo ftreitet Das untere ‘Begehrungss 
vermögen mit fi) felbft, 
Zn $. 601, 

Wenn ein Streit unter unfern Begierden und Ver⸗ 
abfcheuungen ift, fo fallen fie einander hinverlich, und in⸗ 
dem durch) Die Begierde die Kraft der Seele auf eine Seite 
beitimt und gelenkt wird, fo wird fie durch die entgegenges 
ſetzte Verabſcheuung auf Die andere Seite gezogen. Folge 
lich wird unfere Kraft, in Abficht auf eine gemifle Hand⸗ 
lung, dadurch vermindert, und die Berrichtung derfelben 
wird uns ſehr ſchwer. Wenn wir alfo eine Sache begehs 
ren, fo wird fie uns um fo viel ſchwerer, je ftärker die Ver— 
abfcheuung eben diefer Sache, in Vergleichung mit der Be— 
gierde ‚nach derfelben, iſt. Und wenn wir etwas verab⸗ 


fcheuen, 


352 Von dem Willen 


fcheuen, fo wird uns die Unterlaffung einer Handlung um 
fo viel ſchwerer, je gröffer die Begierde nad) eben dem Ges 
genftande, in DBergleichung mit der Begierde nach demfel- 
ben, ift. Wenn aber: Fein Streit unter unfern Begierden 
und Verabſcheuungen ift, fo wird Feine durch die andere ges 
hindert, die Kraft unferer Seele wird nicht Durch entgegens 
gefegte Richtungen zertheilt, und das Gefchäfte wird ung 
dadurch ungemein erleichtert, Wenn wir uns daher eine ge= 
wiſſe Handlung erleichtern wollen; fo müffen wir, den Streit 
unferer Begehrungsvermögen in Abficht auf diefelbe, zu 
verhüten fuchen, und vielmehr eine freundfchaftliche Einigs 
feit unter ihnen bervorbringen, erhalten oder wiederherftels 
len, Einem Anfänger in der Tugend wird, die Tugend, 
allemal fehr fauer. Er begehrt fie vernünftig, allein fein 
finnticher Abſcheu für derfelben ift noch fehr groß; er verab- 
ſcheuet das Laſter vernünftig, allein er begehrt es auch zus 
gleich finnlih. Wenn es aber ein Menfd) erft fo weit ges 
bracht hat, Daß er die Tugend bloß begehrt, und das Lafter 
bloß verabfcheuet, fo hat er gewonnen. Alsdenn wird ihm 
ſowohl die Ausübung der Tugend, als auch die Linterlaf- 
fung des Safters, überaus leicht. Wenn wir über einen 
Gegenftand nichts ale Vergnügen, oder nichts als Mißver: 
gnügen, empfinden, fo begehren mir ihn entweder bloß, 
oder wir verabfcheuen ihn bloß S. 663. Folglich herrſcht 
alsdenn, unter unferm Begehrungsvermoͤgen und in denen- 
felben, eine vollfommene Eintracht. Wenn wir in Abficht 
auf einen Gegenftand gleichgültig find, fo ift, in unfern Bes 
gehrungsvermögen, in Abfichtauf denfelben weder eine Einig« 
feit noch ein Streit: denn wir begehren ihn alsdenn nicht, 
und verabfcheuen ihn auch nicht $. 648. 683. Steht unfer 
Gemuͤth, in Abficht auf einen Öegenftand, in einem Öleich- 
gemwichte, fo ift ein Streit unter unfern Begierden und Bers 
abfcheuungen, der von beyden Seiten, fo lange das Gleich, 
gewicht fortdauert, mit gleicher Stärfe geführt wird, und 
folglich fan, fo lange diefes Gleichgewicht währt, auf kei⸗ 
ner Seite ein Sieg entſtehen 9. 671. Nur indem Zuftande 

des 


Don dem Willen, 353 


des Uebergewichts ift ein Streit, auf den ein Gieg folgt, 
und fo oft eins der DBegehrungsvermögen den Sieg davon 
trägt, fo oft.geräch die Seele in den Zuſtand des Ueberge— 
wichts, der Ausſchlag mag nun entweder auf die Seite des 


obern, oder auf die Seite des untern Begehrungsvermös 





gens ausfallen $. 671.690, Mad) erfolgten Siege fan 
manchmal eine vollkommene Einigkeit entftehen, wie bey eis 
nem Tugendhaften in jenem $eben in Abjiche auf die Tugend 
‚erfolgen wird; oder der Streit Fan immer nod) forfdauern, 
wie die Tugendhaften immer fämpfen müffen, fo lange fie 
ſich noch) in diefem Leben befinden. Dieſe Betrachtungen 
Fan fich ein jedweder felbft, aus dem Vorhergehenden, er 
laͤutern. 
| Gr 
Alte unfere vernünftige Begierden und Verabſcheuun— 
gen find entweder befchlieffende, oder noch nichts befchliefiens 
de Begierden und Berabfeheuungen $. 668. Die legten 
heiſſen vorbergebende oder vorläufige vernünftige Bes 
gierden und Verabſcheuungen, und man nenne den 
Willen einen vorhergehenden Willen, in fofern er durch 
ſolche Begierden und Berabfceheuungen würffam wird, die 
noch nichts befchlieffen, bey denen wir uns alfo noch nicht 
entfchlieffen, die Sache würflich auszuführen, und die noch 
nicht in einem feften Vorſatze beftehen, die Handlung wuͤrk⸗ 
lich zu thun oder zu unterlaffen, die wir begehren oder vers 
abfcheuen. Er wird der vorhergehende Wille genennt, weil 
er aus unvolftändigen Bewegungsgründen entfteht S. 669, 
und alfo eher da ift, ehe man den Gegenftand genugfam 
unterfucht bat, Wer vorläufig etwas will, der begehrt die 
Sache vernünftig; allein weil er beforge, es möchten fich 
noch Umftände Auffern, die er noch nicht weiß, und die der 
Sache ein ander Anfehen geben Fonnten, fo fehiebt er feinen 
Entſchluß auf, bis er die Sache noch einmal und genauer 
unterfucht haben wird. Geſetzt eine Mannsperfon fpreche 
ein Frauenzimmer um die Ehe an, ift daffelbe eine vernünf- 
tige und gehorfame Tochter, fo wird es ziwar geneigt feyn 
5 Thal, 3 Fönnen, 


354 Don dem Willen. 


Eönnen, diefes Berfprechen zu thun, und es wird diefes au) 


vorläufig entdecken Fonnen. Allein den Entſchluß fchiebe es 
auf, bis die Einwilligung der Eltern erfolge. Es ift vor 
fich Elar, daß der vorhergehende Wille in würktichen Be— 
gierden und Berabfeheuungen beftehe, und alfo tein verftel« 
ter und bloß vorgegebener Wille fy. Wenn man einem 
andern bloß lügenhafter Weiſe weißmacht, man wolle et— 
was; fo Fan man wohl gar vorgeben, man habe es befchlof- 
fen, und das fan gar fein Wille genannte werden. Ja die 
vorläufigen Begierden und Berabfcheuungen find Handluns 
gen der Seele, folglich koͤnnen fie viele Beranderungen in 
der Seele verurfachen, und durch Aufferliche Handlungen 
ausbrechen. Der vorhergehende Wille ift alfo nicht etwa 
ganz unwuͤrkſam, und ungefchäftig. So fan eine gehorfa- 
me Tochter, durch ihren vorhergehenden Willen, angetries 
ben werden, fich felbjt bey ihren Eltern um die Einwilli— 
gung derfelben Mühe zu geben, und was dergleichen mehr 
ift. Diejenigen vernünftigen Begierden und Berabfehenuns 
gen aber, weiche befchlieffend find, heiffen nachfolgende, 
oder endliche vernünftige Degierden und Verabſcheu⸗ 
ungen, oder Rathſchluͤſſe. Und der nachfoigende 
Wille ift ver Wille, in fo fern er durch Rathſchluͤſſe würf- 
fam wird. Rathſchluͤſſe werden nachfolgende Begierden und 
Verabſcheuungen genennt, weil fie aus vollftändigen Bewe—⸗ 
gungsgründen entftehen $. 669, und erft alsdenn, wenn 
man, mwenigftens feinem eigenen Bedünfen nach), den Ges 
genftand genugfam unterfucht und überlege bat. Sie bes 
ftehen in einem nach deutlichen Einfichten gefaßten Borfage, 
etwas zu thun oder zu unterlaffen, und es verfteht ſich von 
ſelbſt, daß es fehr oft gefchehen fan, daß wir unfere beften 
Rathſchluͤſſe nicht ausführen koͤnnen F. 668, 
$. 0693. 

Wenn mir Menfchen einen Rathſchluß ſaſſen wollen, 
fo ift es fehr felten möglich, daß mir auf einmal und in der 
Geſchwindigkeit zu einem Entfchluffe folten Eommen koͤnnen. 
Die Natur unfers Willens bringt das mit fich, daß wir al- 

lemal 





— — — 


— — — — 


BE Tg, — 





Don dem Willen. 355 


lemal dasjenige am ſtaͤrkſten begehren, oder beſchlieſſen, was 
unſerm Beduͤnken nach das beſte iſt $. 665. Allein das 


koͤnnen wir ſelten in einem Augenblicke ausmachen, was das 
beſte ſey. Daher pflegen wir vorher, ehe wir einen Rath— 


ſchluß fallen, eine Berathfchlagung mit uns felbft, oder mit 
andern, anzuftellen. Und da beiteht, die Berathſchla⸗ 
gung, in dem Inbegriffe aller Handlungen der Erkennt 
nißvermögen , die man vornimt, um die Bewegungsgrüns 
de volftändig zu machen, vermöge welcher wir einen Rath— 


ſchluß fallen wollen. Die Bewegungsgründe der menſchli⸗ 


chen Rathſchluͤſſe find theils deutlich, theils ſinnlich $. 689. 
Folglich kan ein jedwedes Erfenntnißvermögen, es mag nun 
zu dem obern oder zu dem untern Erfenntnißvermögen ge— 
hören, etwas zu der Berathſchlagung beytragen. Die Erz 
Fenntnißvermögen find gleichfam die Rathsherren, welche 
zufammen fommen, und deren jedweder feine Stimme gibt, 
wenn etwas befchloffen werden ſoll. Folglich ift man in der 
Derathfchlagung bemüßt, alles dasjenige hinlänglich zu er 
fennen, mas noͤthig ift, wenn die deutlichen Bewegungs: 
gründe ſamt den undeurlichen hinlänglich werden follen, um 
zu einem Rathſchluſſe und zu einer endlichen entfcheidenden 
Willensmeinung zu gelangen. Daher müflen, bey einer 
Berathichlagung, folgende Fragen aufgeworfen, und bes 
antwortet werden : 1) Iſt der Gegenftand der Beratbfchlagung 
und Das Gegentheil deffelben möglih? Unmöglihe Dinge 
koͤnnen gar niche würflich werden, und bey nothwendigen 
Dingen ift die Berarbfchlagung vergeblich, weil fie ohnedem 
gefchehen. 2) Iſt beydes mir natürlicher Weife möglich? 
Oder habe ich Kräfte, und Fan ich Kräfte genung haben, 
den Gegenftand oder fein Gegentheil würflich zu machen ? 
Und ift mir beydes fihlechterdings, und in gewiſſen Umftän- 
den möglih? Denn was wir befchlieffen wollen, das müß 
fen wir durch unfere Kräfte würflich machen koͤnnen. 3) Wie 
viel Kräfte werden erfodert, um eine Sache oder ihr Ge: 
gentheil wuͤrklich zu machen? damit ich wiſſen fönne, ob 
ich Kräfte genung habe, . ich nicht etwa einen vergeblis 

2 chen 


350 Don dem Willen, 


hen Entfchluß faſſe. Diefes fan man ofte nicht anders er—⸗ 
kennen, als wenn man einen Verſuch anſtelt. Wir ftellen 
nemlich einen Verſuch an, oder wir verfuchen etwas, wenn | 
wir ung zu einer Handlung entfchlieflen, Damit wir erſah⸗ 
ren, ob wir Kräfte dazu befißen, und wie viele Kräfte das | 
zu erfodert werden, Go verfucht man, ob man die Gabe, | 
ein Gedicht zu machen, befiße, wenn man dichtet, und ber= | 
nac) beurtbeilt, ob in unfern Gedanfen eine wahre Poefie | 
angetroffen werde, Die meiften, die worüber rathſchlagen, 
vergeſſen es, Diefe Drey erften AUnterfuchungen genau anzu- 
ftellen, und da fagt man, daß fie Schlöffer in die Luft 
bauen. 4) Wie viel Guts mit der Sache verbunden ift, 
wenn fie gefchieht? ob fie uns viele Bortheile bringe, in Abs 
ficht der Seele, oder des Leibes, oder des äufferlichen Zus 
ftandes, ob fie unfere zeitliche oder ewige Glückfeligkeit befoͤr⸗ 
dere, ob fie rechtmäßig, ehrbar, anſtandig u.f.m. Wie | 
viel Guts zu erwarten, wenn fie nicht gefchieht? 6) Wie 
viel Bofes mit der Sache verbunden, wenn fie gefchieht, 
und 7) wenn fie nicht gefchieht? Da muß man den man= 
nigfaltigen Schaden unterfucyen, ob fie unehrbar, ſchaͤnd⸗ 
lich, unanftandig, fündlic u.f.w. 8) Wie groß und wich- 
tig der Nutzen und das Gute ift, welches mit ver Sache 
verbunden ift, wenn fie gefchieht, und 9) wenn fie niche | 
gefchieht ? Ein Vortheil fan manchmal fo gros ſeyn, als 
viele andere zufammen genommen, und folglih muß man 
bey der Berathſchlagung auch die Wichtigkeit der Vortheile, 
die man von beyden Seiten zu erwarten hat, unterfuchen, 
10) Wie groß und wichtig das Bofe ift, welches mit der ' 
Sache verbunden ift,, wenn fie gefchieht, und 11) wenn fie 
nicht gefchieht? Denn ein Schaden Fan fo groß fern, wie 
viele andere zufammengenommen. Wer alfo rathfchlagen 
will, der muß nicht nur die Bewergungsgeüunde von | 
beyden Seiten zäblen, das ift, erfennen, wie viel Guts 
und Boͤſes von beyden Seiten zu erwarten iſt; fondern er 
muß fie auch abwäggen, das ift, erfennen, wie groß das 
Gute und Boͤſe von beyden Seiten ift. Sa er Em | 
4 














Don den Willen, 357 


Beweggungsgrunde von bepden Seiten zuſammen⸗ 
rechnen, das ift, unterfuchen, wie vielen Bewegungs— 
gründen zufammengenommen ein gewiſſer Öegengrund gleich 
fey. Und fo fan er endlich die legte Frage 12) beantwors 
ten: Welches unter beyden befler ſey, als Das andere, und 
alfo befchloffen werden müfle? Und das heißt, das eine 
dem andern vorzieben, wenn man erfennet, welches un= 
ter beyden beffer fen, als das andere; und wenn nıan dasie- 
nige, welches man dem andern vorgezogen bat, beſchließt, 
fo erwäble man daffelbe, oder man ftelt eine Wahl an. 
Ein jeder Fan felbft dieſe Kegeln auf ein Benfpiel anwenden, 
3. E. wenn man rathſchlagt, was man für eine $ebensart 
erwählen folle? 


BERKER EEK KK LK. FI KK KH KR KH KK KR LK. KH N 


Der vierte Abſchnit, 
Von der Freyheit des Willens. 


§. 604. 

N fommen nun zu einer der wichtigften Unterfuchun- 
gen der Pfychologie, Die Freyheit ift die Krone als 

ler Vermögen der Seele, fie ift die Königin in der Seele, 
der alle übrige Vermögen zu Gebothe ftehen müffen, und 
wenn wir feine Srenbeit beſaͤſſen, fo würden wir weder füns 
digen noch rechtmaͤßig handeln koͤnnen, wir würden weder 
belohnt noch; beftraft werden Fonnen, und wir wären weder 
einer Glückfeeligkeit noch Unglückfeeligkeit fähig. Da nun 
die Lehre von der Freyheit ves Willens fo vielfältig und hef— 
tig befteitten worden , fo ift fie mit einer unendlichen Menge 
von Unterfeheidungen und Kunftwörtern angefült worden, 
wodurch fie gewillermaffen ſehr ſchwer geworden. Wir 
wollen demnach verfuchen, das Unnöthige wegzulaſſen, und 
fie fo deutlich zu machen, als möglich if. Nun komt das 
bey alles auf drey Stüde an, Erſtlich, wenn ein, Menſch 
eine freye Handlung verrichten foll, fo muß er fie ſelbſt 
33 durch 


2 


358 Von der Freyheit des Willens. 


durch ſeine eigenen Kraͤfte verrichten. Zum andern muß er | 


fie auch) durch feine eigenen Kräfte unterlaffen, oder fie auch 
anders verrichten fönnen, als erfie verrichtet. Und drittens 
muß er durch feine eigene Einfichten fich beftimmen , fie zu 
thun oder zu unterlaffen, fie eben fo und nicht anders zu 
verrichten, und diefe Einfichten müffen deutlich feyn Fönnen. 
Daß diefes der wahre Begrif der Freyheit fen, will id) 
fünftig beweifen, und es fommen alfo in diefem Abſchnitte 
drey Hauptmaterien vor, 


Von der Selbftthätigkeit. 


$. 695 

Ale Handlungen unferer Seele, oder alle unfere 
Handlungen, find nicht nur an und vor fich betrachtet und 
innerlich zufällig, fondern einige derfelben haben auch eine 
groſſe bedingte Zufalligkeit $. 106. Erſtlich alle unfere 
Handlungen find fchlechterdings zufällige Veränderungen 
unferes Zuftandes, meil wir felbit zufällige Dinge find. 
Wir haben bisher viele Unvollkommenheiten -unferee Seele 
aus der Erfahrung angemerkt: in unferer Erkenntniß ift 
viel Unmiffenheit, Dunfelheit, Ungewißheit, und was ders 
gleichen mehr it. Folglich) haben weder wir noch unfere 
Seele den höchften Grad der Nealität und Bollfommenbeit 
6.190. Folglich find wir und unfere Seele endliche Dins 
ge $. 191. und folglich auch zufällige Dinge $. 193. Die 
Wuͤrklichkeit eines jedweden zufälligen Dinges ift, eine zus 


fällige Befchaffenheit $. ı2r. Folglich) ift unfere ganze 


Wuͤrklichkeit, und alles Wuͤrkliche in uns, in fo ferne es 
wuͤrklich ift, eine zufällige Beſchaffenheit. Da nun alle 
unfere Handlungen und Leiden zu unferer Wirklichkeit gehoͤ⸗ 


ven, indem e8 ungereime zu gedenken ift, daß ein bloß moͤg⸗ 
lihes Ding handele oder leide F. 164. fo find alle unfere 


Handlungen und Leiden, auch die noch jedesmal zufünftiz 
gen, an und vor fich betrachtet und innerlich zufällig, und 


Feine derfelben iſt fchlechterdings nothiwendig, Indem wir 


alfo 


% 








— — 


8 





Von der Freyheit des Willens. 350 


alſo im Begriffe ſtehn, eine Handlung vorzunehmen, ſo iſt 
dieſelbe in demſelben Augenblicke zufaͤllig, und es iſt alſo 
nicht nur an ſich moͤglich, daß ſie wuͤrklich werde, ſondern 
es iſt auch an ſich moͤglich, daß ſie nicht wuͤrklich werde. 
Wir koͤnnen dieſes freylich nicht geradezu, aus der Erfah: 
rung, annehmen. Es ſcheint uns zwar auf den erſten An— 
blick, wenn wir im Begriffe ſtehen, etwas zu begehren oder 
zu verabſcheuen, daß dieſe Begierde oder Verabſcheuung 
auch nicht erfolgen koͤnne, und daß ſie alſo zufaͤllige 
Handlungen ſind. Allein da der Fataliſt ſagen kan, daß 
dieſes uns nur fo zu ſeyn ſchiene, ſich aber in der That nicht 
ſo verhalte; fo baden wir aus unferer Endlichfeit uns übers 
zeugen müffen, daß dem in der That alfo fey, und daß alle 
unfere Handlungen, an und vor fich betrachte, zufällig 
find. Zum andern lehrt uns nun die Erfahrung, daß, eis . 
nige von unfern Handlungen, auch eine groſſe bedingte Zus 
fälligfeit Haben, Denn das Gegentheil vieler unferer Hand⸗ 
iungen ift nicht nur an fich möglich), fondern es iſt aud) im 
Zufammenhange mit vielen andern Dingen auffer uns moͤg⸗ 
lich. Wenn wir fpaßieren :gehen, wie viel Verbindungen 
der Umstände find nicht möglich gewefen, unter denen wir 
nicht wuͤrden fpaßieren gegangen feyn? Wenn es geregnet 
hätte, mern der Wind zu flarf gewehet hätte, wenn uns 
jemand befucht hätte u. f. w. fo würden wir nicht fpaßieren 
gegangen fern. Wir behaupten nun zwar nicht von allen 
unfern Handlungen, daß fie in einem hohen Grade hypo— 
thetifch zufäflig find, fondern wir fagen nur, und das ift zu 
unferer Abficht volltommen hinreichend, daß viele von uns 
fern Handlungen eine groſſe bedingte Zufälligfeit haben, und 
wenn fie noch zufünftig find, fo find fie bevorftehende Ber: 
änderungen, die in einem hoben Grade zufällig find. 

9. 696. 

Wenn etwas, fo zufällig ift, in etwas nothmendiges 
verwandelt wird; oder wenn es nothmendig wird, da esvor= 
ber zufällig war; oder wenn es eine Nothwendigkeit befemt, 
die es nicht hatte, fo wird es nothwendig gemacht, 

34 und 


” 


360 Don der Freyheit des Willens. 


und diefe Veränderung wollen wir die Noͤthigung nen- 
nen. Wir fommen ofte in Umftände, da wir fo und nicht _ 
anders handeln koͤnnen, und diefe Umftände nöthigen uns 
zu der Handlung, fie wird durch dieſe Umſtaͤnde nothwen— 
dig, und wir würden dieſe Handlung haben unterlaffen Füns 
nen, wenn wir nicht in dieſe Umftände gerathen wären; 
wie z. E. ein Menfch, wenn er aus Noth bettelt, und aus 
der Noth eine Tugend macht. Und da fihreibt man, dieſe 
Noͤthigung, theils den Urſachen diefer Veränderung zu, 
theils den Dingen, welche diefe Veränderung ausftehen. 
Die Urfachen diefer Veränderung find, die nöthigenden Ur— 
fahen. So noͤthiget uns der Hunger zum betteln, ein 
Menfch nöthiget den andern, die Umftände der Zeit und 
des Orts nöthigen uns manchmal zu einer Handlung. Man 
fehreibt aber auch diefe Veränderung den Dingen zu, welche 
dieſelbe leiden, So fagt man, daß ein Menſch genöthiget 
worden etwas zu thun, oder zu unterlaffen. Man nennt 
auch die Handlungen und $eiden, welche nothwendig ge 
macht werden, abgenöthigte Handlungen und Leiden. Wenn 
man etwas hißiges gefprochen, welches ein anderer uns übel 
aufnimt, fo fagt man manchmal, es feyn ung diefe Worte 
abgenörhiget worden. Wenn nun etwas nothwendig ge= 
mache wird, fo wird es entweder fchlechterdings nothwendig, 
da es vorher zufällig war, oder es bekommt nur eine be— 
dingte Nothwendigkeit, die es vorher nicht hatte $.104. Iſt 
das erite, fo Fan man, diefe Noͤthigung, eine unbedings 
te Noͤthigung nennen. Und da iſt ſehr leicht zu ermeifen, 
daß eine folhe Noͤthigung fehlechterdings unmöglich fey, 
und daß nichts auf dieſe Art nothwendig gemacht werden 
koͤnne. Denn wenn etwas zufällig ift, fo ift fein Gegen— 
theil innerlich möglich, und wenn es fihlechterdings noth- 
wendig würde, fo müfte diefes Gegentheil innerlich unmög- 
lich werden $.104.105. Folglich müfte es die innerliche 
Möglichkeit verliehren, und es müfte alfo diefelbe veränder: 
lich ſeyn F. 122. Da fie nun ganz unverändertich ift S. 108. 
327. fo bleibt dasjenige, was einmal innerlich a iſt, 

eſtan⸗ 








Don der Freyheit des Willens, 361 


beftändig innerlich möglich, und fan niemals innerlich un— 
möglich werden. Wenn alfo etwas an ſich zufällig ift, fo 
bleibt fein Gegentheil immer moͤglich, und es Fan demnach 
feine zufällige Sache fhlechterdings nothwendig werden, 
Wer alfo eine unbedingte Nöthigung in irgends einem Falle 
annehmen wolte, der würde was ungereimtes behaupten, 
Diejenigen alfo, welche glauben, daß der allgemeine Zus 
ſammenhang in der Welt eine unbedingte Nothigung verur- 
fache, denken vollfommen ungereimt. Wer ja ein Fataliſt 
feyn will, der muß lieber annehmen, daß alles in der Welt 
beftändig fehlechterdings nothwendig ſey. Denn das heißt 
vernünftiger denken, als annehmen, daß die Veraͤnderun⸗ 
gen in der Welt an fich zufällig find, und daß fie durch den 
Zufammendang in der Welt fchlechterdings nothwendig ge⸗ 
macht würden. Da nun alle unfere Handlungen zufällig 
find $.695. fo iſt es fchlechterdings unmöglich, daß wir in 
irgends einer derfelben, einer unbedingeen Nötbigung, füls 
ten unterworfen werden Fünnen. Alle unfere Handlungen 
bleiben vor ihrer Verrichtung, mitten in derfelben, und nad) 
derfelben, beftändig zufällig. Cine Subftanz und eine Hand- 
lung, in fo ferne fie nicht auf eine unbedingte Art genoͤthiget 
werden, find frey von der unbedingten Noͤthigung. 
Folglich befigen wir, in Abficht auf alle unfere Handlungen 
ohne Ausnahme, diefe Freyheit. Wir find demnach in al- 
len unfern Handlungen, fo wohl vor ihrer Verrichtung und 
in derfelben, als aud) nad) derfelben, frey von diefer Nös 
thigung, oder Eeine derfelben Fan uns, auf eine unbedingte 
Art, abgenöthiger werden. Diefe Freyheit ift noch nicht 
die Freyheit des Willens, ob fie gleich zu derſelben vorläu- 
fig unentbehrlicy erfodert wird, und niemand Fan fie in 
Zweifel ziehen, als wer ein Fataliſt iſt, und die Zufallig: 
feit unferer Handlungen leugnet. 
$. 697. 

Eine felbfirhätige Handlung einer Subftanz ift 
eine Handlung, welche diefe Subftanz felbft thut; oder wel- 
che durch) die Kraft dev Subftanz felbjt, durch etwas, wel- 


35 ches 


362 Don der Stepbeit des Willens, 


ches innerlich in der Subſtanz befindlic) ift, gewürft wird, 
Man fehreibt daher die Selbftthätigkeit, einmal, den Hand- 
lungen.einer Subſtanz zu, welche von einer Kraft gewuͤrkt 
werden, welche innerlich) in der handelnden Gubftanz ange- 
froffen wird ; und zum andern der Subſtanz, in fo ferne fie 
durch ihre innerlichen Kräfte wuͤrkt. ine iedwede Sub» 
ftanz iſt ein felbftthätiges Ding, und die Selbftrhätigkeie ift 
eine Eigenfchaft aller Subftanzen. Wenn eine Subſtanz 
handelt, fo handelt fie durch ihre innerliche Kraft, und alfo 
handelt fie felbjt $.164. 159. Folglid) fan fein Ding eine 
Subjtanz feyn, wenn es nicht felbjtchätig ift. Und eben fo 
haben, alle Handlungen aller Subftanzen, eine Selbſtthaͤ— 
tigkeit. ine Veränderung, die nicht felbitehätig ift, Fan 
feine Handlung feyn. Es ſcheint alſo in der That überflüf 
fig zu feyn, befonders von der Selbftchätigfeit zu handeln, 
indem fie nichts anders als die Subſtantialitaͤt iſt. Allein 
die menfchlihen Veränderungen find theils Handlungen, 
theils Leiden, und da gibt man ihnen den Namen von dem, 
was fie am meiften find. Sind es gröftentbeils, fo viel 
uns nemlich duͤnkt, $eiden, fo nennt man es DBeränderuns 
gen, die niche felbftrhätig find, in dem entgegengefesten Falle 
aber nennt man es felbftchätige Veränderungen, Unterdeſ— 
fen, wenn es der alte Gebrauch nicht mit fich brachte, in 
der Lehre von der Freyheit, von der Selbſtthaͤtigkeit zu hans 
deln; fo würde man, dieſe ganze Unterſuchung, leicht ents 
behren Fönnen. 
$ 698. | 
Unſere Seele ift eine wahre Subſtanz F. 482. Folg— 
lich iſt ſie eine wahrhaftig thaͤtige und geſchaͤftige Kraft 
9.159. Sie handelt alſo nicht nur etwa dem Scheine nach, 
jondern auch in der That 9.164. Wir fönnen bier freylich 
nicht behaupten, daß alle Veränderungen unferer Seele, 
alle Accidenzien und Borftellungen , die in ihr wuͤrklich wer 
den, durch ihre eigene Handlungen gewürft werden, und 
daß fic) die Seele, bey allen ihren Veränderungen, felbft- 
thätig und gefchäftig erweiſe; denn das Fan durch die Er- 
} fab- 











Von der Freyheit des Willens. 363 


fahrung nicht ausgemacht werden. Allein auf der andern 
Seite wuͤrde es hoͤchſt ungereimt ſeyn, wenn man annehmen 
wolte, daß die Seele niemals ſelbſt handele: denn das hieſ— 
fe eben fo viel, als behaupten, daß die Seele gar Feine 
Subftanz ſey. Da nun alle wahre Handlungen ſelbſtthaͤ— 
tig find, und allen Subſtanzen, in fo ferne fie Subftan« 
zen find, eine Selbſtthaͤtigkeit zukomt $. 697. fo ift auch un- 
feve Seele ein wahrhaftig feibftthätiges Wefen, und es komt 
ihr allemal diefe Selbftrhätigkeit zu, in fo ferne fie handelt, 
Folglich find ‚viele Beränderungen unferer Seele, felbftthä> 
tige Beränderungen. Ja man fan fagen, daß unfere Sees 
le, die Gelbftehätigfeit, in einem hoben Grade befiße. 
Denn je gröffer die Kraft einer Subſtanz ift, oder zu je 
mehrern und gröffern Handlungen ihre Kraft zureicht 9.160, 
eine defto gröffere Selbſtthaͤtigkeit Eome ihr zu S.6u7. Da 
nun die Seele viele und groffe Handlungen verrichten, z. E. 
wenn fie durch Gemuͤthsbewegungen gefchäftiggemacht wird : 
fo hat fie eine geoffe Selbſtthaͤtigkeit. 


$. 699. 

Die Urſach, welche eine Subſtanz zu gewiffen Hand⸗ 
lungen oder Veränderungen nöthiget 9. 696. iſt entweder in 
derfelben Subftanz felbft anzutreffen, oder auffer derfelben. 
In dem letzten Falle muß auffer der Subſtanz, welche ges 
nöthiget wird, eine andere oder mehrere andere Subftanzen 
wuͤrklich feyn , welche in jene würfen, und fie dadurch nos 
thigen S.166, Dieſes gefchieht entweder durch einen ideali- 
fhen, oder durch einen reellen Einfluß 9.167. Der erfte 
Fall macht, in der Lehre von der Freyheit, gar Feine 
Schwierigkeit, Wenn mich jemand fo lange bittet, oder 
wenn er fo lange mir zuredet, bis id) thue was er haben 
will, und wenn ich mich aud) gleich dazu nicht freywillig 
entfchliefles fo fieht ein jeder, daß ich, dieſer Nöthigung 
ohnerachtet, felbft diefe Handlung verrichte. Allein wenn 
eine Subftan; von einer andern , die auffer ihr wuͤrklich ift, 
dureh einen reellen Einfluß, genöthiget wird; fo nennt mar, 
diefe Art der Noͤthigung, die fehlechterdings fo genann⸗ 

ce 


364 Don der Sreybeit des Willens. 


te äufferliche Noͤthigung, oder Möthigung von auffen 
her. Man feße, daß eine Srauensperfon überfallen und 
genothzüchtiget wird, oder wenn ein Märtirer gebunden, 
und zu den Altären der Goͤtzen geſchlept wird; fo iſt dieſe 
Art der Noͤthigung, fo viel wir merken koͤnnen, eine ſchlech⸗ 
terdings fo genannte Noͤthigung von auffen het, Und da: 
fieht ein jeder, daß Feine folche Noͤthigung, ben irgends eis 
ner wahren Handlung, flat finden fan $. 167. Cine Ber-' 
änderung, welche durch einen reellen Einfluß in einee Sub⸗ 
jtanz hervorgebracht wird, ift ein bloſſes Leiden, und Feine 
Handlung. Folglich ift Feine wahre Subſtanz, in keiner 
ihrer Handlungen, oder in fo ferne fie felbft thaͤtig iſt, ei⸗ 
ner ſolchen Noͤthigung unterworfen; ſondern ſie iſt, in allen 
ihren Handlungen, frey von aller ſchlechterdings ſo ge⸗ 
nannten Aowcigung von auſſen her. Dieſe Freyheit 
iſt eine nothwendige, und unausbleibliche Folge der Selbſt⸗ 
thaͤtigkeit. Und folglich iſt unſere Seele, in allen ihren 
ſelbſtthaͤtigen Veraͤnderungen, oder in allen ihren wahren 
Handlungen, frey von aller ſchlechterdings fo genannten aufs 
ferlichen Möthigung. Wenn die Seele, in allen ihren Ber- 
änderungen, dergeftalt von auſſen her genöthiget würde, fo 
handelte fie niemals ſelbſt, und fie würde alfo feinen freyen 
Willen haben. Folglich gehört diefe Freyheit zwar niche 
mefentlich zur Freyheit des Willens, allein jene wird doch 
zu diefer vorläufig unentbehrlid) erfodert. Wenn alfo einige 
Feinde der Freyheit des Willens vorgeben, als werde die 
Seele, durch eine Aufferliche unfichtbare Gewalt, in allen 
ihren Beränderungen fehlechterdings wie eine Marionette ges 
nöthiger; fo ſtoſſen fie freylic) dadurch, die Freybeit des 
Willens der Seele, völlig über den Haufen. Allein man 
muß erwarten, durch was für Gründe fie diefes Vorgeben 
unterffügen, und woher fie beweifen wollen, daß unfere 
Seele Feine wahre Subftanz fen, und feine Selbſtthaͤtigkeit 
befige. Denn ehe diefes legte nicht erwieſen worden, ee 
Fan diefes Borgeben gar nicht ſtat finden. 


Bon 














mn — — — — — — — 


————— — — — —— ———— — —— — — —— — —— —— — 


Von der Freyheit des Willens. 365 


Von dem Willkuͤhr. 
$. 700. 

Ale Handlungen, die einem Dinge natuͤrlicher Weis 
fe möglich find, fteben in der Gewalt deſſelben Din- 
ges, fie mögen ihm nun überhaupt natürlicher Weiſe moͤg⸗ 
lich ſeyn, oder zugleich in diefem oder jenem Zuftande feiner 
Natur $.408. Alle Handlungen ftehn alfo in unſerer Ge— 
‚walt, welche wir, durch unfere eigene Natur, überhaupt 
“und in gewiflen Umftänden, würflich machen koͤnnen. So 
‚fteht es überhaupt in unferer Gewalt, unfündlich zu leben, 


‚und in dem jegigen Zuftande unferes Verderbens fteht es 


doch noch in unferer Gewalt, ehrbar und gerecht zu fenn. 


‚Diejenigen guten Handlungen aber ftehn nicht in der 


‚Gewalt eines Dinges, welche demfelben nicht natürlicher 
Weiſe möglich find, fie mögen ihm nun fchlechterdings na= 
türlich unmöglich feyn, oder nur in diefem und jenem Zus 
ftande feiner Natur. 9.408. Wenn ein Ding durch feine 
Natur etwas böfes thut, fo gefchieht diefes durch einen Man- 
gel und Fehler der Natur deffelben. Wenn man aber fagt, 
es ftehe etwas nicht in der Gewalt eines Dinges , fo betrach— 
tet man daſſelbe als etwas, welches Durch eine gewiſſe Stärs 
fe hervorgebracht wird, die wir aber bey demfelben Dinge, 
von welchen die Rede ift, nicht antreffen. Folglich Fan 
"man diefe Redensart nur von folchen Handlungen brauchen, 
die gut find. So fteht es fchlechterdings nicht in der Ges 
walt der Menfchen, GOtt ohne Sinnlichkeit zu erfennen 
und zu dienen, und es fteht in dieſem jeßigen Leben nicht in 
unferer Gewalt, GOtt ohne Sünde zu dienen. Wenn nun 
eine Handlung in unferer Gewalt fteht, fo fteht ihr Gegen- 
theil entweder auch, menigftens fchlechterdings, in unferer 
Gewalt, oder nicht. Iſt das erfte, fo ift es ung natürlie 
cher Weife möglich, die Handlung zu thun und zu unter- 
laffen, und fie ift natürlicher Weife zufällig, 9.409. und da 
fage man, daß fie frep fey, in Abficht auf die Ver— 
richtung derfelben. Alsdenn fteht es bey folchen Handlun- 


gen in unferer Gewalt, oder es ſteht uns frey, fie zu thun, 


oder 


366 Von der Freyheit des Willens. 


oder zu unterlaſſen. Manchmal iſt es uns bey ſolchen Hand⸗ 
lungen viel leichter, ſie zu thun als ſie zu unterlaſſen, oder 
ſie zu unterlaſſen als ſie zu thun; manchmal aber iſt uns bey⸗ 
des gleich leicht, und gleich ſchwer, und da gilt es uns 
gleich, es mag von uns verlanget werden, daß wir etwas 
thun oder unterlaſſen ſollen. Z. E. wenn wir uns den Tos 
ba angewoͤhnt haben, fo hält es ſehr ſchwer es zu unter 
lafien, manchmal aber fan es jemanden eben fo leicht fern, 
das Tobackrauchen zu unterlaffen, als es zu thun. Alfe 
Sünden und rehtmäßige Handlungen, alle Siebesdienfte, 
furz alle freye Handlungen, find Beyſpiele von: Handlun⸗ 
gen, die frey find in Abfiche auf die Verrichtung. Diejes 
nigen Handlungen aber, die zwar in unferer Gewalt ftehn, 
deren Gegentheil aber ſchlechterdings natürlich unmöglich iſt, 
ſind bloß natuͤrliche Handlungen. Sie ſind uns natürs 
lich nothwendig 9.409. und wir koͤnnen fie zwar thun, aber 
nicht unterlaffen. 3. E das Othemholen, die unmerfliche 
Ausdünftung, daß wir uns die Weltduntel vorftellen u w. 
OCT; 

Wenn die Urfach, welche Die eHtränbersingen einer 
Subſtanz, die einer Nöthigung unterworfen ift nothwen⸗ 
dig macht, in dieſer Subſtanz ſelbſt, als eine innere Be⸗ 
ſtimmung ‚ angetroffen wird, fo heißt dieſes die innerliche 
Noͤthigung und lee wird die Subſtanz von innen 
heraus genöthiget, Und die fan wiederum, auf eine dop⸗ 
pelte Art, angenommen werden, Cinmal Eönnte man an⸗ 
nehmen, daß die, Handlungen einer Subſtanz bloß durch 
‚das Wefen diefer Subftanz beftimt, und dadurch nothwen> 
dig aemacht werden, und Diefes it die fchlechterdings fo 
genannte innerliche Noͤthigung. Dergleichen Hand⸗ 
lungen muͤſten alfo ihren hinreichenden Grund in dem We- 
fen haben, ‚und dadas Wegen fchlechterdings nothwendig ift 
$. 108. fo würden fie Eigenfchaften, und alfo fchlechterdings 
nothivendig ſeyn $. 54. 109. Wenn man nun annehmen 
wolte, daß eine Handlung zufällig gewefen wäre, daß fie 


aber durch eine Veränderung dergeftalt beftime würde, " 
ie 








— ———— rn — —— er —— — zum 








Don der Freyheit des Willens. 367 


fie nachher Bloß in dem Wefen gegründet wäre; fo würde fie, 
aus einer zufälligen Handlung, in eine fehlechterdings noth⸗ 
wendige vertvandelt. Da diefes aber fehlechterdings un- 
möglich ift S. 696. fo fan auch, Feine zufällige Handlung ir- 
gends einer Subftanz, einer fehlechterdings fo genannten in- 
nerlihen Nöthigung, unterworfen werden. ja Feine ein- 
zige zufällige Subftanz Fan, in irgends einer ihrer Hand» 
lungen, einer ſolchen Nöthigung unterworfen werden. Denn 
die Handlungen einer jeden zufälligen Subftanz gehören zu 
ihrer Würflichkeit 5.164. Diefe Wirklichkeit ift eine zus 
fällige Befchaffenheit $. ı2r. und hat demnach feinen hinrei- 
chenden Grund in dem Wefen $.54. Folglich Fan, feine 
Handlung einer zufälligen Subftanz, eine folhe Nothwen⸗ 
digkeit haben, welche daher rührte, daß fie zureichend durchs 
Weſen beftime würde, Die fchlechterdings fo genannte ins 
nerliche Noͤthigung ift alfo fchlechterdings unmöglich, wenn 
man fie bey irgends einer zufälligen Subftanz annehmen 
mwolte, Kine Subftanz, in fo ferne ihre Handlungen nicht 
bloß durchs Wefen beftimt werden, iſt frey von der 
feblechterdings ſo genannten innerlichen Noͤthigung. 
Folglich komt, allen zufälligen Subftanzen, diefe Freyheit 
zu. Da nun unfere Seele, nebft allen ihren Handlungen, 
zufällig ift 9.695. fo ift unfere Seele frey von aller fchlech- 


terdings fo genannten innerlichen Nöthigung, und alfo auch 


in Abficht auf ihre felbftrhätigen Handlungen, und in Abs 


ſicht dererjenigen, bey denen es in ihrer Gewalt ſteht, fie zu 


hun und zu unterlaffen $. 698. 700. 
2 702, 

Zum andern Fan man eine innerliche Noͤthigung in eis 
ner Subftanz gedenken, welche man die innerliche natuͤr⸗ 
liche Noͤthigung nennen fan, und welche in einer Sub- 
ftanz flat finden fan, wenn einige ihrer Handlungen , die 
fonft natürlicher Weife zufällig find, in natürlicher Weife 
nothivendige Handlungen verwandelt werden. Alsdenn wird 
eine Subſtanz durch ihre eigene Natur genoͤthiget, eine 
Handlung zu thun, , die fonft unterlaffen werden koͤnnte, oder 

eine 


368 Don der Freyheit des Willens. 


eine Handlung nicht zu thun, die fonft gefchehen koͤnnte. 
Diefer Noͤthigung find, alle bloß natürliche Handlungen eis 
ner Subftanz, unterworfen $. 700. Go fan eine Uhr, 
durch ihre eigene Natur, zwar den Zeiger vorwärts bewe⸗ 
gen, aber nicht rüdwärts, und fie Fan ihn auch durch ihre 

ſtatur nicht ftille ftehen laffen, Folglich erfolger, dieſe Be— 
wegung des Zeigers, Durch eine innerliche natürlihe Noͤ— 
thigung. Nun fönnen wir nicht leugnen, daß viele unferer 
Handlungen, und viele Handlungen unferer Seele, bloß na— 
türliche Handlungen find, Die Nothwendigkeit unferer 
Natur treibt uns zum Hunger und Durft an, und wir koͤn— 
nen uns des Hungers und Durftes nicht erwehren. Folg⸗ 
lich find wir, in vielen unferer Handlungen, einer innerlis 
chen natürlichen Nöthigung unterworfen; und die Nothwen⸗ 
digkeit, welche daher entſteht, ift bloß eine natürliche und 
bedingte, Feinesweges aber eine unbedingte und fataliftifche, 
und fie hebt alfo, die innerliche Zufälligkeie und GSelbftthä- 
tigfeit der bloß natürlichen Handlungen, nicht auf. Allein 
da viele unferer Handlungen frey find in der Berrichtung, 
und da wir fie, durch unfere Natur, eben fo wohl thun, 
als auch unterlaffen Fonnen $. 700. fo find, viele unferer 
Handlungen, nicht nur an fich, fondern auch natürlicher 
Weiſe zufällig $. 409. Folglich werden wir durch unfere 
Natur weder genöthiget, eine folhe Handlung zu thun, 
noch fie zu unterlaffen, und folglich find wir in diefer Hands 
lung frey von der. innerlichen natürlichen YIöcbt- 
gung. Diefe Freyheit fomt einer jedweden Subſtanz zu, 
in fo ferne fie durd) ihre Natur eine Handlung thun, und 
auch unterlaffen fan. Wer alfo diefe Freyheit der See— 
le abfprechen wolte, der müfte beweifen, daß fie zwar durch 
ihre Natur alle ihre eigenen Handlungen, die fie verrichtet, 
verrichten fonne; daß es aber nicht möglich fey, daß fie auch 
nur eine einzige derfelben Durch ihre Natur folte unterlaſſen 
fönnen; und mer diefen Beweis unternimt, der widerfpriche 
der täglichen Erfahrung ins Angeficht, Ä 


$, 70% 








— — — — 





— 


— —— 
er. ——— 


— — 





| 


Von der Freyheit des Willens. 369 


843703, 
Die Bewegungsgruͤnde, in fo ferne fie nach) dem Ge— 


fege des VBegehrungsvermögens diefes Vermögen beſtim— 


men, eine Handlung, die man thun und laffen Fan, zu bes 
gehen, oder zu verabſcheuen, heiſſen das Belieben. Nicht 
alle Bewegungsgruͤnde heiſſen, in allen Faͤllen, das Be— 
lieben. Alle unſere Begierden und Verabſcheuungen ent— 
ſtehen aus Bewegungsgruͤnden, und alſo auch die bloß na— 
tuͤrlichen. Folglich werden ſie durch dieſe Gruͤnde, nach 
dem Geſetze des Begehrungsvermoͤgens, beſtimt; allein 
man ſagt nicht, daß ſie nach Belieben entſtehen. Geſetzt 
ein Menſch ſey ungemein hungrig, weil er in vier und 
zwanzig Stunden nichts zu eſſen hat bekommen koͤnnen; 
geſetzt man frage ihn, warum er ſo hungrig ſey? ſo wird 
er zwar den Grund anfuͤhren koͤnnen, daß er nemlich in ſo 
langer Zeit nichts gegeſſen; allein er wuͤrde laͤcherlich han— 
deln, wenn er fagen wolte: es beliebe ihm nun ſo. Im 
Gegentheil, wenn er mit Fleiß eine lange Zeit gefaſtet, ſo 
hat er eſſen, und auch nicht eſſen koͤnnen. Da er nun das 
letzte erwaͤhlt hat, ſo kan er ſagen: es hungere ihn, weil 
es ihm beliebt, eine lange Zeit nichts zu eſſen. So er— 
waͤhlt man nach Belieben eine Lebensart, wenn man ſie hat 
erwaͤhlen und auch nicht erwaͤhlen koͤnnen, wenn ſie uns 
aber mehr gefallen als alle uͤbrigen, die man an ihrer ſtatt 
haͤtte erwaͤhlen koͤnnen. Alles demnach, was zu den Be— 
wegungsgruͤnden gehoͤrt, das muß auch zu dem Belieben 
gerechnet werden. Nun ſagt man, daß eine Subſtanz 
nach Belieben begehre und verabſcheue, wenn ſie bey 
einer Handlung, die fie thun und laſſen Fan, nach Erkennt— 
niß ihr DBegehrungsvermögen zu einem unter beyden bes 
ſtimt; oder diefes Vermögen fo beftimt, wie aus ihrem ei- 
genen Belieben erfannt werden Fan. Wenn mir alfo et- 
was begehren, welches wir auch hätten verabfcheuen Fön- 
nen, weil es uns gefält es zu begehren; oder wenn wir et- 
was verabfcheuen, welches wir auch hätten begehren koͤn— 
nen, weil es ung gefält, es zu verabfcheuen:; fo begehren 

3. Theil, Aa und 


579 Don der Freyheit des Willens. 


und verabſcheuen wir nach Belieben. In allen Faͤllen, wo 
wir waͤhlen, iſt es recht merklich, daß wir uns nach Belie— 
ben entſchlieſſen. Folglich ſagt uns die Erfahrung, daß 
wir ofte nach Belieben begehren und verabſcheuen. Folg— 
lich haben wir auch ein Vermoͤgen, nach Belieben zu be— 
gehren und zu verabſcheuen $. 61. und dieſes Vermoͤgen 


wird das Willkuͤhr genannt, Daher ſagt man, man 


habe willkuͤhrlich eine Lebensart erwaͤhlt, oder etwas gethan, 
wenn man es nach) Belieben gethan oder unterlaſſen bat. 
Ale Handlungen nun, bey denen es in der Gewalt einer 
Gubftanz fteht, fie nach Belieben zu thun oder zu untere 
Lafien, heiſſen willkuͤhrliche Jandlungen. Es gehören 
dahin nicht nur Diejenigen Handlungen, die würflich nad) 
Belieben beftimt werden, und Die man als unmittelbare 
Wuͤrkungen, und als einen Gebrauch des Willführs- be— 
£rachten muß; fondern aud) viele Handlungen, Die in der 
That nicht Durch den Gebrauch des Willführs erfolgen, 
bey denen wir aber doch das Willführ hatten brauchen Fon- 
nen. Wenn ein Menſch noch nicht aus Gewohnheit fluchr, 
fo muß er allemal, wenn er fluchen will, fein Willführ ges 
brauchen; allein ifts ihm erjt zur Gewohnheit geworden, 
fo brauche er fein Willkuͤhr niche mehr zu gebrauchen, und 
er flucht in der That nicht mehr nach Belieben. In bey— 
den Fällen aber ift, das Sluchen, eine willfürliche Hand- 
lung. Und es iſt ausder täglichen Erfahrung Elar, daß vie— 
Ye unferer Handlungen willführlich find. , Solche Hand. 
lungen müffen felbftehatig, an fich und natürlicher Weife 
zufällig feyn, folglich müffen fie feey ſeyn, von alfer unbe- 
dingten Noͤthigung, von aller. fchlechterdings fo genanten 
äufferlichen, und von aller inmerlichen Noͤthigung $. 696. 
699. 701. 702, Nicht alles Begehrungsvermögen ift ein 
Willkuͤhr, allein alles Willführ ift ein Begehrungsvermö- 
gen, und diefes Vermögen ift allemal das Willführ, wenn 
es etwas begehrt, welches wir auch hatten verabfcheuen 
fonnen, und wenn es. etwas verabfcheuet, welches wir 
auch hätten begehren Fonnen, Die Einwürfe, die man 

wider 











— — 


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ö— — ES So Sn nn ————— — — 











Don der Freyheit des Willens, | 371 


wider die Wahrheit machen Fan, daß wir Menfchen 
mie einem Willführ begabt find, will ich bis zu Unterſu— 
chung des freyen Willens verfparen. 


$. 704. 

Sch babe, in dem — Abſete, diejenigen 
Arten der Noͤthigung angefuͤhrt, welche dem Willkuͤhr wi— 
derſprechen, und mit demſelben nicht zu gleicher Zeit ſtat 
finden koͤnnen. Allein es gibt gewiſſe Arten des Zwangs, 
welche mit dem Willkuͤhr ſehr wohl beſtehen koͤnnen. Und 
da muͤſſen wir erſt erklaͤren, was das heißt, gerne oder uns 
gerne etwas thbun. Man fan fich nemlich bier, auf eine 
zroenfache Art, erklären. Einmal begehren und verab⸗ 
ſcheuen wir gerne, was wir nad) Belieben begehren und 
verabfcheuen. Und folglich thun wir aile unfere willkuͤhr— 
lihen Handlungen gerne, und was wir willkuͤhrlich thun 
oder unterlaſſen, das thun oder unterlaſſen wir gerne. So 
würde man dieſe Redensart, dem Worte nach, erklaͤren. 
Folglich iſt es der Natur der Seele zuwider, in irgends ei— 
nem Falle, da wir vermoͤgend ſind eine Sache ſo wohl zu 
begehren, als auch zu verabſcheuen, ungerne zu begehren 
und zu verabſcheuen: denn das hieſſe eben ſo viel, als 
ohne alle Bewegungsgruͤnde ſich entſchlieſſen, eins unter 
beyden zu thun. Man koͤnnte zwar ſagen, daß wir in 
allen Faͤllen, wo wir ohne Willkuͤhr begehren und verab— 
ſcheuen, ungern begehren und verabſcheuen; allein ſo pflegt 
man nicht zu reden. Zum andern iſt es dem Gebrauche 
zu reden gemaͤſſer, wenn man dieſe Redensarten anders er— 
klaͤrt. Und da ſagt man, man begehre etwas gerne, 
wenn wir es auch verabſcheuen koͤnnten; allein wenn wir 
es entweder gar nicht verabſcheuen, ober fo ſchwach, daß 
die Begierde viel ſtaͤrker if, als diefe Berabfeheuung. Folg— 
lich begehren und hun wir etwas gerne, wenn es uns ent- 
weder ein reines Vergnügen macht, oder ein viel ſtaͤrkeres 
Vergnügen als Mißvergnügen, und wenn alfo in unferm 
Belieben, ein fehr groffes Lebergewicht des Bergnigens 
über das Mißvergnügen, angetroffen wird, Wenn wir 

Aa 2 hung⸗ 


372 Don der Sreyheit des Willens. 


hungrig find, fo efjen wir eine Speife gerne, wenn fie uns 
nicht das geringfte Mißvergnügen macht, wir nehmen aber 
auch gerne eine Arzney ein, wenn fie uns zwar widerlic) 
ſchmeckt, aber in einem fehr Eleinen Grade. Wir verab- 
ſcheuen etwas gerne, wenn wir es zwar begehren koͤnn— 
fen, wenn wir es aber entweder gar nicht begehren, oder fo 
ſchwach, daß die Verabfcheuung viel ftarfer ift, als diefe 
Begierde, Folglich verabfcheuen wir und unterlaflen et» 
mas gerne, wenn es uns entweder nichts als Mißvergnuͤ— 
gen macht, oder ein viel ftärferes Mifvergnügen als Ber: 
gnügen, und wenn alfo in unferm Belieben, ein fehr grof- 
fes Uebergewicht des Mifvergnügens über das Vergnügen, 
angetroffen wird. So unterlaſſen wir den Genuß einer 
Speife fehr gerne, wenn fie uns fo efelhaft ift, daß mir 
nicht den geringften Appetit nach derfelben haben. Und 
wir enthalten uns in Kranfheiten des Genuffes folcher 








—— —— 


Speiſen gerne, die mir auch bey gefunden Tagen nicht gar - 


zu gerne gegeffen haben. Nun begebren wir eine Sas 
che ungern, wenn, in unferm Belieben, ein ſchwaches 
Uebergewicht des Bergnügens über das Mifvergnügen iſt; 
wenn wir auch viele und ftarfe Bewegungsgründe haben, 
fie zu verabfcheuen, und wenn wir fie zugleich fo ſtark ver: 
abfcheuen, daß unfere Begierde nach derfelben nicht viel 
ſtaͤrker iſſ. Wir verabfcheuen etwas ungern, wenn 
in unferm Belieben, ein Eleines Uebergewicht des Mißver— 
guügens über das Vergnuͤgen, angetroffen wird; wern wir 
viele und ftarfe Bewegungsgründe haben, daſſelbe zu be: 
gehren; und wenn wir es zugleich fo ftarf begehren, daß 
die Verabſcheuung deffelben nicht viel ftarfer ift, als diefe 
Begierde. So nehmen wir eine Arzney ungern ein, wenn 
uns die Haut vor derfelben fihaudert, und wir enthalten 
uns des Genuffes einer Speife ungern, wenn uns das 
Waffer nach derfelben in dem Munde zufammenflieft. 
Wenn wir nach diefer Erflärung etwas ungerne thun oder 
unterlafien,, fo handeln wir demnach nach Belieben, und 
alfo willführlich $. 703. a in allen diefen Fällen ift es 

vecht 


— 











Don der Freyheit des Willens. 373 


recht merklich, daß wir mit einem Willkuͤhr begabt ſind. 
Denn alsdenn begehren und verabſcheuen wir, ein und eben 
dieſelbe Sache, zu gleicher Zeit. Alſo iſt es ohne Wider— 
rede klar, daß es in unſerer Gewalt ſteht, fie zu begehren 
und zu verabfcheuen, Daß wir uns aber zu einem unter 
beyden nach Belieben enrfchlieffen, Und was braucht es 
weiter, um zu erweifen, daß wir ein Willführ haben? 
705 
Der Zwang befteht in ber Hervorbringung einer 
Handlung, welche die Subſtanz, welche gezwungen wird, 
ungerne thut. So fagt man, daß ein Menſch zum Sol 
datenftande gezwungen werde, wenn er ein Soldat wird, 
aber ungern; und eben fo brauchen wir das Wort in un- 
endlich vielen Fällen im gemeinen Leben. Wenn man nun 
die Frage unterfuchen will: ob der Zwang zu einer Hand- 
fung, mit der Willkuͤhrlichkeit, beſtehen koͤnne oder nicht ? 
fo müffen, die verfchiedenen Arten deſſelben, von einander 
unterfehieden werden. Und da gibt es erftlich einen 
feblechterdings fo genannten äufferlichen Zwang, 
welcher in einer fchlechterdings fo genannten Aufferlichen 
Noͤthigung zu einer Handlung befteht, wovon $. 699. ge- 
handelt worden. ine folche erzwungene Handlung iſt gar 
feine Handlung, fie ift ein blofies $eiden der gezwungenen 
Subitanz, fie gefehieht gar nicht nach Belieben diefer Sub— 
ftanz, und vielmehr wider alles Belieben derfelben. Da 
fie alfo nicht einmal eine Handlung ift, fo fält bey ihr die 
Selbftthätigfeit weg, und fie Fan unmöglid) eine willführ- 
liche Handlung genannt werden. Wenn ein Menfch auf 
die Art wozu gezwungen wird, fo wird ihm gar Feine Wahl 
gelaffen, wie z. E. eine Frauensperfon, wenn fie wuͤrklich 
genothzüchtiget wird, oder menn den Juden in Verfol— 
gungszeiten mit folcher Gewalt Schweinefleifch in den Hals 
gefteckt worden, daß es gar nicht in ihrem Vermoͤgen ge— 
ftanden, es zu verhindern, oder es nicht hinunter zu fchlu- 
den. Daher Ean auch, in der practifchen Weltweisheit, 
ſehr leicht-erwiefen werden, Daß uns folche Veränderungen 
Aa3 in 


374 Don der Freyheit des. Willens’ 


in unferm Zuftande gar nicht, weder als vechtmäßige Hand⸗ 
lungen, noch als Sünden, zugerechnet werden koͤnnen. 
Zum andern ſagt man auch, man thue alles dasjenige ge- 
ziwungener Weife, was man ungerne thut, nach der andern 
Erklärung des vorhergehenden Abſatzes. Und alsdenn ftele 
man fich entweder vor, Daß das Fleine Uebergewicht in den 
Berwegungsgründen, welches uns zur Handlung beftime, 
von uns felbft durch unfere eigene Rathſchlagung bervor- 
gebracht werde, oder von andern auffer uns, Iſt das 
erfte, fo fagt man: daß man fich felbft gezwungen has 
be, oder daß man fid) ſelbſt Gewalt angethan habe; und 
in dem andern Falle fagt man, daß man von andern ge= 
zwungen fey, und das wollen wir den gevwoiffermaffen fo 
genannten Aufferlichen Zwang nennen. So fagt man: 
man müffe ſich felbft zwingen eine Arzeney zu nehmen, 
man habe fich zwingen müffen -das $achen zu verbergen, 
oder feinen Unwillen nicht ausbrechen zu laffen, und was 
dergleichen mehr if. Wenn ein Menfch zum Soldaten- 
flande gezwungen wird, fo wird er-fo lange bedrohet, oder 
es werden ihm auch wohl fo lange allerley Liebel und Linge- 
maͤchlichkeiten verurfacht, bis endlic) das Webergewicht in 
feinen Bewegungsgründen dahin ausfchlägt, daß er fich 
zum Soldatenftande entfchließe. Und fo fommen unend- 
lich viele Fälle vor, da ein Menfch ſich nicht nur felbft wo— 
zu zwingt, fondern da er auch von andern Menfchen gewifs 
ſermaſſen wozu Aufferlich gezwungen wird, es mag nun 
beydes entweder mit Necht oder mit Unrecht gefchehen. 
N 7064 
Wenn ir uns felbit wozu zwingen, fo ift es fo weit 
entfernt, daß wir alsdenn nicht willführlich handeln folten, 
daß wir vielmehr in feinem andern Falle unfer Willkuͤhr fo 
deutlich Auffern, als wenn wir uns felbit zwingen. - Als- 
denn handeln wir nad) Belieben, und wir hätten auch an- 
ders handeln Fonnen $. 704. Der Zwang, den wir ung 
felöft anthun, rührt von einer vorläufigen Berathfchlagung 
ber, und ev iſt eine Are dev Ueberwindung und Befiegung 
; | unferer 











* 


Von der Freyheit des Willens. 375 


unferer felbft, welche ein offenbarer Beweis des Willführs 
find. Und wenn wir Aufferlid) gewiffermaflen wozu ges 
zwungen werden, fo ift eben fo Flar, Daß wir nach Belie— 
ben handeln, und daß es auch in unferm Vermögen geſtan— 
den, die Handlung zu unterlaffen. Folglich fan, aud) die— 
fer Zwang, das Willführ nicht aufbeben $. 705. Geſetzt 
es wolle mich jemand zum Goldatenftande zwingen, fo 
wird er fich meiner bemächtigen, und anfänglich durch bloffe 
Drohungen mir eine Furcht einjagen: laſſe ich mich da— 
durch bewegen, Soldatendienfte zu thun, fo handele ich of: 
fenbar willführlih. Geſetzt aber er fehlage mich, und 
überhäufe mid) mit wer weiß wie viel andern Uebel, de— 
nen ich nur dadurch entgehen Fan, wenn ic) mich entfchliefs 
fe, dasjenige zu thun, was er von mir verlangee: fo ift je= 
derman befannt, daß derjenige nicht gezwungen werden Fan, 
der Muth genung bat, wie 3. E. ein Märtiver, den Tod 
auszuftehen. Laͤßt fih nun aber jemand mürbe machen, 
und thut dasjenige, wozu man ihn zwingen will; fo thut 
er es um den Uebeln zu entgehen, die man als Zivangs- 
mittel roider ihn braucht, und alfo zieht er feiner Meinung 
nad) ein Fleineres Uebel einem gröflern vor, und er handelt 
Demnach) willführlih $. 703. Man fan zwar zugeben, 
Daß die ſchmerzhaften Empfindungen, Durch) welche er ge= 
zwungen wird, nicht felbftehätig find; allein die Regel, nach 
welcher er handelt, daß er diefelben nemlich als ein gröfferes 
Uebel anfiehet, welches zu vermeiden er dasjenige lieber 
thus, wozu er gezwungen wird, rührt von ihm ſelbſt ber. 
Folglich bleibt feine Handlung, die er aus Zwang thut, 
Dennoch felbitthätig, und er hätte fie auch unterlaffen Füns 
nen. Daher auch in der practifchen Weltweisheit erwie— 
fen werden, fan, daß mir dennoch einer Handlung wegen 
Verantwortung auf ung laden, ob mir gleich dieſelbe aus 
Noth haben thun müffen, indem wir uns entweder felbft zu 
derfelben gezwungen, oder indem mir gewiffermaffen äuffer: 
lich, von auſſen ber, zu derfelben gezwungen werden, Un— 
terdeſſen muß man geftehen, daß es ofte viel ſchwerer if, 

Aa 4 die 


376 Don der Freyheit des Willens. 


die Handlung, wozu man gezwungen wird, zu unterlaffen, 
als fie zu thun, und es ift unmöglid) einen dritten Weg zu 
ergreifen. Folglich ift das Gegentheil unferes Verhaltens 
in folchen Fällen eines Theils unmöglich, und eines Theils 
ſehr ſchwer. Was fehr ſchwer ift, das hält man gemeinig- 
lich für unmöglih. Folglich pflegt man in allen Noth— 
fällen das DBerhalten, fo man erwäblt, als ein Berhalten 
anzufeben, deſſen Gegentheil unmöglich ift. Daher fagt 
man: man koͤnne nicht anders handeln, man folle einmal 
fagen, ob man es anders habe machen koͤnnen? Und daher 
ftelt man fich mit Recht eine gröffere Norhwendigfeit in den 
Handlungen vor, wenn man gezwungen wird oder fich ſelbſt 
zwingt, als wenn man gar feinem Zwange unterworfen 
ift: dieſe Nothwendigkeit aber hebt, die Willführlichkeit 
der Handlungen, nicht auf. Und hieher gehören noch die 


Handlungen, die man aus Unwiſſenheit oder um | 


eines Irrchums willen ungerne vornimt, das find 
Handlungen, die man zwar nach Belieben thut, man wür- 


de fie aber unterlaffen haben, wenn nicht eine Unwiffenheit, . | 


oder ein Irrthum in uns anzutreffen wäre. So ſchwaͤn— 
gerte Juda feine Schwiegertochter, weil er fie nicht kannte, 
und weil er in der irrigen Meinung ftand, als fen fie eine 
ihm fremde Perfon, er that aber unlaugbar die Handlung 
felbft willführlih. Das ift aber eine andere Frage, ob die 
nicht geſchehene Unterlaffung einer folhen Handlung als 
willführlicy angefehen werden Fan? Die Berrichtung der 
Handlung felbjt ift unleugbar mwillführlih. Allein die 
nicht gefchebene Unterlaffung Fan nur alsdenn willführlich 
feyn, wenn der Irrthum und die Unwiſſenheit hätten von 
demjenigen vermieden werden koͤnnen, der durch fie verlei- 
tet worden, eine Handlung zu thun. Man Fan alfo in der 
practifchen Weltweisheit annehmen, daß folche Handlun- 
gen manchmal fönnen zugerechnet werden, wenn fie nemlich 
aus einer vermeidlichen Unwiſſenheit und aus einem ver— 
meidlichen Irrthume entitehen, nicht aber wenn fie aus ei- 
nem unvermeidlichen Irrthume, und aus einer unvermeid- 


lichen 


} 

















Don der Freyheit des Willens. 377 


fichen Unwiſſenheit entſtehen. In dem legten Falle fan 
zwar das übrige an der Handlung willfübrlich feyn, aber 
nicht dasjenige, was aus Unwiſſenheit und Irrthume ent= 


‚ steht. In dem erften Falle aber ift fie unftreitig willführ- 


lich. Denn da die Unmiffenheit und der Irrthum hätte 
vermieden werden koͤnnen, fo wäre eg möglic) gewefen, und 
es hätte in der Gewalt des Handelnden geftanden, fich da- 
bey nach Willführ zu verhalten $. 703. 


206 
Das Willführ ift, verfhhievener Grade der Vollkom— 
menheit, fähig, welche nad) folgenden Kegeln beurtheilt 
werden koͤnnen: 1) je mehrere und mannigfaltigere Hand- 
lungen dafjelbe würft, defto vollfommener ift es. Folglich 
je öfter ein Menfch willführlid) handelt, und in je verfchie- 
denern Fällen und Umftänden, deſto gröffer und vollfom- 
mener ift fein Willführ. 2) Se gröffer und wichtiger die 
willführlichen Handlungen find, deſto gröffer und vollfom- 
mener ift das Willführ. Und 3) je vollfommener das 
Belieben ift, wonach man handelt, folglich je eine weitläuf- 
tigere, gröffere, richtigere, klaͤrere, gewiſſere und lebendi- 
gere Erfenneniß es ift, defto gröfler und vollfommener ift 
das Willführ. Es iſt Daher ein fchlechter Beweis des 
MWillführs, wenn man auf Befragen, warum man etwas 
thue, fagt: es beliebe einemnun fo, und man fan gar nicht 
fagen, warum es einem nun fo und nicht anders beliebt. 
Und diefe Borftellung der Grade des Willführs leiter uns, 
auf die Betrachtung des freyen Willens. 


Bon der Frenbeit, 
$. 708. 

Das Willführ befteht in dem Vermögen etwas zu 
thun oder zu lafien, zu begebren oder zu verabfcheuen, nach 
Belieben 9 703. Diefes Belieben befteht entweder aus 
deutlichen Bewegungsgründen, oder aus finnlichen, oder 
aus beyden zugleic) $. 703. 687. 674. Folglich ift das 
Willkuͤhr entweder ein Vermögen, nach einem finnlichen 

Aa5 Belie— 


378 "Don der Freyheit des Willens. 


Belieben oder nach einem deutlichen, oder nach einem ver—⸗ 
mifihten zu begehren und zu verabfiheuen. Das erfte heißt 
das finnliche Willkuͤhr, und es befteht in dem. Bermö- 
gen, nach Belieben etwas finnlic) zu begehren, oder zu ber- 
abfcheuen ; oder in dem Vermögen, eine Handlung nad) 
ſinnlicher Erkenntniß zu thun oder zu unterlaffen ; oder es 
befteht das ſinnliche Willführ in dem untern Begehrungs- 
vermögen, in fo fern es fih mit einer Handlung befchäfti- 
get, bey der es in unferer Gewalt fteht, fie zu. thun und zu 
unterlaften. Nun begehren wir viele Dinge, die wir auch 
verabfcheuen Fünnten, und wir verabfeheuen viele Dinge, 
Die wir auch begehren Fonnten, und wir beftimmen uns da- 
bey durch finnliche Bewegungsgründe, z. E. wenn wir Ef 
fen und Trinken wählen, oder die Sarbe unferer Kleidun= 
gen u. ſ. w. Folglich haben wir ein finnlihes Willkuͤhr. 
Diele unſerer Handlungen find, ſinnlich willkuͤhrliche Hand- 
lungen, Wir behaupten nicht von allen unfern Handlun= 
gen, und wenn wir auch) nur diejenigen dahin rechnen wols 
Yen, Die ihren Grund in finnlichen Bervegungsgründen ha⸗ 
ben, daß fie finnlich willkuͤhrlich ſind. Sondern wir vech- 
nen nur dahin Diejenigen, bey denen beydes in unferer Ge; 
malt fteht, fie nemlich zu thun oder zu unterlaffen, wenn 
eins unter beyden gefchieht, und wir Dazu durch eine un- 
deutliche Erfenntniß beftime werden. Die Freyheit, oder 
die fittliche und moralifche Freyheit, oder der freye Wille, 
oder das freye Willführ iſt das Vermögen, etivas zu bes 
gehren oder zu — zu thun oder zu laſſen, nach 
einem deutlichen Belieben, oder nach vernünftigen Einſich— 
ten und Bewegungsgruͤnden; oder fie ift das Vermögen, 
nach Belieben zu wollen, oder nicht zu wollen; oder fie ıft 
das obere Begehrungsvermögen, in fo ferne es fich mit ei- 
ner Sache oder Handlung befchäftiger, bey der es in ul 
ver Gewalt fteht, fie zu thun oder zu unterlaffen. Der 
Wille iſt nicht überhaupt frey: Denn er Fan manchmal et— 
was begehven, welches zu verabfcheuen nicht in feiner Ge— 
walt fteht, und er Fan etwas verabfcheuen, welches zu be- 
gehren 


e 








Don der Freyheit des Willens: 379 


gehren er nicht vermögend iſt. Alsdenn begehre und ver, 
abfcheuet er zwar vernünftig, aber nicht frey. Die Frey— 
beit wird entweder ein reiner, oder ein vermifchter Wille 
fern $. 689. jene heißt eine reine Freyheit, dieſe aber 
eine vermifchte, welche ein freyes und finnliches Will: 
kuͤhr zugleich ift. Nun begehren und verabfcheuen wir vie: 
les, nach deutlichen Einfihten. Wir behaupten nicht, Daß 
alle unfere Begierden und Berabfcheuungen, daß alle unfe- 
ve willkuͤhrlichen Begierden und Verabſcheuungen, und 
eben ſo wenig, daß alle unſere vernuͤnftige Begierden und 
Verabſcheuungen frey ſind, ſondern wir behaupten dieſes 
nur von vielen derſelben. Und da lehrt uns die Erfab- 
rung unleugbar, daß viele unferer Handlungen durch einen 
freyen Willen beftimf werden, 5. E. wenn wir, nach einer 
vernünftigen DBeratbfchlagung, etwas thun oder unterlaffen, 
eine Lebensart erwählen u. f. w. Bolglich h haben wir einen 
freven Willen, nicht zwar einen reinen, fondern einen ver: 
mifchten $. 689. nd das iſt gut fine ung, weil fonft un- 
fer freyer Wille ein fehr ſchwaches Vermögen feyn würde, 
welches wenig augrichten koͤnnte. Weil es aber durch) die 
Sinnlichkeit verſtaͤrkt ift, fo Fönnen wir durch unfere Frey— 
heit mehr ausrichten, und unfere freyen Begierden und 
Vererabſcheuungen Fonnen den Gegenftänden proportionivter 
ſeyn. 

® §. 709. 

Das Willkuͤhr überhaupt, und infonderheit das finn- 
liche und freye Willführ, find befondere Arten des Begeb- 
tungsvermögens $. 703. 708, Da nun das ganze Bes 
gehrungsvermögen, durch die Vorfiellungsfraft der Welt 
nad) der Stellung des Leibes, gemürft wird $, 665. fo wird 
aud) alles Willführ, durch eben diefe Kraft der Seele, ge- 
wuͤrkt; oder die mwillführlichen und freyen Begierden ver 
Seele find nichts anders als, Handlungen der Kraft, wel⸗ 
che die Seele befißt, und wodurch fie fid) die Welt nach der 
Etellung ihres Leibes vorſtelt. Das. Geſetz des Willführs 
Fan folgendergeflalt ausgedrude werden: Dep Handlun⸗ 


gen, 


380 Don der Sreybeit des Willens. 
4 


gen, in Abficht auf welche es in meiner Gervalt 
ftebt, fie zu thun oder zu tnterlaffen, begebre ich 
Össjenige unter beyden was mir beliebt $. 703. Be 
gebre ich eins unter beyden finnlich, fo ift dieſes das Geſetz 
des finnlihen Willführs, begehre ich es aber vernünftig 
nad) Belieben, fo befteht darin das Gefeß des freyen Wil« 
lens. ine Subſtanz ift eine freye Subftanz, welche 
mit einem freyen Willen begabt ift. Und fieye Hand⸗ 
lungen find folche Handlungen, in Abficht auf welche es 
in der Gewalt einer freyen Subftanz fteht, ſich nad) Frey: 
beit zu beftimmen , diefe Handlung entweder zu thun oder 
zu unterlaffen, fie entweder fo oder anders zu hun. Wir 
rechnen alſo, zu den freyen Handlungen, eine doppelte Art 
der Handlungen. Einmal diejenigen, die wir thun, da 
wir fie doch hätten unterlaffen Fönnen, oder unterlaffen, da 
wir fie doc) hätten thun koͤnnen, oder fo thun und unter 
laffen, da wir fie doch hatten anders thun und unterlaffen 
fünnen, und zwar weil wir nach deutlichen Bewegungs— 
gründen uns in der That beftimmen, eben fo und nicht ans 
ders uns zu verhalten. Hieher Fönnen wir alle Fälle rechnen, 
in welchen wir nad) einer vernünftigen Berathſchlagung 
uns entfchiieffen, eine Handlung zu thun oder zu unterlaf- 


fen. Zum andern find Handlungen aud) frey, Deren 


Thun und Laſſen, und die Art von beyden zwar in unferer 
Gewalt ftehen, die wir aber würflich nicht nach deutlichen 
Einfichten vornehmen, wenn es uns nur möglid) gewefen 
waͤre, daß wir zu der Zeit hätten nad) deutlichen Einſich— 
ten, und nad) einem vernünftigen Belieben handeln koͤnnen. 
Folglich bringe es die Natur unferer Freyheit mit ſich, daß 
mir nicht nur alsdenn frey handeln fönnen, wenn wir durch 
Die obern Kräfte unferer Seele handeln; fondern auch als« 
denn, wenn diefe Kräfte ganz unmürffam find, und wir 
bloß nach der Sinnlichfeit handeln, nur muß es in dem 


legten Falle in unferer Gewalt ftehn, die Handlung, die ‘ 


roir nad) bloſſer Sinlichfeit verrichten, nad) Vernunft vors 
zunehmen. So handelt ein Menſch frey, wenn er aus 
Eigen« 








Don der Srepheic des Willens. 381 


Eigenfinn, aus Gewohnheit, aus $eidenfchaften handelt, 
ob er in diefen Fällen gleich nach bloffer Sinnlichfeit han— 
delt, wenn es nur in feiner Gewalt fteht, daß er dieſe 
Handlungen nad) einem vernünftigen Belieben thun und 
unterlaffen koͤnnen. Wenn wir nun alles zufammennehs 
men, was bisher abgehandelt worden, fo koͤnnen wir alles 
dasjenige deutlich hererzählen, was zu der Frenheit Des 
Willens und der Handlungen erfodert wird. Einmal wer⸗ 
den vorläufig, folgende Stüde, erfodert: 1) die Selbſt— 
thaͤtigkeit der Handlung $. 697, Eine Handlung, die 
nicht felbftehätig ift, ift Eeine wahre Handlung, und folg- 
lid) Fan fie auch nicht nach “Belieben verrichtet werden. Es 
verfteht fid) von felbft, dag man eine freye Handlung felbft 
thun muß, und man fan ſich zwar in Abſicht auf ein Lei⸗ 
den frey verhalten, aber ein Leiden, in fo ferne es ein Leis 
den ift, Fan £eine freye Handlung feyn. Folglich erfodert, 
der frene Wille, zum voraus eine Freyheit von dem 
fehlehterdings fo genannten äufferlichen Zwange $. 705. 
2) Die Zufälligfeit der Handlung; denn eine freye Hand- 
fung muß koͤnnen gefchehen und auch nicht geſchehen, fo 
oder anders gefchehen, und folglich muß ihr Gegentheil 
möglich und fie felbft muß zufällig feyn. Daher wird vor 
läufig zu der Freyheit, die Freyheit von der fehlechterdings 
fo genannten Nöthigung erfodert $. 699. und auch infons 
derheit von der fehlechterdings fo genannten innerlichen Noͤ— 
tbigung $. 701. 3) Die natürliche Zufaͤlligkeit der Hand- 
fung, oder es muß nicht nur in meiner Gewalt ftehen, die 
Handlung zu thun, fondern auch fie zu unterlaffen,, fie nicht 
nur fo, fondern auch anders zu thun. Folglich wird zu der 
Freyheit vorläufig, die Freyheit von der innerlichen natuͤr— 
lichen Noͤthigung, erfodert $.702. Zum andern wird 
mefentlich zu der Freyheit der Handlung erfodert, daß fe 
nach einem Belieben eben fo und nicht anders gefchehe, 
welches deutlich und vernünftig iſt, oder doch wenigftens 
dentlich feyn Fan, Folglich hat die Freyheit, wenn fie als 
ein Vermögen der Seele betrachtet wird, zwar in ber 

Vorſtel⸗ 


982 Von der Freyheit des Willens. 


Vorſtellungskraft ihren Sitz, wie alle Vermoͤgen der See— 
le; allein man kan doch ſagen, daß ſie zu dem Willen als 
eine beſondere Art deſſelben gehöre, oder daß fie nichts an— 
ders als ein Wille von einer befondern Art fen. Und weil 
die Freyheit ohne deutiiches Belieben nicht feyn Fan, fo 
jest fie allemal Berftand und Vernunft voraus, und Fan 
in Feiner andern Subſtanz, als in einem Geifte, anges 
troffen werden. 
$. 710, 

Lieber die Freyheit des Willens ift, eine doppelte fehr 
wichtige Streitigfeit, entflanden. Cinmal giebe es Welt: 
weife, welche ver menfchlichen Geele alle Freyheit des Wils 
lens fchlechterdings abfprechen, man mag fie aud) erflären 
wie man will. Zum andern giebt es einige, welche zuge: 
ben, daß der menfchlihe Wille frey fen; allein fie find 
mit uns wegen der Erklärung der Freyheit uneinig, und 
geben vor, daß eine Freyheit nach unferer Erklärung gar 
feine wahre Freyheit ſey. Diejenigen, welche dem Men 
ſchen alle Freyheit abfprechen, berufen fih vornemlich auf 
folgende Gründe, 1) Sie nehmen ein unmidertreibliches 
Schickſaal in der Welt überhaupt an, und behaupten alfo, 
daß alle Begierden und Verabſcheuungen des Menfchen, 
und alle feine Handlungen, ſchlechterdings nothwendig 
find, Es ift wahr, eine Handlung, die ſchlechterdings 
nothwendig ift, Fan unmöglich frey feyn, weil eine freye 
Handlung muß unterlaffen werden fünnen, und fie muß 
alfo zufällig feyn. Wer alfo ein Fataliſt ift, und annimt, 
daß alle unfere Handlungen einer fehledhterdings fo genann= 
ten Möthigung unterworfen find; $. 696, der Fan unmoͤg⸗ 
lich dem Menfchen, einen freyen Willen, zufchreiben. Diez 
fer Einwurf wird völlig gehoben, wenn man fich von fei- 
ner eigenen Zufälligkeit, und von der Zufälligkeit aller fei« 
ner Handlungen, überzeugt $. 695. Doc ich habe, die 
Lehre von dem unmwibertreiblichen Schiefaal, ſchon in dee 


Coſmologie binlänglic) widerlegt F. 308 3ır. Zum 2) leug« 


nen einige deswegen die Freyheit des Menfihen, weil fie 
glaus 








Don der Freyheit des Willens, 383 


‚glauben, daß alle Handlungen des Menfchen durch fein 
Weſen hinreichend beſtimt werden, und daß alfo alle diefe 
Handlungen, einer fchlechterdings fo genannten. innerlichen 
Noͤthigung, unterworfen wären $, 701. Wenn dent alfo 
wäre, fo müften alle unfere Handlungen ſchlechterdings 
nothwendig feyn. Wer ſich alfo von feiner eigenen: Zufäls 
digkeit gründlic) überzeugt . 695. der erfennt zugleich, daß 
diefer Einwurf einen ungereimten ‚Einfall enthalte. Zum 
3) wenden mand)e ein, und fagen, daß der Menſch vem 
Strome der Dinge folgen müfle, wie er ihn fortreißt, der 
Menſch möge auch Entfhlüffe faffen, was für weiche er 
wolle, Der Menfd) fey wie ein Hund, welcher an einen 
Saftıwagen angebunden ift, und weicher folgen muß, er 
mag wollen oder nicht. Alſo babe der Menfch Feine Frey— 
heit, in dieſer Welt etwas zu thun, oder zu laffen, weil 
er zu ohnmaͤchtig ift, als daß er dasjenige folte ausführen 
fönnen, was er fi) vornimt. Allein hier verwechfele mar 
den freyen Willen, mit der Mache dasjenige auszuführen, 
was man frey befehlofien bat. Wir Menfchen haben 
feinen gar zu mächtigen, und noch viel weniger einen all- 
mächtigen freyen Willen. Es würde auch ſchlecht genug 
in der Welt hergeben, wenn alle Menfchen auch nur die 
Helfte von demjenigen vollziehen Eönnten, was fie nach ih. 
rev Sreybeit wollen. Allein deswegen hört unfer Wille 
nicht auf frey zu ſeyn, weil er Feine groffe Mache befige: 
fo wenig eine freye Republik etwas von ihrer Majeſtaͤt und 
Freyheit verliehrt, wenn fie ſchwach iſt. Manche Gottes: 
gelehrte verwechfeln die Freyheit und die Macht des Wils 
lens mit einander, indem fie fagen, ein unbefehreer Menſch 
habe feinen freyen Willen in Abficht auf das Gute, weil 
er nicht Kraft genug hat das Gute zu thun. Zum 4) ba« 
ben einige Seinde ver Freyheit ven Einfall, als wenn alle 
Handlungen der Menfchen natürlich nothwendig wären, und 
als würden fie insgeſamt durch eine innerliche natürliche 
Noͤthigung befiimt S. 702. Es ift wahr, wenn diefes 
Vorgeben Örund hätte, fo wäre es um die Freyheit unfers 

Willens 


384 Don der Srepheit des Willens. 


Willens gethan. Wir geben auch zu, daß viele unferer 
Handlungen natürlidy nothwendig find; es behauptet aber 
aud) fein vernünftiger Bertheidiger der Freyheit, daß alle 
unfere Handlungen frey find. Wir geben gleichfals zu, 
daß vieles an denen Handlungen, die mir frey nennen, 
natürlidy nothwendig fen; denn es Fomt uns nicht in. den 
Sinn zu behaupten, Daß alles an denen freyen Handlungen 
frey fey. Wenn aber der Gegner behauptet, daß alle un« 
fere Handlungen, und alles Mannigfaltige aller unferer 
Handlungen, natürlid) nothwendig fey; fo muß man er« 
warten, was er deshalb zum Beweifeanführt. Die Fein« 
de der Freyheit find ofte nur gewohnt, ihre Gegenmeinung 
fühn zu fagen, ohne einmal eine Anftalt zu einem Beweiſe 
zu machen. Wir behaupten, daß viele unferer Handlun: 
gen, und vieles in denfelben, natürliher Weife zufällig 
fey, und wir berufen uns deshalb auf die Erfahrung, wel« 
he uns lehrt, daß es in unferer Gewalt ftehe, manche 
Handlungen zu hun oder zu unterlaffen, und diefelben fo oder 
anders einzurichten. Und 5) glaubt man berechtiget zu 
feyn , deswegen dem Menfchen den freyen Willen abzufpre« 
chen, meil er in allen feinen Handlungen einer Nöthigung 
von auffen ber unterworfen fey, die der Natur der Frey— 
heit zuwider ift. Und da beruft man ſich wieder auf zwey 
Gründe inmalnimt man an, daß der allgemeine Rath» 
ſchluß GOttes alles, und alfo aud) alle menſchliche Hand» 
lungen, von Ewigkeit her fo beftimme, daß dem Menfchen 
nicht mehr frey ſtehe, etwas darin zu ändern. Folglich 
könne der Menfch Feine Freyheit haben, weil fie ihm zu 
gar nichts nüße feyn würde. Allein diefer Einwurf üft leicht 
zu heben. Der Rathſchluß GoOttes ift Fein unbedingter 
Rathſchluß, und Fan mit der innerlichen und natürlichen 
Zufälligkeit der Dinge in der Welt vollfommen beftehen, 
wie aus der natürlichen Gottesgelahrheit erhellen wird. 
Wenn alfo eine Handlung ihrer Natur nad) frey ift, fo 
wird fie, durch den Rathſchluß GOttes, diefe Befchaffen« 
heit nicht verlieren. Geſetzt Cajus komt in die Umftände, 

daß 





Don der Freyheit des Willens, 385 


daß er fih entweder felbft ums Leben zu bringen gereiße 
wird, oder daß er diefen Neigungen widerfteht. Geſetzt 
er entfchließt fih nad) langer Berathſchlagung, fich felbft 
zu ermorden, GoOtt hat von Emwigfeit her vorhergeſehen, 
wie ſich die Freyheit des Cajus in allen Faͤllen, und alſo 
auch in dieſem Falle, entſchlieſſen werde, und da er zugleich 
erkannt, daß dieſer Selbſtmord in den Plan der ganzen 
Schoͤpfung gehöre, fo bat er befcd)loffen, diefe That. ge— 
fchehen zu laflen. Nun fan: Cajus freylich den Selbſt— 
mord nicht ‚unterlaffen, allein das heißt fo viel, als, Die 
Freyheit des; Cajus Fan nicht beydes zugleich, den Gelbft: 
mord und. das Gegentheil deffelben, befchlieffen. Denn 
der freye Wille muß, eins unter beyden, nur ermwählen. 
Da nun in unferm Falle GOtt vorbergefehen, daß Cajus 
den Selbſtmord wälen werde, fo beftimt fich, die Freyheit 
des Cajus, in diefem Falle gewiß auf dieſe Seite. Kan 
fie nun wohl, zu gleicher Zeit, das Gegentheil befchlieflen ? 
Und hört nun wohl Deswegen diefer Selbftmord auf, frey 
zu feyn? Es fcheint, als verlangten manche Leute von dem 
freyen Willen, daß er ein Vermögen fern folle, in dem Aus 
genblicke, da er eine Sache fo beftime, viefelbe auch ans 
ders zu beftimmen. Allein da diefes ungereimt ift, fo muß 
man von dem freyen Willen nichts verlangen, als was an 
ſich möglih und chunlid if. Zum andern beruft man 
fi), um die Freyheit des Menfchen über den Haufen zu 
werfen, auf den allgemeinen Zuſammenhang der Dinge in 
der Welt, in welchen die Seele eingeflochten ift, und wels 
her dergeftalt auf die Seele würfe, daß er fie, wie ein 


gewaltiger Strom, mit ſich fortreiffe, und es ihr alfo nicht 





frey laffe, fich felbft zu beftimmen, und zwar nach eige- 
nem Belieben. Auf diefen Einfall muß, verfchiebenes, 
geantwortet werden. Erftlih, wenn der Zufannmenhang 
in der Welt auf die Seele, durch einen ſchlechterdings ſo 
genannten aͤuſſerlichen Zwang, würfte, und zwar in allen 
ihren Veränderungen, fo wuͤrde fie Eeine Selbſtthaͤtigkeit 
und Freyheit haben $. 705. Allein eine ſolche aͤuſſerliche 

3, Theil, Bb Gewalt« 


‚386 Von der Freyheit des Willens. 


Gewaltthaͤtigkeit, welche durch den allgemeinen Zuſam⸗ 
menhang verurfache würde, wird-ohne Beweiß angenom⸗ 
men. Wir find aufs gemiflefte verſichert, daß die Seele 
eine wahre Subftanz fey, und alfo ofte felbit handele, 
Folglich Fan audy, der allgemeine Zufammenbang, die 
Seele von auffen nicht fehlechterdings nöthigen. Zum am 
dern geben wir zu, daß unſer freyer Wille zu ohnmächtig 
ift, etwas wider ven Übrigen allgemeinen Zufammenhang 
in der Welt auszurichten, und daß ſelbſt in unfern freven _ 
Handlungen vieles feyn Fan, welches durch den Zufammens 
bang der Dinge auffer der Seele dergeſtalt beitimt wird, 
daß es nicht frey ift. Und alfo fieht ſich die Seele freylich 
in ihren Handlungen genöthiget, mit dem Strome fortzus 
fhwimmen. Und drittens ſcheint es, als ftelle man ſich 
den Menfchen, in dem allgemeinen Zufammenhange der 
Dinge, als ein leblofes Stüce Holz vor, welches in einen 
ſchnellen Strom geworfen wird; da man ſich ihn doch als 
einen Waffertropfen vorftellen folte, der mit zudiefem fchnel- 
len Strome als ein Theil gehört. Die Freyheit des Mens 
ſchen gehört mit unter die Gründe, von denen, nach dem 
algemeinen Zufammenhange der Dinge, alles in. der Welt 
abbanget, und auch zu den Folgen aller übrigen Dinge 
Wenn man alfo fagt, daß eine Handlung des Menfchen, 
durch den allgemeinen Zuſammenhang, beftimt werde; fo 
fagt man zu gleicher Zeit, daß fie auch durch die Freyheit 
des Menfchen beftimt werde, und es ift alfo Flar, daß fie 
in diefer Abſicht frey ſeyn koͤnne. Sch erinnere noch eins 
mal, daß ich nicht behaupte, als wenn eine menſchliche 
Handlung durch und durch frey feyn koͤnne, und was alfo 
der übrige Zufammenhang ver Dinge in der Welt an der 
Handlung beftimt, das iſt nicht frey. 


Se 
Was nun diejenigen Gegner betrift, welche ziwar dem 
Menfchen die Freyheit des Willens zugeftehen, aber vorges 
ben, daß fie ganz worin anders beſtehe, als unfere Erklaͤ— 
rung mit fich bringen; fo ftoffen fie fi) daran, ve mir 
ehau⸗ 














Don der Srepheitdes Willens, 367 


behaupfen: eine freye Begierde, Verabſcheuung und Hands 
lung werde allemal, durc) vorhergehende Bewegungsgrüne 
de, beſtimt. Und da fagen fie, das fey Fein freyer Wille, 
welcher durd) eine vorhergehende Erkenntniß beftimt wird; 
fondern der freye Wille müfle etwas wollen oder nicht wol⸗ 
len, ohne einen weitern Grund zu haben, als weil er will 
oder nicht will. Zum Behuf diefer Meinung berufen fich 
die Gegner: 1) auf die Erfahrung. Sie fagen, ein Menfch 
wolle ofte etwas auf eine freye Ark, und ſey fic) gar feiner 
Gründe bewußt, warum er es wolle, wie z. . eigenfin- 
nige Leute ofte zu thun gewohnt find. Allein bier verwechſelt 
der Gegner, die finnlichen Begierden und Berabfcheuun: 
gen, mit den vernünftigen. jene find feine Würfungen 
des freyen Willens, und man Fan alfo nach ihnen, die 
Natur der Freyheit, nicht beurtheiln. Wir geben alfo 
zu, daß wir ofte etwas begehren oder verabfcheuen, thun 
oder laſſen Fönnen, ohne uns der Gründe bewußt zu 
feyn, die uns zu einem unter beyden beftimmen. Allein 
daraus-folge nicht, daß in folchen Fällen gar Feine Beftim« 
mungsgründe da find: denn wir können, nach dunfeln 
DBemwegungsgründen, etwas begehren und verabfcheuen. Und 
noch viel weniger folgt daraus, daß der freye Wille ein 
Vermögen ſey, etwas zu wollen oder nicht zu wollen, ohne 
vorhergehende Bemwegungsgründe, die ven Willen zu eis 


„nem unter beyden beftimmen. Wenn man nun fagt, daß 


man doch gleichwol in folhen Fällen, da man fich Feiner 
Gründe bewußt ift, ofte frey handele; fo geben wir diefes 
zu, nicht etwa als wenn folche Handlungen frey wären, 
weil fie durch den Gebraud) der Freyheit gefheten, fondern 
weil es in unferer Gewalt geftanden hat, fie nach Freyheit 
und deutlichen Einfichten vorzunehmen, ob wir dieſes gleich 
nicht würflich gethan haben $.709. Zum 2) ſchließt man: 
wenn der freye Wille, durch vorhergehende deutliche Bes 
wegungsgründe, beftimt wird, zu begehren und zu verab⸗ 
fheuen, fo entftehen diefe Begierden und Berabfcheuungen 
fo nochwendig, daß fie — frey ſeyn Fönnenz und es 
* 2 


heiße 


388 Von der Freyheitdes Willens. 


heißt alfo eben fo viel, als der Seele alle Freyheiten abfpres 
dien, wenn man fagen wolle, daß fie in dem Vermoͤgen 
beitehe, nach deutlichen Einfichten zu wollen oder nicht zu 
wollen. Wir fönnten diefen Einwurf ganz kurz abfertigen, 
wenn mir fagten, daß der Gegner dasjenige vorausfege, 
was erft erwieſen werden foll, nemlich daß die wahre Freys 
heit nicht, durch vorhergehende Gründe, müffe beſtimt 
werden. Allein wir wollen diefen Einwurf, auf eine lehr⸗ 
reichere Art, aus dem Wege zu räumen fuchen, und fols 
gende Antworten bemerken, a) Es fteht gar nicht in dem 
frenen Willen der Seele, ob fie nad) Bewegungsgründen 
und Durch diefelben ihren Willen beftimmen will oder nicht, 
wenn fie würflich nad) Freyheit handeln will; fondern das 
Weſen und die Natur der Freyheit bringet diefes fo mit fid), 
und es ift nothwendig, daß der freye Wille, durch veutlis 
che Bewegungsgründe, beftime werde, wenn er erregt und 
würffam gemacht werden fol, b) Wenn deutliche Bewe⸗ 
gunasgründe da find, fo Fan die freye Begierde und Vers 
abſcheuung, welche in denfelben gegründet ift, nicht anders 
als erfolgen, fie Fan nicht auffen bleiben. Und alfo entftes 
ben die freyen Begierden und Berabfcheuungen, aus ihren 
Bewegungsgründen, auf eine nothwendige Art. Allein 
dieſe Nothwendigkeit ift Feine unmwidertreibliche und fatali= 
ftifche Nothwendigkeit, weil die Bewegungsgründe, die 
wir haben, zur Würflichfeit unferer Seele gehören, und 
alfo zufällig find. c) Man Fan nicht einmal eigentlich fa« 
gen, daß die Bewegungsgründe unfere freyen Begierden 
und Verabſcheuungen nöthigen oder nothwendig machen 
koͤnnen, indem fie als Accivenzien weder handeln noch han« 
deln Fonnen. ya, wenn diefe Bewegungsgründe durch 
den Eindruck, weldyen andere auffer ung befindliche Dinge 
in der Seele machen, dergeftalt entftünden , daß die Seele 
dabey felbft nicht gefchäftig ware; fo müfte man fagen, die 
Seele werde von auffen fihlechterdings gezwungen, fich eis 
ne Sache fo oder anders vorzuftellen S, 699, und folglich 
würden die Begierden und Berabfcheuungen, welche > 

ewe⸗ 











Don der Srepbeitdes Willens. 389 


Bewegungsgründe entſtehen und erregt werden, unmöglich 
frey ſeyn koͤnnen. Allein ob wir gleich zugeben, daß die 
Seele durd die deutlichen Bewegungsgründe genoͤthiget 
werde, etwas zu wollen odernicht zu wollen: fo iſt doc) die— 
fe Noͤthigung Feine Nöthigung von auffen ber, indem die 
DBewegungsgründe als innerliche Beftimmungen in ber 
Seele felbit find. Man muß alfo vielmehr fagen, daß die 
Seele fich felbft nöthiget, wenn fie nad) deutlichen Bewe— 
gungsgründen will oder nicht. Sie felbft iſt es ja, welche 
auf eine Vorftellung achtung giebt, derfelben nachdenkt, 
und fie überlegt, welche den Öegenftand beurtheilt und ans 
ſchauet, Fury fie ſelbſt ift es, welche eine Vorſtellung zu 
einem deutlichen Bemwegungsgrunde macht, und fie felbjt 
ift es alfo, welche durch die einzige Vorftellungsfraft, Die 
fie befigt, eine Vorftellung zu einem vernünftigen Bewez . 
gungsgrunde macht, und dadurd) ihren Willen erregt. Kan 
dieſes, der Freyheit des Willens, nachtheilig feyn? Es ift 
wahr, es ift dabey eine Nothwendigkeit: allein Fein Ding 
ift ohne alle Nothwendigkeit möglih, und man muß alfo 
entweder gar Feine Freyheit zugeben, uud das hieffe über 
Worte freiten, oder man muß zugeben, daß die Freyheit 
des Willens, mit diefer oder jener Nothwendigkeit, gar 
wohl beftehen fünne. d) Man fan auch nicht fagen, daß 
die Beftimmung des freyen Willens durd) deutliche Bewe— 
gungsgründe eine innerliche natürliche Noͤthigung verurfas 
che, als wodurch die Freyheit in der That über den Haus 
fen geworfen werden wiirde $, 702. Denn ich mag durch deutli⸗ 
che Bewegungsgründe noch fo ſehr beftimt werden, fo bleibt 
es doch allemal in dem Augenblicke möglich, daß meine 
Seele von diefen Bewegungsgründen abftrahire, und fo 
bald diefes gefchähe, fo bald würde die freye "Begierde oder 
Berabfheuung, welche in diefen Bewegungsgruͤnden ges 
gründet ift, auc) wegfallen, Folglich bleibt es, aller Bes 
wegungsgründe ohnerachtet, doch noch unferer Seele mög» 
lid), das Gegentheil zu thun. Folglich fan, die Beltim« 
mung des freyen Willens durch deutliche Beregungsgrün- 

Bb 3 de, 


390 Von der Freyheit des Willens. 


de, unmöglich eine ſolche Nothwendigkeit in der Handlung 


wörudefüchen; daß fie deshalb nicht frey feyn koͤnnte. Wer 
iſt ſo thoͤricht zu ſagen, ein Menſch handele gar nicht oder 
weniger frey, wenn er nach einer reifen und langen Berath— 
ſchlagung ſich wozu entſchließt, als wenn er dieſes bloß nach 
Uebereilung und aus Eigenſinn thut? 

$. 712. 

Nachdem wir nun, den wahren Begrif der Freyheit 
des Willens, feſtgeſeht haben; ſo wollen wir noch ver— 
ſchiedene Betrachtungen, über die freyen Handlungen und 
andere bieher gehörige Sachen, anftellen, welche diefen Be— 
grif in ein noch gröfferes Licht feßen werden. Alle Hand- 
Tungen unferer Seele find entweder Handlungen des obern 
Begehrun gsvermoͤgens, oder eines der untern Begehrungs⸗ 
vermoͤgen. Die erſten find Handlungen, die mit Wil⸗ 
len geſchehen, und die andern ſind Handlungen, die 
ohne Willen geſchehen. So ofte wir etwas begehren 
oder verabſcheuen nach deutlichen Einſichten, fo ofte hans 
delt die Seele mit Willen, oder fo ofte ift der Wille würf- 
fam. Alle übrige Handlungen der Seele find, eine Ge— 
fhäftigfeit des untern DBegehrungsvermögens. Man 
Fan nicht fagen, daß alle Handlungen des Willens frey 
find: denn es Fan unfere Seele etwas vernünftig begehren 
oder verabfcheuen, welches natürlich nothwendig ift, und 
in fo ferne ift diefe Begierde und Verabſcheuung nicht frey. 
Allein fo ofte wir etwas vernünftiges begehren und verab- 
fheuen, und es ift eine Sache die wir thun und auch laſ— 
fen fönnen, fo ofte ift diefe Handlung des Willens frey. 
Die Handlungen des finnlichen Begehrungsvermögeng find 
allemal frey, wenn es in unferee Gewalt geftanden hätte, 
dasjenige, was wir finnlich begehren und verabfcheuen, ver— 
nünftig zu begehren und zu verabfcheuen, und wenn es ei- 
ne Sache betrift, die wir fo wohl thun als auch laffen fün« 
nen. Daher handeln wir Menfchen ofte frey, wenn mir 
gleich bloß nad) Sinnlichkeit handeln, 3. E. in der Be— 
trunkenheit in den ſinnlichen Gemürhsbewegungen f * 

unſern 








Don der Freyheit des Willens. 398 


unfern Gewonbeiten u. fs m. wenn es nur in unferer Ge— 
walt geftanden hätte, dieſe Handlungen nach. deutlichen 
Bewegungsgründen zu thun oder zu laflen. Die Handa 
kungen des Willens find entweder freywillige Handlun⸗ 
gen, oder Handlungen des Willens, die nicht frey- 
vwoillig find, jene find vernünftige Begierden oder Verab— 
fcheuungen, zu Denen wir gar nicht gezwungen werden, 
oder vernünftige Handlungen, die wir gerne thun;, die leß= 
ten aber find vernünftige Begierden und Berabfcheuungen, 
zu denen wir uns entweder felbft zwingen, oder zu denen 
mir von andern gezwungen werden 6.704: 705. Go fon: 
nen wir eine gewiſſe Lebensart gerne oder ungerne vernünf- 
tig begehren, oder verabfcheuen. Nicht alle freye Hand: 
lungen find freymwillige oder unfreymwillige Handlungen: 
denn es gibt freye Handlungen, die gar Feine Handlungen 
des Willens find, die aber dem ohnerachtet frey find, weil wir 
fie durch unfern Willen hätten verrichten Fönnen, ob wir es 
gleich nicht gethan $. 709. Allein alle freymwillige und unfrey- 
willige Handlungen find freye Handlungen, wenn es in uns 
jerer Gewalt ſteht, fie zu thun oder zu laſſen $.706. Es ift 
alfo nicht ein jedweder Zwang, der Freyheit des Willens, 
zuwider, - Wenn wir alfo zehnmal mit Wahrheit fagen 
fönnen, daß wir etwas nicht gerne gethan haben, fo folgt 
daraus noch nicht, Daß wir nicht frey gehandelt, und daß 
es uns weder als eine Sünde noch als eine vechtmäßige 
Handlung koͤnne zugerechnet werden, 


. . 713 

| Man pfleat zu ER daß alle Sittlichfeie auf der 
Freyheit des Willens beruhe, und es wird demnach zur 
Erläuterung der Natur der Freyheit fehr viel beytragen, 
wenn wir das Sittliche genauer erflären. Ks mwird diefes 
Wort in fo unendlich vielen verſchiedenen Fallen gebraucht, 
daß mir ung Eeinen beflern aligemeinen Begrif davon ma= 
chen koͤnnen, als wenn wir alles fittlich oder moralifh in 
weiterer Bedeutung nennen, was in einer nähern und 

mertlihen Berbindung mit bem.fuenen Willen ſteht. Wol⸗ 
Bbaa te 


392 Von der Freyheit des Willens. 


fe man alles firtlih nennen, was mit der Freyheit ir— 
gends auf eine Art verbunden ift: fo müften wir, um deg 
allgemeinen Zufammenbangs in der Seele willen, alle ih— 
re Veränderungen fietlid) nennen, und das wäre fehr 
ungereimt. Folglich nennen wir nur dasjenige fietlich, was 
mit der Freyheit auf eine nähere Art zufammenhängt. 
Folglich nennt man alle freye Beſtimmungen, Handlungen, 
DBegierden und Verabſcheuungen, fittliche Handlungen. 
Sittliche Sertigkeiten jind, alle Fertigkeiten freyer Hand⸗ 
lungen. Der fittliche Zuftand ift der Zuftand, welcher 
aus fittlichen Handlungen entſteht. Daher alle lafterhafte 
und tugendhafte Zuftände, moralifche oder fittliche Zuftän- 
de, genennt werden. Da nun alle Beflimmungen Gefes 
ge haben $. 80, fo haben auch alle freye Handlungen Ge— 
feße, Denen fie entweder gemäß find oder gemäß ſeyn fols 


Ien, und diefe Regeln freyer Handlungen beiffen die fittliz 


chen Geſetze. Je mehrere freye Handlungen ein fittlis 
ches Gefes unter fich begreift, deſto gröffer ift es S. 81. 
Folglich ift das gröfte und allgemeinfte fittliche Geſetz das. 
jenige, in deſſen Umfang alle freye Handlungen ohne Aus— 
nahme gehören, und welches fich alfo über alle freye Hand- 
lungen erftreft. In der beften Welt gibt es allerdings, 
ein folches ganz allgemeines fittliches Geſetz $. 436. und in 
der fittlichen Weltweisheit, das ift, in demjenigen Thei= 
Ie der MWeltweisheit, welcher die fietlichen Geſetze unter— 
fucht, Die aus der Natur Fonnen unterfucht werden, muß 
gezeigt werden, wie Diefes allgemeinfte fittliche Geſetz lau— 
tet. Ich babe alle diefe Begriffe nur ganz kurz erflärt, 
weil ic) fie hier bloß als Erempel von dem Sittlichen über: 
haupt betrachte. 
—W 
Noch viel noͤthiger iſt es, daß wir unterſuchen, wo— 
rin die moraliſche Moͤglichkeit und Unmöglichkeit beſtehe. 
Diefe Wörter werben ofte in einer weitern, ofte aber in eis 
ner engern Bedeutung gebraucht, Dasjenige wird mora⸗ 
liſch möglich in weiterer Bedeutung genennt, was 
der 




















Don der Freyheit des Willens, 393 


der Freyheit nicht zumider iſt; was, ohne Nachtheil der 
Natur der Freyheit, gefchehen Fan; mas nicht anders ge: 
ſchehen fan, als durch Frenheit, oder was nur in einer 
Subftanz möglich ift, in fo ferne fie einen freyen Willen 
hat. Daher haben alle moralifche Veränderungen, fie 
mögen tugendhaft oder lafterhaft ſeyn, eine moralifche 
Möglichkeit in weiterm Berftande, So ift es moralifch mög: 
lich, daß wir eine freye Handlung um deutlicher Bewegungs: 
gründe willen thun, es ift aber auch moralifch möglich, 
daß wir fie um finnlicher Bewegungsgründe willen thun, 
ja daß wir uns nicht einmal der Bewegungsgründe bewußt 
find. Moraliſch unmöglidy in weiterer Bedeutung 
äft alfo dasjenige, was der Natur der Freyheit widerfpricht ; 
oder welches bloß um der Freyheit willen nicht gefcheben 
fan, ob es gleich auf eine andere Art gefcheben koͤnnte; 
oder welches, wenn es gefchähe, beweifen würde, daß die 
Subſtanz, in welcher es gefchieht, feinen frenen Wilfen 
habe. So iſt es moraliſch unmöglich, daß der freye Wille 
ohne alle Bewegungsgründe, oder ohne vernünftige Bewe— 
gungsgründe, etwas begehren oder verabfcheuen koͤnne. 
Eben fo ift es moralifch unmöglih, daß ein Menfch eine 
freye Handlung thun Fonnte, deren Bewegungsgründe gar 
nicht deutlich feyn Fonnten. Zum andern aber braucht 
man diefe Wörter auch in einer engeen Bedeutung, und 
da nennt man dasjenige moralifch möglich in engerer 
Bedeutung, was man fonft auch erlaubt und rechtmaͤſ— 
fig nennt, oder dasjenige, was nur durch einen folchen 
freyen Willen gefcheben Fan, der ſich nach den moralifchen 
Gefegen und auf eine ihnen gemäfje Art beſtimt; oder 
was, Den moralifchen Geſetzen, nicht widerſpricht. Mach 
dieſer Erklärung haben nur diejenigen freyen Handlungen 
eine moralifhe Möglichkeit , welche tugenöhaft find, oder 
welche den moraliſchen Gefegen nicht widerfprechen. Mo— 
raliſch unmöglich in engerer Bedeutung ift dasjenige, 
was man fonft unerlaubt, fündlich und unrechtmäßig nent, 
und man verfteht Darunter alles dasjenige, wasıdem freyen 

D®b5 Wil: 


394 Don der Freyheit des Willens. 


Willen widerfpricht, in fo fern er fi) auf eine den morali⸗— 
ſchen Geſetzen gemäße Art beitimt; oder dasjenige, was 
den moralifchen Geſetzen zumider ift, daher find, alle Suͤn— 
den und lafterbafte Handlungen, moraliſch unmöglich in 
der engern Bedeutung, 
ohren 
Da wir alles dasjenige nothwendig nennen, deſſen 
Gegentbeil unmöglich ift $. x03. fo bekomt das Nothwen- 
dige verfchiedene Mamen, nachdem: die Unmöglichkeit be- 
nannt wird, die in feinem Gegentheile anzutreffen iſt. 
Wenn nun das Gegentheil einer Sache moralifch unmög= ı 
lich ift, fo nenne man fie, zum Unterfchiede der übrigen 
Arten der Nothwendigkeit, moralifch norhwendig. And 
folglich fan man erſtlich dasienige moralifch norbwens 
dig in weiterer Bedeutung nennen, deſſen Gegentbeil 
in weiterer Bedeutung moralifch unmöglic) ift. Was dem: 
nad) der Natur der Freyheit dergeftalt gemäß ift, daß ohne 
ihm die Freyheit Feine Freyheit feyn würde, deſſen Gegen- 
theil hebt alle Freyheit auf, und es ift demnach nach diefer 
erften Erklaͤrung moralifch notbwendig. Co ift es mora— 
liſch nothwendig, daß die Bewegungsgründe aller unferer 
freyen Handlungen entweder würflich deutlich find, oder 
feyn koͤnnen, und daß der freye Wille allemal durch deut: 
lihe DBewegungsgründe beftimt werde. Zum andern 
nennt man dasjenige movalifch nothwendig in engerer 
Bedeutung, deflen Gegentheil unerlaubte it. Folglich 
baben alle tugendhafte Handlungen eine folche moralifche 
Nothwendigfeit, aber feine Sünde ift auf diefe Art noth- 
wendig. Die moralifche Nöthigung, oder die Handlung 
wodurch eine Handlung in engerer Bedeutung moralifch 
nothwendig gemacht wird, heißt die Verpflichtung; und 
die Verpflichtung zu einer Handlung, die derjenige ungern 
thut, welcher verpflichtet wird, heißt der moralifche 
Zwang. Diefe Begriffe müffen in der practifchen Welt- 
weisheit weiter unterfuche werden, fo viel aber ift Elar, daß 
bey der Verpflichtung zu einev Handlung nichts weiter 
gebt, 














Von der Freyheit des Willens, 395 


geht, als daß es dadurch zu einer Günde gemacht wird, 
wenn man die Handlung unterlaffen oder anders thun wols 
te, als es die Verpflichtung erfodert. Und wenn ein Ge— 
feggeber durch Strafen verbindet, fo ift es allemal ein mo= 
ralifcher Zwang, weil die Strafen vorausfegen, daß Der 
jenige, dem fie gedrohet werden, nicht gerne die Handlung 
ehut. Nun iſt vor fich Elar, daß die moroliſche Noth— 
wendigfeit, man mag fie nun in der erften oder andern Be— 
deutung nehmen, die Freyheit des Willens vorausſetze, und 
folglich Ean fie nicht nur mit der Freybeit beftehen, fondern 
fie fan auch ohne Freyheit nicht ſtat finden. Folglich find 
alle moralifch nothwendige, abgenöthigte und erzwungene 
Handlungen frey, und es ift ungereimt, eine moralifch noth- 
wendige Handlung zu gedenken, die nicht frey ift. Ja 
wenn wir das allgemeine moralifche Geſetz bier vorausfe- 
gen $. 713. fo ift eine jedwede freye Handlung demfelben 
entweder gemäß, oder nicht. Iſt das legte, fo iſt fie un- 
erlaubt, ift das erfte, fo ift fie moralifch nothwendig. Es 
ift alfo lächerlich, wenn man denkt, daß die moralifche 
Nothwendigkeit und die moralifhe Noͤthigung die Freyheit 
auf hebe, wie ſich manche einbilden, daß Die Geſetze Die 
Freyheit des Willens wo nicht aufheben, doch einſchrenken. 
Ja man Ean fagen, daß der Begrif einer moralifhen Zu- 
fältigkeie hoͤchſt ungereimt ſey. Denn eine moraliſch zu- 
fällige Handlung wäre eine Handlung, die eben fo wohl 
als ihr Gegentheil dem Gefege nicht widerſpraͤche. Und 
wer Fan das behaupten? Folglich Fan unmoͤglich die mora— 
liſche Nothwendigkeit, der Freyheit des Willens und den 
Handlungen, widerfprechen, 
Asa e3 
Die Erfahrung lehrt uns, daß unfer freyer Wille mit 

den Jahren wächft und zunimt, und wir merfen es, daß 
er ben dem einen Menfchen groͤſſer ift, als bey dem andern. 
Diefe Grade beruhen auf folgenden Betrachtungen: 1) je 
mehrere vernünftige Begierden und Derabfcheuungen der 
freye Wille in uns hervorzubringen vermögend iſt; oder je. 

mehrere 


396 Don der Freyheit des Willens, 


mehrere und mannigfaltigere Güter wir vernünftig und 
frey begehren, und je mehrere und mannigfaltigere Uebel 
wir vernünftig und frey verabfcheuen, defto gröfler ift unfer 
freyer Wille. Folglich iſt er um fo viel gröffer, je öfter 
wir vernünftig frey begehren und verabſcheuen. Leute alfo, 
die gewöhnlicher Weiſe, und in den meiften Fällen, nach 
ihren Seidenfchaften, nach ihren natürlichen Trieben, und 
überhaupt nach) ihrer Sinnlichkeit lieben, haſſen, fürchten 
und borfen, thun und laffen, verraten eben dadurch den 
geringen Grad und die fehlechte Befchaffenheit ihres freyen 
Willens. 2) Je groͤſſere und ftärfere vernünftige Begier- 
den und DBerabfcheuungen der freye Wille herporbringet, 
defto gröffer und vollfommener ift er. Folglich je gröfler, 
edeler und wichtiger die Güter find, die wir vernünftig frey 
begebren, je gröffer und wichtiger die Mebel find, die wir 
vernünftig frey verabfcheuen, je ftärfer die vernünftigen 
Begierden und Berabfcheuungen find, und je proportionir= 
‚ter fie den Gegenftänden find, defto vollfommener iſt der 
freye Wille. Die gegenfeitige Befchaffenheit des frenen 
Willens zeigt offenbar eine groffe Schwäche deſſelben an. 
3) Je vollfommener das vernünftige Belieben ift, folglich 
je deutlicher, vichtiger, gewiſſer und lebendiger es ift, durch 
welches der freye Wille beſtimt reird, deſto vollfommener 
iſt er. Hieraus folgt alfo zweyerley. Einmal ift es Fein 
Beweis der Freyheit des Willens, wenn man aus Eigen- 
finn etwas will, und wenn man feinen weitern Grund an— 
führen Fan, als weil man will. Sondern je freyer ein 
Weſen will und handelt, defto deutlicher ift fein Belieben, 
und folglich ift es fi) um fo viel mehr feiner Bewegungs— 
gründe bewußt. Es fan ofte meiner Unabhängigkeit von 
einem andern gemäß feyn, daß ich ihm meine Bewegungs— 
gründe nicht fage, und daß er zufrieden feyn muß, wenn 
ev weiß, ich wolle etwas, Allein je weniger ich mir ſelbſt 
meiner Bewegungsgruͤnde bewußt bin, deſto geringer ift 
meine Freyheit. Und zum andern ift es allemal ein Zei— 
chen einer Eleinen und unvolltommenen Freybeit, wenn man 

das 


! 











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— nn —_ — 








Von der Freyheit des Willens. 397 


das DBofe will, und das Gute nicht will: weil alsdenn un: 
fere Bewegungsgründe irrig find. Se richtiger fie aber 
find, defto gröffer ift die Freyheit, Folglich ift es unter 
andern ein Beweis der höchften und vollfommenften Frey: 
heit, wenn man nur das Gute will, und nur das Böſe 
verabſcheuet. Wie fehr irret alfo ein Sünder, wenn er 
glaubt, daß er durch feine Sünden beweife, er fen ein recht 
freyes Wefen! 
8. 7. 

Wenn wir uns felbft zu einer Handlung zwingen, fo 
haben wir fo wohl ftarfe Bewegungsgründe fie zu thun, 
als auch zu unterlaffen, und wir bringen felbft das Ueber: 
gewicht auf einer Seite hervor $. 705. Geſchieht diefes 
nun Durch eine vernünftige Weberlegung, und Zuſammen— 
haltung der Gründe von beyden Seiten, oder ift es wenig— 
ftens uns möglich gemwefen, daß es durch eine folche vernünf- 
tige Ueberlegung hätte gefchehen Fönnen: fo ift cs fo weit 
entfernt, daß eine folche Gewalt, die wir uns felbft anthun, 
der Freyheit nachtbeilig feyn ſolte, Daß fie vielmehr ver au— 
genfcheinlichfte Beweis aus der Erfahrung ift, daß mir 
frey handeln koͤnnen $,. 706. 708. Alsdenn begehren und 
verabfcheuen wir die Handlung zugleich, und wir fehen alfo, 
Daß mir fie thun und unterlaffen Fonnen, daß wir uns aber 
zu einem unter beyden entfchlieffen, weil es ung fo beliebt. 
Wenn ein Menfch fich beffert, und er zwingt fich felbft, 
durch feine eigene Ueberlegung, das tafter zu fliehen, und 
die Tugend auszuüben, fo handele er offenbar auf eine freye 
Art. Daher finden wir auch, daß Kinder, und alle gar 
zu finnliche feute, die wenig Gebrauch ihrer Freyheit befi- 
Ken, fich felbit nicht wozu zwingen fünnen, Und eben fo 
verhält es fich auch, wenn man von andern wozu dergeftalt 
gezwungen wird, daß fie in ung das Uebergewicht in un: 
fern mit einander ftreitenden Bewegungsgründen hervor: 
bringen $. 795. Man Fan zwar nicht fagen, daß alfe 
Handlungen, zu denen wir auf diefe Art gezwungen wer: 
den, frey feyn folten. Kinder und fehr einfältige Leute 

koͤn⸗ 


398 Von der. Freyheit des Willens. 


koͤnnen ofte, von ihren Eltern und. Borgefegten, zu Hand« 
lungen gezwungen werden, die aber nicht frey feyn koͤnnen, 
weil es nicht in dee Gewalt diefer Perfonen geftanden, fich 
felbft bey diefem Zwange nach) Freyheit zu beftimmen. Al- 
lein ofte find dergleichen erzwungene Handlungen frey, weil 
es in dem Vermoͤgen der gezwungenen Perfon jteht, den 
Zwang zu dulden, und doch das Gegentheil zu thun. Folg- 
lich Fan ſich eine ſolche Perfon nach Freyheit beftimmen, 
und ihre Handlungen find des Zwangs ohnerachtet fren. 
Gefegt ein Menfch werde feiner Religion wegen verfolgt, 
und man ftelle ihm die groͤſten Martern und den Tod vor, 
um ihn dadurch zu nöthigen, feine Religion zu verleugnen : 
ift es hier nicht möglich, daß ein Menfch eine folche Geſin— 
nung babe, vermöge welcher er lieber ven Tod ausftehen, 
als feine Religion verleugnen wolle? Er fan fich ja den 
Tod als ein Fleiner Uebel vorftellen, und wenn er diefes un« 
terlaßt, und fich zwingen läßt, feine Religion zu verleug- 
nen, fo Fan diefe Berleugnung dennoch eine frene Hand» 
lung feyn, ob fie glei) von ihm erzwungen worden, wenn 
es ihm nur möglich gervefen wäre, eine vernünftige Ueber— 
legung anzuftellen, und ſich den Tod als ein Eleiner Uebel 
vorzuftellen, als die Verleugnung der Religion ift. Folg— 
lich Fan fich ein Menſch nicht allemal von aller Schuld und 
Strafe einer Handlung wegen frey fprechen, wenn er auch 
gleich beweifen Fan, daß er von feinen Dbern, oder andern 
geuten, dazu mit Gewalt gezwungen worden, 
718, 


Die legte, Betrachtung des vorhergehenden Abſatzes | 


wird Dadurch noch mehr beftätiget, wenn wir die verfchie- 
denen Arten des Zwangs unterfuchen, den wir ofte von an- 


dern Leuten gewiſſer Maaffen leiden 9.705. Nemlich die: 
fer Zwang befteht darin, wenn in unferm Belieben, wels 


ches uns zu gleicher Zeit antreibt, eine Handlung zu thun 
und zu unterlaffen, auf einer Seite ein Uebergewicht ift, 
das ift, wenn wir uns die Handlung entweder mehr als 
gut, oder mehr als böfe vorftellen, und wenn diefes Ueber: 

gewicht 











Von der Freyheit des Willens. 399 


gewicht von andern in uns verurfache wird. Folglich Fan 
man, auf eine doppelte Art, von andern wozu gezwungen 
werden. Cinmal, wenn uns die Handlung mehr als que 
denn als böfe vorgeſtelt wird, ob wir fie uns gleich als fehr 
böfe vorjtellen. Und diefes gefchieht entweder finnlich, oder 
deutlich. Iſt das erfte, fo nenne man es Reitzungen 
oder Lockungen, ift das andere, fo nenne man es das An: 
ratben. So wird ein Menfch von Berführern gereigt 
und gelockt, was Boͤſes zu thun, wenn ibm, aller feiner 
Gegenvorftellung ohnerachtet, das Boͤſe auf eine finnliche 
Art fo reigend und angenehm vorgeftele wird, daß er es 
endlich thut. So werden viele junge Leute, zu den Suͤn— 
den der Wolluft, von andern durch Anreigungen genöthi- 
get. Und eben fo ſagt man, daß ein Menfch auf Anrathen 
eines andern etwas getban, wenn er es gerne unterlaffen 
hätte, wenn ihm aber ein anderer fo ſtark zugevedet, und 
durch viele deutliche Betrachtungen es als gut vorgeftelt, 
bis er es gethan. Wir behaupten nicht, daß alle Hand- 
lungen eines Menfchen, wozu er von andern gereißt wor: 
den, und die er auf Anrathen anderer Menfchen gethan, 
fren find. Allein fo viel ſieht ein jeder, daß viele folcher 
Handlungen frey find, weil es ofte in der Gewalt eines 
Menfchen fteht, den Lockungen und Rathgebungen anderer 
$eute zu widerftehen. Zum-andern Fonnen wir von andern 
gewiſſer Maaſſen wozu gezwungen werden, wenn fie, das 
Uebergewicht in unfern Bewegungsgründen, dadurch ber: 
vorbringen, daß fie uns Boͤſes vorftellen, und zwar entwe— 
der finnlich oder deutlich. Iſt das erfte jo zwingen fie ung 
durch Drobungen, ijt das andere fo zwingen fie uns durch 
ihr Abrarhen. So fan jemand, durch Drohungen, von 
feinen Vorgefegten gezwungen werden, wenn fie ihm bloß 
ſinnlich vorftellen, daß fie ihn fchlagen, Hunger und Durft 
ausftehen laffen wollen u. f. m. wenn er etwas nicht thun 
wolle. Man Fan aber auch jemanden eine Handlung, die 
er gerne thun möchte, fo lange deutlich als böfe vorftellen, 
bis er fich endlich entſchließt, fie nicht zu chun, und alsdenn 
LER: bat 


406 Von der Sreybeit des Willens, 


hat man fie ihm abgeratben. Und wenn man einen andern 
dergeftalt zwingt, daß man fo lange foIche Dinge, die ihm 
unangenehm find und mißfallen, wirklich macht, bis man 
gewiß ift, Das Hebergewicht ſey in feinem Belieben hervor— 
gebracht, und er entfihlieffe fich, das zu thun, wozu wir 
ihn zwingen wollen, fo nenne man diefe Art des Zwangs 
die Erpreſſung. So wird von einem neugeworbenen 
Soldaten der Eyd erpreßt, wenn er fo lange gefchlagen 
wird, bis er ſchwoͤrt. Nun fan man freylich nicht behau— 
pten, daß alle Handlungen, wozu ein Menſch durch) Dro- 
bungen, Abrathen und Erpreffung gezwungen wird, frey 
fenn ſolten. Allein weil es doch ofte in der Gewalt eines 
Menfchen fteht, welcher zu fterben vermögend iſt, dieſem 
Zwange zu widerftehen; fo ift eine folche erziwungene Hand« 
lung doch frey. Der Menfch hätte ſich ofte durch Dro— 
bungen nicht follen erfchrecfen laffen, er hätte auf das Ab— 
rathen anderer nicht hören, und er hätte ofte unter der 
Duldung der Erpreffung lieber ſterben follen, als dasjenige 
thun, wozu man ihn bat zwingen wollen, wie es 5. E. die 
Märtiver gemacht haben, 
. 719. 

Bey unfern freyen Handlungen äuffert fih noch ein 
Umftand, welcher fehr merkwürdig if. Nemlich unfere 
freye Handlungen find entweder unmittelbar frey, oder nur 
mittelbare Weiſe. Unmittelbar freye Handlungen 
find diejenigen vernünftigen Begierden und Berabfcheuuns 
gen, welche frey ſind: denn in denenſelben befteht die Ge— 
fchäftigfeit des freyen Willens. Der freye Wille ift ein 
Bermögen, folglih.eine Möglichkeit zu bandeln, Wenn 
nun die Handlungen wuͤrklich werden, welche durch diefes 
Vermögen möglid) find; fo wird der freye Wille gebraucht, 
und diefer Gebrauch beiteht in dem Inbegriffe aller Hands 
lungen der Seele, welche unmittelbar frey find. Und da 
die Freyheit ein Vermoͤgen ift, nach deutlichem Belieben 
zu begehren und zu verabfcheuen $. 708. fo koͤnnen die un: 
mittelbar freyen Handlungen Feine andere fern, als diejeni- 

gen 


— f e ⸗— 








Don der Freyheit des Willens. 401 


gen vernuͤnftigen Begierden und Verabſcheuungen, welche 
frey ſind. Alle uͤbrige freye Handlungen des Menſchen und 
der Seele ſind mittelbar freye Handlungen, weil ſie eine 
andere naͤchſte Urſach in dem Menſchen haben, als die Frey— 
heit. Denn die Handlungen ſind auch frey, welche zwar 
wuͤrklich nicht nach einem deutlichen Belieben geſchehen, aber 
doch nach einem ſolchen Belieben haͤtten geſchehen koͤnnen 
$. 700. Alsdenn hangen ſolche freye Handlungen nicht zu= 
naͤchſt von der Freyheit ab, ſondern vermittelſt einer merkli— 
chen Reihe vieler Veraͤnderungen, die erſt in der Seele vor— 
hergehen muͤſſen, ehe fie wuͤrklich werden. Dieſe Hand⸗ 
lungen bringe die Freyheit nicht ſelbſt hervor, ſondern ver— 
mittelſt anderer Vermoͤgen und Veraͤnderungen der Seele. 
Geſetzt ein Menſch entſchließt ſich frey, ſich zu betrinken, 
geſetzt daß er in der Trunkenheit wer weiß wie viele Thorhei— 
| ten begeht: fo verrichtet er diefe Thorbeiten nicht durch die 
Freyheit. Denn die fan er nicht in der Betrunkenheit 
brauchen. Und alfo find es mittelbar freye Handlungen. 
Zu folchen Handlungen gehören alle-Handlungen aller Er 
kenntnißvermoͤgen, des ganzen untern Begehrungsvermägens 
und des Körpers, welche nicht gefchehen feyn wuͤrden, 
wenn der Gebrauch aller dieſer Kräfte nicht von der Freyheit 
abhienge. 
— —— 
| In denen Handlungen der Seele und des Menfchen, 
welche mittelbar frey find, beſteht die Herrſchaft der 
Seele über ſich felbft, und in fo ferne Hat die Freyheit 
‚ eine Herrfchaft über die übrigen Kräfte ver Seele und des 
Menfchen, meil fie derfelben in biefer Abfiche zu Gebothe 
ſtehen, und gleichfam auf ihren ‘Befehl wuͤrkſam oder ruhig 
find. So finden wir aus der Erfahrung, daß wir, nad) 
unferm deutlichen und vernünftigen Belieben, unfere Hufe 
merffamfeit auf einen Gegenftand richten oder von demfels 
ben abziehen, unfern Berftand brauchen, eine Leidenſchoft 
erwecken koͤnnen oder nicht, Folglich befteht die Herrſchaft 
der Seele über fich felbft in dem Vermögen, nach ihrem 
3 Theil. je — ver⸗ 







402 Von der Stepheit des Willens. 


vernünftigen Belieben, bald diefes bald jenes Vermögens 
Handlungen bervorzubringen, und bald diefelben zu verhins 
dern. je gröffer alfo der freye Wille ift, deſto gröffer ift 
diefe Herrſchaft der Seele über fich ſelbſt. Wir fehen daher 
auch, daß junge unverftändige Leute wenig Herrfchaft über 
fich felbft haben. Nun ift fein Menfch, der den Gebrauch 
des DBerftandes hat, möglich, deffen Seele gar feine Herr 
ſchaft über fich felbit haben folte: widrigenfals mülte er gar 
feine mittelbar freye Handlungen vornehmen fünnen. Als 
lein folcher Leute gibt es fehr viele, die eine ausnehmend Flei- 
ne Herrfchaft über fich felbft haben. Dabhin gehören alle 
diejenigen, welche mehrentheils nad) ihrer Sinnlichkeit han« 
deln, und welche einen Fleinen Grad des Gebrauchs ihres 
Verſtandes und ihrer Bernunft beſitzen. Und diefer aus- 
nehmende und groffe Mangel der Herrfihaft über fich ſelbſt 
it, die moralifche Knechtſchaft im weitern Ver: 
fiande. Daher nennt man alles dasjenige Enechrifch, 
- wodurch diefe moralifche Rnechtfchaft befördert wird, und 
alles dasjenige nennet man frey, wodurch die Herrfchaft der 
Seele über ſich felbft befördert, und vermehrt wird, Weil 
nun, durch die Wiffenfchaften, der Verſtand und die Bers 
nunft fehr verbeffert wird, je beffer aber der Verſtand iſt, 
defto gröffer auch die Freyheit und die Herrfchaft derfelben 
feyn fan; fo Fan man deswegen auch diefe Willenfchaften 
die freyen Künfte und Wiffenfchaften nennen, weil fie ihrer 
Natur nach vortrefliche Mittel feyn koͤnnen, die Hervfchaft 
der Seele über fich felbt zu vermehren. Wenn ein Menfch 
aber immer feinen Seidenfchaften blindlings folgt, fo fan man 
diejes eine knechtiſche und felavifche Art zu handeln nennen, 
weil fie die moralifche Knechtſchaft be» 
fordert, 


ARFETTN Re 
AKELNR 


Das 





| | U EI I 403 
| Das dritte Kapitel, 


Bon dem 


Inbegriffe aller Begehrungsvermögen. 


S.. ‚721. 
as man durch den Kopf des Menfchen, in Abficht auf 
feine Erfenntnißvermögen, verfteht, das nennt man 
das Herz in Abficht auf die Begehrungsvermögen , oder die 
Gemürhsart des Menſchen. Nemlich gleichwie bey einem 
jedweden Menfchen alle Erfenntnißvermögen in einer folchen 
Proportion ftehen, vermöge welcher fie entweder einander 
gleich find, oder vermöge welcher eine auf eine beftimte Art 
immer gröffer ift als die andere $. 643. alfo verhält fichs 
auch eben fo, mit den Begehrungsvermögen. Ein Menfch 
befigt viele Begebrungsvermögen, und zwar in einem bes 
ftimten und eingefchrenften Grade. Nun fünnen wir zwar 
diefen Grad nicht genau ausmeffen, allein demohnerachtet 
muß er ausgemefjen werden Ffünnen, und folglich ift ein Be— 
gehrungsvermögen in einem Menfchen, einem jedweden anz 
dern Begehrungsvermögen, entweder gleich, oder, ungleich). 
Und in dem legtern Falle ift es auf eine beftimte Art entwe— 
der gröffer, oder Fleiner als das andere, Diefes Verhaͤltniß 
der Gröffen aller Begehrungsvermögen des Menfchen gegen 
einander wird, die Bemüthsart, oder das Herzgenannt, 
Und da alle Begehrungsvermögen von dem Erkenntnißver— 
mögen abhangen, wie wir bisher gefehen haben; fo richtet 
ſich aud) das Herz eines Menfchen nach feinem Kopfe, und 
die Berfchiedenheit der menfchlichen Gemuͤthsarten hanget, 
von der Berfchiedenheit ihrer Gemürhsfähigfeiten, ab. Es 
wuͤrde demnad) eine fehr nüßliche Unterfuchung ſeyn, wenn 
man, aus der Mannigfaltigfeit der Köpfe der Menfchen, 
die Mannigfaltigfeie ihrer Herzen ausführlicher berleitete, 
als es bier in der Pfochologie geſchieht. Unterdeſſen ift es 
doch dienlich , daß wir einige genauere Betrachtungen, über 
die Mannigfaltigkeie der Bildung menfchlicher Herzen, an- 
Ä Cc2 ſtellen. 








404 Don dem Inbegriffe 


ftellen. Und da entdeckt fich ein fehr wichtiger Unterſchied, 
‚indem ein Menfch eine edle Gemüthsart hat, und der an— 
dere eine niederträchtige. Kine edle Gemuͤthsart beftehe 
in einer folhen Gemüthsart, vermöge welcher in einem 
Menfchen, gewöhnlicher Weife, die obern Begehrungsver— 
mögen herrſchen. Kin folcher Menſch handelt mehrentheits, 
bey den wichtigern Vorfällen , nach vernünftigen uud deutli— 
chen Einfichten, und wenn Geift und Fleiſch in ihm in ei- 
nen Streit gerathen, fo fieget gewöhnlicher Weiſe der Geift. 
Das fan man wohl von feinem Menfchen erwarten, daß die 
untern Begehrungsvermögen niemals herrfchen follen. Die 
edelſte Gemuͤthsart wird ofte, Durch eine Seidenfchaft, dahin 
geriffen. Es ift alfo zu einer edlen Gemuͤthsart genung, 
wenn nur der Menfch eine Fertigkeit beſitzt, vornemlich vers 
möge der oben Begehrungsvermögen zu handeln. Eine 
niederträchtige, oder gar zu niedrige Gemuͤthsart im 
Gegentheil befteht in einer folchen Gemüthsart, vermöge 
welcher gewöhnlicher Weife die untern Begehrungsvermös 
gen herrſchen. Es ijt wohl fein erwachfener Menſch mög« 
lich, welcher niemals vornemlidy nach Bernunft handeln 
ſolte. Daher fehreibe man einem Menfchen mit Recht eine 
gar zu niedrige Geſinnung und Gemüthsart zu, wenn er 
nur mehrentheils nach Sinnlichkeit, nach natürlichen Trie— 
ben und finnlichen Gemürbsbewegungen, handelt, und wenn, 
in dem Streite des Fleffches mit dem Geifte, das Fleiſch ges 
woͤhnlicher Weiſe den Sieg davon trägt. Dasjenige finnlis 
che Begehrungsvermögen, welches bey einem Menfchen, uns 
ter allen übrigen, das ſtaͤrkſte ift, wird der Hang des Men— 
fchen genannt. So hat ein Ehrbegieriger einen Hang zur 
Ehre, ein Wollüftiger zum finnlichen Vergnügen u. ſ. w. 


Diefer Hang ift eine fehr merfwürdige Sache. Man far 


einen Menfchen nicht leichter rühren und lenken, als wenn 

man ihn bey feinem Hange ergreift, Und da die meiften 

Menfchen Sclaven ihres Hanges find, fo Fönnen auch die 

wenigſten Menfchen diejenigen Tugenden ausüben, Die ih— 
rem Hange zuwider find, 
$. 722 

+ 


* 





aller Begehrungsvermögen, 405 


Ä $: 722. 

Gleihmwie, durch die verfchiedene Einrichtung der 
menfchlichen Köpfe, GOtt die Menfchen, zu allen verfchie- 
denen Stücken der menfchlichen Gtückfeligkeit, geſchickt und 
aufgelegt gemacht hat; $. 645. alfo hat er fie, durch die 
Mannigfaltigfeie der Einrichtung ihres Herzens, Dazu ges 
neigt machen wollen. Wenn ein Menfch eine Lebensart, 
zur wahren Beförderung der menfchlichen Gluͤckſeligkeit, er- 
“greifen und führen will; fo muß er nicht nur dazu geſchickt 
feyn, und das ift er vermöge feines Kopfs, fondern er muß 
auch Luft und Siebe zu derfelben haben, und die hat er ver 
möge feines Herzens. Daher gibt es feine Art der menfchs 
lichen Gefchäfte, welche zu dem ganzen Gebaͤude der menfch» 
lichen Glückfeeligfeit erfodert werden, wozu nicht viele Seute 
eine Meigung haben folten, In ſoferne nun ein jeder 
Menſch, Durch feine Gemuͤthsart, zu einer gemwiffen Art der 
Gegenftände unferer Begehrungsvermögen geneigt ift, in fo 
ferne nennt man die Gemüthsart das Temperament dev 
Seele, oder die Mifchung der Gemüthsneigungen. Wir 
reden bier nicht von den Temperamenten des Seibes, und 
mas diefelben für einen Einfluß auf das Gemüth haben: 
das überlaffen, wir den Arzeneygelehrten. Sondern mir bes 
frachten hier das Temperament, in fo weit es bloß und zu— 
nächft die Geele angeht. Und da fan man mit Recht fa 
gen, daß es, umzählig viele Arten der Temperamente der 
©eele, gebe. Da nun ein jedwedes Temperament, auf 
dem Berhältniffe der Gröflen aller Begehrungsvermögen ge- 
gen einander, beruht $. 721. fo wird es geändert, fo bald 
dieſes Verhaͤltniß verändert wird. Nun Fan dieſes Ber- 
hältniß allerdings verändert werben. Go bald ein Begeh ⸗ 
rungsvermögen gröffer oder Kleiner wird, fo bald Fan ihr 
Berhältniß gegen einander geähdert werden. Dun fönnen, 
durch Uebungen und Gewehnheiten, die Bermögen unferer 
Seele wachſen, und durd) Veränderungen der Uebungen 
und Gewohnheiten fleiner werben, 6. 649. Folglich Fan 
aud) das Temperament der Seele, durch Die Veränderung 

Er 3 der 


406 Don dem Tinbegriffe 


der Uebungen, Gewohnheiten und $Sebensarten,, verändert 
werden, Die Erfahrung beftätiget es auch zur Genuͤge. 
ruſtige Leute werden fehr ofte niedergefchlagene Leute. 

723. 

Zur Erläuterung des DBegrifs von dem Tempera- 
mente, und um feinen Nutzen defto mehr zu befördern, wol— 
len wir einige der merfwürdigiien Abänderungen der Ge: 
müthsarten der Menfchen betrachten, welche uns die tägli- 
che Erfahrung an die Hand gibt. Dahin gehöret zufoͤr— 
derft, daß einige Leute ein fchlaffes, träges, ungefchäftiges 
und phlegmatifches Temperament befißen; andere aber ein 
feuriges, thaͤtiges, wuͤrkſames und geſchaͤftiges. Eine 
traͤge GBemüchsart befteht darin, wenn in derfelben, we— 
nige und ſchwache Begierden und Verabſcheuungen, angettof- 
fen werden. Ein Menfc von einer trägen Gemürhsart hat 
wenige und ſchwache Berwegungsgründe. Sein Gemüth 
ift geöftentheils gleichgültig, oder doch nicht ſehr ſtark ge— 
ruͤhrt. Er begehrt wenig und verabſcheuet wenig, und er 
ſucht fein gröftes Gut in der Ruhe und Unthaͤtigkeit. Go 
wenig er aufgelegt ift viel Boͤſes zu thun, und groffes Uebel 
in der Welt anzurichten, fo wenig ift er auch aufgelegt, viel 
Gutes zu thun, und groffe Thaten zu verrichten. Weil aber 
die Vollkommenheit einer Subſtanz überhaupt eine groffe 
Gefchäftigkeit erfodert, fo ift diefer Gemuͤthscharacter, über- 
haupt davon zu veden, fehr fchleht. Im Gegentheil ift 
eine wuͤrkſame Gemuͤthsart, überhaupt davon zureden, 
ein guter und vortreflicher Gemüthscharacter. Sie fomt 
einem Menfchen zu, ver viele und groffe Begierden und 
Berabfcheuungen hat. Ein ſolcher Menfd) hat ausnehmend 
viele, und groffe Bewegungsgründe, Seine Erfenntniß 
laͤßt ihn felten gleichgültig, ſondern fie erhitzt ihn, indem fie 
— ruͤhrend und noch dazu in einem hohen Grade 
iſt. Ein ſolcher Menſch iſt immer thaͤtig, er begehrt und 
verabſcheuet viel. Und gleichwie er von Natur zu vielen 
und groſſen Thaten aufgelegt iſt, alſo iſt er auch, wenn er 
aufs Boͤſe faͤlt, ein rechter groſſer wuͤrkſamer gay af 

um 





aller Begehrungsvermoͤgen. 407 


Zum andern find manche Gemüthsarten freudig, manche 
niedergefchlagen. Eine freudige, luftige Gemuͤthsart 
ift eine folche, in welcher das Vergnügen zu herrfchen pflegt. 
Die luftigften Leute gerathen manchmal in betrübte Stunden, 
in denen das Mißvergnuͤgen überhand nehmen fan. Allein 
gervöhnlicher Weife herrſcht bey ihnen das Bergnügen. Das 
ber folche Seute mehr zu den freudigen Gemuͤthsbewegungen 
aufgelegt find, als zu den traurigen. Gerathen fie ja in 
manche Betrübniß, fo koͤnnen fie leicht getröftet werden. 
Es koſtet nicht viel Mühe, daß fie ihre Grillen verbannen, 
und der Freude fich wieder überlaften. Eine niederges. 
ſchlagene Gemuͤthsart im Gegentheil ift eine folhe, in 
welcher das Mifvergnügen zu berrfchen pflegt. Die nies 
dergefchlagenften Leute gerathen manchmal in fröliche Stuns 
den, in denen das Vergnügen herrſcht. Allein das geſchieht 
felten und währer nicht lange, Gewoͤhnlicher Weife hat, 
das Mißvergnügen, bey ihnen die Oberhand. Sie find 
mehr zu den fraurigen, als freudigen Gemüthsbervegungen 
aufgelegt. Die leßten entftehen nur felten bey ihnen, find 
ſchwach und dauren nicht lange. Sie bangen vielmehr be— 
ftändig der Betrübniß nach, und fehlagen fich mit Grillen. 
Ein freudiges Gemüth betrachtet, gewöhnlicher Weife, alle 
Dinge allein oder vornemlich von der guten Seite, ein nies 
dergefchlagenes aber von der fchlimmen. in der Sitten 
lehre wird erwiefen, daß eine freudige Gemüthsart pflicht- 
mäßig, eine niedergefchlagene aber fündlic) fey, wenn man 
überhaupt davon redet, 


$. 724. 

Ferner ift das Gemüth eines Menfchen bienfam, oder 
veft und unbiegfam. Eine biegfame Gemuͤthsart Fan 
> leicht, zum Gegentheil, überwiegend geneigt werden. Ein 

biegfamer Menſch ftelt fich eine Sache bloß als gut, oder 
mehr als gut denn als böfe vor, er begehrt fie Daher entwe— 
der allein, „der doc) ſtaͤrker, als er fie zugleich verabfcheuet. 
Allein man fan ihn mit leichtee Mühe dahin bringen, daß 
er eben diefe Sache entweder bloß verabfcheue, oder flärfer 
Ec ⸗ ver⸗ 


408 Don dem Inbegriffe 


. verabfcheue als begehre, weil feine Erfenntniß fehr leicht ver— 
ändert werden Fan. Und eben fo Fan er fehr leicht dahin ge- 
bracht werden, eine Sache zu begehren oder überwiegend zu 
begehren, die er kurz vorher verabſcheuete. Kin folcher 
Menfch faßt einen Vorſatz, und ehe man ſich es verjieht, 
fo ändert er ihn. Ein folcher Menſch Fan eben fo leicht zum 
Guten, als zum Boͤſen, geneigt werden, und es iſt alfo dieſe 
Gemüthsart, in Abficht auf die Tugend, ein ſchlechter Ge⸗ 
muͤthscharacter. Eine unbiegſame Gemuͤthsart, ein 
harter und veſter Sinn, kan ſehr ſchwer zum Gegentheil 
überroiegend geneigt werden, Ein Menfch von diefer Ge- 
muͤthsart Fan fehr ſchwer dahin gebracht werden, eine Sache 
für gut zu halten und zu begehren, die er einmal verabfcheuer, 
oder für böfe zu halten und zu verabfcheuen, die er einmal bes 
gehrt. Er bleibt vefte auf feinem Sinne beftehen, "m 
wenn es im Guten nefchieht, fü ift es ein vortreflicher 
muͤthscharacter; gefchieht es aber im Boͤſen, fo iſt es ein 
abfcheuliher Sinn, Kine bedschtfame Gemüthsart 
wird einem Menfchen zugefchrieben, wenn er die Fertigkeit 
zu bevathfchlagen befißt; hat er aber die Fertigkeit, ohne 
Berathſchlagung zu begehren und zu verabſcheuen, fo wird 
ihm eine unbedachtfi ame Gemuͤthsart zugefchrieben, 
und er wird ein unbedachtſamer Menſch genannt. Die Uns 
bedachtfamfeit ift allemal ein Fehler, und unbedachtfame 
geute find kindiſch und leichtfinnig. Es ift allerdings übers 
aus abgefihmadt, bey Kleinigkeiten eine lange und mühfas 
me Beratbfchlagung anzuftellen ; allein wir erfodern janicht, 
zu allee Bedachtſamkeit, eine groffe Berathfehlagung. Go 
viel aber ift Flar, daß die Bedachtfamfeit ein fehr nöthiger 
und vortreflicher Gemüthscharacter ſey, weil wir Menfchen 
nicht im Stande find, aufeinen Blick zu erfennen, was in 
einem jedweden Falle zu thun am beiten und rathfamften fey. 
Ein bevachtfamer Menſch iſt entweder mehrentheils unent— 
ſchloſſen, oder er iſt ein Menſch von kurzen Entſchlieſſun— 
gen, ein reſoluter Menſch. Kine mehrentheils unent⸗ 
ſchloſſene Gemuͤthsart beſteht in einer ſolchen Gemuͤths⸗ 
art, 




















aller Begebrungsvermögen. 409 


art, vermöge welcher man, nach angeftelter Berathſchla- 
gung, ſehr ſchwer zu einem Entſchluſſe gelangen Fan. Ein 
folder Menſch ift gar zu bedaͤchtlich, und will gar zu ficher 
gehen, Es geht ihm wie denen Zweiflern, in Abficht auf 
die Unterfuchung der Wahrheit. Und wenn fie diefelbe aud) 
noch fo Elar erkannt haben, fo find fie doch nicht vermögend, 
ihr ihren Befall zu geben, weil fie immer denfen, als hät: 
ten fie Diefelbe noch nicht hinlaͤnglich unterſucht. Eben fo 
geht es, unentfchloffenen $euten. Und wenn fie, noch fo 
lange und weitläuftige Berathſchlagungen, angeftelt haben, 
ſo duͤnkt fie doc) immer, es Fonne fich noch ein Umftand ers 
eignen, der der Sache einen andern Ausſchlag gebe, und fie 
fhieben daher ihren Entſchluß von einer Zeit zur andern 
auf, Kin Wenfch von Eurzen Entfchlieffungen bat 
eine folche bedachtfame Gemüthsart, vermöge welcher er, 
nach einer Berathfihlagung, leicht einen Entſchluß faſſen 
fan, Die Unentfchloffenheit des Gemuͤths ift ein gewaltiger 
Fehler, weil wir in unendlich vielen Fallen eine Gelegenheit 
ergreifen muͤſſen, die nicht auf uns wartet. Schieben wir 
nun unſern Entfhluß gar zu lange auf, fo komt er mehren: 
theils zu fpät, und hilft uns nichts, Die Entfchloffenheit 
des Gemüths ift eine groffe Bollfommenheit, Vermoͤge 
derfelben fan man ſich geſchwinde entſchlieſſen, fo wie cs die 
Umftände mic fich bringen, und man Fan burch fie vielen 
Uebeln entgehen, weil fie uns gefchwinde aus der Gefahr 
derielben herausreißt. 


8§. 725. 

Durch Maximen, oder durch die gewöhnlichen Ge: 
finnungen eines Menfchen, verfteht man Regeln, nad) de: 
nen er zu handeln fid) angewöhnt hat; oder nad) denen er, 
beitändig zu handein, entfchloffen ift. Wenn daher in ei» 
nem Staate eine Marime angenommen wird, ſo entſchließt 
man fich in geroiffen Borfallen nad) einer Regel, die man 
als eine Staatsmarime feſt feßt, zu handeln. Go bat der 
Geizige, der Hochmuͤthige, ja ein jeder Menfch, der nach 
Einfichten zu handeln pflegt, feine Maximen. Wer num 

Erz feine 


41® Don den nbegriffe 


feine Marimen ofte verändert, hat eine veränderliche 
Gemuͤthsart. Ein veränderlicher Menfch ift heute lu— 
ftig, weil er glaubt, ein Menfch müffe immer vergnügt 
ſeyn; morgen aber niedergefchlagen, weil er denft, ein 
Menſch müffe über feine Sünde eine melancholifche Reue 
fühlen. Heute verſchwendet er, und morgen ift er knicke⸗ 
rigt. Kurz ein folcher Menfch ftime mi fich felbft nicht lanz 
ge überein, und er hat ein gar zu biegfames Gemuͤth. 
Wer die böfen und fündlihen Marimen leicht ändert, der 
thut freylich gut; wer es aber aus Beränderlichfeit des Ge: 
muͤths thut, der Fan eben fo leicht aud) feine guten Maris 
men ändern: und folglich ift es nicht einmal was guts, wenn 
man aus Beränderlichfeit und Lnbeftändigfeit des Ges 
muͤths, die böfen und fündlichen Marimen leicht ändert, 
Wer feine guten und rechtmäßigen Marimen felten und 
ſchwer verändert, der hat eine beftändige Gemuͤthsart. 
Die Beltändigfeit, oder Standhaftigfeit.des Gemürhs ift 
ein vortreflicher Character. Sie madıt einen Menfchen zu 
den ftandhaften Mann des Horas, den auch die Trüms 
mer der eingeftürzten Welt unerfchrocken bedecken, und ein 
jeder Menſch ift verpflichtet, im Guten beftändig zu feyn. 
Wer feine böfen und fündlichen Marimen ſchwer und felten 
ändert, hat eine halßſtarrige und hartnädigte Bemürbs« 
art. Gleichwie die Beftändigfeit des Gemuͤths einen Men- 
fehen bewahrt, daß er, wenn er auf dem guten Wege ift, 
nicht leicht von demſelben abweiche; alfo erhält auch die 
Halsftarrigkeit einen Menfchen im Boͤſen, daß es erftauns 
ich ſchwer hält, daß er fich beffere. Ein halsftarriger Suͤn— 
der ift viel fehlimmer, als derjenige, der im Boͤſen noch 
veränderlich ift. Wer, wenn er etwas unternimt oder vers 
fucht, den gehörigen Grad feiner Kräfte anwendet, oder fo 
viel Kräfte, als nötbig it, dev verhält fich brav, und 
thut genung, und feine Gemuͤthsart muß die Beſchaffen⸗ 
heit beſihen, vermöge welcher fie in einem jedweden Falle 
genungfam erhißt wird, und fie hat die Fertigkeit, in einem 
jedweben Falle , weder zu ſchwach noch zu ſtark zu begehren 

und 





aller Begehrungsvermögen, gu 


und zu verabfcheuen. Diefe Gemüthsart ift ohne Zweifel 
eine vortrefliche Gemüthsart, und fie ift die Mittelſtraſſe 
‚ zroifchen zweyen Ausfihweifungen, zwifchen einer beftigen 
und matten Gemüthsart. ine heftige Gemuͤthsart 
wird einem Menfchen zugefchrieben, wenn er in feinen Un— 
ternehmungen zu viel Kraft braucht. Sein Gemüth wird 
gar zu fehr erhitzt, er begehrt zu ſtark und verabſcheuet zu 
fehr, und alles foll unter feinen Handen zerbrechen. ine 
foiche braufende Hige verdirbt, die meiften Unternehmungen. 
Kine matte Gemuͤthsart im Gegentheil wird einem Men= 
ſchen zugefchrieben, wenn er in feinen Unternehmungen zu 
wenig Kraft braucht. Sein Gemüth wird gar zu wenig 
erhigt, er begehrt zu ſchwach, und verabfcheuer zu wenig. 
Er handelt zu langfam, und bringet groffe Dinge nicht zu 
Stande, Er thut zu wenig, da der Heftige zu vielthut. 


X ZuE Zu Zr SE 22 SEE ZU 22 SEE Zur Zur SE Zur Zr ZZ Zr 222 Ze Zr 2 Se er 


Der vierte Theil, 
von der 


Gemeinfchaft der Seele mit dem Leibe. 


S. 726. 
achdem wir unfere Seele an und vor fich felbft be. 
trachtet, und alles Mannigfaltige unterfucht haben, 
mas ſich in ihr felbft, durch die Erfahrung und aus 
derfelben, auf eine nähere Art entdecken und herleiten läßt: 
fo müffen wir nunmehr aus ihr herausgeben, und fehen, 
in was für einem Berhältniffe fie gegen den Körper fteht, 
mit welchem zufammengenommen fie Ein Ding ausmacht, 
welches wir den Menfchen nennen. Wir werden hier bloß, 
auf die Erfahrung, gehen. Und es ift nicht zu leugnen, 
daß man bier fehr weitläuftig feyn koͤnnte, wenn man die 
Erfahrungen und Beobachtungen ohne Noth vervielfältigen, 
und 


a12 Von der Gemeinfchaft 


und fonderlich die ungewöhnlichern Entdeckungen aus den 
Schriften berühmter Aerzte ſamlen wolte. . Allein diefe Weite 
läuftigfeie ift, von Feinem befondern Mugen. Tauſend Er- 
fahrungen bemweifen ofte nur eine einzige Sache, und find 
als befondere Fälle von Einer: Haupterfahrung anzufehen, 
5a, wenn man in dieſer Sache fo verfahren wolte, daß ein 
befonderer Mugen damit verbunden wäre; fo würde nöthig 
feyn, daß man ven menfchlichen Körper eben fo genau vorz 
her unferfuchte, als wir bisher unfere Seele betrachtet ha— 
ben. Man müfte fonderlich, diejenigen Bewegungen und 
Veränderungen des Leibes, ausführlich zu entdecken fuchen, 
welche die mannigfaltigen VBorftellungen, Begierden und 
Beränderungen unferer Seele begleiten , und da müfte man 
vornemlich die mannigfaltige Befchaffenheit der materiellen 
Borftellungen, und der Bervegungen des Gehirns und der 
Nerven genau Fennen lernen. Alsdenn wuͤrde man, die 
bewundernswuͤrdige Uebereinftimmung der Seele mit dem 
Leibe, vecht ausführlich vorftellen Fönnen. Allein da wir 
bis jetzt fo weit noch nicht zu gehen im Stände find, fo iſt 
es ung genung, daß wir durch unleugbare Erfahrungen 
zeigen, daß Leib und Seele in einander würfen, und daß fie 
in der genaueften Gemeinfchaft mie einander ſtehen. 


6. 772% 


Vorerſt koͤnnea wir aus der Erfahrung unleugbar er- 
weifen, daß die Seele in den Körper würfe, und in denfel- 
ben einen Einfluß habe, und zwar aus einer doppelten uns 
leugbaren Erfahrung. Einmal erfahren wir täglich, daß 
unfere Seele ihren Körper willführlic) bewegen fan. Durch 
eine willEübrliche Bewegung des Körpers verftehen 
wir eine folche Bewegung deffelben, welche von einem Will 
führ unferer Seele abhanget, deſſen wir uns bewußt find. 
Man kan annehmen, daß viele Bewegungen unferes Kör- 
pers von dem Willführ abbangen, deſſen wir ung nicht be— 
wußt find, alg wenn mir fißen, und etwas aus den Haͤn⸗ 
den fallen laſſen, ſo thun wir geſchwind die Fuͤſſe N 

ohne 





der Seele mit dem Leibe, 413 


ohne daß wir ung der Bewegungsgruͤnde bewußt find, wes⸗ 
wegen wir es thun, Dergleichen Bervegungen nennt man 
nicht willführlich. Allein wenn mir eine Bewegung vor- 
nehmen, die wir auch unterlaffen Fönten, und wenn wir dies 
fes um folher Bewegungsgründe willen thun, der wir ung 
bewußt find, fo nennt man diefe Bewegungen willkuͤhrlich, 
z. E& wenn wir fpagieren gehn. Freye Bewegungen, 
oder freywillige Bewegungen , find diejenigen willkuͤhrlichen 
Bervegungen, die von dem freyen Willen abhangen; oder 
die wir vornehmen, weiles uns nach unfern deutlichen Einfichs 
ten fo und nicht anders beliebt. So fan ein Menfch, um 
vernünftiger Einfichten und Bewegungsgründe willen, Die 
er aus feiner Gefunöheit hernimt, fich eine Leibesbewegung 
machen. Wenn wir fagen, daß in unferm Körper will 
£ührliche und freymillige Bewegungen angetroffen werden, 
fo fehreiben wir dem Körper Fein Wilfführ und feine Frey— 
heit zu, als wenn diefe Bewegungen Wirfungen des Will: 
führs und der Frenheit des Körpers wären. Sondern es 
find mittelbar willführliche und freye Handlungen des Men⸗ 
fehen,, welche von dem Willführ und der Sreyheit der Seele 
herrühren 9.719. Da nun, die Würftichkeit aller diefer 
Bewegungen, hinreichend in dem Willführ, und alfo in 
der Kraft, der Seele gegründet find; fo würft die Seele 
in den Körper, und hat in denfelben einen Einfluß. Wenn 
wir wollen, das ift, wenn die Kraft unferer Seele ange« 
ftrengt wird, fo erfolgen diefe Bewegungen, und wenn wie 
nicht wollen , fo erfolgen fie aud) nicht $. 166. Zum atıs 
dern fan man, den Einfluß der Seele in den Körper, recht. 
merklich in den Gemüthsbewegungen erfahren. Wenn mir 
ung erfchrecfen, wenn wir zornig find, wenn wir ung fürche 
ten, ja in allen eidenfchaften, komt das Blut in eine heftis : 
ge Bewegung ; der Leib zittert, der Angftfchweiß bricht ung 
aus; man läuft mit der gröften Gefchwindigfeit, man fan ' 
Laſten tragen, die man fonft kaum fortfchieben oder in: die 
Höhe heben Fan, und was dergleichen mebr iſt. Wir fea 


ben 


414 Don der Gemeinfchaft 


hen demnach, daß viele Bewegungen unferes Seibes nicht 
nur ihrer Befchaffenheit, fondern auch ihrer Gröffe nad), 
von der Kraft unferer Seele abhangen. Unſere Seele fan 
den $eib nicht nur geſchwinde und langfam, zur Rechten oder 
zur Sinfen bewegen; fondern je heftiger die Anftrengung der 
Kraft der Seele in ihren Begierden ift, defto ftärfer iftauch 
die Bewegung des Leibes. Man Fan alfo unmöglich die 
Einmwürfung der Seele in den Körper leugnen, man müfte 
denn dem Worte eine andere Bedeutung geben , und daruns 
ter bloß einen veellen Einfluß verftchen. Und wenn man 
auf die Erfahrung fleißig achtung gibt, fo laſſen ſich obne 
Zweifel noch mehr Falle entdecken, in denen, der Einfluß 
der Seele in den Körper, aus der Erfahrung erwieſen werz 
den fan. 
$. 728. 

Auf der andern Seite läßt ſich auch fehr leicht aus 
der Erfahrung erweifen, daß der Körper in die Geele wür« 
fe, und in diefelbe einen Einfluß habe. Und das läßt ſich 
fonderlich vecht augenfcheinlich, bey unfern äufferlichen Ems 
- pfindungen, zeigen. Alsdenn find in unferer Seele Vor— 
ftellungen ‚; deren Würflichkeit von der Kraft des Leibes abs 
hanget. Wenn unfere Werkzeuge der Sinne in der gehös 
rigen Bewegung find, fo find die Empfindungen in unferer 
Seele, fie entftehen und vergehen mit diefen Bewegungen, 
Ein Blinder hat gar feine folhe Empfindungen, dergleis 
chen wir durchs Geficht bekommen; fo bald er fehend wird, 
befomt er diefe Empfindungen. Wir haben oben in der 
Unterfuchung unferee Sinne diefes ausführlich dargethan, 
und fo gar gezeigt, daß unfere Empfindungen, ihren vers 
ſchiedenen Graden nach, von dem Körper abhangen. Wenn 
man alfo mit dem Worte, Einwürfung und Einfluß, kei— 
nen gar zu. eingefhränften Begrif verbinden will, fo muß 
man geftehen, Daß der Körper in die Seele würfe 8. 166. 
Und wern ehe würden wir ein Ende finden, wenn wir alle 


Erfahrungen namhaft machen wolten, aus denen der Ein. 
fluß 





der Seele mit dem Leibe, 415 


fluß des Körpers in die Seele erhellee? Iſt unfer Körper 
frank, wie viel leidet nicht die Seele davon! Ein unglüdlis 
cher Schlag auf den Kopf macht die Seele verruͤckt, die 
Trunfenheit verändert die Seele gewaltig. Die Dumbeit 
und Stumpfheit der Seele rührt, von der Einrichtung ges 
wiſſer Saferchen in dem Körper, ber, und was dergleichen 
mehr it. 
$ 729. 

Aus den bisherigen Unterfuchungen erhellet demnach 
viererley. Einmal regiert die Seele den Körper, oder 
fie führe ein Regiment über denfelben, welches in der Herr⸗ 
fchaft der Seele über den Körper befteht; oder in dem Ber: 
mögen, ihren Körper nah Willführ zu bewegen $. 727. 
Diefe Herrfchaft über den Körper iſt freylich nicht allgemein, 
weil in dem Körper viele Bewegungen angetroffen werden, 
die nicht willführlich find. Allein dem ohnerachtet fan man 
mit Necht die Seele, einen Herrn ihres Leibes, nennen. 
Diefe Herrfchaft gründet ſich, von Seiten der Seele, auf 
ihre Willführ und ihre Freyheit; und von Seiten des Leibes 
darauf, daß er folcher Bewegungen fahig ift, die geſchehen 
und unterlaffen werden, und auf verfchiedene Art eingerich- 
tet werden Fönnen, Cine Uhr fan den Zeiger vorwärts, 
aber fie Fan ihn nicht rücfwarts drehen, und wenn ein Stein 
fortgerolt wird, fo ift es nicht möglich, wenn er nirgendswo 
anftößt, daß er in einem Augenblice folte nach einer andern 
Richtung fortrollen. Allein der menfchliche Körper ift ver- 
geftalt gebauet, daß einige Bewegungen, z. E. wenn man 
läuft, in einem Augenblicke geändert werden Fünnen, Man 
Fan ftille ftehen, man fan nach einer andern Richtung den 
$auf lenken, bald fan man gefchwinder bald langfamer laus 
fen, ohne daß unfer Körper, durch den Stoß eines andern 
Körpers, dazu von auffen her beftimt werden folte. Folge 
lich ift es moͤglich, dieſe Bewegungen nach Willführ der 
©eele einzurichten. Zum andern ift zwifchen $eib und See— 
le eine gegenfeitige Gemeinſchaft, indem fie, durch einen ge= 

gene 


416 Don der Gemeinſchaft 


genfeitigen Einfluß in einander, mit einander verbunden 
find $. 727. 728.442. Folglich find, in beyden, harmonis 
fee Veränderungen, In der Seele find viele Veraͤnde⸗ 
rungen, die mit dem Körper harmoniren oder übereinftims 
men; und in dem Körper find viele Veränderungen, die 
mit der Seele und ihren Veränderungen übereinftimmen. 
Hieraus erhellet nun drittens, Daß Leib und Seele in einer 
Vereinigung ftehen. Denn fie machen mich, als ein Gan- 
zes, zufammengenonmmen aus. Folglich find fie Theile 
Eines Dinges, und alfo mit einander vereiniget $. 72. 
Und die Vereinigung des Leibes mic der Seele be« 
ſteht in nichts anders, als in ihrer gegenfeitigen Gemeine 
ſchaft, indem durd) diefelbe der Menſch als Eins, oder 
als ein Ganzes, fortdaurt underhalten wird. Woraufnun 
diefe Bereinigung beruhe, und worin das Band beftche, 
wodurch Leib und Seele mit einander vereiniget find, das 
unterfuchen mir nicht, und davon habe ich die Gründe im 
der Cofmologie angeführt, als ich von der Harmonie aller 
Subftanzen in der Welt gehandelt babe. Es ift aber aus 
der Erfahrung klar, viertens, daß zwifchen der Seele und 
ihrem $eibe die allergenauefte und gröfte Bereinigung ſey; 
oder daß die Seele mit ihrem Leibe in einem hoͤhern Grade 
vereiniget fen, als mit einem jedweden andern Körper, und 
als mic einer jedweden andern endlichen Gubftanz auffer ihr 
$. 484: 
§. 730, t 
Das find nun die Erfahrungen, die wir von der Ge« 
meinfchaft der Seele mit ihrem Leibe Haben, und worauf als 
les hinlänglich beruhet, was in den phyſiſchen und practis 
{hen Wiſſenſchaften, ja felbft in dem gemeinen teben, 
wahrhaftig practifch ift, und diefe Gemeinſchaft vorausſetzt. 
Wir haben es alfo, wenn man auf die Anwendung und 
den wahren Gebrauch der Pfychologie zur menſchlichen Glücks 
feeligfeit ſieht, nicht nötbig, die Art und Weiſe zu unters 
ſuchen, wie Leib und Seele in einander wuͤrken. So koͤn— 
nen 








der Seele mie dein Leibe, 417 
nen mir, in dem menſchlichen $eben, allen nöthigen Nu— 
en durch den Magnetftein uns verfchaffen, weil wir wiſ— 
fen, daß er das Eifen an fich ziehe, ob wir gleich nicht wiſ— 
fen, mie diefes zugehe, Ja durch die verfchiedenen Meis 
nungen, welche die Maturlehrer deshalb angenommen has 
ben, ift diefer Nutzen weder vermehrt noch vermindert, we⸗ 
der befördert noch gehindert worden, Und eben fo verhält es 
ſich auch, mit der Gemeinfchaft der Seele und des Körs 
pers, Wenn ich einen Menfchen ftrafen will, fo ift es ges 
nung, daß, wenn z. €, fein Körper gefchlagen wird, ich 
weiß, daß dadurch in der Seele ſchmerzhafte Empfindun— 
gen entftehen, welche Bewegungsgründe feyn Eönnen, eine 
Handlung, weswegen er gefchlagen wird, zu unterlaffen, 
oder eine Handlung zu thun, oder ſich zu beffern u. ſ. w. ob 
ich gleich niche. weiß, wie diefes zugeht. Es ift alfo gleichz 
viel, was man deshalb für eine Meinung annehmen willt 
fie müfte denn eine Meinung ſeyn, welche fonft andern un« 
keugbaren Wahrheiten widerſpricht, und dadurch gefäbrlich 
wird. Die Weltweifen folten alfo mie kaltem Blute, und 
ohne Erbitterung und Haß, ihrer fonft löblichen Neube— 
gierde ein Genügen leiften, und unterfuchen, ob Leib und 
Seele durch einen natürlichen Einfluß, oder durch eine vors 
herbeftimte Webereinftimmung, oder auf irgends eine andere 
Art mit einander verbunden wären, 

N 

Man Fan auch unmöglid) die Art und Meife, wie 
Leib und Seele in einander wuͤrken, erfahren. Unfere Em: 
pfindungen und unmittelbaren Erfahrungen fagen uns bloß, 
was gegenwärtig wuͤrklich iſt und gefchieht, nicht aber wie 
es gefchieht, Wer Fan durch die bloffe Erfahrung erfens 
nen, wie der Mordfchein enefteht, wie die Dünfte entſte— 
ben? u.f.m. Folglich müffen die Weltweifen, bey Unters 
ſuchung der Art und Weife, wie Leib und Seele in einander 
würfen, mehrere Erfenntnigquellen gebrauchen, als die bloffe 
Erfahrung. Unterdeffen gibt es doch Weltweife, welche glauben, 


418 Don der Bemeinfchaft 


die bloffe Erfahrung lehre ung, daß zwifchen Leib und Seele 
ein reeller gegenfeitiger Einfluß fey. Allein man Ean fehr 
leicht zeigen, wie fehr fie fich betrügen. Einmal die Er— 
fahrung lehrt uns, daß der Körper in die Seele würfe, 
wenn fie äufferlich empfindet S 728. und daß fie alfo in Dies 
ſem Falle von dem Körper leide $. 164. allein wir erfah— 
ven nicht, daß die Seele diefe Empfindungen durd) ihre ei= 
gene Kraft würfe, und daß alfo der Leib in die Geele auf 
eine idealifche Art würfe $.167. Wenn mir fehen, hören 
u.f.m. fo entitehen die Empfindungen fo ftille und ruhig, 
daß es fiheint, als wenn fich die Seele ſelbſt dabey nicht 
angriffe. Eben fo erfahren wir, daß Bie Seele in den Kür: 
per würft, wenn fie ihn willführlich bewegt $. 727. und daß 
alfo der Körper in dieſem Falle von der Seele leidet $. 164. 
Allein wie erfahren nicht, daß der Körper durch feine eigene 
Kraft diefe Bewegung hervorbringe, und daß alfo die Sees 
fe idealifch in den Körper würfe $. 167. Es ſcheint uns viels 
mehr auf den erften Anblick unmöglich zu feyn, daß eine 
Mafchine durch ihren Mechanismus, z. E. eine Stunde lang, 
folle reden fönnen. Wenn nun jemand fließt: was mir 
nicht erfahren, ift nicht würflih. Nun erfahren wir nicht, 
daß die Seele ihre äufferlichen Empfindungen felbft würfe, 
und der. Körper feine willführlichen Bewegungen. Folgs 
lich thun fie es auch nicht felbft. Mithin verhalten fie ſich 
bloß leidentlich, und wuͤrken alfo in einander auf eine reelle 
Art: fo berubet, diefer Beweis, auf einem ungereimten 
Oberſatze. Glaubt er nun, daß der Schlußfag eine Ems 
pfindung fey, oder daß er den reellen Einfluß der Seele 
und des Leibes in einander erfahre; fo betrügen ihn feine 
Sinne, under begeht den Fehler des Erfchleihens $.548- 
Zum andern lehrt ung die Erfahrung, daß, mit ben 
barmonifchen Veränderungen des Leibes, gewiſſe Veraͤnde— 
rungen in der Geele zugleich da find, oder auf jene folgen. 
Wenn das Sicht gehörig in die Augen fält, fo ift es unaus« 
bleiblich, daß in dem Augenblicke entweder eine Empfindung 

in 





der Seele mit dem Leibe, 419 


in der Seele da fen, oder darauf erfolge. Und eben fo er: 
fahren wir, daß mit den harmonifchen Veränderungen der 
Seele, gewiffe Veränderungen des Leibes, zugleic) da find, 
‘oder auf diefelben folgen. . Wenn ich fiße, und in meiner 
Seele entfteht der Entſchluß aufzuftehen,, fo fteht mein Körs 
per entweder in dem Augenblicke, oder nachher auf. Hie— 
rauf gründen einige $eute ihr Vorgeben, als koͤnne man 
gleihfam mit Händen greifen, daß $eib und Seele auf eine 
reelle Art in einander würfen. Allein fie betrügen ſich ganz 
offenbar. Sie fchlieffen unleugbar auf folgende Art: Din- 
ge, deren Veränderungen bey einander da find, oder auf 
einander folgen, mürfen auf eine reelle Art in einander. 
$eib und Seele find fo befchaffen, daß ihre harmonifchen 
Veränderungen beftandig bey einander da find, oder auf 
einander folgen: alfo ift zwifchen ihnen ein reeller gegenfeitis 
ger Einfluß, Iſt Diefes nicht ein ungereimter Schluß , da 
der Oberſatz ganz offenbar falfch it? Wenn nun ein Welt⸗ 
weifer ſich noch) Dazu einbildet, daß der Schlußfaß eine Em⸗ 
pfindung und unmittelbare Erfahrung fen, fo betrügen ihn 
feine Sinne, und er begeht den Fehler des Erfchleichens 
8,548. Folglich Fan die bloffe Erfahrung, die Frage: von 
der Art und Weife des Einfluffes der Seele und des 
$eibes in einander, gar nicht enta 
fcheiden. 






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et 
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GT BEN I 
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J 





Dd 2 Die 


420 5 Er 
Die 


vernünftige Pſychologie. 


Das erfte Capitel, 


von der 


Natur der menſchlichen Seele, 
$- 732. 


an fan nicht leugnen, daß die vernünftige Pſycho⸗ 
| logie einem Weltweifen eine reiche Gelegenheit an 
die Hand gebe, feiner unordentlichen Neubegierde 
zu froͤhnen. Sie unterfucht, unter andern, ſolche Mate: 
rien von der menfchlichen Seele, welche fehlechterdings durch 
die Erfahrung allein nicht "enfchieden werden koͤnnen. 
Wenn nun ein WBeltweifer nicht, auf das Gründliche und 
Nuͤtzliche, vornemlich fein Augenmerk richtet; fo verirret er 
fich in einem Labyrinthe von Meinungen, welche ofte Feinen 
‚andern Nutzen haben, als daß fie auf eine angenehme Art 
Die ausfchtweifende Meubegierde befchäftigen. Und wer ein 
erfindungsreiches Dichtungspermögen befißt, der Fan unend⸗ 
lic) viele Meinungen in diefem Theile der Metaphyſik aus« 
hecken. Ich werde meinem Plane genau folgen, und nur 
dasjenige unterfuchen, was meinen Einfichten nad) einen er— 
bebtichen Nutzen hat, Und da will ich verfuchen, die Nas 
tur der menfchlichen Seele vor allen Dingen feltzufegen, 
$. 733. 
Es ift unleugbar, daß man durch eine Seele einen 
Theil eines ganzen Dinges verfteht, welches man fich als 
ein denfendes Ding vorftelt, und welcher das Vermoͤgen zu 
denken befißt $.480. Daher verfteht man, durch eine See⸗ 
le, eine denfende Subſtanz, welche mit einem Körper in 
der genaueften Gemeinfchaft ſteht. Da nun, in der voll- 
fommenften Welt, die allergröfte Ordnung und Vi 
im⸗ 


* 








1 


Don der Natur der menfchlichen Seele. 421 


ſtimmung unter allen ihren Theilen angetroffen wird, die 
in einer Welt möglich iſt; S.440.430. fo fan man mit der 
gröften Zuverficht annehmen, daß alle Seelen, welche mit 
Körpern von einerley Art verbunden find , eine befondere Art 
und Claſſe der Seelen ausmachen. Folglich Fan man die 
menfchliche Seele, von allen übrigen Arten der Geelen, 
durch den Körper unterfcheiden, mit welchem fie in der ges 
naueften Bereinigung und Gemeinfchaft ſteht. So ift of⸗ 
fenbar , daß die Seele eines Hundes, von der Seele eines 
Pferdes, durch Die Verfchiedenheit ihrer Körper unterfchieden 
werden Fönne. Und wenn fich die Seele eines Hundes, zu 
dem Körper eines Pferdes, eben fo gut ſchickte, als die See— 
le des Pferdes: fo wäre Fein zureichen der Grund vorhanden, 
warum der Körper eines Hundes auf eine fo öffenbare Art 
anders eingerichtet wäre, als der Körper eines Pferdes, und 
warum die Seele des Hundes vielmehr mit dem Körper ei> 
nes Hundes, und nicht mit dem Körper eines Pferdes in 
Die genauefte Gemeinfchaftgefegt wäre. Man fan demnach 
mit einer vollfommenen Gewißheit annehmen: daß die 
‚menfchliche Seele eine Seele fey , welche mit dem menfchs 
lichen Körper in der genaueften Gemeinfchaft ſteht. Es 

foll diefer Begrif nichts weiter als eine Worterklärung feyn, 
und da es nicht in die Pfychologie gehört, den menfchtichen 
Körper genauer zu unterfuchen; fo ift es bier genung, daß 
ein jeder, einen folchen ausführlich Elaren Begrif von dena 
felben, aus dem gemeinen Leben befist, vermöge deffen cr 
denfelben allemal, von allen übrigen Körpern, hinlaͤnglich 
unterfiheiven Fan. Freylich wenn wir die Natur desmenfch- 
lichen Körpers, und feine innerlihe Structur, genauer 
fennten; fo würde uns diefes ohne Zweifel, in den Ders 
nunftfchlüffen der vernünftigen Pſychologie, fehr viel helfen. 
Alsdenn würde man aus dieſer Structur vielleicht begreifen 
fonnen, warum die menfchlihe Seele Berftand, Einbils 
dungsfraft, und alle Bermögen befißt, die wir in der em— 
piriſchen Pſychologie durch die Erfahrung entdeckt haben, 
Allein da bis jeßt nod) Feine Hofnung, zu einer folchen ge— 

D 


3 nauen 


422 Von der Natur der menfchlichen Seele. 


nauen Kenntniß des menfchlichen Körpers, vorhanden iſt; 
fo müffen wir bier mit dem Maaffe unferer Einfichten uns 
begnügen, welches uns zu Theil geworden iftz wir muͤſſen 
die Mängel unferer Einfichten in die Natur der menfchlichen 
Seele aufrichtig erkennen, und dasjenige, was wir von ihr 
wiſſen fonnen, nüglic) anwenden, 
8. 734 
Durch) ein Thier verfteht jederman ein Ding, wel- 
ches aus einer Seele und 'aus einem Körper, die mit eins 
ander in der genaueften Gemeinfchaft ſtehen, zuſammenge— 
fegt ift, Miemand nennt die Engel, die Teufel, und ans 
dere denfende Subſtanzen, Thiere, wenn er nicht zugleich 
annimt, daß fie mie Körpern aufs genauefte vereinigt find. 
Wer hat ſich es jemals einfallen laffen, GOtt ein Thier zu 
nennen, wenn er fich überzeugt, daß es fehlechterdings uns 
möglich fey, daß er mit einem Körper in der genaueften 
Gemeinfchaft ftehe? Und eben fo wenig nennt man einen 
bloſſen Körper, ein Ihier. Niemand nennt die Steine, 
die Pflanzen, die Bäume, Thiere. Es ift wahr, es hat 
Weltweife gegeben, welche die Bäume, die Sterne, den 
Erdboden für Thiere gehalten haben, Allein alle diefe Welt 
weiſen haben zugleich behauptet, daß diefe Körper Wohn: 
pläge gewiffer Seeien find, welche diefe Körper bewegen, 
vegieren und beherrfchen, Folglih muß ein Thier zwey 
Theile haben, eine Seele und einen Körper, und beydemüfz 
fen in der genaueften Bereinigung ftehen. Wenn die Geele 
einen Körper nicht allemal zunaͤchſt empfindet, und denfel: 
ben bewegt, fo Fan fie unmöglich mit ihm ein Thier aus: 
machen: fonft fönnte z. E. die Seele eines Menſchen, und 
das Haus, worin er wohnt, zufammengenommen ein Thier 
ausmahen. Der Menſch ift nun dasjenige Thier, wel— 
ches aus einer menfchlichen Seele und aus einem menfchli- 
chen Körper zufammengefegt ift. Niemand nennt die menfch- 
liche Seele allein, und eben fo wenig den bloffen menfchlis 
chen Korper einen Menfchen, und diefe Erklärung ift alfo 
der Durchgängigen Ars zu denken vollkommen gemäs, —7— 
oͤnnte 








Don der Natur der menfchlichen Seele. 433 


Fonnte vielleicht eine Frage ſeyn, weldye manchen Schwie— 

rigkeiten unterworfen iſt: ob alle Thiere, die von Menfchen 
gebohren werden, wahre Menfchen find? Ob eine Mißge: 
burth, die von Menfchen gebohren wird, ein wahrer 
Menſch fey? Ob taub und blindgebohrne Leute Menfchen 
find? Ob wahnmißige Leute Menfchen find? Allein ob ein 
Thier, welches aus einer menfchlichen Seele und aus einent 
menſchlichen Körper befteht, ein Menfch fen, daran Fan nie— 
. mand mit Grunde zweifeln. Die meilten erflären, einen 
Menfchen, durch ein vernünftiges Thier. Allein ob wir 
gleich nicht leugnen, daß alle Menfchen vernünftige Thiere 
find, fo werden wir doc) fünftig fehen, daß es vernünftige 
Thiere gebe, die Feine Menfchen find. Folglich ift der Be— 
grif von einem vernünftigen Thiere Fein hinlänglicher "Bes 
geif, den Menfchen von allen übrigen Arten der vernünftis 
gen Thiere zu unterfcheiden. Kinige erklären den Menfchen 
durch dasjenige Thier, welches vernünftig iſt, und ein Ein— 
wohner diefes Erobovens ift. Allein es ift, einmal, zwei⸗— 
felhaft, ob der Menfch die einzige Art der vernünftigen 
Thiere ift, welche diefen Eroboden bewohnt. Und eben fo 
zweifelhaft ift es zum andern, ob der Menſch beftändig ein 
Einwohner diefes Erdbodens fen? Unfer angenommener ‘Bes 
geif ift wenigftens eine vollkommene Worterflärung. Alle 
uns befannten Körper anderer Thiere find, von dem menfchs 
lichen Körper, handgreiflich unterfehieden. Und wolte je 
mand fagen, daß es vielleicht in andern Planeten vernünfs 
tige Thiere geben Fonne, deren Körper der Art nad) von 
dem menfchlihen Körper nicht unterfchieden find: fo muß 
man erft, einen zulänglichen Berweis von diefer Muthmaſ— 
fung, erwarten. Uns ift es vorjeßo, nach dem geringen 
Maaffe unferer Einfichten, hinlänglich, daß wir durch uns 
fere angenommene Erflärung den Meafchen, von allen ung 
befannten andern Thieren, zureichend zu unterſcheiden vers 
mögend find. 


$. 735. 
In der vernünftigen Pfuchologie Eönnen wir uns nicht 
Dd 4 bloß, 


424 Von der Natur der menfchlichen Seele. 


bloß, mic einer Worterflärung der menfchlichen Seele, be= 
gnuͤgen; fondern da wir in’ dieſer Wiſſenſchaft dasjenige, 
-was wir von der menfchlichen Seele behaupten, aus ihrem 
Weſen und aus ihrer Natur herleiten follen, fo müffen wir 
eine Sacherklaͤrung von ihr feftfegen, oder einen Begrif, 
welcher ung die Natur und das Wefen der menfchliden 
Seele deutlich vorftel. Nun wollen wir annehmen, daß 
die menfchliche Seele eine Subftanz fey, welche eine Vor— 
ftellungsfraft diefer Welt ift, durch welche fie vermögend 
äft, ſich die Welt eines Theils deutlich vorzuftellen, und 
zwar nach der Stellung des menfchlichen Körpers in der 
el, Wir fünnen erſt Fünftig beweifen, daß hierin die 
Natur und das Wefen der menfchlichen Seele beftehe, und 
wir wollen uns alfo jego nur überzeugen, daß diefer Satz 
eine allgemeine Wahrheit ſey, welche von allen menfchlichen 
Seelen ohne Ausnahm gefagt werden Fan. Und gefeßt 
auch, daß wir die Allgemeinheit dieſer Wahrheit nicht mit 
der vollfonmmenften Gewißheit ermeifen koͤnnten: fo würde 
Diefes zwar darthun, Daß die vernünftige Pfychologie noch 
eine fehr mangelhafte Wiffenfchaft fen; allein fie würde in 
dieſem Stüce nicht ſchlechter ſeyn, als andere Wiffenfchafs 
ten, in denen man die Erfahrungen a priore zu erklären und 
zu beweifen fich bemühet. Die Naturlehre macht es eben 
fo. Sie nimt ofte die Natur und das Wefen eines Koͤr— 
pers willführlich als eine philofophifche Meinung an, und 
mit der Zeit entdeft man ofte mit Gewißheit, daß fie ges 
ärret, ober daß fie die Wahrheit getroffen habe. Die vers 
nünftige Pſychologie, wenn man aufrichtig reden will, iſt 
in vielen Stuͤcken noch in ihrer erſten Kindheit, und Fein 
verftändiger Kenner würde eg fchlechterdings tadeln, wenn 
wir diefen Satz bloß willkuͤhrlich annaͤhmen, und verfuch 
ten, ob wir alles, was wir von der menfchlichen Seele aus 
ver Erfahrung willen, aus demfelben herzuleiten im Stan: 
de find. Doch, esift nicht nöthig, fo vielin diefem Puncte 
nachzugeben, Ich will alle Gründe der Wahrheit diefes 
Satzes, die mir befannt find, anführen, und meine Leſer 

d mögen 








Don der Natur der menfchlichen Seele. 425 


mögen felbft beurtheilen , ob fie eine völlig ermeifende; Staͤr⸗ 
fe haben. Zuerft fan man , die Allgemeinheit diefer Wahr 
heit, aus der Erfahrung fehlieffen, fo wohl wenn ich auf 
mic) felbft fehe, als auch wenn ic) auf andere Menfchen ſe— 
be. Betrachte ich mich ſelbſt, fo bin ich ein Menſch, und 
meine Seele iſt eine menſchliche Seele. Nun habe ih mid) 
durch die ganze empirifche Pfuchologie vollkommen überzeugt, 
daß meine Seele eine Subftanz fey, welche eine Vorſtel— 
lungskraft befißt, wodurd) fie fid) Die Welt, nad) der Stel: 
fung ihres Leibes, theils Deutlich theils undeutlic) vorftelt. 
Nun ſehe ich aufs deutlichfte, daß diefe Kraft, wenn man 
ſich diefelbe bloß auf dieſe Arc vorftele, nicht meine einzelne 
und mir eigenthümliche Befchaffenheit ausmache, wodurch 
ich von allen übrigen Menfchen unterfchieden bin. Es wür- 
de höchft lächerlich feyn, wenn mic) jemand fragen wolte, 
wer ich wäre, und ich wolte ihm bloß zur Antwort geben, 
daß ich eine Borftellungsfraft der Welt wäre u. ſ.w. Folg: 
lic) gehört Diefes zu demjenigen, was ich mit allen menſch— 
lichen Seelen gemein habe, und es find demnach alle menfch> 
liche Seelen folche Subftanzen. Sehe ich nun auf andere 
Menfchen, fo fagt mir die Erfahrung, daß alle Menfchen, 
die ich Fenne, folche Körper haben, wie ich, und aus ih— 
ron Reden, Schriften und Handlungen erfenne ich, daß 
fie manchmal deutliche Erfenntniß haben, Nun weiß ich, 
daß alles in der Welt aufs beſte mit einander übereinftimt. 
Folglich muß ein Thier, deffen Körper mit meinem Körper 
von einerley Art ift, und deffen Handlungen mit meinen 
Handlungen ebenfals von einerley Art find, eine Seele has 
ben, die mit der meinigen von leinerley Art ift. Es ift 
wahr, ich treffe unter denen Dingen, die ih Menfchen nen= 
ne, Kinder und wahnmißige Leute an. Allein was die 
erften betrift, fo fagt mir die durchgängige Erfahrung, daß 
fie mit der Zeit deutlich zu denfen und vernünftig zu hans 
deln anfangen. Es fehlt ihnen alfo zwar, in der Kindheit, 
die deutliche Borftellung der Welt; allein fie müflen doch 
fon das Vermögen dazu befißen, weil fie fonft niemals 

Dd5 zur 


« I 


426 Von der Natur der menfchlichen Seele. - 


zue deutlichen Erfenntniß gelangen fönnten. Und mas 
wahnmigige Leute betrift, fo merft man zwar bey ihs 
nen niemals die würfliche deutliche Erkenntniß; allein da= 
raus folge nicht, daß fie das Vermögen dazu auch nicht be— 
figen folten. Daß alfo alle menfchliche Seelen Borftellungss 
Eräfte der Welt find, melche vermögend find, fich die Welt - 
nach der Stellung eines menſchlichen Körpers eines Theils 
Deutlich vorzuftellen, ift Feiner Erfahrung zumider, esftime 
mit allen unfern Erfahrungen überein, die wir von denen 
uns befanten Menfchen haben, und es fan nicht der gering« 
ſte Grund angeführt werden, warum wir es von den übri« 
gen uns unbekannten Menfchen leugnen folten, Folglich 
fan man es, als eine allgemeine Wahrheit, annehmen. 
Wir verfahren hier mit eben der Gruͤndlichkeit als ein Nas 
turlehrer, welcher ofte die $uft gewogen hat, und mit Zu— 
verficht behauptet, daß alle Luft fchwer fey, ob es ihm 
gleich nicht einfallen Fan, zu behaupten, daß er alle Luft 
gewogen habe. 
$.' "736% 
Diefe Wahrheit Fan zum andern, durch eine Bes 
trachtung aus der Coſmologie, beftätiget werden. Memlic) 
eine jedivede Seele Fan denken, und folglich handeln, und 
ift demnach eine Subftanz $.452. Die menfchliche Geele 
ift alfo eine Subftanz, und zwar eine Gubftanz, welche 
ein Theil der Welt ift. Alle Subftanzen in der Welt find 
Borftellungsfräfte, welche die Welt nach ihrer Stellung in 
derfelben vorftellen $.369. Diefe Subftanzen find entweder 
denfende Subftanzen, oder nicht $.370. And die eriten 
ftellen fich die Welt entweder nach der Stellung eines Leibes 
vor, oder nicht. Die erften find entweder Geifter, oder 
bloß finnliche Seelen $.372. Folglich) find einige Seelen zus 
gleich Geifter, welche Vorftellungsfräfte der Welt find, die 
fich die Welt eines Theils deutlich, nach der Stellung eines 
teibes, vorftellen fonnen. Wenn nun diefer Leib ein menfch« 
licher Körper ift, fo ift die Seele eine menfchliche Seele 
8.733. Folglich können wir, durch die genauefte Einthei- 
lung 











Von der Natur der menfchlichen Seele‘ 427 


fung aller unferer Begriffe, die wir von den Subftanzen dies 
fer Welt haben, überzeugt werden, daß die menfchlichen 
Seelen zu derjenigen Elaffe der Subftanzen der Welt gebös 
ren, welche Borftellungskräfte der Welt find, die ſich die 
Welt eines Theits deutlich, nach der Stellung des menſchli⸗ 
hen Körpers, vorftellen Eönnen. Hier mag ein jedweder 
felbft nachdenken, ob er auch nur den allergeringften Grund 
erdenfen koͤnne, warum er irgends eine menfchliche Seele, 
zu einer andern Claſſe der Subftanzen in der Welt, rech— 
nen wolle. $eute, deren Verſtand geneigt ift, allerwegen 
Schwierigfeiten und Ziveifel zu vermutben, durch welche 
fie fid) an der Ueberzeugung hindern laffen, ob fie gleich 
nicht im Stande find, diefelben anzugeben, werden fagen: 
vielleicht Fan es eine menfchliche Seele geben, die anders 
befchaffen ift. Um dieſen Seuten etwas zu Gefallen zu thun, 
wollen wir zugeben, daß vielleicht von Menfchen eine Creas 
tur gebohren werden Fan, deren Seele anders befchaffen ift, 
Allein alsdenn find diefe Creaturen Feine Menſchen, und 
man wird auch alsdenn gewahr werden, daß die Körper 
derfelben handgreiflich von den menfchlichen Körpern unter- 
fehieden find. Diejenigen Thiere aber, deren Körper 
menfchlihe Körper find, müffen auch Seelen von einer- 
ley Art haben. Und alfo muß entweder gar Feine menſchli— 
che Seele eine folhe Borftellungskraft der Welt ſeyn, als 
wir angenommen haben, und das ift wider meine eigene 
unleugbare Erfahrung; oder alle menfchlihe Seelen find, 
ſolche Borftellungskräfte der Welt. 


I. 31% 

Zum dritten Fonnen wir uns, zur ‘Betätigung des 
vorhergehenden, auf den Begrif berufen, den wir von ber 
genaueften Gemeinfchaft haben, in welcher eine jedivede 
Seele mit ihrem Körper ftehen muß. Es befteht diefelbe, 
im Grunde betrachtet, in zwey Stuͤcken. Cinmal muß die 
Seele ihren Körper empfinden, und, vermittelt dev Em— 
pfindungen ihres eigenen Körpers, andere Dinge aufler 
demfelben fehen, hören, oder auf eine andere Art empfinden. 

Und 


428 Von der Natur der menfchlichen Seele. 


Und zum andern muß fie ihren Körper bewegen, und zwar 
auf eine roillführliche Art. Dadurch ändert fie die Stel 
lung ihres Leibes, und mithin auch die Empfindung des Lei— 
bes, und anderer Dinge, und es müffen alfo viele ihrer Em⸗ 
pfindungen von ihrem Willkuͤhr abhangen $, 727.728. Könn: 
te man wohl fagen, daß ein Körper der Körper einer Seele 
fey, den fie nicht willführlich bewegen fan, und den fie nicht 
allemal empfindet, wenn fie andere Körper empfindet? So 
müfte man die Stube, worin ein Menfch wohnt, ven Kör- 
per feiner Seele nennen koͤnnen. Da nun die menfchliche 
Seele, mit dem menfchlihen Körper, in der genaueften 
Gemeinſchaft fteht $. 733. fo muß fie den menfchlichen Koͤr⸗ 
per empfinden und will£ührlich beivegen, und es müffen alfo 
Empfindungen in ihr ſeyn, die durch ihr Willführ hervor— 
gebracht werden. Willführliche Veränderungen find wah— 
ve Handlungen desjenigen Dinges, von deffen Willführ fie 
abhangen $. 703. Folglich handelt die menfchliche Seele 
wahrhaftig, und ift eine Kraft im engften Verſtande. Folgs 
lich ift fie nicht etwa ein Accidenz, welches eine Gubftanz 
zu ſeyn ſcheinet, fondern fie ift eine wahre Subſtanz $. 158. 
159. Und da fie durch ihre Willfühe ofte Empfindungen 
und alfo Vorftellungen wuͤrkt, fo ift fie eine Borftellungss 
kraft. Diefe Empfindungen ftellen ihr ihren Körper vor, 
der als eine theilbare Materie $. 392, ein veränderliches und 
endliches Ding, und mithin ein Theil dev Welt ift. Folge 
lich ift, die menfchliche Seele, eine Vorſtellungskraft diefer 
Welt. Und da fie ſich ihren Körper bald fo, bald anders 
vorftele, nachdem fie ihm, durch die willführlichen “Bewes 
gungen, diefe oder eine andere Stellung gibt; fo ftelt fie 
fich die Welt, nach der Stellung des menfchlichen Leibes in 
derfelben, vor, Ale diefe Betrachtungen Fönnten, viel weits 
läuftiger, ausgeführt werden. Allein da wir bier die ganze 
empirifche Pfychologie vorausfegen koͤnnen, fo fan ein jeds 
weder vor ſich felbft dieſe Ausführung verrichten. 


+ 738: 
Nun wollen wir aus diefem Begriffe, den wir von 
der 

















- 


Don der Natur der menfchlichen Seele. 429 


der menfchlichen Seele feftgefeßt haben, dasjenige herleiten, 
was mir von ihrer Natur überhaupt wiſſen. Und da müf- 
fen wir vor allen Dingen bemerken, daß fie ein Geift fen. 
Denn fie fan fic die Welt, eines Theils deutlich, vorftellen 
8,735. Und da fie alfo ein Vermögen deutlicher Erkenntniß 
befist, welches Berftand genennt wird; fo ift fie unleugbar 
ein Geilt S.372. 373. Da wir Diefes daher fchlieffen, weil 
fie denfen fan, und zu deutlicher Erfenntniß aufgelegt ift; 
fo müffen wir eine Nedensart erläutern, welche dem erften 
Anfehen nad) eine Schwierigkeit machen far. Man ſagt 
nemlich auch, daß der Menfch venfe, und vernünftige und 
deutliche Einfichten habe: daraus folgt aber nicht, daß der 
Menfch im Ganzen betrachtet ein Geift fey. Sondern wenn 
wir von einem Dinge fagen, daß es ein denkendes und ver= 
nünftiges Wefen fey, fo ftellen wir es uns auf eine doppelte 
Art vor. inmal als ein Ding, welches wie ein Ganzes 
aus vielen auffer einander befindlichen Theilen befteht, unter 
denen einer ift, melcher denkt und ein vernünftiges Wefen 
iſt. Und nach diefer Erklärung ift der Menfch , ein denfen. 
- des und vernünftiges Wefen. Und zum andern ftellen wir 
es uns als eine einzige Subftanz vor, die nicht aus vielen 
Subſtanzen befteht, und welche denkt und Verſtand hat, 
Und fo muß man ſich die menfchliche Seele als ein denken. 
des Wefen, und als einen Geift vorftellen. Wolte man fie 
fich als viele Subftanzen zufammengenommen vorftellen, des 
ren eine jedwede denft und deutlich) erfennt, fo wäre fie ein 
Inbegrif vieler Geiſter. Einen folchen Inbegrif nennt man, 
in der practifchen Weltweisheit, eine morslifche Perſon, 
oder einen myſtiſchen Körper, wie 3. E. eine ganze Republik 
auf diefe Weife vorgeftele wird. Allein die menfchliche 
Seele ift, vermöge unferes Beweifes, ein einziger einzelner 
vor fich beftehender Geift, und alfo eine einzige Gubftanz, 
Da nun die Kraft im engften Berftande die Subftanz ift 
$. 159. fo fan feine einzelne Subſtanz mehr, als eine einzige 
thätige und gefchäftige Kraft, haben; meil fie fonft aus eben 
fo viel Subftanzen beftehen müfte, als fie folche Kräfte beſaͤſſe. 

Und 


430 Von der Natur dev menfchlichen Seele. 


Und esiftdemnach die menfchliche Seele nur eine einzige Kraft, 
oder fie befigt nur eine einzige Kraft, welche die Borftellungss 
kraft der Welt nach) der Stellung des menfchlichen Leibes ift. 


097739. ENSR 
Die menfchliche Seele ift, eine endliche und zufällige 
Subftanz. Wir fönnen uns, von diefer Wahrheit, auf 
eine doppelte Art überzeugen. Einmal ftelt fie fic) die Welt: 
nad) der Stellung ihres Leibes, als aus einem Gefichts« 
puncte, vor $. 735. Nun ift der Körper, als eine Mates 
rie die ein Theil der Welt iſt, in beftändiger Bewegung 
$. 388. und verändert alfo beftändia feinen Ort, und feine 
Stellung $. 223. Diefe Stellung ift der Grund der Vor— 
ftellungen der Seele, und da diefer Grund beftändig verän- 
dere wird, fo find auch die Borftellungen der Seele, beftän- 
digen Abanderungen, unterworfen $. 205. Die BVorftels 
lungen find, innerliche Beftimmungen der Seele. Folglich 
ift, in der menfchlichen Seele, eine Reihe beftändig auf 
einander folgender innerlichen Beftimmungen. Da fie nun 
alfo niemals innerlic) auf einmal wuͤrklich ft, mas fie feyn 
Fan; fo ift fie ein endliches $. 195 und alfo ein zufälliges 
Ding $. 193. Zum andern fan man, dieſe Wahrbeit, 
folgendergeftalt ermweifen. Die menfchliche Seele ſtelt ſich 
die Welt, nad) der Stellung ihres Leibes, nur eines Theils 
deutlich vor $. 735. und fie bat alfo auch undeutliche Bor 
ftellungen von der Welt. Die Deutlichfeit ift eine Kealis 
tät, und die Undeutlichfeit der Erfenntniß eine Berneinung 
und Unvollfommenbeit $. 505. Folglich iſt die menfchliche 
Seele ein unvolltommenes Ding, und befißt nicht den aller— 
höchften Grad der Realität, fondern nur einen ſolchen Grad 
der Mealität, der noch gröffer feyn Fan. Ein folcher Grad 
ift eine Einfchrenkung. $. 190. Folglich iſt, die menfchlis 
che Seele, . ein eingefchrenftes und endliches Ding $. 191. 
und alfo auch ein zufälliges Ding $. 193. Was zufällig ift, 
das ift innerlich veranderlich S. 128. Folglich ift die menſch⸗ 
liche Seele innerlich veranderih. Es iſt alſo ungereimt, 
eine menfchliche Seele zu denken, die innerlich ganz unver« 
aͤnder⸗ 





























Don dev Natur der menfchlichen Seele 43 


anderlich ift, welche ein fchlechterdings nothmendiges Ding 

ift, welche gar feine Unvollfommenheiten hat, und welche 

wahrhaftig unendlich wäre, Wir werden diefe Solgerung 

‚bald brauchen, um einige grobe Irrthuͤmer zu widerlegen, 
R740: 

Eine jedivede Subftanz in diefer Welt ftelt, die gans 
ze Welt und alle ihre Theile, in fich vor; oder es ift in ihr 
eine volftändige Abbildung aller Theile der Welt, der gan- 
zen Welt und alles dejfen, was in ihr befindlic) ift, anzus 
treffen. $.367. 365. Da nun die menfchliche Seele, eine 
Subftanz in diefer Welt, iftz fo ift in ihr, eine Borftellung 
der ganzen Welt, enthalten. Allein das ift noch nicht bins 
länglich , wenn man fic) einen rechten Begrif von der Bor: 

ftellungsfraft der Welt machen will, welche wir bisher der 
menfchlichen Seele zugefchrieben haben. Nemlich wir müf- 
fen auch behaupten, daß die-menfchliche Seele ſich alles in 
der Welt, vermöge diefer ihrer Kraft, vorſtelle; oder daß 
nichts in der Welt angetroffen werde, e8 mag nuneine Sub» 
ftanz oder ein Accidenz feyn, welches nicht der Seele felbft, 
durch ihre Vorftellungskraft, vorgeftelt und abgebildet wer» 
de. Denn die menfchliche Seele muß fich nothwendig, eins 
zelne Dinge diefer Welt, als einzelne Dinge vorftellen. 
Man fan diefes, einmal, daher ſchlieſſen, meil fie vermöge 
der genaueften Gemeinfchaft, in welcher fie mit dem menſch⸗ 
lichen Körper fteht, Empfindungen haben muß $. 737. Da 
nun Empfindungen Borftellungen gegenmwärtiger, und alfo 
einzelner Dinge find, welche in diefer Welt würflich find 
9. 528. fo ftelt fich die menfchlicdye Seele, wenn fie empfins 
det, einzelne Dinge als einzelne Dinge vor. Zum andern 
fan man diefen Saß auch daher beweifen, weil widrigenfuls 
alle Borftellungen unferer Seele abftracte Begriffe feyn muͤ—⸗ 
ften, und das ift unmöglich. Denn alle unfere Begriffe 
find entweder abftracte Borftellungen, oder nicht. Jene 
ftellen ung nicht alles in einem Dinge vor, fondern nur dag- 
jenige, was es mit andern Dingen gemein hat. Wenn 
man fich alfo zwar ein einzelnes Ding, aber nicht als ein 
ein: 


432. Von der Natur der menfchlichen Seele. 


einzelnes Ding vorftelte, fo ſtelte man fich nicht feine durchs 
gängige Beftimmung vor, $. 141. Alfo würde man fich 
nicht alle feine Betimmungen, ſondern nur einige der 
felben , vorftellen, und man häfte alfo von ihm nur einen 
abftracten Begriff. Nun fan man zu feinem abftracten 
Begriffe gelangen, wenn man nicht Begriffe bat, die gar 
nicht abftrack find, und von denen man den abitracten Bes 
grif abfondert. Folglich ift es unmöglich, daß eine menſch⸗ 
liche Seele lauter abftracte ‘Begriffe haben folte. Sie muß 
demnach einige Begriffe haben, die gar nicht abftract find; 
das ift, fie muß fid) einzelne Dinge in diefer Welt in ihrer 
durchgangigen Beftimmung vorftellen, oder mit allen ihren 
Beſtimmungen zufammengenommen. Nun gehört, zu der 
Durchgangigen Beſtimmung der einzelnen Dinge in dieſer 


Welt, daß fie, vermöge des allgemeinen Zufammendangs 


$. 319. mit einem jedweden andern Theile der Welt vers 
knuͤpft find. Folglich ftelt fich die menſchliche Seele, ein» 
zelne Dinge in diefer Welt, als mit allen übrigen Theilen 
der Welt verknüpft vor; folglich entweder als Gründe, oder 


als Folgen der übrigen, oder als beydes zugleih. Nun ift - 


es unmöglich, daß man ein Ding als mit einem andern 
verbunden fich vorftellen fonne, wenn man ſich das andere 
nicht auch zugleich vorftele. Wer Fan fic) vorftellen, daß 
zwiſchen GOtt und der Welt eine Verbindung fey, wenn 


man fich entweder GOtt allein, oder bloß die Welt vorftele? _ | 


Folglich ftelt ſich die menfchliche Seele, vermöge ihrer Kraft, 
die ganze Welt, und alle Theile derfelben ohne Ausnahme, 
vor. Es ift nicht zu leugnen, daß diefer Saß fehr wider 
ſinniſch zu feyn feheine, indem uns unfere eigene Erfahrung 
lehrt, daß uns fo viele Dinge in diefer Welt unbekant find. 
Ich foll mir alles in dieſer Welt vorftelfen, und ic) bin doch 
fo unmiffend, daß das wenige, was ich von diefer Welt 
weiß, gegen dasjenige, was mir von derfelben unbekannt ift, 
wie nichts zu rechnen ift. Allein diefe ganze Schwierigkeit 
entfteht daher, wenn man dunfele und Elare Borftellungen, 
Borftellungen deren wir uns nicht bewuße find, und deren 

wir 








Don der Natur der menfehlichen Seele. 433 


wir uns bewußt find, Gedanken und Borftellungen über: 
haupt nicht von einander unterfcheider, Nichts ungereimz 
teres koͤnnte gefagt werden, als wenn man behaupten wol— 
te, Daß die menfchliche Seele ſich alles in der Welt klar 
und mit einem Bewußtſeyn vorſtelle. Wir behaupten 
alfo nur, daß die menfchliche Seele fich alles in der Wele 
dunfel vorſtelle, und daß fie fich alfo deffen nicht bewußt 
fey. Da wir nun alles uns unbefannt nennen, deffen wie 
uns nicht bewußt find, und niemals bewußt geweſen find; 
fo fonnen uns Menfchen, dieſer Wahrheit ohnerachter, un= 
endlich viele Dinge in diefer Welt unbefannt feyn, und un— 
fere Unwiſſenheit Fan mit ihr fehr wohl beſtehen. Und 
man würde einen groffen Unverftand an den Tag legen, 
wenn mar ung Schuld geben wolte, als legten wir der 
menfchlichen Seele eine Allwiffenheit bey. Denn die Aff- 
wiſſenheit beftebt, in der alferdeutlichiten Erfenntniß aller 
möglichen Dinge. Die Erfenntniß aller Dinge in diefer 
Welt aber, die wir der menfchlichen Seele zufchreiben, iſt 
weder eine deutliche Borftellung, noch eine Erkenntniß aller 
möglichen Dinge: denn alle Dinge in diefer Welt machen 
nur, einen fehr Fleinen Theil von allen möglichen Dingen, 
aus. Folglich fehreiben wir der menfchlichen Seele eine 
folhe Vorſtellungskraft der Welt zu, vermoͤge welcher fie 
ſich die ganze Welt, und alle ihre Theile ohne Ausnahme, 
nach der Stellung des menfchlichen $eibes in derfelben, vor— 
ſtelt. 
J §. za x 
Wenn man fid) von der vorhergehenden Wahrheit 
überzeugt hat, fo fan man nun fehr Teiche begreifen, wie 
aus diefer Borftellungskraft der Welt, alle Vermögen der 
menſchlichen Seele, flieffen, Und zwar erſtlich was die 
Erfenntnißvermögen betrift, fo Fan man folgendergeftalt 
fohlieffen : Die menfchlihe Seele ftelt fich alles in der 
Welt, nach der Stellung des menfchlichen Leibes, vor 9. 
740. Alles, was in der Welt ıft, iſt entweder vergangen, 
oder gegenwärtig, oder zufünftig. Folglich ſtelt fich die 
3, Theil, Ge menſch⸗ 


434 Von der Natur der menfchlichen Seele. 


menfchliche Seele erftlich alles Gegenwärtige vor, das ift, 
fie empfindet, und hat alfo ein Vermögen zu empfinden, 
oder Sinne $. 528. 530. Die Empfindungen der menfch- 
lichen Seele find Borjtellungen aller Dinge in der Welt, 
welche mit ihr in dem Augenblicke zugleich da find, wenn 
fie empfindet, und zwar find diefe Vorstellungen mehr oder 
weniger deutlich, verworren oder dunkel, nachdem ihre Ge— 
genftände fich gegen den menfchlichen Körper verhalten. 
Zum andern ftelt fi) Die menfchliche Seele, alles Vergan— 
gene in der Welt, vor. Folglich bat fie Einbildungen, 
und eine Einbildungskraft $. 555. Die Einbildungen der 
Seele find die Borftellungen aller derjenigen Theile der 
Melt, welche vor dem gegenwärtigen Augenblicke, da die 
Seele diefe Einbildungen hat, vorhergegangen find, und 
zwar find diefe Borftellungen mehr oder weniger deutlich, 
verworren und Dunfel, nachdem fich ihre Gegenftände der 
Stellung nad) gegen den menfchlichen Körper verhalten. 
Drittens ſtelt fich die menfchlihe Seele alles Zukünftige 


vor, und fie bat alfo Vorherſehungen, und ein Borherfes - 


hungsvermögen $. 598. Die Borherfehungen der menfch- 
lichen Seele find alfo Borftellungen aller derjenigen Dinge 
in der Welt, welche auf denjenigen Augenblic, in welchem 
die Seele diefe Borberfehung bat, folgen, und zwar find 
diefe Borftellungen mehr oder weniger deutlich, verworren 
und dunfel, nachdem fich ihre Gegenjtände der Stellung 
nach gegen den Körper verhalten. Und eben fo koͤnnen wir 
mit leichter Mühe alle Diejenigen Erfenntnißvermögen, 
welche wir in der empirifchen Pfychologie in unferer eige— 
nen Seele beobachtet haben, aus der Borftellungskraft der 
Welt herleiten, und fie allen menfchlichen Seelen zufchrei: 
ben. Ich babe fchon in der empirifchen Pfnchologie, bey 
einem jedweden Erfenntnißvermögen, gewiefen, wie es aus 
der Borftellungsfraft der Welt flieffe. Und es Fan alfo 
nun ein jedweder felbft, von allen menfchlichen Seelen, eben 
fo wohl erweifen, daß fie Wis, Gedaͤchtniß, Scharfſinnig— 
keit u. ſ. w. befißen, als ich es jego von den Sinnen, von 

der 








Von der Natur der menfchlichen Seele. 435 


der Einbildungskraft, und dem Borherfehungsvermögen 
geriefen hab. Mur müffen wir, um der Gründlichkeie 
willen, zmweyerley wohl bemerfen. Einmal muß man ein 
Erfenntnißvermögen, und den Gebrauch defjelben, wohl 
von einander unterfcheiden. Aus unferer Art zu fchlieffen 
folgt nur, daß eine jedwede menfchliche Seele alle diejenige 
Erkenntnißvermoͤgen befiße, die ic) von meiner eigenen 
Seele aus der Erfahrung weiß. Demohnerachtet aber 
fan es viele menfchliche Seelen geben, denen der Gebrauch 
dieſes ober jenes Erfenntnißvermögens fehlt. Geſetzt daß 
ein Menfch blind gebohren fen, fo ift unleugbar, daß ihm 
der Gebrauch des Gefichts fehlt; allein daraus folgt noch) 
nicht, daß ihm das Vermögen zu fehen ganz und gar fehle, 
Zum andern verjteht man mehrentheils, durch ein Erfennt- 
nißvermögen, eine Möglichkeit, fich gewiffer Dinge bewußt 
zu werden, oder auf Diefelben achtung zu geben; daher fagt 
man, der Blinde Fan nicht fehen. In unferm Beweiſe 
aber müffen mir, durch ein Erfenntnißvermögen, über: 
haupt die Möglichfeit verftehen, etwas fich vorzuftellen, 
und wenn es auch gleich nur dunkel geſchieht. Folglich 
behaupten wir nicht, daß die menfchlichen Seelen, in Ab: 
ficht auf alle Dinge in der Welt, die fie fich dunkel vorftels 
len und vorftellen fönnen, folche Erfenntnifvermögen be: 
fisen, durch welche fie im Stande find, fich dertelben be— 
mußt zu werben. Ich habe an einem andern Orte be: 
hauptet, daß es noch mehr Sinne geben koͤnne, als wir 
Menfchen befisen, und daß es Creaturen geben koͤnne, wel: 
che mit denfelben begabt find. Das heißt nach unferer jeßis 
gen Erklärung fo viel, als wir Menfchen ftellen uns alle 
Gegenftände diefer Sinne vor, aber nur dunfel. # Weil 
mir uns aber ihrer nicht bewußt werden Fonnen, fo fagen 
wir, daß uns diefe Sinne fehlen, und mir fehreiben fie de— 
nenjenigen Creaturen zu, von welchen wir annehmen, daß 
fie vermögend find, fi) diefer Dinge bewußt zu. werden. 
Und eben fo Fan man ohne Nachtbeil unferes Beweiſes zu— 


Ee2 geben, 


46 Vaon der Natur der menſchlichen Seele. 


geben, daß es überhaupt noch mehrere Erkenntnißvermoͤ— 
gen gebe, als wir Menfchen befigen. 
—— 

Eben ſo leicht kan man erweiſen, daß alle menſchliche 
Seelen alle Begehrungsvermoͤgen beſitzen, die wir in unſe— 
ver eigenen Seele in der empiriſchen Pſychologie beobach— 
tet haben. ine Begierde beftehet darin, wenn die Vor— 
ftellungsfraft, durch eine Vorherſehung, und durch ein 
Dergnügen und Mißvergnügen, bejtimt wird, eine Vor— 
ftellung bervorzubringen, oder zu verbinden, Nun bat 
die menfchliche Seele alle Erfenntnißvermögen, die zu einer 
Begierde erfodert werden, die Borberfehungsvermögen, 
die Beurtheilungsfraft, das Dermögen anfchauender Er— 
fenntniß, und fie ift vermögend, Vergnügen und Mißver- 
gnügen zu empfinden $. 741. Folglich Fan fie Bewegungs— 
gründe haben. Nun ift fie eine Borjtellungskraft, und 
fan alfo Borftellungen würfen, und zwar nach Bewe— 
gungsgeünden. Könnte das legte niemals gefchehen, fo 
Fonnte fie. gar Feine Bewegungsgründe haben : denn das 
find eben folche Borftellungen, durch welche die Vorſtel— 
Iungsfraft zu handeln beftime wird. Folglich bat die 
menfchliche Seele ein Vermögen, nad) Bewegungsgründen 
ihre Kraft zu beftimmen, eine Borftellung hervorzubringen | 
oder zu verhindern, das ift, fie hat ein Vermögen zu be— 
gehren und zu verabfcheuen. Und da fie endlich und zufälz 
lig ift $. 739. fo müffen alle ihre Handlungen, alle ihre 
Begierden und Verabſcheuungen, zufällig feyn, desgleichen 
auch alle ihre Bewegunasgründe. Nenn fie alfo Bewe— 
gungsgründe hat etwas zu begehren, fo muß es wenigftens, 
wie wir vermöge unferer eigenen Erfahrung fehlieffen koͤn— 
nen, manchmal moͤglich feyn, daß fie diefe Bewegungs— 
gründe ändert, und ſich beftimmen koͤnne, daſſelbe zu ver- 
abfcheuen. Folglich Fan fie einige Handlungen thun und 
unterlafien, nach ihrem eigenen Belieben, und fie befißt 
alfo ein Willfübr $. 703. Es folgt diefes auch daher, 
weil fie ihren Körper willkuͤhrlich bewegen Fan $. Dr 

Wir 








Don der Natur der menfehlichen Seele, 437 


Wir fonnen demohnerachtet zugeftehen, daß es menfchliche 
Seelen geben fünne, in denen eine lange Zeit hindurch, kei— 
ne einzige woillführliche Begierde und Verabſcheuung, und 
gar Fein Gebrauch des Wiltführs angetroffen wird. Es 
ift genung, wenn man uns zugibt, daß das Willführ aller 
menfchlichen Seelen aus der Borftellungsfraft der Seele 
folge, und daß es Feine menfchliche Seele gebe, der das 
Willkuͤhr fchlechterdings widerſpricht. 


= 783. 

Wenn in einer Subftanz die Erfenntnißvermögen 
angetroffen werden, fo befißt fie auch Begehrungsvermo- 
gen $. 742. Wo alfo die finnlichen Erfenntnißvermögen 
find, da find auch die finnlichen Begehrungsvermögen, und 
wo Berftand ift, da ift auch der Wille 6. 686. Mum find 
alle menfchliche Seelen Geifter, und haben alfo Berftand 
6.738. Folglich haben alle menfhliche Seelen einen Bilz 
Ion, oder ein vernünftiges DBegehrungsvermögen. Alle 
menfchliche Seelen koͤnnen Bewegungsgründe haben $. 742. 
Und da fie Verſtand befißen, fo koͤnnen diefelben. deutlich 
und vernünftig ſeyn. Folglich Fan die Borfteflungskrafe 
der menfohlichen Seele durch deutliche Bewegungsgründe 
beftimt werden, und das heißt nichts anders, als: fie Fan 
vernünftig begehren und verabfiheuen $. 687. Und wenn 
man ſich nun überzeugt bat, daß alle menſchliche Seelen 
ein Willkühr befigen, fo ift es ſehr Teiche fich zu überzeu- 
gen, daß fie auch einen freyen Willen haben. Denn ha- 
ben fie ein Willkuͤhr, fo koͤnnen fie ofte eine Handlung thun 
oder unterlaffen nach eigenem Belieben, oder nach ihren ei— 
genen Bewegungsgründen. Da Diefelben nun, tie gleich 
jeßo erwiefen worden, deutlich) feyn koͤnnen: fo befißen alle 
menfchliche Seelen ein Vermögen, nac) deutlichen Bewe— 
gungsgründen manchmal eine Handlung zu thun oder zu 
unterlaffen, und darin befteht ja die Freyheit des Willens 
8.708. Wenn man fich von diefer Wahrheit vecht über- 
zeugen will, fo muß man das Schmere in diefem Beweiſe 
nicht bemaͤnteln. Nemlich zum Wilfführ und freyen Wil— 

Ee3 len 


433 Von der Natur der menfchlichen Seele: 


len einer denfenden Subſtanz ift nicht hinlänglich, daß fie 
nad) eigenen Bewegungsgründen, und nach eigenem ver- 
nünftigen Belieben begehren und verabfcheuen koͤnne; und 
diefes ift fehr leicht von allen menfchlichen Seelen zu erwei- 
fen, wie aus meinen bisherigen Unterfuchungen erhellet: 
fondern es muß auch erwiefen werden koͤnnen, daß es in 
dem Bermögen diefer Subſtanz ftehe, wenn fie etwas nad) 
DBewegungsgründen begehrt, eben vaffelbe zu verabfcheuen, 
und wenn fie etwas nach Bewegungsgründen verabfcheuet, 
eben dafjelbe auch zu begehren; oder daß fie nad) eigenem 
Belieben Handlungen thun, und unterlaffen koͤnne $.709. 
Nun Fan man diefes nicht gerade zu, aus der Zufälligfeit 
der menfchlichen Seele, fhlieffen. ine jedwede Mafchine 
in diefer Welt ift auch zufällig. Daraus folgt aber nicht, 
daß fie die Handlung, welche fie durch ihre Natur verrich— 
tet, auch durch eben diefelbe unterlaffen Eonne. Ja unfere 
Seele thut unleugbar Handlungen, welche bloß natürlich 
find $. 700. Und folte ſie dieſelben auch gleich nach deut: 
lichen Bemwegungsgründen verrichten, fo find fie dennoch, 
ihrer Zufälligkeit ohnerachtet, nicht frey, weil es nicht in 
der Gewalt der Seele fteht, fie zu unterlaffen. Wer ſich 
alfo überzeugen will, daß alle menfchliche Seelen ein Will- 
führe überhaupt, und infonderheit einen freyen Willen, be- 
fisen; der muß diefe Leberzeugung aus der Zufalligfeit al- 
ler Handlungen der menfchlichen Seele herleiten, wenn er 
Dabey feine eigene Erfahrung zu Nathe zieht. Ich weiß 
es aus meiner unleugbaren Erfahrung, daß meine Geele 
ofte eine Handlung zu thun und zu unterlaflen vermögend 
iit, Eben diefes bemerfe ich auch von allen erwachfenen 
Menfchen, die ich Fenne. Folglich gehört diefes nicht zu 
den einzeln Befchaffenheiten, die meiner Seele allein und 
ausfchlieffungsweife zukommen. Folglich müffen viele 
Handlungen aller dev Seelen, die mit der meinigen zu einer 
und eben derfelben Art gehören, gethan und gelaffen mer: 
den koͤnnen. Folglich haben, alle menfchliche Seelen, ein 
Willkuͤhr. Es wird diefes auch volllommen, durch den 

Dau 





| 


Von der Natur der menfchlichen Seele. 439 | 


Bau des menfchlichen Körpers, beftätiget. Es ift derfelbe 
eine Mafchine, die voller Gelenfe ift, und mit unendlich 
vielen ITriebfedern durchflochten ift. Es geben fo viele 
Sehnen in die Hände, daß eine Hand in die Höhe geho— 
ben und herunter gelaffen werden Fan, fie Fan zur Rechten 
und zur Linken, vorwärts und rückwärts bewegt werden 
u. ſ. w. Folglich ift der Körper fo eingerichter, daß er 
willführlic) bewegt werden fan. Und es müffen alfo, um 
der allgemeinen Harmonie der Dinge in der Welt willen, 
in den menfchlichen Körpern Seelen wohnen, die mit Willz 
Führ begabt find, | 


$. 744. 

Wir haben bisher erwiefen, daß alle menfchliche See- 
len Geifter und Perfonen find, und daß fie Verſtand und 
freyen Willen befisen. Folglich ift Feine menfchliche Seele 
möglich, welche gar feinen. Berftand und freyen! Willen‘ 
haben folte, und welche weder ein Geift noch eine Perfon 
wäre. Es fünnen demnach diefe Befchaffenbeiten von der 
menfchlichen Seele gar nicht getrennt werden, fondern e8 
find Eigenfchaften, oder wefentliche Stüce derfelben, die 
ihr auf eine fchlechterdings nothwendige Art zufommen $. 
66.67. &s ift wahr, der. Gebrauc) des Verftandes und 
des freyen Willens ift nicht nothwendig, und es Fan dem: 
nach menfchliche Seelen geben, wie z. &. Kinder und wahn⸗ 
mwißige $eute, welche Verſtand und Willen bloß als Ber- 
mögen, und alfo nur der Möglichkeit nach, beſitzen. Und 
von folchen menfchlichen Seelen fan man mit Recht fagen, 
daß fie, wenn man bloß auf ihre Würflichfeit, und auf 
die würfliche Befchaffenheit ihrer Erkenntniß und ihrer 
Begierden fieht, Feine würflichen Geifter find; oder daß 
fie nicht wuͤrklich, als Geifter und Perfonen, denfen, be— 
gehren und handeln. Allein wenn man die geiftige Mas 
eur, die Perfönlichkeit, den Berftand und den freyen Wil- 
len, als Bermögen betrachtet, fo find fie von ver menfch- 
lichen Seele fehlechterdings unzertrenlih. Es ift demnach) 


vollfommen ungereimt, wenn man eine menſchliche Seele 
Ee 4 den⸗ 


440 Von der Natur der menfchlichen Seele. 


denfen wolte, welche gar nichts deutlich erkennen, gar nicht 
frey handeln könnte, und welche gar Feine eigene Perfün- 
lichkeit beſaͤſſe. Wenn alfo die Gottesgelehrten fagen, daß 
die menfchlihe Seele Ehrifti feine eigene Perfönlichkeit 
babe; fo müffen fie mit dem Worte Perfon eine ganz ande: 
re Bedeutung verbinden, als wir damit verfnüpft haben. 
Und es wäre lächerlich, wenn man verlangen wolte, GOtt 
habe dem Adam entweder Feine Freyheit geben, oder die— 
felbe ihm nehmen follen, damit er nicht gefündiget hätte: 
denn es hieſſe diefes eben fo viel, als: GOtt habe etwas 
fhlechterdings unmogliches und ungereimtes thun ſollen. 


. 745. 

Die menfchliche Seele muß als eine einzige Subftanz 
betrachtet werden, Die nur eine einzige thatige, gefchäftige 
und lebendige Kraft befißt $. 738. allein fie befißt, viele 
derfchiedene Vermögen. Sie erfennt ja, begehrt und ver- 
‚abfcheuet, und wir wollen nicht einmal, auf die verſchiede— 
nen und mannigfaltigen Arten ihrer Erfenntniß und Be— 
gierden, jeßo Acht geben. Nun muß man in einer jedwe— 
ven Subftanz fo viele verfchiedene Vermögen annehmen, fo 
viele verfchiedene Handlungen man bey ihr beobachtet $. 
170. Erkennen, begehren und verabfcheuen, find von ein: 
ander verfchiedene Handlungen. Folglich ift, das Vermoͤ—⸗ 
gen zu begehren, ein anderes Vermögen der menfchlichen 
Seele, als das Vermögen zu erfennen. Es befigt dem- 
nach, die menfchliche Seele, viele von einander verfchiede- 
ne Bermögen, Da diefelben aber nichts anders als bloffe 
Möglichkeiten zu handeln find, fo würde man ſich einen ofa 
fenbar falfchen Begrif von der menfchlichen Seele machen, 
wenn man fich alle ihre Bermögen als von einander abge- 
fonderte, thätige und gefchäftige Kräfte, vorftellen wolte, 
welche in einander würfen. Mur die einzige Vorftellungs- 
kraft der Seele ift würffam, und verrichtet alle Handlunz 
gen derſelben. Die verfchiedenen Vermoͤgen der Seele 
aber find die verfchiedenen Arten, wie fich die Vorftellungs- 
kraft auf eine mannigfaltige Art aͤuſſern, und gefchäftig er- 
weifen 











Don der Natur der menfchlichen Seele. 4Am 


mweifen Fan. Es verhält fih auch fo in andern Fällen, 
Wenn z.E. gefagt wird, daß die Sonnenftralen weich ma— 
chen, trocknen, wärmen, erleuchten Fonnen, fo werden alle 
dieſe Veränderungen, duͤrch einerley Kraft, gewürft, Die 
verfchiedenen Vermögen der menfchlichen Seele flieffen, aus 
der einzigen Borftellungsfraft $. 741. 742. 743. und find 
——— Beſtimmungen derſelben, vermoͤge welcher ſie 

bald F bald jene Handlung verrichten kan. Wenn man 
alſo z. E. ſagt: der Verſtand des Menſchen wuͤrke in den 
Willen, und babe einen Einfluß in denfelben; fo fan man 
Diefe Kedensart, als eine uneigentliche Redeusart, und als 
einen lebhaften Ausdruck, gerne gelten laſſen. Allein ei— 
gentlich enthaͤlt ſie einen Irrthum, und wenn es ung ſcheint, 
als würfe der Berftand in den Willen, fo gefchieht nichts 
onders, als daß die einzige Vorftellungsfraft der Seele 
eine deutliche Erkenntniß würft, und dadurch beftimt wird, 
den Gegenftand, oder Die deutlich vorhererfante Empfin⸗ 
dung einer Sache, zu würfen, 

; $. 746. 

Man Fan von der menfchlichen Seele noch ein Ber: 
mögen bemweifen, welches eine grofle Schwierigkeit verur- 
facht, wenn man es aus der Borftellungskraft der Seele 
berleiten will. Nemlich die menfchliche Seele befist ein 
Vermoͤgen eine Bewegung hervorzubringen, und wir wol- 
Ien daſſelbe das Bewegungsvermoͤgen nennen. Die— 
ſes Vermoͤgen komt der Seele, auf eine doppelte Art, zu, 
Einmal in Abſicht auf ihren Körper, in welchen fie will- 
führliche Bewegungen hervorbringt 9. 737. Folglich hat 
die menſchliche Seele ein Vermoͤgen, etwas auſſ er ſich in 
Bewegung zu ſetzen, nemlich ihren Körper. Ja man fan 
ſagen, daß ſie zu den Bewegungen aller Dinge, die auſſer 
ihr in der Welt angetroffen werden, das ihrige beytrage. 
Denn ſie ſteht, mit allen uͤbrigen Subſtanzen in der Welt, 
in einem allgemeinen wuͤrkenden Zuſammenhange $. 442. 
Folglich haben alle Bewegungen in der Welt, und alfo 
auch Die Bewegungen ihres Leibes, in ihrer Kraft einen 

Gez Grund 


442 Von der Natur der menfchlichen Seele. 


Grund ihrer Wuͤrklichkeit. Und da es ihr alfo möglich: 


feyn muß, Dinge auffer fih in Bewegung zu feßen, fo be— 
figt fie unleugbar ein Berwegungsvermögen. Zum andern 
komt ihr, diefes Vermögen, auch in Abſicht ihrer felbft zu. 
Sie iſt ja eine einzelne Subftanz in diefer Welt, und be- 
findet fich alfo jederzeit an einem gewiſſen Orte $. 363. Ein 
jedweder Dre ift, als ein Berhältniß, veränderlich $. 129. 
Folglich Fan der Ort der Seele felbft verändert, das ift, fie 
Fan bewegt werden $. 223. Und da alle Bewegungen in 
der Welt in der Kraft der Seele, wie gleich jego gezeigt 
worden, gegründet find: fo hat die menſchliche Seele ein 
Vermögen, ſich felbit zu bewegen. So leicht als es ift, 
fih davon zu überzeugen, daß unfere Seele in der That 
ein folches Vermögen befiße; fo fehwer ift es, auf eine be- 
greifliche Art zu erflären, daß die Bewegungen, welche die 
Seele würft, durch ihre Borftellungsfraft gemürft werden, 
So viel ift gewiß, daß fie durch diefe Kraft gewuͤrkt wer- 
den. Alles was eine Subftanz thut, verrichtet fie durch 
ihre Kraft. Mun hat die Seele nur eine einzige Kraft, 
nemlich die Vorftellungsfraft, wodurch fie fich die Welt, 
nach der Stellung ihres Leibes in der Welt, vorftelt $. 738. 
Folglich müffen alle Bewegungen, welche die menfchliche 
Seele würft, durch diefe Vorftellungsfraft gewürft wer— 
den. Da aber, Bewegungen und Vorftellungen, fo him— 
melweit von einander unterfchieden zu feyn fcheinen; fo 
fheint es unmöglich zu ſeyn, Daß beyde durch eine und eben 
diefelbe Kraft folten fönnen geroürfe werden. Ob ich mir 


nun gleich nicht getraue, dieſe Sache völlig zu erflären, fo. 


Fan man es fich doch einigermaffen begreiflich machen, wie 
die Borftellungsfraft Bewegungen bervorbringen koͤnne. 
Memlich die Seele bat, in einem jedweden Augenblicke, 
eine Borftellung der ganzen Welt, nach der Stellung ihres 
teibes, und nad) ihrer eigenen Stellung $. 369. 735. Folg- 
lich ift, die jedesmalige Vorftellung der ganzen Welt in 


der Seele, in dem dermaligen Drte ihres Leibes und ihrer ! 


felbft, als in ihrem Gefichtspuncte, gegruͤndet. Wenn 
nun 











Don der Natur der menfchlichen Seele. 443 


nun dieſe Borftellung der ganzen Welt geändert wird, fo 
muß aud) ihr Grund, oder der Ort des Seibes und der 
Seele, geändert, und alfo muß der Leib und die Seele be- 
wegt werden $. 206,  Mun ändert fi, die Borftellung 
der ganzen Welt in der Seele, beftändig S. 739. Folg— 
lich muß auch der Gefichtspunct beftändig verändert, und 
die Seele beftändig bewegt werden. {indem alfo die Seele 
durch ihre Vorftellungskraft, ihre Vorſtellung der ganzen 
Welt, beftändig verändert; fo verändert fie auch durch dieſe 
Kraft beftändig ihren Gefichtspunet, das ift, ihren Dre, 
und den Ort ihres Leibes. Es ift demnach flar, daß die 
Seele durd) ihre Borftellungsfraft nicht nur ſich felbft, fon- 
dern auch ihren $eib bewege. Solte nun gleich diefe Be— 
trachtung nicht zureichen, völlig zu erklären, wie es zugebe, 
daß durch eine Borftellungskfraft Bewegungen entitehenz 
fo wird fie doch zureichend feyn, zu zeigen, daß es der Bors 
ſtellungskraft nicht fchlechterdings widerfpreche, wenn man 
annimt, Daß durch fie Bewegungen gemwürft werden, 
. 747 
Nun find wir im Stande, ung einen richtigen Be: 
grif, von dem Wefen und der Natur der menſchlichen See— 
le, zu machen. Nemlich die menfchliche Seele ift eine 
Borftellungskraft, welche fi) die Welt, nach) der Stel: 
lung des menfchlichen Leibes, eines Theils deutlich vorftelt 
S. 735. Diefe Kraft ift die Subftanz der menfchlichen 
Seele, und die menfchliche Seele felbft im Ganzen be- 
trachtet. Nun ift das Wefen eines jedrveden Dinges fei- 
ne imnerliche Möglichkeit $. 51. Folglich ift das Weſen 
der menfchlichen Seele das Erfenntnißvermögen, fi) 
die Welt, nad) der Stellung des menfchlichen $eibes, eines 
Theils deutlich vorzuftellen $. 173. Und da die Natur ei- 
nes jedweden Dinges, der Inbegrif aller innerlichen Be— 
ftimmungen deffelben ift, welche Die Urfachen feiner Hand- 
lungen und $eiden find $. 396. fo beſteht, die Natur der 
menfchlichen Seele, in dem Inbegriffe aller innerlichen 
Beftimmungen ihrer Borftellungsfraft der Welt, in fo 
ferne 


444 Von der Natur der menfchlichen Seele, 


ferne fie durch die Stellung des menfchlichen Leibes in der 
Welt eben fo und nicht anders beftime find. Wir haben 
ja bisher gewiefen, daß aus dieſen Beftimmungen die 
Wuͤrklichkeit aller Borftellungen, Begierden und Bewe- 
gungen, flieffen, welche die Seele würft $. 740-746. 
Folglich) haben wir uns überzeugt, daß in diefen Beftim- 
mungen, in der That, die Natur der menfchlichen Seele, 
beſtehe. Wir rechnen alfo, zu diefer Natur, nicht nur 
das Wefen der Seele als einen Theil, fondern auch alle 
Erfenntnißvermögen, alle Begehrungsvermögen, famt 
dem Bewegungsvermögen, wie auch alle befondere wuͤrk⸗ 
liche Beftimmungen und zufällige Befchaffenheiten, welche 
die Borftellungsfraft der menfchlichen Seele, durch die be- 
fondere Stellung des menfchlichen Leibes in der Welt, er- 
hält. Einem jedweden nachdenfenden Leſer muß, gleich 
auf den erften Blick, Flar feyn, daß ein Menfch, dem die: 
fe Natur einer gewiſſen menfchlihen Seele völlig befannt 
wäre, im Stande feyn würde, vollfommen einzufehen, 
warum diefe Seele die Welt fich eben fo und nicht anders 
vorſtelt, warum eben diefe und Feine andere Borftellungen 
in ihr mehr oder weniger Elar find, warum fie eben diefes 
und nichts anders begehrt, Furz, warum eben diefe und 
Feine andere natürlichen Veränderungen in ihr würflich 
find. Ob wir nun gleich Feine Hofnung haben, irgends 
einmal, zu einer fo. vollftandigen Erkenntniß der Natur 
irgends einer menfchlichen Seele, zu gelangen: fo beftati- 
get doch diefe Betrachtung, daß wir den wahren Begrif 
der Natur der menfchlihen Seele angenommen haben, 
Einige Weltweife fagen, daß, die Borftellungsfraft der 
Welt felbft, die Natur der menfchlichen Seele fen. Al— 
Yein diefe Kraft ift die Seele, und enthält alfo die Natur 
der Seele in ſich, fie ift aber nicht felbft diefe Natur, Und 
wenn einige fagen, daß das Wefen der Seele in diefer 
Kraft beftebe, fo ift es ein gefährlicher Irrthum, wenn 
man das Wort Wefen bier in derjenigen Bedeutung nimt, 
welche wir ihm in der Ontologie bengelegt haben, Mad) 

Dies 





Von der Natur der menfchlichen Seele. 445 


diefer Bedeutung ift, das Werfen, fchlechrerdings noth— 
wendig. Die Borftellungsfraft der Welt aber, oder die 
‚Seele felbft, ift ein zufälliges Ding $. 739. 





. 743. 

Alles demnach, was in der menfchlichen Seele durch 
hre Vorſtellungskraft, vermöge ihrer verfchiedenen Ver— 
mögen, nach der $age ihres Leibes, und nach den Gefegen 
aller ihrer Vermoͤgen, mwürflich wird, ift in der menfch- 
lichen Seele natürlich, oder es ift in ihr nicht überna- 
türlih $..406.. So ift ein Traum natuͤrlich, wenn ihn 
die Seele felbft, nad) den Gefegen der Einbildungsfraft, 
des Dichtungsvermögens u. f. w. würft. Selbſt die 
frenen Handlungen der Seele find, nach diefer eigentlichen 
Erklärung des Worts, natürliche Handlungen. Und man 
wuͤrde auf eine findifche Art mit dem Worte fpielen, wenn 
man die freyen Handlungen niche für natürlich halten 
wolte, weil fie nicht bloß natürlich find $. 700. Denn 
durch bloß natürliche Handlungen verfteht man nicht 
natürliche Handlungen überhaupt, fondern nur folche 
natürliche Handlungen, die zugleich natuͤrlich nothwendig 
find. Alles was nun in der menfchlichen Seele natürlich 
ift, und auf andere natürliche Veränderungen derfelben 
folgt, das erfolgt nach dem Laufe der Natur in der 
menfchlichen Seele. Und was nad) diefem Laufe er: 
folgt, famt allen denjenigen natürlichen Veränderungen, 
welche in der Seele neben andern natürlichen Veraͤnderun⸗ 
gen zugleich da find, das gefchieht nach der Ordnung 
der Natur in der menfchlichen Seele $. 410. 411. 412, 
Es giebt demnach einen Lauf und eine Drdnung der Natur 
in der menfchlichen Seele, welche wir durch Die ganze 
Pſychologie bisher haben Fennen lernen. Wenn z. E. das 
färfere Licht in der Seele das ſchwaͤchere verdunfelt, fo 
gefchieht Diefes nach der Ordnung der Natur der menfchli- 
chen Seele, und es gefchieht nad) dem Laufe ihrer Natur, 
wenn auf ein Bergnügen eine Begierde erfolgt, oder wenn 
eine Empfindung und $eidenfihaft nach und nach mic der 
Zeit 


I) 





446 Von der Natur der menfehlichen Seele. 


Zeit abnehmen. Im Gegentheil würde eine Veraͤnde— 
rung in der menfchlichen Seele unnatuͤrlich feyn, wenn 
fie durch die Kraft der Seele, nad) den Gefegen ihrer 
verfehiedenen Vermögen nicht hervorgebracht würde; und 
wenn fie noch dazu auch nicht, Durch die Natur irgends 
eines andern endlichen Dinges, gewürft würde, fo wäre fie 
in der menfchlichen Seele übernatürlich $. 413. Es 
ift ungemein nüßlid), wenn man alles, was wir in der Coſ— 
mologie von dem Natürlichen, Unnatürlichen und Ueber— 
natürlichen, bemerft haben, auf die menfchliche Seele an- 
wendet: denn das ift der einzige Weg, auf welchem man 
den Unglauben und den Aberglauben vermeiden fan. Es 
giebt Maturaliften, welche eben deswegen alles übernatür- 
liche in der menfchlichen Seele leugnen, weil fie die Na— 
fur derfelben fo wenig fennen. Es giebt aber auch Schwär: 
mer und Abergläubifche, welche eben um diefer Urfach wil- 
len vieles für übernatürlich in der Seele halten, fo doch fehr 
natürlich it. Wer Matur und Gnade, das Natürliche 
und Uebernatürliche in der menfchlichen Seele, von einan= 
der unterfcheiden will, der muß die Kräfte ver Seele recht 
genau kennen. Und da fich, aller diefer Erkenntniß ohn— 
erachtet, Fein Menfch rühmen Fan, daß ihm in der Natur 
der Seele nichts mehr unbefannt fey; fo wird fich niche 
einmal der bejte Kenner der menfchlichen Seele rühmen, 
daß er allemal im Stande fey, Natur und Gnade von ein- 
ander zu unterfcheiden. Was foll man alfo von denen 
geuten fagen, welche Faum miffen, daß fie eine Seele haben, 
welche fih um ihre Kenntniß gar nicht befümmern, und 
welche die Weltweißheit fo fehr verachten, daß fie fich gar 
nicht einmal die Mühe nehmen, die Pfychologie zu unter: 
fuchen, und welche ihrer tiefen Unwiſſenheit ohnerachtet fich 
unterfangen, zu beftimmen, was in ihnen oder andern 
Menfchen die Natur oder die Gnade thut. Solche Leute 
werden, durch ihre erbarmliche Unmiffenbeit, verleitet, daß 
fie einen jeden andächtigen Gedanfen, eine jede gottesfuͤrch— 
tige Begierde, und wohl gar eine jede andächtige Träume: 

tey 








Don der Natur der menfchlichen Seele. 447 


rey für eine übernatürlihe Würfung der Gnade GOttes 
halten. Ja fie. geben wohl gar vor, Daß fie es vecht fühlen, 
wie der Geift GOttes in ihrer Seele gefchäftig fey. 


. 749% 

Das Wort natürlich ift, in allen Wiflenfchaften, ei- 

‚ner erftaunlichen Zweydeutigkeit unterworfen, fonderlich 
wenn es von der menfchlichen Seele gebraucht wird. In 
dem vorhergehenden Abfage habe ich diefes Wort, in feiner 
eigentlichen Bedeutung, genommen, Damit man aber 
die Wortftreitigkeiten in allen Fällen, wo diefes Wort ge- 
braucht wird, defto beſſer vermeiden koͤnne; fo will ich noch 
einige der vornehmften Bedeutungen anmerfen, welche die- 
fes Wort manchmal befomt. — Einmal verwechfelt man 
ofte, einen Theil der Natur der menfchlichen Seele, mit 
der ganzen Natur, und nennt nur dasjenige natürlich, was 
nur durch einen Theil der Natur gewürft wird. So ma- 
chen es manche Gottesgelehrte. Die Erbfünde ift ein Theil 
unferer Natur, und wenn fie von natürlichen Werfen der 
Menfchen reden, fo verftehen fie darunter bloß die Hand- 
lungen der Menfchen, die aus der Erbfünde flieflen, oder 
in fo ferne fie aus derfelben flieffen. Daher wollen fie den 
Naturwerken gar feine Rechtmäßigkeit zufchreiben, und 
wenn man ihren Worten glauben folte, fo ift die Natur 
der menfchlichen Seele ein fo vollfommenes Scheufal, daß 
fo gar ihre Tugenden nur glänzende Safter find. Zum an- 
dern giebt es gewiſſe befondere Beltimmungen, zufällige 
Befchaffenheiten, und Zuftande der Natur, welche einen be- 
fondern Namen befommen haben. Wasnun aus der Na— 
tur der Seele fließt, in fo ferne fie auf eine gewiſſe beſon— 
dere Urt beftimt, und eingerichtet ift, und in fo ferne fie 
ſich in einem gewiſſen befondern Zuftande befindet, das be- 
komt einen gemiffen befondern Namen, und das übrige 
Natuͤrliche wird fehlechtweg natürlich genennt. 3. E. 
was uns angebohren wird, heißt manchmal ſchlechtweg 
natürlich, weil dasjenige Natürliche, was wir nach und 
nach durch unfere Handlungen wuͤrklich machen, etwas er— 
lang: 


448 Von der Natur der menfehlichen Seele. 


Tangtes genennt wird. Die angebornen Rechte beiffen na— 
türliche Dechte, und das Recht über ein Haus, welches 
man Fauft, beißt ein erfangtes Recht. Das Natürliche 
heißt manchmal dasjenige, was nicht Fünftlich ift, weildas 
Künftlihe, durch einen befondern regelmäßigen Gebrauc) 
unferer Kräfte, bervorgebracht wird. In dem gefellfchaft- 
lichen Zuftande entjtebt ein gewiffer Zuftand unferer Natur, 
und was alfo auch auffer dem gefellfchaftlichen Zuftande in 
uns natürlicher Weiſe ftat findet, das nennt man fchlecht- 
weg natürlich. Man fagt, die Gewohnheit fey die andere 
Natur, und daher nenne man dasjenige natürlich, was 
nicht von den Gewonheiten abhanget. Desgleichen nennt man 
auch natürlich, was nicht willführlich ift. Unterdeffen ſieht 
ein jedweber, daß das Erlangte, Gefellfchaftliche, Willführli- 
che, Künftliche u. ſ. w. ebenfals etwas Natürliches ift, wenn 
es anders nicht ein Wunderwerf ſeyn fol. in verftändiz 
ger Menſch Fan, bey den zweydeutigften Wörtern, fehr leicht 
den Wortſtreit verhüten, wenn er fi) nur die Mühe giebt, 
ſich mit feinem Gegner, über der Bedeutung derfelben, zu 
verſtaͤndigen. 
$. 750. 

Wenn einige Weltweiſe von der Natur der menſchli— 
chen Seele handeln, und fragen, worin dieſelbe beſtehe? 
fo halten fie ee für ganz unentbehrlich, bey der Beant- 
wortung diefer Frage zu unterfuchen, ob die Seele einfach 
fey, oder nicht, ob fie eine Materie fen, oder ob fie Feine 
Materie fey ? Einige bilden ſich wohl gar ein, daß man fo 
lange gar nichts, oder fehr wenig von der Matur der 
menfchlichen Seele verftehe, bis man nicht ausgemacht ha- 
be, daß fie entweder eine einfache oder materielle Subſtanz 


fey. Allein es nutzt uns, bey der Unterfuchung der Natur _ 


der Seele, fehr wenig, wenn wir uns in dieſe Unterfüs 
hung einlaffen, Man mag entweder annehmen, daß die 
Seele einfach fen, oder materiel, fo koͤnnen wir in benden 
Fällen, mit gleihem Vortheil und mit gleicher Schwie— 
rigkeit, die Vermögen und Kräfte der Seele, ihre Erfennts 


niß 






| 
| 


Von der Natur der menfchlichen Seele, 449 


niß ihre Begierden, und die mannigfältigen Veraͤnderun— 
gen derfelben erklären, Folglich iſt es in unferer Erkennt— 
niß, und in unfern Unterfuchungen der menfchlichen Seele, 
vergeblich, wenn man annimt, daß fie einfach, oder daß 
fie materiel fey. Das einzige: was bier in Betrachtung 
gezogen werden Fan, beſteht darin: ob der Materialifmus, 
in Abficht auf die Lehre von der Unfterblichkeit der Seele, 
gefährlich fey. Ich habenemlich in der Onkologie fo wohl, 
els auch in der Coſmologie, die Gründe überhaupt angeführr, 
warum ich die Lehre von den einfachen Dingen in meiner 
Metaphyſik mie Stillfehweigen übergehe. Folglich Fan 
ich mic) bier in gar Feine Unterfuchung über die Frage 
einlaffen, ob die menfchliche Seele einfach oder marteriel 
fey? Damit nun niemand denfe, als räumfe ich den Ma- 
ferialifmus, der doch ein fo gefährlicher Serebum fen, niche 
aus dem Wege; fo will ich zeigen, daß der pfychologt- 
ſche Materialiſmus, oder die Meinung, daß die Seele 
ein materielles, Förperliches, zufammengefegtes Dina fen, 
gar nicht zu den gefährlichen Irrthuͤmern der Menfchen 
müfle gerechnet werden, Ich habe fehon $. 361. erwiefen, 
daß dev Materialifmus überhaupt in vielen Stuͤcken, die 
ihm zur Saft gelegt werden, ohne alle Gefahr koͤnne an: 
genommen werden. And es ift alfo hier weiter nichts nö- 
thig, als zueigen, daß der pſychologiſche Materialift nichts 
behaupte, welches der Linfterblichfeit ver Seele nachtheillg 
fenn Fonne, Man rechnet auch diejenigen zu den Mates 
tialiften, welche die menfchliche Seele für Feine Subſtanz, 
fondern für ein bloſſes Accidenz des Körpers halten. Al: 

lein diefe Weltweife irren handgreiflich, weil wir mit Ge— 
wißheit eriwiefen haben, daß die Seele eine Subftanz fey, 
‚und folglich Fan fie fein bloffes Accidenz des Körpers ſeyn. 

Uebrigens aber fan es uns hier gleichviel gelten, ob der 
Meaterialift die menfchliche Seele für einen materiellen Aro- 
mus hält, und ein folcher Atomus ift überhaupt eine Chi— 

märe $. 394. oder für eine mehr oder weniger fubtile Ma: 
terie. Se viel ift alfo klar, daß einmal aus dem Mate: 

3, Theil, Sf ria⸗ 


450 Bon der Natur der menſchlichen Seele. 


rialifmus folge, daß die Seele fterben fonne. Denn alle 
Materie in diefer Welt ift zufällig, und Fan folglich ihre 
Wuͤrklichkeit verliehren. Es muß demnach eine materielle 
Seele zu feyn aufhören, und fterben fönnen, Allein eben 
Diefes muß auch derjenige behaupten, welcher die Seele für 
eine einfache Subftanz hält. Gie ift dem ohnerachtet zus 
fällig, und Fan dennod) fterben, Zum andern muß ein 
pſychologiſcher Materialift behaupten, die Seele koͤnne 
durch die Berwefung untergehen und fterben. Nemlich 
die Verweſung eines Dinges befteht, in dem Untergan— 
ge deffelden durch eine Zertheilung; oder wenn die Theile 
aufier Theile von einander getrennt werden, und Das Ding, 
welches aus ihnen zufammengefegt war, dadurch untergeht, 
jo verweſet dafjelbe Ding. So vermwefer der menfchliche 
Körper nad) dem Tode, indem er zertheilt wird, indem 
feine auffer einander befindlichen Theile von einander fallen, 
und von einander getrennt werden, und eben fo verfaule 
das Holz u. ſ. w. Weil nun eine jedwede Materie theil- 
bar ift $. 392. fo muß ein pſychologiſcher Materialift noth— 
wendig behaupten, daß die menfchliche Seele verwefen, und 
Durch die Verweſung untergehen und fterben fünne, Der 
ganze Unterfchied eines Materialiften und eines Weltwei— 
fen, welcher die Seele nicht für materiel halt, befteht alfo 
in dieſem Puncte nur darin, daß, da beyde die Geele für 
ferblich halten müffen, der erfte eine Art des Todes bey der 
menfchlichen Seele für möglich hält, die der andere, weil 
er fie für einfach hält, als fehlechterdings unmöglich anficht. 
Alnterdeflen Fan doc) der Materialift daraus nicht fehlieflen, 
daß die Seele würflic) verwefen werde, Wolte er fagen, 
die menfchliche Seele beftehe aus einer eben fo groben Ma— 
ferie als der Körper, und werde alfo im Tode durch eben 
die Urfachen aufgelöft, durch welche ver Körper in Verwe— 
fung gebt: fo erwartet ınan, bis diefe Stunde noch vergebs 
lich, den Beweis diefes ganz willführlichen Einfals. Wer 
die Lehre von der Unfterblichfeie der Seele gründlich unter: 
ſucht, der weiß, daß das ewige Leben der Seele, und * 

unauf⸗ 





Don der Natur der menfchlichen Seele. 451 


unaufbörliche Fortdauer, von der Erhaltung und dem 
Rathſchluſſe GOttes abhange. Da nun GDtr eben fo 
wohl eine Materie ewig erhalten fan, als eine einfache 
Subſtanz; fo Fan fi) ein Materialift eben fo leicht, durch 
eben die Grundfäge, von der Unfterblichfeit und dem ewis 
gen $eben der menfchlichen Seele, überzeugen, als derjenige, 
welcher die Seele für einfac) hal, Es ift demnach) der 
pfuchologifche Materialifmus, feiner Natur nach, ein fehr 
unfchuldiger Syerthbum, und man Fan es daher eineg jedwe— 
den eigenen Belieben anheim ftellen, ob er fich in die Uns 
terfuchung Diefer Sache einlaffen will, oder nicht, 


N 

Es ift fehlechterdings unmöglich, daß ein endliches 
Ding in ein unendliches folte verwandelt werden koͤnnen. 
Denn ein endliches Ding ift zufällig $. 193. und ein unende 
liches ift zugleich das nothwendige Ding $. 192, Folglich 
müfte, durch diefe Berwandelung, etwas zufälliges in et— 
was ſchlechterdings nothwendiges verwandelt werden, Das 
Gegentheil des Zufälligen ift an fich möglich, aber das Ge— 
gentheil des fchlechterdings nothwendigen ift an fich unmögs 
lich $. 104. 106. Folglich müfte, bey diefer Verwan— 
delung, das Gegentheil des Dinges feine innerlihe Möge 
lichfeit verliehren und fchlechterdings unmöglich werden, 
Allein die innerlihe Möglichfeie ift ſchlechterdings nothwen— 
dig, und unveränderlic) N 108. 126. Was alfo einmal 
innerlich moͤglich ift, das bleibt ewig und unveränderlich 
auf diefe Art möglih. Und wenn ein Ding demnach eins 
mal endlich und zufällig ift, fo bleibe fein Gegentheil bes 
ftändig innerlich) möglich, und es bleibe alfo felbft unverän: 
derlich, zufällig und endlich. Und es ift daher ungereimt zu 
fagen , daß ein endliches Ding in ein unendliches verändert 
werden Fonne. Das Endliche hat allemal gewiffe weſent⸗ 
liche und unveränderlibe Schranfen, welche ihm müften 
genommen werden, wenn es unendlich werden folte, und 
biefes zu behaupten ift offenbar abgeſchmackt. Nun ift, die 
menſchliche Seele, ein endliches und zufälliges Ding $. 739» 
Sf Folg⸗ 


452 Von der Natur der menfchlichen Seele. 


Folglich iſt es ſchlechterdings unmöglich, daß ſie ein unend⸗ 
liches Ding werden ſolte. Die Vergoͤtterung iſt die 
Verwandelung eines Menſchen, oder einer menſchlichen 
Seele, in ein unendliches Ding. Undes ift demnach Flar, 
daß die Vergoͤtterung unmoͤglich ſey. Kein Menſch Fan vers 
göttert werden, Wenn man, die DBergötterungen 
der Menfchen im Heydenthume und im Pabftthume, als 
Berwandelungen der Menfchen in wahrhaftig unendliche 
Wefen betrachtet; fo find es offenbare Ungereimtheiten. 
Wenn aber darunter die Berfegung der Menfchen unter die: 
jenigen Wefen verftanden wird, die zwar endlich find, 
deren fich aber die höchfte Gottheit bedienet, um die Welt 
zu regieren, und weldye daher eine ausnehmende Verehrung 
verdienen: fo Fan man fie durch diefen Satz, den ich jeßo 
ertviefen habe, nicht widerlegen, Und wenn ein Ehrift 
glaubt, daß der Menfh JEſus, und fonderlich feine Seele, 
durch Die Bereinigung mit der Gottheit, wahrhaftig uns 
endlicy geworden, und in der That unendliche Vollkom⸗ 
menbeiten eigenthuͤmlich überfommen habe: fo behauptet 
er in der That, daß die Menfchheit Chrifti vergöttert wors 
den, und er behauptet alfo einen groben und abfcheulichen 


Irrthum. 


$. 752. 

Alte endlihe Dinge koͤnnen, philofophifh und mas 
thematifch, erfannt werden $. 191. Nun ift, erftlich, vie 
menfchliche Seele ein endliches und zufälliges Ding $. 39. 
Folglich Fan fie philofopdifh und mathematifch erkannt 
werden, und es ift demnad) die Pſychologie eine mögliche 
Wiſſenſchaft. In diefer Wiffenfchaft unterfucht man ja die 
Befchaffenheiten und Gröffen der menſchlichen Seele, ihrer 
verfchiedenen Kräfte und Veränderungen, auf eine vernünfs 
tige und philoſophiſche Art, und es irren demnach diejenigen 
gewaltig, welche die Pfychologie überhaupt fürein unmoͤg⸗ 
liches Unternehmen anfehen. Zum andern, ift der menfchs 
liche Körper, wie alle Körper, ein endliches und zufälliges 
Ding, Sofglich Fan er ebenfals philoſophiſch und Ms 





Don der Natur der menfchlichen Seele. 453 


matifch unterſucht werden, und alle diejenigen Wilfenfchaf: 
ten, welche diefe Unterfuchungen zur Abfiche haben, find 
möglihe Wiffenfchaften. Und da nun, driftens, der 
Menſch aus einer menfchlicdyen Seele, und aus einem 
menfchlichen Körper beftehtz fo beſteht er aus zwey endli- 
chen und zufälligen Theilen, und ift alfo felbft ein endliz=, 
ches und zufälliges Ding. Folglich Fan der Menfch, phiz 
loſophiſch und mathematiſch, erfannt werden. Die An- 
thropolsgie ift die Wiflenfchaft von dem Menfchen, und 
fie ift eritiweder eine philofophifche, oder machemati- 
ſche Anthropologie. Jene unterſucht die Beſchaffen⸗ 
heiten des Menſchen auf eine gelehrte Art, und dieſe ſeine 
Groͤſſen. Die allgemeine Anthropologie beſchaͤftiget ſich 
mit ſolchen Unterſuchungen, die alle Menſchen betreffen; 
die beſondere aber unterſucht die Beſchaffenheiten der ver 
ſchiedenen Arten der Menſchen, z. E. die Charactere der ver⸗ 
ſchiedenen Voͤlker. Dieſe Wiſſenſchaften ſind alſo insgeſamt 
moͤglich, und wenn man ſie auf einen einzelnen Menſchen 
anwendet, z. E. auf ſich ſelbſt, ſo entſteht daher die Kennt— 
niß der Menſchheit, ſo wie ſie in dieſem oder jenem einzeln 
Menſchen insbeſondere beſchaffen iſt. Die Anthropologie, 
oder die Lehre von dem Menſchen, iſt fuͤr uns die allernoͤ— 
thigſte, wichtigſte, fruchtbarſte und nuͤtzlichſte Wiſſenſchaft, 
welche uns zu der Selbſterkenntniß verhilft, ohne welcher 
mir auf keinerley Art gluͤckſelig werden koͤnnen. Daher 
man mit Recht ſagen kan, daß alle unſer Wiſſen billig an— 
thropologiſch ſeyn muͤſſe. Die ganze Pſychologie iſt ein 
Theil der Anthropologie. Nun iſt nicht zu leugnen, daß 
nichts ſchwerer zu erkennen ſey, als der Menſch, und daher 
iſt eine Wiſſenſchaft noͤthig, welche man die Anthropo⸗ 
gnoſie nennt, welche die Kegeln enthält, die man beob« 
achten muß, wenn man den Menfchen will kennen lernen, 
Und es wäre zu wuͤnſchen, daß diefe Wiſſenſchaft 
recht angebauet würde. 


515 Das 


454 Von den Derhältniffen der menfchlichen Seele 
Das andere Capitel, 


von den 


Verhaͤltniſſen der menſchlichen Seele gegen an⸗ 
dere Dinge in der Welt. 


§. 753. 
CE ie menfchliche Seele iſt, als ein endliches wuͤrkliches 
Ding $. 739. ein Theil diefer Welt $.292. Folglich 
ift fie, auffer und neben den übrigen Subftanzen und Din- 
sen, in der Welt würflih, und macht mit ihnen zufams 
imengenommen die ganze Welt aus. indem fie alfo mits 
sen unter den übrigen endlichen Dingen vor ſich wuͤrklich ift, 
jo hat fie in der Welt einen beftimten Ort, und ſteht gegen 
alle übrige Dinge auffer ihr in gewiſſen Berhältniffen S. 363. 
Nun fommen, auffer einer jedweden menſchlichen Seele, 
in dieſer Welt zuerft die übrigen menfchlihen Seelen zu 
betrachten vor, und da wollen wir nicht nur bemerken, daf 
eine jedwede menfchliche Seele, mit allen übrigen menſch⸗ 
lien Seelen, doc) in verfchiedenen Graden, ‚verbunden 
ſey $. 319. fondern daß auch alle menfchliche Seelen eines 
Theils von einander verfchieden find, andern Theils aber 
auch eine allgemeine Aehnlichkeit und Gleichheit mit einans 
der haben $. 201. 208» 217. Folglich find, erftlich, alle 
menfchliche Seelen von einander unterſchieden, fie find 
ſaͤmtlich einander unaͤhnlich und ungleich. Es ift demnach 
ſchlechterdings unmöglich, daß es auch nur zwey menſchli⸗ 
che Seelen geben folte, die vollfommen einerley Erfennts' 
niß und Degierden haben follen. Alle Menfchen find ein- 
ander, in allen ihren Empfindungen, Einbildungen, 
DBeurtheilungen, Bewegungsgründen, in allen Arten ihrer 
Vorftellungen und DBegierden, unähnlid und ungleid) ; 
fo viel Köpfe, fo viel Sinne, Und wer fan alfo verlan— 
gen, daß ein anderer eben fo denfe und gefinnt fern folle, 
als er ſelbſt? Eine jedwede menfchliche Seele befindet fid) 
ja an einem andern Orte, als eine jedwede andere. Und E 
ie 


gegen andere Dinge in der Welt. 455 


fie fich alfo die Welt aus einem andern Gefichtspuncke vor« 
ftelt, als eine jediwede andere; fo muß fie aud) in allen ihr 
ren Borftellungen, Begierden und Veränderungen, etwas 
ihr eigenes haben, wodurch fie von allen übrigen menfchlis 
chen Seelen verfchieden iſt. Unterdeſſen ift eine menfchli: 
che Seele von der andern immer mehr verfchieden, als 
von einer andern, und folglid fan und muß es einige 
menfchliche Seelen geben, unter welchen eine fo groſſe Ver— 
fchiedenheit angetroffen wird, als nur irgends zwifchen Din- 
gen von einerley Art flat finden fan. Ja dieſes Fan gar fo 
weit geben, daß die Verſchiedenheit einiger menfchlichen 
Seelen fo groß ift, daß man vor derfelben ihre Aehnlichkeit 
Faum merfen fan. Und dag beftätiget auch die Erfahrung. 
ie erftaunlich verfchieden ift nicht Die Denfungsart und 
Gefinnung eines Hottentotten, eines wilden Ymericaners, 
von der Denfungsart und Gefinnung eines Europäers ? 
Kaum folte man glauben, daß fie Dinge von einer Ark 
wären ? Zum andern find auch alle menſchliche Seelen ein= 
‚ander, in gewilfer Abſicht, ähnlich und gleich. Daher iſt 
fein Bolf unter der Sonne auf dem Erdboden, mit dem 
ein Menſch aus einer andern Voͤlkerſchaft nicht in eine Be— 
Fanntfchaft gerathen, und fprechen fönnte. Und man Fan 
fagen, daß manche menſchliche Seelen einander in einem 
fo hohen Grade ähnlih und gleich feyn koͤnnen, was fo 
wohl ihre Denfungsart als auch ihre Gefinnung betrift, 
daß man ihre Verfchiedenheit nicht ſonderlich merken Fan. 
Daher die fo genaue Hebereinftimmung, ver Meinungen und 
Neigungen mancher Menfchen, entfteht. Da nun zugleid) 
alle menfchlihe Seelen eine Vollkommenheit haben, fo 
find fie den Graden ihrer Vollkommenheit nach ſaͤmtlich von 
einander unferfchieden. Kine menſchliche Seele ift die un: 
vollfommenfte, und eine die vollfommenfte unter allen, und 
die legte ift ohne Zweifel die menſchliche Seele Chriſti $. 377. 
Auch diefe Berhältniffe ver menſchlichen Seelen gegen ein« 
ander fragen fehr viel, zu Der bewundernswuͤrdigen Voll⸗ 
kommenheit der ganzen ** bey. Es ſind in dieſer Welt, 

fa uns 


455 Von den Verhaͤltniſſen der menfeblichen Seele 


unendlich viele menſchliche Seelen, wuͤrklich. Diefe find 
ſaͤmtlich von einander verfchieden. Was für Manniafals 
tigfeit und Abänderung iſt nicht in dem einzigen Gefchlech» 
fe der denfenden Subſtanzen anzutreffen, welche wir vie 
menichlichen Seelen nennen! Wie erfindungsreid) muß 
nicht der göttliche Verſtand feyn, da er, ineinem einzigen Ge⸗ 
ſchlechte de denfenden Subftangen, fo eine unerforfchliche und 
unendliche Mannigfaltigkeit anzubringen imStande gewefen ! 
§. 754. 

Wenn wir hier vorausſetzen, daß es, auſſer den 
menſchlichen Seelen, noch viele andere Arten denkender 
Subſtanzen in der Welt gebe, Seelen der unvernuͤnftigen 
Thiere und endliche Geiſter; fo koͤnnen wir ebenfals zweyer—⸗ 
ley behaupten. Erſtlich eine jedwede menſchliche Seele iſt, 
von allen uͤbrigen denkenden Subſtanzen in der Welt, un« 
terfhieden, von einigen mehr von andern weniger, And 
es muß alfo denfende Wefen in der Welt geben, von wels 
chen die menfchliche Seele in einem fo hohen Grade verfchies 
den ift, daß es unmöglich iſt, daß in diefer Welt, zwi⸗ 
ſchen zwey denkenden Gubftanzen, noch eine gröffere Bers 
ſchiedenheit feyn folte. Daher Fan es venfende Weſen ges 
ben, von deren Denfungsart, Empfindungen, Gefinnuns 
gen und Meigungen, wir uns gar feinen beftimten Begrif 
machen fonnen. Und zum andern ift auch eine jede nrenfch- 
liche Seele, allen übrigen denfenden Subftanzen, in diefer 
Melt ähnlich und gleich, einigen mehr andern weniger. 
Und es giebt alfo gemifle denkende Subitanzen in diefer 
Welt, mit denen die menfrhlichen Seelen fo genau übereins 
ftimmen, als nur irgends Dinge von verfchiedener Art mit 


einander übereinftimmen Fönnen. Ein fleißiger Maturfor: - 


ſcher wird daher gewahr werden, daß z. E. zmifchen man: 

chen zamen Thieren und Menfchen, eine bewundernswürdi- 

ge Webereinftimmung angetroffen wird. Auch diefe Be— 

frachtung leitet einen nachdenfenden Menfchen, auf eine 

angenehme Art, zu der Bewunderung der Tiefe der Weise 
beit und der Erkenntniß GOttes. Wie nuͤtzlich und in 

| nehm 





gegen andere Dinge inder Welt. 457 


nehm ift es nicht, wenn man die uns bekannten denfen- 
den Welen in der Welt mit den Menfchen vergleicht, auf 
ihre Handlungen achtung giebt, und daraus die Berfchie- 
denheit und Webereinftimmung ihrer Denfungsarten und 
Gefinnungen ,. mit Wahrfcheinlichkeit zu erkennen fucht. 


I 75. | 

Wenn wir bier vorausſetzen, daß diefe Welt die befte 

fey, und daß es in derfelben, auffer den menſchlichen See— 
len, noch andere endliche Geifter und denfende Subftanzen 
gebe, dergleichen die Seelen der unvernünftigen Thiere find: 
ſo ift unleugbar , daß die menfchliche Seele, mit allen die— 
fen Geiftern und denfenden Subſtanzen, nicht nur in ei- 
‚ner allgemeinen Verbindung ftehe, und daß fie alfo zur 
Geifterwelt gehöre $. 375. fondern daß auch diefe ihre Ver⸗ 
‚bindung fo groß fen, als fie irgends in einer möglichen 
Melt feyn Fan $. 434 Wir wiſſen freylich von diefer Ver— 
bindung nicht viel zu fagen, unterdejien ift unleugbar, daß 
es unmöglich fen, daß eine menfchliche Seele, mit mehrern 
‚andern endlichen Geiftern und denfenden Subftanzen, in 
einem gleihen Grade verbunden feyn folte, und auf eine 
vollfonimen ähnliche Art S. 208-211. Folglich hat, in 
der beiten Welt, eine jedwede menfchliche Seele einen ge 
wiffen endlichen Geift, mit dem fie ftärfer verbunden ift, 
als mit einem jedweden andern endlichen Geift. Und die- 
fer Geift fteht entweder mit ihr in einer folchen Verbindung, 
daß dadurd) ihre Vollkommenheit mehr befördert wird, als 
‚ihre Unvollfommenbeit; oder ihre Unvollfommenbeit wird 
‚dadurch mehr befördert, als ihre Bollfommenheit. In 
dem erften Falle fan man diefen Geift den guten Geift, 
den Schußengel, vder den Genius eines Menſchen nen= 
nen, in dem andern Falle aber den böfen Beift. Folg— 
lich hat eine jedwede menfchliche Seele entweder einen gu— 
ten, oder böfen Geift, oder beyde zugleich, und zwar von 
der Geburt an. Die heilige Schrift fest diefe Meinung 
auſſer Zweifel, indem fie ung die guten Engel als gu- 
te Geitter dee Menfchen befchreibt, und die Teufel als 
815 die 


458 Von den Derbältniffen der menfchlichen Seele 


bie böfen Geifter. Chriftus verſichert, daß ein jedes Kind 
feinen Engel habe. Undes ift befannt, daß die Meinung 
yon dem Genius eines Menfchen, eine fehr alte philofophi« 
fche Meinung, fey. Nur mufi man ſich bier in acht neh— 
men, daß man nicht etwa, diefe Verbindung der menfc)« 
lichen Seele mit einem guten oder böfen Geifte, gar zu 
genau erklären und beftimmen wolle. Denn alsdenn ift es 
fehr leicht, eine unendlihe Menge artiger Meinungen zu 
erfinden; allein man erfindet- auch alsdenn nichts weiter, 
als höchftens einen artigen philofophifchen Roman. So 
Fan man auch) mit Recht fagen, daß eine jedwede menſch⸗ 
liche Seele mit allen übrigen denfenden Subſtanzen, die 
feine Geifter find, in Verbindung ftehe, und zwar mit 
einer am ſtaͤrkſten. Und diefes beftätiget die Erfahrung 
bey den Thieren, mit denen wir zugleid) diefen Erdboden 
“bewohnen. Wir Menfchen find in Abficht auf diefelben in 
der That, was die Engel und Teufel, nad) Auflage der 
Bibel, im Abſicht auf uns find, Mancher Menfch geht 
unter den Thieren beftändig wie ein brüllender $öwe herum, 
und ſucht welches er verfchlinge. Diele Thiere aber haben 
auh an den Menfchen gute Engel, und gutthätige 
Schutzgeiſter. 
756 


$. $ 

Weil in der beften Welt alle Theile, in der allergrö- 
ſten Verbindung, mit einander ftehen $. 434, ſo ſteht auch 
die menfchliche Seele, mit allen Körpern in derfelben, in 
ber gröften Verbindung, die in der Welt möglid) ift. Sie 
befteht an einem gewiſſen Orte, mitten unter den Körpern, 
vor fih, und folglich Fan fie unmöglich allen Körpern in 
der Welt gleich nahe feyn. Einige Körper find dem Orte 
nach freylich fehr weit von ihr entfernt, und mit denen ſteht 
fie in einer fehr entfernten Verbindung. Andere find ihr 
näher, und mit denen ift fie auf eine nähere Art verbunden, 
Ein Körper aber ift ihr dem Drte nad) der nächite, und 
mit dem ift fie am nächften verbunden, Und da fie nun 
in alle Körper wuͤrkt S. 442, fo Fan fie nur, am ua 

un 








gegen andere Dinge-in der Welt. 459 


und unmittelbar, in denjenigen würfen, der ihr dem Or⸗ 
te nach) am naͤchſten ift $. 220. und das ift derjenige Kör- 
per, mit dem fie in der genaueften Gemeinfchaft fteht, und 
den man den ihrigen nennt, Diefe Sache hat nicht die ge— 
tingfte Schwierigkeit, indem uns die Erfahrung lehrt, daß 
unfere Seele in diefem Leben, mit einem gewiflen Körper, 
in der allergenaueften Gemeinfchaft ftehe. Und bier fan 
die Frage, von dem Sige der menſchlichen Seele, unter» 
fucht werdens Nemlich man verfteht durch den Sir der 
menfchlichen Seele den Inbegrif der Subftanzen, welche 
dem Orte nach mit ihr auf eine nähere Are verbunden find, 
Da nun ein jediweder Körper ein Inbegrif vieler Subſtan— 
zen ift, fo Fan man denjenigen Körper den Sig der Geele 
nennen, welcher mit ihr dem Drte nach auf eine nähere Art ver» 
bunden ift. Daher fan man den Eroboden, den Sig ber 
menſchlichen Seele, nennen, in Abſicht auf die übrigen 
Planeten und groffen Weltförper. And es ift umleugbar, 
daß der Seib einer jedweden menfchlichen Geele, unter allen 
Körpern dieſes Erdbodens, ihr Siß fey, weil fie näher in 
ihn wirft, als in alle andere Körper, Unſere Seele würft 
unmittelbar, in ihren Körper, und wenn fie in andere 
Körper würfen will, fo muß fie es vermittelft ihres Kör- 
pers thun. Folglich wäre es ungereimt zu fagen, daß die 
menfchliche Seele auffer ihrem $eibe, viele Meilmeges von 
ihm entferne, feyn koͤnne: denn fo bald zwifchen ihr und 
ihrem Körper andere Dinge wuͤrklich wären, fo bald koͤnn⸗ 
fe fie nicht mehr unmittelbar in ihn würfen,, und er würde 
alfo nidye mehr ihr Korper feyn, In der ſtrengſten Bes 
deutung verfteht man, durd den Sitz ver Seele, den 
Theil ihres Leibes, dem fie dem Drte nad) am nädhiten iſt. 
Denn da fie, als eine einzige einzelne Subftanz unmöglich), 
allen Theilen ihres Seibes, gleich nahe feyn Fan; fo muß fie 
einem Theile am nädhiten feyn, Und man Fan fagen, es 
fey unferm Gefühle nach gewiß, daß die Seele im Gehir—⸗ 
ne fiße, Dafelbft fühlen wir unfere Gedanken, und wo 
unfere Gedanken find, muß auch unfere Seele feyn. Und 


du 


460 Von den Verhaͤltniſſen dermenfchlichen Seele 


Da die Seele vermittelft der Merven empfindet, und ihren 
Körper willkuͤrlich bewegt ; fo fißt fie an dem Orte ihres Leibes, 
wo alle Nerven zufammenflieffen, und das ift im Gehirne. 
Dafelbft ift der Ort, wo der Sammelplaß aller unmittel— 
baren barmonifchen Veränderungen des Körpers ift. Doc) 
dieſe Unterfuchung ift mehr artig und neugierig, als nüß« 
lich und wichtig. 


9. 77. | 

Unter allen Verhältniffen der menfchlichen Seele ge- 
gen andere Dinge dieſer Welt, die aufler ihr befindlich find, 
ift das wichtigfte, das Verhaͤltniß, in welchem fie gegen 
ihren eigenen Körper fteht. Diefer Körper würde nicht der 
ihrige feyn, wenn fie nicht mit ihm in der genaueften Öe- 
meinfchaft ſtuͤnde, und wenn fie mit ihr niche ftärfer ver- 
bunden und vereiniget wäre, als mit allen andern Dingen 
auffer ihr $. 733. 737. Wenn wir nun vorausfegen, daß 
diefe Welt die befte fen, fo ift klar, daß zwiſchen einer jed- 
weden menfchlichen Seele und ihrem Körper die allergröfte, 
ftärffte und mannigfaltigfte Uebereinftimmung angetroffen 
erde, als nur irgends in einer Welt ſtat finden Fan $. 440. 
Unter allen Dingen in der beften Welt ift die gröfte Ueber- 
einftimmung, und zwiſchen $eib und Seele wird dieſe 
Uebereinftimmung recht fichtbar und merklich. Wir wollen 
uns bier nicht in die tieffinnigen und unnüßen Unterfuchun- 
‚gen der Metaphyſik einlaffen, welche bey diefer Gelegenheit 
entftanden find. Sondern wir wollen uns bier mit folchen 7 
Betrachtungen über diefe Webereinftimmung befchäftigen, + 
welche angenehmer und nüßlicher find. Und da wollen wir 
verſuchen, dasjenige, was wir in der Cofmologie von der 
Uebereinftimmung aller Theile der beften Welt überhaupt 
gefagt haben, auf die Uebereinftimmung der menfchlichen 
Seele mit ihrem Körper anzuwenden, 

$. 758. yraiı 

Zuvörderft ijt die menfchliche Seele, mit ihrem Kör: 
per, durch den gröften Zufammenbang, der zwifchen einer 
Urfach und ihrer Folge, und zwiſchen einer wuͤrkenden ME 





gegen andere Dinge in der Wele. 461 


fach und ihrer Wiürfung, ſtat finden Fan, verbunden, info 
weit er nemlich in der beften Welt ſtat finden Fan $. 441. 
442. Folglich ift, 1) die menfchliche Seele, die Urſach und 
die wuͤrkende Urſach, aller natürlichen Veränderungen und 
Bewegungen des Körpers. Indem Körper Fan Feine 
Veränderung fo groß oder fo Elein, fo wichtig oder fo un- 
erheblich feyn, welche nicht, wenn fie natürlich ift, in der 
Seele und ihrer würffamen Kraft, ihrer Würflichfeit nach, 
folte gegründet feyn. Folglich find alle natürliche Veran- 
derungen des menfchlichen Körpers barmonifche Veraͤnde—⸗ 
rungen, und die Seele wuͤrkt iniden Körper nicht nur als: 
denn, wenn fie denfelben willführlich bewegt, fondern auch 
in allen übrigen Bewegungen, auch alsdenn, wenn man, 
den Einfluß der Seele in den Körper, durch die Erfahrung 
gar nicht merfen fan. 2) Der menfchliche Körper ift, die 
Urfach und die würfende Urfach, aller natürlichen Verän- 
derungen der Seele. In der Seele Fan Feine Veränderung 
fo groß oder fo Elein, fo erheblich oder fo unerheblich feyn, 
welche, wenn fie natürlich ift, nicht ihrer Wuͤrklichkeit nach, in 
den thätigen Kräften des Körpers, folte gegründet ſeyn. Folg⸗ 
lich werden, alle natürlichen Borftellungen der Seele, ſamt 
ihrer verfihiedenen Klarheit und allen übrigen Abaͤnderun— 
gen, desgleichen alle Begierden und Verabſcheuungen, von 
dem Körper verurfacht und gewuͤrkt. Und es find alfo, alle 
natürliche Veränderungen der menfchlichen Seele, harmo— 
niſch, und es würft der Körper nicht nur alsdenn in die See— 
fe, wenn fie empfindet, fondern auch alsdenn, wenn man es 
durch die Erfahrung nicht merken Fan, daß er in die Seele 
wuͤrke. Es iſt demnad) eine gan; allgemeine Gemeinfchaft 
zwifchen Leib und Seele, indem weder in der Seele, noch) in 
dem Körper, eine einzige natürliche Veränderung angetrof: 
fen wird, an welcher nicht der andere Theil einen thaͤtigen 
und würffamen Antheil nime $. 442. 3) Indem die menfch- 
liche Seele eine fo nahe unmittelbare und zureichende Urfach 
der natuͤrlichen Veränderungen des Körpers, und der Kür: 
per der natürlichen Beränverungen der Seele ift: fo find 
dieſe 


462 Von den Verhaͤltniſſen der menfchlichen Seele 


diefe beyden Dinge auch, durch einen fo ftarfen und feften 
würfenden Zufammenhang verbunden, als nur irgends in 
einer Welt unter ihnen fat finden Fan. Das Band zivis 
ſchen ihnen ift niche nur leicht geknuͤpft, fondern es ift fo feſt 
zufammengefchnürt, als möglich. Die Beweife diefer Säße 
find in der, Cofmologie dageweſen, und wir wollen nur noch 
bemerfen, daß bier der Dre wäre, wo gefragt werden koͤnn— 
te, wie diefer würfende Zufammenhang zwifchen Leib und 
Seele erklärt werden müfle ?-ob diefe beyden Dinge durch 
einen phnfifchen Einfluß in einander würfen, oder durd) die 
vorherbeftimte Uebereinſtimmung, oder ob fie nur gelegent: 
liche Urfachen von einander ſind? Allein ich babe in der 
Eofmologie fhon den Grund angeführt, warum ich mich 
in meiner Metaphyſik gar nicht, in die Unterfuchung diefer 
Materie, einlafie. 


$. 759. 

Zum andern find Leib und Seele, auch ihrer Möglich 
feit nach, in einem fo hoben Grade mit einander verbunden, 
als nur irgends ein paar Dinge, in diefer Abficht, in der be: 
ften Welt verknüpft fenn Fönnen $. 443. Leib und Seele 
find nicht nur ihrer Wuͤrklichkeit nach in einander gegruͤn— 
det, fondern auc) ihrer Möglichkeit nach. And man fan 
alfo fagen, daß eben deswegen, eben diefe und Feine andere 
Vorftellungen und Begierden, in der Seele möglich find, 
weil ihr Körper eben fo und nicht anders möglich ift; und 
daß eben deswegen, eben diefe und Feine andere Bewegun—⸗ 
gen, in dem menfchlichen Körper möglich find, weil die Seele 
eben fo und nicht anders möglich ift. Gleichwie die ganze 
Würflichfeit der Seele nicht ftat finden Fünnte, wenn fie 
nicht in der Würflichfeit ihres Körpers gegruͤndet wäre, und 
die WürflichFeie des Körpers nur fat finden Fan, wenn die 
Seele auffer und neben ihm fo und nicht anders würflich 
iſt: alfo verhält es fich auch fo,mit den MöglichFeiten diefer 
beyden Dinge. Die Seele fan unmöglich fo möglich feyn, 
als fte es in der That ift, wenn nicht eben ein folcher menfche 
licher Körper auffer ihr möglich wäre, als in der That moͤg⸗ 


lich 

















gegen andere Dinge in der Welt. 463 


lich ift, Und eben fo wenig koͤnnte der menfchliche Körper 
eben fo möglich ſeyn, als er es iſt, wenn nicht aufler ihm 
eben eine ſolche Seele möglich wäre, als es in der That ift. 
Wenn man menfchlih von GOtt reden darf, fo Fan man 
Daher fagen, daß GOtt ſchon in dem Reiche der Moͤglich— 
keit, aus der Möglichkeie einer jedweden menfchlichen Seele, 
erfannt babe, welcher unter allen möglichen menfülichen 
Körpern der ihrige fey, indem Fein anderer möglicher menfch= 
licher Körper mit ihr fo genau verbunden werden Fönnte, als 
eben der ihrige. Es würde der Möglichkeit ver Scele, in 
ihrem ganzen Umfange betrachtet, zumider ſeyn, wenn ein 
anderer Körper mit ihr verbunden würde; und es mürde 
der Möglichkeit des Körpers zuwider laufen, wenn eine an= 
dere Seele mit ihm verbunden würde. Und gleichwie Leib 
und Seele ihren Würklichfeiten nach, die fo genau mit ein— 
ander verbunden find, Einen würflichen Menfchen ausma— 
Ken; alfo machen fie, durch die genaue Verbindung ihrer 
Möglichfeiten, das Wefen Eines Menfchen aus, oder 
Einen möglichen Menfchen, 
| §. 760. 

Zum dritten ft, zroifchen der menfchlichen Seele und 
ihren Körper, der allergröfte Zufammenbang, welcher auf 
dem gegenfeitigen Mugen berubet, den fie einander verfchaf- 
fen, anzutreffen, fo weit als es nemlich in der beften Welt 
möglich ift 9.444. Denn was, einmal, die Seele betrift, 
fo ift fie ihrem Körper fo nüßlich als möglich, und fie fchaft 
ihm in der That fo viel Nutzen, als es in der beiten Welt 
möglich ift. Alfe Bollfommenbeiten des Leibes find, fo wohl 
ihrer Möglichkeit, als auch ihrer Würflichfeit nad), in der 
Seele und dem Berhältniffe derfelben gegen den Körper ges 
gründet $. 759. 758. und der Körper des Menfchen würde 
nicht fo vollfommen feyn und werden, wenn er nicht mit 
eben der menfchlichen Seele und Feiner andern verbunden 
wäre. Die Erfahrung beftätiger Diefes, in fehr vielen Faͤl— 


len, aufs unleugbarſte. Wenn die Seele im Tode von dem 


Korper getrennt wird, fo verliehrt er alle feine erheblichen 
Doll: 


454 Vonden Derhältniffendermenfchlichen Seele 


Vollkommenheiten. Eine gefunde und muntere Seele macht; 
auch den Körper, gefund und munter, Die Geſchicklichkei— 
ten der Seele breiten fi), bis in den Körper, aus, Auf der 
andern Seite ift auch der Körper der Seele fo nüglich, und 
fchaft ihr fo vielen Nutzen, ‚als in der beiten Welt möglich 
ift. Alle Bollfommendeiten der Seele find, ihrer Moͤglich— 
keit und Würflichfeit nach, in dem Körper, und feinem Ber: 
hältniffe gegen die Seele, gegründet $. 759. 758. und die 
Seele würde nicht fo vollfommen feyn und werden, als fie 
ift und wird, wenn fie nicht eben mit diefem und Eeinem 
andern Körper verbunden wäre. Die Gefundheit und Mun- 
terfeit des Körpers befördert, die Gefundbeit und Munter- 
feit der Seele. Die Bollfommenbeit der Werkzeuge der 
inne befördert, die Bollfommenbeit der Erfenntniß und 
der Erfennenigkräfte Und fo lehrt die Erfahrung noch in 


mehrern Fällen, wie nüglich der Körper der Seele fen. Wir 


leugnen nicht, daß Leib und Seele einander nicht auch ſchaͤd⸗ 
lich und nachtheilig ſeyn ſolten. Die Seele wird in vielen 
Stuͤcken, durch den Koͤrper, und deſſen Krankheiten, 8 
und andere Unvollkommenheiten, unvollkommen, und eben 
ſo leidet auch der Koͤrper, wenn die Seele nvollkommen iſt. 
Allein demohnerachtet muß man ſagen, daß Leib und Seele 
einander in ihrer Vollkommenheit ſo ſehr befoͤrderlich ſind, 
als in der beſten Welt moͤglich iſt. Und gleichwie, in ei— 
nem vollkommenern Koͤrper, auch eine vollkommenere Seele 


wohnt; alſo wohnt auch eine vollkommenere Seele in einem 


vollkommenern Körper. Wir reden bier von den Vollkom— 
menbeiten des Körpers, welche auf eine nähere Art zu dee 
Gemeinſchaft der Seele mit dem Körper gehören? denn 
frenlic muß man geftehen, daß in einem dem äufferlichen 
Anfeben nach fehönen Körper nicht allemal auch eine ſchon⸗ 
Seele wohne. 

. 761. 

In der vollkommenſten — ſind alle Dinge einan⸗ 
der ſo ſehr aͤhnlich und gleich, oder mit einem Worte in ei— 
nem ſo hohen Grade einander gleichfoͤrmig, als es irgends 

in 


| 2 gegen andere Dinge in der Welt, 465 


in einer Welt möglich ift $. 445. ſolglich muß auch vierteng 
«deswegen, zwifchen der menfchlichen Seele und ihrem Körs 
per, der gröfte Zufammenhang feyn, der zwifchen ihnen moͤg⸗ 
lich ift, weil fie einander im böchften Grade gleichförmig 
find. Die Seele ift iprem Körper, und der Körper feiner 
Seele in einem fo hoben Grade ähnlich, als Dinge von vers 
ſchiedener Art einander feyn koͤnnen. Und dahin fan man 
rechnen, daß mit den Vorſtellungen der Seele materielle 
Bilder im Gehirn, und mit den Begierden der Seele aͤhn⸗ 
liche Bewegungen der Glieder und des ganzen feibes, ver 
* bunden find. Dumheit und Berftand, Freundlichkeit, Lies 
be, Haß, Boßheit, und alle Seidenfchaften, werden fo 
fihtbar auf dem Gefichte und überhaupt in dem Körper aus« 
gedruckt, daß fie in demfelben abgemalt, nach dem Leben 
etroffen, und gleichfam fichtbar werden. Folglich ift die 
Seele fo befchaffen mie der Körper, und der Körper eines 
jedweden Menſchen, wie feine Seele. Und man fan mit 
Grunde annehmen, ob wir diefes gleich durch die Erfahrung 
nicht völlig einfehen, daß zwifchen einer jedweden Seele und 
ihrem Leibe eine fo groffe und vollfommene Aehnlichkeit fey, 
daß fein anderer menfchlicher Körper fih, der Befchaffen« 
heit nach, eben fo genau und gut für diefelbe ſchicken folte, 
alseben der ihrige. And eben dieſes muß man auch von 
der Gleichheit ſagen, welche zwifchen Leib und Seele fo groß 
iſt, als fie irgends zwifchen Dingen von verfchiedener Arc 
feyn Fan. Je groͤſſer und ftärfer die Kräfte der Geele find, 
defto gröffer und ftärker find auch die Kräfte des Körpers, 
die mit ihnen in Berbindung ftehen; je ſchwaͤcher aber jene 
find, defto ſchwaͤcher find auch diefe. Je ſtaͤrker und ſchwaͤ— 
cher die Vorftellungen und Begierden der Seele find, defto 
ftärfer und fehwächer find auch Die harmonifchen Berändes 
rungen und Bewegungen des Seibes, und umgekehrt. Kleis 
ne Rinder haben noch fehr ſchwache Seelenfräfte, wie ſchwach 
aber iſt nicht auch) der Körper? Wenn eine Krankheit den 
Körper fchroächt, fo ſchwaͤcht fie auch die Seele. In den 
Gemürhsbewegungen wird der Körper fehr ſtark und heftig 
3, Theil, Gg be⸗ 





466 Von den Derbältniffen der menfchlichen Seele 


u 
bewegt, und je ftärfer die Bewegung der Werkzeuge der 
Sinne ift, defto gröffer find auch die Empfindungen. Und 
mer auf feine eigene Erfahrungen Achtung gibt, der wird 
noch viel mehrere befondere Proben, von der ungemeinen 
Gfeichförmigfeit der menfchlichen Seele mit ihrem Körper, 
entdecken Fönnen. Und man fan fagen, daß eben fo viel 
verfchiedene menfchliche Körper möglich find, als Seelen, 
dergeftalt daß nur, für eine jedwede menfchliche Geele, - ein 
einziger unter allen menfchlihen Körpern fich vecht ſchicke, 
weil er ihr am gleichförmigften ift, und daß es unmöglich 
fey, daß auch nur zwey menfchliche Körper möglich feyn fol- 
ten, welche fich für eine gewiſſe menfchliche Seele im gleiz 
chen Grade ſchicken, und derfelben im gleichen Grade anges 
meffen feyn folten. 
| $, 762. 

Zum fünften ift, eine jedwede menfchliche Seele mit 
ihrem Leibe, auch im möglichften Grade, als ein Zweck mit 
feinem Mittel, verbunden, wenn mir einen mweifen Urheber 
der ganzen Welt vorausfeßen $.446. Man fan alfo, 
zweyerley, annehmen. Einmal, daß die Seele und ihre 
möglichfte Bollfommenbeit ein Zweck fen, welcher durch den 
Körper befördert und erhalten werden fol. Der Körper if 
ja der Seele im höchften Grade nüglich $. 760. und wenn 
man nun vorausfeßt, daß der Menſch das Werf eines weis 
fen Urbebers fey, fo muß man fagen, daß diefer Lrheber, 
einer jedweden menfchlichen Seele, eben deswegen, einen 
ihr gemäffen Körper, gegeben habe, damit fie fo viele und 
groffe Vollkommenheiten erlange, als es in der beften Welt 
möglich ift. Wir fehen auch aus der Erfahrung, daß wir 
unfern Körper beftändig und auf eine unendlich mannigfala 
tige Art brauchen, um die verfchiedenen Bollfommenheiten 
unferer Seele zu erlangen, was fo wohl die Erfenntnißfraft, 
als auch die Begehrungsfraft derfelben betrift. Wir lefen 
und hören, damit wir unfere Erfenntniß verbeffern u. ſ. w. 
Allein die Seele ift auch) zum andern ein Mittel, welches zur 
Abficht bat, die Vollkommenheit des menfchlichen ar fo 

ehr 











gegen andere Dinge in der Welt. 467 


fehr zu befördern, als es möglich if. Sie ift ja ihrem 
Körper im höchften Grade nuͤtzlich 9.760. Wenn man 
nun vorausfeßt, daß der Menfch von einem weiſen Urheber 
feine Würflichfeit und Einrichtung befommen habe: fo muß 
man fagen, daß derfelbe einen jedweden menfchlichen Körper 
auch) deswegen mit einer Seele verbunden habe, damit ders 
felbe vermittelft der Seele eine fo groffe Vollkommenheit era 
lange, als in der beften Welt möglich if, Die Erfahrung 
lehrt uns auch, daß mir unfere Seele unendlich ofte, zum 
Vortheil unferes Körpers, brauchen, und daß mwir fo ofte 
unrecht handeln, als wir es nicht thun, Wir erfinnen die 
verfchiedenen Mittel, die mannigfaltigen Vollkommenheiten 
unferes Körpers zu erlangen; wir überlegen, was dem Körs 
per fehadlich oder nuͤtzlich ift, und richten darnach die man— 
nigfaltigen wilffübrlichen Bewegungen des Leibes ein u.f. w. 
Nach der weifen Einrichtung des Lrhebers unferer Natur, 
fol alfo nicht etwa unfere Seele fidy bloß von dem Körper 
dienen laflen, und demfelben feine mannigfaltigen Dienfte 
gar nicht wieder vergelten , fondern fie foll dem Körper mies 
derum dienen, und fein beftes aufs möglichfte befördern. 


. 763. 

Zum fehlten gehört auch, zu der vortreflichen Ueber: 
einftimmung einer menſchlichen Seele mit ihrem Körper, 
daß die Seele das Mufter und Driginal ift, nach weichen 
der Körper als eine Copie eingerichtet ift S.447. Hier 
muß allerdings vorausgefeßt werden, daß der Menfch vor 
einem meifeften Urheber feinen Urfprung genommen habe. 
Da nun die groffe Aehnlichkeit und Gfeichförmigfeit, in wels 
cher der Körper mit der Seele fteht, eine Vollkommenheit 
des Menfchen ift $. 761. fo muß man fagen, daß GOtt 
diefe, Vollkommenheit zur Abficht gehabt, und daß er alfo 
eben deswegen, den menfchlichen Körper, fo und nicht an— 
ders eingerichtet habe, damit er feiner Seele fo gleichfoͤrmig 
fey, als möglid, GOtt hat die Seele, und ihre ganze 
Einrichtung, als das Driginal angenommen, nad) weichem 
er den Körper eingerichtet hat; oder er hat die ganze Anlage 

Ög2 der 


468 Von den Derböfltniffen der menfchlichen Seele 


der Seele als den Plan betrachtet, nach welchem er das gan. 
ze Gebäude des menfchlichen Leibes aufgeführt hat. Daher 
fan man fagen, daß die ganze Seele durd) ihren Körper, 
als in einer Statue, oder als in einem Gemälde, abgebildet, 
oder als durch eine hieroglyphiſche Figur ausgedruckt ſey. Und 
wenn wir den menfchlichen Körper recht genau fennen lers 
nen, fo fönnen wir in demfelben, als in einem Abdruce, 
die Befchaffenheit der menſchlichen Seele erblicken. So ers 
feheinen alfo durch ihren Körper die menfchlidien Seelen in 
der Körpermwelt, und es wird eben dadurch die Geifterwelt 
in der Körperwelt gleichfam ſichtbar. F 
$. 764. 

Siebendens ift auch die menfchliche Seele mit ihrem 

Körper, durch den groͤſten bezeichnenden Zufammenhang, 


verbunden , der in der beften Welt möglich iſt 9.448. Die 


Seele, und die Veränderungen derſelben, find Zeichen der 
Beränderungen des Körpers; und der Körper, famt feinen 
Einrichtungen und Veränderungen, iſt ein Zeichen der 
Seele. Daher koͤnnen wir einem Menfchen, den Berftand 
und die Dumbeit, an feinen Augen anfehen; wir koͤnnen feis 
ne Siebe, feinen Haß, und feine Leidenſchaften überhaupt in 
feinem Gefichte lefen u.f.w. Folglich find alle die Wiffen« 
fchaften, welche Negeln enthalten, wie man den Menfchen 
aus feinen Gefichtszügen, und andern Befchaffenbeiten und 
Beränderungen feines Körpers, foll kennen lernen, über 
haupt nicht zu verwerfen, ob fie gleich mit vielen Träume: 
reyen angefült find. Wir milfen ja aus der täglichen Ers 
fahrung, daß wir, die Gedanken und Gefinnungen anderer 
Menfchen, unmöglich anders errathen fönnen, als vermits 
telſt ihres Körpers, und der Beränderungen deffelben. Folg— 
lich bedienen wir uns in der That, in unzählig vielen Faͤl— 
len, des Körpers als eines Zeichens, um die Seele und ih» 
ve Beranderungen zu erfennen, 
$. 765. | 
Diefe ganze vortrefliche, groffe und mannigfaltige 
Uebereinftimmung der menſchlichen Seele mit ihrem Körper, 
— die 





gegen andere Dinge in der Welt. 469 


die ich bisher befchrieben habe, gehört mit, als ein fehr 
wichtiges Stück, zu der Uebereinftimmung des Reichs der 
Gnaden mit dem Reiche der Natur, welche in der beften 
Welt angetroffen wird $. 450. Die menfchliche. Seele ift 
ein Geift, und gehört alfo mit zu der Geiſterwelt, und der 
menfchliche Körper ift ein Theil der Koͤrperwelt. Die ver- 
nünftigen Ihiere, welche in der Welt angetroffen werden, 
find die merflichften und fefteften Bänder, durch welche die 
Geiſterwelt mit der Koͤrperwelt recht genau verknüpft iſt; 
oder fie find gleichfam die Derter in der Welt, wo das Keich 
der Geifter mit dem Reiche der Körper, zunächft und uns 
mittelbar grenzt und zufammenftöße. Folglich fließt aud) in 
dem Menfchen, als einem Thiere, welches aus einem Geifte 
und aus einem Körper zufammengefegt ift, Das Neid) der 
Gnaden mit dem Reiche der Natur zufammen. Und dadie 
menfchliche Seele, mit ihrem Leibe, in einer fo groffen und 
mannigfaltigen Uebereinftimmung ſteht; fo ſtimt auch eben 
deswegen in dem Menfchen,, als in Einer Perfon, oder als 
in einem Subjecte, die Geifterwelt mit ver Körpermelt, das 
Keich der Gnaden mit dem Reiche der Natur, in einem 
folchen Grade überein, daß man den Menfchen gleichfam, 
eine vecht fihtbare und merfliche Verbindung und Ueberein⸗ 
ftimmung der Geifterwele mit der Körperwelt, nennen fan. 
Alles dasjenige, was ich $. 450. überhaupt von der Lebers 
einftimmung des Neic)s der Natur mit dem Reiche der Gna⸗ 
den gefagt habe, Fan alfo auf den Menfchen, und auf die 
Verbindung feiner Seele mit dem Körper, auf eine fehr nüißs 
liche Art angewendet werden. 
XxXXXMXX Xx RT KERN XMAx NH RO HK HS 
Das dritte Kapitel, 
Bon der Glücdkfeeligfeit und Ungluͤckſeeligkeit 
der menfchlichen Seele. 
9. 766. 
ie Frage; worin die Glückfeeligfeit und Unglücfeeligs 


feit der Menfchen, famt ihrer mannigfaltigen Veraͤn— 
693 derung, 


4790. Von der Blückfeeligkeit und Unglückfeeligkeit 


derung, beftehe? ift eine der nöthigften, nüßlichften und 
wichtigften Fragen. Alle unfer Dichten und Trachten gehe 
auf unfere Glückfeeligkeit, und wir follen auch beftändig, 
unfere Ölückfeeligkeit, fuchen und vermehren. Allein, Die 
falfchen Begriffe, die wir uns von der Glückfeeligkeit und 
Unglückfeeligkeit machen, find ſchuld daran, daß die wenig- 
fen Menfchen die wahre Glückfeeligkeit fuchen, und noch 
viel weniger erlangen, Wir wollen ung demnach bemühen, 
uns einen richtigen, fruchtbaren und ausführlichen Begrif 
von der menfchlichen Gluͤckſeeligkeit und Unglückfeeligfeit zu 
machen. And da nun unleugbar ift, daß die Gluͤckſeelig⸗ 
Feit in dem Beſitze gewiffer Vollkommenheiten und Güter, 
und die Unglückfeeligfeit in dem Befige gewiſſer Unvollkom— 
menbeiten und Liebel beftehe : fo müflen wir erft zum voraus, 
eine vierfache Eintheilung der menfchlichen Güter und Uebel, 
unterfuchen, in fo weit Diefelben nemlich die Seele betreffen. 
Die Vollkommenheiten und Unvollfommenheiten des Leibes 
gehören in eine andere Wiffenfhaft, als die Pſychologie. 
Einmal, alle Güter und Uebel der menfchlichen Seele find, 
entweder fehlechterdings nothwendig, oder zufällig. Die 
fhlechterdings nothwendigen Güter beftehen, in den wefent- 
lichen und fchlechterdings nothwendigen Vollkommenheiten 
der menfchlichen Seele, wohin z. E. die Vermögen der Sees 
le gehören, in fo ferne fie Möglichkeiten gewiſſer Realitaͤ— 
ten find. Die zufälligen Güter aber find, die zufällis 
gen Vollfommenheiten der Seele und ihre Urfachen, 
z. E. die Deutlichfeit der Erkenntniß, der Gebrauc) 
des Berftandes und der Freyheit. Die fchlechterdings noth- 
wendigen Uebel der menfchlichen Seele beftehen, in ihren 
fchlechterdings nothivendigen Unvolltommenbeiten, und den 
Gründen derfelben, z. E. die wefentlichen und ganz unver: 
anderlihen Schranken der menfchlichen Vernunft. Die zus 
fälligen Uebel find die zufälligen Unvollkommenheiten der 
Seele, und die Urfachen derfelben, 3. E. die vermeidlichen 
Irrthuͤmer, und andere vermeidliche Unvollfommenbeiten 
der Erkenntniß. Zum andern gibt es natürliche Güter 1: 

Uebel, 














der menfchlichen Seele. 47ı 


Uebel, Vollkommenheiten und Unvollfommenbeiten der 
menfchlichen Seele, welche durch die Kräfte ihrer eigenen 
Natur gewürft werden, z. E. Tugend und Laſter, Gelehr— 
famfeitund feichte Erkenntniß u.f.w, Es gibt aber auch) 
übernatürliche Güter, von denen ein Weltweiſer wenigitens 
die Möglichkeit einfieht, z. E. der feeligmacyende Glaube; 
Man fan auc) übernatürliche Uebel gedenken, nicht etwa, 
als wenn GOtt, durch ein Wunderwerf, ein Uebel, in fo 
ferne es böfe ift, wuͤrken Fönte, fondern weil uͤbernatuͤrlich 
etwas gewürft werden Fan, welches, vermöge der Zulaſſung 
GOttes, einer menfchlihen Seele in gewiſſer Abficht nach— 
theilig feyn fan, z. E. wenn GOtt eine menſchliche Seele 
übernatürlich ſtraft. Zum dritten gibt es innerliche Güter 
und Uebel der menfchlichen Seele, welche zu ihrem: innerlis 
chen Zuftande gehören, 3. E. Gelehrfamfeit und tugendhafte 
Gefinnung, feichte irrige Erkenntniß und lafterhafte Geſin— 
nung; und das find die einheimifchen Güter und Uebel: es 
gibt aber auch äufferliche Güter und Uebel der menfchliden 
Seele, z. E. Ehre und Schande $. 657. Und viertens 
find alle Güter und Uebel der menfchlichen Seele in weitern 
Berftande moralifch, welche mit der Freybeit derfelben in 
einer nähern und merflichen Verbindung ſtehen 8. 713. Die 
Güter und Uebel der menfchlichen Seele aber, die nicht mo» 
ralich find, find diejenigen, die zufällig find, aber mit dem 
freyen Willen in Feiner nähern Verbindung ftehen, z. E. 
ein guter Gebrauch des Verſtandes ift ofte bey uns nicht 
moralifch, und eben fo wenig ift die Verruͤckung manchmal 
ein mioralich Uebel. Kein fchlechterdings nothwendiges 
Gut oder Uebel it moraliſch. $. 709: 


S. 707 

Was bey einem Geifte moralifch ift, das ſteht, mit 
feinem freyen Willen in einer nähern Verbindung. $ 713. 
Nun fan etwas mit einem andern in Verbindung ſtehen, 
wenn e8 entweder der Grund deffelben, oder die Folge, oder 
beydes zugleich it, S. 28. Was alfo moralifdy im weitern 
Berftande iſt, das iſt entweder ein näherer Grund der Frey— 
Gs 4 heit 


472 Von der Glückfeeligkeit und Unglückfeeligkeit 


heit und eines geriffen moralifchen Zuftandes, oder einenä« 
bere Folge, oder beydes zugleich. Dasjenige, was mitder 
Freyheit, als eine Folge und Würfung, auf eine nähere 
Art verbunden ift, das wird im engern Verſtande mo» 
raliſch genannt, Die Wiedergeburth fo wohl, als auch 
die Erbfünde find im weitern Berftande moralifch; weil fie 
ohne freyen Willen, in feinem Menfchen, ftat finden koͤn— 
nen? allein fie find feine Würfungen des freyen Willens 
des Menfchen, fondern vorläufige Stüce, durch welche, als 
durch Urfachen,, der freye Wille auf eine gewiſſe Weife be— 
ſtimt wird, daß daher gewiffe moralifche Zuftände entftehen, 
Die erſte ift ein Gut, welches moralifd) ift, wern das Wort 
in der weitern Bedeutung gebraucht wird, und, die leßtere 
iſt ein moralifcyes Lebel im weitern Beritande, Ein mos 
raliſches But im engern Derftande ift ein Gut, wel- 
ches auf eine nähere Art von der Sreyheit abhanget; oder 
welches, als eine Würfung, auf eine nähere Art in der Frey: 
beit gegründet ift, wie z. E. die Tugend was guts ift, und 
auf eine näbere Art von der Freyheit abhanget. Eben fo 
find auch, die Belohnungen unferer guten Handlungen, im 
engern Berftande moralifche Güter. Die Seeligkeic ift 
das Vergnügen über ven Beſitz der Bollfommenbeit, wel 
che aus den moralifchen Gütern im engern Berftande enta 
ſteht. Wir verftehen hier nicht bloß den ausnehmend grofs 
fen Grad der Seeligkeit, den die Tugendhaften in der Ewig— 
feit zu erwarten haben; fondern wir müffen die Erflärung 
fo einrichten, daß fie auch, auf die geringern Grade der 
Seeligkeit in diefem geben, angewendet werden fan. Und 
da weiß jedermann, daß man die Geeligkeit, als eine Folge 
und Würfung der Tugend und Froͤmmigkeit, betrachtet, 
und fie iſt alfo eine Vollkommenheit, welche aus folchen 
Gütern entfteht, die im engern Verſtande moralifch find. 


Und wem fan unbefant fern, daß der Seelige ein Bergnüs. 


gen empfinden müffe, indem eben darin dev Genuß der mo» 
valifchen Güter im engern Berftande beftehe. Moraliſche 
Uebel im engern Derftande find alle Uebel, welche von 


der 








der menfchlichen Seele. 473 


der Freyheit auf eine nähere Art abhangen, oder die, als 
Würfungen und Folgen, auf eine nähere Art mit der Frey— 
heit verbunden find, wie z. E. die Sünden und Laſter, famt 
den Strafen derfelben, dergleichen Uebel find. Aus allen 
moralifchen Uebeln enefteht, wie aus allen Uebeln S. 137. eis 
ne Unvollfommenheit, und die wird das morslifche Der- 
derben genennt. Go verurfacht die Erbfünde fo wohl, als 
auch die würfliche Sünde, famt dem after, ein moralifches 
Derderben in dem Menfchen. Die Unſeeligkeit, oder die 
Verdamniß, ift der Verdruß, den ein vernünftiges Weſen 
empfindet, wenn es in fich ein moralifches Verderben ges 
wahr wird, welches aus den moralifchen Uebeln im engern 
Verſtande entfteht, Wir rechnen nicht bloß hieher den aus— 
nehmend hohen Grad der Verdamniß, der den Safterhaften 
in der Ewigkeit bevorfteht; fondern wir reden zugleich von 
den Fleinern Graden der Lnfeeligkeit, welche fchon in diefem 
seben fat finden koͤnnen. Und da weiß jedermann, daß die 
Unſeeligkeit in einer Unvollkommenheit bejtehe, welche auf 
eine nähere Art aus der Freyheit ihren Uefprung nimt, und 
daß fie nichts bedeuten würde, wenn fie nicht gefühlt würde, 
oder wenn der Unſeelige Eeinen Verdruß empfände, 
§. 768. 

Auſſer den moraliſchen Guͤtern und Uebeln im engern 
Verſtande, ſamt ihren Folgen, der Seeligkeit nemlich und 
der Unſeeligkeit, Fan es bey einem vernünftigen Weſen, noch 
andere Vollkommenheiten und Unvollfommenheiten, geben, 
die zufällig find, und das find die phyſiſchen Güter und 
Vebel, wenn man diefes Wort, phyſiſch, in der engern 
Bedeutung braucht: denn manchmal nimt man es fo weit: 
läuftig, daß man darunter alle zufällige Güter und Lebel 
verfteht, und alfo auc) die moralifichen. Nemlich phnfifche 
Güter find alle Güter, die zufällig aber nicht moralifch find, 
3. E. gefunde Bernunft, munterer Kopf u. ſew. Und phy— 
fifche Uebel find alle Uebel, welche zufällig aber nicht mora= 
lich find, z. E. Blödfinnigkeit, angebohrne Dumheit u. 
f.w, Die Wohlfarth ift das Vergnügen über den Be— 

| Ög5 | ſitz 


474 Von der Glückfeeligkeie und Unglückfeeligkeit 


fig phnfifcher Güter, und das Elend ift der Berdruß über 
den Beſitz phnfifcher Uebel. Diefe Wörter werden freylich 
ofte in andern Bedeutungen genommen, allein es fomt uns 
bier vornemlich auf die Sache felbft an. Und da fehreibe 
man feinem Dinge eine Wohlfarth oder ein Elend, um der 
fhlechterdings nothwendigen und metaphnfifchen Güter und 
Uebel willen, zu; fondern um der zufälligen willen. Und 
wenn jemand zufällige Güter befißt, famt der daher entſte— 
henden Bollfommenheit, er empfindet aber Fein Bergnüs 
gen drüber, fo fan man diefen Beſitz zwar auch eine Wohl 
farth nennnen, allein es fehle alsvenn noch der Genuß. 
Der Begrif von der Wohlfart wird demnach fruchtbarer, 
wenn man ihn fo einrichtet, wie ich gewiefen habe. Und 
eben fo Fonnte man durch das Elend, fehon den Beſitz der 
phnfifchen Uebel, und die Daher entjtehende Unvollfommen= 
beit verfichen; allein der Begrif wird fruchtbarer und der 
Erfahrung gemäffer, wenn man auch den Verdruß mit das 
bin rechnet, weil ein Uebel, welches keinen Berdruß verurs 
facht, nicht empfunden wird, und es ift alfo dem Gefühle 
nad) eben fo gut, als wäre e8 gar nicht vorhanden. And 
nun find wir im Stande zu erflären, was die Gluͤckſeelig⸗ 
keit und Ungluͤckſeeligkeit ſey. Memlich die Glückfeelig« 
keit ift der Inbegrif der Seeligfeit und der Wohlfarth, und 
die Ungluͤckſeeligkeit der Inbegrif der Unſeeligkeit und 
des Elendes. Diefe Wörter gehören auch unter diejenigen 
Wörter, deren Gebrauch fehr unbeitime iſt. Unterdeſſen 
ift es Doch am gemöhnlichften, daß man nur vernünftig 
freyen Wefen eine Glückfecligfeit oder Unglückfeeligkeit beys 
lege. Und da pflege man einen elenden und fugendhaften 
Elenden nicht glückfeelig zu nennen, weil ihm die Wohle 
farth fehlt, ob er gleich feelig ift, Und eben fo wenig nenne 
man ihn unglückfeelig, weil er nicht unfeelig obgleic) elend 
ift. Eben fo wird ein glüclichee Bofewicht nicht glückfees 
lig gepriefen,, weil er die Wohlfarth ohne Geeligfeit befißt, 
man nenne ihn auch nicht unglücfeelig, weil er zwar unfees 
tig aber nicht elend ift, in fo ferne er nemlich ein glücklicher 
Döfewicht ift, $. 769. 











der menfchlichen Seele. 475 


G. 769. 
Die Gluͤckſeeligkeit der menſchlichen Seele fan nie— 


mals ganz rein fern, fondern fie ift allemal mit vielen zufäl- 


ligen Uebeln untermenge, weil die menſchliche Seele ein end» 
liches Ding ift $.198. Darin fehe ich keinen Widerfpruch, 
zu fagen, daß die menfchliche Seele einen fo hohen Grad 
der Glückfeeligkeit Haben koͤnne, welcher mit gar Feiner Lins 
feeligfeit untermengt iſt; allein feine Gluͤckſeeligkeit ift bey 
einem Menfchen möglich, welche mit gar Eeinen zufälligen 
Uebeln unfermenge wäre. Geeligkeit und Unſeeligkeit, 
Wohlfarth und Elend, find dergeftalt unter einander ges 
menge, daß man nicht anders fagen Fan, als daß die 
menſchliche Glückfeeligkeit, im Ganzen betrachtet, in 
nichts anders beftehe, als in dem Uebergewichte der Glück. 
feeligfeit über die Unglücfeeligfeit. Eben fo befteht, die 
menfcbliche Ungluͤckſeeligkeit, in dem Uebergewichte 
Der Unglücfeeligkeit über die Glückfeeligkeit. Denn fein 
Menſch fan fo unglückfeelig feyn, daß er gar Feine zufälligen 
Güter mehr befiße $.198, Das koͤnnte vieleicht feyn, daß 
ein Menfc) in einen fo hohen Grad der Unſeeligkeit verſenkt 
würde, daß er gar feine Seeligfeit mehr habe. Allein das 
iſt unmöglich, daß er gar Feine zufälligen Vollkommenhei⸗ 
ten mehr haben und genieffen folte. Die Erfahrung beftati- 
get wenigftens in diefem Leben, die Nichtigfeit Diefer Des 
griffe. Wo ift der glückfeelige Menfch zu finden, der gar 
nicht unglücfeelig, und der unglücfeelige, der gar niche 
glückfeelig iſt? 


$. 77% 

Es ift ohne Zweifel Elar, daß die menfchliche Seele, 
unendlich vieler verfchiedener Grade der Glückfeeligfeit und 
Unglücfeeligkeit, fäbig fey. Dasjenige vernünftige Wefen 
iſt unftreitig das allerglücfeeligfte, welches alle mögliche 
Vollkommenheiten befist, und nicht die aeringfte Unvoll« 
fommenbeit, und welches darüber das allergröfte und aller 
vollfommenfte Vergnügen empfindet, Allein die menfchli- 
che Seele iſt, eines folchen hohen Örades der Glückfeeligkeit, 


nicht 


476 Von der Blückfeeligkeit und Ungluͤckſeeligkeit 


nicht fähig. Folglich müffen wir folgendergeftalt fehlieffen : 
1) Se mehrere moralifche und phufifche Vollkommenheiten 
die Seele befißt, und je weniger dergleichen Unvollkommen— 
heiten; folglich je gröjfer der Zahl nach, das Uebergemicht 
der Bollfommenheiten über die Unvollfommenheiten iſt, 
defto glückfeeliger iſt die menfchliche Seele. Und fie würde 
in diefer Abſicht den hoͤchſten Grad der Glückfeeligkeit erreis 
chen, wenn fie gar Feine moralifche Unvollfommenpeiten hät 
te, fondern fo viele moralifche und phyſiſche Vollkommen⸗ 
heiten, und fo wenige phyſiſche Unvollkommenheiten, als in 
ihr zufammen ſtat finden koͤnnen. Im Gegentheil ift fie 
um fo viel unglückfeeliger, je mehrere moralifche und phnfis 


fche Unvollfommenheiten, und je weniger dergleichen Boll 


kommenheiten fie befist; folglich je gröffer der Zahl nach, das 
Uebergewiche der Unvollfommenheiten über die Bollfommen- 
heiten, ift. 2) Je gröffere moralifche und phnfifche Voll: 


fommenbeiten in der Seele angetcoffen werden, und je Fleis- 


nere dergleichen Anvollfommenbeiten; folglich je gröffer, 
auch in diefer Abficht, das Uebergewicht der Bollfommen- 
beiten über die Unvollfommenbeiten ift, defto geöffer ift die 
Gluͤckſeeligkeit der menfchlichen Seele. Sie ift aber um fo 
viel unglückfeliger,, je gröffere moralifche und phyſiſche Un— 
vollfommenbeiten fie befigt, und je Fleinere dergleichen Bolls 
fommenheiten. Folglich je gröffer das Webergewicht der 
Unvollkommenheiten, der Gröffe nach, über die Vollkom— 
menheiten ift. 3) Je gröffer und vollfommener ihr Vergnuͤ— 
gen über ihre eigene Vollkommenheit it, und mit je wenis 
gern und Eleinern Mißvergnügen über ihre eigene Vollkom— 
menheit es vermiſcht iſt, defto glückfeeliger ift die menfchliche 
Seele. Gie fan in manchen Augenblicken, ihrem Gefühl 
nach, einen hoͤchſten Grad der Gluͤckſeeligkeit genieffen, wenn 
fie ein lebhaftes Vergnügen über ihre eigene Bollfommens 
heiten empfindet, welches mit gar feinem Berdruffe über 
ihre eigene Unvollfommenheiten vermengt ift, Allen folche 
Empfindungen dauren, in diefem Leben, nicht lange. Se 
groͤſſer im Gegentheil der Berdruß der Seele über ihre mo« 

talifchen 





der menfchlichen Seele, 077 


ralifchen und phnfifchen Unvollfommenbeiten ift, und mit je 
Eleineem DBergnügen über ihre eigene. Bollfommenbeiten er 
untermengt ift, defto unglückfeeliger ift fie ihrem Gefühl 
nach. - Und da Fan es allerdings Augenblicke geben, in de- 
nen fic) die Seele, ihrer Empfindung nach, für Die uns 
glückfeeligfte Creatur halten muß, wenn fie nemlich einen fo 
lebhaften Verdruß über fic) felbft und ihre LUnvollfommen- 
beit empfindet, daß fie über denfelben nicht das geringfte 
Vergnügen über ſich felbft fühle. Hieraus ift alfo Elar, wo— 
ber es fomt, daß viele Menfchen ofte ein Eleines Gut, als 
ein wichtiges Stück ihrer Glückfeeligfeit, und ein Eleines 
Uebel, als einen wichtigen Theil ihrer Unglückfeeligfeit, ans 
fehen. Denn wenn ihnen jenes ein fehr groffes Vergnügen, 
und diefes ein fehr grofjes Mißvergnügen- verurfacht , fo fön- 
nen fie nicht anders urtheilen. Allein da diefes Bergnügen 
und Mißvergnügen zu groß für die Gegenftände, und eines 
Theils falfch iſt; fo ift es unvollfommen. Folglich vers 
mehrt dieſes Mißvergnügen zwar die Unglückfeeligfeit eines 
Menſchen, allein es ift dod) Elar, daß ein Menfch ſich fei« 
nem Gefühl nad) für glückfeeliger oder unglückfeeliger halten 


Eönne, als er es in der That ift. 


E71 
Es frage ſich nunmehr, ob eine jedwede menfchliche 
Seele, in einem jediveden Augenblicfe ihrer Dauer, ent 
weder glückfeelig oder unglückfeelig fey? Ehe wir diefe Sache 
gründlic) entfcheiden koͤnnen, müffen wir erft einen allges 
meinen Satz darthun, nemlich, daß es fehlechterdings un- 
gereimt zu fagen ſey, es fünne ein Ding gut und böfe zus 
gleich, und zwar im gleichen Grade, feyn. Geſetzt, es 
fey ein Ding gut und böfe zugleich, es habe Bollfommen- 
heiten und Unvollfommenheiten, wie alle endlihe Dinge 
dergeftalt befchaffen find $.199. Geſetzt, man rechne alle 
feine Bollfommenbeiten und Unvollfommenbeiten: vol!fom- 
men zufammen, und es fände fid), daß die Summe der 
eritern, der Summe der andern, vollig gleich wäre: fo 
wäre dieſes Ding ein Ding, welches gut und böfe zugleich 
und 


473 Von der Blückfeeligkeie und Ungluͤckſeeligkeit 


und zwar im gleichen Grade iſt. Es fragt ſich, ob ein fols 
ches Ding moͤglich, oder wohl gar wuͤrklich ſey? Und da 
behaupten wir, daß dieſes fchlechterdings nicht angehe. 
Denn da ein folhes Ding eines Theils böfe ift, fohates 
niche den hoͤchſten Grad der Realität und Vollfommendeit, | 
und es ift demnad) eingefchränfe und endlich $. 190, 191. 
folglich ift es auch ein zufälliges Ding $.193. Was zue 
fällig ift, deſſen Gegentheil ift möglih $.105. Folglich 
würde von einem folchen Dinge ein Gegentheil möglich feyn, 
und zwar muͤſte diefes Gegentheil auſſer ihm möglid) und 
wuͤrklich feyn fünnen: denn in feinem Dinge felbft fan, fein 
Gegentheil, ftat finden. $.79. Folglich wenn ein Ding 
gut und böfe zugleich im gleichen Grade möglich wäre, fo 
wäre auffer ihm ein Ding möglich, welches ihm entgegenges 
fegt wäre, und von welchem alfo verneinet werden müfte, 
was von ihm bejahet, und bejahef, was von ihm verneinet 
würde, Folglich hätte es einen Grad der Unvollfommens 
heit, der dem Grade der Vollkommenheit diefes Dinges, 
wovon geredet wird, gleich) wäre, und einen Grad der 
Bollfommendeit, welcher dem Grade der Unvollfommen- 
heit deſſelben gleich wäre, Folglich wären zwey Dinge auffer 
einander möglich, welche, dem Grade der Bollfommenheit 
und Unvollfommenheit nach, einander völlig gleich wären, 
und das ift fchlechterdings unmöglich $.2ır. Gefest, die 
Vollkommenheit eines Dinges fey viere gleich, und feine 
Unvollfommenheit auch vieres denn es foll ja gut und böfe 
zugleich im gleichen Grade feyn. Seinem Gegentbeile fehle 
vier Grad Vollkommenheit, das ift, feine Unvollfommen« 
heit ift fo groß als viere; und es fehle ihm aud) vier Grad 
Unvollfommenheit, das ift, feine Vollkommenheit ift viere 
gleih. Es lehrt demnach der Augenfchein, daß das Ge— 
gentheil eines Dinges, welches gut und böfe zugleid) im glei⸗ 
chen Grade wäre, demfelben an Bollfommenheit oder Rea— 
lität vollfommen gleich feyn muͤſte. Da es nun aber auffer 
ihm möglich und wuͤrklich feyn müfte, fo ift ein ſolches 
Ding offenbar, dem Satze des Unterfchiedes aller auffer 

| einander 




















der menfchlichen Seele. 479 


einander befindlichen möglichen Dinge zumider, und man 
Fan alfo dergleichen Dinge gar nicht annehmen. Folglich 
find alle endliche Dinge entweder mehr gut als böfe, und 
die werden von ihrem gröffern Theile fchlechtweg gute Dins 
ge genennt; oder fie find mehr bofe als gut, und Die wer— 
den ebenfals fihlechtweg böfe genennt, weil fie gröftentheils 
böfe find. Diefe Unterfuchungen fcheinen vielleicht manchen 
fpisfindig zu ſeyn, allein wir werden ihren groffen Nutzen, 
und ihre ungemeine Sruchbarfeit, alfobald gewahr werden. 


— 

Eine jedwede menſchliche Seele, ſie mag nun den Ge— 
brauch der Vernunft und Freyheit beſitzen oder nicht, iſt eis 
ne endliche Subftanz $.739. Solglich Fan fie niemals in eis 
nem Zuftande fic) befinden, in welchem fie weder vollfom- 
men noch unvollfonmen wäre 6.650. eben fo wenig als in 
einem Zuftande, in welchem fie vollfommen und unvoll- 
fommen zugleich, und zwar im gleichen Grade wäre $. 771 
Folglich ift eine jedwede menfchliche Seele entweder mehr 
vollfommen als unvollfommen, oder mehr unvollfommen 
als vollfommen 9.771. In dem erften Falle befinder fie 
fih in dem Zuftande der Wohlfarth, in dem andern aber 
in dem Stande des Elendes $. 786. Folglich muß man 
eben diefes von den Seelen der Kinder, der Wahnwisigen, 
und von allen menfchlichen Seelen ohne Yusnahme fagen, 
Was aber diejenigen Seelen der Menfchen betrift, welche 
den Gebrauch der Freyheit haben, fo find fie einer Gluͤck? 
feeligfeit faͤhig, und folglic) muß man von ihnen behaupten, 
daß fie entweder glückfeelig oder unglückfeelig find. Denn 
fie find, wie gleich jeßo ermwiefen worden, entweder in ei— 
nem Zuftande der Wohlfarth, oder in einem Zuftande des 
Elendes, Auſſerdem haben fie nun noch die Moralität oder 
Eittlihfeit, weil fie ven Gebrauch ihrer Freyheit beſitzen. 
Diefe Moralität Fan in ihnen nicht ganz gleichgültig ſeyn 
6.650. fie fan aber auch nicht im gleichen Grade gut und 
böfe fenn 9.771. Folglich ift fie moralifch entweder mehr 
vollfommen als unvollfommen, oder umgekehrt, Folglich 

iſt 


480. Don der Glüchfecligkeit und Ungluͤckſeeligkeit 


ift eine jedwede menfc)liche Seele, in einem jedrveden Au— 
genblicke ihrer Dauer, wenn fie den, Gebrauch ihrer Frey⸗ 
heit hat, entweder feelig oder unfeelig $.767. Und es ift 
demnach Flar, daß eine jedwede menſchliche Seele, die ven 
Gebrauc ihrer Freyheit hat, entweder glückfeelig oder uns 
gluͤckſeelig ſey $.768. Es gibt alfo weder in diefem $eben, 
noch in jenem, gleichfam einen Mittelftand, von. welchem 
man fagen koͤnnte, daß die menfchliche Seele in demfelben 
weder wohl noch elend, weder feelig noch unfeelig, weder 
glückfeelig noch unglückfeelig wäre. 


8. 773. 

Die menfchliche Seele mag fich in einem Zuftande bes 
finden, in welchem fie will, fo wird fie, wie alle endliche 
wuͤrkliche Dinge, beftändig verändert. Keine ihrer Ver— 
änderungen, es mögen nun Handlungen oder Leiden feym, 
Fan weder gut noch boͤſe ſeyn $.650. und eben fo wenig fan 
eine einzige derfelben gut und bofe zugleich im gleichen Gra— 
de feyn 9. 771. Folglich ift eine jede DBeränderung der 
menfchlichen Seele, entweder mehr gut oder böfe, oder mehr 
böfe als gut. it das erfte, fo träge fie mehr zur Vermeh— 
rung der Vollkommenheit der Seele bey als der Unvollfomzs 
menheit, und wenn es eine moralifche Veraͤnderung ift, fo 
vermehrt fie die Seeligleit. Cine folche Veränderung wird 
ſchlechthin gut genennt, und fie vermehrt die Gluͤckſeeligkeit. 
In dem andern Falle träge fie mehr zur Vermehrung der 
Unvollkommenheit als Vollkommenheit bey, und wenn es 
eine moralifche Veränderung ift, fo vermehrt fie die Unſee— 
ligfeit. Eine ſolche Veränderung wird fehlechthin böfe ge— 
nenne, und fie vermehrt die Unglückfeeligfeit. Folglich Fan 
die menfchliche Seele Feine Handlung vornehmen, und feine 
Veränderung leiden, welche nicht entweder ihre Glückfeelig- 
feit oder Unglückfeeligkeit vermehren folte. Sie Fan nie» 
mals in dev Ölückjeeligfeit ftille ftehen, wenn fie in verfelben 
nicht wächft, fo nimt fie in ipr ab. Denn menn fie ftiffe 
ftehen koͤnnte: fo müfle die Veränderung, Die zu der Zeit 
in ihr wuͤrklich ware, entweder weder gut noch böfe ſeyn, 

und 

















der menfchlichen Seele. 481 


und alſo weder die Gluͤckſeeligkeit vermehren noch vermins 
dern; oder ſie muͤſte gleich viel zur Gluͤckſeeligkeit und Un— 
glückfeeligfeit beytragen, beydes aber iſt ungereimt. Dies 
fer Satz ift in der Sittenlehre von der äufferften Wichtig- 
feit, indem es eine der gröften Wahrheiten ift, daß Feine 
menfchliche Handlung fen, die nicht entweder gut oder bofe 
wäre; oder die nicht entweder den Menfchen glückfeeliger 
oder unglückfeeliger machen folte, und daß alfo die Meinung 
von der Gleichgültigfeit einiger Handlungen ungereimt ſey. 
$ 774% 

Einige Weltweife erklären, die Gfückfeeligfeit, durch 
einen ununterbrochenen Sorlanı oder Wachsthum in der 
Vollkommenheit; und die Lnglückfeeligfeit, durch einen 
ununterbrochenen Wachsthum in der Unvollfommenbheit, 
Nun Fan man zwar zuaeftehen, daß die Bermehrung der 
Bollfommenheit und Unvollfommenheit, in der Gluͤckſeelig— 
feit und Unglückfeeligfeit, ftat finden koͤnne: allein wenn 
man diefe Begriffe mit meinen bisherigen Unterfuchungen 
vergleicht; fo Fan ein jeder von felbit einfehen, daß fie die 
Sache nicht genau genung erklären. Sie geben uns aber 
doch eine Gelegenheit, noch eine wichtige Betrachtung, über 
die menſchliche Glückfecligfeit und Unglückfeeligkeit, anzu: 
ſtellen. Dieſe Begriffe nemlich fcheinen fagen zu wollen, 


‘daß ein Menfch, der einmal glücfeelig oder unglückfeelig ge: 


worden, es ewig bleibe. nd die meiften ſtehn auch in den 
Gedanken, als wenn es unmoglic) fey, daß ein Menfch, 
der, fonderlich nach dem Tode, einmal glückfeelig geworden, 
wiederum unglücfeelig werden; und daß derjenige, der ein- 
mal unglücfeelig geworden, wiederum glücfeelig werden 
folle. Wir wollen uns demnach überzeugen, daß alle menfch- 
liche Glückfeeligkeit und Unglücfeeligfeit veränderlich fen. 
Die menfhlihe Seele ift ja ein endliches und zufälliges 
Ding $.739. und Fan alfo wohl etwas in ihr würflich ſeyn, 
welches nicht veränderlih wäre? Ihre Gluͤckſeeligkeit und 
Ungluͤckſeeligkeit beruhet ja auf unendlich vielen aufferlichen 
und innerlichen Urfachen, die zufällig find, fonderlich auf 
den frenen Handlungen, und was für. Abwechfelungen find 

3, Theil, Hh alle 


432 Von der Blüchfeeligkeit und Ungluͤckſeeligkeit :c, 


alle diefe Dinge nicht unterworfen ? Und da fein Stillſtand, 
in der Glückfeeligfeit und Unglückfeeligfeit ver Seele, müg- 
lich ift $.773. fo wird fie beitändig entweder vermehrt, oder 
vermindert. Sonderlich aber ift zu merfen, einmal, daß 
eine menfchliche Seele, welche glückfeelig ift, wiederum un- 
glückfeelig werden Fonne: indem es in ihrer Freyheit ſteht, 
an ftat der guten Handlungen böfe vorzunehmen. Vielleicht 
aber fan es einen gewiflen Grad der Gluͤckſeeligkeit geben, 
der fo befchaffen ift, daß es der menfchlichen Seele, wenn 
fie ihm erreicht hat, hypothetiſch unmoͤglich wird, wiederum 
unglückfeelig zumerden. Und alsdenn hätteman eine Gluͤck— 
fecligfeit erreicht, in deren Befiß man vollfommen ficher feyn 
Fönnte. Es würde zwar Diefer Grad der Glückfeeligkeit ale 
lemal zufällig bleiben, und alfo würde es allemal an und vor 
fic betrachtet möglich bleiben, daß er verlohren gienge. Als 
lein was an fich möglich ift, gefchieht deswegen noch nicht. 
Sb es nun einen folchen Grad der menfchlichen Glücfeeligs 
feit gebe, das läßt fich mit feiner Gewißheit ausmachen, 
Zum andern muß man eben diefes, von der nenfelichen 
Unglückfeeligfeit, fagen. Denn es beruhet diefelbe vornem— 
lich, auf den moralifchen böfen Handlungen, Da diefe nun 
frey find, fo fan der Menfch ftat derfelben gute Handlungen 
thun, und folglidy Fan ein jedweder unglückfeeliger Menfch 
glückjeelig werden. Vielleicht aber gibt es einen gemiffen 
Grad der Unglückfeeligkeit, welcher fo befchaffen ift, daß es 
dem Menfchen, der ihn einmal erreicht bat, hypothetiſch 
unmöglich wird, glückfeelig zu werden. Alsdenn wäre der 
Menfch in eine Unglückfeeligfeit verfunfen, aus welcher er in 
alle Ewigfeit nicht würde errettet werden. Ob es aber ei— 
nen folchen Grad der menfchlichen Unglückfeeligkeit gebe, das, 
läßt fich ſchwerlich ausmachen. So viel ift unleugbar, daß 
alle menfchliche Unglückfeeligfeit, fie mag auch fo groß ſeyn 
als fie will, an und vor fich felbjt betrachtet zufällig fen, 
und es bleibt demnach an fic) allemal möglich, daß der uns 
glückfeelige Menfch aus einer jedweden Art, und aus einem 
jedweden Grade der menſchlichen Unglückfeeligfeit, ervettet, 
und von demfelben befreyes werde, 

Das 








| 





ur Su > 483 
Das vierte Eapitel, 


von dem 
Urfprunge der menfchlichen Seele, 
775 

De Frage, von dem Urſprunge der menſchlichen Seele, 

iſt mehr artig und neugierig, als nuͤtzlich. Ihre 
Entſcheidung hat nicht den geringſten merklichen Einfluß, 
in die Beförderung und Erhaltung der menſchlichen Glück 
feeligfeit, und weder die Siteenlehre, noch die Arzneygelahr« 
beit, noch irgends eine andere practifhe Wiſſenſchaft und 
Kunft hanget, von der Unterfuchung des Urfprungs der 
menfchlihen Seele, ab. Das Practifche in der ganzen 
menfchlichen Erfenntniß erfodert, von der Lehre von der 
menfchlichen Seele, weiter nichts, als daß fie die verfchies 
denen Kräfte der Seele aufs genauefte unterfuche, und das 
fan gefchehen, ohne daß wir willen, wie die Seele ihren 
Urfprung genommen hat. Unterdeſſen da unfere Seele, der 
wichtigfte Theil von uns, ift; fo ift es eine erlaubte und an— 
ftändige Neugierigfeit, wenn man ein Verlangen trägt zu 
wiffen, tie fie ihren Urfprung genommen habe. Wir Mena 
fehen Fönnen davon fehr wenig fagen, und ic) will die ver- 
fchiedenen Meinungen der Weltweiſen von diefer Sache er- 
zehlen, und fie beurtheilen, fo viel als es in der Kürze gez 


ſchehen Fan, 
$. 776. 


Die Erfahrung lehrt, daß der Menfch gezeuger und 
gebohren wird, und es ift unleugbar, daß die menfchliche 
Seele dur) die Zeugung und Geburt eben denjenigen Kör- 
per befomme, den wir auf diefem Erdboden und in dieſem 
Leben haben. Diefer Körper mag nun vorher in einer an— 
dern Geftalt, oder als eine rohe und ungeformte Materie, 
oder irgends auf eine andere Art da gemefen fenn; fo iftdoch 
fo viel gewiß, daß er die gegenwärtige Ausbildung, Ges 
ftalt und Einrichtung, in der Zeugung erlanget, und wie 
Diefes zugehe und erflärt werden koͤnne, dasmuß in der Phys 

552 fiologie 


484 Don dem Urſprunge 


fiologie unterfucht werden. Nun wollen wir fo fchliefien : 
die menfchliche Seele ift entweder ſchon, vor der Zeugung 


des Menfchen, würflich vorhanden z oder fie wird, .indem -' 


Augenblife der Zeugung, hervorgebracht; oder fie wird, 
einige Zeitnachber, wuͤrklich. Das erſte ift, die Meinung 
der Pröeriftentianer. in Präeriftentianer nimt an, daß 
die Seele eines jediweden Menfchen ſchon längft vor feiner 
Zeugung , in der Welt vorhanden gewefen. Und da fan er 
fich wieder, auf eine doppelte Art, erklären. Einmal fan 
er annehmen, daß die Seele nicht von Ewigfeit her gewe— 
fen, fondern daß fie in der Zeit entjtanden, entweder im 
Anfange der ganzen Welt, oder zu einer andern Zeit, Viele 
nehmen an, daß die ganze Welt einen Anfang genommen, 
und daß GOtt, gleih am erften Schöpfungstage, alle 
Subftanzen der Welt, und alfo auch alle menfchliche Sees 


len‘, erfchaffen habe. Zum andern fan er annehmen, daß: 


die Seele von Ewigkeit ber geweſen, und da behauptet er 
entweder zugleich, daß fie von Ewigkeit her als eine Würs 
fung der göttlichen Kraft würflich geweſen, oder daß fie une 
abhänglich da gewefen. Das legte iſt ein grober Irrthum, 
wie in der natürlichen Gottesgelahrheit erwiefen werden wird. 
Ob es aber auch ein Irrthum ſey, zu fagen, daß die menfchs 
liche Seele, oder ein anderes endliches Ding, von Ewig« 
Eeit her, als eine Würfung GOttes, vorhanden feyn Fönne, 
das wird ebenfals in der natürlichen Gottesgelahrheit unter- 
fucht werden. 
$. 77% 

Nun find manche der Meinung, daß die Seele in 
dem Augenblicke der Zeugung oder nachher, wahrender 
Schwangerſchaft der Mutter, entftehe. Meinem Beduͤn— 
Fon nad) fan man es wohl fehmerlicy, durch irgends einen 


Grund, wahrfcheinlih machen, daß, wenn man annimt, - 
Die Seele eines Menfchen fey vor feiner Zeugung nicht wuͤrk⸗ 


lich gewefen, fie einige Zeit nach der Zeugung hervorges 
bracht werde. Denn wolte man fich darauf berufen, daß 
die Mutter erit nach einigen Wochen, feitdem fie ſchwanger 

ge⸗ 








der menfchlichen Seele. 485 


geworden, das Leben der Frucht fühle: fo bemeißt diefes 
nichts, weil es unleugbar ift, daß die Frucht ſchon vorher 
lebendig fen, ob gleich auf eine der Mutter unmerflihe Art, 
Es fcheint es vielmehr die Ordnung der Natur zu erfodern, 
daß die Seele alfobald da feyn müffe, fo bald ihr Körper 
wuͤrklich wird, folglich in dem Augenblide der Zeugung: 
meil er ſchon in dieſem Augenblicke einigermaffen die Ges 
ſchicklichkeit befist, die ein Korper haben muß, wenn er 
von einer Seele bewohnt werden fol. Diejenigen nun, wels 
che behaupten, daß die Seele des Menfchen in dem Augenz 
blife der Zeugung entftehe, erflären ihre Meinung auf eine 
doppelte Art. Einige fagen, daß fie in dieſem Augenblicke 
aus Nichts hervorgebracht werde, und fie werden die In— 
ducianer genennt, Wir werden in der natürlichen Gottes— 
gelabrheit fehen, daß man durch die Schöpfung die 
Handlung verftehe, Durch welche ein Ding aus Nichts gew 
würft, oder hervorgebracht wird $.175. Folglich behaup- 
ten die Inducianer, daß, wenn ein Menfch von feinen El» 
tern gezeugt wird, fein Leib durch den Saamen in den Leib 
der Mutter verfegt werde, um dafelbjt ausgebildet zu wer⸗ 
den, und zu feiner Reife zu fommen, und daß feine Seele 
in demfelben Augenblicke erfchaffen, und in die genauefte Ge⸗ 
meinfchaft mit dem $eibeverfegt werde. Sienehmen alfo an, 
daß durch eine befondere Handlung der Körper in den Leib der 
Mutter verfegt werde, oder in demfelben feine Anlage ber 
fomme, und daß durch eine Schöpfung der Einwohner die 
fes Gebäudes hervorgebracht, und in feine Wohnung alfo- 
bald eingeführt werde, Andere aber nehmen an, daß die 


‚Seele des Kindes bey der Zeugung aus den Eltern entftehe, 


und die werden die Traducianer genennt, Sie behaup- 
ten alfo, Daß die Seele aus Etwas entftehe, welches vorher 
da gewefen, Einige fagen, fie entftehe aus den Seelen ver 
Eltern, einige leiten fie aus der Seele des Vaters her, ei- 
nige aus den Körpern der Eltern. 5a einige haben gemiffe 
Zeugungsgeifter erdichtet, vermittelft welcher die Geele des 
Kindes aus den Eltern gebildet würde, indem diefeiben, den 

553 Stof 


486 Von dem Urfprunge 


Stof zu der neuen Seele, aus den Eltern nähmen, und fie 
aus demfelben hervorbrächten, mie 5. E. ein Goldſchmid, 
aus einem, Stüde Silber, etwas verfertiget. Die ganze 
Meinung der Traducianer ift ungereimt, wie wir balde fe- 
ben werden, und fonderlich die Meinung von den Zeugungss 
geiftern. Das beißt verborgene Kräfte und Eigenfchaften 
annehmen, um daraus die Erfcheinungen zu erklären: und 
Das iſt, mie ein jeder aus der Bernunftlehre weiß, dem 
Character der wahren Weltweisheit vollfommen zumider, 
9. 778. 

Wir haben noch eine Meinung, von dem Urfprunge 
der menfchlichen Seele, zu unterfuchen, welche man die 
Meinung der Crestianer nennt, vermöge welcher man be⸗ 
hauptet, daß. die menfchliche Seele aus Nichts ihren Urs 
fprung habe; oder daß, eine jedwede menfchliche Seele, 
erfchaffen fen. Der Creatianer fan annehmen, daß die 
menfchliche Seele von Emigfeit her von GOtt gefchaffen fer, 
das ift, daß fie als eine beftändige Würfung GOttes von 
Ewigkeit her da gewefen, und er Fan alsdenn unmöglic) bes 
haupten, daß fie aus einem Etwas, welches vor ihr ſchon 
da gemefen wäre, entftanden fey; oder er fan annehmen, 
daß dieſe ganze Welt einen Anfang gehabt, und daß vie 
Seele, mit allen übrigen Subftanzen der Welt, gleich bey 
dem erften Anfange der Schöpfung, von GOtt erſchaffen 
fen; oder er fan annehmen, daß die Seele, in dem Aus 


genblicke der Zeugung des Menfchen, oder einige Zeit nach⸗ 


ber, von GDre erfchaffen werde, Wenn wir nun diefe 
Meinung mit den vorhergehenden Meinungen vergleichen, 
fo erhelfet daraus erftlich, daß Fein Traducianer ein Creas 
tianer, und Fein Creatianer ein Traducianer feyn Fünne: 
denn ihre Meinungen widerfprechen einander aufs offenbar- 
fie $.777. Der Traducianer fagt, die Seele entftehe aus 
den Eltern, und alfo aus Etwas, welches vorher da gewe— 
fen, ver Ereatianer aber leugnet dieſes. Wenn man alfo 
erweifen fan, daß die Creatianer Recht haben, fo find eben 
Dadurch die Traducianer vollig widerlegt. Zum andern, 
alle Inducianer find Creatianer: denn fie behaupten, daß 

die 





| 





| 











der menfchlichen Seele. 457 


die Seele aus Nichts entſtehe $. 777. Allein nicht ein jeder 
Ereatianer ift ein Inducianer, weil er annehmen Fan, daß 
die Seele ſchon vor der Zeugung des Menfchen erfchaffen 
worden. Zum dritten, ein Präeriftentianer ift nicht noth— 
wendig zugleich ein Creatianer. Er behauptet nur, daß die 
Seele vor der Zeugung des Menfchen da gemefen, und da 
fan er verfchiedene andere Irrthuͤmer, mit feiner fonft richti— 
gen Meinung, verbinden. Er fan fagen: die Seele ift 
von Emigfeit, ohne gefchaffen zu feyn, da gemefen; oder 
fie ift ein Theil GOttes, und bey der Zeugung des Mene 
fchen von GOtt abgefondert, und in die Materie gefenft ; 
oder fie ift materiel, und fan alfo aus etwas vorhergehen= 


- den, lange vor der Zeugung des Menfchen, entftanden ſeyn. 


Er fan aber zugleid) ein Creatianer feyn, wenn er annimt, 
daß die Seele vor der Zeugung des Menfchen erfchaffen fen. 
Eben fo ift der Creatianer nicht nothwendig zugleich ein Prä= 
eriftentianer „ weil er annehmen Fan, daß die Seele, erft bey 
der Zeugung des Menfchen, oder nachher erfchaffenfey. Er 
fan aber zugleich ein Präeriftentianer feyn, weil er annehmen 
fan, daß die Seele vor der Zeugung des Menfchen erjchaf- 
fen worden, 
ö $. 779% 

Was nun die bisher erklärten Meinungen von dem 
Urſprunge der menfhlichen Seele betrift, fo befteht das ein- 
zige, was mit Gewißheit entfchieden werden Fan, darin: 
daß die Ereatianer überhaupt recht haben, und die Tradus 
cianer irren. Denn feine einzelne endliche Subftanz, wenn 
fie entfteht, Fan aus Etwas entftehen. ine Materie, ein 
Ganzes, welches aus vielen auffer einander befindlichen 
Subftanzen beteht, Fan allerdings aus Etwas entftehen, 
welches vor ihr ſchon wuͤrklich iſt. Denn ihr Weſen be- 
ſteht in der Art und Weife, wie ihre aufler einander befind- 
lichen fubftantiellen Theile bey einander find $.182. Wenn 
alfo gleich dieſe Theile würklic) find, fo ift die Materie dem- 
ohnerachtet noch nicht wuͤrklich, fo lange fie einander nicht 
auf Die Art zufammengeordnet find, wie fie es: in ihr 
feyn muͤſſen. Folglich Fan eine Materie, die aus vielen 

Hh 4 Sub⸗ 


488 Von dem Urfprunge 


Subftanzen beftcht, dergeftalt entftehen, daß viele ihrer 
Theile fehon vorher würflich find, und es ift alfo nicht no» 
thig, daß fie aus Nichts entſtehe, fondern fie Fan aus Er- 
was entftehen S.175. Allein in einer einzigen Subſtanz fan 
‚nichts von einander unterfchieden werden, als das Gubftan- 
tielle und ihre Accidenzien. $.154. Die Accidenzien koͤn— 
nen nicht vor ihrer Subftanz wuͤrklich ſeyn, denn fie fönnen 
nicht auffer der Subftanz würflich ſeyn $.156. Das Sub- 
ſtantielle iſt die Subftanz felbft $. 157. und wenn es alfo vor 
der Subftanz wuͤrklich wäre, fo wäre die Subftanz eher da, 
ehe fie ivürflich wäre. Kan etwas ungereimteres gefagt 
werden? Folglich Fan fein Theil einer einzeln Subſtanz 
vor ihr da ſeyn, und folglich Fan Feine endliche Subftanz, 
wenn fie entfteht, anders als aus Nichts entftehen 8. 175. 
Die menſchliche Seele ift nur eine einzige Subſtanz $. 738. 
und fie ift entweder von Ewigkeit her geweſen, oder fie ift 
in der Zeit entftanden. Iſt das erfte, fo wäre es der un 
gereimtefte Widerfpruch, wenn man fagen wolte, fie wäre 
aus Etwas entftanden. Man muß alfo in diefem Falle fa 
gen, daß fie von Ewigkeit her von GOtt aus Nichts gewuͤrkt 
worden. Iſt das andere, fo ift fie aus Nichts hervorges 
bracht. Folglich haben die Creatianer Recht $.778. Ob 
fie aber von Ewigkeit her von GOtt erfchaffen und gewuͤrkt 
worden; oder ob fie vor der Zeugung des Menfchen, 3. E. 
im Anfange der ganzen Welt , oder in dem Augenblicke der 
Zeugung von GoOtt erſchaffen worden : das ift nicht fo leicht 
zu entfcheiden. In der natürlichen Gottesgelahrheit werde 
ich, die Meinung von der Ewigkeit der endlichen Dinge, ges 
nauer unferfichen. Hier will ich nur mit wenigem bemers 
fen, daß es wahrfcheintich fen, daß die Seelen der Mens 
ſchen, ſchon vor der Zeugung der Menfchen, da geweſen. 
Denn wern man annimt, daß in der Welt Fein leerer Raum 
ſey: fo fan GOtt keine neue Subftanz in die Welt fo zu 
reden einfchieben, weil eine jedwede Subftanz in der Welt, 
einen eigenen befondern Dre, haben muß. Und da alle 
Subſtanzen in der Welt in einander wirfen, fo würde, durch 
die Hervorbringung einer neuen Subſtanz, der allgemeine 

ge: 











der menfehlichen Seele. 489 


gegenfeitige Einfluß in der Welt vergröffert, und es würden, 
dunch die Hervorbringung einer einzigen neuen Subftanz, die 
Kräfte aller übrigen vermehrt, welches nicht wahrfcheinlich 
zu ſeyn feheint, ! 

| G. 780. 

Die Meinung der Traducianer widerfpricht, der Mei« 
nung der Creatianer, offenbar $. 778. Da nun die legte 
wahr ift, $.779. fo muß die erfte falfch fern. Ein Tradu— 
cianer mag fic) erflären wie er will, fo fält er ins unge 
veimte, Wolte er fagen, evftlich, baß die Seele des Kin— 
des aus den Seelen der Eltern entftinde: fo Fan man ihn 
fragen, wie diefes zugehen folle? Nimt er die Zeugungs⸗ 
geifter zu Huͤlfe, fo macht er fich lächerlich $. 777. Sagt 
er, daß die Seele ves Kindes aus den Seelen der Eltern 
entftehe, wie ein Flaͤmlein aus einem andern Flaͤmlein ent: 
zuͤndet wvird: ſo iſt dieſes ein bloſſes Gleichniß, welches 
nichts erweiſet. Es iſt noch dazu ein ungluͤckliches Gleich— 
niß, weil es ſich gar nicht paßt, indem eine Flamme von 
der andern, durch eine Fortpflanzung der Bewegung, ent⸗ 
zuͤndet wird. Und wenn er ſagen wolte, daß ein Theil der 
Seelen der Eltern von den uͤbrigen abgefondert, und zur 
Seele des Kindes werde: fo muß dieſer Theil vor fich beftez 
hen, und eine Subitanz feyn. Folglich müften die Seelen 
der Eltern feine einzelne Subjtanzen, fondern Inbegriffe 
vieler Subftanzen feyn, und das ift ungereimt 8.738. Nun 
Fönnte zum andern ver Traductaner fagen, Daß die Seele 
des Kindes aus den Leibern der Eltern entftehe. Folglich 
müfte ein Theil ber Leiber der Eltern, bey der Zeugung des 
Kindes, von den übrigen abgefondert, und zur Geele des 
Kindes werden. Die Leiber der Citern beftehen, wie alle 
Körper, aus vielen Subftanzen. Folglich wiirde bey der 
Zeugung, entweder nur eine Subſtanz aus ven teibern der 
Eltern abgefondert, und zur Seele des Kindes, oder ein fol: . 
cher Theil, welcher aus vielen Subſtanzen befteht, Iſt das 
legte, fo müfte die Geele des Kindes aus vielen Subftan- 
zen beſtehen, und das ift ungereimt $. 738. Iſt vas erfte, 

955 ſo 


499 Don dem Urfprunge 


fo entfteht die Seele des Kindes nicht, fondern fie ift ſchon 
‚Jängft vor der Zeugung, als eine einzelne Subftanz, in den 
$eibern der Eltern da geweſen. Folglich Ean, die Meinung 
ber. Traducianer, auf Eeinerley Weife angenommen werden. 
S., 75 

Die unleugbare Erfahrung lehrt, daß die menfchlis 
chen Seelen fortgepflanzt werden. Nemlich, da täglich 
Menfchen gezeugt und gebohren werden, fo ift offenbar, daß 
immer andere und andere menfchlihe Seelen mit folchen 
Seibern vereiniget werden , dergleichen wir auf diefem Erds 
boden haben. And das gefchieht durch eine beftändige Ver⸗ 
mehrung der Menfchen, indem die Kinder auf die Eltern 
folgen, und von diefen gezeuat und gebohren werden. Die 
Seelen der Kinder werden famt ihren $eibern aus den El— 
tern herausgeführt, wie aus einem mütterlichen Erdreiche 
eine Pflanze hervorbricht. Die Kinder gehen wie Colonien 
aus ihren Eltern heraus, fie fangen an neue Pläge zu be: 
wohnen, uhd werden dadurch von ihren Eltern abgefonder- 
te Perſonen, welche vor ſich als denfende und vernünftige 
Perfonen ihre Rolle zu fpielen anfangen, Auf die Weife 
pflanzen fi Die menfchlichen Seelen fort, oder überhaupt 
die Menfchen, und vermehren fich, wie die Pflanzen, und 


alle andere Thiere, die wir auf dem Erdboden gewahr wer⸗ 


den. Diefe Abftammung der Menfchen, und infonderheit 
ihrer Seelen, von einander, ift nun die Fortpflanzung 
der menfchlichen Seele, welche überhaupt nichts in fid) 
enthält, welches nicht, um der unleugbaren Erfahrung wil—⸗ 
len, mit der vollfommenften Gewißheit angenommen wer= 
den Fan; obgleich, wie wir alfobald fehen werden, die weis 
tere Erklärung diefer Fortpflanzung, fehr vieler Schwierige 
keit und Ungewißheit unterworfen ift. Man fan alfo ans 
nehmen, daß in der beiten Welt, eine doppelte Art der 
denfenden Subftanzen und Geifter, angetroffen werden. 
Zu der erften gehören diejenigen, welche nicht von einander 
abftanımen, fondern die zugleich zum Bewußtſeyn ihrer 
felbft gelanget find: mie die Bibel von den Engeln het 

hert. 


un Dre A 








— 





der menfchlichen Seele. 491 


chert. Und zu der andern gehören Diejenigen, die von eins 
ander abftanımen, und Dadurch eine nad) der andern zum 
Bewußtſeyn gelangen. Beyde Arten find, in der beften 
Melt, nöthig. Die Körpermelt iſt wie eine Stadt zu bes 
trachten, von welcher, gleich vom Anfange an, eine gewiffe 
Anzal Häufer aufgebauet worden, und da muften auf eins 
mal fo viel denfende Subftanzen da feyn, als nöthig waren, 
diefe Gebäude zu bewohnen. Und da war es alfo unnöthig, 
Daß diefe denfende Subftanzen und Geifter einander forts 
pflanzten. Allein diefe Stadt wird immer mehr angebauef, 
und es werden immer mehr Gebäude, hinzugebauet. Folg« 
lich würden die alten Einwohner nicht zureichen, dieſe neuen 
Gebäude zu bewohnen, Und es hat es demnach der Urhe— 
ber der Welt vergeftalt eingerichtet, daß einige denfende 
Wefen, wie die menfchlichen Seelen, fortgepflanzt werden, 
damit die Wohnpläße, welche nach und nad) fertig werden, 
ihre Einwohner befommen. 


$. 782. 

Nun frage fichs, wo die Seele felbft, ihrer Subftanz 
nach, bey ihrer Fortpflanzung herfomme? Die Erfahrung 
lehrt uns weiter nichts, als daß immer andere und andere 
menfchliche Seelen, durch) Die Zeugung und Geburt, mit 
folhen Körpern vereiniget werden, dergleichen wir auf Dies 
fem Erdboden haben, und daß fie dadurch zum Bewußtſeyn 
ihrer felbft gelangen. Allein die Subftanz der Seele feibft 
fan, ohne Bewußtfenn ihrer felbft, ſchon vorher da ges 
weſen feyn, fie Fan aber auch nicht vorher da geweſen feyn, 
Folglich fan man fi), bey der Fortpflanzung der menſch— 
lichen Seelen, auf eine doppelte Art erklären, Ein— 
mal wenn man annimt, daß, bey diefer Fortpflan— 
zung, die menſchliche Seele ihrer So nach entftehe, 
Und da muͤſte man annehmen, daß bey der Zeugung eines 
Menfhen nicht nur fein Körper, fo wie er ihn auf dieſem 
Erdboden hat, entſtehe; fondern daß auch feine Seele, wel⸗ 
che mit diefem Körper in der genaueften Gemeinfchaft fteht, 
ihren Anfang nehme, und daß fie alfo vorher gar nicht wuͤrk— 

lich, 


493 Von dem Urſprunge 


lich, ſondern eine bloß moͤgliche Subſtanz geweſen. Und 
da Fan man ſich wiederum, auf eine dreyfache Art, erklaͤ— 
ron. 1) Wenn man zugleich ein Traducianer ift, und an 
nimt, daß die Seele des Menfchen, bey feiner Zeugung, 
aus den Eltern entftehe, Allein diefe Meinung iſt falſch 
$. 780. Alle Traducianer nehmen auch die Fortpflanzung 
der menfchlichen Seele an: denn die fan Fein Menfch leug— 
nen. Allein wer da fagt, die menfchlichen Seelen werden 
fortgepflanze, ift nicht gleich ein Traducianer, weil er fich 
auf verfchiedene andere Arten erklären fan, wie wir gleich 
fehen werden. Und wenn ein Traducianer vorgeben folte, 
daß er allein die Fortpflanzung der menfchlichen Geele bes 
baupte, und daß feine Meinung in der Behauptung diefer 
Fortpflanzung beftehe: fo verräth er feine tiefe Unwiſſenheit. 
2) Wenn man zugleich ein Inducianer ift $. 777. und ans 
nimt, daß GOtt, in dem Augenblide der Zeugung, die 
Seele des Kindes ſchaffe, und fie mit dem erzeugten Körper 
in Muterleibe vereinige. Diefe Meinung Fan, nach uns 
fern jeßigen Einfichten, nicht mit völliger Gewißheit wider: 
legt werden, fondern nur mit Wahrfcheinlichfeit , wenn man 
nemlich die Meinung der Präeriftentianer wahrfcheinlich zu 
machen im Stande ift 9.778. 3) Wenn man annimt, daß, 
bey der Zeugung des Menfchen, die Seele des Kindes von 
den Eltern, von der Seele des Vaters, oder von der Ges 
le der Mutter, oder von beyden zugleich, aus Nichts her— 
vorgebracht werde. Es ift ein groffer Unterfchied, ob man 
fage: die Seele des Kindes entftehe aus den Eltern, oder 


fie entftehe von den Eltern. In dem erften Falle ſagt man, 
der Stof zu der Seele des Kindes werde aus den Eltern genom= 


men, und das ift ungereimt $.790. In dem andern aber 
fagt man, die Eltern find die würfenden Urſachen der Sees 
le des Kindes. Auf eine ähnliche Art fagt man, daß ein 
Tiſch aus dem Holze, und nicht von dem Holze entftehe, er 
entſteht aber von dem Tifcher, nicht aber aus dem Tifcher. 
Und hier Fan man fich wieder, auf eine doppelte Art, ers 


klaͤren. Einmal fonnte man annehmen, daß die Seelen der 
Eltern 








der menfchlichen Seele. 493 


Eitern eine folche Schöpferskraft befäffen, Durch welche fie 
eine Subftanz ihrer Art aus Nichts hervorbringen koͤnnten, 
fo daß GOtt dabey weiter nicht mitwürfe, als er, nach 
Auffage der natürlichen Gottesgelahrheit, bey allen nakürlis 
chen Handlungen der Creaturen würffam ſeyn muß: Als 
lein diefe Meinung ift gar nicht, dem Character der wahren: 
Weltweisheit, gemäß. Wir haben gar Feinen beftimten 
Begrif von diefer Schöpfersfraft, und wir koͤnnen cs durch 
feinen einzigen Grund wahrfcheinlich machen, daß eine end- 
liche Subftanz eine fd mächtige Kraft haben folte, welche da- 
zu erfodert wird, wenn eine andere endliche Subftanz aus. 
Nichts hervorgebracht werden fol, Diefe Meinung fält 
ohnedem weg, wenn man Die Meinung der Präeriftentianer 
wahrfcheinlich macht $. 779. Zum andern Fünnte man ſa⸗ 
gen, daß GOtt, bey der Zeugung des Menfchen, das 
Subftantielle der Seele des Kindes, famt den meiften und 
gröften Realitäten derfelben, erfchaffe; daß aber die Seelen 
der Eltern, in demfelben Augenblicke, bey der Hervorbrins 
gung der Seele des Kindes, zugleic) würffam wären, und 
in dem Augenblicke, da GDtt diefe Seele fchaft, die übris 
gen eingefchränften Nealitäten hinzufuͤgten, und daß fie der— 
geftalt die Mitfchöpfer der Seele des Kindes wären. GOtt 
müfte alfo den Seelen der Eitern eine ſolche beſondere Kraft 
aegeben haben, vermöge welcher fie im Stande wären, ei» 
nige Subftanzen ihrer Art, zugleich in einer genauern Gefells 
ſchaft mit GOtt, zu erſchaffen. Diefe Meinung würde, die 
Fortpflanzung der Erbfünde, gut erklären. Allein das Fan 
fein pbilofophifcher Entfcheidungsgrund feyn, meil die Erb» 
finde auf eine andere Art entftehen Fan, und folten wir auc) 
gleich diefe andere Art nicht angeben koͤnnen. Wir Mens 
ſchen muͤſſen die geoffenbarten Wahrheiten annehmen, und 
wenn wir auch gleich nicht im Stande find, fie phitofophifch 
zu erflären. Auch diefe andere Meinung fält weg, wenn 
man die Meinung der Präeriftentianer wahrfcheinlich macht 
$.779. und fie it dem Character der wahren Weltweisheit 
zumider, Sie erftäre, den Urſprung der menfchlichen See: 

le, 


494 Von dem Urfprunge 


fe‘, aus einer verborgenen Eigenſchaft der Seelen der El— 
tern. Wir haben auch von diefer Mirfchöpfersfraft feinen 
beftimten Begrif,_und meines Willens ift man noch nicht 
im Stande gewefen , einen wahren philofophifchen Grund 
anzugeden, durch weichen fie nur einigermaffen wahrfcheins 
lich) gemacht werden könnte. 


$. 783. 

Zum andern Fan man fih, bey der Fortpflanzung der 
menfchlichen Seele, dergeftalt erflären, daß man annimt, 
die Seele entftehe nicht bey der Zeugung, fondern fen ſchon 
lange vorher entweder von Ewigkeit her, oder vom Anfan— 
ge der Welt an wuͤrklich geweſen. Und da koͤnnte man 
denn fagen, daß die Seele von Ewigkeit her oder in der Zeit 
unmittelbar und allein von GOtt erfchaffen, und daß GOtt 
zugleich einen unendlich Eleinen Körper zugerichtet, und ihn 
alfobald mit der Seele in die genauefte Gemeinfchaft gefeßt. 
Daher der ganze Menfch nach Leib und Seele, als ein un- 
endlich kleines Thierchen, ſchon längft vor der Zeugung in 
der Welt geweſen. ge weiter nun diefes Thierchen in der 
vergangenen Zeit, von dem Zeitpuncte der Zeugung, Da eis 
ne fo merfliche und groffe Veränderung mit ihm vorgeht, 
und da esaus der Dunkelheit, in welcher es vorher ver« 
fteckt gelegen, auf einen groͤſſern Schauplaß hervorgeht, 
entferne iſt, defto unvollfommener ift es, defto dunfeler find 
die Vorftellungen feiner Seele, und defto ungefchickter iſt 
fein Leib zu den barmonifchen Veränderungen. Se näher 
es aber diefem merkwürdigen Zeitpuncte ruckt, indem im: 


mer feine nähere Boreltern auf feine entferntern folgen, deſto 


mehr entwickelt fich feine Seele und fein Körper... Die Duns 
felheit der Erfenneniß in jener nime immer mehr ab, und 
der Körper wird immer zu den harmonifchen Veraͤnderun—⸗ 
gen gefchickter, bis endlic) der Zeitpunct der Zeugung komt. 
Alsdenn wird diefes Thierchen, durch den männlichen Saas 
men, in welchem es kurz vor der Zeugung fich befindet, das 
ber man es auch ein Saamenthierchen nennt, in den Leib 
der Mutter, als in ein fruchtbares Erdreich, verpflanzt, Und 

da 








der menfeblichen Seele 495 


da fan man annehmen, daß die Seele den erften Schimmer 
der Klarheit der Erfenntniß empfange, indem fie Furz vor» 
her fih, vom Anfange ihrer Dauer an, nur bis zu dem 
Grade der Dunkelheit durchgewunden, welcher der leßte vor 
der Morgendemmerung in der Seele ift; und daß der Körs 
per den erften Anfaß von derjenigen Einrichtung eines thierie 
ſchen Körpers befomme, den unfere Körper auf diefem Erds 
boden haben. Wenn man diefe Meinung annime, fo Fan 
man ohne Schwierigfeit einfehen, woher die menfchliche 
Seele gekommen, indem man zugleich die Meinung des 
Creatianers und Präeriftentianers behaupte, Man darf 
alfo nicht annehmen, daß den menfchlichen Geelen eine 
Schöpfersfraft beygelegt werden Fünne, ihres gleichen her— 
vorzubringen. Desgleichen ift auch der Urfprung eines 
fo Fünftlich gebaueten Körpers, als der menfihliche ift, be» 
greiflich, und man darf hernach nicht zu den feltfamen Eins 
fällen feine Zuflucht nehmen, als wenn der menfchliche Kör- 
per durch die bloffe Wärme im Mutterleibe gebildet würde, 
oder als wenn die Seele der Mutter oder des Kindes diefen 
Körper bauete, welche in der Phnfiologie weiter beurtheilt 
werden muͤſſen. Hernach fan man auch fagen, daß die 
Erfahrung diefer Meinung ſehr günftig fey. Die Natur: 
forfcher Haben, in den Saamen der Thiere, Thierchen be« 
obachtet, und da koͤnnen es alfo diejenigen feyn, von wel— 
chen in diefer Meinung geredet wird. Unterdeſſen wollen 
andere Naturforfcher, die Wuͤrklichkeit ſolcher Thierchen in 
dem Saamen, leugnen. Und die fie behaupten, mollen 
viele hundert in einem einzigen Tropfen bernerft haben, Da 
nun wenigftens mehrentheils nur Ein Menfch gezeugt wird, 
fo würde GOtt die allermeiften dieſer Thierchen vergebens 
erfchaffen haben, Allein dawider Fan man einwenden , daß 
wir die Abfichten GOttes bey. diefen Thierchen nicht alle 
wiffen, und daß aus unferer Unwiſſenheit nichts gefchloffen 
werden koͤnne. Ferner beobachtet man ben den Pflanzen, 
daß diefelben in ihren Saamenförnern fchon vorher gebildet 
find, ehe fie noch hervormachfen, da fie doch lange nicht fo 

kunſt⸗ 


496 - Don dem Urſprunge 


. Funftreiche Körper find, als die .tbierifhen. Und wenn 
man auf das Yusbrüten der Ever unter den Vögeln achtung 
gibt, fo Fan auf Feine andere, Art nur einigermaffen daffelbe 
erklärt werden, als wenn man annimt, daß der ganze Vo— 
gel als ein. Saamenthierchen ſchon in dem Eye angetroffen 


werde, 
; G' ‚784, a 

Wenn man die, in dem vorhergehenden Abfage vor: 
getragene, Meinung von ber Fortpflanzung der Menfchen 
annimt, fo fan man die Frage aufwerfen: wo denn die 
Thierchen, aus denen nach) und nad) diejenigen Menfchen 
werden, die den Erdboden bevölfern, feit. dem Urfprunge 
der Welt gewefen, und wie fie in den männlichen Saamen 
fommen, damit fie vermittelft deffelben in den Leib der Mut— 
ter verpflanze werden fönnen ? Und da Fan man wieder, eis 
ne Doppelte Meinung, annehmen, Einmal koͤnnte man anneh— 
men, daß diefe Thierchen hier und da, auffer den Men: 
ſchen, auf den Eroboden zerjtreuet wären; daß fie in den 
Pflanzen und andern Dingen befindlich wären, welche die 
Menfchen zu ihren Nahrungsmitteln brauchen; daß fie, 
durch den Genuß diefer Nahrungsmittel, in die $eiber der 
Menfchen, ins Blut, und endlich, bey der Abfonderung 
des Saamens, in denfelben verfegt würden. Doch dieſe 
Meinung ft, um am gelindeften Davon zu urtheilen, höchft 
unmwahrfcheinlich. Denn einmal wäre gar nicht zu begreis 
fen, warum GEOtt zweyerley Gefchlechter der Menfchen zur 
Fortpflanzung des menfchlichen Gefchlechts gemacht hätte, 
da die Weiber mit den Männern eineriey Nahrungsmittel. 
genieffen, und dadurch eben fo wohl die Saamenthierchen 
in ihren Leib befommen koͤnnen, als die Männer, Und 
zum andern geniejfen Die übrigen Thiere des Erdbodens mit 
uns Menfchen einerley Nahrungsmittel, und pflanzen fich 
auch eben fofort, als die Menfchen. Folglich Fönnte ein Saas 
menthiercyen, woraus ein Menfch werden foll, in einen 
Hund, und ein folches, woraus ein Hund werden foll, in 


einen Menfchen Eommen, Allein die Thiere zeugen nur ime 
mer 








der menfeblichen Seile, 497 


mer ihres gleichen. Wolteman eine unmittelbare Regierung 
GOttes annehmen, vermöge welcher nur die Saamenthier- 
chen in die Thiere ihrer Art geführt werden; oder wolte 
man fagen, daß aus einem IThierchen ein Menfeh werden 
fönne, wenn es in einen Menfchen komt, und ein Hund, 
wenn es in einen Hund komt; oder daß nur die TIhierchen 
in den Thieren ihrer Art betleiben koͤnnen, und daß ſie, 
wenn ſie in Thiere anderer Art Fommen, wieder ausgewor— 
fen werden, oder ausdunften: fo find diefe Einfälle entwes 
der offenbar ungereimf, wie z. &. der zweyte, als welcher 
dem Saße des zureichenden Örundes widerſpricht; oder fie 
find doch ſo wenig philofopbifch, daß fie bloß auf ein Geras 
thewohl, ohne den geringften wahrfcheinlichen Grund, ans 
genommen werden. 
g 785. 

Zum andern Fan man annehmen, daß ein Saamen⸗ 
thierchen in dem andern ſtecke, daß ein jedweder Menſch 
die Saamenthierchen aller ſeiner Nachkommen in ſeinem 
Leibe habe, und daß ein jedwedes Saamenthierchen ſchon 
in ſich, die Saamenthierchen aller ſeiner Nachkommen, ent⸗ 
halte. So haͤtte Adam olle Menſchen ſchon in feinen Len⸗ 
den getragen, und alſo auch z. E. das Saamenthierichen, 
woraus Abraham geworden. Und in dieſem Saamenthierchen 
lagen ſchon, alle Juden, als Saamenthierchen. Als nun 
Abraham den Iſaac zeugte, ſo gieng Iſaac aus dem Leibe 
ſeines Vaters heraus, und nahm mit ſich zugleich, in ſich 
eingeſchloſſen, das ganze Geſchlecht feiner Nachkommen. 
Und als dieſer den Eſau zeugte, ſo giengen mit dem alle 
Saamenthierchen feiner Nachkommen fort, die in ihm eins 
gefchloffen waren u. ſ. w. Und dergeftalt koͤnnte man recht 
im eigentlichften Verſtande mit der heiligen Schrift fagen, 
daß die Nachkommen in den Senden ihrer Vorfahren, vor 
ihrer Geburt, wuͤrklich geweſen. Diefe Meinung macht 
der Einbilbungsfraft die gewaltigfte Schwierigkeit, indem 
es ganz unbegreiflich zu feyn feheint, wie in einem Saa— 
menthierchen, welches Faum durch ein Bergröflerungsglaß 

3, Theil, Ji geſehen 


495 Von der Unfterblichkeit 


geſehen werden kan, ſo viel tauſend andere Saamenthier— 
chen Kaum haben koͤnnen, und dieſe muͤſſen auch wiede— 
rum in einander ſtecken. Hier kan man ſich bloß auf die 
unendliche Theilbarkeit der Materie berufen, indem Mil 
lionen Theile in dem Raume eines Sandforns auffer und 
neben einander feyn Fönnen. Uud da ben diefer Meinung 
alle Schwierigkeiten wegfallen, welche die übrigen Mei: 
nungen von dem Urfprunge der menfchlichen Seele verdäd)- 
tig machen: fo Fan man diefelbe, für die wahrfcheinlichite, 
alten. Ich Fonnte mich noch länger dabey aufhalten, als 
lein ich babe nur die Abficht gehabt, fo viel von diefer Sa— 
che zu fagen, als nörhig ift, um das eigene Nachdenken 
der Sefer zu befördern. Meine $efer mögen alfo felbit beur— 
teilen, welche Meinung unter denen angeführten fie, für 
die wahrfcheinlichfte, halten wollen. 


Das fünfte Eapitel, 
Bon der Linfterblichkeit der menfihlichen Seele. 


$. 786. 

Hi ift der Ort, mo in der vernünftigen Pfychologie von 
der Unfterblichfeit der menfch)lichen Seele, und dem 
phyſiſchen fo wohl, als auch von dem moralifchen Zuftande 
derfelben, nad) dem Tode des Menfchen und des Körpers, 
gehandelt werden muß. Es ift eine unnuͤtze Neugierigfeit, 
zu fragen, wie es unferer Seele vor unſerer Geburt erganz 
gen: denn diefen Zuftand der Seele haben wir überftan= 
den, und wir gerathen in Ewigkeit nicht wieder in denfelben. 
Allein da wir alle fterben müffen, fo fteht uns der Zuftand 
nach dem Tode unausbleiblicdy bevor, und es ift demnach 
eine fehr wichtige Sache für uns Menfihen, daß wir uns 
nicht nur Überzeugen, unfere Seele werde ewig leben, fon- 
dern daß wir auch zum voraus zu erfennen fuchen, in was 
für einen Zuftand unfere Seele nad) unferm Tode gerathen 
werde, Allein ich werde diefe wichtige Materie, mic einem 
ganz. 














der menſchlichen Seele. 499 


gaͤnzlichen Stillſchweigen, hier uͤbergehen. Ich habe, in 
‚meinen Gedanken von dem Zuſtande der menſchlichen 
Seele nach dem Tode, und in dem Verſuche eines ma⸗ 


thematiſchen Beweifes, daß die menfchliche Seele 


ewig leben werde, desgleihen in den verfchiedenen Ver— 
theidigungen diefer beyden Schriften, alles von diefer Ma— 
terie ausgeführt, was fich, meinem Bedünfen nach, nach 
unfern dermaligen Einfichten von derfelben vernünftig ſagen 
fäßt. Und da ich nun nicht gerne in meiner Metaphyſik, 
meine eigenen ſchon herausgegebenen Schriften, abfchreiben 
möchte: fo will ich meine Leſer, die etwa begierig find zu 
wiffen, was id) von der Unfterblichfeit der Seele, und ih— 
tem Zuftande nach dem Tode behaupte, auf die angeführ- 
ten beyden Schriften verweifen. 


EEE KELLER HF HK HR HK FR KL RE FE NR EEE KR 8 


Das fechfte Capitel, 


von den 


denfenden Subftanzen, welche auffer der menſch⸗ 
lichen Seele noch in der Welt angetroffen 
werden. 


$ 787. 

rien wir num alles von der menfchlichen Seele ge⸗ 
fagt haben, was von ihr nach) unfern dermaligen Ein- 
fichten in die Natur derfelben gefagt werden Fan: fo wollen 
wir noch, zum Befchluß der Pfychologie, von den übrigen 
Seelen, oder von den übrigen denfenden Subftanzen han— 
deln, von denen wir entweder mit Gewißheit, oder mit 
MWahrfcheinlichkeit, fagen koͤnnen, daß fie auffer der menfchs 
lichen Seele in diefer Welt würflich find. Und da wollen 
wir ung vor allen Dingen überzeugen, daß eine jedwede den« 
kende endliche Subftanz, mit einem Körper, in der genaueften 
Gemeinfchaft ftehe, mit demſelben ein Thier ausmache, und 
daß fie alfo eine Seele fey, Nemlich eine jedwede denfen- 
i2 de 


500 Don den dentenden Subftanzen in der Welt 


de Subftanz ift, in Diefer Welt, an einem gewiſſen Orte 
wuͤrklich $. 363. 371. an welchem fie, mit Körpern umringt 
ift. Da es nun unmöglich. ift, daß alle Körper. in dieſer 
Melt ihr gleich nahe ſind: fo ift Ein Körper ihr der näd)- 
fte, und es hat alfo, eine jedwede denfende Subitanz in die- 
fer Welt, einen gewiſſen Sig $. 756. Nun wuͤrkt fie in 
alle Körper in diefer Welt, und alle Körper würfen wieder- 
um auf fie zurück; oder fie jteht, mit einem jedweden Kör- 
per, in einem gegenfeitigen Einfluffe $. 442. Alleın da es 
unmoͤglich ift, daß fie mit zwey Körpern in einer vollfom- 
men gleichen Verbindung ftehen folte $.2ır. fo ftebt, eine 
jedwede denfende Subftanz, mit Einem Körper, in dem al— 
Iergröften gegenfeitigen Einfluſſe. Diefer Körper ift ihr 
Sitz, weil fie in denfelben unmittelbar würft, und von dem: 
felben unmittelbar leidet. Folglich würft fie in alle übrige 
- Dinge inder Welt, und leider von ihnen, vermittelft diefes 
Körpers, weil fie von ihr weiter entfernt find, als diefer 
Korper. Ferner ftelt fie fich alles in der Welt vor $. 740. 
nac) ihrer eigenen Stellung in der Welt $. 369. melche 
durch den Körper beftimt wird, der ihr Siß iſt. Folglich 
ſtelt fie ſich dieſen Körper unmittelbar vor, und die übrigen 
Dinge nach ihrem Verbältniffe gegen diefen Körper; indem 
es unmöglich ift, daß fie fich, alles in der Welt, in einem 
gleichen Grade vorftellen folte $. aır. Folglich. hat, eine 
jedwede denfende Subftanz in der Welt, einen Körper zu 
ihrem Siße, mit dem fie ftärfer verbunden ift, als mit allen 
übrigen, deſſen fie fich unmittelbar bewußt ift, in den fie 
unmittelbar würft, von dem fie unmittelbar leidet, und vers 
mittelſt deſſen fie ſich das übrige. in der Welt vorftelt, und 
durch. welchen fie, mit den übrigen Dingen in der Welt, in 
einem gegenfeitigen Einfluffe fteht. Da nun, ein folcher 
Körper, der Körper einer Seele ift: fo haben alle denkende 
Gubitanzen in der Welt einen Körper, und find demnad) 
Seelen, Wenn man diefen Beweis, auffer dem Syſtem 
der Pfychologie, abbandeln müfte : fo müfte er frenlich viel 
weiter ausgeführt werden, wenn er überzeugend en 

Hein 


aauſſer der menfchlichen Seele." 7 szor 


Allein ich habe nur fo viel fagen dürfen, als nöthig ift, um 
den Leſern alles aus der ganzen Pfychologie ins Gedaͤchtniß 
zu bringen, was diefem Beweife eine vollkommen überzeus 


gende Stärfe geben fan. 


$. 788. 

Eine jedwede denfende Subftanz, oder eine jedwede 
Eeele $.787. bat ein Vermögen zu denfen 9.371. Folg« 
lich ein Erfenntnißvermögen $. 497. und alfo auch ein Be— 
gehrungsvermögen $. 742. Sie hat alfo entweder bloß ein 
finnliches Erfenntniß- und Begehrungsvermögen, oder zus 
gleich ein oberes und vernünftiges 9.524. Iſt das erfte, fo 
ift fie eine bloß finnlich denfende Subftanz 9.372. und man 
nennt fie eine bloß finnliche Seele. it das legte, fo ift 
fie ein Geift $. 372. und man nennt fie eine vernünftige 
Seele. Ein Thier, welches eine bloß finnliche Seele bat, 
wird ein unvernünftiges Thier genannt; hat es aber eine 
vernünftige Seele, fo heißt es ein vernünftiges Thier. 
Folglich ift der Menfc) ein vernünftiges Thier $.734. Was 
die unvernünftigen Thiere betrift, fo ift unleugbar, daß in 
der beiten Welt dergleichen Thiere wirklich find $. 445. 
Denn da eg, feine Luͤcke in ver $eiter der Weſen, in der 
beiten Welt gibt; fo muß es zwifchen ven GSubftanzen, die 
bloß dunfele Borftellungen haben, und zwifchen den’ Gei- 
ftern, auch bloß finnlich denfende Subitanzen geben. Da 


nun dieſe Subftanzen Körper haben müffen 9.787. fo gibt 


es unvernünftige Thiere in der beiten Welt. Allein ich 
werde mich, in die weitere Unterfuchung der Lehre von den 
unvernünftigen Thieren, nicht einlaffen : weil ich, in mei— 
nem Verfüche eines neuen Lehrgebäudes von den 
Seelen der unvernünftigen Thiere, diefe angenehme, 
nüßliche und lehrreiche Materie (don ausführlich abgehan⸗ 
delt Babe. 


789. 

Alle endliche Seife in dieſer Melt find, denfende 
Subftanzen $. 372. folglich fteht ein jedweder Derfelben, mit 
einem Körper, in der genaueften Gemeinfhaft $..787. * 

310 i⸗ 


502 Bon den denkenden Subftanzen in der Welt 


iſt eine vernünftige Seele, welche mit ihrem Körper ein ver. 
nünffiges Thier ausmacht $. 788. Wann es nun, auffer 
den menfchlichen Seelen, noch mehr endliche Geifter in 
Diefer Welt giebt; fo giebt es auch, auffer dem Menfchen, 
noch mehr vernünftige Thiere in derfelben, und es ift dem— 
nad) eine falfche Erklärung, wenn man den Menfchen durch 
ein vernünftiges Thier erflären wolte. Es giebt Gelehrte ge- 
nug, welche es leugnen, daß alle endliche Geifter Körper ha= 
ben, und fie glauben, es fen ein ganz neuer Einfall. - Allein 
Hordem war es eine Meinung, die fehr allgemein angenom⸗ 
men wurde, und es läßt fich daher die Erfcheinung der En— 
gel und Teufel, derendie Schrift Erwehnung thut, gut ers 
flären. Schreibt man, diefen Geiftern, Feine Leiber zu: fo 
anuß man entiweder zu einem Wunderwerke feine Zuflucht 
nehmen, und fagen, daß GDtt folchen Geiftern, die Zeitih- 
rer Erfcheinung über, durch ein Wunderwerf Leiber gegeben, 
oder man verfält auf allerley lächerliche Gedanken, als wenn 
3. E. ein Engel ſich aus Luft einen Körper bauen Fönne, 
Wir wollen bier, zwey Fragen, aufmwerfen. Einmal: Fan 
man wohl beweifen, daß in diefer Welt auffer den Men- 
ſchen, noch andere vernünftige Thiere, und endliche Geifter, 
angetroffen werden? Die Bibel fegt, Diefe Sache, auffer 
allen Zweifel. Allein wenn man Diefes aus der bloffen Ber: 
nunft erweifen will, fo fan es meines Erachtens nicht an= 
Ders gefäyehen, als wenn man fich aus der Aftronomie und der 
Maturlehre überzeugt, daß der Mond, und alle Planeten 
aunferer Sonne und der übrigen Firfterne, eine Einrichtung 
haben, wie unfer Erdboden, und daß es die Abfichten GOt— 
tes erfordern, daß diefelben mit vernünftigen Einwohnern bes 
feßt find. Da nun ein jeder fieht, daß diefer Beweiß, in der 
Pſychologie, nicht geführte werden Fan: fo will ich meine 
$efer dieſerwegen, auf &« ntanellens Befpräche von mehr 
als einer Welt, verweifen, welche ihnen in diefem Puncte, 
eine vollfomntene Genugthuung leijten werden. Zum an 
dern fan man die Frage aufwerfen: ob wir im Stande find, 
die übrigen endlichen Beifter, nach unfern jegigen Einfichten, 


bin 





auſſer der menfchlichen Seele, 503 


Binlänglich kennen zu lernen? Diefe Frage muß man ver: 
neinen, Es ift wahr, in fo ferne fie unferer Seele aͤhnlich 
find, in fo ferne fonnen wiruns von ihnen einen klaren Be— 
grif machen. Allein wir befinden uns bier, in einer dop— 
pelten Finſterniß. Einmal können wir nicht wiffen, wie 
weit fich diefe Aehnlichkeit erſtrecke. Es fan Geifter geben, 
die nicht fo viele Erfenntniß- und Begehrungsvermögen 
befigen als wir, es fan aber auch welche geben, die deren 
noch mehr haben als wir, von welchen wir unsaber gar Feine 
Begriffe machen koͤnnen. Ja es Fan feyn, daß andere Geis 
fter die Kräfte, die fie mit ung gemein haben, anders braus 
‚hen, als wir, und wer Fan das errathen? Zum andern wifz 
fen wir auch, die Unterfcheidungsftüce, nicht mit Gewiß— 
heit und hinlaͤnglicher Klarheit anzugeben, wodurch die übriz 
gen Arten der vernünftigen Thiere von uns verfchieben find. 
Diefes müfte man aber doch wiſſen, wenn man fich einer 
Kenntniß diefer Creaturen rühmen wolte: weil es eine fehr 
mangelhafte Erfenntniß einer Sache ift, wenn man von 
ihr bloß dasjenige weiß, was fie mit andern Dingen ges 
mein bat. Es ift demnach die Seifterlehre in diefem Stuͤck 
eine finftere Gegend, und ich will nur noch einige allgemei— 
me Betrachtungen über die endlichen Geifter anftellen, mel- 
che wenigftens manche irrige Einfälle der Menfchen in ih— 
ver Blöffe darftellen werden. 


$. 790. 

Der wefentliche Grad des Verſtandes der menfchli= 
chen Seele ift, aller Wahrfcheinlichfeie nach, fo wenig der 
gröfte als der Fleinfte wefentliche Grad des Berftandes, 
deffen ein endlicher Geift fahig ift. Folglich Fan es in der 
Welt endliche Geifter geben, die mehr Verftand als die 
Menfchen haben; es fan aber auch welche geben, die wenis 
ger haben. Daher theile man alle endliche Geiſter, auffer 
der menfchlichen Seele, ein, in höhere und niedrigere Geiz 
fter, Ein höherer Beift ift ein endlicher Geift, der ei— 
nen gröffern wefentlichen Grad des Berftandes befißt, als 
die menfchliche Seele z derjenige aber, welcher einen Fleinern 

$i4 weſent⸗ 


5°4 Don den denkenden Subftanzen in der Welt 


wefentlichen Grad des Verftandes befist, als die menſchli— 
che Seele, ift ein niedrigerer Beift. Es komt hiernicht, 
auf den Gebrauch des Verftandes, an: denn der Fan viel 
Fleiner fen, als der wefentliche Grad des Verftandes, als 
welcher in einer bloſſen Möglichkeit befteht. Wir Men- 
fhen brauchen felten unfern Berftand fo fehr, als es uns 
möglich ift. Wenn alfo ein niedrigerer Geift weniger Ges 
brauch des Berftandes haben folte, als die Menfchen ; fo 
müfte ee noch unverftändiger feyn, als die Pinfel, die Dum— 
fopfe und die Wahnmigigen unter den Menfchen, und koͤnn— 
ce er alsdenn wohl noch, zu der Elaffe der vernünftigen We— 
fen, gehören ? Mancher Menfch würde für Fein vernünftis 
ges Gefchöpf gehalten werden koͤnnen, wenn er nicht die Unis 
form der Menſchheit trüge. Und eben fo kan es, unterden 
böhern Seiftern, ebenfals Dumföpfe geben, welche ihren Vers 
ftand viel weniger brauchen, als viele Menfchen. Und was 
alfo den Gebrauch des Verftandes betrift, fo Fünnen viele 
Menfchen verftändiger fenn, als unendlic) viele höhere Geis 
fter ; es koͤnnen aber auch viele niedrigere Geifter verftän- 
diger fen, als unendlich viele Menfchen. Diejenigen endlis 
chen Geifter auffer den menfchlichen Seelen, welche glückfes 
lig find, heiffen gute Beifter, fie mögen nun höhere oder 
niedrigere Geiſter ſeyn. So beſchreibt uns die heilige Schrift 
die guten Eugel, als hoͤhere und gute Geiſter zugleich. Die— 
jenigen aber, welche ungluͤckſelig find, heiſſen böfe Geiſter, 
ſie moͤgen nun zugleich hoͤhere, oder niedrigere Geiſter ſeyn. 
So beſchreibt uns. die heilige Schrift die Teufel als Geiz 
fter, die unglückfelig und höhere Geifter zugleich find. Es 
ſcheint allerdings fehwer zu begreifen zu feyn, wie ein ver= 
nünftiges Wefen, einen fo groffen Verſtand, und einen fo 
unvollfommenen Willen haben koͤnne, daß es zu gleicher 
Zeit ein höherer und ein böfer Geift feyn koͤnne. Der Wil- 
le wird durch den Berftand beftimt, und es fcheint demnach), 
Haß ein vollfommener Verſtand allemal von einem vollfoms 
menen Willen, und alfo von der Glückfeligkeit begleitet wer: 
den müffe, Allein man muß bedenken, daß ein Wefen, * 

ei⸗ 





— 


auffer der menfchlichen Seele. 305 


feinem groffen Berftande, auf Irrthuͤmer gerathen Fan, auf 
eine trockene todte Erfenntnis, auf unnüße Speculativnen; 
Und es fan demnach ein höherer Geift, feinen groflen Bers 
ftand, auf eine folche Art brauchen, daß fein Wille nicht 
diejenige Bollfommenbeit erlangt, welche zur Glückfeligfeit 
erfodert wird. Haben wir nicht fehr groffe Gelehrte unter 
den Menfchen, die aber lafterhaft find? Folglich Fan grofs 
fer Berftand und böfer Wille, famt der Unglückfeligfeit, in 
einer Perfon flat finden. Die groffen lafterhaften Gelehrten 
machen eg alfo wahrfcheinlich, daß ſolche Ereaturen in der 
Welt find, wie die Teufel. 


$. 798. 

Da ein jeder endlicher Geift, auffer der menfchlichen 
Seele, einen Körper hat $. 789. ſo kan man dieſe Geiſter, 
in Abſicht ihres Körpers, noch auf eine andere Art einthei— 
len. Wir bemerken nemlich an unfern Körpern, und allen 
Körpern diefes Erdbodeng, daß fie, durch ihre Schwere, bes 
- ftändig zum Mittelpuncte dieſes Erdbodens getrieben wer— 
den. Und weil die menſchlichen Koͤrper eine Schwere in 
Abſicht des Erdbodens haben, ſo ſind wir Menſchen eben 
deswegen Einwohner des Erdbodens. Man kan aber auch 
Koͤrper gedenken, die weder in Abſicht unſeres Erdbodens, 
noch in Abſicht irgends eines andern ganzen Weltkoͤrpers, 
eine Schwere haben. Folglich kan man ſich, erſtlich, end— 
liche Geiſter auſſer der menſchlichen Seele vorſtellen, deren 

- Körper eine Schwere in Abſicht eines gewiſſen groſſen gan— 
zen Weltförpers haben, und das find die Einwohner deffel- 
ben Weltförpers. Die groffen Weltförper find entweder 
PM aneten, oder Firfterne. Man Fan alfo endliche Geifter 
gevenfen, welche durch ihren Körper an einen Planeten ge: 
bunden find, wie wir Menfchen an den Erdboden, und da- 
bey ift weiter Feine Schwierigfeit. Obes aber auch endliche 
Beifter gibt, welche durch ihren Körper die Sonne, oder einen 
andern Firftern, bewohnen, das ift fo leichte nicht zu ent— 
fcheiden. Wenigftens würden, die vernünftigen Einwohner 
der Sonnen, aus denfelben richt die uͤbrige Welt erblicken 


Ji5 koͤn⸗ 


506 Don den denkenden Subftanzen in der Welt 


fönnen, und es fcheint demnach nicht, daß eine Sonne fich 
zu dem Wohnplage einer Subſtanz ſchicke, welche ihrer 
Natur nach fich die ganze Welt nad) ihrer Stellung in der= 
felben vorftellen fol. Weberdies, wenn auch die Sonnen 
nicht von vernünftigen Gefchöpfen bewohnt werden, fo ha— 
ben fie doch fchon Mugen genung, weil durch fie die Plane- 
ten bewege, befruchtet, erleuchtet und gewaͤrmt werden. 
Zum andern Fan man endliche Geifter gedenfen, deren Koͤr— 
per gar Feine Schwere haben. Diefelben find alfo Feine 
Einmobner irgends eines groffen Weltkörpers, und da fie 
an feinen derfelben gebunden find, fo find fie gleichfam in 
der Welt überal zu Haufe. Mach den Befchreibungen der 
Dibel find die Engel und Teufel folche Geifter, die feine 
beftändigen Einwohner eines Weltkorpers find, 
G. 792. 

Alle endliche Geifter, und wenn fie auch die höchften 
wären, haben ein finnlichee Erfenntnißvermögen. Denn 
ein endlicher Geift mag noch fo grofien Verſtand haben, fo 
bat er doch allemal nod) einen eingefchränften, folglich niche 
den gröften Verſtand $. 191. Folglich Fan fein endlicher 
Geift, alle mögliche Dinge, aufs deutlichfte erfennen $.632. 
Es ift demnach unleugbar, daß, in der allerdeutlichften Er— 
fenntniß eines endlichen Geiftes, Undeutlichkeit, Verwir— 
rung und Dunfelheit angetroffen wird. Da nun alfo ein 
jedweder endlicher Geift eine finnliche Erkenntniß hat, wenn 
er wuͤrklich ift, und überhaupt fein Berftand in ihm niche - 
anders möglich ift, als wenn man die Möglichkeit der finn« 
lihen Erfenntniß zugleich in ihm annimt: fo haben, alle 
endliche Geifter, ein unteres und finnliches Erkenntnißver— 
mögen $. 524. Es wird deswegen nicht behauptet, als 
wenn alle endliche Geifter eben fo viel, nicht mehr und nicht 
weniger, finnliche Erfenntnißvermögen befigen, als wie 
Menfchen.  Genung daß wir überhaupt überzeugt find, 
daß alle endliche Geifter ein unteres Erfenntnißvermögen 
haben. Und man fan fich alfo, einen jedweden endlichen 
Geiſt, als eine Eubftanz vorftellen, welche fic) die * 

deutli⸗ 











auffer der menfchlichen Seele. 507 


deutlicher oder weniger deutlich, verworren oder dunkel, 
vorſtelt, nachdem ſich die Gegenſtaͤnde, der Stellung nach, 
gegen feinen Leb verhalten $. 789. 372. 373. Hieraus fol— 
get alſo zweyerley. Einmal, ein jedweder endlicher Geiſt 
kan irren. Denn da er ein unteres Erkenntnißvermoͤgen 
beſitzt, ſo iſt er verworrener Erkenntniß faͤhig. Und da er 
alſo verſchiedene Dinge mit einander verwirren und ver— 
wechſeln kan, ſo kan er auch das Wahre mit dem Falſchen 
vermengen, und das heißt, er kan irren. Es iſt demnach 
kein endlicher Geiſt moͤglich, der gar nicht irren koͤnte. 
Hieraus folgt zum andern, daß ein jeder endlicher Geiſt 
das Gute verabſcheuen, und das Boͤſe begehren koͤnne. 
Denn da er irren kan, ſo kan er ſich das Gute als boͤſe, 
und das Boͤſe als gut vorſtellen. Folglich kan er jenes 
verabſcheuen, und dieſes begehren $. 664. Und hieraus 
wird von ſelbſt erhellen, daß ein jedweder endlicher Geiſt, 
und wenn er auch noch ſo groß und gluͤckſelig iſt, demohn— 
erachtet ſuͤndigen koͤnne, wenn er einen freyen Willen 
beſitzt. 
$. 793. 

Wo das Erkenntnißvermoͤgen iſt, da iſt auch ein 
Begehrungsvermoͤgen $. 742. Da nun alle endliche Gei— 
ſter ein Erkenntnißvermoͤgen beſitzen, ſo haben ſie auch 
ſaͤmtlich ein Begehrungsvermoͤgen. Und zwar hat, ein 
jedweder endlicher Geiſt, ein doppeltes Erfenntnißvermö- 
gen. Das obere oder den Verſtand, und folglich hat er 
auch einen Willen, und er kan vernuͤnftig begehren und 
verabſcheuen $. 743. Zum andern hat auch ein jedweder 
endlicher Geift ein unteres Erfenntnißvermögen, und alfo 
auch ein unteres Begebrungsvermögen, Es fan demehnz 
erachtet Geifter in der Welt geben, die weniger oder auch 
mehr Begehrungsvermögen befigen, als mir, und deren 
Begierden und DBerabfcheuungen von den unſrigen fehr 
unterfehieden find. Unterdefien iſt Fein endlicher Geift, und 
feine denfende Subſtanz, möglich, welche blofle Erfennts 
nißvermögen und gar feine Begehrungsvermögen befißen 

folte : 


508 Don den denkenden Subjtanzen inder Welt. 


ſolte: denn ich habe oben ermwiefen, daß das Wirken der 
Erkenntniß nichts anders als das Begehren ſey. Hier 
frage fichs aber, ob alle endliche Geifter einen freyen Witz 
In haben? So viel ift unleugbar, daß alle Geifter einen 
Willen haben, allein ich getraue mir nicht zu behaupten, 
daß der Wille aller Geifter fren fey. Denn es fan ein 
Geift möglic) ſeyn, deffen vernünftige Begierden und Ber: 
abfheuungen, ſamt allen übrigen Handlungen, ohne Aus» 
nahme natürlich nothmendig find. Da es nun alfo nicht 
in feiner Gewalt fteht, eine einzige derfelben zu thun oder 
zu laffen, fo bat er zwar einen Willen, aber feine Frey— 
heit des Willens $. 702. 


$. 794. | 
Alle endliche Geifter find entweder elend, oder fie ge- 
nieflen einer Wohlfarth; und alle diejenigen unter ihnen, 
die auffer dem Verſtande noch Sreyheit des Willens befigen, 
find entweder glückfeelig oder unglückfeelig. Es wird diefes 
eben fo bewiefen, als wir es won der menfchlichen Seele er- 
wiefen haben $. 772. Ein glückfeeliger Geift nimt in fei- 
ner Glückfeligfeit, entweder beftandig zu, oder er nimt 
ab, oder bald ab bald zu. Der glückfeeligfte endfiche Geift 
Fan wieder unglückfeelig werden, weil er mitten in feiner 
hoͤchſten Glückfeeligfeit die Möglichkeit zu fündigen behält 
$. 792. 773. 774. Kin unglücfeeliger Geijt nimt, in 
feiner Unglückfeeligfeit, entweder beftändig zu, oder er 
nimt ab, oder bald zu bald ab, und der unglücfeeligfte 
Geift Fan wiederum glückfeelig werden 773.774. Es giebt 
demnach Feine folchen endlichen Geifter, die den Gebrauch 
der Freyheit haben, welche in einem folchen Zuftande der 
Gleichguͤltigkeit fich befinden folten, in welchem fie weder 
glückfeelig noch unglückfelig wären. Ueberhaupt Fan fein 
Geift in einem Zuftande gedacht werden, in welchem er 
weder vollfommen noch unvollfommen wäre. 


$. 795. 
Wenn man die wichtige Materie, von der Uufterblich- 


keit der menfchlichen Seele, gruͤndlich unterfucht hat; fo 
wird 








auſſer der menſchlichen Seele. 509 


wird man überzeugt, daß ihre Unſterblichkeit ihr zufom- 
me, nicht weil fie ein Geift einer befondern Are ift, fon« 
dern weibſie überhaupt ein’ Geift und ein denfendes Weſen 
iſt. Undlman Fan alfo fehr leiche überzeuge werden, daß auf 
eben die Art erwiefen werden Fonne, daß alle endliche Gei⸗ 
ſter ihrer Natur nach unſterblich ſind, und ewig leben. 
Doch da ich, die Materie von der Unſterblichkeit, anders— 
wo ausfuͤhrlich abgehandelt habe; ſo will ich mich dabey 
nicht weiter aufhalten. Wir koͤnnen überhaupt alles von 
allen endlichen Geiftern fagen, was wir von unferer Seele 
yiffen, wenn wir nur. gewiß oder wahrfcheinlich, verfichere 
find, daß es nicht zu den eigenthümlichen Unterfcheidungs- 
fücken unferer Seele gehöre. Mur Fönnen wir freylich, 
von dem letztern, fehr ofte Feine Gewißheie haben. Und 
es ift Demnach vernünftig, wenn man fich in eine genauere 
DBefchreibung der übrigen endlichen Geifter gar nicht ein- 
läßt, fondern diefelbe müßigen Leuten überläßt, deren ge- 
fhäftiger Wis doch etwas zu thun haben will, und fich 
Daher mit artigen Träumen zu unterhals 
‚ten pflegt. 


EU DI NE, 





Fort: 


Sortfegung 
des 


Blicke der Metaphyſil. 


UN Die Pſychologie. 
A. Einleitung in die Pſychologie $. 471:479. 
B. Die Pfychologie felöft. | 
a. Die, empirifche Pſychologie. j 
@, Bon der Mürklichfeit der Seele $. 490496. 
ß. Bon dem Frfenntnifvermögen. 
1. Bon dem Erfenntnißvermögen Überhaupt $. 497505. 
a. Bon der Aufmerkſamkeit $. 506 : 517. 
b. Bon dem Vermögen zu abftrahiren $. 518: 323. 
2. Bon dem untern Erfenntnißvermögen 
a, Ueberhaupt $. 524: 527. 
b. Inſonderheit 
1. Bon den Sinnen $. 528 :554. 
2. Bon der Einbildungskraft $. 555 :566, 
3. Von dem fharffinnigen Wise $. 567 : 577. 
Von dem Gedächtniffe $. 378 586. 
. Bon dem Dihtungsvermögen $. 597 2597. 
. Bon dem Vorherfehungsvermögen $. 598: 608. 
. Bon dem Vermögen voransjuerfennen $. 609: 
616. 
8. Bon dem Beurtheilungsvermögen $. 617-620, 
9. Bon dem Bezeihnungsvermögen 621-625. 
3. Bon dem obern Erfenntnißvermögen, 
a. Von dem Berftande $. 626 :634. 
b. Bon der Vernunft $. 635: 642. 
4. Von der Gemüthsfähigkeit $. 643 :646. 
y. Von dem Begehrungsvermögen. 
1. Bon den nächften Gründen diefes Vermögens in der 
Seele, 


Nau a 


a. Bon 








a. Bon der Gleichgültigfeit $. 647 :650. 
b. Vom Vergnügen und Mißvergnügen 6. 651: 660, 
2. Bon vem Begehrungsvermögen felbft. 
a. Von dem Begehrungsvermögen überhaupt $. 661⸗ 
672. 
b. Von dem untern Begehrungsvermögen $. 673 : 685. 
e. Bon dem obern Begehrungsvermögen $. 686: 693. 
d. Bon der Freyheit des Willens $. 694, 
x. Bon der Selbftthätigkeit $. 695 :699. 
2. Von dem Willtühr $. 700 :707. 
3. Von der Freyheit $. 708:720. 
3. Bon dem Inbegriffe aller Begehrungssermögen 
$. 7212725. 
I Don der Gemeinfchaft der Seele mit dem Körper $. 726: 
731. 
b. Die vernünftige Piychologie. 
1. Von der Natur der menfchlihen Seele $. 732752. 
2. Bon den Verhältniffen der menfchlihen Seele gegen 
andere Dinge in diefer Welt $. 753 :765. 
3. Bon der Glückeligfeit und Unglückfeligfeit der menſch⸗ 
lihen Seele $. 766: 774. 
4. Bon dem Urfprunge der menfchlichen Seele $. 775 
785. 
5. Bon der Unfterblihfeit der menfchlihen Seele 6.786. 
6, Bon den übrigen denfenden Subftanzen in der Welt 
auffer der menfchlichen Seele $. 787795. 








— 





[3 er . r 3 
Georg Friedrich Meiers, 
öffentlichen ordentlichen Lehrers der Weltweisheit zu Halle, 
und der Eöniglihen Academie der Wilfenfchaften i 

in Berlin Mitgliedes, 


etaphyſik 
Vierter Theil. 


N "Nana 
Si. re DULCI 









IM 


ſ 









Mit koͤnigl. Pohl. und Churfuͤrſtl. Saͤchſ. allergnaͤdigſter Freyheit. 
RT 
HALLE, 
bey Zohann Zuftinus Gebauer. 

1759 





Beſchluß 
des Entwurfs der Metaphyſik. 


IV. Die natürliche Gottesgelahrheit. 
A. Die Einleitung $. 769: 811. 
B. Die natuͤrliche Gottesgelahrheit ſelbſt. 
a. Der Begrif von GOtt. 
«. Die Erklärung des Begrifs von Gott 6.812 818. 
£. Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes $. g19 + 826 
y. Diejenigen Bollfommenheiten Gottes, die ihm zufom: 


men, in fo ferne er nichtals ein Geift betrachtet wird. 
a. Ueberhaupt $. 827. 
b. Inſonderheit. 

1. Das Wefen Gottes 6. 828: 832. 

2. Die Würflichkeit Gottes $.%33 = 836. 

3. Die Heiligkeit Gottes 6. 837 = 839. 

4. Die Einheit Gottes $. 840. 841. 

5. Die Wahrheit Gottes $. 842: 844. 

6. Die Unveränderlichkeit und Nothwendigkeit Got 

tes $. 845 : 852. 

7. Die Unendlichkeit Gottes $. 853 856. 

8. Die Ewigkeit Gottes $. 857 2859. 
"9. Die Allmacht GHOttes $. 860 x 866. 

30. Die einfache Befchaffenheit GOttes $. 867 :975 
11. Es iſt nur ein einziger GOtt $.876 + 879. 

12. Die Selbftftändigkeit GOttes $. 880. ggr. 

13. Die Natur GOttes 5.882 885. 

14. Die Unermeßlichfeit GOttes $. 885: 888. 

15. Die Unerforfchlichfeit GOttes $.889 : 850. 


d. Diejenigen Vollkommenheiten GOttes, die ihm zukoms 


men, in fo ferne er ein Geift ift, 
a. Ueberhaupt $. 891. 
b. Inſonderheit. 
#, Der Verftand GOttes. 
a. Ueberhaupt $. 892. 
b. Inſonderheit. 


3. Die 


0 52 26) 


1. Die alfervolllommenfte Befchaffenheit der gott- 
lihen Erkentniß $. 893 502. 
2, Der Gegenfiand der gettlihen Erfentniß 
$ 993. gr. 
3. Die Weisheit GOttes $.912:920. 
4. Die Allwiſſenheit $. 921. 
£. Der Wille Gottes. 
1. Das Vergnügen und Mißvergnuͤgen Gottes 
6. 9227 930. 
2. Der Wille Gottes überhaupt $. 9317938. 
3. Die Freyheit des göttlichen Willens $. 939 : 942. 
4. Die moralifche Heiligkeit Gottes $-943°945 
‚5. Die Guͤtigkeit Gottes $ 946 = 949. 
6. Die Serechtiafeit Gottes $ 950: 964. 
7. Die Wahrhaftigkeit Gottes $. 995987. 
8. Die Gluͤckſeligkeit Gottes $. 968970. 
b. Die Handlungen Gottes. 
&, Die Schöpfung der Welt, 
a. Ueberhaupt 9. 971- 
b. Ssnfonderbeit. 
1. Die Befchaffenheit der Schöpfung $. 972 + 978. 
2. Der Gegenftand ver Schopfung. 
&. Veberbatipt 6: 979 + 987. 
3. Snfonderheit vie beſte Welt $. 988 1000. 
3. Der Zweck der Schopfung $. 100121015. 
£. Die Vorfehung. 
a, Ueberhaupt $. 1015: 1020. 
b. Inſonderheit. 
&. Der Eingang 1021. 
ß. Die verfchiedenen Theile der göttlichen Vorfehung. 
1. Die Erhaltung der Welt 6. 10227 1026, 
2. Die Mitwirkung Gottes $. 102771034. 
3. Die Allgegenwart Gottes $ 1035: 10408 
4. Die göttliche Nenierung der Welt $: 10417 1044+ 
5. Die aöttliche Zulaffung des Bofen $ 19045: 1058. 
6. Die Oberherrſchaft Gottes über He Welt $.1059: 
1094: 
7. Die Rathſchluͤſſe Gottes über die Welt $. 1065: 
1071. 


8. Die Offenbarung Gottes $. 1072 = 1090, 
UN AUNT 
Die 





Die 
natürliche 
Gottesgelahrheit. 


4. Theil. A 


[207 











Einleitung 


in die 


natürliche Gottesgelahrheit. 






$. 796. | 
Senn man die ganze menfchliche Erkent— 
E niß überhaupt betrachtet, fie mag nun 
in den Umfang der Gelehrfamfeit und 
der freyen KRünfte gehören, oder zu der 
gemeinen Erfentniß gerechnet werden: 
u > fo erlangt fie ihre Schäßbarfeit nur da« 
ber, wenn fie in einer gehörigen Beziehung auf die menſch⸗ 
liche Gluͤckſeligkeit ſteht. ine Erkentniß mag übrigens 
noch fo richtig und vortreflih ſeyn, Fan fie auf Feinerley 
Weiſe, zur Beförderung wenigftens eines Theils der gefam« 
ten menfchlihen Glücfeligkeit, angewendet werden, fo iſt 
fie nicht nur felbft, fondern auch das Beſtreben nach derfel« 
ben, als ein gefhäftiger Müßiggang, anzuſehen. Ein 
Menfcy handele als ein lächerlicher und verachtungswuͤrdi— 
ger Thor, wenn er feine Zeit und Kräfte auf eine Erfent« 
niß verſchwendet, die ihm in feiner Gluͤckſeligkeit nicht weis 
ter forehilft, und über welcher er die Erkentniß nüglicherer 
und nötbigerer Dinge verfaumt, Vermoͤge diefer Betrach« 
. % 2 fung 


4 Einleitung 


tung iſt es wol unſtreitig, daß, die Lehre von Gott, die 
allernuͤtzlichſte und unentbehrlichſte Erkentniß ſey, in welcher 
alle uͤbrige Arten der menſchlichen Erkentniß, als ſo viele 
Fluͤſſe und Stroͤme, wie in dem Oceane, zuſammen flieſſen 
muͤſſen. In der Sittenlehre kan, aufs deutlichſte und un— 
umſtoͤßlichſte, erwieſen werden: daß das hoͤchſte Gut, oder 
die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit eines Menſchen, darin beſteht, wenn 
er fo from iſt als moͤglich, und daß die Gottſeligkeit zu als 
len Dingen nuße ſey, und die Verheiſſung diefes und des 
zufünftigen gebens habe. Nun ift die höchfte Froͤmmigkeit, 
ohne ver vollfommenften Erfentniß Gottes, unmöglid. 
Folglich ift die Lehre von Gott eine Erkentniß, welche ung 
geradezu auf den Gipfel unferer Glückfeligfeit leitet, ohne 
welche unfere höchfte Gtückfeligfeit unmöglich ift, und wel: 
che, bey allen übrigen Graden und Theilen unferer geſam— 
ten zeitlichen und ewigen Glücfeligfeit, zum runde liegen 
muß, wenn fie Theile unferer wahren Glückfeligfeit ſeyn 
folfen. Alle übrige Theile und Arten der Gelehrfanikeit, 
und der gefamten menfchlichen Erfentniß, koͤnnen alfo une 
möglich die menfchliche Glücfeligfeit aufs befte befördern, 
wenn fie nicht, auf eine entfernte und mittelbare Art, die 
Erkentniß Gottes zur Abficht haben, und befördern. Kan 
man mehr, zum Lobe einer Lehre und Erfentniß, fagen ? 
Können wichtigere, fruchtbarere und nüßlichere Unterſu— 
ungen angeftelt werden, als über Gott und goͤttliche Din- 
ge? Gott und göttliche Dinge find von einem unendlichen 
Umfange, und enthalten unbegreiflich vielmal mehr Mannig« 
faltiges in fich, als die übrigen Gegenftände unferer Erfent« 
niß, und wenn fie auch die allerreichften feyn folten. Sie 
find die allererhabenften und edelften Gegenftände unferer 
Unterfuchungen. Alle unfere Erfentnißfräfte koͤnnen fich 
mit ihnen befchäftigen, und eine iedwede findet in ihnen un- 
endlich viel Stof zu ihren Betrachtungen, Und man mag 
alfo diefe Sache betrachten wie man will, fo muß man ges 
ftehen, daß die Lehre von Gott, unter allen übrigen Arten 
der menſchlichen Erkentniß, die allervortreflichite fen, und 

zwar 





in die natürliche Botiesgelabrbeit. 5 


zwar in allen möglichen Abſichten. Wir gerathen alfo, 
in unferer Metaphyſik, auf den allermichtigften und fchäß- 
bariten Theil der menfhlichen Erfentniß, und der ganzen 
Metaphyſik, indem wir im Begrif ftehen, die natürliche 
Gottesgelahrheit zu unterfuchen. Die bisherigen Unterfus 
chungen der Ontologie, der Kosmologie und der Pfycholo« 
gie, haben es uns möglich) gemacht, eine reelle Erkentniß 
von der Gottheit zu erlangen, 


$- 797. 

Man fönte, durch die Theologie oder Gottesgelahrheit, 
eine jedwede Erkentniß von Gott, feinem Wefen, Eigenfchaf: 
ten, Werfen und Bollfommenbeiten verftehen. Und man 
müjte alsdenn einen iedweden Menfchen einen Theologen 
nennen, welcher auch nur eine gemeine, bloß hiftorifche, 
verworreneiund ungewiffe Erfentniß Gottes und görtlicher 
Dinge befigt. Allein, ein fo weiter Umfang, den man durch 
diefe Erflärung der Bedeutung diefes Worts geben würde, 
wiederſpricht dem eingeführten Gebraudye dieſes Worte. 
Man verfteht, durch die Gottesgelahrheit, eine philofophifche 
und gelehrte Erkentniß Gottes; und weil die vollfommen= 
fte gelehrte Erfentniß eine eigentlich fo genante Wiffenfchaft 
ift, fo ift die Theologie eine Willenfchaft von Gott, Ders 
ienige alfo verdient nur den Namen eines Theologen im ei— 
gentlichen Berftande, wer eine ausführliche, Soft anftändige, 
richtige, deutliche, gewifle und lebendige Erfentniß von Gore 
und göttlichen Dingen befißt, weflen Erfentniß von Gott 
zufammenhangend und ſyſtematiſch iſt; mer dasjenige, was 
er von Gott behauptet, aus zuverläßigen Gründen ermeifen 
fan: Eurz, wer feine ganze Erfentniß von Gott, den Re— 
geln der DBernunftlehre gemäß, eingerichtet bat. Gibt es 
- wol fehr viele Theologen unter denenjenigen, die man ihrer 
Profeßion wegen fo zu nennen pflege? Die natürliche 
Gottesgelahrheit iſt dem zu Folge die Wiſſenſchaft von 
Gott, in ſo ferne ſie ohne Glauben erkant werden kan. 
Der griechifche Name Theologie ift von manchen dem Buch— 


ſtaben nad) evfläret worden, als wenn er einetehre bedeute, 
%3 die 


5 Einleitung 


die von Gott herſtamme und von ihm offenbaret ſey, oder 
die den Menſchen zu Gott fuͤhre und leite. Ob nun gleich 
dieſe Gedanken an ſich richtig und gut find, fo weißt Doc) ie— 
dermann, daß diefes Wort nichts anders bedeute, als eine 
gehre, die von Gott handelt, 

$. 798. 

Aus diefer Erklärung der natürlichen Gottesgelahrheit 
erhellet alfobald der Unterfchied, welcher ſich zwifchen ihr 
und der geoffenbarten Gortesgelahrheit befindet. Sie ent— 
hält nemlic) lauter folde Wahrheiten von Gott und göttlichen 
Dingen, welche ohne Glauben erfant werden fonnen und 
muͤſſen. Wir verftehen bier einen doppelten Glauben, 
Einmal den menfihlichen Glauben, welcher der Beyfall ift, 
den man einer Wahrheit gibt, um eines menfchlichen Zeuge 
niffes willen. Wer, um eines blos menfchlichen Zeugnife 
fes willen, eine Wahrheit von Gott und göttlichen Dingen 
annimt, der folge in feiner theologifchen Erkentniß dem, Anz 
ſehen eines bloſſen Menfhen, und er Fan auf diefem Wen 
ge nimmermebr zu einer Wiffenfchaft, und unumſtoͤßlich 
gewiffen philofopbifhen Erfentniß, von Gott gelangen, 
Eine folhe Erfentniß aber foll, die natürliche Gottesges 
lahrheit, ſeyn. Folglich muß man, Fein bios menfchliches 
Zeugniß von Gott und göttlichen Dingen, als einen Erfläs 
rungs » und Erweisgrund in diefer Wiſſenſchaft annehmen. | 
Wir müflen in derfeiben Gott, fo zu reden, mit unfern eis 
genen Augen betrachten, und dem Anfehen Feines Menfchen 
folgen, und wenn derfelbe auch, in einem noch fo groffen 
Hufe der Frömmigkeit und theologifchen Gelehrfamfeit, fte« 
ben folte. Zum andern muß man bieher den göttlichen 
Glauben rechnen, vermöge deffen wir von Gott und göttlis 
en Dingen dasjenige für wahr halten, was in der heili— 
gen Schrift für wahr ausgegeben wird, und zwar deswe— 
gen, weil es in diefem Buche für wahr ausgegeben wird, 
Und daher entſteht die geoffenbarte Gottesgelahrheit, welche 
eine Lehre von Gott ift, in fo ferne fie durch den göttlichen Glau— 
ben erkant wird. Man Fan demnach, zwifchen Be 

Is 





in die natuͤrliche Bottesgelahrheic, 2 


lichen und geoffenbarten ©ottesgelahrheit, einen dreyfachen 
Anterfchied bemerken, woraus zugleich erhellee, warum jene 
eine natürliche genant wird. Erſtlich find fie, vermöge des 
Erfentniß » und Beweisgrundes, von einander unterfchies 
Den, Die geoffenbarte wird aus der übernatürlichen Dffen« 
barung Gottes, welche in der heiligen Schrift enthalten ift, 
erfant und erwieſen; die natürliche aber aus folchen Wahr« 
heiten und Dingen, die blos natuͤrlich Durch unfere Vera 
nunft erfant werden Fönnen, ohne daß zu ihrer Bekantma⸗ 
chung ein Wunderwerk gefchehen feyn folte. Daher Far 
aud) die geoffenbarte Gottesgelahrheit manche Wahrheiten 
enthalten, welche in der natürlichen ſchlechterdings nicht vor— 
fommen fönnen, und von Denen man in der natürlichen 
nicht die geringfte Bermuthung hat. Zum andern Fan und 
muß, die natürliche Gottesgelahrheit, Durch die natürliche 
gefunde Vernunft, welche nach der Vernunftlehre gem 
braucht und ausgebeffert wird, erfant werden. Die gea 
offenbarte Öottesgelahrheit aber fan Wahrheiten enthalten, 
welche ohne übernatürlihe Erleuchtung des Berftandes 
nicht hinlänglich erfant werden koͤnnen. Und drittens gibt 
uns die natuͤrliche Gottesgelahrheit nur eine ſolche Erfentniß 
von Gott, welche zu der natürlichen Religion, und zu der 
auf derfelben beruhenden natürlichen Gluͤckſeligkeit des Men: 
fhen Binreiht. Die geoffenbarte Gottesgelahrheit aber 
fan ung eine folche i&rfentniß von Gott geben, welche, 
zu einer übernatürlihen Froͤmmigkeit und Glücfeligfeit des 
Menfchen, zureicht und erfordert wird, Folglich müffen 
wir als vernünftige Menſchen, welche die Maturfräite ihres 
Berftandes und ihrer Vernunft, nach) den Vorſchriften eis 
ner gefunden DBernunftlehre, richtig und gehörig gebrauchen, 
in der natürlichen Gottesgelahrheit, Gott, feine Bollfoms 
menbeiten und Werke zu betrachten fuchen. 
9. 799. 

Wenn man, in der natürlichen Gottesgelahrheit, zu 
einer wahren und reellen Wiflenfchaft von Sort gelangen will, 
fo muß man freylich gewiffe Erkentnißgruͤnde annehmen, 

44 nad) 


g TR Einleitung 


nach deren Anleitung man ſich, dieſe oder jene Begriffe von 
Gott und goͤttlichen Dingen zu machen, bemüht. Und man 
fan mit Wahrheit fagen, daß Fein Menfch eine fo ſchlechte 
Erfentniß von Gott habe, der nicht nach Maasgebung ges 
wiſſer Erfentnißgründe viefelbe erlangt haben folte. Mur 
iſt es zu beflagen, daß bey den allermeiften Menſchen diefe 
Erfentnißgründe nicht von rechter Art find, und es wird eis 
ne überaus nüßlidye und wichtige Unterfuchung ſeyn, wenn 
wir ung bey diefer Betrachtung länger aufhalten, Zu de— 
nen unaͤchten und fhädlichen Erfentnißgründen der theolos 
gifhen Erfeniniß rechne ich, fonderlich folgende drey Erz 
Fentnißquellen. 1) Alle Borurtheile. Jederman weiß, 
daß man, in allen Arten der menfchlihen Erfentniß, alle 
Vorurtheile verhüten muß, wenn man zu einer richtigen 
und reellen Einficht in eine Sache gelangen will. Allein, bey 
der Erfentniß Gottes, ift dieſes ganz befonders zu beobach⸗ 
ten, Wenn wir Menfchen irgends, der Berblendung und 
der Tyranney der Borurtheile, ausgefegt find; fo ift es in 
der $ehre von Gott. Man ift ohne Bedenfen geneigt, das— 
jenige in der Lehre von Gore für wahr zu halten, was ung 
unfere Vaͤter vorgefhwaßt haben; was die Neligionspar« 
they für wahr hält, in welcher wir geboren und erzogen 
find; was berühmte Lehrer der Kottesgelahrheit lehren; 
was $eute fagen, die in einem groffen Rufe der Frömmigkeit 
und Heiligkeit ftehen; was, unter Androhung des Bannes, 
zu glauben befohlen worden u. ſ. w. Sehr viele Lehrer der 
Religion find fehr weit davon entfernt, die Begriffe von 
göttlihen Dingen gehörig zu entwickeln und gründlich zu. 
erweifen, daß fie blos, wenn fie eine theologifche Formel 
vorgetragen haben, auf eine pathetifche Art verfichern: wer 
zeitlich und ewig glückfelig werden wolle, müffe diefes für 
wahr halten, und derjenige fen ein Kind des Teufels, der es 
nicht glaube, und übrigens laffen fie es auf ein blofes Ges 
rathewohl anfommen, was der andere bey Diefer Formel 
denkt. Nimt fic jemand die edle Freyheit heraus, ihnen 
wider ihre Lehre Einwürfe zu machen, fo beantworten fie 
Dies 





in die natürliche Gottesgelahrheit. 9 


diefelben nicht, fondern verfichern, daß der Teufel ihn vor 
fuche, fie vathen ihm fo lange zu beten, bis der Einwurf 
verſchwindet, und wer diefem Rathe nicht folgt, den verflu— 
chen fie als einen verftocten Boͤſewicht. Daher fümts, 
daß fich unendlich viele Leute, die fonft dazu gefchicft wären, 
nicht einmal unferftehen, in Religionsſachen felbit zu den— 
fen; fondern fie folgen den Borurtheilen blindlings , welche 
fie eingefogen haben. Man muß ſich demnach, in der na> 
türlihen Gottesgelahrheit, über alle Vorurtheile erheben, 
und nichts von Gott denfen und für wahr halten, als wo— 
von man, aus den Achten Kenzeichen der Wahrheit, über- 
zeugt werden Fan, daß es eine reelle und wahre Vorstellung 
Gottes ſey. Man muß fich, aller. von Kindesbeinen an 
eingefogenen Erfentniß von Gott, eine Zeitlang entfchla- 
gen, fie weder für wahr nod) für falfch halten, fich als völ- 
lig unwiſſend in der Lehre von Gott anftellen, und auf die— 
fe Weife eine ächte Erfentniß von Gott zu erlangen trach— 
ten. 2) Die in der Kindheit ausmwendig:gelernten Fors 
meln, durch welche, nad) dem Vorgeben dererjenigen, wel—⸗ 
che den Kindern vdiefelben beybringen, theologifhe Wahr— 
heiten ausgedruckt werden. Die Erfahrung lehret leider 
zur Önüge, daß diejenigen, welche Kinder in der Religion 
unterrichten, mehrentheils felbft Feine richtige und reelle 
Erfentniß von Gott befisen, Und da fie den Kindern 
diefe Formeln in den Jahren beybringen, in denen fie noch 
nicht vermögend find, Gott und feine Bollfommenbeiten 
zu denken: fo überläft man es in der That dem bloffen Ohn— 
gefähr, was die Kinder bey diefen Formeln etwa denken, 
Sie denken alfo entweder gar nichts reelles, oder nur das— 
jenige bey diefen Formeln, was ihre Einbildungsfraft das 
mit verbindet, Unterdeſſen verhindern, diefe dergeftalt ins 
Gedächtniß gefafte Formeln, entweder in den reifen Jah— 
ren alle wahre Erfentnig Gottes, oder verunftalten diefels 
be auf eine ungeheure Weife, indem fie diefelbe mit den 
groͤbſten Irrthuͤmern unfermengen, die um fo viel unmög« 
licher wieder auszurotten find, je mehr fie durch die Vor— 

a5 ur⸗ 


ie Einleitung 


urtheile der Kindheit unterſtuͤtzt werden. Wer eine wahre 
natürliche Erfentniß von Gott erlangen will, der muß die- 
fe in der Kindheit gelernten Formeln und Religionsbefent- 
niffe ganz beyſeite feßen, was die Bedeutungen betrift, die 
er Damit bisher verbunden hat, er muß fie gan; von neuem 
unterſuchen, den wahren Berftand derfelben ausfindig mas 
chen, und denfelben nach den wahren Gründen der Erfents 
niß Gottes aufs firengfte prüfen. Meines Erachtens wäre 
es beſſer, wenn man Fleine Kinder gar Feine theologifchen 
Formeln lehrte. Sondern man müjte ihnen , vermöge ih. 
zer Empfindungen, klare Begriffe von. den Bollfommen- 
heiten der Creaturen, von Weisheit, Güte, Macht, Ver— 
ftand der Mienfchen u. f. w. benbringen, und wenn man 
gewahr würde, daß fie fo viel Bernunft erlangte, um ein 
vollfommenes Weſen zu denfen, fo müfte man fie von der 
Creatur, als auf einer feiter, nad) und nach zu der Bora 
ftellung der Gortheit hinauf fteigen laffen. Auf diefe Art 
würde man ſich die Hofnung machen Fönnen, daß mehrere 
Menſchen zu einer reellen und wahren Erkentniß Gottes ges 
langen würden, als nad) der eingefürten Lehrart zu hoffen ift. 
5) Die !chrgebäude der vermeinten geoffenbarten Neligios 
nen, Die wahre Dffenbarung Gottes in ver heiligen 
Schrift, und das richtige Sehrgebäude der geoffenbarten Re— 
ligion, Fan auf keinerley Weife der Weltweisheit, und der 
natürlichen Gottesgelahrheit, Hinderniffe in den Weg les 
gen; man muß vielmehr fagen, daß die erfte der legten 
ungemein befoͤrderlich ſey. Es würde zwar fehr abge: 
ſchmackt feyn, wenn man Wahrheiten ver Weltweisheit 
überhaupf, und infonderheit ver natürlichen Gottesgelahr- 
heit, aus der heiligen Schrift erweifen wolte $. 797. allein 
demohnerachtet hat die heilige Schrift einen zweyfachen grof- 
fon Mugen in der Weltweisheit, und in der natürlicdyen 
©sttesgelahrbeit. Einmal iſt fie ein vortrefliches Erfin— 
dungsmittel philofophifcher Wahrheiten: denn fo bald ein 
hriftlicher Weltweifer, eine Wahrheit der heiligen Schrift, 
aus philoſophiſchen Grunden erwiefen bat, fo bald bat er 

ein 





in dienstürliche Gottesgelahrheit. ar 


ein Recht, diefelbe als einen Theil feiner Weltweisheit an« 
zufehen, And zum andern Fan ein Weltweifer ſich defto 
leichter, in feinen Bernunftfehlüffen und philofophifchen Uns 
terfuchungen, vor Irrthuͤmern hüten, wenn er beftändig ein 
Auge auf die heilige Schrift richtet, und fich huͤtet, derſel— 
ben zu widerfprechen. Daher lehrt auch die philofophifche 
Hiftorie, daß Feine Weltweifen es, infonderheit in der na— 
tuͤrlichen Erkentniß Gottes, fo hoch gebracht haben, als die 
chriſtlichen; und ein chriftlicher Weltweifer würde fehr un- 
dankbar gegen die heilige Schrift handeln, wenn er diefels 
be deswegen für Feine wahre Offenbarung Gottes halten 
wolte, weil er es in der natürlichen Gottesgelahrheit fo hoch 
gebracht Hat: denn er würde vergeffen, daß er den gröften 
Theil feiner Einfichten von der heiligen Schrift gefchenft 
befemmen habe. Allein, wenn man die natürliche Gottes— 
gelahrheit fo lange drehen und wenden wolte, bis fie dem— 
jenigen tehrgebäude einer vermeinten geoffenbarten Religion, 
weldyes in derjenigen Secte, in welcher wir erzogen find, 
angenommen wird, gemäs wird: fo würde fie eine Scla— 
vin dieſes Schrgebaudes werden, und man würde nicht die 
geringfte Hofnung haben, durch diefelbe eine richtige Erz 
kentniß Gottes zu erlangen, es müfte denn diefes blos von 
ohngefähr gefcheben. Aus dieſem unvernünftigen Zwange 
rührt es her, daß die natürliche Gottesgelahrheit eines Hey— 
den, eines Türken, eines Papitten u. f. w. einander aufs 
offenbarfte widerfprechen, und daß es die Weltweifen der ir— 
“ rigen Religionspartheyen, in der natürlichen Erkentniß Got⸗ 
tes, niemals zu einer merklich groffen Vollkommenheit brins 
gen Eönnen. Wir müffen demnach), in der natürlichen 
Gottesgelahrheit, die befondern Sectenmeinungen Der vera 
fhiedenen dafür gehaltenen geoffenbarten Religionen bey— 
feite feßen, und uns in acht nehmen, daß wir fie niemals 
als Entfcheidungsgründe philofophifcher Fragen in der nas 
tuͤrlichen Gottesgelahrheit anfeben und gebrauchen, 


$, 800; 


12 00 Kinleitung 


$. 800: | * 

Wer nun im Gegentheil, in der natuͤrlichen Gottes— 
gelahrheit, einen ſicherern Weg betreten will, um zu einer 
reellen und richtigen Erkentniß Gottes zu gelangen, der 
muß es ganz anders anfangen. Er muß vornemlich, die 
Wirkungen Gottes und ſeiner Vollkommenheiten, in ſich 
ſelbſt und andern Creaturen, durch den Weg der Erfahrung 
richtig kennen lernen, und nach Maasgebung dieſer Erfent» 
niß ſich, einen Begrif von Gott und feinen Bollfommen« 
heiten, bilden. Wer die Natur der menfhlichen Erfente 
nißfraft verftehet, der weiß: daß wir Feine andere Begtifs 
fe haben fönnen, als welche entweder Empfindungen find, 
oder abftracte Begriffe, oder willführliche. Die abjiracten 
Begriffe ftellen uns dasjenige vor, was verſchiedene Ems 
pfindungen mit einander gemein haben, und die willführlie 
‚ben Begriffe werden, aus den Theilen verſchiedener 
Empfindungen und abftracten Begriffe, zufammengefeßt. 
Folglich ift es unwiderſprechlich, daß wir Menfchen in der 
That nichts anders denken fönnen, als was wir entweder 
ganz oder zum Theil empfunden haben, und was demjeni« 
gen, was wir empfunden haben, ähnlich iſt. Da mir nun 
von Gott nichts anders empfinden können, als feine Wirs 
fungen in uns, und andern endlichen Dingen; fo Fönnen 
wir, auf Feine andre Art, zu einer wahren Erfentniß Öot- 
ces gelangen, als wenn wir einen veichen Vorrath an 
Empfindungen, welche uns die Realitäten und Bollfoms 
menheiten der Creaturen vorftellen und zu fühlen geben, 
gefamlet haben, und fie uns auf eine übrigens gehörige 
Art in Gott als einem Subjecte vorftellen. Gott hat, fogar 
bey der geoffenbarten Religion, dieſen Weg erwählt, indem 
ein Menfch von manchen Dingen gar feinen Begrif befoms 
men Fan, bis er nicht wiedergeboren ift, und diefelben 
alsdenn empfindet. Daher fomts ohne Zweifel, daß uns 
die Dreyeinigkeit ein Geheimniß ift, weil wir in uns nichts 
empfinden, was mit einer göttliben Perfon zu einer Art 


der möglichen Dinge gehört, Wenn man nun dergeftalt, 
durch 





in die natürliche Gottesgelahrheit. 13 


durch den Weg der Erfahrung, eine reelle Erkentniß Got« 
tes erlangt, fo Fan man durch allgemeine Wahrheiten, und 
durch die Erfentniß a priore, diefe Erfentniß von Gott in 
ein philofophifches Syſtem bringen, und durd) diefen dop— 
pelten Weg eine deutliche, vernünftige und gründliche Er- 
Fentniß von Gott und göttlichen Dingen erlangen, Aus 
diefer Betrachtung erhellet demnach einmal, warum man 
in der Metaphyſik erft, die Ontologie, Cosmologie und 
Pſychologie, lernen muß, ehe man die natürliche Gottes— 
gelahrheit abhandeln fan. In den drey erften Wiffenfchaften 
famlet man ſich, einen hinlänglichen Vorrath reeller Ers 
kentniß von der Vollkommenheit eines möglichen Dinges, 
vermöge deffen man fich in den Stand feßt, Gott und goͤtt— 
liche Dinge in der That zu denfen. Zum andern, warum 
man die Phufif, die Mathematif und alle reelle menfchli= 
he Wiffenfchaften, als wahre Beförderungsmittel der Er— 
fentniß Gottes betrachten Fan. Alle diefe Wiffenfchaften, 
in fo ferne fie reel find, verfchaffen uns Begriffe von Re— 
alitäten,, die von Gott abftammen, und folglich find fie 
uns beförderlih, nach und nad) immer mehr reelle Erfent- 
niß von Goft zu erlangen. 
§. 80L 
Es hat feiner Keligion „, und alfo auch nicht der nas 
tuͤrlichen Gottesgelahrheit, iemals an Widerfachern gefehlt, 
und es gibt feute, welche ſich ftarfe Geifter zu ſeyn dünfen, 
die es für thöricht halten, wenn man fid) in der natürlichen 
Gottesgelahrheit bemüht, eine deutliche und gründliche Erz 
Fentniß von Soft zu erlangen. Dergleichen Leute, welche 
alle andre Menfchen an Berftande und Scharffinnigkeit zu 
übertreffen fich einbilden, machen fonderlicy eine dreyfache 
Einwendung mider die natürliche Gottesgelahrheit über: 
haupt. Einmal fagen fie, diefe ganze Wifjenfchaft fey un- 
moͤglich, oder wenigftens für die menfchlichen Kräfte gar 
zu ſchwer. Gott fey für uns Menfchen ein ganz unbegreifs 
liches Weſen; der Menſch koͤnne nicht wiffen, was Gott 
fen, kaum koͤnne er wiffen, daß ein Öott fen, und was ev 
nicht 


14 Ä Finleitung 


nicht fen; er fen ein folches reines und ſchimmerndes Sicht, 
daß unfer Verftand bey der Betrachtung deffelben, wie uns 
fere Augen durch die beitere Sonne, gebiendet werde, daß 
er nichts fehen koͤnne; unfer ungemein Eleiner und in vie 
engften Schranken eingefchloffener Berftand Fünne unmög« 
lich, den Begrif von einem unendlichen Dinge, fallen, und 
was dergleichen Einfälle mehr find, welche halb wahr und 
Halb falfch find, und aus denen unrichtig gefchloffen wird. 
Es ift wahr, unfer Berftand Fan nicht alles in der Gottheit 
erforfchen, und es iſt⸗ unmoͤglich, Daß er ſich einen Begrif 
von Gott folte machen koͤnnen, der eben fo unendlich ifk, 
als Gott feibft. Aller unferer Erfentniß Gottes ohnerach— 
fet, wird uns allemal, das meiſte von Gott und in demjela 
ben, unbefant, dunkel und undeutlid) bleiben. Allein das 
raus folgt nicht, daß wir nichts von Gott einfehen und deutlich 
erfennen koͤnnen. Wer nicht alles erfent, ver Fan doch wol 
einiges einfehen. Und wenn diefe Gegner gründlich verfah— 
ren wollen, fo müjfen fie unfere natürliche Gottesgelahrheit 
von Saß zu Saß durchgehen, und gründlic) beweifen, daß 
ein ieder entweder falfch und ungereimt fen, oder gar feinen 
Sinn und Beritand habe. Diefen Beweis aber bat meines 
Wiſſens, noch) Fein Gegner der natürlichen Öottesgelahrs 
beit, unternommen, Zum andern fagt man, alles unfer 
Wiſſen von Gott fey und bleibe, in diefem Leben, doch nur 
ein biofies Stuͤckwerk, und es ſey alſo rathſamer, daß man 
lieber in der Schre von Gott ganz unwiſſend bleibe, als feine 
Zeit und Kräfte auf ein ſolches Flick- und Stuͤckwerk zu vers 
jhwenden. Ein fehe feltfamer Einfall! Die Erkentniß 
Gottes Fan nur ein Stuͤckwerk genant werden, in fo ferne 
fie. ung nicht den ganzen Gott, und alles in ihm, feinen 
Vollkommenheiten und Werfen, vorfielt, und in fo ferne 
fie uns nur gleichfam einige Stüde von Gott vorftelt. 
Der Gegner fchlieft alfo: weil wir nicht alles von Gott eins 
ſehen, fo ift dasjenige, was wir von ihm erfennen, nichts 
nüße; und ein jeder ſieht die Ungereimtheit diefer Folgen 
rung. Alle unfer Willen iſt ein Stuͤckwerk, denn unfer 

j Ders 





in die natuͤrliche Bottesgelabrheit, i5 


Berftand Fan nicht ein Sandforn völlig einfehen, folglich 
müften wir, gar feine Erfentniß irgends einer Sache, zu 
erlangen fuchen. Dieſe Gegner find wie manche Ver⸗ 
ſchwender anzufehen, welche, weil fie nicht reich werden 
Fönnen, fid) arm machen, und welche Fleinere Summen mit 
allem Fleiß verfch wenden, darum, weil es Feine groffen Suma 
men find. Zum dritten machen einige Leute, die fich für 
groffe Verehrer der geoffenbarten Religion ausgeben, wider 
die natürliche Gottesgelahrheit einen Einwurf, der, wenn 
man ihnen glauben foll, ungemein erbaulich, und dent 
Character eines Wiedergebornen hoͤchſt anftändig ift. Sie 
fagen: wir Menfchen find durch den Suͤndenfall fo fehr 
verdorben, und unfer Berftand ift Durch denſelben derges 
ftalt verfinftert , daß er in göttlichen Dingen ganz blind ge= 
worden; die ihr felbft gelafiene Vernunft koͤnne von Gore 
nichts wiffen, und ein Weltweifer mache fi) lächerlich, fo 
bald er von Gott und göttlichen Dingen handele; wenigſtens 
fey e8 heute zu Tage, da uns ein befferes !icht in der heilia 
gen Schrift aufgeſteckt worden, thoͤricht und gefährlich, 
wenn man durch die bloffe Vernunft Gott zu erfenner 
frachten wolle. Diefer Einwurf ift ein Miſchmaſch von 
Gedanken, die am beften mwiderlege werden koͤnnen, went 
man fie deutlich auseinander ſetzt. Erſtlich iſt es unfeug« 
bar übertrieben, und fan aus Gottes Wort nie erwiefen 
werden, daß durch den Sündenfall unfer Berftand und un— 
fere Vernunft dergeftalt verdorben feyn füllen, daß fie von 
Gott gar nichts zu erfennen im Stande geblieben, Mar 
ſchaft der geoffenbarten Neligion warlich gar feinen Vor— 
£heil, wenn man das natürliche Berderben des Menfchen auf 
eine chimärifche Art vermehret. Folglich it es offenbar 
falfh, und der unleugbaren Erfahrung zuwider, wenn man 
annimt, daß, die ihr felbft gelaffene Vernunft des verdora 
beichen Menfchen, gar nidyts von Gott und göttlihen Dina 
gen erkennen koͤnne. Zum andern gebe ich zu, daß die 
Vernunft eines Chriften, ob er gleich nicht wiedergeboren 
iſt, durch Huͤlſe der heiligen Schrift, es in der natürlichen 

Got⸗ 


16 Einleitung 


Gottesgelahrheit viel weiter bringen kan, als die Vernunft 
eines andern Menſchen, der von dieſem hoͤhern Lichte gar 
keinen Gebrauch macht oder machen kan. Drittens iſt das 
Ucht der Offenbarung freylich beſſer, als das Licht der Ber 
nunft; allein deswegen ift das legte nicht überflüßig und 
unnöthig. jenes feßt diefes voraus, und ohne natürliche 
Gottesgelahrheit Fan man unmöglid), von der GöttlichFeit der 
heiligen Schrift, überzeugt werden. Diefer Einwurf alfo, 
fo eine andächtige Geftalt er auch immer haben mag, ift 
für die heilige Schrift fehr gefährlich, Wenn ein blofjer 
Weltweifer nichts von Gore wiflen Fan, fo haben wir gar 
feinen tüchtigen Grund, der uns bewegen Fönte, die heilige 
Schrift als Gottes Wort anzunehmen. So find ofte dieje— 
nigen, welche von ihrer Liebe zu Gottes Wort, und von ihe 
rer Hochachtung gegen daffelbe, ein gewaltiges Geſchrey mas 
chen, die gefährlidyften Feinde deffelben, weil fie im Ver— 
borgenen die Gruͤnde und Stügen deffelben untergraben. 
$+ 802, 

Wenn die natürliche Gottesgelahrheit eine gehörige 
Geftalt befommen foll, fo muß man fich in derfelben vor eis 
nem doppelten Fehler in acht nehmen. Kinmal muß man 
fi) durchaus hüten, damit man nicht, in der Meinung 
Gott und göttliche Dinge wunderbar und bewunderungs- 
würdig zu machen, in das Parvdore verfalle, Alles dasje- 
nige ift parador, was eine Bewunderung verurfacht, weil 
es mwiderfprechend zu ſeyn ſcheinet. Nun gibt es Leute, 
die fi) nur fo lange über etwas verwundern, fo lange fie 
daffelbe gar nicht verftehen, und fo lange es ihnen wider- 
fprechend und unmöglich zu feyn feheinet. Solche Leute 
verwandeln die ganze Erkentniß Gottes in ein Raͤthſel, wels 
ches entweder gar nichts bedeutet, oder deffen Auflöfung viel 
unnüße Mühe macht. Man Fan nicht genug ſagen, wie 
ſehr die Erkentniß Gottes unter den Menſchen, durd) das 
Beftreben nad) dem Paradoren, verdorben worden, Dies 
fes Beſtreben verleitet ung nur gar zu ofte zu wahren Wider» 
fprüchen in der Gottesgelahrheit, und folglich zu talıden 

ls 





in die natürliche Gottesgelahrheit. 17 


Begriffen von Gott und göttlichen Dingen; die Gottheit 
verſchwindet in unſern Gedanfen unter der Vorſtellung des 
paradoren Raͤthſels, und indem man entweder den Schluͤſ— 
fel zu dem Raͤthſel gar nicht finden Fan, oder zu viel Zeit und 
Mühe auf die Auflöfung deffelben wenden muß, fo vergift 
man in der That, Gott und göttliche Dinge zu denken; und 
man feßt die wahre Erkentniß Gottes in Gefahr, von allen 
denenjenigen verworfen zu werden, welche dergleichen Raͤth— 
fel nicht auflöfen Eönnen, oder nicht auflöfen wollen, Ich 
werde ofte Gelegenheit befommen, in dem Berfolge der nas 
türlichen Gottesgelahrheit Benfpiele, welche hieher gehören, 
anzuführen. So haben einige die Allgegenwart Öottes vors 
geftelt, als wenn Gott vermöge derfelben nirgends und 
doch allerıwegen fen ; und feine Unendlichkeit, als fey er ein 
Eircul, deffen Mittelpunct allerwegen, und deſſen Umfang 
nirgends anzutreffen if. Dies ift eine fehr fchlechte Art, 
das Wunderbare zu erreichen. Gott und feine Bollfome 
menbeiten werden, in unfern: Augen, allemal im höchften 
Grade bemundernsmürdig, wenn wir fie felbft, nad) ihrer 
wahren Natur, aufs ungefünftelfte und deutlichfte uns vor⸗ 
ftellen. Zum andern, muß man fid) hüten, damit man 
nicht eine gewiffe Art der Erbauung, in dem Vortrage thes 
ologifcher Wahrheiten, allein zum unmittelbaren und näd): 
ften Zweck ſich vorfeße, diefe Erbaulichfeit zum einzigen 
Kennzeichen theologifcher Wahrheiten annehme, und alle thes 
ologifche Unterfuchungen übergehe oder für falfch halte, wels 
che nicht auf diefe Art evbaulih find. Manche Leute reden 
immer von der Erbauung, und fie verftehen doch nur, durch 
eine erbauliche Erkentniß, eine finnlich rührende Erkentniß 
göttlicher Dinge. Daher verwerffen fie alle deutlichen, 
ſcharfſinnigen, gründlichen und theoretifchen Linterfuchuns 
gen aöttlihher Wahrheiten, unter dem Namen unerbaulicher 
Dinge, und fie verwandeln, die ganze Erkentniß Gottes, 
in eine blos finnliche allegorifche Erkentniß, welche der ges 
radefte Weg zu den groͤbſten Irrthuͤmern ift. Und da es finne 
liche erbauliche Luͤgen gibt, fo tragen ſolche Leute ofte Fein 
ur Theil, B Be⸗ 


18 Einleitung 


\ 


Bedenken die unleugbarften Unmahrbeiten anzunehmen, 
weil fie ihnen Gelegenheit geben, erbauliche Seufzer dabey 
anzubringen. Die wahre Erbauung ift, von einem viel 
weiten Umfange. Sie befteht, in einer jeden wahren 
Berbefferung der practifchen und lebendigen Erfentnig Got— 
tes. Folglich find alle theologifche Anterfuchungen erbaulic), 
durch welche dieſe Erkentniß Gottes weitläuftiger, groͤſſer, 
richtiger, klaͤrer und deutlicher, gewiſſer und gruͤndlicher, 
und lebendiger gemacht werden Fan. Man kan alſo mit Wahr: 
heit annehmen, daß alle Unterfuchungen der natürlichen Got— 
tesgelahrheit erbaulich feyn müffen aber nac) der wahren Er— 
Flärung diefes Worts. Dadurch aber wird, eine gründlis 
he und deutliche Theorie görtliher Wahrheiten, fo wenig 
aus dem Umfange der Gottesgelahrheit ausgefchloffen, daß 
fie vielmehr nothmendig erfordert wird, weil Feine wahre 
Erbauung ohne Theorie ſtat finden Fan. 
$. 803. 

Nachdem Ih, die wahre Natur und Beſchaffenheit 
der natürlichen Gottesgelahrheit, bisher unterfudye habe, fo 
ilt es nöthig, daß ich die verfchiedenen Eintheilungen ders 
felden unterſuche. Und da ift eine der merkwuͤrdigſten 
Eintheilungen, vermoͤge welcher ſie entweder eine angebor⸗ 
ne natuͤrliche ae oder Erfentniß Gottes 
feyn fol, oder eine erlangte. Die erſte ift Deswegen merfs 
wuͤrdig, teil viele, den ganzen Beweis der Wirklichkeit Gofa 
tes, auf diefelbe gegründet haben, mit was für Rechte oder 
Unrechte aber, werde ich in dem Folgenden beurtheiln. Es 
fragt fi) demnach), was man durd) diefelbe verjtehe? Und 
da hat man fi), auf eine drenfache Art, erklärt. Einmal 
verftehet man darunter eine würfliche Elare, und mit einem 
Bemwuftfeyn verfnüpfte, Borftellung Gottes, Man bat ans 
genommen, daß ein Menfch fehon im Mutterleibe einen Fla« 
ren Begrif von Gott habe, den ihm Gott felbft eingeprägt, 
und den er bey feiner Geburt mit auf die Welt bringe, Diefer 
ganze Einfall: beruhet auf falſchen Cartefianifchen Grunde 
fügen, als wenn ein Kind im Mutterleibe ſchon denfen koͤn— 

RN; ne, 








in die natürliche Gottesgelahrheit. 19 


ne, weil dns Weſen der Seele in Denken beſtehe, welches 
doch falſch iſt. Unſere eigene Erfahrung Fan ung von dieſem 
angebornen Begriffe Gottes nicht überzeugen, weil Fein 
Menſch fich auf dasjenige befinnen Fan, was er im Mutter⸗ 
leibe ſchon gedacht haben fol, Aus andern Gründen der 
Vernunft Fan, die Wuͤrklichkeit dieſes Begrifs, auch niche 
erwiefen werden, Es ift demnach), die angeborne natürli- 
che Gottesgelahrheit in diefem Berjtande, eine ohne genung- 
famen Grund angenommene Meinung, welche noch dazu 
den Wahrheiten vor der Natur der Seele, die wir in ber 
Pſychologie feſtgeſetzt haben, widerſpricht. Wolte man 
fagen, daß alle Menſchen einen Gott glauben, und daß 
diefer allgemeine Glaube, genungfam eriweife, daß es einen 
folchen angebornen Begrif von Gott gebe; fo ift diefes ein 
ſchlechter Einfall. Denn gejegt auch, daß alle Menfchen 
einen Gott glaubten, welches aber ‚Ho nicht falſch, doch 
fehr zweifelhaft iſt; ſo Fan und muß, diefer allgemeine 
‚Glaube, aus einem ganz andern Örunde hergeleitet werden. 
Alle diejenigen „ welche einen Gott. glauben, halten die Er— 
Eentniß Gottes für fo wichtig, daß fie dieſelbe allemal auf iha 
re Rinder fortpflanzen. - Folglich Fonnen alle Menfchen 
einen Gott glauben, und. doc) ven Flaren Begrif von dem⸗ 
felben erft nach ihrer Geburt empfangen haben, nemlich 
durch den Unterricht, den fie von andern Menfchen geniefz 
‘fen. Zum andern, Fonte man, durch Die angeborne na= 
türliche Erfentnig Gottes, eine dunfele Vorftellung deflel- 
ben verftehen, und da mülte man behaupten, daß alle 
menſchliche Seelen fhon in Murterleibe eine dunfele Erfents 
niß von Gott befißen, der fie fic) alſo nicht bewuſt find, die 
fie durch die Geburt mit auf die Welt bringen, und welcher 
fie fich ecft mit den Jahren bewuft werden, wenn ihre Ers 
kentnißkraͤſte, fonderlid) die obern, zugenommen haben, und 
fie durch den Unterricht anderer. Leute veranlaft werden, diefe 
Erkentniß Gottes nad) und nad) zu entwicdeln. Wenn 
man die angeborne natürliche Gottesgelahrheit auf diefe Ark _ 
erklärt, fo Fan man fie zugeftehen, Ich babe $. 740; ers 
B 2 wie⸗ 


20 Einleitung 


wieſen, daß ſich eine iedwede menſchliche Seele, und alſo 
ſchon im Mutterleibe, alles in dieſer Welt dunkel vorſtelle. 
Da nun die ganze Welt ein Werk Gottes iſt, und die 
Wuͤrkungen einen Begrif von ihren Urſachen natürlicher 
Weiſe erwecken ; fo Ean man es) wenigftens als möglich und 
fehr wahrfcheinlicy anfehen, daß die menfchliche Seele be- 
ftändig, von ihrem erften Urfprunge an, den Eindruck der 
Gottheit in ihr habe, oder ein dunkeles Bild 'derfelben in 
ihe angetroffen werde. Allein, nach diefer Erklärung Fan 
man ſich gar feinen erheblichen Vortheil davon verfprechen, 
wenn man eine angeborne natürliche Erfentniß Gottes ans 
nime. Auf eben die Art find ung alle menfchliche Künfte 
und Wiffenfchaften angeboren, und aus diefer angebornen 
Erkentniß Gottes läft fih, Eeine Wahrheit der natürlichen 
Gottesgelahrheit , erweifen. Zum dritten, haben einige, 
die angeborne natürliche Gottesgelahrheit, dergeftalt erflärt, 
dag fie darunter diejenigen Erfentnißfräfte verftehen, durch 
weiche wir vermögend find, Gott und feine Bollfommen« 
beiten zu erkennen, oder mit sinem Worte, Berftand und 
Vernunft. Da uns nun VBerftand und Vernunft, mie 
alle übrige Erfentnißfräfte, angeboren werden; fo ift ohne 
alle Widerrede Flar, daß es, nach diefer Erklärung, in 
allen Menfchen eine angeborne natürliche Erfentniß Gottes 
gebe, Allein, wenn man ohne Anfehen der Perfon, und 
ohne alles Vorurtheil, diefe Sache überlegt, fo beift es auf 
eine lächerliche Art mit dem Worte fpielen, wenn man die 
menfchliche Vernunft, in fo ferne fie geſchickt ift, Gott zu er- 
Fennen, eine würflid,e Erkentniß Gottes nennen will. Auf 
eben die Art Eönte unfere Vernunft eine angeborne Welt 
weisheit, Arzeneyfunft, Nechtsgelahrheit, Sprachkunft u. f. 
m. genant werden, Ja es gebe in der That ein angebornes 
Schufter- und Schneiderhandwerf, meil allen Menichen 
diejenigen Erfentnißvermögen angeboren find, durch welche 
diefe Künfte gelernt und ausgeübt werden. 


$. 804. 








in die natürliche Gottesgelahrheit. al 


S 804. | 

Der angebornen natürlichen Gottesgelahrheit wird, 

die erlangte natürliche Gottesgelahrheit, an die Geis 
te gefeßt, und man verfieht darunter eine klare Erfentniß 
von Gott und göttlichen Dingen, welche wir mit den Jah— 
ren, durch den Gebrauch unferer Erfentnisfräfte, vermits 
telft des Unterrichts anderer Menfchen, oder durch unfer 
eigenes Nachdenken, ohne übernatürlihe Mitwuͤrkung Gots 
tes, in ung heroorbringen. Diefe ausführliche Befchreis 
bung ift zu gleicher Zeit ein binlänglicher Beweis, daß ee 
dergleichen Gottesgelahrheit, wo nicht in allen Menſchen, 
doch in unendlich vielen, zu allen Zeiten gegeben habe, und 
noch gebe, Und fie ift entweder eine gemeine, oder eine 
philofophifche und gelehrte natürliche Gortesgelahrs 
beit. Die legtere ift die Wiffenfchaft von Gott, die ich 
$. 797. erklärt habe. Die gemeine natürliche Gottes⸗ 
gelabrheit aber ift eine blos hiftorifche, unvollftändige, 
verworrene und ungemwiffe Erkentniß goͤttlicher Wahrheiten, 
vergleichen wir bey ungelehrten Seuten antreffen. Dieſe 
Eintheilung fan man auch mit groffen Mugen, bey der ge= 
offenbarten Gottesgelahrheit, andringen. Es gibt eine 
gelehrte geoffenbarte Gottesgelahrhelt, und auch eine gemei« 
ne geoffenbarte Erfentniß Gottes. Die erfte ift zur Sees 
ligfeit und zur Wiedergeburt des Menfchen nicht nothwen— 
Dig, und die leßtere Fan uns den groffen Nutzen nicht vers 
fhaffen, den man fich, von einer philofophifc;en und ge: 
lehren Einficht in den Zufammenhang der geoffenbarten 
Wahrheiten, verheiffen Fan, 5. E. den Irrthum zu entdecken, 
die Orthodoxie zu erhalten, die Einwuͤrfe wider diefelbe 
zu beantworten u.f.m. Es wäre wohl der Mühe werth, 
diefe Betrachtung heute zu Tage weiter aus einander zu 
feßen, weil es in unfern Tagen viele Geiftliche gibt, welche 
Veraͤchter und Feinde der gelehrten und philofophifchen ges 
offenbarten Gottesgelahrheit find, und alles von ihrer Sei— 
te thun, um diefelbe durch eine blos gemeine geoffenbarte 
Gottesgelahrheit zu verdrengen; allein, die ausführliche 
B 3 Uns 


22 Einleitung J 


Unterſuchung dieſer Sache gehoͤrt nicht in eine Einleitung in 
die natuͤrliche Gottesgelahrheit. | 
i $. 805. 

Man theilt auch) die natürliche Gottesgelahrheit, in 
eine vernünftige und Crperimentalgotteggelabrheit, ein. 
Die narbrliche Experimentalgottesgelahrheit it Dies 
jenige natürliche Wiſſenſchaft von Gott, welche dur) den 
Weg der Erfahrung, oder a pofleriore, erlangt und be= 
wieſen wird. In dieſer Gortesgelahrheit erlangt man, die 
“Begriffe von Gott und göttlichen Dingen, nah Maasge— 
bung unferee Empfindungen von ven Mealitäten in uns 
felbft und andern Creaturen. Wir betrachten in derfelben 
die ganze Welt als ein Werk Gottes, in welchem wir, 
als in einem Spiegel, die göttlichen Vollkommenheiten ge« 
wahr werden, und aus welchen wir die Wahrheiten von 
Gott erweifen. Die vernünftige natürliche Gottes— 
gelahrheit aber, ift eine Wiflenfchaft von Gott, die wir 
aus der Bernunft, oder a priore, herleiten, In diefer Wifs 
fenfchaft machen wir ung ‚den Begrif von Gott willführlich, 
erweifen die Möglichfeit deffelben aus der Vernunft, und 
erweifen daher dasjenige, mas wir von Gott behaupten, 
In jener ftellen wir uns beftändig Gott als den Urheber der 
Belt vor, und aus dieſem Gefichtspuncte ſuchen wir alles, 
was wir von Bote willen, aus diefer Welt zu erkennen und 
zu beweifen. In dieſer aber ftellen wir uns Gott als dag 
allevvollfommenfte Ding vor, und leiten, aus der allerhöch« 
fien Vollkommenheit, alles übrige her, was wir natürlia 
cher Weife von Gott wiſſen. Wir wollen beyde Arten der 
Erkentniß Gottes mit einander verbinden, indem es Gott 
nicht nur werth ift, Daß man ihn auf alle mögliche Art zu 
erkennen ſuche; fondern weil wir auch dadurch , eine gröffes 
ve Deurlichkeit und Gründlichfeie in der Erkentniß Gottes, 
erlangen koͤnnen. In der geoffenbarten Gottesgelahrbeit 
redet man auch, von einer Erfahrungserfentniß Gottes und 
göttlicher Dinge Allein es gibt viele, welche aus derfels 
ben eine gefährliche Schwärmerey machen: indem fie ent 

we⸗ 








in die natuͤrliche Bottesgelabrbeit. 03 


weder glaubeu, daß ein Begnadigter die Gottheit unmik 
telbar in feiner Seele fühle; oder daß er eininnerliches über= 
natürliches, Sicht in feiner Seele habe, meiches, obne allen 
eigenen Gebrauch feiner Erkentnißkraͤſte, alle Erkentniß 
von Gott in ihm hervorbringe. Man fan aber aud), nady 
Maasgebung meiner gegebenen Erklärung, die geoffenbars 
te Gottesgelahrheit in eine Erfahrungserfentniß der geoffen- 
barten Wahrheiten, und in eine vernünftige eintheilen. Ich 
will nur noch) beyläufig zweyer Arten der natürlichen Got⸗ 
tesgelahrheit, Erwehnung thun, deren genauere Unterſu— 
Hung vielmehr in die philofophifche Hiftorie, als hieher, ge— 
hört, ich meine die bürgerliche und fabelhafte Gottes⸗ 
gelahrheit. Man verfteht, durch die erfte, die Lehrge— 
bäude von göttlichen Dingen, welche durch die bürgerlichen 
Geſetze in einem Staate eingeführt worden, und welche viel: 
mehr auf politifchen Gründen, als auf Gründen der Wahr- 
beit, beruhen. ° Nun finder man, in den Schriften der 
Flügften Heyden, eine Menge Fabeln von den Göttern, die 
fo abgefhmadt find, daß man nicht glauben Fan, daß Ho— 
-mer, Horatz, Virgil und dergleichen groffe Geifter, fie fol- 
ten geglaubt haben. Es haben demnad) einige angenom⸗ 
men, daß die Flügften Köpfe, unter Diefen Zabeln , ihre eigene 
wahre Meinung von der Gottheit verſteckt haben, weil fie 
ſich, der bürgerlichen Gottesgelahrheit wegen, nicht unters 
ftehen dürfen, dieſelbe mit deutlichen Worten vorzutragen, 
und man nennt fie daher Die fabelhafte Gottesgelahrbeit. 
Diefe Sache ift fehr ſchwer auszumachen, weil diefe Fabeln 
Närhfel find, zu denen die Schtüffel ſchon längft verlohren 
gegangen, 
§. 806. 


Sch habe in dem Vorhergehenden ſchon nezeigt, daß 
die natürliche Gottesgelahrheit deswegen nicht überflüßig und 
unnoͤthig fen, weil wir ietzo, das höhere Licht der überna- 
türlichen Offenbarung Gottes, zu befigen das Gluͤck haben, 
Um dieſen Gedanfen noch bündiger zu erweifen, fo wollen 
wir, den groflen Mugen der. natürlichen Gottesgelahrheit, 
4 ge: 


24 Finleitung 
genauer aus einander feßen. Und da fragt fihs nicht fo 


wol, was uns Menfchen die Erfentniß Gottes überhaupt 


nuße, denn Das wird in der philofophifchen Gittenlehre aus— 
führlicher gezeigt, wenn fie die mannigfaltige Verbindlichkeit 
zu der Neligion darthut: fondern hier ift die Frage, was 
man ſich, von einer gelehrten, philofophifchen und feientifis 
fehen Erfentniß Gottes aus der Natur, für Mugen zu vers 
fprechen habe? Und da wollen wir nur einen drenfachen 
Nusen in Betrachtung ziehen, welche hinreichend find, 
ihren Werth gnugfam anzupreifen. Cimmal enthält, die 
natürliche Öortesgelahrheit, die erften Gründe der ganzen 
practifchen Weltweisheit, und man Fan ohne fie, die Ber 
bindlichkeit zu der ganzen natürlichen Pflicht, nicht in der 
gehörigen Bollfommenbeit erweifen. Und diefer erfte Nutzen 
Fan, durch folgende Betrachtungen, auffer allen Zweifel 
gefeßt werden. 1) Der ganze Theil der practifchen Welt 
mweisheit, welcher von der natürlichen Religion, oder von 
den natürlichen Pflichten gegen Gott, handelt, berubet auf 
der nafürlichen Gottesgelahrheit. Es ift unmöglich einen 
Menfihen zuüberzeugen, daß er verbunden fen, Pflichten 
gegen Gott zu beobachten, und ihn zu der Ausübung diefer 
Pflichten zu bewegen, wenn er nichts von Gott weiß, oder 
ihn wol gar leugnet. Es iſt wahr, ein Menfch, welcher 
Gott leugnet, oder durch feine Schuld nichts von demfelben 
weiß, ift demohnerachtet zur Religion verbunden; nemlich 
durd) feine verſchuldete Unwiſſenheit, und durch feine Athes 
ifterey Fan er ſich von den Pflichten gegen Gott nicht frey 
madıen, er fündiget, daß er diefe Pflichten unterläft, und 


er wird deshalb gewiß von dem gerechten Gott geftraft, 


Alein fo lange er ein Atheift, und ganz unwiſſend in der 
Gortesgelahrheit iſt; fo lange Fan man ihn, weder von 
feinen Pflichten gegen! Gott überzeugen ‚'ncch zu der Aus— 
übung derfelben bewegen. Folglich Fan, der ganze Theil 
der practifchen Weltweisheit, welcher von den natürlichen 
Pflichten gegen Gott handelt, weder ausführlicy erflärt, 
noch philofophifch erwieſen werden, wenn man nicht die 

Nds 





in die natürliche Bottesgelabrbeit. 25 


natürliche Gottesgelahrheit vorausfegt. Und da, in der 
möglichften Ausuͤbung der Pflichten gegen Gott, unfere 
allerhöchfte zeitliche und ewige Gluͤckſeeligkeit beſteht; fo iſt, 
die natürliche Gottesgelahrheit, ein Grund des ganzen Ges 
bäudes unferer Gluͤckſeeligkeit. Was für ein herrlicher 
Mugen! 2) Keine der übrigen natürlichen Pflichten eines 
Menfchen gegen fich felbft und andere Greaturen, weder 
in dem natürlichen Zuftande, noch in den verfchiedenen Ge: 
fellfchaften der Menfchen, Fan, in ihrer höchiten Verbind⸗ 
lichkeit und Vortreflichkeit, vernünftig und philoſophiſch er 
kant werden, wenn man nicht die Wahrheiten der natürli- 
chen Gottesgelahrheit vorausſetzt. Alle Naturgefege, und. 
alle daher flieffende natürliche Pflichten, erlangen eine ihrer 
ftärfften Berbindtichfeiten daher, wenn man, durch die na= 
türliche Gottesgelahrheit, fich überzeugt hat, daß Gott uns 
fer hoͤchſter Oberherr und Gefeggeber fey, und daß, alle 
natürliche Pflichten, der natürlich geoffenbarte Wille deffels 
ben find, Ueberdies wird in der philofophifchen Sittenlehre 
erwiefen, daß, Feine Pflicht auffer der Religion, ihre hoͤchſte 
und vollfommene Rechtmaͤßigkeit erlangen koͤnne, wenn 
nicht, auffer den übrigen rechtmäßigen Bemegungsgründen, 
die Ehre Gottes der legte und vornehmfte Bewegungsgrund 
und Zweck derfelben ift. Nun fan man ſich nur durch die 
natürliche Gottesgelahrheit überzeugen, daß diefes möglich 
und nörhig it. Ein Atheift mag noch fo tugendhaft feyn, 
er Fan in Eeinem einzigen Falle, die höchfte Nechtmäßigfeie 
in irgend einer guten Handlung, erreichen. Unfere aller 
beften Handlungen find nothwendig zu gleicher Zeit Sünden, 
in fo ferne nicht, ihr vornehmfter Bewegungsgrund, aus 
der Erkentniß Gottes hergenommen wird. Folglich Fonnen 
die übrigen natürlichen Pflichten, auffer den Pflichten gegen 
Gott, weder in der Theorie noch in der Ausübung, ohne 
natürliche Gottesgelahrheit philoſophiſch betrachtet und aus: 
geübt werden, 3) Mad) der iegigen Gefinnung der Men: 
ſchen ift, der Eidſchwur, die vornehmite Stuͤtze aller Ber- 
träge, und das feftefte Band der allermeiften Geſellſchaften, 
B5 “und 


26 Einleitung 


und iſt alſo ein Mittel, welches, zu der Befoͤrderung der 
menſchlichen Gluͤckſeeligkeit in dieſem Leben, unentbehrlich 
erfordert wird. Nun iſt ohne Beweis klar, daß man, ohne 
natuͤrliche Gottesgelahrheit, weder die Natur eines Eides 
erklären, noch die natürliche Verbindlichkeit deſſelben erwei— 
fen kan. Folglich iſt offenbar, daß, die Grundſaͤtze der 
natürlichen Gottesgelahrheit, allerwegen in der practifchen 
Weitweisheit vorausgefegt werden müffen. 
$. 807. 

Man Fan alfo mit Necht behaupten, daß die natürlis 
che Religion, und infonderheit die natürliche Gottesgelahr⸗ 
heit, auch einen politifhen Nußen habe, indem fie Pflich— 
ten, worauf der ganze gefellfchaftlihe Zuftand, und vie 
Gluͤckſeeligkeiten deffelben, beruhen, befördert, erleichtert und 
befeſtiget. Die Gottſeeligkeit ift zu allen Dingen nuͤtze, 
und man fan alfo mit Wahrheit fagen, daß ein Menſch, 
der eine gehörige natürliche Erkentniß von Gott beſitzt, allem 
mal ein treuerer Gefellfehafter uno gehorfamerer Unterthan 
fenn werde, als ein anderer. Diefer Gedanke hat, zu einer 
Doppelten ausfchmeifenden Meinung, Gelegenheit gegeben, 
Einmal haben manche diefen Gedanken dergeftalt übertrie- 
ben, daß fie die ganze Lehre von Gott, als einen bloſſen po— 
litiſchen Kunſtgrif, angefeben, den Eluge Köpfe erfunden, 
un den Döbel in Zaum zu halten, und ihn defto beſſer 
unter Das Joch der menfchlichen Herrfchaft zu bringen. Das 
heiſt die ganze natürliche Gottesgelahrheit für eine Erdich— 
tung ausgeben, und daß müfle doch erft erwiefen werden, 
Es iſt freylich nicht zu leugnen, daß, in den verfchiedenen 
Religionen der Völker, viele Lehren und Uebungen vorfoms 
men, welche nur bloſſe politifche Erfindungen find; allein 
daraus folge nicht, daß, die ganze natürliche Religion und 
Gottesgelahrheit, nichts weiter ſey. Ja es iſt erlaubt 


— 


und aut, wenn ſich die Regenten der göttlichen Wahrheiten 


als Mittel bedienen, um das wahre Staatsintereffe zu bes 
fördern, wenn fie diefes nur nicht, für den einzigen. oder 
vornehmſten Nusen der ganzen Lehre von Gott, halten, 


Zum 


in die natuͤrliche Gottesgelahrheit. 27 


Zum andern, haben manche auf eine andere Art dieſen Ge— 


danken uͤbertrieben, indem ſie annehmen, daß die Lehre von 
Gott und die Religion, zur Wohlfart aller Geſellſchaften, 
fo norhwendig erfordert würden, daß ohne denfelben gar kei— 
ne Gefellichaft beſtehen koͤnne, und ein Staat, der aus 
lauter Atheiften beftehe, fen ganz unmöglich. Freylich find 
die meiften Arheiften nicht fo wohl aus Ueberzeugung Athei— 
ften, als vielmehr deswegen, damit fie, mit einem ruhigen 
Gemuͤth, alle Ungerechtigkeiten ausüben, und alle Schande 
thaten begehen koͤnnen. Solche Atheiſten übertreteten alle 
Gelege, und die koͤnnen Feine Geſellſchaft unter einander 
errichten, indem Feiner vor dem andern ficher it. Allein, 
die Pflihten, worauf die Wohlfartd aller Geſellſchaften 
beruhen, koͤnnen ohne Gottesgelahrheit erwieſen, und 
ohne Religion in fo weit ausgeübt werden, als es die Wohl— 
farth des gefellfchaftlichen Zuftandes in diefem eben erfo= 


‚ dert. Folglich) Fan auch ein Atheiſt ein ehrlicher, ehrbarer, 


Dienftfertiger Menſch, und ein gehorfamer Unterthan der 
Dbrigkeie ſeyn. Und. es ift demnach ungegründet, wenn 
man den politifchen Nußen der natuͤrlichen Gottesgelahrbeie 
gar zu fehr übertreibt, und ihr wol gar in allen Abfichten 
eine politifche Unentbehrlichkeie zuſchreibt. 
688 
Der andere Nutzen der natuͤrlichen Gottesgelahrheit 
beſteht darin, daß ſie die erſten Gruͤnde der Teleologie, oder 
Der Wiſſenſchaft der goͤttlichen Abſichten, die er bey der 
Einviheung, Erhaltung und Regierung der ganzen Welt, 
und aller Dinge in derfelben, hat, enthalt, Diefe Wilfen« 
ſchaft ift von ungemeiner Brauchbarkeit. Ohne ihr Fon« 
nen wir diefe Welt unmöglich als ein Werf anfehen, welches 
im Ganzen, und in allen feinen Theilen, das Werk des wei— 
feften und gütigften Lichebers iſt; und folglich Fan man ohne 
fie mit Gottes Borfehung nicht zufrieden ſeyn, und fich in 
derfelbigen nicht berubigen. Und eben fo wenig Fan'man, 
ohne diefer Wiſſenſchaft, ein gruͤndliches und zuverfichtiis 
ches Vertrauen auf Gott ſetzen. And es ift unmöglich, daß 
wir 


28 Einleitung 


wir irgends etwas in der Welt pflichtmaͤßig und tugendhaft 
gebrauchen koͤnten, wenn uns die Zwecke Gottes bey dem— 
felben unbefant find; weil aller Gebrauch einer Sache, wels 
cher diefen Zwecken nicht gemäs ift, ein fündlicher Gebrauch, 
und ein wahrer Misbrauc) derfelben iſt. Wir Eönnen uns 
fern Berftand nicht recht gebrauchen, wenn wir nicht willen, 
wozu ung Gott denfelben gegeben hat. Wir fünnen unfer 
Geſicht nicht pflichtmaͤßig gebrauchen, wenn uns die Zwecke 
unbefant find, um welcher willen uns Gott daffelbe gegeben 
bat. Kein Thier, Feine Pflanze Fan rechtmäßig gebraucht 
werden, wenn wir nicht wiſſen, zu was für Abfichten Gott - 
diefe Dinge eingerichtet und verordnet hat. Die Zwecke 
Gottes entdecken uns feinen Willen und feine Gefege, und 
ohne Teleologie fonnen wir unmöglic) gehorfame Untertha— 
nen Gottes feyn. Folglich koͤnnen wir durch diefe Wiffen« 
fchaft gefchictt werden, alle Tugenden auszuüben, und durch 
alles in und auffer uns, unfere und anderer Dinge wahre 
Vollkommenheiten, zu befördern. Dieſe Wiſſenſchaft ift 
demnad) eine vonden nöthigften, nüslichften und vortreflich« 
ſten, und diejenige Wiflenfchaft ift eben fo nöthig, nüglich 
und vortreflich, welche ung die eriten Gründe derfelben ent— 
det. Nun thut dieſes die natürliche Gottesgelahrheit. 
Sie beweiſt uns: daß ein allerweiſeſtes Weſen vorhanden 
ſey, welches die Welt, und alles was drinnen iſt, nach 
hoͤchſter Weisheit erſchaffen hat, erhaͤlt und regiert. Sie 
uͤberzeugt uns alſo, daß alles in der Welt goͤttliche Abſich— 
ten habe. Sie zeigt uns, worin dieſe Abſichten uͤberhaupt 
beſtehen, und zeigt uns dadurch den Weg, auf welchem 
wir in beſondern Faͤllen dieſen Abſichten nachſpuͤren, und 
dieſelben gluͤcklich entdecken koͤnnen. Ohne Theologie kan, 
gar keine Teleologie, ſtat finden. 
9. 809. 

Zum dritten, bat die natürliche Gottesgelahrheit ven 
groffen Nutzen, daß fie die erften. Gründe der geoffenbarten 
Gottesgelahrheit enehält, und jederman wird dieſes für einen 
ungemein groffen Mugen halten, wer Fein Naturalift und 

Frey⸗ 





in die natürliche Gottesgelahrbeit. 209 


Freygeiſt ift, und folche Leute find nicht fo viel wereh, um 
ihrenewegen, und um ſich den Einwuͤrfen derfelben nicht 
auszuſetzen, diefen Mugen, in der Einleitung zu der natürli- 
chen Gortesgelahrheit zu verfchweigen. Es fan aber auf 
eine mannigfaltige Art erwiefen werden, daß, die natürlis 
che Gottesgelahrheit, die erften Gründe der geoffenbarten 
enthalte. 1) Ohne fie fan man fich gar nicht, vonder 
Wuͤrklichkeit einer übernatürlichen Offenbarung, überzeugen. 
Wenn man die lerere erweifen will, fo muß man ja als 
gewiffe Wahrheiten vorausfegen: daß ein Gott ſey, daß 
es eine göttlihe Vorfehung gebe, daß Gott im höchiten 
Grade gütig und weiſe fen, daß er fich übernatürlich offen— 
baren koͤnne, und daß diefe Offenbarung gemiffe Kennzeis 
chen haben müffe, woran man fie erfennen , und von den 
erdichteten Dffenbarungen unterfcheiden far. Nun find 
dieſes lauter Wahrheiten, welche nur in der natürlichen Got— 
tesgelahrheit richtig und gründlich ermiefen werden Fünnen. 
2) Dhne fie fan man, die übernatürliche Dffenbarung, un« 
möglid) wider die Einmwürfe vertheidigen, welche wider 
fie aus der natürlichen Erfentniß Gottes gemacht werden ; 
und eben fo wenig Fan man ohne fie, die Unrichtigkeit der 
unächten und für übernatürlich ausgegebenen Dffenbarungen, 
völlig und überzeugend dartbun. Die erlogenen Dffenbas 
rungen enthalten vieles, welches demjenigen widerfpricht, 
was die wahre natürliche Gortesgelahrheit von Gott und 
göttlichen Dingen lehrt, und das ift allemal ein ficherer Bes 
meis ihrer Unrichtigfeit. Folglich gehört die natürliche 
Gottesgelahrheit zu den Richtern, welche entfcheiden müffen, 
ob in der heiligen Schrift, oder in einem andern Buche, die 
übernatürliche Offenbarung Gottes enthalten fey. Und es 
gibt manche Einwuͤrfe wider die geoffenbarten Wahrbeiten 
von Gott, weldye nur aus der natürlichen Gotteggelahrheit 
beantwortet werden koͤnnen. Folglich ift fie gefchieft, einen 
Ehriften, vor vernünftigen Zweifeln, an ven geoffenbarten 
theologifchen Wahrheiten, zubewahren. 3) Die ganze ges 
pffenbarte, Lehre von Gore ift, wie ich Fünftig erweifen will, 

ein 


30 j Einleitung 


ein Zufaß zu der natürlichen Erfenntiß von Gott. Jene | 


fegt diefe allerwegen voraus, und die Erfahrung lehrt auch, 
Daß in der heiligen Schrift, die Wahrheiten der natürlichen 
Gottesgelahrheit, überal wiederholt. werden. Folglich Ean, 
die geoffenbarte Erfentniß Gottes, gar nicht verftanden 
und überzeugend eingefehen werden, wenn man nicht die 
natürliche Erfeneniß Gottes vorausfeßt. Die geoffenbar: 
ten NBahrheiten von Gore müflen allemal, nah Maasges 
bung ver natürlichen, erklärt werden. Und die Erfahrung 
lehrt aud) leider mehr als zu fehr, daß diejenigen chriftlichen 
Lehrer, welche in der natürlichen Gottesgelahrheit und Welta 
weisheit fehr unerfabren find, mebrentheils auf ſolche finn« 
liche, grobe und unrichtige Borftellungen ver aeoffenbarten 
Wahrheiten verfallen, welche nichts anders als Aberglaus 
ben und Schwärmerey verurfachen koͤnnen. Ich will mich 
nicht länger bey diefer Materie aufhalten, weil ein jeder, 


welcher die übernatürliche Gottesgetahrheit gründlid) lerne 


und verfteht, ohnedem aus feiner eigenen Erfahrung weiß, 
Daß er in derfelben fo zu reden feinen Schritt mit Zuver— 
fihe thun fan, wenn er niche von der natürlichen Gottes— 
gelahrheit gleichfam an der Hand geführt wird. 
810. 
Hieraus erhellet zugleich, daß man die natürliche 
Gortesgelabrheit mit Recht, als einen Theil der Metaphy— 


fi, betrachtet, und fie in derfelben abhandel. Sie ente 


halt ja die eriten Gründe, eines fehr grofien Theile der 
menfchlichen Erkentniß F. 806 » 809. Da nun zu der 


Metaphyſik alle diejenigen Wiffenfchaften gerechnet werden 


müffen, welche die erften Gründe ver menfchlichen Erfent: 
niß enthalten $. 3. fo würde man ohne genugfamen Grund 
handeln, wenn man fie von der Metaphyſik ausfchlieffen, 
‚und fie in einem andern Theile der menfchlichen Gelehrſam— 
Feit abhandeln wolte. Alles, was wir von Gott natürlicher 
Weiſe wiſſen koͤnnen, Fan unter zwey Hauptbegriffe ges 
bracht werden. Zu dem erften gehört alles-dasjenige, was 
wir von Got hinlaͤnglich einfehen fönnen, ohne vorher feine 

Hands 








in die natürliche Gottesgelahrbeit. EN: 


Handlungen in die Welt zu erflären, und, durch alle dica 
| fe Betrachtungen, machen wir uns nad) und nad) einen 
‚ rechten ausführlichen Begrif von Gott. Wir wollen alfo, 
in dem erften Theile der natürlichen Gottesgelahrheit, von 
dem Begriffe handeln, den wir uns von Gott madyen müfe 
fen. Zum andern, wollen wir von den Handlungen Got— 
tes, wodurch er in die Welt würft, handeln, und alles das⸗ 
jenige unterfuchen, was mit denfelben ‘auf eine nähere Art 
verbunden ill, 
S. gr 
. Zum Befchluß der Einleitung in die natürliche Got— 
tesgelahrheit will ich noch, den Character eines wahren Got⸗ 
tesgelehrten, entwerfen, als welcher die Regeln der Voll— 
kommenheit enthält, die man beobachten muß, wenn man 
eine recht vortrefliche Erfentniß von Gott erlangen will. 
Ein Hortesgelehrrer ift nicht etwa ein jedweder, welcher 
eine Erfentniß von Gott beſitzt; fondern derjenige verdient 
nur diefen Namen, welcher eine Willenfchaft, oder eine 
gründliche philoſophiſche und gelehrte Erfentriß, von Gore 
und göttlichen Dingen, erlangt hat. Je vollfommener alfo 
feine theologiſche Erkentniß ift, ein defto gröfferer Gottesge— 
lehrter ift er; je unvollfommener und mangelhafter aber 
feine Erfentniß von Gott befchaffen ift, ein defto fchlechtes 
rer Gottesgelehrter ift er. Ber es alfo in der natürlichen 
Gottesgelaheheit zu einem recht hohen Grade bringen, und 
ein vollfommener Gottesgelehrter werden will, fo weit es 
die Schwäche und Die engen Grenzen der menf&lichen Ver⸗ 
nunft erlauben: der muß folgende Negeln beobachten, 
») e weitläuftiger die Gottesgelahrheit iſt, deſto vollfom« 
mener iſt ſie. Je mehr ein Gottesgelehrter von Gott und 
goͤttlichen Dingen weiß, deſto groͤſſer iſt er. Je armſeeli⸗ 
ger aber ſeine Eckenmß, und je tiefer und groͤſſer feine Uns 
wiſſenheit in göttlidyen Dingen. ift, dejto unvollformener 
iſt er. Man meiß alfo nicht, ob man lachen oder zornig 
werden foll, mern es $eufe gibt, welche, mit vielem Schein 
ber Andacht und Demuth, Befoͤrderer der theologiſchen RE 
ms 


32 Einleitung 


wiſſenheit ſind, und dieſelbe als eine gottſeelige Einfalt und 
Armuth des Geiſtes anpreiſen. Es iſt keine Narrheit zu 
finden, welche nicht naͤrriſche Goͤnner und Befoͤrderer unter 
den Menſchen haben ſolte. 2) Je groͤſſer, wichtiger und 
fruchtbarer die Gottesgelahrheit iſt, deſto vortreflicher iſt 
fie. Ein groſſer Gottesgelehrter muß nicht nur die unerheb« 
lichen theologifchen Fragen vermeiden, und ſich blos mit 
erheblichen, wichtigen, und fruchtbaren theologifchen Wahrheis 
ten befchäftigen ; fondern er muß fich aud) in feinen Gedans 
fen von göttlichen Dingen zu erheben fuchen, und diefelben, 
auf eine der Gottheit würdige und anftändige Art zu denfen 
fi) bemühen. Es ift demnach ein verachtungswuͤrdiger 
Fehler eines Gottesgelehrten, wenn er auf eine kindiſche, 
taͤndelnde, quängelnde und niedertraͤchtige Art von Gott. 
denkt und redet, und das wol gar unter dem Scheine eines 
findlichen und "vertraulichen Gemüchs. 3) Se richtiger 
die Gottesgelahrheit ift, defto vollfommener ift fi. Ein 
Gottesgelebrter, welcher von Gott und göttlicdyen Dingen, 
auf eine unrichtige, irrige, unbeftimte und grobe Art, denkt, 
iſt in fo ferne ein fchlechter Gortesgelehrter, und er ift nicht 
zu entfchuldigen, wenn er diefe Irrthuͤmer durch Fleiß und 
Gelehrfamfeit hätte vermeiden Fönnen. 4) Ye Flärer und 
deutlicher die Erfentniß von Gore iſt, deito vollfommener 
ift fie. Ein wahrer Gottesgelehrter muß demnach allerwe⸗ 
gen, das möglichfte Licht in feiner Erkentniß Gottes, ſuchen. 
Er muß überall, fo weit es ihm die Schranfen feines Ver⸗ 
ſtandes — 5*— die groͤſte und mannigfaltigſte Klarheit, 
Lebhaftigkeit, Deutlichkeit, Vollſtaͤndigkeit und Ausfuͤhr— 
lichkeit ſeiner theologiſchen Erkentniß ſuchen. Und es iſt 
ein groſſer Fehler, wenn man mit Fleiß uͤberall Finſterniß 
in der Gottesgelahrheit ausbreitet; wenn man aus Faulheit, 
um der Muͤhe des Nachdenkens und Erklaͤrens uͤberhoben 
zu ſeyn, alles fuͤr Geheimniſſe ausgibt; und wenn man 
wie ein myſtiſcher Gottesgelehrter, durch unverſtaͤndliche, 
uͤbertriebene und weit hergeholte Metaphern und Allegorien, 
die goͤttlichen Wahrheiten mit einem undurchſichtigen — 
7) 





in die natürliche Gottesgelahrheit. 33 


bedeckt. 5) je gewifler, gründlicher und uͤberzeugender die 
Gottesgelahrheit ift, defto vollfommener ift fi. in wah⸗ 
ver Gottesgelehrter muß alfo alles oder Doch Das meifte, was 
er von Gott weiß, gründlich erweifen und demonftriren, 
und-das übrige mwenigftens zu einer moralifchen Gewisheit 
bringen. Wer nach bloffen Borurtheilen feine Meinung, 
unter dem Scheine eines einfältigen und Gott gehorfamen 
Glaubens, annimt, ift ein ſehr ſchlechter Gottesgelehrter, 
6) Je practiſcher und lebendiger die Gottesgelahrheit iſt, 
deſto vortreflicher iſt ſſe. Es iſt alſo ein groſſer Fehler, 
wenn ein Gottesgelehrter eine blos ſpeculativiſche und todte 
Erkentniß von Gott ſucht, welche zwar ſeinen Verſtand 
beſchaͤftiget, allein feinen Willen nicht angreift. Ein fol- 
cher Menfch ift nichts anders als ein tönend Erz, und eine 
flingende Schelle. Er verleugnet die. Kraft der Gottesge— 


lahrheit, und er ift nur als ein halber Gottesgelehrter zu 


betrachten. Mac) diefem Furzen Entwurf Fan ein jeder 
fid) felbft und andere Gottesgelehrte vernünftig beurtheilen, 
und es wäre wohl der Mühe werth, daß diefer Entwurf 
weiter ausgeführte würde, damit ein jeder Gottesgelehrter 
ein Mufter habe, nad) welchem er fich beurtheilen 
und bilden koͤnne. 





4. Theil, C Die 


“a 


34 a 6 
RO BOB ÄO DROP OR DRS FOR EDER OR ORDER Of OR CO 
Die 
natuͤrliche Gottesgelahrheit. 


Der erſte Theil. 
Der Begrif von GDLE. 


Der erfte Abſchnitt. 
Die Erklärung des Begrifs von GOtt. 
$. 812. 


enn man eine richtige Erflärung von GOtt feftfegen 7 
will, fo muß man vor allen Dingen unterfuchen, 
was alle Menfchen, die mit Aufrichtigkeit ihres 

Herzens einen Gott glauben, mit diefem Worte für einen 
Begrif verbunden haben: damit man nit etwa mit den 
orte fpiele, und zwar dem Worte nad) einen Goft glaube, 
in der That aber denfelben gänzlich Teugne. Und da lehrt 
die ganze Gefchichte der Lehre von Gott unter den Menfchen, 
daß alle diejenigen, welche aufrichtig einen oder mehrere Göt« 

ter angenommen haben, durd) diefes Wort ı) ein Ding 
verftehen, welches vor fich befteht, und ein thätiges und 
würffames Weſen, oder, mit einem Worte, eine Subſtanz 
iſt. Selbft diejenigen, welche der Bielgötterey ergeben ges 
wefen find, haben alle ihre Gottheiten für Subftanzen gehals 
ten. Man würde fich lächerlich machen, wenn man vere 
fiherte: mar glaube einen Gott, und hielte denfelben doch 
für ein Accivenz der Welt, indem man eben dadurd) die 
Gortheit leugnen würde. 2) Muß Gott eine ſolche Sub» 
ftanz feyn, welche auffer der Welt würflich ift, oder die eis 
ne eigene Würflichfeit bat, welche auf eine folche reelle Art 
von der Würflichfeit der Welt unterfchieden ift, daß fie we» 
| bder 














| 
Ä 


Die Erklärung des Begrifs von Bott. 35 


der die Würflichkeit der Welt, noch ein Theil derfelben iſt. 
So haben fo gar die Heiden einen befondern Dre angenom- 
men, in welchem die Götter wohnen. 3) Muß Gott als 
eine Subftanz betrachtet werden, welche fich mit der Welt 
als mit ihrem Werfe befihäftiget, es fey nun, daß fie die 
Melt geichaffen, oder zugleich fie erhält und regiert. Wer 
einen Gott glauben wolte, von dem die Welt auf feinerley 
Weiſe abhienge, der wide aus demfelben ein Ding ma— 
chen, welches uns gar nichts angeht, und deſſen Unterfus 
dung vollfommen unnüg und unnörbig wäre. Und 4) muß 
Gott als eine folche vortreflihe Subftanz betrachtet werden, 
welche an Vollkommenheit alle Dinge in der Welt übertrift, 
Die Heyden find zwar fo blind gewefen, daß fie fi), bis 
zu dem Begriffe des allervollkommenſten Wefens, nicht ha- 
ben erheben koͤnnen: allein fie haben doch allemal ihren er« 
dichteren Gottheiten vorzügliche Vollkommenheiten beyge— 
legt, und folte es aud) blos eine vorzügliche Stärke und 
Macht geweſen ſeyn. Wer alfs eine richrige Erklärung 
oder Definition von Gott geben will, der muß einen folchen 
deutlichen Begrif feftfegen,. in welchem diefe Merkmale 
Gottes entweder ausdruͤcklich, oder durch eine leichte und 
unleugbare Folgerung, enthalten find, 
« 813: 

Gleich bey dem erſten Schritte in der natürlichen 
Gottesgelahrheit Hat man, mit einer felffamen Art von 
$euten, eine Streitigkeit zu führen, welche vorgeben: es 
ſey entweder unmöglic) oder dem höchften Wefen höchft un« 
anftändig, wenn man eine Erklärung deielben gebe, Dies 
fe Leute unterftügen, ihre Meinung, durch einen vierfachen 


* Grund, Einmal fagen fies Gott habe feine Schranken, 


und koͤnne nicht umgrenzt werden, Wenn man aber eine 
Sache logiſch erkläre, ſo ſetze man ihr Schranken, folglich 
ſey es ganz unmöglich, durch eine Erflärung zu fagen, was 
Gott fey. Diefer ganze Gedanke beruhet auf einem Eindi. 
ſchen und abgefhmadten Wortfpiele. Das lateinifche 
Wort, definiren, Fan, feiner grammatifhen Abſtammung 

& 2 nad), 


ss Die Erklärung des Begrifs von Bott. 


nah), fo viel heiſſen als, Schranfen fegen, Allein mie 
ehöricht ift es nicht, auf eine folche Art zu denken! Durch 
eine Definition verfteht ein jeder, welcher diefer Sache 
kundig ift, eine folche Vorftellung einer Sache, welche deufs 
lic) ift, und welche nicht mehr noch weniger in ſich enthält, 
als noͤthig ift, wenn man die erflärte Sache von allen ana 
dern möglichen Dingen unterfcheiden, und vermöge derfel- 
ben allemal erkennen will, daß es eben die und Feine andere 
Sache fy. Bleibt nun wol nody der geringite Schein 
übrig, als wenn, durd) eine folche Vorftellung von Gott, 
demſeiben Grenzen und Einfchrenfungen feines Welens ge⸗ 


geben würden? Zum andern fagt man: was wir erklären, 
das begreifen wir, und flellen es uns eben dadurch als ein 


begreiflihes Ding ggr.* Da nun Öort ganz unbegreiflid) 
iſt, fo Fan er gar nicht von uns Menfchen erfläret werden, 
Diefer Einwurf wird in dem Folgenden völlig gehoben wers 
den, wenn ich von der Unbegreiflichfeit Gottes handeln wer⸗ 
be, Hier will id) nur bemerfen, daß der ganze Einwurf auf 
einer Zweydeutigkeit beruhe. Verſteht man durd) die Un« 
begreiflich£eit Gottes fo viel, daß es uns Menſchen unmögs 
fich fen, alles in Gott dergeftalt zu verftehen und deutlich 
zu erfennen, Daß uns nichts mehr unbefant, verborgen und 
dunkel bleibe, fo ift Gott allerdings uns Menfchen unbes 
greiflich. Allein Feine logifche Erklärung ſtelt uns alles, 
was in der erklärten Sache angetroffen wird, ohne Ausnaha 
me deutlich vor. Verſteht man aber, durd) Die Unbegreifa 
lichkeit Gottes, fo viel, daß wir gar nichts von Gott deufs 
lich erfennen koͤnnen, oder daß ung alle Deutlichkeit in der 
Erkentniß Gottes unmöglich fey: fo würden wir freylich 
den Begrif von Gott nicht erklären koͤnnen, wenn dieſe 
Sache ſich fo verhielte. Allein ic) leugne, daß Gott auf 
diefe Art uns Menſchen unbegreiflid) fey, und daß ic) dies 
fes mit Grunde thue, wird fünftig ermwiefen werden, Cine 
ehörichte Neigung zum Wunderbaren hat vieledazu verleitet, 
die Unbegreiflichfeit Gottes auf eine fo übertriebene Art zu 
behaupten, Zum dritten haben manche noch) den altväteri« 

ſchen 








rn nr 





Die Erklaͤrung des Begrifs von Gott. 37 


ſchen Begrif von einer Definition im Kopfe, als wenn ſie 
eine Erzehlung der wuͤrkenden Urſach, der Materie, der 
Form und der Zwecke der erklaͤrten Sache ſeyn muͤſte. 
Gott bat freylich feine wuͤrkende Urſache und Feine Zwe— 
de, um welcher willen er von feinem Urheber hervorgebracht 
worden, und alfo fan er freylich auf eine fo thörichte Art 
nicht erkläre werden. Allein ein jeder Schüler der Ver— 
nunftlehre weiß, daß diefe Art der Erklärungen längft mit 
Recht aus der vernünftigen Mode gefommen. Und vier 
tens ſagt man: in einer Erklärung müffe man den hoͤhern 
Degrif anführen, unter welchen die erflärte Sache als ein 
nieöriger Begrif gehöre, und alsdenn die eigenthümlichen 
Amterfheidungftücke derfelben. Dun fen es höchft unges 
reimt und unanftändig, Gott, der das höchite Weſen ift, 
als einen niedrigern Begrif unter einen höhern zu vechnen, 


Allein auch dieſer Einwurf beruber, auf einem Findifchen 


Wortſpiele. ine niedrigere Sache wird nicht fo genent, 
iveil fie geringer ift; fondern weil fie nicht fo abftract, over 
weil fie mehr beftimt ift, als diejenige, die man die höhere 
nent. Da nun Gott gar fein abftractes Ding ift, fo ilt er 
eins der niedrigfien Dinge, wenn man fi) der Nedensar« 
ten der DBernunftlehre bedienen will, ohne Daß man dadurd) 
etwas behauptet, welches feiner anbetungswürdigen Ho— 
heit, vermöge welcher er alle andre Dinge, auch die grös 
ſten und erhabenften, unendlicd) weit übertrift, nachteilig 
feyn Fonte. 
S. 814. 

Ich werde in dem Folgenden zu zeigen Gelegenheit 
haben, daß man unendlidy viele von einander verfchiedene 
Erklärungen Gottes geben Eönne, die insgeſamt ihre Rich— 
tigkeit haben. Da ich aber, in meiner natürlicyen Gottes» 
gelahrheit, mit dem Beweife der Würftichkeit Gottes aus 
der Erfahrung, den Anfang machen will: fo muß id) in mei» 
ner Erflärung denjenigen Begrif von Gott annehmen, den 
‘alle diejenigen haben, melde Gott aus diefer Welt, als 
feinem Werke, fich vorftellen. Diejenigen, welche Gott a 
| C 3 priore 


ss Die Erklärung des Hegrifs von Gott. 


priore zu erfennen fuchen, die nehmen, den Begrif des 
allervollfommenften Dinges, als den erften Begrif an, den 
fie fich von Gott machen, und aus welchem fie alles übrige, 
was fie von Gott philoſophiſch wiflen, herleiten. Wer 
aber Gott, feine Würklichfeit, und Vollfommenheiten aus 
feinen Werfen erkennen will; der muß ſich denfelben, als 
den Werfmeifter oder bie würfende Urfach der Welt, vorftele 
len, welche von ihr verfchieden if, und mithin als ein ges 
ſchaͤftiges Wefen oder Subſtanz. Folglich verfteht jeder 
man, durch Sort, eine Subſtanz. Nun find alle Sub- 
ftanzen entweder endliche Subftanzen, oder die unendliche 
Subſtanz $. 190. Die endlihen Subftanzen, welche 
würflich find, machen zufammen genommen die Welt aus 
$. 292, folglich ift Bott eine unendliche Subftanz. Das 
unendlihe Ding ift allemal auch zugleidy ein nothwendi— 
ges Ding $. 192. Folglich muß man, durch das Wort 
Gott, die nothwendige Subftanz verſtehen. Meine fols 
genden Betrachtungen werden offenbar zeigen, daß diefe 
Erflörung alles in ſich faßt, was zu dem richtigen Begrif— 
fe von Gott erfordert wird. $. 812. 


: 815 
Die unendliche Subftanz bat gar feine Schranfen, 
und befißt denjenigen Grad der Nealität, welcher ſchlech⸗ 
terdings der gröfte ift, dDergeftalt, Daß es ungereimt feyn wuͤr⸗ 


de, einen noch gröffern Grad zu gedenfen $. ı90. Nun 


beſteht, in dem Grade der Mealität eines Dings, die 
Vollkommenheit deffelben $. 155. Folglich ift Gott, 
oder die unendliche Subftanz, dasjenige Ding, welches 
fhlechterdings das allervollfonmmenfte, das allerreellefte 
Ding, und alfo das allerbeite Ding ift, oder das hüch- 
fte Gut an und vor fich betrachtet, $. 99. 131. 9%. Wer 
fic) von Gott einen richtigen Begrif machen will, der muß 
fih denfelben nicht nur als ein Ding vorftellen, welches 


viel vollfommener ift, als die Menfchen, oder welches, in 


diefer oder jener Claße der Dinge, das vollfommenfte ift. 
Sondern er muß fich denfelben als ein Ding vorftellen, in 
es 




















Die Erklaͤrung des Hegrifs von Gott. 39 


ches vollfommener ift, als alle andre mögliche Dinge ohne 
Ausnahme, dergeftalt, daß ein Ding, weldyes noch vollfome 
mener wäre als Sort, fehlechterdings unmöglid) ift. Wenn 
wir nun biemit, die verfchiedenen Grade der Vollkommen⸗ 
beit, vergleichen $. 97. fo erhellen daraus folgende Wahrs 
beiten: ı) In Gott oder in dem vollfommenften Dinge, 
find fo viele und mannigfaltige Beftimmungen, welche 
auf Eins zufammenftimmen, als beyfammen möglid) find ; 
denn die Bollfommenbeit ift um fo viel gröffer, je meh» 
reres in einem Dinge angetroffen wird, welches zufammen» 
ftime. 2) In Sort find die zufammenftimmenden Bes 
ftimmungen fo groß, als fie irgends in einem möglichen 
Dinge feyn fönnen: denn je gröffer die zufammenftims 
menden Beſtimmungen eines Dinges find, defto gröffer ift 
die Bollfommenheit defelben. 3) In Gott ftimt alles 
zu fo vielen Beltimmungsgründen der Bollfommenheit zus 
ſammen, als möglich iſt. 4) In Gore flimt alles zu fo 
groſſen Beftimmungsgründen der Vollkommenheit zufame 
men, als möglih ift. Denn zu je mehrern und gröffern 
Beſtimmungsgruͤnden, weldye zufammen genommen ende 
lih auf Eins hinauslaufen, das Mannigfaltige eines Din: 
ges zuſammenſtimt, deſto gröffer ift feine Vollkommenheit. 
5) Die Zufammenftimmung des Mannigfaltigen in Gott ift 
fo groß, als irgends nur möglid),ift. So trocken aud) diefe 
Betrachtungen, einem unpbilofophifchen Kopfe, zu feyn fchei« 
nen mögen, fo fruchtbar werden wir diefelben in dem Folgen⸗ 
den finden. Ich will hier nur noch einen gewiffen Gedanken 
widerlegen, welcher von mand)en mit groffem Eifer behaus 
ptet wird, und welcher in der That ungereimt ift, Man fage 
nemlid): man fönne in Gott Feine Bielheit gedenfen, und die 
verfchiedenen Bollfommenheiten,weldye wir ihm beylegen, und 
welche wir von einander unterfcheiden, feyn in der That nichts 
von einander verfchiedenes. Allmacht, Weisheit, Gerechtig: 
feit! u. ſ. mw. ſeyn in Gott nicht auf eine reelle Art von ein« 
ander unterfchieden,, fondern das, was Allmacht fen, fey 
auch Gerechtigkeit, und fie feyn nur nach unferer Art zu 

— C4 den⸗ 


40 Die Erklärung des Begrifs von Gott. 


denfen von einander unterſchieden. Mill man damit 
etiwa nur fo viel fagen, als feyn die verſchiedenen Bollfoms 
menbeiten Gottes nicht dergeftalt von einander unterfchieden, 
daß fie von einander abgefondert und auffer einander wuͤrk⸗ 
lic) feyn: fo bat diefes feine vollkommene Richtigkeit. Will 
man aber damit fo viel fagen, daß in Gott gar Feine meh« 
rere Beſtimmungen angetroffen würden, welche in der 


That in Gore felbft, auffer unferer Denfungsart, dur 


reelle Unterfcheidungsftücfe von einander unterfchieden waͤ— 
ren: fo ift diefer Gedanke offenbar falfh. Selbſt der er— 
fie Begrif, den wir uns von Gott machen, und vermöge 
defjen wir ihm die allerhöchfte Vollkommenheit zufchreiben, 
erfordert nothwendig,, daß in ihm, die reellefte Vielheit 
von einander unterfchiedener Nealitäten, angetroffen werde, 
wie aus der “Betrachtung diefes Abfages erhelle. Ich 
werde noch mehr Gelegenheit bekommen, diefen feltfamen 
Gedanken zu widerlegen. 
9. 816. 

Man pflegt, alle Präadicate Gottes oder des allervoll: 
fommenften Dinges, Vollkommenheiten Gottes zu nen= 
nen, Und es ift demnach alles Mannigfaltige, was in 
Gott von einander unterfchieden werden Fan, eine jede Be— 
flimmung Gottes, eine Vollkommenheit. Und, zu diefer 
Benennung, ift man vollfommen berechtiget. Wir wer 
den balde fehen, daß eine jede Beſtimmung Gottes eine 
Realitaͤt fey, und es ift in der Ontologie erwieſen worden, 
daß eine iedwede Realität eine Vollkommenheit fen. Ends 
liche Dinge haben viele verneinende und unvollfommene Bes 
flimmungen, und wir würden uns alfo in unendlich vielen 
Fällen unrichtig ausdruden, wenn wir alles in ihnen, mie 
dem Namen der Bollfommenheit, beehren wolten. Bey 
Gort Haben wir, diefen Irrthum, nicht zu befürchten, Es 
ſcheint auch, als rede man nicht auf eine Gott gnugfame 
anftandige Art, wenn man von feinen Prädicaten und Be— 
fimmungen redet, Das Wort Vollkommenheit aber er» 
wet uns einen hoben und edlen Begrif, und eg ift eine 

wahre 


Die Erklärung des Begrifs von Bott. 41 


wahre Schönheit der theologifhen Sprache, wenn man 
duch Volikommenheiten Gottes eben das verfteht, was 
man Prädicate oder Beltimmungen Gottes nent. Es ers 


hellet demnach, aus dem Vorhergehenden, zweyerley. ins 








mal: in Gott, oder in dem aller vollfommenften Dinge, find 
fo viele Realitäten und Vollkommenheiten beyfammen, als 
zufammen möglid) find. Widrigenfals würden in dem volls 
fommenften Dinge nicht fo viele zufammenftimmende Bes 
flimmungen feyn, als benfammen möglid) find ; und fo viel 
muͤſſen doc) in demjenigen Dinge beyfammen feyn, welches 
das allervollfommenfte feyn full S. 31, Zum andern: 
in Gott find alle mögliche Realitäten und Vollkommenheiten 
bey einander, dergeftalt, daß ihm Feine einzige wahre Neas 
litaͤt und Bollfommenbeit fehlt. Diefer Satz wird alfü- 
bald Elar werden, fo bald man fid) überzeugt, daß alle Rea— 
litaͤten bey einander möglid) find. Gott muß alle Realitäs 
ten befißen, die bey einander möglich find. Sind nun alle 
Kealitäten ohne Ausnahme bey einander moͤglich, fo muß 
fie Gott alle befisen. Daß aber alle Realitäten bey einan« 
der möglich find, erhellet daraus, weil Feine wahre Neali- 
tät einer andern wahren Realität widerfprechen fan. Wenn 
zwey Beſtimmungen einander widerfprechen, fo verneinet 
Die eine was die andre bejahet. Folglid) muß die eine eine 
verneinende Beftimmung feyn, und Fan alfo in fo ferne un« 
möglich eine Realität feyn 9. 48. Folglich ift in Gott der 
Inbegrif aller Realitäten und Bollfommenbeiten ohne Aus— 
nahme, es fehlt ihm feine einzige. Das ift freylich uns 
möglih), daß eben diefelben einzelnen Realitäten, melde 
auffer Gott in denen endlichen Dingen zerftreuet würflich 
find, in Gott würfiich feyn folten: denn alsdenn würden 
alle endlichen Dinge in Gott, als ihrem gemeinfchaftlichen 
Subjecte, enthalten feyn. Allein das behaupten wir auch 
nicht, fondern diefe Meinung geht nur dahin, daß es Feine 
Art und Gattung der Nealitäten geben Fan, von welcher 
nicht eine einzelne Darunter begriffene Realität in Gott 
wuͤrklich ſeyn ſolte. Weil es viele Gelehrte gibt, welche 
C5 nicht 


42 Die Erklaͤrung des Begrifs von Gott. 


nicht einfehen, daß Feine wahre Realität einer andern is 
derfprechen fönne; fo wollen fie nicht zugeben, daß in Gott 
alle Realitäten, und alle Bollfommenheiten, ohne Yuss 
nahme befindlich find. Sie machen daher einen Unter= 
ſchied unter ſolchen Bollfommenheiten, welche fdylechters 
dings Vollkommenheiten find; und unter foldhen, die es 
nur in Beziehung auf die Mängel der Creaturen, und auf 
ihre Bedürfniffe, find, Zu den legtern rechnen fie z. E. 
das Gedaͤchtniß, welches nur deswegen eine Realität iſt, 
weil unfere Gedanken nicht beftändia in unferm Gemuͤthe 
gegenwärtig bleiben koͤnnen. Dieſe Gelehrten fehreiden, 
die eriten Volltommenbeiten ohne Ausnahme, Gott zu, 
nicht aber die legten, So gründlich diefe Eintheilung zu 
ſeyn ſcheinet, fo nichtswuͤrdig ift fie, und ſcheint blos der 
Gemaͤchlichkeit ihren Urfprung zu danfen zu haben, damit 
man in beiondern Fällen dev Mühe eines fchärfern Machden« 
fens überheben feyn koͤnne. Die letztern Arten der Bollfoms 
menbeiten find entiveder Scheinrealitäten, oder Nealitäten 
welche mit Verneinungen untermengt find. Iſt das erfte, 
fo können fie freylich Gore nicht zugefchrieben werden, allein 
es find auch Feine Realitäten und Bollfommenbeiten, z. E. 
die Ausdehnung. Iſt das legte, fo befist Gott allemal 
das Reelle von folhen Nealitäten, mit Ausfchlieffung der 
Berneinungen, welche denfelben in den Creaturen anfleben. 
3. €. die Gedult ift nicht ganz eine Realität. Das Res 
elle in derfelben befteht darin, daß man ein Uebel nicht zu 
ſtark verabfcheuet, und das fomt Gott zu. Das Unvolls 
fommene in der Geduld aber befteht darin, daß fie bey ung 
Menfchen ein Uebel vorausfeßt, welches in uns ein unan« 
genehmes $eiden verurfahht, und das Fan man von Gott 
nicht fagen. So bald wir demnach erwiefen haben, daß 
etwas eine wahre Nealität fey, fo bald ift erwielen, daß es 
Gott zukomme. 
« 817. 
In Gott, als dem allervollfommenften Dinge, iſt 
alles Mannigfaltige, welches zuſammenſtimt, oder eine ied⸗ 
wede 





Die Erklärung des Begrifs von Bott, 4 


wede MNealität, welche in ihm angetroffen wird, fo groß, 
als fie irgends in einem Dinge ſeyn Fan $, 8ı5. folglich ift 
fie ſchlechterdings die allergröfte. Oder eine jedwede Realität 


. Gottes hat den allergröften Grad ihrer Realität, und ift 


fchlechterdings die allervollfommenfte Realität, Wenn 
eine einzige Nealität in Gott nicht die allergröfte wäre, fo 
Fönte fie noch gröffer und reeller feyn, als fie wuͤrklich iſt. 
Folglich) hätte fie einen Grad, der noch gröffer ſeyn koͤnte. 
Ein folher Grad ift eine Einfchrenfung F. 190. Folglich 
hätte Gott Schranfen, und er wäre nicht die wahre unend⸗ 
liche Subſtanz, welches ungereimt ift. S: 814. Man muß 
demnach die reelle Unendlichkeit Gottes ſich dergeftalt vors 
ftellen, daß, einmal, Gott im Ganzen betrachtet feine 
Schranfen hat, und zum andern, daß Feine einzige feiner 
innerlichen Realitäten eingeſchrenkt ift, oder daß er in kei— 
nerley Abficht innerlich eingeſchrenkt iſt. Iſt Feine feiner 
innerlihen Realitäten eingefchrenft, fo befißt er fie alle im 
höchften Grade, und eine Realität, die gröffer ift als die 


göttliche, ift eine Chimäre. Und dadurch unterfcheidet ſich, 


die reelle Unendlichfeit Gottes von der mathematifchen Un— 
endlichkeit. Gott ift nicht eingefchrenft, und nichts in 
Gott hat Schranfen. Tin einem mathematiſch unendli— 
chen Dinge find entweder überall Schranken, die man aber 
nicht angeben will und Fan, oder wenn ihm aud) diefe oder 
jene Schranfen fehlen folten, fo ift es Doc) in vielen andern 


feiner Realitäten wahrhaftig eingefchrenft. Und auch diefe 


Betrahtung gibt ung, einen recht vortreflichen und frucht« 
baren Grundfag der natürlichen Gottesgelahrheit, an Die 
Sand. So bald wir nemlic) erwiefen haben, daß in Gott 
eine gewiſſe Vollkommenheit angetroffen werde; fo bald ift 
auch erwiefen worden, daß er fie in dem allerhöchften Gra⸗ 
de befiße. 3. E. hat Gott Verftand, fo muß fein Ver— 
ftand der allergröfte und vollfommenfte feyn. Wenn wir 
alfo die wahren Realitäten der Creaturen nehmen, und ih: 
nen den höchften Grad zufchreiben, fo haben mir richtige 


- Begriffe von görtlichen Bollfommenheiten., 


$.818. 


44 Die Erklärung des Begrifs von Gore. 


$. 818. | 

Um den erften Begrif, den wir ung von Gott mas 

chen, vollends zu vollenden, fo müffen wir noch bemerfen, 
daß. man, wenn man fich Gert als das allervollfommenfte 
Ding richtig vorftellen will, annehmen muß, daß in ihm 
gar feine Berneinungen, oder verneinende Beftimmungen, 
angetroffen werden. Denn eine iedwede Verneinung ift, 
einer Realität, entgegengefegt $. 130, Wenn alfo in 
einem Dinge auch nur eine einzige Berneinung angetroffen 
wird, fo fehle ihm ganz gewiß eine mögliche Realität, Ein 
Ding demnach), welches alle Realitäten ohne Ausnahme 
befist, Fan unmöglich die geringfte Derneinung haben, 
Gott Hat alle Realitäten $. 816. Folglich iſt in ihm nicht 
Die geringfte Berneinung. Cs folgt eben diefes, aus dem 
Begriffe der Unendlichkeit Gottes, Wenn in einem Dinge 
eine Berneinung ift, fo fehlt ihm eine Nealität, und es 
Bat alfo einen Grad der Realität, welcher noch gröffer feyn 
fönte, indem e8 mehr Kealitäten haben koͤnte, als es wuͤrk— 
ih hat. Kin folher Grad der Kealität ift ein Schran« 
fen $. 190. Folglich verurfachen, alle Berneinungen, in 
einem Dinge Einfchrenfungen feiner Realität. Gott hat 
gar feine Schranken $. 814. 817. Folglich fan er auch 
gar Feine Berneinungen haben. Er iſt, durch und durd), 
lauter Realität. Nur muß man bier, die wahren Wera 
neinungen, von den Gcheinverneinungen unterfcheiden. 
Diele Realitäten fcheinen uns Berneinungen zu feyn, z. €, 
wenn ein Ding nicht ausgedehnt, nicht Förperlich ift u.f. w. 
Gott hat allerdings viele Scheinverneinungen, es ift aber 
diefes unferer Meinung nicht zumider, weil eine Beſtim— 
mung, welche nur dem Scheine nach eine Berneinung if, 
eine wahre Kealität und Vollkommenheit ift. Lind hieraus 
fließt ebenfals, ein ungemein wichtiger Grundſatz der nas 
türlihen Gottesgelahrheit: daß man nemlich nicht nur alle 
Berneinungen, welche wir in den endlichen Dingen antrefa 
fen, von Gore verneinen muß; fondern Daß man auch 
alle Berneinungen, melche mit denen Realitäten, die man 
Gott 








Die Erklärung des Begrifs von Bott. 45 


Gott zufchreibt, in den endlichen Dingen vereinbarer find, 
‘von denenfelben abfondern muß, wenn man fid) anders 
einen folchen Begrif von Gott machen will, welcher feine 
hoͤchſten Vollkommenheit anftändig iſt. 


KEEEBESEELBETSEIE KM KEREMRR 


Der andere Abſchnitt. 
Der. Beweis der Wirklichkeit Gottes. 


$. 819. 

nie Wahrheit, daß ein Gore wuͤrklich fey,ift der Grund 
Mi $  unferer höchften Gluͤckſeligkeit; und da fie alfo eine 
der allerwichtigften Wahrheiten ift, fo verdient fie 
allerdings, mit der allergröften Strenge und Sorgfalt ers 
wieſen zu werden, Man muß auch zum Ruhme des menfch» 
lichen Geſchlechts, und infonderheit der Weltweifen, geftes 
hen, daß man zu allen Zeiten bemühet geweſen ift, einen 
folhen Beweis zu finden, obgleich nicht jederman in diefer 
Bemuͤhung glücklich gemefen ift. : Ehe ich diefen Beweis 
ſelbſt führe, .roill ich zwenerley bemerfen. Einmal ift es 
‘ein feltfamer Einfall, wenn man glaubt, daß, der einzige 
wahre und befte Beweis der Wöürflichfeit Gottes, aus der 
heiligen Schrift geführt werden Fonne und muͤſſe. Wenn 
man diefen Einfall nicht der Einfalt derjenigen , die ihn ha— 
ben, zu gufe halten müfte; fo Fönte man, diefe Leute, in 
der That fiir Arheiften halten. Denn eine Wahrheit fan 
nicht. eher aus der heiligen Schrift ermiefen werden, bis 
man nicht überzeugt ift, daß diefes Buch eine beweifende 
Kraft Habe. Nun fest diefe Kraft voraus, daß GOtt 
alle Ausfprüche in der Bibel eingegeben habe, folglich. Fan 
man diefen Ausfprüchen nicht eher trauen, bis man. nicht 
überzeugt ift, daß ein Gott würflic fey. Wer alfo fagt, 
daß man nur durdy: die heilige Schrift von der Würflich- 
feit Gottes überzeugt werben koͤnne, der fagt in der That, 
daß man gar Feine wahre Ueberzeugung von der Würflich« 
keit 


46 Der Beweis der Wuͤrklichkeit Bottes. 


keit Gottes haben koͤnne. Und er ift alfo entweder ein 
beimlicher Gottesleugner, oder doch ein Scepticus, wel—⸗ 
cher die Würklichfeit Gottes weder annimt noch vermirft, 
Es ift demnad) eine unftreitige Sache, daß man nur durch 
die bloffe Vernunft, als ein Weltweifer, von dem Dafeyn 
einer Gortheit unumftößlich überzeugt werden koͤnne. Zum 
andern ift hier nicht die Frage, don einem wahrfcheinlichen 
und aͤſthetiſchen Beweife der WürflichFeit Gottes; fondern 
von einer mathematifchen Demonftration derfelben. Man 
pflegt einen Beweis diefer Wahrheit, aus der Nüglichkeie 
und Unfchädlichfeit derfelben, zu führen Man fagt: 
Wenn man einen Gott glaubt, fo bat man davon feinen 
Schaden zu beforgen, wenn man auch irren folte, man hat 


vielmehr davon einen groffen Nutzen, weil man dadurch zu 


allen Tugenden angetrieben wird, und mit den allerfräftig« 
ften Troftgründen in allen Zufällen diefes Lebens angefüle 
wird. Wenn mar im Öegentheil Gore leugnet, fo feßt 
man ſich der allergröften Gefahr aus, indem man ein We: 
fen leugnet, deſſen unumfchrenfte Oberherrſchaft man, 
wenigftens nach dem Tode, ohne Widerrede empfinden Ean. 
Und wie würde 08 ung alsdenn ergehen? Es ift nicht zu 
leugnen, daß diefer Beweis, mit einer rührenden Macht 
der Beredſamkeit, ausgeführt, und in vielen Umftänden 
mit groffen Mugen angewendet werden koͤnne. Allein es 
müfte jemand gar nicht wiſſen, was zu einer vollfommenen 
Ueberzeugung erfordert wird, wenn er denfelben für einen 
unumftößlichen Beweis halten wolte. Die Borftellung 
des Nutzens einer Wahrheit macht, die Erkentniß derfele 
ben‘, nur practifd) und lebendig, fie fan aber diefelbe nicht 
überzeugend und gewiß machen. Man muß vielmehr, 
wenn man, mit einem freyen Verftande, und ohne Worurs 
theil, die Wahrheit oder Unrichtigkeit eines Satzes untere 
fuchen will, vor dem Beweiſe derfelben weder den Nutzen 
noch den Schaden deffelben betrachten, damit man nicht 
etwa wolle oder nicht wolle, daß er wahr oder falfdy fen. 
Widrigenfals wird der Berftand ein Sclave des Willens, 

und 














"Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes. #7 


und fteht in der Aufferften Gefahr und geöften Bereits 
fchaft, fo wol eine Wahrheit als auch einen Irrthum zu 
ergreifen, | 

$. 820. 

Wir Menfchen haben nur einen dreyfachen Weg, 
wie wir eine Wahrheit erweifen fonnen: aus unferer eige— 
nen Erfahrung, aus der Vernunft a priore, und aus 
glaubwürdigen Zeugniffen. Da nun iederman weiß, daß 
wir, durch den legten Weg, nur eine Wahrfcheinlichfeit 
und moralifhe Gewißheit von einer Sache erlangen koͤn— 
nen; fo wäre es lächerlich, wenn man in dem Falle, da 
man eine mathematifche Gewißheit von einer Wahrheit er. 
langen will, diefelbe durch Ausſagen der allerglaubmürdig- 
ften Zeugen erhärten wolte. Wenn wir alfo die Wuͤrklich— 

keit Gottes unumftößtich erweifen wellen, fo eröfnet fi) 
uns nur ein doppelter Weg: unfere eigene Erfahrung, und 
der Weg a prior. Man hat den Beweis der Wuͤrklich— 
Eeit Gottes auf beyden Wegen verfucht, und wir, wollen 
von dem erften den Anfang machen, Wenn man fagt: man 
koͤnne die Wuͤrklichkeit Gottes, aus der Erfahrung, und 
a pofteriore, unumftöglicdy erweiſen; fo verftehen diefes 
marche, auf eine höchft abgeſchmackte und ſchwaͤrmeriſche 
Art. Einmal, von übernatürlihen Erfahrungen der 
Wirklichkeit Gottes. Wir wiflen aus der heiligen Schrift, 
daß Gort vor Zeiten den Menfchen erfchienen, und durch 
Wunderwerke feine Gegenwart offenbart bat, und daß er 
noch heute zu Tage, in den Seelen der Wiedergebornen, 
durch unmittelbare Gnadenmwürfungen ſich offenbare. Allein 
das wäre höchftens nur ein chriſtlicher Beweis der Wuͤrk⸗ 
lichkeit Gottes, und niemand fan mit Zuverficht wiflen, 
daß eine Veränderung in ihm eine Gnadenwirkung Gottes 
fen, bis er fie nad) den Ausfprüchen der heiligen Schrift 
richtig geprüft hat. Folglich feßt diefer ‘Beweis voraus, 
daß man von der Göttlichfeit der heiligen Schrift, und alfo 
von der Würklichfeit Gottes fehon überzeugt fey. Folg» 
lich find, die bloffen Erfahrungen der übernatürlichen Gna— 
den⸗ 





48 Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes. 


denmürfungen Gottes in den Menfchen, Fein unumftößli« 
her Beweis der Würflichfeie Gottes. Die Erfheinun: 
gen Gottes durch Wunderwerke in den vorigen Zeiten has 
ben zwar diejenigen Menfchen , welche diefelben erfahren has 
ben, von der Würflichfeit Gottes überzeugen Fünnen ; als 
lein für uns find fie, zu diefem Endzwede, unbraudbar. 
Wir koͤnnen ja nicht eher, von ihrer Würflichkeit und 
Richtigkeit, überzeugt feyn, als bis wir willen, daß die 
beilige Schrift Gottes Wort fen, und aus diefem Buche 
fan man, mie ich gezeigt habe, die Würflichfeit Gottes 
nicht erweifen. Ueberdis ift es eine Schwärmerey, wenn 
ein Wiedergeborner denft, er fühle in feinem Herzen un= 
mittelbar die Subftanz Gottes. Denn das ift ganz uns 
möglid), und verleitet einen Menfchen zu den aus ſchwei⸗ 
fendften Einbildungen. Zum andern, wenn von natürlis 
Ken Erfahrungen; Gottes die Rede ift, fo ift es wahr: ala 
les was wir in uns und auffer uns fühlen, fehen, hören, 
und überhaupt erfahren, ift eine Würfung Gottes. Allein 
wenn man Davon überzeugt feyn will, fo muß man fchon 
vorher willen, daß ein Gott fey, welcher bey allen Veraͤn⸗ 
derungen in und auffer uns mitwürfe, Folglich ift es uns 
möglich, durch unfere bloffen Empfindungen, von dem Da⸗ 
feyn Gottes, überzeugt zu werden, Und es würde ein fehr 
grober Irrthum feyn, wenn man in dem Berftande fagen 
wolte, man fehe überal die Gottheit, als wenn alle Dinge 
in der Welt Theile Gottes wären. Folglich koͤnnen wir 
nur aus der Erfahrung, von der Würflichkeit Gottes, übers 
zeugt werden, wenn wir, Durch unfere innerlihen und äufs 
ferlidyen Empfindungen, von der Würflichkeit dieſer Welt 
überzeugt find, und alsdenn durch Bernunftfchlüffe gewiß 
werden, daß diefe Welt nicht anders würflich feyn koͤnne, 
als durch eine Würfung einer Gortheit. So erkennen wie 
überhaupt, die Würflichkeit der Subftanzen, aus der Er— 


fahrung. Wir fünnen nur die Xccidenzien und Wirkungen 


ber Subftanzen empfinden, und unmittelbar erfahren, 3. E. 
die Gedanken und Begierden unferer Seele, die Würfuns 
gen 











Der Beweis der Woͤrklichkeit Gottes, 49 


gen der Koͤrper in die Werkzeuge unſerer Sinne. Und 
wenn wir alsdenn, von der Wuͤrkung auf ihre Urſach, 
ſchlieſſen; ſo werden wir uͤberzeugt, daß ſolche Subſtanzen 
wuͤrklich ſeyn muͤſſen, ohne welchen dieſe Wuͤrkungen nicht 
wuͤrklich ſeyn Fünnen. Das ift alſo der einzige mögliche 
eg, wie wir von der Würflichfeit Gottes aus der Er— 
fahrung richtig überzeugt werden Eonnen. 
9. 821, 

Was nun den Beweis der Würflichkeit Gottes aus 
der Erfahrung felbft betrift, fo habe ich mir in Abficht def» 
felben , in der Ontologie und Cofmologie, ſchon dergeftale 
vorgearbeitet, daß er nunmehr überaus Eurz und leicht ges 
führe werden fan.: Memlich: die Wele iſt unleugbar 
würflich. Dieſe Erfahrung ift fo gewiß und unmider: 
ſprechlich, daß man fich offenbar lächerlich machen würde, 
wenn man daran zweifeln wolte, ob aud) wohl eine Welt 
wuͤrklich vorhanden ſey. Da nun die Welt ein zufälliges 
Ding ift $. 296. 297. 308. 309. 310. fo Fan fie nicht 
anders würklich feyn, als eine Würfung einer würfenden 
Urſach, welche auffer ihr würflich ift $. 307. Wenn die 
Würfung wuͤrklich ift, fo ift aud) die würfende Urſach würfs 
lich. Folglich ift, die würfende Urfach dieſer Welt, aufs 
fer ihr vorhanden. Diefe würfende Urfad) ift Die noth— 
wendige und unendliche Subftanz, weil Fein Fortgang der 
Urfachen ins Unendliche möglich iſt F. 312. 315, Weil 
‚alfo diefe Welt wuͤrklich ift, fo iſt auch eine unendliche 
Subſtanz wuͤrklich. Dieſe Subftanz ift Gott $. 814 
Folglich ift Gott wuͤrklich, und es ift demnach auch eine 
nothwendige, unendliche und alfervollfommenfte Subftanz 
möglih $. 61. Wider diefen Beweis koͤnnen nur die 
Sataliften, diejenigen, welche einen Fortgang der Urſachen 
ins Unendliche annehmen, und diejenigen, welche fagen, Die 
Welt fen von ohngefehr entftanden, etwas einwenden. 
Die erften leuanen die Zufälligfeit der Welt, die andern 
leugnen die erfte Urſach der Welt, und die dritten leugnen 
überhaupt, daß es noͤthig fey, Daß die Welt eine Urfache 

4. Theil. D habe. 


so Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes. _ 


babe. Allein da mir diefe Irrthuͤmer ſaͤmtlich, in der 
Cofmologie, widerlegt haben; fo koͤnnen wir uns, auf uns 
fern Beweis, völlig verlaſſen. Uebrigens aber feßt unfer 
Beweis nur, die Zufälligfeit diefer würflichen Welt, vor« 
aus, es mag fich übrigens jemand aud) nod) fo einen wuns 
derlichen Begrif von verfelben machen. Geſetzt, es glaus 
be jemand als ein Egoiſt, daß er allein die ganze Welt 
ausmache, oder als ein Sydealift, daß alle Subſtanzen der 
Welt Geifter find, oder als ein Materialift, daß alle Sub— 
ftanzen Körper find: wenn er nur die Welt für zufällig 
hält, fo muß er, wenn er fonft Eeinen atheiftijchen Irrthum 
begt, einen Gott zugeben, Diefe Meinungen find alfo 
nicht atheiſtiſch, und man hat nicht nöthig, wenn man die 
Wuͤrklichkeit Gottes beweifen will, daß man erft diefe Irr— 
thümer widerlege, Das bieffe ohne North Weitläuftigkeit 
machen, und es ift allemal beffer, wenn man eine wichtige 
Wahrheit bemeifen will, daß man den fürzeften Weg er- 
wähle, um fie nicht unnöthiger Weife vielen Einwuͤrfen 
blos zu ſtellen. Es ift alfo unbehurfam , erft ſolche Ser» 
thümer, die nicht atheiftifch find, zu widerlegen, ehe man 
die Würflichfeit Gottes beweilt. Wenn man zum Unglück 
mit diefen Widerlegungen nicht zu ftande Fommen folte, fo 
fteht man in Gefahr, mit dem Beweiſe der Wuͤrklichkeit 
Gottes gar nichts auszurichten. 
..822, 

Man hat noch einige andere Beweife der Wirflich- 
feit Gottes aus der Erfahrung geführe, deren unparthenis 
fhe Beurtbeilung viel beytragen fan, um die Stärfe des 
vorhergehenden Beweiſes recht einzufehen. ı) Es ift ein 
gewöhnlicher Beweis, den man aus der vortreflichen Drde 
nung diefes Weltgebaudes hernimt. Die Erfahrung lehrt 
zu unferer Bewunderung, daß Sonne, Mond und Sterne 
ſich nach einer dauerhaften Ordnung bewegen, daß die 
Scelenfräfte ordentlich würfen u. fe w. Und wenn aud) 
manches in der Welt unordentlich zu feyn fiheinen folte, 
fo rührt diefes blos daher, weil uns die Regeln der Zuſam— 

menor⸗ 


| 
| 
| 
| 


Der Beweis der Wirklichkeit Bottes. _ sı 


menordnung der Dinge in der Welt oft unbefant find, 


Gleichwie nun jederman, wenn er ein Blat Papier fieht, 
auf welches Buchftaben mit einer foldyen Ordnung gefhries 
ben find, daß fie eine verftändliche Rede ausmachen, mit 
Hecht Ichlieft, daß ein verftändiger Urheber diefelben zu— 
fammengefchrieben habe: alfo muß uns auc) die Ordnung 
in der Welt überzeugen, daß ein verftändiges Wefen auf: 
fer der Welt vorhanden fey, welches der Urheber derfelben 
if. Die Schwäche diefes Beweifes fan, auf verfchiedene 


Art, erwiefen werden. Einmal, gefegt ein Fatalift jagt: 


die "vortrefliche Ordnung in der Welt ift fchlechterdings 
nothwendig, und bat in dem Wefen der Welt felbft ihren 
binreichenden Grund; fo Fan dieſe Drönung flat finden, 
ohne daß fie von einem verftändigen Urheber auffer der Melt 
berrühre. Unter den wefentlichen Bollfommenheiten ot. 
tes ift ebenfals, die allervollkommenſte Ordnung, im höchiten 
Grade anzutreffen. Würde es aber nicht unverftändig 
feyn, wenn man daraus fehlieffen wolte, daß auffer Gore 
ein verftändiges Wefen vorhanden wäre, welches in ihm 
diefe Drdnung gewuͤrkt hätte? Wolte man nun, zum ans 


dern fagen, bey der Welt verhalte es fich anders, indem 


ihre Drdnung zufällig ift: fo gilt diefes nicht von affer Drd« 
nung in der Welt, weil aud) in einer jedweden Welt eine 
fhlechterdings norhwendige Ordnung angetroffen wird $. 
336. Hernach iſt auch klar, daß man freylich ſchlieſſen 
kan: wenn eine zufaͤllige Drdnung i in der Welt ift, fo muß 
ein Gott feyn. Allein das ift eben unfer Beweis der Würf- 
lichfeit Gottes aus der Zufälligfeit der Welt, welcher auf 
ein Erempel angewendet wird, und er feßt alfo unfern Bes 
weis voraus, Zum dritten Fan man nicht eher annehmen, 
daß alles in der Welt nad) einer vortreflichen Drdnung ein— 
gerichtet fen, bis man nicht überzeugt ift, daß alles in der 


. Welt von Gott herrühre. Kin Atheiſt Fan, vor der Lie» 


berzeugung von der Würftichfeit Gottes, nicht überzeugt 
werden, daß in allen denen Faͤllen, wo wir keine Ordnung 
finden Eönnen,, dem ohnerachtet eine vortrefliche Ordnung 

D2 ’ ana 


52 Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes. 


angetroffen werde. 2) Der Beweis, der Wuͤrklichkeit Gots 
tes aus den weiſen Abfichten aller Dinge in der Welt, ift 
noch fhlechter als der vorhergehende. Das ift freylich una 
leugbar, wenn alle Dinge in der Welt, und alle Beräns 
derungen in derfelben, zu geriffen Abfichten verordnet find 
und gefchehen, fo muß ein weifer Urheber der Welt vor: 
handen ſeyn. Allein ehe man von der Würflichfeit Got: 
tes überzeugt ift, Fan man unmöglicy mit Wahrfcheinlich« 
feit behaupten, daß alle Dinge in der Welt Abfichten ha« 
ben. Iſt man aber überzeugt, daß ein Gott fen, wel 
cher die ganze Welt nad) höchiter Weisheit eingerichtet hat, 
fo ijt alsdenn unleugbar, daß nichts in der Welt ohne Ab— 
fichten fo und nicht anders fey. 3) Einige haben, die 
MWürflichfeit Gottes, aus dem angebornen Begriffe von 
Gott, und aus dem Derlangen nach dem Unendlichen, 
welches in allen Menſchen angetroffen wird, ermeifen wol⸗ 
len. Diefes Verlangen nennert fie die Stimme der Natur - 
und des Gewiſſens, welche uns beftändig zuruft, daß ein | 
Sort ſey. Man führt zur Beſtaͤrkung diefes Beweifes an, 
doß die Atheiften diefe Stimme nicht übertäuben Fönnen, | 
fondern daß ihr Gewiſſen ihrer gottlofen Lehre allemal wis 
derfprehe, Wider diefen Beweis ift verfchiedenes einzus 
wenden. Einmal babe id) ſchon S. 803. gezeigt, wie 
wenig von der angebornen Gottesgelahrheit zu halten fey. 
Zum andern fan, das Berlangen nach dem Unendlichen, 
‚aud) ein Verlangen nad) der Unfterblichfeit, und ein natuͤr— 
licher Abſcheu vor dem gänzlichen Untergange feyn, woraus 
aber die Wuͤrklichkeit Gottes nicht erwieſen werden Fan. 
Zum dritten wird ohne Beweis angenommen, daß in allen 
Menfchen fih), diefe Stimme der Natur, hören laffe. 
Menfchen, welche in einer gänzlichen Unwiffenheit Gottes 
und göttlicher Dinge erzogen werden, wiſſen gewiß von dies 
fer Stimme nichts, welche ihnen zurufen folte, daß ein Gott 
ſey. Zum vierten wird ohne Beweis angenommen, daß 
es feinen Atheiften gegeben habe und geben fönne, welcher 
in Abſicht auf feine Lehre ein völlig ruhiges Gewiſſen habe. 

Und. 


Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes, 53 


Und wenn man auch fünftens zugeben molte, daß alfen 
Atheiſten ihr eigenes Gewiſſen widerfpreche, fo Fan der 
Arheift diefes zugeftehen. Er Fan fagen, die Lehre von 
Gott fey ihm von Kindesbeinen an, mit den füffelten Ver— 
heiſſungen und fürchterlichften Drohungen, eingeflößt, und 
die Vorurtheile feiner Kindheit ſeyn ihm fo tief eingeprägt, 
Daß er fie nicht los werden koͤnne. Man erfährt diefes 
auch in andern Fällen. Wenn ein Menſch von einer fal- 
fhen Religion fich zu der wahren bekehrt, fo wird er felten 
Die Unruhe feines Gewiffens los werden, und vielleicht ift 
fein Weltweifer, welcher Gefvenfter leugnet, der nicht 
demohnerachtet ſich vor Gefpenftern fürchten folte. 4) Eis 
nige beweifen die Würflichkeit Gottes aus der Uebereinſtim— 
mung allee Völker, und fchlieffen: was alle Menfchen, die 
den Gebrauch ihrer Vernunft haben, für wahr halten, Das 
muß wahr ſeyn; nun aber glauben alle Menfchen, welche 
den Gebraud) ihrer Vernunft haben, einen Gott. Allein, 
erſtlich, wenn auch der ganze Beweis richtig wäre, fo ver= 
urſacht er dennoch nur eine Wahrfcheinlichkeit, keineswe— 
ges aber eine mathematifche Gewißheit. Was aus 
menſchlichen Zeugniffen erwiefen wird, ift hoͤchſtens nur 
moralifch gewiß. in folcher Beweis fchickt fid) nur für 
- biftorifche Wahrheiten, nicht aber für dogmatifche, vdergleis 
hen der Satz ift, daß ein Gott wuͤrklich ſey. Zum an⸗ 
- dern Fan es, allgemeine Irrthuͤmer des ganzen menfchlichen 
Gefhlehts, geben. Es ift gewiß eine Zeit gewefen, da 
man fager fan, daß alle verftorbene und Damals nod) lebens 
de Menfchen geglaubt haben, daß der Erdboden ftille ſtehe, 
und die Sonne fic) bewege, und es iſt diefes gleichwol Doc) 
falſch. Zum dritten Fan man unmoͤglich beweifen, daß 
alle Menfchen einen Gott glauben. Man bat ganze Böl- 
fer entdeckt, welche nichts von Gott gemuft haben, und die 
Arheiften machen unleugbar eine Ausnahme. Es ift fpaß- 
haft zu fehen, mas manche fid) für feltfame Mühe geben, 
um zu zeigen, daß es gar Feine wahre Atheiften gegeben 
babe, und feine Völker, die von Gott nichts gewuft, Zur 

D 3 Ehre 


54 Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes. 
Ehre des menfchlichen Gefchlechts wünfchte ich, daß diefe 


Gelehrten in diefem Stuͤcke Recht hätten. Wenn ein chrifte | 


licher Gortesgelehrter fi), auf diefen Beweis der Würfe 
lichfeie Gottes, was zu gute hut: fo fan man ihm viertens 
zugeben, daß alle Menfchen, welche ven Gebrauch ihres 
Berftandes haben, einen Gott glauben, und man Fan dems 
ohnerachtet zeigen, daß daraus die WürflichFeit Gottes 
nicht folge. Denn das ganze menfchliche Gefchlecht ſtamt 
von einem Menfchen her, welcher einen Gott geglaubt, und 
folglich ift, diefer allgemeine Glaube der Menſchen, ein 
Glaube, welcher von Vater auf Sohn fortgepflanzt wor— 
den. Man müfte alfo durch natürliche Gründe erft zeigen, 
um welcher Urfachen willen, der Stamvater des ganzen 


menfchlihen Gefchlechts, einen Gott geglaubt, ehe man - 


. Daraus nur ivgends einen Beweis für die Würflichfeit 
Gottes hernemen koͤnte. So viel Fan man zugeben, daß 
jederzeit die Elügften und wohlgefitteften Völker und Mens 
fehen einen Gott geglaubt haben, Ob nun gleich daraus 
nicht demonſtrirt werden Ean, daß ein Gott fen; fo Fünnen 
Doch dadurch die Acheiften befchame werden , indem fie fich, 
zu der Parthey der dummften Unmenfchen, durd) ihre Lehre 
fhlagen. Aus diefem Abfage erhellet demnach, daß der 
einzige unumftößliche Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes aus 
der Erfahrung Fein anderer feyn fünne, als derjenige, wel— 
der aus der Zufälligkeit der Welt und ihrer Theile geführt 
wird. Ein ieder Wurm in der Welt, ein jedes Sonnens 
ftäubchen, eine iede Blume ift ein Beweis der Wirklich. 


keit Gottes, fo bald man von der Zufälligfeit eines folchen 


Dinges überzeugt ift. 
$. 822. 

Es frage fih, ob man die WürflichFeit Gottes auch 
a priore erweifen fonne? Einige leugnen dieſes, fie führen 
aber feinen andern Beweis an, als weil fie durch einen 
Macıtfpruch behaupten, daß der menfchlide Verſtand 
nur im Stande fey, Gott aus der Erfahrung zu erkennen, 
und das folte doch erft erwiefen werden. Weil Gott, als 


er 


Der Beweis der Woͤrklichkeit Gottes. 55 


er vom Moſes gebeten wurde, ihm ſein Angeſicht zu zeigen, 
antwortete, er ſolte ihm nur hintennach ſehen, weil er ſein 
Angeſicht nicht ſehen könne: fo ſpielen manche auf eine laͤ⸗ 
cherliche Art mit Worten, und meinen, Gott ſage aus: 
druͤcklich: der Menſch Eönne ihn a priore nicht erfennen. 
Es komt bier blos auf die Erfahrung an, ob ein Weltweis 
fer im Stande fey, einen richtigen Beweis der Würflic)s 
Feir Gottes a priore zu führen? Mur muß man ſich einen 
richtigen Begrif, von einem Beweiſe a priore, machen. 
Wolte man fagen, zu einem folchen Beweiſe werde erfo« 
dert: daß ein Menfch zu einem Flaren Begriffe der zu ers 
weifenden Wahrheit gelangt feyn, und den ganzen Bes 
weis erfunden haben müfle, ohne feine Erfahrungen vor« 
auszufegen; fo gibt es freylich Feinen folchen Beweis der 
Würflichfeit Gottes a priore. Allein auf die Weife haben 
wir Menfchen gar feine Erfentniß a priore, indem wir 
zu alle unferer Erfentniß vermittelft unferer Empfindungen 
gelangen. Aber davon ift nicht die Ned. Sondern 
wenn wir die Erfentniß einer Wahrheit ſchon erlangt haben, 
fo fragt fihs, ob man einen folchen ‘Beweis derfelben ges 
ben fan, in welchem fein einziger Vorderſatz angetroffen 
wird, welcher ohne Erfahrung nicht gewiß fern Fünte? 
Ein folder Beweis wird a priore geführt. Wenn wir 
Durch die Erfahrung die Würfung des würflichen Gottes 
empfinden, und daraus fchlieffen, daß er wuͤrklich und alfo 
aud) möglich fey, fo erfennen wir ihn a pofteriore. Wenn 
wir aber, nad) Maasgebung unferer Erfahrung, nad) und 
nach einen Begrif von der unendlichen Subftanz erlangt 
haben, alsdenn die innerliche Beſchaffenheit verfelben un— 
terfuchen,, und deutlich einfehen, dafi fie innerlich möglic) 
fen, und alsdenn ſchlieſſen, daß fie würflich vorhanden 
feyn muͤſſe; fo nent jederman, welcher diefer Sachen kun— 
dig iſt, diefen Beweis einen Beweis a priore, und wir 
wollen verfuchen, einen folhen Beweis zu führen. Solte 
aber auch jemand ſich von demfelben nicht überzeugen koͤn— 
nen, fo Fan er völlig mit dem vorhergehenden zufrieden feyn, 

D4 9.824 


6 Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes 


Garner 
Wenn man alfo a priore erweiſen will, daß Gott 

wuͤrklich ſey, ſo muß man erſt vorher ſeine Möglichkeit era. 
weifen, und alsdenn, blos aus diefer Möglicyfeit, unum— 
ſtoͤßlich darthun, daß er aud) würflic) fey. Das erfte fan 
folgendergejtalt erwiefen werden, Gott ift die unendliche 
und allervollfommenfte- Subftanz $. 814. Sı5. Folglich 
iſt ev das allervollfommenfte Ding, in welchem gar feine 
Verneinungen, fondern lauter Realitäten angetroffen wer— 
den $. 818, Folglich find alle Beſtimmungen und Theile 
Gottes, alle mannigfaltigen Merkmale Gottes, welche von 
einander unterfchieden find, nicht nur Realitäten, fondern 
auch ſolche Kealitäten, welche nichts verneinendes in fich 
enthalten; oder in Gott ift gar Feine Unvollfommenbeit, 
und feine Vollkommenheit, welche mit Unvollfommenheiten 
untermengt wäre $. 817. Nun koͤnnen zwey Realitäten 
und Bollfommenbeiten, in fo ferne fie dergleichen find, 
einander unmoͤglich widerfprehen. Was einer Kealität 
und Bollfommenheit widerfpricht, das iſt das Gegentheil 
einer Nealität und Bollfommenbeit $. 79. Folglich eine. 
Berneinung und Unvollfommenheit $. 48. 95 Folglich) 
Fan, Eeine Realität der andern, wiverfprechen. Nun ift 
Gott gleichfam ein Ganzes, welches aus lauter Realitäten 
befteht, und es ift alfo unmöglich, daß in dem Umfange 
der Gottheit ein Widerfprud) feyn folte. Nun ift ein Ding 
möglich , welches Feinen Widerfpruch in ſich enthält $. 23. 
Folglich it Sort ein mögliches Ding. Zur Beftärfung 
diefes Beweiſes Fan, noch) verſchiedenes, angemerft wers 
den. Einmal ift die innerlihe Möglichfeit unleugbar eine 
Realität, weil alle übrige Realitäten auf ihr beruhen; und, 
die innerlihe Unmöglichkeit, iſt die ärgfte Verneinung. 
Gott hat alle Realitäten, und Feine Berneinungen $. 816. 
8:18. Er hat demnach auch die innerliche Möglichkeit, und 
er ift nicht innerfich unmöglich, Zum andern entfteht in 
unfern Begriffen ein Widerſpruch, wenn wir uns ein Ding 
als ein Subject vorftellen, und ein oder mehrere Prädicate 

zu⸗ 








Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes, 57 


zugleich von ihm bejahen und verneinen. Wenn wir uns 
nun einen Begrif von Gott machen, ſo ſtellen wir uns ihn 
als dasjenige Subject vor, in welchem alle Realitaͤten und 
keine Verneinungen angetroffen werden. Alle Praͤdicate 
Gottes ſind entweder Realitaͤten, oder Verneinungen. Die 
erſten bejahen wir von Gott, und keine einzige derſelben 
verneinen wir; und die letztern verneinen wir von Gott, 
und keine einzige derſelben bejahen wir. Folglich iſt, unſer 
Begrif von Gott, ein moͤglicher und wahrer Begrif. Und 
da er uns alſo was moͤgliches vorſtelt, ſo iſt Gott ein moͤg⸗ 


liches Ding. Zum dritten würde es ein unzureichender 


Beweis der Möglichkeit Gottes ſeyn, wenn wir fo fchlieifen 
wolten: es gibt unendlich viele vollfommene Dinge, deren 
eins immer vollfommener ift, als das andere. Folglich 
muß eines darunter das allervollfommenfte ſeyn, und es ift 
demnach ein allervollfommenftes Ding möglih. Hieraus 
folgt nichts weiter, als daß ein Ding möglich fey, welches 
in einer Reihe möglicher Dinge das allervollfommenfte iſt. 
Gott aber muß das Ding feyn, welches fhlechterdings das 
allervollEommenfte und reelle unendliche Ding ift. 
$. 825. | 

Da nun Gott, fo wiewir uns ihn unfer dem Begriffe 
des allerwollfommenften, Dinges vorgeftelt haben, ein mög- 
liches Ding iſt $. 824. fo ift es eine unumftößlich gemiffe 
Wahrheit, daß er alle wahre Nealitäten in der That befige. 
6. 816. Nun ift die Würflichfeit eine Nealität, welcye dem 
Weſen eines Dinges nicht widerfpricht, fondern neben dems 


ſelben möglich ift $. 65. Folglich hat Gott die Würflich« 


keit, weil ec möglich iſt; und es ift demnach Gott ein Ding, 
welches würflich vorhanden ift. Die Würklichfeit Fan auch 
feiner andern Realität widerſprechen, weil eine iedwede 
wahre Realität was Mögliches ift, und alfo würflich feyn 
fan, a fo lange eine Nealität bloß moͤglich und nicht 
wuͤrklich ift, fo lange fehle ihr eine Realität, und fie ift alfo 
noch nicht fo groß, als fie feyn koͤnte. Da nun in Gote 


alle Kealitäten den höchften Grad haben, $. 817, fo muß 
| | D 


5 eine 


3 Der Beweis der Wuͤrklichkeit Gottes. 


eine iedwede die Würflichkeit haben, weil ihr widrigenfals 
etwas an ihrer Nealität fehlen würde. Gott koͤnte alfo 
nicht das allervollfommenfte Ding feyn, wenn er niche 
würflih wäre Man fan die Würflichfeit Gottes, noch 
auf eine andere Art, aus feiner innerlihen MöglichFeit her— 
leiten, weil er nemlich eine nothwendige und unendliche 
Subſtanz iſt $. 814. Das nothwendige Ding ift dasje— 
tige, deſſen Würfiichfeit eine Kigenfchaft ift, oder in feis 
ner innerlichen Moͤglichkeit und Wefen ihren hinreichenden 
Grund bat 8. 119. Wenn nun ein Ding möglicy ift, und 
fein Wefen bat, fo hat es auch zugleich alle feine Eigen— 
ſchaften 9. 67. Gott ift möglich, als die nothmendige Sub: 
ftanz $. 824. und folglidy hat er auch alle Eigenschaften 
‘des nothwendigen Dinges, und mithin auch die Würflich- 
feit. Die unendliche Subftanz ift alles dasjenige wuͤrklich, 
mas fie innerlic) feyn Fan $. 194. Da fie oder Gott nun 
möglich ift, fo Ean er feyn, folglich ift er auch würflich 
vorhanden, 
$. 826. 

Der vorhin geführte Beweiß der Würflichfeit Got— 
tes aus feiner innerlichen Möglichfeit wird, der Eartefianis 
fche Beweis der Würflichkeit Gottes, genent, weil Carte- 
ſius denfelben greöftentheils erfunden hat. Unterdeflen kon⸗ 
te Cartefius, in feinem Lehrgebaͤude, diefen Beweis nicht 
richtig und vollftändig genung führen. Vermoͤge diefes 
Lehrgebaͤudes mufte er annehmen, daß der DBegrif, den 
wir von Gott und dem allervollfommenften Dinge haben, 
von Gott felbft unmittelbar, und ohne Mitwürfung unferes 
eigenen Verſtandes, hervorgebracht werde. Daraus fchlof 
er, daß diefer Begrif wahr feyn müfle, weil uns widrigens 
fals Gore einen falfchen Begrif einflöffen würde, welches 
feiner Wahrhaftigkeit zuwider wäre, Allein zu geſchweigen, 
daß daraus folgen würde, daß alle unfere Begriffe wahr 
fenn, weil fie nach dieſem Lehrgebaͤude fämtlich allein von 
Gott gewürft werden, welches Doch der Erfahrung zumider 
iſt: fo ift offenbar, daß Cartefius, wenn er die a 

eit 


Der Beweis der WPürklichkeit Gottes. 59 


keit Gottes aus feiner Möglichkeit erweift, die legte Daher 
beweift, weil ein Gott vorhanden ift, welcher, vermöge feis 
ner Wahrhaftigkeit, uns feinen andern als richtigen Begrif 
von fich felbft einflöffen Fan, Under feßt demnad) ſchon 
voraus, daß ein Gott fen, melches doch erft ermiefen wer: 
den folte. In unferm Beweiſe aber iſt, diefer Fehler, ver— 
mieden worden. Wir haben uns alfo einen doppelten Weg 
gebahnt, wie wir die befondern Bollfommenheiten Gottes 
in. dem Folgenden unterfuchen koͤnnen. In fo ferne wir 
eine Bolltommenbeit Gottes, aus dem Begriffe des aller 
vollfommenften Dings, erweifen und erklären werden, in 
fo ferne erfennen wir fie aus der Vernunft und a priore. 
In fo ferne wir fie aber daher erweifen und erflären, weil 
diefe Welt eine Würfung Gottes ift, in fo ferne erfennen 
wir fie aus der Erfahrung und a pofteriore. Ks wird 
fehr nuͤtzlich ſeyn, wenn wir beyde Wege allerwegen mit 
einander verbinden, wo es ung möglich ift. Wenn wie 
nun in dem Folgenden, aus der allerhöchften Vollkommen—⸗ 
beit Gortes, erweifen werden, daß er eine Subſtanz feyn 
müffe, welche auffer der Welt würflic) ift, und von wel- 
cher die Welt abhanger: fo wird man überzeugt werden, 
daß aud) durd) diefen Beweis a priore die WürflichFeit ei— 
ner Gottheit dargethan fen, weldye uͤberhaupt fo befchaffen 
iſt, wie ſich ein jeder einen Gott vorftellen muß, welcher nicht 
mit dem Worte fpielen will. $. 812. Denn fonft Fonte 
jemand zugeben, daß ein allerwollfommenftes Ding wuͤrk⸗ 
lich fen, daß aber derfelbe nichts anders fey, als diefe wuͤrk— 
liche Welt im Ganzen betrachtet, und er würde alfo 
in der That ein Acheift feyn. 


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Der dritte Abſchnitt. 


Diejenigen Vollfommenheiten Gottes, welche 
in ihm vorgeftelt werden Eönnen, wenn man 
ihn: gleich nicht ald einen Geift 
betrachtet. 


$. 827. 
achdem wir nun überzeugt find, daß Gott nicht nur 
2) moglich fondern auch wuͤrklich iſt; fo müffen wie 
uns nunmehr bemühen, unfern Begrif von ihm aufs 
möglidhfte zu erweitern und auszudehnen. Es ift leicht 
geſagt, daß Gott alle Vollkommenheiten befige, und zwar 
eine iedwede im höchften Grade; allein die wenigften Mens 
ſchen bemühen ſich viel reelles, bey diefen Ausfprüchen, zu 
gedenken. Es ift demnach nöthig, daß wir, fo viele und 
mannigfaltige Realitäten Gottes, von einander in unfern 
Gedanken richtig unterfcheiden, und auf eine reelle Arc 
denken, als es die Schwaͤche unferes Berftandes erlaube, 
Nun ift alles, was fid) in Gott von einander unterfcheis 
den läft, eine Vollfommenheit, und zwar die gröfte in 
ihrer Art, die möglid) ift. Folglich müffen wir ein jedes 
Merfmal und Prädicat Gottes, ein jedes Mannigfaltige, 
was wir in der Gottheit von andern unterfcheiden fönnen, 
als die höchfte Realität in feiner Art gedenken: wenn mie 
uns anders einen Begrif von Gore machen wollen, welcher 
feiner höchften Vollfommenbeit anftändig it. Die Dolls 
Eommenheiten Gottes koͤnnen, um unfere Unterfuchuns 
gen derfelben zu erleichtern, auf eine doppelte Art einges 
tbeilt werden. Kinmal in diejenigen, die ibm feblechs 
terdings zukommen, und in diejenigen, welche ihm 
beziehungsweiſe zugefchrieben werden $. 49. Die 
erften Ein man fich in Gore deutlid) vorftellen, ohne fie in 
einem Zufammenhange zu betrachten, 3. &, die Einheit 
Got⸗ 


Das Wefen Gottes, 61 


Gottes, das Welen Gottes u. f. m. Die legfern Fan 
man gar nicht gedenken wenn man nicht, eine Berfnüpfung 
derfelben mit andern Vollkommenheiten und Dingen in und 
auſſer Gott, ſich vorftelt, z. €. die Herrfchaft des göttlichen 
Verſtandes über feinen Willen, Zu den legtern gehören, 
Die -allervollfommenften Berhältniffe Gottes gegen andere 
Dinge auffer fi, 3. E. feine Allgegenwart. Zum andern 
find die Vollkommenheiten Gottes entweder ruhende oder 
wuͤrkende Dollfommenbeiten. Die legtern muß man 
ſich allemal, als allervolltommenfte Handlungen Gottes, 
voritellen. 3. E. die Rathſchluͤſſe Gottes, die Allmacht 
u. fe w, Die erften aber fan man erklären, ohne fie als 
- Handlungen zu betrachten, und fie koͤnnen demohnerachtet 
einen Einfluß in feine Handlungen haben. 3. E. die Eins 
heit Gottes. Wir wollen alfo in diefem Abfchnitte diejenia 
gen Vollkommenheiten Gottes nach einander durchgehen, 
weiche die Würkungen Gottes in die Welt nicht vorausfe« 
gen, und welche ihm zugefchrieben werden koͤnnen, wenn 
man ihn auch nicht als. einen Geift betrachtet, und zwar 
in derjenigen Ordnung, in welcher fie am leichteften und 
deutlichiten aus einander von uns Menfchen koͤnnen herge⸗ 
leitet werden. 


Das Weſen Gottes. 
9. 828. 

Es behaupten einige, daß das Weſen Gottes fo un« 
endlich weit über unfern Berftand erhaben fey, daß wir 
Menfchen fchlechterdings nicht vermögend wären, zu fagen, 
worin daffelbe beftehe, Allein man ſagt diefes zwar, es 
hat aber noch niemand diefen Gedanken tüchtig bewieſen. 
Man beruft ſich zwar auf eine unrecht verſtandene Unbe⸗ 
greiflichkeit Gottes uͤberhaupt, oder darauf, daß wir Men— 
ſchen uns gar keinen reellen Begrif von dem Weſen eines 
unkoͤrperlichen und geiſtigen Dinges machen koͤnten: allein 
iederman ſieht, daß das erſte nichts beweiſt, und daß das 
letzte ohne allen Grund angenommen wird. Wir wollen, 


nach 


61 Das Weſen Gottes. 


nach unfern feftgefesten Grundfägen, fo fihlieffen: das 
Weſen eines iedweden möglichen Dinges befteht, in der 
innerlihen Möglichkeit deffelben $. 51. Folglich ift auch, 
das Wefen Gottes, die innerlihe Möglichkeit der aller- 
volltommenften Subftanz; oder die unendliche, allergröfte 
und allervollfommenfte innerlihe Möglichkeit einer Subs 
ſtanz. Und dahin gehört, eine doppelte innerliche Mög- 
lichfeit Gottes: die eine, die ihm fchlechterdings zufomt, 
und die andere,die ihm beziehungsweife zugefchrieben wird 
S. 49. Gore ift, im allerhöchften Grade, innerlich und 
ſchlechterdings möglich $. 817. 1) Se mehrere Realitäten 
in einem Dinge bey einander moͤglich find, dergeftalt, daß 
feine der andern widerfpricht, in einem deſto höhern Grade 
ift daffelbe Ding innerlich) und ſchlechterdings möglich $. 29. 
Nun find in GOtt, alle mögliche Realitäten, ohne Wider- 
fpruch bey einander möglich $. 816. Folglich ift er, im 
höchiten Grade, innerlich und fchlechterdings möglich. 
2) Je gröffere Realitäten in einem Dinge bey einander 
möglich find, fo daß feine der andern widerfpricht, in ei- 
nem befto höhern Grade iſt daffelbe Ding innerlich und 
fehlechterdings möglich $. 29, In Gott find, die aller. 
gröften Realitäten, bey einander möglich $. 817. Folge 
lich ift er, auch in dieſer Abſicht, im hoͤchſten Grade ins 
nerlih und ſchlechterdings moͤglich. Und, diefer höchfte 
Grad der innerlichen Möglichkeit Gottes, ift der eine Theil 
feines göttlichen Wefens. Hier haben wir das erſte Erem- 
pel, und wir werden deren nod) fehr viele befommen, 
woraus exhellet, wie nüglicy Die Unterfuchungen der vers 
fehiedenen Grade derjenigen Begriffe find, die wir vom 


Anfange an in. der Metaphyſik angeftelt haben; indem wir 


ung dadurd) nach und nach in den Stand gefeßt, die höch= 
fte Vollkommenheit Gottes uns beſſer vorzuftellen, als es 
ſonſt möglich feyn würde. Mancher denkt nichts, Dabey, 
wenn man fagt, ein Ding fen möglicher als das andere, 
und was Ean er denfen, wenn er fagt, Gott fen im hoͤch— 
ften Grade möglih? Die Berfiherungen, daß SR alle 

olls 


| 
| 





Das Wefen Gottes, 63 


Bollfommenheiten im höchften Grade befiße, find, in dem 
Munde der meiften Menfchen, andächtige und theologifche 
Complimente , die fie gegen Gott machen, und die in ih» 
rem Munde eben fo wenig fagen, als wenn wir Menfchen 
uns einander die allergelehrteften Männer nennen. Damit 
nun die Gortesgelahrheic Fein bloffes theologiiches Complis 
mentierbuch werde, fo muß man ſich allemal bemühen , die 
höchiten Grade der Nealitäten Gottes deutlich zu denken. 
S. 829. 

Zu der innerlichen allervollfommenften Moͤglichkeit 
Gottes, oder zu feinem göttlichen Weſen, gehört auch dies 
jenige hoͤchſte Möglichkeit, die ihm zufomt, in fo ferne 
feine Bollfommenbeiten, als Gründe und Folgen von eitt- 
ander betrachtet, bey einander möglich find. Weil nem— 
li, in einem iedweden möglichen Dinge, ein allgemeiner 
Zufammenhang unter alfen feinen innerlihen Beftimmuns 
gen, angetroffen wird $. 57. fo find auch, alle innerliche 
Vollkommenheiten Gottes, durch einen allgemeinen Zu= 
fammenbang mit einander verfnüpft. Und da alles, was 
in Gore ift, die allergröfte Realität ift $. 817. fo iſt 
auch, diefer allgemeine Zufammenhang aller Bollfommen« 
heiten Gottes, der allergröfte, der möglich ift S. 56. Folg« 
lich find, alle Vollkommenheiten Gottes, auch dergeftalt 
ben einander möglidh: 1) daß eine iedwede, der Grund 
aller übrigen, in Gott if. Nun beſitzt Gott alle mögliche 
Realitäten $. gı6. Es ift demnach, eine iedwede Boll 
kommenheit in Gott, der allerfruchtbarfte Grund, weil 
er fo viele reelle Folgen hat, als möglich find $. 27. 
2) Daß eine iedwede der Grund der allergröften Realitä« 
ten ift, weil aus ihr die göttlichen Nealitäten, das ift die 
allergröften, flieflen $. gı7. Es ift demnach, eine iede 
Bollfommenbeit Gottes, ein fo wichtiger Grund der Rea— 
‚litäten, als möglid 9, 27. 3) Daß eine iedwede als der 
erfte Grund aller übrigen angefehen werden fan, weil aus 
ihr alle uͤbrige mögliche Realitäten in Gott flieffen $ 40. 
4) Daß eine iedwede der zuveichende Grund aller übrigen 

iſt, 


64 Das Weſen Gottes. 
ift, weil alfe übrige aus ihe folgen S. 34. Folglich ift 


eine iedwede göttliche Vollkommenheit der allergröfte zureie 


chende reelle Grund, der irgends möglich if. 5) Daß 
eine iedwede göttliche Vollkommenheit, eine Folge einer 
iedweden andern insbefondere, und aller übrigen zuſam— 
men genommen ift. Es hat demnad), eine iedwede güfte | 
liche Vollkommenheit, unendlich viele zureichende, und uns 
endlich groffe Gründe in Gott. In dem göttlichen We— 
fen wird, alles durch einander, aufs vollfommenfte be— 
ftimt, Ale Realitäten find fo feft in und durch einander 
gefhlungen, Daß, die allervollfommenfte Harmonie, une 
ter allen göttlichen Vollkommenheiten angetroffen wird. 
Die göttlidien Vollkommenheiten machen gleicyfam einen 
Circul aus, welcher allerwegen in fich felbft hineinläuft. 
Man mag anfangen wo man will, fo findet man einen 
Anfang der Reihe feiner Bollfommenbeiten, - weldyer zu. 
gleich das Ende derfelben ift. 
$. 830. 

DBermöge der vorhergehenden Unterfuchungen befteht 
alfo das Wefen Gottes darin, daß alle mögliche Realitäten 
und Bollfommenheiten, und zwar eine. iediwede im: allera 
hoͤchſten Grade, dergeftalt zugleid und bey einander mög« 
lich find, daß fie niche nur einander nicht widerfprechen, 
fondern aud) durch den allergröften allgemeinen Zuſam— 
menhang mit einander verbunden find. Nun pflege man 
ſich auch das Wefen eines Dinges als diejenige innerliche 
Beltimmung defjelben vorzuftellen, welche in demfelben 
Dinge, der erfte Grund aller feiner übrigen innerlichen 
Beftimmungen ift $ 50. 51. Folglich ift das Wefen 
Gottes diejenige innerliche Realitaͤt und Vollkommenheit 
Gottes, aus weldyer alle übrige flieffen, oder welche der 
erfte hinreichende Grund aller übrigen göttlichen Bollfoms 
menheiten iſt. Und vermöge diefer Erflärung Fan, eine ieda 
wede innerliche göttliche Vollkommenheit, als fein Wefen 
angefehen werden; weil alle übrige aus einer iedweden, 
als aus ihrer erſten Duelle, flieffen $- 829, Daher ift 

das 








Das Weſen Gottes. 65 


das Weſen Gottes, von dem Wefen aller übrigen mögli: 
chen Dinge, auch um diefer Urfach willen unendlich unter- 
ſchieden; weil zwar, in allen übrigen möglichen Dingen, 
ein allgemeiner Zufammenhang ihrer innerlichen Beftim« 
mungen angetroffen wird, aber nicht in einem fo hohen 
Grade, daß eine iedwede das Wefen feyn koͤnte. Wolte 
man fagen, daß, vermöge diefer Betrachtung, Gott une 
endlich viele Wefen haben müffe, fo viele nemlich als er 
innerliche Bollfommenheiten befißt, da man doc) einem ied⸗ 
weden Dinge nur ein einziges Wefen zuſchreiben müffe: fo 
fan, biefe Schwierigfeit, leicht gehoben werden. So 
bald eine gewiſſe Vollkommenheit Gottes als fein Wefen 
angenommen wird, fo bald Fan Feine andere feiner Voll—⸗ 
fommenheiten zugleich als fein Wefen angefehen werden, 
Folglich hat Gore, in einer jedesmaligen Betrachtung feiner 
Vollkommenheiten, nur ein einziges Weſen. 
$. 831. 

Aus den bisherigen Unterfuchungen erhellet alfo nicht 
nur, daß es uns Menfchen überhaupt möglich fen, unſern 
Begrif von Gott logifch zu erklären; fondern daß wir audy 
im Stande find, von demfelben eine richtige Sacherklaͤrung 
zu geben. Denn dur eine Sacherflärung verſtehen wir 
eine folche Definition, welche das Wefen ber erklärten Sa— 
che deutlich vorftelt. Solche Erklärungen find, in allen 
unfern gelehrten und ſyſtematiſchen Unterfüchungen einer 
Sache, die allererften Begriffe, welche wir uns von ders 
felben machen, und aus welchen alles übrige hergeleitet 
wird, was mir von derfelben Sache, auf eine gelehrte und 
phitofophifche Art, erkennen. Da nun, eine iedwede ins 
nerliche Vollkommenheit Gottes, als fein Wefen angefehen 
werden fan 6. 830. fo Fünnen wir Menſchen unendlid) viele 
Sacherklaͤrungen von Gott machen; weil, ein iediweder bes 
ftimter Begrif von einer iedweden innerlichen Bollfommen- 
heit Gottes, eine richtige Sacherflärung Gottes iſt. Freys 
lich muß man, um den Circul im Beweiſen zu verhüten, 
ſich dabey in acht nehmen, daß man diejenige inner. 

4 Theil. E liche 


66 Das Weſen Gottes. 


liche Vollkommenheit Gottes, die man als fein Wefen ans 
nimt, und deren beftimten Begrif man in dem Syſtem der 
Gottesgelahrheit als den erſten Begrif von Gott feſtſetzt, 
nicht etwa aus einer andern innerlichen Vollkommenheit 
Gottes erweiſe. Allein dem allen ohnerachtet iſt es uns 
Menſchen unmoͤglich, daß wir, aus einer iedweden uns 
bekanten innerlichen Vollkommenheit Gottes, in einem gleis 
chen Grade der Deutlichkeit und Leichtigkeit, alles uͤbrige, 
was wir von Gott wiſſen, ſolten herleiten fonnen. Aus 
der einen Fönnen wir die übrigen leichter und deutlicher 
herleiten, als aus der andern; ja es fan eine innerliche Boll» 
fommenheit Gottes feyn, aus welcher wir Menfchen nicht 
im Stande find, alle übrigen herzuleiten, ob glei) in Gott 
felbit alle übrige aus ihr flieflen ; weil wir, den allgemeinen 
Zufammenhang der göttlichen Bollfommenbeiten , nicht 
völlig einfehen.  Folglic) müffen wir, in unferer Gotteg= 
gelahrheit, diejenige innerliche Vollkommenheit Gottes als 
fein Wefen annehmen, aus welcher wir die übrigen am 
leichteften, deutlichiten und ungezwungenften herleiten koͤn— 
nen; damit wir uns, die Erfentniß Gottes, nicht ohne 
Moth zu fehwer und dunfel machen. Unterdeſſen ift es 
fehr que, wenn wir uns gleichfam viele verfchiedene theolo⸗ 
gifche Lehrgebäude machen, und in dem einen die Vollkom⸗ 
menbeit Gottes als fein Wefen annehmen, und in dem ans 
dern cine andere. Auf die Weife lernen wir, den vortrefli— 
den Zufammenhang der gottlichen Bolltommenbeiten, mehr 
einfehen, und indem die göttlichen Vollkommenheiten, in 
verfchiedenen Ordnungen und aus verfehiedenen Gründen 
hergeleitet werden, fo werden fie in ein mannigfaltiges Licht 
gelegt, und unfere Erkentnis derfelben wird dadurch noth— 
wendig deutlicher und gewiſſer. Es ift demnach) fehr zu 
loben, wenn, verfchiedene Lehrer der Gottesgelahrheit, vers 
ſchiedene Definitionen von Gott zum Grunde legen, wenn 
diefelben fonft nur richtig find, 


4. 332. 








Dos Wefen Gottes, 67 


| . 832. 

Um das Wefen Gottes in feiner unendlichen Volle 
Fommenheit, fo viel uns Menfchen möglich ift, noch beifer 
uns vorzuftellen, fo ift es noc) nicht genung, daß wir uns 
daffelbe als die erfte Duelle alter übrigen Bollfommenbeiten, 
die in Gore felbft find, und deren Menge und Gröffe wahrs 
baftig unendlich ift, vorftellen; fondern wir muͤſſen uns 
auch überzeugen, daß es Die erfte Duelle der Wefen, aller 
übrigen möglichen Dinge auffer Gott, fey. Oder die We— 
fen aller endlichen Dinge, es mögen nun diefe Dinge würka 
lic) fenn oder nicht, alle Wahrheiten, alles mit einem Worte, 
in fo ferne es möglich ift, ift feiner Möglichfeit nad) in dem 
Weſen Gottes, als in feinem allererfien Grunde, binreis 
hend gegründet, Wenn Gott nicht möglich wäre, fo wäre 
gar nichts möglich, es gäbe gar Feine Wahrheit, und eg 
wäre gar feine Wiffenfchaft möglih. Denn weil Gott ein 
Weſen hat, oder weil er möglich ift, fo find alle mögliche 
Realitaͤten bey- einander möglich $. 816. Sind alle möge 
liche Realitäten bey einander möglich, fo find auch einige 
derfelben bey einander moͤglich. Folglich daß einige Rea⸗ 

litaͤten in einem Subjecte bey einander möglich find, ruͤhrt 
daher, weil fie alle in Gott bey einander möglid) find, oder 
weil Gott möglich ift und ein Wefen hat. Nun find, die 
unendlich verfajiedenen Inbegriffe einiger neben einander 
möglichen Realitäten, die Weſen oder innern Moͤglichkei⸗ 
ten. aller möglichen Dinge auffer Gott. Folglich iſt, das 
Weſen Gottes, die Duelle der Wefen und der innerlichen 
Möglichkeiten aller übrigen möglichen Dinge. So bald 
nur einige Realitäten in einem Subjecte bey einander möge 
lic) find, fo bald habe ich das’ Wefen eines endlichen Dins 
- ges. Man Ean ſich alfo diefe wichtige Sache, unter fols 
genden fhwachen Gleichniffe, vorftellen. Wenn man cie 
nige Buchftaben des ganzen Alphabeths zufammen nimt, fo 
haben wir ein Wort; und.alle mögliche Wörter aller möge 
lichen Sprachen entftehen, wenn einige Buchflaben als ein 


Ganzes genommen, werden, und alfo ift ein vollſtaͤndiges 
E 2 Alpha» 


68 Das Weſen Gottes. 


Alphabeth die Duelle aller möglichen Wörter und Sprachen, 
Das göttliche Wefen ift gleichlam das vollftändigfte Alpha— 
beth aller möglichen Realitäten, und die Wefen aller übrigen 
möglichen Dinge find alle mögliche Wörter, welche daraus 
ihren Urfprung nehmen. Folglich Fan aud) Gott, aus der 
volltommenften Erfentniß feines eigenen Weſens, die Mög« 
lichkeiten und Wefen aller übrigen möglichen Dinge, gleich— 
fan erfinden, zufammenfegen, und a priore herleiten, 
Aus den bisherigen Betrachtungen, die wir über das We— 
fen Gottes angeftellet haben, erhellet alfo abermals, daß blog 
um des Wefens Gottes willen in ihm, eine unendliche Men: 
ge verfchiedener Realitäten, fern muͤſſe, die auf eine reelle 
Art von einander unterfchieden find. Und es erheller alfo 
abermals, daß es ungereimt zu fagen fey, alles in Gott 
fey ein und eben daffelbe, und nichts fen in Gott von dem 
andern unterfchieden, als nur nad) unferer Art zu denken, 


Die Würflichkeit Gottes. 
6. 933. 

Da Gott ein Ding ift, welches würflich ift; fo bes 
fist er die Würflichfeit $. 60. und zwar im hoͤchſten Grade 
$. 817. Oder die Wuͤrklichkeit Gottes iſt die allergröfte 
und allervollfommenfte Würflichfeit, die möglid) iſt, dera 
geftalt, daß es ungereimt wäre zu behaupten, es fen ein Ding 
möglich, welches noch in einem höhern Grade würklich feyn 
fönte, als Gott. Nun beftehe, die Würflichkeit eines. 
Dinges, in dem Inbegriffe aller innerlichen Beftimmun« 
gen, welche auffer feinem Wefen in ihm beyfammen mög: 
lich find, oder in der Erfüllung feines Weſens $. 60, 
Folglich ift Gott im höchften Grade würflich: 1) weil in 
ihm, auffer feinem Wefen, Feine andern innerlihen Beſtim— 
mungen angetroffen werden, als Realitäten $. 818. Geine 
Wuͤrklichkeit fchlieft, nichts wahrhaftig Verneinendes, in 
fih. Die Würklichkeit zufälliger Dinge enthält viele Vers 
neinungen, allein ein iedes zufälliges Ding iſt auch jedes« 
mal nur in einem Eleinen Grade wuͤrklich, und feine Würfs 


lich. 





Die Wuͤrklichkeit Gottes. 69 


lichkeit Eönte immer gröffer ſeyn, als fie würflih it. 13. E. 
fo waͤchſt unfere Würflichkeie beftändig, je mehr richtige 
Erfentniß wir erlangen, und in fo ferne wir Menfchen im« 
mer noch unmiffend bleiben, in fo ferne find mir nicht in 
einem fo hohen Grade würflich, als es möglich ift. Bey 
Gott verhält es fich ganz anders, Seine Würklichfeit 
ſchlieſt, Eeine verneinende Beftimmung, in fih. 2) Weil 
auffer feinem Wefen, alle übrige mögliche innerliche Reali— 
täten, in ihm angetroffen werden $. 816. Gleichwie das 
Weſen eines zufälligen Dinges nur, ein Inbegrif einiger 
bey einander möglichen Realitäten, iſt; alfo befteht auch, 
feine Würflichfeit, nur in einem Inbegriffe einiger bey 
einander würflichen Realitäten. Gottes Weſen aber ift der 
Inbegrif aller bey einander möglichen, und feine Würfs 
lichkeit ift der Inbegrif aller bey einander würflichen Nea« 
litäten , ohne die geringfte Ausnahme, 3) Weil eine ied⸗ 
wede Realität, die zu feiner Wuͤrklichkeit gehört, die aller⸗ 
gröfte und ohne alle Einfchrenkung iſt. Die Würflichfeie 
eines endlichen Dinges fan, aus fehr vielen und groffen 
Realitäten, beftehen; allein eine iedwede diefer Realitaͤten 
ift eingeſchrenkt. Die würflichen Realitäten Gottes find 
gar nicht eingefchrenfr, 4) Weil die Würklichkeie Gottes 
ewig iſt. Anfang und Ende find Einfchrenfungen der 
Wuͤrklichkeit und Dauer, folglich Verneinungen einer gröfe 
fern Dauer $. 228. Da nun in Gott gar feine Vernei⸗ 
nungen find $. 818. fo ift die Würflichkeit Gottes ewig 
F. 231. wovon in dem Folgenden noch ausführlicher gehan—⸗ 
delt werden wird. Indem wir alfo Gott die Wuͤrklichkeit 
im höchften Grade zufchreiben, fo müffen wir uns feine 
Wuͤrklichkeit, als die ewige, unumfchrenkte, allergröfte und 
reellefte Erfüllung der allergröften Möglichkeit, oder des 
allervollfommenften Weſens eines möglichen Dinges, vor— 
ftellen. Und da mag man nun eine innerliche Vollkom— 
menheit Gottes als fein Wefen anfehen, welche man will 
$. 830. fo machen, alle übrige innerlihe Bollfommens 
heiten Gottes, die allerhöchfte Würflichkeit Gottes aus. 
E 3 3. E. 





70 Die Wuͤrklichkeit Gottes; 


3. E. mwolte man die höchfte Weisheit als Gotees Wefen 
anfehen, fo befteht die Wuͤrklichkeit Gottes in der allmäch» 
tigen, allergütigften, allergerechteften Bollziebung der Weiss 
beit u. fe w. Nimt man die Allmacht als fein Wefen an, 
fo beſteht feine Würflichkeit in der weiſeſten, gütigften, ges 
rechteften Erfüllung der Allmacht u, fi w. 
834. ' 
Was in Gott, oder in dem Umfange der Gortheit, 
möglich ift, das ift auch in ihm wirklich; oder es Fan in 
ihm nichts möglich feyn, mas nicht zugleich in ihm wuͤrklich 
iſt. Es folge Diefes offenbar aus dem Beweife der Würfs 
lichfeit Gottes a priore, indem wir blos daher, daß Gott 
möglich. iſt, erwieſen haben, daß er auch würflich fey $. 825. 
Sonft aber fan es noch auf eine andere Art bewiefen wer» 
ben. Einmal, aus dem allerhöchften Grade feiner Würfs 
lichkeit H. 833. Denn wenn in ihm eine, Realität blos 
moͤglich, und nicht zugleich wuͤrklich wäre; fo fehlte in feis 
ner Wuͤrklichkeit eine Nealität, und fie wäre alfo nicht die 
allerhöchfte Wuͤrklichkeit, und die völlige Ausführung und 
Erfüllung feines Wefens, Zum andern flieft diefes daher, 
weil Gott, vermöge des Beweifes feiner Würflichkeie aus 
der Erfahrung, die nothwendige und unendliche Subſtanz 
it 9. 82. Die Würklichfeit der nothwendigen Subſtanz 
ift eine Eigenſchaft 9. 119. Folglich ift fie in ihrem Wefen, 
oder in ihrer innerlichen Möglichkeit zuveichend gegruͤndet 
F. 54. Aus dem hinreichenden Grunde folgt die Folge 
unausbleiblicy. Folglich flieſt, aus der Möglichkeit Got— 
tes, feine Wirflichfeie, und was alfo in ihm möglid) ift, 
muß auch in ihm würflich feyn. Das unendliche Ding ift 
alles wirklich, was es fern Fan F. 194. Weil nun Gore 
unendlich ift, fo iſt nichts in ihm möglich, was nicht zus 
gleich in ihm wuͤrklich feyn folte, Folglich fan man in 
Gott, von der Möglichkeit auf die Wirklichkeit, allemal 
einen fichern Schluß machen. Es gehört diefes mit zu dem 
böcyiten Grade der Wirklichkeit Gottes, wodurd) fie über 
die Wirklichkeit aller übrigen würflichen Dinge unendlich 
weit 





Die Wuͤrklichkeit Gottes. 71 


weit erhaben iſt. In einem endlichen Dinge ift allemal 
viel möglich, welches nicht wuͤrklich ift. Das Wefen eines 
- endlichen Dinges ift ein Project, welches in vielen Stuͤcken 
‚gar nicht ausgeführt wird, und welches übrigens in feinem 
Augenblide feiner Dauer völlig vollzogen werden kan. Es 
bleibt jedesmal in einemiendlihen Dinge, bey dem bloffen 
Projecte zu einer würflichen Ausführung... In Gott aber 
ift, fo zu reden, Feine bloffe Projectmacherey möalih. Der 
ganze Plan eines volllommenften Dinges, welcher in dem 
göttlichen Wefen gleicdyfam aufs vollkommenſte gezeichnet 
und entworfen ift, it durch die Würflichkeit Gottes in als 
len Puncten und Stüden, aufs völligfte und vollkommen⸗ 
fte, ausgeführt, und von Ewigkeit zu Ewigkeit vollzogen, 
9. 835. 

Was in Gott, oder in dem Umfange der Gottheit, 
nicht wuͤrklich ift, das iſt auch in ihm nicht möglid) , und 
man Fan alfo allemal, wenn man erwiefen hat, daß etwas 
in ihm nicht wuͤrklich iſt, fchlieffen, daß es auch in ihm 
nicht möglich feyn koͤnne, und das zwar mit der gröften Zus 
verfiht. Denn, wenn in ihm etwas nicht wuͤrklich und 
dech moͤglich wäre: fo koͤnte man ja nicht allemal von feiner 

röglichfeit auf feine Wuͤrklichkeit fehlieffen. Da nun 
diefes, dem vorhergehenden Abfage, wiverfpricht: fo erfos 
dert die Nothwendigkeit und die Unendlichfeit Gottes, ſamt 
der allerhöchften Vollkommenheit feiner Wuͤrklichkeit, daß 
Dasjenige in ihm nicht möglich fey, was in ihm nicht würfe 
Lich ift. Seine Würklichfeit und Möglichkeit find allemal, 
aufs unzertrenlichfte, mit einander verbunden. Was Gott 
nicht iſt, das Fan er auch nicht feyn. Bey zufälligen Dins 
gen verhält es fid) ganz anders. Was wir, mit andern 
endlichen Dingen nicht find, das Fünten wir doch wol viel 
mals ſeyn oder werden, In uns iſt allemal hie und da, 
in unferm Umfange, eine unausgefülte Leere; und wenn 
wir etwas nicht find, fo Fönnen wir doch noch den Troſt has 
ben, daß mir es ſeyn und merden koͤnnen. Gott bedarf 
diefes fchlechten Troftes nicht. u er etwas nicht ir 
4 li N 


72 Die Wuͤrklichkeit Gottes. 


⸗ 
lich, ſo kan er es auch nicht ſeyn und werden. Und da es noch 
dazu keine Realitaͤt und Vollkommenheit ſeyn kan, weil er 
alle Realitäten ohne Ausnahme beſitzt: fo Fan die Abwefen« 
beit deffen, was in ihm nicht wuͤrklich iſt, nicht einmal ein 
Schmachten nad der Ausfüllung diefer Leere und Luͤcke ver 
anlaffen, weil Feine wahre Luͤcke und teere in dem Wefen 
Gottes feyn Fan, 
S. 836. 

In dem Nechte der Natur ift die berühmte Frage aufs 
geworfen worden: ob es ein Recht der Natur eines Atheis 
ften gebe? Diefe Trage ift ofte mit fo vieler Verwirrung 
beantwortet worden, daß man in der That Dadurch nichts 
entfchieden hat. Unterdeſſen wollen wir, die völlige Bes 
antwortung diefer Frage, den Lehrern des Rechts der Natur 
überlaffen, und von allen Wiffenfchaften überhaupt die Fra— 
ge aufmwerfen: ob es irgends eine Wiſſenſchaft, Vernunft— 
Iehre, Mathematik, Phyſik, und wie fie Namen haben 
mögen, gebe oder geben fünne, wenn fein Gott wäre? 
Diefe Frage Fan, auf eine zweyfache Weile, erflärt wer⸗ 
den. Kinmal, ob feine Willenfchaft erwiefen werden koͤn— 
ne, ohne die Beweisgründe aus der Gottesgelahrheit herz 
zunehmen ? Und das verneinen wir ſchlechterdings. Uns 
fere Erkentniß und Bemweisgründe, woraus wir die Wahrz 
beiten in ven Wiffenfchaften erklären und erweifen, find niche 
allemal diejenigen Duellen, aus welchen die Möglichkeie 
und Nichtigkeit derfelben feldft fließt. Folglich wenn auch 
gleich Gott Die Duelle der Wahrheit aller Wiffenfchaften ift, 
fo find wir Menfchen doch im Stande, von unzählig vielen 
Wahrheiten eine Wiſſenſchaft zu erlangen, ohne unfere Era 
fentniß derfelben aus theologifchen Wahrheiten herzuleiten. 
So haben wir die Dntologie, Cofmologie und Pſychologie, 
binlänglich erklärt und erwiefen, ohne daß wir dabey die 
Lehre von Gott vorauszufegen nöthig gehabt haben folten, 
So fan die Mathematik und Phyfit ohne Erkentniß Got— 
tes, in einem hohen Grade der Vollkommenheit, , unterfuche 
werben, Zum andern Fan man Die Frage fo abfaſſen: ob 

Ä irgends 





| 
| 
/ 





Die Heiligkeit Gottes. 3 


irgends eine Wiffenfchaft ftat finden fünne, wenn in der 
That die Atheiften Recht hätten, und wenn fein Gott waͤ⸗ 
ve? Und das muß auch verneinet werden. Wenn Gott 
nicht mürflich wäre, fo wäre er auch nicht möglid) $- 835. 
Folglich wäre alsdenn das goͤttliche Wefen nit. Nun 
ift das göttliche Wefen, die Duelle der Möglichfeit und 
Wahrheit aller Dinge und Wahrheiten $. 532. welche letz⸗ 
tere alfo wegfallen müffen, wenn ihre Duelle wegfält 9.43: 
247. Folglich wenn fein Gott wäre, fo wären die Gegen: 
fände der menfchlichen Wiffenfchaften weder möglich noch 
wuͤrklich, und die legtern koͤnten fi) alfo mit Nichts be- 
ſchaͤftigen; ja die Wiffenfchaften felbft wären nicht möglich, 


‚ und es wäre niemand möglich und würflich, der diefelbe als 


eine Erfentniß befißsen koͤnte. Diefe Wahrheit fcheint viel: 
leicht manchen, eine unnüge Grübeley, zu fern. Allein 
bey genauerm Nachdenken findet fihs, daß fie ungemein 
viel dazu beyträge, den hohen Begrif von der Gottheit zu 
vergröffern; indem, der Grad der Abhaͤnglichkeit aller 
Dinge von Gott, dadurd) in ein ungemeines Licht gefege 
wird. / 


Die Heiligkeit Gottes. 


$. 837. 

Aus den bisherigen Betrachtungen, melde wir über 

Gott angeftele haben, erhellet demnach), daß in dem ganzen 
Umfange der Gottheit nichts als Kealität und Vollkommen— 
heit angetroffen werde; und daß er alfo nichts anders, als 
die pure laufere und reine Vollfommenbeit, fe, Da nun 
eine iedwede Berneinung, welche in der That eine verneinens 
de Beſtimmung ift, eine Unvollkommenheit und was Böfes 
ift $. 137. 136. fo find in Gott gar feine Berneinungen, Un—⸗ 
vollfommenheiten und böfe Beftimmungen anzutreffen, ja 
bergleihen find in ihm nicht einmal möglich. F. 835. Er 
iſt nicht nur in der That, von allen Unvollfommenbeiten, 
unendlid) frey und meit entfernt; fondern er ift auch derge— 
false durchaus mit Vollkommenheit und Realität angefült, 
Es; daß 


74 Die Heiligkeit Gottes, 


daß dadurch allen Unvollkommenheiten, der Eingang in die 
Gottheit, fehlechterdings verwehrt und unmöglich gemacht 
wird, Es muß diefes, von allen Arten ver Unvollfoms 
menheiten und des Boͤſen, verftanden werden. In Cote 
find weder nothwendige noch zufällige Linvollfommenbeiten 
und Uebel, weder moraliſche noch phyſiſche, und wie fie 
alle Namen Haben mögen, Syn ihm ft Fein metaphufifches 
Uebel anzutreffen, es ift weder in dem ganzen Umfange feis - 
nes Wefens, noc) in dem Umfange feiner Würflichfeit, 
eine Unvollfommenheit. Kein Fleck, fein Mangel, fein 
Fehler iſt in ihm anzutreffen, und zwar deswegen, weil er 
den allerhöchften Grad der Vollkommenheit befist. Wenn 
man alfo die Gortheie richtig gedenken will, fo muß man 
ſich in ihrnicht die allergeringfte Unvollfommenheit voritellen, 
Das ift uns Menfchen nun freylih wo nicht unmöglich, 
doch unendlich ſchwer. Alle unfere Beariffe find endlich, 
und theils vollfommen, theils unvollfommen. Da fie nun 
Abbildungen der Dinge in unferm Gemuͤthe find, fo pflegen 
wir den Gegenftänden alles zuzufchreiben, was in dieſen 
Bildern enthalten it, Folglich ift es uns Menfchen bey 
nahe natürlid) nothwendig, daß wir uns in Gott Unvolls 
kommenheiten vorftellen. Unſere Erkentnißkraft verhält 
ſich wie ein Spiegel, in welchen das reine und unbefleckte 
Sonnenlicht ſcheint. Allein dieſer Spiegel iſt nicht in allen 
Puncten vollkommen reines Glas, und vollkommen polirt. 
Daher zeigen ſich in dem Abglanze der Sonne in dieſem Spies 
gel viele Flecken, und man würde ſich augenfcheinlich bes 
erügen, wenn man diefelben der Sonne ſelbſt zufchreiben 
wolte. Wir müffen uns daher aufs forgfältigfte hüten, 
daß wir, Die abgebildeten Unvollfommenheiten in unfern 
Begriffen von Gott, nicht etwa ihm felbft zufchreiben, 


.. 838, 

Das Wort heilig wird, in verfchiedenen Bedeutun—⸗ 
gen, genommen. Bald verfteht man dadurd) folche Dins 
ge, die zumächft zu gottesdienftlichen Handlungen beftime 
find, als z. E. beilige Orte, Zeiten, Gefälle u, — 

ald 


Die Heiligkeit Gottes, B 


Bald nent man dasjenige heilig,» deffen Verlegung oder 
Beleidigung , als ein groſſes und abfcheutiches Verbrechen, 
angefehen wird, als wenn man die, Perfonen der Fürften 
heilig nent. Wir verbinden bier, mit dem Worte, einen 
ähnlichen aber weitläuftigern Begrif, als das Wort in der 
Sittenlehre bat, wenn man, durch ein beiliges Leben, 'eine 
ſolche Ausübung der Tugend verfteht, durch welche fich der 
Menfch immer mehr und mehr von der Sünde befreyet und 
entfernt. Dieſe moralifche Heitigfeit werden wir auch, in 
dem Folgenden, dem allervollfommenften Willen Gottes zus 
fihreiben, und alsdenn erfennen, daß fie unter der Heilig- 
keit uͤberhaupt mit begriffen fen. Die Heiligkeit bejteht 
demnach in der Realität oder Bollfommenheit eines Dinges, 
in fo ferne durch Diefelbe mehrere und groͤſſere Unvollkom— 
menheiten deffelben von ihm abgefondert werden. Folglich) 
beſteht die Heiligkeit eines Dinges in einem hoͤhern Grade 
feiner Vollkommenheit, in fo ferne man denfelben als eine 
Berhinderung einer groͤſſern Unvollkommenheit betrachtet. 
Wenn man, die groͤſſere Vollkommenheit eines Dinges, 
blos als eine Vollkommenheit betrachtet; ſo nent man ſie 
keine Heiligkeit. In ſo ferne man aber dieſelbe, als eine 
Hinderniß einer groſſen Unvollkommenheit, anſieht; folg« 
lich in ſo ſerne man ſich vorſtelt, ein Ding habe eine ſo 
groſſe Vollkommenheit, daß dadurch viele und groſſe Un— 
vollkommenheiten in ihm verhindert, oder von demſelben 
weggeſchaft und abgeſondert werden: in ſo ferne wird, dieſe 
groſſe Vollkommenheit, eine Heiligkeit genent. Je meh— 
rere und groͤſſere Unvollkommenheiten eines Dinges, durch 
ſeine Vollkommenheiten, verhindert werden, und je ſtaͤrker 
dieſelben durch dieſe verhindert werden, ein deſto heiligeres 
Ding iſt daſſelbe. Gott iſt nicht nur heilig, ſondern auch 
der Allerheiligſte, er beſitzt die allergroͤſte Heiligkeit: ı) Weil 
er einen fo groffen Grad der Vollkommenheit befist, daß 
durch denfelben alle Unvollfommenbeiten ohne Yusnahme in 
ihm verhindert werden F. 832. 2) Weil, durd) den aller- 
höchften Grad feiner Vollkommenheit, die gröften Unvoll: 

kom⸗ 


76 Die Heiligkeit Gottes. 


fommenheiten fo wol als auch die allerkleinften in ihm 
verhindert werden. Er ift eine fo reine und lautefe und 
unbeflefte Bollfommenheit, daß diefelbe nicht mit der als 
lergeringften Unvollfommenpeit, geſchweige denn mit einer 
gröffern, befehmußt ift. 3) Weil, durch diefen Grad der 
goͤttlichen Vollkommenheit, alle Unvollfommenpheit in ihm 
im allerböchften Grade verhindert wird, nemlic) dergeftalt, 
Daß nicht einmal die allergeringfte Unvollkommenheit in ihm 
innerlich möglich it. in Ding, welches nicht Sort ift, 
mag nod) ſo heilig feyn, und es mag ſich noch fo fehr von 
Unvollfommenbeiten los gemacht haben, es ift doc) nies 
mals vor öenfelben völlig‘ ficher, weil fie allemal in ihm 
möglid) bleiben. Der allerheiligfte Gott befindet fich, in 
Abſicht auf alle Unvolifommenbeiten, in einer fo aroffen 
und vollfommenen Sicherheit, daß Feine einzige verfelben 
in ihm aud) nur im geringften Grade möglid) ift. 
S. 839. 

Es gibt Leute, welche vielleicht die gute aber ungluͤck— 
lich ausgeführte Abficht Haben, das höchfte Wefen recht bes 
wundernswuͤrdig vorzuftellen, und welche zu dem Ende bes 
haupten: e8 fen uns Menfchen unmöglich, uns einen ans 
dern als verneinenden Begrif von Gott zu machen; wie 
wüßten nur was Gott nicht fen, wir Fönten uns aber nicht 
vorftellen, was er ſey. Um diefen gefährlichen Gedanken 
völlig zu widerlegen, wollen mir fo fchlieffen: wir Mens 
ſchen fönnen ung entweder gar Feinen richtigen Begrif von 
Gott machen, und wer das behaupten will, der muß alles 
Dasjenige, was alle Gottesgelehrte und Weltweiſe von Gore 
bisher gelehrt haben, völlig widerlegen; oder man gibt zu, 
dan wir Menfchen ung richtige Begriffe, von Gott und feis 
nen Bollfommenheiten, machen fönnen. Und in diefem 
alle ift, aus der Heiligkeit Gottes, leicht zu erweifen, 
daß Fein wahrer Begrif von Gott in der That verneinend 
feyn Fan, Man fege einen Begrif von Gott, oder von 
einer feiner Vollkommenheiten, welcher durch und durch gang 
verneinend iſt: fo nimt man entweder an, daß Gott fo bes 


ſchaffen 





— * 





Die Zeiligkeit Gottes. 77 


ſchaffen iſt, wie dieſer Begrif ihn vorſtelt, oder daß er anders 
beſchaffen iſt. Das erſte iſt ſchlechterdings ungereimt, denn 
aledenn muͤſten in Gott in der That Verneinungen ange— 
troffen werden. Nimt man das andere an, fo ift der Bes 
grif falfch, und ftelt uns gar nichts vor $. 500. Folglich 
Fan, fein wahrer Begrif von Get, ganz verneinend ſeyn. 
Und eben fo wenig fan er, eines Theils verneinend feyn. 
Ein bejahender Begrif, welcher einige verneinende Merk— 
male enthält, ftelt uns den Gegenftand als ein Ding vor, 
welches auffer feinen Realitäten einige Verneinungen ent 
hält. In Gott ift Feine einzige Verneinung. Folglich 
irren mir allemal, wenn wir uns Begriffe von Gott und 
feinen Bollfommenbeiten machen, welche eines Theils in 
der That verneinend find $. 500, Wenn wir alfo uns fols 
che Begriffe von Gott machen wollen, welche feiner Heilig« 
feit gemäs find; fo muͤſſen wir unfere Gedanfen von Gore 
Heiligen, oder alle wahre verneinende Merkmale von ihnen 
abfondern, Und darin befteht unter andern die heilige Ger 
muͤthsfaſſung und Gefinnung, in welche ein Menſch fich 
verjegen muß, wenn er von Gott denfen und reden will. 
Und fie beſteht alfo nicht in einer ſchwermeriſchen Aufwal—⸗ 
lung und Erhißung einer finlichen Andacht, welche unfere 
DBeariffe von Gott zu finnlich und verworren machen, und 
fie alfo in der That mit zu vielen Theilen und Merfmalen ans 
füllen, welche etwas Berneinendes und Unvollfommenes 
vorstellen, und folglich in der That Feine heiligen Gedanfen 
ſeyn koͤnnen. Unterdeſſen ift es uns Menfchen unmöglid), 
alle Begriffe von Gott zu vermeiden, welche dem erften 
Anfehen nad) verneinend find, und wodurch freyfich unends 
lich viele Leute verführt werden, ſich in Gott etwas Ver: 
neinendes vorzuftellen. Diefe betrübte Nothwendigkeit 
entfteht, bey uns Menfchen, aus einer doppelten Duelle, 
1) Wenn wir, wie es nothivendig ift, alle wahre Vernei— 
nungen und Unvollfommenbeiten von Gott verneinen und 
abftrahiren, und wir find nicht genungfam eingedenf, daß 
wir alsdenn, wenn wir eine Verneinung verneinen, in der 

That 


8 Die Heiligkeit Gottes: 
78 g 


That.bejahen, und uns eine Realität vorftellen.  Diefe 
Unachtſamkeit ift fehuld daran, daß man fich ofte vorftele, 
man fehreibe Gott mit Wahrheit Berneinungen zu, z. & 
wenn wir mit Recht fagen, Gore ift nicht unvollfommen 
und unbeilig. Kan uns nicht ein geringes Nachdenken 
überzeugen, daß wir bier in der That etwas Reelles von 


Gott bejaben? 2) Weil wir, viele verneinende Beſtim— 


mungen und. Unvollfommenbeiten, mit bejahenden Worten 


benant haben, z. E. Enolichkeit, Ausdehnung u. fe w. 


fo find wir genöthiget, wenn wir Die entgegengefegten Voll⸗ 
kommenheiten Gott zufchreiben wollen, uns verneinend aus⸗ 
zudrucken, z. E. Gott iſt nicht endlich, nicht ausgedehnt, 
Allein es find ja niche alle unfere Ausdrucke, von Gott und 
feinen Bolltommenbeiten , fo beichaffen; fondern viele find 
auch auf den erften Anblick bejahend, als Allmacht, Hei— 
ligkeit u.f. w. Und derjenige übereile fich, welcher ſich 
einbildet, daß alle verneinende Ausdrucke in der Sprache 
der Menfchen wahre Berneinungen, und daß alle bejahende 
Worte wahre Nealitäten bedeuten. Es verhält fid) diefes 
ganz anders. Die Menfchen machen fid) zuerft von end« 
lichen Dingen Begriffe, und gelangen vermittelft derfelben 
nach und nad) zu den Begriffen von dem-Unendlichen. Da 
nun noch dazu, die eriten Erfinder einer Sprache, nicht bea 
fonders richtig gedacht haben; fo ift es daher gefommen, 
daß man einige Realitäten der endlichen Dinge mit bejahens 
den, und andere mit verneinenden Worten, , desgleichen eis 
nige Berneinungen und Unvollfommenbeiten mit verneinena 
den, und andere mit bejahenden Worten ausgedruckt hat. 
Nachdem nun diefes einmal geſchehen, und unfere Spras 
chen vornemlich den Begriffen von endlichen Dingen gemäs 
eingerichtet worden; fo fieht man ſich genöthiger, wenn man 
den Unterfchied Gottes von endlichen Dingen ausdrucken 
will, denfelben fehr ofte mit verneinenden Worten auszus 
drucden.  Unterdeflen muß man fi, durd) diefe vernei« 
nende Ausdrucke, nicht verleiten laffen, ihre Bedeutungen 


als wahre Berneinungen Gott zuzufchreiben. Ganz anders 
würde 


Die Einheit Gottes. 79 


wuͤrde es fich verhalten, wenn mir, fo zu reden, eine 
Sprache der Götter oder. des Himmels verftünden. Als— 
denn würden alle unfere theologifche Worte, Redensarten 
und Nusfprüche, bejahen; und verneinende Ausdrucke würs 
den nur in unferen Reden vorfommen , wenn man von end« 
lichen Dingen redete, Ueberdis bilden ſich manche $eure 
faͤlſchlich ein, als entftehe eine wahre Berneinung in unfern 
Begriffen von Gott, wenn wir von denfelben die Vorſtel— 
lungen des Unvollfommenen abfondern oder abftrahiren, 
Allein eben dadurch verhüten wir, daß fich Feine wahre Vers 
neinung in unfere tbeologifchen Beariffe einfchleiche,. Diefe 
ganze Betrachtung ift in der Gottesgelahrheit von äufferfter 
Wichtiafeit, weil wir ung allemal falfche und unanftändige 
Begriffe von Gott machen, wenn wir nicht. fo, von Gott 
und feinen Vollkommenheiten, denken und reden, wie es 
diefe Betrachtung erfodert. 


Die Einheit Gottes. 
9. 840, 

Es ift bey dieſer Vollkommenheit noch gar nicht die 
Frage: ob nur ein einziger Gott würflich fey, oder ob 
mehrere Götter vorhanden find; fondern ob derjenige Gott, 
von dem wir bisher gehandelt haben, und von welchem wir 
in dem Folgenden erweifen werden, daß auffer ihm feine 
mehrere Götter vorhanden find, ob diefer Gott, fage ich, 
eine Einheit befige. Und da nun, allen möglichen Din— 
gen, die Einheit zukomt $. 73. fo ift auch Gott Ein Ding, 
und nicht etwa fo zu veden eine zertheilte Menge vieler Din« 
ge. Mun befist Gott, alle Bollfommenheiten, im aller 
hoͤchſten Grade $. 817. folglich komt ihm auch die Einheit, 
im allerböchiten und vollfommenften Grade, zu $. 72 
Die Einheit beiteht, in ver Ungertrenlichkeit ver Beftims 
mungen und Theile eines Dinges, In Gott find, auffer 
den Realitäten, Feine andere Beſtimmungen $. 818. Folge 

lich beitebe, die Einheit Gortes, in der vollfommenften 
UnzertrenlichEeit feiner Realitäten, oder göttlidyen Vollkom— 
mens 


80 Die Einheit Gottes. 


menheiten. Und das will dreyerley fagen: ı) In Gott 
find, alle Realitäten und Vollkommenheiten ohne Ausnah« 
me, und unzertrenlich bey einander. Die Einheit eines 
Dinges ift um fo viel gröffer, je mehrere reelle Bejtimmun« 
gen unzertrenlic in ihm bey einander find. Und es ent« 
fteht demnach, der Begrif von der geöften Einheit Gottes, 
oder von dem böchften Grade feiner Einbeit, indem wir in 
ihm die Bereinigung aller möglichen Vollkommenheiten ges 
denken. Weil Gott alfo das allervollfommenfte Ding iſt, 
fo hat er aud) in diefer erften Abficht die Einheit im hoͤchſten 
Grade $. 816. 2) In Gott find alle Bollfommenpeiten, 
in fo ferne fie famtlich im höchiten Grade genommen wer- 
den, unzertrenlich bey einander, Se gröffere reelle ‘Bes 
flimmungen in einem Dinge unzertrenlich bey einander find, 
defto gröffer ift feine Einheit, Wenn wir alfo Gott die grös 
fte Einheit zufchreiben wollen, fo müffen mir uns vorftellen, 
daß alle mögliche Vollkommenheiten, in fo ferne fie famt= 
lic) im höchften Grade bey einander find, auf eine unzer⸗ 
£renliche Art mit einander verbunden find. Weil Gott das 
allervollfommenfte Ding ift, fo befigt er alle Bollfommen« 
heiten im hoͤchſten Grade. $. 817. und es flieſt alfo, auch 
diefer höchfte Grad feiner Einheit, aus feiner höchiten Voll— 
fommenheit. 3) In Gott find alle Vollkommenheiten, 
und die allergröften Vollkommenheiten, in der allerſtarkſten 
UnzertrenlichFeit bey einander; weil es ſchlechterdings uns 
möglich ift, daß aud) nur eine einzige Vollkommenheit, 
oder ein Grad einer Vollkommenheit, von den übrigen 
folte koͤnnen getrent und in der That abgelondert werden, 
So bald eine ſolche Trennung gefhähe, würde eine Vernei— 
nung in Gott entftehen, und das ift fehlechterdings unmöge 
lich. Es befteht demnach, die allerhoͤchſte Einheit Gottes, 
in der allerftärfften und fefteften Vereinigung aller möglie 
chen Bollfommenbeiten, und zwar wenn eine iedwede im 
allerhöchiten Grade genommen wird. Um diefer vollfomas 
menften Einheit Gottes willen ift es fehlechterdings unmög« 
lich, daß auch nur eine einzige Realitaͤt, oder ein > 
rad 








Die Einheit Gottes, st 


Grad derfelben, in Gott von den übrigen folte abaefondert 
oder abaerifjen werden fönnen, fo daß Gott demohnerachtet 
noch Gott bliebe. Bey den endlichen Dingen verhält 
ſich es ganz anders. in Menſch z. E. ift Eins, in fo 
- ferne menfchliche Realitäten in ihm vereiniget find. Allein 
die Einheit eines Menfchen faßt fo wenig alle und die grö- 
fien Realitäten in fih, daß es nicht einmal nöthig ift, daß 
alle menfchliche Realitäten bey einander find. Ja wenn 
auch eine feiner Realitäten von den übrigen abgefondert wird, 
jo behält er doc) noch eine Einheit. 
. Bar. 

Den der Einheit Gottes müffen wir, noch zweyerleh, 
bemerfen. Einmal, wenn man, vermöge des vorherges 
benden Abfaßes, recht gelernt hat, worin der höchfte und _ 
vollfommenjte Örad der Einheit beſteht; fo ift man zugleich 
überzeugt, daß es ein Gott allerdings anftändiger Name 
und Begrif ift, wenn man ihn die vollfommene Einheit 
nenf, und wenn man, den Begrif von der alleraröften und 
vollfommenften Einheit, als den erften Begrif vor Gore 
annimt. Die allervollfommenfte Einheit Fan einem Din: 
ge nicht anders zugefchrieben werden, als wenn in ibm alle 
mögliche Vollkommenheiten im hoͤchſten Grade aufs unzer— 
frenlichte mit einander vereiniget find. Wenn alfo ein 
Ding die allergeöfte Einheit befist, fo flieft daraus, daß 
es alle Bollfommenbeiten, und zwar im höchften Grade, be— 
fise. Folglich) Fan die hoͤchſte Einheit Gottes, fo trocken 
und mager aud) diefer Begrif anfänglich zu ſeyn fcheinen 
möchte, als das Wefen Gottes mit Recht angenommen 
werde. Und wir haben hier ein Benfpiel, durch welches 
"dasjenige beftätiger wird, was ich $, 830. 831. erwiefen habe; 
daß nemlic), eine iedwede innerliche Vollkommenheit Got— 
- tes, fein Wefen feyn Fan. Und wenn Pothagoras Gott 
die geöfte Einheit nent, fo Fan diefer Name in einem Kopfe, 
melcher durch die Ontologie erleuchtet worden, einen unges 
mein groflen Begrif erweden. Zum andern müffen wir 
uns, für einer Mißdentung diefer göttlichen Vollkommen— 

4 Theil. F heit, 


82 Die Wahrheit Gottes. 


heit, im acht nehmen. Manche Gottesgelehrte glauben, 
die höchfte Einheit Gottes wolle fo viel fagen, als wenn in 
Gott Feine reelle Mannigfaltigfeit und Bielheit angetroffen 
werde, und als wenn alles in Gott ein und eben daffelbe 
fey. Allein hier verwechfelt man offenbar den Begrif der 
Einheit, mit dem Begriffe, welcher entfteht, wern man fid) 
Dinge als einerien vorftelt, und zwar als völlig einerley. 
Die gröfte Einheit Fan unmöglih, ohne eine unendliche 
Vielheit, gedacht werden. In der allergröften Einheit müffen 
eben deswegen , weil fie vie gröfte und vollfommenfte feyn 
ſoll, die allermeiften von einander verfchiedenen Realitäten 
mit einander umgertrenlich verbunden feyn. Folglich Fönte 
in Gott unmöglich die allergröfte Einheit ftat finden, wenn 
alles in demfelben dergeftalt ein und eben daffelbe wäre, daß 
fein veeller Unterfchied darunter fat fande, und daß, die 
verfchiedenen Vollkommenheiten Gottes, nur nach unferer 
Art zu denken von einander verſchieden wären, 


Die Wahrheit Gottes. 
S 542. 

Die Wahrheit Gottes, von welcher hier gehandelt 
erden foll, ift von feiner Wahrhaftigkeit unterfchieden, 
von welcher in dem Folgenden gehandelt werden foll, und 
welche in derjenigen Vollkommenheit befteht, vermöge wel⸗ 
cher Gott alsdenn, wenn er feinen Willen durch Worte ofa 
fenbart, niemanden dadurch unvollfommener macht. Hier 
verfiehen wir diejenige Bollfommenheit Gottes, vermöge 
welcher er Feine erdichkete und ertraͤumte Gottheit iſt, Fein 
falfcher Gott, fondern der wahre Gott, ein Wefen, wel 
ches den Namen Gottes in aller Schärfe, und nach feiner 
ftrengften ‘Bedeutung, verdient; oder dasjenige, was wir 
in dev Ontologie die metaphyſiſche Wahrbeit genent haben. 
Nun baben alle mögliche Dinge diefe Wahrheit, oder fie 
flimmen mit den allgemeinen Örundfägen der menſchlichen 
Erfentniß überein $. 90. Folglich muß auch der Gott, 
deſſen Möglichkeit und Wuͤrklichkeit wir bisher ermiefen 

haben, 


Die Wahrheit Gottes, 83 


haben, ein wahrer Gott ſeyn. Und zwar befißt Gott, diefe 
Wahrheit, im böchften und vollfommenften Grade $. 817. 
er ift unter allen möglichen Dingen dasjenige, weldyes im 
allerhoͤchſten Grade ein wahres Ding iſt. Und das will 
zweverlen fagen. 1) Er ſtimt im allerhöchften Örate, mit 
ven Sage des Widerfpruchs, überein. Nun flimt ein 
Ding mie dem Sage des Wiverfpruchs überein, in fo ferne 
es innerlic) möglic) ift. Folglich beſitzt Gott den allerhöche 
ften Grad der metaphyſiſchen Wahrheit, in fo ferne ihm bie 
alfergröfte innerlihe Moͤglichkeit zukommt, fo wohl wenn man 
ihn im Ganzen betrachtet, als wenn man eine iedwede feis 
ner innerlichen göttlichen Bollfommenbeiten insbefondere 
nimt $. 828. 2) Er ſtimt im allerhöchften Grade, mit 
dem Sage des zureihenden Örundes, überein, und zwar 
auf eine drenfache Weife. a) Weil unter feinen innerlis 
chen Vollkommenheiten, der allergroͤſte allgemeine Zuſam— 
menhang, angetroffen wird $. 829. Vermoͤge diefes Zus 
fammendanges bat, eine iedwede innerliche Bollfommenbeit 
Gortes, in ihm ſelbſt fo viele reelle Gründe, als nur eine 
Vollkommenheit haben fan, fo groffe, wichtige, fruchtbare, 
zureichende Gründe als möglich, ſo viele, groffe, wichtige, 
fruchtbare und reelle Folgen, als möglich find; und es ift 
Demnad), eine iedwede innerliche Vollkommenheit in Gott 
ſelbſt, fo fehr gegründet, als nur ein möglich Ding gegrüns 
det fenn Fan, und zwar fo feſt und unumftoßlich gegründet, 
als irgends nur möglich ift. b) Weil er in ſich Die aller 
meiſten, gröften und zureichendejten Gründe aller Mögliche 
Feiten aller möglichen Dinge, aller Wahrheiten und aller 
Wiſſenſchaften auffer fich enthält 9. 832, c) Weiler, wie 
in dem Folgenden erwiefen werden wird, und fchon aus dem 
Beweiſe ver Wirklichkeit Gottes aus der Erfahrung erhels 
let, ven allervollfommenften zureichenden Grund der Würfe 
lichkeit aller Dinge auffer fich enthält. Folglich ift er auch, 
in dem Zufammenhange mit allen Dingen auffer ſich, möge 
lich, und er beſitzt alfo auch die allergröfte bedingte Möglich- 
feit 6, 29. indem er, in allen möglichen Berbindungen mit 

52 allen 


84 Die Waͤhrheit Gottes. 


allen Dingen auffer fih, die allergröfte Möglichkeit bejist, 
Kan ein Ding ein erbichtetes und erträumtes Unding feyn, 
welches unendlich viele zureichende Gründe und Folgen hat, 
die insgefamt beftätigen, daß ein foldhes Ding, wie wir 
uns Gott bisher vorgeftele haben, gewiß und wahrhaftig da 
feyn müfle? Mein, der Gott, den wir verehren, ift wahre 
baftig der wahre Gott. Auffer ibm ift Fein Ding moͤglich, 
weldyes eine Wahrheit haben Fan, die mit der feinigen in 
ein begreiflihes Ebenmaas gefest werden Eönte. 


$. 943. 

Die metaphyſiſche Wahrheit der möglichen Dinge bes 
ftedt in der Drdnung des Mannigfaltigen, fo in ihnen ans 
getroffen wird F. 91. Da nun Gott diefe Wahrheit befige 
$. 842. fo ift auch) unter feinen Bollfommenbeiten eine Ord— 
nung anzutreffen, oder feine Vollkommenheiten find auf 
eine ordentliche Art mit einander verfnüpft. Ja da in allen 
möglichen Dingen eine Ordnung angetroffen wird $. 87. 
und alle wahre Drönung eine Meatität iſt; fo muß aud) in 
Gott Drdnung angetroffen werden, weil er nicht nur ein 
mögliches Ding ift, fondern weil ihm aud) alle wahre Rea— 
Iitäten ohne Yusnahm zufommen $. 816. Es ift aber 
noch nicht genung, wenn man blos behauptet, daß in Gott 
Ordnung angetroffen werde; fondern man muß auch fagen, 
daß in ihm die allervollfommenfte und gröfte Ordnung, die 
irgends nur möglid) ift, angetroffen werde. Und das will 
folgendes fagen: 1) In Gott find die allermeiften Reali— 
täten und Bollfommenbeiten mit einander zufammengeords 
net, denn es find in ihm alle Realitäten bey einander $. 816. 
Die Zufammenordnung der Unvollfommenbeiten ift in der 
That eine Unordnung, und wenn in einem Dinge Boll« 
fommenheiten ‚und Unvollkommenheiten bey einander find, 
fo ift in fo ferne allemal neben der Ordnung auch Unords 
nung anzutreffen, In Gott find gar Feine Unvollfommen« 
heiten möglid) $. 818, Folglich ift die Drdnung in Gort 
von einem uneflichen Umfange, weil in ihm alle mögliche 
Bollfommenbeiten, und. gar Feine Unvollfommenbeiten. zus 

ſam ⸗ 





Die Wahrheit Gottes, :85 


fammengeordnet find. _ 2) In Gore find, die allergröften 
Realitäten und Bollfommenbeiten, zufammengevrdnet. 
Wenn in einem Dinge Bollftommenheiten zufammengeord« 
net find, welche gröffer feyn Fönten, als fie find, fo iſt in 
einem folchen Dinge allemal ein Mangel einer gröffern Drds 
nung, und es fan alfo in ihm noch nicht Die allergröfte Ord— 
nung angetroffen werden. 3) In Gott find alle Bollfoms 
menheiten, nach den allermeiften wahren Kegeln, einander 
zugeordnet, folglich nach allen möglichen wahren Kegeln. 
Eine iedivede wahre Regel fließt aus einer wahren Realität, 
und eine iedwede wahre Realität und Vollkommenheit gibe 
eine wahre Regel $. 80. Da nun in Gott alle mögliche 
Healitäten angetroffen werden, fo gibt eine iedwede diefer 
Kealitäten eine Kegel, nach welcher ihr die übrigen zuges 
ordnet find, Folglich ift in Gott, die mannigfaltigfte und 
zufammengefegtefte Drönung $. 88. Das Necht der Na⸗ 
fur Gottes, wenn ic) fo veden darf, ift ein unendlich weit 
läuftiges Syſtem der Regeln der Ordnung. 4) In Gott 
find die Vollkommenheiten, nad) den allerſtaͤrkſten, wich— 
tigften und gröften Negeln, zufammengeordnet. Denn bie 
Regeln der Drdnung in Gott flieffen aus den allerftärfften 
und geöften Realitaͤten, dergleichen alle Realitaͤten in Gott 
find, und müflen alfo die allerftärfften Kegeln ſeyn $. 82. 
Die Drdnung in Gott Fan Feine unerhebliche Drdnung feyn. 
5) Alle Regeln der Drdnung in Gott flieffen insgefamt, aus 
einer einzigen allgemeinen und böchften Regel, welche die 
übrigen insgefamt in und unter fich begreift, weil widrigen« 
fals es unmoͤglich wäre, daß allerwegen in Gott Ueberein— 
ftimmung-fönte angetroffen werden.  Diefe hoͤchſte Regel 
fan man die Regel des Heften nennen: das Befte wer« 
de dem Beſten zugeordnet; oder das Beſte in möglicdyen 
Dingen werde dem Beſten zugeordnet. Das Alferbefte ift, 
in einem iedweden Falle, die gröfte Nealität und Vollkom— 
menheit. Da nun in Gott alle Bollfommenheiten die groͤ— 
ften find, $. 817. fo ift offenbar, daß alles Manniafaltige 
in Gott nad) dieſer Regel zufammengeordnet ift, Der In— 

5 3 begrif 


86 Die Wahrheit Gottes. 


begrif aller möglichen Bollfommenheiten in Gott ift alle 
fein Chaos der Vollkommenheiten, ſondern eine Vereini— 
gung derſelben, in welcher die allerſchoͤnſte, vortreflichſte 
und allergroͤſte Ordnung angetroffen wird, Seine Voll— 
fommenheiten machen ein Concert aus, in welchem eine. 
unverbeſſerliche Harmonie angetroffen wird. Gott wird 
ein Gott der Ordnung genent, weil er die Ordnung liebt, 
und in allen feinen Werfen auffer fich die möglichfte Ord— 
nung hervorbringt und erhält. Er Fan aber aud) in Dies 
ſem Verſtande ein Gott der Drdnung genent werden, weil 
in ihm felbft die allergröfte Drdnung angetroffen wird, und 
zwar ohne alle Unordnung. Alle Unordnung iff eine Ver— 
neinung und Unvollfommenheit, und es ift alfo nicht einmal 
möglich, daß, in dem Umfange der Gottheit, auch nur die 
alfergeringite Unordnung folte angetroffen werden. Alle 
Dinge auffer Gott enthalten, aller ihrer Drdnung ohner⸗ 
achtet, dennoch) immer viele Unordnung. 
S. 844 
Alle mögliche Dinge haben eine Gewisheit S. 93 
Folglich muß auch Gott, diefe Realität und Bollfommens 
heit, befißen $. 816. Der Gott, deſſen Möglichkeit und 
Würflichkeit wir erwiefen haben, ift gewiß und wahrhafs 
fig der wahre Gott. Er iſt noch dazu gewilfer ein wahres 
mögliches Ding, als alle übrige möglihe Dinge, und die 
Gewißheit, die ihm zufomt, ift die allergroͤſte $. 817. 
1) Weit feine Wahrheit die allerhöchfte ift $. 842. und 
ein Ding um eine fo viel gröffere Gewißheit hat, je gröfler 
feine Wahrheit ift $. 90. 2) Weil feine Wahrheit, feine 
Möglichkeit und Würflichfeit, aus den alfermeiften und 
allergröften Gründen und Merfmalen der Wahrheit, des 
monftrive und Elar erfant werden Fan. Und dahin gehören 
folgende Gründe, a) Aus dem Weſen Gottes Fan, feine 
Wirklichkeit, unumftößlich; erwiefen werden S. 825. 
b) Eine iedwede Vollkommenheit in Gott ift ein untrüglis 
ches Merkmal, und ein unumftöslicher Beweis, daß er 
eine iedwede andere Bollfommenheit befiße 9. 829. 831, 
Folg« 








Die Wuͤrklichkeit Gottes. 97 


Folglich hat eine iedwede Bollfommenheit in Gott unend- 
lic) viele und groffe Beweisthümer ihrer Wahrheit. c) Ein 
iedivedes mögliches Ding auffer Sort ift ein unumſtoͤslicher 
Beweis, daß ein Gott fey, und daß er alle Vollfommens 
heiten befiße; weil eine iedwede innerliche Vollkommenheit 
das Wefen Gottes, und ein iedwedes mögliches Ding 
eine Solge feines Weſens ift $. 832. 831. d) Ein iedwe— 
des würfliches Ding auffer Gote ift zufällig, und alfo ein 
unumftöslicher Beweis feiner Würflichkeit $. 821. folgs 
lich auch feines Wefens, und aller feiner Vollkommenhei— 
ten. Iſt wol eine aröffere Gewisheit möglich, als wenn 
eine Wahrheit aus alle dem, was möglich und wuͤrklich ift, 
einzeln und zufammen genommen, unumflöslid erwiefen 
werden fan? Es ift Daher ein jeder Wurm, ein jedes 
Kraut, ein jedes Sonnenſtaͤubchen eine matbematifche 
Demonftration des wahren Gottes. Und es ift eine nüßlie 
che, erbauliche und lobenswürdige Bemühung, wenn man, 
ven Beweis ver Würflichfeit Gottes aus der Zufälligkeit 
der Welt, auf viele befondere Arten der Dinge anwendet. 
Dadurcd gewöhnt man die Menfchen an, fo wie es Gott 
felbft Haben will, alle Dinge in der Welt als Prediger ver 
Gottheit zu betrachten, und in und aus allen Dingen Die 
Gottheit zu erfennen. Unterdeſſen da es uns Menfchen 
unmöglich ift, in der That aus einem iediweden Dinge in 
der Welt die Gottheit herzuleiten und zu erkennen, und mir 
mit manchen Dingen in der XBelt nieverträchtige und Gore 
unanftandige Begriffe verbinden: fo wäre es zu fabeln, 
wenn man die edelften Theile der Welt übergeben, und fo 
lange in einem Mifthaufen herum wuͤhlen wolte, bis wir 
ihn zu einem Beweiſe der Gottheit geſchickt gemacht häfs 
ten, Weil einige Gelehrte diefen Fehler begangen haben, 
fo hat daher Swift die Satyre gemacht, weldye ven 
Titel führt: erbauliche Betrachtung über 
einen. Beefenfticl, 


54 Die 


BB. .; Die UnveränderlichEeit 
Die 
Unveränderlichfeit und Nothwendigkeit Gottes. 
$ 845. 


Wir fommen jegt zu einer Bollfommenbeit Goftes, 4 


welche den-menfchlichen Berftand in eine fo groffe Verwir— 
rung feiner Begriffe ftürzt, daß alle Bemühungen der Öots 
tesgelebrten und Weltweiſen bisher vergeblich gewefen find, 
diefeibe völlig aus dem Wege zu raͤumen. Wir wolleu 
erſt dieſe göftlihe Vollkommenheit deutlich erweifen, und 
alsdenn die Schwierigkeit aufrichtig anzeigen, ‚welche fie 
uns in unferer Erfentniß verurſacht. Gott ift ein ſchlech— 
terdings nothwendiges Ding, ja er ift die einzige nothwen— 
dige Subſtanz, weil alle würfliche Dinge auffer Gott zus 
fällige Dinge find, _ Es kan diefes, auf eine Doppelte Art, 
erwiefen werden. Einmal erhellet, diefe göttliche Voll— 
fommenbeit, aus dem Beweife der Wuͤrklichkeit Gottes 
aus der Frfahrung $. Bar. Diefe Welt Fan nicht anders 
wirklich feyn, als eine Würfung einer nothwendigen Sub» 
ftanz oder würfenden Urſach, welche auffer ihr wuͤrklich iſt. 
Da nun diefe würfende Urſach eben dasjenige Wefen iff, 
welches wir Gott nennen: fo ift Gott das nothwendige 
Ding, oder die nothwendige Subſtanz $. 117. 16. Zum . 
andern erhellet, eben diefe Vollkommenheit Gottes, aufs 
unleugbarfte, aus dem Begriffe des allervollfommenften 
Dinges, und aus dem Beweife der Würflichkeit Gottes 
a priore $, 825. Vermoͤge diefes Beweifes liegt, der hin— 
reichende Grund der Wuͤrklichkeit Gottes, in feiner inner 
lichen Möglichkeit, oder in feinem Weſen. Folglich ift fie 
eine Eigenſchaft und fhlechterdings nothwendig $. 54. und 
es ift demtiach Gott ein norhivendiges Ding $. 119. Dass 
jenige ift ja fehlechterdings nothwendig, deſſen Gegentheil 
fehlechterdings und innerlich unmoͤglich ift $. 104. Nun 
ift es an und vor fich felbit ungereimt, einen wahren Gott 
zu gedenken, welcher nicht würflich ift. Denn indem wir 
einen wahren Gott gedenken, ftellen wir uns ein Ding vor, 

welches 





und Nothwendigkeit Gottes. 89 


welches alle Realitäten ohne Ausnahme beſitzt $. 316. und 
indem wir ihn als ein Ding gedenken wollen, dem die 
Wirklichkeit fehlt; fo würden wir fügen, daß er vieleNiea« 
litaten nicht habe, weil die Wuͤrklichkeit ein Inbegrif vieler 
Realitaͤten ift. Folglich ift ein Gott, welcher nicht würfe 
lich ift, ein Ding, welches zugleidy alle Nealitäten ohne 
Ausnahme hat, und auch nicht hat, und das ift der offen« 
barfte Witerfpruh. Da nun alfo, das Gegentheil der 
Wuͤrklichkeit Gottes, in Gott fehlechterdings unmöglich iſt: 
fo ift Gott nidht’nur wuͤrklich, ſondern er ift auch auf eine 
fehlechterdings nothwendige Art und Weife wuͤrklich. Die 
Würftichfeit Gottes ift eben fo nothmwendig als fein Weſen, 
und als irgend eine mathematifche Wahrheit feyn fan. Co 
wenig ſich ein Triangel ohne drey Winkel gedenken laͤſt, eben 
fo wenig fan mit Wahrheit ein wahrer Gott ohne Würf. 
lichfeit gedacht werden. Es laft ſich, dieſe Vollkommen— 
heit Gottes, blos durch unfern nachdenkenden Berftand ges 
denfen. Denn da alle Dinge, die wir, von Kindesbeinen 
an, um, neben und in uns erfahren, zufällige Dinge find; 
fo haben wir, feinen finlichen Begrif, von einer fchlechters 
dings nothwendigen Würflichfei. Und daher rührt wol 
vornemlic) die Schwierigkeit, von der ich in dem Folgenden 
reden werde. Ja Daher Fomts wohl ohne Zweifel, daß 
die allermeiften Gottesgelehrten und Weltweifen, aller ihrer 
Theorie ohnerachtet, fid) dennod) vorftellen, daß der Gott, 
fo wie er wuͤrklich ift, auch nicht wuͤrklich, fondern anders 
würflich fenn koͤnte. Unterdeſſen würde es eine groffe Ueber. 
eilung ſeyn, wenn man nun alfobald, um diefer Nothwen⸗ 
digkeit Gottes willen, fi) Gott als ein Ding vorftellen 
wolte, welches allemal auf eine fhlechterdings nothwendige 
Art würfte und handelte, und, was nod) ärger ift, als ein 
Ding, welches in allen feinen Handlungen, den nothwen- 
digen Gefegen eines blinden und unwidertreiblichen Schick— 
fals, unterworfen wäre. Dieſe Sache wird fich erft in 
dem Folgenden aufklären laffen. 


55 S. 846, 


go Die Unveränderlichkeit 


. 846. 

Aus der Nothwendigkeit der Wuͤrklichkeit Gottes, 
welche nicht etwa eine bedingte Nothwendigkeit iſt: denn 
die Wuͤrklichkeit aller zufaͤlligen Dinge in der Welt iſt auf 
eine bedingte Art nothwendig; ſondern eine innerliche und 
unbedingte, folgt zweyerley. Einmal iſt es unmoͤglich, 
daß in Gott ſolche innerliche Beſtimmungen ſeyn koͤnten, 
welche wir zufällige Beſchaffenheiten genent haben $. 54. 
Alle ſeine innerliche Realitaͤten und Vollkommenheiten ſind 
entweder weſentliche Stuͤcke, und die machen zuſammenge— 
nommen fein Weſen aus; oder es find Eigenſchaften, wels 
de zufammengenommen feine Mürflichfeit ausmadyen. 
Und weiter bat Gott Feine andern innerlichen Beftimmuns 


‚gen, Hätte er eine zufällige Befchaffenheit, fo wäre eine | 


feiner innerlichen Kealitäten zufällig, und er wäre nicht das 
nothwendige Ding 6. 118. Und da, die zufälligen Des 
fhaffenbeiten, zwar einigen aber keinen zureichenden Grund 
in dem Weſen desjenigen Dinges haben, dem fie zufom- 
men $. 54. fo müfte das Weſen Gottes, wenn er zufäl- 
lige Befchaffenheiten hätte, nicht der hinreichende Grund 
aller feiner inmerlichen Nealitäten feyn, und das ift unmögs 
lih $. 829. Wolte man dem Worte zufällige Beſchaffen— 
heit eine andere Bedeutung geben, und hernach dergleichen 


Befchaffenheiten ort zuſchreiben; fo würde man dadurch | 


in der Sache nichts gewinnen, fondern einen unnüßen | 
Wortftreit verurfahen. Es ift offenbar, daß Gore Feine | 
folche innerlichen Beftimmungen haben fönne, welche in 
Gore zufällig find, und nur auf eine unzureichende Art aus 
feinem Weſen flieffen, man nenne nun dergleichen innerliche 
Beftimmungen, wie man es für gut befindet. Zum andern 
folgt daraus, daß Gott gar Feinen innerlichen Zuftand ha— 
ben koͤnne, weil derfelbe nur in einer Subſtanz flat finden 
Fan, welche zufällige Befchaffenbeiten hat, und in fo ferne 
fie vergleichen hat $. 162. Es würde alfo ein unbequemer 
und Gott unanftandiger Ausdruck feyn, wenn man fagen 
wolre, daß Gott in dieſem oder jenem innerlichen Zuftande 


ſich 











und Nothwendigkeit Gottes. 91 


fi befinde. Was aber den äufferlichen Zuftand betrift, fo 
verhalt es fich damit ganz anders, weil derfelbe in den Vers 
haͤltniſſen eines Dinges befteht, dergleichen wir Fünftig von 
Gott erweiſen werden, 

$. 847. 

Aus der Nothwendigkeit Gottes, fo wie diefelbe in 
dem Vorhergehenden erwiefen worden, folgt feine innerliche 
Unveränderlichfeit. Gott iſt, vermöge der Nothwendig⸗ 
feit feiner Würflichfeit, ein Weſen, welches innerlich ganz 
und fchlechterdinas umveränderlich it, Denn das noth⸗ 
wendige Ding iſt allemal auch innerlich und ſchlechterdings 
unveränderlih S. 126. Da nun Gott das nothwendige 
Ding iſt $. 842. fo find auch, alle feine innerlichen Bes 
fimmungen und Vollkommenheiten, ſchlechterdings unvere 
aͤnderlich. In Gott find, Feine andern innerlichen Bes 
flimmungen als Bollfommenheiten, anzutreffen $. 818. 
Wenn nun eine berfolben veraͤnderlich wäre, fo Fünte fie 
von den übrigen nicht nur abgefondert werden, fondern an 
ihrer flat Fönte aud) die entgegengefegte Unvollfemmenpei 
in Gott würflich werden. Das erfte flreiter wider feine 
aflervollfommenfte Einheit, vermöge welcher alle feine in— 
nerlichen Vollkommenheiten fo feft mit einander vereiniget 
find, Daß feine von Der andern getrent werden fan $. 840. 
Und das andereift aud) ſchlechterdings unmöglich, weil gar 
feine Unvollkommenheit in ihm moͤglich iſt $. 835. 818. 
Folglich ift Gott Deftändig eben der Gott, der er ift, ohne 
alle Abänderung, als welche nicht REN | in ihm möglich 
ift. Diefe Unveränderlichfeit Gottes ift nicht nur ganz all⸗ 
gemein, und erftredt fich über feine gefamte innerliche Bes 
ſchaffenheit: denn, feine Berhältniffe gegen die Dinge auffer 
fich, Fönnen nicht unveränderlich ſeyn; fondern fie will aud) 
zroeyerlen fagen. Einmal, Gott it ewig einerley und eben 
daffelbe Ding, dergeftalt, daß es unmöglich ift, daß er 
nach und nach immer andere und andere innerliche Beftim- 
mungen befommen fönte. Er fan heute nicht feyn, was 
er geftern nicht war, und er fan morgen nicht werben, 

was 


Ba - Die UnveränderlichEeit 


mas er heute nicht iſt, und vordem nicht geweſen ift, was 
nemlich feine innerlichen Vollkommenheiten betrift. Er ift 


beftändig, von Ewigkeit zu Ewigkeit, einerley und eben - 


daſſelbe allervollfommenfte Ding, Die endlichen und ver« 
änderlichen Dinge, dergleichen wir Menfchen und alle übris 


gen Dinge in der Welt find, find in allen Augenbliden 


ihrer Dauer immer mas anders, als fie vorher gewefen. 
Gott bleibt, auf eine unmandelbare Art, eben derfelbe. 


Die veränderlichen Dinge find, in ihrer Würflichkeit, ein 


ſchnellflieſſender Strom. Man fehe in demfelben auf einen 
Punct, auf welchen man will, Nicht zwey Augenblice 
hinter einander fieht man, ein und eben diefelben Waſſer⸗ 
theile. Sondern ein Tropfen frit immer, an die Stelle 
eines andeın. Bey Gott verbält es fich ganz anders. 
Zum andern muß man, vermöge der Unveraͤnderlichkeit 
Gottes, behaupten, daß feine einzige feiner innerlichen 
DBeftimmungen und Realitäten in ihm nicht wuͤrklich ſeyn 
fonte, und daß alfo unmöglich Eönne angenommen werden, 
daß an deren ftat das Gegenteil verfelben ihm zufommen 
fonte. Denn da diefes Gegentheil nothwendig eine Un: 
vollfommenheit feyn müfte, fo würde man behaupten müf 
fen, es fey moͤglich, daß er nicht das allervolifommenfte 
Ding wäre, und das ift fehlechterdings unmöglich. Auf 
die Berhältniffe Gottes gegen die Welt fan und muß, 


diefe Unveränvderlichfeit Gottes, nicht ausgedehnt werden. - 


Denn da es, gar Feine fehlechterdings unveränderliche Ver— 
Hältniffe irgends eines Dinges, geben fan $. 129. fo koͤn— 
nen auch Gottes Berbältnifie nicht fchlechterdings unveräns 
derlich ſeyn. 

6. 848. 


Aus der Unveraͤnderlichkeit Gottes folgt nothwendig, 


daß ſich in Gott weder ein Entſtehen noch Vergehen geden⸗ 
fon laſſe: weil beydes eine Veraͤnderung iſt. $. 175. 176. 
Und das muß, auf eine doppelte Art, verſtanden werden. 
Einmal, Gott felbft Fan nicht entftehen und vergehen. Es 
würde hoͤchſt ungereimt feyn, eine Gottheit zu verehren, 

wel⸗ 





! 
I] 


| und Nothwendigkeit Gottes. Pr) 

) 
welche entftanden wäre; es fey nun daß man annehmen 
wolte, fie ſey aus nichts entftanden, vder aus Etwas, Wenn 
alfo die Heyden die Götter, deren Geburten und Entſte— 
-Bungsarten fie zugleich angenommen, als höchfte Gottheiten 
verehret haben , fo ift ihr erhum hödjft ungereimt. Und 
eben fo abgeſchmackt würde es feyn, wenn man annehmen 
wolte, daß der wahre Gott vergehen Fünte, es fey nun, daß 
man eine Vernichtung veffelben annehmen, oder behaupten 
wolte, daß nad) dem Untergange deffelben noch etwas von 
ihm zurüchliebe. Zum andern ift es eben fo unmöglich), 
daß, in dem Unfange der Gottheit, eine innerliche Beſtim⸗ 
mung und Vollkommenheit entjtehen oder vergehen koͤnte. 
Wenn in einem Dinge etwas entfteht und vergeht, fo ift in 
ihm etwas nach dem andern würflich, und alfo wird es im— 
mer nad) und nad) ein anderes und anderes Ding, und es 
fan alſo unmöglicy ein innerlich und fchlechterdings unver« 
änderliches Ding feyn. Folglich Fan in Gore nichts, Fein 
Gedanfe, feine Begierde, und irgends eine andere innerliche _ 
Beltimmung entftehen und vergehen. Sondern erift alles, 
was er ift, ewig und bejtandig auf einmal, 

.849, 

| Nun fan aufs unmiderfprechlichfte erwiefen werden, 

daß Gott eine folhe Subitanz fey, welche auffer der Welt 

wuͤrklich ift; oder deren Würflichfeit, von der Würflichkeie 


| 


der Welt und aller Theile verfelben, auf eine reelle Art una 7 


terfchieden ift, Es folgt diefes unmittelbar, aus dem Bes 
weife der Würflichfeit Gottes aus der Erfahrung $. 821. 
Vermoͤge diefes Beweiſes ift ein folcher Gott vorhanden, 
welcher die würfende Urfache der Welt, und alfo eine Sub» | 
ftanz ift,, die auffer der Welt würflich ift. Um ſich hievon 
einen rechten ‘Begrif zu machen, muß dreyerley bemerkt wer⸗ 
den. Einmal die ganze Welt ift nidyt Gore, und Gott ift 
nicht die Welt im Ganzen betradytet. $. 310. zı. Die 
Welt ift ein Inbegrif endlicher und unvollfommener Dinge 
$. 292. Gott aber iſt unendlich $. 914. Die Welt ift ein 
zufälliges und veränderliches Ding $. 296, 299. Gott 

aber 


94 Die Linveränderlichkeit 


aber ift das nothwendige und unveränderliche Ding $. 845. 
8347. Die Welt Fan entftehen und vergehen $. 301. 304. 
Gott aber nicht F. 8348. Kurz, es Fan auf eine vielfaitige Are 
erwiefen werden, daß Gott und die Welt zwen Dinge find, 
die einander dergeftalt entgegengefegt find, Daß ein unendli— 
cher Widerfpruch entftehen würde, wenn man fie für ein 
und eben daffelbe Ding halten wolte. Folglich ift auch uns 
leugbar, daß, die Wuͤrklichkeit Gottes und der ganzen Welt, 
zwey von einander unterfchiedene WürktichEeiten find. Zum 
andern: Gore ift fein wirklicher Theil der Welt, er ift we— 
der ein würfliches Accidenz der Welt, noch eine würfliche 
Subſtanz, welche ein Theil derfelben it. Das erfte ift 


hoͤchſt ungereimt, weil Gott eine Subſtanz ift, und das ']. 


andere ift eben fo ungereimt. Wäre Gott ein fubftantieller 
Theil der Welt, fo wäre er ein endliches und zufälliges 
Ding, weil alle würklichen Theile der Welt endlich find, 
und er koͤnte nicht das allervollflommenfte Ding feyn, weil 
Die ganze Welt unendlich vollkommener ift, als ein jeder Theil 
derfelben, und wenn er auch noch fo vollfommen feyn folte, 
Folglich ift, die Würklichfeit Gottes, Fein Theil der Wuͤrk— 
lich£eie der Welt, Zum dritten: die Würflichfeic der 
Welt fan aud) unmöglid) ein Theil der Wuͤrklichkeit Gottes 
feyn. Die Welt ift weder das Wefen, noch ein wefentlid) 
Stuͤck, nod) eine Eigenſchaft, noch eine zufällige Befchaffene 
heit Gottes, noch irgends ein Accidenz, welches in Gott, als 
feinem Subjecte, vorhanden wäre. Denn die Welt Fan 
nicht anders, als auffer Gott, würflich feyn $. 310. Die’ 
Melt enthalt nothivendig, viele Unvollfommenheiten und 
Derneinungen, in fid. Wäre fie nun in Gott würflich, 
fo müften in ihm Unvollfommenbeiten nicht nur fern koͤnnen, 
fondern auch wuͤrklich angetroffen werden, und das ift un: 
möglid) $. 818. Und nach diefer dreyfachen Erklärung 
muß man behaupten, daß Gore eine ſolche Subitanz fey, 
welche eine Würflichfeit hat, die, von der Wuͤrklichkeit der 
Welt und aller ihrer Theile, auf eine reelle Art abgeſondert 
und unterjchieden ift, dergeftalt, daß Gott und die Welt 

zwey 








und Nothwendigkeit Gottes, 95 


zwey Dinge find, deven ein iedwedes feine eigene und befons 
dere Würflichfeit hat. Wenn man fagt, Gott fen auffer 
der Welt würflich, fo Eönte es fcheinen, als leugne man da⸗ 
durch die Allgegenwart Gottes. Allein diefe Schwierigkeit 
wird, in dem Folgenden, gehoben werden. 

$. 850, 

Durch diefe Betrachtung wird der theologifche 
Spinozismus völlig widerlegt, oder der Irrthum, nach) 
welchem man behaupter, daß die Nele nicht auffer Gott 
würflich fen; fondern daß entweder Die Welt, im Ganzen 
betrachtet, Gore fen, oder daß die Welt als ein Accidenz 
in Sort, als in feinem Subjecte, würflih fy.  Diefer 
Irrthum iſt in der That ein atheiſtiſcher Irrthum, weil 
alle diejenigen, die einen wahren Gott annehmen, unter 
andern behaupten müffen, daß er eine von der Welt uns 
terfchiedene Subſtanz fen, welche auffer der Welt würfs 
lic) ift $. 812. Spinoza mag alfo in feiner Sittenlehre 
. immerhin beweifen, daß ein Gott fen, er gehört doch unter 
Die Atheiſten. Und fein Irrthum ift viel ätter, indem man 
ſchon in dem Cicero eine Ermwehnung deffelben antrift. Dies 
jenigen, weiche die Welt, im Ganzen betradjtet, fir Die Goft= 
heit halten, werden aud) Pantcheiſten genent, und es ift ein 
grober und gefährlicher Ausdrud, wenn man Gott das All 
oder ein unbegreifliches All nennt; und wenn man fagt, 
es fey fo fonnenklar, daß ein Gore vorhanden fey, daß 
man nur feine Augen auftbun dürfe, denn alles was 
man in und neben ſich fehe, fey Gott, Schon in der 
Gofmologie $. 310. 311. und in dem vorhergehenden 
Abfase, ift diefer Irrthum binlänglich widerleger worden, 
Es fcheint aber, als fey er aus einer doppelten Duelle 
entftanden. Einmal, wenn man überlegt hat, daß in 
diefer Welt fo viel Bollfommenheit vorhanden fey, daß 
wir das Ende derfelben nicht abfeben koͤnnen. Wenn man 
nun fo unbedad)tfam gewefen, und nicht bedacht hat, daß 
in diefer Welt nur fo viele und groffe Vollkommenheiten 
feyn koͤnnen, als in einem endlichen Dinge, feiner Endlich» 
keit 


96 | Die Unveränderlichkeie 


feit unbeſchadet, angetroffert werden koͤnnen: ſo hat man 
leicht ausfchweifen und denken koͤnnen, daß diefe Welt das 
fchlechterdings befte und allervollfommenfte Ding, und alfo' 
Sort ſey. Man folte aber nur gedacht haben, daß die 
Welt das allervollfommenfte endliche Ding fen; fo würde 
man, auf Diefen ungereimten Irrthum, nicht gerathen 
-feyn. Zum andern verwechfeln die Spinoziſten, ein vor 
fic) beftehendes Ding, mit einem felbfiftändigen Dinge, 
Das erſte Fan würftic) ſeyn, wenn eg gleich nicht in einem 
andern Dinge, als in feinem Subjccte, vorhanden ift; das 
legte aber fan würflich feyn, ohne als eine Würfung von 
einer würfenden Urſach auffer fich abjubangen. Mun ift 
unleugbar, daß die Theile der Welt durd) andere Dinge, 
als durch ihre Urfachen, beſtimt werden, und alfo ihrer 
Wuͤrklichkeit nad) von denfelben abhangen, dergeftalt, daß 
fie nicht würflich werden, feyn und bleiben Fönnen, wenn fte 
nicht von würfenden Urfachen in ihrer Wuͤrklichkeit unters 
ftügt werden, Folglich ift Fein Ding in der Wele felbfts 

fiandig, Wenn man durd) einen offenbaren Serthum an- 
nimt, daß die Würfungen in ihren Urfachen, als in ihren 
Subjecten, würflich find; fo muß man freylid) fagen, daß 
alle Dinge in der Welt in Gott würflich find, und man 
muß alſo ein Spingzift feyn. Allein wie leiche ift es nicht, 
diefen falfchen Gedanken zu entdecken.  Unfere Gedanfen 
werden von unferer Seele gewuͤrkt, fie find durch Die Seele 
wuͤrklich, und fie find zugleich als Accidenzien in der Seele 
würflich,, und alfo nicht auffer derfelben. Kin Kind im 
Gegentheil wird durch feine Eltern, als durch würfende 
Urfachen, wuͤrklich; allein es ift nicht in feinen Eltern, als 
in feinem Subjecte, und als ein Aceidenz derfelben würfs 
lich. Und bieher fonnen auch alle Fälle gerechnet werden, 
wenn ein Künftler ein Werk feiner Kunſt auffer ſich wuͤrk— 
ih made. Folglich koͤnnen, die Dinge in der Welt, 
freylich ihre MWürklichkeit nicht anders erhalten, als von‘ 
Gott und durch Gott; aber ihre Wirklichkeit ift nicht in 
Gott, als in ihrem Subjecte, anzutreffen. 
S. 85 








und Nothwendigkeit Gottes. 97 


$. 851. 

Die Vollkommenheit Gottes, welche wir bisher in Bes 
frachtung gezogen haben, verurfacht uns Menfchen , in uns 
fern übrigen Begriffen von Gott, eine unendliche Schwies 
tigkeit, Durch unfere bloffe Erfahrung ftellen wir uns Fein 
Ding vor, melches in feiner Würflichfeit norhwendig und 
unveränderlich if. Und da alle unfere übrigen Begriffe, 
nad) Maasgebung unferer Erfahrungen, gebildet werden: 
fo fan es nicht anders feyn, wir müffen, in unfern Bes 
griffen von Gott, ofte in fehr viele Schwierigkeiten und 
Verwirrungen gerathen. Dazu Eomt noch, daß alle unfere 
Begriffe, durd) welche wir nad) und nad) zu den Bes 
griffen von Gott und feinen Bollfommenheiten, gelangen, 
uns Realitäten vorftellen, welche in endlichen und zufällis 
gen Dingen angetroffen werden, und weldye daher mit fo 
vielen Einfchrenfungen, Berneinungen und Umftänden vera 
knuͤpft find, die in Gott gar nicht ftarfinden Eonnen. Wenn 
wir daher in Gott eine Vollkommenheit erfennen, welcye 
demjenigen, was mir in den zufälligen Dingen erfant has 
ben, ähnlih, aber auch von demfelben fehr unterfchieden 
ift: fo Ean es ofte gefchehen, daß wir diefen Unterfchied enta 
weder gar nicht, oder nicht Elar und deutlich genung einfes 
ben. Nun haben wir feine befondern Ausdrucke und Worz 
te, wodurch wir die göttlichen Vollkommenheiten allein aus— 
drucken fönten, Wenn wir daher diejenigen Worte braus 
chen, deren wir uns auch bedienen, wenn wir, von zufällis 
gen Dingen und ihren Bollfommenbeiten, reden: fo vers 
bindet unfere Einbildungsfraft affemal mit denenfelben alles 
das Unvollkommene, was mit denfelben in den zufälligen 
Dingentverbunden iſt. Nun ift offenbar, daß dadurch, un« 
fere Begriffe von Gott, falſch und der höchften Vollkom— 
menheit Gottes unanftändig werden. 3. E. wenn wir 
fehen, fo ftellen wie uns die Würfungen des Lichts in uns 
fern Augen vor, und das thut auch Gott vermöge feiner 
Allwiſſenheit. Allein unfer Sehen ift mit fo vielen Ums 
ſtaͤnden verbunden, welche ſchlechterdings bey Gott nicht 

4, Theil. G ſtat⸗ 


98 Die Unveränderlichkeit 


ftatfinden koͤnnen. Wenn wir nun fagen: Gott fieht; 
fo ift es wenigſtens bey den meiften Menſchen unvermeid- 
lich, daß fie ſich vorftellen, Gott fehe fo, wie wir Mens 
fihen feben, Daher haben die Gottesgelehrten ein unver⸗ 
gleichliches Mittel erfunden, wodurch fie verhüten, daß man 
fi) in ſolchen Fällen feine falſchen und Gott unanftändis 
gen Begriffe mache. Nemlich fie fagen: man müffe, fols 
he Bollfommenheiten, dem hoͤchſten Weſen gleichniß⸗ 
weife und nach der Analogie zuſchreiben. 3. E. Gott 
fieht gleichnißweiſe. Das will fo viel ſagen: vasjenige, 
was in unferm Sehen veel und vollfommen ift, befist Gott 
im höchften Grade, fo daß davon alles abgelondert werden 
muß, was bey unferm Sehen aus unferer Einfchrenfung 
herrühre, und der höchften Vollkommenheit Gottes wider: 
ſpricht. Wenn wir alfo durch Ausdrucke und Redensars 
ten, die von endlichen Dingen gebraucht werben, dent 
allervollfommenften Weſen etwas gleichnißweiſe zufchreis 
ben; fo bekennen wir dadurch unfere Unwiſſenheit. Wir 
verfichern, daß wir den hoben Anterfchied einer folchen Boll 
fommenbeit, fo wie fie in Gott und in den endlichen Din: 
‚gen angetroffen wird, nicht binlänglich einfehen, Wir 
warnen Dadurd) andere, daß fie in folchen Fällen ja niche 
etwa etwas unvollkommenes und unanftändiges von Gott 
denken, und wir muntern ung und andere auf, daß fie theils in 
folchen Fallen das wahre Reelle in einer ſolchen Bollfommen« 
beit dem höchften Wefen im hoͤchſten Grade und vorzüglich 
zuſchreiben, theils aber auch alles Unvollfommene, weld)es 
mit derfelben in den endlichen Dingen verbunden iſt, vor 
ber forgfäitig abfondern, ehe fie diefeibe als eine göttliche 
Bollfommendeit fi) in Gott vorftellen wollen. Gott ſieht 
und hört gleichnigweife, Das foll fo viel ſagen: das mahre 
Reelle in unfern Sehen und Hören befist Gott. im böchften 
Grade. Allein wenn man von Gott fagen will, daß er fehe 
und höre, fo muß man alles Unvollfommene abſondern, 
was mit unferm Geſicht und Gehör verbunden ift.. Wer 
diefe Sache unpartheyiſch überlege, der wird fo weit ent 

fernt 





und Nothwendigkeit Gottes, 99 


ferne ſeyn, Diefe Art von Gott zu denken und zu. reden, zu 
fadeln, Daß er vielmehr Die Beſcheidenheit und Behutſam—⸗ 
keit derjenigen Gottesgelehrten und Weltweifen loben wird, 
die mit fo vieler Vorſichtigkeit von Gott denken und reden, 
Allein dag würde eine gottlofe Schalfheit feyn, wenn man 
gleichnißweiſe Gott etwas zuſchreibt, und man wolte damit 
fo viel zu verftehen geben : man habe in Gott etwas —J 
welches ungereimt und unmoͤglich iſt, man wolle aber nicht 
gerne ſo zu reden das Geſchwuͤr anruͤhren, und mit der 
Sprache herausruͤcken. Man bediene ſich daher dieſer Re— 
densart nur, um die Gottheit bey Ehren zu erhalten, und 
den Leuten die Augen nicht zu oͤfnen. Es iſt ganz was an⸗ 
ders, wenn man ſagt: man verſtehe etwas in Gott gar 
nicht, oder nicht hinlaͤnglich, man koͤnne kein Wort und 
feinen Begrif von demfelben finden, welche ohne alle Uns 
anftändigfeit von Gott gebraucht werben koͤnnen; und was 
anders ift es, wenn man fagt, man erblicke einen offenba« 
ren Widerſpruch in der Gottheit, man wolle aber denſelben 
nicht berühren, fondern über denſelben blindlings wegfchleis 
chen. Das legte muß uns niemals in den Sinn kommen, 
wenn wir gleichnißmeife von Gott Denfen und reden, Wenn 
wir in theologifchen Begriffen und Sägen einen Wider⸗ 
ſpruch entdecken, fo müffen wir daraus nicht ſchlieſſen, daß 
in Gott ſelbſt diefe Widerſpruch angetroffen werde, und daß 
alfo Gott ein unmögliches Ding fen, welches nicht wiirflich 
ift. Sondern wir müffen daraus fchlieffen, Daß diefe Bea 
griffe und Saͤtze falſch find, und wir müffen daher fo ehr— 
lic) feyn, und unfere bisherigen Meinungen von Gott 
andern und verbefferh, 
§. 852. 

Wenn wir nun, auf bie vorbin beſchriebene Art, 
gleichnißweiſe von Gott denfen und reden, fo Fan in ben 
allermeiiten Fällen daher, gar Feine erhebliche und unübers 
windlihe Schwierigkeit, entftehen. Allein es gibt gewiffe 
innerlihe Realitäten und wuͤrkliche Beſtimmungen Got« 
tes, welche unſere Erkentniß in eine ungemeine Verwir— 

62 rung 


100 Die UnveränderlichEeit 


rung ffürzen, und alle Bemühungen find bisher vergeblich 
gewefen, dieſe Verwirrung unferer Begriffe völlig aus dem 
Wege zu räumen, Nemlich es ift eine vollfommen deut— 
liche und ausgemachte Wahrheit, daß in Gott gar Feine 
zufälligen Beſchaffenheiten ftatfinden koͤnnen; fondern daß 
alle feine innerlichen Beftimmungen, die nicht zu feinem 
Weſen gehören, Eigenichaften find, und aljo insgeſamt 
eine unbedingte Nothwendigkeit haben $. 845. Nun bat 
Gott gewifle innerliche Beftimmungen, z. €. feine frenen 
Rathſchluͤſſe uͤber diefe Welt, welche im hoͤchſten Grade 
frey find, wie unten erwielen werden wird. Cs iſt aus 
der aefunden Vernunft unmiderfprechlich klar, daß freye 
Handlungen eine Zufälligfeit haben müffen, und daß fie 
alfo nicht in allen Abfichten fchlechterdings nothwendig 
feyn fünnen. Sind diefe innerlihen Beltimmungen Got« 
tes fchlechterdings nothwendig, oder zufällig? Iſt das erfte, 
fo find z. E. vie göttlichen Rathſchluͤſſe nicht frey, und 
Gott Fan unmöglich einen wahren freyen Willen befigen. 
Iſt das andere, fo ift Gott ein zufälliges Ding. Wie foll 
fih unfere Bernunft, aus diefem Labyrinthe, herausmwiceln ? 
Ich befenne aufrichtig, meine Unmiffenheit in dieſem Puncte. 
Es ift diefes eine Sache, die über meinen Berftand gebt, 
und ich fehlieffe daraus, daß es eine Art der Eigenſchaften 
gebe, von denen ic) Feinen netten Begrif habe, weil wir 
dergleichen Cigenfchaften bey feinem endlichen Dinge ans 
treffen. Es find nleichfam zufällige Befchaffenbeis 
ten (analoga modorum), oder ſolche innerliche Beſtim— 
mungen Gottes, welche zwar in dem göttlichen Wefen ihren 
völligen binreichenden Grund haben, und, aus demfelben 
allein, ihrer Möglichkeit und Wuͤrklichkeit nach, in Gott 
flieſſen, die aber nur in fo ferne auf eine bedingte Art nothe 
wendig find, in fo ferne ihre WürflichFeit in Gott die 
Wirklichkeit zufälliger Dinge auffer Gott vorausfegt. Diefe 
gleichfam zufälligen Befchaffenheiten Gottes find Feine zu— 
fälligen Befchaffenkeiten, dergleichen wir bey uns und ane 
dern endlichen Dingen antreffen: denn die haben Feinen 

bins 





und Nothwendigkeit Gottes. 107 


binreihenden Grund in dem Weſen derjenigen Dinge, des 
nen fie zufommen. Sie find ihnen aber ähnlich), in fo 
ferne fie nur hypothetiſch nothwendig find, wie denn’ alle 
zufällige Beſchaffenheiten aller Dinge in diefer Welt hypo— 
thetiſch nothwendig find. Sie find wahre Eigenfihaften, 
aber von allen Eigenfchaften aller endlihen Dinge darin 
verfchieden,, weil die legtern gar Feine hypothetiſche Moths 
wendizfeit haben, fondern in allen Abſichten ſchlechterdings 
nothwendig find, Folglich Eönte man fagen, Daß die 
gleichſam zufälligen Beſchaffenheiten Gottes diejenigen ine 
nerlichen Beſtimmungen Gottes find, welche fi auf die 
Wuͤrklichkeit zufälliger Dinge auffer Gott beziehen, z. & 
feine Rathſchluͤſſe über die Welt. Mithin koͤnnen und muͤſ— 
fen fie, auf eine doppelte Art, betrachtet werden. Einmal, 
in fo ferne fie blos ihren völligen und binveichenden Grund 
in Gott ſelbſt haben, und in diefer Abficht find fie Eigen» 
haften, und fihlechterdings nothwendige Beſtimmungen 
Gottes: ı) Weil, der hinreichende Grund ihrer Würflich« 
feit, in dem Weſen Gottes liegt. Ein zufälliges Ding 
fan eine zufällige Befchaffenheit auch nicht würflich haben: 
denn durdy fein Wefen wird, die Wuͤrklichkeit feiner zufäls 
ligen Befchaffenheiten, nicht hinreichend beftimt. Allein 
alles, was in Gott würflidy iſt, und alfo auch feine gleich“ 
fan zufälligen Befchaffenbeiten, wird feiner Würflichkeit 
nah, durchs Wefen Gottes, zureichend beftimt. 2) Weil, 
der hinreichende Grund ihrer ewigen, beftändigen und uns 
veränderlihen Fortdauer, in den Werfen Gottes. liegt. 
Die Kardfhlüffe Gottes, welche wuͤrklich in ihm angetrofs 
fen werden, find ewig und unveränderlich in ihm, Die 
endlichen Dinge haben bald eine zufällige Befchaffenheit, 
bald nicht, und an deren ftat eine andere. Wir Dienfchen 
falten bald einen Rathſchluß, bald laffen wir ihn wiederum 
fahren, und entfchlieffen uns anders. Wenn man aber 
zum andern, dieſe gleichfam zufälligen Befchaffendeiten 
Gottes, in ihrer Beziehung auf die endlichen wuͤrklichen 
Dinge betrachtet, fo ı) find fie darin den zufälligen Be— 

G 3 ſchaf⸗ 


102, Die Unveränderl, und Nothwendigkeit Bottes, 


ſchaffenheiten endlicher Dinge ähnlich, daß fie die Würfe 
lichkeit zufälliger Dinge auffer Gott vorausfegen, und 
wenn alfo Diefe nicht würflich wären, fo wären jene aud) 
in Gott nicht wuͤrklich, fondern an deren ftat von Ewigkeit 
zu Ewigkeit andere. 3. E. wenn diefe Welt nicht wuͤrk⸗ 
lid) wäre, fo würde zwar die Begierde Gottes nach diefer 
Welt, welche jego feinen Rathſchluß über diefe Welt aus— 
macht, in ihm ewig würflich gewefen feyn, allein fie wuͤr⸗ 
de Fein Rathſchluß feyn, fondern es würde ein Rathſchluß 
über eine andere Welt ewig in Gott gewefen fern. 2) Sie 
haben eine hypothetiſche Nothwendigkeit im allerhoͤchſten 
Grade. Die zufaͤlligen Beſchaffenheiten endlicher Dinge 
haben nur hoͤchſtens, die groͤſte hypothetiſche Nothwendig⸗ 
keit, in derjenigen Welt, in welcher ſie wuͤrklich ſind. Die 
gleichſam zufälligen Beſchaffenheiten Gottes aber haben, die 
allergröfte hypothetiſche Nothwendigkeit, in dem Zufam: 
menhange Öottes mit allen möglichen Dingen auffer Gott. 
Folglich enthält das Wefen Gottes, in fo ferne es die Quelle 
aller übrigen möglichen Dinge ift, den hinreichenden Grund, 
warum, eben diefe und Feine andere gleichfan zufälligen 
Defchaffenheiten Gertes, ewig, beftändig und unverändert 
in Gott wirklich find. Es ift demnach Elar, daß diefe 
gleichſam zufälligen Befchaffenheiten Gottes, die innerliche 
Nochwendigfeit und Unveränverlichkeit Gottes, nicht auf— 
heben; fondern daß ihre Veränderlichfeit, in ihrer Bezie— 
bung auf die zufälligen Dinge auffer Gott, angetroffen 
werde, Es ift aber in der Dntologie fehon erwieſen wor— 
den, daß Fein Verhaͤltniß ſchlechterdings nothwendig und 
unveränderlich feyn koͤnne. Unterdeſſen wird ein jeder Leſer 
aus feiner Erfahrung erkennen, daß, dieſer Erklärung 
ohnerachtet, noch viele Dunkelheit und Verwirrung in dies 
fer Sache übrig bleibe. Wer diefen Knoten auf eine be⸗ 
greiflichere und leichtere Are auflöfen Fan, der wird 
‚ohne Zweifel ein groffes Lob 
verdienen, 


Die 








Die Unendlichkeit Bottes. 163 
Die Unendlichkeit Gottes. 


$. 853. 

Die Unendlichkeit Gottes Fan, auf eine zweyfache Ark, 
ermwiefen werden, Einmal erhellet fie, aus dem Beweiſe 
der Würflichkeie Gottes aus der Erfahrung $. 821. Ders 
möge diefes Beweiſes it Gott eine nothwendige Subſtanz, 


ein Ding, welches nicht nur auffer der Welt würflich iſt, 


fondern auch auf eine fchlechterdings nothwendige Ark, 
Nun ift das norhwendige Ding zugleich wahrhaftig unends 
lich S. 193. folglich ift Gott eine Subſtanz, welche in der 
That und auf eine reelle Art unendlich if. Zum andern 
flieft, die Unendlichkeit Gottes, aus feiner allerhöchiten 
Vollkommenheit. Wenn man einen Öote glaubt, fo muß 
man ſich denfelben als das Ding vorftellen, welches ſchlech— 
terdings das alfervollfommenfte if, Folglich hat Gott 
nicht nur alle Vollkommenheiten und Realitäten ohne Ausa 
nahme, fondern auch eine iedwede im allerhoͤchſten Grode 
8. 816. 817.  Mun fan Fein höherer Grad der Reaglitaͤt 
möglich feyn, als derjenige, welcher alle möglichen Realitaͤ— 
ten und eine iedwede im höchiten Grade in fic) begreift, 
Folglich beſitzt Gott, den allerhödhften Grad der Realität, 
In diefem Grade beftehe die reelle Unendlichkeit $. 191. 
Folglich ift Gott unendlich), oder durchgehends uneinges 
ſchrenkt. Wäre Gott in irgends einer Abſicht eingefchrenft 
und endlich, fo müfte er eine Realität oder Vollkommenheit 
befisen, welche noch gröffer feyn Fonte. Alſo wäre fie fo, 
wie fie in Gott wäre, nicht fehlechterdings die allergröfte 
in ihrer Art, und es befäffe alfo Gore nicht die fchlechters 


dings allergröften Vollkommenheiten, weldyes ungereimt 


iſt $. gı7. Wenn man die Unendlichfeit Gottes gehörig 
denken will, fo muß man fie, einmal, ja nicht mit der 
mathematifchen Unendlichkeit verwechfen $. 191. Das 
hieſſe in der That Gott befhimpfen und ungereime denken, 
wenn mau ihn für ein mathematiſch unendlihes Ding 


balten wolte. Man würde dadurd) weiter nichts fagen, 


G 4 als: 


104 Die Unendlichkeit Hottes. 


als: entweder er habe Schranfen, man Fönne fie aber nicht 
angeben , oder man wolle diefelben nicht angeben, oder wir 
Menfchen Fönten uns nichts gröfferes vorftellen als Gott iſt, 
oder er fen nur im diefer oder jener Abſicht nicht eingefchrenft. 
Sondern wenn wir ung einen richtigen Begrif von Gottes 
Unendlichfeit machen wollen , fo müffen wir uns ihn fehlech« 
terdings, als das allervollfommenfte und reellefte Ding, 
vorftellen, welches in keinerley Abficht eingeſchrenkt iſt, und 
welches nicht nur alle Vollkommenheiten befigt, fondern 
auch eine iedwede im allerhöchften Grade, und ohne alle 
Einfchrenfung. Folglich befteht, die Unendlichkeit Gottes, 
in demjenigen Grade der Nealität und Vollkommenheit, 
welcher ſchlechterdings der gröfte it. Zum andern würde 
man viel zu wenig denken, wenn man bie Unendlichkeit 
Gottes blos auf feine Dauer einfchrenfen wolte, als wenn 
er blos deswegen das unendliche Ding wäre, weil er ohne 
Anfang und Ende ewig wuͤrklich iſt. Diefes gehört zwar | 
mit zu der Unendlichkeit Gottes, allein die legtere begreift | 
noch mehr in fih. Zum dritten würde es ein groffer Feh— 
ler feyn, wenn man ſich einen groben finlihen Begrif von 
der Unendlichkeit Gottes machen, und fich vorftellen wolte, 
er fen Deswegen unendlich, weil er Feine Grenzen der Aus: 
dehnung, feinen Limfang babe, und in Feinen eingefchrenf- 
ten Raum eingefchloffen werden Fonne. Gott hat gar Feine 
Ausdehnung, wie aus dem Folgenden erhellen wird, und er 
iſt demohnerachtet wahrbaftig unendlich, 
! $- 954. 

Wenn man fich die UnendlicyFeit Gottes gehörig vor⸗ 
ftellen will, fo ift es nod) nicht genug, wenn man ihm im 
Ganzen betrachtet viefe Vollkommenheit zufchreibt; fondern 
man muß ihm diefelbe auch, in Abſicht auf alle feine inners 
lichen Bollfommenbeiten, beylegen. Gott it nicht nur ein 
unendliches Ding, fondern auch eine iedwede feiner innerlichen 





Vollkommenheiten, Nealitäten und Beſtimmungen, fein | 


Wefen, ein iedıvedes feiner weſentlichen Stüde, und eine 
iedwede feiner Eigenfchaften, iſt wahrhaftig unendlich und 
uns 











Die Unendlichkeit Bottes. 105 


uneingefehrenft. Seine Erfentniß, feine Macht, feine 
Weisheit ift unendlih u. fe w. Denn wenn auch nur, 
eine einzige feiner innerlichen Bollfommenbeiten, endlich 
und eingefchrenft wäre; fo hätte Gott, in einer gemiffen 
Abſicht, eine Einſchrenkung. Da er alfo nicht Durchges 
hends uneingefchrenft ware, fo wäre er auch nicht das uns 
endliche Ding, weil daffelbe gar Feine Schranfen haben 
muß $. 191. ben diefes erhellet, aus dem ‘Begriffe der 
allerhöchften Bollfommenbeit. Gott hat nicht nur alle 
Vollkommenheiten zufammengenommen, fondern eine ied— 
wede feiner innerlichen Bollfommenbeiten ift auch vie aller 
geöfte 9, 817. Folglich hat Feine feiner innerlichen Boll: 
fommenbeiten einen Grad ihrer Nealität, der noch gröffer 
fenn Fönte, In einem folchen Grade befteht die Kinfchren. 
fung F. 191. Folglich ift Feine innerfihe Bollfommen. 
heit Gottes eingefchrenft, fondern eine iedwede ift unend« 
lich. In Gott ift demnach eine unendliche Menge unend« 
licher Bollfommenbeiten. a es find nicht nur in Gore 
gar feine Schranken, fondern es find auch Feine in ihm 
möglih. Denn alle Schranken find Verneinungen $. 191. 
Nun find in Gott Feine Berneinungen moͤglich $. 818. 
folglich ift es fehlechterdings unmöglich, daß entweder Gott, 
oder eine feiner innerlichen Vollkommenheiten, folte koͤnnen 
eingefchrenft werden. Und dadurch unterfcheider fi), die 
göttliche Unendlichkeit, von einer iedweden Unendlichkeit, 
die man einer Creatur in gewiffer Abficht beylegen Fan, Ges 
fest 5. €. dieſe Welt habe gar Feine Grenzen der Aus— 
dehnung, fondern die Reihe der Förperlichen Dinge gehe 
wahrhaftig ohne alles Ende fort; fo wird deswegen die Welt 
fein foiches unendliches Ding, als Gott ift. Sie hat als- 
denn zwar Feine Grenzen der Yusdehnung, allein fie koͤnte 
doch vergleichen haben, und alle ihre Theile find eingefchrenft, 
Folglich ift und bleibe die Welt demohnerachtet, ein endli— 
ches und eingefchrenftes Ding. ben fo, wenn man an— 
nimt, daß die menfchlihe Seele ewig lebt, fo hat lhre 
Dauer fein Ende, und alfo — feine Schran⸗ 

5 fen, 


156 - Die Linendlichkeit Gottes, 


Een. Allein da fie doch ein Ende nehmen fönte, und da fie 
in einent iedweden Augenblide ihrer Dauer eingefchrenke 
iſt, fo iſt fie demohnerachtet ein endliches Ding. Es ift 
alfo ein Beweis, daß man Die wahre göttliche Unendlichfeie 
fehr ſchlecht kenne, wenn man diejenigen, weiche der Welt 
die Schranfen der Ausdehnung und der Fortdauer abfpres 
chen, beſchuldiget, als legten fie der Welt eine görtliche 
Vollkommenheit bey, und machten aus ihr in ver That 
eine Gottheit, 


$. 855, 

Wir müflen, die reelle Unendlichkeit aller innerlichen 
örtlichen Vollkommenheiten, noch genauer unterfuchen. 
Nemlich Eeine einzige Realität und Vollkommenheit Fan in 
einem Dinge wahrhaftig unendlich feyn, wenn nicht alle 
übrigen möglichen Realitäten im höchften Grade mit ihr 
verbunden, und mit ihr zugleich in eben demfelben Dinge 
angetroffen werden. Eine iedwede Bollfommenbeit muß 
einen hinreichenden Grund, und fie muß auch Folgen has 
ben $. 34. 36. Dieſer hinreichende Grund, und diefe 
Folgen, muͤſſen Realitäten und Vollkommenheiten feyn 
$. 135. 134, Folglich gehöre es zu der Realitaͤt einer Bolla 
kommenheit, daß fie Realitäten zu ihren Folgen und Grüns 
den habe. In je mehren und gröffern Realitaͤten eine 
Vollkommenheit alfo zureichend gegründet ift, und je meh— 
vere und gröffere Realitaͤten auf eine zureichende Art aus ihe 
folgen, defto reeller ift fie. Der allerhöchfte Grad der Re— 
alität, das ift die Unendlichkeit einer Vollkommenheit, Fan 
gar nicht ftatfinden, wenn fie nicht in allen übrigen allers 
gröften Vollkommenheiten zureichend gegründet ift, und wenn 
fie nicht der zureichende Grund aller übrigen allevgröften 
Vollkommenheiten if. Wo der hinreichende Grund ift, 
da ift auch allemal feine Folge, und wo die Felge ift, da ift 
aud) ver zureichende Grund derſelben zugleich vorhanden, 
Folglich Ean Feine einzige Vollkommenheit in einem Dinge 
unendlich feyn, wenn nicht zugleidy neben ihr ‚alle übrige 
Bolllommenbeiten im böchften Grade dergeftalt angetroffen 

werden, 


> en — 








Die Unendlichkeit Bottes. 107 


werden, daß fie mit ihr in der gröften, fefteften und vollkom— 
menſten Berbindung ſtehen. Es koͤnte demnach Feine eins 
zige goͤttliche Vollkommenheit eine reelle Unendlichkeit in 
Gott haben, wenn ſie nicht mit allen uͤbrigen goͤttlichen 
Vollkommenheiten zugleich in Gott angetroffen wuͤrde, mit 
ihnen im hoͤchſten Grade verbunden waͤre, und mit ihnen 
aufs aller vollkommenſte zuſammenſtimte. Hieraus erhellet 
alſo dreyerley. Einmal: wo auch nur eine einzige goͤttli— 
che Vollkommenheit angetroffen wird, da muͤſſen alle übris 
gen zugleich) da feyn: und dasjenige Ding, welches eine 
einzige göttliche Vollkommenheit befist, muß fie ſaͤmtlich bes 
fisen, und mithin der wahre Gott ſeyn. Wenn daher eva 
wieſen werden fan, daß Chriftus aud) nur eine einzige 
göttliche Vollkommenheit, vermöge der Verficherung der 
heiligen Schrift, beſitzt: fo iſt dargethan, Daß er der wahre 
Gott ſey. Mur muß man fih hüten, daß man diefes 
nicht etwa von einer Vollkommenheit verfiehe, die zwar eis 
ner göttlichen Vollkommenheit ähnlich, die aber in der That 
nicht unendlich it. Z. E. wenn man der Welt die Unend« 
lichkeit in Abſicht ihrer Ausdehnung zufchreibt, fo ift diefelz 
be feine göttliche Unendlichkeit. Und da man alfo Dadurd) 
der Welt in der That Feine göttlihe Vollkommenheit zu- 
ſchreibt, fo Fan auch daraus nicht gefchloffen werden, daß 
man ihr alle übrigen göttlichen Bollfommenbeiten beylegen, 
und fie als eine Gottheit anfehen müfle. Zum andern: 
ein Ding, in welchem alle Bollfommenheiten angetroffen 
werden, hat auch die allergröften Vollkommenheiten; denn 
alle Vollkommenheiten faffen auch die allergrörten in fich. 
Wenn ein Ding zwar alle Bolfommenheiten, aber nicht die 
gröften, beſaͤſſe, fo fehlten ihm die höhern Grade der Voll—⸗ 
kommenheiten. Da nun diefe Grade auch Vollkommen— 
beiten find, fo müfte ein folches Ding alle Vollkommen— 
beiten befigen, und es müften ihm zugleich viele fehlen, und 
das ift ein offenbarer Widerfpruch. Zum dritten wird 
dasjenige beftätiget, was ich q. 831. bemerkt habe, nems 
Lid) daß eine iedwede innerliche Vollkommenheit Bottes, als 
das 





108 Die LinendlichEeit Bottes, 


das Wefen Gottes, angefehen werden fan, Denn da id) 
jego erwiefen babe, daß Feine Bollfommenbeit unendlic) 
ſeyn fonne, wenn fie nicht den hinreichenden Grund aller 
übrigen hoͤchſten Bollfommenheiten enthält, aus dem hin: 
reichenden Grunde aber feine Folge Fan hergeleitet werden: 
fo kan eine iedwede innerliche Vollkommenheit Gottes, als 
die erfte Duelle alier übrigen Bollfommenheiten in Gott, 
angefehen werden. Da nun Diefe erfte Duelle das Weſen 
Gottes ift, fo flieft es aus der Unendlichfeit Gottes, daß 
eine iedwede innerliche göttliche Vollkommenheit fein Wefen 


fey. 
$. 856. 

Um unfern Begrif von der Unendlichfeit Gortes, fo 
weit es unferm eingefchrenkten Berftande moglich iſt, vollends 
zu vollenden: jo muͤſſen wir noch bemerfen, daß in Gore 
alles, alle innerlihe Realitäten, die in ihm moͤglich find, 
auf einmal und zugleich würflid find: denn fo iſt das uns 
endliche Ding befchaffen $. 194. Gott wird nicht etwa nad) 
und nach dasjenige würklih, mas er feyn kan; fondern 
feine Würflichfeit ift beftändig feinem unendlihen Wefen 
gleich, feine Würftichfeie ift die Erfüllung feines ganzen 
Weſens, und alles was durch fein Weſen in ihra möglich 
ift, das ift beſtandig auf einmal da. Und aud) in diefem 
Stuͤcke ift der unendliche Gott unendlich verfihieden,, von 
allen endlichen Dingen, denen in diefer oder jener Abfiche 
eine Unendlichkeit beygelegt wird. Geſetzt diefe Welt fey 
ihrer Ausdehnung und Dauer nach unendlich), fo wird fie 
doch nur nach und nach dasjenige wirklich, was fie feyn 
fan. Sie ift in feinem Augenblicke ihrer Dauer alles in 
der That, was fie feyn Fan, und ihre Wuͤrklichkeit ift nie— 
mals ſo geos, als ihr Wefen. Das Wefen der Welt ift 
ein Plan, der nur nach und nach ausgeführt wird, und 
es ift Fein Zeitpunct möglich, in welchem er ganz ausges 
führe wäre. Bey Gott aber verhält es ſich ganz anders, 
Sein Weſen ift ein Plan, welcher durchaus in allen Punca 
ten erjüle if. Er wird niche nad) und nach ausgeführt. 

Sons 





Die Ewigkeit Gottes. 109 


Sondern alles in Gott ift auf einmal da. Wir haben 
ſchon erwiefen, daß wir bey Gott, von der Moͤglichkeit 
auf die Würflichkeit fchlieffen Fonnen. S. 854. Bey der 
beften Welt Fan man einen aͤhnlichen Schluß machen, aber 
auf eine fehr verfchiedene Art. Es iſt wahr, in der beften 
Welt ift alles Reelle und Vollkommene würklih, was nur 
irgends in einem endlichen Dinge möglich if. Wenn man 
alfo erweifen fan, daß in der beften Welt etwas möglic) 
ift, fo muß es auch irgends zu einer Zeit in ihr würflich ſeyn 
oder werden. Allein daraus folgt nur, daß die befte Welt 
nad) und nach werden muß, was fie feyn Fan, Sie ift 
alfo, in Eeinem Puncte ihrer Dauer, die ganze befte Welt. 
Allein, die Möglichkeit einer Vollkommenheit in Gott, ift 
mit ihrer Würflichfeit zugleih da. Er wird alfo nicht nad) 
und nad) das allervollfommenfte Ding, fondern er ift bes 
ftändig in der That daſſelbe Ding, er ift in einem iedweden 
Augenblice, in welchem eine Greatur an ihn denken Fan, 


der ganze Gott, das ganze allerwollfommenfte Ding. Bon 
_ einem endlichen würflichen Dinge Fan man, in allen Augens 


blien feiner Dauer, fagen, daß es in einer Abſicht wuͤrk— 
lich, und in einer andern zu qleicher Zeit nicht wuͤrklich fey. 
Gott aber ift, im ftrenaften Berftande, beftandig würflich. 
Es ift Eeine Abficht möglich, in welcher wir von ihm fagen 
koͤnten, daß er nicht wuͤrklich ſey. Und alfo ift feine Würfe 
licjkeit eben fo unendlich, als fein Weſen, und als irgends 
eine andere feiner innerlichen Bollfommenbeiten feyn Fan, 


Die Ewigkeit Gottes, 
§. 857. 

Bey der Ewigkeit Gottes ift es das ſchwerſte, daß 
man fich die unendliche Fortdauer Gottes, nicht als eine 
unendlic)e Zeit vorftelle. Zu dem Ende wollen wir erſt 
vorläufig unterfuchen: ob man fagen Fünne, daß Sort in 
der Zeit würflich fey, und in einer Zeit fortdaure? Um diefe 
Frage gründlich zu entſcheiden, muͤſſen wir folgendes bes 
merfen: 1) in Gott felbft, in dem ganzen Umfange der 

Gott: 


uo Die Ewigkeit Gottes. 


Gottheit, und in der ganzen Strede, feiner” Fortdauer , ift 
gar feine Zeitz und wenn auffer Gott gar Feine zufälligen 
"Dinge vorhanden wären, fo würde überall gar eine Zeit 
feyn und angetroffen werden. Denn die Zeit befteht in 
der Ordnung Der Dinge, die nad) einander würflich find, 
und auf einander folgen $. 183... Wo alfa Feine Reihe 
folcher Dinge wuͤrklich iſt, Die auf einander folgen, da iſt 
aud) feine Zeit möglic) und wuͤrklich. Mun ift Gott, ver 
möge feiner Unendlichkeit, alles auf einmal und zugleich 
wuͤrklich, was er innerlich ſeyn fan S. 856. Folglich iſt 
in Gott nichts ſpaͤter oder eher wuͤrklich als das andere, 
nichts folgt auf etwas anders, oder gebt vor ihm ber, ſon⸗ 
dern alles if auf einmal 0% Cs iſt demnach ſchlechter⸗ 
dings unmoͤglich, daß in Gott ſelbſt eine Zeit ſolte koͤnnen 
angetroffen werden. Kein Gedanke in dem goͤttlichen Ver— 
ſtande folgt auf den andern, keine Begierde und Neigung | 
auf. die andere; fonbern er if alles, was er ift, geſtern und 
heute, und derfeibe auch in Ewigkeit. Uns Menſchen if 
es freylich unmöglich, eine Fortdauer ohne Zeit zu gedens 
fen; weil alle unfere Exrfabrungsbegriffe, die wir von Der 
Fortdauer der Dinge haben, den Begrif von einer Zeitfolge 
in ſich ſchlleſſen. Man Fan daher auch nicht anders als 
von Gott dergeſtalt reden, daß Die Redensarten ſich auf 
die Zeit beziehen. Man Ean nicht anders als fagen : mas 


Gott von Ewigfeit her geweſen, das ift er noch jeßt, und, 


wird es Morgen und in alle Ewigkeit bleiben. Allein aus 
unferer Art zu denken folgt nicht, daß in Gore felbft eine 
Zeit ſeyn muͤſſe. Es folgt nur daraus fo viel, daß wir 
nicht vermögend find, uns, von der Fortdauer Gottes, in 
fo ferne fie Feine Zeitfolge in fich enthalt, einen bejahenden 
und reellen Begrif zu machen. 2) Da auffer Gott, in 
der Welt, eine Zeit würftich iſt; ſo Fan er aud) nicht dere 
geftalt in der auffer ihm befindlichen Zeit wuͤrklich ſeyn, daß 
er in Die Reihe ver auf einander folgenden Dinge, in deren 
Ordnung die. Zeit befteht, als ein Theil gehörte... Denn 
widrigenfals müfte er entweder auf andere Dinge folgen, 
und 








Die Ewigkeit Gottes. ııE 


und fo hätte er einen Anfang gehabt; ober. es müften andere 
Dinge auf ihn folgen, und alsdenn müfte er ein Ende neds 
mens beydes aber iſt finlechterding® unmoͤglich . 848: 
Wenn man alfo fagt: Gott ift geſtern, oder in der vorigen 
Zeit, geweſen; fo muß man c8 nicht fo verſtehen, als wenn 
die Dinge, die heute würflich find, auf ibn folgten. Und 
wenn man fagt: Gott wird Fünftig feynz fo muß man es 
nicht fo. verfiehen, als wenn Die vergangenen und gegen— 
wärtigen Dinge vor ihm wuͤrklich gewefen wären. 3) Gott 
ift ein immerwährendes Ding $. 231. Weil er nicht enf« 
ftanden ift, fo ift er zugleich mit allen vergangenen Dingen, 
und. alfo mit der ganzen vergangenen Zeit, da gewelen« 
Und da er nicht vergehen Fan, fo ift er nicht nur mit ber 
gegenwärtigen Zeit, und allen gegenwärtigen Dingen, zus 
gleich würflichz -fondern er wird auch in allen zukünftigen 
Zeiten, und mit allen zufünftigen Dingen, zugleich wuͤrk— 
lich ſeyn. Und in dieſem Verftande fan man fagen, Gore 
ift in allen Zeiten wuͤrklich. Neben ihm und auſſer ihm 
flieſt, der ganze Strom der Zeit, ſamt allen Diagen, die 
auf-einander foigen, dergeſtalt vorbey, daß er felbft mit 
diefem Strome nicht fortgeriffen wird. Er ſelbſt bleibe 
immer einerley und eben daſſelbe unveränderliche Ding, in 
welchen nichts auf das andere folgt, 
G. 858, 

Gore ift, auf eine nothwendige und unendliche Krk, 
würflicd) und immerwaͤhrend $. 857. Folglich Fan feine 
Würklichkeit weder einen Anfang noch ein Ende haben, 
Durch den Anfang befomt, die Wuͤrklichkeit eines Dinges, 
eine Einfchrenfung und Grenze von vorne ber, und Durd) 
das Ende befomt fie, eine Grenze von hinten her. Wenn 
alſo, die Würftichkeit und Fortvauer Gottes, einen Anfang 
und. ein Ende hatte; fo wäre fie eingefchrenft, und alfo 
wäre die Wuͤrklichkeit Gottes nicht in der That und auf eine 
reelle Art unendlich, und das ift ungereimt. Sa, wenn 
ein Ding einen Anfang nimt, fo entfteht es; und wenn es 
ein Ende nimt, fo vergeht es $. 228, 175. Nun ift es 


ſchlech⸗ 


112 Die Ewigkeit Gottes. 


fchlechterdings unmoͤglich, daß Gott entftehe oder vergehe 
§. 848. Folglich ift Gott nicht nur, ohne Anfang und 
Ende, wuͤrklich; fondern es ift aud) ſchlechterdings unmög- 
lich, daß feine Fortdauer folte fönnen einen Anfang genom« 
men haben, oder daß fie ein Ende folte nehmen koͤnnen. 
Die Fortdauer ohne Anfang und Ende heift die Emigfeit 
$. 231. folglich ift Gott ewig, und die Emigfeit ift eine 
Bollfommenbeit, welche ihm in Abficht feiner Würflichfeit 
zufomt, und zu der Unendlidjfeit derfelben gerechnet wer— 
den muß, Denn da, alle feine innerlihen Bollfommens _ 
beiten, unendlic) find $. 854. fo muß auch feine Würflich» 
feit und Fortdauer, weil fie eine innerliche Beftimmung 
Gottes ift, die allergröfte unumfchrenfte und auf eine reelle 
Art unendliche Würflichfeit feyn, und das Fünte fie ſchlech— 
rerdings nicht feyn, wenn fie nicht ewig wäre. 
809⸗ 

Wenn man ſich, einen Gott anſtaͤndigen Begrif, von 
ſeiner Ewigkeit machen will; ſo iſt es noch nicht genung, 
wenn man ſich dieſelbe blos als eine Fortdauer ohne Anfang 
und Ende vorſtelt: denn es kan die Frage aufgeworfen 
werden, ob nicht auch ein endliches Ding eine ſolche Ewig— 
keit haben koͤnne? Und wenn man diefe Frage bejaher, fo 
Fan diefe Ewigfeit Feine göttliche Bollfommenheit ſeyn, fon« 
dern es muß noch mehr dazu kommen, wenn fie eine güffe 
liche Vollkommenheit werden fol. Nemlich, wenn man 
annehmen wolte, welches aber hier nicht entfchieden werden 
Fan, daß ein endlihes Ding, z. E. die Welt, feinen Anfang 
und fein Ende ihrer Wuͤrklichkeit habe, und alfo ewig fey: 
fo würde doch eine folche Emigfeit, von der Emigfeit Got— 
tes, oder von einer Ewigkeit, die eine göttliche Vollkom— 
menheit ift, fehr unterfchieden feyn, nemlich auf eine vier« 
face Weife. 1) Die ewige Dauer eines endlichen Dinges 
würde beftändigen Abaͤnderungen, die auf einander in einer 
ununterbrodjenen Reihe folgen, unterworfen fern, Kein 
endliches Ding, wenn es wuͤrklich iſt, Fan auch nur zwey 


Augenblicke Hinter einander eben daſſelbe Ding feyn, fon« 
/ dern 


Die Ewigkeit Gottes, 115 


dern es wird immer efmas anderes und anderes, Die 
Ewigkeit eines endlichen Dinges würde alfo, eine ununs 
terbrochene Reihe auf einander folgender Abänderungen, in 
fi) begreifen, die aber feinen Anfang genommen, und 
welche auch fein Ende nehmen würde. Allein die Ewig— 
Feit Gottes fehlieft, Feine Reihe auf einander folgender Bes 
ſtimmungen, in fih $. 857. 23. Gott bleibt, in Ab« 
fit feiner innerlichen Beftimmungen, beftändig eineriey 
und eben derfelbe, durch die ganze unermeßliche Strecke 
der Ewigkeit, 2) Die Emigfeit eines endlichen Dinges 
fagt allerdings, daß es Eeinen Anfang und fein Ende habe. 
Aber demohnerachtet Fönte, ein ewiges endliches Ding, 
nicht ewig feyn, und alfo fo wol einen Anfang haben, als 
auch ein Ende: denn weil das endliche Ding auch zufällig 
iſt, fo ift das Gegentheil feiner Würflichfeit aud) an und 
vor ſich betrachtet möglich, Die Emwigfeit Gottes aber 
bejteht nicht nur darin, daß er wuͤrklich feinen Anfang 
und fein Ende hat; fondern daß es aud) ſchlechterdings une 
möglich ift, daß er einen Anfang und ein Ende folte haben 
fönnen. 3) Die Ewigkeit eines endlichen Dinges ift eine 
ſolche Fortdauer deffelben, welche zwar von vorne und von 
hinten Feine Einfchrenfung hat, die aber in allen ihren übris 
gen Theilen endlicy und eingeſchrenkt if. Man ftelle fich 
die Fortdauer eines endlichen Dinges als eine Linie vor, 
welche daffelbe Ding während feiner Fortdauer durchläuft: 


iſt diefes Ding ewig, fo hat dieſe Linie weder einen Anfangs: 


punct noch einen Endpunet, und ift alfo in diefer Abjiche 
unendlich. Allein in allen übrigen Puncten diefer Linie ift 


dieſes Ding nur eines Theils wuͤrklich, und hat in feinem 
dieſer Puncte eine wahrhaftig unendliche Wuͤrklichkeit. 


Allein, bey der Ewigkeit Gottes, verhält es fid) ganz ana 


ders, In einem iedweden Puncte diefer Linie ift, der ganz 


ze unendliche Gott, auf einmal würflih. Die ewige Dans 


„er eines endlichen Dinges iſt alſo niemals eine unendliche 
Wuͤrklichkeit deſſelben, allein die Ewigkeit Gottes iſt beſtaͤn⸗ 
dig eine wahrhaftig unendliche Wuͤrklichkeit deſſelben. * 

H lich 


4. Tbeil. 


u14 Die Allmacht Gottes: 


lich ift 4) die Ewigkeit eines endlichen Dinges nichts an— 
ders, als eine mathematifh unendliche Zeit, welche in 
alten ihren Augenblicken eingefchrenft ift, indem das ewige 
endliche Ding in feinem derfelben alles auf einmal ift, was 
es feyn Fan. Gottes Ewigkeit aber ift gar Feine Zeit, und 
fan nicht einmal eine unendliche Zeit genent werden $. 857. 
Hierans iſt offenbar, daß, wenn ein Weltweifer, der Welt 
oder einem andern endlichen Dinge, die Ewigkeit zufchreibt, 
er zwar vielleicht irren koͤnne; allein es würde einen groſſen 
Mangel der Scharffinnigfeit verrathen, wenn man ihm 
ſchuld geden wolte, als lege er demſelben eine göttliche Boll« 
kommenheit bey. 


Die Almacht Gottes. 
S. 860, 
Gott ifE ein vor fich beftehendes Ding, oder eine Sub⸗ 
ſtanz. Man koͤnte diefes zwar ohne Beweis annehmen, 
vermöge des erften Begrifs, dem fich ein iediweder von Gott 


machen muß, wenn er nicht in der That ein Arheift ſeyn will 
S. 814. allein es iff gut, wenn wir uns davon durch einen 
ordentlichen Beweis überzeugen, Und der fan, auf eine 


doppelte Are, geführt werden, Einmal, aus vem Beweis 
fe der Würflichfeie Gottes aus der Erfahrung. Vermoͤge 


dieſes Beweifes ift die Welt, als eine Würfung einer wür« | 
enden Urſach aufler ſich, wuͤrklich. Gott ift alfo die wuͤr⸗ 


kende Urſach der Welt. Alte würfende Urfachen find Sub: 
Tanzen $ 244. Folglich ift Gore eine Subſtanz. Zum 


andern erhellet eben diefes, aus dem Begrif des allervolls 


kommenſten Dinges. Kein Accidenz, und wenn es auch 
das allervollfommenfte in feiner Arc ſeyn folte, Fan das als 
lervollfommenfte Ding feyn. Die thätige, gefchäftige und 
würffame Kraft ift unleugbar eine Realität, und fein Accis 
denz hat diefe Realität. Wenn alfo Gott ein Accidenz waͤ⸗ 
ve, fo fönte er unmöglich das allervollfommenfte Ding 
feyn. Folglich erfodert es die allerhöchfte Vollkommenheit 
Gottes, daß er vor fich beſtehe, und eine Subſtanz fey. 

un 








— —— — — — 











Die Allmacht Gottes, 115 


Nun haben alle Subftanzen eine thätige Kraft, oder fie be— 
ſtehen vielmehr in einer ſolchen regen und gefchäftigen Kraft 

$. 159. Folglich ift Gott ein thätiges, nefchäftiges und 

würffames Ding, oder eine Kraft im ftrengften Verſtande. 

Diefe Kraft ift das Subieet, in weichem alle übrige goͤttliche 

Vollkommenheiten wuͤrklich find, und das find die Accidenzien 

diefer unendlichen Subſtanz und Kraft, welche der wahre 

Sort iſt. Es tragen zwar einige Bedenken zu fagen, daß 

Gort Accidenzien habe, weil fie die Accidenzien mit den zUs 
fälligen Beſchaffenheiten verwechfeln, dergleichen Gott un« 
möglich) haben fan. Allein wir wollen uns mit niemanden, 
über das Wort, flreiten. Wir haben die Accidenzien in 

der Dntologie dergeſtalt erklärt, daß das Weſen, die we— 
fentlichen Stüde, die Eigenfihaften, und alle Xealitäten, 

ja alles was feine Subſtanz ift, Accidenzien genent werden 
koͤnnen. Und nad) diefer Erklärung verurfadht das Wort 
Hceidenz, wenn man es von Gore braucht, gar Feine Schwies 
rigkeit. Mur muß man fid) hüten, daß man nicht denke, 
ein Accidenz einer Sache fey allemal veraͤnderlich, und Füs 
me derfelben nicht nothwendig zu. 

9. 861. 

Da das Vermögen zu bandeln das Werfen einer 
Subſtanz ift, oder die Subftanz, in fo ferne fie als mög- 
lid) betrachtet wird, und die Kraft im engern Verſtande vie 
wuͤrkliche Subſtanz ift $.173. fo muß man fich, wenn man 
ſich von der göttlichen Subftanz, oder von Öott, in fo ferne er 
eine Subftanz ift, einen richtigen Begrif machen will, die 
Gottheit folgendergeftalt vorſtellen. Das Welen Gottes 
ift das unendliche Vermoͤgen, oder die allervollfommenfte, 
gröfte und uneingefchrenfte MoüglichFeit zu handeln; und 
der würfliche Gott, oder Gott feiner Würklichfeit nach be 
trachtet, ift diejenige Kraft, diejenige wuͤrkſame, thätige und 


geſchaͤftige Kraft, weiche die aliergröfte, allervollfommenfte 


und unendliche Kraft it, Die Kraft Gottes hat alfo, eine 
dreyfache Eigenſchaft. 1) Weil fie unendlich ift, fo ift fie 
alles würflid) auf einmal, ihren innerlichen Beſtimmungen 

9.2 nach, 


116 Die Allmacht Gottes. 


nad), was fie feyn fan $. 856. Folglich beſteht fie, in 
einer beftändigen unendlichen Gefchäftigfeit und Thaͤtigkeit. 
Gott Hat fein bloffes Vermögen, welches nicht zugleid) 
eine eigentlich fo genante Kraft wäre. Die endlichen Sub« 
ftanzen, 3. E. wirMenfchen, haben viele Vermögen, wel— 
che feine thätigen Kräfte find. Unſer Berftand ift in der 
Kindheit ein bloffes Vermögen, welches mit der Zeit erft 
eine Kraft roird, und fo ofte wir nicht wuͤrklich deutlich den— 
fen, fo ofte ift unfer Verſtand nichts weiter, als eine Mög: 


lichfeit deutlich zu denfen. Bey Gott verhält es fi) ganz 


anders. Er bat fein bloffes Bermöaen. Alle feine Ver« 
mögen find zugleich Kräfte, und fein ganzes unendliches 
Vermoͤgen ift, durch feine unendliche Kraft, von Emwig- 
Feit zu Ewigkeit ohne Zeitfolge und Abänderung erfüllt, was 
Die innerlichen Beſtimmungen deffelben betrift. 2) Die 
Kraft Gottes ift die allerreellefte und vollfommenfte Kraft, 
weil fie unendlich iſt. Mum ift eine Kraft der hinreichende 
Grund der Würflichkeie der Accidenzien, welche insgefamt 
entweder Realitäten oder Verneinungen find. $. 48. 158. 
Folglich wuͤrkt eine Kraft entweder Realitäten, oder Vernei— 
nungen. In ſo ferne eine Kraft Berneinungen würft, in 
fo ferne ift fie der Grund derfelben, und fie ift alfo in fo fer- 
ne eine DVerneinung $. 134. und unvollfommen. Da 
nun die allerreellefte und vollfommenfte Kraft, gar Feine 
Verneinungen und Unvollfommenheiten, haben Fan $. 8185 
fo fan fie auch, Feine Berneinungen und Unvollkommenhei— 
ten, würfen. Folglich ift es, um der allerhöchften Boll: 
fommenheit der Kraft Gottes willen, unmoͤglich, daf fie 
Unvollfommenbeiten würfen folte. In ſo ferne eine Kraft 
Verneinungen wuͤrkt, in fo ferne ift in ihr allemal ein 
Mangel einer gröffern Realität, wodurch fie vermögend ges 
wefen wäre, die entgegenfegte Realität derfelben zu wuͤrken. 
3) Weil die Kraft Gottes unendlich) ift, fo ift fie auch ſchlech— 
terdings die gröfte Kraft, die möglich if. Da nun eine 
Kraft um fo viel gröffer ift, je mehrere und gröffere reelle 
Heeidenzien fie wirkt 9. 160, fo muß die allergröfte Kraft 

ver⸗ 





Die Almacht Gottes; u? 


vermoͤgend feyn, alle möglichen reellen Accidenzien zu wuͤr⸗ 
Een, auch. die allergröften. Folglich ift die göttliche Kraft 
diejenige: Kraft, welche zureicht,, alle mögliche reelle Acci— 
denzien zur, Würflichfeie zu bringen, In ſo ferne eine 
Kraft Verneinungen würft, in fo ferne mangelt ihr eine 
Realität, und fie ift alfo kleiner, als wenn fie feine Ver— 
neinungen würfte, Wenn man alfo fagt: Gott fönne kei— 
ne Verneinung, feine Unvollfommenheit, feine Sünde, 
feine böfe Handlung thun; fo feheint es den Worten nad), 
als fhreibe man ihm ein Unvermögen und eine Kraft zu, 
die noch geöffer feyn koͤnte. Allein man thut gerade das 
Gegentheil.  Subftanzen, welche nicht die geöfte Kraft 
haben, Fönnen eben, ihres Unvermoͤgens wegen, böfes 
thun. Folglich hat eine Subftanz eben deswegen die aller 
gröfte Kraft, weil fie nichts böfes thun fan, Dieſes 
Scheinunvermögen ift ein wahres und reelles Bermögen, 
S, 562, 

Die allergröfte, unendliche und allervollfommenfte 
Kraft Gottes ift dasjenige, was man die Allmacht nent 
Es wird nemlid) eine iedwede Kraft eine Macht genant, 
in fo ferne fie zureichend ift, etwas reelles zu wuͤrken; 
und in fo ferne eine Kraft nicht zureichend ift,, eine Reali— 
tät zu würfen, in fo ferne ift fie ohmmächtig. In fo ferne 
alfo eine Kraft Berneinungen und UnvollEommenheiten 
würft, in fo ferne ift fie eine wahre Ohnmacht. Die Alls 
macht ift die Kraft, welche zureihend ift, alle möglidze 
reelle Accidenzien zur Würflichfeit zu bringen. Da nun, 
die allerhoͤchſte Kraft Gottes, eine ſolche Kraft iſt $. 861. 
fo ift feine Kraft eine allmachtige Kraft, und Gore felbft ift 
ein allmaͤchtiger Gott. Die Allmacht ift nicht etwa ein 
bloffes Vermögen in Gott, fondern fie befteht in einer thaͤ— 
tigen und würffamen Kraft, welche beftändig ohne Abäns 
derung, von Emwigfeit zu Ewigkeit, in der allergröften und 
unendlichen Anftrengung befteht, und alſo beftändig alle 
möglichen reellen Accidenzien im höchflen Grade wuͤrkt. 
Bermöge des Vorhergehenden ift es, ein nichtswürdiger 

23 Eine 


18 Die Allmacht Gottes. 


Einwurf, wider die Allmacht Gottes, wenn man ſagt: 
weil Gott nicht ſuͤndigen koͤnne, ſo koͤnne er nicht alles, und 
er ſey alſo nicht allmaͤchtig. Denn in ſo ferne die Suͤnde 
eine Suͤnde iſt, in ſo ferne iſt ſie was verneinendes und 
unvollkommenes, und es rührt alſo von der Ohnmacht vers 
nünftig freyer Gefchöpfe her, daß fie fündigen koͤnnen. Gott 
fan alfo nicht nur nicht fündioen, weil fein Wille vollfommen 
heilig ift, wie unten erwiefen werden wird; fondern er Fan 
auch deswegen nicht fündigen, weil er allmächtig it. Wenn 
man bie Allmacht durch eine Kraft erklärt, welche alles 
Mögliche wuͤrklich machen fan; fo Fan man freylich, in eine 
groffe Schwierigkeit, gerathen. Denn da die Sünde et— 
was Mögliches ift, fo muß man entweder fagen, Gott, fan 
fündigen, oder er Fan nicht allmächtig feyn. Allein‘ ic) 
babe gezeigt, daß die Allmacht in der Kraft beftehe, welche 
alfe mögliche reelle Accidenzien würken fan, Da nun die 
Sünde, in fo ferne fie Sünde ift, Eein reelles Accidenz ift; 
fo wird die Allmacht Gottes dadurch gar nicht eingeſchrenkt, 
daß Gott nicht fündigen Fan. 
$. 863. 

Wenn man fich einen rechten Begrif von der Allmacht 
Gottes machen will, fo ift es nöthig, das Verzeichniß ale 
ler möglihen Dinge durchzulaufen, über welche fich die 
Allmacht erftreft. Und da Fan man fo fehlieffen: eine 
Subftanz würft, durch ihre Kraft, entweder in fic) felbft 
Aeeidenzien, oder auffer fi), in andern Subſtanzen. Folge 
lich wuͤrkt Gott, vermöge feiner Allmacht, erftlich in ſich 
ſelbſt, alle feine göttlichen Vollkommenheiten, welche als 
Accidenzien in ihm würflich find, Denn da fein Accidenz 
wirklich feyn Fan, als durch eine Kraft $. 158, fo müffen | 
auch die goͤttlichen Aceidenzien, feine gefamte unendliche 
und allervollfommenfte Würflichfeit, durch eine Kraft ges 
wuͤrkt werden. Und das ift die göftliche Kraft oder Alle 
mache ſelbſt; teil widrigenfals, der hinreichende Grund 
feiner Wuͤrklichkeit, nicht in ihm felbft angetroffen würde, 
Nun find in Gore alle möglichen veellen Accidenzien, * 

ie 








| 
| 


Die Allmacht Gottes. 11g 


die allergröften, beftändig von Emigfeit zu Ewigkeit würfs 


lich. Folglich ift in Gott von Ewigkeit zu Emwigfeit, ohne 
alle Abwechſelung und Abanderung, eine ſolche Anftrens 
gung feiner göttlichen Kraft vorhanden, wodurd) alle moͤg⸗ 
lichen reellen Accidenzien im höchjten Örade in ihm gemürfe, 
und bey ihrer Wuͤrklichkeit ununterbrochen erhalten werden, 
Nenn demnach) Gott auch) auffer fich gar nichts wuͤrkte, fo 
würde er Demohnerachtet wuͤrklich allmaͤchtig ſeyn. Die 
meiſten machen ſich, von der Allmacht Gottes, einen dop⸗ 
peiten falfchen Begrif. Einmal ftellen fie ſich dieſelbe als 
ein Bermögen vor, alles Mögliche aufler Gott zur Würfe 
lichfeit zu bringen. Und durd) diefen falfhen Begrif wird, 
die Würfung der Accidenzien in Gott felbit, von den es 
genftänden feiner Allmacht mit Unrecht ausgefchloffen. Zum 
andern ſtelt man fi), die Allmacht Gottes, als.ein Vers 
mögen vor, durch welches Gott zwar alles Mögliche thun 
fönne, allein er brauche niemals die ganze Stärfe feiner 
allmaͤchtigen Kraft. Aber alsdenn ware in Bott eine bloffe 
Mögliczkeie, die niemals zur Würklichkeit gebracht würde, 
und das ift ungereimt. Nach meinem Begriffe im Ges 
gentheil muß man zwar einraͤumen, daß Gott auffer fich 
nicht alles Mögliche wuͤrklich mache; allein demohnerachtet 
befteht, feine Allmacht, in einer würklichen unendlichen 
Thärigkeit, indem er feine unendliche Würflichkeit in ſich 
ſelbſt wuͤrkt, feine unendliche Allwiffenheit, feine Rath— 
ſchluͤſſe, und: was man alles zu feinen eigenen würflichen 
Accidenzien vechnen Fan. 
$. 864. 
Zum andern ift Gott, vermöge feiner Allmacht, auch) 
im Stande, aufler ſich Realitäten zu würfen, welche in 
ihm nicht wuͤrklich find, fondern in endlichen Subftanzen 
auffer ihm. Denn da er, vermöge des Beweiſes feiner 
Wuͤrklichkeit aus der Erfahrung, die mürfende Urfach die— 
fer Welt ist, die würfende Urſach aber ihre Würfung durch 
ihre Kraft würft $. 244. fo hat Gott, durch feine allmädı« 
tige Kraft, auffer ſich etwas gewürft; und folglid) befigt er 
4 fo 


129 Die Allmacht Gottes. 


ſo viel Staͤrke und Macht, als noͤthig iſt, um auſſer ſich 
Dinge zur Wuͤrklichkeit zu bringen, und zwar beſitzt er 
dieſe Macht im allerhoͤchſten Grade. Folglich kan Gott, 
durch feine Allmacht, 1) alle endliche Subſtanzen auſſer 
ſich zur Wuͤrklichkeit bringen. Eine endliche und zufaͤllige 
Subſtanz kan, wie ein zufaͤlliges Ding uͤberhaupt, nicht 
anders wuͤrklich ſeyn, als eine Wuͤrkung einer wuͤrkenden 
Urſach, die auſſer ihr befindlich iſt F. 253. Welche wuͤr— 
kende Urſach endlich Gott iſt F. 315. Folglich Fan eine zu— 
faͤllige Subſtanz entweder gar nicht wuͤrklich ſeyn, und iſt 
alſo ein Unding, oder Gott muß ſie durch ſeine Allmacht 
wuͤrklich machen koͤnnen. Folglich kan Gott, durch ſeine 
Allmacht, alle moͤgliche endliche Subſtanzen, alle endliche 
Geiſter, und wie fie Namen haben mögen, wuͤrklich mas 
hen. Ja da, die Würflichkeit einer endlichen Subſtanz, 
ein reelles Accidenz ift, Gott aber durch feine Allmacht alle 
reellen Accidenzien würfen fan $. 862. fo Fan er auch, alle 
endliche Subftanzen, woürftih machen. Das will nicht 
fo viel fagen, als wenn er alle möglichen endlichen Sub— 
ftanzen zufammengenommen würflich machen Fönte: denn 
das ift unmöglich, weil fonft alle mögliche Welten zufams 
men auf einmal, oder nad) und nad), würflich werden 
müften. Sondern es heift nur fo viel: wenn man eine 
iediwede mögliche endliche Subftanz mit der Macht Gottes 
vergieicht, fo ift Feine Darunter ein Werk, welches die Allı 
macht überftiege, und für Gott zu fehwer feyn ſolte. In 
diefem Stücke ift die Macht Gottes unendlid) weit, über 
die Machr aller Creaturen, erhoben. Keine endliche Sub» 
ffanz, und wenn fie auch noch fo viel Stärke haben folte, 
Fan auffer ſich Subftanzen würfen, fondern nur Accidenzien 
in Subftanzen, die ſchon mwinflich find. 2) Gott Fan 
durch feine Allmacht, alle reelle Accidenzien auffer fich, 
würflich machen, aud) die gröften und fehwerften: weil er, 
durch feine Allmacht, alle reelle Accidenzien ohne Ausnah— 
me wirfen Fan 6. 862. ya wer das fihwerere Fan, der 


Tan auch ohnfehlbar das leichtere, Nun ift es Br ya 
mes 








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Die Almscht Göttes. 128 


fehmerer, eine Subftanz zu würfen, als ein reelles Accis 
den; in einer fehon würflichen Subftanz. Folglich muß 
auch Gott, durch feine Allmacht, alle reelle Accidenzien 
auffer fich würfen fönnen. 3) Gott kan, durch feine Alle 
macht, alle mögliche Welten wirflid) machen: Alle mög« 


liche endliche Subftanzen machen, alle mögliche Welten, 


aus. Da nun die Allmacht Öottes, alle mögliche endliche 


Subſtanzen, wuͤrklich machen fan; fo erſtreckt ſich, feine 


Allmacht, auch über alle mögliche Welten. Folglich Fan 
er eben fo wol die befte unter allen möglichen Welten, als 
auch die unvollfommenfte, und eine iediwede andere Welt 
würflich machen $. 426. Da es aber unmöglich ift, daß 
mehrere Welten zugleich, oder nad) und nad), folten würf« 
li) werden Fünnen $. 334. fo ift es auch unmöglich, daß 
Gott, durd) feine Allmacht, mehrere oder alle Welten zu— 
fammen folte würflidd machen fünnen. Es heift nur fo 
viels wenn man eine iedwede mögliche Welt, mit der All⸗ 
macht Gottes, vergleicht, fo überfteigt Feine derfelben die 
Mache Gottes. 4) Die Wunderwerfe und übernatürlis 
chen Begebenheiten, find möglid) und etwas reelles $. 415. 
Folglich fan Gott, Durch feine Allmacht, übernatürlic)e 
Dinge und Wunderwerfe verrichten $. 862. Und da feie 
ne endliche Subftanz, übernatürlihe Begebenheiten und 
Wunderwerke, thun fan $. 413. 414. fo iſt Gott, nad) 
dem Ausfpruche der heiligen Schrift, derjenige, der allein 
Wunder hut, So weit erſtreckt fi), der Würfungsfreis 
der göftlihen Allmacht! Wer Fan, der Anzahl der mögli« 
chen Dinge in und: auffer Gott, Schranfen fegen ?. oder 
diefe Schranfen ſich nur als möglich vorftellen? Die Mache 
Gottes ift alfo wahrhaftig unendlich und unumſchrenkt. 
. 865. 

Man weiß felbftnicht, was man dazu fagen foll, daß 
manche Leute ſich von der Allmacht Gottes einen folchen Be- 
geif machen, als koͤnne er, vermöge derfeiben, unmöglicye 
Dinge möglich und wirklich machen, — Wenn man diefen 
verworrenen Gedanken recht beurtbeilen will, fo muß man. 

95 das 


122 Die Allmacht Gottes. 


das fehlechkerdings unmögliche von demjenigen unterfchei« 
den, was zwar an ſich möglid, aber in gewiſſer Abſicht 
unmöglich iſt. Erſtlich ift es hoͤchſt ungereimt zu fagen, 
daß, dur die Allmacht Gottes, ſchlechterdings unmögs 
liche Dinge folten fonnen möglidy und wuͤrklich gemacht 
werden, Was fhlechterdings unmöglich ift, das iſt Nichts, 
und mer alfo fihlechterdings unmögliche Dinge jwürflich 
machen koͤnte, der Fönte in der That nichts. Dasjenige iſt 
eben innerlich unmöglich, was gar nicht, und alfo aud) 
nicht durch die göttliche Allmacht feyn fan. Diejenigen, 
welche glauben, daß dadurd) die göttliche Allmacht Schrane 
fen befomme, wenn man annimf, daß er nichts ſchlechter— 
dings Unmögliches koͤnne; die müjlen ſich nothwendig, auf 


eine lächerliche Ürt, das Nichts, das fchlechterdings Lina 


mögliche, als Etwas oder als etwas Neelles vorftellen: ſonſt 
koͤnten fie unmöglid) auf den albern Einfall geratben, als 
wenn die Allmadıt Feine Allmacht ſeyn Eönte, wenn fie nicht 
fehlechterdings unmögliche Dinge würflich machen Fönte, 
Es ift demnach ungereimt, wenn man, ehe man die inners 
liche Moͤglichkeit einer Sache aus andern Gründen erfant 
bat, an die Allmacht Gottes appellirt, und deswegen, weil 
Gott allmaͤchtig iſt, ſchlieſt, daß eine ſolche Sache moͤglich 
ſey, und wuͤrklich werben köͤnne. Z. E. einige haben des— 
wegen, weil Gott allmaͤchtig iſt, angenommen, daß die 


Materie denken koͤnne, weil Gott durch ſeine Allmacht der 


Materie das Vermoͤgen zu denken geben koͤnne, es moͤge 
nun moͤglich oder unmoͤglich ſeyn, daß eine Materie denken 
koͤnne. Allein, wenn das Denken dem Weſen der Mate— 
rie widerſpricht, ſo kan auch Gott durch ſeine Allmacht der 
Materie, das Vermoͤgen zu denken, nicht geben. Aber mit 
denen Dingen verhaͤlt es ſich, zum andern, ganz anders, die 
uns Menſchen nur unmoͤglich zu ſeyn ſcheinen, deren Moͤg— 
lichkeit wir nicht begreifen koͤnnen, und die uns und allen 
endlichen Dingen unmoͤglich ſind, oder welche weder durch 
unſere, noch anderer endlichen Dinge Kräfte, wuͤrklich ges 
macht werden koͤnnen. Denn alle dergleichen Dinge find 

an 





Die Allmacht Gottes. 123 


| an fih möglich. Folglich Fan Gott, durch feine Allmacht, 
alles hun, was nur dem Scheine nad) unmöglich ift, und 


was die Kräfte aller endlichen Dinge überfteige. Und in 
diefem Verſtande ift es wahr, daß bey Gore Fein. Ding 
unmöglic) fen; das heift, Gott Fan durch feine Kraft alle 
Dinge wirklich) machen, welche in der That Dinge oder an 
fich möglich) find. 

9. 866. 

Wir haben erwiefen, daß die Allmacht Gottes Fein 
bloffes Vermögen fen, fondern allemal im höchften Grade 
thaͤtig fen $. 362. Es iſt fchon gezeigt worden, daß Dies 
fes fic) in der That fo verhalte, in Abficht auf die Acciden— 
zien, die Gott durch feine Allmache in fich felbft würfe S. 863. 
Es frage fich nun, ob Gott auch in Abfiche auf dasjenige, 
wes er auffer fih wuͤrkt, feine Allmacht in der That bes 
weife, oder jederzeit im allechöchften und unendlichen Grade 
wuͤrke? Wir wollen hier vorausfeßen, daß dieſe Welt vie 
beite fey. Nun Fan unmöglich mehr, als eine Welt, wuͤrk⸗ 
lich feyn. Folglich Fan auch nicht mehr als eine Welt, 
durch die Allmacht, auffer Gott gewürft werden $. 865. 
Indem alfo Gore diefe einzige Welt wuͤrkt, braud)t er feine 
Kraft in ver That in dem allerhöchften Grade, in welchen 
die Kraft einer Subftanz gebraucht werden Fan, in fo fer 
ne fie etwas auffer fid) würft, das ift auf eine allmächtige 
Art, Ferner, da es unmöglid) ift, daß die befte Welt 
auf einmal wuͤrklich fey, weil fie ein endliches Ding ift; fo 
find} in derfelben, in einem iedweden Augenblice ihrer 
Dauer, fo viele und groffe Realitäten auf einmal würflich, 
als’ aufler Gott in demfelben Augenblick wuͤrklich fern Für 
nen. Folglich fan, Durch) die Allmacht Gottes, unmöglich 
mehr Realitaͤt auflee Gott gewuͤrkt werden, als wuͤrklich 
gewuͤrkt wird. Es ift demnach offenbar, daß die Kraft 
Gottes allemal, in Abficht auf die Dinge auffer Gott, im 
allerhöchften Grade angeſtrengt, und mithin allmächtig fey. 
Es iftdem zu Folge ebenfals ein Irrthum, wenn man die 
Kraft Gottes in Abſicht auf die Dinge, die auſſer ihm find, 

als 


124 Die einfsche Befchaffenbeit Gottes. 


als ein bloffes Vermögen betrachten wolte, als wenn Gott, 
mehr thun Fonte, als ex wuͤrklich thut. Er bringe durch 
feine Kraft beftändig, in und auffer fich, fo viel zur Würfs 
lichkeit, als auf einmal und zugleich würflich feyn Fan. 


Die einfache Befchaffenheit Gottes. 
$. 867. 

Ob ich mich gleich, in den vorhergehenden Theilen 
meiner Metaphyſik, um der hin und wieder angeführten 
Urfachen willen, beynahe in gar Feine Unterſuchung der 
einfahen Dinge und Monaden eingelaflen babe: fo ift es 
demohnerachtet möglid) und nöthig, daß ich hier von der 
einfachen Befchaffenheit Gottes vornemlich verneinender 
Weiſe handele, und zeige, daß er fein förperliches, und 
fein im engern Verſtande zufammengefegtes Ding ſey. Es 
fan diefes von Gott, aus feiner höchften Vollkommenheit, 
fo deuelich ermwiefen werden, daß es gar nicht nöthig iſt, 
bier die ſchweren und tieffinnigen Wahrheiten vorauszus 
ſetzen: daß alle Subftanzen einfad) find, und das Feine 
Materie denken koͤnne. Es läßt fich nemlich, die einfache 
Befchaffenheit Gottes, auf eine doppelte Art ermweifen. 
Erſtlich, wenn Gott ein im engern Berftande zufammens 
gefegtes Ding wäre, fo wäre er nicht nur ausgedehnt, ſon⸗ 
dern er beftande auch aus vielen auffer einander würflichen 
Subftanzen $. 181.185. Folglich wäreereine Materie $. 385. 
Da nun alle Materie theilbar ift $. 392. fo koͤnte Gott zer⸗ 
theile werden. Folglic) Fönte feine Gröffe, und alfo eine feiner 
innerlichen Beftimmungen $. 69 vermindert $. 187. und alfo 
verändert werden $. 152. Es wäre demnach Gott innerlic) 
veränderlidy S. 123. Alle, im engern Verſtande zufam« 
mengefegten, Dinge find innerlich veränderlich und zufällig, 
Gore ift innerlich unveränderlich, und nothwendig $. 847. 
Folglich. ift er Fein zufammengefegtes, fondern ein einfaches 
Ding, 6.178. Es würde bier einen Findifchen Wortftreit 
verurfachen, wenn man das Wort, zufammengefeßtes Ding, 
in der weitern Bedeutung nehmen, und ein iedwedes Ding 

darun⸗ 








Die einfache Befhaffenbeit Gottes. 15 


darunter verftehen wolte, in welchem viele Theile, ober von 
) ’ 


' “einander verfchiedene Realitäten und Beftimmungen ange: 


troffen werden. Denn in diefem Berftande ift Gott ein 
Ganzes, welches aus unendlich vielen Nealitäten zufam: 
mengefegt ift. Allein wenn man bier, durd) ein zufams 
mengefeßtes Ding, ein folches Ding verfteht, wie man 
bier thun muß, welches aus vielen auffer einander wuͤrkli⸗ 
hen Theilen und Subſtanzen beftehe: fo ift es unmöglich), 


daß Gore ein folches zufammengefeßtes Ding folte feyn Fühe 


nen. Zum andern Fan man, eben diefe Wahrheit, aus 


der Unendlichkeit Gottes erweifen. Kein eigentlich zuſam⸗ 


mengefegtes Ding fan unendlid) feyn, Denn es beftehe 
aus vielen auffer einander wuͤrklichen Theilen, und Sub» 
ftanzen $. 179. 180. welche alfo innerlich von einander vers 
fehieden find $. 208. 209, 210, 211. Alſo ift in dem eis 
nen eine innerlihe Beftimmung, die in dem andern nicht 
ift $. 200. Diefes Unterfcheidungsftück ift entweder eine 
Realität, oder Verneinung 6. 48. ft das erſte, fo ift 


‘derjenige Theil des zufammengefesten Dinges, welcher die— 
J d geſetz g 


ſelbe nicht hat, eingeſchrenkt, weil alle Verneinungen Ein« 
fhrenfungen find. $. 190. Iſt das andere, fo ift derjeni- 
ge Theil, welcher diefelbe hat, eingefchrenft. Folglich bat, 
ein iedwedes im engern DBerftande zufammengefeßtes Ding, 
eingefchrenfte und endliche Theile, folglich Fan daflelbe uns 
moͤglich ein unendliches Ding fenn, ob es gleich marhema- 
tiſch unendlicy feyn Fan. ort ift ein wahrhaftig unendli— 


des Ding. $. 853. Und es ift demnach unmöglich, daß 


Gott ein Ding feyn fünte, welches im engern Berftande 

zufammengefeßt iſt. Diefer legte Beweis wird in dem Fol« 

genden in ein noch gröfferes Licht gefegt werden, wenn ers 

wiefen werden wird, daß nur ein einziger Gott würflich ſey: 
denn diefe beyden Beweiſe find in der That völlig einerley. 

9. 868. 

Ein iedwede Materie, und ein iedweder Körper, iſt 

ein im engern Berftande zufammengefeßtes Ding. 9. 225. 
226. Was alfo in diefem Berftande nicht ua 
etzt 


126 Die einfuche Befchaffenheit Gottes, 


ſetzt ift und fenn Fan, das ift aud) feine Materie und fein 
Körper, und Fan auch dergleichen nicht ſeyn. Folglich ift 
Gott weder ein materielles, noch ein Förperliches Ding, 
oder er ift unkoͤrperlich F. 867. - Allein davon ift die Frage 
unterſchieden: ob Gott einen Körper habe? Diejenigen, wel» 
che die menfchliche Seele für ein einfaches und unförperliches 
Ding balten, nehmen demohnerachtet, ohne ſich felbjt zu wis 
derfprechen, an: daß die Seele mit einem Körper in der ge⸗ 
naueften Bereinigung ſtehe; oder daß die unförperliche 
Seele einen Körper habe. Allein auch diefes läßt ſich, von 
Gott, nicht fagen. Wenn der unförperliche Gott einen 
Körper hätte, in dem Werftande, in welchem die Seele einen 

Körper hat: fo wäre Goft ein Ganzes, wie wir Menfchen, 
welches aus einer einfachen Subſtanz und aus einem Kor: 
per zufammengefegt wäre. Folglich hätte er einen Theil, 
welcher ein Körper wäre.  Mun find alle Körper, wie 
alle im engern Verſtande zufammengefegte Dinge, innerlic) 
veränderlich und eingefchrenke $. 867. Folglich hätte Gott 
einen veränderlichen und endlichen Theil, und er Fönte alfo 
unmöglich das unendliche Ding feyn, als welches innerlid) 
gar Feine Schranfen haben, und gar feinen Veränderungen 
unterworfen feyn Fan. ya man Ean diefe Sache aud), 
noch auf eine andere Art, erweifen. Memlich wir wiffen aus 
der Pſychologie, daß der Körper einer denfenden Subſtanz 
ihr Geſichtspunct fey, vermittelt deffen, und nad) Maasges 
bung defjen, fie fi) die Welt bald dunkel bald Flar, bald mehr 
oder weniger Elar vorftelt, und deffen fie fich bedient, fich 
nad) und nach, immer mehrere und mehrere klare Vor— 
ftellungen von den Dingen in der Welt, zu machen. Folg⸗ 
Kid) ift der Körper ein Hülfsmittel, deſſen fich eine endliche 
denkende Subftanz bedient, wenn fie nicht in ihren Vor— 
ftellungen, in eine unüberwindliche Dunkelheit und Verwir— 
rung, gerathen will. Nun werden wir balde zeigen, daß 
der allmächtige Berftand Gottes uneingefchrenfe ift, und 
alfo unmöglich eines folhen Hülfsmittels benörhiger Inn 
Fan, Ja wenn eine denkende Subftanz mit einem Körne 


vert 





Die einfache Befchaffenbeit Gottes. 127 


vereiniget ift, fo würfen fie in einander, wir werben aber 


bald erweifen, daß nichts auffer Gott in ihn wuͤrken koͤnne. 


Folglich iſt es ungereimt zu ſagen, daß Gott einen Koͤrper 
habe, ſo wie unſere Seele einen Koͤrper hat. Es iſt alſo ſehr 
unbequem, wenn man Gott die Seele der Welt nennen wolte. 
Als eine Gleichnißrede koͤnte man dieſe Benennung zur Noth 
gelten laſſen, wenn man damit nur ſo viel ſagen wolte: daß 
Gott die Welt belebe, beherſche, bewege und regiere, wie die 
Seele ihren Koͤrper belebt, beherſcht, bewegt und regiert. 
Allein wenn man dieſes Gleichniß zu weit ausdehnen, und 
annehmen wolte, daß Gott ſich uͤbrigens gegen die Welt 
ſo verhalte, und mit derſelben eben ſo vereiniget ſey, als ſich 
die Seele gegen ihren Koͤrper verhaͤlt, und als ſie mit ihm 
vereiniget iſt: fo wäre dieſes ein ſehr grober Irrthum. is 
ne iedwede Seele wird, durch ihren Körper, auf eine uns 
endlich mannigfaltige Art, in ihren Handlungen, und in 
dem Gebrauche ihrer Kräfte, eingeſchrenkt, und cs müßte 
alfo Gore der beffändigen Einſchrenkung feiner Würflichkeie 
von auffen her unterworfen feyn, welches feiner Unendlich 
keit und allerhöchften Bolllommenbeit widerſpricht. 


S. 869. 

Alles was ausgedehnt iſt, das ift auch ein im engern 
Berftande zufammengefestes Ding; und was nicht auf dies 
fe Art zufammengefeßt iſt, Das hat auch feine Ausdehnung 
S. 185. Gott iſt nicht im engern Berftande zufammenges 
fegt $. 867. folglid iſt er auch auf keinerley Weile ausge- 
dehnt. In dem Umfange der Gottheit findet, gar feine 
Ausdehnung, flat. Da nun, die Figur und Geftalt, ein 
Grad der Ausdehnung iſt $. 215. und alfo nirgends ange— 
troffen werden Fan, wo feine Yusdehnung ift; fo hat Cote 
Feine Figur und Geftalt, und alle diejenigen machen fich 
einen falfchen Begrif von Gott, welche ihm in ihren Ges 
danfen eine Figur oder Geſtalt beylegen. Und hier muß 
die Frage entfchieden werden: ob Gott in einem Raume, 
und an einem gewiſſen Orte, wuͤrklich ſepy? Und da muß 


man 


28  .Dieeinfache Befchaffenbeit Gottes. 


man folgendes, von einander, unterfcheiden. 1) In Gott 
felbft, oder in dem Umfange der Gottheit felbit, ift gar 
Fein Raum. Denn wo feine Dinge auffer und neben 
einander würflich find, da ift fein Kaum; weil der Kaum, 
in der Ordnung der auffer und neben einander ‚befindlicyen 
Dinge, befteht $. 184. Da nun Bott ein einfaches Ding 
ift S. 867. fo find zwar alle feine Realitäten und innerlichen 
Beltimmungen, um feiner Unendlichkeit willen, zugleich 
und auf einmal neben einander vorhanden; allein Feine der- 
felben ift, auffer der andern, würflich. Folglich ift in 
ort felbft fein Raum würflich , oder er felbft hat gar Feine 
Ausdehnung, und alfo erfüllt er felbft gar feinen Kaum und 
feinen Dre. Und wenn auffer Gott Feine zufammengefegte 
Welt würflid) wäre, fo wäre überhaupt gar fein Raum 
‚würflich vorhanden. 2) Gott fan feinen, auffer ihm bes 
findlichen, Raum und ausgedehnten Dre ausfüllen: widri: 
genfals müßte er, durch diefen ganzen Kaum und ausges 
dehnten Drt, ausgebehnt feyn, und müßte alfo in der That 
eine Ausdehnung haben, und das ift unmöglid. So fe 
ben wir aus der Erfahrung, daß ein Gebäude, oder ein 
anderer Körper, durch einen gewiſſen Kaum und ausges 
dehnten Dre ſich erftrecfe. Und nach diefem Begriffe ift es 
unmöglich, daß Gott einen Raum erfüllen, und in dem— 
felben würflicy feyn folte. Es heift zwar in der heiligen 
Schrift, daß Gott Himmel und Erden erfülle; allein- wir 
werden bey der Allgegenwart Gottes ſehen, daß diefes ganz 
was anders fagen wolle, nemlid), daß er an allen Drten 
der Welt würfe, und daß dazu nicht nöthig fey, daß feine 
Subſtanz dur den ganzen Weltraum ausgedehnt fey. 
3) Gott ift auch nicht in dem Berftande in dem Weltraus 
me mwürflich, als wenn er ein Theil der Reihe derjenigen 
Dinge wäre, in deren Ordnung der Weltraum befteht. 
Der Weltraum, oder der Raum, durch welchen die Welt 


ausgedehnt ift, und aufler dem gibts Feinen andern Kaum, ' 


befteht in derjenigen Ordnung der auffer einander befindks 
hen Theile ver Welt, welche aus ihrem Beyſammenſeyn 
ent» 


m u. IE — 


a en 


— — — 


Die einfache Befchaffenbeit Gottes. 129 


entſteht. Weil nun ein jeder Theil der Welt, auffer und 
neben andern Theilen der Welt, wuͤrklich ift, fo iſt ein jeder 
Theil der Welt, in dem Weltraume der Welt, wuͤrklich. 
Gott aber ift Fein Theil der Welt, fondern er if auffer der 





Welt würflih $. 849. Folglich it er auch nicht, in dem 


Weltraume, wuͤrklich. Aber 4) da Gottes Subſtanz, 
auffer und neben alten Subſtanzen diefer Welt, würflic) 
iſt; fo ſteht er in fo ferne nothwendig in einem Verhaͤltniſſe 
gegen dieſelben, vermoͤge deſſen er mit ihnen und neben ih— 
nen auf eine gewiſſe Art wuͤrklich iſt. in ſolches Ber 
hältniß ift der. Dre $. 216. Folglich fo bald man annimt, 
daß auffer Gott etwas wuͤrklich ift, fo bald muß man ihm 
auch) einen Ort zufchreiben. Die tiebhaber des Paradoren 
in der natürlichen Gottesgelabrheit ſprechen Gott allen Ort 
ab, und fagen: er fey nirgends und doch allerwegen. Wie 
feltfam iſt diefes nicht gefprochen! Alle Schwierigkeit ent» 
fteht aus den gemeinen Begriffen, die man fid) von dem 
Orte eines Dinges macht. Gemeiniglich fteile man fich 
den Dre zugleich mit einer Ausdehnung vor, und da Fan 
freylich Fein Ding in einem Orte feyn, wenn es Feine Aus— 
dehnung hat. Allein ich habe in der Ontologie deutlich ges 
wiefen, daß ein Ding an einem Drte feyn Fan, wenn eg 
gleid) Eeine Ausdehnung hat. Noch feltfamer ift es, wenn 
man fich den Ort eines Dinges als ein Behaͤltniß vorftelit, 
in welcher das Ding befindlid), und durch welches es ums 
grenze und eingeſchrenkt wird. Nach diefem Begriffe Fan 
freyüch Gott an keinem Orte feyn, allein das iſt ein vollig 
falfeher Begrif, den man ſich von einem Orte macht, Und 
auf eine ähnliche Art macht, die falſche Borftellung der All— 
gegenwart Gottes, in diefer Sache eine Schwierigkeit. 
Wenn man ſich diefelbe, als eine Ausbreitung der Gub» 
ftanz Gottes durch den ganzen Weltraum, vorftelitz fo Fan 
man freylich nicht fagen, daß er an einem Orte fey, Wenn 
diefe ganze Betrachtung nicht dazu dienlich ware, manche 
falfche und grobe Begriffe von Gott und feiner, Gegenwart 
zu verhüten ‚fo würde fie zu den theologifchen Spitzfindig— 

4. Theil, A) keiten 


330 Die einfache Befchaffenheit Gottes; 


£eiten gehören, bey denen man befier ehut, wenn man fie 


mit einem gaͤnzlichen Stillfehweigen übergeht, 
$. 870. 

Hicher gehört die Frage: ob Goft groß fey, oder 
ob man ihm eine Gröffe im eigentlichen Verſtande zufchrei- 
ben fönne und müffe? Diefe Srage muß, mit Unterfchiede, 
beantwortet werden. Einmal, verfteht man durch die 
Gröffe die ausgedehnte Gröffe, oder die Bielheit der auffer 
einander befindlichen Theile eines Dinges $. 186, fo Fan 

ott unmöglich eine ſolche Gröffe haben, fo wenig als ir 


gends eine feiner Bollfommenheiten dergleichen haben kan; 


weil.er, um feiner einfachen Beſchaffenheit willen, gar 
Feine folchen Theile hat, welche auffer einander wuͤrklich find. 
Es zeugt alſo von einer ſehr fchlechten Scharflinnigfeit und 
Einſicht in die Natur der Gröffen, wenn ein Menfch des 
wegen in Gott fich Feine wahre Gröffe vorftellen Fan, weil 
Gott Feine Fänge, Feine Breite und Feine andere Art der 
ausgedehnten Gröffe haben Fan. Ein folder Menſch ſcheint 
überhaupt viel zu gemein, und fo zu reden viel zu koͤrper⸗ 
Yich zu denken, als daß er gefchickt fenn folte, ſich einen 
richtigen Begrif, von der unfürperlichen und unſichtbaren 
Gottheit, zu machen. Allein wenn man zum andern, durch 
die Gröffe eines Dinges überhaupt, die Menge und Biel» 
heit feiner Realitäten verſteht 9. 76. fo hat Gott nicht nur 
wahrhaftig eine Gröffe, fondern er felbft ift auch das gröfte 
Ding, und eine iedivede feiner Realitäten ift in ihrer Art 
die allergröfte, weil er alle mögliche und alfo die allermeis 
ften Realitäten befigt $. 8:6. $17. Folglich Fan und muß 
man fagen, daß er felbft den allerhöchften Grad der Voll: 
kommenheit befise, und daß er eine iedwede Bollfommens 
heit im allergröften Grade habe. $. 189. Es machen bier 
einige Gelehrte groffe Schwierigkeiten, und fie lafjen ſich 
durch die Liebe zum Paradoren verleiten, zu fagen: Gort 
habe gar feine Gröffe, und er befiße alle Vollkommenhei— 
ten ohne Grad. Allein alsdenn bedeuten alle Wörter 
nichts, welche die böchften Grade anzeigen, wenn man 

von 


Die einfache Befchaffenbeit Bottes. 138 


von Goff redet, und man müßte alfo nicht fagen: Cote fey 
das vollfommenfte, das hoͤchſte, das gütigfte, das heilige 
fie Wefen u, f. w. Und wie fol! man denn von Gott, 
auf eine ihm anftändige Art, fih ausdrucken? Wir wol⸗ 
len hören, was das für Gründe find, um welcher willen 
man, Gott und feinen Vollkommenheiten, alle Gröffe und 
alle Grade abfpricht. Erftlih, fagt man, Fan eine iedwe— 
de Gröffe vermehrt und vermindert, und alfo verändert wers 
den. Wenn alfo Gott eine Gröffe hätte, fo koͤnte er ins 
nerlich verändert werden, und das ift feiner Unveränderlichs 
Feit zumider. Allein wenn man diefe Gelehrten fragt, wo— 
her fie es erweifen, daß eine iedwede Gröffe vermehrt und 
vermindert werden fonne; fo berufen fie fic) darauf, daß. 
viele Weltweiſe die Gröffe durch dasjenige in einem Dinge 
erklären, was vermehrt und vermindert werden fan. Gleich. 
fam als wenn man, diefe Erklärung, ohne Widerrede ans 
nehmen müßte! Aus der Ontologie ift Elar, daß fie falfch 


iſt, und wir haben die Gröffe anders erflärt. Zum andern 
ſagt man: eine iedwede Gröffe Fan gemeflen werden. Wenn 


nun Gott eine Groͤſſe hätte, fo Eonte er ausgemeffen werben, 
und er wäre alfo nicht unermeßlich und unendlich. _ Auch 
diefer Einwurf fage fo viel, als gar nichts. Es nehmen 
einige ohne allen genugfamen Grund an, daß alle Gröffen fo 
ausgemeffen werden fonnen, wie wir Menfchen die Gröffen 
auszumeffen pflegen, und das leugnen wir, Doch ich werde 
dieſen Einwurf in dem Folgenden, wenn ich die Unermeßlich. 
feit Gottes unterfuchen werde, noch befier aufklären. Zum 
dricten fage man, wenn Gottes Vollkommenheiten einen 
Grad hätten, fo wären-fie eingefchrenft: denn ein iedwe— 
der Grad ift der. Schranfen eines unförperlichen Dingeg, 
Allein hier fest man ohne allen Grund durch ein bloffes Vor— 
urtheil voraus, daß diefe Erflärung der, Grade richtig ſey. 
Wir haben die Grade in der Ontologie fo erflärt, daß fie 
nicht nothwendig Schranken feyn dürfen, und es Fan alfo 
ein Grad eine wahrhaftig unendliche Gröffe feyn. Zum 
vierten ſagt man: ein iedweder Grad ſchlieſſe die Moͤglichkeit 

J 2 in 


132 Die einfache Befchaffenbeit Gottes, 


in ſich, noch weiter zu zehlen, oder ein jeder Grad koͤnne 
vergröffert werden. Wenn alfo Gott feine Vollkommenhei— 
ten in einem Grade befäfle, fo müßte er koͤnnen gröffer mer 
den, und das fey doch unmöglid. Allein das erfte nimt 
man wieder ohne Örund an. Es ift falſch, daß ein jeder 
Grad vermehret werden koͤnne, und alfo fällt auch diefe 
Schwierigkeit weg. Wir feben bier in einem Benfpiele, 
was man ſich felbit für Schwierigkeiten in andern Willen» 
fhaften verurfacht, wenn man, die erften Begriffe der 
menfihlichen Erkentniß, in der Ontologie nicht recht entwi— 
delt; und daß man fich im Öegentheil, durch eine gründliche 
und aufgeklärte Ontologie, den Weg durch alle andere Wifs 
fenfchaften vortreflid) babne. Zugleich Fönnen wir hier, einen 
ſtoͤrriſchen Eigenfin mancher Gelehrten, bemerken, Wenn 
fie eine Sache erklärt oder definiert haben, und fie finden 
hernach, daß ihre Erklaͤrung fi) auf gewiſſe Fälle, die uns 
ter den erklärten Begrif gehören, nicht anwenden laffe; fo 
ſolten fie daraus fehlieffen, daß ihre Erklärung falfch fey. 
Allein das thun fie nicht, fondern fie widerfprechen lieber 
dem gefunden Menfchenverftande, und behaupten die feltfams 
ften Dinge, wie das Bis dieſes Abfages beftätiger. 
71: 

Aus diefen Unterfuchungen läßt ſich nunmehr beurtheis 
fen: ob und wie ferne Gott abgebildet werden fonne? Es 
Fomt bier alles darauf an, was man durch die Bilder oder 
Abbildungen einer Sache verfteht. Und da wird diefes 
Wort, in einer doppelten Bedeutung, genommen. Ein— 
mal verfteht man, durch das Bild einer Sache, ein 
Zeichen der Figur oder Geſtalt derfelben; oder dasjenige, 
woraus man erkennen fan, was für eine Figur und Geftalt 
die abgebildete Sache habe. Wenn man auf diefe Art ein 
Bild von einem Dinge verfertiger, oder daffelbe abbilder; 
fo ahmt man, wie ein Maler, die Figur deffelben nad), 
und man verfertiget etwas, welches eben eine ſolche Figur 
und Geftalt hat, als die abgebildete Sache. Da nun 
Gott gar feine Figur und Geftalt hat $. 869, fo find ” 

Ab⸗ 


J 





Die einfache Beſchaffenheit Gottes. 133 


Abbildungen Gottes in diefem Berftande unmöglih, und 
verurfachen einen falfchen Begrif von Gott, Wir mürfen 
uns demnach in acht nehmen, daß wir uns Öoft unter Feis 
ner uns befanten Figur und Geftalt vorftellen, z. €. in 
einer menjchlichen Geſtalt, oder in der Geftalt eines Sterns, 
eines Thiers u. ſ. w. zumal da wir uns alle Dinge, die 
eine uns befante Figur haben, nothwendig als endlid) und 
eingefchrenft vorftellen müffen. Zur Erläuterung diefer 
Sache fan man die Frage aufwerfen: mas man von den - 
Bildern in den Kirchen zu halten habe? Ein iediweder fiebt, 
daß die Bilder von Chrifto, den Heiligen, und den bibli— 
fhen Hiftorien hieher gar nicht gehören; und wenn fie nicht 
angebetet und zum Aberglauben gemißbraucht werden, fo 
ift es fo weit entfernt, daß fie verworfen werden müßten, 
daß fie vielmehr fehr gute Dienfte leiften, indem fie uns 
die abgebildeten Sachen ins Gemüth bringen. Und der= 
jenige, der folhe Kirchenbilder überhaupt beſtuͤrmt, han— 
delt lächerlich, und aus einem blinden Secteneifer. Allein, 
die Bilder der Gottheit felbft, find durchaus verwerflich. 
Man koͤnte fie zwar, als hieroglyphiſche Figuren von Gott 
und feinen Bollfommenheiten, vertheidigen; ‚allein der 
Schade, den fie verurfachen, ift allemal groͤſſer, als ihr 
Mugen. Die meiften Menfchen werden dadurd) verleitet, 
Gott eben die Geftalt beyzulegen, welche fie. in dem Bilde 
gewahr werden; und man. Fan zuverfichtlic) fagen, daß die 
meiften Ehriften ſich Gott den Vater als einen alten Mann 
vorftellen, meil er in. den Bilderbibeln und Kirchen derge— 
ftalt abgebildet zu werben pflegt, Vielleicht ift das Hey: 
denthum daher entftanden, daß man Gott, feine WBeis« 
beit, feine Gerechtigkeit u. f. w. unter verfchiedenen hie— 
roglyphiſchen Figuren abgebildet, und daß man endlich ent» 
weder diefe Figuren felbft für Gottheiten gehalten, oder eine 
iedwede verfelben für eine Abbildung einer befondern Gotts 
beit angefehen hat. Gott hat daher fo ernftlich und nach» 
druͤcklich, in dem zweyten Gebote, alle Bilder von fic) 
verboten, 

3: $, 872 


134 Die einfache Beſchaffenheit Gottes. 


$. 872, 

Zum andern aber verfteht man, durch das Bild einer 
Sache, manchmal eben dasjenige, was man: auch fonft 
ein Ebenbild einer Sache nent, oder Etwas, welches der 
Sache recht merklich und in einem hohen Grade ahnlich ift. 
So wird ein Kind ein Ebenbild feines Waters genent, wenn 
es recht merklich fo ausfieht, als fein Vater. Ein Ebens 
bild Gottes iſt alfo ein jedes’Ding, in fo ferne, zwifchen 
ihm und Gott, eine vorzügliche und gröffere Aehnlichkeit 


angetroffen wird. Mun find alle mögliche Dinge Gott 


aͤhnlich, und zwar in fo ferne fie volllommen find. Denn 
in Gore find alle Vollfommenbeiten. Folglich Fan Fein 
Ding Gott ähnlid) feyn, als in fo ferne es vollfommen ift; 
und in fo ferne, ein Ding vollfommen ift, in fo ferne iſt es 
gewiß Gott ähnlih. Allein weil, diefe Aehnlichkeit aller 
möglicyen Dinge mit Gott, Feine vorzügliche und gröffere 
Aehnlichkeit ift: fo werden nur diejenigen Dinge, die volls 
Fommener find als andere, in Abficht ihrer vorziiglichen Volla 
Fommenbeit, Ebenbilder Gottes nenent. Und je vollfoms 
mener ein Ding ift, ein defto gröfferes Ebenbild Gottes ift 
es. Der erfte Grundfag der practifchen Weltweisbeit, den 
die Weltweifen annehmen: mache dich feibft durch alle dei— 
ne freye Handlungen vollfommener, ift alfo eben fo viel, 
als wenn man fagt: werde immer ein gröfferes Ebenbild 
Gottes. Und wer Fan dawider, mit Grunde, etwas eins 
wenden? Wenn man alfo nach diefem Begriffe urtheilt, fo 
fan man diejenigen endlichen Dinge leicht beitimmen, wel—⸗ 
ce das Ebenbild Gottes an fid) fragen, und vorzüglich 
nad) Gottes Bilde eingerichtet find. 1) Die befte Welt 
im Ganzen betrachter ift, unter allen möglichen endlichen 
Dingen , dasjenige, welches das gröjte Ebenbild Gottes 


iſt, oder welches Gott ähnlicher ift, als alle übrige mögliche _ 


endliche Dinge, Denn fie ift, unter allen endlichen Dins 
gen, das allervollfommenfte 5. 427. und wenn ein endlie 
cher Geift, oder irgends ein anderes endlihes Ding, noch 
fo vollkommen ift, fo Fan es doch unmöglich fo ie 

eyn, 





Die einfache Befchaffenheit Gottes, 135 


feyn, als die ganze befte Well. Folglich ift, die ganze 
beſte Welt, der beſte Abdruck, und der vollfommenfte Abs 
| glanz der göttlichen Bollkommenheit, der aufler Gott mög« 
lich iſt. 2) Die Theile der Welt find entweder Subſtan— 
| zen oder Accidenzien $. 360. Da nun Gott Fein Accidenz, 
| fondern eine Subftanz ift $. 860. fo iſt, zwifchen Gore 
| und den endlichen GSubftanzen, eine gröffere Aehnlichkeit, 
' als zwifchen Gott und den Accivenzien. Folglich find die 
| endlichen Subftanzen ein gröfleres Ebenbild Gottes, als 
ihre Mecidenzien. Dazu komt noeh), daß eine iedwede end« 

lihe Subftanz vollfommener ift, als ihre Accidenzien: 
‚ weil, die Vollkommenheit eines Accidenz, zugleid) eine 

Vollfommenheit der Subftanz ift, in welcher es angetroffen 

wird, welche überbis noch mehr Realitäten beſitzt. 3) Uns 
ter allen endlichen Subftanzen find diejenigen, welche Geis 
| fer find, vollfommener, als die übrigen $. 370. 371. 372» 
373. Folglich tragen fie vorzüglich, vor denen übrigen ende 
lihen Subftanzen, das Ebenbild Gottes an fi; zumal 
da wir balde erweifen werden, daß Gott auch ein Geiſt fen, 
und daß er alfo denen endlichen Geiftern in einem viel ho» 
hern Grade ähnlich fey, als den übrigen endlichen Sub— 
ftanzen. 4) Unter den endlichen Geiftern find die höhern 
Geifter, oder welche mehr Verftand Haben, vollfommener, 
als die niedrigern $. 790. und fie find alfo ein gröfferes 
Ebenbild Gottes, als die legtern, Und unter den höhern 
find die Höchften, oder, welche den gröften Berftand haben, 
das gröfte Ebenbild Gottes; zumal da bald erwiefen wer— 
den wird, daß Gott felbft den allergröften Werftand habe. 
Da nun Weisheit und Klugheit Bollfommenheiten des Vera 
ftandes find, fo gehören fie zu dem Ebenbilde Gottes in den 
endlichen Geiſtern. Je mehr alfo ein Menſch feinen Ber: 
ftand verbeffert, je mehr vernünftige Erfentniß und wahre 
Gelehrſamkeit er befißt, je weifer und Elüger er ift, ein deſto 
gröfferes Ebenbild Gottes iſter. Wie abgefchmadt und 
untheologiich denken demnad) die andächtigen Feinde ber 
Gelehrſamkeit, und der Berbefli lerung ber menfchlichen Ver⸗ 

54 nunfe! 





136 Die einfache Befchaffenbeie Gottes. 


nunft! 5) Unter ben höhern Geiftern find die guten, glück« 
feligen und heiligen Geifter ein gröfferes Ebenbild Gottes, 
als die böfen; weil fie vollfommener find als diefe, und 
weil Gore felbft der allerheiligſte und glückfeligite Geiſt ift 
$. 790. 838. Folglich erfodert, das Ebenbild Gottes in 
den endlichen Geiftern und Menfchen, daß fie fi) fo viel 
als möglich von allen Unvollfommenheiten, und fonderlich 
von dem moralifchen Uebel und allen Sünden, entfernen, 
Hieraus erhellet demnach, daß der Gedanfe mancher Got« 
fesgelehrten in gemiffer Abſicht falſch ſey, wenn fie bes 
haupten, daß diefes ein Vorzug der Menfchen vor allen 
übrigen Creaturen fey, daß fie nad) dem Ebenbilde Gottes 
gefchaffen worden, Es ift wahr, man Fan es mwenigftens 
mit Wahdrfcheinlichkeit behaupten, daß der Menfch auf dem 
Erdboden das einzige Geſchoͤpf ſey, welches vorzüglich nad) 
dem Bilde Gottes gefchaffen worden. Allein in der ganzen 
Welt gibt es gewiß Creaturen, welche ebenfals ein Ebens 
bild Gottes find, und zwar in einem noch hoͤhern Grade, 
als der Menſch. Es Fan auch ſeyn, daß das Ebenbild 
Gottes in dem Menfchen, in mandyen Stücen, von dem 
Ebenbitde Gottes in andern Creaturen verfchieden iſt, und 
daß die heilige Schrift auf Diefe Unterfcheidungsftüde vor— 
nemlich ſehe. Und da fie überhaupt nicht zur Abficht hat, 
ung eine ausführliche Nachricht, von der Schöpfung andes 
rer endiichen Geifter auffer den Menfchen, zu geben: fo 
ſchweigt fie auch mit Recht von dem Ebenbilde Gottes in 
andern Creaturen ftille, wenn fie die Schöpfung der Welt 
erzehlt. | 
ng 873. 

Hier iſt es nöthig, von einem Irrthume zu handeln, 
vor welchem fich die meiften Menfchen in acht nehmen Füna 
nen, und welcher die ganze Erfentniß Gottes vergiftet, 
Man nene diefen Irrthum den Anthropomorphiſmus, 
und man fihreibt vermöge deſſelben Gotte Unvollfommen= 
beiten zu. Es ift diefes offenbar ein Irrthum, meil Gott 
gar feine Unvollffommenbeiten hat, und haben fan 8. ur 

8 








Die einfache Defchaffenbeie Gottes. 137 


Es ift alfo hier nicht, fo wol nöthig, dieſen Irrthum zu 
widerlegen, als vielmehr, zu zeigen, wie er entſteht, und 
wie er vermieden werden muß. Die Erfahrung lehrt, da% 


die Begriffe von den menſchlichen Accidenzien, von. den 


menfchlichen Bollfommenheiten und Unvollkommenheiſen, 
unfere alleverften Degriffe find, woraus wir alle unfere Be⸗ 
griffe von allen uͤbrigen Dingen herleiten. Folglich kan 
man ſagen, daß wir gewohnt ſind, alle Vollkommenheiten 
und Unvollkommenheiten anderer Dinge uns ſo vorzuſtellen, 
als ſie in uns angetroffen werden; und daß wir uns von 
einer Vollkommenheit und Unvollkommenheit gar keinen 
Begrif machen koͤnnen, wenn wir nicht ſelbſt eine Vollkom⸗ 
menheit und Unvollkommenheit beſitzen, die ihr Ähnlich ift. 
Sites nicht wahr, daß wir z. E denken, der Berftand 
anderer Geifter fey völlig eben fo befchaffen, als der unfrige ? 
Daher fonts nun, daß wir, beynahe auf eine nothwen= 
Dige Art, uns in Gott menſchliche Unvollkommenheiten ver= 
ftellen, oder uns ihn als einen Menſchen vorftellen. Und 
deswegen wird diefer Irrthum eben mit einem folchen grie= 
chiſchen Worte benent, welches eine Gleichförmigfeit mit 
dem Menfchen anzeigt. Und er ift von doppelter Art. Erft- 


lich ein gröberer Anthropomerphifinus, wenn man 


Gott eine Figur und Geftale zuſchreibt. Das Heydenthum 
fan überhaupt bieher gerechnet werden, famt dem Irrthu— 
me), vermöge deffen man Gott eine menfchliche Geftalt zus 
ſchreibt, und das ift ohne Widerrede unrecht $. 871. Un— 
terdeſſen ſcheint dieſer Irrthum, bey den meiften Menſchen, 
unvermeidlich zu ſeyn. Es gehoͤrt dazu ein ſcharfſinniger 
metaphyſiſcher Kopf, wenn man ein Ding ohne Ausdeh— 
nung und Figur denfen will, Folglich Eönnen fich die mei— 
fin Menfchen Gott nicht anders vorftellen, als in einer 
Geſtalt. Und da die Menfchen ihre eigene Geſtalt aus Ei- 
genliebe für die befte halten, fo ift es ganz natürlich, daß 
wir uns Goft mit einer menſchlichen Geſtalt vorftellen, Ci— 
cero behauptet diefes in feinen philoſophiſchen Schriften fo 
gar im Exnfte, und durch einen formlichen Beweis, Und 

35 ein 


138 Die einfache Befchaffenheit Gottes. 


ein gewiſſer Sranzofe behauptet meines Erachtens mit Recht, 
dag, wenn z. E. Die ‚Hunde Berftand hätten, und einen 
Sort eher fo würden fie fich denfelben in der Geftalt 
eines Hundes vorſtellen, weil fie aus Eigenliebe ihre eigene 
Geftalt | für die fchönfte, befte und bequemfte halten würden, 
Zu dieſem groben Anthropomorphiſmus werden die Men— 
fchen, durch) die Bilder Gottes, mit Gewalt verleitet, und 
es ift nicht aut, daß man den Kindern gemalte und gea 
ſchnitzte Bilder zeigt, und dabey fagt: das ift der liebe 
Gott.  Unterdefien, wenn ein Menfch Gott eine Geſtalt 
beylegt, und übrigens ihm alle göftliche Vollkommenheiten 
in feinen Gedanken zufchreibt, fo Fan ihm diefer Irrthum 
nichts fonderliches fhaden. Was foll man aber thun, um 
Leute vor dieſem Irrthume zu bewahren, welche unmoͤglich 
was anders denken koͤnnen, als was eine koͤrperliche Geſtalt 
hat? Gott gibt uns dazu die Anweifung in dem andern Öes 
Bote. Man überzeuge diefe Leute, daß fie ſich Gott unter 
Feiner uns bekanten Geftalt vorftellen dürfen, und daß fie 
ſich feine Subftanz als ein unſichtbares Weſen vorfteffen 
müffen, von dem fie fich weiter Eeinen Begrif machen müfs 
fen, als daß er Allmacht, Weisheit, Güte, und alle übris 
ge Bollfommenheiten, von denen fie fich Begriffe zu mas 
chen im Stande ſind, im — Grade beſitze. 


Zun andern iſt dieſe li auch ein feiner oder 
fubtiler Anthropomeorpbifmus, wenn man Gore andere 
Unvollkommenheiten der endlichen Dinge z. E. der Men« 
ſchen, auffer der Geftalt, zuſchreibt. Als wenn man denkt, 
Gott uͤberlege eine Sache ſo wie wir Menſchen, er ſtelle 
nach dieſer Ueberlegung eine Wahl an, er aͤndere feine Rath⸗ 
ſchluͤſſe, er zuͤrne wie wir Menfchen u ſ. w. Dieſer 
Irrthum iſt eben ſo haͤuſig, und ſo ſchwer zu vermeiden, 
als der vorhergehende. Die ſcharfſinnigſten Gottesgelehr⸗ 


ten Eönnen ſich kaum Davor in acht nehmen, und die froͤm⸗ 
h 


ſten Leute behandeln Gott in ihren Gebeten wie einen Men— 
ſchen, der wozu bewogen werden Fan, Es iſt leicht zu be 
greis 





Die einfache Beſchaffenheit Bottes. 139 


greifen, woher diefer Irrthum fo fehr häufig iſt. Alle 
unfere Begriffe, die wir ung von Gott und feinen Vollkom— 
menbeiten machen, famt den Ausdrucken derfelben, find 
von endlichen Dingen entlehnt, und ftellen uns viel unvolls 
fommenes zugleich vor. Sie felbft find endliche Acciden— 
zien, und enthalten viel Unvoiifommenheit. Da es nun 
ganz natürlic) ift, daß wir, Die Gegenftände unferer Bes 
griffe, eben fo befchajfen zu feyn glauben, als unfere Be— 
griffe von denfelben befchaffen find: fo iſt es beynahe un 
vermeidlih, daß wir Gott Unvollfommenbeiten zufchreis 
ben, Bor diefem Irrthum fan man fich nur in acht neh— 
men, wenn man genau achtang gibt, ob man gleichnißweiſe 
von Gert denfe und rede oder nicht, und wenn man in dem 
eriten Falle, alles Unvollfommene in unfern Begriffen, von 
Gott abfondert S. 851. Folglich Fan man es als cine Laͤ⸗ 
fterung anfehen, wenn manche Feinde der Gottesgelahrheit 
fagen , daß die ganze theologifche Erfentniß der Menfchen, 
am gelindeften davon zu reden, ein feiner Anthropomors 
phiſmus fey, und es fey alfo beſſer, von Gott gar nichts zu 
denfen und zu fagen. Freylich verdient, die theologifche 
Erfentniß der meilten Menfchen, diefen Namen. Allein, 
man fan aud) nicht fagen, daß dieſer Irrthum allemal ſehr 
ſchaͤdlich ſey. Es ift ofte beffer, die Wahrheit mit Serthüs 
mern unfermengt zu erfennen, als fie gar nicht zu erfens 
nen. So ift es zu der Gluͤckſeligkeit der Menfchen viel 
beſſer, daß fie ſich die Rathſchluͤſſe Gottes als veränderlich 
vorftellen, und zugleich glauben, daß fie Die beften find: 
als daß fie von den Rathſchluͤſſen Gottes gar nichts wiſſen, 
und die Begebenheiten der Welt als von Gott unabhängig 
ſich vorftellen, In dem legten Falle fällt alles Vertrauen 
aufj Gott, alles Geber, und alle Unterwerfung unter die 
göttliche Vorſehung weg. 


. 875« 

Man fan den theologifchen Materialiſmus mit 
Recht als eine Art des ‚Anthropomorphifmus:anfehen, ins 
dem er derjenige Irrthum iſt, vermöge deſſen man Gott 

für 


170 Die einfache Beſchaffenheit Gottes, 


für Fein einfaches, fondern für ein zufammengefegtes Ding 
hält, mithin aud) für ein ausgedehntes, materielles und fürs 
perliches Wefen. Weil Gott, um feiner Unveränderlich- 
Feit und Unendlichfeit willen, einfach ift $. 862. fo ift es 
feiner hoͤchſten Vollkommenheit zuwider, wenn man ihn für 
eine Materie hält, und folte diefelbe übrigens auch noch fo 


fein, zart und vollfommen ſeyn. Wir haben alfo nicht nos 


thig, diefen Irrthum weiter zu widerlegen, fondern wir 
wollen nur zwey Anmerfungen machen. Einmal ift es 


wol unleugbar, daß die allermeiften Menfchen theologifhe 


Materialifien find. Die Ungelehrten find es ohnedem auf 
eine norhwendige Art, weil diefelben nicht im Stande find, 
fid) einen reellen Begrif von einem einfachen Dinge zu mas 
den. Sie müffen alfo entweder Gott gar nicht denken, 
oder fie müfjen fich denfelben als was Materielles vorftellen. 
Und felbft, die meiſten Gottesgelehrten und Weltweifen, 
denfen eben fo. Die Alten-fagen zwar, Gott fey ein Geift; 
aber fie verftehen durch einen Geift die allerfeinfte Materie, 
das allerfubtilefte Feuer. Folglich Fan man fagen, daß 
die Lehre von der einfachen Befchaffenbeit Gottes eine neue 
Lehre der fpätern Zeiten fey „welche noch dazu wenig wahre 
Anhänger bat. Vielleicht ift unter den alten Weltweifen 
Pythagoras derjenige, welcher fie richtig behauptet hat, 
indem er Gott eine Monas nene, welches eben fo viel heift, 
als eine einfache Subftang. Zum andern ift, der theolo⸗ 
giſche Materialifmus, auch gar Fein gefährlicher und fchäd« 


licher Sperthum, wenn er nur font mit feinen andern Irr⸗ 


thümern zufällige Weiſe verbunden iſt. Wenn ein theos 
logifcher Materialift nur Gott Feine eingefchrenkte Figur und 
Geftale beylegt, und ihm übrigens alle übrigen göttlichen 
Bollfommenheiten zufthreibt, fo hat fein Irrthum nichts zu 
bedeuten. Wolte man fagen, ein materieller Gott fey 
doc) ein Unding, und folglicy fey der Materialift in der 
That ein Atheifte: fo feßt man voraus, daß alle diejenigen 
in der That Arheiften find, die fich einen falfchen Begrif 
von Gore machen, Allein, alsdenn müßten alle Menfchen 

Athe⸗ 


’ 
nn u a re ni — a ee u — iu — ——— 





Die einfache Befchaffenbeit Gottes. iys 


Arheiften fern, weil niemand fo tollkuͤhn feyn und fügen 
wird, daß er fich gar feinen falſchen Begrif von Gott mas 
he. Wenn nur ein theologifcher Materialift, mit Auf⸗ 
richtigfeit feines Herzens, eine materielle Gortheit für mög» 
lid) und wuͤrklich hält, und ihr alle übrigen göttlichen Boll: 
fommendeiten zufchreibt: fo Fan er fo from feyn, als irgends 
ein Menſch feyn Fan, und er Ean alfo zeitlich und ervig bey 
feinem Irrthume glückfelig werden. So fanft if, das 
Schickſal der Menichen, bey ihren Jerthuͤmern! Diejeni⸗ 
gen Irrthuͤmer, die am ſchwerſten zu vermeiden find, ſcha⸗ 
den uns am wenigften, Es ift alfo nicht der Mühe wert, 
wider den theologifchen Materialifmus in einen fegermad)es 
rifchen Eifer zu gerathen. 


Es ift nur ein einziger Gott möglich 

und wuͤrklich. 
§. 876. 

Diejenigen Gelehrten, welche, den Satz des Unter⸗ 
ſchiedes aller auffer einander befindlichen Dinge, nicht ken— 
nen und annehmen, find nicht im Stande, auf-eine deut— 
liche und unumftösliche Art, aus der Vernunft zu erweifen, 
dag nur Ein Gott möglich und wuͤrklich ſey. Es haben 
zwar einige gefchloffenz weil nur eine einzige Welt würflich 
it, und Diefe einzige Welt ganz, aus Einem Gotte erfant 
werden fan, fo ift Fein Grund vorhanden, warum man 
mehr als einen Gott annehmen mwolte, und es gibt alfo nur 
Einen Gott. Allein man Fan, wider diefen Beweis, vers 
fhiedenes einwenden. Einmal erhellet Daraus höchfteng 
nur, daß nur Ein Gott nöthig ſey; allein es muß erroiefen 
werden, daß nur ein einziger Gott möglid) fey. Zum ans 
dern Fonte man fagen, daß, da eine andere alg diefe Welt 
wuͤrklich feyn koͤnte, auch alsdenn ein anderer Gott wuͤrklich 
feyn fönte, und das ift auch unmöglid). Und drittens 
Fönte man fagen, daß, da mir nicht alles in diefer Welt 
kennen, vielleicht manches in derfelben angetroffen werben 
Eonne, welches aus dem einzigen Gott nicht erfant werden 

Fan. 


142 Es ift nur ein einziger Bott 


fan. Folglich erhellet daraus, daß nur eine einzige Welt 
wuͤrklich ift, niche deutlich genug, Daß auch nur Ein Gore 
würflich fey. Doch wir wollen andere dafür felbft forgen 
laffen, wie fie ihre Beweiſe einzurichten für gut befinden, 
Wenn wir bier als ausgemacht annehmen, daft alle auffer 
einander befindlichen Dinge innerlich von einander unters 
ſchieden, und alfo einander unähnlich und ungleich find 
6. 208, 209, 210, 211. fo ift es fehr leicht zu erweifen, daß 
mehrere Götter nicht nur nicht wuͤrklich, fondern auch) 
ſchlechterdings unmöglich find. Denn wenn mehrere Götz 
fer wären, fo wären mehrere unendliche Subftanzen möge 
lich und würflih S. 914. Alle Subftanzen find auffer 
einander befindlich S. 154. 191. Folglich müßten mehrere 
Götter auffer einander möglic) und würflich feyn, und fie 
müßten alfo innerlich von einander unterfchieden ſeyn. Mit 
Hin müßte in dem einen Gotte eine innerlihe Beſtimmung 
feyn, die in dem andern nicht wäre $. 200. Diefe wäre 
entweder eine Nealität, oder eine Verneinung $. 48. Iſt 
fie das erfte, fo würde der Gott, welcher diefelbe nicht hätte, 
nicht alle Realitäten haben, und alfo ift er Fein Gott $. 816. 
Iſt fie das andere, fo bat der Gott, in welchem fie befind⸗ 
lich it, eine Verneinung, und er Fan alfo Fein Gott feyn, 
weil in dem wahren Gotte gar Feine Berneinung feyn Fan 
$. 818. Folglich find, mehrere Götter, ſchlechterdings 
unmöglih, Dieſer Beweis wird dadurch noch ungemein 
beſtaͤrkt, wenn man bevenft, daß ein Ding, dem auch nur 
eine einzige Realität fehlt, eingefchrenfe ift, und alfv Feine 
einzige göttliche Vollkommenheit haben Fan, meil es fonft 
alle übrigen zugleich haben müßte S. 855. Wider viefen 
Beweis Fan nur, ein doppelter Einwurf, gemacht werden, 
Einmal fünte man fagen, daß der Gott, dem eine Nealis 
tät fehle, die der andere befißt, an deren flat eine andere 


haben koͤnte, die eben fo gut ift, und eben ſo einen groffen 


Werth befige. Allein alsdenn würden beyde Götter nicht 
alle Realitäten ohne Ausnahme befißen, und folglich wäre 
Feiner von benden der wahre Gott. Diejenigen, 9 

nicht 











möglich und wuͤrklich. 143 


nicht ohne Einfchrenfung annehmen, daß Gott alle Neali> 


täten beſitze, die mögen fehen, tie fie diefen Einwurf be— 
antworten, Zum andern Fonte man fagen; mir hätten ja 
felbft erwiefen, daß alle Realitäten in einem Subiecte zus 
fammen genommen keinen Widerſpruch verurfachen. Wenn 
man fie nun noch einmal in einem andern Subjecte zufans 
men nehme, fo entftehe abermals Fein Wideripruch. Und 
fo koͤnne man unendlich viele allervollkommenſte Subjecte 


denken, die möglich, und nach unferer eigenen Art zu Demon 


ſtriren wuͤrklich ſeyn $. 824. 825. Folglich feyn viele 
Götter möglich, und würklich. Allein nad) unfern Grund— 
fügen ift es zwar möglich), wenn man alle Nealitäten in eis 
nem einzigen Subjecte annimt, Go bald man fie aber 
insgefamt noch einmal, in einem andern auſſer dem erften 
befindlichen Eubjecte, gedenken will, fo bald fällt man in 
einen Widerſpruch, und denft was unmöglides. Aus 
unferm Beweife erhellee alfo nit nur, daß auffer Einem 
Gotte nicht mehr Götter würflid) find, fondern daß auch 
nicht mehrere möglich find. 
§. 877- 

Der Jerthum, welcher der vorher ertwiefenen Wahr- 
heit entgegen geſetzt ift, heift die Vielgoͤtterey, vermöge 
welcher ein Menfch viele aufler einander befindlichen Götter 
annimt. Mir dürfen diefen Irrthum nicht weiter wider: 
legen, weil feine Ungereimtheit ſchon binlänglich aus dem 
vorhergehenden Beweiſe erhellet. Man muß ihn aber, 
von zweyerley, unterſcheiden. Einmal von der Abgoͤtte⸗ 
rey, vermoͤge welcher man einem Dinge, welches nicht 
wahrer Gott iſt, einen göttlichen Dienſt leiſtet. Die Ab— 
götterey ift ein moralifcher Fehler, und feine Unterfuchung 
gehört in die Sittenlehre. Es ift wahr, aus der Vielgoͤt— 
terey entſteht allemal auch die Abgötterey, es mögen nun 
alle Götter, die ein Menfch annimt, falfche Götter feyn, 
oder einer derfelben mag nur derwahre Gott fern. Allein 
nicht ein iedweder Abgötter, und Goͤtzendiener ſteckt, feiner 
Theorie nach, in dem Irrthume der Bielgötterey. Syn der 

Sir 


144 Es ift nur ein einziger Bott 


Eittenlehre wird erwiefen, daß z. E. ein Menſch, welcher 
ſich ſelbſt mehr liebt als Gott, in der That der Ubgötterey 
ſchuldig fen, und ein folcher Menfc Fan in der That nur 
einen einzigen Gott glauben. Zum andern ift, die Biel- 
götterey, noch von dem Heydenthume unterfchieden, 
Das legte befteht darin, wenn man, neben dem einzigen 
wahren Gotte, ſolche Wefen göttlich verehrt, von denen 
man glaubt, daß fie von dem wahren Gotte als Bediente 
gebraucht werden, durch welche er die Welt regiert, wie 
3. €. die Lehre von den Heiligen im Pabſtthume nichts ans 
ders, als das alte Heydenthum unter riftlichen Namen, 
it. "Ein Heyde Fan allerdings auch der Bielgötteren bes 
ſchuldiget werden, wenn er die Untergottheiten in den Rang 
der oberften Gottheit erhoͤhet. Allein das thut ein Heyde 
nicht nothwendig. Diejenigen Chriſten, welche, aus den 
drey Porfonen der Gottheit, drey auffer einander befindli- 
liche Subftanzen machen, und die Menfchheit Chrifti ver- 
goͤttern, finfen offenbar in den Irrthum der Bielgötteren. 
Ja, fehr viele Chriſten verwandeln, die Engel und Teufel, 
in Gottheiten. Wenn man aus der Erfahrung gelernt 
bat, zu was für abfcheulichen Jrrthümern, Laſtern und Aber 
glauben, das menfchliche Gefchlecht, durd) Die Vielgoͤtterey, 
verleitet worden: ſo wird man ohne weitere Unterſuchung, 
die Gefährlichkeit und Abſcheulichkeit der Vielgoͤtterey, eins 
fehen. Wenn ein Menſch ſich nicht, bis zu dem wahren 
Begriffe von einem aflervollfommenften Dinge, in die Höhe 
ſchwingen Fan ; fo Fan er gar leicht eine Menge folcher Dinge 
für würflich halten, deren ein iedwedes den Örad der Bolls 
Eommenheit. befigt, den er zu einer Gottheit für hinlaͤnglich 
hält, ° Und ich habe ſchon oben gezeigt, wie, aus den ’an« 
fangs gut gemeinten Abbildungen der verfthiedenen Boll 
Eommenbeiten Gottes, die Vielgoͤtterey entſtehen Fönnen, 
. 878. 

Da num der Gott, deſſen Moglichkeit und Würflich- 
keit twir bisher unterfucht haben, dergeftalt Ein Gore iſt, 
daß auffer ihm Fein anderes Ding möglic) und wuͤrklich ift, 

wel: 





möglich und würklich. 145 







| 
| welches ebenfals mit Recht ein Gott genent werden Fönte : 
ſo iſt diefer unfer Gott ein einziger Gott $. 77. und zwar 
iſt er, im allerhöchften und vorzüglichften Grade, ein einzi— 
| ges Ding S. 817. und das will folgendes fagen. ı) Gott 
beſitzt die allergröfte Einheit und Gröffe S. 940. 870. ders 
geſtalt, daß in ihm die allermeiften und gröften Realitäten, 
auf eine ſchlechterdings unzertrenliche Art, mit einander vers 
‚ einiget find: Denn in einem ie hoͤhern Grade ein Ding ein 
einziges genent werden foll, defto gröffer muß feine Einheit 
feyn 9.77. 2) Gott iſt verfchieden von allen andern möge 
‚lichen Dingen: denn von ie mehrern Dingen ein Ding vers 
| ſchieden ift, in einem defto höhern Grave ift es ein einziges 
‚Ding $. 77. Auſſer Gott iſt fein Ding möglich, welches 
auch Gott feyn Fünte. in iedes endliches Ding bat feia 
nes Gleichen. Der Begrif Gottes aber ift weder eine Gate 
tung, nod) eine Art der Dinge, und folglicd) Fan Gott Fein 
anderes Ding neben fich haben, welches mit ihm von einerley 
Art feyn koͤnte. Folglich ift er der einzige in feiner Art, 
wie man zu reden pflege. 3) ort ift verfchieden auch von 
‚alien andern Dingen, welche die gröften und beften in ihrer 
Art find, 3. E. von der beiten Welt und ihrer Natur, und 
von den gröften endlichen Geiftern, vergeftalt, daß kein 
‚anderes Ding, welches aud) das befte in feiner Arc ift, ein 
Gott genant zu werden verdient: denn von ie gröffern Din— 
‚gen ein Ding verfchieden ift, in einem deſto höhern Grade 
iſt es ein einziges Ding $. 77. 4) Gott ift, von allen 
andern möglichen Dingen, durch die allermeiften Unter⸗ 
fheidungsftücke, oder auf die mannigfaltigfte Art, oder in 
Abficht auf alle feine Beftimmungen, unterfchieden, derge— 
ftalt, daß er Feine einzige feiner Beftimmungen, fo wie fie 

in ihm ift, mit irgends einem andern Dinge gemein batz 
denn ie mannigfaltiger der Linterfchied eines Dinges von 
andern ift, in einem deſto hoͤhern Grade ift es ein einziges. 
Ding $. 77. . Eine iedwede innerliche Beftimmung Got⸗ 
tes ift, eine unendliche Realität $. 854. und eine folche 

Realitaͤt Fan in feinem andern möglichen Dinge flat finden, 

4, Theil, K weil 











140 Es iſt num ein einziger Gott 


weil e8 widrigenfals ein wahrer Gott feyn müßte $. 855. 
Ja felbft, in feinen Berhältniffen gegen andere Dinge, iſt 
er von allen andern möglichen Dingen unterfchieden, indem 
es unmöglich ift, daß zwifchen zwey endlichen Dingen ein 
ſolches Verhaͤltniß fat finden koͤnne, als zwifchen Gott und 
den endlichen Dingen. 3. E. Gott verhält ſich zu allen 
möglichen Dingen als die Duelle ihrer Möglichkeit, und 
welches endliche Ding kan fid) gegen andere Dinge eben fo 
verhalten? Ja indem Folgenden wird diefes, durch noch 
mehrere Beyfpiele, beftätiget werden, Folglich it, in ala 
len unendlich vielen innerlichen und äufferlihen Merkmalen 
Gottes, etwas, wodurch er von allen andern möglichen 
Dingen, einzeln und zufammengenommen, unterfchieden 
iſt. 5) Gott ift von allen andern möglichen Dingen im 
hoͤchſten Grade und unendlich unterfehieden, und zwar in 
einem iedweden feiner Unterfheidungsftücke: denn ie gröffer 
der Unterfchied eines Dinges von andern ift, in einem deſto 
hoͤhern Grade ift es ein einziges Ding $. 77. Zwiſchen 
einem iedweden andern möglichen Dinge und zwifchen Gore 
ift cin wahrhaftig unendlicher Unterfchied, und zwar in Ab» 
ſicht auf eine iedwede feiner aufferlichen und innerlichen Bolls 
fommendeiten. 3. E. zwiſchen dem Berftande Gottes 
und dem Berftande aller endlichen Geifter, ift ein unendli— 
cher Abftand und Unterſchied. So muß man ſich dieſe 
Vollfommenheit Gottes vorfiellen, wenn man es ſich auf 
eine ihm würdige Art denken will, daß er im allerhöchften 
Grade ein einziges Ding fen. 
879. 


8. j 
Wenn mir diefe wichtige goͤttliche Vollkommenheit 


noch genauer einfehen wollen, fo müjfen wir noch bemerken : 
1) daß vermöge berfelben noch nicht genung ift, wenn man 


fagt, daß Fein Ding auffer Gott möglich ift, welches beya 
nahe ihm gänzlich ähnlich if. Sondern man muß ber 


baupten, daß fein Ding, und wenn es au) übrigens das 
vollfommenfte feiner Arc feon folte, möglich fen, welches 
eine folche Aehnlichkeit mit Gott haben koͤnte, vermöge wel« 

eher 


— —— 


a — 





moͤglich und wuͤrklich. 147 


cher keine wahrhaftig unendliche Unaͤhnlichkeit zwiſchen ihm 
und Gott uͤbrig bliebe. Zwiſchen Gott, und allen moͤgli— 
chen Dingen, iſt eine unendlich groſſe und mannigfaltige 
Unähnlichkeit. Folglich Fan ein endliches Ding ewig in 
feiner Aehnlichkeit mit Gott zunehmen, ohne daß feine Uns 
Ähnlichkeit mit Gott nah Millionen Jahren merklich folce 
vermindere feyn, dergeftalt, Daß man endlich in derfeiben 
das Ende folte abfeben koͤnnen. 2) Es ift noch nicht ges 
nung, wenn man fagt: daß Fein Ding auffer Gott möglich) 
fey, welches beynahe gänzlich ihm gleid) feyn fol, Son— 
dern man muß vielmehr fagen, daß fein Ding, und wenn 
es auch das geöfte in feiner Art wäre, möglic) fey, welches 
eine folche Gleichheit mit Gort haben folte, vermöge welcher 
Feine wahrhaftig unendliche Ungleichheit zwiſchen Gott und 
ihm übrig bliebe. Zwiſchen Gore und allen endlichen Din= 
gen iſt, und bleibt nothwendig eine unendlich groſſe Ungleich= 
heit. Ein endlicyes Ding mag noch fo groß feyn, feine 
Gröffe ift immer eingefchrenfe. Und wenn man fie Mile 
lionenmal nimt, und diefe Summe wiederum Millionenmal, 
fo fomt doch allemal eine endliche Gröffe Heraus. Und 
folglich) mag ein endliches Ding ewig in feiner Realität 
wachen, es fan doc) niemals zwifchen feiner Gröffe und 
der Gröffe Gottes eine Gleichheit entfiehen, und man Fan 
fie niemals als einen Theil betrachten, der einige mal zu fi) 
felbft genommen der Gröffe Gottes gleich) werden Fünte, 
3) Durd) diefe Bollfommenheit Gottes aber wird nicht ges 
leugnet, daß in Gort felbft unendlich viele und groffe Rea— 
litäten angetroffen werden, weldje, ihrer unendlichen Ueber— 
einftimmung, Aehnlichkeit und Gleichheit obnerachtet, den« 
noch auf eine reelle und unendliche Art von einander vers 
fehieden find $. 841. Denn alle feine Realitäten find une 
endlich, und unendliche Dinge find einander unendlich Ahnn 
lich und glei, Demohnerachter aber fünnen fie auch, in 
Beziehung auf einander, unendlich verfehieden fin, weil 
fonft alle Realitäten völlig einerley wären. Wie ſehr wird, 
der Degrif von dem wahren Gotte, durch dieſe Betrach— 

82 tung 


148 Die Selbfiftändigkeit Gottes. 


tung erhöher! Lind wie fehr muß nicht der Begrif von ihm, 
von allen übrigen Begriffen, abgefondert und unterfchieden 
werden, wenn er Gott anftandig werden foll! 


Die Selbſtſtaͤndigkeit Gottes. 
$. 880, 

Die Selbſtſtaͤndigkeit Gottes wird auch, feine 
Unabhaͤnglichkeit von allen auffer ihn befindlichen Din: 
gen, von der Welt und allen ihren Theilen, genent, und 
fie muß von der Subftantialität Gottes noch unterfchieden 
werden, Weil Gore felbitftändig ift, fo muß er frenlich 
auch vor fich beftehen, oder eine Subſtanz ſeyn; allein es 
Fan ein Ding eine Subftanz feyn, und doch feine Selbfts 
Mändigfeit haben, wie z. E. die endlichen Subſtanzen. 
Gore ift eine Subftanz, in fo ferne er nicht in einem von 
ihm verfchiedenen Dinge, als in feinem Subjecte, wie ein 
Praͤdicat deflelben würklich ift, und in fo ferne feine Würfa 
lichkeie nicht eine Beftimmung eines andern Dinges ſeyn 
fan, Allein wir nennen ihn felbftftändig, in fo ferne er 
feine Urfachen auffer fid) har; oder in fo ferne, der hinrei— 
chende Grund feiner WürflichFeie, nicht auffer ihm ange— 
troffen wird, fondern in ihm felbft. Da nun, das noch» 
wendige und unendlihe Ding, zugleich felbftitandig ift 
$. 238. Gott aber nothwendig und unendlich ift $. 845. 
853. und den hinreichenden Grund feiner Wuͤrklichkeit in 
ſich felbft hat $. 834. 863. fo ift er auch ſelbſtſtaͤndig. 
Gott fteht durch feine eigene Gröffe, und er wird nicht von 
auffenher getragen, und in feinem Dafeyn unterſtuͤtzt. Wir 
Menfchen, und andere endlihe Dinge, müffen beftändig 
ringsherum von auffen ber unterftügt werden, Die Luft, 
die wir im ung ziehen, und alle um uns ber befindlichen 
Dinge, unterhalten uns in unferer Würflichkeit, und wenn 
alles um uns her über den Haufen fiele, fo würden wir 
von ſelbſt in unfer Michts nachftürzen. Gottes Würklich« 
feit aber ift in ihm allein fo feft gegründet, daß, wenn alles 
auffer ihm vernichtet würde, er dennoch vor wie nad) aufs 

voll: 











Die Selbſtſtaͤndigkeit Bette. 10 


vollfommenfte und unmwandelbarfte wuͤrklich bleiben würde; 
und daß, wenn aud) auffer ihm unendlich viele Dinge würfe 
lich find, dennoch feins derfelben, eine Urfach und Stuͤtze 
feiner Wuͤrklichkeit, weder ift noch feyn Fan. Denn alles, 
auffer Gott, ift endlich und zufällig. Die Würfungen 
eines endlichen Dinges find nothwendig endlich und zufäls 
lig 9. 255. Folglich, wenn Gott auffer fich Urfachen hätte, 
fo müßte er endlich feun, und das ift unmöglich. Folglich 
banget Gott nicht nur nicht würflich von Urfachen aufler 
fih ab, fondern er fan auch unmöglich von irgends einer 
Urfache auffer fih abbangen. Daher ift er auch, die 
ſchlechterdings erſte Urſach aller feiner Wuͤrkungen $. 241. 
Denn waͤre er irgends in einem Falle eine Zwiſchenurſach, 
ſo muͤßte er ſelbſt wieder eine Urſach auſſer ſich haben, und 
das iſt feiner allervollkommenſten Selbſtſtaͤndigkeit zuwider. 
Man fan es alſo mit Recht als einen göttlichen Namen ans 
fehen, wenn Gott von manchen fehlechtiveg die erfte Urſach 
genent wird, zumal da in dem Folgenden erwiefen werden 
wird, daß alle andere Urfachen nur Zwifchenurfachen find, 
indem fie insgefamt von Gott abbangen. 
.. 881 
Wenn man fi), von der Selbftftändigkeit und Un⸗ 
abhängigfeit Gottes, einen völlig richtigen Begrif machen 
will: fo muß man fich überzeugen, daß Gott auf keinerley 
Weiſe, in Abficht auf feine innerlichen Beftimmungen, leise 
den und fich leidentlich verhalten Fan, ‘Denn wenn irgends 
eine feiner innerlichen Nealitäten ein Leiden feyn koͤnte, fo 
müßte der hinreichende Grund ihrer Wuͤrklichkeit nicht in 
Gore ſelbſt, fondern in andern Dingen auffer ihm anges 
troffen werden $. 164. Folglich würde er in fo ferne, Urs 
fachen feiner Würktichkeit, auffer fi) haben $. 235, und 
das ift, feiner hoͤchſten Selbitftändigfeit, zuwider $. 880, 
Und da alle Urſachen auſſer Gott endliche Dinge ſind, ſo 
wuͤrde ein Leiden in ihm etwas Endliches ſeyn, wie ich in 
dem vorhergehenden Abſatze gezeigt habe. Es haͤtte alſo 
Gott innerliche Realitaͤten, welche nicht unendlich waͤren, 
83 und 


150 Die Selbfiftändigkeit Gottes, 


und das ift fehlechterdings unmöglich d. 854. Folglich ift 
Gott eine Subftanz, welche gar nicht leiden fan. Kan cr 
nicht leiden, fo fan auch nichts auffer ihm in ihn würfen, 
und in ihm einen Einfluß haben, es mag nun diefes von 
einem reellen oder idealifchen Einfluffe verftanden werden 
$. 166. 167. Und eben fo wenig Fan auch irgends eine 
Subſtanz in ihn zurück würfen, wenn er in diefelbe würft 
$. 168. Es iſt alfo falfch, wenn man fagt: wo ein Eins 
Fuß iſt, da ift auch) eine Zuruͤckwuͤrkung. Von der Ein« 
wuͤrkung und dem Einfluffe der endlichen Subſtanzen in 
einander gilt diefes zwar $, 381. aber es ift falſch, wenn 
von dem Einfluffe Gottes in die zufälligen Subſtanzen, und 
in die Welt, die Rede if. Durch diefe Betrachtung wer- 
den viele falfche Begriffe widerlegt, welche man ſich manch— 
mal von Gott made. 3. E. wenn man denft, Gott 
werde durch ein gläubiges Geber alsdenn, wenn es geſchieht, 
bewogen, es zu erhören; der Menſch koͤnne in der Wieder« 
geburt Gott dergeftalt widerftehen, daß er in Gott wuͤrke, 
und ihn dadurch abbalte, fortzuwuͤrken; der Menſch kaͤmpfe 
mit Gott in der Buffe und im Glauben, und was dergleis 
hen Vorftellungen mehr find, welche anzeigen, daß ein 
Menfch in die Gottheit hineinwürfen koͤnne. Gott iſt fo 
unendlich weit über die Kräfte aller endlicdyen Dinge erho— 
Den, daß er vor ihrem Einfluffe vollfommen ſicher ift. 


Die Natur Gottes. 
§. 882% 

Da, die Natur eines iedweden Dinges, der Inbe— 

grif derjenigen feiner innerlichen Beftimmungen ift, welche 
die Gründe feiner Handlungen find *%G, 396. fo ift die Na⸗ 
tur Gottes der Inbegrif derjenigen innerlichen Beſtim⸗ 
mungen Gottes, melche die Gründe feiner Handlungen und 
Wuͤrkungen in fich felbft, und auffer fi) in andern Din— 
gen, enthalten. Da nun eine iedwede Subſtanz eine Na— 
tur bat, und Gott überdis um feiner Selbftftändigkeit wil« 
len nicht leider, fondern felbft handele $. 881. fo bat er 
nicht 


Die Natur Gottes. Ist 


nicht nur eine Natur, fondern die göttliche Natur ift auch 
unendlich und die aflervolffommenfte Natur, die irgends 
nur möglih iſt F. 817. Sie begreift das göttliche We— 
fen, feine allmächtige Kraft, und alfe feine übrigen: Bolls 
fommenbeiten in fih, durch welche feine Handlungen bes 
ftime werden, feine unendliche Güte, Weisheit, und wie 
fie alle Namen haben mögen . 396. Damit man aber 
den unendlichen Unterſchied der Natur Gottes, von der 
Matur affer übrigen möglichen Dinge famt ihrer unendlts 
hen Bollfommenbeit, beſſer einfehe, fo wollen wir fonders 
lic) folgende Stüce bemerfen. 1) Die Natur Gottes ift 
ein Inbegrif lauter unendlicher Nealitäten, und allerhöchtten 
Vollkommenheiten: denn Gott Fan Feine andern innerlichen 
Beſtimmungen haben, als Realitäten die unendlid) find 
$. 818. 854. Syn der göttlichen Natur iſt nichts Vernei— 
nendes, Unvollfommenes und Eingefehrenftes, fie ift volls 
kommen Beilig S. 858. Die Naturen aller andern möglis 
hen Dinge enthalten zwar viel Nealitat und Vollkommen⸗ 
beit, allein fie enthalten auch viele und groffe Unvollfoms 
menheiten. Durch die Natur Gottes Fan feine Verneis 
nung und Unvollfommenheit gewirkt werden, und die Na— 
tur eines endlichen Dinges Fan nichts würken, was ganz 
und durchgängig gut ift. 2) Die Natur Gottes enthält, 
den hinreichenden würfenden Grund feiner Würfungen, in 
und auffer ſich: denn fonft müßte er nicht nur von andern 
Dingen auffer fi) abbangen, fondern er würde auch nicht 
den binreihenden Grund der Würflichkeit anderer Dinge 
auffer fi) enthalten H. gar. Enthielte die Natur Gottes 
blog einen unzureichenden Grund feiner eigenen würflichen 
Accidenzien, fo müßten andere Dinge auffer Gott vollends 
das ihrige dazu betragen, damit die Accidenzien Gottes 
ihren hinreichenden Grund erhielten, weil fie ohne hinrei— 
chenden Grund nicht wirklich feyn Fönnen, und dag iſt der 
Selbftftändigfeie Gottes zumider $. 850. Die Naturen 
aller andern Dinge find fo ohnmaͤchtig, daß Feine derfeiben 
den völligen hinreichenden Grund ihrer Handlungen enthals 

KA ten 


152 Die Natur Gottes, 


ten fan. Ohne Beyhuͤlfe Gottes und. anderer Dinge Fan, 
‚Feine Natur irgends eines andern Dinges, etwas würfen. 
3) Die Natur Gortes ift felbftftändig, und folglich iſt 
Gott, vermöge verfelben, fdhlechterdings die erfte Urſach 
aller feiner Handlungen $. 880. Alle andere Dinge auffer 
Gott aber find, vermöge ihrer Maturen, nur Zmwifchenur: 
fachen ihrer Handlungen und Würfungen, und bangen in 
ihrer Würfiamfeit von andern Urfachen ab, welche ihnen 
die Wuͤrkſamdeit eines Theils geben, 4) Die Natur Got: 
tes Fan ſich niemals leidentlich verhalten 6. 881. Die Nas 
£uren aller andern Dinge aber verhalten ſich, im aller ihrer 
Wirffamfeit, zugleich leidentlich, indem fie nicht nur von 
Gott leiden, fondern auch von andern Dingen, welche ihnen 
widerftehen und in. fie zurück mürfen. Die Natur eines 
endlichen Dinges ift wie ein Rad in einer Uhr, welches zu— 
gleich bewegt und, bewege wird, Die Natur Gottes aber 
fest. alles in Bewegung, fie felbft aber wird gleichfam nur 
durch, ſich ſelbſt bewegt. 5) Die Natur Gottes befindet 
ſich allemal in einer unendlichen und unveränderlicyen Ges 
ſchaͤftigkeit, alles iſt in ihe Thätigkeit $. 856. 861. Die 
Naturen aller andern Dinge aber find ofte nur blofie Moͤg 
lichfeiten zu handen. Bald wuͤrken fie mehr bald aber 
weniger, niemals aber fo viel, als es an ſich möglich iſt. 


. 883 | 

Aus diefer Betrachtung der Natur Gottes flieffen fols 

gende Wahrheiten. x) Alles was an fich möglich ift, das 
ift in Abficht auf Gort natürlich möglich: denn die Natur 
Gottes ift eine allmächtige Natur $. 883. 862. 408. Gott 
Fan durd) feine Natur, alles mögliche wuͤrklich machen. 
2) Was in Ablicht auf Gott natürlich unmöglich genene 
werden foll, das muß an und vor fich betrachtet unmöglich 
ſeyn. S. 408. 865. Den endlichen Dingen ift vieles na— 
türlich unmöglich, was an fich gar wohl möglid) ift, denn 
ihre Natur ift nicht allmaͤchtig, allein bey Gott verhält es 
fih ganz anders, 3) Was an fich zufällig ift, das ift aud) 
in Abſicht auf Gott natürlich zufällig 9. 409. nee fein 
egens 





Die Natur Gottes. 155 


Gegentheil möglich ift $. 105. ſo Fan Gott durd) feine all« 
mächtige Kraft fo wol das zufällige würfen, als aud) fein 
Gegentheil, in fo ferne beydes was reelles it. Einem 
“endlichen Dinge fan manches natürlic) ‚nothmendig feyn, 
was an ſich zufällig ift. 4) Was in Abficht auf. Gott na= 
türlich norhwendig ift, das muß fehlechterdings nothwendig 
feyn: denn dasjenige iſt in Abficht auf Gott natürlich noth« 
wendig, was er würfen Fan, aber nicht das Gegentheil defa 
felben. Folglich muß das legte fehlechterdings unmöglich, 
und das erſte fchlechterdings nothmendig ſeyn $. 409. 104, 
5) Alle übernatürlihe Begebenheiten und Wundermwerfe 
find, in Abficht auf Gott, natürlich möglich und zufällig 
$. 864: Folglich find ſie auch in dem Berftande hypothe— 
tiſch möglich, daß fie auffer fich eine Urſach haben, welche 
Kräfte-genung beſitzt, fie bervorzubringen. Wenn alfo ein 
Naturaliſt deswegen alle übernatürliche Begebenheiten und 
Wunderwerfe leugnet, weil er in der Meinung fteht, daß 
fie diefe hypothetiſche Möglichkeit nicht haben, fo irret er, 
und Fan durch die bloffe Vernunft widerlegt werben S. 467. 
$. 884, 

Das Leben eines iedweden Dinges: befteht, in der 
Dauer-feiner Natur 9. 396. Folglich ift, das Leben 
Gottes, die Dauer feiner: göttlichen Natur; oder Gott 
iſt eim lebendiger Gott, in fo ferne er. nicht nur, als der 
wahre Gott, Die wahre, göttlihe Natur befist, fondern in 
fo ferne auch Diefelbe in ihm fortdauert. $. 882, Nun fan 
die Natur seines Dinges nicht anders wirklich feyn und 
fortdauren, als in fo ferne ein Ding fo handelt und wuͤrk⸗ 
fam ift, als es feiner Natur gemaͤs ift. Folglich befteht, 
Das Leben Gottes, in feiner, auf eine unendliche und aller— 
vollfommenfte Art, würffamen und handelnden Natur, 
Und es iſt ohne fernern Beweis Elar, daß Gott lebe, oder 
lebendig fen. $. 882, Er wird in der heiligen Schrift vor« 
züglic, der lebendige Gott genent, nicht nur zum Unterfchies 
de non den falſchen Göttern, als welche Feine göttliche Na— 
fur, und alfo auch Fein göttliches $eben haben, fondern 

85 todte 


154 Die Natur Gottes. 


todte Goͤtzen find; fondern er fan auch mie Recht vorzüglich 
der Schendige beiflen, weil das Leben Gottes das allervolle 
fommenfte eben ift, und weil Gott im allerhöchften und 
unendlichen Grade lebt. F. 817. md das will fonderlih _ 
zweyerley fagen. 1) Je gröffer und vollfommener die Natur 
eines Dinges ift, defto gröffer ift fein Leben. Da nun, die 
Natur Gottes, die allergröfte und vollfommenfte Natur 
it $. 882. fo iſt in diefer erften Abficht, das Leben Gottes, 
das allergröfte. Alles demnach), was wir in dem Vorher— 
gehenden zur höchiten Vollkommenheit der Natur Gottes 
gerechnet haben, das gehört auch zu dem höchften Grade 
feines Lebens. 2) Je groͤſſer Die Dauer der Natur eines 
Dinges ift, defto gröffer ift fein feben. Die Dauer der 
Natur Gotees ift in allen Abfichten unendlich groß $. 854. 
Sie ift ewig $. 858. fie iſt unveränderlih $. 847. und 
beſteht in einer ununterbrodyenen allmächtigen Wirkfamfeit 
$. 862. Die Natur ift die Duelle der Handlungen. Syn 
fo ferne ein Ding feiner Natur gemäß handelt, in fo fern 
iſt feine Natur wuͤrklich, und in fo ferne lebe daffelbe Ding. 
Syn fo ferne es aber nicht handelt, in fo ferne ift feine Natur 
nicht wuͤrklich, und in fo ferne ift es todt. Je mehrere und 
gröffere Handlungen ein Ding vornimt, und ie ununterbroch« 
ner diefes geſchieht, deſto lebendiger ift es. Keine endliche 
Gubftanz lebt immer im möglichfien Grade, fie ift allemal 
in gewilfer Abficht tode und unwuͤrkſam. Gott lebe durch« 
aus, und er itin keinerley Abſicht als todt zu betrachten: 
indem er beftändig auf eine allmächtige Art feine Natur 
braucht, und fo viele und groffe Handlungen thut, als moͤg— 
lich iſt. Chriſtus ſagt: mein Vater wuͤrkt bisher, und ich 
würfe auch. Es it eine wahrhaftig göttliche Bollfommen« 
heit, im hoͤchſten Gradegelchäftig zu feyn, und im höchften 
Grade zu leben, San alfo wol Unthätigkeie, Unwuͤrkſam— 
feit eine wahre Vollkemmenheit feyn? Se mehr wir thun 
und würfen, deſto febendiger find wir, und defto gröffer 
iſt unfere Vollkommenheit, weil wir dadurch Gott ähnlicher 
werden. Es ift aljo ein wahrer Gedanke mancher Sitten⸗ 

lehrer, 








Die Natur Gottes, 15 


fehrer, daß man, bey der Ausmeſſung des menfchlichen tes 
bens, die Stunden, die wir verfchlaffen, die wir mit Nichts— 
thun verfchleudern, und die wir ohne vernünftige Handlungen 
zubringen, abziehen müffe, wenn man willen wolte, wie 
alt ein Menſch fey? Und da ift Elar, daß mancher Menfch 
nur etwa zehn Jahr alt ift, welcher, nad) Ausſage der Kit 
chenbuͤcher, fiebenzig Jahr erlebt hat; und daß mancher in 


feinem zwanziaften Jahre ſtirbt, welcher in der That ein 


ehrwürdiger achtzigjäbriger Öreis genent zu werden verdient, 


Eine ungemein nügliche Betrachtung! 


§. 885. 

Die Unsterblichkeit beſteht, in der Unmöglichkeit zu 
fterben. Da nun der Tod, in dem Ende der Natur eines 
Dinges beſteht: fo ftirbe ein Ding, wenn fein leben aufhört 
S. 396. Folglich ift ein Ding unfterblic), wenn es uns 
möglich ift, daß fein Leben aufhoͤre. Iſt dieſes fehlechter= 
dings unmöglich, fo ift ein Ding fhlechterdings unfterblich ; 
ift es aber nur hypothetiſch unmöglich, fo ift das Ding nur 
hypothetiſch, oder auf eine bedingte Art, unfterblih, Ich 
habe diefe Begriffe, in meinen Gedanken von dem Zu⸗ 
ftande der Seele nach dem Tode, weitläuftig abges 
handele, und hier iſt nicht noͤthig, Diefeiben weiter auszu« 
fügen. Es würde viel zu wenig gefagt feyn, ja man würs 
de auf eine geobe Art irren, wenn man behaupten wolte: 
Gott fey auf eine bedingte Art unfterblich ; denn das hieſſe 
fo viel, als, Gott koͤnne zwar fterben, allein unter einer 
gewilfen Bedingung fey das Ende feines Lebens unmöglich. 
Gore ift vielmehr fchlechterdings unfterblich, weil es ſchlech— 
terdings unmoͤglich ift, daß er fein Leben folte verlieren Föne 
nen. Das göttliche teben ift eine innerliche Vollkommen— 
heit Gottes $. 854. und folglidy ſchlechterdings nothwen⸗ 
dig und unveränderli 6. 845. 849. 847. und fo wenig 
fein geben einen Anfang bat nehmen fünnen, fo wenig Fan 
es ein Ende nehmen 9.848. Folglich ift er fchlechterdings 
unſterblich. Kein endliches Ding Fan ſchlechterdings un« 
ſterblich ſeyn, weil eine iede endlihe Subjtanz ihre Wuͤrk— 

lich: 


156 Die Natur Gottes. 


lichkeit, und alfo auch ihr eben, verlieren fan $. 176, 
Folglich iſt Gott die einzige Subftanz, welche ſchlechterdings 
unfterblich iſt. Er wird daher in der heiligen Schrift ders 
jenige genent, der affein Unfterblichkeit hat. Die Unfterbs 
lichkeit Gottes ift atfo, von der. Unſterblichkeit aller endlis 
chen Subſtanzen, aller endlichen Geifter, und der menſch⸗ 
lichen Seelen, auf eine zweyfache Art, unterfchieden, Cine 
mal, weil Gott allein. ſchlechterdings unſterblich iſt; alle 
andere Dinge aber, welche uniterblich find, die find es nur 
auf eine bedingte Art. Zum andern, weil die Unfterbliche 
feit Gottes, in dem ewigen und unveränderlichen Befige, 
des allergröften und vollfommenften Lebens, beſteht; das 
ift, in einer unendlichen Thätigfeit Gottes, wohin auch der 
beftändige und unendliche Gebrauch feines Verſtandes und 
feines freyen Willens gehört, mie aus. dem Folgenden erhela 
len. wird. Der unfterbliche Gort lebt nothwendig, beftans 
dig und unmandelbar, im hoͤchſten und. vollkommenſten 
Grade, Und darin beftehe die unendliche Bollfommenheit 
feiner Unfterblichkeit, weiche alſo eine: goͤttliche Vollkom— 
menbeit ift, die feinem endlichen Dinge mitgetheilt werden 
fan. Kein anderes unfterbliches Ding lebe fo vollfommen, 
und Fan alfo niemals auf die Are unfterbiich genent werden, 
als das allervollfommenfte Weſen. 


Die Unermeßlichkeit Gottes. 
$. 886. 

Unermeßlich heift dasjenige, was eine Gröffe hat, 
welche nicht gemeffen werden fan. Wenn mir alfo bes 
haupten wollen, daß nicht nur Gott im Ganzen betrachtet, 
fondern aud) eine iedwede feiner innerlichen Vollkommenhei— 
sen, unermeßlich fey: fo komt «8 nicht nur darauf an, daß 
wir den wahren Grund der Unermeßlichkeit überzeugend ein- 
fehen; fondern daß wir auch deutlich zeigen, in was für 
einem Berftande Gort unermeßlid) genent werden Fan oder 
nicht. Was das erfte betrift, fo wuͤrde es, einmal, irrig 


ſeyn, wenn man deswegen Gott unermeßlich nennen wolte, 
weil 








Die Unermeßlichkeit Gottes. 157 


weil nur Gröffen gemeffen werden fönten, Gott aber gar 
keine Gröffe habe: denn das legte ift falſch, wie id) in dem 
Vorhergehenden gezeigt habe $. 870, Zum andern würde 
man noch unrichtiger denken, wenn man fo fehlieffen wolte : 
mas foll gemeffen werden koͤnnen, das muß in die Laͤnge, 
Breite und Höhe ausgemeflen werden koͤnnen. Nun baf 
Gott gar Feine Ausdehnung, folglid) auch Feine Laͤnge, 
Breite und Höhe; under fan alfo gar nicht gemeffen wer 
den. Jederman kan fich leicht überzeugen, daß auch une 
förperliche Groͤſſen gemeſſen werden Eonnen, obgleich niche 
vermittelft folcher Maaßſtaͤbe, durch welche nur ausgedehnte 
Gröffen gemefien werden koͤnnen. Leute, welche, wenn fie 
das Wort mejfen hören, nur an Ellen und Scheffel denken 
fönnen, die denfen viel zu koͤrperlich, als dag man mit 
ihnen von folchen Unterfuchungen, als wir jego vor uns has 
ben, gründlich folte reden koͤnnen. Und drittens würde 
man am allerfeletfamften denfen , wenn man deswegen Gore 
unermeßlic) nennen wolte, weil er feinen Umfang bat, fons 
dern unendlich ausgedehnt ift: denn Gott hat gar Feine 
Ausdehnung. Solche faifche Gedanken, als ic) jego wi: 
verlegt babe, Fönnen leicht in einem Gelehrten entſtehen, 
und ſich einmwurzeln, welcher auffer derjenigen Mathematif, 
die fi; mit der Ausmeſſung der Gröffen ver ausgedehnten 
und förperlichen Dinge bejchäftiget, fonft Feine gründliche 
Wiſſenſchaft verfteht, Und ein Lingelehrter Fan ohnedem 
bey ver Ausmeffung nichts anders gedenken, als Die Aus— 
meffung ausgedehnter Dinge; weil im gemeinen $eben fonft 
feine andere Gröffen gemeffen werden, als die wir in den 
förperlichen Dingen antreffen. 


§. 887. 

Wenn man nun diefer göttlichen Vollkommenheit ge 
nauer nachdenkt, fo fan man fich fehr leicht überzeugen: 
daß es fehlechrerdings unmöglich fen, Gott, oder irgends 
eine feiner innerlihen Bollfommenbeiten, auf die Ark zu 
meffen, wie wir Menfchen die Gröffen auszumeflen pflegen 5) 
ja daß wir Menfcher, Feine mögliche Art und Weife, zu 


eier 


158 Die Unermeßlichkeit Gottes, 


erdenfen im Stande find, nach welcher wir Gott, ober 
eine feiner innerlichen Bollfommenheiten, auszumeffen im 
Stande fenn folten. Denn wenn wir Menfchen eine Gröffe 
ausmeſſen follen, fo ift uns Fein anderer Weg befant, als 
daß wir eine gewiſſe beftimte und eingefchrenfte Gröffe als 
Eins annehmen, und hernach unterfüchen, wie ofte diefelbe 


in der Gröffe, die wir meffen wollen, enthalten fey. Die I 


legte muß alfo, der erften etliche mal genommen, gleid) 
feyn. Folglich ift fie allemal eine cingefchrenfte Gröffe, 
weil aus einer eingefchrenkten Gröffe, und wenn fie aud) 
noch fo ofte zu fich felbft Hinzugefügt wird, dennoch nichts 
anders als eine eingefchrenfte Gröffe entftehen fan. Mun 
äft die Gröffe Gottes, und aller feiner innerlichen Vollkom— 
menheiten, wahrhaftig unendlic) $. 853. 854. und es iſt 
zwifchen ihr und allen endlichen Gröffen ein fo unendlicher 
Unterſchied, daß die legten wie nichts gegen die erſten zu 
rechnen find S. 878: 8709. Folglich Fan feine endliche 
Gröffe, zum Maaßſtabe Gottes und feiner innerlichen Boll 
fommenbeiten, angenommen werden. Und es ift alfo uns 
leugbar, daß wir nicht nur Gott und feine innerliche Voll» 
kommenheiten, nicht ausmeffen Fönnen; fondern daß wir 
auch unmöglich eine Methode erfinnen fünnen, nad) wels 
her wir hoffen Fonten, die unendliche Groͤſſe Gottes auszu— 
meſſen. Wir müfjen alfo geſtehen, daß Gott, und alle 
feine innerlihen Vollkommenheiten, uns unermeßlic) find. 
Auf die Frage: wie groß Gott, feine Weisheit, feine All 
macht, , oder irgends eine feiner innerlichen Vollkommenhei⸗ 
ten fey, koͤnnen wir Menfchen unmöglich eine deutliche und 
beftimte Antwort geben. Und man fan auch mit Gewiß- 
heit behaupten, daß feine endliche Subftanz, welche einer 
Erkentniß Gottes fähig iſt, im Stande fey, die unendliche 
Gröffe Gottes und feiner innerlihen Vollkommenheiten 
auszumeflen, Denn eine iedwede Groͤſſe beſteht in der 
Vielheit der Theile, und folglich bejteht, Die Groͤſſe Got— 
tes, in einer wahrhaftig unendlichen Bielheit der Nealitäs 
ten. Wer aifo die görtliche Gröffe ausrechnen wolte, der 

müßte 





Die Unermeßlichteit Gottes. 1:9 


müßte einen deutlichen Begrif von derfelben haben, welcher 
- aus fo viel klaren Begriffen zufammengefeßt wäre, als es 
Kealitäten in Gore gibt, das ift, aus wahrhaftig unend⸗ 
lich-vielen klaren Begriffen. Dieſer deutliche Begrif iſt 
alſo in der That unendlich, und eine goͤttliche Vollkom— 
menheit, welche in feinem endlichen Dinge ſtat finden Fan 
6. 855. Folglich ift Gott allen endlichen Dingen ſchlech— 
terdings unermeßlich, und kein endlicher Geift Fan Gott 
ausmeflen, 


§. 888. 


Unterdeffen ift es eine ganz andere Frage: ob Gott 
ſich felbft, und eine jede feiner Vollkommenheiten, ausmefs 
fen fonne, und ob alfo Gott, und eine jede feiner Vollkom⸗ 
menheiten, an ſich ermeßlic, fey? Man Fan und muß Dies 
fes allerdings behaupten, Man muß nur das Mefien 
felbft, und die Art der Ausmeflung, von einander unter 
fcheiden. Das erfte ift nichts anders, als eine deutliche 
Erfentniß der Gröffe $. 188. Da nun Gott eine Gröffe 
bat $. 870 und alle möglihe Dinge deutlich vorgeftele 
werden koͤnnen $. 628. fo Fan aud) die Gröffe Gottes deut⸗ 
lic) vorgeftelt, und alfo an fid) betrachtet ausgemeſſen wer⸗ 
den.  Mun werden wir balde erweifen, daß der göttliche 
Verſtand wahrhaftig unendlicher Begriffe faͤhig ſey, und 
daß er alle mögliche Dinge aufs deuklichfte erkenne. Folge 
lid) Ean Gott nicht nur fich felbft, und alle feine Vollkom— 
menheiten, vollig ausmeſſen; fondern er thut e8 auch in 
der That, indem er den allerdeutlichiten Begrif von feiner 
eigenen Gröffe hat. Allein wenn von der Art der Ausmeſ— 
fung die Rede ift, fo iſt es unmöglich, daß Gott auf die 
Art ausgemeflen werden Fan, die uns Menfchen befant ift 
$. 887. Und es ift ein blofjes Vorurtheil, wenn man an« 

nimt, daß alle Groͤſſen eingeſchrenkt find, welche aus« 
gemeſſen werben‘ Fonnen, 


Die 


100 SE ES 
Die Unerforfihlichkeit Gottes. 


6. 889. 

Dieſe Vollkommenheit Gottes wird von manchen, 
unter dem Scheine einer tiefen Verehrung Gottes, gemife 
brauche, um die theologiſche Unwiſſenheit anzupreifen, und 
aus Liebe zum dummen Wunderbaren vorzugeben: Gott 
fey ein fo verborgenes Wefen, welches von uns Menfchen 
gar nicht begriffen werden Font, Wenn das wahr wäre, 
fo wären alle deutliche Borftellungen und Erklärungen Gotz 
tes und feiner Bollfommenbeiten, famt allen fyftematifchen 
Theologien unmöglich, und alle Gotresgelehrre und Welt: 
weile handelten höchft ungereimt, welche eine Gottesgelahr⸗ 
heit mündlich oder fehriftlich vortragen. Allein diefer Ge« 
danfe iſt Höchft ausfchweifend, falſch und gefährlich. Koͤn⸗ 
ten wir gar nichts von Gott begreifen, fo Eönten wir gar 
Feine deutliche und vernünftige Erfentniß von Gott erlan⸗ 
gen, wir Fönten unfern Verſtand und unfere Vernunft 
nicht zue Ehre Gottes brauchen, und aller) vernünftiger 
Gottesdienſt wäre unmöglich. Allein es ift auch unge 
reimt, eine folche Lnbegreiflichfeit Gottes zu behaupten, 
Alle mögliche Dinge koͤnnen deutlich erkant, und begriffen 
werden $, 623. Folglich ift Gott, und eine iediwede fei« 
ner göttlichen Vollkommenheiten, an und vor fid) felbft bes 
erachtet begreiflich. Ja wir Menfchen können Gott begreis 
fen, weil wir, nad) Ausfage der ganzen natürlichen Gottes— 
gelahrheit, eine ungemein deutliche Erfentnif Gottes und: 
feiner Vollkommenheiten erlangen Eönnen, Mir fönnen 
fo gar logifche Erklärungen von Gott und feinen Vollkom⸗ 
menheiten machen, die noch dazu Sacherklaͤrungen find 
S. 8351. Es iſt in Wahrbeie ein gefährlicher und arheiftix 
ſcher Ausdruck, wenn man ihn ftrenge beurtheilen will, 
wenn man nemlich ſagt, Gott fey ein ſchlechterdings unbe« 
greifliches Weſen: denn das heift eben fo viel als, Gott‘ 
fen ein Unding $.629. Und wenn man mit einigem Schein ' 
der Wahrheit behaupten will, daß wir Menfhen gar nichts 

von 


Die Unerforfchlichkeit Gottes. 161 


von Gott begreifen Fünnen ; fo muß man alle Erklärungen 
und deutliche Borftellungen von Gott und göttlichen Dins 
gen, welche in der Gottesgelahrheit vorkommen, ſchlechter⸗ 
dings verwerfen, und ihre Ungereimtheit zeigen. Und das 
bat bieher noch niemand thun fönnen, Der Deifmus, oder 
die Meinung, vermöge welcher man behauptet, daß wir 
Menfchen faſt aar nichts von Gott begreifen Eönnen, als 
etwa nur daß er würflich fen, ift unleugbar ein Irrthum. 
Der Deifte leugnet Gott nicht, allein er läft ihn in einer 
ſolchen Dunfelheit wohnen, die von unfern Augen ſchlechter— 
dings nicht durchdrungen werden Fan, Er erhoͤhet ihn 
ohne Grund fo weit über unfern Gefichtsfreis, daß wir 
ihm gar nicht erreichen Fonnen. Man Fan diefe Meinung 
freylidy mit vielen, dem Scheine nach, andächtigen und 
ehrfurchtsvollen Ausdrucken ausſchmuͤcken; allein folche red⸗ 
nerifche Figuren bemeifen nichts, und ehe ein Deift niche 
alle deutliche Begriffe der Gottesgelahrheit gründlich wider— 
legt, ehe Fan man feine ganze Lehre für nichts anders halten, 
als für ein andächtig Flingendes unverftändiges Gewäfche, 
$. 390% 

Alfein mit dee Unerforfhlichfeit Gottes, und aller 
feiner Vollkommenheiten, verhält es ſich ganz anders, 
Die Erforſchung einer Sache beiteht in einer folchen 
Erfentniß einer Sache, welche gar Feine Unwiſſenheit in 
Abficht derfelben in ſich enthäl. Wir erforfchen alfo ein 
Ding, wenn wir daflelde dergeftalt erkennen, daß ung nichts 
von demfelben, nicht die geringfte Beftimmung deſſelben, 
unbefant bleibt; wenn wir eine völlige hiftorifche, philofos 
phiſche und mathematifche Erfentniß von demſelben haben ; 
- "wenn wir fein Wefen, alle feine Eigenfchaften , innerliche 

"Beftimmungen und Berhältniffe; alle feine Gründe, und 
Folgen; alle Berfchiedenheiten feiner Merkmale, erkennen ; 
und wenn wir alfo eine folche Elare und deutliche Erfentnif 
von demfelben befigen, welche gar Feine Dunfelheit und 
Verwirrung mehr in fid enthält. Die Erforfchlich, 
feit eines Dinges befteht alfo, in der Möglichkeit einer 

4, Tbeil, $ fol« 


— 


162 Die Unerforſchlichkeit Gottes. 


ſolchen vollkommenen Erkentniß deſſelben. Nun Fan Gott, 
und eine iede feiner Vollkommenheiten, auf eine fo vollkom— 
mene Art erkant werden $. 889. Folglich iſt nicht nur 
Gott, und eine iedwede feiner Vollkommenheiten, an fi) 
ſelbſt erforſchlich; fondern wir werden aud) balde überzeugt 
werden, daß Gott ſich felbft, und alle feine göttlichen Boll _ 
kommenheiten, durch feinen unendlichen Verſtand erforfd,e. 
Allein wenn, von uns Menfchen und andern Creaturen, 
die Rede ift, fo ift leicht zu erweifen, daß uns Gott und 
alle feine Vollkommenheiten unerforſchlich find; oder daß 
unfere Kräfte nicht zureichen, ihn und feine Bollfommen« 
beiten zu erforſchen. Denn eine Erkentniß, durch welche 
Gott und eine göttliche Vollkommenheit erforſcht wird, iſt 
ein wahrhaftig unendlicher Begrif, welcher nur in einer 
Subſtanz wuͤrklich feyn Ean, die alle übrigen unendlichen 
-Bollfommenbeiten befißt. $. 855. Da wir und alle Crea« 
turen nun wefentlich eingefchrenfe find; fo iſt es ſchlechter— 
dings nothwendig, daß uns und ihnen allemal vieles In 
der Gottheit unbefant bleiben muß, und es it demnach) 
Gott, und eine iedwede goͤttliche Vollkommenheit, uns und 
allen endlichen Dingen unerforfchlih. Allein das ift noch 
nicht genung. Wir koͤnnen fein endliches Ding, fein Sand« 
£orn erforſchen. Wir müflen alfo fagen, daß Gott im 
hoͤchſten Grade unerforfhlich fey, und unendlich vielmals 
anerforfchlicher, als alle andere Dinge, Denn ie mehr 
in einer Sache uns und andern endlichen Dingen unbefant 
bleiben muß, und ie geöffer die Nothwendigkeit diefer Uns 
wiſſenheit iſt: defto unerforfchlicher ift diefelbe. Nun ente 
hält’ Gott unendlich viel mehrere und gröffere Realitäten, 
als alle andere Dinge, Folglich muß uns nothwendig viel⸗ 
mal mehr in Gott und feinen Bolfommenbeiten unbefane 
bleiben, als in allen andern Dingen, und diefe Nothwen⸗ 
digkeit ift noch ‚dazu die groͤſte. Folglich ift Gott, und 
eine iedwede göttliche Vollkommenheit, im hoͤchſten Grade 
unerforſchlich, und wird es aud) ewig bleiben, und wenn 
wir auch) noch fo fehr in der Erfenmiß Gottes wachfen folten, 

Zu 





Don den Vollkommenheiten Gottes. 163 


Zu diefer Linerforfchlichfeit Gottes gehört auch feine Uner— 
meßlichfeit S. 887. und es folgt aus ihr, daß alle unfer 
Wiſſen von Gott und göttlichen Vollkommenheiten nur ein 
Stuͤckwerk fen, das ift, daß wir nur einige Theile von Gott 
erfennen Fönnen, und Daß es uns unmöglich fey, den gan« 
zen Gott zu erfennen. Es gereicht dieſes allerdings zue 
Demuͤthigung und Befhämung flolzer Öottesgelehrten und 
Weltweiſen, welche ſich manchmal, durd) ihre heologifche 
Gelehrſamkeit, dergeftalt aufbläher laffen, daß fie auf eine 
verrückte Ark ſich einbilden, es fey für fie in der Gottesge— 
lahrheit nichts mehr zu lernen übrig. Allein e8 würde auf 
der andern Seite fehr unvernünftig fenn, wenn man deswe⸗ 
gen alle menſchliche Gottesgelahrheit verachten und vernad)- 
läßigen wolte, weil fie nur ein Stuͤckwerk iſt: denn es ift 
doch allemal beffer etwas, als gar nichts. Eine Erfentnif 
Gottes, die gar Fein Stuͤckwerk ift, if eine göttliche Era 
kentniß, deren Fein Gefchöpf fähig fenn und werden Fan, 


EHE EEE TER EEE TEEN EI BIER EURTRLIHER 


Der vierte Abſchnitt. 


Don den VBollfommenheiten Gottes, die ihm 
zukommen, in fo ferne er ein Geift ift. 


$. 891. 
ie haben ung bisher bemuͤhet, den Begrif von Gort, 
in fo ferne man ihn bios als eine mögliche und 
wuͤrkliche Subftanz betrachtet, recht vollfonmen 
und ihm anftändig zu madyen, indern wir nur diejenigen 
göttlichen Vollkommenheiten unterfuche haben, in Abfiche 
auf welche ihm alle endliche Subſtanzen aͤhnlich find, Alle 
endliche Subftanzen, ob fie gleich Feine Geiſter ſind, haben 
eine Macht, eine Einheit, eine Wahrheit u. f. w. Allein, 
alles diefes würde uns wenig nußen. Wenn Gott fein 
Geift wäre, fo hätte er keinen Berftand, Feine Weisheit, 
feine Güte, feine Gerechtigkeit, Feine Freyhelt u, f. w. 
‘2 Wäre 


164 Don den Dolltommenheiten Gottes. 


Wäre eine folche Gottheit wol werth, daß man fie Fennen 
lernte? Sie würde ohne Zweifel Feine beffere Zufriedenheit 
mit ihr, und feine gröffere Hochachtung, ‚verdienen, als 
der Klotz in der Zabel, den Jupiter zum Herrn über die 
Froͤſche machte. Die bisherigen Betrachtungen find zwar 
unentbehrlich gewefen, um uns einen richtigen und Gott 
anftändigen Begrif von ihm zu machen. Allein, wenn 
die Sehre von Gort uns Menfchen recht brauchbar, nüßlic), 
troͤſtlich und practifch feyn fol; fo mürfen wir nicht nur 
überzeugt werden, daß unfer Gott ein Geift fen, fondern 
daß er auch, mit allen Vollkommenheiten eines Geiftes, 
im höchften Grade prange, Und das Fan fehr leicht erwie- 
fen werden. Eine iediwede Subſtanz ift, der Erkentniß 
und DBorftellungen, fähig $. 369. Folglich gilt diefes 
auch von Gott, weil er eine Subftanz ift $. 860. Die 
Erfentniß ift eine Realität, und die Unwiſſenheit eine Vers 
neinung. In Gott find alle Nealitäten F. 816. Folglich 
hat Gott Erkentniß. Alle Dunkelheit und Berwirrung 
der Erkentniß ift eine Berneinung, und die Deurlichfeit eine 
Kealität $: 503. Folglicdy hat Gore deutliche Erfentniß 
$. 816, 878. Ufo hat er auch das Vermögen deutlicher 
Erkentniß $. 61. oder Verftand $. 372. Da nun eine 
Subſtanz, welche Berftand befist, ein Geift iſt F. 373. fo 
ift Gott ein Geift, und zwar der vollfommenfte Geift, weil 
er überhaupt in allen Abſichten das aflervollfommenfte Ding _ 
it 9, 815. Es wird diefes dadurch vollfommen beftätiget, 
wenn wir Gott, als die würfende Urſach viefer Welt, bes 
erachten. In dieſer Welt finden wir überall die Spuren 
der Weisheit, des Verftandes, der Güte, der Klugbeit, 
und es ift unbegreiflich, wie diefe Welt ein Werf eines un— 
verftändigen Weſens fern koͤnte. Alles ift nach überlegten 
Grundregeln eingerichtet und zufammengeordnet, und es 
ſchimmert allerwegen Die weifefte Wahl hervor. Diefe 
Beobachtungen betätigen wenigftens die Wahrheit, 
daß Gott ein Geiſt fey. 


Die 











I Hy N 165 
Die erfte Abtheilung. 
Der Verftand Gottes. 


892. 

Weit Gott ein du ift, fo hat er Verſtand $. 89r. 
und zwar befigt er denfelben, als eine innerliche Vollkom⸗ 
menheit. Nun find alle innerliche Vollfommenheiten Gotz 
tes unendlich, unveränderlich, und fehlechterdings die aller 
gröften $. 847. 854. 870. Folglich befteht, einmal, der 
Berftand Gottes nicht etwa in einem bloſſen Vermögen, 
fondern zugleich, in der würflichen Erkentniß, und in der 
Wuͤrkung aller Erkentniß, die durch den Verſtand Gottes 
möglich ift $. 856. Zum andern ift, der Verſtand Got— 
tes, unveränderlich. Folglich Ean Feine Erfentniß in ihm 
eneitehen und vergeher. Sondern alle feine Erkentniß if, 
von Ewigkeit zu Emigfeit, auf einmal, ohne alle Abaͤnde— 
rung in ihm würklih. In ihm find Feine Borftellungen, 
welche vor andern vorhergehen, und welche auf andere fol- 
gen. Der Verftand Gottes ift mächtig und ftarf genung, 
feine gefamte Erkentniß auf einmal zu faffen, zu fragen und 
zu unterftüßen. Zum dritten iſt der göttliche Verſtand, 
weil er unendlich ift, der gröfte, und ohne alle Schranfen. 
Und das will fagen: 1) Der Berftand Gottes erfent, alle 
mögliche Dinge, veutlih. Denn ie mehr Dinge ein Ber 
ftand deutlich erfent, defto gröffer ift er S. 632. Der gröfte 
Berftand muß alfo ale Dinge deutlich erfennen, welche 
deutlich erfant werden koͤnnen. Nun fan alles, was moͤg⸗ 
lich it, deutlich erfant werden $. 628. Folglich erfent 
Gore, durch feinen unendlichen DBerftand, alle mögliche 
Dinge, und fein Berftand hat alfo den allergröften Umfang. 
Wenn Gott ein einziges mögliches Ding nicht deutlich er» 
£ente: fo müßte er entweder daſſelbe gar nicht erfennen, und 
er wäre alfo unmiffend; oder er müßte es nur undeutlic) 
erkennen, und alfo wuͤſte er feine Unterfcheidungsftüce nicht. 
Alle Unwiffenheit ift eine Unvollfommenheit und Einfchrens 
Eung des Berftandes, welche in Gott niche möglich find $. 818. 

z Folg- 


166 Der DVerftand Gottes, 


Folglich iſt nothwendig in Gott, eine deutliche Erkentniß 
alfer möglichen Dinge ohne Ausnahme, 2) Der Verſtand 
Gottes erfent auch die allergröften Dinge, und ein iedes 
Ding in feiner alfergröften Gröffe: denn ie groͤſſer die Dina 
ge find, die ein Berftand erkent, deſto gröffer ift er d. 632, 
Folglich erforfcht, der göttliche Verſtand, alle mögliche 
Dinge $. 80, Er fieht alle mögliche Dinge vollfonmen 
in ihrer Gröffe, Wichtigkeit und Fruchtbarkeit ein. 3) Der 
Verſtand Gottes erfent alle Dinge aufs deutlichfter deun 
ie deutlicher die Erkentniß ift, defto gröffer ift der Verſtand 
$. 532. Der Verftand Gottes erkent alles, Folglich auch 
alle Merkmale aller mörlihen Dinge, und alle Merfmale 
der Merfmale, Sein. Berftand ift alfo der tiefite, indem 
er alle Dinge fo durchdringt, daß ihm fein Merkmal ver 
borgen bleibt, und er ift zugleich der teinfte Berftand, weil 
in feiner Erfentniß Feine Dunkelheit und Verwirrung übrig 
bleiben fan; indem diefe!be allemal aus der Unwiſſenheit der 
Merkmale entſteht $. 630. 631, 2) Indem Gottes Vers 
fand auf einmal, alle möglihe Dinge, in der gröften 
Deutlichfeit erfent: fo erkent er ein iedwedes, mitten unter 
unendlich vielen höchft verfchiedenen deutlichen Vorſtellun— 
gen, dennoch) in dem hoͤchſten Grade der Deutlichkeit. Und 
dieſes ift ein ausnehmender Beweis, der allmächtigen 
Stärfe des göttlichen Verſtandes. Wenn unfer fehwacher 
Verſtand etwas deutlich erkennen foll, fo muß er nur mit 
wenigen Dingen auf einmal befchäftiget werden. Stelt 
man ihm viel auf einmal und hinter einander vor, fo wird 
er zerſtreuet, und Fan gar nicht mehr würfen und deutlich 
denfen. Allein, der allmächtige Verftand Gottes Fan alles 
auf einmal, in dem allerhöchften Grade der DeutlichEeit, 
ohne Ermüdung, Zerftreuung und Verwirrung, von Emwig« 
Feit zu Ewigkeit erkennen, Doch wir müffen, die höchite 
Vollkommenheit des göttlichen Verſtandes, noch genauer 
unterfuchen, und das Fan gefchehen, wenn wir vornemlic) 
die höchfte Vollkommenheit der Erfentniß Gottes 


weitläuftiger betrachten. 
Die 


O 67 


Die allervollkommenſte Befchaffenheit der 
göttlichen Erkentniß. 


$. 893 
J Es iſt alſo eine unwiderſprechliche Wahrheit: daß 
Gott alle moͤgliche Dinge, in dem allerhoͤchſten Grade der 
Vollkommenheit, erkenne. Wenn wie nun dieſe Wahr⸗ 
heit gehörig, zur wahren Verehrung Gottes, einſehen wol⸗ 
len; fo müflen wir vor allen Dingen ‚5 die Form und Bes 
ſchaffenheit dieſer allervollkommenſten Erkentniß, zu bes 
trachten ſuchen. Und da iſt unleugbar, daß die Erkentniß 
Gottes in keinerley Abſicht ſinlich genant werden kan. Die 
Erkentniß iſt ſinlich, in ſo ferne ſie dunkel und verworren, 
oder mit einem Worte undeutlich iſt 9. 524. Nun iſt, 
die Dunfelheit und Verwirrung der Erfentniß, eine Une 
wiſſenheit der Merfinale $. 458. und folglich eine Berneia 
nung und Unvollftommenheit, welche in der Erkentniß Got⸗ 
tes nicht flat finden Fan $. 892. Zu dem komt noch, daß 
das Sinlihe in unferer Erkentniß von unferm Körper ab« 
hanget. Gott hat feinen Körper $. 868. und Feine feiner 
innerlichen Realitäten Fan, von andern Dingen auffer ihm, 
abbangen $. 881. Folglich Fan feine Erkentniß auch, um 
dieſer Lirfach willen, nicht fialich fyn. Was in Gott 
nicht würflid) ift, das ift auch in ihm nicht möglich $. 835. 
Folglich Fan Gott feine ſinliche Erfentniß haben, und er 
hat demnach) Feine untern Erkentnißkraͤfte, feine Ginne, 
Feine Einbildungsfraft, und wie fie alle Dramen haben mö« 
gen $. 524 Frehylich iſt in allen unfern untern Erfente 
nißkraͤften etwas Reelles, und man Fan Diefelben insgefame 
Gott gleichnißweiſe zufchreiben S. 851. Durch unfere 
Sinne z. €. flellen wir uns, das Gegenmwärtige in der 
Weit, vor. Gott erfent alles Gegenwärtige, folglich em⸗ 
pfindet er, gleichnißweife zu reden. Allein man muß fich 
wohl in acht nehmen, daß man nicht etwa Denfe: weil 
Gott alles erkent, was wir durch unfere untern Erkentniß— 
kraͤfte erkennen, fo fen dieſe ni Erkentniß eben fo beſchaf⸗ 

4 ven, 


168 Die allervollEommenfte Befchaffenbeie 


fen, als diejenige Erkentniß, die ung unfere untere Erkent⸗ 
nißkräfte von diefen Dingen geben, und e8 merde die Ers 
Fentniß diefer Dinge von dem göttlichen Berftande eben fo 
gewürft, als die finlihe Erkentniß derfeiben in uns von 
unfern finlihen Erfentnißfräften bervorgebracht wird. 
Der unendliche Verſtand Gottes vertrit in ihm zugleich die 
Stelle aller unferer untern Erfentnißfräfte, und er erfent 
durch denfelben alles dasjenige, was wir nur durch die uns 
tern Erfentnißfräfte erkennen, und zwar ohne alle Sinliche 
feit, indem es fhlechterdings unmöglich üt, daß ihm its 
gends etwas dunkel und verworren feyn koͤnte. Man Fan 
daher fehlechterdings nicht fagen, daß Gott abftrabive, oder 
von einer Sache abftrahiren koͤnne: denn alsdenn müßte er, 
die Borftellung derfelben in ſich, verdunfeln fönnen, und 
Das iſt fchlechterdings unmoͤglich $. 506. Verſteht man 
durch die Aufmerffamfeit das Bermögen, ſich eine Sache 
Flärer vorzuftellen als andere Dinge, yon denen man unters _ 
deſſen abftrahirt, fo ift es ungereimt zu fagen, daß Gott 
worauf acht babe. Allein da die Realität der Aufmerkſam⸗ 
Feit darin befteht, daß die Erkentnißkraſt würffam fen, und 
die Borftellung einer Sache Flar mache $. 506. fo Fan man 
fagen, daß Gore beftändig auf alle mögliche Dinge im 
hoͤchſten Grade acht habe; und man fan, durd) die gütt« 
lihe Aufmerffamfeit, die allerhöchfte, ewige, unveräna 
derlicye und unendliche Anftrengung des görtlichen Verſtan— 
des auf alle mögliche Dinge verftehen. Allein nachdenken 
und überlegen Fan Gott nicht, weil er widrigenfals nad) und 
nach) auf die Theile der Dinge acht haben, und. nachher fie 
alle zufammen auf einmal fid) vorstellen müßte $. 513. 515. 
Folglich wäre in Gott eine Zeitfolge, welches doch unmög« 
lich ift S.847. Der göttlihe Verſtand denft Feiner Sache 
fo nad), und überlegt fie auch nicht auf die Art, wie wir. 
Sondern er durchbligt und durchſchauet, mit einem ewigen 
unwandelbaren Blicke, alle mögliche Dinge beſtaͤndig der 
geftale, daß er, alle Merkmale, Theile und Beſtimmun— 
gen aller möglichen Dinge, auf einmal in der gröften Deut« 


lich» 





der göttlichen Erkentniß. 169 


Hchkeit erfent, und er alfo gar nicht nöthig hat nach und 
nad), durch ein Nachdenken und Ueberlegen, fie auf eine 
mübfame Art zu fuchen und zu entdeden. \ 


. 894. h 

Gottes Erfentniß aller möglichen Dinge iſt, eine ans 
fhauende Erkentniß aller möglidyen Dinge. - Damit wir 
uns von diefer Wahrheit gründlich überzeugen, fo. wollen 
wir die Frage unterfuchens ob die Erfentni Gottes fym= 
boliſch ſeyn koͤnne; oder ‚ob Gott irgends eine Sache ſym⸗ 
botifch erfenne? Und, da muß man allerdings behaupten, 
erftlih, daß Gott alle mögliche und“ würfliche Zeichen, 
Ausdrude, Worte und Sprachen aufs. vollfommenfte er 
fonne: denn er erfent alle mögliche Dinge. Zum andern 
erfent er, um eben der Urſach willen, alle bezeichnende Vers 
fnüpfungen der Dinge, oder allen möglichen Zufammen» 
hang aller Zeichen mit ihren Bedeutungen, und er ſieht alfo 
aufs deutlichite ein, wie alle. Bedeutungen eines iedweden 
Zeichens aus denfelben fönnen erfant werden. Zum dritten 
erkent er auch aufs deutlichfte, alle ſymboliſche Erkentniß 
aller Menfchen, und aller übrigen denfenden Creaturen: 
denn er. weis alles. Wolke man. nun, diefe dreyfache Erz 
kentniß, eine fombolifche Exfentniß nennen: fo müßte man 
fagen, Gott habe die allervollfommenfte ſymboliſche Erkent⸗ 
niß. Allein dee Ausdruck ift unbequem, weil man, dur) 
die ſymboliſche Erfentniß, eine andere Erkentniß verfteht, 
weiche fich für Gott gar nicht ſchickt. Es würde nemlich, 
erftlich, ein grober Irrthum feyn, wenn man. behaupten 
wolte, daß Gort manche Dinge gar nicht erkennen würde, 
wenn er fie nicht aus ihren Zeichen erfennete, und daß er 
alfo. von diefen Dingen nur eine Erkentniß vermittelft ihrer 
Zeichen babe, und: daß die Zeichen Mittel wären, durch 
welche Gott feine Erfentniß diefer Dinge in feinem Berftan- 
de erhält, und die Fortdauer derfelben würft. Dieſes ift 
eine viel zu unvollfommene Erkentniß, als daß fie in Gore 
jolte ftat finden koͤnnen. Alle mogliche Dinge und Wahr. 
beiten haben zureichende Gründe ihrer Möglichkeit, die Feine 


2.5 Zei⸗ 


170 Die allervolltommenfte Befchaffenbeie 


Zeichen derfelben find. Da nun Gott alles aufs deutlichſte 
erfent, fo hater auch die allergröfte und vollfommenfte Er- 
kentniß aller Bedeutungen aller möglichen Zeichen, die er 
duch die Vorftellungen der binreichenden Gründe ihrer 
Wahrheit in fi) würklich made. Und folglich hat er, die 
allervollkommenſte anfchauende Erfentnif aller möglichen 
Dinge, Zum andern fan man unmöglich fagen, daß er ir 
gends mehr auf eine Bedeutung achtung gebe, als auf 


ihre Zeihen, und umgekehrt. Wenn wir eine anfchauende 


Erkentniß von einer Sache haben, fo abftrahiren wir ent 
weder ganz von allen ihren Zeichen, oder wir ſtellen uns 
doch die Zeichen dunfeler und ſchwaͤcher vor, als die Be— 
Deutungen $. 625. Der göttliche Verftand ſtelt fich allemal, 
alle Dinge, mit ihren Zeichen zugleich in dem möglichften 
Grade der Stärke und Deutlichfeit vor, und folglich ift, vie 
Erkentniß der Sachen felbft, niemals in dem Verftande 


Gottes ein Hinderniß der allervollfommenften Erkentniß 


ihrer Zeichen. 
8§. 895. 


Der allervollkommenſte Verſtand Gottes ift zugleich 
die allervollEommenfte Vernunft, und feine vollfommenfte 
Erfentniß aller möglichen Dinge iſt zugleich, die allervere 
nünftigfte Erkentniß aller möglichen Dinge Denn alle 


mögliche Dinge koͤnnen vernünftig erfant werden $. 638. 


Da nun der Verftand Gottes, alle möglihe Dinge, deuts 
lich erfent $. 893. fo erfent er auch alle mögliche Dinge 


deutlih in allen ihren Verbindungen, und in diefem Ver⸗ 


ftande ift, der Verſtand Gottes, zugleich die allervollfome 





menfte Bernunft $. 697. Zu der allerhöchften Vollkom⸗ | 


menheit der göttlichen Vernunft gehört: ı) daß Gott alle 
mögliche Dinge, in ihrem Zufammenhange, erfent. Alle 
moͤgliche Dinge find mit ihren Gründen und Folgen vers 
fnüpft, und wenn Gott einen einzigen Zufammenhang eines 
einzigen möglichen Dinges nicht erfennete, fo wäre in ihm 
eine Unmiffenheit, und das ift unmöglid). 2) Daß Gott, 


alle Verbindungen aller möglichen Dinge, ohne Ausnahme 
erfent, 


der göttlichen Erkentniß. i 


erkent. Er erkent alle Gruͤnde und Urſachen eines ieden 
Dinges, und einer ieden Wahrheit, die naͤchſten und ent— 
ferntern, die erſtern, die Gruͤnde der Moͤglichkeit und 
Wuͤrklichkeit, und er erkent auch, wie ein Ding aus einem 
iedweden ſeiner Gruͤnde flieſt. Er erkent auch alle Folgen 
eines iedweden möglichen Dinges, die naͤchſten und die ent⸗ 
fernteften, und er erfent auch, wie eine iedivede feiner Fola 
gen aus demfelben flift. 3) Daß Gott, aud) die aller- 
gröften Verbindungen ver Dinge, erfent. Da nun das 
Mofen Gottes, der hinreichende Grund der Möglicyfeit 
aller Dinge und Wahrheiten, it $. 832. fo erfent Gott alles 
aus fi) felbft, und er leitet fo zu reden alles Mögliche aus 
fi) felbft her. 4) Daß Gott alles diefes aufs allervollkom— 
menfte, Drutlichfte, auf einmal, ohne Zeitfolge und Vers 
änderung erfent. $. 892, ' Wenn man nun, durch einen 
Bernunfifchluß, eine deutliche Erfentniß des Zufammen« 
hanges dee Dinge verfteht; fo macht Gott, über alle mögs 
liche Dinge, die allervollfommenften Bernunfefehlüffe, doch 
fo, daß er die Vorderſaͤtze nicht eher denkt als die Schlußs 
füge, Und bieraus läßt fich die Frage beantworten: ob 
die Erfentnif Gottes eine Erfentniß der Dinge a pofterio- 
re oder a priore fey ? Einige Öottesgelehrte tragen Beden⸗ 
fen, zu behaupten, daß Gott irgends eine Sache a potte- 
riore erkenne. Und gemwilfermaffen muß man ihnen Recht 
geben. Denn wenn man, einmal, behaupten wolte: daß 
Gott irgends eine Sache und Wahrheit nur a pofteriore, 
nicht aber zugleich a priore, erfenne; fo ift diefes unleugs 
ba: ein Irrthum. Denn alle mögliche Dinge haben ihre 
Gründe der Möglichkeit und Wirklichkeit, aus denen fie 
erfant werden Fonnen, und alsdenn werden fie a priore (ta 
fant. Sie haben aber auch ihre Folgen, aus denen fie 
aud) erfant werden Fünnen, und wenn das gefchieht, fo wer— 
ven fie a pofleriore erfant. Folglich koͤnnen alle mögliche 
Dinge fo wola pofteriore, als aud) a priore erfant wer: 
den $. 37. Wenn nun Gott irgends eine Sache und 
Wahrheit bios a pofteriore erfente, fo feblte ihm eine moͤg⸗ 
liche 


72 Die allervollkommenſte Hefchaffenbeit 


liche Erkentniß, nemlich Die Erkentniß eben derfelben a-prio- 
re, und das iſt um der allerhöchiten Vollkommenheit feines 
Berftandes willen nicht möglih $. 842. Zum andern 
wird die Erfentniß a pofteriore von einigen. noch auf eine 
andere Art erklärt, die der höchften Vollkommenheit des 
goͤttlichen Verſtandes noch mehr widerſpricht. Man ſagt 
nemlich, man erkenne eine Sache a pofteriore, wenn man 
fie nicht eher erfent, bis fie wuͤrklich ift, und bis man ihr 
Dafeyn und ihre Wuͤrkungen erfährt, Eine folche Erfent: 
niß feßt eine Unmiffenheit voraus, und ift alfo in Gott 
fehlechterdings unmöglih. Im Gegentbeil aber, weil Gott 
alle mögliche Dinge, aus allen ihren möglichen und würfll- 
chen Folgen, erfent, wie ich erwiefen habe; fo erfent Gott 
alle möglihe Dinge und Wahrheiten von Ewigfeit ber, 
und alfo ehe manche Dinge würflich werden, a poftcriore, 
doch fo, Daß er fie zugleich) aus feinem Wefen, und aus 
allen übrigen Gründen ihrer Möglichkeit und Wirklichkeit, 
a priore aufs allervollfommenjte erfent und einfieht. 


S. 896. 

Ich babe hier die befte Gelegenheit, zu unterfuchen, 
ob man Gore, mit Anftändigfeit, den gröften Weltweiſen 
nennen koͤnne? Weil man ihn den gröften Theologen nent, 
fo haben es, manche Weltweife, auch gewagt, ihn den 
vollfommenften Pbilofophen zu nennen, und das mache der 
Weltweisheit in Wahrheit eine groffe Ehre. Wenn man, 
den Begrif von einem Weltweiſen, von allen Unvollfoms 
menbeiten reiniget, fo hat die Sache gar Feine Bedenklich— 
feit. Ein Weltweifer ift derjenige, der eine recht vollkom— 
mene vernünftige Erkentniß, von den Befchaffenheiten der 
möglichen Dinge, befißt, in fo ferne fie ohne Glauben er 
Fant werden fünnen, Nun erfent Gott aufs vernünftigfte, 
deutlichfte, gewiſſeſte, tieffinnigfte, Eurz aufs vollfommen« 
fte alle mögliche Beſchaffenheiten aller möglichen Dinge, 
und es wäre lächerlich zu fagen, daß er irgends eine Erfents 
niß durch den Glauben erlange, Folglich Fan er, wenn 
man blos auf die rechte Bedeutung des Worts fieht, allere 

dings 





der göttlichen Erkentniß. 173 


dings ber vollfommenite Philofophe genent werden. Allein 
es würde eine Gorttesläfterung feyn, wenn man mit dem 
Wort Philoſoph allerley Nebenbegriffe verbinden wolte, 
wenn man darunter einen Gectirer, einen Zungendrefcher, 
einen aufgeblafenen Thoren verftehen wolte, welcher härris 
fhe und verwegene Meinungen mit vielem Geſchrey bes 
hauptet u. f. m. und man wolte fid) unterftehen, das höch« 
fe Wefen mit einer Benennung zu befhimpfen, welche fo 
viel abgeſchmacktes anzeigte. Und weil die meiften Men 
hen, von der Weltweisheit, einen fo ſchlechten Begrif 
haben; fo ift es gar nichf zu ratben, mit diefem Namen 
Gott zu benennen. Denn da Gott alle mögliche Dinge 
und Künfte und Wiflenfchaften aufs vollfommenfte erfent, 
fo fönte er mit eben dem Rechte der geöfte Juriſt, und Phis 
lologe, der gröfte Schneider u. f. w. genent werden, und 
wer wird diefes billigen? Es ſchickt fi) überhaupt nicht 
wohl, die Erkentniß Gottes eine gelehrte und Funftmäßige 
Erfentniß zu nennen, weil damit allemal der Begrif einer 
funftmäßigen Erlangung der Erfeneniß verbunden ift. Un— 
terdeffen ift es gewiß, daß in der Erkentniß Gottes, alle 
wahre Realitäten und Bollfonimenheiten ber gelehrten und 
funftmäßigen Erfentniß, im hoͤchſten Grade angetroffen 
werden. _ Lie 

F §. 897. 

Doc damit wir den Begrif, von der höchften Voll. 
kommenheit der göftlichen Erfentniß, noch beffer entwiceln 
mögen, fo mollen wir zeigen, daß fie alle fehs Vollkom— 
menbeiten der Erfentniß, die wir in der Pfychologie erwies 
fen haben, im hoͤchſten Grade befige, und auf eine. gang 
unumfchrenfte Art. Sie ift alfo erftlich von einem fo uner: 
meßlichen Umfange, und einer ſolchen unumfchrenften. Aus» 
dehnung, daß fie fehlechterdings die allerweitläuftigite Er— 
kentniß ift, die gedacht werden Fan. $. 490. Denn 1)-ers 
kent Gott alle mögliche Dinge, Wahrheiten, Künfte, Wiſ 
fenfchaften, ohne alle Ausnahme, dergeftalt, daß in ihm 
gar Feine Unmiffenheit ift, noch flat finden Fan. Wäre 

ihm 


ı74 Die allervollEommenfte Beſchaffenheit 


ihm eine einzige Sache unbefant, fo fonte noch mehr erfard 
erden, als Gott wüfte, und es twäre alſo noch ein gröfferer 
Verſtand möglich, als der göttliche, weiches ungereimt it, 
Zum 2) erfeut Gott, von einem iedweden möglidyen Din- 
ge, alle Merkmale und Beftimmungen, fo daß ihm nichts 
in irgends einem Gegenftande der Erfentniß verborgen und 
unbefant ift, weil widrigenfals abermals eine Unwiſſenheit 
in ihm feyn müßte, Nicht der geringfte Umftand einer 
Sache, nicht die geringfte Veränderung eines Dinges, iſt 
dem göttlichen Berftande unbefant. Sondern er erforfche 
alles, auch die Tiefen der Gottheit. Alle Schaͤtze und Reich— 
thümer, aller möglichen Erkentniß, find in dem göttlichen 
Berftande anzutreffen, Wie viel Mitleiden verdienen nicht 
diejenigen, weldye, unter dem Scheine eines andächtigen 
Eifers, einen Menfchen von der Ausdehnung feiner Erkent⸗ 
niß abhalten, und welche glauben, die fromme Einfalt er— 
fordere es, daß man nicht viel lerne, Je mehr Wahrhei— 
ten man lernt, defto ähnlicher wird man Gott, und alle 
Nachahmung Öortes iſt fo wol der wahren Froͤmmigkeit, 
als auch unferer eigenen VBollfommenheit gemäß. Ob nun 
gleich Gott ſelbſt auf keinerley Weiſe unroiffend genent wer— 
den fan, fo weis er doch aufs allervollkommenſte, die Gren— 
zen der Erkentniß aller Seelen und endlichen Geifter, was 
fie nicht wien, wie groß ihre Unwiſſenheit ift, und, wie 
weit fic) ihre Einfichten erſtrecken. 
.. 898. 

Zum andern ift, Die Erkentniß aller möglichen Din— 
ge in dem göttlichen Berftande, im böchften Grade groß 
und majeftätifc) S. 491. In Gott iſt Feine geringe, nichts« 
würbige, unerhebliche und unfruchtbare Erkentniß: denn 
alle diefe Arten der Erkentniß find unvollfommen, und in 
Gottes Verſtande find die Unvollkommenheiten der Erfente 
niß nicht einmal möglidy $. 818. 892. Dieſe Vollkom— 
menheit der göttlichen Erkentniß begreift folgendes in ſich: 
1) Gott erfent auch die allergröften, wichtigften und fruchte 
barſten Gegenftande der Erfentniß, fie. mögen nun übrie 

gens 





der göttlichen Erkentniß. 175 


gens Namen haben, wie fie wollen. 2) Er erfent alle 
Dinge in ihrer Groͤſſe, Wichtigkeit und Fruchtbarkeit, und er 
ſtelt fich nichts gröffer ober kleiner vor, als es in der That iſt: 
denn beydes wäre entweder eine Unwiſſenheit, oder ein Irr⸗ 
thum. Man kan daher mit Wahrheit fagen, daß, in der 
Erkentniß Gottes, nichts eine Kleinigkeit und unerhebliche 
Sache ſey. Denn alles, was Gott erfent, ift enfiweder 
etwas in ihm felbft, und das ift allemal eine unendlich groffe 
Healität; oder eine Sache aufler ihm. Alles mögliche 
auſſer Gott ift, feiner Befchaffenbeit nach), von einem uns 
endlichen Werthe, indem es in diefer, oder in einer andern 
möglichen Welt, mit allen übrigen Theilen der Welt, durch 
einen allgemeinen Zufammenhang, verbunden ift, und in 
fid) ſelbſt unendlich viele Beltimmungen bat. In unfern 
Augen fan vieles eine Kleinigkeit ſeyn, weil wir nicht alle 
feine Gründe, Folgen, Berhältniffe und innerliche Be— 
fimmungen erfennen. Allein in den Yugen Gottes haben, 
alle mögliche Dinge, einen fehr groffen Werth. Sie find 
ja insgefamt Kolgen des göttlichen Wefens, und Fan eine 
Sache eine nichtswuͤrdige und unerhebliche Kleinigkeit ſeyn, 
welche eine fo. erhabene und unendlich groffe Duelle hat ? 
Unterdeffen da wir Menfhen, und andere endliche Geiſter, 
fehr viele nichtswürdige Erfentniß haben, da wir feine Sa⸗ 
che in ihrer wahren Gröffe einfehen, und da wir viele Din— 
ge uns entweder Eleiner oder gröffer vorftellen, als fie in der 
That find: fo erfent Gott aufs genauefte, alle Kleinigkeit 
und Unerheblichkeit in der Erfentniß der Creaturen, und er 
weis aufs vollfommenfte, in welcher Groffe ein iedes moͤg⸗ 
liches Ding, in der Erkentniß aller denfenden Creaturen, 
erſcheint. 
§. 899. | 

Drittens iſt, die Erkentniß aller möglichen Dinge in 
dem göttlichen Verftande, eine allergenauefte und richtigfte 
Erkentniß: weil die göttliche Exrfentniß, alle Vollkommen- 
heiten der Erkentniß, im höchften Grade beſitzt. Da nun 
alle Wahrheit in der Ordnung beſteht 9, gr. fo At in ” 

Re, 


176 Die allervollfommenfte Beſchaffenheit 


Erkentniß Gottes die allervollfommenfte Drdnung, und Gore 
ſtelt fich alle mögliche Dinge, in der allerhöchften Drönung, 
und aufe drdentlichfte vor. Er hat nicht nur die alfervoll« 
fommenfte Erfentniß don allen Zufammenorönungen aller 
möglihen Dinge, und von allen Drdnungen in allen mög« 
lichen Dingen; er weis nicht nur aufs vollfommenfte, nach 
welchen Drdnungen alle Dinge, und alles in allen, zuſam— 
mengeordnet it; fondern feine Erfentniß felbft ift in ihm 
die allerordentlichfte Erkentniß $. 843. Folglich ift, in der 
Erkentniß Gottes, Eeine Unordnung, feine Erfentniß ift 
nicht tumultuariſch, nicht falſch, grob und irrig: ob er 
gleich, alle Irrthuͤmer aller endlichen Geifter, und aller 
Seelen, alle falfhen und groben Begriffe derfelben, und 
alles Unordentliche in ihrer Erfentniß aufs vollfommenfte 
einficht. Der Irrthum ift fo weit von der Erkentniß Got« 
tes entfernt, daß es fchlechterdings unmöglich ift, daß Gott 
auch nur in einer Kleinigkeit fich folte irren Fönnen $. 818. 
Der Irrthum entfteht allemal aus einer Unwiſſenheit, und 
Verwechſelung des Wahren mit dem Falfchen S. 489. 492% 
Da nun weder Unwiſſenheit nod) Verwirrung in Gott mög« 
lic) ift S. 892, fo Fan Gott gar nicht irren und betrogen 
werden, und darin befteht die Untruͤglichkeit Gottes. 
Die Untruͤglichkeit ift die Unmöglichkeit zu irren, und fie ift 
entweder eine bedingte oder unbedingte Untrüglichfeit S. 30. 
Alte endliche Geifter und denkende Subjtanzen haben eine 
eingefchrenfte Erfentnißkraft, und fönnen alfo nicht alles 
deutlich und Elar erkennen. Folglich haben fie nothwendig 
dunkele und verworrene VBorftellungen, und koͤnnen alfo 
verfchiedene Dinge mit einander verwechſeln, und folglic) 
fönnen fie irren. Es Fan daher, Fein enblicher Geift, 
ſchlechterdings und unbedingt untruͤglich ſeyn. Kine bes 
dingte Untrüglichfeit kan ein endlicher Geift erlangen, z. E. 
durch eine groffe Fertigkeit gewiſſe Wahrheiten zu denken, 
wodurch eg unmöglich wird, in die entgegengefegten Irr⸗ 
thuͤmer zu gerathen. So Fan ein Weltweifer eine fo groffe 


Fertigkeit richtig zu fhlieffen erlangen, daß es ihm niemals 
es 


der göttlichen Erkentniß. 177 


begegnet, unrichtig zu fehlieffen. Eben fo haben auch 
Die Männer Gottes eine bedingte Untrügiichkeit gehabt, 
indem ihr Berftand, durch die Eingebung Gottes, vor als 
len Irrthuͤmern bewahrt worden. Allein Gott ift ſchlech— 
ferdings untrüglich, und zwar im höchſten Grade, und 
das will dreyerley ſagen. 1) Er irret in Feiner Vorſtellung, 
da er doch alle mögliche Dinge erfent: denn ie mehrere 
Wahrheiten iemand richtig erfent, deſto untrüglicher ift er, 
Das ift Feine fonderliche Kunft, wenig ohne Jerthum zu 
erfennen, und man verzeibet es einem Menfchen leicht, wenn 
er unzählig viel weis und denkt, und durch die Menge und 
Mannigfaltigkeit zu einem Irrthume verleitet wird. Allein, 
bey der wahrhaftig unendlichen Weitlaͤuftigkeit der Erfente 
niß Gottes, ift fein Verſtand dennoch ftarf genung, um 
nichts mit einander zu verwechfeln. 2) Gott verwechfelt, 
auch die gröften Wahrheiten, nicht mit irgends einem fals 
fhen und irrigen Begriffe. Oder er ivret weder in dem, 
was wir Kleinigfeiten nennen, noch in den qröften Din: 
gen: denn er irret gar nicht. Und 3) find die Irrthuͤmer 
in Hort nicht nur auf eine bedingte Art unmöglich, fordern 
er iſt auch fehlechterdings untruͤglich. Er ift vor allem 
Irrthume im hoͤchſten Grade ficher, und darf, fo zu reden, 
nie auf feiner Hut ftehen, um fid) vor Irrthuͤmern in acht 
zu nehmen. 
$, 900. 

Die! Erkentniß aller mögtichen Dinge ift, viertens, 
in dem Berftande Gottes, die allerdeutlichfte Erkentniß, die 
möglich ift. Folglich begreift und erforfcht, Ver göttliche 
Berftand, alle mögliche Dinge aufs vollfommenfle, und 
alfo auch alles dasjenige, was uns und andern endlichen 
Geiftern unbegreiflich ift. In Abficht auf Gott iſt nichts 
ein Geheimniß, und unbegreiflih,. Er bat vielmehr, von 
alfen möglichen Dingen, die ausführlichite, vollitändiafte, 
reinfte und tieffte Erkentniß. Alles ift vor feinem Verſtan⸗ 
de blos und entdeckt, und in dem ganzen Umfange der gütts 
lichen Erkentniß ſchimmert das reinfte und heiterfte Licht 

4,Cheil, M $. 892» 


1738 Die allervollkommenſte Beſchaffenheit 


G. 892.895. Es ill demnach), in der aöttlichen Erfente 
niß, weder Dunkelheit, Verwirrung, Unausführlichkeit, 
Unvollftändigfeit, und irgends ein anderer Mangel ver 
Klarheit und Deutlichfeit wuͤrklich, noch irgends im aller» 
geringften Grade moͤglich: weil, alle diefe Mängel des 
tihts, Unvolltommenbeiten find S. Sıg. Und da alle 
Beränderung in Gott, um feiner Unveränderlichfeit wils 
len, unmoͤglich iſt; fo firalt feine Erfentniß ewig in einem 
und eben demfelben Grabe der Deutlichfeit, ohne daß, its 
gends eine deutliche Borftellung in ihm, folte mehr oder wer 
niger Deutlich und dunkel werden Fönnen. In dem Vers 
ftande Gottes ift es beftandig heller Tag, und es iſt in ihm 
feine Abmwechfelung des Lichts und der Finfternig. Da aber 
Gott alles weis, fo erfent er auch, aufs vollfommenfte und 
deutlichſte, alle "Dunkelheit „Verwirrung, Unausführliche | 
keit, Undeutlichkeit und Unvollftändigkeit der Erfentniß der | 
endlichen Dinge. Und meil, alle endliche denfende Sub» | 
ftanzen, mehr Dunkelheit als Klarheit in ihrer Erkentniß 
haben; fo fan man auf eine poetifche Art fagen: daß der 
Thron Gottes lauter Licht fon, Daß aber rings um denfelben 
herum fi) Dunfelheit, Macht und Finfterniß ausbreite, 
und daß er felbft in einem Lichte wohne, zu welchem nies 
mand fommen Fan. 
$: 901 
Zum fünften it, die Erfentniß aller möglichen Dinge 
in dem Verſtande Gottes, die allergemiffefte und zuverläß 
figfte Erkentniß, die möglich if. Er erfent zwar, aufs 
allervollkommenſte, alle Ungewißheit und Mängel der gröfs 
fern Gewißheit in der menfchlichen Erfentniß, und in der 
Erfentniß anderer endlichen Subftanjen; die Wahrfchein« 
lichkeit, Unwahrſcheinlichkeit, Zweifelhaftigfeit, Zweifel, 
Vorurtheile, Meinungen, moralifche Gewißheit, unauss 
führliche und unvollftändige Gewißheit, Scheingewißheit 
in der Erfentniß der Creaturen, und wie die Mängel der 
allervollfommenften Gewißheit insgefamt heiffen mögen: 
allein, in der Erkentniß Gottes felbit, Fan Fein Mangel 
der 





der görtlichen Erkentniß. 179 


der gröften Gewißheit flat finden. Dem Berftande Got: 
tes ift nichts ungewiß und zweifelhaft, nichts iſt ihm wahre 
ſcheinlich und moraliſch gewiß, er muthmaßt nichts, Fein 
Borurtheil Fan ihn blenden; fondern er erfent, alles Moͤg— 
liche, in der ausführlichiten, volltandigften und gröften 
Gewißheit S. 895: Je mehr Dinge und Wahrheiten 
iemand klar erfent, aus ie mehren und gröffern Gründen 
und Fölgen er fie erfent, ie groflere Wahrheiten, und ie 
deurlicher er fie erkent, deſto gröffer ft die Gewißheit feiner 
Erkentniß. Da nun Gott, alle moͤgliche Dinge und Wahrs 
beiten, und alfo aud) die gröften erkent; da er fie im Zus 
ſammenhange mit allen ihren Gründen und Folgen, den 
nähern und entferntern, den unmittelbaren und erften und 
legten, auch den gröften, und zwar aufs allerdeutlichite 
erkent: fo ift gar Feine gröffere Gewißheit möglich , als die» 
jenige, welche in der göttlichen Erkentniß angetroffen wird, 
Man kan alfe fagen, daß Gott, alle möglidye Beweife 
aller Wahrheiten, aufs vollfommenfte einſehe; und feine Er: 
kentniß ift aifo die allervollfommenfte Wiſſenſchaft aller 
moͤglichen Dinge, die allergeimdlichfte Erkentniß, in wel— 
cher feine einzige feichte Vorftellung irgends einer Wahrheit 
und möglichen Sache ftat finden Fans denn eine Willens 
ſchaft ift eine deutliche Erkentniß einer Sache, aus unum— 
ftößlich gewiflen Gründen, Folglich bat Gott, auch von 
denenjenigen Dingen und Wahrheiten, die allervolifommens + 
fte ſcientifiſche Erkentniß, von Denen wir Menfchen und ans 
dere endiiche Dinge Feine eigentlid) fo genante Wifjenfchaft 
haben koͤnnen. 
Bon 
Endlich zum fechsten ift, die Erfentniß aller möglis 
hen Dinge, in dem Verſtande Gottes die allerlebendigfte 
Erfentniß; weil das geben der Erkentniß eine wahre Rea— 
litaͤt it $. 669, welche unmöglicy dem göttlichen Verſtan— 
de fehlen Fan S. 892. Gott erfent, alle Vollkommenhei— 
ten und Unvollfommenbeiten aller möglichen Dinge, an— 
ſchauend aufs vollfommenfte $. 892. 394, Da nun, eine 
M 2 folche 


180 Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 


folche Erkentniß, die lebendigfte Erkentniß iſt; fo erheffee 
auch daraus, daß die Erfentnig Gottes die allerlebendigite 
fen. Keine Erkeneniß Gottes ift todt, unwuͤrkſam, fpecus 
Iativifd) und in einem geringern Grade lebendig, ale moͤg— 
lich ift; ob er gleich aufs vollfommenfte das todte, fpecus 
lativifhe, und alle Mängel des Lebens in der Erfentniß der 
Greaturen, erfent. Weil ich, bey der Unterfuchung des 
göttlichen Willens, diefe Vollkommenheit der göttlichen Era 
fentniß nod) weiter ausführen werde, fo will ich von derſel⸗ 
ben an dieſem Orte nichts weiter fagen. 


Der Gegenftand der göttlichen Erfentniß. 


$. 903. 

Da wir ung bisher bemuͤhet haben, uns, von der 
allervollfommenften Befchaffenheit der göttlichen Erkentniß, 
einen rechten Begrif zu machen: fo iſt es nöthig, die Ge— 
genftände der göttlichen Erfentniß genauer zu unterfuchen ; 
Damit, wenn wir fagen, Gott wiffe alles, wir bey dem 
Worte Alles nicht etwa gar zu wenig denken, und dadurch 
verleitet werden mögen, uns einen gar zu Fleinen Begrif 
von dem unendlichen Umfange der göttlichen Erfentniß zu 
machen. Und da nun, alle mögliche Gegenstände der Era 
kentniß, entweder Gott oder Die möglichen Nelten, ſamt 
ihren verfchiedenen Beſtimmungen, find: fo frage fichs 
vor allen Dingen, ob Gott fi) felbft erkenne? Und dawi— 
der laͤſt ſich, nicht der allergeringfte Zweifel, machen, Gott 
erkent alle mögliche Dinge, und die gröften derfelben $. 892, 
Da nun Gott, und feine Vollkommenheiten, nicht nur 
mögliche Dinge find, ſondern aud) die allergröften: fo hat 
er, von ſich felbft, die alfervollfommenfte Erfentniß. Wenn 
Gott alles übrige wüfte, fich felbft aber nicht, fo hätte er 
in ver That Feinen unendlichen Berftand : weil alle mögliche 
Dinge auffer Gott zufammengenommen, feinen wahrhaftig , 
unendlichen Gegenftand der Erfentniß ‚ ausmachen, Sa 
Gore würde nichts auffer ſich, in dem hoͤchſten Grade der 
Vollkommenheit, wiffen, wenn er fic) felbft nicht ea 

en, 











Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 181 


Denn, zu der allervollfommenften Erkentniß einer Sache, 
wird unenthehrlich erfodert, daß fie aus ihrem erften Gruns 
de erfant werde. Da nun Gott, den erften Grund aller 
"möglichen Dinge, in ſich enthält S. &32. fo koͤnte Gott, 
gar feine allervollfommenfte Erkentniß irgends eines mögli« 
chen Dinges, haben, wenn er nicht die allervolifommenfte 
Erkentniß von fich felbft hätte. in ieder Geift ift ſich 
feiner felbft bewuft, und Fan es wenigftens feyn. Solte 
alfo Gott, als der vollfommenfte Geift $. ggr. ſich felbft 
nicht erfennen? Gott hat alfo die vollfommenfte Wiſſen— 
fchaft von fich ſelbſt, er begreift ſich felbft, und erforfche fich 
felbft, und alle feine Vollkommenheiten völlig, er ermißt 
feine unendliche Gröffe, und hat von ſich felbft eine wahr« 
Haftig unendliche Worftellung, welche nad) allen Abfichten 
die allervollfommenfte ift $. 893902, Und da er den un« 
endlichen Zufammenbang, und die allervollfommenfte Zus 
fammenordnung feiner göttlichen Bollfommenbeiten, vers 
möge welcher eine iede das Weſen ver übrigen ift $. 331. 
aufs vollfommenfte einfieht: fo hat er, fo viele unendlidye 
und verfehiedene Vorftellungen, von fich felbft, als er in« 
nerlihe Bollfommenheiten befist, das ift unendlich viele, 
Er erfent zugleicd) alle Vorftellungen, welche ſich die Crea—⸗ 
£uren von ihm machen, es mögen nun diefelden wahr oder 
falſch ſeyn, und er weis, mie er aus einer iedweden Welt, 
und aus einem iedweden endlichen möglichen Dinge vorge» 
ſtelt werden Fönne, Und diefe allervollfommenfte Wiſſen⸗ 
ſchaft, die Gott von fich felbft hat, ift die allervollfommen= 
fte Theologie $. 797. welche man die Öriginaltheologie 
nent, meil fie das Mufter feyn muß, nach welchem die 
Menſchen, und andere verftändige Creafuren, ihre Erkent⸗ 
niß Gottes einzurichten verbunden find $. 272, Wir Crea⸗ 
turen fönnen, in allen unfern Handlungen, Feine bejfere 
» Kegel annehmen, als daß wir Gott nachahmen 9. 872 
Folglich Fan Feine Erfentniß Gottes, Feine Theologie in 
den Creaturen, vollfommen feyn, als in fo ferne fie dem 
Mufter aller Theologie gleichförmig iſt. Dieſes fülten fi), 

M 3 alle 


182 Der Begenftand der göttlichen Erkentniß. 


alle Gottesgelehrten und Weltweifen, gefagt fern laſſen; 
ſo würde, die ganze Öpttesaelahrheit der Menfchen, mans 
che Fehler und Mängel nicht haben, wodurch ſie fo fehr 
verunftaltet wird. Gott Fan daher der allergröfte und voll 
fommenfte Theologe genent werden $. 895. wenn man 
nemlich von diefem Worte alle unanftändige Nebenbegriffe 
abfondert, welche, durch die Thorheit der Theologen unter 
den Menfchen, Damit verbunden worden, 
6% 994. 

Gore überfieht, mit feinem unendlichen Werftande, 
alle mögliche Dinge S. 892. Folglich hat er aud) die als 
lervollfommenfte und deutlichfte Erfentniß von allen Din: 
gen, die auffer ihm möglich find, und von allen ihren möge 
lichen Beftimmungen. Ohne diefer Erfentniß fonte er, . 
von ſich felbft, nicht die allervollfommenfte Erfentniß has 
ben. Denn man Ean fein Ding aufs allervollfommenite 
erfennen, wenn man nicht alle feine Folgen einfieht $. 897. 
Nun find, alle mögliche Dinge auffer Gott, Folgen feines 
Wefens $. 332. Folglich erkent Gott eben deswegen, weil 
er fich felbit aufs vollflommenfte kent, alles, was aufler ihm 
moͤglich iſt. Mithin erfent er, im hoͤchſten Grade der 
Vollkommenheit, alle mögliche Welten, die vollfommenfte 
eben fo wohl, als die unvollfommenfte Well. Er weis 
wie viel Welten möglich find, mie viel Theile eine iedwede 
bet, wie groß und mie Flein die Bollfommenheit einer ied- 
weden iſt; kurz, in feiner Welt ift ihm, auch nur das ale 
lergeringite, verborgen. Diefe allervollfommenfte Erkent— 
niß aller möglichen Welten in dem Berftande Gottes ift eine 
innerliche Vollkommenheit Gottes, und fan alfo als das 
Weſen Gottes angefehen werden, Folglich iſt es eine richs 
tige und fhöne Definition Gottes, wenn man fagt: er ſey 
dasjenige Ding, ober derjenige Geiſt, welcher fich alle 
mönlicye Welten aufs deutlichfte und vollkommenſte vorftele 
$. 331. Wenn man diefe Erflärung Gottes, in der nas 
türlichen Ghottesgelahrheit, zum runde legen wolte; fo 
würde man aus ihr, Die übrigen Wahrheiten diefer. Wiſſen— 


fchaft, 





Der Begenftand der görtlichen Erkentniß. 183 


ſchaft, eben fo herleiten Fönnen, als man in der vernünfti> 
gen Pfychologie aus der Erflärung der menſchlichen Seele, 
daß fie eine Vorftellungsfraft diefer Welt fen, welche fic) 
nach der Sage ihres Körpers diefelbe eines Theils deurlid) 
vorftelt, das übrige von der menfchlichen Seele erweilt. Es 
ift ein fehr unüberlegter Einfall, wenn man wider diefe Er— 
flärung Gottes einwendet, daß Gott durch dieſelbe, als ein 
blos todter Spiegel aller möglihen Welten, vorgeftelt 
. werde, welcher Eeinen freyen Willen habe. Die Erfentniß 
in Gott ift ja’ fein Leiden, fondern eine Handlung Gortes, 
und der freye Wille darf in einer logiſchen Erklärung Got: 
tes nicht erwehnt werden, wenn er nur aus derfelben rich— 
tig erwiefen werden Fan, 


$. 905. 

Gott erforſcht, mit feinem Verſtande, alle mögliche 
endliche Dinge, und da er alſo die allerweitlaͤuftigſte Er— 
kentniß von allen endlichen Dingen bat S. 897. fo erkent 
er auch aufs vollfommenfte alle ihre Beftimmungen, und 
alſo auch die Wefen aller endlichen und zufälligen Dinge, 
Und da nun fein Wefen, die Duelle der Beten aller endlis 
chen Dinge, ift $. 332. fo erfent er, die Weſen aller end« 
lichen Dinge, aufs deutlichfte als Folgen feines eigenen We— 
fens, und leitet jene aus diefem durch feine göttliche Ver— 
nunft ber $. 895. Diefe Wahrheit gibt ung Gelegenheit, 
zwey berühmte Fragen der Gottesgelahrheit, zu unterfüs 
hen. Die erfte befteht in diefer Frage: ob die Wefen der 
Dinge auffer Gott, von dem göttlidhen Berftande, abhan- 
gen? Wolte man etwa dadurch behaupten, daß der göttlis 
che Berftand, die Wefen aller Dinge aufler Gott, gleichfam 
ausgedacht und erfunden habe, fo wäre diefe Art der Bors 
ftellung Gott fehr unanftändig. Die Wefen aller endlichen 
Dinge find, in dem Wefen Gottes, als in ihrer eriten 
Duclle, zureihend gegründet , und der göttliche Berftand 
erfent, von Ewigkeit zu Ewigkeit, ohne alle Zeitfolge, ‚alte 
Weſen aller endlichen Dinge aus dem Wefen Gottes. Lind, 
diefe ewigen und unwandelbaren Borftellungen aller Weſen 

M 4 aller 


184 Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 


aller endlichen Dinge, find Begriffe des göttlichen Vers 
ftandes, welche den unmittelbaren Grund ihrer ewigen 
Würflichfeit in dem Verſtande Gottes haben. Folglich 
bangen , die göttlichen Begriffe von den Weſen aller endlis 
chen Dinge, von dem goͤttlichen Verſtande ab; allein die— 
fe Begriffe find ja nicdye die Wefen der Dinge auffer Gott, 
fondern diefe Wefen beftehen in den Gegenftänden diefer Bes 
griffe. Zum andern bat man die Frage aufgeworfen: ob 
die Wefen der endlichen Dinge ewig find, odernicht? Wenn 
man die Wefen vor fich betrachtet, fo beftehen fie in einer 
blofjen Mögtlichkeit $. 5. Folglich find fie in fo ferne 
nichts würfliches, und fortdauerndes $. 229. And da die 
Ewigkeit eine Dauer ift $. 231. fo koͤnnen fie an fich nicht 
ewig genent werden. Und wenn man fie ja ewig nennen 
will, fo Fan man dadurd) nichts anders fagen wollen, als 
daß fie fhlechterdings unveränderlich find $. 137. und daß 
es alfo ungereimt fey, zu fagen, daß das Wefen irgends 
eines Dinges ſolte einen Anfang oder ein Ende nehmen koͤn— 
nen. 8. 175. Weil aber, in dem göttlihen Berftande, 
von Ewigkeit zu Emigfeit, die VBorftellungen vor allen 
Weſen aller endlichen Dinge wuͤrklich find $. 858. fo ha— 
ben diefe Borftellungen in Gott eine wahre Ewigkeit. Es 
wäre alfo ein wunderlicher Einfall, wenn man deswegen 
die Ewigkeit der Wefen endlicyer Dinge leugnen molte, 
weil die Ewigkeit eine göttliche Vollkommenheit fey, die 
dem Weſen eines endlichen Dinges nicht bengelege werden 
Fonne Denn in fo ferne, die Ewigfeit im eigentlichen 
Berftande, den Wefen beygelegt wird; in fo ferne ift fie die 
Ewigkeit der göftlihen Begriffe von den Wefen der Dinge, 
und fie gehört alfo zu der Ewigfeit Gottes ſelbſt. Noch 
feltfamer würde es feyn, wenn man fich auf die Allmache 
Gottes berufen und fagen wolte: Gott Fönne durch diefelbe 
neue Weſen machen, die vorher nicht möglich gewefen, 
Denn die Allmacht Gottes erſtreckt ſich auf Feine ſchlechter— 
dings unmöglichen Sachen S. 865. und fie bat es nur mit 
ben WürklichFeiten dee Dinge zu thun, nicht aber mit ihren 

inner« 





Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 185 


innerlichen Möglichfeiten, oder mit ihren Wefen $. 862, 
Die Allmacht Gottes gibt den Dingen, die möglidy find, 
oder ein Wefen haben, die Erfüllung deflelben oder die 
Wuͤrklichkeit, und fie fest alfo bey ihren Gegenftänden dag 
Wefen voraus. Was fein Weſen hat, Fan Gottes Alle 
mache nicht würflich machen. 

. 906, 

Weil Gott, durch feinen unendlichen Verftand, alfe 
möglihe Welten, aufs deutlichfie und vollfommenfte ſich 
vorftelt $. 904. fo hat er auc) von diefer Welt, welche uns 
ter allen moͤglichen Welten allein würflich ift, die allervolls 
fommenfte Erkentniß. Um fi) von diefer göttlichen Era 
kentniß eine rechte Vorftellung zu machen, fo muß man fol 
gendes von derfelben bemerfen. 1) Gott hat von dieſer 
Welt die alferdeutlichfte Erfentniß $. 900. und alfo ift, 
feine Borftellung von diefer Welt, auf Feinerley Weiſe finlich 
$. 893. Nun wird diefe Welt die fichtbare Welt genent, 
in fo ferne fie finlich erfant wird. Es ftele ſich alfo dieſe 
Welt, in dem göttlichen Berftande, nicht als die fichtbare 
Welt vor, folglich auch nicht fo, wie fie ung in unfer Ges 
ſicht, oder in einen andern unferer Sinne, faͤlt. 3. E. 
Gore ſtelt fich die Farben, das Rothe, Grüne u, ſ. m. 
nicht fo vor, als wir; fondern er unterfcheidet alle Lichtftras 
len aufs deutlidfte von einander, ihre Zurüdprallung von 
den Körpern, und den Grad ihrer Würfung in die Werks 
zeuge unferer Sinne, wodurd) bey uns diejenige verwors 
rene Empfindung verurfacht wird, welche wir die Farbe 
nennen, Allein er felbft hat Feine folche verworrene Vors 
ftellung von den Farben, als wir haben. Er unterfcheidee 
in allen Körpern alle Subftanzen von einander, aus denen 
fie zufammengefegt find; er erkent aufs deutlichfte, wie fie 
in einander würfen, und wie dadurd) diejenige Frfcheinung 
entfteht, die wir einen Körper nennen. Folglich durch« 
fchauet Gott unveränderlich dieſe ganze Welt, und alle 
Theile derfelben aufs deutlichfte, und er erfent zugleich aufg 
deutlichſte, alle finliche REDE Una der fihtbaren Welt 

25 in 


186 Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 


in allen Subftanzen und Seelen, und weis noch viel beffer, 
als die Ereaturen felbjt, wie fi) eine iediwede derfelben die 
fihtbare Welt vorftelt. 2) Gott erfent aufs deutlichfte alle 
Subſtanzen, Seelen und Geifter , welche zufammengenom: 
men die ganze Welt ausmachen. Keine verfelben ift ihm 
unbefanf, und er weis aufs genauefte, wie viel Subſtan⸗ 
zen in der Welt, und in einem iedweden zufammengefegten 
Theile derfelben, mwürftich find. Nun ift unleugbar, daß 
ein iedes Sandforn aus viel hundert Subftanzen zufam« 
mengefegt ift. Wie viele find in dem ganzen Erdboden, in 
allen Firfternen und Planeten, in dem unermeßlichen Zwia 
fehenraume derfelben? Wie unendlic) viel erfent Gott nicht! 
3) Gott erfene alle Subftanzen, alle Seelen und Geifter, 
aufs deutlichſte. Folglich erfent er alte ihre Beftimmuns 
gen, Eigenfchaften, zufällige Befchaffenheiten, Verhaͤlt⸗ 
niffe, alle ihre mannigfaltigen Berfnüpfungen und Zufam« 
menordnungen famt allen ihren Veränderungen. Cine ied» 
wede Subſtanz wird, in einem iedweden Augenblicke, wer 
rveis wie ofte verändert, Wie viele Veränderungen gehen 
nicht in einer Stunde, in einem Jahre, in taufend Jahren, 
in alle Ewigkeit, in allen Subftanzen der Welt zufammen« 
genommen vor? Hier fchwindelt die menfchliche Vernunft. 
Man rechne einmal nach, wie viel Muͤcken, wie viel Flies 
gen, wie viele Baumblätter, nur in einem Sommer, in 
einem Garten, angetroffen werden, und wie viele Veraͤn— 
derungen fich in diefen Dingen zutragen, Wie viele ders 
felben find nicht auf dem ganzen Erdboden in einem Syahre, 
und in faufend Jahren? Wir Menſchen wiſſen nicht ein» 
mal alle Arten der Fliegen, gefchweige denn alle einzelne 
Dinge einer Are? Ein ieder Warffertropfen ift eine See voll 
lebendiger Ereaturen. Alle Planeten und Firfterne find, 
mit verfchiedenen Dingen, angefült. Alles weis Gott, 
und was für ein Schauplaß in dem göttlichen Verſtande! 
Folglich 4) erfene Gott infonderheit eine iede Seele, und 
einen iedweden Geift, aufs deutlichite, und er wird deswe— 
gen in der heiligen Schrift ein Herzenskuͤndiger genent, 

Er 





Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 137 


Er weis alle unfere Begriffe und Vorftellungen, fie mögen 
duntel, oder klar, oder deutlich feyu. Er zählt alle unfere 
Vorstellungen, Gedanken und Begierden,, er weis unfere 
Gedanken von ferne, und es find ihm die verborgenften 
Schlupfwinkel unſers Herzens befant, und er kent ung viel 
befier, als wir uns felbft zu erfennen im Stande find. Wie 
ſchrecklich muß dieſes nicht allen Suͤndern feyn, indem es 
gewiß ift, daß die allecheimlichften fündlichen Gedanken, 
Abfichten und Begierden vor den Augen Gottes entdeckt da 
liegen. Wie tröfttich aber ift es für einen Tugendhaften, 
dag Gott alle feine guten Werfe und Veränderungen zähle, 
aud) diejenigen, die feiner eigenen Aufmerkſamkeit entwi- 
fen. 5) Da, in einer ieden Subftanz diefer Welt, fich 
die ganze Welt anders abbildet, als in allen übrigen, fo 
hat Bott von der ganzen Welt fo viele verfchiedene deutliche 
Vorftellungen, als es Subftanzen in der Welt gibt, und 
als in einer iedwweden Subftanz, vom Anfange ihrer Dauer 
an bis in Ewigfeit, verfchiedene Zuftände angetroffen tere 
den, Man vergleiche hier dasjenige, was ich $. 36%. 369. 
ausgeführt habe; fo wird man, in die allertiefite Bewuns 
derung der unendlichen Groͤſſe des göttlichen Verſtandes, 
verfegt werden, welche bios daher begreiflich ift, daß Gott 
fid) diefe Welt aufs allevvollfommenfte vorftelt. Die aller 
weitläuftigfte Gelehrfamfeit eines Menfchen ift, wie ein 
Waſſertroͤpfgen gegen bas groffe Weltmeer, zu rechnen. 
Doc das ift noch) zu wenig gefagt, Es läft fich zwifchen 
derfelben, und zwifchen der Erkentniß Gottes, gar Feine 
Proportion annehmen. 
$. 907. 

Aus den bisherigen Betrachtungen haben die Gottes— 
gelehrten, eine fehr nüßliche Eintheilung der göttlichen Era 
kentniß, hergeleitet. Nemlich alle Dinge find entweder, 
blos möglich, oder zugleidy würflih. Folglich gehört ala 
les, was von allen möglichen Dingen erfant werden fan, 
entweder zu ihrer MöglichFeit, oder zu ihrer Wirklichkeit. 
Da nun Gort, alles in allen, aufs vollfommenfte erfene 


$. 897. 


188 Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 


$. 897. 892. fo erfent er auch alles, was zu der Möglich“ 
keit allee Dinge gehört, fie mögen nun wuͤrklich oder niche 
würflich feyn. Und das nent man die natürliche und 
nothwendige Wiſſenſchaft Gottes, nicht etwa, weil 
die übrige Erkentniß Gottes nicht ebenfals ihm natürlich 
und nothwendig wäre; fondern weil, der Gegenftand diefer 
Wiſſenſchaft, nicht von dem freyen Willen Gottes abhans 
get. Vermoͤge diefer nothwendigen Wiffenfchaft erkent 
Gott die Wefen, die wefentlichen Stüce, und die Eigen— 
fhaften endlicher Dinge, als welche in bloffen Möglichfeis 
ten beftehen. Ja, vermöge diefer Wiffenfchaft, erfent Gott 
alles dasjenige, was wir uns in unfern abftracten Begriffen 
vorftellen, und was wir die Gattungen und Arten der Dins 
ge nennen: denn das gehört zu der innerlichen Möglichkeit 
der Dinge. Und da nun, diefe Gattungen und Arten nicht 
anders, aufler ihren Subjecten, als Vorftellungen in dem 
Verſtande eines denkenden Dinges, wuͤrklich ſeyn Fönnen: 
ſo gehoͤrt es mit zu dem Geſchaͤfte der Allmacht Gottes, daß 
ſie, die Vorſtellungen aller moͤglichen Gattungen und Arten 
der Dinge, in dem goͤttlichen Verſtande wuͤrklich macht. 
Man kan dieſe goͤttlichen Begriffe keine abſtracten Begriffe 
nennen, weil ſie Gott nicht durch den Weg der Abſtraction 
mwürflih mache $. 893. Sondern da der goͤttliche Ver— 
ftand, mit einem Blicke, alles in allen durchfchauet; fo etz 
kent er zugleich alle mögliche Aehnlichkeiten aller möglichen 
Dinge, und folglich auch alle Gattungen und Arten ders 
felben, 
6. 908. 

Sort erfent, durch feinen unendlichen Verſtand, auch 
alles dasjenige, was zu der Wuͤrklichkeit aller möglichen 
endlichen Dinge gehört, oder alle Beftimmungen aller 
wuͤrklichen endlichen Dinge, in fo ferne fie als würflich be— 
frachtet werden . 907. Folglich hat er auch, die alferz 
vollkommenſte und deutlichfte Willenfchaft, won der Wirk: 
lichkeit allev Dinge in dieſer Welt, und affer Beftimmuns 
gen und Veränderungen, welche zu Diefer Wuͤrklichkeit gez 

hören 











Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 189 


hören F. 906. Und diefe göttliche Wiffenfchaft wird die 
freye Wiſſenſchaft Gottes genent, weil ihr Gegenftand 
von. dem freyen Willen Gottes abhanget, indem es von 
demfelben eben herrührt, daß dieſe Welt würflich, und alfo 
der Gegenftand der freyen Wiſſenſchaft Gottes geworden ift, 
Da nun alles, was in diefer Welt würklich ift, entweder 
zu den vergangenen, oder gegenwärtigen, oder zufünftigen 
Dingen gehört: fo gehört, zu der freyen Willenfchaft Gola 
tes, eine dreyfache Erkentniß. 1) Die allervollfonmenfte 
Erfentniß alles deſſen, was in dieſer Welt vergangen ift, 
und das iſt die götcliche Erinnerung, welche alles Neelle 
im höchften Grade in fich enthält, was unfere Einbildungs« 
fraft, und unfer Gedächtniß, wahrhaftig vollfommenes in 
fic) begreifen, Gott erinnert ſich freylid) des Vergangenen 
nicht auf die Art, wie wir; allein, diefe Are der Erinne— 
rung, iſt auch nichts Reelles. Es find alfo dem unendlis 
chen Verſtande fo wenig die vergangenen Eünden unbefant, 
als die vergangenen guten Handlungen, Der Schauplatz 
aller vergangenen Dinge zeige ſich, in dem göttlichen Vers» 
ftande, in der gröften Deutlichfeit, und fo wenig etwas 
Vergangenes Gott unbefant feyn Fan, fo wenig Fan er et⸗ 
was vergeffen. 2) Die allervollfommenfte Erfentniß alles 
desjenigen, was iedesmal in der Welt gegenwärtig ift, und 
die Fan man die fehende oder empfindende Erkentniß 
Gottes nennen. Der göttliche Verftand fieht alles, was 
in der gegenmärtigen Zeit würklich ift, und er befißt dem— 
nad) alles, was in unfern Sinnen Reelles und Bollfoms 
menes angefroffen wird, Gott empfindet freylich nicht, wie 
wir das Gegenwaͤrtige empfinden $. 843. Allein, gleich. 
nigweife Fan man allerdings fagen, daß er alles in der 
Welt fieht und hört. Und da er ſich alfo, des gegenwaͤr— 
tigen Zuftandes ver Welt, im höchften Grade bewuft ift; 
fo macht er, und fehläft und ſchlummert nicht, mie die 
Schrift rede. Im Schlummer und Schlafe verdunfeln 

ſich die Borftellungen des Gegenwärtigen, in Gott aber Fan 
Feine Borftellung verdunfele werden $. 893. 3) Die ale 
| ler» 


190 Der Begenftand der göttlichen Erkentniß. 


fervollfonmmenfte DBorftellung alles defien, was in diefer 
Welt zukünftig ift. Gott weis alles Zukünftige voraus, und 
das iſt die göttliche Dorberfehung des Zufünftigen, 
vermöge welcher der goͤttliche Verſtand, alles wahrhaftig 
Vollkommene in allen unfern Vorberfehungsvermögen, im 
allervollfommenften Grade beſitzt. Wir können alfo alle 
Redensarten, welche von unfern Erfentnißfräften herge— 
nommen find, von Gott und feinem Berftande brauchen, 
In der heiligen Schrift heift es, daß Gott ven lieblichen 
Gerud) der Opfer gerochen. Allein wir muͤſſen fie allemal 
nur gleichnißweife von Gott gebrauchen, und alles Unvoll: 
fommene abfondern, was fie zugleich mit anzeigen S. 851. 
S. 909. 

Wider die freye Wiſſenſchaft Gortes hat man zwey 
Einmwürfe gemacht, welche allerdings eine Antwort verdies 
nen, Einmal, ſagt man, fey es der höchiten Vollkommen⸗ 
heit Gottes unanftändig zu behaupten, daß er ſich alles aufs 
deutlichfte vorftelle, was in diefer Welt würflich if. Es 
ſeyn ja fo viele unendliche Kleinigkeiten in ver Welt vorhan« 
den, daß ein Menſch fo gar fich befhimpfen und fündigen 
würde, wenn er fich mit der Betrachtung derfelben beichäfs 
tigen wolte. Man müßte ja, nad unferer Meinung bes 
baupten, daß Gott alle Mücken, alle Fuͤſſe des Ungegiefers, 
und alles was noch Fleiner ift, aufs genauefte wife; und 
gereiche diefes nicht, zur Verkleinerung des hohen Begrife, 
den wir ung von Gott zu machen verbunden find? Allein, 
diefer Einfall iſt, ſehr Teiche, zu beantworten. In der 
Erfentniß Gottes ift, nichts in diefer Welt, eine unerheb» 
liche Kleinigkeit, wie ich diefes $. 898. erwieſen habe. 
Bey uns Menfchen verhält es fich ganz anders. Weil wir 
fein Ding erforfchen Fönnen, fo ift fehr vieles in diefer Welt, 
welches wir uns als Kleinigkeiten vorftellen müffen. Und 
da wir nicht allwiffend werden Fönnen, fo würden wir, über 
der Unterfuhung folcher Dinge, eine Erkentniß anderer 
Dinge verfaumen, deren Betrachtung uns noͤthiger und 
nüglicher ift, Folglich würden wir fündigen und uns bes 

ſchimpfen, 








Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. ı9ı 


fhimpfen, wenn wir uns bey der Erfentniß folcher Kleinigs 
feiten aufhalten wolten. Bey Gore aber, weldyer alles 
erforſcht, verhält es fic) ganz anders. Es trägt daher die 
heilige Schrift Fein Bedenken, zu fagen, daß Gott alle 
Haare auf unfern Häuptern zahle, und der Menfd) würde 
gewiß als ein Narr handeln, welcher fich die Mühe neh: 
men, und feine eigenen Haare zählen wolte. Zum andern 
fagt man, es fey unmöglic), daß Gott alle zukünftigen 
Dinge vorherwiſſen koͤnte. Es gebe nemlic) viele zufünfs 
tige Dinge, welche von dem Willführ und der Freyheit 
der Creaturen abbangen, Da nun, die willführlichen 
Entfchlieffungen einer Creatur, durch) ihren vorhergehenden 
Zuftand nicht beftimt werden: fo fen es ſchlechterdings une 
möglic) vorher zu wiffen, wie ſich eine mie Willkuͤhr begabte 
Creatur, in einem Fünftigen Falle, willführlich bejtimmen 
werde. Folglich fonne Gott zum voraus niemals wiffen, 
wie fich, die mit einem Willführ begabten Creaturen, in 
allen künftigen Fällen beftimmen werden; fondern er erfens 
ne diefes, famt allen Folgen veffelben , erit alsdenn, wenn 
die willführliche Beftimmung gefbieht. Und fo wenig die 
Allmacht Gottes eingeſchrenkt wird, wenn man behauptet, 
fie Eönne feine fchlechterdings unmöalichen Sachen wuͤrklich 
machen: eben fo wenig werde der Berftand Gottes einges 
ſchrenkt, wenn er etwas nicht erfent, was fchlechterdings 
nicht erfant werden fan. Das leßte hat allerdings feine 
Richtigkeit. Der Berftand Gottes ift und bleibt wahrhaf« 
tig unendlich, wenn er alles weis, was gewuſt werden far, 
Allein ver ganze Einwurf beruht auf der falfchen Einbil- 
dung, als wenn, die freyen und willführlichen Entfchliefe 
fungen der Creaturen, durch einen ohngefehren Zufall ges 
ſchehen, und feinen zureichenden Beftimmungsgrund in den 
vorhergehenden Zuftänden der Welt hätten. Mac) unferm 
$ehrgebäude, welches wir in der Pfychologie, von dem Wills 
kuͤhr und der Freyheit der Creaturen, feftgefegt haben, han« 
gen 3. E. alle freye und willführliche Enefchlieffungen der 
Menfchen, von allen ihren vorhergehenden Zufländen, und 

von 


ı92 Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 


von dem allgemeinen Zufammenhange in ver Welt, ab. 
Wer alfo alles Vergangene und Gegenmärtige in ver Melt 
aufs vollfommenfte weis, der erfent auch den völligen zu: - 
reichenden Grund, weswegen fi) das Willführ und der 
freye Wille einer Ereatur, in einem iedweden Falle, eben 
fo und nicht anders beftimt. Folglich Fan Gott, alle wills 
führliche und freye Entfdhlieffungen der Ereaturen, aus ihr 
rem allererften Zuftande, in welchen fie ſich nach ihrem er« 
ften Urfprunge befinden, aufs deutlichfte vorherfehen. Die: 
jenigen, welche unfere Erflärungen des Willführs und des 
freyen Willens nicht annehmen, die mögen fich felbft rathen, 
und dafür forgen, mie fie diefen Einwurf gruͤndlich aus 
dem Wege räumen, 
ES, 

Da Gott, alle Beftimmungen und Veränderungen 
aller endlichen Dinge, aufs vollfommenfte weis, welche zu 
ihrer Würflichfeit gehören $. 908. fo weis er aud) alles, 
was zu der Würflichkeie anderer Welten gerechnet werden 
muß. Oder er weis aufs vollfommenfte, mas gefchehen 
und wuͤrklich gewefen feyn würde, wenn flat diefer Welt 
eine andere würflic) geworden wäre. Und diefe Wiffen- 
ſchaft in Gott wird die mitlere Wiſſenſchaft genent, weil 
ihre Gegenftände das Mittel find zwifchen blos innerlich) 
möglichen Dingen, und folchen Dingen, welche in diefer Welt 
würflich vorhanden find, Meii Sott, alle mögliche Welten, 
aufs vollforsmenfte erfent $. 904. fo befißt er allerdings 
diefe mitlere Wiſſenſchaft. Und man muß, zu dem Ges 
genftande diefer Wilfenfchaft, alles rechnen, was wuͤrklich 
gemwefen ſeyn wuͤrde, wenn flat diefer Welt eine andere 
wuͤrklich geworden wäre. Mun nehme man ein iedes Ding, 
ein iedes Accidenz, eine iede Veränderung, die in Diefer 
Welt würklic find, Wenn flat verfelben etwas anders 
wuͤrklich geworden wäre, fo hätte es andere Gründe in allen 
vorhergehenden Zuftänden der Welt, und andere Folgen in 
allen nachfolgenden Zuftanden der Welt gehabt, und folge 
lich wäre eine andere Welt würflih $. 330, Folglich) 

gehört 

















Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 195 


gehört alles, was flat deffen, fo in diefer Welt würflich ift 
und gefchieht, hätte würflich feyn koͤnnen, zu einer andern 
Melt, und ift alfo ein Gegenftand der mitlern Wiffenfchaft 
Gottes, Vermoͤge diefer Wiſſenſchaft weis alfo Gott volle 
fommen z. E. was gefchehen ſeyn würde, wenn Adam: 
nicht gefündiget, wenn ein Menfch noc) länger gelebt hätte, 
wenn ein Menſch eine gewiſſe Handlung nicht gethan hätte, 
die er gethan hat u. fe w. Der Rutzen diefer Eintheilung 
der göttlichen Erkentniß wird fih, bey der Unterfuhung 
des goͤttlichen Willens, zeigen, 
$. gut, 

Die freye Erkentniß over Wiffenfchaft Gottes macht 
uns Menfchen eine ſehr groſſe Schwierigkeit, wenn wir fie, 
mit der göttlichen Unveränderlichfeit und Nothwendigkeit, 
zufammenreimen wollen. Alle würflihe Dinge in ver 
Welt werden aus zufünftigen in gegenwärtige, und aus 
gegenwärtigen in vergangene Dinge verwandelt. Da nun 
Gott untrüglich iſt $. 899, fo ſcheint es fehlechterdings 
nothwendig zu ſeyn, daß er fich eine Sache nicht eher alg 
gegenwärrig und vergangen vorfteile, als fie es wuͤrklich 
wird. Es fcheint demnach, als müffe die freye Wiffene 
ſchaft Gottes nach und nad) eben fo verändert werden, als 
die Dinge in diefer Welt, mit der Zeit und nach und nach, 
aus zufünftigen in gegenwärtige und vergangene Dinge vera 
wandelt werden, Ans ift es freylich unmöglich, völlig 
deutlich einzuſehen, wie bey der Veränderung der Gegen. 
ftände, die Erfentnig Gottes, innerlich unverändert bleis 
ben Fan: weil unfere Borfteilungen, einer beftändigen Abe 
änderung, und einem unaufhörlichen Wechfel, unterworfen 
find. Unterdeſſen Fönnen wir doch einigermaffen uns, aus 
diefem Labyrinthe, herauswideln. Gott bat von Ewig— 
feit ber alle Dinge in diefer Welt völlig erforfcht, es ift 
ihm von denfelben nichts unbefant gewefen, und er hat fich 
diefelben in einem fo hohen Grade vorgeitelt, als möglich 
iſt S. 892. 856. Wenn alfo eine zukünftige Sache in 
eine gegenwärtige verwandelt wird, fo wird fie zwar, aus 

4. Theil. N einem 


94 Der Gegenftand der göttlichen Erkentniß. 


einem Gegenftande ver Vorherfehung Gottes, ein Gegen« 
ftand der fehenden Erkentniß F. 908. Allein die Erfenta 
niß Gottes wird dadurch nicht vermehrt, und er erfene 
nichts neues von dieſer Sache, welches er nicht fihon von 
Ewigkeit her gewuſt hätte. Wenn alfo ja eine Beränden 
rung in der Erkentniß Gottes vorgeht, fo werden blos, ihre 
Berhältniffe gegen die Gegenftände auffer Gott, verändert, 
und wer Gott für ein unveränderliches Wefen hält, der Fan 
unmoͤglich behaupten, daß die Berhältniffe Gottes unvers 
änderlid) find . 129. Eben fo, wenn eine gegenwärtige 
Sache in der Welt in eine vergangene verwandelt wird, fo 
wird fie, aus einem egenftande der fehenden Erkentniß 
Gottes, in einen Öegenftand der göttlichen Erinnerung verz 
wandelt $. 908, Allein, da Gott in alle Ewigkeit, alles 
in der Welt, ſich im hoͤchſten Grade vorftellen wird, dera 
geftalt, daß ihm nichts iemals unbefant werden wird $.897. 
fo wird zwar, durch diefe Veränderung der Genenftände 
der göttlichen Erkentniß, das Verhältniß der legtern gegen 
Die eritern verändert; allein die görtliche Erkentniß felbft 
bleibt eben fo groß, und fie verliehrt nichts reelles. Untere 
deſſen fünnen wir diefe Schwierigkeit nicht völlig heben, 
meil die freye Wiffenfchaft Gottes gleichfam eine zufällige 
Defchaffenheit in Gott ift $. 852. Denn da es fehlechter- 
Dings nothwendig ift, daß fie wahr fey 9. 899. fo fan ſich 
Gott, vermöge derfelben, dieſe Welt und alles was in ders 
feiben wuͤrklich iſt, nicht anders vorftellen, als es wuͤrklich 
iſt. Nun iſt alles wuͤrkliche in der Welt zufällig, und 
nur hypothetiſch nothwendig. Folglich iftes ſchlechterdings 
nothwendig, daß es nur hypothetiſch nothwendig ſey, daß 
keine andere Erkentniß endlicher Dinge, auſſer der Erkentniß 
dieſer Welt, in dem göttlichen Verſtande die freye Wiſſenſchaſt 
Gottes fey. Und fie ift alfo gleichſam eine zufällige Beſchaf⸗ 
fenheit Gottes. Da nun diefe Beſchaffenheiten Gottes ung, 
eine unüberwindliche Schwierigkeit, verurfachen: fo müffen 
wir, auch in dieſem Falle, uns mit dem Maaffe der Erfenta 
niß begnügen, deffen unfer ſchwacher Berftand fähig iſt. 
Die 














AR MAUNK 195 
Die Weisheit Gottes, 


& 92% 

Eine’ von den wichtigften Vollkommenheiten des göffe 
fihen Berftandes befteht, in feiner unendlichen IBeisheit; 
weil eben Dadurch), die allervollfommenfte Erfentniß Gottes, 
für die Creaturen fo intereflant und vortheilhaft wird. Wenn 
die Erkentniß Gottes übrigens noch fo vollfommen wäre, 
befäffe Gott nicht zugleich die allergröfte Weisheit: fo wür- 
de Gott unmöglich im Stande feyn, alles in dev Welt, und 
die Schieffale einer ieden Creatur insbefondere, aufs vor- 
theilhafteſte einzurichten. Konten wir wol alsdenn mit 
der Borfehung Gottes zufrieden feyn, und uns in feiner Mes 
gierung völlig beruhigen? Hätten wir alsdenn nicht ein 
Recht, die Wege Gottes zu tadeln? Folglich muͤſſen wir 
uns vollfommen, von der göttlichen Weisheit, zu uͤberzeu— 
gen fuchen. Und da müjlen wir nothwendig bemerfen, daß 
wir hier die Weisheit ais eine theoretifche Tugend betrach— 
ten müffen. Die Wahl der beften Zwede und Mittel, 
und die würflihe Ausführung eines weislich entworfenen 
Plans, ſamt dem gehörigen Gebrauche aller Mittel, ift 
vielmehr eine Würfung und eine Ausübung der Weisheit, 
als daß man fie als ein Stuͤck der Weisheit felbft folte an: 
ſehen Eönnen. Wir wollen alfo, durch die Weisheit im 
weitern VDerftande, die Einfihe in den Zufammenhang 
der Zwecke und Mittel verftehen, und fie wird eingerheile 
in die Weisheit im engern Verſtande, und in die 
Klugheit. Jene ift die Einfiche in den Zufammenbang 
der Zwecke unter einander, und die andere eine Einficht in 
den Zufammenhang der Mittel unter einander und mit ihren 
Zwecken. In fo ferne etwas ein Zweck ift, in fo ferne ift 
es ein Gegenftand der Weieheit; in fo ferne es aber ein 
Mittel ift, in fo ferne ift es ein Öegenftand der Klugheit, 
Die Weisheit befchäftiget fih mit der Erfindung dev Zwecke, 
und die Klugheit mit der Erfindung der Mittel. Die 
Weisheit entwirft einen weifen Plan, und die Klugheit 

N 2 erfent 


196 Die Weisheit Gottes. 


erkent die Art und Meife, wie diefer Plan ausgeführt wer⸗ 
den Fan und muß. Es ſtehen einige in den Gedanken, 
daß man die Weisheit, durd) eine Einſicht in den Zuſam— 
menhang guterund rechtmäßiger Zwecke, erklären muͤſſe; da= 
mit fie von der Argliſt unterfchieden werde, als weiche böfe 
und unerlaubte Zwecke zu erdenfen fucht, Allein Diefer Uns 
terſchied ift bier unnüg. Dasjenige, was andere Argliſt 
nennen, ift ofte, formaliter betrachtet, eine beſſere Weis— 
heit als eine andere: denn die Kinder der Sinfterniß find 
ofte Elüger in ihrem Gefchled;te, als die Kinder des Lichts. 
Und aus dem Begriffe der allerhoͤchſten Weisheit wird oh— 
nedem folgen, daß die Zwecke Gottes insgeſamt gut und 
rechtmäßig find. Wir wollen in diefer Abhandlung die 
Weisheit in einer fo weiten Bedeutung nehmen, daß fie 
aud) die Klugheit mit in fich begreift. 


. 9. 

Daß nun Gott die vollfommenfte Weisheit im allers 
hoͤchſten Grade befiße, Fan erſtlich, aus der Betrachtung 
diefes Weltgebaͤudes und aller Theile deſſelben, gezeigt wer— 
den, Es ift ganz unbegreiflich, wie die Welt von einer würs 
£onden Urfache hätte Fönnen hervorgebracht, und eingerich- 
tet werben, welche nicht mit höchfter Weisheit begabt iſt. 
Wenn man nur einen Wurm betrachtet, fo muß man er— 
ftaunen, wie alle feine Gliedmaſſen vecht dazu eingerichtet 
find, wie es das mannigfaltige Bedürfniß und die Vollkom— 
menheit deffelben erfordert. Cine iedwede Pflanze ift, auf 
eben die Art, eine Würfung der höchften Weisheit. Und 
wenn man von diefer Vollkommenheit Gottes einen recht 
ausgebreiteten und lebhaften Begrif, einen recht tiefen und 
practifhen Eindruck, erlangen will; fo thut man fehr gut, 
wenn man, durch Huͤlfe der Aftronomie , der Naturlehre, 
der Hiftorie, der Anatomie und aller Wiſſenſchaſten, welche 
ſich mit der Betrachtung diefer Welt beſchaͤftigen, Die Des 
wundernswürdigen Spuren der göttlichen Weisheit allera 
wegen zu entdecken ſucht. Allein, ein folder Beweis der 
göttlichen Weisheit, iſt an diefem Orte zu weitläuftig. Wir 

wollen 






































Die Weisheit Gottes. 197 


mollen alfo, zum andern, diefe Vollkommenheit Gottes, 
auf eine Fürzere Art darthun, ort befißt die allervoll« 
fommenfte Bernunft $. 895. Folglich hat er die allervolls 
fommenfte Einfiht, in den Zufammenhang aller möglichen 
Ding. Da nun, die Verbindung aller möglichen 
Zwecke und Mittel, mit zu dem Zuſammenhange aller 
möglichen Dinge gehört: fo fieht aud) Gott diefen Zufams 
menhang aufs vollfommenfte ein, und er ift demnach ein 
mweifes Wefen. Die Weisheit ift fo unleugbar eine Reali⸗ 
tät, welche in Gott feyn muß $. 816. daß es eine Gottes. 
läfterung feyn würde, wenn man auch nur das Gegentheil 
in Gott als moͤglich annehmen wolte. Vielleicht Fonte man, 
diefen Beweis, deswegen nod) für unzulänglich halten, weil 
Daraus noch nicht Elar genung erhelle, daß Gott felbft Zwes 
de habe, welche er begehrt, und nach welchen er handelt, 
welches doc) zu der Weisheit eines weifen Wefens erfodert 
wird. Allein, es wird diefes nicht nur aus der Unterfus 
chung des göttlichen Willens erhellen, fondern es folget 
auch aus unferm Bemweife. Denn wenn Gott die allervolls 
kommenſte Einficht in den Zufammenbang der Zwecke und 
Mittel befise, wie erwiefen worden, fo ift diefe Einſicht 
auch die allerlebendigfte Erfentniß S. 902. Und folglich) 
handelt auch, Gott felbft, nah Zweden, 


$- 914. 

Gott befige nicht nur eine fehr groffe Weisheit, ſon⸗ 
dern feine Weisheit ift auch die allergröfte, die allervoll« 
Eommenfte, und eine wahrhaftig unendliche Weisheit $. 817. 
Um uns nun einen Gott anftändigen Begrif von feiner 
hoͤchſten Weisheit zu machen, fo müffen wir fechferley be— 
merken. Cinmal: Gott hat die allerweitläuftigfte Erfente 
niß und Wiftenfchaft, von dem Zufammenhange der Zwede 
und Mittel $. 897. denn ie mehr ein weifes Weſen von 
diefem Zufammenbange einfieht, defto vollkommener ift feine 
Weisheit $. 912. Folglich erfent Gott aufs vollfommen« 
fte: 1) alle möglichen Zwecke, dergeftalt, daß ihm Fein 
einziger derfelben unbekant ift. en einem Weſen, * 

N3 es 


198 Die Weisheit Gottes, 


ches mie Weisheit begabt ift, manche Zwecke unbefant find; 
fo fan es um derfelben willen nicht handeln : zum Ungluͤck 
koͤnnen ihm, eben die beften, unbekant feynz und wenn 
ihm auch die beften nicht eben unbekant find, fo Fan es 
doch nicht mit Zuverficht nach den beften Zwecken handeln, 
weil immer zu beforgen ift, daß es noch beſſere Zwecke gebe, 
als diejenigen, die ihm befant find. Folglich entftehen, aus 
diefer Unwiſſenheit, unausbleiblid) viele Thorheiten, und 
Mängel der Weisheit. Gott ift für Diefen Fehlern vollfonts 
men ficher. Er weis, weldye Zwecke den Ereaturen unbekant 
find, und daher Fan er auch die Handlungen derfelben auf 
viele Zwecke leiten, um derentwillen die Creaturen diefelben 
geroiß nicht vorgenommen haben, oder vornehmen. Und 
folglich haben, die Unternehmungen der Menfchen, ofte 
einen ganz unerwarteten Ausgang und Mugen, die feinem 
Menfchen in die Gedanken haben kommen fünnen, 2) Gott 
weis aufs vollfommenfte alle Beftimmungen, Beſchaffen⸗ 
beiten und Gröffen aller möalichen Zwede, alles Gute und 
alle Bolltommenheiten und Nugen berfelben. Es ift ihm 
nichts, in irgends einem möglichen Zwecke, verborgen, 
Und er weis auch wie viel den Creaturen von denen Zwe— 
en, um welcher willen fie würflich handeln, verborgen if, 
und er ift daher im Stande, die Abfichten der Creaturen in 
einem viel weitern Umfange ofte auszuführen, als fie es 
ſelbſt im Sinne gehabt haben. 3) Gott weis aufs volle 
kommenſte alle möglicdye Mittel überhaupt, und infonderheit 
alle mögliche Mittel zu einem iediveden Zwecke insbefondere. 
Er kent zugleich, ein iedes Mittel, vollig. Er weis alle 
Beltimmungen, Befchaffenbeiten und Gröffen deſſelben. 
Er weis, welche Mittel den Creaturen unbekant find, und 
was ihnen von allen Mitten, die fie felbft wählen, unbes 
Fane ift, und er ift daher im Stande, die Abfichten der 
Creaturen durd) ganz andere Wege zu erreichen, als es dies 
felben fich vorgenommen haben. Um diefer Bollfommen- 
beie der. göttlichen Weisheit willen ift Gott im Stande, 
iederzeit Die allerbeften Mittel zu erwählen. Wenn einem 

weifen 
































Die Weisheit Gottes. 199 


weifen Weſen, nicht alle Mittel, bekant find: fo koͤnnen ihm 
zum Unglüc die beften Mittel unbefant feyn, wenigftens 
muß es immer beforgen, daß es vielleicht noch beffere Mits 
tel gebe, als diejenigen, die ihm befant find. Und daher 
entſteht allemal unausbleiblich viel thörichtes. 4) Gott 
weis aufs vollfonnmenfte alle mögliche Verbindungen aller 
Zwecke unter einander, aller Mittel unter einander, und 
aller Zwecke und Mittel mit einander. Folglich weis er: 
welche Zwecke einander untergeordnet und zugeordnet find, 
alle Nebenzwecke, alle entferntern und nähern Zwecke, Die 
erften und nächften Zwecke, welcher Zweck wiederum ein 
Mittel zu einem andern Zwecke ift, alle nähere und ent— 
ferntere Mittel, die nächften Mittel und die entfernteiten, 
wie durch ein jedes Mittel der Zweck erreicht werden koͤnne, 
welches Mittel wiederum ein Zweck zu einem andern Mit 
tel ift, alle Befchaffenheiten und Grade dieſer mannigfalti— 
gen Verbindungen aller Zwecke und Mittel mit einander 
u. ſ. wm. Daher ift Gott auch im Stande, iederzeit Die 
Zwecke und Mittel recht mit einander zu verfnüpfen, und 
den allervollfommenften Entwurf in allen Fällen zu machen. 
Zugleich ijt ihm aufs vollkommenſte befant, welche Berbins 
dungen der Zwecke und Mittel den Creaturen unbefant find: 
daher auch begreiflih ift, warum die Entwürfe der Men: 
ſchen ofte ganz anders ausgeführt werden, als die Menſchen 
fih) vorgenommen haben. Die Menfchen verfnüpfen ofte, 
Mittel und Zwecke, auf eine gewiſſe Art mit einander, und 
nachdem fie lange nachgedacht haben, wie fie ihre Abſichten 
und Mittel in ein wohlverfnüpftes Syftem bringen follen, 
fo wird ofte unvermuthet ein Strich durd) ihre Rechnung 
gemacht. Sie müffen das, was fie zuerft hun wolten, 
bis auf die legte verfparen, und ihre Plane von binten 
oder in der Mitten anfangen, und die Abfichten Gottes 
werden vielmals durd) einen Zufammenhang ausgeführt, 
der den Menſchen ganz unerwartet ift. 


Na $. 015. 


206 Die Weisheit Gottes. 


$. 915. 

Zum andern gehört, zu der aflervollfommenften Weis⸗ 
beit Gottes: daß er, die allergröfte und proportionirtefte 
Erkentniß, von dem ganzen Zufammenhange aller möglis 
chen Zwecke und Mittel hat $. 898. Und das will fehr 
viel fagen, 1) Sort ftele ſich, feinen möglichen Zweck, als 
geölfer oder als Eleiner, als befler oder als fchlechter vor, 
als er in der That iſt; fondern er erfent einen iedweden volls 
kommen in dem Grade feiner Vollkommenheit, der ihm 
mürflic zufomt. Er weis, welches die Hauptzwede und 
Meben;wece find, die höhern und die niedrigern; und die 
festen Abſichten, in einer ieden Neihe der Zwecke, kent er 
eben fo qut, als denjenigen, welcher fehlechterdings der erfte, 
gröite und befte Zweck iſt. Er weis alfo, von den beften 
Zwecken, daß fie die beften find. Die Greaturen begeben 
in diefen Abfichten viele Thorheiten, die der hoͤchſten Weiss 
beit Gottes aufs vollfommenfte befant find, Sie feben 
fehr ofte gar nicht ein, wie groß oder Flein ein Zweck fen, 
der ihnen fonft befant ift. Sie machen ofte aus einer Ab— 
ficht viel, aus welcher fie wenig; und wenig, aus welcher 
fie viel machen folten.. Und fie handeln ofte nad) der beten 
Abſicht, und wiſſen es felbft nicht, daß ihre Abficht die 
befte ſey. Kan das eine wahre Weisheit feyn? Gott im 
Gegentheil Eent, aufs vollfommenfte , den wahren Werth 
eines ieden möglichen Zwecks, und er fihäßt feinen Zweck 
höher oder geringer, als er es verdient. 2) Gott erfent, 
alle mögliche Mittel, in ihrer wahren Groͤſſe. Er ſchaͤtzt 
Fein Mittel höher oder geringer, als es werth ift. Er Fent 
den Grad der Guͤte eines iedweden Mittels, und er weis 
aufs volffommenfte überhaupt, und in Abficht auf einen 
iedweden Zweck, welches die alferbeften Mittel find. Das 
her ift er auch im Stande, iederzeit die allerbeften und grös 
ften Mittel zu erwaͤhlen. Die Creaturen fihägen ihre 
Mittel nur gar zu ofte höher oder aeringer, als fie es vera 
dienen. Die Mittel, worauf fie fich am meiften verlaffen, 
find ofte die fchlechteften, und diejenigen, aus denen fie faft 

gar 





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Die Weisheit Gottes. 201 


gar nichts gemacht haben, ſind nicht ſelten die allerbeſten. 
3) Gott erkent die Staͤrke und den Grad der Verbindungen 
aller Mittel und Zwecke mit einander. Er weis, wie viel 
oder wie wenig ein iedwedes Mittel zu einem iedweden Zwe⸗ 
ce beytragen Fan, und wie unentbehrlich oder entbehrlic) 
ein iedwedes Mittel zu feinen Zwecken ſey. Er fent die 
Verbindung eines ieden Mittels mit den allerentfernteften 
Zwecken, und er fieht, wie viel ein Mittel, Durch unend« 
lich viele Zwifchenzivecfe, endlich) zu dem allerlegten Zwede 
beytragen fan. Daher ift Gott aud) im Stande, eben fo 
viele Mittel zu erwählen, als nöthig iſt, wenn er feinen 
ganzen Zwec aufs völligfte erreichen will, O! welch eine 
Tiefe der Weisheit Gottes! 
.9iG. 

Inſonderheit muͤſſen wir, bey dieſer Vollkommenheit 
der goͤttlichen Weisheit, noch weiter ausfuͤhren, was das 
ſagen will, daß Gott die allerbeſten Mittel in allen Faͤllen 
wiſſe. Und wir muͤſſen daher, die Eigenſchaften der aller— 
beſten Mittel, weiter ausfuͤhren. Und dahin gehoͤrt: 
ı) daß fein Mittel das allerbeſte Mittel ſeyn Fan, welches 
nicht ein Mittel zum beften Zwecke ift. Denn das aller 
befte Mittel muß, den Grund der Würflichkeit der gröften 
Vollkommenheit, in fich enthalten S. 99. Mun ift das. 
jenige, von deſſen Wuͤrklichkeit das Mittel den Grund ent» 
hält, der Zweck $. 268. Folglich Fan ein Mittel nur das 
beite ſeyn, wenn eg ein Mittel des allervollfommenften oder 
beften Zwecks ift: es mag nun diefer Zweck fchlechterdings, 
oder nur in einem gewiffen Falle, und in einer gewiſſen 
Keihe der Zwecke, ver befte feyn. In dem erften Falle 


iſt dag Mittel fchlechterdings das allervollfommenfte und 


befte, und in dem andern ift es nur das befte in einem gea 
wiſſen Falle, und in einer gewiflen Reihe der Zwecke, Folge 
lic) kent Gott aufs vollkommenſte ale Mittel zu den beften 
Zwecken, und zwar in fo ferne, und wie, und in was für 
einem Grade fie den beften Zweck befördern. Wenn iemand 
gleich die Mittel zu den beften Zweden in Händen bat, 

N5 weis 


202 Die Weisheit Gottes. 


weis er nicht, wie und in was für einem Grade fie den be« 
fen Zweck befördern: ſo iſt er nicht im Stande, fie recht 
zu gebrauchen, um den beften Zweck dadurch zu erreichen. 
Es hilfe ihm alfo nichts, wenn er aud) die Mittel zu dem 
beften Zwecke in Händen hat. Gott im Gegentheil ift vor 
diefen Fehlern rider die Weisheit ficher, weil er von allen 
Mitteln zu den beften Zwecken weis, mie fie ven beften 
Zweck erhalten, und in was für einem Grade. Folglich 
ift er eben deswegen auch im Stande, die beften Mittel 
nicht anders und weder in einem böhern noch geringern - 
Grade zu gebrauchen, als es der befte Zweck erfodert. 
2) Die beften Mittel find auch) die fruchtbarften Mittel. 
Se mehrere Zwede, Nusen, Vollkommenheiten und ie 

mehr guts durch ein Mittel erhalten werben fan, und ie 
mehr von einem gewiſſen Zwecke durch dafjelbe erreicht wer 
den fan, defto fruchtbarer ift es S. 27. und mithin auch) 
zugleich defto vollfommmener und beffer S. 99. Folglich 
iſt das Mittel, welches entweder fehledhterdings, oder in 
Abſicht auf einen gewiſſen Zweck, das befte iſt, zugleic) 
auch fehlechterdings, oder in diefer Abficht, das fruchtbarfte, 
Gott erfent aufs vollfommenfte die Fruchtbarkeit eines ied« 
weden Mittels, und er Fan fich alfo von feinem Mittel 
mehr oder weniger verfprechen, als in der That von ihm 
erwartet werden fan. Er weis zwar, für wie fruchtbar 
ein iedes Mittel von den Creaturen gehalten wird, und wie 
viel oder wenig fie fih von einem iediweden Mittel verfpres 
den; allein er felbft kent alle möglihe Mittel, auch in 
diefem Stüfe, aufs genauefte. Daher ift er im Stande, 
ſolche Mittel in allen Fällen zu erwählen, durch welche alle 
Zwecke, und alles in einem iedweden Zwecke, erhalten 
erden Fan, weswegen fie erwaͤhlt werden follen. 3) Die 
beften Mittel find zugleich die gröften und wichtigften Mitz 
tel. Se gröffere, edlere und wichtinere Zwede, Mugen, 
Vollkommenheiten und Güter durch ein Mittel erhalten 
werden koͤnnen, deſto wichtiger ift es $. 27. und deſto 
beffer $. 99, . Folglich) muß das befte Mittel entweder 

ſchlech⸗ 





























Die Weisheit Gottes. 203 


fchlechterdings das höchfte Gut auffer Gott, ober das wich— 
tiofte in einem ieden Zwecke, zu befördern im Stande ſeyn. 
Gott Font die allerwichtiaften Mittel, und er weis aufs voll 
fommenfte die Wichtigkeit eines ieden Mittels z. E. ob es 
den legten Zweck befördere, oder nur einen Zwiſchenzweck, 
den höhern oder niedrigern, den Hauptzweck oder nur einen 
Mebenzwek u. f. w. Daher ift Gott auch im Stande, 
allemal die edelften, mwichtigften und vortreflihften Mittel 
zu erwählen. 4) Die beften Mittel enthalten nicht mehr 
und nicht weniger, als zu der Erreichung des Zwecks erfo⸗ 
dert wird, und fie find alfo vermögend, den Zweck aufs 
genauefte zu erhalten, Wenn fie weniger enthielten, als 
erfodert wird: fo wären fie unzureichende Mittel, und waͤ— 


ren demnach nicht die fruchtbarften Mittel. Enthielten fie 


etwas überflüßiges, fo trüge diefes nichts zum Zwecke bey, 
und folglich würfte es nichts guts; weil alles wahre Gute, 
welches durch ein Mittel verurfacht wird, zu dem Zwecke 
defieiben gehört S. 266. Da es nun doch etwas wuͤrken 
müßte $. 36. fo müßte es was böfes würfen, und folglich 
wäre ein ſolches Mitcel nicht das altervollfommenfte. Es 
ift allemal eine Thorheit, wenn man entweder Mittel era 
wählt, welche den Zweck nicht erreihen; oder wenn man 
was überflüßiges als ein Mittel erwählt, weil daffeibe in 
der That Fein Mittel ift, und den Zweck hindert, Folge 
lic) kent Gott aufs vollkommenſte diejenigen Mittel, welche 
einem iedweden Zwecke, und auch nem beften Zwecke, dere 
geftalt angemeſſen find, daß fie venfelben aufs genauefte 
erhalten. Daher ift er aud) vermögend, foldye vortrefliche 
Mittel in allen Fällen zu erwählen. 5) Die beften Mittel 
find zugleich der allerfürzefte Weg, auf welchem man zu 
einem gewiflen Zwecke gelangen Fan. Denn wenn man eis 
nen Zweck durch ſolche Mittel erreicht, die denfelben aufs 
genauefte erreichen, deren keins überflüßig ift, und deren 
fo wenige find, ale möglich ift: fo wird diefes der Fürzes 
fte Weg zu demfelben Zwecke genent. Nun find die 
beiten Mittel, wie ich bisher erwielen habe, hinreichend zu 

dem 


204 Die Weisheit Gottes. 


dem Zwecke, fie erhalten venfelben aufs genauefte, fie ent: 
halten nichts überflüßiges, und es find alfo allemal deren fo 
wenige als nöthig ift. Folglich geht derjenige, welcher die 
beiten Mittel braucht, auch allemal den fürzeften Weg zu 
feinen Sweden, Da nun Gott in allen Fällen die beften 
Mittel aufs vollkommenſte Font, fo weis er auc) die Fürze- 
ften Wege zu allen feinen Zwecken. Freylich koͤnnen wir 
Menfchen fehr felten, in den Wegen Gottes, diefe Volle 
Fommenbeit einfehen, Denn da ung nicht der ganze Zweck 
Gottes befant ift, fo fheint uns alles dasjenige in den 
Wegen Gottes überflüßig, und ein Ummeg zu fenn, mas 
zu einem uns unbefanten Theile des ganzen Zwecks Gottes 


führe, 
$. 917. 


Drittens gehört, zu der allervollfommenften Weis« 
heit Gottes, daß er, den Zufammenhang aller Zwecke und 
Mittel, aufs richtigfte und untrüglichfte einſieht. Seine 
Weisheit Fan fih unmöglich, in irgends einem Falle, und 
in irgends einer Abſicht, irren und betrügen 9. 899. Gott 
fan feine Scheinzwecke haben, Feine fündlichen und böfen 
Zwecke. Alle Zwecke Gottes find wahrhaftig gut. Kei— 
nen Hauptzweck Fan er für einen Nebenzweck, und feinen 
Mebenzweck für einen Hauptzweck halten. Eben fo unmög- 
lic) ift es, daß er einen Zweck für beffer oder ſchlechter Hals 
ten folte, alserift. Er kan feinen legten Zweck für einen 
Mittelzweck, Feinen hoͤhern für einen niedrigern, feinen 
entferntern für einen nähern halten, und umgekehrt, Er 
kent alfo, alle mögliche Berbindungen und Zufammenord« 
nungen aller möglichen Zwecke, aufs richtigſte, ohne alle 
Gefahr zu irren. Eben fo wenig Fan fic) Gott, in Abfiche 
der Mittel, betrügen. Gott fan Fein Scheinmittel für 
ein wahres Mittel halten, er fieht Fein böfes Mittel für ein 
gutes an, er Fan Fein Mittel für mehr oder weniger gut, 
fruchtbar, wichtig und zureichend halten, als es in der That 
ift, Er hält fein näheres Mittel für ein entfernteres, fein 
Hauptmittel für ein Mebenmittel und umgekehrt, Kurzer 


ſieht 


Die Weisheit Gottes. 205 


ſieht ein iedes Mittel, und alle mögliche Verbindungen aller 
‚ möglichen Mittel, aufs richtigfte ein, ohne die geringſte 
‚ Gefahr, fi) in irgends einem hieher gehörigen Stuͤcke zu 
betrugen, Unterdeſſen, da ihm alle Irrthuͤmer der denfene 
den Creafuren, aufs vollfommenfte befant find $. 899. fo 
‚ weis er auch alle falfchen Vorftellungen, welche fich Diefels 
ben von den Zwecken und Mitteln machen. Und da nun 
diefe falfchen Vorftellungen, famt der Unwiſſenheit in Ab» 
fiht auf den Zufammenhang der Zwecke und Mittel, die 
eriten Quellen aller Wahrheiten und Thorbeiten der Mens 
ſchen, und anderer mit Berftande begabten Creaturen, find? 
fo erfent Gott, und zwar anfchauend $. 894, alle Narrheit 
und Ihorheit in der Well. Das reelle und vollfommene, 
welches bey dem Lachen und Spotten angetroffen wird, bes 
fteht in der anfchauenden Erkentniß des Närrifchen und Thoͤ⸗ 
richten in dem Berhalten eines Menfchen. Folglich Fan 
' man, mit der heiligen Schrift, fagen: daß Gott alle Ente 
wuͤrfe und Rachſchlaͤge der Menfchen Fenne, welche feinen 
Entwürfen zuwider find, daß er aber ihrer lache und fpotte, 
Doch muß davon alles boshafte, fündliche und unvollkom— 
mene abgefondert werden, fo mit unferer Berfpottung, und 
mit unferm Lachen, leider! mehrentheils verbunden zu feyn 
pflegt: denn das laͤſt fi), in dem allerheiligften Gotte, gar 
nicht gedenfen. 







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6. 918. | 

Zum vierten befteht, die allerhöchfte Vollkommenheit 
und Unendlichkeit der göttlichen NBeisheit, darin, daß er, 
die allerflärfte und deutlichfte Einficht in den ganzen Zufams 
menhang aller möglidyen Zwecke und Mittel, befigt. $.900, 
Alte mögliche wahre Zwecke und Mittel ftellen ſich ihm, in allen 
ihren möglichen Verbindungen und Zufammenordnungen, 
ohne alle Dunfelheit und Berwirrung, in dem teinften 
und heiterften ichte, ewig und unveränderlich var. Seine 
unendliche Vernunft überfieht und durchſchauet, das ganze 
Keich ver Weisheit, aufs deurlichfte. Keinen Zweck ſtelt 
er fic) finlid als was guts vor, fondern er erfent, alles 
Gute 





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206 Die Weisheit Gottes. 


Gute in den Zwecen und Mitteln, blos vernünftig. Wir 
Menfchen und andere Creaturen, welche eine Weisheit bes 
figen, verfpüren darin einen überaus groffen Mangel an 
Weisheit und Klugheit, Daß wir uns die Zwecke und Mit— 
£el ſehr felten deutlic) und vernünftig genung vorftellen, und 
dag wir fie uns allemal, wenn wir fie auch vernünftig un« 
ferfuchen, zugleich groffentheils finlich vorftellen. Daher 
erwählen wir fo ofte faliche Zwecke und Mittel, und in una 
jere Weisheit und Klugheit haben deshalb, alle unfere fins 
lichen Kräfte, die Einbildungskraft, die natürlichen Trie— 
be, die finlichen $eidenfchaften, das finlihe Temperament 
u. f. w. einen beftändigen und gewaltigen Einfluß. Die 
Weisheit Gottes ift, vor allen diefen Mängeln und Fehlern 
der wahren Weisheit, vollkommen ficher, und es iſt ſchlech— 
terdings unmöglich, daß fie auch nur im geringften durch 
die Sinlichfeit folte Fönnen verunreiniget werden. Untera 
deſſen weis Gott aufs vollfommenfte, wie fich alle mit Weis— 
heit begabte Creaturen alle Zwecke und Mittel finlich vors 
ftellen, und wie fie dadurch zu mannigfaltigen Narrheiten und 
Thorheiten verleitet werden. 
$. 919. 

Die unendlihe Weisheit Gottes befteht fünftens dara 
in, daß er, von allem möglichen Zulammenhange aller 
Zwecke und Mittel, die allergewiſſeſte Erkentniß beſitzt. 
S. 091. Er weis aufs allergewiſſeſte, welcher Zweck ein 
wahrer oder falſcher Zweck ſey: wie groß und gut ein 
Zweck ſey; was er fuͤr ein Zweck ſey, ob er ein letzter Zweck 
ſey oder nicht, ein Hauptzweck oder ein Nebenzweck; wel⸗ 
cher Zweck ſchlechterdings, oder in gewifler Abſicht der bez 
fte fen; welche Mittel wahre, oder falfche Mittel find; 
welches überhaupt, und in allen Faͤllen, die befien Mittel 
find, es ift ihm nicht etwa blos wahrfcheinlich, oder wol 
gar zweifelhaft, ob er durch diefe oder jene Mittel den Zweck 
überhaupt, oder in einem gewiſſen Grave, erreichen werdeß 
fondern es ift ihm diefes alles gewiß. Daher auch die beiten 
Mittel, in Abfidye der göttlichen Weisheit, ganz gewiſſe 
| Mittel 


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Die Weisheit Gottes. 207 


. Mittel find, indem fie nicht nur wahre Mittel find, fondern 
indem auch Gott von ihrer Güte, und dem wahren Grade 


derfelben, aufs vollfommenfte überzeugt ift. Es iſt ein 


groſſer Fehler der Weisheit, den wir bey uns verfpüren, 
daß wir mehrentheils, unfere weifen Entwürfe, auf wahr« 
ſcheinliche Mutdmaffungen bauen, und es ofte auf gutes 
Gluͤck wagen müffen, ob fie koͤnnen ausgeführt werden, 
) oder nicht. Und wenn mir ofte glauben, daß wir eine 


Sache aufs befte eingefaͤdelt haben, und mit der gröften 
Zuverfiht die Erreichung unferer Abfichten erwarten, fo 
fehen wir doch am Ende, daß wir uns betrogen haben. Ja 
wenn wir auch manchmal würflicy die beften Mittel era 
wähle haben, fo wiffen wir es doch nicht gewiß, und wie 


muͤſſen immer mit einiger Furchtfamfeit handeln. Gott 


— — — — 


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kent freylich alle Ungewißheit in der Weisheit und Klugheit 


der Creaturen, allein er ſelbſt braucht nichts auf gutes Gluͤck, 


und auf ein Gerathewohl, zu wagen, ſondern er iſt von ala 


len Zwecken und Mitteln aufs vollkommenſte uͤberzeugt. 
27030; 

Endlich zum fechsten gehört, zu der allervollfommen« 
ften Weisheit Gottes, daß er auch die alferlebendigfte Era 
Fentniß des Zufammenhangs aller Zwecke und Mittel befigt ; 
indem er, in dem höchiten Grade der Vollkommenheit, alles 
Gute in allen Zwecken, Mitteln und Verbindungen derfels 
ben, famt allen Graden diefes Guten, anfchauend erkent. 
$. 902. 894. Die Weisheit Gottes ift nicht eine blos 
theoretifche und fpeculativifche Weisheit, wie leider! nur 


gar zu ofte die menfchlidye Weisheit und Klugheit befhaffen 


it, Der Menfch ift ofte ein fehr Eluger Projectmacher, 
er iſt aber auch nichts meiter als ein Projectmaher, Er 
erwähle ofte die beften Mittel und Zwecke, er verbindet fie 
geſchickt mit einander, und macht fehr gute Entwürfe, 
Allein ee geht nicht weiter, fondern feine weifen Einfichten 
find todt, und fönnen, Die gehörige Ausführung diefer Ent— 
würfe, nicht hervorbringen. Gottes Erkentniß Fan nicht 
todt feyn, und feine unendliche Weisheit ift allemal auch 

im 


208 Die Allwifjenhett Gottes. 


im hoͤchſten Grade lebendig. Da nun diefes Leben fich in 
dem Willen Auffert, fo werden wir davon balde ausführli- 
cher handeln. Hier haben wir die göttliche Weisheit mur 
in fo ferne betrachten müffen, in fo ferne fie gleichſam in 
den göttlichen Berftand eingefchloffen ift. 


Die Allwifjenheit Gottes, 
$. gar. 

Nunmehr ift e8 uns fehr leicht, uns von der goͤttli— 
hen Bollfommendeit, die wir die Allwiſſenheit Gottes 
nennen, einen hinlänglichen Begrif zu machen; fie bejteht 
nemlich, in der vollfommenften Wiffenfchaft aller möglichen 
Dinge. Da wir nun diefe Vollkommenheit Gottes bisher 
ausführlich unterfucht, und erwiefen haben, daß er allwiſ— 
fend fey; fo komt es bier lediglich, auf ziwey Fragen, an. 
Einmal: was erfent Gott vermoöge feiner Allwiffenheit ? Und 
da muß man anfworten: alle, Damit aber diefer Aus- 
druck Fein bloffes theologifches Kompliment fey, fo muß 
man, den Umfang aller möglichen Dinge, dergeftalt übers 
denfen, wie wir es gethan haben $. 903-9206, Wer 
felbft fehr wenig weis, und die Claffen der möglichen Dins 
ge nicht ausführlich genung überdenft, der Fan unmöglich), 
die Allwiffenheit Gottes, auf eine Gott anftändige Art den⸗ 
fen und ſich vorftellen. - Ein folcher Menfch ehrt Gott eben 
fo wenig, als ein Ungelehrter, menn er jemanden einen 
hochgelehrten Mann nent, weil er fieht, es wiſſe derfelbe 
Dinge, die er ſelbſt nicht verfieht, Zum andern: wie er— 
kent Gott, vermäge feiner Allwiſſenheit, alle mögliche Dins 
ge? Und da muß man antworten: aufs vollfommenfte, fo 
wie wir $. 893-902 gezeigt haben. Der Berftand Gots 
tes ift alfo die Möglichkeit der Allwiſſenheit, oder das Bora 
mögen allwiffend zu feyn, oder er ift die allervollfommenfte 
und unendliche Möglichkeit der Erkentniß. Und die Alle 
wiſſenheit ift die Würklichkeit des göttlichen Verftandes, oder 
eine wahrhaftig unendliche, und eine Erkentniß, welche 
ſchlechterdings die allergröfte iſt. & 

e 









































EICH EN 209 
Die andere Abtheilung. 


Der Wille Gottes. 
Das outtliche Vergnügen und Mifvergnugen, 
\. 922. 

Aus der Lehre von unferer Seele und andern Geiftern 
in der Dfychologie ift es unleugbar, daß alle Begierden und 
Berabfheuungen, folglich auch die ganze Begehrungefraft, 
aus der Erfentniß flieffen, in fo ferne fie lebendig iſt, folg— 
lich in fo ferne fie ein Bergnügen oder Mißvergnügen, oder 
bendes zugleich, über den Gegenftand der Begierden und 
Verabſcheuungen, erweckt. Es ift alfo unmöglid), die Natur 
des göttlichen Willens gehörig zu unterfuchen, ehe man fid) 
nicht, von dem Vergnuͤgen und Mißvergnügen Gottes, eis 
nen rechten Begrif gemacht hat. Gott erkent, vermöge 
feiner Allwiſſenheit, alle Vollkommenheiten und Unvollfoms 
menbeiten, alles Gute und Bofe in allen möglichen Dingen 
$. 897. und zwar auf eine anfchauende Art, und aufs volls 
fommenfte $. 894. 392. Dun ift die anfchauende Erkent— 
niß des Guten das Bergnügen, und die anfchauende Er— 
kentniß des Böfen das Mifvergnügen $. 651... Folglich 
bat Gott Vergnügen und Mißvergnügen, und zwar das 
allergröfte, das allervollfommenfte, und das unendliche 
Bergnügen und Mißvergnügen $. 817. welches von allen 
Unvollfommenbeiten gereiniget ift, die mir bey unferm Ver— 
gnügen und Mißvergnügen antreffen $. 818. Wir Fon- 
nen uns von dieſer Wahrheit aud) daher überzeugen, weil 
Gort alle möglihe Dinge aufs lebendigfte erfent $. 902. 
Nun kan feine Erfentniß lebendig feyn, als in fo ferne fie, 
Bergnügen und Mißvergnügen über den Gegenftand, ver— 
urfacht $. 669. Folglich ift die Allwiſſenheit Gottes niche 
unwuͤrkſam, fondern fie ift unveränderlid), mit dem aller 
vollkommenſten Vergnügen und Mißvergnügen über die Ges 
genftände der Erkentniß Gottes, verbunden. Man Fan 
gar Eeine erhebliche Schwierigkeit dawider erregen, wenn 
man Gott ein unendliches Vergnügen zuſchreibt. Allein 

4, Theil. > das 


210 Der Wille Gottes, 


das koͤnte Gott unanftändig zu ſeyn feheinen, wenn man bes 
hauptet, daß er aud) im höchften Grade mißvergnügt fey. 
Unterdeffen rührt diefes blos daher, weil man mit dem 
Worte Mißvergnügen folche Mebenbegriffe verfnüpft, wels 
che ſich für Gore nicht ſchicken. Wenn wir fagen, daß wir 
mißvergnügt find, fo ftellen wir uns dabey etwas quälens 
des, beunruhigendes, beängfligendes und dergleichen mehr 
vor, Und das läft fich freylich von Gott nicht gedenfen. 
Da wir aber Fein bequemeres Wort haben, fo müffen wir 
dabey nichts roeiter denken, als eine anfchauende und lebens 
dige Erkentniß des Boͤſen. Das quälende bey unferm 


Mißvergnügen entfteht nur daher, wenn das böfe, worüber 


wir mißvergnügt find, uns felbjt betrif, Da nun Gott 
vor allem Uebel vollfommen ficher iſt, fo führt fein Mißver⸗ 
gnuͤgen nichts beunrubigendes mitfih. Das göttliche Ber« 
gnügen und Mißvergnügen ift, die Würfung der allervolle 
fommenften anſchauenden Erfentniß aller möglichen Volle 
fommenbeiten und Unvollfommenheiten, und Fan daher 
nichts verneinendes und unvollfommenes in fid) enthalten. 
Oder wern ja diefe Ausdrucke bedenklich zu fenn fcheinen fül« 
ten, der fage: das Gott das allervollfommenfte Wohlgefale 
len und Mißfallen habe. 
$. 923. 


3 ' 
Worin befteht denn nun aber die allerhöcjfte Volle 


kommenheit und wahre Unendlichfeit des göttlichen Bergnüs 


gens und Mißvergnügens? Es werden dazu, fieben Stüs 
cke, erfodert. 1) Das göttlihe DBergnügen und Mifvers 
gnügen ift von dem allerausgebreiteften Umfange, und von 
einer unendlichen Weitläuftigkeit. Es iſt das reichfte, zu— 
fammengefegtefte und mannigfaltigfte Vergnügen und Miß— 
vergnügen, welches möglich ift $. 655. 922, Und dahin 
gehoͤrt zweyerley. Einmal, über alle mögliche Dinge bat 
Gott ein Vergnügen, oder Mifvergnügen, oder beydes zu 
gleicher Zeit, dergeftalt, daß Fein möglich Ding ift, über 
welches in Gott Feins unter beyden mwürflich wäre, Folg⸗ 
lic) ift Gott, gegen Feine moͤgliche Sache, ganz gleichgüls 

tig 





























Der Wille Gottes, an 


tig 6. 648. Widrigenfals müßte es entweder eine mög« 
liche Sache geben, welche weder gut nod) böfe wäre, und 
das ift unmöglic) $. 650. oder Gott müfite das Gute und 
Boͤſe in derfelben nicht fennen, und das ift auch unmöglich 
61.897. ober er müßte e8 zwar wiffen, aber nicht auf eine 
anfchauende Art, und auch diefes ift nicht möglid) $. 894. 
Folglich betrachtet Gott alle mögliche Dinge, fie mögen 
nun übrigens Namen haben wie fie wollen, entweder mit 
Vergnügen, oder mit Mißvergnügen, oder mit beyden zus 
glei). Zum andern hat Gott, ein Vergnügen und Miß— 
vergnügen, über alle Bollfommenheiten und Unvollfoms 
menbeiten ohne Ausnahme, über alles Gute und Böfe in 
allen möglichen Dingen zufammengenommen, und in einem 
iedweden insbefendere. Keine einzige Vollkommenheit 
oder Unvollkommenheit, in irgends einem möglichen Din 
ge, Fan ihm gleichgültig feyn, indem er fie entweder gar 
nicht Eennen müßte, oder auf Feine anfchauende Art. Gott 
fan alfo auch, gegen Fein einziges mögliches Ding, bezie— 
hungsweiſe, in gewiffer Abficht und eines theils gleichguͤltig 
feyn $. 648. Kurz, alle Gleichguͤltigkeit ift eine Vernei— 
nung und Unvollfommenheit, welche in dem allervollfoms 
menften Wefen nicht einmal möglich if. Diejenigen Site 
tenledrer irren alfo gewaltig, welche die Gleichguͤltigkeit, 
und ftoifche Unempfindlichkeit, fo gar als das hoͤchſte Gut 
der Menfchen anpreifen. Weil wir Menfchen nicht, alles 
möglichen Bergnügens und Mifßvergnügens, fähig find; 
fo müffen wir freylich das nöfhigere und nüßlichere, dem 
unnöthigern und unnüßern, vorziehen. Folglich müffen 
wir, manche Gleichgültigfeit, als ein Eleiners Uebel dulden 
und erwählen, damit wir im Stande bleiben, dern pflicht« 
mäßigen Vergnügen und Mißvergnügen nachzuhaͤngen. 
Allein, an fich bleibe alle Gleichguͤltigkeit ein wahres Uebel, 
welches in Gott gar nicht ftat finden Fan, weil fein unend« 
licher Verſtand, alles möglichen reellen Bergnügens und 
Mißvergnügens, fähig iſt. 


O 2 6, 924. 


212 Der Wille Gottes, 


G. 924. 


0) Das göftlihe Vergnügen und Mißvergnuͤgen ift 
Das alleredelfte, gröfte, erhabenfte und proportionirtefte, 
welches möglid) ift S. 655. 922. Und das will drenerley 
fagen. Einmal, Gott hat auch ein Bergnügen und Miß— 
vergnügen über die allergröften Bollfommenheiten und Una 
vollfommenbeiten aller Dinge, und über die beiten und 
fchlimften in ihrer Art: weil er fich über alle Bollfommen« 
beiten vergnügt, und weil er über alle Unvollfommenbeiten 
ein Mißvergnügen hat $. 923. Es ift eine groffe Unvolls 
fommenbeit, wenn ein Menfch fich nur über die kleinern 
Bollfommenbeiten vergnügt, und wenn ihn nur die Eleis 
nern Unvollfommenbeiten mißfallen, indem er alsdenn die 
groͤſſern überfieht, und fich als einen Findifchen Menfchen 
characteriſirt. Bey Gott verhält jich diefes ganz anders. 
Zum andern, da feine Bollfommenheit und Unvollfoms 
menbeit irgends eines Dinges, in der Erfentniß Gottes, 
eine Kieinigkeit feyn Fan $. 898. fo ift, alles Vergnügen 
und Mißvergnügen Gottes über alle Vollkommenheiten und 
Unvollfommenbeiten aller Dinge, aud) über diejenigen, die 
in unfern Augen Kleinigkeiten find, von unendlich groffer 
Wichtigkeit und Erheblichkeit. Wir Menfchen müffen uns 
manches wahren PVergnügens und Mißvergnügens fchäs 
men, meil ihre Gegenftände in Abficht auf uns Kleinig« 
feiten find. Allein, bey Gott verhält ſich diefes ganz an— 
ders, Und drittens ift, alles Vergnügen und Mißver— 
gnügen Gottes, den Gegenftänden vollkommen proportio— 
nirt. Sein Vergnügen über eine Sache fan nicht gröffer 
oder kleiner ſeyn, als der wahre Grad ihrer Bollfommen« 
heit, und fein Mißvergnügen über etwas fan nicht gröffer 
oder Eleiner ſeyn, als der wahre Grad feiner Unvollfommens 
beit. Das Gegentheil iſt unftreitig eine groſſe Unvollfoms 
menheit, indem es entweder aus einer Unwiſſenheit, oder 
aus einer irrigen Vorſtellung des wahren Grades der Volle 
kommenheit und Unvollfommenbeit einer Sache, herruͤhrt. 


$. 925, 





Der Wille Gottes. a3 


§. 92. 

3) Das göttliche Vergnügen und Mißvergnügen ift 
Das allerrichtigfte, welches möglich ift $. 655. g22. Kein 
Vergnügen Gottes ift ein Scheinvergnügen, indem er wi— 
drigenfals das Böfe als was Gutes anfehen müßte, Keine 
Unvollfommenbeit, fein Uebel Fan ihm gefallen. Wenn 
wir ein Scheinvergnügen über eine Sache empfinden, fo 
feben wir entweder ihre Unvollfommenheiten als was guts 
an, oder mir fehreiben ihr Vollkommenheiten zu, die fie 
nicht hat, oder wir fchreiben ihr gröffere Bollfommenheiten 
zu, als fie hat. Können, diefe Urfachen des Scheinvergnuͤ⸗ 
gens, in Gott wol möglich feyn? Folglich Fan man alles 
mal untrüglich ſchlieſſen: was Gott gefält muß wahrhaftig 
gut und vollfommen feyn, und zwar in dem Grade, als es 
ihm gefält. Eben fo wenig fan, ein Mißvergnügen Got- 
tes, ein Scheinmißvergnügen feyn, Wivrigenfals müßte 
er entweder eine Bollfommenbeit für eine Unvollkommenheit 
halten, oder er müßte einem Dinge eine Unvollkommenheit 
zufchreiben, die es nicht has, oder er müfite eine Unvollkom⸗ 
menheit für gröffer halten als fie iſt; und das ift unmöglich), 
Was Gott mißfälr, ift allemal wahrhaftig böfe, und zwar 
in deinjenigen Grade, als es ihm mißfaͤlt. Auch in Dies 
ſem Stüde ift, das göttliche Vergnügen und Mißvergnuͤ⸗ 
gen, unendlich weit über das unfrige erhaben, indem das 


|. unfrige nur gar zu ofte, entweder ganz oder groffen Theils, 





ein bloffes Scheinvergnügen und Scheinmißvergnügen iſt. 
§. 926. 

4) Das Vergnügen und Mißvergnügen Gottes if, 
Das allerdeutlichfte und vernünftigfte Wohlgefallen an alle 
Bollfommenbeiten, und Mißfallen an allen Unvollkommen— 
beiten , welches möglich ift S. 655. 922, In Gore ift gar 
fein finliches, dunkeles und verworrenes Vergnügen und 
Mißvergnügen anzufreffen, als welches in demfelden nicht 
einmal möglich ift $. 893. Was dem höchiten Weſen 
gefält, das gefält ihm nach den veutlichiten und veiniten 
Einfichten in feine Bollfommenheit, nicht aber nach einer 
3 finlichen 


214 Da Wille Gottes. 


finlihen Borftellung derfelben. Folglich Fan, das göttliche 
Vergnügen, gar niche mit unferee Wollujt verglichen wer— 
den, welche in einem finlichen Gefühl einer Vollkommenheit 
befteht. Was dem höchften Wefen mißfält, das mißfält 
ihm nach der allerdeurlichften und reinſten Einſicht in feine 
Unvollfommenheit, nicht aber nad) einer finlichen Borftels 
lung derfelben. Es fan daher das göttliche Mißvergnügen 
auch nicht, mit dem Schmerze und dem Berdruffe, vers 
glichen werden, melche bey ung in einem finlichen Gefühl 
eines Uebels beftehen. Und da, alle unfer Bergnügen und 
Mißvergnügen, entweder ganz ober eines Theils finlich ift: 
fo find wir auch nicht im Stande, uns recht faßlich zu ma— 
chen, wie das Vergnügen und Mißvergnügen Gottes bes 
fchaffen ift. Gott wohnt, auch in diefem Stüde, in einem 
Lichte, wozu niemand auch nur blos in Gedanfen gelangen 
Fan. Go ofte wie Gott ein Vergnügen und Mißvergnügen 
zufchreiben,, fo ofte ftellen wir uns dabey etwas vor, wel⸗ 
ches ſich für Gore nicht ſchicke. Da nun in Gott nicht 
einmal, ein finlihes DBergnügen und Mißvergnügen, flat 
finden Fan; fo muß man ihm auch, alle Würfungen defe 
felben, abfprechen. Folglich bat er Fein finliches Begeh— 
tungsvermögen, Feine finlichen Begierden und Berabicheus 
ungen $. 673. feine bloffe natürlichen Triebe und Abfcheue 
$. 675. und feine finlichen $eidenfchaften $. 676. Feine fin 
liche Siebe, feinen finlihen Zorn, Fein finliches Mitleiden, 
und wie alle finliche $eidenfchaften insgefamt heiffen mögen, 
Das feste hat, manchen Gottesgelehrten und Weltweiſen, 
viele Schiwieriafeit gemacht, zumal da die heilige Schrift, 
alle Benennungen der $eidenfehaften, von Gott gebraucht, 
und iederman z. E. fagt, daß Gott die Menfchen liebe. 
Man rettet fich bier gemeiniglich damit, daß man dem 
hoͤchſten Wefen die $eidenfchaften gleichnißweiſe zufchreibe 
$. 851. Wenn man afle $eidenfchaften für finliche Begier— 


den und Verabſcheuungen hält, fo Fan man fi auch nicht 


anders helfen, und es geht auch allerdings an, indem Gott 


das reelle aller $eidenfchaften, mit Ausfchlieffung aller Un» 
voll. 








Der Wille Gottes. 215 


vollfommenbeiten berfelben, befigt. Allein, in meinen Sehr. 
gebäude habe ich einen feichtern Weg, indem ich verminfz 
tige $eidenfchaften annehme $. 688. welche Gott zugefchrie« 
Den werden müffen, wie aus dem folgenden erhellen wird, 
Und ich werde die Weitläuftigfeit nicht begehen, und zeigen, 
wie eine iedwede ung befante Seidenfchaft Gott, ohne Irr⸗ 
thum und Unanftändigkeie, koͤnne zugefchrieben werden. 
Ein ieder Fan diefes ſelbſt thun, wenn er, die Erklärungen 
der Seidenfchaften aus der Pfychologie, nimt, und das 
wahre Bollfommene in denfelben von dem Unvollfommenen 
abfondert. 
$. 927. 

5) Das Vergnügen und Mißvergnügen Gottes hat 
bie allerhöchfte und vollfommenfte Gewißheit, die nur möge 
lich ift $. 655. 922. Was Gott gefält, das ift fo beſchaf— 
fen, daß er mit der vollkommenſten Gewißheit weis, es ſey 
nicht nur wahrhaftig gut, fondern auch in eben dem Grade, 
als es ihm gefaͤlt. Was ihm mißfaͤlt, davon weis er nicht 
nur gewiß, daß es böfe fey, fondern daß es aud) in dem 
Grade böfe fey, als es ihm mißfaͤlt. Kein Vergnügen 
und Mifvergnügen Gottes an irgends einer Sache Fan 
ungewiß, zweifelhaft, wahrfcheinlich oder unwahrfcheinlid) 
feyn. Es gefält ihm nichts aus einem bloſſen Borurtbeil, 
und aus einer Scjeinüberzeugung von der Gröffe deffelben ; 
und eben fo wenig berubet, fein Mißfallen an irgends einer 
Sade, auf einem fo fhledyten Grunde, Unfer Vergnuͤ— 
gen und Mißvergnügen iſt nur gar zu ofte fo ſchluͤpfrig ge— 
gründet, daß wir mit Feiner wahren Zuverficht demfelben 
nachhängen koͤnnen. 

§. 928, 

6) Das Vergnügen Gottes und das Mißvergnuͤgen 
deffelben , über alle Bollfommenbeiten und Unvollkommen— 
heiten aller möglichen Dinge, ift auch) zugleich fo lebendig 
als möglich $. 655. 922, In Gott ift weder ein unthäti- 
ges und unwuͤrkſames Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen, noch 
ein ſolches Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen, welches nicht 

I) 4 wuͤrk⸗ 


216 Der Wille Gottes. 


wuͤrkſam und gefhäftig genung if. Das Wohlgefallen 
Gottes an einer Sache bringt allemal, fo viel Thaͤtigkeit 
und Wuͤrkſamkeit der göttlichen Allmacht in Abſicht auf dies 
felbe Sache, hervor, als möglich if. Und wenn dem 
höchften Wefen eine Sache mißfält, fo wird dadurch), vie 
allervollfommenfte Gefchäftigkeit dee göttlichen Allmacht in 
Abſicht auf diefelbe Sache, verurfaht. Wir werden uns 
balde, von diefer Vollkommenheit des göttlichen Vergnuͤgens 
und Mißvergnügens, noch ausführlicher überzeugen, wenn 
wir den goͤttlichen Willen felbjt genauer unterfuchen werden, 
Wir Menfchen hängen ofte einem müßigen Vergnuͤgen 
nad), indem wir durch daffelbe nicht genung zu Handlun= 
gen, die demfelben gemäß find, angetrieben werden; wie 
z. E. ein Menſch, welcher ein Vergnügen an der Tugend 
empfindet, ob er ſich gleich Eeine Mühe gibt, die Tugend 
zu erlangen, Und auf eine ähnliche Art Fan ein Menfch, 
ein Mißvergnügen über die Sünden und Laſter, fühlen, 
ohne daß er Dadurch angetrieben wird, fih Mühe zu geben, 
Diefelben zu verhüten, Das göttliche Vergnügen und Miß« 
vergnügen Fan unmöglich fo mat und ſchwach feyn, ſondern 
es ift von der allergröften Stärfe, 
5. 929. . 

7) Das göttlihe Vergnügen und Mifvergnügen, 
über alte Vollkommenheiten und Unvollfommenheiten aller 
möglichen Dinge, iſt im hoͤchſten Grade unveränderlic), 
dauerhaft, ewig und unabhänglich S. 655. 922. Gott 
bat gar Fein vergängliches Bergnügen und Mißvergnügen, 
ob ihm gleich alles vergänglicye Vergnügen und Mißver— 
gnügen aller Creaturen befant ift $. 660. Was Gott 
gefält, gefält ihm immer, ewig und unveränderlich; und 
was ihm einmal mißfalt, das mißfält ihm immer, ewig und 
unveränderlih. Nichts Fan fein Vergnügen und Mißver—⸗ 
gnügen vermehren oder vermindern, und es Fan ihm alfo 
nichts befehmerlich, angenehm oder unangenehm feyn. Kein 
Bergnügen Gottes Fan durch ein anders oder durch ein 
Mißvergnuͤgen verdunfelt werden, und fein Mißvergnügen 

Fan 








Der Wille Gottes, 217 


Fan auf eben diefe Art vermindert werben, Sondern, 
alles mögliche wahre Vergnügen und Mißvergnügen, if 
in Gott auf einmal und beyfammen , in einerley Grade der 
Klarheit und Vollfommenbeit, beftändig würflih. Und 
weil Gott überhaupt, von Eeinem Dinge auffer fi), ab— 
banget S. 880. 881. fo hanget auch, Fein Vergnügen und 
Mifvergnügen Gottes, von den Gegenftänden derfelben 
auffer ihm in dem Verftande ab, als wenn fie das Bergnüs 
gen und Mißvergnügen in Gott würften. Man muß alfo 
nicht fagen: daß ein Ding auffer Gott ihm, ein Vergnuͤ— 
gen oder Mifvergnügen, verurfache; fondern man muß 
fagen, Gott vergnüge fi) an allen wahren Vollkommen— 
beiten auffer fih, und er frage ein Mißfallen an allen Uns 
vollfommenbeiten auffer fih. In Gore felbft ift, die einzige 
Duelle alles feines Vergnügens und Mißvergnügens, Und 
die Gegenftände derfelben auffer ihm mögen fich verändern, 
wie fie wollen; fein Vergnügen und Mißvergnügen bleibt 
demohnerachtet unverändert, GT 
§. 930, 

Alles, was Gott gefält oder mißfält , ift entweder 
er felöft, und eine Realität, die in ihm würflid) ift, oder 
es ift eine Sache aufler Gott. - Es ift fdhlechterdings uns 
möglich, daß Gott über fich felbft, oder über irgends eine 
feiner Realitäten und Vollkommenheiten, ein Mißvergnüs 
gen haben folte. Denn diefes Mißvergnügen wäre entwes 
der ein wahres Mißvergnügen, oder ein Scheinmißver— 
gnuͤgen. Wäre das erfte, fo müßte in Gott etwas böfes 
und unvollfommenes anzutreffen feyn, und das iſt unmög« 
li) 6. 318. Wäre das andere, fo koͤnte Gott irren, und 
das ift auch unmöglih S. 925. Folglich ift es unmöglich, 
daß Gott an fic) felbft, oder an irgends einer feiner Bes 
ftimmungen, ein Mißfallen tragen folte. Er genieft, ewig 
und unveränderlich, über fich ſelbſt das allerveinfte und ale 
lergroͤſte Vergnügen, welches mit gar feinem Mißvergnüs 
gen untermenge ift, weil er ſich felbft, als das befte und 
heiligfte Weſen, aufs vollfommenfte anſchauet. Die theo— 

5 logiſche 


218 Der göttliche Wille überhaupt, 


logiſche Erfentniß, melde Gott von ſich felbft hat $. 903. 
iſt eine fo angenehme Wilfenfchaft, welche nichts verdrießli« 
ches, nichts mürrifhes und nichts wahrhaftig unangeneh- 
mes enthält, Und man Fan, diefes höchfte Vergnügen 
Gottes über fich felbft, die Zufriedenheit Gottes mit fid) 
ſelbſt, oder feine Beruhigung in ſich felbft nennen. $. 680. 
Alle Gottesgelehrte folten fi) auch in dieſem Stüce bemüs 
ben, ihre Gottesgelahrheit der Erkentniß Gottes, die er 
von ſich felbft befigt, gleichförmig zu machen. Eine Theo- 
logie, welche den Menfchen finfter, niedergeſchlagen, mürrifch 
und zanffüchtig macht, Fan in fo ferne Feine wahre Theolo- 
gie ſeyn. Alle andere Dinge aber auffer Gott find endlich, 
und folglich gut und böfe zugleid) $. 199. Folglich Fan 
nichts auffer Gott ihm blos mißfallen, und er Fan aud) 
über nichts auffer fid) ein reines Vergnügen haben. $. 658. 
Alle Dinge auffer Gott, und alle ihre Beftimmungen, 
Bollfommenbeiten und Unvollfommenbeiten, gefallen und 
mißfallen ihm zugleich, fie mögen nun fo gut oder fo böfe 
feyn, als fie wollen, 


Der göttlihe Wille iiberhaupt. 


ge 931. 

Wir haben uns ſchon in der Pfychologie überzeugt, 
daß ein ieder Geift nicht nur Verſtand, fondern auch einen 
Pillen haben müffe, weil der Wille allemal mit dem Ver— 
ftande verbunden ift $. 793. Da nun Gott ein Geift ift, 
und Berftand bat, $. 891. fo muß er auch nothwendig eis 
nen Willen haben. Man Fan fich aber noch deutlicher, 
auf folgende Art, von der Würflichfeit des göttlichen Wil— 
tens überzeugen. Nemlich eine Begierde iſt nichts anders, 
als die Beltimmung der Kraft einer Subſtanz, eine Ers 
Eentniß zu würfen, weil fie ihr gefält $. 66. Nun wird 
die Allwiffenheit Gottes in ihm von Emwigfeit zu Ewigkeit 
gemürft, und zwar durch feine eigene Kraft, weil er auf 
keinerley Weiſe leiden, und von andern Dingen auffer fic) 
abhangen Fan S. 880. 88. Die Altwiffenheit Gottes iſt 

die 











Der göttliche Wille überhaupt, 219 


die allervolffommenfte Erkentniß $. gar. deren ſich Gore 
ſelbſt bewuſt ift, und worüber er das allerwollfommenfte 
Bergnügen genieft $. 930. Dieſes Vergnügen Gottes 
ift zugleich im höchften Grade lebendig $. 928. Folglich) 
wird, durch daffelbe, die allmächtige Kraft Gottes, aufs 
vollfommenfte und unveränderlic), beftimt, die Allwiſſen⸗ 
heit zu würfen, Folglich begehrt Gott feine Allwiſſenheit, 
und zwar um des allerdeutlichften Bergnügens willen, wel— 
ches er über diefelbe genieft. Gottes Begierden find dem⸗ 
nach vernünftige Begierden, und er hat alſo eine vernünftis 
ge Begehrungsfraft, oder einen Willen $. 686. welcher 
der allervolifommenfte und alleraröfte Wille ift. $. 817. 
Wer etwas begehrt, der verabſcheuet zugleid, das Gegens 
theil deffelben .$. 662. Folglich ift, der Wille Gottes, 
zugleich ein Bermögen vernünftig zu verabfcheuen. Durd) 
den göttlichen Willen würft Gott nicht nur feine Allwiſſen— 
heit, und alfo die allervollfommenfte Erkentniß von ſich 
felbft ; fondern auch den Gegenftand der legfern, oder den 
Inbegrif aller feiner görtlihen Vollkommenheiten, die ſei— 
ne Wuͤrklichkeit ausmachen. Denn die Erfentniß, die 
Gott von fich felbft hat, koͤnte nicht die allervollfommenfte 
feyn, und fie koͤnte ihm nicht ein unendliches Vergnuͤgen 
über fich felbft geben, wenn er nicht in der That das aller: 
vollfommenfte Wefen wäre. Wenn alfo auch Gott, durch 
feinen Willen, nichts auffer ſich hervorgebracht hätte und 
noch mwürfte; fo würde er doch in ſich felbjt genungfam era 
weiſen, daf er den allergröften und vollfommenften Willen 
habe, meil die ewige, beftändige und unwandelbare Würs 
fung feiner eigenen Wuͤrklichkeit, und infonderheie feiner 
Allwiſſenheit, und feiner Erfentniß feiner felbft, in ihm 
nicht anders moͤglich iſt, als ein Befchäfte und eine Würfe 
famfeit des allervollkommenſten Willens. Und da nun 
Gott feine allmädjtige Kraft, durch das allervollfommenfte 
Vergnügen über ſich felbft, beitändig dergeſtalt beftimt, 
daß dadurch die höchfte Bollfommenheit in ihm unveräns 
derlich gewuͤrkt wird; fo verhindert er dadurch, in feiner 

geſam⸗ 


220 Der goͤttliche Wille überhaupt, 


gefamten Wiürflichfeit, alle Unvollfommenbeiten, weil fie 
ihm mißfallen, und mithin verabfcheuer er fie fämtlich in 
ſich felbft aufs vollfommenfte, und im höchften Grade. Wer 
dieſe Betrachtung recht verftehen will, der muß ſich, aus 
der Pſychologie, alles deffen erinnern, was von der Na— 
fur der Begehrungsfräfte gefagt worden, : And ich muß 
freylih geftehen, daß wo nicht alle, doch die meiften Got— 
£esgelehrten und Weltweifen, bisher ohne affe weitere Un- 
terfuchung angenommen haben, daß zwar alles, was auffer 
Gott würflih ift, von feinem Willen abhange; daß aber 
feine eigenen Vollkommenheiten , in fo ferne ihre Wuͤrklich⸗ 
feit von feiner eigenen Kraft herruͤhrt, nicht unter die Ge: 
genftände feines Willens gerechnet werden müffen, Allein 
äch habe gleich) ietzo das Gegentheil erwiefen, 
Ge 032. 

Gottes Wille ift der allergröfte und allervollkommen⸗ 
fte, welcher möglich ift. $. 931. Diefer höchfte Grad der 
Vollkommenheit des Willens Fan eines Theils daher deutlich 
erflärt werden, wenn man auf dasjenige fieht, was Gott 
will, und davon wollen wir in dem folgenden handeln; ans 
dern Theils aber daher, wenn man darauf fieht, mie Gott 
etwas begehret oder verabfcheuer. S. 666. Diefer legte 
Grad der Bollfommenheit des Willens Gottes befteht dars 
in, daß, alle Begierden und Verabſcheuungen Gottes, 
aus der Allwiſſenheit, aus der allervollfommenften Erkent— 
niß aller möglihen Dinge, aus dem allervollfommenften 
Vergnügen und Mißvergnügen, und alfo aus den alfervolfe 
Fommenften Bewegungsgründen flieffen. In Gore iſt gar 
Feine todte Erfentniß, feine ganze Allwiſſenheit lebt im höch- 
ſten Grade $. 902. 928. Ks wird demnach, fein ganzer 
Wille, und vie Thätigkeit deffelben, durch die allervollfoms 
menfte Erfentniß aller Bollfommenheiten und Unvollfom: 
menbeiten alter möglichen Dinge, beſtimt. Und da nun 
dieſe Erkentniß wahrhaftig unendlich ift, fo ift auch, die 
Würkfamkeit feines Willens, in der That unendlich, In— 
fonderheit wird der unendliche Wille Gottes, durch die pro: 

por: 





Der örtliche Wille überhaupt. a2X 


portionirtefte Erkentniß, und durch das proportionirtefte 
Vergnügen und Mißvergnügen tiber die Gegenftände, be. 
ftimt $. 898. 924. Folglich ift fein görtlicher Wille, eine 
mal, feiner Erfentniß der Gegenftände volltonmen gleid). 
Gott begehrt und verabfcheuet Feine Sache ftärfer oder 
ſchwaͤcher, als er fic) den Grad ihrer Vollkommenheit oder 
Unvollfommenheit vorftell. Und zum andern, da Gore 
untrüglich ift, fo ftele er ſich eine Sache fihlechter, oder 
beſſer vor, als fie in der That ift, Folglich begehrt und: 
verabſcheuet Gott Feine Sache ftärfer oder ſchwoͤcher, als 
es der wahre Grad ihrer Bollfommenheit oder Unvollkom— 
menbeit verdient. Und der göttliche Wille iſt alfo, allen 
Gegenftänden, aufs vollfommenfte proportionirt $. 67% 
Bey uns Menfchen, und andern vernünftigen Creaturen, 
verhält es fi) ganz anders. 1) Unfer Wille ift allemal, 
mit der untern und finlihen Begehrungsfraft, vermengt. 
Folglich find zwar beyde zufammen, unferer iedesmaligen 
gefamten lebendigen Erfentniß des Gegenftandes, propors 
tionirtz allein man fan wenigftens fehr felten fagen, daß 
unfere vernünftigen Begierden und Verabſcheuungen, uns 
ferer vernünftigen Erkentniß der Gegenftände, proportio— 
nirt find, Bey Gott verhält ſich diefes ganz anders. 
2) Wir fonnen fehr felten oder gar nicht, von unfern Bes 
gierden und Verabſcheuungen, fagen, daß fie unferer gan« 
zen Erkentniß der Gegenftände proportionirt find; weil, 
in unferer Erfentniß, viele todte Borftellungen angetroffen 
werden. Die ganze Erkentniß Gottes lebt, und es find 
alfo, alle feine Begierden und Verabſcheuungen, feiner 
ganzen Erkentniß der Gegenftände proportionirt. 3) Weil 
mir uns die Gegenftände beffer oder ſchlimmer vorftellen 
fönnen, und gemeiniglich vorftellen, als fie in der That 
find; fo find auch, unfere Begierden und Berabfchenungen, 
den Öegenftänden felbit nicht proportionirt. Sondern wir 
begehren die Gegenftände entweder ftärfer oder fehwächer 
als fie es verdienen, und eben fo verabfcheuen wir fie ent 
weder ftärfer oder ſchwaͤcher, als fie es verdienen, Mit 

dem 


222 Der göttliche Wille überhaupt. 


dem göttlichen Willen verhält es fich anders, und wir fon 
nen daher mit der gröften Zuverſicht fehlieffen: was Gott 
ftärfer begehrt als etwas anders, das muß beſſer feyn als 
Das andere, 


$. 933. 
Die Begierden und Verabſcheuungen Gottes find 
Beftimmungen feiner allmächtigen Kraft, etwas zu würfen 


oder nicht zu würfen $. 931. welche von feiner Kraft felbft 


herrühren, weil er auf feinerley Weife leiden fan $. 881. 
Folglich find fie wahre Handlungen $. 164, und Gott bes 
ſitzt die allerhöchfte Selbftrhätigfeit S. 607. Eriiftjadie 
unendliche Subſtanz $. 814. und da cine iede würfliche 
Subſtanz Handelt und felbftehätig ift, fo muß auch Gore 
felbftehätig fenn, und zwar im hoͤchſten Grade: indem er 
nicht nur auf eine allmächtige Art handelt, und fo viele 
und groffe Handlungen durch feine eigne Kraft wuͤrkt, als 
möglich ift; $.862. fondern indem er auch, in Feiner feiner 
Handlungen, leiden Fan, nicht einmal auf eine idealifche Arc 
6. 881. Es ift wahr, die endlichen Subſtanzen find auch 
ſelbſtthaͤtig, aber fie felbit koͤnnen wenig thun, und in dem⸗ 
jenigen, was fie felbft thun, find fie nicht nur dem reellen 
Einfluffe Gottes unterworfen, mie aus dem folgenden ers 
hellen wird, fondern auch dem Einfluffe aller übrigen end» 
lichen Subftanzen, mit denen fie zugleich wuͤrklich find S. 366. 
Die Handlungen Gottes find von doppelter Art. Zu der 
erften gehören diejenigen, durch welche er in ſich felbft feine 
unendlichen Accidenzien, feine Allwiffenheit und die übrigen 
gortlihen Vollkommenheiten, würft $. 931. 863. Und 
zu der andern gehören diejenigen göttlichen Handlungen, 
Durch welche er in andere Dinge auffer fich wirft, von des 
nen wir in bem folgenden handeln werden. In beyden ift 
er auf eine fo vollkommene Art ſelbſt gefchäftig und wuͤrk⸗ 
fam, daß es ungereimet zu fagen ift: feine Kraft werde, 
durch irgends eine Urſach auffer ihm, in ihrer Geſchaͤftigkeit 
beftimt, unterftüge und erhalten. Was er thut, das thut 
er felbft. 

$. 93% 








Der göttliche Wille überhaupt, 223 


$. 934 

| Alles was Gottes Wille begehrt, das begehrt er auf 
die allervollfommenfte Art $ 931. folglich nad) der aller 
richtigften und untrüglichiten Erfentniß deffelben $. 932, 
und es muß alfo mas Guts ſeyn. Es ift unmöglich, dag 
ort eine Unvollfommenheit und etwas Boͤſes, in fo ferne 
es böfe ift, folte begehren koͤnnen; meil er ſich widrigenfals 
daffelbe als gut vorſtellen, und alfo irren müßte. Folg— 
lich fan man allemal zuverfichtlich fhlieffen, daß alles Das» 
jenige, was Gore will und begehrt, gut fen, darum weil 
es Gott will. Und eben fo fan man fchlieffen, daß alles 
dasjenige böfe fen, was Gott verabfcheuer, und zwar darum, 
meil er es verabfcheuet. Denn mas der Wille Gottes ver: 
abſcheuet, das verabfcheuet er auf die vollfommenfte Art 
$. 931. folglich nach der allerrichtigften Erfentniß deffelben 
$. 932. und es muß alfo etwas Böfes ſeyn. Wenn Gott 
eine Bollfommenheit oder etwas Guts, in fo ferne es gut 
ift, verabfcheuen koͤnte, fo müßte er es fich als was Boͤſes 
vorftellen, und alfo irren Fönnen, melches fehlechterdings 
unmoͤglich ift S. 899. Die Begierde Gottes nad) dem 
Guten heift die göttliche Liebe des Guten, und feine 
Berabfcheuung des Böfen heilt der göttliche Haß des 
Höfen. Bende find innerliche Vollkommenheiten Gottes, 
und alfo wahrhaftig unendlich $. 854. 1) Der Ausdehe 
nung nach, indem er alle Bollfommenbeiten aller möglichen 
Dinge liebt und begehrt, und alle Linvollfommenbeiten aller 
Dinge haft und verabſcheuet. Wenn Gott irgends eine 
Vollkommenheit nicht liebte, und irgends eine Unvollkom— 
menheit nicht haßte: fo müßte er entweder feine Kentniß 
von derfelben haben, und das ift unmöglich) F. 8y7. oder 
er müßte von ihr abftrahiren, und das ift auch) unmöglich 
$. 893, oder er müßte fie blos auf eine fumbolifche und todre 
Art erfennen, und aud) Diefes iſt nicht möglich 9.902. Folge 
li) liebt er afles liebenswürdige mo ers findet, und wenn 
es aud) in Dingen feyn folte, die übrigens haſſenswuͤrdig 
find. Und er haft alles haffenswürdige, wo ers findet, 

und 


224 Der göttliche Wille überhaupt. 


und wenn es auch in Dingen feyn felte, die übrigens die 
liebenswürdigften Dinge find. 2) Der Dauer nad), in« 
dem fie ewig und unveränderlich in Gott find $, 358. Was 
Gott einmal liebt, das liebt er von Ewigkeit zu Ewigkeit, 
und was er haft, das haft er eben fo beftändig, eine 
Siebe und fein Haß haben weder Anfang noch Ende. 3) Der 
Stärfe nach, indem feine Liebe und fein Haß, den Gegen— 
ftänden, aufs vollfommenfte proportionirt find 9. 932. Er 
liebt und haft nichts in einem hoͤhern oder geringern Grave, 
als es dem Grade feiner Vollkommenheit oder Unvollkom— 
menheit gemäß ift. Es ift demnach ein fehr grober Irr— 
thum, wenn manche glauben, daß der Haß Gottes z. E. 
gegen eine iede Sünde, dergeftalt unendlich wäre, daß er 
in Feiner Abficht gröffer feyn Eöntes denn alsdenn müßte eine 
iede Sünde, in den Augen Gottes, die gröfte Sünde und 
Das allergröfte Uebel feyn, welches doch ein offenbarer Irr— 
thum feyn würde. Folglich Fan man auch, aus dem une 
endlichen Haffe Gottes gegen die Sünde, eben fo wenig die 
Ewigkeit der Höllenftrafe eriweifen, fo wenig daraus flieft, 
daß eine iede Sünde in dem Urtheile Öottes eine ewige 
Strafe verdiene. 
§. 935. 

Um uns, von der unendlichen Bollfommenheit des 
göttlichen Willens noch einen deutlichern Begrif zu machen, 
fo wollen wir, Die genaue Verbindung deffelben mit der 
Allmacht Gottes, unterfuchen. Nemlich die Allmacht Got— 
tes befteht nicht blos in einem DBermögen, fondern in einer 
unendlich würffamen Kraft, und alle Handlungen Gottes, 
wodurch er fo wol in fich felbft, als auch auffer ſich Reali— 
täten würft, machen zufammengenommen den ganzen Ges 
braud) ver Allmacht Gottes aus $. 862-866. Mun ift 
“eine iedivede Handlung Gottes in ihrer Art die befte, indem 
er durch eine iedwede die gröfte Nealitat würft, Die möglich 
iſt F.817. Diefe Realität erfent Gott aufs vollfommenfte, 
und infonderheit aufs Deutlichite und Iebendigfte $. 900, 
902, dergeftalt, daß er Darüber das lebendigſte, ver 

nünfrigfte 


Der göttliche Wille überhaupt. 225 


nünftigfte und proportionirtefte Vergnügen genieft S. 924. 
926, 928. Und weil, unter allen feinen innerlichen Reali— 
täten , der allergröfte allgemeine Zufammenbang angetroffen 
wird $. 842. ſo ift, dieſes vollfommenfte Vergnügen, der 
nächjte Bewegungsgrund zu diefer Handlung. Folglich 
wird die allmächtige Kraft Gottes, bey einer ieden goͤttli— 
chen Handlung, durch das vollfommenfte und vernünftiafte 
Vergnügen über den Öegenftand derfelben beſtimt, denſel— 
ben zu würfen; und es ift demnad), eine iedivede Hands 
lung Gottes, eine vernünftige Begierde nach dem Gegen. 
ftande, und alfo eine efchäftigkeit des göttlichen Willens, 
Diefer Wille begreift alſo, in feinem Umfange, alle Hand— 
lungen Gottes, und was Gott thut und würft, das will 
er au) thun. Bey uns, und andern endlichen Geiftern, 
verhält es fich ganz anders. Der Würfungsfreis unferes 
Willens erſtreckt fich nicht über alle unfere Handlungen, 
und mir nehmen unendlich viele Handlungen vor, welche 
von unfern Willen nicht abbangen. - Alles aber, was Gott 
thut, das thut er nad) dem allervollfemmenften Gefallen 
und Mißfallen, und zu allen feinen Handlungen wird er, 
durch die allervollfommenfte vernünftige Erkentniß, und 
durch die allervollfommenften Bewegungsgründe, beftime 
und bemogen. 
$. 936. 
Da die Liebe Gottes zum Guten, und der göttliche 
Haß des Bölen, wahrhaftig unendlich find $. 934. fo will 
Gott: 1) alle Gegenftände der Erfentniß, die er von fich 
felbft hat, und welche Gegenftände Wirkungen feiner Äll— 
macht find $. 803, Die Erkentniß, die Gott von fich 
feibft bat, Fan nicht tod und unwürffam feyn $. 902. fon» 
dern fie ijt eine unendlich lebendige Erkentniß. Folglich 
wird Gott dadurch bewogen, alle feine würflichen unend— 
lichen Realitäten zu wollen, und ewig zu würfen, und alle 
Unvolltommenbeiten zu verabfcheuen, in fo ferne fie als Be— 
flimmungen und Xceidenzien feiner felbft betrachtet werden 
S. 930. Folglich will Gott z. E. iederzeit aufs befte, ohne 
4. Theil, P alle 


#26 Der göttliche Wille überhaupt. 


alle - Mängel und Fehler, handeln, er will immer aufs 
weifefte, aufs gütigfte, aufs beiligfte würffam feyn, fo ofte 
er handelt u. fe w. 2) Gore will alle Gegenftände ver 
nothwendigen Wiflenfchaft, in fo ferne fie gut find, und er 
verabfcheuer fie aufs vollfommenfte, in fo ferne fie böfe find 
$. 907. Dieſe nothwendige Wiſſenſchaſt muß ebenfals 
im hoͤchſten Grade lebendig feyn $. 902. Folglich wird 
der Wille Gottes durch diefelbe bewogen, vermöge der Alls 
macht diefen Gegenftänden alle mögliche Wuͤrklichkeit zu 
geben. Nun koͤnnen fie, auffer den endlichen Subftanzen, 
feine andere Würflichfeit haben, als ihre vollfommenfte 
Borftellung in dem göttlichen Berftande, Es befteht dem— 
nad) das $eben diefer göttlichen Wiffenfchaft darin, daß 
Gottes Kraft durch diefelbe, ewig und unveränderlich , bes 
ftime wird, fie felbft zu würfen. 3) Gott will, alle Ges 
genftände der mitlern Wiſſenſchaft, in fo weit fie gut find, 
und verabfcheuet fie, in fo weit fie böfe find $. gıo. denn 
fonft würde diefe Wiſſenſchaft eine todte Erfentniß feyn, 
welches unmöglich ift 9. 902. Da nun die möglichen 
Dinge aller möglichen Welten auffer unferer Welt Feine 
rechte Würflichkeit haben, als in fo weit fie in dem göttlis 
chen Berftande aufs vollfommenfte vorgeftelt werden: fo 
äuffert ſich, das Leben der mitlern Wiffenfchaft Gottes, da— 
durch, daß er durch) fie ewig und unveränderlic bewogen 
wird, fie felbft in fich durch feine Kraft beffandig zu wuͤr⸗ 
fen. 4) Gott will die Gegenflände feiner freyen Wiſſen⸗ 
fchaft, in fo weit fie gut find, und verabfcheuet fie, in fo 
weit fie böfe find $. 908. Denn die freye Wiſſenſchaft 
Gottes ift fo lebendig, als möglih $. 902. Nun koͤnte 
diefe Wiſſenſchaft nicht die freye in Gott feyn, wenn niche 
diefe Welt auffer Gott würflich vorhanden wäre. Folglich 
befteht das vollfommenfte Leben der freyen Wiſſenſchaft 
Gortes darin, daß er nicht nur fie felbft in feinem Verſtan— 
de, durch feine allmädjtige Kraft, wuͤrkt; fondern daß er 
auc), diefe Welt und alle Theile derfelben, auffer fich zur 
Wuͤrklichkeit bringe, in fo weit fie gut find, Dieſe Welt 

fan 





Der göttliche Wille überhaupt, 227 


Fan ja nicht anders würflic) feyn, als durch eine Handlung 
Gottes, und als eine Würfung veffelben $.821. Alle Hand: 
Iungen Gottes bangen von feinem Willen ab $. 935. Folg« 
lich wird der Wille Gottes, durch die freye Wiffenfchaft, 
aufs vollfommenfte bewogen, diefe Welt und alles was 
Drinnen iſt, in fo weit es gut iſt, dergeftalt zu begeben, 
daß die Kraft Gottes dadurch angeftrengt wird, dieſe Welt 
auffer Gott zu würfen, Die freye Wiſſenſchaft Gottes ift 
die einzige Erkentniß Gottes, wodurd) er beftime wird, 
auſſer fich zu wuͤrken. Durch) die übrige Erkentniß aller 
übrigen Dinge aber wird, die göttliche Kraft, nur beſtimt, 
in ſich ſelbſt, feine eigene höchfte Vollkommenheit, und die 
vollfommenfte Erkentniß aller übrigen möglichen Dinge 
auffer dieſer Welt, zu würfen. 


$. 937. 

Hieraus läft fich die berühmte Eintheilung des göft- 
lichen Willens erflären, vermöge welcher er entweder ein 
vorhergehender oder nachfolgender Wille ift 9. 692. Freys 
lid) enthalten diefe Benennungen etwas Gott unanftändi- 
ges, indem fie anzuzeigen fcheinen, daß ein Wille auf den 
andern folge, welches in Gott nicht möalic) ift. Ya mans 
che Erklärungen diefer beyden Arten des Willens verurfachen 
aud) einige Nebenbegriffe, welche fich für Gore nicht ſchi— 
den. Wir wollen gerade zu gehen, und nad) unfern Ein« 
fihten, diefe beyden Arten des göttlichen Willens, erflären. 
Nemlich fie beziehen ſich nur auf alle mögliche Dinge auffer 
Gott, und da wird derjenige Wille Gottes der nachfols 
gende, oder befchlieffende und würfende Wille Gottes 
genent, vermöge deſſen Gott diefe wuͤrkliche Welt, und al 
les was drinnen iſt, in fo weit es gut iſt, will und begehrt. 
Der Bewegungsgeund diefes Willens ift die freye Wiſſen— 
ſchaft Gottes, und diefer Wille Gottes ift derjenige Wille, 
durch welchen die allmächtige Kraft beftimt wird, auffer 
Gott zu würfen, und in die Welt einzuflieffen. Die Be- 
gierden diefes Willens find, die Rarchfchlüffe Bottes 
über diefe Welt 8. 936. 692. Der vorbergebende 

P 2 Wille 


228 Der göttliche Wille überhaupt, 


Wille Bottes aber ift ver Wille Gottes, vermöge deſſen 
er, Die Gegenftände der norhwendigen und freyen Wiflens 
fehaft, begehrt, in fo ferne fie gut find $. 936. Dieſer 
Wille Gottes ift Fein befchlieffender Wille, allein er ift doch 
ernftlich, weil Gott alles Gute, ohne Berftellung und Heus 
chelen, begehrt, was in andern möglichen endlichen Dine 
gen auffer diefer Welt angetroffen wird. Diefer Wille ift 
aud) nicht unthätig und unwürffam, fondern er hat einen 
wahrhaftig reellen Einfluß in die göttlichen Rathſchluͤſſe; 
denn die Boilfommenheiten der Gattungen und Arten der 
mögliben Dinge, und folglich der Gegenftände ver noths 
wendigen Wiffenfchaft Gortes, gehören mit zu allen Voll— 
fommenbeiten der würflichen Dinge in diefer Welt, durch 
deren Erfentniß er ewig bervogen wird, die leßtern zu bes 
ſchlieſſen, und fie auffer fi) zu wuͤrken. Man Fan fi, 
diefe wichtige Betrachtung, Durch ein berühmtes und merfs 
wuͤrdiges Benfpiel, erläutern. Unſere Gottesgelehrten fa 
gen: Gott will nad dem vorhergehenden Willen, daß alle 
Menfchen felig werden, allein vermöge des nachfolgenden 
Willens will er nur, daß einige felig werden. Es würde 
fehr unanftändig fern, und es ift offenbar falſch, wenn 
man fagen wolte: Gott habe in der heiligen Schrift, dem 
menſchlichen Gefiblechte, ein fiebreiches Kompliment ges 
macht, indem er gefagt, er wolle aller Menfchen Seligfeit, 
es ſey aber nicht feine wahre Meinung. Sondern wenn 
man die Menſchheit als eine Gattung betrachtet, fo ift fie 
allen Menfchen gemein, und in allen Menfchen von einer: 
ley Güte. Folglich find in fo ferne alle Menfchen, zur 
Eeligfeit, im gleichen Grade fähig. Und, diefe Bollfom- 
menheit der Menfchheit, erfent und will Gott. Tja es ift 
eine Belt möglich, in welcher alle Menfchen felig gewor— 
den wären, und da dieſes was guts iſt, fo will es Gott 
auch und zwar ernftlih. Allein die würflichen Menfchen 
in diefer Welt find nicht alle der Seligfeit fähig, und es 
wäre nicht das Beſte, wenn alle Menfchen in diefer Belt 
felig würden. Folglich hat Gott, dur) feinen nachfol- 

genden 


Der göttliche Wille überhaupt. 229 


genden Willen, nur die Geligfeit einiger Menfchen be: 
ſchloſſen; erftlich, weil fie diejenige Fähigkeit zur Seligfeit 
beſitzen, um welcher willen Gott, nach feinem vorbergehen- 
den Willen, die Seligkeit aller Menfchen will. Und folg« 
lich ift der vorhergehende Wille würffam in ort, weil er 
zu den Bewegungsgründen der göttlichen Rathſchluͤſſe ges 
hört. Und zum andern, weil diefe Menfchen noch die 
übrige Fähigkeit zur Seligkeit befisen, welche ein Menfch, 
als ein einzelner Menfch betrachtet, befigen muß, wenn er 
in diefer würflichen Welt in der That felig werden ſoll. 


$._938. 

Man fieht es als ein Stück der hoͤchſten Vollkommen⸗— 
heit des görtlihen Willens an, daß er unausforſchlich iſt, 
und es hat diefes auch feine vollfommene Richtigkeit Man 
verfteht nemlich, durch einen unausforſchlichen Wil⸗ 
len, einen folhen Willen, deffen Bewegungsgruͤnde uner— 
forfchlih find, oder nicht völlig deutlich erkant werden koͤn— 
nen. Nun beftehen, die Bewegunasgründe des göttlichen 
Willens, in feinem alervollfommenften Vergnügen und 
Mißvergnügen $. 931. Diefes Beranügen und Mifvere 
gnügen Gottes ift eine innerliche Bollfommenbeit Gottes, 
welche uns und allen Creaturen unerforfhlich iſt $. 891. 
Folglich fonnen weder wir Menfhen, noch andere Creatus 
ren, den Willen Gottes ausforfhen, und in diefem Ver— 
ftande muß, dem göttlichen Willen, eine Unausforfchlic)« 
feit zugefihrieben werden. Es würde fehr ungereime feyn, 
zu ſagen, daß der Wille Gottes ſchlechterdings und an fic) 
"betrachtet unausforfchlich fey; denn Daraus würde folgen, 
daß Sort feinen eigenen Willen nicht ausforfchen koͤnne, da 
er fid) doch aller feiner Bewegungsgruͤnde, welche der 
Menge und Gröffe nach unendlich find, aufs vollfommens 
ſte und deutlichfte bevouft if, Diefe Vollkommenheit des 
göttlichen Willens will auch nicht fo viel fagen, als wenn 
Fein Menſch, und feine andere Ereatur, irgends einen gött« 
lichen Bewequngsgrund deutlich erkennen koͤnte. Es ift 
ung allerdings möglid), daß wir, viele Bewegungsgruͤn de 

P 3 und 


250 Der göttliche Wille überhaupt, 


und Zwecke des Willens und der Rathſchluͤſſe Gottes, in 
einem hoben Grade der Deutlichfeit erkennen. ya, dieſe 
Deutlichfeit in der Erkentniß der göttlichen Bewegungss 
gründe ift ung auch fehr nöthig, weil wir ung fonft in dem 
göttlichen Willen nicht beruhigen, und die Weisheit und 
Güte feiner Rathſchluͤſſe gar nicht würden erfennen fönnen. 
Allein wer einige Bewegungsgründe des göttlichen Willens, 
in einigem Grade der Deutlichkeit, erfent, der forfcht des. 
wegen den göttlichen Willen nicht aus, Und wenn ein 
Menſch fih, mit einer gehörigen Befcheidenheit, unterftehr, 
zu unferfuchen, warum Gott-diefes oder jenes befchloflen 
habe: den Fan und muß man nicht für nafeweis ausfchreye 
en, und ihm vormwerfen, als leugne er die Unausforfchlich« 
keit des göttlichen Willens. Es ift gar zu leicht zu erwei— 
fen, daß der Wille Gottes, den Creaturen und uns Mens 
fchen, im böchften Grade unausforfchlich fey.. Denn 1) ie 
mehrere Bewegungsgründe eines Willens ung unbekant 
find, deſto unausforfchlicher ift derfelbe. Nun Eönnen wir 
Menfchen unendlich viele Bewegungsgründe des göttlichen 
Willens gar nicht einmal erfennen, gefchweige denn erfors 
schen. Alle Vollfommenheiten und Unvollkommenheiten 
find Bewegungsgründe Gottes, alle Zwecke finds ebenfals, 
Wie wenig erfennen wir davon? Zu einem ieden Nathe 
ihluffe über ein iedes Ding in der Welt nime Gore, die 
Dewegungsgründe, aus dem ganzen allgemeinen Zuſam— 
menhange ber, und wie wenig Fünnen wir von demfelben 


erfennen ? 2) Je mehr uns von einem ieden Bewegungs⸗ 


runde eines Willens unbefant bleibe, defto unausforſch— 
ticher üft er uns. Wir fonnen feinen einzigen ung befanten 
Bewegungsgrund Gottes erforfihen, es bleibt uns allemal 
das meifte davon ganz unbefant, Alle Bewegungsgründe 
Gottes find unendlicd) groß, weil er eine iede Vollkommen— 
heit und Linvollfommenheit, in ihrem Berhältniffe gegen 
alle mögliche Dinge, betrachtet S. 398. Folglich ift das— 


jenige, was wir von einem uns befanten Bewegungsgrune 


de und Zwecke Gottes erfennen, wie nichts gegen dasjenige 
zu 





| 
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Die Freyheit des göttlichen Willens. 231 


zu achte „, was uns von demſelben unbefant bleiben muß. 
3) Je nothwendiger dieſe Unwiſſenheit der Bewegungs 
gruͤnde Gottes iſt * deſto unausforſchlicher iſt fein Wille, 
Wir befinden uns in der groͤſten Unmöglichkeit, die goͤtt⸗ 
lichen Bewegungsgruͤnde zu erforſchen. Folglich muͤſſen 

wir allemal, wenn wir die Bewegungsgruͤnde, Zwecke und 
Wege Gottes unferfuchen, mit der gröften Beſcheidenheit 
zu Werke gehen; und allemal, wenn uns etwas in der Bora 
fehung Gottes widerfinnifch, ober nicht vecht zu feyn fcheinf, 
erkennen, daß diefes daher rühre, weil der Wille Gottes 
uns unausforfehlich iſt. 


Die Freyheit des goͤttlichen Willens. 
Se 939. 

Da Gott, im alferhöchften und vollfommenften Gras 
de, eine felöftthätige Subftanz ift S. 933. fo thut er alle 
feine Handlungen felbft, und. er befißt alfo Dasjenige vor- 
laͤufige Stuͤck der Freyheit aufs vollfommenfte, ohne wel« 
em fie in dem Willen eines Geiftes gar nicht ſtat finden 
Fan, nemlich die Selbftshätigfeit S, 697. Alle Handluns 
gen Gottes find von einer dreyfachen Ark. 1) Diejenigen, 
wodurch Gott in fich felbft ſolche Realitäten wirft, die ſich 
nicht auf diefe Welt und die Wuͤrklichkeit derfelben beziehen, 
und weldye alfo Feine aleichfam zufälligen Befchaffenbeiten 
Gottes find 9. 852. z. E. die Handlung Gottes, wo— 
durch er feine nothwendige Wiſſenſchaft wuͤrkt. Dieſe 
goͤttlichen Handlungen ſind zwar zugleich Beſchaͤftigungen 
des goͤttlichen Willens, und flieffen aus den allervollkom— 
menften Bewegungsaründen 6. 935, Allein da es in allen 
Abſichten unmöglich iſt, daß Gott diefe Handlungen unter 
taffen, oder anders thun koͤnte, als er fie thut, fo find es 
- feine freven Handlungen Gottes, Folglich erſtreckt fih, die 
Freyheit Gottes, nicht über feinen ganzen Willen, und Gott 
will unendlich viel, fo er aber nicht auf eine freye Art will, 
fondern auf eine ſchlechterdings norhivendige Art, Es wäre 


aljo ein Irrthum, wenn man fagen wolte, daß alle Hand— 
D 4 lun⸗ 


232 Die Freyheit des göttlichen Willens, 


lungen Gottes frey wären ; weil Feine Handlung einer Sub— 
ftanz frey feyn Fan, Die nicht von derfelben unterlaffen, oder 
anders gethan werden fan, als fie würflid) gethan wird 
$. 708. 2) Diejenigen Handlungen Gottes, wodurch 
er in diefe Welt und alle ihre Theile würft, die Schöpfung, 
die Mitwürfung, die Erhaltung der Welt, und alle Hand« 
lungen, weldye zu der Vorſehung gehören, die Gott über 
diefe Welt ausübt. Diefe Handlungen werden wir in dem 
folgenden genauer unterfuchen, bier aber Eönnen wir ſchon 
überzeugt feyn, daß Gott überhaupt folhe Handlungen 
vornehme, weil diefe Weit würflidy ift, aber nicht anders 
würflich feyn Fan, als eine Würfung Gottes, und alfo 
durch eine Handlung Gottes $. 821. Da nun diefe Welt, 
und eine iedwede Welt, zufällig ift S. 296. fo ift es moͤg⸗ 
lich, daß entweder gar Feine Welt würflic) wäre, oder 
eine andere als die unſrige. Wenn gar Feine Welt würfa 
lid) wäre, fo verrichtete Gott gar Feine Handlung in die 
Welt. Und folglich koͤnte Gott, durch feine Allmacht, 
alte diejenigen Handlungen unterlaffen, durch welche er in 
diefe Welt wuͤrkt F. 862. Diefe Handlungen Gortes find 
demnach gleihfam zufällige Befchaffenheiten $. 852. und 
frey im Abficht auf die Ausübung. Dover es ift Gott, wenn 
Dios feine Allmacht betrachtet wird, gleich viel, ob er diefe 
Handlungen thut oder unterläft, beydes ift ihm durch feine 
Kraft im höchften Grade möglid) $. 700. Wenn eine 
andere Welt würflich wäre, fo würden dieſe Handlungen 
anders feyn, 3. E. Gott würde die Welt alsdenn anders res 
gieren, als iego. Folglich ift es der Macht Gottes eben- 
fals gleichviel, und im hoͤchſten Grade möglich), diefe Hand- 
lungen, wodurd) er in dieſe Welt würft, anders zu verriche 
ten, als ießo. 3) Diejenigen Handlungen Gottes, wodurch 
er in fid) feibft diejenigen Realitäten wuͤrkt, welche ſich auf 
diefe Welt beziehen : die freye Wilfenfchaft $. 908. und 
feine Rarbichlüffe, oder die Begierden und Verabſcheuun—⸗ 
gen feines nachfolgenden Willens $. 937. Wenn gar feis 
ne Welt würflich wäre, fo würde Gott zwar alle Erkent⸗ 


niß 





Die Freyheit des göttlichen Willens. _ 233 


niß und alle Begierden und Berabfiheuungen haben, vie 
er ießo Hatz allein Feine göttliche Erkentniß wäre eine freye 
Wiſſenſchaft, und feine feiner Begierden und Berabfcheus 
ungen ein Rathſchluß. Und wenn eine andere Welt würfz 
lih wäre, fo wäre eine mitlere Wiſſenſchaft die freye, und 
andere feiner Begierden und Berabfcheuungen wären Rath— 
fhlüffe. Folglich gehört feine freye Erkentniß, famt allen 
feinen Rathſchluͤſſen, zu den Handlungen Gottes, in deren 
Abficht es Gott aleichviel it, wenn man auf feine Allmacht 
fieht, ob er fie thut, oder unterlaft, oder anders verrichter. 
Und es find alle feine Rathſchluͤſſe eben fo wohl, als feine 
freye Wiffenfhaft, gleihfam zufällige Beſchaffenheiten 
9.852. Wenn Gott gar feine Handlungen von der andern 
und dritten Art verrichtete, fo hätte er gar Feine Freyheit in 
Abfiche der Ausübung gewifler Handlungen $. 700. Und 
er koͤnte alfo auch gar £einen freyen Willen haben $. 708. 


940 
Ale Handlungen Gortes find Handlungen feines 
allervellfommenften Willens, und flieffen aus den allervoll« 
fommenften Bewegungsgründen 9. 935. Folglich gilt dies 
fes auch) von denenjenigen göttlichen Handlungen, die ihm der 
Ausübung nach frey ftehen $.439. Folglich beftimt Gott, 
ewig und unveränderlich, feinen allervollfommenften Wil 
len, um feine freye Wiffenfchaft und feine Rathfchlüffe zu 
begehren, und in ſich zu würfen, und alfo auch alle Hand« 
fungen in dieſe Welt vorzunehmen, die er würflich thut. 
Und zwar beſtimt er, feinen allervollfommenften Willen, eben 
fo und nicht anders, obgleich feiner Allmacht das legte mög« 
lid) wäre, um feines allervollfommenften Bergnügens wil— 
len, welches er über feine freye Wiffenfchaft und feine Rath— 
fchlüffe genieft $. 935. Und alfo um feines eigenen aller« 
vollfommenften Beliebens willen $. 703. Es ift dem» 
nad) klar, daß Gott fid) zu gewiſſen feiner Handlungen 
ervig und unmandelbar beftimme, fie zu thun, ob er fie 
gleich unterlaſſen koͤnte, und fie eben fo zu thun, ob er fie 
gleich anders verrichten Eönte, deswegen, weil es ihm nun 
5 fo 


234 Die Freyheit des göttlichen Willens. 


fo auf die vollfommenfte Art gefält und beliebt. Die Ue— 
berzeugung von diefer Wahrheit wird dadurch in dent folz 
genden noch beftärft werden, wenn wir werden erwiefen 
haben, daß diefe Welt die befte fey. Denn alsdenn wird 
offenbar feyn, daß Gott Feine beffere frene Wiſſenſchaft ha— 
ben, und feine beffere Rathſchluͤſſe faſſen, und Feine beſſere 
Handlungen thun Fan, als er iego freywillig in ſich wuͤrkt. 
§. 9ai. 

Da nun Gott einen ſolchen Willen beſitzt, vermoͤ⸗ 
ge deſſen er ſich, in unendlich vielen ſeiner Handlungen, 
nach eigenem allervollkommenſten Belieben eben ſo und nicht 
anders beſtimmen kan, und wuͤrklich beſtimt: ſo hat Gott 
einen freyen Willen $. 708. und alle feine Handlungen, 
welche gleihfam zufällige Befchaffenheiten find, find wahr⸗ 
baftig freye Handlungen $. 939. Und zwar ift, die Frey— 
beit Gottes, die allerhöchfte und allervollfommenfte Freys 
beit $. 817. 716. und das, um folgender Gründe infonders 
beit, willen. 1) Weil er im Stande ift, die allermeiften 
freyen Handlungen zu thun, und auch wuͤrklich fo ofte und 
vielfältig frey handelt, als es möglich ift. Es wird diefes 
eben dadurch beftätiget, weil Gott die befte Welt erichafs 
fen, und die ift der Ausdehnung und Dauer nad) die geöfte 
6.45%, Da nun Gott fo viele Handlungen in diefe Welt 
vornimt, als fie Theile in ſich enthält, und zwar fo ofte, 
als eine Beränderung in der Welt würflich wird: fo Fönte 
Gott unmöglidy eine fo weitläuftige freye Wiſſenſchaft in fich 
würfen, fo viele Rathſchluͤſſe faſſen, und fo vielfältig auffer 
fih würfen, wenn eine andere als diefe Welt wuͤrklich wäre. 
Und folglich ift es unmöglich, daß Gott mehr auf eine freye 
Art thun koͤnte, als er wuͤrklich thut, da diefe Welt wuͤrk— 
lich if. 2) Weiler vermögend ift, die allergröften frey« 
en Handlungen zu thun, und weil ev auch würflich die als 
Iergröften freyen Handlungen thut. Auch diefes wird das 
durch beftätiget, weil or die beſte Welt würflid) gemacht 
bat, und erhält. Denn alles, was in der beften Welt ifk, 
das iſt in feiner Act Das gröfte S 430% Folglich Fönte 

ort 








| 





Die Freyheit des gSttlichen Willens, 235 


Gott unmöglich eine groͤſſere freye Wiſſenſchaft in fih wuͤr⸗ 
fen, gröffere Rathſchluͤſſe faſſen, und gröffere freye Hand— 
lungen in andere Dinge auffer fi) vornehmen, als würflic) 
geſchieht. 3) Weil er in allen feinen freyen Handlungen, 
fih nach) dem allervoflfommenften ‘Belieben, durch das weit: 
läuftigfte, gröfte und proportionirtefte, richtigfte, deut— 
lichfte, gewiſſeſte und lebendigfte Wohlgefallen und Miß- 
fallen an den Gegenftänden, eben fo und nicht anders von 
Ewigkeit beftimt hat, und ewig beftimt $. 922-929. 
Hieraus flieffen fonderlich zwen merfmürdige Folgen. ins 
mal, die Sreyheit Gottes wird m allen Fällen, durch das 
deutlichfte Belieben, beftimt, fo daß gar nichts finliches in 
demfelben möglich und würflich ift $. 893. Folglich if, 
der freye Wille Gottes, eine vollfommen reine Freyheit 
$. 708. Der freye Wille aller endlichen Geifter ift alles 
mal, mit dem finlihen Willführ, vermengt. Zum ats 
dern, die Srenheit Gottes wird in allen Fällen, nach dem 
richtigften und untrüglichiten Belieben, beſtimt $. 899. 
Solglic muß dasjenige, was er frey begehrt, nothmendig 
guf, und was er frey verabfcheuet, muß nothwendig bofe 
ſeyn. Weil Gott alfo im höchften Grade frey will und 
handelt, fo Fan er nur das Gute begehren und nur das 
Böfe verabſcheuen. Wie lächerlich ift es alfo, wenn ein 
Menfch es für eine Einfchrenfung feiner Freyheit anfiehr, 
wenn ihm die Sünde verboten wird! Wer da fündiget, wer 
das Döfe begehrt und das Gute verabſcheuet, der beweift 
eben dadurch, daß er eine fehr eingefchrenkte Freyheit habe. 
Und eben daher Eomts, daß die Laſter und Sünden unfere 
Freyheit immer mehr und mehr einfchrenfen, ie häufiger fie 
ausgeübt werden, und daß fie uns dem zu Folge zu wahren 
Selaven machen. Wer die Freyheit Gottes leugnet, wird 
ein theologifcher Satalift genent. Der theologifche Fa— 
talifmus ift eine fehr gefährliche Meinung, Wenn Gott 
nicht nach Freyheit handelt, fo find alte feine Handlungen 
in die Welt fehlechterdings nothwendig, Folglich muß ala 
les in der Welt, auf eine fchlechterdings nothwendige Art, 

geſche⸗ 


236 Die Freyheit des göttlichen Willens, 


gefhehen. Die alten Heyden unterwarfen, den Willen 
des Jupiters, einem unvermeidlichen Schickſale. Und 
eine Gottheit, welche nicht nad) Freyheit handelt, vers 


dient Feine gottesdienftliche Verehrung, meil fie auf eine uns 


vermeidliche Art die Schickſale der Creaturen eben fo und 
nicht anders würfe. 
| $. 942% 

Wer fih) aus der Pfycholosie, von der wahren Na— 
tur des freyen Willens, einen richtigen Begrif gemadır hat, 
und denfelben mit der bisherigen Abhandlung vergleicht, der 
wird darin feine andere erhebliche Schwierigkeit, welche Die 
Freyheit des göttlichen Willens in unferer Erkentniß verur 
ſachen fonte, finden, als welche daher entfteht, daß die 
freyen Handlungen Gottes gleichfam zufällige Beſchaffen— 
heiten feyn muͤſſen. ine Handlung, die in einer Sub» 
ftanz fehlechterdings nothwendig ift, und von derfelben auf 
eine ſchlechterdings nothwendige Art verrichter wird, Fan 
durchaus nicht frey feyn. Wenn aljo Gott einen freyen 
Willen haben foll, fo muß er Handlungen thun Fönnen und 
wuͤrklich thun, die an ſich betrachtet zufällig und veränders 
lid) find... Da nun diefes, der Nothwendigkeit und Unvers 
änderlichfeit Gottes, zu widerfprechen ſcheint; fo Fan man 
diefe Berwirrung in der Gottesgelahrheit nicht völlig heben, 
fondern man muß lieber feine Unwiſſenheit erkennen, und 
fi) hier eben fo verhalten, als ich überhaupt oben bey denen⸗ 
jenigen Bollfommenbeiten Gottes gewiefen habe, welche 
gleihfam zufällige Befchaffenbeiten find $. 852. Um aber 
übrigens, den Begrif von der göttlichen Freyheit, vor allen 
falfchen Nebenbegriffen zu bewahren, und die Ueberzeugung 
von der Freyheit des göttlichen Willens recht zu befeftigen, 
muß man noch folgendes anmerfen. 1) Gott wird, zu ſei⸗ 
nen freyen Handlungen, nicht innerlicy fchlechterdings ges 
nöfhiger und gezwungen $. 701. Widrigenfals müßten, 
diefe Handlungen Gottes, durch fein Weſen dergeltalt noth— 
wendig gemad)t werden, daß ihr Gegentheil Demfelben wis 
derfpräche, und alfo in Gott ſchlechterdings unmöglid) wäre, 

Folg— 





Die Freyheit des göttlichen Willens. 237 


Folglich wären fie fehlechterdings nothmendig, und Gott 
hätte gar Feine Freyheit. Die theologifchen Fataliften glaus 
ben, daß alle Handlungen Gottes durch fein Wefen derges 
ftalt nothmendig gemacht würden. Allein die freyen Hand⸗ 
lungen Gottes, folglid) auch diejenigen, wodurch er in die 
Welt wuͤrkt, koͤnnen nicht fchlechterdings nothwendig feyn, 
weil ihr Gegentheil moalidy ift S. 939. 2) Gott wird 
auch, zu feinen freyen Handlungen, nicht Durch feine güft« 
liche Natur dergeftalt beftimt-und genöthiget, als wenn ihr 
Gegentheil durch feine Kraft nicht mehr möglich wäre, und 
als wenn fie fämtlich in Gott natuͤrlich nothwendig wären 9. 
939. denn alsdenn würden fie anch nicht frey ſeyn S. 702. Gott 
kan durch feine Allmacht alle feine freye Handlungen thun, 
er Fönte aber auch ihr Gegentheil wwürflic) machen, Leugnet 
man diefes, fo ftößt man ebenfals die Frenheit Gottes über 
den Haufen. 3) Bott iſt, in allen feinen Handlungen, 
frey von allem äufferlihen Zwange, meil fein Ding auffer 
ihm in ihn würfen Fan $. 881. 705. Nichts fan ihm wis 
derftehen, er Fan alles ausführen was er will, nichts Fan 
ihm wider feinen Willen zwingen etwas zu thun, er Fan mes 
der durch Drohungen, noch durch Reitzungen, noch durch 
Anrathen, noch durch Abrathen, noch auf irgends eine an— 
dere Art von auffen her, wozu gezwungen werden. Gr ift 
über alles erhaben, und er handelt in allen Abfichten felbft, 
nach eigenem unabhängigen Belieben. Diefes ift eine 
Folge feiner allervollfommenften Freyheit. Allein man 
würde fehr fehlecht denken, wenn man die ganze Frenbeit 
Gottes darin feßen wolte, daß er von auflen her durch Feis 
ne Gewalt gehindert werden fan, das zu thun was er will. 
Das gehört zu feiner. Allmacht und Selbftftändigkeie, nicht 
aber zu dem Weſen des freyen Willens, 


Die moralifche Heiligkeit Gottes. 


. 943. 
Alle frene Handlungen Gottes, in fo ferne fie als in- 
nerliche Beftimmungen ver Kraft Gottes betrachtet wer— 
den, fönnen gar feine Unvollfommenbeiten in ſich enthalten, 


fon« 


238 Die moralifche Heiligkeit Gottes, 


fondern fie find durchaus reel vollfommen und auf, und 
zwar im böchften Grade $. 338. Da nun die Güte und 
Bollfommenbeit einer freyen Handlung, die ide zukomt in 
fo ferne fie frey ift, die morslifche Güte derfelben genent 
wird $. 713. fo find alle freye Handlungen Gottes im hoͤch⸗ 
fien Grade moralifchh gu. Die moralifche Güte einer 
freyen Handlung ift ihre Rechtmäßigkeit. Und es find 
demnad), alle freye Handlungen Gottes, im böchften Gra« 
de rechtmäßig. Gott handelt niemals anders, wenn er 
frey handelt, als aufs rechtmäßigfte. Das unrechtmäßige, 
moralifch böfe und fündliche einer freyen Handlung, ift ofa 
fenbar eine wahre Berneinung und Unvollfommenbeit, wel« 
che in Gott nicht ſtat finden fan q. 837. Man ftele fi, 
die moralifche Güte einer freyen Handlung, als eine Necht« 
maͤßigkeit vor, weil fie eben dadurch mit dem Rechte, oder 
mit den moralifchen Gefegen, unter welche fie gehört, uͤber— 
einftimt. Nun ift in Gott die allervollfommenfte Drdnung, 
unter allen feinen Realitäten, im höchften Grade anzutrefa 
fen $. 843. Folglich find auch, alle feine moralifche Volle 
kommenheiten, und alle feine freye Handlungen, deren eine 
iedwede in ihrer Ark die befte if, nad) den allervollkommen— 
ften Regeln beftime und zufammengeorönet. Die Kegeln 
der moralifchen Handlungen find, die moralifchen Gefege 
$. 713. Folglich ftimmen, alle freye Handlungen Gottes, 
mit den vollfommenften moralifchen Gefesen im hoͤchſten 
Grade überein, und fie Fonnen daher im eigentlichiten Vera 
ftande im höchften Grade rechtmäßig genent werden, Gleich. 
wie der Saß: das Beſte werde dem Beften zugeords - 
net, die Örundregel iſt, nach welcher alle innerliche Bes 
flimmungen der Gottheit einander zugeordnet find; alfo iſt 
der Satz: das moralifh Beſte werde auf eine freye 
Art dem moralifch Beſten zugeordnet, die mora« 
liſche Grundregel, nad) welcher, alle moralifche Vollkom— 
menbeiten und freye Handlungen Gottes, einander zugeords 
net werden. Und eben diefe Regel Fan, als der Grundſatz 
des ganzen Rechts der göttlichen Natur, angejchen werden, 

aus 











Die moralifche Heiligkeit Gottes: 239 


aus welchem alle befondere moralifche Regeln flieffen, wel« 
che Gott in allen Fällen, in denen er frey handelt, aufs ge» 
nauefte beobachtet. Es finden einige darin eine Bedenk— 
tichkeit, zu fagen, daß Gott Gefege beobachte; weil fie an« 
nehmen, daß alle Gefege Vorſchriften und Befehle eines 
Dberherren find, dem man zu gehorchen verbunden iſt. 
Freylich ift Gote, den Befehlen eines Oberherrn, nicht 
unterworfen. Allein es ift falfch, daß ein iedwedes Gefeß 
der Wille eines Oberherrn ſey. Und wenn man fagt, 
Gott beobachte Feine Gelege, fondern fein eigener Wille jey 
fein einziges Geſetz: fo fan man dieſes zugeftehen, wein 
man dadurch zu verftehen geben will, daß Die Geſetze, nad) 
welchen Gott feine freyen Handlungen einrichtet, in ihm 
felbft und allein ihren hinreichenden Grund haben, Das 
wäre aber ein gottlofer Gedanke, wenn man fagen wolte: 
man müffe freylich geftehen, daß Gott allemal Hecht babe, 
wie man diefes von einem defpotifchen Tyrannen fagen müffe, 
dem man nicht wiverfprechen dürfe, Wer fo denft, der 
überlege nicht, daß alle frene Handlungen ſchon an ſich bes 
trachtet, um ihrer innern Befchaffenheit willen, gut oder 
böfe find, und daß der allervollfommenfte Wille Gottes 
nicht etwa deswegen etwas gut macht, weil ers will, ſon— 
dern daß er deswegen etwas will, weil es guf, und in feis 
ner Art das Befte ift, Wer fic) aus dem vorhergehenden 
von unfern Begriffen, die wir von den Gefegen gegeben 
haben, überzeugte hat, der wird Feine Schwierigkeit ma— 
hen zu fagen, daß Gott, fo ofte er frey handelt, Die allera 
hoͤchſten und beften moralifchen Geſetze aufs vollfommenite 
beobachte, und daß alfo allen feinen freyen Handlungen, 
die allerhöchfte Rechtmäßigkeit, und Uebereinftimmung mic 
den moralifchen Gefegen, zufomme, 
{ $. 944» 

Wenn die freyen Handlungen eines frenen Weſens 
moralifch gut und rechtmäßig find, fo iſt auch der freye 
Wille deffelben moralifch gut und vollfommen: weil vie 
freyen Handlungen Wirkungen des freyen Willens find, 

Da 


240 Die moralifche Heiligkeit Bottes. 


Da nım alle freye Handlungen Gottes im höchften Grade 
rechtmäßig find 9. 943. fo komt nicht nur ihnen felbft, fon« 
dern auch dem freyen Willen Gottes, die allerhöchfte mo» 
raliſche Vollkommenheit zu, welche der Inbegrif aller gött- 
lichen Vollkommenheiten ift, die von der Freyheit feines 
Willens herrühren, oder welche in ihm würflich find, weil 
fein Wille frey ift, und welche in ihm nicht koͤnten wuͤrklich 
feyn, wenn er feinen freyen Willen hätte Wir werden 
gleich in dem folgenden, einige der merfwürdigften Arten 
diefer Vollkommenheiten, befonders unterfuchen z. Er feine 
Gerechtigfeit, feine Gütigfeit u. f. w. Hier wollen wir 
nur noch bemerken, daß, die böchfte moralifche Vollkom— 
menheit Gottes, feine moraliſche Heiligkeit ſey. Denn 
wenn in einem Dinge eine Bollfommenheit würflich ift, 
fo wird eben dadurch die entgegengefegte Unvollkommenheit 
in demfelben verhindert, und von ihm entfernt. Folglich 
muß, die allerhöchfte moralifche Vollkommenheit Gottes, 
als ein Hinderniß aller moralifchen Unvollfommenheiten in 
Gott angefehen werden. Dun wird eine iedwede gröffere 
Vollkommenheit, in fo ferne fie eine Verhinderung einer 
gröffern Unvollkommenheit ift, eine Heiligkeit genent $. 838. 
Folglich ift, die höchfte moralifche Vollkommenheit Gottes, 
die allervollfonmenfte moralifche Heiligkeit Gottes. Und 
die wird, erſtlich, dem Willen Gottes in fo ferne er frey 
iſt zugefchrieben, und fie begreift folgendes in fich. ı) Gottes 
freyer Wille begehrt, nur alle zufällige Bolllommenbeiten, 
aufs vollfommenfte. Gott begehrt zwar auch alle fchlec)- 
terdings nothrvendige Vollkommenheiten, um feiner Heilige 
feic überhaupt willen; aber das ift Feine freye Begierde, 
Um feiner moralifchen Heiligkeit willen begehrt er alle zus 
fällige Vollkommenheiten aufs proportionirtefte, nach den 
allervollfommenften Bewegungegründen aufs unveränders 
lichfte, Folglich gehört, zu feiner moralifchen Heiligkeit, 
die allervollkommenſte und unendliche Liebe zu allem zufäls 
ligen Guten S. 934. Um der moralifchen Heiligkeit Gota 
tes willen Ean er alfo Feine zufällige Unvollfommenbeik lieben, 


und 








Die moralifche Heiligkeit Gottes. 241 


und feine zufällige Vollkommenheit mehr oder weniger lies 
ben, als fie es verdient, 2) Der freye Wille Gottes ver- 
abfcheuet, nur alle, zufällige Unvollfommenbeiten, aufs 
vollfommenfte. Gott verabfcheuet zwar auch, alle fchlech« 
terdings nothwendige Unvollfommenbeiten, um feiner Heiz 
lig£eit überhaupt willen; allein das ift Feine frene Verab— 
fheuung. Um feiner moralifchen Heiligkeit willen verabs 
ſcheuet er alle zufällige Unvolltommenheiten aufs proportige 
nirteite, nad) den allervollfommentten Bewegurgsgründen, 
aufs unveränderlichfte. Es gehört alfo, zu feiner morali- 
ſchen Heiligkeit, der allervollfommenfte und unendliche Haß 
alles zufälligen Böfen, und aller Sünden $. 934. Des. 
wegen Fan er feine zufällige Unvollfommenbeit begehren, 
und er fan auch, um eben der Urfach willen, Feine derfels 
ben ſtaͤrker oder ſchwaͤcher verabfcheuen, als fie e3 verdient. 
Zum andern fehreibt man auch, die moralifche Heiligkeit, 
den freyen Handlungen Gottes felbft zu, in fo ferne dieſel— 
ben insgefamt im höchften Grade rechtmäßig find, und in 
fo ferne alſo, in Feiner derfeiben, irgends etwas moraliſch 
böfe oder fündliche angetroffen werden Fan, - Wenn auch 
nur, in einer einzigen frenen Hardlung Gottes, irgends 
etwas fündliches angetroffen würde; fo wäre in derfelben 
etwas zufälliges böfe, welches einen Grund in dem freyen 
Willen Gottes hätte. Und da diefer Grund was Boͤſes 
fenn müßte $. 35. fo wäre der Wille Gottes nicht vollfoms 


, men moraliſch heilig, und das ıft unmöglich), 


« 945. 
Alle freye Handlungen Gottes find fo, mie er fie thut, 


in Gott moraliſch nothwendig S. 7:5. Es will diefes nicht 
| fo viel fagen, als wenn alie freye Handlungen Gottes der» 


geitalt, auf eine gewiſſe beftimte Art, durch feinen frenen 
Willen beftimt würden, daß fie Dadurch zugleid) in Gott 
natürlich) und fehlechterdings nothwendig gemacht würden : 
denn auf die Art würde, der frene Wille Gottes, feine 


) Frenpeit felbft vernichten. Ob gleich der frene Wille Got. 


tes ſich ewig und unveränderlich, nur auf eine einzige Art, 

















| 4 Then, N nem» 


“- 
’ 
1 


242 Die moralifche Heiligkeit Gottes. 


nemlich in allen Fällen aufs rechtmäßigfte, beſtimt: fo hat 
Gott demohnerachtet eine Kraft, weldye, wenn man blos - 
‚auf die Hervorbringung einer Handlung fieht, anders hats 
deln fönte. Sondern da, eine rechtmäßige Handlung, in 
dem Berftande moralifch nothwendig genent wird, in fo 
ferne ihr Öegentheil einem freyen Willen, in fo ferne er mo« 
raliſch vollfommen it, mwiderfprichts fo find alle freye 
Handlungen Gottes im höchften Grade moralifch nothwen— 
dig, weil eg der höchften moralifchen Heiligkeit feines Wils 
lens zumider feyn würde, wenn er auch nur im geringften 
anders handeln wolte, als er würflich fren handelt. Folg— 
lich wird Gott, durch feine moralifche Heiligkeit, verpflich— 
tet, eben ſo und nicht anders frey zu handeln, als er wuͤrk⸗ 
lic) handelt. Manche glauben, daß dadurch in der That 
die Freyheit Gottes über den Haufen falle, wenn man an: 
nimt, daß er nicht anders als allemal aufs rechtmäßigfte, 
um feiner moralifchen Heiligkeit willen, zu bandeln im 
Stande fen. Allein man Fan nicht genung fagen, wie ver« 
wirt foiche Leute denken. Sie behaupten, daß Fein Geilt 
frey handele, wenn er nicht wenigftens manchmal, um feis 
ne Freyheit darzuthun, fündige. Allein auf die Art Fünte 
nur ein Sünder einen freyen Willen haben, und wir wür« 
den im Stande der Unfchuld Feine Sreyheit gehabt haben, 
ja in dem fünftigen Zuftande der Herrlichkeit müßte unfere 
Freyheit verlohren gehen. Eine erbärmliche Freyheit, wel 
che man mit der Sünde erfaufen müßte! 


Die Gütigfeit Gottes. 


$. 046. 

Man muß die Güte eines Dinges, von der Gütigs 

keit defjelben, unterſcheiden. Ein Ding it gut, in fo fers 
ne es vollfommen ift S. 99. Da nun Gott das allervolls 
kommenſte Ding ift, fo ift er ein guter Gott, das allerbefte 
Ding, und es fomt ihm die allerhöchfte Güte zu, Allein, 
bier betrachten wir, die Guͤtigkeit eines Dinges, als eine 
Bollfommenheit feines Willens, und verftehen darunter die 
Dis 











⁊ 


Die Suͤtigkeit Gottes. ‚243 


Beſtimmung und Neigung des Willens eines Geiſtes, arts 
dere Dinge in einem höhern Grade vollfommen zu machen, 
Die Gütigkeit eines Dinges oder eines Geiftes fegt allemal 
andere Dinge voraus, gegen welche er gütig iſt: denn die 
Gütigfeit gebt niemals auf das gütige Wefen ſelbſt. Und 
ob ung gleich Wind und Wetter in einem hohen Grade volle 
fommen machen, fo fhreibt man diefes Doc) niemals ihrer 
Guͤtigkeit zu. Wenn wir iemanden bitten, er folle doch 
fo gütig feyn, und diefes oder jenes in Abficht auf uns thun: 
fo verlangen wir allemal, ev folle feinen Willen dergeftale 
neigen und beftimmen, daß e8 zu unferm groffen Bortheile 
gereihe. Eine WPobltbar it eine gütige Handlung, oder 
eine Handlung, melche aus Gürigfeit gegen denjenigen, 
dem die Wohlthat erwiefen wird, herrührt, und welche dem 


‚andern-in einem hohen Grade nüßlich ift, oder weiche ihn 


in einem höhern Grade vollfommen macht. Nicht eine ied⸗ 
wede Handlung, die einem andern nüßlich ift, wird eine 
Wohlthat genent. Man fan iemanden unendlich viele Fleis 
nere Bortheile verfchaffen, man Fan ihm den rechten Weg 
zeigen, man fan ihm Waſſer aus unferm Brunnen fchöpfen, 
und fein Licht von unferm Lichte anzünden laffen. Allein, 
wer rechnet, folche Kleinisfeiten, unter die Wohlthaten ? 
Ja es Fan etwas in Abficht des einen eine Wohlthat, und 
in Abſicht eines andern Feine Wohlthat feyn, wenn der Bora 
theil, den man beyden dadurch verfibaft, in Abjicht des 
eriten groß und in Abſicht des andern Elein it, 3. E. wenn 
man einem Armen und Reichen einın Thaler fchenfte, 
Folglich Fan man nur Handlungen Wohlthaten nennen, in 
fo ferne fie einem andern in einem hoben Grade nuͤtzlich find. 
Sie müffen aber auch) zugleich, aus dev Guͤtigkeit des Wohl— 
thäters, herruͤhren. Unſere bitterften Feinde verfchaffen 
uns ofte, durch ihre Verfolgungen, gröffere Bortheile, als 
unfere beften Freunde. Weil fie aber nicht die Abficht und 
Neigung haben, uns Gurs zu thun, indem fie uns gewiß 
nicht verfolgen würden , wenn fie vorher müßten, wie viel 
Bortheile fie uns Dadurd) weſchaſtenẽ ſo kan man ihnen 

N, 2 ihre 


\ 
244 Die Gütigkeit Gottes. 


ihre Verfolgungen nicht als Wohlthaten anrechnen, bie fie 
ans ermweifen. Es ift demnach einerley, ob ich ein Wefen 
ein gütiges, oder ob ich es ein wohlthuendes und wohlthäs 
tiges Wefen nenne, und die Gütigfeit ift die Neigung des 
Willens, andern Dingen Wohlthaten zu erweifen. Die 
Ermeifung” der Wohlthaten ift die Geſchaͤftigkeit und Wuͤrk⸗ 
lichkeit der Guͤtigkeit. 


$. 947. 

Die Gütigfeit eines Whlthaters iſt verſchiedener 
Grade fähig, die nach folgenden Regeln überhaupt beur— 
theilt werden Fonnen. 1) Je mehrere und mannigfaltigere 
MWohlthaten iemand auszutheilen bereit ift, und würflic) 
austheilt, defto gütiger ift er, oder deſto gröffer iſt ſeine Guͤ— 
tigkeit. Cine einzige Wohlthat rührt ſchon aus einer Guͤ— 
tigfeit her, und diefe muß alfo nothwendig groß feyn, wenn 


fie viele und mancherley Wohlthaten einem andern Dinge, 


oder mehrern andern Dingen mittheilt. 2) Se gröflere, 
wichtigere und fruchtbarere Wohlthaten iemand auszutheis 
len bereitwillig ift, und wuͤrklich austheilt, defto gröffer ift 
feine Gütigfeit. So ift es eine gröffere Wohlthat und Hits 
tigkeit, wenn man einen jungen Menfchen in den Stand 
fest, zeitlebens fein Ausfommen, durd) feinen eigenen 
Fleis und durch feine eigene Geſchicklichkeit, zu erwerben, 
als wenn man ihm fonft allerlen Gefchenfe made. Man 
muß alfo, die Gröffe der Wohlthaten, nad) der Menge, 
Gröffe und Fortdauer ihres Nutzens durch die folgenden 
Zeiten, beurtheilen, 3) Je mehrern Dingen ein gütiges 
Weſen wohlzuthun bereitwillig ift, und in der That wohl» 
thut, defto gröffer ift feine Gurigfeit, und deſto ausgebreis 
teter ift der Umfang derfelben, Der Woblthäter eines ganz 
zen Volks ift unitreitig ein gröfferer Wohlthäter, als der 


Wohlthaͤter einer einzelnen Perfon, 4) Se würdiger und 


gröffer die Dinge find, denen die Gütigfeit wohlzuthun be 
reit ift, und würflich wohlehut, defto gröffer it fie. Wenn 
eine Wohlthat an eine unwürdige Perfon verſchwendet wird, 
fo ift fie derfelben nicht fähig, und indem fie fic) diefelbe 

nicht 


ET 
































Die Guͤtigkeit Gottes. 245 


nicht zu. nutze machen Fan, fo geht eine folhe Wohlthat ver⸗ 
loren, und ift in der That feine Wohlthat. Eine Gütig« 
£eit, welche die Wohlthaten nicht nach Würdigfeit austheile, 
ift blind, und in der That eine fehr ſchlechte Gütigfeit. 
Denn 5) ie vol!fommener und gröffer die Neigung und 
Begierde, nad) der Austheilung der Wohlthaten, bey dem - 
Wohlthaͤter ift, deſto vollfommener ift feine Guͤtigkeit. 
Folglich ift die Guͤtigkeit um fo viel vollfommener und gröfe 
fer, durch ie beſſere Bewegungsgründe fie zum Wohlthun 
bewogen wird, Mac) ie weitläuftigern, proportionirteren, 
richtigern, deutlichern, gemiffern und lebendigern Einfiche 
ten in die Güte und Gröffe ver Wohlthaten, und in die 
Wuͤrdigkeit dererjenigen, denen fie mitgetheilt werden, fie 
ſich alfo richtet, deſto gröffer ift die Guͤtigkeit. Es iſt 
demnach eine fehr fhlechte Guͤtigkeit, welche Scheinwohl« 
thaten austheilt, welche eine bios finliche Leidenſchaft iſt, 
und welche ohne alle Proportion ihre Wohlthaten austheilt, 
indem fie unmürdigern Perfonen mehr zu gute thut, als 


wuͤrdigern. Verdienen wol manche Mütter den Namen 


gütigee Mütter, welche ihre Kinder, durch ihre vermeinten 
Wohlthaten, verziehen ? 
$. 948. 

Alles würfliche Gute, alle würflihe Bollfommen- 
heiten aller endlichen Dinge, die in diefer Welt wuͤrklich 
find, alles was diefen Dingen in diefer Welt wahrhaftig 
nüglich ift, das ift eine Würfung der freyen Handlungen 
Gottes in die Welt S. 939. Alle diefe Handlungen will 
Gott, nach feinem unendlichen Wohlgefallen $. 940. Folg: 
Lich ift der Wille Gottes bereitwillig, allen aufler ihm bes 
findlichen Dingen Vollfommenbeiten zu gewähren, und er 
theile ihnen, aud) würflich Wohlthaten aus. Er ift dem— 
nach nicht nur ein gütiger Gott, fondern er ift auch wuͤrk— 
lic) der Wohlthaͤter feiner Gefhöpfe $. 946. und zwar im 
alterhöchften Grade $. 817. ort iſt das allergütigfte 
Weſen, und er ift der allerhöchfte und vollfommenfte IBohl 
thäter $. 947. 1) Weil er allen endlichen Dingen, die 

9 in 


246 Die Guͤtigkeit Gottes. 


in diefer Welt wuͤrklich find, ohne alle Ausnahme Wohle 
thaten erwielen hat, noch erweilt, und in allen folgenden 
Zeiten erweifen wird. Alle Gefhöpfe, von dem geringften 
Wurme an bis auf den erhabenften Seraph, von dem 
fleinften Stäubchen an bis auf die gröfte Sonne, find Ge— 
genttande der göttlichen Guͤtigkeit. Denn alle Dinge in 
dieſer Welt haben viele zufällige Güter, welche insgeſamt 
von Gott herrühren, und die er Durch feine unendliche Liebe 
zum Guten begehrt, ie find alfo Würfungen der götte 
lichen Geneigtheit zum Wohlthun. Und da vor fich Flar 
ift, Daß cin blos möglihes Ding, Fein Gegenftand der 
Gütinfeit, feyn kan; fo ift in dieſer Abficht Feine aröflere 
Guͤtigkeit moͤglich, als diejenige, welche alten endlichen 
mwürflichen Dingen wohlthut, und die unleugbar Gott zus 
komt. Gin vortreflicher Troft für einen ieden Menſchen! 
Bir Fonnen zuverfichtlich wiſſen, daß der gütige Gott, bey 
der Austheilung feiner Wohlthaten, niemanden vergißt. 
2) Weiler, einem iedweden endlichen Dinge, um fo viel 
mehrere und gröffere Wohlthaten zuflieffen läft, ie würdiger 
daſſelbe ff; und um fo viel wenigere und Fleinere, ie un— 
wuͤrdiger daſſelbe der göttlichen Wohlthaten ift. Denn der 
goͤttliche Wille, und folglich auch die Gütigfeit deſſelben 
$. 946. iſt den Gegenftänden im allerhöchften Grade pro— 
portionirt S. 032. Es ift allemal eine blinde und unvers 
nünftige Gütigfeit eines Wohlthärers, wenn er iemanden 
mehr oder weniger wohlthut, als derfelbe werth iſt. Thut 
er ihm weniger wohl, fo macht er denfelben durch feine 
Wohlthaten nicht in einem fo hohen Grade vollfommen, als 
möglid) ift. Und thut er ihm mehr wohl, fo Fan derfelbe 
die Wohlthaten nicht gehörig anwenden, und fie gereichen 
ihm abermals mehr zum Verderben, als zum Vortheil. 
Gott ift auch deswegen das allergütigfte Weſen, weil Feine 
Creatur, vernünftizer und gegründeter Weife, mehr Guts 
von Gott erwarten Fan, als fie würflich von ihm empfängt. 
Ein Menfch Fan alfo die tröftliche Zuverficht fallen, daß 
er, feinem ihm gebührenden Theil an der Guͤtigkeit Gottes, 

ewig 








Die Guͤtigkeit Gottes. 247 


ewig und unausbleiblich haben werde; und daß er immer 
mehrere und gröffere Wohlthaten von Gott zu ermarten 
babe, ie würdiger und empfänglicher er derfelben wird, 
Eine vortrefliche Aufmunterung zur Tugend, und zur bes 
ftändigen Bermehrung des Fleiffes in derfelben! 3) Weil 
ort denen endlichen Dingen in der Welt fo viele Wohlthas _ 
ten austheilt, als möglich, und es fehlechterdings unmoͤg⸗ 
lich ift, daß eine Guͤtigkeit mehr Guts thun koͤnne, als die 
göttliche. Alles zufällige würkliche Gute in der Welt, mo 
es ſich auch nur befindet, ift eine göttliche Wohlthat. Die 
fhlechterdings nothmwendigen Bollfommenheiten der Creas 
turen find zwar aud) in Gott gegründet; allein da fie Feine 
Wuͤrkungen des freyen Willens Gottes find, fo fan man 
fie aud) nicht als göttliche Wohlthaten anfehen. Die zus 
fälligen Vollkommenheiten der. endlichen Dinge aber find, 
ohne Ausnahme, göttliche Wohlthaten. Wir Menfchen 
haben unfere Würflichfeit, die Tugend, unfer Leben, uns 
fere gefunde Bernunft, und alles Gute, was in uns nicht 
ſchlechterdings nothwendig ift, der göttlichen Gütigfeit zu 
verdanken. Täglich und augenbliclidy leben, weben und 
find wir in einem Meere der göttlichen Wohlthaten. 4) Weil 
die Wohlthaten Gottes fo groß find, ala möglihd. Die 
allergröften Güter der endlichen Dinge in diefer Welt, wels 
che zufällig find, find zugleich göttliche Wohlthaten. Ta 
auch diejenigen Güter, welche in unfern Augen unendlich) 
klein zu feyn feheinen, find nad) der Abficht Gottes unend— 
lich groß $. 898. Denn ein iedıwedes zufälliges Gute in 
diefer Welt ift, in dem allgemeinen Zufammenhange ver 
Welt, eine Folge unendlich vieler Urfahen, und eine Urs 
fach unendlich vieler Folgen durch alle folgende Zuftände 
der Welt. Mithin ertheilt Gott, einem iediweden Dinge 
in diefer Welt, eine iedwede Wohlthat in Beziehung auf 
die ganze Welt, Und man fan alfo mit Recht fagen, daß 
ein iedwedes zufälliges Gute in diefer Welt, wenn es wie 
eine Wohlthat Gottes betrachtet wird, von einer unendlis 
chen Wichtigkeit und Fruchtbarkeit ſey. Und es ift dem 

24 nad) 


248 Die Bütigkeit Gottes. 


nach) feine Wohlthat Gottes, als eine Kleinigkeit, anzufe- 
ben, 5) Weil er alle feine Wohlthaten, nach den allervoll« 
fommenjten Bewegungsgründen, austheilt, Seine Gü- 
figfeit ijt Fein blinder zärtlicher Trieb der Natur, oder eine 
finliche Leidenſchaft. Sondern die allerweitläuftigiie, pro« 
portionirtefte, richtiafte, deutlichſte, gemiffefte und leben« 
digſte Einficht in die Natur und Gröffe der Wohlthaten, 
und der Würdigfeit derer Dinge, denen’er Guts thut, ift 
die Maafiregel, nach welcher er nicht nur geneigt ift, alle 
feine Wohlthaten auszutbeilen, fondern nach welcher er 
wuͤrklich alle feine Wohlthaten austheilt. Wie närrifc) ift 
es nicht, wenn manche Menicyen glauben, Gott werde in 
Abſicht auf fie gleichfam ein Auge zudruͤcken, und es mit 
ihnen fo genau nicht nehmen, 6) Weil er, ewig und uns 
veraͤnderlich, gütig ift. So lange Gefchöpfe wuͤrklich feyn 
werden, und ewig werden dergleichen vorhanden fenn, fo 
lange wird er ohne Maaf und Ziel Wohlthaten austheilen. 
Der allergütigfte Gott wird des Wohlthuns nicht überdrüf: 
fig, und der Vorrath feiner Wohlthaten ift ganz unerfchöpfs 
ih. Wir wollen es den Moraliften überlaffen, dieſe Vor— 
ftellung der allerhöchften Gütigfeit Gottes aufs fruchtbarfte 
anzumenden, und aus derfelben alle tröftliche, aufmunterns 
de und practifcye Folgerungen herzuleiten, 
$- 949. | 
Die Gütigfeit Gottes hat verfhicdene Namen bes 
fommen, nachdem fie bald auf diefe bald auf eine andere 
Art betrachtet wird F. 680. 681. 1) Sie heift die Kies 
be Gottes zu den Gefchöpfen, in fo ferne fie eine 
Freude Gottes über die Vollkommenheit derfelben ift, Vers 
möge feiner allerhoͤchſten Guͤtigkeit gegen alle Gefchöpfe bes 
gehrt er, die Vollkommenheit derfelben , in dem möglid)= 
ften Grade. Eine ftarfe Begierde nach der Vollkommen— 
heit eines Dinges ift eine Freude über diefelbe, und folglich 
die Liebe diefes Dinges. Alſo liebet Sort alle Dinge in 
diefer Welt, in fo weit fie liebenswürdig find, aufs volle 
fommenfte, nad) allen Graden feiner unendlichen Gütigkeit 
S. 94% 





! 


Die Gütigkeit Gottes. 249 


6. 948. Und da num die Menfchen mit zu diefen Dingen 
gehören, fo liebt er auch alle Menfchen, und es ift in ihm 
die allervollfommenfte Menfchenliebe. Er ift der allergröfte 
Menfchenfreund, und feine Liebe und Freundfehaft ift nicht 
eine blos unthätige Meigung, fondern die thätigfte und 
wuͤrkſamſte Gürigkeit, die irgends nur möglich ift. 2) Die 
Gürigfeit und Liebe Gottes zu den Geichöpfen ift zugleich) 
eine eifrige Liebe, in fo ferne er will, daß feine Gelieb— 
ten ihn wiederum auf eine provortionirte Art lieben follen. 
So ift der Lebhaber eiferfüchtig auf die geliebte Perfon, 
wenn er. darüber berrübt ift, daß fie ihn entweder feiner 
Meinung nad) nicht wieder liebe, oder nicht ſtark genung, 
oder daß fie die ihm fehuldige Siebe auf einen andern Gegens 
ftand lenkt. Mun wird in der Sittenlehre erwiefen, daß 
die hoͤchſte Gluͤckſeligkeit vernünftiger Creaturen erfordere, 
daß fie Gott über alle Dinge lieben; und daß es ihre hoͤch⸗ 
fie Unglückfeligkeit fey, wenn fie Gott gar nicht lieben, oder 
nicht ftarf genung, oder wenn fie den höchften Grad ihrer 
Siebe, den fie Gore fehuldig find, auf fich felbit oder ein 
anderes Gefchöpf lerfen. ort will alles Gute, und vers 
abfcheuer alles Böfe $. 934. Folglich liebt er alle vernünfe 
tige Creaturen dergeftalt, daß er will, fie follen ihn wieder 
im höchften Grade lieben, und daß er es verabfcheuet und 
haft, wenn fie eg nicht thun. Folglich ift er, in feiner 
Liebe zu den Menfchen, und andern vernünftigen Gefchöpfen, 
im höchften Grade eiferſuͤchtig. Doch muß man, von der 
Bedeutung diefes Worts, alles unvollfommene abfondern, 
was wir in der Eiferfucht eines Menfchen antreffen, und 
welches Gott unanftändig ift. 3) Die Gütigfeit Gottes 
gegen alle Gefchöpfe heift das göttliche Mitleiden, oder 
die Erbarmung Gottes, indem er auch diejenigen Ge— 
fchöpfe liebt, weiche elend und unglückfelig find, und zwar 
dergeftalt, daß er ihre Ungluͤckſeligkeit aufs Fraftigite verab— 
ſcheuet, weil er alles Böfe unendlich haft $. 934. Alle 
Suͤnden, alles Elend, und alle Unvollfommenheiten, weldye 
zu der Unglücfeligfeit der Menfchen und anderer Geſchoͤpfe 

25 gehoͤ⸗ 


250 Die Gütigkeit Gottes: 


gehören, find ein Gegenftand des göttlichen Mitleidens. 
Sein Mitleiden ift allgemein, er erbarmt fich aller. elenden 
und unglückfeligen Gefcjöpfe, und alfo auch aller Menfchen, 
Er Fan fein Vergnügen über ihr Elend, und über ihre Uns 
glückfeligfeit, fchöpfen, und er freuet ſich darüber Feineswes 
ges. Sondern fein göftliches Erbarmen beſteht zugleich 
in der möglichften Gefchäftigfeit, um das Elend und die 
Unglücfeligfeit der endlidyen Dinge, welche fich in denfelben 
befinden, aufs möglichfte zu vermindern, oder ganz zu hea 
ben. 4) Weil die Gefchöpfe in ihrer Vollkommenheit un= 
endlich von einander verſchieden find, fo daß ein iedwedes 
eine vorzüglic;e Bollfommenheit befigt: fo liebt Gott nicht, 
alle endliche Dinge, im gleichen Grade, Sondern er liebt 
ein iedwedes Gefchöpf, welches vor allen übrigen eine vor« 
zügliche Vollkommenheit befigt, eben um dieſer Vollkom— 
menheit willen ftärfer, als die übrigen. Folglich ift, feine 
allgemeine Siebe und Guͤtigkeit gegen alle endliche Dinge, 
zugleich eine allgemeine Gewogenheit Gottes, in fo 
fern er, gegen die vorzüglichen Vollkommenheiten der Crea« 
turen vor einander, nicht gleichgültig feyn Fan, fondern 
in fo ferne er eine iedwede Creatur, auch um ihrer vorzüg- 
lichen Bollfommenbeit willen, befonders und vorzüglic) 
auf eine proportionirte Art liebe. Ein Menfch Fan alfo ges 
wiß verfichert ſeyn, daß er ein Günftling, und gleichſam 
ein Schooßfind Gottes, werde, wenn er fich vor andern 
Menfchen an Vollkommenheit hervorthut. 5) Alle endlis 
che Dinge find geringer als Gott, indem fie nicht nur in 
Abfiche auf ihre Vollkommenheit unendlid) tief unter Gott 
erniedriget find; fondern indem er auch, wie aus dem Fol« 
genden erhellen wird, ihr böchfter Dberherr ift. Folglich 
ift, die Siebe Gottes gegen alle endliche Dinge, die goͤttli⸗ 
che Wohlgewogenheit, indem er, des Bywuſtſeyns ihrer 
Miedrigfeit ohnerachtet, dennod) ihnen günftig und gewogen 
ift. Er ift der allergröfte Gönner aller Gefchöpfe. 6) Kein 
endlihes Ding fan Gott, den geringften Nutzen, verfchafe 
fen, Folglich hat Gott, von feiner unendlichen Gewogen« 

heit 





Die Bütigkeit Gottes. 251 


heit gegen alle endliche Dinge in der Welt, feinen Nusen, 
und feine Wohlgewogenheit ift daher die Gnade Gottes 
gegen alle Befchöpfe, und infonderheit gegen diejenigen, 
weiche mit Verftand und Freyheit begabt find. Man kan 
auch feine Gütigfeit deswegen eine Gnade nennen, weil feis. 
ne Creatur, die Wohlthaten Gottes, ihm abverdienen kan, 
wie wir balde meitläuftiger ermeifen wollen. Und da 
7) eine fehr ftarfe Liebe die Treue genent wird, wenn fie 
zugleich beftändig und dauerhaft ift, wie z. E. die Liebe 
eineg treuen Freundes; fo ift, die göttliche Liebe und Guͤtig— 
feit, eine Treue Gottes, oder eine treue Liebe und Freund⸗ 
fehaft, in fo ferne fie nicht nur fo ſtark ift, als möglich, fon« 
dern in fo ferne fie aud) ewig und unveränderlic) in Gott ift. 
Wir koͤnnen uns alfo auf den treuen Cote verlaffen, und 
dürfen nicht beforgen, daß wir, in fo ferne wir liebenswürs 
Dig find, die Liebe und Freundſchaft Gottes irgends zu einer 
Zeit verlieren koͤnten. Und endlich 5) ift auch, die Guͤtig⸗ 
feit Gottes gegen die Gefchöpfe, zugleidy eine Betrübniß 
über ihre Unvollfommenbeit, und infonderheit ein Zorn 
über alle Sünden. Denn Gott haft unendlich, aus Liebe 
zu den endlichen Dingen, alle ihre zufälligen Unvolllommen- 
heiten, um fie von denfelben aufs möglichfte zu befreyen. 
Diefer vollfommene Haß Gottes erftreckt fich auch über 
alle Sünden, und ift ein Unwille über diefelben, in fo ferne 
fie als Beleidigungen betrachtet werden, Unterdefien muß 
von dem Haffe, von der Betruͤbniß, und von dem Zorne 
Gottes, alles abgefondert werden, was eine Unvollkom— 
menbeit ift, indem fie Thätigkeiten der allervollfommenften 
Guͤtigkeit Gottes find, die er gegen alle feine Gefchöpfe 
begt. 


Die Gerechtigkeit Gottes, 


$. 950. 

Die meiften machen ſich, von der Gerechtigkeit Got— 
es, einen fo fürchterlichen Begrif, daß fie fi) vermöge def» 
felben Gott als einen harten, unbarmherzigen, unerbitlichen 

und 


aa. Die Gerechtigkeit Gottes, 


und ftrengen Richter vorftellen, weld;er ein Wohlgefallen 
daran findet, feine Gefchöpfe zu züchtigen, und zu trafen. 
Die Borftellung der göttlichen Gerechtigkeit erweckt in ih— 
nen nichts anders, als Schref und bange Furcht, und 
fie koͤnnen gar nicht begreifen, daß Gott eben deswegen um 
fo viel gütiger und liebenswürdiger ift, und um fo viel mehr 
Vertrauen von unferer Seite verdient, ie gerechter er iſt. 
Wir mülfen uns einen viel beffern Begrif von der Gercd)« 
tigkeit machen, und uns überzeugen, daß fie der hödhfte 
und vollfommenfte Grad der Gütigfeit ſey. Ks ift noch 
lange nicht genung, wenn man die Öerechtigfeit, eine Bes 
lohnung des Guten und eine Beftrafung des Böfen, nent: 
denn das ift die Würfung der Gerechtigkeit, und nicht das 
Weſen verfelbene Und wenn manche die Gerechtigkeit, 
durch die Liebe zum Guten und durch den Haß des Boͤſen 
er£lären: fo verwechfelt man fie mit ver Heiligkeit des Wils 
lens, aus welcher zwar die Gerechtigkeit entfteht, in wel: 
cher aber das Wefen der Gerechtigkeit nicht beſteht. In 
der Sittenlehre wird das Wort aud) etwas anders erklärt, 
indem man, durch Öerechte, tugendhafte Leute verfteht, in 
fo ferne fie ven Gefegen ein Genuͤgen geleiftet, und deswe⸗ 
gen die gebührende Belohnung verdient haben, Hier nehs 
men wir das Wort in dem Verſtande, in welchem es z. E. 
von einem Nichter gebraucht wird, und wir verftehen, durch 
die (Berechrtigfeit, eine proportionirte Guͤtigkeit gegen 
Geifter oder vernünftige Wefen,. Die Gütigfeit Fan ſich 
auf alle Arten ver Dinge erftrefen, und man fan eben fo 
wohl gegen unvernünftige Thiere fich gütig verhalten, als 
gegen vernünftige Weſen. Allein, wer fagt wol im Ernft, 
und im eigentlichen Verſtande, daß man Gerechtigkeit ges 
gen Pferde und Hunde ausübe ? Die Gerechtigkeit kan nur, 
von und unter vernünftig freyen Wefen oder Perfonen, und 
gegen diefelbe ausgeübt werden. Daß fie aber eine Are der 
Guͤtigkeit fey, wird aus unfern folgenden Unterfuchungen klar 
werden, aus denen erhellen wird, daß fie entweder eine bes 
Iohnende oder eine beftrafende Gerechtigkeit fey. Die erfte 

iſt 





Die Gerechtigkeit Gottes. 253 


iſt umleugbar eine Guͤtigkeit gegen diejenigen Perfonen, die 
fie belohnt. Die andere fheint zwar, dem erften Anfehen 
nach), Feine Gürigkeit zu feyn; allein wer wolte wol fagen, 
daß ein Fürft gütig wäre, oder daß ein Vater gütig wäre, 
der gar nicht ſtraft? Entweder die geftrafte Perfon, oder 
andere werden, durch wahre Strafen, vollfommener, und 
es ift alfo alle Gerechtigkeit eine wahre Guͤtigkeit. Wo 
bleibe denn nun das fürchterliche, welches man ſich bey der: 
felben vorftelt ? Nun Fan man fidy leicht überzeugen, daß, 
eine Gütigfeit ohne Gerechtigkeit, eine blinde, läppifche, uns 
vernünftige Güte fey, indem fie ihre Wohlthaten, wie eine 
läppifche Mutter, ohne Verdienſt und Würdigfeit, und 
ohne alle Proportion, austheil. Die Gerechtigkeit aber 
wird von iederman für die Tugend gehalten, weldye einem 
iediveden das Seinige gibt, was ihm gebührt und zufonit, 
und welche alfo einem iediweden zuwaͤget, was Gein iſt. 
Da nun die einem iedweden gebührenden Wohlthaten dieje⸗ 
nigen find, die feiner: Würdigfeit und feinen Berdienften 
proportionirt find; fo befteht, die Gerechtigkeit, in einer 
proportionirten Gütigfeit gegen Perfonen, und fie ift alfo 
ein Grad der Gütigfeit, ohne welchem diefe unmöglich ihre 
höchfte Vollkommenheit haben und erlangen Fan. Dieje⸗ 
nigen Wohlthaten, welche einer Perfon und der Würdig« 
feit derfelben proportionirt find, find zugleich die beften Mit— 
tel ihrer höchften Gluͤckſeligkeit. Denn befomt fie Fleinere 
Wohlthaten, fo fan fie dadurch nicht fo viel Vollkommen⸗ 
heit erlangen, als ihr möglich ift. Bekomt fie gröffere, fo 
iſt fie nicht im Stande fie recht zu gebrauchen, denn fie 
überfteigen ihre Fähigkeit. Folglich find, die proportionir« 
ten Wohlthaten, zugleich der höchften Weisheit gemäß, 
Wenn alfo ein gütiges Wefen feine Gütigkeit, nach den Res 
geln der Weisheit, beftimt, mäßiget und gefchäftig ermeift, 
fo theilt es nur proportignirte Wohlthaten aus. Daher 
hat Leibnitz die Gerechtigkeit vortreflich erflärt, wenn ev 
fagt: fie fey eine nad) Weisheit beftimte Gütigfeit. ine 
iedwede guͤtige Murter iſt ungerecht, welche gegen ihre Kin⸗ 

der 


24. Die Gerechtigkeit Gottes. 


der nicht auf eine weiſe Art gütig ift. Daher lehrt die Er— 
fabrung, daß die Guͤtigkeit unverftändiger und thoͤrichter 
Leute, obrigkeitlicher Perfonen und Fürften, viel mehr Scya« 
ven anrichtet als Nutzen fhaft, fo aar ben denen Leuten, ges 
gen welche fie fid) äuffertz und das deswegen, weil fie nicht 
zugleich eine Gerechtigkeit ift. 
TS 
Die Gerechtigkeit ift unleugbar verfchiedener Grade 
fähig ‚; welche nach folgenden Regeln beurtheilt werden Eöns 
nen. 1) Gegen ie mehrere Prrfonen fich die Gerechtigkeit 
aͤuſſert, defto gröffer ift fie. Folglich verfaat, der allerge— 
rechtigfte, niemanden die Gerechtigteit. Die allergröfte 
Gerechtigkeit aͤuſſert ſich gegen alle endliche Geifter, die 
wuͤrklich find, Die gröften und geringften vernünjtigen Weſen 
haben einen Antheil an derieiben. Es ift ein groffer Man: 
gel der Gerechtigkeit, und eine wahre Ungerechtigkeit, wenn 
ein Richter irgends iemanden, welcher ihn um Gerechtigkeit 
bietet, diefelbe verfage. 2) Je mehrere Wohithiten nad) 
Gerechtigkeit ausgetheilt werden, defto gröffer iſt ſe. Wer 
alle feine Wohlthaten, nicht nur die gröften, fondern auch 
die Fleinften, nicht nur die Fleinften, fondern auch die grös 
ften, nach Gerechtigkeit austheilt, der iſt in dieſer Abjicht, 
und in feiner Urt der alfergerechtefte. 3) Je genauer die | 
Proportion zwifchen ven Wohlthaten und der Würvigfeie | 
derer Perfonen, denen fie mitgerheilt werden, beobachtet 
wird, deſto gröffer ift die Gerechtigkeit: denn, in der Bes 
obachtung diefer Proportion, befteht eben das Weſen der 
Gerechtigkeit. 4) Je vollfemmener diefe Proportion er= 
kant wird, folglich ie ausführlicher, proportionicter , rich— 
tiger, deutlicher, gewiffer und lebendiger die Erfentniß Dies 
fer Proportion, und die Einficht in die Beichaffenheit und 
Gröffe der Wohlthaten, und in die Würdigfeit der Perſo— 
nen ift, nach welcher und durch welche die Gerechtigkeit be— 
ftimt wird, eben diefe und Eeine andere gröffere oder Eleinere 
Wohlthaten, eben diefer und Feiner andern Perfon, zu er— 
theilen, defto gröffer ift die Gerechtigkeit. 5) Je volltom« 
mener, 





Die Gerechtigkeit Gottes, 255 


mener, dauerhafter, beftändiger und flärfer die Liebe und 
Neigung, zu der proporrionirten Austheilung der Wohltha« 
ten, ift, defto groͤſſer und vollfommener ift die Gerechtig— 
keit $. 950. 947. Hieraus Fönnen vortrefliche Regeln der 
Verwaltung aller Gerechtigkeit hergeleitet werden, und man 
Fan aud) daraus, die Mängel und Fehler der menſchlichen 
Gerechtigkeit, deutlich beurtheilen lernen. 
Ä $. 952. | 

Gott ift im allerhoͤchſten Grade guͤtig, und theilt alle 
feine Wohlthaten nach der genaueften, und in der höchiten 
Vollkommenheit erfanten, Proportion aus $. 948. Folge 
lic) ift Gore nicht nur gerecht $. 950. fondern er ift es aud) 
in dem allerhöchften und vollfommenften Grade S.951. 817. 
Er ift gegen alle endliche Geiſter in dieſer Welt gütig, und 
zwar weder in einem gröffern noch Fleinern Grade, als es 
ein ieder werth ift und verdient. Diefer allerhöchfie Grad 
der göttlichen Gerechtigkeit faßt folgendes in fih. D Gott 
ift gerecht gegen alle endliche Geifter in diefer Welt ohne 
Ausnahm, fie mögen fo erhaben oder fo niedrig feyn, als 
fie wollen. Gott verfagt niemanden die Gerechtigkeit, alle 
vernünftigfreyen Creaturen Eönnen fich ganz gewiß drauf 
verlaffen, daß ihnen beftändig von Seiten Gottes Gered)« 
tigkeit widerfahren fey, in allen gegenwärtigen Augenbli⸗ 
en widerfahre, und in allen folgenden Zeiten widerfah⸗ 
ven werde. 2) Gott theilt, alle feine Wohlthaten, den 
vernünftigen Creaturen auf eine gerechte Art aus, fie mös 
gen fo grofle oder fo Eleine Wohlthaten feyn, als fie wollen. 
Da nun, alle zufällige Güter und Vollkommenheiten der 
vernünftigen Ereaturen, Wohlthaten Gottes find $. 948. 
fo hat ein iedwedes vernünftiges Gefchöpf in der Welt juft 
fo viel zufällige Vollkommenheiten, leibliche und geiftlicye, 
zeitliche und ewige u, ſ. w. als daffelbe werth it. Gott 
mißt einem iedweden Menfchen fein täglich Brod, feine Ge— 
ſundheit, fein geben, und alle feine wahren Güter, nach) 
Gerechtigkeit zu. 3) Gott theilt, allen vernünftigen Ge— 
ſchoͤpfen, alle Güter nad) der genaueften Proportion mit, 
Ders 


256- Die Gerechtigkeit Gottes, 


dergeftalt, daß fein Menſch, und fein anderes vernünftie 
ges Wofen, mehr Guts unter irgends einem Scheine des 
Rechts von Gott erwarten fan, als e8 wuͤrklich befißt; und 
es darf auch nicht befürdhten, daß es weniger Guts em— 
pfange, oder empfangen habe, oder Fünftig empfangen wer« 
de, als es werth iſt. Es ift alfo ſehr unvernünftig, wenn 
ein Menfch fo dreift ift, und von Gott mehrere und gröffere 
Wohlthaten erwartet, als er werth if. Und es ift eben 
fo unvernänftig, wenn er murt, und glaubt, es gehe ihm 
in diefer Welt nicht fo gut, als er es verdient. Diefe Uns 
zufriedenheit rührt offenbar aus einer ſtolzen Eigenliebe ber, 
und fie beichuldiger ven gerechteften Gott einer Ungerechtige 
feit. Freylich fünnen wir Menſchen in der Erfahrung 
nicht allemal, die höchite Gerechtigkeit des göttlichen Ber 
haltens, einfehen, indern es uns ofte fdyeint, als gebe es 
manchem Menſchen beffer oder fehlechter, als er es verdient. 
Alein, alle göttliche Vollkommenheiten find uns unaus« 
forfhlih, und wir müflen uns in diefem Falle mit der all» 
gemeinen Leberzeugung befriedigen, daß Gott gar nicht un« 
gerecht handeln koͤnne. 4) Gott erkent, dieſe Proporrion 
aller feiner WBohlthaten, mit der gefamten Würdigfeir aller 
endlichen Geifter , aufs volltommenfte, aufs ausführlichite, 
proportionirtefte, vichtigite, deutlichite, gewiſſeſte und les 
bendigſte. Und durch diefe allervoflfommenfte Erkentniß 
wird eben, fein heiligfter Wille, beftändig beftimt, aufs als 
lergerechtefte zu handeln, Gott beurtheilt, die Wuͤrdigkeit 
einer Perfon, nicht blos in ihren befondern Umftänden, fons 
dern in ihrem Berhältriffe gegen die ganze beite Welt. Daher 
verdiente manchmal ein Menſch vor fich eine Wohlthat, allein 
das Ganze würdedarunter leiden, wenn fie ihm ertheilt würde, 
Keine finliche Leidenfchaft, kein Irrthum, Feine andere unvoll— 
fommene Bewegungeurfachen fünnen einen Einfluß, in die 
görtliche Gerechtigkeit, haben. Und 5) ift die Gerechtigkeit 
Gottes beftändig und unveränderlich, in dem höchften Grade 
der Bollfommenheit, gefdhäftig, indem Gott alle Wohlthaten, 
die er aufs proportionirtefte austheilt, ewig und unendlich liebt. 

§. 953. 








Die Gerechtigkeit Gottes, 257 


$. 953. 

Wir müffen die Gerechtigkeit Gottes noch genauer 
betrachten, und da fie fich, mit der Austheilung der Bes 
Iohnungen und Strafen, befchäftiger: fo müffen wir erft 
überhaupt, die Natur einer Belohnung und Strafe, unter« 
ſuchen. Ein Lohn, oder eine Belohnung, ift ein Gur, 
welches zufällig ift, und Feine freye Handlung desjenigen, 
welcher belohnt wird, und welches einer Perfon um, ihrer 
rechtmäßigen Handlungen willen ertheilt wird, Es ift una 
leugbar, daß ein Lohn etwas Guts feyn müffe, weil er mie 
drigenfals eine bloffe Scheinbelohnung feyn würde, Und 
da die Belohnung eine Sache feyn muß, welcher man vera 
Iuftig gehen fan, und der man blos theilhaftig wird, unter 
der Bedingung, wenn man rechtmäßig handelt: fo ift ein 
ieder Lohn etwas zufälliges, welches aber Feine freye Hand— 
lung desjenigen, der belohnt werden foll, fenn muß. Dars 
um foll er eben gewifle freye Handlungen vornehmen, das 
mit er den Sohn empfange. Folglich ift der Sohn etwas, 
welches mit freyen Handlungen verknuͤpft wird, damit die 
Vorherſehung und Erwartung deſſelben, ein Bewegungs» 
grund für eine Perfon fen, diefe Handlungen zu thun. Es 
glauben einige, daß nur ein Oberherr feinen Untergebenen 
sohn austheilen Fönne; allein e8 wird diefes ohne genung- 
famen Grund behauptet, und es ift hier nicht nöthig, deffel« 
ben in der Erklärung der Belohnungen Erwehnung zu 
thun, meil alle “Belohnungen der endlichen Geifter, die fie 
von Gott empfangen, ohnedem von ihm als ihrem Dbera 
bern herruͤhren. Es iſt unnöthig, diefe Erklärung durch 
ein Beyſpiel zu beftätigen, weil diefes ein ieder Leſer vor fich 
thun Fan, Auf eine ähnliche Art muß, die Strafe, er— 
Elärt werden. Sie iſt ein zufälliges Uebel, welches Feine 
freye Handlung derjenigen Perfon ift, die beftraft wird, und 
welches derfelben um ihrer freyen böfen Handlungen, ober 
um ihree Sünden willen, zugefügt wird. Es ift ohne Bes 
meis Elar, daß die Strafe allemal ein Uebel feyn muß, 
Iſt fie ein bloffes Scheinübel, foift fie auch nur eine Schein« 

4, Theil, —R ſtrafe; 


258 Die Gerechtigkeit Gottes: 


firafe; und ob fie gleich) ein wahres Uebel ift, fo fan und 
muß fie zugleich was Guts feyn, welches vielen Nutzen ha- 
ben fan. Die freyen böfen Handlungen einer Perfon find 
dasjenige, was beftraft wird, und fie koͤnnen alfo nicht ſelbſt 
die Strafe feyn. Sondern die Strafe ift ein anderes zus 
fälliges Uebel, welches nicht fchlechterdings nothwendig und 
unvermeidlich feyn fan, weil man der Strafe muß entges 
hen fönnen. Sie ift alfo ein Uebel, weldyes mit den Suͤn— 
den deswegen verbunden wird, damit eine Perfon daſſelbe 
vorberfehe, es verabfcheue, und dadurch bewogen werde, 
die Sünden zu unterlaffen. Es behaupten einige, daß alle 
Strafen von einem Oberherrn herruͤhren müffen. Allein 
man Ean diefes nicht allgemein mit Grunde behaupten, und 


da Gott ohnedem der höchfte Dberherr aller endlichen Geie 


fter ift; fo Haben wir in der natürlichen Gottesgelahrheit 
nicht nöthig, diefen Umftand weiter auszuführen. Auch bier 
ift es unnöthig, daß ich, diefe Erflärung der Strafen, aus: 
führlich durch ein Beyſpiel erläutere, 

9. 

Alle Strafen und Belohnungen find entweder natüra 
liche, oder willführlihe Strafen und Belohnungen, Kir 
natürlicher Lohn ift ein folher Sohn, welcher aus der 
Natur der rechtmäßigen Handlung, und der Perfon wel 
che fie hut, als eine Würfung , nad) der Ordnung der 
Matur, entſteht. Wenn ein Menſch fleißig, nach den 
Regeln einer vernünftigen Logik, ſtudirt; fo erlangt er eine 
gute Gelehrfamfeit, und die iſt eine natürliche Würfung 
feines Verſtandes und feines Studirens, ſolglich ein natürs 
licher Lohn feines Fleiſſss. Eine natuͤrliche Strafe, 
ift eine Strafe, welche aus der Natur der Sünde und des 
Suͤnders, als eine Würfung, nad) der Ordnung der Na— 
eur, entſteht. Wer unmäßig ißt und trinkt, der verurfad)e 
fi Krankheiten, und das geht fo natürlich zu, daß man 
es aus der Matur des menfchlichen Körpers zureichend ers 
Elären fan. Ob ſolche natürliche Würfungen, und gute 
und böfe Folgen unferer freyen Handlungen, in der That 

den 








Die Gerechtigkeit Bottes; 259 


den Namen der Belohnungen und Strafen verdienen, das 
werde ich gleich in dem Folgenden auszumachen fuchen. 
Fine willEübrliche Belohnung ift ein folcher Lohn, 
welcher nicht anders zureichend erfant werden fan, als aus 
dem Willführ desjenigen, welcher diefen Lohn ertheilt, Aus 
der bloffen Natur einer rechtmäßigen Handlung, und ihres 
Urhebers, Fan unmoͤglich erfant werden, warum eben dies 
fer und fein anderer willführlicher Lohn mit derfelben ver- 
bunden wird; fondern man muß dabey allemal, auf den 
freyen Willen desjenigen, ſehen, welcher denfelben ertheilt. 
3. E. wenn iemand dem andern eine Summe Geld zum 
Sohne gibt. Eine willführliche Strafe ift eine folche 
Strafe, welche nicht anders zureichend erfant werden fan, 
als aus dem Willführ desjenigen, welcher flraft, Aus der 
bloffen Natur der Sünde und des Sünders fan unmög- 
lic) erfant werden, warum eben diefe und Feine andere 
willkuͤhrliche Strafe mit der Sünde verbunden wird, fen- 
dern man muß dabey allemal, auf den freyen Willen des— 
jenigen fehen, welcher diefe Strafe dem Sünder zufügt , z. 
E. wenn der Diebftal, mit dem Galgen, beftraft wird. 
Vebernsrürliche Strafen und Belohnungen müffen, 
durch ein Wundermwerf, und, durd) eine übernatürliche Hand= 
lung Gottes würfli gemacht, und mit gewiſſen freyen 
Handlungen verbunden werden. Als Gott die Aufrührer 
unter Anführung des Abiram mit Feuer vertilgte, fo ftrafte 
er durch ein Wunderwerk; und die übernatürlichen Tröftun« 
gen, die Gott in dem Herzen der Gläubigen würft, find 
übernatürliche Belohnungen Gottes, 


$. 955. 

Die belohnende Gerechtigkeit ift diejenige Ge— 
rechtigfeit, welche rechtmäßige Handlungen belohnt; oder 
fie ift die Gerechtigkeit, in fo ferne fie die guten freyen Hands 
lungen belohnt. Je mehrere Perfonen die Gerechtigkeit bes 
lohnt, und ie mehrere ihrer Handlungen fie belohnt, ie pros 
portionirter die Belohnungen find, und ie vollfommener 
und befler die Neigung und ‘Begierde zur proportionirten 

N 2 


Balz 


260 Die Gerechtigkeit Bottes. 


Belohnung des Guten ift, defto greöffer und vollfommener 
ift die belohnende Gerechtigkeit. Da nun alles in der 
Welt, feine Folgen und Würfungen, bat 9. 36. 318. fo 
haben auch), alle freye gute Handlungen der endlichen Geis 
ſter, unausbleiblicdy ihre natürlichen Würfungen, welche 
niche nur gut find, fondern aud) zufällig $. 134. und alfo 
eine Wohlthat Gottes $. 948. Folglich made fich ein 
ieder endlicher Geift, durch eine iedwede gute freye Hand« 
lung, einer görtlihen Wohlthat würdig, welcher er fonft 
nicht werth wäre. Da nun Gott feine Wohlthaten, nad) 
Berdienft und Würdigfeit, austheilt S. 952. fo belohnt 
er Die guten freyen Handlungen der endlichen Geifter, oder 
er gibt ihnen Wohlthaten, um ihres guten freyen Verhaltens 
willen $. 953. Er beſitzt alfo eine belohnende Gerechtig« 
feit, und zwar in einem unendlichen und in dem allervolls 
fommenften Grade $. 817. » Folglic) ı) belohnt Sort alle 
endliche Geifter, die in diefer Welt würflich find. Man 
fan mit Zuverfichet fagen, daß Fein endlicher Geift fo böfe 
feyn Fünne, daß er, die ganze Zeit feiner Dauer hindurch, 
gar Feine andere freye Handlungen als Sünden thun folte. 
Gott läft nichts Gutes, in den ärgften Sündern, unbe— 
lohnt. Wenn ein einziger endlicher Geift eine Belohnung 
verdient hätte, die er von Gott nicht befäme; fo erftreckte 
fich, die Guͤtigkeit und Gerechtigkeit Gottes, nicht über alle 
endliche Geifter, und wäre alfo eingefchrenft. Ja wenn 
aud) iemand behaupten wolte, daß es endliche Geiſter gabe, 
die gar Feine Belohnung verdienten: fo wollen wir uns jet 
darüber nicht ftreiten; fondern es ift bier genung, wenn 
wir behaupten, daß Gott alle endliche Geiſter befohne, die 
gutes thun, und zwar in fo ferne fie gutes thun, 2) Gott 
belohnt alle gute freye Handlungen, die gröften fo wol als 
auch die allerfleinften. Wenn Gore eine einzige gute Hands 
fung nicht belohnte, fo müßte er entweder nicht willen, dafs 
fie gefchehen wäre; oder fie müßte natürlicher Weife, Feine 
guten zufälligen Würfungen, bervorbringen; oder Gott 
müßte, diefe gute Würfungen, nicht als eine Wohlthat, 

um 








Die Gerechtigkeit Gottes. 261 


um dieſer Handlung willen, in der Welt würflih machen. 
Da nun alles diefes unmöglich ift, fo ift offenbar, daß von 
Gott alle freye gute Handlungen aller Menfchen, und aller 
andern vernünftigen Creaturen, belohnt werden, Dieſes 
ift eine vortrefliche Aufmunterung zum Guten, indem wir 
gewiß verfichere feyn Eönnen, daß wir nie umfonft Guts 
thun. 3) Die Belohnungen Gottes find allemal den Hand⸗ 
lungen, welche belohnt werden, aufs genauefte proportio« 
nirt, und die göttlichen Belohnungen find niemals Fleiner 
oder gröffer, als e8 die Handlungen verdienen. in ieder 
endlicher Geift befomt feinen befchiedenen, und ihm gebuͤh⸗ 
renden Theil. 4) Die Belohnungen Gottes ſind Wuͤr— 
kungen ſeines allervollkommenſten Willens, und er theilt 
ſeine Belohnungen, nach der allervollkommenſten Erkentniß 
der Wuͤrdigkeit der Perſonen, der Groͤſſe und Befchaffen« 
heit der Belohnungen, und ihrer Proportion mit den freyen 
guten Handlungen, aus. 
. 956. 

Aus dem Begriffe, der unendlichen belohnenden Ges 
rechtigkeit Gottes, Fan fehr leicht erwiefen werden, daß die 
natürlichen guten Würfungen der rechtmäßigen Handlungen 
vernünftiger Gefchöpfe, welche wir natürliche Belohnungen 
genent haben S. 954. in der That diefen Namen verdies 
nen. Man würde in der That fehr feichte denfen, wenn 
man geradezu fchlieffen wolte: weil alle vechtmäßige Hands 
lungen vernünftiger Gefhöpfe natürlicher Weife gute Fol— 
gen haben, fo ift mit ihnen aflen eine Belohnung verbuns 
den, Denn eine Belohnung findet nur flat, wenn ein gut— 
thätiges Wefen, mit einer rechtmäßigen Handlung einer 
andern Perfon, etwas Guts verbindet, um der Nechtmäfs 
figfeit ihrer Handlung millen. Folglich muß es aus diefer 
Rechtmäßigkeit einen Bewegungsgrund hernehmen, um 
diefes Gute mit der Handlung zu verbinden, und dadurch 
wird daffelbe erft eine Belohnung. Nun ift offenbar, daß, 
da alle zufällige Güter der Creaturen Wohlthaten Gottes 
find $. 948. auch) die zufälligen und natürlichen guten Fol— 

N 3 gen 


262 Die Gerechtigkeit Gottes. 


gen der rechtmäßigen Handlungen vernünftiger Gefchöpfe 
göttliche Wohlthaten find, zu deren Ertheilung Gott die 
Bewegungsgründe, aus allen übrigen Befchaffenheiten die— 
fer Geſchoͤpfe, folglih auch aus der Rechtmäßigkeit ihrer 
freyen Handlungen, bernimt $. 948. Folglich find, alle 
diefe guten Folgen der rechtmäßigen Handlungen vernünfti« 
ger Gefchöpfe, Belohnungen Gottes, und heiflen mit Recht 
natürliche Belohnungen, welche Gott zunächft durch feine 
belohnende Gerechtigkeit austheilt $. 955. Manche Gota 
tesgelehrte machen eine groffe Schwierigfeit zu fagen, daß 
unfere gute Werfe von Gott belohnt werden. Allein es iſt 
diefes ein bloffer Wortftreit, welcher leicht gehoben werden 
Fan. Erfilich ift unleugbar, daß, da die Gütigfeit Got« 
tes zugleich eine Gnade ift S. 949. und alle Wohlthaten 


und Belohnungen Gottes von feiner, Gütigfeit herrühren? _ | 


daß, fage id), alle Belohnungen Gottes ein Önadenlohn 
find. Zum andern, wenn, bey Gott einen Sohn verdienen, 
fo viel heift, als; Diejenigen rechtmäßigen Handlungen und 
guten Werke thun, die Gott aus Gnaden belohnt, und 
ohne denen Gott niemanden diefe Belohnungen ertheilt: fo 
müffen, alle vernünftige Creaturen, ihre Belohnungen bey 
Gore verdienen. Gott belohnt niemanden ohne Berdienft 
und Würdigfeit, fonft wäre feine Gütigfeit nicht proportio— 
nirt, und fie wäre alfo Feine Gerechtigkeit. Zum dritten, 
wenn ein verdienter Sohn ein Sohn ift, auf welchen derje— 
nige ein eigentliches Recht hat, der ihn empfängt, und den 


er alfo von dem andern mit Gewalt fodern und erpreffen | 


fan: fo it es höchft ungereimt zu fagen, daß eine Creatur 
einen Lohn bey Gott verdienen koͤnne. Kan eine Ereatur 
Gore mit Gewalt wozu zwingen ? Folglich iſt der göttliche 
Sohn Fein folcher Sohn, dergleichen wir etwa unfern Bedien= 
sen geben. Zum vierten verfteht man manchmal, durd) 
einen verdienten Sohn, einen ſolchen Lohn, deſſen Befchaf: 
fenheit und Gröffe verabredet, und durd) einen eigentlichen 
Vertrag oder Contract beftimt worden, z. E. der Sohn 
der Handwerksleute. Und auch nach diefer Erklärung ift 

es 

















Die Berechtigkeit Gottes. 263 


es unmöglich, daß eine Creatur bey Gott einen Sohn verdies 
nen koͤnne. 


$. 957. 

Die belohnende Gerechtigkeit Gottes macht uns Men⸗ 
fhen in unferer Erfentniß gar Feine Schwierigkeit, weil die 
Belohnung des Guten offenbar, mit der Gütigfeit des allers 
vollfommenften Dinges, beftehen fan, Allein wenn man 
behauptet, daß Gott auch Strafen austheile; fo entftehen 
daraus viele Widerſpruͤche in unferer Erkentniß, indem fich 
manche Gott entweder als einen harten, grimmigen und rach⸗ 
füchtigen Oberherrn vorftellen, oder auf die andere Aus— 
ſchweifung gerathen, und nicht einfehen fönnen, wie bie 
Strafgerechtigkeit mit der Güte Gottes beftehen Fonne. Wir 
wollen diefe Sache, nad) unferm beften Gewiſſen, aus ein« 
ander fegen, und nicht nur, aus feiner allervollfommenften 
Guͤtigkeit, zeigen, daß er alle Sünder zu ftrafen bereitiwile 
fig fey, fondern daß er aud) in der That alle würfliche Suͤn⸗ 
den in dieſer Welt ftrafe, Alle freye unrechtmaͤßige Handa 
fungen find Sünden, und ein Sünder ift derjenige, 
welcher fündiget, oder in welchem moralifche Uebel und Lins 
vollfommenheiten angetroffen werden. Wir wollen es der 
practifchen Weltweisheit überlaffen , dieſe Begriffe meitläufs 
tiger zu unterfuchen und aufzuflären, und mollen nur noch 
bemerken, daß ein Unſchuldiger derjenige genent wird, 
welcher eine gewiffe Sünde nicht begangen hat, oder in wels 
chem einige moralifche Uebel nicht angetroffen werden. Wer 
ganz unfchuldig ift, in dem iſt gar fein moraliſch Uebel. 
Allein es Fan iemand ein Sünder und ein Unfchuldiger zus 
glei) feyn in verfchiedener Abſicht, und da wird ein iedwe— 
der in Abficht aller derjenigen Sünden unfchuldig genent, 
die er weder begangen hat, noch begeht, und an denen er 
feinen moralifchen Antheil genommen, Nun fan ein Süns 
der fonft fehr viele und groffe Bollfommenbeiten befigen, 
und wenn man alfo alles in allen rechnet, fo fan ein Süns 
der vollfommener feyn, als mancher Unfchuldiger, Allein, 
wenn übrigens alles von beyden Seiten einander gleich iſt, 

R4 ſo 


264 Die Berechtigkeit Gottes. 


fo ift der Unſchuldige nothwendig vollfommener, als ber 
Sünder. Folglich liebe Gott, um feiner proportionirteften 
Guͤtigkeit willen, den Unfchuldigen ftärfer als den Sünder, 
und will ihm mehrere und geöffere Wohlthaten erweifen, als 
dem Sünder $. 948. Folglich) will Gott dem Sünder, | 
um feiner Sünden willen, einige Wohlthaten nicht zuflief- 
fen laffen, und er begehrt fie alfo nicht in Abficht des Suͤn— 
ders. Was Gott nicht begehrt, das verabfcheuet er, weil 
feine Gleichgültigfeit in ihm ftat finden Fan $. 923. Folg— 
lich verabfcheuet Gott einige Wohlthaten, nicht an fich be— 
trachtet, fondern in Abficht des Sünders, oder er verab« 
fheuet ihre Ertheilung, in fo ferne fie dem Sünder geſchieht. 
Was Gott verabfiheuet, deffen Gegentheil begehrt er.$. 662. 
Folglich will Gott, das Gegentheil einiger Wohlthaten, in 
Abfiche des Sünvers. Das Gegentheil diefer Wohlthaten 





muß ein zufälliges Uebel ſeyn, weil es fid) auf die Sünde 


und alfo auf eine freye Handlung bezieht. Folglich will 
Gott, daß in einem Sünder, um der Sünden willen, Aus 
fällige Uebel würflich werden. Da nun dergleichen Uebel 
Strafen find $. 953. fo will Gott die Sünden aller Suͤn— 
der ftrafen; oder Gottes Wille ift geneigt, alle Sünder um 
aller ihrer Sünden willen zu ftrafen, Doc Gott ift nicht 
nur geneigt zu ftrafen, fondern er ftraft auch wuͤrklich alle 
Sünden, welche in diefer Welt geſchehen. Denn diefe 
Sünden haben insgefamt ihre natürliche Würfungen $. 36. 
318, welche böfe find, weil aus einer böfen Duelle nur boͤſe 
Folgen entftehen fünnen $. 133. NMün Fan in der Welt, 
ohne Gottes freyen Willen, nichts würflich werden $. 934. 
Folglich will Gott, daß aus allen Sünden zufällige Uebel 
entfteben, und zwar will er diefes, weil er die Sünden als 
was böfes und unrechtmäßiges erfent, indem er feine Bea 
wegungsgründe, aus allen Bollfommenbeiten und Unvolle 
fommenheiten der Dinge, hernimt. Folglich find, diefe 
natürlichen böfen Wuͤrkungen aller Sünden in der Welt, 
natürliche Strafen, die unausbleiblich find, und von Gott 
berühren, Und folglich ftraft Gott wuͤrklich alle = 

5 



































Die Gerechtigkeit Bottes, 265 


Es würde ein fehr feichter Gedanfe feyn, wenn man fagen 
wolte: alle Sünden baben natürlicher weife böfe Folgen, 
und werden alfo natürlich geftraft $. 954. Denn eine 
folhe Folge fan nicht eher den Namen einer Strafe verdie« 
nen, bis man nicht erwiefen hat, daß ein vernünftig freyes 
Weſen vorhanden fey, welches, diefen Zufammenhang zwi— 
fehen diefen Folgen und den Sünden, auf eine freye Art 
wuͤrkt, und zwar deswegen, weil es den Bewegungsgrund 
dazu aus der Unrechtmäßigfeit der Sünde hernimt, und das 
ift es eben, was wir ießo von Gott erwiefen haben. Folg— 
lich gibe es natürliche Strafen allee Sünden, welche zus 
gleich göttlihe ‚Strafen find; oder es ift Feine natürlicye 
Strafe möglich), welche nicht zugleich) eine göttliche 
Strafe ift. | 

$. 958. 

Gott hat nicht nur die Bereitwilligkeit, alle Sünden 
aller Sünder zu ftrafen, fordern er ftraft auch wuͤrklich 
die Sünden aller Sünder in diefer Welt, und zwar deswe— 
gen, weil er auf eine proportionirte Art gütig ift $. 957. 
folglich weil er gereche if; denn die proportionirte Gütigs 
feit gegen Geifter ift Serechtigkeit $. 950. Gott beſitzt 
demnach eine ſolche Gerechtigkeit, vermöge welcher er ftraft, 
und folglich Ffomt ihm auch die Strafgerechtigkeit zu, 
und zwar im allerhöchften und vollfommenften Grade $. 952. 
817. Und diefer höchfte Grad der göttlichen Strafgeredhtig- 
feit begreift, folgende Stüde, in fih. 1) Gott ftraft alle 
Eünder ohne Ausnahme: denn ie mehr Sünder beftraft 
werden, defto gröffer ift die Strafgerechtigfeit. Kein Suͤn— 
der Fan, den göttlichen Strafen, entgehen, Und diefes 
folte billig bey allen Sündern einen ſchreckenden Eindruf - 
machen, indem ein iedweder verfichert feyn Fan, daß er 
unmöglich den göttlihen Strafen, auf eine der gefunden 
Vernunft befante Art, entgehen fan. 2) Gott ftraft alle 
Sünden aller Sünder ohne Ausnahme, von der gröften 
an, bis auf die allerfleinfte: denn ie mehrere Sünden die 
Strafgerechtigkeit beftraft, defto groͤſſer it fi. Es Fan 

R5 keine 


266 Die Berechtigte Gottes. 


Feine Sünde fo Flein in unfern Augen feyn, und fo heimlich 
gefhehen, welche nicht dem allwiffenden Gotte bekant ift, 
von feinem allerheiligften Willen verabſcheuet, und von feis 
ner Strafgerechtigfeit beftraft wird. Diefes beftätiget auch 
die Erfahrung und Vernunft dadurch, weil alle Sünder 
ihre unausbleiblichen natürlidyen Strafen haben, 3) Alle 
Strafen Gottes find denen Sünden aufs allergenauefte pro« 
portionirt, indem Feine gotsliche Strafe gröffer oder Eleiner 
ift, als der Sünder durch feine Sünde verdient hat. Gleich— 
wie es eine Thorheit und Befchimpfung Gottes ift, wenn 
man befürchtet, Gott werde jemanden härter ftrafen, als 
er e3 verdient; alfo ift es eben fo unvernünftig, wenn ein 
Sünder fid) damit fehmeicheln wolte, daß er eine gelindere 
Strafe von Gott empfangen werde, als feine Thaten werth 
find. 4) Die Strafen Gottes find Wuͤrkungen feines als 
lervollfommenften Willens, under theilt fie, vermöge fei« 
ner allervollfommenften Einſicht in die Strafbarfeit der 
Sünden und des Suͤnders, und in die Proportion der 
Strafen mit denfelben, aus. Kein finlicher Bewegungss 
grund, feine finliche Leidenfchaft, Feine fündliche Begierde 
reißt ihn zur Beftrafung der Sünder, Sondern er firaft, 
weil fein allerheiligfter Wille alle Sünden, auf die allervoll« 
kommenſte Urt, haßt, und verabfcheuet S. 434. und meil 
er, aus unendlicyer Güte gegen die Menfchen, und gegen 
andere endliche Geifter, über alle ihre Sünden auf eine ihm 
anftändige Art zornig ift $. 949. Man nent die Straf: 
aerechtigkeit Gottes auch die rächende Gerechtigkeit 


Gottes, und die Strafen Gottes werden auch eine Rache 


genent, und zwar alsdenn, wenn durd) fie der Schaden 
wieder erfegt und gut gemacht wird, welcher durch die Suͤn— 
ben, in andern Creaturen, und in dem Sünder felbft, vers 
urfacht worden, und wenn Gott z. E. einen Menfchen uns 
ter andern deswegen ftraft, meil er andere Menfchen beleis 
diget hat. Wenn man die Rache fo erklärt, fo enthält fie 
nichts, welches der Heiligkeit Gottes zumider wäre. 


$. 959. 


* 






































Die Gerechtigkeit Bottes. 267 


$. 959. ; 

Es haben einige die Strafgerechtigfeit Gottes geleug« 
net, wie unfer andern in den neuern Zeiten der befan« 
te Dippel getban hat. Mun geht es uns hier nichts an, 
zu unterfuchen, wie dieſer Irrthum, dem $ehrgebäude 
mancher Gottesgelehrten, widerfpricht. Sondern wir wols 
len bier nur einige Einwürfe wider die Strafgerechtigfeie 
Gottes beantworten, die uns Öelegenheit geben, diefe goͤtt— 
liche Bollfommenheit in ein noch gröfleres Licht zu ſetzen. 
Erftlich ſagt man: Gott fey die Liebe, und im allerhöchften 
Grade gütig. Nun Fönne, die Begierde zu frafen, mit 
der Liebe nicht beftehen, folglich Fönne Gott feine Strafges 
rechtigfeit haben. Allein aus unferer Betrachtung erhellet 


‚ gerade das Gegentheil, indem wir gezeigt haben, daß Gore 


nicht im hoͤchſten Grade gütig feyn Fönte, wenn er die Sün« 
der nie ſtrafte. Freylich machen es die Menfchen meh: 
rentheils fo, daß fie Diejenigen haſſen, welche fie ftrafen, 
und daß fie nicht eher ftrafen, bis fie über den andern zora« 
nig geworden. Go folte es aber nicht fenn. Eltern hans 
dein allemal unvernünftig, wenn fie ihre Kinder im Zorn 
ftrafen. Gott ftraft aus Haß gegen die Sünde, und aus 
Siebe zum Sünder, Folglich find, alle feine Strafen, 
wahre väterlihe Zuͤchtigungen. Zum andern fchlieft man 
fo: wer nicht beleidiget werden fan, der Fan auch niche 
firafen, nun fan Gott nicht beleidiget werden, alfo fan er 
auch) nicht ftrafen. Allein beyde VBorderfäge find falfch. 
Ein Oberherr ftraft mit Recht manche Verbrechen, wodurch 
er ſelbſt nicht beleidiget worden. Und wenn man zweifel, 
ob Gott durch die Sünden beleidiget werde, jo gefchiehe 
diefes blos, um der Zmwendeutigfeit des Worts beleidigen 
willen. Freylich Fan Gott nicht in dem Verſtande belei— 
Diget werden, als wenn, durch die Sünden der Creaturen, 
ihm ein innerliher Schaden zugefügt würde, oder ein Vers 
luft feiner innerlihen Bollfommenheiten: denn das ift 
fchlechterdings unmöglich, Allein in der Sittenlehre wird 
eriviefen, daß alle Sünden Berlegungen der Ehre Gottes 

find, 


268 Die Gerechtigkeit Gottes. 


find. Danun, die Ehre Gottes, eine feiner Aufferlichen 
Vollkommenheiten ift: fo wird durch alle Sünden diefe 
Vollkommenheit vermindert, und Gott alfo beleidiger. In 
der GSittenlehre wird, diefer Gedanke, viel deutlicher aus 
einander gefeßt, Zum dritten ſagt man: alle Strafen find 
ein Uebel. Da nun Gott alles Böfe verabfcheuer, fo Fan 
er unmoͤglich ftrafen wollen. Freylich begehrt Gott die 
Strafen nicht, in fo ferne fie was böfes find, er hat an den— 
felben fein Wohlgefallen, und er vergnügt ſich nicht darüber, 
daß er durch Strafen den Sündern wehe thut, Folglich 
ftraft er nicht auf eine rachgierige oder rachfüchtige Art, als 
wenn er fih, über die Unvollkommenheit der geftraften 
Sünder, freuen koͤnte. Nenn alfo Gott ftraft, fo Fan 
man fagen, er thue e8 mit Widermwillen und ungerne. Allein, 
mie ‚läft es fich nun begreifen, daß Gott demohnerachtet 
ftrafe ? Diefe Sache verdient eine genauere Unterfuchung, 
$. 960. 

Alle göttlihe Strafen aller Sünden in diefer Welt 
find Begebenheiten, weldye in der Welt würflic) find, und 
fie müffen alfo als einzelne durchgängig beftimte Dinge, die 
endlich find, beurtheilet werden, und fie find alfo gut und 
böfe zugleih $. 141. 199. 250. 306. Folglich Fan man, 
alle Begebenheiten in der Welt, mithin aud) alle Sünden 
und Strafen derfelben, auf eine dreyfache Art betrachten, 
Einmal, in fo ferne fie gut find, es mag nun diefe Güte 
in den nothmwendigen, oder phnfifchen, oder moralifchen 
Vollkommenheiten beftehen, oder in allen dreyen zugleich ; 
furz in fo ferne fie, etwas reelles, find. Der Inbegrif aller 
Healitäten einer ‘Begebenheit der Welt, und folglid) auch 
einer Sünde und Strafe derfelben, wird das entfernte 
Materiale einer Begebenheit, und infonderheit einer fols 
chen, welche böfe iſt, genent. Weil es ſchlechterdings un« 
möglich ift, daß eine böfe Begebenheit durch und durch böfe 
feyn Eonte $. 131. fo haben, alle böfe Begebenheiten in der 
Welt, alle Sinden und Strafen, ein ſolches Materiale; 
und wenn man fie, in diefer Abficht, materialiter — 

0 























Die Gerechtigkeit Gottes. 269 


fo fondert man in Gedanken alles böfe und unvollfommene 
von ihnen ab, und man Fan ſich diefelben alsdenn nicht an« 
ders, als was Guts, vorftellen. Zum andern, in fo ferne 
fie böfe find, man mag nun dahin ihre nothiwendigen, oder 
pbnfifhen, oder moralifchen Unvollfommenbeiten rechnen, 
oder alle dreye zugleich; Furz in fo ferne fie, etwas verneis 
nendes, find. Der Inbegrif aller Berneinungen einer 
Degebenheit der Welt, und folglich auch einer Sünde und 
Strafe, wird das Formale einer Begebenbeit, und infon« 
derheit einer foldyen, die böfe ift, genent. Alle böfe Be— 
gebenheiten, alle Sünden und Strafen, haben diefes Fors 
male, weil fie fonft gar nichts böfes wären; und wenn man 
fie formaliter betrachtet, jo fondert man in Gedanfen, alle 
ihre Realitäten, von ihren DBerneinungen ab, und betrad)« 
tet die legten allein, folglich find fie in dieſer Abſicht was 
boͤſes und nichts gutes. Drittens kan man auch, in allen 
Begebenheiten der Welt, ihre durchgaͤngige Beſtimmung 
betrachten, und die nennen die Gelehrten das naͤchſte 
Materiale der Begebenheit, welches demnach alle Boll: 
kommenheiten und Unvollkommenheiten derſelben ohne Aus» 
nahme in ſich begreift, und alſo zugleich das entfernte Mas 
teriale und Formale, Mithin find in diefer Betrachtung 
alle ‘Begebenheiten, alle Sünden und Strafen, gut und 
böfe zugleih. Folglich ift es überflüßig, diefe Begeben« 
beiten anders zu beurtheilen, als in den beyden erften Abs 
fihten. Da nun Gott alles Gute liebt und will, wo er es 
findet, und alles Böfe haft und verabfcheuet, es mag aud) 
angetroffen werden, wo es will $. 934. fo liebt Gott alle 
Begebenheiten ver Welt, alle Sünden und Strafen, wenn 
fie materialiter genommen werden; er haft und verabfcheuer 
fie aber, wenn fie formaliter betrachtet werden, oder in fo 
ferne fie was böfes find. Folglich will Gott, durch feine 
Strafgerechtigfeit , niemals das Formale der Strafen, 
Die Strafen, in fo ferne fie was böfes find, mißfallen 
Gott, und er verabfcheuer fi, Allein, weil fie zugleich 
was guts find, indem es, der vollfommenften Proportion 

der 


270 Die Gerechtigkeit Gottes; 


der göftlihen Wohlthaten mit der Würdigfeit der Perfonen, 
zuwider wäre, wenn auch nur eine einzige Sünde nicht ge= 
firaft würde 6. 957. indem die ganze Ordnung der 
Natur aufgehoben werden müßte, wenn eine Sünde nicht 
natürlich geftraft würde S. 954. indem durch die Strafe, 
der Sünder oder andere an feinem Beyſpiele, gebeflere 
werden, und die Wiederholung der Sünde verhütet wird ; 
indem der Schade, den die Sünde verurfacht, vergütet 
wird, und indem fonft viele gute Würfungen, aus der Be— 
ftrafung der Sünden, entftehen koͤnnen, nachdem die be« 
fondern Umftände derfelben es mit ſich bringen: fo ift eg, 
der Heiligkeit und Güte des göttlichen Willens, vollkom— 
men gemäß, daß er um diefer Urfachen willen, die Stra« 
fen dee Sünden, begehrt. Es ift ja ohnedem unmöglich, 
daß Gott irgends etwas auffer fi) begehren folte, was 
ganz gut wäre. Folglich Fan ort nur etwas auffer ſich 
rollen, weil es mehr gut als bofe iſt; und wenn wir, die 
Zulaffung des Böfen in der Welt, werden unterfucd)t has 
ben; fo werden wir überzeugt werden, daß alle göttliche 
Strafen Begebenheiten find, welche mehr guf als böfe find, 
und ohne welchen diefe Welt nicht die befte feyn Fönte, Aus 
dem Anfange diefes Abfages laͤſt fich zunleich beurtheilen, 


was man von einer gewöhnlichen Eintheilung der Beloh⸗ 


nungen und Strafen, in bejahende oder pofitive und in 
verneinende, zu halten habe. Durch eine bejahende Be— 
lohnung verftehe man die Ertheilung eines Guts, melches 
die Perfon noch nicht gehabt hat, die belohnt wird; und 
durch eine verneinende, die Befreyung von einem Uebel, 
welches die Perfon gehabt haf, oder welches ihr bevorfteht; 
z. E. wenn ein $andesherr einem Unterthan ein Geſchenk 
im Gelde gibt, fo ift es eine pofitive Belohnung, und wenn 
er ihn von einem befchmwerlichen Dienfte befreyet, fo ift Dies 
fes eine verneinende Belohnung. Kine verneinende Strafe 
wird genent, wenn man einer Perfon etwas Guts zur 
Strafe entzieht, z. E. wenn iemand von einem Amte blos 
abgefegt wird; und eine bejabende Strafe ift, wenn man 

ieman⸗ 


ns man nn a ns 











Die Gerechtigkeit Gottes. ayı 


jemanden zur Strafe ein Uebel zufügt, welches er noch nicht 
gehabt hat, z. E. Gefängnig. Wenn man von diefen 
Saden nicht nach der gröften philoſophiſchen Strenge hans 
delt, fo Fönnen diefe Eintheilungen flat finden. Allein, 
wenn man diefe Sache recht genau unterſucht, fo Fan Feine 
Belohnung, in fo ferne fie eine Belohnung feyn foll, etwas 
verneinendes fenn, denn fie ift etwas Guts und Reelles; 
und Feine Strafe formaliter betrachtet Fan etwas Pofitives 
und Reelles feyn, denn fie ift etwas Boͤſes und Bernei- 
nendes. 
8§. 961. 

Bey der Gerechtigfeit Gottes ift, noch) eine wichtige 
Stage, auszumachen: ob es nemlih, auch willführliche 
Strafen und Belohnungen Gottes, gebe? Wir müffen dies 
fe Frage bier blos als Weltweife beantworten, und es den 
Gottesgelehrten zu entfcheiden überlaffen, ob aus der heilis 
gen Schrift erwiefen werden koͤnne, Daß es dergleichen Stra= 
fen und Belohnungen Gottes gebe? So viel ift gewiß, daß, 
wenn Gott willführlid belohnt, er dieſes durd) feine beloh— 
nende Gerechtigkeit thue; und wenn er willführlich ftraft, 
er diefes durch feine Strafgerechtigkeit thue S. 955. 958. 
Es komt alfo bier lediglich, auf. die Frage, an: ob aus der 
bloflen Vernunft, entweder aus der Erfahrung oder a prio- 
re, erwiefen werden koͤnne, daß twürflich in diefer Welt, 
willführliche Belohnungen und Strafen Gottes, vorhans 
den find ? Und da müffen wir folgendes bemerfen, ı) Wenn 
man, durch willführliche Belohnungen und Strafen Got— 
tes, ſolche verfteht, Die von feinem freyen Willen herruͤh— 
ren; fo ift es unumftöslid) gewiß, daß, alle natürlichen 
Belohnungen und Strafen, zugleich witlführliche göttliche 
- Belohnungen und Strafen find. Denn die Würflichkeit 
der ganzen Welt, der Naturen der Dinge, und ihrer man— 
nigfaltigen Ordnungen, rührt von dem freyen Willen Got— 
tes ber. Folglich erfolgen, alle natürliche Belohnungen 
und Strafen, nad; dem Willen Gottes, und wenn Gott 
nicht gewole hätte, fo würden fie nicht erfolgen 6. 954. 

Wenn 


272 Die Gerechtigkeit Gottes, 


Menn alfo ein Weltweiſer ‚ die willkuͤhrlichen Belohnun« | 


gen und Strafen Gottes, nad) diefer Erklärung leugnen 
wolte, fo würde er gröblic) irren. 2) Es ift unleugbar, 


daß die Menfchen einander dergeftalt willführlich belohnen - 
und firafen, daß diefe Belohnungen und Strafen nicht durch _ 


+ die Natur derjenigen, die fie empfangen, und durch die 
Natur ihrer freyen Handlungen, als durch wuͤrkende Urfa« 
chen, geroürfe werden. Nun Fan nichts in der Welt, ohne 
dem freyen Willen Gottes, würflid) werden. Folglich 
find, alle willkuͤhrlichen menſchlichen Belohnungen und 
Strafen, zugleich göttliche willführliche Belohnungen und 
Strafen im ftrengften Berftande $. 954. In ſo weit dies 
fe menfhlichen Belohnungen und Strafen gerecht find, in 
fo weit biltiget fie Gott, und in fo weit find fie offenbar fei« 
ner höchften Gerechtigkeit gemäß. _ Daher wird in der heis 
ligen Schrift, alle vechtmäßige Obrigkeit, als die Stathale 
terin Gottes vorgeftell. In ſo weit aber diefelben unge: 
recht und unvernünftig find, in fo weit läft fie Gott zu, wie 
aus dem Folgenden erhellen wird, und er thut Diefes frey« 
lich aus Urfahen, die uns überhaupt unausforfchlich find, 
und die uns in befondern Fällen, wenigftens in dieſem $eben, 
ganz unbefant bleiben. 3) Eben fo unleugbar ift es, daß 
alle übernatürliche Belohnungen und Strafen, und diejenie 
gen, welche durch ein Wunderwerk wuͤrklich gemacht, und 
mit manchen freyen Handlungen der endlichen Geifter vers 
Enüpft werden, willführliche Strafen und Belohnungen 
Gottes find. Denn da fie unmöglich), von der Natur der 
endlichen Geifter ſelbſt, berrübren koͤnnen, fondern ledig« 
lich von Gott und feinem freyen Willen abftammen $. 864, 
939. fo find es göttliche willkuͤhrliche Belohnungen und 
Strafen $: 954. Allein das ift eine andere Frage: ob ein 


Weltweifer, aus der bloffen Vernunft, von der Würflic 


keit diefer willführlichen Belohnungen und Strafen Gottes, 
überzeugt feyn Fonne? Und das muß man verneinen, denn 
aus der bloffen Vernunft laͤſt ſich nichts weiter erweifen, als 
die innerliche Möglichkeit folcher Strafen und u, 

ot⸗ 











Die Gerechtigkeir Gottes. 273 


Gottes $. 415. und ihre hypothetiſche Möglichkeit, in Ab— 
fiht auf die Allmacht Gottes $. 883. Folglich fodert man 
von einem Weltweifen mit Unrecht, daß er die Wärflich- 
keit Diefer wilführlichen Strafen und Belohnungen Gottes 
behaupte, ob er gleich unrecht handeln würde, wenn er fie 
fehledjterdings leugnete. Ja wenn aud) iemand ein Natus 
valift ſeyn, und die Würflichfeit der übernatürlichen Stra« 
fen und Belohnungen leugnen wolte; fo würde er zwar its 
ren, allein man würde ihn nicht befchuldigen Fünnen, daß 
er alle willfrbrlihe Belohnungen und Strafen Gottes 
leugne. Denn es gibt willführliche Strafen und Beloh— 
nungen Gottes, die nicht übernatürlicd) find, mie aus den 
beyden verhergehenden Betrachtungen diefes Abfages erhel⸗ 
let. Und mod) viel weniger Fan iemand der Naturalifterey 
befchuidiget werden, wenn er diefe oder jene göttliche Bes 
fohnung und Strafe, die in der heiligen Schrift dafür aus— 
gegeben wird, nicht blog deswegen für übernatürlich hält, 
weil fie in der übernatärlihen Offenbarung Gottes verbeife 
fen und angedrohet worden if. 4) Nun Fan man noch 
fragen: ob es ſolche willführliche Delohnungen und Strafen 
Gottes gebe, welche nicht natürlich, auch nicht menfchlich, 
und aud) nicht übernatürlich find ? Und hieher gehört die bu 
rühmte Unterfuchung, ob die Gluͤcks- und Unglücksfälle in 
der Welt, Strafen und Belohnungen Gottes, find? Nem— 
lich durch das Glück verfteht man, den Zufammenfluß 
der Urfachen in der Belt auffer den vernünftigen Creaturen, 
wodurch) in diefen ſolche Bollfommenbeiten oder Unvollkom— 
menheiten gewürft werden, die nicht moralifch find, Wer— 
den Vollfommenbeiten dadurch gewürft, fo heilt es das 
' gute Glück, werden aber dadurch Unvollkommenheiten 
gewuͤrkt, fo heift es Ungluͤck. Die Würfungen des Aus 
| ten Glüds find glückliche, und des Ungluͤcks ungluͤck⸗ 
liche Zufaͤlle, oder Begebenheiten. Aus dieſer kurzen 
Erklaͤrung iſt klar, daß, wenn die gluͤcklichen Zufaͤlle Be— 
lohnungen, und die ungluͤcklichen Strafen find; fie dennoch 
keine natürlichen Würfungen der freyen Handlungen Der 
4 Theil, S Crea⸗ 


274 . Die Gerechtigkeit Gottes. 


Ereaturen find, und es koͤnnen alfo Feine natürlichen Stra» 
fen und Belohnungen feyn. Eben fo wenig find fe über« 
natürliche und menfchliche Strafen und Belohnungen 
$. 954. Da fie aber von dem freyen Willen Gottes, wie 
alle Begebenheiten in der Welt, abhangen: fo müßte fie 
Gott willkuͤhrlich, mit dem freyen Verhalten der endlichen 
Geifter, verknüpfen, und es wären alfo allerdings willführ« 
liche Strafen und Belohnungen Gottes. ch habe diefe 
wichtige Materie, in meinen Bedanken vom Glück und 
Unglück, meitläuftig abgehandelt, und ic) will alfo hier 
fein Wort mehr, von derfelben fagen. 
$. 962, | 

Wenn die Gerechtigkeit ihre höchfte Vollkemmenheit 
erreichen foll, fo muß fie mit Langmuth, mi Unpartheys 
lichkeit, und mit Billigkeit verbunden feyn. Die göttliche 
Gerechtigkeit ift, mit allen diefen Bollfommenbeiien, im 
hoͤchſten Grade ausgeziert., Was die erfte berrift, die 
Langmuth, fo wird fie aud) die Geduld des Richters ges 
nent, wenn man fagt, er trage Geduld mit einem Suͤnder. 
Und ſie beſteht in der Gerechtigkeit, in fo ferne ſie die Stra- 
fen nur alsdenn ergehen laͤſt, wenn ſich die beſte Gelegen- 





eit zu ſtrafen ereignet. Z. E. eine Strafe bringet oftenur 
g g 


alsdenn die gehörige Wuͤrkung hervor, wenn fie zu rechter 
gelegener Zeit, und an den gehörigen Orten, verhängt und 
vollzogen wird. Wir fehen Daher aus der Erfahrung, Daß 
manche Eltern ihre Kinder ofte flrafen; allein weil fiees 
niemals bey der beiten Gelegenheit thun, fo werden ihre 
Kinder dadurd) fo wenig gebeffert, daß diefelben dadurch 
nur noch verftockter gemacht werden. Man macht fid) von 
der Langmuth manchmal den falfchen Begrif, als wenn fie 
allemal die Strafe auffchieben müßte. Allein die Erfah— 
rung lehrt, daß es manchmal die befte Zeit zu ftrafen iſt, 
wenn bie Strafe ohne Verzögerung auf die Sünde folgt, 
manchmal aber ift es beſſer, wenn man fie auffchiebt. Ein 
Maenſch, welcher im Zorne und in der erften Hiße deffelben 
flraft, Fan nicht langmuͤthig feyn, weil es ihm alsdenn un- 

moͤg · 














Die Gerechtigkeit Gottes. 27 


möglich fält, alle Umftände recht zu überlegen. Da es nun 
offenbar ift, daß eine Strafe, welche zu der gelegenften 
Zeit, und überhaupt ben der beften Gelegenheit, dem Suͤn— 
der zugefügt wird, befler ift, als eine Strafe, welche zu 
ungelegener Zeit, und in fehledhten Umftänden wuͤrklich ge⸗ 
macht wird, indem jene nothwendig mehr Nutzen ſchaft als 
dieſe: ſo iſt es ein Fehler der Strafgerechtigkeit, wenn ſie 
nicht langmuͤthig iſt. Gott weis, vermoͤge feiner Allwiſ⸗ 
ſenheit, die allerbeſten Gelegenheiten aller ſeiner Strafen, 
aufs lebendigſte $. 921. er begehrt fie aufs proportionirs 
teſte $. 932. und er ift alfo im hoͤchſten Grade langmuͤthig. 
Die Gerechtigkeit ift eine, durch Weisheit gemäßigte, Guͤ— 
tigkeit. Wenn alfo Gott ftraft, fo firaft er aus Güte, und 
feine Strafen find die beften Mittel, die Sünden und ihre 
Folgen aufs möglichfte zu hindern, Nun koͤnten fie niche 
die beten Mittel zu diefem Zwecke feyn, wenn fie nicht der 
Zeit, dem Orte und allen übrigen Umftänden, im hoͤchſten 
Grade gemäß wären. Wer nicht langmüthig ift, der 
überlegt nicht Flüglich alle Umftände und Gelegenheiten der 
Strafen. Da nun Gott niemals unweife handeln fan, fo 
ift aud) feine Sangmuth unendlich, Unterdeſſen muß es 
allemal feiner hoͤchſten Weisheit lediglich anheim geſtelt 
werden, wie geſchwind oder langſam er ſtrafen will, indem 
kein menſchlicher Verſtand daſſelbe beurtheilen kan. Man— 
cher Dieb wird gleich bey dem erſten Diebſtale ertapt, und 
empfaͤngt ſeine Strafe fuͤr dieſe beſondere Suͤnde. Man— 
cher empfängt fie erſt nad) unzaͤhligen Diebftälen, und 
mancher wird in diefem geben gar nicht unter den Menichen, 
feiner Dieberey wegen, geftraft, Wer Fan hier, die Wege 
Gottes, erforſchen? Genung, wir wiffen überhaupt, daß 
Gott allemal bey der beften Gelegenheit ftrafe, und das 
muß uns zu unferer Beruhigung genung feyn. Es haben 
mand)e angenommen: daß Hort die Sangfamfeit der Stra: 
fen, durd) die Groͤſſe derfelben, erfeße, oder daß er um fo 
viel härter ſtraſe, ie länger er Die Strafe auffchicht, Allein 
es Fan diefes, einen abſcheulichen Verſtand, haben, Wurde 

62 nicht 


276 Die Gerechtigkeit Gottes. 


nicht ein ieder Sünder es mit Recht lieber fehen, daß er ge- 
ſchwind mit einer Fleinern Strafe durchfomme, als daß er 
lange warten müffe, um defto härter geftraft zu werden ? 
Allein, fo viel fan man mit Recht behaupten, daß Gott 
nach feiner Weisheit mand)e befondere Strafen auffchiebe, 
weil er vorherfiehe, daß der Sünder in der Sünde unter 
deffen fortfahren, feine Schuld haufen, und alsdenn eine 
geöffere Strafe verdienen werde. Und da fan ein Fall 
möglid) feyn, in welchen es güfiger ift, wenn viele Suͤn— 
den auf einmal proportionirt geftraft werden. Doc) iſt es 
allemal beſſer, wenn ein Menſch ſich beſcheidet, in die 
Maaßregeln der goͤttlichen Strafgerechtigkeit gar nicht ein— 
dringen zu wollen, die er bey der Beſtrafung der Suͤnden 
in beſondern Fällen beobadıtet. 
S. 963. 

Da die Unpartheylichkeit, das Gegentheil von der 
Partheylichkeit iftz fo Fonnen wir uns von jener am leich« 
teften einen richtigen Begrif machen, wenn wir diefe vor 
ber erklären. Nemlich die Parcheplichkeit befteht in 
der Neigung, oder Fertigkeit, aus finlichen Bewegungs» 
gründen ‚, die noch dazu falfch find, etwas zu entfcheiden, 
oder ein Endurtheil darüber zu fallen, Wenn die Frage 
it, ob etwas wahr oder falſch ‚ gut oder boͤſe, recht oder 
unrecht fen, Furz, fo ofte wir urtheilen follen, welches unter 
zwey einander widerfprechenden Urtheilen wahr fen; fo follen 
wir diefe Frage entfcheiden, - Wenn wir uns nun entfchliefe 
fen, unfere Entfcheidung zu geben, und zwar durch folche 
Bewegungsgruͤnde, welche nicht die richtigen Entſcheidungs— 
gründe find, und noch dazu aus unfern finlichen $eidenfchaf: 
ten, Neigungen u, f. w. bergenommen find; fo urtheilen 
wir partheyifch oder nach Parthenlichkeit. 2. E. wenn 
ein Runftrichter ein Buch lobt, weil fein vornehmer Göns 
ner daſſelbe geſchrieben hat, ſo lobt er daſſelbe parthenifch : 
denn ein Buch ift deswegen nicht gut, weil es ein vorneh- 
mer Mann gefehrieben, und der Kunſtrichter wird ohne 
Zweifel durch Schmeicheley zu einem ſolchen Urtheile vers 

leitet. 





Die Gerechtigkeit Bottes, 277 


feitet, Eben fo ift es eine Partheylichkeit, wenn ein Rich 
ter einer Parthey recht gibt, weil er mit ihr berwand ift, 
weil fie mächtig ift, weil er Gefchenfe von ihr befommen 
bat u. ſ. w. Das ift Eeine Partheylichkeit zu nennen, 
wenn man überhaupt etwas nad) falfchen Gründen entfcheis 
det, 3. E. wenn ein Richter einem Gefege einen irrigen 
Verſtand zufchreibt, und vermöge defjelben einen Rechts⸗ 
handel unrichtig entfcheidet. a ein partheyifches Urtheil 
ift nicht allemal falſch, weil ein Schuß, welcher falfche 
Borderfäge hat, einen wahren Schlußfaß haben Fan. Ein 
Buch, welches partheyifdy gelobt wird, Fan in der That 
gut feyn. Die Unpartheylichkeit befteht alfo in der Ab- 
neigung, eine Sache nad) falfchen finlichen Bewegungs« 
gründen zu entfcheiden. Kin Richter ift unpartheyiſch, 
wenn er die Nechtshändel nach folchen Gründen entfcheider, 
welche überhaupt die rechten Entſcheidungsgruͤnde find, 3. E. 
nach den Gefegen, und wenn er dabey weder feinen finli» 
chen Seidenfchaften, noch andern finlidhen Neigungen Gehör 
gibt, und folte er auch gleid) irren. Kin unpartheyifches 
VUrtheil Fan ebenfals falfch feyn. ben fo urtheilt ein Kunſt⸗ 
richter unpartheyifch von einem gelehrten Buche, wenn er 
es nach den Kegeln der Vernunftlehre beurtheilt, denn das 
find. die rechten Beurtheilungsgründe folher Schriften. 
Nun find in Gott eben fo wenig finliche Bewegungsgründe, 
als falfche Vorftellungen möglid) $. 893. 899. Folglich) 
ift es fchlechterdings unmöglich, daß er partheyifch feyn 
koͤnte. Und da fein allerheiligfter Wille, alle Unvollfom« 
menbeiten, unendlidy verabfcheuet $. 944. fo verabfcheuer 
ev unendlich, alle Entfcheidungen nad) falfchen finlichen Be— 
wegungsgründen, und er ift alfo im hoͤchſten Grade unpars 
theyiſch. Folglich beweift er auch allemal, in ber Verwal— 
tung ſeiner allerhoͤchſten Gerechtigkeit, die allervollfommens 
fte Unpartheylichkeit. Er theilt, alle feine Belohnungen 
und Strafen, nad) dem wahren Verdienfte der Perfonen 
aus, fie mögen jung oder alt, vornehm oder gering, Chris 
jten oder Heyden feyn u. f. m. Und das druckt die heilige 

S3 Schrift 


278 Die Gerechtigkeit Gottes. 
Schrift fo aus; bey Gott ift Fein Anfehen der Perfon, fon 


dern unter allerley Bol, wer ihn fürchtet und recht thut, 


der ift ihn angenehm. Kin menfchlicher Richter mag 
noch fo unpartheyifdy fern, er ift nur gar zu ofte, den 
Schwachheiten der menfchlichen Natur, auf feinem Rich— 
terftule unterworfen. Er fürchtet fich, dem vornehmen, 
mächtigen und ihm fonft angenehmen Verbrecher , unrecht 
zu fprechen. Und der arme, unangefehene, geringe 
muß es fich gefallen laffen, daß er fein Recht verliehrt. 
Kein Menfch Hat diefes bey Gott zu befürchten, indem er 
gewiß feyn fan, daß fein Umftand den Richterfpruch Got— 
tes über ihn beftimt, welcher feiner Natur nach) gar feinen 
Einfluß, in die Rechtmäßigkeit und Unrechtmäßigfeit feis 
nes Berhaltens, haben fan. 
$. 964. 

Das Wort Billigkeit bat, in den practifhen Wiſ— 
fenfchaften,, verfchiedene Bedeutungen befommen. Man 
fagt 5. E. daß derjenige Menſch billig mit iemanden ver. 
fahre, melcher ein Verhalten unterläft, welches er zwar 
nach den Regeln des firengften Rechts vornehmen Fünte, 
welches aber den innerlichen Pflichten der Menfchenliebe 
und Großmuth zumider ift. Allein mir veden hier von ver 
Billigkeit eines Nichters, und welche ſich in der Berwals 
tung der Gerechtigkeit gefchäftig erweift, und da verfteht 
man dur die Billigkeit eine unpartheyiſche Gerechtig— 
keit, oder die Gerechtigkeit, in fo ferne fie unpartheyiſch ift. 
Wenn iemand den Lohn, melchen er austheilt, nad) der 


Wuͤrdigkeit der Berdienfte einrichtee, und nicht nach dent 


Anfehen der Perfon; folglich wenn feine Belohnungen nad) 
den Kegeln einer fehenden, vernünftigen und vollfommenen 
Guͤtigkeit beftimt und ausgetheilt werden, fo find fie ein 
billiger Sohn. Eben fo ift eine Strafe billig, wenn fie 
der Sünder wohl verdient hat, und wenn fie ohne Anfehn 
der Perfon, um des Werths der Sünde willen, folglich 
nach den Negeln der Guͤtigkeit, felbft gegen den Sünder, er⸗ 
theile wird, Alsdenn fagt man: man erfenne, n is 


I 





Die Wahrhaftigkeit Bottes; 279 


Richter recht und billig handele, wenn man gewahr wird, 
daß er, nach den aͤchten und wahren Beftimmungsgrün. 
den der Gerechtigkeit, belohne und ſtrafe. Nun ift Gore 
nicht nur im allerhoͤchſten Grade gerecht 9. 952. fondern 
auch unpartheyiich $. 963. Folglic) ift er auch), im ale 
lerhöchiten und vollfommenften Grade, billig. Es Fan 
freylich ung Menfchen ofte fcheinen , daß Gott zu hart oder 
zu gelinde ftrafe, daß er zu viel oder zu wenig belohne, ‚weil 
uns der göttliche Wille unerforfchlic ift $. 958. In ſol⸗ 
chen Falten fan man freylich, die Billigfeit der göttlichen 
Strafen und Belohnungen, nicht einfehen. So bald uns 
aber manchmal, bey dem Ausgange einer Begebenheit, die 
Augen aufgehen, und fo bald wir die Unpartheylichkeit Got⸗ 
tes in ſolchen Fällen gemahr werden: fo bald fehen wir 
auch, mie billig das Berhalten Gottes fen. Und es ift zu 
hoffen, daß wir erft in der Ewigkeit, die Billigkeit der 
Berwaltung der Gerechtigkeit Gottes in diefem Leben, techt 
eikennen werden, 


Die Wahrhafigkeit Gottes. 
. 065. 

| Man fagt: Gott koͤnne nicht befrügen, und er Fünne 
auch nicht betrogen werben, Das legte ift, vermöge feis 
ner Untrüglichfeit, nothiwendig; indem eg fchlechterdings 
unmöglich ift, daß irgends auf eine Art ein Irrthum, in 
feinem Berftaude, wirflich gemacht werden Eonne S. 899» 
Wenn man aber fagt, Gott koͤnne nicht betrügen: fo komt 
hier alles, auf den wahren Begrif der Aufrichtigfeit und 
Wahrhaftigkeit, an. Gemeiniglic) macht man fi), von 
der Aufrichtigfeit und Wahrhaftigkeit, einen fo unbeftimten 
Begrif, daß vermöge deſſelben diefe Wörter, bald eine Tus 
gend, bald ein Safter, bedeuten, Denn wenn man fagt, 
daß fie Fertigkeiten find, alsdenn, wenn man durd) Zei⸗ 
chen in iemanden eine Erfentniß bervorbringt, die Wahrs 
beit an den Tag zu legen: fo müßte folgen, daß es allemal 
ein Mangel der Aufrichtigkeit fey, wenn man iemanden die 
84 Wahr 


280 . Die Wahrhaftigkeit Gottes. 


Wahrheit nicht ſagt, oder ihn wol gar in einen Irrthum 
ſtuͤrzt. Folglich müßte es der Aufrichtigkeie gemäß feyn, 
alles auszuplaudern, was man weis, und wenn aud) nod) 
fo viel Unheil daraus entftehen folte. ine elende Aufrich- 
tigkeit! Ein ieder vernünftiger Menfch wird wünfchen, daß 
feine Freunde niemals, auf eine fo dumme und lieblofe Art, 
aufrichtig mit ihm umgehen mögen. Es befteht demnach, 
die wahre Aufrichtigkfeit, in einer Neigung oder Fertige 
keit alsdenn, wenn durdy Zeichen eine Erfentniß in dem 
andern hervorgebracht werden foll, auf eine gütige Art da- 
bey zu verfahren. Der Aufrichtige ift gegen den andern 
gütig, und will fein Beftes befördern. Wenn er ihm nun 


feine Meinung, und feinen Willen, durch äufferliche Zeis 
Gen eutderfen will, oder wenn er überhaupt in ihm eine 


Erfeneniß, vermittelit gewiſſer Zeichen, bervorbringen will: 
fo thut ers, in fo weit e8 das Befte des andern erfodert. 
Sieht er, daß es das wahre Beſte des andern erfodere, daß 
er Die Wahrheit erfenne: fo entdeckt er ihm die Wahrheit. 
Gicht er aber, daß es das wahre Beſte des andern erfo- 
dere, daß er in Unwiſſenheit und Irrthuͤmer, als in Elei» 
nere Uebel, geftürzt, und in denfelben erhalten werden 
muͤſſe, um gröfiere Unvollfommenbeiten zu verhuͤten; fo iſt 
08 der achten Aufrichtigkeit gemäß, diefe Unwiſſenheit und 


Serehümer in dem andern zu veranlaffen und zu dulden, 


Folglich handelt derjenige nicht gleich betrüglich, welcher 
dem andern einen Irrthum beybringt, oder ihn in demfel« 
ben unterhält. Sondern derjenige ift falfch und betrüglich, 
melcher, zum Machtbeil des Beſten des andern, dieſes 
thut. Die wahre Aufrichtigfeit ift allemal, mit wahrer 
Weisheit, verbunden; welche, die vollkommenſten Mittel 
des Beſten des andern, genau überlegt und gebraucht, 
9. 966. 

Die ganze Welt, und alles was in derfelben würf: 
lich iſt und geſchieht, ift eine Würfung des freyen Willens 
Gottes, und feines nad)folgenden und befchlieflenden Wil 
lens $, 939, 941, 937. folglich) aud) eine Wirkung Pin 

voll⸗ 





| 


Die Wahrhaftigkeit Gottes. 291 


vollfommenften Erfentniß, Weisheit, Heiligkeit , Guͤtig— 
keit und Gerechtigkeit $. 943-964. 932. Nun iſt, eine 
iedwede Würfung, ein Zeichen ihrer würflichen Urfachen 
$. 274. Es hat demnach Gott, feine Erkentniß und ale 
lervollkommenſte Willensmeinung, durch alles, was in der 
Welt wuͤrklich ift, bezeichnet. Und da er vernünftige Ereas 
turen in diefe Welt gefeßt hat, weiche aus diefen Zeichen 
ihre Bedeutungen erkennen; und da fo wol diefe Zeichen, 
als aud) ihre Erfentniß und Auslegung, welche in den vers 
nünftigen Creaturen würflich ift, eine Wuͤrkung des freyen 
Millens Gottes ift: fo würft er in diefen Creaturen durch 
Zeichen die Erfentniß von fich felbft, von feiner Erkentniß 
und Willensmeinung ; oder er bezeichnet diefe Stücke den 


> vernünftigen Ereaturen. Ueberdis ift unter den Theilen 





der Welt ein allgemeiner bezeichnender Zufammenhang, und 
die vernünftigen Creaturen erlangen alle ihre Erfentniß, von 
allen Dingen auffer Gott, vermitteift dieſes Zuſammenhan— 
ges $. 318, und alles diefes ift eine Wuͤrkung Gottes. 
Man fan alfo mit Rede fagen, daß Gott, als die erfte 
Urſach, durch Zeichen, in allen vernünftigen Creaturen, 
alle ihre Erkentniß von ihm felbjt und allen andern Dingen, 
bervorbringe. Dun verhält fid) Gott, in allen möglidyen 
Fällen, gegen alle Ereaturen aufs gütiofte und meifefte 
9. 948. 913. folglich auch in denen Fällen, in denen er 
durch Zeichen, in den vernünftigen Creaturen, eine Erfent- 
niß hervorbringt, und er ift alfo im hoͤchſten Grade auf» 
richtig. $. 966. 817. Diefer höchfte Grad der Aufrichtig- 
feit Gottes begreift, folgende Stuͤcke, in fih. 1) Gott 
beweift ſich, gegen alle denfende und vernünftige Creaturen, 
aufrichtig; indem alle Erfentniß in der Welt, eine Würs 
fung feiner Aufrichtigkeit, if. 2) Er bezeichnet fo viel 
von fich felbft, von feiner Willensmeinung, und von andern 
Dingen, und zwar in allen Fällen, als es der höchften 
Weisheit und Güte gemäß iſt; das iſt, fo viel, als es das 
Beſte einer ieden einzeln denkenden Creatur, und das allge— 
meine Beſte der ganzen Welt, erfodert, nicht mehr und 

S 5; nicht 


282 Die Wehrhaftigkeit Gottes. 


nahe weniger. 3) Er bedient fich dazu iederzeit der aller» 
beiten Zeichen $. 916. Es ift demnach der Aufrichtigkeit 
Gottes nicht zumider, wenn er die vernünftigen Creaturen 
in einer Unwiſſenheit und in einem Irrthume laͤſt, oder in 
denfelben finfen laft: weil ofte Dadurch), als durch Fleinere 
Uebel, ein aröfferes Uebel vermieden, und alfo eine aröffere 
Vollkommenheit erlangt wird. Carteſius ſchlieſt alfo nicht 
gründlich, wenn er annimt: diefer oder jener Begrif wird 
von Gott hervorgebracht, alfo muß er wahr fenn. Denn 
er Fan, aus einer weifen und gütigen Zulaffung Gottes, 


auch falfch fenn. 


. 967: 

Die Aufrichtigfeit aͤuſſert fih, bey der Bezeichnung 
der Willensmeinung und der Meinungen desjenigen über- 
haupt, der aufrichtig fich gegen iemanden beträgt. Nun 
gibt es eine doppelte Art der Zeichen, durch welche man 
iemanden etwas entdecken und bezeichnen Fan; einmal Wor⸗ 
te und Reden, fie mögen nun ausgefprochen oder gefchrie» 
ben werden, und zum andern, andere Zeichen. Es fan 
fih demnach, die Aufrichtigfeie, auf eine Doppelte Are 
äuffern. Einmal bey dem Gebrauche folcher Zeichen, die 
feine Worte und Reden find, und von diefer Art der Aufs 
richtigkeit können wir aus der bloffen Vernunft überzeugt 
werden, daß Gott diefelbe im höchften Grade befiße $. 966, 
Und zum andern diejenige Aufrichtigfeit, weiche ſich als— 
denn äuffert, wenn jemanden durch eine Rede etwas entdeckt 
und bezeichnet wird, und da heift fie die Wahrhaftig⸗ 
keit. Wenn alfo der Wahrhafte fein Plauderer und Waͤ— 
ſcher feyn foll, fo muß er nicht alles fagen was er weis, und 
was er felbft für wahr hält; fondern er muß, nad) den Res 
geln der wahren Weisheit und Gütigkeit, verfahren, und 
durch feine Worte und Reden eine folhe Erfentniß in dem 
andern hervorbringen, die feiner höchften Vollkommenheit, 
und dem wahren Beſten deflelben, gemäß find. Wenn 
man nun frage: ob Gott auch diefe Bolifommenbeit befiße, 
und ob er ein wahrbafter Gore ſey? fo komt alles auf die 

| Stage 

















Die Wahrhaftigkeit Gottes, 283 


Frage an: ob Gott geredet habe, oder ob er Durch eine Re— 
de den Menfchen etwas entdeckt habe? Gott Fan nicht an— 
| ders reden, als durch ein Wunderwerk: indem er entweder 
durch feine Allmacht in der Luft die Töne der Worte würft, 


welche einige Menfchen alsdenn hören koͤnnen; oder indem 


er die Borftellungen der Worte in den Seelen einiger Men— 


fehen unmittelbar und übernatürlidy würft, welche diefelben 
hernach ausfprechen und auffchreiben, Damit fie vor. andern 
gehört oder gelefen werden. Mun Fan man zwar durd) Die 
Vernunft, aus blos philofophifchen Wahrheiten, überzeugt 
werden, daß das Reden Gottes, wie alle Wunderwerke 
überhaupt, an fich betrachtet möglich fey, und durch die Als 
mad)t Gottes gewürft werden fünne S. 864. Allein die 
bloſſe Bernunft fan uns nicht überzeugen, daß diefes Wun- 
derwerk wuͤrklich gefchehen, und daß Gore würflich geredet 
habe. Folglich Eönnen wir aud), in der natürlichen Got« 
tesgelahrheit, nicht überzeugend bemweifen, daß Gott in der 
That die Wahrhaftigkeit befise. So viel ift unumftöslich 
gewiß: wenn es der höchften Weisheit und Güte Gottes 
gemäß ift, daß Gott durd) eine Rede den Menſchen, oder 
andern vernünftigen Creaturen, etwas bezeichne und enta 
dee; fo find feine Reden im hoͤchſten und vollfommenften: 
Grade wahrhaftig, und Gott befigt alsdenn and) die Wahrs 
haftigfeit im allervollfommenften Grade, Wenn alfo die 
Öottesgelehrten erwieſen haben, daß die heilige Schrift 
Gottes Wort fen: fo ift unleugbar, daß man fich völlig 
auf daffelbe verlaffen fönne. Und es ift aus dem y65 Ab» 
fuße Flar, daß diejenigen Gottesgelehrten, welche gemäßige 
urtheilen, recht haben, wenn fie behaupten, daß es dem göfte 
lichen Anſehen der heiligen Schrift, und der Wahrhaftig« 
feit Gottes nicht mwiderfpreche, wenn au) in der heiligen 
Schrift einige unerhebliche Irrthuͤmer enthalten feyn folten, 
als z. E. mande hiſtoriſche und chronologiſche Fehler, 
Unterdeffen muß, die völlige Entſcheidung diefer Sache, 
den Gottesgelehrten anheim geftelt bleiben, 


Die 


234 | KEITEN 
Die Gluͤckſeligkeit Gottes. 


§. 968. 

Da die Gluͤckſeligkeit in dem Inbegriffe aller dererje⸗ 
nigen Bollfommenbeiten befteht, die zufammengenommen 
die Vollkommenheit eines Geiftes ausmachen $. 768. fo 
wird zu derfelben theils der Befig aller diefer Vollkommen⸗ 
heiten erfordert, theils aber aud) der Genuß derfelben, oder 
das Bewuſtſeyn derfelben, und das Vergnügen über diefels 
ben. Wenn ein vernünftiges Weſen zwar Vollkommen⸗ 
heiten befäffe, allein es wäre ſich derfelben nicht bewuſt, und 
es genöffe über diefelben Fein Bergnügen ; fo wäre feine Bolle 
fommenheit, mit der Bollfommenheit eines Baumes, von _ 
einerley Art. Könte man fie wol, eine Gluͤckſeligkeit, nens 
nen? Und wäre fie wol eine. Vollkommenheit, welche fid) 
für ein vernünftig denkendes Wefen ſchickt? Beyde Stüde 
der Gluͤckſeligkeit befise Gott, Denn wag, erfilic), den 
wuͤrklichen Beſitz der Vollkommenheit betrift, fo hat Gott 
alle mögliche wahre Bollfommenheiten $. 816. und infon. 
derbeit alle möglihe wahre Vollkommenheiten, deren ein 
vernünftig freyes Wefen foͤhig it: denn er ift der allervoll« 
fommenfte Geift $. 891. - Folglich Fan man, die gefamte 
Vollkommenheit Gottes, in drey Claſſen abtheilen, 1) Dies 
jenigen weiche fchlechterdings in allen Abfichten nothwendig 
find, und die machen zufammengenommen ‚ die allerhöchfte 
metaphnfifche Bollfommenheit Gottes, aus $.09. 2) Dies 
jenigen Bollfommenheiten Gottes, die nicht moralifc) find, 
indem fie nicht auf eine nähere Art von der Freyheit des gütt« 
lichen Willens abbangen, und diefe zufammengenommen 
fönnen, die höchfte phufifche Vollkommenheit Gottes, ges 
nene werden. Es ift wahr, alle Bollfommenbeiten Got 
tes haben aud) ihren erften Grund in der göttlichen Freyheit 
S. 855. Allein daraus folge nicht, daß fie alle moralifch 
find, weil zu einer moralifchen Bollfommenbeit erfordert 
wird, daß fie einen nähern hinreichenden Grund in der Frey« 
heit des Willens habe $. 713. 3) Diejenigen Bollkoms 

mens 











‚Die Sluͤckſeligkeit Gottes. 285 


»menheiten Gottes, die moralifd) find, welche zuſammenge⸗ 
nommen feine ällerhöchfte moralifche Heiligkeit ausmachen 
$. 944. Zum andern genieft Gott, über feine gefamte 
Bolltommenheit, das allerhöchfte und vollfommenfte Ver— 
gnügen $. 930. Da nun die meralifche Vollkommenheit, 
famt dem vernünftigen Vergnügen über diefelbe, die Gelig« 
Feit ift F. 767. fo befißt Gort eine Geligfeit, oder er ift 
ſelig. Und da er auſſerdem auch die übrigen Vollkom— 
menbeiten eines Geiftes befist, famt dem Vergnügen über 
diefelben , fo ift er in dem Beſitze der Ölückfeligfeit, oder 
er ift ein glückfeliges IBefen $. 768. 
$. 909. 

Die Gluͤckſeligkeit, und die Geligfeit Gottes, ift 
fehlechterdings die allergröfte und aflervollfommenfte $. 968. 
817. dergeftalt, daß er mit Recht der allerfeligfie und aller 
glückfeliafte Geift Fan genent werden, und daß eine iede 
Seligkeit und Gluͤckſeligkeit eine Chimäre ift, welche als 
noch gröffer angenommen wird, als die Seligfeit und Gluͤck— 
feligfeit Gottes. Diefer allerhöchfte Grad der göttlichen 
Gluͤckſeligkeit begreift folgendes in fih $. 770. 1) Gott 
befist alle mögliche metaphyſiſche, phyſiſche und moraliſche 
Bolltommenheiten ohne Ausnahme, und zwar eine iedwede 
in dem allerhöchften Grade F. 968. 816. 817. Folglich 
ift Feine gröffere Gluͤckſeligkeit möglich), als die göttliche, 
weil fie in dem wuͤrklichen Beige aller möglichen Bollfom« 
menbeiten im höchften Grade, fonderlich der allergröften 
Bolltommenheiten des Berftandes und des Willens, beftehr, 
Und Fan eine Glücfeligfeit gröffer fenn, als diejenige, wel— 
che in dem Befige der allermeiften und allergröften Vollkom— 
menbeiten befteht ? Die menfchliche Giückfeligfeit mag noch 
fo groß feyn, es bleibt allemal für einen Menfchen noch) viel 
zu verlangen übrig, Cine Ereatur fühle, in dem allerhöch« 
ften Befige ihrer Güter und Vollkommenheiten, noch alles 
mal viele leere Plaͤte, oder unausgefülte Leeren, welche ein 
Verlangen nach mehrern Gütern verurfachen. Daher fan 
man ſich, von der Gluͤckſeligkeit einer vernünftigen Crea— 

eur, 


286 Die Glücfeligkeit Gottes, 


tur, feinen andern Begrif machen, als daß fie, unter an⸗ 


dern, in einem beftändigen Wachsthume in der Vollkom— 
menbeit beftehe. Gottes Ölücfeligfeit fan niemals wach⸗ 
fen, und der Genuß feiner Vollkommenheiten wird niemals, 


durch eine ſchmachtende Sehnfucht nach mehrern Bollfoms | 


menbheiten, geftöhrt. 2) Gott ift, vermöge feiner Heilige 
keit 9. 838. 944, von allen Linvollfommenheiten, von al- 
lem moralifchen Uebel, und von aller Unglückfeligfeit in eis 
nem fo hoben Grade frey, daß nicht einmal die geringfte 
Unvollkommenheit in ihm möglich iſt. Die gröfte Glüc- 
feligfeit einer vernünftigen Creatur ift allemal, fo zu reden, 
verunteiniget, und verfalzen, indem fie jederzeit mit Unvoll— 
fommenheiten unfermengt iſt. Ein endlicher Geift mag 
noch fo glückfelig feyn, er muß doc) immer auf feiner Huf 
ftehen, Damit er nicht einen Theil feiner Gluͤckſeligkeit ver— 
lieve, und in Die enfgegengefegte Unglücfeligfeit ſtuͤrze. 
Gott ift fo vollkommen, in dem Beſitze feiner allerhöchften 
Vollkommenheit, ficher, daß ihn nicht einmai der Gedanke 
beunrubigen Ean, als fey es möglid), einen Theil derfelben 
zu verlieren. 3) Gott genieft feine unendliche Bollfoms 
menheit in dem allerhöchften Grade, und auf die allervolls 
fommenfte Art, indem er das allervernünftigfte, reinfte und 
volltommenfte Vergnügen über diefelbe genieft $. 930. Ein 
endlicher Geift mag noch fo vollfommen feyn, er ift ſich doch) 
niemals feiner Vollkommenheit im höchften Grade bemuft, 
und fein Vergnügen über ſich ſelbſt ift allemal, mit mans 
chem Mißvergnügen, über ſich felbjt untermengt. Folglid) 
wird, die Glückfeligkeit Gottes, niemals durd) einen beunru— 
higenden Gedanken, durd) eine Berrübniß über fich ſelbſt, 
oder durch eine Unzufriedenheit mit fich felbft, geitöhrt und 
unterbrochen. 4) Gott ift ewig und unveränderlich glück« 
felig, indem nicht nur, der Beſitz feiner unendlichen Volle 
kommenheit, fondern aud) das unendliche Vergnügen über 
denfeiben, weder abnehmen noch zunehmen, noch auf irgends 
eine andere Art verändert werden fan. Die Giücfeligfeit 


eines endlicyen Geiftes Fan bald vermehrt bald vermindert 
weis 





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Die Gluͤckſeligkeit Gottes. 287. 


werden, und er Fan niemals ſchlechtweg glücfelig genent 
werden, als wenn feine Gluͤckſeligkeit waͤchſt und zunimt, 
5) Gott ift beftändig in einem unendlichen Grade gluͤckſelig, 
indem er, in einem iedweden Puncte feiner ewigen Dauer, 
feine ganze unendliche Glücffeligkeit auf einmal wuͤrklich be- 
ſitzt $. 856. Der glückfeligfte endliche Geift befigt niemals 
feine ganze Glücfeligkeit auf einmal, fondern feine Volls 
kommenheiten fo wol, als aud) fein Vergnügen darüber, 
find nur nach und nach in ihm wuͤrklich. 6) Gott befißt, 
feine Höchfte und unendliche Glückfeligkeit, auf eine ſelbſt⸗ 
fiändige Art; indem Fein Theil feiner Glückjeligfeit, von 
irgends einer Urſach auffer ihm, herrührt. In der Gotts 
heit ſelbſt ift die ewige Duelle der unendlichen Gluͤckſeligkeit, 
weiche nie verfiegen oder vertrocknen fan S. 880, 881. Er 
bat, feinen Theil feiner Gluͤckſeligkeit, einem Wohlthäter zu 
verdanken, und er darf fie von auſſen her nicht erwarten, 
Ein endlicher Geift ift in feiner Gtückfeligfeit wie ein Baum, 
der an den Wajferbächen gepflanzt ift. Hundertauſend Urs 
fachen auffer ihn müffen zufammenflicfien, um ihn glücjes 
fig zu machen, und feine Glückfeligfeit zu unterftügen und 
zu erhalten. Tauſend Unglücsfälle fonnen fich auffer ihm 
zufragen, die einen fehädlichen Einfluß in ihn haben. Auffer 
Gott mag es noch fo betrübt hergehen, er hat in diefer Ab⸗ 
fie für feine Gtückfeligkeit gar nichts zu befosgen. ‘Die 
Gluͤckſeligkeit Gottes ift ein Gebäude, welches durch feine 
eigene Gröffe feft und unbeweglich fteht, Man Fan daher 
auch nicht mit Necht fagen, daß Gore gluͤcklich fey, weil 
das Gluͤck einer Perfon in einer ſolchen Vollkommenheit 
derfelben bejteht, welche in Urſachen auffer ihr gegründet 
it F. 961. 


§. 970. 

Aus der allerhoͤchſten Gluͤckſeligkeit Gottes folgt zu— 
gleich, daß er das allerhoͤchſte Weſen ſey. Kin höheres 
. Ding oder Wefen, oder ein Ding aus einer höhern Sphäre, 
ift ein iedes Ding, in fo ferne es vollfommener ift, als ein 

anders, Man Eönte zwar auch bieber rechnen, it ein 
ing 


238 Die Glückfeligkeit Gottes, 


Ding hoher genent wird als ein anders, wenn es der Ober- 
herr deſſelben ift; allein von der Dberherrfchaft Gottes wird, 
bey einer andern Gelegenheit, füglicher gehandelt werden. 
Hier fehen wir nur auf den vorzüglichen und hoͤhern Grad 
der Vollfommenheit eines Dinges, wenn man ſich daflelbe 
als ein Ding vorftellen will, welches über andere erhoͤhet 
oder erhaben if. Da nun Gott das allervollfommenfte 
Ding, und der allervollfommenfte Geift ift $. 815. 891. 
und zwar dergeftalt, daß Fein Ding möglich ift, welches 
eben fo vollfommen, geſchweige denn noch vollfommener 
ſeyn Eönte, als Gott $. 878. fo iſt er ſchlechterdings, und 
auf die vollfommenfte Art, das hoͤchſte Wefen, und der 
allerhöchfte Geift. Seine Vollkommenheit ift fo unendlich 
weit, über alle Bollfommenheit aller andern moͤglichen 
Dinge, erhaben; daß man gar Feine Propsrtion, zwiſchen 
diefen beyden Bollfommenheiten, als moͤglich gedenken Fan. 
Folglich ift auch Gott über alte mögliche Welten, über die 
allergröfte und vollfommenfte Welt, unendlid) weit erha— 
ben. Und wenn man, die ganze Bollfommenbeit aller 
endlichen Dinge, millionenmal zu ſich felbft binzugethan 
hat, fo bat man die Bollfommenbeit Gottes nod) lange 
nicht erreicht. Gott heift alfo mit Recht, mit einem unend« 
lihen Vorzuge, der Hohe und Erhabene. Er fist auf 
einem Throne erhöhet, der über alles hervorragt, und e8 
ift fehlechterdings unmöglich, daß ein endlicher Geift, 
fo zu reden, ſich ihm zur Seite fegen 
koͤnte. 











UORAR 20) 


Der andere Theil, 
Die Handlungen Gottes in die Melt, 
Der erfte Abſchnitt. 
Die Schöpfung der Welt, 


§. 97. 
isher haben wir uns Mühe gegeben, uns einen recht 
vollkommenen Begrif von Gott, durch die blojte 
gefunde Vernunft, zu mahen. Nunmehr wol- 
len wir die Ihaten Gottes, oder feine Handlungen, betrach— 
ten, Durch welche er aufler fich etwas thut, wuͤrkt oder vers 
richtet. Nemlich das vornehmfte, was der Begrif von 
Gott in fich enthält, beiteht darin, daß er die allervoll« 
fommenfte würflihe Subftanz it $. 814. Da nun eine 
iedwede würfliche Subftanz, durch Handlungen, fid) würf. 
fam, thätig und gefchäftig erweift $. 169. fo Fan es nicht 
anders feyn, Gott muß handeln. Und durch die Unterfu- 
ung der mannigfaltigen Handlungen Gottes lernen wir 
ihn noch genauer kennen, weil ſich nicht nur feine Allmacht, 
fondern aud) alle feine moraliſche Bollfommenbeiten in ſei— 
nen Handlungen hervorthun, und würffam erweifen. Die 
Handlungen Gottes find von zwenfacher Art S. 863. 864. 
Zu der erften gehören Diejenigen, Durch welche Gott in ſich 
felbft, feine eigenen Accidenzien, wuͤrkt, 3. €. feine All: 
wiſſenheit, feine Rathſchluͤſſe u, ſ. w. Und von diefer 
Art der göttlichen Handlungen ift, in dem vorhergehenven, 
ſchon binlänglid) gehandelt worden ; fo daß wir aus der blof« 
fen Bernunft von feinen andern bieher gehörigen Handlun« 
gen Gottes etwas willen, als von denen wir in dem Borber- 
‚ gehenden gehandelt haben. Zu der andern Art gehören 
‚ diejenigen Handlungen Gottes, wodurd) er in andere Din— 
ge auſſer fih würft. Da nun auffer Gott nichts anders 
4. Theil. T wuͤrk⸗ 


290° Die Befchaffenheit der Schöpfung, 


wuͤrklich ift, als diefe Welt, und alles was zu derfelben 
gehört: fo Fan Gott, wenn er auffer fich würft, Feine an. 
dere Handlungen thun, als durch welche er in dieſe Welt 
wirkt. Und die find von doppelter Art. Einmal diejenis 
gen, die zu der Schöpfung der Welt gehören; und zum 
andern diejenigen, welche zu der görtlidyen Borfehung über 
diefe Welt gehören. Wenn roir beyde Arten der göttlichen 
Handlungen werden erwogen haben, fo werden wir erfen- 
nen, in was für einem hohen Grade wir, die Welt und 
alles was in derfelben ift, von Gore abbangen, 


Die Befchaffenheit der Schöpfung. 
§. 97% 

Die Schöpfung ift eine Handlung, wodurch eine 
würfende Urfach etwas auſſer fich aus Nichts würft; oder 
man fagt, daß etwas erfcehaffen merde, wenn es von einer - 
wuͤrkenden Urſach auffer fi) aus nichts gemürft wird. Man 
fagt niemals im eigentlichen Berftande, daß eine Subſtanz, 
wenn fie in fi) felbft etwas würft, daſſelbe in fic) erfihaffe, 
ob man gleich dieles in einem uneigentlichen Verſtande fagen 
fan, Sondern da es vor fi) Flar ift, daß Fein Ding fid) 
ſelbſt erſchaffen koͤnne, weil es fonft müßte wuͤrklich handeln, 
ehe es wuͤrklich waͤre: ſo iſt offenbar, daß eine Subſtanz 
oder wuͤrkende Urſach, wenn fie etwas ſchaft, daſſelbe auf 

ſer ſich wuͤrkt, und zwar aus Nichts. Denn wenn iemand 
etwas wuͤrkt aus Materialien, die vorher ſchon wuͤrklich 
geweſen ſind, z. E. wenn er ein Gebaͤude auffuͤhrt; ſo 
nent niemand dieſes eine Schöpfung. Von der erſchaffenen 
Sache muß, gar keiner ihrer Theile, vorher wuͤrklich gewe⸗ 
fen ſeyn 6. 175. Nun fragt ſichs, ob die Schöpfung alles 
mal, den Anfang und das Entſtehen der erſchaffenen Gas 
che, in fich fhlieffe. Es behaupten diefes einige Gelehrte, 
und fie erklären daber die Schöpfung, durch die Hervors 
bringung der erfchaffenen Sache, aus Nichts. Und ieders 
man gibt zu, daß eine Sache, welche hervorgebracht wird, 
einen Anfang nehme, und entſtehe. Allein wenn man bie 
Schöpfung 








Die Beſchaffenheit der Schöpfung. 291 


Schöpfung fo erflärt, jo it man fihon aus Partheylichkeit 
der Meinung geneigt, daß diefe Welt nit von Ewigkeit 
her gemefen ſey. Damit mir nun in dem folgenden unpare 
thehiſch und gruͤndlich, die Svage zu unterfuchen im Stande 
ſeyn mögen: ob diefe Welt einen Anfang gehabt habe oder 
niche ? fo wollen wir die Schöpfung ganz unparthepifch er- 
flären, und fagen, daß fie eine Handlung fey, wodurch 
etwas aus Nichts gewürkt wird. Nun ift unfeugbar, daß 
Got z. E. feine Allwiſſenheit, von Ewigkeit her, ohne _ 
Anfang gewuͤrkt habe. Folglich laͤſt es diefe Erklärung der 
Schöpfung unausgemadht, ob die erfihaffene Sache Des» 
wegen, weil fie erfchaffen worden, einen Anfang genommen 
Babe, vder nicht: und fo muß, eine unpariheyifche Erklaͤ⸗ 
rung der Schöpfung, befhaffen fern. Ein Schöpfer 
einer Sache ift Die würfende Urfach derfelben, welche fie 
aus Nichts würft, oder würflid) macht. 
$. 973. 

Mad) diefer Erklärung der Schöpfung Fan, aus der 
Vernunft, unmwiberfprechlich erwiefen werden, daß Gott 
ber Schöpfer diefer Wele fen, oder daß Gott die Welt er- 
fehaffen habe. Denn diefe Welt Fan nicht anders wuͤrklich 
fenn, als eine Würfung Gottes, welche auffer ihm vorhan— 
den ift $. 82, Mun iſt fie würflich vorhanden, alfo ift 
fie eine Würfung Gottes, welche auffer ihm vorhanden ift, 
Eine iedwede Würfung hat, den binreichenden Grund ih— 
ver Wirklichkeit, in einer Handlung ihrer würfenden Urſach 
G. 244. Folglich hat Gort eine Handlung vorgenommen, 
wodurch er die Welt auffer fid) gerwürft hat. Nun hat er 
diefe Handlung entweder von Emigfeit her vorgenommen, 
fo daß die Welt feinen Anfang gehabt, fondern dafi fie als 
eine beftändige Würfung Gottes auffer und neben ihm mwürfs 
lich geweſen; oder nicht, ſondern dergeſtalt, daß die Welt 
einen Anfang genommen hat. Iſt das erſte, fo iſt es un— 
möglid), daß ein Theil der Welt vor derfelben wuͤrklich ges 
weſen feyn folte, und wenn alfo Gott die Welt von Ewig— 
Feit ber gewürft bat, fo hat er ie * Nichts gewuͤrkt. Iſt 

das 


>92 Die Befchaffenheit der Schöpfung. 


das andere, fo ift die Welt entftanden, Nun fan fie nicht 
anders entftehen, als aus Nichts S. 302. Folglich) mag 
man annehmen, was man will, fo iſt unleugbar, daß die 
Wuͤrklichkeit der Welt dergeſtalt in einer Handlung Gottes 
gegruͤndet ſey, durch welche die Welt auſſer Gott, als eine 
Wuͤrkung feiner allmaͤchtigen Kraft $. 864. aus Nichts 
gewürft worden, Eine foldye Handlung ift eine Schöpfung 
$. 972. Folglich ift Gore der Schöpfer der Welt, und 
die Welt ift von Gott erfchaffen worden. Es erhellet zu: 
gleich aus diefem Beweiſe, daß die Welt ihrer Zufälligkeit 
wegen nicht anders wuͤrklich feyn Fan, als durch die 
Schöpfung, welche Gore verrichtet bat, fie mag nun von 
Ewigkeit her gewefen feyn, oder fie mag einen Anfang ges 
habt haben. 
| $. 974. 

Und bier entfteht die wichtige Frage: ob die Welt 
mürflich von Ewigkeit ber gewefen, oder ob fie einen An— 
fang genommen habe? Wenn man diefelbe gruͤndlich ent« 
fcheiden will, fo muß man zum voraus zweyerley bemerken. 
Einmal muß man fehr wohl unterjcheiden, ob man dieſe 
Frage einem Weltweifen, oder einem Ehriften, zur Beant—⸗ 
wortung vorlegt? Ein Chriſt muß fie, aus der heiligen 
Schrift, beantworten. Die gemeine Meinung gebt das 
hin, daß die heilige Schrift ausdrüdlid, den Anfang der 
Welt behaupte, und alfo fehlechterdings leugne, daß die 
Melt von Ewigkeit her gewefen. Unterdeſſen gibt es aud) 
einige, welche mit vieler Wahrfcheinlichkeit behaupten, daß 
alles dasjenige, was die heilige Schrift von dem Anfange 
der Welt ſagt, nur von der gegenwärtigen Einrichtung des 
Erdbodens zu verftehen fey; und daß alfo, die Lehre von 
der Ewigkeit der Welt, im Ganzen betrachtet, vollfoms 
men mit der Schöpfungsbiftorie, welche in der heiligen 
Schrift angetroffen wird, beftehen Fonne, Unterdeſſen müfs 
fen wir diefe Sache den Öottesgelehrten zu entſcheiden übers 
iaſſen, und es ift hier blos die Frage: ob man, aus dem 
bloffen Sichte der Vernunft, willen koͤnne, daß die Welt 

entwe⸗ 














Die Befchaffenheit oe Schöpfung. 293 


entweder von Ewigkeit her geweſen fey, oder daß fie einen 
Anfang gehabt Habe? Zum andern ift es eine Srage, die 
allerdings bejahet werden muß: ob die Welt von Gott ges 
fchaffen fey? Denn wenn man die Schöpfung dergeftalt er⸗ 
Flärt, daß es unausgemadht bleibt, ob die erfchaffene Sache 
einen Anfang haben müffe oder nicht; fo Fan aus der bloſſen 
Bernunft unumftöglich erwiefen werden, daß die Welt 
von Gott erfchaffen fen, ja daß fie nicht anders wuͤrklich 
feyn koͤnne, als durch die Schöpfung Gottes $. 972. 
Wenn alſo auch ein Weltweifer behauptet, daß die Welt 
von Emigfeit her gemefen ; fo befchuldiger man ihn doc) 
mit Unrecht, daß er die Schöpfung der Welt leugne. Ein 
ftumpfer Kopf, welcher, aus Mangel der Scharffinnigfeit, 
bey ver Schöpfung nicht alles Mannigfaltige gehörig von 
einander unterfcheiden Far, der läft fich nicht bedeuten, 
Sondern wenn er hört, daß man fage, die Welt fen von 
Ewigkeit her geweſen; fo fehreyet er gleich in dem Tone eis 
nes Ketzermachers, man leugne die Schöpfung der Welt. 
Allein ein vernünftiger Weltweifer muß fich gar nicht Die 
Mühe geben, ſich mit einem foldhen verwirten Kopfe, in 
eine Streitigfeit über dieſe ſchwere Materie, einzulaffen. 
§. 975. 

Wenn man nun die eigentliche Frage entfcheiden foll: 
ob die Belt von Ewigkeit her aewefen, oder ob fie in der 
Zeit entftanden, und einen Anfang gehabt habe? fo müffen 
wir die Gründe von beyden Seiten gründlich prüfen, und 
aisdenn acht haben, was daher für eine Entfheidung gelei— 
tet werden fan. Diejenigen, welche glauben, daß es aus 
der gefunden Bernunft fehr leicht erwieſen werden koͤnne, 
daß die Welt nicht von Ewigkeit her geweſen fenn Fünne, 
fondern daß fie einen Anfang gehabt haben mülle: Die be— 
rufen fih), fo viel mir befant ift, auf folgende Beweis— 
gründe, 1) Die Meinung von der Ewigkeit der Welt fey 
atheiftifch, weil daraus folgen würde, daß in der Welt ein 
Fortgang der Urfachen ins Unendliche ftat finde, und dieſer 
Fortgang ſey nicht nur eine ungereimte Meinung, fondern 

Tg auch 


294 Die Befchaffenbeit der Schöpfung. 


auch eine Berleugnung der Würflichkeit Gottes, Allein 
sch habe ſchon $. 314. deutlich gewiefen, daß die Sehre von 
dem unendlichen Sortgange der Urfachen in der Welt, von 
der Emigfeit der Welt, fehr unterfchieden fey; und daß 
Derjenige, welcher die leßte behauptet, nicht nothwendig 
auch die erfte behaupten müffe. Der Fortgang der Urfas 
chen in der Welt ins Unendliche ift Deswegen nicht unge— 
reimt, weil die Welt ohne Anfang feyn müfite; fondern 
weil vermöge deffelben die Welt zufällig, und doc) zugleich 
Feine erfte nothwendige Urſach auffer fih haben müßte, 
2) Die Ewigkeit fey eine wahrhaftig unendliche und goͤtt⸗ 
liche Vollkommenheit, weldye Feinem endlichen und zufaͤlli— 
gen Dinge, dergleichen die Welt nothwendig ſeyn müffe, 
zufommen fünne, Lind wenn man demnach der Welt die 
Emigfeit beylege, fo müffe man ihr auch, alle übrige goͤtt⸗ 
liche Bollfommenheiten, zufchreiben $. 855. und fie müßte 
alfo der wahre Gott fern. Allein diefee Einwurf ift ſchon 
völlig widerlegt worden, indem ich S. 859. erwiefen babe, 
Daß es eine Ewigkeit geben Fan, welche Feine göttliche Boll 
kommenheit ft, und welche mit der EndlichFeit und Zufäle 
ligfeit eines Dinges gar wohl befteben fan, 3) Weil eine 
Schöpfung eines Dinges, welches feinen Anfang bat, ein 
ungereimter Begeif ift: indem alle Schöpfung eine Hervor- 
bringung einer Sache ift, und folglich den Anfang der era 
fhaffenen Sache nothwendig in ſich fehlieft. Diefer Eins 
wurf verwandelt, dieſe ganze Streitigfeit, in einen nichtis 
gen und Findifchen Wortftreit. Es ift die Frage: ob die 
Würklichkeit dev Welt in einer freyan Handlung Gottes ders 
geſtalt gegründet fey, daß Gott allein die würfende Urfach 
der Welt fen, und daß vor der Welt nichts wuͤrklich gewe⸗ 
fen, aus weichen, als aus Meteriolien, Gott die Welt 
würklih gemachte? Diefe Frage muß man bejahen, die 
Welt mag nun einen Anfang gehabt haben oder nicht. Wie 
wollen wir nun, dieſe Hendlung, nennen? Nent man fie 
die Schöpfung, fo iſt unleugbar, daß die Melt erfchaffen 
worden, und es folge Daraus nicht, daß fie einen Anfang 

gehabt 





Die Beſchaffenheit der Schöpfung. 295 


gehabt habe. Will man diefe Handlung aber nicht die 
Schöpfung nennen, weil man eigenfinniger Weife annimf, 
daß die erfchaffene Sache einen Anfang haben müffe: fo 
Fan man ohne Bedenken fagen, es fey ungewiß, ob die 
Welt erfchaffen fen. Denn wenn auch iemand alsdenn 
behaupten wolte, daß die Welt nicht erfchaffen fey ; fo. gibe 
er demohnerachtet zu, daß die Welt nicht anders würflich 
feyn fünne, als eine freye Wuͤrkung Gottes. Und es komt 
warlich, in diefer wichtigen Sache, nit auf das Wort 
Schöpfung an. 4) Weil die Welt, wenn fie von Emig- 
keit her gewefen wäre, ein unendliches und von Gott unab» 
haͤngliches Ding feyn müßte, welches ungereimt iſt. Frey⸗ 
lic), wenn man erweifen Fönte, daß eine iedwede Ewigkeit, 
eine wahre Unendlichkeit und Unabhaͤnglichkeit des ewigen 
Dinges, wäre; fo wäre aus der bloffen Bernunft offenbar, 
daß die Welt niche von Ewigkeit ber gemwefen feyn koͤnne. 
Allein das erſte Fan nimmermehr erwiefen werden, als durch 
eine Berwechfelung, des wahren AUnendlichen, mit dem 
mathematifch Unendlichen S. 859. Wenn man fagt, die 
Nele fey zufällig und von Ewigkeit ber gemwefen, fo muß 
man annehmen, daß fie als eine Würfung Gottes mit Gott 
zugleih und beftändig dagemwefen. Und fo wenig, der 
| Schein eines tichts von dem Fichte unabhänglic) ift, weil 
er nicht nach) demfelben entfteht, fondern i immer zugleich mit 
dem Lichte da iſt: eben fo wenig hebt, die Emwigfeit der 
Welt, ihre Abhänglichfeit von Gott auf, wenn man nur 
fonft feinen anderweitigen Irrthum, mit der Meinung von 
der Ewigkeit der Welt, vergeſellſchaftet. Die AbHänglich- 
Feit dee Welt von Gore flieſt aus. ihrer Zufälligkeit, nicht 
aber allein daraus, daß fie einen Anfang gehabt. Es ift 
wahr, wenn fie einen Anfang gehabt hat, fo muß fie von 
einer Urſach aufler ſich abhangen; weit alle Dinge, Die ein 
nen Anfang haben, zufällig find, und fid) ſelbſt nicht her— 
vorbringen koͤnnen. Allein wenn auch ein Ding feinen 
Anfang hat, wenn eg nur zufällig iſt: fo bleibt es doch ein 


abhängtiches Ding. Wenn diefer Einwurf eine beweiſende 
2 4 Et aͤrke 











296 Die Befchaffenbeit der Schöpfung. 


Stärke haben foll, fo muß erwielen werden: daß ein Ding, 
weiches Feinen Anfang bat, eben deswegen nicht zufällig 
feyn Fan, und das ift bisher noch nicht ermiefen worden, 
5) Weil die Dauer eines iedweden zufälligen Dinges, und 
aifo auc) der Welt, eine Zeit ausmache, und folglid) einer 
Zshl gleich fey. Da nun eine iebwede Zahl von einer 
Einheit anfange, fo müfle auc) die Welt einen Anfang 
haben. Allein es ift falfch , daß eine iedwede Zahl von 
einer Einheit anfange. Es Fan in der Mathematik erwies 
fen werden, daß eine Zahl möglich ſey, welche wahrhaftig 
ins Unendliche fort zertheile werden Fan, und diefe Zahl 
fänger von feiner Einheit an. Alfo muß erft ermiefen wer« 
den, daß die Zahl der Jahre der Welt eine ſolche Zahl fen, 
weiche von einer Einheit anfängt, und es feßt alfo diefer 
Einwurf ſchon voraus, was dod) erft ermiefen werden folte, 
6) Weil, nad) allen warfcheinlichen biftorifchen Nachrich- 
ten, man Feine Nachrichten hat, die älter wären, als ohn« 
gefehr fechstaufend Jahr. Wenn nun die Welt.von Ewig⸗ 
feit her geweſen, fo wäre‘ e8 unbegreiflich, wie alle ältere 
Nachrichten ſchlechterdings verlohren gegangen. Ich babe 
fhon F. 316. gewiefen, daß diefer ganze Beweis ſchlechter— 
dings in die Weltweisheit nicht gehört, und es ift hier blos 
die Frage, ob man die Ewigkeit ver Welt blos philofophifc) 
erweifen Fonne, Ueberdis Fan man fagen, daß ohngefehr 
vor fechstaufend Jahren, die ießige Einrichtung des Erd« 
bodens, entftanden, und folglich Fan die ganze Welt doch 
von Ewigkeit her gewefen feyn, und es ift alsdenn fehr be= 
greiflich, warum wir Menfchen feine Nachrichten von den 
ältern Zeiten haben, 7) Es fen ganz unbegreiflich, wie 
ein zufälliges Ding Fönne von Ewigkeit her gewefen feyn. 
Allein dieſer Finfall will gar nichts ſagen. Was uns Mena 
ſchen unbegreiflich it, das Fan demohnerachtet wahr feyn, 
Und man kan nicht eher annehmen, daß die Ewigfeit eines 
endlichen Dinges ſchlechterdings unbegreiflich fen, bis man 
icht aus anderweitigen Gruͤnden, Die Ungereimtheit diefer 
Roigkeit, erwiefen hat. Man Fan vielmehr, das Gegen— 

theil, 




















Die Befchaffenbeit der Schöpfung. 297 


theit, behaupten. Alles was wir in der Welt natürlicher 
weiſe erfahren, ſtamt von andern endlichen Dingen ab, und 
es ift alfo unferer gefamten Erfentniß gemäß, und uns 
deswegen faßlich, wenn man annimt, daß es fo von Eiwig- 
keit her gemefen. Und im Gegentheil, weil wir niemals 
einen Urfprung eines Dinges aus Nichts erfahren, fo Fön» 
nen wir nicht begreifen, wie die Welt einen Anfang aus 
Nichts haben Fünne, 


| $. 976. 

Aus dem vorhergehenden Abfage erbellet demnach), daß 
aus der blofjen Vernunft nicht erwiefen werden koͤnne, daß 
die Welt einen Anfang gehabt habe. Allein man würde 
ſehr unphilofophifdy denken, wenn man daraus fchlieffen 
wolte, daß alfo die Welt würflich feinen Anfang gebabt 
habe: venn es fan vieles wahr ſeyn, ob wir es gleich aus 
der Vernunft nicht erweifen koͤnnen. Vielleicht aber Fan 
aus der Vernunft erwiefen werden, daß die Welt von Ewig- 
feit her gewefen? Wir wollen, die philofophifchen Gründe 
für die Ewigkeit der Welt, prüfen. Es ift nicht der Mir 
he werth zu fagen, daß es ein elender Beweis fey, wenn 
man annimt, die Welt müfle ewig ſeyn, weil wir nicht be. 
greifen koͤnnen, wie es möglich fey, daß fie aus Nichts ent« 
ftanden. Zwey Gründe fcheinen, die Ewigkeit der Welt, 
zu ermeifen, 1) Die Welt fan nicht anders gewürft wer- 
den, als durch eine Beftimmung und Anftrengung der all» 
mädtigen Kraft Gottes. Wenn nun die Welt einen Anz 
fang gehabt hätte, fo müßte, diefe Beltimmung der Kraft 
Gottes, nicht ewig in Gott geweſen feyn, und es müßte alfo 
Gott innerlich verändert worden feyn, wenn er die Welt in 
der Zeit erfchaffen. Es ift eine nichtige Ausflucht, wenn 
man fagt, Gott habe zwar von Emigfeit her befchloffen, die 
Welt zu ſchaffen; aber er habe, die Vollziehung diefes 
Rathſchluſſes, aufgefihoben, gleichfam als wenn diefer Auf. 
fhub, Feine Veränderung in der Beftimmung der Kraft 
Gottes, vorausfegte. Die Kraft Gottes ift entweder von 
Ewigkeit her, in einem fo hohen Grabe, beſtimt gewefen, 

5 als 


298 DieBefchaffenbeit der Schöpfung. 


als zu der Hervorbringung der Welt erfodert worden, oder 
nicht. Iſt das legte, fo iſt fie, da Gott die Welt würk- 
lich erfchaffen , in einem hoͤhern Grade beftimt worden, und 
alfo ift fie verändert, Iſt das erſte, warum ift die Welt 
Dadurd) nit, von Emigfeit her, würklich geworden? Aufs 
fer Gott war ja, fein Hinderniß, vorhanden, Und wols 
‚te man fagen, dieſes Hindernig babe darin beftanden, weil 
eine ewige Welt unmöglid), und die Allmacht Gottes nichts 
unmögliches hun fünne: fo ſetzt man voraus, was doc) erſt 
erwiefen werden foll, Allein diefer Grund für die Ewigkeit 
der Welt fan, auf eine zweyfache Art, entkraͤftet werden. 
Einmal, diefe Anftrengung der Kraft Gottes, wodurch er 
die Welt erfchaffen hat, ift eine freye Beftimmung Gottes, 
und alfo gleichfam eine zufällige Befchaffenbeit 9. 85% 
ir Menfıhen fönnen fie alfo freylich, mit der Unveränder» 
lichfeie Gottes, nicht zufanımenreimen ; allein daraus folge 
nicht, Daß fie nicht wuͤrklich mit derfelben beftehen koͤnne. 
Zum andern beweijt Diefer Beweis zu viel, Denn es würde 
Daraus folgen, daß in der Welt gar nichts einen Anfang ha— 
be. Alles was in der Welt würflich wird, und einen An— 
fang nimt, das wird, Durch eine Beſtimmung der Kraft 
Gottes, gewuͤrkt, in fo ferne es was Neelles ift. Folglich 
fan es mit der Unveränderlichkeit Gottes beftehen, daß er 
durch feine Kraft Dinge auffer ſich hervorbringt, die nicht 
von Ewigkeit her gewefen; ob unfer ſchwacher Berftand 
gleid) nicht zu begreifen im Stande ift, mie dieſes mit der 
Unveränderlichfeit Gottes beftehen koͤnne. 2) Wenn bie 
Welt einen Anfang gehabt, und denfelben durch, die Schö« 
pfung befommen hat, fo hat Gott in ein blog mögliches Ding 
auffer fih würfen müflen. Allein ein blos möglich Ding 
ift auffer Gott nicht vorhanden, weil diefes Borhandenfeyn 
eine Wuͤrklichkeit if. Alſo fcheint es unmöglich zu feyn, 
daß eine Subftanz in ein anderes Ding würfe, welches gar 
nicht wuͤrklich, fondern blos moͤglich iſt. Es ift wahr, 
wir koͤnnen Diefes gar nicht begreifen. Alle unfere Begrif— 
fe geraiben dadurch in Verwirrung. Allein da wir in Dies 


fer 





Die Befchaffenbeit der Schöpfung. 299 


fee Sache den innerlicgen Widerſpruch nicht deutlich entdes 
cken Eönnen, fo iſt fie auch fein klarer entfcheidender Beweis 
grund diefer Sahe. Da mir num feine philofophifchen 
Gründe, weder fir noch wider die Ewigkeit der Welt, bes 
Fant find, auſſer denenjenigen, welche ich bisher beurtheilt 
habe: fo muß meines Erachtens ein Weltweifer, blos als 
ein Weltweifer betrachtet, die Ewigfeit der Welt weder 
annehmen, nod) verwerfen, fondern ſich hier als einen vers 
nünftigen Zweifler verhalten. Wir wollen alfo, die ganze 
Frage von der, Ewigfeit der Welt, den Gottesgelehrten fo 
lange zur Entſcheidung aus der heiligen Schrift anheim ftele 
len, bis man aus der gefunden Vernunft, tüchtigere Grüns 
de, entweder für die Ewigkeit der Welt, oder roider Diefelbe 


’ 
wird entdeckt haben. 


8§. 977. 

Wenn man ſich, von der Schoͤpfung, einen rechten 
Begrif machen will, ſo muß man ſich dieſelbe als eine freye 
Handlung Gottes vorſtellen. Denn alle Handlungen Got— 
tes, wodurch er auffer fid) würft, find frey S. 939. Da 
nun die Schöpfung der Welt eine ſolche Handlung iſt 8. 972. 
fo ift fie eine frene Handlung Gottes; oder Gott hat, durch 
feinen freyen Willen, die Welt erfchaffen. Es ift dem« 
nach offenbar ein Irrthum, wenn man ſich die Welt zwar 
als eine Wirkung Gottes vorftellen, fie aber als eine nas 
tuͤrlich nothwendige Würfung deſſelben anfehen wolte: als 
wenn Gott bey der Schöpfung nicht nach Sreyheit, fondern 
durch) die phyſiſche Nothwendigkeit feiner Natur gezwungen, 
gehandelt hätte. Oder als wenn Gott, in und bey der 
Chöpfung der Welt, als eine bios phyſiſche Urfach ge 
fepäftig gemefen wäre, welche mit keinem freyen Willen bes 
gabt ift: wie z. E. das Licht den Schein würft, oder wie 
sie den Umlauf des Bluts, oder die unmerkliche Ausduͤn— 
ftung, in unferm Körper wuͤrken. Nun wird eine iedwede 
Urfad) einer freyen Handlung, und aller Würfungen, wels 
che durch eine freye Handlung derfelben gemürft werden, des 
Urheber diefer Handlung und Würfung genent; und die 


freyen 


3200 Die Befchaffenbeit der Schöpfung. 


freyen Handlungen, famt den Wirkungen derfelben, beiffen 
die Thaten oder Werke eines Urhebers. Folglich ift 
Gott der Urheber der Schöpfung und der erfchaffenen Welt, 
die Schöpfung ift eine That Gottes, und die Welt ein Werf 
Gottes. ine iedwede wuͤrkende Urſach wuͤrkt, ihre Wür« 
Fungen, durch Handlungen $. 244. Diefe Handlungen 
find entweder freye Handlungen, oder nicht. Iſt das letzte, 
fo werden die würfenden Urſachen, die mit gar feinem frey⸗ 
en Willen begabt find, oder in fo ferne fie nicht durch freye 
Handlungen ihre Würfungen hervorbringen, Feine Urheber 
genent. Wer fagt wol, daß ein Sturmmwind der Urheber 
der Bermüftungen fey, die er anrichtee? oder, daf die un⸗ 
vernünftigen Thiere, die Urheber ihrer Würfungen, find? 
oder daß der Menfch, der Urheber des Umlaufs des Bluts 
in feinem Körper, fen? Folglich Fan nur eine würfende llrs 
fach), ein Urheber einer Handlung und Würfung, genent 
werden, welche nicht nur mit Freyheit begabt ift, fondern 
auch durch Diefelbe, diefe Handlung und Wuͤrkung, würfe 
lih macht. 3. E. der Urheber oder Autor eines Buchs. 
Es ift ohne weitläuftigem Beweis Flar, daß Gott allein der 
Urheber der Schöpfung und der Welt fey, weil er Feinen 
Gebülfen dabey weder gehabt hat, noch haben fönnen. 
Auffer Gott ift nichts als die Welt, und ihre Theile, Fein 
endlich Ding aber Fan ſich felbft würfen und erfchaffen. 


978. 

Es haben ſich manche einen hoͤchſt abgeſchmackten 
Begrif von der Schöpfung gemacht, indem fie angenom=- 
men, daß die Welt, indem fie gefchaffen worden, aus 
Gott herausgefloffen, wie der Schein des Fichts aus dem. 
felben ausflieft. Die gnoftifchen und cabbaliftifchen Lehrer 
Baben daraus, ein fo ungeheures Lehrgebaͤude, ausgehedt, 
welches Feiner vernünftigen Widerlegung werth ift, wenn 
man die Hauptfache, oder den Ausfluß der Welt aus Gott 
überhaupt, widerlegt hat. Memlih die Schöpfung 
der Welt durch einen Ausfluß aus Bote müßte darin 
bejtepen, daß die Welt aus dem Weſen Gortes, oder aus 

etwas, 


Die Sefchaffenheit der Schöpfung. 300 


etwas, welches in Gott als ein Theil würflich gewefen, 
würflih gemadjt worden. Diefer Theil müßte aus der 
Gottheit berausgegangen, und als der Stof der Welt von 
Gott bearbeitet, und ausgebauet worden ſeyn. Wenn 
man fagt, die Welt fen von Gott, durd) einen Einfluß in 
die Welt, gewürft: fo beift dieſes fo viel, die Welt fey 
von Gott als ihrer wuͤrkenden Urſach gewürft worden, indem 
er auffer ſich gewuͤrkt. Allein wenn man fagt, die Welt fey 
aus Gott hervorgefloffen; fo ftelt man ſich Gott gar nicht, 
oder menigftens nicht blos als die würfende Urſach der Welt 
vor. Sondern man nimt an, daß die Materialien und 
der Stof der Welt das göttliche Wefen fen, oder ein Theil 
Gottes, welcher von der Gottheit getrent worden, und aus 
welchem die Welt ihren Urfprung genommen. Und bie 
Ungereimtheit einer folhen Schöpfung der Welt erhellet 
fonderlich, aus folgenden Betrachtungen. Cinmal, wäre 
alsdenn die Welt nicht aus Nichts wuͤrklich geworden, 
Denn wenn fie aus Gott herausgefloffen wäre, fo wäre der 
Stof der Welt vorher in Gott ſchon würflich gewefen, und 
folglid) wäre ein Theil der Welt ſchon vor ihr wuͤrklich ges 
wefen. Nun aber fan eine Welt nicht anders würflic) 
werden, als aus Nichts $. 302. Folglich ift es unmög» 
lich, daß diefe Welt, durd) einen Ausfluß aus Gott, folte 
fönnen würflich geworden feyn. Zum andern müßte, bey 
einem folchen Ausfluffe, etwas unendliches in etwas endlis 
ches verwandelt worden feyn. Denn entweder das ganze 
Weſen Gottes, oder ein Theil deffelben, oder überhaupt 
eine innerliche Nealität Gottes, müßte in einen Theil der 
\ Welt verwandelt feyn. Nun find alle innerliche Realitäten 
Gottes wahrhaftig unendlich, nothwendig und unverander« 
lich S. 854. 846. Folglich Ean Feine derfelben verändert 
' werden, und am allerwenigften eine ſolche Berwandelung 
ausſtehen, vermöge welcher fie ein Theil der Welt, das if, 
ein endliches und zufälliges Ding, würde. Folglich wis 
derfpricht es der hoͤchſten Vollkommenheit Gottes, zu fagen, 
daß die Welt aus ihm herausgeflojfen ſey. Ja drittens 
| ſtreitet, 











302 Die Befchaffenheit der Schöpfung. 


ſtreitet, dieſes närrifche Schrgebaude, auch wider die ein. 
fache Beichaffenheit Gottes. Denn diejenige innerliche 
Realitaͤt Gottes, welche, bey dem Ausfluffe der Welt aus 
der Gottheit, aus derfelben herausgegangen, müßte ſich 
von den übrigen in der That losgerijfen und entfernt haben, 
und hierauf aufler Gott wuͤrklich ſeyn koͤnnen. Es mühte 
demnad) Gott foldye Realitäten bejigen, die auffer einan— 
der würflich feyn koͤnten, und er wäre alfo im eigentlichen 
Verſtande zufammengefegt und materiel, und das ift unges 
reimt $. 867. Unterdeſſen Fan man nicht alle diejenigen, 
welche fic) des Ausdrucks bedienen, und fagen, daß die 
Welt aus Gott geflofien, beſchuldigen, als wenn fie dieſes 
abgeſchmackte chrgebäude behaupteten. Manche koͤnnen ihn 
vielleicht auf eine poetiſc he Art brauchen, und eben Das das 
bey denfen, was wir den Einfluß Gottes in die Welt nen« 
nen. Denn es iſt unleugbar, daß die Schöpfung der 
Welt ein Einfluß Gottes in die Weir fen $. 166. und nod) 
dazu ein reeller $. 167. weil fic) die Welt dabey bios lei— 
denrlic) verhalten hat , indem fein endliches Ding eine Wür- 
kung feiner eigenen Kraft feyn Fan, weil es fonft ſelbſtſtaͤn— 
dig fenn müßte, und das ift unmöglich S. 239. Wenn 
man nun den Einfluß einer Subftanz fich finlich vorftelt, fo 
ſcheint es, als wenn aus ihr, indem fie in andere Dinge 
wuͤrkt, eine Kraft ausgehe. Allein der Ausdruc des Aus. 
fluſſes aus Gott ijt doch allemal ein grober Ausdruck, wels 
cher uns unvermerft verleiten Fan, uns einen falfchen Bes 
geif, von der Schöpfung der Welt, zu machen. Die 
ſcholaſtiſchen Weltweifen haben angenommen, daß die Wuͤr⸗ 
fungen, vor ihrem Urſprunge, in ihren Urſachen verborgen 
lägen. Und diefer Gedanke fan einen Menſchen leicht vers 
feiten, zu glauben, daß die Welt in Gott verborgen gele= 
gen, und bey ihrer Schöpfung aus ihm berausgegangen 
fy. Die ganze Widerlegung diefer Meinung dient uns 
dazu, Daß wir ung wenigftens Feinen falſchen Begrif von 
der Schöpfung machen, da wir nicht im Stande find, in 
einem merklihen Grade Die Art und Weiſe — 

wie 


























Der Gegenftand der Schöpfung. 303 


wie es zugegangen, daß Gott die Welt aus Nichts wuͤrk⸗ 
ih gemacht, 


Der Gegenftand der Schöpfung. 
$. 979. 

Aus dem — —— iſt uͤberhaupt unleugbar, 
daß der ganze Gegenſtand der Schoͤpſung nichts anders ſeyn 
koͤnne, als dieſe Welt. Denn Gott kan nichts erſchaffen, 
als endliche Dinge auſſer fi) S.972. Nun iſt auſſer Gott, 
nur dieſe einzige Welt, wuͤrklich $. 334. Folglich iſt, 
nur dieſe Welt, der einzige wuͤrkliche Gegenſtand der Schoͤ— 
pfung. Es iſt wahr, es haͤtte ſtat dieſer Welt eine iedwede 
andere moͤgliche Welt koͤnnen wuͤrklich werden, und dieſel— 
be waͤre alsdenn der Gegenſtand der Schoͤpfung geweſen. 
Und man muß alſo behaupten, daß Gott vermöge feiner 
Allmacht, eine iedwede mögliche Welt, hätte erfchaffen Fün« 
nen, Allein er Dat nur würflic) eine einzige Welt erfchafs 
fen, und das ift die unſrige. Damit wir uns aber, von 
der unendlichen Bollfommenheit der Schöpfung, einen rech« 
ten Begrif machen, und überzeugend erfennen mögen, daß fie 
eine Handlung Gottes fey, wobey fich feine hoͤchſte Weisheit, 
Güte, und überhaupt feine hoͤchſte Vollkommenheit würks 
fan eriviefen: fo müffen wir den Gegenftand der Schöpfung 
ausführlicher befrachten, und nicht nur zeigen, was Gott 
in diefer Welt gefchaffen und nicht gefchaffen habe, fondern 
wir müffen auch darthun, daß Gott nichts vortreflichers 
babe fchaffen fönnen, ale was er würflich gefcharfen hat, 
Nun iſt die Welt ein Ganzes, weldyes aus vielen Subftan» 
zen, als aus feinen Grundtheilen, befteht, und die Acci— 
denzien derfelben find aud) Theile der Mel, Was alfo 
erftlich die Subftanzen der Welt betrift,, fo find fie ſaͤmtlich 
von Gott erfchaffen worden. Denn alle Subftanzen, aus 
denen die Welt als aus ihren erften Theilen zuſammengeſetzt 
iſt, find endliche und zufällige Dinge $. 360. welche alfo 
nicht anders wuͤrklich ſeyn Fönnen, als Würfungen, die 
Gore durch eine Handlung würflid) gemacht Hat $. 258. 

531. 


304 Der Gegenftsnd der Schöpfung. 


821 Wenn nun diefe Subftanzen nicht aus Nichts, fon: 
dern aus einer Materie, welche vor ihnen ſchon da geweſen, 
von Gott gewuͤrkt wären ; fo wäre die ganze Welt nid)t aus 
Nichts gewürft. Da nun das legte ungereimt ift $. 973. 
fo hat Gott durd) eine Handlung auffer ſich alle Subftan« 
zen, welche in diefer Welt würflich find, aus Nichts ge» 
würft. Diefe Handlung ift die Schöpfung 9.972. Folge 
lic) find alle Subftanzen diefer Welt von Gott erfcyaffen 
worden, und es iſt unmöglich, daß fie anders als von Gott 
erfchaffene Dinge wirklich feyn Eönten. Kine Creatur 
ift eine Subftanz, welche von Gott erfchaffen werden; oder 
welche nicht anders würflic) ſeyn fan, als duch die Schös 
pfung. Folglich find alle Subftanzen diefer Welt, alle 
Seelen, alle Geifter, alle menſchliche Seelen, alle Ele» 
mente der Körper, und alles was in den Körpern diefer 
Welt fubftantiel iſt, Creaturen Gottes; oder Gott hat, 
alle viefe Dinge, erfchaffen. Wenn man fid) überzeugt 
hat, daß alle Subftanzen, Seelen und Geijter einfache Dins 
ge find; fo fan man, aus der einfachen Beſchaffenheit der. 
felben, noch auf eine andere Art überzeugt werden, daß Feine 
endliche Subjtanz anders wuͤrklich feyn und werden Fan, 
als aus Nichts, oder durd) die Schöpfung. Ein Körper 
fan wuͤrklich ſeyn, ohne daß ihn Hort erfchaffen habe, weil 
er nad) und nach aus Theilen, die vorher da find, entſtehen 
fan. Folglich koͤnnen in diefer Welt Körper wuͤrklich wers 
den, welche von Gott nicht erfchaffen worden, wie die fäg« 
liche Erfahrung zur Genüge beftätige. Weil aber alle - 
Körper aus Gubftanzen, als aus ihren Elementen, beftes 
ben, fo ift unleugbar, daß Gott den Stof zu allen Körs 
pern, die in der Welt nach und nach entſtehen, erfchaffen 
babe. 
$. 93% 

Was aber zum andern die Accidenzien, ober die 
würflicyen Beſtimmungen ver Subftanzen diefer Welt, bes 
trift, weiche ebenfals Theile der Welt find; fo find Diefeiben 
nicht insgefamt, von Gott, erfchaffen. Sondern man 

muß 


























— — nn —— > 


Der Gegenſtand der Schöpfung. s05 


muß diefelben in diejenigen eintheilen , welche den endlichen 
Subftanzen von Gott anerfchaffen worden, und in dieje— 
nigen, welche fie nach und nad), während der Zeit ihrer 
Dauer, durd) ihre eigene Kraft, unter dem Einfluffe Got« 
£es, in fid) oder andern Theilen der Welt würfen. Mems 
lid) indem Gott eine Subitanz diefer Welt fehaft, gibt er 
ihr dadurch die Würflichkeit S. 972, Die Würflicyfeie 
beſteht in einem Inbegriffe gemiffer innerlichen Beftimmuns 
gen, und Accidenzien $. 60. Folglich würft Gott, durch) 
die Schöpfung einer Subftanz, in verfelben gewiſſe reelle 
Xceidenzien, und dag find diejenigen Beftimmungen , wel 
che allen Subjtanzen diefer Welt von Gott anerfchaffen 
worden, So bald aber eine Subftanz wuͤrklich ift, wuͤrkt 
fie durch ihre eigene Kraft, in fi) und andern Dingen, 
Xceidenzien, und diefe legtern gehören nicht mit zu dem (es 
genftande der Schöpfung, fondern fie find, wie aus bem 
Folgenden erhellen wird, der Gegenftand der göttlichen Vor— 
fehung. Folglich Fan man fagen, daß Gott eigentlich nur 
die Subftanzen diefer Welt erfhaffen habe, und daß die 
erften reellen und würflichen Accidenzien derſelben dasjenige 
find, was Sort, durch die Schöpfung der Subjtanzen, 
ihnen anerjhaffen hat. Wenn man fegt, daß die Sub: 
ftanzen diefer Welt einen Anfang gehabt haben, fo gehe 
man bis auf den erften Augenblick ihres Dafeyns zurück, 
Alle innerliche reelle Beftimmungen auffer ihrer MoglichFeit, 
welche ihre Würflichfeit in diefem erften Augenblicke ihres 
Dafenns ausmachten, find dasjenige, mas ihnen von Gore 
anerjchaffen worden. Alle übrigen veellen Accidenzien aber, 
welche, nach diefem erften Yugenblife, nad) und nad) in 
diefen Subſtanzen würflih werden, und welche ihre Kork. 
dauer ausmachen, gehören nicht mit zu dem Gegenitande 
der Schöpfung; fondern fie werben durch die Kräfte der 
erichaffenen Subftanzen felbft, als durch ihre nächften Ur— 
ſachen, gemürft ; indem eine Subſtanz durd) die Schöpfung 
eben in den Zuftand verfeßt wird, in welchem fie ſelbſt ihre 
eigenen und anderer endlichen Dinge Accidenzien wuͤrken Far, 

4, Theil, u Man 


306 Der Begenftand der Schöpfung. 


Man fege die menfchlice Seele, als ein Beyfpiel. Es 
würde unfchiflich feyn zu fagen, daß z. E. die Gelehr« 
famfeit, die ein Menfch nad) und nad) erlangt, von Gott 
in der Seele deffelben erfchaffen werde. Allein fo viel ift 
gewiß, daß Gort einer iedweden menfchlichen Seele, unter 
andern Accidenzien, eine gewiſſe Erfentniß anerfchaffen ha= 
be, und das find die dunfeln Borftellungen, welche, in 
dem erften Augenblicke des Dafeyns der menſchlichen Seele, 
in ihe würflich gewefen, und wodurch fie fo zu reden den 
erften Schwung befommen, durch melden ihre Borftel« 
lungskraft in Bewegung gefegt worden, fo daß fie feit Die» 
fem Augenblide ununterbrochen gefchäftig ift, um nach und 
nach) andere und andere Borftellungen zu würfen, und in 
fich hervorzubringen. ben das Fan man von der Bewe— 
gung fagen, indem es nothmwendig ift, daß die erfte Bewe— 
gung in der Welt den Subftanzen von Gott anerfchaffen 
worden, und daß er Daher aud) deswegen der erfte Beweger 
der Welt genent werden Fan, 
$. var. 

Es ift eine Frage aufgeworfen worden: ob nemlic) 
Gore, die Subftanzen diefer Welt, in einem Augenblicke, 
und in einem untheilbaren Theile der Zeit erfchaffen habe? 
Her ob die Schöpfung der Subftanzen in der Welt eine 
foldye Handlung Gottes fey, mweldye durch viele auf einan« 
der folgende Zeitpuncte fortgedaurt, wie etwa die voͤllige 
Ausbauung unferes Erdbodens eine ſolche Handlung Got: 
tes gewefen, welche nad) der Erzehlung Mofes fechs Tage 


gedaurt? Diefe Frage ift mehr neugierig als nüglih, und 


man fan fie in zwey Fragen zergliedern. Cinmal, ift die 
Schoͤpfung einer iediweden einzelnen Subſtanz, vor fic) als 
fein genommen, eine foldye Handlung Gorres, welche in 
einem Augenblife und untheilbaren Zeitpuncte ganz volle 
bracht ift; oder eine folche, welche aus Theilen befteht, die 
auf einander folgen, und während weicher in der That eine 
Zeit verfloffen, ehe fie vollbracht worden? Die Beantwors 
tung diefer Frage beruber lediglich darauf, ob die Subſtan⸗ 

zen 

















Der Gegenftand der Schöpfung. 307 


zen einfache, oder im eigentlichen Berftande zufammenges 
fegte Dinge, find? $. 179. Iſt das legte, fo haben fie 
Theile, welche auffer einander würflic find, und deren 
einer nach dem andern von Gott erfchaffen werden fan. 
Folglich kan über der Schöpfung der Subſtanzen eine Zeit 
verflieifen, wie nad) Mofes ‘Bericht über der Schöpfung 
des Erdbodens. Iſt aber eine Subftanz einfach), fo bat 
fie feine Theile auffer Theilen, Folglich Fan fie nicht ans 
ders erfchaffen werden, als auf einmal, und in einem un» 
theilbaren Zeitpuncte. Doc) da ich, in meiner Metaphyſik, 
die Natur der einfachen Dinge, nicht ausführlich unter» 
fucht habe; ſo Fan ich auch, diefe Frage, nicht weitläuftie 
ger beantworten. Zum andern Fan man die Frage folgen 
dergeftalt einrichten? ob alle endliche Subſtanzen, welche 
in diefer Welt würflich find, ohne Ausnahme zu einer Zeik, 
alle auf einmal zufammen genommen, von Gott erfchaffen 
worden, dergeſtalt, daß mwährender Fortdauer der Welt, 
Eeine einzige Subſtanz der Welt erfchaffen werde: oder ob 
Gott nad) und nach, immer mehrere und mehrere Subftan- 
zen, bervorbringe? Nimt man das erfte an, und fege 
voraus, daß die Welt einen Anfang gehabt habe, fo muß 
man fagen: daß alle Seelen, alle endliche Seifter, und alle 
Eiemente der Körper ohne Ausnahme, gleich bey dem erften 
Anfange der Welt von Gott gemürft worden. Nimt man 
das andere an, fo Fan man fagen, daß die Seelen der Thies 
ve und Menfchen bey ihrer Zeugung von Gott erfcyaffen 
werden, und daß alfo Gott noch täglich neue Subftanzen, 
dur) die Schöpfung, in der Welt bervorbringe, welche 
vorher nicht dageweſen find. Welche, unter viefen beyden 
Meinungen, fol man annehmen? ch geftehe, daß ic) 
nad) meinen Einfichten bier nichts, aus den bloffen Grund« 
fügen der Weltweisheit, entfcheiden fan, und ich will mich 
alfo hierbey nicht weitläuftiger aufhalten, Ich würde mich 
ohne Zweifel in eine unendliche Unterſuchung verwiceln, 
und es ſcheint mir nicht, daß fich diefes der Mühe verlohne. 


U 2 §. 982. 


308 Der Gegenftand der Schöpfung. 


6 982% 

Wir haben bisher unterfuht, was Gott erfchaffen 
habe, over mas zu dem Öegenftande der Schöpfung gerec)« 
‚net werden muß. Mun müffen wir auch unterfudhen, was 
Gort nicht erfchaffen habe? Und da ift vor allen Dingen 
leicht zu erweifen, daß es fehlechterdings unmöglich fey: 
daß Gott der Welt, und irgends einer Greatur in derfel« 
ben, eine unabhängliche Fortdauer hätte anerfchaffen, oder 
anerfchaffen fönnen. Denn eine iedwede endlidye Subftanz 
it, in allen Augenblicken ihrer Dauer, endlich und zufaͤl— 
fig. Folglich Fan fie in feinem derfelben anders wuͤrklich 
ſeyn, als eine Würfung wuͤrkender Urſachen auffer ihr 
$. 258. folglich als eine Würfung Gottes $. gar. Mits 
bin kan feine endliche Subitanz anders fortdauren, ober in 
irgends einem Augenblicke ihres Dafeyns auf eine andere 
Art wuͤrklich ſeyn, als ein abhaͤngliches Ding $. 237. 
Wenn ein endliches Ding auch nur in einem einzigen Aus 
genblicke feiner Dauer, feiner Würflichfeit nad), von Gott 
unabhängig wäre: fo. hätte, in demfelben Augenblicke, fele 
ne Würflichkeit feinen binreichenden Grund in Urſachen 
auffer ihm. Folglich koͤnte es wuͤrklich feyn, ohne eine Ur- 
ſach auffer fi) zu haben, und es wäre alfo in demfelben 
Augenblide ein felbfiftändiges Ding $. 2537. Folglich 
wäre es dus nothwendige und unendlithe Ding $. 238. 
Wenn alfo Gore der Welt, und irgends einer Creatur, eine 
unabhängliche Fortdauer anerfchaffen hätte; fo hätte er fie, 
aus einem zufälligen und endlichen Dinge, in ein nothwen« 
diges und unendliches verwandelt. Da nun diefes ſchlech- 
terdings unmöglich ift $. 751. fo hat auch Gore, durch 
feine Allmacht, feinem von ihm erfchaffenen Dinge, eine 
unabhängliche Zortdauer anerſchaffen fönnen $. 865. Wenn 
man fid) alfo, von der Schöpfung der Welt, einen richtis 
gen Begrif machen will; fo muß man ſich diefelbe nicht als 
eine göttliche Handlung vorftellen, durch welche die Welt 
dergeftalt aus Michts gemürft worden, daß fie nachher 


während ihrer Dauer nicht nörbig habe, von Gott in = 
| ort 


0071000000000 1 — — — — —— —— 




















Der Gegenftand der Schöpfung, 309 


Fortdauer unterftüge zu werben. Dieſe Wahrheit wird im 
dem Folgenden noch weiter unterfucht werden, wenn wir 
zeigen werden, daß Gott die Welt nicht nur erfchaffen habe, 
fondern daß er fie auch erhalte. 

$. 983. 

Der wahre, vollftändige und einzige Gegenftand der 
Schöpfung ift, die reelle Würklichkeit der Welt und ihrer 
Theile S. 972. Was alfo nicht, zu der Wuͤrklichkeit der 
Melt, und der endlichen Subſtanzen in derfelben, gehört, 
das gehört auch) nicht zu dem Gegenftande der Schöpfung, 
oder das ift nicht von Sort erfchaffen worden. Nun ges 
hört, die innerliche Möglichkeit der Welt und aller ihrer 
Theile, oder das Wefen der Welt und ihrer Theile, nicht 
mit zu ihrer Würflichfeit S. 60. Folglich ift es unges 
reimt zu fagen, daß Gott das Wefen der Welt und ihrer 
Theile, die wefentlichen Stuͤcke und Eigenfchaften derfelben, 
erſchaffen habe; daß er neue Wefen fehaffen Fonne, daß er 
dem Adam ein anderes Wefen anerfchaffen koͤnnen, und 
was dergleichen twunderliche Einfälle mehr find. Die ganze 
innerlihe Möglichfeit, und das Weſen aller Dinge auffer 
Gott, ift auf eine fehlechrerdings nothwendige Art, in dem 
Weſen Gottes, zureichend gegründet S. 832. nicht aber in 
dem freyen Willen Gottes, in feiner Allmacht, und in der 
Schöpfung. Es ift offenbar unfinnig zu fagen, dad Gott 
ein Wefen, oder eine innerliche Möglichkeit, fhaffe. Denn 
etwas fchaffen, heift etwas würfen. Folglich muß das Era 
ſchaffene nicht etwas blos mögliches, fondern was wuͤrkliches 
ſeyn, und folglich kan es nicht das Wefen einer Sache feyn. 
Unterdeffen müffen wir hier das Wefen fo nehmen, wie es 
in der Ontologie erflärt worden $. 51. Wolte man daruns 
ter eine Subftanz verftehen,, oder die ganze Beſchaffenheit 
einer Sache, und aledenn die Dinge in der Welt, von Gott 
erſchaffene Wefen, nennen: fo würde man einen ‚leeren 
Wortſtreit erregen, und deutliche Wahrheiten ohne Noth 
in Verwirrung fegen. Man Fan aud) nicht einmal fagen, 
daß Gott, den Dingen in der Welt, ihr Wefen anerfc)afs 

u3 fen 


310 Der Begenftand der Schöpfung. 


fen babe $ 980. Man müßte denn, das Wort, verbres 
ben, und jagen: einer Ereatur ſeyn alle ihre Beftimmun« 
gen anerfhaffen. Da nun, das Wefen der Ereaturen, 
eine Beſtimmung derfelben iftz fo müßte man fagen, daß 
Gott, allen Dingen in der Welt, ihr Wefen durch die 
Schöpfung gegeben, und mitgetheilt habe. Allein, da 
würde man abermals, einen Eindifchen Wortftreit , erregen, 
Wer der Sache gehörig nachdenft, der finder, daß die We— 


fen aller erichaffenen Dinge die Entwürfe derfelben find, - 


deren ewige Begriffe in dem göttlichen Berftande die Urbils 
der find, nad) denen Gott durch die Schöpfung ihre Würfs 
lichkeit eingerichter hat. Folglich hat Gott die Wefen nicht 
erfchaffen,, oder den Dingen anerfchaffen; fondern er hat 
die Würflichkeit der Welt, und aller ihrer Theile, nad) 
Maapgebung ihres Wefens, als ein weifer Baumeifter, 
durch die Schöpfung eingerichtet. Da nun, das metaphy: 
ſiſche Uebel der endlichen Dinge, die Einſchrenkung des 
Weſens derfelben ift $. 137. fo gebört es mit zu dem Wefen 
derfelben, und es ift alfo weder von Gott erfchaffen, noch 
don endlichen Dingen in viefer Welt anerfchaffen' worden. 
Und wenn wir in dem Folgenden zeigen werden, daß alle 
Einden, und alle übrigen zufälligen Uebel in der Welt, 


aus Dem metaphufifchen Uebel der Ereaturen flieffen: fo 


wird alsdenn klar werden, daß dieſe Uebel nicht in der 

Schöpfung, und alfo auch nicht in dem Willen Gottes, ge: 
gründet find. 

S. 984. 

Wenn man diefer legten Betrachtung genauer nach» 

denft, fo wird man leicht überzeugt werden fönnen, daß es 

ungereimt zu fagen fen: Gott habe irgends etwas Böfes 

erſchaffen, in fo ferne eg böfe ift, oder in fo ferne es formas 

liter betrachtet wird. Denn alle Sünden, alle Unvoll« 


fommenbeiten, alles Uebel, kurz, alles Böfe in fo ferne es 


böfe iſt, befteht in einer Verneinung $. 960. 132. Nun 
fan, durch feine Handlung Gottes, eine Berneinung ger 
wuͤrkt werden $, 864. 939. Widrigenfals müßte in der 

Des 
































Der Gegenftand der Schöpfung. zur 


Beftimmung der göftlihen Allmacht, in feinem Willen, 
kurz, es müßte innerlich in Gott, ein Grund einer Berneis 
nung würflich fenn. Alle Gründe der Berneinungen find 
Verneinungen $. 133. Folglich müßte in Gott eine Ber- 
neinung ſeyn. Da nun diefes fehlechrerdings unmöglich iſt 
$. 818. ſo iſt es ungereimt zu fagen, daß Gott irgendg eine 
Unvollfommenbeit, in fo ferne fie eine Unvollfommenbeit 
ift, erfchaffen habe. Alle Schwierigkeit, die hier gemacht 
merden fan, entiteht daher, weil ſich fein Uebel denken läft, 
welches blos ein Uebel, oder ein blos verneinendes Ding 
wäre $. 131. Alles Böfe demnach, was wir in dieſer Welt 
bey den erichaffenen Dingen antreffen, ift zugleich was Guts 
und Reelles, in fo ferne es moͤglich und würflih ift. In⸗ 
dem wir alfo 3. E. gedenken, daß Gott den Teufel und 
andere böfe Creaturen erfchaffen habe; fo Itellen wir uns un 
vermerft vor, daß er fie erſchaffen, in fo ferne fie böfe find, 
Allein hierin ftet, eine groffe Verwirrung der Begriffe. 
Es ift unmöglid), daß Gott aufler ſich uneingefchrenfte 
Dinge hätte erfchaffen follen: denn das hiefle fo viel als, 
lauter wahre Götter fchaffen. Folglich ift es unmoͤglich, 
andere Nealitäten zu erfchaffen, als welche nicht die gröften 
find. Indem alfo Gott eine Realität wuͤrklich macht, wel 
che nicht die gröfte ift, fo befteht in der Abmwefenheit des 
gröffern Grades die Einfchrenfung, und alles Böfe formas 
liter betrachtet. Es ift daffelbe alfo nicht mas würfliches, 
fondern ein Mangel einer groͤſſern Wuͤrklichkeit, und es ift 
offenbar, daß derfelbe fein Gegenftand der Schöpfung feyn 
fonne. Wir wollen hier vorausfegen, daß die fo genanten 
unvernünftigen Thiere Feine Bernunft "haben. Diefe Ab; 
mefenheit der Vernunft ift nichts, in der Seele diefer Thies 
te, würflich vorhandenes; fondern ihre Erkentnißkraft ift 
ihrer Nealität nach Fleiner , als die Kraft einer vernünftigen 
Creatur. Indem alſo Gott die Seelen diefer Thiere er« 
— * ſo hat er reelle Vorſtellungskraͤfte hervorgebracht, 
die aber kleiner ſind, als die Geiſter. Folgt aber wol 
— daß, die Unvernunft diefer Thiere, eine Würfung 
14 des 


512 Der Gegenſtand der Schöpfung. 


des Willens und der Kraft Gottes ſey? Auf eine ähnliche 
Art Fan man es ſich überhaupt deutlich machen, daß Gore 
feine Unvollkommenheit der Creaturen, nichts böfes im 
der Welt erfchaffen habe, in fo ferne es formaliter betrad)« 
tet wird. | 
$. 985. 

Hirraus Fan zualeich erwiefen werben, es ſey unmoͤg⸗ 

lid), daß Gott der Urheber der Sünde, und irgends eines 
andern zufälligen Uebels in diefer Welt, ſeyn koͤnne, in fo 
ferne es formaliter betrachtet wird. Es Fan diefe wichtige 
Wahrheit, auf eine doppelte Art, erwiefen werden. Eins 
mal, aus der moraliſchen Heiligkeit, und hoͤchſten Vollkom— 
menbeit des göttlichen Willens $. 944. Denn Gott Fan 
unmöglich der Urheber einer Sache genent werden, die er 
nicht will $. 977. Mun will Gort nichts böfes, in fo 
ferne es böfe ft. Alle Unvolltommenbeiten, alle Berneis 
nungen, alle Sünden, altes Uebel, in fo ferne fie böfe find, 
mißfallen Gott, und werden, von feinem allerheiligiten 
Willen, verabfcheuer und unendlich gehaßt $. 934. Folg⸗ 
lich Fan er Fein zufälliges Uebel, Feine Sünde in diefer Welt, 
begehren, alfo auch nicht frey begehren, alfo auch nicht 
durd) eine freye Handlung würfen, folglich Fan er nicht der 
Urheber veffelben feyn. Zum andern fan man, den Bes 
weis, auch) forgenderaeftalt einrichten? wenn Gott der Urs 
heber irgends einer Sünde, und irgends eines zufälligen 
Uebels, in fo ferne es ein Uebel ift, wäre; fo läge, der 
Grund einer zufälligen Verneinung, in einer freyen Hands 
lung Öottes S. 977, folalid) in dem freyen Willen, und 
in dem freyen Gebrauche der Kraft Gottes. Da nun Dies 
fer Grund eine Verneinung ift $. 134. fo wäre in Gore 
eine Berneinung, und das ift unmoͤglich $. gg. Es ift 
daher unleugbar, daß Gott auf Eeinerley Weile, die würe 
kende Urſach und der Urheber irgends einer zufälligen Ans 
vollfommenbeic und einer Sünde, ſeyn fünne, in fo ferne 
fie als was böfes betrachtet werden. Wenn Gott, irgends 
auf eine Art, der Urheber einer zufälligen —— 
eit 








Der Gegenftand der Schöpfung: 313 


heit in der Welt wäre; fo brächte er fie, durch feine Hand⸗ 
lungen in die Welt, hervor. Alle diefe Handlungen. Got⸗ 
tes find frey 6. 939. Folglich thaͤte Gott folche freye 
Handlungen, die böfe Wuͤrkungen hervorbrächten, Die dem⸗ 
nad) moralifc) böfe und Sünden wären. Nun fan Gott 
nicht fündigen $. 944. Folglich fan er aud) nicht der 
unmittelbare Urheber irgends einer Sünde, und eines an⸗ 
dern zufälligen Uebels in der Welt ſeyn. Es Fonnen frey« 
lich dawider mandye Einmwürfe gemacht werden ; allein wir 


"wollen diefelben beantworten , wenn wir in dem Folgenden, 


die göttliche Zulaffung des Boͤſen inder Welt, unterfuchen 
werden. - K ; 


$. 986. Ä | 

Jederman weis, dag man nicht nur felbft fündigen, 
und der Urheber feiner eigenen Sünden fern Fan; fondern 
daß man auch durch andere Menfchen fündigen, und an 
ihren Sünden einen moralifchen Antheil nehmen Fan, indem 
man der mittelbare.Urbeber derfelben wird. Man fönte 
nemlich einen iedweden Urheber, die moralifche Urſach ſei⸗ 
ner Werke, nennen, indem man, durd) eine moralifche 
Urſach im weitern Derftande, eine iedwede würfende 
Urfache verftehen kan, welche auf eine freye und moralifche 
Art, oder durch freye Handlungen, ihre Würfungen wuͤrkt. 
Und fo würde, ein ieder Urheber einer Sache, ihre mora« 
liſche Urfach, zum Unterſchiede der phufifchen Urfachen, ge= 
nent, welche legtere folche würfende Urſachen find, die ihre 
Wuͤrkungen durch Handlungen würfen, die nicht frey find, 
es mögen nun diefe würfende Urfachen übrigens mit einem 
frenen Willen begabt feyn, oder nicht. So ift der Menſch 
eine blos phyſiſche Urſach von vielen feiner Handlungen, 
und alle Subftanzen auffer ven Geiftern find, in aller ihrer 
Geſchaͤftigkeit, blos als phyſiſche Urfachen zu betrachten. 
Allein, in den moralifhen Difeiplinen, nimt man Das 
Wort in einer eingefehrenftern Bedeutung, und verſteht 
durch eine morslifche Urſach ım engern Derftande 
den Urheber einer Handlung oder Sache, vermittelft des 
| Us freyen 


314 Der Gegenſtand der Schöpfung. 


freyen Willens einer andern Perſon. Wenn iemand ben 
freyen Willen einer Perfon, durch Bewegungsgründe, 
durch Neigungen oder Drohungen, durch Anrathen oder 
Abrathen, durch Verführung, durch Erpreffung, oder 
Durch irgends eine andere Handlung, wodurch derfelben 
Borftellungen des Guten oder Böfen beygebracht werden, ders 
geſtalt beftimt, daß fie diejenige freye Handlung vornimt, 
welche er wünfche: fo wird er Die moralifche Urfach im en« 
gern Verſtande von diefer Handlung, und allen ihren mo« 
ralifchen Folgen. Folglich fan man durch das bloffe Bey» 
fpiel, welches man einem andern gibt, die moralifche Urs 
fach im engern Berftande, oder der mittelbare Urheber feis 
nes freyen Verhaltens werden. 3. E. wenn man ieman- 
den zum Guten fräftig ermahnt, fo wird man die moralis 
ſche Urſach im engern Berftande von feinem guten Verhal-⸗ 
ten. Und eben fo nimt man an den Sünden anderer Leute 
einen moralifchen Antheil, wenn man fie zu denfelben vers 
führt, Es ift unmöglid), daß Gott, auch in diefem Vers 
ftande, die moralifche Urfach der Sünden, und des zufällis 
gen moralijchen Uebels in diefer Welt, feyn koͤnte. Denn 
die Sünden und alle moralifche Uebel, fermaliter betrachtet, 
haben, ihren nächften Grund, in Berneinungen und Un: 
vollkommenheiten der Beſtimmung des freyen Willens der 
vernünftigen Ereaturen. Wenn nun Gott, diefe unvoll. 
fommene Beftimmung, durch eine freye Handlung wuͤrkte, 
und das müßte er thun, wenn er von den Sünden die mo» 
ralifche Urfach im engern Berftande feyn folte: fo müßte, in 
feiner freyen Handlung, und alfo aud) in feinem freyen Wil 
len, eine Berneinung feyn. Da diefes nun unmöglich ift 
$. 944. fo kan er auch nicht, der mittelbare Urheber der 
Sünden und des moralifchen Uebels in der Welt, feyn. 


8§. 987. 

Die heilige Schrift fagt, daß Gott Fein Verfucher 
zum Boͤſen ſey, und daß er niemanden verfuche, und wir 
koͤnnen, eben diefe Wahrheit, auch aus der Vernunft ers 
weiſen. in Verſucher zum Boͤſen ift derjenige, — 

er 











Der Gegenſtand der Schöpfung. 315 


cher einer Perfon Bemegungsgründe zur Sünde, in fo fer⸗ 
ne fie formaliter betrachtet wird, einflöft, oder an die Hand 
gibt. Oder man verfucht iemanden zum Böfen, wenn 
man, fo viel an ung liegt, im engern Berftande die mora« 
lifche Urfach feiner Sünden wird. Wir nehmen das Wort 
bier gleich in der böfen Bedeutung, und unterſcheiden diefe 
Verfuhung von der Verſuchung überhaupt, wenn man 
iemanden auf die Probe ftelt, einen Verſuch mit ihm mad), 
und ihn in folche Umſtaͤnde ſetzt, in Denen er fündigen und 
auch nicht fündigen fan. Man fege, daß ein Herr gerne 
wiflen will, vb fein Bedienter ehrlich fen oder nicht. Ges 
ſetzt, er legt ihm eine Summe Geld in den Weg: fo ſtelt 
er ihn auf die Probe, und führt ihn in Verfuchung. Iſt 
das unrecht? Kan man einen folhen Herrn einen Berfucher 
zum Boͤſen nennen, und ihn befchuldigen, daß er feinen 
Bedienten zum Diebftal verleitet habe? Man fege, der 
Bediente findet das Geld, und fämpft. mit ſich felbft, ob 
er es feinem Herrn entwenden foll, oder nicht. Geſetzt, er 
fagt es einem Mitbedienten. Wenn ihn nun derfelbe über« 
redet, er folle es dem Herrn entwenden, fo ift der Mitbe— 
diente der Berfucher zum Böfen. So verfuchte der Teu« 
fel, unfere erfte Mutter, zur Sünde. Er gab ihr nicht 
blos Bewegungsgründe zum Genuß der verbotenen Frucht, 
in fo ferne derfelbe materialiter betrachtet wird ; fondern als 
Eva das Formale diefer Sünde, oder die Abweichung von 
Gottes Gebot, vorftelte; fo überredete er fie, zu diefer Ab« 
weichung. Da es nun unmöglic) ift, daß Gott im engern 
Berftande die moralifche Urfach irgends einer Sünde feyn 
fans. 986. fo ift es aud) unmöglich, daß er irgends einen 
Menfchen, oder eine andere vernünftige Creatur, zum Boͤ⸗ 
fen verfuchen fan. Es ift wahr, Gore hat unfere erſte 


» Eltern auf die Probe geftelt und in Berfuhung geführt, in« 


dem er fie in ſolche Umftände gefegt, daß fie rechtmäßig 
handeln und auch fündigen konten, indem er einen Baum 
gepflanzt, und den Genuß feiner Frucht verboten, Allein 
eben dadurch bat er bewiefen, daß er fie nicht zum Boͤſen 

ver⸗ 


316 Dieſe Welt iſt die beſte. 


verfucht,, weil er ihnen Feine Bermegungsgründe zum Unge⸗ 
horſam, wol aber zum Gegentheil, gegeben. Aus dieſen 


bisherigen Abhandlungen ift alfo Flar, daß weder die Suͤn⸗ 
de, noch irgends ein anderes Uebel in der Welt, in fo ferne 
es formaliter betradjtet wird, gleichfam in gerader Linie von 
Sort abſtamme. ; 


Diefe Welt ift die befte. 


$. 988: 

Wenn man, den Öegenftand der Schöpfung, gehoͤ⸗ 
rig betrachten will, fo ift es nod) lange nicht genung, wenn 
man ſich überzeugt, daß er alle endliche Subitanzen, die 

-auffer Gott wuͤrklich find, in fich begreife. Denn mern 


Gott au), unter allen möglidyen Welten, die allerelendefte 


und unvollfommenfte ausgeſucht und erfchaffen hätte: fo 
toürde man demohnerachtet fagen fünnen und müffen, daß 
er alsdenn alle auffer ihm würfliche endliche Subftanzen er 
fchaffen hätte. Folglich ift es noͤthig, fid) von der höchften 
Vollkommenheit diefer Welt zu überzeugen. Das Werk 
lobt den Meifter. Soll alfo die Welt, und die Schöpfung 
derfelben, eine Dffenbarung aller Bollfommenbeiten Gottes 
feyn ; fo muß Gott nichts befferes durch die Schöpfung haben 
wuͤrken fönnen, als diefe Welt. Wenn iemand zu verſchie— 
denen Zeiten verfehiedene Werfe hervorbringt, fo fehadet es 
nichts, wenn etwa die erftern nicht recht gelingen. Er fan 
es in den folgenden immer beffer machen, als in den vorher 


gehenden. Allein wenn iemand nur ein einziges Werf lie⸗ 


fert, fo ift feine Ehre auf ewig zu Schanden gemacht, wenn 
er ſich in demfelben nicht als den vollfommenften Meifter 
beweiſt. Nun Fan nur eine einzige Welt würftich feyn, und 
Das ift die unfrige. Hat es nun Gott bey der Schöpfung 
diefer Welt verfehen, und häfte er eine beffere Weit fchaffen 
fönnen, als die unſrige: fo ift es unmöglich, feine höchfte 
Ehre in Sicherheit zu ftellen. Es ift alfo unbegreiflich, 
wie ein wahrer Verehrer Gottes fyftematifch auf den Eins 
fall gerathen fan, daß diefe Welt nicht die befte fen. a 

nicht 








‚Diefe Welt ift die befie, 317 


nicht zufammenhängend denft, dem Fan es nicht zugemuthet 
werden, daß er fich felbft in feinen Meinungen nicht widers 
fprechen folte. Allein wenn Gottesgelehrte und Weltweiſe 
fo wiberfprechend denken: fo ift es zweifelhaft, ob man fie 
blinde Verehrer Gottes nennen foll, oder ob man fie als 
heimliche und boshafte Feinde der Ehre Gottes betrachten 
ſoll, welche es recht darauf anzufangen ſcheinen, die höchfte 
Ehre Gottes mit unauslöfnlichen Schandfleden zu beſu⸗ 


deln, Wir wollen alfo uns bemühen, ächte Verehrer Got⸗ 


tes zu feyn, und uns aufs gemiffefte überzeugen: daß das 
einzige Werf Gottes, welches er hervorgebracht hat, das 
allerbefte fey, und das ſich alle Vollkommenheiten Gottes, 
bey DBerfertigung deffelben, im hoͤchſten Grade gefchäftig. 
erwiefen haben. 


8§. 989, 

Man muß fich in der That wundern, daß es Leute 
geben Fan, welche ein Bedenken tragen, diefe vortrefliche 
Wahrheit in Zweifel zu ziehen, da fie auf eine fo deutliche 
Art, aus der höchften Vollkommenheit und Heiligkeit des 
göttlichen Willens, ermwiefen werden fan. Wir wollen erſt 


unfern Beweis führen, und alsdenn die Bedenklichkeiten 


der Gegner diefer Wahrheit prüfen. Und da muß man 
ſich zum voraus überzeugen, daß Gott die Würflichkeit dies 


fer Welt begehrt und gewolt habe; oder daß er, von Ewig⸗ 


feit her, gewolt habe, daß diefe Welt und feine andere 
wuͤrklich ſeyn folle. Denn die Schöpfung der Welt ift eine 
freye Handlung Gottes $. 977. Folglich hat ſich Gott, nach 
feinem allervollfommenften Belieben, und nad) feiner allers 
deutlichſten freyen Wiſſenſchaft, beftime, eben dieſe und kei⸗— 
ne andere Welt zu fhaffen $. 940, 939. Die Beltim« 
mung, ber allmächtigen Kraft Gottes, narh deutlicher Era 


kentniß, ift das göttliche Wollen. Folglich) ift ohne Wis 


derrede Flar, daß Gott diefe Welt habe ſchaffen wollen. 
Gore ift in der Schöpfung diefer Welt dergeftalt im höchften 
Grabe felbftrhätig geweſen, daß es fo gar fchlechterdings un« 
möglich ift, daß er ſich dabey nur jm geringften leidentlich 

hätte 


318 Diefe Welt ift die beſte. 


hätte follen verhalten Eönnen $. 933. Folglich ift die Schö- 
pfung der Welt durchaus, im allerhöchften Grade, eine eis 
gene Handlung Gottes, welche in einem Gebrauche und in 
einer Beſtimmung der allmächtigen Kraft, Gottes befteht 
$. 864. Folglich ift fie zugleich eine Begierde, und ein 
Wollen Gottes. S. 935. welches alfo in den allervollfom- 
menften Einfichten und Bewegungsgruͤnden, gegründet ift. 
Nun hätte Gott die Schöpfung diefer Welt unterlaffen füns 
nen, er hätte gar Feine Welt fchaffen fönnen, und er hätte 
eine andere Welt fchaffen fünnen: weil es möglid) ift, daß 
diefe Welt nicht würflich geworben, daß gar Feine Welt, 
oder eine andere ftat dieſer würftich geworden, und weil 
Gott durch feine Allmacht alle mögliche Dinge wuͤrklich ma⸗ 
chen Fan $. 862. Folglid) ift die Schöpfung diefer Weit, 
in Abfiht der Allmacht Gottes, eine Handlung, die der 
Ausübung nach frey iſt, und fie bat alfo alle Eigenfchaften 
einer wahren freyen Handlung. Die Gegner ver Lehre von 
der beiten Welt fönnen diefes fchlechterdings nicht leugnen, 
wenn fie nicht den abſcheulichſten Irrthum behaupten, und 


theologifche Fataliften fern wollen. Haͤtte Gott feine an» 


dere als diefe Welt fchaffen koͤnnen, fo müßte Feine andere 
als diefe Welt möglich feyn, und fie wäre alfo fehlechter- 
dings nothwendig, und weder fie felbit noch irgeuds etwas 
in derfelben koͤnte zufällig fenn, Hätte Gott, bey der 
Schöpfung diefer Welt, nicht frey gehandelt, fo wäre er 
eine blos phyſiſche Urfach der Welt, und die Welt wäre 
nichts anders als eine phnfifche und blos natürliche Wuͤrkung 
Gottes, und fie koͤnte unmöglich das Werf eines meifen, 
gütigen und moralifch heiligen Werfmeifters feyn. Wenn 
wir fagen, daß Gore diefe Welt begehrte und gewolt habe, 
fo verfteht ſich Diefes nur in fo ferne die Welt que if. Da 
fie aber endlich, und alfo auch zugleich böfe iſt; fo iſt vor 
fid) Elar, daß Gott das Boͤſe in der Welt verabfcheue, 
Und da er fie wirklich gemacht hat, fo hat er fie mehr be« 
gehrt als verabfcheuet. Kine iedwede andere mögliche 


Welt begehrt, und verabſcheuet Gott auch zugleich. Allein 
da 


—— — — 


— — 3 * 








Dieſe Welt iſt die beſte. 319 


da er keine derſelben wuͤrklich macht, ſo verabſcheuet er ſie 
in einem hoͤhern Grade, als er ſie begehrt. 


990. | | 
Da es nun unleugbar ift, daß Gott die Wuͤrklich⸗ 
keit dieſer Welt dergeftalt begehrt und gewolt hat, daß eben 
durch diefes Wollen, feine almächtige Kraft, in einem fo 
hohen Grade beftimt und angeftvengt worden, als zu der 
Wuͤrkung diefer Welt erfordert worden: fo hat Gott Diefe 
Welt, durch eine würfende Begierde, gewolt 9.668, Und 
da er fich felbft, aufs deutlichſte und untrüglichfte, Fent 
$. 903, fo hat er diefe Welt und ihre Würklichkeit in einem 
fo hohen Grade gewolt, daß er felbft gewuſt, feine Kraft 
reiche zu, die Welt dadurd) zu würfen. Folglich ift, feine 
Begierde nad; der Wuͤrklichkeit diefer Welt, eine beſchlieſ⸗ 
fende Begierde $. 668. Und Gore hat alfo befchloffen, 
oder von Ewigkeit ber den Rathſchluß gefaßt, dieſe Welt 
zur Wuͤrklichkeit zu bringen F. 692, Weil alfo diefe Welt, 
durch den freyen Willen Gottes, mwürflicy geworden, fo 
bat erfie zu fhaffen befchloffen. Nun begehrt Gott zwar 
alle übrige mögliche Welten, in fo ferne fie gut und volls 
Fommen find $. 936. Allein da Feine derfelben, durch dies 
fe Begierde Gottes, oder durch diefes göttliche ABollen, 
weder wuͤrklich geworden, noch in Ewigkeit wuͤrklich wer 
den wird: fo ift diefer Wille Gottes ein bloffer vorhergehender 
Wille, und Fein befchlieffender und würfender Wille $. 937. 
Es ift offenbar ungereimt, wenn man fagen wolte, daß 
Gott irgends eine andere Welt, auffer der unfrigen, wuͤr⸗ 
fend gewolt habe: denn, durch eine iedwede würfende Bes 
gierde, wird der Gegenftand wuͤrklich. Und wenn man 
fagen wolte, Gott habe eine andere Welt auffer der unfri» 
gen auch zu fehaffen befchloffen; fo müßte er fich betrogen, 
und einen Entſchluß gefaßt haben, der nicht ausgeführt 
wird, Da nun die befchlieffenden und würfenden Begier— 
den gröffer und flärfer find, als diejenigen, die nicht bes 
fchlieffend und mürfend find $. 668. fo ift offenbar, daß 
ort die Würflicyfeie dieſer Welt in einem böhern Grade 
gemwolt 


320 Diefe Welt ift die befte, 


gewolt und begehrt habe, als die Wuͤrklichkeit aller übrigen 
möglichen Welten. Oder Gott hat, in einem höhern Gras 
de, diefe Welt fchaffen mwollen,. als irgends eine andere 


möglidie Welt, Auch diefe Wahrheit ift fo unleugbar, 


daß nur ein unmiffender und verwirrter Kopf diefelbe in 
Zweifel ziehen fan. Kan man auch nur mit einiger Wahr« 
fcheinlichkeit annehmen, daß Gott, die Wuͤrklichkeit irgends 
einer andern Welt auffer der unfrigen, durch feinen ewigen 
Rathſchluß befchloffen habe? Oder, daß ein befchlieifendes 
Wollen ein Eleineres und ſchwaͤcheres Wollen fenn koͤnne, 
als ein folches, wodurd) der Gegenftand nicht befchloffen 
und wuͤrklich gemacht wird ? 


| $- 991. 
Hieraus folge nun unmwiderfprechlich, daß diefe Welt, 
unter allen möglidyen Welten, die vollfommenfte, beite und 


gröfte fey. Denn Gott hat die Würflichkeie dieſer Welt 


ftärfer begehrt und gemolt, als die Wuͤrklichkeit einer ied« 
weden andern möglichen Welt S. 990. Nun iſt der Wille 
Gottes, nicht nur der göttlichen Erkentniß, ſondern aud) 
den Gegenftänden felbft, aufs genauefte und vollfommenite 
proportionirt $. 932. dergeftalt, daß er nicht nur dasjeni⸗ 
ge Ding, welches er ftärfer begehrt als etwas anderes, ſich 
als ein befferes Ding vorftellen muß, als das andere; fon« 
dern daß auch dieſes Ding felbit beifer fenn muß, als das ana 
dere. Da Gott nun diefe Welt ftärfer begehrt, als eine 
iedwede andere; fo muß fie auch beffer feyn, als alle andere, 


und Gott muß fie ſich aud) als beffer voritellen, als die 


übrigen, Und da er nicht irren Fan, fo muß fie auch würfs 
lich beffer feyn, als alle übrige $. 899. Hieraus folge 
alfo zweyerley. Einmal, diefe Welt ift beſſer und voll« 
fommener als die übrigen möglichen Welten, dergeftalt, daß 
Feine Welt möglich ift, in welcher eine gröffere Bollftoms 
menheit ftat finden Fönte, als in diefer Welt angetroffen 
wird, Da alfo diefe Welt eine fo groffe Vollkommenheit 
in fich enthält, als in einer Welt möglich ift, und als in 


£einer andern möglichen. Welt ftat finden Fan: fo it fie die 
allera 











I 
ii 
I 


| 
| 


1% 


Diefe Welt ift die befte, 321 


allervollfommenfte, befte und aröfte Welt $. 427: ır fo 
ferne Gott erfant hat, daß diefe Welt befier fey, als alle 
übrige mögliche Welten, und in fo ferne er fie deswegen zn 
fchaffen befchloffen hat; in fo ferne faget man, Gott habe 
diefe Welt allen übrigen vorgezogen, und fie unter allen 
übrigen erwählt $. 693. Wir koͤnnen und müffen aljo 
alles dasjenige, was wir in der Cofmologie von der beften 


Melt erwiefen haben $. 426450. auf diefe Welt anwen« 


den, und das Fan ein iedweder Leſer vor fich felbft hun. 
Zum andern muß, in diefer Welt mehr Guts, und mehr 
Bollfommenheit angetroffen werden, als Böfes und Lnvolle 
fommenheit, Denn Gote hat diefe Welt, wie alle endliche 
Dinge, zugleich begehrt und verabſcheuet; aber fein Wohls 
gefallen an diefer Welt ift ſtaͤrker, als fein Mißfallen an 


derſelben $. 991. Folglich muß er, um der Proportion 
‚ feines Willens willen $. y32. fi mehr Guts als Boͤſes 
in diefer Welt vorgeftelt haben; und, um der Unträglich- 


feit feiner Erkentniß willen 9. 899. muß demnach mehr 
Guts als Böfes, in diefer Welt, würklicdy fern, Keine 
andere mögliche Welt auffer der unfrigen hat Gott zu ſchaf⸗ 
fen befchloffen: und fie müffen alfo entweder vor fich betrach— 
tet mehr böfe und unvollfommen als guet und vollfommen 


ſeyn, und Gort bat fie alfo mehr verabſcheuet als begehrt; 


oder fie müffen, in Vergleichung mit der unſrigen, fchlec)« 
fer und unvollfommener feyn, als die unfrige, 
$. 902. 

Die Lehre von der beiten Welt ift eine fo wichtige und 
annehmungsmwürdige Lehre, daß man von ihr fagen Fan, 
was Cicero von der Unfterblic)feit der Seele gefagt hat: 
nemlih, daß, wenn fie auch ein Irrthum feyn folte, fie 
doch) ein Irrthum fey, welcher für uns Menfchen fo nüß. 
lich, angenehm und troſtreich iſt, daß wir alles mögliche 
anwenden müffen, um ihn nicht für einen Irrthum zu eve 
fennen. Denn die befte Welt ift eben die befte, weil ein 
iedweder Theil derfelben fo vollfommen ift, als möglich. 
Es * es alſo kein Menſch — haben, als in der beſten 

‚Theil, Welt, 


592 Diefe Welt iſt die beſte. 


Welt, und daraus flieſt das Vertrauen auf Gott, und die 
wahre Zufriedenheit und Beruhigung des Gemuͤths in allen 
Vorfaͤllen des Lebens, ſamt der hofnungsvolleſten und frös 
lichſten Ausſicht in die ganze Zukunft. Wer alſo ſein eige— 
ner Henker ſeyn will, der mag ſich ſelbſt aufs empfindlichſte 
beleidigen, und ſagen, daß dieſe Welt nicht die beſte ſey. 
Es verlohnt ſich alſo wol der Muͤhe, daß wir den vorhin 
angeführten Beweis von der Wahrheit, daß dieſe Welt 
die befte fen, noch auf eine andere Are vortragen ,; die viels 
leichte für manche Leute faßlicyer und überzeugender ift. 
Nemlich, wenn diefe Welt nicht, unter allen möglichen 
Welten, die befte wäre; fo müßte entweder Feine befte Welt 
möglic) feyn, oder es ift unter allen möglichen Welten eine 
die beſte. Das erfte ift ungereimt F. 426. Es haben in 
der That, einige Feinde der Lehre von der beften Welt, die 
feltfame Ausflucht ergriffen, und gefagt, daß es eine philos 
fophifche Träumerey fey, zu behaupten, daß unzählig viele 
Welten möglich feyn. Allein da diefe Ausflucht, die Zus 
faͤlligkeit dieſer Welt, über den Haufen wirft; fo fieht man, 
zu was für gefährlichen Ausflüchten ein Menſch, durch die 
Beſtuͤrmung einer Wahrheit, verleitet werden Fan. Cs 
Fan alfo mit Bernunft gar nicht geleugnet werden, Daß viele 
Welten moͤglich find, und daß fie alle in einem gewiſſen 
Grade vollkommen find, dergeſtalt, daß eine unter denfel: 
ben die vollkommenſte und beite iſt. Wenn alfo eine befte 
Welt möglich, die einzige würfliche aber, die Gott erfchafs 
fen hat, nicht die. befie iſt; ſo muß ein Grund vorhanden 
ſeyn, warum die befte Welt nicht mürflich geworden. Nun 
liege der binreichende Grund, warum eine Welt würflich 
oder nicht würflich geworden, in Gott. Folglich hat Gott 
entweder eine Erfentniß von der beiten Welt gehabt, oder 
nicht. Das legte ift ungereimt, und ftreitet wider die All— 
wiffenheit Gottes. Es hat demnach Gott von Ewigkeit 
ber gewuft, welche unter allen möglichen Welten die befte 
ift S. 904. Iſt eine befte Welt möglich, und hat fie 
Gore gewuft, und bat fie doch nicht wuͤrklich gemacht: fo 

bat 


— ——— ee 











Diefe Welt ift die befte. 328 


hat er fie entweder wuͤrklich machen koͤnnen, ober nicht. Das 
legte iſt ungereimt, weil es der Allmacht Gottes widerſpricht 
$. 864. Woran liege nun, in aller Welt, vie Schuld ? 
Eine befte Welt ift möglich, Gott hat eine Erkentniß von 
ihr gebabt, und er hat auch Macht genung beſeſſen, fie 
wuͤrklich zu machen, und wenn er fie doch nicht wuͤrklich ge— 
macht, fo muß er fie nicht haben fehaffen wollen. Folglich 
ift, feine Erfentniß von der beiten Belt, entweder ganz 
todt geweſen, oder nicht fo lebendig, als die Erfentniß von 
einer andern fehlechtern Well. Das erfte it unmöglic) 
$. 902. und das andere ebenfals $. 924. Kin gröfleres 
Gut erfene Gott allemal lebendiger, als ein Fleineres. 
Und es ift unmöglich und gottesläfterlich zu gedenfen, daß 
Gott das beffere erkennen, und doch das ſchlechtere begeh⸗ 
ren fonne. Man mag alfo diefe Sache betrachten, wie 
man will; fo ift es der hoͤchſten Vollkommenheit Gottes 
zuwider, wenn man leugnef, daß diefe Welt die befte fen. 
Und das wird, aus der folgenden Unterfuhung, nod) 
deutlicher erhellen, 


G. 993. 

Wir wollen nemlich die Lehre von der beften Welt, 
mit einigen göttlichen Vollkommenheiten, vergleichen, wel⸗ 
che alle übrige in fich faffen, und ung überzeugen, daß Die 
befte Welt die einzige Welt fey, bey deren Schöpfung diefe 
Vollkommenheiten im hoͤchſten Grade haben offenbaret wer« 
den Fönnen; und daß Gott, durch die Schöpfung einer 
iedweden andern Welt, nicht würde in der That erwieſen 
haben, daß er diefe Vollfommenheiten im höchften Grade 
befige. ° Und wir wollen fonderlih, vier Vollkommenhei- 
ten Gottes, in Betrachtung ziehen. 1) Die Allmacht Cote 
tes. Aus der Unterfuchung diefer Bollfommenbeit in dem 
vorhergehenden erhellee, daß Gott nur allmaͤchtig würfe, 
oder feine Allmacht in der That beweife, wenn er fo viel 
mögliche Dinge auf einmal oder nad) und nad) würflic) 
mache, als auf einmal oder nach und nad) würklich feyn 
Eonnen, Würfe er weniger, fo beftehe feine Allmacht in 

2 einer 


524 Diefe Welt ift die befte, 


einer bloſſen Möglichkeit zu handeln, nicht aber in einer 
wuͤrklichen Thätigfeit, und das ift unmöglich F. 862866, 
Prun würkt Gott, durd) feine Allmacht, entweder in ſich 
ſelbſt feine Realitäten, oder auffer fid) in die Welt, In 
der erften Abſicht würde Gore in der That allmächtig gewe— 
fen und geblieben feyn, wenn er auch aufler fid) gar Feine 
Welt erfehaffen hätte. In ſich felbft wirft Gott, von 
Ewigkeit zu Emigfeit unveränverlich, alle mögliche Reali— 
täten im hoͤchſten Grade, und es ift fhlechterdings unmög« 
lich, daß eine Kraft noch mehr folte würfen koͤnnen. Ale 
lein da die Allmacht auch, erfodert, daß er auffer fih end— 
liche Dinge würfe, fo hat er entweder die befte Welt er— 
fchaffen, oder nicht die befte. Die beſte Welt ift auch alles 
mal die gröfte Welt $. 43% Folglich ift Feine andere 
mögliche Welt fo groß als die befte, und enthält nicht fo 
viel endliche Dinge, als auf. einmal oder nach und nach 
auffer Gott würflich feyn Fonten. Gott möd)te.alfo eine 
Melt erfchaffen haben, welche er gewolt, wenn fie nicht die 
befte ift, fo hätte er auffer fich nody mehr wuͤrken koͤnnen, 


als er wuͤrklich gethan. Würde er nicht, ein eingefchrenfs 


tes Vermögen auffer fich zu wuͤrken, dadurch an den Tag 
gelegt haben? Und da nur eine einzige Welt wuͤrklich feyn 
Fan, würde er wol in Ewigkeit eine einzige Gelegenheit 
wiederum befommen haben, feine unendliche Allmacht auffer 
fich zu offenbaren? Iſt aber diefe Welt die beite, ‚fo hat 
Gore fo viel aufler fid), auf einmal und nad) und nach), ges 
wirft als möglich ift, und es ift unmöglich, daß noch mehr 
auffer Gott folte gerwürft werden koͤnnen. Folglich ift es 


der Allmacht Gottes zuwider, zu fagen, daß diefe Welt 


nicht die befte fey, indem die befte Welt, der einzige mög« 
liche Beweis der unendlichen Würffamfeit der allmaͤchtigen 
Kraft, auffer Gott ift. 2) Die Gütigfeit, und alle damit 
verwandte Vollkommenheiten Gottes $. 948. Gott fan 
nur gütig feyn, in fo ferne er Dinge aufler fich vollkomme— 
ner macht. Hätte er nun nicht die befte Welt erfchaffen, 
fo würde ex, einmal, nicht fo viele und groſſe endliche Sur 

würfs 


— — 


Diefe Welt ift die beſte. 325 


wuͤrklich gemacht haben, als auffer ihm hätten würflich ſeyn 
koͤnnen. Folglich hätte er es fich felbft unmöglich gemacht, 
fo vielen Dingen wohl zu thun, als möglich ift, das ift, er 
hätte vie höchfte Gefchäftigfeit feiner Guͤtigkeit felbft ver: 
hindert. Zum andern find in Feiner Welt, auffer der beften, 
die endlichen Dinge fo vollfommen, als möglih. Folg— 
lid; hätte Soft, wenn er eine andere Welt als die beite er 
fchaffen hätte, nicht fo viele und groffe Wohlthaten austhei- 
fen Fönnen, als möglid if. Er häfte alfo entweder die 
höchfte Guͤtigkeit gar nicht befeffen, oder nur als eine bloſſe 
Möglichkeit, und beydes ift ungereimt. Die befte Belt 
äft dev einzige Beweis der würflichen unendlichen Guͤtigkeit 
Gottes, indem fie nicht nur die meiften endlichen Dinge 
in fi) begreift, ja alle mögliche endliche Dinge, die zugleich 
oder nad) und nad) auffer Gott würflic) feyn koͤnnen; fon- 
dern indem auch die endlichen Dinge unmöglich) mehrere, 
beffere und gröffere Wohlthaten von Gott empfangen koͤn— 
nen, als in der beften Welt. Die Feinde der beiten Welt 
mögen alfo zufehen, wie fie die höchfte Guͤtigkeit Gottes, 
was ihre Wuͤrklichkeit betrift, darthun koͤnnen, und wir 
wollen es ihnen ſelbſt aͤberlaſſen, daß ſie ſich des kraͤftigſten 
Troſtes, den eine Creatur haben Fan, berauben. 3) Die 
moralifche Heiligkeit Gottes $. 944. Die Schöpfung der 
Melt ift eine freye Handlung. Mun ift eine iedwede freye 
Handlung eine Sünde, weldye nicht die allerbefte in ihrer 
Arc iſt. Wenn alfo Gott eine Schöpfung verrichtet hätte, 
welche nicht die allerbefte ift, fo hätte er gefündiger. Hätte 
er num nicht die befte Welt erfchaffen, fo wäre diefe Schoͤ— 
pfung nicht die befte, weil eine ſchlechte Würfung einer 
Handlung allemal ein Beweis ift, daß diefe Handlung ſelbſt 
nicht die befte ift. Ein wahrer Verehrer Gottes erfchrict, 
wenn ihm der verfluchenswürdige Gedanke einfält, daß 
Gott fündige oder gefündiget babe, Die befte Welt aber 
iſt der einzige würfliche Beweis, daß Gott im hoͤchſten Gras 
de moralifch heilig fey. Alsdenn ift fein freyer Rathſchluß, 
diefe Welt zu fehaffen, ohne alle Sünde, und die Vollzie— 
3 bung 























326 Diefe Welt ift die befte. 


bung deffelben ebenfals, 4) Die unendliche Weisheit Got⸗ 
ses F. 913. Da in der beten Welt die meiften und gröften 
Vollkommenheiten würklih werden, fo daß aufler Gore 
nicht mehrere und gröffere würflich werden fünnen ; und da 
diefelben in der beften Welt auf eine fo vollfommene Art 
würflich gemacht werden, daß fie in Feiner andern möglis 
chen Welt noch beffer gewuͤrkt werden koͤnten: fo Fan nur 
in der beiten Welt, der Plan der unendlihen Weisheit, 
ausgeführt werden. Die Schöpfung einer iedweden an- 
dern Welt ift eine thörichte Handlung, oder eine Hands 
fung, die nicht nach der vollfommenften Weisheit gefchieht. 
Es ift demnad) klar, daß Gore, feine unendliche Vollkom— 
menbeit, nur in der beften Welt, in ihrer Unendlichkeit, 


offenbaren koͤnnen. Es muß iemand in der That, entwe⸗ 


der durch bloffe Borurtheile wider die Lehre von der beften 
Welt verblendet werden, oder er muß fehr elende Begriffe 
von der Allmacht, Güte, Weisheit und Heiligkeit Gottes 
haben, wenn er das Herz hat, diefe Lehre in Zweifel zu 
ziehen. 

$- 994. 

Da es nun aber doch viele verftändige Männer geges 
ben hat, welche diefe Lehre in Zweifel gezogen haben; fo 
wollen wir ihre Einwürfe hören, und beurtheilen. Ich will 
bier nicht diejenigen wiederholen, welche auf einem bloffen 
Mißverjtändnig beruhen, und die ich ſchon $. 428. aus dem 
Wege geräumt habe. Es ift auch nid,t der Mühe werth, 
alle diejenigen fchlechten Einfälle zu beantworten, welche 
witzig und fatyrifch feyn, und diefe Lehre lächerlich machen 
follen: denn fie beruhen auf einem feichten Wiße, und koͤn— 
nen nicht cher mit Verftande angebracht werden, bis nicht 
eriwiefen worden, daß diefe Lehre falfch ey. Wenn man« 


her Witzling hört, daß ein Weltweifer über eine Noth 


klagt: fo fragt er ihn fchalfhaft, ob diefe Welt nicht die bes 
fte ſey? Gleichſam als wenn man behaupten müßte, daß in 
der beiten Welt Feine wahre Noth fey, und als wenn man 
mit einer fteifchen Unempfindlichfeit dieſelbe anfehen müffe. 

Die 


a — ——— 


Diefe Welt ift die beſte. 337 


Die Wahrheit finder allemal ihre Spoͤtter. Wir wollen, 
diefe unzeitigen Wiglinge, ihrem Schickſale überlaffen, 
und die Zeit geruhig erwarten, in welcher fie ihre Thorheit, 
mit den Gottlofen in dem Buche der Weisheit, beweinen 
werden, und wir wollen ernfthaftere Einmwürfe aus dem 
Wege raͤumen. Wir fönnen hieher, folgende Einwürfe, 
rechnen. 1) Einige ftoffen fich daran, wenn man fagt, 
Gott habe unter allen möglidyen Welten die befte ausge: 
ſucht, diefelbe erwählt, und zu ſchaffen befchloffen : weil 
alle Wahl eine Ueberlegung vorausfeßt, und auf diefelbe 
folgt, Da nun in Gott nichts auf das andere folgen Fan, 
fo koͤnne auch Gore nicht wählen. Diefer ganze Einwurf 
ift, einmal, fehr kindiſch, weil er nur den Ausdruck diefer 
Sache betrift, und höchftens nichts anders erweiſt, als es 
fey unbequem, zu fagen, Gott habe die befte Welt erwaͤhlt. 
Wenn wir alle theologifche Wahrheiten verwerfen molten, 
deren Ausdrude eine Unbequemlichkeit verurfachen , fo müß» 
ten wir beynahe die ganze Gottesgelahrheit vermerfen. 
Zum andern ift es eine Unvollfommenpheit einer Wahl, wenn 
der Wählende erft lange nachdenken muß, welches das befte 
ift, Das Heelle in der Wahl befteht darin, daß man er 
Fenne, welches unter mehrern Dingen das Beſte fey, und 
daß man es deshalb befchlieffe. Indem nun Gott, von 
Ewigkeit zu Ewigkeit, alle mögliche Welten und ihre Boll« 
kommenheit, mit einem unwandelbaren Blicke, aufs deut⸗ 
lichite erkent; fo erfent er aud) zugleich, ohne Zeitfolge und. 
Nachdenken, welche die beite ift, und da er diefes zugleich 
von Emwigfeit her aufs lebendigfte erfant hat, fo hat er Dies 
felbe zugleich befchloffen. Und fo fan man, nad) diefer Ers 
flärung, ohne alle Unbequemlichfeit fagen, daß Gott uns 
ter allen möglichen Welten die befte ausgefucht, und erwaͤhlt 
babe. 2) In diefer_ Welt ſey ungemein viel Böfes, viel 
Sünde und andere Uebel. Wenn nun diefe Welt die beite 
wäre, fo müßte fie deswegen die befte feyn, meil fie fo viel 
Boͤſes in ſich enthält, und fie müßte um des Böfen willen 
von Gott erwaͤhlt worden ſeyn, welches doch ungereimt zu 

L4 ſagen 

















328 Diefe Welt iſt die beſte. 


ſagen iſt. Auf dieſen Einwurf muß verſchiedenes geant- 
wor’et werben, Einmal iſt offenbar, daß eine Welt, wel⸗ 
che die befte fern fol, fchlechterdings unmöglich ift, wenn 
fie gar nichts Boͤſes in fic) enthält, Die befte Welt muß 
Feine Gottheit feyn, fondern fie ift und bleibt ein endliches 
Ding, folglich enthält fie viele nothwendige und zufällige 
Uebel $, 199 Zum andern ift allerdings wahr, daß, 
nach unferm $ehrgebäude, diefe Welt nicht eben dieſe Welt 
ſeyn Fönte, wenn auch nur eine einzige Sünde, oder ein 
anderes Uebel, nicht in ihr wuͤrklich wäre, welches in ihr 
würflih ift 9. 33°. Folglich Eönte fie auch nicht die befte 
feyn, weil eben diefe und feine andere Welt die befte ift. 
Allein daraus folge drittens nicht, daß fie um des Böfen 
willen, welches in ihr angetroffen wird, die befte fey, in 
dem DBerftande, als wenn diefes Böfe, in fo ferne es bofe 
ift, die Vollkommenheit der Welt vermehrte: denn das iſt 
unmöglih. Sondern wir fagen, daß diefes Böfe mit fo 
vielem Guten vergefellfchafter fen, daß durch das legte die 
böchfte Vollkommenheit der Welt befördert wird, mie ic) 
in dem Folgenden bey der Unterfuchung der göttlichen Zus 
laffung des Bofen, deutlicher zeigen will. Folglich) Fan man 
auch viertens nicht fagen, daß Gott diefe Welt um des Dos 
fen willen, welches in ihr angetroffen wird, erwählt habe, 
Sondern er hat fie, um des vielmals gröffern Guten willen, 
erwählt, welches nur, in Gefellfchaft mit diefem Bofen, in 
diefer Welt hat wuͤrklich werden koͤnnen. 


$. 995. } 

3) Wenn diefe Welt die befte wäre, fo müßte folgen, 

Daß fie nicht fo gut ſeyn würde als fie ift, wenn fie nicht alles 
Das Boͤſe in fich enthielte, welches in ihr würflich ift. Nun, 
aber fey offenbar, daß wenn alles Gute, welches in dieſer 
Welt anzufreffen ift, fo bliebe als jego, und wenn ftat des 
Boͤſen, welches in ihr gefchieht, das entgegengefegte Gute 
würflih würde z. E. flat der Sünden die enfgegengefeß« 
fen guten Handlungen: fo würde alsdenn mehr Guts in der 
Welt ſeyn, und fie wäre alsdenn unleugbar beſſer als jie 
ietzo 





Diefe Welt iſt die befte. 323 


ietzo iſt. So einen groffen Schein der Wahrheit diefer 

° Einwurf auch immer haben mag, fo ungegründer ift er 
demohnerachtet. Er fegt den unmöglichen Fall voraus: 
daß alles Böfe von diefer Welt fönte abgefondert werden, 
ohne daß dadurch Das Gute in dieſer Welt wegfiele. Wir 
behaupten, wenn das Boͤſe in dieſer Welt weggeſchaft würs 
de, fo würde fo viel Guts zugleich mit wegfallen, daß es 
gar nicht in demfelben Grade wieder erſetzt werden koͤnte. 
Folglich müflen die Gegner vorher erweifen, daß dieſer Fall 
moͤglich fey, und das bat meines Wiſſens bisher noch nie⸗ 
mand gethan. Aus unferm Beweiſe folgt, daß dieſe Welt, 
fo wie fie wuͤrklich iſt, folglich in fo ferne fie alles Boͤſe in 
fi enthält, was in ihr wuͤrklich iſt, die befte fey; und es 
folgt alfo daraus, daß der Fall, den der Gegner bey diefem 
Einmurfe vorausfeßt, ſchlechterdings unmöglid ſey. 
Hieraus erhellet zugleich, daß der Einwurf nichts fagen 
will, daß nemlich die Welt befler geweſen feyn würde, wenn 
die Menfchen in dem Stande der Unſchuld geblieben wären, 
und wenn weder Die Teufel noch andere endliche Geifter ges 
fündiget haften, Denn es iſt offenbar, daß alsdenn eine 
andere Welt hätte wuͤrklich feyn müffen, und daß alfo Gott, 
gleich bey dem erften Anfange der endlichen Dinge, eine 
andere Einrichtung mit denfelben machen müffen. In dies 
fer, das ift in der beiten, Welt ift, die Fortdauer des 
Standes der Unſchuld, auf eine bedingte Art unmöglic) ge⸗ 
wefen, 4) Diefe Welt fey allerdings, fo wie fie durd) die 
Schöpfung von Gott eingerichtet worden, die allerbefte ge» 
weſen. Allein fie habe, auf eine zmenfache Art, koͤnnen 
fortgeſetzt werden: erftlich als die befte, wenn alle dernänf- 
tige Ereaturen in dem Stande der Unfhuld beharret wären; 
und zum andern als eine verfhlimmerte Welt, und fo fey 
fie nunmehr nicht mehr die befte, nachdem rn viele vers 
uͤnftige Creafuren ihre anerfchaffene Unfchuld verlohren, 
und gefündiget haben. Man Fan nicht genung ſagen, wie 
wenig philofophifc) diefer ganze Einwurf if. Cinmal be: 
weißt er höchftens weiter nichts, als daß ein gewiffer Theil 
5 oder 









































330 Diefe Welt ift die befte. 


oder Zuftand diefer Welt fchlechter fen, als ein anderer, 
und das muß man zugeben. Wenn man behauptet, daß 
diefe Welt die befte fey; fo behauptet man diefes von ihr, 
wenn man fie im Ganzen betradytet, von ihrem Urſprunge 
an bis in alle Ewigkeit. Es fält einem aber nicht ein, zu 
behaupten, daß alle auf einander folgende Theile und Zus 
ftände der Welt im gleichen Grade gut und vollkommen 
find, als welches unmöglich if. Zum andern fegt man 
auf die unrichtigfte Weife voraus, Daß die Welt nad) ihrem 
Anfange auf eine doppelte Art hätte koͤnnen fortgefeget wer 
den, als die befte, und auch nicht als die befte; oder daß 
zwey, in ihrer Fortdauer von einander höchft verfchiedene, 
Welten doc) einen und eben denfelben Anfang hätten has 
ben fönnen. Um des allgemeinen Zufammenhangs willen 
werden, die nachfolgenden Zuftände der Welt, immer 
durch die vorhergehenden beftimt.: Nachdem alfo Gott den 
erften Zuftand der Welt eben fo eingerichtet Hat, als er 


wuͤrklich gethan; fo hat auch) diefe Welt nicht anders forte 


geſetzt werden koͤnnen, als fie wuͤrklich fortgeſetzt worden. 
Und drittens bat ja Gore aufs untrüglichfte vorbergefehen, 
daß diefe Welt eben fo fortgefege werden würde, als es 
würflich gefchehen. Da er nun feine Bewegungsgründe, 
Diefe Welt zu wählen, nicht etwa blos aus ihrem Anfange 
hergenommen, fondern aus allen ihren Theilen und aus ih⸗ 
ter ganzen Fortdauer, fo hat er aud) alles Böfe gewuſt, 
was in derfelben würflich ift. Und da er fie nun demohns 
erachtet erwaͤhlt, fo muß er erfant haben, daß in ihr dem- 
ohnerachtet mehr Guts angerroffen werde, als in einer ied⸗ 
weden andern Welt. 


$. 996. wi? 

5) Alles Bofe und alle Sünde in diefer Welt werde 
nothivendig, weil fonft die befte Welt nicht feyn koͤnte; ja 
man koͤnne alle Sünden entfchuldigen, weil ohne ihnen die 
Welt nicht die befte feyn Fönne, ya man fünne wol gar 
fagen, der Menſch fey verbunden zu fündigen, indem er 
fi) um die ganze Welt dadurch böchft verdient mache, und 
als 


\ 

















Diefe Welt iſt die befte. 831 


als ein vortreflicher Patriot fich felbft Unvollfommenheiten 
verurfache, um das allgemeine Beſte der ganzen Welt zu 
befördern. Ich antworte erftlic): Alles Boͤſe, was in 
dieſer Welt würflich gefhieht, iſt allerdings in derfelben 
nothwendig, aber nur auf eine bedingte Art. Und diejenis 
gen, welche befürchten, daß dieſes der Zufälligfeit der Suͤn⸗ 
de und der Freyheit des Sünders zumider fey, die müflen, 
ihre Begriffe von der Zufälligfeit und Nothwendigkeit, 
durch die Ontologie aufklären. Die Gegner fönnen uns 
möglich ermweifen, dal; aus unferer $ehre eine unbedingte 
Nothwendigkeit des Böfen in der beften Welt folge, Zum 
andern fan man, durch die Lehre von der beften Welt, die 
göttliche Zulaffung des Böfen nicht nur entfchuldigen, fons 
dern auch vollfommen rechtfertigen, und eben zu diefem En—⸗ 
de iſt dieſe Sehre erfunden worden. Allein das Boͤſe felbft 
wird Dadurch nicht entſchuldiget, oder für was Guts gehals 
ten werden müffen, indem wir behaupten, daß das Boͤſe 
feiner Natur nad) nicht das Gute verurfahe. Und alfo 
bleibt, das Böfe in der beften Welt, wahrhaftig was böfes. 
Und zum dritten hanget das Gute, um deflentwillen Gott 
die Sünden in der beiten Welt zulöft, nicht von dem frey: 
en Willen des Sünders ab. Es fan alfo au) für ihn fein 
Bewegungsgrund feyn, welcher ihn verbinden Fönte, zu 
fündigen. Sondern es hanget von der göttlichen Vorſe— 
bung ab, welche das Böfe zum Guten lenkt. Folglich 
bleibt ein iedwedes vernünftiges Gefchöpf verbunden, alle 
Sünden zu vermeiden. Und da Gott gewuſt hat, welche 
vernünftige Gefchöpfe diefe Pflicht verlegen werden; fo hat 
er mit allen Sünden fo viel Guts, und fo überfchmwenglich 
groffe Vortheile vergefellfchafter, daß diefe Welt demohners 
achtet beffer ift, als alle übrige mögliche Welten. 6) Dies 
fe Lehre ftreite, wider die Freyheit des göttlichen Willens, 
Indem nur eine einzige Welt die befte fen, fo habe er Feine 
andere wählen fönnen, und er habe alfo nicht frey gewählt, 
Ich antworte erftlich: es ift moralifdy nothivendig gewefen, 
daß Gott eben diefe und Feine andere Welt gewählt, indem 


er 


332 | Diefe Welt ift die befte. 


er durch eine andere Wahl würde gefündiget haben, Die 
moralifche Nothwendigkeit aber ift, der Freyheit, keines— 
weges zuwider. Zum andern ſteckt hier freylich eine Schwie⸗ 
tigkeit, die wir nicht deutlich genung heben koͤnnen, indem 
die Wahl der beften Welt eine gleichfam zufällige Beſchaf⸗ 
fenheit Gottes if, Zum dritten beruhet, der ganze Eins 
murf, auf einem falfchen Begriffe ver Freyheit, als wenn 
fie nicht durch Bewegungsgründe beftimt werden müßte, 
Wie lächerlich ift es nicht zu fagen, daß ein freyes Weſen, 
um feine Freyheit auſſer Zweifel zu ſetzen, das ſchlechtere 
wählen muͤſſe! Die allervollkommenſte Freyheit wähle alles 
mal das befte, und fie bleibe nicht nur eine Freyheit, fondern 
fie ift auch eben deswegen die allergröfte Freybeit. 
997: 

7) Wenn diefe Welt die befte ware, fo koͤnte ein ied— 
weder Menfch alle Augenblick verurfahen, daß fie nice 
mehr die befte bliebe, Denn wenn aud) nur das allerges 
ringfte in diefer Welt anders wäre, als es wuͤrklich ift; fo 
wäre die Welt nicht mehr diefe Welt, mithin auch nicht 
mehr die beſte. Nun fege man einen Menfchen, welcher 
eben im Begriffe fteht, eine freye Handlung zu thun, oder 
zu unterlaffen: fo gehört es entweder zu der beften Welt, 
daß diefe Handlung gefchieht oder niht. Man nehme an 
mas man will, fo Fan der Menfch, weil es eine freye Hands 
dung ift, gerade das Gegentheil thun, und er Fan alfo es 
dahin bringen, daß diefe Welt aufhört die befte zu feyn. 
Ich antworte erftlih: Wenn die Menſchen, und andere 
mit Freyheit begabte Creaturen, zugleich) die Mache befäffen, 
alle ihre freye Entſchluͤſſe würflidy auszuführen ; fo fähe es 
freylich, um die Erhaltung der beften Welt, fehr mißlich 
aus, Allein das ift eben eine von den Urfahen, warum 
fo viele menſchliche Entfchlüffe unausgeführt bleiben, weil 
Gore die befte Welt erfihaffen hat. Er hat demnad) eine 
folche Einrichtung gemacht, daß alle diejenigen freyen Ent; 
ſchluͤſſe der Menfchen, und anderer mit Freyheit begabten 
Creaturen,  unerfült bleiben muͤſſen, indem ihre Ausfüh- 

rung 


\ 
— 











Diefe Welt ift die befte. 333 


rung durch den Zuſammenhang der Dinge verhindert wird, 
deren Ausführung verurfachen würde, daß diefe Welt nicht 
mehr die befte wäre. Zum andern find die mit Freyheit 
begabten Creaturen niemals, in ihren freyen Entfchlieffun. 
gen, unabhänglic). Sondern Gott, durd) feine Mitwür- 
fung, und der ganze Zufammenhang in der Welt, haben 
einen beftändigen Einfluß in die Beftimmung des frenen _ 
Willens ver Creaturen. Folglich entichlieffen fich die freye 
en Creaturen allemal, in ihrer freyen Beſtimmung, zu⸗ 
gleich nach Maaßgebung diefes Einfluffes, und es ift alſo 
hypothetiſch unmöglich, daß eine mit Freyheit begabte Creas 
fur einen freyen Entfehluß folte fallen koͤnnen, durch wels 
chen diefe Welt aufhören koͤnte, die befte zu feyn. Zum 
dritten muß der freye Wille einer Creatur, wenn er fi) 
wuͤrklich beftimt, fi nur auf eine einzige Art beftimmen, ent⸗ 
weder eine Handlung zu thun, oder zu unferfaffen.  Diefe 
einzige Beftimmung in allen Fällen hat, ihren hinreichen« 
den Grund, unter andern in den ganzen vorhergehenden 
Zuftande einer freyen Creatur, Folglich liegt ſchon, in 
dem erften Anfange der Wuͤrklichkeit einer mit Freyheit bes 
gabten Ereatur, der hinreichende Grund, aus welchem 
Gott hat vorherfehen koͤnnen, und würflich untruͤglich vors 
bergefehen hat, tie fie in allen Eünftigen Fällen ihre Frey⸗ 
heit beftimmen wird. Da nun Gott Feine andere ver 
nünftige Creaturen erfchaffen hat, als die er wuͤrklich ere 
fchaffen bat: fo ift gar nicht zu beforgen, daß irgend 
eine derfeiben fich wuͤrklich, in irgends einem Falle, anders 
auf eine freye Art beftimmen werde, als Gott mit der 
gröften Gewißheit vorhergefehen hat. Er hat demnach die 
Melt als die befte ermählen koͤnnen, in welcher, aller frey— 
en Entfchlieffungen aller vernünftigen Creaturen ohnerad)» 
tet, dennoch mehr Vollkommenheit wuͤrklich ift, als in allen 
übrigen möglichen Welten. Folglich ift es in dieſer Welt auf 
eine bedingte Art unmoͤglich, daß irgends eine vernünftige 
Creatur ihren freyen Willen dergeftale wuͤrklich beftimmen 
folte, daß dadurch) diefe Welt aufhören folte, die befte zu feyn. 

§. 498. 


34 Dieſe Welt iſt die beſte. 


$. 998. 

8) Es fey der Allmacht und Weisheit Gottes zumis 
der, zu behaupten, daß, wenn er die befte Welt habe 
ſchaffen wollen, er eben die unfrige habe wählen muͤſſen. 
Ein ieder Künftler, wenn er etwas vortrefliches gemacht 
bat, Eönne abermals etwas eben fo vortrefliches machen, 
und die Werfe feiner Kunft verbeffern. Folglich fen eg 


der Allmacht Gottes und feiner Weisheit moͤglich, um 


menfchlic von Gott zu reden, noch etwas beſſeres auszus 
denfen und zu verfertigen, als diefe Welt if. Folglich 
fen diefe Welt nicht die befte. Auf diefen Einwurf Iäft 
fid) foigendes antworten. Erſtlich iſt es fchlechterdings 
unmoͤglich, daß mehr als eine einzige Welt die befte ſey. 
Denn alle mögliche Welten find Dinge, welche auffer ein 
ander möglich ſeyn müffen, weil eine Welt, die in einer 
andern möglich iſt, Eeine Wele ift, fondern ein Theil derje- 
nigen Welt, in welcher fie möglich ift S. 292. Nun ift 
die ganze Vollkommenheit einer Welt ein Accidenz derfels 
ben, welches nicht aufjer ihr, fondern in ihr angetroffen 
wird S. 156. Folglich find, die Vollkommenheiten ver: 
fchiedener Welten, ſolche Vollkommenheiten, welche auffer 
einander möglich find, Wenn nun aud) nur zwey Welten 
möglich wären, welche einander an Bollfommenbeit vollig 


gleich wären: fo waͤren zwey Vollkommenheiten auffer eins 


ander möglich, welche einander vollfommen gleich wären, 
und das ift ſchlechterdings unmöglih $. 211. Folglich ift 


nur eine einzige Welt die befte, und es ift ſchlechterdings 


unmöglich, daß Gott durch feine Allmacht eine andere 
Welt fehaffen Fönte, welche eben fo gut iſt, als die unfrige 
8.865. Zum andern, wenn man überzeugt iſt, daß unſre 
Melt die befte ift, fo ſieht man von felbft ein, daß es uns 
gereimt fey zu fagen, Gottes Weisheit koͤnne nod) eine beffes 


ve Welt, fo zu reden, ausdenfen, und feine Allmacht fon« 


ne noch eine beſſere Welt wuͤrklich machen, als die unfrige; 
und man begreift zu gleicher Zeit, daß dadurch Meder der 


Weisheit noch Allmacht Gottes Schranken gefege werden, 
Diefe 


| 








Diefe Welt ift die beſte. 335 


Diefe beyden Vollkommenheiten würden vielmehr einge: 
ſchrenkt werden, wenn man fagen wolte, Gott fünne noch) 
was befferes machen, -als er würflid) gemacht hat: denn 
daraus würde folgen, daß diefe göttlichen Bollfommenheis 
ten nicht, in dem möglichften Grade der Realität, würfe 
fam wären. Und drittens ift, das Gleichniß von einem 
menfchlichen Kuͤnſtler, fehr fehlecht angebracht, _ Ein fols 
cher Künftler Fan niemals ein Werf verfertigen, welches 
fhlechterdings in feiner Art das befte if, Und da er in 
feiner Kunſt zunehmen fan und muß, fo fan er frenlich in 
feiner Geſchicklichkeit wachfen, und alfo feine eigenen bis« 
berigen Meifterftücke verbeffern. Und wenn man fagt, daß 
ein foldyer Künftler Werfe verfertigen fan, die eben fo guf 
find, als die vorhergehenden ; fo Fan man diefes nicht im 
fhärfften Verftande fagen, fondern nur in dem Berftande, 
weil wir nicht im Stande find, den Unterfihied ihrer Güte 
und Bollfommenheit durch die Erfahrung zu bemerfen. 


$. 999. 

9) Die ganze Lehre, daß diefe Welt die befte fen, 
fey nur eine philofophifche Meinung, eine ungemiffe Lehre, 
die man angenommen babe, um entweder was neues zu 
fagen, oder daraus gewiſſe Erfcheinungen in diefer Welt zu 
erklären. Folglich müffe man fie unter die philofophifchen 
Einfälle rechnen, die man nad) Belieben annehmen oder 
verwerfen koͤnne. Dieſen Einfall haben einige Gelehrte 
gehabt, um vielleicht die Hige der ftreitenden Partheyen, 
welche in diefer Lehre uneins find, zu mäßigen, Allein es 
ift ein fehr unüberlegter Einfall.” Einmal, gefegt diefe 
Lehre wäre eine bloffe philofophifhe Hypotheſe, fo würde 
daraus nicht folgen, daß fie falfc) fey: denn es gibt auch 
wahre Hypotheſen. Sondern es würde daraus nur folgen, 
daß fie ungewiß fey, und noch von feinem Weltweifen 
gründlich demonftrirt worden. Wer diefes mit Vernunft 
fagen will, der muß vorher, alle Beweife diefer Lehre, 
grüntlic) widerlegen. Wir Halten unfern Beweis für eine 
wahre Demonftration, und nehmen alfo diefe Lehre nicht 

als 


336 Diefe delt iſt die befte. 


als eine philofophifhe Meinung an, fondern als eine uns 
umftöslich gewifle Wahrheit. Zum andern geben wir 
gerne zu, daß diefe Lehre allen denenjenigen, die fie nicht 
vermerfen, die aber entweder aus Unmiffenheit, oder aus 
Mangel des Verftandes, oder aus Faulbeit die Demons 
ftration derfelben nicht einfehen fonnen oder wollen, eine 
bloffe philoſophiſche Meinung ſey. Allein daraus folge 
nicht, daß fie, in der Erfentniß aller Weltweifen, auch 
nichts anders als eine bloffe philofophifche Meinung fey. 


Es ift eine eitele Einbildung eines Menfchen, wenn er glaubt, 


daß eine Sehre allen Menfchen eine bloffe Meinung fey, die 
er unter Feiner befjern Geftalt kent: weil er glaubt, andere 
Menſchen Fönten nicht mehr Berftand, Einſicht und Fleis 
befigen, als er felbft. Zum dritten ift es wahr, daß diefe 
Sehre zu dem Ende erfunden worden, Die Zulaffung des 
Boͤſen in der Welt zu erflären; allein daraus folge nicht, 
daß fie nichts weiter als eine ungewiffe Meinung fey, die 
man nad) ‘Belieben annehmen oder verwerfen koͤnne. Das 
leßte zeigt ohnedem eine Öleichgültigkeit gegen die Wahrheit 
an, die unmoͤglich rühmlich feyn fan, Zum vierten Fan 
man nicht einmal fagen, daß dieſe Lehre eine neue Lehre fey, 
ob diefes gleich Fein Einwurf wider ihre Wahrheit feyn Fan, 
als nur nad) dem Urtheil folcher ſchwachen Köpfe, welche 
nach dem Vorurtheile des Alterthums und der Neuigkeit 
eine Lehre beurtheilen. Moſes fage: Gott ſahe an alles 
was er gemacht hatte, und fiehe da, es war das befte, oder 


die befte Welt. Ihales der Milefier pflegte allen denenje⸗ 


nigen, welche ihn fragten, mas das beſte ſey, zu antwor— 
ten, die Welt, Und Cicero ſagt ausdruͤcklich, dieſe Welt 
ift die befte, Nun muß man freylid fagen, daß diefe 
Weltweiſen es in dem Berftande behauptet haben, daß diefe 
Welt das befte Ding, und alfo Sort feibft ſey. Es folgt 
aber doch daraus fo viel, daß diefe Wahrheit ſchon den 
Alten, gleichfam in einer Morgendemmerung, bekant gea 
mwefen, und daß Leibnitz der erſte Weltweiſe fey, welcher fie 
an das helle Tageslicht bervorgezogen Dat, 10) at 

ehre 








Diefe Welt ift die befte, 337 


Lehre ſtreite wider die heilige Schrift, welche ausdruͤcklich 
ſage, daß dieſe Welt im Argen liege, und daß nach dem 
juͤngſten Tage eine beſſere Welt entſtehen werde. Die 
bloſſe Anfuͤhrung dieſes Einwurfs iſt eine Wiverlegung deſ— 
ſelben. Die heilige Schrift ſagt, daß dieſe Welt, oder 
das menfchliche Geſchlecht im Argen liege, und daß der 
Zuftand diefer Welt nach dem jüngften Tage beiler ſeyn 
werde, als der gegenwärtige Zuftand. Ste redet alfo 
nicht von der Welt im Ganzen betrachtet wie wir, und Fan 
alfo unferer $ehre nicht widertprechen. Alle Stellen der 
heiligen Schrift, welche viel böfes von der Welt fagen, res 
den unleugbar nicht von der Welt im Ganzen betrachtet. 
$. 1000, 

Endlich 11) wendet man ein, daß diefe Lehre der Er⸗ 
fahrung widerſpreche, als welche einen iedweden uͤberzeugen 
koͤnne, daß in dieſer Welt mehr Boͤſes als Guts angetrof⸗ 
fen werde. Gie lehre ung, daß diefe Belt nichts anders 
als ein Jammerthal fen, in weldyem überall nichts als Worb, 
Sammer und Elend, angetroffen werde. Folglich fen, 
die Lehre von der beiten Welt, eine abftracte philofophifche 
Grrilienfaͤngerey, welche durch die tägliche Erfahrung wider: 
legt werde, Man Fan nicht genung fagen, wie elend diefer 
Einwurf if. a) Höchitens Fonnen wir Menſchen nur 
erfahren, daß das menfchliche Leben, in dem gegenwärtigen 
Zuftande unferes natürlichen $ebens, ein Jammerthal fen, 
in welchem mehr Boͤſes als Guts angetroffen werde. Man 
gebe diefes eine Zeitlang zus folge wol daraus, daß in der 
ganzen Welt mehr Böfes als Guts fey ? Der ganze Frdbos 
den ift kaum wie ein Sonnenftäubchen, in Beraleichung 
mit der ganzen Welt, zu betrachten, und unfer ießiges Le— 
ben ift wie nichts, gegen die lange Ewigkeit, zu rechnen. 
Können wir iego erfahren, daß in allen groſſen Weltförpern 
mehr Böfes als Guts fey, und daß es ewig fo bleiben wer⸗ 
de? Folglich ift es eine offenbare Jüge, wenn man fagt, 
daß aus der Erfahrung offenbar erhelle, Daß in dieſer ganzen 
Welt mehr Bofes als Guts angetroffen werde, b) Wenn 

4. Theil. I wir 


- 


338 Diefe Welt ift die befte, 


wir auch nur, von dem gegenwärtigen natürlichen geben der 
Menfchen in dem Stande der Sünden, reden; fo ift es 
auch erlogen, daß die Erfahrung lehre, es fey mehr Böfes 
als Guts in der Well, Denn Einmal fönnen wir nicht 
alles Gute und Boͤſe erfahren, um eine genaue Ausrech— 
nung anzuftellen, und zu erfahren, daß die Summe alles 
Boͤſen gröffer fey, als die Summe alles Guten. Zum 
andern überfehen wir Menfchen mehrentheils das Gute, und 
richten unfere Gedanfen blos oder vornemlich auf das Böfe, 
Einige wenige Wochen, in denen man Franf ift, verurfa«s 
chen, daß man vergift, man Dringe vielmehr Tage in Ges 


fundheit als in Krankheit zu; und einige friegerifche Jahre 


zwingen ung zu vergefjen, daß viel mehr Friede in der Welt 
fey als Krieg u. fe w. Dieſes bemeilt offenbar, daß we— 
niger Boͤſes als Guts in der Welt fen, indem das Bofe 
feiner Seltenheit wegen mehr Meuigfeit hat, und alfo leb— 
- hafter empfunden wird. Das Gute ift fo häufig, daß 
man deffen gewohnt wird, und nicht fo ſtark darauf achtung 
gibt. Auch ift die melancholifhe Gemürhsfaffung der 
Menfchen an diefem Urrheile ſchuld, vermöge welcher fie, 
den Sauf der Welt, blos oder vornemlich von der fchlimmen 
Seite anfehen. Dieſe Leute kommen mir vor, als ein 
Menſch, welcher in den prächtiaften Föniglichen Pallaft ges 
führe würde. Wenn derfelbe nun, mit verfihloffenen Au: 
gen, gerade zu ins heimliche Gemach rennen, und fich blos 
in demſelhen umfehen, und alsdenn fagen wolte: was für 
ein elendes Gebäude! Man trift in demfelben nichts als 
Unflat an; würde ein folder Menſch nicht für den gröften 
Narren gehalten werden müffen? c) Diefe Gegner feheis 
nen, daß fie nicht eher glauben wollen, diefe Welt fey die 
befte, bis fie nicht, ihre vorzügliche Vollkommenheit vor 
allen übrigen möglichen Welten, erfahren haben. Wir 
wollen, die Gerechtigkeit ihrer Foderung, prüfen. Eine 
mal, verftehen fie Durch einen Beweis, daß dieſe Welt die 
beite fen, welcher aus der Erfahrung geführt wird, einen 
ſolchen, der aus einem Borderfaße hergeleitet wird, welcher 

eine 


— 





Der Zweck der Schöpfung. 339 


eine unmittelbare Erfahrung iſt: fo ift unfer Beweis, den 
wir geführt haben $. 99. ein folder Beweis, Er fängt 
mit diefem Sage an: dieſe Welt ift würflich, und diefer ift 
unleugbar eine unmittelbare Erfahrung. Allein, zum an« 
dern, verlangen diefe Gegner ohne Zweifel, einen andern 
Beweis aus der Erfahrung. Wenn man unter mehrern 
Sorten Wein vie beite ausfuchen mill, fo Foftet man eine 
iedwede, man vergleicht den Geſchmack einer iedweden mit 
den übrigen, und da ſchmeckt man, welche die befte fey, 
Folglich wollen vielleicht diefe Gegner es empfinden, wie 
ſichs in einer iedweden möglichen Welt leben laffe, und als— 
denn fühlen, wo es am beiten if. Da man nun nichts 
empfinden Fan, als was wuͤrklich und gegenwärtig ift; fo 
koͤnnen diefe Gegner nicht eher befriediget werden, bis nicht 
eine iedwede mögliche Welt wuͤrklich ift, und big fie niche, 
durch eine unmöglihe Entzuͤckung aus diefer Welt, nach 
und nad) in alle übrige Welten verfegt werden. Da nun 
diefes niemals gefchehen Fan, fo werden diefe Gegner in 
N Emigfeit zu ihrer eigenen Strafe nicht überzeugt werden, 
) fie müßten denn die Ungereimtheit und Narrheit ihrer Fode— 
rung einfehen lernen. 


Der Zweck der Schöpfung. 
S. 1001. 

Um unfern Begrif von der Schöpfung diefer Welt 
noch mehr zu erhöhen, fo müffen wir uns überzeugen, daß 
fie eine Handlung ſey, welche im höchften Grade weife ift; 
oder daß Gott dieſe Welt, nad) höchfter Weisheit, erfchafe 
fen habe. Wenn Gott bey der Schöpfung diefer Wele 
nicht nach Weisheit gehandelt hatte, fo würde in der Welt 
ein gemifies blindes Ohngefehr herrfchen, und es würden 
entweder alle, oder doch unendlich viele, Begebenheiten in 
der Welt fich dergeftalt zutragen, daß fie Feine Abfichten 
hätten, und wie wäre es moͤglich, daß ſich die vernünftigen 
Ereaturen in Abficht derfelben rechtmäßig verhalten fönten ? 
Es ijt fehr leic)t zu erweifen, daß Gott, bey der Schöpfung 

y 2 diefer 


340 Der Zweck der Schöpfung. 


diefer Welt, gewiſſe Abfichten gehabt habe, um melcher 
willen er fie unter allen möglichen Welten auserwählt, und 
durch die Schöpfung zur Würflichfeit gebracht hat. Denn, 
die Schöpfung diefer Welt, ift eine freye Handlung Gottes 
$ 977. Folglich hat Gott, die Wuͤrklichkeit dieſer Welt, 
gewolt. Er hat demnach Bewegungsgründe gehabt, die 
feinen allervollfommenften Willen von Ewigfeit her bejtimt 
haben, diefe Welt zu wollen. Er bat fich alfo etwas 
Guts lebendig vorgeftelt, um deffentwillen er die Welt 
wuͤrklich machen wollen, damit diefes Gute erhalten werde 
$. 686, 687. Da nun diefes Gute ein Zweck ift $. 269. 
267. fo hat Gott diefe Welt, um eines Zwecks willen, er: 
ſchaffen, und folglic) ift feine Weisheit bey der Cchöpfung 
diefer Welt gefhäftig gewefen, und zwar im höchften Gras 


.. 
en — — 


de, oder dieſe Welt iſt ein Werk der allergroͤſten und aller ⸗ 


vollkommenſten Weisheit; weil es unmöglich iſt, daß Gott, 
wenn er weiſe handelt, nicht im hoͤchſten Grade weiſe han— 
dein folte $. 913. Die Weisheit gehört unter diejenigen 
Vollkommenheiten, welche zunaͤchſt den Willen eines ver: 
nünftigen Wefens beftimmen, Wenn alfo die Welt nicht 
nach höchfter Weisheit erfchaffen wäre, fo koͤnte fie feine 
Würfung des allervollfommenften Willens feyn. Dieſe 
Welt ift das einzige Werk Gottes, auffer welchem er nichts 
von Emigfeit zu Ewigkeit auffer ſich hervorbringt. Wäre 


fie alfo nicht das vollfommenfte Meiſterſtuͤck der hoͤchſten 


Weisheit, fo hätte Gott die einzige Gelegenheit vorbenger 
hen laffen, nach böchfter Weisheit zu handeln. Seine 
Weisheit wäre alfo entweder ein bloſſes Vermögen ohne 
Thätigfeit, oder er befäfle nur die höchite Weisheit als die 
vollfommenfte fpeeulativifche Projectmacherey; und beydes 
ift unmöglih, und der höchften Vollkommenheit Gottes 
im böchften Grade unanftändig. | 
«1002, 

Da nun Gott die Welt, um eines gewiflen Zwecks 
willen, evfchaffen bat, $. 1001. fo fan er, um feiner aller» 
hoͤchſten Untrieglichkeit willen $. 899. die Welt, um Feiner 

Schein. 


VE 








Der Zweck der Schöpfung. 341 


Scheinzwecke willen, erfhaffen haben. Sondern, die 
" göttlichen Abfichten bey diefer Welt, find wahre Zwecke 
S. 917. Folglich wahre Bollfommenheiten , welche durch 
‚ die erfchaffene Welt, und die Creaturen, als Würfungen 
‚ hervorgebracht werden $.266. 269. Ein iedweder Zweck 
iſt eine Folge und Würfung der Mittel, und des Gebraud)s 
| derfelben. Es muß demnach auch der ganze göttliche Zweck, 
‚ um deffentwillen Gott diefe Welt erfchaffen hat, fo etwas 
Guts und eine folhe Vollkommenheit feyn, welche durch die 
Creaturen gewuͤrkt und hervorgebracht wird, Diefe Boll: 
kommenheit ift entweder in Gott felbft, oder auffer Gott in 
der Welt wuͤrklich; weil, auffer Gott und der Welt, gar 
" nichts wuͤrklich iſt. Das erfte ift, um der Selbftftändig« 
keit Gottes willen, fehlechterdings unmöglich 9.880. Denn 
der Zweck hanget allemal von feinen Mitteln, als von feis 
nen Urfachen, ab $.268. Wenn nun der Zweck der Welt, 
" eine innerliche Realität und Vollkommenheit Gottes, wäre ; 
| fo würde Gott, von der Welt, abhangen. Da nun diefes 
ſchlechterdings unmöglich iſt, fo befteht der Inbegrif aller 
Zwecke Gottes, um welcher willen er die Welt gefchaffen 
hat, in folhen Vollkommenheiten, welche in der Welt und 
den Creaturen felbft würflich werden. Wenn man alfo 
ſagt: daß Gott die Welt, um fein felbft willen, erfchaffen 
babe; fo muß man diefes nicht fo verftehen, als wenn er 
ſich felbft zu Gute diefe Welt erfchaffen; oder es fey die 
Welt deswegen von ihm gewürft worden, damit er entweder 
durch) diefelbe innerlihe Vollkommenheiten erlange, die er 
noch nicht gehabt, oder damit diejenigen, die er ſchon ges 
habt, dadurch erhalten und vermehrt werden: denn das iſt 
ſchlechterdings unmöglih,. Sondern wenn man fagt, daß 
Gott die Welt um fein felbft willen erfchaffen habe; fo muß 
diefes fo verftanden werden, daß er es gethan, damit er 
von den Creaturen geehrt werde. Wir werden aber hernach 
fehen, daß diefe Ehre Gottes eine Erfentniß feiner Boll: 
fommenheiten fen, weldye als eine Vollkommenheit in den 
endlichen Geiftern, und alfo in der Welt, wuͤrklich a 

5 es 


> 


® 


342 Der Sweck der Schöpfung, 


Gemeiniglich fagt man, daß der Ießte Zweck Gottes bem, 
der Welt feine Ehre, und der Mittelzweck die Bolltommens 
beit, ver Creaturen ſey.  Diefes erflärt und verfteht man 
vielfältig ſo widerſinniſch, daß man diefe Ehre Gottes, als 
eine Vollkommenheit, anſieht, welche in Gott würklich ift, 
und welche von der Vollkommenheit der Creaturen verfchies 
den iſt. Aus dem folgenden wird erhellen, daß diefe Sahe 
ganz anders erklärt werden muß. 

6. 1003, 

Wir haben uns alfo überzeugt, daß die ganze Welt, 
und alles was in derfelben würklich ift und gefchieht, als 
ein Mittel zu gewiſſen Zwecken betrachtet werden müffe, um 
welcher willen Gott die ganze Welt wuͤrklich gemacht. Es 
iſt alfo eine Wiſſenſchaft möglich), in welcher diefe göttlichen 
Zwecke, um welcher willen er die Welt würklich gemacht, 
unterfucht werden, und diefe Wilfenfchaft wird die Telcos 
logie genent, In derfelben bemühet man fih, die Zwecke 
Gottes überhaupt, und in befondern Fällen, zu entdecken; 
und die Frage, warum dieſe oder jene Creaturen in der 
Welt find, 3. E. die Pflanzen, die Thiere, das Wafler 
u. f. w. gehört allemal in viefe Wiffenfchaft. Sie wird, 
in zwey Theile, abgetheil. Der erſte heift die pbyfis 
ſche Teleologie, und fie handele von ven görtlihen Zwe- 
cken in der Koͤrperwelt. Sie unterfücht die göttlichen Ab: 
fichten der Körper, und ihrer Veränderungen fo wol in 
einzeln Körpern, als aud) in der Körperwelt, Hieher ger 
hört 3. E. die Unterfuchung, warum Gott alle Arten der 
Kräuter, der Pflanzen und der Thiere erfchaffen hat; aus 
was für Abfichten die Winde wehen, Donner, Blitz, Ne 
gen, Hagel u. ſ. w. in der Welt find; aus was für Ab« 
fihten uns Gott, ein iedes Glied unferes Körpers, gege 
ben u. ſ. w. Der andere Theil der Teleologie wird die 
pneumstifche Teleologie genent, und fie unterfucht die 
göttlichen Abfichten in der Geifterwel. Hier wird nicht 
nur überhaupt unterſucht, um welcher Abfichten willen 
Gore die Geifter in der Welt, und infonderheit Die u 

lichen 











Der Zweck der Schöpfung. 343 


N. lichen Seelen erfchaffen: fondern es werden auch, die goͤtt⸗ 
lichen Abjichten aller ihrer Erkentniß- und Begehrungs« 
| Eräfte, und aller ihrer Veränderungen unterfucht. 3. E. 
warum Gott uns Menfchen Berftand, Gedaͤchtniß u. f. w. 
gegeben, warum er die Sünden zugelaffen, warum er die 
Sünden firafe, und was dergleichen mehr it. Dieſe 
Wiſſenſchaft ift eine von den nüglichiten menfchlihen Wie 
fenfchaften, und es wäre zu wünfchen, daß fie mit meh— 
rerm Fleiſſe angebauet würde, als bisher gefchehen ift. 
Einmel lernt man durch diefelbe, die unermeßliche Tiefe 
der göttlichen Weisheit, die er durch diefe Welt offenbart 
bat, befier aneben. Diefe Welt ift nur in fo ferne ein 
Mittel des Ruhms Gottes, in fo ferne alles in derfelben 
nach höchfter Weisheit eingerichter ift,  Folglid fan man 
\ nicht eher, Die höchfte Vollkommenheit der Welt, zum 
Preife des Schöpfers gebührend einfehen, bis man nicht 
die göttlichen Aofichten erfent, und fieht, wie vortreflid) 
diefelben in dieſer Welt erreicht und ausgeführt werden, 
Zum andern fan man, ohne diefer Willenfchaft, vie ges 
famte menfhlihe Pflicht niemals recht ausüben. Wir 
fönnen nur rechtmäßig handeln, in fo ferne wir, bey allen 
unfern freyen Handlungen, die göttlichen Abfichten zu un« 
fern Abfichten annehmen; und in fo ferne wir, alle unfere 
Kräfte, und alle Dinge auffer uns, zu den Abfichten ges 
brauchen, um welcher willen fie uns Gott gegeben, und in 
diefer Welt hervorgebracht hat. Wir wollen alfo, die er» 
ften Grundſaͤtze diefer vortreflichen und hoͤchſt nüßlichen 
Wiſſenſchaft, weitläuftiger unterfuchen. 
§. 1004. 

Ueberhaupt ift unleugbar, daß Gott diefe Welt nicht 
nur auf eine weiſe Art eingerichtet und erfchaffen habe, fon« 
dern auch auf die allerweifelte Art, Ddergeftalt, daß es 
ſchlechterdings unmoͤglich ift, daß noc) ein weiferer Plan 
fönte entworfen werden, als derjenige ift, den Gott zu 
diefer Welt entworfen hat, und daß es eben fo unmöglic) 
ift, daß derfelde noch weifer und beffer ausgeführt werben 

4 Fonte, 


344 Der Zweck der Schöpfung. 


Fonte, als es in diefer Welt gefchehen ift, und noch gefchieht 
S. 1001. 903. Es würde allemal ein Mangel der göttlis 
chen Weisheit feyn, wenn Gort eine Welt hätte ſchaffen 
fönnen, welche den Kegeln der höchften Weisheit noch ges 
mäffer wäre, als die unfrige; und dis würde noch dazu ein 
folder Mangel feyn, den Gott in Ewigkeit nicht wieder gut 


machen Fönte, weil auffer diefer einzigen Welt Feine andere 


würflid) wird, Gott beißt, in ſich felbft, die allerhöchfte 
Weisheit S. 912-920, Da nun diefelbe im höchften Gras 
de lebendig ift $. 920. fo handelt er allemal nad) derfelben, 
und folglich hat er auch diefe Welt nach derfelben erfchafe 
fen. Folglich hat Gott, bey der Schöpfung diefer Welt, 
‚nicht nur fo viele Zwecke zur. Abficht gehabt, fondern auch 
fo groffe und vortrefliche, als möglich find. Er hat diea 
felben auf die vollfommenfte Art mit einander verbunden, 
dergeftale, daß immer der eine ein Mittel zu dem andern 
ift, bis fie endlich in einem einzigen Zwecke, als dem hoͤch— 
ften und vortreflichften, zufammenflieffen, Alle diefe Zwecke 
erhält er in diefer Welt, unausbleiblich und gewiß, durd) 
die meiften und beften Mittel, welche auf die vollfommens 
fte Art mit einander verbunden find: dergeſtalt, daß eins 
immer ein Mittel zu dem andern wird, bis fie fo viele und 
groſſe Zwecke auf die befte Art erreichen, als irgends nur 
in einer Welt möglich if. Damit nun, diefe vortrefliche 
Wahrheit, in ein nod) gröfferes Licht gefeßt werde; fo mols 
len wir uns, aus der $ehre von der beften Welt, überzeus 
gen, daß diefe Welt würflich nach allerhöchfter Weisheit 
eingerichtet fey. Und wir wollen daher, folgende Säge, 
ausführen. 
§. 1005, 


Erftlih, eine iedwede zufällige Vollkommenheit, 


welche in der Welt und allen Theilen derfelben wuͤrklich if 
und wird, und welche Gott den Ereaturen nicht anerfchafe 
fen hat, ift ein Zweck Gottes, weswegen er die Welt er» 
Schaffen bat. Denn eine iedwede diefer Vollkommenheiten 
iſt eine Folge und Würfung der Welt, welche Gott "m von 

wige 


x 
cv 


ie Wa u ——— 






a 
A 


2] 
v 








Der zweck der Schöpfung. 345 


Ewigkeit her, aufs deutlichite und lebendigſte, vorgeftele 
bat $.902. und unendlidy geliebt 6.934. Folglich gehört 
fie mit zu den Bemwegungsgründen, um welcher willen er 
diefe Welt wuͤrklich gemacht. Es ift demnach, eine iedwe— 
de diefer Vollkommenheiten etwas, welches ſich Gott als 
gut vorgeftelt, und deswegen die Welt würflich gemacht 
bat, damit daffelbe zur Würflichfeie Eomme, Und alfe ift 
eine iedwede diefer Wollfommenbeiten ein Zweck, warum 
Gott die Welt erfchaffen Hat. Die anerichaffenen Volle 
fommenheiten der Creaturen fünnen Feine Zwecke der Welt 
feyn, weil fie, durch nichts anders in der Welt, erlangt 
werden. Sondern fie find die erften Mittel, welche Gore 
würflid) gemacht hat, damit dadurch nad) und nach, alle 
übrigen zufälligen Vollkommenheiten der ganzen Welt und 
aller Theile derfelben, erhalten werden. Nun find alle 
wahre Mugen, welche die Subftanzen in der Welt einans 
der verſchaffen, famt allen wahren Mugen aller Berändes 
rungen, Begebenheiten und Dingen in der Welt, zufällige 
Bollfommenheiten, welche den Dingen in der Welt nicht 
anerichaffen worden $. 259. Folglich find, alle wuͤrkliche 
wahre Nutzen der Dinge in der Welt, Abfichten Gottes, 
warum er die Welt erfchaffen hat. Diefe Wahrheit ift ein 
vortreflicher Grundfaß der Teleologie, indem wir dadurd) 
in den Stand gefeßt werden, die göttlichen Abfichten zu era 
finden. 3. E. wenn man willen wolte, warum Gott 
Schaafe und gemiffe Kräuter erfchaffen habe: fo darf man 
nur durch Verfuche, Erfahrungen und andere Wege, die 
wahren Nusen aller diefer Dinge zu erkennen ſuchen. Man 
fan z. E. mit Zuverficht fagen, Gott habe unter andern 
deswegen Schaafe erfcharfen, damit ihre Wolle uns zur 
Kleidung diene, und gewiffe Kräuter, damit wir dadurch 
gewiſſe Krankheiten heilen Fünnen. So haben Noth und 
Elend den wahren Nußen, daß wir uns in der Geduld und 
andern Tugenden üben fünnen, und darin befteht auch die 
Abſicht Gottes, warum er über die Menfchen dergleichen 
Zufälle verhänger, Nun I Welt die beſte $, u 

5 n 


346 Der Zweck der Schöpfung. 


Syn der beiten Welt find viel mehr zufällige Vollkommenhei— 
ten, als in irgends einer andern möglichen Welt $. 426. 
Folglich Hätte Gott, bey Feiner andern Welt, fo viele Zwecke 
zur Abſicht haben und erreichen fönnen, als bey diefer Welt. 
Es ift demnach) diefe Welt deswegen ein Werk der höchiten 
Weisheit, oder fie ift der höchften Weisheit Gottes gemäß; 
weil Gott unmöglih mehr Zwede zur Abficht haben und 


erreichen koͤnnen, als er bey diefer Welt ſich vorgefegt hat, 


und durch diefelbe würflich erreicht. Wer ift im Stande, 
die göttlichen Zwecke durchzuzehlen? Man müßte ja alle 
Theile der Welt, alle Geifter, alle Thiere, alle Sonnen» 
ftäubchen Eennen, und alle ihre zufälligen Vollkommenhei— 
ten und Mugen, vom Anfange der Welt an bis in alle 
Ewigkeit. Und das ift, uns Menfchen, unmöglid. Wir 
werden ewig der Weisheit Gottes, die er bey der Schoͤ— 
pfung der Welt erwieſen hat, nachfpüren Fönnen, wir wers 
den ewig immer mehr und mehr Zwecke Gottes entdecken 
fönnen; wir werden aber auch ewig, von der Entdeckung 
aller Zwecke Gottes, unendlich weit entfernt bleiben muͤſſen. 
§. 1006. 

Zum andern: Gott hat die Welt um der allergröften 
und beften Zwecke willen erfchaffen, die irgends nur mög» 
lich find. Denn erftlich, weil alle zufällige Bollfommens 
beiten und Mugen in diefer Welt, welche den Creaturen 
nit anerfchaffen worden, Zwecke Gottes find; $. 1005. 
fo find es auch die gröften und beften, Folglich find auch, 
die allergröften dieſer Vollkommenheiten und Nutzen, Abs 
fichten Gottes, um welcher willen er die Welt erfchaffen hat. 
Zum andern, da feine Welt fo groffe Bollfommenbeiten in 
fich enthält, ale die befte $. 426. fo hätte Gott, bey kei⸗ 
ner andern Welt, fo groffe und vortrefliche Zwecke zur Ab» 
fiht haben koͤnnen, als bey diefer. In der beften Welt 
hat ein iedwedes Ding eine fo groſſe Vollkommenheit, als 
möglich ift. Folglich hat Gott, bey dieſer Welt, die Höchite 
Vollkommenheit eines iedweden Theils der Welt zur Abſicht 
gehabt, die in dem ganzen Zufammenhange der Welt mög« 

lich 


—— — 








Der Zweck der Schöpfung. 347 


lich ift. Zum dritten, in der göttlichen weifen Einrichtung 
dieſer Welt ift, Eeine zufällige Bollfommenbeit in derfelben, 
als eine unerhbliche Kleinigkeit anzufehen $. 898. fondern 
eine iedwede ift von unendlicher Wichtigkeit, und Frucht⸗ 
barkeit, Hätte Gott eine andere als die befte Welt erfchafs 
fen, fo hätte er unmöglich fo groſſe und vortreflihe Zwecke 
zur Abficht Haben und erreichen Eonnen, als nunmehr, da 
er die beſte Welt erfihaffen hat. Ks ift demnach diefe 
Welt auch unter andern deswegen eine Würfung der hoͤch— 
fien Weisheit Gottes, weil fie diejenige ift, Durch welche 
allein, die allergröften und beiten Zwecke, erreicht werden 
fonnen $. 915. Es ift fehlechterdings unmöglid), daß 
Gott durch eine andere Welt eben fo groffe und gute Zwede, 
oder noch gröffere und beffere hätte erreichen koͤnnen, als 
durch diefe Welt. ine iedwede befondere Abficht Gottes 
bey einem iedweden Theile diefer Welt bezieht fid) , in der 
göttlichen Einrichtung, aufs Öanze, und es ift uns Men« 
fhen unmoͤglich, aud) in diefer Abfiche die goͤttliche Weis— 
heit völlig einzuſehen. 


$. 1007. 

Zum dritten: ein iedwedes würflihes Ding in der 
Welt, es mag eine Subſtanz oder ein Accidenz fern, eine 
DBegebenheit in der Geifterwelt oder in der Körperwelt, es 
mag die ganze Welt feyn, oder ein Theil derſelben, ift, in 
fo ferne es gut ift, ein Mittel zu den göttlichen Zwecken, 
und ift auch deswegen von Gott würflich gemacht worden, 
weil eg ein Mittel zu feinen Abfichten if. Denn ein ieds 
wedes mürfliches Ding auffer Gott iſt eines Theils auf, und 
muß in fo ferne eine oder mehrere gute Folgen haben, mel- 
che zufällige Bollfommenbeiten find, die in der Welt würfs 
lih werden S, 444. Da nun, alle diefe Vollkommen— 
heiten, goͤttliche Zwecke find $. 1005. fo ift, ein iedwedes 
würfliches Ding in der Welt, ein Mittel zu den aöttlichen 
Abfihten. Da nun Bott dieſes, um feiner Allwiſſenheit 
mwillen, gerouft hat, und zwar auf eine lebendige Art $, 902. 


fo 


348 Der Zweck der Schöpfung. 


fo iſt dieſes zugleich ein Bewegungsgrund, warum Gore 
alles, was in der Welt würflich ift, gewürft hat, nemlich 
weil es ein Mittel zu feinen Abfichten if. Nun ift dieſe 
Welt, weil fie die befte ift, zugleich die gröfte $.430. Folge 
lic enthält fie mehr würfliche Theile, als eine iedwede an« 
dere Welt. Es find demnach, in diefer Welt, mehrere 
und mannigfaltigere Mittel zu den göttlichen Abfichten, als 
in irgends einer andern möglichen Welt; und es ift un« 
möglich, daß Gott mehrere Mittel zu feinen Zwecken hätte 
wuͤrklich machen koͤnnen, als in diefer Welt würflich. ans 
getroffen werden. Folglich ift, auch in diefer Abſicht, die 
beite Belt ein Werder höchften und unendlichen Weisheit 
Gottes. Man fan alfo mit Recht fagen, daß nichts in 
Diefer Weit angetroffen werde, welches nicht durch die Weiss 
beit Gottes, als ein Mittel zu feinen Zwecken, verordnet 
worden. Denn wenn irgends etwas in der Welt fein Mita 
tel zu den göttlichen Abfichten waͤre, fo müßte eg entweder 
gar nicht gut feyn, und das iſt unmoͤglich; oder es iſt eines 
Theils gut. Iſt das legte, fo hat es entweder gute Folgen, 
oder nicht. Das legte ift unmöglih. Folglich hat alles 
in der Welt feinen Mugen, und es erreicht alfo göttliche Ab— 
fihten $. 1005. Wenn es nun von Gott nicht als ein 
Mittel zu Diefen Abfichten erwählt worden, fo müßte Gott 
entweder nicht willen, daß dadurch feine Abfichten erreicht 
werden, oder er müßte es auf eine blog todte Art erfennen, 
und das iſt ungereimt. Was für ein Troft für uns-Men- 
fhen! Es mag uns begegnen, was da will; fo Eönnen wir 
verfichert feyn, daß es ung nicht von ohngefehr widerfah« 
re, fondern daß Gott dadurch, die beiten und heilfamften 
Abfichten, zu erreichen fuhe. Freylich Fan das Böfe in 
der Welt, in fo ferne es böfe iſt, Fein Mittel zu den göft- 
lichen Abfichten ſeyn; meil entweder Gottes Abfichten böfe 
feyn müßten, oder eg müßte aus dem Boͤſen mas Guts ents 
ftehen Fonnen, welches beydes unmöglich if. Sondern 
wir werden Fünftig fehen, daß das Boͤſe in der Welt mit 
vielem Guten vergefellfchafter fen, und daß das erfte Kr 

laſſen 








Der Zweck der Schöpfung. 349 


laffen werde, damit durch das legte die göttlichen Abfichten 
erreicht werden, 
$. 1008. 

Zum vierten, diefe ganze Welt, und alles was in 
derfelben wuͤrklich it, ift ein iedwebeg in feiner Art das 
beſte Mittel zu den göttlichen Abfichten, und auch deswe— 
gen von Gott erwählt und würflich gemacht worden, Denn 
durd) Feine Welt fan, fo viele und groffe Vollkommenheit, 
entftehen, als durch die beite. Da nun diefe Welt die beſte 
ift, fo ift fie, das fruchtbarfte und wichtigfte Mittel, zu 
den beften göttlichen Zwecken. Ueberdis ift ein iedes Ding 
in der Welt jo vollkommen, als moͤglich iſt. Folglich hat 
es auch fo viele und groffe Nutzen, als irgends nur möglich 
ift, und es iſt nichts in der beften Welt, ohne welchem dieſe 
Welt die befte feyn Fönte. Mithin trägt alles in der Welt 
das feinige zur hoͤchſten Bollkommenbeit, welche auffer Gore 
möglich ift, bey. Und es ift demnad) alles in der Welt 
nicht nur ein Mittel zu dem beften Zwecke, fondern es ift 
auch ein iedes in feiner Art das allerbefte Mittel 9. 916. 
Wenn in der beften Welt irgends etwas überflüßiges wäre, 
fo müßte Gott, bey der Einrichtung diefer Welt, wider feis 
ne hoͤchſte Weisheit gehandelt haben, und das ift unmög- 
lich, ja es ftreitet auch) wider den Begrif der beften Welt. 
In diefer Welt ift alles fo befchaffen, daß ohne vemfelben 
diefe Welt nicht die befte feyn koͤnte. Folalidy trägt alles, 
das feinige, zur hoͤchſten Bollfommenbeit der Welt bey. 
Ailes diefes hat Hort von Emwigfeit her aufs vollfommenfte 
und lebendigfte gewuft, und er hat demnach alles iin der 
Welt, in fo ferne es gut ift, erwaͤhlt, beſchloſſen und wuͤrk— 
li) gemacht, weil er erfant, daß alles in feiner Art das 
befte Mittel zu den beften Zwecken ſey. Freylich Fünnen 
mir auch diefes, nicht durd) die Erfahrung, einfehen, und 
unfere Furzfichtigen und mangelhaften Einfichten reißen uns 
ofte zu glauben, daß die Wege Gottes, oder die Mittel 
deren ſich Gore bedient, beffer fenn koͤnten, als fie in der 
That find, Allein man muß, diefen verwegenen und alber» 

nen 


350 Der Zweck der Schöpfung. 


nen Gedanken, durch die allgemeine Ueberzeugung von der 
böchiten Weisheit Gottes, zu unterdrucken fuchen. Dies 
jenigen, welche nicht annehmen, daß diefe Welt die befte 
fen, die mögen zufehen, wie fie das Tadeln der Wege Got« 
tes, auf eine gründliche Art, verhindern Eönnen. 

$. 1009, — 

Endlich, fuͤnftens, ſind auch in dieſer Welt, alle 
Zwecke und Mittel, auf die beſte und vollkommenſte Art, 
mit einander verbunden. Denn da dieſe Welt die beſte iſt, 
ſo iſt auch in ihr der allergroͤſte und vortreflichſte allgemeine 
Zuſammenhang unter allen ihren Theilen, der in keiner 
Welt ſo vollkommen und groß ſeyn kan, und der uͤberhaupt 
auſſer Gott nicht beſſer und groͤſſer möglich iſt F. 440450. 
Nun ſind alle Zwecke und Mittel Gottes, die er nach ſei— 
ner hoͤchſten Weisheit von Ewigkeit her aufs vollkommen⸗ 
fte gewuſt, und die er durch die Schöpfung diefer Welt 
würfiic gemacht, Theile der beften Welt. Folglich ftehen 
fie aud) wuͤrklich, unter und mit einander, in der allervoll- 
fommenften allgemeinen Verbindung. Folglich find fie 
insgeſamt dergeftalt einander zugeordnet und untergeordnet, 
mie es die höchfte Vollkommenheit, die auffer Gott mög« 
lich ift, erfodert. Sie laufen alfo insgefamt in einen Zweck 
als den legten zufammen, und madıen insgefame den beften, 
gewiſſeſten, untrüglichften und fürzeften Weg zu dem allera 
böchiten Zwede aus. Folglich Fan man mit Recht fagen, 
daß die Schöpfung diefer Welt eine fo weile That Gottes 
fen, daß es fehlechterdings unmöglich ift, daß Gott noch 
meifer hätte handeln koͤnnen. Und folglich hat Gore, die 
Linendlichfeit feiner Weisheit, durch die Schöpfung diefer 
Welt in der That erwiefen. 
$. 1010. 

Nachdem wir nun überhaupt die göttlichen Abfichten, _ 
um welcher willen er diefe Welt erfchaffen hat, unterfuche 
haben: fo wollen wir verfuchen, ob wir einige diefer Abfich- 
ten infonderheit beftimmen, und ausmachen koͤnnen, welches 
der legte Zweck, oder der Endzweck diefer Welt, fey. Und 

da 


Der Zweck der Schöpfung. 551 


da wir uns überzeugen wollen, daß derfelbe, in der Ehre 
Gottes und in der Religion, beftehe; fo müflen wir erſt, 
die Begriffe von der Religion, feftfegen. Nemlich die 
Ehre einer Perfon befteht, in der Erfentniß ihrer geöffern 
Vollkommenheiten; oder in dem Urtheile, vermöge deſſen 
ihr geöffere Bollfommenheiten zugefihrieben werden. Wenn 
iemand feine eigenen gröffern Vollkommenheiten erfent; und 
diefelben ſich in feinem eigenen Urtheile zufchreibt, fo ehrt er 
ſich ſelbſt. Erkennen aber andere feine gröffern Vollkom— 
menheiten, und fehreiben fie ihm in ihrem Urtheile zu, fo 
wird er von andern geehrt, und das find feine Derehrer. 
Es iſt ein bloffer Wortftreie und ein Eigenfinn, wenn man 
füylechterdings fagen wolte, daß niemand fich felbit ehren 
Fonte. Wenn aber iemand von andern geehrt wird, fo it 
diefe feine Ehre Feine Nealität und Vollkommenheit, mel 
che in ihm, als der geehrten Perfon, würflich iſt; fondern fie 
it in feinen Berehrern wuͤrklich, und der Gegenftand diefer 
Ehre ift in der geöhrten Derfon würflih, Es behaupten 
einige, daß man jemanden nur ehre, wenn man ihm mos 
ralifche Vollkommenheiten zufchreibt. Allein man Fan ies 
manden auch ehren, wenn man ihm Bollfommenheiten zus 
fhreibt, die nicht moralifch find. So ift es eine wahre 
Ehre Gottes, wenn man ihn, als ein allmaͤchtiges und all— 
wiffendes Wefen, verehre. Go viel aber ift gewiß, daß 
eö niemals für eine Ehre gehalten wird, wenn man ieman« 
ben Eleinere Bollfommenheiten zuſchreibt. Wer wird es 
für eine Ehre halten, wenn man von einen Gelehrten fagen 
wolte, er koͤnne gut lefen und ſchreiben? Ein ieder Verehrer 
ſtelt ſich die Vollkommenheit, um welcher willen er iemans 
den ehrt, als eine gröffere Vollkommenheit vor, durch welche 
derfeibe gleihfam über andere hervorragt, er mag nun in 
dieſem Stüce irren oder nicht, oder es mag diefe Vollkom— 
menheit in der That groß feyn, oder nicht. Ein höherer 
Grad der Ehre wird, der Ruhm, genen. Wir rühmen 
und preifen iemanden, wenn man ihm entweder fehr grofie 
Vollkommenheiten zufchreibe, oder wenn man wenigitens 

feine 


352 Der Zweck der Schöpfung. 


feine Vollkommenheiten, als fehr groffe und erhabene Volle 
fommenbeiten, ſich vorftelt. Der Ruhm Gottes, oder 
die Ehre Gottes, befteht demnach in einer vollfommenern 
Erfentniß feiner göttlichen Bollfommenbeiten. Und diefe 
Ehre ift von doppelter Art, Einmal die Ehre, wodurd) 
Gore ſich felbft ehrt. Gott erfent ſich felbft, und alle feine 
unendlichen‘ Bollfommenbeiten, im höchften Grade $. 903. 
Folglich ift in ihm die allervollfommenfte Verehrung feiner 
felbft, ewig und unveränderlich, würflih. Allein da diefe 
Ehre Gottes eine innerlihe Vollkommenheit Gottes ift, 
fo Fan fie unmöglic) der Zweck feyn, um deifentwillen Gott 
diefe Belt erfchaffen bat $. 1002. Folglich Fan fie hier 
nicht, in Betrachtung, gezogen werden, Wir reden alfo 
von der andern Ehre Gottes, welche in der Erfentniß der 
Greaturen beftcht, die fie von Gott und feinen Vollkom— 
menbeiten haben, und welche alfo eine Nealität ift, die in 
der Welt wuͤrklich ift. Es Fan fich ein iedweder leicht 
überzeugen, daß nur mit Verſtand begabte Ereaturen, oder 
endiiche Geilter, Gott erfennen und ihm verehren koͤnnen. 
Folglich verſtehen wir hier, durch die Ehre oder den Ruhm 
Gottes, eine vollfommenere Erfentnif der höchften Bollfom» 
menheiten Gottes, weldye in den würklichen endlichen Geis 
ftern angetroffen wird. 
S. cr, 

Wenn ein endlicher Geift, eine folche vollfommene 
Erkentniß von den göttlichen Vollkommenheiten hat, daf 
fie lebendig ift; folglic) daß fie ihn, und feinen freyen Wil« 
len, bewegt, das Gute zu begehren und zu hun, und dag 
Boͤſe zu verabfcheuen und zu unterlaffen: ſo verberriis 
cher er die Ehre Gottes, oder fo dient er Gott. Die 
Verherrlichung der Ehre Gottes, und der Dienft Gottes, 
beſteht alfo in einem foldyen freyen und rechtmäßigen Wera 
halten eines endlichen Geiftes, welches den Bollfonmen« 
heiten Gottes gemaß iſt; oder wozu er die Bewegungs» 
gründe, aus der Ehre Gottes, hernimt: z. E, wenn er niche 
fündiget, weil er erfent, daß Gott alle Sünden um feiner 

Ges 





Der — der Schoͤpfung. 353 


Gerechtigkeit willen ftrafe, und wenn er rechtmäßig handelt, 
weil er erfent, daß Gott, um feiner Gerechtigkeit willen, 
alle rechtmäßige Handlungen belohne. Wenn alfo vernünf. 
tige Ereaturen Gott dienen, fo bat Gott davon Feinen Bora 
theil zu erwarten, als wenn er durch diefen Dienft innerlich 
vollfommener werden Fünte, Und alſo iſt es lächerlich, 
wenn manche Neligionsfpötter deswegen über die Religion 
laden, weil fie denfen, man behaupte, daß Gott durch 
den Dienft, den ihm die Creaturen leiften, vollfommener 
werde. Ber diefes glaubt, der denkt freylich ungereimt, - 
Allein fein vernünftiger Kenner der Religion macht fich, 
einen folchen falfhen Begrif, von dem Gottesdienfte. Und 
wenn eine vernünftige Creatur, nad) unferm Begriffe, Gore 
dient; fo find, feine freye Handlungen, die unmittelbaren 
Wuͤrkungen feiner Begriffe von den göttlichen Vollkommen— 
beiten. Und danun die Wirkungen, die Erkentnißmit— 
tel ihrer Urfachen, find: fo ſchimmern alsdenn, die Bor: 
ftellungen der göttlichen Vollfommenbeiten, aus den Hands 
lungen einer vernünftigen Creatur hervor, und fie feßen dies 
felben alfo in ein gröfferes Licht und verherrlichen fie. Dies 
fe Ehre Gottes, mit dem Dienfte Gottes zufammengenom» 
men, machen die Aeligion aus. Die Ehre Gottes iſt 
der theoretifche Theil der Religion, und in einer iedweden 
Religion liege, eine Schre von Gott, zum Grunde, Der 
Dienft Gottes ift der practifche Theil der Religion. Und 
das ganze Wefen der Religion befteht, in einer folchen voll- 
fommenen Erfentniß der göttlichen Bollfommenbeiten, mwel« 
he lebendig it. Die weitere Unterfuchung diefes Begrifs 
gehört, in die Sittenlehre, 
$. 1012. 

Die Religion iſt verfchiedener Grade der Vollkom— 
menheit fähig, welche, nach folgenden Regeln, beurtheilt 
werden müffen, 1) Te mehrere endliche Geifter Gott ehren 
und ihm dienen, defto gröffer ift die Ehre Gortes, der 
Dienft Gottes, und die Keligion; folglich, ie mehr Ber, 
ehrer und Diener Gott hat. Wenn alfo fo viele endliche 

4 Theil, 3 Gei— 


354 Der zweck der Schöpfung. 


Geifter auffer Gott würflich find, als möglid), und wenn 
fo viele derfelben feine Werehrer und Diener find, als mög« 
lich; fo hat in diefer Abficht die Religion, den allerhoͤchſten 
Grad, erreiht. 2) Se gröffere und vollfommenere end« 
liche Geiſter Gott ehren und ihm dienen, deſto vollfom- 
mener iſt die Religion. - Die Ehre, die man von einem 
unverftändigen Menfchen empfängt, iſt warlich eine fchlech« 
te Ehre. Wenn alfo die allergröften, höchften und gluͤck— 
feligften Geifter wuͤrklich find, die möglich find, und wenn 
diefelben Gott ehren und ihm dienen, fo ift aud) in diefer 
Abſicht die Religion die gröfte, welche möglid) ift. 3) Je 
meitläuftiger die Ehre und der Dienft Gottes ift, defto gröfs 
fer ift die Religion; folglich ie mehrere goͤttliche Bolls 
fommenbeiten, und ie mehr von einer iediweden, die endlis 
lichen Geifter erfennen, ie mehrere freye Hanvlungen fie 
um Gottes willen thun, ie mehr Bewegungsgründe fie zu 
ihrem DBerhalten aus der Erfentniß Gottes hernehmen, und 
ie öfter fie diefes thun, defto vollfommener ift die Religion. 
In diefer Abſicht ift alfo die Religion die gröfte, wenn ein 
endlicher Geift alles von Gott erfent, was er zu erfennen 
im Stande ift, und wenn er alle feine freye Handlungen um 
Gottes willen thut, und noch dazu zu einer iedweden derſel⸗ 
ben fo viele Bervegungsgründe aus Gott hernimt, als mög« 
lich ft. 4) Je gröffere und erhabenere Begriffe fid) die 
endlichen Geifter von Gott machen, ie wichtiger die Bes 
wegungsgründe. find, welche fie aus denfelben bernehmen, 
und ie gröffer die Handlungen find, welche fie um derfelben 
willen thun, defto aröffer ift Die Religion. Die allervolls 
fommenfte Religion eines endlichen Geiftes befteht alfo dar⸗ 
in, wenn er fich, die allergröften und Gott anftändigften 
Begriffe, von den göttlichen Vollkommenheiten macht, die 
ihm möglid) find, wenn er um derſelben willen die alleredels 
ften und vortreflichften Handlungen thut, und wenn die Ehre 
Gottes fein vornehmfter und ſtaͤrkſter Bewegungsgrund, 
und der legte Zweck aller feiner Handlungen ift. 5) Je 
volllommener die Erkentniß der göttlichen Vollkommenhei · 

ten, 





Der Zweck der Schöpfung. 355 


gen, und der aus derfelben hergeleiteten Bewegungsgründe 
iſt, deſto gröffer ift die Religion : folglich ie Elärer, richti— 
ger, gewiffer und lebendiger dieſe Erkentniß ift. Es beſteht 
demnach, Die gröfte und volllommenfte Religion eines end« 
lien Geiftes, darin: wenn feine theologifche Erkentniß 
nicht klaͤrer, vichtiger, gewiffer und lebendiger in ihm fenn 
fonte, als fie wuͤrklich iſt; und wenn feine Bewegungs« 
gründe, Die er aus der Ehre Gottes zu feinem rechtmäßigen 
Verhalten hernimt, eben in einem fo hohen Grade klar, 
richtig, gewiß und lebendig find $,1010, 1011. 
$. 101, 

| Nunmehr ift leicht zu erweifen, daß Gottes Abfiche 
bey der Schöpfung diefer Welt nicht nur dahin gegangen, 
die Religion in der Welt zu befördern, fondern auch den 
+ allerhöchften Grad derfelben, der möglicy gemefen. Denn 
die Ehre Gottes, der Dienft Gottes und die Religion, find 
unleugbar zufällige Vollkommenheiten vernünftiger Creatu- 
ren. Die Ehre Gottes iſt eine vollfommenere Erkentniß 
des allervollfommenften und würdigften Gegenſtandes unfes 
ver Erfenmiß. Und fan wol diefelbe, eine Unvollfommen« 
beit, feyn? Der Dienft Gottes beftcht in rechtmäßigen 
Handlungen, die um der beften Bewegungsgründe, ober 
um der Ehre Gottes willen, vorgenommen werden. Und 
Fan das wol was Boͤſes feyn? Es ift fo. weit entfernt, daß 
Die Religion etwas Boͤſes feyn Fünte, daß man vielmehr in 
der Sittenlehre leicht erweiſen kan, daß die höchfte Volle 
fommenbeit und Glücfeligfeit einer vernünftigen Creatur 
darin befteht, wenn fie Gort in dem höchften Grade, der 
ihr möglich ift, ehrt, und ihm dient. Da nun alle zufäls 
lige Bollfommenbeiten in der Welt, welche Gott den Ere« 
turen nicht anerfchaffen hat, Zwecke find, um weldyer mil« 
len Gott diefe Welt erfchaffen bat $. 1005. fo ift aud) die 
Ehre und der Dienft Gottes, oder mit einem Worte die 
Keligion, ein göttlicher Zweck diefer Welt. Und da Gore 
diefe Welt, um des allerbeften Zwecks willen, erſchaffen 
bar $, 1004, fo ift auch), der göttliche Zweck diefer Belt, ver 

2 aller⸗ 


356 Der Zweck der Schöpfung. Pr 


allerhöchfte Grad der Religion, der auffer Gott möglich ift. 
Saft uns fehen, wie Gott diefe Welt zu diefer Abſicht ein 
gerichtet habe! Und da Fan man ſich Teiche überzeugen, daß, 
da diefe Welt die befte ift, Feine Welt möglich ſey, in wels 
cher und durch welche Die Religion, in einem eben fo hoben 
oder noch höhern Grade, erlangt werden koͤnte, als in dies 
fer Welt. Denn 1) find in der beften Welt mehrere und 
mannigfaltigere vernünftige Creaturen, als in irgends einer 
andern Welt angetroffen werden $. 430. Folglich hat 
Gott wuͤrklich mehr Geifter erfchaffen, als er würde haben 
thun Fönnen, wenn er eine iedwede andere Welt zur Würfe 
lichkeit gebracht hätte, Nun Fan niemand Gott verehren 
und ihm dienen, ais wenn er ein endlicher Geift ift. Folg- 
lich ift es unmöglid), daß auffer Gott, mehrere Verehrer 
und Diener Gortes, wuͤrklich feyn fünten, als in der That 
vorhanden find. Diefe Betrachtung Fan man ſich dadur 
ungemein beftätigen, wenn man nicht nur ohngefehr über: 
zähle, wie viele Millionen Menſchen auf dem Erbboden 
mwürflid) gewefen, noch wuͤrklich find, und täglich geboren 
werden; fondern wenn man fid) aud) überzeugt, daß alle 
Planeten, und deren gibt es um alle Firfterne, welche un« 
zahlbar find, mit vernünftigen Einwohnern angefüle find, 
Dabin fan man aud) rechnen, was die heilige Schrift, 
von der unzähligen Menge ver Engel, ſagt. 2) In der 
beften Wels find auch) die gröften, beften und glückfeligften 
endlichen Geifter würflich, jo daß Feine gröffern und volls 
Fomnern Geiſter auffer Gore würflich fern Fünnen, als 
auffer ihm iego mürflich vorhanden find $. 430. ort 
hat alfo wuͤrklich in diefer Welt, fo viele und groffe endliche 
Geifter, erfchaffen, als einzeln und zufammengenommen, 
den höchften Grad der Religion, der nur irgends möglich 
ift, auf einmal oder nach und nad) in alle Ewigkeit wuͤrk— 
lid) machen. 3) Gott hat alle Dinge in der Welt fo ein. 
gerichtet, daß ein iedwedes in feiner Art das befte Mirtef 
iſt, Durch welches die vernünftigen Creafuren, zur beiten 
Erfeneniß der göttlichen Bollfommenbeiten, gelangen koͤn— 
nen 


Der Zweck der Schöpfung. 557 


nen. Denn alfes in der Welt, in fo ferne es que ift, iſt 
eine Würfung Gottes, und folglich ein Erkentnißmittel der 
göttlichen Vollkommenheiten 9. 257. Selbit das Böfe in 
der Welt ft ein Erfentnigmitiel Gottes und feiner Vollkom⸗ 
menheiten, weil es, wie aus den Folgenden erhellen wird, 
von Gort aufs gürigite und weifefte zugelaffen worden. Sa, 
da diefe Welt die befte ift, fo iſt alles in derfelben in feiner 
Art fo gut als möglich, und folglich das allerbeite Erfents 
nißmittel der göttlichen Vollkommenheiten; fo daß aus kei— 
ner andern Welt, die Vollkommenheiten Gottes, auf eine 
fo vortrefliche Art bervorftralen, als ans diefer Welt. Alle 
Dinge in diefer Welt auffer den vernünftigen Creaturen, die 
unvernünftigen Thiere, die Pflanzen, die Kräuter, die Ges 
ftirne, und wie fie alle Namen haben mögen, find entfern« 
tere Mittel der Ehre Gottes, indem fie irgends auf eine 
Art, den Geiitern in Diefer Welt, zu der Religion bebälf: 
lich find. Und die vernünftigen Creaturen find die naͤchſten 
Mittel der Religion, oder die eigentlichen Derehrer und 
Diener Gottes, Indem nun Gore diefe ganze Welt, und 
alles was drinnen ift, dergeftalt eingerichtet, daß Daraus 
feine Bollfommenheiten viel beffer erfant werden Fünnen, 
als aus irgends einer andern Welt, ja fo gut als nur mög« 
lich ift; und indem er, fo viele und vortrefliche Verehrer 
feiner Vollkommenheiten, erfchaffen hat, daß Feine mehrern 
und beffern auffer ihm wuͤrklich ſeyn koͤnnen: fo iſt nicht nur 
die Religion überhaupt ein Zweck Gottes, um deffentwils 
len er dieſe Welt erfchaffen hat, fondern diefer Zweck Gottes 
befteht auch wuͤrklich in dem allerhöchften Grade der Reli: 
gion, welcher auffer Gott möglid) ift. \ 
. 1014. 
Mod) leichter Fan erwiefen werden, daß Gott zu dem 
Ende diefe Welt erichaffen habe, damit die endlichen Gei— 
fter nicht nur glückfelig werden mögen; fondern Damit fie 
auch eine fo groſſe Gluͤckſeligkeit erlangen mögen, als in der 
beften Welt möglid) ift, oder als ohne Nachtheil der Regeln 
der allerhöchften Güte und Weisheit geſchehen fan, Denn 
3 alle 


358 Der Zweck der Schöpfung. 


alte zufälligen Vollkommenheiten der Creaturen, welche ih« 
nen nicht anerfchaffen worden, find Abfichten Gottes, um 
welcher willen er die Welt erfchaffen hat $. 1005. Nun 
iſt, die höchſte Gluͤckſeligkeit, Wohlfartd und Seligkeit ver 
endlichen Geifter in diefer Welt, eine zufällige Vollkom— 
menbeit in diefer Welt S. 768. welche ihnen nicht aner— 
ſchaffen werden koͤnnen, weil diefer höchfte Grad nur nach 
und nad) erlangt werden Fan. Folglich ift, die Gluͤckſelig— 
feit der vernünftigen Creaturen, ein göftlicher Zweck der 
Schöpfung, und zwar ift es der höchfte Grad derfelben, weil 
Gott bey der Schöpfung diefer Welt, die möglichite Volle 
kommenheit aller Creaturen, zur Abficht gehabt hat $. 1006. 
Und auch) diefe Abfiche hat Sort dadurd) aufs volifommenfte 
ausgeführt, indem er die beite Welt erfchaffen hat. In 
Feiner andern Welt Fan es Geifter geben, die eben fo gluͤck 
Telig oder noch glückfeliger fenn koͤnten, als die Geifter in der 
beften Welt, Diefe zweyte Abfiche ift um der erften willen, 
oder um der Ehre Gortes willen, nothwendig. Denn nur 
©eifter Fonnen Gott unmirtelbar verebren, und feine Ehre 
verherrlichen, und zwar nur in fo ferne fie glückfelig find, 
Die ganze Religion ift ein Stück der Seligkeit, und der 
Gluͤckſeligkeit eines Geiftes $. 1011. 768. Folglich ie 
glücfeliger ein Geiſt ift, defto gefchicfter ift er, die Ehre 
Gottes und feinen Dienft zu befördern. Folglich Fan die 
hoͤchſte Religion, ohne der hoͤchſten Gluͤckſeligkeit der Geis 
ſter, in diefee Welt nicht befördert werden, und weil alfo 
Gott jene zur Abficht gehabt hat, fo hat er auch diefe zum 
Zwecke gehabt, Man würde ſehr feichte denken, wenn 
man hieraus fihlieffen wolte, daß alfo in diefer Welt fein 
Menſch, oder irgends eine andere vernünftige Creatur, uns 
glückjelig feyn koͤnte, weder in der Zeit noch in alle Ewige _ 
feit. Denn, einmal, fan man, durch die bisherigen Ente _ 
deefungen der Weltweisheit, nicht deutlich und mit Ges 
wißdeit entſcheiden, ob es der höchften Vollkommenheit der 
befien Welt gemäß oder zuwider fen, daß einige vernünftige 
Creaturen in alle Ewigkeit unglückfelig werden. Zum an 
dern 

















Der Zzweck der Schöpfung. 359 


dern Fan eine vernünftige Creatur zu einer Zeit unglückfelig, 
und zu einer andern glücfelig feyn, und demohnerachtet, 
alles in allen gerechnet, in einem fo hohen Grade glücfelig 
ſeyn, als es in der beiten Welt möglid) ift. Folglich koͤn⸗ 
nen wir nichts weiter behaupten, als daß Gott die beite 
Welt unter andern Abfichten aud) desivegen erfchaffen babe, 
damit alle vernünftige Creaturen, einzeln und zufammens 
genommen, glückfeliger feyn und werden mögen, ais fie in 
ärgends einer andern Welt würden geworden feyn, und daß 
fie einen fo hohen Grad der Glückfeligkeit erreichen, als «8 
nach den Regeln der allerhöchften Guͤte und Weisheit möge 
lich iſt. 
$ 1015. 


Nun müflen wir nod) beftimmen, welches die legte 
Abfiche der Welt fen, oder welche unter allen göttlichen Abs 
ſichten, um derentwillen er vie Welt erjchaffen haf, der 
Endzweck fey $, 270. Dieſer legte Zweck befteht, in dem 
hoͤchſten Grade der Vollkommenheit ver beften Welt. Denn 
alle übrige Vollkommenheiten der Welt tragen das ihrige, 
zu diefem höchften Grade, by. Da fie alfo Mittel deffel« 
ben find, fo find alle zufällige Bolltonimenkeiten der Welt, 
auffer der hoͤchſten, Mittel derſelben; und folglich ift fie 
derjenige Zweck Gottes, zu welchem ſich alle übrige als 
Mittel verhalten, und fie ift demnach der feßte Zweck Gots 
tes, Gott fan nur wahre Vollfommenheiten, zu feinen 
Abfihten, machen S. 917. und ie gröffer eine Vollkommen⸗ 
beit der Welt ift, zu einer deſto entferntern und hoͤhern 
Abficht nimt fie Gott an S. 915. Folatich ift fein legter 
Zweck die höchfte Vollkommenheit der beften Welt, oder 
der höchfte Grad der Vollkommenheit der deften Welt, Nun 
befteht, die hoͤchſte Bollfommenheit eines Dinges, in der 
Zufammenftimmung aller Theile defjelben zu einem Zwecke 
6. 97. Derjenige Zweck alfo, zu welchen alles in ver 
Welt zufanmenftimt, ift die höchfte Vollkommenheit, und 
alfo der legte Zweck der beften Welt. Nun it alles in der 
beiten Wels ein Mittel zu dem hoͤchſten Grade der Religion, 

3.4 wel⸗ 


360 Der Zwec der Schoͤpfung. 


welcher auffer Gott möglich it $. 1013. Folglich ift, der 
leßte Zweck der beiten Welt, diefer höchfte Grad der Ehre 
und des Dienftes Gottes, oder, mit einem Worte, der Re— 
ligion. Weil nun die Geifter die vollkommenſten Theile der 
Welt find, fo ift ihre übrige Gluͤckſeligkeit, nach der Nelis 
gion, der nächfte Mittelzweck, um deſſentwillen Gott die 
beite Welt erfchaffen hat. Gemeiniglich fagt man: daß 
der legte Zweck Gottes feine Ehre, und der nächte nach 
diefem, die Gluͤckſeligkeit der Menfchen und anderer vers 
ninftigen Creaturen, fey. Allein es ftecft in diefem Ge— 
Danfen etwas falfches, als wenn die Ehre Gottes und die 
Religion eine Vollkommenheit fey, welche von der Glückfe, 
ligfeit der vernünftigen Creaturen unterfchieden iſt, da doch 
in derfelben der hoͤchſte Grad diefer Gluͤckſeligkeit befteht, 
Man denft viel richtiger, wenn man fagt: daß der legte 
und böchfte Zweck Gottes, warum er die befte Welt ers 
fchaffen, ver allerhöchfte Grad der Glückfeligkeit der ver- 
nünftigen Gefchöpfe fen, und daß der nächitfleinere Grad 
ihrer Glückfeligkeie derjenige Mittelzweck fey, welcher nach 
der Religion der göfte ift. Es ift demnach abermals Elar, 
daß Gott die Welt, blos aus Liebe zu den 
Ereaturen, gefchaffen 
habe, 


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Der andere Abfihnitt. 
Die Vorſehung Gottes. 
Die erfte Abteilung. 
Von der Vorſehung Gottes überhaupt. | 


$. 1016, 


ir kommen nunmehr zu der andern Hauptart der Tha⸗ 
W ten, und der Handlungen Gottes, durch welche er 
in andere Dinge, die auſſer ihm wuͤrklich ſind, 

wuͤrkt, und die werden in der Vorſehung Gottes zuſammen⸗ 
gefaft. Die Schöpfung ift diejenige Handlung Gottes, 
aus welcher begreiflich ift, warum die Welt, und alles was 
fie in ſich enthält, wuͤrklich ift; und die Vorſehung begreift 
alle Handlungen und Einflüffe Gottes in die Welt in fih, 
welche fie als ein fortdaurendes Ding vorausfeßen. Die 
Schöpfung wuͤrkt die Welt als eine Wuͤrkung Gottes, und 
die Vorſehung bearbeitet fie als eine Würfung Gottes, die 
fchon da ift. Jene ift eine Handlung Gottes in die Welt, 
welche ihre Wuͤrklichkeit nicht vorausfegt; die Vorſehung 
Gottes aber ift eine folhe Handlung in die Weit, welche 
ihre Würklichkeit vorausfegt, Man Fan alfo die gött 
liche Vorſehung überhaupt, durch diejenige Handlung 
Gottes in die Welt, erflären, durch welche er nad) und 
nach , einer iedweden erfchaffenen Sache, fo viele zufällige 
Vollkommenheiten verurfacht, als nach hödhfter Güte und 
Weisheit möglich iſt. Wenn wir alle Handlungen Gottes, 
welche zu der Vorfehung gehören, nad) und nad) ‚werden 
durchgegangen haben; fo werden wir, von der Nichtigkeit 
und Fruchtbarkeit diefer Erklärung , völlig überzeugt wer⸗ 
den. Man fan ſich diefe Erklärung, durch ein Gleihniß, 
erläutern, Wenn fic jemand ein Haus bauet, oder einen 
Garten anlegt, fo ift das gleichfam eine Schöpfung. Wenn 
5 er 


362 Von der Dorfehung Gottes überhaupt. 


er aber, als ein guter Wirth, fein gebauetes Haus, und 
feinen angelegten Garten, beforgt: fo übt er eine Borfehung 
über diefelben aus. Man fan die göttlihe Borfehung auch 
fo erflären, daß fie in der Handlung Gottes beftehe, durch 
welche er nach und nad) alle Zwecke, um welcher willen ex 
die Welt erfchaffen bat, durch diefelbe und ihre Theile zu 
erlangen ſucht, und wuͤrklich erlangt, 

$. 1017. 

Daß nun Gott die Welt nicht nur erfchaffen habe, 
fondern daß er auch über diefelbe, fo lange fie fortdaurt, 
und alfo von der Schöpfung an bis in alle Ewigkeit, eine 
Vorſehung ausübe: das Fan, folgendergeftalt, erwiefen 
werden. Die befte Welt ift ein fortbaurendes Ding, und 
wird in Ewigkeit fortdauren. Nun ift es unmoͤglich, 
Daß Die ganze Welt, und ein ieder Theil derfelben, alle zus 
fällige Bollfommenbeiten, die fie nad) den Regeln der hoͤch— 
ften Güte haben müffen, auf einmal haben folten; und daß 
alle Zwecke, warum Gott die befte Welt erfchaffen hat, auf 
einmal folten erhalten werden. Es ift fein Zeitpunct der 
ganzen Fortdauer der beiten Welt möglich, in welchem die 
Welt die ganze befte Welt wäre, alle ihre Vollkommenhei— 
ten auf einmal hätte, und alle ihre Zwede auf einmal er— 
reichte. Und eben fo verhält es ſich auch, mit allen Thei— 
Ien der beiten Welt. Folglich werden, in der beften Welt, 
nur nach und nad) bis in alle Ewigfeit, alle zufällige Voll— 
fommenheiten, und folglich auch alle Zwecke Gottes $. 1005, 
die zur beften Welt noͤthig find, und deren Wuͤrklichkeit die 
hoͤchſte Güte und Weisheit erfodert, wuͤrklich. Nun Fan 
diefes nicht ohne Einfluß Gottes in die Welt, und auf eine 
von Gott unabhängige Ark gefchehen F. 982. ine ied- 
wede zufällige Vollkommenheit, welche während der Forts 
dauer der Welt wirklich wird, iſt eine Würfung der thäti- 
gen und gefhäftigen Güte und Weisheit Gottes $. 1005. 
948. Folglich nimt Gott, während der Fortdauer der 
Welt, eine folche Handlung ver, wodurch er nach und 
nad) die befte Wels würkt, wodurch er nad) und nad) * 





























Don der Vorfehung Bottes überhaupt. 363 


Abfihten der Schöpfung ausführt, und wodurch er nach 
und nad, allen erfchaffenen Dingen, fo viele zufällige Voll— 
kommenheiten verfchaft, als die höchfte Güte und Weisheit 
erfodert, Es hat alfo Sort nicht nur die Welt erfchaffen, 
fondern er übe auch eine Vorſehung über diefelbe aus, 
$. 1016, 

$. 1018, 

Die Vorſchung ‚ welche Gott uͤber die ganze Welt 
ausübt, Fan aud) mit Recht, die Sorge Gottes für die 
Welt, _genent werden; oder indem Gott die Borfehung 
ausuͤbt, fo forget er zugleich für die Well. Denn man 
forget für eine Sache, wenn man nicht nur die Mittel ih— 
ver Vollkommenheit ausfindig macht, fondern auch würflic) 
gebraucht, um fie vollfommener zu machen. Nun bat 
Sort von Ewigkeit her, aufs vollfommenfte, und nad) 
böchiter Weisheit, die beften Mittel erfant und erwählt, 
durch welche alle Dinge in der Welt nach und nad) ihre 
möglichfte Bollfommenbeit erlangen, und diefe Mittel mache 
er nach und nach durch feine Borfehung wuͤrklich $. 1016, 
Folglich forget Gott durd) feine Borfehung für die ganze 
Welt, und für alle Dinge, die in derſelben würflich find. 
Es verftehe fi von felbft, daß man von der Sorge, die 
Gott für diefe Welt trägt, alles ängftliche, ausfchmweifende 
und unvollfommene abfondern muß, mas mit den -menfdye 
lichen Sorgen nur gar zu häufig verbunden zu ſeyn pflege. 
Man muß vielmehr fagen, daß Gott aufs vollfommenfte 
für die Welt forge, und daß er die allerhöchfte Borfehung 
über diefe Welt ausübe, Denn 1) für ie mehrere und 
geöffere Dinge geſorgt wird, defto gröffer ift die Sorge und 
die Borfehung. Nun forget Gore für alle Dinge in diefer 
Welt, indem Fein würfliches endlihes Ding einen Yugens 
blick, ohne Gottes Borfehung und Borforge, fortdauren, 
und vollkommen werden Fan $. 1017. Folglich vergift 
Gott, in feiner Borfehung, Feine Creatur. Er forge fo 
wol für die geöften, als auch für die Fleinften, und zwar 
für die legtern nicht blos vor 1 betrachtet als für Kleinige 

feiten, 


64 Von der Dorfehung Gottes, überbaupt. 


feiten,, fondern in ihrer. Beziehung aufs Ganze. Mas 
für ein Troft für uns Menfchen! Ein Menfch mag immer: 
bin andern Menfchen noch fo gering, ungeachtet und ver- 
geſſen zu fenn ſcheinen, er Fan allemal verfichert ſeyn, daß 
Gott für ihn eben fo wohl forge, als für die gröften und 
vornehmften Perſonen. Die Fleinften Vorfälle unferes tes 
bens ftehen, eben fo wohl als Die gröften, unter der Vorſe— 
bung Gottes. Und da in diefer Welt, als in der beften, 
viel mehrere und gröffere Dinge und Beränderungen wuͤrk— 
lic) find, als in irgends einer anvern Welt: fo hat Gort 
würflich fo viel zu beforgen, und er beforgt auch in der That 
Durch feine Borfehung fo viel, als möglid) ift, vergeftalt, 
daß Feine Vorſehung möglich ift, meldje fid) noch über 
mehrere und gröffere Dinge erftrecfen Fonte, als die Borfes 
bung Gottes über die befte Welt, und die göttliche Dorfes 
bung ift alfo in diefer Abfiche in der That die aflergröfte, 
Man bewundert e8 mit Necht an einem General, wenn er 
für alles in feiner Armee forget, und nichts vergift. Allein 
wie wenig ift Das nicht gegen dasjenige, was Gott beforgt, 
indem ihm verrnöge feiner Allwiffenheit nichts unbefant ift, 
was in dieſer Welt würflich ift, oder gefchieht. 2) Je 
beftändiger, ununterbrochener und dauerhafter die Vorſe— 
hung ift, deſto gröffer und vollfommener ift fie. Gottes 
Vorſehung daurt, von der Schöpfung an bis in alle Ewig— 
keit, ununterbrochen und unausgefeßt fort, und iſt alfo auch) 
in diefer Abficht die aröfte und vollfommenftee Gott wird 
nie müde für die Creaturen zu forgen, er unterläft feine 
Sorge für die Welt niemals, er forget Tag und Nacht uns 
' ausgefeßt für. alles. Und wenn weder wir felbft, noch an— 
dere Menfchen, zu gewiffen Zeiten und in gewiflen Umftan« 
den, für uns forgen, oder forgen koͤnnen: fo fünnen wir 
doch verfichert feyn, daß alsdenn Gott für uns alle mögliche 
Sorge trägt. 3) Je weiſer, gütiger und gerechter die 
Sorge und Vorfehung iſt, oder ie vollfommener dadurd) 
der Gegenftand gemacht wird, vefte vollfommener und 
gröffer ift fie. Gott forget aufs allerweifefte, gütigfte und 
y j ge⸗ 








Don der Vorſehung Gottes überhaupt, 365 


gerechteſte für die Welt, und alle Ereaturen, "und feine 
Vorſehung ift eine Handlung feiner hoͤchſten Weisheit, 
Guͤtigkeit und Gerechtigkeit $. 1016. 913. 948. 952. 
Folglich) it, die Vorfehung Gottes, die allervollfommenite. 
Und diefes flieft auch, aus der Lehre von der beften Welt. 
Folglich wird eine iedwede Creatur in diefer Welt, durch 
die Vorfehung Gottes, nad) und nad) fo vollfommen, als 
möglich) ift. Und folglich Fan feine Creatur, von der Vor— 
fehung Gottes, eine gröffere Vollkommenheit fodern und er» 
warten, als fie würflich von derfelben empfängt. 
S. 1019, J 
Es gibt Leute, welche weder die Wuͤrklichkeit Gottes 

leugnen, noch daß die Welt von Gott geſchaffen worden, 
und fie geben alſo zu, daß fie ohne Gott nicht habe wuͤrk— 
li) werden koͤnnen. Allein fie leugnen die Vorſehung 
Gottes, und behaupten, daß Gott, nachdem er die Welt 
gefchaffen, ſich weiter um diefelbe nicht befümmere, nicht 
für diefelbe forge, und auf feinerley Weife fih, nad) der 
Schöpfung, mit ihr befchäftige, oder in diefelbe würfe, 
Man nent diefen Irrthum den Epicyreifchen Irrthum, 
weil Epicur nad) feinem $Sehrgebaude denfelben behauptet 
bat, Diejenigen, welche diefen Irrthum annehmen, mas 
chen fonderlich folgende Einwürfe wider die goͤttliche Bora 
ſehung. 1) Es fey ganz unnöthig, daß Gott, nachdem 
er die Welt gefchaffen, in diefelbe zu würfen fortfahre, und 
für fie forge; weil die Welt, nachdem fie von Gott erihafs 
fen worden, ohne feine fernere Vorſorge fortdauren koͤnne. 
Gleichwie ein Uhrmacher, wenn er eine vortrefliche Uhr ver- 
fertiget hat, nicht weiter nöthig bat, in diefelbe zu würfen, 
indem fie ohne feinen Einfluß richtig fortgeht, bis etwas 
daran verdorben wird. Allein an der Welt, als an dem 
beften Werke des vortreflihen Baumeifters, fünne nichts 
verdorben werden. Folglich fey die Vorſehung Gottes 
ganz unnöthig, und Gott koͤnne nichts unnöthiges thun. 
Diefer ganze Einwurf ift, fehon in dem vorhergehenden, 
völlig widerlegt worden S. 982. Es ift unmöglich), daß 
die 


366 Von der Dorfehung Bottes überhaupt, 


die Welt in ihrer Fortdauer von ort unabhängig fern 
folte, und es ift eine chimaͤriſche Vortreflichkeit der Welt, 
wenn man fich diefelbe dergeftalt vorftelt, daß fie ohne be« 
ftandige Vorforge Gottes, nad) ihrer Schöpfung von Gott, 
foridauren Fonte. Und folglic) ift diefes nur eine Schein« 
vortreflichfeit der Welt, welche der beften Welt nicht hat 
koͤnnen anerfihaffen werden. Wir werden von der Nich« 
tigkeit diefer Antwort, noch beffer überzeugt werden, wenn 
wir in dem Folgenden alle diejenigen Handlungen Gottes 
in die Welt unterfuchen werden, ohne welchen die Welt 
nicht fortdauren Fan, und welche zufanımengenommen die 
Borfehung Gottes ausmachen. Das Gleihniß von einem 
Uhrmacher, oder von einem andern Künftler, ift fehr fchleche 
angebracht. Die fubftantiellen Theile eines folhen Werks 
der menfchlichen Kunft bangen ja nicht, von dem menfch« 
lichen Künftler, ab; fondern nur einige Accidenzien derfels 
ben, welche in diefen Theilen freylicy fortdauren fönnen, 
ohne daß fich der Künfkler weiter um diefelben bekuͤmmere. 
Allein. bey der Welt verhält es fid) ganz anders, indem 
auch die Subftanzen, aus denen fie, als aus ihren erſten 
Theilen, beſteht, von Cote gewürft werden und von ihm 
abhangen. 2) Es fireite wider die höchfte Gluͤckſeligkeit 
Gottes, daß er beftändig für die Nele forgen müffe, Man 
folte nur bedenken: wie viele Mühe, Verdruß, Arbeit, 
fchlaflofe Nächte es fofte, wenn ein Hausvater nur für eine 
Familie forgen muͤſſe. Und was fey, eine Familie, gegen 
die ganze Wele? Epicur hat, diefen Einwurf, fonderlich. 
ſehr ftar getrieben. Er nahm an, daß das höchfte Gut 
in dem DBergnügen beftehe, und daß Gott alfo beftändig, 
in dem Genuffe des allerhoͤchſten Vergnuͤgens, ftehen müffe. 
Folglich koͤnne er fih, um die Welt, nicht befümmern. 
Allein diefer ganze Einwurf rührt, aus dem Anthropomors 
phiſmus, ber $. 873: 874. wenn man fic) Öott, als einen 
ſchwachen Menfchen, vorftele. Aller quälender Verdruß, 
und alle befehwerlide Mühe, weiche die Sorgen verur« 
fachen, rühren entweder daher, wenn man nicht alles vor⸗ 


ber 








Don der Vorſehung Gottes überhaupt. 367 


ber weis, was fich mit dem Öcgenftande zutragen Fan, und. 
ofte unerwartet ein Strich durch unfere Projecte gemacht 
wird; oder, wern man Abfichten dat, die nicht ausge— 
führe werden koͤnnen; oder, wenn man nicht Macht genung 
hat, dasjenige auszuführen, was man will; oder, daß 
nicht alles nach unferm Willen geht; oder, daß unfere ein= 
gefchrenften Kräfte ermüdet werden; oder, daß man zu 
ausfchweifend forget: kurz, fie rühren allemal, aus einer 
Unvolllommendeit, ber, Allein, dem allwiffenden, allera 
weifeften und allmächtigen Gotte, Fan die Borfehung gar 
Feinen quälenden Verdruß, und Feine beſchwerliche Mühe, 
machen. Sie verurfacht ihm, vielmehr ein unendliches 
Vergnügen, weil fie in der allervollkommenſten Geſchaͤftig⸗ 
feit feiner höchften Vollkommenheiten befteht. 
. 1020, 

3) Wenn die Vorſehung Gottes fi) über alles in 
der Welt erfirefte, und wenn Gott für alles in der Welt 
forgte: fo müßte er aud) für alle Kleinigkeiten und Sappalis 
en forgen, und das fey der hoͤchſten Vollfommenheit Gots 
tes unanftändig. Wäre es nicht lächerlid) zu fagen, daß 
Gottes Vorforge ſich, auf eine iedivede Muͤcke und Käfes 
mülbe, erſtrecke, daß er fie ofte aus Todesgefahren ervette, 
daß fie ohne feinen Willen feinen Fuß verlegen Eonne? Ich 
antworte einmal: wir haben diefem Einwurfe in dem Vor⸗ 
hergehenden fihon völlig vorgebauet, indem wir ermiefen 
baben, daß Nichts in diefer Welt, in der Erkentniß Got— 
tes, eine nichtewürdige und verachtungswerthe Kleinigkeit 
fen S. 898. Wenn auch) nur das geringfte in diefer Welt 
anders wäre, als es wuͤrklich ift; fo wäre Diefe Welt, und 
alfo aud) die beite Welt, nicht wuͤrklich. Folglich erlangen, 
alle Dinge in diefer Welt, in dem Urtheile Gottes, welcher 
alles aufs deutlichfte erfent, und alfo einfieht, wie viel ein 
iedwedes derfelben zur böchiten Vollkommenheit der Welt 
beträgt, und daß ohne demſelben dieſe Belt nicht die befte 
ſeyn Eönte, einen hinlänglichen Werth, wodurch aud) diejes 
nigen Dinge, welche in unfern Augen die gröften — 

eiten 


368 Von der Vorfehung Gottes überhaupt, 


feiten zu feyn fcheinen, der Borforge Gottes würdig werden. 
Zum andern, wenn eine Mücke, oder eine andere dergleichen 
Ereatur der Vorſehung Gottes nicht werth wäre, jo wäre 
fie auch) der Schöpfung nicht würdig. Und wo folte, eine 
ſolche Creatur, bergefommen ſeyn? Folglich ift nichts in 
diefer Welt, für die Borfehung Gottes, zu ſchlecht und zu 
gering. Die heilige Schrift ffimt Damit volltommer, übers 
ein, indem fie verfichert, daß fein Eperling vom Dache 
falle ohne Gottes Willen, und daß Gott alle Thiere des 
Feldes ernaͤhre. Und was ift, in unfern Augen, der Tod 
eines Sperlings? 4) Wenn es eine höchft, weife und gütis 
ge Vorfehung Gottes gäbey fo würde es nicht jo unordent- 
lid) und verwirt in der Welt hergeben. Betrachtet man 
nun dag Reich der Natur, was für Unordnung entdecke ſich 
dafelbft! Eine paradififche Gegend wird von einem Unge— 
witter verheert, und fan eine weife Borfehung ihre eigenen 
Anordnungen zerftöhren? Betrachtet man die moralifche 
Welt, fo fieht es dafelbft noch wunderlicher aus, Den 
Tugendbaften geht es fehr ſchlecht, und ven Lafterhaften 
wohl. Der Narr erlangt feine Abfichten, und der Weife 
nicht. Und wenn man $uft hat, fo Fan man diejen Einwurf 
mit groffer Beredfamfeit ausfhmücen. Ich antivorte 
zweyerley.  Kinmal werde ic) in dem Folgenden, bey der 
Unterſuchung der göttlichen Zulaflung des Böfen in der 
Welt, diefen Einwurf aus dem Wege räumen, Und zum 
andern folge daraus nur fo viel, daß wir, die Veranal— 
tungen der göttlihen Vorſehung, nicht erforfehen koͤnnen. 
Wir verftehen die allerwenigften Regeln der höchften Weiss 
heit, und Güte. Folglich Fan in diefer Welt unendlich 
viel gefd,ehen, wovon wir weder erfahren, noch fonft voͤl⸗ 
lig einfehen koͤnnen, daß es der hoͤchſten Weisheit und. Guͤ— 
te Gottes gemäß ſey. Allein es ift eine elende Art zu den— 
fen, wenn wir, den Mangel unferer Einfichten, als einen 
Grund anfehen, dasjenige zn leugnen, was wir 
nicht völlig einzufehen im Stande 
find. 
Die 


2 


UT RAU 364 


KR REERKEKRFEEKTKEFEE NT. N FT TR KO KR KR N KK EEE 


Die andere Abtheilung. 
Don der Vorfehung Gottes infonderheit. 


S. 1021, Ä 
kachdem mir die Vorfehung Gottes überhaupt betrach. 
N tet haben, fo muͤſſen wir nun, die verſchiedenen Theis 
le derfelben, in Erwegung ziehn. Die Vorfehung 
Gottes ift nicht etwa eine einfache Handlung, die in allen 
Faͤllen einerley ift, wie etwa die Schöpfung. Gott mag 
eine Subſtanz ſchaffen, melde er will: die Handlung, 
die er deshalb vornimt, iſt in allen Fallen was ihr We— 
fen und ihre innerliche Befchaffenheit betrift, ‚einerlen. Als 
lein die Vorſehung Gottes ift eine fehr zufammengefegte 
Handlung Gottes, welche nidyt nur aus vielen, fondern 
auch aus mannigfaltigen, Handlungen Gottes in vie 
Melt beiteht, Und wenn wir, alle diefe mannigfalti« 
" gen Handlungen Gottes, werben unterfucht haben ; fo wer⸗ 
| den wir nicht nur die göttliche Vorſehung beffer verftehen, 
ſondern wir werden auch von ihrer Wuͤrklichkeit, noch auge 
1) führlicher und deutlicher, überzeugt werden, 


Die Erhaltung der Welt. 
.. 9.:1022, 

Die Erhaltung einer Sache ift die Handlung, 
wodurch ihre Fortdauer gemürft wird, und wer eine Gache 
‚ erhält, der ift der Erhalter derfelben. So fagen wir, 
daß wir einen Menſchen erhalten, wenn wir ihm Effen und 
Trinken verfhaffen, oder wenn wir ihn, wenn er ins Wafa 
fer geftürzt, aus demfelben herausziehn: indem wir eben 
dadurch Handlungen vornehmen, wodurd wir die Forte 
Dauer des Lebens eines Menfchen wuͤrken. Nun lehrt ung 
die Erfahrung, daß diefe Welt feit ihrer Schöpfung fort. 
daurt, Sie fan aber, in feinem Augenblice ihrer Forts 
dauer, auf eine von Gott unabhängige Art wuͤrklich ſeyn 

4, Theil. Ya und 











370 Die Erhaltung der delt. 


und fortdauren $. 982. Sondern fie iff, in einem ied« 


weden Augenblicke ihrer Dauer, ein zufälliges Ding, wel— 
es nicht anders als eine Würfung der göttlichen Kraft, 
und einer göttlichen Handlung, würflic) fenn fan $. 821. 
Folglich wirft, die auffer der Welt befindiiche Subftans, 
oder Sort, durch eine Handlung, beftändig, und ununters 
brochen die Fortdaner der Welt, in einem iedweden Augen— 
blicke verfeiben. Und es iſt demnach unwiderfprechlich Elar, 
daß Gott nicht nur der Schöpfer, fondern auch der. Erhals 
ter dieſer Welt ſey. Es ift eine nichtige Ausflucht, die wir 
fon aus dem Wege geräumt haben, wenn man fagen 
wolte: Gott habe die Subſtanzen vier Welt nur erfchaffen 
duͤrfen, fo daurfen fie vor fid) for, indem eine iedwede 
Subftanz vor fih wuͤrklich ſeyn, und alfo auch fortdau« 
ren könne, Allein man verwechfele bier, ziweyerley, mit 
einander. Ein anderes iftes, wenn man fagt: eine Sub« 
ftanz daure vor ſich fort; und ein anderes ift es, wenn man 
fage: fie Daure auf eine felbftftändige und unabhängige Art 
fort. Das erfte will fo viel fagen: eine Subſtanz daurt 
dergeftalt fort, daß fie, in feinem Augenblicke ihrer Dau« 
er, in einem andern Dinge als in ihrem Subjecte fortdau⸗ 
re, And fo dauren die Subftanzen diefer Welt fort, indem 
fie auffer Gott, durch Die ganze Zeit ihrer Dauer, wuͤrklich 
find $. 8850. Das leßte aber will fo viel ſagen: daß vie 


Welt dergeftalt fortdaure, daß es Augenblicke ihrer Dauer | 
gebe, in welchen ihre Würklichfeit gar Feinen hinreichenden 
Grund in einer Handlung Gottes habe, und das ift uns 


möglih $. 982. Und eben hieraus folgt, daß die Welt 
nur, durch die Erhaltung Gottes, fortdauren koͤnne, und 
würflic fortdaure. Die Erhaltung der Welt ift unleug« 
bar, ein. Theil der göttlichen DBorfehung. Denn es ift 


unmöglich, daß diefe Welt, oder irgends ein Theil derfele 


ben, nach und nach die möglichfte Vollkommenheit erlangen 
folte, wenn fie nicht fortdauren, indem nicht nur die Forte 
dauer ſelbſt eine gröffere Bolffommenbeit iſt; fondern auch 
eine Bedingung, obne welcher unmöglich nad) und nad), 

immer 





Die Erhaltung der Welt. 371 


immer mehrere und mehrere Vollkommenheiten, in einem 
endlichen Dinge wuͤrklich werden koͤnnen. Folglich gehört, 
die Erhaltung der Welt, zu den Handlungen Gottes, wo— 
durch er nach und nach fo viel Vollkommenheiten in den er 
fchaffenen Dingen wuͤrklich macht, als nach ven Kegeln der 
höchiten Güte und Weisheit möglich if. Und eg gehört 
demnach die Erhaltung der Welt zu der göttlichen Borfes 
bung, und Borforge für alle erichaffene Dinge $. 1016, 
Nr: 202, 

Wenn man fich, von der göttlichen Erhaltung diefer 
Welt, einen rechten Begrif machen will, fo muß man vie: 
rerley von derfelben bemerfen. Einmal, fie ift ein Einfluß 
Gottes in die Welt: denn fie ift eine Handlung Gottes, 
wodurch er in die Welt würft $. 1022. Nun ift Sort eine 
Subſtanz, welche aufler der Welt würklih ift $. 849. 
Folglich würft er in ein Ding auffer fich, indem er die Wele 
erhalt; und eine iedwede Handlung, Durch welche eine 
Subſtanz in ein anderes Dina auffer fich würfe, wird ein 
Einfluß genent $. 166. Zum andern ift, die göttliche Er— 
haltung der Welt, ein reeller Einfluß Gottes in die Welt. 
Denn die Welt ift ein endliches und zufälliges Ding, und 
£an alfo, den Hinreichenden Grund feiner Wirklichkeit und 
Fortdauer, nicht in ſich felbft Haben ; ober Feinendliches Ding 
Ean, durch feine eigene Kraft, feine Wirklichkeit und Forka 
dauer würfen $. 239. Es Fan zwar, indem es fortdaurt, 
Durch feine eigenen Handlungen in fich ſelbſt, verſchiedene 
Accidenzien, würfen, welche zu feiner Wuͤrklichkeit und 
Fortdauer gehören; allein es ift unmöalich, daß es, durch 
feine eigene Handlung, die fubftantielle Fortdauer feiner felbft 
würfen folte. Folglich verhält fid) die Welt, bey ihrer Erz 
haltung von Gott, blos leidentlidy, und indem alfo Gore 
die Welt erhält, fo thut er diefes durch einen reellen Einfluß 
$ 167% Zum dritten iſt die Erhaltung ein beftändiger, 
unausaefegter und ununterbrochener Einfluß Gottes in die 
Melt, von der Schöpfung an bis in alle Ewigkeit; weil 
die Welt, in feinem — ihres Daſeyns, fortdau- 

02 


ven 








312 | Die Erhaltung der delt. 


ren fan, ohne von Gott erhalten zu werden $.1022. Wenn 
Gott feine Hand von der Welt abzöge, und aud) nur einen 
Augenblic diefen feinen Einfluß in die Welt unterlaffen wol 
te: fo würde fie blos dadurch vernichtet werden, und verge— 
hen. Zum vierten IE, die göftliche Erhaltung der Belt, 
eine freye Handlung Gortes; weil fie zu denenjenigen göft- 
fihen Handlungen gehört, wodurch Gott in andere Dinge 
auffer fih würft $. 930. 940. 941. Er entfchlieft fich 
alfo, zu der Erhaltung diefer Welt, durch die allervollkom— 
menften Berwegungsgründe, oder weil er aufs vollfome« 
menfte weis, daß diefe Welt die befte it. Da nun die 
Schöpfung der Welt ebenfals, ein reeller und freyer Ein⸗ 
fluß Gottes in die Welt, ift $. 972. 977. fo ift, die Era 
haltung der Welt, nichts anders, als eine fortgefeste Schd- 
pfung ; oder indem Gott die Welt erhält, fegt er Die Hands 
lung in die Welt fort, wodurd) er fie erichaffen hat. Es 
haben einige, aus einer übertriebenen Siebe zum Paradoren, 
diefes fo. verftanden, als wenn die Welt alle Augenblice 
vernichter, und wiederum aus Nichts von Gott hervorges 
bracht würde. Allein es ift nicht dev Mühe werth, die Un— 
gereimtheit diefes Einfalles weitläuftig zu erweifen. 
.. 109%. 

Wenn man fich, die Erhaltung der Welt, derge— 
ftalt vorftellen will, daß man nicht etwa auf den Irrthum 
gerathe, als thue Gott zu wenig, indem er die Welt er⸗ 
hält: fo muß man, die verfchiedenen Arten der Erhaltung 
einer Sache, wohl von einander unterſcheiden. Cs gibt 
nemlich fonderlic) eine vierfache Art, wie eine Sache erhals 
ten werden Fan. 1) Eine unmittelbare Erhaltung, wel—⸗ 
che in einer Handlung befteht, die den nächiten zureichenden 
Grund der Fortdauer einer Sache enthält. Oder der Era 
Balter einer Sache erhält fie auf eine unmittelbare Ark, 
wenn er in der That in diefelbe würft, und dadurch ihre 
Fortdauer verurfaht. So Fan man fagen, daß eine Arzes 
ney unfer Leben erhalte, und fo ijt Effen und Trinfen ein 


Erbaltungsmittel unferes Lebens, und unferer Geſundheit. 
Aus 





Die Erhaltung der Melk, 373 


Aus dem geführten Beweiſe erhellet, daß Gott auf diefe 
Art die Welt erhalte $. 1022, 1023. 2) ine mittelbare 
Erhaltung, welche wiederum auf eine doppelte Art erkläre 
werden fan, Einmal, wer die Hinderniffe der Fortdauer 
einer Sache aus dem Wege räumt, der erhält fie auf eine 
mittelbare Art. So fagen wir, daß wir das Leben eines - 
Menfchen erhalten, wenn mir ihn aus dem Waffer ziehn, 
oder aus einer andern Lebensgefahr erretten. Es ift offene 
bar, daß wir alsdenn nichts weiter thun, als daß wir, die 
KHinderniffe der Fortdauer des Lebens, aus dem Wege räus 
men, Nun fan man, von der Welt im Ganzen betrachtet, 
nicht fagen, daß fie von Gott auf eine folche Ark erhalten 
werde: denn es ift gar fein Hinderniß ihrer Fortdauer mög» 
lich und wuͤrklich, welches Gott wegſchaffen koͤnte, um ihre 
Fortdauer zu erhalten. Allein was die einzeln Theile der 
Belt betrift, Menfchen, Thiere und andere Dinge: fo ge: 
rathen fie, mitten in der Welt, ofte in ſolche Umftände, daß 
fih ihrer längern Fortdauer Hinderniffe in den Weg legen. 
Wenn nun diefelben aus dem Wege geräumt werden, wie 
doch unzählig ofte gefchieht, fo ift diefes eine wuͤrkliche Be— 
gebenheit in der Welt, welche von Sort abhange. Und 
folglich erhält Gott, die einzelnen Theile diefer Welt, ofte 
dergeftale mittelbarer Weife, daß er die Hinderniffe ihrer 
längern Fortdauer aus dem Wege räumt, Nur muß man 
nicht denfen , daß in diefen Fallen Gott, zur Erhaltung 
diefer Dinge, nichts meiter thue, und daß er fie nicht aud) 
zugleich unmittelbar erhalte. 3. E. wenn Gott einen Mens 
ſchen aus einer Sebensgefahr errettet, fo erhält er das Leben 
deſſelben nicht nur auf eine mittelbare Art, fondern auch zus 
gleich) auf eine unmittelbare Ar, Zum andern Fan man 
fagen, daß man eine Sache mittelbarer Weife erhalte, wenn 
man ihr die Mittel ihrer Fortbauer verfchaft. So erhalten 
wir das $eben eines Menſchen, wenn wir ihm Effen und 
Trinken geben. Auch auf diefe Art erhält Gott die Dinge in. 
der Welt, indem er einem iedweden die Mittel feiner Forte 


dauer verfchaft: den Pflanzen Regen und Sonnenfchein, 
Aa 3 den 


374 Die Erhaltung der Welt. 


den Thieren ihre Nahrungsmittel u. f m. Auch hier 
wäre es zu wenig gefagt, wenn man behaupten wolte, daß 
Gott nur auf diefe Art manche Dinge erhalte, er muß fie 
aufferdem allemal auch zugleich unmittelbar erhalten. So 
Fönte ein Menſch unmöglich länger fortdauren, wenn er auch 
Eſſen und Trinken genung hätte, wenn Gott nicht zugleich 
feine Würflichfeit, in einem iedweden Augenblicke feiner 
Fortdauer, unmittelbar wuͤrkte. 3) Eine Erhaltung im 
verneinenden Berftande, wenn die Handlung unterlaflen 
wird, wodurch der Untergang einer Sache gewürft werden 
würde, So erhalten wir z. E. ein Kleid, ein Glas und 
dergleichen Dinge, indem wir durch Feinen Einfluß in die 
felben ihre Würflichfeit, und die Fortfegung derfelben, 


würfen; fondern indem wir fie fehonen, und die Handlunae 


gen unterlaffen, wodurd) fie Fönten verdorben und zerbrochen 
. werden, oder durch welche ihr Untergang gewuͤrkt oder be« 
fhleuniget werden würde. Nun iſt offenbar, daß Gott 
durch feine Allmacht eine Handlung thun Fünte, wodurch 
fo gar die ganze Welt würde vernichtet werden. Indem 
alfo Gott der Erhalter diefer Welt ift, fo erhält er fie frey« 
lich verneinender Weiſe, indem er diejenige Handlung uns 
‚terläft, wodurch die Welt vernichtet werden würde. Allein 
Das iſt zu wenig geſagt. Wenn Gott bey ver Erhaltung 
der Welt nichts weiter thaͤte, fo würde in der That die Welt, 
auf eine von Gott unabhängige Art, fortdauren. Da nun 
dieſes unmöglich ift $. 982. fo iſt die göttliche Erhaltung 
diefer Welt 4) eine Erhaltung im bejahenden Verſtande, 


indem Gore beftändig in der That eine reelle Handlung, 


durd) feine allmaͤchtige Kraft, würft, wodurd) er die Forts 
dauer der Welt verurfacht. 
$. 1025. 

Wir müffen noch den Gegenftand der göttlichen Era 
haltung diefer Welt betrachten, und die Frage genauer uns 
terſuchen: was Gott, durd) feinen erhaltenden Einfluß in 
die Welt, eigentlich unmittelbar würfe? Und das ift, mit 
einem Worte, dasjenige, was bey der Fortdauer der Subs 

ſtanzen 





u u — —— — —— 


Die Erhaltung der Welt. 37 


ſtanzen in der Welt, bey allen ihren Veränderungen, die 
fie durch ihre eigene Kräfte würfen, zum Gennde, liege, 
Denn was Gott erfchaffen hat, und was nicht anders würflich 
ſeyn Fan, als durch die Schöpfung, das muß Gott auch 
erhalten, und das Fan nicht anders forfdauren, als durch 
die göttliche Erhaltung. Denn die Erhaltung ft nicht nur, 
die Fortfegung der Schöpfung $.-1023. fondern da Gott 
auch feinem Dinge, eine unabhängige Dauer, anerichaffen 
koͤnnen $. 982. fo fan Fein erfchaffenes Ding, ohne goͤtt⸗ 
liche Erhaltung, fortdauren. Folglich find, die Gegen— 
ftände der Schöpfung, auch die Gegenftände der Erhals 
tung. Folglich erhält Gott alle Subftanzen der Welt, 
alle Seelen, alle Geifter, kurz alle fubftantielle Theile die: 
fer Welt, in einem iedweden Augenblicke ihrer Fortdauer 
$. 979. Und zwar wuͤrkt Gott, durch die unmittelbare 
und bejahende Erhaltung, dasjenige in der Würklichfeit 
der Subſtanzen diefer Welt, was diefelben durch ihre eia 
gene Kraft niche würfen fönnen, und was als würflich 
vorausgefeßer werden und zum Grunde liegen muß, wenn 
fie durch ihre eigene Kraft handeln, und dadurd) allerley 
würftiche Veraͤnderungen in fid) ſelbſt Hervorbringen ſollen. 
Die übrigen Accidenzien, welche zur Wuͤrklichkeit und Forte 
dauer der Subflanzen diefer Welt gehören, und welche fie 
durch ihre eigene Kraft wuͤrken, die find niche blos ein Ges 
genitand der unmittelbaren Erhaltung Gottes, indem fie 
zugleich von den Creaturen felbft gemürft werden, 
$. 1026. 

Im Gegentheil ift auch leicht zu beftimmen, was in 
dieſer Welt von Gott nicht erhalten wird, und was alfo 
nicht mit, zu dem Gegenſtande der göttlichen Erhaltung 
dieſer Welt, gerechnet werden muß. Nemlich weil die 
Erhaltung nichts anders ift, als die Kortfegung der Schös 
pfung $. 1023. fo ift unleugbar, daß dasjenige von Gott 
nicht erhalten werde, was er nicht erfchaffen bat. Mur 
hat Gott die Wefen der Dinge, und alles was eine innerlis 
che Möglichfeit derfelben ift, nicht erfcheften, folglich auch 

Aa 4 nicht 








316 Die Erhaltung der Welt. 


nicht das metaphfifche Webel der Dinge in dieſer Welt 
$. 983,  Desgleichen auch nicht das Formale der zufälliz 
gen, und moralifchen Uebel $. y84. Folglich erhält Gore 
auch nicht, weder die Weſen ver Dinge in der Welt, noch 
ihre metaphyſiſchen Uebel oder ihre fehlechterdings nothmwen- 
digen Unvollfommenheiten, noch ihre phufifchen und moras 
Iifchen Uebel, Unvolltommenheiten und Sünden, in fo ferne 
fie formaliter oder als Verneinungen betrachtet werden. 
Wenn Gore irgends ein würfliches Uebel in der Welt, als 
ein Uebel betrachtet, erhielte: fo würde er der Urheber defe 
felben feyn; weil die Erhaltung eine freye Handlung Gottes 
iſt $. 1023. 977.° Mun aber ift das legte unmöglich 
$. 985. folglich auch) das erſte. Nun fönte man aber eins 
wenden und fagen, durch was für eine Kraft dieſe angeführ« 
ten Dinge fortdaurten ? Wenn fie von Gott nicht erhalten - 
werden, fo muß in den Creaturen felbft der hinreichende 
Grund ihrer Fortdauer liegen, und folglich Eönten die Creas 
turen, auf eine von Gort unabhängige Art, etwas würfen. 
Allein ic antworte erftlich : die Wefen der Dinge, und als 
leg was eine innerlihe Möglichkeit derfelben ift, haben Feine 
Würflichfeit, und alfo auch Feine Fortdauer $.22y. Oder 
die innerlihe Möglichkeit ift nichts würfliches, und fort: 
daurendes, Da nun die Erhaltung eine Handlung ifk, 
wodurch die Fortdauer gemwürft wird $. 1022, foift es wi: 
derfprechend zu fagen, daß die Wefen und innerlichen Mög« 
lichEeiten der Dinge von Gott erhalten werden: denn fie be— 
dürfen gar Feiner Erhaltung, und find derfelben gar nicht 
fähig. Zum andern, ein iedwedes Uebel in fo ferne es ein 
Uebel iſt, ift eine bloffe Verneinung, und nichts Reelles 
9.137. Die Würflichfeit ift etwas Neelles $. 65. Folg« 
lic) fan Fein Uebel, in fo ferne es ein Uebel ift, eine Wuͤrk— 
lichfeit haben. Sondern es beſteht daffelbe allemal, in 
einer Abwefenheit einer gröffern Würklichkeit einer Reali— 
tät. 3. E. wenn die Erkentniß in einem höhern Grade 
würflich feyn koͤnte, als fie ift, fo fagt man, daß eine Un« 
wiſſenheit vorhanden-fey. Judem alfo Gott, durch feinen 

| erhals 























— — — 





Die Mitwuͤrkung Gottes. 577 


erhaltenden Einfluß, die wuͤrklichen und eingefehrenften Rea⸗ 
litäten der Ereaturen erhält, fo find die Verneinungen vor« 
handen, ohne daß fie von Gott gewürft und erhalten wer 
den. Ob nun daraus folge, dag Gott Schuld an der 
Suͤnde der Creaturen habe oder nicht, das wird fi) in dem 
Folgenden erörtern laffen. Hier ift es genung, wenn wir 
uns überzeugen, daß Fein Uebel, feine Sünde, in fo ferne 
diefe Dinge Verneinungen find, und formaliter betrachter 
werden, der göttlichen Erhaltüng bedürfe und fähig ſey. 


Die Mitwirkung GOttes. 
$. 1027: 

Aus den bisherigen Betrachtungen Fan man fi) ſchon, 
einen groffen Begrif von der ungemeinen Abhänglichkeit 
aller Subftanzen in der Welt von Gott, machen; indem 
wir durch diefelben überzeugt find, daß Feine derfelben dafeyn 
fönte, wenn fie nicht von Gott erfchaffen wäre, und daß 
feine derfelben auch nur einen Augenblick fortvauren Fönte, 
wenn fie nicht von Gott erhalten würde. Allein, das ift 
noch nicht genung. Sondern wir wollen uns auch über» 
zeugen, daß Feine endlihe Subſtanz, ohne Hülfe und 
Mitwürfung Gottes, auch nur die allergeringfte Handlung 
thun koͤnte, und daß fi, in der ganzen weiten Welt, Feine 
Veränderung und Begebenheit zutrage, wobey Gott nicht 
mit im Spiele feyn folte, wie man zu reden pflegt. Mems 
lich, wenn man von einer Subſtanz fagt, daß fie mitwürfe, 
fo muß eine andere Subftanz dafeyn, welche als eine wuͤr⸗ 
fende Urſach, durch eine Handlung, eine Veränderung 
wirft, und die erfte Subſtanz muß auch zugleich, eine 
Miturfach diefer Veränderung, fern $. 240. Nun moͤ— 
gen die Subftanzen diefer Welt würfen, mas und fo oft fie 
wollen, fo find fie doch ſelbſt Würfungen Gottes, vermöge 
der Schöpfung und Erhaltung $. 979. 1025. Folglich 
find fie insgefamt Zwifchenurfachen aller ihrer Würfungen, 
welche dem hoͤchſten Weſen untergeordnet find $. 241. Es 
ift demnach) Gott ſchlechterdings die alleverfte Urfach aller 

Yas Ber. 


378 Die Mitwürkung Gottes. 


Veränderungen in der Welt, meil er auffer fich Feine Urſach 
feiner felbft hat d. 880. und alle endliche Subftanzen find 
nur Zwifchenurfachen ihrer eigenen Würkfungen, Folglich 
ift Gott eine Miturfad) aller Veränderungen in der Welt, 
welche durch die Kräfte der Creaturen gewuͤrkt werden, und 
man muß alfo fagen, daß er bey allen diefen Beränderuns 
gen mitwürfe $. 240. Man fege eine endliche Subftanz, 
welche man will: man feße, daß fie eben im Begriffe ftehr, 
durch ihre Kraft eine Handlung zu thun, und dadurd) in 
fi) felbft, oder in andern Dingen, eine Veränderung ber 
vorzubringen:- fo muß in diefem Augenblicke ihre Kraft 
würflic) feyn und fortdauren. Nun ift diefes nicht anders 
moͤglich, als durch) die Erhaltung Gottes F. 1022. Folge 
lic) iit die Kraft der Creaturen, in aller ihrer Wuͤrkſamkeit, 
eine Würfung Gottes, Und mern Gott in demfelben Aus 
genblife, da eine Creatur handeln will, feine Hand von 
derfelben abzöge: fo würde fie vernichtet werden, und koͤnte 
fie alsdenn wol die Handlung verrichten? Folglid) liegt, in 
dem Einfluffe Gottes in alle endlihe Subſtanzen, zugleid) 
einer derer Gründe, ohne welchen, feine einzige Handlung 
und Veränderung in der Welt, würflich werden koͤnte. Und 
es iſt demnach unleugbar, daß Gott, bey allen Werändes 
rungen in der Welt, welche durch die Kräfte der endlichen 
Subſtanzen gerwürft werden, mitwürfe. Bey diefer Mita 
wuͤrkung Gottes, wenn man fid) von derfelben richtig über- 
zeugen will, muß man zwey Abmege vermeiden. Einmal 
muß man den endlichen Subftanzen nicht zu wenig zufchrei« 
ben, und gar fo weit geben, daß man annehmen wolte, 
Gott würfe alle Veränderungen in der Welt allein. Als« 
denn würden die Creaturen, Feine eigene Thätigfeit und 
würkfame Kraft, behalten. Sie würden feine Subftan« 
zen bleiben, fondern bloffe Hccidenzien werden. Die cartes 
fianifche Weltweisheit hat fich in diefen Abweg verivret, und 
man fan daher fagen, daß fie ven Saamen des fpinofiftifchen 
Lehrgebaͤudes enthalte. Zum andern muß man den Creatus 
ven, auch nicht zu viel in ihrer Wuͤrkſamkeit, zuſchreiben, 

und 











Die Mitwuͤrkung Gottes. 379 


und annehmen, daß fie irgends eine Handlung, ohne Got⸗ 
tes Beyhuͤlfe und Mitwürfung, verrichten koͤnten. Denn 
das hieſſe eben fo viel, als fagen: daß eine Creatur, in ei— 
ner gewiſſen Abficht, von Gott unabhängig ſeyn Fönte, und 
das dit fehlechterdings unmöglic). 

. 1028. 

Man Fan behaupten, daß Gott, bey einer iedweden 
Veränderung in der Welt, welche Durch die Kräfte der 
Creaturen gewürft wird, auf eine doppelte Art mitwürfe, 
nemlich mittelbarer Weife fo wol, als auch unmittelbarer 
Weile. Denn alle Veränderungen in der Welt, welche 
durd) die Kräfte der Creaturen gewürft werden, find erſt⸗ 


lich Handlungen, in Abficht dererjenigen Creaturen, durch 
‚Deren Kräfte fie gewuͤrkt werden $. 164. Zum andern ges 


ſchehen, alle diefe Veränderungen, in gemiffen Subftans 
zen. Weil nun alle Subftanzen diefer Welt, auf eine alle 
gemeine Art, in einander würfen, und einen Einfluß in 
einander haben $. 442. fo Fan, eine iedwede Veränderung 
der Subftanzen diefer Welt, als eine Würfung anderer end« 
lichen Subftanzen auffer ihr, und. alfo als ein Leiden, an⸗ 
gefehen werden F. 164, Wenn man nun, eine iedwede 
natürliche Veränderung in der Welt, als ein Leiden betrach— 
tet: fo hat fie ven Grund ihrer Würflichfeit, aufler den 
Subftanzen, in weldyen fie wuͤrklich ift, in andern endlichen 
Subitanzen, und den Kräfte derfeiben. Diefe Kräfte find, 
in ihrer Würffamfeit, Wirkungen Gottes S, 1027. Folge 
dich ift Gott, in dieſer Abfiche, die entferntere würfende 
Urfach aller natürlichen Veränderungen in ber Welt, und 
er wuͤrkt bey denenfelben , in fo ferne fie Leiden find, auf 
eine mittelbare Art mit 6. 245. Wenn man aber, die na« 
türlichen Veränderungen in der Welt, als Handlungen der 
Greaturen betrachtet: fo find fie eine Würffamfeit und Thaͤ⸗ 
tigfeit endlicher Subftanzen, welche von Gott in dem Au— 
genblice ihrer Thätigkeit erhalten werden müffen $. 1027. 
Folglich Fan man in diefer legten Abficht behaupten, daß 
Gott bey denen ſelben unmittelbar mitwürfe, $, 245. Dies 

8 


380 Die Mitwuͤrkung Gottes, 


fes legte Fan leicht zu weit ausgedehnt werden. Denn wenn 
man fagt, daß eine iedwede Handlung einer ieden endlichen 
Subftanz ein Stüd ihrer Würklichkeit ſey, und daß, weil 
Gott durch einen unmittelbaren Einfluß alle Augenblick die 
Wirklichkeit der Creaturen erhalte, er auch durch einen unmit ⸗ 
telbaren Einfluß alle Handlungen der Creaturen würfe: fo 
ſteckt, in diefem Gedanfen, ein doppelter Irrthum. Eins 
mal feßt man ohne Beweis voraus, daß Gott, durd) feine 
Erhaltung, alle einzelne Theile der Wuͤrklichkeit der Crea« 
turen unmittelbar würfe. Allein ich habe $. 1025. den 
Gegenftand der göftlichen Erhaltung , anders beftimt, und 
zwar, wie ich hoffe, nad Maaßgebung tuͤchtiger Gründe. 
Zum andern würde daraus folgen, daß die Creaturen felbft 
gar nicht Handelten. Denn wenn Gott, nad) diefer Erkläs 
rung, alle Beränderungen der Ereaturen unmittelbar würft, 
fo bleibt in Feiner Veränderung, die fi) in der Welt na⸗ 
türlicher Weife zuträgt, etwas übrig, welches durd) die 
Kräfte der Ereaturen felbft gewürft werden koͤnte. Wenn 
alfo, die Handlungen der Creaturen, wahre Handlungen 
derfelben bleiben follen, fo fan man die unmittelbaren Mits 
würfungen Gottes bey denfelben nicht anders annehmen, als 
daß fie in derjenigen Handlung Gottes beftehen,, durch wels 
che er in dem Augenblicke, da eine Creatur handelt, fie felbft 
und ihre Kraft würftoder erhält, 
$. 1029, 
Gott kan durch feine Allmacht, nur Realitäten, wuͤr⸗ 
fen $. 864. Da nun, die Mitwürfung Gottes, eine - 
Handlung feiner allmächtigen Kraft ift $. 1027. 861. fo 
würft er, bey allen Veränderungen in der Welt, mit, in 
fo ferne fie reel que und vollfommen find, nicht aber in fo 
ferne fie Berneinungen find. Alle Veränderungen in der 
Melt, welche durch die Kräfteder Crearuren gewuͤrkt werden, 
find, wie alle endliche Dinge, gut und böfe zugleich$. 199. 
In fo ferne fie gut find, find ihre würfende Urfachen, die 
Creaturen, dem höchften Wefen auf eine mefentliche Art un« 
tergeorbnet; in fo ferne fie aber böfe find, in fo ferne find 
die 


Die Mitwärkung Gottes. 381 


die Creaturen, dem höchften Wefen, auf eine zufällige Art 
untergeordnet F. 242, Folglich Fan auch Gott nicht die 
Urfach des Böfen in der Welt ſeyn, ob er gleich bey allem 
Böfen, welches in der Welt wuͤrklich geſchieht, mitwuͤrkt 
G.243. Alles Böfe in der Welt, welches würflich gefchiebt, 
alles Unglück, alle Sünde, alles moralifche Uebel, kurz alles 
zufällige Uebel, ift zugleich was Guts $. 131. Gott würfe 
alfo bey demfelben mit, in fo ferne es gut ift, oder in fo 
ferne es materialiter betrachtet wird; nicht aber in fo ferne 
es böfe ift, oder in fo ferne es formaliter betrachtet wird 
$. 960. Aa da die Mitwürfung Gottes eine Handlung 
deſſelben in die Welt ift, fo ift fie eine freye Hanolung 
‘6. 939. 940. gg. Wenn Gott alfo, bey einer natürs 
lid) oder moralifch böfen Handlung in der Belt, in fo fer« 
ne fie formaliter betrachtet wird, mitwürfte: fo würde er der 
Urheber des Böfen $. 977. und das.ift fehlechterdings uns 
möglih $. 985. Wir müffen freylich behaupten, daß 
Eeine Sünde und feine Schandthat in der Welt ohne Got⸗ 
tes Beybülfe und Mitwuͤrkung, gefchehen und vollbracht 
werden fan. Denn wenn z. &. Gott nicht in dem Augen⸗ 
blife, da ein Dieb ftiehle, feine Kraft erhielte; wie wolte 
er fremdes Gut begehren, und nach demfelben feine Hand 
ausſtrecken Fönnen? Jedoch indem man Günden und 
Schandthaten nent, fo denft man allein ober vornemlid) 
das fündliche in denfelben, und man bedenft nicht, daß 
in denſelben viel natürlich Guts angetroffen wird, dem die 
Sunde, oder die Abweichung von dem Gefeße, anklebt. 
Folglich ſcheint es daher manchen feuten eine Öottesläftes 
rung zu feyn, wenn man fagt, daß Gott bey allen Sünden 
in dber Welt mitwürfe. Allein bey folchen wichtigen Unter 
ſuchungen muß man, nad) dem erſten Anfcheine der Sachen, 
| ſich nicht richten. 
$. 1030. | 
Die Mitwürfung Gottes, bey allen natürlichen Ber. 





änderungen: in der Welt, ift unleugbar ein Stück feiner 
allervollfommenften Borfehung. Denn, zu der Bollkom« 
men» 





182 Die Mitwuͤrkung Gottes, 


Pe] 


menheit einer Subftanz, gehört auch ihre Thaͤtigkeit und 
Gefchäftigfeit, und fie erlangt nad) und nach, ihre vera 
ſchiedenen natürlidyen Vollkommenheiten, theils durch ihre 
eigenen Handlungen, theils durch die Veränderungen, die 
fie durch den Einfluß anderer endlichen Subftanzen leider. 
Indem alfo Gott, bey aflen Veränderungen der Creaturen, 
mitwuͤrkt, und zwar in fo ferne fie reel und gut find, und 
in fo ferne fie Realitäten und Bollfornmenbeiten in der Welt 
verurfachen: $.1029. fo nimt er eine Handlung vor, durd) 
welche er nach und nad) den Creaturen, fo viele und groffe 
Bolltommenbeiten, verfhaft, als in der beften Welt mög- 
lich it, Folglich gehört, diefe Mitwuͤrkung Gottes, zu 
der Gefchäftigfeit feiner Vorſehung über die Welt, und ift 
ein Theil derfelben $. 1016. Und die Gottesgelehrten uns 
terfcheiden mit echt, eine dreyfache Arc der Mitwuͤrkung 
Gortes von einander. Die erfte wird die natürliche oder 
phyſiſche Mitwuͤrkung Gottes genent, und fie befteht in 
derjenigen Handlung Gottes, wodurd) er in dem Augenblis 
de, da eine endlihe Subſtanz würft, ihre Kraft wuͤrkt 
und erhält. Durch diefe Mitwürfung verfchaft Gott allen 
Greaturen, zu allen ihren Handlungen, die würkliche reelle 
Kraft; und es Fan demnad) Feine Subftanz in der Welt, 


ohne diefer Mitroürfung Gottes, irgends etwas thun, uns 


ternehmen und ausrichten. Es ift aus dem Borhergehenden 
ungezweifelt gewiß $. 1027. daß Gott, bey allen Veraͤnderun⸗ 
gen der Ereaturen, auf dieſe Art mitwürfe, und man nene 
dieſe Mitwuͤrkung Öortes eine natürliche oder phyſiſche, zum 
Unterfchiede von der moraliſchen, von welcher wir gleich in 
dem Folgenden handeln werden. Sie wird auch) die alls 
gemeine Mitwürfung Gottes, genent: erftlid), weil 
fie ſich über. .alle endliche Subſtanzen in der Welt erftreckt, 
es mögen Geifter oder andere Gubftanzen fern. Kein 
Thier, Feine Pflanze, Fein Körper, Eein Sonnenſtaͤubchen 
ift, von dieſer Mitwuͤrkung Gortes, ausgefchloffen. Kein 


Vogel fliege durch die Luft, ohne Hülfe Gottes. Keine 


Pflanze ziehe den Nabrungssfaft an fich, ohne Mitwuͤrkung 
Gottes. 











Die Mitwuͤrkung Gottes: 383 


Gottes. Kein Planer bewegt fih am Himmel, obne der⸗ 
felben. Kein Geift denke, ohne Hülfe Gottes, Kurz, alles 
in der Welt regt und bewege fich, mit Hülfe der Mitwürs 
- fung Gottes, und man fan zu einer ieden Creatur und einer 
iedweden Subſtanz, mit Recht fagen: ohne Gott koͤnt ihr 
nichts thun. Iſt es nicht ein thoͤrichter Hochmuth, wenn 
ein Menſch irgends etwas Guts, weiches er gethan hat, ala 
fein auf feine eigene Rechnung fehreibt, und es als ein Ver⸗ 
dienſt betrachtet, an welchem Niemand auffer ihm irgends 
einen Anſpruch machen fan. Zum andern wird, dieſe 
Mitwürfung Gottes, eine allgemeine genent, weil fie ſich 
über alle Veränderungen und Handlungen, welche in der 
Melt gefchehen find, noch gefchehen, und Eünftig geſchehen 
werden, erftrecft: fienögen nun Gedanken oder Bewegungen 
fen, fie mögen freye Handlungen feyn oder nicht, fie mögen 
Sünden oder rechtmäßige Handlungen feyn, fie mögen zur 
Geiſterwelt gehören oder zur Körperwelt, fie mögen beſchaf⸗ 
fen feyn, wie fie wollen.” So wenig, ohne der natürlichen 
Mitwürfung Gottes, der Menſch from feyn, oder andere 
Tugenden ausüben Fan; eben fo wenig fan er auch, ohne 
derfelben, fündigen. 
§. 1031. 

Die andere Art der göttlichen Mitwürfung ift die 
moralifhe Mitwuͤrkung Gottes, wodurch er.die mo« 
ralifche Urfach im engern Berftande, von einigen freyen 
Handlungen vernünftiger Creaturen, wird. NMenılid) die 
moralifche Urſach im engern Berftande nimt eine freye Hand⸗ 
lung vor, wodurch fie den freyen Willen eines andern vers 
nünftigen Weſens beftimt, eine gewifle freye Handlung zu 
thun 6. 982, Nun Fan der freye Wille nicht anders bes 
ſtimt werden, als durch Bewegungsgruͤnde. Folglich würft, 
die moraliſche Urfach im engern Berftande, auf eine freye 
Art, in einem andern vernünftigen Wefen Bewegungsgrüns 
de zu freyen Handlungen. Da fie nun eben dadurch eine 
Miturfache diefer freyen Handlungen wird, indem diefelbe 
nicht gefchehen wuͤrden, wenn die Bewegungsgründe nicht 

da 


384 Die Mitwuͤrkung Gottes, 


da wären: fo wuͤrkt fie bey diefen freyen Handlungen mit 
$. 240. und zwar auf eine moralifche Art, weil alles dabey 
dergeitalt vorgeht, wie es der Natur des freyen Willens ges 
maͤß iſt. Nun kan fehr leicht erwwiefen werden, daß Gott, bey 
allen rechtmaͤßigen freyen Handlungen aller vernünftigen 
Creaturen in der Welt, auf eine moralifche Art mitwürfe, 
Denn Gott belohnt, alle rechtmäßigen Handlungen aller 
vernünftigen Creaturen $. 955. 956. Dieſe Belohnuns 
gen find die Bewegungsgründe, wodurch vernünftige Crea« 
turen bewogen werden, diefe Handlungen zu hun. Eben 
diefe Belohnungen machen die höchfte Glückfeligkeit der vers 
nünftigen Creaturen aus, welche Gott zum höchften Zwecke 
aller Dinge in der beften Welt gemacht hat: $. 1015. Da 
nun die Zwecke Gottes die Bewegungsgründe für die ver⸗ 
nünftigen Creaturen find, um rechtmäßig zu handeln; fo 
ift ohne Widerrede Elar, daß Gott, allen vernünftigen Erea« 
turen, die allervollfommeniten Bewegungsgründe, zu allen 
rechtmäßigen Handlungen, an die Hand gegeben. Wenn 
nun ein Menfch oder eine andere vernünftige Creatur, wuͤrk— 
lic) Durch diefe Bewegungsgründe ſich enefchlieft, rechtmaͤſ— 
fig zu handeln; fo fan fie weder diefelben gehörig erfennen, 
nod) nah Maafgebung derfelben wollen und handeln, ohne 
Mitwuͤrkung Gottes $. 1027. Folglich ift Gott die moras 
liſche Urſach im engern Berftande von allen rechtmäßigen 
Handlungen aller vernünftigen Creaturen, oder er würft, 
bey allen diefen Handlungen, auf eine moralifche Art mit. 
Er gibt vemnad) allen vernünftigen Creaturen, zu allen ihren 
rechtmäßigen Handlungen, das Wollen und das Bollbringen, 
und zwar nad) feinem Wohlgefallen, weil aud) diefe moralifche 
Mitwürkfung Gottes eine freye Handlung Gottes ift. 
. 1032, 

Die moralifhe Mitwirkung Gottes, in fo ferne fie 
zu der natürlichen hinzukomt, und mit derfelben vergefells 
fehaftet wird, heift die befondere Mitwuͤrkung Gottes, 
zum Unterfchiede von der allgemeinen. Nemlich wenn. eine 


vernünftige Ereatur, auf eine vechtmäßige Art handelt, ß 
wuͤrkt 


Die Mitwuͤrkung Gottes. 385 


wuͤrkt Gott auf eine Doppelte Art mi. Einmal auf eine 
natürliche Art, indem er, wie bey allen übrigen Handluns 
gen und Beränderungen in der Welt, die Kraft einer ver- 
nünftigen Creatur in dem Augenblicke wuͤrkt und erhält, in 
welchem fie alle diejenigen Veränderungen wuͤrklich macht, 
welche zufammen genommen die freye rechtmäßige Handlung 
ausmachen $. 1030, Und zum andern zugleich auf eine mora⸗ 
liſche Art $. 1031. Und diefe doppelte Mitwürfung Gottes zus 
fammen genommen wird, Die befondere göttliche Mitwürfung, 
genent: erſtlich, weil fie ſich nicht über alle endliche Sub— 
ftanzen erſtreckt, fondern nur über die endlichen Geifter, oder 
vernünftigen Creaturen in der Well. Es ware ungereimt 
zu fagen, daß Gott, bey der Handlung eines unvernünftis 
gen Thiers,auf eine moraliſche und befondere Art mitwürfe, 
Zum andern, weil fi) diefe Mitwürkfung Gottes nicht, mit 
allen Handlungen der endlichen Geifter, fondern nur mit 
freyen Handlungen befchäftige. Wir Menfchen und an« 
dere vernünftige Creaturen nehmen viele Handlungen vor, 
die nicht frey find, und die find zwar ein Öegenftand ver 
phnfiichen und allgemeinen, nicht aber der moralifchen und 
befondern Mitwürfung Gottes. Und zum dritten, weil 
fie fich nicht mit allen freyen Handlungen der Creaturen be« 
fchäftiget, fondern nur mit den rechtmäßigen, in fo ferne 
fie, vechtmäßig find. Und, in diefer befondern Mitwürfung 
Gottes, befteht die berzenslenfende Kraft Gottes. 
Die Senkung der Herzen Fan nichts anders feyn, als die Be— 
ſtimmung des Willens, zu gewiffen Entfchlüffen und Hands 
lungen, Durch Bemwegungsgründe, Da nun Gott, durd) 
diefe feine Mitwürkung, den freyen Willen aller Menfchen, 
und aller vernünftigen Creaturen, zu allem Guten beftimt, 
was fie thun: fo muß es der herzensienfenden Kraft Got— 
tes zugefchrieben werden, wenn ein Safterhafter fid) bekehrt, 
wenn ein Menfc) fi einer Witwe und Wanfe erbarmt, 
wenn Friegführende Märhte fih zum Frieden enefchlieffen 
uf m. 


4. Theil, BR 8,1033, 


386 Die Mitwuͤrkung Gottes. 


§. 1033. 

Da Gott kein Verſucher zum Boͤſen, und zu irgends 
einer Suͤnde, ſeyn kan; ſo iſt es unmoͤglich, daß er die 
moraliſche Urſach im engern Verſtande von irgends einer 
Suͤnde ſeyn koͤnne F. 987. Nun kan nur iemand bey 
einer freyen Handlung moraliſch mitwuͤrken, wenn er die 
moraliſche Urſach im engern Verſtande von derſelben wird 
6. 1032. Folglich iſt es unmöglich, daß Gott auf eine 
moralifche und befondere Art mitwuͤrken folte, wenn die 
Menfchen, oder andere vernünftige Creaturen, fündigen 
und moralifd) böfe Handlungen vornehmen, in fo ferne fie 
formaliter betrachtet werden. Die Bewegungsgründe zur 
Sünde, in fo ferne fie formaliter oder als Sünde betrachtet 
wird, find ein bloß Blendwerf, welches aus Unwiſſenheit 
und Irrthum zufammengefegt ift, und es ift alfo eine bloſſe 
VBerneinung. Kan Gott Berneinungen würfen? Folglich 
muß man behaupten, daß Gott bey allen Sünden, die in 
der Welt gefchehen, bey allen moraliſch böfen Handlungen | 
der vernünftigen Creaturen, zwar mitwürfe, aber nur auf | 
eine natürliche und allgemeine Art, nicht aber zugleich auf 
eine moralische und befondere Reife. Man Fan alſo fagen, 
dag Gott mit einem iedweden Menfchen auf eine befondere 
Art fey, wenn, fo lange und in fo ferne er rechtmäßig han⸗ 
delt; daß er ihn aber ven Augenblick verlaſſe, fo bald er 
fündiger. Und auf diefe Arc wird Gott ofte, in der heilis 
gen Schrift, vorgeitelt, 

.« 1034 

Die dritte Art der göttlichen Mitwuͤrkung wird, die 
allerbeſonderſte Mitwuͤrkung Gottes, genent, und 
fie beſteht in berjenigen Handlung Gottes, wodurch er, Die 
übernatürlichen Begebenheiten und Wunderwerke, in der 
Welt wirft.  Memlich in der beften Welt haben, alle 
Handlungen und Veränderungen der Creaturen, die Abs: 
ſicht, die höchfte Vollkommenheit der beften Welt, folglich) 
die hoͤchſte Neligion und Gluͤckſeligkeit der Geifter zu beför- 
dern $. 1015. Nun thut Gott, in der beften Welt, nicht 

eher 











Die Mitwuͤrkung Gottes. 387 


eher etwas übernatürlih und durch ein Wundermerf, bis 
die höchfte Vollkommenheit derfelben nicht mehr natürlicher 
Weiſe erhalten werden Fan S. 460. So ofte alfo Gore 
eine übernatürliche Begebenheit und ein Wunderwerk würf« 
lich macht, fo ofte wird er eine Miturſach aller Creaturen, 
welche ihnen dadurch behülflidy wird, die höchfte Vollfoms 
menbeit der beften Welt, und alfo den höchften Zweck, um 
deflentwillen Sort die Welt erfchaffen hat, zu erreichen, 
Folglich ift die Handlung Gottes, wodurch er übernatüt 
liche Begebenheiten und Wunderwerke in diefer Welt würft, 
in der That eine Mitwuͤrkung Gottes, Und fie wird die 
allerbefonderfte göttliche Mitwürfung genent, weil fie fich 
nur, über die allerbefonderften Fälle in der Welt, erſtreckt. 
Ob nun Gott in der That auf diefe dritte Art mitwuͤrke, 
das fan aus der bloffen Weltweisheit nicht entfchieden wer⸗ 
den. So viel ift gewiß, er Fan auf diefe Art vermöge feis 
ner Allmache mitwürfen $. 864. Allein, ob feine höchfte 
Weisheit und Güte, desgleichen ob die hoͤchſte Vollkom— 
menbeit der beften Welt, diefe Mitwürfung Gottes mand)- 
mal erfordern, oder ob fie diefelbe niemals verftatten, das 
fan durch die bloffen Grundfäge der gefunden Bernunft 
nicht entfcyieden werden. 


Die Allgegenmwart Gottes. 
$. 1035. 

Nachdem wir die Mitwürfung Gottes unterfacht ha« 
ben, fo find wir im Stande, von der Allgegenwart Gottes 
zu handeln: denn fie befteht in diefer allgemeinen Mitwürs 
fung Gottes, Nemlich da eine Subftanz der andern gegens 
wärtig iſt, in fo ferne fie in diefelbe auf eine nähere Art, 
oder wol gar zunächft und unmittelbar, wuͤrkt $. 177. 
Gott aber, indem er alle Subftangen der Welt erhält, und 
bey allen ihren Handlungen und Veränderungen mitwürft, 
in eine iedwede derfelben unmittelbar würft $. 1023. 1028, 
fo ift er nicht nur allen Subftanzen diefer Welt gegenwär. 
ig, fondern er ift ihnen auch unmittelbar und zunaͤchſt ge. 

——86 gen, 


388 Die Allgegenwart Öottes. 


genwaͤrtig. Es würde ein fehr unbequemer und Gott uns 
anftändiger Ausdruck feyn, wenn man ſagen wolte, er Des 
rügre alle Subſtanzen diefer Well, Denn wenn eine 
Eubitanz die andere berühren foll, fo muß nicht nur die 
erfte in Die andere würfen, fondern die andere muß auch in 
die erfte würken $. 177. Nun fan, Feine Subftanz viefer 
Melt, in Bott würfen F. 831. Folglich fan man aud) 
nicht fagen, daß Gott, indem ver allen Subftanzen diefer 
Welt unmittelbar zugegen und gegenwärtig ift, Diefelben 
berühre. Es ift auch zu diefer Gegenwart Gottes noch 
nicht genung, wenn man fagt, daß er mit allen Subftan 
zen diefer Welt, in einem iedweden gegenwärtigen Augen, 
blicke der Zeit, zugleih würflich fen; fondern es wird zu 
verfelben erfodert, daß er in alle Subftanzen der Welt bes 
ftändig unmittelbar würfe, und das ift bisher erwiefen wor- 
den. Diefe Gegenwart Gottes iſt alfo eine Würkung feiner 
Allmacht, und befteht in der beitändigen Geſchaͤftigkeit der» 
felben, und in ihrer ununterbrochenen Beſchaͤftigung mit 
allen Dingen aufler Gott. Von diefer Gegenwart Gottes 
bey allen würflichen Subftanzen muß die Redensart unter 
fchieven werden, wenn man fagt: daß alle Dinge, alle 
vergangene, gegenwärtige und zufünftige Dinge, vor 
feinen Augen, oder in feiner Allwiſſenheit, gegenwärtig 
find. So fagen wir ofte zu einem Freunde, von dem wir 
wegreifen: daß mir mit den Gedanfen, oder mit unferm 
Gemütbe, bey ihm bleiben wollen. Allein, man würde in 
der That die Allgegenwart Gottes leugnen, wenn man 
nichts anders darunter verftehen wolte, als daß Gott in feis 
nen Gedanken bey allen Dingen ſey. Gott bar freylic), 
ewig und unveränderlich, gegenwärtige Gedanken von allen 
möglihen Dingen, und alſo aud) von allen wuͤrklichen 
Dingen in diefer Melt, indem er ſich beftänvig derfelben 
aufs vollffommenfte bewuft ift, und an fie obne Aufhoͤren 
und Abänderung denkt. Allein, wenn man nicht mit dem 
Worte fpielen will, fo muß man behaupten, daß die Ger 
genwart Gottes darin beflebe, Daß er In alle 

diefer 


Die Allgegenwart Gottes, 389 


diefer Wett beftandig und unmittelbar durch feine Alls 
mache mwürfe, 
S. 1036, 

Da Gott, allen Subftanzen diefer Welt, unmittel- 
bar gegenwärtig iſt: $. 2035. fo iſt er auch allen Körpern 
in der Welt gegenwärtig, und zwar iſt er ihnen ebenfals 
zunaͤchſt und unmittelbar gegenwärtig, und zwar innerlich 
oder aufs innigſte. Nemlich wenn ein Ding allen Sub» 
Ranzen, woraus ein Körper, als aus feinen Theilen, zus 
fanımengefest ift, unmittelbar gegenwärtig ift, fo fagt man, 
daß es dem Körner aufs innigfte gegenwärtig ſey. 
Denn einige ver Subftanzen, woraus ein Körper beſteht, 
find inwendig in ihm, in feinem Mittelpunete, und nicht 
weit von demfelben entfernt, andere find in feiner Oberfläche 
befindlih. Wenn nun ein Ding allen Subftanzen, woraus 
ein Körper befteht, unmittelbar gegenwärtig ift: fo ift es 
niche nur äufferlich demfelben gegenwärtig, fondern auch 
änwendig in feinen innerfien und verborgenften Theilen, 
Nun ift Gott allen Subftanzen, woraus die Körper diefer 
Melt beftehen, unmittelbar gegenwärtig S. 1035. Folge 
lich ifter, allen Körpern diefer Welt, aufs innigfte gegen 
waͤrtig. Man nehme, unfern Erdboden, zum Benfpiel 
an. Man reife in Gedanfen auf der Oberfläche deſſelben 
in alle Sünder herum, in alle Städte, Flecken, Inſeln. 
Es ift Fein Plaß auf der Oberfläche veffelben, wo Gott 
nicht unmittelbar gegenwärtig wäre. Man gehe bis auf 
den Grund des Meers, auch dafelbft it Sort. Man fteige 
in die tiefiten Klüfte der Erden hinunter, in alle unterirdie 
ſche Gänge, bis in den Mittelpunct des Erbbodens: auch 
daſelbſt ift die Gottheit unmittelbar gegenwärtig. Folglich 
ift Gott, dem Erdboden, aufs innigfte gegenroärtig. Und 
da diefes von affen übrigen groffen Weltförpern, und von 
allen Eleinern Körpern auf denfelben, ailt: fo kan man fagen, 
daß er mit feiner Gegenwart Himmel und Erden erfülle, 
Wie die Luft durch alle Körper geht, und fie ausfült: fo 
durchdringen, die Ausfluͤſſe der goͤttlichen Kraft, alle Körs 

Bb 3 ver 


590 Die Allgegenwart Bottes, 


per durch und durch, und fülfen fie aus. Wenn eine Gub- 
ftanz nicht, aus vielen Subftanzen, zufammengefegt ift; 
fo wäre es eine Nedensart, Die gar nichts bedeutete, wenn 
man fagen wolte, daß Gott derfelben aufs innigfte gegen» 
waͤrtig wäre. Aus diefer Wahrheit ift der paradore Satz 
entftanden: Gott ift auffer allen Dingen, aber nicht ausges 
ſchloſſen, und er ift innerhalb allee Dinge, und doch nicht 
eingefchloffen. Gore ift nemlich feiner Subftanz nach, von 
allen würflihen Subftanzen und Körpern, dergeftalt ab» 


gefondert, daß er feine eigene Würklichfeit bat und behält, 


und daß feine Wuͤrklichkeit mit der Würflichfeit Feines 
Dinges in der Welt vermifcht wird, und in eins zufams 
menflieft. Allein er ift deswegen nicht ausgefchloflen, das 
ift, er fan demohnerachtet in alle auffer ihm befindliche 
Dinge, und in die innerften Theile der Körper, unmittels 
bar würfen. Gore ift in allen Dingen. Das muß blos 
von den Körpern verftanden werden, und zwar nur von 
der innigften Gegenwart Gottes, Er ift aber nicht einges 
ſchloſſen in irgends einen Körper, als wenn feine Subftanz, 
dem Orte nad), mitten in dem Umfange irgends eines Körs 
‚pers eingefchloffen wäre, als wir etwa in einem Haufe eins 
gefchloffen find, und als wenn er nicht zugleich, allen uͤbri⸗ 
gen Dingen auffer demfelben Körper, unmittelbar gegen- 
wärtig wäre. Wer diefen paradoren Satz anders erflärt, 
der mag felbft dafür forgen, wie er feine Erklärung vettet. 
$. 1037. 

Gott ift diefer Welt, im allerhöchften und vollfom- 
“menften Grade, gegenwärtig. 1) Weil er allen Subftan: 
zen der Welt, allen Elementen der Körper, allen Seelen, 
allen Geiſtern gegenwärtig ift, und allen Körpern aufs in- 
nigfte. Ran eine gröffere Gegenwart erdacht werden, als 
welche ſich über alle Subftanzen in der Welt erftreft? Nun 
ift diefe Welt die befte und groͤſte $. 991. 430. Folglich 
enthält fie mehr Subftanzen in ſich, als irgends eine andere 
mögliche Welt, Hätte nun Gott eine andere Welt erfchafs 
fen, fo fönte er. unmöglich fo vielen Dingen gegenwärtig 


feyn, 














Die Allgegenwart Gottes. s91 


feyn, ale nunmehr, da er die befte Welt zur Wuͤrklichkeit 
gebracht hat. Folglich ift nur die befte Welt diejenige, in 
welcher Gott feine Gegenwart im höchften Grade beweifen 
und offenbaren fan. 2) Weiler allen Subftanzen diefer 
Welt beftändig, in allen Augenblicken ihrer Dauer, von 
der Schöpfung an bis in alle Ewigkeit, gegenwärtig iſt: 
indem feine einzige derfelben einen Augenblick, ohne unmit: 
telbaren Einfluß Gottes, fortdauren Fan. 3) Weil er als 
len Subftanzen der Welt, in Abficht aller ihrer Veraͤnde— 
rungen und Handlungen, gegenwärtig ift $. 1035, Die 
Ereaturen leben in der Gegenwart Gottes, und durch Dies 
felbe, wie die Fiſche im Waffer und durch daſſelbe. Die 
Allgegenwart ift der vollfommenfte und hoͤchſte Grad der 
Gegenwart. Folglich ift Gore allgegenwärtig. Nun ift 
fein Dre in der Welt, wo nicht eine endliche Subftanz feyn, 
und eine Veränderung alle Augenblick gefchehen folte. Es 
ift demnach Gott an allen Orten der Welt, in dem ganzen 
unermeßlichen Weltraume, unmittelbar gegenmärtig. Er 
it alfo allerrvegen, und allenthalben, daher man aud) die 
Allgegenwart Gottes eine Allenthalbenheit deffelben nennen 
fan. Aus unfern bisherigen Beweifen folgt gar noch nicht, 
daß die güttlihe Subftanz, dem Orte nad), allerwegen 
mürflich vorhanden fey. Sondern wir behaupten bis jet 
nichts weiter, als daß die unmittelbaren Einflüffe der alle 
mächtigen Kraft Gottes, an allen Drten der Welt, im Himas 
mel und auf Erden, auf allen Planeten, kurz, überall ans 
zutreffen find. Oder es ift fein Ort in der ganzen Welt 
ausfindig zu machen, an welchen Gott nicht in die daſelbſt 
befindlihen Subftanzen beftändig und unmittelbar würfen 
ſolte. Der Würfungskreis der göttlichen. Kraft ift die 
ganze Welt, und es ift Fein Winfel in derfelben anzutrefz 
fen, welcher nicht mit Einflüffen der Allmacht angefült feyn 
ſolte. Wer dieſes leugnen will, der muß erweiſen, baß 
irgends eine Subſtanz in diefer Welt, ohne, göttliche Ers 
haltung fortdauren, und ohne Mitwuͤrkung Gottes ban- 


deln koͤnne. 
er Bb a $, 1038. 


392 Die Allgegenwart Gottes, 


. 1038. 

Abgleich Gott, A Subitanzen der Welt, beftän« 
dig unmittelbar gegenwärtig ift; fo muß man doch behaup⸗ 
ten, daß er einer Subſtanz gegenmwärfiger feyn kan, als 
einer andern, und daß er einer und eben derfelben Subſtanz 
zu’ einer Zeit gegenwärtiger ſeyn Fan, als zu einer andern, 
Denn feine Gegenwart befteht in feiner Mitwürfung $. 1035, 
Wenn alfo in einer Subftanz mehrere und gröffere Veraͤn⸗ 
derungen würflich find, als in einer andern: fo würft auch 
Gott bey den erften öfter, und in einem höhern Grade, mit, 
als bey der andern, folglic) ift er auch jener in einem hoͤ⸗ 
bern Grade gegenwärtig, als diefer. Eben fo Fan, eine 
und eben diefelbe Subſtanz, zu einer Zeit, in einem höbern 
Grade verändert werden und gefchäftig feyn, als zu einer 
andern, und Gore ift ihr alfo in der erften Zeit gegenwärtis 
ger, als in der andern, Folglich ie mehrere und mannigs 
feltigere Handlungen eine Subftanz thut, ie gröffer, zu« 
fanımengefeßter, reeller und beffer diefe. Handlungen find, 
deſto gröffer ift in Abficht auf fie die Gegenwart Gottes, 
und es bat fich alfo diefelde Subftanz, der Allgegenwart 
Gottes, in einem defto hoͤhern Grade zu erfreuen. Auch 
bierin ftedt, eine vortreflihe Aufmunterung, zum beftän« 
Digen gröften Sleiffe in der Tugend und allem Guten; weil 
ein Menfch alsdenn verfichert feyn Ean, daß er allemal als⸗ 
denn, wenn er viel Öutes hut, unter einem reichen Einfluffe 
Gottes, feiner Weisheit, Güte und alfer Vollkommenhei— 
ten, ſteht, welche fich ben feinen Handlungen in die Crea— 
turen gefchäftig erweifen. Die Allgegemvart Gottes bea 
greift ſonderlich, eine dreyfache Art der göttlichen Gegen« 
wart, in fih. 1) Die allgemeine und natürliche 
Gegenwart, welche in der natürlichen und allgememen 
Mitwuͤrkung Gottes befteht $. 1030. Durch dieſe Ges 
genwart ift ev aflen Subſtanzen, Körpern, Geiftern und 
Seelen gegenwärtig, den Frommen fo wol als aud) den 
Sündern, den Seeligen nicht mehr als den Verdamten. 
Düne dieſer Gegenwart Gottes Fan keine Creatur fortbaus 

ven, 





Die Allgegenwart Gottes. 393 


ren, und auch nur die geringfte und fhlechtefte Handlung 
verrichten, 2) Die befondere Gegenwart Gottes, 
welche auch die Gnadengegenwart Gottes im philofophi« 
ſchen Verftande genent werden fan, und fie beſteht in der 
befondern Mitwuͤrkung Gottes $. 1032, Durd) diefe Ge« 
genwart ift Gott, nur den vernünftigen Creaturen, gegens 
wärtig, und zwar nur in fo ferne fie rechtmäßig und tugend⸗ 
baft handeln, Keiner andern Ereatur ift Gott auf diefe 
Art gegenwärtig, und eben fo wenig einem Sünder, in fo 
ferne er fündiget, Wenn ein Menfch rechtmäßig handelt, 
ſo nahet fi) Gore zu ihm; fündiget er aber, fo entfernt er 
fih von ihm, Folglich ie tugendhafter und froͤmmer ein 
Menfch wird, deſto mehr nähert er ſich Gott, weil ihm 
Gott nach feiner Onadengegenwart immer gegenmärtiger 
wird. 3) Die Übernatürliche Gegenwart Gottes 
beſteht, in feiner allerbefonderften Mitwürfung $. 1034, 
Folglich) ift Gott nur alsdenn und daſelbſt auf diefe Art ge 
genwärtig, wenn und wo er Wunderwerfe thut, und über- 
natürliche Begebenheiten würflih macht. Ein Weltweifer 
Fan alfo nicht entfcheiden, ob Gott irgends an einem Orte 
der Welt, und irgends zu einer Zeit, auf diefe Art gegen— 
wärtig ſey ober geweſen fey. Und die Gottesgelehrten Füns 
nen, vielleicht auf Diefe Are, die übernatürliche Gegenwart 
der Menfchheit Chrifti am beften behaupten, 
$. 1039. 

Die Allgegenwart Gottes ift eine von denenjenigen 
göttlichen Bollfommenheiten, weldye den gröften Mißdeus 
£ungen unterworfen iſt, und von denen fich viele einen höchft 
soiderfinnifchen Begrif machen. Es ift demnad) unentbehra 
lich nothwendig, Daß wir die vornehmften diefer falfchen 
Begriffe prüfen, um fie forgfältig in unferer Erkentniß zu 
verhüten, Erſtlich ift es offenbar falfch, wenn man glaubt, 
daß die Allgegenwart Gottes darin beftehe, daß fein Wefen 
und feine Subftanz, auf eine zertheilte Art, durch die gan— 
ze Welt ausgebreitet fen, dergeftalt, daß man allerwegen 
einen Theil dev Gottheit anträfe, und auf die Art fagen koͤn⸗ 

‚3b 5 ne, 


394 Die Allgegenwart Bottes, 


ne, Gore fey allerwenen. Soiftz. E. die $uft auf un. 
ferm Erdboden allgegenwärtig, denn man trift überall $uft 
an, Allein es ift offenbar, daß der Theil der Luft, twels 
her an einem Orte würflich ift, nicht diejenige Luft if, 
welche an einem andern Orte ift, und daß alfo nur eine 
Materie auf diefe Art gleihfam allgegenwärtig fern fan. 
Sort aber ift ein einfaches, unförperliches und unzertheiltes 
Ding $. 867. 868. Folglich Fan Fein Theil von ihm art 
einem, und ein anderer an einem andern Orte wuͤrklich und 
gegenwärtig feyn, weil er gar Feine folchen Theile hat, wel— 
che von einander abgefondert, und auffer einander wuͤrklich 
feyn Fönten. Wo Gore ift, da ift er ganz und unzertheilt, 
nach feinem Wefen und nach feiner Subſtanz. Folglich ift 
Gott, einer iedweden Subſtanz diefer Welt, ganz und auf 
eine unzertheilte Art unmittelbar gegenwärtig. &s ift dem« 
nach auch, zum andern, ein falſcher Begrif von der Allges 
genmwart Gottes, wenn man fich diefelbe, als eine Ausdeh« 
nung der göttlichen Subſtanz durd) den ganzen Weltraum, 
vorftellen wolte: denn die Subftanz Gottes hat gar Feine 
Ausdehnung $. 869. Folglich find es metaphorifche Vor: 
ſtellungen, die ung leicht zu einem Irrthum verleiten koͤn— 
nen, wenn man fagt: die Allgegenwart Gottes fey der 
Raum der Welt; noir ſchwimmen in der Allgegenwart Got 
tes, als die Fifche im Waffer; Gott fey ein Circul, deffen 
Umfang nirgends und deifen Mittelpunct alleriwegen fen; 
daß wir in der göttlichen Subſtanz, als in unferm Gubjecte, 
leben und weben, und mas dergleichen finlihe Vorſtellun— 
gen mehr find. Man Fan fie, in fo ferne fie nicht offenbar 
mwiderfprechend find, als poetifche Vorftellungen brauchen, 
und mit der Schrift fagen, daß Gott Himmel und Erde 
erfüffe. Allein man muß fic) hüten, daß man deshalb der 
Subftanz Gottes Feine Ausdehnung zufchreibe. 
S, 1040. 

Man hat angenommen, daß Fein Ding in ein anders 
unmittelbar würfen fünne, welches von ihm entferne ift. 
Da nun Gott, in alle Subftanzen diefer Welt, befländig 

un: 








Die Allgegenwart Gottes. 305 


2 


unmittelbar würft; fo müffe er feiner Subſtanz nad), einer 
ieden Subſtanz diefer Welt, fo nahe feyn, daß zwifchen 
feiner derfelben und der göttlichen Subſtanz etwas Reelles 
würklich feyn koͤnne. Folglich fey Gott, nicht nur feiner 
Wuͤrkſamkeit nah), an allen Drten der Welt unmittelbar 
gegenwärtig, fondern aud) feiner Subſtanz nad). Und 
diefer Gedanfe macht alle Schwierigkeit, wenn man ſich 
die Allgegenwart Gottes dergeftalt vorftelt. Allein es fteckt, 
in demfelben, viel falfhes. Denn erftlich ift unleugbar, 
und fan, mit der Unendlichkeit und hoͤchſten Bollfommen« 
beit der Subftanz Gottes, völlig beitehen, daß die güftliz 
che Subftanz auffer und neben allen würflichen endlichen 
Subftanzen, und alfo an einem gemwiffen Drte würflich vors 
benden fey $. 869. Da nun feine einfache Subftan;, an 
mehrern von einander entfernten Orten, zugleic) ihrer Subs 
ftantialitäe nach mwürflich feyn Fan; weil fie widrigenfals 
mehrmal, auffer fich felbft, wuͤrklich feyn müßte: fo iſt es 
unmöglich, daß die göttliche Subftanz, ihrer Subftantialis 
tät nad), auf dem Erdboden und in den übrigen Pianeten, 
und an allen Orten der Welt würflich ſeyn, oder fubfiftiren 
folte. Zum andern it es ja fchlechterdings unmoͤglich, Daß 
zwey auffer einander befindliche Subftanzen, an einem und 
demfelben Drte, fubfiftiren oder würflich ſeyn folten $. 218, 
Folglich ift es unmöglich, daß die Subſtanz Gottes felbft 
an allen den Orten würflich feyn folte, in welchen die end« 
lichen Subftanzen vorhanden find. Widrigenfals müßten, 
alle endliche Subftanzen, in der göttlichen als in ihrem 
Subjecte vorhanden ſeyn, und das ift die verdamte !ehre 
des Spinoza. Und drittens, wenn man nun fagt, daß 
auf diefe Arc, die Subftanz Gottes, von vielen Subſtan⸗ 
zen diefer Welt, fehr weit entfernt feyn würde, und daß 
fie alfo in diefelben nicht unmittelbar würfen Fönte : fo habe 
ich diefem Einwurfe ſchon $. 220. vorgebeuget. Sch 
babe dafelbft erwiefen, daß man es ohne tüchtigen Beweis 
annime, als Fünne Feine Subftanz in die andere unmittels 
bar würfen „ wenn fie nicht dichte und zunächft neben der 

andern 


’ 
396 Die göttliche Regierung der Welt. 


andern würflih wäre Folglich ift Gott, feinem reellen 
und wuͤrkſamen Einfluffe nad), nicht ferne von irgends eis 
ner endlichen Subftanz in der Welt, und er ift alfo in Ab - 
fit auf diefen Einfluß, allen Subftanzen der Welt, an 
allen Orten, unmittelbar gegenwärtig. Allein feine unend» 
liche und unumfchrenfte alfervollfommenfte Subftanz ift an 
einem Orte würflich, welcher von den Oertern, wo die end⸗ 
lichen Subftanzen würflid find, insgefamt auf eine reelle 
Arc unterfchieven iſt. Es gibt freylich Gelehrte genung, 
welche nicht im Stande find, einen Ort ohne Einfchren« 
fung zu denken; allein, das Unvermögen zu denfen man 
eher Leute, ift Fein Einwurf wider eine deutliche Wahrheit, 


‚Die göttliche Regierung der Welt. 
$. 1041, 

Die Regierung der Welt, wovon wir ießo handeln 
wollen, muß, mit der Ausübung der Oberherrfchaft Got— 
tes über die Welt, nicht verwechfele werden. Es ift wahr, 
aus der Dberherrfchaft Gottes über die Welt flieft zugleich 
das Recht Gottes, die Welt nach feinem allerhöchften elge- 
nen Belieben zu regieren, und, die göftliche Regierung der 
Melt, ift auch in der That ein Stud der Verwaltung der 
Oberherrſchaft Gottes über die Well. Allein wir wollen 
hier dieſe Regierung betrachten, ohne auf das Recht zu fe- 
ben, durch welches Gott dazu berechtigee wird... Und fo 
pflegen mir auch ofte, die Nenierung eines Hausweſens, zu 
betrachten, ohne auf das Recht der Dberherrfehaft zu feben, 
wodurch der Verwalter eines Landguts berechtiget wird, 
daffelbe zu regieren, Nemlich die Regierung beſteht in 
derjenigen Handlung, wodurch nad) und nach, immer 
mehrere Mittel zu entferntern Zwecken, würklich gemacht 
werden. Ein Kind, und ein Wahnmißiger, koͤnnen we: 
der fich felbft noch ihr Aufferliches Vermögen regieren; fon« 
dern fie müffen Bormünder haben, weil fie nicht aufs Zus 
Fünftige feben, und ſchon von weiten Anftalten auf entferne 


tere Zwede machen koͤnnen. Und um eben der Urſache wils 
len 








Die göttliche Regierung der Welt. 397 


fen Fan auch niemand, im heftigen Zorne, und andern fehr 
ſtarken finlichen $eidenfchaften, ſich felbft vegieren. Sin 
Hausvater aber regiert fein Hausweſen, wenn er die Ber 
forgung und Ausſtattung feiner noch Eleinen Töchter zur Ab- 
ficht hat, wenn er im Frühjahre auf die Beduͤrfniſſe des 
Fünftigen Winters, und im Winter auf die Fünftige Ernd⸗ 
te fein Augenmerk richtet. Wenn er Bäume pflanzt, um 
nad) vielen Jahren das Obſt zu erndten. Kurz, wenn er 
nach und nach), auch fehun von weiten, alle noͤthige Anſtal⸗ 
ten zu allen Eünftigen Bedürfniffen mache. Eben fo wird 
eim Sand regiert, wenn man Kriegesheere errichtet, die 
Zeughäufer anfült, Feftungen anlegt, Fabricken errichtet, 
Geld famlet, um der Eünftigen Bedürfniffe des Staats 
willen. Kurz, die Regierung einer Sache ift nichts anders, 
als die würfliche Ausführung, der Entwürfe der Weisheit 
und Klugheit, in Abficht auf diefelbe Sache. Fulglid) ift 
eine iedwede Regierung um fo viel vollfommener, ie meifer 
und Flüger derjenige Entwurf ift, welcher durd) dieſelbe 
swürflich ausgeführt wird. Folglich 1) ie mehrere entferns 
tere Zwecke durch die Regierung erhalten werden, deflo 
vollfommener ift fi. Es ift eine fehr ſchlechte Regierung, 
bey welcher man nur etwa einen einzigen Zweck vor Augen 
bat. Die volllommenfte Regierung eines Fürften muß, 
alle Abfichten des Staats, vor Augen haben. 2) Je wid): 
tiger und beffer alle Zwecke find, die eine Regierung vor 
Augen bat, defto vollfommener ift fie. 3) Se beffer alle 
diefe Zwecke mit einander verbunden werden, dergeftalt, daß 
feiner den andern in der Ausführung verhindert, fondern 
daß immer einer den andern befördert, bis fie ſaͤmtlich auf 
einen allerhoͤchſten und vollfommenften Zweck hinauslaufen, 
defto vollkommener ift fie. 4) Je befler und zufammenhän« 
gender die Mittel find, welche die Negierung nad) und nad) 
würflich macht, defto vollfommener ift fi. Folglich ie 
fruchtbarer,, ficherer und gewiſſer, kuͤrzer, mannigfaltiger, 
und überhaupt ie vollfommener dieſe Mittel find, defto gröfe 
fer und beffer ift die Regierung. Und 5) ie mehrere, mans 

nigfal⸗ 


398 Die göttliche Regierung der Welt. 


nigfaltigere und gröffere Dinge regiert werden, defto gröf- 
fer ift fi. Die Regierung eines Eleinen Hausweſens ift 
nicht fo groß, als die Regierung eines groſſen Königreichs ; 
weil die leßtere viel mehrere, und mannigfaltigere, und 
wichtigere Gefc)äfte zu beforgen hat, als die erfte. 

. 1042, 

Nun ift es unleugbar, daß Gott diefe Welt mürflich 
regiere. Denn er bat diefe Welt, nad) hoͤchſter Weisheir, 
erfchaffen $. 1001. Nun ift es unmöglid, daß, alle 
göttliche Abjichten der Welt, auf einmal und in kurzer Zeit 
erreicht werden folten, fondern es gibt Abfichten Gottes, 
die in alle Ewigkeit erreicht werden müffen. Folglich hat 
Gott, bey der Schöpfung diefer Welt, die allerentferntes 
ften Zwede zur Abficht gehabt. Und indem er alle Dinge 
in der Welt erhält, und mit denenfelben unabläßig mit: 
wuͤrkt, fo nimt er beftändig und unabläßig Handlungen 
vor, wodurch nad) und nad) immer mehr und mehr Mittel 
in der Welt zu ihren entfernten Abfichten, ja zu den allers 
entfernteften, würflid) werden. Folglich regiert Gott diefe 
Welt würflih $. 1041. und es ift, diefe göttliche Regie— 
rung der Welt, ein Stuͤck feiner Borfehung über die Welt 
$. 1016. Es ift ja ohne Widerrede Flar, daß ben diefer 
Welt, der allerweiſeſte und Elügfte Entwurf zu einem Sy. 
ftem endlicher Dinge, zum Grunde liege. Wenn nun Gott 
diefen Entwurf nicht würflich nad) und nad), durch feine 
Borfehung, ausführte: fo müßte erentweder dazu die Macht 
nicht befigen, und das iſt unmöglich; oder es müßte ihm 
an guten Willen fehlen, und aud) das iſt ungereimt zu 
fagen, Folglich ift Gott nicht nur der Negierer der Welt, 
fondern feine Regierung ift auch die allergröfte und vollfoms 
menfte, welche möglich iſt, und zwar erhellet diefes daher, 
weil diefe Welt die befte iſt. Denn ı) ift die beſte Welt 
die gröfte, und enthält alfo viel mal mehrere und gröffere 
Dinge zu regieren, als irgends eine andere mögliche Welt. 
Härte Gott nicht die befte Belt erfchaffen, fo würde er es 
fich ſelbſt unmöglich gemacht haben, eine Probs der aller. 

hoͤch · 





Die göttliche Regierung der Welt. 399 


hoͤchſten Regierung abzulegen. So aber Fan nichts mehres 
res, gröfjeres und wichtigeres zu regieren gedacht werden, 
als der Umfang der-ganzen beiten Well, Er regiert die 
Geijterwelt fo wohl, als aud) die Körperwelt; er regiert 
die Begebenheiten des Erdbodens fo wohl, als auch aller 
andern Weltförper; er regiert alles in dieſer Welt derge— 
ftalt, daß es unmöglich ift, Daß er noch mehrere und gröfe 
fere und mannigfaltigere Dinge folte regieren Eönnen, als 
er würflich regiert. 2) In der beiten oder in diefer Welt 
erreicht Gott, durch feine Borfehung, Die allermeiften Zwede, 
viel mehrere und mannigfaltigere Zwede, als er würde 
haben erreichen Fönnen, wenn er eine andere Welt erfchaffen 
hätte $. 1004. 1005, Folglich ift, die göttliche Regie 
rung dieſer Welt, die gröfte und vollfommenfte, indem er 
fo viele Zwecke dabey zur Abficht bat, als möglid) ift, und 
zwar die allerentfernteften; denn auch diejenigen zufälligen 
Bollfommenheiten der Kreaturen, welche einmal in der uns 
endlichen Ewigkeit, nad) Millionen der Millionen Jahr— 
hunderte, werden würflid) werden , find Abfichten Gottes, 
zu Denen er nad) und nach die nöthigen Anſtalten macht. 
3) Syn diefer als der beften Welt erreicht Gott, durch feine 
Vorſehung, die allerbeften und gröften Zwede, indem er 
die allerhöchfte Bollfommenbeit einer iedweden Creatur, Die 
in der beiten Welt möglich ift, durch feine Beranftaltungen 
und Einridytungen, zu erlangen trachtet, und auch würflich 
erlangt $. 1006, Folglich ift, die görtliche Regierung 
der beften Welt, die vollfommenfte ‚ indem er nad) und. 
nach, die Mittel zu den allerbeften Zwecken, wuͤrklich macht. 
4) In diefer als der beften Welt erreicht Gott, durch feine. 
Vorſehung, alle feine unendlich vielen allerbeften Zwecke, 
in ihrer allerbeften Berbindung, dergeftalt, daß fie alle insges 
famt, die höchfte Neligion und Ehre Gottes, würflich bes. 
fordern $. 1009. 1010. Folglich beſteht die allerhöchfte 
und vollfommenfte göttliche Regierung vieler Welt darin, 
daß er durch alles feine Ehre befördert, und nad) und nach 
alles dergeſtalt würklich macht, daß endlich) der böchite Grad 

der 


400  Diegöttliche Regierung der Welt. 


der Religion daher entfteht. Und 6) regiert Gott Diefe 
Welt aufs vollfommenfte und im höchften Grade, weil in 
ihr, als in der beften Welt, die meiften und allerbeften 
Mittel in der allervollfommenften Verbindung, das ganze 
Syſtem der göttlichen Zwecke, durch die Mitwürfung Gots 
tes’ aufs vollfommenfte erreihen $. 1007. 1008. 1009, 
Es iſt demnach ein wahrer Unfinn eines Meufchen, wenn er 
die göttlidye Regierung der Welt tadelt. Es ift wahr, 
wir konnen nicht allemal in der gegenwärtigen Zeit etfah« 
ren, daß Gort die Dinge in der Welt aufs befte regiere. 
Allein es ift eine wahre Marrheit, wenn ein Menſch alles 
mit Augen fehen, und mit Handen greifen will, was er 
für wahr halten ſoll. Unterdeſſen Eonnen wir doch, wenn 


wir den Ausgang einer Begebenheit erwarten, von hinten 


ber ofte, mit Vergnügen, und Bewunderung der göttlie 
hen Regierungsfunft, erfahren, wie gut Gott diefelbe rex 
giert habe, und zwar. beffer, als wir felbft würden haben 
hun koͤnnen. Solche Betrachtungen ber die Vorfälle 
des menſchlichen $ebens, wenn fie vergangen find, und 
ihren Ausgang gewonnen haben, befeftigen ung in der Lies 
berzeugung , daß Gott diefe Welt, und alles was drinnen 
iſt, aufs weifefte, gütigfte und gerechtefte regiere. Und wir 
Menſchen folten demnach fleißig, ſolche Betrachtungen, 
anſtellen. 


4. 1043: 

Die goͤttliche Regierung dieſer Welt faßt ſonderlich, 
zwey merkwuͤrdige Handlungen Gottes, in ſich, die man 
mit eigenen und beſondern Namen zu benennen pflegt. 
1) Die Beſtimmung der Dinge in der Welt, oder 
diejenige Handlung der göttlichen Regierung, wodurch den 
Kräften, Handlungen, Veränderungen und Zuftänden der 
erfchaffenen Dinge, gewiſſe Örenzen gefegt werden; oder 
wodurd, allen wuͤrklichen Dingen, Maaß und Ziel gefeßt 
wird. Die Erfahrung fehret ja unleugbar, daß das Leben 
der Menſchen ein gewiſſes Ziel hat, daß alle Noth eine ges 
wiffe Zeit daurt, daß alle Kriege in dev Welt eine * 

aͤnge 





Die göttliche Regierung der WDelt. 401 


Laͤnge haben: Kurz, daß alles in der Welt, feine gemiffen 
Grenzen, babe, Nun hanget alles, in fo ferne es würflich 
ift, von Gottes Erhaltung, Mitwürfung und Regierung 
ab $. 1027. 1041, Folglich Fan Fein Ding groͤſſer ſeyn, 
als es die goͤttliche Regierung zulaft, und alfo hat Gott 
fhon von Ewigkeit her alles beftimt, wie groß es feyn fol, 
wie weit es ſich erſtrecken fol, wie lange es dauren fol, wie 
bey dem Meere, zu welchem Gott gefagt hat: bis hieher 
folft du fommen und weiter nicht, und bier follen ſich legen 
deine ftolzen Wellen. Es ift ja unfeugbar, daß ein iedes 
Ding.in der Welt, eine iedwede Kraft, Handlung, “Des 
gebenheit, Veraͤnderung Eurz, ein ieder Theil in der Welt, 
eben fo wie er wuͤrklich ift, zur beften Welt gehöre. Wäre 
er nun gröffer oder Fleiner als er ift, fo wäre diefe Welt 
nicht diefe Welt, und alfo auch nicht die befti, Da nun, 
die Schranfen und Grenzen der Theile der Welt, ihre 
wahre Gröffe ausmachen $. 190. fo märe diefe Welt nicht 
die befte, wenn nicht alle Theile derfeiben, eben diefe und 
feine andern zufälligen Grenzen, hätten. Folglich würs 
den, die Theile der Welt, die göttlichen Abfichten nice 
aufs befte erreichen, wenn fie nicht eben fo und nicht anders 
eingefehrenft wären, als fie in der That find. Nun ban- 
get, die ganze befte Welt, von sem Raͤthſchluſſe und der 
Regierung Gottes ab $. 1042. 990. Folglich hat Gore, 
die zufälligen Echranfen aller Dinge in der Welt, nicht 
nur von Ewigkeit her befchlofien ; jondern, Durch feine Re— 
gierung und ganze Borfehung, Fan auch nichts in der Welt 
Fleiner oder gröfler feyn, als es dieſem Rathſchluſſe gemäß 
iſt. Und es ift demnach nicht nur, alles in der Welt, ſchon 
von Ewigkeit her beftimt worden, fondern es erfolget aud), 
diefer Beſtimmung gemäß, aufs genaueſte. Go fan z. E. 
fein Menſch länger leben, als das von Gott beftimte Ziel 
feines Lebens zuläft.e. Und hieraus folgt, ein unendlicher 
Troſt, in allen Widerwärtigfeiten des Sebens, Gott hat 
das Maaf aller Noth abgewogen, und ziwar nad) den guͤ⸗ 
tigften und weifeften Maaßregeln. Ein Menfch Fan aliv 

4, Theil, Ge nicht 


402 Die göttliche Regierung der Welt. 


nichf eher von der Noth befreyet werden, bis diefes Maaß 
erfült ift, und wenn es erfült ift, fo fan ihm weiter Fein 
Haar gefrümt werden. Und wenn unfere Feinde noch fo 
fehr wider uns erbittere find, und wer weis wie viel Böfes 
mider uns im Sinne haben, fie fünnen uns doch nicht mehr 
Boͤſes würflich zufügen, als der weifefte und gütigfte Gott 
beftime hat, 2) Die göttliche Kenkung aller Hands 
lungen der Ereaturen, oder diejenige Handlung Gottes, 
wodurch er die Handlung einer Creatur zu Mitteln feiner 
Zwecke macht, ob fie gleich von der Creatur felbft nicht zu . 
diefeom Ende vorgenommen wird. Es ift unleugbar, daß 
Gott, alles in der Melt, entweder zu einem Mittel feiner 
beſten Zwecke macht, oder doc) fo einrichtet, daß es diefels 
ben nicht hindert S. 1007, 1008, und diefes thut er, vers 
mittelft feiner allervollfommenften Regierung der Welt 
S. 1042, Mun ift erftlid, offenbar, daß es in diefer Welt 
unendlich viel wuͤrkſame Dinge gibt, Körper und unver 
nünftige Ihiere, welche ihrer Natur nach ſich der göttlichen 
Abfichten nicht bewuſt feyn, und alfo um derfelben willen 
ihre Handlungen nicht vornehmen fünnen. Ale Handluns 
gen und Veränderungen diefer Dinge werden von Gott ges 
lenkt, indem er durch diefelben aufs befte feine Abfichten 
erreicht. Zum andern find, die allermeiften Zwecke Gofs 
fes, den vernünftigen Creaturen ganz unbefant. Wenn 
alfo diefe Creaturen, in ihrer Art, auch noch fo weife, vers 
nünftig und rechtmäßig handeln; fo find fie doch nicht im 
Stande, um folder Zwecke Gottes willen zu handeln, die 
ihnen unbefant find. Folglich lenkt Gott, auch diefe Hand» 
lungen der vernünftigen Creaturen, auf feine Zwede, Zum 
dritten koͤnnen die vernünftigen Creaturen ofte folche Zwecke 
zur Abficht haben, welche ven göttlichen Abfichten Gottes 
zumider find, indem fie entweder böfe und fündliche Zwecke 
fich) vorfegen, oder folche an fich gute Zwecke, welche nicht 
mit in den Plan der göttlichen Weisheit gehören, Wenn 
nun Gott diefen Creaturen völlig ihren Willen laffen wolre, 
fo würden die göttlichen Abfichten nicht, erreicht werden. 

Folg⸗ 





Die göttliche Regierung der Welt. 403 


Folalich lenkt Gott, dieſe Handlungen der vernünftigen 
Creaturen, dergeftalt, daß fie entweder ihre Abfichten gar 
nicht erreichen, oder anders als fie gewolt, oder daß fie, 
ohne und wider ihren Willen, die göttlichen Abfichten be: 
fördern müffen. Der Menfch denkts, Gott lenfts. Der 
Menſch meints ofte bofe, Gott aber lenkts zum Guten, 
So hat Gott, die Verfolgungen des Chriftenthums, aufs 
herrlichite zur Beförderung deflelben, wider die Meinung 
der Verfolger, gelenftz und, das feindfelige Verhalten der 
Brüder Joſephs, batfe einen ganz unerwarteten vortreflis 
chen Ausgang, 
G. 1044. 

Diefe Materie ift eine fo fruchtbare, vortrefliche, 
fröftliche und erbauliche Materie, daß fie beftändig überlege. 
zu werden verdient, Damit man nad) und nad), Durch die 
Erfahrung, fie immer beffer einfehen lerne. Wir wollen 
daher noch, ein Paar wichtige Betrachtungen, binzufügen. 
1) Die göttliche allervollfommenfte Negierung der Welt 
aͤuſſert ſich, auf eine recht merflihe und bewundernsmwür- 
dige Art, bey den Glücks - und Linglücsfällen in der Welt, 
Weil wir Menfchen, die natürlichen Urſachen und Entftes 
hungsarten diefer Vorfälle, nicht einfehen $. 961. fo wäre 
es freylich ein abergläubifches Vorurtheil, wenn man fie 
für Wunderwerfe halten und glauben wolte, als wenn Gott 
bey ihnen unmittelbarer befdjäftiget wäre, als bey andern 
natürlichen Begebenheiten in der Welt, Die Henden find 
vermuthlich durch diefes Vorurtheil verleitet worden, eine 
eigene Glücsgöttin zu erdidyten. Allein, fo viel ift gewiß, 
daß alle glückliche und ungluͤckliche Zufälle in der Welt, wie 
alles übrige in der Welt, von dem goͤttlichen Rathſchluſſe, 
von der Mitwürfung und Regierung Gottes, abbangen, 
und daß er diefelben braucht, um feine Abfichten zu befoͤr⸗ 
dern, und alle Abfichten der vernünftigen Creaturen dadurch 
zu bindern, welche feinem meifeften Plane, den er zu diefer 
Welt entworfen hat, zumider find. Co erfahren wir ofte 
in der Welt, daß manche menfchliche Unternehmungen in 

2 ihrem 


404 Die göttliche Regierung der Welt, 


ihrem Anfange ſchwach, und andern lächerlich zu ſeyn fehei- 
nen, fo daß Fein Menfch vermuther, daß fie gelingen koͤn— 
nen. Allein fie werden mit fo vielem unerwarteten Glück 
begünftiget, daß fie zum Erftaunen der Welt ausgeführt 
werden, Wer hätte denken follen, daß ein fo fehlechter 
Moͤnch, als Luther war, ein fo groffes Werk folte ausfüh- 
ren Fonnen? Die Keformationsgefchichte aber lehrt, daß 
es geſchehen, und zwar durch Hülfe folcher unerwarteten 
Vorfälle, die fein Menſch vermuthen koͤnnen. Eben fo 
werden, manche menfchliche Unternehmungen, aufs beſte 
eingefädelt. Jederman erwartet, mit Zuverficht, den vor= 
gefegten Ausgang. Und fiehe va! Ehe man fichs verfieht, 
trägt fid) ein Unglück zu, welches alles zernichtet, und einen 
Strich durch die ganze menfchliche Rechnung macht. Aus 
diefem ©efichtspuncte folte man, die glücklichen und uns 
glücklichen Zufälle in der Welt, betrachten; fo würde man 
in ihnen und durch fie den Finger Gottes beſſer erkennen, 
und mit einem Gott geheiligten Gemuͤthe diefe Vorfälle in 
der Welt fo annehmen und anwenden, wie es Gott haben 
will, 2) Auf eine ähnliche Art äuffere fich, die göttliche 
allervollflommenfte Regierung der Welt, durch das Gute, 
und durch die Bollfommenbeiten , weiche er in die Maturen 
aller erfchaffenen Dinge gelegt hat. Diefe zufälligen Boll. 
fommenbeiten rühren ebenfals, wie alles zufällige Gute, 
von Gore her, und werden durch feine Regierung der Welt, 
zu Mitteln feiner Zwecke, gemaht F. 1042. Folglich 
muß man fagen, daß Gott durd) diefelben, einen iedweden 
Menſchen, und eine iedwede Creatur, zu denenjenigen 
guten Handlungen und Lebensarten berufen, verordnet und 
ausgerüftet habe, wozu fie durch diefelben gefchicft und auf— 
gelegt find. Folglich fan man diefe Naturgaben, als eis 
nen göttlichen Beruf, und als eine göttliche Beftimmung 
anfehen, und wer diefer Stimme feiner Natur folge und 
gehorcht,, der folgt und gehorcht der Stimme Gottes. Es 
it demnach) ein bewundernswürdiges Stuͤck der görtlichen 
Kegierung der Welt, daß er z. E. die Naturgaben unter 

den 








Die Zulaffung des Boͤſen in der Welt. 405 


den Menfchen fo mannigfaltig ausgetheilt hat, daß man zu 
alten nüglichen Künften, Willenfchaften und Lebensarten, 
welche zur möglichften Glücfeligkeit des menfihlichen Ge— 
fehlechts erfodert werden, unter den Menfchen Leute finder, 
‚ welche zu einer iediveden derfelben vorzüglich vor vielen ans 
dern, mit den gehörigen Naturgaben, ausgeruͤſtet find, 


Die Zulaſſung des Boͤſen in der Welt. 
1045. 

Alle diejenigen, welche ſich einen richtigen Begrif 

von Gott machen, ſtellen ſich denſelben allemal als ein hoͤchſt 
guͤtiges, heiliges und weiſes Weſen vor, von welchem 
nichts anders, als was Gut iſt, herruͤhren fan, und wels 
‚ches alles Boͤſe verabſcheuet. Wenn man nun Diefe ganze 
Welt als ein Werf Gortes betrachtet, und man ſtelt ſich 
diefelbe von der guten Seite vor: fo findet man nicht die 
allergeringfte Schwierigkeit zu fagen, daß fie eine Würfung 
Gottes ſey, und von feiner Schöpfung und Borfehung bers 
rühre, Allein, da nun in diefer Welt, auffer dem Öuten, 
fo viel Böfes angetroffen wird, und da in derfelben fo viel 
Sünden, Ungluͤcksfaͤle, Kammer, Noch und Elend anges 
troffen wird: woher rührt alles diefes Böfe? Komt es 
von Gott ber? Hat er ein Woh!gefallen an demfelben ? 
Kan ers nicht Kindern? Iſt es vielleicht, in Abficht auf 
Gore, nichts Böfes? Iſt etwa eine böfe und feindfelige 
Gottheit vorhanden, welche, unfer die guten Wuͤrkungen 
des guten Gottes, das Boͤſe miſcht? Bekuͤmmert ſich Gott 
etwa nicht weiter um die Welt, nachdem er fie erfchaffen 
hat? Oder was foll man ſonſt, für eine Urſach Davon, an— 
geben? Diefe Sache ift von ie her ein Stein des Anftofies, 
unter nachdenfenden Köpfen, geweſen. So viel ift uns 
feugbar: daß, das ſchlechterdings nothwendige Uebel in 
der Welt, Eeine erhebliche Schwierigkeit machen far. Es 
befteht in den wefentiichen Einſchrenkungen der endlichen 
Dinge, und ohne denfelden wären fie Gottheiten, denn 
man alfo verlangen wolte, Gort hätte die Welt ohne Dies 
eg ſem 


406 Die Zulaffung des Boͤſen in der Welt. 


ſem Uebel 'erfchaffen follen: ſo hätte Gott lauter Götter 
jchaffen müffen, und das ift höchft ungereimt. 2) Keine 
Sünde, und fein anderes zufälliges Lebel, in fo ferne cs 
formaliter betrachtet wird, Fan von irgends einer Handlung: 
Gottes herrühren. Denn es ift in fo ferne nichts anders 
als eine Berneinung, und feine Handlung Gottes Fan der 
Grund einer Verneinung feyn $. 864. Folglich frage 
fihs, woher es in der Welt rührt ; und wie es, ohne Vera 
letzung der höchiten Güte und Weisheit Gottes, im der 
Welt fenn fan? Es ſchrenken einige dieſe Frage blos, auf 
die Zulaſſung der Suͤnde in der Welt, ein. Es iſt wahr, 
es macht diefe Zulajfung den vornehmften Theil diefer Frage 
aus. Allein die übrigen zufälligen Uebel in diefer Belt, 
weiche feine Sünden find, machen ebenfals eine Schwies 
tigkeit, weil ohne Gottes Willen nichts in diefer Wele 
würflich feyn und werden fan. Wir. wollen alfo überhaupt 
unferfuchen, wie alles zufällige Uebel in diefer Welt, mit 
den Grundregeln der höchften Güte und Weisheit Gottes, 
jufammengereimt werden Fönne ? 
$. 1046. 

Alle zufälligen Uebel, und die zufälligen Unvollkom— 
menbeiten in der Welt, find von doppelter Art. Zu der 
erften gehören alle Unvollfommenbeiten , welche nicht auf 
eine nähere Art von dem freyen Willen der Ereaturen ab» 
Dangen. Und zu der legten gehören die moralifchen Unvoll⸗ 
kommenheiten, welche auf eine nähere Art von dem freyen 
Willen der Creaturen abhangen, wohin nicht nur die Suͤn— 
den, oder die moralifchböfen und unrechtmäßigen Handlun« 
gen der Creaturen gehören, fondern auch die Strafen der 
Einden, alle böfen meralifchen Zuftände, die Unfeligfeit, 
die Verdamniß, die Unglückfeligkeie mancher vernünftigen 
Gefchöpfe, und wie die moralifchen Uebel insgefamt Nas 
men haben mögen $. 766. 767. 768. Nun wird die eufte 
Suͤnde allemal ein Suͤndenfall, oder ein Fall fehlechte 
weg, genent. Go würde die allererfte Sünde, welche in 
Diejer ganzen Welt dergeſtalt gefchehen, daß, vor ihr noch 

gar 


Die Zulaſſung des Böfen in der Welt. 407 


gar Feine Sünde in diefer Welt wuͤrklich geweſen, im ftreng- 
ſten Berftande der Süundenfall fönnen genent werden. Die 
erſte Sünde unferer erften Eltern nennen wir ihren Suͤn— 
denfall, und auch den Sündenfall des menſchlichen Ge- 
ſchlechts, weil vor derfelben Feine andere menfhliche Sünde 
vorhergegangen ift. Und auf eine ähnliche Art fagen wir, 
daß, wenn ein Menfch eine Sünde von einer gewiffen Arc 
zum alleverftenmal begeht, er falle oder zu Falle komme. 
Es ift eine gewoͤhnliche Vorftellung, wenn man fich einen 
Menfchen, in fo ferne er rechtmäßig handele, als einen 
Menfchen vorftelt, welcher auf dem Wege der Tugend aufs 
recht ſteht und wandelt. Es ift alfo ganz natürlich, daß 
man diefe Altegorie fortſetzt. und fagt, daß ein Menſch 
falle, wenn er zu fündigen anfangt. Wenn nun ein Menſch 
oder ein anderer endlicher Geift fündiget, fo muß es ihm 
möglid) feyn zu fündigen $. 61. und diefe Moͤglichkeit ift 
das Vermögen zu fündigen oder zu fallen, und es 
ift entweder ein unbedingtes oder ein bedingtes Vermögen 
zu fündigen $. 170. Das unbedingte Vermögen zu 
fü undigen it die innerlihe Moͤglichkeit zu fündigen; wenn 
es einem Geifte an und vor fich betrachtet, feinem Weſen 
nach, moͤglich iſt, zu ſuͤndigen, und id) werde alſobald ers 
weiſen, daß alle endliche Geifter diefes Vermögen zu füns 
digen befißen, Das bedingte Dermögen zu fi ündigen 
ift die bedingte Moͤglichkeit zu fündigen, wenn es einem 
Geifte, auch unter gemiffen Umftänden, und in gemiffen 
Verbindungen mit andern Dingen auffer ihm, möglich if, 
zu fündigen, Das Gegentheil deffelben, oder die bedingte 
Unmöglichkeit zu fündigen, wenn ein Geift unter gewiſſen 
Umftänden nicht fündigen Fan, ob es gleich an und vor 
ſich ſelbſt möglich wäre, wird die Beſtaͤtigung im Bus 
ten genent, 3. E. wenn ein endlidyer Geift, mit der 
Zeit, eine fehr groffe Fertigkeit erlangt, die Tugend zu bes 
gehren und auszuüben, und das Laſter zu verabfcheuen und 
- zu unterlaffen, fo Fan es endlich um diefes Grades feiner 
Fertigkeit willen unmöglich werden, daß er fündige, und 
Cc 4 als» 


408 Die Zulaffung des Boͤſen in der Welt. 


alsdenn ift er im Guten beftätige. So fagen die Gortes« 
gelehrten, daß Adam, wenn er die Verſuchung glücklich 
wuͤrde uͤberſtanden haben, von Bott im Öuten würde ſeyn 
beftätiger worden, das ift, es würde in allen folgenden Zeie 
ten auf eine bedingte Art unmöglich geworden ſeyn, daß er 
bey irgends einer Gelegenheit gefündiget hätte, - 
$. 1047. | 
Das unbedingte Vermoͤgen zu fündigen und zu fallen 
iſt, eine innerliche Möglichkeit der Sünde F. 1046. und 
gehört zum Wefen eines endlichen Geiftes. Denn vermöge 
dieſes Weſens ift, ein iedweder endlicher Geiſt, feinem Ver— 
ſtande nach eingefchrenfe S. 792. Folglich iſt es unmoͤg⸗ 
ih, daß ein endlicher Geift alte Dinge aufs deutlichfte er» 
Ferne. Er bat demnach ein Vermögen, verfchievene Dinge 
mit einander zu verwechfeln, und alfo zu irren $. 577« 
Aus der Moalichfeit zu irren folgt die Möglichkeit, daß ein 
endlicher. Geiſt das Gute für böfe, und das Böfe für gut 
halten koͤnne. Da nun alle Sünden darin beftehen, wenn 
man das Gute frey verabfcheuet, weil man es für. böfe hält, 
und wenn man das Boͤſe frey begehrt, weil man es für gut 
hält: fo folgt, aus der Einfchrenfung des Wefens aller end» 
lichen Geifter, das unbedingte Vermoͤgen zu fündigen fchlechs 
terdings nothwendig. Folglich iſt daffelbe, in einem ied- 
weden endlichen Goiſte, auf eine fehlechterdings nothwendige 
Art anzutreſfen $. 108. Und da es unleugbar eine Unvolle 
kommenheit ift, fo gehört es zum metaphufifchen Hebel der 
endlichen Geifter 6. 100, welches von Feinem endlichen 
Geifte getrent, und abgefondert werden far. Da nun 
ort die Weſen der Dinge, und das metaphyſiſche Uebel, 
nicht erſchaffen hot $. 983. ja da er nichts fehlechterdings 
unmoͤgliches fhaffen Fan F. 865. fo ift es, erftlich, unges 
reimt zu fagen, daß Gott dem Menfchen , und andern ends 
lichen Geiftern, das unbedingte Vermögen zu fündigen ans 
erfchaffen, oder durch die Schöpfung gegeben habe. Gott 
Fan, von diefem Vermögen, auf keinerley Weife die Urſach, 
oder der Urheber, feyn. And, zum andern, ift es ſchlech— 
ter⸗ 


Die Zulaffung des Höfen in der VVele. 409 


terdings unmöglich, daß Gott Hätte Menſchen, oder andere 
vernünftige Ereaturen , ſchaffen koͤnnen, die fehlechterdings 
nicht hätten ſuͤndigen koͤnnen. in Geift, welcher fehlech- 
terdings niche foll ſuͤndigen Fünnen muß feinem Verſtande 
und feinem Willen nad) unendlich heilig, und alfo eine 
wahre Gottheit, ſeyn. Die unbebingte Unmöglichkeit zu 
fündigen ift eine aöttlihe Bollfommenbeit, welche Feiner 
Ereatur anerihaffen werden Fan. Wie feltfam denken nicht 
diejenigen, welche Gott deswegen für den Lrheber der Suͤn— 
de halten, weil er unfere erften Eltern durch die Schöpfung 
nicht dergeſtalt eingerichter, daß fie fihlechterdings nicht 
hätten fündigen koͤnnen. Ueberhaupt muß man fagen, daß 
Feine endlihe Subftanz möglich fen, weiche eine Handlung 
thun fünte, die nicht eines Theils böfe ift. Denn das We— 
fen und die Kraft einer iedweden endlichen Subſtanz ift 
eingefehrenft, und mit Unvollfommenhiiten untermengt. 
Alle Handlungen endlicher Subftanzen flieffen alfo allemal, 
eines Theils, aus den Unvollfommenheiten des Wefens, 
und der Kraft derfelben, und müffen alfo in fo ferne böfe 
feyn $. 133. 134. Folglich haben alle endliche Subftan- 
zen, auf eine fchlechterdings nothwendige Art, dieſe weſent— 
liche Unvollfommenheit, oder das unbedingte Vermögen 
boͤſe und unvollfommen zu handeln, oder durch ihre Hand: 
lungen was Böfes, Berneinendes und Linvollfommenes zu 
wuͤrken. Indem Gort die endlichen Subftanzen erfchaffen, 
fo hat er nichts anders als eingefhrenfte Nealitäten ſchaf— 
fen fönnen, und.es find demnach zwar die eingefchrenften 
Realitäten erſchaffen, aber nicht ihre Einfchrenfungen, und 
alfo aud) nicht das unbedingte Bermögen böfe zu handeln, 
oder Boͤſes zu thun. 
$. 1048. 

Ein iedweder Sündenfall ift, wie eine iedwede Suͤn⸗ 
de, eine freye Handlung; gleichwie, eineiedwede zufällige Uns 
vollfommenheit in der Welt, eine Veränderung der Crea— 
turen iſt $. 1046. Nun wuͤrkt Gott, bey allen Berände- 
ungen der Greaturen, mit $. 1030, Folglich koͤnte Feine 

gez Crea⸗ 


410 Die öulafjung des Höfen in der Welt. 


Creatur böfe und unvollfommene Handlungen thun, und 
feine vernünftige Creatur Fönte fündigen und fallen, ohne 
Gottes Mitwürfung und Beyftand, Allein da er dadurch 
nur die Miturfacd) des Materiellen, oder des Reellen in den 
böfen Handlungen und Sünden, feyn fan, nicht aber von 
derh Formale derfelben $, 1029. 1033. fo ift er weder der 
Urheber, noch im eigentlichen Verftande die moralifche Ur— 
ſach, eines Sündenfalls oder einer Sünde, oder irgends 
eines zufälligen Uebels in der Welt $. 985. 986. 987. 
Kurz, das verneinende der zufälligen Uebel und der Suͤn— 
den in diefer Welt, dasjenige, weswegen fie was Boͤſes 
find, Fan unmöglich) in gerader Linie von Gott abftamnıen. 
Gott hat, dur) feine Handlungen auffer fich, eingeſchrenkte 
Realitaͤten erfchaffen, und er hat Feine andere fchaffen Fon 
nen. Diefe eingeſchrenkten Nealitäten der Kräfte der Crea— 
£uren erhält er nur, bey feiner Mitwürfung und durch dies 
felbe. Wenn nun eine endliche Subftanz handelt, fo Fan 
fie nur eine eingefchrenfte Kealität oder reelle Kraft brau— 
chen, um die Handlung zu verrichten, und folglich Fan fie 
feine unendlich reelle und gufe Handlung verrichten, Diefe 
Abwefenheit der Realitäten in den Handlungen der Creatu⸗ 
ren, in fo ferne fie zufällig iſt, iſt das zufällige Uebel aller 
böfen Handlungen und Sünden. Dieſes flieft aus der Ab» 
wefenheit einer gröffern Nealität der Kräfte der Creaturen, 
und dieſe ift eine Folge des metaphufifchen Uebel. Folg« 
lich ift, dieſes Uebel, die erfte Duelle alles zufälligen Uebels, 
und aller Sünden, in der Well. Und wenn man nun 
weiter fragt, aus was für einer Duelle das metaphyſiſche 
Uebel flieft: fo Hüte man fih, daß man nicht etwa ftill« 
fehweigend vorausfege, als müffe es einen reellen Grund 
haben, denn das iſt fchlechterdings unmöglich. Sondern 
inden ber göttliche Verſtand gleichfam die Weſen aller 
endlichen Dinge erfunden, fo hat er in dem einen diefe, und 
in den andern andere Realitäten zufammenfaffen müffen, 
in feinem aber alle im höchiten Grade: denn das iſt Das 
göttliche Wefen $. 832. Indem alfo Gott, in einem ied⸗ 

weden 


Die Zulsfjung des Höfen in der Welt. zu 


weden Weſen eines iedweden endlichen Dinges, nur einige 
Realitaͤten zufammengefaßit bat; fo. macht der Mangel der 
übrigen’das metaphyſiſche Uebel aus, aus welchem alles 
übrige Uebel berflieft. Folglich Fan Gott Feine einzige 
Handlung vornehmen, wovon das metaphyſiſche Hebel der 
endlichen Dinge eine Folge wäre. 


S. 1049. 
Alle zufällige wuͤrkliche Uebel in diefer Welt find eben 

deswegen, weil fie-zufällig find, fo befchaffen, daß ihr Ge— 
gentheil möglicy ift. S. 105.  Diefes Gegentheil ift ein 
Hinderniß derfelben, und wenn dafjelbe würflich wäre, fo 
würden fie nicht wirklich feyn werden, oder bleiben $. 174. 
Folglich koͤnnen, alle zufällige Uebel in diefer Welt, ver- 
hindert werden, wenn man nemlid) blos auf dasjenige fieht, 
was an und vor fi) felbft betrachtet möglid) iſt. Nun fan 
Sort, durdy feine Allmacht, alles wuͤrklich machen, was 
an ſich möglid) ift $. 862. Folglich) Fan Gott, alle zufaͤl— 
ligen Uebel in diefer Welt, verhindern, Gott hätte ja, vers 
möge diefer Allmacht, diefe Welt gar nicht wuͤrklich machen 
koͤnnen, fondern eine andere mögliche Well, Und wenn 
er diefes gethan hätte, fo würden eben die zufälligen Uebel, 
die iego würflich find, nicht würklich geworden feyn, Alle 
Sünden und alle Sündenfälle find freye Handlungen $,1046. 
Folglich find fie zufällige Uebel, und Unvollfommenbeiten 
$. 709. Folglich Fan Gott, durd) feine Allmacht, alle 
Sünden, und einen iedweden Gündenfall: verhindern. 
Das madıt eben die ganze Schmwierigfeit, in der Frage von 
der Zulaſſung des Boͤſen. Weil Gott alles zufällige Böfe 
und alle Sünden hätte hindern koͤnnen, er es aber gleichwol 
nicht gethan hat: fo feheint er der Urheber der Sünden zu 
feyn, und wider die höchite Güte und Weisheit gehandelt 
zu haben. Wolte man fagen, Gott hätte fehlechterdings, 
das zufällige Uebel und Die Sünden in diefer Welt, nicht 
hindern Fönnen: fo müßte es fehlechterdings unmöglich fenn, - 
fie zu hindern, und fie müßten alfo ſchlechterdings nothwen« 
dig ſeyn. Es gabe alfo in der That gar feine Sünden, 
und 


ga Die Zulaffung des Höfen in der Welt. 


und man müßte fagen, daß alles Uebel in der Welt durch 
ein blindes und umwidertreiblihes Schickſal in derfelben an« 
getroffen würde: und dos ift, der Zufälligkeit der Welt, 
zuwider. Es ift wahr, es Ean feine Welt wuͤrklich ſeyn, 
in welcher gar keine zufaͤlligen Uebel vorhanden waͤren 
§. 198. Alleine es iſt eine Welt moͤglich, in welcher gar 
Feine Sünden gefchehen. Folglich hätte Gott diefe Welt 
fchaffen Fonnen, und er hätte alfo alle Sünden ohne Aus« 
nahme verhindern koͤnnen. Ob er num gleich Feine Weit 
fchaffen fönnen, in welcher gar feine zufälligen Uebel wuͤrk— 
lich find; fo hätte er dod) eine Welt würflich machen koͤn⸗ 
nen, in welcher diejenigen zufälligen Uebel nicht würflich 
gewefen feyn würden, die in diefer Welt würllich find. 
Und er hätte alfo allerdings alle zufälligen Uebel verhindern 
koͤnnen, welche in diefer Welt angetroffen werden. 
G. 1050, 
Man fan eine freye Handlung, auf eine doppelte 
Art, verhindern. Einmal auf eine moralifhe, und zum 
— *— auf eine phyſiſche Art. Die moraliſche Verhin— 
derung beſteht darin, wenn man Bewegungsgruͤnde zum 
Gegentheil einer freyen Handlung wuͤrklich macht. Wenn 
iemand eine freye Handlung thun will, und man bringt 
ihm irgends auf eine Art Bewegungsgruͤnde bey, ſie zu 
unterlaſſen; fo hindert man, die Ausübung oder Verrich— 
tung diefer Handlung, auf eine moralifche Art, ben fo, 
wenn iemand eine freye Handlung unterlaffen will, und 
man bringt ihm irgends auf eine Art Bewegungsgründe 
bey, fie zu thun, fo hindert man ihn, auf eine moralifche 
Art, an der Unterlaflung der Handlung. Folglich fo ofte 
man durch Zureden, durch Anrathen und Abrathen, durch 
Befehle, Rathſchlaͤge, Gefege, Drohungen, durch unfer 
Beyſpiel, durch Berheiffungen, Ermahnungen u. f. w. 
den freyen Willen eines andern beftimt, anders zu hans 
deln, als es fonft würde gefchehen ſeyn: fo ofte wird, ein 
gewifles freyes Verhalten, moralifc) gehindert. Folglich 
find alle Berbote, und alle Verbindungen zum rechtmaͤßi⸗ 
gen 








Die Zulaffung des Bsfen in der Wele. 413 


gen Verhalten, moralifche Verhinderungen der Sünden, 
Gefegt das ein Menſch im Zorn einen andern ſchlagen will, 
gefegt man redet ihm fo einnehmend und nachdrücklich zu, 
daß er diefe Handlung ſelbſt unterläft: fo hindert man ihn, 
an diefem Ausbruche feines Zorns, auf eine moralifche Art, 
Nun bat Gott, in der beften Welt, allen Geiftern die grös 
ften Bewegungsgründe zu ihrer höchften Gluͤckſeligkeit gege— 
ben, indem er diefelbe, zum leßten und vornehmiten Zwecke 
der ganzen Welt, gemacht hat $ 1015. 1031. 1032, Cine 
iedwede Sünde ift das Gegentheif der Gluͤckſeligkeit, und 
befördert die Unglücfeligfeit der endlichen Geiſter S. 767. 
768. Folglich bat Gott, allen endlichen Geiftern, Bewe⸗ 
gungsgründe zum Gegentheil aller Sünden gegeben, und 
er verhindert demnach alle Sünden in diefer Welt auf eine 
moralifche Art, und a'fo auch allen Sündenfall $. 1046. 
Diefes wird, durch die practifche Weltweisheit, ganz auss 
führlich auffer allen Zweifel gefegt. Sie erklärt und erweiſt 
die Naturgeſetze, welche örtliche Gefege find. Nun find 
alle Sünden durch das Naturgefes verboten, und alfo auf 
diefe Art von Gott auf eine moralifche Art verhindert wor— 
den. Desgleichen verbinden uns die Naturgefege, Feine 
andere als rechtmäßige Handlungen zu thun. Da nun dies 
felben, das Gegentheil'der Sünden, find: fo hat Gott 
alle endliche Geiſter, durch das Naturgeſetz, zum Öegen« 
theil aller Sünden verpflichtet, und es ift alfo unwiderſprech— 
lich Elar, daß er alle Sünden auf eine moralifche Art in 
diefer Welt verhindert hat. 
§. 1051. 

Die phyſiſche Verhinderung einer freyen hands 
lung bejteht in einer iedweden Verhinderung derfelben, die 
nicht moralifh ift, oder welche nicht Durch Bewegungs» 
gründe zum Gegentheil gefchieht. Geſetzt daß iemand eis 
nen andern im Zorne fehlagen wolte, gefegt man läuft ihm 
entgegen, und hält ihn feft, Dis der Zorn verraucht , oder 
bis der andere entlaufen iſt: fo hindert man ihn, an diefer 
Handlung, auf eine phnfifche Ar. Nun find alle Sün- 

den, 


414 Die Zulsffung des Höfen in der Welt. 


den, und alle Sündenfälle, freye Handlungen $. 1046. 
folglich find fie aud) Frey in der Yusübung, und folche 
Handlungen die phyſiſch zufällig find S. 700, Alſo it 
ihr Gegentheil phyſiſch möglich, welches, wenn es würf- 
lich gemacht wird, eine phyſiſche Verhinderung der Sünde 
ift. Nun fan Gott, durd) feine Allmacht, alles mögliche 
würflich machen 6. 862, Folglich fan Gott, alle Sün- 
den in diefer Welt, auf eine phufifche Art verhindern. Die 
Erfahrung lehrt auch zur Önüge, daß Gore wuͤrklich 
viele Sünden auf diefe Arc verhindert. Wenn alle Sün« 
der alle ihre Sünden zur Würflichfeit bringen koͤnten, fo 
würde die Welt untergehen müffen. So aber müffen fie 
ofte wider ihren Willen ihre Sünden unterlaffen, weil ihnen 
die Gelegenheit fehle, oder weil fic) ein unglüclicher Zufall 
zuträgt, der ibhen hinderlich fält, oder weil irgends auf 
eine Art die Sachen und Umftände einen ſolchen kauf neh» 
men, daß es ihnen unmöglich fält, die Sünde zu vollzies 
ben. Da nun alles diefes von der göttlichen Vorſehung 
berrühre, fo it aus der Erfahrung offenbar, daß Gott 
wuͤrklich viele Sünden auf eine phnfifche Art in diefer Welt 
verhindere, Es haben einige, um die Unfchuld Gottes 
bey ven Sündenfalle Adams zu retten, angenommen, daß 
Gore denfelben nicht anders habe verhindern koͤnnen, als 
er häfte entweder den Adam vernichten, oder ihm feine 
Freyheit nehmen, und ihn in der That in ein unvernünftie 
tiges Thier verwandeln müffen. Da nun beydes fchlimmer 
für das menſchliſche Gefchlecht gewefen wäre, als die Zulafe 
fung des Sündenfalls: fo fen es beffer, und alfo der Weis: 
heit und Güte Gottes anftändiger geweien, daß er den 
Suͤndenfall zugelaſſen. Es ift wahr, wenn ort eines 
unter beyden gerban, umd den Adanı entiweder vernichten, 
oder ihm den Gebraud) feines freyen Willens genoinmen 
hätte, fo wäre der Sündenfall auf eine phyſiſche Art verhin— 
dert worden, Allein es iſt nicht eins unter beyden nöthig 
gewefen, fendern Adam bat Fönnen würflich bleiben, und 


den vollen Gebrauch feiner Freyheit behalten koͤnnen, und 
die 


Die Zulafjung des Boͤſen in der Welt. 415 


die, Sünde Hätte doch koͤnnen phyſiſch verbindere werden 
z. €, Gore hätte nur den Adam niemals dürfen verfuchen 
laffen, oder er hätte nur in der Verfuchungsftunde die ‘Bes 
wegungsgründe zur Sünde ſchwaͤchen, oder die gegenfeiti- 
gen Bewegungsgründe ftärfen dürfen, wie ers noch ofte 
bey den, Gläubigen macht: fo wiirde Adam nicht gefündiget 
haben, Kurz, Gott hätte auf verfchiedne Art, alle Sünden 
in diefer Welt, auf eine phyſiſche Art verhindern koͤnnen. 
§. 1052, 

Die Zulaſſung der Sünde befteht, in der Unter— 
laffung der Verhinderung derfelben. Wenn man eine Suͤn⸗ 
de irgends auf eine Art verhindern Eönte, man thut es aber 
nicht, fo läft und gibt man zu, daß fie gefchehe. Wer 
eine Sünde nicht hindert, weil es ihm unmöglich ift fie zu 
hindern, von dem fan man nicht fagen, daß er fie zulafle. 
Wer alfo eine Sünde zuläft, der muß Kräfte und Mittel 
in Händen haben, fie zu verhindern, Nachdem alfo Die 
mögliche Verhinderung der Sünde befchaffen ift, nachdem 
it ihre Zulaffung von verfchiedener Befchaffenheit. Es gibe 
alfo erſtlich eine moralifche Zulaffung der Sünde, wenn 
man die moralifche Verhinderung derfelben unterläft, und 
alsdenn erlaubt man die Sünde Nun hat Gott, alle 
Sünden ohne Ausnahme, moraliſch verhindert 9. 1050. 
Folglich hat er diefe Verhinderung in feinem Falle unterlafs 
fen, und es iſt alfo unwiderfprechlich gewiß, daß Gott Feine 
Sünde und feinen Sündenfall erlaubt, oder moralifch zu= 
laͤſt. Widrigenfals müßte er einige Sünden nicht verbos 
ten, und den endlichen Geiftern Feine Bewegungsgründe 
gegeben haben, fie zu unterlaffen, und er müßte alfo einige 
Sünden nicht trafen, welches doc) feiner höchften Gerech— 
tigfeit zuwider ift $. 958. Zum andern gibt es eine 
pbyfifche Zulaſſung der Sünde, welche in der Unter» 
laffung der phufifchen Hinderung derfelben befteht. Wenn 
man eine Sünde auf eine phnfifche Art verhindern Fönte, 
man thut es aber nicht, fo laͤſt man fie auf eine phnfifche 
Are zu, Nun geſchehen wuͤrklich, viele Sünden, in biefer 

Welt, 


46 Die ulaffung des Boͤſen in der Welt. 


Melt, Gott hat endliche Geifter gefcheffen, von denen 
er aufs gewiſſeſte vorhergefehen hat, daß fie nicht nur Süns 
den thun merden, fondern aud) wie ofte fie fündigen wer— 
den, was für Sünden fie thun werden, und wie groß ihre 
Suͤnden in allen Abfichten feyn werden. Er hätte, alle 
diefe Sünden ohne Ausnahme, phyſiſch verhindern Fönnen 
S. 1051. Folglich gefchehen alle diefe Sünden, weil fie 
von Gott nicht phyſiſch verhindert werden, das ift, Gott 
laft alte diefe Sünden auf eine phofifche Art zu. Ohne 
Gottes Zulaffung fönte, feine Sünde, gefchehen. Wir 
nehmen den Satz, daß in diefer Welt Sünden wuͤrklich 
find, aus der Erfahrung an, wir koͤnnen aber aus der blof- 
fen Weltweisheit, die Gröffe und den weiten Umfang der 
Sünde in diefer Welt, nicht fo gut einfehen, als nad) Aus« 
fage der heiligen Schrift. Denn, erftlih, wiſſen wir aus 
der Weltweisheit nicht, daß es, auffer dem menſchlichen 
Gefchlechte, noch mehrere Sünder in diefer Welt gebe. 
Die heilige Schrift aber fagt uns, daß es noch viele ver« 
nünftige Creaturen auffer den Menfchen gibt, die auch Sün- 
der find, Zum andern wiflen wir aus der Weltweisheit 
nicht, daß alle Sünden der Menfhen, auffer dem Sünden. 
falle unferer erften Eltern, bey ihren Nachfommen aus der 
Erbfünde entftehen. Zum dritten willen wir auch nicht, 
daß alle Menjchen fündigen, und eben fo wenig, viertens, 
dan Fein Sünder blos natürlicher Weiſe ſich wieder von der 
Suͤnde völlig frey machen koͤnne. Und fünftens ift es cine 
der blosien Bernunft unbefante Wahrheit, daß die Men 
fchen auf keinerley Weife in diefem $eben von der Sünde 
ganz befreyer werden koͤnnen Unterdeſſen haben diefe Wahr: 
beiten, in unfere iegige, Unterſuchung, feinen Einfluß. 
; 1605 
Nach allen dieſen Unterſuchungen entſteht nun die 
Frage: warum Gott alles zufällige Uebel, welches in Dies 
fer Welt würflich iſt, und alle Sünden, welche in diefer 
Welt würflich geſchehen, und den Sündenfall einiger vers 
nünftigen Creaturen, welche vorber Feine Sünder gemwefen, 
in 





Die Zulaffung des Höfen in der LDele,  Aı7 


in dieſer Welt phnfifch zulaffe? Und wie diefe Zulaffung des 
Boͤſen, mit der höchiten Vollkommenheit Gottes, und 
fonderlich mit feinen moralifchen Vollkommenheiten, beſte⸗ 
hen koͤnne? Nemlich dieſe Welt iſt, ſo wie ſie wuͤrklich iſt, 
die beſte $. 991. Wenn nun itgends etwas in der Welt 
anders wäre und gefchehe, als es wuͤrklich if und gefchieht, 
fo wäre fie nicht diefe, und alfo auch nicht die befte Welt. 
Hirte nun Gore alle zufälligen Uebel in dieſer Welt, und 
Suͤnden, phyſiſch verhindern wollen, ſo waͤre dieſe Wale 
eine One Welt, und alfo nicht die beſie. Die goͤttliche 
Zulaſſung des Boͤſen in der Welt iſt alſo ein Mittel, wo— 
durch die beſte Welt wuͤrklich gemacht worden, und von 
Gott erhalten wird. Aller Suͤnden, und alles zufaͤlligen 
Uebels in dieſer Welt, ohnerachtet, iſt dennoch mehr Guts 
als Boͤſes in der Welt, und mehr Guts als wuͤrklich ge— 
worden waͤre, wenn Gott eine iedwede andere Welt ge— 
ſchaffen hätte. Da num Gott wider feine hoͤchſte Vollkom— 
menheit, Güte, Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligkeit und 
Allmacht gehandelt hätte, wenn er eine andere als die befte 
Welt erfchaffen hätte $. 989-1000, fo ijt Die göttliche Zu— 
laffung des Boͤſen eine Handlung, weldye der höchften Boll 
fommenheit Gottes gemäß ift, und ohne welcher Gott dies 
felbe nicht im böchften Grade in feinen Werfen bewiefen, 
haͤtte. Cr hätte eine Welt aufler dieſer fehaffen mögen 
weiche er gewolt hätte; fo hätte er nicht fo gütig, fo weife’ 
fü heilig, fo allmächtig gehandelt, als er nun gethan hat, 
da er diefe Welt erfchaffen hat, in welcher, alles zufälligen 
Uebels und aller Sünden ohnerachtet, doc) mehr Bollfom- 
menbeit enthalten ift, und die Neligion famt der Gtückfeligs 
feit der endlichen Geifter mehr befördert wird, als in und 
Durch eine iediwede andere mögliche Welt hätte aefchehen 
Fönnen. Gott läft alfo alles Böfe, welches in diefer Welt 
wuͤrklich ift und geſchieht, als ein Eleiner Uebel zu, damit 
ein gröffer Uebel verhüter, und bie allergröfte Bollfommens 
heit, welche auffer Gott möglich iſt, erhalten werde. Dieſe 
allerhoͤchſte Vollkommenheit kan nur in der beſten Welt er— 

4 Theil, Dd langt 


48 Die Zulaffung des Höfen in der Welt. 


langt werden, folglich in derjenigen Welt, in weldjer alle 
die Uebel wuͤrklich find und gefcheben, welche in diefer Wele 
wuͤrklich find und gefchehen. Folglich wird diefe Welt nicht 
etwa, durch das Boͤſe in derfelben, die befte, in fo ferne 
es böfe ift, denn in diefer Abficht Fan es nichts Guts verurs 
ſachen; fondern fie wird, durd) die göftliche Zulaffung des 
Boͤſen, die befte, weil Gott erfant hat, daß alles dieſes 
Böfe, und alle Sünden, welche in der Welt würflich find, 
mit dem Guten dergeftalt vergefellfchaftee find, daß die 
böchfte Vollkommenheit auffer Gott nicht würde erhalten 
werden können, wenn diefelben verhindert würden, Gott 
handelt alfo, bey der Zulaffung des Böfen in der Welt, 
nach der Negel, welche ver höchften Weisheit, Güte, Ges 
rechtigfeit und Heiligkeit gemäß iſt, nemlich: ein Fleineres 
Uebel muß zugelaffen werden, wenn ohne demfelben ein gröf« 
feres Uebel nicht verhütet, und ein gröfferes Gut nicht er» 
reicht werden koͤnte. Mur ein unvernünftiger Thor macht 
das Uebel ärger, indem er alle Eleinere Uebel ohne Ausnah—⸗ 
me verhüten will. Diefe wichtige Frage von der Zulaffung 
des Böfen in der Welt ift eben die Veranlaſſung der Erfin« 
dung der wichtigen Wahrheit, daß diefe Welt die befte ift, 
geweſen. Der berühmte Bayle machte die wißigften Eins 
würfe wider Gott, indem er zu behaupten fuchte, daß man 
unmöglich begreifen koͤnne, woher das Boͤſe in der Welt 
gefommen, mern man nicht auffer dem guten Gotte eine 
eben fo mächtige aber böfe und ſchaͤdliche Gottheit anneh—⸗ 
me, und alsdenn behaupte, daß gleich wie der gute Gott 
der Urheber alles Guten in der Welt ſey, alſo auch von dem 
boͤſen Gotte alles Boͤſe in der Welt herruͤhre. Leibnitz bes 
mühete ſich dieſe Einwuͤrfe gründlich aus dem Wege zu 
räumen, und da fand er, daß die Lehre von der beiten Welt 
die ganze Schwierigkeit vollkommen auflöfe, 
. 1054, 

Diefe Materie von der im höchften Grabe güfigen, 
weiſen und heiligen göttlichen Zulaffung des Böfen in der 
Welt, ift von einer fo groffen Wichtigkeit, deß fie aller- 

dings 








Die Zulaffung des Höfen in der Welt. 49 


dings noch eine weitere Erläuterung bedarf. And wir wer⸗ 
den fie in ein gröfleres Licht ſetzen koͤnnen, wenn mir die 
Einwürfe beantworten, die dawider gemacht werden fönnen. 
Und dahin gehören folgende Einwürfe, 1) Wenn Gote 
alle Sünden in diefer Welt verhindert hätte, fo würde die 
Welt eben: fo gut oder noch beffer geweſen feyn, als fie ietzo 
ift. Folglich har Gott tadelnswürdig gehandelt, daß er 
die Sünden in der Welt zugelaflen hat. Ich antworte: 
es ift wahr, wenn diefe Welt ohne die Sünden, die in ihr 
gefchehen, eben fo gut oder noch befler gewefen fenn würde, 
als fie iego iſt; fo koͤnte die göttliche Zulaſſung des Böfen 
unmöglid), mit feinen hoͤchſten Vollkommenheiten, beftes 
ben. Allein ich babe oben, als ich die Einwürfe wider die 
Lehre von der beiten Welt geprüft habe, diefe Schwierig. 
feie {bon aus dem Wege geräumt, indem ich erwiefen 
habe, es fey falich, daß diefe Welt eben fo gut oder noch 
befier geweſen ſeyn würde, wenn alle Sünden in derfelben 
wären verhindert worden, 2) Wenn Gott dem Adam und 
allen Geiftern, welche durch ihren Sündenfall die Sünde 
in die Welt eingeführt haben, einen gröffern Grad der Boll 
kommenheit anerſchaffen hätte, als er würflich gethan Hat, 
fo wären fie glei) im Guten beftätiget worden, und fie hät 
ten alfo nicht aefündiger. Da nun Got das erfte nicht ges 
than hat, fo ift er [huld daran, daß die Sünde entftanden, 
und er iſt alfo der Urheber aller Sünden, Ich antworte 
dreyerley. Erſtlich heift diefes eben fo viel als verlangen, 
daß Gott uns Menſchen, und. andere Geifter, weiche ges 
fündiget haben, gar nicht Habe fchaffen follen. Denn wenn 
Adam mit einem gröffeen Grade der Vollfommenbeit er. 
ſchaffen worden wäre, als er wuͤrklich iſt, fo wäre er ja eine 
andere vernünftige Creatur geweſen, und folglich nicht ders 
felbe Menſch, der er gemefen ift. Solten wir es wol lies 
ber fehen, daß uns Gott gar nicht aus unferm Nichts ber 
vorgezogen hätte? Zum andern muß man, die Guͤte Gottes, 
nicht ohne feine Weisheit und Gerechtigkeit betrachten. Es 
ſcheint freylicy ver Güte gemäfler zu feyn, daß Gott den 

Dd 2 Adam 


420 Die Zulsffung des Boͤſen in der Welt. 


Adam mit einer gröffern Vollkommenheit erfchaffen Habe, 
Alein die Gegner müffen beweifen, daß diefer gröffere Grad 
der Vollkommenheit auch der höchften Weisheit Gottes, der 
Unpartheylichfeit feiner Gütigfeit, und der vollfommenften 
Proportion derfelben, gemäß fey. Wenn Gott einer Crea— 
tur eine Wohlthat erweifen foll, fo Fan er nicht bios auf diefe 
Greatur allein fehen, fondern er muß zugleich fürs ganze 
allgemeine Befte der vollfommenften Welt forgen. Wenn 
man den Adam mitten aus dem Zufammenhange der ganı 
zen Welt herausreift, fo wäre es für ihn beffer gemwefen, 
wenn ihn Gott gleich in einem fo hohen Grade der Voll 
kommenheit erſchaffen hätte, daß er dadurch alfobald im 
Guten wäre beftätiget worden. Allein es wäre, für die 
ganze Welt, fehlimmer gewefen. Zum dritten ſetzt, diefer 
ganze Einwurf, den Sag voraus: Wer iemanden nicht ein 
gröffere Wohlthat erweift, der ift fehuld Daran, wenn der an— 
dere die Fleinere Wohlthat mißbraucht, Allein diefer Sag 
ift offenbar falfh. Geſetzt ich ſchenke iemanden fünf Tha— 
ler, und er bringe fie liederlich duch: bin ich deswegen 
der Urheber feiner Liederlichkeit, weil ich ihm nicht zehn Tha— 
ler gefchenft habe? Wer Fan fo feltfam denfen? 3) Wer 
ein Uebel nicht verhindert, weldyes er hätte verhindern koͤn⸗ 
nen, der ift der Urheber deſſelben. Dun bat Gott das 
Boͤſe in der Welt nicht verhindert, da er es dod) hätte vers 
hindern koͤnnen. Alſo ift er der Urheber alles Böfen, und 
aller Sünden in der Welt. In diefem Einmwurfe wird 
verfchiedenes mit einander verwechfel, Man muß wohl 
unferfcheiden, ob iemand etwas durch feine Macht, und ob 
er es zugleich) durch die höchfte Guͤte und Weisheit verhins 
dern koͤnte. Es ift wahr, wenn man auf die Allmacht 
ſieht, fo hätte Gott allerdings alle Sünden in der Welt Hinz 
dern Eönnen. Allein, der Gebrauch der göttlichen Allmacht, 
ift allemal der höchften Güte und Weisheit Gottes gemäß, 
Folglich behaupten wir, vermöge der bisher eriwiefenen 
Wahrheiten, daß Gott, durch die Verhinderung aller Suͤn⸗ 
den vermöge feiner Allmacht, wider feine hoͤchſte Weis: 

heit 


ß 





Die Zulaffung des Boͤſen in der Welt, 421 


heit und Güte gehandelt haben würde, Es ift alfo unges 
reimt zu fagen, Daß derjenige der Urheber einer Sünde fen, 
der fie durd) feine Macht hätte hindern fonnen, es aber 
nicht gethan hat, Wer aber durch feine Macht nicht nur 
eine Sünde hindern Fönte, fondern wer aud) zugleich Durch 
feine höchfte Güte und Weisheit diefes zu thun verbunden 
geweſen wäre, und thut es gleichwol doch nicht, der wird 
der Urheber diefer Sünde. Nun müffen die Gegner ers 
mweifen, daß Gott, ohne Verlegung der höchften Güte und 
Weisheit, und ohne mehr Guts zu hindern und mehr Boͤ⸗ 
fes zu veranlaffen, alle Sünden in diefer Welt hätte hin— 
dern koͤnnen. Allein das hat bisher noch niemand, mit 
einigem Scheine der Wahrfcheinlichfeit, erweifen Fünnen, 
Folglich behaupten wir, daß Gott würde gefündiger, Daß 
er wuͤrde unmeife, ungütig und unheilig gehandelt haben, 
wenn er alle Sünden hätte hindern mollen. Folglich ift, 
Die phufifche Zulaffung der Sünde, eine rechtmäßine Hand« 
lung Gottes: indem, das Bofe formaliter betrachtet, noch 
Dazu von Feiner göttlichen Handlung, als eine Würfung, 
herruͤhrt. Und da Gott alfo, in Abfiht der Sünden und 
des Bofen, nichts pofitives durch feine Kraft gethan hat, 
in fo ferne man die Sünden und das Böfe formaliter be- 
trachtet, fondern da er noch dazu alle‘ Sünden morclifch 
verhindert und blos die phyſiſche Verhinderung unter» 
laſſen hat, und zwar vermöge ber Regeln der hoͤchſten Guͤ— 
te und Weisheit: fo hat Gott gar feinen Antheil an der 
Suͤnde, welcher ihn zum Urheber der Sünde machen fönte, 
‚ 1055. 

Zum 4) macht man den Einwurf, daß Gott alſo 
Boͤſes thue, oder wenigſtens zulaſſe, Damit Guts daraus er⸗ 
folge. Es wiſſe aber iederman, daß man ſuͤndige, wenn man 
Boͤſes thut, damit Guts daraus erfolge, und daß die gute 
Abſicht allein, eine Handlung, nicht ganz rechtmäßig und 
unſuͤndlich mache, Wenn man alfo gleich fage, Daß Gott 
das Boͤſe in der Welt zugelafen, damit dadurch die beite 
Welt erhalten werde; fo werde, fein Verhalten, Dadurch 

OR den⸗ 


422 Die Zulafjung des Höfen in der Welt. 


dennoch nicht gerechtfertige. Hierauf muß, verfchiede- 
nes,  geantivortet werden, Erſtlich, das Boͤſe thun, 
und das Böfe zulaffen, ift gewaltig von einander unterfcyie- 
den. Man muß nichts böfes thun, damit guts daraus er 
folge; allein es ift erlaubt und rechtmäßig, ofte das Böfe 
zujulaffen, damit ein gröfferes Liebel dadurch verhütet wer— 
de. Don Gott fan man auf keinerley Weile fagen, daß 
er das Boͤſe in der Welt, in fo ferne es böfe ift, thue, oder 
durch feine Handlungen würfe $. 864. 983: 984: 985. 
986. 987. 1026, 1033. 1048. Es muß alfo niemand fa« 
gen, daß Gott das Bofe in der Welt, in fo ferne es böfe 
it, mürfe, damit die höchfte Vollfommenbeit der Welt 
erhalten werde; fondern daß er daflelbe zulaffe, weil ohne 
demfelben auch diejenigen Mittel nicht Fönten wuͤrklich wer⸗ 
den, wodurch nach und nach die höchfte Vollkommenheit 
der Welt erreicht wird, Zum andern ift es unmöglid), daß 
eine Verneinung, oder das Boͤſe in fo ferne es böfe ift, oder 
das Formale des Böfen, ein Mittel einer Realitaͤt, oder 
einer Bollfommenbeit, oder eines Guten, feyn Fönte $. 133, 
134. Folglich ift es ungereimt zu fagen, daß Gott das 
Boͤſe und alle Sünden in der Welt zugelaffen habe, damit 
durch diefelben, in fo ferne fie was böfes find, oder durch 
ihr Formale, die hoͤchſte Vollkommenheit der Welt erreicht 
werde, Es hat demnad) Gott das Boͤſe, in fo ferne es 
böfe ift, nicht einmal zu dem Ende zugelaffen, damit das 
durch die höchfte Vollkommenheit der beften Welt erlange 
werde. Sondern Gott hat, drittens, um einer doppelten 
Urſach willen, alles zufällige Uebel in der Welt, und alle 
Sünden, zugelaffen. Einmal, weil alle Sünden und alle 
Uebel ein Materiale haben, oder zugleich was guts und 
vollfommenes find $. 960. und meil durch das Gute, 
welches in allen Sünden und Uebeln angetroffen wird, viel 
mehr Guts in der Welt gewuͤrkt wird, als durd) das For— 
male derfelben Böfes verurfacht wird. Durch Hurerey 
und Ehebruch ift mancher vechtfchaffener und nüglicher 
Menfh in die Welt gefommen, welcher mit allen he 

AM⸗ 





Die Zulsffung des Höfen in der Welt. 43 


Nachkommen, ohne diefen Sünden, ewig Nichts geblieben 
feyn wuͤrde. Durch die Verſchwendung eines Menfchen 
finden, unendlich viele andere Menfchen, ihre Nahrung. 
Alte Noth und alles Elend ift die befte Tugendfchule, und 
es find ungemein nügliche Unterfuhungen, wodurch man 
den groffen und mannigfaltigen Nutzen zeigt, welcher durch 
das Materiale der Sünden, und anderer Uebel in der Welk, 
enefteht. Wer da denkt, daß durch folhe Betrachtungen 
die Sünden entfchuldiget und gerechrfertiget werden, der 
verräth dadurch, daß er eine fehr ſchlechte Einficht in die 
Eittenlehre habe. Zum andern fan das Boͤſe mit dem 
Guten dergeftalt untermengt und vergefellfchaftee feyn, daß 
derjenige, welcher das Gute haben will, auch das Boͤſe 
zulaffen muß. Und fo verhält fihs mit den zufälligen 
Uebeln in der Welt, und deswegen hat fie Gott zugelaffen. 
Unfer Heyland hat diefen Gedanken, durch) ein vorfrefliches 
Gleichniß, erläutert. Ein Haußherr fäet guten Saamen 
auf feinen Acer, und der Feind füet Unkraut dazroifchen, 
Beydes geht auf, Die Wurzeln des Unfrauts ſchlingen 
ſich, unter die Wurzeln des guten Getraides. Kan man 
wol fagen, daß das Unkraut eine wirkende Urſach des Ges 
traides it? Allein, wenn man es in gemiffen Umftänden 
z. E. wenn das Getraide ſchon groß ift, ausrotten mwolte, 
fo würde man viel gutes Getraide zugleich zerfreten und aus— 
roften. Und folglich muß, beydes untereinander gemengt, 
aufmachfen. So ift, das Gute in der Welt, mit Böfen 
untermenge. Geſetzt, ein König hat einen vortreflichen Ges 
neral und Staatsminifter, roelcher die Wohlfart des Staats 
im Kriege und im Frieden ungemein befördert. Geſetzt, 
diefer Mann bure und breche die Ehe, er aebe feinen Ars 
beitern ihren Sohn nicht, und betrüge viele Privatperfonen. 
Wer wird wol fagen, daß diefe Verbrechen Mittel find, 
wodurch in ihm die Gefchicklichkeiten gewuͤrkt und befördert 
werden, die ihn zu einen dem Staate fo nüßlichen General 
und Staatsminifter machen? Und gleichwol find feine Laſter 
und Tugenden fo vereinbart in feiner Perfon, daß derjenige, 

Dd 4 wel· 


424 Die Zulaffung des Boͤſen in der Welt. 


welcher, zur Befriedigung vieler Privatperfonen, dieſen 
Ehebrecher und Betrüger aus dem Staate wegſchaffen wol. 
te, auch zugleich den groffen General und Staatsminifter 
entfernen, und dadurch dem Staate viel mehr Schaden als 
Nutzen verfchaffen würde. Und wer alfo, dieſen vortreflis 
hen Mann, zum überwiegenden Nutzen des Baterlandes 
behalten will, der muß auch zugleich den Ehebrecher und 
Betrüger dulden, Und wenn ein König das legte thur, 
fan man wol fagen, daß er Boͤſes thue, damit Guts 
draus erfolge? Und fan man fagen, daß er der Urheber 
diefes Ehebruchs und diefer Betruͤgereyen ſey? Ohne Zwei⸗ 
fel werden wir in der Emigfeit erfahren, daß aller Zeit Lei— 
den nicht wert) fen, der Herrlichkeit, die an uns offenbart 
. werben fell, und diefe Erfahrung wird uns alsdenn antreis 
Den, daß wir Gott ewig auch dafür danken, daß er alles 
Boͤſe und alle Sünden, fo in der Welt würflich gefcheben, 
zugetaften babe, und alsdenn wird uns nicht einmal der Ges 
Danfe einfallen, als fen Gert diefer Zulaffung des Bofen 
wegen zu fadeln. Die heilige Schrift gibt noch mehr Bes 
trachtungen an die Hand, wodurch diefe Sache beftätiger 
wird. Hätte Gott die Sünde nicht zugelaffen,, fo wäre die 
Menfchwerdung Chrifti, und fein ganzes Berföhnungss 
werf, mit allen feinen herrlichen Würfungen, nicht erfolge. 
Und, über einen Sünder der Buffe thut, ift mehr Freude im 
Himmel, als über neun und neunzig ©erechte, welche der 
Buffe nicht bedürfen. Im Himmel fan, feine blinde und 
ungegründete Freude, fat finden. Folglich muß es viel 
beffer fenn, daß Gort die Sünden in der Welt zugelaflen, 
als wenn er fie insgefamt gehindert haͤtte. 
$. 1056. 

Einige Gottesgelehrte und Weltmeife haben, die 
Hechtfertigung Gottes bey der Zulaffung der Sünden in der 
Belt, auf eine zweyſache andere Art, als wir gethan haben, 
unternommen. Erſtlich, fagen einige: Gott habe diefe 
Melt, zu feiner allerböchften Ehre, erfchaffen. Folglich 
müffe er die Welt dergeftalt einrichten, daß dadurch alle feine 

Boll. 





Die Zulaffung des Boͤſen in der Welt. 425 


Bollfommenheiten offenbart werden. Es müffe demnach 
Gott auch feine Strafgerechtigfeit, in der Welt und durch “ 

Diefelbe, offenbaren. Da diefes nun nicht anders gefche 

hen koͤnne, als wenn Sünden in der Welt gefchehen, damit 

Gott Gelegenheit befomme, feine Strafgerechtigkeit aufs 

vollfommenfte zu erweilen: fo habe er, Diefer Uxfach wes 

gen, die Sünden gefchehen laſſen. Es ſteckt allerdings in 

diefem Gedanfen viel Wahrheit, allein er enthält auch eine 

abfcheuliche Borftellung von Gott. Es fan diefer Gedanfe 
auch fo verftanden werden, als habe fich Gott die Gegen- 

ftände feiner Strafgerechtigfeit mit Fleis verfchaft, damit 

er diefe feine Vollkommenheit gefhäftig erweifen koͤnne. 

Kan man ſich einen barbarifchern Tyrannen vorftellen, als 

einen König, der feine Unterthanen verleiten und in die 

Nothwendigkeit verfegen wolte, Verbrechen zu begehen, 

Damit er eine Gelegenheit befomme, feine Strafgerechtigs 

feit an ihnen zu üben? Mein, fo gottesläfterlich muß man 

von Sort nicht denfen. Sondern wenn diefer Gedanfe 

Gott anftändig feyn foll, fo muß man denfelben folgenders 

geftalt aus einander fegen. Man muß nemlich, auf die 

in dem vorhergehenden ausgeführte Ark, zeigen, Daß übers 
haupt die Zulaffung des Böfen mehr Bortheil verfchaffe, 
und allen Vollkommenheiten Gottes gemäffer fey, als die 
Verhinderung aller Sünden. Und wenn man dadurch 
überzeugt ift, Daß Gott, bey der Zulaffung der Sünde, 
guͤtiger, beiliger und weifer gehandelt babe, als wenn er fie 
hätte verhindern mollen: fo iſt es alsdenn ein Vortheil, 

welcher bey Gelegenheit der Sünden entfteht, daß Gott, 

Durch Die befte Welt, auch feine Strafgerechtigkeit auf eine 

viel vollfommenere Art offenbart, als wenn er alle Sünden 

hätte hindern, und eine andere als die befte Welt fchaffen 

wollen. Zum andern retten einige, die Unſchuld Gottes 

bey der Zulaffung der Sünde, folgendergeftalt. Gie fügen: 

Gott hat alles aufs befte geſchaffen, den erfien Menfchen 

und alle Seifter, Die nefüntiget haben. Er hat ihnen einen 

freyen Willen gegeben und gelaffen, und er bat es ihnen 

Dd 5 ſelbſt 


426 Die Zulaffung des Höfen in der Welt. 


ſelbſt überlaffen, ob fie im Guten beharren , oder ob fie füne 
digen wollen. ort Fan alfo nichts dafür, daß diefe ver— 
nuͤnftigen Creaturen die fchlimmere Parthey ergriffen. Man 
Fan nicht genung fagen, mie elend, unphilofophifc und 
feichte, diefe ganze Entfcheidung diefer wichtigen Sache ift. 
Wenn Gott nicht aufs untrüglichite vorhergefehen hätte, 
welche vernünftige Creaturen ihre Freyheit zur Sünde miß« 
brauchen würden; wenn es ihm nicht moͤglich geweſen waͤ⸗ 
re, lauter folche vernünftige Creaturen zu ſchaffen, welche 
niemals gefündiget hätten; wenn er nicht bey allen Sünden 
mitwwürfte, und wenn die Sünder ohne feine Mitwuͤrkung 
ihren freyen Willen mißbrauchen koͤnten, die fehliimmere 
Parthey zu ergreifen; wenn er nicht auf vielfältige Art alle 
Sünden, der Freyheit der Sünder unbeſchadet, phyſiſch 
hindern fönte, und wenn die vernünftigen Creaturen, wel⸗ 
che gefündiget haben, durch den Mißbrauch ihrer Freyheit 
eine andere Welt verurfachen Eönten, als Gott von Ewig« 
keit her zu fehaffen befchloffen hat: fo würde man auf dieſe 
Art, die Unſchuld Gottes bey der Zulaffung der Sünden in 
diefer Welt, voten Eonnen. Allein, da das Gegentbeil 
aller diefer vorausgefesten Bedingungen, aus, den Grund« 
fägen der gefunden Vernunft, unumſtoͤslich ermwiefen wer» 
den Fan, wie ich in der vorhergehenden Unterfuchung ges 
zeigt babe; fo Fan man auf diefe Art unmöglich gruͤndlich 
überzeugt werden, daß die göttliche Zulaffung des Boͤſen in 
der Welt, ohne Nachtheil feiner allerhöchften Güte, Weis: 
beit und ‚Heiligkeit, habe geſchehen koͤnnen, und wuͤrklich 
gefchehen jey. Hieraus erhellet von neuem, tie wichtig 
die Schre won der beten Welt fey, indem fie einen Knoten 
auflöft, ver unendlich vielen Leuten, einen unüberwindlichen 
Zweifel wider die Heiligkeit Gottes und feine Vorſehung, 
verurfache bat, und noch verurſacht. 


$. 1057. 

Die görtlihe Zulaffung des Böfen in der Welt ift 
eine Handlung Gottes, wodurch er die möglichite Vollkom— 
menheie der ganzen Welt und aller Creaturen befördert, und 

ohne 








Die Zulaffung des Höfen in der Melk, 427 


ohne welcher alle Zwecke Gottes nicht nad) und nad) aufs 
befte würden erhalten werden $. 1053. Indem alfo Gott, 
alles moraiifche Uebel, auf eine moraliſche Art verhintyert 
bat, und beftändig verhindert F. 1050. und indem er nichts 
böfes in der Welt geſchehen läft, als ohne deffen phufifihen 
Zulaffung feine Zwecke, und die hoͤchſte Vollkommenheit 
der Welt, nicht aufs befte würden erhalten werden koͤnnen: 
fo ift, die göttliche Zulaffung des Böfen in der Welt, eine 
Borforge Gottes für die Welt, oder eine Handlung, wel⸗ 
che zu feiner Vorſehung gehört $. 1016, a fie iſt eine 
der wicheigften, und merfiwürdigften Handlungen der göftlis 
chen Vorſehung. Denn die zufälligen Uebel, und die 
Sünden formaliter betrachtet, find Hinderniſſe der Zwecke 
Gottes, und der Vollkommenheit der Ereaturen. Wenn 
man nun, ofler Hinderniffe ohnerachtet, feinen Zweck er 
veicht, und die Wolfart derer Dinge, die unferer Borfors 
ge anvertrauet find, befördert, und felbft die Hinderniffe 
derfelben dergeftalt zu lenken weis, daß um fo viel mehr 
Vollkommenheit entfieht: fo legt man dadurch, eine der 
merfwürdigiten Proben der weifen und gütigen Vorſorge 
für eine Sache, ab. Folglich ift, die göttliche Zulaffung 
des Döfen in der Welt, ein Gefchäfte der Borfehung Gota 
tes über die Welt, welches für uns Menfchen fo vortheils 
haft ift, daß wir aus der Lehre derfelben, fo wie wir diefel« 
be vorgetragen haben, den berlichften Nutzen haben koͤn— 
nen, inmal, gewährt fie uns den allerfräftigften und 
edelften Troft in allen Widermärtigfeiten. Unſer ießiges 
$eben ift unleugbar mit vieler Noth, mit vielem Ungluͤcke, 
Sammer und Elende, durchwuͤrkt. Es iſt gar zu leicht, 
daß ein Menſch dadurch niedergefchlagen wird, meland)os 
liſch verzagt, und daß er zu einem quölenden Murren 
wider Gott verleitet wird. Was hilft ihm alles diefes ? 
Er maht nur feine Noth dadurch gröffer, und beſchwerli— 
her zu tragen. Durch die !ehre vom der göttlichen Zulafs 
fung des Böfen koͤnnen wir ung fräftig überzeugen, daß 
alle Noch mit einem viel geöffern Gut vergefellfchaftet fey, 

und 


423 Die Zulafjung des Höfen in der Welt. 


und daß fie von Gott aus den väterlichiten, gütigften und 
weifeften Abfichten, zugelaffen werde. Sollen wir uns, 
durch das Gefühl eines Fleinern Liebels, verzagt und unruhig 
machen laſſen, von dem wir wiffen, daß mit demfelben ein 
viel gröfferer Vortheil vergefellfchaftee fey? Zum andern 
ſchaft uns diefe Lehre, auch in Abficht unferer eigenen und 
anderer Menfchen Sünden, einen groſſen Mugen. Sie 
zeigt ung, daß wir uns über die Sünden in der Welt nicht 
zu fehr ereifern müffen, fondern daß wir unfere und anderer 
Menfchen Sünden, wenn fie einmal geſchehen ſind, zum 
Guten anwenden muͤſſen. Ja daß wir uns einer edlen und 

großmuͤthigen Buſſe befleißigen ſollen, indem wir, aus 
unſern begangenen Suͤnden, ſo viel Vortheile ziehen, als 
moͤglich iſt. Mancher Hienfch hält es für ein Zeichen einer 
heiligen Tugend, wenn er, gegen die Sünden anderer Men: 
(chen, fih als ein unerbittlicher, unverföhnlicher und barba— 
rifcher Richter verhält, wenn er die Sünden nie auf der gus 
£en Seite betrachtet, aufs härtefte den Suͤndern und ihren 


Suͤnden flucht, und das menſchliche Gefchleche wie eine 


Moördergrube betrachtet, welche nichts weiter verdiente, als 
daß fie der Teufel mit einemmale holte und mit fich fort» 
führte. Wenn er felbft Buffe thut, fo befteht feine Buffe 
in einer niederträchtigen und wahrhaftig! unnügen Bejams 
merung der vergangenen Sünden, und indem er fich als 
einen Sünder betrachtet, ſieht er ſich als eine durchaus nichts⸗ 
wuͤrdige Creatur an. Dieſe ganze Lehre von der goͤttlichen 
Zulaſſung der Suͤnden kan uns zeigen, wie wir, wenn wir 
gefallen ſind, auf eine er Art wiederum aufftehen follen. 
. 1058, 

Bey diefer wichtigen Materie müffen mir noch einen 
merfiürdigen Irrthum widerlegen, welchen man den Ma⸗ 
nichaͤiſmus nent, vermoͤge deſſen man einen Urheber alles 
Boͤſen in der Melt annimt, der eben fo mächtig ift, als 
der Gott, den wir bisher haben fennen lernen. Ein Mas 
nichäer nimt zwey Götter an, deren Feiner von dem andern 
abhänget. ‘Der erfte ift der gute Gott, welcher böchft weite, 

gütig, 





























Die Zulaſſung des Boͤſen in der WDelt. 429 


gütig, heilig und überhaupt Höchft vollfommen if. Weil 
nun diefer Gott nichts anders als Guts thun Fan, fo it er 
der Urheber alles deffen in der Welt, was gut iſt. Der 
andere Gott ift der böfe Gott, welcher weder heilig, noch 
gütig, noch weife, noch gerecht ift, und welcher lauter Lö» 
fes thut. Er ift an Macht dem guten Gotte glei), und 
als diefer eine gute Welt gefchaffen bat, fo bat der büfe 
Gott das Böfe hineingemengt, ohne daß es der gute Gott 
hindern Fönnen. Und folglich nimt man den böfen Gott, 
als den Urheber alles Böfen, und aller Sünden in der Welt, 
an. Diefer Irrthum hat feinen Namen von einem geroife 
fon Manes befommen, ob er gleich nicht der Erfinder ‚defe 
felben geweſen if; fondern diefer Irrthum ift einer der: Ale 
teften, indem ihn ſchon Zoroafter angenommen hat. Man 
fan, den Urfprung diefes Irrthums unter den Menfchen, 
auf eine doppelte Urt erklären. Einmal, wenn man ans 
nimt, daß die erften, welche demfelben Beyfall gegeben ha⸗ 
ben, ihn auf eine nachdenfende und ſyſtematiſche Art erfuns 
den haben. Diefe Männer haben fid) ohne Zweifel bemuͤ⸗ 
het, die Urfachen alles deffen, was in der Welt angetroffen 
wird und gefchieht, in Gott und feinen Vollkommenheiten 
zu finden. Da es ihnen nun, nad) ihren damaligen Eins 
fihten, unmöglich zu feyn gefchienen, daß das Boͤſe in der 
Welt feinen Urfprung von dem guten Gotte nehmen fünnen, 
und da fie zugleich ohne genungfamen Grund angenommen 
haben, daß ein Urheber deffelben auffer der Welt müffe 


wuͤrklich ſeyn: fo ift es natürlicher Weiſe nothwendig, daß 


fie auf die Meinung von der Würflichfeit einer böfen Gott: 
heit, gerathen müffen. Oder man Fan zum andern, den 
Urfprung diefes Irrthums, aus einer mündlichen Ueberlie— 
ferung, und nad) und nad) verdorbenen Nachricht von 
dem wuͤrklichen Urfprunge der Sünde in der Welt, herlei— 
ten. Die beilige Schrift benachrichtiget uns, daß einer 
der gröften erfchaffenen Geifter zuerft gefündiger, und daß 
diefer Teufel nicht nur unendlich viele andere endliche Geis 
fter in fein DBerderben verwickelt, und fie zu der Sünde ver— 


führt 


430 Die Zulsfjung des Höfen in der Welt. 


führt habe, fondern daß er aud) ber Urheber aller Suͤnden 
unter den Menſchen geworden, indem er unfere erſten EI. 
tern zum Sünvenfalle verleitet hat. Hieraus hat man 
nad) und nad) die böfe manichäijche Gottheit machen Fönnen, 
und die Erfahrung lehrt auch, Daß unendlich viele Chrijten 
arıs dem Teufel in der That eine böfe Gottheit machen. 
Tiefer ganze Irrthum fan, auf eine mannigfaltige Art, 
widerlegt werden. Einmal haben wir bisher, den Urfprung 
und die Zulaffung des Dölen in der Welt, auf eine foldye 
Art: erflärt, daß der ganze Grund mwegfält, um deſſentwil⸗ 
len es nöthig wäre, einen böfen Gott anzunehmen. Zum 
antıern ift es ungereimt, ein Welen zu. gedenfen, welches 
allr naͤchtig ſeyn foll, ohne Die übrigen goͤttlichen Vollkom⸗ 
mernheiten zugleich zu befißen. Wenn der böfe Gott eben 
fo maͤchtig ift als ver gute, fo muß er eine jo groffe Mache 
befigen als der gute. Da er nun.aljo eine wahrhaftig göfts 
liche Bollfommenheit bejist, fo muß er auch alle übrige bes 
ſitzen $.855. und mithin auch hoͤchſte Weisheit, Güte, Heis 
ligkeit, und Fan er wol ein bofer Gott fenn? Zum dritten 
ift der böfe Gott entweder eine wahrhaftig unendliche und 
nothmendige Subſtanz, oder eine endliche und zufällige, 
Iſt das erfte, fo iſt er Die allervollfommenfte Subitanz, 
und alfo Fein böfer Gott. Iſt das andere, fo ilt er die 
Würfung des guten Gottes, und da haben wir die ganze 
Schwierigkeit von neuem, wie es nemlich mit der höchiten 
Bollfommenheit des guten Gottes beitehen fünne, daß er 
eine fo genante.böfe Gortheit zur Wuͤrklichkeit gebracht, 
welche fo viel Unheil in der Welt anrichte. Zum vierten 
menn man einen guten und böjen Gott zugleih anrimt, 
welche einander an Macht und Stärke gleich find; fo iſt, 
feiner von benden, allmaͤchtig. Und da alfo bende eine eine 
geſchrenkte Macht beiigen, fo find beode endliche Subitans 
zen, und feiner unter benden verdient den Namen der Gotts 
heit. Denn es iſt offenbar, daß der böfe Sort nichts guts 
würfen fan, und es fehlt ihm aljo die höchite reelle Kraft, 
Folglich iſt er fein wahrer Gott. Der gute Gott fon das 

oͤſe, 


N gr N 











Die Oberherrſchaft Gottes über die Welt. agı 


Boͤſe, welches der böfe Gott thut, nicht hindern. Da nun 
diefe Hinderung mas mögliches und guts ift, fo fan ver 
gute Gott, nach dem Fehrgebäude der Manichäer, nicht 
alles mögliche Gute thun, und er hat alfo Feine wahre All- 
macht, und ift Fein wahrer Sort. Es Fan demnach auf 
verfchiedene Art, die Ungereimtbeit des manichäifchen Lehr⸗ 
gebäudes, ermwiefen werden. 


Die Oberherrfihaft Gottes über die Welt. 
$. 1059. | 

Alle diejenigen, welche fich einen Begrif von einem 
Sorte gemacht haben, haben ſich nicht nur denfelben als 
die würfende Urfach der Welt vorgeftelt, fondern aud) zus 
gleich als den höchften Oberherrn der Welt und aller Crea— 
turen, Wir wollen, diefes Verhaͤltniß Gottes gegen die 
Ereaturen, genauer unterfuchen. Das Wort, Recht, 
wird manchmal fo gebraucht, daß man darunter Gefege, 
oder einen Inbegrif der Gefege verſtehet. Wir wollen es 
hier als eine Beſchaffenheit einer Perfon anfehen, und das» 
jenige darunter verftehen, was man fonft auch eine Befug« 
niß zu einer Sache oder Handlung nen. Nemlich das 
Recht ift ein moralifches Vermögen, oder eine Möglich. 
feit eine Handlung zu thun, welche ven Gefegen nicht zumis 
der if, Wer ein Recht zu einer Handlung hat, der fan 
fie hun, ohne daß er dadurd) wider die Gefege handelt; 
und wer ein Recht zu einer Sache bat, der Ean in Abficht 
auf diefelbe fich auf eine gewiſſe Art verhalten, ohne daß die 
Gelege diefes fein Verhalten verhindern und mißbilligen. 
Wer z. E. in einer gemiffen Gegend das Recht zu jagen 
bat, der Fan daſelbſt jagen, und es ift fein Gefeg vorhans 
den, welches ihm daran hinberlich fallen folte. Wer aber 
das Recht zu jagen in einer gewiffen Gegend nicht befigt, 
der verlegt Gefege, wenn er jagt. Folglich ift das Recht 
eine Freyheit eine Handlung zu thun, welche aus den Ge— 
fegen flieft; und nachdem die Gefege verfchieden find, nach» 
dem find auch die Rechte von verfchiedener Art. Das 
Hecht 


432 Die Oberherrſchaft Gottes über die Welt. 


Recht einer Perfon, über eine Sache zu befchlieffen was 
ihr irgends nur gefälfig ift, ift das völlige Eigenthums⸗ 
recht, und wer ein folches Necht über eine Sache befißt, 
der ift Herr über dieſelbe. Mer völliger Herr über eine 
Summe Geld ift, der Fan diefes Geld verfchenfen, weg— 
werfen, auf Intereſſe austhun, verzehren, verfpielen, vera 


thun, kurz, er Fan damit anfangen was er will, nemlich 


nach den äufferlichen Rechten, wenn er nur niemanden durch 
den Gebrauch oder Mißbrauch feines Geldes beleidiget. 
Das völlige Eigenthumsrecht über Perfonen, oder vernünfs 
tige freye Wefen, wird die höchfte Oberherrſchaft ge⸗ 
nent, oder die vollfommene oberherrſchaftliche Gewalt, 
wie 3. E ein fouverainer und defpotifcher König, eine fol 
che Dberherrfchaft, über feine Unterthanen befist. In der 
practifchen Weltweisheit müffen, alle diefe Begriffe, frey— 
lich viel weitläuftiger und genauer unterfucht werden. Als 
lein bier koͤnnen wir uns, mit diefen kurzen Erflärungen 
derfelden, begnügen. 
6. 1060, 

Alle freye Handlungen Gottes find, im allerhöchften 
Grade, rechtmäßig $. 943. Folglich Eönnen fie insgefamt, 
ohne Verlegung irgends eines Gefeges, gefchehen, und find 
alfo im hoͤchſten und vollfommenften Grade moraliſch mög= 
lid. Gott fan vemnad) alle diefe Handlungen, fo wie er 
fie wirklich thut, verrichten, ohne daß irgends ein wahres 
moralifches Gefeg ihm, ein moralifches Hinderniß, in den 


Weg legen folte. Folglich bat Gott das allervollkommenſte | 


moralifhe Vermögen, oder Recht, zu allen feinen freyen 
Handlungen, indem alle feine freye Handlungen allen mo— 
ralifchen Gefegen, und aud) den allerwichtigften aufs voll 
fommenfte gemäß find. Gott handelt demnach) allemal, 
wenn er frey handele, mit dem hoͤchſten und vollkommen— 
ſten Rechte, fo wie er handelt S, 1059, Es würde fehr 
unanftäandig feyn zu fagen, daß man freylich behaupten 
müfle, Gott handele mit dem gröften Rechte, fo wie er 


handelt; weil er keinen Oberherrn habe, der ihn zur Ver— 
alfa 








* — 


— — 


Die Oberherrſchaft Gottes uͤber die Welt. 433 


antwortung ziehen koͤnne: denn auf die Art muͤßte man ſich 
Gott, als einen unumſchrenkten Tyrannen, vorſtellen. 
Sondern wenn man die Rechte Gottes auch ſo pruͤft, wie 
man die Rechte der Menſchen zu unterſuchen gewohnt iſt, 
das iſt, nach den Geſetzen: ſo iſt offenbar, daß Gott, durch 
keine ſeiner freyen Handlungen, weder feiner eigenen Voll— 
kommenheit, noch der Vollkommenheit irgends einer Crea— 
tur, zuwider handelt, und daß er alſo niemanden beleidiget. 
Aus dem ganzen Syſtem aller wahren moraliſchen Geſetze 
erhellet demnach, daß Gott alles, was er thut, mit dem 
vollkommenſten Rechte thut. Nun hat er die Welt frey 
erſchaffen, er erhaͤlt und regiert ſie, und uͤbt die ganze Vor— 
ſehung uͤber alle Dinge in der Welt auf eine freye Art aus, 
und zwar alles dieſes ſo, wie ers beſchloſſen hat, nach ſeinem 


eigenen allerhoͤchſten Belieben $. 941. 990. Folglich hat 


Gott nicht nur uͤber dieſe Welt und alle Dinge in derſelben 
beſchloſſen, was ihm ſelbſt gefaͤllig geweſen; ſondern, weil 
dieſes Beſchlieſſen eine goͤttliche freye Handlung iſt, ſo hat 
er auch dazu das vollkommenſte Recht. Folglich find alle 
Creaturen und die ganze Welt fein vollfommenftes Eigen— 
thum, oder er ift der hoͤchſte Eigenthumsherr der ganzen 
Welt, und alles deſſen, was fie in fich enthält $. 1059. 
Es weis ja iederman, daß man ein rechtmäfjiger Cigen« 
thumsberr alles deſſen ift und wird, was man, durch den 
rechtmäßigen Gebrauch feiner eigenen Kräfte, zur Würks 
lich£eit bringt. Nun ift die ganze Welt, und eine iedwede 
Creatur, eine Würfung, die Gott, durch den rechtmäßi« 
gen Gebraud) feiner eigenen Kraft, würflid) gemacht hat, 
Folglich laͤſt ſich auch auf diefe Art, das Eigenthumsrecht 
Gottes über die Welt, erweifen. Und indem er feinen 
Gehülfen bey der Schöpfung der Welt gebabt hat, fo Fan 
auch fein anderes Weſen, einen vechtsaegründeten Ans 
fpruch auf einen Theil des Eigentbumsrechts Gottes an die 
Welt, machen. „Es ift befant, daß man, auch durch eis 
nen Bertrag, ein Kigenthumsrecht über eine Sache befom» 
men fan, Allein es wäre lächerlic) zu fagen, daß Gott 

4, Theil, Ee mit 


234 Die Öberberrfchaft Gottes über die Welt. 


mit den Creaturen einen DBertrag gemacht, und ein Buͤnd⸗ 
Aiß errichtet, wodurd er die Herrfchaft über diefelben mic 
der Genehmhaltung der Creaturen befomnen. Denn was 
die Creaturen betrift, die Feine Geifter find, fo koͤnnen dies 
felben ſchlechterdings Feinen Vertrag mit iemanden eingeben, 
Und was die endlicdyen Geifter betrift, fo ift es unmöglich, 
daß zwiſchen ihnen und Gert ein ſolches Buͤndniß errichtet 
werden Fönte, moraus ein eigentlihes Recht entftünde. 
Denn Gott Fan auf die Art den endlichen Geiftern weder 
etwas verfprechen, denn fonft müßten ihn die endlicyen Geis 
fter zwingen koͤnnen, fein Wort zu halten; noch etwas an« 
nehmen, denn feine Creatur fan ihm etwas verfprechen, 
welches nicht vorher fchon feine wäre. Es flieft demnach, das 
Eigenthumsrecht Gottes über die Creaturen, aus der voll- 
fommenjten Abhänglichfeit derjelben von Gott, und aus 
der moralifcdyen Heiligfeit Gottes, 

| $. 1061, 

Das Eigenthumsrecht Gottes ift das allervollfom» 
menfte und gröfte, welches irgends nur möglich ift: 1) weil 
Gott von fo vielen und groffen Dingen der Eigenthumsherr 
ift, daß es ſchlechterdings unmöglich ift, daß ein Herr ein 
gröfferes und ausgebreiteters Eigenthum fulte befißen koͤn— 
nen, als Gott. Denn diefe Welt ift die befte und gröfte, 
und es ift unmöglid), daß auffer Gott noch mehrere und 
gröffere endlihe Dinge würflich ſeyn koͤnten, als die befte 
Welt in ſich enthält. Und da nun Gott, auf ein iedwedes 
würfliches Ding, ein Eigenthumsrecht hat S. 1060, fo ift 
diefes Recht Gottes, in Abfiht auf den Gegenftand deffele 
ben, das allergröfte und vollfommmenfte, welches möglich 
ift. Und in diefer Abficht Fan man nicht nur mit Recht 
fagen, daß Gott ein reicher Gott ſey, fondern daß er auch 
der allerreichfte Herr fey. 2) Weil das Eigenthumsrecht 
Gottes nicht blos in einer moralifchen Moͤglichkeit beftehr, 
mit allen Dingen in der Welt zu fehalten und zu walten, 
wie es ihm felbft gefallig it; fondern weil Sort diefes Recht, 
in feinem ganzen Umfange, gebraucht. Er bat nicht nur 

das 





Die Oberherrſchaft Gottes über die Welt. 433 


das Neche über alles in der Welt zu befchlieffen, was ihm 
gefällig ift, fondern er hat auch würflicy über alles in der 
Welt befchloffen, was ihm gefällig if. Und er bat es 
nicht nur befchloffen, fondern er führt feine Rathſchluͤſſe auch 
würflih aus, Er erhält alles in der Welt, würft mir, 
regiert alles, lenkt alles, bejtimt alles, nach eigenem aller« 
hoͤchſten Wohlgefallen. Kin Ding erhält er lange, ein 
anderes kurze Zeit; daß eine laͤſt er entitehen, das andere 
untergehen, fo wie es ihm felbft beliebt. Das menfchliche 
Eigenthumsrecht befteht mehrentheils in einer bloffen Mög« 
lichkeit, und es ift unmöglich, daß ein Menfch alle feine 
Eigenthumerechte ſolte beſtaͤndig brauchen koͤnnen. 3) Weil 
Gott dieſes Eigenthumsrecht von ſich ſelbſt hat, und auf 
eine unabhaͤngige Art braucht. Niemand hat ihm, das 
Eigenthumsrecht über irgends ein Ding in der Welt, ges 
geben, feine Creatur Fan jich der Herrfchaft Gortes entzies 
ben, feine Creatur fan ihm Schranfen feßen, ihm etwas 
von feinem Eigenthum entwenden, den Gebrauch feines 
Eigentbumsrechts hindern, und ihn diefes Gebrauchs mes 
gen zur Verantwortung ziehen. Folglich iſt fein Eigene 
thumsrecht unabhangig, und es koͤnnen demfelber , weder 
auf eine phyſiſche noch moraliſche Art, Schranken geſetzt, 
und Hinderniſſe in den Weg gelegt werben. Wenn eine 
vernünftige Creatur ein Eigenthumsrecht befist, fo beſitzt 
fie es allemal auf eine von Gott abhängige Art, als eine 
Wohlthat Gottes 4) Weil das hömite Eigen: humsrecht 
Gortes über die Creaturen, allen wahren moraliidhen Ges 
fegen ohne Ausnahme, gemäß ift, nicht nur den äufferlichen 
Zwangsgeſetzen, ſondern auch den innerlichen nicht nur 
den Regeln ver Gerechtigkeit, ſondern auch den Regeln der 
Billigkeit. Durch vieles Eigenthumsrecht Gottes wird 
nicht nur Feine Creatur beleidiget, und um dag ihrige ges 
bracht; fondern ee gereicht auch zu ihrer möglichften Roll 
Eommenheit, daß fie ein Eigenthum Gottes if, Wir 
Menfchen befigen ofte ein Kigenthumsrecht tiber eine Sas 
che, und Fein Richter Fan uns daflelbe abjprechen, Allein, 

Ee 2 nach 

















436 Die Öberberrfchaft Bottes über die Welt. 


nad) den Kegeln des Gemiffens, Fame unfer Eigenthum 
ofte nach Billigkeit andern Menfchen zu. Gottes Eigen« 
thumsrecht ift feinem einzigen wahren Gefege zuwider, weil 
es fonft eine Sünde feyn würde, 5) Weil Gott, fein höch« 
ftes Eigenthumsrecht, beftändig aufs redhtmäßiafte, heis 
ligfte, weifefte, gerechtefte, zum gröften Bortheil der Erea« 
turen, und zu feiner hoͤchſten Ehre, braucht: denn er fan 
gar nicht fündigen, Wir Menfchen fündigen nur gar zu 
ofte, durch den Gebrauch unferes Eigenthbumsrechts, wider 
die Ehre Gottes, wider unfer eigenes Beſte, wider unfere 
Ehre u. fe w. Es fan uns freylich Fein menſchlicher 
Richter, diefes fündlichen Gebrauchs unferes Eigenthums⸗ 
rechts wegen, zur Verantwortung zieben; allein wir bewei> 
fen doch dadurd), daß wir unfere Herrfchaft über eine Sa« 
che nicht aufs vollfommenfte brauchen. Der Gebraud) 
des Eigenthumsrechts Gottes über alle Creaturen ift volls 
£ommen heilig, und ohne Tadel; und indem die Creaturen 
felbft dadurch aufs möglichfte vollfommen werden, fo ges 
höre, diefer Gebrauch, mit zu der Borfehung Gottes über 
die Welt $. 1016. Wir fehen aus diefer Betrachtung, 
daß, da Gott ohne Zweifel ein unumſchrenktes Eigen« 
thumsrecht befißt, ob er gleich bey dem Gebrauche deilelben 
alle wahre Gefege beobachtet; daß, fage ic, das Eigen« 
thumsrecht dadurch nicht eingefchrenft wird, wenn man es 
nicht anders gebraucht, als es die Ehre Gottes, die Ehr— 


barfeit, die Menfchenliebe und alle Pflichten verftatten. 


Mancher Menfch glaubt, man wolle ihn um feine Herrfchaft 
bringen, wenn man ihn ernftlich ermahne, fein Geld nicht 
zu verfpielen, oder auf eine andere fündliche Art durchzu— 
bringen. Der Thor begreift nicht, daß Gott, der doc) 
der allerunumfchrenftefte Herr ift, bey dem Gebrauche ſei— 


nes Rechts, uns ein ganz anderes Mufter der Nachfolge. 


gibt, ohne daß fein Recht dadurch eingefchrenft wird, 
8§. 1062. 
Weil Gott, das allervollfommenfte und gröfte Ei. 
genthumsrecht, uͤber alle Greaturen befißt, und ausübt 
§. 1061, 


— 





























Die Oberherrſchaft Gottes über die WDelt. 437 


S. 1061. fo befißt er aud) diefes Recht, und übt es aus 
über alle vernünftige Creaturen, und alfo Defißt er über 
diefe!ben die allerhöchite Oberherrſchaft $. 1059. Gott ift 
der allervollfommenfte Dberherr: weil würflih, in diefer 
als der beiten Belt, mehrere und gröffere vernünftige 
Greaturen feiner Herrfchaft unterworfen find, als geweſen 
feyn würden, wenn er eine andere Welt erfchaffen hätte, 
und weil alfo feine Herrfchaft wuͤrklich in Abficht auf den 
Gegenſtand die allergröfte ift; weil er, diefe Oberherrſchaft, 
beftändig und ewig würflich ausübt; weil er, diefe Ober: 
herrſchaft, unabhängig von ihm felbft befist, und ihm nice 
mand an der Ausübung derfelben binderlich fallen Fan; und 
endlich weil fie, dem Rechte und der würflichen Ausübung 
nach, vollfommen heilig und rechtmäßig ift $. 1061. Bere 
möge diefer Oberherrſchaft über die Geifter in diefer Welt 
hat Gott, alles über alle Geifter in der Welt, beſchloſſen, 
was ihm felbit gefällig geweſen, und er führe diefen Rath— 
ſchluß vollkommen nach eigenem allerhöchften Belieben aus, 
Zu diefer Dberherrfchaft Gottes über die Geifter in der 
Welt gehört infonderheit, daß er ihr Gefeggeber if, Nem⸗ 
lich) wenn man, die endlichen Geifter, als ein Eigenthum 
Gottes betrachtet, fo fan man fie entweder betrachten, in 
fo ferne fie mit Freyheit begabt find, oder man Fan fie anders 
betrachten. Syn der legren Abficht ift, die Herrſchaft Got— 
tes über die Geifter, dem Rechte und dem Gebrauche nach, 
mit dem göttlichen Eigenthumsrechte über alle übrige Crea⸗ 
furen einerlen, und bedarf alfo bier Feiner befondern Aus» 
führung. Allein wenn man unterfucht wie Gott die Gei— 
fter beherrſche, in fo ferne fie einen freyen Willen haben; 
fo komt bier alles auf die Gefeggebergewalt an, und auf 
ven Gebrauch derfelben: denn durch diefen Gebraud) wird 
eben ein Geift beherrſcht, in fo ferne er mit Vernunft und 
Freyheit begabt if.  Derjenige nemlich gibt ein Ges 
fe, oder fehreibt Gefeße vor, welcher der Urheber der Vers 
bindfichfeie der moralifchen Gefege ift. Ein iedes moralie 
fches Gefeg ift eine Regel, welche vorfchreibt, welche freye 

Ce 3 Hands 


458 Die ®berberrfchaft Gottes über die Welt. 


Handlung getban und welche gelaffen werden foll, mie eine 
freye Handlung gefchehen foll, und wie fie nicht gefchehen 
foll Auſſer dieſer Regel ift, in einem moralifchen Gefege, 
auch die Verbindlichkeit, daffelbe zu beobachten, und die 
entiteht Daher, wenn, mit der Beobachtung des Geleßes, 
Belohnungen und mit der Webertretung Strafen verbuns 
den werden, Nun fan z E ein Staatsminilter, die Regel 
des bürgerlichen Geſetzes, ausdenfen und verfertigen, weil 
er ihm aber die Verbindlichkeit nicht geben fan, fo gibt er 
das Geſetz nicht. Der Landesherr aber ift der Urheber ver 
Berbindlichkeit, und er gibt alfo das Geſetz. Der Geſetz⸗ 
geber ift Demnach derjenige, welcher das Recht hat, Ge— 
ſetze zu zeben Kin Rathgeber Fan mir Kegeln vorjchreis 
Den, er fan mich ermahnen, Gefege zu beobachten; allein 
weil er weder trafen noch belohnen Fan, fo gibt er feine Ge— 
ſetze. Nun fan der freye Wille nur, durch moralifche Re— 
geln, gelenft und regiert werden. Ber alfo ein vernünftig 
frenes Weſen beherrfchen will, in fo ferne es frey ift, der 
muß ihm Gefege vorfchreiben, und derjenige ift alfo ein 
Dberherr eines Geiſtes, wer fein Gefeßgeber ift. Da nun 
Gott, vermöge feines allerhöchften Eigenthumsrechts über 
alle Geifter in diefer Welt, über fie befchlieilen fan, mas 
er will: $. 1054. fo kan er auch alle Geifter verbinden, 
und er hat alfo das Recht ihnen Gefeße zu geben. Folglich 
ift Gott, um feiner höchften Oberberrfchaft über alle endliche 
Geifter willen, der höchfte und vollfommenfte Geſetzgeber 
derfelben. 
$. 1063, 


- Wenn wir ung, von der .allervollfommenften, unum— 
fehrenften und böchften Gefesgebergewalt Gottes, einen 
rechten Begrif machen wollen, fo. müffen wir ſonderlich, 
den allervollfommenften Gebrauch derfelben, unterfuchen. 
Denn, aus dem alferhöchiten Eigenthumsrechte Gottes uͤber 
alle endliche Geiſter, folgt, vermoͤge der vorhergehenden 
Unterſuchungen, von felbft: daß Gott dieſe Gewalt von 
ſich ſelbſt und unabhaͤngig, dene; daß er fie über er 

Bei 






































Die Oberherrſchaft Gottes über die Welt. 439 


Geift deswegen befiße, weil derfelbe fich feiner Herrſchaft 
von freyem Stuͤcken unterworfen; daß, diefe Gefeßgebers 
gewalt Gottes, allen moralifchen Gefeßen gemäß ſey, und 
niche nur recht. fondern auch billig iſt; daß Gott über kei— 
nen Geift fich, unbefugter Weife, die Gefeßgebergewalt an⸗ 
maffe, und daß fie allen göttlichen Vollkommenheiten aufs 
vollfommenfte gemäß fey. Was aber ven Gebraud) diefer 
Gewalt betrift, fo müffen wir uns überzeugen, daß. Gott 
feine allerhoͤchſte Geſetzgebergewalt aufs vollkommenſte vers 
malte, und eben dadurd) alle endliche Geifter, als vernünfs 
tigfreye Wefen, aufs vollkommenſte beherrſche. Und dahin 
gehören folgende Stuͤcke. 1) Gott hat würflich, allen end« 
lichen Geiftern, in allen ihren freyen Handlungen , fo viel 
Gefege vorgefchrieben als möglih. Denn er bat alle Suͤn⸗ 
den verboten, und alle rechtmäßige Handlungen geboten. 
Die practifhe Weltweißheit erweift diefes deutlich, indem 
alle Naturgefege von Sort abftammen, und fid) über alle 
freye Handlungen der Menfchen erſtrecken $. 1050. 1052, 
Gott hat feine Ehre, und die höchite Gluͤckſeligkeit der end« 
lichen Geifter, zur legten Abficht der beften Welt gemacht 
$. 1015. und eben daher entfteht die würfliche Verbindlich" 
keit der Geifter , alle ihre freye Handlungen nad) den goͤtt⸗ 
lichen Gefeßen, welche aus feinen Zwecken flieſſen, einzus 
richten. 2) Die göttlichen Geſetze find die allerbeften, in— 
dem fie insgefamt aus den allerbeften Zwecken flieffen, Gott 
verwaltet demnach , feine Gefeßgebergewalt, zugleich als. 
der liebreichite Water, indem ein iedwedes feiner Gefeße ein 
Mittel der möglichiten Glückfeligkeit dererjenigen ift, die er 
dazu verbindet. Er ift alfo fein harter Gefeßgeber, deſſen 
Gefege zum Verderben gereichen, fondern fein Joch ift fanft 
und feine Saft ift leicht. Folglich macht Gott, durch die 
Ausübung feiner Gefeggeberwalt, die vernünftigen Crea« 
turen fo vollfommen, als möglich ift, und es ift demnach 
diefe Ausübung ein Stüd feiner Borfehung über die endli— 
chen Geifter $. 1016. 3) Gott belohnt alle Beobachtung 
feiner Gefeße, und beftraft alle Uebertretung derfelben aufs 

Ee 4 propor⸗ 


440 Die Oberherrſchaft Gottes über die Welt. 


proportionirteſte, und es gehoͤrt demnach, die allervollkom⸗ 
menſte Ausuͤbung der Gerechtigkeit Gottes, zur allervoll⸗ 
Fommenften Ausübung feiner Geſetzgebergewalt $. 955« 
958. Ein menfchlicher Gefeßgeber hat nicht Macht genung, 
alle Beobachtung feiner Gefege zu belohnen, und alle Lies 
bertretung derfelben zu ftrafen, er erfährt nicht alle Be— 
obachtung und Uebertretung, und er Fan alfo niemals 
feine Geſetze völlig ausführen. ort bat alle Glückfeligkeit 
und Unglückfeligkeit aller endlichen Geifter in feiner Gewalt, 
er weis alle Beobadytungen und Lebertretungen feiner Ges 
feße aufs genauefte,, und er belohnt würflich jene, und be 
ftraft diefe ohne Ausnahme aufs proportionirtefte. 4) Gott 
rechnet wuͤrklich, allen endlichen Geiftern, alle ihre Beobs 
achfungen und Lebertretungen feiner Cefege, nach feiner 
Allwiſſenheit zu, indem er aufs vollfommenfte alles weis, 
wovon fie die Urheber find, und ob es nad) feinen Gefegen 
rechtmäßig oder unrechtmäßig if. Und da fan man mit - 
Recht ſagen, daß Gort ein Richter aller endlichen Geifter 
fen, fie zu Verantwortung ziehe, und daß ein ieder endlicher 
Geiſt Sort Nechenfchaft, feines gefamten moralifchen Ver— 
baltens wegen, ablegen müfle. Und 5) Fein endlidyer Geift 
“Fan, ohne Zulaffung Gottes, feine Gefege übertreten 
$. 1052. Ein menfchlicher Gefeggeber muß ſichs wider 
feinen Willen gefallen laffen, daß feine Gefege übertreten 
werden. Allein ohne Zulaffung Gottes fan, keins feiner , 
Gefege, verlegt werden. Wer die practifche Weltweisheit 
verfteht, der Fan diefe vortrefliche Materie viel weitläuftiger 
ausführen, und das ift auch einem ieden zu rathen, weil 
fie fo fruchtbar und practifch ift, 
$. 1064. 
Hieraus folge nun, daß man die ganze Geifterwelt, 
den Inbegrif aller wuͤrklichen vernünftigen Creaturen, als 
einen Staat und als ein gemeines Wefen betrachten Fan, 
von welhem Gott das monarchifche und defpotifche Dbers 
haupt ift, In dem gefellfchaftlichen Rechte, und in der 
Staatskunſt, wird ausführlich gewiefen, daß man die höch- 
fte 























Die Oberherrſchaft Gottes über die Welt. 441 


fie Macht des Oberherrn, von feiner höchften Gewalt, 
unterfcheiden muß. Nemlich die höchfte Gewalt eines 
Oberherrn befteht in feinem Rechte, diejenigen Weſen 
zu beherrfchen, deren Oberherr er ift, wohin vornemlich die 
ganze Gefeßgebergemwalt gehört. Wenn man diefe höchfte 
Gewalt ausführlich unterſucht, fo fieht man, daft fie ver 
ſchiedene Rechte in fich enchält z. E. das Recht zu ftrafen, 
das Recht über Leben und Todt, das Recht über das Eigen« 
thum der Unterthanen u. f. w. Der Inbegrif aller Rechte, 
welche zuſammengenommen die hoͤchſte Gewalt ausmachen, 
wird die Majeſtaͤt genent; und alle diejenigen vernünftis 
gen Wefen, welche verbunden find, Die Ausübung der 
Majeftät in Abſicht ihrer zu leiden, und derfelben gemäß. 
zu handeln, find die Unterthanen eines Oberherrn. 
Die hoͤchſte Macht eines Oberherrn befteht iin den 
Kräften deſſelben, die zureichend find, feine ganze Majeftät 
in Ausübung zu bringen, wohin 3. E. bey einem menſchli— 
chen Oberherrn, Geld und Soldaten und dergleichen Mit- 
tel gehören, wodurch es ihm phyſiſch möglich) wird, feine 
oberberrfchaftlichen Nechte in Ausübung zu bringen. Wenn 
man nun eine gewiſſe Anzal Geifter nimt, fo wird derjenige 
unter ihnen der Monarch genent, welcher ganz allein uns 
ter ihnen die höchfte Macht und Gewalt über die übrigen 
befist.. Wenn man die ganze Majeftät und höchfte Macht 
in einer Republik nimt, fo wird derjenige Menſch in der» 
felben der Monarch genent, melcher entweder die ganze 
hoͤchſte Macht und Gewalt allein befißt, oder den gröften 
Theil derfelben. In dem erften Falle ift er ein defpotifcher, 
fouverainer und unumfchrenfter Monarch, wie z. E. der 
König in Franfreich, in dem andern aber ein eingeſchrenk⸗ 
ter Monarch, wie ;3. E. der König in Engelland. Nun 
ift Gott der höchfte Dberherr aller endlichen Geifter in die- 
fer Welt $. 1062. Folglich find alle vernünftige Creatus 
ren Unterthanen Gottes, und die ganze Geifterwelt wird 
daher die Stadt Gottes genent. ort allein ift nur all» 
maͤchtig, indem die Allmacht, als eine göttliche Vollkom— 

Eez mens 


440 Die Öberberrfchaft Gottes über die Welt. 


proportionirtefte, und es gehört demnach, die allervollfom- 
menfte Ausübung der Gerechtigkeit Gottes, zur allervoll— 
kommenſten Ausübung feiner Gefeßgebergemalt $. 955 
958. Ein menfchlicher Gefeßgeber hat nicht Macht genung, 
alle Beobachtung feiner Gefege zu belohnen, und alle Lies 
bertretung derfelben zu ftrafen, er erfährt nicht alle Des 
obachtung und Uebertretung, und er Fan alfo niemals 
feine Geſetze völlig ausführen. Gott hat alle Glückfeligkeit - 
und Unglückfeligkeit aller endlichen Geifter in feiner Gewalt, 
er mweis alle Beobadytungen und Lebertretungen feiner Ges 
ſetze aufs genauefte,, und er belohnt würflich jene, und bes 
ftraft diefe ohne Ausnahme aufs proportionirtefte. 4) Gott 
rechnet wuͤrklich, allen endlichen Geiftern, alle ihre Beob⸗ 
achfungen und Webertretungen feiner Gefege, nach feiner 
Allwiffenheit zu, indem er aufs vollfommenfte alles weis, 
wovon fie die Urheber find, und ob es nad) feinen Gefegen 
rechtmäßig oder unrechtmäßig if. Und da fan man mit - 
Recht ſagen, daß Gott ein Richter aller endlichen Geifter 
fen, fie zu Verantwortung ziehe, und daß ein ieder endlicher 
Geiſt Sort Nechenfchaft, feines gefamten moralifchen Ver— 
baltens wegen, ablegen müfle. Und 5) Fein endlidyer Geift 
Fan, ohne Zulaffung Gottes, feine Geſetze übertreten 
$. 1052. Ein menfchlicher Gefeggeber muß ſichs wider 
feinen Willen gefallen laffen, daß feine Gefege übertreten 
werden. Allein ohne Zulaffung Gottes fan, keins feiner , 
Gefege, verlegt werden, Wer die practifche Weltweisheit 
verfteht, der Fan diefe vortrefliche Materie viel weitläuftiger 
ausführen, und das iſt auch einem ieden zu rathen, weil 
fie fo fruchtbar und practiſch iſt. 
$. 1064. 
Hieraus folgt nun, daß man die ganze Geifterwelk, 
den Inbegrif aller wuͤrklichen vernünftigen Creaturen, als 
einen Staat und als ein gemeines Wefen betrachten Fan, 
von welhem Gott das monarchifche und defpotifche Dbers 
haupt ift, In dem gefellfchaftlichen Rechte, und in der 
Staatsfunft, wird ausführlich gemiefen, daß man die höch» 
fte 

















Die Oberherrſchaft Gottes Uber die Welt. 44r 


fie Mache des Oberherrn, von feiner hoͤchſten Gewalt, 
unterfcheiden muß. Nemlich die böchfte Gewalt eines 
Oberherrn befteht in feinem Rechte, diejenigen Wefen 
zu beherrfchen, deren Dberherr er ift, wohin vornemlich die 
ganze Gefeggebergemwalt gehört. Wenn man viefe höchfte 
Gewalt ausführlich, unterfücht, fo ſieht man, daft fie ver- 
Ichiedene Rechte in fich enchält z. E. das Recht zu ftrafen, 
Das Recht über Leben und Tode, das Recht über das Eigen« 
thum der Unterthanen u. f. w. Der Inbegrif aller Rechte, 
welche zufarnmengenommen die höchfte Gewalt ausmachen, 
wird die Majeſtaͤt genent; und alle diejenigen vernünftis 
gen Wefen, welche verbunden find, die Ausübung der 
Majeftät in Abfiche ihrer zu leiden, und derfelben gemaͤß 
zu handeln, find die Unterebanen eines Oberherrn. 
Die hoͤchſte Macht eines Oberherrn befteht iin den 
Kräften deſſelben, die zureichend find, feine ganze Majeftät 
in Ausübung zu bringen, wohin 3. €. bey einem menfchli« 
chen Dberheren, Geld und Soldaten und dergleichen Mit⸗ 
tel gehören, wodurd) es ihm phyſiſch moͤglich wird, feine 
oberherrfchaftlichen Nechte in Ausübung zu bringen. Wenn 
man nun eine gewiſſe Anzal Geifter nimt, fo wird derjenige 
unter ihnen der Monarch genent, welcher ganz allein uns 
ter ihnen die höchfte Macht und Gewalt über die übrigen 
befist. Wenn man die ganze Majeftät und höchfte Macht 
in einer Republik nimt, fo wird derjenige Menſch in der 
felben der Monarch genent, welcher entweder die ganze 
hoͤchſte Macht und Gewalt allein befißt, oder den gröften 
Theil derfelben. In dem erften Falle ift er ein defpotifcher, 
fouverainer und unumfchrenfter Monarch, wie z. E. der 
König in Frankreich, in dem andern aber ein eingeſchrenk⸗ 
ter Monarch, wie 5. &. der König in Engelland. Nun 
ift Gott der höchfte Dberherr aller endlichen Geifter in die- 
fer Welt $. 1062. Folglich find alle vernünftige Creatus 
ren Unterthanen Gottes, und die ganze Geifterwelt wird 
daher die Stadt Gottes genent. Gott allein ift nur all, 
maͤchtig, indem die Allmacht, als eine göttliche Vollkom— 
Eez mens 


442 Die Öberherrfchaft Bottes über die Welt. 


mienheit, feinem endlichen Geiſte zufommen fan $. 855. 
Und folglich befist Gott, unter allen wuͤrklichen Geiftern, 
allein die allerhoͤchſte unumfchrenfte und unzertheilte Macht, 
Er allein hat das Leben und den Tod aller endlichen Geifter 
in. feiner Gewalt, von feiner Macht hanget ihre ganze Würf: 
lichkeit ab, und fie koͤnnen ohne dem Einfluffe feiner Mache 
nichts thun. Er allein befist auch, die höchfte Gewalt 
üler alle endliche Geiſter. Kein endlicher Geift ift der 
Werkmeiſter und Urheber des Dafeyns aller übrigen, und 
es; Fan alſo Fein endlicher Geift, der erfte Eigenthumsherr 
aller übrigen, feyn. Kein endlicher Geift Fan allen übrigen, 
in allen ihren freyen Handlungen, Gefege vorfchreiben, in. 
dern er fie weder alle Fent, noch ein Herzensfündiger ſeyn 
fan. Und wenn auc) ein endlicher Geift eine vechtmäßige 
Herrſchaft über einige andere hat, fo ift fie eine Wohlthat, die 
er von Gott empfangen bat, und er ift ein Vaſall und Lehns— 
träger Gottes. Folglich befist auch, Gott allein, die hoͤch⸗ 
fte Gewalt über alle endliche Geiſter. Er ift demnach 
nicht nur der Monarch, fondern auch der defpotifche Mon— 
arch aller envlichen Geifter, und es fomt ihm auch in dies 
fer Abſicht die allerhöchfte Majeftär zu $. 970. Weil in 
der beften Welt fo viele und groſſe endliche Geifter würflich 
find, als auffer Gore würflich feyn koͤnnen, fo ift es unmög- 
lich, daß ein Monarch mehrere und gröffere Unterthanen ha« 
ben fönne, als Gott. Und da die Madıt und Majeftäc 
Gottes überdis, dem Rechte und dem Gebrauche nach, die 


volffommenften und geöften find $. 1059-1063. fo ift Gore 


fhlechterdings der allergröfte, vollfommenfte und unum« 
fhrenftefte Monarch. Wenn man, diefes Verhaͤltniß 
Gottes gegen die endlichen Geifter, nad) den Begriffen der 
Staatsfunft weiter ausführt, fo entfteht daher eine fehr era 
bauliche Betrachtung, in welche wir ung -aber 
hier nicht einzulafjen nöthig | 
haben, 


Die 


























AR TAURO 443 
Die Rathſchluͤſſe Gottes über diefe Welt, 


$. 1065. 

Gleichwie, die Schöpfung der Welt, nichts anders 
ift, als die würflihe Vollzjiehung und Ausführung des 
Rathſchluſſes Gottes, vermöge deſſen Gore den Entſchluß 
von Emigteit her gefaßt hat, diefe Welt würflic zu machen 
$. 990. alto ift auch die Husübung der ganzen Vorſehung 
nichts anders, als eine Vollziehung der göttlichen Kath: 
fhlüffe über die Fortdauer der Welt, welche nad) und nach 
geſchieht. Man fan alfo nicht nur die Schöpfung der 
Welt, fondern auch die ganze göttliche Vorſehung, beffer 
einfehen lernen, wenn man die Nathfchlüffe Gottes genauer 
unterſucht. Es gehört freylich, dieſe Abhandlung, zu der 
Unterfuchung der Natur des göttlichen Willens, Weil 
man aber, manche Befchaffenheiten der Rathichlüffe Got— 
tes über diefe Welt, nicht hinlänglidy genung unterfuchen 
fan, wenn man nicht eine Abhandlung der Schöpfung und 
Borfehung vorausfekt, fo ift hier der Dre, wo diefe Rath— 
fhlüffe genauer unterfucht werden müflen. Was übers 
haupt ihre Natur betrift,, fo find fie Handlungen und TIhäs - 
tigkeiten des göttlichen Willens, und alfo des allervollfoms 
menften Willens $. 937. Folglich find fie volltommen 
heilig, weife, gerecht, gütig, und mit einem Worte der 
allerhöchften Vollkommenheit Gottes im höchften Grade ges 
mäß, indem fie Würfungen afler göttlichen Vollkommen— 
heiten find. Insbeſondere müflen wir, folgende Eigen— 
ſchaften des Rathſchluſſes Gottes über diefe Welt, anmerken. 
1) Alle Rathſchluͤſſe Gottes über dieſe Welt find im höchften 
Grade frey, oder Thätigfeiten der allerhödjften und voll 
fommenften Freyheit Gottes. Denn alle Handlungen 
Gottes in die Welt, und alle Befhäftigungen Gottes mit 
derfelben, find freye Handlungen Gottes $. 939. 940, 941. 
Da nun, ein ieder Rathſchluß Gottes über diefe Welt, eine 
Beſchaͤftigung Gottes mit der Welt, und ein Borfaß Got: 
tes iſt, indie Welt zu würfen $. 937. fo find, alle Rath» 

ſchluͤſſe 


444 Die Ratbfehlüffe Gottes über diefe Welt. 


ſchluͤſſe Gottes über diefe Welt, im allerhöchften und voll« 
Fommenften Grade frey. Folglich haben fie insgefamt ih» 
ren hinreichenden Grund in der allerdeutlichften, untrüglich 
ften, genaueften, proportionirteften, kurz in der allervoll- 
fommenften Erkentniß der ganzen Welt, aller ihrer Theile, 
und- aller Vollkommenheiten und Unvollfommenbeiten der» 
felben $. 940. 941. 932, Oder Gott hat, alle ſeme Rath— 
ſchluͤſſe über diefe Welt, nicht erwa blindlings, ohne Ein« 
fiht und Bemuftfeyn feiner Bewegungsgründe, auf ein Ge⸗ 
rathewohl und eigenfinniger Weiſe gefaßt; fondern nach) 
Maaßgebung der allervollfommenften Einfihr in die ganze 
Beſchaffenheit, und Gröffe aller Dinge in der Welt. 
2) Die Rathſchluͤſſe Gottes über diefe Welt find innerliche 
Bollfommenheiten Gottes $, 937. Da nun die innerlichen 
Vollkommenheiten Gottes unveränderlic find $. 847. fo 
find aud) alle Rathſchluͤſſe Gottes unveränderlich und ewig 
in Gott 9. 858. Freplich find fie gleichfam zufällige Bes 
ſchaffenheiten Gottes, und es ſteckt alfo in ihnen etwas, 
welches wir nicht fallen und begreifen Eönnen $. 852. Als 
lein fo viel ift unleugbar, daß Fein Rathſchluß Gortes ente 
ftehen und vergehen fan, Gott Fan nichts befchlieffen und 
hernach feinen Rathſchluß wieder ändern, fo daß die befchlof- 
ſene Sache entweder gar nicht erfolge, oder anders erfolge, 
als fie vorher befchloffen worden. Folglich Fan feine Crea— 
tur durchs Gebet, oder auf eine andere Art, Gott zur Aens 
derung eines Narhfchluffes bewegen. Alles was in diefer 
Belt wuͤrklich nach und nad) gefchieht, das ift eben fo, 
sie es gefchieht, vermöge der untrüglihen Allwiſſenheit 
Gottes, von Ewigkeit her befchloffen worden, und es erfolge 
nunmehr ganz gewiß und unausbleiblich fo, wie es befchlof« 
fen worden ift. Und bievon find auch), die freyen Hands 
lungen der vernünftigen Creaturen, nicht ausgenommen, 
Wenn eine vernünftige Creatur fich in einem gemiffen Falle 
frey entfchlieft, fo ft es unmöglich, daß fie zugleich die 
Handlung thun und nicht chun fan. Da nun nur eins 
unter benden gefchehen muß, Gott aber aufs untrüglichfte, 
alle 











Die Rathſchluͤſſe Gottes über dieſe Welt. 445 


alle Bewegungsgruͤnde der freyen Creaturen, in allen Faͤl— 
len vorhergeſehen hat: ſo hat er auch ewig, ohne Nachtheil 
der Freyheit und Zufälligkeit der Creaturen, einen unveräns 
derlichen Rathſchluß, über das freye Verhalten der vernünfs 
tigen Creaturen, faffen fönnen, Wenn die Kathfchlüffe 
Gottes Feine gleichfam zufälligen Befchaffenbeiten Gottes 
wären, ſo würde ihre Unveränderlichfeit , der Freyheit und 
Zufälligfeit der Creaturen, nachtheilig ſeyn. Da ſich aber 
diefe Sache anders verhält, fo koͤnnen nur diejenigen in 
dieſer Sache was nachtheiliges beforgen, welche die Freys 
beit und die Beftimmung derfelben in gewiffen Fällen fich, 
als ein blindes Ohngefehr, und als ein Würfelfpiel voritels 
len, und welche glauben, daf eine freye Handlung fo lan— 
ge ganz ungewiß, und ohne Nothwendigkeit, bleiben müffe, 
bis fie gefchehen ift. Allein wer fo denft, hat gar feine 
Einficht in die Natur des freyen Willens, welche ihn in 
den Stand feßen koͤnte, diefe wichtige Sache richtig und 
gründlich zu beurtheilen. Es ift demnach auch unmöglich, 
daß Gott erft in ver Zeit einen Rathſchluß über irgends 
eine Sache faflen koͤnte. Sondern alle Rathſchluͤſſe Gottes 
über. diefe Welt find von Ewigkeit her in ihm gemwefen, 
und werden beftändig in alle Ewigkeit in ihm würklid) 
bleiben, 
S. 1066, 

3) Ale Rathſchluͤſſe Gottes über diefe Welt find uns 
widerftchlich, oder nichts auffer Gott fan, die Vollziehung 
aller feiner Rarbfchlüffe in allen Puncten, verbindern. 
Keine Gewalt Fan fi), der Ausführung der göttlichen 
Rathſchluͤſſe, widerfegen, Denn alle Dinge auffer Gott 
find zufällig, und folglich find es auch alle Hinderniſſe, wels 
che fic der Vollziehung der göttlichen Rathſchluͤſſe in den 
Weg legen Fonten 6. 296. Da nun, das Gegentbeil 
aller diefer Hinderniffe, möglich ift $. 105. fo Fan Gore 
durch feine Allmacht, alle Hinderniffe der Bollziehung feiner 
Rathſchluͤſſe, aus dem Wege räumen $. 862. Folglich) 
Fan nichts, die Bollziehung der göttlichen Rathſchluͤſſe, aufs 

halten, 


448 Die Rarhfchlüffe Bottes über diefe Welt. 


Und es wuͤrde alfo, ein iedweder anderer Rathſchluß, über 
mwenigere Dinge fid) erftrecfe haben, als der Rathſchluß 
Gottes über diefe Welt, Was für ein eröftlicher und 
fruchtbarer Gedanke! Nichts Fan uns in der Welt begegnen, 
fein Unfall, Feine Noth, unfere Feinde koͤnnen ung fein 
Haar Frümmen, wenn es nicht von Gott befchloffen worden. 
Die Rathſchluͤſſe Gottes find im höchften Grade frey, güs 
tig, weife und gerecht $. 1065. Folglich muß alles, was 
Gott über uns befchloffen hat, zum beften gereichen. 5) Der 
Rathſchluß Gottes über endliche Dinge ift nur ein einziger 
Rathſchluß. Denn es ift nur eine einzige Welt wuͤrklich, und 
es ift unmoͤglich, daß noch eine andere Welt folte würflic) 
werden koͤnnen $. 334. Alles, was Gott befchlieft, wird 


wuͤrklich, denn fonft müßte er fich in feinen Rathfchlüffen - 


betrogen haben, oder er müßte aus Ohnmacht feine Rath« 
fhlüffe nicht ausführen koͤnnen. Was alfo aufler Gott 
nicht würflich iſt, daß hat er auch nicht befchloffen. Er 


bat demnach Feine andere mögliche Welt als diejenige, welche 


würflich ift, befchloffen, desgieichen Fein endliches Ding, 
was nicht ein Theil diefer Welt ift, und er bat über die 
Dinge in dieſer Welt nichts weiter befchloflen,, als was in 
diefer Welt wirklich ift und gefchieht. Da nun alles, 
was in dieſer Welt wuͤrklich ift und geſchieht, nur zufame 
mengenommen eine einzige Welt ausmacht: fo machen auch, 
alle Rathſchluͤſſe Gottes über alle würfliche Theile diefer 
Welt, und die Beränderungen derfelben, zufammengenoms 


men, einen göttlichen Rathſchluß aus, aufler welchem, - 


fein einziger Rathſchluß über irgends eine Sache auffer 
Gott, in Gott würflih ift. Es ift demnach, der Kath« 
ſchluß Gottes über endliche Dinge, nur ein einziger 9. 77. 
Und diefen Rathſchluß Gotttes Fan man fi), wenn man 
ihn auf eine menfchliche Art fich vorftelt, als einen Bernunfte 
ſchluß folgender Geftalt voritellen: Der Inbegrif der beiten 
endlichen Dinge auffer Gott werde wuͤrklich; nun iſt diefe 
Welt der Inbegrif der beften endlichen Dinge; alfo foll diefe 


Welt würflich werden. Der Oberfag iſt: Die Kegel der 
Natur 














Die Rathſchluͤſſe Gottes über diefe Wele. 449 


Natur des göttlichen Willens. Gleichwie unfere Begchs 
rungskraft beftändig nach diefer Regel wuͤrkt: was wir 
uns lebendig als gut vorftellen, das begehren wir; alfo bes 
gehrt der’ göttliche Wille in allen Fällen nach dem Dberfage 
diefes Schluffes $. 932. Und er wird der Vorſatz Got; 
tes genent. Der Unterfaß ift dte Vorberfehbung Bots 
tes, vermöge welcher Gott aufs vollfommenfte erfant hat, 
daß unter allen möglichen Welten diefe Welt die allerbefte 
fey. Und der Rathſchluß Gottes ift der Schlußſatz. Mur 
muß man, durch diefe menfchliche Boritellung, nicht verleis 
tet werden, zu glauben, als wenn Gott nad) und nad) feis 
nen Rathſchluß gefaßt, nachdem er den Oberſatz feſtgeſetzt, 
und alsdenn durch eine lange Ueberlegung den Linterfaß ges 
funden: denn in Gott gefchicht alles auf einmal ohne alle 
Zeitfolge 9 857. 
§. 1068. 

Es fragt ſich hier, ob es auch befondere oder partie 
eulaive Rathſchluͤſſe Gottes gebe? Dver, man Fan diefe 
Frage auch fo abfaffen : ob Gott in befondern Fällen etwas 
beſchloſſen habe, oder befchlieffe? Es komt hier alles, auf 
die Erflärung der beſondern Raͤthſchluͤſſe Gottes, an. 
Erftlich fan man darunter, die Theile des einzigen und all— 
gemeinen Rathſchluſſes Gottes, verftehen. Alles was in 
diefer Welt wuͤrklich ift und geſchieht, in allen vergangenen, 
gegenwärtigen und zufünftigen Zeiten, hat Gott befdlof- 
fen. Folglich find fo viele Rathfchlüffe Gortes ewia in Gore 
gewefen, als es würfliche Theile und Beränderungen in 
‚der Welt gibt, welche zufammengenommen den einzigen 
und allgemeinen Rathſchluß Gottes über die Welt, als ein 
Ganzes, ausmachen. Und es iſt demnach unleugbar, daß 
in Gott befondere Rathſchluͤſſe würftich find. So iſt der 
Rathſchluß Gottes, vermöge deſſen Gott befchloffen hat, 
mie lange ein ieder Menfch leben foll, ein befonderer Rath⸗ 
ſchluß Gottes. Zum andern aber hat man, die beſondern 
Rathſchluͤſſe Gottes, auf eine doppelte Art erflärt, welche 
ungereimt und der Bollffommenbeit Gottes hoͤchſt zuwider 


40 Die Ratbfeblüffe Gottes über diefe Welt. 


ift. Einmal verftehen einige,“ durch beſondere Rathſchluͤſſe 
Gottes, ſolche Rathſchluͤſſe Gottes über einzelne Dinge und 
Begebenheiten der Welt, welche den allgemeinen Kath» 
fehluffe Gottes widerfprechen. So Haben einige angenom⸗ 
men, Gott habe befchloffen, alle Menfchen felig zu machen; 
allein er habe von diefem Rathſchluſſe viele Ausnahmen ges 
macht, und über diefen und jenen Menfchen befchloffen, daß 
er nicht felig werden ſolle. Allein in diefem Exempel ift es 
‚falfch, daß Sort die Seligfeit aller Menfchen befchloffen 
habe, und es ift überhaupt ungereimt, einen ſolchen Wis 
derfpruch unter göttlichen Narbfchlüffen anzunehmen. Wenn 
fid) iemand in feinen Rathſchluͤſſen widerfpricht, fo muß er 
in dem einen oder. in beyden zugleich die Sache nicht recht 
überlegen. Und fan man diefes von Gott gedenfen ? Und 
es ift offenbar, daß einer unter beyden einander widerfpres 
chenden Rathſchluͤſſen ohne alle Nutzen ift, und auch diefes 
fan von Gott nicht gedacht werden, Alles was Gott bes 
ſchlieſt, gefchieht würflih. Da nun zwey einander wider 
fprechende Rathſchluͤſſe nicht vollzogen werden Fünnen; fo 
ift e8 ungereimt zu fagen, daß Gott in einem befondern 
Falle etwas befchloffen babe, welches dem allgemeinen 
Rathſchluſſe deffelben widerfpricht. Zum andern haben eis 
nige, die befondern Rathſchluͤſſe Gottes, fo erflärt, daß 
er dergleichen Rathiehlüffe in der Zeit, nach Beduͤrfniß der 
vorkommenden Fälle, falle. Sie fagen, Gott habe in ſei— 
nem ewigen allgemeinen Rathfchluffe nicht alle Fälle, wel: 
he von dem Willführ der Ereaturen abhangen, vorherfeben, 


und alfo aud) nichts über diefelben befchlieflen Fönnen $.909. _ 


Folglich habe er in feinem allgemeinen Rathſchluſſe, und 
in dem allgemeinen Entwurfe zu der ganzen Welt, bie und 
da viele leere Plaͤtze und weife Luͤcken gelaſſen. Und wenn 
er nun in der Zeit erfahre, wie fich eine mit Willführ bes 
gabte Creatur willkuͤhrlich beſtimme, fo falle er in ver Zeit 
einen Rathſchluß über dieſe Begebenheit, welcher zwar in 
dem allgemeinen Rathſchluſſe nicht enthalten fen, demfelben 
aber auch nicht widerjpreche, Allein, aud) dergleichen bes 

fonbere 











Die Rarbfehlüffe Gottes über diefe Welt, 451 


fondere Rathſchluͤſſe Gottes, find unmöglich. Sie fegen 
nicht nur den Irrthum voraus, als wenn Gott dasjenige 
in der Welt, was von dem Willführ und der Frenbeit der 
Creaturen abhanget, nicht vorherfehen koͤnne; fondern Gore 
wuͤrde auch veränverlicy feyn, wenn er in der Zeit etwas 
beichlöffe, und das ift unmöglich $. 856. 847. 909. In 
dem allgemeinen ewigen Rathſchluſſe Gottes ift, wie Leibnitz 
fagt, fein weiſes und unbefchriebenes Papier übrig ges 
blieben; oder es ift Eein zufünftiger Fall in der Welt vers 


‚geflen worden , der nicht in demfelben durch den görtlichen 


Rathſchluß wäre beftimt und feſtgeſetzt worden. 
S. 1069. 

Es ift noch die wichtige Frage zu unterfuchen , ob 
es unbedingte Rathſchluͤſſe Gottes gebe, oder ob alle göttlis 
che Rarbfchlüfle bedingt find? In den vorigen Zeiten, da 
man noch nicht die Natur des frenen Willens mit geböriger 
Gewißheit Fante, da machte diefe Frage viele Weitlaͤuf— 
tigfeit in ihrer Unterfuhung. Auc) diejenigen heute zu 
Tage, welche aus der Pſychologie nicht gelernet haben, daß 
alle Begierden und Verabſcheuungen, eine Erkentniß der 
Bollfommenheiten und Unvollfommenbeiten des Gegenſtan— 
des , vorausießen, und aus derfelben als aus ihrem “Bes 
mwegungsgrunde flieffen, die werden in diefer Sache frenlich 
viele Schwierigfeiten finden. Ich will erſt nach unferm 
Lehrgebaͤude, die wahre Beichaffenheit der örtlichen Rath» 
fhlüffe, in diefer Abſicht darthun. Memlicy alle Rath— 
fhlüffe Gottes find vernünftige Begierden, und alfo Hands 
lungen und Ihätigfeiten des göttlichen Willens $. 437. 
Der göttlihe Wille ift nicht nur feiner allervollkommenſten 
Erfentniß der Gegenftände, fondern aud) der Vollkommen— 
heit und Unvollfommenbeit der Gegenſtaͤnde ſelbſt aufs voll 
fommenfte proportionirt $. 932, Folglich flieffen nicht nur, 
alle Rathſchluͤſſe Gottes, aus der allervollfommenften Erz 
Fentniß des Grades der Vollkommenheit und Unvollkom— 
menheit des Gegenftandes, als aus ihrem Bewegungss 
grunde, fondern fie find auch derfelben aufs vollkommenſte 

fa pro⸗ 


452 Die Rathſchluͤſſe Gottes über diefe Welt. 


proportionirt. So müffen wir z. E. fagen: Gott hat bes 
fchloffen, daß ein Menfch foll geboren werden, weil er vor 
bergefehen, daß ohne diefen Menfchen diefe Welt nicht die 
befte feyn koͤnte; er hat befchloffen, diefem Menfchen etwas 
Guts zu geben, weil er vorhergefehen, daß diefer Menfch 
deffelben werth ift, daß er ihn um diefes Gute bitten werde, 
daß er es nüglic) anwenden werde, und was dergleichen 
mehr ift; er hat befchloffen dieſem Menfchen ein gewiſſes 
Gut nicht zu geben, weil er vorhergefehen, daß er deſſen 
nicht werth fey, daß er es nicht gut anwenden werde, daß 
er ihn nicht darum bitten werde v. f. wm. . Wenn dieſe 
Sache ſich nicht alfo verhielte, und wenn, bey einem güft« 
fichen Rathſchluſſe, die vorhererfante Vollkommenheit und 
Unvollfommenheit des Gegenftandes, gar nicht der Bewe⸗ 
gungsgrund Gottes zu dieſem Rathſchluſſe wäre; fo müßte 
Gott entweder, die ganze DBefchaffenheit des Gegenftandes 
feines Rathſchluſſes, erfant haben, oder nicht. Das 
legte ift wider feine Allwiſſenheit $. g21. Folglich hat 
Gott, ‚die Befchaffenheit afler Gegenftände feiner Rath— 
fehlüffe, von Emigfeit ber erfant. Und da es unmoͤglich ift, 
dag Gott von einer Erkentniß abftrahiren, und ſich bey ir 
gends einer feiner Handlungen diefelbe aus dem Sinne ſchla⸗ 
gen fönne $. 893. fo ift, neben und bey allen Rathſchluͤſſen 
Gottes, in feinem Berftande , die allerdeutlichfte Erkentniß 
des Grades der Bollfommenheit und Unvollfommenheit der 
Gegenftände diefer Rathſchluͤſſe, ewig und unveränderlich 
und beftändig würflich, fo daß Gott, indem er feine Kath» 
ſchluͤſſe faßt, fih diefer Erfentniß zugleich aufs vollfom. 
menfte bemwuft it. Wenn nun Gott feine Rathſchluͤſſe 
nicht um diefer Erfentniß willen faßte, fo wäre fie Fein Be— 
mwegungsgrund zu denfelben, fie wäre Feine lebendige fondern 
eine todte Erfentniß, und das ift unmöglich, weil Feine 
Erkentniß Gottes todt feyn fan S.902. Aus diefer Betrach— 
tung ift demnach Flar, daß fid) Gott, in allen feinen Rathſchluͤſ— 
fen, nad) der Befcharfenheit und Würdigfeit der Gegen« 
ftände richte, und daß er über nichts irgends etwas be. 

ſchlieſſe 

















Die Ratbfehlüffe Gottes über diefe WOele. 433 


fchlieffe, als nad) Maaßgebung der aufs genauefte erfanten 
Befchaffenbeit und Würdigfeit des Gegenftandes, 
S, 1070. 

Wenn man fagt, ein Oberherr verlange und wolle 
etiwas abfolut und ſchlechterdings, fo verfteht man mand)» 
mal darunter fo viel, als er habe befchloffen, daß etwas ges 
ſchehen folle, ohne daß er deshalb Gegenvorftellungen ans 
zunehmen Willens ſey. Er macht alfo ſchon zum voraus 
befant, daß fid) feiner feiner Unterthanen eine Hofnung mas 
chen dürfe, als werde er irgends durch ein Mittel, zu der 
Aenderung feines Borfaßes, vermocht werden fönnen. Auf 
diefe Art Fünte man, durch abfolute Rathſchluͤſſe, foldye ver 
ftehen, die unveränderlich find, und welche unausbleiblid) 
gewiß, alles Widerftrebens und aller Gegenvorftellung 
ohnerachtet, vollzogen werden müffen. Und auf diefe Arc 
mären, alle göttliche Rathſchluͤſſe, abfolute oder unbe« 
dingte Rathſchluͤſſe. Einige haben diefe Rathſchluͤſſe auch 
ſo erklaͤrt, daß ſie ſagen, Gott wolle und beſchlieſſe etwas 
abſolut, wenn er wolle, daß etwas geſchehen ſolle, ohne die 
Bedingung vorauszuſetzen; wenn es durch die Ordnung der 
Natur geſchehen kan. Auf dieſe Art wuͤrde Gott, alle 
uͤbernatuͤrlichen Begebenheiten und Wunderwerke in der 
Welt, auf eine unbedingte Art gewolt und beſchloſſen haben, 
alle natuͤrlichen Begebenheiten aber auf eine bedingte Art. 
Allein, dieſe Erklaͤrungen, ſind nicht die gewoͤhnlichen Be— 
deutungen dieſer Ausdrucke in der Gottesgelahrheit. Durch 
unbedingte oder abſolute Rathſchluͤſſe Gottes verſteht 
man ſolche, welche nicht durch die vorhergeſehene Vollkom— 
menheit oder Unvollkommenheit des Gegenſtandes, als durch 
ihren Bewegungsgrund, beſtimt werden, Ein unbeding« 
ter Rathſchluß ift ein blinder Rathſchluß, und man faßt 
denfelben, ohne daben auf die Befchaffenheit des Gegen» 
ftandes zu fehen. Kin bedingter Bathſchluß im Ge- 
gentheil ift ein Rathſchluß, welcher aus der vorhergefehenen 
Vollkommenheit oder Unvollfemmenheit des Gegenftandes, 
als aus feinem Bewegungsgrunde, flieft. Er ift ein fehen« 

Sf 3 der 


454 Die Rarbfchlüffe Bottes uͤber dieſe Welt. 


der Rathſchluß, und wird nach Maaßgebung der Befchafr 
fenheit des Gegenftandes gefaßt. Es ift unmöglih, und 
der höchften Vollkommenheit Gottes höchft verfleinerlich 
und zumider, wenn man fagt, daß Gott unbedingt etwas 
befehlieffe oder befd;lieffen koͤnne. Alle Rathſchluͤſſe Gottes 
über diefe Welt, und alle Theile und Begebenheiten in der» 
felben, find bedingte Rathſchluͤſſe F. 1060. Der theolos 
gifche Abſolutiſmus ift der Irrthum, vermöge deffen 
man unbedingte Rathſchluͤſſe Gottes annimt, und er ift eine 
der ungeheureften Lehren, die jemals erdacht worden find, 
Vermoͤge diefes Jerthums ftelt man fid) Gott vor, als 
wenn er, da er die Welt zu ſchaffen befchloffen, und unter 
allen möglichen Dingen diejenigen ausgefucht, welche zufam« 
mengenommen diefe Welt ausmachen, fid, gleichſam die 
Augen feft verbunden, und in das Chaos aller möglichen 
Dinge gefahren, auf ein Gerathewohl um fic) gegriffen, 
und was er von obngefehr zu fallen befommen, alfobald 
zu fchaffen befchloffen. Mach diefem Rathſchluſſe habe er, 
aus einer Art der Neugierigkeit, fich die Augen aufgebuns 
den, um zu fehen, was er erwählt, und da habe er bes 
ſchloſſen, diefen Dingen alle Befchaffenbeiten zu geben, die 
fie nunmehr als Theile dieſer Welt haben, und die entwe— 
der gut oder böfe find. Wie unanftändig heift diefes niche 
von Gore denken? Folglid) hat auch Gott feinen unbes 
dingten Willen, das iſt, einen Willen, deffen Bewe— 
wegungsgründe nicht aus der Befchaffenheit des Gegenftans 
des genommen find. Sondern Gottes Wille ift ein bes 
dinger Wille, das it, ein Wille, deſſen Bewegungss 
gründe, aus der erfanten Bollfommenheit und Unvollfom« 
menheit des Gegenftandes, genommen werden. Gott 
begehrt nur eine Sache, weil er erfent, daß fie que ift; 
und er verabfcheuet nur Dinge, weil er erfent, daß fie böfe 
find, 
$. 1071. 
Hieraus läßt fich, die Lehre von der Prädeftination, 
deutlich erflären. Man nimt diefes Wort manchmal in 
einer 





Die Rathſchluͤſſe Gottes über diefe Welt. 455 


einer weitern Bedeutung, und verfteht, durch die göttliche 
Vorberbeftimmung, oder Prädeftination, einen iedwe— 
den goͤttlichen Rathſchluß über eine Sache, die noch zufünfs 
eig iſt. Mach diefer Erklärung find alle Rathſchluͤſſe Got 
tes Borberbeitimmungen, fo lange fie noch nicht vollzogen 
werden, und fo lange ihre Gegenftände noch zukünftig find. 
Folglich muß man behaupten, daß alles zufünftige in diefer 
Welt von Gott in feinem Rathſchluſſe, ſchon von Ewigkeit 
ber, zum voraus beitimt worden, und daß alles, diefer Borhers 
beftimmung gemäß, aufs genauefte erfolge $. 1067. Allein 
man nimt, dieſes Wort, in einer. engern Bedeutung. 
Nemlich einige Geiſter find in diefer Welt ewig glüclelig, 
wohin z. E. diejenigen Menfchen gehören, welche nad) ib« 
rem Tode ewig felig werden; und einige Geifter find ewig 
unglüclelig, wie diejenigen Menfchen, welche verdamt wers 
den. Oder weil wir bier nicht ausmachen fünnen, ob die 
Verdamniß ewig währe, oder ein Ende nehme: fo ift doc) 
' fo viel gewiß, daß einige Geifter in diefer Welt unglückfes 
lig find, und daß einige Menfchen wenigftens auf eine Zeite 
lang verdamt werden. Mun hanget alles in der Welt, 
von dem Rathfchluffe Gottes, ab $. 1007. Folglich hat 
Gott, die ewige Gtückfeligfeit aller Geifter und Menfchen 
in der Welt, weldye würflid) ewig alückfeliq werden, von 
Ewigkeit her befchloflen, und das iſt die göttliche Vorherbe— 
ftimmung diefer vernünftigen Creaturen zur ewigen Glücks 
feligfeit, oder Gott hat dieſe vernünftigen Creaturen, von 
Ewigkeit ber, zur ewigen Glücffeligfeit verordnet. Im 
Gegentheil derjenige Rathſchluß Gottes, wodurch Gott 
von Ewigkeit her befchloffen hat, die Unglückfeligkeit einiger 
vernünftigen Creaturen zuzulaffen, e8 mag nun dieſelbe 
ewig oder nur eine Zeitlang dauren, wird die göttliche 
Derwerfung genent, Durch diefen Rathſchluß Gottes 
find, diefe vernünftige Creaturen, entweder auf ewig ver« 
morfen, wenn Gott befchloffen hat, ihre Unglücjeligkeit 
ervig zuzulaffen, oder nur auf eine Zeitlang, wenn Gott bes 
ſchloſſen hat, ihre Ungluͤckſeligkeit nur auf eine Zeitlang zus 

Sf4. zulaflen, 


456 Die Rathſchluͤſſe Bottes über diefe Welt. 


zulaffen. Beyde Rathſchluͤſſe koͤnnen unmöglich unbedinge 
ſeyn, fondern fie find bedingt $. 1070. Gott hat einige 
Geifter zur Glückfeligfeit verordnet, weil er vorhergefehen 
bat, daß fie derfelben fähig und werth find; und er hat ei— 
nige Öeifter verworfen, weil er vorhergefehen, daß fie der 
G:ücfeligkeit unfähig und unwerth, und der Unglückfelig- 
keit werth find. in Drädeftinarisner ift derjenige, 
welcher, die göttliche Borherbeitimmung, und Verwerfung 
einiger vernünftigen Creaturen, für unbedingte Rathſchluͤſſe 
hält. Diefer Irrthum iſt höchft unvernünftig, und ges 
fährlih S. 10706, Derjenige iſt Fein Präveftinatianer, 
welcher füge, daß Gott alles zum voraus in diefer Welt 
unmiderruflich beſtimt und feftgefegt habe; fondern wer da 
glaubt, daß diefes, in Abſicht der Gluͤckſeligkeit und Une 
gtäckfeligfeit der endlichen Geifter, auf eine unbedingte Art 
geſchehen. Vermoͤge diefes Irrthums müßte man, um alles 
gorifc Die Sache zu erläutern, fagen: daß Gott fid) die 
Augen fett verfchloffen, und blindlings unter den Menſchen 
herum gegriffen. Wen er, von ohngefehr und blindlings, 
mit der vechten Hand erhafcht, den habe er zur rechten Hand 
geitelt, und die übrigen zur linfen Hand. Hierauf habe 
er feſtgeſetzt, die erften follen felig, und die andern verdamt 
werden. Nun habe er fich die Augen geöfnet, und gedadht: 
ih muß doch diejenigen fennen lernen, die ich zur Selig 
keit verordnet, und die idy verworfen habe. Unter den er— 
ften habe er den Paulus angetroffen, und weil der nun 
ſchlechterdings feliq werden follen, fo habe er befchloffen, ihn 
der Seligfeit fähig und werth zu machen, Unter den an- 
dern habe er den Judas Iſcharioth angetroffen, und weil 
der num fehlechterdings verloren gehen follen, fo babe er 
befchloffen, ihm nicht den beharrlichen Glauben zu geben. 
2Ber fan, bey diefer verfluchten Lehre, einen Fräftigen Be— 
megungsgrund behalten, fih um die Erlangung feiner 
Gluͤckſeligkeit zu bemühen? Wenn man aber annimt, daß, 
die göttliche Vorherbeſtimmung und Verwerfung, bedingte 
Rathſchluͤſſe find; fo iſt wahr, alle diejenigen endlichen 9 

ter 





Die Offenbarung Bottes, 457 


fter werden unausbleiblich glückfelig, die Gott zur Glücfes 
ligfeit vorberbeftimt hat, diejenigen aber gehen unausbleib: 
lid) verloren, die er verworfen hat, Es fan auch nies 
mand, weder durch Das Gebet, noch durch andere Mittel, 
Gott bewegen, feine einmal gefaßten Rathſchluͤſſe zu ändern, 
und nicht zu vollziehen. Allein das von Gott untrüglic) 
vorhirgeiehene Geber, und die untrüglich vorhergeſehene 
Unterlaſſung deffelben, gehören zu den Bemegungsgründen, 
wodurch Gott beivogen worden, einigen Menfchen die ges 
betenen Güter zu geben, andern aber fie nicht zu geben, 
Folglich ſtoͤßt unfere $ehre von der Unveränderlichfeit, Uns 
widerruflichkeit und Unwiderftehlichkeit der göttlichen Rath— 
ſchluͤſſe, wenn fie bedinge find, unfere Verbindlichkeit zum 
Gebet und zu andern Pflihten, wodurch mir unsder 
Gluͤckſeligkeit fahig und werth machen, nicht über den 
Haufen. 


Die Offenbarung Gottes. 
$. 1072. 

Die legte Handlung der göttlichen Vorſehung, welche 
uns durch die bioffe gefunde Bernunft befant ift, befteht 
in derjenigen göttlichen Handlung, wodurd) er ſich den Creas 
turen offenbaret oder befantmadt. Ofte braucht man 
dieſes Wort ſchlechtweg, als wenn man fagt, daß eine 
Wahrheit aus der göttlichen Offenbarung erhelle, und man 
verſteht darunter die übernatürliche Offenbarung Gottes in 
der heiligen Schrift. Allein hier nehmen wir es in einer 
weitern Bedeutung, und verftehen, durch die Offenba⸗ 
rung überhaupt oder im weitern VDerftande, die Hands 
lung Gottes, wodurch er den Ereaturen feine Meinung bes 
zeichnet : oder fie ift die Bezeichnung der göttlidien Meis 
nung, welche von Gott felbft gefchehen ift , um den Creatu— 
ren feine Meinung befant zu machen. Da nun die Offen« 
barung eine folhe Handlung ift, wodurch er auffer fich in 
die Creaturen, oder in die Welt würft, fo ift fie eine freye 
Handlung Gottes $. 939, ee wenn, eine Defantmas 


f5 dung 


458 Die Offenbarung Gottes, 


hung einer göttlichen Meinung, eine Offenbarung Gottes 
foll genent werden, fo muß Gort felbft von derfelben der Urs 
heber ſeyn. Gefegt, ein Menſch madje einem andern, 
etwas von Gott und feinem Sinne und feiner Meinung, 
befant: fo ift diefe Befantmachung Feine Offenbarung, in 


fo ferne man fich den Menfchen als den Urheber derfelben 


vorftelt, Stelt man fih aber Gott als den Urheber derfel» 
ben vor, fo fagt man, daß Gott fich durch einen Menfchen 
einem andern offenbare. Durd) die Meinung Gottes muß 
man, fo wol die Sinnesmeinung, als aud) die Willensmeis 
nung Gottes, verftehen. gene ift eine Erkentniß, die in 
Gore it, und die Gott für wahr hält, als wie wir fagen, 
Daß unfere Meinung in denenjenigen Borftellungen beftebt, 
die wir für wahr halten. Die Sinnesmeinung Öortes alfo ift 
ein Inbegrif wahrer Erkentniß, oder ein Inbegrif der Wahr- 
beiten, fie mögen nun von Gott und feinen Bollfommenheiten 
handeln, oder von uns Menfchen, oder von andern Dingen, 
Die Willensmeinung Gottes aber begreift alles Dasjenige in 
fih, was Gott will, z. E. was Gott befehloffen hat, was er 
von den Ereaturen will gethan und gelaffen wiffen u. f. w. 
Und wenn wir fagen, daß die Offenbarung eine von Gott 
ſelbſt geſchehene Bezeichnung fey, fo muß man alle Arten 
der Zeichen verftehen, die Gott brauchen fan, um feine 
Sinnes- und Willenemeinung den Creaturen befant zu mas 
chen. Indem fih Gort alfo einer Creatur offenbart, fo 
macht er gewiffe Dinge und Veränderungen wuͤrklich, des 
ven fich verftändige und nachdenfende Creaturen als Mittel 
bedienen koͤnnen, um dadurch zu einer Erfentnig der Sin: 
nes» und Willensmeinung Gottes zu gelangen. Folglic) 
erlangen die Creaturen, durch die Offenbarung Gottes, eine 
Erkentniß von der göttlichen Erfentnig und den Gegenftän: 
den derfelben fo wol, als auch von feinem Willen und Rath. 
ſchluͤſſen. Nun iftes fhlechterdings unmöglich, daß eine Ereas 
eur die ganze Erfentniß, und den ganzen Willen Gottes, folte 
erfennen koͤnnen: denn beyde find allen Creaturen unausforfc)« 
lich $. 890. Gott mag fi) demnach nod) fo deutlich und 

aus«e 





Die Offenbarung Gottes, | 459 


ausführlich offenbaren, es ift ganz unmöglich, daß er, feine 
ganze göttlihe Meinung, den Creaturen befant machen folte, 
Und es ift gar Fein Einwurf wider die Richtigkeit der Goͤtt— 
lichfeit einer Offenbarung, wenn in derfelben vieles fo zu 
reden ausgelaffen und verfchwiegen tworden, oder wenn durch 
diefelbe nicht alle Unwiſſenheit ver Greaturen gehoben wird, 
Man muß es demnach lediglich der göttlichen Weisheit und 
Güte, und feiner Vorſehung, anheim ftellen, was und wie 
viel er durch eine Offenbarung den Creaturen befantmachen, 
und verborgen bleiben laflen will. So viel ift zuverläßig 
gewiß, daß Gore, durch feine Offenbarung, alles ven Crea— 
turen bekantmacht, deſſen Bekantmachung zur böchften 
Vollkommenheit der Welt, zur Erreichung der Abfichten 
Gottes, und zur gröften Gluͤckſeligkeit der vernünftigen 
Creaturen, erfodert wird. Alles dasjenige aber verſchweigt 
er in feiner Offenbarung, und laßt die Unwiſſenheit deffel- 
ben in den Creaturen zu, deffen Erkentniß den Creaturen, zu 
ihrer höchften Glückjeligfeit, und zur gröften Vollkommen— 
beit der Welt, nicht nöthig ift $, 1016.  Diefe legte Bes 
trachtung müffen wir, reider die unordentliche Wiffensbe- 
gierde der Menfchen, wohl bemerfen. Was Gott z. E, 
in der Bibel verſchwiegen hat, das möchten wir gar zu gers 
ne wiſſen, wir erdenfen deshalb hundert Meinungen, und 
gerathen in unendliche Spisfindigfeiten. Was er aber in 
derfelben gefagt bat, das ſcheint uns ein Stuͤckwerk zu feyn, 
mit dem man unzufrieden zu feyn Urfach habe. 
75, 

Die erfte Are der Offenbarung Gottes ift die natuͤr⸗ 
liche Offenbarung, durch welche ſich Gott auf eine folche 
Art den Creaturen offenbart, die nicht übernatürlich ift, und 
bey welcher alfo aud) gar Fein Wunderwerf vorgeht. Nun 
ift Gott der Urheber der ganzen Natur $. 977. Folglic) 
fan man fagen, daß alle Erfentniß, welche wir Menfchen, 
oder andere Creaturen, von der Sinnes- und Willensmei» 
nung Gottes natürlicher Weife, und durd) den bloß natür- 
lichen Gebrauch natürlicher Erfentnigmittel erlangen, ein 

Werf 


463 Die Öffenbarung Gottes. 


Merk der freyen Handlung und Vorſehung Gottes, und 
alfo eine Dffenbarung Gottes fey S. 1072. Denn, erft« 
lich , iſt die ganze Welt, alles was drinnen ift, und der 
ganze Zufammenhang in derfelben, eine Würfung der 
Macht und des Rathſchluſſes Gottes; folglich ein Zeichen, 
woraus der Rathſchluß Gottes, folglich der Wille Gottes, 
und die Bewegungsgründe deſſelben, erfant werden fünnen 
$. 278. Da nun diefe Welt die befte ift, fo ift fie auch 
bergeitalt von Gott eingerichtet, daß aus ihr, und aus als 
lem was fie in ſich enthält, die göttlichen Bollfommenbeis 
ten, feine Rathfchlüffe, fein Wille, und feine Erfentniß 
aufs beſte erfant werden koͤnnen F. ıc13. Zum andern 
hat er die befte Welt mit vernünftigen Creaturen angefült, 
welche durch ihre Natur im Stande find, aus der Betrachs 
tung der Werfe Gottes auf ihren Urheber zu fchlieffen, und 
aus der Welt feine Bollfommenheiten, feine Sinnes- und 
MWillensmeinung, zu erkennen. Und wenn diefe Creatus 
ren diefes wuͤrklich thun, fo geſchieht es vermittelft der Mit— 
mürfung Gottes S. 1027. und es ift demnach eine natürliche 
Dffenbarung Gottes. Die Erfahrung lehrt, daß Gott fich 
natürlicher Weife uns Menfchen offenbaret habe, und noch 
beftändig offenbar. Die ganze natürliche Gottesgelahrs 
heit ift eine natürliche Offenbarung Gottes, desaleichen die 
ganze practifche Weltweisheit, als welche uns lehrt, mas 
Gott von uns will gethan und gelaffen wiflen. Ja man 
Fan fagen, daß, alle wahre Erfentniß nüglicher Dinge, 
Wahrheiten und Wiffenfchaften, in fo weit fie. von uns 
Menfchen natürlicher Weile erfant und erlangt wird, eine 
natürliche Offenbarung Gottes fey; meil fie ung allemal ein 
Stüd der göttlidyen Alwirengeir, und alfo eine Sinnes⸗ 
meinung Gottes, bekantmacht. Diefe Offenbarung Gottes 
wird auch das Licht der Vernunft und Matur genent, des⸗ 
gleichen eine mittelbare und entfernte Offenbarung, weil 
Gott ſich vermittelft der Natur in derfelben befantmacht, 
und nicht fo unmittelbar dabey handelt, als bey der überna« 
eürlichen Offenbarung. Und da Gott fic) allen Menfchen, 

und 





Die GÖffenbarung Gottes. 461 


und allen vernünftigen Creaturen, auf diefe Art offenbar, 
fo nent man fie die allgemeine Offenbarung. Sie beift 
aber vornemlich die natürliche, erftlich weil das Erkentniß⸗ 
mittel derfelben die Natur ift, die Welt, Die natürlichen 
Dinge, natürlich befante Wahrheiten u. f. w. Ben der 
übernatürlichen Offenbarung erfent man Gott, aus und ver— 
mittelft übernatürlicher Begebenheiten und Wunderwerfe, 
Zum andern, weil die blojfe Natur, der bloß natürliche 
Gebrauc, der Kräfte der Natur, und die bloß natürliche 
Verbeſſerung derfelben, zureichen, Gott durch die natürli« 
che Dffenbarung zu erkennen , ohne daß es nöthig ſeyn folte, 
daß unfer Berftand vorher übernatürlich erleuchtet werde, 
$. 1074. 

Die Mittel, deren ſich Gott bey feiner natürlichen 
Dffenbarung bedient, und wodurch er ſich, feine Vollkom— 
menbeiten, und feine Sinnes- und Willensmeinung, den 
Greaturen bekantmacht, find überhaupt alle endliche würf: 
liche Dinge, Denn alie diefe Dinge find Würfungen Got: 
tes, und feines allervollfommenften Rathſchluſſes 6. 973, 
1067. Nun fan, aus einer iedweden Würfung, die Bes 
fchaffenheit und Gröffe ihrer würfenden Urfach erkant wers 
den $. 257. Folglich ift, ein iedes endliches würfliches 
Ding, ein von Gottes frenen Willen ermwähltes und verords 
netes Zeihen und Erfentnißmittel, woraus vernünftige 
Creaturen ihn felbft, feine Vollkommenheiten, feinen Rath: 
ſchluß, -foiglic) aud) die Bewegungsgruͤnde deffelben, und 
alſo fo wol die Willens - als aud) die Sinnensmeinung Gots 
tes, zu erkennen im Stande find. Und alfo ift, ein ied— 
wedes endliches würflihes Ding, ein Dffenbarungsmittel 
Gottes, deffen ſich Gott frey bedient, um ſich natürlicher 
Weife den Creaturen zu offenbaren. Ben Diefer Wahrheit 
muß folgendes angemerkt werden. 1) Alle Dinge in der 
Welt, in fo ferne fie gut find, bangen geradezu von der 
Macht, von der Borfehung und von dem Rathſchluſſe Got— 
tes, ab. Gott will fie in diefer Abſicht, und billiger fie. 
Folglich offenbart Gott, Durch das Gute in der Welt, ges 

rade⸗ 


462 Die Offenbarung Gottes. 


radezu und unmittelbar feine höchfte Bollfommenbeit, undfei- 
nen Willen. Allein auch 2) das Boͤſe in der Welt hanget, von 
der weifeften und gütigften Zulaffung Gottes, ab. Folg« 
lich offenbart er Durch daffelbe uns unmittelbar feinen uns 
endlichen Haß des Boͤſen, mittelbarer Weife aber auch 
feine höchfte Güte, Weisheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit. 
3) Eine iedwede Subftanz diefer Welt ift eine Kraft, wel« 
he die Welt vorftelt $. 367. und zwar die befte Welt, 
folglich) das allerbefte Werk des gütigften, weiſeſten und 
vollfommenften Urhebers. Es ift demnach eine iedwede 
Subſtanz gleichfam eine Statue in der Welt, welche den 
Schöpfer der Welt in feiner Herrlichkeit bezeichnet und ofs 
fenbart. Da nun, ein iedwever Körper, ein Yrbegrif 
vieler Subftanzen ift $. 226. fo find auch alle Körper in der 
Welt Dffenbarungsmittel, wodurch Gott ſich natürlicher 
Weife den Ereaturen befantmaht. Man Ean allo fagen, 
daß Gott die ganze Welt dergeftalt eingerichtet hat, daß er 
fi) unſerer Seele durch alle Subftanzen und Körper, mit 
denen fie umgeben ift, offenbart und zu erfennen gibt. Ale 
les was wir um und neben ung fehen und hören, oder its 
gends auf eine andere Art empfinden, ift ein Werf Gottes, 
aus welchem feine Vollkommenheit, fein Rathſchluß und 
feine Meinung hervorftralt, Wir koͤnnen ſchmecken und ſe— 
hen wie freundlich Gott ift, weil alles Öute und Angenehme, 
was wir ſchmecken und fehen, eine Würfung der göttlichen 
Güte ift. 4) Die Seele ſelbſt ift ein Mittel, wodurch fich 
Gore ihr offenbart. Sie felbft ift eine Würfung Gottes, 
alles, was fie in fich felbit fühlt und empfindet, ift eine 
Würfung des göttlichen Rathſchluſſes, ſeiner Vorſehung 
und aller damit verfnüpften Bollfommenheiten. Wer alfo 
von feiner Seite gehörig nachdenkt, der mag feine Aufmerk— 
famfeit auf fich felbft lenfen, oder auſſer fich auf alles übrige, 
was in der Welt ift. Alles auſſer und in ihm ruft ihm zu, 
daß ein Gott fey , welcher heilig, aqütig und im höchtten 
Grade vollfommen fen, weldyer das Gute wolle und dag 
Boͤſe verabſcheue. Und es laͤßt ſich demnach Gott UN 

unbe⸗ 








Die Offenbarung Gottes. 463 


unbezeugt an einer iedweden vernünftigen Creatur, indem 
er, durch die Würfungen feiner Macht, das ift, durd) 
alles in der Welt, ſich allen vernünftigen Creaturen natüra 
lich offenbart. Wenn man nun nod) bedenft, daß die befte 
Welt das allergröfte und vortreflichfte Ebenbild Gottes fen 
S. 372. fo wird man nod) leichter überzeugt werden, daß 
diefe ganze Welt, uud alles was drinnen, das allervollfom- 
menfte Mittel fen, wodurch fid) Gott den endlichen Gei— 
fern natürlig;er Weiſe offenbart. 

a, $. 1075, 

Alle Wahrheiten, welche wir Menfchen und andere 
vernünftige Creaturen, aus den bisher angeführten Offene 
barungsmitteln Gottes, natürlicher Weife erkennen, fie mös 
gen nun von Gott oder von andern Dingen handeln, ters 
den von Gott durd) feine Allwiffenheit erfant und gehören 
alfo zu der Sinnesmeinung Gottes. Folglich) erlangen die 
vernünftigen Greaturen, alle ihre wahre Erkentniß, die fie 
natürlicher Weife erlangen, durdy die natürliche Offenba= 
rung Gottes, Mun fragt fihs, mie Gott natürlicher 
Weiſe feine Willensmeinung, den vernünftigen Ereaturen, 
offenbart habe? Und das ift, auf eine zweyfache Weiſe, ges 
ſchehen. ı) Daß Gore die ganze NBelt fo eingerichtet hat, 
daß die vernünftigen Creaturen im Stande find, aus ders 
felben natürlicher Weife die Zwecke Gottes zu erfennen, 
Denn Gott will feine Zwecke erfült willen, und er erhält 
fie auch in der That. Wer aljo die göttlichen Abfichten 
entdeckt, der entdeckt dasjenige, was Gott will. Nun hat 
Gott diefe Welt fo eingerichtet, daß ein Ding dem andern 
nußt, und daß immer mehr Guts nad) und nad) entjteht, 
und zwar durch die mannigfaltigen Berbindungen, in welche 
die Theile der Welt gerathen 8. 444. und ein ieder wah⸗ 
ver Nutzen, und eine iedwede zufällige Vollkommenheit, 
welche in der Welt entſteht, iſt eine Abficht Gottes. $, 1005, 
Folglich entdeckt uns Gott natürlicher Weiſe feine Abfid)- 
ten, und alfo auch feine Willensmeinung, durch die Nu— 
Gen der Dinge, Indem wir alfo alle Dinge in ber Welt 

gebraus 


464 Die Offenbarung Gottes, 


gebrauchen, und fo fehr und mannigfaltig zu nugen fuchen, 
als möglich ift, indem offenbart uns Gott natürlicher Weiſe 
feine Willensmeinung. 2) Daß er uns in den Stand ges 
fegt hat, feine Rathſchluͤſſe, weldye unleugbar zu feiner 
Willensmeinung gehören, orte natürlicher Weile zu erfens 
nen. Denn Gott hat dasjenige in einem iedweden Falle 
befchloffen, mas in demielben Falle das beite ift $. :c67. 
Folglich fönnen wir natürlicher Weife erkennen, was Gott 
befchloffen Hat, wenn und fo ofte wir natürlich erfennen 
fönnen, was das Beſte if. Nun find wir das le&te als 
femal nachher zu erfennen im Stande, wenn eine Sache 
ſchon gefchehen ift, indem wir gewiß willen, daß eine ied— 
wede Sache, fo mie fie ift und gefchieht, zur beiten Belt 
gehört. Zum voraus fönnen wir zwar felten gewiß, aber 
doc) ofte mwahrfcheinlih, erkennen, was das beite feyn 
wird. Folglich bat Gott, den vernünftigen Creaturen, 
feine Rathſchluͤſſe in fo weit natürlicher Weife offenbart, in 
fo weit er es ihnen natürlicher Weife moͤglich gemadjt hat, 
zu erkennen, was in der Reihe der endlichen Dinge das 
Befte if. Wenn wir alfo in einem gewiflen Falle begierig 
find, den Rathſchluß Gottes zu willen, fo müjfen wir ju 
erkennen fuchen, was unter alle demjenigen, fo ſich zutragen 
kan, das Beſte iſt. Können wir daffelbe nicht ausfindig 
machen, fo müffen wir daraus fchlieffen, daß es uns Gore 
nicht offenbaren wolle, oder Daß er es vor uns verborgen 
habe, was er in einem gewiflen Falle befchloffen bat. 
Hieraus folgt alfo, daß, die ganze practiſche Weltweisheit, 
eine natürliche Offenbarung des goͤttlichen Willens ſey. 
Denn alle unfere Pflichten befteben in freyen Handlungen, 
in fo) weit. fie den göttlichen Zwecen gemaß find, und um 
derfelben willen vorgenommen werden, und die ganze natüre 
liche Pflicht ift in dem Satze zufammengefaßt: Thue alles 
mal das Beſte, in fo ferne du es natürlicher Weite zu er— 
£ennen im Stande bift. Gott Nat demnach den Menſchen 
feinen Willen natürlicher Weite offenbart, indem er es ihnen 
möglich gemacht bat, die natürlichen Pflichten zu erkennen. 

9. 1076. 





Die Offenbarung Gottes. 465 


$. 1076. 

Aus allen vorhergehenden Betrachtungen erhelfer zur 
Genüge, daß, aller vortreflihen Einrichtung diefer Were 
ohnerachtet, vermöge welcher fie fo gefchickt ift, daß fich 
Gott durch diefelbe den vernünftigen Creaturen natürlicher 
Weife offenbare, diefe Offenbarung nicht anders würklich 
erfolgen Fonne, als wenn die vernünftigen Creaturen ihre 
Vernunft, famt allen übrigen Erfentnißkräften, in dem ge« 
börigen Grade der Vollfommenheit und des Fleiſes würfe 
lid) brauchen, um diefe Welt, und alles was drinnen ift, 
recht zu betrachten, und durch diefe Berrachtung zu einer 
würflihen Erfentniß Gottes zu gelangen. Es wird dent 
nah, von Seiten der vernünftigen Creaturen, zu der nas 
türlichen Offenbarung Gottes erfordert: 1) eine groffe Fer— 
tigfeit des rechten Gebraud)s des Verſtandes, und der ges 
funden Bernunft. Je gröffer und vollfommener diefe 
Kräfte, und der Gebrauch derfeiben, ben einem endlichen 
Geiſte find, defto beifer Fan fich Gott ihm natürlicher Weife 
offenbaren; ie Fleiner und unvollfonmener fie aber find, 
deito weniger Fan fich Gott demfelben, durd) die natürliche 
Dffenbarung, befantmachhen. 2) Eine recht vollfommene, 
weitläuftige, groffe, richtige, deutliche und practiſche Era 
fentniß der Dinge in der Welt, der Geifterwelt und der 
Körperivelt, der Aftronomie, der Naturlehre, der Welt 
weisheit, und aller Willenfchaften, welche fih, mit der 
Unterfuchung der Naturen der Dinge in der Welt, befchäfe 
tigen. Je beſſer viele Erkentniß ben einem endlichen Geiite 
ift, defto beffer erfent er die Mittel der natürlichen Offen— 
bacung, und deſto beiler offenbart fich alfo ihm Gott na— 
türlicher Weife. Je fihlechter aber diefe Erkentniß bey einem 
endlichen Geifte iſt, deſto weniger Fan er auch, durch die 
natürliche Offenbarung, von Gott erkennen. 3) Eine 
groffe teleologiſche Erkentniß, oder Einſicht in die Mugen 
und göttlichen Abfichten der Dinge in der Welt $. 1075. 
Je beffer diefe Erfentniß bey einem endlichen Geifte iſt, 
defto beffer offenbart fich ihm Gott natürlicher Weiſe; ie 

4, Theil, Gg ſchlechter 


466 Die Öffenbarung Gottes. 


fchlechter fie aber ift, defto unvollfommener ift bey ihm bie 
natürliche Offenbarung. 4) Eine vollfommenere Einficht 
in die übrigen Arten des Zufammenhangs der Dinge in 
diefer Welt, weil alle diefe Arten, Mittel ver natürlichen 
Dffenbarung, find $. 1074. Je vollfommener diefe Era 
kentniß in einem endlichen Geifte ift, deſto beffer erfent er 
Gott durch die natürliche Dffenbarung ; ift aber diefe Er— 
kentniß in einem endlichen Geifte fehr ſchlecht, fo ift aud), 
feine Erkentniß Gottes durd) die natürliche Offenbarung, 
fehr unvelllommen. Nun Fennen und müffen wir, der 
göttlichen Vorſehung, mit der vollfommenften Zuverfiche 
zutrauen, daß er, einem iedweden endlichen Geifte, ſich 
würflid) in demjenigen Grade der Vollkommenheit natürs 
licher Weile offenbare, der in der beften Welt, oder ohne 
Nachtheil der höchften Güte und Weisheit, möglich ift 
S. 1016, Allein wenn wir, mit diefen Betrachtungen, die 
Beſchaffenheit des menfchlichen Gefchlechts vergleichen ; fo 
fan uns wahrfcheinlihh werden, daß die bloffe natürliche 
Offenbarung nicht zureichend ſey, die höchfte Ehre Gottes 
und die gröfte Glücfeligfeit der Menfchen würflic zu er« 
langen. Denn die meilten Menfchen brauchen ihre Ber: 
nunft ſehr ſchlecht, und haben die elendefte Erfentniß von 
den Werfen und Zwecken Gottes, Die meiften Menfchen 
bleiben, in ihren Betrachtungen, bey der Oberfläche der 
Creaturen ftehen, und fihlieffen nicht weiter fort bis auf 
den Schöpfer. Die wahren Weltweiſen Haben allemal eine 
Eleine unfichtbare Kirche ausgemacht, und wenn die chrift« 
lichen Weltweifen die heilige Schrift nicht als ein Huͤlfs— 
mittel dev Weltweisheit brauchten, fo würde es um die 
Weltweisheit fehr fhlecht unter den Menfchen ausfehen, 
Folglich Fan man zuverſichtlich behaupten, daß, die bloffe 
ihr felbft gelaffene Vernunft der Menfchen, durch die natürs 
liche Dffenbarung, eine ungemein mangelhafte, fchlechte, und 
zu der hoͤchſten Glückfeligkeit der Menfchen unzureichende 
Erfentniß von Gott, und feiner Sinnes- und Willensmei« 
nung, erlangen Fan. Durch diefe Betrachtung Fan ein 

Theologe 








Die Offenbarung Gottes. 467 


Theologe auf die vernünftige und wahrfcheinlihe Muthmaf- 
fung gebracht werden, daß eine übernatürliche Dffendarung 
Gottes unter den Menfchen nöthig fey, und wuͤrklich unter 
denfelben angetroffen werde, 
% 9e,1077: | 
Die andere Art der görtlihen Offenbarung ift die 
Offenbarung im engern Verftande, oder diejenige Of— 
fenbarung Gottes, welche übernatürlicher Weife, oder durch 
ein Wunderwerf geſchieht. Diefe Offenbarung wird vie 
nähere und unmittelbare Offenbarung genent, weil Gott, 
bey den übernatürlichen Begebenheiten, allemal in einem 
hoͤhern Grade unmittelbar gefhäftig it, als bey den natuͤr⸗ 
lichen Begebenheiten, Und wenn die Gottesgelehrten be— 
haupten, daß Gott die ganze heilige Schrift den Männern 
Gottes eingegeben habe, fo ift diefe Eingebung dasjenige, 
was wir hier die Offenbarung im engern Berftande nennen, 
Wenn wir uns von diefer Offenbarung einen rechten Begrif 
machen wollen, fo müflen wir viererlen bemerken, Erſtlich, 
es ift möglih, dag Gott fih, allen endlichen Geiftern, 
auch übernatürlich offenbart habe. Allein da wir nicht die 
geringfte wahrfcheinliche Nachricht Haben, ob fid) Gott an— 
dern endlichen Geiftern auffer den Menfchen übernatürlich 
offenbart habe, und wir als Chriften blos wiffen, daß eine 
ſolche übernatürliche Offenbarung unter den Menfchen ges 
ſchehen, und noch dazu nicht einmal fo, daß alle einzelne 
Menfchen eineNachricht von diefer Dffenbarung gehabt has 
ben: fo kan man, die übernatürliche Offenbarung, mit 
Kecht eine befondere oder practiculaire Offenbarung Gotteg 
nennen, Zum andern, die Mittel, deren ſich Gott bey der 
übernatürlichen Dffenbarung bedient, find nicht, wie bey 
der natürlichen, die natürlichen Dinge und Begebenheiten 
in der Welt; fondern fie find von anderer Art, und können 
verfchieden fern. So wiſſen wir als Chriften, daß Gore 
fi übernatürlich offenbart habe durch Reden, die gewiſſe 
Perſonen gebört haben; durch eine Schrift, Die er gewiſſen 
Perfonen eingegeben; durch Träume; durchs Loos; durchs 
g.2 Urim 


468 Die Offenbarung Gottes. 


Urim und Tummin; durd) Entzüfungen u. fe w. Zum 
dritten iſt, die Arc und Weife diefer Offenbarung, allemal 
übernatürlic) und ein Wunderwerk; da im Gegentheil, bey 
der natürlichen Offenbarung Gottes, alles natürlich zugeht. 
Und viertens Fan, durch diefe übernatürliche Offenbarung, 
den Menfchen eine Wahrheit befantgemacht werden, wels 
che fie nicht nur begreifen Eönnen, fondern welche fie auch 
natürlicher Weife zu erkennen im Stande find. Go hat 
Hort viele Wahrheiten in der Bibel eingegeben, welche 
nicht über den natürlichen Verſtand der Menfchen gehen, 
und die von den Menfchen auch natürlicher Weife erfant 
werden fonnen. Da nun alle übernatürliche Begebenheis 
ten in der Welt, Würfungen der allerbefonderften Mit 
mwürfung Gottes, find $. 1034. fo ift auch unleugbar, daß 
Gott, wenn er fich übernarürlich offenbart, dadurch aufs 
allerbefonderfte mit den Creaturen mitwürfe, um feinen 
gröften Zweck, die höchfte Religion, und die gröfte Glück. 
feligfeit der Menfchen, zu befördern. 


. 1078. 

Es ift, bey der Erklärung der übernatürlichen Dffen- 
barung Gottes, eine nöthige und nügliche Unterfuchung, 
mern man die verfchiedenen Arten, wie ſich Gott überna- 
türlich offenbaren Fan, genauer auseinander feßt. Gie Fan 
nemlich, auf eine zweyfache Art, gefchehen. 1) Wenn 
Gott übernatürlih, und durch ein Wunderwerf, eine Er— 
kentniß einer Wahrheit in einem endlichen Geifte wuͤrkt. 
Und das fan wiederum, auf eine vierfache Art, geſchehen. 
Erftlich, wenn Sort, eine folhe Vorftellung, in einem end= 
lichen Geifte unmittelbar würft, die in ihm ganz neu ift, 
und die er vorher niemals, durd) den natürlichen Gebraud) 
feiner Erfenmißfräfte, in fich gewürft bat. Wir Fonnen 
hieher rechnen die unausfprechlichen Worte des Lebens, mel» 
che Paulus in einer Entzuͤckung gehört, und die er nicht im 
Stande war, mit ähnlichen Beariffen zu vergleichen, und 
alsdenn mit befanten Worten auszudrucken. Wir finden, 
ſehr wenige Benfpiele von dieſer Offenbarung, in der heilis 

gen 





Die Öffenbarung Gottes. 469 


gen Schrift. Es wiirde auch fehr wenig Nutzen haben, 


wenn Gott ſich ofte auf diefe Art offenbart hätte. Denn 
ein Menfch, der einer folchen Dffenbarung gewuͤrdiget wird, 
befindet jich juft in den Umftänden des Apoftels Paulus, 
welcher von diefer Dffenbarung zwar felbft Nutzen hatte, 
diefes Nutzens aber feinen andern Menfchen theilhaftig mas 
hen Fonte, indem er nicht im Stande war, die ihm geofe 
fenbarte Erfentniß andern mitzutbeilen. Zum andern, 
wenn Gott, in einem endlichen Seifte, folche Borftellungen, 
die er durch den natürlichen Gebrauch feiner Erfentnißfräfte 


‚erlangt hat, zu einer Zeit wiederum erweckt und klar macht, 


in welcher es natürlicher Weife nicht gefchehen wäre. Ale 
denn muß Bott, das Gedächtnif und die Aufmerkfamfeit ei⸗ 
nes folhen Geiftes, übernatürlicher Weife in Wuͤrkſamkeit 
fegen, und juft auf diefe und Feine andere Borftellung len— 
fen. So muß man die Fingebung erflären, wenn die 
Männer Gottes in der heiligen Schrift Begebenheiten und 
andere Sachen aufgefchrieben, die fie durch ihre eigene Er— 
fahrung, und durch andere natürliche Wege, erfant hatten. 
Zum dritten, wenn Gott die Erfentmißfräfte eines endli— 
chen Geiftes übernatürlicyer Weife beſtimt, eine Reihe fols 
cher Begriffe zu würfen, die einzeln ihm längft natürlicher 
Weiſe befant geweſen, die aber in ihrer Zufammenfeßung 
etwas vorftellen, welches derfelbe Geift natürlicher Weife 
nicht würde haben erfennen koͤnnen. Hieher Fonnen wir, 
die Schöpfungshiftorie, rechnen. Es ift Fein einziger eins 
zelner Begrif in derfelben anzutreffen, den nicht Mofes und 
alle Menfchen natürlicher Weiſe befisen, Allein fie ftellen 
zufammengenommen eine Art der Schöpfung vor, Die fein 
Menſch natürlicher Weife wiffen fan. Zum vierten, wenn 
Gott die Erfentnißkräfte eines endlichen Geiftes beftimt, 
folche natürliche und ihm längft befante Begriffe zu würfen, 
die aber als Metaphern eine geheime Bedeutung haben, die 
derfelbe Geift natürlicher Weiſe nicht würde haben erfennen 
fonnen. So find, die meiften geoffenbarten Wahrheiten, 
offenbart worden. Gott hat, die befanten und natürlichen 

93 Borftels 


470 Die Öffenbarung Gottes, 


Borftellungen von einem Vater, Sohn und Geift, in der 
Seele der Apoftel erweckt, und durch fie, als durch uneis 
gentliche Borftellungen, die Dreyeinigkeit offenbart. Wenn 
nun Gott auf diefe erfte Art ſich z. E. einem Menfchen of⸗ 
fenbart bat, fo iſt nur, bey der erſten Hervorbringung dies 
fer Erfentniß, ein Wunderwerf nöthig geweſen. Hernach 
bat der Menfch, dieſe einmal erlangte Erkentniß, durd) 
fein Gedaͤchtniß ganz natürlich ofte wiederum hervorbringen 
fonnen; er hat diefe Erfentniß natürlicher Weife Flärer und 
vollfommener machen, fie andern natürlicher Weiſe vortras 
gen Fönnen, und andere Menfchen haben natürlicher Weife 
eben diefelbe Erfentniß erlangen konnen. Widrigenfals 
müßte Gott 3. E. die Vorftellung der Dreyeinigfeit, in 
allen Ehriften durch ein Wunderwerf hervorbringen, und 
zwar fo ofte, als fie an diefe Borftellung venfen. 2) Wenn 
Gore übernatürlicher Weife, und durch ein Wundermerf, 
gewiſſe Zeichen würflidy macht, welche die Menfchen natürs 
licher Weife empfinden, und durd) die Betrachtung derfel- 
ben natürlicher Weiſe ihre Bedeutungen erkennen, welche 
die Wahrheit vorftellen, die Gott offenbart. Man feße 
fid) in die Stelle Mofes, oder andrer Menfchen, zu denen 
Gott geredet, Hier hat Gott nur durd ein Wunderwerf 
Töne in der Luft würflich machen dürfen, übrigens ift alles 
natürlich zugegangen. , Mofes hat diefe Worte blos natürs 
lich gebört, und weil es Worte gewefen, die ihm befant 
waren, fo bat er ganz natürlich ihre Bedeutungen erfant. 
Eben fo verhält es ſich, mit der heiligen Schrift. Nach— 
dem diefe Schrift durdy ein Wunderwerf einmal wuͤrklich 
gemacht worden, müffen wir Menfchen bios natürlicher 
Weife die Sprache derfelben leſen und verftehen lernen ; 
mern wir in diefem Buche lefen, fo aefchieht es natürlicher 
Weiſe; und es würde eine lächerliche Schwärmerey feyn 
zu glauben, daß ein Menfch alles diefes natürlicher Weife 
nicht thun koͤnte. Demohnerachtet fan und muß man be= 
baupten, daß wenn ein Menfch natürlicher Weife ven Ber: 
fand der heiligen Schrift eingefehen, diefe Einficht nicht 

eber 





Die Offenbarung Gottes. ar 


eher zum Zwecke diefes Buchs zureiche, bis fie nicht durch 
die übernatürliche Erleuchtung den Grad des Lebens befoms 
men, durch welchen ver Menfch wiedergeboren wird. Es 
ift in der That ein laͤcherlicher Irrthum, wenn mand)e Des 
haupten, daß man die Bibel, ohne natürlichen Gebrauch 
der Vernunft und anderer Erfentnißfräfte, leſen müffe, 
Auf die Are dürfte nur ein Ungelehrter Gott um die Erleuch« 
tung bitten, und das Hebräifche und Griechifche in der Bis 
bel ftarre angaffen, fo fünte er eben fo wohl zur Einfiche 
in den Berftand der ‘Bibel aelangen, als der befte Grieche 
und Hebräer, 
$. 1079. 

Es fan von einem Weltweiſen gar nicht erwartet und 
gefodert werden, daß er, die Würflichfeit einer überna« 
türlihen Offenbarung Gottes, aus der bloffen Vernunft 
erweife $. 462. Wir Fönnen hiernur dreyerley behaupten, 
Einmal, es ift an und vor fich betrachtet möglich, daß Gore 
ſich übernatürlicher Weife den Menſchen offenbare $. 415. 
Zum andern, ift die übernatürlihe Offenbarung, auch in 
Abficht der Allmacht Gottes, auf eine bedingte Art mög» 
lich; oder Gott Fan, wenn er will, fich den Mienfchen, und 
andern vernünftigen Greaturen, übernatürlicher Weiſe offens 
baren $. 864. Und drittens ift fo viel gewiß, daß Gore 
ſich würklich den Menfchen, und andern vernünftigen Crea⸗ 
turen, in der beften Welt übernatürlicher Weife offenbare, 
wenn und fo ofte die böchften Abfichten der beiten Welt, 
durch die bloffe natürliche Dffenbarung, nicht erreicht wers 
den können, Denn diefe Welt ift eben die befte, weil das 
durch die beften Zwecke, die Gore wuͤrklich zur Abficht ges 
habt hat, ganz gewiß erreiche werden, Könten nun diefe 
Zwecke, ohne übernatürlihe Dffenbarung, nicht erreicht 
werden; fo wuͤrde dieſe Welt nicht die befte feyn, und Gore 
würde feinen allerweifeften Plan entweder nicht ausführen 
koͤnnen, oder nicht ausführen wollen, wenn er die überna« 
türliche Offenbarung nicht wuͤrklich gemacht haͤtte. Und 
wer kan das behaupten? Und da gibt es zwey Falle, in des 

Gg 4 nen 


472 Die Offenbarung Gottes. 


nen die uͤbernatuͤrliche Offenbarung Gottes in der beften 
Welt nicht nur nothmendig ift, fondern auch ganz gewiß 
wuͤrklich gejchieht. 1) Wenn eine gewiſſe Erkentniß zu 
den höchiten Abfichten Gottes, z. E. zur höchften Religion 
und Gluͤckſeligkeit der Menfchen in der beften Welt, unente 
behrlich it, dergeftalt, daß diefe Abfichten ohne diefer Erz 
Fentniß nicht völlig erreicht werden fönnen, und dieſe Erfent: 
niß iſt fo beichaffen, daß fie von den vernünftigen Ereatus 
ren gar nicht natürlicher Weife erlangt werden Fan: fo muß 
Gott, um ſeiner Weisheit und Güte willen, damit die 
beite Welt erhalten werde, ein Wunderwerf thun, und 
dieſe Erkentniß übernatürlich offenbaren 9. 459. Hieher 
Fonnen wir, die Dffenbarung der Geheimniffe der chriftlis 
chen Religion, rechnen. 2) Wenn eine gewiſſe Erkentniß 
zu den höchiten Abfichten Gottes eben fo, wie in dem vor« 
hergehenden alle, unentberlich erfodert wird, und fie Eonte 
Zwar natürlicher Weiſe erlangt werden, aber nicht in demjes 
nigen Grade der Vollfommenheit, als zu der Erreichung 
der götclichen Abfichten erfodert wird, fo muß fie Gott übers 
natürlich in der beiten Welt offenbaren $. 457. Und bieher 
Fönnen wir wieder, zwey Betrachtungen, rechnen. Gin: 
mal, es ift möglich, daß einige Menfchen, z. E. Welt 
weiſe, blos natürlicher Weife eine hinreichende Erfentniß von 
manchen göttlichen Wahrheiten, z. E. von der Allmacht 
Gottes, erlangen, allein die allerwenigiten Menfchen find 
dieier natürlichen Erkentniß fähig. Wie wenige haben fo 
viel tiefiinnigen Verſtand, als zu der natürlichen Erkentniß 
Diefer Wahrheiten erfodert wird ? Und Fönnen alle $eute von 
groflem Beritande fo Funftmäßig ftudiren, daß fie Welt: 
weite werden fönnen? Wenn wir alfo Feine übernatürliche 
Offenbarung hätten, fo würden unendlich wenige Menfchen, 
eine merfliche Erfentniß von Gott, erlangen. Ks hat 
demmach Gott in der heiligen Schrift die ganze natürliche 
Offenbarung übernatürlich offenbart, weil auf die Art uns 
endlich viele Menfchen zu einer Erkentniß Gottes gelangen, 
welche zwar einige Menfdyen natürlich erlangen ur, 

aller⸗ 





Die Öffenbarung Gottes. 433 


allermeiften aber würden in einer gänzlichen Unwiſſenheit 
dieier Wahrheiten geblieben fevn. Zum andern Fan eine 
Erkentniß durch die natürliche Drfenbarung erlangt werben, 
allein es iſt möglich, daß fie Durch die übernatürliche Offen— 
barung viel vollfommener wird, weitlauftiger, wichtiger, 
richtiger, klaͤrer, gewiller und lebendiger, z. E. die Lehre 
von der Sünde $ 1052. Tin allen diefen angeführten Fäls 
len mug Gott, um feiner Güte und Weisheit willen, eine 
übernatürliche ffenbar ung würflid) machen. Wenn ein 
Freygeiſt auf eine vernünftige Art beweifen will, daß es 
feine übernatürliche Offenbarung Gottes gebe: fe muß er 
darthun, daß Diele angeführten Fälle ſich in der beften Welt 
gar nicht zutragen. Und meines Wiffens hat, noch Fein 
Feind der uͤbernatuͤrlichen Neligion, diefen Beweis mit eini= 
ger Wahrjcheinlich£eit geführt. Sind die Freygeifter alfo 
wol fuͤrchterliche Feinde der übernatürlichen Offenbarung ? 
Im Gegentheil müffen auch die Goftesgelehrten, wenn fie 
die Nothwendigkeit einee übernatürlichen Dffenbarung ers 
weiſen wollen, wenigſtens wahrfcyeinlich und mit einer mo» 
ralifchen Gewißheit darthun, daß die angezeigten Fälle in 
der That ſich würflich zutragen. Mit einer völligen Ges 
wißheit Fan freylich diefer Beweis, aus der Vernunft, nicht 
gerührt werden $. 462. Allein es ift hinlaͤnglich, wenn 
er nur mit einer moralifhen Gewißheit geführt wird. Und 
wenn man, den Beweis der Nothwendigkeit der übernatürs 
lichen Offenbarung, nicht einmal zu einer moralifcyen Ge: 
wißheit und überwiegenden Wahrfcheinlichfeit bringen kan; 
fo ift es befler, man wagt ihn gar nicht. Ein ſolcher Be- 
weis mag hernach mit noch ſo viel andaͤchtigen Seufzern, 
über die Blindheit der Vernunft, und über das menfchliche 
Verderben, durchwebt werden, er bleibt doch ein elender 
Beweis, der Feine wahre Ueberzeugung würft, und der 
nur den Naturaliften einen Vorwand verfchaft, bie uͤber⸗ 
natürliche Offenbarung mit einigem Scheine zu verwerfen, 
weil fie im Stande find, einen fo fehlechten Beweis über 
den Haufen zu werfen, 

Gg5 6.1080. 


474 Die Öffenbarung Gottes: 


$. 1080, 

Die dritte Art der göttlichen Offenbarung ift die Of⸗ 
fenbarung im engften Verftande, welche man auch 
allemal im Sinne hat, wenn man von einer Dffenbarung 
ſchlechtweg redet, als z. E. wenn man fagt, man koͤnne 
etwas aus der Vernunft und Offenbarung beweifen, Es 
beftehe diefelbe in der übernatürlihen Offenbarung folcher 
Sachen und Wahrheiten, welche von den Creaturen natür- 
licher Weife gar nicht erfant werden koͤnnen, z. E. die Ofe 
fenbarung der Schöpfungshiftorie, der Geheimniffe der 
hriftlihen Religion u. fe w, Obgleich die Creaturen 
folhe Wahrheiten, wenn fie einmal offenbart worden, na« 
türlicher Weiſe weiter unterfuchen, fid) ihrer erinnern, von 
denenjenigen natürlich Iernen Fönnen, denen fie offenbart 
worden, fie natürlicher Weife deutlicher machen, und auf 
mannigfaltige Art gebrauchen und anwenden Fönnen: fo 
würden fie Doc) ewig unter den Menſchen, und andern ver⸗ 
nünftigen Creaturen, unbefant geblieben feyn, und bleiben . 
müffen, wenn fie Gott nicht irgends auf eine Art überna« 
türlich befantgemacht hätte Go unterfcheiden, die Got— 
tesgelehrten, die Eingebung von der Offenbarung. Sie 
ſagen, alles in der heiligen Schrift iſt den Berfaflern ein« 
gegeben, oder imengern Berftande offenbart worden; allein 
es ift ihnen nicht alles offenbart worden, das ift, nicht im 
engften Berftande; weil die wenigften Wahrheiten in der 
heiligen Schrift folhe Wahrheiten find, welche die Mena 
ſchen natürlicher Weife gar nicht zu erfennen im Stande ges 
weſen. Dun erhellet aus dem erften indem vorhergehenden 
Abfage angeführten Falle, wenn eine ſolche Dffenbarung im 
engften Berftande in der beften Welt möglicdy, nothwendig 
und würklich ift. Und es ift aus diefem Abſatze zugleich 
klar, was die Feinde und Freunde diefer Dffenbarung erz 
weiſen müffen, wenn fie Diefelbe entiweder auf eine vera 
Ständige Art widerlegen, oder ihre Nothwendigkeit erweifen 
wollen. 


$. 1081. 











Die Offenbarung Gottes. 478 


$. 1081. 

Da fo viele Schriften und mündliche Ueberlieferun- 
gen unter den Menfchen angetroffen werden, welche für 
übernatürlihe Dffenbarungen Gottes gehalten werden; fo 
muß es gewiſſe Kennzeichen der wahren und Achten, und 
der erlogenen übernatürlichen Dffenbarungen geben, wodurch 
man fie von einander unterfcheiden fan. Diefe Kennzeichen 
müffen dergeftalt befchaffen fenn, daß eine iedwede Dffen« 
barung übernatürlich ift, welche dieſelben an fich bat, und 
Daß eine iedwede Dffenbarung falfch und erdichter ift, bey 
welcher man das Gegentheil derfelben antrift. Der wahren 
Weltweisheit und gefunden Vernunft fomt es zu, dieſe 
Kennzeichen feftzufegen. Und da haben wir ſchon in dem 
vorhergehenden $. 1079. eriwiefen: daß, eine wahre über« 
natürliche Offenbarung Gottes, die höchften Zwecke Gottes, 
die höchfte Religion und Gfückfeligkeit der Menfchen, in eis 
nem höhern Grade befördern muß, als die bloß natürliche; 
indem fie entweder zu diefen Abfichten unentbehrliche Wahr« 
heiten entdeckt, die natürlicher Weife unbefant find, oder 
indem fie eine ausführlichere, gröffere, richtigere, Elärere, ge— 
wiffere und lebendigere Erfentniß diefer Wahrheiten vers 
ſchaft, als die bloß natürliche Dffenbarung. Wenn nun 
im Öegentheil, eine dafür gehaltene übernatürliche Dffenbas 
rung, diefe Beichaffenheit nicht hat: wenn fie die höchfte 
Religion und Gtücfeligkeit der Menfchen nicht in einem hoͤ— 
bern Grade befördert, als die bloß natürliche Offenbarung; 
wenn fie entweder gar Feine zu diefen Abfichten nöthigen 
Wahrheiten entdeckt, die natürlicher Weife von den Ereas 
turen nicht erfant werden Fönnen, oder wenn fie feine aus— 
führlichere, gröffere, richtigere, Elärere, gemiflere und leben 
digere Erkentniß Gottes verfchaft, als die natürliche Dffens 
barung: fo ift nicht der allergeringfte Grund vorhanden, 
warum man fie für eine wahre übernatürliche Offenbarung 
halten koͤnte. Was natürlicher Weiſe eben fo gut erhalten 
werden Fan, als übernatürlicher Weife, das gefchiebt in Dies 
fer Welt durch Fein Wunderwerk S, 461, Folglich ift es, 

der 


476 Die Offenbarung Gottes. 


der Weisheit und höchften Vollkommenheit Gottes, zuwider, 
eine folche Dffenbarung für übernatürlic) zu halten. Man 
nehme, das apoernphifche Buch Tobias, bier zum Bey» 
fpiele an. Wenn man aud) die Irrthuͤmer, und die aber 
gläubifhen und feltfamen Erdichtungen, welche in demfels 
ben enthalten find, nicht in ‘Betrachtung ziehen wolte, fo 
Fan man doch unmöglich zeigen, daß ohne diefem Bud)e die 
übernatürliche Religion nicht eben fo vollfommen feyn wuͤr⸗ 
de, als fie ift, und es entdeckt weder nöthige Wahrheiten, 
noch gibt es ihnen ein gröfferes Sicht, und eine groͤſſere Ges 
wißheit. Es wird alfo mit Recht, für feinen Theil der 
übernatürlihen Dffenbarung, gehalten. 
S. 1082. 

Es ift ein untrügliches Kennzeichen, ohne welchem 
eine Offenbarung unmöglich übernatürlid) feyn Fan, daß fie 
nemlich der natürlihen Dffenbarung, und der gefunden 
Vernunft, nicht widerfprechen muß. Denn die wahre na= 
türliche Dffenbarung ftamt von Gott her, und macht uns 
die Sinnes- und Willensmeinung Gottes befant $. 1073. 
Die übernatürliche Offenbarung muß diefes ebenfals thun 
6. 1077. Wenn num diefe jener widerfpräche, fo müßte 
in der Sinnes- und Willensmeinung Gottes ein Wider« 
fpruch feyn: er müßte eine und eben diefelbe Sache für 
wahr und für falſch halten, er müßte eine und eben diefelbe 
Sache befchlieffen und nicht befchlieffen, wollen und nicht 
wollen. Da nun diefes unmoͤglich ift: fo fan, die wahre 
übernatürliche Offenbarung, der natürlichen Offenbarung, 
den natürlich befanten Wahrheiten, und der gefunden Ber. 
nunft, nicht widerfprechen. Und was denenfelben wider 
fpriht, das Fan weder eine göttliche Dffenbarung im engern, 
noch im engften Verftande fern $. 1077. 1080. Wenn 
wir alfo in einem Buche foldye Widerfprüche finden, wo— 
durch die natürliche Dffenbarung und die gefunde Vernunft 
über den Haufen geworfen werden würden, fo it es ein uns 
srügliches Kennzeichen, daß daſſelbe feine übernatürliche 
Dffenbarung feyn koͤnne. Was in dem Buche Tobias von 

dem 





























Die Offenbarung Bottes. 477 


dem Eheteufel, und deffen Vertreibung durd) eine Fifchles 
ber, gemeldet wird, ift fo offenbar: der gefunden Vernunft 
zumider, daß diefes Buch unleugbar feine übernatürliche 
Dffenbarung feyn fan. Wir Eonnen freylich nicht fchlieffen, 
was ber natürlichen Dffenbarung, ven natürlich befanten 
Wahrheiten, und der gefunden Vernunft, nicht wider. 
fpricht, das ift eine übernatürlicye Offenbarung: denn fonjt 
müßte, manches philoſophiſche Buch, eine übernatürliche 
Dffenbarung fenn. Sondern fo Fan man ſchlieſſen: was 
voll ſolcher Widerfprüche ift, oder was der natürlichen Of⸗ 
fenbarung und der gefunden Bernunft mwiderfpricht, das 
Fan unmöglich eine übernatürliche Dffenbarung feyn. Nur 
muß man freylich, die wahre natürliche Offenbarung, und 
die gefunde Vernunft, zum Probierfteine annehmen, Ein 
ieder Menſch hält feine eigene natürliche Erfentniß von Gott, 
wenn fie gleic) voller Irrthuͤmer ift, für die narürliche Dfe 
fenbarung, und feine eigenen Vernunftſchluͤſſe, wenn 
fie auch) noch) fo falfch find, für die Vernunft. Folglich ift 
es fo gar nothwendig, und ein Vortheil der übernatürlichen 
Dffenbarung, daß fie der falfchen natürlichen Offenbarung 
und der verdorbenen Vernunft widerfpricyt; indem fie eben 
dadurch ein Hülfsmittel wird, die natürliche Offenbarung, 
die Vernunft und die Weltweisheit zu verbeffern. Allein 
der wahren natürlichen Offenbarung, der gefunden Ver— 
nunft, und denen durch fie natürlich erfanten Wahrheiten, 
Fan die wahre übernatürliche Dffenbarung nicht widerjpres 
chen. Widrigenfals müßte fie unvernünftige, ungereimte 
Jerthuͤmer enthalten, wodurch Gott in der That dasjenige 
widerlegen würde, was er in der natiftlichen Offenbarung 
fefttgefeßt hat. Ja wenn ein Irrthum ung unübermindlic) 
und unfchädlich wäre, fo koͤnte man eg mit der Aufrichtig« 
Feit Gottes wohl zufammenreimen, daß er denfelben in der 
üdernatürlihen Offenbarung zugelaſſen $. 966. Allein 
mir reben bier von Irrthuͤmern, die der gefunden Vernunft 
zuwider find, und deren Unrichtigfeit wir alfo durch unfere 
Bernunft einfehen Eounen, Folglich würde Gott ungütig 

gegen 


478 Die Offenbarung Gottes. 


gegen uns gehandelt haben, wenn er uns erftlich eine Wahr 
heit, durch die gefunde Vernunft, offenbarf, und uns in 
den Stand gefegt hätte, fie einzufehen, und er hätte derfels 
ben, in der übernatürlichen Offenbarung, mwiderfprechen wol⸗ 
len. Indem es uns unmöglid) ift, daß wir zwey wider 
fprechende Säge zugleich für wahr halten folten: fo hätte 
uns Gott in die Nothwendigkeit gefegt, entweder der geſun⸗ 
den Vernunft zu entfagen, oder feine übernatürliche Dffen« 
barung zu verwerfen. Und beydes ift unfrer höchften Glück: 
feligfeit und der Religion zuwider, indem wir ohne geſun— 
de Bernunft gar nicht glückfelig werden, und die Religion 
ausüben Fönnen, und, wenn eine übernatürliche Dffenbas 
rung wuͤrklich ift, diefelbe ebenfals zu diefen Zwece unent— 
behrlich iſt. Hieraus ift alfo Elar, daß die gefunde Vers 
nunft und Weltweisheit, bey der uͤbernatuͤrlichen Dffenba« 
zung, allerdings viel zu fprechen haben, ie müffen die— 
felbe prüfen, und fie find berechtiger, fie aliobald zu ver- 
werfen, wenn fie ihnen widerfpricht. Folglich find fie Die 
rechtmäßigen Richter der übernatürlichen Offenbarung, mels 
che unterfuchen müffen, ob fie aͤcht, oder erlogen und unters 
gefchoben ift, 
$. 1083. 


Wenn man von der übernatürlihen Offenbarung res 
def, fo bedient man ſich auch zu gleicyer Zeit des Worts 
Ölauben, und wir wollen diefen Glauben, zum Unterfchiede 
der übrigen Arten des Glaubens, den theologifchen nennen, 
Aus der Vernunftlehre ift bekant, daß der Glaube überhaupt 
der Beyfall fen, den wir einer Sache und Wahrheit um 
des Anfehens eines Zeugen willen geben. Oder wenn ie 
mand verfichere, daß etwas wahr fen, und er fteht bey ung 
in einem fo geoffen Anſehen, daß wir es auch um feiner 
Berfiherung, oder um feines Zeugniffes willen, für wahr 
halten, wir mögen nun übrigens noch andere Gründe der 
Wahrheit deffelben erfennen, oder nicht, fo glauben wir diefe 
Sache. Nun fan die ganze übernatürliche Offenbarung 


mit Recht, als ein Zeugniß Gottes von allen den Sachen 
und 











Die Offenbarung Gottes, 479 


und Wahrheiten, angefehen werden, welche er in und durch 
diefelbe offenbart hat. Folglich ift der Beyfall, den wir 
der übernatürlihen Offenbarung geben, und durch welchen 
wir fie, und alles was fie verfichert, als wahr annehmen, 
der theologifche Glaube, wenn man ihn als eine Hand» 
lung unferes Verftandes, oder fubjective betrachte, Man 
nimt aber das Wort auch ofte fo, Daß man Darunter den 
Gegenſtand diefes Glaubens verfteht, oder den Inbegrif ale 
Jer derjenigen Sachen und Wahrheiten, dieman, um ver 
Verſicherung der übernatürlicyen Dffenbarung willen, für 
wahr halten muß, und das wollen wir die theologifchen 
Glaubenswahrheiten, oder Glaubensſachen nennen, 
Da nun, in der übernatürlichen Offenbarung Gottes, 
theils folche Wahrheiten enthalten feyn koͤnnen, die natuͤrli— 
cher Weife von den Creaturen nicht erfant werden Eönnen, 
theils aber aud) folche, die zwar von den Creafuren natürlis 
cher Weife erfant werden fünnen, aber nicht auf. eine fo 
vollfommene Art, als es durch Hülfe der übernatürlichen 
Dffenbarung gefchieht: $. 1079. fo ift nicht eine iedwede 
theologifche Glaubenswahrheit fo befhaffen, daß fie von 
den Menfchen gar nicht natürlic) erfant werden fan. Oder 
es Eönnen viele Wahrheiten feyn, welche mit Recht zum 
theologifchen Glauben gerechnet werden, und die demohn— 
erachtet auch natürlicher Weife erfant werden Fönnen. Diefe 
Wahrheiten find Glaubenswahrheiten, in fo ferne fie, um 
der Berficherung der übernatürlichen Offenbarung willen, 
angenommen, und Durch biefelbe erfanf werden. Sie find 
aber auch zugleich natürlich befante Wahrheiten, philoſo— 
phifche Wahrheiten, u. f. w. in fo ferne fie, Durch) die blofs 
fen Kräfte unferer gefunden Vernunft, koͤnnen erfant wer— 
den. Man muß diefes legte wohl bemerken wider diejeni— 
gen, einmal, weldye an der GörtlichFeit der heiligen Schrift, 
und an ihrer Eingebung von Gott, zweifeln, meil das 
meifte in derfelben natürlicher Weile unter den Menfchen 
bekant geweſen iſt. Das it fein zulänglicher Grund zu bes 
baupten, ‚daß diefe Sachen nicht übernatürlich offenbart 


vor“ 


480 Die Offenbarung Gottes, 


worden. Zum andern auch wider diejenigen, welche es 
£adeln, und unter dem verhaßten Namen des Bernünfteins, 
und eines nafeweifen Mißbrauchs der Vernunft, vermers 
fen, wenn vernünftige Gottesgelehrte, die theologifchen 
Ötaubenslehren, auch aus der Vernunft und Weltweisheit 
zu erklären und zu erweifen fuchen, das feßte ift fehr nuͤtzlich, 
weil man alsdenn überzeugt wird, daß Gott eine foldye Lehre 
zweymal offenbart babe, 
$. 1084. 

MWeil es unmöglich iſt, daß die übernatürliche Offen— 
barung der gefunden Vernunft widerfprechen ſolte $. 1082. 
fo fan auch Feine theologifche Glaubenswahrheit, einer nas 
türlich befanten Wahrheit, widerfprechen $. 1083. Denn 
unter zwey einander widerfprechenden $ehren und Sachen 
ift die eine wahr, und die andere ift falfh. Nenn alfo, 
eine theologifche Glaubenswahrheit, einer natürlich befans 
ten Wahrheit widerfpräche, fo ift es unmöglid), daß bende 
zugleich Wahrheiten feyn folten. Alsdenn müßte entweder 
die natürlich befante Wahrheit Feine Wahrheit feyn, over 
die Glaubenswahrheit Fan feine Wahrheit fenn. In dem 
Reiche der Wahrheit felbft, welches alle mögliche Wahrs 
beiten in fich begreift, Fan unmöglih ein Widerfpruch ans 
getroffen werden. - Allein weil wir Menfchen niemals beur- 
theilen koͤnnen, ob gewiſſe Säße, Lehren oder Sachen, eine 
ander widerfprechen oder nicht widerfprechen, als in fo ferne 
wir fie uns vorftellen: fo wird dadurch die Unterſuchung, 
ob Vernunft und Glaube einander widerfprechen,, in gewiß 
fen Fällen fehr fehwer. So wie ſich viele Leute die natuͤr— 
lichen Wahrheiten durch ihre Vernunft, und die Glaubens. 
mahrheiten durd) ihren theologifchen Glauben, voritellen, 
ift unter denfelben ein fehr ftarfer Widerfpruh. Denn 
wenn die Vernunft eines Menfchen verdorben ift, und fal« 
ſche Dinge als Vernunftwahrbeiten annimt, oder diefe 
Wahrheiten unrichtig fich vorftelt, fo muß fie frenlich dem 
wahren theologifchen Glauben ofte ins Angefiht wider: 


ſprechen koͤnnen. So Fommen in der falfchen NBeltweisheit 
viele 





— — 


Die Offenbarung Gottes. 481 


viele Saͤtze vor, welche der heiligen Schrift widerſprechen. 
Allein alsdenn muß man nicht ſagen, daß die geſunde Vers 
nunft der heiligen Schrift widerfpreche; fondern daß die 
Unvernunft, die verdorbene Vernunft, die Afterweltweis- 
heit der heiligen Schrift widerfpreche. _ Und das fan un— 
möglich ein Beweis ihrer Unrichtigkeie feyn, weil ein fo dums 
mer Feind ihr widerfprihe, Möchten doch nur die Frey» 
geifter erjt beweifen, daß ihre Vernunft gefund, und ihre 
Weltweisheit richtig fen! Allein Stolz und Eigenliebe beres 
den einen Menfchen, Diefes allemal als ausgemacht voraus. 
zufegen. Ein ieder, der an die gefunde Vernunft appels 
lirt, appellive blos an feine eigene, Ein ſchoͤner Oberrich- 
ter! Auf der andern Seite fan, der theölogifche Glaube 
mancher $eute, ein falfcher Glaube, ein Aberglaube feyn, 
indem fie entweder eine erlogene Dffenbarung für die überna= 
türliche halten, oder die Zeugniffe der wahren uͤbernatuͤrli— 
chen Offenbarung unrecht erflären und verſtehen. Und die» 
fer Aberglaube fan, der gefunden Vernunft, ‚allerdings 
widerfprechen. Eigenliebe und Stolz bereden auch bier 
Türken, Juden, Heyden und Ehriften, daß fie ihr Glau— 
benslehrgebäude, fo wie fie es annehmen, für das wahre 
halten, Und fie verwerfen daher alle Säge der Weltweis« 
beit, welche demſelben miderfprechen. Es ift nicht zu vers 
muthen, daß, vor der Wiederbringung aller Dinge, diefer 
Streit zwifchen Vernunft und Glauben aufhören wird; 
denn bis dahin wird es immer verdorbene Vernunft, und 
Aberglauben unter den Menfchen geben. Allein der ächte 
theologifche Glaube, und die gefunde Vernunft, koͤnnen 
einander unmöglid) widerſprechen; fondern fie ftimmen mit 
einander aufs richtigfte überein, weil Gore ihr gemeinfchafte 
licher Bater ift, 


6. 1085. 

Es ift eine berühmte Trage: ob bie übernatürliche 
Hfenbarung Dinge enthalten könne, welche wider die Bers 
nunft oder unvernünftig find? Bayle bat diefes in den 

4. Theil, Hh Neu: 


482 Die Öffenbarung Gottes, 


neuern Zeiten zu behaupten gefucht, und $eibnig hat deut⸗ 
lich gerviefen, Daß man dasjenige, mas wider die Vernunft 
ift, von demjenigen unterfcheiden müffe, was über diefelbe 
geht. Was wider die Vernunft ift, und was wir Mens 
ſchen dafür erfennen, das ift, nach unferer wahren Ueber⸗ 
zeugung, unmöglich und ungereimt $. 638. Folglich fan, 
die übernatürliche Dffenbarung, und der theofogifche Glaube; 
nichts enthalten, was wider die Vernunft ft $. 108% 
1083. Und dasjenige, wovon wir Menfchen richtig erken— 
nen, daß es wider die Vernunft iſt, das Fan unmöglid) 
eine übernatürliche Offenbarung ſeyn, nicht einmal im enge 
ſten Verftande, So koͤnnen wir richtig erweifen, daß die 
Transfubftantiation widerfprechend und unvernünftig ſey. 
Folglich Fan fie unmöglid) in der heiligen Schrift enthalten 
ſeyn, und wenn fiein einer Stelle derfelben enthalten wärg, 
fo wäre diefelbe Stelfe gewiß untergefchoben. Allein was 
über unfere Vernunft, ja über die Vernunft aller endlichen 
Geifter, ‘geht, das it deswegen doch moͤglich und wahr, nur 
wir Eönnen eg natürlicher Weife nicht erfennen und verftes 
ben S. 639. Su einer iedweden Offenbarung im engſten 
Verſtande find Dinge, welche wir natürlicher Weife nicht 
erkennen koͤnnen, enthalten $. 108% Folglich enthält 
diefe Offenbarung Sachen und Wahrheiten, welche über 
die Vernunft der Ereafuren, und infonderbeit der Menfchen, 
erhoͤhet find. Und hieher gehören die cheologifchen Bes 
beimniffe, oder dasjenige in den Ölaubensfachen, mas 
über die Vernunft der Menfchen erhöbet iſt, oder was uns 
unbeoreiflich ift. Es gibt auch fonft Geheimniſſe z. E. in 
der Maturlehre, indem wir alles fo zu nennen pflegen, was 
wir wuͤrklich nicht begreifen, und nicht begreifen koͤnnen. Man 
fan auch, durch ein theologifches Geheimniß, eine Sache ver« 
ftehen, welche uns Menſchen fo lange unbefant geblieben, bis 
fie übernatürlich offenbart worden, und welche mir niemals 
wuͤrden haben erkennen fonnen, wenn fie ung nicht wäre 
übernatürlich offenbart worden. Es gibt alfo, eine dops 
pelte Art der theologiſchen Geheimnifie. Einmal folche, 

Die 











Die Offenbarung Gottes. 483 


die uns unmöglich anders, als durch die übernatürlihe Of 
fenbarung, haben befant werden koͤnnen; und zum andern 
folhe, die noch dazu uns unbegreiflich bleiben, wenn fie 
uns auch übernatürlich befantgemacht worden. Es Ean 
demnach theologiſche Geheimniffe geben, die wir mit unfe: 
rer Bernunft begreifen koͤnnen, nachdem fie uns übernatürs 
lich befantgemadhe worden, Wenn es alfo eine Offenba- 
barung im engften Berftande gibt, fomuß fie thestogifche 
Geheimniffe enthalten. Alle Gebeimniffe find nur bezie« 
hungsweiſe Geheimniffe, nemlich in Abfiche der Creaturen, 
über deren Bernunft fie erhöbet find, Und es gibt gar Feine 
Geheimniſſe, die fhlechterdings unbegreifli wären, und 
nicht einmal von Gottes Vernunft begriffen werden Fönten 
6. 629. Es ift alfo wenigftens eine unbedachtfame Re— 
densart, wenn manche, aus einer blinden Hochadjtung der 
theologifchen Geheimniſſe, um fie recht verehrungsmürdig 
zu machen, fagen, daß fie ganz unbegreiflich wären: denn 
das heift fo viel, als fie für unmögliche und ungereimte Sa: 
chen ausgeben. Und eben fo wenig muß man fagen, daß 
die theologifchen Geheimnifje wider die Vernunft find, ob 
fie gleich über die Vernunft gehen; indem mir fie entweder, 
Durch unfere Vernunft, ohne übernatürliche Offenbarung, 
gar nicht würden haben erfennen fünnen, oder nicht begreis 
fen koͤnnen, wenn fie uns auch gleich uͤbernatuͤrlich offenbart 
worden, 


8. 1086 

Diefe Materie verdient, um der Feinde der chriftlis 

chen Religion willen, noch eine weitere Erläuterung. Man 
bat den Saß angenommen: daß man die Vernunft gefana 
gen nehmen muͤſſe unter den Geherſam des Ölaubens, und 
man fan ihn auf eine doppelte Art erflären, 1) Wenn 
auch die Vernunft klar und beurlich einfehen fönne, daß 
etivas ungereimt, falfch und unvernünftig fey, ſo muͤſſe man 
es demohnerachtet durch den Glauben blindlings für wahr 
halten, und der Bernunft fehlechterdings ein Stillſchweigen 
ba aufs 


484 Die Öffenbarung Gottes, 


auflegen, und ihr gebieten, daß fie nicht weiter wider eine 
ſolche Glaubenslehre muchfen ſolle. Dieſe Erklärung bat 
der ſchalkhafte Bayle angenommen, und ohne Zweifel wi: 
der feine wahre Meinung gefagt, daß dadurch der Glaube 
vecht verebrungswürdig gemadyt werde, Er fagt, die 
chriftliche Religion werde allemal, wenn fie ſich auf freyem 
Felde in ein Gefecht mit der gefunden Vernunft einlaffe, ges 
fchlagen, weil diefe ihre Lngereimtheit offenbar darthun 
könne. Allein alsdenn muͤſſe ſich die chriſtliche Religion, 
unter die Canonen des Glaubens, ziehen, und da fey fie 
vor den Anfällen der Vernunft ſicher. Es gäbe alfo eine 
doppelte Wahrheit, eine Wahrheit der Vernunft und des 
Glaubens, die einander widerfprechen. Allein ein ieder 
Berftändiger fieht, daß diefe Erklärung falſch und hoͤchſt 
unvernünftig fey. Das heift in der That die übernatürliche 
Keligion leugnen, und es ift unfinnig zu fodern, daß wir 
etwas für wahr halten follen, deſſen Ungereimtbeit wir 
durch unfere Vernunft einfehen fonnen. Und auf die Art 
Ean, aller Aberglaube, vertheidiget werden. Der Papift 
fan fagen, es ift wahr, nad) der Vernunft ift die Trans» 
fubtantiation offenbar ungereimt; allein ich ziehe mich uns 
ter die Canonen des Glaubens zuruͤck, und der befiehle uns, 
fie zu glauben, Auf die Art koͤnnen, alle Lingereimtbeis 
ten alter falfchen Neligionen, vertheidiget werden, 2) Wenn 
in der übernatürlihen Dffenbarung Sachen und Wahrheis 
ten vorkommen, die nicht wider aber über die Vernunft 
find, fo muß man fie deswegen nicht verwerfen, ſondern 
durch den Glauben annehmen, . Das ift eine vernünftige 
Kegel, indem eg hoͤchſt unvernünftig ift, alles dasjenige 
zu leugnen, was über unfere DBernunft geht. Folglich 
muß ein vernünftiger Chriſt ſich bemühen, alles in der hei— 
ligen Schrift entweder durch feine Vernunft einzufeben, 
und deutlich zu erfennen, daß es möglich und wahr ift; 
oder er muß ſich wenigftens bemühen, deutlich zu erkennen, 
daß es feinen Widerfprud) in fich enthalte, Und wenn er 
aud) in dem legten Falle nicht deutlich einfehen folte, daß 

es 





Die Offenbarung Gottes. 485 


es möglich fen, fo muß er doch aus Gehorſam gegen den 
theologifchen Ölauben ihm Beyfall geben. 


§. 10897 

Aus den bisherigen Betrachtungen Fan man fich, von 
dem Verhaͤltniſſe der natürlichen Dffenbarung gegen die 
übernatürliche, der gefunden Vernunft gegen den theologis 
fihen Glauben, und der Weltroeisheit gegen die geoffenbarte 
Gottesgelahrheit, eine Vorſtellung machen, die fehr frucht⸗ 
bar iſt. Die natürliche Offenbarung nemlich enthält alle 
Wahrheicen von Gott und andern Dingen in ſich, die wir 
natürlicher Weife erlangen, und die wir zu unferer böchften 
Gluͤckſeligkeit zu wiſſen nöthig haben. Diefe Erkentniß 
wird durch die geſunde Vernunft erlangt, und in der Welt— 
weisheit wird ſie dergeſtalt verbeſſert, daß ſie nicht nur zu 
einer gelehrten Erkentniß erhaben wird, ſondern daß auch 
diejenigen, welche fie beſitzen, eine vorzuͤgliche Geſchicklich— 
feit dadurch erhalten, die natürliche Dffenbarung Gottes 
unter den Menfchen, durch einen mündlichen und fchrifte 
lichen‘ Vortrag, auszubreiten. Wahre Weltweife find 
. dernnad) die Prediger der natürlichen Dffenbarung, und die 
Apoftel, die Gott in die Welt gefande bat, um diefe Offen 
barung unter den Menfchen auszubreiten. Die übernas 
türliche Dffenbarung enthält eheils Wahrheiten, die in der 
natürlichen fehlen, theils gibt fie die natuͤrlich befanten 
Wahrheiten beffer zu erfennen, und fügt alfo dasjenige zu 
der natürlichen hinzu, was ihr fehle, und ohne welchem fie 
die höchfte Abficht Gottes nicht erreichen Fan. Die übers 
natürlihe Offenbarung ift alfo der Zufaß, welcher zu der 
natürlichen hinzufommen muß, damit durch fie zufammen« 
genommen, die höchfte Neligion und Glücfeligkeit der Men— 
fhen, befördert werde, welche in der beften Welt, und um 
der höchften Güte und Weisheit Gottes willen, nöthig find, 
Der theologiſche Glaube erfent diefen Zufaß, und nimt ihn 
an, und er ift alfo eine Ergänzung der gefunden Bernunft, 
Und diefer Glaube wird in der geoffenbarten Gottesgelahr⸗ 


Hh 3 heit 


486 Die Offenbarung Gottes. 


heit dergeftalt verbefiert, daß er eine gelehrte Erfentnig 
wird. Diefe Erfentniß folten die Prediger der geoffenbars 
ten Religion befigen, damit fie, als wahre Apoftel, deſto 
geſchickter wären, bie übernatürtihe Offenbarung, durch 
einen geſchickten mündlichen und fohriftlichen Vertrag, untee 
den Menſchen auszubreiten und zu befördern. Wie unfins 
nig und lächerlich ift es nicht, wenn beyde Arten der Apos 
fiel, da fie von einem Dberheren zu einerley Abficht gefande 
und berufen find, einander anfeinden, einander ihren Beruf 
fireitig machen, und einander den Mund ftopfen, und ein 
Stillſchweigen auflegen wollen! Ohne Zweifel find diejenis 
gen, welche diefes thun, falfche Apoftel, fie mögen nun 
entweder vorgeben, daß fie Die wahre natürliche, oder die 
wahre übernatürtiche Offenbarung predigen, 


6. 1088. 

Da Gott nun ganz gewiß ſich allen vernünftigen 
Creaturen natürlich offenbart bat 6. 1073. 1074. 1075. 
und aljo feine Sinnes- und Willensmeinung durch Zeichen 
befantgemacht hat $, 1072. fo Hat er daben, mit der ala 
lervollkommenſten Aufrichtigkeit, gehandelt $. 966, Und 
alle Offenbarung Gottes ift ein Stück feiner Vorſehung, 
weil er dadurch für die Gluͤckſeligkeit der vernünftigen Crea⸗ 
£uren forget, und feine Zwecke nach und nad) unter denfela 
ben befördert $. 1016. Wenn alfo Feine Borfehung Got— 
tes wäre, fo gäbe es auch feine Dffenbarung Gottes. Und 
eben fo muß man auch, von der übernatürlichen Dffenba« 
zung ©ottes, urteilen. Wenn e8 eine folche Dffenba« 
rung gibt, die durch Worte, durch eine muͤndliche oder ge— 
fihriebene Rede, gefchehen ift, fo ift Gott in derfelben im 
böchften Grade wahrhaftig $. 967. Er verhält fi in 
Der übernatürlichen Offenbarung als ein Zeuge, indem er 
feine Sinnes- und Willensmeinung für wahr ausgibt, das 
mit fie diejenigen vernünftigen Creaturen fir wahr halten 
und glauben, denen er fich dergeftalt offenbart. Nun ift 
Gott fhlechterdings untruͤglich, und weis die A 

aufs 








Die Offenbarung Gottes. 487 


aufs vollfommenfte $. 899. Folglich befist er die Tuͤch— 
tigkeit eines Zeugen im böchften Grade, und da er nun. zus 
gleich der aufrichtigfte und wahrbaftigfte Zeuge ift, fo Fan 
man dasjenige mit der gröften Gewißheit und Zuverfiche 
glauben, was er gefage und offenbart bat, Jederman weis 
aus der DBernunftlehre, daß zu der Gewißheit des Glau« 
bens, oder wenn man mit Vernunft und Gemißheit etwas 
glauben will, nichts weiter nötbig fen, als daß man von 
der Glaubwürdigkeit der Zeugen, von ihrer Tuͤchtigkeit und 
Aufrichtigkeit, genungfam überzeugt fen. Da alle Mens 
fhen irren und betrügen Fönnen, fo Fan man von feinem 
menfhlihen Zeugen unumftöglich darthun, daß er tüchtig 
und aufrichtig ſey. Allein von Gore ift diefes unumſtoͤßlich 
gewiß, und alfo verurfachen, die göttlichen Zeugnifle, eine 
unumſtoͤßliche und mathematifcye Gewißheit. Wenn alfo 
‚ein Gottes gelehrter eine Glaubenewahrbeit erweifen will, fo 
iſt es nicht nöthig, fie aus den innerlichen Kennzeichen 
der Wahrheit herzuleiten. Sondern er darf nur, erftlich, 
beweifen, daß ein theologifcher Satz in einer canonifchen 
Stelle der heifigen Schrift enthalten fey; und zum andern, 
Daß er ihn recht, nach) den Kegeln einer vernünftigen Aus— 
legungskunſt, verftanden habe, Alsdenn Fan er mit Zuvers 
ficht fagen, daß er wahr fey. 


$. 1089. 

Ein Naturalift leugnet überhaupt, alle übernatürliche 
Begebenheiten in der Welt $. 464. Da nun die übernas 
türliche Offenbarung eine übernatürliche Begebenheit iſt, fo 
leugnet er auch diefe Dffenbarung, und da wird ev in dieſer 
Abfiche ein Naturaliſt im engern Verſtande genent, 
Derjenige ift noch Fein Naturalift im engern Verſtande, 
welcher etwa feugnet, daß diefes oder jenes Buch in der 
Bibel nicht canonifch fen; oder daß die Bibel nicht fo von 
Gott eingegeben ſey, wie es manche annehmen; oder dafs 
diefe oder jene chriftliche Lehre falfch fey, weil man feiner 


Meinung nad) die Bibel unrecht verſteht; oder daß eine 
94 Lehre 


— 


488 Die Offenbarung Gottes, 


Lehre ein Geheimniß ſey, ob man fie gleich. dafür hält, 
Ja es fan iemand leugnen z. E. ein Heyde, daß die Bi— 
bei Gottes Wort fen, und er ift demohnerachtet Fein Na— 
turaliſt. Derjenige ift ein Naturalift im engern Beritans 
de, welcher behauptet, daß gar Feine übernatürlihe Offen 
barung Gottes geſchehen fey, und daß alfo weder die Bibel, 
noch der Alcoran, noch irgends ein anderes Bud, die übers 
natürliche Offenbarung Gottes enthalte, Ich habe fchon 
in der Cofmologie $.:464:470. das Lehrgebäude der Pas 
turaliſten hinlänglich. beurtheilt, in fo weit. es philofophifch 
beurtheilt werden fan. Und wenn ein Maturalift deswegen 
die übernatürliche Offenbarung verwirft, meil er meint, daß 
alles, was in der “Bibel auffer den natürlich befanten Wahr— 
heiten vorfomt, unvernünftig fey, und. wider Die gefunde 
Vernunft laufe: fo Eönnen wir ihn in der Weltweisheit 
nicht widerlegen, fondern er ift ein Feind: für die Gottesge— 
lehrten. Durch einen Freygeiſt verfteht man denjenigen, 
welcher die Religion verwirft, Verwirft er nur die übers 
natürliche Religion, oder diejenige Religion, welche auf der 
uͤbernatuͤrlichen Dffenbarung beruhet, fo ift er ein Maturas 
liſt, und alle Naturaliften find. zugleich folche Freygeiſter. 
Verwirft er aber zugleich alfe natürliche Religion, fo muß 
er die ganze natürliche Dffenbarung, und die ganze natürs 
liche Gottesgelahrheit, verwerfen. Und diefe Freygei— 
fteren iſt im böchften Grade rafend, und Fan Durch unfere 
ganze natürliche Gottesgelahrheit völlig widerlegt werden. 


$. 1090. 

Zum Beſchluß der natürlichen Gottesgelahrheit muß 
ich) noch eines Irrthums Erwehnung thun, welcher der menfch« 
lichen Bernunft zur gröften Schande gereicht, und man 
muß dem menfchlichen Gefchlecht Glück wünfchen, daß er 
zu allen Zeiten fehr wenig Benfall gefunden. Ich meine die 
Acheifterep oder Gottesleugnung, den Irrthum, vermöge 
deffen man leugnet, daß ein Gort fy. Wir dürfen uns 
bey der Widerlegung der Arbeijten nicht aufhalten, denn un: 

fere 








Die Offenbarung Gottes. 489 


fere ganze natürliche Gottesgelahrheit ift eine Widerlegung 
derfelben. Wir wollen nur, zwey Anmerfungen, machen, 
Einmal, alle Atheiften leugnen auch nothwendig alle übers 
natürliche Begebenheiten: denn die find ohne Gott nicht 
wuͤrklich. Allein ein Naturaliſt ift nicht nothwendig ein 
Atheiſt, wie ich diefes in der Coſmologie Deutlich gezeigt habe. 
Ein Acheift muß frenlich alle Religion und alle Pflichten ges 
gen Gott leugnen, allein Deswegen leugnet er nicht alle übris 
gen Pflithten; weil die Pflichten gegen ung felbft, gegen ans 
dere Menfchen, und die Verbindlichkeiten der menfchlichen 
Geſellſchaften erwiefen werden koͤnnen, ohne vorauszufeßen, 
daß ein Gott ſey. Es Fan frenlich freche und dumme Atheis 
fien geben, welche nicht nach) Ueberzeugung Atheiften find; 
fondern welche diefen Irrthum muthwillig erwählen, um 
ihr Gewiſſen zu erfticken, und alle Safter ohne Gewiſſensbiſſe 
auszuüben. Allein das find rafende, mit denen man kei— 
nen vernünftigen Streit über eine Schre anfangen fan. Cs 
bat ehrbare, friedfertige und tugendhafte Atheiften gegeben, 
welche gute Bürger geweſen find. Zum andern wollen 
wir noch, die vornehmften Arten der Atheiften, unterfuchen. 
Und dahin gehören ı) die practifchen Acheiften, welche 
zwar einen Gott annehmen, allein aus ihrer Erkentniß Got 
tes nicht den geringften Bewegungsgrund zu ihrem VBerhal- 
ten hernehmen. Sie leben alfo als wenn fein Gott wäre, und 
verleugnen, durch ihr ganzes Verhalten, dasjenige Weſen, 
fo fie mit ihrem Munde befennen. Die ganze Welt ift 
voll foldyer Arheiften, allein das ift ein Safter, und fein Irr— 
thum. 2) Die tbeoretifchen Atheiſten leugnen Gott, 
und das find Diejenigen, von denen wir handeln, Und man 
theilt fie wieder in eine doppelte Clafie ein. a) Die unwif« 
fenden Acheiften, oder die aus Unwiſſenheit Atheiften 
find, welche feinen Gott glauben, weil fie gar feinen Be— 
arif von demfelben haben, Auf die Art wären , alle kleine 
Kinder, Arheiften. Und wenn man das Wort fo braucht, 
fo entfteht ein bloffes Wortfpiel. Es Fan niemand etwas 
leugnen, wovon er einen Begrif hat, Unterdeſſen hat 

Hh 5 man 


490 Die Offenbarung Gottes: 


man bey der biftorifchen Frage, ob es Völker gebe ober ge= 
geben habe, die nichts von Gott gewuft? und wovon 
ich oben gehandelt habe $. 822. diefe Voͤlker atheiſtiſche 
Voͤlker genent. b) Die leugnenden Atheiften, das find 
die eigenttichen Atheilten, welche eine Erfentniß von Gott 
haben, und ihn demohnerachtet leugnen. Und hieher ges 
hören &) die pantheiſtiſchen Acheiſten, welche die Welt 
im Öanzen betrachtet für Gott halten, wie Spinoʒza gethan, 
und wir haben diefelbe $. 850. widerlegt. A) Diejenigen, 
welche Gott und die Welt von einander anterfcheiden, und 
Demohnerachter die Würflichfeit Gottes leugnen. Da nun 
dieſe Atheiften gezwungen find, den Grund von der Würfs 
lichkeit der Welt anzugeben ; fo bat der eine die Lehre von 
dem nothwendigen Schickſal ergriffen, der andere hat zu 
dem blinden Ohngefehr feine Zuflucht genommen, der dritte 
zu dem Fortgange der Lirfachen ins Linendliche, und ein ieder 
diefer Atheiſten hat es wie ein Menſch gemacht, welcher ins 
Waſſer fält, und aus blinder Angft nad) einem Schatten 
oder ſchwachen Reiſig greift, um ſich zu retten. Da wir 
nun alle diefe Irrthuͤmer hin und wieder widerlegt haben, 
fo haben wir in unferer Metaphyſik die Srügen der Atheiftes 
rey über den Haufen geworfen, Und derjenige ift auf dem 
rechten Wege feiner höchften Gluͤckſeligkeit, welcher fich, 
durch eine gründliche Metaphyſik, nach und nad) den Weg, 
zu einer richtigen und gründlichen Ueberzeugung von 
Gore und feinen hoͤchſten Vollkommen— 
heiten, babnt, 


Er BD IE, 
* Sn 


Regi⸗ 











Regiſter 
uͤber die vier Theile der Metaphyſik. 
Die Zahlen weiſen auf die 99. 


4. 

bälard 64 
Abgeſchmackter Menfch 376 
Absoͤtterey 877 
Abhaͤngliches Ding 237. iſt zufällig 239 
Abhaͤnglichkeit 239 
Abnutzung 263 
Abrathen 718 
Abſcheu natuͤrlicher 675 
Abſicht 267 
Abſolutiſmus der theologiſche 1070 


Abſondern. Dinge werden von einander abgeſondert 71 

Abfonderung der Vorſtellungen 520 

Abſtraction Ausdehnung derfelben 519. Staͤrke der Abs 
firastion ib. Fortfegung ib. Regel ib. 

Abſirahiren von einer Vorſtellung. 506, befoͤrdert die Aufs 


merkiamfeit 522 
Abweſenheit 177 
Accidenz 154. 357. 360, 863. find in den Subſtanzen wuͤrk— 

lich 156. Scheinaccidenz 154 
Achtung geben auf gewiſſe Vorſtellung und ihren Gegen; 

ftand 506 
Aehnlichkeit 70. 214 
Aeſthetik 527. empiriſche 542 


Uffesten ſ. Gemuͤthsbewegungen. 
Ahn 


492 Regifter 


Ahndung 610 
All unbenreifliches 850 , gefährlicher Ausdruck ib. 

Aller groͤſte = 
Allerkleinſte 


Allgegenwart Gottes 1035. allgemeine und natuͤrliche Se 


befondere ib. übernatürliche ib. Prüfung der falfcben 


Begriffe 1039. 1040 
Allmacht 862. Beantwortung des Einwurfs ib. 861. wuͤrkt 
in Gott feine Accidenzien 863. Realitaten der endlichen 
Subſtanzen 864. Widerlegung des falfchen Begrifs 863.865 


Allwiſſenheit Gottes | 921 
Alter 217. KRolgerungswahrbeiten hieraus 218 
Anaxagoras 379 
Zinfang 228 
Angenehm 655 
Anrathen 
Anthropognoſie 


Anthropologie 752. philoſophiſche ib. mathematiſche ib. — 
gemeine ib. beſondere ib. 
In revemetybiema⸗ 873. groͤberer ib. feinerer Be 


Apoſtel 1087 
Atheiſten 312. 806. — gꝛi. 822. verſchiedene Arten der⸗ 

ſelben 1090 
Atheiſterey 1000 


Aufmerkſamkeit — richtet ſich nach der Stellung des a 
pers 5ı2. Duelle aller Klarheit der Erfentniß ib. Regeln 
derjelben 3508. verſchiedene Grade so. Ausdehnung der 
Yufınerffamfeit sı. Gtarfe ib. Fortſetzung derfelben ib. 

Aufrichtigkeit 965. Gottes iſt die vollfommenfte 966 

Uugenblid 230. ein Ding ift in einem Augenblick ib. 

Ausdehnung 185. Eigenfhaft der Körper 379. ausgedehntes 


Ding 185. beſitzt eine Tragbeit 385 
Auodruck 277 
Ausdrüde ſchriftliche 277. nachdruͤckliche 494 
Auslegen 276 
Auolegungskunſt 276. allgemeine: ib, 

Uusmeffen 188 


Ausnahme 83. mahre ib. Grade 84. Scheinausnahme 
ib. finden in der beiten Welt ſtatt 437. find die kleineſten 
438.  vierfacher Nugen der Unterfuchung bievon zu 

Jul: 


REED. 


— 








über dievier Theile der Metaphyſic. 493 


Auſſer ſich geſetzt, man iſt nicht bey ſich ſelbſt 552 
Auſſerordentlich 338. ſchlechterdings auſſerordentlich ib. 
iſt eine Chimare 339. beziehungsweiſe auſſerordentlich ib. 


4 >. 
Barmherzigkeit 681 
Bayle 1085. 1086 
Bedeutung des Zeicheng 273. 448 


Begebenheit 250. welche beziehungsweiſe durch einem 
ESprung geſchiehet 349. ſchlechterdings natuͤrliche 406. 
natürliche 413. uͤbernatuͤrliche ib. wie fern fie auſſeror— 
dentlich find 421. ob fie durch einen Sprung geſchehen 
422. in einem Augenblit 424.  verurfacht eine groffe 
Veraͤnderung in der Welt 454. 455: 456. wenn ſie ſich er- 
eignen 457. 459: wenn fie nicht geichehben 458. werben 
durch keines zufälligen Dinges Natur gewürfer 416. ge— 
fihiehet wider den Lauf der Natur 419. wider die Hrd- 
nung der Natur 420. Möglichkeit der übernatürlichen Bes 
gebenheiten in der beiten Welt 451. 452 
Begehren 661. Kalle in welchen wir dag Gute nicht begeh⸗ 
ven 664. etwas gerne begehren 704. ungern begehren ib. 
Degehrungspermögen 663. Geſetz davon 663. Grade 
und Vollkommenheiten 666. Ob e8 den Gegenftanden 
proportioniete Begierden und Verabfiheuungen würfe 670. 
untere finlihe 673. obere vernünftige 686. Gtreit des 
untern und obern Begehrungsvermögend 69. Uebereinſtim— 
mung, Einheit des unteru und obern Begehrungsvermögeng 
690. 6g1 
Begierden 661. GBegenftand derfelben 672. wirkende Ser 
gierden 668. unwuͤrkende ib. entfchlieffende ib. die 
nicht entſchlieſſend find ib. ſinliche 673. vernünftige 686, 
-blos vernünftige 639. vermiſchte vernünftige ib. vorber- 
gehende vernünftige 692, nachfolgende vernünftige ib, 
Gottes find wahre Handlungen 933. erſtrecken fih auf al- 
les Bute 934 
Begriffe von Gott, wodurch fie falfch werben 851 
Degreiflih 628. an und vor fich betrachtet begreiflich ib. 
beziehungsweiſe begreiflich ib, 
Sehalten, wir fuchen eine Sache zu behalten 583 
Belicben 


494 Begifter 


Belieben 703 
Belohnung natuͤrliche, 954. 956. willkuͤrliche ib. über 
natürliche ib,  verneinende 950. . bejahende ib. ob es 


willfurliche gebe 961 
Bequem 655 
Berathſchlagungen | 693 
Berühren 177 
Berührung 177. Eigenſchaft der Subffangen 380, 
Beſchaffenheit zufällige 54. 68. 110. 129, eines Dinges 

69. gleichfani sufallige Beichaffenbeiten 852 
Befinnen fich auf etwas 582. Regel ib, 

Beforaniß 682 
Beſte | 99 
Beſtimmen 46. beſtimt ſeyn ib. 

Beſtimmung der Dinge in der Welt 1043 


Beſtimmungen, die einer Gache fehlechemeg zukommen 49» 
die ihr beziehungsweiſe zukommen ib. innerliche ib. Got— 
tes 852. aͤuſſerliche ib. eigenthuͤmliche, gemeinſchaftliche 
ib. allgemeiner Zuſammenhang derſelben 57. 58. zufaͤllige 
find veranderlich 129. eine demſelben Grunde gemaffe Bes 


ſtimmung 28 
Deftinmungsgrund ber Vollkommenheit 04 
Seltimmungsgründe 47 
Beſtaͤrzung 682 
Beſchwerlich 655 
Betrachten eine Sache fuͤr ſich 29 
Betruͤbniß A779 677 
Betrunken, der Menfch wird betrunken 53 
Beurtheilen etwas 617° 


Beurtheilungen wahre 520. falſche ib. 

Beurtbeilungsvermögen 620. voreiliged ib. durchdrit- 
gendes ib, Regel ib. Grade diefes Vermögens 618. ſin⸗ 
liches 619. vernünftiges ib. veifes ib, practifche Beur— 
theilungsfraft 620. theoretifche ib, 

Bewegung 223. 338. Regeln der Bewegung 402. will: 
kuͤrliche — des Koͤrpers 727. freye ib. 

Bewegungsgeünde 267. vollſtaͤndige 669. unvollſtaͤndige 
ib. ſinliche ib. 674. dunkle ib, 674. verworrene ib. 
vernunftige 687. Beantwortung der Einwürfe ib. 

Bewe. 


—— 








uͤber die vier Theile der Mletspbyfil. 495 


Bewegungsgründe von benden Seiten zählen 693 
e > z von beyben Seiten zufammen rechnen 693 
Bewegungskraft 224. Eigenſchaft der Subſtanzen 369 


der Körper 387. 388 
Bewegungsurſachen 267 
Bewegunge verwoͤgen 746 
Bezeichnen 276 
Bezeichnete Sachen 273 
Bezʒeichnungskunſt 273 


Bezeichnungsvermoͤgen 621. Irrthuͤmer hiebey 624. 
Kegel dieſes Vermoͤgens 622. vernuͤnftiges ib. finlicheg 
ib. Grade und Vollkommenheiten dieſes Vermoͤgens 625 

Beziehungen 49 

Bild einer Sache g7r. was von den Bildern in der Kirche 


zu halten 871 
Bilder, materielle 551 
Billigkeit 964 
Boͤſe 100. beſtehet in einer Verneinung 137. Bulaffung 

des Boͤſen in der Welt 1045 
Brav ſich verhalten 725 
Breit 22k 
Breite 221 

€, 

Cabbaliſtiſche Lehrer 978 
Carteſius 481. 629. 803. 826 
Characteriſtik 276. erfindende ib. mantifche ib. 

Chimaͤre 598. Urfprung der Irthuͤmer 589. 590 
Chaos, Ungereimtheit deffelben 303 
Cicero 212. 326. 992 
Cohaͤriren 384 
Copie 272 


Cosmologie, Annehmlichkeit derſelben 281. allgemeine, 
metaphyſiſche 282. betrachtet die Welt uͤberhaupt 283. 
empiriſche 284. vernünftige ib. Nutzen in der Piycho> 
Iogie 285. im der natürlichen und geoffenbarten Gottes: 
gelabrheit 286. in der Narurlehre 287. in der Sitten: 


lehre 288. iſt eine metaphyſiſche Wiſſenſchaft 290 
Creatianer 773. 779. 780 
Crestur 


Ara 979 
Erik ins weitern Verffande 619. im weiteſten Berftande ib. 
> D, Dank⸗ 


496 Begiſter 


D. ! 
Dankbarkeit 68: 
Dauer 229. immerwahrende Dauer 231 
Dauerhaftes Ding 230 
Deiſmus 889 
Democritus 394 


Deutlichkeit, audgebreitete 63%. die der Staͤrke nach 
groß iſt ib, 

Dialect 270 

Dichten 587 

Dichtungsvermoͤgen 587. Regel nach welcher es wuͤrkt 588 
Grade 591. in wie vielerley Faͤllen es irren koͤnne? 589 
ſinliches 588. vernuͤnftiges ib. fruchtbares, erfindungs 
reiches 591. ausſchweifendes ib. wohlgeordnetes ib, 

Ding 65. 108. 130. Nutzen von dieſer Abhandlung 146 
hat ſein Weſen und weſentliche Stuͤcke 66. Eigenſchaf— 
ten 67. heiſt Eins 72. ein einziges Ding 77. 145. zu— 
faͤlliges 117. nothwendiges 117. 118. wird veraͤndert 122 
dreyfache Gattung eines Dinges ib. gaͤnzlich, durchgaͤn—⸗ 
gig beſtimtes 140. einzelnes 141. 213. wuͤrklich und be— 
ſtimt 145. kan nicht vor ſich ſelbſt beſtehen 154. es ent— 
ſtehet 175. 176. aus Nichts ib. aus Etwas ib. verge— 
bet ib. fein Dina kan zweymal würklich feyn 2:3. ein 
Ding banget von andern ab 237 allgemeines 141 
142. hoͤheres ib: 970. niedriges ib. ſtetiges Ding 219 

Dinge werden von einander abgefondert, getrennet 71. find 
unzertvenlich beyfammen ib. werden init einander vereinis 
get 72. einander entgegengefeßt 79. zuſammengeord— 
nete 85.  zufommenflimmende 94. alle Dinge haben Rea— 
Vitaten 131. Arten der Dinge 143. Gattungen der Din» 
ge ib. allgemeine find nicht würflich 145. weite, weit— 
lauftige Dinge 215. die dichte bey einander find 219. die 
von einander entfernt find ib. alle Dinge find mit ein— 
ander verknüpft 214. ein vor ſich beſtehendes wird ver» 





wechfelt mit dem Selbſtſtaͤndigen 850 
Dienft Gottes 1013. Gott dienen 101 
Dippel 959 
Drobungen 718 
Dunkelheit der Erkentniß 503 
Durchdenken 513 





| über die vier Theile der Metaphyſik. 497 
Durchdringlich 


Dynamic 160, philoſophiſche ib. mathematifche ib. 
IE, 
Fbenbild 372. das groͤſte ift die beſte Welt 872 
Egoiſt Widerlegung 431. 821 
Ehre 1010. Gottes 1010. die Ehre Gottes wird verherrlis 
che IOII 
Ehrliebe 681 


een ber Sache 54. 67. nothwendig 110. unveraͤu⸗ 

erli 

Finbildung 555. wahre 566. falſche ib. ——— 
derſelben mit den Empfindungen 559. 560. Unterſchied 
von Empfindungen >62 

Einbildunaen werden erleichtert 563. verhindert * 

Einbildungekraft 555. gehoͤrt zum untern Erkentnißver— 
mögen 565. Gegenſtand derſelben 556. 579. Grade und 
Vollkommenheiten 561. wohlgeordnete 566. ungezaͤumte 
ib. Regel der Einbildungskraft 558. gar zu erhitzte 566. 
gemaͤßigte ib. 


Einfach 178 
Zinfalle artige | 574 
Einfaͤltig im böfen Verſtande 63 


Finfluß 166. Eigenfchaft der Subffangen 380, reeller ea 

idealifcher iD. 

Eingeſchrenkt 190 

Eigenthumsrecht das völlige 1059. Gott iſt das allervolls 
fommenfte 1662. erſtrecket fich über alle Ersaturen 1061 

Einheit 72. 73: 75: unbedingte, metaphyſiſche 72. iſt 
unveränderlich 127. bedingte ib. Nothwendigkeit ders 
felben 112. der Welt 328. doppelte Einheit derfelben 329» 


Gottes 840 
Eins 72 
Eitelkeiten 48 
Elemente der Körper 590, 391 
Elend 768 
Empfanglichkeit 170 


Empfinden | 528 
Empfindungen 528. innerliche 537. aufferliche ib. Geſetz 
hievon 537. Grund der werfipiednen Grade 534: 535: 
4 Theil, Fi find 


408 Regifter 


find unfere ſtaͤrkſte Vorftelungen 539. Mittel, dieſelbe zu 
fihwächen 539. 550. zu befördern 540. Verminderung 
und Unterdruckung 541. find finliche Vorſtellungen 542. 
wahre und richtige 543. 544. 545. ob wir ung auf die— 
felben verlaften können 549. Vergleichung mit der Einbil« 


dung 559. 560. Unterſcheid von Einbildungen 662 
Empfindungsereis 532 
Empfindungspunct 532 
Ende 228 


Endlich 191. 195. iſt zufällig 193. veränberlich 196. gut 
und böfe 197. 199. im ihm ft ein zufalligeg Uebel und 
Gute möglich) 198. eine zufallige Vollkommenheit und 
Unvollfommenheit1g8. hanget von andern auffer fich ab 239 

Endzweck 270 

Entfernung 219 

Entſchlieſſung, ein Menſch von kurzen Entſchlieſſungen 724 

Entzuͤckung 552. ein Menſch wird entzuͤckt ib, 

Epicurs Meinung vom Urſprung der Welt 926. von den 


Körperchen 394 
Frbarmung Gottes 949 
Erbauung 802 
Erdichten 587 
Erdichtung 65 
Erdichtungen 588. aus der Unrichtigkeit derfelben entſtehen 

Irrthuͤmer 590 
Erfahrung 542 
Erforſchlichkeit eines Dinges 890 
Erforſchung einer Sache 890 
Erfuͤllung des ganzen 148 
Erdoͤtzen, es ergoͤtzt ung 655 
Erxhalter 1022 


Erhaltung einer Sache 1022. 1023. verſchiedene Arten der⸗ 
ſelben 1024. Gegenſtand der goͤttlichen Erhaltung dieſer 


Welt 1025. 1026 
Erinnern ſich einer Sache 578 
Erinnerung, göttliche 908 
Erinnerungszeichen 275 
Erkennen etwas voraus 609. wir erkennen eine Sache 

wieder 578 


Er: 








über die vier Theile der Metapbyfit. 499 


Erkentniß, wahre 489. Grade 492. 496. 501. Weitlaͤuf⸗ 

tigfeit der Erfentniß 490. groſſe, edle, wichtige gr. 

arınfelige 490. Kleine, gerinafibagige 491. irriqe, fal- 
fibe 489. Dunkelheit der Erkentniß 488. genaue 492. 

grobe ib. Staͤrke einer Erkentniß 403 ſtarke Erfent- 
nig ib. schwache ib. Flare 498. Regeln der verfchiede- 
nen Grade diefer Erfenmiß 501. 505. dunkele Erfents 
NIE . . A 488. 498. 50% 
Erkentniß Gottes ift nicht firfich 893. ſondern anſchau⸗ 
end 894. ob fie ſymboliſch feyn Eönne 894. ob fie eine 
Erfenenig a priore oder a polteriore fey 895. Umfang 
derfelben 897. Bröffe 898. Nichtigkeit 899. zuverlaf 
fiofte go2, allerlebendigfte ib. Gegenſtand derfelben iſt 
Gott ſelbſt 903. alle mögliche Dinge und ihre Beſtim— 
mungen 904. alle Wefen der endlichen Dinge 905. dieſe 
wirkliche Welt 906. fehende Erfenmiß Gottes 908 
Erkentnißvermoͤgen 497. untere 524. obere 626. vers 
nunftaͤhnliche Erfentnißvermögen 636. finliche ib. würft 
eine dreyfache Vorftellung in unirer Geele 525. beweiſt 
fich bey aller unferer Erkentniß gefchäftig 426. 427. Leb⸗ 
baftigfeit der Erkentniß, lebhafte Verſtaͤndlichkeit der Er: 
fentniß 503. Glanz der Erfentnig ib. Trockenheit der 
Erfentniß 503. eine Erkentniß ift der Staͤrke nach Hlarer ib. 
Gewißheit der Erkentniß 504. 505. ungewiſſe ib. ans 
ſchauende 623. ſymboliſche ib. ruͤhrende 667. vollſtaͤn— 
dig ruͤhrende 669. unvollſtaͤndig ruͤhrende ib. vollſtaͤn— 

dig ruͤhrende Kraft derſelben ib. unvollſtandig ruͤhrende 
Kraft ib. Erkentniß, die nicht ruͤhret ib. ſpeculativi— 
ſche ib. lebendige 660. Leben der Erkentniß ib. pers 

nuͤnftiges Leben der Erkentniß 687. ruͤhrende Kraft ders 
ſelben ib. todte ib. todte Kraft der Erkentniß 669. vers 


nuͤnftig ruͤhrende Erfentniß 687 
Erkentnißquelle 336. unaͤchte und ſchaͤdliche der theologi— 
ſchen Erkentniß 799 
Erpreſſung 719 
Erſcheinungen 528 
Erſtes Ding 228 
Erwaͤhlen 69 
Erwartung aͤhnlicher Faͤlle 610 
Etwas a1. 23 


3.3 Ewig 


500 Begiſter 


Ewigkeit 231. 232. Gottes 857. ob ein endlich Ding eine 
ſolche Ewigkeit habe 859 


F. 
Faͤbigkeit 170. Grade 171. unbedingte ib. bedingte ib. 
Fatum ſ. Schickſal 
Fataliſt 308. 415.695. 696. 710. 821. allgemeine 308. bes 
fondere, particulaire, ib. tbeologifche 309. 941. coſsmo⸗ 
Yosifche id. Stoiſche ib. Aftrologiiche ib. 


Schler des Erfchleichens 544 
Sertigkeit 171. erleichtert die Handlungen 172 
Fertigkeiten theoretifche 575. übernatürliche ib. die er- 
langten ib. angeborne ib.  fitliche 713 
Figur 215 
Flaͤche 222. mathematiſche ib. 
Fleiſch 673 
Stüchtiges Ding 230 
Solgen 122 


Solge des Grundes 28, 246:249. verknuͤpfte, mit einan- 
der verbunden ib. 39. alles hat feine Folgen 36. Nußen 
hievon 36. einander zugeordnete Folgen 38. einander 
untergeordnete ib.- die unmittelbare nachfte 40. 41. 42. 
mittelbare entfernte ib. aͤhnliche Haben ahnliche Gründe 
204:206. inder Welt 317 


Sortgang ber Urfachen in der Welt ing unendliche 312. der ' 


Erumlinichte circullinichte unendliche Fortgang der Urfachen 
313 der geradlinichte unendliche Fortgang der Urfachen 
in der Welt ib. Ungereimtheit derfelben 314. 315. 316 
Sorm einer Gache 


L 
Sormale einer Beacbenheit —* 
Sortpflanzung der menfchlichen Seele 781. 782. 783 
Steude 677. boshafte 681 
reygeiſt 1089 
Froͤlichkeit 680 
Frohſeyn 680 


Frey von ber unbedingten Noͤthigung 696. von aller ſchlech⸗ 
terdings fo genanten Noͤthigung 699. von der innerlichen 
natuͤrlichen Noͤthigung 702 


— — 


Step: 7 





über die vier Theile der Mleraphyfil,. 501 


Steyheit 708. dahin gehörige Stüde 709. reine 708. 
vermiſchte ib. Hebung der Einwürfe 710. 711. Grade 


der Freyheit 716. Gottes ift die allerhöchfte 941 
Fruchtbarkeit 27 
Suche 682 

: 6. 
Ganzes 147. iſt mit allen feinen Theilen zuſammengenom⸗ 

men einerley 149 


Gattungen der Dinge 143. allerniedrigſte ib. einander un— 
tergeordnete ib. hoͤchſte ib. Unterſchied der Gattungen 144 
Gebrauch einer Sache 263. 264. des Verſtandes 637, 
_ wahrer 263. Scheingebrauch, daraus flieffende Bon 
ten 264 
Gedaͤchtniß 578. Regel, nach welcher es wirkt 379. Gra⸗ 
de und Vollkommenheiten deffelben 583. ſinliches ib. vers 
nuͤnftiges ib. wir praͤgen es unſerm Gedaͤchtniß ein 580. 
wir rufen die Sache wieder in unſer Gedaäͤchtniß 582. Ges 
daͤchtniß vermittelft Des Dres ib. ausgedehntes, groffed 583. 
Feſtigkeit des Gedächtniffes ib. Staͤrke ib. Munterfeit ib. 
Hurtigkeit ib. Fahigleit ib. gutes und gluͤckliches 584. 
trügliches ib. treues ib.  Gedachtnißfehler ib. Duelle 


vieler Irrthuͤmer 585. Gedaͤchtnißkunſt 586 
Gedanken 498. 482. wir zerſtreuen unſere Gedanken 521. 

wir ſamlen unſere Gedanken ib. feine Gedanken 573 
Gefuͤhl 533 
Begenftand 280 
Begentheil einer Sache 103 
Gegenwart 177 
Begenwöärtige Dinge 228. es iſt dem Körper aufs innigſte 

gegenwärtig 103 
Bebeimniß 


423 
ni fe, theologifche 1085. doppelte Are derfelben Bi 
ehor 

Geiſt 373. guter Geiſt eines Menſchen 755. boͤſer Geiſt * 
höherer 790. niedriger ib. 

Beifter haben eine Vorſtellungskraft 377: find enbliche Din 
ge ib. einander ahnlich und unabnlich ib. einer unter 
ihnen iff der volllommenſte ib. fie find unter den Subſtan⸗ 
zen die vollfommenften ib. Harmonie derſelben 450, ba: 

| Si 3 ' ben 


502 . Begiſter 


ben einen Körper 789. Eintheilung derſelben in Abſicht 
ihres Körpers 791. haben ein Erfentnißvermögen 792. Bes 
gehrungsvermögen 793. glückjelig oder ungluͤckſe— 
lig 794: unfterblih 795. tragen dag Ebenbild Gottes 872 

Beitierwelt 375. wird von Bote monarchiſch regieret 

“1063. 1064 

Gelegenheit 251. die erwartet werden muß ib. die man 
fich ſelbſt machen Ean ib. 

Bemeinfbaft aller Subſtanzen der beften Welt 4 der 
Seele mit dem Körper A. 727 

Gemütb, Serfireuung des Gemuͤths 721. NT is Bes 
förderungsmittel der Aufmerkſamkeit 522 523. ganz gleichs 
gültiges 949. eines Theils sleichgültiges ib. 

Bemürbeart 721. edle ib. niedertrachtige ib. trage 723. 
würkfame ib, freudige ib.  niedergefchlagene ib. bieg— 
fame 724. unbiegſame ib. bedachtſame ib. unbedacht⸗ 
fame ib. eine mebrentbeild unbeſchloſſene ib. veraͤnder— 
liche 725. beſtaͤndige ib. halsſtarrige ib. heftige ib. 
matte ib. 

Gemuͤthsbewegungen 666. ſinliche 676. vernuͤnf⸗ 


tige 688 
Gemuͤthsfaͤhigkeit 643 
Gemuͤthsgeſtalt 643 
Genie 643. groſſes * 
Genius eines Menſchen 755 
Gerechtigkeit 950.958.959. Grade 951. belohnende 955. 

raͤchende Gerechtigkeit Gottes os 
Beruch 


533 

Geſchmack 533, im weitern Verflande 619. verdorbener 620% 
feiner ib. 
Belege, ſittliche 713 
Befegaeber 1062. derjenige gibt ein Gefeg ib. Geſetzgeber⸗ 


gewalt Gottes 1063 
Beiht 533 
Befichtepunct der Seele 488 
Bewalt, böchfte, eines Oberherrn 1064 


Gewißheit der Sache 93. Grade ib. der Welt im ganzen 
341. 342. in ihren Theilen 343. 345. iſt ihre hypothe⸗ 
tifche Nothwendigkeit 346. der Erkentniß 504. aller⸗ 
hoͤchſte in Gott 844 

N 


3 








über die vier Theile der Metaphyſik. 503 


Bewöhnliche Dinge 338 
GBewohnbeit | 646 
Gewogenbeit Gottes, allgemeine 049 
Glauben, menfohlicher 798. görtlicher ib. £heologifcher —— 
Blaubenswabrbeiten 1083.  widerfprechen nicht der geſun⸗ 
den Bernunft 1084. 1085 

Bleichförmiges ausgedehntes Ding 579. ungleichförmigeg 
ausgedehntes ib. 

Gleichgewicht des Vergnuͤgens 653. Zuſtand des Gleich» 
gewichts ib. Zuſtand des Gleichgewichts in Abſicht auf die— 
ſelbe Sache 658. vollkommen Gleichgewicht 671 

Gleichguͤltig 647. eine Sache iſt ung gleichgültig 648. fie 
iſt und nur zum Theil, beziehungsweife gleichgültig ib. ein - 
ganz gleichgultiges Gemüth 649. das Gemürh iff eined 
Theils gleichgültig ib. gleichgultige Dinge 650. ſchlech⸗ 
terdings gleichgültige ib. beziehungsweiſe gleichgültige ib. 


Bleichbeit 7% 214 
Bleihnifwweife von Gott reden 851 
Gluͤck 961 


Gluͤckſeligkeit 700. menſchliche ib. 796. Grade 770. 
1014. veranderlich 774. Gottes 968. iſt die — 


menſte 969 
Gnade 681. Gottes gegen alle Geſchoͤpfe 949 
Gnoſtiſche Lehrer 978 


Bott iſt eine Subſtanz 812. ob von ihm eine Erklaͤrung zu 
geben 813. 831. 889. eine unendliche 815. 817. der voll⸗ 
fommenfte 816. 817. ob in ihm eine Vielbeit fey 815. 
in ihm find feine DVerneinungen 818. 839. Wouͤrklichkeit 
a priore 823-826. 833. 834. 835. Beurtheilung einiger 
Beweiſe 819. 821. 822. Wefen Gotted 828-832. Hei⸗ 
figfeit 837 fa. Einheit 840. 841. Wahrheit 842. Gott 
der Drönung 843. Nothwendigkeit und Unveranderlichs 
feit 845. kan nicht entftehen noch vergeben 848. eine 
Subſtanz die auffer der Welt mürflich 849. Unendlich— 
feit 853. Ewigkeit 857. Allmacht 860. Einfache Bes 
fchaffenheit deſſelben 867. ob Bott einen Körper habe 868. 
eine Gröffe 870. ob er in einem Naume fey 869. 0b 
und wie fern er abgebildet werden könne? 871. es ift mır 
ein Bee möglich und mürklich 876. Selbſtſtaͤndigkeit 
880, Natur Gottes 882. Leben 884, Unfterblichkeit 885. 

314 i Un⸗ 


50 Begiſter 


Unermeßlichkeit Gottes 886. ob Gott ſich ſelbſt ausmeſſen 
koͤnne 888. Unerforſchlichkeit 889. Untruͤglichkeit ib. 
Geiſt 891. Verſtand 893. Erkentniß Gottes ib. ob er 
der groͤſte Weltweiſe zu nennen 896. Weisheit gı2, All⸗ 
wiſſenheit 921. Wille 922. Freyheit des goͤttlichen Wil⸗ 
lens 939. moraliſche Heiligkeit 943. Guͤtigkeit 946. iſt 
der aroͤſte Wohlthaͤter 948. 958. Gerechtigkeit 450. Lang⸗ 
muͤthig 962. Wahrhaftigkeit 065. 1088 Schoͤpfer 972. 
nicht der Urheber der Suͤnde 985. 1033. 1048. Vorſehung 
1016. Erhalter 1022. iſt allen Körpern aufs innigſte ges 
genwaͤrtig 1037. iſt diefer Welt im hoͤchſten Grade gegen⸗ 
wärtig ib. Oberherrſchaft Gottes 1059. Rathſchluͤſſe Got: 
tes über diefe Welt ıc65 
Bottesgelabrheit, natürliche 797. geoffenbarte gelehrte 
804. gemeine ib. Unterſchied der natürlichen und geofs 
fenbarten 798: - Natur und Beſchaffenheit derfelben 802. 
angeborne natürliche 803. erlangte natürliche go4. ges 
lehrte natürliche ib. gemeine ib. natürliche experimental 
Gottesgelabiheit 805. vernünftig natürliche ib. bürgers 
liche und fabelbafte ib. Nutzbarkeit derfelben in der pras 
ctiſchen Weltiweisheit 806. 807. in der Teleologie 808 
in dev geoffenbarten Gottesgelahrheit 809. iſt ein heil 


der Metaphyſik 810 
Gottesgelehrter gix 
Gottesverleugnung 1090 
Grad 189 
Grauen 682 


Groͤſſe 69. 76. 151. koͤrperliche 186. 389. welche gemeſſen 
wird 188. der Welt 354. Beſchaffenheit dieſer Groͤſſe 355. 
Folgen hieraus 356. Gottes, Beantwortung der Einwuͤrfe 870° 

Groͤſſer 150 

Grund 27. Folgen des Grundes 28. fruchtbarer ib. wich⸗ 
tiger ib. unfruchtbarer ib. zureichender 34. Satz des 
zureichenden Grundes ib. Hebung der Einwuͤrfe 35. Nu— 
Ken 41244. unzureichender Grund ib, der mittelbare, 
entfernte, weitere 40. der erſte ib, Smwifchengründe 40 

Gruͤnde, einander zugeordnete 38. einander untergeordnete ib. 


einerley Gründe, einerley Folgen 204, 255. 266 
Grund der Seelen 485 
Bunft i 681 


But 








über die vier Theile der Mletaphyfit. 505 


But 09. wenn es nicht begehret wird 664. weſentlich, me⸗ 
taphyſiſch gut 99. 139. alles Gute ift eine Realität 139. 
das höchfte metaphyſiſche Gut ib. das hoͤchſte zufällige ib. 
moralifch Gut im engern Verſtande 767. od ein Ding auf 
und böfe zugleich fey 771. Belkstigung im Guten en 

Büre einer Sache 99. Gottes moralifche 

Büter unfere 657. eingenthinnliche ib. innerliche, Äufferfiche 
fremde ib. vierfache Eintheilung der Güter unfrer Seele 766. 


phyſiſche 768 
Bätigeit 946. Grade derfelben 947, Gottes EB 
5. 

Sandeln 164 


Sandlung 164. Erleichterung der Handlung 172. er 
einfache 165. zufammengefeßte ib. Zufaͤlligkeit derfelben 
695. felbfichätige 697. iſt frey im Abfiche auf daffelbe 
Ding 700. Diejenige HYandlunaen ſtehen nicht in 

‚der Gewalt defjelden Dinges 700. fie ſtehen in der Gewalt 
des Dinges ib. blos natürliche ib. freye 709. 717. 
zveyfache Arten derſelben 709. die mit Willen gefchehen 
712. die ohne Willen gefchehen ib. freymwillige ib. 

Sandlungen des Willens, die nicht frey find 7ı2. willkuͤr— 
liche 793. die man aus Unmiffenheit oder Irrthums willen 
vornimmt 706. fittliche 713. unmittelbar freye 719. mits 
telbar freye ib. freye Handlungen Gottes 933. 938. 939. 
971. Schwierigkeit Hiebey 942. Rechtmaßigfeit derfelben 


943. moralifche Nothwendigkeit derfelben 945 
ang 72L 
Zaͤßlichkeit 659 

Ham, 682 


Zarmonie 56. die gröfte in der beffen Welt 440. ar. 


442. 443. 444. 445. 440. 4477 448 
ZSaß 683. gbifiher 694 des Boͤſen 934. 960. Gegenſtaͤnde 


936 
Seilig 838 
Heiligkeit Gottes 838. 839. moraliſche 944 
Serrfchaft der Seele uͤber ſich ſelbſt 20 
Serz ſ. Gemuͤthsart 
Serzensfündiaer 906 
Serzenslenkende Kraft Gottes 1032 


Si ey: 


506 Begiſter | 
Seydenthum 877 


Sieroglyphen 27 
Sinderniß 174 
Soch 221 
Söbe 221 
Sofnung 680 
ZHuͤlfe 245 
| Ai 2 
Idealiſt 374. 562. 821 
Inducianer — — 
JIrrthum 489. atheiſtiſcher 880. epicuriſcher 1019 
Re 
Rind 634 
Rlarbeit 501 
Alein 150 
Aleiner 151 
Rleinmüthigfeit 683 
Klugheit 912 
Rnechtifch 720 
Knechtſchaft moralifche im weitern Verffande 720 


Ropf 643. fan verändert werden 646. munterer 644. 
langfamer ib. aufgenmunterter ib. - durch Berfihiedenheit 
der Köpfe entftehen die verfchiedene Befchaftigungen 645. 
höherer 645. dummer 576. ſtumpfer ib. allgemeine Köpfe 

N "64 

Rörper mathematifihe 222. phyſiſche 326. Inbegrif a 

Subſtanzen id. 357. Eigenſchaften der Körper 379= 


387. Theilbarkeit derfelben 392. Würklichkeit des Koͤr⸗ 


pers 481. unſer Körper 488. Natur und‘ Wefen der 
Rörper 389. 398. Harmonie derfelben 449. Würfung 


des Körpers in die Geele 728 
Rörperchen 394. 395 
Rörperliches © Ding 473 
Aörpermelt 403 


Kraft im weitern Verſtande 158. im engern Verſtande 158. Gra⸗ 
de 160. 163. iſt eine Kraft 159 369. lebendige 173. todte ib. 
erfeutrnde Kraft 503. zergliedernde ib. bemeifende ib. 504. 

uber 








über die vier Theile der MTerapbrfil. 507 


überzeugende 504. uͤberredende ib. ruͤhrende, bewegende 
669. vollſtaͤndig rührende, unvollſtandig rührende ib. 


Gottes, dreyfache Eigenfchaften derfelben 861 
Ruͤhnheit 680 
Kunſirichter im weitern Verſtande 619 

2, 
Lage 219 
Eangmuth 962 
Lang 221 
Laͤnge 221 


Lauf 410. es erfolgt nach dem Laufe der Natur in der 
menfchlichen Seele 748. die Begebenheit geſchiehet nach 
dem Laufe der Natur 412 

eben 396. Gottes 884 

Lebhaftigkeit der Erkentniß 503 

Lehre von den Leidenfihaften 676. pſychologiſche Rehre von 


den Leidenfchaften ib. aͤſthetiſche ib. practifche ib. 
Leib unſrer Seele 484 
Keibnig 35. 207. 642. 950 
Leicht 


174 

Keiden 164.  zufammengefeßte Leiden 165. einfache ib. 
reelle ib. idealifche 167 
Reidenfhaften angenehme 677. fanfte ib. beſchwerliche 
ib. unangenehme ib.  vermifchte ib. Doppelte Erfah- 

. zung von den Feidenfihaften 678. Grabe derfelben 6790. 
Anmerkung hierüber 695. Ob Gott Leidenfchaften zufom- 


men ’ 926 
Lenkung göttliche aller Dinge 


1043 

Letztes Ding ü 

Liebe 681. göttliche Liebe des Guten 934. 960. Gegen: 

flande 836. Gottes zu dem Gefihöpfen 949. eifrige 
ib 


16. 
Linie 681. mathematiſche ib. 
Kohn 953. natürlicher 954. willkuͤrlicher ib. 


M. 
Macht 862. die hoͤchſte eines Oberherrn 1064 
Mächtia feyn feiner ſelbſt 552 
Majeftsr 1064 


Male: 


508 Begiſter 


Walebranche = 
Maͤnget 

Mandel welcher dem Schein nach nur eine Ausnahme iſt % 
Manichälfmus 1058: Widerlegung dieſes JIrrthums ib. 


Mantic 276 
Maine 402 
Maßſtab 188 


Materiale einer Begebenheit, entferntes 960. naͤchſtes ib. 
Materialiſmus theologiſcher 361. 875. pſychologiſcher 361. 
iſt Fein gefaͤhrlicher Irchum 750. coſtologiſcher 361. 
Materialiſt 361. allgemeiner ib. eogmolsaifiher ib. 
Materialiften theologiſche find die meiften Menfhen 875 
Materie 225. ob fie unendlich theilbar ſey 393. erfke 390. 
aus welcher das Ding beſtehet oder entſtehet 280. im 


welcher die Beſtimmung befindlich iſt 280 
Materielles Ding 4225 
Materielle Welt 403 
Maximen 
Mechaniſmus 
Menſch 734. kan philoſophiſch und insbe Pe 

werden 152 


Merkmale, mittelbare 499 unmittelbare ib. zureichende ib. 
unzureichende ib. wichtige ib. unerbebliche ib, fruchtbare ib. 
unfruchtbare ib. fchlechrerdings notbwendige und unveranderlis 
che 500. zufällige undveranderliche ib. eigenthuͤmliche ib. welche 
die Sache mie andern Dingen gemein hat ib. beiahende is. 
verneinende- ib. 


Meſſen 108 


Metaphyſic gewaͤhret die erſten Gründe der Wiſſenſchaften 1. 2. 


Erklärung 3. iſt eine Wiſſenſchaft 4. Vortreflichkeit und Nutz⸗ 
barkeit derſelben 5. Grade der Vollkommenheit derſelben 6. 
kuͤnſtliche 7. natuͤrliche ib. Verhaͤltniß der kuͤnſtlichen 
gegen die natuͤrliche ß. Nutzen der kuͤnſtlichen 9. wird 
laͤcherlich und veraͤchtlich gemacht 10. Hebung der Vor: 
wuͤrfe 11216. Theile derſelben ib. 
Mißbrauch, wahrer 263. Scheinmißbrauch ib. 
Wißfallen, eine Sache mißfaͤlt uns 647 
Mißvergnuͤgen 651. Grade 655. 656. wahres ib. Schein⸗ 
mißvergnuͤgen ib. einfaches 652. zuſammengeſetztes ib. 
ſinliches 








über die vier Theile der WMetapbyfit. 59 


ſinliches ib. Mißvergnügen der Sinne ib, vernünftige 
Mifveranigen ib. _ Be Mifvergnügeng 653, 
bloſſes Mißvergnuͤgen 658. ſuͤſſes beſtaͤndiges, dau⸗ 
erhaftes 660. veraͤnderliches, A 
WMißveranügen Botted 9:2. weiter Umfang deffelben 9234 
das alleredelite und proportionirteſte 924. allerrichtigſte 925. 
allerdeutlichſte und vernuͤnftigſte 926. von der groͤſten Ge⸗ 
wißheit 927. lebendig 928. unveraͤnderlich 929. Ges 
genſtand deſſelben 930 
Witleiden 683. goͤttliches 949 
Wittel 268. 279. Hauptmittel 269. Nebenmittel ib. 
Mitwuͤrkung Gottes 1027. doppelte Art derſelben 1028. 
Gegenſtand derſelben 1029. natürliche, phyſiſche 1030. 
allgemeine ib. moraliſche 1031, beſondere 1032. aller⸗ 
beſonderſte 1034 
Möglich, eine mögliche Sache 23. an ſich möglich, fehlechs 
terdings innerlich auf eine unbedingte Are möglich 29. auf 
eine bedingte Art, aufferlich unter einer Bedingung möge 
lich ib. alles mögliche hat fein Welen 58. weſentliche 
Stuͤcke 59. mögliche Dinge find einander ahnlich 201. vers 
bunden 214. gleich ib. einerley ib. was in der Wels 
möglich 343. was unmöglich ib. einem Dinge iſt das na⸗ 
tuͤrlicher Weiſe moͤglich 408. ſchlechterdings natuͤrlich moͤg⸗ 
lich ib. moraliſch moͤglich in weiter Bedeutung 714. in 
enger Bedeutung ib. 
Moͤglichkeit, unbedingte 29. 108. bedingte 29. Gottes 
824. 825 
Monarch 1064. ein deſpotiſcher ib. ein eingeſchrenkter * 
Moralifch im weitern Verſtande 713. im engern Verſtande 767 


Mundart einer Sprache 278 
Mundig 634 
Muſter 272. das erffe ib, 

Muth 680 

I. 

Nachahmen einem Dinge 272 
Ylababmung 272 
Nachbild 272 
Nachdenken einer Sache 513 
Nachtwandeler 596 


Name 


510 ‚Begifter 
Ylame, eigenthümlicher “494 
Natur eines Dinges 396. Gottes 882. Fulgerungswahr: 
beiten 883. der menfchlichen Seele 747. der Natur zu: 
wider 407. gemäß ib. ganze Natur 399. iſt endlich und 
zufallig 400. Regeln der Natur 401. Unterfchied der 


Natur Gottes und der endlichen Dinge 833 
Naturaliſmus im weitern Verſtande 464. im engern Ver: 
ande 464. 1089 
Yraturalift 464.883. verfchiedene Claffen derfelben 465 469 
Naturgaben 576 


Naturlehre im weitern Verſtande 398. im engern Verſtande ib, 
Natuͤrlich 210. 749. der menſchlichen Seele natürlich 748 


Naturrecht im weiteften Verflande 4uı 
Naturreich 403 
| 683 
Neugierigkeit 675. hiſtoriſche ib. pbilofophifche ib. ma— 
thematiſche ib. 
Nichtes 21. 24 
Nicht wollen 686 


Noͤthigung 696. unbedingte ib. Unmoͤglichkeit derſelben ib. 
frey von der unbedingten Nothigung ib. ſchlechterdings fo 
genante Aufferliche 699. die innerliche 701. die ſchlechter— 
dings ſo genante innerliche ib. frey von der ſchlechterdings 
fo genanten innerlichen ib. innerliche natürliche 702 

Ylotbwendig 103. Folaerungsmwahrbeiten 107. unveraͤnder⸗ 
lich 125. Feiner Vermehrung und Verminderung fabig 152. 
unendlich 193. Eigenfchaften deffelben 118. 119. Beſchaf— 


fenbeit eines nothmendigen Dinges 117q. ſchlechterdings 


innerlich an fich nothwendig 104. aͤuſſerlich auf bedingte 
Art ib, natürlicher Weife 409. es wird etwas nothwen— 
dig gemacht 696. moraliſch nothwendig in enger Bedeu— 
tung 715. moralifih nothwendig in weiterer Bedeutung ib. 
Nothwendigkeit 103. inmerliche, unbedingte 104. Fol⸗ 
gen hieraus 107. aufferliche, bedingte ib. hypothetiſche 
Nothwendigkeit der Welt 347. Beantwortung der Schwie— 
tigfeiten ib. Gottes 845. Folgen 46. Schwierigkeit 


hiebey 851. 852 

Ylusen 259. eine Sache hat den Nutzen ib, 
,Vuͤtzlich 259. Folgen 262. 264. 265 
Nuͤglichkeit 259. Grade 261 
— ber: 


N 


— 





über die vier Theile der Metaphyſik. su 
ww, O. 
Oberherrſchaft, hoͤchſte 1050. 1061. 1062 
Offenbarung im weiter Verftande 1072. natürliche 1073. 
Mittel deren fich Gore dey derjelben bedienet 1074. was 
auf Seiten der Menfchen dazu erfordert werde 1076 
s = = imengern Verſtande, uͤbernatuͤrliche 1077. verfchies 
dene Art, wie fie geicheben Eonne 1078. Möglichkeit ders 
felben 1079. Nothwendigkeit und Gemwißheit id. im eng» 
ſten Verftande 1080. Kennzeichen der achten und falfchen 
" 1081. widerfpricht nicht der gefunden Vernunft 1082. 1088, 
ob die übernatürliche Dinge enthalte, die unvernünftig find 
1085. Verhaltniß der nasurlichen gegen die uͤbernatuͤr⸗ 
liche 1087 
Ohngefaͤhr blindes 326. Widerlegung ib, 
Ohnmacht, der Menſch faͤlt in Ohnmacht 554, er liegt im 
Ohnmacht ib. 


Ontologie 18. 19. Nutzen derſelben 20 
Ordinaͤre 338 
Ordentlich 338 


Ocrdnung 85. geſchiehet nach Regeln 86. iſt in einem 
ieglichen möglichen Dinge 87. Grade ib. einfache ib. 
zufammengefeste ib. wenn fie nothwendig oder zufällig 

iſt 113. zufällige iſt veranderlich ib. allgemeine der Welt 
335. doppelte Drdnung der Welt 335. gemeinſchaftliche 
Reyein derielben 337.  Drdnung der Natur 4ın eine 
Begebenbeit erfolgt nach der Ordnung der Natur 412. allers 


groͤſte in der bejten Welt 435. in Gott 843 
Original 272 
Originaltheologie 903 
Ort 216. hieraus flieffende Wahrheiten 218. Ort und Zeit 

verändern die Sachen nicht 253 

D. 
Dantbeiften 850 
Partbeplichkeit 963 
Perfon 373. moralifche 738 
Phantaft 597 
Plato 313 
Prädeftinatianer 1071 
Pröeriftentianer 776. 778. 782. 783 


in: 


512° Bengsſiſter 
Principium einer Sache 235. aͤuſſerliches ib. innerliches ih, 


hieraus flieſſende Regeln 246249 
Prophetiſche Gabe 614 
Prophezeyungen 614 
Pythagoras 841. 875 


Pſychologie 471. 472. Wiſſenſchaft 4785. Beantwortung 
der Einwuͤrfe ib. empiriſche 474. vernuͤnftige ib. 732. 
735. Nuͤtzlichkeit derſelben in der Gottesgelahrheit 475. 
in der practiſchen Weltweisheit 476. in den ſchoͤnen Kuͤn⸗ 
ſten und Wiſſenſchaften 477. in der Vernunftlehre 478. 


Quelle vieler Wiſſenſchaften 479 
&. 

Quelle der Möglichkeit 336 
Quintilian 343 
B. 

Rachſucht 683 
Raſerey 684 


Kathſchluͤſſe 692. Gottes 850. uͤber dieſe Welt 937. find 
frey 1065. unveraͤnderlich ib. unwiderſtehlich 1006. all⸗ 
gemein 1007. ob es beſondere Rathſchluͤſſe Gottes gebe? 
1068. ob es unbedingte gebe? 1069. unbedingte 1070. 
ein bedingter ib. 

Kaum 184. ein Ding iſt ein Raum 185. erfuͤlt einen 
Raum ib. Urſache und Grund davon 365 

Realität 48. offenbare Realitaͤten 49. verſteckte, verbor⸗ 
gene ib. führt Vollfommenbeit mit fich 138. alle Reali⸗ 
täten find mas gutes 139. Gott iſt die allervollkom⸗ 


menffe 817 
Recht | 4, 1059 
Rede 277. 
Rechtmaͤßigkeit 943 
Reelles Ding 132 
Reellefte Ding 132 
Reflectiren 513. Grade 514 


Regel 80. Grade derfelben 91 84. wahre ib. 83. fals 
ſche ib. ſtarke 82. ſchwache ib. eine Höhere ib. . eine 
niedrige ib. der Vollkommenheit 96. gemeinſchaftliche 
der Welt 338, eine einzige allerböchfte in der beſten En — 

ege 





’ 


uͤber die vier Theile der MTetapbyfil. 513 


Kegel des beiten in der Welt 451. 453. des beffen in der Nas 
tur ib. 432. 453. der Natur 401. der Bewegung ib. 

Regeln der Ordnung der Natur zu. des Beſten 843 

Regierung, göttliche, der Welt 1041. iſt die gröffe und allers 
vollfommenfte | — 1042. 1044 

Reich der Macht zı18. der Weisheit ib. der Gnaden 375. 
Uebereinſtimmung deffelben mit dem Naturreiche 765. der 
Natur 403. Harmonie mie dem Naturreiche 450. des 
Lichts 495. der Finfterniß ib. 


Reisungen 718 
Religion ıor. Grade 1012. DBerehrer derfelben 1013 
Keue 682 


Xuhe 223. 1010, Gottes ib, 


S. 


Sache, mögliche 23. verfnüpfte, unverfnüpfte 28. vor fich 
felbft betrachtete 29. bat einen Grund und Folge 37. laͤſt 
fich beffimmen 47: einerley 49. von einander verfchiedene ib, 
man unterfcheider Sachen von einander ib. blos mögliche 59. 
zufällige find veranderlich 128. zwey mit einander verbunz 


dene Sachen find mit einer dritten verbunden 39° 
Samlung des Gemuͤths 521 
Sanfte, eine Sache thut ung fanfte 655 
Sar des Widerfpruchs 21. 22. Folgen hieraus 24. des 


Grundes 32. Beweis 33. Folgen 37. des zureichenden 
Grundes 34. Beweis ib. dreyfache Eintheilung hiebey 35. 
FZolgerungsfage 39. 40. 44. der unmöglichen ganzlichen 
Nebereinffimmung auffer einander befindlichen Dinge 207. 
Beweis 208.211. Alterthum dieſes Satzes 212. Beants 
wortung der Einwürfe ‚ib. 


Schaam 683 
Schade 260 
Schoaͤdlich 260. hergeleitete Folgen 262. 263 
Schädlickeit 200. Grade 261 


Scharfſinnigkeit im weitern Verſtande 570. im engern Vers 
ſtande ib. Regel ih. Nutzen und Nothwendigkeit dieſes Ver— 
moͤgens 571. 577. Grade 572. ſinliche 574. vernuͤnftige ib. 


Scheinbar 25 


Scherz 57 


3 
Schlaf 551. mir fehlafen ein ib. wir find im tiefen Schlaf 592. 


der Menfch wird eingefchlafert 644 
Schidfal 303. vernünftiges und fehendes ib. blindes un, 
widertreibliches ib. Widerlegung deffelben 309. türkifches ib. 
4. Tbeil, Kk ſtoi⸗ 


514 | Regifter 
ſtoiſches ib. aftrologifihes ib. ſpinoziſtiſches Zıo, Wider⸗ 


legung ib. mechanifches, phyſiſches 405 
Schlimſte 100 
Schloͤſſer in der Luft bauen 636 
Schlummer 592 
Schluß 635 
Schiüfle, undeutliche 38 
Schoͤnheit es 


Schöpfer eined Dinged 972. diefer Welt 

Schöpfung 777. 972. iſt eine freye Handlung Gottes —* 
989. weiſe 1001. 1004. Gegenſtand derſelben 979. 980 
981. 988. was nicht erſchaffen 981984. Zweck derſel⸗ 
ben 1001. wahrer 1002. weiſer 1004: 1009. die Reli⸗ 
gion 1013. Gluͤckſeligkeit dev endlichen Geiſter 1014. 1015 


ss = der Welt durch einen Ausfluß aus Gott 978 
Schranken 190. 191, _ wefentliche ib. auffermweientliche ib. 

Schred 682 
‚Schreiben N 277 
Schugengel eines Menfchen 755 
Schwer 173 
Schwer muth 684 


Schwindel 553. der Menſch wird ſchwindlicht ib. 

Seele 472. 480. MWürklichkeit aus der Erfahrung 480. bens 
ende Kraft und Subftanz 482. ſtellet fich die Welt vor 483. 
bat deutliche, dunkele und verworrene Borftellungen 485.487- 
488. ſtellet fich die Welt nach ter Stellung ibres Leibes ın ders 
felden vor 487. Gefichtspunct derfeiben 588. Grund der 
Seele 485. Selbftthatigkeit 698. frey von der fehlechters 
dings fo genanten innerlichen Noͤthigung 701. Herrfchaft der: 
felben uber ſich ſelbſt 720. Gemeinfchaft mit dem Körper 726. 
730. regieret den Leib 729. Worterklarung der menfchlichen 
Geele 733. Sacherllärung 735. ihre Vorſtellungskraft 735. 
736. 737: iſt ein Geilt 738. 744. zufallige und endliche 
Subſtanz 739. ſtelt ſich die Welt ohne Ausnahme vor 740. 
bat ein Erkenenifvermögen 741. Begehrungsvermögen 742 
743. freyen Willen 743: Perfönlichkett 744. Bewegungse 
vermögen 746. Weſen und Natur 747. wird nie unends 
lich 751. Verſchiedenheit und Gleichheit mit andern Geelen 
753. 754. Verbindung derfelben mit andern Geiſtern 755. 
mit allen Körpern 756. Verhaltniß mit ihrem Körper 758: 
755: iſt entweder gluskielig oder ungluͤckſelig 772. mehr 
gluͤckſelig oder mebr ungluckjelig 773: Urſprung derfelben 
779. 777. mo fie bey ihrer Sortpflanzung hergekommen 782. 
ſinliche Seele 788. vernuͤnſtige Ib. 

Sehn⸗ 








über die vier Theile der Metaphyſik. 515 


Sehnſucht 883 
Selbſtſtaͤndiges Ding 237. it nothwendig und unendlich 238 


Seloftfiändigkeit 239. Gottes 880 ſeq. 


Seligkeit 767 
Seltene Dinge 338 
Seltenbeit 150 
Siegen 690 
Sintichkeit 673 


Sinn 550. Grade der Vollkommenheit derfelben 533. 535. in, 
nerliche ib. aufferliche ib. ob auffer den fünf Sinnen noch 
mebrere find 533. ob fie uns betrugen 543.545.549. Werk: 
zeuge der Ginne 531. 536. Scharfe der Sinne ib. ſtumpfe 

Sinne ib. Betrug der Ginne 543. Grund und Urſache bie: 

von 546. Blendwerf der Sinne 547. Urſache der Irrthuͤ⸗ 
mer 548. kraͤftiges 547. unkraͤftiges ib. 


Sinnesmeinung Gottes 1072 
Sittlich in weiter Bedeutung 713 
Sig der menfchlichen Seele 756 


Sorge ſ. Vorlebung. 
Sorgen für eine Sache 1018 
Spiroza, Meinung vom Schickſal 310. 850. Widerlegung 


deffelben 310. Zu. von Wunderwerfen 417 
Spinoziſmus, theologifcher 850 
Spirfinnigkeiren , leere 873 
Sprache, befondere 278. allgemeine ib. 

Sprecden 277 
Sprung, es geſchiehet etwas fhlechterdings durch einen 

Sprung 327 
Stade Gotted | 1064 
Störfe 82 

| 216 


Stelle, Stellung eines Dinges 
Stille feyn bey fich, mir find bey ung flille 552 
Strafe 053. 958. matürlihe 954. 960. willkuͤrliche ib. 
ob es folche gebe? 961. ubernatürliche id» verneinende 900. 
bejabende ib. 
Strafgerechrigkeit Gottes 958. Hebung der Einwuͤrfe 959. 960 
Subject 280 
Subftanz 154. zweyfache Vorſtellungsart hievon 157. Scheins 
ſubſtanz 155. eine iede Subſtanz ift eine Kraft 159. handelt 
- wenn fie wurffich ift 169. umendliche 190. 815. 861. noth— 
wendige ı61. Fan nicht entitehen oder untergehen 176. zu— 
fallige 168 
Subftanzen berühren fich einander 177. von einander entfernte, 


ob fie in einander würken fönnen 220. ob mur eine einzige 
Kt ſey 


516 Regifter 


ſey zo. auſſer der unendlichen find noch mebrere endfiche Zur. 
find die Grundtheile der Welt 357. koͤnnen nicht durch die 
Sinne beobachtet werden 361. Eigenſchaften derielben 362. 
ob fie einfach oder zufammengefegt find? 361. auffer einan—⸗ 
der befindlich 363 Undurchdringlichfeit 264. daraus der 
Raum und die Ausdehnung in der Welt entſtehet 365.  alges 
meiner Zufammenbang derſelben 369. eine iede derfelben iſt 
ein Erkentnißgrund der ganzen Welt 367. Erklaͤrung bievon 
368 eine Kraft 366. fchlafende 370. denfende 371. iſt 
des Verftandes fabig 670. hat einen Körper und iſt eine 
Geele ib. blos finlich denfende 372. verſtaͤndige 373. 
drey Hauptgattüngen derfelben 374. handelt nach Gedan» 
Een oder nach Maafgebung ihrer Gedanken 376. _ allaemei: 
ner gegenfeitiaer Einfluß derfelben 380- Zuruͤckwuͤrkung der 
andern leidenden Subſtanzen 381. find bey einander 333. 
feſter Zufammenhang derfelben 394. verandern ihren Zu: 
ftand beffandig 386. herrſchende 389. eine iede, wenn fie 
wuͤrklich ift, bat eine Narur 397. Gelbftehätigkeit 697. iſt 
frey von aller fehlechterdings fo genanten Noͤthigung von aufs 
fen ber 369. von der fehlechterdings fo genanten innerlichen 
Nörhigung 701. von der innerlichen natürlichen Nöthigung 
702.  begebret und verabfcheuet nach Belieben 703. eine 
freye Subſtanz 709. find ein gröffer Ebenbild Gottes als 
die Arcidenzien 872. ob fie in einem Augenblick erfihaffen ggr 

Sünden 957. Vermoͤgen zu fündigen, zu fallen 1046. dag 
unbedingte ib. 1047. bedinate ib. Zulaffung der Sünde 
1052. moralifche ib. phyſiſche ib- 

Suͤndenfall 1046. warum ihn Gott zugelaffen 1053. Ein: 


wuͤrfe 1054:1058 
Sünder 957 
T. | 

Teleologie Arten 1003 
Temperament der Geele 722 
Thaten des Urhebers 977 
Theilbar 188 


Theilbarkeit 188. Eigenſchaft der Körper 392 
Theile 147- alle Theile der Welt haben eine beſtimte Wahrbeie 
und Gewißheit 345. dreyfache Gattung der Theile der 


Welt 357 
Theologe 797 
Theologie 797 


Theoſophus 575 
Thier 








über die vier Theile der Mletspbyfit. 517 
Thier 734. 735. unvernünftiged 788. vernünftiges ib. ver; 


nünftige auffer dem Menſchen 789 
Thiecchen, woraus die Menfchen werden 784-785 
Tiefe 221 
Tieffinnigkeit des Verſtandes 630 
Tod 397.554. der Menſch ſtirbt ib. 

Traducianer 777.778. Widerlegung 779:782 
Traͤgbeit 224.386.388. Eigenfchaft der Körper 385 


Traum 592. doppelte Befchaffenheit der Traume 594. Arten 
593. Beobachtung bey denfelben 595. ob Traume was bes 


deuten 616 
Traumdeuterey 616 
Traͤumerey 92 
Traurigkeit 682 
Treue GOttes 949 
Trockenheit der Erkentniß 503 
Uebel 137. Arten derſelben ib.657. Eintheilung der Uebel un- 

ſrer Seele 766. 767.768 
Ueberdenken sız. Kegel ib. ift ein gröfferer Grad der Auf: 

merkfamfeit 516. Grade deffelben 517 
Weberdruß 883 
Hebereinftimmen nur eines Theild 200. zwey mit einem Dritz 

ten uͤbereinſtimmende Dinge 202 
Webereinftimmung, Arten 200 
Uebereinftimmung der Geifter- und Koͤrperwelt 403 
Vebereinffimmungen 49 
Vebereinftimmungsftüde 49 
Uebergewicht des Vergnuͤgens und Mißvergnuͤgens 653 
Ueberlegung 515 
Uebernatuͤr lich 748 
Uebernatuͤrliche Begebenheiten 413 
Ueberredung 504 
Ueberzeugung 504 
Uebung 576 
Umſtaͤnde 250. der kleineſte veraͤndert eine Sache 252 
Unabhaͤnglichkeit GOttes 880. 881 
Unaͤhnlichkeit 70. 214 
Unangenehm IE 
Unaufhoͤrlichkeit 


Unbegreiflich 629. an und vor ſi unbegreiflich ib. 

hungsweiſe ib. 
Unbequem 655 
Unbeſtimt 46 
Kk 3 Un⸗ 


sı8 - Begifter 


Anding ‘es 

Undurchdringlich 

Unendliches Ding 191. 194. metaphyſiſch ib. ER 
ib. iſt ſchlechterdings unveranderlich 192. nothwendig ib. 

Unendlichkeit Unterſcheid der mathematiſchen und reellen 306 


Unendlichkeit GOttes 853: 856 
Unermeßlich 886 
Ungereimt 26 
Ungleichbeit \ 70.214 
N:olüd 6x 


901 

Ungluͤck eligkeit 700. menſchliche ib. verſchiedene Grade 70 

Unmoͤglich 21. offenbar unmoͤglich ib. verſteckter Weiſe un— 
moͤglich ib. innerlich, an und vor ſich, ſchlechterdings auf ei⸗ 
ne uͤnbedingte Art unmöglich 30. aͤuſſerlich, auf eine bedings 
te Art unmöglich ib. allgemeine hieraus flieffende Wahrhei— 
ten 31. einem Dinge it das feblechterdings natürlich uns 
möglich 408. nur beziehungsweiſe unmöglich ib. moralifch 
unmöglich ın weiterer Bedeutung 714. moralifch unmöglich 
in engerer Bedeutung 

Unmöglickeie wahre 25. Scheinunmoͤglichkeit ib. indie 


30. aufferliche HR 
Unmündig 4 
Unnarüclich 413. es ift der menfihlichen Geele — * 
Unordnung 85.86. 87. 103. 
Unpartheylichkeit 963 
Unſchaͤdlich 260. 262 
Unichuldiger h 087 
Unfeliakeie 767. menfchliche ift veranderlich 774 
Untierblichkeit der Seele 786 
Untergang 176 
Unterfcheid des niedrigen Dinged 144. der Gattungen h. 

der Arten ib. 
Unterfcheiden Sachen von einander 49 
Unterfcbeidungsjtücke ib. 
Unterbrochenes Ding 219 
Unterthanen eines Oberherrn 1064 
Unrbeilbar 187 
Untbeilbarfeit " hi; 


Untruͤglichkeit GOttes 
Unveraͤnderliches Ding 124. 125. iſt ſchlechterdings th 


Dig 

Unveränderlichkeit 124. aufferlühe ib. innerliche ib. beding— 
te ib. unbedingte ib. Folgerungswahrheiten hieraus 125. 
GOttes 845. 87 








über die vier Theile der Metaphyſik. 519 


Unvermoͤgen blos natürliches 


408 
linvernünftig 638 
Unvolltommenbeit 95. 136 
Unwiſſenheit 489 
Unzertrenlichkeit 


71 
Urſache 235.243 246 249. verurſachtes Ding 235. innerli— 


che ib. aͤuſſerliche ib. Miturfache 240. 242. eine Urſache 
komt mit der andern zufammen. 240. einzige Haupturfache 
ib. Nebenurſache ib. sureichende 241. unzureichende id. 
einander zugeordnete ib. einander untergeordnete ib. erſte, 
legte 441. Zwiſchenurſache ib. naͤhere ib. entferntere ib, 
mittelbare ib. unmittelbare ib. wuͤrkende im weitern Vers 
ſtande 245. im engern VBerftande ıb. fehlende Urſachen ib. 
helfende ib. formelle 280. materielle Urfache der Dinge 
ib. moraliſche im weitern Verſtande 986. im engern Ber: 
(tande ib. 
Urheber 977 
Urſprung 396 


Verabſcheuen 662. etwas gerne verabſcheuen 704. ungern 
verabſcheuen ib. 
Verabicheuungen 662. Gegenſtaͤnde derfelben 672. Geſetz 
693. Entſtehungsgrund derfilben 665. wirkende 608. uns 
murfende ib. entjchlieffende iv. Die nicht entſchlieſſend find 
668. finliche 673. vernunftige 686. bios vernunftige ib. 


vorhergebende vernünftige 692. nachfolgende vernünftige id. 
GOttes find wahre Handlungen 


933 
Veränderliches Ding DR \ 123 
Veraͤnderlichkeit 123. innerliche ib. aufferliche ib. bedingte 

ib. unbedingteib. Folgerungswahrheiten hieraus 12 


Veränderung ı22. innerliche ib. aufferliche, ib. harmoni— 
fihe der Seele und des Leibes 


729 
Verbrauch J 263 
Verderben moraliſches 767 
Verehrer 


1010 
Vereinigung des Leibes mit der Seele 729.730. Beantwor⸗ 
tung des Einwurfs 31 
Verhinderung moralifche 1050. phyſiſche Verhinderung einer 
freyen Handlung 


1051 
Vergangene Dinge _ 228 
Vergeſſenheit 581. wir haben etwas vergeffen ib. 


Vergeßlichkeit 554 
Vergnügen 651. Grade 655.656. wahres ib. Echeinvers 
gnuͤgen ib. einfaches 652. zufammengefegtes ib. ſinliches id, 
Kk4 ver⸗ 


522 Regifter 

m, 
Mahl | 693 
Weabnwitig 634 
Wahr IR 25 
Weabrbaftigkeit Gottes 965. 967. 


Wahrbeit einer Gache. Grabe gr. Arten 89. 90. im aanzen 
341. der Theile 343. 344. 345. iſt eine hypothetiſche Noth⸗ 
wendigkeit 346 

MWabrebeit GOttes 842 

Wahrſager Babe 614. ob die menſchliche Seele eine habe ib. 

Wahrſagungen 614 

Weisheit gi. GOttes 913. Eigenſchaften 914-920. 


Welt, Bedeutung dieſes Worts 291. Erklaͤrung 293. Eigen. 


ſchaften derſelben 295 307 310. 311. 315. 316. 320332. 354 
358-3065. 375. algemeiner Zuſammenhang in derfelden 317° 


324. in derfelben iff Fein ohngefahrer Zufall ib: ob etwas 
durch) einen Sprung in Derfelben gefchebe 327. ob aus der 


Einheit derfelben auf die Einheit GOttes zu fehlieffen 878. 


dem unendlichen Wesen ahnlich 333. Wuͤrklichkeit der einzi⸗ 
gen 334.  gemeinfchaftliche Regeln in derfelben 337.  meras. 


phyſiſche Wahrheit 341:343. hypothetiſche Nothwendigkeit 
346. die allerunvollkommenſte 426. die allervollkommenſte 
427. die beſte 427. Eigenſchaften 430.433 438. idealiſche 
iſt nicht die beſte 432. unſre iſt die beſte 989. :994. ob 
fie ewig ſey 859. 974 076. die ſichtbare 906 der Fabeln 
92. Erhaltung der Welt 1022 
Weltweiſen ſtoiſche, Meinung von der Welt 34 
Weltweisheit der faulen 391. atomiſtiſche 394. corpuſculaͤri— 
ſche 395. mechaniſche 405. verborgene 473. ſittliche 714 


Wenig 151 
Werte Gottes | 973 
Werkzeug 245. der Gimme ELSE 
.MWertb" 261 


Weſen 51. 52. 53. Grundwahrbeiten hieraus 61 feg. noth⸗ 


wendiges 117. 1u89. unveranderlich 127. der menfchlichen Sees 
le 747. Gottes 828. 829. 832. ob die Wefen der Dinge 
von feinem Berftande abhangen 905. ob fie ewig find . ib. 
Mefentliche Stuͤcke 50. 51. fihlechterdings nothwendig 127. 


nothwendig 9 
Wichtigkeit 27 
Miderfprechend | 72 
Widerſpruch 25. Arten 25.26 
Widerſtand 
Mille 686. Arten 689.692 


Wille 


— — — 


— — 








\ 


über die vier Theile der Metaphyſik. 523 


Mille GOttes Gegenftände 931. 936. iſt den Gegenftänhen 
propottioniyt 932. felbftehatig 933. genaue Verbindung def 


felben mit der Ain tarht 935. Arten 037: 938. 1070 
Willensmeinung GOttes 1072. natürliche Offenbarung der> 
felben 1075 


Willkuͤhr 703: Gefeß 709. verfchiedene Grade 707.708. 
Wiſſenſchaft ob es eine gebe, wenn Fein GOtt ware 830. GOt—⸗ 
tes natürliche und .nothivendige 907. freye 908. 909. mit: 
lere gio. Schwierigkeit fü fie mit GOttes Unveranderlichkeit 
zuſammen zu reimen gu 
min 567. Regel id. Nutzen 568. Grade und Vollkommen⸗ 
heiten s69. witzige Boritellungen 373 Spielwerk des Wis 
tzes 573. Blendwerk deffelden ib. Duelleder Irrthuͤmer 5377. 
Arten 


574 
Woblfart ng) 758 
MWoblgewogenbeit göttliche 949 
Woblthar 046.948 
Wollen 089 
Worte 


277 
Wunderwerke 414. ob fie in der Welt möalich find 415. wie 


fie gewuͤrkt werden 416.418. 422.424. find auſſe vorbentliche 
Begebenheiten 421. find einer Erflarung fabia 423. Gröffe 
derſelben 425. Möglichkeit derfelben in der beften her 451. 


torbivendigkeit ib. Unmoͤglichkeit 458. Nutzbarkeit der Leh⸗ 

re von denſelben 463 
Wanderwerke in Abſicht auf ung 417. Arten „450. 460 
Wuͤrklichkeit 60. Regeln 61. Kigenfchaft der Wirklichkeit 
eined Dinges 117. GOttes 819. Beweis der Wuͤrklichkeit 


GOttes a priore 823:%25. a pofteriore 819 822 
Wuͤrkung 2447249. Arten derfelben 245. 254 255. 257.381 
I: 

Zahl 


Zeichen 273. 279. Arten ib. Benennung der Wunderwerke Fi 
3eit 183. Eintheilung 


227 
Zerſtreuung des Gemuͤths 521 
Zertheilen 187 
Zertheilung natuͤrliche 187 
Zertrenlichkeit 71 


dorn 683 Gottes 949 
Zufall ohngefahver 325. iſt nicht in der Welt ib. ob etwas 


durch einen ohngefahren Zufall geſchehe 327 
Zufaͤlle glückliche 961. ungluͤckliche ib. 
Zufaͤllig 409 


du⸗ 


524 Regifter über die vier Theile der Metaphyſik. 


Zufällige Beſchaffenheiten 409 
Zufaͤlliges Ding 105. Eigenſchaften 106. 107. 128. 176. 193 
Zufaͤlligkeit einer Sache 105. innerliche, unbedingte 106. aufs 
ſerliche, bedingte ib. 
Zufriedenheit 680 
Sufünfrige Dinge 228. haben eine Wahrheit und Gewiß— 
beit | 345 
Sufammenbang 28. in der Welt 317. 318. iſt velkhichen 
56. 273. 403. wuͤrkender Zufammenhang der Dinge 245. 
443. der Zwecke und der Mittel 272. der Gubitanzen 366 
Zufgmmenordnnng 85. 86 
Zuſemmen geſetzt 178:182 
Zuffand 162. iſt verfchieben 163. 164. der Weit 300. der 
Finſterniß 495. des Lichts ib. der Gleichgultigfeit 651. 
des Gleichgewichts 653, des Uebergewichtd 671. der fittlis 
che Zuſtand 713 
Swara 705. gefchicht auf doppelte Art 718 ſchlechterdings 
fo genanter Aufferlicher ib. gewiſſermaſſen fo genanter auſſer⸗ 
licher ib. bebt das Willkuͤhr nicht auf 705. nicht die Frey- 
beit 717. moraliicher 715 
Swed 266. mahrer, guter ib. Scheinzweck, falicher und boͤ— 
fer ib. völliger 270. 271. der richt völlig it ib. Mitzweck 
ib. Hauptzwe ib. Nebenzwecke ib.  entfernterer 270. 
weiterer ib. unmittelbarer ib. nachfter ib. Mittelzweck ib. 
niedriger und naher ib. 
Swifchengründe 40 























Meier, Georg Freidrich 


685 Metaphysik 
MA Th.3-4 
1'735 
Th.3-4 


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